System des heutigen Römischen Rechts von Friedrich Carl von Savigny . Siebenter Band . Mit. K. Bairischen und K. Würtembergischen Privilegien. Berlin. Bei Veit und Comp . 1848. Vorrede . V iele mögen glauben, daß es einer besonderen Rechtfertigung bedürfe, wenn in der gegenwärtigen Zeit ein Werk über das Römische Recht unter- nommen, oder auch nur fortgesetzt werde. Schon lange vor dem Sturm, der über Europa einher gezogen ist, war in Deutschland jenes Recht von manchen Seiten her als ein fremdes, unvaterländisches angefochten worden, und es hatte sich nicht selten dem ungün- stigen Urtheil über den Gegenstand auch eine Miß- stimmung gegen die Anhänger und Bearbeiter unvermerkt beigemischt, indem die Bekämpfung desselben mit einer vorzugsweise vaterländischen Ge- sinnung, die Anhänglichkeit an dasselbe mit einer dem Vaterlande fremden oder gleichgültigen in Vorrede . Verbindung gedacht wurde. Eine solche Auffassung mußte neue Nahrung gewinnen durch die letzten Weltbewegungen, von welchen selbst wissenschaftliche Gegensätze und Parteiungen, obgleich dem an sich stillen und friedlichen geistigen Gebiete angehörend, nicht unberührt bleiben konnten. Da nun in jenen Bewegungen unter den treibenden Kräften die Nationalität eine der ersten Stellen einnimmt, so liegt der Gedanke sehr nahe, von jetzt an für uns Deutsche das deutsche Recht als allein zulässig, als einzigen, der wissenschaftlichen Thätigkeit würdigen Gegenstand zu betrachten. Indessen ist die Frage von der Stellung des Römischen Rechts zum Deutschen Recht und zum Deutschen Vaterlande überhaupt, nicht von heute und gestern; sie ist älter, als der Sturm unserer Tage, und so habe auch ich seit länger, als einem Menschenalter, Gelegenheit gehabt, mich über diese Frage öfter auszusprechen Ich verweise zunächst auf die Vorrede zum ersten Band dieses Werkes, aus deren ausführ- licher Darstellung die hier folgen- den Gedanken einen zusammen- gedrängten Auszug enthalten, so wie ihn das Bedürfniß des gegen- wärtigen Augenblicks zu erfordern schien. . Ein Gleiches ist von Manchen meiner wissenschaftlichen Freunde Vorrede . geschehen, auch von solchen, die nicht mehr unter uns sind. Die unbefangene Betrachtung des hier vorlie- genden Gegensatzes kann nicht mehr verdunkelt werden, als durch eine ungehörige Einmischung der vaterländischen Gesinnung in die Prüfung der ent- gegenstehenden Meinungen, indem man denselben bald Gunst, bald Ungunst zuzuwenden versucht, je nachdem die eine oder die andere Meinung als Kennzeichen des Besitzes oder des Mangels einer solchen Ge- sinnung dargestellt wird. Dieses Verfahren also muß vor Allem vermeiden, Wer in der Erforschung der Wahrheit durch keinen falschen Schein sich stören zu lassen entschlossen ist. Ich will gerne in meiner Wissenschaft die tiefere Einsicht und die vielseitigere Auffassung Anderer anerkennen, durch welche ich selbst ja nur gehoben und bereichert werden kann. Ich bin ferner bereit, es als möglich anzuerkennen, daß die großen Schicksale unserer Tage auch in den Wissenschaften neue Entwickelungen hervorrufen werden, denen vielleicht die abnehmenden Kräfte eines höheren Alters nicht mehr gewachsen seyn dürften. Mögen sich denn Forscher von frischen Kräften zur Lösung dieser Aufgabe hervorthun, und Vorrede . mögen sie sowohl selbst den Ernst der Aufgabe erkennen, als von außen, neben unbefangener Auf- nahme, zugleich auch strenge Prüfung ihrer Be- rechtigung finden. — Aber in ernster, aufrichtiger, warmer Liebe zu meinem Vaterlande, in der Be- reitschaft, ihm jedes Opfer der Selbstverleugnung zu bringen, will ich Keinem nachstehen, wer er auch sey. Wenn von mir und Anderen das Römische Recht auch in Deutschland hoch gestellt, wenn es fort- während für einen würdigen, ja unentbehrlichen Gegenstand wissenschaftlicher Thätigkeit erachtet worden ist, so ist Dieses geschehen, nicht um das Fremde zu erheben auf Kosten der vaterländischen Ehre, nicht um die einheimischen Gedanken und Sitten des Rechts zu verdrängen durch die fremden, sondern damit auch auf diesem Felde Das, was Gott anderen Zeiten und Völkern an geistiger Ent- wicklung beschieden hat, unserm Volke nicht fremd bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der eigenen Kraft und zur Erweiterung seines geistigen Besitzes zubereitet und dargeboten werde. Ganz besonders aber ist es geschehen in der Ueberzeugung, daß für uns Deutsche, wie für viele Vorrede . andere Nationen, jenes ursprünglich fremde Element ohnehin seit Jahrhunderten ein Bestandtheil des einheimischen Rechtslebens geworden ist, und daß es hier, großentheils unverstanden oder halbver- standen, oft verderblich wirkt, anstatt daß es, in richtigem Verständniß, nur eine Bereicherung des eigenen Rechtslebens schaffen kann. Wir haben also gar nicht zu fragen, ob wir das Römische Recht, etwa wie eine neu entdeckte Insel, auf sich beruhen lassen, oder uns aneignen wollen mit allen Vortheilen und Schwierigkeiten, die es etwa mit sich führen mag. Wir haben es einmal, unser ganzes juristisches Denken ist seit Jahrhunderten damit ver- wachsen, und die Frage ist nur, ob durch dasselbe unser Denken bewußtlos unterjocht, oder vielmehr mit freiem Bewußtseyn gestärkt und bereichert werden soll. Man könnte etwa diese geschichtliche Nothwendig- keit als Thatsache anerkennen, aber als ein Uebel beklagen, und dieser Gedanke könnte zu dem Ent- schluß führen, das Römische Recht durch eigene Schöpfungen zu verdrängen und in Vergessenheit zu bringen. Nicht zu gedenken aber, daß dieses Be- streben nur zu einer, den Rechtszustand wesentlich Vorrede . verschlimmernden Selbsttäuschung führen würde, ist auch jener Gedanke selbst von Grund aus irrig und verwerflich. Die erwähnte geschichtliche Verbindung des Römischen Rechts mit dem Rechtsleben eines großen Theils von Europa ist so wenig ein Uebel zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte Wohlthat erkennen müssen. Die Beschäftigung mit dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei- fachen Gefahr: durch Theorie sich zu verflüchtigen in die hohlen Abstractionen eines vermeintlichen Naturrechts, durch die Praxis herabzusinken zu einem geistlosen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen beide Gefahren gewährt das Römische Recht, wenn wir es recht gebrauchen, ein sicheres Heilmittel. Es hält uns fest auf dem Boden eines lebens- kräftigen Daseyns; es knüpft unser juristisches Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit, anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide Theile gleich heilsamen, Verbindung erhalten werden. Ein besonders gefährlicher, kaum begreiflicher Irrthum aber ist es, welcher zu verschiedenen Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält- nisses zwischen dem Römischen und Deutschen Recht Vorrede . geführt hat. Nur nach einer sehr beschränkten Auf- fassung können die Bearbeiter des einen oder des anderen dieser Hauptzweige unserer gemeinsamen Rechtswissenschaft glauben, das Gebiet ihrer eigenen Thätigkeit zu fördern und zu erheben, indem sie das fremde bekämpfen und herabsetzen. Jeder Fortschritt auf dem einen Gebiet ist vielmehr ein sicherer Gewinn auch für das andere, indem dadurch stets der Gesichtskreis für das Ganze erweitert wird. Von diesem Standpunkte aus hielten Alle, die von jeher für das Römische Recht sprachen, ihre besondere wissenschaftliche Aufgabe zugleich für eine ächt vaterländische, und von dieser Ueberzeugung kann ich auch jetzt nicht lassen, auch nach den großen Schicksalen der neuesten Zeit nicht. Um es recht anschaulich zu machen, wie in solchen Dingen die Wahrheit und das Mißver- ständniß zu einander sich verhalten, will ich eine Geschichte erzählen, die sich auf einem ganz anderen Gebiete zugetragen hat. Als ich vor vierzig Jahren eine Lehrstelle an der Bairischen Universität Lands- hut bekleidete, lebte daselbst ein Professor der Botanik, der wohlgemerkt kein eingeborner Baier Vorrede . war. Dieser suchte seine ausschließende Werth- schätzung des besonderen Bairischen Vaterlandes dadurch zu bethätigen, daß er aus dem botanischen Garten alle Pflanzen verbannen wollte, die nicht in Baiern wild wachsen, um auf diese Weise einen rein Vaterländischen Garten, befreit von fremden Erzeugnissen, herzustellen. Dieses Verfahren wurde damals von allen wirklichen Baiern in der Univer- sität verwerflich gefunden, denen es an der kräftigsten Vaterlandsliebe gewiß nicht fehlte. Der Verfasser hat hier die Gründe dargelegt, aus welchen er entschlossen ist, sein Werk auch in dieser neuen Zeit, und ungeachtet derselben, mit Ernst nnd Liebe fortzusetzen; beide Gesinnungen sollen ja, nach dem Ausspruch unseres Dichters, gerade dem Deutschen besonders wohl anstehen. Die Weltereignisse haben mir zu dieser Arbeit jetzt freie Muße gewährt. Wie lange dazu Leben und Kraft ausreichen wird, steht in Gottes Hand. Vorrede . Von dem allgemeinen Theil des gegenwärtigen Rechtssystems ist jetzt nur noch das dritte Buch übrig, welches die Anwendung der Rechtsregeln auf die Rechtsverhältnisse enthalten wird, insbesondere die Lehren von der örtlichen und räumlichen Collision der Quellen des positiven Rechts, oder von dem s. g. internationalen Recht, und von der rückwir- kenden Kraft der Gesetze. Diese wichtige Lehren werden wahrscheinlich in dem achten Band dargestellt werden können. Geschrieben im August 1848. Inhalt des siebenten Bandes. Zweites Buch. Die Rechtsverhältnisse . Viertes Kapitel . Verletzung der Rechte. Seite. §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung 1 §. 303. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Confessio in jure 6 §. 304. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Confessio in jure (Fortsetzung). 12 §. 305. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Interrogatio in jure 20 §. 306. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Widerruf 28 §. 307. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Widerruf (Fortsetzung) 34 §. 308. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge- ständniß. — Heutiges Recht 39 §. 309. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung 47 §. 310. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Zu- schiebung, Ableistung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeschobenen Eides 56 Inhalt des siebenten Bandes. §. 311. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Gemein- same Wirkungen 63 §. 312. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Besondere Wirkungen, je nach der verschiedenen Lage des Streites 70 §. 313. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Besondere Wirkungen, je nach der verschiedenen Lage des Streites (Fortsetzung) 78 §. 314. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Heutiges Recht 84 §. 315. Restitution. — Einleitung 90 §. 316. Restitution. — Begriff derselben 95 §. 317. Restitution. — Eigenthümliche Natur und Ent- wicklung derselben 107 §. 318. Restitution. — Bedingungen. — I. Verletzung 118 §. 319. Restitution. — Bedingungen. — I. Verletzung (Fortsetzung) 124 §. 320. Restitution. — Bedingungen. — II. Restitutions- grund 130 §. 321. Restitution. — Bedingungen. — III. Abwesenheit positiver Ausnahmen 138 §. 322. Restitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder- jährigkeit 145 §. 323. Restitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder- jährigkeit (Fortsetzung) 149 §. 324. Restitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder- jährigkeit (Fortsetzung) 156 §. 325. Restitution. — Einzelne Gründe. — II. Abwesenheit 161 §. 326. Restitution. — Einzelne Gründe. — II. Abwesenheit (Fortsetzung) 169 §. 327. Restitution. — Einzelne Gründe. — II. Abwesenheit (Fortsetzung) 173 Inhalt des siebenten Bandes. §. 328. Restitution. — Einzelne Gründe. — II. Abwesenheit (Fortsetzung) 180 §. 329. Restitution. — Einzelne Gründe. — II. Abwesenheit (Fortsetzung) 185 §. 330. Restitution. — Einzelne Gründe. — III. Zwang 191 §. 331. Restitution. — Einzelne Gründe. — IV. Irrthum 196 §. 332. Restitution. — Einzelne Gründe. — V. Betrug 198 §. 333. Restitution. — Einzelne Gründe. — VI. Antiquirte Gründe 210 §. 334. Restitution. — Gerichtsbehörden 214 §. 335. Restitution. — Parteipersonen 216 §. 336. Restitution. — Parteipersonen (Fortsetzung) 223 §. 337. Restitution. — Verfahren 228 §. 338. Restitution. — Verfahren (Fortsetzung) 239 §. 339. Restitution. — Verfahren (Fortsetzung) 244 §. 340. Restitution. — Verfahren (Fortsetzung) 251 §. 341. Restitution. — Verfahren (Fortsetzung) 257 §. 342. Restitution. — Wirkungen 264 §. 343. Restitution. — Wirkungen (Fortsetzung) 269 Beilage XVIII. Restitution der Minderjährigen, welche in väterlicher Gewalt stehen 277 Beilage XIX. L. 57 mandati 292 §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung . E s ist schon oben auf die Natur einiger Rechtsinstitute hingedeutet worden, welche die Stelle eines Urtheils ver- treten können, also ein solches unnöthig machen S. o. B. 6 S. 265. des Zusammenhangs wegen vgl. B. 5 § 204 B. 6 § 256. . Der Begriff eines solchen Surrogats ist aber nur da vorhanden, wo in der That die Entscheidung eines Rechtsstreits, nur auf einem anderen Wege, als durch ein richterliches Urtheil, herbeigeführt wird. Dahin gehören folgende In- stitute, die nunmehr der Reihe nach abgehandelt werden sollen: I. Das gerichtliche Geständniß ( Confessio und Interro- gatio in jure ). II. Der Eid. Wohl davon zu unterscheiden aber, und gar nicht hier- her zu ziehen, sind die häufigen und wichtigen Fälle, in welchen zwar ein äußerlich ähnlicher Erfolg wahrzunehmen ist, nämlich die Beseitigung eines Rechtsstreits, jedoch nicht durch Entscheidung desselben, sondern durch dessen Vernichtung, indem durch Verwandlung ein neues, VII. 1 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. nicht streitiges, Rechtsverhältniß an die Stelle des bis- herigen streitigen gesetzt wird. Die meisten derselben lassen sich auf einen Vertrag, also auf Einigung der Parteien, zurückführen; alle aber gehören nicht hierher, in das Actionenrecht, sondern in den speciellen Theil des Rechts- systems, und zwar in das Obligationenrecht. An dieser Stelle mag eine kurze Uebersicht der hier auszuscheidenden Fälle der Beseitigung eines Rechtsstreits genügen. 1. Vergleich . Darunter ist zu verstehen die Beendigung eines Rechts- streits durch die freie Uebereinkunft beider Theile über irgend einen, zwischen ihren ursprünglichen Ansprüchen in der Mitte liegenden, Punkt. Hierin liegt augenscheinlich eine rein vertragsmäßige, also obligatorische, Umwandlung des bisherigen Rechtsverhältnisses. 2. Erlaß oder Verzicht , also völliges Nachgeben von Seiten des Klägers. Dieser Fall hat Aehnlichkeit mit dem Fall des Vergleichs, unterscheidet sich aber dadurch, daß zum Wesen des Vergleichs ein Nachgeben von beiden Seiten gehört. Außerdem ist aber zu bemerken, daß dieser Fall eine sehr vieldeutige Natur an sich trägt Diese mögliche Vieldeutigkeit der zum Grunde liegenden Absicht wird erwähnt in L. 29 § 1 de don. (39. 5). Nach derselben Stelle aber soll der Verzicht gleichmäßig bindend wirken, es mag die eine oder die andere Absicht zum Grunde liegen. . Es kann darin liegen das Anerkenntniß des Klägers, daß er kein Recht hat; oder auch umgekehrt die Absicht, sein (vielleicht selbst §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung. vom Gegner anerkanntes) Recht schenkungsweise aufzugeben; oder endlich die unbestimmtere Absicht, blos die Verfolgung des Rechts, als schwierig oder zweifelhaft, für immer fallen zu lassen. Oft werden diese verschiedenen möglichen Gedanken in der vorliegenden Willenserklärung, ja selbst in dem eigenen Bewußtseyn des Klägers, nicht mit Sicherheit zu unterscheiden seyn; die Wirksamkeit der Handlung aber ist davon unabhängig. Aber nicht blos in den zum Grunde liegenden Gedanken, sondern auch in der Form der Handlung, erscheint der Verzicht auf verschiedene Weise. Er kommt vor in Gestalt eines Vertrags Das pactum ne petatur, welches den größten Theil des Pandektentitels de pactis (II. 14.) ausfüllt. Die Stellung dieses Titels unmittelbar vor dem de trans- actionibus erklärt und rechtfertigt sich aus der eben bemerkten Ver- wandtschaft beider Institute. , und in dieser Gestalt ist so eben die Verwandtschaft desselben mit dem Vergleiche bemerkt worden. Er kommt aber auch vor in der Gestalt einer vor dem Richter abgegebenen einseitigen Erklärung, den Rechtsstreit fallen lassen zu wollen (desistere). Geschieht diese Er- klärung in jure, so hat sie die Natur einer confessio in jure, also eines wahren Surrogats L. 29 § 1 de don. (39. 5), s. u. § 303 Note r. . Mit dem Verzicht wird, als Fiction desselben, nicht selten der Fall zusammengestellt, wenn der Kläger die Sache liegen läßt, und dadurch ein abweisendes Contumacial- Urtheil veranlaßt. Man betrachtet hier das Benehmen des Klägers als eine Erklärung, die Sache nicht weiter ver- 1* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. folgen zu wollen, wobei der Beweggrund dahin gestellt bleiben soll. Wenn es indessen wirklich zu einem abweisen- den Urtheil kommt, so sind stets die Regeln, die für das Urtheil gelten, nicht die vom Verzicht anzuwenden Vgl. Thibaut civilisti- sche Abhandlungen S. 160. 161., Hollweg Gerichtsverfassung und Prozeß S. 287. 294 — 296., Bayer Vorträge S. 285 — 288. — Blos in manchen speciellen Be- ziehungen soll das Ausbleiben als Verzicht, zum Vortheil des Klägers, behandelt werden, z. B. insofern er dadurch die Nachtheile vermeidet, die ihn wegen der Anfechtung eines Testaments treffen würden. L. 8 §. 14 de inoff. test. (5. 2), L. 8 C. de his quib. ab ind. (6. 35). Vgl. auch L. 27 § 1 de lib. causa (40. 12). . 3. Der umgekehrte Fall von dem Erlaß oder Verzicht würde in einem völligen Nachgeben von Seiten des Be- klagten bestehen. Allein dieser Fall hat im Römischen Recht, in der Gestalt der in jure confessio, die Natur eines wahren Surrogats des richterlichen Urtheils angenommen, und wird daher unter den nunmehr darzustellenden Surro- gaten seine eigenthümliche Stelle erhalten. Er kann übrigens auch die reine Form des Vertrags annehmen, und ist dann allerdings ganz so, wie der vorhergehende Fall, zu behandeln. 4. Das Compromiß hat an sich eine augenscheinliche Verwandtschaft mit den Surrogaten des Urtheils. Daß wir es nicht dahin rechnen, liegt in der ursprünglichen Be- handlung dieses Instituts bei den Römern, welche auf der reinen Natur eines Vertrages beruhte. Allerdings hat es sich in der späteren Zeit mehr den Urtheilen angenähert; dennoch müssen wir es in die Reihe der Verträge setzen, §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung. weil nur in diesem Zusammenhang seine eigenthümliche Ent- wicklung deutlich gemacht werden kann. 5. Die Selbsthülfe gehört in die Reihe der hier zusammengestellten Rechtsinstitute, insofern durch sie das vielleicht wirklich vorhandene Recht zur Strafe verloren, dann also zugleich jeder mögliche Rechtsstreit darüber auf unfreiwillige Weise vernichtet werden kann. Sie gehört in die Reihe der Obligationen welche aus Delicten entstehen. Wenngleich nun alle hier angegebene Fälle die Natur wahrer Surrogate des Urtheils nicht an sich tragen, so ist doch bei einigen derselben eine wichtige Verwandtschaft mit dem Urtheil, die schon bei einer anderen Gelegenheit ange- deutet wurde, hier wieder in Erinnerung zu bringen. Die Fälle nämlich, welche die Natur wahrer Verträge haben (Num 1. 2.), heben nicht blos den gegenwärtigen Rechts- streit auf, sondern verhindern auch dessen Erneuerung für jede künftige Zeit. Dabei kann die Frage entstehen, ob ein späterhin versuchter Rechtsstreit in der That eine solche unzulässige Erneuerung des durch Vertrag beendigten in sich schließe, oder ob er als ein ganz neuer, von dem früheren unabhängiger, zu betrachten sey. Dieselbe Frage ist schon oben, bei den Folgen des rechtskräftigen Urtheils, ausführlich behandelt worden, und die dort aufgestellten Regeln finden auch hier ihre Anwendung. Wenn also die Frage nach der Identität eines versuchten Rechtsstreits mit Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. einem früher beendigten zu beantworten ist, so gelten die- selben Regeln, es mag die Beendigung durch ein rechts- kräftiges Urtheil, oder aber durch einen Vertrag herbeige- führt worden seyn. Es hat also in dieser Beziehung die pacti exceptio gleiche Natur mit der exceptio rei judicatae L. 27 § 6. 8 de pactis (2. 14). Vgl. oben B. 6 S. 414. 426. 446. . §. 303. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geständniß. — Confessio in jure. Quellen : Dig . XLII. 2 (de confessis). XI. 1 (de interrogatio- nibus in jure faciendis et de interrogatoriis actionibus). Cod . VII. 59 (de confessis). Paulus V. 5 A, II. 1 § 5. Cod. Greg . X. 2. Schriftsteller : Donellus Lib. 28 C. 1. Weber Verbindlichkeit zur Beweisführung, herausg. von Heffter . Halle 1832. Vierte Abhandlung und Zus. S. 290—296. Bethmann-Hollweg Versuche über Civilprozeß. Berlin 1827. Vierte Abhandlung. Puchta Cursus der Institutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174. §. 303. Surrogate. I. Geständniß. Confessio. Das Römische Recht hat zwei hierher gehörende, sehr alte Rechtsinstitute, die wegen ihrer inneren Verwandtschaft nur in Verbindung mit einander deutlich gemacht werden können: die confessio in jure, und die interrogatio in jure. Der Grundsatz, worauf die confessio in jure beruht, läßt sich so ausdrücken: Wenn ein Beklagter vor dem Prätor die Behauptung des Klägers vollständig einräumt, so soll dieses Zugeständniß einer Verurtheilung gleich gelten. Nur das vor dem Prätor (in jure) abgelegte Geständ- niß sollte diese eigenthümliche Wirkung haben, nicht das vor dem Judex Das Geständniß vor dem Ju- dex hatte immer entscheidenden Ein- fluß auf das Urtheil, aber keine selbst- ständige Natur und keine formelle Regeln. Seit der Aufhebung des ordo judiciorum verschwindet dieser Unterschied. . Daher wird in den Quellen zuweilen dem Ausdruck Confessio oder Confessus der Zusatz beige- geben: in jure L. 29 § 1 de don. (39. 5) L. 56 de re jud. (42. 1), L. un. C. de confessis (7. 59), L. 4 C. de repud. her. (6. 31). . Gemeint ist dieser Zusatz immer, und darum wird er in den meisten Stellen nicht einmal nöthig gefunden. In dem aufgestellten Grundsatz liegt eine zweifache Wirkung: Der Beklagte ist durch sein Geständniß verpflichtet, und diese Verpflichtung tritt unmittelbar ein, ohne daß es dazu eines Urtheils bedarf. Durch diese zweite Wirkung erhält eben das Geständniß seinen besonderen Charakter als Surrogat des Urtheils. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die Römer drücken den aufgestellten Grundsatz so aus: Confessus pro judicato est oder habetur L. 1. 3. 6 § 2 de confessis (42. 2), L. 56 de re jud. (42. 1), L. un. C. de confessis (7. 59), L. 4 C. de repud her. (6. 31), Paulus u. Cod. Greg. in den oben angeführten Stellen. . Dieser Aus- druck aber ist ganz ernstlich gemeint; denn es soll aus dem bloßen Geständniß, ohne Urtheil, sogleich Execution gegen den Beklagten erfolgen, durch Abpfändung und Verkauf seiner Sachen L. 9 C. de execut. (7. 53), Paulus II. 1 § 5. . Daher wird denn auch das Geständniß neben das Urtheil und den Eid gestellt, also auf gleiche Linie mit denselben L. 56 L. 31 de re jud. (42. 1). . Bei dem Urtheil aber gilt die durchgreifende Regel: condemnatus ut pecuniam solvat L. 4 § 3 de re jud. (42. 1). . Die Wahrheit jenes Grundsatzes also ist außer Zweifel gesetzt; dennoch hat er nur eine beschränkte Wahrheit, indem er zunächst und unmittelbar nur für den einzigen Fall gilt, wenn eine Schuldklage auf eine bestimmte Geldsumme an- gestellt und von dem Beklagten zugestanden wird L. 4 C. de repud. her. (6. 31) „quod confessos in jure pro judicatis haberi placuit … ad certam quantitatem deberi confitentem pertinet.“ L. 6 pr. de confessis (42. 2) „Certum confessus pro judicato erit, incertum non erit.“ Certum aber heißt hier und in vielen andern Stellen, die von Klagen handeln, so viel als certa pecunia (B. 5 S. 623—625), wie auch die gleich folgenden Worte zeigen. . Der Grund dieser Beschränkung liegt darin, daß im alten Pro- zeß auch das Urtheil nur auf eine bestimmte Geldsumme gehen konnte Gajus IV. § 48. , und nur dabei eine unmittelbare Execution durch abgepfändete und verkaufte Sachen möglich war. §. 303. Surrogate. I. Geständniß. Confessio. In allen übrigen Fällen, das heißt, bei dem Geständniß eines bestimmten Gegenstandes außer baarem Geld, oder eines unbestimmten Gegenstandes, also in den meisten Fällen überhaupt, soll der Beklagte wo möglich dazu ge- bracht werden, sein Geständniß auf eine bestimmte Geld- summe zu richten, also in ein certum zu verwandeln L. 6 § 1 de confessis (42. 2) „urgeri debet“. Darin liegt aber weder ein directer, noch ein indirecter Zwang, außer etwa insofern die grundlose Weigerung vielleicht den Judex zu einem nachtheiligeren Urtheil stimmen könnte. Bethmann-Hollweg S. 265. . Ist aber Dieses nicht möglich, so erfolgt nunmehr ein ge- wöhnlicher Prozeß; es wird ein Juder bestellt, eine Litis- contestation vorgenommen, und ein Urtheil gesprochen L. 7. 5. 3. 8 de confessis (42. 2). . Man könnte durch diese Unterscheidung verleitet werden, dem oben aufgestellten Grundsatz eine geringere praktische Bedeutung zuzuschreiben, als ihm in der That zukommt. Er ist aber wahr auch für alle übrigen Fälle, nur in einer etwas anderen Weise. In dem nunmehr entstehenden Rechtsstreit ist nämlich der Judex an den Inhalt des Geständnisses streng gebunden; er darf davon nicht abweichen, hat deshalb Nichts zu untersuchen „nihil quaeritur“. L. 56 de re jud. (42. 1), welcher Satz hier ausdrücklich abgeleitet wird aus der Regel: confessi pro judicatis habentur. , und seine Thätigkeit beschränkt sich darauf, den eingeräumten Gegenstand in eine bestimmte Geldsumme zu verwandeln „Judex non rei judican- dae, sed aestimandae datur“. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die Formel mag in solchen Fällen etwa auf folgende Weise gefaßt worden seyn: Quod N. Negidius in jure confessus est, fundum Cornelianum A. Agerio se dare oportere, quanti is fundus est, eum condemna, so daß dabei die Intentio: si paret, N. Negidium fundum dare oportere, ganz ausfiel Dieses war nun die actio confessoria, von welcher in dem folgenden § die Rede seyn wird (§ 304 Note k ). . Kam ein solches Geständniß bei einer arbiträren Klage, insbesondere bei einer Eigenthumsklage vor, so hatte es ganz die Natur einer pronuntiatio, und machte dieselbe ent- behrlich, indem es ihre Stelle vertrat L. 6 § 2 de confessis (42. 2). Ueber die pronuntiatio s. o. B. 6 S. 318—320. . Bei der confessio wird noch die besondere Regel er- wähnt, daß hier dieselbe gesetzliche Zahlungsfrist eintrete, wie bei dem Urtheil, und daß diese von dem Tage des Geständnisses an gerechnet werden müsse L. 6 § 6 de confessis (42. 2), L. 21 de jud. (5. 1), L. 31 de re jud. (42. 1), Paulus V. 5 A. § 2. — Natürlich konnte dieser Satz nur gelten von dem auf baares Geld gerichteten Ge- ständniß, wodurch ein nachfolgen- des Urtheil ganz entbehrlich wurde (Note g ). . Nach der bis hierher geführten Untersuchung kann die gemeinsame Wirkung des gerichtlichen Geständnisses, an- L. 25 § 2. L. 26 ad L. Aquil. (9. 2), L. 40 § 1 de pactis (2. 14). §. 303. Surrogate. I. Geständniß. Confessio. schließend an die Wirkung des rechtskräftigen Urtheils S. o. B. 6 S. 274. , so ausgedrückt werden: Confessio pro veritate accipitur, und dieser Ausdruck ist gleich wahr und gleich wichtig für jedes gerichtliche Geständniß, es mag auf eine Geldschuld oder auf einen anderen, bestimmten oder unbestimmten Ge- genstand gerichtet seyn. In diesem Sinn also kann man sagen, daß jedes gerichtliche Geständniß als Surrogat eines Urtheils gelten kann, indem es, gleich dem Urtheil, die Fiction der Wahrheit , das heißt, formelle Wahr- heit , begründet, wenngleich es nicht in allen Fällen ein nachfolgendes Urtheil entbehrlich macht. Wenn man das gerichtliche Geständniß in dieser seiner allgemeinen Natur auffaßt, so ist es der reine Gegensatz des von dem Kläger vor Gericht ausgesprochenen Verzichts (§ 302). Diese Vergleichung muß auch darin als wahr anerkannt werden, daß dem Geständniß sehr verschiedene Gedanken zum Grunde liegen können; am häufigsten die wirkliche Anerkennung des Rechts des Klägers; ferner die bestimmte Absicht, zu schenken; endlich eine unbestimmte, in der Mitte liegende Absicht, das Nachgeben bei einer zweifel- haften Sache, um nur den Rechtsstreit zu vermeiden. — Ferner ist die Vergleichung dahin auszudehnen, daß außer dem gerichtlichen Geständniß auch ein auf gleichen Zweck gerichteter Vertrag vorkommen kann. Dieses ist der Recog- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. nitiv-Vertrag, der in das Obligationenrecht gehört, und gewöhnlich nicht in seiner wahren Natur aufgefaßt wird. Uebrigens kann eine solche confessio in jure auch von Seiten des Klägers vorkommen, wenn nämlich dieser vor dem Prätor unbedingt erklärt, daß er keinen Anspruch an den Beklagten habe. Dadurch giebt er sein Klagrecht völlig auf, die Handlung gilt gleich einer rechtskräftigen Frei- sprechung, und hat also ganz die Natur eines Surrogats des Urtheils. Ein solcher Fall aber wird in dieser Form nur sehr selten vorkommen, und wenn er vorkommt, hat er eine so einfache Natur, daß er näherer Bestimmungen kaum bedürfen wird. Aus beiden Gründen ist es wohl zu erklären, daß derselbe, so viel ich weiß, nur in einer einzigen Stelle des Römischen Rechts erwähnt wird L. 29 § 1 de don. (39. 5). S. o. § 302 Note d. — Es heißt in jener Stelle: „eum actionem jure amisisse respondit“. Wenn er nun dennoch die Klage anstellen wollte, so stand ihm ohne Zweifel eine exceptio confessi oder con- fessoria entgegen, mit gleicher Wirkung, wie die exceptio rei judicatae. , und daß er weder durch die Gesetzgebung, noch durch die Arbeiten der alten Juristen besonders ausgebildet worden ist. §. 304. Surrogate des Urtheils . — I. Gerichtliches Geständniß. — Confessio in jure. (Fortsetzung.) Der oben aufgestellte wichtige Grundsatz über die Kraft des gerichtlichen Geständnisses des Beklagten hat folgende Entstehung und allmälige Entwicklung gehabt. §. 304. I. Geständniß. Confessio. (Fortsetzung.) 1. Für den Hauptfall, das Geständniß einer bestimmten Geldschuld, ist die erste Quelle in der Vorschrift der zwölf Tafeln zu suchen: Aeris confessi rebusque jure judicatis XXX. dies justi sunto etc. Gellius XX. 10. , in welchem das Geständniß dem rechtskräftigen Urtheil mit gleicher Kraft an die Seite gesetzt wurde. Beiden Thatsachen gleichmäßig wurde hier die Wirkung der Schuldknechtschaft, also der Personal- execution, beigelegt, an welche sich dann in späterer Ent- wicklung die der Realexecution angeschlossen hat, von welcher allein jetzt noch die Rede ist Ob die Schuldknecht- schaft auf die Geldschulden aus dem Darlehen beschränkt war, ist streitig; vgl. Savigny über das altrömische Schuldrecht, Abhand- lungen der Berliner Akademie 1833. Daß die Realexecution , in Folge des Geständnisses wie des Urtheils, auf Geldschulden jeder Art ging, ist unzweifelhaft. . — Damit war also der Grund zu diesem Rechtsinstitut gelegt. 2. Eine Erweiterung desselben für einige besondere Fälle wurde durch das prätorische Edict eingeführt. Für vier Klagen galt die Vorschrift, daß der Beklagte, wenn er wissentlich leugnete und überführt wurde, den eingeklagten Werth zur Strafe doppelt bezahlen sollte Lis inficiando crescit in duplum. Gajus IV. § 9. 171. Diese vier Klagen sind: judicati, de- pensi, damni injuria dati, le- gati per damnationem relicti. ; das Einge- ständniß schützte also vor dieser Strafe, und es konnte im Fall desselben nur die Frage entstehen, ob denn der Be- klagte durch sein Geständniß auch wirklich für den einfachen Werth verpflichtet werde. Dieses mußte unbedingt ange- nommen werden, weil das Geständniß hier die Natur eines Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Vergleichs hatte; der Beklagte übernahm die Leistung des einfachen Werthes, um dadurch der Gefahr der doppelten Leistung zu entgehen. Diese in der Natur der Sache ge- gründete Auffassung erhielt eine ausdrückliche Bestätigung durch das Edict, welches neben der Klage auf das Doppelte gegen den Leugnenden auch die einfache Klage gegen den Geständigen aussprach, also die Verpflichtung wegen des Geständnisses geradezu anerkannte Bethmann-Hollweg S. 265—268. . — Indessen konnte diese Bestimmung nur für die wenigsten unter den angege- benen Fällen als etwas Neues, folglich als eine wahre Erweiterung, angesehen werden. Die actio judicati und depensi gingen ohnehin stets auf eine bestimmte Geldsumme, und standen also schon unter der Vorschrift der Zwölf Tafeln (Num. 1.); eben so auch die Klage aus dem Legat, wenn dasselbe auf eine Geldsumme gerichtet war. So blieben also als neu, als Gegenstände einer Erweiterung für die Kraft des Geständnisses, nur folgende zwei Klagen übrig: die Klage aus einem legatum damnationis, wenn dasselbe auf einen anderen bestimmten Gegenstand, als baares Geld, z. B. auf ein Haus, ein Pferd u. s. w. gerichtet war, und die actio legis Aquiliae wegen körperlicher Beschädigung fremder Sachen. Für den letzten Fall sind uns die genaue- sten Nachrichten von dieser neuen Bestimmung über die Kraft des Geständnisses aufbewahrt, wovon sogleich noch mehr die Rede seyn wird. §. 304. I. Geständniß. Confessio. (Fortsetzung.) In allen übrigen Fällen eines gerichtlichen Geständnisses fehlte es also ganz an ausdrücklichen Bestimmungen über dessen formelle Kraft. Dennoch ist nicht zu bezweifeln, daß das Geständniß stets thatsächliche Anerkennung in den Urtheilen der Richter gefunden haben wird, und zwar ohne Unterschied, ob es vor dem Prätor oder vor dem Judex abgelegt war. 3. Die volle Ausdehnung endlich, in welcher der Grundsatz oben aufgestellt worden ist (§ 303), erhielt der- selbe erst durch einen Senatsschluß unter der Regierung des K. Marcus Aurelius (oratio D. Marci). Hierin wurde bestimmt ausgesprochen, daß bei Klagen aller Art das vor dem Prätor abgelegte Geständniß für den Beklagten dieselbe verpflichtende Kraft haben sollte, wie ein rechtskräf- tiges Urtheil L. 6 § 2 de confessis (42. 2) , L. 56 de re jud. (42. 1). . — Wenngleich aber die Ausdrücke der alten Juristen über den Umfang dieses Senatsschlusses höchst allge- mein gefaßt sind, so muß derselbe doch auf diejenigen Klagen beschränkt werden, worüber jede Partei eine völlig freie Verfügung hat, welches bei den Klagen über Vermögens- rechte durchaus der Fall ist. Dagegen ist dem Geständniß nicht dieselbe Kraft beizulegen, wenn es darauf abzweckt, die persönliche Freiheit des Geständigen zu verneinen, oder eine Ehe als ungültig darzustellen L. 24. 39 C. de lib. causa (7. 16) , C. 5 X. de eo, qui cognovit (4. 13). — Bethmann-Hollweg S. 274. . 4. Seit dem Untergang des ordo judiciorum hatte jede Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. confessio in judicio die Kraft der alten confessio in jure. Als eigentliches Surrogat aber konnte sie nun nicht mehr gelten, sondern nur noch als Grundlage eines richterlichen Urtheils, welches an den Inhalt derselben gebunden war. Das Wesen des Geständnisses wurde oben darin gesetzt, daß der Beklagte die Behauptung des Klägers einräume (§ 303), also in ein Einverständniß beider Parteien über diese Behauptung. Nun geht diese Behauptung stets und nothwendig auf das Daseyn eines Rechtsverhältnisses, ein solches aber beruht wieder auf Thatsachen; zur genaueren Einsicht in das Wesen des Geständnisses ist es also nöthig, zu bestimmen, ob als der eigentliche Gegenstand des Ein- verständnisses das Rechtsverhältniß , oder vielmehr die Thatsache gedacht werden müsse. Der Ausdruck confessio, so wie der entsprechende deutsche Ausdruck, kann leicht dahin führen, die Thatsache als den unmittelbaren Gegenstand des Einverständnisses anzusehen, wodurch also das Geständniß als bloßes Be- weismittel erscheinen könnte; allein die oben angegebene juristische Natur desselben, welche in der Gleichstellung mit dem richterlichen Urtheil besteht, führt vielmehr auf das Rechtsverhältniß. Denn auf ein solches geht nothwendig jedes Urtheil, und soll also das Geständniß gleiche Kraft mit dem Urtheil haben, in manchen Fällen sogar jedes §. 304. I. Geständniß. Confessio. (Fortsetzung.) Urtheil völlig entbehrlich machen (§ 303), so muß es gleichfalls das Daseyn eines Rechtsverhältnisses unmittelbar feststellen. Diese Natur des Geständnisses wird denn auch in unsern Rechtsquellen geradezu anerkannt; der Beklagte ge- steht nämlich: se debere, oder fundum actoris esse L. 3. 5. 7 de confessis (42. 2), L. 6 § 2 eod. , und es wird Niemand bezweifeln, daß Schuld und Eigen- thum reine Rechtsverhältnisse sind, wozu sich gewisse That- sachen nur als Entstehungsgründe verhalten können. Indessen darf dabei nicht verkannt werden, daß in der Anerkennung des Rechtsverhältnisses stets auch die Aner- kennung der dazu nöthigen Thatsachen liegt, nur daß dabei die Auswahl unter mehreren gleich möglichen Thatsachen ungewiß bleiben kann. Eben so wird nicht selten die An- erkennung einer reinen Thatsache, z. B. des Empfanges eines Darlehens, zugleich die Anerkennung eines Rechts- verhältnisses (hier der Darlehensschuld) in sich schließen. Dadurch aber wird das Wesen der Sache nicht verändert. Auch kommt in der That ein Fall vor, in welchem die Römischen Juristen das Geständniß auf eine reine Thatsache beziehen. Dieses darf aber nicht etwa als ein ungenauer, nachlässiger Ausdruck betrachtet werden, oder als Zeichen eines Schwankens jener Juristen über die hier zur Frage gestellten Ansichten. Vielmehr hat diese Beziehung ihren Grund in der eigenthümlichen Natur einer einzelnen Klage, und es muß gleich hier darauf näher eingegangen werden, weil damit wichtige andere Streitfragen zusammenhangen. VII. 2 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Es ist nämlich schon bemerkt worden, daß die actio L. Aquiliae unter die wenigen Klagen gehörte, worin das Geständniß schon vor der oratio D. Marci eine besondere Wirkung hatte: einestheils den Beklagten von der Gefahr des doppelten Ersatzes zu befreien, anderntheils ihn zum einfachen Ersatz unbedingt, wie durch ein gesprochenes Urtheil, zu verpflichten (§ 303). In diesem Fall nun konnte schon deswegen ein Urtheil durch das bloße Geständ- niß nicht entbehrlich werden, weil noch immer der Geld- werth des zugefügten Schadens zu bestimmen blieb L. 25 § 2 L. 26 ad L. Aqu. (9. 2). . Das Geständniß also, das hier eine besondere Wirkung haben sollte, ging nicht auf die (noch unbestimmte) Forderung des Klägers, sondern auf die reine Thatsache; ja nicht einmal auf die ganze, vollständige Thatsache, sondern ledig- lich auf die persönliche Thätigkeit des Beklagten, die Thäter- schaft: Das, was unsere Criminalisten den subjectiven Thatbestand nennen L. 23 § 11 L. 24 L. 25 pr. ad L. Aquil. (9. 2), L. 4 de confessis (42. 2). In der ersten dieser Stellen sind besonders entscheidend die Worte: „hoc enim solum remittere actori confessoriam actionem, ne ne- cesse habeat docere, eum occidisse, ceterum occisum esse hominem a quocunque oportet“. . Diese eigenthümliche Beschränkung darf auch gar nicht als eine zufällige, willkürliche be- trachtet werden, sondern sie hatte ihren guten Grund in folgendem Umstand. Wenn wegen der Tödtung oder Ver- wundung eines Sklaven geklagt wurde, so war die That- §. 304. I. Geständniß. Confessio. (Fortsetzung.) sache des Todes oder der Verwundung meist unbestritten, konnte wenigstens durch den Augenschein leicht außer Zweifel gesetzt werden. Dagegen war die Thatsache, daß gerade dieser Beklagte die That begangen habe, leicht abzu- leugnen; diesem Leugnen sollte durch die Drohung des doppelten Ersatzes vorgebeugt werden, und daher war das Geständniß gerade dieser Thatsache allein von Wichtigkeit. Dieses Geständniß wurde daher auch in die Klagformel, als für den Richter bindend, aufgenommen, und die so abgefaßte Klage hieß nun confessoria actio L. 23 § 11 L. 25 § 1 ad L. Aqu. (9. 2). Nur hier kommt dieser Name vor, welches jedoch ganz zufällig seyn kann; an sich paßte er auf jede Klage, die in Folge einer confessio in jure angestellt wurde (§ 303 Note n ). . Nachdem nun die geschichtliche und formelle Seite der confessio in jure festgestellt worden ist, bleibt noch die Er- örterung der praktischen Seite übrig. Dahin gehört zunächst die wichtige Frage, die auch schon für das Römische Recht zu beantworten ist, ob das gerichtliche Geständniß eine unbedingt verpflichtende Kraft mit sich führt, oder ob das- selbe widerrufen und angefochten werden kann auf den Grund der Behauptung, daß es nicht mit der Wahrheit übereinstimme. — Dann aber ist besonders auch die heutige Anwendbarkeit der Grundsätze des Römischen Rechts über das gerichtliche Geständniß zu untersuchen, um die richtige Behandlung desselben im heutigen Recht feststellen zu können. 2* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die Beantwortung dieser Fragen aber wird mit Erfolg erst unternommen werden können, wenn zuvor die Interro- gatio in jure dargestellt seyn wird. §. 305. Surrogate des Urtheils . — I. Gerichtliches Geständniß. — Interrogatio in jure. Wenn ein Rechtsstreit abhängig ist von einer, die Person des Beklagten betreffenden Präjudicialfrage, welches neuere Schriftsteller die Passivlegitimation nennen, so soll sowohl der Kläger, als der Richter befugt seyn, eine solche Frage dem Beklagten vorzulegen, welcher dann verbunden ist, zu antworten; diese Verbindlichkeit ist hier eigenthümlich. Durch den Inhalt der Antwort wird der Beklagte verpflichtet, und darin liegt die Aehnlichkeit dieses Instituts mit der confessio in jure. Die Verschiedenheit beider Prozeßhand- lungen aber liegt darin, daß die confessio den eigentlichen Gegenstand des Rechtsstreits, den Anspruch des Klägers, betrifft, und daher das Urtheil entbehrlich machen kann (§ 303), anstatt daß die interrogatio nur eine vorläufige Frage, nicht den Streitgegenstand selbst betrifft, und daher niemals für ein Surrogat des Urtheils gelten kann. Außer diesem besonderen Fall konnte aber auch jede andere Frage von einer Partei ihrem Gegner vor dem Prätor vorgelegt werden, und wenn sich der Gegner durch eine bestimmte Antwort darauf freiwillig einließ, so war er durch eine solche in jure confessio nach den oben auf- §. 305. Surrogate. I. Geständniß. Interrogatio. gestellten Grundsätzen gebunden, wobei dann die vorher- gehende interrogatio nur als die zufällige Veranlassung der confessio zu betrachten war, und gar nicht selbstständig zur Form der Handlung gehörte Ein solcher Fall von der Frage eines Beklagten an den Kläger kommt vor in L. 29 § 1 de don. (39. 5), s. o. § 303 r. Die daselbst abwechselnd gebrauchten Ausdrücke: interrogatus, re- spondit, confessus, confessio, find daher gar nicht als ungenauer Sprachgebrauch anzusehen. Im ganzen Titel de interrogationibus ist abwechselnd von respondere und confiteri die Rede. . — Hierauf beruhte unter andern auch die uralte Form der in jure cessio als Uebertragung des Eigenthums durch freien Willen des bisherigen Eigenthümers. Der neue Eigenthümer vindicirte die Sache zum Schein; der Prätor fragte den Veräußernden, ob er das Eigenthum des Klägers anerkenne, und wenn der Befragte es anerkannte oder nur schwieg, so erfolgte die Addiction des Prätors, die das Eigenthum übertrug Gajus II § 24. . An sich ließ sich dieses Verfahren denken sowohl vor dem Prätor, als vor dem Judex. Ursprünglich kam es nur vor dem Prätor vor, war also eine interrogatio in jure Dieser Name findet sich in der Ueberschrift des Titels, ferner in L. 1 pr. L. 4 § 1 de interr. (11. 1). , nicht in judicio , weil es dort allein auf die Ab- fassung der Klagformel Einfluß haben konnte, wozu es ursprünglich bestimmt war. Wir finden die Anwendung desselben ausdrücklich erwähnt in folgenden Fällen, worin dem Kläger eine Antwort des Beklagten auf die hier ange- gebenen Fragen von Wichtigkeit seyn konnte: Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. 1. Ob der Beklagte Erbe eines verstorbenen Schuldners des Klägers sey L. 2. 3. 5. 9 § 7 de interr. (11. 1) ; 2. Zu welchem Antheil er Erbe sey L. 1 pr. 4 pr. 5 eod. ; 3. Ob er, im Fall einer noxalis actio, Eigenthümer des verletzenden Sklaven sey: eben so, bei der actio si quadrupes, Eigenthümer des schädlichen Thieres L. 5. 8. 7 eod. ; 4. Ob, im Fall einer actio de peculio, ein peculium des Sohnes oder Sklaven vorhanden sey L. 9 § 8 eod. ; 5. Ob, im Fall einer cautio damni infecti, der Beklagte Eigenthümer des Gefahr drohenden Hauses sey L. 10 L. 2 § 2 eod. ; 6. Im Fall einer Eigenthumsklage, zu welchem Theil der Sache der Beklagte den Besitz habe L. 20 §. 1 eod. — Ueber das Eigenthum des Beklagten sollte der Kläger nicht fragen, weil Dieses mit seinem eigenen Recht zusammenhing, das er kennen mußte. L. 73 pr. de R. V. (6. 1). ; 7. Wie alt der Beklagte sey L. 11 pr. de interr. (11. 1). ; nämlich ob der Beklagte unmündig, imgleichen ob er minderjährig sey, weil er im ersten Fall einen Tutor als Auctor, im zweiten einen Curator als Beistand haben mußte, wenn der Rechtsstreit gültig geführt werden sollte Nicht eigentlich zu diesem Rechtsinstitut gehört die Frage, die ein Ehemann seiner geschie- denen Frau vor dem Prätor vor- legen durfte, ob sie schwanger sey; die Frau wurde durch Pfändung oder Geldstrafe zur Antwort ge- zwungen, aber es knüpfte sich an diese Frage keine Klage, wovon allein bei unserm Institut die Rede ist. L. 1 § 2. 3 de insp. ventre (25. 4). . §. 305. Surrogate. I. Geständniß. Interrogatio. Alle diese Fragen konnten bequem und zweckmäßig ge- funden werden, um dem Kläger die Mühe und Kosten eines unnützen Rechtsstreites, oder die unrichtige Führung desselben zu ersparen. In einem jener Fälle (Num. 2) konnte die Frage sogar nothwendig seyn, um den Verlust eines Rechts von ihm abzuwenden: Wenn nämlich der Kläger eine certi condictio gegen einen der Erben seines ursprünglichen Schuldners anstellen wollte, und über die Größe des Erbtheils seines Beklagten ungewiß war. Denn wenn er einen größeren Theil der Schuld einklagte, als den welcher dem Erbtheil entsprach, so verlor er nach den Regeln des alten Prozesses den ganzen Anspruch an diesen Erben L. 1 pr. de interr. (11. 1). . Auf die ertheilte Antwort gründete sich nun eine inter- rogatoria actio Dieser Name findet sich in der Ueberschrift des Titels, ferner in L. 1 § 1 und L. 22 eod. , das heißt, es wurde in die ohnehin beabsichtigte Klagformel der Inhalt der Antwort als unab- änderlich feststehend mit aufgenommen. Folgendes Beispiel wird Dieses anschaulich machen. Wenn Jemand aus einer Stipulation Hundert zu fordern hatte, der Schuldner starb, einer der Erben widersprach der Schuld, antwortete aber auf die vorgelegte Frage, er sey Erbe zur Hälfte des Ver- mögens, so mag wohl die Formel in folgender Weise gefaßt worden seyn: Quod N. Negidius interrogatus respondit, se esse Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Seji heredem ex semisse, si paret, Sejum Aulo Agerio centum dare oportere, N. Negidium in quinquaginta condemna. Die verschiedene Art, in welcher der Beklagte durch sein Benehmen verpflichtet werden konnte, wird sogleich genauer angegeben werden. Zuvor aber muß die Veränderung erwähnt werden, die in diesem Verfahren schon zur Zeit der alten Juristen eingetreten ist. Darüber sagt Callistratus wörtlich Fol- gendes L. 1 § 1 eod. : „Nach dem gegenwärtigen Gerichtsgebrauch wird kein Beklagter mehr gezwungen, schon vor dem Prätor in eine solche Vorverhandlung über vorgelegte Fragen sich einzulassen; vielmehr wird dieser Theil des Verfahrens, so wie jede andere Beweisführung über Thatsachen, dem Judex überlassen. Daher sind denn auch die interrogatoriae actiones fast ganz außer Gebrauch gekommen L. cit. „Interrogatoriis autem actionibus hodie non utimur … minus frequentan- tur et in desuetudinem abierunt.“ Es ist oben erwähnt worden, daß das alte Verfahren meist nur zur Bequemlichkeit diente, und diese konnte auch vor dem Judex hin- länglich versorgt werden. In Einem (vergleichungsweise gewiß seltenen) Fall konnte dasselbe noth- wendig seyn zur Abwendung von Gefahr (Note m ), und in diesem einzigen Fall mögen sie denn auch noch angewendet worden seyn, so lange der ordo judiciorum mit seinen strengen Formeln bestand. Auch sagt ja der Jurist nicht, daß sie durchaus verschwunden seyen, sondern nur, daß sie wenig mehr vorkämen ( minus frequentantur) , und dieser unbestimmte Ausdruck mag absichtlich gebraucht seyn mit Rücksicht auf jenen einzelnen Fall. Es ist wohl zu bemerken, daß die Nothwendigkeit der int. act. für diesen Fall in derselben Stelle, und nur wenige Worte vorher, bemerklich gemacht wird. .“ §. 305. Surrogate. I. Geständniß. Interrogatio. Neuere Schriftsteller haben diese geschichtliche Angabe so anstößig gefunden, daß sie die künstlichsten Mittel versucht haben, um die vermeintlichen Widersprüche zu beseitigen Vgl. Glück B. 11 S. 247—249. 255. 293. Zimmern Rechtsgesch. B. 3 S. 379. Puchta Institutionen B. 2. S. 192. . Sie haben die Erzählung des Callistratus so aufgefaßt, als sey das ganze positive Rechtsinstitut der Interrogationen außer Gebrauch gekommen; damit schien ihnen der Umstand im Widerspruch zu stehen, daß die genau bestimmten Regeln desselben (welche sogleich angegeben werden sollen) in den Digesten als geltendes Recht dargestellt werden. Diese Schwierigkeit sollte auf zweierlei Weise gelöst werden. Einige sagten, die ganze Erzählung von dem verän- derten Recht beruhe auf Interpolationen von Tribonian ; früher habe sich gar Nichts geändert. — Allein eine solche Interpolation wäre eben so unnütz, als zweckwidrig gewesen. Unnütz, weil zur Zeit von Justinian durchaus keine Ge- fahr war, daß Jemand zwischen Prätor und Judex fehl greifen möchte. Zweckwidrig, weil aus dem ganzen Titel der Digesten deutlich erhellt, daß die alten praktischen Re- geln über die Interrogationen fortbestehen sollten. Andere haben folgende Behauptung aufgestellt. In der alten Zeit, sagen sie, waren außergerichtliche Interro- gationen üblich, und mit diesen wurden die größten Unge- rechtigkeiten und Bedrückungen verübt. Diese sind es, welche nach der Erzählung des Callistratus außer Ge- brauch gesetzt wurden. — Diese ganze Geschichte von den Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. bedrückenden außergerichtlichen Interrogationen ist völlig leer, und nur dazu ersonnen, um die hier erwähnte (gar nicht vorhandene) Schwierigkeit zu beseitigen. Sie beruht eigentlich nur auf dem augenscheinlichen Mißverständniß von zwei Worten des Callistratus L. 1 § 1 cit. „Interroga- toriis autem actionibus hodie non utimur, quia nemo cogitur ante judicium de suo jure ali- quid respondere.“ Die Worte ante judicium erklärte man durch außergerichtlich , da sie doch so viel heißen, als: in jure, coram Praetore. . Die ganze Schwierigkeit verschwindet durch folgende Auffassung der eingetretenen Veränderung. Die alten In- terrogationen mit ihren sehr positiv bestimmten Wirkungen wurden gar nicht verändert; sie sollten nur nicht mehr vor dem Prätor vorkommen, sondern vor dem Judex, also auch keinen Einfluß mehr haben auf die Abfassung der formula. Daher waren es die interrogatoriae actiones, die außer Gebrauch kamen, nicht die Interrogationen mit ihren Folgen, die unverändert blieben. So erzählt die Sache fast wörtlich Callistratus , und seine Erzählung wird völlig bestätigt durch eine Stelle des Ulpian L. 21 eod. „Ubicunque judicem aequitas moverit, ae- que oportere fieri interroga- tionem, dubium non est.“ . Faßt man die Sache so auf, so muß man sich über- zeugen, daß Tribonian Nichts mehr zu ändern vorfand, weil schon zur Zeit des ordo judiciorum Alles in die Lage gebracht worden war, in welcher es auch nun bleiben §. 305. Surrogate. I. Geständniß. Interrogatio. konnte. Wir haben daher keine Ursache, auch nur in den Worten der alten Juristen irgend eine erhebliche Interpola- tion vorauszusetzen Höchstens ist eine solche, und zwar sehr unschuldige und ungefährliche, anzunehmen in fol- genden Worten des Ulpian ( L. 4 pr. eod. ) „Voluit Praetor ad- stringere eum, qui convenitur, ex sua in judicio respon- sione“ .... Hier mag wohl Ulpian geschrieben haben: in jure. . Es bleibt nun noch übrig, die praktischen Regeln anzu- geben, die ursprünglich für die interrogatio in jure ein- treten sollten, dann aber, und zwar schon zur Zeit der alten Juristen, auf die interrogatio in judicio übertragen worden sind. Der Beklagte kann über jeden, seine persönlichen Ver- hältnisse betreffenden Präjudicialpunkt sowohl von der Richterbehörde, als von dem Gegner, befragt werden, und er ist in beiden Fällen zur Antwort verpflichtet L. 9 pr. § 1, L. 11 § 9 eod. . Nun- mehr können folgende Fälle eintreten. A. Er antwortet. Dadurch wird der Gegner zunächst berechtigt, den Inhalt der Antwort als förmliche Wahrheit (wie aus einem Urtheil) gegen ihn geltend zu machen. Seine Antwort hat in dieser Hinsicht die Natur eines Quasicontracts L. 11 § 9 eod. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. B. Er antwortet, und wird hinterher einer wissentlich unwahren Anwort überführt. C. Er verweigert die Antwort. In beiden letzten Fällen ist der Gegner befugt, gegen ihn das Nachtheiligste anzunehmen, das im vorliegenden Falle denkbar ist, und Dieses gilt als Strafe seines unred- lichen Benehmens L. 4 pr. L. 5 L. 11 § 1. 2. 3. 4. 5. 9 L. 17 eod., L. 39 pr. de proc. (3. 3) , L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4). — Bethmann-Hollweg S. 281. . So z. B., wenn er des ursprüng- lichen Schuldners Erbe zur Hälfte ist, auf Befragen aber nur ein Viertheil angiebt, so darf er als einziger Erbe be- handelt, und für die ganze Schuld in Anspruch genommen werden. Die Verpflichtung zur Antwort, also auch die Strafe der Verweigerung, fällt jedoch weg, wenn der Beklagte Gründe der Ungewißheit über den Gegenstand der Frage angeben kann, so z. B., wenn er befragt wird, ob er Erbe sey, und über dieses Erbrecht in einem Rechtsstreit befangen ist L. 6 § 1 de interr. (11. 1). . §. 306. Surrogate des Urtheils . — I. Gerichtliches Geständniß. — Widerruf . Nachdem die Lehre von der confessio und von der interrogatio, jede für sich, dargestellt ist, kann zur Beant- wortung einer wichtigen praktischen Frage übergegangen §. 306. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. werden, welche sich auf beide Institute, als verschiedene Zweige des gerichtlichen Geständnisses, gemeinschaftlich be- zieht. Dies ist die Frage, ob es dem Geständigen erlaubt ist, das Geständniß durch Widerruf zu entkräften, wenn er es unternimmt, das Eingestandene als unwahr darzu- thun, also einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweisen. Diese Frage ist bei unsern Schriftstellern in hohem Grade bestritten, welches seinen Grund in den scheinbar sehr wider- sprechenden Aussprüchen der Römischen Juristen hat. Um in dieser Untersuchung einen festen Boden zu ge- winnen, ist es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundsätze zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußersten, völlig entgegen gesetzten Ansichten. Nach der einen ist das gerichtliche Geständniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach stärker), so wie dem Zeugenbeweise. Nach dieser Ansicht ist es folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung zuzulassen. — Nach der zweiten Ansicht bildet jenes Ge- ständniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur- theil. Von diesem Standpunkt aus scheint jede Anfechtung, jeder Widerruf verneint werden zu müssen, auch wenn der Geständige die Unwahrheit des Geständnisses zu beweisen unternehmen wollte. Zwischen diesen äußersten Ansichten liegt die Wahrheit in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geständniß förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geständigen, und ist nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. auf die Ueberzeugung des Richters einzuwirken. Dennoch ist eine Entkräftung desselben möglich, jedoch nur durch Re- stitution von Seiten des Prätors, also durch dieselbe Macht, wodurch unter gewissen Bedingungen auch die Entkräftung eines Urtheils möglich ist. — Diese Sätze gelten sowohl für die confessio, als für die interrogatio. — Es giebt aber ausgenommene Fälle, in welchen jede Anfechtung gänzlich ausgeschlossen ist. — Diese Sätze sollen nun einzeln entwickelt, und in den Quellen des Römischen Rechts nachgewiesen werden. 1. Die confessio in jure (im Justinianischen Recht in judicio ) hat bindende Kraft für den Geständigen (§. 303. 304). Dieselbe Kraft hat die interrogatio und responsio in jure (schon zur Zeit der alten Juristen in judicio ); diese wirkt in der Regel als Quasicontract, ausnahmsweise als Strafe. Die bindende Kraft überhaupt ist also allen Formen des gerichtlichen Geständnisses gemeinsam. Es kommt aber darauf an, die Natur dieser bindenden Kraft näher zu bestimmen. Sie begründet eine feste Be- gränzung des Rechtsstreits , und ist daher als eine das Urtheil vorbereitende und bedingende formelle Handlung anzusehen. Sie hat daher eine innere Verwandtschaft mit der Litiscontestation, und bildet gleichsam eine durch den ganzen Prozeß fortschreitende, ergänzende Litiscontestation. Durch dieses Geständniß wird also nicht sowohl diese oder jene Thatsache festgestellt, worüber der Richter ein freies Urtheil zu bilden haben möchte, sondern es wird durch §. 306. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. dasselbe dem Gebiet des Streitigen unter den Parteien, worüber allein von dem Richter ein Urtheil erwartet wird, Mehr oder Weniger entzogen, also jenes Gebiet enger begränzt. 2. Beruht das Geständniß auf Irrthum, so kann der Geständige von den Folgen desselben Befreiung erlangen. Diese Befreiung wird ertheilt durch Restitution (also im alten Prozeß nur durch den Prätor) L. 7 de confessis (42. 2) L. 11 § 8 de interr. (11. 1). Diese Restitution gehört unter die zahlreichen Fälle, in welchen überhaupt gegen Prozeßhand- lungen Restitution wegen Irr- thums ertheilt wird. S. o. B. 3. S. 386. 387. . Die Restitution wird hier aber nur unter folgenden Be- dingungen ertheilt. — Der Irrthum muß ein factischer seyn, kein Rechtsirrthum L. 2 de confessis (42. 2), C. 3 X. de confess. (2. 18), C. 2 de restit. in VI. (1. 21). . — Er darf nicht auf grober Nach- lässigkeit beruhen L. 11 § 11 de interr. (11. 1) „nisi culpa dolo proxi- ma sit“. . — Er muß als Irrthum bewiesen werden, so daß der bloße Beweis des Gegentheils der ein- gestandenen Thatsachen nicht hinreicht C. 3 X. de confessis (2. 18) „si de hujusmodi po- tuerit errore docere“. — Es wird stets darauf ankommen, die Entstehung der irrigen Meinung aus scheinbaren äußeren Thatsachen nachzuweisen. Beispiele eines solchen Beweises finden sich in L. 11 § 8 de interr. (11. 1). . Dieser wichtige, in unsern Rechtsquellen ausdrücklich anerkannte Satz ist die nothwendige Folge davon, daß dem Geständniß ja auch ganz andere Absichten, als die Anerkennung der Wahrheit, zum Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Grunde liegen können, unter andern die Absicht, zu schenken (§ 303). Ferner können nur durch diesen Beweis die oben aufgestellten Bedingungen festgestellt werden, daß nämlich der Irrthum blos factisch seyn und nicht auf grober Nach- lässigkeit beruhen muß. Diese Grundsätze sind gleichmäßig anzuwenden auf die confessio und auf die interrogatio (Note a ). Bei dieser letzten also wird durch die Restitution der Quasicontract (§ 305. v ) entkräftet. Was aber die Strafverpflichtung wegen wissentlicher Unwahrheit betrifft (§ 305. x ), so ist selbst der Begriff einer solchen Unwahrheit durch den Be- weis des Irrthums ausgeschlossen L. 11 §. 3. 10. 11. de interr. (11. 1). . Dabei ist noch besonders aufmerksam zu machen auf die innere Verwandtschaft des Widerrufs eines irrigen Geständ- nisses mit der condictio indebiti. Hier, wie dort, muß der Irrthum bewiesen werden, welcher ein factischer seyn und nicht auf grober Nachlässigkeit beruhen muß. Von dieser Verwandtschaft wird sogleich noch weiterer Gebrauch ge- macht werden. 3. Die förmliche Restitution wird aber nicht in allen Fällen erfordert. Wenn der Geständige noch vor dem Prätor seine Er- klärung zurück nehmen oder verbessern wollte, bevor dadurch dem Gegner ein Schade entstanden seyn konnte, so war ihm Dieses gestattet, ohne daß es dazu eines Beweises und einer Restitution bedurfte. Nach der Litiscontestation, also §. 306. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. vor dem Juder, war eine solche Veränderung nicht mehr möglich, ohne auf den Prätor zurück zu gehen und Re- stitution zu erlangen L. 11 § 12 de interr. (11. 1), „licere responsi poeni- tere.“ L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4). . Wenn ferner das Eingestandene in Folge von Rechts- regeln als unmöglich erkannt werden muß, so bedarf es keiner Restitution, und auch schon der Römische Judex mußte diesem Geständniß jede Wirkung verfagen. Wenn also eine Noxalklage angestellt wurde wegen der Handlung eines Sklaven oder Sohnes gegen den vermeintlichen Herrn oder Vater, welcher auf Befragen das Daseyn der po- testas einräumte, so war dieses Geständniß allerdings hin- reichend, um gerade ihn zum Schuldner zu machen, und also die Schuld vom wahren Herrn oder Vater auf ihn zu übertragen . Wenn aber hinterher bewiesen wurde, daß der Thäter gar nicht Sklave oder Sohn, sondern frei und unabhängig war, oder daß der Geständige gar nicht des Eigenthums (über einen Sklaven) fähig, oder seines Alters wegen nicht der väterlichen Gewalt über den (viel- leicht älteren) Thäter fähig war, so sollte in allen diesen Fällen dem Geständniß alle Wirkung versagt werden L. 13. 14. 16 de interr. (11. 1). In diesem Sinn heißt es in den angeführten Stellen: „quia falsae confessiones natu- ralibus convenire deberent“, und: „si id, quod in confessio- nem venit, et jus et naturam recipere potest“. . Dieses ist nun die einzige Beziehung, in welcher dem Beweis der Unmöglichkeit , worauf Manche einen unver- VII. 3 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap IV. Verletzung. hältnißmäßigen Werth legen, ein besonderer Einfluß zuge- standen werden kann. Allerdings ist jede unmögliche That- sache stets zugleich eine unwahre, und der Beweis der Unwahrheit einer Thatsache ist die Grundlage für den Beweis des Irrthums über das früher abgegebene Ge- ständniß der Wahrheit dieser Thatsache. Aber der voll- ständige Beweis dieses Irrthums liegt darin nicht, weil das Unmögliche, eben so gut, als das blos Unwahre, mit Bewußtseyn der Unwahrheit, folglich ohne Irrthum, einge- standen seyn kann. Daher ist es unrichtig, wenn Manche behaupten, der Beweis der Unmöglichkeit sey stets hinreichend, und mache den Beweis des Irrthums unnöthig. Wenn also Jemand eine von ihm persönlich begangene That ein- gesteht, so ist zum Widerruf nicht hinreichend, daß er das Alibi beweist. Denn aus dem Alibi folgt allerdings, daß er die That nicht begangen haben kann, also auch nicht begangen hat; es folgt aber nicht, daß er im Irrthum war, als er das Geständniß der That ablegte. Ja sogar wird gerade in diesem Fall der Irrthum höchst unwahrscheinlich, vielleicht nur unter den abentheuerlichsten Voraussetzungen möglich seyn. §. 307. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geständniß. — Widerruf . (Fortsetzung.) Die in dem vorhergehenden §. aufgestellten Grundsätze leiden eine Ausnahme in den Fällen der Klagen, worin §. 307. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. (Forts.) das böswillige Leugnen durch die Verurtheilung auf den doppelten Werth bestraft wird (ubi lis inficiando crescit in duplum) (§ 304). In diesen Fällen hat das Geständniß die Natur eines Vergleichs, um der Gefahr der höheren Verurtheilung zu entgehen. Daher gilt hier kein Widerruf aus dem Grnnd des Irrthums, und keine Restitution, selbst wenn der Irrthum bewiesen werden könnte Diese Ausnahme hat keine Anwendung bei den Interrogationen, sondern nur bei der eigentlichen confessio in jure. . Hier zeigt sich wieder die, schon oben erwähnte, Ver- wandtschaft zwischen dem Widerruf des Geständnisses und der condictio indebiti (§ 306). Denn auch die condictio indebiti ist in denselben Fällen ausgeschlossen § 7 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27), L. 4 C. de cond ind. (4. 5). , indem die Zahlung nicht als vermeintliche Erfüllung einer unzwei- felhaften Forderung angesehen werden soll, sondern als eine Vergleichssumme zur Abwendung der Gefahr einer höheren Verurtheilung. Diese Ausnahme also mußte gelten bei der actio judi- cati und depensi, so wie bei der Klage aus dem legatum damnationis einer bestimmten Geldsumme. Daß sie dabei von den alten Juristen nicht erwähnt wird, erklärt sich aus der Natur dieser Schulden als reiner Geldschulden. Denn bei diesen wurde die ganze Sache vor dem Prätor zu Ende gebracht ohne Juder (§ 304), so daß dabei kaum jemals Zeit und Anlaß zu einem Widerruf des abgegebenen Ge- 3* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. ständnisses gewesen seyn mag. Es bleiben also nur noch zwei Klagen dieser Art zu betrachten übrig, die actio L. Aquiliae, und die Klage aus einem legatum damnationis auf eine bestimmte Sache außer baarem Gelde. Wenn die actio L. Aquiliae wegen der Tödtung oder Verwundung eines Sklaven angestellt wird, und der Be- klagte die That als von ihm begangen eingesteht, so wird er dadurch unbedingt zum einfachen Schadensersatz ver- pflichtet, und hat keine Restitution zu hoffen, auch wenn er sich zum Beweise des Irrthums erbietet. Der entschei- dende Grund dieser auffallenden Vorschrift liegt in der so eben bemerkten Vergleichsnatur eines solchen Geständnisses, indem er dadurch der Gefahr entgeht, außerdem vielleicht zum doppelten Ersatz verurtheilt zu werden (§ 304. i ). Allein diese Gefahr und die damit verbundene unbedingte Verpflichtung beschränkt sich auf die persönliche Thäterschaft des Beklagten. Wenn also der Widerruf dahin gerichtet ist, daß der Sklave noch lebe, daß er ohne Wunden sey, so bezieht sich darauf die Ausnahme nicht; vielmehr ist hier, wie bei anderen Klagen, die Restitution wegen eines Irr- thums zulässig. — Allerdings kommt hier zu dem bereits geltend gemachten, schon allein genügenden Grund noch ein anderer hinzu, der selbst ohne Beweis eines Irrthums hin- reichen würde, die Klage völlig auszuschließen. Denn wenn der Sklave lebt und gesund ist, so muß die Klage ohne Erfolg bleiben, da es ganz an einem Schaden fehlt, dessen Abschätzung allein der Verurtheilung einen Inhalt §. 307. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. (Forts.) geben könnte L. 24 ad L. Aquil. (9. 2). . — Dagegen ist hier die Unmöglichkeit an und für sich keinesweges das entscheidende Moment. Denn auch die Unmöglichkeit der Thäterschaft könnte be- hauptet werden im Fall des erwiesenen Alibi, und doch würde hierin kein Grund liegen, die unbedingt verpflichtende Kraft des Geständnisses zu beschränken. Der zweite hierher gehörende Fall ist der eines legatum damnationis auf eine bestimmte Sache außer baarem Geld. Wenn der verklagte Erbe die Verpflichtung zu diesem Legat eingesteht, so ist er unbedingt verpflichtet, selbst wenn er beweisen kann, daß die Sache nie existirt hat, oder daß sie untergegangen ist L. 3 de confessis (42. 2) „Julianus ait, confessum certum se debere legatum, omnimodo damnandum, etiamsi in rerum natura non fuisset, etsi jam a natura recessit, ita tamen, ut in aestimationem ejus dam- netur, quia confessus pro judi- cato habetur “. — Dieser Stelle scheinen zwei andere nach ver- schiedenen Richtungen hin zu wider- sprechen. L. 8 eod. „Non om- nimodo confessus condemnari debet rei nomine, quae an in rerum natura esset incertum sit“. Hier wird jedoch gar nicht gesagt, daß von einem legatum damnationis die Rede sey; bei jeder andern Klage aber ist die unbestimmte Verneinung ganz an ihrem Platze. — L. 5 eod. „Qui Stichum debere se confessus est, sive mortuus jam Stichus erat, sive post litis contesta- tionem decesserit, condemnan- dus est“. Nach der Ueberschrift der Stelle sprach darin Ulpian von einer Stipulationsschuld. Aus diesem herausgerissenen Fragment aber ist gar Nichts zu entnehmen, da gewiß noch irgend ein anderer Grund der Obligation hinzuge- dacht werden muß, besonders in dem Fall des Todes nach der L. C. , in welchem Fall eine Verpflichtung entstanden seyn kann nur durch Dolus, Culpa, oder Mora des Be- klagten, s. o. B. 6 § 272. 273 Note l. . In diesen beiden Fällen ist das Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Legat an sich ungültig L. 108 § 10. L. 36 § 3 de leg. 1 (30. un. ), § 16 J. de leg. (2. 20). , folglich die eingestandene Ver- pflichtung zum Legat unmöglich, woraus also folgt, daß auch hierin die Unmöglichkeit des Eingestandenen (se debere legatum) keinen Unterschied macht. — In diesem Fall nun hat eben so, wie in dem vorhergehenden, das Geständniß die Natur eines Vergleichs, indem der Geständige nur den einfachen Werth des Legats leistet L. 61 in f. ad L. Falc. (35. 2), L. 71 § 3 de leg. 1 (30. un. ). , also die Gefahr der höheren Verurtheilung von sich abwendet. Die hier dargestellten Ausnahmen, in welchen das Ge- ständniß unbedingt, ohne Restitution wegen Irrthums, ver- pflichten soll, sind für das heutige Recht ganz ohne An- wendung. Denn es ist unbezweifelt, daß das ganze Rechts- institut, welches mit dem Ausdruck: lis inficiando crescit in duplum bezeichnet wird, als ein einzelnes, höchst positives, Stück der Römischen Ptrivatstrafen, für unser Recht ver- schwunden ist. Damit aber müssen auch die erwähnten Ausnahmen, als bloße Folgen jenes Instituts, nothwendig wegfallen. Ich habe es versucht, die in dieser Lehre scheinbar widersprechenden Stellen des Römischen Rechts zu ver- einigen. Neuere Schriftsteller haben verschiedene Wege ein- geschlagen, um zum Ziel einer solchen Vereinigung zu ge- §. 308. Surrogate. I. Geständniß. Heutiges Recht. langen. Ist der hier versuchte richtig, so bedarf es der besonderen Prüfung und Widerlegung jener fremden Ver- suche nicht Am nächsten der Wahrheit kommt wohl Bayer Vorträge S. 305 — 310, nur daß er die Un- möglichkeit dem Irrthum coordinirt, also für einen Grund des Wider- rufs gelten läßt auch ohne Beweis des Irrthums. — Ebenso legt Bethmann-Hollweg S. 272. 273 einen zu großen Werth auf die Unmöglichkeit an sich, und stellt dagegen den Irrthum in den Hin- tergrund. — Weber S. 58 — 64 ist ganz verworren. — Linde § 256 nimmt an, in der Regel sey kein Widerruf zulässig, beschränkt aber diese Regel durch eine große Zahl unzusammenhangender Aus- nahmen. . §. 308. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geständniß. — Heutiges Recht . Zunächst könnte man glauben, die ganze hier dargestellte Lehre sey schon deswegen unanwendbar, weil die confessio in jure und die interrogatio in jure mit dem alten ordo judiciorum verschwunden seyn müßten. Allein der ordo judiciorum war schon zu Justinian’s Zeit längst spurlos untergegangen, und doch wird in den Digesten diese Lehre noch als praktisches Recht vorgetragen. Wir werden also die Sache ganz im Sinn von Justinian vielmehr so auf- zufassen haben, daß nach der Verschmelzung von jus und judicium die alten Rechtsinstitute als confessio und interro- gatio in judicio fortbestehen. Damit hängt zusammen die Frage, worüber namhafte neuere Schriftsteller verschiedener Meinung sind, ob die so Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. eben dargestellten positiven Vorschriften des Römischen Rechts noch Geltung haben oder nicht Heffter S. 290. 291 bejaht diese Frage, Bethmann- Hollweg S. 301 verneint dieselbe. . Ich nehme an, daß die meisten und wichtigsten Aussprüche des Römischen Rechts in dieser Lehre gar nicht als positive Vorschriften, sondern vielmehr als die natürliche Entwickelung dieses Rechts- instituts anzusehen sind, allerdings mit einigen, nicht erheb- lichen, rein positiven Beimischungen, die für uns nicht mehr anwendbar sind. Die richtige Behandlung dieser Lehre ist bis jetzt durch Nichts so sehr gehindert worden, als durch den Ausgangs- punkt, den man dafür zu wählen pflegte. Als Gattungs- begriff galt der eines Beweismittels, genannt Geständniß, bestehend in der eigenen Erklärung Dessen, gegen welchen damit ein Beweis geführt werden sollte. Dieser Gattungs- begriff wurde zerlegt in zwei Arten, das gerichtliche und das außergerichtliche Geständniß, je nachdem in oder außer dem Gericht jene Erklärung abgegeben wird; diese als untergeordnet angesehene Verschiedenheit konnte nicht hindern, beide Begriffe ihrem Wesen nach als gleichartig zu behandeln. Ich gehe von einer völlig verschiedenen Grundansicht aus, deren Hauptzüge schon oben (§ 306) angegeben worden sind. Beide Begriffe haben den Namen mit ein- ander gemein, sind aber in ihrem inneren Wesen verschieden. §. 308. Surrogate. I. Geständuiß. Heutiges Recht. Die genauere Darstellung dieser Verschiedenheit wird zu- gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie sich das heutige Recht zu den oben dargestellten Begriffen und Regeln des Römischen Rechts verhält, und was von diesem letzten noch für uns brauchbar ist. Das gerichtliche Geständniß ist die Erklärung, welche eine streitende Partei vor dem Richter des vorlie- genden Rechtsstreits über Gegenstände dieses Streites ab- giebt. Das Wesen und die wichtige Wirkung desselben besteht in der Feststellung der Gränzen zwischen dem streitigen und nicht streitigen Theil der gegenseitigen Behauptungen. Da nun der Richter nur dazu berufen ist, über den Streit der Parteien zu entscheiden, so wird durch jedes gerichtliche Geständniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach bestimmt und begränzt. Dieses Geständniß also ist nicht (so wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, so oder anders zu sprechen, sondern eine Feststellung von Ge- genständen, worüber er sich des eigenen Urtheils zu enthalten hat, weil sie nicht zu dem, unter den Parteien streitigen Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge- ständniß begründet also formelle Wahrheit (§ 303). Das gerichtliche Geständniß kann ohne Zweifel auf reine Thatsachen gehen, weil die Feststellung von Thatsachen einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsstreits auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man sagen, daß dadurch Thatsachen nicht sowohl bewiesen, als dem Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Bedürfniß eines Beweises entzogen werden; einen prak- tischen Werth hat diese Unterscheidung nicht. Das gerichtliche Geständniß kann aber auch auf Rechts- verhältnisse gehen, ja dieses ist das eigenthümlichste Gebiet, worin es wirkt. Für jedes gerichtliche Geständniß ist ein Widerruf möglich, welcher zu einer richterlichen Restitution führen kann. Diese muß aber begründet werden durch den Be- weis eines Irrthums, welcher jedoch ein factischer Irr- thum seyn muß, und nicht aus großer Nachlässigkeit hervor- gegangen seyn darf. Die Ueberzeugung des Richters von dem Daseyn eines Irrthums als Entstehungsgrund des Geständnisses kann nur aus den Umständen hervorgehen, welche die Entstehung des Irrthums natürlich und wahr- scheinlich erklären (§ 306 d. ). Der bloße Beweis, daß das Eingestandene unwahr, selbst daß es unmöglich sey, ist ohne Beweis eines Irrthums zur Restitution nicht hin- reichend. Dieses sind die Regeln des Römischen Rechts über das gerichtliche Geständniß, welche oben ausführlich dargestellt worden sind. In ihnen liegt Nichts, das als rein positiv, insbesondere aus der eigenthümlichen Gerichtsverfassung der Römer entsprungen, angesehen werden könnte. Sie ent- halten vielmehr eine reine Entwicklung dieses Rechtsinstituts, hervorgegangen aus den wahren praktischen Bedürfnissen desselben. In den Grundsätzen unsers heutigen gemeinen §. 308. Surrogate. I. Geständniß. Heutiges Recht. Prozesses liegt Richts, das einer vollständigen Anwendung jener Regeln hinderlich seyn könnte Dagegen sind allerdings einige Stücke des Römischen Rechts in dieser Lehre, jedoch gerade die unbedeutendsten, so beschaffen, daß davon im heutigen Recht keine An- wendung gemacht werden kann. Ueber diese Unanwendbar- keit ist auch unsere Praris niemals im Zweifel gewesen. Ich will sie hier in einzelnen Sätzen zusammenstellen. 1. Von einem Unterschied zwischen confessio in jure und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede seyn; schon im Römischen Recht war kein praktischer Unterschied, und die Unterscheidung in Formen und Ausdrücken hatte eine blos geschichtliche Bedeutung. Es ist also ganz gleich- gültig, ob ein gerichtliches Geständniß veranlaßt wird durch eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß- leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenstand des Rechts- streites felbst. 2. Die Strafen, welche das Römische Recht bei den In- terrogationen auf die wissentliche Unwahrheit und auf die verweigerte Antwort androht (§ 305), sind unserm heutigen Prozeß gewiß fremd. 3. Eben so ist demselben völlig fremd die unbedingte, jeder Restitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht- liche Geständniß ausnahmsweise mit sich führen soll bei der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem legatum damnationis (§ 307). Diese mußte verschwinden Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. als bloße Folge der Verurtheilung in den doppelten Werth, welche überhaupt nur ein Stück des ganzen Systems der Privatstrafen ist, und mit diesem System in unser heutiges Recht keinen Eingang gefunden hat. Insbesondere bei dem legatum damnationis ist eine solche Ausnahme unanwendbar, weil diese eigenthümliche Form der Legate nicht nur für uns verschwunden, sondern selbst schon von Justinian gesetz- lich aufgehoben und mit allen übrigen Legaten verschmolzen worden ist L. 1 C. communia de leg. (6. 43), § 2 J. de leg. (2. 20). . 4. Das gerichtliche Geständniß ist im heutigen Recht niemals eigentliches Surrogat eines Urtheils, so daß das Urtheil selbst dadurch entbehrlich würde. Vielmehr muß immer noch ein Urtheil gesprochen werden, dessen Inhalt jedoch mit dem Inhalt des Urtheils übereinstimmen muß. So war es von jeher schon im Römischen Recht in den allermeisten Fällen, nämlich nur mit Ausnahme des auf eine bestimmte Geldschuld gerichteten Geständnisses (§ 303); seit der Aufhebung des ordo judiciorum allgemein (§ 304). In dieser Rücksicht also ist kein Unterschied zwischen dem heutigen und dem Römischen Prozeß. Außergerichtliches Geständniß heißt jede Er- klärung einer streitenden Partei, die über einen Gegenstand dieses Rechtsstreites nicht vor dem Richter desselben abge- geben wird; wohin also nicht nur reine Privaterklärungen, in Briefen und Gesprächen niedergelegt, gehören, sondern auch gerichtliche Erklärungen, die in einem anderen, als §. 308. Surrogate. I. Geständniß. Heutiges Recht. dem jetzt vorliegenden Rechtsstreite vorkommen. Dieses Geständniß ist ein reines Beweismittel, und kann einen vollständigen Beweis bilden, weil Jeder gegen sich selbst ein glaubwürdiges Zeugniß ablegen lann. Als Beweismittel kann dieses Geständniß eigentlich nur auf reine Thatsachen gehen, nicht auf Rechtsverhältnisse. Da jedoch jedem Nechtsverhältniß Thatsachen zum Grunde liegen, und da oft die Sache eine so einfache Natur hat, daß nur die Thatsache streitig seyn kann, so kann auch die über ein Rechtsverhältniß abgegebene Erklärung nach Um- ständen den vollen Beweis einer Thatsache bilden (§ 304). So z. B. wenn Jemand in einem Briefe erklärt, daß er einem Anderen Hundert aus einem Darlehen oder Hundert aus einem Kaufvertrag schuldig sey , so liegt darin die unzweifelhafte Erklärung, daß er Hundert als Darlehen empfangen , oder Hundert als Kaufgeld versprochen habe , welches reine Thatsachen sind, die durch jenes außergerichtliche Geständniß vollständig bewiesen werden. Das außergerichtliche Geständniß kann widerrufen und entkräftet werden dadurch, daß das Gegentheil der einge- standenen Thatsachen vollständig bewiesen wird. Einer Restitution bedarf es dazu nicht, also kommt es auch nicht auf den Beweis eines Irrthums, und auf die besonderen Eigenschaften dieses Irrthums an, eben weil jenes Ge- ständniß keine verpflichtende Handlung ist, sondern ein reines Beweismittel. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Unsere Schriftsteller über den Prozeß haben diese wesentlichen Unterschiede beider Arten des Geständnisses großentheils verkannt, und daher die ganze Lehre vom Ge- ständniß nicht auf befriedigende Weise behandelt Danz Prozeß § 292—299, Martin § 128. Selbst Beth- mann-Hollweg , der die Lehre im Ganzen sehr richtig auffaßt, scheint doch in diesem Punkt nicht ganz im Klaren zu seyn. S. 310 schreibt er zwar dem gerichtlichen Geständniß förmliche Wahr- heit zu, aber S. 311 gestattet er doch dagegen den Beweis des bloßen Gegentheils der eingestandenen Thatsache, ohne Anfechtung wegen eines bewiesenen Irrthums. . Sehr merkwürdig ist die Art, in welcher die Preußische Prozeßgesetzgebung diesen Gegenstand behandelt Allg. Gerichtsordnung I. 8 § 14 — 16, II. 10 § 27 bis § 82 und § 88 b. . Aller- dings folgt sie im Allgemeinen den herrschenden Ansichten der Schriftsteller des gemeinen Rechts, welche beide Arten des Geständnisses als reine Beweismittel und als Arten desselben Gattungsbegriffs behandeln. Aber die Behandlung im Einzelnen nähert sich auf merkwürdige Weise der rich- tigen Auffassung des Römischen Rechts. Wenn der Beklagte den Anspruch des Klägers voll- ständig einräumt, so erfolgt kein Urtheil, sondern ein bloßes Agnitionsresolut, welches jedoch wie ein Urtheil publicirt wird, und zur Execution geeignet ist. — Dieses ist im Wesentlichen die ältere Römische Behandlung der confessio in jure. §. 308. Surrogate. I. Geständniß. Heutiges Recht. Jedes Geständniß kann widerrufen werden, aber es ist nicht genug, das Gegentheil des Eingestandenen zu beweisen, sondern es muß in allen Fällen der Irrthum nachgewiesen werden, welches nur dadurch geschehen kann, daß dessen Entstehung aus wahrscheinlichen Gründen dargethan wird. Jedem Widerruf steht die Vermuthung der Wahrheit des Eingestandenen entgegen, jedoch in verschiedenen Graden, das heißt, der Richter soll mit der Zulassung des Widerrufs mehr oder weniger schwierig und strenge seyn; am strengsten bei dem gerichtlichen Geständniß im gegenwärtigen Prozeß, weniger bei dem, in einem anderen Prozeß abgegebenen gerichtlichen Geständniß; am wenigsten bei dem außergericht- lichen. — Durch diese Strenge, und die damit verbundene Abstufung, wird die grundsätzlich unrichtige Behandlung der Sache großentheils wieder gut gemacht. §. 309. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung . Quellen : Dig. XII. 2 (de jurejurando, sive voluntario, sive neces- sario, sive judiciali). Cod. IV. 1 (de rebus creditis et jurejurando). Paulus II. 1. Schriftsteller : Malblanc doctrina de jurejurando Nor. 1781. 8 (enthält viel praktisches Material). Zimmern Rechtsgeschichte B. 3 § 127. 135. 150. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Puchta Cursus der Institutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174. (Beide für die geschichtliche Seite der Lehre.) Der Eid besteht in der Betheuerung der Wahrheit irgend eines Ausspruchs dnrch Beziehung auf einen Gegenstand, der von dem Schwörenden als ein hoher, heiliger angesehen wird Das R. R. läßt in der Auswahl dieser Gegenstände die größte Freiheit zu, z. B. per salutem tuam, per caput tuum vel filiorum, per genium prin- cipis, auch selbst propriae super- stitionis, nur nicht improbatae publice religionis; dieser Eid ist verboten und hat gar nicht die Wirkungen eines Eides. L. 5 pr. § 1. 3 de jur. (12. 2). — Für Christen giebt es keinen anderen Eid, als bei dem Namen Gottes, obgleich dabei verschiedene Aus- drücke vorkommen können. . Diese Beziehung soll gegen Andere eine gewisse Sicherheit geben für die Wahrheit des Ausspruchs, das heißt, für die Uebereinstimmung desselben mit dem Bewußt- seyn des Schwörenden, indem vorausgesetzt wird, daß die Ehrfurcht vor dem bezogenen Gegenstand eine gleichzeitige Abweichung von der Wahrheit hindern werde Cicero de officiis III. 29. „Est enim jusjurandum affirmatio religiosa. Quod autem affirmate, quasi Deo teste, promiseris, id tenendum est“. . Das auf diese Weise versicherte Bewußtseyn kann zweierlei Inhalt oder Richtung haben: I. Richtung auf die Zukunft, wobei also der Eid Sicherheit geben soll für den Willen und die künftige That. Die Neueren nennen diesen Eid, dessen juristische Bedeutung §. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung. nur eine obligatorische seyn kann, als Bestärkung eines Versprechens, jusjurandum promissorium. II. Richtung auf die Vergangenheit, wobei der Eid Sicherheit geben soll für die Wahrheit des ausgesprochenen Denkens. Dieser Eid wird von den Neueren assertorium genannt. Seiner allgemeinen Natur nach geht derselbe auf reine Thatsachen, ist also bloßes Beweismittel, und gehört lediglich in die Prozeßlehre. So ist es in der That mit dem Zeugeneid, desgleichen mit dem Erfüllungseid und Reinigungseid der Parteien. Eine eigenthümliche Natur aber hat im Römischen Recht der zugeschobene Eid ( jusjurandum delatum ) ange- nommen, welcher unter gewissen Umständen selbstständiges Mittel der Entscheidung eines Rechtsstreits, also Surrogat eines Urtheils werden kann, und daher ganz eigentlich hierher gehört. Ueber die Anwendungen des promissorischen Eides soll hier, damit es an einer vollständigen Anschauung der ganzen Lehre nicht fehle, eine kurze Uebersicht gegeben werden. Die Fälle dieser Anwendung sind so verschiedenartig, daß das Obligationenrecht keine Gelegenheit darbietet, sie unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte zusammen zu fassen. Es kommt dieser Eid vor, sowohl im öffentlichen Recht, als im Privatrecht. Im öffentlichen Recht: der Eid der Soldaten, der Beamten, des Vormundes. VII. 4 Buch II. Rechtsverhältnifse. Kap. IV. Verletzung. Im Privatrecht sind die Anwendungen des Versprechungs- eides nicht von Erheblichkeit; folgende kommen im Römischen Recht vor: 1. Die wichtigste und eigenthümlichste Anwendung findet sich bei den Diensten freigelassener Sklaven, die der Patron einklagen konnte, wenn sie eidlich versprochen waren. Das Bedürfniß und der Nutzen dieser Rechts- form wäre klar, wenn der, noch im Sklavenstand wegen künftiger Dienste geleistete Eid diese Kraft gehabt hätte, weil der Sklave durch gewöhnliche Vertragsformen sich nicht klagbar verpflichten konnte. Aber gerade in diesem Fall sollte auch selbst der Eid keine Klage bewirken, sondern nur, wenn derselbe nach der Freilassung geleistet wurde; zu dieser Zeit aber war auch die gewöhnliche Sti- pulation zulässig und von gleicher Wirkung, so daß man zwischen ihr und dem Eid die Wahl hatte. Der Gebrauch dieser besonderen Form ist wohl daraus zu erklären, daß ein solcher Eid auch schon im Sklavenstand üblich war, und dann zwar keine Klage bewirkte, wohl aber die religiöse Verpflichtung mit sich führte, denselben Eid nach der Frei- lassung zu wiederholen, wodurch er dann klagbar wurde L. 7 de op. libert. (38. 1), L. 44 de lib. causa (40. 12). . Daß das Recht aus diesem Eid durch jede capitis deminutio des Patrons unterging, ist schon oben bemerkt worden Gajus III. § 83, § 1. J. de adqu. per adrog. (3. 10). S. o. B. 2 S. 81. . §. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung. 2. Die Bestätigung eines Rechtsgeschäfts durch den Eid soll dasselbe selbst dann unanfechtbar machen, wenn es außerdem hätte angefochten werden können. Dieser wichtige abstracte Grundsatz ist dem Römischen Recht selbst fremd. Nur die Restitution ist überhaupt und am meisten in Beziehung auf die Minderjährigen, einem sehr freien Ermessen der richterlichen Obrigkeit unter- worfen L. 3 de in int. rest. (4. 1), L. 24 § 1. 5 de minor. (4. 4). , und so findet sich denn auch einmal ein kaiser- liches Rescript, welches die von einem Minderjährigen bei dem Kaiser (wahrscheinlich in der Appellationsinstanz) nach- gesuchte Restitution gegen eine Veräußerung unter andern aus dem Grunde abschlägt, weil der Vertrag durch Eid bestätigt sey, die Anfechtung also einen Meineid in sich schließen würde L. 1 C. si adv. vend. (2. 28). . Allein dieses Rescript, welches offen- bar mit Rücksicht auf alle Umstände des einzelnen Falles erlassen war, kann unmöglich als abstracte Vorschrift für den Eid der Minderjährigen überhaupt angesehen werden, weder im Sinn seines Verfassers, noch im Sinn der Ju- stinianischen Sammlung, in welche es aufgenommen wurde; es sollte hier blos zeigen, daß unter den Gründen der Verweigerung einer Restitution auch ein geleisteter Eid vorkommen könne. Dennoch ist jener Stelle im zwölften Jahrhundert von einer Partei der Juristen (im Widerspruch mit einer andern Partei) der erwähnte abstracte Sinn bei- gelegt worden, und der K. Friedrich I. hat diese falsche 4* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Auslegung gesetzlich bestätigt, welche seitdem als Bestand- theil des Römischen Rechts anerkannt worden ist Auth. Frid. Sacramenta puberum C. si adv. vend. (2. 28). Vgl. Savigny Rechtsgeschichte B. 4 S. 162. . Päbstliche Verordnungen haben diesen Satz anerkannt und näher ausgebildet C. 28 X de jurej. (2. 24), C. 2 de pactis in VI. (1. 18). . 3. Die Anfechtung eines beschworenen Vergleichs oder anderen Vertrags soll die Infamie zur Folge haben L. 41 C. de transact. (2. 4). . 4. Wenn ein Zahlungsversprechen per genium principis eidlich bestärkt, dann aber nicht erfüllt wird, so soll darauf die Strafe körperlicher Züchtigung erfolgen L. 13 §. 6 de jurej. (12. 2). . 5. Der Ausspruch eines Schiedsrichters sollte klagbar wirken, wenn das Compromiß eidlich bestärkt wäre L. 4. C. de recept. (2. 56). . Diese Bestimmung ist jedoch späterhin wieder aufgehoben worden Nov. 82 C. 11, Auth. Decernit. C. de recept. (2. 56). . 6. Endlich kann die Leistung eines Eides einem Rechtsge- schäft als Bedingung hinzugefügt werden, in welchem Fall durch willkürliche Uebereinkunft der Eid, gleich jeder an- deren Thatsache, zum Grund der Entstehung oder auch der Auf- hebung einer Verbindlichkeit gemacht werden kann L. 19. § 6 de don. (39. 5), L. 39 de jurej. (12. 2). . — Nur bei Erbeinsetzungen und Legaten ist eine solche Be- dingung (die conditio jurisjurandi ) besonders untersagt, und da, wo sie dennoch hinzugefügt wird, soll der letzte Wille §. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung. als unbedingt behandelt, und die zu beschwörende Handlung in einen Modus verwandelt werden S. o. B. 3 S. 185 — 190. . Der zugeschobene Eid, von welchem allein nunmehr die Rede seyn wird, beruht auf dem Grundsatz, daß Jeder, der in einem zweifelhaften, streitigen Rechtsverhältnisse zu einem Anderen steht, die Feststellung desselben durch Eid bewirken kann. Aus dem Eide entsteht dann stets formelle Wahrheit, so wie aus dem gerichtlichen Geständniß (§ 303). Unter gewissen Bedingungen kann daraus sogar die selbst- ständige Entscheidung eines Streites hervorgehen, in welchem Fall ein richterliches Urtheil entbehrlich wird, und der Eid selbst als Surrogat des Urtheils erscheint. Wäre dieser Grundsatz so gemeint, daß jede Partei verlangen könnte, durch ihren eigenen Eid den Rechtsstreit zu entscheiden, so wäre dieses Institut für die Rechtssicher- heit höchst gefährlich; in vielen Fällen würde Alles von dem Zufall abhangen, welcher von Beiden sich zuerst zum Eide meldete. Es soll daher keine Partei befugt seyn, sich selbst des Eides willkührlich zu bemächtigen L. 3 pr. de jurej. (12.2) „.. nam si reus juravit, ne- mine ei jusjurandum deferente, Praetor id jusjurandum non tuebitur, sibi enim juravit; alioquin facillimus quisque ad jusjurandum decurrens, nemine sibi deferente jusjurandum, oneribus actionum se liberabit“. . Jener Grundsatz aber hat vielmehr die Bedeutung, daß Jeder seinem Gegner den Eid zuschieben kann, und daß der so Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. veranlaßte Eid die Kraft einer Entscheidung des Streites haben soll. Der Sinn dieses Rechtsinstituts beruht auf der Voraussetzung, daß eine Partei in die sittlich-religiöse Gesinnung der Gegenpartei das Vertrauen setzt, diese werde nicht schwören, wenn sie nicht von ihrem Rechte, also von der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt sey. Der Eid wird also meist zugeschoben, nicht damit der Gegner ihn leiste, sondern in der Erwartung und mit dem Wunsche, daß er ihn nicht leisten, vielmehr durch die Scheu vor dem Meineide zum freiwilligen Nachgeben sich bewegen lassen werde. Dieser Hergang nun läßt sich denken innerhalb der folgenden drei verschiedenen Zustände. 1. Ehe noch ein Rechtsstreit angefangen hat (außer- gerichtlicher Eid). 2. In einem Rechtsstreit, und zwar vor dem Prätor ( in jure ). 3. In einem Rechtsstreit, und zwar vor dem Juder ( in judicio ). In der Hauptsache, nämlich in der, aus dem Eide her- vorgehenden, formellen Wahrheit, stehen diese drei Fälle nach Römischem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber haben noch folgende Eigenthümlichkeiten. Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu- schiebung für den Gegner eine gewisse Nothwendigkeit, ein Zwang, herbeigeführt, wovon im ersten Fall nicht die Rede ist. §. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung. Im zweiten Fall können zugleich noch besondere und stärkere Wirkungen eintreten. Außer der wirklichen Ableistung des Eides aber kommen noch folgende erhebliche Ereignisse in Betracht: A. Der Erlaß des Eides ( remissio ), nachdem der Gegner ihn angenommen hat, und zu schwören bereit ge- wesen ist. B. Die Zurückschiebung des Eides ( relatio ). Durch diese wird dasselbe Verhältniß, wie durch die ur- sprüngliche Zuschiebung, mit allen seinen Folgen, herbeigeführt, nur mit umgekehrter Stellung beider Parteien. Die hier übersichtlich aufgestellten Sätze sollen nunmehr einzeln entwickelt und aus unseren Rechtsquellen nachge- wiesen werden, wobei folgender Gang der Untersuchung engeschlagen werden wird: A. Römisches Recht. I. Zuschiebung. II. Ableistung. III. Möglicher Inhalt des Eides. IV. Form des Eides. V. Erlaß. VI. Gemeinsame Wirkungen. VII. Besondere Wirkungen, je nach der verschiedenen Lage des Streites. B. Heutiges Recht. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. §. 310. Surrogate des Urtheils . — II. Eid. — Zuschiebung, Ableistung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeschobenen Eides . I. Zuschiebung des Eides. Nur durch diese völlig freie Handlung einer Partei kann die Reihe von Wirkungen hervorgerufen werden, die das Wesen dieses Rechtsinstituts ausmacht. Der einseitige Eid also, ohne vorhergehende Zuschiebung, ist völlig wir- kungslos (§ 309. p ). Die Zuschiebung ist möglich in und außer einem Rechts- streit. Sie kann geschehen sowohl von dem Kläger (d. h. der es schon ist, oder künftig werden kann), als von dem Be- klagten. Wenn Beide gleichzeitig damit auftreten, soll der Kläger den Vorzug haben Paulus II. 1 §. 2. ; diese Regel ist aber ohne praktische Wichtigkeit, weil ohnehin Jeder den zugeschobenen Eid zurückschieben kann, welche Handlung mit der ersten Zuschiebung gleiche Wirkung hat (§ 312. c. g. ). Die in der Zuschiebung liegende freie Handlung ist nicht ohne Gefahr, weil durch sie die Entscheidung der Sache in die Macht des Gegners gelegt wird; sie hat also eine ähnliche Natur, wie eine Veräußerung ( deteriorem facit conditionem ). Daher ist dazu ein Unmündiger nicht ohne seinen Vormund fähig L. 17 § 1 de jurej. (12. 2). ; der Minderjährige ist §. 310. Surrogate. II. Eid. Zuschiebung. Ableistung ꝛc. fähig, kann aber Restitution dagegen erhalten L. 9 § 4 eod. — L. 4 C. eod. (4. 1), die aus der ange- führten Stelle der Digesten erklärt werden muß; pupillus soll also hier so viel heißen als: quondam pupillus. ; der erklärte Verschwender ist ganz unfähig L. 35 §. 1 eod. . — Ein zahlungs- unfähiger Schuldner kann diese Handlung nicht vornehmen zum Nachtheil seiner Gläubiger L. 9 § 5 eod. . — Jeder Tutor oder Curator der Partei ist dazu fähig; ein Procurator nur, wenn seine Vollmacht auf das ganze Vermögen, oder auf diese Handlung besonders, oder in rem suam gerichtet ist L. 17 § 2. 3, L. 18. 19. 34 § 1. L. 35 pr. eod., L. 7 C. eod. (4. 1). . — Der Sklave oder der Sohn der Partei ist dazu nur fähig, wenn der Streit auf sein Peculium sich bezieht, und zugleich dessen freie Verwaltung ihm anvertraut ist L. 20. 21. 22 eod. . II. Ableistung des Eides. Diese freie Handlung kann keinen Nachtheil bringen, nur Vortheil, und ist daher einem Erwerbe zu vergleichen ( meliorem facit conditionem ). Daher ist dazu Jeder fähig, ohne Rücksicht auf sein Alter, auch der Unmündige; denn der Gegner hat in die mit dem unmündigen Alter verbundene Gefahr einge- willigt L. 26 pr. L. 42 pr. eod. — Scheinbar widerspricht L. 34 § 2 eod. „pupillo non defertur jusjurandum.“ Das heißt aber nur so viel, daß der Unmündige nicht so, wie jeder Andere, gezwun- gen ist, sich auf den zugeschobenen Eid einzulassen. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Der Procurator der Partei, so wie der Defensor ohne Auftrag, können den ihnen zugeschobenen Eid ableisten, sind aber nicht zur Einlassung genöthigt L. 9 § 6. L. 42 § 2. L. 34 § 3 eod. . Wegen eines Rechtsstreits, der das Peculium betrifft, kann der Sklave oder Sohn schwören, auch wenn er keine freie Verwaltung hat L. 23. 24. 25 eod. . Eben so kann deshalb der Vater schwören, daß der Sohn Nichts schuldig sey L. 26 § 1 eod. . Wollen aber diese Personen nicht selbst schwören, sondern den Eid zurück schieben, so treten dabei wieder dieselben Beschränkungen ein, wie bei der ersten Zuschiebung L. 24 eod. . Die bloße Annahme des Eides übrigens, ohne wirkliche Ableistung, giebt kein unwiderrufliches Recht auf die Ab- leistung; vielmehr kann die Zuschiebung willkürlich zurück- genommen werden bis zum Urtheil L. 11. 12 pr. C. eod. (4. 1). . Sehr bestritten ist die Frage, wer den Eid abzuleisten hat, wenn derselbe einer juristischen Person zugeschoben wird, da diese nur ein fingirtes Daseyn, und nicht die bei dem Eide vorausgesetzten geistigen Eigenschaften eines den- kenden und wollenden Menschen hat. Keinen Zweifel kann es haben, daß der Procurator einer juristischen Person, wenn er sich dazu entschließt, den Eid gültig ableisten kann (Note i ). Dieses setzt aber voraus, daß der Gegner gerade diesem Procurator den Eid zuschiebt, ihm also das Ver- §. 210. Surrogate. II. Eid. Zuschiebung. Ableistung ꝛc. trauen beweist, welches das Wesen des Eides ausmacht; dazu wird jedoch häufig keine Veranlassung seyn, weil der Procurator von den thatsächlichen Verhältnissen oft keine Kenntniß haben wird. Nach dem Römischen Recht sind eigentlich die Vorsteher der juristischen Person, als Verwalter ihrer Rechte zu dem Eide berufen und befugt, so daß es der Gegner zu erwägen hat, ob er diesen Personen so viel Zutrauen schenken will, um ihnen den Eid zuzuschieben. Nach der überwiegenden heutigen Praxis ist der Eid von einigen einzelnen Mitgliedern der juristischen Person zu leisten, und zwar nimmt man am consequentesten an, daß diese Mitglieder durch die freie Auswahl von Seiten des Gegners bestimmt werden S. o. B. 2 S. 297. . III. Der mögliche Inhalt des zugeschobenen Eides verdient eine besonders genaue Betrachtung. Zuerst ist zu bemerken, daß der Eid stets gerichtet wird auf das Gegen- theil der von dem Zuschiebenden aufgestellten Behauptung. Wenn also bei einer Schuldklage der Kläger den Eid zu- schiebt, so geht der Eid auf das Nichtdaseyn der Schuld; wenn der Beklagte zuschiebt, auf das Daseyn derselben. Diese Fassung ist die Folge davon, daß der Eid zugeschoben wird in der Erwartung und mit dem Wunsche, daß er nicht abgeleistet werde (§ 309). Auf gleiche Weise wurden im alten Prozeß die Exceptionen vom Beklagten so gefaßt, daß sie das Gegentheil seiner Behauptung ausdrückten Gajus IV § 119. . Uebrigens konnte nach Römischem Recht der Eid sowohl Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. auf ein Rechtsverhältniß, als auf eine Thatsache gerichtet seyn. a. Die Richtung auf ein Rechtsverhältniß wird im Römischen Recht als der regelmäßige und gewöhnliche Fall behandelt. Dabei liegt zum Grunde der Gedanke einer vertragsmäßigen Anerkennung des Daseyns oder Nicht- daseyns dieses Verhältnisses. Da demselben aber jederzeit Thatsachen zum Grunde liegen, so werden stets auch diese durch den Eid mittelbar festgestellt; ja oft hat der Streit eine so einfache Natur, daß beide Richtungen des Eides völlig zusammen fallen und nur in Worten verschieden sind. Uebrigens kann der Eid vorkommen bei allen Arten von Rechtsverhältnissen und Klagen L. 3 § 1. L. 34 pr. de jurej. (12. 2). . Folgende Fälle werden in unseren Rechtsquellen namentlich angeführt: Ueber das Daseyn oder Nichtdaseyn eines Eigenthums oder Erbrechts L. 9 § 7. L. 11 pr. § 1. eod. . Ueber das Daseyn oder Nichtdaseyn einer Schuld- forderung L. 3 pr. 7 pr. 9 pr. eod. . Ueber die väterliche oder die Herren-Gewalt L. 3 § 2 eod. . Ueber das Patronatsrecht L. 13 pr. L. 30 § 4 eod. . Ueber Abstammung und Ingenuität eines Menschen L. 6 C. eod. (4. 1). . b. Die Richtung auf eine bloße Thatsache wird bei dem zugeschobenen Eide seltener erwähnt, und kann nicht §. 310. Surrogate. II. Eid. Zuschiebung. Ableistung ꝛc. als der eigentliche Zweck des Instituts nach Römischem Recht angesehen werden. Sie kommt in folgenden Fällen vor, in welchen die Thatsache augenscheinlich entscheidend ist über das Daseyn eines Rechtsverhältnisses: Der Beklagte habe einen Diebstahl oder Raub nicht begangen L. 13 § 2. L. 28 § 5 eod. L. 11 § 1 rer. amot. (25. 2). . Verkauf einer Sache um bestimmten Preis L. 13 § 3 de jurej. (12. 2). . Abschluß einer Societät L. 13 § 4 eod. . Uebergabe einer Sache als Pfand oder als Braut- gabe L. 13 § 5 eod. . Schwangerschaft oder Nichtschwangerschaft einer Frau L. 3 § 3 eod. . Gehaltlosigkeit eines Peculium L. 26 § 1 eod. . Die Thatsache, daß bereits ein Eid über eine streitige Frage geschworen sey L. 29 eod. . Beide hier zusammengestellte Fälle entsprechen ungefähr dem Gegensatz der formula in jus und in factum concepta, doch nicht genau und vollständig, weil die Fassung der Klagformeln allgemein bestimmt war, die der Eidesformeln von der Willkühr der Partei abhing, die den Eid zu- schob Puchta Institutionen B. 2 § 173. f . IV. Ueber die Form des zugeschobenen Eides ist schon Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. bemerkt worden, daß das Römische Recht die verschiedensten und willkürlichsten Betheuerungsformeln zuließ (§ 309. a ). Wesentlich war nur die wörtliche Uebereinstimmung des abgeleisteten Eides mit der in der Zuschiebung ausgedrückten Formel. Außerdem war der Eid wirkungslos, und mußte in richtiger Form wiederholt werden L. 3 § 4 L. 4 L. 5 pr. L. 33 eod. — Wenn die Abfassung der Eidesformel zweifelhaft oder streitig war, so hatte die Richter- behörde darüber zu entscheiden. L. 34 § 5. 8 eod. . Ueber den Ort der Eidesleistung wird nur erwähnt, daß der vor dem Prätor zugeschobene Eid in der Regel vor dem Tribunal geschworen werden mußte; nur bei Kranken und bei sehr vornehmen Personen wurde die Aus- nahme gestattet, daß sie den Eid in ihrer Wohnung vor einem Abgeordneten leisten durften L. 15 eod. Vgl. L. 12 § 5 C. eod. . V. Der Erlaß des Eides ( remissio ) von Seiten des Zuschiebenden hat dieselbe Wirkung, wie die wirkliche Leistung L. 6 L. 9 § 1 eod. . Der Sinn derselben ist der, daß der Zu- schiebende in der bloßen Bereitschaft des Gegners eben so, wie in dem wirklichen Eid, einen genügenden Ausdruck gewissenhafter Ueberzeugung anerkennen will. Daher wird vorausgesetzt, daß der Gegner auch wirklich den Eid sogleich angenommen habe; hat er Dieses Anfangs nicht gethan, sondern erst später sich dazu entschlossen, der Zuschiebende will aber nun nicht die Zuschiebung wiederholen, so soll diese Weigerung nicht als Erlaß angesehen werden L. 6 L. 9 § 1 eod. . §. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinsame Wirkungen. Der Erlaß kann in Gegenwart oder Abwesenheit des Gegners mündlich oder schriftlich erklärt werden, und ist immer gleich wirksam, selbst wenn der Gegner noch Nichts davon erfahren hat L. 41 eod. . Der Erlaß hat, eben so, wie die Zuschiebung, eine der Veräußerung ähnliche Natur, und ist daher an dieselben Bedingungen der Handlungsfähigkeit gebunden, wie die Zuschiebung selbst L. 32 eod. . §. 311. Surrogate des Urtheils . — II. Eid. — Gemeinsame Wirkungen . VI. Die Wirkungen des zugeschobenen und wirklich abgeleisteten Die Römer bezeichnen den geleisteten Eid durch die Ausdrücke: praestitum oder datum jusju- randum. L. 9 pr. § 1 de jurej. (12. 2). oder erlassenen Eides sind sehr mannich- faltiger Art, lassen sich aber auf die gemeinsame Grund- lage zurückführen, daß der Eid förmliche Wahrheit, d. h. Fiction der Wahrheit , bildet, in welcher Hinsicht er ganz auf gleicher Linie steht mit dem gerichtlichen Ge- ständniß (§ 303) und dem Urtheil (§ 280). Diese förmliche Wahrheit ist gleichmäßig anzuerkennen, es mag der Eid ge- schworen seyn über ein Rechtsverhältniß oder über eine Thatsache (§ 310). Die alten Juristen drücken dieselbe so aus, daß sie sagen, nach geschwornem Eid dürfe nichts Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Anderes mehr geprüft werden, als allein die Thatsache des Eides selbst, auf die vorhergehende Lage der Sache sey nicht mehr zurück zu gehen L. 5 § 2 eod. „non aliud quaeritur quam an juratum sit“. Eben so L. 9 § 1. L. 28 § 10. L. 29. L. 30 pr. eod., §. 11 J. de act. (4. 6). Gerade hierin stehen gleich: das Urtheil, das Ge- ständniß, der Eid. L. 56 de re jud. (42. 1). . Natürliche Folgen dieses Satzes sind die, daß eine aus dem Eid etwa hervorgehende neue Klage in factum actio genannt wird L. 11 § 1 de jur. (12. 2), L. 8 C. eod. (4. 1). , daß über die Thatsache des Eides selbst, wenn sie bezweifelt wird, ein neuer Eid zugeschoben werden kann L. 29 eod. , so wie, daß unter mehreren einander widersprechenden Eiden der letzte allein Gültigkeit hat L. 28 § 10 eod. , weil durch ihn die ganze Ver- gangenheit, also auch die Kraft des früheren Eides, ab- sorbirt ist. — Der Eid hat daher eine die Rechtsverhält- nisse selbst umbildende Kraft, und wird in dieser Hinsicht gleichgestellt bald mit der Zahlung, bald mit der Acceptila- tion, der Novation und Delegation, dem Constitutum L. 21. L. 27. L. 28 § 1. L. 35 § 1. eod. — L. 40 eod. — L. 26 § 2 eod. — L. 25 § 1 de pec. const. (13. 5). . Die Wirkung aber beschränkt sich auf die Parteien, unter welchen die Zuschiebung und Ableistung vorgegangen ist, so daß fremde Personen dadurch weder Rechte erlangen, noch verpflichtet werden L. 3 § 3. L. 9 § 7. L. 10 L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2), L. 7 § 7 de publ. (6. 2). . Mit den Parteien selbst aber §. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinsame Wirkungen. stehen in dieser Hinsicht ganz gleich die Rechtsnachfolger derselben: Erben, Singularsuccessoren, Bürgen L. 7. 8. 9 § 7, 28 § 1—3, 42 pr. § 1—3 de jur. (12. 2). — Der Eid in einer popularis actio wirkt, gerade wie das Urtheil, auf dritte Personen, insofern nicht eine Collusion erwiesen werden kann. L. 30 § 3 eod. — Wird in Folge eines Eides eine Verurthei- lung in einer entehrenden Klage ausgesprochen, so wird der Ver- urtheilte ehrlos, auch allen fremden Personen gegenüber. L. 9 §. 2 eod. Das ist aber nicht die Folge des Eides, sondern des Urtheils. . Zur genaueren Einsicht in diese Wirkung ist es nöthig zu erwägen, daß der Eid eine zusammengesetzte juristische Natur hat, indem er zugleich als Vertrag anzusehen ist, und als eine bindende Prozeßhandlung L. 26 § 2 eod. „… pro- ficiscitur ex conventione, quam- vis habeat et instar judicii“. . Der Eid beruht also erstlich auf einem wahren Vertrag und zwar auf einem Vergleich, indem beide Theile darüber einig geworden sind, daß ihr Streit auf diefem Wege ent- schieden werde L. 2. L. 26 § 2. L. 35 § 1 eod. L. 21 de dolo (4. 3). . An diesem Einverständniß ist selbst in den Fällen nicht zu zweifeln, worin der Eid als ein noth- wendiger bezeichnet wird. Denn wenn auch die Zuschiebung dem Gegner nicht erwünscht war, und deshalb ein indirecter Zwang gegen ihn angewendet wird, so hat er sich doch durch die wirkliche Ableistung darin gefügt, und diese ist unzweifelhaft als eine freie Handlung anzusehen. Zweitens aber hat der Eid zugleich die Natur einer bindenden Prozeßhandlung L. 26 § 2 eod. (Note i). L. 35 § 1. 2. L. 42 § 3 eod., L. 8 C. eod. , und zwar sowohl einer Litiscontestation, als eines rechtskräftigen Urtheils. VII. 5 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Er hat die Natur einer Litiscontestation „… hoc jusjurandum in locum litis contestatae suc- cedit“. , in einem doppelten Sinn: er unterbricht die Klagverjährung gleich der Litiscontestation L. 9 § 3 de jur. (12. 2), nämlich nach dem älteren Recht, in welchem die L. C. als regel- mäßige Unterbrechung erfordert wurde. S. o. B. 5. S. 316. , und macht dieselbe zuweilen ent- behrlich, ist also Surrogat derselben, welches noch näher erklärt werden wird. Er wirkt aber auch in ähnlicher Weise wie ein rechts- kräftiges Urtheil L. 1 quarum rer. actio (44. 5) „… vicem rei judica- tae obtinet.“ Dieses zeigt sich in der für beide gemeinsanten förmlichen Wahrheit, und in der in factum actio, s. o. Noten b. c. Vgl. auch L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2). ; ja es wird sogar gesagt, daß er größere Kraft habe, als dieses L. 2 eod. „majoremque habet auctoritatem, quam res judicata.“ . Das hat die Bedeutung, daß die Rechtskraft ein rein positives, dem jus gentium fremdes Institut ist, anstatt daß der Eid, vermöge seiner Vertragsnatur (Note k ), dem jus gentium vollständig an- gehört § 4 J. de except. (4. 13) „… quia iniquum est, de perjurio quaeri, defenditur per exceptionem jurisjurandi“. Der- selbe Ausdruck steht in den vor- hergehenden drei §§, fehlt aber in dem folgenden (§ 5 eod. ), der von der exc. rei jud. handelt. . Hieran knüpft sich die Wirkung, daß durch den gegen eine Obligation abgeleisteten Eid auch selbst der naturale Bestandtheil dieser Obligation (nicht blos die Klag- barkeit) zerstört wird, so daß Pfänder frei werden, und eine spätere Zahlung als Indebitum zurückgefordert werden kann L. 40. 42 pr. de jur. (12. 2), L. 43 de cond. ind. . §. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinsame Wirkungen. Eine praktisch noch wichtigere Folge die sich daran knüpft, besteht darin, daß die Wirkung des Eides selbst durch die Behauptung des Meineides nicht soll entkräftet werden können L. 31 in f. de jur. (12. 2), L. 1 C. eod., vgl. oben Note q. , und daß insbesondere auf diese Be- hauptung keine doli actio, exceptio, replicatio gegründet werden darf L. 21. 22 de dolo (4. 3), L. 5 de except. (44. 1). . — Das neueste Römische Recht gestattet von dieser Regel nur die einzige Ausnahme, wenn der Anspruch auf ein Legat oder Fideicommiß durch den Eid des Legatars begründet, nachher aber der Meineid nachge- wiesen wird L. 13 C. de jur. (4. 1). Auf solche gesetzliche Ausnahmen deutet in allgemeinen Worten L. 1 C. eod., welches jedoch eine Justi- nianische Interpolation zu seyn scheint, da keine andere Ausnahme dieser Art vorkommt. . Ein deutsches Reichsgesetz dagegen ver- ordnet, daß der vor dem Strafrichter erwiesene Eid stets auch die Verpflichtung zum Schadensersatz mit sich führen soll Const. crim. Carol. art. 107. . — Die etwas auffallende Vorschrift des Römischen Rechts hat offenbar die Bedeutung, daß der Zuschiebende die Entscheidung der Sache von des Gegners Eid, und selbst auf die Gefahr des Meineides hin (die ihm ja nicht verborgen seyn konnte), abhängig machen wollte. Zum Schutz der hier aufgestellten Wirkungen des Eides werden alle Arten von Rechtsmitteln gegeben, die nach den Umständen erforderlich seyn können. (12. 6), L. 95 § 4 de solut. (46. 3). 5* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Ist also eine Klage nöthig, so wird eine solche gege- ben L. 9 § 1. 6 de jur. (12.2), und zwar eine actio in factum, s. o. Note c. ; Dieses gilt namentlich auch von dem außergericht- lichen Eide L. 28 § 10 eod. . Eben so wenn eine Erception erforderlich ist, nämlich wenn der Kläger die Thatsache eines vom Be- klagten geleisteten Eides bestreitet, weil außerdem die Klage sogleich, und ohne Exception, abgeschlagen wird L. 3 pr. L. 7, L. 9 pr. § 1 eod. . Jede Wirkung des Eides aber, und jedes zum Schutz derselben anzuwendende Rechtsmittel, muß sich genau an- schließen an den besonderen Inhalt des geschworenen Eides, und darf über diesen Inhalt nicht hinausgehen. — Schwört also Jemand, daß eine Sache oder eine Erbschaft ihm gehöre, so kann er darauf sowohl eine Klage, als eine Einrede gründen L. 9 § 7. L. 11 § 1. 3. eod. Höchst bestritten ist die Auslegung der L. 13 § 1 eod. „ Julianus ait, eum, qui juravit fundum suum esse, post l. t. praescriptionem etiam, utilem actionem habe- re“. Viele wollen damit beweisen, daß zur Zeit der alten Juristen die l. t. praescr. zugleich ein Klag- recht gegeben habe. Sie nehmen also an, der Schwörende und der Besitzer, der die l. t. praescriptio erworben habe, seyen in dieser Stelle als eine und dieselbe Person gedacht, und dieser Person werde nun ein Klagrecht zugeschrieben für den Fall, daß sie später den Besitz wieder verliere. Diese Er- klärung aber ist gewiß zu ver- werfen. Denn wenn die l. t. praescr. die Kraft hatte, ein Klagrecht zu begründen (welches eben durch diese Stelle bewiesen werden soll), wozu bedurfte es dann noch da- neben der Erwähnung des Eides? Umgekehrt aber ist es von dem Eide für sich allein unzweifelhaft, daß er ein Klagrecht erzeugte (Note w ); wozu bedurfte es da- neben noch der Erwähnung der l. t. praescr.? — Die richtige Erklärung der Stelle beruht viel- mehr auf folgender Voraussetzung. Die Eigenthumsklage wird gegen einen Besitzer angestellt, der das Eigenthum des Klägers verneint, . — Schwört er, daß eine Sache §. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinsame Wirkungen. dem Gegner nicht gehöre, so gewinnt er dadurch nur eine Einrede L. 11 pr. eod. L. 7 § 7 de publ. (6. 2). . Im Einzelnen treten dann dieselben praktischen Folgen ein, wie sie den Klagen aus Eigenthum, Erbrecht, Schuldforderungen u. s. w. angemessen sind, wenn diese Klagen, unabhängig von einem Eide, angestellt und be- gründet werden L. 11 § 1. 2. 3. L. 30 § 1. 2. 5 L. 36. L. 42 pr. § 1 de jur. (12. 2). . Die durch den Eid herbeigeführte Entscheidung eines Rechtsstreites kann auch noch von Wichtigkeit seyn, wenn nicht mehr von diesem Rechtsstreite selbst, sondern von einem künftigen, mit jenem identischen oder verwandten, die Rede ist. Es ist derselbe Einfluß, von welchem schon oben bei dem rechtskräftigen Urtheil ausführlich die Rede gewesen ist, und es gelten für den Eid hierin dieselben Regeln, welche dort entwickelt worden sind S. o. B. 6 S. 414. 415 und § 297. d §. 299. e. . — Auch bei dem Eide kommt Alles darauf an, daß in beiden Sachen eadem quaestio zum Grunde liege, wenn der in der früheren Sache geleistete Eid auf die Entscheidung der späteren Einfluß daneben aber Anspruch auf eine l. t. praescr. hat. Anstatt diese vorzuschützen, und vor Allem den Beweis des Eigenthums zu er- warten, wählt er den anderen Weg, daß er dem Kläger den Eid zuschiebt. Wenn nun der Kläger den zugeschobenen Eid schwört, so soll er dadurch eine Klage mit sicherem Erfolg ( utilem actionem ) haben, ungeachtet der Beklagte eine l. t. praescr. hätte vorschützen können ( post l. t. praescr. etiam ). Denn in der Eideszuschiebung über das Eigenthum (ohne Zusatz und Vorbehalt) liegt dann ein Verzicht auf die l. t. pr., weil der Beklagte durch diese Eideszuschiebung die vollständige Entscheidung über die ganze Streitsache in die Hand des Klägers gelegt hat. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. haben soll L. 28 § 4. 7 eod. . — Auch bei dem Eide, wie bei dem Urtheil, sind folgende Umstände für den Einfluß auf den späteren Rechtsstreit gleichgültig: 1. die Verschiedenheit des äußeren Gegenstandes L. 11 §. 3. 7 eod. . 2. Die Verschiedenheit der Klage L. 28 § 4. 6—9. L. 13 § 2. L. 30 § 4 eod. . Wer also, bei einer angestellten furti actio, schwört, daß er nicht gestohlen habe, ist dadurch auch gegen eine künftige condictio furtiva gesichert, und umgekehrt. 3. Die Verschiedenheit der Parteirollen, so daß der ge- leistete Eid künftig eben sowohl für den Schwörenden bindend ist, als für seinen Gegner L. 13 § 3. 5 eod. . §. 312. Surrogate des Urtheils . — II. Eid. — Besondere Wirkungen je nach der verschiedenen Lage des Streites . VIII. Besondere Wirkungen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß die Zuschiebung des Eides während drei verschiedener Zustände des Streites vorkommen kann: außergerichtlich, in jure, in judicio (§ 309). Es ist nun noch festzustellen, welche eigenthüm- liche Wirkungen der Zuschiebung in jedem dieser drei Fälle anzunehmen sind. Voraus muß bemerkt werden, daß die, im vorhergehenden Paragraphen angegebenen, gemeinsamen Wirkungen von dieser Verschiedenheit unabhängig sind. §. 312. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. Jene Wirkungen beziehen sich insgesammt auf den Fall der wirklichen Ableistung des zugeschobenen Eides; darauf be- ruht die förmliche Wahrheit; ferner die dem Eide zukom- mende doppelte Eigenschaft, als eines Vertrages, und als einer entscheidenden Prozeßhandlung, endlich der Schutz der förmlichen Wahrheit durch jedes erforderliche Rechtsmittel, Klage oder Einrede. Die nunmehr zu untersuchenden Ver- schiedenheiten beziehen sich demnach besonders auf die, zwischen der Zuschiebung und Ableistung in der Mitte lie- genden Folgen. 1. Außergerichtliche Zuschiebung. Das Eigenthümliche dieses Falles besteht darin, daß Alles in der freiesten Willkür des Gegners steht; will er den Eid annehmen, will er ihn ausdrücklich verweigern, oder mit Stillschweigen übergehen, so steht Dieses in seiner Macht, und er hat weder unmittelbaren, noch indirecten Zwang zu besorgen Von der einzigen Stelle, die auf einen indirekten Zwang bezogen werden könnte ( L. 38 de jur. 12. 2) wird unten gezeigt werden, daß sie nicht von der außergerichtlichen Zuschiebung zu verstehen ist (§ 313. f ). . Auch fehlt es zu einem solchen Zwang, wenigstens für den Kläger, an jedem Bedürfniß, da er in jedem Augenblick die Klage vor Gericht bringen und dann durch den nothwendigen Eid unterstützen kann. Wird also der in dieser Lage zugeschobene Eid nicht angenommen, so ist es so gut, als wäre er gar nicht zu- geschoben worden L. 5 § 4 eod. . Von einem Zurückschieben dieses Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Eides kann gar nicht die Rede seyn L. 17 pr. eod. „Jusju- randum, quod ex conventione extra judicium defertur, referri non potest“. Die Zurückschiebung hat nur eine eigenthümliche Be- deutung als ein Mittel, dem außer- dem eintretenden Zwang eine an- dere Wendung zu geben (Note g ). ; darin würde nur der Versuch einer umgekehrten Zuschiebung liegen, welche wiederum dem Gegner volle Freiheit lassen würde, diesen zuletzt zugeschobenen Eid anzunehmen oder zu verweigern. 2. Zuschiebung vor dem Prätor ( in jure ). Wenn in dieser Lage des Streites der Kläger oder der Beklagte den Eid zuschiebt, so steht es nicht in der Will- kür des Gegners, ob er sich darauf einlassen will, viel- mehr wird er dazu gezwungen L. 28 § 2 de jud. (5. 1) „ … nec jurare cogendus est“, als Ausnahme bei einem Legaten, worin also der Gegensatz liegt, daß jeder Andere in der That ge- zwungen wird. . Dieser Zwang aber besteht nicht etwa in einer Strafandrohung, sondern in der Wahl zwischen folgenden Entschließungen. Er muß: entweder nachgeben, also thun, was der Gegner ver- langt, oder schwören, oder den Eid dem Gegner zurück schieben ( referre ). Zu den beiden letzten Maßregeln giebt es keinen eigent- lichen Zwang, wohl aber zu der ersten; darauf also wird dann der wahre Zwang gerichtet L. 34 §. 6 de jur. (12. 2) „Ait Praetor: eum, a quo jusjurandum petetur, solvere aut jurare cogam. Alterum ita- que eligat reus, aut solvat aut juret; si non jurat, solvere co- gendus erit a Praetore.“ , in verschiedenen Arten, die noch näher bestimmt werden sollen. Wenn also §. 312. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. der Gegner jede dieser Maßregeln ausdrücklich verweigert, oder (was dasselbe ist) blos schweigt, also jede Erklärung unterläßt, so gilt Dieses eben so, als wenn gegen ihn durch den Eid des Zuschiebenden die förmliche Wahrheit festgestellt wäre, und er wird zum factischen Nachgeben unmittelbar gezwungen L. 34 § 7. 9 eod. Von dem letzten dieser zwei §§ wird noch weiter die Rede seyn (§ 313. d ). . Unter jenen drei Gegenständen freier Wahl ist das Zu- rückschieben des Eides genannt worden. Dieses hat ganz dieselbe Natur, wie die ursprüngliche Zuschiebung, und es tritt nun ganz das bisher beschriebene Verfahren ein, nur mit Umkehrung der Personen L. 34 § 7 eod. . Das Zurückschieben wird als die bescheidenste und anständigste Maßregel be- trachtet, als Aeußerung des Vertrauens in die Gewissen- haftigkeit des Gegners L. 25 § 1 de pec. const, (13. 5). . Es ist nicht immer nöthig oder angemessen, daß dieser zweite Eid mit dem ersten wörtlich übereinstimme; darüber hat nach Umständen die Richter- behörde zu entscheiden L. 34 § 8 de jur. (12. 2). . Es sind jedoch folgende Einschränkungen des so eben erörterten Zwanges zu bemerken. — Aus persönlicher Ehr- furcht braucht die Zuschiebung in der Regel nicht unterlassen zu werden, so daß sie selbst zulässig ist gegen den Vater und den Patron des Zuschiebenden L. 14 eod. Mit der ein- zigen Ausnahme, wenn in einer actio rerum amotarum dem Patron (als Kläger) der Eid zu- geschoben wurde. L 16 eod. ; in der Zuschiebung Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. liegt ein Ausdruck des Vertrauens, also der Achtung. Nur die Vestalinnen und der Flamen Dialis sollten nach altem Recht von jedem Zwang dieser Art frei seyn Gellius X. 15. Vergl. Zimmern § 127 Note 12. . — Un- mündige in eigener Sache, Procuratoren und Defensoren in der Sache, die sie vertreten, sind nicht dem Zwange unterworfen (§. 310. i ). — Der, welchem der Eid zuge- schoben wird, kann verlangen, daß zuvor der Gegner seine redliche Absicht ( de calumnia ) beschwöre; weigert sich dieser, so gilt die Weigerung gleich einem Erlaß des Eides, das heißt, gleich dem abgeleisteten Eide selbst L. 34 § 4. L. 37 de jur. (12. 2) Nur wer zurückschiebt, kann den Eid de calumnia nicht fordern, da der Gegner durch die Zuschie- bung seine auf Wahrheit gerichtete Absicht hinlänglich bewiesen hat. L. 34 § 7 eod. . Die Frage, ob dieser Eid vor Gefährde, als Bedingung des Zwanges, auch im heutigen Recht als geltend anzuerkennen sey, wird von den neueren Schriftstellern meist mit Stillschweigen übergangen. Ich glaube, sie verneinen zu müssen, theils nach dem thatsächlichen Gerichtsgebrauch, theils nach dem veränderten Standpunkt dieses Rechtsinstituts, indem es weniger Gegenstand der Privatwillkür ist, mehr unter richterlicher Aufsicht steht Vgl. Martin Prozeß §. 226 Noten g. h. . Eine wichtige Einschränkung besteht noch darin, daß Niemand gezwungen werden kann, über Dasjenige zu schwö- ren, wovon er vielleicht Nichts weiß, insbesondere über fremde Handlungen bei denen er nicht gegenwärtig war. §. 312. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. So z. B. braucht Keiner zu schwören, daß der Gegner ge- stohlen habe L. 11 § 2. 3. L. 12. L. 13. pr. rer. amot. (25. 2). ; daß er nicht schuldig sey, einen bestimmten Sklaven zu übergeben, wenn es ungewiß ist, ob dieser noch lebt L. 34 pr. de jur. (12. 2). ; daß sein Erblasser einen Vertrag nicht geschlossen habe Paulus II. 1. § 4. . — Kann in solchen Fällen durch Zurückschieben billige Hülfe geleistet werden, so ist Dieses anzuwenden; in anderen Fällen wird eine Frist zur Erforschung der Wahrheit helfen können L. 34 pr. de jur. (12. 2). . Wo aber alle diese Mittel nicht ausreichen, soll ohne Zweifel nach Römischem Recht der Eid nicht angewendet werden, welches vielleicht nur deswegen nicht erwähnt wird, weil bei den Römern der Eid meist über Rechtsverhältnisse zugeschoben wurde, wobei jene Schwierigkeit oft verhüllt bleibt. — Die Praris der neueren Zeit hilft oft aus durch einen Eid über bloßes Glauben ( de credulitate ), oder über Nichtwissen ( de igno- rantia ). Der erste ist gewiß völlig verwerflich, da er nicht irgend eine Ueberzeugung des Richters bewirken, wohl aber die Partei zu einer leichtsinnigen Behandlung des Eides verleiten kann. Der zweite ist unbedenklich, wenn sich der Zuschiebende damit begnügen will, daß durch das bloße Nichtwissen des Gegners die Sache entschieden werde, wenn er also entweder die Zuschiebung auf eine solche Eidesform Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. richtet, oder die richterliche Verwandlung des zugeschobenen Eides in diese Form genehmigt Vgl. Bayer Vorlesungen S. 391. Heffter Prozeß §. 229 N. 64. 65. Linde Prozeß §. 301. N. 4, § 302 N. 16—18. . Es ist zuletzt noch anzugeben, durch welche Mittel der Prätor den Zwang zur Ausführung bringt, dessen Be- dingungen bisher festgestellt worden sind. Der Eid kann geschworen werden vom Kläger, oder vom Beklagten, nachdem ihm der Eid vom Gegner zugeschoben oder zurückgeschoben worden ist. Es ist aber dabei in Er- innerung zu bringen, daß mit dieser wirklichen Ableistung gleiche Wirkung hat der Erlaß des Eides; ferner die Wei- gerung des Gegners, sich auf den zugeschobenen oder zurück- geschobenen Eid einzulassen. Alle diese Fälle stehen völlig auf gleicher Linie, und sind stets mit darunter zu begreifen, wenn jetzt die Folgen des geleisteten Eides angegeben werden sollen. Hat nun der Kläger den Eid geleistet, so wird der Beklagte gezwungen, den Kläger klaglos zu stellen, d. h., dessen Anspruch zu befriedigen. Dieses geschieht jedoch, nach Verschiedenheit der Fälle, auf zweierlei Weise, so wie es schon oben bei dem gerichtlichen Geständniß angegeben worden ist (§ 303). Ist die Klage eine certi condictio, also auf eine be- stimmte Geldsumme gerichtet, so ist mit dem Eide Alles zu Ende, und der Prätor verfügt unmittelbar die Execution L. 34. § 6 de jur. (12. 2) „solvere cogendus erit a Prae- tore.“ Die eigenthümliche Natur des Eides im Fall der certi con- . §. 312. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. In diesem Fall ist der Eid ein wahres Surrogat des Ur- theils, ein Judex und eine Litiscontestation ist unnöthig. Bei allen anderen Klagen aber erfolgt nun ein ordent- licher Prozeß vor dem Judex. Nur ist es unrichtig, wenn Manche sagen, daß jetzt eine actio in factum de jurejurando angestellt werde Bayer Vorlesungen S. 401. 402. ; es ist vielmehr die bloße Fortsetzung der bereits angestellten Klage, und auch diese tritt weniger vollständig ein, als es ohne den Eid geschehen wäre. Eine eigentliche Litiscontestation kommt nun nicht mehr vor, und der Judex hat nicht mehr die Wahrheit des Anspruchs, son- dern nur noch den Geldwerth desselben festzustellen (§ 311 b ). Die formula mag jetzt etwa so gelautet haben: Quod A. Agerius juravit, N. Negidium fundum Cor- nelianum ipsi dare oportere, quanti is fundus est, eum condemna so daß die Intentio: si paret dare oportere weggelassen wurde, weil dieses Stück durch den Eid dem Prätor schon bekannt und gewiß war, also nicht erst durch den Judex festgestellt zu werden brauchte. — Insbesondere bei der Erbrechtsklage, und ohne Zweifel auch bei allen anderen arbiträren Klagen, hatte der Eid des Klägers die volle Kraft einer pronuntiatio L. 11 § 3 de jur. (12. 2). . dictio zeigt sich sehr deutlich in der Ueberschrift des Titels im Codex (IV. 1) „de rebus creditis et jurejurando.“ Ganz dieselbe Ueberschrift findet sich auch bei Paulus II. 1. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Wenn dagegen der Beklagte den Eid geleistet hat, so ist damit Alles, ohne Unterschied der Klagen, zu Ende. Der Prätor weist durch ein Decret die Klage zurück, ohne daß es dazu einer Exception und eines Judex bedarf L. 7. L. 9 pr. L. 34 § 7 eod. . Dieses Decret wirkt völlig wie die rechtskräftige Freisprechung durch einen Judex S. o. B. 6 § 284. Noten c. d. . § 313. Surrogate des Urtheils . — II. Eid. — Besondere Wir- kungen je nach der verschiedenen Lage des Streites . (Fortsetzung.) 3. Zuschiebung vor dem Judex ( in judicio ). Ich will damit anfangen, den Zustand der Sache dar- zustellen, wie er im Justinianischen Recht, und schon seit dem Untergang des ordo judiciorum, beschaffen seyn mußte. Da hier kein Unterschied mehr war zwischen jus und ju- dicium, praetor und judex, so mußten alle für die Ver- handlung vor dem Prätor oben aufgestellten Regeln nun- mehr auf die ganze Prozeßführung angewendet werden, so daß der urtheilende Richter (der jetzt von der richterlichen Obrigkeit nicht mehr verschieden war) die Rechte auszuüben hatte, die früher dem Prätor zugeschrieben wurden. Die vom Prätor früher ausgesprochene Alternative: solvere aut jurare cogam (§ 312. e), wurde also in Aussprüchen dieser späteren Zeit wörtlich auf den judex (den urtheilenden §. 313. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. (Forts.) Richter) angewendet L 9 C. de R. C. et jur. (4. 1) „ … per judicem sol- vere vel jurare … necesse habet“. . Daß es so seyn mußte, wird auch von unseren Schriftstellern nicht bezweifelt, und über den Zustand der Sache im Justinianischen Recht, so wie über den Sinn, in welchem wir die Justinianischen Rechts- quellen jetzt aufzufassen haben, ist daher kein Streit. Es fragt sich nur, wie es sich verhielt zur Zeit des bestehenden ordo judiciorum. Hierüber ist die herrschende Meinung der Neueren, der alte Judex habe bei einem vor ihm zu- geschobenen Eide gar keinen ähnlichen zwingenden Einfluß, wie der Prätor, gehabt, und alle älteren Stellen, die ihn hierin dem Prätor gleich stellen, seyen im Sinn der oben dargestellten Veränderung interpolirt Keller Litiscontestation S. 50. 51. Zimmern §. 135. Puchta §. 174. p. . Ich glaube, daß sie hierin zu weit gehen, und daß, wenn auch einige Inter- polationen vorgenommen seyn mögen (welches ich dahin gestellt lasse), dennoch in der Sache selbst von jeher kein wesentlicher Unterschied zu finden war. Ich will mit der Prüfung der einzelnen Stellen aus der älteren Zeit an- fangen. Die wichtigste dieser Stellen rührt her von Ulpian L. 34 § 6. 7. 8. 9 de jur. (12. 2). . Nachdem hier zuerst eine Stelle des Edicts wörtlich an- geführt und erklärt war (in den §§ 6. 7), wird das Ver- fahren in dem Fortgang der Stelle weiter ausgeführt und Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. unmittelbar auf den Judex bezogen l. c. § 8 „ … officio judicis“. Besonders aber der ganze, in seinem Inhalt so wich- tige, § 9 „Quum res in jusju- randum demissa sit, judex jurantem absolvit … nolentem jurare reum .. non solventem condemnat“, ganz wie oben § 6 vom Prätor. . Dieser letzte Theil der Stelle soll nun auf bloßer Interpolation beruhen, indem auch hier Ulpian nur vom Prätor gesprochen haben werde. — Ich will diese Interpolation nicht gerade für unmöglich erklären, aber als nothwendig kann ich sie nicht einräumen; denn wenn, wie sogleich aus inneren Gründen gezeigt werden soll, die Thätigkeit des Prätors hierin von jeher wesentlich keine andere war, als die des Judex, so war es ganz natürlich und gar nicht zu tadeln, daß Ul- pian abwechselnd bald den Einen, bald den Anderen, und zwar Beide in gleicher Wirksamkeit, erwähnte. Wichtig ist aber auch eine Stelle des Paulus , welche von dem Beweisverfahren vor dem Judex spricht, und den vor dem Judex geleisteten Eid in derselben Weise erwähnt, wie wir ihn im neusten Recht nur immer auffassen können L. 25 § 3 de prob. (22. 3) „ .. licentia concedenda est ei, cui onus probationis in- cumbit, advessario suo … jusjurandum inferre … ut judex juramenti fidem secutus ita suam sententiam possit formare“. ; und in dieser Stelle ist noch weniger, als in der des Ulpian , Schein und Raum für eine Interpolation wahrzunehmen. Ich will aber nun auf die Sache selbst näher eingehen, unabhängig von dem Zeugniß einzelner Stellen der alten Juristen. §. 313. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. (Forts.) Wenn vor dem Judex ein Eid zugeschoben und von dem Gegner freiwillig angenommen und geleistet wurde, so kann über dessen Wirksamkeit kein Zweifel seyn, da selbst der außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge- eignet war (§ 312). Der Streit kann also nur den Fall einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor, zugeschrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des Prätors der Zwang etwa in Geldstrafen bestanden, so würde ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er bestand aber in der That nur in der angenommenen Feststellung des Gegen- theils der Behauptung, welche zu beschwören in die Macht des Weigernden gestellt war (§. 312. f ), und dieses Zwangs- mittel dem Judex, so gut als dem Prätor, zuzuschreiben, kann nicht das geringste Bedenken haben. Der eigentliche, gewiß richtige Gesichtspunkt für jene Feststellung zum Nach- theil Dessen, der den zugeschobenen Eid verweigert, ist in folgender Stelle des Paulus ausgedrückt L. 38 de jur. (12. 2). : „Mani- festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare, nec jusjurandum referre“. Diese Stelle ist ganz wie ge- schrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung völlig wie ein gerichtliches Geständniß behandelt und hier- nach sein Urtheil einrichtet, und sie wird also am natür- lichsten bezogen auf die Eideszuschiebung vor dem Judex. Auf die außergerichtliche kann sie nicht bezogen werden, weil VII. 6 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dabei keine Art des Zwanges vorkam, insbesondere aber auch kein referre (§ 312 Noten a. c. ); eben so wenig aber auf die Eideszuschiebung vor dem Prätor Hierauf wird die Stelle bezogen von Puchta § 173. e. , dessen zwin- gende Gewalt hierin an sich keiner Rechtfertigung bedurfte, und auch schon wörtlich in dem Edict begründet war. Eine Bestätigung der hier aufgestellten Behauptung liegt noch in dem Fall des Albutius , in welchem das Centum- viralgericht die Verweigerung eines zugeschobenen Eides gleichfalls wie ein Geständniß behandelte und dem Urtheil zum Grunde legte Seneca controv. lib. 3. praef. ; die Centumvirn aber hatten die Stellung des Judex, nicht des Prätors, sie waren Urtheiler, nicht prozeßleitende Obrigkeit. Völlig verschieden von dem bisher dargestellten zuge- schobenen Eide ist eine andere Art, den Eid auf die Ent- scheidung eines Rechtsstreites anzuwenden; eine Art der Anwendung, die nach der älteren Römischen Gerichtsver- fassung nur allein vor dem Judex vorkommen konnte. Wenn nämlich, nach geführten Beweisen, der Richter über die That- sachen noch nicht völlig aufgeklärt ist, so kann er nach seinem Ermessen die eine oder andere Partei zum Eide auffordern, und je nach dem Ausfall desselben sein Urtheil einrichten L. 1. 31 de jur. (12. 2). L. 3. L. 12. pr. C. eod. . Dieser Fall unterscheidet sich von dem des zugeschobenen Eides §. 313. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. (Forts.) wesentlich dadurch, daß keine Einwilligung der Parteien, also kein Vertrag zum Grunde liegt. Dieses ist reines Beweismittel, und es ist dabei eine Anfechtung wegen später aufgefundener Urkunden nicht unmöglich In dieser Hinsicht unter- scheiden sich überhaupt Urtheile und Vergleiche (zu welchen letzten der Eid gehört). L. 35 de re jud. (42. 1), L. 19. 29 C. de transact. (2. 4). Vgl. Burchardi Wieder- einsetzung in den vorigen Stand S. 138. . — Diese Art des Eides ist in dem heutigen Prozeßrecht als Erfüllungseid und Reinigungseid genauer ausgebildet worden. Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß vor dem Judex der Eid jeder Art niemals Surrogat eines Urtheils seyn, folglich das Urtheil selbst entbehrlich machen konnte. Die eigentliche Entscheidung konnte hier lediglich von dem Urtheil ausgehen L. 34 § 9. L. 31 de jur. (12. 2). , dessen Inhalt aber an den Inhalt des Eides nothwendig gebunden war. Die Ueberschrift des Digestentitels ( XII. 2) lautet so: De jurejurando, sive voluntario, sive necessario, sive judiciali. Darin sind augenscheinlich Römische Kunstaus- drücke enthalten, über deren Bedeutung in neuerer Zeit verschiedene Meinungen aufgestellt worden sind Donellus Lib. 24. C. 24. Puchta Institutionen § 173 Note e. . Nach der bis hierher geführten Untersuchung scheint folgende Be- deutung dieser Ausdrücke angenommen werden zu müssen. 6* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Voluntarium ist der außergerichtliche Eid, weil dessen An- nahme und Leistung ganz in der Willkür der Partei lag, welcher er zugeschoben wurde. Necessarium ist der in jure oder in judicio zugeschobene Eid, weil in beiden Fällen die Partei genöthigt war, sich in irgend einer Weise auf den- selben einzulassen. Judiciale endlich ist der vom Judex, ohne Zuschiebung von Seiten einer Partei, auferlegte Eid. — Anders ist freilich der Sprachgebrauch der neueren Schrift- steller über den Prozeß. Hier heißt voluntarium der zu- geschobene, also von dem Willen einer Partei ausgehende Eid, necessarium der von dem Willen des Richters aus- gehende, also von jedem Parteiwillen völlig unabhängige Eid. Der Ausdruck der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit wird also von den Neueren in einer anderen Beziehung gebraucht, als von den Römern. §. 314. Surrogate des Urtheils . — II. Eid. — Heutiges Recht . Es bleibt jetzt nur noch übrig, die späteren Aenderungen des bisher dargestellten Rechts des Eides hinzu zu fügen. Die in Justinian’s Gesetzgebung eingetretene Aenderung ist bereits dargestellt worden (§ 313); es ist also nur noch von dem heutigen Rechte zu reden. Als vorherrschender Gesichtspunkt ist hier anerkannt worden die Heiligkeit des Eides als einer religiösen Hand- lung. Alle Neuerungen zwecken darauf ab, theils dem Meineide vorzubeugen, theils den Mißbrauch zu verhüten, §. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht. der in der Leistung eines unpassenden oder unnützen Eides liegen würde. Hierauf gründen sich folgende einzelne, vom Römischen Recht abweichende Sätze. Vor Allem hat der Richter freiere Macht in der Auf- sicht auf den zugeschobenen Eid, der also nicht mehr so, wie im Römischen Recht, durch die freie Uebereinkunft der Par- teien bestimmt werden kann. — Der Richter versagt ihn, wenn nach den Umständen ein Meineid zu befürchten ist. — Die Fassung der Eidesformel wird von dem Zuschiebenden nur vorgeschlagen, der Gegner hat sich darüber zu erklären, der Richter aber hat sie festzustellen. Für diese Bestimmung findet sich ein Anhalt schon im Römischen Recht (§. 310. ee ). — Ein Unmündiger, den das Römische Recht zur Ableistung eines zugeschobenen Eides zuläßt, weil er dabei nur ge- winnen, nicht verlieren kann (§ 310. h ), wird jetzt nicht mehr zugelassen. — Der Eid vor Gefährde fällt jetzt weg (§ 312. n ). Der außergerichtliche Eid, der ganz ohne richterliche Aufsicht seyn würde, ist jetzt gar nicht mehr zulässig und hat, wenn er durch die Willkür der Parteien dennoch an- gewendet wird, nicht mehr die Wirkungen, die ihm das Römische Recht beilegt S. o. § 311. 312. Mit Un- recht wird Dieses bezweifelt von Linde Prozeß § 301 N. 6. Nach dem heutigen Recht also würde aus einem solchen Privateide weder eine Klage, noch eine Einrede gegen den Zuschiebenden abgeleitet werden können, obgleich dieser selbst den Anstoß dazu gegeben hat. — . In manchen Partikulargesetzen ist er geradezu verboten So z. B. in Preußen. Allg. L. R. II. 20 § 1425. 1426. 1429. Allg. G. O. I. 10 §. 248. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Der Eid ist jetzt bloßes Beweismittel, und kann nur über reine Thatsachen, nicht über Rechtsverhältnisse (welches im Römischen Recht seine Hauptanwendung war) zuge- schoben werden. Wird Dieses dennoch versucht, so hat der Richter einen solchen Eid zu verbessern. Diese wichtige Neuerung ist im heutigen Recht fast allgemein anerkannt, wenn- gleich im Einzelnen von unkundigen Richtern dagegen nicht selten, und vielleicht selbst bewußtlos, verstoßen werden mag, indem sie sich den Gegensatz nicht völlig klar machen Der aufgestellte Satz wird von folgenden Schriftstellern aner- kannt: Böhmer electa T. 2 Ex. 14 § 12, Glück B. 8 § 585, Martin § 224 (11te Ausg.), Linde § 302 N. 15. — Anderer Meinung ist Bayer Vorlesungen S. 390, je- doch nur nach Stellen des Röm. Rechts, und indem er die All- gemeinheit der entgegengesetzten Meinung anerkennt. Er meint aber, wenn sich der Gegner auf den Eid über ein Rechtsverhältniß einlasse, so müsse Das als Vergleich gelten. Allein gerade darin weicht das heutige Recht vom Röm. R. ab, daß es die reine Privatwill- kür im Eide beschränkt. . — Es darf daher der Eid nicht zugeschoben werden über das Daseyn eines Eigenthums oder einer Schuld, sondern nur über diejenigen Thatsachen, woraus das Eigenthum oder die Schuld angeblich entstanden seyn soll. Der Grund dieses wichtigen Satzes liegt darin, daß jedes Urtheil über das Daseyn eines Rechtsverhältnisses stets ein Stück Rechts- theorie mit in sich schließt, die doch unmöglich als passender Gegenstand eines Eides angesehen werden kann. Die Un- klarheit, die aus dieser Vermischung von Rechtssätzen und Thatsachen hervorgeht, kann dahin führen, daß in manchen Fällen ein Eid geleistet wird, den bei genauer Zergliederung §. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht. der Bestandtheile eine gewissenhafte Partei nicht leisten würde. Gerade darin aber besteht eben ein gefährlicher Mißbrauch des Eides. Um sich Dieses noch anschaulicher zu machen, möge man versuchen, das Daseyn eines Eigen- thums zum Gegenstand von Zeugenaussagen und Zeugen- eiden zu machen. Zwei Zeugen werden vielleicht das strei- tige Eigenthum bejahen, und dabei doch von ganz verschie- denen Rechtsregeln und Thatsachen ausgehen. Dann aber ist ihre Uebereinstimmung nur scheinbar, da doch die wirk- liche Uebereinstimmung der wahre Grund ist, worauf die Kraft des Zeugenbeweises beruht. Endlich kann auch jede Partei den ihr zugeschobenen Eid dadurch beseitigen, daß sie über die Wahrheit ihrer Behauptung einen vollständigen Beweis durch andere Be- weismittel führt. Denn durch diesen Beweis wird der Eid überflüssig, und in der Anwendung eines überflüssigen Eides liegt schon an sich ein Mißbrauch des Eides. Besonders bezeichnend aber ist der übliche Kunstausdruck für diesen Fall: Vertretung des Gewissens durch Beweis. Eine Partei von besonders strenger, ängstlicher Gewissenhaftigkeit kann nämlich, sich selbst mißtrauend, lieber dem Richter die Beurtheilung des von ihr geführten Beweises überlassen, als selbst schwören, und dadurch Alles auf das eigene Ge- wissen übernehmen. Eine solche Gesinnung verdient viel- mehr Unterstützung, als Tadel, und dem Gegner wird da- durch kein Unrecht zugefügt. — Die Zulässigkeit einer solchen Gewissensvertretung ist allgemein anerkannt, und es muß Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dabei auch Gegenbeweis zugelassen werden Malblanc § 58. Bayer S. 397. Gönner B. 2 Abhdl. 48. Martin § 228. Linde § 308. . Der Eid bleibt einstweilen aufgeschoben, muß aber, wenn der ver- suchte Beweis mißlingt, wieder aufgenommen werden. Im Römischen Recht wird diese Gewissensvertretung nicht erwähnt, ja sie paßt dahin nicht, weil der Eid nicht als reines Beweismittel, sondern als vergleichsmäßige Ent- scheidung des Rechtsverhältnisses angesehen wird Die Stelle bei Quincti- lian . instit. V. 6 enthält nur ein allgemeines Räsonnement, kein geschichtliches Zeugniß. . Im kanonischen Recht wird jenes Recht bestimmt anerkannt, und zwar in Anwendung auf einen Fall, worin dem Kläger, der den Grund seiner Klage bereits bewiesen hatte, nun dennoch der Eid zugeschoben wurde C. 2 X. de prob. (2. 19) . Hierauf beschränken sich die wahren Abweichungen des heutigen Rechts, und einige andere, die gleichfalls behauptet werden, sind nicht als richtig anzuerkennen. Dahin gehört die Behauptung, der zugeschobene Eid könne nur als Ergänzung eines anderen Beweises gebraucht werden, setze also stets einen auf andere Weise, wenngleich unvollständig, geführten Beweis (eine Bescheinigung) voraus. Diese Meinung ist nach Römischem Recht gewiß zu ver- werfen L. 35 pr. de jur. (12. 2), L. 22 § 10 C. de jure delib. (6. 30). , ja sie war hier, wenigstens bei dem außer- gerichtlichen Eid, völlig unanwendbar. Auch nach dem heutigen gemeinen Recht ist sie zu verwerfen Danz Prozeß § 241 Note b. Linde Lehrbuch § 303 Note 6. 7. , und §. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht. nur in manchen Partikularrechten hat sie Eingang ge- funden So z. B. in der Praxis des Tribunals zu Wismar (jetzt Greifswald), veranlaßt durch die falsche Lehre des Mevius . Vgl. Pufendorf T. 2 Obs. 151. . Eben so darf nicht behauptet werden, daß die Zuschie- bung des Eides nur als ein Nothbehelf angesehen werden könne, und daß sie versagt werden müsse, wenn dem Zu- schiebenden andere Beweismittel zu Gebote stehen. Ob er solche hat, denen er vertraut, das muß lediglich seiner eigenen Beurtheilung überlassen bleiben. Es wäre unge- recht, ihn darauf zu verweisen und ihm deshalb die Eides- zuschiebung zu versagen. Hierin läge eine ganz irrige Umkehrung der eben erklärten Regel von der Gewissens- vertretung, wobei eine Partei freiwillig sich entschließt, den ihr zugeschobenen Eid durch einen von ihr zu führenden Beweis anderer Art entbehrlich zu machen. Die einzige Stelle des kanonischen Rechts, die man dafür anführen könnte, spricht auch in der That nur von der Gewissens- vertretung, und nur die Ausdrücke, womit sie die Gewissens- vertretung begründet und rechtfertigt, sind so schwankend und zweideutig, daß sie allerdings auch auf jenen irrigen Satz gedeutet werden könnten C. 2 X. de prob. (2. 19), „quum tunc demum ad hujus- modi sit suffragium recurren- dum, quum aliae legitimae pro- bationes deesse noscuntur.“ . Wenn man die so eben dargestellten Abweichungen des heutigen Rechts in der Lehre vom zugeschobenen Eide er- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. wägt, so möchte man glauben, das Römische Recht sey dadurch von Grund aus verändert, ja es sey davon nicht viel mehr als Nichts, übrig geblieben. So ist es aber in der That nicht; die eingetretenen Veränderungen betreffen mehr die Form, als das Wesen der Sache, und zwar so, daß wir sie sogar als wahre Verbesserungen jenes wichtigen und für die Rechtspflege fast unentbehrlichen Rechtsinstituts ansehen können. Selbst die wahre Vertragsnatur jenes Eides mit ihren wichtigen Folgen ist unverändert geblieben, und es ist dabei nur der sehr heilsame Unterschied einge- treten, daß ein solcher Vertrag nicht mehr durch den un- abhängigen Willen der Parteien, sondern nur unter der Aufsicht und Mitwirkung eines Richters zu Stande kommen kann. Daher ist auch der Eid in keinem Fall mehr Sur- rogat eines Urtheils, sondern nur der Grund, worauf ein Urtheil, übereinstimmend mit dem Inhalt des Eides, be- ruhen muß Daß nach dem Gebrauch mancher Gerichte schon vor ge- leistetem Eide ein bedingtes Ur- theil gesprochen, und nachher durch die Leistung des Eides purificirt wird, ist nur eine die äußerliche Form betreffende Abweichung. Zu empfehlen ist diese Form übrigens nicht. . §. 315. Restitution. — Einleitung . Quellen : Paulus Lib. 1. T. 7. 8. 9. Cod. Greg . Lib. 2. T. 1 — 4. §. 315. Restitution. Einleitung. Cod. Theod . Lib. 2. T. 15 — 17. Dig . Lib. 4. T. 1 — 7. Cod. Iust . Lib. 2. T. 20 — 55. Schriftsteller : Burchardi , die Lehre von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Göttingen. 1831. 8. v. Schröter , Wesen und Umfang der in int. restitut io (Zeitschrift v. Linde , Bd. 6. N. III. S. 91 — 175.) Puchta , Pandekten, Auflage 4. § 100 — 107. Vorlesungen § 100 — 107. Cursus der Institutionen Aufl. 2. Bd. 2. § 177. 209. Der Begriff dieses sehr eigenthümlichen Rechtsinstituts, und mit ihm der Standpunkt der ganzen Untersuchung, ist nicht leicht festzustellen. In den Quellen des Römischen Rechts führt dasselbe regelmäßig den Namen. In integrum restitutio Mit Unrecht ist behauptet worden, daß diese allerdings vor- herrschende Wortfolge ohne Aus- nahme sey. In L. 86 pr. de adqu. her. (29. 2) steht restitutio in integrum einmal sicher, nach Haloander’s abweichender Lese- art sogar zweimal. Vgl. Bur- chardi S. 3. Göschen Vor- lesungen I. S. 529. Eben so in L. 39. § 6 de proc. (3. 3) „propter hanc restitutionem in inte- grum“. , dessen Deutsche Uebersetzung: Wiederein- setzung in den vorigen Stand , für den gewöhnlichen, stets wiederkehrenden Gebrauch allzu weitläuftig erscheint. Dieser Name bezeichnet die Herstellung eines beschädigten oder verminderten Zustandes in seine frühere unversehrte Gestalt, und paßt also an sich auch auf blos thatsächliche Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Ereignisse, wie z. B. die Herstellung eines abgebrannten oder eingestürzten Hauses, wovon hier, bei einem Rechts- institut, natürlich nicht die Rede seyn kann. Vor Allem also ist die in dem Namen nicht ausgedrückte Beschrän- kung des Begriffs auf eine Herstellung innerhalb des Rechtsgebietes nothwendig Es ist zu bemerken, daß der Ausdruck: in integrum re- stitutio, auch in seiner technischen Beschränkung auf den Rechtszustand, in einer zwiefachen Construction vorkommt; am häufigsten ist die Rede von einer Restitution der verletzten Person in ihren frü- heren besseren Zustand (z. B. minor restituitur ); dann aber auch von einer Restitution des verlorenen Rechts ( an die Person), z. B. L. 1 § 1 ex. qu. c. huj. (4. 6) „.. actionem … in integrum restituam“ (§ 325 Note m ). . Allein auch diese Be- schränkung ist noch keinesweges ausreichend. Im Rechtsgebiet nämlich findet sich in sehr ausgedehnter Weise die Möglichkeit und das Bedürfniß einer Herstellung in den zahlreichen und wichtigen Fällen, in welchen die Rechtsordnung gestört, also ein Recht verletzt wird. Die gemeinsame Natur dieser Fälle läßt sich so bezeichnen, daß ein Recht von seiner thatsächlichen Ausübung getrennt wird, so daß die Herstellung besteht in der Wiedervereinigung des Rechts mit der Thatsache der Ausübung. Diese Herstellung kann bewirkt werden sowohl durch die freiwillige Handlung einer anderen Person, als durch Zwang in Folge einer Rechtsanstalt; auf diesen letzten Fall beziehen sich mehrere wichtige Theile des Rechtsgebietes, unter andern in dem System des Privatrechts das gesammte Actionenrecht (§ 204). Für die Herstellung durch eine dem Berechtigten gegenüber §. 315. Restitution. Einleitung. stehende Person ist restituere die regelmäßige Bezeichnung, ohne Unterschied, ob die Handlung dieser Person aus freiem Willen hervorgeht, oder von einem Richter auferlegt und erzwungen wird. Immer also bezeichnet dieses restituere die Thätigkeit einer Privatperson Ein solches Restituiren kann geschehen sowohl natürlich und unmittelbar, als in künstlicher oder mittelbarer Weise; das Crste, wenn z. B. dem Eigenthümer der ihm fehlende Besitz seiner Sache wieder gegeben wird; das Zweite, wenn derselbe für eine verzehrte Sache in Geld entschädigt wird. Diese Bemerkung ist auch anwend- bar auf die nachfolgenden Fälle der Herstellung eines früheren Zu- standes. — Ueber den Begriff und Umfang des restituere vgl. L. 22. 35. 75. L. 246 § 1 de V. S. (50. 16). Vgl. auch oben B. 5 S. 129. . — Jede Herstellung aber der eben bezeichneten Art hat mit dem gegenwärtig darzustellenden Rechtsinstitut nicht den geringsten Zusam- menhang, obgleich der Name desselben auch darauf bezogen werden könnte, an sich also wiederum nicht dazu geeignet ist, diese Beschränkung auszudrücken. Um nun dem wahren Begriff dieses Rechtsinstituts näher zu treten, ist ein Rückblick nöthig auf die innere Entwick- lung und Ergänzung eines jeden positiven Rechts. Unter die reichlichsten Quellen dieser Entwicklung gehört die noth- wendige Ausgleichung des überall hervortretenden Gegen- satzes zwischen dem strengen Recht und der Billigkeit, jus (jus strictum) und aequitas S. o. B. 1 § 15. 22. — Die aequitas muß hier als die von einem höheren und freieren Standpunkt anerkannte Gerechtig- keit gedacht werden. Die Natur dieses Gegensatzes, als der Grund- lage der gesammten Restitution, ist scharf und treffend dargestellt von Pnchta , Institutionen § 177, und Vorlesungen § 100. , Diese Ausgleichung hat zur Bildung ganz neuer und selbstständiger Rechtsinstitute Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. geführt S. o. B. 5 § 219 und Bei- lage XIII. Num. XIII. XX, Beil. XIV. Num. XLVII. Es gehören da- hin die bonae fidei actiones, welche darauf beruhen, daß der unter rechtlichen Menschen geltenden, in der Regel freiwillig beobachteten, Sitte ein eigenthümlicher Rechts- schutz gegen Diejenigen gewährt wird, die sich etwa der freien Be- obachtung der Sitte entziehen möchten. ; eben so aber auch zu vielen Anstalten, die blos auf die Herstellung nachtheilig veränderter Rechtszustände ab- zwecken. Dabei wird also vorausgesetzt, daß ein Rechts- zustand zum Nachtheil des Berechtigten wahrhaft verändert worden ist, so daß diese Veränderung nach strengem Recht als vollgültig anerkannt werden muß, daß aber die Billig- keit dieser Veränderung widerspricht, und die Herstellung des früheren Zustandes fordert. Diese Herstellung wird dann durch mannichfaltige Rechtsmittel bewirkt, und zwar sowohl durch Klagen, als durch Einreden; beide, theils dem Civilrecht, theils dem prätorischen Recht angehörend. Unter die civilen Klagen zu solchen Zwecken gehören folgende: Die Condictionen auf Rückgabe ohne Vertrag, wie indebiti, sine causa, ob causam datorum S. o. B. 5 Beil. XIV. Num. VII. VIII. ; ferner die redhibitoria actio, die Anfechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. — Von den prätorischen Klagen gehören dahin die actio doli und quod metus causa. — Alle diese Klagrechte können nach Umständen auch in der Gestalt von Einreden geltend gemacht werden, wohin be- sonders die doli und metus exceptio gehören. — In sämmt- lichen Fällen dieser Art wird der Zweck der aus Billigkeit abgeleiteten Herstellung erreicht durch besonders gebildete §. 316 Begriff der Restitution. Obligationen, also durch persönliche Klagen oder Einreden. Die Anerkennung jener Billigkeit hatte daher zur Ausbildung bestimmter Rechtsregeln geführt, die eben so, wie die Klagen aus Verträgen und Delicten, durch das gewöhnliche Richter- amt zur Anwendung gebracht wurden, sobald die thatsäch- lichen Bedingungen derselben vorhanden waren; eine eigen- thümliche Art von Rechtsinstituten war dazu nicht erfor- derlich, und das gegenwärtig darzustellende Institut erhält dadurch noch keine Begründung. §. 316. Restitution. — Begriff derselben . Unter den Fällen der Herstellung aus Billigkeit (§ 315) fanden sich mehrere, die den Prätoren zunächst nicht dazu geeignet schienen, in der Form gewöhnlicher Klagen und Einreden der richterlichen Anwendung unmittelbar überlassen zu werden, worin vielmehr sie selbst (die Prätoren) durch Erwägung aller im Einzelnen obwaltenden Umstände helfend einzugreifen sich vorbehielten. Es war also auch darin eine neue Rechtsregel anerkannt, aber nicht so, wie in den vorigen Fällen, eine fertige Rechtsregel, auf gleicher Linie mit allen übrigen stehend, sondern gleichsam eine unreife, noch in der Bildung begriffene Rechtsregel, die in diesem unfertigen Zustand erst durch das Eingreifen der prätorischen Macht- vollkommenheit in das wirkliche Leben für einzelne Fälle sollte eingeführt werden können. Diese Fälle bilden die prätorische in integrum restitutio. Hiernach läßt sich der Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Begriff dieser Restitution so bestimmen: Sie ist die Her- stellung eines früheren Rechtszustandes, ge- gründet auf den Gegensatz der Billigkeit zum strengen Recht, und bewirkt durch die, ein wirk- lich vorhandenes Recht mit Bewußtsein abän- dernde, prätorische Macht . — Nur ist, mit Rücksicht auf die überall durchgeführte Ausdrucksweise des Römischen Rechts, noch hinzu zu fügen, daß diese Herstellung des früheren Zustandes, da sie nur auf einer Anwendung der obrigkeitlichen Macht beruht, nicht als eine eigentliche, wahre Herstellung ( ipso jure ) bezeichnet wird, sondern nur als die Fiction einer solchen. Wer also ein aufgegebenes Erbrecht durch Restitution erlangt, wird nicht heres, sondern bekommt nur die Rechte eines solchen, gleich als ob er es wäre ( utiles actiones ). Es ist also völlig dieselbe Behandlung und Bezeichnung, wie wir sie auch in dem prätorischen Erbrecht, der bonorum possessio, wahrnehmen. Um diesem sehr eigenthümlichen Rechtsinstitut seine wahre Stellung anzuweisen, ist es nöthig, den Zusammen- hang desselben mit anderen Instituten, also die nach ver- schiedenen Seiten vorhandenen Verwandtschaften, aufzu- suchen. Als die nächste Verwandtschaft muß erkannt werden die mit dem rechtskräftigen Urtheil, und dadurch ist die Stel- lung derselben im gegenwärtigen System bestimmt worden. Beide Institute haben Das miteinander gemein, daß durch richterliche Thätigkeit ein selbstständiges neues Recht entsteht. §. 316. Begriff der Restitution. Der Unterschied aber liegt darin, daß das aus dem Urtheil hervorgehende neue Recht nicht nur auf der Fiction der Wahrheit beruht, sondern auch auf der Voraussetzung, daß diese Wahrheit wirklich vorhanden sey, also auf der an- genommenen Uebereinstimmung mit dem vorher bestehenden Rechtszustand, so daß eine Verschiedenheit beider Zustände nicht absichtlich gesucht wird, sondern nur zufällig und nur als unvermeidliches Uebel entstehen kann (§ 280). Dagegen wird durch die Restitution eine Abänderung des bestehenden Rechtszustandes mit Absicht und Bewußtsein vorgenommen. Insofern kann man die Restitution ein Urtheil von höherer Potenz nennen S. o. B. 6 S. 265. — Es findet sich also in beiden Rechtsinstituten der Begriff der Fiction angewendet, aber in ver- schiedener Bedeutung (§ 280. 316). . Eine zweite Verwandtschaft findet sich zwischen der Re- stitution und einigen anderen Fällen richterlicher Thätigkeit, wodurch gleichfalls mit Absicht und Bewußtsein ein vor- handenes Recht abgeändert wird. Dahin gehört die re- scissio inofficiosi testamenti durch das Centumviralgericht (später durch andere Richter), und die adjudicatio, in welcher der Theilungsrichter die verlangte Auflösung einer Gemein- schaft durch absichtliches Geben und Nehmen von Eigen- thum, sowie durch Errichtung von Servituten (also durch absichtliche Beschränkung eines vorhandenen Eigenthums) bewirken kann. Beide Institute beziehen sich auf das eigenthümliche Bedürfniß einzelner Rechtsverhältnisse, und VII. 7 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. unterscheiden sich von der Restitution dadurch, daß in ihnen von der Herstellung eines früheren Zustandes, die das Grundwesen der Restitution ausmacht, niemals die Rede ist. — Näher verwandt mit der Restitution ist in dieser Hinsicht die Begnadigung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchste Regierungsgewalt im Staate. Bei dieser wird allerdings, eben so wie bei der Restitution, der gegen- wärtige Rechtszustand absichtlich verändert durch Herstellung eines früheren Zustandes; es geschieht Dieses auch hier nicht in Anwendung einer aufgestellten Rechtsregel, und durch das gewöhnliche Richteramt, sondern mit Rücksicht auf den Gegensatz der Billigkeit zum strengen Recht, und durch die eingreifende Machthandlung einer hochstehenden Obrigkeit. Soweit steht also die Begnadigung mit der hier darzustel- lenden Restitution völlig auf gleicher Linie. Der durch- greifende Unterschied aber besteht in den Gegenständen der Herstellung, also in der Natur der Rechtsverhältnisse, worauf sich hier und dort die Herstellung bezieht, indem die Re- stitution privatrechtliche Zustände herstellt, also dem Privat- rechte angehört, anstatt daß die Begnadigung dem öffent- lichen Rechte anheim fällt, also ganz außer den Gränzen des gegenwärtigen Rechtssystems liegt. Eine dritte Verwandtschaft endlich findet sich zwischen der Restitution und den oben (§ 315) dargestellten Fällen, worin durch Klagen und Einreden ein früherer Rechtszustand hergestellt wird. Diese Fälle haben mit der Restitution gemein sowohl den Zweck, welcher in der Herstellung eines §. 316. Begriff der Restitution. früheren privatrechtlichen Zustandes besteht, als den Grund dieser Herstellung, der in dem Verhältniß der Billigkeit zum strengen Recht zu suchen ist. Nicht nur diese Gemeinschaft des Zweckes und Grundes muß anerkannt und festgehalten werden, sondern auch die zusammenhängende historische Ent- wicklung dieser Rechtsinstitute, welche sehr deutlich in der Anordnung des Edicts und der Digesten hervortritt Der zweite und dritte Titel des vierten Buchs der Di- gesten handeln nur wenig und bei- läufig von der Restitution, und stehen dennoch mitten in der Re- stitutionslehre. . Dagegen ist die zur Erreichung jenes Zweckes führende Rechtsform durchaus verschieden. In den oben dargestellten Fällen dienten dazu Klagen und Einreden, die eben so, wie alle andern, von den gewöhnlichen Richtern geprüft und ent- schieden werden durch die Anwendung der dafür aufgestellten Rechtsregeln, also durch die Anerkennung eines kraft dieser Regeln bestehenden Rechtes. Bei der Restitution ist eine solche zur Anwendung fertige Regel nicht vorhanden; viel- mehr ist es der Prätor, welcher eine solche Regel nach dem Bedürfniß jedes einzelnen Falles gleichsam neu erfindet, und so den bestehenden Rechtszustand durch seine Macht ver- ändert, um einen früheren herzustellen. In die ganze Lehre von der Restitution ist nun von jeher die größte Verwirrung dadurch gebracht worden, daß man die Restitution mit den oben erwähnten Klagen zu- sammen geworfen hat, anstatt in der Darstellung beiderlei Rechtsinstitute streng auseinander zu halten. Um den durch- 7* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. greifenden Unterschied beider Behandlungsarten vollständig zur Anschauung zu bringen, bedarf es blos des folgenden Rückblicks auf den so eben dargestellten Zusammenhang der Restitution mit anderen Rechtsinstituten. Das eigenthümliche Wesen der Restitution läßt sich von zwei Seiten auffassen. Ihr Zweck besteht in der Herstellung eines früheren Rechts- zustandes durch Aenderung des jetzt bestehenden. Ihre Form, oder das Mittel zur Erreichung jenes Zweckes, besteht in dem Eingreifen richterlicher Macht in bestehende Rechts- verhältnisse. Es kommt nun darauf an, ob man den einen, oder den anderen dieser Gesichtspunkte als den vorherr- schenden behandeln will, dem die ganze Lehre von der Re- stitution untergeordnet werden soll. Wählt man den ersten, so muß die Restitution als ein einzelnes Glied in der Kette der durch Billigkeit bewirkten Herstellungen früherer Zustände angesehen, also mit der actio doli und quod metus causa, consequenterweise auch mit den meisten Condictionen zu- sammen gestellt werden (§ 315). Wählt man den zweiten, so sind alle diese Klagen in den besonderen Theil des Obligationenrechts einzureihen Vgl. Göschen Vorlesungen I. S. 531. , die Restitution aber ist, wie es im Anfang des gegenwärtigen §. ausgesprochen ist, dem richterlichen Urtheil an die Seite zu stellen. Diese zweite Behandlungsart schließt sich völlig an die Auffassung der Römischen Juristen an, und ist die einzige, wodurch §. 316. Begriff der Restitution. eine sichere Einsicht in die Quellen des Römischen Rechts gewonnen werden kann Burchardi § 1 stellt einen ganz willkürlichen Begriff von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf, unter welchen er dann, außer der wahren Re- stitution, auch die Condictionen, die actio doli und quod metus causa, so wie noch vieles Andere, zusammenstellt. So nimmt er nachher auch die zwei zuletzt ge- nannten Klagen in sein System der Restitution mit auf. Eine ausführliche und überzeugende Widerlegung dieses Verfahrens findet sich bei Schröter S. 157 bis 169. . Die eben gerügte Vermischung wesentlich verschiedener Rechtslehren ist theils veranlaßt, theils befördert oder be- schönigt worden durch mehrere Stellen Römischer Juristen, die sich von einem ungenauen Sprachgebrauch nicht ganz frei gehalten, sondern den Namen der in integrum restitutio auf Fälle angewendet haben, die diesem eigenthümlichen Rechtsinstitut in der That nicht angehören. Indem dieser ungenaue Sprachgebrauch der Quellen selbst hier anerkannt und nachgewiesen werden soll, muß jedoch die Bemerkung vorausgeschickt werden, daß man denselben weit übertrieben, und oft auch da wahrzunehmen geglaubt hat, wo derselbe in der That nicht zu sinden ist. So kann vor Allem ein ungenauer Sprachgebrauch durchaus nicht behauptet werden von den sehr zahlreichen Stellen, worin restituere die das Unrecht aufhebende, und die gehemmte Ausübung des Rechts herstellende, Handlung einer dem Berechtigten gegenüber stehenden Privatperson bezeichnet (§ 315); es mag nun diese Handlung aus ganz freiem Willen hervorgehen, oder durch eine Aufforderung des Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Richters veranlaßt seyn Dieses gilt von den arbi- trären Klagen, in Folge der in die Formel eingerückten Be- schränkung der Verurtheilung: nisi restituas. S. o. B. 5 § 221. , oder durch die Verurtheilung des Richters zwangsweise auferlegt werden § 2 J. de off. jud. (4. 17): „sive contra possessorem, ju- bere ei debet, ut rem ipsam restituat cum fructibus.“ . Dieses ist der regelmäßige, unentbehrliche, durch keinen anderen Ausdruck zu ersetzende Sprachgebrauch. Auch liegt in demselben durchaus keine Gefahr der Verwechselung mit unserer prätorischen in integrum restitutio, da ja Niemand darauf fallen kann, diese Handlung des Prätors mit jener Thätigkeit einer Privatperson zu verwechseln, wenngleich zur Bezeichnung beider durchaus verschiedener Thätigkeiten dasselbe Wort restituere verwendet wird. Eben so kann ein ungenauer Sprachgebrauch nicht ein- geräumt werden für diejenigen Stellen, worin die Begna- digung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchste Re- gierungsgewalt (den Kaiser oder den Senat) als eine in integrum restitutio bezeichnet wird L. 1 §. 9. 10 de postul. (3. 1) „Deinde adjicit Praetor: Qui ex his omnibus … in inte- grum restitutus non erit … et putat, de ea restitutione sensum, quam Princeps vel Senatus in- dulsit.“ (Besonders entscheidend über die innere Gleichartigkeit ist die auf diese Worto folgende Ver- gleichung mit der prätorischen Re- stitution,). — L. 1 C. de sent. passis (9. 51): „… tunc Antoninus Aug. dixit: Restituo te in inte- grum provinciae tuae, et ad- jecit: Ut autem scias, quid sit in integrum restituere, hono- ribus, et ordini tuo, et om- nibus ceteris te restituo.“ — L. 1 § 2 ad L. J. de amb. (48. 14) „Qua lege damnatus si alium convicerit, in integrum restituitur: non tamen pecu- niam recipit.“ . Denn es ist schon oben bemerkt worden, daß die Begnadigung eines Ver- §. 316. Begriff der Restitution. urtheilten ihrem Wesen nach eine wahre in integrum re- stitutio und mit der prätorischen völlig gleichartig ist, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen Recht angehört, weshalb auch nur der Besitz der höchsten Regierungsgewalt zum Ausspruch der- selben fähig macht. Wenn aber der Kaiser begnadigt, so thut er dieses eben so in Kraft seines Imperium, wie wenn der Prätor im Privatrecht eine Restitution ertheilt. In den hier angeführten Stellen nun (Note g ), die aus dem Edikt und aus einem feierlichen Ausspruch des Kaisers herrühren, ist an einen nachlässigen, ungenauen Sprach- gebrauch gar nicht zu denken. In folgenden Stellen dagegen findet sich in der That ein solcher ungenauer Sprachgebrauch, worin der Name der in integrum restitutio auf Fälle angewendet wird, die nicht zur wahren Restitution gehören. 1. Wenn der Besitzer einer Sache wegen derselben eine Klage von mir erwartet, und diese Sache an einen Dritten veräußert, in der unredlichen Absicht, mich durch die Ver- änderung des Beklagten in Nachtheil zu bringen, so habe ich gegen den Veräußernden eine Klage auf Entschädigung wegen dieser Veränderung L. 1 pr. L. 4 § 5 de al jud. mut. (4. 7). Die Dige- stenstellen über diesen Rechtssatz find theils aus Commentaren über das Provinzialedict entnommen ( L. 1 eod. ), theils aus Commen- taren über das prätorische Edict ( L. 8 eod. ) Ohne Zweifel aber waren beide Edicte hierin wesent- lich übereinstimmend. , und gerade diese Klage, die Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. offenbar keine Restitution ist, wird als eine solche von Gajus bezeichnet L. 3 § 4 eod. „Ex quibus apparet, quod Proconsul in integrum restituturum se polli- cetur: ut hac actione officio tantum judicis consequatur actor, quanti ejus intersit alium adversarium non ha- buisse.“ Offenbar wird hier die Geldentschädigung als Frucht einer Restitution bezeichnet, obgleich sie mit dieser nur den allgemeinen Zweck gemein hat, das Vermögen des Berechtigten gegen Schaden zu verwahren. — Es muß aber dahin gestellt bleiben, wie viel etwa interpolirt seyn mag. , welches wir daher als einen unge- nauen Ausdruck ansehen müssen. In diesem Fall ließe sich nun allerdings eine wahre Restitution denken, indem die ursprüngliche in rem actio gegen den Veräußernden durch Restitution gegen die Veräußerung zugelassen würde. Eine solche Restitution ist auch wahrscheinlich durch das Edict dargeboten worden, so daß der Verletzte zwischen ihr und der persönlichen Entschädigungsklage die Wahl haben sollte Darauf deutet ein Rescript von Diocletian in L. 1 C. eod. (2. 55), worin gesagt wird, der Verletzte habe die Wahl, ob er mit der gewöhnlichen Klage in rem gegen den neuen Erwerber klagen wolle, oder aber gegen den Ver- äußernden. Das letzte wird so ausgedrückt: „cum … in inte- grum restitutio edicto perpetuo permittatur.“ Es mag dahin gestellt bleiben, ob der Verfasser dieses Rescripts unter der Restitu- tion die Entschädigungsklage ver- stand (so wie Gajus ), oder aber den neueren Rechtssatz von der in rem actio gegen den, qui dolo desiit possidere (Note l ). ; daraus erklärt sich sowohl die Stellung jener Klage im vierten Buch der Digesten, als auch der eben gerügte ungenaue (vielleicht interpolirte) Ausdruck des Gajus . Daß aber diese Restitution selbst in den Digesten nicht mehr erwähnt wird, erklärt sich daraus, daß sie durch einen späteren Rechtssatz völlig entbehrlich wurde; wer nämlich §. 316. Begriff der Restitution. den Besitz einer Sache unredlicherweise aufgiebt, soll nun- mehr als Besitzer behandelt und mit der Klage in rem (auch ohne Restitution) belangt werden können L. 27 § 3. L. 36 pr, de R. V. (6. 1), L. 131. L. 157 § 1 de R. J. (50. 17). Von dem histo- rischen Verhältniß des Edicts über die alienatio judicii mutandi causa zu der ficta possessio dessen, qui dolo desiit possidere, handelt ausführlich Voorda In- terpr. II. 10. Er scheint aber die Sache etwas zu subtil zu nehmen, und mehr als nöthig für verwickelt anzusehen. . Auch jetzt also hat der Verletzte Anspruch sowohl auf dieses Recht, als auf die persönliche Entschädigungsklage. Wenn aber der Beklagte das erste Recht freiwillig anerkennt, und sich als Besitzer der Klage in rem unterwirft, so fällt die Entschädigungsklage weg, weil dann kein aus der Ver- äußerung hervorgehender Schade mehr vorhanden ist L. 3 § 5 de al jud. mut. (4. 7). . 2. Ulpian erwähnt ein Rescript von Caracalla aus Veranlassung einer von den Campanern mit Gewalt er- preßten Urkunde; das Rescript sagte: posse eum a Praetore in integrum restitutionem postulare. Dieser Ausspruch wurde nun sowohl von dem Prätor, als von Ulpian selbst so ausgelegt, der Gezwungene könne nach Bedürfniß jede denkbare Art des Schutzes in Anspruch nehmen; zunächst also sowohl eine Klage, als eine Einrede, wie er es ver- langen möge L. 9 § 3 quod metus (4. 2) Vgl. unten § 330 Note d. e. . Hier wird der Ausdruck restitutio sogar auf gewöhnliche Rechtsmittel bezogen, welche mit der wahren Restitution nur den äußeren Zweck und Erfolg gemein haben; in den unmittelbar folgenden Worten aber (§ 4) Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. wird hinzugefügt, daß der Gezwungene, wenn er es be- gehre, auch eine wahre, eigentliche Restitution zu erwarten habe. Alle diese Rechte also, so wie die Auswahl unter denselben, werden gefolgert aus den Worten des Kaisers, daß der Gezwungene könne in integrum restitutionem postulare. 3. Eben so verhält es sich mit einem Ausspruch des Julian , nach welchem die redhibitoria actio für beide Theile gewissermaßen die Folge einer in integrum restitutio nach sich ziehen soll L. 23 § 7 de aed. ed. (21. 1): Julianus ait, judicium redhibitoriae actionis utrum- que, i. e. venditorem et em- torem, quodammodo in inte- grum restituere debere.“ . 4. Wer durch Betrug bewirkt, daß ihm eine Sache verkauft werde, kann mit der actio venditi zur Entschädigung gezwungen werden L. 13 § 5 de act. emti (19. 1), L. 14 § 1 de in diem addict. (18. 2). . Diesen Rechtssatz drückt ein Rescript so aus, als läge darin eine in integrum restitu- tio L. 10 C. de resc. vend. (4. 44): „… contra illum, cum quo contraxerat, in integrum restitutio competit.“ , woran wiederum nur Das wahr ist, daß das Ver- mögen des Verkäufers so gut, wie durch eine Restitution, gegen Schaden geschützt wird. Neuere Schriftsteller haben vorgeschlagen, die oben (§ 315) erwähnten Klagen, welche nicht Restitutionen sind, als Restitutionsklagen zu bezeichnen, um damit auszu- drücken, daß dieselben eben so, wie eine wahre Restitution, auf die Herstellung eines früheren Zustandes abzwecken Burchardi S. 8. . §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. Ich kann diese Bezeichnung aus zwei Gründen nicht räthlich finden. Erstens befördert auch sie die so eben ausführlich gerügte Verwirrung wesentlich verschiedener Rechtslehren. Zweitens aber spielt sie auf bedenkliche Weise hinein in wirklich quellenmäßige Kunstausdrücke, die in der That völlig verschiedene Rechtsbegriffe bezeichnen Restitutoria actio (judi- cium) heißt eine Klage, die in der That verloren war, dann aber durch irgend einen Rechtsgrund wieder- hergestellt wird, mag nun dieser in einer wahren Restitution be- stehen ( L. 3 § 1 de eo per quem 2. 10), oder nicht ( L. 8 § 9. 12 ad Sc. Vell. 16. 1). — Restitu- torium interdictum heißt ein auf Rückgabe einer Sache gerichtetes Interdict, im Gegensatz des pro- hibitorium und exhibitorium. § 1 J. de interd. (4. 15). . §. 317. Restitution. — Eigenthümliche Natur und innere Ent- wicklung derselben . Die Restitution hat eine ganz eigenthümliche, von an- deren Rechtsinstituten verschiedene, juristische Natur, deren genaue Feststellung als Grundlage für die folgende Dar- stellung der einzelnen darauf bezüglichen Rechtsregeln dienen muß. Diese Eigenthümlichkeit derselben muß aber nicht als feststehend, sondern als in steter Bewegung begriffen, auf- gefaßt werden. Daher ist zugleich von der inneren Ent- wicklung dieses Rechtsinstituts genaue Rechenschaft zu geben, welche allein dazu geeignet ist, uns auf den heutigen Stand- punkt für die Betrachtung desselben zu führen. Der oben aufgestellte Begriff der Restitution (§ 316) Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. umfaßt zwei hervorstechende Seiten derselben. Die erste besteht in einer so freien, persönlichen Macht des richter- lichen Amtes, wie sie sich bei anderen Rechtsinstituten nicht findet. Zwar ist häusig auch bei gewöhnlichen Klagen von einem freien Ermessen ( arbitrium ) die Rede, welches dabei als zulässig, ja als unentbehrlich erscheint; allein dieses Ermessen wird stets von festen Rechtsregeln beherrscht, und die demselben zugeschriebene Freiheit unterscheidet sich wesent- lich von der nicht unter solcher Herrschaft stehenden Freiheit, welche in der Anwendung der Restitution wahrzunehmen ist. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er- theilung oder Versagung der Restitution die sonst üblichen Namen und Formen von actio, exceptio u. s. w. nicht vor. Diese eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re- stitution hängt damit zusammen, daß der Restitution zwar auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln (§ 316). Die zweite hervorstechende Seite der Restitution besteht in der zu ihrer Anwendung ausschließend berufenen Behörde. Nicht die zum Ausspruch gewöhnlicher Urtheile berufenen Privatrichter sollten dazu fähig seyn; auch nicht die mit einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver- sehenen Municipalobrigkeiten: sondern in Rom und ganz Italien nur allein der Prätor, also der Inhaber der höchsten richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieser, wie jeder andere Theil der prätorischen Gewalt, von dem §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. Römischen Statthalter ausgeübt, der hier eine eben so unabhängige obrigkeitliche Gewalt hatte, wie in Rom der Prätor. Die zwei hier dargestellten Eigenthümlichkeiten der Re- stitution sind aber keinesweges so zu denken, als ob sie blos zufällig neben einander gestanden hätten; vielmehr be- dingten sie einander wechselseitig, und konnten nur in dieser ihrer Verbindung erklärt und gerechtfertigt werden. Die in der Restitution enthaltene, ungewöhnlich freie Macht des richterlichen Amtes war nämlich nicht ohne die Gefahr der Willkür und Ungerechtigkeit, welches auch die Römer nicht verkannten, indem sie die Restitution als eine außerordentliche Nothhülfe nur da zuließen, wo nicht schon gewöhnliche Rechtsmittel ausreichten. Gerade gegen diese Gefahr nun wurde eine Schutzwehr gefunden in der Stellung der zur Restitution ausschließend berechtigten Be- hörde. Schon Das war wichtig, daß die Restitution nicht in die Hand derselben Personen gelegt wurde, welche die gewöhnlichen Urtheile zu sprechen hatten, der Privatrichter; denn gerade die Vereinigung dieser beiden Thätigkeiten konnte leicht von der unbefangenen Anwendung der reinen Rechtsregeln abführen, und dem Mißbrauch blos subjectiver Ansichten und Gefühle Raum geben. Ein noch stärkerer Schutz aber lag in der eigenthümlichen Stellung der Prä- toren. Einem ungerechten Mißbrauch ihres einflußreichen Amtes wurde schon durch die kurze (einjährige) Dauer dieses Amtes entgegengewirkt, nach dessen Beendigung alle Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Aussicht auf Macht und Einfluß verloren war, wenn sie sich nicht durch parteilose Amtsführung das Vertrauen ihrer Mitbürger bewahrt hatten. Nicht zu gedenken, daß auch während ihrer Amtsführung eine große Zahl von gleich oder höher stehenden Obrigkeiten, so wie von Volkstribunen, neben den Prätoren vorhanden war, deren jeder einzeln durch seinen Einspruch den Versuch ungerechter Willkür verhindern konnte S. o. B. 6 Beilage XV. Die hier geschilderte Schutzwehr gegen den Mißbrauch, den die Prätoren von der Restitution machen konnten, war dieselbe, die es auch ohne Gefahr zuließ, ihnen den höchst wichtigen Einfluß auf das Recht durch ihre Edicte zu ge- statten, die zwar nicht, wie man früher anzunehmen pflegte, wahre Gesetze waren, aber doch auf ähnliche Weise, wie Gesetze, auf das Recht einwirkten. S. o. B. 1 S. 116—119. . Dieses war das ursprüngliche Verhältniß der Restitution, und es ist darin ein befriedigender Zusammenhang der ver- schiedenen Seiten dieses Rechtsinstituts unverkennbar. Es sind aber nun die großen Veränderungen hinzu zu fügen, die sich mit demselben im Laufe der Zeit zugetragen haben. Diese Veränderungen betrafen zunächst die Beschaffenheit der zur Restitution berechtigten Behörde. Seit der Kaiser- regierung nahmen die Prätoren eine weit untergeordnetere Stellung ein, als zur Zeit der freien Republik. Die Be- fugniß zur Restitution wurde später auch manchen anderen Klassen von Richtern mitgetheilt. Als der alte ordo judi- ciorum aufgegeben wurde, hörte die persönliche Trennung der Restitution vom Urtheilsprechen auf, und beide Geschäfte kamen in eine und dieselbe Hand. Endlich in neueren §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. Zeiten ist die Ertheilung der Restitution allen Richtern ohne Unterschied überlassen worden (§ 334). Durch diese allmälig eingetretenen Veränderungen nun sind alle oben geschilderten Schutzwehren nach und nach weggefallen, und es scheint, daß die Restitution nunmehr ein für die Rechts- sicherheit höchst gefährliches Institut geworden seyn müßte. Allein es sind seitdem auch von der anderen Seite Ver- änderungen eingetreten, wodurch diese Gefahr größtentheils beseitigt worden ist. Dahin gehört zuerst der Umstand, daß seit der Kaiser- regierung die Appellation allgemein eingeführt worden ist (Beilage XV ). Dieser wurde nun auch die Restitution unterworfen, die in dieser Hinsicht mit gewöhnlichen Ur- theilen auf gleiche Linie trat, und seitdem nicht mehr mit der Gefahr verbunden war, eine unabänderliche Ungerechtig- keit herbei zu führen. Noch wichtiger aber waren in dieser Hinsicht die Ver- änderungen, die allmälig und unvermerkt in der, mit der Restitution ursprünglich verbundenen, fast unbeschränkt freien Macht eintraten, und wodurch die Gefahr der Willkür zuletzt fast ganz verschwinden mußte. Schon die Prätoren selbst hatten zwar in einem Fall der Restitution ein völlig freies Ermessen bei der Ge- währung oder Versagung sich vorbehalten L. 1 § 1 de minor. (4. 4). , in anderen Fällen dagegen sehr genaue Bedingungen derselben ausge- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. sprochen L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6). , und dadurch diese Fälle der Restitution den gewöhnlichen Rechtsmitteln näher gebracht. Noch wichtiger aber war es, daß die Prätoren in manchen wichtigen Fällen die früher dargebotene Restitution in gewöhnliche Klagen und Einreden umwandelten, also die bis dahin unfertige Regel in eine fertige auflösten, so daß in diesen Fällen von der früheren Restitution, außer unbedeutenden Ueberresten der Anwendung, nur noch ein Andenken übrig bleibt in der Stellung, welche jenen Klagen im Edict und in den Digesten zu Theil geworden ist Dahin gehören die actio- nes quod metus causa, doli, und de alienatione judicii mu- tandi causa. S. o. § 316 Note h bis l. . Endlich bearbeiteten auch die alten Juristen die Restitu- tionslehre, besonders in ihren Commentaren über das Edict, worin sie die langjährigen Erfahrungen über die Anwen- dung dieses Rechtsinstituts niederlegten. Indem sie nun hier sehr ausführliche casuistische Regeln über die Ge- währung und Versagung der Restitution aufstellten, nahm dieselbe unter ihren Händen immer mehr die Natur eines gewöhnlichen Rechtsmittels an, und verlor so ihren ursprüng- lichen Charakter, nach welchem sie der freien Macht der Behörde überlassen gewesen war. Dieses ist namentlich die Gestalt, worin wir die Restitution in den Justinianischen Rechtsbüchern vor uns sehen. Man hätte hier die Re- stitution in ihrer alten Form und Bezeichnung ganz auf- §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. geben und durch gewöhnliche Klagen (so wie es theilweise früher durch die actio doli und quod metus causa geschah) ersetzen können; durch ein solches Verfahren hätten wir nur einige geschichtliche Kenntniß verloren, von dem praktischen Rechtsinstitut selbst aber, wie es im Justinianischen Recht gemeint war, ein richtigeres Bild erhalten. So ist von verschiedenen Seiten her die Restitution im Lauf der Zeiten mehr und mehr den gewöhnlichen Rechts- mitteln angenähert worden, und in dieser sehr veränderten Gestalt ist sie als Bestandtheil des gemeinen Rechts zu uns herüber gekommen. Dennoch hat sie auch noch in dieser Gestalt in der Hand gewöhnlicher, oft untergeordneter Richter nicht selten mehr als andere Institute, die Gefahr von Mißbrauch und Willkür herbeigeführt, besonders weil sowohl diese Richter, als die Schriftsteller, denen dieselben folgten, das Römische Recht häufig mißverstanden und irrig anwendeten. Bei unbefangener Betrachtung muß eingeräumt werden, daß dieses Institut des Römischen Rechts weniger, als die meisten anderen, einen inneren Grund des Fortbe- stehens und der Eiwirkung auf den heutigen Rechtszustand mit sich führt. Auch hat dasselbe in neueren Gesetzgebungen vorzugsweise wenig Berücksichtigung und Aufnahme ge- funden Im Preußischen A. L. R. I. 9 § 531 fg. §. 594 kommt die Restitution bei der Verjährung vor. Hier hilft das Französische Recht einfacher (gleich dem neueren R. R.), indem es die Verjährung in solchen Fällen ipso jure hemmt ( Code civil art. 2252). . Das hier ausgesprochene zusammenfassende VII. 8 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Urtheil über den inneren Werth dieses Instituts im Ver- hältniß zu unserm heutigen Rechtszustand erhält eine beson- dere Bestätigung durch die Betrachtung der einzelnen Re- stitutionsgründe. Bei der Restitution der Minderjährigen wird ihre sehr bedenkliche praktische Seite noch näher nach- gewiesen werden (§ 322). Die Restitution der Abwesenden hat zwar keine ähnliche allgemeine Gründe gegen sich; allein das Bedürfniß und die Wichtigkeit derselben hat sich seit ihrer ersten Einführung ungemein vermindert. Sie war besonders wichtig als Abhülfe gegen die Gefahren, die aus der kurzen Usucapion (ein Jahr und zwei Jahre), so wie aus vielen kurzen Klagverjährungen entstanden. Seitdem damit viele und große Veränderungen vorgegangen sind, ist auch sie leichter zu entbehren. Die übrigen Restitutionen aber waren schon im neueren Römischen Recht meist durch ordentliche Rechtsmittel ersetzt, und daher als Restitutionen nicht mehr wichtig. Ich fasse die hier gegebene Rechenschaft über die innere Entwicklung der Restitution in einem kurzen Ueberblick zu- sammen. Wir sehen dieses Rechtsinstitut in einem allmä- ligen, aber fortwährenden Streben zur Selbstvernichtung, und die neueste Gestalt desselben zeigt uns wenig Aehnlich- keit mehr mit dem ursprünglichen Wesen desselben. Dieser auffallende Entwicklungsgang aber hat seinen Grund nicht etwa darin, daß man den ursprünglichen Gedanken später- hin als irrig und verfehlt anerkannt und darum aufgegeben hätte. Vielmehr ist darin der natürliche Weg organischer §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. Rechtsbildung wahrzunehmen, indem die Anfangs unfertige, erst durch die freie persönliche Handhabung zu ergänzende, Rechtsregel allmälig in eine fertige und vollendete hinüber geführt, und so das extraordinarium auxilium in ein commune auxilium aufgelöst wurde Es finden sich diese Aus- drücke in L. 16 pr. de minor. (4. 4). . Ganz im Widerspruch mit der hier aufgestellten Ansicht behauptet ein neuerer Schriftsteller, die Restitution sey von den Römern im Laufe der Zeit manchen ordentlichen Klagen vorgezogen, und häufiger, als früher, zur Anwendung ge- bracht worden Burchardi § 19. 20, be- sonders S. 361—363. 376. 382. Diese Behauptung hat jedoch bei ihm eine blos historische Bedeutung; für das praktische Bedürfniß des heutigen Rechts sieht auch er die Restitution als bedenklich an, und hält eine größere Beschränkung ihres Gebrauchs für wünschens- werth S. 546. . Sie soll sich besonders beliebt gemacht haben theils durch das schnellere und kürzere Verfahren, theils durch manche praktische Vortheile für den Kläger, wohin vorzüglich der gerechnet wird, daß bei den arbiträren Klagen der Beklagte die Wahl hatte, entweder die Sache selbst herauszugeben, oder sich zur Entschädigung verur- theilen zu lassen, anstatt daß die Restitution stets die ver- lorene Sache selbst wieder verschaffte Dieser Vortheil des Be- klagten, wenn man es so nennen will, wurde ja aber weit über- wogen durch die mit der Verur- theilung für ihn verbundenen Nach- theile S. o. B. 5 S. 123. 124. — Ein anderer praktischer Vortheil, bei der aus Furcht vorgenommenen Antretung oder Ausschlagung einer Erbschaft, ( Burchardi S. 363) ist an sich richtig, gehört aber nicht zu den späteren Ausdehnungen der Restitution, sondern gerade umgekehrt zu ihren sehr mäßigen Ueberresten, nachdem durch die Klage und Einrede wegen Gewalt für die allermeisten Fälle in anderer Art hinreichend gesorgt war. . — Der Beweis 8* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dieser Behauptung wird versucht theils durch solche schon oben angegebene Stellen, worin in der That der Ausdruck in integrum restitutio auf ungenaue Weise gebraucht wird (§ 316), theils durch eine weit größere Zahl von Stellen, deren unbestimmte Ausdrücke an sich sowohl auf die Restitution als auf ordentliche Rechtsmittel bezogen werden können, und die nun willkürlich auf die Restitution gedeutet werden. Ein solches Verfahren kann nicht als das einer unbefangenen und vorsichtigen Kritik anerkannt werden. Es ist ein lebhafter Streit darüber geführt worden, ob die prätorische Restitution in das Gebiet der Gnade oder des Rechts gehöre. Ein neuerer Schriftsteller nennt sie einen Gnadenact, eine Gnadenerweisung, eine besondere Vergünstigung, auf welche Niemand ein wahres Recht, ein Recht im juristischen Sinne des Worts habe Buchardi § 1. 3, beson- ders S. 7. 20. 40. 41. . Andere haben dieser Ansicht entschieden widersprochen, und die Re- stitution durchaus dem Rechtsgebiet zugewiesen Puchta Pandekten § 100 Note c. Ausführlicher Schröter S. 169—174. . Wenn man genau zusieht, was hier unter Gnade ver- standen werden soll, so wird man sich überzeugen, daß dieser Streit mehr den Ausdruck, als das Wesen der Sache, betrifft, also eigentlich überflüssig war. Man kann bei jenem Ausdruck denken an ein Handeln aus bloßer Laune und Willkür, aus heiterer Stimmung, persönlicher Gunst, §. 317. Natur und Entwicklung der Restitution. oder anderen rein subjectiven Antrieben. Daß die Restitu- tion in diesem Sinn jemals als ein Gnadenact gedacht worden sey, wird wohl Niemand behaupten. — Man kann aber jenen Ausdruck auch in einem ernsteren Sinn auffassen, so wie er gedacht wird, wenn von der Begna- digung eines Verbrechers die Rede ist, wobei ja Niemand an dem Gebrauch jenes Ausdrucks Anstoß nimmt. Auch dabei nun würde ein Handeln aus den eben geschilderten Beweggründen höchst verwerflich seyn. Die rechte Be- gnadigung wird vielmehr nur da eintreten, wo von einem höheren Standpunkt aus die strenge Anwendung des Ge- setzes als Unrecht erscheinen würde, mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des einzelnen Falles. Dieses ist aber derselbe Standpunkt, von welchem aus die Ausgleichung zwischen jus und aequitas durch die Restitution bewirkt werden soll (§ 315 Note d ), so daß in diesem Sinn die Restitution füglich ein Gnadenact genannt werden könnte. In der That hat sie auch der angeführte Schriftsteller nur in diesem Sinne so bezeichnen wollen, indem er dadurch das besonders freie Ermessen in der Restitution am besten hervorzuheben glaubte. Daß er nur Dieses meinte, geht unwidersprechlich daraus hervor, daß er zugleich anerkennt, wenn die Bedingungen der Restitution vorhanden waren, sey die Ertheilung derselben eine Amtspflicht des Prätors gewesen, deren Gewährung selbst durch Appellation habe Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. erzwungen werden können Burchardi S. 40. 41. Allerdings paßt zu diesen letzten Zugeständnissen nicht sonderlich die daneben stehende schroffe Ver- neinung eines auf die Restitution zustehenden wahren Rechts. Viel- leicht hat sich der Verfasser durch den Umstand täuschen lassen, daß einem Verbrecher kein Recht auf Begnadigung zuzuschreiben ist. Dieses aber liegt darin, daß die Begnadigung nur dem Souverain zusteht, der in der Ausübung seiner Hoheitsrechte keiner Aufsicht und Verantwortung unterworfen ist. . — Da indessen der Ausdruck Gnadenact dem eben dargestellten Mißverständniß Raum giebt, und in der That zu einem unnöthigen und unfruchtbaren Streit geführt hat, und da auch durch die Anwendung jenes Ausdrucks nicht das Geringste gewonnen wird, so ist es allerdings besser, denselben in der Lehre von der Restitution ganz zu vermeiden. Es kommt hinzu, daß auch selbst bei der criminalrechtlichen Restitution der Ausdruck Gnade ohne Zweifel nur dadurch allgemeine und unbedenkliche Anerkennung gefunden hat, daß dieses Recht mit der hohen Stellung des Souverains verbunden ist, eine Stellung, mit welcher doch die des Prätors in keiner Zeit verglichen werden konnte. §. 318. Restitution. — Bedingungen. — I. Verletzung . In der Lehre von der Restitution selbst, wozu durch die bisherige Untersuchung der Grund gelegt werden sollte, sind nunmehr zuerst die Bedingungen aufzustellen, unter welchen ein Anspruch auf diese außerordentliche Rechtshülfe §. 318. Bedingungen der Restitution. I. Verletzung. entsteht; durch diese Bedingungen werden zugleich die ein- zelnen Arten und Fälle der Restitution bestimmt. Sodann sind die Regeln anzugeben, nach welchen die Restitution zur Ausführung zu bringen ist: die dabei thätigen Behörden; die Parteien, zwischen welchen dieselbe zur Anwendung kommt; das Verfahren, welches dabei beobachtet wird, wo- hin auch die ihr eigenthümliche Verjährung gehört; endlich die mit diesem Rechtsmittel verbundene Wirkung. — Jenes erste Stück der ganzen Untersuchung läßt sich als der mate- rielle, dieses zweite als der formelle Theil der Lehre von der Restitution bezeichnen. Die Bedingungen der Restitution sind zunächst in fol- gender kurzen Uebersicht zusammen zu stellen. Die erste Bedingung ist eine Verletzung , die durch dieses Rechtsmittel aufgehoben werden soll. Die zweite ist ein Restitutionsgrund , woraus der Anspruch auf diese außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten ist. Die einzelnen Restitutionsgründe bilden zugleich die einzelnen Arten der Restitution selbst. Die dritte Bedingung endlich besteht in der Abwesenheit derjenigen positiven Ausnahmen , wodurch die Restitu- tion, auch unter Voraussetzung jener ersten Bedingungen, gänzlich ausgeschlossen wird. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die erste Bedingung also ist eine erlittene Verletzung (Läsion). Man könnte geneigt seyn, darunter eine Rechts- verletzung zu verstehen, also diese für die Voraussetzung zulässiger Restitution zu halten. Dieses ist aber so wenig anzunehmen, daß vielmehr im Fall einer wahren Rechts- verletzung (z. B. Raub oder Diebstahl) die gewöhnlichen Klagen völlig ausreichen werden, wodurch die Restitution überflüssig, also unzulässig wird. Unter der Verletzung, als Grundbedingung der Restitu- tion, ist eine wahre Veränderung des Rechtszustandes zu verstehen, und zwar eine solche, die einen Nachtheil mit sich führt für Den, welcher die Restitution sucht (§ 315). Eine wahre Veränderung des Rechtszustandes aber kann nur als eine an sich rechtmäßige, vom Recht anerkannte, gedacht werden, sonst würde höchstens von einer thatsäch- lichen Aenderung, einer gehemmten Ausübung des Rechts, die Rede seyn können. Eine solche Veränderung kann herbeigeführt seyn ent- weder durch Thun oder durch Unterlassen. Das Thun heißt in diesem Fall ein gestum, eine juristisch wirksame Thätigkeit L. 1 § 1. L. 7 pr. de minor. (4. 4). „Quod cum mi- nore … gestum esse dicetur. — Gestum accipimus, qualiter qualiter: sive contractus sit, sive quid aliud contigit.“ . Die dadurch in Nachtheil gebrachten Per- sonen heißen lapsi, capti, circumventi, circumscripti L. 1 de in int. rest. (4. 1), L. 24 § 1. L. 44 de minor. (4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2). ; §. 318. Bedingungen der Restitution. I. Verletzung. es würde aber irrig seyn, diese Ausdrücke hier von einer Unredlichkeit des Gegners (einem Betrug) zu verstehen, die dabei ganz gleichgültig ist, indem der Nachtheil auch blos durch Leichtsinn oder Unerfahrenheit des Betheiligten selbst entstanden seyn kann L. 11. § 4. L. 44. de minor. (4. 4). — So heißt es auch: „na- turaliter licere contrahentibus se circumvenire (circumscri- bere).“ L. 16 § 4. de minor. (4. 4), L. 22 § 3 loc. (19. 2), mit welchem Ausdruck ein Uebervor- theilen ohne Betrug bezeichnet wird, da der Betrug in keinem Fall als erlaubt gedacht werden kann. — Anderwärts werden diese Aus- drücke allerdings auch gebraucht, um einen Betrug zu bezeichnen. . Als Verletzung ist ferner nicht blos eine schon vollendete Verminderung des Rechtszustandes anzusehen, sondern auch schon die Verwandlung eines sicheren Rechts in ein zwei- felhaftes oder bestrittenes, da die Verfolgung dieses letzten wenigstens Mühe, Kosten, so wie die Gefahr des nach- theiligen Ausganges eines Rechtsstreites nach sich zieht L. 6 de minor. (4. 4) „… cum intersit eorum, li- tibus et sumtibus non vexari.“ Eine erläuternde Anwendung dieser Regel findet sich in L. 40 pr. eod. . Es ist eine sehr bestrittene Frage, ob zur Restitution nur allein die Verminderung des schon erworbenen Ver- mögens geeignet sey, oder auch die versäumte Vermehrung desselben ( lucrum ). Die Anwendung auf diesen letzten Fall, also die günstigere und freiere Behandlung, ist für die Re- stitution der Minderjährigen nach mehreren Stellen unzwei- felhaft L. 7 § 6 de min. (4. 4), „Hodie certo jure utimur, ut et in lucro minoribus subve- niatur.“ L. 44 eod., L. 17 § 3 de usuris. (22. 1). . Da nun für andere Fälle der Restitution das Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap IV. Verletzung. Gegentheil gesagt zu seyn scheint L. 18 ex quib. caus. (4. 6) „Sciendum est, quod in his casibus restitutionis auxilium majoribus damus, in quibus rei duntaxat persequendae gra- tia queruntur, non cum et lucri faciendi ex alterius poena vel damno auxilium sibi im- pertiri desiderant.“ , so ist daraus von Manchen die Regel gebildet worden, die Minderjährigen seyen gegen Verlust und gegen entbehrten Gewinn zu restituiren, Andere nur gegen Verlust Puchta , Pandekten § 101 Note d. . — In der That aber ist der Gegensatz auf einem anderen Punkte zu suchen, und die Minderjährigen stehen hierin mit allen übrigen zur Re- stitution Berechtigten ganz auf gleicher Linie. Es muß nämlich unterschieden werden zwischen einem solchen Ge- winn, wodurch ein Anderer an seinem schon erworbenen Vermögen verkürzt wird, und dem Gewinn, wobei dieser Fall nicht eintritt. Der erste soll niemals Grund einer Restitution werden können, weder für einen Minderjährigen, noch für irgend einen Andern. Daher gilt keine Restitution für die Versäumniß einer Strafklage, durch welche der Beklagte um eben so viel ärmer, als der Kläger reicher, wird L. 37 pr. de min. (4. 4) (von Minderjährigen). — L. 18 ex quib. caus., s. o. Note f; in dieser Stelle liegt der Accent nicht auf lucri faciendi, sondern auf ex alterius poena vel damno. Es ist also die Rede von den zweiseitigen Strafklagen, s. o. B. 5 § 210. — Dieselbe Natur haben die Fideicommißzinsen, wenn der belastete Erbe die Auszahlung des Fideicommisses ohne seine Schuld unterlassen hat. Auch für diese soll selbst der Minderjährige keine Restitution erhalten. L. 17. § 3 de usur. (22. 1). . Eben so auch gilt keine Restitution, wenn ein §. 318. Bedingungen der Restitution. I. Verletzung. Erwerb durch Usucapion versäumt wird, weil auch diese Erweiterung des Vermögens nur durch einen gleich großen Verlust in dem Vermögen des bisherigen Eigenthümers bewirkt werden kann L. 20 ex quib. caus. (4. 6). . — Gegen die Versäumniß des- jenigen Gewinns aber, wodurch nicht zugleich einem Anderen schon erworbenes Vermögen entzogen wird, soll allerdings Restitution ertheilt werden, wenn ein Restitutions- grund vorhanden ist. Dahin gehört der Fall, wenn der Erwerb einer Erbschaft oder eines Legates versäumt worden ist durch Minderjährigkeit L. 1. 2 C. si ut omissam (2. 40). , oder wenn der ernannte Erbe oder Legatar das ihm zugedachte Recht wegen Ab- wesenheit im Kriegsdienst eingebüßt hat L. 17 pr. § 1. L. 41 ex quib. caus. ; denn wenn diese durch Restitution in die frühere Lage zurück versetzt werden, so erlangen sie Etwas, das damals noch zu keines anderen Menschen Vermögen gehört hat. Man kann also mit Recht von der Restitution der Abwesenden, eben so, wie von der der Minderjährigen, sagen, daß sie auch auf versäumten Gewinn angewendet werden könne L. 27 ex quib. caus. (4. 6) „Et sive quid amiserit, vel lucratus non sit, restitutio fa- cienda est, etiamsi non ex bonis quid amissum sit.“ Es ist wohl zu bemerken, daß diese Stelle aus demselben Buche her- rührt, wie die oben in der Note f abgedruckte L. 18 eod. (Paul. lib. XII ad Ed.) , so daß an einen Widerstreit der alten Juristen unter sich nicht zu denken ist. , und Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. zwischen beiden Fällen der Restitution ist hierin in der That kein Unterschied Die hier gemachte Unter- scheidung ist schon aufgestellt von Cujacius in Paul. lib. XII ad Ed., opp. T. 5 p. 167. — Auch Burchardi S. 60—69 behauptet ein gleiches Recht der Minderjäh- rigen und der Volljährigen. Ohne Grund aber behandelt er S. 132 die bei den Strafklagen unzuläs- fige Restitution als eine ganz ver- einzelte Ausnahme, welche viel- mehr wesentlich in diesen Zu- sammenhang gehört. . Die Thatsache der Verletzung, also des erlittenen Nach- theils durch Veränderung des Rechtszustandes, muß so, wie jede andere Thatsache, wenn sie bezweifelt wird, von Dem, welcher die Restitution sucht, erwiesen werden, und es ist ganz ohne Grund von Manchen behauptet worden, ein solcher Beweis sey nicht erforderlich, es komme vielmehr blos auf die Behauptung des Nachtheils an L. 7 § 3. L. 35. 44 de min. (4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2), L. 5 pr. C. de in int. rest. min. (2. 22), L. 1 C. si adv. vend. pign. (2 29). — Burchardi S. 57 — 59. S. 448. § 319. Restitution. — Bedingungen . — I. Verletzung . (Fortsetzung.) Die Natur der Verletzung, welche für jede Restitution vorausgesetzt wird, ist nun noch zur Anschauung zu bringen durch eine Uebersicht der Arten der Rechtsverhältnisse, in welchen dieselbe vorkommen, und zu dem Bedürfniß einer Restitution hinführen kann Burchardi § 9, wo über die meisten dieser Anwendungen Beweisstellen in großer Zahl zu- sammen gestellt sind. . §. 319. Bedingungen d. Restitution. I. Verletzung. (Forts.) Im Sachenrecht erscheint die Ersitzung als der häu- figste Fall einer solchen, die Restitution veranlassenden Ver- letzung. Wenn nämlich ein Eigenthümer das Eigenthum seiner Sache dadurch verliert, daß ein Anderer dieselbe usu- capirt, welches zu verhindern er selbst unterlassen hat, so kann die Restitution gegen diese Unterlassung zur Herstel- lung des Rechtszustandes führen, welcher vor vollendeter Ersitzung vorhanden war So bei Minderjährigen L. 45 pr. de min. (4. 4). — Eben so, wenn die Ersitzung gegen einen Abwesenden, oder umgekehrt von Seiten eines Abwesenden, vorge- nommen wird. L 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6). . — Dieselbe oder eine ähn- liche Natur hat der Verlust einer Servitut durch Nicht- gebrauch. — Ferner der Verlust eines prätorischen Erb- rechts durch die versäumte Agnitionsfrist. — Endlich würde auch der Verlust eines Klagerechts durch Verjährung ganz dieselbe Natur haben, wenn nicht dafür folgende abwei- chende Vorschriften gegeben wären. Gegen die dreißig- jährige Klagverjährung nämlich soll gar keine Restitution gelten, selbst für Minderjährige nicht; die kürzeren Klag- verjährungen sollen während der Minderjährigkeit des Klag- berechtigten gar nicht laufen, ohne daß es einer Restitution bedarf; die übrigen Restitutionsgründe sind bei ihnen eben so anzuwenden, wie bei dem Verlust durch Ersitzung oder bei anderen Verletzungen S. o. B. 3 Beilage VIII. Num. XXVII. . Im Obligationenrecht findet sich die ausgedehnteste Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Anwendung der Restitution. — Sie kommt vor bei allen Arten von Verträgen, wodurch zum Nachtheil einer Person Obligationen gegründet werden können. Insbesondere also bei Kauf und Verkauf, bei Miethverträgen, Societäten. Ferner bei einem aufgenommenen Darlehen, wenn der Em- pfänger das geliehene Geld ganz oder zum Theil verschwen- det L. 24 § 4. L. 27 § 1 de min. (4. 4). . Bei einer Intercession für die Schuld eines An- deren L. 50 de min. (4. 4). . Bei dem Compromiß auf einen Schiedsrichter L. 34 § 1 de min. (4. 4). . — Eben so ist aber auch die Restitution anwendbar auf viele Handlungen, wodurch Obligationen aufgelöst werden. Dahin gehört von Seiten des Gläubigers die Novation, wenn er durch dieselbe eine weniger sichere Art der Schuld, oder einen weniger zahlungsfähigen Schuldner empfängt L. 27 § 3. L. 40 pr. de min. (4. 4). . Ferner die Befreiung des Schuldners durch Acceptilation L. 27. § 2 de min. (4. 4). . Der Empfang einer Zahlung, wenn das empfangene Geld verschwendet wird L. 24 § 4. L. 27 § 1. L. 47 § 1 de min. (4. 4). L. 32 § 4 de admin. (26. 7). Der Grund ist derselbe, wie bei dem empfangenen und verschwendeten Darlehen, nur soll es mit der Restitution gegen das Darlehen leichter genommen werden, weil das Geben eines Darlehens willkürlich sey, die Zahlung der Schuld eine noth- wendige Handlung. . Von Seiten des Schuldners gehört dahin die Zahlung einer Schuld, die er vermeiden könnte, weil sie nicht klagbar ist L. 25 pr. de min. (4. 4). . Ferner das Hingeben einer §. 319. Bedingungen d. Restitution. I. Verletzung. (Forts.) Sache an Zahlungsstatt, wenn diese mehr werth ist als die Schuld L. 40 § 1 de min. (4. 4). . Im Erbrecht ist die Restitution anwendbar, wenn eine nachtheilige Erbschaft angetreten wird, und der Erbe davon befreit zu werden verlangt L. 6 de in int. rest. (4. 1), L. 21 § 5 quod metus (4. 2), L. 7 § 5. 10, L. 22, L. 29 § 2, L. 31 de min. (4. 4), L. 85 de adqu. her. (29. 2). — Nach L. 6 § 7 eod. könnte man glauben, der erzwungene Antritt einer Erb- schaft sey ipso jure nichtig, also ohne Restitution; es ist aber da wohl von einem simulirten, also blos scheinbaren Antritt, (fallens adierit) die Rede. Burchardi S. 366. . Eben so, wenn eine vor- theilhafte Erbschaft ausgeschlagen ist, die man nun wieder erwerben möchte, oder wenn die Agnitionsfrist für ein prä- torisches Erbrecht versäumt ist L. 21 § 6 qu. met. (4. 2), L. 7 § 10, L. 22, L. 24 § 2, L. 30 de min. (4. 4). L. 2 C. si ut omissam. (2. 40). . Endlich auch wenn die Erfüllung einer Bedingung versäumt wird, unter welcher Jemand zum Erben eingesetzt ist L. 3 § 8 de min. (4. 4). . Im Familienrecht kommt die Restitution vor, wenn eine Arrogation zum Nachtheil des Arrogirten vorgenommen wird, und dieser hinterher in seine frühere Unabhängigkeit hergestellt zu werden verlangt L. 3 § 6 de min. (4. 4). Es darf also nicht behauptet werden, daß jede capitis deminutio der Restitution entzogen sey, wie es nach L. 9 § 4 eod. scheinen könnte. Burchardi S. 129 — 132. . Im Prozeßrecht endlich findet sich eine besonders häufige und wichtige Anwendung der Restitution L. 7 § 4 de min. (4. 4). „Sed et in judiciis subvenitur, sive dum agit sive dum con- venitur, captus sit.“ . — Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Dazu gab besondere Veranlassung der alte Römische Prozeß, dessen theilweise strenge und harte Formen häufig zu dem Bedürfniß einer billigen Ausgleichung bloßer Versehen durch Restitution führten. — Aber auch in den Quellen des Ju- stinianischen Rechts finden sich viele Anwendungen der Restitution auf den Prozeß. Dahin gehört die Restitution wegen einer versäumten Anführung im Rechtsstreit, wegen einer versäumten Appellationsfrist, wegen der unvorsichtigen Zuschiebung eines Eides, wegen der aus dem Ungehorsam gegen richterliche Verfügungen hervorgehenden Nachtheile L. 36 de min. (4. 4), L. 7 § 11. 12, L. 8 de min. (4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2). . — Die wichtigste Restitution dieser Klasse aber ist die gegen ein rechtskräftiges Urtheil, selbst wenn dieses von derselben richterlichen Obrigkeit herrührt, die jetzt die Restitution er- theilen soll L. 16 § 5, L. 17, L. 18, L. 29 § 1, L. 42 de min. (4. 4), L. 8 de in inst. rest. (4. 1), tit. Cod. si adv. rem jud. (2. 27). — Blos eine einzelne Anwendung davon ist die Restitution gegen das possidere jubere. L. 15 § 2 ex. qu. c. majorem (4. 6), L. 15 § 33 de de damno inf. (39. 2). . Diese Restitution hat eine ähnliche Wir- kung, wie die Appellation, nämlich wiederholte Prüfung und mögliche Abänderung eines gesprochenen Urtheils L. 42 de min. (4. 4), L. 18 de interrog. (11. 1). Der Unterschied liegt darin, daß die Appellation den ungerechten In- halt des Urtheils geltend macht, die Restitution das eigene Versehen des Betheiligten oder den aus dem Benehmen des Gegners entsprun- genen Nachtheil. L. 17 de min. (4. 4). . Dabei liegt der Gedanke zum Grunde, daß der unterliegende Theil, der die Restitution sucht, durch geschicktere Führung §. 319. Bedingungen d. Restitution. I. Verletzung. (Forts.) des Rechtsstreits ein anderes Urtheil herbeigeführt haben würde. — In Anwendung dieser Regel kann auch gegen eine ertheilte Restitution wiederum Restitution gesucht, und so die Wirkung der ersten Restitution entkräftet werden L. 7 § 9 de min. (4. 4). Eine einzelne Ausnahme bei den Peculien enthält L. 8 § 6 C. de bon. quae lib. (6. 61). Bur- chardi S. 99. 248. . Bezog sich die erste Restitution auf das einfache Rechts- verhältniß zwischen zwei bestimmten Personen, wie z. B. die Aufhebung eines Kaufvertrags, so bedarf es nicht immer der zweiten Restitution; vielmehr kann der Gegner, der die Herstellung des ursprünglichen Zustandes durch Klage ver- langt, mit einer bloßen Einrede zurückgewiesen werden, indem es in der freien Willkür des Restituirten steht, die ihm ertheilte Wohlthat unbenutzt zu lassen L. 41 de min. (4. 4), quia cuique licet contemmere haec, quae pro se introducta sunt.“ Anders verhält es sich mit der Restitution gegen den An- tritt oder die Ausschlagung einer Erbschaft ( L. 7 § 9 de min. ) wegen des unbestimmten Verhältnisses zu vielen verschiedenen Personen. . — Man möchte glauben, auf gleiche Weise könne gegen die Ver- sagung einer Restitution wiederum Restitution verlangt werden. Dieses ist aber in der Regel unzulässig, und es gilt gegen die Versagung blos die Appellation L 1 C. si saepius (2. 44). Mit Unrecht behauptet Burchardi S. 95, die L. 38 pr. de min. (4. 4) stehe damit im Widerspruch und sey daher als Machtspruch des Kaisers anzusehen. Die Sache muß vielmehr so gedacht werden, daß sie durch Appellation an den Kaiser gelangt war, welcher da- durch zur letzten Entscheidung com- petent wurde. , weil sonst eine endlose Wiederholung der Restitutionsgesuche ge- VII. 9 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. stattet seyn würde. Nur ausnahmsweise darf auch gegen die Versagung Restitution gesucht werden, wenn dieses Gesuch durch neue Gründe unterstützt werden kann L. 2. 3 C. si saepius (2.44). . §. 320. Restitution . — Bedingungen . — II. Restitutionsgrund . Die zweite Bedingung jeder Restitution ist ein Resti- tutionsgrund ( justa causa ), das heißt, ein besonderer (abnormer) Zustand des Verletzten, woraus der Anspruch auf diese außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten ist (§ 318). Auf diesen Restitutionsgrund vorzüglich bezieht sich die sehr freie Prüfung der richterlichen Obrigkeit, worin das eigenthüm- liche Wesen der Restitution besteht. Und nicht blos die that- sächliche Wahrheit des Restitutionsgrundes ist (so wie bei jeder gewöhnlichen Klage) Gegenstand der freien Prüfung, sondern auch die Frage, ob nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Restitution als nöthig und räthlich erscheint L. 3 de in int. rest. (4.1): „Omnes in integrum restitu- tiones causa cognita a Praetore promittuntur: scilicet ut justi- tiam earum causarum cxaminet , an verae sint, quarum nomine singulis subvenit.“ Schon Jo- hannes in der Glosse bemerkt richtig, daß hier verae zugleich den Begriff von justae in sich schließe, also nicht auf die blos factische Wahrheit zu beschränken sey. Daher ist die von Mehreren vorgeschlagene Emendation: exa- minet, et an verae sint, nicht gerechtfertigt. Vgl. auch L. 11 § 3. L. 24 § 5. L. 44 de min. (4. 4). . §. 320. Bedingungen d. Restitution. II. Restitutionsgrund. Für diese richterliche Prüfung aber sind zwei Gesichts- punkte von vorzüglicher Wichtigkeit. Der erste Gesichts- punkt geht dahin, daß der besondere Zustand des Verletzten, der den Restitutionsgrund ausmacht, in einem Causal- verhältniß mit der erlittenen Verletzung stehen muß. So z. B. ist ein Minderjähriger zu restituiren, wenn er eine schlechte Sache gekauft hat, aber nicht, wenn eine gekaufte gute Sache hinterher durch Zufall untergegangen ist L. 11 § 4 de min. (4. 4); eben so ist es bei einer angetre- tenen Erbschaft, die an sich nach- theilig seyn, oder erst durch spätere Zufälle nachtheilig werden kann. L. 11 § 5 eod. ; denn dieser Verlust konnte bei einem Volljährigen eben so eintreten, und war also nicht die Folge der aus der Jugend hervorgehenden Unerfahrenheit. Ist nun dieser Umstand selbst zweifelhaft, so soll auf die sonst bekannte Persönlichkeit des Minderjährigen gesehen werden, so daß Der, welcher sich in anderen Dingen besonnen und vorsichtig gezeigt hat, nicht so leicht restituirt werden soll L. 11 § 4 de min. (4. 4), L. 1 C. qui et adv. quos (2. 42). . — Eben so ist die Restitution wegen Abwesenheit zu versagen, wenn der ein- getretene Nachtheil nicht die nothwendige Folge der Ab- wesenheit war, sondern durch Besonnenheit hätte abgewendet werden können L. 15. § 3, L. 16, L. 44 ex quib. caus. (4. 6). . Ein zweiter Gesichtspunkt für die richterliche Prüfung soll dahin gerichtet seyn, daß nicht blos der einzelne Vor- theil oder Nachtheil des Verletzten berücksichtigt werde, son- 9* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dern zugleich die Gesammtheit der Verhältnisse. Daher soll einem Minderjährigen die Restitution nicht ertheilt werden, wenn dieselbe zwar einen mäßigen einzelnen Nachtheil von ihm abwenden, aber zugleich im Ganzen seinen Credit ge- fährden würde L. 7 § 8 L. 24 § 1 de min. (4. 4). — Aus demselben Grunde soll die Restitution versagt werden, wenn die Abwendung eines gering- fügigen Nachtheils nur mit dem ungleich größeren Nachtheil eines Anderen bewirkt werden kann. L. 4 de in int. rest. (4. 1). Dagegen ist es unrichtig, die Restitution blos wegen des geringen Betrags der Verletzung zu versagen. Bur- chardi § 8 und S. 126. . Es sind nunmehr die einzelnen im Edict angegebenen Restitutionsgründe anzugeben, welche zugleich die Grund- lage der, in den folgenden Paragraphen abzuhandelnden, besonderen Arten der Restitution bilden. Ich will damit anfangen, die quellenmäßigen Zeugnisse für das Daseyn derselben zusammen zu stellen. L. 1 de in int. rest. (4. 1) aus Ulpian lib. XII ad Ed. „… sub hoc Titulo plurifariam Praetor hominibus vel lapsis vel circumscriptis subvenit Ulpian sagt hier nicht blos, daß in diesen Fällen der Prätor Restitution zu ertheilen pflege ( subvenit ), sondern zugleich, daß er diese Restitution im Edict ankündige (sub hoc titulo sub- venit ). : sive metu, sive calliditate, sive aetate, sive absentia inciderunt in captionem.“ L. 2 eod. aus Paulus lib I. Sent. „Sive per status mutationem, aut justum errorem.“ §. 320. Bedingungen d. Restitution. II. Restitutionsgrund. Paulus Sent. I. 7 § 2 Dieses Zeugniß kann nicht als ein von dem vorhergehenden verschiedenes und unabhängiges angesehen werden; vielmehr wurden in die Digesten blos einige Worte aus den sententiae des Paulus aufgenommen, um die vorherge- hende Stelle des Ulpian zu er- gänzen. . „Integri restitutionem Praetor tribuit tribuit ist an sich zwei- deutig, es kann die wirkliche Er- theilung der Restitution bezeichnen oder zugleich die Ankündigung derselben im Edict. Da aber die meisten Fälle unzweifelhaft im Edict ausgesprochen waren, so ist die zweite Deutung wahrscheinlicher (Vgl. Note f ). ex his cau- sis, quae per metum, dolum, et status permutationem, et justum errorem, et absentiam necessariam, et in- firmitatem aetatis gestae esse dicuntur.“ Hierzu kommen folgende Titel des vierten Buchs der Digesten, deren Ordnung zugleich zu bemerken ist. Tit. 2. quod metus causa. (Codex II. 20). ‒ 3. de dolo malo. (Codex II. 21). ‒ 4. de minoribus XXV. annis. (Codex II. 22). ‒ 5. de capite minutis. ‒ 6. ex quibus causis majores. (Codex II. 51). ‒ 7. de alienatione judicii mutandi causa facta. (Codex II. 55). Vier unter diesen Restitutionsgründen kommen überall gleichmäßig vor, und bedürfen daher keiner Rechtfertigung: Zwang, Betrug, Minderjährigkeit, Abwesenheit. — Bei Ulpian aber fehlt zuerst die capitis deminutio. Es wird jedoch unten gezeigt werden, daß dieselbe von jeher nur den Namen und die äußere Form einer Restitution an sich trug, Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. während ihr die charakteristischen Eigenschaften einer wahren Restitution, das freie Ermessen und die kurze Verjährung, gänzlich fehlten. Daraus erklärt sich befriedigend die Aus- lassung derselben bei Ulpian . — Es fehlt bei demselben ferner unter den Restitutionsgründen der Irrthum. Viel- leicht ist der Grund dieser Auslassung darin zu suchen, daß im Edict der Irrthum als Restitutionsgrund nur in einem ganz vereinzelten Fall ausdrücklich erwähnt wurde; das Daseyn desselben hat übrigens keinen Zweifel, und wird gerade von Ulpian selbst in anderen Stellen am bestimm- testen bezeugt L. 1 § 1. 6 quod falso (27. 6). — Auch Gajus handelt davon in demselben lib. IV. ad Ed. prov., worin er die übrigen Restitu- tionsgründe darstellt. L. 10 eod. , verglichen mit L. 6. 19 quod me- tus, L. 6. 8. 23. 26. 28 de dolo, L. 12. 15. 25. 27 de min., L. 1. 8 de cap. min., L. 25 ex qu. c., L. 1. 3. 7 de al. jud. mut. . — Endlich fehlt bei Ulpian und bei Paulus die alienatio judicii mutandi causa, die doch in den Digesten in der Reihe der Restitutionstitel mit aufgeführt wird. Allein diese war zur Zeit der beiden angeführten Juristen als Restitution gänzlich verschwunden, indem ihr Zweck auf einem anderen Wege erreicht wurde (§ 316). Ueber die Zeitfolge, in welcher diese Restitutionsgründe in das Edict aufgenommen worden sind, fehlt es an be- stimmten Zeugnissen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß die Ordnung, in welcher sie im Edict standen, zugleich die Zeit ihrer Einführung bezeichnet, da ein innerer und prak- tischer Grund dieser Anordnung gewiß nicht behauptet werden kann. Die Ordnung der Restitutionsgründe im §. 320. Bedingungen d. Restitution. II. Restitutionsgrund. Edict aber stimmte gewiß mit der so eben angegebenen Reihefolge der Digestentitel überein, welche zugleich in den Titeln des Codex sich wieder findet. Eine Bestätigung liegt auch noch darin, daß die Hauptstellen des Ulpian in der Restitutionslehre aus dem lib. XI. und XII. ad Edictum genommen sind Zweifelhaft sind nur L. 2. 4. 6 de al jud. mut. (4. 7), die in der Flor. die Inschrift haben: lib. XIII., (bei Haloander : lib. XII. ), während L. 10 eod. auch in der Flor. überschrieben ist: lib. XII. ; ganz eben so die Hauptstellen des Paulus , und zwar beide gerade in der hier für das Edict vorausgesetzten Ordnung der einzelnen Restitutionsgründe. Hiernach nehme ich an, daß die einzelnen Restitutions- gründe in nachstehender Zeitfolge in das Edict aufgenommen worden sind, und daß hieraus zugleich die Reihefolge her- vorging, in welcher sie im Edict standen. 1. Zwang. 2. Betrug. Diese zwei Restitutionsgründe stehen nicht nur in den Digesten und im Codex, sondern auch in den oben abgedruckten Stellen des Ulpian und des Paulus , allen übrigen voran; ein anderer, als dieser geschichtliche Grund, läßt sich dafür schwerlich angeben. Beide Resti- tutionsgründe sind aber schon frühe durch gewöhnliche Klagen größtentheils entbehrlich gemacht und verdrängt worden, so daß sie jetzt nur noch in kleinen Ueberresten als Restitutionen erscheinen (§ 316. 317). Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. 3. Minderjährigkeit. Steht auch bei Ulpian als dritter Grund. 4. Capitis deminutio. 5. Abwesenheit. Steht bei Ulpian als vierter Grund, weil er die capitis deminutio in seiner Uebersicht übergeht. 6. Alienatio judicii mutandi causa. Als Restitutions- grund später verschwunden. 7. Irrthum. War im Edict nur in einem ganz ein- zelnen Falle erwähnt, wurde aber in den Digesten aus dem ursprünglichen unzweifelhaften Zusammenhang, worin dieser Grund im Edict vorkam, heraus genommen, und in das Vormundschaftsrecht verpflanzt ( Lib. 27 Tit. 6), augen- scheinlich aus Gründen des inneren Zusammenhangs. Eine ganz abweichende Ansicht von der hier aufgestellten Behauptung über die Zeitfolge der einzelnen Restitutions- gründe findet sich bei dem ausführlichsten neueren Schrift- steller über die Restitution Burchardi S. 148—150. S. 213—217. . Er nimmt als das älteste Edict das über die Abwesenheit an, aber in einer uns un- bekannten, später verschwundenen Gestalt. Darauf folgte das über die Minderjährigen, welches aber nicht vor der Mitte des ersten Jahrhunderts entstanden seyn soll. Darauf das gegenwärtige Edict über die Abwesenheit. Die Resti- tutionen wegen Zwang und Betrug sollen überhaupt nicht im Edict gestanden haben, sondern erst sehr spät durch die Römische Praxis eingeführt worden seyn, anstatt daß die §. 320. Bedingungen d. Restitution. II. Restitutionsgrund. persönlichen Klagen aus Zwang und Betrug sehr alt ge- wesen seyn sollen Von der Restitution wegen Betrugs haben wir allerdings keine Edictstelle übrig, da die L. 1 §. 1 de dolo (4. 3) augenscheinlich nur von der actio doli spricht. An- ders verhält es sich mit dem Zwang. Denn die Worte des Edicts: Quod metus causa gestum erit, ratum non habebo ( L. 1 quod metus 4. 2), sind so allgemein gehalten, daß sie allerdings wohl von einer Klage oder Einrede gemeint seyn konnten, aber eben so gut auch von einer Restitution, gerade so, wie das Edict über die Minder- jährigen: uti quaeque res erit, animadvertam ( L. 1 §. 1 de min. 4. 4), welches doch ohne Zweifel von einer Restitution, und nur von dieser, sprechen wollte. . — Die Begründung dieser abwei- chenden Meinung hängt großentheils mit der schon oben bekämpften Ansicht desselben Schriftstellers von der histori- schen Entwicklung der Restitution überhaupt zusammen (§ 317 Note g ); theilweise aber wird sie auf Vermuthun- gen gestützt, denen eine überzeugende Kraft nicht zugestanden werden kann. Die hier aufgestellte Anordnung des Edicts über die einzelnen Restitutionsgründe kann jedoch für unser wissen- schaftliches Bedürfniß nicht maßgebend seyn; vielmehr kommt es hier darauf an, die wichtigsten und reichhaltigsten Re- stitutionsgründe voran zu stellen. Ich werde daher die be- sonderen Arten der Restitution nach folgender Ordnung darstellen: 1. Minderjährigkeit. 2. Abwesenheit. 3. Zwang. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. 4. Irrthum. 5. Betrug Ich stelle den Betrug hinter den Irrthum, weil er in der That nur ein qualificirter Irrthum ist, und weil auf diese Weise die Re- stitution wegen Betrugs besser zur Anschauung gebracht werden kann. . 6. Antiquirte Restitutionsgründe. §. 321. Restitution . — Bedingungen . — III. Abwesenheit positiver Ausnahmen . Manche Schriftsteller stellen eine große Zahl ausgenom- mener Fälle auf, in welchen die Restitution außer Anwen- dung bleiben soll, auch wenn die beiden ersten Bedingungen (Verletzung und Restitutionsgrund) vorhanden seyen So z. B. Burchardi § 10. . Mehrere dieser Ausnahmen sind nur scheinbar, indem in den angeblichen Fällen derselben eine Verletzung gar nicht vorhanden ist Dahin gehören z. B. die Fälle der L. 1 C. si adv. don. (2. 39), und der L. 11 C. de transact. (2. 4). ; andere haben einen so vereinzelten Zu- sammenhang mit besonderen Rechtslehren, daß sie zweck- mäßiger bei diesen, als bei der Restitutionslehre, abgehan- delt werden Dahin gehört z. B. die wichtige Regel, daß gegen die dreißigjährige Klagverjährung keine Art der Restitution zugelassen werden soll, s. o. B. 3 Beil. VIII. Num. XXVII. . Ich beschränke mich hier auf diejenigen ausgenommenen Fälle, die eine allgemeinere Beschaffenheit haben, und eben dadurch zugleich eine vollständigere Ein- sicht in die Natur der Restitution selbst gewähren. §. 321. Bedingungen der Restitution. III. Ausnahmen. 1. Es soll keine Restitution gegeben werden gegen die nachtheiligen Folgen von Delicten , es mögen nun öffent- liche Verbrechen oder Privatdelicte seyn L. 9 § 2 de min. (4 4), über die Worte damnum deci- dere vgl. L. 17 § 1 de pact. und oben B. 5 S. 570. — L. 9 § 3 eod., L. 37 § 1 eod. ; in den Worten: nisi quatenus etc. liegt keine Hinweisung auf Restitution, sondern nur auf eine mitleidige Rücksicht bei arbiträren Strafen. — L. 1. 2 C. si adv. del. (2. 35). . — Im All- gemeinen folgt Dieses schon daraus, daß die Restitution vorzugsweise zum Schutz gegen Nachtheile durch ein Rechts- geschäft ( gestum ) eingeführt ist (§ 318 Note a ), unter welchen Begriff die Delicte nicht gehören. Bei öffentlichen Verbrechen folgt es auch daraus, daß deren Bestrafung nicht zum Geschäftskreise der die Civilgerichtsbarkeit lei- tenden Prätoren gehörte, die allein Restitution ertheilten. Nur bei blos culposen Delicten scheint die Restitution allerdings zulässig zu seyn. Ganz ausdrücklich wird dieser Unterschied anerkannt bei der Umgehung der Zölle (com- missum); deren Bestrafung soll im Fall der bloßen Culpa durch Restitution abgewendet werden können L. 9 § 5 de min. (4. 4). L. 16 § 9 de public. (39. 4). . Dasselbe Princip aber scheint eine, freilich dunkle, Stelle des Codex allgemein auszusprechen L. 1 C. si adv. del. (2.35) „.. si tamen delictum non ex animo, sed extra venit. .. in integrum restitutionis auxilium competit.“ Die Worte sed extra müßten dann von der Culpa er- klärt werden. Haloander’s Leseart sed ex contractu macht die Stelle gewiß nicht deutlicher. . Dann müßte die, in einer anderen Stelle scheinbar allgemein ausgedrückte, Versagung Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. der Restitution gegen die actio legis Aquiliae auch auf die Fälle böswilliger Verletzung beschränkt werden L. 9 § 2 de min. (4. 4). Der innere Zusammenhang der ganzen Stelle ist dieser beschrän- kenden Erklärung günstig. — Man könnte noch einwenden, daß auch das culpa divertere keine Resti- tution zulasse. ( L. 9 § 3 de min. ) Allein dieses erklärt sich aus der Verbindung mit dem adulteriam L. 37 § 1 eod. ); auch besteht das culpa divertere meist in vorsätz- lichen Handlungen, so daß hier der Ausdruck culpa durchaus nicht den Gegensatz gegen dolus be- zeichnen soll. — Bei dem Inceß gilt die Entschuldigung durch Irr- thum verbunden mit Jugend. L. 38 § 7 ad L. J. de adult. (48. 5), L. 4 C. de incest. (5. 5). . 2. Eine ganz gleichartige Ausnahme ist vorgeschrieben für diejenigen Verbindlichkeiten aus Verträgen, bei welchen dem Schuldner eine Unredlichkeit zur Last fällt L. 9 § 2 de min. (4. 4). Hier wird der dolus in contrac- tibus als ganz gleichartig mit den Delicten behandelt. . Als Beispiel dieser Ausnahme wird der Fall angeführt, wenn ein freier Minderjähriger sich unredlicherweise als Sklave verkaufen ließ, um an dem Gewinn aus dem Kaufpreise Theil zu nehmen L. 9 § 4 de min. (4. 4). . 3. Eine Restitution kann ferner nicht ertheilt werden, wenn das zum Nachtheil veränderte Rechtsverhältniß, seiner eigenthümlichen Beschaffenheit nach, einer Herstellung nicht unterworfen werden kann. In Anwendung dieser Regel sollte niemals eine ertheilte Freilassung durch Restitution entkräftet werden können L. 9 § 6 de min. (4. 4). L. 7 pr. de dolo (4. 3) (am Ende der Stelle). L. 1. 2. 3 C. si adv. lib. (2. 31). Nicht als Beschränkung dieser Regel kann es gelten, wenn in L. 10 de min. gesagt wird: „nisi ex magna causa hoc a principe fuerit consecutus“; . — Als Erweiterungen oder §. 321. Bedingungen der Restitution. III. Ausnahmen. Entwicklungen dieser Regel müssen noch folgende Bestim- mungen angesehen werden. Auch der Verkauf eines Sklaven war der Restitution nicht unterworfen, wenn der Käufer den erkauften Sklaven freigelassen hatte L. 48 § 1 de min. (4. 4). . Auch ein rechtskräftiges Urtheil, welches die Freiheit eines angeb- lichen Sklaven aussprach, sollte nicht durch Restitution umgestoßen werden können L. 9 de appell. (49. 1). L. 4 C. si adv. lib. (2. 31). . Dagegen war allerdings zulässig die Restitution gegen ein Rechtsgeschäft, wodurch erst eine künftige Freilassung herbeigeführt werden sollte L. 11 § 1. L. 33 de min. (4. 4). . Eben so konnte der Ver- letzte durch mancherlei Entschädigungsklagen geschützt werden, auch gegen den Freigelassenen selbst, wenn derselbe bei dieser Gelegenheit noch nach der Freilassung unrechtmäßige Handlungen verübt hatte L. 11 pr. L. 48 § 1 de min. (4. 4). . Nur aus der Zeit des Sklavenstandes war nach allgemeineren Grundsätzen eine Klage gegen den Freigelassenen nicht zulässig Aus den Handlungen der Sklaven entstand nach ihrer Frei- lassung, wenn es Verträge waren, nur eine naturalis obligatio ohne Klage, wenn es Delicte waren, gegen Fremde eine klagbare, gegen den Herrn selbst gar keine Obli- gation, s. o. B. 2 S. 424. 428. — Man könnte einen Zweifel ziehen aus dem etwas undeutlichen letzten Satz der L. 3 C. si adv. lib. (2. 31), indem man nämlich die Worte: ratio vestra laesa sit auf eine vor der Freilafsung nachlässig oder unredlich geführte Rechnung bezöge. Allein sie können eben so gut auf die Rechnungs- führung nach der Freilassung ge- deutet werden; ja diese Deutung . dieses ist blos eine historische Notiz über die zuweilen vorkommende ungewöhnlich freie Anwendung der kaiserlichen Macht in Rechtssachen. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die hier dargestellte Ausnahme von der Zulässigkeit der Restitution ist von Manchen so ausgedehnt worden, als ob sie auf alle Verhältnisse des Familienrechts bezogen werden müßte. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung ergiebt sich daraus, daß gegen die Arrogation unzweifelhaft allerdings die Restitution zuzulassen ist (§ 319). Dagegen muß allerdings die Zulässigkeit der Restitution gegen die Schließung einer Ehe verneint werden Burchardi S. 142, und die daselbst angeführten Schrift- steller. Puchta Pandekten § 107 Num. 2. . Im Römischen Recht findet sich davon keine Spur, und obgleich wegen der Leichtigkeit der Scheidung der Vortheil der Re- stitution weniger groß war, als er in unserm heutigen Recht seyn würde, so wäre doch auch für die Römer die Wirkung einer durch Scheidung und einer durch Restitution aufgehobenen Ehe in manchen Beziehungen verschieden ge- wesen. — In den Zusammenhang unsres heutigen Ehe- rechts aber paßt die Restitution durchaus nicht, die hier zwischen der Nichtigerklärung und der Scheidung gewisser- maßen in der Mitte stehen würde. Besonders einleuchtend wird Dieses, wenn man die einzelnen Restitutionsgründe erwägt. In den Fällen des Zwanges und des Betrugs nehmen wir die Nichtigkeit der Ehe an. Für die Restitution ist sogar nothwendig, weil jene Worte blos die buchstäbliche Wie- derholung eines weit älteren Re- scripts sind ( L. 10 C. de admin. 5. 37), worin sie gar keinen anderen Sinn haben können. Durch diese Wiederholung des älteren Rescripts sollte blos auf sehr überflüssige Weise die gesuchte Belehrung nach allen Seiten hin vervollständigt werden. §. 321. Bedingungen der Restitution. III. Ausnahmen. also würde eigentlich nur der Fall der Minderjährigkeit übrig bleiben, welcher unter Voraussetzung einer unvor- theilhaften, leichtsinnigen Ehe die Restitution herbeiführen, und den minderjährigen Gatten in die Lage zurück versetzen würde, in welcher er sich befände, wenn er gar keine Ehe geschlossen hätte. Diese Wirkung wäre stärker, als die einer Scheidung, und es wäre gewiß höchst inconsequent, diese stärkere Wirkung aus weit geringfügigeren Gründen zu ge- statten, als diejenigen sind, an welche das gemeine Recht der Protestanten die Ehescheidung knüpft. Vollends aber würde mit den Grundsätzen des katholischen Eherechts die Zulassung einer solchen Restitution völlig unvereinbar seyn. 4. Endlich soll auch die Restitution nicht gegeben werden, wenn schon die allgemeinen Rechtsregeln aus- reichen, um jede Verletzung abzuwenden L. 16 pr. de min. (4. 4). „Nam si communi auxilio et mero jure munitus sit, non debet ei tribui extraordinarium auxilium“. Tit. Cod. in quib. caus. (2. 41). ; denn nun fehlt das Bedürfniß der in der Restitution liegenden außer- ordentlichen Hülfe, und es kann das Dasein einer Ver- letzung als Grundbedingung der Restitution (§ 318) gar nicht behauptet werden. In Anwendung dieser Regel ist die Restitution als überflüssig zu versagen bei allen nichtigen Verträgen, z. B. wenn ein Unmündiger ohne Genehmigung des Vor- mundes einen Vertrag schließt L. 16 pr. § 1. 3 de min. (4. 4). . Ferner wenn ein Min- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. derjähriger die Klagverjährung seines Schuldners, die we- niger als dreißig Jahre dauert, ablaufen läßt; denn da diese kürzeren Verjährungen gegen minderjährige Klag- berechtigte ipso jure nicht laufen, so bedarf es dagegen keiner Restitution. Dagegen ist diese Regel nicht anzuwenden auf solche Fälle, worin neben der Restitution auch eine gewöhnliche Klage dem Verletzten zusteht, die ihm aber einen minder vollständigen oder minder sicheren Schutz gewährt, da die Restitution nicht blos gegen die unmittelbare Verminderung unsres Rechtszustandes Schutz gewähren soll, sondern auch gegen die Verwandlung eines sicheren Rechts in ein zwei- felhaftes und streitiges, dessen endliches Schicksal also un- gewiß ist Burchardi S. 107. — Dahin gehört die L. 16 §. 2 de min. (4. 4), deren Erklärung sehr bestritten ist. Vgl. o. B. 3 S. 463, und Burchardi S. 102. S. oben §. 318 Note g. . Unmündige und Minderjährige sind sehr gewöhnlich in der Lage, Verletzungen sowohl durch Restitution, als durch die actio tutelae gegen den Vormund abwenden zu können. Man könnte daher glauben, in solchen Fällen wäre die Restitution durch das ordentliche Rechtsmittel der Klage ausgeschlossen. Es ist aber ausdrücklich vorgeschrieben, daß sie nicht nur zwischen beiden Schutzmitteln unbedingt die Wahl haben, sondern selbst die einmal getroffene Wahl hinterher willkürlich umändern können L. 45 § 1 de min. (4. 4), L. 3. 5 C. si tutor (2. 25). — Nicht steht mit diesen Stellen im Widerspruch L. 39 §. 1 de min. (4. 4), welche am Schluß die Zahlungsfähigkeit der Curatoren . Dieses ist auch §. 321. Bedingungen der Restitution. II. Ausnahmen. keinesweges eine Abweichung von den eben dargestellten Vorschriften Manche behaupten mit Un- recht nicht nur eine solche Ab- weichung, sondern sie gehen noch weiter, indem sie annehmen, die Minderjährigen könnten nach dem neuesten Recht Restitution suchen ohne alle Rücksicht auf das Daseyn irgend eines ordentlichen Rechts- schutzes. Göschen Vorlesungen I. S. 537. 538. 557. , sondern vielmehr eine reine, einfache An- wendung derselben. Denn die actio tutelae ist bedingt durch den Beweis einer eigenthümlichen Verschuldung des Vormundes L. 1 pr. de tutelae (27.3), „praestando dolum, culpam, et quantam in rebus suis dili- gentiam.“ , dessen Führung stets unsicher ist, und wodurch also der Erfolg dieser Klage weit unsicherer wird, als der Erfolg der Restitution. §. 322. Restitution . — Einzelne Gründe . — I. Minderjährigkeit . Nachdem die allgemeinen Bedingungen der Restitution angegeben worden sind, sollen nunmehr die besonderen Arten derselben dargestellt werden, deren Zusammenhang mit den einzelnen Restitutionsgründen schon oben (§ 320) bemerkt worden ist. An die Spitze dieser einzelnen Restitutionsgründe stelle ich die Minderjährigkeit, weil in ihr das ganze Institut gar nicht als Grund und Be- dingung der vorhergehenden Ent- scheidung angiebt. Auch geht diese Entscheidung selbst gar nicht auf Versagung der Restitution, sondern auf Zulassung derselben, nur unter Voraussetzung der Er- stattung der Auslagen an den Gegner. Ohne diese Erstattung aber erhielte ja der Minderjährige eine Bereicherung auf fremde Kosten, wozu die Restitution niemals führen soll, s. o. §. 318 Note h. VII. 10 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. der Restitution in größter Vollständigkeit und Ausbildung erscheint. Auch haben die Römischen Juristen Vieles, das von ihnen als allgemeines Recht der Restitution überhaupt gedacht war, blos bei Gelegenheit dieses besonderen Falles der Anwendung, als des häufigsten und wichtigsten, vor- getragen. Es erscheint diese Restitution in den verschie- densten Gestalten, angewendet auf nachtheiliges Thun und Lassen jeder Art. Veranlassung zu derselben gab die sehr eigenthümliche Lage der Römischen Jugend, indem nach alten Rechts- grundsätzen Jeder, der nicht unter der väterlichen Gewalt stand, nur bis zur Zeit der Geschlechtsreife einem Vormund untergeben war, von dieser Zeit an aber sich selbst über- lassen, also allen Gefahren der Unerfahrenheit und des jugendlichen Leichtsinns ausgesetzt blieb. Gegen diese Ge- fahren wurden nun im Laufe der Zeit mancherlei Schutz- mittel durch Rechtsinstitute versucht Vergl. oben B. 3 § 111, und Savigny von dem Schutz der Minderjährigen, Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissenschaft B. 10 S. 232 — 297, besonders S. 258 bis 261. . Zuerst drohte die Lex Plätoria Strafen gegen Die, welche den Mündigen, der noch nicht fünf und zwanzig Jahre zurück gelegt hatte, unredlich übervortheilen würden, und führte dadurch den Begriff einer gesetzlich begränzten Zwischenzeit zwischen der Pubertät (14 und 12 Jahre) und 25 Jahren ein legitima aetas, minores (XXV annis) und majores; Minderjährige, im Gegensatz der Unmündigen (die allerdings auch Minderjährige sind) und der Voll- jährigen. . §. 322. Einzelne Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. Hieran anknüpfend versprach später der Prätor den Minder- jährigen den viel durchgreifenderen Schutz durch Restitution gegen jede Verletzung, die ihnen durch ihr Alter zugezogen werden könnte; und dieses Schutzmittel ist es, welches nun- mehr genauer dargestellt werden soll Die Zeit der Einführung dieser Restitution ist ungewiß; sie kann aber sehr alt seyn. S. oben § 320. . Noch später wurde für die Minderjährigen eine allgemeine Curatel zur Verwaltung ihres Vermögens eingeführt, ähnlich der Tutel der Unmündigen, dennoch in wichtigen Stücken davon ver- schieden. Der Grundgedanke dieser Restitution ging also dahin, die Mündigen unter 25 Jahren, die nach altem Rechts- grundsatz völlig freie Macht über ihr Vermögen hatten, gegen sich selbst in Schutz zu nehmen, indem die nachthei- ligen Folgen ihrer eigenen Handlungen und Unterlassungen durch Restitution beseitigt werden sollten L. 1 pr. de min. (4. 4). „.. quum inter omnes constet, fragile esse et infirmum hujus- modi aetatum consilium, et multis captionibus suppositum, multorum insidiis expositum, auxilium iis Praetor hoc edicto pollicitus est et adversus cap- tiones opitulationem.“ . Allmälig aber ging man über jenen Grundgedanken weit hinaus, und gestattete die Restitution der Minderjährigen auch in Fällen, worin das oben dargestellte Bedürfniß durch- aus nicht vorhanden war. So wurde diese Restitution auch den Unmündigen ge- währt. Zwar für ihre eigenen nachtheiligen Handlungen be- 10* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. durften Dieselben niemals einer Restitution, indem solche Handlungen schon an sich selbst unwirksam waren. Allein gegen die Nachtheile, die sie durch die Handlungen oder Unterlassungen ihrer Vormünder erlitten, sollten sie Re- stitution erhalten L. 29 pr. § 1, L. 38 pr., L. 47 pr. de min. (4. 4). — L. 2. 3. 5 C. si tutor (2. 25). — L. 4. 5 C. si adv. rem jud. (2. 29). — Diese Restitution be- zieht sich nun sowohl auf die eigene Verwaltung des Vormundes, als auf die von demselben ertheilte auctoritas. , obgleich auf diesen Fall der Grund, welcher die Restitution der Minderjährigen veranlaßt hatte, ganz und gar nicht paßte. — Auf gleiche Weise wurde auch den mündigen Minderjährigen, deren Vermögen unter die Verwaltung von Curatoren gestellt war, Restitution gegen die Handlungen dieser Curatoren ertheilt Beides natürlich nur dann, wenn der Tutor oder Curator etwas versehen hatte, nicht, wenn dessen zweckmäßige Handlung zufälligen Nachtheil herbeiführte (§ 320 Note b ). Vergl. Puchta Vor- lesungen S. 213. . In allen diesen Fällen also war das ursprüngliche Be- dürfniß einer solchen Restitution weit überschritten worden Burchardi S. 260. ; ja seit der allgemeinen Einführung einer Curatel für Min- derjährige war ein solches Bedürfniß überhaupt nur noch in sehr beschränktem Maße übrig geblieben. Dieses Letzte aber muß noch in höherem Grade behauptet werden von dem Standpunkte des heutigen gemeinen Rechts aus. Zuerst deswegen, weil jetzt eine und dieselbe Vor- mundschaft vom frühesten Lebensalter an bis zum vollen- deten fünfundzwanzigsten Jahre fortdauert, mit gleichen §. 322. Einzelne Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. Befugnissen, und ohne Unterscheidung von Tutel und Curatel Savigny Zeitschrift B. 10 S. 296. 297. . Zweitens auch aus dem Grunde, weil nach dem heutigen Recht der weit ausgedehntere obrigkeitliche Einfluß auf die Vormundschaft der Minderjährigen einen Schutz anderer Art gewährt Dieser Einfluß szeigt sich sowohl in den Bestellung der Vor- münder, als in der fortgehenden Aufsicht auf die Verwaltung, vor- züglich nach dem besonderen Recht einzelner Länder. , wodurch der außerordent- liche Schutz der Restitution entbehrlich wird. Bei unbefangener Erwägung dieser Umstände muß man sich überzeugen, daß ein innerer Grund des Fortbestehens der Restitution der Minderjährigen nicht mehr vorhanden ist. Für die Sicherheit derselben muß vielmehr durch die Verbesserung des Vormundschaftsrechts gesorgt werden, worin freilich noch viel zu leisten übrig bleibt. Höchstens könnte daran gedacht werden, die Fälle noch etwas zu er- weitern, in welchen schon das Römische Recht die Minder- jährigen ipso jure von solchen Nachtheilen frei erklärte, welche außerdem bei manchen Versäumnissen eintreten (§ 324); eine eigentliche Restitution aber ist hier gewiß nicht mehr an ihrer Stelle. §. 323. Restitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit. (Fortsetzung.) Für die Anwendung dieser Restitution auf einzelne Rechtsverhältnisse muß die allgemeine Bemerkung voraus Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. geschickt werden, daß hier ein noch freieres richterliches Er- messen, als bei den meisten übrigen Restitutionsgründen, unentbehrlich ist. Denn bei diesen (wie bei Zwang, Betrug, Irrthum) geht schon aus ihrem Begriff die Mangelhaftig- keit des einzelnen Rechtsgeschäfts hervor, gegen welches Restitution gesucht wird. Nicht so bei der Minderjährigkeit, die nur die allgemeine Möglichkeit mangelhafter Eigen- schaften eines Rechtsgeschäfts begründet, während das wirkliche Daseyn derselben erst aus der Prüfung jedes ein- zelnen Herganges erkannt werden kann (§ 320 Note c ). Allerdings muß, wenn eine Restitution wegen Zwang oder wegen Minderjährigkeit gesucht wird, die Thatsache des Zwanges eben sowohl bewiesen werden, als die Thatsache der Minderjährigkeit. Aus dem erwiesenen Zwang aber folgt dann die Mangelhaftigkeit des erzwungenen Geschäfts von selbst, anstatt daß aus der erwiesenen Minderjährigkeit noch gar nicht folgt, daß das Geschäft ein leichtsinniges, unüberlegtes, und deshalb mangelhaftes war, wenngleich es sich hinterher als nachtheilig in seinen Folgen darge- stellt hat. Die einzelnen Anwendungen aber auf Verhältnisse des Sachenrechts, des Obligationenrechts u. s. w. schließen sich ganz an die, schon oben (§ 319) zusammen gestellten, allge- meinen Regeln an, welche gerade bei der Minderjährigkeit vollständiger, als bei anderen Restitutionsgründen, vorkommen. Hier sind also nur noch diejenigen Fälle und Verhältnisse §. 323. Einz. Restitutionsgründe I. Minderjährigkeit. (Forts.) hervorzuheben, in welchen bei der Minderjährigkeit beson- dere Bestimmungen nöthig gefunden worden sind. 1. Veranlassung zur Restitution kann unter Anderm der Empfang einer Zahlung werden, wenn der Empfänger das empfangene Geld verschwendet oder verliert, z. B. durch Diebstahl (§ 310 Note i ). Gegen diese Gefahr wurden bei minderjährigen Gläubigern neben der Restitution mancher- lei Schutzmittel angewendet, namentlich Zahlung an einen Curator, worauf der Schuldner bestehen konnte, oder auch Niederlegung des gezahlten Geldes in einem Tempel. Da- durch wurde die Gefahr des Verlustes vermindert, also die Restitution meist factisch ausgeschlossen; eine unbedingte Ausschließung der Restitution lag darin nicht L. 7 § 2 de min. (4. 4), L. 1 C. si adv. solut. (2. 33). . Justinian fügte als neues Schutzmittel die Vorschrift hinzu, daß Kapitalzahlungen nur in Folge eines, dieselben gestattenden, richterlichen Erkenntnisses geleistet werden sollten; unter dieser Voraussetzung sollten sie recht sicher vorgenommen werden können L. 25 C. de admin. (5. 37), § 2 J. quibus alienare (2. 8). . Man hat diese Vorschrift gewöhnlich als Aenderung des früheren Rechts, und als unbedingte Ausschließung der Restitution aufgefaßt Burchardi S. 248. ; es ist aber dazu kein Grund vorhanden. Vielmehr sollte durch diese neue Form nur noch mehr Schutz gegen die Gefahr des Verlustes verschafft werden, wodurch dann das Bedürfniß der Restitution von selbst wegfällt Göschen Vorlesungen I. S. 557. Eigentlich stimmt mit dieser Ansicht auch Puchta überein, . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. 2. Besonders erwähnt wird der Fall, wenn der Gläu- biger eines Minderjährigen Pfänder verkauft, die nicht der Minderjährige selbst, sondern dessen Erblasser bestellt hatte. Gegen diesen Verkauf soll der Minderjährige höchstens Klagen gegen den Verkäufer oder gegen die Vormünder haben können, wenn dazu die Umstände geeignet sind; eine Restitution gegen den Käufer soll er nicht erhalten, und er soll gegen diesen überhaupt nur klagen können, wenn derselbe an einem unredlichen Verkauf wissentlich Theil genommen hat L. 2 C. si adv. vend. pign. (2. 37), L. 2 C. de praed. fisc. (5. 71). . Man hat diese Regel mit Unrecht so aufgefaßt, als ob darin eine positive Ausnahme von der Restitution der Minderjährigen enthalten wäre, und zugleich eine Aenderung des früheren Rechts Burchardi S. 229. 249. 250. . Eine positive Ausnahme ist es nicht, denn die Resti- tution bezieht sich nur auf Geschäfte der Minderjährigen oder ihrer Vertreter; der erwähnte Verkauf aber ist nicht ein Ge- schäft des Minderjährigen, sondern des aus eigenem Rechte handelnden Gläubigers. Auch läßt sich nicht behaupten, daß hierin früher ein anderes Recht gegolten haben sollte Man hat dafür folgende Stelle des Paulus I. 9 § 8 geltend machen wollen: „Minor adversus distractiones eorum pignorum et fiduciarum, quas pater obliga- verat, si non ita, ut oportuit, a creditore distractae sunt, re- stitui in integrum potest.“ Allein es ist durchaus nicht nöthig, diese Worte von einem materiell . Pandekten § 103 Note i und Vor- lesungen S. 213. Daß er in Ju- stinian’s Gesetz eine Modification des älteren Rechts annimmt, steht damit nicht im Widerspruch, denn die in diesem Gesetz vorgeschriebene Form war allerdings eine neue und positive Maßregel zur Sicher- heit. §. 323. Einz. Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Forts.) 3. Eine besondere Rücksicht verdient der Fall, wenn das minderjährige Alter zusammentrifft mit einer persönlichen Abhängigkeit des Minderjährigen von fremder Gewalt, wenn also die Frage entsteht von der Restitution gegen die Handlung eines minderjährigen Kindes in väterlicher Ge- walt, oder eines minderjährigen Sklaven. Für den Fall der väterlichen Gewalt gilt die einfache und durchgreifende Regel, daß der Minderjährige selbst gegen alle ihn treffende Nachtheile Restitution erhält, der Vater aber keinen Vortheil davon haben soll L. 3 § 4, L. 23 de min. (4. 4). . — Wenn also der Minderjährige Etwas zu erwerben versäumt oder ausschlägt, das nach allgemeinen Grundsätzen durch ihn in des Vaters Vermögen gekommen wäre, so ist dagegen keine Restitution zulässig L. 38 § 1 de min. (4. 4), . Anders, wenn derselbe ein Legat oder eine Erbeinsetzung ausschlägt, die ihm nach des Vaters Tod zufallen sollten, oder ein rein persönliches, nicht zum gewöhnlichen Vermögen gehörendes Recht, wie das Legat eines jus militiae L. 3 § 7. 8 de min. (4. 4). Das jus militiae gehörte zu den anomalischen Rechten auf unmittel- bare Lebensversorgung (S. o. B. 2 § 72). . Eben so, wenn er einen Erwerb unterläßt, der zum castrense peculium gehört haben würde, oder aus einem solchen Etwas veräußert. Wenn Dieses nach dem Tode des Minderjährigen an den Vater zurück- nachtheiligen, zu wohlfeilen Verkauf zu verstehen. Das non ita, ut opor- tuit deutet vielmehr auf die ver- nachlässigte Form des Pfandver- kaufs, und dabei hat das Recht der Anfechtung keinen Zweifel. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. fällt, so kann auch der Vater die Restitution erhalten, wozu der Sohn berechtigt gewesen wäre, gerade so, wie ein eigent- licher Erbe (welches hier der Vater allerdings nicht ist) die Restitution seines minderjährigen Erblassers geltend machen kann L. 3 § 9. 10 de min. (4. 4) Diese Stelle wird dadurch etwas undeutlich, daß zuerst die beson- dere Anwendung (aus Pompo- nius ) vorgetragen wird, dann der allgemeine Grundsatz, wodurch jene Anwendung erst Licht erhält. Cujacius in L. 6 de in int. rest., Opp. T. 1 p. 589. — Durch die Verkennung dieses ganz sicheren logischen Zusammenhangs läßt sich Burchardi S. 240 verleiten, dem Vater an dem gewöhnlichen Pe- culium ein quasi-erbschaftliches Recht zuzuschreiben, welches der Natur desselben völlig widerspricht. . Wenn eine minderjährige Ehefrau in väterlicher Gewalt steht, so hat sie die Aussicht, daß bei der Trennung der Ehe die Dos an sie zurückfällt; entweder indem alsdann die väterliche Gewalt schon aufgehört hat, oder indem sie ihre Mitwirkung zur Dotalklage so lange verweigert, bis der Vater stirbt. Wenn sie aber während der Ehe in eine Stipulation des Vaters auf Rückgabe der Dos an ihn einwilligt, so verwandelt sich dadurch das Recht auf die Dos in eine gewöhnliche Vertragsforderung, wodurch jene Aussicht der Frau zerstört ist. Daher liegt in der eben erwähnten Einwilligung eine eventuelle Veräußerung eigener Vermögensansprüche, gegen welche Veräußerung die minder- jährige Frau restituirt werden kann L. 3 § 5 de min. (4. 4). . Wenn der in väterlicher Gewalt stehende Minderjährige eine Schuld contrahirt, so ist dadurch stets er selbst klagbar §. 323. Einz. Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Forts.) verpflichtet, sowohl während der väterlichen Gewalt, als nach der Auflösung derselben S. o. B. 2 S. 54. . Daneben aber kann auch der Vater verklagt werden; insbesondere, wenn er Auftrag zur Uebernahme der Schuld gab, mit der actio quod jussu, wenn der Sohn ein Peculium hat, mit der actio de peculio L. 1 quod cum eo (14. 5). . Nach dem oben aufgestellten Grundsatz nun kann der Minderjährige, wenn er aus jener Schuld ver- klagt wird, Restitution verlangen, der Vater kann gegen die actio quod jussu oder de peculio keine Restitution ver- langen L. 3 § 4 de min. (4. 4). — Nach der älteren Meinung des Gajus sollte auch der Vater die Restitution haben, wegen seines Interesse an dem Peculium. L. 22 pr. eod. Vgl. Göschen Vorle- sungen I. S. 552. — Auch deutet Ulpian in der zuerst angeführten Stelle darauf hin, daß früher ab- weichende Meinungen über diese Frage bestanden. . Im Allgemeinen nun werden diese Sätze als richtig anerkannt, nur wird davon gewöhnlich folgende Ausnahme behauptet. Wenn der minderjährige Sohn mit Bewilligung des Vaters ein Darlehn aufnimmt, so soll gegen die Klage auf diese Schuld auch selbst der Sohn keinen Anspruch auf Re- stitution haben. Allein diese Ausnahme kann nicht als richtig eingeräumt werden Die Stellen, woraus man sie herleitet, sind L. 3 § 4 de min. (4. 4) und L. 2 C. de fil. fam. min. (2. 23). Die Untersuchung dieser Streitfrage findet sich in der Beilage XVIII. am Ende dieses Bandes. . Weit einfacher stellte sich die zuletzt abgehandelte Frage bei einem minderjährigen Sklaven. Dieser war aus seinen Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Verträgen weder während des Sklavenstandes, noch nach der Freilassung verpflichtet, hatte also dabei gar kein eigenes Interesse und kein Bedürfniß der Restitution. War aber der Herr aus solchen Verträgen verpflichtet, so hatte er eben so wenig Anspruch auf Restitution, als der Vater gegen die Verträge des minderjährigen Sohnes L. 3 § 11. L. 4 de min. (4. 4). . Nur in Einem Fall konnte von der Restitution eines minderjährigen Sklaven die Rede seyn, und hier wurde sie auch wirklich gegeben. Wenn demselben die Freiheit als Fideicommiß angewiesen war, und er sich wegen dieses Fideicommisses in ein nachtheiliges Geschäft einließ, so er- hielt er dagegen Restitution L. 5. de min. (4. 4). . §. 324. Restitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit . (Fortsetzung.) In mehreren Fällen haben Minderjährige keinen An- spruch auf Restitution; diese Fälle aber sind von verschie- dener, ja entgegengesetzter Natur. Einige derselben sind so zu denken, daß die Minder- jährigen die Restitution wegen einer durchgreifenderen Rechts- hülfe nicht bedürfen, indem der Nachtheil, der bei einem Volljährigen allerdings eintreten würde, den Minderjährigen ipso jure gar nicht treffen soll. — Dahin gehören folgende Fälle: §. 324. Einz. Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Forts.) 1. Die Verjährung einer dem Minderjährigen zustehen- den Klage, wenn dieselbe eine kürzere Frist, als dreißig Jahre, hat L. 5 C. in quib. caus. (2. 41). Gegen die dreißigjährige Klagverjährung ist jede Art von Restitution unzulässig. S. o. B. 3 S. 421. 425. . 2. In der Regel entsteht die Mora nur durch Mahnung des Schuldners. Wenn also ein minderjähriger Gläubiger diese Mahnung unterläßt, so würde er gegen diese Versäumniß restituirt werden können, er wird es aber nicht, weil sein Schuldner ipso jure in Mora ist L. 3 C. in quib. caus. (2. 41). . 3. Die Veräußerung gewisser Arten von Grundstücken, wenn sie ohne obrigkeitliches Decret geschieht, da dieselbe nun an sich nichtig ist L. 11 C. de praed. (5. 71), L. 2 C. de fid. min. (2. 24). — Die Veräußerung mit einem solchen Decret unterliegt nach den- selben Stellen der gewöhnlichen Restitution. . Andere Fälle dagegen sind so zu behandeln, daß dem Minderjährigen gegen eine erlittene Verletzung gar keine Rechtshülfe, also auch nicht die Restitution, gewährt werden soll, so daß er nun den Schaden unabwendlich zu tragen hat. A. Minderjährige können mit zwanzig oder achtzehn Jahren, je nach der Verschiedenheit des Geschlechts, vom Souverän für volljährig erklärt werden L. 2 C. de his qui. ven. (2. 45) . Dieses hat zunächst und hauptsächlich die Folge, daß sie frei von Vor- mundschaft werden, und die eigene Verwaltung ihres Ver- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. mögens erlangen; deswegen gehört die genauere Darstellung dieses Rechtsinstituts in die Lehre von der Vormundschaft. Hier aber muß die besondere Folge erwähnt werden, daß der Minderjährige für seine späteren Handlungen keine Re- stitution erhalten soll L. 1 C. eod. Das Verbot der Veräußerung ohne Decret (Note c ) hört durch die venia aetatis nicht auf. L. 3 C. eod. . Diese Bestimmung versteht sich nicht von selbst, hat vielmehr eine positive Natur, indem ein solcher Minderjähriger auch wohl so behandelt werden könnte, wie wenn er vor der venia aetatis gemeinschaftlich mit dem Curator gehandelt hätte, in welchem Fall er ja auch Restitution erhielt. — Gegen die Ertheilung der venia aetatis aber kann Restitution verlangt werden, da das Gesuch derselben allerdings noch in die Zeit der reinen, unmodifi- cirten Minderjährigkeit fällt L. 1 C. eod. . B. Wenn ein Rechtsgeschäft durch Eid bestärkt, der Eid aber seiner Form nach gültig ist, so soll der Minder- jährige keine Restitution dagegen erhalten S o. § 309 Note g. — Zur gültigen Form des Eides gehört die Mündigkeit des schwö- renden Minderjährigen, so wie die Abwesenheit des Zwanges. . C. Der Minderjährige, der sich unredlicherweise für volljährig ausgiebt, hat keinen Anspruch auf Restitution gegen das auf diese Weise eingegangene Rechtsgeschäft L. 2. 3 C. si minor. (2. 43). . Diese Vorschrift ist eine Folge der oben aufgestellten allgemei- neren Regel, nach welcher die Minderjährigen überhaupt keine Restitution erhalten sollen gegen irgend einen in Rechtsgeschäften verübten Betrug (§ 321 Note h ). §. 324. Einz. Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Forts.) Der bloße Irrthum des Gegners über das Alter des Minderjährigen, selbst wenn dessen eigener Irrthum hinzu- tritt, ist kein Hinderniß der Restitution L. 1. 3. 4 C. si minor. (2. 43). . Hat aber der Minderjährige seine Volljährigkeit aus Irrthum eidlich be- stätigt, so ist die Restitution unzulässig Dieses ist jetzt eine Folge der unter B. angegebenen allge- meinen Ausnahme. Früher wurde so unterschieden: der mündliche Eid über die Volljährigkeit sollte die Restitution gänzlich ausschließen, der schriftliche nur mit Vorbehalt eines durch Urkunden (nicht durch Zeugen) zu führenden Beweises der Minderjährigkeit. L. 3 C. si minor. (2. 43). . D. Gegen die Klagverjährung von dreißig oder mehr Jahren wird auch dem Minderjährigen keine Restitution gegeben (Note a ). Ganz unrichtig wäre die Annahme, daß die Restitution der Minderjährigen ausgeschlossen werde durch die obrigkeit- liche Bestätigung eines Rechtsgeschäfts. Allerdings wird dadurch in den meisten Fällen factisch die Restitution aus- geschlossen seyn, weil es an einer, aus den Mängeln des jugendlichen Alters entstandenen Verletzung fehlen wird So ist zu verstehen L. 7 § 2 de min. (4. 4). . Allein grundsätzlich ist die obrigkeitliche Bestätigung kein Hinderniß der Restitution. Dafür beweist die zulässige Re- stitution gegen den Verkauf eines Grundstücks mit obrig- keitlicher Genehmigung (Note c ), eben so gegen die venia aetatis (Note f ), und gegen den Empfang einer Zahlung in Folge eines richterlichen Erkenntnisses (§ 323 Note d ). Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung Die Restitution der Minderjährigen ist späterhin auf folgende andere Fälle gesetzlich ausgedehnt worden. Zuerst haben die respublicae dieses wichtige Recht er- halten L. 4 C. quib. ex caus. (2. 54). „Respublica minorum jure uti solet: ideoque auxi- lium restitutionis implorare potest. Vgl. L. 9 de appell. (49 1), L. 3 C de j. reip. (11. 29), L. 1 C. de off. ejus (1, 50). — Burchardi S. 257. , d. h. alle politische Corporationen, Stadtge- meinden jeder Art, und nach unserer Verfassung gewiß auch alle Dorfgemeinden Burchardi S. 261. . Dann ist dasselbe Recht auch den kirchlichen Corpora- tionen gegeben worden, den Kirchen und Klöstern Kirchen. C. 1. 3 X. de in int. rest. (1. 41). — Klöster. C. 6 eod., C. 11 X. de reb. eccl. (3. 13). . Viele Schriftsteller behaupten nun aber noch viele andere, eben so wichtige als bedenkliche Ausdehnungen. Die Re- stitution der Minderjährigen soll nämlich auch gestattet werden allen Corporationen überhaupt, namentlich der wichtigsten unter allen, dem Fiscus. Ferner den Wahn- sinnigen, Verschwendern und anderen bevormundeten Per- sonen. Diese Meinung hat auch in der Praxis häufig Eingang gefunden Glück B. 6 § 465, die daselbst und bei Burchardi S. 259. 263 angeführten Schriftsteller. Göschen § 188 und Puchta § 103 u. erzählen blos die häufige Praxis, ohne sich selbst über die Sache auszusprechen. Burchardi a. a. O. erklärt sich entschieden dagegen. . Dabei liegt die abstracte Be- hauptung zum Grunde, daß die Restitution der Minder- jährigen allen Denen gebühre, deren Angelegenheiten von §. 324. Einz. Restitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Forts.) fremden Händen verwaltet werden. Erwägt man aber, daß die Restitution der Minderjährigen eingeführt war für deren eigene Handlungen, und daß schon die Ausdehnung auf die Handlungen ihrer Stellvertreter weder besonders begründet, noch in ihren Folgen heilsam war (§. 322), so wird man um so mehr geneigt seyn müssen, jede weitere Ausdehnung zu verwerfen. Die Ausdehnung auf die poli- tischen und kirchlichen Corporationen war eine besondere Begünstigung, ein Privilegium, dessen Anwendung auf andere Fälle im Wege bloßer Abstraction völlig unzulässig ist. Die auf so irriger Theorie beruhende häufige Praxis ist denn auch nicht dazu geeignet, den erwähnten Rechtssatz zu begründen. Die erwähnten Zustände der Corporationen, der Wahn- sinnigen, der Verschwender, haben mehr wahre Analogie mit dem Zustand der Abwesenden, als der Minderjährigen. Bei der Restitution der Abwesenden werden wir darauf zurück kommen S. unten am Ende des § 328. , und da diese überhaupt in weit engere Grenzen der Anwendung eingeschlossen ist, so ist auch die Ausdehnung derselben weniger bedenklich. §. 325. Restitution. — Einzelne Gründe . — II. Abwesenheit . Die Hauptregeln, worauf dieser, sehr verschiedenartige Fälle umfassende, Restitutionsgrund beruht, sind folgende: VII. 11 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. I. Wer während seiner Abwesenheit Etwas unterläßt, und dadurch einen Verlust an Rechten erleidet, soll dagegen Restitution erhalten. II. Wer wegen der Abwesenheit eines Andern Etwas unterläßt, und dadurch selbst einen Verlust an Rechten er- leidet, soll dagegen Restitution erhalten Dieselbe Zusammenstellung beider Hauptklassen von Fällen findet sich in zwei Stellen des Ulpian : L. 1 pr. L. 21 pr. ex qu. c. (4. 6). . Die hier genannten Fälle sind aber erweitert worden durch die gleichartige Behandlung vieler anderen ähnlichen Zustände. Einige dieser Zustände wurden schon vom Prätor im Edict unmittelbar namhaft gemacht. Andere wurden durch die Juristen oder die Praxis der Gerichte hinzugefügt, fanden jedoch ihre Begründung schon in einer allgemeinen, auf solche Erweiterungen hindeutenden Clausel desselben Edicts. — Ich habe den Ausdruck: Abwesenheit als gemeinsame Bezeichnung aller dieser Fälle gewählt, weil gerade der Fall der Abwesenheit im Edict vorangestellt ist, und auch in der That den Grundbegriff bildet, an welchen sich die übrigen Fälle nach dem Gesetz der Analogie an- schließen. Ganz eben so bezeichnen auch Ulpian und Paulus diesen Fall der Restitution allgemein als absen- tia L. 1 de in int. rest. (4. 1), Paulus I. 7 § 2. . Andere Stellen der Römischen Juristen erwähnen diese ganze Art der Restitution nicht selten als restitutio §. 325. Einzelne Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. majorum , und auch der Digestentitel, der davon handelt, führt die allgemeine Ueberschrift: ex quibus causis majores XXV annis in integrum restituuntur. Hiernach möchte man glauben, es habe überhaupt außer der Restitution der Minderjährigen nur noch diese einzige Art der Restitution gegeben, da doch auch die Restitutionen wegen Zwang, Betrug und Irrthum ohne Rücksicht auf das Alter ertheilt wurden, und daher eben so, wie die der Abwesenden, als restitutiones majorum bezeichnet werden konnten. Es erklärt sich diese Ausdrucksweise aus dem Umstand, daß zur Zeit der alten Juristen, aus deren Schriften die Digesten größtentheils entstanden sind, die drei anderen eben genannten Fälle in der Lehre von der Restitution so sehr im Hintergrund standen (§ 320), daß man bei einer Uebersicht dieses In- stituts im Großen füglich die Minderjährigkeit und die Ab- wesenheit als die einzigen erheblichen Fälle der Anwendung in’s Auge fassen durfte Burchardi S. 148 erklärt diese Ausdrucksweise alter Juristen gerade umgekehrt daraus, daß An- fangs und lange Zeit hindurch Abwesenheit und Minderjährigkeit die einzigen Restitutionsgründe ge- wesen seyn sollen. . Diese Art der Restitution ist, ihrer Natur nach, sehr viel beschränkter, als die der Minderjährigkeit, indem diese letzte auf schädliches Thun und Lassen zugleich, und zwar vorzugsweise auf nachtheilige Rechtsgeschäfte, gerichtet ist, anstatt daß jene allein auf schädliche Unterlassungen An- wendung findet. 11* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Das Edict über diese Restitution ist uns ausführlich in den Digesten aufbewahrt L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6). Mehrere einzelne Stücke daraus werden nachher wiederholt und besonders erklärt. — Mit Unrecht behauptet Burchardi (s. o. § 320 Note l ), wir hätten hier eine neuere, von der ursprüng- lichen völlig verschiedene, Abfassung vor uns. Das Edict kann, so wie wir es jetzt lesen, sehr alt seyn, ja aus der Zeit der Republik her- rühren, wenngleich vielleicht die in der letzten Zeile erwähnten decreta principum später einge- schaltet seyn mögen. . Das Verständniß desselben wird erschwert durch manche fehlerhafte Leseart, noch mehr aber durch die verschlungene Construction eines einzigen sehr langen Satzes, welcher sich in drei einzelne Sätze auflösen läßt, die jedoch durch gemeinsame Schlußworte zusammen gehalten werden. Der erste dieser drei Sätze enthält den Schutz der Abwesenden, der zweite den Schutz gegen die Abwesenden, der dritte die auf beide Fälle gemeinschaftlich zu beziehende generalis clausula. Hinter den beiden ersten Sätzen stehen die für beide gemeinschaftlich geltenden Worte: earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea re experiundi potestas erit. Hinter dem dritten Satze endlich stehen die für alle geltenden Worte: in integrum restituam, wodurch zuerst ein abgeschlossener Sinn der ganzen Stelle entsteht. Auf diese Worte endlich folgt noch eine Einschränkung, die blos auf die generalis clausula zu beziehen ist. Nach dieser Uebersicht über die Anordnung der ganzen Stelle will ich die drei einzelnen Sätze derselben angeben: §. 325. Einzelne Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. 1. Si cujus quid de bonis deminutum erit Die Worte deminutum erit fehlen in der Florentina, stehen aber in alten Ausgaben und Hss. ( diminutum, diminutum est, oder erit ) und sind für den Sinn des Satzes ganz unentbehrlich. Sie bezeichnen den einen Fall des möglichen Verlustes durch Ent- ziehung des Eigenthums, z. B. durch Usucapion, im Gegensatz des anderen Falles, der in den Schlußworten steht, nämlich des Verlustes eines Klagerechts durch Verjährung. , cum is metu, aut sine dolo malo reipublicae causa abesset; inve vinculis, servitute Diese beiden Fälle ( vin- cula und servitus ) gehen nicht auf Abwesenheit, wohl aber auf Zustände, die eben so, wie Ab- wesenheit, unfähig machen, den Schaden abzuwenden. , hostiumque potestate esset; sive cujus actionis eorum cui dies exisse dicetur Hier müssen nun die spä- teren, gemeinsamen Worte hinzu gedacht werden: earum rerum actionem etc. .. in integrum restituam. . 2. Item si quis quid usu suum fecisse Die Florentina liest hier fecisset; Halvander’s Leseart fecisse empfiehlt sich durch die Einfachheit der Construction, in- dem dazu das unmittelbar vorher- gehende dicetur hinzu zu denken ist, so wie zu dem nachfolgenden consecutus esse, und solutus (esse) , so daß ein neuer Satz erst anfängt mit den Worten: aut cum eum invitum , welcher schließt mit dem nachfolgenden esse dice- tur. , aut, quod non utendo sit amissum Das Florentinische amisit ist ganz unhaltbar, weil dadurch der Gewinnende und der Ver- lierende vermengt werden. Die Leseart sit amissum ( Hal . amis- sum sit ) wird bestätigt durch L. 21 pr. eod. consecutus esse, actio- neve qua solutus ob id, quod dies ejus exierit, cum absens non defenderetur, inve vinculis esset, secumve agendi potestatem non faceret; aut cum eum invitum in jus vocare non liceret neque defenderetur, cumve Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. magistratus de ea re appellatus esset, sive cui per magistratus Das Florentinische pro magistratu ist ohne Sinn. Halo- ander’s per magistratus wird bestätigt durch L. 26 § 4 eod. sine dolo ipsius actio exemta esse dicetur Diese Worte regieren den vorhergehenden Theil der Stelle von den Worten aut cum eum an (Note h ). ; earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea re experiundi potestas erit; 3. Item si qua alia mihi justa causa esse videbitur, in integrum restituam Die Worte: in integrum restituam umfassen die ganze vor- hergehende Stelle in ihren drei Theilen. Dieser wörtliche Zu- sammenhang wird verkannt von Schröter S. 100. 109, dessen Erklärung nur möglich wäre, wenn hinter den vorhergehenden Worten experiundi potestas erit ein dabo stände, das aber nicht dasteht. ; quod ejus per leges, plebis scita, Senatusconsulta, Edicta, Decreta principum licebit Diese Einschränkung geht wohl blos auf die unbestimmte, und daher sehr umfassende clau- sula, mit welcher sie wörtlich allein in Verbindung steht. Der Inhalt versteht sich von selbst, und ist auch wahr für die vorhergehen- den Sätze. . Bei der Erklärung des Einzelnen werde ich zuerst die sehr verschiedenen Fälle des Restitutionsgrundes angeben, dann die Arten der Verletzung, die hier abgewendet werden sollen. Unter den Fällen des Restitutionsgrundes aber ist es nöthig, die Ordnung umzukehren, und zuerst von der generalis clausula, dann von den zwei voranstehenden, be- sonders angegebenen Fällen zu reden. Die generalis clausula Der Name generalis clau- sula, oder auch blos clausula, steht in L. 26 § 1. 9. L. 33 pr. ex qu. c. (4. 6). hat in den oben angegebenen §. 325. Einzelne Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. Worten des Edicts einen so allgemeinen Ausdruck erhalten, daß dadurch viele neuere Schriftsteller verleitet worden sind, in dieselbe den allgemeinen, völlig schrankenlosen Vorbehalt zu legen, der Prätor wolle überall restituiren, wo es ihm überhaupt gut dünke. Diese Auslegung hat in der neueren Praxis zu einer sehr verderblichen Willkür geführt. Sie muß aber durchaus verworfen werden, indem jene Worte nach ihrer wörtlichen Verbindung keinen anderen Sinn zu- lassen, als daß der Prätor, außer in den ausdrücklich ge- nannten Fällen der Abwesenheit u. s. w., auch in anderen Fällen restituiren wolle, wenn er dieselben verwandt, gleich- artig fände. Es war also blos der Vorbehalt einer Er- weiterung der vorstehenden Casuistik nach dem Gesetz einer wahren, ächten Analogie. Gerade so haben auch schon die alten Juristen in ihren Commentaren zum Edict jene Stelle aufgefaßt Vgl. die in der vorhergehenden Note angeführten Stellen. . Versuchen wir nun, aus den sehr zahlreichen einzelnen Anwendungen, in welchen uns dieser Restitutionsgrund vor- geführt wird, welchen wir blos der Kürze wegen mit dem Ausdruck Abwesenheit bezeichnen, auf dem Wege beson- nener Abstraction einen allgemeinen Begriff desselben zu bilden. Wir werden diesen Begriff dahin zu bestimmen haben, daß diese Restitution überall ertheilt werde, wo sich der Verlust eines Rechts dadurch ereignet, daß der Berech- tigte durch ein äußeres Hinderniß abgehalten wird, die Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Handlungen vorzunehmen, wodurch er den Verlust verhütet haben würde So ist der Begriff bereits richtig bestimmt worden von fol- genden Schriftstellern. Burchardi S. 152. 183. 191, Franke Bei- träge S. 73, Göschen Vor- lesungen I. § 193. . Die Abwesenheit des Berechtigten selbst, so wie die Abwesenheit des Gegners, an welchen der Be- rechtigte das Recht verliert, sind Hauptfälle, worin ein solches äußeres Hinderniß enthalten seyn kann; ganz auf gleicher Linie stehen viele andere Fälle, die mit der Ab- wesenheit mehr oder weniger Aehnlichkeit haben. Nachdem hierdurch der allgemeine Begriff dieses ganzen Restitutionsgrundes festgestellt worden ist, sind zunächst die einzelnen Fälle der Anwendung besonders zu betrachten. Diese lassen sich, nach der eben beendigten Erörterung über die generalis clausula, auf zwei Klassen zurück führen: Schutz der Abwesenden gegen andere Personen . Schutz anderer Personen gegen die Ab- wesenden . Jeder dieser Klassen werden zugleich diejenigen Fälle der generalis clausula zuzutheilen seyn, die bei den Römischen Juristen überhaupt zur Sprache gebracht worden sind. §. 326. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) §. 326. Restitution. — Einzelne Gründe . — II. Abwesenheit. (Fortsetzung.) Schutz der Abwesenden gegen andere Personen . Zuerst sind die im Edict genannten einzelnen Fälle zu- sammen zu stellen; diesen werden die aus der generalis clausula entnommenen Fälle anzureihen seyn. I. Metu absentes L. 1 § 1. L. 2 § 1. L. 3 ex q. c. (4. 6). . Damit sind Diejenigen gemeint, die sich von ihrem Wohnorte entfernt haben aus Furcht vor einem ernsten, wichtigen Uebel, und zwar aus einer wohlbegründeten Furcht. Die näheren Bestimmungen dieses Falles sind ohne Be- denken zu entnehmen aus den, für die actio quod metus causa genauer entwickelten Regeln. II. Reipublicae causa sine dolo malo absentes L. 1 § 1 cit. . Dieses wird als der Hauptfall der ganzen Klasse gedacht, und mag wohl den ersten Anlaß zur Aufstellung dieses ganzen Edicts gegeben haben. Unter respublica wird in den meisten anderen Rechts- regeln eine Stadtgemeinde verstanden, oft gerade im Gegen- satz des Römischen Staats. Hier heißt es aber ganz be- stimmt der Römische Staat, und zwar der Staat in seinem alten, reinen Begriff, so daß einestheils die Stadt- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. gemeinden L. 26 §. 9 eod. , anderntheils die der neuen kaiserlichen Ge- walt eigenthümlichen Stücke öffentlicher Thätigkeit So der fisci patronus. L. 33 pr. eod. — Eben so die verschiedenen Arten der procura- tores Caesaris. L. 35 §. 2 eod. , eigentlich nicht unter jenem Ausdruck begriffen waren, wohl aber allerdings als natürliche und billige Erweiterungen, in Folge der generalis clausula, in diese Restitution mit aufgenommen wurden. Hauptsächlich waren hier gemeint die im Dienst befind- lichen Soldaten L. 45 eod. ; eben so aber auch Civilbeamten aller Art Nähere Bestimmungen der dahin zu rechnenden Personen finden sich in folgenden Stellen: L. 33. § 1. 2, L. 34 §. 1, L. 35 pr. § 3 — 6, L. 38 pr. eod. , vorausgesetzt, daß diese nicht gerade in Rom selbst ihr Amt zu führen hatten, welches ihnen nicht als Ab- wesenheit angerechnet werden sollte L. 5 §. 1. L. 6 eod. — Die zur Garnison der Stadt Rom gehörenden Soldaten sollten da- gegen den Vortheil der Abwesen- den allerdings genießen. L. 7 eod. . Der Prätor hatte ausdrücklich ausgeschlossen Diejenigen, die dolo malo im Staatsdienst abwesend wären, d. h. die diesen Grund blos als Vorwand brauchten, während sie in der That dadurch nicht abgehalten waren, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen L. 1 § 1, L. 4, L. 5 pr. L. 36. eod. . — Die alten Juristen aber suchten außerdem genau zu bestimmen, mit welchen Zeit- punkten die Abwesenheit anfinge und aufhörte, die den §. 326. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) Beamten und Soldaten Anspruch auf Restitution zu geben geeignet wäre L. 32, L. 34 pr., L. 35 § 7. 8. 9, L. 37, L. 38 § 1 eod. . III. Qui in vinculis sunt L. 1 § 1, L. 9. 10 eod. . Es sind damit alle ihrer Freiheit Beraubte gemeint, ohne Unterschied, ob sie gefesselt oder blos eingesperrt sind, ob sie vom Staat, von einer Stadtbehörde, von mächtigen Privatpersonen, oder von Räubern gefangen gehalten werden. Diese Alle bedurften einer besonderen Erwähnung, weil sie gerade an ihrem Wohnorte gefangen seyn können, in welchem sie, ohne abwesend zu seyn, gerade so, wie Ab- wesende, außer Stand seyn können, für die Wahrnehmung ihrer Rechte selbst zu sorgen. IV. Qui in servitute sunt L. 1 § 1, L. 11. 12. 13 eod. . Dahin gehören diejenigen freien Menschen, die that- sächlich im Zustand von Sklaven leben, sey es, daß dieser Zustand auf bloßer ungerechter Willkür, oder auf einem Irrthum über ihre Freiheit beruht. Auch Diese bedurften aus demselben Grund, wie die vorher erwähnten, einer besondern Erwähnung. V. Qui in hostium potestate sunt L. 14, L. 15 pr. § 1 eod. . Dabei ist nicht gerade an kriegsgefangene Soldaten zu denken, weil diese vor der Gefangenschaft im Heere dienten, also schon vorher als reipublicae causa absentes unmittelbar unter dem Ausdruck des Edicts enthalten waren. Vielmehr Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. bezieht sich das hauptsächliche Bedürfniß dieser besondern Erwähnung auf Civilpersonen, die bei einem feindlichen Einfall in das Römische Gebiet von den Feinden in Ge- fangenschaft abgeführt wurden. Neben diesen, im Edict genannten Fällen werden nun noch folgende Fälle von den Römischen Juristen, in An- wendung der generalis clausula (einige mit namentlicher Erwähnung derselben), anerkannt. 1. Die Ehefrauen der Soldaten, die mit ihren Männern die Abwesenheit theilen L. 1. 2 C. de ux. mil. (2. 52). . Man muß Dieses eben so ausdehnen auf die übrigen Familienglieder, so wie auf die Familien der dem Civilstand angehörenden Staatsdiener. 2. Die von Stadtgemeinden an den Kaiser oder zur Besorgung von Stadtgeschäften abgeordneten Personen ( legati civitatum ) L. 8, L. 26 § 9, L. 35 § 1 L. 42 ex qu. c. (4. 6), L. 1 C. eod. (2. 54). . 3. Die Procuratoren des Kaisers und die fiscalischen Anwälte (Note d ). 4. Die, welche ihren Wohnort zum Zweck wissenschaft- licher Ausbildung ( studiorum causa ) verlassen L. 28 pr. eod. . 5. Wer durch Vertrag versprochen, und durch Bürgen versichert hat, einen bestimmten Ort außerhalb seines Wohn- sitzes nicht zu verlassen L. 28 § 1 eod. . §. 326. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) 6. Wer zur Strafe an einen fremden Ort verbannt ist Dieses konnten relegati seyn (die ihr Vermögen behalten), oder deportati (die es in der Regel verlieren). L. 26 § 1, L. 40 § 1 eod. Von den ersten wird gesagt, daß sie nur ex causa die Restitution erhalten; von den zweiten, daß sie dieselbe nur er- halten, wenn ihnen ausnahms- weise ihr Vermögen nicht entzogen ist, und nur nach erhaltener Be- gnadigung. . 7. Ungeborne Kinder L. 45 pr. eod. , welche allerdings in der Lage einer besonderen Schutzbedürftigkeit seyn können, indem ihnen eine Erbschaft bereits angefallen seyn kann, während sie noch keinen Tutor haben. 8. Der Inhaber einer Servitut, der sie durch Nicht- gebrauch verliert, weil eine Quelle zeitweise ausgetrocknet, oder ein Weg durch Ueberschwemmung zeitweise unbrauch- bar geworden ist; eben so, wenn dadurch der possessorische Schutz einer solchen Servitut verloren geht L. 34 § 1, L. 35 de serv. pr. rust. (8. 3), L. 14 pr. quem- adm, serv. (8. 6), L. 1 § 9 de itin. (43. 19). . 9. Wenn der Testamentserbe ein erbschaftliches Recht dadurch verliert, daß er aus Gehorsam gegen das Sc. Sila- nianum das Testament eine Zeit lang uneröffnet läßt L. 3 § 30. 31 de Sc. Silan. (29. 5). . § 327. Restitution. — Einzelne Gründe . — II. Abwesenheit . (Fortsetzung.) Bei der hier abgehandelten Klasse von Restitutions- fällen kommen zwei Streitfragen vor, die eine besondere Erörterung nöthig machen. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die erste dieser Streitfragen betrifft lediglich die Fälle der eigentlichen Abwesenheit. — Wenn man auf die Ursache derselben zurückgeht, so finden sich dabei zwei Gegensätze. Die Abwesenheit kann nothwendig oder willkürlich, sie kann löblich oder unlöblich seyn, wobei allerdings auch noch das Gleichgültige, als in der Mitte liegend, in Betracht kommt. Bei dem Hauptfall nun, der dem ganzen Institut zum Grunde liegt, der Abwesenheit im Staatsdienst, sind wir über die Anwendung jener Gegensätze nicht zweifelhaft; hier findet sich Nothwendigkeit und Löblichkeit vereinigt. Dieses könnte leicht auf den Gedanken führen, daß nur unter dieser Voraussetzung auch andere Fälle auf Restitution Anspruch haben könnten. Eine scheinbare Unterstützung findet sich in manchen Aeußerungen der alten Juristen, die bald auf die Nothwendigkeit L. 26 § 9 ex q. c. (4. 6). „Et generaliter, quotiescunque quis ex necessitate, non ex voluntate abfuit, dici oportet, ei subveniendum.“ , bald auf die Löblichkeit L. 28 pr. eod. „Nec non et si quis de causa probabili abfuerit … puta studiorum causa … ne decipiatur per justissimam absentiae causam.“ , einen besondern Werth legen. Nun soll aber doch eine Restitution gelten für die zur Strafe Verbannten (§ 326 Note r ), deren Abwesenheit durch ein Verbrechen, also durch eine höchst unlöbliche Ursache, veranlaßt ist. Dieser letzte Umstand könnte dann etwa zu der Aus- kunft führen, daß für die nothwendige Abwesenheit unbe- dingt, für die willkürliche nur, wenn sie zugleich löblich §. 327. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) wäre, Restitution zu geben seyn möchte. Allein auch in diesem Versuch ist keine wahre Befriedigung zu finden. Denn wo ist die Gränze des Löblichen? Der besondere Glanz, der auf der Reise zur wissenschaftlichen Ausbildung liegt (Note b ), verschwindet schon bei gewerblichen Reisen, denen doch auch der Anspruch auf Restitution nicht versagt wird L. 57 mandati (17. 1). , und selbst bei einer bloßen Lustreise können zu- gleich Bildungszwecke verfolgt werden. Dann müßte man also neben den löblichen Ursachen mindestens auch die gleich- gültigen zulassen, und dann wäre durch die ganze Unter- scheidung Nichts gewonnen, als die Ausschließung der will- kürlichen Abwesenheit aus entschieden unlöblichen Ursachen, z. B. wenn Jemand große Reisen unternähme, um zu stehlen, zu betrügen, oder als gewerbmäßiger Spieler. Die Fälle nun, worin solche Beweggründe bewiesen werden können, sind allerdings denkbar, werden aber so selten vorkommen, daß die ganze Unterscheidung in dieser Begränzung völlig ohne praktischen Werth seyn würde. Wenn wir diese Umstände unbefangen erwägen, so werden wir geneigt seyn, die Rücksicht auf jene Gegensätze in den denkbaren Ursachen der Abwesenheit völlig aufzu- geben. Die angeführten Stellen der alten Juristen (Note a. b ) stehen dann in Verbindung mit der willkürlichen Natur dieses ganzen Rechtsinstituts. Sie wollen also nur sagen, der Prätor werde den Abwesenden aus der generalis clau- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. sula die Restitution um so leichter zu ertheilen geneigt seyn, je nothwendiger oder je löblicher ihm die Abwesenheit im einzelnen Fall gerade erscheine. Die zweite Streitfrage geht noch über die Fälle der eigentlichen Abwesenheit hinaus. Diese ganze Art der Re- stitution soll solche Personen schützen, die außer Stand waren, ihre Rechte durch eigene Handlungen zu erhalten. Dabei entsteht aber sogleich die Frage, ob sie denn nicht diese Erhaltung durch fremde Handlungen, durch Stell- vertreter, bewirken konnten, in welchem Fall ein künstlicher Schutz durch Restitution gar nicht nöthig gewesen wäre. Ueber diese Frage sind die Meinungen neuerer Schriftsteller sehr getheilt, und sie verdienen derhalb keinen Vorwurf, weil auch die Aeußerungen unsrer Rechtsquellen hierüber in hohem Grade schwankend erscheinen. Ich will zuerst die Streitfrage in etwas engere Gränzen einzuschließen suchen. Unsere Rechtsquellen unterscheiden den defensus (oder qui habet procuratorem ) von dem in- defensus (qui procuratorem non habet). Unter dem de- fensus nun ist gewiß nicht blos Der zu verstehen, welchen der bestellte Procurator wirklich, und zwar gut und zweck- mäßig, vertheidigt, sondern Jeder, der durch denselben ver- treten werden kann L. 39 ex qu. c. (4. 6). „… si procuratorem reliquerit, per quem defendi potuit. “ ; was der Procurator vernachlässigt, §. 327. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) ist mit diesem abzumachen, gewöhnlich durch die mandati actio. Ferner muß, in der Beurtheilung, mit dem defensus auf gleiche Linie gestellt werden Der, welcher einen Pro- curator bestellen konnte, und Dieses aus Nachlässigkeit ver- säumt hat L. 26 § 1 eod. „quia potuit procuratorem consti- tuere.“ L. 20 pr. de min. (4. 4) „non deberi prorogari tempus .. quia abfuit, quum potuit adire Praetorem per procura- torem.“ ; denn bei diesem liegt die Ursache des Ver- lustes nicht mehr in der Abwesenheit als solcher, sondern in der erwähnten Nachlässigkeit, dann aber fehlt eine Haupt- bedingung jeder Restitution (§ 320 Note d ). Nach diesen näheren Bestimmungen hätten wir also zwei Klassen von verletzten Personen zu unterscheiden: In- defensi, die ohne ihre Schuld keinen Procurator haben So z. B. wenn der von ihnen bestellte Procurator während ihrer Abwesenheit verstorben ist. L. 28 pr. ex. qu. c. (4. 6) „.. forte procuratore suo de- functo.“ L. 57 mandati (17. 1). , und Defensi, die einen Procurator haben, oder durch eigene Schuld entbehren. Bei den Personen der ersten Klasse ist es unzweifelhaft, daß sie vollen Anspruch auf Restitution haben. Aller Zweifel betrifft also die zweite Klasse, die Defensi. Für die Defensi nun wird einmal die allgemeine Regel aufgestellt, daß sie keine Restitution erhalten sollen L. 39 ex. qu. c. (4. 6), und zwar gerade von reip. causa absentes. Manche haben diese Stelle gezwungenerweise so aus- gelegt, als ob sie nicht von dem Schutz der Abwesenden, sondern von dem gegen die Abwesenden, redete. Mit Recht verwirft diese Erklärung Burchardi S. 170. . — VII. 12 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Dagegen wird einmal von dem Abgeordneten einer Stadtge- meinde ausdrücklich gesagt, nach vielen Kaiserconstitutionen müßte derselbe restituirt werden, ohne Unterschied, ob er einen Procurator bestellt hatte oder nicht L. 26 § 9 eod. . Ganz irrig hat man Das für ein besonderes Privilegium solcher Abgeord- neten ausgeben wollen Cujacius obs. XIX. 14. . Ein besseres Recht als Staats- diener konnten sie gewiß nicht in Anspruch nehmen, auch werden sie anderwärts mit den Staatsdienern ausdrücklich auf gleiche Linie gestellt L. 1 C. quib. ex causis (2. 54). . Außerdem wird aber eine ähnliche mildere Regel angewendet auch auf die Kriegs- gefangenen, selbst wenn deren Vermögen wirklich durch be- stellte Curatoren geschützt wird L. 15 pr. ex qu. c. (4. 6). ; ferner auf Verbannte, die zwar eigentlich Procuratoren bestellen sollen, aber auch, wenn sie Dieses unterlassen haben, ex causa Restitution erhalten L. 26 § 1 eod. Vgl. oben §. 326 Note r. . Fassen wir diese einzelnen Aeußerungen zusammen, so finden wir darin ein ähnliches Schwanken, wie bei der ersten Streitfrage, jedoch zugleich ein entschiedenes Hin- neigen zu einer fortschreitend milderen Behandlung. Nur für Einen Fall möglicher Verletzung, der allerdings eine eigenthümliche Natur hat, ist eine etwas bestimmtere Regel wahrzunehmen. Wenn nämlich die Verletzung nicht in einem reinen Verlust durch Versäumniß besteht, wie bei §. 327. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) der versäumten Unterbrechung einer Usucapion oder Klag- verjährung, sondern in einem nachtheiligen rechtskräftigen Urtheil, so sind folgende Vorschriften zu beobachten. Der Indefensus bekommt auch in diesem Fall unbedingt Resti- tution L. 1 C. quib. ex caus. (2. 54), L. 4 C. de proc. (2. 13). , und Dieses hat um so weniger Bedenken, als ein solches Urtheil ja immer die Natur eines bloßen Con- tumacialurtheils hat. Der Defensus dagegen wird für diesen Fall ausdrücklich unterschieden von dem Minderjäh- rigen, welcher gerade in diesem Fall stets restituirt wird, er mag vertreten gewesen seyn oder nicht (§ 319 Note s ). Der abwesende Defensus dagegen soll gegen den Inhalt des Urtheils nicht restituirt werden; nur wenn zugleich die Einlegung der Appellation versäumt worden ist, wird gegen diese Versäumniß restituirt L. 8 de in int. rest. (4. 1). Wäre es gestattet, die in der Note g angeführte Stelle des Paulus auf den Fall eines rechtskräftigen Urtheils zu beschränken (wovon jedoch die Stelle selbst keine Spur enthält), so würde der oben dar- gestellte Widerspruch der Stellen verschwinden; und diese ganze Streitfrage erhielte eine einfachere Gestalt. — In der L. 8 cit. muß übrigens anstatt rempublicam gelesen werden: rem judicatam. Burchardi S. 446. . Die Eigenthümlichkeit dieses Falles nun liegt eben darin, daß die Restitution gegen den Inhalt eines Urtheils nicht auf einer reinen Versäumniß beruht, sondern auf der bloßen Möglichkeit einer mangel- haften Prozeßführung; anders bei der versäumten Appel- lationsfrist, die daher auch ganz anders behandelt wer- den soll. 12* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die neueren Schriftsteller haben die für die zweite Streit- frage dargestellten Schwierigkeiten in der Erklärung der Rechtsquellen durch mancherlei Unterscheidungen zu heben versucht, welche ich nicht als befriedigend anerkennen kann. Dahin gehört die Unterscheidung zwischen löblicher und unlöblicher Abwesenheit, deren Unhaltbarkeit schon oben nachgewiesen worden ist; ferner zwischen der Zahlungsfähig- keit und Unfähigkeit des Procurators, wovon aber in den Quellen selbst keine Spur zu finden ist; endlich zwischen dem strengen älteren und dem milden neueren Recht, welche Unterscheidung der Wahrheit vielleicht am nächsten kommen möchte Glück B. 6 S. 33. 34. Schulting notae ad Digesta T. 1 p. 578. Burchardi S. 166 bis 175. . Auch die Behandlung der zweiten Streitfrage steht, so wie die der ersten, in Verbindung mit der schon oben be- merkten Willkürlichkeit des ganzen Rechtsinstituts. §. 328. Restitution. — Einzelne Gründe . — II. Abwesenheit . (Fortsetzung.) Schutz anderer Personen gegen die Abwesenden . Das Edict selbst (§ 325) erwähnt, als zu dieser Klasse gehörend, folgende Fälle. I. Qui absens non defenditur L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6). . Da in der ersten Klasse verschiedene Fälle und Gründe der Abwesenheit auf- §. 328. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) gezählt werden ( metu, reipublicae causa absentes ), so kann es auffallen, daß Dieses hier nicht geschieht, sondern viel- mehr alle Abwesende überhaupt durch die Allgemeinheit des Ausdrucks bezeichnet werden. Diese Fassung des Edicts war aber absichtlich, indem jede Art der Abwesenheit für andere, anwesende, Personen gleich gefährlich werden kann, und daher gleichen Schutz durch Restitution nöthig macht L. 21 § 1 eod. — Es waren darunter also allerdings auch Soldaten begriffeu, aber nicht minder unmittelbar, und ohne künstliche Ausdehnung, auch deren Erben, wenn diese die von dem Erblasser angefangene Usucapion vollendeten, und selbst gleichfalls abwesend waren. L. 30 pr. eod. . II. Qui in vinculis est neque defenditur L. 1 § 1. L. 23 pr. eod. . III. Qui secum agendi potestatem non facit neque defenditur. Darunter sind Die zu verstehen, welche sich in der Heimath versteckt halten, um der Klage zu entgehen, ferner, welche die Klage verzögern durch böswillige Hinder- nisse, die sie dem Anfang des Rechtsstreits entgegenstellen, oder auch ohne bösen Willen, weil sie durch viele andere Geschäfte abgehalten werden, sich darauf einzulassen L. 1 § 1. L. 23 § 4. L. 24. 25 eod. — Es wird dabei be- merkt, daß es gegen die latitantes auch noch andere Zwangsmittel gebe, namentlich die missio in bona. . IV. Qui, cum eum invitum in jus vocare non licet, non defenditur. Darunter sind gemeint die höheren Obrig- keiten, die wider ihren Willen gar nicht vor Gericht gezogen werden durften. Nicht sind gemeint die Eltern und Patrone des Berechtigten, welche allerdings verklagt werden konnten, Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. jedoch nur nach eingeholter Erlaubniß des Prätors; hierin lag nur eine die Ehrfurcht wahrende Förmlichkeit, kein Hinderniß der Klage L. 1 § 1, L. 26 § 2 eod. . V. Cum de ea re magistratus appellatus sit L. 1 § 1 eod. . Wenn der Beklagte die Klage dadurch verhinderte, daß er eine gleiche oder höhere Obrigkeit, oder auch einen Volks- tribunen, bewog, durch seinen Einspruch den Fortgang des Rechtsstreits zu hindern, so konnte durch diese Verzögerung die Usucapion oder die Klagverjährung vollendet werden, und dem Berechtigten sein Recht entziehen S. o. B. 6 S. 489. . Dagegen sollte diese Restitution Schutz gewähren. VI. Cum per magistratus actio exemta sit. Dahin gehören die Fälle, in welchen durch den bösen Willen oder die Nachlässigkeit der Obrigkeit oder des von derselben be- stellten Juder, oder durch Gerichtsferien u. s. w. eine Klage so verzögert wird, daß sie verloren geht. Es wird aber dabei ausdrücklich bemerkt, daß nicht der Kläger selbst zu der Verzögerung mitgewirkt haben dürfe, etwa in der Ab- sicht, mit die Sache von dem Nachfolger der gegenwärtigen Obrigkeit entschieden werden möge L. 1 § 1, L. 26 pr. § 4 bis 7 eod. . Bei den vier ersten unter den hier aufgezählten Fällen wird ausdrücklich bemerkt, die Restitution gelte nur unter der Voraussetzung, daß der Abwesende u. s. w. indefensus §. 328. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) gewesen sey Ulpian bemerkt in L. 26 § 3 eod. mit besonderer Sorgfalt, in dem Edict bezögen sich die Worte: non defenderetur auf den ersten Fall, dagegen die späteren Worte: neque defenderetur auf die drei nachfolgenden Fälle gemein- schaftlich. . Dieses erinnert an eine ähnliche Bestim- mung bei der ersten Klasse (§ 327 Note d. e. f ) und könnte die Besorgniß erregen, daß sich hier an diese Voraussetzung ähnliche Zweifel und Schwierigkeiten anknüpfen möchten, wie sie oben erörtert worden sind. Doch ist dieses nicht der Fall, da die Sache hier eine andere Bedeutung hat. Die Restitution, von welcher gegenwärtig die Rede ist, setzt voraus einen Berechtigten, welcher sein Recht durch Klagen erhalten könnte, daran aber durch die augenblickliche Un- zugänglichkeit eines Gegners verhindert wird. Die Gründe dieser Unzugänglichkeit sind dabei ganz gleichgültig; je schlechter, je willkürlicher dieselbe durch die Natur der Gründe erscheint, desto mehr Anspruch hat der Berechtigte auf den außerordentlichen Schutz der Restitution. Nur wenn der Abwesende in der That defensus ist, fehlt das Bedürfniß der Restitution, weil dadurch die Klage möglich, also die vorausgesetzte Gefahr des Verlustes völlig aus- geschlossen wird. Es fragt sich also nur, wer hier als defensus anzusehen ist. Defensus heißt Der, welcher einen Procurator bestellt hat, um für ihn als Beklagten den Rechtsstreit zu führen; aber auch Der, für welchen ein solcher Vertreter freiwillig, ohne eine solche Bestellung, auftritt. Ja nicht blos durch Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. das Auftreten eines solchen Vertreters wird der Anspruch auf Restitution ausgeschlossen, sondern der Berechtigte soll von seiner Seite einen solchen aufsuchen, und namentlich die Freunde des Gegners befragen, ob sie etwa die Ver- tretung übernehmen wollen L. 21 § 2. 3, L. 22 pr. eod. . Jedoch ist die bloße Be- reitwilligkeit eines Vertreters nicht hinreichend; vielmehr muß derselbe Bürgschaft leisten, selbst wenn er ein bestellter Procurator ist, sonst gilt der Gegner nicht als defensus L. 21 § 3 eod. , § 1. 4. 5 J. de satisd. (4. 11). . Justinian hat für alle Fälle der hier beschriebenen Art ein ganz neues Schutzmittel aufgestellt. Der Berech- tigte, welcher eine Klage anstellen möchte, aber einen Gegner vermißt, soll sich mit seiner Klage an den Statthalter der Provinz, oder den Bischoff, oder den städtischen Defensor wenden, in Ermangelung aller dieser Personen aber die Klage öffentlich anschlagen können. Diese Maßregel soll hinreichen zur Unterbrechung jeder Klagverjährung und Usu- capion L. 2 C. de annali except. (7. 40). . — Manche haben Dieses so verstanden, als wäre dadurch die oben dargestellte Restitution nicht nur ent- behrlich gemacht, sondern auch aufgehoben. Zu einer solchen Annahme ist jedoch kein Grund vorhanden; vielmehr muß dem Berechtigten zwischen beiden Schutzmitteln die Wahl zugestanden werden Burchardi S. 180—182. . Neben den oben aufgestellten, im Edict selbst erwähnten, Fällen dieser Restitution haben die alten Juristen, in An- §. 328. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) wendung der generalis clausula, noch folgende hervor- gehoben. 1. Wenn eine Klagverjährung abläuft, während der Beklagte sich in Kriegsgefangenschaft befindet L. 23 § 3 ex qu. c. (4. 6). . 2. Wenn der Sohn eines Kriegsgefangenen eine Sache zum Peculium erwirbt, und dann usucapirt L. 23 § 3 cit. Der Ge- fangene selbst nämlich kann nicht usucapiren, da er sich im Stande der Unfreiheit befindet. L. 23 § 1 eod. Hiernach muß der § 5 J. de act. (4. 6) erklärt und beschränkt werden. . 3. Wenn der Gegner ein Wahnsinniger, ein Kind, oder eine Stadtgemeinde ist, und aus zufälligen Umständen keinen Vertreter hat L. 22 § 2 ex qu. c. (4. 6). Der vorhergehende Theil der Stelle zeigt ganz klar, daß von dem Wahn- sinnigen u. s. w. als Beklagten, nicht als Berechtigten, die Rede ist. Auf diese Restitution bezieht sich L. 124 § 1 de R. J. (50. 17) „Furiosus absentis loco est.“ . — Eben so kann ohne Zweifel auch umgekehrt der unvertretene Wahnsinnige u. s. w. Re- stitution erhalten, wenn seine Rechte durch Usucapion oder Klagverjährung verloren gehen, und es ist ganz zufällig, daß Dieses unter den Restitutionsfällen der ersten Klasse nicht erwähnt wird. Diese Fälle haben entschieden mehr Analogie mit der Restitution der Abwesenden, als mit der der Minderjährigen S. o. am Ende des §. 324. . §. 329. Restitution. — Einzelne Gründe . — II. Abwesenheit . (Fortsetzung.) Nachdem jetzt die einzelnen Fälle dargestellt sind, in welchen die Restitution wegen Abwesenheit Anwendung Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. findet, sind noch die Arten der Verletzung näher zu betrach- ten, zu deren Abwendung dieselbe gebraucht werden kann. Wenn wir uns auch in dieser Betrachtung an die Worte des Edicts anschließen, so müssen wir zwei Hauptarten der Verletzung annehmen. I. Si quid de bonis deminutum erit, also unmit- telbare Verminderung des vorhandenen Vermögens. Dahin gehören folgende einzelne Fälle des Verlustes, die großen- theils sowohl bei dem Schutz der Abwesenden, als bei dem Schutz gegen die Abwesenden, vorkommen können. 1. Verlust des Eigenthums durch eine von dem Gegner vollendete Usucapion L. 1 § 1, L. 15 § 3 ex qu. c. (4. 6). . 2. Verlust einer Servitut durch Nichtgebrauch L. 1 § 1 eod. . 3. Verlust eines Besitzes oder eines Quasibesitzes L. 23 § 2 eod. . 4. Verlust des Eigenthums wegen damnum infectum L. 15 § 2 eod. , nämlich durch jubere possidere. . 5. Verlust einer Forderung, welche durch Vertrag an die Bedingung des Aufenthalts an bestimmten Orten ge- knüpft ist L. 43 eod. . 6. Verlust durch ein nachtheiliges rechtskräftiges Ur- theil S. o. §. 327 Note n. o. . II. Si actionis dies exiit. Verlust eines Klagerechts durch Klagverjährung oder Prozeßverjährung L. 1 § 1 eod. . Eine §. 329. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) ähnliche Natur hat auch der durch Zeitablauf bewirkte Ver- lust des Rechts auf Anklage eines Verbrechers L. 40 pr. eod. . In Anwendung der generalis clausula kann diese Re- stitution auch gebraucht werden, wenn nicht sowohl das vorhandene Vermögen vermindert, als der Erwerb einer Erbschaft oder eines Legats in Folge einer Abwesenheit verhindert worden ist (§ 319 Note l ). Bei der Anwendung dieser Restitution muß ferner er- innert werden an den allgemeinen Grundsatz, welcher die Restitution nur gestattet, in soweit ein Causalverhältniß zwischen dem Restitutionsgrund und dem eingetretenen Ver- lust behauptet werden kann. Wenn daher die Abwesenheit nur einen Theil des für die Usucapion oder Klagverjährung vorgeschriebenen Zeitraums umfaßt, so wird diese Restitution zuweilen ganz versagt werden, zuweilen nur für einen Theil des Zeitraums zu gestatten seyn L. 15 § 3, L. 16, L. 26 § 7. 8 eod. , s. o. § 320 Note d. . Bei dem Verlust des Eigenthums durch Usucapion wird die Restitution auf verschiedene Weise bewirkt, so wie die zufälligen Umstände das Bedürfniß herbeiführen: bald durch Klage, bald durch Einrede. Die Klage, wodurch der Verlust des Eigenthums durch Usucapion abgewendet wird, führt nach einer sehr verbrei- teten Meinung den Namen publiciana actio; man hat die- selbe mit der anderen, bekannten publiciana actio in Ver- bindung gesetzt, und auf diese Verbindung zugleich die Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Geschichte der Restitution aufzubauen gesucht Burchardi S. 153 fg. . Ich halte diese Meinung für unbegründet. Allerdings wird in mehreren Stellen, welche von dieser Restitution reden, die publiciana actio genannt L. 35 pr. de obl. et act. (44. 7), L. 57 mandati (17. 1), Stelle aus einem alten Glossarium bei Brissonius v. publiciana. , aber nicht, als ob dieselbe eine eigenthümlich für diesen Fall ein- geführte Klage wäre, sondern in folgender ganz anderer Bedeutung. Wer sein Eigenthum in Folge einer Abwesen- heit durch Usucapion verliert, wird meist auch in der Lage seyn, die Bedingungen der bonae fidei possessio für sich geltend machen zu können; er wird nämlich meistens die Sache durch Tradition erworben haben, in Folge eines Kaufs, einer Schenkung u. s. w. Dann hat er in der That die gewöhnliche publiciana actio, deren Daseyn durch des Gegners Usucapion an sich gar nicht ausgeschlossen wird. Wenn er nun die publiciana actio anstellt, so wird allerdings der Gegner vielleicht die exceptio justi dominii entgegen stellen L. 1 pr. L. 16. 17 de publ. (6. 2). , und zwar mit Recht, da er in der That Eigenthümer ist in Folge der Usucapion. Diese Ein- rede aber wird nun entkräftet durch die Restitution wegen Abwesenheit, sey es mit oder ohne replicatio, je nachdem die Thatsachen zweifelhaft sind oder nicht. Will man also genau reden, so muß man sagen, daß in einem solchen Fall die Restitution dazu dient, nicht sowohl um eine verlorene §. 329. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) Klage herzustellen, als um eine stets gültig gebliebene Klage von der ihr entgegen stehenden Einrede zu befreien. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht selbst der Wortlaut der angeführten Stellen (Note l ). Denn in einer derselben wird ausdrücklich gesagt, daß in einem solchen Fall der Publiciana zwar die exceptio dominii entgegen stehe, daß aber diese überhaupt nicht ohne causae cognitio gegeben werde, und in dem vorliegenden Fall, in Folge unsrer Re- stitution wegen Abwesenheit, versagt werden müsse, weshalb die Publiciana vollen Erfolg haben werde L. 57 mandati (17. 1). S. u. d. Beil. XIX zu diesem Bande. . — In der anderen Stelle aber wird gar nicht etwa eine zwiefache Publiciana erwähnt für zwei an sich verschiedene Fälle, sondern vielmehr eine einzige Klage dieses Namens, nur mit dem Zusatz, daß dieselbe zuweilen rescissa usucapione gegeben werde L. 35 pr. de obl. et act. (44. 7). „… Illae autem rei persecutionem continent, qui- bus persequimur, quod ex pa- trimonio nobis abest, ut … Publiciana, quae ad exemplum vindicationis datur. Sed quum rescissa usucapione redditur, anno finitur, quia contra jus civile datur.“ . Wie dieser Zusatz zu verstehen ist, habe ich so eben bei Gelegenheit der ersten Stelle erklärt. Ich behaupte aber gar nicht, daß dieser Weg einer Hülfe, vermittelst der Publiciana die durch Restitution gegen die exceptio dominii geschützt wird, der einzige sey. Der vorige Eigenthümer kann vielmehr auch unmittelbar zu seinem Ziele kommen durch Anstellung der rei vindicatio (d. h. nach altem Recht der petitoria formula mit der Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. intentio: rem suam esse ). Hierin behauptet er nun zunächst etwas Unwahres, da er in der That nicht mehr Eigen- thümer ist. Es muß erst wahr gemacht werden durch die Restitution, die also hier nicht, so wie bei dem vorher an- gegebenen Wege, dazu dient, die ohnehin begründete Klage gegen eine Einrede zu schützen, sondern vielmehr die Klage erst möglich zu machen, die ohne die Restitution gar nicht begründet seyn würde. So wird die Anwendung unsrer Restitution auf die Usucapion in den Institutionen aus- drücklich erklärt § 5 J. de act. (4. 6). „… permittitur domino, si possessor reip. causa abesse desierit, tunc intra annum re- scissa usucapione eam petere, i. e. ita petere, ut dicat pos- sessorem usu non cepisse, et ob id suam rem esse.“ — Es ist zu bemerken, daß in dieser Stelle blos von dem Schutz gegen den Abwesenden die Rede ist, welcher usucapirt hat. Dasselbe gilt aber ganz eben so von dem Abwesen- den der sein Eigenthum durch die Usucapion eines Anderen verloren hat, und durch Restitution wieder erlangen will. , und diese Erklärung ist nicht minder wahr und richtig, als die, welche so eben aus einer Di- gestenstelle abgeleitet worden ist. Beide Erklärungen stehen durchaus nicht im Widerspruch mit einander, sie bezeichnen vielmehr zwei verschiedene Wege, die der Kläger einschlagen kann, und von welchen bald der eine, bald der andere den Umständen angemessener seyn wird. Aus dieser Prüfung der hier einschlagenden Stellen er- giebt es sich, daß wir durchaus keinen Grund haben, eine eigenthümliche publiciana actio anzunehmen, als diejenige Klage, wodurch die Restitution wegen Abwesenheit zur §. 329. Einz. Restitutionsgründe. II. Abwesenheit. (Forts.) Ausführung gebracht werden soll gegen eine Usucapion. Diese Behauptung aber erhält noch eine besondere Unter- stützung durch den Umstand, daß die eben angeführte In- stitutionenstelle, die unsern Fall erwähnt, den Namen pu- bliciana actio nicht gebraucht, der doch in dem vorher- gehenden Paragraphen vorkommt, und daß umgekehrt in dem Titel der Digesten de publiciana in rem actione unser Fall durchaus nicht vorkommt; eben so wenig in der Er- klärung, die Gajus von der publiciana actio giebt Gajus IV § 36. . Der Schutz durch Klage ist jedoch nicht das einzige Mittel, wodurch die Restitution gegen die Usucapion zur Ausführung gebracht werden kann. Wenn nämlich der vorige Eigenthümer durch Zufall wieder in den Besitz der Sache kommt, so hat er zu einer Klage weder das Be- dürfniß, noch die Berechtigung. Wenn aber der Gegner, der die Sache usucapirt hat, gegen ihn die Eigenthumsklage anstellt, so bedarf er gegen diese Klage eine Exception, und diese wird ihm durch unsre Restitution ertheilt L. 28 § 5 ex quib. caus. (4. 6). . §. 330. Restitution. — Einzelne Gründe . — III. Zwang . Der geschichtliche Zusammenhang dieses Restitutions- grundes ist schon oben in folgender Weise angegeben wor- den (§ 320). Wenn ein Rechtsgeschäft durch Zwang, Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. d. h. vermittelst einer durch Drohung absichtlich erregten Furcht, bewirkt wird, so half der Prätor dem Gezwun- genen ursprünglich durch Restitution, und dieser Restitu- tionsgrund gehört unter die ältesten überhaupt. Schon frühe aber wurden zu demselben Zweck auch ordentliche Rechtsmittel eingeführt, eine actio quod metus causa und eine exceptio metus, und zwar in solcher Ausdehnung, daß sie für die meisten Fälle völlig ausreichten, indem sie nicht blos gegen den Zwingenden, als persönliche Rechtsmittel, gebraucht werden können, sondern auch gegen jeden Dritten, der sich in der Lage befindet, die nachtheiligen Folgen des Zwanges von dem Gezwungenen abzuwenden L. 9 § 8 quod metus (4. 2), L. 4 § 33 de doli m. et met. ex c. (44. 4). — Diese Klage ist eine actio in rem scripta, nicht zu verwechseln mit in rem actio, s. o. B. 5 S. 25. . Wo nun diese ordentlichen Rechtsmittel ausreichen, muß schon nach dem allgemeinen Grundsatz die Restitution wegfallen (§ 321 Note r). Außerdem aber gewähren die ordentlichen Rechtsmittel auch bedeutende Vortheile in Vergleichung mit der Restitution, so daß es nicht einmal räthlich seyn würde, diese letzte vorzuziehen, selbst wenn es gestattet wäre. Die actio quod metus causa hat einen gesicherten und beschleu- nigten Erfolg durch die Drohung des vierfachen Ersatzes, wenn der Beklagte nicht sogleich freiwillig nachgiebt; will sich aber der Gezwungene mit dem einfachen Ersatz begnügen, so ist er nicht an die kurze Verjährung gebunden, wodurch die Restitution so sehr beschränkt ist L. 14 § 1 quod metus (4. 2). . §. 330. Einzelne Restitutionsgründe. III. Zwang. Dennoch giebt es einzelne, seltnere Fälle, worin jene ordentliche Rechtsmittel nicht ausreichen, und um solcher Fälle willen steht dem Gezwungenen noch jetzt überhaupt die Wahl zu zwischen jenen Rechtsmitteln und der Resti- tution, deren eigenthümlichste (doch nicht einzige) Folge sich in dem Anspruch auf eine wahre in rem actio zeigt. Die Edictstelle, die wir in den Digesten übrig haben, ist so allgemein gefaßt, daß sie in der That auf beiderlei Schutz- mittel paßt L. 1 eod. „Ait Praetor: Quod metus causa gestum erit, ratum non habebo“. , und auch von den alten Juristen dahin ausgelegt wird; sie kann in derselben Gestalt schon in dem ursprünglichen Edict über die Restitution wörtlich eben so gelautet haben, und sie bedurfte keiner Abänderung, um auch die später eingeführten ordentlichen Rechtsmittel mit zu umfassen. Die Richtigkeit der hier aufgestellten Behauptung ergiebt sich aus einer Stelle des Ulpian L. 9 § 3. 4. 6 eod. Vgl. oben § 316 Note n. , deren Zusammen- hang nicht selten verkannt worden ist. In dem § 3 wird gesagt, das erzwungene Geschäft könne bald ein unvollen- detes seyn (z. B. ein Geldversprechen ohne geleistete Zah- lung), bald ein vollendetes (z. B. Geldversprechen mit Zahlung, oder auch eine Acceptilation). Dann wird die Meinung des Pomponius angeführt, daß bei unvollendeten Geschäften nur eine Exception zulässig sey, keine Klage, bei vollendeten auch eine Klage. Diese Meinung wird ver- VII. 13 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. worfen, und es wird für alle Fälle die Wahl zwischen Klage und Exception frei gestellt, so daß bei einem bloßen Geldversprechen auch eine Klage zulässig sey, nämlich zum Zweck einer Acceptilation. Dieser Ausspruch wird bestätigt durch ein kaiserliches Rescript, welches selbst im Fall eines unvollendeten Geschäfts die in integrum restitutio in Aus- sicht stellt. In Folge dieses Rescripts erklärte der Prätor, der Gezwungene habe die Wahl zwischen Klage und Ex- ception. Gleich nachher aber fügt Ulpian hinzu, daß der Gezwungene nach Bedürfniß auch eine in rem actio erhalten könne; desgleichen, wenn eine Forderung durch erzwungene Acceptilation getilgt sey, die Herstellung der verlorenen frü- heren Forderung rescissa acceptilatione vel alia liberatione L. 9 § 4 eod. — Die in rem actio wird unmittelbar be- stätigt durch L. 3 C. de his quae vi (2. 20). . Beides aber ist nur durch eine wahre Restitution möglich. Zwischen dieser und der persönlichen actio quod metus causa (die ohne Restitution gegeben wird) habe er nun dergestalt die Wahl, daß, wenn er den einen Weg eingeschlagen habe, der andere dadurch verschlossen sey L. 9 § 6 eod. . Es kommt also nur noch darauf an, Fälle anzugeben, in welchen das Bedürfniß, und daher auch die Zulässigkeit, einer Restitution wegen Zwangs, neben der actio quod metus causa, behauptet werden kann Puchta Pandekten § 102 Note c. d. und Vorlesungen S. 215 faßt die Sache so auf. Schon im neueren Römischen Recht sey die Restitution wegen Zwangs nur noch Bedürfniß gewesen bei den negotiis stricti juris; da wir diese nicht mehr kennen, so sey sie für uns überhaupt verschwunden. . §. 330. Einzelne Restitutionsgründe. III. Zwang. Ein solcher Fall, der nur zufällig nicht in unsren Rechts- quellen erwähnt wird, kann eintreten wegen der Zahlungs- unfähigkeit des Gegners. Hier kann die persönliche Klage wegen der bevorzugten Natur anderer Gläubiger ganz ohne Erfolg bleiben. Die durch Restitution gewährte Klage in rem wird den Kläger zum Ziele führen. Ein anderer Fall, der nur zu selten vorkommen wird, um praktisch wichtig zu seyn, wird in unsren Rechtsquellen ausdrücklich anerkannt. Wenn Jemand durch Zwang be- wogen wird, eine angefallene Erbschaft entweder anzutreten, oder auszuschlagen, so kann er gegen eine solche Handlung, wenn sie ihm nachtheilig ist, Restitution erhalten L. 21 § 5. 6 quod metus (4. 2). . Hier ist es einleuchtend, daß die persönliche Klage oft nicht aus- reicht, wegen der unbestimmten, vielleicht unübersehbaren Rechtsverhältnisse mit fremden Personen, die mit der Erb- schaft verbunden seyn können. Die Anwendung dieser Restitution hängt ab von dem Daseyn eines wahren, rechtlich anzuerkennenden, Zwanges. Hierüber gelten dieselben Regeln, wie sie für die Anwen- dung der weit wichtigeren actio quod metus causa anzu- wenden sind. Es kann also wegen dieses Punktes vorläufig auf das Obligationenrecht verwiesen werden. Eben so die Restitution wegen Be- trugs. — Ich kann nicht einräumen, daß im Römischen Recht die Re- stitution gerade mit jenem Gegen- satz zusammenhing, und ich muß die Anwendbarkeit der Restitution in den hier im Text angegebenen Fällen auch für das heutige Recht behaupten. 13* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. § 331. Restitution. — Einzelne Gründe . — IV. Irrthum . Daß es in der That eine Restitution wegen Irrthums gab, hat nach den übereinstimmenden Zeugnissen des Ul- pian und des Paulus keinen Zweifel (§ 320). Man scheint jedoch diesem Restitutionsgrund nicht dieselbe Wich- tigkeit, wie dem Zwang und Betrug, beigelegt zu haben, woraus zu erklären ist, daß derselbe in dem Edict keine, diesen Fall im Ganzen umfassende Stelle, und in den, an die Ordnung des Edicts sich anschließenden Digesten keinen eigenen Titel erhalten hat. Es kommt nun darauf an, die Fälle der Anwendung für diese Restitution zu bestimmen und zu begränzen. Man hat ihr nicht selten die wichtige Bedeutung beigelegt, daß der Klagberechtigte von dem Nachtheil der Klagverjährung frei werden könnte, wenn er über das Daseyn der Ver- letzung im Irrthum wäre, und deshalb Restitution gegen die Verjährung suchte. Diese Anwendung, wodurch der große Vortheil dieses Rechtsinstituts sehr entkräftet werden würde, ist entschieden zu verwerfen S. o. B. 3 S. 416. 418 fg. . — Eben so ver- werflich, und noch weit wichtiger, ist die häufig versuchte Anwendung, nach welcher jedes Rechtsgeschäft, insbesondere jeder Vertrag, durch Restitution sollte angefochten werden können, sobald der eine Theil durch irrige Beweggründe zur Eingehung des Geschäfts veranlaßt worden wäre S. o. B. 3 S. 354 fg. . §. 331. Einzelne Restitutionsgründe. IV. Irrthum. Dadurch würde die sichere Rechnung der Parteien auf die Wirksamkeit der eingegangenen Geschäfte großentheils ent- kräftet, und mit ihr der gesammte Verkehr gelähmt werden. Dagegen sindet sich eine sichere und nicht unwichtige Anwendung dieser Restitution bei den strengen Formen des alten Römischen Prozesses. Durch diese konnte oft eine Partei in großen Nachtheil kommen, während ihr nicht böser Wille, vielleicht nur ein mäßiges, oder auch gar kein Versehen, zur Last gelegt werden konnte. Das war der Zweck jener Formen nicht, und eine Restitution gegen einen solchen Nachtheil, unter ernster Aufsicht des Prätors, war daher eben so unbedenklich, als die Restitution gegen einen aus irrigen Beweggründen geschlossenen Vertrag gefährlich gewesen wäre Die leichtere Ertheilung der Restitution gegen Prozeßver- säumnisse ist richtig anerkannt von Noodt Comm. in Pand. IV. 3 vers. Non minus. . Diese Restitution gegen irrige Versäumniß der Prozeß- formen kam denn in der That (und besonders in der älteren Zeit) häufig vor, und dieses ist als das eigentliche Gebiet der Restitution wegen Irrthums anzusehen. Eine Reihe von Fällen solcher Art ist schon oben zusammen gestellt worden S. o. B. 3 S. 384 fg., B. 6 § 300. q. , und bei dem gerichtlichen Geständniß oben § 306. — Die all- gemeinste Andeutung dieses Falles der Restitution findet sich in L. 7 pr. de in int. rest. (4. 1). . Ein Fall dieser Art hat Veranlassung zu der einzigen Edictstelle gegeben, welche in unsren Rechtsquellen über die Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Restitution wegen Irrthums aufbewahrt ist. Wenn Jemand gegen einen Unmündigen klagte, und dabei irrigerweise von einem falschen Tutor die auctoritas für den Unmündigen annahm, so war sein Klagrecht völlig verloren, ohne Aus- sicht auf einen möglichen Erfolg. Dagegen versprach der Prätor die Restitution L. 1 § 1. 6 quod falso (27. 6). „.. Quod eo auctore, qui tutor non fuerit (gestum erit), si id actor ignoravit, dabo in integrum restitutio- nem.“ Vgl. o. B. 3 S. 385. — Die Bedeutung der Restitution liegt nun darin, daß die eingetretene Litiscontestation reseindirt, also die durch die Litiscontestation bewirkte Consumtion der früheren Klage beseitigt wird. . Ein anderer Fall dieser Restitution bezieht sich allerdings nicht auf den Prozeß. Wenn ein Schuldner stirbt, und der Gläubiger das eigene Vermögen des Erben für zweifelhaft hält, so kann er eine Separation des erbschaftlichen Ver- mögens fordern, und daraus Befriedigung verlangen. Hat er aber in jener Annahme geirrt, und dadurch Schaden gelitten, so hat er Anspruch auf Restitution, wenn er den Irrthum rechtfertigen kann L. 1 § 14 de separat. (42. 6). . § 332. Restitution. — Einzelne Gründe . — V. Betrug . Die Restitution wegen Betrugs ist von besonderen Schwierigkeiten umgeben, und selbst das Daseyn derselben wird von bewährten Schriftstellern verneint. Dieses Da- seyn jedoch wird durch die übereinstimmenden Zeugnisse §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. des Ulpian und des Paulus außer Zweifel gesetzt (§ 320). Die Restitution wegen Betrugs wird in den Quellen abge- handelt unmittelbar hinter der Restitution wegen Zwangs, neben welcher sie in sehr früher Zeit eingeführt zu seyn scheint. So wie diese, ist sie größtentheils überflüssig gemacht worden durch ordentliche Rechtsmittel, die actio und exceptio doli, und aus dieser historischen Entwicklung ist großentheils ihre gegenwärtige etwas räthselhafte Natur zu erklären. Ver- gleichen wir diese ordentlichen Rechtsmittel mit denen, die für den Fall des Zwanges eingeführt waren, so müssen wir zwei Unterschiede anerkennen. Die Klage und Einrede aus dem Zwang gilt auch gegen dritte Besitzer (§ 330 Note a) , die aus dem Betrug wirkt blos persönlich gegen den Be- trüger, und läßt daher öfter als jene, das Bedürfniß einer Restitution wahrnehmen. Ferner ist die actio doli für den Verurtheilten entehrend, und soll daher nicht gebraucht werden, wo sie durch andere, völlig gleich wirksame, Schutz- mittel ersetzt werden kann L. 1 § 4 de dolo (4. 3). . Diese beschränkende Rücksicht gilt jedoch nur für die actio, nicht für die exceptio doli; für das heutige Recht aber ist sie völlig verschwunden, weil es hier allgemein anerkannt ist, daß keine Klage aus Privatdelicten die Ehrlosigkeit mit sich führt S. o. B. 2 S. 227. . Um nun die für die Restitution wegen Betrugs noch übrig bleibenden Fälle zu ermitteln, will ich vorläufig und Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. versuchsweise einige Sätze aufstellen, deren Wahrheit erst im Laufe der folgenden Untersuchung dargethan werden kann. Meist wird der Betrüger dieselbe Person seyn, welche aus dem Schaden des Betrogenen Vortheil zieht (welche Person ich den Gegner nennen will), zuweilen werden beide Per- sonen verschieden seyn Es ist dieser Fall so zu denken, daß der Gegner Nichts von dem Betrug weiß, sonst ist er selbst gleichfalls Betrüger; es kann also hier nur von einem unschul- digen Gegner die Rede seyn. ; in diesem letzten Fall ist es natürlich, daß der Betrogene mit seiner Entschädigung an den Betrüger gewiesen werde, nicht an den unschuldigen Gegner, so daß dann die beschränkende Rücksicht auf die entehrende Natur der actio doli in den Hintergrund tritt. Jedoch darf es niemals dahin kommen, daß der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe; wenn also in dem zuletzt erwähnten Falle der Betrüger zahlungsunfähig ist, kann auch von dem unschuldigen Gegner Abhülfe verlangt werden. Die Fälle selbst, in welchen die Restitution wegen Be- trugs anzuwenden ist, sind aus der zwiefachen Verwandt- schaft abzuleiten, welche für diese Restitution unzweifelhaft angenommen werden muß: auf der einen Seite mit dem Zwang, auf der andern Seite mit dem Irrthum. Zuerst also wird die Restitution wegen Betrugs in den- selben beiden Fällen angewendet werden müssen, in welchen die Restitution wegen Zwangs zur Anwendung kommt, damit in keinem Fall der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe. Der erste Fall gründet sich auf die Zahlungsunfähigkeit §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. des Betrügers. Wenn Jemand durch Betrug verleitet wird, sein Grundstück um geringen Preis zu verkaufen und zu übergeben, so kann er durch die actio venditi den Verkauf anfechten und das Grundstück zurück verlangen L. 6. § 1 de contr. emt. (18. 1) L. 4 pr. de L. commiss. (18. 3). Vgl. L. 11 § 5. 6 de act. emti (19. 1). . Wird Jemand durch Betrug bewogen, sein Grundstück dem Be- trüger zu schenken, und dieses Geschäft durch Uebergabe (nach altem Recht durch Mancipation) zu vollziehen, so kann er durch die actio doli die Rückgabe des Grundstücks verlangen. Wenn aber in einem dieser beiden Fälle der Betrüger zahlungsunfähig ist, so kann der Betrogene, um nicht mit seiner persönlichen Klage im Concurse auszufallen, Restitution wegen Betrugs, und durch diese eine in rem actio verlangen, wie Dieses für den Fall des Zwangs schon oben bemerkt worden ist L. 9 § 4. 6 quod metus (4. 2), s. o. § 330. . Der zweite Fall bezieht sich auf die schädliche Antretung oder Ausschlagung einer Erbschaft, wozu Jemand durch Betrug verleitet wird. Im Fall des Zwangs hatte hier der Gezwungene die Wahl zwischen der actio quod metus causa gegen den Zwingenden und der Restitution, wodurch die Antretung oder Ausschlagung an sich unwirksam wird L. 21 § 5. 6 quod metus (4. 2), s. o. § 330. ; das letzte, durchgreifendere Schutzmittel wird oft nöthig seyn wegen der unbestimmten Wirkung jener Handlungen in Be- ziehung auf viele fremde, unbekannte Personen. — Für den Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Fall des Betrugs nun wird ausdrücklich gesagt, daß der Betrogene gegen den Betrüger die actio und exceptio doli habe L. 9 § 1, L. 40 de dolo (4. 3). , gerade so, wie bei dem Zwang auch die actio quod metus causa galt. Damit ist aber nicht verneint, daß er auch die Restitution wegen Betrugs fordern könne, welches vielmehr nach der verwandtschaftlichen Natur beider Restitutionsgründe behauptet werden muß. Die zweite Verwandtschaft des Betrugs ist die mit dem Irrthum. Jeder Betrug enthält nämlich in der That einen wahren Irrthum, und man kann ihn als qualificirten Irr- thum bezeichnen. Daher wird die Restitution, die gegeben wird gegen Prozeßversäumnisse aus Irrthum (§ 331), stets auch unmittelbar begründet seyn gegen die durch den Betrug eines Andern veranlaßten Prozeßversäumnisse. Wenn sie hier zuweilen nicht zur Anwendung kommt, so liegt der Grund darin, daß alsdann der Betrüger ein Anderer ist, als der Prozeßgegner, in welchem Fall die Abhülfe von dem Betrüger und nicht von dem Gegner zu leisten ist. Nach diesen vorbereitenden Bemerkungen gehe ich über zur Betrachtung der Stellen, deren richtige Erklärung allein dahin führen kann, die in dieser Lehre herrschenden Zweifel und Mißverständnisse zu beseitigen. Vor allen sind zwei Stellen zu beachten, die zu sagen scheinen, daß in jeder Collision irgend einer Restitution mit §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. der actio doli, die Restitution vorgezogen werden müsse, weil sie nicht entehre. L. 1 § 6 de dolo (4. 3) ( Ulpianus ) Der vorhergehende Para- graph hatte die Stelle des Edicts erläutert, nach welcher die actio doli nur in Ermanglung einer anderen actio gebraucht werden dürfe. „Idem Pom- ponius refert, Labeonem existimare, etiam si quis in integrum restitui possit, non debere ei hanc actio- nem competere“ … L. 7 § 1 de in int. rest. (4. 1) ( Marcellus ) Vorher wird gesagt, bei aller nöthigen Aufrechthaltung der solennia (damit sind hier die Prozeßformen gemeint) müsse doch der Prätor’ eine billige Restitution nicht versagen; so z. B. wenn eine Partei auf eine interrogatio nicht antworte, und deswegen zu einem Nachtheil verurtheilt werde (§ 305), dann aber sogleich die versäumte Antwort nachhole. „Nec intra has solum species consistet hujus generis auxilium; etenim deceptis sine culpa sua, maxime si fraus ab adversario intervenerit , succurri opor- tebit, quum etiam de dolo malo actio competere so- leat. Et boni Praetoris est potius restituere litem , ut et ratio et aequitas postulabit, quam actionem famosam constituere , ad quam tunc demum descen- dendum est, quum remedio locus esse non potest.“ Beide Stellen sind von Manchen so aufgefaßt worden. Jeder Betrug begründet eine Restitution; da nun aber im Collisionsfall stets die Restitution, die nicht entehrt, der entehrenden actio doli vorgezogen werden muß, so kann im Fall des Betrugs nur allein die Restitution angewendet Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. werden. Diese Erklärung, wodurch die Sache auf die äußerste Spitze getrieben wird, kann unmöglich richtig seyn. Denn durch sie würde die Anwendung der actio doli völlig ausgeschlossen seyn, da doch für viele Fälle von den alten Juristen diese Klage für das einzig anwendbare Rechts- mittel erklärt wird, während gerade umgekehrt von der Restitution wegen Betrugs nur selten und beiläufig die Rede ist. Die richtige Auffassung dieser Stellen, und zugleich der ganzen Frage von der Restitution wegen Betrugs, wird sich in folgender Reihe von Sätzen aufstellen lassen, die sich an einzelne Stellen der alten Juristen anschließen. A. Fälle, in welchen der Betrüger dieselbe Person ist, welche als Gegner den Vortheil aus dem Betrug ziehen würde. 1. Wenn dieses Verhältniß eintritt zwischen den Par- teien in einem Prozeß, z. B. indem der Kläger durch des Beklagten Betrug verleitet wird, die Prozeßverjährung ab- laufen zu lassen, so wäre eigentlich die actio doli begründet. Da aber in diesem Fall die Restitution wegen Betrugs genau denselben Vortheil gewährt (indem sie den Verlust der Klage aufhebt), und doch zugleich die Ehre des Gegners schont, so wird ein wohldenkender Prätor die Ertheilung der Restitution vorziehen. Genau Dieses ist der Sinn der oben abgedruckten Stelle des Marcellus . Diese spricht von einem Betrug im Prozeß, verübt vom Prozeßgegner, welches theils aus dem §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. vorhergehenden Theil der Stelle erhellt, theils aus der Er- wähnung des adversarius, theils aus den Worten resti- tuere litem. 2. Ein Schuldner bewegt durch einen erdichteten Brief seinen Gläubiger, ihm die Schuld durch Acceptilation zu erlassen. Der Gläubiger, der Dieses entdeckt, kann, wenn er volljährig ist, die actio doli gegen den Schuldner (auf Entschädigung) anstellen, wenn er minderjährig ist, durch Restitution die Wiederherstellung der getilgten Schuld be- wirken L. 38 de dolo (4. 3) „… postea epistola falsa vel inani reperta, creditor major quidem annis XXV. de dolo habebit actionem, minor autem in integrum restituetur“. . Diese Stelle hat mit der vorhergehenden (L. 7 § 1 de in int. rest.) die Aehnlichkeit, daß in beiden von einem auf zwei Personen beschränkten Rechtsverhältniß die Rede ist. Dabei muß es aber auffallen, daß hier dem voll- jährigen Gläubiger die actio doli gegeben wird, da doch die in der vorhergehenden Stelle vorgezogene Restitution wegen Betrugs denselben Erfolg gehabt hätte, mit Scho- nung der Ehre des Gegners. Ich wage nicht, einen be- stimmten Grund dieser scheinbar verschiedenen Entscheidung anzugeben. Vielleicht war dieser Punkt streitig; ohnehin behauptet Marcellus den Vorzug jener Restitution nicht als eine feststehende Rechtsregel, sondern als das räthliche Verfahren eines wohlgesinnten Prätors. Es ist aber auch möglich, daß die Römischen Juristen diesen Vorzug der Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Restitution vor der actio doli so allgemein nur annahmen bei Nachtheilen im Prozeß (wovon L. 7 § 1 cit. handelt) nach der Analogie des Irrthums, nicht bei Nachtheilen aus Verträgen (wovon L. 38 de dolo redet). 3. Eine reine Anwendung der hier aufgestellten Regeln findet sich in einer der wichtigsten hierher gehörenden Stel- len, die man gewöhnlich mit Unrecht als eine vereinzelte, ganz positive Bestimmung ansieht L. 33 de re jud. (42. 1). . Wenn ein Prozeß rechtskräftig entschieden wird, der verlierende Theil aber hinterher entdeckt, daß das Urtheil auf die Aussage von Zeugen gesprochen worden ist, die der Gegner bestochen hatte, so würde gegen denselben unzweifelhaft die actio doli begründet seyn. — Diese soll aber hier nicht gelten, sondern es soll vielmehr durch Restitution (wegen Betrugs) das Urtheil entkräftet werden, damit ein neues Urtheil gesprochen werden könne. B. Fälle, in welchen der Betrüger eine vom Gegner des Verletzten verschiedene (dritte) Person ist. 4. Wenn bei einer angestellten oder vorbereiteten Klage ein Dritter in böswilliger Absicht die Erscheinung des Be- klagten vor Gericht verhindert, so kann dadurch der Kläger auf mancherlei Weise in Nachtheil kommen; eine angefan- gene Usucapion oder Klagverjährung kann vollendet werden, wodurch dem Kläger sein Eigenthum oder sein Klagrecht entzogen wird. Gegen diesen Dritten gab der Prätor dem §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. Kläger eine besondere Entschädigungsklage, eine actio in factum, so daß er der entehrenden actio doli gar nicht bedurfte L. 3 pr. de eo, per quem factum (2. 10). . Wenn aber dieser Dritte zahlungsunfähig war, so sollte der verletzte Kläger gegen den unschuldigen Beklagten selbst eine Restitution erhalten, damit sich dieser nicht mit dem nun unheilbaren Schaden eines Anderen bereichere L. 3 § 1 eod. „Plane si is, qui dolo fecerit, quo minus in judicio sistatur, solvendo non fuerit, aequum erit, adversus ipsum reum restitutoriam ac- tionem competere, ne propter dolum alienum reus lucrum faciat, et actor damno adficia- tur.“ . — Dieses ist offenbar eine Restitution wegen des (von einem Dritten verübten) Betrugs, die aber nur im Nothfall eintreten soll, nämlich nur, wenn dem Ver- letzten nicht durch die ordentliche Klage gegen den Betrüger Hülfe verschafft werden kann. 5. Wenn Jemand zur Hälfte ein Erbrecht erwirbt, dann als Erbe verklagt wird, und auf die gerichtliche Frage, zu welchem Theil er Erbe sey, wider besseres Wissen erklärt, er sey der einzige Erbe, so trifft ihn zur Strafe der Nach- theil, daß er im Fall der Verurtheilung für die ganze Schuld haften muß L. 11 § 4. 5 de interrog. in j. (11. 1). . Dazu bedarf es keiner besonderen Klage, insbesondere nicht der actio doli. Ist er aber zah- lungsunfähig, so würde nun den unschuldigen Kläger ohne Grund der Nachtheil treffen, daß er den zahlungsfähigen Miterben nicht mehr verklagen könnte, und dieser würde sich auf des Klägers Kosten bereichern. Dagegen erhält Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. der Kläger Restitution (wegen Betrugs eines Dritten), so daß er gegen den Miterben zur Hälfte der Schuld klagen kann L. 18 eod. . 6. Wenn ein Waarenkauf nach dem von einem Dritten hergeliehenen Gewicht geschlossen wird, der Dritte aber wissentlich falsches Gewicht giebt, so geht gegen ihn die actio doli L. 18 § 3 de dolo (4. 3). ; das Geschäft selbst also bleibt unter den Parteien gültig. Nach den bei den vorigen Fällen (Num. 4. 5) angewendeten Regeln darf man aber wohl un- bedenklich annehmen, daß die Restitution gegen das Geschäft selbst gegeben werden muß, wenn die actio doli wegen Zahlungsunfähigkeit des Beklagten ohne Erfolg bleibt Auch noch in einem anderen Fall zeigt sich die Rücksicht auf Zahlungsunfähigkeit, ohne daß da- bei von Restitution die Rede ist. Wenn ein Unmündiger unter Ge- nehmigung des Vormundes mit einem Dritten einen Vertrag schließt, und dabei von diesen beiden Per- sonen betrogen wird, so soll er nur die actio tutelae gegen den Vormund haben, nicht die actio doli gegen den Dritten, außer wenn der Vormund insolvent ist. L. 5. 6 de dolo (4. 3). . Fassen wir das Ergebniß dieser Entscheidungen einzelner Rechtsfälle zusammen, so erhalten dadurch die zwei oben (S. 203) abgedruckten Stellen folgende sichere Deutung. Wenn diese Stellen sagen, im Collisionsfall sey die Restitution der entehrenden actio doli vorzuziehen, so hat das erstlich den Sinn, daß die aus einem anderen Restitutionsgrund, z. B. Minderjährigkeit, abzuleitende Restitution stets vorgehen soll (Num. 2); ferner auch den Sinn, daß die Restitution wegen Betrugs vorgehen soll, wenn der Gegner des Verletzten §. 332. Einzelne Restitutionsgründe. V. Betrug. zugleich der Betrüger ist Wenigstens für Prozeßver- hältnisse ist Dieses gewiß nach Num. 1. 3, für Verträge mag es nach Num. 2 dahin gestellt bleiben. . Ist dagegen der Betrüger verschieden von dem Gegner des Verletzten, so muß sich dieser an den Betrüger halten, selbst wenn dazu die actio doli nöthig seyn sollte, und die Restitution gegen den schuldlosen Gegner soll nicht eintreten, außer wenn der Betrüger zahlungsunfähig ist (Num. 4. 5. 6). Die Meinungen der Neueren über die Restitution wegen Betrugs gehen ungemein aus einander. Von Burchardi’s Meinung, nach welcher besonders die Restitution wegen Betrugs seit Diocletian die größte Ausdehnung erhalten haben soll, ist schon oben die Rede gewesen (§ 317 Note g ). — Schröter schließt sich dieser Ansicht gleichfalls an, hat aber daneben richtige Ansichten aufgestellt, und nur die Anwendung dieser Restitution zu casuistisch behandelt, anstatt sie auf allgemeinere Grundsätze zurück zu führen Schröter S. 126 — 129. . — Göschen verneint gänzlich das Daseyn einer Restitution wegen Betrugs, indem er sich durch die Wahrnehmung täuschen läßt, daß gerade in dem Digestentitel de dolo malo eine solche Restitution nicht erwähnt wird Göschen Vorlesungen I. S. 569. . — Puchta nimmt so, wie bei der Restitution wegen Zwangs, mit Unrecht an, daß diese Restitution im heutigen Recht völlig verschwunden sey (§ 330 Note g ). Anderwärts aber nimmt er an, die VII. 14 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. actio doli selbst sey eine Restitution, weil in der Stelle des Edicts die Worte vorkommen: si justa causa esse vi- debitur, also eine causae cognitio vorbehalten sey Puchta Institutionen B. 2 S. 221 — 223. . Sowohl diese Behauptung, als die von ihm versuchte Er- klärung der oben abgedruckten beiden Digestenstellen A. a. O., S. 223. 419. , ist so subtil, daß durch ihre consequente Durchführung die ganze Lehre von der Restitution alle Haltung verlieren müßte. §. 333. Restitution. — Einzelne Gründe . — VI. Antiquirte Gründe . Die bisher abgehandelten Restitutionsgründe können insgesammt auch im heutigen Recht vorkommen. Zwei andere jedoch sind nur noch geschichtlich zu erwähnen, und nur um in dem ganzen Zusammenhang dieser Lehre keine Lücke zu lassen. Diese sind: Die Capitis deminutio. Die Alienatio judicii mutandi causa facta. Beide haben in den Digesten eigene Titel, im Zusammen- hang mit den übrigen Restitutionsgründen erhalten. Beide aber können nicht nur für das heutige Recht, sondern selbst für das Justinianische, als anwendbare Restitutionen nicht mehr anerkannt werden. §. 333. VI. Antiquirte Restitutionsgründe. Die capitis deminutio hatte als Restitutionsgrund von jeher nur folgende, höchst beschränkte Bedeutung. Wenn ein Schuldner eine minima capitis deminutio erlitt, durch Arrogation, Adoption, Emancipation u. s. w. S. o. B. 2. §. 68. , so gingen nach altem Recht alle seine Schulden unter Gajus Lib. 4 § 38, Lib. 3 § 84. Nur wenige Arten von Schulden waren von diesem Unter- gang ausgenommen. — Die maxima und media capitis de- minutio hatten andere Folgen, und kommen hier nicht in Betracht. . Da nun Dieses eine augenscheinliche Ungerechtigkeit gegen die nicht einwilligenden Gläubiger war, so gab dagegen der Prätor eine Restitution, wodurch er die verlorenen Forderungen wiederherstellte L. 2 § 1, L. 7 § 2. 3 de cap. min. (4. 5), L. 2 de in int. rest. (4. 1), Gajus l. c., Paulus I. 7. § 2. . Diese Restitution führte aber nur den leeren Namen einer solchen, indem die eigenthümliche Natur einer Re- stitution bei ihr gar nicht zur Anwendung kam. Sie sollte nämlich nicht vom freien Ermessen des Prätors abhangen, sondern unbedingt, ohne alle Voruntersuchung der beson- deren Umstände, gegeben werden; und sie sollte ferner nicht an die Verjährungsfrist der Restitution gebunden seyn L. 2 § 1. 5 de cap. min. (4. 5). . Es war also in der That eine praktische Aufhebung des alten Rechtssatzes, nur versteckt unter der Form einer Re- stitution, gewissermaßen aus Respect gegen das alte Civil- recht. So stand es also schon im alten Recht. Im Justinia- 14* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung nischen Recht aber ist der alte Grundsatz selbst, worauf sich diese mildernde Maaßregel bezog, mit allem Recht wegge- lassen worden, so daß für uns das Bedürfniß dieser Re- stitution räthselhaft blieb bis zur Entdeckung des Gajus . Man möchte glauben, es wäre nun besser gewesen, auch diese Restitution selbst unerwähnt zu lassen. Dieses ist nicht geschehen, theils weil überall in den Justinianischen Sammlungen das Bestreben sichtbar ist, so wenig als möglich von den alten Rechtsinstituten dem Namen nach untergehen zu lassen, theils weil hier die einzige schickliche Stelle zu seyn schien, um überhaupt die Lehre von der capitis deminutio in den Digesten anzubringen Vergl. über diese Restitution B. 2 § 70 S. 82 — 87. . Die alienatio judicii mutandi causa facta war in der That vom Prätor als Restitutionsgrund aufgestellt. Wenn der Besitzer einer fremden Sache, der eine Eigenthumsklage erwartete, den Besitz absichtlich weggab, indem er dadurch den Kläger in eine nachtheiligere Lage versetzte, so sollte durch jene Restitution die Klage gegen ihn eben so möglich gemacht werden, wie wenn er den Besitz behalten hätte. Diese Restitution wurde aber völlig überflüssig gemacht durch die späterhin, zuerst bei der Erbschaftsklage, dann bei der Eigenthumsklage, eingeführte Lehre von dem qui dolo desiit possidere. Dieser soll jetzt, gerade so wie ein gegen- wärtiger Besitzer, mit jenen Klagen in rem belangt werden können, und zwar im Gang des gewöhnlichen Prozesses, §. 333. VI. Antiquirte Restitutionsgründe. ohne daß es dazu fernerhin einer Restitution bedarf, also in viel vortheilhafterer Weise für den gefährdeten Klagberech- tigten Vergl. oben § 316 Noten h bis l. . Außer den autiquirten Restitutionsgründen sind hier, der Vollständigkeit wegen, noch einige zu erwähnen, die blos auf irrigen Meinungen beruhen. Dahin gehören zunächst die sogenannten civilen Re- stitutionen. Deren Annahme und reichhaltige Ausstattung ist aus zweierlei Mißverständnissen hervorgegangen. Zuerst aus der schon oben gerügten Verwechselung vieler ordent- lichen Rechtsmittel mit der Restitution, die doch mit der- selben in der That nur den äußeren Erfolg gemein haben (§ 316). Dann aber aus dem irrigen Verfahren, die zum Theil aus Kaiserconstitutionen hervorgegangene Ausbildung der oben vorgetragenen wahren Restitutionsgründe zu unab- hängigen, neuen Restitutionen umzubilden Vergl. Schröter S. 151. bis 157. Göschen Vorlesungen I. § 183. . Ferner gehören dahin die verschiedenartigsten Fälle von Restitutionen die man auf den irrig aufgefaßten Begriff einer generalis clausula zurück zu führen versucht hat. Davon ist jedoch schon oben (§ 325) geredet worden. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. §. 334. Restitution. — Gerichtsbehörden . Es ist jetzt noch der formelle Theil der Restitutionslehre darzustellen übrig, welcher die dabei thätigen Gerichts- behörden, die Parteien, das Verfahren, und endlich die Wirkungen der Restitution zum Gegenstand hat (§ 318). Das Recht der Behörden zur Ertheilung von Restitu- tionen (Competenz) ist nach zwei Gesichtspunkten zu be- stimmen: zuerst nach ihrem Beruf zu diesem Geschäft im Allgemeinen (Gerichtsbarkeit); dann nach ihrer Berechtigung für vorkommende einzelne Fälle (Gerichtsstand). Gerichtsbarkeit in Restitutionssachen hatte ursprünglich in Rom und in Italien nur allein der Prätor; in jeder Provinz der Statthalter. Die städtischen Obrigkeiten waren zu Restitutionen niemals befugt L. 26 § 1 ad munic. (50. 1). Vergl. oben § 317. . Eben so erstreckte sich die Befugniß eines vom Prätor ernannten Judex nicht auf die in diese Sache etwa einschlagende Bitte um Restitution; diese mußte vielmehr stets an den Prätor selbst zurück- gehen Burchardi S. 433. . Nach demselben Grundsatz blieb unter den Kaisern die Restitution ein Vorbehalt der höheren Obrigkeiten; sie wurde ertheilt von den Prätoren, dem Stadtpräfecten, dem Prä- fectus Prätorio, den Statthaltern der Provinzen, vom Kaiser selbst. Justinian aber bestimmte, welches vor ihm §. 334. Restitution. Gerichtsbehörden. bezweifelt wurde, daß alle diese Behörden auch durch commissarische Richter die Restitution prüfen und ertheilen lassen könnten; imgleichen, daß die von ihnen für eine andere ganze Sache ernannten Commissare auch eine darin gelegentlich vorkommende Restitution ertheilen sollten L. 16 § 5, L. 17 de min. (4. 4), L. 3 C. ubi et ap. quem (2. 47). Diese Stelle des Codex ist wiederholt in dem C. 9 X. de in int. rest. (1. 41), jedoch mit dem, wahrscheinlich blos mißver- ständlichen, Zusatz, daß auch Schiedsrichter restituiren könnten. — Burchardi S. 432 bis 439. S.537 bis 548. . Für den wichtigsten Fall, die Restitution gegen ein rechtskräftiges Urtheil, sind noch folgende besondere Regeln zu bemerken. Kein Beamter sollte gegen das Urtheil eines im Rang höher stehenden Beamten restituiren, wohl aber gegen das eines gleichstehenden; also auch gegen sein eigenes Urtheil, so wie gegen das seines Vorgängers. Gegen ein Urtheil des Kaisers, oder eines vom Kaiser unmittelbar aufgestellten Vertreters, konnte daher auch nur der Kaiser selbst restituiren L. 18. 42 de min. (4. 4), L. 3 C. si adv. rem jud. (2.27). — Burchardi S. 550 bis 552. . Im heutigen Recht ist unzweifelhaft jeder ordentliche Richter zur Ertheilung einer Restitution befugt, und dadurch wird dieses ohnehin schon bedenkliche Institut für unsren Rechtszustand noch weit bedenklicher, als es jemals für die Römer gewesen ist S. oben § 317. Vergl. Burchardi S. 545. 546. . Für den Gerichtsstand, also für die Competenz der Ge- richtsbehörden in einzelnen Restitutionssachen, sind dieselben Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Regeln zu beobachten, wie wenn das Restitutionsgesuch eine ordentliche Klage wäre. Insbesondere fällt die bei Gelegenheit einer anhängigen anderen Rechtssache vorkom- mende Bitte um Restitution der Prüfung und Entscheidung des Richters anheim, bei welchem die Hauptsache anhängig ist Burchardi S. 548 bis 550. . §. 335. Restitution. — Parteipersonen . Der nächste Gegenstand der Untersuchung betrifft die Personen, unter welchen das Gesuch einer Restitution ver- handelt und entschieden werden kann. Auf der einen Seite steht der Verletzte, dem durch die Restitution geholfen werden soll, auf der andern Seite irgend Einer, welcher der Re- stitution zu widersprechen ein Interesse hat, indem er durch die Herstellung des früheren Zustandes Etwas verliert. Ich will, der Kürze wegen, diese beide Personen den Be- rechtigten und den Verpflichteten nennen. I. Als Berechtigter ist zunächst und unmittelbar der Verletzte selbst zu betrachten, um dessentwillen die gerade jetzt in Frage kommende Restitution eigentlich eingeführt ist, also der Minderjährige, der Gezwungene, der Be- trogene u. s. w. Außer und neben ihm aber können auch manche andere Personen als Berechtigte angesehen werden, welche ihr §. 335. Restitution. Parteipersonen. Recht von dem seinigen in Folge eines besonderen Rechts- verhältnisses ableiten. Dahin gehören allgemein und unzweifelhaft alle Univer- salsuccessoren des ursprünglich Berechtigten S. o. B. 3 § 105. . Jeder Re- stitutionsanspruch kann also nach dem Tode des ursprünglich Berechtigten auch geltend gemacht werden von dessen Erben, so wie von denen, welche in gleichem Verhältniß, wie eigentliche Erben, zu dem Verstorbenen stehen; dahin gehören die Nachfolger aus einem Fideicommiß der Erbschaft, ferner die, welchen ein castrense peculium zufällt. Eben so aber auch, wenn der Berechtigte nicht stirbt, sondern in Unfrei- heit fällt, der Herr desselben, weil dieser in das Vermögen seines Sklaven wie ein Erbe eintritt L. 6 de in int. rest. (4. 1), L. 18 § 5 de minor. (4. 4). . Unter die Fälle eines solchen abgeleiteten Rechts auf eine Restitution gehört ferner der Fall einer Cession, welche überall angewendet werden kann, um die Stelle der Sin- gularsuccession in eine Restitution zu vertreten L. 24 pr. de min. (4. 4), L. 25 de admin. (26. 7), L. 20 § 1 de tutelae (27. 3). — S. u. Note q. , so wie sie bei den Obligationen diese Stelle vertritt. Alle diese Regeln haben kein Bedenken. Dagegen ist in hohem Grade streitig und verwickelt die Frage, ob auch der Bürge des ursprünglich Berechtigten an der Restitution desselben Theil nehmen kann Vergl. über diese Frage Burchardi S. 407 — 416. S. 570 — 581, der die älteren Schrift- steller anführt. Ferner Göschen Vorlesungen I. S. 538. 553. 554. Puchta Pandekten §. 105 i. und §. 405 g. Vorlesungen S. 216. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Um diese Streitfrage auf das ihr allein zukommende engere Gebiet zurück zu führen, muß die Bemerkung vor- aus geschickt werden, daß sie nur vorkommen kann bei der Restitution der Minderjährigen. Abwesende nämlich werden überhaupt nur restituirt gegen Versäumnisse, nicht gegen Rechtsgeschäfte (§ 325), während Bürgen nur bei Rechts- geschäften eintreten. In den Fällen des Zwanges und Betrugs aber wird sich der Bürge stets durch die exceptio metus oder doli schützen können, die ihm eben so gut, als dem Gezwungenen oder Betrogenen selbst, zusteht L. 7. § 1 de except. (44.1). ; dazu bedarf es keiner Restitution. Der Minderjährige nun, für dessen Schuld ein Bürge eingetreten ist, steht in zwei verschiedenen Rechtsverhält- nissen: gegen den ursprünglichen Gläubiger, und gegen den Bürgen, der, wenn er aus der Bürgschaft verurtheilt ist, oder freiwillig gezahlt hat, in der Regel den Regreß an den Hauptschuldner nehmen kann Mit der actio mandati oder negotiorum gestorum, je- nachdem der Schuldner um die Bürgschaft wußte oder nicht. L. 6 § 2 L. 18 mand. (17. 1), L. 43 de neg. gestis. (3. 5). . Der minderjährige Schuldner ist gegen jede dieser beiden Forderungen, wenn er will, gleichmäßig durch Restitution gefchützt , so daß also die praktische Frage eigentlich nur darauf geht, wer zuletzt den Verlust tragen soll, der Gläubiger oder der Bürge L. 13 pr. de min. (4. 4) „… In summa perpendendum erit Praetori, cui potius sub- veniat, utrum creditori an fidejussori; nam minor captus neutri tenebitur“. — L. 1 C. de fid min. (2. 24). Allerdings . §. 335. Restitution. Parteipersonen. Wird nun zuerst der Bürge verklagt, so hat Dieser gewiß keinen Anspruch auf Restitution Nach dem neuesten Recht freilich kann der Bürge die Klage durch die exceptio excussionis von sich ablehnen, und dadurch sogleich die Anwendung des fol- genden Falles herbei führen ( Nov. 4 C. 1). . Die Streitfrage beschränkt sich also auf den anderen Fall, wenn zuerst der Minderjährige verklagt, und auf sein Begehren restituirt worden ist; ob diese, nicht mehr blos mögliche, sondern wirklich ertheilte Restitution des Hauptschuldners auch von dem nachher verklagten Bürgen für sich geltend gemacht werden kann, das ist die allein noch übrige Frage. Mehrere Stellen sprechen hierüber so, daß man glauben könnte, der Bürge könne den Schutz der Restitution verlangen L. 3 § 4 de min. (4. 4), „.. hoc auxilium .. solet in- terdum fidejussori ejus pro- desse“, L. 51 pr. de proc. (3. 3), L. 8 de adqu. her. (29. 2). ; andere so, als könne er diesen Schutz nicht in Anspruch nehmen L. 1. 2 C. de fid. min. (2. 24), L. 7 § 1 de except. (44. 1). Diese schwierige Stelle spricht zuerst von der exceptio L. Plaetoriae, die sie unbedingt den Bürgen zu- spricht, dann von der Restitution: „quod si deceptus sit in re (i. e. sine dolo), tunc nec ipse ante habet auxilium, quam restitutus fuerit, nec fidejus- sori danda est exceptio.“ Die letzten Worte sind zweideutig, in- dem man so auslegen kann: der Bürge soll niem als den Schutz haben; oder auch: er soll gleich- falls den Schutz nicht anders haben, als nachdem der Minderjährige restituirt ist. Die letzte Deutung ist den Worten angemessener. Vgl. Burchardi S. 205. 410. 579. Savigny Zeitschrift f. geschichtl. Rechtsw. X. 249. ; in der That aber muß die Unbe- stimmtheit der einen und der anderen Aussprüche nicht in aber kann es geschehen, daß die eine dieser Restitutionen geltend gemacht wird, während die andere verloren geht, z. B. durch Ver- jährung. Darauf geht in dieser letzten Stelle der hypothetische Ausdruck: modo fi… non juvaris. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dem Sinn einer allgemeinen und unbedingten Wahrheit aufgefaßt werden, sondern einer blos möglichen, für manche Fälle, unter gewissen Umständen geltenden, Wahrheit. Dahin deuten schon die Ausdrücke einiger dieser Stellen selbst (Note h. i ). Ganz bestimmt aber entscheidet für die Richtigkeit dieser Auffassung eine Stelle des Ulpian L. 13 pr. de min. (4. 4). , die überhaupt den Weg zeigt zur wahren Vereinigung der über diese ganze Frage scheinbar widersprechenden Stellen. Ulpian sagt, der Prätor müsse nach den Umständen jedes einzelnen Falles prüfen, ob der Gläubiger den Verlust tragen solle oder vielmehr der Bürge (Note g ). Als Haupt- regel aber für die Entscheidung dieser Frage stellt er den offenbar richtigen Satz auf, der Bürge müsse den Schaden tragen, wenn er gerade mit Rücksicht auf die aus der Minderjährigkeit für den Gläubiger hervorgehende Gefahr Bürgschaft leistete L. 13 pr. cit. „Itaque si, cum scirem minorem, et ei fidem non haberem, tu fide- jusseris pro eo, non est ae- quum, fidejussori in necem meam subveniri, sed potius ipsi deneganda erit mandati actio.“ . Mit dieser Anweisung stimmt auch völlig überein eine Stelle des Paulus Paulus I. 9. § 6. „Qui sciens prudensque se pro minore obligavit, si id consulto consilio fecit, licet minori suc- curratur, ipsi tamen non suc- curretur.“ Consulto consilio kann nicht die Absichtlichkeit über- haupt bezeichnen, denn diese findet sich bei jeder Bürgschaft, ja bei jedem Vertrag, sondern nur die besondere, auf die Sicherheit gegen eine künftige Restitution gerichtete Absicht. — Burchardi faßt die Sache im Allgemeinen richtig auf, stellt aber S. 572. 577 Präsum- tionen auf, die ich für grundlos und unnöthig halte. Besonders aber scheint mir der von ihm über Ulpian ausgesprochene Tadel (S. 576) völlig ungerecht. . — Der ent- §. 335. Restitution. Parteipersonen. gegengesetzte Fall wird demnach so zu denken seyn, daß der Bürge nicht aus jener besonderen Rücksicht die Bürgschaft leistete, sondern etwa, weil der Gläubiger die Zahlungs- fähigkeit des Minderjährigen in Zweifel zog, während der Bürge dessen ausreichendes Vermögen genau kannte, so daß also dabei das minderjährige Alter des Hauptschuldners gar nicht zur Sprache kam Dieses drückt Papinian in L. 95 § 3 de sol. (46. 3) so aus: „cui fidejussoris (obligatio) accessit sine contemplatione juris praetorii. “ Burchardi S. 575 faßt diese Worte anders auf. ; am entschiedensten würde dieser zweite Fall anzunehmen seyn, wenn die Minderjährig- keit dem Bürgen ganz unbekannt geblieben wäre, vielleicht auch selbst dem Gläubiger. In diesem zweiten Fall nun würde der aus der Restitution hervorgehende Schutz dem Bürgen zu gute kommen, und der Gläubiger hätte den Verlust zu tragen. Man kann nun noch die Frage aufwerfen, welche Mittel anzuwenden seyen, um zu dem hier aufgestellten Ziele zu gelangen. Darüber sagt Ulpian , der sicherste Weg bestehe darin, daß sofort der Minderjährige gegen den Hauptschuldner und den Bürgen zugleich die Restitution nachsuche. Dann höre der Prätor alle Betheiligte gegen einander, und könne so am besten entscheiden, wer im vor- liegenden Falle den Verlust tragen solle L. 13 pr. de min. (4. 4). „Unde tractari potest, minor in integrum restitutionem utrum adversus creditorem, an et adversus fidejussorem implo- rare debeat? Et puto tutius adversus utrumque; causa enim cognita et praesentibus adver- sariis, vel si per contumaciam desint, in integrum restituti- ones perpendendae sunt. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Nun ist es aber auch möglich, daß der Minderjährige diesen Rath nicht befolgt, vielmehr mit der Restitution gegen den Hauptschuldner sich begnügt, oder auch diese einstweilen auf sich beruhen läßt, da dann in beiden Fällen dem Bürgen die Gelegenheit entzogen wird, seinen Anspruch auf die Theilnahme an der Restitution zu rechter Zeit geltend zu machen. Für solche Fälle muß dem Bürgen gestattet werden, seine Regreßklage gegen den Minderjährigen gleich jetzt geltend zu machen (Note f ); nicht um einen Geldersatz zu erlangen, indem er selbst noch Nichts gezahlt hat, auch von diesem Ersatz durch des Minderjährigen Restitution in jedem Fall ausgeschlossen seyn würde (Note g ): wohl aber um den Minderjährigen zu einer Cession seiner Restitution zu zwingen, die er dann gegen den Gläubiger geltend machen kann. Diese billige, dem Minderjährigen unschäd- liche, Befugniß wird von Paulus anerkannt, zwar nicht für den Fall der Bürgschaft, wohl aber für folgenden ganz ähnlichen, nach gleichen Grundsätzen zu beurtheilenden Fall. Wenn ein Minderjähriger für einen Anderen eine nego- tiorum gestio unternimmt, und darin Etwas versieht, so kann er sich restituiren lassen, und dadurch von dem Anderen (dem Herrn des Geschäfts) allen Schaden abwenden. Ver- weigert er diese Restitution, so kann der Andere durch die actio negotiorum gestorum verlangen, daß ihm der Minder- jährige die Restitution cedire, die dann er selbst geltend machen kann L. 24 pr. de min. (4. 4). S. o. Note c. . §. 336. Restitution. Parteipersonen. (Forts.) §. 336. Restitution. — Parteipersonen . (Fortsetzung.) II. Die Person des Verpflichteten in der Resti- tution (§ 335) ist nicht so einfach und leicht zu bestimmen, wie die des Berechtigten, wegen der großen Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse, worauf sich die Wiederherstellung eines früheren Zustandes beziehen kann. Bei einem nach- theiligen Vertrag wird es oft nur darauf ankommen, die obligatorische Wirkung desselben zu entkräften; dann ist der andere Contrahent allein der zur Erduldung der Restitution verpflichtete Gegner, ganz als ob von einer persönlichen Klage die Rede wäre. Ist dagegen das durch Ersitzung einem Abwesenden entzogene Eigenthum zu restituiren, so ist der Besitzer der Sache, der meist auch der Eigenthümer seyn wird, der Verpflichtete, da gegen diesen die herzustel- lende Eigenthumsklage gerichtet wird. Geht die Restitution gegen eine angetretene oder ausgeschlagene Erbschaft, so sind die sehr mannichfaltigen Personen als Verpflichtete zu betrachten, mit welchen ein Erbe als solcher in Rechts- verhältnisse eintritt. — Man pflegt wohl diese Verschieden- heit so auszudrücken, daß die Restitution bald in personam, bald in rem gehe. Von diesem Gegensatz wird jedoch zweck- mäßiger weiter unten, bei den Wirkungen der Restitution, gehandelt werden (§ 343). Gewisse Personen sind wegen ihres persönlichen Ver- hältnisses zum Berechtigten von der Verpflichtung aus- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. genommen, eine Restitution gegen sich ergehen zu lassen. Diese Ausnahmen haben Aehnlichkeit mit den für die actio doli vorgeschriebenen Ausnahmen von der Verpflichtung, als Beklagte in dieser Klage aufzutreten, dürfen jedoch nicht damit gleich gestellt werden. Bei der Restitution sind ausgenommen die Eltern und der Patron des Berechtigten. Diese Ausnahme war früher bestritten in ihren Bedingungen und Gränzen, ist aber von Justinian in größter Ausdehnung anerkannt worden L 2 C. qui et adv. quos (2. 42). Vergl. Burchardi S. 117 — 124. Göschen Vor- lesungen I. S. 540. Puchta Pandekten § 107 d. . — Bei der actio doli sind gleichfalls ausgenommen die Eltern und der Patron; außer diesen aber auch noch viele andere Personen, welchen der Berechtigte nach seiner Stel- lung Ehrfurcht schuldig ist. Dagegen hat diese Ausnahme bei der actio doli die blos formelle Bedeutung, daß der Ausdruck dolus und die davon abhängende Entehrung ver- mieden werden soll; jede andere Wirkung der Klage soll durch eine actio in factum aufrecht erhalten werden L. 11 § 1, L. 12 de dolo (4. 3), L. 27 § 4 de min. (4. 4). . Bei der Restitution hat die Ausnahme eine ernsthaftere Bedeutung; weder die Restitution selbst, noch ein Surrogat derselben, soll gegen Eltern und Patrone in Anspruch ge- nommen werden, weil diesen gar nicht zugetraut werden dürfe, daß sie gegen ihre Kinder oder Freigelassene ein §. 336. Restitution. Parteipersonen. (Forts.) Recht geltend machen könnten, welches zu einer Restitution Anlaß geben möchte L. 2 C. cit. . Von dieser Begünstigung der Eltern und Patrone haben neuere Schriftsteller wiederum folgende Reihe von Aus- nahmen aufgestellt, die aber insgesammt als solche nicht anerkannt werden können. 1. Gegen eine nachtheilige Arrogation kann ein minder- jähriger Sohn allerdings Restitution fordern L. 3. § 6 de min. (4. 4). Vgl. oben § 319 Note p. . Nur ist es ein Zirkel, Dieses als Ausnahme von der oben ange- gebenen Begünstigung anzusehen. Denn wenn die Resti- tution als begründet erkannt wird, so ist ja gerade das elterliche Verhältniß verneint, worauf allein die Begünsti- gung sich bezieht. 2. Wenn ein Vater seinen minderjährigen Sohn eman- cipirt, dann aber durch Klage die Emancipation als nicht geschehen angreift, und ein rechtskräftiges Urtheil für sich erlangt, so kann der Sohn allerdings Restitution gegen dieses Urtheil erhalten L. 2 C. si adv. rem jud. (2. 27). . Allein wegen dieser angeblichen Ausnahme gilt dieselbe Bemerkung, wie wegen der vorher- gehenden. Denn wenn in Folge der Restitution ein ent- gegengesetztes Urtheil bewirkt wird, welches die Emanci- pation für gültig erklärt, so ist dadurch wiederum das Verhältniß zwischen Vater und Sohn beseitigt. 3. Wenn der Vater eine Sache zuerst seinem minder- VII. 15 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. jährigen Sohn, dann aber einem Dritten, und zwar mit Einwilligung des Sohnes, schenkt, so kann der Sohn gegen diese seine Einwilligung Restitution verlangen L. 2 C. si adv. don. (2. 30). . Hier geht aber die Restitution nicht gegen den Vater, sondern gegen den Dritten, der die spätere Schenkung empfing. 4. Wenn einem in väterlicher Gewalt lebenden minder- jährigen Sohne die Erbschaft zufällt, über den Werth dieser Erbschaft Vater und Sohn verschiedene Meinung haben, und deshalb der Sohn, im Widerspruch mit der Ansicht des Vaters, die Erbschaft ausschlägt oder antritt, so kann er hinterher gegen diese seine Handlung Restitution erlan- gen L. 8 § 1 C. de bon. quae lib. (6. 61). . Auch hier, wie in dem vorhergehenden Falle, geht die Restitution nicht gegen den Vater, sondern gegen die mancherlei fremde, dabei betheiligte Personen. 5. Wenn eine Mutter als Vormünderin die Rechte ihres Kindes beeinträchtigt, so kann dieses dagegen Rechts- mittel jeder Art, unter andern auch die Restitution, ge- brauchen Nov. 155 C. 1. . Dieses ist eine wahre Ausnahme jener Begünstigung, allein da die Novelle Justinian’s , worin sich diese neueste Bestimmung findet, unglossirt ist, so hat sie für das heutige Recht keine Anwendbarkeit S. o. B. 1 § 17. Göschen a. a. O. will die Novelle gelten lassen als blos declaratorisch, wofür ich sie nicht halten kann, da sie in der That das frühere Gesetz positiv einschränkt. Puchta a. a. O. faßt die Sache so auf, daß die Re- stitution nur wegfalle gegen die . §. 336. Restitution. Parteipersonen. (Forts.) Zuletzt ist noch der Fall zu erörtern, wenn der Ver- pflichtete bei der Restitution gleichfalls eine besonders be- günstigte Person ist. In einem solchen Fall fragt es sich, ob auch dieser Person gegenüber die Restitution verlangt werden könne. Diese Frage tritt zuerst ein, wenn ein Minderjähriger gegen einen Minderjährigen restituirt seyn will. Hier wird meistens nur ein einseitiger Nachtheil vorhanden seyn; z. B. wenn eine Sache zu wohlfeil verkauft wird, hat nur der Verkäufer Nachtheil, und dieser wird restituirt, wobei der Käufer keinen Nachtheil erleidet in Vergleichung des ur- sprünglichen Zustandes. Sind aber beide im Nachtheil ge- kommen, z. B. wenn ein Minderjähriger dem andern Geld leiht, und dieser es verschwendet, so soll der Empfänger des Darlehens den Vorzug haben, d. h. es soll an dem gegen- wärtigen Zustand Nichts verändert werden L. 11 § 6 , L. 34 pr. de min. (4. 4). . Wenn ein Abwesender die Sache eines anderen Ab- wesenden usucapirt, so ist nur ein einseitiger Nachtheil vor- handen, und die Restitution gegen die Usucapion hat kein Bedenken L. 46 ex quib. caus (4. 6). . Giebt ein Minderjähriger ein Darlehen an einen Sohn in väterlicher Gewalt, so wird er gegen die exceptio Sc. Eltern als solche ( L. 2 C. qui et adv. quos ), nicht gegen die in anderer Eigenschaft, z. B. als Vor- münder, auftretende Eltern ( Nov. 155). Allein auch jede andere Re- stitution geht nicht gegen die Eltern als solche, sondern in ihrer Eigenschaft als Contrahenten, Usu- capienten u. s. w. 15* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Macedoniani restituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen Alters soll in der Collision den Vorzug haben vor dem Verbot des Senatusconsults L. 11 § 7, L. 34 § 1 de min. (4. 4), L. 3 § 2 de Sc. Mac. (14. 6), L. 9 pr. de j. et facti ignor. (22. 6). . Wenn ein Minderjähriger seine Forderung gegen die Expromission einer Frau aufgiebt, so wird ihm (so wie jedem Anderen) seine frühere Klage wiedergegeben, und wenn der alte Schuldner zahlungsfähig ist, so entsteht für den Minderjährigen keine Läsion. Ist aber der Schuldner insolvent, so wird der Minderjährige restituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen Alters hat im Collisionsfall den Vorzug vor dem Verbot des Vellejanischen Senatus- consults L. 12 de min. (4. 4). . §. 337. Restitution. — Verfahren . Es gehörte zur Eigenthümlichkeit der Restitution schon von ihrem Ursprung an, daß die Prüfung und Gewährung derselben nicht dem gewöhnlichen Gang des Verfahrens (dem ordo judiciorum ) überlassen ward, sondern dem höch- sten Richteramt vorbehalten blieb, also extra ordinem voll- zogen wurde (§ 316. 317). Daher verfolgte Der, welcher eine Aenderung des be- stehenden Zustandes durch Restitution bewirken wollte, seinen Zweck nicht durch eine actio, da diese vor einem Judex §. 337. Restitution. Verfahren. hätte verhandelt werden müssen L. 24 § 5. de min. (4. 4). „Ex hoc edicto nulla propria actio vel cautio proficiscitur, totum enim hoc pendet ex Praetoris cognitione.“ Die Worte vel cautio gehen auf die Fälle einer vom Prätor erzwun- genen Stipulation, aus welcher dann wieder, in natürlicher Folge, eine actio (nämlich eine condic- tio ) entstand. L. 1 § 2 de stip. praet. (46. 5), L. 37 pr. de o. et a. (44. 7). Die abgedruckte Stelle geht übrigens zunächst nur auf die Restitution der Minderjährigen, ist aber darum nicht weniger wahr auch für alle übrige Restitutionen. , sondern er bat viel- mehr um eine cognitio, d. h. um eine Verhandlung un- mittelbar vor dem Prätor selbst Cognitionem postulare, impetrare. L. 39 § 6 de proc. (3. 3), L. 3 § 9 de min. (4. 4), L. 39 pr. de evict. (21. 2). . Damit hängt es zusammen, wenn oft gesagt wird, die Restitution werde bewirkt durch cognitio, welches nur ein abgekürzter, nicht völlig genauer Ausdruck ist, da es eigentlich das in Folge der cognitio erlassene Decret des Prätors war, welches die Restitution ertheilte L. 29 § 2. L. 47 § 1 de min. (4. 4). L. 1 C. de off. praet. (1. 39), L. 2 C. si ut omissam (2. 40). . — Daß aber an die ertheilte Re- stitution eine Klage angeknüpft werden konnte, wird sogleich weiter ausgeführt werden. Eben so suchte der Beklagte eine Restitution nicht auf dem Wege einer exceptio, sondern unmittelbar durch Ver- weigerung der Klage L. 27 § 1 de min. (4. 4). , obgleich auch hier eine exceptio, angeknüpft an die Restitution, wohl möglich war. — Dasselbe Verhältniß trat wiederum bei dem Kläger ein, der die Verweigerung der exceptio unmittelbar durch Restitution bewirken konnte, nach den Umständen des Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. einzelnen Falles aber auch eine replicatio an die Restitution knüpfte L. 9 § 4 de jurej. (12. 2). . Diese Eigenthümlichkeiten sind schon seit dem Untergang des alten ordo judiciorum verschwunden, und können also auch in unsrem heutigen Prozeß um so weniger wahr- genommen werden. Hier erscheint daher die Bitte um Re- stitution in Form einer gewöhnlichen Klage oder Einrede; bald selbstständig, bald bei Gelegenheit eines anderen Rechts- streits, und in Verbindung mit demselben. Da aber unsre Juristen einen Römisch aussehenden Klagnamen für unent- behrrlich hielten, so pflegten sie dem Restitutionsgesuch den Namen imploratio officii judicis beizulegen, ohne sich daran zu stoßen, daß dieser Name weder in unsren Rechts- quellen vorkommt, noch zu der ursprünglichen Form des Römischen Restitutionsverfahrens paßt. Die meisten Prozeßregeln, die über das Restitutions- verfahren aufgestellt werden, sind einfacher Natur und geben zu Zweifeln keinen Anlaß. — Wer zur Restitution berechtigt ist, kann nicht nur in eigener Person darum bitten, sondern auch durch einen Procurator L. un. C. etiam per pro c. (2. 49). ; jedoch nicht durch einen Generalbevollmächtigten, sondern nur vermittelst eines auf dieses Geschäft gerichteten besonderen Auftrags L. 25 § 1, L. 26 de min. (4. 4). Ueber das Vertretungs- recht des Vaters, nach L. 27 pr. de min. (4. 4), s. o. § 323 Note p. . — Mit einer gewöhnlichen Klage ist das Restitutionsverfahren darin §. 337. Restitution. Verfahren. gleichartig, daß es nur Gültigkeit hat, wenn die Gegner des Berechtigten dazu gehörig vorgeladen sind, und entweder erscheinen, oder durch Ungehorsam ausbleiben L. 13 pr. de min. (4. 4), L. 1 C. si adv. dotem (2. 34). — Bei der Restitution gegen den Er- werb einer Erbschaft sind sämmt- liche Gläubiger des Verstorbenen als Gegner vorzuladen. L. 29 § 2 de min. (4. 4), Nov. 119 C. 6. . Der ausbleibende Gegner kann auch durch einen Vertreter ver- theidigt werden, der aber, eben so wie in einem gewöhn- lichen Rechtsstreit, Bürgen stellen muß L. 26 § 1 de min. (4. 4). . Nur Restitu- tionen gegen Versäumnisse im Prozeß werden nicht selten auch ohne Anhörung des Gegners ( brevi manu ) ertheilt Puchta Vorlesungen S. 216. . Die schwierigste und bestrittenste Frage in dem Ver- fahren bei der Restitution ist die über das sogenannte ju- dicium rescindens und rescissorium, womit es folgende Bewandtniß hat Ausführlich handelt davon Burchardi § 24. 25. 26, wo auch viele andere Schriftsteller angeführt und beurtheilt werden. . Der Zweck der Restitution, die Herstellung des Ver- letzten in seinen früheren Zustand, kann nach Verschiedenheit der Umstände auf zweierlei Weise erreicht werden. Es kann geschehen durch ein einfaches Decret des Prätors, welches in Folge einer bloßen cognitio die Sache völlig erledigt, so daß Nichts mehr zu thun übrig bleibt. Dieser Fall tritt stets ein bei der Restitution gegen Ver- säumnisse oder Versehen im Prozeß, indem das Decret die restituirte Partei in dieselbe Lage versetzt, wie wenn die Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Versäumniß oder das Versehen nicht Statt gefunden hätte. — Derselbe Fall findet sich oft, ja meistens, bei der Restitution eines Minderjährigen. Hat Dieser eine Sache zu theuer gekauft oder zu wohlfeil verkauft, so wird der Gegner gezwungen, im ersten Fall das Geld, im zweiten die ver- kaufte Sache zurück zu geben, und mit diesem Decret ist jeder Verletzung des Minderjährigen vollständig abgehol- fen L. 24 § 4 de min. (4. 4), L. 39 § 6 de proc. (3. 3) , L. 39 pr. de evict. (21. 2) „fundus praetoria cognitione ablatus.“ . — Allein auch diese cognitio des Prätors kann wieder auf verschiedene Fragen gerichtet seyn, also in ver- schiedene Stufen der Untersuchung zerfallen, deren jede viel- leicht durch ein besonderes Decret entschieden wird, indem z. B. das Alter selbst, ferner das Daseyn einer Verletzung, endlich der Zusammenhang der Verletzung mit der Minder- jährigkeit, bestritten werden kann L. 39 pr. de min. (4. 4). . Es kann aber auch geschehen durch das restituirende Decret des Prätors, verbunden mit einem darauf folgenden ganz anderen Rechtsstreit, durch welchen erst die völlige Befriedigung des Verletzten herbeigeführt wird. In vielen Fällen nämlich soll die Restitution nur dazu dienen, ein Hinderniß wegzuräumen, welches dem Gebrauch irgend eines anderen selbstständigen Rechtsmittels (Klage oder Einrede) im Wege steht. Dann erwartet der Verletzte von der Re- stitution nicht sowohl die Herstellung des erwünschten frü- heren Zustandes selbst, als die Herstellung eines verlorenen §. 337. Restitution. Verfahren. Klagerechts, dessen Anwendung ihm dann, wie er hofft, zum Genuß jenes Zustandes verhelfen soll. Hieraus ent- stehen also zwei an sich getrennte Prozesse, und man kann die Restitution insofern eine bedingte Hülfe nennen, als sie dem Verletzten nur unter der Bedingung einen wirklichen Vortheil verschafft, als er den zweiten Prozeß gewinnt. Auf zusammengesetzte Verhältnisse der hier beschriebenen Art beziehen sich die oben erwähnten Kunstausdrücke. Ju- dicium rescindens nennen unsre Schriftsteller den Streit über die Restitution, der mit dem Ausspruch derselben endigt (also die praetoria cognitio); judicium rescissorium den darauf folgenden Rechtsstreit, der durch die Restitution erst möglich geworden ist. Der erste dieser Ausdrücke ist von den Neueren willkürlich gebildet; der zweite ist ein ächter Kunstausdruck, von den Römern abwechselnd gebraucht mit restitutorium judicium oder actio Rescissoria actio. L. 28 § 5. 6 ex quib. caus. (4. 6), L. 24 C. de R. V. (3. 32), L. 18 C. de j. postlim. (8. 51). — Restituto- ria actio oder judicium. L. 3 § 1 de eo per quem (2. 10), L. 46 § 3 de proc. (3. 3), L. 7 § 3 quod falso (27. 6). . Nur ist der Ausdruck rescissoria actio nicht beschränkt auf die Herstellung einer verlorenen Klage durch die prätorische in integrum resti- tutio; derselbe wird vielmehr auch gebraucht, wenn eine solche Herstellung unmittelbar nach einer Regel des Civilrechts, unabhängig von dem freien Ermessen des Prätors ein- tritt Wenn z. B. eine Frau expromittirt, so wird sie nicht ver- pflichtet, aber die eigentlich unter- gegangene Klage des vorigen . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Das hier beschriebene zusammengesetzte Verfahren ist besonders anwendbar auf die Restitution der Abwesenden, bei welcher schon die Worte des Edicts auf die Wieder- herstellung einer verlorenen Klage gerichtet waren (§ 325). Es ist aber keinesweges auf diesen Restitutionsgrund ein- geschränkt, sondern nicht selten auch bei Minderjährigen anwendbar, und es ist auf der anderen Seite bei Ab- wesenden nicht allgemein und nothwendig. Die Anwendbarkeit jenes Verfahrens auf Minderjährige wird anerkannt von Ulpian in einer Stelle, die vor allen anderen dazu geeignet ist, den Gegensatz beider Verfahrungs- arten zur Anschauung zu bringen L. 13 § 1 de min. (4. 4). Ueber diese Stelle ist zu vergleichen Burchardi S. 443. 444. . Ulpian sagt, die Restitution werde einem Minderjährigen zuweilen in rem gegeben, z. B. wenn die von ihm mit Nachtheil verkaufte Sache durch neue Veräußerung in die Hand eines Dritten gekommen sey, gegen welchen er nun in manchen Fällen Restitution begehren könne; dabei fügt er folgende Worte hinzu: et hoc vel cognitione Praetoria, vel rescissa aliena- tione, dato in rem judicio. Diese Worte enthalten die Andeutung des oben beschrie- benen zweifachen Verfahrens: des einfachen ( cognitione Schuldners kann wieder gebraucht werden als rescissoria actio, wo- zu es keiner Restitution durch den Prätor bedarf. L. 16 C. ad Sc. Vell. (4. 29). Auch diese heißt anderwärts restitutoria. L. 8 § 9. 12. 13 ad. Sc. Vell. (16. 1). §. 337. Restitution. Verfahren. Praetoria Man muß hinzudenken: sola cognitione, denn auch die in dem zweiten Fall erwähnte rescissio alienationis geschah stets in Folge einer prätorischen cognitio. ), und des zusammengesetzten, bestehend aus der Restitution gegen die Veräußerung, und einer darauf folgenden Eigenthumsklage vor dem Judex. Beide Arten des Verfahrens werden hier so zusammengestellt, daß in einem und demselben Rechtsfall, je nach den Umständen, sowohl die eine als die andere anwendbar seyn soll Eine ähnliche Zusammen- stellung beider Verfahrungsarten für einen und denselben Rechtsfall findet sich in L. 9 § 4 de jurej. (12. 2) (Note e); nur nicht in Beziehung auf eine Klage, sondern auf eine Replication. . Auf der anderen Seite aber war auch bei den Abwe- senden das zusammengesetzte Verfahren nicht allgemein und nothwendig, vielmehr konnte auch hier zuweilen die einfache cognitio genügen, ja für manche Fälle wurde späterhin diese kürzere Behandlung sogar vorzugsweise angewendet. Dieses ist anerkannt in folgender, oft mißverstandenen Stelle des Callistratus L. 2 pr. ex quib. caus. (4. 6). Vgl. Burchardi S. 466 bis 468. : Hoc edictum, quod ad eos pertinet qui eo conti- nentur, minus in usu frequentatur; hujusmodi enim personis extra ordinem jus dicitur ex senatusconsultis et principalibus constitutionibus. Da hier das neuere extra ordinem als Gegensatz gegen das ursprüngliche Verfahren nach dem Edict bezeichnet wird, so könnte man leicht zu der irrigen Ansicht verleitet werden, als ob der alte Jurist das ursprüngliche, rein nach dem Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Edict eingerichtete Restitutionsverfahren für eine Art von ordinarium judicium ausgeben wolle. Er will vielmehr sagen, es werde in solchen Fällen jetzt Alles abgethan durch bloße cognitio, also extra ordinem, ohne noch eine beson- dere actio nachfolgen zu lassen Das extra ordinem jus dicitur hat also hier denselben Sinn, wie in der vorhergehenden Stelle das ( sola ) cognitione Praetoria (Note r ). . — Ferner darf den Worten des Callistratus nicht ein so allgemeiner Sinn beigelegt werden, als ob die Neuerung alle Fälle des Edicts über die Abwesenden umfaßt hätte. Ohne Zweifel ist hier die Rede von einem der zahlreichen juristischen Privilegien der Soldaten; diesen sollte auf die kürzeste und leichteste Weise zu ihrem verlorenen Rechte verholfen werden, welches allerdings geschah, wenn der Prätor extra ordinem die Sache abmachte. Andere Abwesende, z. B. Verbannte, oder auch der Freiheit Beraubte, auf ähnliche Weise zu begünstigen, war weder ein juristischer, noch ein politischer Grund vorhanden. Und eben so war für den umgekehrten Fall (die Restitution gegen die Abwesenden) gewiß das alte Verfahren unverändert beibehalten worden Darauf deuten selbst die Worte der Stelle, hujusmodi enim personis extra ordinem jus dicitur; also nicht, wenn etwa Anwesende gegen solche die Re- stitution begehren. . Aus der hier geführten Untersuchung ergiebt es sich, daß in vielen Fällen das einfache Verfahren allein möglich war, in anderen Fällen das zusammengesetzte allerdings möglich, aber nicht durchaus nothwendig. Dann hatte ohne §. 337. Restitution. Verfahren. Zweifel der Prätor freie Macht, zu entscheiden, welches Verfahren in jedem einzelnen Fall als das zweckmäßigere vorzuziehen sey Burchardi S. 464—470. Ein passendes Beispiel, wie in einzelnen Fällen der Vorzug be- stimmt werden konnte, findet sich ebendas. S. 443. ; gewiß aber konnte auch die Partei auf das eine oder das andere antragen In diesem Sinn ist es zu verstehen, wenn von Manchen be- hauptet wird, beide Theile des Re- stitutionsverfahrens hätten schon nach R. R. cumulirt werden können. Burchardi S. 461—464. . Wir können aber als wahrscheinlich annehmen, daß, so lange der alte ordo judiciorum bestand, diesem nicht ohne Noth Etwas entzogen wurde, das zusammengesetzte Verfahren also in Anwendung kam, da wo es überhaupt möglich und nicht durch dringende Gründe widerrathen war. Im heutigen Prozeß steht insofern die Sache ganz anders, als stets ein und derselbe Richter über die Re- stitution und über die dadurch etwa herzustellende Klage zu erkennen hat. Es hat keinen Zweifel, daß das Verfahren über beide Rechtsfragen von Anfang an verbunden (cumu- lirt) werden kann, und daß die Partei schon ihre Anträge hierauf richten darf. Aber es ist eben so wenig zweifelhaft, daß es dem Bedürfniß einzelner Sachen angemessener seyn kann, beide Verhandlungen gänzlich zu trennen, und zuerst das judicium rescindens abgesondert zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu bringen, ehe das rescissorium eingeleitet wird Burchardi § 26. — Göschen Vorlesungen S 541. . Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Puchta giebt dem an sich richtig aufgefaßten Gegensatz des judicium rescindens und rescissorium noch folgenden Zusatz. Er sagt, der Prätor habe auch noch das judicium rescindens gleichsam spalten können, indem er z. B. die Restitution wegen Zwanges in zwei Fragen zerlegte: eine rechtliche, über die Verletzung und deren Zusammenhang mit dem (angeblichen) Zwang, worüber er selbst (hypothe- tisch) entschied; eine factische, über das Daseyn des Zwan- ges, worüber er von einem Judex entscheiden ließ. Dieses sey die äußerste Gränze der Restitution gewesen, und so sey insbesondere die actio quod metus causa behandelt worden Puchta Pandekten § 105. Institutionen §. 177. . — Diese allzu subtile Annahme kann ich nur als einen nicht glücklichen. Vermittlungsversuch ansehen zwischeu der strengen Scheidung der wahren Restitution von den sogenannten Restitutionsklagen auf der einen Seite, und der (ungehörigen) Vermengung dieser beiden Arten von Schutzmitteln auf der andern Seite Wenn der Prätor sich entschloß, eine Sache als Gegenstand der Re- stitution zu behandeln, so entschied er allein über die Resti- tution als solche vollständig, und gab höchstens nachher eine actio. Wir haben durchaus keinen Grund zu der Annahme, daß jemals im älteren Recht ein Theil der Restitutionsfrage an einen Judex gewiesen worden wäre. §. 338. Restitution. Verfahren. (Forts.) §. 338. Restitution. — Verfahren. (Fortsetzung.) Wie das eigentliche Klagerecht auf eigenthümliche Weise aufgehoben werden konnte S. o. B. 5 §. 230—255. , so müssen auch für das Recht zur Restitution, welches mit dem Klagerecht zwar nicht gleichbedeutend, dennoch verwandt ist, zwei besondere Aufhebungsgründe anerkannt werden. Diese sind: der Verzicht und die Verjährung . I. Verzicht . Zwar hat dieser Aufhebungsgrund eine allgemeinere, über das Gebiet der Restitution weit hinaus reichende Natur (§ 302); dennoch muß die Anwendung desselben auf die Restitution hier besonders festgestellt werden. Der Berechtigte kann seinen Auspruch auf Restitution, nachdem er ihn zuerst geltend machte, aufgeben durch eine ausdrückliche Willenserklärung. Diese wird desistere ge- nannt; es wird aber besonders bemerkt, dazu genüge es nicht, wenn der Berechtigte blos den Prozeß liegen lasse, sondern er müsse seinem Recht selbst gänzlich entsagen L. 20 § 1 de min. (4. 4), L. 21 eod. „Destitisse autem is videtur, non qui distulit, sed qui liti renuntiavit in totum.“ . Dieselbe Wirkung aber, wie die ausdrückliche Entsagung, hat die spätere Genehmigung oder Bestätigung derjenigen Handlung, gegen welche die Restitution hätte gesucht werden können; also die comprobatio oder ratihabitio L. 3 § 1 de min. (4. 4), L. 1. 2 C. si major factus (2. 46). . Des- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. gleichen kann diese Wirkung hervorgebracht werden auch durch solche Handlungen, welche mit dem Zweck und Erfolg der erlangten Restitution im Widerspruch stehen würden. Hat also z. B. ein Minderjähriger die Frist einer B. P. contra tabulas versäumt und gegen diese Versäumniß Re- stitution gesucht, dann aber aus demselben Testament ein Legat eingefordert, so ist dadurch die Restitution unmöglich geworden, weil durch die Forderung des Legats die Gül- tigkeit des Testaments anerkannt worden ist L. 30 de min. (4. 4). . Diese Handlungen sind nur dann dazu geeignet, das Recht zur Restitution aufzuheben, wenn sie zu einer Zeit vorgenommen werden, worin der besondere Zustand, der den Restitutionsgrund bildet, bereits aufgehört hat. Der Verzicht auf die Restitution eines Minderjährigen ist also nur wirksam, wenn er nach eingetretener Volljährigkeit erklärt wird; denn ein früherer Verzicht würde wieder der- selben Restitution unterliegen, wie das ursprüngliche Rechts- geschäft, welches durch Restitution entkräftet werden soll. Eben so verhält es sich mit der Restitution wegen Zwanges, wenn der Verzicht erklärt wird unter dem fortdauernden Einfluß desselben Zwanges, der die Restitution begründete; Der Verzicht ist also nur gültig, wenn er im Zustand hergestellter völliger Freiheit erfolgt. Die Anwendung dieser letzten Regel kann in solchen Fällen schwierig und zweifelhaft werden, worin ein Rechts- §. 338. Restitution. Verfahren. (Forts.) geschäft eine längere Zeit hindurch fortgeführt wird, und in mehreren einzelnen Handlungen sichtbar hervortritt. Hier- über sind die Aeußerungen Ulpian’s etwas schwankend. Wenn ein Minderjähriger einen auf längere Dauer berech- neten Vertrag schließt, und nach erlangter Volljährigkeit einzelne Handlungen in Beziehung auf diesen Vertrag vor- nimmt, so liegt darin eine Genehmigung, wodurch die Re- stitution gegen den Vertrag ausgeschlossen wird L. 3 § 1 de min. (4. 4). . — Fängt ein Minderjähriger einen Rechtsstreit an, der wäh- rend der Volljährigkeit zu seinem Nachtheil entschieden wird, so soll er gegen dieses Urtheil in der Regel nicht restituirt werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn der Gegner unredlicherweise den Rechtsstreit so hingehalten hat, daß das Urtheil erst zu dieser Zeit erfolgte L. 3 § 1 cit. Um diese Entscheidung richtig zu finden, muß man hinzu denken, wie es auch wohl Ulpian meinte, daß das Urtheil unmittelbar nach erreichter Volljährigkeit erfolgte, also ehe der nun volljährig Gewordene Zeit hatte, die bisherige nachtheilige Führung seines Rechtsstreits zu entdecken und zu verbessern. . — Hat ein Minderjähriger eine nachtheilige Erbschaft angetreten, und nach erlangter Volljährigkeit Erbschaftsschulden eingeklagt, so soll er dennoch Restitution gegen den Erwerb der Erb- schaft erhalten, weil man auf den Anfang dieser Reihe von Handlungen sehen soll L. 3 § 2 eod. „.. puta- vimus tamen restituendum in integrum, initio inspecto.“ Diese Entscheidung vermag ich nicht mit allgemeinen Grundsätzen, und ins- besondere mit der Entscheidung über die B. P. (Note d ) in Ein- klang zu bringen. . VII. 16 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. II. Verjährung Davon handelt ausführlich Burchardi § 27. Vgl. Unter- holzner Verjährungslehre § 151. bis 155. . Der Gedanke liegt sehr nahe, die Verjährung der Re- stitution als eine einfache Anwendung der Klagverjährung anzusehen, und daher die für diese letzte geltenden Regeln auf die Restitution unmittelbar anzuwenden. Dem Römi- schen Recht aber ist dieser Gedanke völlig fremd, und in ihm hat die verjährte Restitution mehr Verwandtschaft mit einer versäumten Prozeßfrist, als mit einem verjährten Klagerecht S. o. B. 4 S. 300. 307, B. 5 S. 415. . Allerdings hat nun in unsrem heutigen Recht die Restitution, was das Verfahren betrifft, weit mehr die Natur einer gewöhnlichen Klage angenommen (§ 337). Dennoch würde es auch hier ungehörig, oft unmöglich seyn, die Regeln der Klagverjährung auf die Restitution einfach zu übertragen; theils aus Gründen, die in der eigenthüm- lichen Natur des Gegenstandes liegen, theils weil die Aus- sprüche des Römischen Rechts über die Verjährung der Restitution auf der Voraussetzung einer völligen Verschie- denheit beider Rechtsinstitute beruhen. Eine durchgreifende Verschiedenheit zeigt sich unter andern darin, daß die Verjährung nicht blos anwendbar ist, wenn die Restitution angriffsweise, also einer Klage ähnlich wir- kend, gebraucht werden soll, sondern auch, wenn sie ver- theidigungsweise gesucht wird, das heißt um eine verlorene §. 338. Restitution. Verfahren. (Forts.) Exception wieder zu erlangen, oder anstatt einer Exception (die dadurch entbehrlich wird) der Klage eines Andern ent- gegen zu wirken. Zur Begründung dieser Exception ist es also nöthig, daß der, welcher Anspruch auf die Restitution hat, diese binnen der vierjährigen Frist erbitte, auch wenn der Gegner nicht innerhalb dieser Frist die Klage anstellt, und dadurch das unmittelbare Bedürfniß einer Exception herbeiführt. Die Nothwendigkeit, diese Restitutionsfrist zu wahren, ist also nicht zu verwechseln mit einer Verjährung der Exception als solcher, von welcher allerdings nicht die Rede seyn kann S. o. B. 5 S. 414. 415. Für den Fall der Minderjährigkeit wird die hier aufgestellte Noth- wendigkeit, die Restitutionsfrist zu beobachten, ausdrücklich anerkannt von Ulpian in L. 9 § 4 de jurej. (12. 2). . Ein wichtiger Fall der Anwendung einer solchen Ex- ception ist schon oben vorgekommen. Wenn die Sache eines Abwesenden von einem Anderen usucapirt wird, nach der Rückkehr des vorigen Eigenthümers aber durch Zufall wieder in dessen Besitz kommt, so bedarf Dieser zu seinem Schutz keiner Klage, sondern nur einer Exception (§ 330. r ). Um aber diese Exception in irgend einer künftigen Zeit mit Erfolg gebrauchen zu können, muß er den Anspruch auf dieselbe durch Restitution binnen vier Jahren begründen. Gesetzt nun, dieser vorige Eigenthümer verliert abermals den wieder erlangten Besitz, bevor es zu einem Rechtsstreit gekommen ist, so befindet er sich wieder in der früheren 16* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Lage, und bedarf der Restitution, um seine Klage gegen Den, der usucapirt hat, zu begründen oder zu sichern, so wie es oben ausgeführt worden ist. Damit scheint im Widerspruch zu stehen eine Stelle des Paulus , nach welcher diese neue Klage nicht mehr an die Restitutionsfrist gebunden seyn soll L. 31 ex quib. caus. (4. 6) „Si is, cujus rem usucepit reip. causa absens, possessionem suae rei ab illo usucaptae nactus sit, etsi postea amiserit, non temporalem, sed perpe- tuam habet actionem.“ — Die Glosse setzt zur Lösung der Schwie- rigkeit voraus, der vorige Eigen- thümer habe wirklich Restitution gesucht und erhalten, nachher aber den Besitz wieder erlangt. Dann aber verstand sich doch die Sache zu sehr von selbst, um noch einer Erwähnung werth zu seyn. . Diese Behauptung läßt sich mit allgemeinen Grundsätzen nur durch die Annahme in Ein- klang bringen, daß hier Paulus von der Klage gegen einen dritten Besitzer rede, nicht gegen Den, welcher usu- capirt hat. Denn wenn gegen diesen Dritten mit der Pu- bliciana geklagt wird, so hat derselbe allerdings nicht die exceptio dominii (da nicht er usucapirt hatte), und es bedarf mithin auch nicht zu deren Ueberwindung einer Re- stitution, also auch nicht der Beobachtung einer Resti- tutionsfrist. §. 339. Restitution. — Verfahren. (Fortsetzung.) Es sind nunmehr die Bedingungen dieser Verjährung aufzustellen; die Anordnung dieser Bedingungen soll, der leichteren Vergleichung wegen, so viel als möglich den Be- §. 339. Restitution. Verfahren. (Forts.) dingungen der Klagverjährung angenähert werden S. o. B. 5 §. 239 — 247. . Sie beziehen sich auf den Anfang , die Unterbrechung , den Ablauf der Verjährung. 1. Der Anfang dieser Verjährung ist abzuleiten aus der Natur des Restitutionsgrundes. Dieser wurde im All- gemeinen gedacht als ein besonderer (abnormer) Zustand des Verletzten, dazu geeignet, eine solche außerordentliche Rechtshülfe zu rechtfertigen (§ 320). Die Verjährung fängt daher an in dem Zeitpunkt, worin jener abnorme Zustand aufhört; nicht früher, nicht später. Für die meisten und wichtigsten Fälle hat diese Regel keinen Zweifel; es wird darauf ankommen, die einzelnen Restitutionsgründe unter diesem Gesichtspunkt durchzugehen. Die Restitution wegen Minderjährigkeit verjährt vom vollendeten fünf und zwanzigsten Lebensjahre an L. 7 pr. C. de temp. (2. 53). ; wird der Minderjährige früher für volljährig erklärt, von diesem Zeitpunkt an L. 5 pr. C. de temp. (2. 53). . Diese Regel aber hat nicht zu- gleich die Bedeutung, als ob es dem Minderjährigen ver- sagt wäre, schon früher die Restitution zu erbitten; er kann Dieses zu jeder Zeit thun L. 5 § 1 C. de in int. rest. min. (2. 22). , und eben hieraus erklärt es sich, daß auch gegen eine solche, auf übereilte Bitte ertheilte, Restitution wiederum eine neue Restitution gesucht werden kann (§ 319 Note u ). Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Die Restitution wegen Abwesenheit verjährt von dem Zeitpunkt an, mit welchem das Hinderniß der Rechtsver- folgung aufhört L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6), „intra annum quo primum de ea re experiundi potestas erit“. L. 7 § 1 C. de temp. (2. 53). ; also in der Regel, sobald der Ab- wesende nach seinem Wohnort zurückkehrt. Die Restitution wegen Zwang muß nach demselben Grundsatz verjähren von der Zeit an, in welcher der ab- norme Zustand des Zwanges, d. h. der absichtlich erregten Furcht, aufhört, der Verletzte also seine volle Freiheit zu handeln wieder erlangt. Die Zweifel gegen diese Annahme können erst bei dem Ablauf der Verjährung deutlich gemacht werden. — Schon hier aber ist zu bemerken, daß diese Bestimmung von sehr geringer praktischer Erheblichkeit ist. Denn es kann zwar leicht geschehen, daß eine einzelne, vorübergehende Handlung durch Zwang erpreßt werde, und darauf eben bezieht sich diese ganze Restitution. Dagegen ist es nicht leicht denkbar, daß ein solcher Zustand so lange fortdauere, wie es zum Ablauf der Verjährungszeit, oder auch nur eines merklichen Theils derselben, nöthig wäre; denn in einem solchen Zeitraum wird es fast immer dem Bedrohten möglich seyn, richterlichen oder polizeilichen Schutz für seine Freiheit zu finden. Die Restitution wegen Betrugs wird auf gleiche Weise verjähren müssen mit dem Aufhören des abnormen Zu- standes, d. h. der Täuschung, in welche der Verletzte durch §. 339. Restitution. Verfahren. (Forts.) den unredlichen Willen des Gegners versetzt worden ist. Die Zweifel gegen diese Behauptung werden auch hier erst bei dem Ablauf der Verjährung erwähnt werden. — Die praktische Unerheblichkeit dieser Bestimmung, die so eben bei dem Zwang bemerkt worden ist, läßt sich bei dem Be- trug nicht geltend machen. Denn der Zustand einer ab- sichtlich erregten Täuschung kann allerdings lange Zeit hin- durch fortdauern, also nicht blos auf einzelne, vorüber- gehende Handlungen einwirken. Eben so verhält es sich mit der Restitution wegen Irrthums , die also auch verjähren müßte von der Zeit an, in welcher der Verletzte von dem Irrthum befreit wird. Hier aber ist die Frage weniger erheblich, weil diese ganze Restitution nicht nur an sich unwichtig ist, sondern auch fast nur bei Prozeßversäumnissen vorkommt, wobei von einer Verjährung der Restitution nur selten die Rede seyn wird. Der bisher aufgestellte Grundsatz aber für den Anfang der Verjährung ist völlig unanwendbar auf diejenigen Re- stitutionsgründe, welche nicht so, wie die bisher erwähnten, ein zufälliges und vorübergehendes, sondern ein immer- währendes Daseyn haben. So verhält es sich mit der Restitution der Stadtgemeinden , der Kirchen und Klöster , die niemals aufhören, in dem Zustand zu seyn, der ihnen überhaupt Anspruch auf Restitution giebt. Hier bleibt Nichts übrig, als die Verjährung anfangen zu lassen von der Zeit der Verletzung selbst, gegen welche die Resti- Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. tution Hülfe gewähren soll. Bei den Kirchen ist dieser an sich unzweifelhafte Grundsatz auch gesetzlich anerkannt C. 1 de rest. in VI. (1. 21) „si quadriennii spatium post sit lapsum“ (nämlich post senten- tiam vel contractum). C. 2 eod. „infra quadriennium ab ipsius confessionis tempore computan- dum“. Clem. un. de rest. (1. 11) „infra quadriennium continuum a tempore laesionis“. . Der Anfang der Verjährung ist hier in der Regel fest- gestellt worden auf die Zeit, in welcher der den Restitu- tionsgrund bildende abnorme Zustand aufhört; ausnahms- weise auf die Zeit der Verletzung. Nach einer sehr ver- breiteten Meinung aber soll selbst in diesen Zeitpunkten die Verjährung nicht anfangen können, wenn nicht noch eine andere Bedingung hinzutrete: das Bewußtseyn des Ver- letzten von der erlittenen Verletzung Vgl. oben B. 3 S. 415, B. 5 S. 282. — Glück B. 6 § 465 Note 3. Burchardi S. 517 — 524. Puchta Pandekten § 105. e. . Einige stellen diese Behauptung ganz allgemein auf, also schon für das Römische Recht. In dieser Gestalt ist sie am entschiedensten zu verwerfen, da sie mit Irrthümern theils über eine ähnliche Bedingung der Klagverjährung, theils über den Römischen Kunstausdruck der experiundi potestas zusammenhängt. Andere wollen dieselbe Behauptung nur aus dem cano- nischen Recht ableiten, welches in Beziehung auf die Kirchen das Bewußtseyn der Verletzung für den Anfang der Ver- jährung fordern soll; theils indem sie nun den Satz selbst §. 339. Restitution. Verfahren. (Forts.) auf die Kirchen beschränken, theils indem sie demselben eine allgemeinere Bedeutung beilegen, und die Erwähnung bei den Kirchen nur für einen zufälligen Umstand halten, indem das canonische Recht ihn als allgemein wahr voraus- setze Ueber diesen letzten Gegen- satz erklärt sich schwankend Bur- chardi S. 523 („ zum wenigsten was die Restitution der Kirchen . . betrifft“). . In der That aber enthält das canonische Recht jenen Satz gar nicht, weder allgemein, noch für die Kirchen. Man hat denselben finden wollen in den Ausdrücken: „Ecclesia quae . . beneficium restitutionis in integrum . . negligenter omiserit“ C. 1 de rest. in VI. (1. 21) Fast mit denselben Worten in C. 2 eod. ; eine Nachlässigkeit nämlich sey nur vorhanden, wenn die Kirche von der Verletzung unter- richtet sey, und dennoch die Bitte unterlasse. — Dabei liegt ein gänzliches Verkennen des Wesens dieser Verjährung zum Grunde. Das Römische Recht geht aus von der Ansicht, daß jeder Minderjährige, der volljährig werde, jeder Abwesende, der zurückkehre, sogleich seinen ganzen Rechtszustand durchforschen solle, um etwa vorgefallene Ver- letzungen zu entdecken und zur Abhülfe zu bringen. Dazu hält man Vier Jahre (früher Ein Jahr) für hinreichend, und wer in dieser Zeit eine Verletzung nicht entdeckt, der gilt als nachlässig, und verfällt der Verjährung; nicht erst, wenn er sie entdeckt und nur zu träge ist, um sie vor Ge- richt geltend zu machen Eben so verhält es sich auch mit dem Anfang der Klag- . Darauf bezieht sich nun der Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Ausdruck des canonischen Rechts: negligenter omiserit, da wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß das Römische Recht hierin von den Päbsten entweder miß- verstanden sey, oder habe abgeändert werden sollen. Nach der hier aufgestellten Ansicht ist also für den An- fang der Verjährung das Bewußtseyn des Verletzten ganz gleichgültig. Nur bei zwei Restitutionsgründen verhält es sich in sofern anders, als bei ihnen der abnorme Zustand, dessen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtseyn des Verletzten besteht. Dieses ist der Betrug und der Irrthum. Der Verletzte muß also aufgehört haben, unter der Herrschaft jenes mangelhaften Bewußtseyns zu stehen, damit die Verjährung anfangen könne; die Täuschung ist in diesen Fällen Dasselbe, welches in anderen Fällen die Minderjährigkeit oder die Abwesenheit ist, ein in besonderen Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die hier aufgestellte Behauptung also geht nicht etwa auf eine Ausnahme von den oben angegebenen Grundsätzen, sondern vielmehr auf eine reine Anwendung derselben Auf die Restitution wegen Zwanges kann Dieses natürlich nicht angewendet werden, da es kaum denkbar ist, daß Jemand zu einer Handlung gezwungen werden sollte, . Eine unmittelbare Bestätigung dieser Behauptung liegt in einer Stelle des canonischen Rechts. Wenn eine Kirche verjährung, nur mit dem Unter- schied, daß dabei kein abnormer Zustand aufgehört haben muß, folglich die Verjährung stets mit der Verletzung selbst anfängt. §. 339. Restitution. Verfahren. (Forts.) durch ihr gerichtliches Geständniß in Nachtheil kommt, so kann sie als Kirche Restitution verlangen binnen Vier Jahren, von dem Geständniß an. Wenn sie aber einen Irrthum in dem Geständniß nachweist, und deswegen (so wie jeder Andere) Restitution begehrt (§ 331), so ist sie an die Vier Jahre nicht gebunden C. 2 de restit. in VI. (1. 21). . Das will sagen, die Restitutionsfrist werde ihr dann gerechnet, nicht von dem Geständniß (der Läsion) an, sondern von der Zeit des entdeckten Irrthums an. Darin liegt zugleich die vollstän- dige Widerlegung der so eben erwähnten Behauptung, nach welcher die Kirchen wegen des Anfangspunktes der ihnen als Kirchen zustehenden Restitution besonders privilegirt seyn sollen. §. 340. Restitution. — Verfahren. (Fortsetzung.) 2. Ununterbrochene Fortdauer der Verjährung. Die zweite Bedingung der Verjährung besteht (bei der Restitution, wie bei den Klagen) in der ununterbrochenen Fortdauer bis zum Schluß. Es fragt sich also, worin eine Unterbrechung derselben bestehen könne. Diese kann erstlich darin liegen, daß der abnorme Zu- stand, in dessen Aufhören der Anfang der Verjährung gesetzt wurde, vor dem Ablauf von Neuem eintritt. Bei der Minderjährigkeit ist Dieses von selbst unmöglich, bei der ohne zugleich zu wissen, daß Dieses zu seinem Schaden geschehe. Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Abwesenheit kann es allerdings vorkommen. Wenn also der Abwesende zurückkehrt, vor Ablauf der Verjährung seinen Wohnort abermals verläßt, und diesen abwechselnden Zustand vielleicht öfter wiederholt, so sind zwei verschiedene Behandlungen dieses Falles denkbar. Man könnte erstens alle einzelne Zeiten der Gegenwart zusammen rechnen, und die Verjährung als vollendet annehmen, wenn die Summe der gesetzlichen Verjährungszeit gleich käme. Man könnte aber auch zweitens die Verjährung nur dann für vollendet halten, wenn irgend eine einzelne Zeit der Gegenwart so lange gedauert hätte, als das Gesetz für die Verjährung fordert. Von diesen beiden Berechnungsarten ist die zweite, dem Verletzten günstigere, als die richtige anzusehen L. 28 § 3 ex quib. caus. (4. 6). Daß die Stelle wirklich diesen Sinn hat, zeigt folgender Anfang derselben: „Si quis sae- pius reip. causa abfuit, ex novissimo reditu tempus resti- tutionis esse ei computandum, Labeo putat“; wobei natürlich vorausgesetzt wird, daß er nicht schon nach der früheren Abwesen- heit, in welcher er durch Usucapion einen Verlust erlitten hatte, ein volles Jahr zu Hause geblieben war. Die nachfolgenden Worte könnten so verstanden werden, als wenn von einem Zusammenrechnen der Zeiten der Abwesenheit die Rede seyn möchte, die doch ganz gleichgültig sind. In den Worten: si omnes quidem ab- sentiae annum colligant liegt daher ein ungenauer Ausdruck für die auf jede Abwesenheit folgende Zeit der Gegenwart, während welcher ja allein die Verjährung laufen kann. Cujacius obs. XIX. 15 sagt ganz richtig, absentiae stehe hier für intervalla absen- tiarum. . Dabei liegt also der Gedanke zum Grunde, dem Verletzten müsse irgend einmal die volle, ununterbrochene Verjährungs- zeit gestattet worden seyn, um an seinem Wohnort prüfen §. 340. Restitution. Verfahren. (Forts.) zu können, welchen Einfluß die Vergangenheit, in welcher er abwesend war, auf seine Rechtsverhältnisse etwa aus- geübt haben möge. Zweitens kann die Unterbrechung aber auch darin liegen, daß der Verletzte sein Recht zur Restitution wirklich geltend macht; dürften wir hier die Regeln von der Klagverjährung anwenden, so würde die Unterbrechung schon in der In- sinuation des Restitutionsgesuchs zu finden seyn S. o. B. 5 § 242. . Allein Justinian sagt ausdrücklich, innerhalb der Verjährungs- frist müsse der Restitutionsprozeß nicht nur angefangen, sondern auch vollendet werden , sonst sey die Restitution ver- loren L. 7 pr. C. de temp. (2. 53) „continuatio temporis observetur ad interponendam contestationem finiendamque litem “ . Wiederholt und bestätigt in Clem. un. de rest. (1. 11). . Es würde unrichtig seyn, diese Vorschrift, so fremdartig sie uns erscheinen mag, als eine von Justinian aus- gegangene willkürliche Neuerung anzusehen. Schon frühere Kaisergesetze stimmen damit völlig überein Burchardi S. 503 — 506. ; ja auch schon die alten Juristen setzen denselben Grundsatz voraus, indem sie den Ablauf der Frist vor beendigtem Restitutions- prozeß nur dann für unschädlich halten, wenn die Ver- zögerung des Rechtsstreits dem Gegner zur Last fällt L. 39 pr. de min. (4. 4). . Auch schließt sich diese Vorschrift ganz einfach an die Pro- zeßverjährung des alten Rechts an, und sie war bei der Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Restitution um so natürlicher, als diese stets durch bloße cognitio vor dem Prätor abgemacht wurde, die wir gewiß als ein sehr schleuniges Verfahren denken dürfen. Für unsren heutigen Prozeß aber würde die Beobach- tung dieser Vorschrift ganz unpassend seyn, und so ist denn auch die Praxis von jeher darüber einverstanden gewesen, dieselbe unbeachtet zu lassen Burchardi S. 507. Göschen Vorlesungen S. 543. . Die Unterbrechung der Verjährung erfolgt demnach durch die Insinuation des Re- stitutionsgesuchs, und die Verjährung der Restitution ist in in diesem Punkte mit der Klagverjährung ganz auf gleiche Linie getreten. 3. Ablauf der Verjährung. Dieser war ursprünglich auf Ein Jahr bestimmt, und zwar auf einen annus utilis, sowohl für die Minderjährigen, als für die Volljährigen L. 19 de min. (4. 4), L. 7 pr. C. de temp. (2. 53) (für Minder- jährtge). — L. 1 § 1, L. 28 § 3. 4 ex quib. caus. (4. 6) (für Volljährige). . Bei den Minderjährigen heißt diese Zeit legitimum tempus L. 19 de min. (4. 4), L. 6 pr. C. de temp. (2. 53.). , ohne Zweifel, weil sie aus der Lex Plätoria auf die Restitution übertragen war Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft B. 10 S. 253. — Unrichtig bezieht Burchardi S. 499 diesen Ausdruck auf das prätorische Edict. . Constantin gab für diese Verjährungszeit mannich- faltige und verwickelte Vorschriften Burchardi S. 500. 501. . Justinian aber führte wieder Alles auf eine einfache, leicht anwendbare Regel zurück, indem er anstatt des alten annus utilis Vier §. 340. Restitution. Verfahren. (Forts.) gewöhnliche Kalenderjahre (quadriennium continuum), als allgemeine Verjährungsfrist der Restitution vorschrieb L. 7 pr. C. de temp. (2. 53). . Nur bei den für volljährig erklärten Minderjährigen gilt das besondere Recht, daß ihre Restitution für frühere Ver- letzungen niemals vor dem vollendeten fünf und zwanzigsten Jahre verjähren soll, so daß also in diesem Fall die Ver- jährung zuweilen länger als Vier Jahre dauern kann L. 5 pr. C. de temp. (2. 53). . Irrigerweise wird die von Justinian neu eingeführte Zeit der Vier Jahre von Manchen auch auf die sogenannten Restitutionsklagen angewendet Burchardi S. 513. 514. ; diese falsche Meinung ist eine Folge der schon oben ausführlich widerlegten Ver- mengung dieser Klagen mit der Restitution (§ 316). — Eben so irrig ist es, wenn Andere die Verjährung der Vier Jahre nicht nur auf das sogenannte judicium re- scindens, sondern auch auf das rescissorium beziehen, so daß jedes dieser Rechtsmittel seine besondere vierjährige Verjährung haben soll Burchardi S. 507. 508. . Diese Meinung beruht auf einem gänzlichen Verkennen der Natur dieser beiden Rechts- mittel. Das sogenannte rescindens ist der einzige, aber auch vollständige Restitutionsprozeß, und darauf beziehen sich die Vier Jahre. Das rescissorium ist eine gewöhnliche Klage, die von der verschiedensten Art seyn kann, und bald dieser, bald jener Klagverjährung unterworfen ist Diese Klagverjährung kann in jedem Fall erst anfangen von der Zeit der rechtskräftig ertheilten Restitution, weil die Klage ver- loren war und erst jetzt wieder ent- standen ( actio nata ) ist. Es wird ; Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. dafür war gar kein Bedürfniß vorhanden, jetzt etwas Neues vorzuschreiben. Dagegen muß allerdings behauptet werden, daß die vierjährige Verjährung für alle Restitutionen gilt Burchardi S. 509—514. Nur freilich nicht, wie dieser Schrift- steller behauptet, für die Restitution wegen capitis deminutio, die im alten Recht gar keine Verjährung hatte, und im neuen Recht nicht mehr vorhanden ist (§ 333). . Von den wichtigsten Restitutionen, wegen Minderjährigkeit und Abwesenheit, ist Dieses schon oben dargethan worden (Noten g. l ). Es bedarf nur noch einer näheren Prüfung dieser Frage in Beziehung auf Zwang und Betrug, wobei auch die schon oben erwähnte, aber ausgesetzte Frage wegen des Anfangs der Verjährung in diesen beiden Fällen (§ 339) ihre Erledigung finden muß. Die actio quod metus causa verjährt in Einem annus utilis von der Zeit des Zwanges an, und es scheint in- consequent, daß daneben eine vierjährige Restitution wegen desselben Zwanges gelten sollte. Allein jene kurze Verjäh- rung tilgt die Klage nur, insofern sie zur Strafe des vier- fachen Ersatzes führen kann; wird sie auf den einfachen Ersatz gerichtet, so ist sie ganz ohne Verjährung L. 14 § 1. 2 quod metus (4. 2). . Da nun die Restitution stets nur zum einfachen Ersatz führt, so ist es gewiß nicht inconsequent, neben der immerwäh- renden Klage eine auf Vier Jahre beschränkte Restitution zur Wahl zu stellen. aber von ihr fast nie die Rede seyn, weil die Restitution meist gesucht wird von Dem, welcher die restituirte Klage unmittelbar dar- auf anstellen will. §. 340. Restitution. Verfahren. (Forts.) Die actio doli verjährt nach Constantin’s Gesetz in Zwei Jahren, welche vom Betrug selbst anfangen, ohne Rücksicht auf das Bewußtseyn des Betrogenen L. 8 C. de dolo (2. 21). . Dabei scheint es wieder inconsequent, eine vierjährige Restitution daneben zu stellen, und diese erst anfangen zu lassen, wenn der Betrogene die Täuschung erfährt (§ 339). Allein die zweijährige Verjährung (früher einjährig) geht nur auf die eigentliche actio doli, welche entehrt; daneben steht eine immerwährende actio in factum auf bloße Entschädigung mit Schonung der Ehre L. 28 de dolo (4. 3). , und neben diese Klage auch noch eine auf gleichen Zweck gerichtete vierjährige Restitution zu stellen, ist gewiß nicht inconsequent; auch kann es nicht störend gefunden werden, daß die actio in factum auf die Bereicherung des Beklagten beschränkt wird, welche Be- schränkung bei der Restitution nicht vorkommt. §. 341. Restitution. — Verfahren. (Fortsetzung.) Bei der Verjährung der Restitution sind zuletzt noch einige Fragen von besonders verwickelter Natur zu erörtern, die sich auf das Zusammentreffen mehrerer Restitutions- gründe beziehen. In solchen Fällen werden fast immer ver- schiedene Zeitpunkte des Ablaufs der Verjährung eintreten, und es ist dann zu bestimmen, in welcher Verbindung diese verschiedene Restitutionen aufzufassen sind, um das Schicksal der Restitution überhaupt festzustellen. VII. 17 Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Ein solches Zusammentreffen mehrerer Restitutionen kann vorkommen sowohl in einer und derselben Person, als in mehreren Personen, wenn nämlich die eine Restitution durch Succession auf eine andere Person übergegangen ist (§ 335). I. Bei dem Zusammentreffen mehrerer Restitutionsgründe in einer und derselben Person ist vor Allem die Frage zu beantworten, ob es zulässig ist, gerade gegen die Verjährung einer Restitution wiederum eine neue Restitution zu suchen. Diese Frage wird von unsern Schriftstellern schlechthin ver- neint, und zwar aus zwei Gründen: erstlich aus dem all- gemeinen Grunde, weil sonst kein Ende des Restituirens zu finden wäre, zweitens wegen einer ausdrücklichen Stelle des Ulpian , L. 20 pr. de minor. Burchardi S. 134. Puchta Pandekten §. 107. h. Vor- lesungen S. 216. . Beide Gründe sind aber unhaltbar, und ich muß jene Frage entschieden bejahen. Daß es mit der angeblichen Endlosigkeit der Re- stitution keine Gefahr hat, wird sich aus der Betrachtung der einzelnen möglichen Fälle solcher Art ergeben, die über- haupt nur äußerst selten vorkommen können; die Stelle des Ulpian aber hat einen ganz anderen Sinn, wie sogleich gezeigt werden wird. Erstlich machen gar keine Schwierigkeit die Fälle, in welchen die Minderjährigkeit als Restitutionsgrund zuletzt vorhanden ist. Gesetzt, es wird eine Sache von einem Abwesenden usucapirt, welcher in die Heimath zurückkehrt, als der vorige Eigenthümer Zwanzig Jahre alt ist, so ver- §. 341. Restitution. Verfahren. (Forts.) jährt die Restitution wegen Abwesenheit binnen Vier Jahren, und man könnte nun fragen, ob der Verletzte gegen diese Verjährung als Minderjähriger Restitution erhalten könne. Diese Frage ist aber ganz müßig, denn da die Restitution der Minderjährigen die umfassendste unter allen ist, so kann der Verletzte bis zum Alter von Neun und zwanzig Jahren gegen jene Usucapion schon als Minderjähriger unmittelbar Restitution erlangen, wobei dann die Abwesenheit, so wie die bereits eingetretene Verjährung, und die Restitution gegen diese Verjährung, als ganz gleichgültig erscheint. Betrachten wir aber nun den umgekehrten Fall, da die Minderjährigkeit als Restitutionsgrund nicht zuletzt vor- handen ist. Gesetzt, ein Minderjähriger ist abwesend, während seiner Abwesenheit wird er volljährig, nachdem er (vor oder in der Abwesenheit) einen nachtheiligen Ver- trag geschlossen hat. Als er Dreißig Jahre alt ist, kehrt er zurück. Eigentlich ist seine Restitution schon seit einem Jahre verjährt, es fragt sich aber, ob er gegen diese Ver- jährung Restitution suchen könne. Dieses verneint Ulpian , übereinstimmend mit Papinian L. 20 pr. de min. (4. 4). , indem er sagt, die Abwesenheit sey hier nicht zu berücksichtigen, und das ist eben die Stelle, woraus bewiesen werden soll, daß gegen die Verjährung einer Restitution überhaupt keine Restitution möglich sey (Note a ). Allein Ulpian giebt gar nicht diesen Grund seiner Entscheidung an, sondern vielmehr den 17* Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. ganz anderen, daß hier die Abwesenheit gar kein Hinderniß für die Bitte um Restitution gewesen sey, daß also die Grundbedingung aller Restitution fehle (§ 320 Note d ); denn auch während der Abwesenheit habe die Restitution gegen den Vertrag gesucht werden können, und zwar so- wohl durch einen Procurator bei dem Prätor in Rom, als in eigener Person bei dem Statthalter der Provinz, worin der volljährig Gewordene lebte (welches Letzte Papinian nicht einmal erwähnt hatte). Hierin zeigt sich nun wieder die Verschiedenheit der Klagen von der Restitution. Wenn ein abwesender Minderjähriger ein ihm zustehendes einjäh- riges Interdict verjähren läßt, dann volljährig wird, und später zurückkehrt, so kann er nun noch das Interdict an- stellen binnen der Restitutionsfrist, und diese Frist läuft ihm nicht von der Volljährigkeit, sondern von der Rückkehr an L 15 §. 6 quod vi (43 24). Die Restitution wegen Minder- jährigkeit kommt nun gar nicht in Betracht, weil die wegen Abwesen- heit Alles entscheidet. — Der Grund des Unterschieds liegt zu- nächst und formell darin, daß das Edict über die Abwesenden von einer verlorenen actio sprach, unter welche Bezeichnung die Restitution nicht gehörte. Der tiefer liegende innere Grund aber war wohl der, daß es weit leichter war, auch aus der Ferne ein Restitutionsgesuch zur prätorischen cognitio zu bringen, als einen ordentlichen Prozeß vor den Juder. . — In dem Fall, welchen Ulpian anführt, war der Abwesende ein zur Strafe Verbannter gewesen, und diesen Umstand machte Papinian als einen unterstützenden Grund jener Entscheidung geltend. Deshalb tadelt ihn Ulpian , indem hier das Verbrechen keinen Einfluß habe, §. 341. Restitution. Verfahren. (Forts.) sondern lediglich das Alter an sich (und die Abwesenheit an sich) zu berücksichtigen sen L. 20 pr. cit. „Quid enim commune habet delictum cum venia aetatis?“ venia aetatis ist hier nicht in dem sonst gewöhn- lichen Sinn zu nehmen, sondern für beneficium aetatis, Restitu- tionsanspruch des Minderjährigen. Vgl. auch oben § 326 Note r. . — Nach der Ansicht Ulpian’s also sollte auf die Gründe der Abwesenheit gar nicht gesehen werden. Hierin aber machte das spätere Recht eine Ausnahme zum Besten der Soldaten, die nicht auffallen kann, da sie zu den zahlreichen, auch sonst schon bekannten, Privilegien dieses Standes gehört. Wenn nämlich ein Minderjähriger während des Soldatenstandes volljährig wird, so soll die Verjährungszeit nicht von der Volljährig- keit, sondern von dem Austritt aus dem Soldatenstand an- fangen L 1 C. de temp. (2. 53). . Wenn ferner gegen einen Minderjährigen eine Usucapion vollendet wird, derselbe aber später in den Sol- datenstand eintritt, so soll er noch immer Hülfe gegen jene Usucapion erhalten können L. 3 C. eod. . Beide Aussprüche gehen unzweifelhaft von der Ansicht aus, daß, vermöge eines besonderen Vorrechts, der Soldat als Abwesender Restitu- tion erhalten müsse gegen den Ablauf der Verjährungsfrist einer Restitution, die ihm seines minderjährigen Alters wegen zugestanden hätte. Ich will aber nun noch den wichtigsten und am wenigsten verwickelten Fall anführen, in welchem die oben erwähnte Streitfrage vorkommen kann. Wenn Jemand aus irgend einem Grunde, wegen Minderjährigkeit, Abwesenheit u. s. w., Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Anspruch auf Restitution hat, und diese Restitution, ge- täuscht durch Betrügereien seines Gegners, verjähren läßt, so fragt es sich, ob er gegen diese Verjährung die Re- stitution wegen Betrugs verlangen kann. Nach der oben angeführten Meinung (Note a ) muß diese Frage verneint werden, ich halte die Bejahung für ganz unzweifelhaft. Daß durch diesen Fall keine endlose Ausdehnung und Wie- derholung der Restitution herbeigeführt werden könne, wird wohl Jeder zugeben. Es ist aber ferner kein Grund denk- bar, weshalb dem Verletzten die actio doli gegen den Be- trüger versagt werden könnte. Wird nun diese zugegeben, so muß er vielmehr die nicht entehrende Restitution erhalten, da diese im vorliegenden Fall völlig zu demselben Erfolg führt, wie die Klage, und also der Klage nach allgemeinen Grundsätzen vorgezogen werden muß (§ 332 Note s ). Diese Restitution führt also dahin, daß die verjährte frühere Re- stitution als nicht verjährt behandelt, und dem Verletzten gewährt werden muß. Die hier aufgestellte Behauptung über die Restitution wegen Betrugs gegen die Verjährung irgend einer anderen Restitution findet eine unmittelbare Bestätigung im cano- nischen Recht. Hier wird gesagt, die vierjährige Ver- jährung der den Kirchen zustehenden Restitution könne ent- kräftet werden, wenn der Gegner durch Betrug diese Ver- jährung bewirkt habe C. 1 de restit. in VI. (1. 21). „Ecclesia … si qua- driennii spatium post sit lap- sum, et negligenter omiserit, . Es ist durchaus kein Grund §. 341. Restitution. Verfahren. (Forts.) vorhanden, diesen Ausspruch als ein besonderes Privilegium der Kirchen anzusehen, indem auch die Fassung des Aus- drucks nicht hierauf, sondern auf die Anerkennung einer allgemein bekannten Rechtsregel hindeutet. Eben so ist kein Zweifel herzuleiten aus einem Zusatz der angeführten Decretale l. c. „aut alia rationa- bilis causa subsit, quae supe- riorem movere debeat ad idem beneficium concedendum.“ , der so allgemein gefaßt ist, daß man dadurch verleitet werden könnte, die ganze Bestimmung für eine Aeußerung willkürlicher Billigkeit, nicht für die Aner- kennung einer Rechtsregel zu halten. Auch dieser Zusatz läßt sich streng rechtfertigen. Die Kirche nämlich kann aus individuellen Gründen, oder auch aus allgemeinen, wie Krieg, Aufruhr u. s. w., längere Zeit ohne Schutz und Vertretung seyn. Darin würde, in Anwendung der gene- ralis clausula, ein hinreichender Grund der Restitution gegen alle in diese Zeit fallende Versäumnisse liegen, also unter anderen auch gegen die Versäumniß der Frist einer Restitution, die sie in ihrer Eigenschaft als Kirche binnen Vier Jahren hätte begehren können. II. Es bleibt nun noch übrig, von dem Zusammen- treffen mehrerer Restitutionen in Folge eines Successions- falles zu sprechen. Darüber enthält das Römische Recht folgende Regeln. non est ad beneficium hujus- modi admittenda, nisi praeva- ricationis vel fraudis manifeste probetur super hoc intervenisse commentum …“ Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. Wenn ein Minderjähriger auf Restitution gegen ein Rechtsgeschäft Anspruch hat, dann stirbt, und von einem Minderjährigen beerbt wird, so ist der Tod erfolgt entweder vor oder nach der Volljährigkeit des Erblassers. Im ersten Fall hat der Erbe Vier Jahre Zeit zur Restitution, welche von seiner eigenen Volljährigkeit an zu berechnen sind L. 19 de min. (4. 4), L. 5 §. 1 C. de temp. (2. 53), Paulus I. 9 § 4. . Im zweiten Fall hat der Erbe, gleichfalls von seiner eigenen Volljährigkeit an, so viel Zeit zur Restitution, als der Erblasser zur Zeit des Todes von seiner eigenen Re- stitutionsfrist noch übrig hatte L. 19 de min. (4. 4), L. 5 § 2 C. de temp. (2. 53). . Auch hier findet sich wieder ein Privilegium der Sol- daten, ähnlich dem schon im ersten Hauptfall erwähnten Privilegium (Note e. f. ). Wenn nämlich entweder der Erblasser, oder der Erbe, im Heere diente, so soll da, wo sonst von der Volljährigkeit an zu rechnen wäre, stets erst der Abschied aus dem Heere als bestimmender Zeitpunkt angesehen werden L. 1. 3 C. de temp. (2. 53). . §. 342. Restitution. — Wirkungen . Die aus dem Grundbegriff der Restitution folgende Wirkung derselben ist die Herstellung des früheren Rechts- zustandes. Hat nun die eingetretene Aenderung dieses Zu- standes, die durch die Herstellung beseitigt werden soll, eine §. 342. Restitution. Wirkungen. ganz einfache Natur, wie z. B. die Schenkung, wozu ein Minderjähriger beredet worden ist, so kann jene Regel als ausreichend gelten, indem eben nur die einzelne Handlung in ihren Folgen rückgängig zu machen ist. Allein viele, ja die meisten Aenderungen des Rechtszustandes haben eine so einfache Natur nicht, indem sie vielmehr aus gegenseitigen Leistungen, also aus Vortheilen und Nachtheilen auf beiden Seiten, zusammengesetzt sind. Für alle diese Fälle nun gilt die allgemeine und natür- liche Regel, daß der ursprüngliche Zustand nach allen Seiten hin wiederhergestellt werden muß L. 24 §. 4 de min. (4. 4), „ut unusquisque in integrum jus suum recipiat“ — L. 29 ex qu. caus. (4. 6) „videlicet ne cui officium publicum vel damno, vel compendio sit“. — L. 1 pr. C. de reputat. (2. 48.). „Qui restituitur, sicut in damno mo- rari non debet, ita nec in lucro.“ — Gleichbedeutend ist die Vorschrift, daß bei einem zwei- seitigen Vertrag der Verletzte nur die Wahl hat, ob das Geschäft ganz gelten oder ganz nicht gelten soll. L. 13 §. 27. 28 de act. emti (19. 1). . Eine Anwendung anf die wichtigsten einzelnen Fälle wird diese Regel in das rechte Licht setzen. Durch ein empfangenes Darlehen kann ein Minder- jähriger in Nachtheil versetzt seyn, indem er das empfangene Geld verloren oder verschwendet hat; dann führt die Re- stitution dahin, daß er Nichts zurückbezahlt (§ 319 Note d ). Hat er das Geld nicht gerade verschwendet, sondern an einen unvermögenden Schuldner geliehen, so wird er da- durch geschützt, daß er sich durch Cession der Klage gegen diesen Schuldner mit seinem Gläubiger abfindet. Hat er Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. mit dem geliehenen Gelde einen nachtheiligen Einkauf vor- genommen, so wird er gegen seinen Verkäufer restituirt, und bedarf dann einer Restitution gegen den Darleiher nicht L. 27 § 1 de min. (4. 4). . Gegen einen nachtheiligen Verkauf geht die Restitution des Minderjährigen zunächst dahin, daß demselben die ver- kaufte Sache mit den Früchten der Zwischenzeit zurückgege- ben werden muß L. 24 § 4, L. 27 § 1 de min. (4. 4). . — Dagegen muß der Verletzte von seiner Seite das empfangene Kaufgeld zurückzahlen, und zwar mit Zinsen, die gegen die Früchte aufzurechnen sind L. 27 § 1, L. 47 § 1. de min. (4. 4). Paulus I. 9 §. 7. . — Diese Rückzahlung kann dadurch ausge- schlossen werden, daß der Minderjährige das empfangene Kaufgeld verschwendet hat, welches der Käufer vorher- sehen konnte (§ 319 Note i ). In diesem Hergang liegt dann eine doppelte Restitution: gegen den Verkauf, und gegen den Empfang der Zahlung. — Hat der Käufer wahre Verbesserungen an der Sache vorgenommen, so müssen ihm die Kosten derselben ersetzt werden L. 39 § 1 de min. (4. 4). . Dieselbe Natur mit dem Verkauf hat, wie überhaupt, so auch in dieser Beziehung, die Uebergabe einer Sache an Zahlungsstatt . Auch dabei ist die gegebene Sache mit ihren Früchten zurück zu geben, und die Zinsen des Geldes sind dagegen aufzurechnen L. 40 § 1 de min. (4. 4), L. 98 § 2 de solut. (46. 3). . §. 342. Restitution. Wirkungen. Der nachtheilige Einkauf einer Sache wird nach gleichen Grundsätzen behandelt; auch hier ist die Sache mit ihren Früchten, das Kaufgeld mit Zinsen, zurück zu geben L. 27 § 1 de min. (4. 4), . Gegen eine nachtheilige Acceptilation besteht die Re- stitution darin, daß dem unvorsichtigen Gläubiger seine An- sprüche zurück gegeben werden, und zwar nicht blos gegen den Schuldner selbst, sondern auch gegen dessen Mitschuldner und Bürgen, so wie gegen die Pfänder L. 27. § 2 de min. (4. 4). . Hat ein Minderjähriger durch Novation anstatt seines Schuldners einen schlechteren Schuldner angenommen, so wird ihm die Klage gegen den früheren Schuldner restituirt L. 27 § 3 de min. (4. 4). . Hat er durch Expromission die Schuld eines Anderen übernommen, so wird durch die Restitution er selbst be- freit, dem Gläubiger aber seine verlorene Klage gegen den Schuldner wiederhergestellt; diese natürlich mit den darauf früher haftenden Beschränkungen, z. B. wenn sie einer kurzen Verjährung unterworfen, und diese zur Zeit der Expromission bereits bis auf wenige Tage abgelaufen war L. 50 de minor. (4. 4), L. 19 de nov. (46. 2), L. 1 § 1 C. de reputat. (2. 48). . Die Restitution gegen einen Vergleich hat die Folge, Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. daß die gegenseitig aufgegebenen Ansprüche von beiden Seiten wieder aufleben L. 1. 2 C. si adv. trans- act. (2. 32). Anders verhält es sich bei der Restitution gegen ein Urtheil, wenn dieselbe nur Ein Stück streitiger Verhältnisse betrifft, und daneben andere, ganz unab- hängige Stücke vorliegen; diese bleiben unberührt durch die Re- stitution. L. 28, L. 29 § 1 de min. (4. 4). . Die Restitution gegen eine Usucapion hat die Folge, daß dem Verletzten die verlorene Sache mit allen Früchten der Zwischenzeit herausgegeben werden muß L. 28 § 6, L. 29 ex quib. caus. (4. 6). . Ist eine vortheilhafte Erbschaft ausgeschlagen , oder durch unerfüllte Bedingung verloren worden, so be- steht die Restitution nicht darin, daß Der, welcher sie erhält, nun wirklich Erbe wird , welches unmöglich ist; er be- kommt aber alle Klagen, die er als wahrer Erbe von selbst erhalten haben würde, nunmehr als utiles actiones, das heißt also, es wird ihm ein fingirtes Erbrecht verschafft L. 7 § 10 de min. (4. 4), am Ende der Stelle. L. 21 § 6 quod metus (4. 2). . — Er muß jedoch Alles als gültig anerkennen, was in der Zwischenzeit von den bis dahin berechtigten Personen (Erben, Curatoren u. s. w.) an den Bestandtheilen der Erbschaft verändert worden ist L. 22 de min. (4. 4). Diese Vorschrift kann sogar unter Um- ständen zur Versagung der Re- stitution führen. L. 24 § 2 eod. . — Ferner leben nun- mehr auch alle Lasten und Verpflichtungen wieder auf, die dem Restituirten in der Eigenschaft eines Erben auferlegt waren, und von welchen er bis zur Restitution frei war L. 41 ex quib. caus. (4. 6). . §. 342. Restitution. Wirkungen. Die Restitution gegen den Antritt einer Erbschaft ist nach denselben Grundsätzen zu beurtheilen. Der Resti- tuirte ist und bleibt Erbe, und wird nur durch Fiction behandelt, als ob er nicht Erbe wäre ( abstinendi potestas ei tribuitur ) L. 21 § 5 quod metus (4. 2), L. 7 § 5, L. 31 de min. (4. 4). . Er muß nun Dem, an welchen nunmehr die Erbschaft fällt, diejenigen Erbschaftsstücke herausgeben, die an ihn bleibend gekommen, oder durch bösen Willen nicht gekommen, oder untergegangen sind L. 7 § 5 de min. (4. 4) am Ende. L. 1 § 2 C. de reputat. (2. 48), . — Wenn er vor der Restitution Legate oder Schulden der Erbschaft ausgezahlt hat, so giebt er dafür keinen Ersatz; eben so ersetzt er nicht den Werth der durch seinen Antritt frei ge- wordenen Sklaven, oder der Sklaven, die er fidei- commissarisch selbst freigelassen hat L. 22. 31 de min. (4. 4). . Die Restitution gegen den Erwerb eines Legates macht den Restituirten frei von den Lasten, die ihm in der Eigenschaft eines Legatars als Fideicommiß auferlegt waren L. 33 de min. (4. 4). . §. 343. Restitution. — Wirkungen. (Fortsetzung.) Die Schriftsteller über die Restitution haben sich von jeher viel mit der Frage beschäftigt, ob die Restitution in personam wirke oder in rem, das heißt, nur gegen eine Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. einzelne bestimmte Person, oder in das Unbestimmte hin, gegen Personen, die sich vielleicht zur Zeit der erlittenen Verletzung noch gar nicht übersehen lassen. Daß überhaupt beide Wirkungsarten vorkommen können, sagt in einem all- gemeinen Ausspruch eine Stelle des Paulus Paulus I. 7 § 4 „Integri restitutio aut in rem competit, aut in personam.“ Diese Stelle ist aber sicher stark verstümmelt. , die durch andere Stellen bestätigt wird L. 13 § 1 de min. (4. 4) „Interdum autem restitutio et „in rem datur minori“. . Nach einer unter unsren Schriftstellern sehr gangbaren Formel soll die Restitution in personam die Regel bilden, die in rem die Ausnahme Burchardi S. 416 fg. ; in der That aber bedarf die Sache einer etwas tieferen Begründung Puchta Pandekten § 106 Note f. Vorlesungen S. 217. 218. . Es hängt diese Frage unmittelbar zusammen mit der schon oben erör- terten Bestimmung der verpflichteten Person in der Re- stitution, oder des Gegners des Verletzten (§ 336), und diese Bestimmung muß nothwendig sehr verschieden aus- fallen, je nach der verschiedenen Natur der Rechtsverhält- nisse, worauf sich die Restitution beziehen kann. Die Restitution kann gerichtet seyn gegen eine Usucapion, also gegen eine nicht auf der Handlung des Eigenthümers beruhende Veränderung im Eigenthum, welcher Fall vor- kommen kann sowohl wegen Minderjährigkeit als wegen Abwesenheit. Hier versteht es sich von selbst, daß sie in rem wirkt, also gegen jeden Besitzer L. 30 § 1 ex qu. caus. (4. 6). , wie sie denn auch §. 343. Restitution. Wirkungen. (Forts.) zunächst und hauptsächlich durch die Wiederherstellung der verlorenen Eigenthumsklage zur Ausführung gebracht wird (§ 329). Ebenso so ist kein Zweifel, daß die Restitution gegen die Ausschlagung oder den Antritt einer Erbschaft stets in rem wirkt, da sie auf ganz verschiedene und unbestimmte Per- sonen sich beziehen soll (§ 342). Auch wird ausdrücklich gesagt, daß die aus der Restitution hervorgehende Klagen auf Erbschaftssachen gegen jeden Besitzer derselben angestellt werden können, auch wenn der ursprüngliche Besitzer der Erbschaft sie veräußert hat L. 17 pr. ex. quib. caus. (4. 6). . Anders verhält es sich mit der Restitution gegen einen geschlossenen Vertrag. Diese geht in der Regel gegen die Person, mit welcher der Verletzte den Vertrag geschlossen hat, und nur ausnahmsweise gegen dritte Personen; für diese Klasse von Fällen also ist die oben erwähnte Formel als richtig anzuerkennen (Note c ). Wird also ein Minderjähriger gegen einen nachtheiligen Verkauf restituirt, so hat er in der Regel die Rückgabe des verlorenen Eigenthums nur von dem Käufer zu fordern (§ 342 Note c ), nicht von dem dritten Besitzer, an welchen der Käufer weiter veräußert hat. Ausnahmsweise aber Interdum, s. o. Note b. wirkt die Restitution auch gegen den dritten Besitzer, wenn dieser um den Verkauf des Minderjährigen wußte, oder Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. wenn der erste Käufer zahlungsunfähig ist L. 13 § 1, L. 14 de min. (4. 4). . In einem solchen Fall hat dann der dritte Besitzer, der die Sache herausgeben muß, dieselben Regreßansprüche gegen seinen Vorgänger, wie wenn er den Besitz durch eine Eigenthums- klage verloren hätte L. 15 de min. (4. 4), L. 39 pr. de evict. (21. 2). . Dieselbe Behandlung findet sich, wenn einem Minder- jährigen, der zur Zahlung einer Schuld verurtheilt war, Sachen abgepfändet und verkauft worden sind; denn diese Handlung ist als ein im Namen des Minderjährigen, also von ihm selbst, geschlossener Verkauf anzusehen. Wird nachher die Verurtheilung durch Restitution aufgehoben, so kann der Minderjährige in der Regel nur die Summe der Schuld vom Gläubiger wieder fordern L. 9 pr. de min. (4. 4) „nam illud certum est, pecu- niam ex causa judicati solutam ei restituendam“. ; ausnahmsweise aber L. 9 pr. cit. „et puto, interdum permittendum“ … kann er auch die verkauften Sachen von dem Be- sitzer zurück fordern, wenn er durch das Entbehren in besonders großen Schaden versetzt werden würde L. 9 pr. cit. „si grande damnum sit minoris“. L. 1 C. si adv. vend. pign. (2. 29) „magno detrimento … enorme dam- num“ … L. 49 de min. (4. 4) „grande damnum“; diese Stelle muß offenbar, so wie die vorigen, von einem Verkauf im Wege der Execution verstandeu werden, ob- gleich sie das nicht ausdrücklich sagt. — Nicht zu verwechseln aber ist dieser Fall der pignora capta et distracta mit dem Fall, da der Pfandgläubiger verkauft; dagegen gilt gar keine Restitution, s. oben § 323 Note e. f. g. . Schon oben ist dargethan worden, daß bei einer er- zwungenen Veräußerung der Verletzte die Wahl hat, ent- §. 343. Restitution. Wirkungen. (Forts.) weder gegen den Verletzer auf Entschädigung zu klagen, oder durch Restitution die Herstellung seiner verlorenen in rem actio zu verlangen, die er dann auch gegen jeden dritten Besitzer geltend machen kann (§ 330 Note e ). Sehr häufig ist das Verfahren bei einer Restitution so einfach, daß Alles abgethan ist mit dem einfachen Befehl an den Verpflichten, Geld zu zahlen oder eine empfangene Sache heraus zu geben (§ 337 Note m ). Dann hat die Restitution eine ähnliche Natur mit einer gewöhnlichen Schuldklage. Ist nun der zunächst Verpflichtete in fremder Gewalt als Sohn oder Sklave, so trifft die Verpflichtung, wie bei einer Schuld, auch den Vater oder Herrn, in sofern entweder dieser durch das Geschäft Etwas in sein Vermögen bekommen hat, oder ein Peculium vorhanden ist, wodurch er nach den Grundsätzen der actio de peculio verbunden wird L. 24 §. 3 de min. (4. 4). . VII. 18 Beilagen . XVIII. XIX. 18* Beilage XVIII. Restitution der Minderjährigen, welche in väterlicher Gewalt stehen. L. 3 § 4 de minor. (4. 4). L. 2 C. de filiofam. minore (2. 23). (Zu § 323 Note q ). U eber die Restitution der in väterlicher Gewalt stehenden Minderjährigen werden von den Schriftstellern folgende Sätze als sichere Regeln anerkannt: Der Minderjährige erhält gegen seine Handlungen dieselbe Restitution, wie wenn er nicht in väterlicher Gewalt stände, vorausgesetzt (so wie bei jeder Re- stitution), daß er ein Interesse dabei hat; Der Vater soll von dieser Restitution keinen Vortheil ziehen, kann sie also nicht für sich geltend machen. Auch sind diese Sätze in der Hauptstelle, die von dieser Frage handelt, als Regeln so klar und entschieden aus- gesprochen, daß darüber kaum ein Zweifel seyn konnte L. 3 § 4 de min. (4. 4). . Nur wird fast eben so allgemein für den ersten dieser beiden Sätze eine Ausnahme behauptet, und diese Ausnahme ist Beilage XVIII. es, welche in der gegenwärtigen Untersuchung geprüft werden soll. Der Minderjährige soll nach dieser Behauptung aus- nahmsweise keine Restitution erhalten, wenn das nachthei- lige Geschäft in der Aufnahme eines Gelddarlehens be- steht, und wenn dazu der Vater den Befehl gegeben hat Burchardi S. 239—248. Andere Schriftsteller werden so- gleich angeführt werden. . Betrachten wir zuerst diese Ausnahme in ihrem allge- meinen und natürlichen Zusammenhang mit der Restitution überhaupt, also grundsätzlich, und noch ohne Rücksicht auf das Zeugniß einzelner Stellen. Man könnte dieselbe daraus ableiten wollen, daß es dem väterlichen Ansehen widersprechen würde, den gegebenen Befehl durch Ertheilung der Restitution für schädlich zu erklären. Diese, an sich denkbare, Ansicht wird von Ulpian entschieden verworfen, da er bei anderen Rechtsgeschäften dem Sohn die Restitution gestattet, auch wenn der Vater Befehl zu dem Geschäft gegeben hatte L. 3 § 4 cit. „Proinde si jussu patris obligatus sit … filius … auxilium impetrare debebit, si ipse conveniatur.“ — Eben so wenn der Vater seinen unmündigen Sohn emancipirt, und als Vormund die auctoritas zu einem Geschäft gegeben hatte. L. 29 pr. de min. (4. 4). . Man könnte der Sache ferner die Wendung geben wollen, daß nur der allein handelnde Sohn ein leichtsinniges Gelddarlehen aufnehmen und dadurch in Schaden kommen werde; im Fall eines väterlichen Befehls werde keine Ge- Zur Restitution der Minderjährigen. fahr und kein Nachtheil vorhanden seyn Das ist die Wendung, die Puchta § 103 Note i der Sache giebt. Denn in den Vorlesungen S. 213 sagt er, es sey keine eigent- liche Ausnahme, sondern es werde nur angenommen, daß in einem solchen Fall kein Nachtheil aus Unbesonnenheit entstanden sey. . Man kann Dieses für die meisten Fälle unbedenklich zugeben, und wenn in der That kein Nachtheil, oder doch kein Nachtheil aus Unbesonnenheit entstanden ist, so versteht es sich von selbst, daß die Restitution wegfällt, weil ihre Grundbedingung fehlt (§ 320 Note b ). Aber es kann doch auch anders kommen; der Vater kann eben so leichtsinnig seyn, wie der Sohn, er kann durch den Sohn getäuscht werden, er kann selbst in böser, eigennütziger Absicht den nachtheiligen Befehl zum Darlehen geben. Auf keine Weise erklärt dieser Grund, warum gerade nur bei dem Gelddarlehen der väterliche Befehl diese Wirkung haben soll, da ja bei allen anderen Rechtsgeschäften genau dieselben Rücksichten und Möglich- keiten eintreten, um die Restitution für zulässig oder unzu- lässig zu halten. In dieser Verlegenheit nun haben ältere Schriftsteller die seltsamsten Gründe geltend gemacht, um die erwähnte Ausnahme bei dem Darlehen zu rechtfertigen Azo in L. 2 C. de fil. fam. min., Glossa in L. 3 § 4 D. de minor., Cujacius in L. 3 § 4 D. de min., Opp. T. 1 p. 989 . Das für das Gelddarlehen erlassene Sc. Macedonianum, sagen sie, sey für viele einzelne Fälle sehr hart, und für diese Härte sollten die Gläubiger durch die erwähnte Ausnahme wenig- stens eine kleine Entschädigung erhalten. Ferner seyen die Beilage XVIII. meisten Gläubiger der Minderjährigen ungemein schlechte Leute. Wenn sich nun einmal einer von so redlicher Ge- sinnung fände, daß er nur mit der Genehmigung des Vaters das Darlehen geben wolle, so verdiene dieser seltene Redliche unter den vielen Unredlichen durch eine besondere Ausnahme von den allgemeinen Rechtsregeln ausgezeichnet und belohnt zu werden. Zur Unterstützung dieser letzten Ansicht wird auch noch eine Stelle der heiligen Schrift angeführt Ev. S. Lucä Kap. 15 V. 7 „Ich sage Euch: Also wird auch Freude im Himmel seyn über Einen Sünder, der Buße thut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. . Diese Gründe sind so unhaltbar, ja so wunderlich, daß sie sich nur aus der völligen Verzweiflung erklären lassen, über den klaren Ausspruch unsrer Rechtsquellen nicht anders hinweg kommen zu können. Nach allgemeinen Gründen muß daher die für das Gelddarlehen behauptete Aus- nahme schlechthin verworfen werden, und es kommt nun- mehr Alles auf die Erklärung einzelner Stellen an, zu welcher ich mich jetzt wende. Die wichtigste Stelle ist folgende aus Ulpianus lib. XI. ad Ed., die ich in ihrem ganzen Zusammenhang hierher setze. L. 3 § 4 de minor. (4. 4). Sed utrum solis patribus familiarum, an etiam filiis- familiarum succurri debeat, videndum. Movet dubita- tionem, quod, si quis dixerit etiam filiisfamiliarum in re peculiari subveniendum, efficiet, ut per eos etiam Zur Restitution der Minderjährigen. majoribus subveniatur, id est patribus eorum. Quod nequaquam fuit Praetori propositum; Praetor enim minoribus auxilium promisit, non majoribus. Ego autem verissimam arbitror sententiam existimantium, filium- familias minorem annis in integrum restitui posse ex his solis causis, quae ipsius intersint, puta si sit obligatus. Proinde si jussu patris obligatus sit, pater utique poterit in solidum conveniri, filius autem, cum et ipse possit vel in potestate manens conveniri, vel etiam emancipatus vel exheredatus, in id quod facere potest, et quidem in potestate manens etiam invito patre ex condemnatione conveniri, auxilium impetrare debebit, si ipse conveniatur. Sed an hoc auxilium patri quoque prosit, ut solet interdum fidejussori ejus prodesse, videamus; et non puto profuturum. Si igitur filius conveniatur, postulet auxilium; si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta mutui datione; in hac Alle alte Ausgaben lesen hac, welches eine bessere Con- struction giebt, als die Florenti- nische Leseart: hanc. enim, si filius jussu Diese Leseart der Vulgata ist offenbar besser, als die der Flo- rentina, welche das Wort filius wegläßt. patris mutuam pecuniam accepit, non adjuvatur. Proinde et Aus der folgenden Er- klärung wird sich ergeben, daß der Sinn einfacher hervortritt, wenn hier das et weggelassen wird (Note n ). si sine jussu patris contraxit et captus est, siquidem pater de peculio conveniatur, filius non erit restituendus; si filius conveniatur, poterit restitui. Beilage XVIII. Alles kommt auf die Erklärung der hier cursiv gedruckten Worte an. Diese enthalten die Ausnahme von einer Regel, und es fragt sich, worin besteht diese Ausnahme? welches ist die Regel, worauf sie sich bezieht? Die Ausnahme scheint ausgedrückt in den Worten: non adjuvatur, die Regel also scheint nur in einem adjuvatur, (oder was etwa gleichen Sinn giebt) bestehen zu können. Da nun in dem unmittelbar vorhergehenden Satz gesagt wird: auxilium cessat, welches eben so viel sagt als non adjuvatur, so scheint die Ausnahme darauf nicht zu passen. Sie würde aber passen auf den entfernteren Satz von dem verklagten Sohne; denn da es bei diesem heißt: postulet auxilium, so bildet dagegen das non adjuvatur allerdings einen Gegensatz, welcher als Ausnahme der Regel: postulet auxilium wohl gedacht werden könnte. Durch diese Betrachtung sind ohne Zweifel alle bisherige Erklärer unsrer Stelle bewogen worden, sich zu zwei sehr bedenklichen Maaßregeln zu entschließen. Erstlich haben sie sich hinweg gesetzt über die oben entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze, womit das Ergebniß dieser Erklärung geradezu in Widerspruch tritt, und sie haben sich über diesen Widerspruch durch die bereits angeführten, etwas abentheuerlichen Erwägungen beruhigt. Zweitens aber haben sie die Ausnahme nicht an die unmittelbar vorher- gehenden Worte angeschlossen, sondern, mit Ueberspringung dieser Worte, an den früheren, vom Sohne handelnden Satz; dieses letzte Verfahren ist sehr gezwungen, fast ge- Zur Restitution der Minderjährigen. waltsam zu nennen. — Wenn es nun gelingen wollte, eine andere Erklärung zu finden, durch welche diese beiden großen Uebelstände vermieden werden könnten, so dürfte diese Erklärung gewiß vorzuziehen seyn. Eine solche aber will ich jetzt versuchen. Ich gehe dabei von dem festen Punkte aus, daß Ul- pian ganz bestimmt sagt, das Gelddarlehen sey hier allein ausgenommen, werde also von allen anderen Rechtsge- schäften, die etwa der Sohn geschlossen haben könnte, ver- schieden behandelt. Wenn man nun nach einem Grunde fragt, der diese ganz eigenthümliche Behandlung des Geld- darlehens rechtfertigen möchte, so ist kaum ein anderer denkbar, als die exceptio Sc. Macedoniani, welche bekannt- lich sowohl von dem Vater, als von dem Sohne selbst, gegen jede aus dem Gelddarlehen anzustellende Klage gebraucht werden kann L. 7 § 10, L. 9 § 3 de Sc. Mac. (14. 6), L. 6 pr. C. eod. (4. 28). , und welche gerade allein auf das Gelddarlehen, im Gegensatz aller anderen Rechtsge- schäfte (selbst des Darlehens an anderen Sachen als Geld) Anwendung findet. Nimmt man aber Dieses an, so muß der Sinn der Ausnahme nothwendig ein bejahender (ein adjuvatur ), nicht ein verneinender (ein non adjuvatur ) seyn. Sehen wir zu, wie dieses, nunmehr als nothwendig anzuerkennende, Ziel der Erklärung erreicht werden kann. Es geschieht am einfachsten durch eine Emendation, die Beilage XVIII. jedoch nur in der Versetzung des non an eine andere Stelle zu bestehen braucht, also gewiß bescheiden ist. Der ganze Satz würde nun so lauten: si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta mutui datione; in hac enim, si filius non jussu patris mutuam pecuniam accepit, adjuvatur nämlich pater adjuvatur, da ja pater das noch fortwirken- de Subject des Hauptsatzes ist, welcher mit den Worten si patrem conveniat anfängt. Natürlich muß man nun die Regel und die Ausnahme nicht von der Restitu- tion allein verstehen, sondern von jeder den Beklagten schützenden Rechtshülfe überhaupt. In der Regel also wird dem Vater gar nicht geholfen, im Fall des Geld- darlehens wird ihm geholfen; freilich nicht durch Restitution, sondern durch die exc. Sc. Mace- doniani. . Für Diejenigen aber, welche etwa selbst vor einer so mäßigen Emendation, als zu gewaltthätig, zurück schrecken möchten, läßt sich dasselbe Ziel auch auf dem Wege bloßer Erklärung erreichen. Man muß nämlich dann zu den Worten: si filius jussu patris .. accepit ein nur oder nur dann (ein non nisi ) hinzu denken, so daß der Satz folgenden Sinn giebt: denn bei diesem (dem Gelddarlehen) wird dem Vater nur dann die schützende Einrede (aus dem Senatus- consult) versagt ( non adjuvatur ), wenn das Darlehen auf seinen Befehl aufgenommen war Eine ähnliche Erklärung durch ein hinzugedachtes nur ist nöthig bei der L. 57 mand. (17. 1) s. o. § 329 Note n. ; außer diesem Fall des Befehls also hat er die Einrede, worin denn eben die Ausnahme von der Regel: auxilium cessat besteht. Beide Wege (die Emendation und die zuletzt versuchte Erklärung) führen zu demselben Ziel, nämlich zu folgenden Zur Restitution der Minderjährigen. einfachen Sätzen: dem Vater, der aus dem Geschäft des Sohnes verklagt wird, ist überhaupt nicht zu helfen, außer wenn von einem Gelddarlehen des Sohnes die Rede ist; denn gegen die Klage aus diesem hat der Vater die Ein- rede aus dem Senatusconsult, vorausgesetzt, daß das Dar- lehen nicht auf seinen Befehl aufgenommen worden ist. Man kann diese Sätze, nur mit einer etwas anderen Wendung, auch so ausdrücken: Im Fall eines Geld- darlehens hat der Vater gegen die actio de peculio die exc. Sc. Macedoniani, gegen die actio quod jussu hat er diese Einrede nicht. Eine Restitution kann er in keinem Fall verlangen. Daß nun Ulpian in der That gerade Das sagen wollte, welches ihm durch diese Erklärung in den Mund gelegt wird, ergiebt sich aus den nachher folgenden Worten, worin er den eben aufgestellten Fall noch von einer anderen Seite in weiterer Betrachtung verfolgt. Der Fall war der eines vom Vater nicht befohlenen Gelddarlehens; gegen die Klage aus diesem sollte der Vater die exc. Sc. Macedo- niani haben; Das sagt der bisher erklärte Theil der Stelle. Was geschieht aber in diesem Falle mit dem Sohne? davon sprechen die hier folgende Worte: Proinde si Ich lasse das et vor si weg (Note i ), weil nicht eine fort- gehende Anwendung des vorher ausgesprochenen Satzes folgt, son- dern etwas Neues. sine jussu patris Diese Worte find die sicht- bare Wiederholung der vorherge- henden Worte: si non jussu pa- tris mutuam pecuniam accepit nach der von mir vorgeschlagenen Emendation, und sprechen daher sehr für diese Emendation. contraxit et Beilage XVIII. captus est, siquidem pater de peculio conveniatur, filius non erit restituendus; si filius conveniatur, poterit restitui. Beide hier aufgestellte Sätze sind nicht ganz ohne Be- denken. Der Sohn soll, wenn der Vater verklagt wird, nicht restituirt werden können. Das erklärt sich zunächst daraus, daß der Sohn nicht in Anspruch genommen ist. Aber wie, wenn der Vater die Exception nicht gebrauchen will, oder wenn er sie nach den besonderen Umständen des Falles nicht gebrauchen kann Wenn etwa der Gläubiger nicht wußte, daß der Schuldner in väterlicher Gewalt stand. L. 3 pr. L. 19 de Sc. Maced. (14. 6). ? Nun wird der Vater zahlen, das Geld aus dem Peculium nehmen, und so ver- liert der Sohn dennoch dieses Geld. Auf diesen Einwurf antwortet Ulpian , das Interesse des Sohnes an dem Peculium als solchem sey ein blos factisches, kein juristisches, der Vater habe daran das Eigenthum und könne es also auch ganz willkürlich wegnehmen „Nec eo movemur, quasi intersit filii peculium habere; magis enim patris, quam filii interest.“ . Auch der zweite Satz hat sein Bedenken. Der aus dem Darlehen verklagte Sohn soll Restitution erhalten; aber auch er hat ja die Einrede aus dem Senatusconsult, und da diese schon mero jure gilt, so scheint die Restitution überflüssig und unzulässig (§. 321 Note r ). Darauf ist zu antworten, daß jene Einrede vielleicht ausgeschlossen ist durch den Irrthum des Gläubigers über das Daseyn der Zur Restitution der Minderjährigen. väterlichen Gewalt (Note p ), oder daß dieser Umstand wenigstens vom Gegner behauptet werden und den Ausgang des Rechtsstreits ungewiß machen kann (§. 318 Note d ). Aus solchen Gründen kann wohl die Restitution Vortheil gewähren, ja vielleicht ganz unentbehrlich seyn, wenn dem Sohne geholfen werden soll. Denn die Minderjährigkeit giebt stets einen Schutz, der solchen Einwendungen nicht ausgesetzt ist, und gerade die sichere Verhütung einer solchen Gefahr eignet sich entschieden zur Ertheilung einer Restitution (S. 121). Die zweite Stelle, woraus bewiesen werden soll, daß der Minderjährige keine Restitution erhalte gegen ein Geld- darlehen, wenn sein Vater dazu Befehl gegeben habe, ist ein Rescript von Gordian . L. 1 (al. 2 ) C. de fil. fam. minore (2. 23). „Si frater tuus, cum mutuam pecuniam acciperet, in patris fuit potestate, nec jussu ejus, nec contra Senatusconsultum contractum est, propter lubricum aetatis adversus eam cautionem in integrum restitu- tionem potuit postulare“. Die Belehrung des Kaisers geht dahin, daß der minder- jährige Schuldner gegen das Gelddarlehen unter zwei Voraussetzungen Restitution erhalten könne: 1. Wenn das Darlehen nicht auf Befehl des Vaters auf- genommen sey, 2. wenn dasselbe nicht unter das Verbot des Senatus- consults falle. Beilage XVIII. Ich betrachte die zweite Voraussetzung zuerst, die mit der so eben angestellten Untersuchung zusammentrifft. Ist nach der übereinstimmenden Erklärung der Parteien schon das Senatusconsult anwendbar, so bedarf es der Restitution nicht, und sie wird daher nicht gegeben. Ist es entschieden nicht anwendbar (weil der Gläubiger die väterliche Gewalt sicher nicht kannte), oder ist dieser Umstand wenigstens zweifelhaft und bestritten, dann kann die Restitution ein- treten. Die erste Voraussetzung scheint folgenden Sinn zu haben. Wenn der Vater keinen Befehl zum Darlehen ge- geben hat, so bekommt der Sohn Restitution (das sagt die Stelle ausdrücklich); wenn er Befehl gegeben hat, so bekommt der Sohn keine Restitution (das scheint indirect angedeutet). Diese indirecte Andeutung scheint also eine Bestätigung der Ausnahme zu enthalten, worauf sich die gegenwärtige Untersuchung bezieht, also eine Bestätigung der oben erklärten Stelle des Ulpian nach der gewöhnlichen Auffassung der- selben. Unstreitig war es die scheinbare Uebereinstimmung dieser beiden von einander unabhängigen Stellen, welche der gewöhnlichen Behauptung einer Ausnahme für den Fall eines vom Vater befohlenen Gelddarlehens solche Kraft verlieh, daß dagegen auch nicht einmal ein Zweifel versucht wurde. Die eben erklärte, in jener ersten Voraussetzung liegende indirecte Andeutung ist nun das gewöhnlich sogenannte Zur Restitution der Minderjährigen. argumentum a contrario. Dasselbe besteht darin, daß aus einer bedingungsweise aufgestellten Regel geschlossen werden soll, das Gegentheil dieser Regel müsse gelten, sobald der logische Gegensatz (die reine Verneinung) der aufgestellten Bedingung vorhanden sey. Diese Auslegungsweise, die am rechten Orte angewendet ihre relative Wahrheit hat, ist nirgend bedenklicher, als bei den Rescripten im Codex. Denn hier hat die bedingte Fassung eines Ausspruchs sehr oft gar nicht den Sinn, daß der Ausspruch eben nur unter der beigefügten Bedingung wahr seyn soll, sondern vielmehr nur den Sinn einer kurzen Wiederholung der in der Anfrage an den Kaiser enthaltenen Thatsachen Vgl. oben B. 1 § 41 am Ende des §. . In der hier vorliegenden Stelle also sind die zwei scheinbaren Be- dingungen der für zulässig erklärten Restitution etwa so zu verstehen: Wenn es wahr ist, wie Du anführst, daß der Vater zu dem aufgenommenen Gelddarlehen keinen Befehl gegeben hat, und daß auch nicht eine Verletzung des Senatusconsults jede Restitution überflüssig macht, so ist die Restitution wohlbegründet. Die Erwähnung des nicht vorhandenen väterlichen Be- fehls in der Anfrage, so wie in der Wiederholung durch das Rescript, hat nun nicht den Sinn, daß die Restitution schlechthin ausgeschlossen wäre im Fall eines väterlichen Befehls (wie man die Stelle gewöhnlich auslegt), sondern VII. 19 Beilage XVIII. vielmehr, daß, wenn ein solcher Befehl nicht vorhanden ist, die Restitution um so sicherer zulässig seyn wird, weil das Daseyn eines solchen Befehls gewiß in den meisten Fällen ein Kennzeichen seyn wird, daß eine Läsion nicht vor- handen, also auch eine Restitution nicht begründet ist. Was hier über die Auslegung der Rescripte im Codex gesagt ist, hängt also damit zusammen, daß solche Rescripte nicht dazu bestimmt waren, allgemeine, scharf begränzte Grundsätze aufzustellen (wie es bei den theoretischen Schriften der alten Juristen, so wie bei den eigentlichen Gesetzen im Codex, der Fall ist), sondern vielmehr Belehrung zu geben über die concrete Natur einzelner zur Beurtheilung vorge- legter Rechtsfälle. So ist also auch dieses Rescript des Gordian nicht dazu geeignet, die angebliche Ausnahme für den Fall des Gelddarlehens zu rechtfertigen. Ich fasse die vorstehende Ausführung in folgender kurzen Uebersicht zusammen. Minderjährige erhalten Restitution gegen ihre Rechtsgeschäfte auch wenn sie in väterlicher Ge- walt stehen, und selbst wenn der Vater in das Geschäft eingewilligt oder dazu Befehl gegeben hat. Diese Regel wird auch von keiner Seite bezweifelt. Es wird aber sehr allgemein eine Ausnahme von dieser Regel für den Fall behauptet, wenn das Geschäft in der Aufnahme eines Geld-Darlehens besteht. Für diesen Fall Zur Restitution der Minderjährigen. soll durch den väterlichen Befehl die Restitution des Sohnes gänzlich ausgeschlossen seyn. Diese Ausnahme läßt sich jedoch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen durchaus nicht rechtfertigen. Sie soll begründet werden durch eine Stelle des Ulpian , und durch ein Rescript des K. Gordian . Die richtige Auslegung beider Stellen bestätigt aber diese Behauptung nicht. Demnach ist die Behauptung jener Ausnahme durchaus zu verwerfen. 19* Beilage XIX. L. 57 Mandati (17. 1). (Zu §. 329 Note n ). I n der Stelle, die hier erklärt werden soll, ist fast Alles Gegenstand von Zweifeln und Streitigkeiten geworden: der Text, die Bildung des Rechtsfalles der entschieden werden soll, die Personen von welchen die Rede ist, die Ent- scheidung selbst. Der Fall stellt sich dem ersten, unbefangenen Blick in folgender Weise dar. Ein Sklavenhändler ( venaliciarius ) reist in eine Provinz, ohne Zweifel, um neue Sklaven einzu- kaufen. Die in Rom vorräthigen Sklaven zu verkaufen, giebt er Auftrag an einen Mann, der ihm als zuverlässig persönlich bekannt ist ( certi hominis fidem elegit ). Bald nach seiner Abreise stirbt dieser Mann, und dessen Erben, unbekannt mit den Regeln des Mandats, bilden sich ein, der Auftrag sey auf sie übergegangen; sie verkaufen die Sklaven, und zwar (wie der Erfolg zeigt) unter nachtheiligen Bedin- gungen. Die Käufer besitzen die Sklaven über ein Jahr. Der Sklavenhändler, von der Reise zurückkehrend, und unzufrieden mit dem Verkauf, will gegen die Käufer mit Beilage XIX. L. 57 mandati (17. 1). der Publiciana klagen, fürchtet aber die exceptio dominii wegen der Usucapion der Käufer, und es wird bei Papi- nian angefragt, wer wohl Aussicht auf Erfolg habe, der Kläger oder die Beklagten? Das Responsum auf diese Frage nahm der Jurist in seine Sammlung auf, und daraus ist dasselbe in die Digesten übergegangen. Aber gerade in der Antwort auf die vorgelegte Frage ist der Sitz der Schwierigkeit, denn eben hier finden sich zwei Lesearten von ganz entgegengesetztem Sinn. Die erste lautet so: Sed venaliciarium ex provincia reversum Publiciana actione non utiliter acturum. Dieses ist die Leseart der Florentina und der Vulgata. Haloander liest: inutiliter, welches ganz denselben Sinn giebt, und wobei es dahin gestellt bleiben mag, ob er es in einer Handschrift vorfand, oder nur des besseren Klanges wegen aufnahm. Nach dieser ersten Leseart sollen die Be- klagten Recht behalten. Die zweite Leseart ist folgende: Sed venaliciarium .... Publiciana actione non inutiliter acturum. Diese findet sich in der Ausgabe des Vintimillius : Paris. 1548. 8, aus einer Handschrift des Ranconnetus . Ferner in der Ausgabe des Charondas , Antverp. 1575 fol., aus einer Handschrift des Herausgebers. Ferner sagt Augustinus Augustini emend. Lib. 1 C. 3. : „et sunt qui scribant, non inutiliter Beilage XIX. acturum. “ Woher er Dieses hat, sagt er nicht; das angeführte Buch ist zuerst 1543 gedruckt, also älter, als die angeführten Ausgaben, worin handschriftliche Texte angegeben werden. Auch die Basiliken bestätigen diese Leseart Basil. ed. Fabrot. T. 2 p. 161 “καλῶς.“ . Cujacius schlägt als Conjectur vor: utiliter, welches dem Sinn nach nicht verschieden ist von non inutiliter, dem Ausdruck nach schlechter, wie sich weiter unten zeigen wird. Nach dieser zweiten Leseart soll der Kläger Recht behalten. Also an handschriftlicher Beglaubigung fehlt es für beide Lesearten nicht, und wir haben zunächst nach dem inneren Zusammenhang der Stelle zu prüfen, welche den Vorzug verdiene. Sieht man die Stelle obenhin an, so spricht ein ober- flächlicher Schein für die erste Leseart. Denn es heißt in den unmittelbar folgenden Worten: cum exceptio justi dominii .. detur. Also: datur exceptio, die Exception wird vom Prätor gegeben, sie ist also wirklich begründet, also muß der Kläger abgewiesen werden. Allein bei genauerer Betrachtung ergeben sich sogleich folgende ganz entscheidende Gründe gegen diese Erklärung. Zuerst die adversative Partikel Sed im Anfang des Satzes. Dann wenn die Beklagten durch die Exception gewinnen, so ist Dieses eine unmittelbare Folge der vorher erwähnten Usucapion, kann also unmöglich als Gegensatz ansgedrückt werden, wie es doch in dem Sed augenscheinlich L. 57 mandati (17. 1). geschieht. Allerdings liest nun Haloander Et anstatt Sed, und dadurch verschwindet dieser Einwurf. Allein seine Leseart steht so vereinzelt, daß wir wohl unbedenklich an- nehmen können, sie sey nicht aus einer Handschrift ge- nommen, sondern eben nur erfunden, um diesem Einwurf zu begegnen. Ferner spricht dagegen der in dem letzten Satz ( neque oporteat etc. ) enthaltene, von der bloßen Billigkeit herge- nommene Grund. Wenn die Beklagten gewinnen sollen durch die Berufung auf das strenge Recht, das justum dominium, so wäre es ja sehr unlogisch, dessen Schutz durch die an sich schwächere Stütze der Billigkeit befestigen zu wollen. Dann spricht dagegen das causa cognita, welches nun vollkommen müßig dasteht, wie es sich am deutlichsten aus der richtigen Erklärung dieser sehr bedeutsamen Worte er- geben wird. Endlich aber, und welches die Hauptsache ist, muß man bei dieser Erklärung völlig vergessen, daß von sehr alter Zeit her der Prätor eine Restitution angekündigt hatte zum Besten der Abwesenden, und zwar gerade, um ihnen zu helfen, wenn sie in Folge ihrer Abwesenheit Eigenthum durch Usucapion verlieren sollten. An diese Restitution müßte Papinian gar nicht gedacht haben, sonst hätte er auf entgegengesetzte Weise entschieden, oder doch mindestens nöthig gefunden zu erklären, warum sie im vorliegenden Fall nicht angewendet werden sollte. Beilage XIX. Das Gewicht dieser Gründe ist denn auch schon vor vielen Jahrhunderten anerkannt worden. Um diesen Ein- wendungen zu entgehen, und dennoch die Leseart non utiliter aufrecht zu halten, da man lange Zeit hindurch keine andere kannte, ist der Versuch schon in der Glosse gemacht, und von anderen Schriftstellern in ganz ver- schiedenen Zeiten aufgenommen und vertheidigt worden Vgl. J. Gothofredus im Thesaurus des Otto T. 3 p. 293, und Püttmann probabilia p. 1. , den Rechtsfall selbst, auf welchen sich Frage und Antwort in der Stelle beziehen sollen, in einer ganz anderen, und zwar sehr künstlichen und verwickelten Weise auszubilden. Ein Eigenthümer von Sklaven giebt Auftrag, diese zu verkaufen, der Beauftragte stirbt, und die Erben desselben verkaufen die Sklaven, nicht in unredlicher Absicht, sondern weil sie irrigerweise glauben, der Auftrag sey auf sie über- gegangen. — Soweit ist es fast derselbe Fall, wie der oben dargestellte. Nun aber sollen sich die Schicksale der Käufer getrennt haben. Die meisten derselben haben (nach dieser Erklärung) die ihnen durch den Kauf zugefallenen Sklaven Ein Jahr lang be- sessen und dadurch usucapirt. Dadurch bekommen sie volles, unanfechtbares Eigenthum, das sie behaupten können, sie mögen nun im Besitze bleiben oder nicht. Der vorige Eigenthümer hat es sich selbst zuzuschreiben, daß er nicht aufmerksamer war, und nicht gegen sie geklagt hat vor Vollendung der L. 57 mandati (17. 1). Usucapion. Auf eine Restitution hat er keinen Anspruch, denn er war gar nicht abwesend gewesen. Von diesen meisten Käufern ist nun nicht weiter die Rede; ihre Sache ist abgethan mit den Worten: eos ab emtoribus (d. h. von dem größten Theil der Käufer) usucaptos videri placuit. Nur Einer dieser Käufer, ein Sklavenhändler, hatte ein besonderes Schicksal, abweichend von dem seiner Mitkäufer. Er war vor dem Ablauf seiner Usucapionszeit nach einer Provinz gereist, und in seiner Abwesenheit war der auf ihn gefallene Theil der erkauften Sklaven wieder in den Besitz des alten Eigenthümers zurückgekehrt, der also dadurch die Usucapion unterbrochen hatte. Der Sklavenhändler wollte nach der Rückkehr gegen den alten Eigenthümer mit der Publiciana klagen, und darüber wurde Papinian be- fragt. Er antwortete, der Kläger müsse abgewiesen werden, weil der Beklagte noch wahrer Eigenthümer sey, also die exceptio dominii für sich geltend machen könne. In dieser Erklärung wird nun eine umständliche Ge- schichte erdichtet, ohne daß die Stelle auch nur die ent- fernteste Hindeutung darauf enthielte. Alle Ausdrücke der Stelle deuten vielmehr gerade auf das Gegentheil der hier vorausgesetzten Thatsachen. Denn unter den emtores wird doch gewiß jeder unbefangene Leser alle Käufer verstehen, nicht blos die meisten; und unter dem den Käufern (durch Sed ) entgegengesetzten venaliciarius eher alles Andere, als einen Collegen eben dieser Käufer. — Ferner bleiben die wichtigsten Bedenken bestehen, welche oben gegen eine Beilage XIX. andere Erklärung erhoben worden sind: daß die Worte causa cognita völlig müßig sind, und daß eine auf das strenge Recht (das justum dominium ) gegründete Entscheidung unmöglich durch einen Grund der Billigkeit unterstützt werden konnte, der keinen Halt hatte, wenn der alte Eigenthümer nicht auch verreist war, und der unter dieser Voraussetzung gerade auf das Verhältniß der übrigen Käufer anwend- bar gewesen wäre, und dabei eine ganz entgegengesetzte Entscheidung hätte herbeiführen müssen. — Endlich aber sind die Resultate, die der Stelle nach dieser Erklärung zugeschrieben werden müssen, so trivial, sie verstehen sich so von selbst, daß man kaum begreift, wie über einen so beschaffenen Rechtsfall ein Responsum von Papinian hätte begehrt, später in dessen Sammlung aufgenommen, und zuletzt sogar in die Digesten gesetzt werden sollen. Die völlige Unhaltbarkeit der beiden bisher dargestellten Erklärungen führt fast nothwendig auf die Annahme der zweiten Leseart ( non inutiliter ), der es an handschriftlicher Beglaubigung nicht fehlt, und es kommt nur darauf an, unter Voraussetzung dieses Textes eine mit dem inneren Zusammenhang der Stelle, so wie mit allgemeineren Rechts- regeln, übereinstimmende Erklärung zu versuchen. Das eigentliche Hinderniß einer richtigen Auffassung liegt an einem Orte, wo man es auf den ersten Blick kaum erwarten sollte, in den Worten: cum exceptio justi domi- nii … detur , welche einen Doppelsinn mit sich führen, indem sie sowohl auf concrete, als auf abstracte Weise ge- L. 57 mandati (17. 1). deutet werden können. Sie können nämlich erstens sagen, in dem vorliegenden Fall werde die Exception gegeben, sey sie begründet, der Kläger müsse daher abgewiesen werden: dann sind diese Worte der Grund der Entscheidung, und setzen die Leseart non utiliter nothwendig voraus. Sie können aber auch zweitens (und das ist das Richtige) eine allgemeine Betrachtung enthalten über die Behandlung jener Exception überhaupt: dann sind sie nicht Grund der Ent- scheidung, sondern Widerlegung eines Einwurfs, und setzen die Leseart non inutiliter voraus. Der Sinn dieses Haupt- theils der Stelle läßt sich hiernach in folgender Umschreibung darstellen: Zwar haben die Käufer in der That die Sklaven usucapirt. Dennoch ( Sed ) wird der alte Eigenthümer (der venaliciarius ) die Sklaven nicht ohne Erfolg ( non inutiliter ) mit der Publiciana einklagen. Man könnte zwar glauben, daß ihm die exceptio justi dominii der Käufer, eben wegen ihrer Usucapion, im Wege stände; allein man muß erwägen, daß diese Exception im Allge- meinen nicht jedem Eigenthümer unbedingt, sondern nur causa cognita Es muß also zu den Worten causa cognita ein nonnisi hin- zugedacht werden, wodurch allein sie gegen den Vorwurf eines völlig müssigen Daseyns geschützt werden können. Eine ähnliche Erklärung ist oben bei einer andern Stelle versucht worden, Beilage XVIII. Note m. ertheilt wird. Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio darauf, den Be- Beilage XIX. klagten die Exception abzuschlagen aus einer Rücksicht der Billigkeit ( neque oporteat etc. ). Die Gründe, die oben als Einwendungen gegen die vorhergehenden Erklärungen aufgestellt wurden, verwandeln sich jetzt in Bestätigungen der hier versuchten. Der durch sed ausgedrückte Gegensatz ist wirklich vorhanden, die Worte causa cognita sind nicht müßig, sondern ganz unent- behrlich, und der am Schluß aufgestellte Grund der Billig- keit ist in der That entscheidend für die ganze Sache. Der innere Zusammenhang der Stelle ist völlig befriedigend, und Alles steht in Einklang mit sonst bekannten Rechts- regeln. Endlich bestätigt sich die Wahl der Leseart, worauf diese Erklärung beruht, auch dadurch als richtig, daß sich aus ihr die Entstehung der anderen, nun als irrig anzu- sehenden Leseart, ungezwungen und befriedigend erklärt Ueber diese Probe der Richtigkeit eines aus mehreren auszu- wählenden Textes vgl. B. 1 S. 250. 251. . In irgend einer sehr frühen Zeit ließ sich nämlich ein Ab- schreiber durch den in den Worten: cum exceptio .. detur liegenden falschen Schein täuschen, und verwandelte das vorgefundene richtige inutiliter in das irrige utiliter, welches dann in die meisten Handschriften übergegangen ist. Es bleibt nun noch übrig, die einzelnen Sätze besonders zu erklären, wobei in Erinnerung gebracht werden muß, daß uns in dieser ganzen Stelle Papinian ein von ihm früher ertheiltes Responsum, mit dessen Gründen, in kurzem Auszuge mittheilen will. L. 57 mandati (17. 1). Mandatum distrahendorum servorum, defuncto qui mandatum suscepit, intercidisse constitit. „Das mußte vor Allem als keinem Zweifel unterworfen anerkannt werden ( constitit ), daß der Auftrag mit dem Tode des Bevollmächtigten erloschen war, so daß die Erben durch den Verkauf, den sie irrigerweise vornahmen, den Käufern keine Rechte unmittelbar übertragen konnten.“ Quoniam tamen heredes ejus errore lapsi, non animo furandi, sed exequendi quod defunctus suae curae fecerat, servos vendiderant, eos ab emtoribus usu- captos videri placuit. „Es kann daher nur noch die Frage seyn, ob etwa die Käufer (die Ein Jahr lang besaßen) durch Usucapion Eigenthum der Sklaven erworben haben. Auch dieses hätte verneint werden müssen, wenn die Erben die Sklaven ver- kauft hätten, um das Geld für sich zu behalten; das wäre ein Diebstahl gewesen, und die Sklaven hätten als res furtivae nicht usucapirt werden können. Da aber die Erben nicht diese unredliche Absicht hatten, sondern die ehrliche, nur auf Rechtsunkunde beruhende Absicht, den Auftrag zu vollziehen, der ihrem Erblasser gegeben war Dieser ganze Satz enthält also nicht, wie man nach den An- fangsworten ( quoniam tamen ) glauben könnte, den positiven Grund der Usucapion (denn dieser liegt in der justa causa ), sondern die Widerlegung eines nahe liegenden Einwurfs. , so mußte das Gutachten dahin ertheilt werden „placuit,“ absichtlich ge- wählt, weil zuvor die Beseitigung , daß die Käufer allerdings usucapirt hatten.“ Beilage XIX. Sed venaliciarium ex provincia reversum Dieser venaliciarius wird uns hier ganz unerwartet als ein alter Bekannter vorgeführt. Es ist offenbar das Natürlichste, ihn für den alten Eigenthümer (den Mandanten) anzusehen. Denn der Mandatar ist todt, und die Käufer werden schon durch ihren Pluralis von dem singulären venaliciarius unterschieden, also bleibt nur noch der Mandant übrig, wenn man nicht eine besondere Geschichte hinzu dichten will, so wie es in der vorhergehenden Erklärung ver- sucht worden ist. Publi- ciana actione non inutiliter acturum, cum exceptio justi dominii causa cognita detur, (Dieser Haupttheil der Stelle ist schon oben umschreibend erklärt worden.) neque oporteat eum, qui certi hominis fidem elegit, ob errorem aut imperitiam heredum affiei damno. „Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio dahin, daß der Kläger wegen seiner Abwesenheit Restitution gegen die Usucapion der Beklagten erhalten muß, wodurch die Exception entkräftet wird, also abgeschlagen werden muß. Der einzige Grund gegen eine solche Restitution hätte etwa darin gesetzt werden können, daß der Kläger durch Nach- lässigkeit seinen Verlust selbst verschuldet hätte, folglich keine Restitution verdiene Vgl. L. 26 § 1 ex quib. caus. (4. 6), und oben § 327 Noten e. m. — Durch diesen Theil der Stelle ist die Restitution wegen Abwesenheit auf unverkennbare Weise bezeichnet, wiewohl der Aus- druck in integrum restitutio darin nicht vorkommt. Es wäre aber irrig, anzunehmen daß die causae cognitio ; dieser Grund aber fällt hier gewiß eines Zweifels nöthig gefunden war, im Gegensatz des vorherge- henden constitit bei einem Satze, der zu gar keinem Zweifel Anlaß gegeben hatte. In vielen anderen Stellen wird placuit gebraucht, um einen Satz zu bezeichnen, der erst allmälig Eingang und Aner- kennung gefunden hatte, z. B. in Folge von Controversen. Von diesem rechtshistorischen Verhältniß ist hier nicht die Rede. L. 57 mandati (17. 1). weg, da derselbe weder den nahen Tod seines Bevoll- mächtigten, noch die Rechtsunkunde der Erben desselben, vorhersehen konnte.“ Ich bin weit entfernt, mir die Erfindung dieser Aus- legung unsrer Stelle, die ich für ganz unzweifelhaft halte, zuzuschreiben; das Wesentliche derselben ist schon von Cujacius aufgestellt, und dann von mehreren Schrift- stellern angenommen worden Cujacius obs. X. 6, und: in Papiniani respons. Lib. 10 (opp. T. 4). — Zoannettus bei Otto thes. IV. p. 659. — Reinold opusc. p. 243. — Cocceji jus controv. XVII. 1 am Ende des Titels. . Dennoch habe ich diese neue Darstellung derselben nicht für überflüssig gehalten. Zunächst und gerade an diesem Orte, wegen des Zusammen- hangs dieser wichtigen und lehrreichen Stelle mit der Lehre von der Restitution; dann, weil auch noch von manchen neueren Schriftstellern die alten Irrthümer nicht völlig auf- gegeben sind (Note a ); endlich aber, und hauptsächlich, weil sich auch selbst bei den besten unter den angeführten Schriftstellern, an die im Ganzen richtige Auffassung der Stelle doch wieder Irrthümer und Zweifel angesetzt haben, deren Beseitigung erheblich genug seyn dürfte, um die überhaupt nur im Fall einer Re- stitution dahin führen könne, die exceptio dominii einem Beklagten zu versagen; auch schon die doli replicatio konnte in anderen Fällen zu diesem Erfolg führen. Vgl. L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4), L. 2 de exc. r. vend. (21. 3). Beilage XIX. gegenwärtige Abhandlung zu rechtfertigen. Diese falsche Ansichten stehen insgesammt in Verbindung mit der Lehre von der Publicianischen Klage. Man muß zunächst fragen, warum hier der vorige Eigenthümer überhaupt die Publicianische Klage anstellt nach der Angabe des Papinian , warum nicht die wahre Eigenthumsklage, die er ja durch Restitution wieder erlangen kann? Viele werden darauf antworten, weil gerade für den Fall einer solchen Restitution eine besondere Klage aufge- stellt ist, genannt publiciana actio, verschieden von der gleichnamigen Klage des b. f. possessor, aber auf ähn- lichen Gründen der Billigkeit beruhend. — Diese irrige Meinung ist schon oben (§. 329) ausführlich widerlegt worden; es giebt nur Eine publiciana actio, die des b. f. possessor, von welcher der zweite Titel im sechsten Buch der Digesten handelt, und von dieser muß daher auch in unsrer Stelle die Rede seyn. Eine befriedigende Antwort würde aus der einfachen und natürlichen Voraussetzung hervorgehen, daß wohl der Sklavenhändler, der hier als Kläger auftreten will, die Sklaven in der Provinz, von Peregrinen, gekauft, und zu der Zeit, in welcher er den Besitz durch den Verkauf der Erben verlor, noch nicht ein volles Jahr besessen hatte. Dann hatte er noch niemals wahres Eigenthum gehabt, und es konnte ihm auch nicht durch Restitution eine Eigen- thumsklage wieder verschafft werden. Dann hatte er über- L. 57 mandati (17. 1). haupt kein anderes Recht, als die b. f. possessio, keine andere Klage, als die Publiciana. Diese Voraussetzung hat durchaus Nichts gegen sich. Aber nothwendig ist diese Voraussetzung nicht. Es ist möglich, daß der Besitz des Klägers durch vollendete Usu- capion bereits in wahres Eigenthum übergegangen war; dadurch war ihm sein bisheriges Recht aus der b. f. possessio nicht verloren, und er hatte nun die Wahl, die Publiciana anzustellen oder die Eigenthumsklage, so wie er die eine oder die andere für sicherer hielt. Gerade diese Wahl aber wird von manchen Seiten bezweifelt. Man beruft sich auf die Worte des Edicts, und sucht aus den- selben, nach der Erklärung des Ulpian , zu beweisen, daß von der vollendeten Usucapion an die Publiciana nicht mehr zulässig gewesen sey L. 1 pr. § 1 de publ. „Ait Praetor: Si quis id, quod traditur … nondum usucap- tum petet. — Merito Praetor ait: nondum usucaptum; nam si usucaptum est, habet civilem actionem, nec desiderat hono- rariam.“ . Man darf aber diese Worte nicht zu beschränkt auffassen. Der Prätor wollte nur nichts völlig Ueberflüssiges thun, nicht über das wirkliche Bedürf- niß hinaus gehen. Wenn also beide Theile über das durch vollendete Usucapion erworbene wahre Eigenthum einver- standen waren, und nur etwa über Exceptionen stritten, so war allerdings die Publiciana überflüssig, und der Kläger, der sie dennoch ohne Grund gebrauchen wollte, mag dann auf die Eigenthumsklage verwiesen worden seyn; VII. 20 Beilage XIX. das läßt sich aus jenen Worten folgern. Aber sehr häufig wird gerade die Frage bestritten seyn, ob die Usucapion in der That vollendet, oder irgend einmal durch verlornen Besitz unterbrochen worden ist. War diese Frage nun be- stritten, oder hielt es auch nur der Kläger für möglich, daß sie vor dem Judex bestritten werden könnte, so war ja kein Grund denkbar, weshalb ihm der Prätor die sichere Publiciana hätte verweigern, und die weniger sichere Eigen- thumsklage aufdringen sollen. — Also ist es in unsrem Fall auch wohl möglich, daß der Kläger die Sklaven schon längere Zeit besessen hatte, und es dennoch der Sicherheit wegen vorzog, vielmehr die Publiciana, als die Eigenthums- klage anzustellen. Hieran aber knüpft sich noch ein Irrthum des Cujacius , der weit bedenklicher ist, indem er mehr in das Wesen der Sache eingreift. Er glaubt nämlich, der Anspruch auf Re- stitution wegen Abwesenheit sey nur zuzulassen in dem Fall, wie ihn unsre Stelle wörtlich voraussetze, wenn nämlich ein b. f. possessor vor vollendeter Usucapion den Besitz verliere, und der neue Besitzer die Usucapion anfange und vollende. Denn nun sey Alles abzuthun da- durch, daß der Kläger, dessen publiciana actio an sich nicht durch des Gegners Usucapion vernichtet wurde, gegen die exceptio dominii des Beklagten Restitution suche, die er auch wirklich erhalte. Wenn dagegen der Erste seine Usu- capion vor der Abwesenheit schon vollendet habe, so sey ihm gegen die spätere Usucapion des Andern durchaus nicht L. 57 mandati (17. 1). mehr zu helfen. Denn nun sey jenem Ersten sein Recht selbst durch die spätere Usucapion zerstört worden, also auch alle Klage überhaupt, folglich sey gar nicht mehr die Ge- legenheit vorhanden, eine Restitution anzubringen. Dieser Irrthum würde fast unglaublich seyn, selbst wenn ausdrück- liche Erklärungen über diese Frage in den Rechtsquellen nicht vorhanden wären. Denn wenn überhaupt der Prätor eine Restitution wegen Abwesenheit billig und nöthig fand, so ist schon voraus zu erwarten, daß er solche Unterschiede der bloßen Form des Rechts, wie sie hier berücksichtigt werden, nicht unüberwindlich gefunden haben möge. In der That aber ist das Edict über die Abwesenden so deutlich als möglich (§ 325). Es stellt an die Spitze den Fall einer Verminderung des vorhandenen Vermögens ( Si cujus quid de bonis deminutum erit ), und dahin gehört doch gewiß vorzugsweise der Verlust des Eigenthums durch Usu- capion; für diesen und andere Fälle sagt es nun: earum rerum actionem in integrum restituam. Es soll also Dem, der sein Eigenthum verloren hat, dadurch geholfen werden, daß ihm die aus diesem Recht entspringende, jetzt wirklich verlorene, Klage wiederhergestellt wird. Anschließend an diesen völlig unzweifelhaften Ausspruch des Edicts ist denn auch schon oben nachgewiesen worden, daß dem Ab- wesenden, der durch Usucapion einen Verlust erlitten hat, in zwei verschiedenen Formen, wie er es gut finden mag, geholfen werden kann: Erstlich, wenn er die Publiciana anstellen will, durch Restitution gegen die exceptio dominii Beilage XIX. des Beklagten; zweitens, wenn er die Eigenthumsklage vorzieht, durch Restitution dieser, an sich verlorenen, Klage selbst (§ 329. p ). Beiden Formen liegt zum Grunde ein und dasselbe Mittel: die Rescission des Eigenthums, welches ein Anderer durch Usucapion wirklich erworben hat. Endlich ist noch folgender Zweifel zu erwähnen. Wenn der Sklavenhändler gegen die Käufer mit der Publiciana klagt, so stehen einander gegenüber zweierlei Personen, die gleichmäßig Anspruch auf die aus der b. f. possessio entspringende Rechte haben, denn diese Rechte haben ja die Käufer durch die Vollendung ihrer Usucapion gewiß nicht verloren, und zwar sind dieses Personen, die ihre b. f. pos- sessio nicht von einem und demselben Rechtsvorgänger ableiten. Gerade für diesen Fall aber stellt Ulpian die Regel auf, daß der Besitzer vorgehen, der Kläger also abgewiesen werden solle L. 9 § 4 de public. (6. 2). Scheinbar widerspricht dieser Stelle die L. 31 §. 2 de act. emti (19. 1). Allein beide lassen sich vereinigen, wenn man annimmt, in dieser letzten Stelle werde ein Fall vorausgesetzt, in welchem der Besitz bei keinem von beiden Theilen sich befindet, sondern bei einem Dritten, gegen welchen jene Beide gleichzeitig als Kläger auftreten wollen. . Nach dieser Regel also müßten die Beklagten gewinnen, nicht der Kläger, wie es doch in unsrer Stelle Papinian annimmt. — Allein die eben erwähnte Regel des Ulpian soll offenbar nur gelten als eine letzte Aushülfe, wo übrigens alle Verhältnisse beider Theile völlig gleich stehen, so daß der Richter ohne L. 57 mandati (17. 1). jene Regel um eine Enscheidung verlegen seyn würde. Davon aber kann gewiß nicht die Rede seyn in unsrem Fall, in welchem der Abwesende einen eigenthümlichen An- spruch der Billigkeit für sich hat, stark genug, um selbst das strenge Eigenthum des Gegners zu überwinden; also gewiß um so mehr ausreichend, um die außerdem vorhan- dene Gleichheit beider Theile durch ein auf die Seite des Klägers gelegtes Uebergewicht aufzuheben. Gedruckt in der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.