Die Verwaltungslehre. Von Dr. Lorenz Stein. Dritter Theil . Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1867. Die Innere Verwaltung. Erstes Hauptgebiet. Zweiter Theil. Das öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland, England, Frankreich und andern Ländern. Von Dr. Lorenz Stein. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1867. Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart. Vorwort. Je weiter die Arbeit in das fast unermeßliche, gewiß uner- schöpfliche Gebiet der einzelnen Theile der innern Verwaltung hineinführt, um so mehr wird es klar, daß im Großen und Ganzen diese innere Verwaltung in ganz Europa Eine große , im Wesentlichen gleichartige Thatsache ist; daß sie auf gleichartigen Grundlagen beruht und sogar gleichartige, oft fast gleichzeitige Epochen und Gestaltungen in ihrer Entwicklung durchmacht. Die Gemeinschaft dieses innern Lebens der Völker, die sie alle trotz des feindlichen Gegensatzes im Kriege und trotz der friedlichen Entfremdungen durch Sprache, Sitte und Interessen in Einer großen Bewegung des Fortschrittes umfaßt, findet nur Einen Ausdruck. Dieser Ausdruck ist die Wissenschaft und wesentlich die Wissenschaft der Verwaltung. Sie ist dazu bestimmt, jene That- sache der innern Gemeinschaft des euröpäischen Lebens zum Inhalt und damit zu einem der mächtigsten und segensreichsten Faktoren des allgemeinen Bewußtseins zu erheben. In diesem Sinne ist an der folgenden Arbeit keine Mühe gespart, um ein so weit als möglich vollständiges, dem unerschöpflichen Reichthum von Einzel- heiten andeutendes Bild zu liefern. Aber dabei hat sich wieder eine Gewißheit in den Vorder- grund gedrängt. Wir werden unser Ziel so lange nicht erreichen, bis wir nicht zur Einigung über den Sinn und die Benutzung, den organischen Begriff und die formale Definition der fundamen- talen Ausdrücke und Eintheilungen gelangen. Was ist es, was die Rechts- und Naturwissenschaft zu so gewaltigen Thatsachen des geistigen Lebens macht? Ist ihr Gegenstand größer oder klarer, als der der Staatswissenschaft? Ist ihr Ergebniß wichtiger? Oder ist es nicht viel mehr das, daß jeder, so wie er mit ihr beginnt, weiß, was Wort und Begriff, mit denen er beginnt, für die ganze Welt zu bedeuten haben, und daß er nicht seine beste Zeit und Kraft opfern muß, um nur erst durch die Verwirrung der Form zu dem festen Kern der Sache zu kommen? Und wenn dem so ist, warum sollte denn die Staatswissenschaft das einzige Gebiet bleiben, auf dem Niemand etwas gethan zu haben glaubt, bis er mit den elementaren Begriffen einen Strauß bestanden und „das Andere“ von dem Gesagten gesagt und gemeint hat? — Mag es nun sein, daß es uns damit wie zur Zeit Plato’s und Aristoteles’ nicht für das Ganze gelingt, so müssen wir es nunmehr doch für das Einzelne fordern. Was für den abstrakten Begriff des Staats und seine höchste sittliche Begründung denkbar und zulässig ist, das ist es nicht mehr für die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Hier sind feste Kategorien ein praktisches Be- dürfniß. Ohne sie ist an eine Vergleichung und an einen Fort- schritt durch die Vergleichung nicht zu denken. Ohne sie stehen die Staaten Europa’s mit ihrem innern Leben unvermittelt neben einander. Ohne sie ist ein Verständniß des Verschiedenen neben und über der Kenntniß desselben nicht möglich. Unsere nächste Aufgabe muß es sein, sie aufzusuchen, und das ist schwer; die zweite, sie anzunehmen, und das wird das Schwerere bleiben. Wir haben dieß für das Gesundheitswesen versucht. Der Probirstein der Richtigkeit kann nur darin bestehen, daß sich alle auf dieß Gebiet bezüglichen Rechtsnormen und Thatsachen gleich- sam von selbst in die betreffenden Kategorien hineinordnen und das System dadurch einerseits erklären, andererseits erfüllen. Wir würden glauben, dem Wichtigsten, was eine solche Arbeit leisten kann, näher gekommen zu sein, wenn die Fachmänner der einzelnen Länder diesen Versuch mit dem vorliegenden Werke machten. Daß es uns nun trotz aller Mühe nicht gelungen ist, das gesammte Material vollständig zu bewältigen oder auch nur zu kennen, wird jeder begreifen, der dieß Gebiet kennt. Aber dennoch glauben wir, daß die wesentlichen Elemente vorhanden sind. Es ist nicht Sitte, Männer von Fach öffentlich und allgemein zu bitten, ihre Bemerkungen und Beiträge namentlich in Betreff ein- zelner Staaten dem Verfasser, der recht wohl weiß, daß für jeden Fachmann nur das in einer solchen Arbeit von Werth sein kann, was über die andern Staaten gesagt ist, zu übermitteln. Dennoch wage ich es, zu thun. Es ist bei einem solchen Werke, von dem der vorliegende Band ja nur ein Theil ist, nicht möglich, sich nicht zu irren und vollständig zu sein. Den Herren Collegen, welche mir dabei schon jetzt ihre freund- liche Beihülfe gewährt haben, sage ich hiemit meinen aufrichtig- sten Dank. Wien , Mitte Januar 1867. Dr. L. Stein. Inhalt. Das Gesundheitswesen. Seite Grundbegriffe 1 Erster Theil. Begriff und System des Verwaltungsrechts der öffentlichen Gesundheit . I. Der formale Begriff 4 II. Der Unterschied der gerichtlichen Medicin und des Gesundheits- wesens 4 III. Elemente der Geschichte des Gesundheitswesens 7 IV. Die gegenwärtige Gestalt des öffentlichen Gesundheitswesens 14 V. Der Charakter des öffentlichen Gesundheitswesens und seines Rechts in Frankreich, England, Belgien und Holland 18 Zweiter Theil. Das System des öffentlichen Gesundheitswesens . I. Abschnitt . Die Organisation des Gesundheitswesens 23 I. Princip und Recht 23 II. Geschichte und gegenwärtige Gestalt 26 II. Abschnitt . Das Sanitätswesen. Begriff 40 A. Das Seuchenwesen. Begriff 42 I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung 43 II. Blattern und Impfungswesen 46 III. Die Epidemien und ihr Recht 48 B. Die höhere Gesundheitspolizei. Begriff 51 I. Polizei der Nahrungsmittel 55 II. Giftpolizei 58 III. Kurpfuscherei, Quacksalberei und Geheimmittel 60 IV. Todten- und Begräbnißpolizei 62 V. Höhere und niedere Baupolizei 67 VI. Unmäßigkeitspolizei. Kinderarbeit 72 Seite C. Die niedere Gesundheitspolizei. Begriff 76 I. Gesundheitspolizei der natürlichen Gefährdungen 78 II. Syphilis 78 III. Gewerbliche Gesundheitspolizei 80 1) Begriff und Princip 80 2) Genehmigung von Anlagen 83 3) Gesundheitspolizei des Betriebes 84 III. Abschnitt . Das Heilwesen. Begriff 88 Die beiden Gebiete des Heilwesens 90 A. Das Heilpersonal. Begriff und System 91 Elemente der Geschichte des öffentlichen Rechts 93 I. Die Aerzte und ihr öffentliches Berufsrecht 96 1) Geschichtliche Entwicklung 96 2) Das System der Aerzte, Bildungs- und Prüfungswesen 101 3) Das Recht der Praxis 105 4) Die Pflichten der Aerzte 108 II. Das Apothekerwesen 109 1) Begriff und Inhalt des Apothekerrechts 109 2) Errichtung von Apotheken 112 3) Bildung der Apotheker 113 4) Betriebsrecht der Apotheken 114 5) Oberaufsicht 116 III. Hebammenwesen 117 IV. Heildiener 119 B. Die Heilanstalten. Wesen und Recht 121 I. Hospitalwesen und Armenkrankenpflege 122 II. Das Irrenwesen 127 III. Gebär- und Ammenhäuser 130 IV. Oeffentliche Bäder 131 Das Gesundheitswesen. Grundbegriffe. Während das Bevölkerungswesen das einfache Dasein der Person in seinen Elementen zum Gegenstand der Verwaltung macht, hat der zweite Theil, das Gesundheitswesen, es mit der ersten, allgemeinsten, rein natürlichen Bedingung aller persönlichen Entwicklung, der Gesund- heit, zu thun. Was die Gesundheit physiologisch ist, ist dabei nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Staatswissenschaft hat sich mit den, auf die Gesundheit der Einzelnen bezüglichen Fragen und Thatsachen nicht zu beschäftigen. Sie muß davon ausgehen, daß alles darauf Bezügliche Sache der Heilkunde ist. Sie hat alle, die Gesundheit, ihre Erschei- nungen und Bedingungen betreffenden Gesetze und Regeln als fertige und für sie geltende Wahrheiten von der letzteren Wissenschaft anzu- nehmen. Sie muß sich über diesen Punkt vor allem klar sein. Die Versuchung, medicinische Fragen und Thatsachen als solche in die Ver- waltungslehre des Gesundheitswesens aufzunehmen, ist eine große. Es ist aber eine der ersten Bedingungen für die Verwaltungslehre, auch für ihr Gebiet strenge zu scheiden, um für dasselbe ihre eigenen Grund- begriffe und Gesetze aufstellen zu können. Zu dem Ende bedürfen wir des Begriffes der öffentlichen Gesundheit . Der Begriff der öffentlichen Gesundheit enthält nämlich die Ge- sundheit der einzelnen Staatsbürger als Element des öffentlichen Ver- kehrslebens, insofern dieselbe einerseits die Grundlage der Gesundheit aller übrigen, andererseits das Ergebniß derselben ist. Der Begriff selbst beruht auf einfachen Verhältnissen. So lange nämlich der Einzelne für sich gedacht wird, ist seine Gesundheit das Ergebniß entweder seiner individuellen Constitution, oder seiner Lebensweise. Sie ist in diesem Sinne seine eigene Ange- legenheit, und es ist seine Sache, sich dieselbe zu schützen und zu erhalten. Stein , die Verwaltungslehre. III. 1 So wie aber der Einzelne in das Leben der Gesammtheit hineintritt, verliert er bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit, Herr seiner Gesundheit zu bleiben, und andererseits wird er als Theil der Gemein- schaft für seine Gesundheit auch verantwortlich. Denn er ist gezwungen, in dem Leben der Gemeinschaft alle diejenigen Einflüsse in sich aufzu- nehmen, welche auf seine Gesundheit wirken, und diese Einflüsse sind immer mächtig, oft geradezu übermächtig, wenn der Einzelne der Ge- sammtheit isolirt gegenüber steht. Es ist andererseits kein Zweifel, daß diese Gesundheit aller Einzelnen in der menschlichen Gemeinschaft zu einer der wichtigsten Bedingungen des Wohlseins und der Entwicklung Aller wird. Denn auf ihr beruht die ganze geistige und wirthschaft- liche Produktionskraft des Menschen, und wo sie fehlt, wird er aus einem die Gemeinschaft fördernden Element zu einem hemmenden. Die Gesundheit ist zwar kein Reichthum, aber für den Nichtbesitzer ist sie die Bedingung des Erwerbs, für den Besitzer die Bedingung des Werthes desselben. Sie ist somit die Voraussetzung alles tüchtigen Lebens Aller, denn sie ist es, welche die kräftige Entwicklung jedes Einzelnen bedingt. Indem nun diese Gesundheit jedes Einzelnen von der aller andern an sich und von der Lebensweise und der Thätigkeit derselben abhängt, entsteht der Begriff der allgemeinen Gesundheit, als der durchschnittlichen Höhe der gesunden Kraft bei allen einzelnen Individuen; und diese allgemeine Gesundheit wird zur öffentlichen Gesundheit, insofern und insoweit eben diese durchschnittliche Höhe der gesunden Kraft einerseits, und der Schutz derselben bei jedem Einzelnen andererseits von den Einwirkungen abhängt, die der Verkehr des Gesammtlebens für jeden Einzelnen mit oder ohne seinen Willen mit sich bringt. Daraus nun ergibt sich leicht das Verhältniß der Gesundheit zur Verwaltung. Steht dieselbe nämlich als öffentliche Gesundheit einer- seits unter den oben bezeichneten Einflüssen, gegen welche sich der Ein- zelne nicht mehr durch eigene Kraft schützen kann, und ist sie anderer- seits die erste natürliche Bedingung der tüchtigen Entwicklung jedes Einzelnen und damit des Ganzen, so ergibt sich, daß es die Aufgabe der Verwaltung sein muß, diejenigen Bedingungen im Leben der Gemeinschaft herzustellen, welche die Gesundheit überhaupt einer- seits vor den ihr aus dem Verkehr des Gesammtlebens erwachsenden Gefahren schützen, und andererseits dieselben herstellen und fördern können. Und die Gesammtheit der hierauf bezüglichen Bestimmungen, Maßregeln und Anstalten der Verwaltung bilden somit das öffent- liche Gesundheitswesen . Begriff und Gränze des öffentlichen Gesundheitswesens sind daher wohl einfach und bestimmt genug. Sie beginnen da, wo der Begriff der allgemeinen Gesundheit als des Resultats und zum Theil der Grund- lage der Lebensverhältnisse der Gemeinschaft sich von dem der persönli- chen Gesundheit scheidet . Jeder Act, der sich auf die letztere an und für sich bezieht, ist Sache des Individuums; jeder Act dagegen, der die allgemeine Gesundheit betrifft, gehört der Gesundheitsverwal- tung , das ist dem Gesundheitswesen als Gegenstand der verwaltenden Thätigkeit des Staats. Aus diesem formellen Begriffe entwickelt sich nun der des Ver- waltungsrechts der öffentlichen Gesundheit, dessen Inhalt und System dem Folgenden zum Grunde liegt. Erster Theil. Begriff und System des Verwaltungsrechts der öffentlichen Gesundheit. I. Der formale Begriff. Der Begriff des Rechts entsteht nun hier wie immer zunächst da- durch, daß das Gesammtinteresse eine Begränzung der individuellen Freiheit in Beziehung auf alles Dasjenige fordert, was auf die öffent- liche Gesundheit Einfluß hat. Allein diese Begränzung reicht bei einer so großen, das ganze Leben der Bevölkerung umfassenden Aufgabe nicht aus. Die fortschreitende Wissenschaft zeigt, daß die allgemeine Gesund- heit gewisser positiver Anstalten bedarf, welche nur der Staat herstellen kann. Er muß daher in seine öffentlichen Bestimmungen über das Gesundheitswesen auch diese Punkte aufnehmen, und diese Bestimmungen gehören daher gleichfalls dem öffentlichen Recht an. Das öffentliche Recht oder das Verwaltungsrecht des Gesundheitswesens umfaßt dem- nach die Gesammtheit aller derjenigen Bestimmungen der Verwaltung, welche entweder als Herstellung und Ordnung der sanitären Maßregeln und Anstalten, oder als Begränzung des Rechts der individuellen Frei- heit die Bedingungen der allgemeinen Gesundheit zum Gegenstand haben . II. Der Unterschied der gerichtlichen Medicin und des Gesundheitswesens. Ehe man nun zur Darstellung des eigentlichen Gesundheitswesens übergeht, ist es nothwendig, dasselbe von einem verwandten Begriffe zu scheiden, um so mehr, als sich das Gesundheitswesen aus demselben historisch entwickelt hat und noch vielfach mit demselben in Berührung steht. Das ist der Begriff der gerichtlichen Medicin . Die gerichtliche Medicin ( medicina forensis, médecine legale ) ist ihrem Begriffe nach einfach. Sie ist natürlich nicht etwa eine Medicin für sich, sondern sie enthält die Gesammtheit der Regeln und Grund- sätze, nach welchen die in der Heilkunde gegebenen Kenntnisse und Erfahrungen als Beweismittel im Strafproceß benützt werden. Die gerichtliche Medicin hat daher mit dem Gesundheitswesen an sich gar nichts zu thun , und ist eben so wenig auf die Organe der letzteren oder auf ihre Vorschriften angewiesen. Sie ist vielmehr ein streng gesondertes Gebiet für sich, das das Verhalten der medicinischen Wissenschaften zur Rechtspflege enthält, während das Gesundheits- wesen das Verhalten derselben zur inneren Verwaltung bestimmt. Sie kann daher mit der letzteren weder in einer gemeinsamen Gesetz- gebung, noch in einer gemeinsamen wissenschaftlichen Darstellung vermengt werden; denn die gerichtliche Medicin bildet einen Theil der Gesetze und der Lehren von dem bürgerlichen und Strafproceß, das Gesundheits- wesen dagegen einen Theil der Verwaltungs-Gesetze und Lehren. Beide haben daher auch, obwohl allerdings einerseits von dem formellen Be- griff der Allgemeinen Verwaltung umfaßt, und andererseits auf denselben allgemein wissenschaftlichen Grundlagen beruhend, keineswegs denselben wissenschaftlichen Inhalt oder dieselben theoretischen und praktischen Voraussetzungen. Während die gerichtliche Medicin die medicinischen oder physiologischen Voraussetzungen oder Folgen von Demjenigen fest- stellen muß, was ein Einzelner gethan hat , muß die Medicin im Ge- sundheitswesen vielmehr sagen, was die Verwaltung befehlen oder thun soll . Während die Funktion der Heilkundigen in der ersten nur auf Verlangen des Gerichts eintritt, also unter Umständen gar nicht benutzt wird, ist die Funktion des Gesundheitswesens eine organische und be- ständige, ohne welche eine gute Verwaltung nicht sein kann. Während die Heilkunde in der ersteren sich darauf beschränken muß, die ihr vor- gelegten bestimmten und einzelnen Fragen zu beantworten, hat sie in der zweiten sich vielmehr nach ihrem eigenen Ermessen mit allgemeinen Zuständen und Kräften abzugeben. Während das Gericht in der ersten den geschehenen Ausspruch der Heilkundigen als endgültig maßgebend für sein Urtheil anzuerkennen hat, muß die Verwaltung in der letzteren vielmehr neben dem Urtheil des Arztes noch eine nicht minder wichtige eigene Thätigkeit in Beziehung auf die Gesundheit entwickeln. Beide sind daher eben so verschieden wie Rechtspflege und innere Verwaltung . Es wird daher kaum nöthig sein, sie weiter zu schei- den. Dagegen ist es allerdings nothwendig, zu erklären, wie trotzdem eine, leider noch immer nicht ganz gehobene Vermischung so wesentlich verschiedener Gebiete hat entstehen und sich bis auf die neueste Zeit theilweise hat fortsetzen können. Die allgemeine Grundlage dieser Erscheinung ist die öffentliche Rechtsordnung der ständischen Gesellschaft, in welcher die Grundherr- lichkeit alle örtliche Verwaltung, also eben so wohl die der Rechtspflege als die der Innern Verwaltung in sich vereinigte und dieselben durch ein und dasselbe Organ vollziehen ließ. Dies Organ hieß nach seiner Hauptfunktion das gutsherrliche oder Patrimonial- (Seigneurial) Gericht. Alle Funktionen dieser grundherrlichen Organe erschienen daher formell als gerichtliche; sie gingen von der gerichtlichen Behörde, dem Forum, aus, und alle Herbeiziehung medicinischer Kenntnisse und Thätigkeiten nahmen dadurch naturgemäß den Namen der Medicina forensis an. Indem aber in dieser Zeit sich diese Gerichte sehr wenig um die Auf- gaben der Innern Verwaltung bekümmerten und sich fast ausschließlich auf Rechtspflege und etwa die Sicherheitspolizei beschränkten, so war auch die Benützung der medicinischen Wissenschaft im Sinne des Ge- sundheitswesens eine sehr geringe, und in der Medicina forensis bildeten daher die Grundsätze, nach welchen die Medicin für das Strafrecht diente, bei weitem die Hauptsache. Das Gesundheitswesen im Sinne der Ver- waltung schließt sich vielmehr nur gleichsam im Princip und schüchtern an die gerichtliche Medicin an, um so mehr, als die Heilkunde über- haupt noch nicht hoch genug steht, um den Einfluß allgemeiner Kräfte auf die öffentliche und Einzelgesundheit übersehen zu können. Auf diese Weise beruht jene Verschmelzung der gerichtlichen Me- dicin und des Gesundheitswesens nicht so sehr auf einer zu allgemeinen wissenschaftlichen Auffassung, sondern vielmehr auf der, der ständischen Gesellschaftsepoche eigenthümlichen Organisation der grundherrlichen Be- hörden, welche zugleich Verwaltungsorgane und Gerichte sind, und welche die, dem entsprechende Vorstellung erzeugt, daß das, was über- haupt Gesundheitswesen ist, Sache der Jurisprudenz sei. Zugleich aber leuchtet ein, daß die Auflösung dieser Verschmelzung und die Herstellung eines selbständigen Gesundheitswesens neben der gerichtlichen Medicin vor allen Dingen nicht so sehr die höhere Entwicklung der Wissenschaft, als vielmehr die eines selbständigen Verwaltungs- organismus neben dem Organismus der Rechtspflege zur Voraussetzung hatte. So wie der Proceß beginnt, der diese Scheidung im Leben der Staaten vollzieht, beginnt auch die zweite der beiden wissenschaftlichen Gebiete. Und nachdem somit einmal der Begriff der- selben festgestellt ist, ist damit auch das Princip der Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens in seiner Rechtsbildung gegeben. Die Verwaltungslehre hat die Geschichte der gerichtlichen Medicin nicht zu geben, auch hat die Jurisprudenz es ihrerseits übernommen, dieselbe zu schreiben. Wir bemerken nur, daß hier der Standpunkt der französischen und deutschen Literatur in Beziehung auf die Frage nach dem Verhältniß beider Gebiete ein formell sehr verschiedener ist. In Frankreich ist man sich über den Unterschied vollkommen klar, und hat selbst das Gesundheitswesen für sich viel bestimmter vom verwaltungs- rechtlichen Standpunkt aufgefaßt, als in Deutschland, dafür aber formell beide Gebiete wieder unter dem gemeinsamen Begriff der „Jurisprudence de la médecine“ zusammengestellt, zum Theil aus dem einfachen Grunde, weil keine eigenen Vorlesungen darüber an dem Facult é gehalten wer- den. Das Hauptwerk ist Trébuchet , Jurisprudence de la médecine, de la chirurgie et de la pharmacie en France, comprenant la méde- cine légale, la police médicale, la responsabilité des médecins, chirur- giens etc., l’exposé et la discussion des lois, ordonnances, réglements et instructions conc. l’art de guérir 1834. Er sagt: „Nous compre- nons dans la médecine légale non seulement tout ce qui ce rattache aux lois criminelles et civiles, mais encore tout ce que tient à l’hy- giène et la salubrité.“ Aehnliche Verschmelzung bei Tardieu , Dic- tionnaire d’Hygiène publique. In der deutschen Literatur dagegen ist die Scheidung materiell bereits im vorigen Jahrhundert vollzogen (s. das Folgende), formell erhält sich aber die Vermengung noch vielfach und ist offenbar der Grund des Unmuthes, mit dem logisch denkende Schrift- steller sich über die Systemlosigkeit der deutschen Literatur des Medicinal- wesens äußern. Rust , Medicinalverfassung von Preußen I. S. 11: „Die Medicinalverwaltung in allen Staaten ist höchst unentwickelt und ungleich verschiedener als irgend eine andere Doctrin.“ Stoll , Staats- wirthschaftliche Untersuchung über das Medicinalwesen, Wien 1842: „Die Gesundheitsverwaltung ist ein Chaos ohne Form und Leben.“ Vergl. Haller , Vorlesungen über gerichtliche Arznei I. S. 95, und zuletzt noch den Streit zwischen Rönne und Horn in Rönne , Staatsrecht der preußischen Monarchie II. S. 351. Doch hat die Polizeiwissenschaft der neuern Zeit bereits streng geschieden, wie bei Jacob und Mohl , jedoch noch ohne von den Medicinern beachtet zu werden. III. Elemente der Geschichte des Gesundheitswesens. Die beiden großen, jeder für sich selbständig wirkenden Faktoren der Geschichte des Gesundheitswesens sind dem Obigen zufolge einerseits und in erster Reihe die Entwicklung der selbständigen, von der Rechts- pflege sich trennenden Verwaltung des Innern, andererseits die Geschichte der ärztlichen Wissenschaften selbst. Die erstere gibt der Geschichte des Gesundheitswesens Form und Organismus, die zweite gibt ihr Inhalt und Bewußtsein. Es ist nicht schwer, auf dieser Grundlage die großen Haupt- züge dieser Geschichte aufzustellen, und darin das Einzelne einzureihen. Ursprünglich erscheint das ganze Heilwesen bei allen Völkern der Geschlechterordnung als ein Geheimniß , das bei niederer Organisa- tion in den Händen Einzelner, bei höherer in den Händen der Priester ist; eine öffentliche Organisation findet so wenig statt als ein öffent- liches Recht desselben. Doch erhebt er sich bereits in Griechenland zu einer eigenen Wissenschaft und in Rom zu den Anfängen einer eigenen Verwaltung. Dabei besteht dieselbe noch keineswegs in einem eigentlichen Gesundheitswesen, sondern nur noch in der Aufnahme von Aerzten in den öffentlichen Dienst, und während uns jede Andeutung über eine ge- richtliche Medicin der Alten fehlt, sehen wir doch schon eine Art von Medicinalwesen in seinen ersten Anfängen entstehen. Der Beginn des eigentlichen Heilwesens ist jedoch die ständische Gesellschaft, in welcher die Wissenschaft der Heilkunde durch die Uni- versitäten eine corporative Gestalt empfängt, und eine corporative Ver- waltung derselben erzeugt. Die wissenschaftliche Heilkunde scheidet sich damit von der bloß technischen, und die wissenschaftliche Bildung beginnt zur Bedingung der ärztlichen Praxis zu werden. Damit bildet sich das von den Römern zuerst aufgestellte Element einer Medicinalverfassung als erste Gestalt des öffentlichen Rechts der Heilkunde; noch einseitig, aber schon mit bestimmtem Charakter. Das Princip dieser Zeit ist, daß die wissenschaftliche Bildung die öffentlich rechtliche Bedingung für die Ausübung des Berufes der Heilkunde wird. Dieser Grundsatz ist der Anfangspunkt aller Geschichte des Gesundheitswesens. Allein weiter ist von dem letzteren auch jetzt noch keine Rede; denn noch gibt es eben neben der Jurisprudenz welche richtet und der Medicin welche heilt, keine vermittelnde öffentliche Verwaltung, welche es versteht, das was die letztere weiß, für das was die erstere zu thun hat, zu verwerthen. Erst als sich mit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts die neu entstandene Staatsgewalt über die ständischen Ordnungen und Rechte erhebt, und neben dem Gerichte die selbständige Funktion der Verwal- tung auszubilden beginnt, fängt auch der Gedanke an, zur Geltung zu kommen, daß diese Verwaltung der medicinischen Wissenschaft für ihre Aufgaben bedürfe. Allerdings ist nun, wie gesagt, die erste Gestalt, in der dieß geschieht, die gerichtliche Medicin. Allein trotz der in ihr liegenden Beschränkung der Benützung medicinischer Wissenschaft auf die Beweismittel brechen fast noch mehr die Verhältnisse als die Menschen bereits die Bahn für das eigentliche Gesundheitswesen. Die gerichtliche Medicin nämlich bringt zuerst die Aerzte mit der Verwaltung überhaupt in Verbindung, und gibt damit den ersteren Anlaß, bei den Gerichten als Verwaltungsbehörden ihre Meinung auch über andere Dinge, als die processualen Beweise zur Geltung zu bringen. Die erste Literatur, welche sich mit dem so entstehenden Recht der ärztlichen Wissenschaft be- schäftigt, erscheint zwar noch als reine gerichtliche Medicin. Allein schon mit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts wird das anders, und die betreffende Literatur scheidet sich in zwei große Gebiete, die eigentliche medicina forensis, und die entstehende Theorie des öffentlichen Gesund- heitswesens. Nur sind diese beiden Richtungen noch nicht äußerlich ge- trennt, und die erstere bleibt immer die Grundlage der letzteren, indem die Aerzte nur noch bei Gelegenheit ihrer gerichtlichen Funktion oder der daraus entstehenden Literatur auf gesundheitspolizeiliche Gesichts- punkte kommen, wie namentlich Fortunatus Fidelis im Beginn, und Paul Zachias in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Diese Rich- tung, die großentheils auch auf der vielfachen Berührung der Medicin und Jurisprudenz an den Universitäten beruhte, empfängt im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts in J. Bohn , dem großen Vorgänger von Peter Frank , ihren Hauptvertreter. Von da an ist wenigstens principiell die Scheidung der gerichtlichen Medicin von dem Gesundheits- wesen festgestellt, und jetzt bildet die letztere ein mehr und mehr aner- kanntes selbständiges Gebiet der Verwaltung, dessen formelle Geschichte mit der des Verwaltungsorganismus aufs engste verbunden ist, aber zugleich in die gesammte Auffassung vom Staate aufgenommen, von ihr getragen und entwickelt, und für ihre heutige Gestalt vorbereitet wird. Der geschichtliche Gang der Dinge, in welchem sich dieß vollzieht, beruht nun auf der Unterscheidung, welche dem ganzen folgenden Sy- stem zu Grunde liegt, die Unterscheidung zwischen dem Medicinal- und Sanitätswesen. Nachdem nämlich einmal die Heilkunde zu einem öffent- lich anerkannten, corporativen Fach geworden, war es natürlich, daß das Gesundheitswesen, wenn es überhaupt entstehen sollte, zuerst von den Fachmännern ausgehen, und erst von diesen in die Verwaltung übertragen werden mußte. In der That beginnt daher alles öffent- liche Recht des Gesundheitswesens nicht eben mit dem Sanitätswesen, sondern mit dem Medicinalwesen, mit dem öffentlichen Recht der Aerzte und Apotheker, was jener Zeit allerdings schon darum viel verständ- licher erschien, weil es dem damaligem Gewerbe- und Zunftrecht so viel verwandter war. Die Arzt- und Apothekerordnungen schließen sich zuerst an die Universitäten, und zwar als ein Theil ihres körperschaft- lichen Rechtes an; ihr erstes Auftreten datirt bereits aus dem dreizehnten Jahrhundert von der Universität von Salerno; mit der Ausbreitung des Fachstudiums fangen dann die größeren Städte an, Ortsärzte auf- zunehmen, etwa seit dem fünfzehnten Jahrhundert, und seit dieser Zeit entsteht mit der mehr im Wesen dieser amtlichen Stellung als in spe- ziellen Instruktionen liegenden Aufgabe, sich auch um die Gesundheit im Allgemeinen zu kümmern, jene von uns bereits signalisirte Verschmel- zung der Theorien des Gesundheitswesens mit denen der gerichtlichen Medicin. Allein es ist nicht zu verkennen, daß dieß alles noch einen vorwiegend örtlichen Charakter hat. Um ihm seine gegenwärtige Be- deutung zu geben, mußte ein zweites hinzukommen. Dieß nun bestand in der allgemeinen Entwicklung der staatlichen Gewalt mit dem siebzehnten Jahrhundert, welche, wie wir gezeigt, in der eudämonistischen Staatslehre des Jus naturae ihren wissenschaftlichen und zugleich ethischen Ausdruck fand. Die allgemeine Pflicht der neu entstehenden Regierungsgewalt, für die Wohlfahrt ihrer Unterthanen überhaupt zu sorgen, erscheint natürlich als spezielle Aufgabe der Sorge für ihre Gesundheit. Indeß wird es nothwendig, daß die Verwaltung den Gedanken einer Gesundheitspflege selbständig erfasse und zum Aus- druck bringe; ohne ihn würde sie offenbar ihrer großen Funktion nicht Genüge geleistet haben. Mit dem achtzehnten Jahrhundert beginnt daher die Scheidung der Gesundheitspflege von der gerichtlichen Medicin , und somit die eigentliche Geschichte unseres Gegenstandes. Diese Geschichte hat nun einen ganz bestimmten Charakter, der auf das Engste mit der bisherigen Entwicklung zusammen hängt. Nach wie vor sind nämlich die Mediciner die berufenen Fachmänner, welche allein über dasjenige urtheilen können, was nothwendig einerseits und gefähr- lich andererseits ist, und welche auch allein im Stande sind, der rich- tigen Ausführung vorzustehen. Eine verständige Verwaltung muß daher vor allen Dingen dieser Thätigkeit des Heilpersonals den festen, ernst- lichen Charakter einer öffentlichen Ordnung geben. Steht nur erst diese fest, und empfangen somit die Glieder des Heilpersonals den Charakter öffentlicher Organe, werden ihre Thätigkeiten nur erst öffentliche Funk- tionen, so wird die fortschreitende Wissenschaft schon das, was sie für das Gesundheitswesen zu thun haben, lehren, und durch diese Organe auch vollziehen lassen. Das erste was daher geschehen muß, ist die öffentlich rechtliche Organisation des Heildienstes und die Auf- nahme desselben in das System der Verwaltung oder „Polizei.“ Dieß nun geschieht, nach dem Charakter der damaligen Rechtsbildung, durch eine förmliche administrative Gesetzgebung , deren Aufgabe und In- halt eben jene Organisation des Heildienstes ist. Aus dieser Gesetz- gebung gehen nun die großen Medicinal-Polizeiordnungen des vorigen Jahrhunderts hervor, die bei mancher Verschiedenheit im Ein- zelnen dennoch im Wesentlichen denselben Grundzug haben. Sie be- ruhen auf der Grundvorstellung, daß die Funktion des Heilpersonals eine amtliche und öffentliche sei, daß dieselbe daher unter einer gemein- schaftlichen Leitung stehen, und ein selbständiges Glied des Verwal- tungsorganismus sein müsse. Die beiden Haupterscheinungen auf diesem Gebiete sind die preußische Gesetzgebung von 1725 und die öster- reichische von 1770. Damals wie jetzt schlossen sich an beide die Gesetzgebungen der übrigen Staaten an, und so entsteht ein System von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Gesundheitswesen zu einem integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden die bisher bestehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen diesen großen Gesetzen untergeordnet. Allein andererseits blieben die kleinen Sou- veränetäten der Reichsstände noch bestehen. Auf diese haben jene großen Gesetze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner- halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört- liche Execution behält. So gut also auch theoretisch jene, von den bedeutendsten Männern der Wissenschaft entworfenen Gesetze sein mochten, die wirkliche Gesundheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück. Die Lücke zwischen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß war um so weniger der Fall, als die Gesetzgebung selbst an vielen Orten noch auf einem niederen Standpunkt stand, und noch mit allerlei traditionellen Vorstellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man andererseits kein Bewußtsein von der entscheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund- lagen der Gesundheit, der elementaren Bedingungen derselben; noch erschöpfte sich, höchstens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze Verwaltung des Gesundheitswesens vorzugsweise in der öffentlichen Ord- nung des Heilpersonals, und erst gegen Ende des vorigen Jahrhun- derts beginnen die Gesetzgebungen, sich einzelnen Lebensverhältnissen und ihres Verhältnisses zur Gesundheit anzunehmen. Nach der ganzen Gestalt der Entwicklung mußte dieselbe eben von der medicinischen Wissenschaft erwartet werden; es wird für das ganze Gesundheits- wesen entscheidend, welches Princip und welchen Gang dieselbe annimmt. Sie hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil- dung dieses Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht nicht bloß im Einzelnen sondern auch im Ganzen das Gesundheitswesen unserer Zeit. Für die ältere Geschichte des Gesundheitswesens existiren eine Reihe trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je- doch leicht ansieht, daß sie ausschließlich von Medicinern geschrieben sind, indem sie auf die juristischen und administrativen Rechtsgrundsätze nur wenig Rücksicht nehmen. Peter Frank hat diese Forschungen eingeleitet, die nach ihm von Andern fortgesetzt sind. Namentlich hat Stoll , staats- wissenschaftliche Untersuchungen über das Medicinalwesen I—III. 1822 einer reichhaltige Zusammenstellung von wichtigen Quellen gegeben, Frank aber sowohl als Stoll haben merkwürdiger Weise dem charakteristischen Proceß der Lostrennung des eigentlichen Gesundheitswesens von der gerichtlichen Medicin so gut als gar nicht beachtet. In ähnlicher Weise hat auch die französische Literatur beides vermengt ( Chaumeton , Esquisse historique de la médecine légale en France ). Natürlich wird auch für uns die betreffende Literatur erst mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts von Bedeutung, namentlich indem die entstehende Medicinalgesetzgebung auch die Polizeiwissenschaft auf das durch sie gel- tende Recht hinweist. Der erste große Schriftsteller in dieser Richtung ist Fortunatus Fidelis ( De relationibus medicorum, Nap. 1603) der als Aufgabe der „relationes“ (Berichte) zugleich die gesundheitspolizeilichen Mittheilungen anerkennt. Paul Zacchias ( Quaestiones medico-legales, Rom. 1651) ist noch vorwiegend juristisch. J. Bohn ( De officio medici daplici clinici et forensis 1704) steht im Allgemeinen auf dem Standpunkt der eudämonistischen Auffassung, und ist daher als Uebergang zur fol- genden Richtung zu betrachten. Die Theorie und Geschichte der selbstän- digen gerichtlichen Medicin glauben wir hier nicht behandeln zu sollen. Dieselbe schließt sich bekanntlich vorzugsweise an den Art. Cod. crim. Carol. Die Hauptschriften dieser Epoche sind die beiden Werke von Carp- zow und Böhmer; Hencke hat dann ein eigenes System daraus ge- macht, und von ihm aus sind die betreffenden Sätze in die Lehrbücher, beziehungsweise in die Gesetzgebungen des Strafprocesses übergegangen. Als Frank auftritt, sind die Gesetzgebungen Deutschlands bereits zu einem ziemlich bestimmten Abschluß gediehen; dieselben sind in so reich- lichem Maße vorhanden, daß jede derselben eine eigene Darstellung und Geschichte fordern könnte. Man scheidet mit Leichtigkeit drei Gruppen. Die erste enthält die preußische Gesundheitsgesetzgebung, deren Ge- schichte in kurzem Ueberblick von Horn in seinem trefflichen Werk: „Das preußische Medicinalwesen 2 Bände, 1853. 1858 nebst Supplement vom Jahr 1863“ Band I. Seite 1 ff. gegeben ist. Horn bemerkt mit Recht, daß Preußen der erste aller deutschen (warum sagt er nicht euro- päischen?) Staaten sei, in welchem die Sorge für eine geregelte Gestal- tung des Medicinalwesens mit der öffentlichen Gesundheitspflege sich geltend gemacht. Schon 1685 erschien hier eine erste Medicinalordnung als kurfürstliches Edict, in welchem die Constituirung einer Central- Medicinalbehörde ( Collegium medicum ) angeordnet wurde, welcher die amtliche Oberaufsicht allerdings nur noch über das gesammte Heilwesen übertragen wurde. Aus dem Entwurf einer Medicinalordnung dieses Collegiums 1684 ging dann das Edict vom 27. September 1725 her- vor, die Grundlage nicht bloß aller späteren einzelnen Verordnungen, sondern in der That selbst noch der gegenwärtigen Medicinalverfassung. Horn theilt es mit Seite 2—16. Vergleiche Hagen , Nachricht von den Medicinalanstalten und medicinischen Collegien in den preußischen Staaten. 1786. Bergius Pol. und Cam. Mag. VI. 328. Das zweite große Medi- cinalgesetz ist das Sanitäts-Normativ für Oesterreich vom 2. Januar 1770, das natürlich in mancher Beziehung auf Grundlage der fortge- schrittenen Wissenschaft weiter war, aber dennoch in den Hauptsachen dieselben organischen Principien aufstellt. Kopetz , Polizeigesetze von Oesterreich II. §. 697 nebst den einzelnen Verordnungen. Stuben- rauch , Verwaltungsgesetzgebung Band II. S. 2 ff. mit der österreichischen Literatur; die Hauptsammlung ist das Werk von M. Macher , Hand- buch des Sanitätsgesetzes und Verordnung für die innerösterreichischen Provinzen 1843 (5 Bände und Neue Folge I. Band 1853). Aus diesen beiden großen Elementen ging nun die dritte Gruppe, die Medicinal- gesetzgebung der kleineren Staaten mehr oder weniger im Anschluß an jene hervor. Württemberg , Medicinalordnung vom 15. Oktober 1755 und Instruktion für das K. Medicinaldepartement vom 23. Januar 1807. Sammlung von Pistorius , Handbuch der in Württemberg bis 1840 über die Medicinalpolizei erlassenen Gesetze 1841. Systema- tische Bearbeitung I. Mohl , württembergisches Verwaltungsrecht §. 196, Hessen-Cassel 1778, Churpfalz 1773, Hildesheim 1787, Lippe 1789, Baden 1794, Bayern Edikt über das Medicinalwesen vom 8. September 1808. Geschichte und einzelne Angaben theils bei Stoll a. a. O. I. 141, der zugleich sehr reich ist an Angaben über ältere Ord- nungen seit 1500; theils auch bei Berg , Deutsches Polizeirecht II. Seite 70 ff. Es ist dabei nicht zu verkennen, daß der gemeinsame Charakter aller dieser Gesetzgebungen nicht so sehr die Idee einer eigent- lichen Gesundheitspflege, als vielmehr der Gedanke einer öffentlichen Ordnung des Heilwesens ist. Sie bilden den großen gemeinsamen Ausdruck der Anschauung, nach welcher das Heilwesen ein Theil und eine organische Aufgabe der Verwaltung ist, und vermöge deren daher vor allen Dingen ein öffentliches Recht derselben gefordert wird. Darin , das ist, in dieser wesentlichen Beschränkung auf das Heilwesen liegt der Charakter dieser Rechtsbildung, nicht darin, daß dieselbe in dem was sie bietet, von der folgenden Zeit wesentlich verschieden gewesen, sondern vielmehr darin, daß sie sich auf den einen Theil des Gesund- heitswesens beschränkt; und die eigentliche Bedeutung des neunzehnten Jahrhunderts besteht demgemäß eben in der Aufnahme dieses zweiten Gebietes und den Folgen, welche dasselbe für die Rechtsbildung gehabt hat. IV. Die gegenwärtige Gestalt des öffentlichen Gesundheitswesens. Auch in dem Gesundheitswesen tritt nun die neue Zeit aus der alten Auffassung hinaus, und bildet sich neue Bahnen und neue Ord- nungen. Es ist sehr leicht, den allgemeinen Charakter dieser neuen Epoche zu bezeichnen, aber es ist sehr schwer, den großen Reichthum von einzelnen Bestimmungen, die sich aus derselben entwickeln, in ein klares und einheitliches Bild zusammenzufassen. Der Charakter der gegenwärtigen Zeit beruht zunächst und vor allem auf dem allgemeinen und höhern Standpunkt, den einerseits die Medicin als Wissenschaft, und andererseits die Verwaltung als Aus- druck des allgemeinen staatlichen Bewußtseins einnehmen. Die medicinische Wissenschaft nämlich gelangte schon im vorigen Jahrhundert zu der Erkenntniß, daß die Heilung der Krankheiten bei all ihrer Wichtigkeit denn doch nur ein untergeordnetes Moment und daß sie im Grunde auch nicht fähig sei, der unmittelbaren Thätigkeit der Verwaltung unterworfen zu werden. Sie erkennt mehr und mehr, daß während die Heilkunde es nur mit dem Einzelnen zu thun habe, die allgemeine Thätigkeit der Verwaltung sich vielmehr statt der Heilung der Krankheiten den Bedingungen der allgemeinen Gesundheit zuwen- den müsse. Sie nimmt in diesem Sinne, wenn auch oft langsam und widerstrebend, die großen neu entdeckten Thatsachen der Naturlehre in sich auf und wendet sich dem causalen Verhältniß zwischen allgemeinen Zuständen des öffentlichen Lebens und der Gesundheit der Individuen zu. Aus der bisher vorwiegend therapeutischen Auffassung der ärztli- chen Aufgabe im öffentlichen Leben wird allmählig eine physiologische. Eine Reihe von zum Theil wunderlichen Vorurtheilen verschwindet; neue Krankheitsformen fordern neue Grundsätze für ihre Behandlung; vor allen Dingen aber erkennt die neue Wissenschaft der Heilkunde, daß in den meisten Fällen die Krankheiten der Menschen nur Symptome und Consequenzen gewisser Lebensverhältnisse sind, und daß man da- her, um jenen zu wehren, sich mit diesen beschäftigen müsse. Das Außerordentliche verliert seinen Glanz und seinen Werth auch hier, und die Wissenschaft wendet sich dem Täglichen und Gewöhnlichen zu, auf jedem Schritt weiter neue Bestätigungen ihrer Ansicht findend, daß die wahre Quelle aller Gesundheit und Krankheit in den kleinen, aber be- ständig wirkenden Kräften des täglichen Lebens, den elementaren Zu- ständen der Bevölkerung, Luft, Licht, Wohnung, Bewegung, Wasser und Brod zu finden sei. Und jetzt zeigt sich die heilsame Wirkung der Verbindung der Wissenschaft mit der Verwaltung in den Medicinal- ordnungen des vorigen Jahrhunderts. Sie ist es, welche die letztere für Dasjenige empfänglich macht, was die Theorie gefunden hat; und auf dieser Verbindung, die in keinem andern Theile der Verwaltung so organisch hergestellt ist, als in diesem, beruht die wahre Zukunft des Gesundheitswesens. Was nun daneben die Verwaltung als solche betrifft, so kann man nicht verkennen, daß auch sie von ihrem Standpunkt namentlich in den letzten Jahrzehnten ein neues und eigenthümliches Element in das Gesundheitswesen hineingebracht hat, das mit dem Obigen Hand in Hand geht. Dasselbe besteht in der socialen Auffassung der Gesund- heitsverwaltung. Die regelmäßige Beobachtung der Zustände und des Wechsels der öffentlichen Gesundheit drängt nämlich der letzteren unab- weisbar die Ueberzeugung auf, daß die Gesundheitszustände der ver- schiedenen Classen der Bevölkerung mit einander in gegenseitig bedingen- dem Verhältniß stehen, und daß es keine Gesundheit der höheren Classen ohne eine Gesundheit der niederen gebe. Die große Idee der Identität der Interessen aller gesellschaftlichen Ordnungen und Zustände bricht sich daher auch in dem Gesundheitswesen Bahn, und die Gesundheits- verwaltung wird dadurch wiederum unter allen Theilen der Verwaltung derjenige, der am ersten und am klarsten in der Sorge für die niedern Classen den Schutz der höheren erkennt. Das bildet nun einen unend- lich reichhaltigen Stoff sowohl für die theoretische als für die praktische Thätigkeit, und es ist kein Zweifel, daß an diesen Punkt sich das Be- wußtsein der gesellschaftlichen Mission der Aerzte anschließt, das schon jetzt Bedeutendes leistet, und zu noch größeren Dingen im Namen der Grundlage aller wirklichen Gesittung, der körperlichen Gesundheit und Kraft berufen ist. Diese beiden Faktoren haben nun ihrerseits wieder einen entschei- denden Einfluß auf die Gesetzgebung einerseits, und auf die Literatur andererseits. Die Gesetzgebung nämlich verläßt auf Grundlage der geistigen Bewegung in der Wissenschaft der Heilkunde ihren bisherigen Stand- punkt, auf welchem sie das ganze Gesundheitswesen codificiren und in der vorschriftsmäßigen Thätigkeit der Aerzte die Höhe der Verwal- tung erkennen wollte. Sie gibt es ferner auf, durch einzelne, nutzlose und unerquickliche Vorschriften über das individuelle Leben für die Ge- sundheit der Einzelnen sorgen zu wollen. Alle Verordnungen über Unmäßigkeit, Kleiderordnung, Verhalten der Schwangern u. s. w. ver- schwinden oder führen nur noch ein Scheinleben auf dem Papiere fort. Dagegen entstehen gründliche und tüchtige Gesetze über die einzelnen Gebiete des Gesundheitswesens, verbunden mit einer stets wachsenden oberaufsehenden Thätigkeit über die elementaren Verhältnisse des öffent- lichen Lebens, namentlich in dem Gebiete der Selbstverwaltung. Es ist jetzt viel schwerer, das geltende Recht zu übersehen, aber viel nütz- licher für jede einzelne Aufgabe, es zu studiren. Es hat kein legales System mehr, aber das wissenschaftliche System ist dafür unendlich viel einfacher und klarer. Der Fortschritt ist ein großer und unverkennbarer; aber dennoch ist das letzte Ziel nur erst angebahnt — die Bethätigung der Wahrheit, daß namentlich in der Gesundheitspflege sich auch die besten Gesetze nicht selber vollziehen, sondern ihren Werth erst durch energische Thätigkeit der Selbstverwaltung finden. Der Schwer- punkt des Gesundheitswesens hat sich dadurch geändert; er ist von der Staatsregierung in das Gemeindewesen übergegangen oder gewissermaßen dahin zurückgekehrt; und in der That liegt hier die Zukunft dieser so unendlichen Aufgabe. Diese gesammte gesetzgeberische und praktische Thätigkeit ist nun von der ärztlichen Literatur auf jedem Punkte theils angeregt, theils beherrscht, was in der Sache selbst von höchstem Nutzen war, dagegen in der Form manches verwirrt hat. Der Mann, mit dem sich definitiv das Gesund- heitswesen von der gerichtlichen Medicin scheidet, ist Peter Frank in seinem: System einer vollständigen medicinischen Polizei, erste Auflage 1779 — sieben Bände bis 1817, als dessen spezieller Vorgänger in dieser Beziehung wohl Hebenstreit , Anthropologia forensis 1763 an- gesehen werden muß. Von Frank aus entwickelt sich eine doppelte Richtung. Einmal entsteht hinter ihm der Gedanke, die ganze „medi- cinische Polizei“ als Aufgabe der Verwaltung noch concreter zu for- muliren mit dem Bestreben, das ganze Gebiet in Einem Werk zu umfassen, und wo möglich die Grundlage einer definitiven Organisation und Codification für die Verwaltung aufzustellen; namentlich Erhardt , Theorie der Gesetze, die sich auf das körperliche Wohlsein der Bürger beziehen, 1800. Schütz , Medicinalpolizeiverfassung, 1808. Stoll , staatswissenschaftliche Untersuchungen über das Medicinalwesen I. — III. , 1812, sehr viel Quellenstudium. Zuletzt noch Wildberg , Entwurf eines Codex medico forensis, 1842. Der Einfluß, den die großen Medicinalordnungen des vorigen Jahrhunderts auf diese, allerdings for- mell erfolglosen Versuche haben, ist unverkennbar. Ihr Werth besteht aber wohl wesentlich wiederum in dem, was sie für die Verwaltung hervor- rufen. Denn einerseits waren sie es, welche den einzelnen Gesetzen und Verordnungen zum Grunde gelegt wurden, andererseits führten sie das Gesundheitswesen in das Fachstudium an den Universitäten neben der gerichtlichen Medicin ein, und haben dadurch mittelbar viel genützt. Andererseits haben sie demselben einen dauernden und systematischen Platz in der Verwaltungslehre gegeben, die wieder hier wie immer ihre zwei Grundformen entwickelte, die allgemeine Verwaltungslehre des Gesundheitswesens, und die besondere, territoriale Verwaltungs- gesetzkunde . Was die erste betrifft, so ist sie bei Justi ( II. A. 1) und Sonnenfels (Polizei I. §. 176—247) schon ziemlich bestimmt formulirt, wodurch der polizeiliche Standpunkt mit all seiner Einseitig- keit trotz der freieren Auffassung Franks festgehalten wurde, der freilich noch die medicinische Polizei als „Vertheidigungskunst wider die nach- theiligen Folgen größerer Beisammenwohnung“ ( I. Abschnitt 1—5) be- zeichnet. So denken sich denn auch die Lehrer der Polizeiwissenschaft die Sache, wie Jacob , Polizeiwissenschaft §. 108 ff., selbst Mohl I. Seite 133; die Gesundheitspflege tritt vor dem Heilwesen fast gänzlich in den Hintergrund. Die Staatsrechtslehrer kümmern sich um das ganze Gebiet nicht, obwohl sie sonst mit der „Polizei“ sich genug be- schäftigen, weil sie nicht unter den Begriff einer „Hoheit“ oder eines „Regals“ zu bringen war. Dagegen entsteht nun eine zum Theil sehr gründliche und ausführliche Behandlung der Sache in den Verwaltungs- gesetzkunden, indem theils das bestehende Recht der Medicinalpolizei in die allgemeinen Systeme aufgenommen wird und von jetzt an einen dauernden Theil derselben bildet, wie bei Rönne, Stubenrauch, Mohl, Pözl, Roller, Funke, theils in selbständigen Sammlungen erscheint, unter denen Horns preußisches Medicinalwesen an systematischer Klar- heit, und Rönnes preußisches Medicinalwesen an Reichhaltigkeit muster- gültig sind, während wieder jeder Theil des Gesundheitswesens seine eigene, und meist sehr reiche Literatur besitzt. Das, was noch zu wünschen ist, wäre, daß an den Universitäten wenigstens auf die Hauptsachen mehr Gewicht gelegt, und dem Gesundheitswesen eine selbständige Stellung neben der gerichtlichen Medicin allgemein ein- geräumt würde. Es ergibt sich nun aus diesen Sätzen endlich auch der Stand- punkt der Vergleichung zwischen Deutschland und den übrigen Ländern. Der entscheidende Grundsatz ist, daß das Gesundheitswesen von der durchschnittlichen Höhe der ärztlichen Fachbildung in Ver- bindung mit der örtlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in jedem Lande abhängt. Da diese nun, wie das Bildungswesen es spezieller zeigen wird, in Frankreich sowohl als in England tief unter der deutschen steht, so ist es natürlich, daß beide im Gesundheitswesen mit dem deutschen gar keinen Vergleich aushalten. Aber dabei sind wieder alle drei Länder, trotz dieses quantitativen und qualitativen Unterschiedes des öffentlichen Rechts, auch im ganzen Charakter des letzteren wesent- lich verschieden. Stein , die Verwaltungslehre. III. 2 V. Der Charakter des öffentlichen Gesundheitswesens und seines Rechts in Frankreich, England, Belgien und Holland. Das, was wir den Charakter des öffentlichen Rechts dieses Gebietes nennen, besteht nun in dem Verhältniß der Regierungsgewalt und ihrer Thätigkeit zu der Selbstthätigkeit der Selbstverwaltungskörper. Aus diesem Verhältniß geht dann auch die Gestalt und der Umfang des öffentlichen Rechts auf diesem Gebiete hervor, und hier ist es, wo wir im höheren Sinne von einer Vergleichung reden können. Was zunächst Frankreich betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß Frankreich auch in gesundheitspolizeilicher Beziehung große Specialitäten besitzt. Allein schon aus der Natur und der geringen Anzahl der Fa- cultés de médecine ergiebt sich, daß von einer allgemeinen ärztlichen Bildung nicht die Rede sein kann. Daneben steht der Satz fest, daß Frankreichs ganze innere Entwicklung eine wahre Selbstverwaltung nicht hat aufkommen lassen. Nach wie vor ist die Gemeinde im Grunde ein amtlicher Körper, dessen Haupt der Maire, ein Regierungsbeamteter, ist. Das ist in der vollziehenden Gewalt weiter auseinander gesetzt. Die Folge davon ist, daß vermöge der bedeutenden Bildung der Spitzen der Medicin das Gesundheitswesen als ein nothwendiger und organi- scher Theil der Staatsverwaltung allerdings anerkannt ist, daß aber die Ausführung seiner Principien sich wesentlich auf das beschränkt, was eben von Seite des Amtes dafür zu geschehen hat. Die franzö- sische Gesetzgebung beginnt dem entsprechend auch mit der Organisation des Heilpersonals in der Revolution, und bleibt dabei im Wesentlichen stehen. Sein öffentliches Recht ist fast ausschließlich das Recht der Funktion der Maires, denen hier wie immer Räthe , die Commissions sanitaires etc. zur Seite geordnet sind, und die selbst wieder unter den Préfets stehen. Auf das, was in dieser Weise das Amt thut, beschränkt sich das öffentliche Gesundheitswesen; die Theilnahme der Aerzte ist Aus- nahme; von einer systematischen Aufnahme derselben in die Selbstver- waltungskörper ist keine Rede. Der Charakter der das Gesundheitswesen betreffenden Gesetze ist daher auch durchgreifend der der Vorschriften für Beamtete, wie die Gesundheitspflege die Ausführung derselben ist. Daher ist denn auch die durchgehende Verschmelzung der Begriffe von médecine légale und hygiène publique in der Praxis zu erklären, welche Frankreichs Literatur festhält, und andererseits die strenge Beziehung eben auf die amtliche Funktion, welche Frankreichs Gesetzgebung auszeichnet. Wesentlich anders ist der Charakter Englands. Derselbe be- ruht darauf, daß das Gesundheitswesen bis 1848 überhaupt keine Angelegenheit der Regierung ist , und es auch seit 1848 nur in ganz beschränktem Sinne geworden ist. In England ist vielmehr das Gesundheitswesen grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde, der Selbstver- waltung . Das geltende englische Recht hat daher mit dem gesammten Heilwesen, speziell mit den Verhältnissen des ärztlichen Personals sich niemals abgegeben; dafür existiren gar keine Gesetze, während gerade umgekehrt hierauf das Hauptgewicht des französischen und deutschen Rechts liegt. Nur ganz einzelne Punkte, wie die Quarantäne, das Blatternwesen, einige Bestimmungen der niedern Gesundheitspolizei waren durch Gesetze geordnet. Erst die Cholera hat diesen Standpunkt ge- ändert. Die Cholera bewies in sehr ernster Weise, daß man keineswegs alles der Selbstverwaltung überlassen, und daß eine Vernachlässigung der nothwendigen Bestimmungen höchst bedenklich werden kann. Seit 1830 kommen daher eine Reihe einzelner Maßregeln vor, die aber fast alle die Aufgabe haben, in den größern Städten durch Beseitigung unmittelbar gefährlicher oder nachtheiliger Zustände die Ursachen der Seuchen und ihre Verbreitung zu beseitigen; das sind Gesetze über Ab- zugskanäle ( Sewers ), Wohn- und Bauverhältnisse ( Building Acts ), Kirchhofs- und Bäderordnung u. s. w. Diese einzelnen Bestimmungen wurden nun im Jahre 1848 durch zwei große Gesetze zusammengefaßt, welche den ganzen Charakter der englischen Verwaltung so deutlich charak- terisiren, wie vielleicht wenig andere, die General Health Act (11, 12 Vict. 63) und die Nuisances Removal and Diseases Prevention Act (11, 12 Vict. 123), deren Inhalt und Verhältniß folgender ist, und die wir hier genauer bezeichnen müssen, weil sie eben den ganzen Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens in England enthalten und charakterisiren. Die General Health Act nämlich hatte die Aufgabe, nicht etwa das gesammte Gesundheitswesen zu codificiren, sondern nur die Maß- regeln der örtlichen, niederen und höheren Gesundheitspolizei, und zwar wieder nur für die „Städte und volkreichen Orte“ gesetzlich festzustellen und einer gemeinsamen Verwaltung zu unterwerfen. Das Gesetz be- stimmt demnach die Grundsätze für die gesundheitspolizeiliche Trocken- legung von Häusern und Straßen, die Pflasterung, die Reinlichkeit, die Wasserordnung und die sanitäre Baupolizei, und stellt zu dem Zweck die Organisation der General und der Local Boards of Health auf (s. unten). In dem Gesetze ist eigentlich eben nur diese Organisation das Neue; die einzelnen sanitätspolizeilichen Vorschriften sind nur, wie das der Charakter aller sogenannten General Acts ist, eine Zusammen- stellung der einzelnen bisher bestehenden Bestimmungen. Das Gefühl nun, daß eine solche Organisation, die noch dazu nur auf Verlangen der Einwohner hergestellt wird, nicht ausreicht, sondern alles der ört- lichen Willkür überläßt, zeigte die Nothwendigkeit, einen Schritt weiter zu gehen, und wenigstens diese Gesundheitspolizei zu einem allgemei- nen öffentlichen Recht zu machen. Das einfachste wäre nun gewesen, die Vorschriften derselben ganz nach dem Vorgange des Continents zu einem förmlichen Gesetz zu machen, das für alle Gemeinden gleiche öffentlich-rechtliche Gültigkeit hat und dessen Vollziehung von öffent- lichen Beamten überwacht werde. Allein dem widersprach die ganze Natur des englischen öffentlichen Rechts. Die Gesetzgebung selbst darf und soll nichts befehlen, und die Regierung darf und soll nichts verwalten, was durch die Organe der Selbstverwaltungskörper vollzogen und be- stimmt werden kann. Um demnach diese Freiheit der letzteren mit dem öffentlichen Wohle zu vereinigen, wurde das System der Nuisances Removal and Diseases Prevention Acts aufgestellt. Die erste dieser Acts erschien gleichzeitig mit der Public Health Act (11, 12 Vict. 123. 1848). Die beiden folgenden Gesetze unter demselben Titel (12, 13 Vict. 111 und 18, 19 Vict. 121) sind Fortsetzungen und Erweiterungen. Das eigentliche Princip dieser Gesetze ist, die Gesundheitspolizei dadurch in Ausführung zu bringen, daß die einzelnen Einwohner in jedem Ort das Recht der Privatklage haben, wenn die Behörden einen gesund- heitsgefährlichen Zustand dulden. Das Vorhandensein des letzteren wird constatirt, indem zwei Householders auf eine behördliche Untersuchung antragen. Ergibt sich daraus eine public nuisance, so hat die Orts- behörde das Recht, die Beseitigung derselben durch eine ordre of remo- val of nuisances zu befehlen, und der Ungehorsam wird bestraft, die Ortsbehörde aber kann die Beseitigung auf Kosten des Betreffenden vornehmen. Als public nuisances sind wesentlich gesundheitswidrige Verhältnisse der Wohnungen und Straßen anerkannt. Man erkennt auf den ersten Blick das höchst Unvollkommene in diesem ganzen System, das doch im Grunde von allen Einzelnen umgangen werden kann, und ebenso gar keine Gewähr für die wirkliche Vollziehung seiner Aufgabe bietet. Der ganz unfertige Versuch, eine Art von Oberaufsicht durch die Organisation des General Board of Health zu bilden, muß für so gut als mißlungen angesehen werden (s. unten). Das Verordnungs- recht des Privy Council hat seinerseits nur sehr enge Grenzen, und so ist der Zustand der Gesundheitspflege in England ein höchst unvoll- kommener, dem auch die neue Gesetzgebung über das Heilpersonal im Medical Act (21, 22. Vict. 90, 1858) durchaus nicht abgeholfen hat. Das Genauere über diese Gesetzgebung bei Gneist , englisches Ver- waltungsrecht, 21. Aufl., §. 113 ff. und unten bei den einzelnen Punkten. Auf diese Weise stehen sich die beiden Systeme der Verwaltung in Frankreich und England entgegen. Das System des belgischen und des holländischen Gesundheitswesens schließt sich nun in allem Wesentlichen dem englischen an. In beiden Ländern ist der Kern der innern Verwaltung gerade wie in England den Gemeinden übergeben, und ein unmittelbares Eingreifen der Regierung hier so wenig als bei der Sicherheitspolizei zugelassen. Es gab daher bis jetzt in beiden Län- dern keine codificirte, vollständige Gesetzgebung über das Gesundheits- wesen; nur die dringendsten einzelnen Punkte der Sanitätspolizei, wie Quarantäne und Begräbnißwesen, haben ein öffentliches Recht gefunden. Allein die Grundlage der Verwaltung ist dennoch von der englischen verschieden. Die ganze übrige Sanitätspolizei ist eine örtliche , welche der Bürgermeister allein ausübt, und zwar ohne daß ein Gesetz wie das englische zum Grunde läge. Dafür nun wird der Bürgermeister wieder von der Regierung bestellt, und so wäre der Keim zu einer Sanitätsgesetzgebung zwar gegeben, aber ausgebildet ist er nicht. Bel- gien namentlich hat nur noch einzelne sanitätspolizeiliche Verordnungen, die wir unten mittheilen werden, und selbst de Fooz hat sich in seinem belgischen Verwaltungsrecht wenig damit beschäftigt. (Siehe Droit ad- ministratif belge, T. III. Tit. II. 1865. Sauveur , Histoire de la legis- lation médicale belge. ) Bis zum vorigen Jahre war es ebenso in Holland. Selbst der einsichtige J. de Bosch-Kemper hat in seiner „Handleiding tot Kennis van het Nederlandsche Staatsregt en Staats- bestur“ (Neueste Ausgabe 1865) der „Gezondheidspolicie“ nur Eine Seite gewidmet (S. 813). Er sagt grundsätzlich: „Obwohl die Beförderung der allgemeinen Gesundheit sicher der öffentlichen Sorge der Gemeinde- verwaltung (Staatszorg der (?) Gemeendebesturen) angehört, muß doch der freien Thätigkeit der Angesessenen so viel möglich überlassen werden, die der Gesundheit nützlichen Anstalten herzustellen“ (S. 813). Indeß sind im vorvorigen Jahre vier Gesetze erlassen, alle vom 1. Juni 1865, welche als die Grundlage des künftigen Gesundheitswesens angesehen werden müssen, von denen drei sich nur noch mit dem Medicinalwesen beschäftigen (Bildung der Aerzte, ärztliche und Hebammenpraxis, Apothekerwesen), während durch das Gesetz über die Organisation der Gesundheitsverwal- tung die Ordnung für die Oberaufsicht des Staats über die Gemeinde- verwaltung selbständig hergestellt und damit ein eigentliches Gesundheits- wesen erst möglich gemacht wird. So ist das hier im Werden begriffen. Im Allgemeinen wird man daher sagen, daß die drei großen Kulturvölker die Heimath eines selbständigen Gesundheitswesens bilden, wenn auch mit verschiedenem Charakter, während die übrigen Völker, und zum Theil auch einzelne deutsche Staaten, zu einer organischen Entwicklung nicht gediehen sind. Doch mangeln uns noch viele Quellen , und die territoriale Gestalt des Ganzen ist vielfach selbst in der Mitte Europas noch unbekannt. Zweiter Theil. Das System des öffentlichen Gesundheitswesens. Auch hier beruht der Werth des Systems wesentlich darauf, daß es die, jede besondere Gestaltung der öffentlichen Zustände beherrschenden Grundlage für das öffentliche Gesundheitswesen aller Zeiten feststellt, und dadurch zur Basis aller Vergleichung wird. Es wäre daher in unserer Zeit von hohem Werthe, wenn die Wissenschaft über ein solches System sich einigen könnte. Es ist das im Grunde nicht schwierig, sobald es sich ergibt, daß ein solches System alle Verhältnisse und Fragen in klarer und erschöpfender Weise in sich aufnimmt. Wir glauben, daß das folgende dieß leistet, um so mehr, als es eigentlich schon mit der Ver- waltungslehre der Gesundheit selbst entstanden, von den bedeutendsten Ar- beiten in seinen Grundlagen anerkannt und praktisch leicht anwendbar ist. Wir unterscheiden nämlich drei Gebiete. Das erste ist die öffent- liche Organisation des Gesundheitswesens, das zweite das Sani- tätswesen , das dritte das Medicinalwesen . Das erste zeigt das Verhältniß der Verwaltung zum Gesundheitswesen überhaupt, das zweite hat es mit der Erhaltung und dem Schutze der allgemeinen Gesundheit gegen ihre Gefahren, und das dritte mit den öffentlich rechtlichen Be- dingungen der Heilung wirklich vorhandener Krankheiten zu thun. Jedes dieser Gebiete ist in dem Gesundheitswesen jedes Staates bis zu einem gewissen Grade vorhanden. Der öffentliche Charakter des betreffenden Gesundheitswesens beruht aber in jedem Lande darauf, in welcher Form und bis zu welcher Gränze jene drei Gebiete ausgebildet sind. Die Darstellung derselben in ihren Hauptzügen ergibt daher den wissenschaft- lichen Inhalt des vergleichenden Gesundheitswesens. Die Unterscheidung zwischen Sanitäts- und Medicinalwesen ist zwar nicht bei den medicinischen Schriftstellern, wohl aber bei den Juristen schon im vorigen Jahrhundert vorhanden. Siehe namentlich bei J. H. Berg , Polizeirecht Bd. II. S. 64 und eine sehr gute Abhandlung IV. 2. Abtheilung Nr. XXXV. (zum Recht der Gesundheitspolizei). Auch Mohl hat sie seiner Polizeiwissenschaft zum Grunde gelegt. Horn in seinem trefflichen preußischen Medicinalwesen 1857 endlich hat die „Organisation“ noch selbständig hervorgehoben, und die gerichtliche Me- dicin folgen lassen. Er hat doch wohl Recht gegen die unklare Form von Römer und Simon (das Medicinalwesen des preußischen Staates 1844—1852), trotz dessen, was Rönne in seinem Staatsrecht II. §. 351 dagegen sagt. Die Verwaltungsgesetzkunden sind fast ganz unsystematisch. I. Abschnitt. Die Organisation des Gesundheitswesens. I. Princip und Recht. Man muß sich zuerst darüber einig sein, daß man in der Organi- sation des Gesundheitswesens regelmäßig zwei Theile verwechselt oder vermischt, deren Vermengung jede Klarheit unmöglich macht. Das sind die ursprüngliche berufsmäßige Ordnung und das Recht des Heil- personals, und die jüngere und gegenwärtige administrative Organi- sation der Gesundheitsverwaltung, die auf ganz verschiedenen Grund- lagen beruhen, verschiedene Funktionen erfüllen, und erst in ihrem Zusammenwirken die Organisation des Gesundheitswesens ergeben. Die berufsmäßige Ordnung des Heilpersonals ist diejenige, welche die Theilnahme des Einzelnen an der Sorge und Pflege in Ange- legenheiten der öffentlichen Gesundheit von der fachmäßigen Bildung abhängig macht. Sie empfängt daher ihre innere und äußere Ordnung durch den Grad und die Art eben dieser von ihr für ihren Beruf gefor- derten Bildung. Die Grundlage ihres Beruf srechtes ist daher die öffentlich-rechtliche Ordnung dieser Bildung selbst an Universitäten und andern Anstalten; das Berufs- und damit das öffentliche Ordnungs- recht desselben besteht in der gesetzlichen Anerkennung des Rechts auf eine bestimmte, eben durch jene Bildung begründete Funktion im Heil- wesen. Diese berufsmäßige Ordnung ist daher ein selbständiges, durch die Entwicklung der Wissenschaft begründetes Ganzes, und erscheint unten als das Heilwesen . Die staatliche oder administrative Organisation hat dagegen einen ganz andern Charakter und Inhalt. Sie enthält ihrem Begriff nach die Bestimmung und Competenz derjenigen Organe, vermöge deren die Verwaltung ihre spezielle Aufgabe im Gesundheitswesen zu erfüllen hat. Sie entsteht daher keineswegs zugleich mit der berufsmäßigen, und kann auch niemals mit ihr vermengt werden. Sie entsteht vielmehr erst mit der selbständigen Idee der Verwaltung überhaupt. Sie kann demnach erst auftreten, wo die letztere sich von der ständischen Ordnung scheidet; sie ist aber der Ausdruck des selbständigen Bewußtseins und der Auffassung dieser Verwaltung von ihrer sanitären Funktion im Gesammtleben, und darin besteht ihre große Bedeutung und ihre eigen- thümliche Stellung in ihren verschiedenen Richtungen. Offenbar nun wird diese staatliche Organisation diese ihre Aufgabe nicht durch sich selbst weder verstehen noch vollziehen. Es ist einleuch- tend, daß sie das Verständniß derselben nur von Fachmännern, also von Seiten der berufsmäßigen Organisation empfangen kann, während die wirkliche Vollziehung wieder nicht durch staatliche Organe, sondern nur durch die Organe der Selbstverwaltung, namentlich durch die Ge- meinden, vollständig möglich ist. Daraus ergibt sich der Inbegriff dessen, was wir die Organisation des Gesundheitswesens zu nennen haben. Dieselbe enthält die Gesammtheit derjenigen Bestimmungen, welche das Verhältniß der berufsmäßigen Organe oder des Heilper- sonals mit der Gemeindeverwaltung zu der staatlichen, ober- sten Organisation des Gesundheitswesens in jedem Staate regeln. Die allgemein leitenden Grundsätze dafür sind folgende: So lange es noch keine staatliche Verwaltung des Gesundheits- wesens gibt, ist jene Organisation natürlich nur unvollkommen. Sowie aber die erstere entsteht, tritt auch eine Scheidung der Funktionen ein, und diese bildet den Charakter des öffentlichen Rechts des Gesund- heitswesens. Diese Scheidung gestaltet sich nun im Wesentlichen stets so, daß der Staat als Ganzes die Oberaufsicht über alle Theile des Gesundheitswesens durch seine Organe ausübt, daß das Sanitäts- wesen der Gemeindeverwaltung , das Medicinalwesen jedoch dem berufsmäßigen Organe zufällt. Die leitenden Grundsätze für das gegenseitige Verhalten dieser Organismen zu einander sind folgende. Erstes Princip ist, daß, da die Heilkunde die Wissenschaft aller Bedingungen der Gesundheit ist, die Verwaltung durch ihre Organi- sation auf allen Punkten des Gesundheitswesens die Aufgabe hat, jede auf das letztere bezügliche öffentliche Funktion auf die Regeln und Anforderungen der Heilkunde zurückzuführen. Die erste Bedingung dafür ist wieder, daß aus dem berufsmäßig gebildeten Heilpersonal ein regelmäßig funktionirender, die Gesundheits- zustände beobachtender, und die nothwendigen Maßregeln beschließender, mithin über den ganzen Staat ausgebreiteter amtlicher Organismus gebildet werde, der den Organen der vollziehenden Gewalt begutachtend und berathend zur Seite stehe , während der letzteren die, auf Grund- lage der fachmännischen Ansichten geordnete Ausführung durch verord- nungsmäßiges Verwaltungsrecht überlassen bleibt. Das öffentliche Recht des berufsmäßigen Heilpersonals ist dabei eine Ordnung für sich. Das Princip der Competenz beider Organismen in ihrem Verhältniß zu einander muß sein, daß der administrative Organismus keine rein gesund- heitliche Ordnung ohne Gutachten des berufsmäßigen treffe. Das Princip der äußeren Organisation muß sein, daß dieselben zuerst durch die Bildung von (Sanitätsverwaltungs)-Gemeinden den ganzen Staat um- fassen, dann einen Instanzenzug (Ort, Land, Reich) bilden, und zu dem Ende den Organen der Verwaltung (unter Behörde, Landesbehörde, Ministerium des Innern) beigegeben werden. Das Verhältniß zur Selbstverwaltung (Gemeinde) fordert, daß außerdem jede Verwal- tungsgemeinde eine eigene Abtheilung (Section) für Gesundheitswesen bilde, welche ihrerseits entweder berufsmäßige Mitglieder (Aerzte und Apotheker) habe (kleine Gemeinden) oder berufsmäßige Räthe für ihre Aufgaben bestelle. Die organische Thätigkeit dieser Verbindung beider Elemente besteht naturgemäß darin, einerseits der höchsten Ver- waltung durch Berichte und Vorschläge mit dem berufsmäßig dargestellten Bilde des Gesundheitszustandes die Bedingungen für ihre allgemeine Thätigkeit zu geben, andererseits über die örtliche Ausführung derselben zu wachen, und endlich im Falle der Noth selbständige örtliche Maß- regeln zu verordnen. Klagrecht und Beschwerderecht bleiben offen wie in der ganzen Verwaltung. Die fachmännische Bildung, welche auf diese Weise den ganzen Organismus durchdringt, macht es damit unab- weisbar, daß auch die höheren und höchsten Verwaltungsorgane des Gesundheitswesens dem berufsmäßig gebildeten Heilpersonal angehören, die selbst aus den Aerzten genommen werden. Damit ist freilich die sehr geringe sanitärische Kenntniß der Vollzugsbeamteten der inneren Verwal- tung noch nicht motivirt. — Denselben Organismus für die Gesundheits- verwaltung hat nun auch die gerichtliche Medicin zu vertreten. Die gerichtliche Medicin hat von demselben mehr zu fordern, als die Herstellung des juristischen Beweises für Thatsachen, welche für das richterliche Urtheil entscheidend sind, und hat daher grundsätzlich mit dem Gesundheitswesen gar nichts zu thun . Die ganze Verwechslung der gerichtlichen Medicin und des Gesundheitswesens ist unmöglich, sowie man erstlich festhält, daß sie nur damals möglich war, wo die guts- herrlichen Gerichte zugleich Verwaltungsorgane waren, und zweitens , daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, denselben Per- sonen beide formell so wesentlich verschiedene Funktionen zu übertragen, das sachverständige Gutachten über eine Frage des Gerichts für sein richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli- zeilichen Maßregeln. Es ist daher für die Zukunft viel wichtiger für den Juristen, das Gebiet der Gesundheitsverwaltung zu kennen, über das er dis zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß, als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er sein Urtheil dem der Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat. Dieß sind die Grundsätze für die Organisation der Gesundheits- verwaltung. Sie sind jedoch erst langsam zur Geltung gelangt. In der englischen und französischen Literatur fehlt die Behand- lung dieses Gegenstandes; in der deutschen schon seit dem vorigen Jahr- hundert sehr oft untersucht, theils historisch wie bei Frank, Stoll, Erhardt, theils rationell wie bei Schütz , Medicinal-Polizeiverfassung, Mohl , Polizeirecht I. 253 ff. Dabei fehlt auch bier das entscheidende Verständniß des Unterschiedes der berufsmäßigen und administrativen Organisation mit ihren gegenseitigen Funktionen. II. Geschichte und gegenwärtige Gestalt. Der Charakter der Geschichte und des geltenden Rechts der Organi- sation des Gesundheitswesens beruht nun auf den Grundsätzen, nach welchen, und auf den Formen in denen die erst allmählig entstehende selbständige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selbst- verwaltungskörper zu der Verwaltung des allgemein öffentlichen Ge- sundheitswesens herbeizieht. Diese Geschichte ist eine außerordentlich reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden Thatsachen kurz charakterisiren. Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, besteht ein admini- strativer Organismus, aber ohne Erfüllung durch berufsmäßig gebil- dete Organe, als reine Polizeianstalt; daher ganz örtlich und ziemlich systemlos. — Mit dem Auftreten der Universitäten entsteht dagegen der ständische Körper der Aerzte , dessen streng berufsmäßige Organisation sich Jahrhunderte lang nur auf das Heilwesen bezieht, ohne Rücksicht auf die Gesundheitspolizei. Von einer staatlichen Gesundheitspflege, also von einem dafür bestimmten staatlichen Organismus, ist noch keine Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel- mehr erst mit der höheren Entwicklung des städtischen Gemeindewesens. Dieser Anfang einer selbständigen öffentlichen Organisation des Gesundheitswesens wird mit der Einführung der amtlich bestellten Orts- ärzte (Physiker) und der Apothekerordnungen (sechzehntes Jahrhundert) gegeben, mit wissenschaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord- nung meist nur auf einzelne Städte beschränkt. Erst mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deutschland die eigent- liche Organisation des Gesundheitswesens, indem die Verwaltung der Gesundheitspflege einem eigenen, aus wissenschaftlich gebildeten Aerzten zusammengesetzten Körper, dem Collegium medicum oder sanitatis über- geben wird, das die höchste Instanz der Verwaltung bildet, während nach wie vor der Organismus der Universitäten über die ärztliche, berufsmäßige Bildung entscheidet. Diese Collegien sind meistens aus der Gefahr, welche ansteckende Krankheiten den Völkern bringen, ent- standen, und gehören daher ursprünglich meist dem Seuchenwesen. Erst allmählich entwickelt sich an und aus ihnen eine förmliche höchste Ver- waltungsbehörde für die öffentliche Gesundheit, namentlich mit dem achtzehnten Jahrhundert. Von diesen Collegien, als Mittelpunkt in der Organisation, geht dann die allmählige Aufstellung der örtlichen Gesundheitsorgane (Physicate) als allgemeine Institution aus, bis mit dem neunzehnten Jahrhundert das Ministerialsystem diesen Organismus in sich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung seines Namens, seine natürliche Stellung als berathendes und oberaufsehendes Organ des Ministeriums des Innern, jener für die eigene sanitäre Thä- tigkeit der amtlichen Verwaltung, dieser für die Thätigkeit einerseits der Gemeinden, anderseits aber auch des gesammten Heilpersonals, verleiht. Die Fakultäten werden dadurch, was sie ihrerseits sein sollen, der Orga- nismus für die berufsmäßige Bildung des Heilpersonals. Durch die Berufung von Fachmännern für die höchsten Stellen der Gesundheits- verwaltung sind dabei die Anforderungen der Wissenschaft gesichert. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß wir auch in dieser Beziehung erst im Anfange stehen, indem bisher fast durchgehend der Grundsatz gilt, diese Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und örtlichen vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen zu benutzen, während gerade die regelmäßige Thätigkeit derselben, namentlich in Berichten und Statistik, erst den höheren Organen Grund- lage und Anlaß für umfassendere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre allerdings das nöthig, was nur zu wenig geschieht, daß die amtlichen Aerzte hinreichend besoldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird erst dann geschehen, wenn die Selbstverwaltungskörper die Bedeutung der Sache begreifen und die Kosten daran wenden. Das Hauptmittel aber dafür wäre es, wenn das Vereinswesen der Aerzte neben den rein medicinischen auch die zum Theil viel wichtigeren Fragen der Gesund- heitspflege in Gesetzgebung und Anstalten ernstlicher behandelten. Auch diese Zeit wird kommen, und wieder wird diese Bewegung theils von den Universitäten, theils von den großen Städten ausgehen. Was nun die Gemeinden betrifft, so beruht ihr Verhältniß zur Gesundheitspflege auf zwei Punkten. Zuerst allerdings auf der Ge- meindeordnung und dem in derselben gegebenen Rechte der Selbstver- waltung überhaupt, dann aber ebenso wesentlich auf der Dichtigkeit der Bevölkerung, so daß bei sonst gleichem Rechte die Gesundheitspflege je nach der Größe der Gemeinde eine wesentlich verschiedene ist. Dieß Verhältniß wiederholt sich naturgemäß in ganz Europa, und so hat sich im positiven Recht im Ganzen auf dem Continent der Grundsatz für die Organisation und Competenz des Gesundheitswesens festgestellt, daß die Verwaltungsorgane des Gesundheitswesens für das, was wir als das Sanitätswesen bezeichnen, die theils unmittelbar, theils mittelbar (durch die niederen Polizeiorgane) vollziehende Behörde, für das Medicinal- oder Heilwesen dagegen die oberaufsehende Thätigkeit ausüben, und in der höchsten Verwaltung als maßgebend berathender Organismus dastehen. Die Zukunft fordert nur noch die vollständige Ausbildung dieser sachgemäßen Grundlage. Im Allgemeinen steht nun die geltende Organisation in England am tiefsten, indem hier das, ohnehin schlecht entwickelte berufsmäßige Element der gebildeten Aerzte fast ganz ausgeschlossen, und das Ganze den örtlichen und staatlichen Verwaltungsorganen, im Grunde auch nur für die höhere und niedere Baupolizei , übergeben ist. — Frankreich hat zwar einen auf Grundlage berufsmäßiger Bildung errichteten Cen- tralorganismus der Gesundheitspflege, aber ihm fehlt dieß Element voll- ständig in der örtlichen Verwaltung. Nur in den deutschen Staaten, namentlich in Oesterreich und Preußen, sind die obigen Principien zu einem vollständigen, allenthalben zur wirklichen Geltung gebrachten System geworden, das schon mit demjenigen, was es gegenwärtig leistet, als Muster dasteht, und hoffentlich durch praktische Richtungen des ärztlichen Vereinswesens bald noch viel weiter fortschreiten wird. I. Geschichte . Die Hauptsammlung für die frühere Literatur (nach Pütters Beispiel) Ch. F. Wildberg ( Bibliotheca medicinae politicae in qua ex omnibus temporibus scripta ad hanc scientiam spectantia digesta sunt . Berlin 1819). Oeffentliche Vorschriften schon in Athen . In Rom unter den Kaisern eine (örtliche?) Organisation der Aerzte und Polizei derselben durch Decuriones l. 6. §. 2. D. d. exc. tut. l. 8. Cod. de Ep. et Cler. Medici numerarii und supernumerarii; ein super- positus oder Dominus medicorum unter Vespasian. Frank ( l. l. V. 141 ff.). Der Cod. Theod. l. XIII. hat 348 nach Christo schon vierzehn Abtheilungen Roms mit Armenärzten; jedoch fehlt die berufsmäßige Bildung und ihr charakteristisches Merkmal, die Berufsprüfung gänzlich. Alle Stellen des Corpus juris civilis in Rom auf das Gesundheits- wesen bezüglich sorgfältig gesammelt bei Stoll , Staatswissenschaftliche Erfahrungen über Medicinalwesen I. 102. Erhardt I. 12. Ständische Epoche . Organisation der berufsmäßigen Bildung seit 1232 in Salerno ( Fr. II. ) Erläuterung der wichtigsten Gesetze, welche auf die Medicinalverfassung Bezug haben und vom ersten bis zum dreizehnten Jahrhundert gegeben worden sind. Von Prof. Acker- mann in Altorf. — Pyls Repertorium für öffentliche und gerichtliche Arzneiwissenschaft Bd. II. S. 167—227 und III. S. 1—28. — Die Ausübung der Heilkunde nach l. 18 und 28. D. de muneribus et honoribus als „munus publicum“ aufgefaßt. — Erste Entstehung der Physici zunächst für die Reichsstände seit Sigismund: in jeder Reichs- stadt ein Musterarzt mit 100 fl. nebst Pflicht die Armen zu behandeln 1474. Frank VI. 174. Erhardt I. 23. Stoll I. 143. Erste ört- liche Apothekerordnungen für einzelne Städte 1477, 1502 u. a. ebendas. Anhang. Auftreten der Collegia Sanitatis mit dem Anfange des acht- zehnten Jahrhunderts. Frank I. 9. (nach Berg , Polizeirecht II. S. 73 hauptsächlich für Gesundheitspolizei, die Collegia medica als allge- meine Oberaufsichtsbehörde). Preußen : Ober- Collegium medicum, und principielle Coll. medica seit 1719 ( Coll. sanitatis gegen Seuchen, jedoch mit dem ersteren später vereinigt). Instruktion vom 21. Dec. 1786. Neue vom 21. April 1800. Erhardt I. S. 118 ff. Ber- gius Magazin Bd. 328. Braunschweig : Coll. medicum seit 1747. Hessen-Cassel seit 1767; erneuert 1778. Kursachsen 1786. Kur- Hessen 1768, neue Organisation 1803. Bayern seit 1755 und 1782. Ober-Medicinalcollegium 16. April 1817. Erhardt I. 119 ff. Würt- temberg : Sanitätsdeputation. Berg , II. S. 75 ff., dann Coll. me- dicum seit 1814. Baden : Sanitäts-Collegium seit 3. Oktober 1803. Mecklenburg : 1818. Dänemark : Coll. medicum vom 22. April 1803. Erhardt , I. S. 24 ff. Möser , reichsstädtische Regiments- verfassung über die Verwaltung in den Reichsstädten (S. 310). — Physicatwesen des vorigen Jahrhunderts in Distrikten und Städten: Fürstenau ( De officio medicis, speciatim ordinarii, alias physici dicti. Rint. 1721). Badische Ordre und Instruktion 1793. Preußen, s. Hagen a. a. O. 14. Hessen-Cassel 1787. Lippe , Medicinal- ordnung I. 4. Württemberg , Medicinalordnung 1786. I. 9. (S. Berg , Polizeirecht II. 77 ff. Frank VI. 174.) — Allenthalben als der örtliche, amtliche Arzt aufgefaßt, und mit speziellen amtlichen Instruktionen versehen. II. Die meisten Organisationen sind im Grunde nur dadurch ver- schieden, daß sie die höchste Behörde, als jene Collegia, dem Ministerium des Innern unterordnen, sie wesentlich zu berathenden Körpern machen und ihnen alle aufsehende Gewalt geben; die Scheidung von den Fakul- täten ist strenger als je; zugleich aber Herbeiziehen der Selbstverwaltungs- körper zur Theilnahme an der örtlichen Gesundheitsverwaltung. Richtig charakterisirt bei Malchus , Politik der inneren Verwaltung I. §. 26. Oesterreich : Neue Organisation durch Ministerialvertrag 29. Juli 1830. Grundlage: Verbindung der Medicinalpolizei mit den politischen Behörden. Die medicinischen Fakultäten bleiben hier die höchsten sach- verständigen Stellen. Aufstellung eines Sanitäts-Referenten und eine Medicinalcommission im Ministerium des Innern. Mittelbehörden: Kreismedicinalräthe und Medicinalcommissionen bei den Statthal- tereien (Oberaufsicht und Vorschlag bei Anstellungen, Erlaß vom 3. Mai 1851). Errichtung der untersten Stufen als Bezirksärzte (Verordnung vom 10. Oktober 1860) und Aerzte bei öffentlichen Anstalten; Gemeinde- Gesundheitswesen: Sanitätspolizei örtlich den Gemeinden übertragen ( Gemeindeordnung 1849. §. 119). Gemeind eärzte , Stadtphysici. — Stubenrauch , Verwaltungsgesetz II. S. 2 nebst Literatur. Preußen : Seit Publication 16. Dec. 1808 und Kabinetsordre vom 13. Dec. 1809 Auflösung der alten Collegia, und Einordnung der Medicinalangelegenheiten in das Ministerium der geistlichen Unter- richts- und Medicinalangelegenheiten; definitiv seit Kabinetsordre vom 3. Nov. 1817; genauere Competenzbestimmung (Kabinetsordre vom 29. Jan. 1823), welche unklar einen Theil dem Ministerium des Innern wiedergab, dann seit Erlaß vom 22. Juni 1849 ganz dem ersteren als vierte Ab- theilung zugewiesen; darunter dann die Oberaufsicht über die berufs- mäßige Bildung in der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen (Instruktion vom 23. Juni 1817); die Ober- Staatsprüfungscommission für Aerzte und Apotheker (Kabinets- ordre vom 28. Juni 1825 und Instruktion vom 1. Dec. 1825); die tech- nische Commission für Pharmacie seit 1832, und ein Curatorium für „Krankenhaus-Angelegenheiten“ seit 1830. Rönne II. §. 231. — Mittel- behörden: ein Medicinalcollegium unter dem Oberpräsidenten jeder Provinz, zugleich als Organ der gerichtlichen Medicin, seit 1815 (In- struktion vom 23. Okt. 1817. Rönne II. §. 258), bei jeder Regierung Medicinalräthe (Instruktion vom 23. Okt. 1817. Rönne II. 253); bilden eine selbständige Sektion, ebendas. 241. Horn a. a. O. I. Thl. S. 1 ff. — Die örtliche Verwaltung ist dem Landrath zugeordnet in dem Kreis-Medicinalbeamten: Krei sphysikus (die freie Wahl des Stadtphysikus den Städten genommen (Rescript vom 30. Juni 1810); Krei swundarzt seit 1816; Krei sthierarzt (nicht allenthalben) An- stellung seit 7. Dez. 1828 durch das Ministerium ( Rönne II. 267), das Ganze streng bureaukratisch. Das Nähere nebst Geschichte: Rönne und Simon Medicinalwesen des preußischen Staates I. 98; trefflich bei Horn a. a. O. S. 16 ff. Bayern . Grundlage: Organisations-Edict über das Medicinal- wesen vom 8. Sept. 1808; Ober-Medicinalrath als Referent beim Ministerium des Innern, zugleich Vorsitzender des Ober-Medicinal- ausschusses seit Verordnung vom 24. Juli 1830 (das Ober-Medi- cinalcollegium von 1817 aufgehoben 1825) wesentlich auch als höchste Instanz für gerichtliche Medicin; Mittelbehörde: Kreis-Medicinal- rath nebst Medicina lausschuß (Verordnung vom 10. Jan. 1833); daneben jedoch Erhaltung der Theilnahme der Fakultäten für Ober- Gutachten (Verordnung vom 23. Aug. 1843). Untere Stufe: Ge- richts - und Polizeiärzte schon seit 1808; für gerichtliche Medicin und Gesundheitswesen zugleich ( Pözl , bayr. Verwaltungsrecht §. 21). Württemberg . Die neue Organisation begründet durch Verord- nung vom 14. März 1814 nebst Instruktion für Oberbeamte, Amts- und praktizirende Aerzte, Landvogtei-Aerzte ꝛc., dann Verordnung für Organisation des Obermedicinalcollegiums vom 6. Juli 1818 (berathende Behörde), Oberamtmann als vollziehende Behörde (Verwaltungs-Edict vom 1. März 1822) mit Oberamtsarzt. Das Ganze unter dem Mi- nisterium des Innern. Mohl , württembergisches Verwaltungsrecht, §. 196, 202. Roller , Polizeirecht §. 176 ff. Baden . Sanitätscommission errichtet Rescript 15. April 1819; wesentlich bei Epidemien als berathende Behörde. Neuestes Gesetz vom 28. Mai 1864, die Stellung der Bezirks-Staatsärzte betreffend, die zugleich als Organe für die Rechts- und Gesundheitspflege eingesetzt sind; dann Einsetzung eines Obermedicinalrathes als festes Organ nebst Unterordnung und Organisirung der untern Stellen durch Ver- ordnung vom 30. September 1864. Königreich Sachsen . Kurze Geschichte der Organisation seit dem Mandat vom 13. Sept. 1768. Funke , Polizeigesetze des Königreichs Sachsen III. S. 1. Gegenwärtige Organisation. Errichtung eines Ministe- rialdepartements durch Verordnung vom 7. Nov. 1831. Kreisdirektion (Verordnung 6. April 1835); medicinische Beisitzer derselben (Verordnung 12. Januar 1838) und Medicinalabtheilung im Ministerium des Innern (Verordnung vom 1. Februar 1844), Funke a. a. O. S. 2 ff. und V. S. 499. Ueber andere deutsche Staaten vergleiche Brachelli , Verwaltungs- behörden in Europa, Jahrbuch für Gesetzkunde und Statistik 1862, S. 188 ff. Die Organisation Frankreichs bleibt hinter der deutschen sehr zurück. Erst durch Ordonnanz vom 7. August 1822 Beiordnung eines Conseil sup. de santé . Dieses wird ausgebildet zu dem Anfang eines Systems durch Dekret vom 10. August 1848, modificirt durch Dekret vom 1. Februar 1851 als Comité consultatif d’hygiène publique, besteht aus vier Aerzten, zwei Technikern und drei Beamteten. Be- rufung nur durch den Minister der agriculture und travaux publics, und nur mit Begutachtung, ohne alle Initiative. Doch können, was sehr nachahmungswerth ist, Mitglieder aus dem Handelsstande, aus der Zollverwaltung und dem Armenwesen ( assistance publique ) bei- gezogen werden. Hier liegt noch immer der alte Gedanke der Muni- cipal- und Departementalordnung zum Grnnde , wie dieselbe schon durch das Gesetz vom 16.—24. August 1790 festgestellt ward, und welche den Beamteten, dem Präfekten und Maire, die polizeiliche Gewalt übergab, in der Gesundheitspolizei wie in andern Gebieten. ( Tardieu , Dictionnaire d’hygiène publique 1854, II. 330.) Mittelbehörden : Conseils et comités d’hygiène publique et de salubrité dans les départements ganz facultativ vor 1848; erst definitiv und allgemein durch arrêt vom 18. Dec. 1848 für Departements und Arrondissements — jusqu’alors toutes ces questions restaient sans solution est etaient tranchées par des autorités tout à fait incompétentes — ( Block , Dict. v. hygiène publique). Siehe Darstellung dieser Verhältnisse in Tardieu l. l. I. 378. Conseil: sieben bis dreizehn Mitglieder für das Departement. Commissions, besonders berufen durch den Präfekten für das Arrondisse- ment; nur für Gutachten auf Verlangen; zum Theil auch für die Mortalitätsstatistik, aber ohne Aufsicht über das ärztliche Personal. Oertlich : Conseil du dép. d. l. Seine (Paris); seit dem Gesetz vom 13. April 1850 hat jede Gemeinde das Recht, eine „Commission des logements insalubres“ einzurichten, was noch wenig geschehen ist. Der médecin cantonal ist nur Armenarzt. Das Gesetz vom 19. Vent. an XI. bezieht sich nur auf die berufsmäßige Bildung und das Heilpersonal (s. unten). Das Gesetz vom 25. Mai 1864 hat die Commissions (de santé) , das Gesetz von 1850 in Zahl und Funktion etwas erweitert. ( Trebuchet bei Block a. a. O.) An diese französische Organisation schließt sich nun in all ihren Grund- zügen die neueste italienische an, welche auf Grundlage des Gesetzes vom 20. März 1865 durch das Reglement vom 8. Juni 1865 eingeführt ist. Dieses Reglement ist aber zugleich eine ganze Medicinalgesetzgebung, die das Neueste für ihren Inhalt aus dem österreichischen Sanitäts- Normale von 1770 nimmt, während die Form französisch ist. Es werden hier alle Verhältnisse des Gesundheitswesens polizeilich normirt, und diese Herstellung des Zustandes Deutschlands im vorigen Jahrhun- dert ist ein großer Fortschritt für ein Reich, das bisher in dieser Be- ziehung überhaupt noch keinen Zustand hatte. (Siehe Austria 1865, Seite 326.) Die Organisation des Gesundheitswesens in England , obwohl an sich ohne besondere Bedeutung, bietet dagegen von einer andern Seite ein großes Interesse dar. Sie liefert nämlich den Beweis, daß die Ueberlassung des Gesundheitswesens an die ausschließliche Funktion der Selbstverwaltung in unserer Zeit auch bei der freiesten Form der letzteren nicht mehr möglich ist , sondern nothwendig im Gesammt- interesse einer staatlichen Ordnung bedarf, ein Satz, dessen Wahrheit vor zwei Jahren auch Holland bethätigt hat. Der Gang der Ent- wicklung und gegenwärtige Charakter der englischen Organisation sind im Wesentlichen folgende. Bis zum Auftreten der Cholera gab es in England weder eine allgemeine Gesundheitsgesetzgebung, noch auch eine Gesundheitsbehörde. Die ganze Angelegenheit war ausschließlich Sache der Gemeinden. Erst mit dem Jahr 1838 beginnt das Streben, dieser Selbstverwaltung eine staatliche an die Seite zu setzen. Diese Bewegung zieht sich in englischer Weise durch zehn lange Jahre durch das Unter- haus, bis man endlich zu folgendem System gelangte: a) die örtlichen Behörden (Friedensrichter) haben die gesundheitspolizeilichen Vorschriften der Nuisances Removal Act von 1848, theils auf Grundlage von Privatklagen, polizeilich durchzuführen, ohne Beirath von Fachmännern; b) in größern und volkreichen Orten wird ein Gesundheitsrath , der Local Board of Health, aufgestellt, wenn entweder ein Zehntheil der Steuerzahler es verlangt, oder die Mortalitätsziffer 23 per 1000 über- steigt; c) für die allgemeine Verwaltung und Oberaufsicht wird ein General Board of Health errichtet, welcher die gerichtliche Instanz für Beschwerden bildet, und durch Inspektoren sich über die gesundheit- lichen Zustände der betreffenden Orte unterrichten kann. Das waren die Grundzüge der Public Health Act 11, 12 Vict. c. 63. (1848), welche die Vollzugsbestimmung der Nuisances Removal Act von demselben Jahr enthielt (s. oben). Natürlich war dies ein kläglicher Versuch, eine Organisation des Gesundheitswesens herzustellen, da dabei alles den zufälligen Verhältnissen und Persönlichkeiten der einzelnen Gemeinden überlassen ward, und diese sich scheuten, die Steuer für die Local Boards mit ihrem theuren Personal und geringer Leistung sich selber aufzulegen. Es erschien daher bald nothwendig, da die Gesetzgebung Stein , die Verwaltungslehre. III. 3 die Verwaltung im Stiche ließ, auf dem Wege der ministeriellen Ver- ordnung für dieselbe zu sorgen. Das Element der letzteren lag schon in der früheren Bestimmung, daß das Privy Council bei gemein- gefährlichen Zuständen besondere Ordres in Council (königliche Verord- nungen) erlassen konnte und, wie bei Epidemien, auch wirklich erließ. Dieser Keim ward zu dem Beginn eines Systems entwickelt durch die Uebertragung der Funktion des General Board an das Privy Council selbst, unter Auflösung des ersteren durch 21, 22 Vict. 97 und 24, 25 Vict. 3, so daß jetzt das Gesundheitswesen eine Art von ministeriellem Departement bildet, wie etwa die Committee for Education . (Vergl. Vollziehende Gewalt S. 269 ff.) Dieses Departement hat nun für die einzelnen Punkte der Sanitätspolizei manches gethan, was unten angeführt werden soll. Allein noch blieb die Organisation des Medici- nalwesens übrig. Diese ward nun durch die Medical Act 1858 (21, 22 Vict. 90) und die Einsetzung des General Council of Medical Edu- cation gegeben. Dieser General Council hat im Wesentlichen die Funk- tion des preußischen Obermedicinalcollegiums. Er theilt sich in drei Abtheilungen für England, Schottland und Irland, und hat haupt- sächlich die Prüfung, Anstellung und medicinische Disciplin des Heil- personals zu verwalten. Die Mitglieder dieser Prüfungscommission werden zum überwiegenden Theile gewählt, und von ihr aus ist in England eigentlich erst ein Recht und eine Ordnung der ärztlichen Praxis entstanden (s. unten). Weiter ist man in England noch nicht. Es ist klar, daß die Schwäche dieses Systems darin besteht, daß wenn die Local Boards ihre Schuldigkeit nicht thun, nur erst dann die Ver- ordnungsgewalt des Privy Council einschreitet, was bei dem sehr nied- rigen Stande der ärztlichen Bildung und bei der Abneigung gegen alles Verordnungsrecht natürlich nur im äußersten Falle vorkommt. Daher denn mit wenigen Ausnahmen in einzelnen Punkten die große Ungleich- mäßigkeit und Langsamkeit in aller Verwaltung des Gesundheitswesens in England. Das Urtheil, welches Gneist in seiner zweiten Auflage des Englischen Verwaltungsrechts II. S. 113 und 114 darüber fällt, ist eben so richtig, als seine Darstellung klar und gründlich ist. Einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang hat nun in neuester Zeit Holland durchgemacht, jedoch in einer viel praktischeren, dem Charakter der continentalen Rechtsbildung entsprechenden Weise. Auch hier hatten bis auf die neueste Zeit die Gemeinden ausschließlich das Recht, für die Gesundheitspolizei zu sorgen. „Nachdem die Regierung zum großen Nachtheil der Gemeinschaft in dieser so hochwichtigen Sache seit den letzten Jahren nichts gethan hat,“ werden endlich der Kammer 1864 Entwürfe vorgelegt (de Bosch-Kemper a. a. O. 812), aus denen das Gesetz vom 1. Juni über die Staatsoberaufsicht des Gesundheitswesens ( geneeskundig Staatstoezigt ) hervorging. Dasselbe hat eine förmliche und ziemlich vollständige Organisation der staatlichen Verwaltung an die Spitze der örtlichen Gemeindeverwaltungen gestellt. Diese Organi- sation besteht aus den „Inspecteurs“ und „Adjunct inspecteurs“ und einem Medicinalrath ( geneeskundig raaden ), welche dem Ministerium des Innern untergeordnet sind. Die ersteren bilden einen förmlichen amtlichen Körper ( geneeskundige ambtenaren ), welche für eine oder mehrere Provinzen den „Rath“ berufen, der aus sechs bis zehn Aerzten, zwei bis sechs Apothekern und einem Rechtskundigen besteht. Die Funk- tion der Inspektoren ist wesentlich statistischer Natur mit jährlichem Bericht an den Minister und den gedeputeerde Staaten; der Rath wird mindestens zweimal jährlich berufen, in öffentlicher Versamm- lung; auf Antrag der Hälfte der Mitglieder tritt er selbst zusammen; der Inspektor hat an ihn zu berichten, und unter (allerdings nicht genau bestimmten) Voraussetzungen kann er auch Beschlüsse fassen. Auch werden die Mitglieder ernannt. Diese Organisation hat die Oberaufsicht über die im übrigen selbstthätige Wirksamkeit der Gemeinden und würde etwa einer medicinischen Sektion in unsern Landtagen entsprechen. Die Einrichtung ist neu, erscheint aber als eine vortreffliche. Die allgemeine Auffassung s. oben de Bosch-Kemper S. 813. Ueber die gleichzeitige Organisation des Heilpersonals s. unten. — In Belgien ist dagegen der ganz communale Charakter der Gesundheitspolizei noch erhalten. „Les mesures d’hygiène publique appartiennent, en général, à l’autorité communale . Elle prend les mesures de police qu’elle juge nécessaires ou utiles dans l’intérêt de la salubrité publique.“ (De Fooz.) Doch ist das Recht und die Pflicht des Staates, das Seinige zu thun, anerkannt, wenn auch in nur ziemlich abstracter Weise. Die höhere Organisation beruht auf der Académie de méde- cine als höchster berathenden Behörde (Reglement vom 26. März 1842) und den provinziellen Commissions de santé, die vom König ernannt werden und gleichfalls örtliche berathende Behörden sind, zugleich aber das Recht der Praxis für Spezialzweige der Heilkunde ertheilen. (Gesetz vom 12. März 1818.) Durch diese Institute und auf Grundlage jener allmählig Platz greifenden Ansicht sind seit 1848 Comités locaux de salubrité allenthalben eingesetzt ( Arr. vom 12. December 1848) und die gesammte Gesundheitspflege ist im Allgemeinen dem Ministerium des Innern untergeordnet, das durch einen Inspecteur général eine unklar formulirte Oberaufsicht ausüben läßt; namentlich hat der In- spektor Bericht zu erstatten und Vorschläge zu machen. ( Arr. vom 18. September 1845.) De Fooz , Droit administratif belge III. p. 106, 107 ff. Die Stellung und Aufgabe der Gemeinden gilt dabei als organischer Theil der Gemeindeordnung. De Fooz IV. (administration des communes). II. Abschnitt. Das Sanitätswesen. Begriff . Unter dem Sanitätswesen verstehen wir nunmehr denjenigen Theil des Gesundheitswesens, welcher die Gesammtheit der Bedingungen für die Erhaltung der individuellen Gesundheit, so weit sie der Einzelne sich nicht selber zu schaffen vermag, für die Gemeinschaft durch die voll- ziehende Gewalt theils auf Grundlage von Gesetzen und Verordnungen, theils durch eigene Anstalten herstellt. Das Sanitätswesen ist demnach dasjenige Gebiet, in welchem der Organismus des Gesundheitswesens mit vollziehender Gewalt auftritt. Das Sanitätswesen beginnt naturgemäß bei den Versuchen, wirk- liche und dringende einzelne Gefahren von den öffentlichen Gesund- heitszuständen abzuhalten, und erscheint daher stets zunächst als eigent- liche Gesundheitspolizei . Die Gesundheitspolizei ihrerseits wendet sich historisch zuerst gegen die allgemeine und greifbarste Gefahr der Seuchen; dann geht sie über zum Schutze des Individuums gegen alle denkbaren Einzelgefährdungen, die theils in den Nahrungsmitteln, theils in dem Verkehrsinteresse liegen. Erst mit unserem Jahrhundert greift die Erkenntniß Platz, daß der beste Schutz gegen die Gefahren der Ge- sundheit in den allgemeinen Bedingungen gesunder Zustände der Bevöl- kerung liegen. Namentlich wird klar, daß einerseits der Mangel an kräftiger Gesundheit der niedern Klasse die öffentliche Last der Unter- stützung derselben durch die höhere Klasse verdoppelt, und die Hebung derselben daher durch das Interesse der letzteren immer positiver gefor- dert wird; andererseits daß die Vernachlässigung der Gesundheitsbedin- gungen bei den Nichtbesitzenden die ganze Klasse derselben zu einer großen Krankheitsheerde auch für die Besitzenden macht. Dadurch ge- winnt das Sanitätswesen mit unserem Jahrhundert neben seinem nega- tiven, polizeilichen Inhalt einen positiven Charakter, und der leitende Gedanke der Sanitätsverwaltung der Zukunft wird der sein, daß die alte Sanitätspolizei als Schutz gegen einzelne Gefahren nur die außerordentliche und temporäre, die neue positive Gesundheitspflege dagegen die regelmäßige, langsam und unsichtbar, aber unwiderstehlich wirkende Aufgabe der Gesundheitsverwaltung sein müsse. Hier ist es, wo namentlich Chemie und Physik entscheidend eingreifen und ihren Einfluß vom Gesichtspunkte der Gesundheitspflege über alle Theile der Verwaltung ausbreiten, in allen Gebieten derselben mitwirken und die Forderungen der letzteren für alle öffentlichen Zustände geltend machen. Hier ist es auch, wo von dem Verwaltungsorganismus der höhere und im Grunde viel bedeutendere Theil seiner so oft undankbaren Thätigkeit gefordert wird; und hier ist es endlich, wo das Verständniß der Iden- tität der Classeninteressen am leichtesten zu erreichen und zu verwirk- lichen ist. Die Sanitätspolizei hat ihren Ursprung in dem ständischen, berufsmäßigen Heilwesen, ihre Erfüllung durch die polizeiliche Epoche in wohlgemeinten, oft auch unfreien Einzelbevormundungen der niedern Gesundheitspolizei; ihre wichtigsten Grundsätze und Anstalten werden sich allerdings beständig erhalten; allein die höhere Gesundheitspflege ist das charakteristische Merkmal der socialen Auffassung des gesammten Sanitätswesens. Eine äußerliche Scheidung der Sanitätspolizei (Schutzsystem) von der Gesundheitspflege (System der Förderung) ist daher weder thunlich noch praktisch. Beide Principien durchdringen sich in jedem Punkte. Die systematische Ordnung kann sich vielmehr an die Gegenstände anschließen, mit denen das Sanitätswesen zu thun hat. Diese sind die Seuchen , die allgemeinen Zustände des Gesammtlebens in ihrer Beziehung zur Gesundheit, und die einzelnen Verhältnisse des Verkehrs. Wir unterscheiden daher das Seuchenwesen , die allgemeine Gesund- heitspflege durch die höhere und die besondere durch die niedere Sanitätspolizei . Jedes dieser Gebiete ist in den einzelnen Ländern mit einer großen Menge von geltenden Vorschriften versehen und jedes hat seine eigene Gestaltung und eigene Geschichte. Die erste klare Eintheilung in Sanitäts- und Gesundheitswesen wohl bei Berg , Polizeirecht II. Bd. S. 316: 1) Medicinalanstalten, 2) Sanitätspolizei, 3) Medicinalpolizei; aufgenommen von Mohl , Polizeiwissenschaft I. Der erste, der die Gesundheit spflege wissen- schaftlich in den Vordergrund gestellt hat, ist P. Frank . Das wird sein unsterbliches Verdienst bleiben. Die übrigen Schriftsteller haben sich fast nur mit der Sanitätspolizei beschäftigt; die Darsteller des po- sitiven Rechts, wie Rönne, Pözl, Stubenrauch ꝛc., bleiben meist bei den Medicinalordnungen stehen. Eine regelmäßige Lehre fehlt leider noch immer auf den Universitäten, bei einseitig stark entwickelter Be- handlung der gerichtlichen Medicin. — Die Vorschläge bei Pappen- heim (Handbuch der Sanitätspolizei III. 1864, von „Sanitätspolizei“ S. 236) sind sehr richtig, aber sie sind in der That nichts anderes als ein Entwurf des allgemeinen Rechts der Seuchenpolizei (s. d. Folgende). Die allgemeinen Vorschriften für Preußen: Horn I. S. 170; für Württemberg: Roller S. 111; für Bayern: Pözl §. 119. A. Das Seuchenwesen. Begriff . Das Seuchenwesen umfaßt die Gesammtheit der Bestimmungen und Thätigkeiten der Gesundheitsverwaltung zum Schutze der allge- meinen Gesundheit gegen ansteckende Krankheiten. Die innere Entwick- lung desselben ist im Großen und Ganzen einfach und klar. Das Seuchenwesen beginnt stets mit dem Versuche, jenen Schutz durch die rein polizeilichen Maßregeln, namentlich durch Absperrung herbeizu- führen. Es schließt später an die bloße Absperrung eigene, zur Be- gränzung und Bekämpfung bestimmte einzelne positive Maßregeln und Anstalten, und erhebt sich dann in der neuesten Zeit zu dem Stand- punkt, nicht mehr einzelne, sondern alle Epidemien gleichfalls nicht mehr durch einzelne, sondern durch ein auf wissenschaftlicher Grundlage basirtes, allgemeines System von Maßregeln der Verwaltung, und namentlich theils durch die Mittel der höheren Gesundheitspolizei, theils durch Belehrung und Hülfe der niederen Classen zu bekämpfen. Die alte Seuchenpolizei als Verhinderung der Verbreitung der Seuchen wird dadurch zu einer ausnahmsweisen und meist örtlichen Maßregel, während das höhere Seuchenwesen die Aufgabe übernimmt, die ansteckenden Krankheiten in ihren Ursachen und Wirkungen zu beseitigen. Das öffentliche Recht des Seuchenwesens hat daher einen zwei- fachen Inhalt. Man kann den ersten oder allgemeinen Theil derselben als die Gesammtheit derjenigen Grundsätze bezeichnen, welche die Verwaltung in die Lage setzen soll, überhaupt ihre Maßregeln zu ergreifen. Dieß nun geschieht durch das, allen Organisationen des Gesundheitswesens gemeinsame Princip, daß die öffentlichen Organe die Pflicht zur sofortigen Untersuchung, Feststellung und Berichterstattung über eine ausbrechende oder drohende Seuche haben. Daran erst schließt sich der besondere Theil. Dieser ist naturgemäß ein verschiedener und enthält diejenigen Maßregeln, welche durch die Natur der bestimmten Seuche gefordert werden. Jede Art der Seuchen hat daher ihr eigenthümliches Sanitätsrecht und sogar ihre eigene Geschichte. Wir haben dabei zu unterscheiden die Contagien , die Blattern und die Epidemien . Unter diese drei Begriffe fallen wohl alle das Seuchenwesen betreffen- den Bestimmungen und Funktionen des Sanitätswesens. Wir wissen recht gut, daß der Ausdruck „Seuche“ kein medi- cinischer ist und daß ihn auch die bisherige Medicinalpolizei nicht aufgenommen hat. Dennoch ist er in seiner specifischen administrativen Bedeutung nicht zu entbehren, obwohl weder Frank, noch in neuester Zeit Horn und Andere ihn haben. Den besten Beweis der Nothwendigkeit, Sanitätspolizei und Seuchenwesen im Allgemeinen zu trennen, liefert wohl Pappenheim in dem oben angeführten Artikel. Die rechtliche Grundlage des Begriffes ist die anerkannte Verpflichtung der Aerzte, ausbrechende Seuchen sofort anzuzeigen , wie sie neulich wieder in Bayern (Verordnung vom 28. November 1865) ausdrücklich anerkannt wurde. Jedenfalls dürfte das Folgende ein klares und auch vollständiges Bild geben. In England ist für das Seuchenwesen ( formidable epide- mie, endemie or contagious disease ) dem Privy Council sogar aus- drücklich das besondere Recht auf Erlaß von Specialregulativen, stets gültig auf sechs Monate, mit Strafbestimmungen gegeben (18, 19 Vict. 116. Gneist II. §. 113). Aehnlich in Belgien ( De Fooz , Droit publique belge III. T. II. ) nach der Constitution Art. 67. I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung. Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatsache, daß gewisse Krankheiten nur durch solche Berührung tödtliche An- steckungen hervorbringen, gegen welche der Einzelne sich nicht schützen kann. Die Aufgabe derselben ist daher zunächst, durch die Organe des Gesundheitswesens die richtige Diagnose der betreffenden contagiösen Krankheit zu ermitteln, dann die Art der Krankheit festzustellen und dann durch definitive Absperrung derselben die Verbreitung der Krank- heit zu hindern. Die ursprüngliche und jetzt beinahe einzige Form, in der das Contagium mit Ausnahme der Blattern noch anerkannt wird und ein eigenthümliches Verfahren hervorruft, sind wohl die Pest und das gelbe Fieber. Die Aufgabe der Anzeige fällt hier daher auch meist den Consularbeamten zu. Das einfache und natürliche Mittel oder das Recht dieser — entschiedenen — Contagien ist nach wie vor die Ab- sperrung . Nur hat dieselbe eine verschiedene Gestalt. Diese Absper- rung erscheint für den Seeverkehr als Quarantäne , für den Land- verkehr als Sanitätscordon an den Landesgränzen, für einzelne Oertlichkeiten als polizeiliche Abschließung . Jede dieser Maßregeln hat dann ihr eigenes verordnungsmäßiges Recht und Verfahren. Bis auf die neueste Zeit hielt man fest an der Meinung, daß man jede Seuche mit der Absperrung bekämpfen könne. Die Erkenntniß des Unterschiedes zwischen Contagien und Miasmen hat das ganze System auf sein natürliches Gebiet einzelner , namentlich fremdartiger Krankheiten beschränkt, und besteht dasselbe daher nur noch als aus- nahmsweise und örtliche, nur mit großer Vorsicht und bei dringender Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen Ansteckung liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen Schutzsystem. Das französische Recht ist wohl das formell klarste. Unterschied zwischen Contagions de l’extérieur und epidémies de l’intérieur. Unter Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Beschränkung auf die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des Quarantäne- Rechts und Verfahrens ist die Verordnung vom 3. März 1822; das neueste Recht, das Gesetz vom 24. Dec. 1850. Der Chef de l’Etat trifft die Maßregeln, Organisation der „Agents;“ Quarantänebehörden als Staatsbeamten unter dem Directeur de la santé im Haupthafen; die Commissions sanitaires werden daneben vom Conseil municipal gewählt. Funktion aller Behörden auf diese Organe übertragen, nament- lich Testamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen ꝛc. Das Verfahren bei der Quarantaine gut zusammengestellt, so wie Bezeichnung der übrigen Verhältnisse von Foubert , Régime sanitaire (Block, Droit d’adm). Von Frankreich sind verschiedene Versuche ausgegangen, die Pestpolizei zum Gegenstand eines internationalen Vertragsrechts zu machen ( Con- férences sanitaires von Paris 1831 und 1852 und Convention vom 27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua- rantäne). — Bei inneren Seuchen ist schon durch Dekret vom 16. August 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt „du soin de les pré- venir par les précautions convenable;“ später soll er berichten an den Souspréfet, der einen médecin des epidémies par arrondissement einzusetzen hat ( Arr. vom 30. Sept. 1831). Der Minister des Innern kann eine Commission sanitaire im Departement ernennen. Ein Arr. vom 13. April 1835 schreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi- demien ( le service des epidémies ) weitläufig vor, namentlich den In- halt der abzustattenden Berichte. Vollständig bei Tardieu , Diction- naire d’hygiène publique Bd. II. S. 381—415. — Contumaz- und Qua- rantänewesen in Oesterreich : Erste Pestpolizeiordnung von 1728; hier ist Cordon und Quarantäne geschieden. Für den (seit der Cholera nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neueste Verordnung vom 30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelabsperrung im Falle des wirk- lichen Ausbruches der Pest; Errichtung von Pestspitälern, Gesundheits- pässe, Reinigung der Häuser ꝛc. Strenge Strafbestimmungen für Ueber- schreitung der Andordnungen seit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur Einführung des Standrechts. Seesanitätswesen sehr gut geordnet, zuletzt durch Verordnung vom 13. Dec. 1851, speciell für die Ein- schleppung des gelben Fiebers. Unterscheidung der Länder der patente libera und non libera, letztere wieder netta (wenn 21 Tage mehr kein Pestfall vorgekommen), brutta und brutta aggravata. Vor- schriften über die Reinigung sehr genau. Einheimische Krankheiten siehe unten. ( Kopetz , Polizeigesetze II. S. 829. Stubenrauch II. §§. 303, 306. Müller , Oesterreichisches Sanitätswesen. Die obigen Verord- nungen in der Manz’schen Gesetzesausgabe IV. ) Bei den Landstaaten ist alles Inneres Seuchenwesen (s. unten). — In Preußen ist das Quarantänewesen neben dem allgemeinen Seuchenregulativ vom 8. Aug. 1835 speciell unter Mitwirkung des Ministerium des Aeußern geregelt durch das Reglement vom 3. Juli 1863 unter Aufhebung des Regle- ments vom 30. April 1847. Convention mit Dänemark vom 26. Mai 1846. ( Rönne , Staatsrecht §. 362.) Das Regulativ von 1835, das neben der Quarantäne auch die Cholera, Pocken und Masern nebst andern Krankheiten umfaßt, enthält zugleich die Maßregeln zur Einzel- absperrung, die Errichtung und Einrichtung von Krankenhäusern, das Desinfektionsverfahren; vollständig in Horn , Preußisches Medicinal- wesen I. S. 170—210. Das preußische Strafgesetzbuch hat die Ueber- tretung der Absperrungsvorschriften mit eigenen Strafen belegt §§. 306, 307. Das Quarantänewesen speziell betrifft die Verordnung vom 30. April 1847. ( Horn S. 209 ff.) — Württemberg scheint nur die Absperrung einzelner Häuser und Hülfe für die Kranken zu kennen; hier bestehen auch noch besondere Vorschriften für die Polizei der Krätze. ( Roller §§. 169 und 170.) — In Bayern scheint das ganze System nicht vorhanden. ( Pözl §. 119.) — Ueber die früheren „Contagions- Anstalten“ in Sachsen , schon am Ende des siebzehnten Jahrhunderts entstanden (Verordnung vom 26. Juli 1666 und 11. Mai 1686), siehe Funke III. S. 282. Jetzt scheint nach demselben das Princip vollständig aufgegeben und nur noch Maßregeln gegen einzelne Epidemien zu bestehen. Was England betrifft, so wird das Quarantänewesen hier auf dem Verordnungswege regulirt, durch Ordres in Council. Die Haupt- vorschrift ist 6 Georg. IV. 78. Das Centralbureau im Privy Council; die Praxis ist sehr lax. ( Gneist , Englisches Verwaltungsrecht II. 2. Ab- theilung, §. 113.) — Das holländische Quarantänewesen beruhte früher ausschließlich auf der Verordnung vom 10. Januar 1805; der Minister der Marine hat darnach das Recht, die Quarantäne von Fall zu Fall einzuführen. ( De Bosch-Kemper, Neederl. Staatsregt 1865 S. 684 und 813.) In beiden Ländern gibt es kein Recht der inneren Absperrung. — Rußlands Quarantäne-Reglement für die Ostseehäfen vom 9. Nov. 1864 in der Austria 1865 S. 60. — Die neueste eng- lische Contagious Diseases Prevention Act bezieht sich nur auf Syphilis (s. das Folgende). II. Blattern und Impfungswesen. Das Impfungswesen ist natürlich erst Gegenstand der Verwaltung seit der Entdeckung der Möglichkeit, durch Menschen- oder Kuhpocken- impfung sich gegen die Blattern zu schützen. Die damit eröffnete Sicher- heit, vor der furchtbaren Gefahr der Blattern die Bevölkerungen zu schützen, machte es den Verwaltungen unmöglich, gegen die Einführung der Impfung auf die Dauer gleichgültig zu bleiben. Dadurch entstand die Frage, deren Beantwortung als Grundlage alles Impfungswesens anzusehen ist: ob die Regierung den in der polizeilichen Impfung lie- genden Eingriff in die individuelle Freiheit zu machen berechtigt sei, oder ob sie bloß bei der Herstellung der Bedingungen einer guten Impfung, höchstens bei der Empfehlung derselben, stehen bleiben solle. Offenbar ist die Voraussetzung des letzteren Standpunktes eine nicht unbedeutende Bildung des Volkes; die Ueberzeugung, daß die letztere durch ihren Mangel die Einführung der Schutzblattern unmöglich mache, erzeugte bei einigen Gesetzgebungen das polizeiliche Impfungswesen und die gesetzlichen Vorschriften für die Einführung desselben, während andere dieselbe trotzdem der Bevölkerung überließen. Daraus sind nun drei Systeme entstanden, die wir als das der Imp ffreiheit , das der Impfung sbeförderung und das des Impf- zwanges bezeichnen können. Das erstere besteht bis auf die neueste Zeit auch in England, in Rußland, Spanien, Portugal u. s. w. Das zweite namentlich in Frankreich. Das dritte in den Staaten Mittel- europas. An das letztere hat sich demgemäß ein förmliches System der polizeilichen Impfung angeschlossen. Dieses System beruht auf dem Grundsatz, einen indirekten Zwang zur Impfung durch den Grundsatz auszuüben, daß die ärztliche Bestätigung der geschehenen Impfung, der Impfschein , als Bedingung für gewisse öffentliche Acte, namentlich die Verehelichung, angesehen wird, während beim Militär die Impfung unmittelbar vorgenommen wird. Daran schließt sich das medicinal-polizeiliche Impfwesen , welches auf folgenden Grund- sätzen beruht: 1) Verpflichtung der Aerzte zur Impfung; 2) Organi- sirung der Vertheilung gesunder Lymphe, als charakteristisches Merkmal eines guten Impfwesens; 3) Einbeziehung des Impfwesens in die orga- nische Thätigkeit der Gesundheitsverwaltung. — Gleichförmigkeit ist auch hier noch nicht erzielt. Die frühesten Nachrichten über die Blatternpolizei seit 1713, in Holland seit 1748, in Frankreich seit 1754, bei Ehrhardt a. a. O. I. 34. — Der Streit über das obligatorische Impfwesen in Deutschland aus dem vorigen Jahrhundert bei Berg , Polizeirecht II. Bd. III. Abschn. 3. England . Langer Kampf vor Einführung des polizeilichen Impf- zwanges. Die Acte 3, 4 Vict. 28 und 4, 5 Vict. 42 stehen noch auf dem Standpunkt der bloßen Impfungsbeförderung; erst die Acte 16, 17 Vict. c. 100 (an act to make compulsory the Practise of Vacci- nation ) führte den Zwang ein mit Beihülfe der Beamten der Armen- verwaltung und der Registrars. Einführung in Schottland erst durch 26, 23 Vict. 108 als Sache der Kirchengemeinde ( Parochial Board ) Austria 1865 S. 77. Das neueste Gesetz 24, 25 Vict. 59 (1861) be- stimmt dann, daß zum Zweck der Ausführung dieser Verordnung die Guardians jeder Union und Parish durch eigene Organe (und unter der üblichen Buße) die Mitglieder der letzteren eventuell durch Klage vor dem Friedensrichter zur Impfung zwingen sollen. (Austria von 1864 Nr. 41.) Nach 26, 27 Vict. 52 (1863) soll jetzt jeder Hausvater sein Kind in den ersten sechs Monaten impfen, und ein eigenes Impf- register geführt, die Unterlassung aber mit 20 Schill. gebüßt werden. Austria 1865. ( Thomson , Historical sketch of the smal pox. Lon- don 1822. Gneist , Englisches Verfassungsrecht §. 113.) — Frank- reich . Bis jetzt Standpunkt der Imp fbeförderung ; schon 1803 bildete sich ein Impfungsverein ( Comité de vaccine ); Empfehlung durch die Regierung durch Cirkular vom 26. Mai 1803. Ein Arrêté vom 31. Okt. 1814 setzte dann die ersten Preise für Verbreitung der Impfung aus. Dieselbe ist den Beamteten aufgetragen und durch Ordonnanz vom 20. Dec. 1820 die Académie de médecine angewiesen, die letzteren in aller Weise zu unterstützen. Die Akademie legt jährlich einen Bericht vor, und auf ihren Vorschlag werden die für die Impfung thätigen Aerzte mit Preisen und Medaillen belohnt. ( Arrêté vom 16. Juli und 10. Dec. 1823.) Das Arrêté vom 25. Sept. steht noch auf demselben bloßen Beförderungsstandpunkt. ( Tardieu , Dic- tionnaire III. p. 256 sq. ) In einigen Departements sind eigene Impfärzte aufgestellt; in allen Hospitälern werden die Kinder zwangsweise geimpft und in sehr vielen die Bevölkerung auf Verlangen unentgeldlich. — Oesterreich. Beginn mit der Impfbeförderung durch öffentlichen Unterricht seit 1790; Pflicht zur Impfung mit Men- schenblattern seit 1796; Verzeichnisse seit 1813 organisirt; Organisirung des gegenwärtigen Systems durch Verordnung vom 30. Juni 1806. Spätere Instruktion vom 9. Juli 1836; Förderung durch öffent- liche Ermahnungen; Aufstellung und Verfahren der Impfärzte und Berichte. ( Kopetz , Polizeigesetz II. §. 866 ff. Stubenrauch , Verwal- tungsgesetzk. II. S. 307.) — Preußen . Aufnahme des Impfwesens in das allgemeine Seuchenwesen 1835. Regulativ vom 28. Oktober 1835 §§. 44—58. Das darin ausgesprochene allgemeine Regulativ über alle öffentlichen Impfungen und ihr gemeinsames gleichartiges Recht ist noch nicht erschienen; dagegen Erlaß besonderer Impfordnungen in allen Regierungsbezirken, und zwangsweise Impfung aller zum Militär- verbande gehörigen Personen. (Ministerial-Erlaß vom 6. April 1834. Rönne und Simon , Medicinalwesen der preußischen Monarchie II. S. 255—272. Supplement I. 82, 84. Horn , Medicinalwesen I. 227, 244. Rönne , Staatsrecht II. 363.) Die Gesetzgebung über das Impfwesen im übrigen Deutschland aus dem vorigen Jahrhundert bei Berg , Polizeirecht Bd. IV. , neuere bei Ehrhardt Bd. III. 188 ff. Grundsatz Verbot der Menschenblattern, Pflicht zur Impfung, Impfärzte, Impf- tabellen und Instruktionen der Medicinalbehörden. — Bayern . Impf- pflicht und Bestrafung der Unterlassung. (Polizeistrafgesetzbuch 1861, Art. 117, 116.) — Württemberg . Auch hier gilt die Impfpflicht (Verordnung vom 12. Juni 1811); weiter ausgebildet und genau regulirt auch in der Ueberwachung durch Verordnung vom 6. Juni 1818 und 3. April 1824; nebst eigenen Gesetzen über die Impfärzte und den Impfstoff ( Roller , Polizeirecht §§. 163—168); Centralimpfanstalt in Stuttgart (Verordnung vom 16. August 1830). — Baden . Impf- zwang eingeführt (Verordnung vom 30. Mai 1865); Wiederholung an- gerathen. Impfung im ersten Jahr. — Königreich Sachsen . Erste Verordnung vom 20. Febr. 1805; Organisirung des Impfwesens auf Grundlage der Impfpflicht (Mandat vom 23. März 1825); Central- impfinstitut in Dresden (Bekanntmachung vom 4. April 1838 nebst aus- führlicher Instruktion bei Funke , Sächs. Polizeigesetze und Verordnungen III. S. 284 ff.) — In Holland dagegen ist keine Impfpflicht, sondern nur die staatliche Oberaufsicht seit Gesetz vom 18. April 1818, durch Gesetz vom 10. Juli 1861 erweitert. Die Regierung gibt Impfprämien ; ein „Verein für die Impfung“ sorgt für die Verbreitung durch Unterstützung und Schriften. III. Die Epidemien und ihr Recht. Es ist wohl nicht Sache der Verwaltungslehre, sich auf die Unter- schiede von Epidemien, Endemien und andern Begriffen einzulassen. Uns muß es genügen zu bemerken, daß allerdings einzelne interessante aber meist locale und weiter gehende Bestimmungen und Maßregeln für allgemeine Krankheitszustände auch außer den Contagien und den Blat- tern schon früher da waren. Allein man kann wohl nicht verkennen, daß die in den obigen Bestimmungen liegenden Elemente eines allge- meinen Seuchenwesens, sehr unklar und ungleichartig entwickelt im vorigen Jahrhundert, zu einem förmlichen, allgemeinen System erst durch den mächtigen Anstoß geworden sind, den seit 1830 die Cholera gegeben. Dieselbe ist ohne allen Zweifel eine der einflußreichsten Er- scheinungen im ganzen Gebiete des öffentlichen Gesundheitswesens. Ihre Wirkung war eine doppelte. Einerseits hat sie, und das ist vielleicht das bei weitem wichtigste, die Erkenntniß festgestellt, daß die Bedingungen des Sieges über die Seuchen vorzugsweise in der Herstellung der Be- dingungen der allgemeinen Gesundheit, also in dem höheren Sanitäts- wesen liegen. Andererseits aber hat sie, da man sie nicht durch einzelne Mittel beseitigen konnte, Veranlassung gegeben, die Seuchenpolizei für alle ansteckenden und selbst für die miasmatischen Krankheiten zu einem die gesammte Thätigkeit der Gesundheitsverwaltung umfassenden System zusammen zu fassen, für welches das Charakteristische in dem Aufstellen von Instruktionen und Anstalten für jede ansteckende Krankheit besteht. Namentlich zeichnen sich hier die bereits erwähnten preußischen Gesetze aus. Man kann nun wohl sagen, daß in England das Seuchen- wesen bei der Gesundheitspolizei stehen geblieben und nicht zu einer Seuchenpolizei übergegangen ist, daß in Frankreich zwar eine Seuchen- ordnung, aber mehr in allgemeinen Aufträgen an die Verwaltung als in speziellen Vorschriften besteht, daß diese speziellen Vorschriften namentlich in Oesterreich für einzelne Seuchen sehr ausgebildet sind, während da- gegen in Preußen die organische, die gesammte Verwaltung umfassende Gesetzgebung sehr ausgebildet ist, ohne der dennoch reichhaltigen besonderen Seuchenpolizei Abbruch zu thun. Der Natur der Sache nach liegt dabei das Gebiet der administrativen Thätigkeit mehr innerhalb der allgemeinen Gesundheitspolizei, als in der medicinischen Thätigkeit, die natürlich durch die Seuche selbst bedingt ist. Aber gerade das erstere scheint uns der bei weitem wichtigere, und einer großen Entwicklung fähige Punkt, während eben durch ihn wieder das Princip der Absperrungen auf sein geringstes zulässiges Maß reducirt, und dem Verkehr seine Freiheit wiedergegeben ist. Das englische System, schon früher in einzelnen Bestimmungen angedeutet, dann aber doch erst durch die Cholera ins Leben gerufen, beruht auf zwei Grundlagen, die wir bereits früher bezeichnet haben, und die eine allgemeine Seuchengesetzgebung verhindern, zuerst und wesentlich auf der Einführung eines gesetzlichen Systems der örtlichen Gesundheitspolizei durch die Local-Health und Nuicances Removal Acts (s. oben); daneben aber hat, wie erwähnt, das Privy Council, Stein , die Verwaltungslehre. III. 4 oder drei Mitglieder desselben gewisse Maßregeln zur Verhütung der Ausbreitung epidemischer Krankheiten zu erlassen, die dann in Spezial- verordnungen weiter ausgeführt werden können. Dieß ist zuletzt bestimmt formulirt in 18. 19. Vict. c. 116, begonnen 9. 10. Vict. c. 96. Eine Sammlung ist mir nicht bekannt; auch gelten diese Ordres meist nur für einzelne und temporäre Verhältnisse. ( Gneist , Englisches Verwaltungs- recht II. §. 113.) — In Frankreich ward die allgemeine Grundlage schon durch das organische Gesetz vom 16.—24. August 1790 gelegt, dessen Charakter sich bis jetzt erhalten hat; Laferrière Droit adm. I. 1. „là comme en beaucoup d’autres matières, la loi laisse faire aux hommes .“ Die Ortsbehörde hat, wie bei der Pest, die précautions convenables zu ergreifen. Seit Dekret vom 2. Mai 1805 waren médecins des epidémies in jedem Arrondissement ernannt; die erste allgemeine Instruktion für dieselben ist von 1813. Die genauere dagegen, wieder in Veranlassung der Cholera, Circ. vom 13. April 1835; charakteristisch dabei eben die Ausdehnung auf das gesammte Seuchenwesen, und dem entsprechend die Allgemeinheit der Vorschriften mit speziellem Hin- weis auf die Thätigkeit des Heilpersonals. Arrêt 1. Sept. 1851. ( Tar- dieu a. a. O.) — Oesterreich . Die Natur der Cholera brachte hier den großen Fortschritt, daß die ganze Pestgesetzgebung, also namentlich die Absperrung auf dieselbe für unanwendbar erklärt ward (11. Okt. 1831). Dann entstand die sehr genaue und umfassende Seucheninstruk- tion vom 15. Aug. 1838 ( Stubenrauch II. §. 300). — Preußen . Hier ist die systematische Entwicklung des allgemeinen Seuchenwesens in Folge der Cholera eingetreten, nachdem sie schon vielfach vorher in einzelnen Anordnungen begonnen war. Der Anfang war die Nie- dersetzung einer eigenen Commission durch Kabinetsordre vom 19. Jan. 1832; daraus ging dann das große Regulativ vom 8. August 1835 hervor, das alle Seuchen umfaßt; nebst Instruktion und öffentlicher Belehrung, publicirt 28. Okt. 1835; theils aus allgemeinen Vorschriften bestehend, theils Vorschriften für die einzelnen Seuchen und das Ver- fahren bei denselben enthaltend ( Rönne , Staatsrecht §. 362; namentlich Horn , preuß. Medicinalwesen a. a. O.). — In Württemberg hat die Cholera seit der ersten Verordnung vom 13. Juli 1831 eine Reihe von einzelnen, speziell auf dieselbe bezüglichen Bestimmungen hervorgerufen ( Roller , württemb. Polizeigesetz §. 158). — In Bayern hat das Straf- Polizeigesetzbuch die Anzeige von ansteckenden Krankheiten zur Pflicht ge- macht, und sogar die Nichtreinigung von gebrauchten Kleidern ꝛc. mit Bußen belegt (Art. 120. 121). In anderen Staaten dürfte kaum eine spezielle Gesetzgebung vorhanden sein. Baden , Polizeistrafrecht von 1863, §. 85 ff., wie Bayern. S. Stempf D. Polizeistrafgesetzbuch, 1865, S. 182. B. Die höhere Gesundheitspolizei. Begriff . Die höhere Gesundheitspolizei hat zur Aufgabe, die Gesundheit auf allen denjenigen Punkten zu schützen, wo das Verhalten Einzelner oder auch einzelne Zustände die allgemeine Gesundheit bedrohen, und wo die Vorsicht des Einzelnen nicht ausreicht, sich selbst zu schützen. Der Gedanke einer solchen Gesundheitspolizei ist wohl uralt. Dieselbe beginnt stets bei einzelnen, offen auftretenden Gefährdungen der Gesund- heit; allein es muß als eines der größten Verdienste der Wissenschaft anerkannt werden, daß sie aus diesen vereinzelten und dadurch fast wir- kungslosen Maßregeln allmählig zuerst dieß Princip gebildet hat, daß die Verwaltung die öffentliche Gesundheit gegen alle indirekten Gefährdungen zu schützen habe, und daß sie dann dieß Princip aus dem bloß negativen Schutz zu einem positiven System der indirekten Be- förderung der Gesundheit durch Verallgemeinerung ihrer Bedingungen zu erheben verstand. Dieß geschah und geschieht namentlich dadurch, daß sie auf die langsam und unkenntlich wirkenden Elemente der Ge- fährdungen der Gesundheit hinwies, und damit tief in die Verhältnisse des Gesammtlebens eingriff. Es liegt dabei in der Natur der Sache, daß dieser Theil der Verwaltung in geradem Verhältniß zur Dichtig- keit der Bevölkerung steht, und mit derselben steigt und fällt, auch innerhalb derselben Länder. Es folgt daraus ferner, daß der wichtigste Theil der Vollziehung derselben stets der Selbstverwaltung überlassen bleibt, und als Aufgabe der Gemeinden namentlich mit der Größe der Städte zunimmt, während das Seuchenwesen seiner Natur nach wesent- lich Aufgabe der amtlichen Vollziehung sein sollte. Auch hier hat die Cholera entscheidend mitgewirkt, und das Bewußtsein begründet, daß man die öffentliche Gesundheit besser durch Herstellung ihrer allgemeinen Bedingungen als durch einzelne Maßregeln schützt. Auf diese Weise ist die höhere Gesundheitspolizei zu einem materiell einheitlichen System geworden, dem in der That nur die formelle Ein- heit der Darstellung fehlt. Die wissenschaftlich und einheitlich durch- gebildete Auffassung und Lehre dieses Gebietes des Gesundheitswesens statt der zersplitterten und isolirten Behandlung der einzelnen Theile, wie sie bisher namentlich im Verwaltungsrecht vorkommt, wäre aber gerade hier von großer Wichtigkeit, weil, während das Seuchenwesen wesentlich durch die wissenschaftlich gebildeten Männer des Heilwesens vertreten wird, in der höheren Gesundheitspolizei die nicht fachmännisch gebildeten Organe der Verwaltung, namentlich der Gemeindeverwaltung, maßgebend werden. Hier wäre daher zugleich eine der wichtigsten Auf- gaben für das Vereinswesen der Aerzte gegeben! Jenes System nun wird am klarsten, wenn man es in der Weise darlegt, wie es sich in der That historisch ausgebildet hat. Man kann diese Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen. Das siebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen sich wesentlich mit der Polizei der Nahrungsmittel , mit der Giftpolizei und mit der Kurpfuscherei befaßt; die erste in Verbindung mit der allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht, die dritte in Verbindung mit dem fachmännischen Heilwesen und seiner Wissenschaft. Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige niedere, individuelle Gesundheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit, sanitäre Eheverbote ꝛc. siehe unten); daneben aber auch schon in den verschiedenen Medicinalordnungen die allgemeinen Principien der höheren Gesundheitspolizei, speziell die Begräbniß- und Todten- polizei, und die Baupolizei . Das neunzehnte Jahrhundert ist nun ohne Zweifel der Beginn der höheren Entwicklung des Gesundheitswesens auch in diesem Gebiet. Einer- seits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr- hunderts über die Bedingungen der Gesundheit zu einem systematischen Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere Wohnungspolizei mit der gesetzlichen Sorge für Licht, Luft und öffentliche Reinlichkeit macht, und die Trinkwasserpolizei der großen Städte hinzufügt. Andererseits geht dasselbe über zu positiven Maß- regeln für die Förderung der Gesundheit, theils in den Anforderungen an den sanitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vorschriften über Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des Turnunterrichts , in dem freilich noch Deutschland allein dasteht. Endlich aber erscheint auch hier zuerst ein eigentliches Rechtssystem der Gesundheitspolizei. Dieß Recht der Gesundheitspolizei, früher fast ausschließlich der polizeilichen Willkür überlassen und ganz örtlich aus- geübt, empfängt jetzt eine bestimmte Gestalt. Einerseits werden die geltenden Vorschriften jetzt allgemein und gleichmäßig, anderseits werden mit Anfang dieses Jahrhunderts die Uebertretungen derselben dem allgemeinen Strafgesetz einverleibt, so daß man erst jetzt von einem allgemeinen Polizeirecht des Gesundheitswesens reden, und das letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver- waltungsrechts ansehen kann, dem nur noch die fachgemäße juristische Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und äußerlich abgeschlossenes Ganzes zu erscheinen. In diesem Ganzen nun hat wieder jeder einzelne Theil sein eigenes Recht und seine eigene Geschichte, die in den einzelnen Ländern sehr verschieden ist. Der Reichthum an Verordnungen, Gesetzen und theo- retischer wie praktischer Literatur ist gerade hier ein außerordentlich großer. Um so wichtiger ist es, das Ganze nicht über dem Einzelnen aus den Augen zu verlieren, und dabei den administrativen Gesichtspunkt als Aufgabe der Verwaltungsorgane von dem medicinischen als Aufgabe der Wissenschaft soweit thunlich zu scheiden. Die leitenden Thatsachen für den ersteren sind die folgenden. Literatur . Der erste, der von einem höheren Gesichtspunkte das Gebiet der Gesundheitspolizei erfaßt und als organische Aufgabe der Verwaltung dargestellt hat, ist wohl Mirabeau L’ami de l’homme (1770, mehrmals deutsch übersetzt), dessen Ansichten dann in Justi Polizeiwissenschaft 4. Buch 18. Hauptstück und Sonnenfels I. 177 f. übergingen. Berg Polizeirecht und Bergius Magazin sammelten dann viele einzelne Verordnungen, doch noch ohne System. Die auf Grund- lage der medicinischen Wissenschaft beruhende Theorie der gesammten höheren Gesundheitspolizei verdanken wir aber erst Frank in seinem angeführten großen Werke, der zugleich mit außerordentlicher historischer Kenntniß der Gründer der Geschichte der höheren Gesundheitspolizei geworden ist, obwohl er noch den Namen derselben nicht festhält und auch kein formales System hat, das er offenbar nicht für den Unterricht und nicht für die Juristen, sondern für die gebildete und ärztliche Welt schrieb. Seine freie und große Auffassung geht mit unserem Jahrhun- dert wieder in etwas verloren, indem Ehrhardt, Stoll, Rust, Rönne u. A. sich vielmehr fast ausschließlich den positiven, allerdings mit unserem Jahrhundert immer bedeutender werdenden Gesetzgebungen zuwenden, während andere, wie Mohl , wieder durch den Mangel an Unterscheidung zwischen Medicin und Verwaltung in wenig lehrreiche Allgemeinheiten verfallen und das Staatsrecht den Gegenstand ganz fallen läßt. Es ist Sache der Verwaltungslehre, ihm seine Stellung wieder zu geben. Gesetzgebung . Eine allgemeine selbständige Codifikation ist weder gut thunlich, noch auch von Werth, obwohl man sie gefordert hat. Die Einheit muß doch durch die Wissenschaft gegeben werden. Auch die englische Gesetzgebung über die Gesundheitspolizei in den General und Local Health Acts umfaßt denn doch nur einzelne Theile. Dennoch hat die Gesetzgebung mit unserem Jahrhundert hier einen ganz bestimmten Charakter angenommen, den wir mit Beziehung auf den früher bereits dargestellten Begriff der vollziehenden Gewalt nun mehr leicht bezeich- nen können. Da die Sicherung der öffentlichen Gesundheit gegen die Verletzungen und Gefährdungen durch Einzelne als eine Pflicht der Verwaltung und die wirkliche Gefährdung desselben durch den Einzelnen als ein öffentliches Vergehen anerkannt worden ist, so hat die Gesetzgebung, um die Staatsbürger gegen die Willkür der Vollzugsorgane sicher zu stellen, fast allenthalben den Grundsatz durchgeführt, die Verletzung der Sicherheit der Gesundheit zu einer selbständigen Kategorie der Ver- gehen zu machen, und dieselben daher in den meisten Ländern zu einem Theile des Strafgesetzes gemacht, den Gerichten das Recht über- tragend, durch gerichtlich ausgesprochene Strafurtheile die früher ein- seitige Funktion der Gesundheitspolizei zu übernehmen, wie im O. R. Strafgesetzbuch II. Thl. Hauptst. VIII. (Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens ), Hauptst. IX. (Vergehen und Ueber- tretungen gegen die Gesundheit ) und Hauptst. X. (Uebertretungen gegen die körperliche Sicherheit). Damit ist ein wesentlicher Theil der ganzen höheren und niederen Gesundheitspolizei dem Strafrecht und seiner Wissenschaft überwiesen, und es muß als ein neuer Gesichts- punkt bezeichnet werden, wenn in andern Staaten, wie Bayern und Württemberg und zuletzt in Baden eigene Polizei-Strafgesetzbücher für diese Gebiete neben den allgemeinen Strafgesetzbüchern bestehen. Die Darstellung des Gesundheitswesens in der Verwaltungslehre muß sich daher darauf beschränken, nur noch diejenigen Momente hervor- zuheben, welche von diesen Strafgesetzbüchern nicht speziell umfaßt werden; die Frage dagegen, ob die Strafgesetzbücher jemals diese Be- handlung der Gesundheitspolizei und der Verwaltungslehre ganz er- setzen können , muß verneint werden, da dieselben durchaus die Strafe für die Handlungen Einzelner und nicht die Funktion der Verwaltung für das Ganze enthalten kann und enthalten. Eben deßhalb ist in diesem Gebiete wohl ziemlich allgemein der Grundsatz formell aner- kannt, daß da, wo eigentliche Gesetze fehlen, die höchste Verwaltung im Namen des öffentlichen Wohles auf Verordnungswege geltende Be- stimmungen nicht bloß erlassen kann, sondern erlassen soll . Das hängt auf das Genaueste mit dem Auftreten einer staatlichen und einheitlichen Verwaltung des gesammten Gesundheitswesens, das sich namentlich in den letzten Jahrzehnten die örtliche Gesundheitspflege der Gemeinden systematisch unterordnet, auf das Engste zusammen; vergleiche über diesen Entwicklungsproceß, was wir oben unter Organisation des Gesundheits- wesens gesagt haben. Uebrigens ist es nicht zu verkennen, daß in allen übrigen Staaten die einzelnen Gebiete vorzugsweise durch förmliche Ge- setze geregelt werden, an welche sich die Verordnungen anschloßen, wäh- rend in Deutschland die Gesetze fast gänzlich mangelten, und bis zur neuesten Zeit meist nur Verordnungen existiren. I. Polizei der Nahrungsmittel. Die Polizei der Nahrungsmittel hat zwei Hauptseiten. Die eigent- liche Gesetzgebung beschäftigt sich mit der Produktion derselben vom sanitären Standpunkt; die Aufgabe der örtlichen Verwaltung, nament- lich der Gemeinde, ist es dann, die Gesundheitspolizei im Einzelver- kehr auszuüben. Die erstere geht ursprünglich gegen direkte Fälschung , die letztere schützt vielmehr vor dem Verkauf verdorbener Gegen- stände; die erstere verbindet sich daher naturgemäß mit der Gewerbe- gesetzgebung , die letztere vielmehr mit der Marktpolizei . Eine äußere Scheidung ist nicht thunlich. Die Wissenschaft hat zur Auf- gabe, einerseits die gesundheitsgefährlichen Elemente zu bestimmen und dann die Mittel ihrer leichten Entdeckung anzugeben. Die Ausführung ist meist Sache der örtlichen Organe. Die einzelnen Nahrungsmittel haben wieder ihr eigenes Recht, und dieß wieder seine eigene Geschichte. Das ganze Gebiet ist ein außerordentlich reiches, und jeder Theil ver- dient eine Darstellung für sich. Hauptpunkte sind Brod, Fleisch, Getränke, Gewürze . Die Wichtigkeit und naturgemäß auch die Ausbildung dieses ganzen Gebietes steigen mit der Dichtigkeit der Be- völkerung; daher ist der Ursprung derselben stets eine städtische Polizei, die erst mit dem vorigen Jahrhundert sich zu allgemein aner- kannten Principien erhebt. Der Charakter des Polizeirechts der Nah- rungsmittel in unserem Jahrhundert enthält nun aber wesentlich ver- schiedene Elemente von denen der früheren Zeit. Es hat sich dasselbe nämlich jetzt in die zwei Theile gespalten, welche früher verschmolzen waren, und hier hat die französische Gesetzgebung den Anlaß zu Bil- dung des gegenwärtigen Systems gegeben. Jedes Unrecht, das mit Nah- rungsmitteln geschieht, kann entweder ein bloßer Betrug sein (Fäl- schung der Nahrungsmittel) oder es kann zugleich eine sanitäre Ge- fahr enthalten. So lange die Polizei der Nahrungsmittel noch den städtischen Behörden allein blieb, waren beide vermengt. Allein mit dem Entstehen der neuen Strafgesetzgebungen wird es Grundsatz, die Fälschung von der sanitären Gefährdung zu scheiden , beide mit speziellen Strafbestimmungen in die Strafgesetzbücher aufzunehmen, den Ortsbehörden nur die Entdeckung dieser Vergehen, dem Gerichte dagegen ihre Bestrafung zu überlassen. Nur wenige Staaten haben bisher diesen eben so logischen als praktischen Grundsatz nicht ange- nommen, und stehen statt auf dem rechtlichen, noch auf dem polizei- lichen Standpunkt, auf welchem die Ortsbehörde die Aufsicht , die Fachmänner die Beweise und Gutachten, und die Gerichte die Ent- scheidung haben. Hauptschriftsteller für die wissenschaftliche Begründung und die histo- rische Auffassung auch dieses Gebiets bleibt Frank a. a. O. Bd. III, wo die früheren Gesetze, die bis ins sechzehnte Jahrhundert reichen, auf- geführt sind, und jedes Nahrungsmittel für sich behandelt wird. Fleisch III. 1. 1. Trinkwasser III. 1. 2. Fische III. 1. 3. Pflanzen III. 1. 4. Gewürze III. 1. 5. Bier III. 2. 2. Wein III. 2. 3. (schon Polizei im Reichsabschied 1487 und 1497). — Jedes Land hat dann eine Menge einzelner Verordnungen über die einzelnen Nahrungsmittel. Frühere Geschichte und Rechte ( Erhardt III. 236 ff.) Sanitäre Städtepoli- zei der Nahrungsmittel ( Berg , Polizeirecht IV. mehrfach. Ehrhardt III. 113 f.) Oesterreich . Ausführliche Gesetzgebung über die Polizei der Nahrungsmittel schon seit dem siebzehnten Jahrhundert. Die be- treffenden, meist örtlichen Bestimmungen sind jedoch vorwiegend Maaß- und Gewichtspolizei; der sanitäre Standpunkt kommt fast nur beim Fleische zur Geltung. Fleischbeschau (N. Oesterr.) schon vor 1559; Uebergang zur gewerblichen Schlachterordnung ( Kopetz , Polizeigesetze II. §. 707.) Wiederholung: Verordnung seit 1802 ( Stubenrauch §. 270 ff.) — Mühlordnungen seit 1661, 1695, 1735; namentlich gegen Mehl- fälschung; neue Mühlordnung vom 1. December 1814. Bäckerord- nung seit 1718; spätere Verordnung Stubenrauch §. 270. — Wein- gärtnerordnung aus dem siebzehnten Jahrhundert ( Kopetz a. a. O.) Die alten Verordnungen bestehen übrigens wohl nur noch formell; an ihre Stelle ist wesentlich die Bestimmung des Strafgesetzbuchs §. 407 getreten, nach dem die Gefährdung der Gesundheit durch Fälschung, so wie durch Zubereitung der Nahrungsmittel mit Strafen bedroht ist. Doch bestehen über einzelne Theile der Nahrungsmittelproduktion, spe- ziell über das Fleisch , noch eine Reihe von örtlichen Verordnungen, die Ausführung betreffend ( Stubenrauch a. a. O. §. 271—275), wäh- rend im Allgemeinen der Grundsatz anerkannt ist, daß die Gemeinde die Behörde der Ueberwachung ist ( Gemeindeordnung vom 17. März 1844, §. 119). In Frankreich trat dagegen mit der Revolution und der Auf- hebung aller früheren Bestimmungen die Nothwendigkeit einer einheitlichen Gesetzgebung zuerst auf. Zuerst übergab das Gesetz vom 16—24. August 1790 die Oberaufsicht den Maires, dann bestimmter der Code Pénal das Recht der Fälschung und zwar mit dem charakteristischen Unterschiede, daß Art. 423 eben nur die Strafe der Fälschung enthielt, während Art. 471 die Buße für die Nichtbefolgung der polizeilichen Vorschrif- ten feststellte. Der hier nur noch angedeutete sanitäre Gesichtspunkt ist dann definitiv und mit großer Genauigkeit ausgebildet im Gesetz vom 27. März 1851 (zum Art. 423 des Code Pénal ). Dieß Gesetz ist das ausführlichste und rationellste über die sanitäre Nahrungsmittelpolizei, das mir bekannt ist. Tardieu hat in seinem citirten Dictionnaire so ziemlich alle einzelnen subsistances, freilich wesentlich physiologisch unter- sucht, aber auch nebst der französischen Literatur theilweise auf die Ge- setze Rücksicht genommen. (Das Gesetz von 1851 bei Block Diction- naire v. subsistances ). Ueber das Trinkwasser siehe speziell Tar- dieu : Eau, und dort eine Pariser Polizeivorschrift über die öffentlichen Brunnen vom 15. Mai 1849. — Die preußische Gesetzgebung hat auf derselben Grundlage im Strafgesetzbuch (1851) §. 304 die Strafe für wissentliche Beimischung gefährlicher Substanzen, von der Strafe des Betruges (§. 241) und der Feilhaltung verdorbener Nahrungs- mittel geschieden, und dazu durch Gesetz vom 11. März 1850 die Polizei den Ortspolizeibehörden überwiesen ( Horn , Medicinalwesen I. S. 107. 108. Rönne , Strafrecht II. 361). In ähnlicher Weise hat die bay- rische Gesetzgebung im neuen Polizeistrafgesetzbuch den gesundheitsge- fährlichen Verkehr mit „ekelhaften (?), verdorbenen oder schädlichen Nah- rungsmitteln“ bestraft (Art. 132) und die Uebertretung der ortspoli- zeilichen Vorschriften über den „angeordneten Beschein“ mit Bußen be- legt (Art. 131). — In Württemberg : Strafe des Strafgesetzbuchs für wissentliche Fälschung (Art. 270), und polizeiliche Strafe für Un- vorsichtigkeit und Fahrlässigkeit nach dem Polizeistrafgesetzbuch (Art. 41), nebst einer Reihe von einzelnen Polizeiverordnungen bei Roller Polizei- recht §§. 141—156. Königreich Sachsen : die polizeilichen Verord- nungen aus dem vorigen Jahrhundert gelten noch jetzt zum Theil bei Fleisch und Brod ( Funke , Polizeigesetze des Königreichs Sachsen III. S. 234—257). Aufstellung von Fleischbeschauern in allen Ge- meinden, nebst Pflicht der Anzeige. Sachsen-Meiningen (Verordnung vom 11. März 1865). Viele Verordnungen wegen der Trichinen in neuester Zeit. Sachsen-Weimar (Verordnung vom 1. Februar und 5. Mai 1866). Braunschweig (Verordnung vom 15. März 1866). In Belgien hat sich der Code Pénal Art. 301 und 318 im Wesent- lichen an das französische Recht angeschlossen; das Gesetz vom 19. Mai 1829 aber hat die Grundsätze für das Polizeirecht der schädlichen Stoffe bestimmt, die durch das Gesetz vom 17. März 1856 weiter ausgeführt sind, auch hier mit genau durchgeführter Unterscheidung des Betruges ( falsifications ) und der matières nuisibles. Die Polizei hat die Ge- meinde. ( De Fooz Droit adm. belge III. S. 133—138.) Ueber Holland finde ich nichts. — Was England betrifft, so ist keine eigene Gesetz- gebung über die Polizei der Nahrungsmittel; die Public Health Act (1848) hat den Gemeinden das Recht gegeben, dagegen zu schützen, ohne alle bestimmte Vorschriften, ein Verhältniß, was Gneist (Englisches Verwaltungsrecht VI. §. 113) mit großem Recht als das „bequeme Aus- stellen eines Blanquetts“ bezeichnet, „dessen Ausfüllung in der Discretion der Gemeindebeamten liegt.“ Doch ist man im Fortschritt. Die Bake- houses Regulation Act 1865 (26. 27. Vict. 40) enthält übrigens neben den Vorschriften über Reinlichkeit der Bäckerei auch die Bestimmung, daß Knaben unter 18 Jahren von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens von der Arbeit frei seien, und daß die Gemeindebehörden darüber bye laws machen und Inspection halten können. Das Statut 26. 27. Vict. 117 gibt ferner dem Diener des Inspector of Nuisances das Recht, alle verkäuflichen Nahrungsmittel selbst zu untersuchen, die Sache gerichtlich anhängig zu machen, und das Justice of peace kann für jedes ver- dorbene Stück eine Buße bis 20 Pf. auferlegen! Baden : Polizei- Strafgesetzbuch, §. 93 ff. II. Giftpolizei. In der Geschichte und Entwicklung der Giftpolizei sind zwei Stadien zu unterscheiden, an die sich die große Masse der einzelnen Verordnungen anschließt, und die in unserer Zeit die beiden Gebiete derselben bilden. Das erste Stadium und mit ihm der erste Theil derselben beruht auf der Ansicht, daß das Gift nur als spezifische Substanz existire, und daß daher die Aufgabe der Polizei in der gesetzlich möglichst ge- nau geregelten Bewachung dieser Substanz im Besitz und Verkehr bestehe. Daraus sind alle Verordnungen über Gifthandel entsprun- gen. Das zweite Stadium — neunzehntes Jahrhundert — beginnt mit der Erkenntniß, daß einerseits das Gift als Beimischung anderer Substanzen, namentlich der Farben, erscheint und hier viel gefährlicher wirkt, was dann die Farbenpolizei in allen ihren verschiedenen For- men erzeugt, andererseits daß eine Menge anderer, bisher nicht als giftig erkannter Substanzen, darunter namentlich industrielle Produktions- mittel, giftig wirken, wogegen die Polizei unmächtig ist. Die Gift- polizei, in Gifthandel und Farbenpolizei sehr rationell und genau aus- gebildet, muß sich daher gestehen, daß sie mit jenen beiden Punkten das Erreichbare geleistet hat. Die Lehre von den Giften, als Theil der gerichtlichen Medicin und als fachmännisches Beweisverfahren gehört dagegen nicht zur Lehre vom Gesundheitswesen, sondern in die Chemie und Pathologie. Die Giftpolizei ist seit dem Entstehen der Medicinalpolizei vielfach ausführlich bei allen Hauptschriftstellern behandelt. Frühere Gesetzgebung namentlich bei Frank IV. 2. 1. — In England besteht — unseres Wissens — keine Gesetzgebung. — In Frankreich erste systematische Gesetzgebung (Declaration vom 25. April 1777); dann Ausführung durch Gesetz vom 21. Germ. a. XI und Ordonnanz vom 9 Niv. an XII. Das Gesetz vom 19. Juli 1845 hat die Giftpolizei direkt unter die Verwal- tung gestellt; die Ordonnanz vom 20. October 1849 dieselbe zu einem Gegenstande des Strafrechts , unter Competenz der Gerichte gemacht. Die Führung von Registern beim Gifthandel unter Bestätigung des Maire schon seit der früheren Gesetzgebung geregelt, sind die polizeilichen Giftregister durch Gesetz vom 10. November 1846. ( Tardieu , Dict. v. Poisons. Laferrière , Dr. adm. I. 1. 3. §. 3.) — Oesterreich : Gift- handel schon geordnet im Allgem. Sanitätsnormale 1770, neben ört- lichen Vorschriften. Neuere Ordnungen, Decr. vom 29. Juli 1829 und 24. Januar 1839; Aufstellung von vier Kategorien. — Farbenpolizei ( Stubenrauch , Verwaltungsgesetz I. 215 ff.) — Preußen : Schon im Allgem. Landrecht ( II. 8. 456). Gifthandel nur den Apothekern gestattet; Organisation der Verkehrs-Anweisungen vom 10. December 1800 und Regulativ vom 16. September 1836; Aufnahme der Bestimmungen in die Gewerbepolizei einerseits und des Strafgesetzbuchs andererseits (§. 345). Das System der preußischen Gesetzgebung ist ein sehr ausführliches und genaues, und übertrifft in jeder Beziehung das französische. Horn hat die betreffenden Bestimmungen vollständig gesammelt und wesentlich ge- ordnet (Preußisches Medicinalwesen I. S. 109 ff.) Gifthandel besonders S. 123 ff. und technische Anwendung S. 130 ff. (Vgl. auch Rönne , Staatsrecht II. 361 als kurze Uebersicht). Bayern : Ueber den Gifthan- del bestehen besondere Verordnungen vom 17. August 1834 und 25. Mai 1850; die Giftpolizei ist im Polizeistrafgesetzbuch Art. 114—116 enthalten ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 114). Die neueste Ordnung des ganzen Gift- und Geheimmittelwesens für Bayern enthalten mehrere Verordnungen vom 15. März 1866, welche zugleich den Verkehr und die Bereitung bestimmen. Württemberg ziemlich unvollständig ( Roller , §. 152). Dagegen im Königreich Sachsen sehr ausführlich. Grundlage Mandat vom 30. September 1823 mit Abänderung durch Mandat vom 9. Juli 1830. Farbenpolizei ebendas. S. 219 ff. Coburg (Verordnung vom 10. Februar 1864). Verbot von arsenikhaltigen Farben bei Kleidern; Verbot der Verwendung bleihaltiger Hüllen beim Tabak. — Sachsen- Meiningen (Verordnung vom 24. Februar 1865). — Hannover , Akten über Handel mit arsenikhaltigen Farben 1864 (Austria a. 1864. p. 183). — In England fehlt die ganze Gesetzgebung; eine Berechtigung zum Einschreiten kann höchstens aus der Nuisances Removal Act abgeleitet werden, ohne Verpflichtung dazu. — Belgien : Bestrafung der Ver- mischung verkäuflicher Waaren mit Gift (Gesetz vom 19. Mai 1826 und 17. März 1856). Mangel einer Polizei des Verkehrs und des Handels mit Giften ( de Fooz Dr. adm. belge III. 133). In Holland beschränkt sich die ganze Giftpolizei, von der de Bosch-Kemper gar keine Erwähnung macht, auf Anordnungen über die Verwahrung der Gifte in den Apotheken, und auf eine Reihe von gewöhnlichen Vor- schriften über den Verkauf von Giften aus den Apotheken (viertes Gesetz vom 1. Juni 1865, Art. 7 ff.). Baden : Polizei-Strafgesetzbuch, §. 831. III. Kurpfuscherei, Quacksalberei und Geheimmittel. Begriff und Recht der Kurpfuscherei hängen mit der ganzen Ent- wicklung des Medicinalwesens innig zusammen. Man kann den römisch- rechtlichen (privatrechtlichen) Standpunkt als denjenigen bezeichnen, der den Kurpfuscher zur Haftung für den durch ihn zugefügten Schaden verpflichtet; der ständische Standpunkt ist der, vermöge dessen der Kurpfuscher verfolgt werden muß, weil er unter dem Schein der fach- männischen Bildung sich einen Erwerb schafft und den Erwerb der Be- rufsmänner beeinträchtigt; der polizeiliche Standpunkt endlich sieht in der Kurpfuscherei vor allem eine Gefährdung der öffentlichen Gesund- heit und nimmt die beiden andern Gesichtspunkte als untergeordnet, wenn auch nicht als unwichtig. Dadurch entstehen eigentlich zwei Be- griffe: die Quacksalberei , welche Heilmittel ohne fachmännische Bil- dung anwendet, ohne die letztere falsch vorzugeben, und die Kur- pfuscherei , welche es unter falscher Vorgabe derselben (unter Annahme des Doktortitels) thut; die letztere enthält natürlich immer die erstere. Das Rechtsprincip ist, daß die letztere schon als Verletzung des öffent- lichen Vertrauens strafbar ist, die erstere aber nicht wegen der in ihr enthaltenen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit an sich, da sich vor dieser jedermann durch Nichtbenutzung des Quacksalbers selbst schützen kann, sondern dadurch, daß der letztere den Mangel an Bildung mißbraucht, auf dem seine Benutzung beruht. Die Strafbarkeit der Quacksalberei sollte daher nicht absolut, sondern von Fall zu Fall, und zwar nur entweder nach dem Bildungsgrade der Behandelten (ob sie mit Bewußtsein den Quacksalber gebraucht haben) — oder nach der Natur der angewendeten Mittel eintreten, und die noch geltende Strenge der ständisch-polizeilichen Standpunkte darnach gemildert werden. Frank hat zuerst die Quacksalberei von einem freieren, historischen Standpunkt behandelt. Bd. VII. 221 ff. Römisches Recht l. 132 d. R. J. (culpae reus est) l. 7 l. de prof. et med. (nemo nisi exami- natus medicinam exerceat). Seit Auftreten der gebildeten Aerzte ge- winnt das ständische Recht die Ausschließlichkeit beider und bleibt von da an mit großer Strenge auf dem ganzen Continent. Nur England , das keine strenge Universitätsbildung hat, behält den römischen Grund- satz der freien Praxis mit privater Verantwortlichkeit bei. In Deutsch- land dagegen wird das Bestehen der Prüfung Grundsatz. Reichs- kammergerichtsordnung I. 18; die C. C. Carolina 134 macht dann ein Vergehen aus der Kurpfuscherei. Dieß wird allgemein auf dem Continent. — Frankreich . Allgemeines Verbot der Heilung ohne den Erwerb eines Universitätsgrades (Verordnung vom 18. März 1707). — Oesterreich . Gesetzliche Verbote seit 1671 (s. auch Sonnenfels III. 180; Kopetz II. §§. 779—782). — Preußen . Verordnung vom 9. Oktober 1713 gegen Afterärzte: dann aufgenommen im Allge- meinen Landrecht II. Art. 706—709. — Kurbraunschweig . Ver- ordnung vom 11. Nov. 1718. — Baden . Verordnung vom 14. Juni 1725; zum Theil mit schwerer Strafe gegen Diejenigen, welche die Quacksalber gebrauchen. Diese Bestimmungen sind öfter wiederholt (s. Berg , Polizeirecht II. 3. 2. 3). — Mit dem neunzehnten Jahrhun- dert gewinnt das Rechtsgebiet nun eine feste Gestalt. Die Ausbreitung der fachmännischen Bildung wird allgemein, die Apotheken entstehen auf allen Punkten, und so wird es den Gesetzgebungen möglich, aus den allgemeinen Verboten zu ganz bestimmten Vorschriften überzugehen. Der Charakter derselben ist sich ziemlich gleich. Die Ausübung der Heilkunst wird an die Bedingung der fachgemäßen Bildung und der Bestätigung derselben durch eine gesetzliche Prüfung geknüpft und der Verkauf von Arzneimitteln auf die, unter administrativer Aufsicht stehenden Apotheken beschränkt. Daher denn kommt es, daß die Strenge des Rechts der Kurpfuscherei und Quacksalberei von dem Vorhandensein und der Organisation der medicinischen Fachbildung abhängig wird, so daß in den Ländern, wo dieselbe nicht oder schlecht vorhanden ist, der Begriff und das Recht der ersteren ganz wegfällt, wie in England bis zur neuesten Zeit, die Quacksalberei dagegen unter die Polizei der gesundheitsgefährlichen Substanzen (als Gifte) fällt, vorausgesetzt, daß nicht auch diese fehlt , wie in England. Das Bild des englischen, wahrhaft elenden Zustandes in dieser Beziehung bei Gneist (Englisches Verwaltungsrecht §. 113. S. 1169). Hier hat erst die Medical Act 1858 eine schwache Abhülfe gegeben, indem der Unterschied zwischen ge- prüften und nicht geprüften Aerzten allein darin besteht, daß die letzteren keine Klage auf ihr Honorar haben! — In Frankreich finde ich weder einen Namen noch eine Bestimmung über Kurpfuscherei; die Gesetzgebung hat sich geholfen durch reichliche Vorschriften über Ge- heimmittel, die bereits mit Gesetz vom 21. Germ. an XII beginnt. Das Gesetz vom 19. Juli 1845 hat dann alle Geheimmittel einer strengen Oberaufsicht unterworfen. — In Deutschland ist das Verbot der Kurpfuscherei zu einem Corollar des Rechts der geprüften Aerzte ge- worden und allgemein anerkannt; zum Theil sogar in die Strafgesetz- bücher übergegangen. ( Preußisches Strafgesetzbuch §. 119.) Bayern . ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 117.) Vorschriften über Verkauf von Ge- heimmitteln (Verordnung vom 13. Mai 1838); Strafen im Polizei- strafgesetzbuch Art. 112 ff. Württemberg . Bestrafung der Pfuscherei (Polizeistrafgesetzb. Art. 38). Rechtlicher Begriff derselben ( Mohl , Staats- recht II. 321). Polizeiliches Verbot der Geheimmittel (Polizeistrafgesetz- buch (von 1839) Art. 38. Roller a. a. O. §§. 142, 177). In Hol- land ist die Prüfung und das Recht der ärztlichen Praxis durch Gesetz vom 1. Juni 1865 neu geregelt; ein Verbot der Praxis nicht ge- prüfter Aerzte sehe ich hier so wenig als in Belgien. Die Quacksalberei fällt hier wie in Frankreich unter die Giftpolizei. IV. Todten- und Vegräbnitzpolizei. Die Todten- und Begräbnißpolizei hat einen ganz bestimmten Ent- wicklungsgang gehabt, durch den sie ihre gegenwärtige, sehr ausgebildete Gestalt allmählig empfangen hat. Sie beginnt mit der Todtenbeschau als gerichtlichem Act, um durch Constatirung der Todesart den Beweis eines Verbrechens möglich zu machen; in England mit der Coroners Jury; ähnliche Institutionen in vielen deutschen Stadtrechten. An dieselbe schließt sich dann die Begräbnißordnung , ursprünglich nur als Sicherung gegen Begraben von Scheintodten, mit einfacher Bestimmung der Zeit, innerhalb deren das Begräbniß stattfinden darf. Erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden beide in der Weise verbunden, daß eine Todtenbeschau als Constatirung des Todes in ge- sundheitspolizeilichem Sinne dem Begräbniß vorausgehen muß. Diese Todtenbeschau hat dabei theils einen gerichtlichen Charakter (mit Zeugen), theils einen ärztlichen; sie gehört daher auch jetzt noch theils der gericht- lichen, theils der Sanitätspolizei. An sie schließt sich dann aber ein von der alten Begräbnißordnung wesentlich verschiedenes eigentliches Begräbnißwesen , das fast ausschließlich gesundheitspolizeilicher Natur ist. Dasselbe enthält wieder einzelne bestimmte Gebiete. Man kann dieselben wohl in folgender Weise bezeichnen. Die Begräbnißord- nung bestimmt die Zeit und wie in Frankreich zum Theil auch die materielle Ordnung des Begräbnisses ( pompes funèbres ). Die Leichen- kammerordnung enthält die Bestimmungen über die Errichtung und Benützung der Leichenkammern. Endlich die Friedhofsordnung , beginnend mit der Entfernung der Friedhöfe aus den Kirchen und Städten, wird zu einer zum Theil sehr ausgebildeten Organisirung der Ordnung der Begräbnißplätze. Die Einführung der Codifikationen mit dem Anfang unseres Jahrhunderts hat nun den wesentlich juristischen Theil dieser Bestimmungen in die bürgerlichen Rechtsbücher verlegt und die Befolgung der gesundheitspolizeilichen Vorschriften mit gesetzlichen , statt den früheren rein polizeilichen Strafen gesichert. Daneben haben die Organe der Gesundheitsverwaltung das Recht behalten, verordnungs- mäßige Bestimmungen zu erlassen, zugleich aber sind in einzelnen Staaten ausführliche und systematische Instruktionen für Todten- und Be- gräbnißpolizei erlassen, so daß das Ganze ein sehr abgerundetes System bildet. Doch ist das geltende Recht der einzelnen Länder auch hier sehr verschieden. In England besteht die Todtenpolizei nur als (strafgericht- licher) Act der Coroners Jury, und die Begräbnißpolizei ist gesetzlich nur Friedhofspolizei, jedoch mit dem Vorrecht der Selbstverwaltung ( bye laws ), die überhaupt das Gesundheitswesen wenig fördert. In Frankreich hat die Todtenpolizei vorwiegend einen bürgerlich-rechtlichen Charakter und ist der Ordnung des Etat civil einverleibt, wobei das sanitäre Element selbständig fast nur in der Friedhofsordnung erscheint. In Deutschland dagegen ist ein reiches Material sowohl für die Todten- beschau, als für die Begräbniß-, Leichenkammer- und Friedhofsordnung, wobei das juristische Element deutlich geschieden und das sanitäre nament- lich durch genaue Instruktionen wenigstens in einigen Staaten trefflich geordnet ist. Hier sind die deutschen Bestimmungen unzweifelhaft als Muster anzusehen; freilich auch hier wieder nach der Regel, daß alle Gesundheitsverwaltung nach der Dichtigkeit der Bevölkerung steigt, in den großen Städten viel ausgebildeter als auf dem flachen Lande, wo fast nur den Anforderungen der Standesregister Rechnung getragen wird. Gesetzgebung. England . Ueber die Coroners Jury als ge- schworne Todtenbeschau siehe u. a. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht. Die Begräbnißordnung auch jetzt noch ohne Gesetz; Leichenkammern mangeln. Die Friedhofsordnung von 1832 ganz den öffentlichen Vor- schristen überlassen. Durch die Cholera entsteht die Erkenntniß von der Gefahr dieses Zustandes; daher denn der erste, sehr unfertige Beginn einer Gesetzgebung. Zuerst wird das Begräbnißwesen der Armen auf das Minimum des Anstandes gebracht: 7. 8. Vict. 101. Dann aber auf Rapport der Commission 1843 eine gesetzliche Friedhofsord- nung eingeführt, 10. 11. Vict. 65 Cemeteries Clauses Act (zugleich in Beziehung auf Expropriation zum Zweck der Friedhofsanlage). Die Public Health Act 11. 12. Vict. 63 bestimmte die Unterordnung des Begräbnißwesens unter die Board of Health, und gab das Recht zur Vornahme von Expropriationen für neue Begräbnißplätze; 12. 13. Vict. 111 Herstellung einer Oberaufsicht des Board of Health aus dem Ge- sichtspunkt der Nuisances Act, mit Verordnungsrecht für den Inspektor. 13. 14. Vict. 52 neue Friedhofsordnung für London; endlich wird 16. 17. Vict. 134 die allgemeine Friedhofsordnung für England, mit den beiden leitenden Grundsätzen, daß die Auflösung und Anlegung von Friedhöfen durch Ordre in Council bestimmt und Begräbnißregister geführt werden sollen. Große Klagen über den gegenwärtigen Zustand; (Report von 1850. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §§. 31, 56, 111, 112, 113). Nach 18. 19. Vict. 128 können in den kleineren Gemeinden Burial boards constituirt werden, wo sie nicht nach 17. 18. Vict. 87 ohnehin schon (in den incorporirten Städten) Sectionen des Gemeinderathes sind. Registrirung der Begräbnisse 27. 28. Vict. 97 (Austria 1865). Ueber den Gesichtspunkt der öffentlichen Schädlichkeit verkehrt angelegter Friedhöfe ist diese ganze Gesetzgebung nicht hinaus- gekommen. — Frankreich . Die früheren örtlichen und zum Theil sehr unvollkommenen Bestimmungen als Theil des Instituts des Etat civil geordnet. Die Todtenbeschau ist ein Theil des Standesregisters. Der Acte de décès vom Officier de l’état civil mit zwei Zeugen auf- genommen, der zugleich die Indicien des gewaltsamen Todes zu sam- meln hat; das Ergebniß der Todtenbeschau wird in das Sterbregister eingetragen. ( Cod. civ. a. 78—82.) Die Begräbnißordnungen waren im vorigen Jahrhundert lokal und verschieden; die erste allgemeine Fried- hofsordnung mit speciellem Verbot der Begräbnisse in Städten und Kirchen (Ordonnanz vom 10. März 1776). Dieses Gesetz ward wieder dem gegenwärtigen Hauptgesetz vom 2. Juni 1804 zum Grunde gelegt und das letztere wesentlich erweitert und geordnet durch die Ordonnanz vom 6. Dec. 1843, Bestimmung der Anlage und Entfernung der Fried- höfe; Verpflichtung der Gemeinden zu neuen Anlagen; Verbot der Er- richtung von Wohngebäuden und Brunnen in der Nähe; Bestätigungs- recht der Behörden für Inschriften (!) und Denkmäler. ( Trébuchet, Cimetières, Dictionnaire de l’hygiène publique ). Die Todtenbeschau ist in den größeren Städten durch médecins vérificateurs des décès unter einem médecin inspecteur des décès eingerichtet. Die Begräbniß- ordnung ist sehr genau geregelt. Der Ortspfarrer darf nur bei, vom Maire erlaubten Begräbnissen zugegen sein, bei Buße ( décr. 3 therm. XIII ); der Leichenzug wird polizeilich vorgeschrieben (Dekret vom 8. Mai 1806). Die Leichen kosten , in England unglaublich hoch, wurden in Frankreich gesetzlich geregelt (Dekret vom 18. März 1806). Ebenso sind die Ausgrabungen nur bei Buße, unter Bewilligung der Be- horde und bestimmten Formen gestattet; man unterscheidet die exhuma- tion par la famille, par décision administrative und par autorité judiciaire. (S. Trébuchet a. a. O. Inhumation. Block , v. Mort, Pompes funèbres, inhumation: Dictionnaire de l’Administration. ) — Deutschland . Altes Recht: „Man soll den todten nicht pegraben, man trage yn denn voran für rathauz“ (Städterecht von Ofen, Bam- berg, Magdeburg; Schöffenrecht u. a. Osenbrüggen , Gastgerichte der Deutschen im Mittelalter 73). Die Todtenbeschau wird dann im vorigen Jahrhundert ziemlich allgemein vom Gesichtspunkte des Schutzes gegen Scheintod. Die Begräbnißordnung schreibt schon frühe eine Zeit von 24 Stunden nach dem Tode vor ( Preuß . Kirchenordnung 1568; ebenso Sachsen , 1713); doch noch hauptsächlich als kirchliche Funktion. ( Oesterreich . Verordnung seit 1721; Kopetz II. 848.) Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts tritt das sanitäre Element in den Vorder- grund. — Oesterreich . Organisirung der Todtenpolizei seit 1770; erste allgemeine Verordnung von Maria Theresia vom 1. August 1766. Seit 1780 mehrere Beschauordnungen; Aufgabe: Krankheitsbeschreibung, Todtenbeschau, gerichtliche Beschau (mit Wundärzten). Nachfolgende Beschauordnungen für die einzelnen Kronländer bis 1838. ( Stuben- rauch , Verwaltungsgesetzkunde II. 309.) Aufstellung eigener Todten- beschauer von Seiten der Gemeinden; diese sollen regelmäßig Aerzte sein; strenge und ausführliche Instruktionen für dieselben; Aufgabe: Gewißheit des Todes, ansteckende Krankheiten, gewaltsame Todesart. Specielle Instruktion für die gerichtliche Todtenbeschau (Verordnung vom 28. Januar 1855 und 8. April 1857). Errichtung von Leichenkammern mit eigenen Wächtern schon seit 1756. ( Kopetz , Polizeigesetze II. 849 und 686. Sonnenfels I. 185.) Todtenbeschau und Begräbniß der Armen: unentgeldlich seit Dekret vom 21. Nov. 1773. ( Stubenrauch II. §. 359.) Friedhofsordnungen : Verbot der Beerdigung in Kir- chen seit Verordnung vom 30. Januar 1751; erste allgemeine Fried- hofsordnung vom 24. Aug. 1784; folgende Verordnungen bei Kopetz a. a. O. und Stubenrauch II. 207. Viele gleichartige Bestimmungen Stein , die Verwaltungslehre. III. 5 aus dem vorigen Jahrhundert in den übrigen deutschen Staaten; namentlich die Aufhebung der Friedhöfe in den Städten. ( Frank , Medicinalpolizei IV. 2. 5. Berg , Polizeirecht IV. 534. Erhardt III. 450.) — Preußen . Aufnahme der (pfarramtlichen) Todtenbeschau in das Allg. Landrecht II. 11 §. 184. Die bürgerliche Beglaubigung der Sterbefälle durch Eintragung in ein gerichtlich zu führendes Register (Verordnung vom 30. März 1847). Die Constatirung des Todes und Verhütung von Scheintod schon grundsätzlich angeordnet Allg. Land- recht II. §. 476. Ausgeführt mit Verweisung auf besondere Polizei- verordnung, speciell in Beziehung auf Scheintodte und Ansteckung. Instruktion vom 31. Oktober 1794; Rescript vom März 1827 (Be- gräbnißzeit); Rescript vom 15. Juni 1822 (Begräbnißordnung). Strafe: Strafgesetzbuch §. 345. Leichenkammern : einzelne Erlasse ( Rönne und Simon , Preußisches Medicinalwesen II. 503 ff.; Horn , Medicinal- wesen I. 162—170). — Bayern . Hier bestehen nur einzelne allge- meine Verordnungen über Begräbnißplätze ( Döllinger , Bd. VIII. 1172—1175; Pözl , Verwaltungsrecht §. 114; das Polizeistrafgesetz- buch a. 109—111). Die ganze Todten- und Begräbnißpolizei ist hier Sache der Ortsbehörde. — Württemberg : Beerdigungsfrist und Sicherung gegen Scheintod ( Roller §. 36). Leichenschauer; vorherige Besichtigung durch dieselben; Führung von Registern und Jahresberichte (Normalinstruktion vom 20. Juni 1833). Strafe der zu frühen Be- erdigung (Polizeistrafgesetzbuch Art. 33). — Königreich Sachsen . Alte Begräbnißordnung vom 13. Februar 1801. Einführung der Todten- beschau (Gesetz vom 22. Juni 1841) nebst Instruktion (von demselben Datum). Einrichtung von Tabellen. Zugleich Errichtung von Leichen- häusern und Leichenkammern und Belehrung für nichtärztliche Todten- beschauer (vollständig bei Funke , Polizeigesetze III. S. 405—434). Die neue Gesetzgebung beruht auf den sehr weitläufigen und gründlichen Bestimmungen: die Leichenbestattungen und die Einrichtung des Leichen- dienstes betreffend vom 20. Juli 1850 nebst Vollzugsverordnung von demselben Datum. ( Funke V. S. 535 vollständig.) Von andern Staaten habe ich nichts erfahren können. Im Allgemeinen dürfte man sich nach den Grundsätzen über die Standesregister (Begräbnißlisten) richten. (S. Stein , Verwaltungslehre I. Bd.) — Die belgische Ge- setzgebung reiht sich ganz der französischen an mit dem Acte de décès (Code civ. 77), und jede Beerdigung muß vom officier de l’état civil von einer voraufgehenden Untersuchung begleitet sein. ( Code civ. a. 81.) Begräbnißordnung nach dem französischen Gesetz ( décr. 23 Prair. XII ); Feierlichkeiten (Decr. vom 18. Mai 1806). Friedhofso rdnung: die Friedhöfe stehen unter der örtlichen Polizei; Recht der Friedhöfe. Der Code pénale 360 enthält die Strafpolizei des Begräbnißwesens ( de Fooz , Dr. adm. belge III. T. II. p. 138—164). Das holländische Recht überträgt die Scheintodten- und Begräbnißpolizei den Gemeinden ; Begräbnißzeit 36 Stunden ( de Bosch-Kemper a. a. O. S. 316—318). V. Höhere und niedere Baupolizei. Die Baupolizei hat zur Aufgabe, die öffentliche Gesundheit gegen die in Bau und Anlage der Wohnungen liegenden Gefahren zu schützen. Die niedere Baupolizei bezieht sich dabei auf die einzelne Wohnung; die höhere dagegen auf die Gesammtheit aller Bedingungen der Ge- sundheit, welche mit den Wohnungen zusammenhängen. Die niedere ist daher wesentlich eine Polizei des Baues, die höhere eine Polizei der Anlagen. Beide sind ihrer Natur nach zuerst rein polizeilich, die Ge- sundheit durch einzelne Vorschriften vor einzelnen Gefahren schützend; sie werden allmählig von umfassenderer Bedeutung, und gewinnen in den letzten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts einen positiv fördernden, socialen Charakter. Ihre historische Entwicklung ist namentlich mit Hin- blick auf die Zukunft von großem Interesse. Die Baupolizei beginnt mit der niederen Baupolizei in den Städten zunächst als Ortsrecht. Ihr positiver Inhalt erscheint zuerst als eine Sicherheits polizei, und zwar theils gegen Feuersgefahr, theils gegen Einsturz. Das sanitäre Element tritt dann auf in der Polizei der öffentlichen Reinlichkeit theils auch in der Friedhofspolizei. Mit dem Entstehen eigener oberster Organe für die Gesundheitsverwaltung werden dann auch die Vorschriften für das Bauwesen allgemeiner ; dabei aber löst sich das sicherheitspolizeiliche Element selbständig als eigentliches Bauwesen von der Gesundheitsverwaltung los, und über- nimmt die Sorge für Feuer- und Einsturzsicherheit; dagegen erscheint das sanitäre Element wiederum selbständig in den Bewohnungs- Consensen , die gleichfalls mit dem vorigen Jahrhundert entstehen, und sich bis in unsere Zeit erhalten, obgleich sie den Charakter eines rein socialen Rechts haben. Indessen beziehen sich noch alle diese Vor- schriften auf die niedere Polizei der Einzelwohnungen. Zugleich aber beginnt die Wissenschaft sich mit der Frage zu beschäftigen. Franks Darstellung, mustergültig, ist die erste wissenschaftliche Grundlage für die höhere Baupolizei, indem er zuerst die Anlage, die Bauart der einzelnen Häuser in Beziehung auf die großen physiologischen Elemente von Licht, Luft und Wasser und die öffentliche Reinlichkeit als die großen Bedingungen der Gesundheit hinstellt. (Bd. III. 4. und Bd. IV. 1.) Die Verwaltung wird dadurch jedoch mehr angeregt als gefördert. Das für diesen Theil der Verwaltung entscheidende Ereigniß war erst die Cholera. Seit 1830 beginnt eine Bewegung in ganz Europa, welche die Grundsätze der höheren Baupolizei praktisch, namentlich in den großen Städten durchführt, und indem sie gerade die Wohnungsverhältnisse der niederen Klasse als die Herde der Krankheit und der allgemeinen Ge- fahr erkennt, und zuerst die Herstellung gesunder Wohnungen ernstlich als Aufgabe der Verwaltung in die Hand nimmt, nachdem die Gesund- heit der Schulbauten schon früher, vereinzelt, vielfach berücksichtigt war. Von diesem Standpunkte war nur ein Schritt zu dem weiteren, die Arbeiterwohnungen neben dem sanitären zugleich vom socialen Ge- sichtspunkte zu betrachten, und mit der Gesundheit auch für die Billig- keit und Zweckmäßigkeit derselben zu sorgen. Dafür sind jedoch nur noch einzelne Schritte in den großen Städten geschehen. Vernach- lässigt dagegen ist das Gesundheitswesen der Werkstätten des Ge- werbes , während das der großen Fabrikslokalitäten gut besorgt ist. Hier würden die Vereine der Aerzte viel, oft fast allein, wirken können. Neben dieser Bewegung geht die niedere Baupolizei, die nicht minder wichtig ist, ihren Weg, und es ist nicht zu verkennen, daß auch in ihr das sanitäre Element immer mehr Geltung gewinnt. Doch läßt es sich nicht läugnen, daß man bis jetzt in den Principien und For- derungen viel weiter ist, als, aus naheliegenden Gründen, in der Aus- führung. Ehe die alten Uebelstände beseitigt sind, werden wir noch ganze Generationen brauchen. Die ganze Baupolizei hat nun in den einzelnen Ländern eine sehr verschiedene Entwicklung gehabt, und daher auch eine sehr verschiedene Organisation gefunden, obgleich der Grundzug derselbe ist. Frankreich hat auch hier die einheitliche Gesetzgebung mit all ihren Vortheilen und Nachtheilen ausgebildet, die Vollziehung aber wie immer unter beinahe vollständiger Ausschließung der Selbstverwaltung in die Hände der Be- hörden gelegt. England hat dagegen vorzugsweise einzelne Gesetze erlassen, und die Selbstverwaltung, jedoch zuletzt unter Aufsicht der amtlichen, auch hier die Ausführung übergeben. Es kann gesagt werden, daß für England der Schwerpunkt aller Gesundheitspolizei , unter starker Vernachlässigung der übrigen Theile derselben, überwie- gend eben in der gesetzlichen Entwicklung der höheren Baupolizei liegt, die selbst erst in Folge der Cholera entstanden ist. In Deutschland endlich ist zwar das Bauwesen meist trefflich ausgebildet, und daher die niedere Baupolizei vielleicht die beste der Welt; die höhere dagegen ist nirgends zu einem durchgreifenden gesetzlichen System entwickelt, son- dern fast ganz der örtlichen Selbstverwaltung überlassen. Die Gesund- heitsverwaltung wird hier nicht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, durch die große und kleine medicinal-polizeiliche Literatur unterstützt, und die Aerzte thun nicht alles, was sie thun könnten. Seit Frank, Schütz, Frankenau u. A. ist über dieß ganze Gebiet wenig ge- schrieben worden, und nur die Verwaltungsgesetzbücher führen es, nur zu oft in nebensächlicher Weise, in Einzelheiten fort. England . Die einzige uns bekannte Darstellung des englischen Baupolizeiwesens bei Gneist , Engl. Verwaltung §. 111. 112. Vor unserem Jahrhundert wohl einzelne, aber fast nur örtliche Gesetze. Erst nach der Cholera brach sich die Nothwendigkeit Bahn, eine organische Gesetzgebung zu erlassen, und diese ist es, welche in drei verschiedenen Stadien das gegenwärtig geltende Recht gebildet hat. Das erste Sta- dium enthält die einzelnen Gesetzgebungen über die einzelnen Gebiete der höheren und niederen Gesundheitspolizei. Den Beginn bilden die Bauordnungen ( Building Acts ) die erste von 1774. 14. Georg. III. 78. war vorzugsweise noch reine Sicherheitspolizei. Von da an geschieht nichts, bis die Cholera mit ihren ernsten Folgen die Nothwendigkeit gründlicher Abhilfe zeigt, was um so faßbarer war, als in England überhaupt kein öffentlich rechtliches Bauwesen und kein Begriff und Recht fachmännisch gebildeter Ingenieure besteht. Entwurf von 1841 für eine gesundheitspolizeiliche Bauordnung; daraus die Building Act 7, 8 Vict. 84 mit Organisirung des gesammten Bauwesens und der Straßeno rdnung (s. Gneist I. 114. II. 111); die Waterworks Clauses Act 1847. 10, 11 Vict. 17, und die Gasworks Clauses Act. eod. gehören schon der gewerblichen Polizei. Die Cimeteries Clauses Act 10, 11 Vict. 65 (Friedhofsordnung vom sanitären Standpunkt (s. oben). Die einzelnen polizeilichen Bestimmungen werden dann nach der Sitte der englischen Legislation zusammengefaßt in Towns Improvements Clauses Act 1847 (Straßenwesen und Bauwesen der Städte. Erweiterung der früheren Bestimmungen). Jedoch ist noch immer der örtliche Charakter vorherrschend. Die, von jeder Oberaufsicht entfernte Ortsverwaltung mit all ihren Mängeln hat allein die Ausführung der bestehenden Ge- setze. Die zweite Epoche des Jahres 1848 macht nun aus dem Ganzen die Grundlage des allgemein gesundheitspolizeilichen Systems, und zwar einerseits durch die zwei großen Nuisances Removal and Diseases Prevention Acts von 1848 11, 12 Vict. 123, und 1849 12, 13 Vict. c. 111, welche den Grundsatz der civilrechtlichen Haftung der Orts- verwaltung für öffentliche Reinlichkeit und sanitäre Ordnung durchführen und die Acte for Promoting the Public Health 1848. 11, 12 Vict. 63, welche die örtliche Gesundheitsverwaltung in Beziehung auf alle höhere und niedere Baupolizei auf Grundlage der Selbstverwaltung organisiren. Dieß geschieht durch die Local Boards of Health. Das berufsmäßige Element ist dabei jedoch nur vertreten durch die amtlichen Inspek- toren und durch das Princip der Bestätigung ihrer bye Laws durch den Minister des Innern, bei dem die höchste Sanitätsbehörde, jedoch wesentlich nur für die Baupolizei, früher als das General Board of Health, jetzt als Departement des Privy Council, eingesetzt wird (das englische Collegium Sanitatis ). Auf dieser Grundlage entwickelt sich nun die allgemeine Gesetzgebung und Verwaltung der Gesundheitspolizei der dritten Epoche; in Beziehung auf die Grundsätze der Verwaltung durch die neueste Nuisances Act von 1855 18, 19 Vict. 121, welche die frühere aufhebt, und die englische Codification der höheren Bau- polizei ist; in Beziehung auf den Organismus der Verwaltung durch die neue Local Governement Act 1858 21, 22 Vict. 98; zwar auf Grundlage des Klagrechts und der Selbstverwaltung aber doch mit Oberaufsicht des General Board of Health. Die Sewage Utilisation Act 1865 (28, 29 Vict. 75) bezieht sich zwar nur auf die Anlage von Abzugskanälen für flüssigen Dünger, enthält jedoch einige wesentliche sanitäre Momente, namentlich den, daß kein Abzugskanal in einen Fluß gelenkt werden darf. Was London speziell betrifft und seine locale Bau- ordnung s. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 115. Zugleich ward die Labouring Classes Lodging Houses Act 1831 (14, 15 Vict. 34) erlassen, mit der speziellen Aufgabe, die Erbauung für gesunde Arbei- terw ohnungen zu fördern; wornach die Erbauung derselben durch die Gemeinde von derselben beschlossen werden kann. Hier ist daher ein bedeutendes Fortschreiten unverkennbar. Allein, wie schon früher bemerkt, liegt auch für diesen Theil der Gesundheitspolizei die Gefahr in der viel zu großen Unabhängigkeit der örtlichen Behörde, auf welche auch in Beziehung auf die Baupolizei gilt, was Gneist über die Local Government Act sagt. Frankreich . Während in Frankreich die Aufgaben und die Noth- wendigkeit namentlich der höheren sanitären Baupolizei zuerst und wohl am besten theoretisch untersucht sind, bleiben Gesetzgebung und Verwal- tung dagegen sehr zurück; wesentlich wohl wegen des Mangels an Thä- tigkeit der Selbstverwaltung. Grundsatz: der Maire hat die Baupolizei zu handhaben, und die Commissions d’hygiène publique sind nur bera- thende Körper. Diese ganz allgemeinen Principien gewinnen nun auch hier erst Gestalt nach dem Auftreten der Cholera 1830. Die centrale Verwaltung beginnt die Sache in die Hand zu nehmen. Die bis dahin bestehenden Gesetze, welche mit 1790 beginnen, haben im Grunde nur noch die Sicherheitspolizei für Bau und Communikation im Auge. Die einzige bedeutende Erscheinung ist die Gesetzgebung über die gewerblichen Anlagen . Dieselben waren früher, wie alles übrige jetzt noch, „aban- donnés à la prudence des intendants.“ Erst das Decret vom 15. Oct. 1810 organisirte die Anlage im gesundheitspolizeilichen Sinne, am um- sichtigsten in Europa, durch Aufstellung der drei Classen der Etablisse- ments dangereux, insalubres und incommodes. Grundsatz, daß die erste Classe nur vom Staatsrath, die zweite vom Präfekten, die dritte vom Unterpräfekten erlaubt werden; das Gesetz vom 27. Januar 1837 zählt mehr als 300 Arten der Gewerbe auf, die dahin gehören. ( La- ferrière Dr. admin. T. I. 1. 3. nebst Literatur.) Etabl. dangereux ( Block , Dict. de l’admin.). Die sociale Seite der Verwaltung ward erst nachdrücklich in den Vordergrund gestellt durch den Rapport sur les habitations des classes ouvrières von Villerm é 1840; doch ist allerdings eine wesentliche Aenderung in den Verhältnissen nicht ein- getreten, während die gewerbliche, in den obigen Bestimmungen liegende niedere Sanitätspolizei streng entwickelt ist. Das ausschließlich berech- tigte Organ ist auch jetzt noch der Maire. Die Commissions des loge- ments insalubres in den einzelnen Gemeinden (durch Gesetz vom 30. April 1850 eingesetzt), haben nach Trebuchet noch nichts gewirkt. ( Block voc. hygiène publique. ( Levy Traité d’hygiène publique et privée 2 Bde. 1850. Baupolizei, speciell. I. 591.) Deutschland . Die deutsche Baupolizei liefert den Beweis, daß bei aller Entwicklung der Theorie doch erst entweder direkte Gefahr oder die Dichtigkeit der Bevölkerung dieselbe zur praktischen Ausbildung bringen. Franks Darstellungen blieben für die Gesetzgebung fast unbeachtet, selbst Berg schreibt nur Frank ab ( II. Bd. III. 2. Hauptst. 3). Das geltende Recht war im ganzen vorigen Jahrhundert nur Sicher- heitspolizei des Bauwesens, namentlich gegen Feuer. Das öffentliche Bauwesen hat sich unterdessen durch fachmännische technische Bildung im Baufache sehr gehoben; allein es ist ein großer Mangel, daß in dieser Bildung das Berücksichtigen des sanitären Elementes gänzlich fehlt. Die Anfänge sind jedoch vorhanden. Geschichte dieser Verordnung bei Frank IV. I. 1; das Beste über die Verbindung des sanitären mit dem sicher- heitspolizeilichen Standpunkt bei Kopetz , Oesterr. Polizeirecht II. §. 738 bis 748 ff. Oesterreich hat schon seit Maria Theresia eine Menge einzelner Verordnungen, die seit Joseph II. zu den allgemeinen Bau- ordnungen für ganze Länder und Städte führen. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 230 mit Literatur. Kopetz §. 749 ff. (Polizei- Maßregeln zur gesunden Beschaffenheit der Wohnungen). Spezielle Vor- schriften über den Bau von Schulhäusern (Kopetz 757); Versuche, durch Aufklärung bei dem Volke zu wirken; Einführung des Wohnungs- Consenses bei neuen Häusern seit Verordnung vom 15. Mai 1796 unter Zuziehung der Bezirksärzte. Zu einer Codification ist es nicht gekommen. Die gewerblichen Anlagen bedürfen nach dem Gewerbegesetz vom 20. December 1859 der Genehmigung in den bestimmt bezeichneten Fällen. Ebenso ist in Preußen eine allgemeine Bauordnung noch nicht erlassen, dagegen sind auch hier neben der Bau- und Feuersicher- heit vielfache einzelne Vorschriften aufgestellt. ( Rönne , Strafrecht §. 368.) Grundsatz hier wie in Oesterreich und so weit wir sehen in allen deutschen Ländern, daß die Baupolizei örtlich von den amtlichen Polizeibehörden gehandhabt wird, die auf Grund ziemlich allgemein lau- tender Gesetze wirken und natürlich wenig leisten. „Die Sanitätscom- missionen haben die Polizeibehörden zu unterstützen (?)“ (Reglement vom 8. Aug. 1835.) Die Anlage der Gewerbe stehen nach der Gewerbe- ordnung vom 17. Jan. 1845 §. 26 unter sanitärer Genehmigung; Auf- führung der einzelnen Gewerbe (Gesetz vom 1. Juli 1861). Die ein- zelnen örtlichen Polizeiverordnungen bei Rönne (Staatsrecht §. 361. Note 10). Ein höherer, das gesammte Bauwesen vom sanitären oder socialen Standpunkt beherrschender Gesichtspunkt ist gesetzlich nicht aus- gedrückt; es wird von örtlichen Verhältnissen abhängen, wie weit der- selbe zur Geltung kommt. (Vergl. Horn , Medicinalwesen I. 141—148.) Ganz ähnlich der Standpunkt der Verwaltung in Bayern, Pözl , Verwaltungsrecht §. 114, Verordnung vom 10. Mai 1853. Die bau- und sanitätspolizeiliche Besichtigung der Neubauten und der Ertheilung von Wohnungs-Consensen betreffend. Die hier enthaltenen Vorschriften werden dann im Polizei-Strafgesetzbuch Art. 180—186 mit polizeilichen Strafen sanktionirt. Es gilt dabei als Grundsatz, daß bei jedem Neubau ein Plan vorgelegt und derselbe behördlich genehmigt werden muß; Ab- weichungen und Unvorsichtigkeiten werden bestraft; leitende sanitäre Principien fehlen, und werden der Polizei überlassen. — Württem- berg . Alte Bauordnung von 1655; zunächst gegen Feuersgefahr, die Verordnung vom 13. Mai 1837 hauptsächlich für die Verhältnisse der Wege und Straßen. Eine Beziehung auf sanitäre Fragen und Gefahren existirt nicht, und ist wohl einfach der zufälligen Anschauung der Be- hörden überlassen. ( Roller , Polizeigesetz §§. 441. 715 ff.) Im König- reich Sachsen hat man sogar ausdrücklich von dem Princip der Woh- nungs-Consense Umgang genommen. ( Funke a. a. O. III. S. 268.) VI. Unmäßigkeitspolizei. Kinderarbeit. Die persönliche Gesundheitspolizei ist die Gesammtheit von Maß- regeln zum Schutze des Körpers gegen Gefährdungen der Gesundheit. Sie ist in gewisser Beziehung der wichtigste, aber auch der bedenklichste Theil der Gesundheitsverwaltung, da sie am tiefsten in die individuelle Freiheit hineingreift. Darauf beruht auch ihre zwar eng begränzte, aber immerhin interessante historische Entwicklung, die offenbar erst in unse- rem Jahrhundert bei einem positiven, wahrhaft förderlichen Standpunkt angelangt ist. Sie beginnt nämlich seit dem sechzehnten Jahrhundert mit dem Versuche, die Untergrabung der Gesundheit durch Unmäßigkeiten aller Art mittelst polizeilicher Verbote und Strafen zu hindern; Verbote der Völlerei, der großen Feste, des Trinkens starker Getränke, Kleiderord- nungen, Verhalten gegen Schwangere, daneben sanitäre Eheverbote u. a. Alle diese, namentlich in Deutschland stark wuchernden Maßregeln sind mehr bezeichnend für die Idee der Wohlfahrtspolizei als wichtig für das praktische Leben, da sie ohne Erfolg bleiben mußten. Erst die sichere Auffassung des Wesens der Gesundheit, wie sie Frank und An- dere geben, führte dahin, an die Stelle derselben positive, wahrhaft fördernde Grundsätze zu stellen. Diese nun haben in zwei Richtungen eingegriffen. Zuerst haben sie die Idee einer gesundheitlichen Er- ziehung ins Leben gerufen, und bereits, wenn auch in geringem Maße begonnen, die persönliche Gesundheitspolizei auf den Gewerbe- betrieb auszudehnen, wo aber noch sehr viel zu thun ist. — Dann aber haben sie die Erkenntniß gebracht, daß es überhaupt nicht so sehr Sache der amtlichen, als vielmehr der Selbstverwaltung sein müsse, hier wahrhaft förderlich einzugreifen; das ist nun richtig, allein es hat das wieder zur Folge, daß auch dieser Theil der Gesundheitspolizei von der Dichtigkeit der Bevölkerung abhängig wird, und dieser bis jetzt fast nur in großen Städten zur Geltung gelangt. Die gesundheitliche Erziehung erscheint nun hauptsächlich in zwei Gebieten. Sie fängt an mit der sanitären Ordnung für den Bau, die Luft-, Licht- und Raumverhältnisse der Schulhäuser , die zum Theil schon aus dem vorigen Jahrhundert stammen; in unserem Jahrhundert tritt die sanitäre Arbeitspolizei der Kinder in den Fabriken hinzu, daneben beginnt das eigentlich pädagogische Princip der leiblichen Er- ziehung in dem Turnunterricht aufzutreten, dessen große Vortheile zuerst Frank , Medicinalpolizei III. 3. 3. nachdrücklich und vortrefflich hervorhob. Gehört ist er genug, befolgt nur wenig. Nur das erstere kann als ein europäischer Theil des Verwaltungsrechts angesehen wer- den. Die physische Erziehung durch Turnunterricht gehört dem deut- schen Leben ausschließlich an, und ist auch hier noch nicht gemeingültig. Die allgemeinen Grundsätze für die hierin liegenden Forderungen sind nun so einfach, daß es eigentlich nirgends so sehr darauf ankam, sie wissenschaftlich zu formuliren, als vielmehr darauf, ihnen praktische ge- setzliche Geltung zu verschaffen, was allerdings schon einen hohen Stand- punkt der allgemeinen sanitären Bildung eines Volkes voraussetzt. Die polizeilichen Verbote in Beziehung auf die Gesundheit beginnen schon einzeln mit dem dreizehnten Jahrhundert; Speisegesetze in Arrago- nien 1234. Sie werden ziemlich allgemein seit dem sechzehnten. Zuerst erschienen die Gesetze gegen die Trunkenheit (Reform. Polizei 1530), dann 1548. Aufwandgesetze in Kursachsen schon seit 1482; Ritterorden gegen das Trinken 1517; Verbote des Tabakrauchens 1652; Verbot des heftigen Tanzens; Kleiderordnungen u. a. m. Hübsche Sammlung bei Frank , Medicinalpolizei III. 3. 1. und 2. — Ebenso Sorge für Schwangere ebendas. III. 3. Berg , Polizeirecht II. III. 2. 3. — Höchst reichhaltig an allerlei Vorschriften der Art über Erhitzung, Spiele u. s. w. Kopetz , Polizeigesetze Bd. II. §. 654—663. Ein Theil davon führt ein Scheinleben in Stubenrauch , Oesterr. Verwaltungsgesetzkunde II. §. 264 ff. Ebenso ausführlich, wohlgemeint und zugleich unpraktisch war die Gesetzgebung in Württemberg ( Roller , Polizeigesetze §§. 128. 225 u. a. O.) Gegenwärtig ist von diesen Dingen wohl keine Rede mehr, so weit es sich nicht um Sicherheitspolizei oder niedere Gesundheitspolizei handelt. Die Vorschriften über die Arbeit der Kinder in den Fabriken stammen aus unserem Jahrhundert. Sie gehören allerdings zugleich dem Unterrichts-, wie dem Hülfswesen und dem Gewerbewesen an. Hier nun ist kaum zweifelhaft, daß das was Frankreich geleistet hat, nicht bloß weit über dem englischen steht, sondern selbst für die Gesetzgebung der Deutschen den Anstoß gegeben hat, so weit eine solche besteht, und volle Anerkennung und Nachahmung verdient. Der ganze Gang dieser Maß- regeln und Gesetzgebungen ist in einem sehr guten Artikel von Tar- dieu ( Dictionnaire de l’hyg. publ. a. travail ) und kürzer und ein- facher in einem zweiten von Legoyt im ( Dictionnaire de l’Admin. ) dargelegt. Die wesentlichen Punkte sind folgende. In den dreißiger Jahren, zum Theil in Folge der Cholera, zum Theil angeregt durch die sociale Bewegung überhaupt, nahm die Regierung die Sache in die Hand. Es ward eine Commission zur Untersuchung der Frage nieder- gesetzt, für welche Villerm é den Bericht erstattete, dessen Tableau de l’état physique et moral des ouvriers dans les manufactures 1840, als Ausgangspunkt aller sanitären und socialen Maßregeln in Beziehung auf die Fabriken angesehen werden muß. Daraus nun ging das Gesetz vom 22. März 1841 hervor, das die Grundlage der späteren Bestimmungen bildet. Allerdings ist dieß Gesetz die erste Fabrikarbeitsordnung über- haupt; allein die Kinderarbeit nimmt in ihm eine wesentliche Stelle ein. Nach Art. 4 soll kein Kind unter 16 Jahren an Feiertagen in den Fabriken und nach Art. 5 kein Kind unter 12 Jahren ohne Schulunter- richt gelassen werden. Die Mairie führt durch eigene Kinderarbeits- bücher die Aufsicht über die Ausführung dieser Bestimmung (Art. 6). Der Arr. vom 25. März 1841 ertheilte darüber dann nähere Instruk- tionen; der Arr. vom 14. August eod. stellte die Unterscheidungen der Fabriken und die denselben entsprechenden Detailbestimmungen auf; der dritte Arr. vom 1. October eod. ordnete die Kinder- livrets . Dabei war die Ausdehnung des Begriffes „fabrique“ unbestimmt geblieben. Ein darauf bezüglicher Entwurf vom 15. Februar 1847 blieb liegen, bis 1850 derselbe allen Handelskammern wieder vorgelegt, und im Wesentlichen, namentlich auch in seiner Ausdehnung auf Frauen und Mädchen anerkannt wurde. Außerdem werden die Kinder ausgeschlossen von allen Fabriken mit regelmäßigem Feuerarbeiten, und solche in denen 20 Personen beschäftigt sind. Bei diesen Bestimmungen ist man stehen geblieben; wenigstens in Beziehung auf die Arbeiten der Kinder wer- den sie auch ausgeführt, während sie in Beziehung auf die Fabrikschulen viel zu wünschen übrig lassen. Die Gesetzgebung Englands ist gleich- zeitig, aber wie alle englische Gesetzgebung sehr speziell. Sie beginnt schon mit 3, 4 Vict. 103. Hauptgesetz ist 7, 8 Vict. 15; Bestimmung der Arbeitsstunden 10, 11 Vict. 29, und 13, 14 Vict. 54. Spezielle Bestimmungen für einzelne Gewerbe 16, 17 Vict. 104; 19, 20 Vict. 83, und 23, 24 Vict. 117. Junge Arbeiter und Arbeiterinnen zwischen dem 16. und 18. Jahre sollen zwischen 4 Uhr Morgens und 9 Uhr Abends nicht länger als neun Stunden arbeiten 25 Vict. 8 (Verbot der nächt- lichen Arbeit). Dabei ist jedoch nicht , wie in Frankreich, auf den Unter- richt Rücksicht genommen. Einen letzten wesentlichen Betrag zu diesem System liefert die Factorys Act Extension Act 1864 (27, 28 Vict. 48), die allerdings vorzugsweise dem gewerblichen Betriebe angehört (s. unten). In Oesterreich ist die Verwendung der Kinder durch die Gewerbeord- nung von 1859 geordnet §§. 86—88; Kinder unter 10 Jahren gar nicht; bis 12 Jahre nur gegen Erlaubniß, und wenn Fabrikschulen da sind, genaue Bestimmung der Arbeitszeit je nach dem Alter, so wie des Schulbesuches ( Stubenrauch , Polizeiverwaltungsgesetzk. II. §. 499). — In Preußen erging schon früher das Regulativ vom 9. März 1839, das durch das Gesetz vom 16. Mai 1853 erweitert oder organisirt ist: vor dem 12. Jahre gar keine Arbeit in Fabriken ꝛc.; später genaue Arbeitsstunden. Verpflichtung zu Fabrikschulen für Kinder unter 16 Jah- ren; 10 Stunden Arbeitszeit bis zum selben Alter, von 5 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends. Diese Bestimmungen sind im Wesentlichen zwar dieselben wie in Frankreich, das den Anstoß dazu gab; allein das Gesetz vom 16. Mai 1853 hat sie wesentlich erweitert. Dasselbe führte nament- lich die Arbeitsbücher ein mit einer Rubrik über die Schulverhältnisse der Kinder; die darauf erlassene Verfügung vom 18. August 1853 hat dann eine strenge Statistik der Arbeitskinder, und eine anständige Ober- aufsicht derselben eingeführt, die sich auf die baulichen Verhältnisse der Fabriken bezieht. Durch diese Bestimmungen ist die preußische Ge- setzgebung der französischen wieder vorausgeschritten und es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß sie gegenwärtig die beste in Europa ist. (Voll- ständig bei Horn , Medicinalwesen I. 101—107. Vgl. Rönne , Staats- recht II. 361). In andern Staaten finde ich weiter nichts. Die neueste Verordnung vom 11. November 1864 in Braunschweig über die Ar- beitsbücher enthält keine Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der Kinder. Der Turnunterricht ist trotz seiner unendlichen Wichtigkeit in England und Frankreich gar kein Gegenstand der Gesetzgebung, in Deutschland nur organisch ausgeführt im preußischen Unterrichts- wesen. Erst verboten 1819; dann erlaubt 1834; dann befohlen 1842; zuerst nur für höhere Schulen, dann auch für niedere. Die Geschichte dieser Verordnung bei Rönne , Staatsrecht II. 444 und Rönne , Unter- richtswesen I. 706. — Frühere Anerkennung seiner Wichtigkeit: Aretin , Constit. Staatsrecht II. 1. Abth. S. 44 ff. C. Die niedere Gesundheitspolizei. Begriff . Während die höhere Gesundheitspolizei es mit den Gefährdungen der allgemeinen Gesundheit zu thun hat, entsteht die niedere Ge- sundheitspolizei , indem die Verwaltung den Einzelnen und sein körperliches Wohlsein gegen Gefahren schützt, welche derselbe nicht mit eigener Kraft von sich abwenden kann. Das Gebiet der niederen Gesundheitspolizei umfaßt drei Theile, die nicht bloß an sich sehr verschieden sind, sondern auch ein sehr ver- schiedenes Recht erzeugt haben. Der erste betrifft die aus natürlichen Ursachen entstehenden Gefährdungen, der zweite die aus persönlichem Verhalten hervorgehenden, von denen jetzt nur noch die Syphilis Gegenstand des öffentlichen Rechts ist, der dritte die Gefahren, welche durch den Betrieb der Gewerbe bestehen. Gemeinschaftlich ist aller- dings allen diesen Bestimmungen, daß sie zugleich der Sicherheitspolizei angehören. Die Verschiedenheit von der letzteren besteht darin, daß die erstere das Moment der menschlichen Gesundheit im Auge behält, wäh- rend die letztere sich ohne Unterscheidung auf das persönliche Leben bezieht. Der Unterschied ist freilich so abstrakt, daß er im Einzelnen nicht durchzuführen ist, und daß man daher unvermeidlich in die Lage kommt, eine gewisse Wiederholung eintreten zu lassen. Der gemeinschaftliche Charakter aller betreffenden Bestimmungen be- steht nun darin, daß dieselben ursprünglich ausschließlich von den ört- lichen Behörden ausgehen, und daß erst mit dem Entstehen der Medi- cinalverwaltungen der Versuch entsteht, allgemeine Vorschriften dar- über zu geben. Mit unserem Jahrhundert tritt dann die gegenwärtige Gestalt dieses Rechts ein, die wir bereits oben charakterisirt haben. Die Verpflichtung der Einzelnen , Gefährdungen der Gesundheit zu vermeiden, ist jetzt eine staatsbürgerliche Pflicht , und die Vernachläs- sigung derselben wird damit zu einem Vergehen , das selbständig unter das allgemeine Strafrecht subsumirt, von demselben mit eigener Strafe belegt, und in seiner Verfolgung und Beurtheilung den Gerichten über- wiesen wird. So entsteht das, was wir kurz das Strafrecht der niederen Sanitätspolizei (neben dem der höheren) nennen können, und das einen eigenen Theil in einigen Strafgesetzbüchern, wie im öster- reichischen, oder in den Polizeistrafgesetzbüchern, wie in dem bayrischen und württembergischen bildet. Auch hier aber kann nur die einfache Verweisung auf die Strafgesetzbücher selbst da nicht genügen, wo die- selben so umständlich und speziell lauten, wie das österreichische im II. Thl. Hptst. IX. X. XI. Denn auch hier hat das Strafgesetz es mit der geschehenen That zu thun, insofern sie eine bestehende Vorschrift nicht beachtet. Die Verwaltungslehre dagegen hat ihrerseits zu bestim- men, welche Vorschriften im Interesse der Sicherung von Leben und Gesundheit der Einzelnen gegen die Vornahmen der Einzelnen gegeben werden sollen ; und zweitens hat sie die Punkte anzudeuten, auf denen das gesundheitspolizeiliche Verordnungsrecht der Natur der Sache nach neben dem allgemeinen Strafgesetz einzuschreiten hat. Diese Verordnungen beruhen größtentheils auf den wissenschaftlichen Grund- sätzen der Heilkunde, aber ihre Ausführung ist formell der Ortsbehörde überlassen, während ein großer Theil der betreffenden Funktionen seiner Natur nach gar nicht von der Selbstverwaltung getrennt werden kann. Dabei sind die Strafen, sofern sie in leichten Geldbußen bestehen, in einigen Ländern durch eigene allgemeine Polizeistrafgesetze festgestellt, während in andern, wie namentlich in England, die Polizeibehörden gesetzlich das Recht haben, diese sicherheits- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften selbständig mit Geldbußen zu sanctioniren. Es wird demnach die Verwaltungslehre in dieser gegenwärtigen Gestalt der niederen Gesundheitspolizei das ganze Gebiet des öffentlichen Strafrechts der Strafrechtslehre überlassen, und auch für diesen Theil nur dasjenige hervorheben, wodurch, abgesehen von den strafrechtlichen Bestimmun- gen, das öffentliche Recht der Verwaltung dieses Gebietes gebildet wird. I. Gesundheitspolizei der natürlichen Gefährdungen. Es liegt in der Natur der Sache, daß die hierauf bezüglichen Vor- schriften so sehr örtlicher Natur sind, daß eine Verallgemeinerung ent- weder nicht möglich oder werthlos wird. Dahin gehören alle ortspolizei- lichen Vorschriften über die Gefahren der Communikationsw ege, der Badep lätze, der Bauu nternehmungen, der Thiere u. s. w. Hervorge- hoben muß wohl nur die Polizei der Hundswuth werden, weil dieß der Punkt ist, auf welchem es für wissenschaftliche Untersuchungen und damit für allgemeine Regeln Raum gab. Aus der Beobachtung der Hundswuth entstand dann die Theorie und die Polizei der übrigen Thierseuchen , die auf Menschen übertragbar sind, nebst einer Reihe von Verordnungen, welche hier Schutz zu gewähren haben. Auf die Hundswuth hat, glaube ich, zuerst Peter Frank , Medi- cinalpolizei IV. 1. 6. als Gegenstand der Medicinalpolizei hingewiesen. Aus England und Frankreich, Belgien und Holland sind mir keine Ver- ordnungen bekannt. Von den deutschen stehen die österreichischen in Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde I. 233. Allgemeine Beleh- rung: Erlaß vom 26. Mai 1854. Preußen : Edikt gegen Hunds- wuth schon 1797; dann eine Reihe von Verordnungen und Instruktio- nen, jedoch stets provinziell; endlich Verfügungen über Milzbrand, Rotz und Wurm und Verfahren dabei ( Horn a. a. O. I. 247—261). In Bayern ist das Strafpolizeigesetz Art. 140—143 maßgebend. Die Vor- schriften in Württemberg sind sehr detaillirt über alle äußern Ge- fahren ( Roller a. a. O. §§. 202—232). — Für Frankreich Tardieu ( Dictionnaire II. v. Epsizooties . Pappenheim , Sanitätspolizei III. Art. Hundswuth). Nach englischem Recht besteht nur der Grundsatz der privatrechtlichen Haftung für Schaden ; so auch bei Hundswuth 26, 27 Vict. c. 100. (Austria 1864.) II. Syphilis. Der Kampf gegen dieß furchtbare Uebel ist neu und man ist sich weder darüber ganz einig im europäischen Verwaltungsrecht, ob die Verwal- tung die Berechtigung habe, hier an die Stelle der individuellen Für- sorge zu treten, noch in welcher Weise dieß zu geschehen hat. Wenn man nun überhaupt der Verwaltung die Aufgabe stellt, den Einzelnen in viel untergeordneterer Beziehung, z. B. bei Badeplätzen, zu schützen, wo er sich denn doch gewiß selbst schützen soll, so kann wohl die Be- rechtigung bei diesem Verbot um so weniger im Zweifel sein, da sich vielleicht der Einzelne, nicht aber die Familie und selbst die Nachkom- men gegen die sehr ernsten Folgen eines Fehltrittes, dessen Unheil mit seinen Gefahren in gar keinem Verhältniß steht, schützen können. Die Form der Oberaufsicht kann natürlich nur eine Untersuchung der be- treffenden Personen sein; es ist dabei klar, daß die Hauptsache, die Constatirung der Identität der Betreffenden, nur in Bordellen möglich ist. Will man die letztere nicht, so muß man sich auf periodische Unter- suchung öffentlicher Personen und polizeiliche Ueberwachung derselben beschränken. Ist das der Fall, so ist kein Grund zu einer besonderen Bestrafung der Ansteckung mehr vorhanden. Die Frage der Prostitution ist eine sociale und hat als solche mit der Gesundheitspolizei und ihrem Recht nichts zu thun. Die Literatur darüber ist eine sehr große; sehr arm dagegen ist die verwaltungsrecht- liche in Beziehung auf die Syphilis, obgleich es nicht an Gesetzen fehlt. Das medicinisch-physiologische Wesen der Syphilis gehört nicht hierher; was das Recht derselben betrifft, so hat Frankreich es trotz mannig- facher Anregungen und Anforderungen der Heilkundigen zu gar keiner Verwaltungsmaßregel gebracht. (S. Tardieu , Dict. III. S. 195 bis 215, nebst einer ziemlich ausführlichen Bibliographie.) In England ist nach manchen Kämpfen die Contagious Diseases Prevention Act 1863 (27, 28 Vict. 85) speciell gegen die Syphilis in den Hafenstädten zu Stande gekommen, mit dem Recht der Anzeige der kranken Dirnen und Bestrafung derselben, sowie ihrer Unterstandgeber ! (Austria 1865 S. 341.) Dabei ist es vor der Hand geblieben. Preußen hat nach manchen Schwankungen und nach Aufhebung der Bordelle (1845) den Grundsatz der periodischen ärztlichen Untersuchung durchgeführt, deren Kosten nach Gesetz vom 11. März 1850 die Communen zu tragen haben ( Horn a. a. O. I. 246, 247). In Oesterreich besteht das System bereits gesetzlich seit dem 29. Mai 1827; doch sind die Untersuchungen dem polizeilichen Ermessen überlassen und daher hilft das Ganze prak- tisch gar nichts. ( Stubenrauch a. a. O. §. 308.) Aehnlich, aber mit Strafrecht gegen die Ansteckenden, in Württemberg (Polizei- strafgesetzbuch von 1839 Art. 49; Roller a. a. O. §. 171). Aus andern Staaten sind mir keine geltenden Bestimmungen bekannt; doch ist wohl rechtlich kein Zweifel über die Anwendbarkeit der Strafen und Vor- schriften bei ansteckenden Krankheiten vorhanden. III. Gewerbliche Gesundheitspolizei. 1) Begriff und Princip . Es ist ein charakteristisches Moment der staatsbürgerlichen Gesell- schaft, daß sie allenthalben bei dem Gewerbe diejenigen Elemente desselben gesucht und gefunden und zum Gegenstande specieller Verwaltungs- thätigkeit gemacht hat, welche über die Sphäre des Einzelunternehmens hinausgehen und eine allgemeine Bedeutung für das Gesammtleben haben. Zu diesen Elementen gehört auch das sanitäre Moment der Gewerbe. So lange die ständische Gesellschaft bestand, die den Betrieb der Gewerbe als reine Sache der gewerblichen Körperschaften und Innungen hinstellte, so lange daher nach dem Charakter jener socialen Ord- nung der Erwerb nicht als eine allgemein bürgerliche, sondern als eine ständische Aufgabe erschien, konnte natürlich die Verwaltung sich auch mit den gesundheitlichen Verhältnissen der Gewerbe nicht befassen. Als dagegen in der staatsbürgerlichen oder der damit identischen industriellen Gesellschaftsordnung der bürgerliche Erwerb die allgemeine und princi- piell gleiche Grundlage der gesellschaftlichen Stellung des Einzelnen ward, ward auch der Einfluß, den das Gewerbe auf die Gesundheit hat, eine der großen Aufgaben derjenigen Thätigkeit, welche die Be- dingungen des Wohlseins Aller herstellen soll. In der Zeit der Zünfte und Innungen ist daher eine gewerbliche Gesundheitspolizei nicht mög- lich. Sie ist dagegen ein naturgemäßes Corrollar der Gewerbefreiheit; sie entsteht zum Theil unmittelbar mit demselben Gesetz, welches jene einführt, und bildet fast allenthalben ein integrirendes Moment der- selben; sie geht von dem einfachen Gewerbe dann über zu der Industrie; sie muß sich nach den besondern Verhältnissen beider richten; sie hat die schwierige Aufgabe, die Produktion im Namen der Gesundheit der Producenten zu beschränken, ohne doch sie unfrei zu machen; sie wird dadurch gezwungen, sich einerseits an die Wissenschaft zu wenden und andererseits sich formell zu organisiren; sie muß sich selbst in Gesetz und Verordnung eine möglichst scharfe Grenze ziehen; und so hat sich im Zusammenwirken aller dieser Elemente ein förmliches, großartiges, auf der festen Grundlage der Wissenschaft ruhendes und dennoch noch sehr im Werden begriffenes System der gewerblichen Gesund- heitspolizei gebildet, das fast ausschließlich unserem Jahrhundert angehört und eine seiner schönsten und heilsamsten Errungenschaften ist und in seiner Ausbildung noch mehr sein wird. Die Darstellung dieses Systems im engen Raume fordert nun zweierlei. Zuerst die formalen Kategorien dieses Systems, zum Zwecke der sammelnden Vergleichung; dann die Charakterisirung der Bildung dieses geltenden Gesundheitsrechts zum Zwecke der organischen Anschauung dieses so wichtigen Rechtslebens in den verschiedenen Staaten Europa’s. Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende System des öffentlichen Rechts der gewerblichen Gesundheitspolizei betrifft, so sind dieselben wohl ziemlich einfach. Die Gefährdung der Gesundheit bei dem gewerblichen Betriebe be- ruht zuerst offenbar auf der Anlage , und zwar sowohl in Beziehung auf die Anwohner, als auf die Arbeiter selbst. Das allgemeine Rechts- princip ist dabei der Grundsatz der öffentlichen Bewilligung der Anlage, mit dem für diese Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen Verfahren . Das zweite Element ist der Betrieb des Gewerbes selbst. Dieser Betrieb scheidet sich in Beziehung auf sein Verhältniß zur Gesundheit in die Verhältnisse des Stoffes und die der Arbeit . Das Rechts- princip dabei ist das der Beaufsichtigung und der bestimmten, ent- weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen polizeilichen Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Arbeiter. Die Elemente der Geschichte der allgemeinen Rechtsbildung für diese Verhältnisse sind folgende. Die allgemeine Grundlage und Voraussetzung alles öffentlichen Gesundheitsrechts des Gewerbes ist die Aufhebung der Zünfte und Innungen und die erste Proklamirung der Gewerbefreiheit in Frank- reich, bei welcher zugleich der Grundsatz ausgesprochen ward, daß die Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben sollen, „à observer les règles de police qui sont faites ou qui pourront être faites“ (Dekret vom 2.—17. März 1791). Daran schließt sich das Dekret vom 15. Okto- ber 1810 an, über die Etablissements insalubres ou incommodes, welches als die Grundlage alles gewerblichen Concessionsrechts und der Gewerbefreiheit angesehen werden muß. Von der französischen Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit herstellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Gesammtheit aller gesundheitspolizeilichen Vorschriften über das Gewerbswesen in ganz Europa. Nur hat diese Rechtsbildung wieder einen sehr verschiedenen Charakter in den verschiedenen Ländern. In Frankreich entwickelt sich dieses Recht in einer streng syste- matischen, die Gewerbsverhältnisse für seinen Zweck mit großer Um- ständlichkeit classificirenden Weise; das Verfahren ist ein treffliches, öffent- liches und umsichtiges, allein die Entscheidung bleibt ganz in der Hand der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In England wartet man Stein , die Verwaltungslehre. III. 6 fünfzig Jahre, bis endlich die große Nuisances Removal Act. 18. 19 Vict. 121 (1855) den Ortsbehörden nicht das Recht einräumt, eine Be- willigung zu geben, sondern nur das, auf die Anklage (oder Beschwerde) der Anlieger die Aenderung einer geschehenen Anlage durch Urtheil zu beschließen. In Belgien folgte die Gesetzgebung ganz dem fran- zösischen, aber die Vollziehung ganz dem englischen Princip, indem die Entscheidung den selbständigen Organen der Selbstverwaltung über- geben wird und nicht das Amt, sondern der Bürgermeister die Bewil- ligung gibt. In Holland gilt der letztere Grundsatz ohne den ersteren, indem der Bürgermeister diese Bewilligung auf Grundlage eines Ge- meindebeschlusses bei neuen Anlagen verleiht. In den deutschen Staaten beginnt die Ausbildung eines gesetzlichen, allgemein gültigen Zu- standes überhaupt erst mit der langsam sich entwickelnden Fabrikthätigkeit und der Gewerbefreiheit, bildet meist einen Theil Gewerbeordnung, ist daher in manchen Ländern noch gar nicht geregelt und zeigt bei aller theoretischen Gründlichkeit in der Bearbeitung einzelner Theile auch hier die Folgen des Mangels einer gleichmäßigen Entwicklung des deutschen Rechtslebens. In Skandinavien ist unseres Wissens die Frage noch ganz ohne eigene Gesetzgebung. Auf dieser allgemeinen Grundlage sind nun die Hauptbestimmungen für die einzelnen Kategorien die folgenden. Was die Literatur betrifft, so ist die Behandlung von medicinischer Seite, wie es die Natur der Sache mit sich bringt, eine fast durchgehend alphabetische. Die ältere Literatur, selbst P. Frank, kennt die Frage noch nicht; sie schließt sich meist erst an das Auftreten der neuen Ge- werbeordnungen. Tardieu hat in seinem Dietionnaire d’hygiène publique fast alle Gewerbe aus sanitärem Gesichtspunkt betrachtet und die Literatur der einzelnen, vielfach auch neue Verordnungen, hinzu- gefügt. Das Recht ist am ausführlichsten von Maiorel ( Legislation et jurisprudence des ateliers dangereux, insalubres et incommodés 1828) bearbeitet, dem Trébuchet (Médecine légale en France 1832) folgt. Mohls Urtheil über den letzteren ist nicht unbegründet (Literatur der Staatswissenschaft Bd. III. S. 280). In Deutschland hat Pap- penheim (Handbuch der Sanitätspolizei 1864 III. Band) in alpha- betischer Weise die einzelnen Gewerbe vom sanitären Standpunkt behan- delt; sehr gut ist der allgemeine Artikel „Sanitätspolizei.“ Die Samm- lungen und Gesetzeskunden von Rönne, Stubenrauch u. s. w. haben von der Sache nur das aufgenommen, was davon gesetzlich bestimmt ist, und sind daher an ihren Stoff gebunden. Von den meisten deutschen Staaten liegt gar nichts vor. Die medicinischen Fachmänner haben dieses Recht erst zu erschaffen; es ist eine, ihrer im edelsten Sinne des Wortes würdige Aufgabe! 2) Genehmigung von Anlagen . Man kann wohl kaum zweifelhaft sein, daß das französische System dieser Genehmigung, durch das Dekret vom 15. Oktober 1810 eingeführt und in allem Wesentlichen erhalten, dem sich auch das preußische ange- schlossen hat, alle Bedingungen der sanitären Commission erfüllt. Das- selbe beruht auf folgenden an sich einfachen Grundlagen. Die der Commission unterworfenen Gewerbe werden speciell bezeichnet — die Anlage wird der Behörde mitgetheilt — wenn dieselbe sie nicht sogleich zurückweist, wird sie veröffentlicht und andere Interessenten darüber gehört — darauf entsteht das Verfahren vor der entscheidenden Behörde mit Recurs — endlich erfolgt die Genehmigung. In einzelnen Punkten weichen die deutschen Rechte davon ab; im Ganzen sind sie mit jenen Principien übereinstimmend. Nur das englische Verfahren der Nuisances Removal Act beginnt erst nach der geschehenen Anlage. Es ist klar, daß das französische viel mehr den rationellen Anforderungen der Sache, das englische mehr der englischen Rechtsauffassung entspricht und zu sehr ernsten Bedenken Anlaß gibt. Die französische Gesetzgebung beginnt schon mit einer Ordonnanz vom 12. Februar 1806. Diese Ordonnanz stellte allerdings schon das ent- scheidende Princip des nachbarlichen Beschwerdeverfahrens de commodo et incommodo auf; jedoch hat erst das Dekret von 1810 den sanitären Gesichtspunkt anerkannt. Dasselbe stellt drei Classen auf. Die erste Classe soll von den Wohnungen entfernt sein; die zweite Classe wird von solchen Anlagen gebildet, deren Entfernung nicht nothwendig, aber wünschenswerth ist; die dritte von solchen, die ohne Uebelstand in der Nähe von Wohnungen bleiben können, aber unter polizeilicher Aufsicht stehen müssen. Die Ordonnanz vom 14. Januar 1815 gab für das Verfahren die leitenden Bestimmungen; das Dekret vom 23. März 1852 ordnete die Competenzen und den Beschwerdezug. Die Einthei- lung der einzelnen Gewerbe hat gewechselt. Die neueste Tabelle bei Tardieu a. a. O. S. 543 ff. Die daraus entstandene Literatur bei Joubert ( vid. Block Dictionnaire de l’administration v. établisse- ments insalubres ). Pappenheim hat in seinem citirten Artikel diese Gesetzgebung gut charakterisirt. Die preußische Gesetzgebung bestand bisher nur in dem, was die Gewerbeordnung von 1845 sagt ( T. II. mitgetheilt von Horn S. 141 ff). Der Unterschied zwischen diesen Bestimmungen und dem französischen Recht besteht wesentlich darin, daß die Eintheilung in die drei Classen fehlt und nur einzelne Vorschriften angegeben sind. Das Verfahren ist dasselbe. Das Gesetz vom 1. Juli 1861 ist dann an die Stelle des §. 28 ff. der Gewerbeordnung getreten und hat das Verfahren genauer geregelt, auch die Competenzen nicht unwesentlich geändert ( Rönne , Staatsrecht II. §. 402). Das Wesent- liche der Gesetzgebung Oesterreichs (Gewerbeordnung von 1859) besteht darin, daß nicht weniger als sechsundzwanzig Arten von den in §. 14 der Concession bedürftigen Gewerben von den allgemeinen Grundsätzen ausgenommen und auf besondere Bestimmungen verwiesen sind, bei denen jedoch das sanitäre Moment sehr untergeordnet erscheint. Die Genehmigung selbst ist hier geschieden in die Genehmigung des Betriebes und die der Anlage (Hauptst. III. §. 31 ff.). Auch hier sind keine Klassen, sondern Arten in §. 33. Das französische Verfahren ist im §. 35 aufgenommen, mit Recurs. (S. auch Stubenrauch II. §§. 476 bis 478.) Die übrigen deutschen neuen Gewerbeordnungen stehen auf demselben Standpunkt. Bayern : Gewerbegesetz von 1825. Vollzugs- ordnung vom 17. December 1853. ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 157.) Württemberg : Vielfache und nicht einheitliche Bestimmungen bei Roller §§. 107, 143, 354, 355. Belgien hat ganz das franzö- sische Recht mit einigen Modifikationen ( De Fooz , Dr. adm. belge III. p. 550 sq. ). Das englische Recht der Nuisances Removal Act gehört offenbar erst dem folgenden Abschnitte und ist überhaupt viel unsystematischer und unpraktischer, als das französische Recht. 3) Gesundheitspolizei des Betriebes . Die Gesundheitspolizei des Gewerbebetriebes ist eine weit schwie- rigere und zugleich bedenklichere als die der Anlage, da einerseits ihr Objekt, Stoff und Arbeit, weit unbestimmter, und ihr Ergebniß, das Urtheil über die sanitären Verhältnisse viel eingreifender in das Gewerbe- wesen überhaupt ist. Das allgemeine Princip ist, daß an sich die Bearbeitung eines Stoffes nicht verboten sein kann, daß dagegen die Arbeit selber so einge- richtet sein muß, daß die lebens- und gesundheitsgefährlichen Verhältnisse derselben beseitigt werden. Die daraus hervorgehenden Vorschriften ent- halten das Gesundheitsrecht des gewerblichen Betriebes . Dieses Gesundheitsrecht steht nun bisher auf dem unfertigen Stand- punkt, daß es sich noch immer an diejenigen einzelnen Gewerbe an- schließt, bei denen die Wissenschaft eine bestimmte, entweder mechanisch oder physiologisch nachweisbare Gefahr anerkennt. Sein Objekt ist daher eine spezielle Gefährdung. Die Zukunft dieses Zweiges der Polizei wird darin bestehen, daß dieselbe von den speziellen und nach- weisbaren einzelnen Gefährdungen zu denjenigen hinaufsteigt, welche in den äußeren Verhältnissen des Betriebes, namentlich in den Werk- stätten der Handwerker liegen. Das kann allerdings nur durch die höhere Bildung des Handwerkerstandes und durch die körperschaft- liche Gestaltung desselben in Genossenschaften geschehen. Erst von ihnen aus wird eine neue Epoche der gewerblichen oder allgemeinen Gesund- heitspolizei beginnen. Bis dahin nun gibt es, wie gesagt, nur einzelne Bestimmungen, und diese sind wieder in den einzelnen Ländern sowohl im Princip als in der Ausführung sehr verschieden. Man muß hier das englische und das continentale Princip scheiden. Das englische Princip ist das der Nuisances Removal Act. Die Grundlage derselben ist, daß die Polizei nirgends , und zwar weder bei der Anlage, noch bei dem Betriebe, entscheidet, sondern es dem Einzelnen überläßt, eine Klage wegen Gefährdung der Gesundheit durch den Betrieb einer Unternehmung auf Grundlage des Gutachtens zweier praktischer Aerzte oder des Inspektors des Board of Health einzubringen, daß entweder der Unternehmer wirklich Schädliches thue , oder die besten anwendbaren Mittel, die Nuisances und Diseases zu hindern, nicht angewendet habe, worauf entweder Verurtheilung zur Abstellung erfolgt, oder eine Frist für dieselbe bewilligt wird ( Vict. 28). Das völlige Ungenügen dieser Bestimmungen liegt auf der Hand. Das Gesetz selbst hat daher schon Ausnahmen machen müssen, und zwar erstens in dem direkten Verbot, durch Abfluß der Ausgüsse der Gasworks ꝛc. die Trinkwasser zu gefährden, andererseits in dem polizeilichen Recht der sanitären Untersuchung der Kohlenbergwerke ( Nuisances Rem. Act s. 23, über die Inspektion der Kohlenwerke noch besonders 24. 25. Vict. 151). Eintritt „at all reasonable times, by day or night . Dazu ist noch 7 Vict. c. 15 hinzuzufügen, welches dem Inspektor das Recht gibt, zu jeder Zeit in jeden Theil einer Fabrik einzugehen und dieselbe zu untersuchen. Alles Uebrige ist der Privatklage überlassen ( Pappenheim a. a. O. S. 160 ff.) Doch hat England daneben eine spezielle und wichtige Gesetzgebung über den Betrieb in den größeren Fabriken, während es sich um die kleineren nicht kümmert. Diese be- ginnt bereits mit 4 Georg IV. 103, und bezieht sich ursprünglich nur auf die Kinderarbeit. Allmählig werden aber auch allgemeine sanitäts- polizeiliche Bestimmungen hineingenommen, und die darauf bezüglichen Gesetze sind dann zusammengefaßt in der Factorys Act Extension Act 1864 (27, 28 Vict. 48). Die Haupttendenz dieses wichtigen Gesetzes ist die Herstellung von guter Luft und Reinlichkeit in speziell bezeich- neten Fabriken (Thonwaaren, Zündhölzchen, Percussionshütchen, Papier- färberei, Sammtscheererei). Die Behörde hat das Recht der Inspektion, der Fabrikherr daneben das Recht seinen Arbeitern darauf bezügliche Vorschriften bei Strafe aufzustellen. Daneben besteht schon länger eine Färbepolizei und Bleichpolizei (seit 1860), welche jetzt in der Bleaching and Dying Works Extension Act 1864 (27, 28 Vict. 98) neu geregelt ist, und das „finishing“ vom sanitären Standpunkt regelt. Das französische Recht und zum Theil gleichzeitig das deutsche haben dagegen den Grundsatz festgehalten, daß die Verwaltung als solche die Verpflichtung habe, bei gesundheitsgefährlichen Betrieben einzuschreiten. Jedoch ist leider dieser Grundsatz noch nur auf einzelne Betriebe be- schränkt. Die wichtigsten darauf bezüglichen Bestimmungen betreffen folgende Punkte. Dampfmaschinen . Grundsatz: Dampfkesselprobe . Dieselbe ist in Frankreich organisirt durch die Verordnung vom 22. Mai 1843, der eine Reihe von einzelnen Verordnungen und Circulären gefolgt sind ( Tardieu , Dict. Machines à vap. ). Die Rechts- und technischen Ver- hältnisse besser von Fournel bei Block Dict. Die Literatur dagegen bei Tardieu . Neueste Verordnung vom 25. Jan. 1865: Eintheilung der Kessel in drei Classen, und Entfernung von den nächsten Gebäuden. Oesterreich : Grundlage die Verordnung vom 11. Febr. 1854; das Eigenthümliche und Nachahmungswerthe ist dabei der, durch Edict vom 15. Sept. 1858 eingeführte Grundsatz, daß die Bedienung der Dampf- kessel eine eigene Prüfung fordert (s. Stubenrauch I. §. 221). Die neueste ausführliche Bestimmung enthält die Verordnung vom 1. Sept. 1866, welche neben den früheren die neuen technischen Anforderungen für die Dampfkesselprobe enthält ( Austria 1866. S. 320—21). In Preußen hat das Gesetz vom 1. Juli 1861 ein spezielles Verfahren vorgeschrieben, da die Gewerbeordnung von 1845 die Dampfkessel nicht hinreichend berücksichtigte. Der Erlaß der einzelnen Vorschriften wurde darum dem Handelsministerium überlassen, und von demselben sind seit dieser Zeit eine Reihe von Bestimmungen technischer Natur ergangen (s. Rönne , Staatsrecht II. §. 402. 3. 2). Bayern , Verordnung vom 9. Sept. 1852, gleichfalls mit dem Grundsatz, daß die Dampf- kessel „von Zeit zu Zeit“ der Untersuchung unterzogen werden sollen ( Pözl §. 113). Weitere, wesentlich technische Aenderungen der früheren Dampfkesselproben durch Verordnung vom 7. Aug. 1864 und Verordnung vom 12. Febr. 1865. Sachsen-Meiningen , Verordn. v. 3. April 1865 (polizeil. Bewilligung). Sachsen-Weimar , Verordn. vom 19. Febr. 1863 ist die Grundlage: polizeiliche Untersuchung bei der Anlage; Ver- ordnung vom 21. April 1866: polizeilich-technische Untersuchung der Dampfkessel selbst. Württemberg : Verfügung vom 18. Febr. 1853 ( Roller a. a. O. §. 211). Gaserzeugung. England : Gasworks Clauses Act 1847. 10, 11 Vict. 15 enthält übrigens wesentlich alle andern Rechtsverhält- nisse der Gasanlagen. In Frankreich hat die Ordre vom 31. Mai 1842 die Polizei der Gasbeleuchtung in den Wohnungen , und die Ordre vom 27. Jan. 1846 die Gaserzeugungs-Anstalten geschieden und geregelt. In Oesterreich ist das Decret vom 27. April 1845 für beide Punkte, jedoch wesentlich für den letzteren erlassen. In Preußen stehen sie im Allgemeinen unter der Gewerbeordnung und dem Gesetz von 1861, ohne Hervorhebung der Wohnungsbeleuchtung. In anderen Staaten finde ich nichts. Gifte . Giftpolizei, namentlich Farbenpolizei s. oben. Zündhölzer . Ein eingehender Artikel bei Tardieu , Allumettes, nebst Literatur; eine eigene Verordnung besteht jedoch hier so wenig als in England. Oesterreich : Verordnung vom 3. Sept. 1846 nebst mehreren Vorschriften über explodirende Stoffe (s. Stubenrauch I. §. 218. 219). In Preußen hat man sich auf das allgemeine Recht des Gesetzes von 1861 beschränkt ( Rönne II. 402). Bayern dagegen hat eine neue Verordnung vom 8. April 1863, welche auch die Produk- tion mit Arsenik, Glasschleifereien, Spiegelfabrikation und Nadelschlei- ferei berührt, kaum mehr als die Grundlagen dieser Polizei gelegt ( Pappenheim a. a. O. S. 169). Baden : Verordnung vom 28. März 1865 über Zündhölzerfabrikation und Polizei derselben. Die Schifffahrtspolizei glauben wir hier übergehen zu können. Doch dürfen wir auf die französische Gesetzgebung hinweisen, welche sich der im übrigen Europa sehr vernachlässigten Frage speziell zuge- wendet hat. Verordnung vom 2. Juli 1853, das für jedes Schiff einen Schiffswundarzt fordert ( Tardieu , Dict. Hygiène navale mit Lite- ratur). Das neueste und ausführlichste Werk ist B. Fossangrois , Traité de l’hygiène navale ou de l’influence des conditions physiques et morales dans lesquelles l’homme de mer est appellé à vivre. Paris 1856. I. Bd. S. 770. Die deutsche Gesetzgebung mangelt hier ebenso, wie die deutsche Literatur. Im Allgemeinen läßt sich nicht verkennen, daß hier Frankreich den übrigen Ländern Europas voraus ist, und daß ihm gegenüber England ein unfertiges Princip, und Deutschland eine unfertige Gesetzgebung hat. III. Abschnitt. Das Heilwesen . Begriff . Trotz der großen Einfachheit, welche auch hier in dem Begriffe an sich liegt, ist es doch nicht überflüssig denselben vor allen Dingen formell und genau zu präcisiren. Denn während gewiß die Auffassungen im Großen und Ganzen klar sein mögen, sind die Ausdrücke in so ver- schiedenem Sinne gebraucht, daß eine feste Ordnung der Wissenschaft speziell für die Zwecke des Verwaltungsrechts ohne eine solche fachgemäße Definition kaum zu erzielen sein dürfte. Die Heilung ist ein physiologischer Proceß, den das Verwal- tungsrecht natürlich vorauszusetzen hat, wie den Begriff der Gesund- heit. Die Heilkunde enthält die Gesammtheit der Kenntnisse, Er- fahrungen und Geschicklichkeiten, vermöge deren die Gesundheit durch menschliche Hilfe hergestellt werden kann. Auch dieser Begriff berührt das Verwaltungsrecht nicht. Von der Heilkunde gehen dann mehr oder weniger geeignete Bestrebungen aller Art aus, welche diese Heilung her- stellen wollen. So lange diese Bestrebungen Sache des Einzelnen oder vorübergehender Natur sind, gehören sie der Sphäre des Einzellebens. Sowie dieselben aber dadurch eine feste und dauernde Gestalt annehmen, daß sie entweder zum bestimmten Lebensberuf Einzelner werden, oder die spezielle Aufgabe einzelner, eigends für die Heilung bestimmter An- stalten bilden, wird die Heilung eine selbständige Funktion im Gesammt- leben, mit eigenem Organismus und eigenen Aufgaben, und die Ge- sammtheit dieser Funktionen und ihrer Organe nennen wir das Heil- wesen . Es ergibt sich daraus, daß die erste Grundlage eines guten Heil- wesens die fachgemäße Bildung dieser Organe im Sinne der Heilkunde ist; die zweite besteht in der Gewißheit, daß die durch die Heilkunde gewonnene Bildung in der Funktion der Heilung von Krankheiten auch angewendet werde. Auf diesen beiden Momenten beruht das, was wir das öffentliche Heilwesen nennen. Das öffentliche Heilwesen bezeichnet uns demnach diejenige Ord- nung in der Heilung der Krankheiten, sei es durch Personen, sei es durch Anstalten, welche nach den Grundsätzen der Heilkunde vor sich geht. Allerdings nun scheint es zunächst, als sei es Sache des Einzelnen, einerseits sich jene Bildung zu erwerben und sie anzuwenden, andrer- seits sich selbst bei vorkommenden Krankheiten vor denjenigen zu hüten, welche jene Bildung eben nicht erworben haben. Allein es bedarf keines Beweises, daß das erstere ohne eigends dafür bestimmte Bildungsinsti- tute dem sich der Heilung Widmenden, das letztere aber vermöge der Natur der Heilkunde niemanden möglich ist. Wenn es daher aus der höheren Aufgabe des Gesundheitswesens als selbständiges Gebiet der Verwaltung folgt, daß die Gesundheit über- haupt Gegenstand der letzteren ist, und wenn die in der fachmäßigen Bildung und Herstellung des Heilwesens liegende Heilung ohne Bil- dungsanstalten und ihre wirkliche Benützung nicht erreichbar ist, so ergibt sich, daß das Gesundheitswesen zur Aufgabe hat, diejenigen Bedingungen herzustellen, vermöge deren die Heilung nach den Grundsätzen der Heil- kunde von den Einzelnen oder von öffentlichen Anstalten auch wirklich vorgenommen werde. Die Erfüllung dieser Aufgabe erzeugt alsdann natürlich eine Reihe von Vorschriften der Gesetzgebung und Verwal- tung, und die Gesammtheit dieser öffentlich rechtlichen Vorschriften bildet das Recht des öffentlichen Heilwesens . Das Princip dieses Rechtes ist ebenso einfach als der Begriff desselben. Die Verwaltung hat die Heilung selbst niemals zu be- sorgen; sie ist Sache des Einzelnen, und nur wo die Kraft oder Mittel desselben nicht ausreichen, muß sie der Staat übernehmen. Die Grund- sätze aber, vermöge deren der Staat dieß zu thun hat, gehören nun nicht ins Heilwesen, sondern ins Armen- und Hilfswesen. Der Einzelne als solcher hat dagegen weder die Verpflichtung sich überhaupt, noch sich nach den Regeln der Wissenschaft heilen zu lassen. Wo jedoch die Heilung zur Sache des Lebensberufes eines Einzelnen oder zur speziellen Aufgabe einer bestimmten Anstalt wird, da muß die Verwaltung dafür sorgen, daß diese Heilung auf Grundlage der eigends dafür hergestellten fachmännischen wissenschaftlichen Bildung geschehe. Auf diesem Punkte greift sie in die freie Rechtssphäre des Einzelnen ein, und so entsteht das leitende Princip alles öffentlichen Rechts des Heilwesens, daß der Erwerb der wissenschaftlichen Bildung die Bedingung der Ausübung der für das öffentliche Heilwesen bestimmten Funktionen sein soll. Alle einzelne Bestimmungen und Maßregeln der Verwaltung des Heilwesens haben nur diesen einen Zweck: ver- möge des obigen Princips durch die fachmännische Bildung der Heil- organe die Gemeinschaft vor den Gefahren ungebildeter Heilkünstler und schlechter Heilanstalten zu sichern, und vermöge desselben scheidet sich auch das Gebiet dieses Verwaltungszweiges auf das bestimmteste von dem ersten Gebiete des Gesundheitswesens, mit dem es nur zu häufig zusammengeworfen wird, dem Organismus des Gesundheitswesens. Die Aufgabe der öffentlich rechtlichen Organe des Gesundheits- wesens nämlich besteht allerdings einerseits darin, das Sanitätswesen nach den Gesetzen der Wissenschaft zu ordnen, andrerseits aber darin, dafür zu sorgen, daß die Glieder des öffentlichen Heilwesens jene Wissen- schaft besitzen, und sie auch anwenden. Es hat daher mit der wirk- lichen Heilung nichts zu thun, sondern nur damit, daß sie in richtiger Weise von dem Heilorgane geschehe. Daß die Personen, welche dem- selben angehören, nicht bloß heilkundig gebildete, sondern sehr oft auch selbst praktische Aerzte und Apotheker sind (nicht immer), macht zwar durch diese Verschmelzung zweier Funktionen in derselben Person wohl das Verständniß, nicht aber die Sache selbst schwieriger. Es ist viel- mehr klar, daß wie beide Funktionen, obgleich auf derselben wissen- schaftlichen Grundlage, ein verschiedenes Objekt haben — der Orga- nismus des Gesundheitswesens die öffentliche Gesundheit in ihren Be- dingungen, die Organe des Heilwesens die Krankheit des Einzelnen und die Bedingungen der Genesung — so auch beide ein ganz verschie- denes Recht besitzen; die Aufgabe der ersten ist, das obige Rechts- princip des Heilwesens in den Thätigkeiten der letzteren zur Durchführung zu bringen. Und die Darstellung der Formen und Regeln nach denen dieß geschieht, bildet das Rechtssystem des öffentlichen Heilwesens . Der gewöhnliche Ausdruck für Heilwesen ist Medicinalwesen. Jedoch bezeichnet das Wort ebenso das ganze Gesundheitswesen. Natürlich ist die Bezeichnung an sich gleichgültig; keineswegs aber ist es einerlei, ob man sich dahin einigt, bestimmte Begriffe mit bestimmten Worten zu verbinden, um dadurch unendlich viel Mühe zu sparen. Wir wären glücklich zu einer solchen Einigung hier Einiges beitragen zu können. Die beiden Gebiete des Heilwesens. Das System des Heilwesens ist auf der obigen Grundlage ein ein- faches; das Leben innerhalb desselben ist dagegen reich genug. Das Heilwesen umfaßt nämlich zuerst die Gesammtheit aller, für die Heilung bestimmten berufsmäßigen Thätigkeiten; zweitens die für die Heilung hergerichteten Institute und Unternehmungen. Den ersten Theil nennen wir das Heilpersonal , den zweiten die Heilanstalten . Zunächst hat nun jeder dieser Theile allerdings wieder sein eigenes öffentliches Recht und seine eigene Geschichte, da die Rechtsbildung für das Heilpersonal aus der berufsmäßigen Bildung der Universitäten her- vorgeht und auf derselben fortbaut, während die Heilanstalten ursprünglich dem Armen- und Hülfswesen angehören und mit dem Heilpersonal Jahrhunderte hindurch so gut als gar nichts zu thun haben. Allein die Erkenntniß der gemeinsamen wissenschaftlichen Grundlage schafft all- mählig eine Gegenseitigkeit beider Gebiete, und damit wird der Cha- rakter des ganzen Heilwesens zum großen Theil abhängig von dem Ver- hältniß, in welchem beide zu einander stehen. Dieß Verhältniß beruht nun seinerseits darauf, daß mit dem Auf- treten der Organisation des Gesundheitswesens und der immer allge- meiner werdenden Forderung nach theoretischer Bildung des Heilper- sonals der systematische Versuch gemacht wird, die Heilanstalten zugleich als Bildungsmittel für das Heilpersonal zu benutzen, indem die wirth- schaftliche Leitung der ersteren den neuen Verwaltungsbeamteten, die sanitäre dagegen den wissenschaftlichen Fachmännern übergeben wird. Dadurch entsteht allmählig ein System der ersteren, das von großem Einfluß auch auf die letztere wird. Und so erscheint auch hier die Basis des Fortschrittes in dem Ineinandergreifen der an sich selbständigen Theile. A. Das Heilpersonal. Begriff und System . Dem formalen Begriffe nach umfaßt das Heilpersonal demnach die Gesammtheit derjenigen, welche die Heilung der Krankheiten zu ihrem Lebensberufe gemacht haben. Seinem Wesen nach ist nun dieser Beruf ein für die ganze Ge- meinschaft der Menschen bestimmter, ein allgemeines Bedürfniß derselben befriedigende Thätigkeit. Er erscheint daher allerdings als ein Theil der öffentlichen Verwaltung; allein in seiner Ausübung wie in seiner Benützung betrifft er das Individuum. Er enthält daher nicht eine Funktion der Verwaltung, sondern die letztere hat für sie nur das oben dargestellte allgemeine Rechtsprincip des Heilwesens zur Geltung zu bringen, das ist durch ihre Maßregeln die fachmännische Bildung zur Bedingung der Ausübung dieses Berufes zu machen . Aus dieser Grundlage gehen nun diejenigen einzelnen Sätze her- vor, deren Gesammtheit das öffentliche Recht des Heilpersonals bildet. Das erste, was dieses öffentliche Recht fordert, ist demnach, daß die Verwaltung die öffentlichen Bedingungen dieser berufsmäßigen Fachbildung herstelle. Die Art und Weise, wie dieß geschieht, gehört jedoch als allgemeine Voraussetzung dem Bildungswesen an, auf welches wir daher hier verweisen. Das zweite Moment dieses öffentlichen Rechts ist das der Prü- fung , mit welchem die berufsmäßige Bildung abschließt. Für diese ist festzustellen, daß sich Bildungsanstalten und Prüfungen stets bedingen und entsprechen, und daß daher auch die rechtliche Ordnung der einen nicht ohne die der andern formulirt gedacht werden, oder in Entwick- lung begriffen sein kann. Das dritte Moment ist dann die Anerkennung des Berufes, dessen Bedingung durch die Prüfung als vorhanden gesetzt wird. Diese Anerkennung aber enthält wieder einen ganz bestimmten rechtlichen Inhalt, dessen wesentliche Punkte einerseits in dem Recht auf freie Aus- übung, andererseits in dem Recht auf Ausschließung der nicht berufs- mäßig Anerkannten besteht. Daraus nun entwickelt sich das, was wir das System des Heil- personals nennen. Die Verschiedenheit der Funktionen in der Heilung der Krankheiten nämlich macht eine Beschränkung des Berufes auf einen bestimmten Theil derselben, damit eine Beschränkung in der Bildung, und damit eine Beschränkung im Rechte der Ausübung möglich, wäh- rend alle Berufsgenossen und ihre Funktionen dennoch wieder innerlich Ein Ganzes bilden. Die auf diese Weise auf Grundlage der verschie- denen und speziellen Fachbildung entstehende Verschiedenheit des öffent- lichen Berufsrechts ergibt dann die rechtliche Gestalt des Systems des Heilpersonals . Die drei Hauptgebiete daher sind das der Aerzte , das der Apotheker , und das der Heildiener . Jeder dieser Theile hat wieder sein eigenes System und sein eigenes Recht mit seiner Ge- schichte, und dieses Recht und diese Geschichte sind wieder in den ver- schiedenen Ländern sehr verschieden. Reich genug ist also auch dieser Theil des Gesundheitswesens. Aus dem Begriffe der öffentlichen Funktion aber entspringen in Beziehung auf die einzelne Heilthätigkeit wieder gewisse Sätze, welche dieses Rechtssystem im Einzelnen vervollständigen. Zuerst ist das berufsmäßig gebildete Heilpersonal frei in seiner Auffassung der Heilkunde, welche seiner Thätigkeit zum Grunde liegt. Dafür aber ist es zweitens verpflichtet , dem Kranken seine Hülfe nicht zu versagen, denn es ist zwar kein Diener des Staats, und es ist sinnlos von einem Diener des Publikums zu reden, wohl aber ist es Diener seines Berufes. Indem es dem Berufe folgt, hat es in seinen öffentlichen Erklärungen das Recht des Berufes auf gerichtliche Glaubwürdigkeit, und seine Ansprüche für Entgelt haben, da sie die Gesundheit als Bedingung aller persönlichen Entwicklung betreffen, auch das Vorrecht vor allen andern Arten von Forderungen. Das sind die allgemeinen Grundsätze, welche das öffentliche Recht des Heilpersonals bilden. Sie sind weder schnell und gleichmäßig ent- standen, noch gelten sie gleichmäßig. Es ist nicht schwer, sie einfach zusammenzustellen. Eine wahre Vergleichung indeß wird erst dadurch möglich, daß man die Verschiedenheit der öffentlichen Rechtsbildung auf ihren organischen Grund, die Verschiedenheit der öffentlichen Fach- bildung zurückführt. Durch die Verbindung dieser Gesichtspunkte erst gewinnt die Lehre vom Heilpersonal ihr rechtes Leben und ihre Stel- lung in der gesammten Auffassung des Staatslebens. Der leitende Grundsatz aber ist dabei, daß die öffentliche Anerkennung und das öffent- liche Recht des Heilpersonals in jedem Theile seines Systems in dem Grade höher stehen und klarer formulirt werden, in welchem die Fachbildung strenger und vollständiger ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muß das folgende öffentliche Recht beurtheilt werden, wobei nicht vergessen werden darf, daß das Bildungs- wesen seine selbständige Darstellung fordert. Elemente der Geschichte des öffentlichen Rechts . Faßt man nun demnach das öffentliche Heilpersonal im obigen Sinne als ein Ganzes auf, so sind die, allen Classen desselben gemein- samen historischen Grundlagen folgende. Die allgemeine Voraussetzung jedes öffentlichen Rechts dieses Be- rufs ist zunächst die berufsmäßige Bildung, und das aus derselben sich ergebende ständische corporative Recht des Berufsgenossen. Dieß über diese ständische Bildung hinausgehende Ergebniß dieser ersten Epoche ist die staatliche Forderung an eine berufsmäßige Bildung überhaupt, welche alsdann zur rechtlichen Bedingung der Ausübung dieses Be- rufs gemacht wird. Die Geschichte aber dieser staatlichen Forderung und des aus ihr hervorgehenden öffentlichen Rechts ist dann allerdings wieder für jede Classe des Heilpersonals verschieden; der große Zug derselben aber ist die unverkennbare Bestrebung, jene Bildung so allge- mein zu machen als möglich, und durch sie die Heilung von jeder aus der Unkenntniß der wissenschaftlichen Grundsätze entspringenden Gefah- ren zu schützen. Die Hauptformen, in denen dieser große, noch nicht beendete Proceß verläuft, sind folgende. In der Geschlechterordnung gibt es noch keine berufsmäßige Heil- kunde, also auch noch kein berufsmäßiges Heilpersonal. Die erste ist nur noch ein höheres Gewerbe. Es mangelt daher hier alles öffentliche Recht des letzteren. Selbst da, wo aus der Geschlechterordnung unmit- telbar die staatsbürgerliche Ordnung hervorgeht, wie bei den Römern, behält die Heilkunde den gewerbsmäßigen Charakter, und das Heilwesen erhebt sich daher überhaupt nicht zu einem Gebiete der Verwaltung. In der ständischen Gesellschaftsordnung dagegen tritt die berufs- mäßige Bildung selbständig auf, und zwar einerseits mit corporativer Verwaltung und Rechten des höheren Heilpersonals, der Doctores medicinae, andererseits aber auch mit strenger ständischer Ausschließung gegenüber der nicht berufsmäßig Gebildeten. So entsteht die tiefe Schei- dung innerhalb des Heilpersonals der ständischen Epoche, welche auf einem qualitativen Unterschied beruht, und jede Gemeinschaft und Gleich- artigkeit des öffentlichen Rechts in dieser Zeit ausschließt. Wir bezeich- nen sie demgemäß als das berufsmäßige und das gewerbsmäßige Heilpersonal. Die ersteren empfangen die strenge corporative Selbst- verwaltung, die sich zunächst an die Universitäten anschließt, die letzteren bleiben dagegen reines Gewerbe, das sich als selbständige Zunft ordnet. So entstehen die, specifisch der germanischen Welt angehörigen Unter- schiede zwischen der Classe der Aerzte einerseits, denen sich die Apo- theker anreihen, und der Wundärzte, Bader, Feldscheerer u. s. w. andererseits. Das erste Princip des öffentlichen Rechts dieses Unter- schiedes erscheint dann in der Ausschließung der letzteren von den inne- ren Krankheiten, und in der Anschauung der ersteren, daß die technische Behandlung der äußeren Krankheiten sie entwürdige. Die zweite Folge ist das Entstehen der Verfolgung der Kurpfuscherei. Die dritte endlich ist die Unterordnung der gesammten zweiten Classe unter die erstere. Der Widerspruch, der darin mit der höheren Natur des Heilwesens liegt, wird nun namentlich seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts allmählig durch den Fortschritt der medicinischen Wissenschaften immer klarer, die Vorstellung, daß die äußeren Krankheiten der letzteren nicht bedürfen, immer mehr verdrängt, und das gewerbliche Element in den niederen Classen des Heilpersonals mehr und mehr beseitigt. Die Grund- lage dieser Entwicklung ist wesentlich der Gedanke, daß der ärztliche Beruf im weitesten Sinne ein öffentlicher , ein munus publicum sei, und daher in allen seinen Theilen eine gewisse gleichartige Grundlage haben müsse. Diese Erkenntniß findet zuerst ihren Ausdruck in dem Entstehen der staatlichen Gesundheitsverwaltung, und die erste, wenn auch nur äußerliche Verbindung der verschiedenen Classen wird durch die Herstellung einer dem ganzen Heilpersonal gemeinsamen obersten Verwaltung angebahnt. Dieß geschieht durch die Collegia medica und sanitatis seit dem achtzehnten Jahrhundert. Aus der formalen Gemeinschaft unter dieser „Sanitätspolizei“ entwickelt sich langsam eine innere, die in der immer strenger geordneten fachmännischen Bildung der zweiten Classe ins Leben tritt, und in der allmähligen Aufhebung des Unterschiedes zwischen Aerzten und Wundärzten ihren Ausdruck findet. Mit der Verschmelzung dieser beiden Classen tritt nun die Basis des gegenwärtigen Zustandes ein, der auf dem wissenschaftlichen Unter- schiede der Heilung und des Gesundheitsdienstes beruht, und den durchgreifenden Unterschied der Aerzte und Apotheker und der Gesundheits- oder Heildiener auch durch die berufsmäßige Bildung durchführt. Das öffentliche Recht dieses Unterschiedes und der zwei durch ihn gebildeten Classen des Heilpersonals besteht nun in dem an sich ein- fachen Satz, daß die Gesammtheit aller Thätigkeiten, welche die Hei- lung der Krankheiten zum unmittelbaren Zweck haben, die vollstän- dige berufsmäßige Bildung voraussetzen (alle Arten der Aerzte), wäh- rend diejenigen Thätigkeiten, welche jenen ersteren nur technische Hülfe leisten, auch nur eine spezielle technische Bildung fordern (Apotheker, Hebammen, niedere Heildiener); diejenigen dagegen, welche es mit den physischen Zuständen der Gesunden zu thun haben, reine Gewerbe werden (Rasirer, Bader). Nachdem auf diese Weise das rein gewerbliche Element durch die Entwicklung der Wissenschaft aus dem Heilpersonal und dem Heilwesen überhaupt ausgeschieden ist, ist es nunmehr die Aufgabe der Verwal- tung, die Bildung und die derselben entsprechenden Rechte des Heil- personals als ein Ganzes aufzufassen und zu ordnen. In der That geht die gegenwärtige Entwicklung dahin, dieß auf wissenschaftlicher Grundlage durch die Vorschriften der Gesundheitsverwaltung auch wirk- lich zu leisten. Der Grundzug der somit entstehenden Rechtsbildung ist der Gedanke, das öffentliche Rechtsverhältniß der Aerzte dem der übrigen Theile des Heilpersonals zum Grunde zu legen, und die Spezialbil- dungen und Prüfungen für die Theilung der Leistungen im Heil- dienste zu fordern. Eine Codifikation ist dazu nicht nothwendig; wohl aber eine einheitliche Auffassung des Ganzen und speziell der auf die einzelnen Gebiete des Heildienstes bezüglichen Vorschriften. Es ist dadurch allerdings ein System entstanden, aber das systematische Ele- ment liegt naturgemäß in der Wissenschaft; kaum zum Schaden der Sache. Eine gleichartige Entwicklung hat jedoch schon darin unter den verschiedenen Völkern Europas nicht stattfinden können, weil einerseits die medicinische Bildung auf einem so verschiedenen Standpunkt steht, und andererseits das gewerbliche Leben und Recht eben so wenig gleichartig ist. Das charakteristische Element ist dabei stets die Stel- lung, welche die höchste Medicinalbehörde einnimmt, und zwar speziell das Verhältniß derselben zur fachmännischen Bildung des Heil- personals. Eben deßhalb ist nun wohl in keinem Theile des gesammten Ge- sundheitswesens der Unterschied der Organisation und des öffentlichen Rechts ein so großer, als gerade bei dem Heilpersonal. Er ist gleich- sam der formulirte Ausdruck des öffentlichen Bildungszustandes des Heilpersonals in den verschiedenen Ländern. Eine unmittelbare Ver- gleichung wird daher sehr schwierig, und kann nur vom allgemeinsten Gesichtspunkte aus geschehen. In England gab es bis vor wenig Jah- ren gar kein öffentliches Recht des Heilpersonals, weder des höheren noch des niederen. In Frankreich besteht dasselbe zwar, und mit ganz bestimmter Unterscheidung des öffentlichen Rechts der berufsmäßig und gewerbsmäßig Gebildeten, der Docteurs en médecine und der Officiers de santé, allein bei der völligen Unzulänglichkeit der eigentlichen Be- rufsbildung hat die Gesetzgebung sich namentlich auf die Feststellung des öffentlichen Rechts der letzteren als Aushülfsmittel für den Mangel der ersteren hinwenden müssen; in ihnen liegt die Schwierigkeit des ganzen Heilwesens Frankreichs, und die wird es bleiben, so lange nicht mehr medicinische Facultäten entstehen. In Deutschland dagegen ist die Zahl der berufsmäßigen Aerzte wieder so groß, daß die Classe der eigentlichen Heildiener beinahe ganz verschwindet, ein Bedürfniß nach einem öffentlichen Recht derselben gar nicht existirt, und so weit die Classe noch besteht, die volle berufsmäßige Bildung mehr und mehr von ihr gefordert wird, so daß es zwischen Gewerbe und Beruf hier keinen Uebergang mehr gibt. Auf demselben Standpunkt stehen Holland und Skandinavien, während Belgien das französische Princip befolgt. Es wird eben deßhalb sehr schwer werden, im Folgenden ein Bild zu geben, das nicht den Grundcharakter deutscher Zustände an sich hätte; um so mehr, da das deutsche Recht entschieden das Muster für alles dasjenige ist, was sich bei den andern Völkern theils gebildet hat, theils bilden will. Wir werden die Eintheilung daher auch nicht nach den obigen allgemeinen Kategorien, sondern nach den einzelnen Arten des höheren und niederen Heilpersonals aufstellen. I. Die Aerzte und ihr öffentliches Berufsrecht. 1) Geschichtliche Entwicklung . Das gegenwärtige System des ärztlichen Berufsrechts ist allmählig gebildet, und hat erst in unserem Jahrhundert seine ziemlich allgemein gültige Gestalt empfangen, in der jedoch die früheren historischen Ele- mente aufgenommen und verarbeitet worden sind. Das ärztliche Berufsrecht beginnt in der That erst mit dem Auf- treten der Universitäten und dem aus ihnen hervorgehenden System der fachmännischen Bildung. Das ärztliche Recht der Römer ist nur ein bürgerliches Recht, und die Heilung nur durch die Grundsätze der bür- gerlichen culpa geschützt. Die Entwicklung des eigentlichen Berufsrechts erscheint dagegen in drei großen Stadien. Die erste Epoche enthält den, zum öffentlich ständischen Recht er- hobenen Grundsatz, daß das Recht, sich zum berufsmäßigen Arzt, Doctor medicinae, zu erklären, die medicinischen Facultätsstudien und Prü- fungen voraussetzt, und die ärztliche Eidesleistung fordert. Die erste vollständige Formulirung dieser Grundsätze ist die Organisation der Schule von Salerno unter Friedrich II. 1232 (Constit. Siculorum III. 34) . Das ethische Element der Berufsbildung ist durch die im Eide gegebene Verpflichtung enthalten, die Kranken zu besuchen; das admini- strative in der ersten Taxe . Allein noch stehen die Doctores als ganz selbständiger Stand, ohne Beziehung auf das übrige Heilwesen da, und Bildung, Prüfung und Recht sind mehrere Jahrhunderte hindurch aus- nahmsweise Verhältnisse für die eigentlichen Aerzte. Daneben aber ist der Wundarznei schon zu gleicher Zeit die Möglichkeit selbständiger wissen- schaftlicher Bildung geboten. Erst mit dem fünfzehnten, namentlich aber mit dem sechzehnten Jahrhundert verbreitet sich der Stand der Doctores mit der Ausbrei- tung der Universitäten. Das Entscheidende dabei wird dann die Auf- nahme der berufsmäßigen Aerzte als Physici in der Stellung eines Gemeindebeamteten, welche neben dem rein ständischen das öffentlich rechtliche Moment zuerst in die Stellung der Aerzte hineinbringt. Damit theilt sich nun auch allmählig die Bildung ihres öffentlichen Rechts in zwei Gebiete. Das erste besteht aus den Universitäts- oder Studien - und den Prüfungs - oder Promotions-Ordnungen der Doctores; das zweite wird gebildet durch die, noch immer örtlichen Medicinal- und Apotheker- ordnungen der Obrigkeiten , die im Grunde nur die Ideen der salerni- tanischen Vorschriften auf jene Gemeindeärzte anwenden, ohne daß dabei eine irgendwie nachweisbare Scheidung des amtlichen und des freien berufsmäßigen Elementes durchgeführt werden könnte; doch bürgert sich von da an der Grundsatz ein, daß die ärztliche Funktion überhaupt ein munus publicum sei. Von einem speziellen Recht der Aerzte ist dabei noch keine Rede; allein die berufsmäßige Bildung ordnet sich schon jetzt die gewerbsmäßige Praxis unter, und legt damit den Grund zur Ent- stehung der beiden großen Classen des Heilpersonals, indem die gewerb- liche Heilkunde neben der berufsmäßigen als selbständige Innung und Zunft mit Gewerberecht erscheint, und ihre technischen Thätigkeiten im Stein , die Verwaltungslehre. III. 7 Heilwesen dem Berufsmäßigen und seinen Anordnungen unterordnet. Das achtzehnte Jahrhundert, das diese Epoche abschließt, macht dann aus dem bisher örtlichen Recht ein allgemein öffentliches, indem nament- lich die Studien und Prüfungsordnungen jetzt nicht mehr den Universi- täten überlassen, sondern durch die höchsten Medicinalbehörden festgestellt und die Gränzen der Praxis scharf nach dem Maß der gesetzlichen Bil- dung bestimmt werden. So wird jener Classenunterschied auf Grund- lage der doppelten Bildung aus einem bis dahin, wir möchten sagen, rein gemeindlichen Rechtsverhältniß zu einem staatsrechtlichen, und die Classifikation des Heilpersonals in bestimmten, je mit eigener ärzt- lichen Heilberechtigung versehenen Classen der Aerzte, Chirurgen und niederen Wundärzte stellt sich fest, die im Grunde nur die Entwicklung der ältesten Auffassung des Unterschiedes von Medicin und Chirurgie in Salerno enthält; zugleich aber der Gedanke einer oberaufsehen- den Gewalt über die Praxis, durch welchen der Beruf vielfach den Charakter eines Amtes bekommt. Das gegenwärtige Jahrhundert hat nun die Elemente der bisherigen öffentlichen Rechtsbildung in sich aufgenommen und sie wesentlich nur juristisch formulirt; der durchgreifende Fortschritt besteht in dem, nament- lich in Deutschland sichtbaren und in den Studien-, Prüfungs- und Praxisordnungen erscheinenden Streben, nach der möglichsten Gleich- heit in dem Rechte für alle dem ärztlichen Berufe angehörenden Per- sonen, speziell aber in der Aufhebung der Unterschiede in Bildung und Recht der Medicin und Chirurgie. Dieses System der Aerzte formulirt sich jetzt daher in einem System des öffentlichen Rechts derselben, das in drei Theile zerfällt. Der erste Theil ist das Doctorats - oder das Studien- und Prüfungsrecht, das zweite das Recht der Praxis , das dritte die Pflicht des Berufes. Man kann wohl sagen, daß jeder dieser Theile nicht bloß seine eigene Gesetzgebung, sondern auch seine Geschichte hat, die selbst im Einzelnen von hohem Interesse ist. Die Geschichte des öffentlichen Berufsrechts der Aerzte ist mit wenigen Ausnahmen nur von Aerzten untersucht. Den Hauptanstoß gab auch hier Franks ausgezeichnetes Werk; namentlich Bd. VI. Ge- schichte der Verordnungen von 1140 von Mayr in Salerno (Prüfung der Aerzte, wohl auf Grundlage des Staatsrechts) und der Organisa- tion der medicinischen Fakultät von Salerno. Grundsatz: drei Jahre Logik und allgemeine Wissenschaften und fünf Jahre Fachstudien; dann Prüfung von den Professoren, Zeugniß und venia; darauf der Eid der Doctores; ebenso Studium und Prüfung der Apotheker und Chirurgen nebst Eid und venia. Der Eid enthält die Verpflichtung zum Beistande bei Armen auf eigene Kosten, wohl nach l. 18. 28 Dig. de Munerib. et Honorib. l. 13 Cod. de Vacat. et Exclusionibus . Dann schließt Frank VI. 179 die ganze, jetzt so wenig beachtete Literatur des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ( Sachs, Zacchias, Rippe u. A.) bei der das ethische berufsmäßige Element als munus publicum auftritt. Die beste Geschichte des seit dem vierzehnten Jahr- hundert sich allmählig entwickelten Verhältnisses der Chirurgie und ihrer allmähligen wissenschaftlichen Bildung bei Frank VII. 2. 6. Das Reichs- polizeigesetz von 1548 hat die Chirurgen noch unter den Handwerkern; das österreichisch privilegirte Chirurgaeum vom 28. Febr. 1686 erkennt sie jedoch schon als Kunst; 1679 werden die Chirurgen den Apothekern vorgesetzt. Entstehung und Recht der Physici, des Namens der „Aerzte,“ seit dem fünfzehnten Jahrhundert; die Verordnung von Kaiser Sigis- mund vom vierzehnten Jahrhundert. Die folgende Zeit ist weniger aus- führlich. ( Stoll , Staatswissenschaftliche Erfahrungen über Medicinal- wesen I. 102.) Gesetze und Vorschriften der Corpus juris und Cod. Theodosianus p. 141. Aelteste Verfügung gegen Kurpfuscher im Freibrief der Universität Tübingen 1477; die Medicinal- und Apotheker- ordnungen theils im Anschluß an die C. C. Carolina, theils selbständig: Würzburg 1502, Augsburg 1512, Cöln 1493 ( Ehrhardt a. a. O. namentlich I. 12.) Die römischen und canonischen Vorschriften über das Recht der Aerzte und ihre Praxis; über Salernum I. 16 ff. Arzt- und Apothekerordnungen des sechzehnten Jahrhunderts I. 23. Erste Vor- lesung über Medicina forensis 1650—1700. I. 25. Die späteren Ve- stimmungen sind meist an die Errichtung der Collegia medica ange- schlossen. Die deutsche staatswissenschaftliche Literatur, im Grunde ganz von der medicinischen Richtung beherrscht, hat das Heilpersonal fast nur als einen Gegenstand der Staatsverwaltung, als eine „ Sorge für ein taugliches Medicinalpersonal“ u. s. w. behandelt. Von der öffent- lich-rechtlichen Stellung desselben ist in der Theorie fast gar nicht die Rede. Der einzige (uns bekannte) gesetzliche Ausspruch ist der des preußischen allgemeinen Landrechts II. 2. §. 505, welches das Heilper- sonal als Personen bezeichnet, „welche ohne Beamtete zu sein, doch dem öffentlichen Wohle verpflichtet sind;“ ein folgendes Rescript bei Rönne’s Medicinalwesen I. 288 sagt, daß sie bei gerichtlichem Verfahren und in Disciplinarsachen als Beamte , im übrigen als kunstverständige Ge- werbtreibende behandelt werden sollen. (Vergleiche Rönne , Staats- recht II. 352.) Die spezielle Geschichte des ärztlichen Rechts in Preußen: Horn , das preußische Medicinalwesen Bd. II. S. 1 ff.; Rönne und Simon , das Medicinalwesen des preußischen Staates I. 12. ff. — Oesterreich: Kopetz , Polizeigesetzkunde I. §. 384 und II. 760; Frank VII. S. 321; derselbe über die früheren Verhältnisse der Chirurgie in Sachsen und Bayern daselbst 2. 6. nebst dem Grundgedanken, daß Chirurgie und Medicin vereint werden müsse. — Baden : Die in den wesent- lichen Punkten noch jetzt gültige Medicinalordnung von 1806. Das Spezielle folgt. Was speziell England betrifft, so ist es am weitesten zurück. Hier galt bis auf die neueste Zeit der Grundsatz, daß es kein öffent- liches Berufsrecht der Aerzte (ebensowenig der Apotheker) gibt. Die Verwaltung kümmerte sich gar nicht um die Bildung und das Recht derselben; gesetzlich war kein Diplom zur Praxis erforderlich. Der sogen. Doctor in medicine lernte nur bei einem andern, meist nur ausübenden Chirurgen; nur galt das Gesetz, daß sich Niemand Doctor, Physician oder Surgeon öffentlich nennen darf, der nicht eine Prüfung bei einer medicinischen Genossenschaft, wie sie dort ohne Oberaufsicht bestehen, als College of Surgeons, of Physicians u. s. w. bestehen, oder bei einer University abgehalten hat. Vorschriften über den Bildungsgang, Gegenstand der Prüfung, Verpflichtungen der Aerzte oder Aehnliches bestanden keine ; es war rein fakultativ, ob der Ein- zelne einen — etwa viermonatlichen — Cursus in einem Hospital durch- gemacht oder nicht. Das alles hat nun das Statut 20, 21. Vict. zu ändern unternommen (s. unten). Medicinische Fakultäten bestehen zwar, aber dieselben sind auch jetzt ohne Recht gegenüber den Aerzten; sie werden wenig benützt und haben nur einen „ornamentalen Charakter.“ Daher denn das Mißverhältniß, daß die meisten Aerzte — surgeons — ihre eigene Apotheken halten, in Folge dessen umsonst kuriren und sich in den Medicinen bezahlen lassen — natürlich ohne Recepte; viele haben eine stereotype selbstgemachte Taxe (jede Flasche Medicin zwei Schilling, Consultation gratis). Schlimmer noch das Apothekerwesen (s. unten). „Ueber kurz oder lang wird,“ sagt ein Fachkenner, das Medicinalwesen unter die Oberaufsicht des Staates gestellt werden müssen, so sehr sich auch die Fanatiker des free trade in diesem Augenblick da- gegen sträuben.“ Eine Literatur darüber existirt nicht. Ueber das Ver- hältniß der Universitäten zur medicinischen Bildung s. unter Englands Berufsbildungswesen. (Vergl. V. A. Huber , die englischen Universitäten Bd. II. S. 471. ff.) Die Unverträglichkeit dieser Zustände hat sich jetzt in dem citirten Gesetz geltend gemacht und das obige Wort bewahr- heitet; allein es wird große Anstrengungen und namentlich die Ein- führung geeigneter medicinischer Bildungsa nstalten, an denen es in England fehlt, fordern, um ein wirkliches Resultat zu erzielen. — Das französische System ist eben ganz neu ; seine Geschichte beginnt mit der Université, und sein Inhalt gehört dem Folgenden. In ganz ähnlichem Verhältniß stehen Belgien und Holland, nur mit dem allerdings großen Unterschiede, daß hier zwar kein organisches Recht der Aerzte, wohl aber die Bildungsanstalten auf den Universitäten vorhanden waren, und sich das neue Recht daher einfach an die letztere anschließen konnte. 2) Das System der Aerzte, Bildungs- und Prüfungswesen . Auf Grundlage dieser allgemein historischen Zustände hat sich nun dasjenige entwickelt, was wir das System der Aerzte nennen möchten. Dasselbe beruht darauf, daß mit den großen Medicinal-Polizei- gesetzgebungen der Gedanke entsteht, nicht bloß im Allgemeinen, sondern auch im Speziellen das Recht auf die besonderen Gebiete der Praxis an eine besondere Bildung und Prüfung zu binden — ein Gedanke, der, wie schon erwähnt, Deutschland und zwar im vorigen Jahrhun- dert eigenthümlich ist. Das ärztliche Personal und das ärztliche Recht bietet daher bis auf die neueste Zeit ein buntes, zum Theil höchst pedan- tisch geordnetes Bild, dem gegenüber erst in unserem Jahrhundert die Ueberzeugung sich Bahn bricht, daß eine solche Classifikation der Aerzte weder wissenschaftlich haltbar, noch auch in der Praxis durchführbar sei. Dieser Gedanke hat noch keineswegs ganz gesiegt. Wir müssen unsere Zeit in dieser Beziehung als Uebergangsperiode betrachten, und die großen Verschiedenheiten, welche daher auch in Europa gelten, auf mög- lichst einfache Kategorien zurückführen. Die erste Gruppe von öffentlichem Recht ist durch diejenigen Län- der gebildet, bei welchen das berufsmäßige Doctordiplom ohne Staats- prüfung das Recht auf die volle Praxis gibt, und zwar ohne besondere Bildung und Prüfung für die einzelnen Zweige der Heilkunde, und ohne öffentliche Stellung des niederen Heilpersonals. In diesen Län- dern ist der Doctor medicinae der alleinige und zu jeder Praxis be- rechtigte berufsmäßige Arzt; aber dafür hat er auch das ausschließ- liche Recht auf die ärztliche Funktion. Dazu gehören namentlich die meisten kleineren deutschen Staaten, Skandinavien, und in der neuesten Zeit Holland. Die zweite Gruppe bildet die Doctores medicinae gerade so wie die ersten, fordert aber eine spezielle Bildung für einzelne Fächer (namentlich Augen- und Zahnheilkunde), nebst einer eigenen Staats- prüfung. An der Spitze steht hier das preußische System in seiner neuesten Gestalt, und das österreichische , dem jedoch die besondere Staatsprüfung fehlt. Die dritte Gruppe hat die Doctores medicinae, aber daneben das System der Heildiener, welche ohne bestimmte scharf zu bezeichnende Gränze eine gewisse wissenschaftliche Bildung haben müssen, aber da sie keine Universitätsstudien machen, auch einer rein staatlichen Prüfung niederen Grades unterliegen. Das ist das System Frankreichs mit seinen Officiers de santé und seiner Jury médicale, welche prüft und Zeugniß gibt. Die vierte Gruppe endlich zeigt uns in der neuesten Zeit Eng- land, in welchem die berufsmäßige Prüfung und die Ertheilung des Doctorgrades durch eine Staats-Prüfungscommission eingeführt ist, aber daneben das ungeprüfte Heilpersonal ohne alle Bildung und Ober- aufsicht bestehen und die Heilkunde ausüben läßt. Es leuchtet nun wohl ein, daß auf diesen so äußerst verschiedenen Grundlagen eine gemeinschaftliche Darstellung des Rechts der Aerzte und ihres Systems nicht füglich möglich ist. Wir müssen daher für das positive Verwaltungsrecht daran festhalten, daß bis jetzt die geltende Ordnung nur für jedes einzelne Land gegeben werden kann. Wenn man jedoch nach den Grundsätzen der Verwaltung slehre neben denen des Verwaltung srechts fragt, so sind sie wohl sehr einfacher Natur, und enthalten in der That nur die wissenschaftliche Formulirung der Thatsachen, welche sich vor unsern Augen ohnehin vollziehen. Eine Scheidung oder Classifikation der Aerzte nützt eben so wenig als eine Specialprüfung. Die Fachbildung soll allen gemein, das Recht aber gleich sein. Die Fachprüfung der Universität muß genügen; dafür aber müssen die Universitäten selbst wieder zu genügen im Stande sein. Der Schwerpunkt hat daher in den Studien und Prüfungsordnungen zu liegen, stets unter der Voraussetzung, daß die (praktische) Klinik mit der Theorie verbunden bleibe. Hier liegt die Hauptsache niemals in den Gesetzen, Formen und Prüfungen, sondern in dem wissenschaftlichen Geiste , der den Beruf erfaßt, und es ist festzuhalten, daß auch die beste Prüfung nie die Gewähr für einen guten Arzt, sondern nur die für ein Minimum der für das Heilwesen erforderlichen Kenntnisse geben kann und gibt. Bei weitem die meisten deutschen Staaten halten den Grundsatz fest, daß die Studieno rdnungen der medicinischen Fakultäten das Bildungs- und die Promotionso rdnung das Prüfungsrecht enthalten und erschöpfen. Ueber einschlagende Bestimmungen des vorigen Jahr- hunderts, speciell auch die Prüfungen und Zulassungen zur Praxis betreffend, siehe Berg , Polizeirecht II. S. 83; Bergius , Polizei- und Cameral-Magazin IV. 336; Erhardt a. a. O. I. 152 nebst der histo- rischen Literatur; allerlei zum Theil unpraktische Wünsche und Forde- rungen bei Nicolai , Sanitätspolizei II; Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 33. Ueber die im vorigen Jahrhundert vielbesprochene Idee, die Landgeistlichen als Aerzte zu verwenden, bei Frank VII. S. 379 ff. In Oesterreich ist für die Aerzte die Studienordnung vom 1. Okto- ber 1850, für die Magister der Chirurgie die obligate Ordnung vom 19. Januar 1810, 20. April 1833 und 17. November 1834 maßgebend; das Doktorat der Chirurgie kann durch ein eigens eingerichtetes Stu- dium von dem Magister erworben werden. Neben diesem bestehen noch die Patrone der Chirurgie (approbirte Wundärzte), so daß die Chirurgie noch immer viel Handwerksmäßiges an sich trägt. (Gremialordnung vom 10. November 1821 und Erlaß vom 10. Juli 1854 [Wien]. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde, §. 286. Chirurgische Special- schulen. Brachelli , Staaten Europas, S. 564.) Da jedoch die meisten Doktoren der Medicin zugleich Doktoren der Chirurgie und der Geburts- hülfe werden, so wird die praktische Unhaltbarkeit des bisherigen Rechts kaum zweifelhaft sein. Die früheren Prüfungen für das „Magisterium“ der Augen - und Zahnh eilkunde (Dekret vom 19. Januar 1810 und 6. December 1819) sollten beseitigt werden. Eine Staatsprüfung neben dem Doktorat gibt es nicht ( Stubenrauch , Verwaltungs- gesetzkunde II. §§. 280, 281). Eine ganz specielle Darstellung der einzelnen Punkte gibt Juri é , Pflichten und Rechte der Obermedicinal- Aerzte 1847. Die Entwicklung der preußischen Gesetzgebung ist in dieser Beziehung nicht minder wichtig. In Preußen ist der Unterschied zwischen Aerzten und Chirurgen, noch weitläufig mit Unterscheidung von zwei Classen der letzteren und besonderem Studiengang, vorgeschrieben durch die Classifikations- und Prüfungsordnung vom 24. August 1825 und das Staatsprüfungsreglement vom 1. December 1825. Erst in der neuesten Zeit hat man die ganze alte, nutzlose und zum Theil schäd- liche Classifikation (Aerzte, Wundärzte erster und zweiter Classe) beseitigt und durch das Reglement vom 8. Oktober 1852 die Einheit und Gleich- heit der Bildung und des Rechts hergestellt (s. die Verordnung voll- ständig bei Horn , Medicinalwissenschaft I. S. 1 ff.). Alle Aerzte müssen jetzt die Universitätsbildung durchmachen und die Doktorats- prüfung bestehen. Derselben folgt jedoch noch immer eine (überflüssige) Staatsprüfung durch die Ober-Examinations-Commission und die Dele- gation derselben ( Rönne , Staatsrecht II. §. 231 und §. 352; die frühern Prüfungsordnungen bei Rönne und Simon , Medicinalwesen des preußischen Staats I.; das erste Staatsprüfungsreglement vom 1. Febr. 1798 ebend. S. 344 ff.). In den kleineren deutschen Staaten bestehen wohl noch mannigfach, zum Theil nach dem alten preußischen Muster, die Classen der Aerzte fort; so hat Württemberg noch den Arzt mit zwei Staatsprüfungen (Verordnung vom 13. Febr. 1832) und Chirurgen gar in drei Classen (Verordnung vom 14. Okt. 1830. Roller a. a. O. §§. 128, 182). Sachsen-Altenburg . Verordnung vom 10. Juni 1863: Zulassung zur niedern chirurgischen Praxis auf Grundlage einer Prüfung (mit dem Rechte, auch Todtenscheine auszu- stellen). In andern dagegen sehen wir von diesen Einrichtungen nichts. Eine Gleichartigkeit dafür besteht nicht. Königreich Sachsen hat noch das ganze System von Classen und allerlei Concessionen bei dem Dok- torat ( Funke III. S. 74—106., V. S. 482 ff.). In Bayern sind die heilkundigen Competenzen der verschiedenen Klassen erst durch Ver- ordnung vom 29. Januar 1865 wieder genauer abgegränzt, und diese Competenzen dürfen bei Strafe nicht überschritten werden. Die Regie- rung ertheilt die betreffenden Conzessionen, und jeder Arzt wird genau vorgemerkt. Hier ist also noch viel Schutt wegzuräumen. — In Frank- reich ist das Bildungs- und Prüfungswesen der eigentlichen Aerzte gleichfalls einfach ein Theil der Universitätsbildung ( instruction supé- rieure ). Grundlage zuerst das Gesetz 14 Frim. a. III, welches die Fa- cultés de médecine errichtete. Bericht darüber von Fourcroy: „— la vie des citoyens est entre les mains d’hommes avides autant qu’ignorants, l’empirisme le plus dangereux, le charlatanisme le plus dehonté abusent partout de la crédulité. Aucune preuve de savoir et d’habilité n’est exigé.“ Dem half dann die Universitäts- ordnung ab; das Dekret vom 17. März 1808 errichtete die Facultés de médecine mit obligater Bildung; vierjähriger Cursus mit Jahres- prüfungen, und Schluß- oder Doktoratsprüfung in fünf Abtheilungen; seit Dekret vom 3. August 1841 ein einjähriger Cursus an einem Hospital vorgeschrieben, und strenge Vorschriften über die Studien durch Dekret vom 22. August 1834. ( Tardieu , Dict. d’hygiène publ. v. Faculté de médecine. Foubert v. Médecine — Block — nebst der Literatur. Daneben aber bestehen die Officiers de santé, bereits durch Gesetz vom 19. Vent. a. XI eingeführt, die entweder sechs Jahre bei einem Doktor oder fünf Jahre in einem Hospital gedient haben mußten; dann findet eine Prüfung vor der Jury médical statt, be- stehend aus zwei Doktoren und einem Professor. Diese Einrichtung erhielt sich ausschließlich bis 1854 und sie war es eigentlich, welche das flache Land mit Heilkundigen versorgte. Das Dekret vom 22. August 1854 hat nun auch für Frankreich einen großen Fortschritt gebracht. Die Officiers de santé müssen darnach entweder eine Faculté de mé- decine oder eine École préparatoire de médecine et de pharmacie besucht haben. Die alte Jury médical hören auf und die Prüfungen finden jetzt an den Anstalten selber statt. — In England beruht das neueste Recht auf dem Stat. 21, 22 Vict. 90, die einzige allgemeine, öffentlich-rechtliche ärztliche Ordnung, welche England besitzt. Darnach sind neun medicinische, namhaft gemachte Körperschaften ausschließlich berechtigt, ihre Fellows und Licentiates als praktische Aerzte anerkennen zu lassen. Eine förmliche Prüfung ist auch hier wieder nicht gesetzlich vorgeschrieben; der Erwerb des Doktorgrades ist frei ; die Sicherung gegen Unfähigkeit besteht uur darin, daß die von jenen Körperschaften gebildeten Aerzte neben den promovirten Doktoren amtlich registrirt werden im Medicalregister; die Körperschaften sollen Berichte über ihre Studirenden einsenden, sie prüfen und materiell sie von der Praxis zurückweisen . (Vergl. die specielle Darstellung bei Gneist , Verwal- tungsrecht II. §. 114 ff.) Dem Ganzen steht das General Council of Medical Art vor. Allein von einem ausschließlichen Recht auf ärztliche Praxis ist für diese „registrirten“ Aerzte trotzdem keine Rede. — In Holland ist mit der neuesten allgemeinen Organisation des Gesund- heitswesens zugleich ein allgemeines Gesetz über die Prüfung der Aerzte ergangen (1. Juni 1865), welches allerdings das gesammte berufsmäßige Heilpersonal umfaßt. Nach diesem Gesetz können auch diejenigen zur ärztlichen Praxis zugelassen werden, welche keine Universität besucht haben, aber nachweisen können, daß sie zwei Jahre bei einem Arzte gedient haben. Daher ist eine eigene Staatsprüfungscommission einge- setzt. Das Ganze ist ohne Zweifel der oben citirten französischen Ver- ordnung von 1854 nachgebildet bis auf den Namen ( Officieren van gezondheit ). Die Prüfung selbst ist doppelt: naturwissenschaftlich und ärztlich; übrigens gibt das Examen Recht auf Praxis im ganzen Reich, und nicht wie in Frankreich nur in einer Provinz. (Früherer Zustand de Bosch-Kemper , neederländisches Staatsregt 1865 p. 812.) 3) Das Recht der Praxis . Das Recht der Praxis ist nun die gesetzlich formulirte Entwick- lung des Begriffes des öffentlichen Berufes und der daraus folgenden rechtlichen Bestimmungen. Dasselbe enthält zunächst das Verhältniß zu dem nicht fachmännisch Gebildeten, dann die örtliche Bestimmung des Rechts zum Praktiziren, endlich wo das noch besteht, das Recht auf bestimmte Arten der Ausübung. Das Recht zur berufsmäßigen Praxis ist ursprünglich ein rein berufsmäßiges und durch das Doktorat an und für sich erworbenes; neben demselben beruht das Recht zur gewerbsmäßigen Praxis auf den Grundsätzen des ständischen Gewerberechts. Das öffentliche verwaltungs- mäßige Recht der Praxis entsteht erst, wo der Gedanke zur Geltung kommt, daß man die berufsmäßige Bildung zur Voraussetzung jeder heilkundigen Thätigkeit machen müsse. Das erste Auftreten desselben erscheint daher in einer möglichst strengen Gränzbestimmung der Praxis je nach dem Grade der Bildung, mit der Ausschließung der niederen ärztlichen Klassen von den Funktionen der höheren, sowie in der Verfolgung der Kurpfuscherei . Auf diesem Standpunkt steht das vorige Jahrhundert. Erst das gegenwärtige hat unter Aufhebung jener Unterschiede das Recht zur Praxis für alle Heilungen und alle Classen der Aerzte gleich gemacht und die gemeingültigen Grundsätze des Rechts der Praxis sind demnach jetzt folgende. Zuerst ist jeder geprüfte Arzt zu jeder Art der Praxis berechtigt. Jedoch ist die Verleihung dieses Rechts grundsätzlich durch das Be- stehen der öffentlichen Prüfungen bedingt; daneben findet in einzelnen Staaten (Preußen, Frankreich) noch eine behördliche specielle Aufnahme als ausübender Arzt statt. — Zweitens haben nur die geprüften Aerzte die fides publica für Beweise im Strafproceß. — Das Dis- pensationsrecht , das Recht, selbständig die Recepte zu bereiten, gehört drittens an sich nicht zum Recht der Praxis, sondern dem Apothekerwesen; doch ist es wohl allenthalben ausnahmsweise gestattet. — Viertens: Fremde bedürfen einer eigenen Aufnahme. — Fünf- tens ist der Grundsatz der ärztlichen Taxen seit dem Entstehen der berufsmäßigen Heilkunde festgehalten und diesen Taxen ein Vorrecht vor allen andern Forderungen eingeräumt. — Das Recht der Praxis enthält weiter sechstens das Princip der Freiheit der Heilmethode . Das öffentliche Recht der Heilmethode läßt sich in drei Punkten zu- sammenfassen. Zuerst hat sich allmählig auf Grundlage der Wissen- schaft der Grundsatz festgestellt, daß administrative Verbote von Heil- methoden nichts nützen, sondern daß allein die Wissenschaft das Verkehrte zu beseitigen fähig ist. Zweitens aber erscheinen für außerordentliche Fälle, namentlich für Epidemien, allgemeine örtliche Instruktionen noch immer als zweckmäßig, welche der Arzt wenigstens so weit zu befolgen verpflichtet erscheint, daß seine Heilmethode nicht mit ihnen im Widerspruche stehe. Drittens endlich hat der ursprünglich römische Grundsatz durchgegriffen, daß jeder Arzt für den Schaden, den er durch seine Heilungen mit nachweisbarer Fahrlässigkeit anrichtet, strafrechtlich haftet . Daran nun schließt sich endlich ein wenig ausgebildetes, unklares und einer gründlichen Revision bedürftiges Gebiet, nämlich das der Disciplin der Aerzte, das wesentlich aus der berufsmäßigen Stellung derselben hervorgeht, in einigen Ländern gänzlich fehlt, in keinem ge- nügend geordnet erscheint, fast allenthalben formell auf dem ärztlichen Berufseid begründet ist. Die Literatur ist hier wieder fast nur von Medicinern bearbeitet. Eine Reihe von Aufsätzen über das Verhältniß der Aerzte „zum Staate“ in Henke’s Zeitschrift von 1824 von Wedekind und mehreren Ano- nymen. Den eigentlichen Anstoß gab wohl Nasse : Von der Stellung der Aerzte im Staate 1823 (Besoldung der Aerzte), dann in Caspars Vierteljahrsschrift VI. ( XIV. und XIX. ). Es ist nach dem ganzen streng bureaukratischen Charakter des preußischen Gesundheitswesens wohl nicht zu verwundern, daß gerade die preußische Literatur hier die reichste ist. — In Frankreich ward seit dem Grundsatz vom 19. Vent. a. XI nur den berufsmäßig gebildeten Aerzten ( docteurs en médecine ) das Recht der Gerichtsärzte vorbehalten. Die Freiheit der Heilmethode ist nicht fraglich. Das Recht der Praxis wird erworben, indem die Aerzte ihr Doktordiplom bei dem Gericht erster Instanz einfach deponiren; die Procureurs und die Präfekten stellen jährlich eine Liste zusammen, die dem Handelsministerium zugesandt wird. Das Verhältniß zu dem niedern Heilpersonal (s. unten) ist genau bestimmt. (S. Code mé- dical ou recueil des lois sur l’étude, l’enseignement et l’exercice de la médecine par Amette 1855.) — Oesterreich . Das Recht zur Praxis ist durch die Sanitätsprüfungen nach der Studienordnung von 1850 gegeben, ohne Bewilligung der Behörden; nur auswärtige Dok- toren bedürfen der letzteren. Der frühere Standpunkt der Scheidung des Rechts zur Praxis nach den Gewerben und Krankheiten zwischen Aerzten und Wundärzten, nach welchem eine Uebertretung als Gewerbe- störung behandelt ward ( Stubenrauch II. §. 288), ist jetzt aufge- hoben. Die gesetzlichen Vorschriften über die Heilmethoden sind beseitigt ( Stubenrauch II. §. 284); dagegen sind Verletzungen oder Gefährdungen der Krankheit durch Fehler des Arztes jetzt nach dem Strafgesetzbuch zu behandeln (§. 356). Ueber die einzelnen, fast alle noch geltenden Bestimmungen ist die fleißigste Zusammenstellung in Juri é s Schrift, Pflichten und Rechte der österr. Aerzte 1847. — Preußen : Hier gilt neben der Doktoratsprüfung noch die Appro- bation durch das Ministerium des Unterrichts für die Praxis, und die Ablegung eines besondern Berufseides. Die Unterschiede im Recht der ärztlichen Grade sind aufgehoben . Der Beginn der Praxis ist jedoch durch ein festes Domicil bedingt. Ueber den früheren Unterschied zwischen Civil- und Militärärzten bei Horn , Medicinalwesen II. S. 99. Der amtliche Eid vor dem Landrath (Rescript vom 24. Juli 1851; Horn l. l. S. 82; Rönne , Staatsrecht II. 352). Die Vorrechte der Aerzte in gewissen öffentlichen Verhältnissen bei Rönne ebend. 358 und Horn a. a. O. — Die übrigen deutschen Staaten haben in diesen Beziehungen zum Theil gar keine eigenen Bestimmungen, zum Theil nur einzelne Verordnungen. (S. Roller a. a. O. §. 172; Funke a. a. O. III. ) Eide der verschiedenen Classen der Aerzte, recht lang und unverständig S. 91 ff. V. ebend. S. 484. — In England hat die Me- dical Act 1858 dem G. Council of Medical Education das Recht gegeben, die Aerzte aus dem Register zu streichen wegen Verbrechen, den Körperschaften sogar nach ihrem Ermessen, mit Beschwerde an den Council; aber das Recht auf die Praxis geht damit nicht verloren. ( Gneist , Engl. Verwaltungsrecht IV. §. 114.) — In Holland gibt die Prüfung auch für die Officiere der Gezondheit das Recht für das ganze Reich nach der Verordnung vom 1. Juni 1865. 4) Die Pflichten der Aerzte . Die Pflichten der Aerzte sind diejenigen Obliegenheiten derselben, welche der berufsmäßigen Aufgabe derselben entsprechen. Sie entstehen erst mit der berufsmäßigen Bildung derselben; ohne diese letztere gibt es zwar eine bürgerliche Haftung, aber keine ärztliche Pflicht. Daher hat die objektive Feststellung der letzteren zwei Grundformen. Die erste ist die berufsmäßige , die von Anfang an in dem Eid der Aerzte (schon seit dem dreizehnten Jahrhundert, s. oben) gegeben ist, und die neben der Berufstreue auch das sociale Element der Verpflichtung zur Hülfe für Arme enthält. Die zweite ist die amtliche , die mit dem achtzehnten Jahrhundert entsteht, ihren Inhalt durch die Forderungen der amtlichen Verwaltung der Collegia medica empfängt, durch Instruk- tionen und Verordnungen dann im Einzelnen ausgebildet wird, und sich wesentlich durch die höhere Sanitätspolizei erweitert. Die Lehre von der Medicinalpolizei hat dann beides zusammengefaßt; in der staats- bürgerlichen Gesellschaftsordnung unsres Jahrhunderts hat das Princip, die Pflicht zu einem rechtlichen Ausdruck zu bringen, wenigstens theil- weise eine selbständige juristische Theorie daraus gebildet, die freilich, da die sogenannte Polizeiwissenschaft bei allgemeinen Phrasen stehen blieb, nur in den positiven Verwaltungsgesetzkunden, und auch hier nur unvollständig gegeben ward. Die Grundlage dieser Pflichten sind jetzt folgende. Zuerst ist die Pflicht zur ärztlichen Hülfe juristisch anerkannt, und die Verweigerung derselben strafbar. Dann ist die Fahrlässigkeit in der Heilung ein bürgerliches, meist nach dem Strafgesetzbuch zu büßendes Vergehen. Drittens ist der Arzt zur Verschwiegenheit ver- pflichtet. Endlich viertens hat er alle diejenigen Pflichten, welche ihm die Gesundheitsverwaltung im Interesse der öffentlichen Gesund- heit, namentlich bei ansteckenden Krankheiten, durch eigene Instruktionen vorschreibt. Die Strafen sind Bußen, und können bis zum Verlust des Berufsrechts gehen. Die Strafgesetzbücher haben dabei die Stelle der Codifikation vertreten. Erst die höhere Entwicklung der Verwal- tungslehre wird eine entsprechende Bearbeitung dieses Gebietes erzeugen. In England fehlt jede Formulirung dieser Pflichten. In Frank- reich ist sie in dem oben cit. Gesetze vom 19 Vent. IX enthalten, jedoch unvollständig (s. Amette a. a. O.) Oesterreich : Strafgesetzbuch §§. 335. 356 und 358 ( Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. ) Die amtlichen Pflichten sind in der Instruktion vom 3. Nov. 1808. Preußen : Strafgesetzbuch §§. 155. 198. 200 ( Rönne , Staatsrecht II. §§. 352. Vgl. die Literatur der Rechte der Aerzte). II. Das Apothekerwesen. 1) Begriff und Inhalt des Apothekerrechts . Das Apothekerwesen enthält die Gesammtheit der öffentlich recht- lichen Bestimmungen über alle diejenigen Unternehmungen, welche die Heilmittel auf ärztliche Verordnung verabreichen. Die Geschichte und das gegenwärtige öffentliche Recht des Apotheker- wesens beruhen nun darauf, daß auch in diesen Unternehmungen die beiden Elemente des berufsmäßigen und des gewerblichen Be- triebes verbunden sind. Die große Aufgabe des öffentlichen Rechts war es von jeher, diese Elemente zu einem Ganzen zu verschmelzen. Die Bewegung, die daraus entstanden ist, endet mit dem Siege des ersten Elements, und hat dem Apotheker definitiv den Charakter öffent- licher Anstalten mit den diesem Charakter entsprechenden Rechten gegeben. Die alte Welt, die den Beruf nicht kennt, kennt auch kein öffent- liches Apothekerwesen. Aber unmittelbar mit dem Entstehen des Heil- berufs der Aerzte entsteht auch das berufsmäßige Apothekerwesen. Die Grundlage desselben ist bis auf den heutigen Tag die Organisation der Facultät von Salernum 1232, welche neben der berufsmäßigen Bil- dung den Berufseid und die Taxe einführt. Aus diesem Princip entstehen die beiden Grundlagen des öffentlichen Rechts derselben, welche noch jetzt gelten: zuerst der Grundsatz, daß die Anlage der Apotheken kein freies Unternehmen ist, sondern der Bewilligung bedarf; zwei- tens , daß der Betrieb dieser Unternehmung unter Aufsicht der öffent- lichen Organe steht. Die Bewilligung wird dann eine behördliche, nach dem Wesen der ständischen Zeit eine Bewilligung durch die Selbstver- waltungskörper. An die Bewilligung knüpft sich, oft schon als Be- dingung, das Realrecht der Apotheke; zugleich wird die Forderung der berufsmäßigen Bildung zum Betriebe des Geschäfts die Bedingung der persönlichen Bewilligung; und daraus entsteht dann mit dem achtzehnten Jahrhundert das öffentliche Recht der Apothekerbildung, das in unsrer Zeit zu einem allgemein gültigen Systeme erhoben wird. Die Ober- aufsicht ist anfänglich eine rein amtliche; jedoch meist unter fachmän- nischer Zuziehung der Aerzte. Mit dem achtzehnten Jahrhundert wird das Apothekerwesen dann als ein Ganzes aufgefaßt, und der Gesund- heitsverwaltung der neu entstehenden Collegia medica unterworfen. Die Selbstverwaltungskörper verlieren die Oberaufsicht; die Verwaltung nimmt im Namen des Heilwesens das Recht auf freie Concession zur Anlage von Hypotheken in Anspruch, und befördert sie zum Theil direkt; die Pflichten der Apotheker, der sanitäre Betrieb, die Rechte derselben werden formulirt; die Taxen, die früher nur örtlich galten, werden allgemeines Gesetz; es entsteht die Heilmittelordnung der gesetzlichen Pharmacopöen, und zuletzt wird der Bildungsgang fast ganz dem ge- werblichen Standpunkt entzogen und dem allgemeinen Bildungsrecht eingeordnet. Dabei erhalten sich noch einzelne Momente aus dem rein gewerblichen Rechte; namentlich der Gesichtspunkt der Beschränkung in der Concurrenz des Apothekebetriebes, zum Theil sogar noch die ge- werbliche Genossenschaft derselben. Im Großen und Ganzen aber ist es kein Zweifel, daß das Apothekerwesen jetzt den berufsmäßigen Cha- rakter und das öffentliche Recht einer großen Organisation der Heil- mittel empfangen hat, und daß damit der wahre Standpunkt für diese so wichtigen Anstalten gewonnen ist. Das öffentliche Recht ist nun allerdings im vorigen Jahrhundert vielfach codificirt , und zwar auf Veranlassung der neu entstandenen obersten Gesundheitsverwaltung. Jedoch hat diese Codifikation sich meist nur auf die berufsmäßige Ordnung bezogen, und das gewerbliche Leben nicht umfaßt. Erst mit unsrem Jahrhundert hat das Princip der Ge- werbefreiheit auch hier durchgegriffen; sein Erfolg ist im Wesentlichen, daß gerade diese Gewerbefreiheit die letzten Hindernisse der vollen An- wendung des öffentlichen Rechts des Apothekerwesens und seiner For- derungen möglich gemacht hat, und daß man jetzt erst von einem Systeme dieses Rechts, wie es rein aus der Natur der Anstalten selber hervorgeht, reden kann. Dieses System nun enthält folgende Theile: das Recht der Er- richtung von Apotheken, die Bildung der Apotheker, die Dispen- sationsordnung (Betriebsrecht) und die Oberaufsicht und ihre Organisation. Die Literatur über das Apothekerwesen ist eine sehr reiche, und war es namentlich im Anfange dieses Jahrhunderts bei dem Entstehen der neuen Medicinalordnungen ( Mohl , Polizeiwesen I. §. 36), aber da sie wieder nur von Aerzten behandelt ist, in der organischen, öffentlich rechtlichen Auffassung sehr mangelhaft. Die Geschichte des Apotheker- wesens bruchstückweise bei Erhardt I. 16. Frank , Bd. VI. Stoll , Bd. I. u. A. trefflich behandelt; eine eigene Geschichte von Sprengel in Ersch und Gruber I. Bd. IV. Pappenheim , Handbuch der Sanitäts- polizei III. S. 34 ff. enthält einen sehr rationellen Artikel über das Apothekerwesen von seiner administrativen Seite. Die systematischen Ge- setzgebungen beginnen mit dem vorigen Jahrhundert, und schließen im Anfange des gegenwärtigen ab; ihr Charakter ist, die Apothekerord- nungen als Theile der gesammten Medicinalgesetzgebungen neben den übrigen Theilen zu behandeln. So in Preußen ein Medicinaledikt vom 27. September 1725 (nach der Apothekerordnung vom 30. August 1693); Mylius , C. C. Marchic. Thl. IV. S. 3. 66—76. V. 219. Neue Apothekerordnung vom 11. October 1801, mit Anhang vom 10. December 1800 ( Horn a. a. O. II. S. 239 ff.) In Oesterreich in dem Allgem. Sanitätsnormaledikt von 1770. 3. Instr. — Baden : Medicinalordnung von 1806. — Bayern : Allgem. Apothekerordnung vom 27. Januar 1842. — Königreich Sachsen : Mandat vom 30. Januar 1819, nebst den neueren Verordnungen über die einzelnen Punkte ( Funk a. a. O. III. S. 138 ff. V. 498). — Württemberg : die Medicinal- ordnung von 1755 wesentlich nach preußischem Muster; die Grundlage der Verwaltung ist jetzt die Instruktion vom 23. Juni 1807 ( Roller §. 195 ff.) — Aeltere lokale Apothekerordnungen bei Stoll , Bd. I. und im Anhang (Stadtrechte). Gegenwärtig meist Verbindung mit den Studienordnungen und Instruktionen für die einzelnen Theile. — In Frankreich hat erst das Gesetz vom 21 Germ. a. XI das Apotheker- wesen geordnet. In Holland ist das Gesetz vom 1. Juli 1865 jetzt das maßgebende. — In England ist das Statut 35. Georg. III. 194 keine gesundheitspolizeiliche, sondern wesentlich eine Gewerbsordnung ( Gneist a. a. O. §. 114). 2) Errichtung von Apotheken . Das Recht der Errichtung der Apotheken beginnt als Realrecht , in den meisten Fällen wohl als Privilegium unmittelbar, in andern allmählig entstehend. Mit der Entwicklung des Heilwesens erzeugt das Bedürfniß nach Apotheken, verbunden mit dem Princip der Concessio- nirung überhaupt, das Recht der amtlichen Genehmigung, bei welcher jedoch meist der Grundsatz der Beschränkung auf eine gewisse Einwoh- nerzahl festgehalten wird. Dadurch treten mit unsrem Jahrhundert zwei Systeme neben einander; die wachsende Dichtigkeit der Bevölke- rung läßt dann die Concession eine allgemeine werden, und das Rcal- recht unter Aufhebung seiner Ausschließlichkeit formell fortbestehen, was ohne Nachtheil für die Sache das Einzelrecht so weit erhält, als es überhaupt erhalten werden kann. Somit gilt der Grundsatz, daß jede neue Apotheke nur mit Genehmigung der oberen Behörden errichtet werden darf. Zugleich enthalten die allgemeinen Apothekerordnungen die von der Gesundheitsverwaltung vorgeschriebenen inneren Einrich- tungen des Betriebes auf Grundlage fachmännischer Forderungen. Die Literatur hat sich verhältnißmäßig wenig mit der Frage be- schäftigt (s. Schürmayer , Handbuch der medicinischen Polizei 1856). Die vielfach im Detail verschiedenen Rechtszustände, die jedoch im Großen und Ganzen stets auf die obige Unterscheidung hinaus laufen, für Oesterreich Kopetz , Polizeigesetzkunde. Mader , Comp. der Apotheker- gesetze und Verordnungen von 1857. Stubenrauch II. 291. Grund- satz: völlige Freiheit der Concessionirung; nach der Verordnung vom 30. November 1833 im Concurrenzwege zu regeln. Preußen : weit- läufig in Rönne und Simon , Medicinalwesen ( I. 628) und Rönne , Staatsrecht ( II. 359). Anlage neuer Apotheken, unter Verordnung vom 24. October 1811, welche eigentlich die Elemente der, vom Privi- legium des Realrechts sich emancipirenden Concessionirung am besten formulirt hat. Die Geschichte des Rechts und die früheren einzelnen Verordnungen bei Horn II. S. 281. Die Edikte und Rescripte nach 1811 bei demselben (S. 290 ff.) — Württemberg : Erkenntniß der Regierungsbehörde, jedoch unter Zuziehung älterer Besitzer von Apotheken ( Roller a. a. O. §. 201). — Königreich Sachsen : Reine Realrechte; Erlaubniß der Behörden. Verordnung von 1834 ( Funk a. a. O. III. S. 145). Bayern : Apothekerordnung vom 27. Januar 1842. §§. 2. 3. 31. 32 ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 118). — In Frankreich wird die Anlage von neuen Apotheken stets concessionirt vom Präfekten und öffentlich bekannt gemacht ( L. 21. Germ. an XI ). — Die Verthei- lung der Apotheken ist theilweise durch die Concession zu einem System geworden; in Oesterreich wird eine auf 4000, in Bayern eine auf 10,000, in Württemberg eine auf 5—6000 Seelen für erforderlich gehalten. In Frankreich fehlt ein solcher Grundsatz; in England natürlich auch. 3) Bildung der Apotheker . Auch das Bildungsrecht der Apotheker zeigt die beiden Elemente des ganzen Apothekerwesens, das gewerbliche und berufsmäßige, anfäng- lich in strenger Scheidung, mit dem Grundsatze, daß die gewerbliche Bildung im praktischen Betriebe des Geschäfts vollendet werden kann, die berufsmäßige dagegen eine selbständige wissenschaftliche Bildung for- dere. Dadurch entstanden zwei Classen von Apothekern, deren Unter- schied sich bis zur neuesten Zeit erhalten hat. Erst in unserem Jahr- hundert greift der Grundsatz durch, daß die gewerbliche Bildung über- haupt zum Betriebe nicht ausreichend sein dürfe, sondern daß derselbe immer eine fachmännische Bildung voraussetze, womit dann die zwei Classen der Apotheker verschwinden, und die Apothekerbildung eine specifisch fachmännische wird, bei welcher allerdings die technische Vorbildung als Lehrling der wissenschaftlichen Ausbildung voraufgehen muß, ohne jedoch je das Recht zum selbständigen Betriebe zu geben. Es ist gewiß verkehrt, dieß einfache und naturgemäße Verhältniß durch allerlei Unter- schiede, wie Magisterium und Doctorat der Pharmacie u. a. m. stören zu wollen. Die Bildung der Apotheker soll ein organischer Theil der medicinischen Studien- und Prüfungsordnung sein. In Preußen hat die Apothekerordnung vom 11. October 1801 das Lehrlingswesen der Apothekergehülfen geordnet; Grundsatz ist, daß zur Ausübung des selbständigen Betriebes nur die Apothekerprüfung befähigt (Prüfungsreglement vom 1. December 1825), auf welche erst die Approbation erfolgt, nebst der Vereidigung. Dauer der Lehrzeit vier Jahre; Servirzeit als Gehülfe fünf Jahre. Diese Prüfung ließ noch zwei Classen zu; die Prüfungsordnung von 1853 hat diesen Unter- schied aufgehoben und nur Eine Classe eingeführt ( Rönne und Simon , Medicinalwesen II. 30. Rönne , Staatsrecht II. 358). Der ganze Bil- dungsproceß vollständig und klar dargestellt bei Horn a. a. O. II. S. 255—280. — In Oesterreich ist zum Theil, wenn auch nur for- mell, der Grundsatz festgehalten, daß die Absolvirung der Lehrzeit eine selbständige Berechtigung gebe; daneben Magisterium und Doctorat der Stein , die Verwaltungslehre. III. 8 Pharmacie. Doch ist der Studiencurs sehr rationell geordnet (Mini- sterialerlaß vom 14. Juni 1859), so wie die Prüfungsdauer der Lehr- zeit : 3 Jahre; Servirzeit vor Beginn der Studien: 2 Jahre ( Stuben- rauch II. 290). — Nassau : Prüfung der Pharmaceuten, organisirt durch Verordnung vom 15. Januar 1866. — In Frankreich hielt das Gesetz vom 21. Germ. XI die zwei Classen aufrecht mit dem Recht der ersten auf allgemeine Niederlassung, der zweiten auf bloß depar- tementale. Zugleich werden eigene Apothekerschulen ( Ecoles superieures de Pharmacie ) errichtet, mit 6 années de stage (Lehrzeit) und 3 Jahren Studienzeit mit obligatem Cursus, wobei die Zulassung von einer eige- nen Jury ausgesprochen wird ( Arr. vom 23. December 1854). — Für Holland ist die Apothekerbildung durch das Gesetz vom 1. Juni 1865 genau so geregelt wie für die Officiere der Gezondheit, mit zwei Prü- fungen, Lehrzeit, Gehülfenzeit und Eid. — Für England hat sich 1853 eine Gesellschaft der Pharmaceutical Chemists gebildet, durch 15, 16 Vict. 56 incorporirt, welche das Prüfungswesen in die Hand genommen hat; ein öffentliches Recht dieser Prüfungen als Bedingung für die Ausübung des Gewerbes selbst existirt jedoch nicht ( Gneist a. a. O. II. §. 114). 4) Betriebsrecht der Apotheken . Das Dispensationsrecht der Apotheker enthält die Vorschriften, durch welche die Gesundheitsverwaltung den berufsmäßigen Betrieb der Apo- theker nach den Anforderungen der Heilkunde sichert, da dieser Betrieb die materielle Voraussetzung des Heilwesens enthält. Auf diesem letztern Verhältniß beruht auch der Inhalt dieses Rechts und seine Geschichte. So lange nämlich der Arzt nur noch ein Diener seines Berufes und kein öffentlicher Diener ist, ist auch das Dispensationsrecht der Apo- theker nur noch ein berufsmäßiges; die Ordnung desselben beruht auf rein fachmännischen Anforderungen, und entsteht durch die innere Ver- bindung der Heilkunst mit den Heilmitteln. Sowie aber die Aerzte eine öffentliche Stellung empfangen, wird auch die Betriebsordnung der Apo- theker ein Theil des öffentlichen Rechts, und zwar wird man hier zwei Perioden scheiden. Die erste bezeichnen wir als die örtlichen Dispen- sationsordnungen der Apotheker, bei denen noch das Recht der Aus- schließlichkeit das vorwiegende Element ist, während alles übrige unent- wickelt bleibt. Die zweite Periode, mit der eigentlichen Gesundheits- verwaltung der Collegia medica beginnend, faßt auch das Dispensa- tionswesen als einen organischen Theil der gesammten Verwaltung auf, und indem jetzt die öffentlichen Pflichten des Apothekerbetriebes genau formulirt werden, werden auch dem entsprechend die Rechte desselben bestimmt, so daß jetzt das Dispensationsrecht ein System von Rechten und Pflichten wird, das in den Apothekerordnungen des vorigen und gegenwärtigen Jahrhunderts zum Ausdruck gelangt. Das System ent- hält folgende Punkte: 1) Das eigentliche Dispensationsrecht enthält wohl allenthalben auf dem Continent den Grundsatz, daß die Apotheker das ausschließ- liche Recht der Verabreichung von Heilmitteln haben, welches Recht durch die strenger werdende Polizei der Geheimmittel geschützt wird. Dagegen kann das Recht der Aerzte auf Selbstdispensation nur als Ausnahme in Nothfällen denselben nicht entzogen werden. Die im Einzelnen schwierige Aufgabe ist es dann, die Gränze zwischen den Apothekern und Droguisten festzustellen, die dann doch in der Ausfer- tigung von Recepten allein nicht gefunden werden kann. 2) Diesem Rechte entsprechen zwei Pflichten. Die erste besteht in der Verbindlichkeit, zu jeder Zeit die Heilmittel zu geben. Die zweite in der, dieselben in der Qualität und Quantität vorräthig zu haben, welche die wissenschaftliche Heilkunde fordert. Die Aufstellung dieser Quantität und Qualität ging anfangs von den Anforderungen der Aerzte aus, und ward dann durch die organische Gesundheitsver- waltung zu einer gesetzlichen Vorschrift in der Pharmacopoe , aber dann Gesetz über die Heilmittel . Dieselbe hat wieder ihre Ge- schichte, die aber wesentlich nur von medicinischer Bedeutung ist. 3) Dem wirthschaftlichen Element dieser letzteren öffentlichen Ver- pflichtung entspricht nun das gleichfalls wirthschaftliche Element der öffentlichen Taxe für die Dispensation. 4) Die Sicherung der öffentlichen Gesundheit durch die Ausschließ- lichkeit der letzteren ist endlich rechtlich gegeben in der Haftung der Apotheker für Versehen, namentlich im Verkehr mit Gift, welcher einer- seits durch genaue Instruktionen geordnet, andrerseits durch straf- rechtliche Vorschriften bestimmt wird. In England besteht daher kein anderes öffentliches Recht, als das des Statut 55. Georg. III. 194. Wie weit die Gesellschaft der Pharmaceutical Chemists hier einwirkt, ist uns nicht bekannt. — In Frankreich gilt noch immer das Gesetz vom 21. Germ. a. XI. Nach diesem Gesetz dürfen die Apotheker kein anderes Geschäft betreiben. Die Pharmacopoe ( Codex ) ist gesetzlich vorgeschrieben, und die Apotheker haben alle Heilmittel, welche nicht darin stehen, als verbotene Geheim- mittel anzusehen. Die Geheimmittel selbst haben ihre eigene Gesetz- gebung, nach welcher sie nur nach commissioneller Untersuchung verkauft werden dürfen; Hauptgesetz vom 18. Aug. 1810, an das sich eine ganze Jurisprudence angeschlossen hat. ( Foubert bei Block , Remèdes secr. Tardieu , Dict. d’hygiène publ. v. Rem. secr. ) Die Apo- theker sind in zwei Classen getheilt mit Praxis für ganz Frankreich und nur für ein Departement; der Studiengang ist im Gesetz vom 21. Germ. vorgezeichnet; nach bestandener Prüfung nimmt der Präfect den Eid ab und stellt das Diplom aus. Alter 25 Jahre. Eine straf- rechtliche Bestimmung mangelt. ( Foubert bei Block , Med. et Phar- macie nebst der französischen Literatur. Tardieu , v. Pharmacie. ) — Oesterreich . Genaue Vorschriften über den Betrieb und die Betriebs- mittel (Dekret vom 17. Nov. 1831) und früher in der Instruktion von 1808 als Dispensationsordnung; neueste Pharmacopoe seit 20. October 1854; Arznei-Taxe vom 16. Jan. 1859; Strafb estimmungen für die Verletzung der Dispensationsordnung §. 349—352 und §. 499; Dispen- sation sprivilegium : Bestrafung des unbefugten Arzneiverkaufs (Straf- gesetzbuch Art. 355). Gränze zwischen Apotheken und andern Hand- lungen seit Verordnung vom 20. Dec. 1782, eine Reihe von Verzeich- nissen einzelner Waaren. ( Stubenrauch II. §. 294.) — Preußen . Der Betrieb der Apotheker in der Apothekerordnung vom 11. October 1801. Gränzen schon seit 1725. Uebrigens ist die ganze Apotheker- Betriebsordnung in der preußischen Gesetzgebung mit großer, fast zu ängstlicher Genauigkeit in allen einzelnen Punkten geregelt (s. die Samm- lung der betr. Verordnungen bei Horn II. 291—349). Princip des aus- schließlichen Rechts (Allg. Landrecht II. 8. 456). Uebertretung: Straf- gesetzbuch 345. ( Rönne , Staatsrecht II. 359.) — Bayern . Allg. Apothekerordnung vom 27. Jan. 1842. Geheimmittelpolizei. (Verord- nung vom 13. Mai 1838. Pözl , Verwaltungsrecht §. 118.) — König- reich Sachsen . Mandat die Einführung eines allgemeinen Dispensa- toriums betreffend vom 17. Oct. 1820 und die daran sich anschließenden Verordnungen bei Funke III. 144 ff. — Württemberg: Roller §. 129. — Holland . Das dritte Gesetz vom 1. Juni 1865 enthält das vollständige Dispensatorium, nebst den Strafbestimmungen für Ueber- tretung (Art. 31—33). 5) Oberaufsicht . Es ist natürlich, daß die Oberaufsicht der Apotheker denselben Proceß durchgemacht hat, wie das ganze übrige Apothekerwesen. Ursprünglich mit der Unterordnung unter den ständischen Berufskörper gegeben und im Eide der Apotheker ausgedrückt, wird sie mit dem fünfzehnten Jahr- hundert eine örtliche wie das Apothekerwesen selbst, und erscheint in der Verbindung der örtlichen Gewalt (städtische Behörde) mit dem ört- lichen Gesundheitsorgan (Physikus). Mit dem achtzehnten Jahrhundert wird sie eine allgemeine und gleichmäßige Aufgabe der amtlichen Ge- sundheitsverwaltung, daher amtlich vollzogen und mit speziellen Vor- schriften (Instruktionen) versehen. In Frankreich nach der neuen Organisirung des Apothekerwesens genau geregelt durch die Apothekerordnung von 1804 (Gesetz vom 21 Germ. an XI. art. 29—31 und Arr. 25 Therm. eod. ); jährlich durch die Professoren der Écoles de Pharmacie oder die Jurys mit bestimmter Aufsichtstaxe. ( Tardieu und Block l. c. ) — Oesterreich . Hier dieselben Grund- sätze schon im allgem. Sanitäts-Normativ von 1770 vorgeschrieben (jährliche Hauptvisitation und unvermuthete Visitationen). Abgabe fehler- hafter Medicamente an die Fakultäten und die Statthalterei nach der Instruktion von 1808 §. 35. ( Stubenrauch II. §. 292.) — Preußen . Ordnung der Inspektion gleichfalls in der Apothekerordnung von 1801 Thl. II. und Instruktion vom 21. Oct. 1819. ( Rönne und Simon , Medicinalwesen II. 354 ff.) Die einzelnen Vorschriften, speziell die in den übrigen Gesetzgebungen nicht berücksichtigten Verhältnisse der Apo- theken zur Gemeinde , zur Staats- und Justizverwaltung bei Horn II. S. 349—372. — Württembergische Visitation vierteljährlich durch den Kreismedicinalrath, jährlich durch die Oberamtsärzte (Instruktion vom 14. März 1814; Roller §. 200). Die Bestimmungen in den übrigen Staaten sind nicht speziell allenthalben nachgewiesen. III. Das Hebammenwesen. Das Hebammenwesen entsteht, indem die Gesundheitsverwaltung für die Ausübung der Hebammenkunst eine besondere, öffentlich aner- kannte Bildung fordert, die Hebammen mit besonderen Rechten versieht, und sie auf diese Weise zu einem Gliede des großen Organismus des Heilpersonals macht. Es ist kein Zweifel, daß das Hebammenwesen schon seit ältester Zeit als eine Kunst angesehen ward. Allein selbst die Entstehung der wissenschaftlichen Medicin ließ dasselbe Jahrhunderte lang nicht als einen Theil der Heilkunde erscheinen. Erst mit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts beginnt man, eine medicinische Bildung dafür als möglich und wünschenswerth zu setzen. Dieselbe wird allmählig organisirt, aber noch ohne rechtliche Beziehung zum Heilwesen, bis endlich mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts auch die eigentliche Gesundheitsverwaltung die Ausübung dieser Kunst in ihren Bereich zieht, und so ein Heb- ammenrecht bildet, das in unserem Jahrhundert sich zu einem ziem- lich klaren und einfachen System entwickelt hat, dessen Grundzüge fol- gende sind: Für das Hebammenwesen werden eigene Hebammenschulen er- richtet, und Prüfungen abgehalten. Die Prüfung gibt allein das Recht zur Ausübung. Die Hebammen stehen unter den Aerzten, und haben die Pflicht , in bedenklichen Fällen den Arzt zu rufen. Sie dürfen Arzneien nur in höchster Noth verabreichen, und sind zum Geheimniß verpflichtet. Sie haften strafrechtlich für die Ueber- schreitung ihrer Instruktion, haben aber dafür eine gesetzliche Taxe zu fordern. In England ist mir ein öffentliches Hebammenwesen unbekannt. Klage über den früheren Zustand schon bei Frank VII. 2. 8. Die Geschichte der Bildung der Hebammen sehr gut bei Frank , Medicinal- polizei VII. 2. 8. Charakteristisch ist, daß noch im vorigen Jahrhundert männliche Geburtshülfe als zum Theil unsittlich angesehen ward. Der erste praktische Unterricht 1728 in Straßburg; darnach die Hebammen- bildung in Oesterreich durch v. Swieten eingeführt seit 1748 ( Frank S. 519 ff.) 1774 ein Professor für theoretische Geburtshülfe; in Berlin Unterricht seit 1751; Kopenhagen 1751; Brüssel 1754. Namentlich Frank stellte dann die Theorie eines guten Hebammenwesens auf; Vorschläge nebst Literatur S. 547—601. Auf dieser Grundlage ent- steht die Gesetzgebung und das öffentliche Recht, von dem Collegiis medicis ausgehend. — Oesterreich. Instruktion für die Hebammen vom 3. Nov. 1808. Organisirung der Prüfungen nebst Diplom (Dekret vom 19. März 1827. Stubenrauch II. §. 282. 287). — Preußen . Hebammen-Lehranstalten und ihre Organisation ( Simon und Rönne , Medicinalwesen I. 538 ff. Horn , Medicinalwesen II. 179); Eid der Hebammen (Rescript vom 6. März 1856); Prüfung nach dem Regu- lativ vom 1. Dec. 1825; Approbation durch die Regierung, oder concessionirtes Gewerbe (Gewerbeordnung 1848 §. 15); Rechte: Rönne Staatsrecht II. 354. — Königreich Sachsen . Sehr ausführliches Man- dat über die Ausübung der Geburtshülfe vom 2. April 1818, nebst den neuen Bestimmungen ( Funk III. 109 ff. vollständig). — Hannover . Regulativ für die Hebammenanstalt von 1864 (ausführlich s. Austria 1864 S. 133 und Verordnung vom 1. Mai 1865). — Mecklenburg . Verordnung, betreffend das Hebammenwesen vom 15. Februar 1864; Unterricht in der Hebammen-Lehranstalt in Rostock; Oberaufsicht des Kreisphysikus (Austria S. 178). — Württemberg . Prüfungen seit Verordnung vom 17. Aug. 1837; Geburtshelfer-Prüfungen (Verord- nung vom 17. April 1839. Roller §. 193). — Frankreich . Prü- fung, Certificat und Rechte betreffend durch das Gesetz vom 19 Vent. an XI; Liste derselben bei den Gerichten und bei der Präfektur. — Holland . Das dritte Gesetz vom 1. Juni 1865 enthält weiter nichts, als die Vorschrift, daß die Hebammen den Arzt in bedenklichen Fällen rufen sollen (Art. 15). — Italien . Hebammenklinik in Palermo, orga- nisirt 8. Juli 1865, mit zwei Classen, und Internen und Externen. Heb- ammenschule in Mailand, Neapel (1. Sept. 1865). IV. Die Heildiener. Unter den Heildienern oder dem niederen Heilpersonal verstehen wir Diejenigen, welche aus dem Krankendienst im weitesten Sinne einen regelmäßigen Erwerb machen. An sich ist diese Bedienung der Kranken frei, sowohl für die Wahl der Kranken, als für die Krankendiener selbst. Aber zwei Dinge geben ihr einen öffentlich rechtlichen Charakter, durch den sie der Medicinalverwaltung angehören. Zuerst ist die Gränze zwischen der Krankenbedienung und der heilenden Thätigkeit schwer zu ziehen, so daß sogar oft im Falle eines Mangels die erstere die zweite ersetzen muß. Zweitens wird die Krankenpflege in allen ernsteren Fällen an sich eine Bedingung der Heilung. Sowie daher die Chirurgie einen wissenschaftlichen Inhalt bekommt, scheidet sich der Heildienst als selbständige Krankenpflege von ihr, übernimmt einen Theil ihrer ganz mechanischen Thätigkeit, erhebt sich zu einem eigenen Lebensberufe und wird nun vermöge dieser ihrer Natur in die Gesundheitsverwaltung eingeordnet. Dieß geschieht erst in unserem Jahrhundert, und ist noch sehr wenig ausgebildet. Die Grundsätze des öffentlichen Rechts des Heildienstes stehen jedoch schon ziemlich fest, obwohl sie nur wenig codificirt sind, und enthalten folgende Hauptpunkte: 1) Die individuelle Freiheit in in der Wahl der Krankenwärter bleibt an sich unbeschränkt; 2) wo aber ein eigenes Gewerbe daraus gemacht wird, tritt die Gesundheitsver- waltung ein, und stellt 3) erstlich den Grundsatz der Genehmigung für die Ausübung dieses Gewerbes auf, zweitens aber beginnt sie eine ge- wisse niedere Bildung für den Heildienst zu bieten und zu fordern, woran sich drittens eine Organisirung in der Oberaufsicht der Aerzte anschließt, und viertens eine Taxe mit Rechten und Pflichten. Auf diese Weise ist das in der alten Chirurgie liegende, rein gewerbliche Element, soweit es mit der Heilung zu thun hat, zu einem organischen Theile des Heilwesens geworden; und es läßt sich vorher sagen, daß dieß sociale Moment der Krankenhülfe der niederen Classe künftig durch diese Heildiener einer der wichtigsten Faktoren der öffentlichen Gesund- heit werden wird, wie es bereits in dem eigens dafür gebildeten reli- giösen Krankendienstverein angedeutet ist. Es ist kein Zweifel, daß die Ausbildung dieses Organismus im Großen und Ganzen, namentlich wenn in seiner Bildung mehr auf das Verständniß der allgemeinen Bedingungen von Gesundheit und Krankheit als auf den mechanischen Dienst hingewirkt wird, vielleicht das praktisch wichtigste, gewiß aber ein unendlich segensreiches Element des öffentlichen Heilwesens zu werden bestimmt ist. Die Verbindung des Heildienstes mit der Chirurgie hat in der Epoche der großen medicinalpolizeilichen Literatur eine eigene Behand- lung derselben verhindert. Frankreich hat in den Officiers de santé die Heildiener als selbständigen Beruf geschaffen, aber nur als Ersatz für eigentliche Aerzte, durch das Gesetz 19 Vent. an XI. a 15. Grund- lage: die Bedingung für die niedere Praxis entweder drei Jahre Stu- dium, oder sechs Jahre Dienst bei einem Arzt, oder fünf bis sieben Jahre in einem Hospital. Darauf drei Prüfungen in den Elementen der Anatomie, Medicin und Pharmacie und Aufnahme durch eine jury medical. Das neue Gesetz vom 31. Dec. 1854 hat sie dagegen zu dem gemacht, was bisher die Aerzte zweiter Classe waren. Sie werden nur für ein bestimmtes Departement aufgenommen, und an die Stelle der Jury ist der Präfekt getreten. Damit ist dann das eigentliche Heildiener- wesen im Grunde verschwunden (s. oben). — In Preußen dagegen wurde 1851 das Institut der eigentlichen Heildiener von dem der Krankenwärter geschieden; jene haben das Recht auf die niedere Chirurgie nach abgelegter Prüfung, Taxe und Approbation; diese nur eine gewerbliche Commission. (Die betreffende Verordnung bei Simon und Rönne , preuß. Medicinalwesen I. 343; Horn , preuß. Medicinal- wesen II. 236; die Statuten der Diaconissen-Anstalten bei Horn , Medicinalwesen II. 226—234 und Rescript vom 4. Oct. 1854; vergl. Rönne , preuß. Staatsrecht II. §. 355.) — Oesterreich hat nur die Pflicht der Krankenpflege strafrechtlich festgestellt (Strafgesetzbuch 360) und die Armenkrankenpflege geordnet ( Stubenrauch II. §. 296). — Uebrigens ist in manchen deutschen Staaten das Verhältniß und die Gränze wohl kaum genau geordnet. (S. oben Sachsen-Altenburg in seiner niederen Chirurgie.) Funke hat nichts über Sachsen. In Württemberg forderte schon die Medicinalordnung von 1755 (Tit. IV. §. 19. 21) die Aufstellung von öffentlichen Krankenwärtern. Das ganze Gebiet sollte aber in der That von dem Vereine der Aerzte in die Hand genommen werden; die Beamteten sind durchaus nicht im Stande, hier zu helfen. — Bayern . Verordnung vom 15. März 1866, Bäder- ordnung, Bildung, Befugniß und Berechtigung derselben, sehr rationell. B. Die Heilanstalten. Wesen und Recht derselben . Im Sinne der Gesundheitsverwaltung sind Heilanstalten solche Anstalten, welche mit öffentlichen Mitteln für die Ausübung der Heil- kunde hergestellt sind. Das öffentliche Recht derselben besteht demnach in denjenigen Bestimmungen, welche durch die Gesundheitsverwaltung für dieselben aufgestellt werden. Die historische Bildung dieser Heilanstalten hat jedoch denselben eine doppelte Aufgabe und damit auch ein doppeltes öffentliches Recht gegeben. Fast alle Heilanstalten sind entstanden als Anstalten der Hülfe für die Armuth in Krankheitsfällen. Sie sind außerdem meist als Stif- tungen, also mit ganz örtlicher Verwaltung gegründet. Das Hülfswesen wiegt in ihnen daher ganz entschieden vor, bis sie im vorigen Jahr- hundert erst in die allgemeine Organisation der Gesundheitsverwaltung aufgenommen werden. Dadurch scheidet sich die sanitäre Ordnung derselben von der rein administrativen , die es namentlich mit der ökonomischen Seite zu thun hat. Die Beschränktheit der ursprünglichen Mittel macht bei einigen dann die Staatsunterstützung nothwendig und diese erzeugt für die amtliche Verwaltung das Recht, die Ordnung und Thätigkeit dieser Anstalten durch amtliche Verordnungen und Instruk- tionen zu regeln, bei denen die Grundsätze des Armenwesens und des Heimathsrechts vielfach hineingreifen. Zugleich bringt es die Entwick- lung der Wissenschaft mit sich, daß die verschiedenen Anstalten auch besondere Ordnungen bekommen, wie sie den besonderen Zwecken der- selben entsprechen. Es kann daher weder eine feste Codifikation des öffentlichen Rechts der Heilanstalten, noch eine gleichmäßige Entwicklung desselben geben. Wohl aber hat dasselbe allenthalben den gleichen Cha- rakter und auf diesem beruht wesentlich ihr Werth; das ist die grund- sätzliche Unterordnung der Administration unter die Anforderungen der Heilkunde, und diesen Charakter finden wir in jedem Theile des Ganzen wieder. Eine gemeinsame Auffassung der gesammten Heilanstalten mangelt; gänzliche Unklarheit des allgemeinen Gesichtspunktes z. B. bei Mohl; die Behandlung des Gegenstandes findet daher nur in seinen einzelnen Theilen statt. I. Das Hospitalwesen und die Armenkrankenpflege. Das Hospitalwesen erscheint ursprünglich als ein rein auf Stif- tungen beruhender Theil des Armen- und Hülfswesens. Die Hospitäler sind daher anfänglich die eigentliche Form der pia corpora, und ihr öffentliches Recht wie ihre Verwaltung gehören daher als Selbstverwal- tung unter das Recht der Stiftungen und Corporationen, von denen sie auch jetzt noch einen Theil bilden. Das sanitäre Element ist dabei fast ganz unentwickelt. Erst als die Armenunterstützung — und so weit dieselbe eine öffentliche Aufgabe wird, wird die Armenkrankenpflege zu einem Theil der ersteren und damit tritt nun, namentlich seit der Organisirung der staatlichen Gesundheitsverwaltung, zugleich eine Orga- nisirung des Hospitalwesens ein, welche dasselbe in drei große Gruppen theilt und für jede dieser Gruppen eine eigene Ordnung und ein eigenes Recht erzeugt. Diese drei Gruppen sind die medicinischen Hospitäler, die Stiftungs- und Vereinsh ospitäler und die Armenh ospitäler mit der Armenkrankenpflege. Der Charakter des Rechts dieser Anstalten ist im Allgemeinen erstlich die Einzelverwaltung meist nach be- sonderen Vorschriften für jede Anstalt, jedoch unter allgemeiner Ober- aufsicht, welche namentlich die Führung genauer Kranken- und Sterbe- listen und genauer Verwaltungsbücher und Rechnungen fordert; zweitens der allmählige Sieg der Forderungen der Heilkunde über die rein ökonomische Administration und die zum Theil auch gesetzliche Unterordnung der letzteren unter die erstere; endlich drittens die Bestimmung des Verhältnisses dieser Anstalten zum eigentlichen Armen- wesen . Diese drei Hauptpunkte erscheinen nun bei jeder der drei Gruppen wieder verschieden, wie denn auch andercrseits das gesammte öffentliche Rechtsverhältniß in den einzelnen Ländern gleichfalls ein wesentlich verschiedenes ist. 1) Die medicinischen Hospitäler sind die zum Zwecke der Klinik angelegten und zunächst als Lehrmittel gebrauchten Anstalten. Sie sind, wenn auch oft auf Grundlage von Stiftungen errichtet, doch Staats- anstalten, und die wirthschaftliche Administration ist natürlich den Vor- schriften der medicinischen Leitungen durchaus untergeordnet, wie denn auch das für sie geltende Recht dem Unterrichtswesen angehört. 2) Die Stiftungs- und Vereinsh ospitäler. Die ersteren beruhen auf Stiftungen meist der ständischen Epoche, die zweiten entweder auf bestimmten Genossenschaften wie in Deutschland, oder auf ganz freien Vereinen wie in England. In ihnen beruht das Recht der Aufnahme meist auf speciellen, jeder Anstalt eigenthümlichen Bestimmungen, und der Organismus ihrer Selbstverwaltung ist bei ihrer Herstellung sogleich gegeben. Allein als Organe der großen öffentlichen Aufgabe der Ge- sundheitsverwaltung hat mit dem vorigen Jahrhundert der Staat den Inhalt seines Oberaufsichtsrechts vielfach bestimmt juristisch formulirt, und die wesentlichen Punkte desselben sind folgende: 1) Recht auf An- erkennung und Bestätigung der Errichtung und Statuten; 2) Recht auf Oberaufsicht über die statutenmäßige wirthschaftliche Verwaltung; 3) mei- stens gewisse Vorrechte in Erwerb und Vertretung von Vermögen und Ansprüchen; 4) endlich Recht zur medicinischen Oberaufsicht und Unter- ordnung der medicinischen Thätigkeit unter die Gesundheitsverwaltung. Natürlich steigert sich das Recht der staatlichen Oberaufsicht bis zur wirklichen Theilnahme an der Verwaltung, wenn der Staat um des öffentlichen Zweckes willen Zuschüsse leisten muß. Das nun wird wieder in jedem einzelnen Falle genauer bestimmt. Jedes dieser Hospitäler hat demgemäß seine Statuten und meist auch seine Instruktionen. Doch ist die Gränze der medicinischen Forderungen an die Verwaltung in den Mitteln und zuweilen auch in dem Rechte der einzelnen Anstalten gegeben. 3) Die Armenhospitäler und Armenkrankenpflege . Beide erscheinen zunächst als Theil des Armenwesens und bilden mit dem Institut der Arme närzte und der freien Apothekenb enutzung ein Ganzes. Allein die Organisation und das Recht derselben ist natürlich dennoch sehr verschieden. Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland besteht hier wesentlich darin, daß in Frankreich die Armen- krankenpflege eben nur in Hospitälern stattfindet, statt daß es in Deutschland zum Theil solche Hospitäler für Arme noch neben der Armenkrankenpflege gibt. Daraus entstehen denn eine Reihe besonderer Vorschriften über zwei Hauptpunkte der wirthschaftlichen Verwaltung dieser Hospitäler; zuerst über die Aufnahme und Entlassung in den- selben, und dann über das mit dem Heimathsrecht zusammenhängende Recht der Verpflegungslast für die aufgenommenen Kranken. Offen- bar ist das deutsche Princip der Verbindung der Armenhospitäler mit der (häuslichen) Armenkrankenpflege um so richtiger, als nur das letztere den Keim zur Selbsthülfe in sich trägt. An die letztere hat sich daher das große System der gegenseitigen Krankenhülfe der niedern Classen angeschlossen, das in England, Frankreich und Deutschland in wesentlich gleichartigen Formen seit unserm Jahrhundert sehr ausgebildet ist ( friendly societies, caisses de secours mutuels, Krankenversiche- rungen). Freilich fehlt dieser ganzen Richtung nach dem Charakter ihres Ursprunges und ihres nächsten Zweckes das ärztliche Element; sie hat sich bisher nur auf die wirthschaftliche Hülfe beschränkt und sieht ihrer höheren sanitären Entwicklung noch entgegen. Es wäre wohl Sache der Gemeinden , hier im öffentlichen Interesse der Gesundheit die Bedingungen dieses Fortschrittes zu bieten. Die Behandlung der Lehre von den Hospitälern ist noch immer strenge in die rein medicinische und rein juristische geschieden, und nur in einzelnen Werken eine beide umfassende. Freilich gehört das öffent- liche Recht hier zum großen Theil dem Heimaths- und Armenwesen an, und in dieser Beziehung ist der Charakter Englands, Frankreichs und Deutschlands sehr verschieden. In England gibt es kein allgemeines öffentliches Recht dieser Heilanstalten; die einzelnen Hospitäler sind meist Vereinshospitäler mit eigener statutarischer Verwaltung. Die Gesundheitsverwaltung nimmt dabei kein direkt anerkanntes Recht auf Oberaufsicht in Anspruch. Das Armenkrankenwesen bildet keinen besonderen Theil der allgemeinen Armenverwaltung; Armenärzte gibt es nicht. Von den wenigen Staats- hospitälern hat das große Greenwich-Hospital durch 28, 29 Vict. 89 eine neue Organisation erhalten. — Ganz anders ist das System Frankreichs . Das Hospitalwesen Frankreichs war vor der Revolution als Glied der ständischen Verwaltung sehr ausgebildet, aber nur örtlich und ohne Einheit. Durch die Revolution empfing das Hospitalwesen seinen Charakter als allgemein staatliche Organisation der Hülfe für Arbeitsunfähige und Kranke zugleich , wesentlich auf Grundlage einer allgemeinen Amensteuer (1 Cent. pr. Entr é ebillet in das Theater). Daneben besitzen Einzelne noch ein eigenes Vermögen. Die Hospitäler Frankreichs scheiden sich demgemäß nach ihren Aufgaben in hospices (für Alte und Schwache), hôpitaux (für eigentliche Kranke) und hos- pices-hôpitaux (für beide Classen). Die Organisation derselben ist auf Grundlage des Gesetzes vom 16. Vend. an. V (1796) errichtet. Grund- gedanke war Selbstverwaltung durch gewählte Organe; das Gesetz vom 7. Mess. an XI (7. August 1801) gab dagegen einen wesentlichen Theil der Verwaltung den Behörden, was dann die Ordonnanz vom 31. Okto- ber 1821 genauer bestimmte und das Gesetz vom 6. Juni 1830 änderte. — Die Errichtung ward durch Dekret vom 17. Januar 1806 von der behördlichen Genehmigung abhängig; das Dekret vom 25. März 1852 läßt alle verwaltenden Organe von Präfekten ernennen. Die wirth- schaftliche Verrechnung ist sehr genau geordnet. Die Verpflichtung zur Aufnahme gegen Zahlung ist allgemein; zur Zahlung verpflichtet ist die Geburtsheimath bis zum fünfundzwanzigsten Jahre bei den indigents; bei den Kranken gibt der bloße gewerbsmäßige Aufenthalt das Recht zur Aufnahme. Nach dem Gesetz vom 7. August 1851 sur les hospices wird jede Gemeinde gezwungen, die Verpflegungskosten ihrer Heimath- berechtigten in einem anderen hospice oder hôpital zu tragen, wenn derselbe „privé de ressources“ ist; doch kann das Departement dieselbe unterstützen, und hat die letztere das Recht des Rekurses gegen die zahlungsfähigen Angehörigen. Die Führung der Rechnungsbücher ( livre de souches und livre de detail nebst Journal ꝛc.) genau vorgeschrieben, sowie die Kranken- und Todtenlisten. Die Ordonnanz vom 23. April 1823 und das Gesetz vom 18. Juli 1833 haben demgemäß die Theil- nahme der Gemeinden an der Verwaltung der hospices geordnet. Das Hospitalsrecht nimmt daher in Frankreich eigentlich den Platz unseres deutschen Heimathswesens ein und hat eine große Literatur erzeugt. Hauptwerk: de Wattewille , Code de l’administration charitable 1847. Neuere Bestimmungen und Literatur: M. Doisy v. Hôpitaux bei Block . Tardieu , Dictionnaire d’hy- giène ebend. Laferrière , Droit admin. II. L. II. T. II. ch. IV. über die hospices und ihre wirthschaftliche Verwaltung; I. L. 1. 1. 2 über die hôpitaux und ihre Vermögensverwaltung. — Das Verhältniß der Hospitäler in Belgien hat dagegen vielmehr den deutschen Cha- rakter von Gemeindeanstalten oder Stiftungen ( de Fooz , Droit adm. belge, hospices civils IV. 364 und hospice de Messines ib. 395). — Das System Oesterreichs beruht in etwas ähnlicher Weise auf dem Unterschied zwischen Kranken (heilbaren) und Siechen (unheilbaren). Grundsatz ist, daß die Kranken- und Siechenhäuser als Lokalanstalten angesehen und daher von den Gemeinden erhalten werden (Dekret vom 22. Oktober 1822), dabei aber dennoch unter der Aufsicht der Bezirks- und Kreisärzte stehen ( Stubenrauch I. §. 262; Medicinalverordnung vom 1. Oktober 1850). Pflicht zur Verpflegung wird nach Röm. Recht durch das Allgem. bürgerliche Gesetzbuch zuerst den Ascendenten und Descendenten (§§. 139, 143 und 154), dann der Gemeinde zugewiesen (Gem. Ges. vom 17. März 1849), eventuell dem Landesfonds. Auf- nahme allgemein gegen Krankenschein. Verhältniß der Kranken- und Siechenhäuser (Erlaß vom 4. Dec. 1855; Stubenrauch II. 298). Besondere Direktoren für die Aufnahme seit 4. Mai 1811; Bescheini- gung des Pfarrers ( Stubenrauch II. 354 und 356). — Die Armen- krankenpflege ( out door relief derselben) beruht auf dem organisch durch- geführten Grundsatz der Anstellung von Armenärzten, Wundärzten und Hebammen , nebst der allgemeinen Pflicht, den Armen unent- geldlich zu helfen (Instruktion von 1813, 1824, 1826 und die Ordi- nationsnorm für arme Kranke vom 26. August 1813 und 22. Mai 1823; Stubenrauch II. §. 355). — In Preußen stellte das Allge- meine Landrecht II. 19 §§. 32—86 die allgemeinen Grundsätze für die Stiftungsh ospitäler fest, mit Vorrechten eigener Verwaltung und Oberaufsicht, indem es sie mit Arbeitshäusern ꝛc. zusammenfaßte. Die Vorstände sind „Diener des Staats“ (§. 80) mit Haftung wie die Vor- münder. Die Armenh ospitäler sind auch hier als Gemeindesache be- trachtet und von den Gemeinden verwaltet; die Grundsätze dafür sind die der Armenpflege überhaupt. Doch werden auch viele Armenhospitäler von Provinzen, Kreisen und Vereinen unterhalten. Sie fallen in ihrem öffentlichen Recht mit den Stiftungsspitälern zusammen, während die Krankenaufnahme nach dem Armengesetz vom 31. December 1842 gilt. Daneben das Institut der Armenärzte für die einzelnen Gemeinden obligatorisch (Rescr. vom 8. Sept. 1823; Horn , Medicinalwesen II. 161; Rönne , Staatsrecht II. 341 und 363). — Da wo wir keine specielle Gesetzgebung für die einzelnen deutschen Staaten nachzuweisen vermögen, wird die Armenkrankenpflege wohl meist auf den Armenärzten be- ruhen; allgemein gilt der Grundsatz, daß die Armenhospitäler keine Staatsangelegenheit bilden. — Für das Königreich Sachsen ist das System der „Krankenanstalten des Landes“ bei Funke III. S. 347 ff. mit ihrem Recht und ihren Ordnungen genau mitgetheilt. — Ueber die Ordnung der beiden öffentlichen Heilanstalten in Württemberg bei Roller §§. 173—175. — Die Errichtung von Privatheilanstalten ist mit Ausnahme Englands wohl in allen Ländern Gegenstand beson- derer Commissionen und die Oberaufsicht selbstverständlich. Die Maisons de réfuge in Frankreich (Dekret vom 26. Dec. 1810); Maisons de santé (Gesetz vom 30. Juni 1838, mit besonderer Instruk- tion vom 9. Aug. 1828). Oesterreich . Genehmigung: Stubenrauch II. 298. Preußen . Gewerbeordnung 1845 §. 42 ( Rönne II. 363). Für das Königreich Sachsen: Funke , Privatheilanstalten III. S. 383; Aufsicht auf die Krankenhäuser III. S. 21. In Bayern gleichfalls Princip der Genehmigung namentlich bei orthopädischen und hydropathi- schen Anstalten. Neuestens geordnet durch Verordnung vom 29. Ja- nuar 1865. Ueber das Recht der Maisons hospitalières des femmes und die Maisons de réfuge in Belgien, die gleichfalls unter öffentlicher Aufsicht stehen, de Fooz a. a. O. IV. 396 und 403. In Italien theils Organisirung der alten, theils Errichtung neuer Seehospitäler (Verordnung vom 23. Okt. 1865, 8. Febr. 1866). Staatliche Organi- sation mit öffentlichen Direktoren. II. Das Irrenwesen. Während das Hospitalswesen seinen verwaltungsrechtlichen Inhalt wesentlich durch das Armenwesen empfängt, entsteht im Irrenwesen die zweite Seite seines öffentlichen Rechts aus dem Pflegschaftswesen. Das öffentliche Irrenwesen enthält nämlich die Gesammtheit der Vorschriften und Anstalten, vermöge deren einerseits die rechtliche Vertretung, andererseits die sanitäre Behandlung der Geisteskranken geordnet wird. Das Irrenwesen als Theil des öffentlichen Rechts hat wohl allent- halben denselben Entwicklungsgang durchgemacht. Während es in der alten Zeit als reine Familienangelegenheit, nun als Sache der Armen- pflege angesehen wird, beginnt es selbständig mit dem Standpunkte der Sicherheitspolizei und der Pflicht der Gemeinde, gefährliche Irren einzusperren. Dieser Standpunkt macht erst im vorigen Jahrhundert der Idee der Hülfsbedürftigkeit der Irren Platz, an die sich der Satz anschließt, daß man dafür öffentliche Anstalten errichten, und den Verwandten die Pflicht vorschreiben müsse, die Irren noch immer wegen ihrer Gemeingefährlichkeit, dahin abzuliefern. Auf dieser Grundlage bil- dete sich nun mit unserem Jahrhundert der Grundsatz aus, daß die Sorge für die Geisteskranken eine organische Aufgabe der Gesundheits- verwaltung sei, und dieser Grundsatz entfaltete sich nach den drei Seiten hin, welche zusammengenommen das gegenwärtige öffentliche Recht des Irrenwesens Europas in seinen Grundlagen bilden. Diese sind: 1) Die Irrenanstalten sind öffentliche Landesa nstalten mit öffent- licher Verwaltung, eventuell mit öffentlicher Unterstützung und Pflicht zur Aufnahme von armen Irren. Die wirthschaftliche Verwaltung steht daher unter gleicher Controle wie jede andere. Die Errichtung von Privati rrenanstalten unter Genehmigung und beständiger Oberaufsicht ist daneben gestattet. Sie sind daher ein Theil der Gesundheitsverwaltung. 2) Daraus folgt, daß die sanitäre Behandlung der Irren den allgemeinen, und in den einzelnen Anstalten auch den speciellen Vor- schriften der Gesundheitsverwaltung und ihrer beständigen Oberauf- sicht unterworfen ist, welche letztere durch bestimmte Gesetze und Instruk- tionen geregelt wird. 3) Endlich wird das Privatrecht der Irren, die Sicherung ihrer persönlichen und wirthschaftlichen Freiheit zum Gegenstande specieller Gesetzgebung, welche durch die rechtlichen Formen und Bedingungen sowohl der öffentlichen Irre nerklärung , als der Aufnahme und Entlassung von Seiten der Irrenanstalten die Einzelnen gegen den Irrthum und Verbrechen in Bezug auf wahre oder angebliche Geistes- krankheit und Heilung schützen. Die hierauf bezüglichen Bestimmungen sind nur in einzelnen Län- dern Gegenstand einer codificirten Gesetzgebung, während namentlich in Deutschland die Gewähr für die gute und gesicherte Verwaltung des Irrenwesens noch immer mehr auf der Thätigkeit der Oberaufsicht, als auf organischen Gesetzen beruht, was eben nur dadurch erklärt und er- tragen werden kann, daß die medicinische Bildung selbst, die wahre Grundlage des Ganzen, hier am höchsten steht, und das strenge admini- strative Gesetz zu ersetzen weiß. Die juristische Seite der Irrengesetz- gebung entbehrt in Deutschland der Einheit; für die meisten kleineren Staaten scheint sie ganz zu fehlen. In der ganzen Irren-Literatur haben selbst auf juristischem Ge- biete die Mediciner viel mehr geleistet als die Juristen. Die Gesetz- gebung ist die reichste im ganzen Gesundheitswesen. Ueber England ist das Hauptwerk: Schlemm , Bericht über das brittische Irrenwesen 1848. Die neueste Gesetzgebung dagegen bei Gneist , Engl. Verwal- tungsrecht II. §. 110 ( Lunatic Asylum ). Erste Periode: reine Sicher- heitspolizei gegen gefährliche Irren 17 G. II. 5, jedoch schon mit dem Verbot, Irren ohne Genehmigung in Privathäuser aufzunehmen. Zweite : Errichtung von öffentlichen Irrenhäusern ( Lunacy Asylum 48 G. III. 96. 1808): Pflicht zur Aufnahme gegen Erklärung von zwei Friedensrich- tern. Die Verwaltung der Irrenhäuser unter besondere Commissionen gestellt 9 G. IV. 40, welche auch Licenses für Irrenanstalten geben; eine förmliche organische Gesetzgebung über die ganze Irrenverwaltung dann zuerst 8, 9 Vict. 120 und 126; das letzte, alle gesetzlichen Bestim- mungen über Aufnahme und Entlassung, Verwaltung und Oberaufsicht zusammenfassende Gesetz der Lunacy Asylums Act 16, 17 Vict. 97. (1853) unter den Commissioners in Lunacy (s. Gneist a. a. O. S. 731). Das Ganze ist gut charakterisirt bei Schlemm S. 27: die eng- lische Irrengesetzgebung hat die strenge Tendenz „ die Sache der Irren aus den Händen der Aerzte in die der Richter zu geben .“ Doch fehlen Bestimmungen über die gesetzliche Irrenerklärung und die Vormünder. Das neueste Statut 25, 26 Vict. 86 (Lunacy Regulation Act 1862) regelt die Inspektion der Irrenhäuser, Herstellung eines amtlichen Registers und Recht auf Berufung einer Jury — durch den Irren! — Das Gesetz über die wahnsinnigen Gefangenen 3, 4 Vict. 54 etwas geändert durch 27, 28 Vict. 99. — Die französische Ge- setzgebung ist sehr umfassend und vortrefflich, namentlich in ihrem administrativen Theil musterhaft. Ueber das Pflegschaftswesen der Irren schon der Code Civ. 489 und 490, 509, 510; Recht der Behörde zur „Interdiction“ jedoch schon seit Gesetz vom 16—24. August 1790 in Anspruch genommen, doch fehlten noch die Irrenanstalten: statt der- selben Unterbringung in den hospices. Jene wurden erst als allge- meine Anstalten errichtet mit dem Gesetz vom 30. Juni 1838: „à la fois une loi de police et une loi d’assistance publique,“ zu welchem das Reglement vom 18. December 1839 hinzugekommen ist, so wie der Grundsatz, daß jedes Reglement der Autorisation des Präfekten bedürfe. Die Oberaufsicht über die Privatanstalten ist genau geordnet; eben so die Formalitäten und Bedingungen der Aufnahme und Entlassung, die gerichtliche von der sicherheitspolizeilichen unterschieden; die Vertheilung der Lasten streng geordnet, und die Befolgung der Vorschriften unter Strafe gestellt. Der Gegenstand ist vielfach und ausführlich behandelt (s. die Literatur bei Leviez v. Aliénés bei Block . Tardieu , Dict. v. Aliénés ). Die französische Gesetzgebung hat der holländischen (Gesetz vom 29. Mai 1841; s. De Bosch-Kemper : Nederland. Staats- regt §. 375 nebst den einzelnen Gesetzen) und der belgischen (Gesetz vom 18. Juni 1850 und Reglement vom 1. Mai 1851) zum Muster ge- dient (s. de Fooz , Droit admin. belge IV. p. 391—395). Die Ver- gleichung und der Text sowohl der englischen von 8, 9 Vict. 100. (1845) — (warum hat man nicht die Lunacy Act von 1853 genommen?) als der französischen, holländischen, belgischen, schwedischen (vom 5. März 1858), norwegischen (vom 17. August 1848) und Genfer (vom 5. Februar 1838) in einer trefflichen Zusammenstellung in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie Bd. XX. Suppl.Heft. Im Detail ist sie übrigens nicht vollständig. — Was Deutschland be- trifft, so müssen wir den Charakter seines Irrenwesens, durch den es sich von England, Frankreich und den übrigen Staaten so wesentlich unterscheidet, in zwei Punkten suchen, die bei aller Verschiedenheit im Einzelnen allen gemein sind. Der erste besteht darin, daß kein deutscher Staat eine codificirte Irrengesetzgebung hat, wie die oben citir- ten; daß meistens die Anstalten Landes- oder Privatanstalten sind; daß in Folge dessen die Thätigkeit der Staatsverwaltung eine wesent- lich oberaufsehende ist, und daher auch nur in einer allerdings großen, aber doch fast ausschließlich nur auf die einzelnen Anstalten und ihre Verwaltung bezüglichen Reihe von Instruktionen, Verord- nungen u. s. w. erscheint, und daß endlich das juristische Element des Irrenwesens als Pflegschaftswesen, von der Irrenverwaltung gänzlich geschieden, nur in den bürgerlichen Gesetzbüchern enthalten ist. — Das zweite großartige Element des deutschen Irrenwesens dagegen be- steht in dem Vereinswesen der Irrenärzte mit ihren temporären „psychiatrischen Versammlungen,“ die mit großem Verständniß auch das Stein , die Verwaltungslehre. III. 9 juristische Bedürfniß der Irrenverwaltung zur Anerkennung bringen. Aus diesen Versammlungen ist die in ihrer Art einzige Sammlung der „Gesetze und Verordnungen in Deutschland , betreffs der Geistes- kranken“ (Allgem. Zeitschrift für Psychiatrie Bd. XIX. Suppl.Heft. 1862, so wie das Suppl.Heft zu Bd. XX. ) die „Irrengesetze und Verord- nungen in Preußen“ 1863 hervorgegangen, die das bestehende Recht in A. Civilrechtliches, B. Strafrechtliches, C. Polizeirechtliches scheidet, und für jeden Staat Deutschlands unter Zuhülfenahme der betreffen- den Verwaltungsgesetzurkunden eine vollständige Sammlung der bestehen- den Anordnungen darbieten. Wir haben derselben außer der obigen Charakteristik nur noch das eine unterscheidende Merkmal hinzuzufügen, daß bei der durchaus centralen Irrenverwaltung der übrigen Staaten von einer Selbstverwaltung nur in England und Deutschland die Rede ist, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, daß in England die Countys, welche nach 8, 9 Vict. 100 die Landschaftsirrenhäuser zu er- halten haben, das Recht besitzen, die ganze Verwaltung jeder Anstalt durch bye laws zu ordnen, während die Selbstverwaltung der öffent- lichen Irrenhäuser in Deutschland fast nur auf reine Budgetbewilligung für dieselbe beschränkt, und die Erlassung der Reglements der Sanitäts- verwaltung vorbehalten ist. Privat-Irrenanstalten stehen unter dem Princip der Genehmigung, und dem gleichen Verordnungsrecht der Ver- waltung. S. die schöne Arbeit von Nass é , Vorschläge zur Irren- gesetzgebung (Preußen) 1850. Als Supplement zu den obigen Samm- lungen noch etwa für Preußen: Rönne , Staatsrecht II. 361. Oester- reich ( Stubenrauch I. 227 und II. 298). Bayern ( Pözl , Ver- waltungsrecht §. 119). Sachsen ( Funke , Polizeigesetze III. 347 ff. Privatirrenanstalten und ihre Beaufsichtigung ebendas. S. 393). Würt- temberg ( Roller §. 27—31). Baden : Statut der Staatsanstalt zu Ilmenau vom 21. März 1845 (Austria 1866. S. 150). — Hessen- Darmstadt : Verordnung vom 9. Januar 1866 über Aufnahme und Verpflegung im Landess pital. Aufnahme nicht durch die Direktion, sondern durch die Verwaltungsbehörde. Hannover : Verordnung vom 14. März 1866. Erste allgemeine Ordnung des Irrenwesens in Han- nover, in drei Abschnitten: Aufnahme, Aufnahmsverfahren, Entlassung (diese für alle Kranken möglich, selbst bei unheilbaren, wenn Sicher- heit gegen dieselben ist. Mit Formular für Gutachten und Pflicht zu Berichten. Austria 1866. S. 157). III. Gebär- und Ammenhäuser. Auch die Gebär- und Armenhäuser sind erst im vorigen Jahrhun- dert entstanden und haben den doppelten Charakter von Armen- und Heila nstalten, ohne daß einer von beiden der überwiegende wäre. Es liegt in der Natur der Sache, daß sie nur örtlich in großen Städten die erstere von dem Armenwesen geschieden fordern, und daß sich erst an diese ein selbständiges Armenwesen anschließen kann, das dann wieder vielfach mit den dem Hülfswesen angehörigen Findelhäusern in Verbindung gebracht wird. Daher ist der Charakter des geltenden öffentlichen Rechts derselben im Wesentlichen das der Krankenhäuser und Hospitäler: örtliche Verwaltung, sowohl medicinische als wirth- schaftliche, und Oberaufsicht der Sanitätsverwaltung, theils durch Inspektion, theils durch örtliche Verordnungen. Die große Wichtig- keit eines gut organisirten Ammenwesens in den größeren Städten ist noch keineswegs genug anerkannt; der geeignete Punkt wäre die orga- nische , statt der bisherigen rein gewerblichen und uncontrolirten Ver- bindung mit dem Hebammenwesen . Die Literatur ist, trotz der Andeutungen bei Frank und Andern wohl nur sehr unbedeutend. In England fehlt unseres Wissens jede gesetzliche Bestimmung. In Frankreich dagegen datiren die bureaux de nourrices schon von L. XIV. 19. Januar 1715, jedoch nur für Paris; Verbindung derselben mit den hospices (Arr. 29. Germ. an IX). Dann neueste gute Organisation unter der Admin. gén. de l’assistance publique. (Gesetz vom 10. Januar 1849 und Reglement von 1851 im Auszug bei Block v. Nourrices. Tardieu , Dictionnaire v. Nourri- ces ). Errichtung und Organisirung von Säugammen-Instituten in Ver- bindung mit den Findelhäusern für Wien. Erlaß vom 1. December 1806 und Prag vom 14. October 1833 ( Stubenrauch II. 264). — Gibt es in Preußen, Sachsen u. s. w. denn gar keine einschlagenden Insti- tute oder Verordnungen ? — Die Entbindungsanstalt zu Osnabrück ist durch Verordnung vom 5. Mai 1865 zugleich als Hebammenklinik eingerichtet. IV. Oeffentliche Bäder. Die Geschichte, das gegenwärtige Recht und die Zukunft des hoch- wichtigen Badewesens beruht zunächst auf der Unterscheidung zwi- schen den eigentlichen Heilbädern (Gesundbrunnen) und den (öffent- lichen) Badeanstalten , von denen jene für die Heilung von Krank- heiten, diese für die Erhaltung der öffentlichen Gesundheit bestimmt sind. In der alten Welt bildeten die Heilbäder gar keinen Gegenstand der Verwaltung, während die öffentlichen Badeanstalten bekanntlich als ein allmählig ganz nothwendiger Theil jeder örtlichen Verwaltung angesehen wurden. Bis zum achtzehnten Jahrhundert blieb beides dann unbeachtet. Die „Bäder“ erscheinen als Einzelbäder, reines Heilmittel in einzelnen Fällen, und gehören in dem Zunftwesen der „Bader“ dem niederen Heilwesen an. Mit dem achtzehnten Jahrhundert zieht aber die allgemeine Gesundheitsverwaltung wieder die Heilbäder in den Kreis ihrer Oberaufsicht, obgleich sie ihnen zunächst ganz den Charakter von gewerblichen Unternehmungen läßt, aber das Heilwesen derselben zu ordnen beginnt, während von öffentlichen Badeanstalten noch keine Rede ist. Die letzteren entstehen dann mit unserem Jahrhundert, und zwar auf Grundlage theils von Privatunternehmungen für das Bedürfniß des Publikums, theils aber durch das Vereinswesen in England als allgemeines Gesundheitsmittel mit speciellem socialem Zwecke für die niederen Classen. Die wachsende Ueberzeugung von der unend- lichen Wichtigkeit der Bäder für die öffentliche Gesundheit läßt dann die Anlage solcher öffentlichen Badeanstalten als eine Aufgabe zunächst der örtlichen Sanitätsverwaltungen erscheinen, deren Bedeutung auch hier mit der Dichtigkeit der Bevölkerung zunimmt. Auf diese Weise entstehen zwei große Gruppen des öffentlichen Rechts des Badewesens, von denen namentlich die letztere viel mehr Aufmerksamkeit und Anstrengungen fordert , als ihr bisher in Literatur und Gesetz- gebung zu Theil geworden ist. Die Heilbäder oder Gesundbrunnen stehen nur unter einer allge- mein öffentlichen Oberaufsicht, die meist nur den Schutz der Kranken gegen Ausbeutung zur Aufgabe hat. Die medicinische Seite läßt keine Gesetzgebung zu. Die öffentlichen Badeanstalten dagegen haben ein doppeltes Rechtsverhältniß. Insofern sie gewerbliche Unternehmungen sind, stehen sie als (genehmigte) Gewerbe unter den Gewerbeordnungen, und unter der allgemeinen Sicherheitspolizei. Die öffentlichen ( Volks ) Bäder dagegen sind, meistens leider nur noch im Entstehen begriffene Anstalten für die (möglichst) freie Benützung des Publikums, werden entweder von den Gemeinden oder von Vereinen errichtet, und haben ihre einfachen administrativen und sicherheitspolizeilichen örtlichen Ordnungen. Die Gesetzgebung über die Heilbäder in Frankreich beginnt schon im siebzehnten Jahrhundert (Mai 1603); die Grundzüge der Gesetz- gebung des achtzehnten sind durch die Gesetze vom 3. Flor. an VIII und 6 Niv. an IX und endlich durch die Ordonnanz vom 18. Juni 1823 reproducirt und erweitert. Grundgedanke: Strenge Controle , Oberauf- sicht durch Inspektoren, Kurlisten und jährliche Berichte, und zugleich strenge Sanitätspolizei für Mineralwässer ; selbst Nachgrabungen nach Gesundbrunnen nur auf polizeiliche Erlaubniß (Decret vom 9. März 1848). Ausführlich bei ( Tardieu , Dictionnaire v. Éaux minérales ). — Die belgische Gesetzgebung schließt sich zwar an die frühere französische, nicht aber an die angeführte neuere an, und steht im Wesentlichen auf dem deutschen Standpunkt ( De Fooz , Dr. adm. belge IV. p. 174—183). — In Deutschland überhaupt keine allgemeine Gesetzgebung, sondern nur Anerkennung und Durchführung des Princips der Oberaufsicht von Seiten der Sanitätsverwaltung und einzelne Instruktionen und Reglements für die einzelnen Badeorte , nebst strenger Polizei der Mineralwässer. Oesterreich : Badeordnungen für Baden, Gastein, Ischl; Anstellung von Badeärzten mit jährlichen Berichten; Freiheit des Verkehrs mit Mineralwässern unter Anzeige und Haftung; Er- zeugung künstlicher Wässer 1832 verboten, durch Decret vom 11. No- vember 1847 unter Genehmigung erlaubt ( Stubenrauch II. 295). — Preußen : gleichfalls Oberaufsicht mit jährlichen Berichten, Circ. vom 5. Februar 1856 ( Horn , Medicinalwesen I. 84). Die öffentlichen Bäder standen lange nur unter sicherheitspoli- zeilicher Oberaufsicht, meist örtlich, und als Gewerbe unter der Gewerbe- ordnung. Preußen (Gewerbeordnung §§. 40 und 50). Doch in Oester- reich schon neben der erstern ( Stubenrauch I. 227) allgemeine Vorschriften für warme Bäder. Decret vom 23. August 1803 ( Stu- benrauch II. 277). Das vorwiegend sociale Institut der Volks- bäder stammt dagegen aus England. Hier beginnt es mit öffentlichen Waschanstalten für die niederen Classen, an die sich Bäder für sehr geringen Preis anschließen, ohne Zuthun der Regierung auf Vereins- wege (Statut 9, 10 Vict. 74 mit Zusatz 10, 11 Vict. 61, wobei die Gemeinden bye laws erlassen können. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. 111). Dann hat Frankreich die Aufgabe für die centrale Ver- waltung übernommen und durch Gesetz vom 3. Februar 1851 einen Credit für die Errichtung von Volksbädern in der Form der Sub- ventionen an einzelne Gemeinden (600,000 Fr.) bewilligt — eine bei der Langsamkeit deutscher Gemeindeverwaltung wohl sehr nachahmungs- werthe Maßregel.