System des heutigen Römischen Rechts von Friedrich Carl von Savigny . Achter Band . Mit K. Bairischen und K. Würtembergischen Privilegien. Berlin. Bei Veit und Comp . 1849 . Vorrede . D er hier vorliegende achte Band erhält durch seinen Inhalt eine eigenthümliche Beschaffenheit, sehr verschieden von allen früheren Bänden. Zunächst erscheint darin der sichtbare Einfluß des Römischen Rechts weit geringer, als in den früher abgehan- delten Lehren. Ferner ist die hier dargestellte Lehre, verglichen mit anderen, als erst im Werden begriffen, als unfertig, aufzufassen. Und zwar ist diese Be- hauptung nicht etwa zu verstehen als ein subjectives Bekenntniß des Schriftstellers, der seine persönlichen Kräfte für unzureichend hält zur Bewältigung der Schwierigkeit des Stoffes; sie ist vielmehr geschöpft aus der Betrachtung der eigenthümlichen Natur des Vorrede . Gegenstandes selbst, worüber nunmehr genauere Rechenschaft gegeben werden soll. In dieser Lehre, und besonders in der ersten Hälfte derselben (Kap. I. ), gehen bis jetzt die Meinungen der Schriftsteller, so wie die Urtheile der Gerichte, ziemlich wild durch einander; Deutsche, Franzosen, Engländer und Amerikaner, stehen sich oft sehr schroff gegenüber. Alle aber vereinigen sich in einem gemeinsamen lebhaften Interesse an den hier einschlagenden Fragen, in dem Bestreben nach Annäherung, Ausgleichung, Verständigung, so wie es sich in keiner anderen Rechtslehre findet. Man kann sagen, daß diese Lehre bereits ein Gemeingut der gebildeten Nationen geworden ist, nicht durch einen schon erworbenen Besitz fester, allgemein aner- kannter Grundsätze, wohl aber durch die Gemein- schaft wissenschaftlicher Untersuchung, die zu einem solchen Besitz hinstrebt. Ein anschauliches Bild dieses unfertigen, aber hoffnungsreichen Zustandes gewährt das treffliche Werk von Story , das zu- gleich als reiche Materialiensammlung jedem Forscher in hohem Grade förderlich wird. Es ist aber nicht blos die Aussicht auf Ent- wicklung und Ausbau der juristischen Theorie, die Vorrede . uns in dieser Lehre so anziehend und anregend er- scheint, sondern eben so, und noch mehr, die groß- artige Aussicht auf eine in das Allgemeine gehende praktische Gemeinschaft des Rechtsbewußtseyns und des Rechtslebens. Betrachten wir noch insbesondere die Stellung dieser Lehre zu den Bestrebungen und Parteien der neuesten Zeit. Der nicht selten feindliche Gegensatz zwischen Germanisten und Romanisten kommt in dieser Lehre weniger, als anderwärts, in Betracht. In den wichtigsten Fragen sind die deutschen Rechtslehrer meist zu einer großen Einstimmung gekommen, unge- stört durch jenen, in anderen Lehren oft zum Nach- theil der Wissenschaft hervor tretenden, Gegensatz. Das Römische Recht erscheint vergleichungsweise weniger, als anderwärts, einwirkend durch unmittel- bare positive Vorschriften. Die genaueste Kenntniß desselben aber wird hier vorzüglich dadurch wichtig, daß die Meinungen der Schriftsteller und der Ge- richte großentheils durch wahre oder falsche Auf- fassung Römischer Begriffe und Regeln bestimmt worden sind, oft ohne deutliches Bewußtseyn derer, die in der That ganz unter diesem Einfluß standen. Vorrede . Wenn ferner ein abschließendes Hervorheben der Nationalität zu den vorherrschenden Richtungen neuester Zeit gehört, so kann sich gerade diese Rich- tung in einer Lehre nicht geltend machen, die ihrer Natur nach darauf ausgehen muß, die nationalen Gegensätze in einer anerkannten Gemeinschaft der verschiedenen Nationen aufzulösen. So finden wir also hier von der einen Seite die großartigsten Aussichten in die Zukunft, von der anderen Seite die Unmöglichkeit, die vorlie- gende Aufgabe schon jetzt zu einem völligen Ab- schluß zu führen, selbst unabhängig von der per- sönlichen Fähigkeit des einzelnen Arbeiters. Jeder, der sich in solcher Stellung befindet, kann aus dieser Betrachtung eben so viel Muth, als Be- scheidenheit schöpfen. Er muß es sich zur Ehre rechnen, wenn es ihm gelingt, den fortgehenden geistigen Prozeß durch Zurückführung dieser Lehre auf eigentliche Grundsätze weiter fördern zu helfen, selbst wenn sein Versuch, bei fernerer Entwicklung, nur noch als einzelner, vorbereitender Schritt im Andenken bleiben sollte. Einen besonderen Mangel in den bisherigen Arbeiten glaubte der Verfasser dieses Werks darin Vorrede . zu finden, daß man stets die beiden Stücke, die in dem vorliegenden Werke verbunden er- scheinen, die örtlichen und die zeitlichen Gränzen der Herrschaft der Rechtsregeln, einzeln und abge- sondert behandelt hat. Er glaubte diesem Mangel dadurch abhelfen zu müssen, daß er beide Stücke in Verbindung brachte, nicht blos indem er sie äußerlich neben einander stellte, welches allein nicht ausreicht, auch schon häufig in der kurzen Dar- stellung der Lehrbücher ohne merklichen Erfolg ver- sucht worden ist, sondern indem er den inneren Zusammenhang der für beide Stücke geltenden Grundsätze zu erforschen und darzustellen suchte. Mit dem gegenwärtigen Bande ist der allge- meine Theil des Systems, dessen Bedeutung gleich Anfangs dargelegt wurde ( I. § 58), zu Ende ge- führt. Die dem ersten Band vorangesetzte Ueber- sicht des ganzen Werks ließ erwarten, daß unmittel- bar auf die drei ersten Bücher, welche diesen allgemeinen Theil in sich schließen, in einer fort- aufenden Reihe von Bänden der besondere Theil Vorrede . folgen würde, welchem vorläufig folgende Ueber- schriften gegeben waren: Viertes Buch. Sachenrecht. Fünftes Buch. Obligationenrecht. Sechstes Buch. Familienrecht. Siebentes Buch. Erbrecht. Eine durch zufällige Umstände herbeigeführte, längere Unterbrechung hat indessen die Vollendung des Ganzen noch unwahrscheinlicher gemacht, als sie vielleicht gleich Anfangs angenommen werden konnte, und durch diese Betrachtung bin ich zu folgender Veränderung in der äußerlichen Einrichtung des Werks geführt worden, die also durchaus nicht aus der Annahme einer veränderten Ueberzeugung über die Zweckmäßigkeit des wesentlichen Planes desselben erklärt werden darf. Ich betrachte nunmehr die jetzt vorliegenden acht Bände als ein für sich bestehendes abgeschlossenes Werk, so daß der Titel jedes Bandes in Gedanken zu ergänzen ist durch die hinzugefügten Worte: Allgemeiner Theil. Der besondere Theil des Systems soll nunmehr nicht als Fortsetzung des allgemeinen, durch fort- laufende Bändezahl, bezeichnet, sondern vielmehr Vorrede . in abgesonderten Werken dargestellt werden, unter welchen zunächst das Obligationenrecht (nicht nach der früheren Absicht das Sachenrecht) an die Reihe kommen soll. Diese abgesonderten Werke werden also äußerlich als Monographieen erscheinen, in der That aber nicht den wesentlichen Charakter von solchen an sich tragen ( I. S. xxxix ), sondern vielmehr gerade so beschaffen seyn, wie wenn die gegenwärtig angekündigte Veränderung des ursprüng- lichen Planes nicht eingetreten wäre. Geschrieben im Julius 1849. Inhalt des achten Bandes. Drittes Buch. Herrschaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältnisse . Seite. §. 344. Einleitung 1 Erstes Kapitel . Oertliche Gränzen der Herrschaft der Rechts- regeln über die Rechtsverhältnisse. §. 345. Uebersicht 8 §. 346. Abstammung und Landgebiet, als Grunde der An- gehörigkeit der Person 14 §. 347. Widerstreitende Territorialrechte in demselben Staate 19 §. 348. Widerstreitende Territorialrechte in verschiedenen Staaten 23 §. 349. Fortsetzung 32 §. 350. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Einleitung 39 Inhalt des achten Bandes. Seite. §. 351. Die Römische Lehre von origo und domicilium. I. Origo 44 §. 352. Fortsetzung 50 §. 353. Die Römische Lehre von origo und domicilium. II. Domicilium 57 §. 354. Fortsetzung 63 §. 355. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Wirkung dieser Verhältnisse 67 §. 356. Fortsetzung 76 §. 357. Fortsetzung 86 §. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht 89 §. 359. Fortsetzung 95 §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen 107 §. 361. Fortsetzung 118 §. 362. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit) 134 §. 363. Fortsetzung 141 §. 364. Fortsetzung 147 §. 365. Fortsetzung 159 §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln 169 §. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum 181 §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re 189 §. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung 200 §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation 205 §. 371. Fortsetzung 233 §. 372. III. Obligationenrecht. Oertliches Recht 246 Inhalt des achten Bandes. Seite. §. 373. Fortsetzung 256 §. 374. III. Obligationenrecht. Oertliches Recht. Einzelne Rechtsfragen 263 §. 375. IV. Erbrecht 295 §. 376. Fortsetzung 298 §. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen 311 §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht 316 §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe 324 §. 380. V. Familienrecht. B. Väterliche Gewalt. C. Vor- mundschaft 338 §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ) 348 §. 382. Fortsetzung 359 Zweites Kapitel . Zeitliche Gränzen der Herrschaft der Rechts- regeln über die Rechtsverhältnisse. §. 383. Einleitung 368 §. 384. Zweierlei Rechtsregeln 373 §. 385. A. Erwerb der Rechte. — Grundsatz 381 §. 386. Fortsetzung 392 §. 387. Fortsetzung 399 §. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen des Grundsatzes 406 §. 389. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. I. Zustand der Person an sich 414 §. 390. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. II. Sachenrecht 420 §. 391. Fortsetzung 426 §. 392. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. III. Obli- gationenrecht 435 Inhalt des achten Bandes. Seite. §. 393. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. IV. Erbrecht 447 §. 394. Fortsetzung 468 §. 395. Fortsetzung 482 §. 396. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. V. Familienrecht 493 §. 397. A. Erwerb der Rechte. — Ausnahmen 506 §. 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz 514 §. 399. B. Daseyn der Rechte. — Anwendungen. Ausnahmen 522 §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit 532 Drittes Buch. Herrschaft der Rechtsregeln über die Rechtsver- hältnisse. §. 344. Einleitung . D as erste Buch des gegenwärtigen Rechtssystems hatte die Aufgabe, die Rechtsquellen, d. h. die Entstehungsgründe der Rechtsregeln, darzustellen; das zweite, die allgemeine Natur der Rechtsverhältnisse, die durch jene Regeln beherrscht werden sollten. Es bleibt jetzt, für den allgemeinen Theil des Systems, noch übrig, die Verbindung der Rechtsregeln mit den Rechtsverhältnissen festzustellen; diese Verbindung erscheint, von der einen Seite betrachtet, als Herrschaft der Regeln über die Verhältnisse, von der andern Seite als Unterwerfung der Verhältnisse unter die Regeln. Damit aber dieser letzte, eben so wichtige als schwie- rige Theil der Aufgabe gleich Anfangs richtig aufgefaßt werde, ist es nöthig, genau zu bestimmen, in welchem VIII. 1 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Sinne hier jene Verbindung (Herrschaft, Unterwerfung) zu denken ist Die Grundlage der gegenwärtigen Untersuchung, insbesondere der hier aufgestellten Begriffe, findet sich oben B. 1 § 4—9 § 15. . Die Rechtsregeln sollen herrschen über die Rechtsver- hältnisse; welches ist aber das Gebiet ihrer Herrschaft? Ueber welche Rechtsverhältnisse sollen sie herrschen? Diese Frage erhält ihren bestimmten Sinn zunächst durch die Natur des positiven Rechts, welches nicht etwa eines und dasselbe ist für die Menschheit im Ganzen, sondern ein, je nach Völkern und Staaten, besonderes und verschiedenes; in jedem einzelnen Volke aber theils aus allgemein mensch- lichen, theils aus eigenthümlichen rechtsbildenden Kräften entspringend. Diese Mannichfaltigkeit der positiven Rechte ist es, woraus das Bedürfniß und die Wichtigkeit hervor- geht, für jedes positive Recht das Gebiet seiner Herrschaft zu bestimmen, das heißt, die Gränzen zu ziehen zwischen den verschiedenen positiven Rechten gegen einander. Nur durch diese Gränzbestimmung wird es möglich, über jede denkbare Collision zu entscheiden, die in der Beurtheilung eines ge- gebenen Rechtsverhältnisses zwischen verschiedenen positiven Rechten eintreten kann. Um zu den hier aufgeworfenen Fragen und ihrer Be- antwortung zu gelangen, kann man nun auch den umge- kehrten Weg einschlagen. Es liegt uns ein Rechtsverhält- niß vor, als Gegenstand unsrer Beurtheilung. Wir suchen dafür eine Rechtsregel auf, unter deren Herrschaft dasselbe §. 344. Einleitung. steht, nach welcher es zu beurtheilen ist. Indem wir hier unter mehreren Rechtsregeln zu wählen haben, welche ver- schiedenen positiven Rechten angehören, kommen wir wie- derum auf die schon erwähnten Gränzen der Herrschaft eines jeden positiven Rechts, und auf die von diesen Grän- zen abhängigen Collisionen. Beide Arten, die Frage auf- zufassen, sind nur im Ausgangspunkte verschieden. Die Frage selbst ist hier und dort dieselbe, und die Entscheidung kann in beiden Fällen nicht verschieden ausfallen. Die meisten Schriftsteller über diesen Gegenstand gehen aus von dem Begriff der Collisionen, und behandeln die Entscheidung derselben als ihre wahre und einzige Aufgabe; gewiß zum Nachtheil eines befriedigenden Erfolgs. Die natürliche Folge der Gedanken ist vielmehr folgende. Für die Rechtsregeln wird gefragt: Ueber welche Rechtsverhält- nisse sollen sie herrschen? Für die Rechtsverhältnisse: Welchen Rechtsregeln sind sie unterworfen, oder angehörig? Die Frage nach den Gränzen der Herrschaft oder der Ange- hörigkeit, und nach den an diesen Gränzen eintretenden Gränzstreitigkeiten oder Collisionen , sind ihrer Natur nach abgeleitete und untergeordnete Fragen Wächter II. S. 34 macht die gute Bemerkung, daß manche Schriftsteller, indem sie die Frage nach der Anwendung der Gesetze ganz absondern von der Frage nach der Collision, dahin geführt werden, auf beide an sich identische Fragen widersprechende Antworten zu geben. . Zu der bisher angedeuteten Frage nach den Gränzen, in welchen die Regeln jedes positiven Rechts herrschen, 1* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. tritt aber nun noch eine neue, von der bisher betrachteten verschiedene, obgleich damit verwandte, hinzu. Wir betrach- teten bisher die Rechtsregeln als feststehende, ohne Rücksicht auf mögliche Veränderungen derselben in der Zeit. Nun gehört es aber zu dem Wesen des positiven Rechts, daß dasselbe nicht als ein ruhendes, sondern als ein in steter Fortbildung und Entwickelung begriffenes, aufgefaßt werde S. o. B. 1 § 7. , und damit wird ihm die Eigenschaft der Wandelbarkeit in der Zeit zugeschrieben. Ferner hat jedes unserer Beurthei- lung vorliegende Rechtsverhältniß nothwendig seinen Ent- stehungsgrund in juristischen Thatsachen S. o. B. 3 § 104. , die stets in einer, bald näher bald entfernter liegenden, Vergangenheit gedacht werden müssen. Da aber in der Zwischenzeit, von der Entstehung des Rechtsverhältnisses bis zur Gegenwart, Veränderungen im positiven Recht eingetreten sein können, so ist noch zu bestimmen, aus welchem Zeitpunkt wir die das Rechtsverhältniß beherrschende Regel zu entnehmen haben. Aus dieser Betrachtung entsteht mithin eine neue Art von Gränzen für die Herrschaft der Rechtsregeln, und da- mit eine neue Art möglicher Collisionen, nicht minder wich- tig und schwierig, als die vorher betrachteten Gränzen und Collisionen. In der früheren Betrachtung wurden die Rechtsregeln gedacht als gleichzeitige, ruhende, feststehende; in dieser späteren werden sie gedacht als ungleichzeitige, §. 344. Einleitung. durch Fortbildung verschiedene, successive. Zum Zweck einer kurzen und gleichförmigen Beziehung will ich folgende Aus- drücke gebrauchen: Örtliche Gränzen der Herrschaft der Rechtsregeln. Zeitliche Gränzen der Herrschaft. Der zweite dieser Kunstausdrücke ist für sich klar. Die Rechtfertigung des ersten ist nur im Laufe der folgenden Untersuchung möglich. Das gegenwärtige Werk hat zum Gegenstand das Römische Recht. In welchem Verhältniß nun steht das Römische Recht zu den hier aufgeworfenen Fragen? Wir müssen dafür ein zwiefaches, an sich verschiedenes, Ver- hältniß anerkennen. Zunächst müssen wir für die Anwendung des Römischen Rechts auf bestimmte Staaten und Völker, im Verhältniß zu anderen positiven Rechten, auf jene Fragen eingehen, wenn wir ihm irgend eine praktische Geltung sichern wollen. Dieses Bedürfniß würde unabweislich sein, selbst wenn die Römischen Juristen an jene Fragen nie gedacht, sich damit niemals beschäftigt hätten. — Zweitens aber haben die Römer in der That diese Fragen behandelt, und wir müs- sen daher ihre Aussprüche über dieselben aufsuchen und feststellen. Obgleich nun diese Aussprüche zum Theil ein- seitig und mangelhaft sind, auch nicht überall auf unmit- telbare Anwendung Anspruch haben können, selbst da, wo wir die Geltung des Römischen Rechts im Allgemeinen anzunehmen berechtigt sind, so ist dennoch die Feststellung Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. derselben von großer Wichtigkeit. Sie ist es schon deshalb, weil die Lehre der neueren Schriftsteller, und die damit zu- sammenhängende Praxis, großentheils auf den Aussprüchen der Römer, oft aber nach einer unrichtigen Auffassung der- selben beruht, so daß sowohl das rechte Verständniß der neueren Lehre und Praxis, als die Reinigung derselben, nur durch eine gründliche Untersuchung über die im Römi- schen Recht niedergelegten Ansichten herbeigeführt werden kann. Die nunmehr folgende, hier eingeleitete, Untersuchung wird in zwei Kapiteln: I. die örtlichen Gränzen, II. die zeitlichen Gränzen der Herrschaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältnisse festzustellen haben. Bei diesen zweifachen Gränzen ist aber noch voraus zu bemerken, daß unter denselben eine gewisse Wechselwirkung eintreten kann. Wenn überhaupt zwei Rechtsregeln mit einander in zeitliche Collision kommen, so daß eine Gränz- bestimmung nöthig ist, um die Herrschaft der einen oder der andern Regel zu entscheiden, so wird dabei stets eine eingetretene Veränderung vorausgesetzt. Eine solche Verän- derung nun kann auf zwei verschiedenen Seiten liegen. Sie kann erstens liegen auf der Seite der Rechtsregel. Der einfachste Fall ist der, wenn der Gesetzgeber durch Er- laß eines neuen Gesetzes über das vorliegende Rechtsver- hältniß, die bisher bestehende Regel ändert, also neues ob- jectives Recht schafft. § 344. Einleitung. Die Veränderung kann aber auch zweitens liegen auf der Seite des Rechtsverhältnisses, indem, bei unveränderter Rechtsregel, die thatsächlichen Bedingungen des Rechtsver- hältnisses wechseln. Als Beispiel zur Erläuterung kann die Handlungsfähigkeit dienen, die nach dem Recht beur- theilt wird, welches am Wohnsitz der Person gilt. Wenn nun diese Person den Wohnsitz ändert, so kann dadurch das Rechtsverhältniß unter eine neue Rechtsregel fortrücken, und es kann die Frage entstehen, ob die Handlungsfähigkeit von jetzt an nach dem Gesetz des früheren, oder des späteren Wohnsitzes zu beurtheilen ist. Es ist einleuchtend, daß die Veränderungen dieser zwei- ten Art zugleich in das Gebiet der örtlichen und der zeit- lichen Collision einschlagen. Jedoch ist dabei das örtliche Element vorherrschend, und es ist daher zweckmäßig und räthlich, alle dahin einschlagende Fragen in Verbindung mit den örtlichen Gränzen der Herrschaft abzuhandeln, also in das erste Kapitel mit aufzunehmen Die Erörterung dieser Fragen kommt vor in den §§ 365 (Ende des §), § 366—368, § 370. n. § 372. N. III, § 379. N. 3. — In andern Lehren kommt diese Frage deswegen nicht vor, weil dabei der Einfluß des an sich veränderlichen thatsächlichen Verhältnisses auf einen bestimmten Zeitpunkt fixirt ist, wodurch die Möglichkeit jedes Zweifels ausgeschlossen wird. So bei dem Erbrecht (§ 374. 377), und bei der Regel: locus regit actum (§ 381). . Sonach bleiben für die Untersuchung über die zeitlichen Gränzen der Herrschaft (das zweite Kapitel) nur noch die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Veränderungen der ersten Art übrig, welche auf der Seite der Rechtsregel liegen. Erstes Kapitel. Oertliche Gränzen der Herrschaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältnisse. §. 345. Uebersicht . Schriftsteller Der Abkürzung wegen werde ich die hier zusammengestellten Schriftsteller künftig blos mit ihren Namen anführen. : Bartolus in Codicem, L. 1 C. de summa trin. (1. 1) Num. 13 — 51. B. Argentraei Comment. ad patrias Britonum Leges ed. oct. Antverp. 1664 f. — Der art. 218 der Coutume de Bretagne bestimmt, daß Jeder nur ein Drittheil des unbeweglichen Vermögens seinen gesetz- lichen Erben soll entziehen dürfen. Dabei entstand die Frage, ob auch auswärtige Grundstücke in dieses Drittheil einzurechnen seien, und so kam d’Argentré in der sechsten Glosse zu dem angeführten Artikel auf die ganze Lehre von der Collision der Gesetze, die er hier S. 601 — 620 abhandelt. Der Verf. starb 1590, §. 345. Uebersicht. und das angeführte Werk ist erst nach seinem Tode (1608) erschienen. Chr. Rodenburg de jure conjugum Traj. 1653 4. Die praeliminaria S. 13—178 enthalten eine aus- führliche Abhandlung über die Collision der Gesetze. P. Voetius de statutis eorumque concursu. Leodii. 1700 4 (Zuerst Amst. 1661). Von der Collision der Sta- tute handeln nur die Sect. 4. 9. 10. 11. J. N. Hertius de collisione legum 1688, Comm. et opuscul. Vol. 1 p. 118—154. Hierher gehört nur Sect. 4 (§ 1—74). Ulr. Huber de conflictu legum, in den praelect. ad Pand. als Anhang zu Lib. 1 Tit. 3 de legibus (§ 1—15). J. Voetius de statutis. Steht in dem Commentar über die Pandekten hinter Lib. 1 Tit. 4 de constitut. princ. als Pars 2 de statutis (§ 1—22). L. Boullenois traité de la personnalité et de la réalité des loix etc. Paris 1766. 2 Vol. in 4. Französische Uebersetzung des angeführten Werks von Rodenburg mit sehr weitschweifigen Zusätzen. D. Meier de conflictu legum divers. Bremae 1810. 8. G. v. Struve üb. das positive Rechtsgesetz in seiner Be- ziehung auf räumliche Verhältnisse. Carlsruhe 1834 8. Jos. Story comment. on the conflict of laws. Boston 1834, zweite sehr vermehrte Originalausgabe Boston 1841. 8. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. W. Burge Commentaries on colonial and foreign laws generally and in their conflict with each other and with the law of England. London 1838. 4 Voll. W. Schäffner Entwickelung des internationalen Pri- vatrechts. Frankf. 1841. 8. v. Wächter über die Collision der Privatrechtsgesetze, Archiv f. civil. Praxis. B. 24 S. 230—311, B. 25 S. 1—60, S. 161—200, S. 361—419, im Ganzen 32 §§, 1841. 1842. Ich werde, um kürzer anführen zu können, den im 24. B. enthaltenen Abschnitt mit I. , die im 25. B. enthaltenen mit II. bezeichnen. Nic. Rocco dell’ uso e autorità delle leggi delle due Sicilie considerate nelle relazioni con le persone e col territorio degli Stranieri. Napoli 1842. 8. Foelix du droit international privé, deuxième édition, Paris 1847. 8. (Erste Ausgabe 1843.) Jedes Recht erscheint zunächst als eine der Person zu- stehende Macht S. o. B. 1 § 4. , mithin als Eigenschaft dieser Person, und von diesem ersten und nächsten Standpunkt aus haben wir auch die Rechtsverhältnisse als Attribute einer Person zu betrachten. Hiernach würde die Frage, womit wir uns beschäftigen, so zu fassen sein: Auf welche Personen er- streckt jede gegebene Rechtsregel das Gebiet ihrer Herrschaft? §. 345. Uebersicht. Oder in umgekehrter Auffassung (§ 344): Welches sind die Rechtsregeln, denen eine gegebene Person unterworfen oder angehörig ist? Folgende Betrachtung aber muß uns sogleich überzeu- gen, daß mit dieser Stellung der Frage nicht auszureichen ist. In dem Gebiet der erworbenen Rechte B. 1 § 53. erweitert sich die Person nach den von ihr selbst verschiedenen Ge- genständen dieser erworbenen Rechte hin, und schon aus dieser Erweiterung an sich entsteht wenigstens die Möglich- keit des Eintritts der Person in das Gebiet einer ihr ur- sprünglich fremden Rechtsregel. Diese bloße Möglichkeit aber gewinnt noch eine ganz andere Gestalt, wenn wir die besondere Beschaffenheit jener Gegenstände der erworbenen Rechte in’s Auge fassen. Unter diesen Gegenständen finden wir vor allen auch fremde Personen , deren jede auch wieder einem eigenthümlichen Gebiet beherrschender Rechts- regeln angehört, und da es nun ganz zufällig ist, ob zwei, mit einander in einem Rechtsverhältniß stehende Personen demselben Rechtsgebiet angehören oder verschiedenen Rechts- gebieten, so ergiebt sich daraus eine neue, und zwar sehr ausgedehnte, Quelle von Collisionen zwischen den die Rechts- verhältnisse beherrschenden Rechtsregeln. Folgende Uebersicht über die Gegenstände der Rechts- regeln wird es anschaulich machen, in welcher mannich- faltigen Weise die Collisionen unter den Rechtsregeln Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. verschiedener Gebiete des positiven Rechts eintreten können Diese Uebersicht soll hier nur zu einem vorläufigen Anhalt dienen. Sie wird unten (§ 361) genauer ausgeführt werden. . Die Rechtsregeln können zum Gegenstand haben: I. Die Personen an sich selbst, die Rechtsfähigkeit und die Handlungsfähigkeit derselben, oder die Be- dingungen, unter welchen sie Rechte haben und Rechte erwerben können. Diese Klasse von Rechtsregeln ist es, von deren Betrachtung im Anfang des gegenwärtigen Paragraphen ausgegan- gen wurde. II. Die Rechtsverhältnisse . 1. Rechte an bestimmten Sachen. 2. Obligationen. 3. Rechte an einem ganzen Vermögen, als einem idealen Gegenstande von unbestimmtem Umfang (Erbrecht). 4. Familienrecht. Aus dieser Uebersicht ist es klar, daß allerdings der nächste und unmittelbare Gegenstand, worüber die Rechts- regel herrscht, die Person ist. Und zwar zunächst die Per- son in ihrem allgemeinen Dasein, als Träger aller Rechte; dann aber auch die Person, insofern sie durch ihre freie Handlungen in den meisten und wichtigsten Fällen die Rechtsverhältnisse erzeugt oder erzeugen hilft. Allein die Person breitet sich aus zu künstlichen Erwei- §. 345. Uebersicht. terungen ihres Daseins. — Sie will herrschen über Sachen, und begiebt sich dadurch in den bestimmten Raum, den diese Sachen einnehmen, also in ein ihr selbst möglicher- weise fremdes Rechtsgebiet. Am unverkennbarsten geschieht Dieses bei unbeweglichen Sachen, bei welchen der Raum, den sie erfüllen, nicht zufällig und veränderlich ist; es ist aber, dem Wesen nach, nicht minder wahr auch bei beweg- lichen Sachen. — Sie will durch Obligationen herrschen über fremde Handlungen, oder ihre eigene Handlungen einem fremden Willen unterwerfen. — Sie geht in beson- dere Lebensformen ein durch die Familie, und tritt auch dadurch, bald freiwillig, bald unfreiwillig, auf mancherlei Weise aus ihrem ursprünglichen, rein persönlichen, Rechts- gebiet heraus. Es ergiebt sich aus dieser Betrachtung, daß für jeden gegebenen Fall die anzuwendende Rechtsregel bestimmt und begränzt wird zunächst und hauptsächlich durch die Unter- werfung der berechtigten Person unter ein bestimmtes Rechts- gebiet; daß aber daneben die mannichfaltigsten und wich- tigsten Modificationen eintreten können durch das Verhält- niß, in welchem theils bestimmte Sachen, theils bestimmte Handlungen oder Lebensverhältnisse zu anderen Rechtsge- bieten stehen Hieran knüpft sich die in früherer Zeit sehr verbreitete Unter- scheidung der Statuta personalia, realia, mixta, von welcher bald noch weiter die Rede sein wird (§ 361). . Die nächste Aufgabe wird daher auf die Gründe ge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. richtet sein müssen, aus welchen die allgemeine Angehörig- keit einer Person an ein bestimmtes Rechtsgebiet abzu- leiten ist. § 346. Abstammung und Landgebiet, als Gründe der Angehö- rigkeit der Person an ein bestimmtes Rechtsgebiet . Um den Zusammenhang zu erkennen, wodurch eine Per- son mit einem bestimmten positiven Recht durch die Ange- hörigkeit an dasselbe verknüpft wird, müssen wir uns daran erinnern, daß das positive Recht selbst seinen Sitz in dem Volk als einem großen Naturganzen, oder in einer volks- mäßigen Abtheilung dieses Ganzen hat. Es ist aber nur ein anderer Ausdruck derselben Wahrheit, wenn wir sagen, das Recht habe seinen Sitz in dem Staat, oder in einem einzelnen organischen Theile des Staates, da eben nur in dem Staat das Volk wahre Realität hat, indem nur hier der Wille der Einzelnen in einem Gesammtwillen wahr- haft aufgeht Vgl. oben B. 1. § 8. 9. . In Folge dieser allgemeinen Angabe ha- ben wir daher näher zu bestimmen, wodurch dasjenige Ganze gebildet, diejenige Einheit begränzt wird, worin die Rechtsregeln, als Bestandtheile des positiven Rechts, ihren Sitz haben. Dadurch werden wir erkennen, durch welches Band die einzelnen Personen zur Gemeinschaft eines und desselben positiven Rechts zusammen gehalten werden. § 346. Abstammung und Landgebiet. Suchen wir nun auf geschichtlichem Wege zur Lösung dieser Aufgabe zu gelangen, so finden wir zwei Gründe, wodurch von jeher im Großen und Ganzen eine solche Ge- meinschaft des positiven Rechts unter den Einzelnen vor- zugsweise bestimmt und begränzt worden ist: die Volks- abstammung , und das Landgebiet . I. Die Volksabstammung (Nationalität) als Grund und Gränze der Rechtsgemeinschaft hat zunächst einen ganz persönlichen und unsichtbaren Charakter. Obgleich sie, ihrem Begriffe nach, den Einfluß der Willkür auszu- schließen scheint, ist sie dennoch einer Erweiterung durch die freie Aufnahme Einzelner empfänglich. In großer Ausdehnung erscheint die Nationalität als Grund und Gränze der Rechtsgemeinschaft bei wandernden Völkern, für welche ein festes Landgebiet überhaupt nicht vorhanden ist, wie bei den Germanen zur Zeit der Völker- wanderung. Bei diesen hat sich aber auch nach ihrer festen Niederlassung auf dem alten Boden des Römischen Reichs derselbe Grundsatz noch lange lebendig erhalten in dem System der persönlichen Gesetze, die hier in demselben Staate neben einander zur Anwendung kamen, und in deren Reihe jetzt, neben den Rechten der Franken, Lombarden u. s. w., auch das Römische Recht, als das fortdauernde persönliche Recht der ursprünglichen Einwohner dieser durch Eroberung neu gegründeten Staaten erscheint Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 3 § 30—33. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. In den neueren Jahrhunderten finden wir noch jetzt im Türkischen Reich das vollständigste Bild dieser Art der Rechtsgemeinschaft. In den christlichen Staaten von Eu- ropa aber hat sich ein Ueberrest davon am längsten bei der Jüdischen Nation erhalten, in welcher die Fortdauer des nationalen Rechts, so wie die der abgesonderten Natio- nalität selbst, mit der Religion in Verbindung stand. Aber auch dieser Ueberrest verschwindet immer mehr In Preußen z. B. ist schon im J. 1812 durch das Judenedict § 20. 21 für die Juden das ge- meine Recht der übrigen Einwohner als Regel aufgestellt, das beson- dere nationale Recht nur als Aus- nahme beibehalten worden. . Verwandt, aber nicht gleichbedeutend mit dem eben dar- gestellten Grunde der Rechtsgemeinschaft ist derjenige, wel- cher auf dem eigenthümlichen Bürgerverhältniß besonderer Klassen von Personen beruht. Ein solches erscheint bei den Römern sehr ausgebildet, und lange dauernd, in den Klassen der cives, latini, peregrini, welche wiederum mit den Systemen des jus civile und jus gentium zusammen- hängen Vgl. oben B. 1 § 22, und: Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 1. . Dennoch hat diese Unterscheidung, obgleich in anderer Hinsicht sehr wichtig, in der Richtung, die uns hier ausschließend beschäftigt, niemals einen Einfluß erlangt, welcher dem Einfluß der Volksabstammung oder des Land- gebietes an die Seite gestellt werden könnte. II. Das Landgebiet (die Territorialität) erscheint als der zweite besonders wichtige und verbreitete Grund, die Gemeinschaft des positiven Rechts unter den Einzelnen §. 346. Abstammung und Landgebiet. zu bestimmen und zu begränzen. Dieser Grund unterschei- det sich von dem vorhergehenden (der Nationalität) durch seine weniger persönliche Natur. Er ist an etwas äußer- lich Erkennbares, die sichtbare Landgränze, gebunden, und der Einfluß menschlicher Willkür in der Anwendung dieses Grundes ist ausgedehnter und unmittelbarer, als bei der Volksabstammung, bei welcher dieser Einfluß mehr die Na- tur einer bloßen Ausnahme an sich trägt. Dieser zweite Grund der Rechtsgemeinschaft hat den ersten (die Nationalität) im Laufe der Zeit, bei fortschrei- tender Ausbildung, mehr und mehr verdrängt. Darauf hat vor Allem eingewirkt der vielseitigere, lebendigere Verkehr der Völker unter einander, durch welchen die schrofferen Gegensätze der Nationalitäten verändert werden mußten. Besonders aber darf nicht verkannt werden der Einfluß des Christenthums, welches als gemeinsames Band des geistigen Lebens die verschiedensten Völker umschlingend, die eigen- thümlichen Unterschiede derselben mehr in den Hintergrund treten ließ. Gehen wir nun aus von diesem zweiten Grunde der Rechtsgemeinschaft, so bezieht sich die Collision, die uns hier überall vor Augen stehen muß, auf die örtliche Verschiedenheit der Rechte, und unsere Aufgabe läßt sich für alle eintretende Collisionsfälle nunmehr in folgende Frage fassen: VIII. 2 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Welches Territorialrecht ist in jedem gege- benen Falle anzuwenden? Hierin liegt denn auch der Grund, weshalb schon bis- her die gleichzeitigen Gränzen der Rechtsregeln als ört- liche Gränzen bezeichnet worden sind (§ 244). Suchen wir zunächst durch Beispiele anschaulich zu machen, welche Bedeutung die hier in Frage gestellte Colli- sion verschiedener örtlicher oder territorialer Rechte haben kann. An einem bestimmten Orte ist ein Rechtsstreit zu entscheiden über die Erfüllung eines Vertrages oder über das Eigenthum einer Sache. Der Vertrag aber ist ge- schlossen an einem anderen Orte, als an dem des Gerichts; die streitige Sache befindet sich an einem anderen Orte, als dem des Gerichts; beide Orte haben verschiedenes territo- riales Recht. Daneben können beide streitende Parteien, ihrer Person nach, dem Orte des Gerichts angehören, oder beide einem fremden Orte, oder auch beide Parteien ver- schiedenen Orten. Welches unter den verschiedenen ört- lichen Rechten, mit denen das streitige Rechtsverhältniß in irgend einer Berührung steht, soll bei der Entscheidung des Streites zur Anwendung kommen? Das ist der Sinn der Collisionsfrage in Anwendung auf Territorialrechte Die Collision verschiedener Rechte kommt allerdings auch bei der auf die Volksabstammung ge- gründeten Rechtsgemeinschaft in Frage, und bedarf hier, eben so gut als neben dem Territorialrecht, ihrer Lösung. Ein genaueres Ein- gehen auf diese Gestalt unserer Frage, die ja überhaupt nur des geschichtlichen Zusammenhangs wegen gegenwärtig berührt wurde, und für das heutige Recht keine . §. 347. Widerstreit. Territsrialrechte in demselben Staate. §. 347. Widerstreitende Territorialrechte in demselben Staate . Die einander widerstreitenden Territorialrechte, für deren Collision wir nunmehr die Regeln festzustellen haben (§ 346), können unter einander in einem zweifachen Verhältniß ste- hen, und wenngleich die Grundsätze der Beurtheilung stets dieselben bleiben, so hat doch diese Verschiedenheit den größten Einfluß auf die Art der Anwendung jener Grund- sätze. Jene Territorialrechte können gelten entweder in ver- schiedenen Gebietstheilen eines und desselben Staates, oder in verschiedenen, von einander unabhängigen Staaten. I. Verschiedene Territorialrechte innerhalb eines und desselben Staates sind schon an einer früheren Stelle be- merklich gemacht worden unter dem Namen von particu- lären Rechten im Gegensatz eines gemeinen Rechts eines solchen Staates, und sie können eben sowohl in der Ge- stalt von Gesetzen als von Gewohnheiten bestehen S. o. B. 1 § 8. 18. 21. . Die geschichtliche Veranlassung derselben, so wie ihre davon abhängende Begränzung, ist höchst mannichfaltig. Der wichtigste Fall der Anwendung während der Dauer des deutschen Reiches war begründet durch das Verhältniß Bedeutung hat, würde hier nicht am Orte sein. Vgl. Savigny Geschichte des R. R. im Mittel- alter B. 1 § 46. 2* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. der einzelnen deutschen Staaten zu dem, sie alle zusammen haltenden deutschen Reiche B. 1 § 2. — Ein ähnliches, doch nicht völlig gleiches, Verhält- niß finden wir unter den souveränen kleinen Staaten, aus welchen die vereinigten Niederlande bestanden, die nicht so, wie die deutschen Staaten, durch eine gemeinsame höhere Staatsgewalt und Gesetz- gebung verbunden waren. Durch die daselbst sehr häufig hervortre- tenden Collisionsfälle wurden be- sonders die Holländischen Juristen (Rodenburg, P. Voet, J. Voet, Huber) veranlaßt, große Aufmerk- samkeit auf den hier vorliegenden Gegenstand zu wenden. Aehnlich ist auch das Verhältniß der Nord- amerikanischen Freistaaten. . — Aehnliche Verhältnisse aber fanden sich innerhalb der zum deutschen Reiche gehö- renden einzelnen Staaten, und finden sich noch jetzt nach der Auflösung des Reiches. Solche Particularrechte erscheinen bald in ganzen Pro- vinzen, bald in Abtheilungen von Provinzen, bald und vor- züglich in einzelnen Gemeinden. Besonders häufig erschei- nen sie in Stadtgebieten, ja zuweilen selbst in einzelnen örtlichen Bestandtheilen eines und desselben Stadtgebietes So z. B. bestanden neben einander in Breslau bis zum 1. Jan. 1840 fünferlei partikuläre Gesetze und Observanzen über Erb- recht, eheliches Güterrecht u. s. w., deren Anwendung durch Juris- dictionsbezirke begränzt war. Nicht selten war hier das Recht von Haus zu Haus verschieden, ja es kam vor, daß Ein Haus auf der Gränze verschiedener Rechte lag, denen es daher theilweise angehörte. Vgl. das Gesetz vom 11. Mai 1839 (Gesetzsammlung 1839 S. 166). . In größeren Landstrichen (Provinzen oder Provinzab- theilungen) sind solche Particularrechte oft dadurch entstan- den, daß ein solcher Landstrich früher als selbstständiges Staatsgebiet oder auch als Theil eines fremden Staates bestand, und erst später dem Staate, dem er jetzt angehört, einverleibt wurde. §. 347. Widerstreit. Territorialrechte in demselben Staate. In Stadtgebieten sind sie oft für diese einzelne Stadt erlassen, sei es von dem Landesherrn, dem diese Stadt un- terworfen war, oder auch von der städtischen Obrigkeit, mit Zulassung oder Genehmigung des Landesherrn. Diese Entstehung besonderer Stadtrechte finden wir schon im Römischen Reiche, dessen einzelne Gemeinden nicht nur vor ihrer Vereinigung mit dem großen Ganzen das Recht eigener Gesetzgebung gehabt hatten, sondern dieses Recht auch durch jene Vereinigung nicht schlechthin einbüßten, wenngleich sie den in Rom neu erlassenen Gesetzen stets unterworfen waren Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 2. . Sie sind es, durch welche über- haupt die Römischen Juristen Veranlassung erhielten, auf die hier vorliegende Untersuchung einzugehen S. o. § 344. . Sie bil- den hier, als Particularrechte, den Gegensatz gegen das ge- meine Römische Recht. — Noch weit ausgedehnter und wichtiger aber waren die Stadtrechte, die sich im Italieni- schen Mittelalter fast in jeder Stadt ausbildeten, und die hier, als Particularrechte, nicht blos gegen das Römische Recht, sondern auch gegen das Lombardische, beide als ge- meine Rechte gedacht, den Gegensatz bildeten Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 3 § 42. 189 B. 2 § 76. . Für sie wurde der Name Statuta als Kunstausdruck geltend, der dann auch auf andere Länder übertragen wurde, und an welchen sich die Lehre von den Statuta personalia, realia, mixta anschloß (§ 345 f. ). Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zu der Collision verschiedener Territorialrechte inner- halb desselben Staates könnte man versuchen auch folgen- den Fall zu ziehen, der jedoch in der That eine ganz an- dere Natur hat, und gar nicht in das Gebiet der gegen- wärtigen Untersuchung gehört. — In jedem Staate können Particularrechte in verschiedener Abstufung und Unterord- nung vorkommen, von dem örtlich begränztesten an in immer weiteren Kreisen der Anwendung geltend, bis zum gemeinen Recht eines solchen Staates hinauf. Auch dabei kann man von einer Collision reden, indem an bestimmten Orten jedes dieser Particularrechte im Allgemeinen wirkliche Geltung hat, und also in gegebenen einzelnen Fällen gefragt werden kann, welches derselben, wenn sie einander widerstreiten, die Regel der Entscheidung bilden solle. Hier aber hat die Collisionsfrage, wenn man diesen Ausdruck dabei ge- brauchen will, eine andere Bedeutung, als bei den neben einander stehenden, Particularrechten desselben Staates, die von einander unabhängig sind, also nicht im Verhältniß der Abhängigkeit und Unterordnung zu einander stehen. Zwischen mehreren einander untergeordneten Rechten gilt die einfache Regel, daß stets dasjenige Recht in der An- wendung den Vorzug hat, welchem der beschränkteste Um- fang der Geltung zuzuschreiben ist, nur mit Ausnahme des besonderen Falles, wenn das über ihm in weiterem Um- fange stehende Recht einzelne Bestimmungen von einem ab- solut gebietenden Charakter enthält S. o. B. 1 § 21. 45. Außer diesem besonderen Falle also gilt die Regel: Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemein Recht. . §. 347. Widerstreit. Territorialrechte in demselben Staate. Mit einer so einfachen Regel ist die Collision, die zwi- schen mehreren von einander unabhängigen Particularrech- ten eintritt, nicht zu beherrschen. Für sie ist eine tiefer ein- gehende Untersuchung nöthig, die eben in der Folge des gegenwärtigen Kapitels angestellt werden soll. Da übri- gens in dem gegenwärtig allein vorausgesetzten Fall Par- ticularrechte eines und desselben Staates vorausgesetzt wer- den Es ließe sich Dieses denken ohne Unterschied, ob über den eigenthümlichen Particularrechten ein und dasselbe gemeine Recht steht (so wie in Preußen das allge- meine Landrecht über den Provin- zialrechten von Brandenburg, Pom- mern, Ost- u. Westpreußen u. s. w.), oder nicht, denn auch in diesem letzten Fall, welcher z. B. zwischen der Preußischen Rheinprovinz und den übrigen Provinzen eintritt, ließe sich doch denken, daß ein Preußisches Landesgesetz die Colli- sion dieser verschiedenen Rechte vollständig geregelt hätte. , so ließe sich denken, daß die Collision dieser Rechte selbst durch die allgemeine Gesetzgebung eben dieses Staates geregelt wäre. Gerade Dieses aber findet sich bis jetzt wohl in keinem Lande auf irgend erschöpfende Weise durchgeführt, vielmehr sind überall die meisten und wichtig- sten hierher gehörenden Fragen der wissenschaftlichen Fest- stellung überlassen geblieben. §. 348. Widerstreitende Territorialrechte in verschiedenen Staaten . II. Der zweite Fall einer möglichen Collision verschie- dener Territorialrechte setzt voraus, daß diese Rechte nicht Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. in demselben Staate, sondern in mehreren von einander un- abhängigen Staaten bestehen (§ 347). Sehen wir dabei zurück auf die schon oben zur Erläuterung der ganzen Collisionsfrage angegebenen Beispiele (§ 346), so nehmen diese nunmehr folgende Gestalt an. Ein Richter unseres Staates hat zu entscheiden über ein streitiges Rechtsver- hältniß, das durch die Thatsachen, die ihm zum Grunde liegen (z. B. den Ort, wo ein Vertrag abgeschlossen ist, oder wo sich eine streitige Sache befindet), mit dem von unsrem positiven Rechte abweichenden Rechte eines fremden Staates in Berührung steht. Daneben ist es möglich, daß beide Parteien Inländer, oder beide Ausländer sind, oder daß die eine dem Inlande, die andere dem Auslande per- sönlich angehört. Welches der verschiedenen hier einschla- genden Territorialrechte hat der Richter zur Anwendung zu bringen? Ganz dieselbe Frage könnte auch dem Richter jenes fremden Staates zur Entscheidung vorliegen, wenn zufällig der Rechtsstreit nicht in unsrem, sondern in dem fremden Staate entstanden wäre. Manche haben versucht, diese Fragen lediglich durch den Grundsatz der unabhängigen Staatsgewalt (Souverä- nität) zu entscheiden, indem sie folgende zwei Regeln an die Spitze stellen. 1. Jeder Staat kann fordern, daß inner- halb seiner Gränzen lediglich sein Gesetz gelte. 2. Kein §. 348. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. Staat kann die Geltung seines Gesetzes außer seinen Gränzen fordern Huber § 2, Story § 18—21. . Ich will nicht nur die Wahrheit dieser Sätze einräumen, sondern selbst ihre Ausdehnung bis zu den äußersten denk- baren Gränzen anerkennen, glaube aber, daß sie für die Lösung unsrer Aufgabe wenig Hülfe gewähren. Die weiteste Ausdehnung der unabhängigen Staats- gewalt in Beziehung auf Fremde könnte bis zur völligen Rechtlosigkeit der Fremden führen. Eine solche Auffassung ist dem Römischen Völkerrecht nicht fremd Das R. R. wendet diese Rechtlosigkeit, und zwar mit gegen- seitigen Folgen, nicht nur auf hostes an, deren Begriff einen erklärten Krieg voraussetzt, sondern selbst auf alle Bürger solcher Staaten, mit welchen Rom weder foedus noch amicitia gegründet hat. L. 5 § 2 de capt. (49. 15) , und auch da, wo sie von den Römern gegen das Ausland nicht geltend gemacht wird, ist wenigstens ein großer Unterschied in der Rechtsfähigkeit zwischen Römern und Fremden stets festgehalten worden (§ 346). — Das heutige Recht dagegen hat allmälig zur Anerkennung vollständiger Rechtsgleichheit zwischen Einheimischen und Fremden hingeführt Wächter I. S. 253 II. S. 33—34. 181. Puchta Pan- dekten § 45. 112. Eichhorn deutsches Recht § 75. . Mit dieser Rechtsgleichheit der Personen ist jedoch über die Frage wegen der Collision zwischen dem einhei- mischen und fremden Rechte noch gar nicht entschieden. Vor Allem müssen wir anerkennen, daß, wenn einheimische Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Gesetze über die Behandlung der Collisionsfälle Vorschriften geben, diese Vorschriften von den Richtern unsres Staates schlechthin angewendet werden müssen Wächter I. S. 237 fg. Story § 23. — Seltsamerweise widerspricht Struve § 9. 37, indem er die Gesetze für nichtig erklärt, die nicht von richtigen Grundsätzen über die Collision ausgehen. . Nur finden sich solche Gesetze in erschöpfender Weise nirgend, insbesondere nicht in den Staaten, für welche das gemeine deutsche Recht gilt Es tritt also hier derselbe Fall ein, wie bei der Collision der Particularrechte (§ 347). Allerdings könnte das strenge Recht der höchsten Gewalt unter Anderm dahin führen, daß allen Richtern des Landes vorgeschrieben würden, die ihnen vorkommenden Rechts- verhältnisse lediglich nach dem einheimischen Rechte zu ent- scheiden, unbekümmert um die vielleicht abweichenden Be- stimmungen irgend eines fremden Rechtes, mit dessen Land- gebiet etwa das streitige Rechtsverhältniß in Berührung gekommen sein möchte. Eine solche Vorschrift ist aber in der Gesetzgebung keines bekannten Staates zu finden, und mußte auch schon durch folgende Betrachtung verhindert werden. Je mannichfaltiger und lebhafter der Verkehr unter den verschiedenen Völkern wird, desto mehr wird man sich über- zeugen müssen, daß es räthlich ist, jenen strengen Grundsatz nicht festzuhalten, sondern vielmehr mit einem entgegengesetzten Grundsatz zu vertauschen. Dahin führt die wünschenswerthe Gegenseitigkeit in der Behandlung der Rechtsverhältnisse, und §. 348. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. die daraus hervorgehende Gleichheit in der Beurtheilung der Einheimischen und Fremden, die im Ganzen und Großen durch den gemeinsamen Vortheil der Völker und der Ein- zelnen geboten wird. Denn diese Gleichheit muß in voll- ständiger Ausbildung dahin führen, daß nicht bloß in jedem einzelnen Staate der Fremde gegen den Einheimischen nicht zurückgesetzt werde (worin die gleiche Behandlung der Per- sonen besteht), sondern daß auch die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze , dieselbe Beurthei- lung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde. Der Standpunkt, auf den wir durch diese Erwägung geführt werden, ist der einer völkerrechtlichen Gemeinschaft der mit einander verkehrenden Nationen, und dieser Stand- punkt hat im Fortschritt der Zeit immer allgemeinere An- erkennung gefunden, unter dem Einfluß theils der gemein- samen christlichen Gesittung, theils des wahren Vortheils, der daraus für alle Theile hervorgeht. Auf diesem Wege kommen wir dahin, die Collision der Territorialrechte unabhängiger Staaten, von welcher gegen- wärtig die Rede ist, wesentlich nach denselben Grundsätzen zu behandeln, welche für die Collision verschiedener Particular- rechte desselben Staates gelten (§ 347), und diese Gleich- stellung ist für die gesammte folgende Untersuchung maaß- gebend. Für beide Arten der Collision läßt sich nunmehr die gemeinsame Aufgabe dahin bestimmen, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. daß bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigen- thümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist . Man kann diese Gleichstellung, im Gegensatz des oben erwähnten strengen Rechts, als freundliche Zulassung unter souveränen Staaten bezeichnen, nämlich als Zulassung ur- sprünglich fremder Gesetze unter die Quellen, aus welchen die einheimischen Gerichte die Beurtheilung mancher Rechts- verhältnisse zu schöpfen haben Huber de conflictu le- gum § 2. „Rectores imperiorum id comiter agunt, ut jura cujus- que populi … teneant ubique suam vim“. I. Voet . de statu- tis § 1. 12. 17. „Dein quid ex comitate gens genti … liberaliter et officiose indul- geat, permittat, patiatur, ultro citroque“ … — Story con- flict of laws § 24—38. . Nur darf diese Zulassung nicht gedacht werden als Ausfluß bloßer Großmuth oder Willkür, die zugleich als zufällig wechselnd und vorübergehend zu denken wäre. Vielmehr ist darin eine eigenthümliche und fortschreitende Rechtsentwickelung zu erkennen, gleichen Schritt haltend mit der Behandlung der Collisionen unter den Particular- rechten desselben Staates Ich kann daher nicht über- einstimmen mit Wächter I. S. 240. II. S. 12—15, wenn er hierin so sehr warnt gegen Verwechselung des richterlichen und legislativen Standpunktes. Was er zu dem legislativen Standpunkt rechnet, fällt gewiß großentheils in den richterlichen, bei einem Gegenstand den die Gesetzgebung ohnehin der wissenschaftlichen Entwickelung . §. 348. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. Nur dadurch muß die eben behauptete Gleichstellung beider Arten der Collision beschränkt werden, daß bei wi- derstreitenden Particularrechten (§ 347) die Collisionsfrage entschieden werden kann durch ein über beiden Particular- rechten stehendes gemeinsames Landesgesetz. Eine solche mögliche Auskunft kann bei widerstreitenden Gesetzen ver- schiedener unabhängiger Staaten allerdings nicht eintreten. Dieser Standpunkt einer völkerrechtlichen Gemeinschaft unter unabhängigen Staaten, aus welchem dann die An- näherung zu einer gegenseitigen Gleichstellung in der Be- handlung der Collision verschiedener positiver Rechte hervor- gegangen ist, war den Römern fremd. Der Verkehr der Völker mußte erst den ungeheuren Schwung erhalten haben, den wir in neueren Zeiten wahrnehmen, damit das Be- dürfniß solche Grundsätze zur Anerkennung und Ausbildung bringen konnte. Wenn dieser Standpunkt bei neueren Schriftstellern nicht geradezu wörtliche Anerkennung gefunden hat, so liegt er doch, dem Wesen nach, zum Grunde bei dem in dieser Untersuchung häufig geltend gemachten allgemeinen Gewohn- heitsrecht Wächter I. S. 255—261. II. S. 175—177. S. 195. S. 371. — Schäffner § 21. . Zwar wird dieses Gewohnheitsrecht vor- zugsweise behauptet für das Gebiet des gemeinen deutschen größtentheils überlassen hat. Auch liegt eine Annäherung an die hier aufgestellte Ansicht in einer anderen Stelle von Wächter ( I. 265), worin er den Richter auf Richtung, Sinn und Geist seiner Landesge- setze verweist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Rechts. Allein die Ableitung desselben aus der (stets fort- schreitenden) Uebereinstimmung der Schriftsteller und der Richtersprüche führt gerade hier unwiderstehlich über diese Gränze hinaus. Auch daß sehr gewöhnlich über den In- halt und die Gränzen jenes Gewohnheitsrechts gestritten wird, kann hierin Nichts ändern. Die gemeinsame An- nahme des Daseyns desselben, und das gemeinsame Suchen nach dessen Inhalt, ist entscheidend für die hier aufgestellte Behauptung. Schwankende und durch einander gehende Meinungen aber können am wenigsten befremden in einer Rechtslehre, die, so wie die hier vorliegende, noch erst im Werden begriffen ist Vgl. hierüber die Vorrede zum gegenwärtigen Bande. . Die hier aufgestellten Grundsätze über die mögliche, wünschenswerthe, zu erwartende völkerrechtliche Gemein- schaft in der Behandlung der Collisionen örtlicher Rechte können eine besondere Förderung erhalten, wenn über diesen Gegenstand unter verschiedenen, besonders unter benach- barten Staaten, bei welchen die Collisionsfälle am häufigsten eintreten, Staatsverträge geschlossen werden. Solche Staatsverträge sind nicht blos von Rechtslehrern lebhaft gewünscht und empfohlen worden, sondern auch in der That schon vorlängst zu Stande gekommen I. Voet . § 1. 12. 17. . Es würde §. 348. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. unrichtig sein, solche Verträge, wo sie sich finden, so aufzu- fassen, als werde darin etwas ganz Neues positiv festge- stellt, so daß, abgesehen von denselben, und vor ihrer Zeit, etwa gerade das Gegentheil gegolten haben müßte. Viel- mehr sind sie fast immer als der Ausdruck der oben dar- gelegten allgemeinen Rechtsgemeinschaft anzusehen, mithin als Versuche, diese Rechtsgemeinschaft stets vollständiger zur Anerkennung zu bringen. Kein Staat hat in neuerer Zeit so zahlreiche Verträge dieser Art mit anderen Staaten geschlossen, als der Preußi- sche, und in diesen Verträgen besonders ist der eben aufge- stellte Gesichtspunkt ganz unverkennbar vorherrschend gewesen. Ich will hier eine Uebersicht dieser Preußischen Staatsver- träge mit Nachbarstaaten geben, um in der Folge dieser Untersuchung leichter darauf zurückweisen zu können. Vertrag mit Sachsen-Weimar 1824, Gesetz-Sammlung 1824. S. 149. ‒ ‒ Sachsen-Altenburg 1832, ‒ 1832. S. 105. ‒ ‒ Sachsen-Coburg-Gotha 1833, ‒ 1834. S. 9. ‒ ‒ Reuß-Gera 1834, ‒ 1834. S. 124. ‒ ‒ Königreich Sachsen 1839, ‒ 1839. S. 353. ‒ ‒ Schwarzburg-Rudolstadt 1840, ‒ 1840. S. 239. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Vertrag mit Anhalt-Bernburg 1840, Gesetz-Sammlung 1840. S. 250. ‒ ‒ Braunschweig 1841, ‒ 1842. S. 1. §. 349. Widerstreitende Territorialrechte in verschiedenen Staaten. (Fortsetzung.) Unsere Untersuchung hat bisher dahin geführt, daß auch bei der Entscheidung über solche Rechtsverhältnisse, welche mit verschiedenen unabhängigen Staaten in Berührung kommen, der Richter dasjenige örtliche Recht anzuwenden hat, dem das streitige Rechtsverhältniß angehört, ohne Un- terschied, ob dieses örtliche Recht das einheimische Recht dieses Richters, oder das Recht eines fremden Staates sein mag (§ 348.). Dieser Grundsatz aber muß nunmehr beschränkt werden mit Rücksicht auf manche Arten von Gesetzen, deren beson- dere Natur einer so freien Behandlung der Rechtsgemein- schaft unter verschiedenen Staaten widerstrebt. Bei solchen Gesetzen wird der Richter das einheimische Recht aus- schließender anzuwenden haben, als es jener Grundsatz ge- stattet, das fremde Recht dagegen unangewendet lassen müssen, auch wo jener Grundsatz die Anwendung rechtfer- tigen würde. Daraus entsteht eine Reihe von Ausnahme- fällen wichtiger Art, deren Gränzen festzustellen vielleicht die schwierigste Aufgabe in dieser ganzen Lehre sein mag. §. 349. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. (Forts.) Die oft unbewußte Rücksicht unserer Schriftsteller auf diese Ausnahmefälle hat nicht wenig dazu beigetragen, die über- einstimmende Anerkennung der Regeln zu verhindern, die durch dieselben beschränkt werden. Sollte es gelingen, jene Ausnahmen als solche, und zugleich die wahren Gränzen derselben, auf überzeugende Weise festzustellen, so dürfte da- durch vielleicht mancher Widerstreit über die Regeln selbst beseitigt, und so die gegenseitige Annäherung der streitenden Parteien gefördert werden. Ich will es versuchen, die angedeuteten Ausnahmen auf zwei Klassen zurückzuführen: A. Gesetze von streng positiver, zwingender Natur, die eben wegen dieser Natur zu jener freien Behandlung, unabhängig von den Gränzen verschiedener Staaten, nicht geeignet sind. B. Rechtsinstitute eines fremden Staates, de- ren Dasein in dem unsrigen überhaupt nicht anerkannt ist, die also deswegen auf Rechtsschutz in unserm Staate keinen An- spruch haben. A. Gesetze von streng positiver, zwingender Natur. Schon oben sind verschiedene Gegensätze in der Natur und Herkunft der Rechtsregeln hervor gehoben worden S. o. B. 1 § 15. 16. 22. . An diese müssen wir hier anknüpfen, wir reichen damit VIII. 3 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. aber für den gegenwärtigen Zweck nicht aus, müssen viel- mehr die verschiedene Natur der Rechtsregeln noch genauer betrachten. Zwar könnte man glauben, hier auszureichen mit der Unterscheidung absoluter und vermittelnder Rechtsregeln (§ 16), allein auch darin würde man sich täuschen. Zwar ist diese Unterscheidung insofern von einigem Einfluß auf unsre Frage, als niemals eine blos vermittelnde Rechts- regel in die Reihe jener Ausnahmefälle gehören wird Jedes Gesetz über die In- testaterbfolge ist ein vermittelndes, weil es nur wirkt in Ermangelung eines letzten Willens. Daher ist es auch allgemein anerkannt, daß solche Gesetze außer dem Ge- biete, wofür sie gegeben sind, wirken können; denn die häufigen abweichenden Meinungen betreffen nicht diese Gesetze an sich, sondern nur ihre Anwendung auf das Grundeigenthum, wovon unten ausführlich die Rede sein wird (§. 376). . Dagegen würde es umgekehrt ganz irrig sein, allen abso- luten Gesetzen eine so positive, zwingende Natur zuzuschrei- ben, daß sie unter die Ausnahmefälle gerechnet werden müßten. So z. B. gehört jedes Gesetz über den Anfang der Volljährigkeit unter die absoluten Gesetze, weil es nicht blos in Ermangelung einer anders bestimmenden Privat- willkür wirken soll; dennoch sind Alle darüber einig, daß gerade dieses Gesetz auch außer den Gränzen des Staates, worin es gegeben ist, unbedenklich wirken kann (§ 362). Ob nun irgend ein Gesetz unter die Ausnahmefälle zu rechnen ist, das hängt vor Allem von der Absicht des Ge- setzgebers ab. Hat dieser sich darüber ausdrücklich erklärt, §. 346. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. (Forts.) so muß diese Erklärung gelten, da dieselbe dann die Na- tur eines Gesetzes über die Collision hat, welches stets unbedingt befolgt werden muß (§ 348 d. ). Allein an einer solchen ausdrücklichen Erklärung wird es meist fehlen, und dann bleibt Nichts übrig, als auf die verschiedene Na- tur der absoluten Gesetze zurück zu gehen, die uns auf fol- gende Unterscheidung führen muß. Eine Klasse der absoluten Gesetze hat keinen anderen Grund und Zweck, als die Handhabung des Rechts durch feste Regeln zu sichern, so daß sie erlassen werden lediglich um der Personen Willen, welche die Träger der Rechte sind. Dahin gehören die Gesetze über die Einschränkung der Handlungsfähigkeit wegen des Alters, des Geschlechts u. s. w. Ferner die Gesetze über die Formen der Ueber- tragung des Eigenthums (durch bloßen Vertrag oder durch Uebergabe). — Bei allen Gesetzen solcher Art ist kein Grund vorhanden, sie unter die Ausnahmefälle zu rechnen, die da- bei eintretende Collisionen können vielmehr nach dem Grund- satz der freiesten Rechtsgemeinschaft geschlichtet werden, da jeder Staat unbedenklich auch innerhalb seiner Gränzen dem fremden Gesetze solcher Art eine Einwirkung gestat- ten kann. Eine andere Klasse der absoluten Gesetze dagegen hat ihren Grund und Zweck außer dem reinen, in seinem abstracten Dasein aufgefaßten, Rechtsgebiet „contra rationem juris“, s. o. B. 1 § 16 Note p. , so daß sie 3* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. erlassen werden nicht lediglich um der Personen Willen, welche die Träger der Rechte sind. — Die Gesetze dieser Klasse können beruhen auf sittlichen Gründen. Dahin gehört jedes Ehegesetz, welches die Polygamie ausschließt. — Sie können auch beruhen auf Gründen des öffent- lichen Wohls ( publica utilitas ), mögen diese nun mehr einen politischen, einen polizeilichen, oder einen volkswirth- schaftlichen Charakter an sich tragen. Dahin gehören manche Gesetze, welche den Erwerb des Grundeigenthums von Seiten der Juden einschränken. Alle Gesetze solcher Art gehören zu den oben erwähn- ten Ausnahmefällen, so daß in Beziehung auf ihre Anwen- dung jeder Staat für sich als völlig abgeschlossen erscheint. — Schließt also das Gesetz unsers Staates die Polygamie aus, so muß unser Richter auch der polygamischen Ehe solcher Ausländer, deren Landesgesetz sie zuläßt, den Rechts- schutz versagen. — Untersagt unser Gesetz den Juden die Erwerbung des Grundeigenthums, so muß unser Richter nicht nur den einheimischen Juden den Erwerb untersagen, sondern auch den auswärtigen, in deren Staat ein solches Verbot nicht besteht, wenngleich nach den allgemeinen Re- geln über die Collision die persönliche Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit nach den Gesetzen des Wohnsitzes der Person beurtheilt werden müßte. Ebenso aber umgekehrt wird der fremde Staat, dessen Gesetz eine solche Beschrän- kung der Juden nicht kennt, auch die unserm Staate ange- §. 349. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. (Forts.) hörenden Juden zum Grundbesitz zulassen, ohne Rücksicht auf das beschränkende Gesetz ihres persönlichen Wohnsitzes. B. Rechtsinstitute eines fremden Staates, deren Dasein in dem unsrigen überhaupt nicht anerkannt ist. Der Richter eines Staates, dem der bürgerliche Tod der Französischen oder Russischen Gesetzgebung unbekannt ist, wird auf Personen, die in diesen Ländern dem bürger- lichen Tode unterworfen worden sind, die damit verbundene Rechtsunfähigkeit nicht anzuwenden haben, wenngleich, nach allgemeinen Regeln über die Collision, der persönliche Zu- stand beurtheilt werden müßte nach dem am Wohnsitz gel- tenden Recht Vgl. oben B. 2 § 75. — Anderer Meinung ist in diesem Punkte Schäffner § 35, außer wenn man etwa die auswärtige Wirksamkeit des Straferkennt- nisses verneinen möchte. . — Eben so wird in einem Staate, der die Sklaverei nicht kennt, ein Negersklave, der sich daselbst aufhält, nicht als Eigenthum seines Herrn, und nicht als rechtsunfähig, behandelt werden können Wächter II. S. 172. Schäffner § 34. . In diesem letzten Fall werden sogar beide hier aufgestellte Gesichts- punkte zusammen treffen, und zu einem und demselben Ziele führen. Die Sklaverei ist als Rechtsinstitut unserm Staate fremd, in ihm nicht anerkannt; und zugleich ist es von unserm Standpunkte aus etwas durchaus Unsittliches, einen Menschen als Sache zu behandeln. Bei dem vorher ange- führten Fall des bürgerlichen Todes würde nur der erste Grund geltend gemacht werden können, nicht der zweite, da Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. der bürgerliche Tod nicht unsittlicher ist, als jede andere sehr harte Strafe. Die hier zusammen gestellten Klassen absoluter Gesetze, so verschieden von einander sie außerdem sein mögen, kom- men darin überein, daß sie sich der für die Collision des örtlichen Rechts im Allgemeinen geforderten Rechtsgemein- schaft aller Staaten entziehen, daß sie also in dieser Hin- sicht eine anomale Natur haben. Es ist aber zu erwarten, daß diese Ausnahmefälle, in Folge der natürlichen Rechts- entwickelung der Völker, sich fortwährend vermindern werden Die wichtigsten und mannich- faltigsten Anwendungen der hier aufgestellten Regeln werden unten in der Lehre von der Rechtsfähig- keit und Handlungsfähigkeit vor- kommen (§ 365). Was nun hier vielleicht in einer zu abstracten Gestalt erscheint, wird dort mehr Anschaulichkeit gewinnen, und durch diese geeigneter sein, Ueber- zeugung zu bewirken. . Die in dem gegenwärtigen Paragraphen abgehandelten Ausnahmen von den sonst geltenden Regeln der Collision beziehen sich zunächst auf die widerstreitenden Territorial- rechte verschiedener Staaten. Bei den Particularrechten eines und desselben Staates (§ 347) werden ähnliche Ver- hältnisse weit seltener vorkommen, da die oben charakteri- sirten Gesetze von streng positiver, zwingender Natur meist- für den ganzen Umfang eines Staates erlassen werden, also ohne Rücksicht auf die Gränzen particulärer Rechte. Doch kommen auch innerhalb desselben Staates solche anomale §. 349. Widerstreit. Territorialrechte in verschied. Staaten. (Forts.) Verhältnisse vor, wenn nämlich die Verschiedenheit örtlicher Rechte aus einer Zeit herrührt, in welcher manche gegen- wärtige Bestandtheile des Staates noch nicht zu ihm ge- hört haben. Dieses gilt namentlich von dem Recht der Preußischen Rheinprovinz im Verhältniß zu dem in den übrigen Preußischen Provinzen geltenden Recht. Dann werden die in dem gegenwärtigen Paragraphen aufgestell- ten besonderen Regeln auch innerhalb der Gränzen desselben Staates zur Anwendung kommen können. §. 350. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Einleitung . Unsere Untersuchung hat bis jetzt dahin geführt, daß die Collision verschiedener positiver Rechte in der Beur- theilung eines Rechtsverhältnisses zunächst und hauptsächlich zu entscheiden ist nach dem Rechtszustand der Person , welche in diesem Rechtsverhältniß steht, und daß selbst die zahlreichen und wichtigen Abweichungen von diesem Grund- satz nur im Zusammenhang mit denselben und als Modifi- cationen desselben richtig verstanden werden können (§ 345). Es wurde ferner gezeigt, daß der Rechtszustand der Person, nach der seit langer Zeit allgemein anerkannten Regel, durch das Landgebiet (nicht durch die Abstammung) bestimmt werde (§ 346—348). Allein auch diese gewonnene Einsicht hat nur erst eine formelle Bedeutung. Denn es bleibt noch die Frage übrig: Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Wodurch wird die einzelne Person mit ihrem Rechtszustand an das Land gebunden? Welches ist also der Grund, der zwischen der Person und dem Territorialrecht den Zusammen- hang vermittelt? Unsere nächste Aufgabe muß auf die Be- antwortung dieser Frage gerichtet sein. Hier treten uns nun zwei thatsächliche Verhältnisse als solche Vermittelungsgründe entgegen: Origo und domicilium, Herkunft und Wohnsitz . Wir haben uns die Bedeutung derselben, den juristischen Einfluß, das Verhältniß beider zu einander klar zu machen. Daran nun zweifelt Niemand, daß uns sowohl diese Ausdrücke, als die mit denselben bezeichneten Rechtsbegriffe, durch das Römische Recht zugekommen sind: Alle, die davon Anwendung machen, gehen auf die Quellen des Römischen Rechts zurück. Wir müssen also vor Allem genau festzu- stellen suchen, was sich die Römischen Juristen unter jenen Ausdrücken denken, und welchen Einfluß sie den dadurch bezeichneten Rechtsbegriffen beilegen. Damit ist aber keines- weges gesagt, daß die Römische Auffassung derselben auch für uns maaßgebend sein müsse. Vielmehr wird sich im Fortgang der Untersuchung zeigen, daß eben hierin unser Rechtszustand die größten Abweichungen von dem Römischen darbietet. Es soll zunächst nur gegen die auf bloßen Miß- verständnissen beruhende Anwendung vermeintlicher Römischer Kunstausdrücke und Rechtsbegriffe ein sicherer Schutz ge- währt werden. Hierin nun hat es mit einem der angeführten Aus- §. 350. Origo und domicilium. Einleitung. drücke, dem domicilium, wenig Gefahr, indem sich hierin der Rechtszustand wesentlich nicht verändert hat, dabei also schon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf- fassung festzuhalten. Anders verhält es sich mit der origo (Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil die Aussprüche des Römischen Rechts über diesen Gegen- stand dunkel oder zweideutig wären, sondern weil hierin unser Rechtszustand von dem Römischen durchaus verschie- den ist, die Lebenserfahrung also nicht schon als Schutz gegen eine unrichtige Auffassung der Begriffe dienen kann. Da nun der eben erwähnte Ausdruck an sich leicht dahin führt, ihn von dem Geburtsort zu verstehen, so hat sich dieser letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung verschafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung der origo aus den Quellen des Römischen Rechts an- geben Voet . ad Pand. V. 1. §. 91. „Est autem originis lo- cus, in quo quis natus est, aut nasci debuit, licet forte re ipsa alibi natus esset, matre in peregrinatione parturiente.“ Durch den Zusatz wird allerdings den nachtheiligen Folgen des fal- schen Grundbegriffs entgegen ge- arbeitet; die folgenden Allegate aber erwähnen, daß hierin die Meinungen schwankend seien. Eben so ist Glück B. 6 § 511 schwan- kend und verworren, indem mitten in die richtigen Angaben immer wieder der Geburtsort hinein spielt. . Der bloße Geburtsort an sich aber ist ein höchst zufälliger Umstand, ohne allen juristischen Einfluß. Bevor nun der wahre Sinn jener Kunstausdrücke fest- gestellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß die praktische Bedeutung derselben keinesweges auf die Ent- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. scheidung unsrer Collisionsfrage, als auf eine vereinzelte Folge, eingeschränkt werden darf, sondern daß vielmehr diese Entscheidung selbst nur als einzelnes Stück eines größeren Zusammenhanges aufgefaßt werden darf. Jeder Einzelne nämlich ist in den Verhältnissen des öffentlichen Rechts in einer zweifachen Abhängigkeit oder Verpflichtung zu denken. Erstlich zu dem Staate im Ganzen, dem er als Bürger und Unterthan angehört. Zweitens zu irgend einem engeren, örtlichen Kreise (nach Römischer Verfassung einer Stadtgemeinde), der ein orga- nisches Glied jenes größeren Ganzen bildet. Die Abhängig- keit von diesem engeren Kreise, der Zusammenhang mit demselben, erscheint in mannichfaltigen wichtigen Folgen; nach Römischem Recht bald in der Verpflichtung zu städti- schen Lasten ( munera ); bald in dem Gehorsam gegen städ- tische Obrigkeiten; bald in dem städtischen positiven Recht, welches als das persönliche Recht dieses Einzelnen anzu- sehen ist. Der Gehorsam gegen die örtlichen Obrigkeiten zeigt sich in dem Gerichtsstand, dem jeder Einzelne regelmäßig unter- worfen ist, dem forum originis und forum domicilii. Das örtliche positive Recht endlich, als das persönliche Recht jedes Einzelnen, war die Veranlassung, diesen Ge- genstand schon an dieser Stelle vorläufig zur Sprache zu bringen; es sollte namentlich schon im Eingang auf den Zusammenhang zwischen dem Gerichtsstand und dem per- §. 350. Origo und domicilium. Einleitung. sönlichen Recht ( forum und lex originis, forum und lex domicilii ) aufmerksam gemacht werden Es darf nicht anstößig gefunden werden, daß hier von diesen Dingen in so allgemeinen, abstracten Ausdrücken gesprochen wird. Die genauere Bestimmung und Bezeichnung ist erst im Fort- gang der Untersuchung möglich, und zwar sowohl für das Römi- sche Recht, als für das heutige. . Nach dieser Vorbemerkung soll nunmehr sowohl die wahre Bedeutung von origo und domicilium im Römischen Recht, als das praktische Verhältniß dieser beiden Begriffe zu einander, festgestellt werden. Es verhält sich nämlich damit also, daß für jeden Einzelnen durch origo und domicilium bestimmt wird: 1. Die Verpflichtung zur Theilnahme an städtischen Lasten ( munera ). 2. Der Gehorsam gegen die städtischen Obrigkeiten, ins- besondere der davon abhängende persönliche Gerichts- stand. 3. Das auf ihn anwendbare eigenthümliche Recht einer Stadt als Eigenschaft seiner Person. Und zwar werden diese Wirkungen hervorgebracht bald von den beiden oben bezeichneten Verhältnissen ( origo und domicilium ) neben einander, so daß sie an zwei verschie- denen Orten zugleich eintreten können, bald von einem der- selben allein. Alles Dieses soll nunmehr näher bestimmt werden. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. §. 351. Die Römische Lehre von origo und domicilium I. Origo. Gemeinsame Quellen für origo und domicilium. Dig . L. 1. (ad municipalem et de incolis), und L. 4. (de muneribus et honoribus). Cod . X. 38. (de municipibus et originariis), und X. 39. (de incolis, et ubi quis domicilium habere videtur, et de his, qui studiorum causa in alia civitate degunt). Zur Zeit der ausgebildeten Römischen Verfassung gegen das Ende der Republik und in den ersten Jahrhunderten der Kaiserregierung, war der Zustand der einzelnen Bestand- theile des Römischen Reichs folgender Vgl. Savigny Geschichte des Römischen Rechts im Mittel- alter. B. 1. Kap. 2. . Ganz Italien, außer der Stadt Rom, bestand aus einer großen Zahl von Stadtgemeinden, meist Municipien und Colonieen, nebst einigen untergeordneten Klassen von Ge- meinden. Jede derselben hatte eine mehr oder weniger selbstständige Verfassung, mit eigenen Obrigkeiten, mit Ge- richtsbarkeit, und selbst mit besonderer Gesetzgebung (§ 347 d. ). Der ganze Boden von Italien also, mit Ausnahme der Stadt Rom und ihres besonderen Gebietes, war in den Gebieten dieser Städte enthalten, und alle einzelne Ein- §. 351. Origo und domicilium I. Origo. wohner von Italien waren Angehörige entweder der Stadt Rom, oder irgend einer dieser städtischen Gemeinden. Die Provinzen dagegen hatten ursprünglich sehr ver- schiedene Verfassungen. Indessen wurden sie allmälig immer mehr der Städteverfassung von Italien angenähert, wenn gleich diese nicht so vollständig und eingreifend in ihnen durchgeführt wurde. Zur Zeit der großen Juristen, im zweiten und dritten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung, konnte man den so eben für Italien aufgestellten Grundsatz fast auf das ganze Reich anwenden: der Boden des Reichs war fast ganz in bestimmten Stadtgebieten enthalten, und die Einwohner des Reichs waren nunmehr Angehörige ent- weder der Stadt Rom, oder irgend einer anderen städtischen Gemeinde In wiefern sie auch beides zugleich seyn konnten, späterhin sogar sein mußten, wird weiter unten festgestellt werden. . Die Stadtgemeinden führen den gemeinsamen Namen civitates oder respublicae S. o. B. 2 § 87. Auch municipes, als collectiver Aus- druck, wird häufig gebraucht, um die Gemeinde selbst, als juristische Person, zu bezeichnen; der Aus- druck steht dann für municipium, welches letzte aber gerade in dieser abstracten Bedeutung (für Städte jeder Art) nicht üblich ist (§ 352. f. g ). . Das Gebiet jeder Stadt heißt territorium, auch wohl regio Territorium. L. 239 § 8 de V. S. (50. 16), L. 20 de jurisd. (2. 1), L. 20 de jud. (5. 1), L 53 C. de decur. (10. 31). — Regio. Siculus Flaccus de condicionibus agrorum, gleich im Anfang der Schrift, p. 135 der Gromatici veteres ed. Lach- mann Berol. 1848. . Jedes städtische Gebiet, und die demselben angehörende Gemeinde, umfaßte Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. zugleich die in dessen Gränzen befindlichen vici L. 30 ad mun. (50. 1). In der älteren Zeit gab es auch vici, die eine eigene res publica hatten. Festus v. vici. , so wie die darin einzeln liegenden Höfe, in welchen zu allen Zeiten ein so großer Theil der Bevölkerung von Italien enthalten war. Aus diesem Grunde eben läßt sich behaupten, daß fast der gesammte Boden des Reichs in einer großen Zahl von Stadtgebieten aufging. Es ist nunmehr zu bestimmen, wie jeder Einzelne An- gehöriger einer Stadtgemeinde wird, also zu ihr in ein bestimmtes Verhältniß der Abhängigkeit tritt. Dieses ge- schieht auf zweierlei Weise: erstlich durch das Bürger- recht der Gemeinde ( origo ), zweitens durch den Wohn- sitz in dem Stadtgebiet ( domicilium ). I. Bürgerrecht . Das Bürgerrecht wird erworben durch folgende That- sachen: Geburt, Adoption, Freilassung, Auf- nahme L. 1 pr. ad mun. (50. 1). „Municipem aut nativitas facit, aut munumissio, aut adoptio“. L. 7 C. de incolis (10. 39) „Cives quidem origo, manumissio, allec- tio, vel adoptio, incolas vero .. domicilium facit“. . 1. Geburt ( origo, nativitas ) (Note f. ). Diese Entstehungsart ist völlig unabhängig von dem freien Willen Desjenigen, der dadurch der Stadt angehört. Sie ist die regelmäßige und häufigste, und daher wird ganz gewöhnlich der Name derselben gebraucht, §. 351. Origo und domicilium. I. Origo. um das Bürgerverhältniß selbst, das dadurch ent- steht, zu bezeichnen L. 6 pr. § 1. 3. L. 9 ad mun. (50. 1). L. 15 § 3 eod. ( jus originis). — Andere, aller- dings genauer redende, Stellen nennen das Rechtsverhältntß (dessen Entstehung nur die origo ist, und zwar nicht immer) patria oder civitas. L. 27 pr. L. 30 eod. . Es ist damit gemeint die Erzeugung in einer rechtsgültigen Ehe, wenn der Vater selbst das Bür- gerrecht hat L. 1 § 2. L. 6 § 1 ad mun. (50. 1). L. 3 C. de munic. (10. 38). . Die Vaterstadt der Mutter ist dabei in der Regel ohne Einfluß, jedoch hatten einige Städte das besondere Privilegium, daß auch das Bürgerrecht der ihnen angehörenden Frauen auf die ehelichen Kinder derselben übergehen sollte L. 1 § 2 ad mun. (50. 1). Es ist nicht klar, ob nun das Kind nur in der Vaterstadt der Mutter Bürger sein sollte, oder in beiden Städten. Das Letzte ist wohl an sich wahrscheinlicher. . — Uneheliche Kinder sollten durch origo das Bürger- recht in der Vaterstadt der Mutter erwerben L. 1 § 2. L. 9 ad mun. (50. 1). . 2. Adoption (Note f. ). Dadurch wird das angeborne Bürgerrecht nicht auf- gehoben, sondern der Adoptivsohn hat nunmehr ein zweifaches Bürgerverhältniß, welches auch auf dessen Kinder forterbt L. 15 § 3. L. 17 § 9 ad mun. (50. 1). . — Die Emancipation des Adop- tivkindes aber zerstört jede Wirkung der Adoption, und so auch diese dem öffentlichen Rechte angehö- rende Wirkung L. 16 ad mun. (50. 1). . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. 3. Freilassung (Note f ). Der freigelassene Sklave konnte kein angebornes Recht haben. Dagegen erwarb er durch die Frei- lassung das Bürgerrecht in der Vaterstadt des Pa- trons, welches dann wiederum auf seine Kinder fort- erbte. Hatte der Patron ein mehrfaches Bürger- recht, oder wurde ein gemeinschaftlicher Sklave meh- rerer Herren von diesen freigelassen, so konnte auch durch die Freilassung ein mehrfaches Bürgerrecht entstehen L. 6 § 3. L. 7. L. 22 pr. L. 27 pr. L. 37 § 1 ad mun. (50. 1), L. 3 § 8 de mun. (50. 4.), L. 2 C. de municip. (10. 38). — Ueber den Text und den Sinn der L. 22 pr. ad mun. vgl. Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft B. 9 S. 91 — 98. — Der Erwerb des Stadt- bürgerrechts durch Freilassung konnte aber nur behauptet werden von einer vollgültigen Freilassung. Die dediticii wurden nicht Bürger in der Stadt ihres Patrons (§ 356), und eben so wohl auch die Latini Juniani. . 4. Aufnahme ( allectio ) L. 7 C. de incolis (10. 39) „allectio vel adoptio“. Daß in einigen Hss. vel fehlt, in an- deren dafür atque steht, hat keinen Einfluß auf den Sinn. Wichtiger ist die Variante: allectio id est adoptio, welche Cujacius aus Hss. anführt, ohne sie zu billigen (in III. libros, opp. II. 737). Dadurch würde die Aufnahme als eine besondere Erwerbungsart ganz beseitigt, welche zu bezweifeln jedoch gar kein Grund vorhanden ist. . Darunter ist zu verstehen die freiwillige Gewährung des Bürgerrechts von Seiten der städtischen Behörde, an deren Zulässigkeit ohnehin nicht zu zweifeln sein würde, auch wenn sie nicht ausdrücklich bezeugt wäre. §. 351. Origo und domicilium. I. Origo. Aufgehoben wurde das Bürgerrecht mit seinen Folgen nicht durch den einseitigen Willen der Personen, die durch irgend eine der hier angegebenen Thatsachen in dasselbe ein- getreten waren L. 6 pr. ad mun. (50. 1), L. 4. 5 C. de municip. (10. 38). — Eine Entlassung durch die Stadt- behörde mußte eben so gut eintreten können, als die Aufnahme durch dieselbe. . — Durch rechtsgültige Ehe in einer fremden Stadt trat die Ehefrau zwar nicht eigentlich aus dem angebornen Bürgerverhältniß aus; allein sie war, wäh- rend der Dauer der Ehe, von den damit verbundenen per- sönlichen Lasten ( munera ) befreit L. 37 § 2. L. 38 § 3 ad mun. (50. 1). L. 1 C. de muner. (10. 62). . — Eine ähnliche Be- freiung von persönlichen Lasten, ohne gänzliche Zerstörung des angebornen Bürgerrechts, galt für den Stadtbürger, der zur Würde eines Senators des Römischen Reichs er- hoben wurde, so wie für dessen Nachkommenschaft L. 23 pr. L. 22 § 4. 5 ad mun. (50. 1). ; des- gleichen für jeden Soldaten, so lange sein Dienstverhältniß dauerte L. 3 § 1. L. 4 § 3 de muner. (50 4). . Aus den hier aufgestellten Regeln folgt der wichtige Satz, daß nicht selten eine und dieselbe Person zu mehreren Städten des Römischen Reichs gleichzeitig in einem wahren Bürgerverhältniß stehen konnte, also die Rechte einer jeden dieser Städte vereinigte, und die Lasten einer jeden zu tra- gen hatte Dieser Satz scheint im Wi- derspruch zu stehen mit Cicero pro Balbo Cap. II. „Duarum civitatum civis esse nostro jure . So konnte zu dem angeborenen Bürgerrecht VIII. 4 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ein späteres durch Adoption oder Aufnahme treten, welche beide neben einander bestanden (Note l ). Und eben so konnte der freigelassene Sklave gleich Anfangs in ein mehrfaches Bürgerverhältniß durch die Freilassung gebracht werden (Note n ). Auf der anderen Seite aber war es denkbar, daß Je- mand in keiner Stadt ein Bürgerverhältniß hatte, obgleich dieser Fall gewiß nicht häufig vorkam. Er mußte eintre- ten, wenn ein Ausländer als Einwohner in das Römische Reich aufgenommen wurde, ohne durch Aufnahme Bürger irgend einer einzelnen Stadt zu werden (Note o ); eben so, wenn der Bürger irgend einer Stadt aus dem städtischen Verband derselben entlassen wurde (Note p ), ohne in eine andere Bürgergemeinde aufgenommen zu werden; endlich auch bei den Freigelassenen der untersten Klasse, welche dedititiorum numero waren, und keiner Gemeinde ange- hörten Ulpian . XX. § 14. . §. 352. Die Römische Lehre von origo und domicilium. I. Origo. (Fortsetzung.) Die ursprüngliche große Verschiedenheit der Städte- verfassung in Italien und den Provinzen könnte leicht zu civili nemo potest.“ Allein in dieser Stelle ist die Rede von Städten außer dem Römischen Staate, die als souveräne Staaten neben demselben standen. Wir sprechen von den Städten inner- halb des Römischen Reichs. §. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Forts.) der Annahme verleiten, daß die hier vorgetragenen Regeln über die Stadtgebiete und das Stadtbürgerrecht nur in Italien, nicht in den Provinzen, Geltung gehabt hätten. In der That aber war hierin fast gar kein Unterschied. Die Stadtgebiete ( territoria ) waren in fast allen Pro- vinzen Es muß nämlich Aegypten ausgenommen werden, welches in jeder Hinsicht eine durch große Be- schränkungen ausgezeichnete Ver- fassung hatte. So war daselbst kein Proconsul oder Proprätor, sondern nur ein praefectus Au- gustalis von geringerem Rang. ( Dio Cass . 51. 17, 53. 13, Tacitus hist. 1.11, Digest. 1. 17). Eben so aber gab es daselbst nur Districte (Nomen), keine Stadt- gemeinden, und nur in Alexandrien fand sich ein Bürgerrecht ( Plinius epist. X. 5. 22. 23). eben so abgegränzt, wie in Italien. Diese Gränzen, so wie der Einfluß derselben auf die Verpflich- tung zu städtischen Lasten, namentlich in den zu den Städten gehörenden Dörfern, gaben auch in den Provinzen nicht selten Anlaß zu Prozessen. Nur darin wird ein Unterschied bemerkt, daß in manchen Provinzen, namentlich in Afrika, die Stadtgebiete nicht den ganzen Boden des Landes er- schöpfen, indem hier im Besitz mancher Privatpersonen, auch des Kaisers, sehr ausgedehnte, zur Weide benutzte, Land- strecken ( saltus ) waren, die ganz für sich bestanden, und zu keinem Stadtgebiete gehörten Agennius Urbicus de controversiis agrorum p. 84. 85 der Gromatici veteres ed. Lach- mann Berol. 1848. . Die oben vorgetragene Lehre von dem Stadtbürgerrecht, welches durch Geburt, Freilassung u. s. w. entstand, wird von den alten Juristen in Anwendung auf Provinzialstädte, 4* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ganz ohne Unterschied von den Italienischen Städten, vor- getragen L. 1 § 2. L. 37 pr. ad mun. (50. 1) (Ilium, Delphi, Pontus). L. 2 C. de municip. (10. 38) (Aquitanische Städte). L. 7 § 10 de interd. et releg. (48. 22). . Eben so auch die Anwendung dieses Rechts auf die städtischen Lasten, so wie auf die einzelnen Befrei- ungen von diesen Lasten ( vacatio und immunitas ) L. 8 pr. L. 10 § 1 de vacat. (50. 5), L. 5 § 1 de j. immunitatis (50. 6). . So vielfachen und unzweideutigen Zeugnissen gegen- über würde mit Unrecht eine Stelle des Ulpian gel- tend gemacht werden, zum Beweise, daß in den Provinzen überhaupt kein jus originis, sondern nur allein das domi- cilium, beachtet worden wäre L. 190 de V. S. (50. 16) „Provinciales eos accipere de. bemus, qui in provincia domi- cilium habent, non eos, qui in provincia oriundi sunt. “ Diese Stelle, wie so viele andere desselben Titels, hat nur in den Digesten einen falschen Schein von Allge- meinheit, anstatt daß sie ursprüng- lich nur von einer ganz einzelnen Anwendung verstanden werden sollte, die nur jetzt nicht mit Sicherheit zu ermitteln ist. Vgl. über diese Stelle: Gundlingiana St. 31 N. 2 S. 34—43. Conradi par- erga p. 488—506. Hollweg Versuche S. 6. — Bei dem Ehe- verbot zwischen den Römischen Provinzialbeamten und den Pro- vinzialinnen heißt es in L. 38 pr. de ritu nupt. (23. 2) gerade um- gekehrt: „inde oriundam, vel ibi domicilium habentem uxo- rem ducere non potest“, wobei es ganz willkürlich ist, wenn Manche das vel durch id est erklären wollen. . Hieran schließt sich folgende, zum Verständniß unserer Rechtsquellen nicht unwichtige, Bemerkung über den Sprach- gebrauch, welche die Bedeutung der Ausdrücke municipium und municeps zum Gegenstand hat. — Die ursprüng- liche Bedeutung dieser Ausdrücke ist nicht blos in neueren §. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Forts.) Zeiten bestritten und zweifelhaft, sie war es auch schon bei den Römern selbst. Die Zweifel sind dabei theils sprach- licher, theils sachlicher, also geschichtlicher Art Vgl. besonders Niebuhr Römische Geschichte B. 2 S. 56— 88. der dritten Ausgabe. Außer- dem ist zu benutzen ein Programm von Rudorff , welches als Vor- rede zum lateinischen Lections- Katalog der Berliner Universität, Wintersemester 1848, abgedruckt ist. . Wir können aber für unsern Zweck diese schwierige Untersuchung auf sich beruhen lassen, da sich späterhin der Sprachgebrauch in folgender Weise unzweifelhaft festgestellt hat. — Seit der Lex Julia über das allgemeine Bürgerrecht von Italien war municipium die regelmäßige Bezeichnung der Einen Hauptklasse Italischer Städte, der Städte nämlich, die nicht von Rom aus als Gemeinden zuerst begründet worden waren, im Gegensatz der anderen Hauptklasse, der colo- niae In der Lex Julia munici- palis ( tabula Heracleensis ) ist die regelmäßige, stets wiederkehrende, Aufzählung der Stadtgemeinden in Italien folgende: municipium, colonia, praefectura, forum, conciliabulum ( Haubold mo- numenta legalia N. XVI); fast eben so in der Lex Rubria ( ibid. N. XXI ). . Der Name municipium, der allerdings auch in den Provinzen nicht selten ist, wurde aber auf die Pro- vinzen keinesweges allgemein übertragen, zu der Zeit, als die Civität dem ganzen Reiche, also allen Städten, mitge- theilt wurde. Sollte nun eine Stadtgemeinde überhaupt bezeichnet werden, ohne Unterschied zwischen Municipien und Colonieen, zwischen Italien und den Provinzen, so wurden dafür regelmäßig die Ausdrücke respublica und civitas gebraucht. — Municeps aber erscheint bei den alten Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Juristen als die gemeinsame Bezeichnung eines jeden Stadt- bürgers, ohne Rücksicht auf die eben erwähnten Unterschiede, also eben so allgemein, wie die für das Ganze gebrauchten Ausdrücke respublica und civitas L. 1 § 1 ad mun. (50. 1) „Et proprie quidem municipes appellantur muneris participes, recepti in civitatem, ut munera nobiscum facerent; sed nunc abusive municipes dicimus suae cujusque civitatis cives, utputa Campanos, Puteolanos. (Im § 2 wird derselbe Sprachgebrauch angewendet auf Ilium und Delphi). Eben so in L. 23 pr. eod. — Das abusive hat hier eine doppelte Bedeutung. Erstlich (wovon Ul- pian zunächst spricht) im Gegen- satz der oben im Text erwähnten ursprünglichen, alterthümlichen Be- deutung, die in den vorhergehenden Worten des Ulpian angedeutet ist. Zweitens aber auch in der anderen Bedeutung, daß Municeps nicht blos auf Municipien angewendet wurde, sondern auch auf Colonieen und Provinzialstädte. Diese letzten kommen im § 2 vor; Puteoli aber war seit Nero durchaus Colonie. Tacitus ann. XIV. 27. — In der ersten Beziehung findet sich der abusive Sprachgebrauch ( muni- ceps für civis überhaupt) schon bei Cicero ad fam. XIII. 11 „meos municipes Arpinates“ pro Cluentio 16 „municipum suorum dissimillimus“ und de legibus II. 2. Sehr genau unterscheidet noch die Lex Julia municipalis lin. 145 ( Haubold pag. 129): municipes, coloni und qui ejus praefecturae erant (vgl. lin. 159—163). Und dennoch mag gerade dieses Gesetz die spätere allgemeine Bedeutung des Aus- drucks municipes vorzugsweise be- fördert haben, da dasselbe die Ita- lischen Stadtbürger aller Klassen gemeinschaftlich umfaßte, und zu- gleich den Namen Lex Julia mu- nicipalis führte. . Für diese ver- schiedenartige Ausdehnung beider an sich verwandter Aus- drücke läßt sich auch ein befriedigender Grund angeben. Wollte man etwa nur die Stadtbürger in den eigentlichen Municipien municipes nennen, so wäre für die Stadtbür- ger überhaupt kaum ein anderer Name übrig geblieben, als civis So kommt dieser Ausdruck in der That vor in L. 7 C. de incolis (10. 39). , analog mit civitas, worunter wirklich jede Stadt- §. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Forts.) gemeinde ohne Unterschied verstanden wurde. Allein der Ausdruck civis war hier weniger brauchbar, weil er in der Klassifikation der cives, latini, peregrini, eine für die alten Juristen allzu wichtige und unentbehrliche Stellung hatte, um noch für einen andern Zweck verwendet zu werden, welches zu mancher Zweideutigkeit geführt haben würde. So ist also municeps der allgemeine Ausdruck gewor- den, für jeden Inhaber irgend eines Stadtbürgerrechts außer Rom, also für alle diejenigen Personen, deren gemein- same Angehörigkeit an eine Stadtgemeinde außerdem sehr gewöhnlich mit origo oder auch patria bezeichnet wird. Eine sehr eigenthümliche Ausdehnung erhielt die auf das Bürgerrecht gegründete Angehörigkeit an eine Stadtge- meinde, seitdem die Römische Civität durch die Lex Julia an ganz Italien, durch eine Verordnung von Caracalla auch an alle Provinzen, gegeben worden war. Denn da die Römische Civität, ihrem Urbegriff nach, das Bürger- recht der Stadt Rom war, so hatten nunmehr fast alle Stadtbürger in Italien und in den Provinzen, die ohnehin schon ein mehrfaches Bürgerrecht zufällig haben konnten (§ 351), mindestens ein zweifaches Bürgerrecht: das ihrer eigenen Stadt, und das der Stadt Rom. Diese doppelte patria wird dann auch in ganz verschiedenen Zeiten aus- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. drücklich anerkannt Cicero de legibus II. 2 „omnibus municipibus duas esse censeo patrias, unam naturae, alteram civitatis … habuit alteram loci patriam, alteram juris.“ — L. 33 ad mun. (50. 1) (Modestinus): „Roma communis nostra patria est“. Cicero spricht nur von Stadt- bürgern aus Italien ( municipes ), Modestin spricht ganz allgemein, ( nostra ); jeder nach dem Rechte seiner Zeit. . — Indessen war dieses Verhält- niß von minderer Wichtigkeit, als man ihm auf den ersten Blick zuschreiben möchte. Bei dem Stadtbürgerrecht von Rom kamen die in andern Städten wichtigen städtischen Lasten und Verpflichtungen ( munera ) wenig in Betracht, da für diese Zwecke in Rom meist auf andere Weise gesorgt war. — Der auf das Stadtbürgerrecht gegründete Ge- richtsstand ( forum originis ) vor den Gerichten der Stadt Rom war allerdings auch für die Bürger anderer Städte vorhanden, jedoch nur unter großen Einschränkungen. Er galt nur, wenn diese Bürger sich zufällig in Rom aufhiel- ten, und auch dann nur unter dem Vorbehalt zahlreicher Ausnahmen, die unter dem gemeinsamen Namen des jus revocandi domum begriffen werden L. 28 § 4 ex quib. caus. (4. 6), L. 2 § 3—6 de jud. (5. 1), L. 24—28 eod. . — Was endlich die Anwendung des örtlichen Rechts der Stadt Rom auf die Personen der Bürger anderer Städte betrifft (also das eigentliche Ziel unsrer ganzen gegenwärtigen Untersuchung), so kann davon erst weiter unten (§ 357) in einem größeren Zusammenhang geredet werden. Es würde jedoch unrichtig sein, der hier erwähnten neuen Combination den Sinn beizulegen, als ob nun in § 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Forts.) der That alle freie Einwohner des Römischen Reichs min- destens das Stadtbürgerrecht von Rom (als cives Romani ) hätten haben müssen. Denn es gab auch nach der Ver- ordnung des K. Caracalla über die Civität noch immer eine nicht geringe Zahl von Personen, die in niedere Klas- sen neu eintraten, und durch welche also diese Klassen stets erhalten wurden: theils indem durch unvollständige Frei- lassung neue Latini und peregrini entstanden Erst Justinian hob diese unvollständigen Freilassungen auf ( Cod. VII. 5. 6), deren Wirkungen also bis auf ihn fortgedauert hatten, und zwar sowohl in den auf solche Weise freigelassenen Sklaven selbst, als in den Nachkommen derselben. , theils durch Einwanderung von Ausländern in das Römische Reich, welchen nicht gerade auch die Civität neben ihrer Aufnahme als Unterthanen ertheilt wurde. So bleibt also für alle Zeiten der oben (§ 351) auf- gestellte Satz wahr, daß freie Einwohner des Römischen Reichs ohne alles Bürgerverhältniß zu irgend einer Stadt sein konnten, wenngleich freilich die Anwendung dieses Satzes im Laufe der Zeit seltener und unbedeutender wurde. § 353. Die Römische Lehre von origo und domicilium. II. Domicilium. Quellen (s. o. § 350). Schriftsteller : Lauterbach de domicilio 1663 (Diss. Vol. 2. N. 72.). Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Thomasius de vagabundo (Diss. Vol. 1. N. 3.). Glück B. 6. § 512—515. Kierulff B. 1. S. 122—128. Der zweite Grund, wodurch der Einzelne Angehöriger einer Stadtgemeinde werden konnte, war, der Wohnsitz ( domicilium ) Wohnsitz halte ich für bezeichnender und darum besser als Wohnort ; eine verschiedene Bedeutung beider Ausdrücke aber ( Linde § 88 Note l ) kann ich nicht einräumen. Die Verschieden- heit vom bloßen Aufenthalt wird sogleich erwähnt und näher be- stimmt werden. — Die Lehre vom domicilium wird hier, eben so wie die von der origo, allerdings zunächst in ihrem Zusammenhang mit dem R. R. festgestellt. Da sich aber unten zeigen wird, daß im heutigen Recht das domicilium in den Hauptpunkten dieselbe Stellung wie im R. R. einnimmt, so schien es zweckmäßig, dabei gleich hier auch den heutigen Rechts- zustand mit zu berücksichtigen. . Als Wohnsitz eines Menschen ist derjenige Ort zu be- trachten, welchen derselbe zum bleibenden Aufenthalt, und dadurch zugleich zum Mittelpunkt seiner Rechtsverhältnisse und Geschäfte frei gewählt hat L. 7 C. de incolis (10. 39) (s. o. § 350. f ) „. , incolas vero . . domicilium facit. Et in eo loco singulos habere domicilium non ambigitur, ubi quis larem rerumque ac fortu- narum suarum summam con- stituit, unde rursus non sit discessurus, si nihil avocet, unde quum profectus est, pere- grinari videtur, quo si rediit, peregrinari jam destitit.“ — L. 203 de V. S. (50. 16) „… Sed de ea re constitutum esse, eam domum unicuique nostrum debere existimari, ubi quisque sedes et tabulas haberet, sua- rumque rerum constitutionem fecisset“. . — Der bleibende Aufenthalt schließt aber weder eine vorübergehende Abwe- §. 353. Origo und domicilium. II. Domicilium. senheit aus, noch eine künftige Abänderung, deren Vorbe- halt vielmehr von selbst verstanden wird; es ist damit nur gemeint, daß nicht schon jetzt die Absicht auf vorüberge- hende Dauer vorhanden sein darf. Das domicilium, wie die origo, begründete die Ange- hörigkeit an eine bestimmte Stadtgemeinde, bezog sich also stets auf ein bestimmtes Stadtgebiet L. 3. 5. 6 C. de incolis (10. 39). , und umfaßte da- her nicht nur die Bewohner der eigentlichen Stadt selbst, sondern auch die Bewohner der zu diesem Gebiete gehören- den Dörfer und einzelnen Höfe ( coloniae ) L. 239 § 2 de V. S. (50. 16) „. . Nec tantem hi, qui in oppido morantur, incolae sunt, sed etiam qui alicujus oppidi finibus ita agrum habent, ut in eum se, quasi in aliquam sedem, recipiant.“ Scheinbar wider- sprechen L 27 § 1 L. 35 ad mun. (50. 1), welche dem Bewohner einer colonia nur dann das do- micilium der Stadt zuschreiben wollen, wenn er durch überwie- genden Aufenthalt in der Stadt auch die Vortheile und Annehm- lichkeiten derselben genieße. Diese Einschränkung beruht aber ohne Zweifel nur auf einem ungenauen Ausdruck, und geht eigentlich nicht auf das domicilium an sich, sondern nur auf eine einzelne Wirkung desselben, die Theilnahme an gewissen Arten von städtischen Lasten. Denn daß die Bewohner der coloniae ihren Gerichtsstand vor den städtischen Obrigkeiten hatten ( forum domicilii ), wurde gewiß von Niemand bezweifelt. Vgl. unten § 355. m. . Für die Personen, die auf diesem Wege Angehörige einer Stadtgemeine geworden waren, ist die regelmäßige Bezeichnung: Incola L. 5. 20 ad mun. (50. 1), L. 239 § 2 de V. S. (50. 16) . — Die zwei verschiedene Gründe aber, wodurch eine solche Angehörigkeit begründet werden konnte (Bürgerrecht und Wohnsitz), werden durch folgende gegensätzliche Ausdrücke unterschieden: Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Municipes und incolae L. 6 § 5 de mun. (50. 4). Ueber den Ausdruck municipes s. o. § 352 g. , über incolae Note e. — Ungenau ist der Ausdruck des Paulus in L. 22 § 2 ad mun. (50. 1), der auch bloße Einwohner municipes nennt (anstatt incolae ), und damit nur sagen will, daß auch sie die städtischen munera zu tragen haben. . Origo und domicilium L. 7 § 10 de interd. et releg. (48. 22), L. 6 § 3 L. 22 § 2 ad mun. (50. 1). . Jus originis und jus incolatus L. 15 § 3 ad mun. (50. 1), L. 5 C. de incolis (10. 39) . Patria und domus L. 203 de V. S. (50. 16). . Aus dem so eben bestimmten Begriff des Wohnsitzes ergiebt sich die wesentliche Verschiedenheit desselben vom bloßen Aufenthalt, so wie vom Grundbesitz. — Der Auf- enthalt, welcher nicht verbunden ist mit der gegen- wärtigen Absicht, daß er ein bleibender, immerwährender sein soll, begründet nicht den Wohnsitz, selbst dann nicht, wenn er zufällig längere Zeit dauert, also nicht blos schnell vorübergehend ist. Dahin gehört z. B. der Aufenthalt der Studierenden an einer Bildungsanstalt; erst wenn dieser mindestens zehen Jahre dauerte, sollte derselbe nach einer Verordnung von Hadrian als bleibend, folglich als Wohn- sitz angesehen werden L. 5 §. 5 de injur. (47. 10), L. 2. 3 C. de incolis (10. 39). Allerdings sind die zehen Jahre nur eine Präsumtion der auf immer- währenden Aufenthalt gerichteten Absicht. Lauterbach de domi- cilio § 27. . — Der Grundbesitz aber, den Jemand in einem Stadtgebiet hat, ist zum Wohnsitz nicht (Note d ), L. 7 C. de incolis (10. 39) (Note b ). §. 353. Origo und domicilium. II. Domicilium. erforderlich, für sich allein aber dazu auch nicht hinrei- chend L. 17 § 13. L. 22 § 7 ad mun. (50. 1), L. 4 C. de incolis (10. 39). — Manche Städte hatten das Privilegium, daß der bloße Grundbesitz, ohne Wohnsitz, zur Uebernahme persönlicher munera verpflichten sollte. L. 17 § 5 ad mun. (50. 1). . Die Begründung des Wohnsitzes mit seinen rechtli- chen Wirkungen geschieht durch den freien Willen und die mit demselben übereinstimmende That, also nicht durch bloße Willenserklärung ohne That L. 20 ad mun. (50. 1) „Domicilium re et facto trans fertur, non nuda contestatione; sicut in his exigitur, qui negant se posse ad munera, ut incolas, vocari“. . — Der Wille aber wird dabei so sehr als frei gedacht, daß diese Freiheit nicht ein- mal soll beschränkt werden dürfen durch privatrechtliche Bestimmungen, z. B. durch die einem Legat hinzugefügte Bedingung eines bestimmten Aufenthalts, welche Bedingung in der Regel als nicht geschrieben anzusehen ist L. 31 ad mun. (50. 1), L. 71 § 2 de cond. (35. 1). S. o. B. 3 S. 184. . — Dagegen kann durch das öffentliche Recht diese Freiheit auf mancherlei Weise beschränkt werden. So hat jeder Staatsdiener, z. B. jeder Soldat, einen nothwendigen Wohnsitz am Orte des Dienstes L. 23 § 1 ad mun. (50. 1). ; der Verbannte am Orte der Verbannung L. 22 § 3 ad mun. (50. 1). . Umgekehrt kann durch Strafe ein bestimmter Aufenthalt untersagt werden L. 31 ad mun. (50. 1), L. 7 § 10 de interd. et releg. (48. 22). — Wenn in L. 27 § 3 ad mun. (50. 1) gesagt wird, daß der Relegirte seinen vorigen Wohn- sitz behalte, so hat das wohl den Sinn, daß er durch die Strafe nicht frei werden soll von der Theil- nahme an den bisherigen Lasten. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Außerdem aber konnte in folgenden Fällen der Wohnsitz begründet werden durch die Beziehung, in welcher eine Person zu einer anderen Person und deren Wohnsitz stand, welches man einen relativen Wohnsitz nennen könnte: 1. Ehefrauen haben ihren Wohnsitz allgemein und nothwendig gemeinschaftlich mit dem des Eheman- nes L. 5 de ritu nupt. (23. 2), L. 65 de jud. (5. 1), L. 38 § 3 ad mun. (50. 1), L. 9 C. de incolis (10. 38), L. 13 C. de dignit. (12. 1). Dieser Wohnsitz heißt das domicilium matrimonii. Eine ungültige Ehe begründet ihn nicht, eben so der bloße Brautstand. L. 37 § 2, L. 32 ad mun. (50. 1). . Dieser Wohnsitz dauert fort auch für die Wittwe, so lange sie nicht eine neue Ehe eingeht, oder auf andere Weise ihren Wohnsitz willkürlich ändert L. 22 § 1 ad mun. (50. 1). . 2. Eheliche Kinder haben von ihrer Geburt an un- zweifelhaft denselben Wohnsitz wie der Vater. Sie können aber späterhin einen anderen Wohnsitz frei erwählen, wodurch jener ursprüngliche aufhört L. 3. L. 4. L. 6 § 1. L. 17 § 11 ad mun. (50. 1). — Eben so folgen sie unzweifelhaft dem Vater, wenn dieser nach ihrer Ge- burt einen neuen Wohnsitz be- gründet, so lange als sie selbst noch zu seinem Hausstande gehören. . Bei unehelichen Kindern muß eben so behauptet werden, daß der Wohnsitz der Mutter als Wohnsitz dieser Kinder zu betrachten ist. 3. Auf ähnliche Weise verhielt es sich mit den Frei- gelassenen. Ihr Wohnsitz war ursprünglich der des § 353. Origo und domicilium. II. Domicilium. Patrons L. 6 § 3. L. 22 pr. ad mun (50. 1). Ueber diese letzte Stelle ist zu vergleichen die schon oben § 351 n. angeführte Ab- handlung. ; sie konnten ihn aber später frei ver- ändern L. 22 § 2. L. 27 pr. L. 37 § 1 ad mun. (50. 1). . 4. Eben Dasselbe gilt nach unsern heutigen Verhält- nissen von den Dienstboten Vgl. die Preußische Allg. Gerichtsordnung I. 2 § 13. ; imgleichen von den auf einem bestimmten Landgute bleibend arbeiten- den Tagelöhnern, und von den bei einem bestimm- ten Handwerksmeister arbeitenden Gesellen. Die Aufhebung eines bisher vorhandenen Wohnsitzes erfolgt, eben so wie die Begründung, durch die freie Will- kür des bisherigen Einwohners. Gewöhnlich, wenngleich nicht allgemein und nothwendig, wird diese Aufhebung zu- sammen fallen mit der Begründung eines neuen Wohn- sitzes, und daher wird in unsern Rechtsquellen die Aufhe- bung als Uebertragung bezeichnet L. 20 ad mun. (s. o. Note m. ), L. 1 C. de incolis (10. 39). Diese Veränderlichkeit wird bezeichnet durch den Ausdruck domicilii ratio temporaria. L. 17 § 11 ad mun. (50. 1). . §. 354. Die Römische Lehre von origo und domicilium. II. Domicilium. (Fortsetzung.) Der Wohnsitz, als selbständiger Grund der Angehörig- keit an eine bestimmte Stadtgemeinde, kann auch gleichzeitig in Beziehung auf mehrere Städte vorhanden sein, wenn Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Jemand mehrere Orte gleichmäßig als Hauptpunkte seiner Verhältnisse und Geschäfte behandelt, und unter sie, je nach Bedürfniß, seinen wirklichen Aufenthalt vertheilt. Manche unter den Römischen Juristen bezweifelten diese Möglichkeit, zuletzt aber wurde sie dennoch anerkannt, ob- gleich dabei nicht verkannt wurde, daß ein solcher Fall nur selten als vorhanden anzunehmen sein werde L. 5, L. 6 § 2, L. 27 § 2 ad mun. (50. 1), C. 2 pr. de sepult. in VI. (3. 12). . Umgekehrt kann Jemand ganz ohne Wohnsitz sein in dem oben bestimmten Sinn des Wortes, wiewohl auch die- ser Fall zu den seltneren gehören wird L. 27 § 2 ad mun. (50. 1). . Er ist na- mentlich anzunehmen unter folgenden, an sich sehr verschie- denen, Voraussetzungen: 1. Wenn ein bisheriger Wohnsitz aufgegeben ist, und ein neuer erst aufgesucht wird, so lange bis dieser gewählt und wirklich begründet sein wird L. 27 § 2 ad mun. (50. 1). — Dahin gehört sehr häufig der Fall eines, den Dienst oder die Arbeit wechselnden Dienstboten, Tagelöhners oder Handwerksge- sellen, wenn nämlich ein solcher Wechsel zugleich mit einer Ver- änderung des Aufenthaltsorts ver- bunden ist (§ 353 Num. 4). . Die- ser Fall ist wenig wichtig wegen der meist beschränk- ten Dauer einer solchen Zwischenzeit. 2. Wenn Jemand eine lange Zeit hindurch das Reisen zu seinem Lebensberuf macht, ohne daneben eine Hei- math als bleibenden Mittelpunkt seiner Geschäfte, in welchen er regelmäßig zurückzukehren pflegt, zu §. 354. Origo u. domicilium. II. Domicilium. (Forts.) behandeln. Auch dieser Fall ist wenig wichtig, weil er nur selten vorkommt. 3. Bei Landstreichern oder Vagabunden, die ohne einen festen Lebenslauf in unbestimmter Weise um- her ziehen, den Unterhalt des Lebens meist in ab- wechselnder und für die öffentliche Wohlfahrt und Sicherheit bedenklicher Weise suchend. Diese Klasse ist zahlreich und wichtig, und gehört unter die großen Uebel unsrer Zeit Es ist auffallend, daß von dieser Klasse in den Quellen des Römischen Rechts eigentlich nicht die Rede ist. Selbst die öfter er- wähnten flüchtigen Sklaven ( er- rones, fugitivi. L. 225 de V. S. (50. 16) können dahin nicht ge- rechnet werden, da diese im juri- stischen Sinn einen festen Wohn- sitz haben, nämlich den ihrer Herren. Der Erklärungsgrund jener auffallenden Erscheinung liegt nun eben in dem Umstand, daß die Personen, welche bei uns als Vagabunden erscheinen (eben so, wie der größte Theil unserer Pro- letarier), bei den Roͤmern in dem Sklavenstand enthalten waren. — Thomasius de vagabundo § 79. 91. 112 nennt vagabundus Jeden, der kein domicilium hat, und unterscheidet ihn von dem verächt- lichen Landstreicher, ganz gegen den herrschenden Sprachgebrauch, der diese beiden Ausdrücke als gleichbedeutend ansieht. Niemand wird den Kaufmann, der seinen Wohnsitz aufgegeben hat, um einen neuen zu suchen, oder den ehrenhaften Reisenden von Pro- fession, einen Vagabunden nennen. . Der oben aufgestellte Begriff des Wohnsitzes (§ 353) bezieht sich auf die Lebensverhältnisse des natürlichen Men- schen, ist also, seiner Natur nach, nicht anwendbar auf ju- ristische Personen S. o. B 2 § 85 fg. . Dennoch kann auch bei diesen das Bedürfniß vorkommen, etwas, dem Wohnsitz der natürlichen Personen Entsprechendes oder Aehnliches, gleichsam einen künstlichen Wohusitz, anzunehmen, vorzüglich wohl um den VIII. 5 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Gerichtsstand darauf zu begründen Vgl. Linde Lehrbuch § 88 Note 14. . In den meisten Fällen nun wird hierüber kein Zweifel seyn wegen des na- türlichen Zusammenhanges, in welchem die juristische Per- son zu dem Grund und Boden steht; so bei Städten und Dörfern, bei Kirchen, Schulen, Krankenhäusern u. s. w. Zweifelhaft kann es sein besonders bei gewerblichen Gesell- schaften, wenn deren Thätigkeit entweder an gar keine Ört- lichkeit gebunden ist, oder auf größere Räume sich erstreckt, wie z. B. die der Gesellschaften für Eisenbahnen, oder Dampfschiffahrt, oder für den Brückenbau über große Ströme, deren beide Ufer oft verschiedenen Gerichten, ver- schiedener Gesetzgebung, ja selbst verschiedenen Staaten, un- terworfen sind. Hier ist es räthlich, gleich bei der Grün- dung einer solchen juristischen Person einen künstlichen Wohnsitz festzustellen Beispiele: Statut der Ber- lin-Sächsischen (Anhaltischen) Ei- senbahn-Gesellschaft § 1: „Berlin ist ihr Domizil und der Sitz ihrer Verwaltung und das Königliche Stadtgericht zu Berlin ihr Ge- richtsstand“. — Statut der Berlin- Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft § 3: „Stettin ist das Domizil der Gesellschaft“ u. s. w. (Gesetzsamml. für die Preußischen Staaten 1839 S. 178, 1840 S. 306). ; wird dieses versäumt, so muß der Richter den Mittelpunkt der Geschäfte künstlich zu er- mitteln suchen. Wenn wir die beiden, von einander unabhängigen, Gründe der Angehörigkeit an eine bestimmte Stadtgemeinde, §. 355. Origo und domicilium. Wirkung. Bürgerrecht und Wohnsitz, zusammenhalten, so ergeben sich aus den für beide hier aufgestellten Grundsätzen (§ 351— 354) folgende mögliche Combinationen. Eine einzelne Person konnte im Bürgerverhältniß ste- hen zu Einer Stadt, zu mehreren Städten, zu keiner Stadt (§ 351). Daneben konnte dieselbe Person im Verhältniß des Wohnsitzes stehen zu Einer Stadt, zu mehreren Städten, zu keiner Stadt (§ 354). Der regelmäßige und häufigste Zustand aber war es gewiß, daß das Bürgerverhältniß einer Person nur für Eine Stadt begründet war, und daß diese Person in der- selben Stadt zugleich auch ihren Wohnsitz hatte. §. 355. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Wirkung dieser Verhältnisse . Nachdem die beiden Gründe der Angehörigkeit an eine bestimmte Stadtgemeinde dargestellt worden sind, ist nun die praktische Seite dieser Lehre, oder die juristische Wir- kung der aus ihnen entspringenden Angehörigkeit, zu un- tersuchen. Man möchte dabei ein gleiches Maaß von Rechten und Pflichten als Wirkung erwarten, und es muß zunächst auf- fallen, daß in unsern Rechtsquellen fast nur von Pflichten, nicht von Rechten, die Rede ist. Diese Erscheinung ist auf folgende Weise zu erklären. — Das Bürgerverhältniß 5* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. (die origo ) führte allerdings Rechte mit sich, die ursprüng- lich großen Werth hatten; besonders das ausschließende Recht der Theilnahme an der Stadtverwaltung durch den Eintritt in die Stadtsenate und in die obrigkeitlichen Aem- ter. Allein die Theilnahme an den Stadtsenaten war in der späteren Kaiserzeit aus einem Ehrenrecht in Druck und Last verwandelt worden Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 §. 8. , von den Obrigkeiten der Städte aber geben uns unsre Rechtsquellen überhaupt nur sehr dürftige Nachrichten, welches aus ihrer ausschließenden Bestimmung zum Gebrauch im Reich von Justinian (d. h. im Orient) zu erklären ist a. a. O. § 22. . Dagegen waren die an das Bürgerverhältniß ursprünglich geknüpften Verpflichtungen auch im Laufe der Zeit unverändert geblieben, so daß sie auch in unsern Rechtsquellen in ihrem vollständigen Zu- sammenhang dargestellt werden konnten und mußten. — Was aber den Wohnsitz, als den zweiten Grund der An- gehörigkeit betrifft, so war bei demselben überhaupt nicht von eigentlichen Rechten die Rede, da er selbst aus reiner Willkür des Einzelnen begründet werden konnte (§ 353), wozu ja der Erwerb eigentlicher Rechte wenig gepaßt ha- ben würde. Auch werden in der That als praktische Fol- gen des Wohnsitzes, da wo man etwa die Angabe bestimm- ter Rechte erwarten möchte, vielmehr bloße thatsächliche Vortheile und Genüsse aufgezählt L. 27 § 1 ad mun. (50. 1) „Si quis … in illo (munici- pio) vendit, emit, contrahit, . §. 355. Origo und domicilium. Wirkung. Es bleiben also nur noch die Verpflichtungen aus der Angehörigkeit zur näheren Betrachtung übrig. Diese sind schon oben in einer allgemeinen Uebersicht dahin angedeutet worden: Städtische Lasten, Gerichtsstand, das örtliche Recht (§ 350), und diese drei Stücke sollen nunmehr theils ge- nauer entwickelt, theils in unsern Rechtsquellen nachgewie- sen werden. I. Städtische Lasten ( Munera ). Unter dem Ausdruck munera werden im Allgemeinen Lasten jeder Art verstanden; hier aber kommen nur diejeni- gen Lasten in Betracht, die aus dem öffentlichen Recht ent- springen, also nur publica, nicht privata L. 239 § 3 de V. S. (50. 16), L. 18 § 28 de mun. (50. 4). — Wenn also anderwärts die munera eingetheilt werden in publica und privata ( L. 14 § 1 de mun. ), so ist das nicht eine Eintheilung der städtischen Lasten (die stets publica sind), sondern der Lasten überhaupt, die ja auch aus privatrechtlichen Ver- hältnissen herrühren können. , und zwar insbesondere aus der persönlichen Angehörigkeit an eine Stadtgemeinde, weshalb sie auch civilia munera genannt werden L. 18 §. 28 de mun. (50. 4). . Damit ist jedoch nicht gesagt, daß diese La- sten gerade für städtische Zwecke und Vortheile getragen werden mußten; vielmehr war ein großer Theil der ört- lichen Staatsverwaltung den Städten aufgebürdet worden, und manche der drückendsten Bürgerlasten dienten nur zu in eo foro, balneo, spectaculis utitur, ibi festos dies celebrat, omnibus denique municipii commodis .. fruitur, ibi magis habere domicilium“ … Vgl. über diese Stelle oben § 353 d. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zwecken des Staates, nicht der Städte selbst, von deren Angehörigen sie getragen wurden Vgl. z. B. L. 18 § 3. 4. 8. 16 de mun. (50. 4). . Die Römischen Juristen unterscheiden munus und honor dadurch, daß jenes nicht, so wie dieses, mit einer persön- lichen Würde ( dignitas ) verbunden war L. 14 pr. § 1 L. 6 § 3 de mun. (50. 4). — Der Ausdruck honor wurde aber nicht blos auf die Obrigkeiten, sondern auch auf die Decurionen angewendet. L. 5 de vac. (50. 5). . Es würde jedoch irrig sein, dieser Unterscheidung den Sinn beizulegen, als ob der honor blos als Ehre und Recht, ohne Zwang und Verpflichtung, betrachtet worden wäre. Für den honor galt dieselbe Verpflichtung der Uebernahme, wie für das munus L. 3 § 2. 3. 15. 17 de mun. (50. 4). , beide wurden gleichmäßig als städtische Lasten betrachtet, und jene Unterscheidung betraf also blos den Namen. Sie unterscheiden ferner Lasten der Person und des Vermögens (munera personalia und patrimonii), je nach- dem dabei allein oder doch überwiegend die Mühe und Ar- beit in Betracht kam, oder vielmehr die auf dem Vermögen ruhende Ausgabe oder Gefahr L. 1 § 1. 2. 3. 4 de mun. (50. 4), L. 6 § 3. 4. 5 eod., L. 18 pr. § 1—17 eod. — Unter die persönlichen Lasten gehörte die Ver- waltung des Richtergeschäfts, so wie die der Bormundschaft. L. 1 §. 4, L. 18 § 14 eod., L 8 § 4, L. 13 pr. § 2. 3 de vac. (50. 5). . Diese Unterscheidung war jedoch schwankend und von unbestimmter Gränze Daher nahmen Manche noch eine Mittelklasse an, mixta munera. L. 18 pr. § 18—27 de mun. (50. 4). , auch ohne Erheblichkeit, da beiderlei Lasten gleichmäßig die §. 355. Origo und domicilium. Wirkung. Angehörigen jeder Stadt, und nur diese, betrafen. Dage- gen ist es wichtig, davon streng zu unterscheiden diejenigen Lasten, die blos auf dem Grundbesitz hafteten (wie die Grundsteuern), ganz ohne Rücksicht darauf, ob der Besitzer persönlich der Stadt angehörte (durch origo oder domicilium), oder nicht L. 6 § 5 de mun. (50. 4), L. 14 § 2, L. 18 § 21—25, L. 29. 30 eod., L. 10 pr. de vac. (50. 5), L. 11 eod. — Etwas abweichend ist der Sprachgebrauch einer Stelle, worin diese reine Grundlasten patrimonii munera genannt werden. L. un. C. de mulier. (10. 62). . Die hier dargestellte Verpflichtung zur Uebernahme städtischer Lasten betraf in der Regel alle Angehörige einer Stadt, ohne Unterschied, ob sie in dieses Verhältniß durch Bürgerrecht oder durch Wohnsitz eingetreten waren L. 22 § 2, L. 29 ad mun. (50. 1), L. 6 § 5, L. 18 § 22 de mun. (50. 4), L. 1 C. de municip. (10. 38), L. 4. 6 C. de incolis (10. 39). — Die schwan- kende Erklärung mancher Stellen über das domicilium von Bauer- höfen im Stadtgebiet (§ 353 d. ), mag daher rühren, daß vielleicht für manche Arten der Lasten ein verschiedener Vertheilungsmaaßstab, etwa nach örtlichen Gränzen, an- genommen wurde. . Wer also in mehreren Städten zugleich das Bürgerrecht, vielleicht auch in mehreren den Wohnsitz hatte (§ 351, 354), war in jeder dieser Städte zur vollständigen Theilnahme an diesen Lasten verpflichtet, und konnte dadurch in ein sehr nachtheiliges Verhältniß kommen. Obgleich aber diese allgemeine und gleichmäßige Ver- pflichtung aller Angehörigen die Regel bildete, so gab es doch daneben ausnahmsweise vielfache Befreiungen aus sehr verschiedenen Gründen, und unter verschiedenen Benen- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. nungen ( vacatio, excusatio, immunitas ); theils immerwäh- rende, theils vorübergehende Dig. L. 5 und L. 6, Cod . X. 44—64. Die genauere Unter- suchung dieser Befreiungen kann hier auf sich beruhen, da sie für unsren gegenwärtigen Zweck gleich- gültig ist. . II. Gerichtsstand ( forum originis, domicilii ). Dabei liegt zum Grunde die allgemeine Regel, daß jeder Rechtsstreit zu führen ist im Gerichtsstand des Beklagten, nicht des Klägers Vat. fragm. 325. 326, L. 2. C. de jurisd. (3. 13), L. 3 C. ubi in rem. (3. 19), L. 3. 4 C. ubi causa status (3. 22). . Fragt man nun, wo der Beklagte seinen regelmäßigen Gerichtsstand hat, so bestimmt diesen das Römische Recht dahin: In jeder Stadt, gegen deren Obrigkeit er zum Gehorsam verpflichtet ist, weil er dieser Stadt angehört. Angehörig einer Stadt aber wird der Einzelne sowohl durch Bürgerrecht, als durch Wohnsitz; und dadurch verwandelt sich nunmehr jene Bestimmung in die praktische Regel: Jeder muß sich als Beklagter belangen lassen in jeder Stadt, worin ihm das Bürgerrecht zusteht; außerdem aber auch in jeder Stadt, worin er den Wohn- sitz hat. So wird diese Regel geradezu ausgesprochen, und zugleich auf ihren eben angegebenen höheren Grund zurück geführt in folgender Stelle des Gajus L. 29 ad mun. (50. 1). : Incola et his magistratibus parere debet, apud quos incola est, et illis, apud quos civis erit; nec tan- tum municipali jurisdictioni in utroque municipio §. 355. Origo und domicilium. Wirkung. subjectus est, verum etiam omnibus publicis mu- neribus fungi debet. In dieser wichtigen Stelle wird zugleich anerkannt, daß hierin durchaus dasselbe Verhältniß eintrete für den Ge- richtsstand, wie für die städtischen Lasten. Hieraus folgt also, daß auch der Gerichtsstand für dieselbe Person so- gar in mehr als zwei Städten zugleich begründet sein konnte, wenn etwa diese Person in mehreren Städten das Bürger- recht, und zugleich in mehreren anderen Städten den Wohn- sitz, gehabt haben sollte. Dann mußte es in der freien Wahl des Klägers stehen, in welcher dieser mehreren Städte er einen Rechtsstreit anhängig machen wollte, und der Be- klagte war in jeder dazu gewählten Stadt zur Einlassung verpflichtet. Bei diesem unzweideutigen Ausspruch sowohl der Regel selbst, als ihres höheren Grundes, und ihres Zusammen- hanges mit den städtischen Lasten, muß es auffallen, daß anderwärts von dem auf das bloße Bürgerrecht (verschieden von dem Wohnsitz) gegründeten Gerichtsstand ( forum ori- ginis ) so wenig die Rede ist. In vielen Stellen, worin der persönliche Gerichtsstand nur für einzelne Fälle und nur beiläufig erwähnt wird, ist lediglich von dem forum domicilii, nicht von dem forum originis, die Rede L. 19 § 4 de jud. (5. 1), L. 29 § 4 de inoff. test. (5. 2), L. 1. 2 de reb. auct. jud (42. 5), Vat. fragm. 326, L. 2 C. de jurisd. (3. 10), L. 1 C. ubi res her. (3. 20), L. 4 C. ubi causa status (3. 22). — Dagegen wird in mehreren Stellen das Wahlrecht . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Dennoch darf uns diese Erscheinung an der Richtigkeit der Regel selbst nicht zweifelhaft machen; sie ist vielmehr aus folgenden Gründen zu erklären. Erstlich fand jene Regel ihre vollständige Anwendung nur in Italien, nicht in den Provinzen, in welchen Stadobrigkeiten mit Gerichtsbarkeit gar nicht vorkamen Erst spät erhielten hier die Defensoren eine Art von Gerichts- barkeit, die lange Zeit sehr be- schränkt blieb, und erst von Ju- stinian zu etwas mehr Bedeutung erhoben wurde. Savigny Ge- schichte des R. R. im Mittelalter B. 2 § 23. ; daher konnte hier das Stadtbür- gerrecht keinen Gerichtsstand begründen, anstatt daß der abstracte Begriff des Wohnsitzes auf das Gebiet einer Pro- vinz, also auf die Gerichtsbarkeit des Kaiserlichen Statt- halters derselben, eben so anwendbar war, wie auf das Gebiet einer einzelnen Stadt. Mehrere der angeführten Stellen aber sprechen ausdrücklich nur von den Provin- zen So z. B., unter den in der Note q. angeführten Stellen: L. 19 § 4 de jud. (5. 1), L. 29 § 4 de inoff. (5. 2), Vat. fragm. 326. , und andere derselben mögen auch davon gesprochen haben, ohne daß es an ihrer gegenwärtigen Gestalt sichtbar ist. — Zweitens war vielleicht stets für den, welcher in zwei verschiedenen Städten das Bürgerrecht und den Wohn- sitz hatte, die Anwendung des forum originis auf den Fall beschränkt, wenn er sich zufällig in der Stadt aufhielt, wo- rin ihm das Bürgerrecht zustand So war es mit dem forum originis in der Stadt Rom (§ 352. k. ), und es ist vielleicht nur zufällig, daß von einer gleichartigen Vor- . Selbst aber wenn des Klägers zwischen dem forum domicilii und dem forum con- tractus erwähnt. L. 19 § 4 de jud. (5. 1), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5). §. 355. Origo und domicilium. Wirkung. eine solche beschränkende Rechtsregel nicht vorhanden war, mußte doch meist der Kläger seines eigenen Vortheils we- gen das forum domicilii vorziehen, weil der Beklagte am Ort seines Wohnsitzes leichter und bequemer zu errei- chen war. Zum Schluß aber muß nun noch bemerkt werden, daß die hier aufgestellten Regeln, so wie sie größtentheils durch die in den Digesten niedergelegten Zeugnisse der alten Ju- risten begründet worden sind, auch nur von der Zeit an sichere und allgemeine Geltung in Anspruch nehmen können, in welcher die befestigte und ausgebildete Kaiserregierung einen hohen Grad der Gleichförmigkeit in die einzelnen Theile des Reichs gebracht hatte. Damit ist es also sehr wohl vereinbar, daß manche Provinz in früherer Zeit, bald nach ihrer Unterwerfung unter das Römische Reich, eigen- thümliche Vorrechte in der Gerichtsverfassung genoß, wo- von in unseren Rechtsquellen keine Spur mehr zu fin- den ist Dieses gilt namentlich von Sicilien. Cicero in Verrem act. 2 lib. 2 C. 13. 24. 25. 37. . schrift für andere Städte keine Er- wähnung gefunden wird. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. §. 356. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Wirkung dieser Verhältnisse. (Fortsetzung.) III. Das eigenthümliche Recht einer Stadt als Eigenschaft der ihr angehörenden Personen ( lex originis, domicilii ). Es sind oben, in allgemeiner Uebersicht, drei Wirkungen der Angehörigkeit einer Person an eine Stadtgemeinde ange- geben worden (§ 350): Städtische Lasten, Gerichtsstand, endlich das Recht dieser Stadt als Eigenschaft der Person. Die zwei ersten Wirkungen sind bereits im Einzelnen dargestellt (§ 355), und es bleibt nunmehr die dritte zu untersuchen übrig, die allein unserer gegenwärtigen Auf- gabe angehört, und um deren Willen die ganze bisher ge- führte Erörterung unternommen wurde, indem nur auf diesem Wege die Unterordnung der Person unter das ört- liche Recht einer bestimmten Stadt in ihrem wahren Zu- sammenhang erkannt werden kann. Diese Untersuchung knüpft sich an die oben aufgestellten Sätze, nach welchen jede Person einem bestimmten Rechts- gebiet angehört (§ 345), dieses Rechtsgebiet aber vorzugs- weise als ein örtliches oder territoriales Gebiet anzusehen ist (§ 350), und zwar nach Römischer Verfassung insbe- sondere als ein Stadtgebiet (§ 351). Da nun jede einzelne Person überhaupt einem Stadtgebiet auf zweierlei Weise angehören konnte, durch Bürgerrecht oder durch Wohnsitz (§ 351), so konnte auf diesen beiden Wegen auch die Unter- §. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) ordnung der Person unter das territoriale Recht einer Stadt begründet werden. Es wird also hier ein innerer Zusammenhang behauptet zwischen den drei verschiedenen Wirkungen der Angehörig- keit an eine Stadtgemeinde, und dieser Zusammenhang ist besonders zu bemerken zwischen den zwei letzten Wirkungen (dem Gerichtsstand und dem territorialen Recht), da beide nur als verschiedene Seiten des gesammten örtlichen Rechts- zustandes anzusehen sind. Die Anerkennung aber dieses inneren Zusammenhanges ist für unsere ganze Aufgabe von Wichtigkeit, und reicht selbst über die eigenthümliche Rö- mische Verfassung hinaus, so daß auch bei der Feststellung des heutigen Rechtszustandes davon Gebrauch zu machen seyn wird. Die Richtigkeit der hier aufgestellten Behauptung, so wie die bestimmtere Ausführung derselben, will ich nun- mehr in den Quellen des Römischen Rechts nachzuweisen versuchen. Allerdings sind die Aussprüche der Römischen Juristen über diese Frage sehr spärlich, um so mehr, als wir bei einem kritischen Verfahren genöthigt sind, gar manche scheinbare Aeußerungen über dieselbe als nicht da- hin gehörend zurück zu weisen. Auch dürften jene wenige Aussprüche kaum hinreichen, die Ansicht der Römer voll- ständig zu erkennen. 1. Der älteste hierher gehörende Fall bezieht sich auf die Collision eines positiven Römischen Gesetzes mit dem Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Recht anderer souveräner (jedoch mit den Römern verbün- deter) Staaten (§ 348) Livius XXXV. 7. . Im Jahre der Stadt 561 ( L. Cornelio Merula, Q. Mi- nucio Thermo Coss. ) fand sich in Rom eine große Noth der durch Wucher bedrückten Schuldner. Zwar bestanden schützende Wuchergesetze, allein diese wurden dadurch um- gangen, daß die Wucherer ihre Forderungen zum Schein auf den Namen von Einwohnern benachbarter Staaten ( Socii und Latini ) schreiben ließen. Denn da diese durch das positive Wuchergesetz nicht gebunden waren, so hatten gegen sie die Schuldner keinen Schutz Welches Wuchergesetz, nach dem angegebenen Jahre, hier ge- meint ist, läßt sich bei der sehr unsicheren Geschichte dieser Gesetze nicht bestimmen. Es kann seyn das über unciarium foenus, aber auch das über semunciarium. Für unsern gegenwärtigen Zweck ist diese Frage gleichgültig. . Zur Entkräftung dieses unredlichen Verfahrens wurde ein besonderes Gesetz erlassen mit der Vorschrift, daß die Römischen Gesetze über das Gelddarlehen (die Wuchergesetze) auch für die Socii und Latini als Glaubiger Römischer Bürger bindend seyn sollten Livius l. c. „plebesque scivit, ut cum sociis ac nomine Latino pecuniae creditae jus idem, quod cum civibus Ro- manis esset“. . 2. Eine ähnliche Natur hat die in einem Senatsschluß aus der Zeit des Hadrian anerkannte Rechtsregel, daß das Kind aus einer secundum leges moresque peregrinorum geschlossenen Ehe selbst dann als Peregrine geboren werden (also seinem Vater angehören) solle, wenn zur Zeit der §. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) Geburt blos die Mutter (und nicht zugleich der Vater) die Civität erlangt hatte. Es wurde also hier der für das Römische Recht geltende Grundsatz, daß der status der legitime concepti nach der Zeit der Erzeugung beurtheilt werden sollte, mit völliger Reciprocität auch auf die Bürger fremder Staaten angewendet Gajus I. §. 92, verglichen mit § 89. . Die folgenden Fälle beziehen sich auf die Collision der für Italien gegebenen positiven Gesetze mit dem Recht der Provinzen, also auf eine Collision von Rechten innerhalb der Gränzen des Römischen Staates. 3. Die Verpflichtung eines fidepromissor ging in der Regel nicht so, wie die eines fidejussor, auf die Erben über; ausnahmsweise aber trat dennoch dieser Uebergang ein, wenn der fidepromissor ein Peregrine war, und zwar einer solchen Provinzialstadt angehörte, deren positives Recht hierin von dem Römischen abwich Gajus III. § 120 „Prae- terea sponsoris et fidepromis- soris heres non tenetur, nisi si de peregrino fidepromissore quaeramus, et alio jure civitas ejus utatur“ . Es könnte auf- fallen, daß in der Aufstellung der Regel außer dem fidepromissor auch der sponsor genannt wird, der nachher in der Ausnahme nicht wieder erwähnt ist. Dieser Um- stand erklärt sich daraus, daß Pe- regrinen überhaupt nicht sponsores sein konnten. Gajus III. § 93. . 4. Eine Lex Furia hatte verordnet, daß die Ver- pflichtung der sponsores und fidepromissores durch den Ablauf von zwei Jahren getilgt sein solle, so wie daß mehrere neben einander eintretende Bürgen solcher Art nur theilweise haften sollten, nicht für die ganze Schuld. Dieses Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Gesetz aber war nur für Italien gültig, nicht für die Pro- vinzen Gajus III. § 121. 122. , das heißt, es galt nur für die Bürger der Städte in Italien, nicht für die Bürger der Provinzialstädte, auch wenn diese die Römische Civität hatten Die sponsores, die als Provinzialen in den § 121. 122 vorausgesetzt werden, mußten noth- wendig die Römische Civität haben, s. o. Note e. — Rudorff sucht der Lex Furia eine engere Be- schränkung anzuweisen (Zeitschrift XIV. S. 441), nach welcher der Fall derselben nicht mehr in diesen Zusammenhang gehören würde. Die genauere Untersuchung würde hier zu weit abführen. . 5. Es gab eine Klasse der Freigelassenen, die durch die Freilassung weder cives noch latini, sondern nur pere- grini, und zwar mit ganz besonderen Zurücksetzungen, wur- den ( dedititiorum numero ). Von diesen nun wird gesagt, sie könnten keine Testamente machen, und zwar weder als Römische Bürger, weil sie nicht unter diese gehörten, noch als Peregrinen, weil sie nicht irgend einer bestimmten Stadt als Bürger angehörten, um nach deren Stadtrecht testiren zu können Ulpian . XX § 14 „La- tinus Junianus, item is qui dedititiorum numero est, testa- mentum facere non potest … qui dedititiorum numero est, quoniam nec quasi civis Ro- manus testari potest, cum sit peregrinus, nec quasi peregri- nus, quoniam nullius certae civitatis civis est, ut adversus leges civitatis suae testetur“ . Anstatt des offenbar richtigen civis est, liest die Handschrift sciens, welches Manche gezwungen und unbefriedigend zu vertheidigen ge- sucht haben. — Adversus heißt hier nicht: entgegen, im Wider- spruch mit, sondern: in Beziehung auf, in Gemäßheit dieser Gesetze. Ganz wie in L. 5 de usurp. (41. 3). Andere wollen emendiren: secun- dum. S. o. Lachmann Zeit- schrift IX. S. 203. . — Dabei liegt augenscheinlich folgende Vor- aussetzung zum Grunde. Wäre dieser Peregrine der Bürger §. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) einer solchen Provinzialstadt, welche das Recht der Testa- mente anerkennt, und dafür gewisse Regeln vorschreibt, so könnte er mit Beobachtung dieser Regeln ein gültiges Testa- ment machen, und zwar sowohl in Rom, als in seiner Va- terstadt. Nun aber kann er es nicht, weil er überhaupt keiner Stadt als Bürger angehört (§ 351. n ). 6. Endlich kann hier noch die bekannte Thatsache er- wähnt werden, daß das eigenthümliche Eherecht der Latini- schen Städte unterging, als diese Städte das Römische Bürgerrecht erhielten Gellius Lib. 4 C. 4. . Es würde sehr gewagt sein, aus diesen wenigen, ver- einzelten Aussprüchen erschöpfende Regeln über die Be- handlung der Collision verschiedener Territorialrechte ablei- ten zu wollen. Doch lassen sich darin folgende leitende Gesichtspunkte nicht verkennen. A. In einem Vertragsverhältniß zwischen zwei Bür- gern verschiedener Staaten kann keiner Partei das rein positive Gesetz des ihr fremden Staates ent- gegengesetzt werden; sie sind vielmehr nach dem jus gentium zu beurtheilen Vergl. oben § 348. c. . Doch kann davon in einzelnen Fällen, aus politischen Gründen, das Gegentheil vorgeschrieben werden (Nr. 1). B. Das Bürgerrecht einer bestimmten Stadt bestimmt in der Regel für jeden Einzelnen dasjenige posi- tive Recht, dem er persönlich untergeordnet ist, nach VIII. 6 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. welchem also er beurtheilt werden muß (Nr. 3. 4. und 5). Außerdem kommen noch zweierlei andere Aeußerungen der Römischen Juristen vor, die leicht als Regeln über die Beobachtung des örtlichen Rechts angesehen werden können, in der That aber nicht als solche zu betrachten sind, so daß noch besonders gegen die Anwendung derselben auf die hier vorliegende Untersuchung gewarnt werden muß. Erstlich gehören dahin einige vereinzelte Stellen, welche bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsgeschäften auf örtliche Gewohnheiten verweisen, die man aber fälschlich von örtlichen Rechtsregeln verstehen würde. — So soll bei der Auslegung eines unbestimmten Vertrags als die wahrscheinliche Absicht der Parteien unter Anderen Das angenommen werden, welches in dieser Gegend vor- zugsweise üblich ist L. 34 de R. J. (50. 17). „.. id sequamur, quod in re- gione in qua actum est fre- quentatur“ . . Dieses ist nun offenbar nicht eine Rechtsregel dieser Gegend, sondern vielmehr das, woran man dort thatsächlich gewöhnt ist, welches man häufig zu thun pflegt. Eine einzelne wichtige Anwen- dung dieser allgemeinen Auslegungsregel findet sich bei den Cautionen, die der Verkäufer werthvoller Sachen zu leisten hat; auch diese sollen sich nach der Sitte der Gegend rich- §. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) ten, d. h. nach den Cautionen, die dort am häufigsten frei- willig geleistet zu werden pflegen L. 6 de evict. (21. 2). — Aus demselben Grunde war eine solche Caution, die duplae stipu- latio, bei wichtigen Sachen sogar allgemein in die Verpflichtungen des Verkäufers übergegangen. L. 31 § 20 de aed. ed. (21. 1), L. 2, L. 37 pr. § 1 de evict. (21. 2). Andere Anwendungen derselben Auslegungsregel (bei Testamenten) finden sich in L. 21 § 1 qui test. (28. 1), L. 50 § 3 de leg. 1. (30 un.), L. 18 § 3 de instructo (33. 7). — Daß jedoch von den hier abgewiesenen Stellen auch in unserer Lehre ein indirecter Ge- brauch zu machen ist, wird unten gezeigt werden (§ 372). . — Ferner soll die Höhe der Verzugszinsen nach dem Zinsfuß bestimmt wer- den, der in dieser Gegend gerade jetzt üblich ist L. 1 pr. de usuris. (22. 1), „.. usurarum modus ex more regionis, ubi contractum est, constituitur“. . Ganz eben so die Höhe der Zinsen, die ein Geschäftsführer von seinem ausgelegten baaren Gelde berechnen darf L. 37 de usuris (22. 1) „.. debere dici usuras venire, eas autem, quae in regione fre- quentantur, ut est in b. f. judi- ciis constitutum“ (das sind eben die in der vorhergehenden Stelle erwähnten Verzugszinsen). Vergl. auch L. 10 § 3 mand. (17. 1), L. 7 § 10 de admin. (26. 7). . In beiden Stellen ist gar nicht von einer örtlichen Rechtsregel die Rede, wodurch der Zinsfuß dort bestimmt gewesen wäre, sondern von dem Zinsfuß, wie er augenblicklich an dem dortigen Geldmarkte vorgefunden wurde. Der Grund die- ser Bestimmung aber lag darin, daß jene Zinsen dem Glau- biger eine wahre Entschädigung für die entbehrte Geld- nutzung gewähren sollten, welche Entschädigung nur nach den Zinsen abgemessen werden konnte, die der Glaubiger aus dem wirklichen Geldbesitz anderwärts hätte gewinnen können. 6* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zweitens aber sind noch viel wichtiger die Stellen, welche von den drei Klassen der freien Einwohner des Rö- mischen Reichs ( cives, Latini, peregrini ) reden, und die man gleichfalls versucht sein könnte, mit der Unterordnung der Einzelnen unter ein bestimmtes positives Recht in Ver- bindung zu bringen. Man könnte nämlich einen solchen Gedanken etwa dahin ausbilden wollen, daß auf die erste Klasse (die cives ) das jus civile, auf die zwei niederen Klassen das jus gentium angewendet worden wäre. Allein dieser ganze Gedanke muß völlig zurück gewiesen werden. Jene Klassification war höchst wichtig für die Rechtsfä- higkeit der Einzelnen, indem der civis das connubium und commercium, der Latinus das commercium ohne connu- bium, der peregrinus keine dieser beiden Fähigkeiten hatte S. o. B. 2 § 64. 66. — Zu dieser Lehre von der Rechts- fähigkeit, und nicht zu dem System der auf den Einzelnen anwend- baren Territorialrechte (wovon hier allein die Rede ist), gehört auch der Satz, daß die Stipulation in der Formel: spondes? spondeo nur von Römischen Bürgern, nicht von Peregrinen, gebraucht werden konnte. Gajus III. § 93. . Dagegen hat jene Klassification durchaus keine Verbindung mit der hier vorliegenden Aufgabe, nämlich mit dem System der auf jeden Einzelnen anwendbaren positiven Rechtsre- geln. Einige Beispiele werden Dieses außer Zweifel setzen. Auf die cives wurden die Regeln des jus gentium nicht minder, als die des jus civile angewendet. Der Latinus Junianus konnte allerdings, obgleich er als Latinus die testamentifactio hatte, kein Testament machen, weil ihm §. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) Dieses besonders verboten war Ulpian . XX. § 14. — Daß ihm das Recht der testamen- tifactio nicht fehlte (also nur jenes ganz positive Verbot im Wege stand), sagt ausdrücklich Ulpian ebendas. § 8. Auch be- ruhte ja das Testament auf der Mancipationsform, und daher war die testamentifactio gleichbe- deutend mit dem commercium oder der Mancipationsfähigkeit, welche den Latinen jeder Art zustand. Ulpian . XIX. § 4. 5. . Sein Sohn aber war ein freigeborner Latinus, der durch dieses Verbot nicht ge- bunden war, und wenn dieser ein Testament machte, wozu ihn sein Stand als Latinus berechtigte (Note q ), so wurde er nach den Regeln der hereditas, also nach dem strengsten jus civile, beerbt, welches also auf ihn anwendbar sein mußte. Noch weniger aber, als die hier angeführten Stellen, können für unsre Untersuchung solche Aussprüche des Rö- mischen Rechts benutzt werden, welche nur ganz im Allge- meinen die Berücksichtigung eines örtlichen Gewohnheits- rechts erwähnen, ohne dabei den Gegensatz verschiedener örtlicher Rechte (also den Fall einer Collision) voraus zu setzen oder anzudeuten Dahin gehören etwa fol- gende Stellen: L. 1 § 15 de in- spic. ventre (25. 4), L. 19 C. de locato (4. 65). — Eben dahin gehört die Erwähnung der chiro- grapha und syngraphae, als eines genus obligationis pro- prium peregrinorum. Gajus III. § 134. — Von den besonderen Aus- sprüchen über die Regel: locus regit actum vgl. unten § 382. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. §. 357. Die Römische Lehre von origo und domicilium. Wirkung dieser Verhältnisse. (Fortsetzung.) Aus der bis hierher geführten Untersuchung ergab es sich, daß die Angehörigkeit einer einzelnen Person an eine bestimmte Stadtgemeinde drei Wirkungen hatte, indem die angehörige Person unterworfen war: 1. den städtischen Lasten, 2. dem Gerichtsstand dieser Stadt, 3. dem eigen- thümlichen positiven Rechte derselben. Diese drei Wirkun- gen standen in einem inneren Zusammenhang, und konnten daher als gleichartig betrachtet werden. Es ist aber nun noch eine wichtige Verschiedenheit unter diesen Wirkungen hervor zu heben. Wenn eine Person mehreren Städten angehörig war, sei es durch Bürgerrecht oder durch Wohnsitz, so war sie in jeder dieser Städte den Bürgerlasten und dem Gerichts- stand unterworfen, so daß dann eine wahre Concurrenz un- ter den Ansprüchen jener Städte an dieselbe Person ent- stand. Eine solche Concurrenz war bei der Unterordnung der Person unter das positive Recht verschiedener Städte unmöglich, weil sie einen inneren Widerspruch mit sich ge- führt hätte. Dieselbe Person konnte vor verschiedenen Obrigkeiten verklagt werden, je nach der Wahl des Klägers, sie konnte aber nicht nach verschiedenen, vielleicht ganz wi- dersprechenden, Rechtsregeln beurtheilt werden. Es war also nur die Unterordnung unter Ein örtliches Recht mög- §. 357. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) lich, und es mußte für diesen Zweck unter den verschiedenen, in anderer Hinsicht concurrirenden Städten eine entscheidende Wahl getroffen werden. Ich halte es nun für unzweifelhaft, daß das örtliche Recht, dem jede Person unterworfen seyn sollte, wenn diese Person in zwei verschiedenen Städten das Bürgerrecht und den Wohnsitz hatte, durch das Bürgerrecht bestimmt wurde, nicht durch den Wohnsitz. Für diese Annahme sprechen folgende Gründe. Erstlich war das Bürgerrecht das engere, an sich höher stehende Band, verglichen mit dem von Willkür und Laune abhängenden Wohnsitz. Zweitens war es das frühere Band, da es durch die Geburt geknüpft wurde, der anderwärts vorhandene Wohnsitz erst später durch eine freie Handlung entstanden sein konnte; es fehlt aber an jedem Grunde, weshalb das für die Person ein- mal begründete territoriale Recht hätte umgewandelt werden sollen. Drittens deuten darauf auch mehrere der eben an- geführten Aeußerungen der Römischen Juristen, indem diese sagen: si … alio jure civitas ejus utatur (§ 356 e), und quoniam nullius certae civitatis civis est (§ 356 h), welche Ausdrücke offenbar auf das Bürgerrecht hindeuten als Bestimmungsgrund für das auf die Person anwendbare örtliche Recht, nicht auf den Wohnsitz. Nimmt man die hier aufgestellte Regel als richtig an, so bleiben dann noch folgende Fälle, die dadurch nicht be- stimmt werden, zu entscheiden übrig. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Erstlich konnte Jemand das Bürgerrecht an mehreren Orten zugleich haben: an dem einen durch die Geburt, an einem andern durch Adoption oder durch Aufnahme (§ 351). In einem solchen Falle wurde ohne Zweifel das frühere Bürgerrecht, also das durch Geburt entstandene (die origo ), als vorherrschend behandelt, weil kein Grund vor- handen war, eine Umwandlung des persönlichen Rechtszu- standes anzunehmen. — Das Bürgerrecht der Stadt Rom, welches jeder municeps neben seinem besonderen Stadtbür- gerrecht hatte (§ 352), kam bei der Bestimmung des per- sönlichen Rechts gewiß nicht in Betracht, vielmehr konnte in dieser Hinsicht nur das Recht der engeren Heimath be- rücksichtigt werden. Zweitens konnte Jemand ganz ohne städtisches Bür- gerrecht sein (§ 351), während er einen Wohnsitz hatte. In diesem Fall mußte der Wohnsitz als Bestimmungsgrund für das auf ihn anwendbare persönliche Recht gelten. Zuletzt bleiben noch die Fälle zu erwägen übrig, wenn Je- mand in keiner Stadt das Bürgerrecht (§ 351), und zu- gleich entweder in mehreren Städten, oder auch in keiner Stadt einen Wohnsitz hatte (§ 354). Wie die Römer solche, bei ihnen gewiß seltene, Fälle beurtheilt haben mögen, läßt sich aus unsern Rechtsquellen nicht durch unmittelbare Zeugnisse nachweisen. Wir werden auf dieselben zurück- kommen bei der Untersuchung des heutigen Rechts (§ 359). Auch für diese, das örtliche Recht betreffende, Regeln, muß die Bemerkung wiederholt werden, welche oben für die §. 357. Origo und domicilium. Wirkung. (Forts.) Gerichtsverfassung gemacht worden ist, daß die Allgemein- heit dieser Regeln zwar für das Zeitalter der alten Juristen behauptet werden darf, in der früheren Zeit aber, durch die eigenthümliche Verfassung mancher Provinzen, nur mit Aus- nahmen anzunehmen ist Dieses gilt namentlich von Sicilien nach den oben aus Cicero angeführten Stellen (§ 355. u. ), worin die Gerichte und die Gesetze neben einander genannt werden als Vorrechte der Sicilianer. Cap. 13 „ domi certet suis legi- bus. “ Cap. 24 „postulant, ut se ad leges suas rejiciat.“ Cap. 37 „ut cives inter se legibus suis agerent.“ . §. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht . Es ist nicht schwer zu zeigen, daß die hier dargestellte Römische Lehre von origo und domicilium in unserem heutigen Rechtszustand, namentlich in dem für Deutschland geltenden gemeinen Recht, nicht mehr Anwendung findet, und daß davon höchstens vereinzelte Bestandtheile übrig ge- blieben sind. Denn die Grundlage und Voraussetzung jener Lehre bestand in den Stadtgebieten, die wie ein Netz über den ganzen Boden des Römischen Reichs verbreitet waren, und, damit zusammenhängend, in den Stadtgemeinden, die für die einzelnen Einwohner das Verhältniß zum Staate vermittelten, so daß alle Einzelne, mit wenigen Ausnahmen, als Stadtbürger, mannichfaltigen und dauernden persön- lichen Verpflichtungen unterworfen waren (§ 351). Gerade diese Grundlage nun der Römischen Verfassung Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats- gebietes, findet sich in den neueren Zeiten nicht mehr. Namentlich in Deutschland haben zwar seit vielen Jahr- hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfassung, sowohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet; jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen meist wichtigeren Bestandtheilen stehendes Stück, so daß hier an ein Aufgehen des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden niemals zu denken war. Wie mit Deutschland, so verhielt es sich in dieser Hinsicht auch mit anderen Staaten neuerer Zeit; und höchstens in Italien finden sich theilweise noch Zustände, die, wenn auch unvollständig, nicht nur an den Zustand des Römischen Kaiserreichs erinnern, sondern auch in der That als Ueberreste desselben zu betrachten sind. Ist nun die Grundlage jener Römischen Lehre von origo und domicilium verschwunden, so können auch die darauf beruhenden Rechtsverhältnisse ( munera, forum, Stadtrecht als Recht der Person) nicht mehr in Römischer Weise be- hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend ist Dieses für die origo, das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu- setzende Stadtbürgerrecht, anstatt daß bei der abstracteren Natur des domicilium sich noch eher eine gewisse Art von Fortdauer annehmen ließe. Auch haben von jeher die neueren Schriftsteller als unzweifelhaft anerkannt, daß in dieser Lehre unser Rechts- zustand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten sie §. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht. deswegen nicht anerkennen, weil keiner unter ihnen den wahren und vollständigen Zusammenhang jener Römischen Rechtsinstitute übersah. Allein bei einer einzelnen Anwen- dung, dem Gerichtsstande, wurden sie auf diesen Gegen- stand aufmerksam, und hier eben erkannten sie einstimmig an, daß das Römische forum originis, in seiner ursprüng- lich vorherrschenden Bedeutung, für uns ganz verschwunden sey, und daß höchstens noch etwas ihm Aehnliches, aber untergeordnet, und als bloße Aushülfe für seltenere Fälle, für unser heutiges Recht übrig bleibe Lauterbach de domicilio § 13. 14. 50. Schilter ex. 13 § 24. Stryk V. 1 § 17. 18. Glück B. 6 S. 261. . — Wollte etwa Jemand bezweifeln, ob wirklich in dieser Lehre eine durch- greifende Veränderung vorgegangen wäre, so müßte er schon durch den Umstand überzeugt werden können, daß selbst die Begriffe und Kunstausdrücke der Römer bei den Neueren ganz verwirrt und verdunkelt erscheinen. Denn dieser Umstand erklärt sich nicht daraus, daß etwa die Quellen des Römischen Rechts in dieser Lehre besonders undeutlich oder lückenhaft wären, (welches in der That nicht der Fall ist), sondern lediglich daraus, daß der In- halt jener Rechtsquellen so wenig zu unsern Zuständen passen wollte. Man könnte nun etwa versuchen, die eingetretene Veränderung so aufzufassen, als wäre aus dem Römischen Recht blos die eine Hälfte (die origo ) verschwunden, die andere Hälfte (das domicilium ) unverändert übrig geblieben. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Allein auch diese Auffassung kann nur mit großer Be- schränkung als richtig anerkannt werden. Die praktische Bedeutung nämlich des Römischen domi- cilium bezog sich immer wieder auf die Stadtgemeinde und deren Gebiet, indem der Wohnsitz, eben so wie das Bür- gerrecht, jeden Einzelnen zum Angehörigen einer Stadt- gemeinde machen konnte (§ 351. 353). Diese aus- schließende praktische Bedeutung ist nicht mehr vorhanden, oder sie hat vielmehr eine andere Gestalt angenommen. Dagegen ist die Art, wie der Wohnsitz entsteht und wieder anfgehoben wird (§ 353. 354), bei uns ganz die- selbe wie im Römischen Recht, und in sofern sind bei uns die Bestimmungen des Römischen Rechts völlig anwendbar. Die Gränze des anwendbaren und nicht anwendbaren Theils jener ganzen Lehre wird nun noch anschaulicher werden durch die Betrachtung der drei einzelnen Wirkungen, die das Römische Recht an den Wohnsitz, eben so wie an das Stadtbürgerrecht, knüpft (§. 355. 356). 1. Städtische Lasten ( munera ). Diese können hier völlig unbeachtet bleiben, da sie sich ganz auf eigenthümlich Römische Verhältnisse bezogen. 2. Gerichtsstand ( forum domicilii ). Diese Wirkung des Wohnsitzes ist nicht nur im heuti- gen Rechte übrig geblieben, sondern sie erscheint hier noch wichtiger, als bei den Römern. Denn bei die- sen bestand ganz gewöhnlich das forum originis neben §. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht. dem forum domicilii, so daß zwischen beiden der Klä- ger die Wahl hatte (§ 355); bei uns ist die origo im Römischen Sinne verschwunden, und so ist nunmehr das forum domicilii der einzige ordentliche, regelmäßige Gerichtsstand jedes Menschen. Dieser Gerichtsstand aber, wie der Wohnsitz selbst, auf welchem er beruht, hat jetzt eine andere Bedeutung, als im Römischen Recht. Er bezieht sich nicht mehr, wie dort, allgemein und nothwendig auf die richterliche Obrigkeit eines Stadtgebietes , zu welchem der Wohn- sitz gehört, sondern eines Gerichtssprengels , der sehr verschiedenartige Entstehungsgründe und Gränzen haben, und allerdings unter anderen und zufällig auch mit den Gränzen eines Stadtgebietes zusammen fallen kann. 3. Das besondere territoriale Recht, welchem jeder Einzelne, als seinem persönlichen Recht, untergeordnet ist. Damit verhält es sich ähnlich, wie es so eben von dem Gerichts- stand bemerkt worden ist. Diese Wirkung des Wohnsitzes ist nicht nur übrig geblieben, sondern auch ausschließender anwendbar und darum wichtiger geworden, als bei ihnen. Zugleich aber hat sie bei uns, eben so wie der Gerichts- stand, eine veränderte Bedeutung angenommen. Dieser Gegenstand aber ist für die Aufgabe der gegen- wärtigen Untersuchung wichtiger, als alles Uebrige, ja er allein war die Veranlassung, auch die übrigen hier abge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. handelten Fragen mit in den Kreis dieser Untersuchung zu ziehen. Daher ist derselbe nunmehr einer abgesonderten, selbstständigen Betrachtung zu unterwerfen (§ 359). Neben der hier dargestellten großen und allgemein aner- kannten Verschiedenheit, die bei dem Uebergang aus den Römischen Zuständen in die heutigen eingetreten ist, muß es als eine Merkwürdigkeit erwähnt werden, daß sich in einem kleinen Europäischen Lande ein ähnlicher Rechtszu- stand ausgebildet hat, wie der oben dargestellte Römische: eine origo, verschieden von dem domicilium, aber mit ent- schiedenem Uebergewicht über dieses; ein Rechtszustand, der nicht Ueberrest des Römischen, und eben so wenig Nach- ahmung desselben ist, so wie er auch darin eigenthümlich erscheint, daß er nicht ausschließend auf einem Stadtbür- gerrecht, sondern auf dem Heimathsrecht oder Bürgerrecht in irgend einer Gemeinde (sey sie städtisch oder ländlich) beruht. Dieser Zustand findet sich in den meisten Kantonen der deutschen Schweiz, wo das Heimathsrecht in einer be- stimmten Gemeinde, welches zugleich Bedingung für den Erwerb des Kantonsbürgerrechts ist, vorzugsweise vor dem vielleicht anderswo gewählten Wohnsitz, entscheidend ist für viele der wichtigsten Rechtsverhältnisse: namentlich für die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, für die Ehe, väterliche Gewalt, Vormundschaft, so wie für das Recht der Testamente und die Intestaterbfolge. Für mehrere §. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht. dieser Rechtsverhältnisse wird nicht blos das anwendbare örtliche Recht, sondern auch der Gerichtsstand durch die origo (das Gemeindebürgerrecht) bestimmt, vorzugsweise vor dem Wohnsitz; namentlich gilt Dieses für die Klagen auf Ehescheidung, und für die aus dem Erbrecht. Alle diese Bestimmungen gründen sich theils auf altes Her- kommen, theils auf die zwischen vielen Kantonen geschlossenen Konkordate Offizielle Sammlung der das Schweizerische Staatsrecht be- treffenden Aktenstücke B. 2 Zürich 1822. 4 S. 34. 36. 39. — Ich verdanke diesen, das Schweizerrecht betreffenden, Zusatz der freundlichen Mittheilung von Keller . . §. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortsetzung.) Nach dem heutigen Recht ist der Wohnsitz als regel- mäßiger Bestimmungsgrund anzusehen für das besondere territoriale Recht, welchem jeder Einzelne, als seinem per- sönlichen Rechte, untergeordnet ist (§. 358), und dieser Satz hat auch von jeher sehr allgemeine Anerkennung gefun- den Vgl. die im § 358 Note a. angeführten Schriftsteller, und Eichhorn deutsches Recht § 34. — Für die Uebereinstimmung aus- ländischer Rechtslehrer sind folgende Zeugnisse zu bemerken: Projet de code civil Paris 1801. 8. p. LV. LVI. — Rocco Lib. 2 C. 8, wo gleichfalls der bloße Wohnsitz als Grundlage des örtlichen Rechts für den Einzelnen anerkannt wird, völlig verschieden von der (poli- tischen) Naturalisation, von welcher Lib. 1 C. 10 handelt. — Story Chap. 3. und 4. . Es tritt also nunmehr als Regel derjenige Zu- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. stand ein, welcher im Römischen Rechte ausnahmsweise an- erkannt werden mußte für solche Personen, die zufällig zu keiner Stadt ein eigentliches Bürgerverhältniß hatten, also ohne origo waren (§ 357). Man könnte diese Regel des heutigen Rechts, um ihr Verhältniß sowohl zum Römischen Recht, als zu der schon erwähnten verwandten Regel für den Gerichtsstand, anschaulich zu machen, etwa so aus- drücken. 1. Bei den Römern bestand neben dem forum domicilii das forum originis, beide mit völlig gleicher Be- rechtigung, also concurrirend. Bei uns ist das forum originis im Römischen Sinne verschwunden, das forum domicilii allein übrig. 2. Bei den Römern galt, als ter- ritoriales persönliches Recht der Einzelnen, die lex originis, und nur ausnahmsweise die lex domicilii, für diejenigen Personen, die zufällig keine origo hatten. Bei uns ist die lex domicilii der einzige regelmäßige Bestimmungsgrund für das territoriale persönliche Recht der Einzelnen Es ist schon oben (§ 356) aufmerksam gemacht worden auf den Zusammenhang zwischen forum (originis, domicilii) und lex (originis, domicilii) Dieser Zu- sammenhang zeigt sich nicht blos im R. R., sondern auch in manchen rein praktischen Folgen des heutigen Rechts; so unter andern in der Regel, nach welcher die vom ge- wöhnlichen örtlichen Gerichtsstand eximirten Personen auch nicht den örtlichen Statuten unterworfen sind. Eichhorn deutsches Recht § 34. — Es darf jedoch keine unbedingte, ausschließende Behauptung dieses Zusammenhangs geltend gemacht werden, welches schon wegen der nicht seltenen Concurrenz verschie- dener Arten des Gerichtsstandes (z. B. domicilii mit rei sitae ) bedenklich seyn würde. . Obgleich nun diese ungemein wichtige Regel, die für die ganze folgende Untersuchung die Grundlage abgeben wird, Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Forts.) als Regel sehr allgemein anerkannt wird, so ist es doch nach zwei Seiten hin nöthig, sie näher zu bestimmen. Erstlich hat im heutigen Recht der Wohnsitz auch in Ansehung des territorialen Rechts eine andere Bedeutung und andere Gränzen, als im Römischen Recht, ganz so wie es bereits in Ansehung des Gerichtsstandes bemerkt worden ist (§ 358). Bei den Römern war die lex originis, wie die lex domicilii, stets das örtliche Recht eines bestimmten Stadtgebietes (§ 356). Bei uns dagegen hat die Einheit eines territorialen Rechtes, eben so wie der Gerichtsstand, sehr verschiedenartige Entstehungsgründe und Gränzen Von dieser verschiedenar- tigen Natur und Begränzung terri- torialer Rechte ist schon oben im § 347 die Rede gewesen. , und das territoriale Recht kann nur unter andern und zu- fälligerweise mit den Gränzen eines Stadtgebiets zusammen fallen, also ein Stadtrecht sein. Wollen wir also für dieses Verhältniß den Vortheil einer allgemein passenden Bezeich- nung gewinnen, so müssen wir dafür einen besonderen Kunst- ausdruck erst bilden, und es würde sich dazu etwa der Aus- druck Gesetzsprengel eignen, welcher durch seine Aehn- lichkeit mit dem allgemein üblichen Ausdruck: Gerichtsspren- gel leicht verständlich sein wird. Nur muß dabei bedacht werden, daß der Ausdruck: Gesetz (eben so wie lex domi- cilii ) in einem weiteren Sinn zu nehmen ist, für jede Re- gel des positiven Rechts, ohne Unterschied, ob diese Regel durch ein eigentliches Gesetz, oder etwa durch Gewohnheits- recht, entstanden sein mag. VIII. 7 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zweitens könnte man versucht sein, der hier aufgestell- ten Regel von der lex domicilii einen uneingeschränkten Einfluß einzuräumen nur bei der Collision zwischen den Particularrechten eines und desselben Staates (§ 347), nicht so bei der Collision zwischen den Gesetzen souveräner Staaten (§ 348); man könnte annehmen, daß für diese Collision nicht sowohl der Wohnsitz, als vielmehr der Staatsverband, das Unterthanenverhältniß, maaßgebend sein müsse. — In mehreren großen Staaten nämlich sind ge- naue Bestimmungen erlassen worden über den Erwerb und Verlust des Staatsbürgerrechts, und man könnte daher glauben, in diesen Staaten sei die Anwendung des territo- rialen Rechts auf die Einzelnen forthin bedingt durch das Staatsbürgerrecht, nicht mehr durch den Wohnsitz, worin also eine modificirte Rückkehr zu dem Römischen Begriff der origo (verschieden von domicilium ) gefunden werden könnte. Diese Annahme ist nicht ohne Schein im Französischen Recht, welches genaue Bestimmungen enthält über die Ent- stehung und Aufhebung der Eigenschaft eines Français Code civil art. 9 — 13. 17 — 21. Von dem Français ist verschieden der citoyen, welcher Ausdruck die politischen Rechte be- zeichnet, art. 7. — Auch Foelix p. 36 ‒ 39 spricht zwar zuerst von der nationalité als Grundlage des anzuwendenden örtlichen Rechts, nimmt aber dann diesen Ausdruck gleichbedeutend mit domicile, will also nicht etwa in Widerspruch treten mit der unter den Schrift- stellern des gemeinen Rechts herr- schenden Ansicht. . Daran knüpft sich dann die Bestimmung, daß der persön- liche Zustand des Français (l’état et la capacité), auch wenn §. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Forts.) er im Ausland wohne, nach Französischem Recht beurtheilt werden solle Code civ. art. 3, s. u. § 363 am Ende des §. ; ferner daß jeder Français alle droits ci- vils genieße Code civ. art. 8. . Diesem letzten Satz könnte man die aus- schließende Bedeutung beilegen, daß der Ausländer die droits civils in Frankreich nicht genieße, worin dann eine Herstellung des Römischen Unterschieds der cives und pere- grini in der Lehre von der Rechtsfähigkeit gefunden werden möchte. Allein, abgesehen davon, daß die Franzö- sischen Juristen von den droits civils sehr verworrene und irrige Begriffe haben S. o., B. 2 S. 154 fg. , werden daneben den Ausländern so ziemlich dieselben Rechte, wie den Français, eingeräumt Code civ. art. 11, wo der Grundsatz der Reciprocität aufge- gestellt ist, welcher jetzt fast über- all auf völlig gleiche Rechtsfähig- keit zwischen Inländern und Aus- ländern führen wird. . Daraus geht hervor, daß die praktische Bedeutung des Be- griffs Français weit geringer ist, als sie auf den ersten Blick scheint, und daß sie sich hauptsächlich in der Lehre von der Handlungsfähigkeit äußert, an welcher Stelle wir auf diesen Gegenstand zurückkommen werden. In Preußen ist neuerlich ein Gesetz erlassen worden über die Entstehung und Aufhebung der Eigenschaft eines Preußen oder Preußischen Unterthans Gesetz vom 31. Dec. 1842 (G. S. 1843 S. 15). , und man könnte auch bei diesem Gesetz versucht sein, darnach die Anwend- barkeit des Preußischen Rechts auf die Einzelnen, unabhän- 7* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gig von dem Wohnsitz, abzumessen Daß die Eigenschaft des Preußen durch den Wohnsitz allein weder begründet noch aufgehoben werde, sagt ausdrücklich das an- geführte Gesetz § 13. 23. . In der That aber ist dazu noch weniger Schein, als im Französischen Recht, jenes Gesetz betrifft blos die Verhältnisse des öffentlichen Rechts, und nach den allgemeinen Preußischen Gesetzen ist es unzweifelhaft, daß das persönliche Recht der Einzelnen durch den Wohnsitz zu bestimmen ist, ohne Unterschied der Inländer und Ausländer Allg Landrecht Einleitung § 23. 24. 34. — Eine Bestätigung dieser Annahme liegt auch in den zahlreichen Staatsverträgen mit deutschen Nachbarstaaten, in welchen für die beiderseitigen Unterthanen der Wohnsitz schlechthin als Grundlage des ordentlichen per- sönlichen Gerichtsstandes anerkannt wird, ohne Erwähnung eines da- von möglicherweise verschiedenen Unterthanenverbandes. Ich ver- weise nur beispielsweise auf die Verträge mit Weimar 1824 Art. 8 und Sachsen 1839 Art. 8 (G. S. 1824 S. 150. 1839 S. 354). . Auch für das Englische, und das darauf gegründete Amerikanische Recht könnte man annehmen, daß der Be- griff des Staatsverbandes, an sich verschieden von dem des Wohnsitzes, als Grundbegriff angenommen sein möchte. Allein Story , welcher ganz von den Begriffen des Engli- schen Rechts ausgeht, erkennt dennoch den Begriff des Wohnsitzes als Grundlage an, und zwar ganz in dem Sinn, in welchem derselbe von den Schriftstellern über das Römi- sche Recht angewendet wird ( Chap. 3 und 4). Es muß also in der That der Wohnsitz als allgemei- ner Bestimmungsgrund anerkannt werden, und so haben ihn auch die oben angeführten Schriftsteller (§ 358. a ) als §. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Forts.) den wahren Grund des Unterthanenverhältnisses (in Bezie- hung auf das Privatrecht) anerkannt. Der hier aufgestellte Grundsatz, daß der Wohnsitz als Bestimmungsgrund gelten soll sowohl für den Gerichtsstand (forum domicilii), als für das örtliche Recht der Person (lex domicilii), ist für zwei mögliche Fälle nicht ausreichend, und bedarf also für diese Fälle einer Ergänzung. Es kann nämlich geschehen, daß die Person, deren Gerichtsstand oder deren örtliches Recht wir zu bestimmen haben, entweder einen mehrfachen Wohnsitz hat, oder überhaupt keinen Wohnsitz (§ 354). Im ersten Fall entsteht für den Gerichtsstand keine Schwierigkeit. Dieser ist an jedem der verschiedenen Orte des Wohnsitzes völlig begründet, und der Kläger hat unter ihnen die Wahl, ganz so wie nach dem Römischen Recht (§ 355). Für das örtliche Recht der Person ist eine gleichartige Bestimmung nicht möglich, vielmehr muß hier unter den mehreren Orten des gleichzeitigen Wohnsitzes einer als aus- schließender Bestimmungsgrund für das örtliche Recht ge- wählt werden. Ich habe kein Bedenken, dafür denjenigen Ort vorzugsweise anzuerkennen, an welchem zuerst der Wohnsitz errichtet war; und zwar deswegen, weil es an einem hinreichenden Grunde fehlt, in dem örtlichen Recht, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. das die Person durch Errichtung des ersten Wohnsitzes ein- mal begründet hat, eine Aenderung anzunehmen Aus demselben Grunde ist schon oben eine gleichartige Ent- scheidung getroffen worden, wenn nach Römischem Recht dieselbe Person an mehreren Orten das Bürgerrecht hatte (§ 357). — Mit der hier aufgestellten Behauptung stimmt überein Meier de con- flietu legum p. 16. . Der zweite Fall endlich, wofür der aufgestellte Grund- satz nicht ausreicht, also einer Ergänzung bedarf, ist der, wenn die Person, für welche wir den Gerichtsstand oder das örtliche Recht aufzusuchen haben, gegenwärtig gar keinen Wohnsitz hat. Dieser Fall kann zunächst in der Gestalt auftreten, daß dieselbe Person einen wahren Wohnsitz früher erweislich gehabt, dann aber aufgegeben hat, ohne einen neuen zu wählen. Dann haben wir diesen früheren Wohnsitz als Bestimmungsgrund anzusehen, und zwar wieder, wie es schon bei anderer Gelegenheit geltend gemacht worden ist (Note m ), weil es an einem hinreichenden Grunde zur Annahme einer Aenderung fehlt. — Und von demselben Standpunkt aus ist dann auch der letzte noch übrig blei- bende Fall zu entscheiden, der Fall, in welchem jene Person auch in keiner früheren Zeit irgend einen Wohnsitz errich- tet hat. Denn in einem solchen Fall müssen wir auf einen Zeitpunkt zurück gehen, in welchem sie, ohne eigene Wahl, einen Wohnsitz hatte. Dieses ist der Zeitpunkt der Geburt, in welchem der Wohnsitz des ehelichen Kindes mit dem §. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Forts.) Wohnsitz zusammen fällt, den zu dieser Zeit der Vater hat S. o. § 353. t. (mit der daselbst hinzugefügten näheren Be- stimmung). — Mit dieser Ent- scheidung stimmt überein Voetius V. 1 § 92 (am Ende des §), der auch den richtigen Grund angiebt. — Meier de conflictu legum p. 14 will auf den Geburtsort sehen, der aber als solcher ganz gleichgültig ist. Thatsächlich wer- den freilich beide Orte meist zu- sammen treffen. . Dieses nun ist die origo im Sinne unsers neueren Rechts, und so ist auch die Sache, bei Gelegenheit des forum originis, von besonnenen Rechtslehrern stets auf- gefaßt worden Auch die Preußische Ge- setzgebung faßt die Sache richtig in diesem Sinne auf. Zwar ist in dem A. L. R. Einl. § 25 der Ausdruck: „Ort der Herkunft“ un- bestimmt, und könnte von dem bloßen Geburtsort verstanden wer- den. Allein die Allg. Ger. Ordn. I. 2 § 17. 18 erklärt die Herkunft und das forum originis ganz ausdrücklich von dem Gerichts- stand der Eltern . , obgleich dabei oft die Verwechslung mit dem bloßen Geburtsort (§ 350. a ), oft auch eine unklare Vor- stellung von dem Verhältniß dieses Begriffs zu dem Römischen Begriff von origo, der richtigen Einsicht hinderlich gewesen ist. Um in dieser letzten Beziehung jeder künftigen Ver- wechslung sicherer vorzubeugen, will ich den Unterschied, wie er aus der ganzen bisher geführten Untersuchung her- vorgeht, hier kurz zusammenstellen. Die Römer nennen origo das durch die Geburt eines Menschen erworbene Stadt- bürgerrecht desselben. Wir nennen origo die Fiction des Wohnsitzes eines Menschen an dem Ort, an welchem zur Zeit der Geburt desselben der Wohnsitz des Vaters ge- wesen ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Dieser Begriff der origo oder der Herkunft im Sinne des heutigen Rechts ist nun gleichmäßig anzuwenden auf den Gerichtsstand, als forum originis, und auf das örtliche Recht der Person, als lex originis. Mit dieser Behauptung setzen wir uns auch gar nicht etwa in Widerspruch mit den Bestimmungen des Römischen Rechts, dessen Entscheidung über den hier vorliegenden Fall ich oben einstweilen dahin gestellt gelassen habe (§ 357). Vielmehr glaube ich, daß die Römer diesen Fall ganz eben so entschieden haben würden, wenn ihnen ein solcher Fall vorgekommen wäre. Dafür spricht nicht nur der oben für das heutige Recht geltend gemachte innere Grund, den sie eben so gut, als wir, anerkennen konnten, sondern auch ein auf demselben Grunde beruhender bestimmter Ausspruch über einen nahe liegenden, völlig verwandten Fall. Der Freigelassene konnte seinen Wohnsitz frei wählen, unabhän- gig von dem Wohnsitz seines Patrons (§ 353. v ). Dennoch wird daneben gesagt, der Wohnsitz eines Freigelassenen werde bestimmt durch den Wohnsitz des Patrons; eben so sogar der Wohnsitz der Kinder des Freigelassenen, und selbst der von ihm wiederum freigelassenen Sklaven S. o. § 353. u. — Die entscheidenden Stellen sind: L. 6 § 3, L. 22 pr. ad mun. (50. 1), und es ist für das richtige Ver- ständniß dieser Stellen besonders zu vergleichen: Zeitschrift für ge- schichtliche Rechtswiss. B. 9 S. 98. . Der scheinbare Widerspruch dieser Aussprüche ist unbedenk- lich auf folgende Weise zu lösen. Im Augenblick der Frei- §. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Forts.) lassung hat der bisherige Sklave keinen anderen Wohnsitz, als den seines Patrons, zu dessen Hausstand er bis dahin gehört hat. Er behält diesen Wohnsitz so lange, bis durch seinen freien Willen eine Veränderung hierin vorgenommen wird, das heißt, so lange, als nicht eine solche Veränderung nachgewiesen werden kann. Derselbe Wohnsitz muß also bis dahin auch fortwährend angenommen werden für die von ihm abhängigen Personen (Kinder und Freigelassene), so lange bis auch diese wieder eine Veränderung hierin vornehmen durch Errichtung eines eigenen Wohnsitzes. — Diese Aussprüche der Römischen Juristen beruhen augen- scheinlich auf demselben Grunde, welcher oben für die origo des heutigen Rechts geltend gemacht worden ist, und sie lassen kaum einen Zweifel übrig, daß die Römer auch für den Sohn eines Freigebornen, wenn er keinen eigenen Wohn- sitz errichtet hatte, denjenigen Wohnsitz angenommen haben würden, den der Vater zur Zeit der Geburt dieses Sohnes hatte. Es ist hierbei noch besonders hervor zu heben ein selt- samer, bei neueren Schriftstellern ganz gewöhnlicher, Kunst- ausdruck: domicilium originis Schilter ex. 13 § 24. Lautebbach de domicilio § 13. — Thomasius de vagabundo § 44. bis 68 kritisirt diesen Kunst- ausdruck, verwickelt sich aber dabei in unerträgliche, völlig unfrucht- bare Subtilitäten. . Unter Voraussetzung des Römischen Sprachgebrauchs ist diese Zusammensetzung widersinnig, da diese Ausdrücke zwei verschiedene, unabhän- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gige Gründe der Angehörigkeit bezeichneten. Im Sinn der neueren Juristen soll es heißen: der Wohnsitz eines Menschen, der nicht durch eigene freie Wahl, sondern durch seine Abstammung begründet wird, also gewissermaßen auf einer Fiction beruht. Man kann nun allerdings in der Kasuistik noch etwas weiter fortschreiten, und die Frage aufwerfen, welches Recht anwendbar sei auf einen Menschen, bei dem weder ein selbstgewählter Wohnsitz, noch ein Wohnsitz des Vaters er- mittelt werden kann. Diese Frage kann unter andern vor- kommen, wenn dieser Mensch stirbt, und dessen Intestaterb- folge bestimmt werden soll. Dann wird kaum etwas An- deres übrig bleiben, als den augenblicklichen Aufenthalt für den Wohnsitz anzunehmen, also (wenn von der Erbfolge die Rede ist) den Ort, an welchem er gestorben ist. — Bei Findelkindern mag als Wohnsitz gelten der Ort, wo sie gefunden werden, mit Vorbehalt einer Aenderung, wenn sie an einem anderen Orte zum Zweck der Erziehung einen bleibenden Aufenthalt bekommen, sei es in einer öffentlichen Anstalt, oder bei Privatpersonen Linde Lehrbuch § 89. . §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen . Wir sind jetzt an einem Punkt unsrer Untersuchung an- gelangt, der einen größeren Abschnitt bildet, und an welchem ein Rückblick auf den zurückgelegten Theil räthlich erscheint. Der Gang der Untersuchung war bisher folgender. Es wurde ein Rechtsgrund aufgesucht, aus welchem die Unter- ordnung der einzelnen Person unter ein bestimmtes örlliches Recht, also die Angehörigkeit der Person an ein bestimmtes Rechtsgebiet, abgeleitet werden könne (§ 345). Als ein solcher Rechtsgrund wurde im Römischen Recht anerkannt das städtische Bürgerrecht ( origo ), in dessen Ermangelung aber der Wohnsitz in einem bestimmten Stadtgebiet (§ 350. bis 357). Im heutigen Recht trat an die Stelle dieses Rechtsgrundes der Wohnsitz in einem bestimmten Gesetz- sprengel (§ 358. 359). Es wurde aber zugleich anerkannt, daß diese Bestimmung nur die Grundlage bilden könne für die Lösung unsrer Auf- gabe, und nicht als eine solche Lösung selbst angesehen werden dürfe. Denn zu dieser Lösung genügt nicht die Betrachtung der Person in ihrem abstracten Daseyn (so wie in der oben erwähnten Bestimmung), sondern es muß vielmehr die Person unter einem ganz anderen Gesichts- punkt betrachtet werden, nämlich als eintretend in einen weiten Kreis erworbener Rechte, und als Träger dieser Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Rechte, womit zugleich die Möglichkeit des Eintritts in die verschiedensten Rechtsgebiete gegeben ist (§ 345). Anstatt also, daß bisher der Gegenstand unserer Unter- suchung die Person war, für welche ein Band aufgesucht wurde, durch das sie an eine bestimmte Oertlichkeit, als an ein einzelnes Rechtsgebiet, angeknüpft wäre, so wendet sich jetzt die Untersuchung auf einen anderen Gegenstand, auf die Rechtsverhältnisse , für welche wir nunmehr eine ähnliche Verknüpfung mit einer bestimmten Oertlichkeit, mit einem einzelnen Rechtsgebiet, festzustellen haben. Um aber beide Theile der Untersuchung auch im Ausdruck einander näher zu bringen, können wir sagen, daß in der Folge für jede Klasse der Rechtsverhältnisse ein bestimmter Sitz auf- gesucht werden soll. Diesen Gedanken verfolgend, will ich hier die Formel wiederholen, die schon oben in anderem Zusammenhang vor- läufig aufgestellt worden ist (§ 348), und nach welcher die gesammte Aufgabe dahin geht, daß bei jedem Rechtsverhältniß dasje- nige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist , (worin dasselbe seinen Sitz hat). Diese Formel ist im Wesentlichen gleich anwendbar auf die Collision von örtlichen Rechten desselben Staates und verschiedener Staaten. §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. Nur durch die vollständige Lösung dieser Aufgabe wird eine sichere und erschöpfende Anwendung der aufzustellenden Grundsätze auf das wirkliche Leben möglich, und von diesem Standpunkte aus können wir die bisher geführte Unter- suchung als den theoretischen Theil der ganzen Lehre, die nunmehr folgende als den praktischen Theil derselben be- zeichnen. In dieser Untersuchung werden einige allgemeine Ge- sichtspunkte öfter erwähnt werden müssen. Eine vorläufige Zusammenstellung derselben am gegenwärtigen Orte wird die später davon zu machende Anwendung wesentlich er- leichtern und fördern. 1. Schon oben ist auf den inneren Zusammenhang auf- merksam gemacht worden, welcher zwischen dem Gerichts- stand und dem anzuwendenden örtlichen Recht schon bei den Römern bestand, und auch im heutigen Recht nicht verschwunden ist (§ 356. 359). Dieser Zusammenhang beruhte bei der Person auf dem Gehorsam, den dieselbe, wie der Obrigkeit, so dem örtlichen Recht, zu leisten hatte, also auf einer gleichartigen Unterwerfung der Person unter beide über ihr stehende Gewalten. Eine ähnliche Verwandt- schaft, bestehend in gleichartiger Unterwerfung, müssen wir nunmehr auch für die Rechtsverhältnisse geltend machen. Nur darf dieser innere Zusammenhang nicht bis zu völliger Identität ausgedehnt werden. Eine solche Annahme wird Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. schon durch den Umstand ausgeschlossen, daß in vielen Fällen ein mehrfacher Gerichtsstand anwendbar ist, anstatt daß das anwendbare örtliche Recht stets nur ein einfaches seyn kann. 2. Das für jedes Rechtsverhältniß anwendbare örtliche Recht steht unter einem sehr ausgedehnten Einfluß des freien Willens der betheiligten Personen, also der frei- willigen Unterwerfung unter ein bestimmtes Rechtsgebiet, obgleich dieser Einfluß nicht als ein unbegränzter gedacht werden darf. Dieselbe freiwillige Unterwerfung ist auch wirksam bei dem für die einzelnen Rechtsverhältnisse gelten- den Gerichtsstand. Die freie Unterwerfung unter ein örtliches Recht erscheint in verschiedenen Arten und Graden. Zuweilen darin, daß der Inhalt eines bestimmten örtlichen Rechts als maaßgebend frei gewählt wird, anstatt daß auch wohl ein anderer In- halt hätte vorgezogen werden können; so insbesondere bei den obligatorischen Verträgen, bei welchen das frei gewählte örtliche Recht gleichsam als Bestandtheil des Vertrages selbst anzusehen ist. In anderen Fällen erscheint jene freie Unterwerfung in dem Erwerbe eines Rechtes an sich, so z. B. bei dem Erwerbe eines Grundeigenthums in einem fremden Rechtsgebiet, wobei der Erwerber zwar freie Macht hat, den Erwerb zu unterlassen, wenn er ihn aber beschließt, den Inhalt des örtlichen Rechts über den Grundbesitz noth- wendig anerkennen muß. §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen Bei dieser Anwendung eines örtlichen Rechts in Folge freier Unterwerfung sind stets zwei Fragen zu beachten: Unter welchen Bedingungen ist dieselbe anzunehmen, da es meist an einer ausdrücklichen Erklärung darüber fehlen wird? In welchen Fällen ist sie zulässig, oder aber durch entgegen- stehende absolute Gesetze ausgeschlossen? Der große Einfluß dieser freiwilligen Unterwerfung auf das anzuwendende örtliche Recht hat denn auch stets sehr allgemeine Anerkennung gefunden. Er konnte noch etwa bezweifelt werden im Römischen Recht, nach welchem die persönliche Abhängigkeit von einem bestimmten örtlichen Recht zunächst durch das städtische Bürgerverhältniß be- stimmt wurde (§ 357), in welches Jeder regelmäßig nicht durch seinen freien Willen, sondern durch die Geburt ein- trat (§ 352). Jeder mögliche Zweifel aber verschwindet für das heutige Recht, in welchem die persönliche Abhän- gigkeit von einem bestimmten örtlichen Recht durch den Wohnsitz bestimmt wird. Denn da der Wohnsitz selbst durch völlig freie Wahl eines Jeden bestimmt wird, so kann auch für einzelne Rechtsverhältnisse die regelmäßige Befugniß zur freien Unterwerfung unter ein bestimmtes örtliches Recht keinem Zweifel unterliegen. Die hier erwähnte freiwillige Unterwerfung erscheint theils als eine einseitige (wie bei dem Erwerb des Eigen- thums und anderer dinglicher Rechte), theils als eine in mehreren Personen übereinstimmend vorhandene (wie bei den obligatorischen Verträgen). Diese letzte könnte man geneigt Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. seyn, selbst für einen Vertrag, nämlich einen stillschweigen- den, zu halten. Allein diese Auffassung würde nicht genau richtig seyn. Zu jedem Vertrag wird vorausgesetzt ein positives Wollen mit bestimmtem Bewußtseyn. Ein solches ist bei der hier in Frage stehenden Unterwerfung keineswe- ges immer vorhanden. Vielmehr wird hier nur das dem inneren Bedürfniß Entsprechende als gewollt, in Kraft einer allgemeinen Rechtsregel, vorsorglich angenommen, so lange nicht ein bestimmt widersprechender Wille vorliegt. Von dieser, allerdings etwas subtilen, Unterscheidung zwischen der hier angenommenen Unterwerfung und dem Vertrage, wird unten eine nicht unwichtige Anwendung gemacht werden (§ 379 Num. 3), in welcher die Unterscheidung selbst noch anschaulicher hervortreten wird. Wenngleich nun in der Sache selbst große Ueberein- stimmung herrscht über den großen Einfluß der freiwilligen Unterwerfung unter ein bestimmtes örtliches Recht, so muß ich doch Widerspruch einlegen gegen einen Sprachgebrauch, der hierin neuerlich geltend gemacht worden ist. Die neueren Schriftsteller pflegen nämlich diese sehr allgemeine Einwirkung des freien Willens als Autonomie zu be- zeichnen Wächter II. S. 35. Eichhorn deutsches Recht § 34. 37. Mittermaier deutsches Recht § 30. 31. Foelix p. 134. , da doch dieser Kunstausdruck von früherer Zeit her vielmehr angewendet worden ist als Bezeichnung eines sehr eigenthümlichen Verhältnisses in der Entwickelung des deutschen Rechts, bestehend in der Befugniß des deutschen §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. Adels und mancher Korporationen, ihre eigenen Verhält- nisse durch eine Art innerer Gesetzgebung selbstständig zu ordnen Eichhorn deutsches Recht §. 20. 25. 30, Rechtsgeschichte B. 2 § 346. — Phillips deut- sches Recht B. 1 S. 89 B. 2 S. 73. — Puchta Gewohnheits- recht B. 1 S. 155—160 B. 2 S. 107. . Hier ist der Ausdruck nicht wohl zu entbehren, und er wird in seiner eigenthümlichen Bedeutung nur ge- schwächt durch die überflüssige Anwendung auf die ganz ungleichartigen Verhältnisse unserer Lehre, welche an Klar- heit und Bestimmtheit dadurch gar Nichts gewinnt. Wollte man diese Anwendung etwa dadurch zu rechtfertigen suchen, daß sich auch hier die Parteien einem (schon bestehenden) Rechte unterwerfen, in diesem Sinne also sich selbst ein Gesetz geben, so gilt ja Dasselbe in noch höherem Grade von der freien Wahl des Wohnsitzes, und doch denkt Niemand daran, die Wahl des Wohnsitzes als Ausfluß der Autonomie zu bezeichnen. — Hiernach scheint es gerathen, bei der freien Unterwerfung unter irgend ein örtliches Recht, eben so wie bei der Wahl des Wohnsitzes, und bei den unzähligen anderen freien Handlungen, woraus rechtliche Folgen entspringen, den Namen der Autonomie zu ver- meiden Vgl. auch Puchta Gewohn- heitsrecht B. 1 S. 158, B. 2 S. 107 Es liegt bei dem hier getadelten Sprachgebrauch eine ähnliche Ver- wechselung zum Grunde, wie die, durch welche die Entstehungsgründe der Rechtsverhältnisse mit den Rechtsquellen zusammengestellt wer- den, s. o. B. 1 § 6 Note b. . 3. Wenn wir die Behandlung der hier vorliegenden Fragen im Großen betrachten, wie sie im Laufe mehrerer VIII. 8 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Jahrhunderte bei den Schriftstellern, in der gerichtlichen Praxis, und selbst in der Gesetzgebung verschiedener Na- tionen erscheint, so erscheint uns darin eine unverkennbare Umänderung, und zwar ein Fortschritt, nach einer und der- selben Richtung hin. In früherer Zeit war eine scharfe Absonderung der einzelnen Staaten gegen einander vor- herrschend, an deren Stelle im Laufe der Zeit eine stets wachsende Annäherung getreten ist. Uebereinstimmend damit hat sich auch unter den Schriftstellern der verschiedenen Nationen eine merkliche Verminderung der früheren Mei- nungsverschiedenheiten gezeigt. Von dieser veränderten Richtung geben zwei schon oben (§ 348) bemerkte That- sachen Zeugniß: die stets allgemeiner anerkannte gleiche Rechtsfähigkeit unter Inländern und Ausländern, so wie das zunehmende Einverständniß über manche Sätze eines allgemeinen Gewohnheitsrechts über unsere Fragen. Wird diese bereits angefangene Entwickelung des Rechts nicht durch unvorhergesehene äußere Umstände gestört, so läßt sich erwarten, daß sie zuletzt zu einer völlig übereinstim- menden Behandlung unserer Lehre in allen Staaten führen wird. Eine solche Uebereinstimmung könnte herbeigeführt werden auf dem Wege der Wissenschaft und der durch diese geleiteten Praxis der Gerichte. Sie könnte auch bewirkt werden durch ein unter allen Staaten vereinbartes Gesetz über die Collision der örtlichen Rechte. Ich sage nicht, daß ein solches wahrscheinlich wäre, oder auch nur räthlicher und heilsamer, als die blos wissenschaftliche Vereinbarung. §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. Allein der Gedanke an ein solches Gesetz kann uns als Maaßstab dienen für die Prüfung einer jeden von uns auf- zustellenden Regel über die Collision. Wir haben uns da- bei stets zu fragen, ob eine solche Regel wohl geeignet seyn dürfte, um in jenes allen Nationen gemeinsame Gesetz aufgenommen zu werden. Bei dieser zunehmenden Annäherung ist Ein Haupt- punkt übrig geblieben, an welchen sich fortwährend die strengsten Gegensätze angeschlossen haben. Das ältere ger- manische Recht geht aus von einem scharfen Unterschied zwischen dem Eigenthum an unbeweglichen Sachen auf der einen Seite, und dem beweglichen Eigenthum nebst allem übrigen Vermögen (besonders Obligationen) auf der andern Seite. Hält man diesen Unterschied auch in unserer Lehre fest, so wird man dahin geführt, das unbewegliche Ver- mögen in allen Beziehungen nach dem Recht des Ortes, wo die Sache liegt, zu beurtheilen, also in vielen der wichtigsten Fälle von dem übrigen Vermögen gänzlich zu trennen. Giebt man jenen Unterschied auf, so kommt man dahin, in vielen solchen Fällen das Vermögen aller Art gleich zu behandeln. Dieser sehr wichtige Gegensatz wird zunächst bei den dinglichen Rechten, dann aber besonders in dem Erbrecht und in dem ehelichen Güterrecht, weiter unten genauer dargestellt werden. Seiner allgemeineren Natur wegen erschien jedoch eine vorläufige Erwähnung desselben schon an dieser Stelle räthlich. Nach einer unbefangenen Betrachtung muß man aner- 8* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. kennen, daß die in neuerer Zeit völlig veränderten Verhält- nisse des Vermögens und des Verkehrs dahin führen, jenen strengen Unterschied aufzugeben. Die Gegner dieser Meinung verkennen zwar nicht die große Schwierigkeit der Ausführung, die in heutiger Zeit mit dem Beharren bei jenem Unter- schied verbunden seyn müsse. Sie pflegen aber auf diesen Umstand etwas vornehm herab zu sehen, indem sie be- haupten, eine solche Unbequemlichkeit dürfe uns nicht hindern, an richtigen Grundsätzen fest zu halten. Dieses möchte zugegeben werden, wenn die Rede wäre von einer bloßen Schwierigkeit für die urtheilenden Richter, deren Mühe und Arbeit also durch die ausgleichende Meinung vermindert werden sollte, Allein die Schwierigkeiten, und die aus diesen entspringenden Nachtheile treffen die Be- theiligten selbst, die Parteien, auf welche die Rechtsregeln anzuwenden sind, und wir dürfen niemals vergessen, daß deren wahres und gleichförmiges Interesse zu fördern, der Zweck der Rechtsregeln ist, daß diese Regeln ihnen dienen sollen, nicht umgekehrt. Und betrachten wir doch genauer, worin der Grundsatz bestehen könnte, der durch die Beseitigung jener Schwierig- keit etwa gefährdet würde. — Man könnte gefährdet glau- ben den Vortheil der eigenen Unterthanen, wenn vielleicht in einzelnen Fällen ein Grundeigenthum unsres Landes durch Vererbung nach Rechtsregeln des Auslandes an einen Ausländer fiele, anstatt an einen Einheimischen. Allein theils könnte im einzelnen Fall auch gerade der umgekehrte §. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. Erfolg bei der Anwendung der fremden Rechtsregel eintreten, theils wird jede solche Gefahr, (wenn man diesen Namen gebrauchen will) durch die von uns vorausgesetzte Gegen- seitigkeit völlig beseitigt. — Oder man könnte glauben, die Würde und Selbstständigkeit unsres Staates wäre gefährdet, wenn auf die Vererbung eines einheimischen Grundeigen- thums fremde Rechtsregeln angewendet würden. Allein auch dieser Einwurf widerlegt sich durch die angenommene Gegenseitigkeit, die sich, allgemeiner aufgefaßt, in eine völkerrechtliche Gemeinschaft, als Grundlage und letztes Ziel unsrer ganzen Lehre auflöst (§ 348). Thatsächlich nun hat sich der hier erwähnte Gegensatz der Meinungen so ausgebildet. Die deutschen Schriftsteller haben sich in neuerer Zeit immer mehr dahin geneigt, den oben erwähnten strengen Unterschied zwischen unbeweglichem und anderem Vermögen aufzugeben, und zwar so, daß hierin Romanisten und Germanisten ganz einverstanden sind. Die Englischen Schriftsteller dagegen mit Einschluß der Ame- rikanischen (deren Lehre auf demselben Boden des common law steht) halten jenen Unterschied in großer Strenge fest Nicht ohne Einfluß auf dieses Festhalten in England ist gewiß das Normännische Lehenrecht gewesen, welches daselbst noch jetzt den Verkehr im Grundeigenthum großentheils beherrscht. , und ihnen scheinen sich auch die Französischen Schriftsteller anzuschließen. Mit den Schriftstellern aber geht überall die Praxis der Gerichte, nach einer sehr natür- lichen Wechselwirkung, Hand in Hand. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Fortsetzung.) Unsere nächste Aufgabe geht dahin, für jede Klasse der Rechtsverhältnisse ein bestimmtes Rechtsgebiet dem es an- gehört, also gleichsam einen Sitz des Rechtsverhältnisses, aufzusuchen (§ 360). Die Grundlage dieser Arbeit muß eine zusammenstellende Uebersicht der Rechtsverhältnisse selbst bilden, auf welche jene Untersuchung gerichtet wer- den soll Vgl. oben § 345 und B. 1 § 53—58. — Die Rechtsfähig- keit und Handlungsfähigkeit sind oben dargestellt, B. 2 und 3, das Actionenrecht B. 5. 6. und 7. — Uebrigens versteht es sich von selbst, daß die vorliegende Untersuchung, so wie das ganze Werk, beschränkt ist auf das materielle Privatrecht, so daß davon ausgeschlossen bleibt sowohl das Prozeßrecht, als das Strafrecht, s. o. B. 1 § 1. . Den Mittelpunkt jedes Rechtsverhältnisses bildet die Person, als der Träger derselben, und es muß zuvörderst der Zustand der Person an sich bestimmt werden. Dieses geschieht durch die Feststellung von zweierlei Bedingungen: den Bedingungen, unter welchen die Person Träger von Rechtsverhältnissen seyn kann ( Rechtsfähigkeit ); und den Bedingungen, unter welchen sie durch eigene Freiheit Träger von Rechtsverhältnissen werden kann ( Handlungs- fähigkeit ). Man pflegt diese zweifache Fähigkeit den absoluten Zustand der Person zu nennen. §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) Um diesen Mittelpunkt nun (die Person an sich) bilden sich die erworbenen Rechte in ihren mannichfaltigen Ge- stalten. Sie lassen sich auf zwei Hauptklassen zurückführen, die durch ihre Gegenstände bestimmt werden: Familien- recht und Vermögensrecht . Zum Vermögensrecht gehören zunächst die Rechte an einzelnen Sachen (dingliche Rechte), dann die Rechte an einzelnen Handlungen bestimmter Personen (Obligationen- recht, wovon das Actionenrecht als einzelner Zweig zu be- trachten ist). Diese, das Vermögen bildende, einzelne Rechte erschei- nen als eine künstliche Einheit im Erbrecht , welches das Vermögen in seinem abstracten Begriff, von unbestimmtem Inhalt, zum Gegenstand hat. Die Familie erscheint theils in ihrer ursprünglichen Na- tur, als dauernde Lebensform (reines Familienrecht), theils in dem wichtigen Einfluß, den ihre einzelne Zweige auf das Vermögen ausüben (angewandtes Familienrecht). Sie ist in den drei Gestalten zu betrachten, die im heutigen Römi- schen Recht allein noch übrig sind: Ehe, väterliche Ge- walt, Vormundschaft, da das im Römischen Recht bis zur spätesten Zeit enthaltene Sklavenrecht längst verschwun- den ist. Aus dieser Uebersicht ergiebt sich, als leitend für den ganzen folgenden Theil unserer Untersuchung, folgende Reihe der Rechtsverhältnisse: Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit.) II. Sachenrecht. III. Obligationenrecht. IV. Erbrecht. V. Familienrecht. A. Ehe. B. Väterliche Gewalt. C. Vormundschaft. Für jedes Rechtsverhältniß nun, das einer dieser Klassen angehört, werden wir die Regel festzustellen haben, nach welcher die Collision verschiedener örtlicher Rechte zu ent- scheiden ist. Der formelle Grundsatz zur Lösung dieser Aufgabe ist bereits (§ 360) dahin angegeben worden, daß der Sitz (die Heimath) jedes Rechtsverhältnisses (wohl zu unterscheiden von dem Wohnsitz der Person) ermittelt wer- den müsse; dieses örtliche Recht soll in jedem Fall einer Collision zur Anwendung kommen. Die thatsächlichen Ver- hältnisse, die bei dieser Ermittelung in Betracht kommen können , unter welchen also jedesmal zu wählen sein wird, wo es darauf ankommt, den Sitz der einzelnen Rechts- verhältnisse festzustellen, sind folgende: Der Wohnsitz irgend einer mit dem Rechts- verhältniß in Beziehung stehenden Person. §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) Der Ort, an welchem eine Sache liegt , auf die sich das Rechtsverhältniß bezieht. Der Ort einer juristischen Handlung , welche geschehen ist oder geschehen soll. Der Ort des Gerichts , welches einen Rechts- streit zu entscheiden hat. Nun sind aber zu verschiedenen Zeiten Versuche ge- macht worden, auch einen materiellen Grundsatz für die Entscheidung aller vorkommenden Collisionsfragen aufzu- finden. Ich will hier die wichtigsten Versuche dieser Art zusammen stellen. Die Prüfung eines jeden derselben wird davon abhängen, ob er dem angegebenen formellen Grund- satz entspricht, das heißt, ob aus ihm in der That für jedes einzelne Rechtsverhältniß der wahre Sitz desselben sicher erkannt werden kann. Als bedenklich aber müssen alle diese Versuche schon in vorläufiger Betrachtung des- wegen erscheinen, weil ja die einzelnen Rechtsverhältnisse von so sehr verschiedener Natur sind, daß sie schwerlich auf eine gemeinsame, durchgreifende Regel über ihren Wohn- sitz zurückgeführt werden können. 1. Die Unterscheidung der Statuta personalia, realia, mixta Darauf ist schon oben hin- gedeutet worden am Schluß des § 345 und im § 347. Ausführ- lich handelt davon Wächter I. S. 256 — 261. S. 270 — 311. Vgl. auch Foelix § 19 fg. Story § 12 fg. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. In einem sehr unreifen Anfang findet sich diese Unter- scheidung schon bei Bartolus Bartolus in L. 1 C. de summa trin. Die Hauptstelle ist excerpirt bei Wächter I. S. 272. bis 274. , vollständiger ausgebil- det erst gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts Argentraeus Num. 5. 6. 7. 8. Eine kurze, klare Zusammen- stellung bei I. Voet . §. 2—4. . Personalstatuten sollen diejenigen Gesetze sein, welche principaliter die Person und deren Zustände zum Gegenstande haben, mögen sie auch nebenher Bestimmungen enthalten, die sich auf das Vermögen beziehen. Realstatuten werden die Gesetze genannt, welche prin- cipaliter von Sachen (und zwar von unbeweglichen) han- deln, mögen auch nebenher die Personen erwähnt sein. Gemischte Statuten werden von Einigen die Gesetze genannt, die keines von beiden (Person oder Sache) zum Gegenstand haben, sondern vielmehr die Handlungen Auch wohl mit engerer Be- schränkung auf die Form der Handlungen. I. Voet . § 4. ; von Anderen die, welche beides (Person und Sache zugleich) umfassen. Diese zwei Erklärungen sind einander scheinbar entgegengesetzt, spielen jedoch in einander über. Die praktische Bedeutung dieser Begriffe ist nun diese. Man geht aus von der Frage, welche Gesetze auch außer dem Staatsgebiet des Gesetzgebers anzuwenden sind, und man beantwortet dieselbe in folgender Weise. Personalstatuten sollen anzuwenden seyn auf alle Personen, die in dem Ge- biete des Gesetzgebers ihren Wohnsitz haben, auch wenn §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) ein auswärtiger Richter zu entscheiden hat. Realstatuten auf alle in dem Gebiete des Gesetzgebers liegende Grund- stücke, wiederum ohne Unterschied, ob ein einheimischer oder ein auswärtiger Richter zu entscheiden hat; gemischte Sta- tuten endlich auf alle in dem Gebiete des Gesetzgebers vor- kommende Handlungen, es mag die Entscheidung in demselben Lande zu geben seyn oder nicht. — So stellt sich die An- wendung im Großen und Ganzen, allein im Einzelnen fin- den sich unzählige abweichende Meinungen, indem die Grän- zen der Begriffe selbst, so wie der praktischen Anwendung derselben, bald so, bald anders gezogen werden. Als ganz unwahr läßt sich diese Lehre gewiß nicht ver- werfen, da sie der verschiedensten Deutungen und Anwen- dungen empfänglich ist, unter welchen sich mitunter auch ganz richtige wahrnehmen lassen. Dagegen zeigt sie sich als völlig ungenügend, sowohl durch Unvollständigkeit, als durch Vieldeutigkeit, und sie ist daher durchaus unbrauchbar, als Grundlage für den bevorstehenden Theil unserer Untersu- chung zu dienen. Manche neuere Schriftsteller haben behauptet, es sey diese Lehre als entschiedenes allgemeines Gewohnheitsrecht aufgenommen worden Thibaut Pandekten § 38. Kierulff S. 75—82. . Die Richtigkeit dieser Behaup- tung ist nicht nur unerwiesen, sondern sogar unmöglich, da die Meinungen der Schriftsteller, mit welchen auch die Ent- scheidungen der Gerichte mehr oder weniger zusammenhän- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gen, weit aus einander gehen, also nicht von einer über- einstimmenden Gewohnheit Zeugniß geben können. Als wahren Bestandtheil jener Behauptung können wir nur die Thatsache anerkennen, daß fast alle Schriftsteller, bis auf sehr neue Zeit hin, in der Behandlung unserer Lehre die erwähnten Kunstausdrücke (Personal- und Realstatuten, nebst gemischten) anwenden. Da sie aber an diese Aus- drücke ganz verschiedene Begriffe und Regeln anknüpfen, so ist der übrig bleibende wahre Bestandtheil der erwähnten Behauptung ganz unbedeutend und gleichgültig. Der oben erwähnte scharfe Unterschied zwischen dem unbeweglichen und dem übrigen Vermögen (§ 360 No. 3) pflegt mit der so eben dargestellten Lehre in Verbindung gesetzt zu werden, und zwar in der Art, daß die Verthei- diger jenes Unterschiedes ein besonderes Gewicht auf den Begriff der Realstatuten legen, anstatt daß für ihre Gegner dieser Begriff ein weit geringeres Interesse hat. 2. Jedes einzelne Rechtsverhältniß soll in der Regel, im Zweifel, nach dem örtlichen Recht des Wohnsitzes der Person beurtheilt werden, welche das Rechtsverhältniß betrifft. Dieses soll also geschehen in allen Fällen, für welche nicht eine besondere Ausnahme nachgewiesen werden kann Eichhorn deutsches Recht § 34. Göschen Vorlesungen B. 1 S. 111. Puchta Pandekten §. 113 und: Vorlesungen über die Pan- dekten § 113. ( Puchta nimmt diesen Grundsatz nur an bei der Collision örtlicher Rechte desselben Staates). — Gegen diesen Grundsatz erklärt sich Wächter II. S. 9—12. . §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rchtsverhältnissen. (Forts.) Auf den ersten Blick scheint dieser Grundsatz im Zu- sammenhang zu stehen mit der sehr allgemein, und auch von mir, anerkannten Regel, nach welcher der Wohnsitz das Band ist, das eine Person mit einem bestimmten Rechts- gebiet verknüpft (§ 359. a) . Bei genauerer Betrachtung aber verhält es sich damit ganz anders. Das für die Per- son als solche geltende Recht gilt darum nicht auch für die einzelnen Rechtsverhältnisse, in welche sich die Person be- giebt, und durch die sie in die verschiedensten Rechtsgebiete eintreten kann (§ 360). Das örtliche Recht der Person kann zugleich für irgend ein einzelnes Rechtsverhältniß derselben anwendbar sein, und darum zeigt sich jener Grund- satz in manchen besonderen Fällen als richtig. Aber ein solches Zusammentreffen ist ganz zufällig, der Grundsatz selbst hat an sich keinen Anspruch auf allgemeine Anwend- barkeit für die einzelnen Rechtsverhältnisse, und wir können uns bei diesen nicht der Nothwendigkeit entziehen, für jedes derselben das ihm angemessene Rechtsgebiet mit völliger Unbefangenheit besonders zu ermitteln. Dazu kommt noch der wichtige Umstand, daß die meisten Rechtsverhältnisse nicht eine einzelne Person allein, sondern mehrere Personen zugleich betreffen . In solchen Fällen nun läßt uns jener Grundsatz ganz ohne Entscheidung, in- dem aus ihm nicht erkennbar ist, welche unter diesen meh- reren, von dem Rechtsverhältniß betroffenen , Personen durch ihren Wohnsitz das auf das Rechtsverhältniß anzu- wendende örtliche Recht bestimmen soll. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Endlich muß auch noch Widerspruch eingelegt werden gegen die ganze Gestalt, worin der erwähnte angebliche Grundsatz auftritt. Er soll in der Regel, oder im Zweifel, gelten, also nur dann nicht gelten, wenn die Anwendbar- keit eines anderen örtlichen Rechts vollständig bewiesen werden kann So besonders bei Puchta Pandekten § 113 Note b . Damit scheint die Geltung des Grund- satzes bevorwortet zu werden für die zahlreichen Fälle, wo- rin für eine oder die andere Meinung scheinbare Gründe, gewichtige Autoritäten, Präjudizien der Gerichte, vorgebracht werden. Es wird also hier gewissermaßen das Verfahren des Civilprozesses angewendet, in welchem Jeder, dem die Beweislast obliegt, den Prozeß verliert, wenn es ihm nicht gelingt, den Beweis zu führen. Diese ganze Art der Be- handlung kann ich nicht billigen. Vielmehr muß für jedes einzelne Rechtsverhältniß das Rechtsgebiet, dem es nach seiner Natur angehört, selbstständig untersucht und festge- stellt werden, so daß in diese Untersuchung keine allgemeine Präsumtion, fördernd oder hindernd, eingemischt werden darf. Dieser Widerspruch übrigens wird nicht blos gegen den eben erwähnten vermeintlichen Grundsatz erhoben, son- dern er ist ganz eben so auch auf den nachfolgenden an- wendbar. 3. Jedes einzelne Rechtsverhältniß soll in der Regel zu beurtheilen sein nach dem Ort des Gerichts , das heißt, nach den Gesetzen des Landes, dem der darüber urtheilende §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) Richter angehört. Dieser Grundsatz wird übrigens nur aufgestellt für die Collision der Rechte verschiedener Staa- ten, nicht für die der Particularrechte desselben Staates Wächter I. S. 261 — 270 (dessen ganze Schrift nur von den Gesetzen verschiedener Staaten han- delt); Puchta Pandekten § 113. Vorlesungen § 113. — Diese Meinung wird bestritten von Schäffner § 24 — 29. Kori Archiv B. 27. S. 312. . An sich aber würde kein Hinderniß sein, diesen Grundsatz, wenn man ihn als wahr anerkennte, auch auf die collidi- renden Particularrechte eines und desselben Staates anzu- wenden. Die scheinbare Wahrheit dieses Grundsatzes liegt darin, daß jeder Gesetzgeber ausschließende Herrschaft über sein Land hat, in diesem Gebiet also die Einmischung irgend eines fremden Rechts nicht zu dulden braucht; oder, was von anderer Seite her Dasselbe sagt, daß jeder Richter nur die Gesetze seines Staates anzuwenden berufen ist Zugleich steht dieser Grund- satz scheinbar in Zusammenhang mit der oben (§ 360) geltend ge- machten Verwandtschaft zwischen dem Gerichtsstand und dem ört- lichen Recht. Nur wird irriger- weise von den Vertheidigern dessel- ben diese Verwandtschaft in wirk- liche Identität ausgebildet. . Dieser Grund würde entscheidend sein, wenn der vorherrschende Gesichtspunkt neuerer Gesetzgebung die eifersüchtige Hand- habung der eigenen Autorität wäre. Dieses aber versteht sich gewiß nicht von selbst; vielmehr entsteht uns nun erst die Frage, ob die einheimische Gesetzgebung nach ihrem Geist und ihrer Richtung die Anwendung jedes fremden Rechts auf die mit mehreren Rechtsgebieten in Berührung Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. stehenden Rechtsverhältnisse in der Regel ausschließt Diesen Gesichtspunkt er- kennt auch der Vertheidiger des hier zu prüfenden Grundsatzes, als wahr an. Wächter I. S. 262. 265. . Ein neuerer Schriftsteller giebt dieser Ansicht folgenden sehr angemessenen Ausdruck. Wir wollen einräumen, sagt er, daß jeder Richter zunächst die Gesetze seines Landes anzu- wenden habe. Aber er soll sie doch gewiß nur anwenden auf die Personen und die Fälle, für welche sie gegeben sind; ob nun aber der Gesetzgeber sein Gesetz hat gelten lassen wollen für die an sich zweideutigen Rechtsverhältnisse, bei welchen eine Collision örtlicher Rechte eintritt, dieses her- auszufinden (sagt jener Schriftsteller), ist der allein schwie- rige Punkt Thöl Handelsrecht B. 1 S. 28. . Wenn wir nun die oben angeregte Frage unbefangen erwägen, so müssen wir uns überzeugen, daß der vorherr- schende Gesichtspunkt der neueren Gesetzgebung und Praxis nicht in der eifersüchtigen Handhabung der ausschließenden eigenen Herrschaft besteht, ja daß sie vielmehr gerade um- gekehrt auf die Förderung einer wahren Rechtsgemeinschaft gerichtet ist, also auf die Beurtheilung der Collisionsfälle nach dem inneren Wesen und Bedürfniß eines jeden ein- zelnen Rechtsverhältnisses, ohne Rücksicht auf die Gränzen der Staaten und ihrer Rechtsgebiete (§ 348). Erkennen wir aber diesen vorherrschenden Gesichtspunkt der neueren Rechtsentwickelung (in Gesetzgebung und §. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) Praxis) als wahr an, so müssen wir nothwendig den hier vorliegenden Grundsatz (daß der Richter in der Regel nach den Gesetzen seines Landes zu entscheiden habe, wo ihm ein Collisionsfall vorkommt) verwerfen. Dieser Grundsatz stört und hindert sogar die wünschenswerthe und annähe- rungsweise zu erreichende Uebereinstimmung der Ent- scheidung von Collisionsfällen in verschiedenen Staaten. Er könnte daher unmöglich in ein gemeinsames Gesetz aller Staaten über die Collision der örtlichen Rechte (wenn ein solches je versucht werden sollte) aufgenommen werden (§ 360, S. 115). Es kommt aber noch ein besonderer Grund hinzu, der die Anwendung jenes Grundsatzes sehr bedenklich macht. In vielen Collisionsfällen findet sich der Gerichtsstand an verschiedenen Orten concurrirend begründet, so daß die Wahl des Gerichtsstandes im einzelnen Falle dem Kläger frei steht. Dadurch wird, wenn jener Grundsatz gelten soll, das in jedem einzelnen Fall anzuwendende örtliche Recht abhängig gemacht, nicht allein von blos zufälligen Umständen, sondern selbst von der einseitigen Willkür einer Partei. Ein Grundsatz aber, dessen Anwendung zu diesem Erfolge führt, kann unmöglich als gerecht anerkannt wer- den. Recht auffallend erscheint die Härte und Willkür, wozu die Anwendung jenes Grundsatzes führen kann, wenn man dabei an die Länder denkt, worin der volle Land- sassiat eingeführt ist Eichhorn deutsches Recht § 75. — Als besonderer Einwurf . VIII. 9 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zum Schluß aber müssen noch die wahren Bestand- theile des hier bekämpften Grundsatzes anerkannt werden, um so mehr, als gerade diese Anerkennung vielleicht eine Verständigung über die widerstreitenden Meinungen erleich- tern kann. A. Wenn der Richter ein einheimisches Gesetz über die Collisionsfrage vorfindet, so muß er die- ses unbedingt befolgen, selbst wenn es mit seiner eigenen theoretischen Ansicht nicht übereinstimmen sollte (§ 347. 348). — Weit wird indessen die Befolgung dieser Regel nicht führen, da die Ge- setze über die Behandlung der Collisionen meist nur der Ausdruck irgend einer unvollständigen, ungenügenden Theorie sind. B. Der Richter kann niemals ein fremdes örtliches Recht anwenden, wenn diese Anwendung durch die oben gezogenen Gränzen für die Rechtsge- meinschaft unabhängiger Staaten ausgeschlossen ist (§ 349). Die wichtigsten Folgen dieser Regel werden unten in dem § 365 zusammengestellt wer- den. Dadurch wird es zugleich anschaulich wer- den, daß die praktische Verschiedenheit zwischen gegen den hier vorliegenden Grund- satz wird auch noch der Umstand geltend gemacht, daß in dem Ge- richtssprengel des entscheidenden Richters mehrere örtliche Rechte neben einander bestehen können, und daß es dann unentschieden bleibe, welches derselben gelten solle. Seuffert Archiv für Ent- scheidungen der obersten Gerichts- höfe in den deutschen Staaten B. 2 Num. 4. §. 361. Übergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) der hier bekämpften und der von mir vertheidig- ten Lehre in der That minder groß ist, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. C. Der Richter muß stets das Recht seines eigenen Landes anwenden, wenn nicht von einem Ver- hältniß des materiellen Rechts, sondern vielmehr von der gerichtlichen Rechtsverfolgung die Rede ist. Dahin gehören nicht blos die für den eigent- lichen Prozeß geltenden Formen und Regeln, son- dern auch theilweise die Regeln des Actionen- rechts. Hierin aber ist die Gränzscheidung oft sehr schwierig, es muß dabei mit großer Vorsicht verfahren, und stets auf die wahre Natur und Bestimmung der einzelnen Rechtsinstitute geachtet werden. Gar manche Regel ist nur scheinbar der Rechtsverfolgung, in der That aber dem Rechts- verhältniß selbst angehörig. 4. Jedes Rechtsverhältniß soll nach dem örtlichen Recht desjenigen Rechtsgebietes beurtheilt werden, worin es existent geworden ist Schäffner § 32. — Vgl. dagegen Wächter II. S. 32. . Dieser Grundsatz ist nicht nur willkürlich, weil der Ent- stehungsort an sich, und abgesehen von möglichen vermit- telnden Gründen, nicht das anzuwendende örtliche Recht bestimmen kann, sondern er hat auch blos den Schein eines materiellen Grundsatzes, während er in der That eine blos 9* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. formelle Natur hat. Denn der Ort, wo das Rechtsver- hältniß im juristischen Sinn existent wird, kann nur durch genaueres Eingehen in die individuelle Natur jedes Rechts- verhältnisses erkannt werden, und dabei ist die vorherrschende, an die Spitze gestellte Rücksicht auf den Entstehungsort nur störend, nicht fördernd. 5. Es soll stets dasjenige örtliche Recht angewendet werden, wodurch wohlerworbene Rechte aufrecht erhalten werden Vgl. über diesen Grundsatz Wächter II. S. 1—9. . Dieser Grundsatz führt auf einen bloßen Zirkel. Denn welche Rechte wohlerworben sind, können wir nur erfahren, wenn wir zuvor wissen, nach welchem örtlichen Rechte wir den vollzogenen Erwerb zu beurtheilen haben. In dieser allgemeinen Uebersicht sollen zuletzt noch einige der in neuerer Zeit erschienenen umfassenden Gesetzbücher für größere Europäische Staaten erwähnt werden. Das Preußische Allgemeine Landrecht Vgl. A. L. R. Einleitung § 23—35. erkennt den Grundsatz der Rechtsgleichheit in der Behandlung der In- länder und Ausländer sehr bestimmt an A. L. R. Ein- leitung § 34, vgl. mit §. 23. , und wo da- von Ausnahmen vorkommen, da haben diese durchaus nicht den Zweck, dem einheimischen Recht eine ausschließende Herr- schaft auch über Fremde zu verschaffen, sondern vielmehr §. 361. Übergang zu den einzelnen Rechtsverhältnissen. (Forts.) den wohlwollenden Zweck, unternommene Rechtsgeschäfte gegen die Ungültigkeit zu schützen, die etwa aus der Colli- sion örtlicher Rechte hergeleitet werden möchte A. L. R. Einleitung § 27. 35. . — Sicht- baren Einfluß auf die Abfassung dieser Stellen des Land- rechts hat die damals allgemein herrschende Lehre von Per- sonal- und Realstatuten gehabt Vornemann Preuß. Recht Ausg. 2. B. 1 S. 52. Koch Preuß. Recht B. 1 S 129. ; und gerade die Man- gelhaftigkeit dieser Lehre ist als Hauptursache der neuerlich entstandenen Zweifel und Streitigkeiten über eine der wich- tigsten Anwendungen geworden, wovon unten in der Lehre vom Erbrechte (§ 378) die Rede seyn wird. Das Französische Gesetzbuch enthält nur wenige Be- stimmungen, die als entscheidend für Collisionsfragen ange- sehen werden können. Dennoch ist auch hier die regelmäßig anzuwendende Rechtsgleichheit in der Behandlung der Ein- heimischen und der Fremden unzweideutig anerkannt Code civil art. 3 art. 11. bis 13. Vgl. oben § 358 Noten d bis h. . Das Oesterreichische Gesetzbuch Oesterreich. Gesetzbuch § 4. § 33—37. nähert sich dem Preußischen. Es erkennt die Rechtsgleichheit der Inländer und Ausländer an und nimmt ähnliche wohlwollende Rück- sichten auf die Erhaltung der Rechtsgeschäfte, wie das Preußische Recht Ebendas. § 33. 34. § 35. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. §. 362. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit.) Auf die verschiedenen Zustände der Person, wodurch die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit bestimmt wird, ist nur eine reine, einfache Anwendung desjenigen örtlichen Rechts möglich, welchem die Person selbst durch ihren Wohnsitz angehört (§ 359). Dieser Grundsatz ist zwar auch nicht ganz ohne Wider- spruch geblieben So z. B. bei I. Voet , § 7. Andere Gegner siehe bei Wächter II. S. 162. 163 und Foelix p. 121. . Allein die Zahl der Anhänger dessel- ben ist so überwiegend, daß man ihn dennoch als Gegen- stand einer fast allgemeinen Meinung bezeichnen kann, ja daß er durch ein gemeines in Deutschland geltendes Ge- wohnheitsrecht bestätigt worden ist Wächter II. S. 162. 163. 175. 177. . Auch liegt darin die eigentliche Bedeutung der Personalstatuten , auf deren Begriff in früherer Zeit so großer Werth gelegt worden ist (§ 361 Num. 1). Indessen würden wir irren, wenn wir diese Ueberein- stimmung allzu hoch anschlagen wollten, da sie großentheils nur scheinbar ist. Es ist nämlich folgende Unterscheidung schon in früherer Zeit versucht, neuerlich aber mit großem Nachdruck geltend gemacht worden Hert . § 5. 8. 11. 22. Meier , p. 14. Mittermaier deutsches R. § 30 S. 118. Ausg. 7, besonders aber Wächter II. S 163. S. 175—184. . Man will unter- §. 362. I. Zustand der Person an sich. scheiden das bloße Daseyn der rechtlichen Eigenschaften einer Person an sich , und die rechtlichen Wir- kungen dieser Eigenschaften, das heißt, die daraus entsprin- genden Rechte und Beschränkungen der Person. Die Eigen- schaften an sich sollen beurtheilt werden nach dem örtlichen Recht des Wohnsitzes; die rechtlichen Wirkungen aber nicht nach diesem, sondern nach irgend einem anderen örtlichen Recht; nach welchem Recht? Davon wird noch ferner die Rede seyn. Von den Vertheidigern dieser Unterscheidung wird daher auch die allgemein übereinstimmende Meinung, und das damit zusammenhängende gemeine Gewohnheitsrecht, auf die Eigenschaften an sich beschränkt. Der Sinn dieser Unterscheidung wird aus folgenden An- wendungen klar werden. Zu den Eigenschaften an sich ge- hören die Zustände des Bevormundeten, Unmündigen, Minderjährigen, des Verschwenders, ferner des Geschlechts, der Verheiratheten, der ehelich oder unehelich Gebornen u. s. w. Ob also Jemand minderjährig ist oder nicht, das heißt, die Gränze der Minderjährigkeit, soll zu beurtheilen seyn nach dem Recht des Wohnsitzes. Dagegen gehören die Rechte und Beschränkungen des Minderjährigen zu den rechtlichen Wirkungen, und sind daher (nach jener Lehre) nicht nach dem Wohnsitz zu beurtheilen. Zu allen Zeiten jedoch haben viele Schriftsteller eine solche Unterscheidung gar nicht gemacht, sondern vielmehr die rechtlichen Wirkungen, gerade so wie die Eigenschaften an sich, lediglich nach dem durch den Wohnsitz der Person Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. bestimmten örtlichen Rechte beurtheilt Argentraeus N. 47. 48. 49. Rodenburg T. 1 C. 3 § 4—10. Boullenois T. 1 p. 145—198. Huber § 12. Foelix p. 126 (An- wendung auf Ehefrauen und Ge- schlechtsvormundschaft). Viele an- dere Anhänger dieser Meinung s. bei Wächter II. S. 167. . Und mit diesen übereinstimmend muß auch ich jene Unterscheidung gänzlich verwerfen. Ich halte sie für willkürlich und inconsequent, da es an einem inneren Grunde, eine solche Gränze zu ziehen, gänzlich fehlt. Sehen wir die Sache genau an, so finden wir keinen anderen Unterschied, als daß manche persönliche Zustände mit besonderen Namen bezeichnet werden, andere aber nicht; dieser ganz zufällige, gleichgül- tige Umstand nun kann unmöglich einen Grund abgeben, verschiedene örtliche Rechte anzuwenden. Volljährig nennen wir Den, welcher die vollstän- digste, durch das Alter erreichbare, Handlungsfähigkeit be- sitzt; das ist also nur ein Name für gewisse rechtliche Wirkungen, für die Verneinung früher vorhandener Be- schränkungen der Fähigkeit. Eben so nennen wir minder- jährig Den, welcher jene vollständige Fähigkeit noch nicht besitzt; es ist ein Name für die Verneinung des Zu- standes vollständiger Fähigkeit. Wenn nun aber ein Gesetz auch bei den Minderjährigen gewisse Stufen der Fähigkeit aufstellt, ohne dafür einen besonderen Namen zu gebrauchen, so ist doch gewiß kein Grund einzusehen, warum nicht diese Stufen der Fähigkeit, eben so wie der Eintritt der voll- ständigen Fähigkeit, nach dem Recht des Wohnsitzes beur- §. 362 I. Zustand der Person an sich. theilt werden sollten. Durch folgendes Beispiel wird diese Behauptung noch anschaulicher werden. Die Vertheidiger jener Unterscheidung räumen ein, daß ein Franzose, der 21 Jahre alt ist, auch in Preußen, wo sonst 24 Jahre, und eben so in Ländern des Römischen Rechts, wo 25 Jahre erfor- dert werden, als volljährig und völlig handlungsfähig gelten muß; denn er hat ja durch den art. 488 des Französischen Gesetzbuchs den Titel als majeur erhalten, und daher hat er eine Eigenschaft an sich, auf welche das Recht des Wohnsitzes anzuwenden seyn soll. Allein dasselbe Gesetzbuch räumt den Minderjährigen theils mit 16, theils mit 15 und 18 Jahren, gewisse beschränktere Fähigkeiten ein, ohne aus ihnen eine besondere Klasse mit eigenem Namen zu bilden Code civil art. 903. 904. 477. 478. . Das ist also nach jener Lehre keine Eigenschaft an sich, sondern blos eine rechtliche Wirkung, eine eigenthümlich eingerichtete Beschränkung der Person, und dabei soll das Recht des Wohnsitzes nicht gelten. Ein anderes Beispiel mag folgendes seyn. Nach manchen Gesetzen bedürfen Frauen zu ihren Rechtsgeschäften der Zuziehung eines Geschlechtsvormundes; nach anderen Gesetzen bedürfen die Ehefrauen der Genehmigung des Mannes. Wenn nun eine Frau im Ausland ein Geschäft eingeht, so müßte (bei consequenter Anwendung jener Lehre) nach dem Wohnsitz beurtheilt werden nur das Da- seyn der persönlichen Eigenschaft an sich, das heißt, die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Frage, ob sie eine Frau ist (im Gegensatz eines Mannes), oder eine Ehefrau (im Gegensatz einer Jungfrau oder Wittwe). Dagegen wäre die nothwendige Zuziehung des Geschlechtsvormundes, so wie die Genehmigung des Ehe- mannes, nicht nach dem Wohnsitz zu beurtheilen, da diese Dinge zu den rechtlichen Wirkungen und Beschränkungen gehören So meint es in der That Wächter II. S. 180, der dadurch unmittelbar dahin geführt wird, auf die im Ausland handelnden einheimischen Frauen ganz andere Collisionsregeln anzuwenden, als die wir den bei uns handelnden Ausländerinnen einräumen. . Ich komme nun auf die Frage, welches andere örtliche Recht, als das des Wohnsitzes, von den Vertheidigern jener Unterscheidung angewendet wird, wenn die rechtlichen Wir- kungen der persönlichen Eigenschaften zu beurtheilen sind. Hierüber finden sich folgende verschiedene Meinungen. In älterer Zeit versuchte man auch hierin die Real- statuten anzuwenden, wenn von unbeweglichem Vermögen die Rede war, so daß also eine und dieselbe Person ganz verschiedene Handlungsfähigkeit haben konnte in Ansehung ihrer auswärtigen Grundstücke, und in Ansehung ihres übrigen Vermögens. Diese Meinung findet jetzt in Deutsch- land wenig Anklang mehr Wächter II. S. 163. 164. . Andere nehmen an, die Wirkungen der persönlichen Eigenschaften seyen zu beurtheilen nach dem Rechte des Orts, an welchem ein Rechtsgeschäft vorgenommen wird Meier p. 14. Dagegen erklärt sich Mittermaier deut- sches Recht § 31 S. 120. . §. 362. I. Zustand der Person an sich. Diese Meinung ist noch aus besonderen Gründen, unabhän- gig von dem allgemeinen Widerstreite, zu verwerfen. Wenn Der, welcher auswärts einen Vertrag schließt, an seinem Wohnsitz mehr Handlungsfähigkeit hat, als am Ort des Vertrags, so kann man nicht annehmen, daß er sich habe mit diesem Vertrag einem örtlichen Rechte unterwerfen wollen, nach welchem dieser Vertrag ungültig wäre; die freie Unterwerfung aber (die sogenannte Autonomie) ist ja der einzige Grund, wodurch das am Ort des Vertrags gel- tende Recht anwendbar gemacht werden soll. Hat aber umgekehrt der Handelnde an seinem Wohnsitz weniger Handlungsfähigkeit, als am Ort des Vertrags, so daß der am Wohnsitz geschlossene Vertrag ungültig wäre, so würde es inconsequent sein, wenn das heimathliche Gesetz den Vertrag an sich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen Reise zulassen wollte; vielmehr wird ihn jenes Gesetz eben sowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als an dem Vertrag selbst, verhindern. Dabei braucht gar nicht einmal die Absicht einer Umgehung des Gesetzes (in fraudem legis) eingemischt zu werden. Der neueste Vertheidiger jener Unterscheidung nimmt dagegen an, daß die Wirkungen der persönlichen Eigen- schaften nach dem örtlichen Recht des in jedem einzelnen Falle urtheilenden Richters zu beurtheilen seyen (Note c ). Gegen diese Meinung muß ich zunächst die Gründe geltend machen, die gegen die ganze Unterscheidung zwischen den Eigenschaften an sich und deren Wirkungen bisher ausge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. führt worden sind; dann aber auch die anderen Gründe, die überhaupt gegen das örtliche Recht des urtheilenden Richters als durchgreifende Regel sprechen (§ 361. Nr. 3). Und hier besonders muß daran erinnert werden, wie grell sich die Anwendung jener Meinung darstellt in den Ländern, worin der volle Landsassiat gilt. Denn da würde Jeder, der einen unbedeutenden Grundbesitz in einem solchen Lande hat, durch die bloße Willkür seines Gegners, einem ihm völlig fremden Rechte in der Beurtheilung der rechtlichen Wirkungen seiner eigenen persönlichen Zustände unterworfen werden können. Meine Meinung geht also vielmehr dahin, daß Jeder in seinen persönlichen Zuständen stets nach dem Recht seines Wohnsitzes zu beurtheilen ist; ohne Unterschied, ob darüber im Inland oder im Ausland geurtheilt werde; eben so aber auch ohne Unterschied, ob die persönliche Eigenschaft an sich, oder die rechtliche Wirkung derselben, beurtheilt werden soll. Dabei sollen jedoch keinesweges die praktischen Schwie- rigkeiten verkannt werden, die mit der Anwendung dieses Grundsatzes in einzelnen Fällen verbunden seyn können. Bei dem Vertrag mit einem Ausländer mag es zuweilen schwer seyn, das örtliche Recht seiner Heimath sicher zu erkennen; allein diese Schwierigkeit wird auch durch die hier verworfene Unterscheidung nicht beseitigt, nur im Um- fang verringert. Es wird also Nichts übrig bleiben, als in Fällen solcher Art genaue Erkundigungen einzuziehen, §. 363. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) die ja ohnehin für die individuellen Verhältnisse des Aus- länders unentbehrlich sind, ganz unabhängig von dem fremden örtlichen Recht. Wer aber etwa noch mehr Er- leichterung und Sicherheit auf diesem Gebiete verlangen möchte, der kann dieselbe nur auf dem Wege positiver Ge- setzgebung erwarten. Was hierin geschehen kann, wird so- gleich bei der Uebersicht neuerer Gesetze in unserer Lehre gezeigt werden. §. 363. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit.) (Fortsetzung.) Es soll nun zusammengestellt werden, was sich in den wichtigsten neueren Gesetzbüchern über die hier vorliegende Frage findet. I. Das Preußische Allgemeine Landrecht stellt fol- genden Grundsatz an die Spitze: „Die persönlichen Eigen- schaften und Befugnisse eines Menschen werden nach den Gesetzen der Gerichtsbarkeit beurtheilt, unter welcher der- selbe seinen eigentlichen Wohnsitz hat“ L. R. Einl. § 23. Die näheren Bestimmungen folgen in den §§ 24—27. . Diese Be- stimmung bezieht sich auf die Preußischen Unterthanen, und unterscheidet nicht, ob sie ihre Befugnisse (wozu vor allen die Handlungsfähigkeit gehört) ausüben an ihrem Wohnsitz selbst, oder an einem andern Ort des Inlandes, der viel- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. leicht ein anderes örtliches Recht über solche Befugnisse hat, oder endlich im Ausland. Für die Ausländer lautet die Bestimmung so: „Auch Unterthanen fremder Staaten, welche in hiesigen Landen leben, oder Geschäfte treiben, müssen nach obigen Be- stimmungen beurtheilt werden“ L. R. Einl. § 34. . So weit stimmt Alles mit den oben aufgestellten Grund- sätzen überein. Völlig gleiche Behandlung der Einheimischen und der Fremden. Allgemeine Beurtheilung des persönlichen Zustandes, der Handlungsfähigkeit, nach dem örtlichen Recht, das an dem Wohnsitz der Person besteht, es mag dieses ein einheimisches oder ein fremdes Recht seyn. Daneben bleiben aber zwei Fragen zu erörtern, welche schon oben für das gemeine Recht aufgeworfen worden sind. Zuerst: Sind hier nur die Eigenschaften an sich gemeint, oder sollen auch die rechtlichen Wirkungen derselben nach dem Rechte des Wohnsitzes beurtheilt werden (§ 362)? Wäre in dem § 23 blos gesagt: „die persönlichen Eigen- schaften “, so könnte man vielleicht die erste, also die be- schränkende, Bedeutung in jene Worte legen; da aber hin- zugesetzt wird: „und Befugnisse “, so muß jene Vor- schrift auch auf die rechtlichen Wirkungen der Eigen- schaften bezogen werden, das heißt: es ist für Jeden nach dem Recht seines Wohnsitzes zu bestimmen, nicht blos, ob er minderjährig ist oder nicht, sondern auch, §. 363. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) was er als Minderjähriger vermag und nicht vermag. Wollte man diese Behauptung noch bezweifeln, so würde doch jeder Zweifel beseitigt werden durch einige nachfolgende Stellen des Gesetzes, worin der nach dem Recht des Wohn- sitzes zu beurtheilende Gegenstand bezeichnet wird als Fä- higkeit zu handeln L. R. Einl. § 27. 35. , und zwar so, daß damit nicht etwas Neues erwähnt, sondern blos das Vorhergehende mit einem willkürlich abwechselnden, völlig gleichbedeutenden, Ausdruck bezeichnet werden soll. Es ist daher unzweifel- haft, daß das Preußische Recht unter den persönlichen Ei- genschaften und Befugnissen gerade die Handlungsfähigkeit mit begreift, und daß es also nicht blos die Eigenschaften an sich, sondern auch die rechtlichen Wirkungen dersel- ben, nach dem örtlichen Rechte des Wohnsitzes beurtheilt wissen will. Zweitens ist schon oben auf die praktische Schwierigkeit aufmerksam gemacht worden, die bei den Verträgen eines Ausländers in unserm Lande entstehen kann, indem vielleicht das im Auslande, an seinem Wohnsitz geltende, Recht bei uns unbekannt ist (§ 362). Diese Schwierigkeit beseitigt das Preußische Gesetz durch die Vorschrift, daß die Hand- lungsfähigkeit des Ausländers nach dem für das Bestehen des Vertrages günstigsten Gesetz (also nach dem leichtesten) beurtheilt werden soll, vorausgesetzt, daß die Gegenstände Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. des Vertrags in unserm Lande sich befinden L. R. Einl. § 35 „Doch wird ein Fremder, der in hiesigen Landen Verträge über daselbst be- findliche Sachen schließt, in An- sehung seiner Fähigkeiten, zu han- deln, nach denjenigen Gesetzen be- urtheilt, nach welchen die Hand- lung am besten bestehen kann“. Der § 26 enthält eine ähnliche, aber weit weniger wichtige, Be- stimmung. Beide Stellen fehlten in dem Entwurf, und wurden erst später aufgenommen, mit Rücksicht auf die oben erwähnte praktische Schwierigkeit. Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note l. . Wird also in Berlin ein solcher Vertrag geschlossen von einem Franzosen, der über 21 Jahre alt ist, so ist der Vertrag gül- tig nach Französischem Recht, welches die Volljährigkeit auf 21 Jahre setzt. Wird der Vertrag ebendaselbst geschlos- sen von dem Einwohner eines unter dem Römischen Recht stehenden Landes, welcher über 24 Jahre alt ist, so ist der Vertrag gültig nach Preußischem Recht, welches 24 Jahre als Gränze der Minderjährigkeit annimmt. Das erste ist dem allgemeinen Grundsatz gemäß, das zweite ist eine rein positive Vorschrift, gegeben in der Absicht, die Inländer gegen die Folgen eines unverschuldeten Irrthums, vielleicht selbst der Unredlichkeit ihres Gegners, zu schützen. Eine gleichartige Bestimmung ließe sich in den Gesetzen jedes Staates denken, und die wünschenswerthe Rechtsgemeinschaft in der Beurtheilung der Collisionen würde dadurch nicht beeinträchtigt werden. II. Das Oesterreichische bürgerliche Gesetzbuch (1811) beschränkt sich auf zwei hierher gehörende Bestimmungen, die mit den oben aufgestellten Grundsätzen übereinstimmen. Die Staatsbürger bleiben auch in Handlungen, die sie außer diesem Staatsgebiete vornehmen, an diese Gesetze §. 363. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) (also an die Gesetze ihres Wohnsitzes) gebunden, „insoweit als ihre persönliche Fähigkeit, sie zu unternehmen, dadurch eingeschränkt wird“ Oesterr. Gesetzbuch § 4. . Eben so wird für Fremde bestimmt: „Die persönliche Fähigkeit der Fremden zu Rechtsgeschäften ist insgemein nach den Gesetzen des Ortes, denen der Fremde vermöge seines Wohnsitzes ..... unterliegt, zu beurtheilen“ Ebendas. § 34. . Aus diesen Stellen, so allgemein sie auch gehalten sind, geht doch unzweifelhaft hervor, daß für Inländer und Ausländer der persönliche Zustand nach gleichem Grundsatz, und zwar nach dem örtlichen Rechte des Wohnsitzes zu be- urtheilen ist; ferner, daß diese Beurtheilung nicht blos zu beziehen ist auf die Eigenschaften an sich (z. B. ob Jemand minderjährig ist oder nicht), sondern auch auf die rechtlichen Wirkungen dieser Eigenschaften, da in beiden Stellen aus- drücklich erwähnt wird, die „persönliche Fähigkeit, sie (die Handlungen) zu unternehmen, die persönliche Fähigkeit..... zu Rechtsgeschäften.“ Dagegen findet sich hier eine besondere Vorkehrung we- gen des, vielleicht unbekannten, örtlichen Rechtes, dem der Ausländer unterworfen sein kann, nicht Zwar könnte man hierauf beziehen den § 35, indem man ihn in einem ähnlichen Sinne auffaßte, wie die oben erwähnte Vorschrift des Preußischen Rechts (Note d. ). Allein bei einer unbefangenen Ver- gleichung des § 34 mit § 35—37 muß man sich überzeugen, daß nur der § 34 von der persönlichen Handlungsfähigkeit spricht, anstatt daß die drei folgenden §§ von der objectiven Natur und Gültigkeit der Rechtsgeschäfte reden. . VIII. 10 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. III. Das Französische Gesetzbuch enthält über unsre Frage nur folgende ganz kurze Stelle: „Les lois concer- nant l’état et la capacité des personnes régissent les Fran- çais même résidant en pays étranger“ Code civil art. 3. . Allein aus den vorhergegangenen Discussionen scheint unzweifelhaft her- vorzugehen, daß man dabei voraussetzte, auch die persönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer müsse nach dem Wohn- sitz derselben, also nach dem ausländischen Rechte, beurtheilt werden. Hierüber sind Schriftsteller und Gerichte in ihren Entscheidungen übereinstimmend Foelix p. 44. . Aus den angeführten Ausdrücken des Gesetzes ist es übrigens unzweifelhaft, daß dasselbe nicht blos auf die Ei- genschaften an sich (l’état), sondern auch auf die rechtlichen Wirkungen dieser Eigenschaften (et la capacité) zu beziehen ist Foelix p. 126 (s. o. § 362. d ). . Ferner geht daraus ganz bestimmt hervor, daß, so lange die Eigenschaft eines Français nicht aufgehoben ist, diese Eigenschaft allein entscheidet, selbst wenn die Person ihren Wohnsitz in das Ausland verlegt (même résidant en pays étranger), so daß also das Französische Gesetz den Wohnsitz als Grundlage der Rechtsfähigkeit und Handlungs- fähigkeit nicht unbedingt fest hält (§ 359. e ). §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit.) (Fortsetzung.) Es ist bisher der Grundsatz durchgeführt worden, daß der persönliche Zustand an sich, der vorzugsweise in der Handlungsfähigkeit besteht, nach dem an dem Wohnsitz der Person geltenden örtlichen Rechte beurtheilt werden müsse. Diesem Grundsatz aber werden nicht selten von Denen, die ihn im Allgemeinen anerkennen, mancherlei Ein- schränkungen an die Seite gestellt, die nunmehr zu prüfen sind, und die theilweise die Natur wahrer Ausnahmen an sich tragen, anstatt daß andere nur auf der Anerkennung natürlicher Gränzen beruhen, die nur vielleicht verkannt werden möchten. Diese Einschränkungen werden hier theils als gegründet angenommen, theils aber verworfen werden müssen. Von manchen Seiten wird ein Unterschied behauptet zwischen einer allgemeinen und besonderen Fähigkeit und Unfähigkeit zu juristischen Handlungen. Die erste soll sich auf Rechtsgeschäfte aller Art beziehen, und dabei soll das örtliche Recht des Wohnsitzes zur Anwendung kommen; die zweite soll nur auf bestimmte, einzelne Rechtsgeschäfte gehen, und dabei soll nicht das Recht des Wohnsitzes an- wendbar sein, sondern dasjenige örtliche Recht, in dessen 10* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Gebiet das einzelne Rechtsgeschäft vorgenommen wird. — Diese Unterscheidung ist aber an sich willkürlich und grund- los, da die an einen bestimmten Zustand der Person ge- knüpfte Unfähigkeit in beiden Fällen dieselbe Natur hat; auch ist hierin eine feste Gränzbestimmung, also eine sichere Anwendung kaum möglich Aus beiden Gründen ver- wirft diese Unterscheidung auch Wächter II. S. 172. . — In folgenden Fällen etwa kann von dieser Unterscheidung Gebrauch gemacht werden. 1. Nach dem Römischen Recht sind Frauen, ihres bloßen Geschlechts wegen, unfähig zu wirksamen Bürgschaften (Sc. Vellejanum). Wenn nun eine Frau in einem fremden Lande eine Bürgschaft übernimmt, so entsteht die Frage, nach welchem örtlichen Rechte die Gültig- keit derselben zu beurtheilen ist. Nach der eben dar- gestellten Unterscheidung wäre die Bürgschaft ungültig, wenn am Ort des Vertrages das Römische Recht gälte, möchte auch am Wohnsitz der Bürgin ein anderes Recht bestehen. Nach der richtigen Meinung ist die Bürgschaft ungültig, wenn das Römische Recht am Wohnsitz der Bürgin gilt, ohne Rücksicht auf das am Ort des Ver- trags bestehende Recht. Wollen wir hierin den früher verbreiteten Kunstausdruck anwenden, so müssen wir sagen: Das Sc. Vellejanum ist ein reines Personal- statut Dieser Ausdruck wird in der That gebraucht von folgenden Schriftstellern, welche die hier auf- . §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) 2. Gleichfalls nach dem Römischen Recht ist jede in väterlicher Gewalt stehende Person unfähig, ohne Wissen des Vaters ein gültiges Gelddarlehen aufzunehmen ( Sc. Macedonianum ). Diese Vorschrift hat eine ganz ähn- liche Natur, wie die eben erwähnte Vorschrift über die Bürgschaft der Frauen: sie ist ein reines Personal- statut. Die Gültigkeit des Darlehens wird also davon abhängen, ob am Wohnsitz des Schuldners das Sc. Macedonianum als geltendes Recht besteht. Das Recht des Ortes, wo das Darlehen geschlossen wird, ist dabei gleichgültig. 3. Die wichtigste und schwierigste Anwendung jener Unterscheidung ist die auf das Wechselrecht. Denn für kein Geschäft bestehen so verschiedene örtliche Rechte, wie über die persönliche Wechselfähigkeit, und kein Rechtsgeschäft verbreitet seine Wirksamkeit in so schran- kenloser Ausdehnung Nach gemeinem Recht nun stellt sich die Sache so: Die Anhänger jener Unterscheidung müssen die allgemeine Fähigkeit des Ausstellers (z. B. Volljährigkeit) nach dem Recht des Wohnsitzes, die be- sondere nach dem Recht des Ausstellungsortes bestimmen Schäffner S. 120 hat hierin eine abweichende Meinung. Nach ihm muß der Aussteller wechselfähig sein: 1. am Ort der Ausstellung, 2. an seinem Wohn- . gestellte Meinung (mit Widerlegung der Gegner) vertheidigen: Boul- lenois T. 1 p. 187. Chabot de l’Allier questions transitoires Paris 1809 T. 2 p. 352. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Nach der richtigen Meinung wird das örtliche Recht des Wohnsitzes allein entscheiden. Die so eben erwähnte ganz eigenthümliche Natur des Wechselgeschäfts dürfte gerade hier ein erleichterndes Ein- greifen positiver Gesetzgebung rechtfertigen, da es dem Käu- fer eines Wechsels oft schwer, ja unmöglich sein wird, die verschiedenen Gesetze über Wechselfähigkeit zu kennen, unter welchen die einzelnen durch den Wechsel bezeichneten Schuldner (Aussteller, Indossanten, Acceptanten) nach ihrem Wohnsitz stehen, so wie die auf die Heimath be- züglichen persönlichen Verhältnisse dieser Schuldner Darauf gründet sich im Preußischen Recht eine abweichen- de, das Wechselgeschäft erleichternde, Bestimmung über die persönliche Fähigkeit (s. u. Noten l. m. ) . Indessen ist doch die Schwierigkeit im wirklichen Leben geringer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Der vorsichtige Käufer eines gezogenen Wechsels Bei trockenen Wechseln ist ohnehin, wegen der großen Ein- fachheit des Geschäfts, die Er- mittelung der Wechselfähigkeit we- nig schwierig. , wenn auch dieser durch mehrere Welttheile gelaufen und mit zahlreichen Unterschriften bedeckt ist, wird meist nur auf wenige Unter- schriften sehen, die ihm aus eigener Erfahrung als sicher bekannt sind, und neben welchen ihm alle übrigen gleich- gültig sein können. — Für ganz Deutschland aber ist die Schwierigkeit ungemein vermindert worden durch die neue sitz, wenn er da verklagt werden soll, weil sonst ein absolutes Ge- setz die Klage hindern würde. Er ist irre geführt worden durch un- richtige Auffassung der Vorschriften des Preußischen Rechts, wovon sogleich die Rede seyn wird. §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) deutsche Wechselordnung vom 27. November 1848 Vgl. die Preußische Gesetz- sammlung 1849 S. 51. Das Ge- setz hat in Preußen Gesetzeskraft vom 1. Febr. 1849 ab. , die gleich im ersten Artikel Jeden, der überhaupt Verträge schließen kann, für wechselfähig erklärt, also alle bisher be- stehenden besonderen Einschränkungen der Wechselfähigkeit aufhebt Der Art. 3 bestimmt aus- drücklich, daß jede auf einem Wechsel befindliche Unterschrift für sich verbindliche Kraft hat, unab- hängig von der Gültigkeit der übrigen Unterschristen , welche Be- stimmung besonders für die per- sönliche Wechselfähigkeit wichtig ist. . Im Verhältniß zum Ausland erkennt diese Wechselordnung den hier aufgestellten Grundsatz an, daß die persönliche Fähigkeit nach dem Wohnsitz jedes Ver- pflichteten zu beurtheilen ist; nur mit der sehr zweckmäßigen praktischen Erleichterung, daß Der, welcher im Auslande eine Wechselverpflichtung eingeht, vom Gericht dieses Lan- des als wechselfähig zu behandeln ist, wenn ihn auch nur das Gesetz dieses Landes als fähig annimmt (Art. 84). Es würde übrigens ganz unrichtig sein, den Fall eines Wechselschuldners, dem das Recht seines Wohnsitzes die Wechselfähigkeit versagt, mit dem Fall gleich zu stellen, wenn am Ort des Wohnsitzes (oder auch am Ort der Aus- stellung) kein Wechselrecht gilt. In diesem Fall ist der Aussteller, Indossant, Acceptant, für wechselfähig zu halten, wenn er nur überhaupt handlungsfähig ist. Aber eine Wechselklage freilich wird gegen Niemand angestellt werden können an einem Orte, wo kein Wechselrecht gilt, weil bei der Wechselklage Alles auf das örtliche Prozeßrecht Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ankommt. Die aus dem ausgestellten Wechsel herzuleitende persönliche Verbindlichkeit selbst wird dadurch nicht ausge- schlossen, wenngleich sie nicht (wenigstens am Wohnsitz des Ausstellers) im Wechselprozeß verfolgt werden kann. Eine besondere Rücksicht verdient in dieser Beziehung die Preußische Gesetzgebung. Wenn wir die allgemeinen Regeln derselben über die persönliche Handlungsfähigkeit (§ 363 Nr. I. ) unbedingt anwenden auf die Wechselfähigkeit, so finden wir folgendes Ergebniß. Der Inländer ist in seiner Wechselfähigkeit nach Preußischem Recht (dem Recht seines Wohnsitzes) zu beurtheilen, er mag im Inland oder Ausland ein Wechselgeschäft vornehmen. Der Ausländer, der in Preußen Wechselgeschäfte vornimmt, wird nach dem hei- mathlichen oder dem Preußischen Rechte beurtheilt, je nach- dem das eine oder das andere die Gültigkeit des Geschäfts mehr begünstigt (§ 363 d ). — Bei dieser reinen Anwen- dung der allgemeinen Grundsätze auf das Wechselgeschäft ist nun aber unsere Gesetzgebung nicht stehen geblieben, ohne jedoch stark davon abzuweichen. Zu einiger Abänderung konnte sie aber auch in der That bewogen werden, nicht nur durch die oben dargelegte ganz eigenthümliche Natur des Wechselgeschäfts überhaupt, sondern auch durch die ganz besonderen Beschränkungen der Wechselfähigkeit, die sie nö- thig fand, und worin sie einen eigenen Weg, verschieden von anderen Gesetzgebungen, einschlug. Betrachten wir zunächst diese Beschränkungen, wie sie bis auf die neueste Zeit im Preußischen Recht bestanden. §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) Wechselfähig sollten nur folgende Klassen von Personen seyn: Die, welche die Rechte eines Kaufmannes hatten, ferner Rittergutsbesitzer, Domänenpächter, und Die, welchen von ihrem persönlichen Richter die Befugniß zum Wechsel- geschäft besonders beigelegt war; alle übrige Einwohner (also die ungeheure Mehrzahl aller Einwohner überhaupt) sollten nicht wechselfähig seyn A. L. R. II. 8 § 715—747. . Besonders schwierig aber wurde die Erkennbarkeit jener Eigenschaft durch die gesetzliche Bestimmung, daß da, wo Innungen der Kaufleute bestanden, nur die Mitglieder dieser Innungen kaufmännische Rechte haben, also wechselfähig seyn sollten A. L. R. II. 8 §. 480. Diese Bestimmung wurde außer Kraft gesetzt durch das Gewerbe- gesetz vom 7. Septbr. 1811, nach welchem der Gewerbeschein zu allen kaufmännischen Rechten genügen sollte; dagegen wurde sie für die- jenigen Städte wiederhergestellt, welche ein besonderes Statut für die Kaufmannschaft erhielten, wie Berlin, Stettin, Danzig, Königs- berg, Magdeburg u. s. w. Vgl. Ergänzungen des A. L. R. von Gräff, Koch, Rönne, Simon, Wentzel (häufig das Fünfmänner- buch genannt) B. 4 S. 758—760 Ausg. 2. . Der Grund dieser sehr eigenthümlichen Beschränkung war ohne Zweifel die vormundschaftliche Fürsorge für Die, welche etwa aus Leichtsinn Schulden zu machen geneigt seyn möchten. Das Wechselgeschäft wurde, wegen der damit verbundenen stren- gen Execution, als besonders gefährlich angesehen; und der Gebrauch dieses gefährlichen Instruments zur künstlichen Erhöhung des Credits sollte allen Denen versagt werden, denen es nicht, wegen ihrer besonderen gewerblichen Ver- hältnisse, unentbehrlich wäre Koch Preuß. Recht B. 1 § 415 B. 2 § 617 N. 2. 3. trennt . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Nach dieser Vorbereitung gehe ich über zu den Bestim- mungen über das bei Beurtheilung der Wechselfähigkeit anzuwendende örtliche Recht. Zuerst von den Inländern. Wenn diese im Inlande Wechselgeschäfte vornehmen, so sind sie natürlich an die Beschränkungen des Preußischen Rechts gebunden. Thun sie es im Auslande, so müßte ei- gentlich, nach dem allgemeinen Grundsatz, Dasselbe gelten; sie müßten nach dem Rechte des Wohnsitzes beurtheilt werden, also nach dem Preußischen Gesetz über die beschränkte Wechsel- fähigkeit. Dieses aber soll hier anders gehalten werden; ihre Wechselfähigkeit soll beurtheilt werden nach dem Orte des verhan- delten Geschäftes A. L. R. II. 8 § 936 „Außerhalb Landes vorgenommene Wechselgeschäfte sind nach den Ge- setzen des Orts, wo sie verhandelt worden, zu beurtheilen“. Diese Worte allein könnten auch etwa blos von der Einrichtung des Wechsels u. s. w., und nicht von der persönlichen Wechselfähigkeit, verstanden werden. Die Beziehung auf diese letzte aber wird unzweifel- haft durch den augenscheinlichen Gegensatz im § 938: „Hat aber ein Landeseinwohner mit einem andern Landeseinwohner, welcher nicht wechselfähig ist , ein Wechselgeschäft geschlossen: so ist selbiges nur eben so zu beurtheilen, wie wenn es innerhalb Landes ge- schlossen wäre “. , und nur ausnahmsweise nach Preußischem Rechte, wenn nämlich beide Contrahenten Preußen sind A. L. R. II. 8 § 938 (abgedruckt in Note l ). — Daß diese Auffassung die richtige sey, wurde früherhin bestritten, in . — Wie ist es nun zu erklären, daß das Landrecht hier von dem allge- bei Wechseln gänzlich die allge- meine Handlungsfähigkeit von der Wechselfähigkeit; diese letzte sey nach Preußischem Recht eine Ge- werbsberechtigung, ein Privilegium der Kaufleute. Diese Auffassung scheint mir gezwungen, und erklärt auch nicht einmal die besonderen Vorschriften über das örtliche Recht bei der Wechselfähigkeit (s. u. Note q ). §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) meinen Grundsatz des § 23 der Einleitung (§ 363. a ) ab- geht, und denselben nur noch ausnahmsweise für den Fall gelten läßt, wenn zwei Preußen mit einander ein Wechsel- geschäft abschließen? Der Grund dieser Abweichung liegt, wie ich glaube, in der ganz eigenthümlichen Beschaffenheit der Preußischen Gesetzgebung über die Wechselfähigkeit. Wenn ein Berliner in Paris an einen Franzosen einen Wechsel ausstellt, so wäre es gewiß höchst unbillig, von dem Franzosen, der über die künftige Wechselklage in Ber- lin Gewißheit haben wollte, zu verlangen, nicht nur, daß er jene Gesetze kenne (welches noch etwa auszuführen wäre), sondern auch daß er untersuche, ob der Aussteller Mitglied der Berliner Kaufmannscorporation, oder Rittergutsbesitzer, oder Domänenpächter sei, welche Eigenschaften gewiß nicht leicht erkennbar sind. Eine solche Unbilligkeit würde sich aber sogleich empfindlich bestraft haben, indem dadurch der Wechselcredit der im Ausland befindlichen Preußen unter- graben worden wäre. Daher war es räthlich, ja fast noth- wendig, in diesem Fall den allgemeinen Grundsatz aufzuge- ben Anders wird diese Ab- weichung erklärt in dem Staats- rathsgutachten und dem Erkennt- niß des Obertribunals (Note m ), indem an beiden Orten die Unter- scheidung der allgemeinen und besonderen Bedingungen der Handlungsfähigkeit zum Grunde gelegt wird, gegen welche ich mich im Eingang dieses § ausgesprochen . Dagegen mußte derselbe ausnahmsweise beibehalten neuerer Zeit ist es allgemein aner- kannt worden. Es spricht dafür: 1. Ein Gutachten des Staatsraths von 1834, 2. Ein Erkenntniß des Obertribunals vom 21. Nov. 1840, Entscheidungen des Obertribunals von Simon B. 6 S. 288—300, wo auch ein Auszug des vorher erwähnten Staatsrathsgutachtens S. 289 abgedruckt ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. werden für den Fall von zwei mit einander im Ausland verhandelnden Preußen, weil sonst das Preußische Gesetz über die beschränkte Wechselfähigkeit durch eine Reise über die Gränze allzuleicht umgangen werden konnte. — Es muß aber noch hinzugefügt werden, daß die eben erwähnte Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen an die Ana- logie einer anderen Bestimmung unseres Gesetzes sich an- schließt, nämlich des § 35 der Einleitung zum A. L. R. Was hier für die Ausländer in Preußen vorgeschrieben ist, wird dort auf die Preußen im Ausland übertragen, und dazu war gerade im Wechselrecht, wie so eben bemerkt, dringender Grund vorhanden. Man hätte aber auch diese Uebertragung allgemein vornehmen können, für alle Rechts- verhältnisse, ohne den Grundsätzen allzuviel zu vergeben. Ich betrachte nun ferner die Bestimmungen über die Wechselfähigkeit der Ausländer, die im Preußischen Staate Wechselgeschäfte unternehmen wollen. Hier lauten die Be- stimmungen des Gesetzes so: § 931. Fremde Reisende sind in Ansehung der Fähig- keit, Wechselverbindlichkeiten zu übernehmen, den Einschränkungen des hiesigen Wechselrechts nicht unterworfen. habe. — Wieder anders erklärt sie Koch (Note k ); da nämlich die ausschließende Wechselfähigkeit der Kaufleute in unsrem Gesetz als Privilegium des Kaufmannsstandes gedacht werde, so könne davon im Ausland keine Anwendung ein- treten. §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) § 932. Uebrigens aber werden die von ihnen in hiesigen Landen vorgenommenen Wechselgeschäfte, nach der Vorschrift der Einleitung § 38. 39. Dieses Allegat ist falsch; es muß heißen: 34. 35. Vgl. Kamptz Jahrb. B. 43 S. 445. Ergänzungen ꝛc. von Gräff ꝛc. B. 4 S. 804. — Der Irrthum beruht nicht auf einem Druckfehler, sondern darauf, daß man die Paragraphen- zahlen aus dem Gesetzbuch (1792) beibehalten hatte, die aber im A. L. R. (1794) hier, wie an mehreren Orten, abgeändert worden waren. be- urtheilt. Es liegt blos an der nicht ganz glücklichen Fassung, daß der § 931 das Ansehen hat, und auch wohl von Schriftstellern so aufgefaßt worden ist, als sollte darin eine Abweichung von den allgemeinen, in der Einleitung zum A. L. R. aufgestellten Grundsätzen vorgeschrieben werden. Es ist aber vielmehr eine reine Anwendung derselben beab- sichtigt, beide Paragraphen waren eigentlich zu entbehren, und ohne sie würde ganz Dasselbe eingetreten seyn, welches aus ihnen hervorgehen soll. Der § 932 sagt Dieses für die objectiven Erfordernisse des Wechsels ausdrücklich. Aber auch von der persönlichen Wechselfähigkeit, von welcher der § 931 spricht, muß Dasselbe behauptet werden. Denn der § 931 enthält nur den negativen Satz, daß die Einschrän- kungen des hiesigen Wechselrechts den Ausländer nicht binden sollen. Darin liegt aber gar nicht, daß er nun unbedingt wechselfähig seyn sollte; vielmehr soll er (ganz nach dem § 35 der Einleitung), in Ansehung der Wechsel- fähigkeit, nach demjenigen Gesetz beurtheilt werden, welches Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. die leichtesten Bedingungen stellt Vgl. Ergänzungen ꝛc. von Gräff ꝛc. B. 4 S. 804. — Der Unterschied vom § 35 der Ein- leitung muß allerdings eintreten, daß bei dem Wechsel nicht die Einschränkung des § 35 hinzuge- dacht werden darf, nach welcher das Geschäft nur die im Inland befindlichen Sachen betreffen darf. Dieser Unterschied liegt aber in der Natur und dem Gegenstand des Wechsels. . Diese in der That beabsichtigte Vorschrift konnte ohne besondere Gefahr so ausgedrückt werden, wie es hier geschehen ist, weil man im Voraus gewiß seyn konnte, daß kein fremdes Gesetz in der Beschränkung der persönlichen Wechselfähigkeit so weit gehen würde, wie das Preußische. Unter dieser Voraus- setzung aber reichte der negative Satz des § 931 für den praktischen Zweck völlig aus, obgleich ein einfacherer Aus- druck der eigentlichen Absicht wünschenswerth gewesen wäre zur Verhütung von Mißverständnissen. — Ist nun aber, wie ich glaube, der § 931 keine abweichende Vorschrift, sondern nur eine einfache Anwendung der allgemeinen Grundsätze, so bedarf es für ihn auch keiner besonderen Erklärung und Rechtfertigung Die Ansicht von Koch (s. o. Note k ) ist, wie ich glaube, mit dieser Bestimmung nicht wohl vereinbar. Es läßt sich denken, daß dem Preußischen Handelsstand der aus dem Wechselgeschäft zu ziehende Vortheil als ein Privile- gium, mit Ausschließung der übrigen Landeseinwohner, zugestan- den worden wäre, welches nur in der Absicht geschehen seyn könnte, um den Handelsstand zu begün- stigen. Dann wäre es aber völlig inconsequent gewesen, den in das Land kommenden Ausländern (auch den Nichtkaufleuten) den Mitgenuß jenes Vortheils zu gestatten, während man ihn den gleichartigen eigenen Unterthanen versagte. . Höchstens könnte man fragen, warum der vormundschaftliche Schutz gegen die Gefahren der Wechselstrenge, um dessen Willen das Land- §. 364. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) recht die meisten Einwohner von der Wechselfähigkeit aus- schließt, nicht auch den Ausländern zu gut kommen solle. Allein Dieses rechtfertigt sich hinreichend daraus, daß über- haupt die Gränzen schützender Maaßregeln jedem Gesetz- geber für die ihm unterworfenen Einwohner anheim gestellt bleiben. Wie also in Preußen der Franzose mit 21 Jahren fähig erkannt wird, andere Verträge zu schließen, die ihm Nachtheil bringen können, welches wir dem Preußen erst mit 24 Jahren gestatten, so müssen wir consequenterweise den Franzosen für fähig halten, in Preußen Wechselver- bindlichkeiten zu übernehmen, ohne Kaufmann, Ritterguts- besitzer oder Domänenpächter zu seyn. Alle hier erörterten Zweifel und Schwierigkeiten aber haben im Preußischen Recht ihr Ende erreicht seit dem 1. Febr. 1849, an welchem Tage hier die neue deutsche Wechselordnung in Kraft getreten ist, die Jeden, der über- haupt Verträge schließen kann, auch für wechselfähig erklärt (Note f ). §. 365. I. Zustand der Person an sich. (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit.) (Fortsetzung.) Bisher ist für die Handlungsfähigkeit das örtliche Recht des Wohnsitzes als allgemein maaßgebend behauptet worden, und zwar selbst in solchen Fällen, die von manchen Schrift- stellern anders angesehen zu werden pflegen (§ 364). Es sind aber nun noch die Gränzen der Anwendung jenes Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Grundsatzes hinzuzufügen, also die Fälle, in welchen derselbe nicht anzuwenden ist. Die Anerkennung dieser Fälle kann vielleicht auch eine Verständigung mit manchen von mir bisher bekämpften Gegnern erleichtern, welche nicht selten durch die Rücksicht auf solche Fälle dem Grundsatz selbst abgeneigt geworden seyn mögen. Diese Fälle lassen sich auf zwei Klassen zurück führen. A. Wenn ein den persönlichen Zustand (Rechtsfähigkeit oder Handlungsfähigkeit) betreffendes Gesetz unter diejenigen absoluten Gesetze gehört, die durch ihre anomale Natur außer den Gränzen der Rechtsgemeinschaft unabhängiger Staaten liegen, so hat der Richter nicht das örtliche Recht des Wohnsitzes der Person anzuwenden, sondern vielmehr das örtliche Recht des Landes, dem der Richter angehört. Dieser Grundsatz ist oben (§ 349) ausführlich dargestellt worden, und es kommt hier nur darauf an, einige der wichtigsten Anwendungen desselben auf die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, wovon gegenwärtig die Rede ist, anzugeben. 1. Wo die Polygamie als Recht besteht, hat auch Der, welcher in einer gegenwärtigen Ehe lebt, die Fähigkeit, neben derselben eine zweite und fernere Ehe einzugehen. Der Richter eines christlichen Staates aber wird ihm dafür keinen Rechtsschutz gewähren, also, in Ansehung dieser Art der Handlungsfähigkeit, nicht das Recht des persönlichen Wohnsitzes, sondern das Recht des eigenen Landes, zur Anwendung bringen. §. 365. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) 2. Wenn Der, welchem als Ketzer das Recht seiner Heimath die Rechtsfähigkeit versagt, in einem Lande Rechte erwerben und Handlungen vornehmen will, das ein solches Ketzerrecht als unsittlich verwirft, vielleicht selbst der Religion dieses sogenannten Ketzers zugethan ist, so wird der Richter dieses Landes nicht das am Wohnsitz der Person geltende, sondern das eigene, einheimische Recht zur Anwendung bringen Hert. § 8 Note 3. — Anders verhält es sich wohl mit der Unfähigkeit auswärtiger Mönche zum Erwerb von Erbschaften, welches Recht ihres Wohnsitzes, als zur gewöhnlichen Handlungs- fähigkeit gehörend, auch auf dem freien Willen der Person beruhend, in unsrem Staate anzuerkennen ist. Hert. §. 13. Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note 1. . 3. Wenn die Gesetze eines Landes die Erwerbsfähig- keit kirchlicher Institute (der todten Hand) einschränken, so werden daselbst von dieser Einschränkung auch die in einem anderen Lande bestehenden kirchlichen Institute be- troffen werden. Umgekehrt werden in dem anderen Lande, das solche Gesetze nicht hat, die kirchlichen Institute, die in ihrer Heimath unter solchen Gesetzen stehen, solchen Ein- schränkungen nicht unterliegen. Es wird also in beiden Fällen die Handlungsfähigkeit zu beurtheilen seyn nach dem Recht des Landes, dem der urtheilende Richter angehört, nicht nach dem an dem Wohnsitz eines solchen Instituts geltenden Recht. 4. Erklärt ein Landesgesetz die Juden für unfähig zum Erwerb des Grundeigenthums, so bindet dasselbe VIII. 11 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. sowohl fremde als einheimische Juden; die einheimischen Juden aber sind dadurch nicht gehindert, in einem anderen Lande, das ein solches Gesetz nicht hat, Grundeigenthum zu erwerben. In beiden Fällen also kommt das am Wohnsitz der Person geltende örtliche Recht nicht zur An- wendung. 5. Ganz dieselbe Bewandniß hat es mit einem be- kannten Französischen Gesetz, welches in einigen westlichen (theilweise nachher an deutsche Staaten abgetretenen) De- partements die Juden für unfähig erklärte, Schuldfor- derungen anders, als unter gewissen, sehr beschränkenden, Bedingungen zu erwerben. Dieses Gesetz bindet inner- halb eines solchen Landes alle Juden, einheimische und fremde Wächter II. S. 173. Foelix p. 147. — Damit stimmt überein ein Urtheil des O. A. G. zu München. Seuffert Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten B. 1 N. 35. ; die einheimischen werden davon in einem anderen Lande nicht betroffen. Von dem örtlichen Recht des Wohnsitzes ist also dabei keine Rede. Die hier zusammengestellten Fälle gründen sich darauf, daß das anzuwendende Gesetz über die Rechtsfähigkeit oder Handlungsfähigkeit eine streng positive und zwingende Natur hat Es bedarf kaum der Er- innerung, daß der Werth oder Unwerth der hier beispielsweise angeführten Gesetze für unsre Frage gleichgültig ist, also dahin gestellt bleibt. . In folgenden Fällen wird eine gleichmäßige Aus- nahme von der sonst geltenden Regel des Wohnsitzes des- §. 365. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) wegen behauptet werden müssen, weil in einem Staate irgend ein Rechtsinstitut des anderen Staates überhaupt keine Anerkennung gefunden hat. 6. So verhält es sich mit der aus dem bürgerlichen Tod des Französischen und des Russischen Rechts hervor- gehenden Rechtsunfähigkeit. Der Richter eines Staates, dem das Institut des bürgerlichen Todes fremd ist, wird davon keine Anwendung machen, also das Recht des Wohnsitzes nicht beachten dürfen (§ 349. d ). 7. Ganz Dasselbe gilt von der Rechtsunfähigkeit eines Negersklaven, wenn dieselbe zur Sprache kommt in einem Staate, der die Sklaverei überhaupt nicht als ein Rechts- institut anerkennt (§ 349. e ). B. Andere Fälle, in welchen die Anwendbarkeit unsres Grundsatzes verneint werden muß, haben den Grund der Verneinung darin, daß in ihnen gar nicht von der Rechts- fähigkeit oder Handlungsfähigkeit, die allein hierher gehört, die Rede ist, daß sie also ihrer Natur nach außer den Gränzen dieser Lehre liegen, und nur durch täuschenden Schein dahin gezogen werden können. Dahin rechne ich folgende Fälle: 1. In manchen Ländern hat der Adel gewisse eigen- thümliche Rechte im Erwerb des Grundeigenthums oder in der Erbfolge. Diese Privilegien haben mit unsrer Lehre gar keinen inneren Zusammenhang. Ob sie blos dem einheimischen Adel, oder auch dem auswärtigen, zu- stehen sollen, hängt von dem Inhalt der das Privilegium 11* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. begründenden Rechtsnormen ab; aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz läßt sich diese Frage nicht entscheiden Wächter II. S. 172. . 2. Eine ganz ähnliche Bewandniß hat es mit den Privilegien im Concurs, welche nach manchen Gesetzen den Kirchen und Klöstern, oder auch dem Fiscus, zukommen. Was insbesondere den Fiscus betrifft, so ist damit nicht der abstracte Begriff eines Fiscus überhaupt, sondern stets nur der einheimische Fiscus gemeint. Alle solche Rechte aber gehören nicht hierher, sondern zur Lehre vom Concurse Wächter II. S. 173. 181. . 3. Zweifelhafter ist die Restitution der Minderjähri- gen, indem genau festgestellt werden muß, in welchem Sinn das Recht derselben in der Gesetzgebung selbst gedacht wird. Ursprünglich war dieselbe aufgefaßt als eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit, so daß sie dem Minderjährigen als ein Surrogat dienen sollte für die den Unmündigen schützende völlige Unfähigkeit. Seitdem aber die Restitution auch auf die Handlungen der Cu- ratoren angewendet, und in dieser Gestalt selbst auf die Tutoren der Unmündigen ausgedehnt worden ist, hat sie jenen Charakter verloren S. o. B. 7 §. 322. . Sie gehört nun nicht mehr hierher, zu der Einschränkung der Handlungsfähigkeit, muß vielmehr in Ansehung des anwendbaren örtlichen §. 365. I. Zustand der Person an sich. (Forts.) Rechts so, wie andere Anfechtungsgründe der Rechts- geschäfte, behandelt werden Vgl. Wächter II. S. 174. 179. . 4. Eben so muß auch behauptet werden, daß die Begünstigung der Minderjährigen, wodurch sie gegen alle Klagverjährungen unter 30 Jahren geschützt sind (und zwar selbst ohne Restitution) S. o. B. 7 § 32 4 N. 1. , mit der Handlungs- fähigkeit keine Verbindung hat, also in Ansehung des örtlichen Rechts nicht nach den hier aufgestellten Regeln zu beurtheilen ist Wächter II. S. 179. , sondern nach den für die Klagver- jährung geltenden Regeln. Zum Schluß dieses Theils der Untersuchung mögen noch zwei allgemeine Bemerkungen folgen. Es war hier die Rede von der Rechtsfähigkeit und der Handlungsfähigkeit (§ 362—365). Unter diesen beiden Verhältnissen gebührte im Römischen Recht der erste Rang der Rechtsfähigkeit, sie war das Ueberwiegende. Im heutigen Recht verhält es sich umgekehrt, indem die Römi- schen Einschränkungen der Rechtsfähigkeit theils ganz ver- schwunden, theils vermindert sind. Verschwunden ist der Einfluß der Freiheit und der Civität, vermindert der auf die väterliche Gewalt gegründete Einfluß. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Eine zweite Bemerkung betrifft den Wohnsitz, als den hier anerkannten Bestimmungsgrund für das in jedem ein- zelnen Fall anwendbare örtliche Recht über den persönlichen Zustand. Der Wohnsitz aber hat eine veränderliche wech- selnde Natur, und daher wird auch der persönliche Rechts- zustand in Folge des veränderten Wohnsitzes wandelbar seyn, dergestalt, daß der Rechtszustand in jeder Zeit zu be- urtheilen ist nach dem örtlichen Recht des gegenwärtigen Wohnsitzes, nicht nach dem des früheren, wenngleich dieser von der Geburt an bestanden haben sollte Diese ganze Frage gehört zu den oben, § 344. e , vorbehaltenen. . Als Regel ist dieser Satz ziemlich allgemein anerkannt Story § 69 fg. , und er wird namentlich, wenn auch nur auf indirecte Weise, durch eine Stelle des Preußischen Landrechts bestä- tigt A. L. R. Einl. § 24. „Eine bloße Entfernung aus seiner Gerichtsbarkeit, bei welcher die Absicht, einen andern Wohnsitz zu wählen, noch nicht mit Zuver- lässigkeit erhellet, verändert die persönlichen Rechte und Pflichten dieses Menschen nicht.“ Darin liegt der unzweifelhafte Gegensatz, daß die zuverlässige Wahl eines neuen Wohnsitzes die persönlichen Rechte in der That verändert. . Nach zwei Seiten bedarf derselbe jedoch einer genaueren Erwägung. Erstlich wird jener Satz leicht und allgemein anerkannt werden von den Gerichten des neuen Wohnsitzes; eben so auch von den Gerichten irgend eines dritten Ortes. Dage- gen findet sich nicht selten ein Widerspruch von Seiten der Gerichte des früheren Wohnsitzes, welche ihr eigenes ört- §. 365 I. Zustand der Person an sich. (Forts.) liches Recht auch nach verändertem Wohnsitz der Person fest halten wollen, obgleich grundsätzlich dieser Widerspruch nicht zu rechtfertigen ist Story a. a. O. führt so- wohl Schriftsteller, als Amerika- nische und Englische Urtheils- sprüche, für die eine oder andere Meinung an. Indessen spielen’ in seiner ausführlichen Erörterung zwei an sich sehr verschiedene Fragen in einander: Die Collision des alten und neuen Wohnsitzes, und die Collision des Wohnsitzes über- haupt mit dem Ort, wo ein Rechtsgeschäft (z. B. eine Ehe) geschlossen wird. . Zweitens verdient besondere Erwägung eine vorzüglich häufige und wichtige Anwendung jenes Satzes, die auf den gesetzlichen Zeitpunkt der Volljährigkeit. Eine unbe- dingte Anwendung der oben aufgestellten Regel würde hier zwei entgegengesetzte Folgen mit sich führen. Das Preußische Landrecht setzt die Volljährigkeit auf vier und zwanzig Jahre, das in Cöln geltende Französische Recht auf ein und zwanzig. Wenn nun im Alter von zwei und zwanzig Jahren ein Berliner seinen Wohnsitz nach Cöln verlegt, so müßte er augenblicklich volljährig werden. Verlegt dagegen im gleichen Alter ein Cölner den Wohnsitz nach Berlin, so müßte er wieder minderjährig werden, von Neuem unter Vormund- schaft kommen, und noch zwei Jahre unter derselben bleiben. — Die erste dieser beiden Folgen hat auch kein Bedenken, und wird schwerlich einen Widerspruch erfahren. Die zweite Folge aber, obgleich sie von aͤlteren Schriftstellern gleichfalls vertheidigt wird Lauterbach de domici- lio § 69, Dissert. Vol. 2 p. 1353. Hert. § 5 am Ende des §. , ist aus folgenden Gründen zu ver- werfen. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Für den Minderjährigen, der an seinem Wohnsitz das gesetzliche Alter der Volljährigkeit erreicht, hat die dadurch erlangte Selbstständigkeit ganz die Natur eines erworbenen Rechts, welches ihm also durch die blos zufällige Verände- rung des Wohnsitzes nicht wieder entzogen werden kann. Diese Auffassung erhält eine besondere Bestätigung durch die Vergleichung mit dem Fall, wenn die Volljährigkeit an dem früheren Wohnsitz nicht durch das Alter, sondern durch venia aetatis, erworben, und nachher der Wohnsitz verlegt wird. Die Folgen einer solchen landesherrlichen Verleihung können ihm unmöglich wieder entzogen werden Dieses Letzte wird auch anerkannt in der Uebereinkunft zwischen Preußen und Sachsen vom J. 1821 § 3 (Ges. Samml. S. 39). Desgleichen wird es anerkannt von Hert § 8, der also hierin ganz inconsequent ist (Note n ). . Es würde aber unnatürlich und willkürlich sein, der auf das Gesetz der früheren Heimath gegründeten Volljährigkeit ge- ringere Kraft und Dauer zuzuschreiben, als der aus Ver- leihung entstandenen. Die hier aufgestellte Behauptung ist im Preußischen Recht, sowohl durch die Praxis der Gerichte, als durch Schriftsteller, unzweifelhaft anerkannt Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note 1. Num. 2. Koch Preuß. Recht § 40 Note 11. Beide geben mehrere Rescripte des Justizministerii an, wodurch die Praxis der Gerichte außer Zweifel gesetzt wird. . §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln . Indem wir jetzt zu den Rechten an einzelnen Sachen, oder den dinglichen Rechten, übergehen, um das Rechtsge- biet, dem sie angehören, zu ermitteln, werden wir schon durch den Gegenstand derselben zur Bestimmung dieses Ge- bietes hingeführt. Denn da ihr Gegenstand sinnlich wahr- nehmbar ist, also einen bestimmten Raum erfüllt, so ist der Ort im Raum, an welchem sie sich befinden, zugleich der Sitz jedes Rechtsverhältnisses, dessen Gegenstand sie seyn sollen. Wer an einer Sache ein Recht erwerben, haben, ausüben will, begiebt sich zu diesem Zweck an ihren Ort und unterwirft sich freiwillig für dieses einzelne Rechts- verhältniß dem in diesem Gebiet herrschenden örtlichen Recht. Wenn also behauptet wird, daß die dinglichen Rechte nach dem örtlichen Recht der gelegenen Sache ( lex rei sitae ) zu beurtheilen seyen, so beruht diese Behauptung auf dem- selben Grunde, wie die Anwendung der lex domicilii auf den persönlichen Zustand. Beides entspringt aus freiwilli- ger Unterwerfung. Auch hier zeigt sich der schon oben hervorgehobene innere Zusammenhang des Gerichtsstandes mit dem ört- lichen Recht S. o. § 360 Num. 1. Ueber das forum rei sitae ist im Allgemeinen zu vergleichen: Bethmann Hollweg , Versuche S. 69 — 77, wo die hier folgenden Sätze weiter ausgeführt sind. . Zwar war im älteren Römischen Recht Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. das forum rei sitae ganz unbekannt Vatic. fragm. § 326. — Das Gegentheil folgt nicht aus L. 24 § 2 de jud. (5. 1), welche Stelle nicht vom forum rei sitae spricht, sondern von dem forum originis, das jeder Römische Bür- ger in der Stadt Rom, noch neben seiner besonderen Heimath, hatte, dem sich aber die Legaten entziehen konnten (§ 352. k ). . Allein es wurde schon frühe für die Eigenthumsklage eingeführt L. 3. C. ubi in rem (3. 19). , und später auf andere Klagen in rem ausgedehnt Nov. 69. — Ob diese Aus- dehnung hier als ganz neues Recht eingeführt, oder nur anerkannt werden sollte, während sie schon früher in die Praxis Eingang ge- funden hatte, ist in Ermangelung von Quellen nicht zu eutscheiden. Mühlenbruch Archiv B. 19 S. 377 behauptet wohl zu be- stimmt, daß jenes Gesetz nichts Neues enthalten sollte. . Es gilt jedoch nicht als ausschließender Gerichtsstand, sondern so, daß der Kläger die Wahl hat zwischen dem (speciellen) fo- rum rei sitae und dem (allgemeinen) forum domicilii. Allein eine solche, von einseitiger Willkür abhängige, Unbestimmt- heit würde für die Bestimmung des örtlichen Rechts, das einer festen Regel bedarf, nicht anwendbar sein. Daher muß für diesen Zweck Eines von Beiden ausschließend gelten, und dieses Eine wird nur das örtliche Recht der gelegenen Sache ( lex rei sitae ) sein können, indem dasselbe durch den speciellen, gerade auf dieses einzelne Rechtsver- hältniß gerichteten, Willen gerechtfertigt wird. Dieser Vor- zug wird auch noch durch einen anderen Grund unterstützt. Zu demselben Recht auf eine einzelne Sache können meh- rere Personen in Beziehung stehen, deren jede einen beson- deren Wohnsitz haben kann. Sollte nun das Recht des §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. Wohnsitzes maaßgebend sein für die dinglichen Rechte, so würde in einem solchen Fall der Zweifel übrig bleiben, welcher Wohnsitz zu entscheiden hätte. Dieser Zweifel ver- schwindet von selbst durch den Vorzug der lex rei sitae, die stets eine einfache, ausschließende Natur hat. Der hier aufgestellte Grundsatz hat denn auch im All- gemeinen von jeher Anerkennung gefunden, und es steht damit in Verbindung der oben erwähnte Begriff der Real- statuten (§ 361 Nr. 1.), durch welchen eben ausgedrückt werden sollte, daß die Gesetze, welche zunächst und haupt- sächlich über das Recht an Sachen Verfügung treffen, an- zuwenden seyen auf alle im Gebiet dieses Gesetzgebers lie- gende Sachen, ohne Rücksicht darauf, ob einheimische oder fremde Personen zu diesen Sachen in Beziehung treten möchten. Jedoch wurde lange Zeit hindurch die Anerken- nung dieser richtigen Lehre durch folgende willkürliche Unter- scheidung verkümmert, die ihr alle innere Haltung und Consequenz entzog. Der Grundsatz sollte nämlich nur gel- ten in Anwendung auf unbewegliche Sachen; dagegen sollten die beweglichen beurtheilt werden, nicht nach der lex rei sitae, sondern nach der lex domicilii, indem vermöge einer Fiction angenommen werden müsse, daß bewegliche Sachen, auch wenn sie anderwärts sich befänden, doch so angesehen werden müßten, als befänden sie sich an dem Wohnsitz der Person Neuere Schriftsteller be- zeichnen nicht selten diese Ansicht durch die Formel: mobilia ossibus inhaerent, und zwar in solcher . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Diese Unterscheidung ist eigentlich entstanden auf dem Gebiete des Erbrechts, wo davon eine sehr wichtige, und zwar ganz irrige, Anwendung gemacht worden ist. Von da ist sie erst übertragen worden auf die Rechte an ein- zelnen Sachen, wozu sie aber großentheils so entschieden nicht paßt, daß ihre consequente Anwendung auf die ding- lichen Rechte oft ganz unhaltbar ist, und auch schwerlich Vertheidiger finden wird. Grundsätzlich ist diese Unterschei- dung in beiden hier erwähnten Gebieten der Anwendung zu verwerfen, so daß überall ein und dasselbe örtliche Recht auf bewegliche und unbewegliche Sachen anzuwenden ist. Jedoch muß gleich hier darauf aufmerksam gemacht werden, daß in diesen beiden Anwendungen die Parteimei- nungen auf ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Weise ein- ander gegenüber stehen. — Im Erbrecht ist, der richtigen Meinung nach, das örtliche Recht des Wohnsitzes auf Sachen aller Art anzuwenden. Die Gegner geben Dieses zu bei den beweglichen, wollen aber bei den unbeweglichen ein anderes Recht, das Recht der gelegenen Sache, zur Anwendung bringen. — Umgekehrt ist im Sachenrecht, der richtigen Meinung nach, das örtliche Recht der gelegenen Sache, und zwar bei Sachen aller Art, anzuwenden. Die Gegner geben dieses zu bei den unbeweglichen Sachen, Weise, daß man glauben möchte, diese Formel fände sich bei den älteren auf jeder Seite. So Story § 362. Schäffner § 65. Dieses ist aber nicht richtig, und ich weiß auch den Ursprung jener Formel nicht anzugeben. §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. wollen aber bei beweglichen Sachen das am Wohnsitz der Person geltende örtliche Recht anwenden. Bei der gegenwärtig (für das Sachenrecht) vorliegenden Frage nach dem Werth jener Unterscheidung wollen wir zunächst erwägen, wohin die in verschiedenen Zeitaltern ent- sprungene Gesetzgebung neigt. Und hier können wir nicht in Abrede stellen, daß die älteren Deutschen Rechtsbücher, der Sachsenspiegel und Schwabenspiegel, allerdings eine besondere Rücksicht auf unbewegliche Sachen zu nehmen scheinen, insofern also die hier bekämpfte Unterscheidung scheinbar begünstigen Sachsenspiegel I. 30, III. 33. Schwabenspiegel Kap. 87. 130. 405. . Indessen sind die darauf bezüg- lichen Stellen so schwankend und unbestimmt, und es bleibt besonders so zweifelhaft, welche Gegensätze dabei im Hin- tergrunde liegen, daß durchaus keine sichere Behauptung darauf gebaut werden kann. Die Bairische Gesetzgebung aus der Mitte des achtzehn- ten Jahrhunderts erklärt sich entschieden gegen jene Unter- scheidung, und will bei beweglichen und unbeweglichen Sachen das örtliche Recht der gelegenen Sache gelten lassen Cod. Bavar. Maximil . P. 1. C. 2. § 17 „so soll … in realibus vel mixtis auf die Rechten in loco rei sitae ohne Unterschied der Sachen, ob sie beweglich oder unbeweglich … gesehen und erkannt werden.“ Die ganze Stelle ist abgedruckt bei Eichhorn deutsches Recht § 34 Note d. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Dagegen haben sich die in neuere Zeiten fallende Ge- setzbücher der zur Zeit ihrer Abfassung herrschenden Unter- scheidung angeschlossen, jedoch in so abstracter und unbe- bestimmter Weise, daß daraus ein sicherer Schluß, insbe- sondere auf die beabsichtigte Behandlung der dinglichen Rechte, durchaus nicht gezogen werden kann. Dieses gilt vom Preußischen Recht A. L. R. Einleitung § 28. „Das bewegliche Vermögen eines Menschen wird … nach den Ge- setzen der ordentlichen Gerichts- barkeit desselben beurtheilt “ (d. h. nach dem Wohnsitz § 23). — § 32 „In Ansehung des unbeweg- lichen Vermögens gelten , ohne Rücksicht auf die Person des Eigen- thümers, die Gesetze der Ge- richtsbarkeit, unter welcher sich dasselbe befindet.“ , und in noch höherem Grade vom Oesterreichischen Oesterr. Ges. § 300 „Un- bewegliche Sachen sind den Ge- setzen des Bezirks unterworfen , in welchem sie liegen; alle übrige Sachen hingegen stehen mit der Person ihres Eigenthümers unter gleichen Gesetzen . . Das Französische Gesetzbuch aber deutet seine Zustimmung zu der herrschenden Unter- scheidung nur stillschweigend an, indem es für unbewegliche Sachen die Anwendung des örtlichen Rechts der gelegenen Sache vorschreibt, von den beweglichen Sachen aber gar Nichts sagt Code civil art. 3. „Les immeubles, même ceux possé- dés par des étrangers, sont régis par la loi française.“ . Alle diese Gesetzbücher sagen nur, daß gewisse Sachen nach diesen oder jenen Gesetzen beurtheilt wer- den , ihnen unterworfen sind u. s. w. Solche allge- meine Aussprüche aber sind vereinbar mit den verschiedensten Deutungen in Beziehung auf die Art und die Gränze einer solchen Beurtheilung oder Unterwerfung. §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. Ich gehe nun über zu den Meinungen der Schriftsteller über die hier vorliegende Frage. In der älteren Zeit erklären sich die meisten und ange- sehensten derselben entschieden für die eben erklärte Unter- scheidung der beweglichen und unbeweglichen Sachen Argentraeus Num. 30. — Rodenburg Tit. 1 C. 2 — P. Voet . Sect. 4 C. 2 § 8. — I. Voet . §. 11. (dieser jedoch mit der sehr beachtenswerthen Ein- schränkung, daß Gesetze von poli- zeilicher Natur, z. B. über Getreide- ausfuhr, eine streng territoriale Einwirkung auch auf die beweg- lichen Sachen im Lande haben müßten). , und diese Meinung hat sich auch noch bis in sehr neue Zeit hin erhalten Story Chap. 9. 10 und § 362. — Foelix p. 72 — 75 p. 80. — Schäffner § 54 — 56 § 65 — 68. — Story § 386 be- merkt jedoch, daß die Gerichte von Louifiana auch bei beweglichen Sachen die lex rei sitae (nicht domicilii ) als anwendbar be- trachten. . Indessen ist sie doch bei mehreren der neuesten Zeit angehörigen Rechtslehrern mehr scheinbar, als in der Wirklichkeit anzutreffen. Sie tragen jene Lehre zwar in denselben allgemein lautenden Formen vor, wie ihre Vorgänger, und schließen sich also diesen scheinbar an Foelix und Schäffner (Note m ). , wo es aber darauf ankommt, dieselbe auf die Rechte an einzelnen Sachen wirklich anzuwenden, gehen sie wieder davon ab, und werden also dem eigenen Grundsatz untreu Foelix p. 78. — Schäffner § 66, welcher geradezu behauptet, für die Rechte an ein- zelnen Sachen gebe es gar keine allgemeine Regel. . Dagegen wird diese Unterscheidung von den meisten neueren Schriftstellern völlig verworfen, also eine gleiche Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Regel für bewegliche und unbewegliche Sachen (das örtliche Recht der gelegenen Sache) behauptet Mühlenbruch doctrina Pand. §. 72. Meißner vom stillschweigenden Pfandrecht. Ganz besonders aber Wächter I. S. 292. — 298. II. S. 199 — 200. S. 383. — 389, wo auch I. 293 Note 130 noch mehrere Vertheidiger dieser Meinung angeführt werden. , für welche Mei- nung auch ich mich bereits ausgesprochen habe. Die schwächste Seite jener unterscheidenden Meinung, welche auf die beweglichen Sachen nicht die lex rei sitae, sondern die lex domicilii anwenden will, wird von den Vertheidigern derselben meist umgangen oder verhüllt. Man sagt, der Wohnsitz der Person solle über das anzuwen- dende örtliche Recht entscheiden; welche Person aber ist damit gemeint Diese Einwendung ist sehr gut hervorgehoben von Wächter I. S. 293. ? Ohne Zweifel die bei dem Rechts- verhältniß zu dieser Sache betheiligte Person; dieses ist aber ein sehr vieldeutiger Begriff, und dadurch wird die ganze Behauptung selbst, auch wenn man sie zugeben wollte, in hohem Grade unbestimmt und schwankend. Man kann unter dem Betheiligten den Eigenthümer verstehen So wird es aufgefaßt in der Preußischen und der Oesterreichi- schen Gesetzgebung, s. o. Noten h. und i. ; daneben aber bleibt es zweifelhaft, ob bei einer Uebertra- gung des Eigenthums der alte oder der neue Eigenthümer gemeint sein soll; eben so, bei einem Streite über das Ei- genthum, welche der beiden streitenden Parteien, deren jede das Eigenthum sich zuschreibt. — Man kann aber auch §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. den Gedanken an den Eigenthümer ganz aufgeben, und dafür den Besitzer annehmen, wodurch allerdings die Aus- führung vereinfacht und erleichtert wird. — Außer dem Eigenthum endlich kommen noch verschiedene andere dingliche Rechte in Betracht, und jedes derselben, wenn es vorhan- den ist, oder auch nur behauptet wird, führt wieder auf eine neue bei dieser Sache betheiligte Person. — So ist also die auf den Wohnsitz der Person gerichtete Behauptung, selbst wenn sie an sich Grund hätte, doch eine sehr viel- deutige, indem jede der hier genannten Personen einen ver- schiedenen Wohnsitz haben kann; und daher ist die behaup- tete Regel nicht dazu geeignet, eine praktische Lösung der Aufgabe herbei zu führen. Die Hauptfrage aber bleibt immer die, ob denn ein in- nerer Grund vorhanden ist, die dinglichen Rechte an be- weglichen Sachen nach einem anderen örtlichen Recht zu beurtheilen, als die an unbeweglichen. Gerade Dieses muß durchaus verneint werden. Vielleicht ist eine Einigung über die ganze Frage bisher am meisten dadurch verhindert worden, daß man die Frage selbst zu abstract aufgefaßt hat. Ich will es versuchen, anschaulich zu machen, wie sich die Sache im wirklichen Leben auf ganz verschiedene Weise gestaltet. Diese Betrachtung wird zugleich dahin führen, die Entstehung der Meinung, die ich für irrig halte, zu erklären, und das in ihr enthaltene wahre Element nach- zuweisen. VIII. 12 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Wenn wir die räumliche Lage beweglicher Sachen be- trachten, so können wir dabei zwei äußerste, völlig entge- gengesetzte, Fälle unterscheiden, zwischen welchen viele an- dere Fälle, mit mancherlei Abstufungen, in der Mitte liegen. Erstlich kann die räumliche Lage der beweglichen Sache in solchem Grade unbestimmt und wechselnd seyn, daß da- durch ein bestimmtes Bewußtseyn dieser Lage, so wie des Landgebiets worin das örtliche Recht besteht, folglich auch die Annahme einer freiwilligen Unterwerfung unter dieses örtliche Recht, völlig ausgeschlossen wird. Dahin gehören etwa folgende Fälle. Ein Reisender, der sich mit seinen Sachen in einem Eilwagen oder auf einer Eisenbahn be- wegt, kann in Einem Tage mehrere Landgebiete durchschnei- den, ohne auch nur daran zu denken, in welchem derselben er sich augenblicklich befindet. Derselbe Fall tritt ein, wenn ein Kaufmann Waaren auf weite Strecken hin versendet, so lange als diese Waaren auf dem Wege sind; besonders im Seehandel, wenn die Waaren nach verschiedenen Häfen, vielleicht nach verschiedenen Welttheilen, verschifft werden, damit irgendwo ein vortheilhafter Verkauf bewirkt werde. — In solchen Fällen kann man von dem örtlichen Recht der gelegenen Sache allerdings keine Anwendung machen; man wird vielmehr in Gedanken irgend einen Ruhepunkt aufsuchen müssen, an welchem solche Sachen auf längere, vielleicht unbestimmte Zeit zu bleiben bestimmt sind. Ein solcher Ruhepunkt kann vielleicht aus dem erweislichen §. 366 II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. Willen des Eigenthümers unzweifelhaft hervorgehen; in andern Fällen wird er mit dem Wohnsitz des Eigenthümers zusammen fallen. Dieses Letzte wird unter Anderm anzu- nehmen seyn bei dem Reisegepäck, das nach vollendeter Reise in die Heimath zurück zu kehren pflegt; oft aber auch bei den in Fracht gehenden Waaren, die der Eigenthümer, wenn kein Verkauf zu Stande kommt, vielleicht nach seinem Wohn- sitz kommen läßt, um sie da bis zu einer günstigeren Zeit aufzubewahren. Die einseitige Rücksicht auf Fälle solcher Art scheint die oben dargestellte Behauptung veranlaßt oder unterstützt zu haben, nach welcher das örtliche Recht des Wohnsitzes bei beweglichen Sachen überhaupt anwendbar sein soll Daraus erklärt es sich auch wohl, warum Amerikanische Ge- richte u. Schriftsteller (wie Story ) dieser Meinung sehr zugethan sind, denn bei diesen ist die vorherrschende Rücksicht auf den Seehandel sehr natürlich. . Der zweite, völlig entgegengesetzte, Fall setzt voraus, daß bewegliche Sachen eine Bestimmung erhalten haben, die sie an einem bleibenden Aufenthalt fest bindet. So geschieht es mit dem Mobiliar eines Hauses, mit einer da- selbst aufgestellten Bibliothek oder Kunstsammlung, mit dem Inventar eines Landgutes. Zwar kann auch bei sol- chen Sachen die Absicht geändert, sie können an einen an- deren Ort, in ein anderes Land gebracht werden; allein diese Veränderungen sind zufällig, und liegen außer dem 12* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gegenwärtigen Bewußtseyn und Willen des Besitzers Dieses Verhältniß beweg- licher Sachen von bleibender räum- licher Bestimmung wird auch im Römischen Recht öfter erwähnt, wenngleich aus anderen juristischen Veranlassungen, als der hier vor- liegenden. L. 35 pr. § 3 — 5 de her. inst. (28. 5), L. 17 de act. emt. (19. 1), L. 32 de pign. (20. 1), L. 203 de V. S. (50. 16). . Es verhält sich damit genau, wie mit dem Wohnsitz einer Person, welcher gleichfalls als bleibend gedacht wird, und dennoch in der Zukunft stets veränderlich bleibt (§ 353). — Bei Sachen dieser Art nun ist auch nicht einmal ein scheinbarer Grund vorhanden, sie anders zu behandeln, als unbewegliche Sachen, vielmehr sind sie ohne allen Zweifel, eben so wie diese, nach demjenigen örtlichen Recht zu be- urtheilen, welches durch ihre gegenwärtige Lage (nicht durch den Wohnsitz des Eigenthümers oder Besitzers) bestimmt wird. Dieses wird denn auch von mehreren Schriftstellern anerkannt, die außerdem die Unterscheidung beweglicher und unbeweglicher Sachen grundsätzlich vertheidigen, die also für die angegebene Klasse von Sachen eine Ausnahme ihrer Regel behaupten, und insofern eine mittlere Meinung ver- treten I. Voet . ad Pand. I. 8. §. 14, Story § 382, und mehrere andere bei Wächter I. S. 296 Note 133 angeführte Schriftsteller. . Zwischen den hier dargestellten Klassen beweglicher Sachen liegen endlich viele andere in der Mitte, und zwar in den verschiedensten Abstufungen. Als Beispiele können gelten die Kaufmannswaaren, die der Eigenthümer an einem an- deren Ort, als an seinem Wohnsitz, auf unbestimmte Zeit §. 366. II. Sachenrecht. Gemeinsame Regeln. aufbewahren läßt, das Reisegeräthe bei einem vorübergehenden Aufenthalt des Eigenthümers an einem fremden Orte u. s. w. Bei diesen wird es von den Umständen abhängen, ob sie der ersten oder der zweiten Klasse von Sachen beigezählt werden sollen. Es wird Dieses nicht blos von dem kürzeren oder längeren Aufenthalt solcher Sachen abhängen, sondern auch von der Natur der Rechtsregel, deren Anwendbarkeit gerade in Frage gestellt wird. So z. B. wird bei der Frage nach der Form der Veräußerung (Tradition oder bloßer Vertrag) auch schon ein sehr kurzer Aufenthalt an einem bestimmten Orte hinreichen, um das örtliche Recht der gelegenen Sache für anwendbar zu erachten, anstatt daß die Ersitzung viel- leicht anders anzusehen sein wird. Im Allgemeinen aber müssen wir die Anwendung des örtlichen Rechts der gele- genen Sache als Regel festhalten, so daß uns eine ab- weichende Behandlung der oben dargestellten ersten Klasse von Sachen nur als eine (verhältnißmäßig seltnere) Aus- nahme gelten darf. §. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum . Ich will hier die einzelnen, das Eigenthum betreffenden, Rechtsfragen der Reihe nach durchgehen, bei welchen von der Anwendbarkeit verschiedener örtlicher Rechte die Rede seyn kann. 1. Die Fähigkeit einer Person, Eigenthum zu erwerben, und eben so die Fähigkeit einer Person, das ihr gehörende Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Eigenthum aufzugeben, ist zu beurtheilen nach dem örtlichen Recht, welches am Wohnsitz der einen oder der anderen Person gilt (§ 362), also nicht nach dem Recht der gele- genen Sache, weil jede dieser Fähigkeiten nur ein einzelner Zweig der allgemeinen Rechtsfähigkeit und Handlungs- fähigkeit ist, also zum persönlichen Zustand gehört. Diese Regel ist von folgenden irrigen Standpunkten aus bestritten worden, welche schon oben ihre Erledigung gefunden haben. Manche sagen, jene Fähigkeiten gehörten nicht zu den Eigenschaften der Person an sich, sondern zu den rechtlichen Wirkungen jener Eigenschaften; dabei aber soll nicht das Recht des Wohnsitzes zur Anwendung kommen, sondern das Recht des jedesmal urtheilenden Richters Von dieser Meinung ist oben ausführlich gehandelt worden §. 362. . Andere lassen zwar im Allgemeinen das Recht des Wohnsitzes gelten, behaupten aber eine Ausnahme für den Fall unbeweglicher Sachen. Hier soll auch die persönliche Fähigkeit nach der lex rei sitae beurtheilt werden, das heißt, es soll das Realstatut zur Anwendung kommen Vgl. oben § 362 Note g. Diese irrige Meinung hat Story § 430 — 434, der viele Schriftsteller anführt; die richtige Meinung hat Huber § 12. . Allerdings aber muß eine Ausnahme jener Regel be- hauptet werden, wenn eine Beschränkung der Erwerbs- fähigkeit vorgeschrieben wird durch streng positive, zwingende §. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum. Gesetze, wie die, welche einen polizeilichen Charakter an sich tragen. Solche Gesetze kommen zur Anwendung bei allen im Gebiete dieses Gesetzgebers befindlichen Sachen, und es ist dabei auf das Recht des Wohnsitzes der Person, die erwerben will, nicht zu sehen (§ 365). 2. Die Fähigkeit einer Sache, dem Privateigenthum unterworfen zu werden, also nicht unter die res quarum commercium non est zu gehören, ist zu beurtheilen nach dem Gesetz des Ortes, an welchem die Sache liegt. 3. Dieselbe Regel gilt für den Umfang der herrenlosen Sachen, also für die Zulässigkeit oder Beschränkung des Eigenthumserwerbs durch Occupation an Sachen mancher Art. Dahin gehören die Gesetze über die Regalität des Bernsteins, so wie mancher Arten von Mineralien. Niemand bezweifelt, daß hierin die lex rei sitae allein entscheidet, also auch auf bewegliche Sachen anzuwenden ist. Ist jedoch nach diesem Gesetz das Eigenthum einer solchen Sache einmal erworben, so muß dieses Eigenthum auch in jedem anderen Staate anerkannt werden, wenngleich dieser Staat eine gleichartige Erwerbung innerhalb seiner Gränzen nicht anerkannt haben möchte. 4. In den Formen der Veräußerung, das heißt, der freiwilligen Uebertragung des Eigenthums an eine andere Person, kommen sehr verschiedene Rechtsregeln vor, und nach dem oben aufgestellten Grundsatz müssen wir die am Ort der gelegenen Sache geltende Rechtsregel anwenden, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der einen oder der anderen Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Person, und ohne Rücksicht auf den Ort des geschlossenen Vertrages. So beruht nach dem Römischen Recht die Veräußerung auf der Uebergabe der Sache. Nach dem Preußischen Recht gleichfalls auf der Uebergabe A. L. R. I. 10. § 1. Vgl. Koch Preuß. Recht B. 1 § 252. 255. 174. Selbst die bedeutenden praktischen Erleichterungen bei der unter Abwesenden durch Uebersen- dung vor sich gehenden Tradition ( I. 11 § 128 — 133) ändern an jenem Grundsatz Nichts. . Nach dem Französischen Recht wird dagegen die Uebertragung des Eigenthums schon durch den bloßen Vertrag bewirkt Code civil art. 1138. Dieses Recht gilt also auch in der Preußischen Rheinprovinz. . Die Anwendung dieser Regeln wird durch folgende Bei- spiele anschaulich werden. Wenn ein Pariser sein in Berlin befindliches Mobiliar einem Pariser in Paris verkauft, so geht das Eigenthum nur durch Tradition über. Wenn aber umgekehrt ein Berliner seine in Paris stehende Sachen einem Berliner in Berlin verkauft, so überträgt schon der bloße Vertrag das Eigenthum. Ganz Dasselbe wird ein- treten, wenn wir in diesen Beispielen die Stadt Köln an die Stelle von Paris setzen. Für die Anwendung dieser Regel wird es genügen, wenn der Aufenthalt der Sache auch nur ein vorübergehen- der, kurz dauernder, seyn sollte S. o. § 366 S. 181. , da in jedem Fall die Uebertragung des Eigenthums auf einer augenblicklichen Handlung beruht, also keinen längeren Zeitraum erfüllt. §. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum. Anders wird es sich nur verhalten in den Ausnahmefällen, in welchen der augenblickliche Aufenthalt der Sache in solchem Grade unbestimmt ist, daß auf denselben ein sicheres Bewußtseyn der handelnden Personen gar nicht gerichtet seyn kann. In solchen Fällen werden wir als Ort der gelegenen Sache denjenigen Ort zu betrachten haben, an welchem die Sache zunächst zu bleiben bestimmt ist, welches häufig der Wohnsitz des gegenwärtigen Eigenthümers (des Veräußerers) seyn wird S. o. § 366 S. 179. Bei der Veräußerung von Kaufmanns- gütern kommen noch die sehr zwei- felhaften Fragen von dem kauf- männischen Zeichen, und (wenn die Waaren im Transport begriffen sind) von der Wirkung des über- tragenen Connossements in Be- tracht. Vgl. Thöl Handelsrecht § 79. 80. . In allen hier unterschiedenen Fällen kommt es unzwei- felhaft nur auf den Ort an, an welchem sich die Sache zur Zeit der Uebertragung befindet. Ist diese Uebertragung einmal geschehen, so ist für das Schicksal des Eigenthums jede spätere Veränderung des Aufenthalts der Sache gleich- gültig, indem das einmal erworbene Eigenthum durch eine solche räumliche Veränderung nicht berührt werden kann. 5. Der Erwerb des Eigenthums durch Ersitzung un- terscheidet sich wesentlich von dem Erwerb durch Tradition darin, daß er nicht, wie die Tradition, durch eine augen- blickliche, sondern durch eine über einen längeren Zeitraum verbreitete Thatsache bedingt ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Bei unbeweglichen Sachen nun ist die Anwendung des Rechts der gelegenen Sache ganz unbestritten. Dagegen gehen, in Ansehung der Ersitzung beweglicher Sachen, die Meinungen sehr auseinander Mühlenbruch doctr. Pand. § 73 nimmt ganz richtig die lex rei sitae an. Meier p. 37 die lex domicilii, und zwar nach dem Wohnsitz des Usucapien- ten, weil dieser während der lau- fenden Usucapion das prätorische Eigenthum schon habe. Schäff- ner §. 67 läßt Alles ungewiß. . Hier aber ist die Frage dadurch besonders wichtig, daß die Gesetze verschiedener Länder sehr von einander abweichen. Das Römische Recht erfordert einen Besitz von drei Jahren, das Preußische von zehn Jahren A. L. R. I. 9 §. 620. , das Französische endlich erfordert gar keinen fortgesetzten Besitz, sondern schließt schon mit dem Anfang desselben die Eigenthumsklage des früheren Eigen- thümers aus; Dieses jedoch mit Ausnahme verlorener und gestohlener Sachen, deren Schutz aber mit dem Ablauf von drei Jahren aufhört Code civil art. 2279. . Durch diese letzte Bestimmung schließt sich im praktischen Erfolg das Französische Recht dem Römischen nahe an. Gerade hier nun erscheint die Anwendung der lex rei sitae vorzugsweise gewiß durch den Umstand, daß die Grund- lage aller Ersitzung der fortwährende Besitz ist. Der Besitz aber, als ein, seinem Wesen nach, ganz thatsächliches Ver- hältniß, ist noch unzweifelhafter, als jedes dingliche Recht, nach der lex rei sitae zu beurtheilen (§ 368). §. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum. Ein Zweifel kann noch entstehen für die Fälle, in wel- chen der Aufenthalt der beweglichen Sache, während der Ersitzungszeit, innerhalb verschiedener Landgebiete gewesen ist. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß alle diese Zeiten des Besitzes zusammengerechnet werden müssen. Der Ab- lauf der Ersitzung aber, also der vollendete Erwerb des Eigenthums, muß nach dem Recht des Orts beurtheilt werden, an welchem zuletzt die Sache sich befindet, weil erst mit dem Ablauf des ganzen Zeitraums die Veränderung im Eigenthum eingetreten, vorher aber eine solche nur erst vorbereitet worden ist Es gilt also bier derselbe Grundsatz, wie bei der zeitlichen Collision der Usucapionsgesetze (§ 391. b ). . Ist einmal nach diesem Recht durch Ersitzung das Eigenthum erworben, so muß dasselbe auch in jedem anderen Lande anerkannt werden, wenngleich das Gesetz dieses Landes einen längeren Zeit- raum erfordern möchte. 6. Die Verfolgung des Eigenthums durch Klage, mit allen dazu gehörenden näheren Bestimmungen, ist zu beur- theilen nach dem Recht des Ortes, an welchem der Prozeß geführt wird S. o. § 361 Num. 3 C. . Dieses kann der Ort der gelegenen Sache sein, wegen des an diesem Orte begründeten Gerichtsstandes (§ 366. a ); alsdann ist die lex rei sitae anwendbar. Es kann aber auch der Wohnsitz des Beklagten sein, weil nach gemeinem Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Recht beide Arten des Gerichtsstandes in der Art concur- riren, daß der Kläger zwischen beiden die Wahl hat; als- dann ist die lex domicilii des Beklagten anzuwenden auf alle, die Eigenthumsklage betreffende, Rechtsfragen. Es ist nicht zu verkennen, daß durch diese alternative Regel eine bedenkliche Willkür in die Hand des Klägers gelegt wird; sie ist aber hier unvermeidlich. Eine große Verschiedenheit zwischen den Gesetzgebungen findet sich in Ansehung der Beschränkung der Eigenthums- klage. Das Römische Recht läßt die Klage unbedingt zu ge- gen jeden Besitzer, der nicht Eigenthümer ist, und zwar ohne Anspruch dieses Besitzers auf Ersatz des ausgelegten Kauf- preises. — Das Preußische Recht läßt gleichfalls die un- bedingte Vindication zu, jedoch mit Vorbehalt des eben erwähnten Ersatzes an den redlichen Besitzer A. L. R. I. 15 § 1. 26. art. 2102 N. 4. . — Das Französische Recht läßt in der Regel gar keine Vindication beweglicher Sachen zu, und macht davon nur einige Aus- nahmen: bei gestohlenen oder verlorenen Sachen binnen drei Jahren, und bei verkauften, noch unbezahlt gebliebenen Sachen, die gegen den Käufer binnen acht Tagen vindicirt werden können Code civil art. 2279. . Der eine oder der andere dieser Grund- sätze wird zur Anwendung kommen müssen, je nachdem an dem Ort des Gerichts, vor welchem der Prozeß geführt wird, das Römische, das Preußische, das Französische Recht gilt. §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. Der eingeleitete Prozeß über das Eigenthum kann be- sondere Folgen mit sich führen, insbesondere wegen der Früchte, wegen des durch den Untergang oder die Beschä- digung der vindicirten Sache begründeten Schadenersatzes u. s. w. S. o. B. 6 § 260 fg. . Alle darauf bezügliche Fragen sind gleichfalls nach dem am Orte des Gerichts geltenden Recht zu ent- scheiden. §. 368. II. Sachenrecht . Jura in re . Auf die dinglichen Rechte außer dem Eigenthum (jura in re) sind meist ähnliche Grundsätze anzuwenden, wie auf das Eigenthum. 1. Daß die Prädialservituten nur nach der lex rei sitae beurtheilt werden können, wird von keiner Seite be- stritten. Eben so verhält es sich mit den persönlichen Servituten, deren Gegenstand in einer unbeweglichen Sache besteht. Ist der Gegenstand eine bewegliche Sache, so wird von Vielen die lex domicilii eben so, wie bei dem Eigenthum an beweglichen Sachen, mit Unrecht für anwendbar gehal- ten. Der Parteistreit über diese Frage im Allgemeinen ist schon oben ausführlich abgehandelt worden (§ 366). 2. Die Emphyteuse und die Superficies sind keinem Zweifel unterworfen, da sie nur an unbeweglichen Sachen Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. vorkommen können, also, wie alle Parteien annehmen, nach dem Recht der gelegenen Sache zu beurtheilen sind. 3. Das Preußische Recht giebt dem Miether, Pächter, und ähnlichen Inhabern fremder Sachen zum Zweck eige- ner Benutzung, ein dingliches Recht mit einer Klage in rem gegen den dritten Besitzer, vorausgesetzt, daß ihnen die Sache übergeben ist A. L. R. I. 2 § 135—137. I. 7. § 169. 170. Vgl. Koch Preuß. Recht B. 1 §. 317. 318. . Im Römischen Recht kommt bekanntlich ein solches dingliches Recht nicht vor. Ohne Zweifel wird nun ein dingliches Recht dieser Art entstehen, wenn die Sache, sie mag beweglich oder unbe- weglich seyn, im Preußischen Staat zur Zeit der Uebergabe sich befindet; liegt sie zu jener Zeit in einem, dem Römi- schen Recht folgenden Lande, so entsteht das dingliche Recht nicht. Gesetzt aber, dieses dingliche Recht wird im Preußischen Staat durch Uebergabe einer gemietheten beweglichen Sache begründet, und der Besitzer bringt die Sache in ein Land des Römischen Rechts, so könnte man annehmen, er könne auch hier das einmal erworbene Recht gegen einen dritten Besitzer geltend machen. Ich glaube jedoch, Dieses verneinen zu müssen, weil sein Anspruch auf einem ganz eigenthüm- lichen Rechtsinstitut beruht, das in jenem Lande über- haupt nicht anerkannt ist S. o. § 149. B. Dieser Meinung ist auch Wächter II. S. 388. 389, zwar nicht in dem hier angeführten besonderen Fall, wohl aber in dem ganz gleichar- . — Uebrigens ist diese Frage §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. nicht von praktischer Erheblichkeit, weil das hier erwähnte dingliche Recht überhaupt nur bei unbeweglichen Sachen in wichtigen Folgen hervortritt. 4. Das Pfandrecht ist nicht nur von ausgedehnterer Wirksamkeit, als die bisher genannten jura in re, sondern auch in der hier vorliegenden Frage größeren Zweifeln und Streitigkeiten unterworfen. Auch hier muß das örtliche Recht der gelegenen Sache als Regel festgehalten werden, und die meisten dagegen er- hobenen Bedenken beruhen auf bloßem Schein. Ich will damit anfangen, eine Uebersicht der wichtigsten, dieses Rechtsinstitut im Ganzen betreffenden, Verschieden- heiten zu geben, die in deutschen Staaten wahrzunehmen sind. Das Römische Recht beruht auf folgenden Grundsätzen. a. Das Pfandrecht entsteht, als dingliches, gegen jeden dritten Besitzer verfolgbares Recht, durch bloßen Vertrag, auch ohne übergebenen Besitz Ich beschränke mich hier absichtlich auf das Pfandrecht in seinem eigentlichen Sinn, als jus in re, das heißt, ein vom Eigen- thum abgezweigtes Recht, mit Uebergehung der künstlicheren An- wendung desselben auf Obligatio- nen u. s. w. . b. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden, indem, neben mehre- ren obligatorischen Rechtsgeschäften, vermöge einer allge- meinen Rechtsregel fingirt wird, es sey zur Sicherheit der tigen Fall des Pfandrechtes, von welchem sogleich die Rede seyn wird. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Forderung zugleich eine Verpfändung verabredet worden L. 3 in quib. caus. (20. 2), „.. tacitam conven- tionem de inveetis illatis ..“ L. 4 pr. eod. „.. quasi id taci- te convenerit ..“ L. 6 eod. „.. tacite solet conventum ac- cipi, ut perinde teneantur in- vecta et illata, ac si specialiter convenisset ..“ L. 7 pr. eod. „.. tacite intelliguntur pignori esse .. etiamsi nominatim id non convenerit.“ Der bei neueren Schriftstellern übliche Aus- druck des gesetzlichen Pfandrechts ( pignus legale ) verdunkelt die wahre Natur des Rechtsinstituts. . c. Bewegliche und unbewegliche Sachen werden, als Ge- genstände einer Verpfändung, nicht unterschieden. d. Der ausdrückliche sowohl, als der stillschweigende Vertrag kann sich beziehen, nicht nur auf einzelne Sachen, sondern auch auf ein ganzes Vermögen. Die Verpfändung dieser letzten Art hat den Sinn, daß sie alle zu diesem Vermögen jetzt gehörende, und alle in dasselbe künftig eintretende Sachen umfaßt, also auch solche Sachen, die nicht einzeln bezeich- net, ja nicht einmal einzeln zum Bewußtseyn der Parteien gebracht werden. Mit Unrecht hat man als den Gegen- stand eines solchen Pfandrechts das Vermögen in seinem idealen Begriff, abstrahirt von allem Inhalt, ansehen, und daher die juristischen Begriffe der universitas und successio per universitatem, ähnlich den Verhältnissen des Erbrechts, darauf anwenden wollen Ueber diese Begriffe vgl. oben B. 3 § 105. ; in der That ist dabei nur von einer indirecten Bezeichnung und Begränzung der Ge- genstände die Rede, die als einzelne Sachen mit dem Pfandrecht behaftet seyn sollen. §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. Unter den verschiedenen Ländern nun, welche im Ganzen das Römische Recht befolgen, kommen gerade im Pfand- recht, neben der eben dargestellten gemeinsamen Grundlage, manche untergeordnete Abweichungen vor. Hauptsächlich betreffen diese den Umfang des stillschweigenden Pfandrechts, welches, je nach den einzelnen Landesgesetzgebungen, bald mehr bald weniger Fälle von Obligationen umfaßt, die mit der Fiction eines Pfandvertrages verbunden seyn sollen. Gesetzt nun, es sey von zwei, das Römische Recht im Ganzen befolgenden, Ländern die Rede. In dem einen gelte auch die Regel des Römischen Rechts, nach welchem das Versprechen, eine Brautgabe zu bestellen, stets durch stillschweigende Verpfändung des ganzen Vermögens ge- sichert ist L. un § 1 C. de rei ux. act. (5. 13). ; in dem anderen Lande sey diese Regel auf- gehoben. Wenn nun zwei Einwohner jenes ersten Landes einen solchen Dotalvertrag schließen, der Schuldner aber besitzt in dem zweiten Lande ein Grundstück, so fragt es sich, ob dieses Grundstück dem stillschweigenden Pfandrecht unterworfen sey. Man könnte diese Frage verneinen wollen, indem man die lex rei sitae zur Anwendung brächte; aber mit Unrecht. Denn auch das zweite Land erkennt die Möglichkeit einer Verpfändung durch bloßen Vertrag, und selbst durch stillschweigenden Vertrag, an. Ob nun im vorliegenden Fall ein solcher Pfandvertrag vorhanden ist, das ist eine thatsächliche Frage, die nur nach demjenigen VIII. 13 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. örtlichen Recht entschieden werden kann, unter welchem überhaupt das hier geschlossene Rechtsgeschäft steht Welches örtliche Recht als solches anzusehen ist, wird in dem gleich folgenden Abschnitt (Obli- gationenrecht) festgestellt werden (§ 374. D. ). . Nach diesem Recht aber wird fingirt, es sey eine ausdrück- liche Verpfändung des ganzen Vermögens, also auch jenes auswärtigen Grundstücks, vorgenommen worden, und daher muß das Grundstück als mitverpfändet gelten Dieselbe Entscheidung ge- ben Meier p. 39 — 41. Meißner vom stillschweigenden Pfandrecht § 23. 24, aber aus einem Grunde, den ich nicht als richtig anerkenne. Das Recht des Wohnsitzes, als solches, soll entscheiden, gerade wie bei Fragen des Erbrechts, weil hier das ideale Vermögen, die universitas, Gegenstand der Ver- pfändung sey. . Wäre der Dotalvertrag in dem zweiten Lande, von Einwohnern desselben, geschlossen worden, so würde weder das Grund- stück, noch das übrige Vermögen des Schuldners, als verpfändet anzusehen seyn. Eine ungleich größere Verschiedenheit aber findet sich zwischen den deutschen Ländern, die das Römische Pfand- recht im Ganzen anerkennen, und denen, die das Pfand- recht auf eine ganz neue Grundlage stellen. Ich will als Typus dieser letzten die Preußische Gesetzgebung annehmen, worin ein solches neues Recht am vollständigsten ausgebildet erscheint. Einzelne Bestandtheile davon finden sich auch in anderen Ländern, und es wird nicht schwer seyn, die hier folgenden Regeln auch auf diese anzuwenden. Das Preußische Recht versagt dem bloßen Vertrag all- gemein die Kraft, ein Pfandrecht als dingliches Recht zu §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. erzeugen. Es unterscheidet ferner unbewegliche und beweg- liche Sachen. Bei den unbeweglichen entsteht das dingliche Recht nur durch die Eintragung in das Hypothekenbuch A. L. R. I. 20 § 411. 412. . Ein Vertrag über die Eintragung eines bestimmten Grund- stücks ist ein Titel, auf dessen Grund die Eintragung selbst gefordert werden kann, ein allgemeiner Pfandvertrag über das ganze Vermögen giebt einen solchen Anspruch für ein- zelne Grundstücke nicht Ebendas. § 402. 403. . — An beweglichen Sachen ent- steht ein dingliches Pfandrecht nur durch die Uebergabe Ebendas. § 111. ; ein Vertrag über die Verpfändung bestimmter einzelner Sachen ist ein Titel zum Anspruch auf diese Uebergabe Ebendas. § 109. 110. — Ein allgemeiner Verpfändungsver- trag giebt diesen Anspruch nur in den besonderen Fällen, worin auch eine Cautionsleistung gefordert werden kann. Ebendas. § 112. . Wenn nun in einem Lande, worin das Römische Recht gilt, eine Verpfändung durch Vertrag ausdrücklich oder stillschweigend vorgenommen wird, so kann diese an den in Preußen befindlichen Sachen des Schuldners kein Pfand- recht erzeugen. Sie kann höchstens als Titel gelten, um an jenen Sachen die Bestellung eines Pfandrechts (durch Eintragung oder Uebergabe) zu fordern, und auch das nur unter den so eben angegebenen besonderen Bedingungen (Noten k. m. ). — Wird aber umgekehrt in Preußen ein Pfandvertrag über einzelne Sachen oder über ein ganzes Vermögen geschlossen, und hat der Schuldner Vermögens- 13* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. stücke, die in einem Lande des Römischen Rechts liegen, so ist kein Hinderniß vorhanden, diese Vermögensstücke als gültig verpfändet zu behandeln, da das Römische Recht die Verpfändung durch Vertrag weder von einem bestimmten Ort des geschlossenen Vertrags, noch von einem bestimmten Wohnsitz des Verpfänders abhängig macht. Es kann und muß also hier die lex rei sitae ungestört zur Anwendung kommen Eine buchstäbliche Anwen- dung des Allg. Landrechts Einl. § 28 würde dahin führen, daß ein Berliner in Stralsund (wo Rö- misches Recht gilt) seine bewegliche Sache nicht durch bloßen Vertrag verpfänden könnte, so daß diese Ver- pfändung in Stralsund wirksam wäre (§ 366. h ). Die Widersinnig- keit dieser Behauptung wird beson- ders einleuchtend, wenn man den Fall umgekehrt denkt. Denn so müßte auch der Stralsunder seine beweg- liche Sache durch bloßen Vertrag in Berlin dergestalt verpfänden können, daß die Verpfändung in Berlin wirksam wäre. Diese letzte Behauptung wird schwerlich irgend einen Vertheidiger finden, und doch folgt auch sie aus der völlig buchstäblichen Anwendung des § 28. . Nur folgender Fall bleibt dabei noch zu erwägen übrig. Wenn in einem Lande des Römischen Rechts eine beweg- liche Sache durch Vertrag, sey es ausdrücklich oder still- schweigend, gültigerweise verpfändet, die Sache aber nach- her nach Preußen gebracht wird; wirkt nun das Pfandrecht fort, so daß die Sache auch hier mit einer Klage gegen jeden Besitzer (sey es der Schuldner oder ein Dritter) ver- folgt, und eben so von dem Pfandberechtigten, wenn dieser durch Zufall, ohne Uebergabe, den Besitz erlangt, veräußert werden kann? Man möchte geneigt sein, diese Frage zu bejahen, weil scheinbar das einmal erworbene Recht durch §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. die Veränderung des Orts seine Kraft nicht verlieren kann. Dennoch glaube ich, die Frage verneinen zu müs- sen. Es ist nämlich in einem solchen Fall nicht von einem und demselben Pfandrecht die Rede, das nur in mehreren Ländern auf verschiedene Weise erworben werden möchte, etwa so, wie das Eigenthum hier durch Tradition, dort durch bloßen Vertrag erworben wird, und dennoch überall gleichmäßig anerkannt, als Eigenthum wirkt. Vielmehr ist das Pfandrecht durch bloßen Vertrag ein ganz anderes Rechtsinstitut, als das, welches nur durch Uebergabe begründet werden kann, und beide haben nur den Namen und den allgemeinen Zweck mit einander ge- mein. Wenn daher die oben erwähnte bewegliche Sache in das Gebiet der Preußischen Gesetzgebung hereingebracht wird, und hier das anderwärts durch bloßen Vertrag be- gründete Pfandrecht geltend gemacht werden soll, so beruft sich der angebliche Pfandgläubiger auf ein im Preußischen Staat nicht anerkanntes Rechtsinstitut und ein solches Ver- fahren ist schon oben als unzulässig nachgewiesen wor- den S. o. § 349. B. — Die- selbe Meinung wird vertheidigt in den Ergänzungen zum A. L. R. von Gräff u. s. w. B. 1 S. 116. — Eben so auch von Wächter II. S. 386. 388. 389, in Bezie- hung auf das Württembergische Recht, welches hierin mit dem Preußischen übereinstimmt. Er giebt als Grund an, daß das Ge- setz hier das Pfandrecht an Mo- bilien in Entstehung und im Fortbestehen nur in der Form des Faustpfandes anerkenne. Diese . Dagegen kann umgekehrt der Pfandgläubiger, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. welchem in Preußen eine bewegliche Sache durch Uebergabe verpfändet worden ist, sein Recht auch in einem Lande des Römischen Rechts geltend machen, da er alle Bedingungen in sich vereinigt, die hier zu einem wirksamen Pfandrechte erfordert werden. Die Rangordnung mehrerer an derselben Sache begrün- deter Pfandrechte ist nach der lex rei sitae zu beurtheilen. Diese Rangordnung kann besonders auch im Concurse zur Sprache kommen, und von diesem Falle wird noch unten gehandelt werden (§ 374). 5. Was hier von den dem Römischen Recht angehö- renden, und den ihnen durch neuere Gesetzgebung nachge- bildeten dinglichen Rechten gesagt worden ist, muß eben so von den rein germanischen gelten. Das Recht an Lehen und Fideicommissen ist stets ein Recht an bestimmten Grund- stücken, und wird also beherrscht von dem Gesetz des Ortes, an welchem die Grundstücke liegen. Im Laufe dieser Untersuchung über das Gesetz, welchem die dinglichen Rechte unterworfen sind, habe ich an jedem gehörigen Orte sogleich die oben (§ 344. e ) vorbehaltene Frage eingeschaltet, inwiefern das anwendbare Gesetz durch Begründung ist wesentlich dieselbe, wie die von mir versuchte, und nur in der Ausdrucksweise davon ver- schieden. §. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. eine Veränderung in dem Aufenthalt der beweglichen Sache, die den Gegenstand eines dinglichen Rechts bildet, so oder anders bestimmt werden müsse. Der Besitz gehört zwar nicht unter die dinglichen Rechte, jedoch wird an der gegenwärtigen Stelle, neben den dinglichen Rechten, die Frage nach dem auf den Besitz anwendbaren örtlichen Recht zweckmäßiger, als an irgend einer anderen Stelle, behandelt werden können. Der Besitz selbst ist, seiner Natur nach, ein rein that- sächliches Verhältniß Savigny Recht des Besitzes § 5. a. a. O. §. 6. 37. , und als solches kann er nur dem örtlichen Recht der gelegenen Sache unterworfen seyn, er mag sich auf bewegliche oder unbewegliche Sachen beziehen. Nach diesem Recht allein also ist die Frage nach dem Er- werb und Verlust irgend eines Besitzes, also nach dem Daseyn desselben, zu entscheiden, ohne Unterschied, um wel- ches Zweckes und Erfolges Willen diese Frage irgendwo aufgeworfen werden möge. An den Besitz aber knüpfen sich zwei rechtliche Folgen, die Usucapion und die possessorischen Interdicte. Die erste hat gar keine selbstständige Natur, fällt vielmehr mit dem Eigenthum zusammen, und gehört mit diesem zur lex rei sitae (§ 367 Num. 5). — Die possessorischen Interdicte, als die zweite Folge des Besitzes, gehören unter die obligationes ex delicto Savigny , stehen also Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. unter dem örtlichen Rechte des Gerichts, vor welchem der Rechtsstreit geführt wird S. u. § 374. C. Dieses kann nun allerdings das forum rei sitae seyn, welches unstreitig für die Besitzklagen stets begründet ist. L. un C. ubi de poss. (3. 16), Nov. 69. C. 1. Es kann aber auch das davon vielleicht verschiedene forum domicilii seyn, indem dieses mit jenem electiv concurrirt (§ 371 Note n. und p. ). . Indessen ist dieser Satz von weit geringerer Erheblichkeit, als man ihm auf den ersten Blick zuschreiben möchte. Er betrifft nämlich nur das eigentlich delictartige Element in den Besitzklagen, also ihre Straf- natur, welches der bei weitem geringere Bestandtheil ihres juristischen Gehaltes ist. Der weit wichtigere Bestandtheil, die Frage nach dem Daseyn und der Anerkennung des Be- sitzes, ist aber von jedem Richter, wie so eben bemerkt wurde, lediglich nach der lex rei sitae zu entscheiden. §. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung . Bei den Obligationen, wie bei den dinglichen Rechten, tritt die Person aus ihrer abstracten Persönlichkeit heraus in das örtliche Rechtsgebiet eines einzelnen Rechtsverhält- nisses (§ 345. 360. 366). Auch hier also haben wir die stets wiederkehrende Frage zu beantworten, wo der wahre Sitz jeder Obligation ist, an welchem Ort im Raum sie ihre Heimath hat. Denn aus diesem Sitz der Obligation, aus dieser ihrer Heimath, werden wir zugleich den besonderen §. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung. Gerichtsstand derselben, so wie das örtliche Recht erkennen nach welchem sie zu beurtheilen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist gerade bei den Obli- gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts, schwierig und zweifelhaft. Erstlich hat die Obligation einen Gegenstand von un- sichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht, welches an einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand, einer Sache, haftet. Wir müssen uns also jenes Unsichtbare in der Obligation erst zu verkörpern suchen. Ferner bezieht sich jede Obligation wesentlich auf zwei verschiedene Personen; in der einen erscheint sie als erweiterte Freiheit, als Herrschaft über einen fremden Willen: in der anderen als beschränkte Freiheit, als Abhängigkeit von einem fremden Willen S. o. B. 1 § 56. . Nach welchem dieser beiden, zwar eng verbundenen, dennoch verschiedenen, Verhältnisse sollen wir nun den Sitz der Obligation bestimmen? — Ohne Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in der Person des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit einer Handlung das eigentliche Wesen der Obligation aus- macht. Diese Annahme wird bestätigt durch den unbestrit- tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den Gerichtsstand, indem die Erfüllung vorzugsweise in einer Thätigkeit des Schuldners besteht, neben welcher eine Thä- tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. in untergeordneter, mitwirkender Weise vorkommt. Ferner durch den inneren Zusammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsstand, welcher letzte stets auf die Person des Beklagten, hier also des Schuldners, sich bezieht. Endlich entsteht noch eine Schwierigkeit aus der Gegen- seitigkeit, welche, wenn auch nicht bei allen, doch bei vielen Obligationen vorkommt. Wo diese vorhanden ist, da ist jede der beiden Personen als Schuldner anzusehen, nur in Beziehung auf verschiedene Handlungen, weshalb die so eben aufgestellte Regel der überwiegenden Berücksichtigung des Schuldners nicht mehr auszureichen scheint. Allein in jeder gegenseitigen Obligation lassen sich die beiden getrenn- ten Schuldverhältnisse stets als getrennte behandeln, so daß uns auch hier Nichts hindert, für jede der beiden, durch diese Trennung entstehenden, Hälften, den Gerichtsstand und das örtliche Recht nach der Person des Schuldners zu be- stimmen. Ja sogar ist diese absondernde Auffassung als die ursprüngliche und natürliche anzusehen, die zusammen- fassende Behandlung und Bezeichnung als eine abgeleitete und künstliche, welche jedoch in der innigen Verbindung der beiden Obligationen ihre Rechtfertigung findet. Die Rich- tigkeit der hier aufgestellten Ansicht wird bestätigt durch die bei den Römern sehr gewöhnliche Abschließung eines Kauf- vertrags u. s. w. durch zwei getrennte Stipulationen Es soll dabei nicht geleugnet werden, daß in manchen Fällen diese absondernde Behandlung bei- der Hälften einer zweiseitigen Obli- gation, namentlich in Beziehung auf das örtliche Recht, Zweifel und . §. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung. Bei den Obligationen finden wir wieder den schon öfter hervorgehobenen Zusammenhang zwischen dem Gerichtsstand und dem Recht (§ 360. Num. 1). Derselbe zeigt sich aber hier wichtiger und einflußreicher, als anderwärts, weil im Römischen Recht der für die Obligationen geltende beson- dere Gerichtsstand sorgfältig ausgebildet erscheint, anstatt daß das örtliche Recht fast gar nicht erwähnt wird. Den- noch passen die den Gerichtsstand bestimmenden Gründe durchaus auch auf das örtliche Recht, indem Beides auf dem gleichmäßigen Gehorsam gegen verschiedene Zweige der örtlichen öffentlichen Zustände beruht. Wir können daher aus den Bestimmungen des Römischen Rechts über den Gerichtsstand der Obligationen mit Sicherheit abnehmen, in welchem Sinne das örtliche Recht der Obligationen auf- zufassen ist. Der specielle Gerichtsstand, wie das örtliche Recht der Obligationen, beruht auf einer freiwilligen Unterwerfung (§ 360. Num. 2), die in den meisten Fällen nicht ausdrück- lich erklärt wird, sondern nur aus den Umständen zu schließen ist, eben deshalb aber auch durch eine entgegenge- setzte ausdrückliche Erklärung ausgeschlossen wird L. 19 § 2 de jud. (5. 1) „.. nisi alio loci, ut defen- deret, convenit“ … . Die Umstände also, unter welchen eine Obligation entsteht, kön- Verwickelungen mit sich führen kann. Grundsätzlich aber ist sie darum nicht weniger richtig, und sie wird auch von Anderen für mehrere Fälle der Anwendung be- hauptet. Vgl. Wächter II. S. 45. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. nen oft in Anderen eine bestimmte wohlbegründete Erwar- tung erregen, und diese Erwartung soll dann auch nicht getäuscht werden. Das ist der Gesichtspunkt, von welchem aus sowohl der Gerichtsstand der Obligationen, als das örtliche Recht derselben, aufgefaßt werden muß. Freiwillige Unterwerfung ist nun auch der Grund des prorogirten Gerichtsstandes, und daher ist eine Verwandt- schaft zwischen diesem und dem Gerichtsstand der Obliga- tionen unzweifelhaft, obgleich dieser letzte eine mehr objective, der prorogirte eine mehr subjective Natur hat, die Rücksicht auf ein bestimmtes Gericht, oft auch auf bestimmte Gerichts- personen. Den Gerichtsstand der Obligation als eine reine Anwendung des prorogirten, als einen einzelnen Fall dessel- ben, aufzufassen, ist wohl nicht gerechtfertigt Über diese Frage wird gestritten zwischen Bethmann Hollweg Versuche S. 20—27 S. 50 und Linde Abhandlungen B. 2 S. 75 sg. Der letzte aber irrt offenbar darin, daß er bei den Obligationen nicht blos den Aus- druck des prorogirten Gerichts- standes verwirft, sondern selbst die freiwillige Unterwerfung als Rechts- grund. — Die Hauptstellen über den prorogirten Gerichtsstand sind: L. 1 L. 2 pr. § 1 de jud. (5. 1), L. 15 de jurisdict. (2. 1), L. 1 C. de jurisdict. (3. 13). . Das eigentliche Interesse dieser Frage möchte etwa darin beste- hen, daß es nach Römischem Recht zweifelhaft ist, ob die Prorogation streng bindet Nach L. 29 C. de pact. (2. 3) scheint sie bindend, nach L. 18 de jurisdict. (2. 1) wider- ruflich. Die letzte Stelle setzt wohl ein nudum pactum voraus, so daß die Stipulation allerdings bindend war, und eben so das pactum adjectum neben einem b. f. contractus ( Cato de re rust. 149). Vgl. auch Holl- weg Versuche S. 12. . Der Gerichtsstand der §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. Obligation dagegen ist ganz gewiß bindend für den Beklag- ten, und eben so gewiß nicht bindend für den Kläger, der zwischen diesem speciellen Gerichtsstand und dem forum domicilii des Beklagten freie Wahl hat Vgl. unten § 371. Der Grund des speciellen Gerichtsstan- des der Obligationen ist also gewiß nicht die Begünstigung des Be- klagten (wie Linde annimmt, Archiv VII. S. 67), sondern des Klägers. Diesem soll der Beweis und die Execution erleichtert wer- den, vielleicht auch die Prozeßfüh- rung selbst, indem er dadurch oft an dem eigenen Wohnsitz klagen kann, nicht blos an dem des Be- klagten. . §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation . Schriftsteller . Linde Archiv für civilistische Praxis Band 7. S. 59— 79 (1824). Abhandlungen B. 2. S. 75—121 (1829), v. Bethmann Hollweg Versuche Num. I. S. 1—77 (1827). Mühlenbruch Archiv B. 19. S. 337—384 (1836). Albrecht Programm über das Motiv des forum con- tractus. Würzburg 1845. Es sind oben drei in sich zusammenhängende Fragen auf- geworfen worden (§ 369): Wo ist der Sitz einer Obliga- tion? Wo ist der besondere Gerichtsstand derselben? Wo ist Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. das örtliche Recht aufzusuchen, welches auf sie angewendet werden muß? Die erste dieser drei Fragen hat eine theo- retische Natur, und dient blos als Grundlage für die rich- tige Beantwortung der beiden anderen, weshalb sie mit der zweiten Frage sogleich zusammen gefaßt werden kann. Diese zweite, den Gerichtsstand der Obligation betreffende, Frage hat im Römischen Recht zu einer Reihe von prak- tischen, sehr in das Einzelne gehenden Entscheidungen ge- führt, weshalb die Meinungsverschiedenheiten unsrer Schrift- steller weniger den Inhalt der Rechtsregeln, als deren An- ordnung und Begründung betreffen, also eine mehr theore- tische, als praktische Natur haben. Der besondere Gerichtsstand der Obligation (zusammen fallend mit dem wahren Sitz der Obligation) beruht auf freier Unterwerfung der Parteien, die jedoch meist nicht in einer ausdrücklichen, sondern in einer stillschweigenden Wil- lenserklärung liegt, und daher stets durch eine entgegenge- setzte ausdrückliche Erklärung ausgeschlossen wird (§ 369). Wir haben also zu erforschen, auf welchen Ort die Erwar- tung der Parteien gerichtet war, welchen Ort sie sich als den Sitz der Obligation gedacht haben? An diesem Ort haben wir den besonderen Gerichtsstand der Obligation, vermöge freier Unterwerfung, anzunehmen. Da aber die Obligation an sich, als Rechtsverhältniß, ein unkörperliches, nicht räumliches Daseyn hat, so müssen wir in dem natür- lichen Entwickelungsgang derselben sichtbare Erscheinungen aufsuchen, an welche wir das unsichtbare Wesen der Obli- §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. gation anknüpfen können, um ihr gleichsam einen Körper zu verschaffen. Nun finden wir in jeder Obligation vorherrschend und gleichförmig zwei solche sichtbare Erscheinungen, die wir als leitend ansehen könnten. Jede Obligation entsteht näm- lich aus sichtbaren Thatsachen: jede Obligation wird aber auch erfüllt durch sichtbare Thatsachen; beide müssen an irgend einem Orte vorkommen. Wir können daher entwe- der den Entstehungsgrund der Obligation, oder die Erfüllung derselben, als Anhalt wählen, um darauf den Sitz der Obligation, so wie den besonderen Gerichtsstand derselben, zu bestimmen; entweder den Anfang oder das Ende der Obligation. Welchem von beiden Punkten wer- den wir nach allgemeiner Betrachtung den Vorzug zu geben haben? Nicht dem Entstehungsgrund. Dieser ist an sich zu- fällig, vorübergehend, dem Wesen der Obligation und ihrer ferneren Entwickelung und Wirksamkeit fremd. Sollte dem Ort, wo die Obligation entstand, in den Augen der Par- teien eine bleibende, in die Zukunft hin wirkende, Wichtig- keit zugeschrieben werden, so könnte Dieses gewiß nicht aus dem Entstehungsgrund an sich hervorgehen, sondern nur aus der Verbindung desselben mit äußeren, ihm selbst fremd- artigen Umständen, durch welche eine bestimmte Erwartung der Parteien gerade auf diesen Ort gerichtet werden möchte. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Ganz anders verhält es sich mit der Erfüllung, die mit dem eigensten Wesen der Obligation zusammen fällt. Denn die Obligation besteht eben darin, daß irgend Etwas, das früher in der Willkür einer Person stand, in ein Nothwen- diges, das bisher Ungewisse in ein Gewisses, verwandelt wird, und dieses nothwendig und gewiß Gewordene ist ge- rade die Erfüllung. Auf diese also ist die ganze Erwar- tung der Parteien gerichtet, und es liegt daher im Wesen der Obligation, daß der Ort der Erfüllung als Sitz der Obligation gedacht, daß an diesen Ort der besondere Ge- richtsstand der Obligation durch freie Unterwerfung verlegt werde. — Bevor aber dieser Gedanke im Einzelnen durch- geführt wird, scheint es räthlich, einen vorläufigen Blick auf die unter den neueren Schriftstellern vorherrschenden Auffassungen der hier vorliegenden Frage zu werfen. Die meisten Schriftsteller haben von jeher den beson- deren Gerichtsstand der Obligation an den Ort gesetzt, an welchem die Obligation entstanden ist. Da nun die meisten Obligationen aus Verträgen entstehen, so sollte der Ort, an welchem der Vertrag geschlossen wurde, be- stimmend seyn für den Gerichtsstand, und daraus erklärt sich der sehr allgemein verbreitete, keinesweges quellen- mäßige, Kunstausdruck forum contractus für den besonde- ren Gerichtsstand der Obligationen. — Die Erklärung und scheinbare Rechtfertigung dieser Lehre liegt in einigen Haupt- stellen des Römischen Rechts, in welchen durch ungründ- liche Auslegung das wahre Verhältniß der Regel zur Aus- §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. nahme, des Mittelpunktes zu den untergeordneten Bestim- mungen, verkannt und verschoben wurde. Die praktischen Irrthümer, wozu jener Grundsatz führen konnte, wurden nun eben abgewendet durch eine Reihe beigefügter Ausnah- men, die aber den Grundsatz selbst großentheils in bloßen Schein auflösten Vgl. oben B. 1 Vorrede S. XLV. — Jene Stellen sind: L. 3 de reb. auct. jud. (42. 5), L. 21 de O. et A. (44. 7), vor- züglich aber L. 19 § 2 de jud. (5. 1), welche allerdings auf den ersten Blick so aussieht, als wolle sie so, wie es von den Neueren zu geschehen pflegt, Regel und Ausnahme neben einander stellen, anstatt daß sie in der That nur versuchsweise einen scheinbar allge- meinen Satz an die Spitze stellt, dann aber durch hinzugefügte Be- schränkungen den Leser dahin führt, die wahre Regel, die sie nicht un- mittelbar ausspricht, durch Ab- straction zu finden; ganz wie es der Methode der alten Juristen angemessen ist. . — Nach der oben aufgestellten An- sicht müssen wir diese Lehre im Ganzen verwerfen, weil sie eines inneren Grundes, der nur aus dem Wesen der Obligation entnommen werden könnte, völlig ermangelt. Was aber an partieller Wahrheit in ihr enthalten ist, wird in der unten folgenden Lehre seine wahre Stellung finden, und nach Gebühr anerkannt werden. Andere Schriftsteller dagegen haben in neuerer Zeit je- nen Grundsatz aufgegeben, und den Gerichtsstand der Obli- gation vielmehr an den Erfüllungsort anzuknüpfen versucht. Mit dieser Grundlage habe ich mich bereits im Allgemeinen einverstanden erklärt. Der richtige Erfolg dieses Verfah- rens hängt aber ab von der Art, wie der Erfüllungsort festgestellt werden soll. Dieses kann zunächst geschehen VIII. 14 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. durch den für diese besondere Obligation ausgesprochenen Willen der Parteien. Daß nun an einem solchen Ort der Gerichtsstand der Obligation anzunehmen sey, ist niemals bezweifelt worden. Allein der hier vorausgesetzte Fall ist gerade der seltnere, und es bleibt daher für die meisten Fälle zu untersuchen übrig, welcher Ort in Ermangelung eines solchen besonderen ausgesprochenen Willens als Er- füllungsort, und (an diesen anknüpfend) zugleich als beson- derer Gerichtsstand der Obligation angenommen werden soll. Hierüber wird von manchen Schriftstellern folgender Grundsatz aufgestellt: In Ermangelung des Privatwillens entscheidet das Gesetz. Für jede Obligation also giebt es stets einen fest bestimmten Erfüllungsort; dieser beruht ent- weder auf dem besonderen Willen der Parteien, oder, in dessen Ermangelung, auf der Vorschrift des Gesetzes. Der eine wie der andere bestimmt zugleich den besonderen Ge- richtsstand der Obligation. Ich halte diese Lehre für völlig verwerflich, will aber die Widerlegung derselben erst versuchen, nachdem ich eine andere durchgeführt haben werde. Diese läßt sich in we- nigen Worten so ausdrücken: Der Erfüllungsort wird stets bestimmt durch den besonderen Willen der Parteien; dieser kann aber entweder ausdrücklich erklärt werden, oder stillschweigend ; in beiden Fällen bestimmt er zugleich den besonderen Gerichtsstand der §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. Obligation, der also stets auf freier Unterwerfung beruht (§ 369) Wesentlich stimmt damit überein Albrecht S. 13—27, dessen Ausführung ich ganz als richtig anerkenne. Er geht aber in dem späteren Theil seiner Ab- handlung (S. 28—35) wieder in die oben erwähnte irrige Lehre über, wovon noch unten die Rede seyn wird (Note aa ). . Die hier angedeutete Lehre also unterscheidet sich von der vorher angegebenen und verworfenen darin, daß an die Stelle des gesetzlich bestimmten Erfüllungsortes der durch stillschweigende Uebereinkunft bestimmte ge- setzt wird. Ich gehe nun zur genaueren Darstellung dieser Lehre über. I. Der erste mögliche Fall, den wir zu berücksichtigen haben, setzt voraus den an sich zufälligen Umstand, daß der besondere Wille der Parteien einen Ort der Erfüllung fest- gestellt hat. Dieses kann etwa dadurch geschehen, daß der Vertrag, worin die Auszahlung einer Geldsumme ver- sprochen wird, zugleich die Stadt geradezu benennt, worin diese Handlung vorgenommen werden soll. Daß nun in einem solchen Fall dieser Ort als der besondere Ge- richtsstand der Obligation gelten soll, ist in unsern Rechts- quellen so deutlich und zugleich so vielfältig gesagt L. 19 § 4 de jud. (5. 1), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5), L. 21 de O. et A. (44. 7) „con- traxisse … in eo loco intelli- gitur “, C. 17 X. de foro comp. (2. 2). — Es gehört dahin auch L. 1 de eo quod certo loco (13. 4). Denn indem diese Stelle sagt, daß eigentlich (d. h. abgesehen , 14* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. daß darüber zu keiner Zeit ein Zweifel erhoben worden ist Manche haben den wahren Gesichtspunkt verdunkelt, indem sie diesen Fall als forum solutionis bezeichnet, und dadurch als wesent- lich verschieden von den folgenden Fällen mit Unrecht angegeben haben. Andere haben diese ver- meintliche Verschiedenheit bis zu dem praktischen Irrthum getrieben, neben diesem Gerichtsstand gleich- zeitig ein zweites forum contrac- tus am Ort des geschlossenen Ver- trages anzunehmen. So Linde Abhandl. II. S. 112—114. (Vgl. Hollweg S. 46). Allerdings be- steht neben diesem besonderen Ge- richtsstand stets das allgemeine forum domicilii, so daß zwischen beiden der Kläger die Wahl hat (§ 371). . Jedoch würde man diesen Fall in zu enge Gränzen ein- schließen, wenn man ihn auf die Gestalt beschränken wollte, die so eben an einem Beispiel anschaulich gemacht worden ist. Um Dieses klar zu machen, ist es nöthig, den natür- lichen Unterschied unter den Handlungen hervor zu heben, die als Gegenstände von Obligationen vorkommen können. Einige dieser Handlungen, und zwar die meisten, sind so beschaffen, daß sie an jedem Orte vorgenommen werden können. Dahin gehören persönliche Dienstleistungen, ferner die Bearbeitung beweglicher Sachen, eben so die Besitz- übertragung beweglicher Sachen, insbesondere die Zahlung von baarem Gelde. Für diese Handlungen nun kann ein bestimmter Erfüllungsort nur in der oben beispielsweise be- merkten Gestalt festgestellt werden, nämlich durch wörtliche Bezeichnung des Ortes, wo sie geschehen sollen. — Andere von der actio arbitraria ) an keinem anderen , als dem be- dungenen Erfüllungsort geklagt werden könne, liegt darin gewiß vor Allem die Regel, daß an diesem Ort die Klage zulässig ist. §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. Handlungen dagegen sind schon ihrer Natur nach so aus- schließend an einen einzelnen Ort gebunden, daß sie nur an diesem gedacht werden können. Dahin gehört jede Bearbei- tung eines bestimmten Grundstücks, der Aufbau oder die Ausbesserung eines Hauses, Vermiethung, Verpachtung, Verkauf eines Hauses oder Landgutes. Denn bei jedem Verkauf besteht die Verpflichtung des Verkäufers in der Besitzübertragung L. 11 § 2 de act. emti (19. 1). , diese aber ist an einem Grundstück nur denkbar da, wo dieses liegt Die Apprehension ist nur durch die Gegenwart des Besitz- erwerbers möglich ( Savigny Recht des Besitzes § 15), anstatt daß der bisherige Besitzer auch ab- wesend seyn kann (Ebendas. S. 239). . Daher wäre es eine ganz müssige, überflüssige Förmlichkeit, in dem Verkauf zu versprechen, daß die Uebergabe des verkauften Hauses gerade in der Stadt, worin das Haus liegt, vorgenommen werden solle. Von dieser Förmlichkeit die Anwendung unseres Grundsatzes abhängig zu machen, ist durchaus kein Grund vorhanden, und wir müssen also vielmehr behaupten, daß die Feststellung des Erfüllungsortes mit ihren Folgen be- wirkt wird nicht nur durch die wörtliche Bezeichnung eines Ortes, sondern ganz eben so auch durch die Natur einer solchen Handlung, die nur an diesem Orte denkbar ist Anderer Meinung hierüber ist Bethmann Hollweg S. 47. —50. . Ja es würde selbst ungenau sein, in diesem Fall eine nur stillschweigende Willenserklärung annehmen zu wollen. Denn unter dieser verstehen wir die auslegende Folgerung aus Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. einer zu anderen Zwecken, als der Willenserklärung, be- stimmten Handlung, welche Folgerung stets durch eine ent- gegengesetzte ausdrückliche Erklärung ausgeschlossen werden kann S. o. B. 3 § 131. . Wenn aber Jemand ein Haus verkauft, das heißt, zu übergeben verspricht, so ist der besondere Umstand, daß diese Uebergabe gerade da, wo das Haus liegt, gesche- hen solle, schon in dem Versprechen selbst unmittelbar enthalten, indem eine Uebergabe an anderem Orte unmög- lich ist, so daß auch eine entgegengesetzte ausdrückliche Erklärung über diesen Nebenpunkt völlig widersinnig seyn würde. Wir gehen jetzt über zu den weit häufigeren und sehr mannichfaltigen Fällen, in welchen ein fest bestimmter Er- füllungsort der Obligation nicht vorhanden ist; diese Fälle aber werden sich nur beziehen können auf Handlungen, die ihrer Natur nach überall vorkommen können, also nicht mit einer bestimmten Oertlichkeit zusammen hängen, weil sonst, wie so eben gezeigt wurde, eben dieser Zusammenhang den Erfüllungsort mit sich führen würde. Für alle diese Fälle nun haben wir zu untersuchen, an welchem Orte von den Parteien die Erfüllung gedacht und erwartet seyn möge; diesen Ort haben wir als den wahren Sitz der Obligation und als ihren besonderen Gerichtsstand zu betrachten, indem §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. in jener durch die Umstände begründeten Erwartung eine stillschweigende Feststellung des Erfüllungsortes, also auch eine stillschweigende Unterwerfung des Beklagten unter den Gerichtsstand dieses Ortes, enthalten ist. Aus dieser Annahme einer stillschweigenden Uebereinkunft und Unter- werfung folgt aber von selbst, daß der durch die folgenden Betrachtungen festzustellende besondere Gerichtsstand der Obligation stets ausgeschlossen werden kann durch eine ent- gegengesetzte ausdrückliche Willenserklärung (§ 369. b ). Dieser Grundsatz nun findet sich im Römischen Recht nirgend wörtlich ausgesprochen; allein alle einzelne Entscheidungen der Römischen Juristen lassen sich ungezwungen auf ihn, und nur auf ihn, zurückführen, auch steht er in unverkenn- barem Zusammenhang mit der freien Unterwerfung (§ 369), die ja in dieser ganzen Lehre überall als bestimmend anzu- sehen ist. Wir werden also nunmehr zurückgeführt auf die That- sachen, die der Obligation ihre Entstehung gegeben haben, und wir haben, der Reihe nach, diejenigen äußeren Um- stände anzugeben, unter deren Voraussetzung der Entstehungs- ort der Obligation von den Parteien zugleich als Erfüllungs- ort zu erwarten war. Wenn wir uns bei dieser Unter- suchung an die Aussprüche der Römischen Juristen halten, welches, vom Standpunkt des gemeinen Rechts aus, als richtig und nothwendig nicht bezweifelt werden kann, so dürfen wir dabei nicht übersehen, welcher Natur jene Aus- sprüche sind. Sie enthalten nicht etwa Vorschriften des Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. positiven Rechts, sondern leitende Gesichtspunkte, aus welchen der wahrscheinliche, natürliche Gedanke der Parteien zu erkennen ist, neben welchen also stets die besonderen Um- stände jedes einzelnen Falles zu beachten sind. Wo also diese Umstände auf eine andere Entscheidung führen möchten, da handeln wir ganz im Sinn jener Römischen Aussprüche, wenn wir sie nicht zur Anwendung bringen. Von häu- figem Einfluß wird jedoch diese Bemerkung gewiß nicht seyn. II. Um den ersten Fall dieser Art deutlich zu machen, ist eine vorläufige Betrachtung nöthig über die verschiedene Beschaffenheit und äußere Erscheinung der Thatsachen, aus welchen Obligationen entstehen. Die meisten Obligationen entstehen aus einzelnen, vorübergehenden Handlungen. So verhält es sich mit dem häufigsten aller Entstehungsgründe, dem Vertrag, der zwar nicht selten lange vorbereitet wird, dessen wirklicher Abschluß aber stets eine augenblickliche Erscheinung darbietet, also einen kaum merklichen Zeitraum erfüllt. Dagegen giebt es andere, allerdings seltnere, Obli- gationen, die aus einer fortgesetzten, zusammenhängenden Thätigkeit des Schuldners entspringen, einer Thätigkeit, die stets einen längeren Zeitraum erfüllt, und zugleich mit einer bestimmten Oertlichkeit in Verbindung steht. Wir können eine Thätigkeit solcher Art, aus welcher, im Laufe der Zeit, mehr oder weniger einzelne Obligationen zu entstehen pflegen, mit dem gemeinsamen Namen der Geschäftsführung be- zeichnen. Eine Uebersicht der wichtigsten Fälle solcher Art, §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. wie sie in unseren Rechtsquellen erwähnt werden, mit An- erkennung des dadurch begründeten Gerichtsstandes, wird die Sache anschaulich machen L. 19. § 1 de jud. (5. 1), L. 36 § 1 L. 45 pr. eod., L. 4 § 5 de ed. (2. 13), L. 54 § 1 de proc. (3. 3), L. 1. 2 C. ubi de ratio- cin. (3. 21). — Der Grund der freiwilligen Unterwerfung wird aus- drücklich angegeben bei der nego- tiorum gestio in L. 36 § 1 de jud. (5. 1) „non debet judicium recusare … cum sua sponte sibi hanc obligationem con- traxerit“. . Es gehören dahin folgende Fälle. Die Tutel über Un- mündige, so wie jede Art von Curatel. Ferner die Be- sorgung der Geschäfte eines Anderen, sey es aller seiner Geschäfte (Generalmandat), sey es einer gewissen Klasse derselben, etwa einer Fabrik, Handlung u. s. w.; sey es in Folge eines Vertrags (Mandat oder operae locatae), oder aber aus einseitigem Willen (negotiorum gestio) Nicht jedes Mandat, und nicht jede negotiorum gestio ge- hören in diese Kategorie; denn beide können auch ein einzelnes, vorübergehendes Geschäft zum Ge- genstand haben, wovon hier nicht die Rede ist. . Endlich ein fortlaufendes eigenes Bank- und Commissions- geschäft (argentaria). Aus dieser Uebersicht ergiebt es sich, daß sowohl eigene, als fremde Geschäftsführung diesen Gerichtsstand begründen kann, ferner sowohl ein Vertrag, als ein Quasicontrakt, welcher der fremden Geschäftsführung zum Grunde liegt. Die wesentliche Voraussetzung besteht nur darin, daß die fortgehende Geschäftsführung an eine bestimmte Oertlichkeit bleibend geknüpft ist L. 19 § 1 de jud. (5. 1) Si quis tutelam … vel quid aliud, unde obligatio oritur, certo loci administravit, etsi ibi domicilium non habuit, ibi se debebit defendere“. . In den Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. meisten Fällen tritt dieser besondere Gerichtsstand deswegen nicht merklich hervor, weil die Geschäftsführung mit dem Wohnsitz zusammenfällt; beide können aber auch getrennt seyn, und dann zeigt sich dieser Gerichtsstand wirksam (Note l ). Manche Schriftsteller haben diesen Gerichtsstand als einen ganz eigenthümlichen betrachten wollen unter dem Namen forum gestae administrationis, verschieden von dem sogenannten forum contractus. Ganz mit Unrecht, da beide auf demselben Grunde beruhen, auf der in den Umständen begründeten Erwartung der Parteien, daß die aus der Ge- schäftsführung entstehenden Obligationen auch an dem Ge- schäftsort ihre Erledigung finden werden, zu welcher Er- wartung die dauernde Natur einer solchen Verwaltung gewiß hinreichenden Grund darbietet; denn in dieser Ge- schäftsführung hat die Gesammtheit der aus ihr entsprin- genden Obligationen gleichsam ein räumliches, sichtbares Daseyn gewonnen, sie erscheint darin wie verkörpert. Will man also überhaupt den Kunstausdruck forum contractus anwenden, so muß man diesen Fall durchaus darunter be- ziehen. Nur darf hier der Entstehungsort der Obligation nicht da gedacht werden, wo etwa der Vertrag wegen Uebernahme des Geschäfts geschlossen worden ist; noch auch da, wo die einzelnen Kaufverträge, Geldeinnahmen u. s. w. Statt gefunden haben, aus welchen der Geschäftsführer dem Herrrn des Geschäfts verantwortlich geworden seyn mag. Diese beiden Orte verschwinden hier als unterge- §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. ordnet, und das Geschäft selbst, als dauerndes Ganze, muß als die gemeinsame Grundlage der daraus entspringenden einzelnen Obligationen angesehen werden Vgl. Albrecht S. 23. . Auf den bleibenden Sitz dieses Geschäfts war der Gedanke, die Er- wartung, die freie Unterwerfung der Parteien gerichtet. III. Es bleiben jetzt noch übrig diejenigen Obligationen, denen weder ein bestimmter Erfüllungsort angewiesen ist (Num. I. ), noch eine fortgesetzte Thätigkeit an einem be- stimmten Orte als Grundlage dient (Num. II. ). Diese müssen also insgesammt auf Handlungen, die überall vor- kommen können, gerichtet seyn, und zugleich aus einzelnen, vorübergehenden Handlungen entspringen; denn sonst wür- den sie den früher aufgestellten Kategorieen anheim fallen. Bei diesen also haben wir zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Rücksicht auf den Entstehungsort die Erwartung begründet, daß dieser zugleich der Erfüllungs- ort, und daher der wahre Sitz der Obligation, seyn werde. Der nächste Fall, auf welchen wir in dieser Reihe von Betrachtungen geführt werden, besteht darin, daß ein Schuld- ner in seinem persönlichen Wohnsitz in eine Obligation eintritt. Dadurch unterwirft er sich dem Gerichte dieses Ortes als dem besonderen Gerichtsstande dieser Obligation. Es scheint auf den ersten Blick überflüssig, ja widersprechend, den Gerichtsstand, der ohnehin für diese Person als der Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. allgemeine begründet ist, nun noch als etwas Neues, als einen besonderen Gerichtsstand, ansehen zu wollen, indem man annehmen möchte, es sey ausreichend, in einem solchen Fall blos die gewöhnliche Wirkung des ohnehin geltenden forum domicilii anzuerkennen. Allein die praktische Wichtigkeit der hier aufgestellten Unterscheidung bezieht sich auf die Fälle möglicher Verände- rungen. Wenn jener Schuldner willkürlich seinen Wohnsitz ändert, oder wenn er stirbt, so hat sein bisheriges forum domicilii, als solches, gänzlich aufgehört. Aber in der hier aufgestellten Eigenschaft, als besonderer Gerichtsstand der Obligation, dauert er fort: er folgt dem Auswandernden in seinen neuen Wohnsitz nach, er bindet im Fall des To- des den Erben, wenngleich dieser einen anderen Wohnsitz hat L. 19 pr. de jud. (5. 1), L. 2 C. de jurisdict. (3. 13). Vgl. Bethmann Hollweg S. 24. Dieser wichtige Satz steht in Verbindung mit dem oben gemachten Vorbehalt § 344. e. — Aus diesem Satz ist auch zu erklären L. 45. de jud. (5. 1), welche folgenden Fall voraussetzt. Eine Einwohnerin von Rom nimmt in ihrer Heimath ein Darlehen auf. Nach ihrem Tode wird sie beerbt von ihrer Tochter, deren Wohnsitz in eine Provinz kommt. Hier werden die Vormünder im Namen der Mündel verurtheilt. Dennoch, sagt Ulpian , gehört die judicati actio wieder nach Rom, weil die Erblasserin daselbst den Gerichts- stand der Obligation begründet hatte. . Der Grund dieser eigenthümlichen Bestimmung liegt darin, daß der Schuldner durch die hier übernommene Obli- gation die Erwartung erregt hat, er werde sich an dem- selben Orte auch den Folgen derselben unterwerfen (§ 369); §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. diese Erwartung soll nicht getäuscht werden, der Schuldner soll also zwar nicht gehindert werden, seinen Wohnsitz will- kürlich zu ändern, er soll aber die an dem alten Wohnsitz übernommenen Obligationen ebendaselbst abwickeln. IV. Aber auch außer seinem Wohnsitz kann Jemand als Schuldner in eine Obligation eintreten unter solchen Umständen, welche die natürliche Erwartung erregen, daß der Entstehungsort der Obligation zugleich ihr Erfüllungsort seyn werde. Eine solche Erwartung erregt Der, welcher außer seinem Wohnsitz ein gewerbliches Geschäft von einiger Dauer be- gründet, und dabei Einrichtungen trifft, aus welchen abzu- nehmen ist, er werde die Waaren, die er hier verkauft, auch eben daselbst abliefern. Dadurch unterwirft er sich dem besondern Gerichtsstand der Obligation an dem Ort des geschlossenen Vertrags. Dieses wird von Ulpian ausführlich angegeben, und zwar als Warnung gegen die unbedingte Annahme eines Gerichtsstandes blos deswegen, weil an irgend einem Orte ein Vertrag geschlossen worden sey; er begründet diese Warnung durch die Erwähnung eines Durchreisenden, der einen Vertrag schließe, und von welchem man doch gewiß nicht werde behaupten wollen, daß er sich einem Gerichtsstand am Ort des Vertrags un- terwerfe L. 19 § 2 de jud. (5. 1) „.. durissimum est, quotquot locis quis navigans, vel iter facicns, delatus est, tot locis se defendi. At si quo consti- tit, non dico jure domicilii, sed . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Aber das hier erwähnte gewerbliche Verhältniß ist über- haupt nur als Beispiel, keinesweges als ausschließende Be- dingung, eines Gerichtsstandes der Obligation anzusehen. Werden nämlich während eines Aufenthaltes außer dem Wohnsitz Verträge geschlossen, so muß aus dem Inhalt derselben abgenommen werden, welchen Gedanken über die Erfüllung die Parteien damit wahrscheinlich verbunden ha- ben mögen. Wenn also ein Beamter in Folge eines Amts- geschäfts, oder ein Abgeordneter zu einer legislativen Ver- sammlung, Monate lang an demselben Orte verweilt, und daselbst Schulden contrahirt, die sich auf seinen täglichen Lebensunterhalt beziehen, so ist an der Begründung des besonderen Gerichtsstandes der Obligation nicht zu zweifeln. Eben so, wenn bei einem Badeaufenthalt Schulden zu ähn- lichen Zwecken entstehen. Wenn dagegen bei einem Bade- aufenthalt Verträge über Handelsgeschäfte geschlossen wer- den, deren weitere Entwickelung nur von der Heimath aus zu erwarten ist, so muß ein solcher Gerichtsstand für den Ort des geschlossenen Vertrages verneint werden Bethmann Hollweg S. 24. 25. Vgl. Seuffert Ar- chiv B. 2 N. 119. . Da hier Alles auf die wahrscheinliche Absicht der Parteien an- kommt, so kann nach Umständen auch schon ein sehr kurzer tabernulam … officinam con- duxit, ibique distraxit, egit: defendere se eo loci debebit.“ — L. 19. § 3 eod. — L. un. C. de nund. (4. 60) verneint das forum contractus nur gegen Die, welche einen öffentlichen Markt zu einzelnen Kaufgeschäften als Rei- sende besuchen, nicht gegen Die, auf welche die oben von Ulpian angegebenen Kennzeichen passen. §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. Aufenthalt zur Begründung jenes Gerichtsstandes hin- reichen. So wird diese Begründung angenommen werden dürfen gegen einen Reisenden, der im Gasthause seine Rech- nung nicht bezahlen will, da bei diesem Geschäft die unver- zügliche Erfüllung allgemein üblich ist, also von Jedem er- wartet werden kann. Es kommt also Alles darauf an, in welchem Verhältniß die Natur und die Dauer des Aufent- halts zu dem Inhalt der Obligation steht. Wenn wir die bisher aufgestellten Regeln (Num. II. III. IV. ) mit der oben dargestellten und verworfenen Meinung ver- gleichen, so ergiebt sich folgendes Verhältniß beider Auf- fassungen. Jene Meinung betrachtete den Ort der obliga- torischen Handlung an sich als den Grund des Gerichts- standes der Obligation (nur mit Ausnahmen); die hier vorgetragene Lehre knüpft diese Wirkung nicht an die obli- gatorische Handlung an sich, sondern nur in Verbindung mit anderen, ihr zum Grund liegenden und vorhergehenden Umstaͤnden Mühlenbruch beurtheilt die unter der Num. IV. zusammenge- stellten Fälle an sich richtig, und mit praktischer Einsicht in die Ver- hältnisse des wirklichen Lebens (S. 355—357. 360—361. 365— 375), allein er irrt in der theore- tischen Begründung derselben, in- dem er in diesen Fällen ein Qua- sidomicil oder ein temporäres Do- micil annimmt, und sie also mit dem Fall Num. III. in Verbindung setzt. Diese Verbindung ist ge- zwungen und unfruchtbar. . V. Es bleibt endlich noch übrig, den Sitz der Obliga- tion für diejenigen Fälle zu bestimmen, in welchen alle bis- her angegebene Voraussetzungen nicht ausreichen, indem Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. weder ein fest bestimmter Erfüllungsort vorhanden ist (Num. I. ), noch der Entstehungsort der Obligation durch begleitende Umstände geeignet erscheint, zugleich als Erfül- lungsort von den Parteien gedacht zu werden (Num. II. III. IV. ). Dahin wird also namentlich der von Ulpian an- gegebene Fall zu zählen seyn, wenn ein Durchreisender während seines ganz vorübergehenden Aufenthaltes einen Vertrag schließt (Note o ). Fehlt es hier an jeder Andeu- tung irgend eines bestimmten Erfüllungsortes, so muß an- genommen werden, daß der Wohnsitz des Schuldners, an den er doch immer wieder zurückkehrt, als Erfüllungsort gedacht worden ist. Ein solcher Fall ist also gerade so zu beurtheilen, wie wenn der Vertrag nicht auf der Reise, sondern in dem eigenen Wohnsitz, von dem Schuldner ge- schlossen worden wäre (Num. III. ). Dieser Fall wird am häufigsten in folgender Gestalt auftreten, die noch einer besonderen Erwähnung wegen der zweideutigen Natur des Inhalts der Obligation bedarf. Wenn der Eigenthümer einer Fabrik oder Handlung um- her reist oder seinen Diener reisen läßt, um Bestellungen zu sammeln, also Verträge über Lieferung von Waaren abzu- schließen, so kann es zweifelhaft scheinen, worin eigentlich der Inhalt der von ihm übernommenen Obligation besteht, und davon wird zugleich der Erfüllungsort abhängig sein. Die Lieferung ist nämlich ein zusammengesetztes, Zeit er- füllendes Geschäft. Die Waare wird zuerst vom Verkäu- fer abgesendet, bleibt dann einige Zeit auf dem Wege, und §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. kommt endlich in den Besitz des Käufers. Dabei könnte man als wahren Inhalt der Obligation denken entweder die Ab- sendung, so daß die Empfangnahme blos eine spätere Folge der vollendeten Erfüllung wäre, oder aber die Empfang- nahme, so daß die Absendung blos als Vorbereitung der wirklichen Erfüllung gelten könnte. Im ersten Fall würde als Erfüllungsort der Wohnsitz des Verkäufers gedacht, im zweiten Fall der Wohnsitz des Käufers. Welche dieser bei- den Ansichten ist nun nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorzuziehen? Ich halte die erste für richtig, nach welcher die eigentliche Erfüllung in der Absendung besteht, der Er- füllungsort also an dem Wohnsitz des Verkäufers anzuneh- men ist. Dafür sprechen, wie ich glaube, zwei Bestimmun- gen des Römischen Rechts. Erstlich der Uebergang der Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer vom Au- genblick des geschlossenen Kaufs an, also noch ehe das Ei- genthum durch Uebergabe erworben ist § 3 J. de emt. (3. 23). . Zweitens die allgemeinere Regel, nach welcher die versprochene Uebergabe einer beweglichen Sache nur an dem Orte gefordert werden kann, wo gerade jetzt die Sache liegt L. 12 § 1 depos. (16. 3). Von diesem Satze wird sogleich noch ausführlicher die Rede seyn. In Verbindung mit demselben be- hauptet auch Thöl Handelsrecht § 78 Note 5. 6, die Uebergabe einer Waare müsse in der Regel da erfolgen, wo der Verkäufer seine gewöhnliche Waarenniederlage habe. . — Im Preußi- schen Recht ist diese Ansicht noch unzweifelhafter anerkannt. Denn hier geht mit der Absendung nicht blos die Gefahr, VIII. 15 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. sondern selbst schon das Eigenthum auf den Käufer über, vorausgesetzt, daß die Art der Absendung durch den Käufer entweder angeordnet war, oder durch unterlassenen Wider- spruch genehmigt worden ist A. L. R. I. 11 § 128—133. . Unter dieselbe Kategorie glaube ich auch stellen zu müssen den Fall der L. 65 de judiciis (5. 1) von einer Dos, über welche der künftige Ehegatte einen schriftlichen Vertrag schließt außer seinem Wohnsitz (etwa im Wohnsitz der Braut, oder ihres Vaters). Die Klage auf Rückgabe der Dos, sagt Ulpian , ist künftig nicht anzustellen an dem Ort des geschlossenen Dotalvertrags, sondern an dem Wohn- sitz des Mannes. Denn dieser ist zugleich der Sitz der Ehe, also der Aufenthalt der Dos, und von diesem Orte aus mußte daher die künftige Rückgabe der Dos erwartet werden. Der bequemeren Uebersicht wegen will ich die hier aus- führlich erörterten Regeln über den besonderen Gerichtsstand der Obligation kurz zusammenstellen. Dieser Gerichtsstand ist in folgenden verschiedenen Fällen als begründet anzu- nehmen. I. An dem Orte, welcher als Erfüllungsort durch den Willen der Parteien besonders festgestellt ist; ohne Unterschied, ob diese Feststellung bewirkt wird durch §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. die wörtliche Bezeichnung irgend eines Ortes, oder durch die Natur der durch die Obligation herbei zu führenden Handlung, welche nur an einem ein- zigen Orte möglich ist. II. In Ermangelung eines festgestellten Erfüllungsortes kann der Gerichtsstand dadurch begründet werden, daß eine Obligation entspringt aus der an einen bestimmten Ort gebundenen Geschäftsführung des Schuldners. III. Der Gerichtsstand wird ferner begründet durch den Entstehungsort der Obligation, wenn dieser mit dem Wohnsitz des Schuldners zusammen fällt. IV. Auch außer dem Wohnsitz des Schuldners kann der Entstehungsort der Obligation den Gerichts- stand begründen, wenn durch die Umstände die Erwartung begründet wird, daß an demselben Orte auch die Erfüllung eintreten werde. V. Wenn keine der angegebenen Voraussetzungen vor- handen ist, so ist der Gerichtsstand der Obligation an dem Wohnsitz des Schuldners. Alle diese Fälle, so verschiedenartig sie aussehen, und so zufällig ihre Verbindung erscheint, lassen sich doch auf einen gemeinsamen Grundsatz zurück führen. Es ist überall der Erfüllungsort, welcher den besonderen Gerichtsstand bestimmt; entweder der ausdrücklich festgestellte (Num. I. ), oder der auf stillschweigender Erwartung beruhende (Num. II. — V. ). In beiden Fällen ist eine freie Unterwerfung 15* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. des Beklagten unter diesen Gerichtsstand anzunehmen, wenn nicht eine entgegengesetzte ausdrückliche Erklärung ihn ausschließt. Die hier vorgetragene Lehre ist oben zusammengestellt worden mit einer anderen, theilweise ähnlichen, deren Prüfung und Widerlegung nun noch nachgeholt werden muß (S. 210). Diese andere Lehre lautet, auf eine consequente Spitze getrieben, also. Für jede Obligation läßt sich stets ein bestimmter Ort angeben, an welchem sie erfüllt werden muß. Dieser kann durch den Willen der Parteien festge- stellt seyn; wo diese Feststellung fehlt, da sorgt das Gesetz für einen bestimmten Erfüllungsort. In beiden Fällen ist der Gerichtsstand der Obligation an diesem Erfüllungsort begründet. Diese ganze Lehre steht und fällt mit der Behauptung, daß es für jede Obligation einen gesetzlichen Erfüllungs- ort gebe; prüfen wir also vor Allem die Richtigkeit dieser Behauptung. Es ließe sich etwa denken, daß gesetzlich be- stimmt wäre, jede Obligation müsse da erfüllt werden, wo sie entstanden wäre; dann wäre das forum contractus im buchstäblichen Sinne dadurch begründet, daß der Ort des geschlossenen Vertrags als Erfüllungsort vorgeschrieben wäre So nahm es früher Linde (Archiv S. 61—63 S. 75), er , und an innerem Zusammenhang würde es dann §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. jener Lehre nicht fehlen. Allein weder diese, noch irgend eine ähnliche Regel über den gesetzlichen Erfüllungsort ist wahr. Vielmehr lautet die wahre Regel so, daß in Er- mangelung eines vertragsmäßigen Erfüllungsorts der Schuldner erfüllen muß da, wo er gerade verklagt wird (ubi petitur) L. 1 de ann. leg. (33. 1), L. 38 de jud. (5. 1), L. 47 § 1 de leg. 1 (30. un.), L. 4 de cond. trit. (13. 3), L. 22 de reb. cred. (12. 1). , so daß es ganz in der Willkür des Klägers steht, an welchem Ort er die Erfüllung erzwingen will, natürlich vorausgesetzt, daß er an diesem Ort einen Gerichtsstand findet, welchen der Beklagte anzuerkennen verpflichtet ist. Anstatt also daß nach jener Lehre der ge- setzliche Erfüllungsort den Gerichtsstand bestimmen sollte, wird gerade umgekehrt der gesetzliche Erfüllungsort bestimmt durch jeden irgendwo begründeten Gerichtsstand, sobald nur der Gläubiger beschließt, des einen oder des anderen Ge- richtsstandes sich zu bedienen. Nach Römischem Recht nun war für jeden Schuldner sowohl das forum originis be- gründet, als das forum domicilii, welche beide ganz ver- schieden seyn konnten; ja der Schuldner konnte in mehreren Städten Bürger seyn, auch in mehreren Städten einen wahren Wohnsitz haben. Dann hatte der Kläger freie Wahl, an welchem unter diesen vielen Orten er klagen wollte, und wo er immer klagte, da war zugleich wurde aber selbst später irre an diesem Grundsatz (Abhandlungen II. S. 111). Daß er ihn theilweise beibehalten hat, wird sogleich ge- zeigt werden. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. der gesetzliche Erfüllungsort. So wird also durch jene Lehre das wahre Sachverhältniß geradezu umgekehrt; denn nach der wirklichen Lehre des Römischen Rechts ist der Er- füllungsort nicht das Bestimmende für den Gerichtsstand, sondern vielmehr das von dem Gerichtsstand Abhängige. Wäre nun die eben angegebene Regel des Römischen Rechts allein vorhanden, so würde ein so handgreiflicher Zirkel nicht verkannt worden seyn, und die erwähnte irrige Lehre hätte schwerlich Vertheidiger gefunden. Allein jener Regel ist im Römischen Recht eine Beschränkung hinzuge- fügt worden, und diese Beschränkung hat das ganze Miß- verständniß verschuldet. In vollständigem Zusammenhang steht nun die Sache also. Allerdings kann in der Regel jeder Glaubiger die Er- füllung einer Forderung an jedem Ort erzwingen, wo er einen Gerichtsstand des Schuldners findet. Wenn aber die Forderung auf Uebergabe einer individuell bestimmten beweglichen Sache, einer certa species, gerichtet ist, so tritt für den Schuldner die Erleichterung ein, daß er sich frei machen kann durch die Uebergabe an dem Orte, wo sich gerade jetzt die Sache zufällig befindet, daß er sie also nicht auf seine Kosten und Gefahr an den Ort der Klage zu bringen ver- pflichtet ist. Nur verliert er diesen Vortheil, wenn die Sache nicht durch Zufall, sondern durch seine unredliche Handlung anderwärts ist. Ferner gilt diese Erleichterung nicht bei allen Schuldklagen, sondern nur bei Klagen aus §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. bonae fidei Contracten L. 12 § 1 depos. (16. 3). , oder aus einem Testament auf Entrichtung eines Legates L. 38 de jud. (5. 1), L. 47 pr. §. 1 de leg. 1 (30. un.). Es kann auffallen, daß hier die per- sönliche Legatenklage mit den b. f. actiones gleich gestellt wird, da sie selbst doch eine Condiction war (S. o. B. 5 S. 540). Wahrschein- lich bezogen sich jene Stellen ur- sprünglich blos auf das sinendi modo legatum, in dessen Begriff diese Begünstigung schon lag, und das auch in anderen Beziehungen von Julian den Fideicommissen gleich, also sehr frei, behandelt wurde ( Gajus II. § 280.). Mit der hier vorliegenden Streitfrage hat dieses Bedenken gewiß keinen Zusammenhang. ; namentlich also nicht bei der Condiction aus einer Stipulation L. 137 § 4 de V. O. (45. 1) „.. ut sie non multum referre videatur, Ephesi daturum se, an (quod Ephesi sit, cum ipse Romae sit) dare spon- deat …“ . Dagegen gelten dieselben Sätze auch bei Klagen in rem, namentlich der Eigen- thumsklage, und eben so bei der actio ad exhibendum, welche beide arbiträre Klagen sind L. 10. 11. 12 de rei vind. (6. 1), L. 38 in f. de jud. (5. 1), L. 11 §. 1 ad exhib. (10. 4). . Faßt man diese exceptionelle Vorschrift so auf, wie es hier geschehen ist, als eine bloße Begünstigung des Schuld- ners, auf Billigkeit gegründet, so ist es einleuchtend, daß sie mit dem Erfüllungsort, und einem auf denselben zu gründenden Gerichtsstand, gar Nichts zu schaffen hat; denn diese sind gerade umgekehrt bindend und beschränkend für den Schuldner. Die Richtigkeit meiner Auffassung aber geht daraus hervor, daß durch den Dolus des Schuldners die exceptionelle Maaßregel ausgeschlossen seyn soll, welches nur Sinn hat, wenn diese Maaßregel als Begünstigung des Schuldners anzusehen ist. Daraus folgt aber, daß die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Vertheidiger der hier bekämpften Lehre im Irrthum sind, wenn sie in dieser Maaßregel einen gesetzlichen Erfüllungs- ort sehen, und darauf einen besonderen Gerichtsstand der Obligation gründen wollen, nämlich eben an dem Orte, wo die bewegliche Sache sich zufällig befindet Linde Abhandlungen II. S. 118. Albrecht S. 29—32. Dieser legt mit Unrecht Werth auf solche Ausdrücke, wie: ibi dari debet, ubi est in L. 38 de jud. (5. 1). Nach dem ganzen Zu- sammenhang heißt das: „er ist nur schuldig, an diesem Ort zu übergeben“, wie die gleich darauf folgende Ausnahme deutlich macht; er braucht also nicht die Trans- portkosten daran zu wenden „nisi dolo malo heredis subductum fuerit, tunc enim ibi dari debet, ubi petitur.“ — So heißt es ja auch in L. 38 de jud. (5. 1) „per in rem actionem … ibi peti debet, ubi res est.“ Und doch hat der Kläger stets die Wahl zwischen dem forum rei sitae und dem forum domi- cilii. Bethmann Hollweg S. 70. . Vollends diese letzte Folgerung (worauf hier Alles ankommt) ist schon deswegen durchaus verwerflich, weil darin ein forum rei sitae für persönliche Klagen liegen würde, das wohl Nie- mand behaupten wird. Die hier bekämpfte Meinung ist noch durch folgenden Umstand unterstützt worden. Bei Fideicommissen (womit gewiß das fideicommissum hereditatis gemeint ist) besteht die, auf billige Schonung des belasteten Erben gegründete, Vorschrift, daß er sie nur da zu entrichten braucht, wo der größere Theil der Erbschaft liegt. An diesem Ort soll da- für auch ein besonderer Gerichtsstand begründet sein L. 50 pr. de jud. (5. 1), L. un. C. ubi fideicomm. (3. 17). . Eine ähnliche billige Rücksicht soll auch gelten zum Vortheil §. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. des Fideicommissarerben, welcher aus Erbschaftsschulden be- langt wird L. 66 § 4 ad Sc. Treb. (36. 1). . Ganz irrig hat man diese, was den Ge- richtsstand betrifft, sehr positive Vorschriften in solche Ver- bindung gesetzt mit der vorher erörterten Regel über die Ablieferung beweglicher Sachen an dem Orte, wo sie liegen, daß man daraus auch bei diesen einen besonderen Gerichts- stand hat ableiten wollen Albrecht S 20. . Noch weit irriger aber war es, diese sehr willkürliche Vorschriften zur Unterstützung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes über den Gerichtsstand der Obligationen benutzen zu wollen. Die ganz positive und vereinzelte Natur der erwähnten Vorschriften ergiebt sich theils aus dem sehr unbestimmten Begriff der major pars hereditatis, der gewiß nicht auf die Ableitung aus einer allgemeinen Rechtsregel hindeutet, theils aus der ge- schichtlichen Entwickelung der Fideicommisse überhaupt, die, geschützt durch extraordinaria cognitio, stets einer viel freieren und durchgreifenderen Einwirkung der Gesetzgebung unter- worfen waren, als die Obligationen Vgl. Bethmann Hollweg S. 32—35. S. 48. . §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand der Obligation. (Fortsetzung) . Die hier aufgestellten Regeln über den besonderen Ge- richtsstand der Obligation bedürfen noch einiger Ergänzun- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gen und näheren Bestimmungen, die nunmehr hinzugefügt werden sollen. Nach einer früher sehr verbreiteten Meinung, die selbst dem Kunstausdruck forum contractus zum Grunde liegt, soll jener Gerichtsstand in der Regel an dem Orte ange- nommen werden, an welchem die obligatorische Handlung, also der thatsächliche Entstehungsgrund der Obligation, vor- genommen worden ist (§ 370). Diese Meinung mußte zwar verworfen werden, indem nicht jene Handlung an sich selbst, sondern nur in Verbindung mit anderen, ihr zum Grund liegenden und vorhergehenden Umständen, dazu geeig- net ist, einen solchen Gerichtsstand zu begründen (S. 208). Dennoch muß, auch nach dieser umgebildeten Ansicht, der obligatorischen Handlung noch immer ein wichtiger Einfluß auf die Begründung jenes Gerichtsstandes zugestanden wer- den. Und so erscheint uns auch jetzt noch die Frage von Bedeutung: Wo ist der wahre Ort einer obligatorischen Handlung? oder mit anderen Worten: Wo entsteht eine Obligation? Die Beantwortung dieser Frage, die oft nicht ohne Schwierigkeit ist, soll hier nach den drei wichtigsten Arten obligatorischer Handlungen versucht werden: Ver- träge, einseitige erlaubte Handlungen, Delicte. A. Verträge. Diese werden meist geschlossen in per- sönlicher Zusammenkunft beider Parteien; dann ist der Ort dieser Zusammenkunft zugleich der Entstehungsort der Obli- gation. Es können aber folgende Abweichungen von diesem einfachsten und gewöhnlichsten Hergang eintreten. §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) Zuerst kann die Gültigkeit des Vertrags durch gesetzliche Vorschrift, oder auch durch den Willen der Parteien, abhän- gig gemacht werden von der Beobachtung einer besonderen Form, etwa von schriftlicher, notarieller, gerichtlicher Ab- fassung. Dann ist der Ort, an welchem diese Form vollen- det wird, der wahre Ort des Vertrags, weil bis zu dieser Vollendung kein Theil gebunden ist L. 17 C. de fide instr. (4. 21). Vgl. Meier p. 58. . Weit häusiger und schwieriger aber ist der Fall, wenn ein Vertrag nicht in persönlicher Zusammenkunft beider Theile geschlossen wird, sondern durch einen Boten, durch eine an verschiedenen Orten von Beiden unterzeichnete Ur- kunde, oder, welches das Häufigste ist, durch bloßen Brief- wechsel. Hier ist der wahre Ort des Vertrags ungemein bestritten. Für diesen Fall entstehen eigentlich drei, an sich verschiedene, Fragen, die jedoch von den Meisten vermischt behandelt werden: Wo ist der Vertrag geschlossen? Welcher Ort gilt für den Gerichtsstand? Welcher für das örtliche Recht? Die erste Frage beantworte ich unbedenklich dahin, daß der Vertrag da geschlossen ist, wo der erste Brief em- pfangen und von dem Empfänger die zustimmende Antwort abgesendet wird; denn an diesem Ort ist es zu einer über- einstimmenden Willenserklärung gekommen. Der Absender des ersten Briefes ist demnach so zu betrachten, als ob er sich durch eine Reise zu dem Anderen hinbegeben, und dessen Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zustimmung eingeholt hätte Dasselbe ist also bei dem Boten anzunehmen an dem Orte, wo diesem die Zustimmung ausge- sprochen wird; bei der doppelt unterschriebenen Urkunde an dem Orte, wo die letzte Unterschrift er- folgt; bei einem Wechsel an jedem Orte, an welchem Einer acceptirt oder indossirt. . Diese Meinung ist auch von Mehreren angenommen worden Hommel obs. 409 N. 17. 18. Meier p. 59 (Beide bei Ge- legenheit der Frage nach dem gel- tenden örtlichen Recht). Wening Archiv f. civ. Praxis B. 2 S. 267—271 (der zunächst nur von dem Zeitpunkt des vollen- deten Vertrags, spricht jedoch so, daß seine Entscheidung zugleich auf den Ort zu beziehen ist). Lauterbach de nuncio § 25 (Diss. T. 3 N. 107), wo zunächst von dem Boten die Rede ist, dieser aber dem Briefe ganz gleich gestellt wird. . Manche aber haben dabei folgendes Bedenken geltend gemacht. Der zu- stimmende Brief, meinen sie, könne ja vor der Ankunft wie- der zurückgeholt oder durch einen Widerruf entkräftet wer- den; daher sey der Vertrag erst vollendet an dem Orte, wo der Absender des ersten Briefes die Antwort empfangen, also von der Zustimmung ein Bewußtseyn erhalten habe Hert de commeatu lite- rarum § 16—19 in Comment. Vol. I p. 243. Hasse Rhein. Museum II. 371—382. Wächter Archiv B. 19 S. 116. Etwas zweideutig ist I. Voet . V. 1 § 73. . Es ist aber ganz verwerflich, den richtigen Grundsatz durch die Rücksicht auf solche, ohnehin sehr seltene, Fälle entkräf- ten zu wollen. In den allermeisten Fällen werden beide Erklärungen abgegeben werden ohne ein solches Schwanken der Entschlüsse, wo aber ein solches einmal vorkommt, da kann die Frage nur durch Berücksichtigung der sehr man- nichfaltigen einzelnen Umstände entschieden werden, so daß §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) dann auch jene von den Gegnern aufgestellte sehr willkür- liche Regel keinesweges ausreicht Wening a. a. O. macht dafür praktische Vorschläge. Die für eine andere, aber verwandte, Frage gegebenen Vorschriften des A. L. R. I. 5 § 90 fg. könnten dabei benutzt werden. . Ich gehe nun zu der zweiten Frage über: Wo ist der Gerichtsstand der Obligation bei einem durch Briefwechsel geschlossenen Vertrage? Man möchte, nach der eben aufge- stellten Behauptung, glauben, an dem Orte, wo der erste Brief empfangen und zustimmend beantwortet wurde. Die- ses muß aber entschieden verneint werden So erklärt sich auch Müh- lenbruch S. 348. 351. . Denn der Absender des ersten Briefes kann doch höchstens verglichen werden mit einem Durchreisenden, gewiß nicht mit Einem, der einen bleibenden Aufenthalt an dem Wohnsitz des Geg- ners aufgeschlagen hat; also hat er sich auch nicht dem Ge- richtsstand dieses Ortes unterwerfen wollen (§ 370. o ). Vielmehr ist für jede der beiden Parteien der durch Brief- wechsel geschlossene Vertrag zu betrachten als an ihrem Wohnsitz geschlossen, und hier muß sie den besonderen Ge- richtsstand der Obligation für sich anerkennen (§ 370 Nr. V. ) Ist aber in dem Vertrag ein bestimmter Erfüllungsort an- gegeben, so wird durch diesen zugleich der Gerichtsstand der Obligation begründet. — Das eigenthümliche Bedürf- niß des Wechselgeschäfts (Note b ) kann starke Modifica- tionen dieser Grundsätze über den Gerichtsstand rechtferti- gen. So ist denn auch in der Preußischen Einführungs- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ordnung zur neuesten Deutschen Wechselordnung § 5, s. Gesetzsamml. 1849. S. 50. vorge- schrieben worden, daß nicht blos der Zahlungsort und der Wohnsitz den Gerichtsstand begründe, sondern daß an den Ort der einmal angestellten Wechselklage auch andere Wech- selschuldner herangezogen werden können. Die dritte Frage, wegen des bei einem Vertrag durch Briefwechsel geltenden örtlichen Rechts, kann erst weiter un- ten (§ 373) beantwortet werden. B. Einseitige erlaubte Handlungen. Daß diese hier ganz auf gleiche Weise wie Verträge zu beachten sind, ist in unseren Rechtsquellen klar ausge- sprochen L. 20 de jud. (5. 1) „Omnem obligationem pro contractu habendam, existi- mandum est …“, ohne Zweifel mit Hinsicht auf den Gerichtsstand so ausgesprochen. ; auch ist von diesem Satz schon oben Anwen- dung gemacht worden auf die wichtigen Obligationen, die aus einer Geschäftsführung u. s. w. entstehen (§ 370 Nr. II. ). Nur Ein Fall bedarf jedoch noch einer besonderen Er- wähnung. Der Erbe, der eine Erbschaft antritt, übernimmt dadurch Obligationen verschiedener Art, insbesondere gegen die Erb- schaftsglaubiger und gegen die Legatare. Diese Obliga- tionen werden in unsern Rechtsquellen als contractähn- liche bezeichnet §. 5 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27), L. 3 § 3, L. 4 quib. ex caus. (42. 4), L. 5 § 2 de O. et A. (44. 7), L. 19 pr. de R. J. (50. 17). . Daher haben mehrere neuere Schrift- §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) steller für einen solchen Fall ein forum contractus ange- nommen, und zwar bald an dem Ort, wo der Antritt der Erbschaft erklärt worden sey, bald an dem, wo die Erbschaft liege, oder am Wohnsitz des Verstorbenen Linde Abhandlung B. 2 S. 101 — 109, Mühlenbruch S. 379—382. . Diese Meinung aber ist zu verwerfen, und es ist ein solcher Ge- richtsstand nicht anzunehmen. Nur ausnahmsweise, durch ganz positive Vorschrift, ist ein solcher Gerichtsstand be- gründet für Fideicommisse, und zwar an dem Orte, wo der größte Theil der Erbschaft liegt Bethmann Hollweg Versuche S. 32—35. S. 48. Vgl. oben § 370 am Ende des §. . Der oben erwähnte Ausdruck der Rechtsquellen bezieht sich nur auf den per- sönlichen Eintritt des Erben in das obligatorische Verhält- niß zu Glaubigern und Legataren, nicht auf dessen eigent- liche Entstehung und juristische Beschaffenheit. C. Delicte. Der durch ein Delict begründete besondere Gerichtsstand ist dem älteren Römischen Recht fremd, und erst in der Kaiserzeit entstanden Bethmann Hollweg Versuche S. 29. 52. . Dann aber hat er eine so all- gemeine Anerkennung gefunden, daß er nunmehr auch in Gesetzen auf gleiche Linie mit dem forum domicilii, con- tractus, rei sitae gestellt wird Nov. 69 C. 1. — C. 20. X. de foro comp. (2. 2). . — Es würde aber un- richtig seyn, diesen Gerichtsstand als eine einzelne Anwen- dung des Gerichtsstandes der Obligation, des s. g. forum Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. contractus, zu betrachten In der angeführten Stelle des canonischen Rechts werden beide auch wörtlich unterschieden und einander coordinirt. . Denn das forum delicti entsteht nicht durch eine präsumtive freiwillige Unterwer- fung, und daher gelten für dasselbe auch nicht die Be- schränkungen, welche oben für den Gerichtsstand der Obli- gation aufgestellt worden sind (§ 370). Zur Begründung dieses Gerichtsstandes ist weder Wohnsitz, noch irgend ein anderer hinzutretender äußerer Umstand, erforderlich, viel- mehr entsteht derselbe aus der Verübung des Delicts an sich, auch bei einem ganz zufälligen und vorübergehenden Aufenthalt. — Es hat demnach dieser Gerichtsstand eine ganz eigenthümliche Natur, indem er begründet wird nicht durch freiwillige, sondern durch nothwendige Unterwerfung; diese aber ist eine unmittelbare Folge der Rechtsverletzung, deren sich der Thäter schuldig gemacht hat. — Der Ge- richtsstand aus dem Delict ist übrigens eben so wenig aus- schließend, als der aus dem Contract, vielmehr hat der Kläger stets die Wahl zwischen diesem besonderen und dem allgemeinen, auf den Wohnsitz des Schuldners gegründeten Gerichtsstand. Dieses liegt schon in der wörtlichen Er- wähnung jenes Gerichtsstandes in den angeführten Ge- setzen (Note n ); noch mehr aber folgt es daraus, daß der- selbe ganz gewiß nicht zum Vortheil des Beklagten, sondern vielmehr des Klägers, eingeführt ist Linde Lehrbuch des Pro- zesses § 93 Note 10. . §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) Man hat die Frage aufgeworfen, ob der Gerichtsstand der Obligation blos begründet sey für die Klagen, die zur natürlichen Entwickelung der Obligation gehören, also zur Erfüllung derselben führen, oder vielmehr auch für die, welche die umgekehrte Richtung haben, indem sie die Auflösung der Obligation bezwecken, oder Das rückgängig machen wollen, welches in Erfüllung der Obligation schon geschehen ist. Hier muß nun in der Regel die erste, beschränktere Anwen- dung jenes Gerichtsstandes behauptet werden L. 2 C. ubi et apud quem (2. 47). . Die zweite, ausgedehntere Anwendung des Gerichtsstandes kann nur ausnahmsweise in den seltneren Fällen eintreten, in welchen die Auflösung der Obligation mit der Entstehung derselben einen gemeinschaftlichen Ursprung hat, also wenn die Auflösung einer durch Vertrag gegründeten Obligation ab- geleitet wird aus einem diesem Vertrag hinzugefügten Nebenvertrag Glück B. 6 S. 301—303. Unbedingt wird diese Anwendung des Gerichtsstandes verneint von Linde Archiv B. 7 S. 67—69. . Der besondere Gerichtsstand der Obligation schließt den allgemeinen, aus dem Wohnsitz entspringenden, Gerichts- stand nicht aus, vielmehr hat der Kläger freie Wahl, an dem einen oder dem andern eine Klage anzustellen L. 19 § 4 de jud. (5. 1), (wo gelesen werden muß: habeat . VIII. 16 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Manche haben mit Unrecht dieses Wahlrecht auf den Fall einschränken wollen, wenn der Gerichtsstand durch einen besonders verabredeten Ort der Erfüllung begründet sey. Das Wahlrecht gilt vielmehr in der That auch, wenn der Gerichtsstand sich gründet auf den Vertrag an sich (ohne Erfüllungsort) L. 2 C. de jurisdict. (3. 13). In den Worten: ubi domieilium reus habet“ liegt der Accent nicht auf domicilium, sondern auf reus. Es soll also gesagt werden, des Beklagten Wohnfitz (nicht des Klägers) be- stimme den Gerichtsstand; das zeigen die Anfangsworte der Stelle. Damit soll aber dem Kläger nicht benommen seyn, das forum con- tractus vorzuziehen, wo ein solches begründet ist. , oder aber auf eine geführte Verwal- tung Das s. g. forum gestae administrationis hat überhaupt keine eigenthümliche Natur (§ 370. II. ). Auch wird das Wahlrecht ausdrücklich anerkannt im Fall des Argentarius. L. 4 § 5 de ed. (2. 13). Und gerade für diesen Fall hat man es verneinen wollen wegen L. 45 pr. de jud. (5. 1). Allein hier heißt „ conveniri oportet“: er muß sich gefallen lassen, daß er verklagt werde. Die richtige Meinung haben: Struben Be- denken III. 96. Gönner Hand- buch B. 1 Abh. X I; die irrige Meinung: Leyser 73. 8, Weber Beiträge B. 2 S. 35, Linde Archiv B. 7 S. 73. . Gerade umgekehrt mußte für den Fall eines durch Sti- pulation bestimmten Erfüllungsortes ursprünglich behauptet werden, daß nur an diesem Ort geklagt werden könne, indem der Glaubiger durch den besonderen Inhalt dieser Stipulation darauf verzichtet hatte, den allgemeinen persön- lichen Gerichtsstand seines Schuldners für die Klage zu be- anstatt habuit, s. Hollweg S. 46), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5), L. un C. ubi conv. (3. 18) C. 17 X. de foro comp. (2. 2). — Nach Römischem Recht konnte der Kläger auch noch in dem forum originis klagen (§ 355). §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) nutzen. Weil aber dieses zu einer völligen Versagung des Rechtsschutzes führen konnte, wenn etwa der Schuldner die Vorsicht gebrauchte, an dem bedungenen Erfüllungsorte nicht zu erscheinen, so wurde eine besondere Klage eingeführt, die nun auch an dem persönlichen Gerichtsstand angestellt wer- den konnte, nur mit Berücksichtigung des vielleicht verschie- denen örtlichen Interesse der Leistung L. 1 de eo quod certo loco (13. 4). „Alio loco, quam in quem sibi dari quisque sti- pulatus esset, non videbatur agendi facultas competere. Sed quia iniquum erat, si promis- sor ad eum locum, in quem daturum se promisisset, nun- quam accederet, quod vel data opera faceret, vel quia aliis locis necessario distringeretur, non posse stipulatorem ad suum pervenire, ideo visum est, utilem actionem in eam rem comparare“ Was hier von der Stipulation gesagt ist, gilt eben so von jeder anderen mit einem bestimmten Erfüllungsort versehenen Obligation, sobald diese eine Condiction erzengt (wie Dar- lehen und Legat), nur nicht von den b. f. obligationes, wobei die Contractsklage selbst schon aus- reichte. L. 7 eod. . Durch diese Klage ist also selbst für solche Fälle das Wahlrecht des Klägers begründet worden. Dagegen ist es nicht zu rechtfertigen, wenn Manche auch ein Wahlrecht des Klägers annehmen wollen zwischen dem auf ausdrückliche und dem auf stillschweigende Verabre- dung eines Erfüllungsortes gegründeten Gerichtsstande So daß also der Kläger bald an dem bedungenen Er- füllungsort, bald an dem Ort des geschlossenen Vertrages, nach Be- lieben ein forum contractus gel- tend machen könnte (§ 370). ; denn die Annahme einer solchen stillschweigenden Verabredung wird durch das Daseyn einer ausdrücklichen stets aus- geschlossen. 16* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Der besondere Gerichtsstand der Obligation kann nur geltend gemacht werden, wenn der Schuldner in diesem Ge- richtssprengel entweder persönlich anwesend ist, oder Vermögensstücke besitzt, in welchem letzten Fall durch missio in possessionem der Zwang gegen ihn durchgeführt wird. Diese alternative Bedingung ist nach dem älteren Römi- schen Recht unzweifelhaft L. 1 de eo qui certo loco (Note u) „.. si nunquam ac- cederet“. L. 19 pr. de jud. (5. 1) „si ibi inveniatur“. § 1 eod. „si non defendat … bona possideri patietur“. Aehnlich lautet die Bestimmung für das forum rei sitae in L. 2 C. ubi in rem (3. 19). . Nach einem Gesetz von Justinian könnte man dieselbe für aufgehoben ansehen Nov. 69 C. 1. 2. . Allein dieses Gesetz ist so allgemein und unbestimmt gefaßt, und wirft so sehr die verschiedenen Gerichtsstände ohne Un- terscheidung durch einander, daß die Absicht, das frühere Recht zu verändern, daraus nicht mit Sicherheit entnom- men werden kann. Daher hat denn auch eine Decretale darauf keine Rücksicht genommen, sich vielmehr ganz an das frühere Römische Recht, und selbst an die Ausdrücke desselben, angeschlossen C. 1 § 3 de foro comp. in VI. (2. 2) „… nisi inve- niantur ibidem (vgl. Note w) trahere coram se non debent invitos, licet in possessionem bonorum, quae ibi habent, … possint missionem facere“. Von Mehreren wird diese Stelle sehr gezwungen so ausgelegt, der Richter solle den Abwesenden nicht durch eigene Gewalt (sondern nur durch Requisition seines Richters) zwingen. Cocceji jus controv. V. 1 qu. 15. Glück VI. S. 304. Linde Archiv VII. S. 69. 70. . Die überwiegende Praxis der neueren Zeit ist dieser Meinung beigetreten Diese überwiegende Praxis , so daß §. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand ꝛc. (Forts.) also der Gerichtsstand der Obligation gegen einen Abwe- senden durch bloße Requisition eines fremden Gerichts nicht geltend gemacht werden kann. — Es ist nicht zu verkennen, daß durch diese beschränkende Bedingung der besondere Ge- richtsstand der Obligation einen großen Theil seiner Wich- tigkeit verliert. In neueren Gesetzgebungen hat der Gerichtsstand der Obligation, wie zu erwarten war, diejenige Gestalt ange- nommen, die zur Zeit ihrer Abfassung unter den Schrift- stellern herrschend war, also theilweise nicht in Ueberein- stimmung mit dem wirklichen Römischen Recht, dem man sich doch anzuschließen glaubte. So setzt das Preußische Recht jenen Gerichtsstand zunächst an den Ort der verab- redeten Erfüllung, und, wo ein solcher nicht vorhanden ist, an den Ort des geschlossenen Vertrags Allg. Ger. Ordn. I. 2 § 148—152. Eben so ist dieser Gerichtsstand anerkannt in Ver- trägen mit vielen Nachbarstaaten, z. B. Weimar 1824 Art. 29, Ge- setzsammlung 1824 S. 153. , ohne Rücksicht auf die beschränkenden Bedingungen, unter welchen allein das Römische Recht den Ort des geschlossenen Ver- trags als entscheidend ansieht. Das Wahlrecht des Klä- gers wird auch hier anerkannt, und zugleich wird der Be- klagte, im Sinn der neueren Praxis (Note z ), nur dann wird selbst von den Gegnern ein- geräumt. Cocceji l. c. Glück VI S. 304—306. Linde S. 69. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. an diesen Gerichtsstand gebunden, wenn er sich an einem solchen Orte antreffen läßt. §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht . Die Lehre vom Gerichtsstande der Obligation ist bisher deshalb so genau in ihren Einzelheiten dargestellt worden (§ 370. 371), weil sie allein einen sicheren Halt gewährt für die Frage nach dem bei den Obligationen anwendbaren örtlichen Recht, für welche Frage es an quellenmäßigen Bestimmungen des Römischen Rechts eigentlich ganz fehlt. Gerade hier ist der innere Zusammenhang zwischen dem Gerichtsstand und dem örtlichen Recht eben so ergiebig und fruchtbar, als wohl begründet, indem dieselbe präsumtive Unterwerfung, welche den Sitz der Obligation und mit ihm den Gerichtsstand bestimmt, auch für das anwendbare ört- liche Recht als bestimmend anerkannt werden muß Auch Eichhorn deutsches Recht § 37 b wendet die von dem Gerichtsstand redenden Stellen des Römischen Rechts unmittelbar auf das örtliche Recht an. . Ich nehme die ganze Reihe praktischer Regeln, wie sie oben für den Gerichtsstand aufgestellt worden sind, ohne Bedenken zugleich als maaßgebend für das anwendbare örtliche Recht an (§ 370). Dasselbe ist also, je nach Verschiedenheit der Fälle, auf folgende Orte zurück zu führen (S. 226. 227). §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. I. Wenn die Obligation einen fest bestimmten Erfül- lungsort hat: auf diesen Erfüllungsort. II. Wenn die Obligation hervorgegangen ist aus einer fortlaufenden Geschäftsführung des Schuldners: auf den Ort, an welchem diese Geschäftsführung ihren bleibenden Sitz hat. III. Wenn die Obligation aus einer einzelnen Handlung des Schuldners an dessen Wohnsitz entstanden ist: auf den Ort dieser Handlung, so daß die spätere Aenderung des Wohnsitzes hierin Nichts ändert. IV. Wenn die Obligation aus einer einzelnen Handlung des Schuldners außer dessen Wohnsitz, aber unter solchen Umständen entstanden ist, welche eben- daselbst die Erfüllung erwarten lassen: auf den Ort dieser Handlung. V. Wenn keine dieser Voraussetzungen vorhanden ist, auf den Wohnsitz des Schuldners Es könnte scheinen, als wollte ich mich hier anschließen an den oben verworfenen Grundsatz (§ 361. g ), nach welchem das ört- liche Recht des Wohnsitzes subsi- diäre Gültigkeit haben sollte für alle Fälle, in welchen nicht ein anderes örtliches Recht besonders nachgewiesen werden kann. Dieses ist aber nicht der Fall. Denn auf das Recht des Wohnsitzes wird hier zurück gegangen, nicht weil kein anderes Recht begründet werden kann, sondern weil in diesem Fall die Parteien die Er- füllung der Obligation an dem Wohnsitz des Schuldners, natür- licher als an jedem anderen Ort, zu erwarten haben. Dieser Grund aber, der blos eine einzelne An- wendung der allgemeinen Regel über den Sitz der Obligation ist, paßt für den Gerichtsstand (§ 370 Num. V. ) nicht mehr und nicht weniger, als für das örtliche Recht. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Insofern also fällt die Bestimmung des örtlichen Rechts ganz zusammen mit der Bestimmung des Gerichtsstandes. Nur darin ist ein wichtiger Unterschied wahrzunehmen, daß neben dem besonderen Gerichtsstand der Obligation auch noch der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes wirksam bleibt, mit freiem Wahlrecht des Klägers; anstatt daß das anwendbare örtliche Recht einem solchen einseitigen Wahl- recht nicht unterworfen seyn kann, sondern ausschließend durch den fest bestimmten Erfüllungsort, in dessen Erman- gelung durch den Ort der Entstehung der Obligation, oder durch den Wohnsitz des Schuldners, je nach Verschieden- heit der Fälle, bestimmt werden muß. Die Ableitung der hier aufgestellten Regeln aus der vermutheten freiwilligen Unterwerfung des Schuldners un- ter ein bestimmtes örtliches Recht hat einige wichtige prak- tische Folgen, die hier zusammengestellt werden sollen. A. Dieses örtliche Recht tritt zurück, wenn es in Widerspruch steht mit einer am Ort des urtheilenden Rich- ters geltenden zwingenden, streng positiven Rechtsregel (§ 349), indem in solchen Fällen der freie Wille der Parteien überhaupt keinen Einfluß haben kann Vgl. Wächter II. S. 397—405. Foelix p. 145. . B. Das angegebene örtliche Recht tritt gleichfalls zurück, wenn die Vermuthung der freiwilligen Unterwerfung §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. ausgeschlossen wird durch eine ausdrückliche abweichende Willenserklärung L. 19 § 2 de jud. (5. 1) „.. nisi alio loci, ut defen- deret, convenit ..“. Was hier von dem Gerichtsstand gesagt wird, muß eben so von dem örtlichen Recht gelten, soweit dessen Be- stimmungen durch Privatwillkür abgeändert werden können. Vgl. oben § 369. b. und § 370. . C. Von manchen Seiten ist behauptet worden, daß unter mehreren an sich denkbaren örtlichen Rechten dasje- nige jedesmal angewendet werden müsse, nach welchem das vorliegende Rechtsgeschäft am besten aufrecht erhalten wer- den könne Eichhorn deutsches Recht § 37. Noten f. g. . Aus dem bestehenden Recht läßt sich dieser Satz in solcher Allgemeinheit wohl nicht begründen, dage- gen könnte man darauf kommen, ihn als neues positives Gesetz aufzustellen Für einen einzelnen Fall ist er im Preußischen A. L. R. auf- gestellt ( I. 5 § 113), nämlich für den Fall verschiedener gesetzlicher Formen bei einem durch Brief- wechsel geschlossenen Vertrage. . Allein in folgendem Sinn läßt sich der Satz dennoch vertheidigen. Wenn die Anwendung der oben aufgestellten Regeln dahin führen würde, den Vertrag einem örtlichen Recht (etwa des Erfüllungsortes) zu unter- werfen, nach welchem er ungültig seyn würde, anstatt daß er nach dem Rechte des Wohnsitzes gültig wäre, so ist ge- wiß nicht zu vermuthen, daß sich die Parteien einem ört- lichen Recht haben unterwerfen wollen, das mit ihrer Absicht völlig im Widerspruch stände So aufgefaßt, stimmt der Satz ganz überein mit einer be- kannten Auslegungsregel bei zwei- deutig gefaßten Rechtsgeschäften. L. 12 de reb. dub. (34. 5). . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Wenngleich nun durch die hier aufgestellten Regeln der Sitz der Obligation, und mit diesem zugleich das örtliche Recht derselben, im Ganzen sicher bestimmt seyn meg, so soll damit doch nicht behauptet werden, daß alle bei Gele- genheit einer Obligation möglicherweise eintretende Rechts- fragen eben nur nach diesem örtlichen Rechte zu entscheiden seyn möchten. Dazu ist eine tiefer eingehende Erwägung solcher Rechtsfragen in ihrem vollständigen Zusammenhang nöthig, die der Fortsetzung dieser Untersuchung (§ 374) vorbehalten bleiben muß Auf die verschiedenartige Beurtheilung solcher einzelnen Rechtsfragen haben schon hinge- wiesen: Leyser 73. 3, Foelix p. 142—145. Diese Schriftsteller kann ich daher nicht als meine Gegner in der Aufstellung des Grundsatzes ansehen; es wird darauf ankommen, bei den einzelnen Rechtsfragen sich mit einander zu verständigen. Ein ähnliches Ver- fahren ist schon oben in der Lehre vom Eigenthum eingeschla- gen worden (§ 367). . Von der hier aufgestellten Lehre über das bei den Obli- gationen anwendbare örtliche Recht weichen die Mei- nungen unserer Schriftsteller in folgenden zwei Haupt- punkten ab. Erstlich knüpfen fast Alle das anwendbare örtliche Recht an den Ort der obligatorischen Handlung an sich, ohne zugleich die im Römischen Recht hinzugefügten besonderen Voraussetzungen zu berücksichtigen (§ 370), obgleich doch im Allgemeinen die Meisten auf dem Boden des Römischen Rechts zu stehen vermeinen. Dieses ist aber um so mehr zu mißbilligen, als die erwähnten Voraussetzungen des Rö- §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. mischen Rechts, wodurch die Sache eine andere Gestalt gewinnt, nicht auf willkürlichen positiven Vorschriften beruhen, sondern vielmehr auf der in der Natur der Sache beruhenden Erwägung, in welchen Fällen eine frei- willige Unterwerfung unter ein bestimmtes örtliches Recht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann oder nicht. Zweitens findet sich ein sehr häufiger Widerspruch gegen die hier angenommene Meinung, nach welcher vorzugsweise ein verabredeter Erfüllungsort zugleich das anwendbare örtliche Recht bestimmen soll. Hierin sind jedoch die Mei- nungen sehr getheilt. Ein Theil der Schriftsteller, und zwar der größere Theil, stimmt mit der hier vorgetragenen Lehre überein Christinaeus Vol. I. Dec. 283 N 8. 11. P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 12. 15. Mühlen- bruch doctr. Pand. § 73. not. 17. Foelix p. 142—145. Story § 280. 299. . Ein anderer Theil dagegen behauptet, das örtliche Recht dürfe lediglich nach dem Ort der obliga- torischen Handlung bestimmt werden; der verabredete Er- füllungsort habe darauf gar keinen Einfluß, indem die von diesem redenden Stellen des Römischen Rechts lediglich auf den Gerichtsstand, gar nicht auf das örtliche Recht, zu be- ziehen seyen Hert . § 10 ampl. 2. Meier p. 57. 58. Wächter II. S. 41—47. . Bei dieser Streitfrage kommt es auf die Erklärung der hier einschlagenden Stellen des Römischen Rechts an, die ich, der leichteren Uebersicht wegen, voranstelle. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. 1. L. 6 de evict. (21. 2.) „Si fundus venierit, ex consuetudine ejus regionis, in qua negotium gestum est, pro evictione caveri oportet.” 2. L. 21 de oblig. et act. (44. 7.) „Contraxisse unusquisque in eo loco intelligitur, in quo, ut solveret, se obligavit.” 3. L. 1. 2. 3. de reb. auct. jud. (42. 5.) „Venire bona ibi oportet, ubi quisque defendi debet, id est — ubi domicilium habet — aut ubi quisque contraxerit. Contractum autem non utique eo loco intelligitur, quo negotium gestum sit, sed quo solvenda est pecunia.” Diese Stellen werden von den Gegnern auf folgende Weise erklärt. Die erste Stelle, sagen sie, spreche allein vom örtlichen Recht, und wolle bei diesem ausschließend den Ort beachtet wissen, an welchem die obligatorische Hand- lung vorgenommen worden sey ( in qua negotium gestum est ), wodurch also die Beachtung des Erfüllungsortes ver- neint werde. Die zweite und dritte Stelle dagegen sollen lediglich von dem Gerichtsstand reden, nicht von dem ört- lichen Recht; für den Gerichtsstand aber fordern sie die Beachtung des Contractsorts, und als Contractsort bezeich- nen sie nicht den Ort der obligatorischen Handlung, son- dern den der Erfüllung. So werden, sagen sie, in diesen Stellen der Gerichtsstand und das örtliche Recht scharf un- terschieden, und nach entgegengesetzten Regeln behandelt. §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. Diese Erklärung hat Schein, aber keine Wahrheit. Allerdings spricht die dritte Stelle von dem Gerichtsstand, nicht von dem örtlichen Recht; die zweite aber redet so allgemein, daß sie eben so gut auf das Eine, wie auf das Andere, anzuwenden ist. Sind nun die oben aufgestellten Gründe für den inneren Zusammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsstand überzeugend, so muß eine praktische Verschiedenheit in der Behandlung beider Fragen so lange verneint werden, als nicht bestimmte Zeugnisse für diese Verschiedenheit aufgewiesen werden können; diese eben sollen in den oben angegebenen Stellen liegen, und es wird jetzt hauptsächlich darauf ankommen, durch die Erklärung der ersten Stelle zu zeigen, daß diese den praktischen Gegensatz gegen die zwei anderen Stellen, den man darin finden will, in der That nicht enthält. Von der ersten Stelle nun, der L. 6 de evict., ist schon oben bemerkt worden, daß sie eigentlich gar nicht von dem anzuwendenden örtlichen Recht spricht, sondern von that- sächlichen Gewohnheiten, die gar nicht Rechtsregeln begrün- den (§ 356. i. k. ). Indessen können wir über dieses Be- denken hinweggehen, und einen indirecten Gebrauch dieser Stelle für unsere Frage willig einräumen. Denn dieselbe Wahrscheinlichkeit, die dafür spricht, daß die Parteien ge- wisse factische Gewohnheiten des Orts stillschweigend be- folgen wollten, läßt sich auch geltend machen für ihre frei- willige Unterwerfung unter das örtliche Recht desselben Orts. Wir wollen also die Stelle ganz so behandeln, als Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ob sie über das örtliche Recht entscheiden wollte, und nur noch fragen, für welchen bestimmten Ort sie entscheidet. Offenbar will sie in den Worten: ejus regionis, in qua negotium gestum est, irgend einen anderen denkbaren Ort ausschließen; welches ist nun dieser von ihr ausgeschlossene Ort? Um die verschiedenen Möglichkeiten, die dabei in Betracht kommen können, zur Anschauung zu bringen, will ich folgendes Beispiel wählen. Zwei Einwohner von Pu- teoli, deren Einer in dieser Stadt ein Grundstück besitzt, treffen zusammen im Bade von Bajä, und schließen daselbst einen Kaufcontract über jenes Grundstück; hinterher ent- steht ein Streit über die Evictionsleistung, und es fragt sich, welches örtliche Recht dabei angewendet werden soll. Nach der Erklärung der Gegner müßte es das Recht von Bajä seyn ( regionis, in qua negotium gestum est ), nicht das von Puteoli, und dieses letzte eben sollte durch den Ausspruch des Juristen verneint werden. Ich gebe nun zu, daß es möglich wäre, der alte Jurist hätte an den auf einem so verwickelten Fall beruhenden Gegensatz gedacht, und darüber eine Entscheidung geben wollen; aber in der Stelle selbst findet sich darauf nicht die entfernteste Hin- deutung, und eine unbefangene Erklärung muß vielmehr darauf führen, folgenden viel einfacheren Fall vorauszu- setzen. Die zwei Einwohner von Puteoli haben in ihrer Vaterstadt selbst den Kaufvertrag geschlossen So erklärt die Stelle auch C. Molinaeus , Conclusiones de statutis in dem Comm. in Codicem hinter L. 1 C. de ; in diesem §. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. Stadtgebiet aber gilt bei Evictionen eine eigenthümliche Gewohnheit, abweichend von der anderwärts üblichen. An- statt nämlich, daß die allgemeine Gewohnheit anderer Orte dahin führte, für den Fall der Eviction den doppelten Kauf- preis zurück zu zahlen L. 31 § 20 de aedil. ed. (21. 1), L. 2. L. 37 de evict. (21. 2). , war es in Puteoli üblich, einen anderen Ersatz, etwa den anderthalbfachen, oder den dreifachen Kaufpreis eintreten zu lassen. Der Ausspruch des Juristen geht also dahin, in einem solchen Fall nicht die allgemeine, anderwärts übliche, Höhe des Ersatzes gel- ten zu lassen, sondern die an diesem Ort hergebrachte, weil wahrscheinlich diese den Parteien vorgeschwebt haben werde. Gesetzt nun, es wäre ihm die weitere Frage vor- gelegt worden, wie es zu halten sey, wenn der Ver- trag nicht in Puteoli selbst, sondern in Bajä geschlos- sen worden wäre (wovon übrigens die Stelle selbst keine Spur enthält), so würde er ohne Zweifel auch wieder auf die Gewohnheit von Puteoli verwiesen haben, weil der Vertrag in dieser Stadt und nicht in Bajä zu erfüllen war; nur würde er dann nicht mehr den Ausdruck gebraucht haben: in qua negotium gestum est, weil dieser, wenn ein solcher Gegensatz in Frage gestanden hätte, fast nothwendig summa trin. (p. 6. 7 ed. Hanov. 1604. f) „quod est intelligen- dum non de loco contractus fortuiti, sed domicilii, prout crebrius usu venit, immobilia non vendi peregre, sed in loco domicilii. Lex autem debet adaptari ad casus vel hypo- theses, quae solent frequenter accidere: nec extendi ad casus raro accidentes.“ Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. mißverstanden werden mußte. — Wird nun diese Erklärung der Stelle angenommen, die ganz bei ihren Worten stehen bleibt, und ihr keine fremdartige Voraussetzungen aufdrängt, so enthält sie durchaus keinen Grund, das örtliche Recht nach einer andern Regel zu bestimmen, als den Gerichts- stand. §. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht (Fortsetzung) . Es sind nun für das örtliche Recht der Obligation einige Nebenfragen zu erörtern, meist anschließend an ähn- liche Nebenfragen, die schon oben für den Gerichtsstand der Obligation untersucht worden sind (§ 371). In mehreren Fällen nämlich wird das örtliche Recht, eben so, wie der Gerichtsstand der Obligation, begründet durch den Entstehungsort derselben (§ 372 Num. III. IV ), und es kann dann die genauere Bestimmung dieses Ent- stehungsortes wichtig, zuweilen aber auch zweifelhaft seyn. Mit Rücksicht auf solche Zweifel sollen hier mehrere beson- dere Fälle angegeben und einer Prüfung unterworfen werden, in ähnlicher Weise wie Dieses bereits bei dem Gerichtsstand geschehen ist. A. Verträge: Der zweifelhafteste und bestrittenste Fall ist der eines Vertrages, welcher durch Briefwechsel geschlossen wird. Mit diesem Fall aber ist auf völlig gleiche Linie zu stellen der Vertrag, der durch eine an verschiedenen Orten unter- §. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Forts.) zeichnete Urkunde, oder durch die mündliche Willenserklärung vermittelst eines Boten, zu Stande kommt (§ 370. b ). — Hierüber nun kann nur wiederholt werden, was oben (S. 235) über den Gerichtsstand in solchen Fällen gesagt worden ist. Der Vertrag durch Briefwechsel ist als ge- schlossen anzusehen an dem Orte, wo der Brief empfangen und zustimmend beantwortet wird. Käme es also blos darauf an, so müßte durch diesen Ort auch das örtliche Recht bestimmt werden, und dieses ist in der That die Meinung mehrerer Schriftsteller Hommel rhaps., obs. 409 N. 17. 18, Meier p. 59. . Diese Meinung muß aber verworfen werden, weil der Verfasser des Briefes höchstens einem Reisenden zu vergleichen ist, der sich auf einen Augenblick zu dem Empfänger hinbegeben hat, um den Vertrag zu schließen; durch einen solchen ganz vorüber- gehenden Aufenthalt aber wird, auch wenn darin ein Ver- trag zu Stande kam, der Sitz der Obligation mit seinen rechtlichen Folgen nicht begründet. Daher ist hier das örtliche Recht der Obligation zu beurtheilen vor Allem nach dem Erfüllungsort, wenn ein solcher fest bestimmt ist; fehlt es an einer solchen Bestimmung, so gilt für jede Partei das Recht ihres Wohnsitzes Wächter II. S. 45 nimmt das Recht des Wohnsitzes allge- mein an, ohne Rücksicht auf den Erfüllungsort. . — Ganz abweichend von diesen verschiedenen Ansichten haben andere Schriftsteller angenommen, der durch Briefwechsel geschlossene Vertrag VIII. 17 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. müsse nach dem Naturrecht beurtheilt werden Grotius de j. belli Lib. 2 C. 11 § 5 N. 3. Hert . de com- meatu literarum § 16 — 19 (Comm. Vol. I pag. 243). ; wobei nur zu bedauern ist, daß sie nicht zugleich das naturrecht- liche System angegeben haben, welches sie angewendet wissen wollen. — Das Preußische Gesetzbuch entscheidet die hier vorliegende Frage nur in der beschränkten An- wendung auf den Fall, wenn am Wohnsitz beider Parteien ein verschiedenes Recht über die Form des Vertrags gelte; dann soll dasjenige Recht angewendet werden, bei welchem der Vertrag am besten bestehen kann A. L. R. I. 5 § 113. 114. . In dem Sinn dieser Vorschrift aber liegt es, auch in anderen Beziehungen (wo es nicht auf das Bestehen des Vertrags, sondern auf die Art der Wirkung ankommt) das Recht des Wohnsitzes über die Schuld jedes Theiles entscheiden zu lassen. Die wichtigste Anwendung dieser Streitfrage ist die auf das Wechselrecht. Nach dem aufgestellten Grundsatze müssen wir annehmen, daß die Verpflichtung jedes einzelnen Unter- zeichners eines Wechsels nach dem Recht seines Wohnsitzes zu beurtheilen ist. Das ganz eigenthümliche Bedürfniß dieses Geschäfts aber kann eine abweichende positive Be- stimmung wohl rechtfertigen. Das neueste deutsche Wechsel- recht bestimmt im Art. 85 Folgendes. Jede Wechsel- erklärung ist zu beurtheilen nach dem Gesetz des Orts, an welchem sie erfolgt ist. Ist sie jedoch nach diesem Gesetz mangelhaft, genügt aber den Anforderungen des inländischen §. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Forts.) Gesetzes, so sind die später im Inland auf den Wechsel gesetzten Wechselerklärungen gültig. Eben so sind gültig die Wechselerklärungen, die ein Inländer einem anderen Inländer im Auslande giebt, wenn sie nur dem inländischen Gesetze entsprechen Preußische Gesetz-Sammlung 1849 S. 68. Aehnliche Be- stimmungen enthält das A. L. R. II. 8 § 936—938. . B. Einseitige erlaubte Handlungen. Aus dieser Kategorie kommen hier hauptsächlich in Betracht die mannichfaltigen Verpflichtungen, die aus dem Klagenrecht hervorgehen, insbesondere aus der Litisconte- station (Anstellung der Klage), dem gerichtlichen Geständniß, dem rechtskräftigen Urtheil. Hierüber waren früher viele Zweifel und Meinungsverschiedenheiten wahrzunehmen, die sich jedoch allmälig immer mehr dem richtigen Grundsatz angenähert haben, nach welchem das am Ort des Gerichts (und zwar der ersten Instanz) bestehende örtliche Recht als anwendbar gelten muß, auch wenn an anderen Gerichten diese Frage späterhin vorkommt Huber § 6. Meier p. 29. Story § 584 fg. . Es muß jedoch bemerkt werden, daß hier eigentlich zwei, wenngleich verwandte, dennoch an sich verschiedene Fragen zu entscheiden sind, deren Sinn am anschaulichsten werden wird, wenn ich sie sogleich auf den wichtigsten Fall der Anwendung, das rechtskräftige Urtheil, beziehe. Die erste, allerdings wichtigste, Frage ist die, ob überhaupt das aus- 17* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gesprochene rechtskräftige Urtheil auch anderwärts, selbst in einem anderen Lande, anzuerkennen ist. Die zweite Frage betrifft die Modalitäten in den Bedingungen und Wirkungen des rechtskräftigen Urtheils, die in den Gesetzen verschie- dener Länder verschieden bestimmt seyn können. Unsere Schriftsteller denken meist nur an die erste Frage. Wer aber diese zum Vortheil der Gültigkeit des rechtskräftigen Urtheils beantwortet, muß consequenterweise auch auf die Modalitäten das Gesetz des Orts anwenden, an welchem das Urtheil gesprochen wurde, da man doch überhaupt das Urtheil nur in dem Sinn kann anwenden wollen, in welchem der urtheilende Richter dasselbe erlassen hat. Dieser Gegensatz tritt hervor in der Fassung vieler Ver- träge, die von der Preußischen Regierung mit Nachbarstaa- ten geschlossen worden sind Vertrag mit Weimar Art. 3 (s. o. § 348) „Ein von einem zu- ständigen Gericht gefälltes rechts- kräftiges Erkenntniß begründet vor den Gerichten des andern Staates die Einrede des rechtskräftigen Ur- theils ( exceptio rei judicatae ) mit denselben Wirkungen , als wenn das Urtheil von einem Gericht desjenigen Staates, in welchem solche Einrede geltend ge- macht wird, gesprochen wäre“. — Eben so mit mehreren anderen Nachbarstaaten. . Nach der wörtlichen Fassung dieser Verträge könnte man annehmen, wenn ein in Weimar gesprochenes Urtheil in einem Preußischen Ge- richt vorgebracht werde, so müsse die exceptio rei judicatae so angewendet werden, wie es den Preußischen Regeln über diese Exception, nicht, wie es den Weimarschen (ge- meinrechtlichen) entspreche. An diesen feineren Gegensatz §. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Forts.) aber hat man dabei schwerlich gedacht, um so weniger, als bei jenen Verhandlungen gewiß nicht die möglichen Ver- schiedenheiten in der Theorie der exceptio rei judicatae er- wogen worden sind. Die Meinung ging vielmehr unzwei- felhaft blos dahin, daß die Exception aus einem Urtheil des Nachbarlandes eben so gewiß , wie aus einem inlän- dischen Urtheil, geltend gemacht, also nicht etwa wegen der ausländischen Stellung des früheren Richters zurückgewie- sen werden könne. C. Delicte. Der Gerichtsstand am Ort des begangenen Delicts hat nach den Gesetzen und nach der Praxis keinen Zweifel, ob- gleich er auf andere Weise begründet werden muß, als der Gerichtsstand anderer Obligationen (§ 371. C. ). Für das örtliche Recht aber muß eine andere Regel gelten. Indessen wird es zweckmäßiger seyn, diese Frage in einem anderen Zusammenhang zu behandeln (§ 374. C. ), weshalb sie hier einstweilen ausgesetzt bleibt. Die neueren Gesetzgebungen enthalten nur sehr unvoll- ständige Bestimmungen über das örtliche Recht der Obli- gationen. Das Preußische Landrecht giebt eine Vorschrift über die durch Briefwechsel geschlossenen Verträge (Note d ). Es erkennt ferner bei der Frage über Maaß und Gewicht, so wie über die Münzsorte, die in einem Vertrag gemeint seyn mögen, den Grundsatz an, daß der örtliche Gebrauch Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. des vertragsmäßigen Erfüllungsortes anwendbar sey A. L. R. I. 5 § 256. 257. — Koch Preuß. Recht B. 1 S. 133 stellt den ganz richtigen Grundsatz auf, es müsse das ört- liche Recht gelten, dem sich die Parteien haben unterwerfen wollen, nimmt aber ohne hinreichenden Grund an, daß dieses meistens der locus contractus seyn werde. Auch Bornemann B. 1 S. 65 nimmt diesen Ort als vorherr- schende Regel an. — Von der Form der Verträge wird noch unten die Rede seyn bei der Regel: locus regit actum. Vgl. auch die oben in der Note e angeführten Gesetzstellen. ; diese Vorschrift nun bezieht sich zwar eigentlich nicht auf das örtliche Recht, sondern auf die davon verschiedene Auslegung der Verträge (§ 374. f ); ich halte es aber für unbedenklich, den hier anerkannten Grundsatz auch auf das örtliche Recht über die Wirkungen der Verträge im Sinne des Landrechts anzuwenden, da in demselben der erwähnte scharfe Unterschied schwerlich vorausgesetzt werden darf. Das Oesterreichische Gesetzbuch legt vorzugsweise Ge- wicht auf den Ort, wo ein Vertrag geschlossen ist, um das anwendbare örtliche Recht zu bestimmen, und fügt nur die natürliche Ausnahme hinzu, wenn die Parteien erweislich die Anwendung eines anderen örtlichen Rechts beabsichtigt haben Oesterreichisches Gesetzbuch §. 36. 37. . §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. §. 374. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. Einzelne Rechtsfragen . Die bisher aufgestellten Grundsätze betrafen das örtliche Recht der Obligation im Allgemeinen. Es wurde aber dabei anerkannt, daß dieses örtliche Recht nicht gerade auf alle einzelne, bei Gelegenheit einer Obligation etwa vor- kommende Rechtsfragen anwendbar seyn müsse, und es wurde die besondere Prüfung dieser einzelnen Rechtsfragen noch vorbehalten (§ 372. S. 250). Zu dieser Prüfung gehe ich jetzt über. A. Die erste dieser Rechtsfragen betrifft die persön- liche Fähigkeit des in einer Obligation auftretenden Glaubigers oder Schuldners zu diesem besonderen Rechts- verhältniß. Gerade diese erste Frage nun ist gar nicht nach dem örtlichen Recht der Obligation als solchem zu entscheiden, sondern lediglich nach dem örtlichen Recht, welches an dem Wohnsitz der Person gilt. Es muß Dieses unbedingt be- hauptet werden, da der von Vielen aufgestellte Unterschied zwischen der allgemeinen und besonderen Handlungsunfä- higkeit durchaus unhaltbar ist (§ 364). Es gilt dieses namentlich nach gemeinem Recht in Beziehung auf die persönliche Wechselfähigkeit, welche stets nach dem Rechte des Wohnsitzes des bei einem Wechsel betheiligten Unterzeichners zu beurtheilen ist. Jedoch würde es irrig seyn, die persönliche Wechselunfähigkeit zu verwechseln mit dem an irgend einem Orte Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. nicht geltenden Wechselrecht. An einem solchen Orte näm- lich kann nur keine Wechselklage mit Erfolg angestellt wer- den, selbst aus einem an sich vollgültigen Wechsel; dagegen hat das Recht eines solches Ortes auf die Gültigkeit der an demselben ausgestellten Wechsel keinen Einfluß, so daß diese an anderen, mit Wechselrecht versehenen Orten aller- dings wechselmäßig eingeklagt werden können (§ 364). B. Eine andere Rechtsfrage betrifft die Auslegung der Rechtsgeschäfte, insbesondere der Verträge, aus welchen Obligationen entstehen Schriftsteller über diese Frage: Boullenois T. 2 obs. 46 dixième règle. p. 489—538. Story § 272 fg. 280 fg. Wäch- ter Archiv für civil. Praxis B. 19 S. 114 bis 125. . Man kann diese Frage mit mehreren Schriftstellern in einem so weiten Sinne auffassen, daß sie alle andere Fra- gen über das örtliche Recht in sich aufnimmt, indem die Anwendung irgend einer örtlichen Rechtsregel auf einen Vertrag stets so verstanden werden kann, daß sie nach dem wahrscheinlichen Willen der Parteien zu dem Vertrag hinzu gedacht werden müsse. Das läßt sich als ergänzende Aus- legung bezeichnen, so wie sie überhaupt den vermittelnden Rechtsregeln zum Grunde liegt S. o. B. 1 § 16. . Allein so allgemein aufgefaßt, verliert die Frage nach der Auslegung alle eigen- thümliche Bedeutung. Soll ihr diese erhalten werden, so müssen wir sie in einem engeren Sinne auffassen, indem wir sie auf die Zweifel beziehen, die aus der ungewissen §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Fassung eines Vertrags, also aus den Ausdrücken desselben, entspringen. Das ist eine thatsächliche Frage, eben so wie bei der Gesetzauslegung; sie ist hier und dort gerichtet auf die Erkenntniß des wahren Gedankens, den die gebrauchte mündliche oder schriftliche Rede in sich enthält S. o. B. 3 S. 244. — So drücken sich auch die Römischen Juristen aus. L. 34 de R. J. (50. 17) „id sequimur, quod actum est “. L. 114 eod. „In obscuris inspici solere, quod verisimilius est, aut quod ple- rumque fieri solet “. . Bei dieser Frage nun ist gar nicht die Rede von der Anwen- dung irgend eines örtlichen Rechts , wohl aber kann der örtliche Sprachgebrauch oft dazu dienen, den Gedanken der Person erkennen zu lassen, von welcher die Willens- erklärung herrührt. Fragen wir nun nach dem Ort, dessen Sprachgebrauch zu berücksichtigen ist, so können dabei die Regeln über das anwendbare örtliche Recht nicht maaßge- bend seyn, und es ist ganz grundlos, wenn Manche auf den Entstehungsort oder den Erfüllungsort der Obligation blos deswegen verweisen, weil sich nach diesen Orten das anwendbare örtliche Recht in vielen Fällen richtet. So wird bei einem durch Briefwechsel geschlossenen Vertrag in der Regel der Sprachgebrauch des Ortes zu beachten seyn, an welchem der Verfasser des ersten Schrei- bens wohnt, nicht der Ort des Empfanges und der An- nahme, obgleich an diesem letzten Ort der Vertrag als ab- geschlossen anzusehen ist (S. 235) Wächter a. a. O., S. 117. Er erläutert diesen Satz durch folgenden Rechtsfall. Eine Leip- ziger Versicherungsgesellschaft hatte ; denn es ist anzu- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. nehmen, daß der Verfasser des Schreibens den ihm geläu- figen Sprachgebrauch vor Augen gehabt haben wird. Wenn ferner ein mündlicher oder schriftlicher Vertrag im Wohnsitz beider Parteien geschlossen wird, so ist unstrei- tig der Sprachgebrauch dieses Ortes anwendbar. Dagegen läßt sich Dieses nicht unbedingt behaupten, wenn der Ver- trag an einem Orte geschlossen wird, der für eine der Par- teien oder für beide nicht der eigene Wohnsitz ist. Hier muß in jedem einzelnen Fall erwogen werden, ob anzuneh- men ist, daß der Fremde, der an dem Vertrage Theil nahm, diesen örtlichen Sprachgebrauch kannte, und sich ihn wahr- scheinlich aneignen wollte Man könnte diese Be- hauptung widerlegen wollen durch L. 34 de R. J. (50. 17) „id sequamur, quod in regione, in qua actum est, frequenta- tur.“ Allein diese Stelle will ge- wiß keine willkürliche Vorschrift geben, muß also unter der natür- lichen Voraussetzung verstanden werden, daß die verhandelnden Personen an diesem Orte ein- heimisch sind; ganz eben so wie die L. 6 de evict. (21. 2), s. o. §. 372. i. . Aus denselben Gründen können wir auch nicht den Sprachgebrauch des verabredeten Erfüllungsortes unbedingt zum Grunde legen bei der Auslegung eines Vertrages, in ihren gedruckten Bedingungen den Fall einer Zerstörung durch Aufruhr ausgenommen. Bei einer auswärts vorgekommenen Feuers- brunst entstand nun die Frage, ob dabei der juristische Begriff des Auf- ruhrs anwendbar sey, indem die Ge- setze verschiedener Länder diesen Begriff nicht gleichmäßig bestimmen. Wächter entscheidet ganz richtig, es müsse auf den Sprachgebrauch des Sächsischen Gesetzes gesehen werden, weil in dem Bereich dessel- ben die Bedingungen abgefaßt waren, auf deren Grund die Ver- sicherungen ausgestellt und ange- nommen wurden. §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. wenngleich das örtliche Recht einer Obligation stets nach dem Erfüllungsort sich richtet. Auch hier wird es darauf ankommen, ob die Parteien den Sprachgebrauch dieses Ortes kannten und sich aneignen wollten. Für manche Stücke in dem Inhalt eines Vertrages werden wir freilich den Sprachgebrauch des Erfüllungsortes allgemein bei der Auslegung zum Grunde legen können. Wenn nämlich an einem fremden Orte eine Geldsumme ausgezahlt, eine Waare nach Maaß und Gewicht abgeliefert, oder ein Grundstück nach dem bestimmten Umfang eines Landmaaßes übergeben werden soll, in dem Vertrage aber für die Geldsorte, das Maaß oder das Gewicht Ausdrücke gebraucht sind, die in verschiedener Bedeutung, in verschiedenem Umfang und Werth vorzukommen pflegen, so ist der Sprachgebrauch des Erfüllungsortes zum Grunde zu legen, nicht blos, weil an- zunehmen ist, daß die Parteien an das dort übliche Geld, Maaß, Gewicht gedacht haben werden, sondern auch, weil es in jenem Orte oft an der Möglichkeit fehlen wird, die Erfüllung nach anderen Gewichten u. s. w. abzumessen und zu vollziehen Boullenois p. 496—498. So ist es auch ausdrücklich in dem Preußischen Gesetze bestimmt. A. L. R. I. 5 § 256. 257. . Man könnte glauben, die hier aufgestellten Regeln über die Auslegung der Verträge ständen im Widerspruch mit gewissen Vorschriften des Römischen Rechts. Nach diesen nämlich soll die Auslegung eines zweifelhaften Vertrages Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. stets ausfallen zum Nachtheil des Stipulator bei einer Stipula- tion L. 26 de reb. dub. (34. 5), L. 38 § 18, L. 99 pr. de V. O. (45. 1). ; eben so zum Nachtheil des Verkäufers oder des Vermie- thers, wenn von diesen anderen Verträgen die Rede ist L. 39 de pactis (2. 14), L. 21. 33 de contr. emt. (18. 1), L. 172 pr. de R. J. (50. 17). . Als Grund wird dabei der Umstand angegeben, daß diese Personen es in ihrer Macht hatten, den Zweifel durch an- dere Fassung zu verhüten, welches so viel sagen will, daß sie entweder durch ihre Nachlässigkeit oder gar durch un- redliche Absicht den Zweifel verschuldet haben. Eben dieser Grund aber deutet darauf hin, daß ein ganz anderer Fall, als bei der hier vorliegenden Frage, vorausgesetzt wird. Jene Aussprüche beziehen sich überdem ganz ausdrücklich auf dunkle, zweideutige Ausdrücke L. 39 de pactis (2. 14), L. 21. 33 de contr. emt. (18. 1), L. 26 de reb. dub. (34. 5), L. 172 pr. de R. J. (50. 17). , anstatt daß in un- serer Frage von Ausdrücken die Rede ist, die an sich weder dunkel noch zweideutig sind, sondern nur an verschiedenen Orten eine andere Bedeutung mit sich führen, welche aber an jedem dieser Orte für sich klar und gewiß ist. Die hier erörterte Frage wegen der Auslegung der Verträge ist von jeher von den meisten Schriftstellern auf andere Weise, als hier geschehen, aufgefaßt, und vielmehr auf die Grundsätze des örtlichen Rechts zurückgeführt wor- den. Hiernach hat man gewöhnlich angenommen, daß die Auslegung geschehen müsse nach dem Sprachgebrauch des §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Vertragsortes, oder des Erfüllungsortes, wenn ein solcher verabredet sey So Story § 272. 280 und die daselbst angeführten Schrift- steller. . Mehrere aber haben völlig richtig die Aufgabe erkannt, nicht sowohl eine juristische Regel festzu- stellen, als vielmehr die wahre Absicht der Parteien nach den für die Auslegung überhaupt geltenden Grundsätzen für jeden einzelnen Fall zu erforschen So Boullenois a. a. O., besonders p. 494—498, und Wächter a. a. O. . C. Die Gültigkeit einer Obligation ist abhängig theils von formellen, theils von materiellen Bedingungen. Die formellen Bedingungen werden weiter unten, in Ver- bindung mit den bei anderen Rechtsverhältnissen anwend- baren Formen, erwogen werden, da, wo von der Regel: locus regit actum die Rede seyn wird (§ 381). Hier ist für die materiellen Bedingungen der Gültigkeit das örtliche Recht festzustellen, nach welchem sie beurtheilt werden müssen. Als Regel müssen wir annehmen, daß die Gültigkeit der Obligation abhängt von dem örtlichen Recht, dem die Obligation überhaupt unterworfen ist (§ 372); also, je nach Verschiedenheit der Fälle, von dem Recht des Erfüllungs- ortes, oder des Entstehungsortes der Obligation, oder des Wohnsitzes des Schuldners. Von dieser Regel aber muß eine Ausnahme behauptet werden in allen Fällen, in wel- chen ein am Ort der angestellten Klage geltendes Gesetz von streng positiver, zwingender Natur entgegensteht. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Die hier aufgestellte Regel wird denn auch von den meisten Schriftstellern anerkannt, natürlich mit Vorbehalt sehr verschiedener Anwendungen, gegründet auf die Mei- nungsverschiedenheiten über das örtliche Recht der Obliga- tion selbst Voet . Pand. IV. 1. § 29. Hert . § 66. Story § 332 fg. Wächter II. S. 397. 403. 404. . Diese Uebereinstimmung jedoch beschränkt sich auf den durchgreifenden Gegensatz einer durchaus gültigen oder durchaus ungültigen (nichtigen) Obligation. Zwischen die- sen beiden äußersten Fällen finden sich mannichfaltige Mit- telglieder, und über das örtliche Recht, nach welchem diese beurtheilt werden sollen, gehen die Meinungen sehr aus- einander. Zunächst sind hier die Fälle zu beachten, in welchen einer an sich nicht ungültigen Obligation blos die Rechts- hülfe der Klage versagt wird ( naturalis obligatio ); ferner die weit häufigeren Fälle, in welchen eine klagbare Obli- gation durch entgegenstehende peremtorische Einreden ent- kräftet wird. Manche Schriftsteller haben hier die Klagen und Einreden als Prozeßinstitute behandelt, und daher auf alle Fälle solcher Art das Gesetz, welches am Ort der an- gestellten Klage gilt, anzuwenden versucht Weber natürliche Ver- bindlichkeit § 62. 95. Foelix p. 146. . Diese Mei- nung aber ist ganz verwerflich; alle Rechtsregeln der hier erwähnten Art bestimmen nur verschiedene Stufen und §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Formen unvollständiger Gültigkeit einer Obligation S. o. B. 4 § 202. 203. Es versteht sich von selbst, daß die hier aufgestellte Regel nur an- wendbar ist auf Einreden, die einen materiellen Rechtsgrund haben (also auf alle peremtorische), nicht auf die, welche blos in Prozeß- vorschriften gegründet sind, und die stets eine nur dilatorische Natur haben. S. o. B. 5 § 227 S. 171. 175. Diese letzten richten sich ge- wiß nach dem am Ort der Klage geltenden Recht, und vielleicht hat die Verwechselung beider Arten da- zu beigetragen, die falsche Lehre zu befestigen. , und gehören daher eben so, wie die Regeln über völlige Gültig- keit oder Ungültigkeit dem materiellen Rechte an, nicht dem Prozeßrecht Eichhorn deutsches Recht § 36 Note n. Wächter II. S. 401. 402. . Es ist also ganz inconsequent, beide Ar- ten von Rechtsregeln nach verschiedenen Grundsätzen zu behandeln. Besonders bedenklich aber muß es erscheinen, wenn diese Behandlung auf neuere Gesetzgebungen ange- wendet werden soll, welchen scharf begränzte Begriffe und Kunstausdrücke oft fehlen, worauf allein jene Unterscheidung gegründet werden könnte. Die hier aufgestellte Regel ist also namentlich anzuwen- den auf die exceptio non numeratae pecuniae; denn ob- gleich in dieser zunächst von einer eigenthümlichen Beweis- regel die Rede ist, die dem Prozeßrecht anzugehören scheint, so ist dieselbe dennoch ganz in dem materiellen Recht ge- wisser Arten von Obligationen gegründet. Ferner gehört dahin die exceptio excussionis; imgleichen die auf das beneficium competentiae gegründete Einrede. — Dagegen sind nicht unter diese Regel zu beziehen die exceptio Sc. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Macedoniani und Sc. Vellejani, da diese Einreden nicht auf der mangelhaften Natur der Obligation an sich, son- dern auf der unvollständigen Handlungsfähigkeit der be- theiligten Personen beruhen, folglich, so wie alle diesen Ge- genstand betreffenden Rechtsverhältnisse, nach dem an dem Wohnsitz solcher Personen geltenden Rechte beurtheilt werden müssen (§ 364). Eben so, wie mit den Einreden, verhält es sich auch mit den Klagen, wodurch eine Obligation angefochten und entkräftet werden soll; sie sind zu beurtheilen nach dem Recht des Ortes, dem die Obligation überhaupt unter- worfen ist Das örtliche Recht der Obligation ist also allgemeiner und unbedingter auf die Anfechtungs- klagen anzuwenden, als der Ge- richtsstand der Obligation, indem dieser letzte nur zur Aufrechthaltung und Durchführung der Obligation bestimmt ist (§ 371). . Anwendungen dieser Regel sind folgende: Die An- fechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. — Die Anfechtung eines Kaufs durch die redhibitorische Klage oder die actio quanti minoris. — Ferner jede Re- stitution gegen einen obligatorischen Vertrag Auch selbst wenn die Re- stitution auf der Minderjährigkeit beruht, da diese, nach ihrer all- mäligen Entwickelung im Rö- mischen Recht, nicht mehr als reine Folge der Handlungsunfähig- keit betrachtet werden kann, son- dern als ein die Obligation als solche entkräftendes Rechtsmittel (§ 365. B. 3). . §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Unter den hier erwähnten Einreden, wodurch eine Obli- gation entkräftet werden kann, ist die allgemeinste in der Anwendung, und darum auch die wichtigste, die Einrede der Klagverjährung , und diese bedarf noch einer ab- gesonderten Erwägung, weil sich gerade darüber die Schrift- steller auf sehr verschiedene Weise ausgesprochen haben, jedoch so daß der allgemeine Gegensatz der Meinungen, der bereits bei den Einreden überhaupt erwähnt worden ist, hier nur in etwas schärferer Weise hervortritt. Wenn nun ins- besondere verschiedene Verjährungszeiten gelten an dem ver- abredeten Erfüllungsort, wo wir den Sitz der Obligation annehmen, und an dem Ort der wirklich angestellten Klage (etwa dem Wohnsitz des Schuldners), so entsteht die Frage, welche Verjährungszeit angewendet werden soll. Viele behaupten, die Verjährungsgesetze seyen Prozeß- gesetze, und müßten daher angewendet werden auf alle in ihrem Bereiche angestellte Klagen, ohne Rücksicht auf das örtliche Recht der Obligation Huber § 7. Weber na- türliche Verbindlichkeit § 95 S 413 und S. 419. Story § 576 fg. Foelix p. 147—149. (der sich jedoch schwankend erklärt). Weber fügt eine inconsequente Ausnahme hinzu für den Fall, wenn der Schuldner aus einem Orte von langer Verjährung an einen Ort, wo kurze Verjährung gilt, seinen Wohnsitz verlegt; hier soll der Lauf der kurzen Verjährung erst anfangen mit der Gründung des neuen Wohnsitzes. . Nach der richtigen Lehre muß das örtliche Recht der Obligation über die Verjährungszeit entscheiden, nicht das des Klageorts; und diese Regel, die so eben für die Ein- VIII. 18 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. reden überhaupt aufgestellt worden ist, wird bei der Ver- jährung noch dadurch bestätigt, daß die verschiedenen Gründe, worauf dieselbe beruht, mit dem Wesen der Obligation selbst in Zusammenhang stehen S. o. B. 5 § 237. . Diese Meinung ist denn auch zu allen Zeiten von nicht wenigen Schriftstellern als richtig anerkannt worden Hert. § 65. Schäffner § 87. Wächter II. S. 408—412, wo auch noch andere Schriftsteller angeführt werden. Es versteht sich von selbst, daß die hier be- hauptete Uebereinstimmung nur von dem Grundsatz gilt, nicht von allen Anwendungen; denn das örtliche Recht der Obligation wird ja eben von diesen Schriftstellern nicht auf gleiche Weise bestimmt. — Der Grundsatz ist auch anerkannt in einem Urtheil des Berliner Revi- sionshofs von 1843. Seuffert Archiv B. 2 Num. 120. — Für das Preußische Recht stimmen bei: Koch I. S. 133 Note 23. Bor- nemann I. S. 65. . Diese Lehre ist aber auch nicht blos grundsätzlich richtig, sondern sie empfiehlt sich zugleich durch eine gewisse Billig- keit, indem durch die aus ihr folgende feste Bestimmung des Verjährungsgesetzes jede einseitige Willkür einer Partei zum Nachtheil des Gegners ausgeschlossen wird. So kann nun nicht etwa bei concurrirenden Gerichtsständen der Klä- ger gerade den Ort zur Klage aussuchen, an welchem die längste Verjährungszeit gilt. Eben so kann umgekehrt nicht der Beklagte durch willkürliche Verlegung des Wohnsitzes an einen Ort von kurzer Verjährung den Vortheil dersel- ben sich zuwenden, indem für die am vorigen Wohnsitz von ihm contrahirte Schuld das örtliche Recht, so wie der be- sondere Gerichtsstand der Obligation, unabänderlich festge- §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. stellt ist Vgl. oben § 370 Num. III. § 372 Num. III. Wäre dieses nicht, so brauchte nur der Schuld- ner während der Dauer jener kurzen Verjährung das Betreten des früheren Wohnsitzes zu vermeiden (§ 371. z ), um sich von der Schuld schneller zu befreien. Wie hier- gegen Weber helfen will, ist oben in der Note s bemerkt worden. . — Man kann auch keine Härte für den Glau- biger darin finden, daß bei einem verabredeten Erfüllungs- ort, der vielleicht eine sehr kurze Verjährungszeit hat, der Schuldner während dieser Zeit willkürlich vermeiden kann, an diesem Ort zu erscheinen, wodurch die Klage an diesem Ort einstweilen ausgeschlossen wird (§ 371. z ). Denn der Glaubiger ist ja nicht gehindert, zu jeder Zeit an dem Wohnsitz des Schuldners zu klagen (§ 371. r ). Wäre freilich der Gerichtsstand am Erfüllungsort aus- schließend, so würde in einem solchen Fall dem Glaubiger nur durch die Mittel zu helfen seyn, die überhaupt gegen die Klagverjährung in Fällen gehemmter Rechtsverfolgung schützen Nämlich durch Restitution, oder auch durch Anstellung der Klage vor dem Statthalter, De- fensor u. s. w. S. o. B. 7 § 328. . Die oben aufgestellte Regel, nach welcher die Gültig- keit einer Obligation beurtheilt werden soll nach dem Rechte des Ortes, welchem die Obligation überhaupt unterworfen ist (S. 269), muß durch eine wichtige Ausnahme beschränkt werden. Wenn nämlich der Gültigkeit der Obligation ein Gesetz von streng positiver, zwingender Natur entgegen- 18* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gesetzt wird, so ist nicht das eben erwähnte örtliche Recht, sondern vielmehr das am Ort der angestellten Klage geltende Recht, das Recht des jetzt urtheilenden Richters, anzu- wenden Damit stimmt überein Wächter II. S. 389—405. . Diese Ausnahme ist die bloße Folge eines sehr allge- meinen Grundsatzes über die Anwendbarkeit zwingender Ge- setze (§ 349. 372. A ). Sie ist anzuwenden sowohl positiv, als negativ: das heißt, indem der Richter das für ihn gel- tende zwingende Gesetz anzuwenden hat, auch wenn es am Sitz der Obligation nicht gilt; eben so aber auch, indem er das anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende zwin- gende Gesetz nicht anzuwenden hat, wenn es für ihn nicht als Gesetz besteht. Die erwähnte Ausnahme kommt vor sowohl bei Ver- trägen, als bei Delicten. Unter die Verträge dieser Art gehören die durch Wucher- gesetze verbotene. Wird also eine Zinsenschuld eingeklagt, die dem für diesen Richter geltenden Gesetz widerspricht, so muß er sie als ungültig behandeln, auch wenn am Sitz der Obligation ein gleichmäßig einschränkendes Wuchergesetz nicht vorhanden seyn mag; denn der Sinn eines solchen Gesetzes geht dahin, daß kein unter ihm lebender Richter seine Amtsgewalt zur Durchführung eines so unsittlichen, gemeinschädlichen Unternehmens, wie der wucherliche Ver- trag angesehen wird, anwenden soll. — Eben so aber wird §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. auch umgekehrt der Richter, in dessen Amtssprengel ein Verbot der vor ihm eingeklagten Zinsen nicht besteht, die Zinsen als gültig anzusehen haben, ohne Rücksicht auf das etwa anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende Verbot. Diese negative Behauptung wird nicht nur durch die Con- sequenz der ersten, positiven gefordert, sondern auch aus folgendem Grunde. Die Anwendbarkeit eines bestimmten örtlichen Rechtes auf eine Obligation gründet sich überhaupt auf die anzunehmende freie Unterwerfung; eine solche Unter- werfung kann aber durchaus nicht angenommen werden, wenn sie auf ein Gesetz führen würde, welches gerade die hier vorliegende Obligation entkräften müßte (§ 372. C ). Dieselbe Behauptung, wie bei den wucherlichen Ver- trägen, muß auch aufgestellt werden für die Spielschulden, wenn diese nach dem einen Gesetze als gültig, nach dem anderen als ungültig, anzusehen seyn sollten. Das Gesetz des Ortes, an welchem geklagt wird, kann allein über die Gültigkeit der Obligation entscheiden. Eben so verhält es sich mit der Lex Anastasiana bei Schuldforderungen, die unter ihrem Nominalwerth verkauft werden. Dieses Gesetz beruht auf der Voraussetzung, daß ein solcher Handel für den Schuldner gefährlich und be- drückend werden könne, und sucht ihn als unsittlich und gemeinschädlich zu verhüten durch die Vorschrift, daß eine unter solchen Bedingungen erworbene Forderung nur bis auf die Höhe des bezahlten Kaufpreises geltend gemacht Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. werden dürfe L. 22 C. mandati (4. 35). . Die Anwendbarkeit dieses Gesetzes hängt davon ab, ob dasselbe an dem Orte der angestellten Klage gilt oder nicht gilt; das am Ort der entstandenen Forderung oder der Cession geltende Recht ist dabei gleichgültig Abweichend davon wird in einem Urtheil des Münchener O. A. G. von 1845 angenommen, es sey zu sehen auf das Recht, unter welchem die Forderung ursprünglich entstanden sey. Seuffert Archiv B. 1 N. 402. . Scheinbar gehört dahin auch das Französische Gesetz über die Forderungen der Juden an Christen; in der That aber gehört dasselbe vielmehr zu der die Handlungsfähigkeit betreffenden Frage, und ist auch bei dieser schon oben er- wähnt worden (§ 365. A. Num. 5). Die praktische Be- handlung des Falles fällt mit der hier angegebenen zu- sammen. Die angegebene Ausnahme ist nun ferner anzuwenden auf die Obligationen aus Delicten, und zwar ganz allgemein, da die auf Delicte bezüglichen Gesetze stets unter die zwin- genden, streng positiven, zu rechnen sind. Bei diesen also ist stets zu sehen auf das am Orte der Klage geltende Gesetz, nicht auf das, unter welchem das Delict begangen wurde Dieses ist also namentlich anzuwenden auf die possessorischen Interdicte, jedoch hier in sehr be- schränkter Weise, s. o. § 368 am Ende des §. . Auch hier gilt der Satz, wie bei den Verträgen, sowohl positiv als negativ, das heißt, für und wider die Anwendung eines Gesetzes, das eine §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Obligation aus einem Delicte anerkennt. Diese Frage ist bei keiner Art von Obligationen so häufig aufgeworfen, be- zweifelt, bestritten worden, als bei den aus dem außerehe- lichen Beischlaf abgeleiteten Obligationen. Es wird die Frage besonders anschaulich machen, wenn ich dabei von der sehr unbedingten Vorschrift des Französischen bürger- lichen Gesetzbuchs ausgehe, welches im Art. 340 so lautet: la recherche de la paternité est interdite. Dieses Gesetz beruht augenscheinlich auf der Ueberzeugung, daß im Interesse der Sittlichkeit jeder Anspruch und Rechtsstreit, gegründet auf außerehelichen Beischlaf, verhindert werden müsse Diese Absicht des Fran- zösischen Gesetzes ist unzweideutig ausgesprochen in dem an die Richter gerichteten unbedingten Verbot aller Procedur. ; andere Gesetzgebungen beruhen auf der entgegen- gesetzten Ueberzeugung. Beide also sind von zwingender, streng positiver Natur. Wird nun vor einem Gericht, das unter jenem Französischen Gesetze steht, ein solcher Anspruch geltend gemacht, so ist er zurückzuweisen, auch wenn der angebliche Beischlaf vorgekommen seyn soll an einem Ort, dessen Gesetz einen solchen Anspruch zuläßt und begünstigt. Umgekehrt aber muß von dem Gericht eines solchen Ortes der Anspruch zugelassen werden, selbst wenn der Beischlaf an einem Orte des Französischen Rechts Statt gefunden haben soll. Was nun hier von dem äußersten Gegensatz, der unbedingten Verwerfung oder Zulassung, gilt, muß eben so auch behauptet werden, wenn die Gesetze der ver- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. schiedenen Orte in geringerem Maaße von einander ab- weichen, etwa in den Bedingungen oder dem Umfang der Ansprüche. — Die Entscheidungen der Gerichte über diese Frage sind sehr verschieden Für den Ort der Klage (welcher meist zusammen fallen wird mit dem Wohnsitz des Be- klagten): Obertribunal zu Stutt- gart. Seuffert Archiv für Ent- scheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten B. 2 N. 4. — Für den Ort des Bei- schlafs: O. A. G. zu München, und zwei Urtheile aus Jena. Seuffert B. 1 N. 153 B. 2 N. 118. . Diese ganze Frage ist verwandt mit der Frage des Strafrechts, ob ein auswärts begangenes Verbrechen von unsren Gerichten zu bestrafen ist, und mit welcher Strafe. Dennoch dürfen beide Fragen nicht identificirt werden, da in dem Strafrecht, als einem Bestandtheil des öffentlichen Rechts, Rücksichten zu nehmen sind, von welchen bei den Obligationen aus Delicten nicht die Rede ist. Aus den eben aufgestellten Grundsätzen über das örtliche Recht in den Fällen zwingender Gesetze folgt nun allerdings, daß in solchen Fällen sehr häufig eine bedeutende Macht in die Hände des Klägers gelegt wird, indem dieser oft die Wahl zwischen mehreren Gerichten hat, also auch dadurch bestimmen kann, welches unter mehreren örtlichen Rechten zur Anwendung kommen soll. Dieses ist indessen die unver- meidliche Folge der besonderen Natur dieser Klasse von Ge- setzen. Auch wird die Gefahr für den Beklagten vermindert durch die sehr beschränkende Bedingungen, an welche §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. jeder besondere Gerichtsstand der Obligation gebunden ist (§ 371. z ). D. Die Wirkung einer Obligation, und insbesondere der Umfang dieser Wirkung, ist stets zu bestimmen nach dem Recht des Orts, welcher überhaupt als Sitz der Obli- gation zu betrachten ist; ja es ist dieses die hauptsächliche Bedeutung des örtlichen Rechts der Obligation. Gerade deshalb ist auch diese einzelne Frage am wenigsten Veran- lassung zu Zweifel und Streit geworden. Wenige Beispiele werden zur Erläuterung der Frage hinreichen. Nach manchen örtlichen Gesetzen hat der Verkäufer das Recht des Rücktritts bis zur vollzogenen Uebergabe, welcher Satz dem gemeinen Rechte fremd ist. Hier wird es darauf ankommen, ob ein solches Gesetz an dem Orte gilt, an wel- chem das Grundstück liegt, ohne Rücksicht auf den Ort des geschlossenen Vertrags oder den Ort der Klage; denn da der Verkauf eines Grundstücks stets einen bestimmten Er- füllungsort hat, so ist dieser zugleich der Sitz der Obliga- tion, der das örtliche Recht derselben bestimmt (§ 370. 372). — Eben so verhält es sich mit einem örtlichen Gesetz, welches bei Grundstücken die stillschweigende Wiederverpach- tung eines Landgutes auf einen Zeitraum von drei Jahren ansetzt. Auch dieses Gesetz wird anzuwenden seyn auf alle in seinem Bereiche liegende Grundstücke, und zwar aus dem bei dem vorigen Fall angeführten Grunde Beide Fälle werden angeführt von Boullenois T. 2 p. 452 fg. Er entscheidet den letzten Fall, so wie es hier geschieht, findet aber bei dem ersten ohne Noth Bedenken. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Die Höhe der Verzugszinsen ist nach gemeinem Recht abhängig von dem zu jeder Zeit geltenden Zinsfuße, also von dem thatsächlichen Gebrauche, Wenn aber an manchen Orten ein gesetzlicher Maaßstab, und zwar ein verschiede- ner, für die Verzugszinsen vorgeschrieben ist, so wird bei jeder Obligation das Gesetz des Ortes, der als Sitz der- selben gilt, anzuwenden seyn, also, bei einem verabredeten Zahlungsorte, das Gesetz dieses Ortes Voet . Pand. XXII. 1 § 11. — In L. 1 pr. de usur. (22. 1) heißt es: „ex more re- gionis, ubi contractum est“. Dabei wird der gewöhnlichste Fall vorausgesetzt, daß zwei Einwohner derselben Stadt in dieser Stadt einen Vertrag schließen; von einem Vertrag außer dem Wohnsitz, oder von einem anderwärts bestimmten Zahlungsort, ist da nicht die Rede. . Oie Obligation kann mit einem stillschweigenden Pfand- recht (bald einem allgemeinen, bald einem speciellen) ver- bunden seyn. Ob ein solcher stillschweigender Pfandvertrag anzunehmen ist, das hängt von dem örtlichen Recht ab, unter welchem überhaupt diese Obligation steht. Ob dem- selben die Wirkung eines Pfandrechts beizulegen ist, kann dagegen nur nach dem Recht des Orts bestimmt werden, an welchem die Sache sich befindet (§ 368). E. Die Stellung der Obligationen im Concurse bedarf einer besonderen Erwägung, da gerade hierin die größten Verschiedenheiten in den einzelnen Gesetzgebungen vorkommen. Es ist dabei nöthig, vor Allem die eigenthüm- liche Natur des Concurses in’s Auge zu fassen. §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Der Concurs setzt voraus einen zahlungsunfähigen Schuld- ner, welchem mehrere Glaubiger gegenüber stehen, also einen Fall, in welchem eine vollständige Execution aller ausge- sprochenen oder noch auszusprechenden Schuldurtheile nicht möglich ist, so daß der Zweck darauf beschränkt bleiben muß, die Execution theilweise, so weit sie möglich ist, zu bewirken. Dieses geschieht, indem das gerade jetzt vorhan- dene Vermögen des Schuldners gesammelt, durch Verkauf in baares Geld verwandelt, und dann nach irgend einer Regel unter die Glaubiger vertheilt wird. So erscheint also der Concurs, seinem Wesen nach, als ein bloßes Exe- cutionsverfahren über eine bestimmte Vermögensmasse, und die Aufgabe des Richters besteht in der Ausgleichung der Ansprüche der einzelnen Glaubiger auf diese Masse. Auf das endliche Schicksal der Forderungen hat der Concurs keinen Einfluß, so daß jeder Glaubiger, der in demselben ganz oder theilweise ausfällt, sein Recht noch immer gegen den Schuldner geltend machen kann, wenn dieser etwa spä- terhin neues Vermögen erwirbt. Da der Concurs eine Ausgleichung unter mehreren Glaubigern bezweckt, so ist er nur an Einem Orte möglich, und zwar an dem Wohnsitz des Schuldners, so daß hier der besondere Gerichtsstand der Obligation von dem allge- meinen persönlichen Gerichtsstand verdrängt wird. Die richterliche Thätigkeit bei Gelegenheit eines Concur- ses zerfällt in zwei an sich verschiedene Theile: vorbereitende Handlungen, und der Concurs selbst. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zu den vorbereitenden Handlungen gehört theils die Feststellung der Forderungen selbst (Liquidation), theils die Bildung und Feststellung der Concursmasse durch Ausschei- dung aller zum Vermögen des Schuldners nicht gehören- den Stücke (Vindicanten, Separatisten), durch Auf- sammlung aller zu diesem Vermögen wirklich gehörenden Bestandtheile, und durch Verwandlung derselben in baares Geld vermittelst des Verkaufs. — Dabei gelten, in Anse- hung des anwendbaren örtlichen Rechts, ganz die allge- meinen Grundsätze über dingliche Rechte und Obligationen. Die zufällige Veranlassung durch einen Concurs macht da- bei keinen Unterschied. — Was aber insbesondere den ersten Punkt betrifft, die Feststellung der Forderungen, so bleibt es nicht dem Zufall überlassen, welche Glaubiger sich mel- den wollen, vielmehr werden alle durch öffentliche Vorla- dung zur Anmeldung bis zu einer bestimmten Frist vorge- laden. Wer diese Frist nicht einhält, wird durch Erkennt- niß präcludirt, und verliert dadurch nicht etwa seine For- derung selbst, wohl aber den Anspruch auf Befriedigung in diesem Concurse, aus dieser Masse. Die Vorladung bindet selbst die Glaubiger, die bereits Schuldklagen ander- wärts angestellt, aber noch nicht zu Ende geführt haben, so daß der Concursprozeß die anderwärts schwebenden Schuldklagen an sich zieht Wernher Obss. T. 2 P. 10 obs. 297. Leyser Sp. 478 med. 8. . § 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Der Concurs selbst hat zum Gegenstand die Ausglei- chung der einzelnen Glaubiger in ihren Ansprüchen an die vorhandene Activmasse (Classification). Da nun diese Aus- gleichung zu dem oben erwähnten Executionsverfahren ge- hört, welches eine rein prozessualische Thätigkeit ist, so kann darauf kein anderes örtliches Recht angewendet werden, als das am Ort des Concursgerichts geltende: mittelbar also das örtliche Recht am Wohnsitz des Schuldners Leyser 478. 10. . Mit dieser einfachen Regel könnte die ganze Frage er- ledigt seyn, wenn nicht viele, und meist die wichtigsten, An- sprüche der Glaubiger eine gemischte Natur hätten: gemischt aus Obligation und dinglichem Recht, dem Hypothekenrecht. Darin liegt die hauptsächliche Schwierigkeit. Die Sache wird anschaulicher werden durch die Anwen- dung auf das gemeine Concursrecht, so wie es sich, gegrün- det auf die Vorschriften des neuesten Römischen Rechts, in der Theorie und Praris der neueren Zeit ausgebildet hat. Sämmtliche Glaubiger werden nach fünf Klassen geord- net: 1. Absolut privilegirte, 2. Privilegirte Hypotheken, 3. Gemeine Hypotheken, 4. Persönlich privilegirte, 5. Alle übrigen Die genauere Ausführung dieser Classification liegt außer dem hier vorliegenden Zweck. Vgl. Mühlenbruch I. § 173. Göschen Vorlesungen II. 2 § 424. . — Unter diesen fünf Klassen enthalten die erste, vierte und fünfte, reine Obligationen, und für diese entscheidet ausschließend das am Ort des Concursgerichts geltende örtliche Recht, ohne Rücksicht auf das vielleicht Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. abweichende Recht des Entstehungsorts und des Erfüllungs- orts der Obligation. Es bleiben also nur noch die zweite und dritte Klasse, enthaltend die hypothekarischen Glaubi- ger, zu näherer Betrachtung übrig. Jeder hypothekarische Glaubiger hat in der That ein zusammengesetztes Recht, dessen beide Bestandtheile eine ganz verschiedene Natur haben; er ist wahrer Glaubiger, hat aber daneben zur Sicherheit seiner Forderung ein ding- liches Recht. Um es nun klar zu machen, wie diese un- gleichartigen Rechte in die Einheit des Concurses eingefügt werden können, ist es nöthig, zuvor einen ergänzenden Blick rückwärts zu werfen auf die oben erwähnte Bildung der Concursmasse, und die hypothekarischen Glaubiger einstweilen noch auf sich beruhen zu lassen. Die Bildung der Concursmasse durch Aufsammlung und Verkauf der Vermögensstücke macht keine Schwierigkeit, wenn diese sämmtlich in dem Bezirk des Concursgerichts sich befinden. Dagegen ist die Behandlung der Sache in hohem Grade bestritten in Ansehung der Vermögensstücke, die in anderen Gerichtsbezirken, oder gar in einem fremden Lande liegen. Ich will sogleich diesen letzten Fall, als den äußersten, in’s Auge fassen. Für denselben wird von Vie- len folgende Behauptung aufgestellt. Der fremde Landes- herr und dessen Richter braucht die Verfügungen unsers Concursgerichts nicht zu befolgen, entzieht sich ihnen auch, §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. der Erfahrung nach, in der That ganz gewöhnlich Man giebt zu, daß diese Schwierigkeit sich sehr vermindert bei Sachen in einem anderen Ge- richtsbezirk desselben Landes, in- dem hier geholfen werden kann theils durch bloße Requisition unter gleich stehenden Gerichten, theils durch die bei einer gemeinsamen Oberbehörde von dem Concurs- gericht extrahirte Verfügung an das andere Gericht. . Daher bleibt nach jener Meinung keine andere Aushülfe übrig, als daß unser Concursrichter auf Heranziehung des auswärts liegenden Vermögens verzichtet, die Glaubiger aber in jenem fremden Lande gleichfalls gegen den Schuld- ner klagen können, wodurch dann neben dem ersten Concurs ein zweiter, eben so vielleicht noch ein dritter oder vierter Concurs, bei einem sehr zerstreuten Vermögen, soll veran- laßt werden können. Ich kann weder die erwähnte Aushülfe, noch die Schwie- rigkeit selbst, die ihr zum Grund liegen soll, als richtig einräumen. — Was die Aushülfe betrifft, so setzt sie vor- aus, daß jede Schuldklage überall angestellt werden könne, wo ein Schuldner Vermögen besitzt; oder, mit andern Wor- ten, sie nimmt ein allgemeines forum rei sitae an für per- sönliche Klagen. Gerade Dieses nun muß entschieden ver- worfen werden, und deshalb ist auch ein mehrfacher Con- curs in verschiedenen Ländern nicht zulässig. Inwiefern etwas diesem Aehnliches in Folge von Hypotheken vor- kommen kann, wird sogleich bemerkt werden. — Aber auch die Schwierigkeit ist geringer, als man gewöhnlich an- nimmt. Indem der gerichtlich bestellte Curator des Ver- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. mögens Tit. D. de curatore bonis dando (42. 7), besonders in L. 2 tit. cit. , unter Aufsicht des Concursrichters, die Sachen des Schuldners verkauft, besorgt er nur eine der Handlungen, die zur Execution eines Urtheils gehören, sey es eines schon gesprochenen, oder eines bevorstehenden, noch zu erwartenden. Nun gehört es zu der oben erwähnten, seit längerer Zeit stets fortschreitenden, Rechtsgemeinschaft unabhängiger Staaten unter einander, daß sie sich gegen- seitig gleiche Rechtshülfe leisten (§ 348). Dazu gehört die Execution der in einem Staate gesprochenen Urtheile inner- halb jedes anderen Staates (§ 373. B. ), also auch die Unterstützung des Curators bei den so eben erwähnten Maaßregeln, die zum Verkauf der auswärtigen Vermögens- stücke, folglich zur Bildung der Concursmasse, führen. Wollte man ihm diese Unterstützung versagen, so würde darin eine völlige Rechtsverweigerung liegen, indem so eben bemerkt worden ist, daß in diesem fremden Lande ein Gerichtsstand gegen den Schuldner für persönliche Klagen gar nicht begründet ist. Die hier aufgestellte Behauptung ist denn auch schon längst von mehreren Schriftstellern als richtig anerkannt worden I. Voet . § 17, und Comm. ad Pand. XX. 4 § 12 (wo er diese Regel gerade aus der oben erwähnten comitas ableitet). Pufendorf T. 1 obs. 217 (mit einer Beschränkung für den Fall von Hypotheken, wovon sogleich die Rede seyn wird). Dabelow Lehre vom Concurse S. 746—765 (der nur seine richtige Ausführung durch die Bemerkung am Schlusse . Andere nehmen das Gegentheil an, aber §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. nicht in Folge eines juristischen Grundsatzes, sondern nur, weil die fremden Landesherrn ihre Mitwirkung versagen sollen Struben Bedenken I. 118, V. 27. . In den Englischen Gerichten werden die aus- wärts liegenden beweglichen Sachen mit zum Concurse am Wohnsitz gezogen, die unbeweglichen nicht; in den meisten Amerikanischen Gerichten weder die beweglichen, noch die unbeweglichen Sachen Story § 403 fg. Er selbst zieht die Englische Praxis der Amerikanischen vor. Daß er blos von beweglichen Sachen sprechen will, ergiebt sich schon daraus, daß er diese ganze Frage in dem Chap. IX. personal property (bewegliches Vermögen) behandelt. . Allerdings entsteht nun eine eigenthümliche Verwicklung und Schwierigkeit in den Fall, wenn die im Ausland befindlichen Sachen mit einem Pfandrecht behaftet sind, und die Rück- sicht auf diesen sehr gewöhnlichen Fall hat ohne Zweifel auf die eben erwähnte abweichende Ansicht mancher Schrift- steller und Gerichte Einfluß gehabt, obgleich offenbar beide Fragen an sich verschieden sind, und eine getrennte Be- handlung derselben für den Erfolg der Untersuchung vor- theilhafter ist. Dieser letzte Fall unterscheidet sich von dem vorherge- henden, in welchem die auswärts befindlichen Sachen als unverpfändet gedacht wurden, zunächst darin, daß die Pfandglaubiger ihre Hypothekarklagen im Gerichtsstand der gelegenen Sache anstellen können. Wird nun die Hypo- entkräftet, daß die Praxis entge- genstehe, und also mehrere Con- curse nothwendig seyen). VIII. 19 Buch III Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. thekarklage gegen einen anderen Pfandglaubiger angestellt, der die Sache besitzt, oder von zwei Pfandglaubigern gleich- zeitig gegen einen dritten Besitzer, so hat der Richter über die Priorität nach denselben Grundsätzen zu entscheiden, wie es auch im Concurse geschieht L. 12 pr. § 7 qui pot. (20. 4). Vgl. P. Voet . Sect. 10 C. un. § 5. — Die neueste Preußische Gesetzgebung gestattet jedem Pfand- und Hypotheken- glaubiger, auch wo nicht von einem Verhältniß zum Ausland die Rede ist, seine Befriedigung aus der Sache unmittelbar einzuklagen, ohne sich in den Concurs einzu- mischen. Gesetzsammlung 1842 S. 4. , und diese Regel ist anwendbar, ohne Unterschied, ob die verpfändeten Sachen in denselben Lande liegen oder nicht Dennoch wäre es ganz unrichtig, dieses Verfahren als einen beson- deren Concurs aufzufassen, indem die Formen des Con- curses dabei gar nicht vorkommen. — Indessen ist auch kein Hinderniß vorhanden, die verpfändeten auswärtigen Sachen mit in den Concurs am Wohnsitz des Schuldners zu ziehen, wenn nur dafür gesorgt wird, daß Jeder, der an einer solchen auswärts befindlichen Sache ein Pfandrecht hat, an dem Kaufpreis dieser Sache diejenige Priorität erhält, die ihm nach dem Recht des Orts, wo sich die Sache zur Zeit des Verkaufs befindet, gebührt, indem die lex rei sitae auch über die Priorität entscheidet (§ 368). Es mag zuweilen schwer seyn, diesen Zweck zu erreichen; unmöglich ist es nicht, und es wird besonders zur Erleich- terung der Sache dienen, wenn aus dem Kaufpreis der einzelnen, auswärts aufgefundenen Sachen besondere §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Specialmassen gebildet werden. Indem Dieses von dem- selben Richter geschieht, wird gewiß die Einheit der zu- sammentreffenden Ansprüche sicherer erreicht, als es durch die Einleitung mehrerer Concurse in verschiedenen Gerichten geschehen könnte Pufendorf (Note kk ) erachtet die Festhaltung der Prio- rität in einem fremden Gerichte für so schwierig, daß er es vorzieht, einen besonderen Concurs am Ort der gelegenen Sache zu eröffnen, sobald Dieses die Pfandglaubiger verlangen. . Daß nun überhaupt eine solche Behandlung der Sache möglich ist, ergiebt sich am sichersten aus dem Umstand, daß dieselbe in einer bedeutenden Zahl von Staatsverträgen der Preußischen Regierung mit benachbarten Staaten wirk- lich festgesetzt ist. Die Grundlage dieser Verträge bildet das Preußische Concursgesetz. Nach diesem giebt es stets nur Einen Concurs, und zwar am Wohnsitz des Gemein- schuldners. Der Concursrichter veranlaßt die inländischen Gerichte, in deren Sprengel Theile des Vermögens liegen, durch Requisition zur Mitwirkung. — Liegen Vermögens- stücke im Auslande, so hat der Richter zunächst zu erforschen, ob Staatsverträge vorhanden sind. In Ermangelung der- selben soll er dem ausländischen Richter vorschlagen, auf ähnliche Weise, wie es so eben von anderen inländischen Gerichten erwähnt worden ist, auf die Mitwirkung zu dem inländischen Concurse einzugehen. Mißlingt Dieses, so hat der Curator bei dem auswärtigen Specialconcurse das In- teresse der inländischen Glaubiger wahrzunehmen Allg. Ger. Ordnung I. 50 § 25—32 § 647—671. . — 19* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Alle späterhin wirklich geschlossene Verträge beruhen nun auf dem Grundsatz, daß nur Ein Concurs Statt finden soll, und zwar in der Regel am Wohnsitz des Schuldners. Die in dem anderen Staate befindlichen Sachen des Ge- meinschuldners sollen veräußert, und der erlöste Kaufpreis soll an das Concursgericht abgeliefert werden. Bei diesem müssen sich alle Glaubiger einlassen. Die Rangordnung unter den Glaubigern ist für die blos persönlichen For- derungen nach den Gesetzen des Gerichtsortes zu bestimmen, für alle dingliche Rechte nach den Gesetzen des Ortes der belegenen Sache Vertrag mit Weimar 1824 Art. 18—22. dann gleich- lautend mit Altenburg, Koburg- Gotha, Reuß-Gera. — Späterhin mit Königreich Sachsen 1839 Art. 19—21, und gleichlautend mit Rudolstadt, Bernburg, Braun- schweig (S. o. § 348. S. 31). . Nur darin findet sich eine Verschiedenheit, daß nach den neueren Verträgen (seit 1839) die dinglichen Ansprüche auf die außer dem Land des Con- curses liegenden Sachen auch an dem Ort der gelegenen Sache, vor ihrer Ausantwortung an den Concursrichter, erhoben werden können. Geschieht Dieses von Hypotheken- glaubigern, so sind die verpfändeten Sachen dort zu ver- kaufen, das Kaufgeld ist den Glaubigern auszuzahlen, und nur der etwa bleibende Ueberschuß ist an das Concurs- gericht abzuliefern. Was nun hier durch Verträge festgestellt ist, darf keines- weges als eine neue, willkürliche Erfindung angesehen werden; es ist blos der Ausdruck der ohnehin in neuerer §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Zeit stets wachsenden Rechtsgemeinschaft (§ 348). Daher hat es auch kein Bedenken, daß derselbe Grundsatz auch anderwärts in Staatsverträgen festgestellt, ja selbst ohne solche Verträge von den darin übereinstimmenden Gerichten verschiedener Staaten, unter ausdrücklicher oder stillschwei- gender Genehmigung ihrer Regierungen, geltend gemacht werden könnte. Der Inhalt der hier angegebenen Verträge ist aber nicht blos unmittelbar wichtig für das Verhältniß zwischen Preußen und den dabei betheiligten Staaten, und mittelbar für das Verhältniß zu anderen fremden Staaten als Grundlage einer gütlichen Unterhandlung mit denselben, wie so eben bemerkt wurde. Vielmehr können diese Verträge, indem sie Aufschluß geben über den Sinn unsrer Gesetzgebung, zugleich dazu dienen, eine auf das innere Verhältniß unsrer verschiedenen Landestheile bezügliche Rechtsfrage zu beant- worten. Wenn in Berlin ein Concurs eröffnet wird, zum Vermögen des Schuldners aber Grundstücke und beweg- liche Sachen gehören, die sich in Neuvorpommern befinden (wo das Römische Recht gilt), und dort durch bloßen Vertrag verpfändet sind, so fragt sich, wie sich der Werth dieser Sachen zu jenem Concurse verhalte. Ständen die Richter jenes Landestheils unter der Preußischen Gerichts- ordnung, so müßten sie den Werth der erwähnten Sachen, (oder die beweglichen Sachen in Natur) dem Berliner Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Concursrichter einliefern Allg. Ger. Ordnung I. 50 § 648. Gesetz vom 28. Dec. 1840 § 2 (Gesetzsammlung 1841 S. 4). , der das erlöste Geld nach der Preußischen Classification behandeln würde. Dabei würden jene Glaubiger sehr in Nachtheil kommen, indem ihre Forderungen weder auf die zweite, noch auf die dritte Klasse der Preußischen Concursordnung Anspruch haben. Allein jene Richter sind durch die angeführten Gesetze nicht gebunden, und die erwähnten Forderungen und Pfandrechte sind demnach so zu behandeln, wie wenn sie dem Auslande angehörten, und zwar einem solchen Auslande, dessen Be- hörden gegen unsre Behörden zu gegenseitiger Unterstützung nach billigen Grundsätzen bereit wären. Dieses führt nun dahin, die Grundsätze der oben erwähnten Verträge anzu- wenden. Hiernach würden die Neuvorpommerschen Gerichte die in ihrem Bereiche liegenden Vermögensstücke zu ver- kaufen und das Kaufgeld an den Berliner Concursrichter abzuliefern haben. Die Glaubiger aber, die an jenen Sachen Pfandrechte hatten, würden in dem Berliner Con- curs, so weit dieses Kaufgeld reicht, dieselbe Priorität ver- langen können, die ihnen zugekommen wäre, wenn der Concurs in Neuvorpommern Statt gefunden hätte. § 375. IV. Erbrecht. §. 375. IV. Erbrecht . Wir haben zunächst für das Erbrecht, so wie es für an- dere Rechtsinstitute bereits geschehen ist, zu untersuchen, welchem örtlichen Recht dasselbe nach seiner besonderen Na- tur angehört, also wo es seinen eigentlichen Sitz hat (§ 360). Um Dieses zu erkennen, müssen wir zurücksehen auf die oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es besteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode des Inhabers, auf andere Personen. Darin liegt eine künstliche Erstreckung der Macht, also auch des Willens, eines Menschen über die Gränze des Lebens hinaus, wel- cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher seyn kann (in dem Testament), bald ein stillschweigender (in der In- testaterbfolge) Diese zweite Art des fortwirkenden Willens steht zugleich in Zusammenhang mit der Fortsetzung der Individualität des Menschen durch die Verwandtschaft, s. o. B. 1 § 53. . Dieses Verhältniß nun schließt sich ganz und unmittelbar an die Person des Verstorbenen an, ge- rade so, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor- den ist (§ 362), und wie es späterhin bei der Familie ge- zeigt werden wird. Ist nun diese Auffassung der Sache richtig, so muß behauptet werden, daß das Erbrecht sich im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn- sitzes, welchen der Verstorbene zur Zeit seines Todes Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. hatte S. o. § 359. Nach Rö- mischem Recht war vielmehr das Recht der origo zunächst ent- scheidend (§ 357). — Bei dem Tode eines Vagabunden, der keinen Wohnsitz hat, entscheidet das Recht seiner Herkunft, und, wenn auch diese nicht zu ermitteln ist, das Recht des letzten Aufenthalts, d. h. des Ortes wo er starb (§ 359). . — Um diese Behauptung an oben erklärte Kunst- ausdrücke anzuknüpfen, müssen wir sagen, daß die Gesetze über das Erbrecht zu den Personalstatuten gehören, indem sie principaliter die Person, und nur mittelbar auch Sachen, zum Gegenstand haben (§ 361). Die Richtigkeit dieser Behauptung wird noch durch fol- gende Betrachtungen bestätigt. Wollte man den Wohnsitz des Erblassers nicht als bestimmend ansehen für das örtliche Recht, so bliebe kein anderer Ort übrig, an den wir das Erbrecht anknüpfen könnten, als der Ort, wo sich das hin- terlassene Vermögen, die Erbschaft, befindet, so daß dann die lex rei sitae entscheiden müßte. Wo ist nun aber dieser Ort? Das Vermögen als Ganzes ist ein ideales Object von völlig unbestimmtem Inhalt S. o. B. 1 § 56. , möglicherweise beste- hend aus Eigenthum und anderen Rechten an einzelnen Sachen, aus Forderungen und Schulden, welche letzte Be- standtheile sogar ein völlig unsichtbares Daseyn haben. Dieses Vermögen also ist überall und nirgend, so daß ein locus rei sitae dafür gar nicht aufzufinden ist. Es wäre ein ganz willkürlicher Behelf, wenn man den Ort annehmen wollte, wo der größere Theil der Erbschaft liegt, denn theils ist dieser Begriff völlig schwankend, theils hat der kleinere §. 375. IV. Erbrecht. Theil eben so viel Anspruch auf Beachtung, als der größere. Geben wir aber Dieses auf, so bliebe dann nur noch übrig, den Ort der Erbschaft überall anzunehmen, wo sich irgend eine einzelne, zum Vermögen gehörende, Sache befindet. Dieses aber würde wieder dahin führen, bei einem ausge- dehnten und zerstreuten Vermögen, viele von einander un- abhängige Erbschaften anzunehmen, die vielleicht ganz ver- schiedenen Gesetzen unterworfen wären, und damit doch nur einen Theil der Erbschaft (die dinglichen Rechte) zu treffen, den andern Theil aber (die Obligationen) unberührt zu lassen. Es ist einleuchtend, daß dieses Verfahren völlig willkürlich und grundsatzlos ist, ja auf einen leeren Schein, ohne Wahrheit, führt. Dennoch hat dasselbe zahlreiche An- hänger gefunden, wovon sogleich weiter die Rede seyn wird. Die Grundlage des Römischen Erbrechts ist die Suc- cessio per universitatem, die bei jeder Erbfolge angenom- men werden muß, und neben welcher alle andere Rechts- verhältnisse als bloße Nebensache erscheinen. Diese ist aber nur die juristische Form, unter welche das eben erklärte Wesen des Erbrechts gebracht wird, und von diesem Stand- punkt aus müssen wir noch besonders vom Römischen Recht behaupten, daß nach demselben die hier aufgestellte Behaup- tung über den Sitz des Erbrechts völlig zweifellos erscheint. Ganz verwerflich aber ist die Ansicht mancher neueren Schriftsteller, nach welcher die Universalsuccession ein eigen- thümliches Rechtsinstitut der Römer seyn soll, im Gegensatz Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. anderer (germanischer) Gesetzgebungen, die davon, wie man behauptet, Nichts wissen wollen. Das wahre Verhältniß ist vielmehr so aufzufassen, daß im positiven Recht vieler Staaten das Erbrecht auf einer niederen Stufe der Entwickelung stehen geblieben ist, anstatt daß dasselbe bei den Römern, in Folge eines glücklichen Taktes, schon von früher Zeit an, die seiner eigenthümlichen Natur allein angemessene Behandlung erfahren hat, wohin dann auch jedes abweichende positive Recht unaufhaltsam hinstrebt S. o. B. 1 § 57. S. 382. 383. . Es würde auch unrichtig seyn, diese Verschiedenheit als eine blos theoretische aufzufassen, über deren Werth oder Unwerth man etwa so oder anders denken möchte. Viel- mehr ist es gerade das praktische Bedürfniß neuerer Zeit, das nur in der ausgebildeten Universalsuccession seine volle Befriedigung findet, da in dem ungeheuren Aufschwung aller Vermögensverhältnisse die Obligationen eine stets zu- nehmende Wichtigkeit erlangen. §. 376. IV. Erbrecht . ( Fortsetzung .) Ich gehe nun über zur Darstellung der wichtigsten Mei- nungsverschiedenheiten über die auf das Erbrecht anwend- baren Gesetze, so wie sie sich unter den Schriftstellern, und, damit zusammenhängend, in der Praxis verschiedener Län- §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) der und Zeiten, allmälig ausgebildet haben. Diese Mei- nungen lassen sich auf drei Hauptklassen zurück führen. Die eine ist die oben dargestellte, nach welcher das Erb- recht allgemein beherrscht wird von dem Gesetz des Ortes, an welchem der Erblasser zur Zeit des Todes seinen Wohn- sitz gehabt hat. Sie hält die Gesetze über das Erbrecht für Personalstatuten . Eine andere, völlig entgegengesetzte, die auch schon an- gedeutet worden ist, geht dahin, daß das Erbrecht sich rich- tet nach dem Ort, an welchem die Sachen der Erbschaft sich befinden. Diese Meinung führt auf die Möglichkeit, daß die Bestandtheile der Erbschaft nach verschiedenen Rech- ten beurtheilt werden; sie läßt ferner die in dem Vermö- gen befindlichen Forderungen und Schulden zunächst unbe- stimmt, mit dem natürlichen Vorbehalt, darüber in jedem einzelnen Fall das praktische Bedürfniß durch irgend eine beliebige Auskunft zu befriedigen. Eine letzte Meinung endlich steht zwischen den beiden eben angegebenen in der Mitte. Sie nimmt für das un- bewegliche Eigenthum die lex rei sitae an, für alles übrige Vermögen (bewegliches Eigenthum und Obligationen) das am Wohnsitz des Erblassers geltende Gesetz. Diese Mei- nung ist von der praktischen Schwäche der vorhergehenden theilweise frei, da man nach ihr bestimmt weiß, wer die Forderungen bekommen soll; aber auch nur theilweise, in- dem die Schulden in jedem Fall auf dem ganzen Vermö- gen haften müssen, auch auf den ausländischen Immobilien, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. so daß die Schulden vielleicht von sehr verschiedenen Perso- nen zu tragen sind Diese ungemeine Schwierig- keit in der Ausführung wird auch von den Schriftstellern nicht ver- kannt, und es werden Vorschläge zur Aushülfe gemacht, die sich großentheils willkürlich und unzu- reichend zeigen. Vgl. Hert. § 29. Es liegt darin aber nur ein Kenn- zeichen der inneren Unwahrheit dieses ganzen Systems. Derselbe Vorwurf trifft natürlich auch die vorhergehende Meinung, nur noch in weit höherem Grade. . — Man kann diese Meinung nach dem oben erklärten Kunstausdruck kurz so bezeichnen, daß sie Gesetze über das Erbrecht für Realstatuten er- klärt (§ 361) Diese Bezeichnung würde noch in höherem Grade auf die vorhergehende Meinung passen, wenn es nicht üblich wäre, den Ausdruck der Realstatuten auf Immobilien zu beschränken. . Ich werde diese drei Meinungen jetzt einzeln darstellen, und zwar nach der Zeitfolge ihrer Entstehung und vorherr- schenden Geltung. A. Die älteste Meinung ist die, nach welcher die Erbschaft in alle Sachen, bewegliche und unbewegliche, le- diglich unter dem Gesetz des Landes stehen soll, in welchem die Sache liegt Schriftsteller für diese Mei- nung sind in großer Zahl ange- führt bei Wächter I. 275. 276. II. 192. ; diese Meinung ist eine einzelne An- wendung des strengen Rechts der Territorialität (§ 348). Die älteste und schroffste Gestalt derselben ging dahin, daß alle im Lande befindliche Erbschaftsstücke (bewegliche und unbewegliche) an ausländische Erben gar nicht kom- men, sondern an deren Stelle dem Landesherrn (oder Vog- §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) teiherrn) zufallen sollten Droit d’aubaine. Vgl. Eichhorn deutsches Recht § 75. . Die mildere Form unter- wirft diese Erbschaftsstücke nur unbedingt dem inländischen Gesetz, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Erblassers, aber auch ohne zwischen inländischen und ausländischen Erbberechtigten zu unterscheiden. Die Gründe gegen diese Lehre sind bereits oben ausge- führt worden; ich will diesen Gründen aber jetzt noch fol- gende praktische Bemerkung hinzufügen. Wäre dieser Grund- satz überall anerkannt und durchgeführt, so müßte jeder vor- sichtige Hausvater, wenn er auswärts Vermögen besitzt, irgend einen Schutz suchen gegen unerwünschte Erben, so wie gegen die drohende Verwirrung in Beziehung auf Schuldverhältnisse. Diesen Schutz gegen den Druck jenes Grundsatzes könnte er nur darin finden, daß er in Zeiten alles auswärts liegende Eigenthum veräußerte, oder auch die beweglichen Sachen in das Land seines Wohnsitzes herein brächte. Auch in diesem natürlichen Bedürfniß und Bestreben liegt ein untrügliches Zeichen der aus jenem Grundsatz hervorgehenden grundlosen Härte. B. Die vermittelnde Meinung schließt sich ganz der vorhergehenden an, nur mit Einschränkung derselben auf das zur Erbschaft gehörende unbewegliche Eigenthum; das bewegliche Eigenthum überläßt sie dem am Wohnsitz des Erblassers geltenden Recht, auch wenn es im Ausland sich befinden sollte. Alle Gründe, welche gegen die vorherge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. hende Meinung aufgestellt worden sind, gelten auch gegen diese Meinung, nur in geringerem Grade, indem sie in einem minderen Umfang von der richtigen Behandlung abweicht. Diese Meinung hat sich besonders vom sechszehnten Jahrhundert an geltend gemacht Schriftsteller werden in großer Zahl angeführt bei Wäch- ter II. S. 188—192. Foelix p. 72—85. . In Deutschland ist sie seit dem achtzehnten Jahrhundert mehr und mehr ver- drängt worden. Dagegen hat sie sich bis auf unsere Zeit erhalten in England und Amerika Story Chap. 11. 12. , so wie in Frank- reich Foelix (Note e ). — Dasselbe erwähnt von Holland Vinnius sel. quaest. II. 19, na- türlich für seine Zeit. . Sie steht im Zusammenhang mit dem allgemei- nen Unterschied, welcher in den erwähnten Ländern zwischen dem beweglichen und unbeweglichen Vermögen fest gehalten zu werden pflegt (§ 360. Num. 3). C. Die von mir vertheidigte Meinung endlich, nach welcher der Wohnsitz allgemein entscheidet, ist vom achtzehn- ten Jahrhundert an besonders in Deutschland stets zuneh- mend zur allgemeinen Anerkennung gelangt, nachdem sie zu- erst vorzugsweise für die Intestaterbfolge angenommen wor- den war Schriftsteller in großer Zahl werden angeführt von Wächter II. 192—198 und Schäffner § 130. Auszeichnung verdienen: Pufendorf I. Obs. 28. Glück Intestaterbfolge § 42. Martin Rechtsgutachten der Hei- delberger Fakultät B. 1 S. 175— 186. — Wächter , der sich selbst zu dieser Meinung bekennt, recht- fertigt dieselbe II. 198. 199. 363. . Sie wird nicht blos von Romanisten ver- §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) theidigt (wie man vielleicht glauben könnte in Beziehung auf die Universalsuccession), sondern auch, im richtigen Ge- fühl des praktischen Bedürfnisses, eben so von Germa- nisten Eichhorn deutsches Recht § 35. Mittermaier deutsches Recht § 32. ; auch hat sich die Praxis der höheren Gerichte dafür entschieden O. A. Gericht zu Cassel 1840. Seuffert Archiv B. 1 N. 92. . — Die eigentliche Begründung dieser Meinung liegt in der oben entwickelten Natur des Erbrechts über- haupt, und diese Begründung ist auf Testamente eben so anwendbar, wie auf die Intestaterbfolge. Bei der Intestat- erbfolge aber kommt noch folgende Rücksicht in Betracht. Dieselbe beruht überhaupt auf dem präsumtiven, also still- schweigenden, Willen des Verstorbenen; nicht als ob von dieser bestimmten Person für ihre individuellen Verhältnisse ein solcher Wille als sichere Thatsache behauptet würde, sondern indem jedes positive Recht eine allgemeine Vermu- thung aufstellt, so wie sie der Natur der Familienverhält- nisse angemessen erscheint. Daß nun eine solche Präsum- tion in verschiedenen Gesetzgebungen so oder anders ange- nommen werden kann, ist ganz natürlich. Dagegen würde es sehr unnatürlich seyn, in einem einzelnen gegebenen Fall ganz richtig auf folgende Weise: der Staat wolle durch die Erbfolge- gesetze nicht das Schicksal der Ob- jecte (der Güter) reguliren, sondern das der Subjecte, der Personen; daher richte er solche Gesetze an die Staatsangehörigen (die Ein- wohner), und die Erbfolge in das Vermögen verstorbener Aus- länder sey ihm gleichgültig. — Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß Erbfolgegesetze als Personalstatute beabsichtigt werden, nicht als Realstatute. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. der Erbfolge, dem Erblasser für verschiedene Vermögens- stücke einen verschiedenen Willen durch Präsumtion unterzu- legen, also etwa anzunehmen, daß er für sein Haus eine andere Person, als für sein Landgut oder sein baares Geld, als Erben zu haben wünsche, wenn er sich nicht darüber (durch Testament) besonders erklärt hat. In Beziehung auf die unter B. dargestellte vermittelnde Meinung, welche zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterscheidet, sind noch zwei Ansichten zur Sprache gekommen, deren genauere Prüfung vielleicht zur Annäherung der Meinungen beitragen kann. Ein neuerer Schriftsteller tadelt es, daß sich Andere überhaupt für die eine oder andere Meinung allgemein aus- sprächen, da doch jede derselben unter gewissen Voraus- setzungen richtig sey Schäffner § 57—59, § 126—152. . In den Ländern, welche das Erb- recht (nach Römischem Grundsatz) als Universalsuccession behandelten, sey der Wohnsitz für das ganze Vermögen ent- scheidend; in den Ländern dagegen, welche das Erbrecht nicht als Universalsuccession ansähen (wie England und Amerika) müsse die Erbfolge in Immobilien nach der lex rei sitae beurtheilt werden. — Bei dieser Ansicht liegt das Mißverständniß zum Grunde, als ob die Annahme oder Verwerfung der Universalsuccession etwas für sich Bestehen- des wäre, woraus dann weiter auf den Sitz des Erbrechts und das bei demselben geltende örtliche Recht gefolgert werden §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) könnte. In der That aber ist Beides identisch, und die Univer- salsuccession ist nur die juristische Form und der Kunstaus- druck für die Auffassung des Erbrechts, die den Sitz dessel- ben allgemein (ohne Unterschied der Bestandtheile des Ver- mögens) in den Wohnsitz verlegt. So aufgefaßt, muß also die aufgestellte Unterscheidung unter folgenden Ausdruck ge- bracht werden: Vom Standpunkte der Länder und der Schriftsteller aus, die das Erbrecht auf das Vermögen als Ganzes beziehen, ist die lex domicilii entscheidend auch für Immobilien, von einem anderen Standpunkt aus ist sie es nicht. In diesem Sinn aber wird die Unterscheidung auch gewiß von keiner Seite bezweifelt werden. Weit wichtiger ist folgender Grund, der nicht selten zur Rechtfertigung der vermittelnden Meinung (unter B. ) gel- tend gemacht wird. Es giebt gewisse Arten von Grund- stücken, sagt man, von welchen Jeder zugiebt, daß bei ihnen die Erbfolge nach der lex rei sitae zu beurtheilen ist; da- hin gehören namentlich Lehen und Fideicommisse. Was nun bei diesen allgemein eingeräumt wird, muß consequenter- weise auch bei allen anderen Grundstücken gelten. — Be- trachten wir diesen Grund etwas genauer. Mit den Lehen und Fideicommissen verhält es sich auf ähnliche Weise, wie mit dem Römischen Niesbrauch: sie gehören nicht zum Vermögen, also auch nicht zur Erbschaft. Der Niesbraucher hat ein lebenslängliches Recht des Frucht- genusses; dieses allein ist in seinem Vermögen, mit dem Tode verschwindet es, also ist in der Erbschaft keine Spur mehr VIII. 20 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. davon vorhanden. Ganz ähnlich das Fideicommiß, und eben so das Lehen. Der Fideicommißbesitzer hat ein lebens- längliches Recht des Fruchtgenusses, mit seinem Tode ver- schwindet dasselbe, und das Gut fällt an den Eigenthümer, die fideicommißberechtigte Familie, zurück; nur nicht so, wie bei dem Niesbrauch, als freies Eigenthum, mit willkürlicher Verfügung durch Theilung oder Verkauf, sondern so, daß das durch die Fideicommißstiftung bezeichnete Familienglied in den durch den Tod frei gewordenen Fruchtgenuß, wiede- rum als in ein lebenslängliches Recht, eintritt. Indem also die Lehen und Fideicommisse, ihrer Natur nach, gar nicht zu einer Erbschaft gehören können, werden sie auch gar nicht berührt von den Erbschaftsgesetzen, weder des Landes, worin der jetzt verstorbene Besitzer wohnte, noch des Landes, worin sie liegen. Es sind specielle Rechtsinstitute an bestimmten, einzelnen Grundstücken, und diese können überall nur von der lex rei sitae beherrscht werden (§ 366. § 368. Num. 5). Wir können diesen Satz auch so aus- drücken: Die Gesetze über die Nachfolge in Lehen und Fidei- commisse sind Realstatute. Oder mit anderen Worten: Jeder Gesetzgeber über Lehen und Fideicommisse will Etwas bestimmen über die in seinem Lande liegenden Güter solcher Art, nicht über die auswärtigen Güter, deren zeitige Be- sitzer nur in seinem Lande wohnen. Etwas verschieden ist das Verhältniß mancher anderen Klassen von Grundstücken, und dennoch ist der Erfolg der- selbe. — Wenn ein Landesgesetz die Erhaltung eines wohl- §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) habenden Bauernstandes dadurch zu befördern sucht, daß es, ohne Einschränkung des Eigenthums und namentlich des Rechts der Veräußerung, nur die Erbfolge in Bauer- güter dahin bestimmt, daß stets der älteste (oder auch der jüngste) Sohn als einziger Erbe eintreten soll, so hat die- ses Gesetz folgende Natur. Es schließt aus die testamen- tarische Erbfolge, die Theilung des Gutes, das Erbrecht der Töchter, so lange Söhne vorhanden sind. Es ist also zwar ein Erbfolgegesetz, hat aber einen politischen, außer dem reinen Rechtsgebiet liegenden, Zweck, und ist daher ein Gesetz von zwingender, streng positiver Natur (§ 349). Ein solches Gesetz ist ein Realstatut, und umfaßt alle im Lande liegenden Bauergüter, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des gegenwärtigen Eigenthümers. Es bezieht sich aber gar nicht auf die Bauergüter, die etwa ein Einwohner des Lan- des im Ausland besitzen möchte. Es will daher nicht, wie gewöhnliche Erbfolgegesetze, dem Vermögen verstorbener Einwohner das angemessenste Schicksal anweisen, sondern es will gewisse Staatszwecke fördern durch das einer be- stimmten Klasse von Grundstücken angewiesene Schicksal. — Aehnliche Bestimmungen, und mit völlig gleichem Erfolg kommen auch bei adeligen Gütern vor, zum Zweck der Er- haltung wohlhabender adeliger Familien. Ein solches Ge- setz war im Herzogthum Westphalen die Erblandesvereini- gung von 1590, welche den Töchtern des Besitzers die Erb- folge in adelige Güter versagte. Ueber die Anwendung dieses Gesetzes entstand im J. 1838 ein merkwürdiger 20* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Rechtsstreit, welcher vom Oberlandesgericht zu Münster, und eben so vom Obertribunal in Berlin, ganz richtig dahin entschieden wurde, daß das Gesetz ein Realstatut sey, anwendbar auf die im Herzogthum liegenden adeligen Güter, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der betheiligten Personen Graf Bocholtz c. Freifrau von Venningen, in: Ulrich und Sommer neues Archiv B. 6 S. 476—512. Die entscheidend- sten Stellen der Urtheilsgründe finden sich S. 481. 507. 508. . Alle hier angeführte Fälle, so verschieden sie an sich seyn mögen, kommen darin überein, daß die Gesetze über die Nachfolge nicht darauf ausgehen, das Vermögen eines Verstorbenen einer angemessenen Richtung zuzuweisen, son- dern vielmehr das Schicksal bestimmter einzelner Grundstücke, oder auch Klassen von Grundstücken, zu regeln; daher müssen sie als Realstatute angesehen werden, nicht als Personalstatute Ganz übereinstimmend er- klärt sich Wächter II. . S. 364. . Die aufgestellte Behauptung steht also gar nicht im Widerspruch mit der oben angegebenen Regel über die Behandlung reiner Erbfolgegesetze, und sie kann also auch nicht dazu benutzt werden, die erwähnte Regel zweifelhaft zu machen. Bei den bisher abgehandelten einzelnen Rechtsverhält- nissen ist stets hingewiesen worden auf den innigen Zu- sammenhang zwischen dem besonderen Gerichtsstand und §. 376. IV. Erbrecht. (Forts.) dem anwendbaren örtlichen Recht (§ 360 Num. 1). Einen solchen Zusammenhang möchte man nun auch bei dem Erb- recht erwarten; dennoch muß er hier entschieden verneint werden, und zwar deswegen, weil für das Erbrecht über- haupt keine andere Örtlichkeit aufgefunden werden kann, als die allgemeine, die in dem Wohnsitz des Erblassers gegründet ist (§ 375). Im Römischen Recht Vgl. Bethmann Holl- weg Versuche S. 61 — 69. Arndt’s Beiträge Num. 2. gab es lange Zeit für die Erbrechtsklage durchaus keinen anderen Gerichtsstand, als im Wohnsitz des Beklagten L. un. C. ubi de hered. (3. 20). Die Worte: „vel si ibi, ubi res hereditariae sitae sunt, degit, sind so zu übersetzen: „die hereditatis petitio gehört aus- schließend in das forum domicilii des Beklagten, und diese Regel ist selbst dann anzuwenden ( vel si ibi etc. ), wenn auch der Beklagte an dem Orte, wo die Erbschafts- sachen liegen, sich einige Zeit auf- hält “ ( si ibi degit ). Arndt’s Beiträge S. 122—124. . Nach Justinian’s Gesetz- gebung sollte sie auch angestellt werden können im forum rei sitae Nov. 69 C. 1, die einen sehr allgemeinen Umfang hat. Die L. 3 C. ubi in rem (3. 19) geht, nach richtiger Auslegung, nur auf die Eigenthumsklage, nicht auf andere Klagen in rem, also auch nicht auf die hereditatis petitio. . Das hat aber nur den Sinn, daß Jeder, der das Recht des Erben dadurch verletzt, daß er irgend eine Erbschaftssache pro herede oder pro possessore besitzt, da belangt werden kann, wo gerade die Sache liegt, das heißt, wo der unrechtmäßige Besitz, der die Rechtsverletzung enthält, ausgeübt wird Die Nov. 69 C. 1 führt den Gerichtsstand stets zurück auf den Ort der Rechtsverletzung. Eben . Es ist aber einleuchtend, daß Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. durch diesen Ort nicht auch das örtliche Recht der Erbschaft bestimmt werden kann, da es möglich ist, daß die Erb- schaftssachen an vielen Orten zerstreut liegen, und von unberechtigten Personen besessen werden. Die Erbschaft im Ganzen aber, oder auch nur der größere Theil derselben, kann auf gar keinen bestimmten Ort mit irgend einer Sicherheit zurückgeführt werden (§ 375), und ein solcher Ort wird auch in keinem Gesetz als Grund eines besonderen Gerichts- standes angegeben. Für die Fideicommisse hat allerdings das Römische Recht einen besonderen Gerichtsstand ange- ordnet, da, wo der größere Theil der Erbschaft liegt S. o. § 370 Noten bb. bis ee. ; allein es versteht sich von selbst, daß diese willkürliche, excep- tionelle Vorschrift für ein ganz vereinzeltes Rechtsinstitut nicht maaßgebend seyn kann für das örtliche Recht der Erb- schaft überhaupt. Manche neuere Gesetzgebungen haben als Gerichtsstand der Erbschaft den Ort festgestellt, wo die Erbschaft eröffnet ist Code de procedure art. 59 „le tribunal du lieu ou la succession est ouverte.“ , welches eben so viel sagt, als den letzten Wohnsitz des Erblassers Preußische Allg. Gerichts- ordnung I. 2 § 121—125. . so sagt L. 3 C. ubi in rem (wenn man diese überhaupt auf die here- ditatis petitio anwenden will): „in locis, in quibus res … constitutae sunt, adversus pos- identem moveri.“ §. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen. §. 377. VI. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen . Wie es oben bei den Obligationen geschehen ist (§ 374), so sollen jetzt auch bei dem Erbrecht einzelne Rechtsfragen aufgestellt werden, die in Beziehung auf das örtliche Recht vorkommen können. Dieselben bedürfen nur da einer beson- deren Erörterung, wo die allgemeine Regel, nach welcher der Wohnsitz zur Zeit des Todes entscheidet, nicht aus- reichend ist Es sind hierbei zu ver- gleichen die über die zeitliche Colli- sion der Erbrechtsgesetze unten auf- zustellende Regeln (§ 393. 395). Die daselbst gegebene genauere Er- örterung über die Natur des Te- staments ist auch hier maaßgebend. . 1. Die persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen Rechtsverhältnisse ist, wie in zwei ver- schiedenen Zeitpunkten Zur Zeit der Errichtung und zur Zeit des Todes (§ 393). , so auch, im Fall des veränderten Wohnsitzes, an zwei verschiedenen Orten erforderlich. Fehlt ihm also diese Fähigkeit nach dem Gesetz des Wohnsitzes, in welchem er das Testament errichtet, so ist und bleibt das Testament ungültig, auch nach verändertem Wohnsitz. Eben so ist es aber auch ungültig, wenn ihm jene Fähig- keit fehlt nach dem Gesetz, welches in dem letzten Wohnsitz zur Zeit des Todes besteht. Der Grund liegt darin, daß der letzte Wille zu betrachten ist als ausgesprochen in zwei verschiedenen Zeitpunkten, und möglicherweise auch an zwei Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. verschiedenen Orten: faktisch zur Zeit der Errichtung, und an dem Orte, der in dieser Zeit der Wohnsitz des Testators ist; juristisch zur Zeit des Todes, und an dem Orte, der in dieser Zeit der Wohnsitz ist (§ 393). 2. Die persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen physische Eigenschaften (z. B. das Alter) richtet sich nach dem zur Zeit des errichteten Testaments am Wohnsitz des Testators geltenden Gesetz, ohne Rücksicht auf spätere Veränderungen des Wohnsitzes. 3. Der Inhalt des Testaments, insbesondere die gesetzliche Gültigkeit oder Ungültigkeit desselben, richtet sich nach dem am letzten Wohnsitz des Testators geltenden Ge- setz. So insbesondere die Regeln über Enterbung, Präter- ition und Pflichttheil. Dasselbe muß behauptet werden von Legaten und Fideicommissen. Zwar beziehen sich diese auf einzelne, begränzte Gegenstände, und man könnte daher annehmen wollen, daß auf sie die lex rei sitae anwendbar seyn möchte. In der That aber sind diese Rechtsinstitute nur einzelne, untergeordnete Modificationen der gesammten Erbschaft, die nur von ihrem Standpunkt aus richtig be- urtheilt werden können. Jede absondernde Behandlung würde zu den größten Widersprüchen führen können. Ausnahmen können eintreten durch entgegen stehende zwingende Gesetze. Wenn also durch Testament ein Fami- lienfideicommiß errichtet wird für ein Gut, das in einem fremden Lande liegt, dessen Gesetz Fideicommisse nicht aner- kennt, so entscheidet das für den urtheilenden Richter §. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen. geltende Gesetz, welches hier auf die Ungültigkeit der An- ordnung führt. Die Auslegung des Testaments steht unter ähnlichen Regeln, wie die Auslegung der Verträge (§ 374. B ). Diese Regeln werden hier meist auf den letzten Wohnsitz des Erblassers zurück weisen Foelix p. 171. . 4. Die persönliche Fähigkeit der zur Erbschaft im Ganzen, oder zu einem einzelnen Stück der Erbschaft, be- rufenen Personen (Erben oder Legatare) ist in der Regel nach ihrem Wohnsitz, nicht nach dem des Erblassers zu beurtheilen, und zwar nach dem Wohnsitz, den sie zur Zeit des Todes des Erblassers haben, zu welcher Zeit ihnen das Successionsrecht deferirt wird. Ausnahmen können eintreten, da wo Gesetze von zwin- gender Natur in Betracht kommen. Ist z. B. der einge- setzte Erbe durch den bürgerlichen Tod oder durch Ketzerei nach dem Gesetz seines Wohnsitzes zur Erbfolge unfähig, welches Hinderniß anderwärts nicht anerkannt wird, oder steht ein beschränkendes Gesetz über den Erwerb von Seiten der todten Hand im Wege, so ist nicht das am Wohnsitz des Erben, sondern das am Ort des urtheilenden Richters geltende Gesetz anwendbar, welches sehr häufig mit dem Wohnsitz des Erblassers zusammen fallen wird (§ 349. 365). 5. Von der Form des Testaments wird unten, bei der Regel: locus regit actum, die Rede seyn (§ 381). Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. 6. Wenn das Gesetz des Ortes, an welchem der Testa- tor zur Zeit der Errichtung seinen Wohnsitz hat, Testamente gar nicht anerkennt, so ist und bleibt das da errichtete Te- stament ungültig. Eben so ist das Testament ungültig, wenn das am letzten Wohnsitz geltende Gesetz Testamente nicht anerkennt. Es gelten also in dieser Hinsicht dieselben Regeln, welche oben über die juristische Fähigkeit der Person des Testators aufgestellt worden sind (Num. 1). 7. Die Intestaterbfolge richtet sich nach dem Gesetz, welches am letzten Wohnsitz des Testators zur Zeit des Erbanfalls besteht Ueber die nähere Bestimmung dieses Zeitpunktes vgl. unten § 395. . Dieses gilt namentlich von der gesetzlichen Reihefolge der berufenen Intestaterben. Es gilt aber eben so von den Bedingungen der Verwandtschaft überhaupt, also von dem Daseyn ehelicher Verwandtschaft, so wie von der Legitimation Wächter II. S. 364. . 8. Erbverträge sind dem Römischen Recht fremd. Wo sie vorkommen, gelten für sie ähnliche Regeln, wie für die Testamente. Der einseitige Erbvertrag ist nach dem am Wohnsitz des Erblassers geltenden Gesetz zu beurtheilen. Eben so aber auch gegenseitige Erbverträge; welcher von beiden Theilen als Erblasser zu betrachten ist, hängt von dem zu- fälligen Umstande ab, wer zuerst stirbt. Diese Regel folgt aus der Analogie der Testamente. Sie erscheint aber nicht §. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen. minder begründet, wenn man dabei das örtliche Recht der Verträge als maaßgebend ansehen will. Denn für das Vermögen als Ganzes kann nur der Wohnsitz des Verstor- benen als Erfüllungsort des Erbvertrages angesehen werden. Wenn an einem dieser Orte die Gesetze über Erbver- träge geändert werden, so entscheidet lediglich das zur Zeit des geschlossenen Vertrags geltende Gesetz (§ 395). 9. Das Recht auf einen erblosen Nachlaß ( bona va- cantia ) ist stets als Surrogat des Erbrechts anzusehen, also gleichfalls nach dem Gesetz des Wohnorts des Erblassers zu bestimmen, ohne Rücksicht auf die Lage der Vermögens- stücke, selbst des auswärtigen unbeweglichen Vermögens. Insbesondere nach dem Römischen Recht ist das Succes- sionsrecht des Fiscus zwar nicht hereditas zu nennen, wohl aber ganz nach den Grundsätzen derselben zu behandeln, so daß der Fiscus selbst zu Legataren und Fideicommissaren ganz in dasselbe Verhältniß, wie ein wahrer Erbe, treten kann Glück Intestaterbfolge § 147. 150. Puchta Pandekten §. 564. . — An sich verschieden von dieser, allein hierher gehörenden, Frage nach dem anwendbaren örtlichen Recht über die bona vacantia, ist die Frage, welchem Fiscus der Anspruch auf dieselben zusteht, dem Fiscus des Wohn- sitzes, oder dem der gelegenen Sache. Denn diese Frage kann unter zwei Ländern entstehen, die gleichmäßig das Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Römische Recht anerkennen. Auch diese Frage muß zum Vortheil des Fiscus entschieden werden, in dessen Ge- biet der Wohnsitz liegt, aus demselben Grunde, der für das örtliche Recht geltend gemacht wurde, nämlich weil dieses Recht des Fiscus die juristische Natur eines Erb- rechts, und nur nicht den Namen desselben, hat Glück Intestaterbfolge §. 149. . §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht . Schriftsteller : Bornemann Preußisches Recht Ausg. 2. B. 1. S. 54—62. Rintelen Abhandlung in Kamptz’s Jahrbüchern B. 30. S. 89 fg. Koch Preußisches Recht B. 1. § 40. Num. II. Ergänzungen ꝛc. von Gräff ꝛc. (Fünfmännerbuch) Ausg. 2. B. 1. S. 116—121. Es hat sich in neuerer Zeit lebhafter Streit erhoben über die Frage, welches örtliche Recht die Preußische Ge- setzgebung dem Erbrecht zum Grund lege: ob allgemein das Recht des Wohnsitzes des Erblassers (wie es die zwei §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht. letzten unter den angeführten Schriftstellern behaupten), oder vielmehr bei unbeweglichen Vermögensstücken das Recht der gelegenen Sache (nach den zwei ersten Schrift- stellern). Betrachten wir die Sache blos vom Standpunkt allge- gemeiner Grundsätze aus, so müssen wir unbedenklich den Wohnsitz als allgemeine Grundlage annehmen, übereinstim- mend mit dem Römischen Recht. Denn diese Annahme folgt streng und nothwendig aus dem Römischen Begriff der Universalsuccession (§ 375); dieser Begriff aber wird nicht etwa von uns der Preußischen Gesetzgebung untergeschoben, sondern er liegt unzweifelhaft dem gesammten Preußischen Erbrecht zum Grunde. Wäre es also anders nach bestimm- ten Preußischen Gesetzen, so könnten wir darin doch höch- stens eine Inconsequenz erkennen. Der ganze Streit dreht sich in der That um die Erklä- rung folgender Stelle des allgemeinen Landrechts (Einlei- tung § 32): In Ansehung des unbeweglichen Vermögens gel- ten, ohne Rücksicht auf die Person des Eigen- thümers, die Gesetze der Gerichtsbarkeit, unter welcher sich dasselbe befindet. Wenn man dieser sehr abstract gefaßten Vorschrift die höchste Ausdehnung giebt, deren die Worte empfänglich sind, so kann allerdings der von den Gegnern behauptete Sinn in dieselbe gelegt werden. Es fragt sich aber, wel- cher Sinn in ihr nach richtiger Auslegung zu finden ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zunächst ist anzunehmen, daß in dieser Vorschrift gar nicht an die Succession von Todes wegen, sondern nur an den Verkehr unter Lebenden gedacht worden ist Dieses ist auch die Meinung von Koch Preußisches Recht § 40 Note 12, wo nur durch Druckfehler § 23 anstatt § 32 steht. . Dafür spricht folgende Fassung der entsprechenden Stelle in dem vorhergehenden gedruckten Entwurf (Einleitung § 30): Was die Provinzialgesetze und Statuten in An- sehung der liegenden Gründe verordnen, ist auf alle in der Provinz oder unter der ordentlichen Obrigkeit des Orts gelegene Grundstücke anzu- wenden; ohne Rücksicht auf den Ort, wo der Besitzer wohnt, oder der Vertrag darüber geschlos- sen worden. Hier ist augenscheinlich blos an den Verkehr unter Le- benden gedacht. Nun könnte man annehmen wollen, der veränderte Ausdruck im Landrecht deute gerade auf die Ab- sicht einer weiteren Ausdehnung des Objects der Vorschrift. Allein wäre dieser Zweck beabsichtigt worden, so hätte man denselben gewiß bestimmter angedeutet. Ohne Zweifel be- ruht der veränderte Ausdruck nur auf dem überall im Land- recht sichtbaren Streben, einen vermeintlich reineren Ge- schmack vermittelst eines möglichst abstracten Ausdrucks an den Tag zu legen. Aber selbst wenn wir in der Auslegung der Stelle die Beschränkung auf den Verkehr unter Lebenden aufgeben und das Gebiet der Succession von Todes wegen mit her- §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht. ein ziehen wollten, so würde doch noch eine andere, selbst in ihren Worten liegende, wichtige Beschränkung übrig bleiben. Sie spricht doch augenscheinlich nur von „Statuten in Ansehung der liegenden Gründe“, von Gesetzen, die „ in Ansehung des unbeweglichen Vermögens“ gelten sollen. Welche Gesetze sollen durch diesen Ausdruck bezeichnet seyn? Ganz offenbar die wahren Realstatuten , die principaliter auf unbewegliche Sache sich beziehen, welcher Begriff dem Landrecht, wie es auch unsere gegenwärtigen Gegner ein- räumen, sehr bekannt und geläufig ist (§ 361. t ). Diese Eigenschaft aber können wir unmöglich einem Gesetz über die gewöhnliche Intestaterbfolge blos deswegen zuschreiben, weil in dem Vermögen unter andern und zufällig auch Grundstücke enthalten seyn können, woran jenes Gesetz gar nicht denkt. Dagegen ist diese Eigenschaft allerdings vor- handen bei gewissen, die Succession von Todes wegen be- treffenden Gesetzen, nämlich bei den Gesetzen über die Nach- folge in Lehen, Fideicommisse u. s. w. (§ 376). Die Ge- setze über diese Nachfolge sind in der That wahre Real- statuten, und wenn wir auf sie die vorliegende Stelle be- ziehen, so handeln wir ihrem wahren Sinne gemäß, die Verfasser mögen dabei an diesen besonderen Gegenstand ge- dacht haben oder nicht. Auch unser hauptsächlicher Gegner erklärt, daß er früher die Stelle in dieser Beschränkung aufgefaßt, und erst späterhin weiter ausgedehnt habe Bornemann S. 61. . Nur würde es ganz irrig seyn, in dieser Beschränkung etwa Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. eine dritte, vermittelnde Meinung annehmen zu wollen. Vielmehr liegt darin eben unsere ganze, vollständige Mei- nung, da Niemand daran denkt, die Nachfolge in Lehen, Fideicommisse u. s. w. von der lex rei sitae auszuschließen. Die einzige Streitfrage ist die, ob in Ansehung der gewöhn- lichen, reinen Intestaterbfolge auf die unbeweglichen Theile des Vermögens die lex rei sitae angewendet werden soll (wie die Gegner wollen) oder nicht (wie wir behaupten). Ein besonders wichtiger Grund aber, unsre Auslegung nicht blos für räthlich und wünschenswerth in ihren Folgen, sondern auch für wahr anzunehmen, liegt in der ungemei- nen praktischen Schwierigkeit der Ausführung, die mit der entgegengesetzten Auslegung verbunden seyn würde. — Ein Beispiel möge diese Schwierigkeit anschaulich machen. Ein Einwohner von Berlin stirbt ohne Testament, und hinter- läßt eine Wittwe und mehrere nahe Verwandte verschiede- ner Art. Das Vermögen besteht aus einem Landgut bei Berlin, einem Landgut in Schlesien, einem Hause in Ehren- breitstein, einem Hause in Coblenz; daneben hat er viele persönliche Schulden, die natürlich auf allen Theilen des Vermögens haften. Nach der Meinung der Gegner müß- ten auf die Erbfolge in die Grundstücke nicht weniger, als Vier Gesetze zur Anwendung kommen, die auf ganz ver- schiedene Erben führen können: in der Mark Branden- burg die Joachimica von 1527 Corpus constitut. Marchicarum von Mylius Th. 2. Abth. 1 S. 19. , mit dem Anspruch der §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht. Wittwe auf die Hälfte des zusammengeworfenen Vermögens beider Ehegatten, in Schlesien das allgemeine Landrecht Seit dem Gesetz vom 11. Juli 1845, welches alle Schlesischen Provinzialgesetze über das Erbrecht aufgehoben hat. , in Ehrenbreitstein das Römische Recht, in Coblenz das Französische Recht, so daß in der That Vier verschiedene Erbschaften entstehen würden. Den Glaubigern ist es nun ganz einerlei, wer Erbe wird, wenn sie nur befriedigt wer- den; das ist aber nicht möglich, bevor durch gerichtliche Taxen der Werth jedes Grundstücks, also dessen Verhältniß zum gesammten Vermögen, festgestellt ist. Unser Gegner meint zwar, diese Schwierigkeiten dürften uns nicht ab- schrecken Bornemann S. 62. . Das ließe sich hören, wenn davon die Rede wäre, dem Richter Mühe und Zweifel zu ersparen; allein die Schwierigkeiten und Nachtheile treffen die Parteien, insbesondere die Glaubiger, und warum sollen diese damit belastet werden? Nicht etwa zur Aufrechthaltung eines sicheren Rechtsgrundsatzes, sondern zum Schutz der buch- stäblichen Auslegung eines Paragraphen des Landrechts, von welchem die Gegner mindestens zugeben müssen, daß er auch noch eine andere Auslegung zuläßt. Gerade in diesem Umstand aber sehe ich den wichtigsten Grund für die Richtigkeit unserer Auslegung, da es gewiß nicht wahr- scheinlich ist, daß der Gesetzgeber die Absicht gehabt haben sollte, einen Grundsatz aufzustellen, der die Betheiligten, VIII. 21 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. insbesondere die Glaubiger, in ganz unnütze Noth ver- wickeln mußte. Dieser rein praktische Grund scheint mir weit erheblicher, als der von den Gegnern geltend gemachte, daß zur Zeit, als das Landrecht abgefaßt wurde, die ent- gegengesetzte Lehre in der Praxis herrschend war, ein An- schließen an diese Praxis aber in dem Gesetz angenommen werden müsse, wo nicht eine Abweichung von derselben deutlich ausgesprochen würde Es ist besonders zu be- merken, daß kurz vor Abfassung des Landrechts Pufendorf , der doch auch ein Praktiker war, die Verkehrtheit jenes Systems sehr gründlich dargestellt hatte (§ 376. h ). . Es kommen daneben noch folgende einzelne Stellen un- serer Gesetzgebung in Betracht. 1. Ueber die Intestaterbfolge unter Ehegatten wird im Allgemeinen vorgeschrieben, daß das am Wohnsitz des Ver- storbenen geltende örtliche Gesetz zur Anwendung kommen soll A. L. R. II. 1 § 495. , und ein späterer Zusatz zu dieser Stelle lau- tet so: Anhang § 78. Von dieser Bestimmung macht auch das unbewegliche Vermögen der Eheleute keine Ausnahme, ob dieses sich gleich unter einer anderen Gerichtsbarkeit befindet. Nichts ist einfacher und natürlicher, als dieses Gesetz für eine einzelne Anwendung unsers Grundsatzes anzusehen, und also eine Bestätigung dieses Grundsatzes darin zu fin- den. Unsere Gegner sehen darin eine beabsichtigte Aus- §. 378. IV. Erbrecht. Preußisches Recht. nahme der von ihnen angenommenen Regel, suchen aber vergeblich diese Absicht aus der Entstehungsgeschichte der Stelle herzuleiten Bornemann S. 58—60. Der § 78 des Anhangs ist ent- nommen aus einer Entscheidung der Gesetzcommission von 1794. Diese aber war veranlaßt durch eine Anfrage der Regierung zu Cleve, worin beiläufig die irrige Lehre für andere Fälle als wahr dargestellt wurde. Die Gesetzcom- mission gab ihre Entscheidung, ohne auf die Ausführung der Gründe einzugehen, und dadurch soll sie stillschweigend die falsche Meinung der Regierung zu Cleve gebilligt, und die Entscheidung selbst als bloße Ausnahme aner- kannt haben. Die Aktenstücke sind abgedruckt in Klein’s Annalen B. 13 S. 3 — 6. . 2. Nach der Meinung der Gegner müßten oft mehrere Erbschaften desselben Erblassers angenommen werden; in dem oben angegebenen Beispiel Vier Erbschaften. Dann wäre es consequent, für jede derselben einen besonderen Gerichtsstand anzuordnen, da wo die einzelnen Grundstücke liegen. Das Preußische Gesetz aber nimmt überall nur Einen Gerichtsstand der Erbschaft an, am letzten Wohnsitz des Verstorbenen Allg. Gerichtsordnung I. 2 § 121. , ohne den Fall auswärts liegender Grundstücke auszunehmen. Darin erkennt sie an, daß stets nur Eine Erbschaft vorkommen kann. 3. Wenn Jemand einen Erben einsetzt, und demselben mehrere Personen ohne weitere Bestimmung substituirt, welche die Intestaterben des eingesetzten Erben seyn wür- den, so soll die Substitution so ausgelegt werden, daß sie sich nach den Regeln der Intestaterbfolge richte, und diese 21* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Intestaterbfolge soll beurtheilt werden nach dem am Wohnsitz des eingesetzten Erben geltenden Gesetz A. L. R. I. 12 § 536. 537. . Dabei ist au- genscheinlich vorausgesetzt, daß ausschließend der Wohnsitz die Intestaterbfolge bestimme, ohne Ausnahme der etwa auswärts liegenden Grundstücke Bornemann S. 60 sucht diesen Grund zu entkräften durch die dem Testator ganz willkürlich nntergeschobene Absicht, er habe nur einen einzigen Substituten zulassen wollen. . Zum Schluß ist noch zu bemerken, daß die meisten Schriftsteller die hier vertheidigte Lehre annehmen Diese Thatsache wird aner- kannt von Bornemann S. 54. , und eben so auch die meisten Gerichte Anerkannt von Borne- mann S. 62. Dahin gehört ein sehr gründliches Urtheil aus Glo- gau von 1828 (Fünfmännerbuch S. 118. 119). Auch stimmt mit der richtigen Lehre ganz überein das oben § 376. m angeführte Ur- theil, obgleich daselbst in die Ur- theilsgründe manches Unrichtige eingemischt worden ist. . §. 379. V. Familienrecht . A. Ehe . Das Familienrecht hat am meisten Aehnlichkeit mit dem Zustand der Person an sich (Rechtsfähigkeit und Handlungs- fähigkeit § 362), und unterscheidet sich wesentlich von den Verhältnissen des Vermögens, welche die Person mit äußer- lichen, willkürlich gewählten Gegenständen in Verbindung bringen S. o. B. 1 § 53. . — Auf der anderen Seite haben theils sittlich religiöse, theils politische Rücksichten großen Einfluß auf §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. dasselbe, weshalb vorzugsweise in diesem Gebiete Gesetze von einem zwingenden, streng positiven Charakter vor- kommen. A. Ehe . Ueber den wahren Sitz des ehelichen Verhältnisses ist kein Zweifel; er ist anzunehmen an dem Wohnsitz des Ehe- mannes, der nach den Rechten aller Völker und aller Zei- ten als das Haupt der Familie anerkannt werden muß L. 5 de ritu nupt. (23.2) „.. deductione enim opus esse in mariti, non in uxoris domum, quasi in domicilium matrimonii.“ Darin liegt weder eine eigenthümlich Römische Be- stimmung, noch überhaupt eine positive Vorschrift, sondern nur die gelegentliche Anerkennung eines aus dem allgemeinen Wesen der Ehe hervorgehenden Verhältnisses. . Daher muß denn auch das örtliche Recht jeder Ehe hier- nach bestimmt werden, und der Ort, wo etwa außer dem Wohnsitz die Ehe durch Trauung geschlossen seyn mag, ist dabei ganz gleichgültig Huber § 10. Story § 191 — 199. . Manche haben diesen letzten Satz deswegen bezweifelt, weil sie die Ehe als obligatorischen Vertrag betrachteten, bei solchen Verträgen aber den Ort des Abschlusses als maaßgebend für das örtliche Recht zu betrachten gewohnt waren. Die erste dieser beiden Ansichten ist falsch, da die Ehe mit den obligatorischen Verträgen Nichts gemein hat. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Wäre sie aber auch richtig, so würde sie uns dennoch nicht auf den Entstehungsort der Ehe als Bestimmungsgrund für das örtliche Recht derselben führen, sondern vielmehr auf den Erfüllungsort (§ 372). Als Erfüllungsort aber für die aus der Ehe hervorgehenden Verpflichtungen kann sicherlich nur der Wohnsitz des Ehemannes gelten. Von diesem Standpunkt aus ist nunmehr eine Reihe einzelner Rechtsfragen in Beziehung auf die Ehe zu un- tersuchen. 1. Die Bedingungen der Möglichkeit der Ehe, oder (von der umgekehrten Seite betrachtet) die Ehehindernisse, gründen sich theils auf die persönlichen Eigenschaften jedes der beiden Ehegatten für sich, theils auf das Verhältniß der- selben zu einander. Nach allgemeinen Grundsätzen nun möchte man annehmen, daß die persönliche Fähigkeit der Frau nach dem Gesetz ihrer Heimath zu beurtheilen wäre (§ 362). Allein gerade die hier einschlagenden Gesetze, die auf sittlichen Rücksichten beruhen, haben eine streng positive Natur, und daher sind die in dem Wohnsitz des Mannes geltenden Ehehindernisse schlechthin bindend, ohne Rücksicht auf die vielleicht abweichenden Gesetze in der Heimath der Frau, oder in dem Ort, an welchem die Trauung vorge- nommen wird. Diese Regel gilt namentlich für die verbo- tenen Verwandtschaftsgrade, und die in dem religiösen Ver- hältniß gegründeten Hindernisse Wächter II. S. 185. 187. Schäffner § 102. 103. Die Praxis mehrerer Länder ist über diesen Punkt sehr verschieden. Story § 79 fg. . §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. 2. Die zum Abschluß der Ehe nöthigen Förmlichkeiten richten sich nicht nothwendig nach dem eben erwähnten Orte Davon wird weiter unten (§ 381) die Rede seyn. 3. Besonders wichtig und bestritten ist die Frage, nach welchem Gesetze das eheliche Güterrecht zu beurtheilen ist, indem gerade hierin die Gesetze so sehr von einander ab- weichen. Es ist für jeden einzelnen Fall hauptsächlich zu entscheiden zwischen dem (Römischen) Dotalrecht, und der (Germanischen) Gütergemeinschaft. Das erste aber findet sich bald rein Römisch, bald mit Modificationen, die in Deutschland sehr verbreitet sind. Eben so kommt die Gü- tergemeinschaft in den verschiedensten Abstufungen vor. Der Grundsatz nun ist von keiner Seite bestritten, daß sich das eheliche Güterrecht richtet nach dem Wohnsitz des Ehemannes P. Voet . Sect. 9. C. 2 § 5. 6. Wächter II. S. 47. Foelix p. 127. , nicht nach dem Ort, wo die Ehe abge- schlossen worden ist. Allein innerhalb dieses Grundsatzes finden sich zwei große Meinungsverschiedenheiten. Erstlich behaupten Viele, daß dieser Grundsatz nicht gelte bei auswärts liegenden Grundstücken, welche vielmehr nach der lex rei sitae beurtheilt werden müßten P. Voet . Sect. 4 C. 3 § 9. I. Voet . in Pand. XXIII. 2 § 60. Hommel rhaps. Obs. 175. 409 N. 15. Story § 186. 454. . Der richtigern Meinung nach ist die lex domicilii auch auf die auswärtigen Grundstücke zu beziehen Hert . § 46. Wächter II. S. 48. Foelix p. 127 — 129. Schäffner § 106. 107. Damit stimmt überein das Preußische Allg. Landrecht II. 1 § 365—369. . — Da hier die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Ortliche Gränzen. Entscheidung eben so ausfällt, wie oben bei dem Erbrecht, so könnte man auf den Gedanken kommen, auch eine ähn- liche Begründung, vermittelst der Zurückführung auf eine Universalsuccession, zu versuchen (§ 376). Eine solche aber darf bei keinem der hier einschlagenden Rechtsinstitute an- genommen werden, namentlich nicht bei der auf das ganze Vermögen der Frau gerichteten Dos. Der wahre Grund liegt vielmehr darin, daß die Wahl des örtlichen Rechts vorzugsweise auf freie Unterwerfung zurückgeführt werden muß (§ 360. Num. 2), daß es aber gewiß nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, die Ehegatten hätten die Einrichtung ihrer Vermögensverhältnisse von dem ganz zufälligen Umstand abhängig machen wollen, ob etwa ein Theil des Vermögens in auswärts liegenden Grund- stücken bestehe. Die daraus möglicherweise hervorgehende Verschiedenheit des Güterrechts an verschiedenen Vermö- genstheilen könnte zu den größten Verwickelungen und Un- gewißheiten führen, und ist daher gewiß nicht als die wahr- scheinliche Absicht der Parteien anzusehen. Eine zweite Streitfrage betrifft den Fall, wenn während der Ehe der Wohnsitz des Ehemannes verändert wird Die Erörterung dieser wichtigen Streitfrage gehört zur Erledigung des oben § 344 e gemachten Vorbehalts. . Hier geht eine erste Meinung dahin, daß das örtliche Recht des anfänglichen Wohnsitzes für alle Zeiten bestim- mend bleibe, und also nicht durch die Wahl des neuen §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. Wohnsitzes geändert werden könne. Der Grund wird meist darin gesetzt, daß in der Eingehung der Ehe der stillschwei- gende Vertrag enthalten sey, das Güterrecht nach dem an dem gegenwärtigen Wohnsitz geltenden Gesetz unabänderlich einrichten zu wollen P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 7. I Voet. in Pand. XXIII. 2 § 87. Hert. § 48. 49. Pufen- dorf II. Obs. 121. Wächter II. S. 49—55. Schäffner § 109— 114. Foelix p. 130—132. Bü- low und Hagemann Erör- terungen B. 6 Num 24. Pfeiffer praktische Ausführungen B. 2 Num. 6. Urtheile der Gerichte von Celle (1836) und München (1845) bei Seuffert Archiv B. 1 N. 152. . Diese Meinung halte ich für richtig; der angegebene Grund wird noch näher geprüft werden. Eine zweite Meinung verneint die Annahme eines still- schweigenden Vertrags, und läßt das eheliche Güterrecht lediglich aus dem am Wohnsitz geltenden Gesetz entstehen. Daraus wird gefolgert, daß im Fall eines neu gewählten Wohnsitzes auch das Gesetz dieses neuen Wohnsitzes ent- scheiden müsse, daß also jeder Wechsel ein anderes Güter- recht zur Folge haben könne Eichhorn deutsches Recht § 35. g. § 307. d. § 310. e. f. Story § 187. Andere Schriftsteller werden angeführt von Wächter II. S. 49. . Eine dritte, vermittelnde Meinung endlich verwirft, so wie die zweite, die Annahme des stillschweigenden Vertrags, und läßt gleichfalls nur das Gesetz des zu jeder Zeit vor- handenen Wohnsitzes entscheiden, jedoch mit der Maaßgabe, daß das bei der Gründung der Ehe einmal erworbene Vermögen unverändert bleibe (als jus quaesitum ), und nur Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. der künftige Erwerb durch das Gesetz des neuen Wohnsitzes geregelt werden soll Kierulff S. 78. 79. (am Schluß der ganzen Note). Puchta Pandekten § 113 und: Vorlesungen § 113. Vgl. darüber Wächter II. S. 50 (Note 264), und S. 54; er selbst bekennt sich zu der ersten Meinung (Note h ). . Prüfen wir etwas näher die Gründe dieser Meinungen. — Für die erste spricht unzweifelhaft ein unbefangenes Rechtsgefühl. Als die Ehe geschlossen werden sollte, stand es ganz sicher in dem freien Willen der Frau, die Ehe entweder ganz zu unterlassen, oder an gewisse, das Ver- mögen betreffende, Bedingungen zu knüpfen. Sie hat kei- nen solchen Vertrag geschlossen, vielmehr das durch das Gesetz des Wohnsitzes bestimmte Güterrecht gelten lassen, natürlich also auf dessen stete Fortdauer gerechnet. Jetzt verändert der Mann mit einseitiger Willkür den Wohnsitz, wozu er unstreitig berechtigt ist, und es soll nun ein ganz anderes Güterrecht für diese Ehe herbeigeführt werden. Ist damit die Frau zufrieden, so ist unsre ganze Streitfrage weniger wichtig, da ja auch durch Vertrag eine Aenderung des Güterrechts hätte bewirkt werden können. Die Frage ist aber wichtig, wenn die Veränderung der Frau nach- theilig, und die Frau damit nicht zufrieden ist. Gerade um diese, durch Nichts zu rechtfertigende, einseitige Macht des Mannes über die Rechte der Frau auszuschließen, wurde von den Vertheidigern der ersten Meinung das Da- seyn eines stillschweigenden Vertrages angenommen. Daran §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. nahmen die Gegner Anstoß, und nicht ganz ohne Grund. Es läßt sich aber dasselbe Ziel erreichen, auch wenn man den stillschweigenden Vertrag aufgiebt. Unter einem Ver- trag, dem stillschweigenden wie dem ausdrücklichen, verste- hen wir eine übereinstimmende Willenserklärung, die nicht ohne bestimmtes Bewußtsein beider Theile denkbar ist S. o. B. 3 § 140. . Fragen wir nun, ob bei der Eingehung einer Ehe stets ein bestimmtes Bewußtsein beider Theile, besonders der Frau, über das Güterrecht Statt gefunden hat, so müssen wir Das allerdings verneinen, und daher ist die allgemeine Annahme eines stillschweigenden Vertrags unbegründet. Allein eine freie Unterwerfung, als Begründung des ört- lichen Rechts, die auch auf negative Weise, als bloßer Nichtwiderspruch, denkbar ist (§ 360. Nr. 2), müssen wir allgemein annehmen; diese ist für das örtliche Recht des neuen Wohnsitzes in dem oben vorausgesetzten Fall der Meinungsverschiedenheit durchaus nicht vorhanden, und so müssen wir für diesen Fall die Aenderung des Gü- terrechts , zu deren Annahme es an einem hinreichenden Grunde fehlt, verneinen, selbst von dem Standpunkt der Gegner aus, die das Gesetz, und nicht den Vertrag, als Bestimmungsgrund für das örtliche Recht ansehen. So kommen wir in der That, nur auf einem anderen Wege, auf dasselbe Ziel, worauf die Annahme des stillschweigen- den Vertrags führen sollte Diese Begründung der ersten Meinung, die vielleicht den Widerspruch mancher bisherigen . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Es wurde hierbei der Fall vorausgesetzt, daß die Aende- rung des Güterrechts durch Veränderung des Wohnsitzes zum Nachtheile der Frau gereiche, und daher ihrem Willen entgegen sey. Allein dieser Fall, in welchem die ungerechte Folge der entgegenstehenden Meinung freilich am schärfsten hervortritt, ist keineswegs der einzige. Wenn ein Beamter in einen Landestheil versetzt wird, worin ein anderes ehe- liches Güterrecht gilt, so ist auch für ihn die Veränderung des Wohnsitzes unfreiwillig, und vielleicht für beide Ehe- gatten die Aenderung des Güterrechts unerwünscht. Sie würden aber diese Aenderung, je nach dem Inhalte des örtlichen Rechts, vielleicht gar nicht, vielleicht nur durch lästige und kostspielige Verträge abwenden können. Folgende Betrachtung wird die hier versuchte Begrün- dung noch deutlicher hervor treten lassen. Wenn ein Ge- setz das Güterrecht der Ehegatten bestimmt, so fragt es sich zunächst, für welche Personen dasselbe zu verfügen die Ab- sicht hat. Ganz gewiß denkt der Gesetzgeber an alle Ehen, die in seinem Bereich gegründet werden, und für diese will Gegner beseitigen dürfte, findet sich schon bei Schäffner § 114. — Man könnte etwa den Unter- schied der Auffassungen, und die hier dargebotene Vermittlung, so bezeichnen, daß man dem am Ort des ursprünglichen Wohnsitzes gel- tenden Recht nicht sowohl die Natur eines stillschweigenden, als eines fingirten Vertrags zuschriebe, ähnlich dem pignus tacite con- tractum, wobei es auch nicht auf ein bestimmtes Bewußtseyn der Parteien ankommt. Es ist dieses nur ein anderer Ausdruck; das Wesen der Sache besteht in dem bestimmten Recht jeder Partei, un- abhängig von der Willkür der andern. §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. er Das vorschreiben, welches er theils an sich für das Zu- träglichste hält, theils der bisherigen Sitte des Landes ent- sprechend findet. Will er aber diese Regel auch den an- derwärts begründeten, bei ihm neu einwandernden Ehen aufdrängen? Dazu ist ein hinreichender Grund nicht vor- handen, besonders im Widerspruch mit dem so eben näher entwickelten Bedenken. Wenn aber das Gesetz, seiner wahr- scheinlichen Absicht nach, auf die einwandernden Ehen gar nicht zu beziehen ist, so hat für diese der von den Gegnern aufgestellte Grund alle Kraft verloren. Giebt man die hier aufgestellten Gründe als richtig zu, so ist damit die zweite der oben aufgestellten Meinungen, und eben so auch die dritte, völlig widerlegt. Die zweite aber erscheint noch besonders hart und ungerecht in Beziehung auf das schon erworbene Vermögen. Wenn an einem Orte, dessen Gesetz die allgemeine Güter- gemeinschaft ausgedehntester Art als Regel aufstellt, eine Ehe begründet wird von einem reichen Mann mit einer armen Frau, so wird durch den Abschluß der Ehe das Vermögen gemeinschaftlich. Wird nachher von dem Manne der Wohnsitz an einen Ort verlegt, an welchem das Dotal- recht als Regel gilt, so müßte die Frau, nach der zweiten Meinung, den ihr bereits erworbenen Antheil am Vermögen augenblicklich, und wider ihren Willen, verlieren. Gerade um diesem schreienden Erfolg zu begegnen, ist die dritte, vermittelnde, Meinung aufgestellt worden. Allein abgesehen davon, daß dieselbe durch die oben aufgestellten Gründe Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. gleichfalls widerlegt wird, leidet sie auch an den gewöhn- lichen Mängeln halber Maaßregeln. Läßt man das eheliche Güterrecht für das schon vorhandene Vermögen durch den alten Wohnsitz, für den künftigen Erwerb durch den neuen beherrschen, so können dadurch Verwicklungen und Wider- sprüche entstehen, die sich gar nicht voraus übersehen lassen, und die eben so wenig dem Vortheil, als den Wünschen der Ehegatten entsprechen möchten. Allerdings würde die zweite Meinung angenommen werden müssen, wenn etwa in dem neuen Wohnsitz ein eheliches Güterrecht von streng positivem, ausschließendem Inhalt bestehen sollte. Dieses würde anzunehmen seyn, wenn daselbst ein Gesetz des Inhalts gegeben wäre, daß durchaus nicht geduldet werden solle, eine Ehe anders als nach Dotalrecht zu begründen, oder, wenn sie anderwärts be- gründet war, hier fortzuführen; oder auch anders als nach dem Recht der Gütergemeinschaft Wächter II. S. 55. 362. § 350—355. . Ob überhaupt solche Gesetze vorhanden sind, mag dahin gestellt bleiben. Das Preußische Gesetz erkennt im Allgemeinen die hier vertheidigte Meinung an, nach welcher das örtliche Recht des bei dem Anfang der Ehe bestehenden Wohnsitzes auch für alle künftige Zeit entscheiden soll, nur mit zwei unter- geordneten Modificationen für den Fall, wenn eine mit Dotalrecht angefangene Ehe an einen neuen Wohnsitz, in welchem Gütergemeinschaft gilt, verlegt wird Allg. Landrecht II. 1 . §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. 4. Eine besondere Rücksicht verdienen die Gesetze, wo- durch die Liberalität eines Ehegatten gegen den andern ein- geschränkt werden soll, wohin insbesondere das im Römischen Recht enthaltene Verbot aller Schenkungen unter Ehegatten gehört. In dieser Hinsicht entscheidet das Gesetz des Wohn- sitzes; hier aber nicht das des ursprünglichen Wohnsitzes, sondern vielmehr des Wohnsitzes, zu dessen Zeit die Hand- lung vorgenommen wurde. Der Grund dieser, von der vorhergehenden abweichenden, Entscheidung liegt darin, daß Gesetze dieser Art auf Erhaltung der sittlichen Reinheit der Ehe abzwecken, also einen streng positiven Charakter an sich tragen (§ 349). Vergleichen wir diesen Fall mit dem vor- her (unter Num. 3.) abgehandelten, so wird man nicht be- haupten können, daß die an einem Ort des Römischen Rechts geschlossene, nachher an einen anderen Ort verlegte Ehe nur unter dem stillschweigenden Vertrag geschlossen worden sey, daß in derselben zu keiner Zeit eine wirksame Schenkung vorkommen werde. Das Verbot der Schenkung ist vielmehr eine reine Beschränkung der Freiheit, der sich die Ehegatten fügen müssen, kein durch freie Unterwerfung in die Ehe herüber genommenes Rechtsinstitut. Dagegen kann nicht eingeräumt werden, daß die hier erwähnten Gesetze zu beziehen seyn sollten auf alle in ihrem Bereich liegende Grundstücke, auch wenn die Ehe in einem Lande geführt wird, das eine solche Beschränkung der Frei- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. heit nicht kennt Dieses ist die Meinung von Rodenburg Tit. 2 C. 5 § 1. I. Voet in Pand. XXIV. 1 § 19. Meier p. 44. . Denn der Zweck dieser Gesetze ist nicht der, von den Sachen eine Gefährdung abzuwenden, gleich als ob dieselben durch eine Schenkung unter Ehegatten Schaden leiden könnten, sondern vielmehr, wie schon er- wähnt, die Erhaltung sittlicher Reinheit der Ehe. Der Gesetzgeber redet also zu den in seinem Bereich lebenden Ehegatten, ohne Rücksicht auf die Lage ihres Vermögens. 5. Die Intestaterbfolge unter Ehegatten richtet sich, eben so wie bei Fremden, nach dem letzten Wohnsitz des Erb- lassers. In manchen Fällen aber kann es zweifelhaft seyn, ob der Anspruch auf den Nachlaß aus eigentlicher Intestat- erbfolge, oder vielmehr aus der bloßen Fortwirkung der während der Ehe bestehenden Güterverhältnisse (der Güter- gemeinschaft) abzuleiten ist. Im ersten Fall entscheidet der letzte Wohnsitz, im zweiten Fall der Wohnsitz, an welchem die Ehe angefangen hat, wie oben gezeigt worden ist (Num. 3). Ein solcher Zweifel wäre namentlich denkbar bei der schon oben erwähnten, in der Mark Brandenburg geltenden, Joachimica (§ 378. b ). Indessen ist der hier angeordnete Anspruch des überlebenden Theils auf die Hälfte des zu- sammen geworfenen Vermögens beider Ehegatten in der That als reine Intestaterbfolge, nicht als Ausfluß irgend einer Art von Gütergemeinschaft, anzusehen, also nach dem §. 379. V. Familienrecht. A. Ehe. letzten Wohnsitz zu beurtheilen. Dieses folgt aus der Ver- bindung, in welche dieser Anspruch mit der ganzen übrigen Intestaterbfolge durch das Gesetz gebracht wird. Jener An- spruch hat daher eine ganz ähnliche Natur mit den im Römischen Recht begründeten Instituten: der Bonorum possessio unde vir et uxor, und der Succession des hinter- lassenen dürftigen Ehegatten. 6. Die Ehescheidung unterscheidet sich von den eben abgehandelten, das Vermögen betreffenden, Rechtsinstituten dadurch, daß die Gesetze über dieselbe auf der sittlichen Natur der Ehe beruhen, also einen streng positiven Charakter an sich tragen. Daraus folgt, daß der über sie urtheilende Richter nur das Gesetz seines Landes befolgen darf, ohne Rücksicht auf andere Verhältnisse der Ehegatten S. o. § 349. Im Ganzen stimmt damit überein Schäffner § 124 und Wächter II. S. 184—188. . Dieser Grundsatz aber wird in der Regel wieder auf das am Wohnsitz des Ehemannes geltende Gesetz führen, weil nur da ein wahrer Gerichtsstand über die Ehescheidung begrün- det seyn wird. Dabei ist nicht so, wie bei dem Güterrecht, der Wohn- sitz zur Zeit der geschlossenen Ehe zu beachten, sondern viel- mehr der gegenwärtige Wohnsitz. Denn das am früheren Wohnsitz bestehende Gesetz kann keinem der Ehegatten ein Recht, oder auch nur eine begründete Erwartung gegeben haben, nach demselben Gesetz auch künftig einmal geschieden VIII. 22 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. zu werden, da der eben erwähnte Charakter der Scheidungs- gesetze zu einem anderen Erfolge führt. Ueber diesen Gegenstand aber sind sowohl die Meinungen der Schriftsteller, als die Aussprüche der Gerichte, außer- ordentlich verschieden Schäffner § 118—125. Story Chap. 7. . §. 380. V. Familienrecht . B. Väterliche Gewalt . C. Vormundschaft . B. Väterliche Gewalt . Die Entstehung der väterlichen Gewalt durch Zeugung in der Ehe, so wie deren denkbare Anfechtung, ist zu be- urtheilen nach dem Gesetz des Ortes, an welchem der Vater zur Zeit der Geburt des Kindes seinen Wohnsitz hatte. Dagegen sind die Vermögensverhältnisse zwischen dem Vater und den Kindern zu beurtheilen nach dem Gesetz, welches an dem jedesmaligen Wohnsitz des Vaters besteht, so daß also eine Veränderung des Wohnsitzes auch eine Veränderung dieser Verhältnisse nach sich ziehen kann (§ 396. II. ). Die Legitimation durch nachfolgende Ehe richtet sich nach dem Wohnsitz des Vaters zur Zeit der geschlossenen §. 380. V. Familienrecht. B. Väterliche Gewalt. Ehe, und die Zeit der Geburt des Kindes ist dabei gleich- gültig. Zwar ist behauptet worden, daß dieser letzte Zeit- punkt beachtet werden müsse, weil das Kind durch die Ge- burt schon ein gewisses Rechtsverhältniß begründet habe, das durch die spätere Ehe der Eltern nur zu voller Wirk- samkeit gelange; man setzt hinzu, daß außerdem der Vater einen dem Kind nachtheiligen Wohnsitz vor der Ehe will- kürlich wählen könne Schäffner § 37. . Allein von einem Rechte solcher Kinder, also auch von einer Verletzung desselben, kann gar nicht die Rede seyn, da es in der freien Willkür des Vaters steht, nicht nur die Ehe mit der Mutter des Kindes zu unterlassen, sondern, selbst wenn er diese Ehe schließt, das Kind nicht anzuerkennen. In beiden Fällen aber erlangt das Kind kein Recht der Legitimität, da ein wahrer Beweis der außerehelichen Kinderzeugung unmöglich ist, mit- hin die freie Anerkennung allein noch neben der Ehe, und unabhängig von derselben, dem Kinde die Rechte der ehe- lichen Geburt verschaffen kann So ist es nach gemeinem Recht. Im Römischen Recht tritt dieser Satz weniger sichtbar hervor, da die Legitimation nur auf Con- cubinenkinder ( naturales ) ging, bei welchen die Paternität faktisch fast eben so sicher war, wie bei den ehelichen. Wir haben keine naturales, sondern nur spurii, und bei diesen hängt gewiß Alles allein von der ganz willkürlichen Anerkennung des Vaters ab. — Allerdings sieht das Preußische Recht den Beweis des bloßen Bei- schlafs in einer gewissen Zeit vor der Geburt schon als Beweis der Paternität an (A. L. R. II. 1 § 1077). Dennoch läßt es bei der Legitimation durch Ehe die Rechte der ehelichen Geburt erst von der Trauung anfangen (A. L. R. II. 2 § 598). Daher muß auch nach dem Sinn des Landrechts . 22* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. So weit, als Englisches Recht gilt, wird wiederum an- genommen, daß der Einfluß der väterlichen Gewalt und der Legitimation auf auswärts liegende Grundstücke nicht nach der lex domicilii, sondern nach der lex rei sitae be- urtheilt werden müßte Story § 456 § 87. Mit Recht erklärt sich dagegen Schäff- ner § 39. . C. Vormundschaft . Die Vormundschaft unterscheidet sich wesentlich von den bisher abgehandelten Rechtsinstituten. Nur im ältesten Römischen Recht konnte sie als ein rein privatrechtliches Verhältniß angesehen werden. Seitdem hat sie immer mehr den Charakter angenommen, der im heutigen gemeinen Recht in Deutschland, eben so, wie in anderen Gesetzgebungen, ausschließend wahrzunehmen ist. Die Vormundschaft er- scheint nunmehr als Ausübung des Schutzes, welchen der Staat der häufigsten und wichtigsten Klasse von Schutz- bedürftigen (Unmündige und Minderjährige) zu gewähren berechtigt und verpflichtet ist. So aufgefaßt, gehört die Vormundschaft, ihrem eigentlichen Wesen nach, dem öffent- lichen Recht an, und nur einzelne Folgen derselben fallen dem Gebiete des Privatrechts anheim. Dieser Auffassung aber ist es auch angemessen, daß die Vormundschaft nicht die Legitimation verneint werden, wenn der Vater vor der Trauung den Wohnsitz in ein Land des ge- meinen Rechts verlegt, und nun die Anerkennung des Kindes ver- weigert. §. 380. V. Familienrecht. C. Vormundschaft. blos in verschiedenen Ländern verschiedenes Recht hat, son- dern auch in einem und demselben Lande einer freieren Be- handlung von Seiten öffentlicher Behörden unterliegt, als die dem reinen Privatrecht angehörenden Rechtsverhältnisse. Diese Verschiedenheiten zeigen sich nicht blos in den Rechts- regeln selbst, sondern selbst in der Annahme des ört- lichen Rechts, von welchem jene Regeln bestimmt werden sollen. Ich wende mich nun zu den wichtigsten einzelnen Rechts- fragen. 1. Errichtung der Vormundschaft. Als Regel wird ganz richtig angenommen, daß das ört- liche Recht des Wohnsitzes des Mündels, welcher in der Regel mit dem letzten Wohnsitz des verstorbenen Vaters zusammen fällt, für die Errichtung der Vormundschaft be- stimmend ist, und daß diese Vormundschaft dann auch das anderwärts liegende Vermögen des Mündels umfaßt P. Voet . Sect. 9 C. 2 § 17. I. Voet . in Pand. XXVI. 5 § 5. Schäffner § 41. . Es kommen dabei aber folgende Abweichungen in Be- tracht. Erstlich, wenn unbewegliches Vermögen des Mündels unter einer anderen Gerichtsbarkeit, vielleicht in einem frem- den Lande liegt. Hier kann es geschehen, daß für diese Vermögenstheile eine besondere Vormundschaft errichtet wird, so daß dann derselbe Mündel mehrere Vormünder von ört- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. lich verschiedenen Sprengeln hat Vgl. die in der Note d. angeführten Schriftsteller. . — Eine solche Ein- richtung kommt schon im Römischen Rechte vor. Zwar der testamentarische und der gesetzliche Vormund war an eine solche örtliche Verschiedenheit nicht gebunden. Wenn dagegen die Obrigkeit Vormünder über ein zerstreutes Ver- mögen zu bestellen hatte, so wurden diese für jede souve- räne Gerichtsbarkeit besonders bestellt, andere für res Itali- cae, andere für res provinciales L. 39 § 8 de admin. (26. 7), L. 27 pr. de tutor. et cur. (26. 5). . — Nach der Preußi- schen Gesetzgebung wird in der Regel Eine Vormundschaft für das ganze Vermögen errichtet, und zwar nach dem am Wohnsitz des Vaters geltenden örtlichen Recht; die spätere Aenderung des Wohnsitzes soll darauf nur ausnahmsweise Einfluß haben. Ueber auswärts liegende Vermögenstheile können besondere Curatelen errichtet werden, die sich mit der eigentlichen Vormundschaft in Verbindung zu setzen haben A. L. R. II. 18 § 56. 81—86. . In Verträgen der Preußischen Regierung mit Nachbarstaaten ist bestimmt, daß die Vormundschaft einge- richtet werden soll nach dem Wohnsitz des Mündels; wenn derselbe jedoch Grundstücke in dem andern Lande besitzt, soll das Gericht dieses andern Landes die Wahl haben , diese Grundstücke der allgemeinen Vormundschaft zu unter- werfen, oder dafür eine besondere Vormundschaft zu errich- §. 380. V. Familienrecht. C. Vormundschaft. ten Vertrag mit Königreich Sachsen 1839 Art. 15, gleichlautend mit anderen Staaten. (S. o. § 348). . — Vorzüglich schwankend ist die Praris in den Ländern des Englischen Rechts, indem in diesen theilweise besondere Vormundschaften bestellt werden, nicht blos über das unbewegliche, sondern auch über das bewegliche, aus- wärts liegende Vermögen Schäffner § 41. Story §. 492 fg. . Zweitens aber kann, selbst ohne Rücksicht auf die ört- liche Lage des Vermögens, das individuelle Bedürfniß eine eingreifende Aenderung in den aufgestellten Grundsatz recht- fertigen, besonders wenn, nach den Familienverhältnissen, dem letzten Wohnsitz des Vaters kein Einfluß zuzuschreiben ist auf den künftigen Zustand der Mündel. Ein aus dem wirklichen Leben entnommener Fall wird diese Behauptung anschaulich machen. Ein Familienvater starb in seinem Wohnsitz Bonn, wo der Sitz seines Vermögens, insbeson- dere mehrerer Grundstücke, war. Die Kinder verlegten so- gleich, nach den Bestimmungen des väterlichen Testaments, ihren Wohnsitz zu einer entfernten Verwandten außerhalb des Preußischen Staats. Gleichfalls das Testament hatte die Vormundschaft einem Einwohner von Berlin aus per- sönlichem Vertrauen, und mit sehr freier Verwaltung, über- tragen. Nach dem oben aufgestellten Grundsatz hätte die Vormundschaft in Bonn, nach Französischem Recht, errich- tet und geführt werden müssen. Allein das Justizministe- rium, als höchste vormundschaftliche Aufsichtsbehörde des Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ganzen Staats, verlegte die Vormundschaft nach Berlin, wodurch die Obervormundschaft an das Kurmärkische Pu- pillencollegium in Berlin überging, und zugleich die Preußi- sche Gesetzgebung anwendbar wurde. 2. Verwaltung der Vormundschaft. Daß die Verwaltung der Vormundschaft in der Regel sich richtet nach dem Recht des Gerichts, unter welchem sie entstanden ist und geführt wird, kann nicht bezweifelt wer- den. Der Zweifel betrifft hier wiederum den Fall, wenn zu dem Vermögen auswärts liegende Grundstücke gehören, und diese nicht von einer besonderen Vormundschaft ver- waltet werden (wie es nach Num. 1 geschehen kann), son- dern von der allgemeinen Vormundschaft. In dieser Beziehung wird von Manchen behauptet, daß nach einer allgemeinen Praris in Ansehung jener Grundstücke, beson- ders der Veräußerung derselben, die lex rei sitae beobachtet werden müsse, so daß dann die Verwaltung desselben Vor- mundes nach verschiedenen Gesetzen zu beurtheilen seyn würde Schäffner § 41. — Etwas vorsichtiger ist der Ausdruck von P. Voet . Sect. 9 C. 2 § 17. Er hält es für räthlich, daß sich der Vormund bei der Veräußerung durch ein Decret beider Gerichts- behörden sicher stelle. . Offenbar nimmt man dabei an, das Gesetz über die Veräußerung der Pupillengüter sey ein Realstatut. — Ich kann diese Behauptung weder grundsätzlich, noch mit Hinsicht auf die angebliche allgemeine Praris, ein- räumen. §. 380. V. Familienrecht. C. Vormundschaft. Zuerst nicht grundsätzlich. Wenn ein Gesetz verordnet, daß Pupillengüter nur unter gewissen Einschränkungen (etwa Subhastation, gerichtliches Decret u. s. w.) ver- äußert werden sollen, so liegt darin eine vorsorgliche Maaß- regel — nicht für diese Güter, als Gegenstände eines wün- schenswerthen sicheren Verkehrs, als Grundlagen vortheil- hafter Fruchterzeugung (durch diese Absichten würde sich das Gesetz als Realstatut darstellen), sondern — für die schutzbedürftige Person des Mündels. Zur Sicherheit des- selben werden gewisse Formen der Veräußerung gefordert, und nur wenn diese beobachtet sind, soll die Handlung des veräußernden Vormundes gleiche Wirkung haben mit der Veräußerung eines volljährigen Eigenthümers. Ein solches Gesetz also zweckt ab auf die Ergänzung der Handlungen des Vormundes, es ist ein Personalstatut, kein Realstatut. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber verfügt über die unter seinem Schutze stehenden Minderjährigen, nicht über die in seinem Lande liegenden Güter. Aber auch die allgemeine Praris möchte leichter zu be- haupten, als zu beweisen seyn, wie es denn überhaupt mit allgemeinen Angaben solcher Art sehr mißlich ist. Ich will einen hierher gehörenden, sehr erläuternden Rechtsfall an- führen Urtheil des Cassationshofes zu Berlin von 1847 in Sachen Bassenheim contra Raffauf. S. Seuffert Archiv B. 2 N. 2. . Ein Mündel aus standesherrlicher Familie lebte in Baiern, und hatte daselbst seine Vormundschaft. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Er besaß Grundstücke in der Preußischen Rheinprovinz, über welche daselbst keine besondere Vormundschaft errichtet worden war. Die Bairischen Vormünder verkauften die Grundstücke aus freier Hand, ohne Subhastation. Nach erlangter Volljährigkeit griff der vormalige Eigenthümer den Verkauf als nichtig an, weil die Französischen Gesetze über Veräußerung der Pupillengüter nicht beobachtet wor- den seyen Code civil art. 457—460. Es wird erfordert: 1) Beschluß eines Familienraths unter Mit- wirkung des Gerichts erster Instanz, 2) Subhastation in Gegenwart des subrogé tuteur (erwählt vom Familienrath art. 420) und unter Mitwirkung des Gerichts oder eines Notars. . In allen Instanzen wurde dieser Grund zurückgewiesen, weil die angeführten gesetzlichen Einschrän- kungen ein unzertrennliches Ganze bildeten, und mehrere Bestandtheile derselben (Familienrath und subrogé tuteur ) auf Vormundschaften des Auslandes völlig unanwendbar wären. Diese Gesetze also seyen überhaupt nur anzuwen- den auf die im Bereich der Französischen Gesetzgebung ste- henden Vormundschaften, nicht auf alle daselbst liegende Grundstücke. Die oben angeführten Verträge der Preußischen Regie- rung mit Nachbarstaaten (Note h ) geben dem Personal- vormund, der Grundstücke im Auslande zu verwalten hat, folgende Vorschrift: „welcher letztere jedoch, bei den auf das Grundstück sich beziehenden Geschäften, die am Orte des gelegenen Grundstücks geltenden gesetzlichen Vorschriften zu beobachten hat.“ Nimmt man diese Stelle in der größten §. 380. V. Familienrecht. C. Vormundschaft. Ausdehnung, deren die Worte empfänglich sind, so müssen sie auch auf die Einschränkungen vormundschaftlicher Ver- äußerungen bezogen werden, und bestimmen dann das Ge- gentheil von der so eben angeführten und gebilligten rich- terlichen Entscheidung. Ich würde aber geneigt seyn, in der Stelle eine etwas ungenaue Fassung voraus zu setzen, und sie gar nicht auf die gesetzlichen Vorschriften über die Vormundschaft zu beziehen, sondern nur auf die den allgemeinen Verkehr mit Grundstücken betreffenden Vor- schriften, wie Hypothekenbestellung, gerichtliche Confirmation, Verlautbarung u. s. w. 3. Zuletzt sind noch die persönlichen Rechtsverhältnisse des Vormundes zu erwähnen. Ueber die Verpflichtung zur Uebernahme der Vormund- schaft, und die dagegen zulässigen Excusationen, kann nur das am Wohnsitz des Vormundes geltende Gesetz ent- scheiden. Auf die Obligationen, in die der Vormund eintritt durch Führung der Vormundschaft, sind die oben aufgestellten Grundsätze über den Gerichtsstand und das damit zusam- menhängende örtliche Recht zu beziehen (§ 370. Num. 2. § 372). Wo das obervormundschaftliche Gericht verschieden ist von dem persönlichen Richter des Vormundes, und auch von dem Gericht, dem das besondere forum gestae admi- nistrationis zuzuschreiben seyn würde, ist neuerlich aus Gründen der Zweckmäßigkeit behauptet worden, das ober- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. vormundschaftliche Gericht müsse stets als competent ange- sehen werden Mühlenbruch Archiv B. 19 S. 362—365. . Eine solche allgemeine Behauptung ist schon deswegen bedenklich, weil stets die Gerichtsverfassung jedes Landes zu beachten seyn wird. Sie ist aber auch an manchen Orten als unmöglich zu verwerfen, nämlich da, wo die obervormundschaftliche Gerichtsbehörde gar keine gewöhnliche Civiljurisdiction hat. §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte. ( Locus regit actum. ) Nachdem die einzelnen Rechtsverhältnisse, in Beziehung auf das anwendbare örtliche Recht, der Reihe nach geprüft worden sind, bleibt noch die Darstellung einer besonderen Rechtsregel übrig, die deswegen abgesondert und an das Ende der ganzen Untersuchung gestellt werden mußte, weil sie auf die meisten und wichtigsten der abgehandelten Rechts- verhältnisse Anwendung findet. Diese Regel bezieht sich auf die für Rechtsgeschäfte nicht selten vorgeschriebenen positiven Formen der Willens- erklärung Ueber die Natur dieser Formen vgl. oben B. 3 § 130. 131. . Hierin gerade kommen sehr häufig Colli- sionen verschiedener örtlichen Rechte vor, und zwar in mancherlei Weise. Das eine Gesetz kann eine positive Form als nothwendig vorschreiben, das andere nicht; eben so können auch in beiden Gesetzen Formen vorgeschrieben seyn, §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ). jedoch verschiedene Formen. In allen Fällen solcher Art entsteht nun die Frage, welches örtliche Recht auf ein be- stimmtes Rechtsgeschäft, in Beziehung auf dessen Form, anwendbar ist; daraus allein wird in vielen Fällen die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Geschäfts zu erkennen seyn. Fassen wir diese Frage von dem allgemeinen Stand- punkt auf, von welchem aus die ganze bisherige Unter- suchung geführt worden ist, so können wir über die Ant- wort kaum zweifelhaft seyn. Wir müssen, so scheint es, die erforderliche Form nach demjenigen örtlichen Recht ab- messen, dem das Rechtsgeschäft überhaupt nach den bisher aufgestellten Regeln unterworfen ist. Demnächst müßten Verträge geschlossen werden nach den gesetzlichen Formen des verabredeten Erfüllungsortes, Testamente errichtet nach den Formen, die im Wohnsitz des Testators gelten, Ehen geschlossen nach den im Wohnsitz des Ehemannes vorge- schriebenen Formen. Die Beobachtung dieser Regel hat auch weder Zweifel, noch Schwierigkeit, wenn das Rechts- geschäft gerade an diesen Orten zu Stande kommt. Allein es geschieht sehr oft, daß die Gründung des Geschäfts an einem ganz anderen, vielleicht weit entfernten, Orte vorge- nommen wird, und dieser Umstand kann die größten Schwierigkeiten zur Folge haben. An dem Orte, wo das Rechtsgeschäft zu Stande kommen soll, wird es oft sehr schwer seyn, die gesetzlichen Formen jenes anderen, eigentlich maaßgebenden, Ortes mit Sicher- heit zu erfahren, oder, wenn man sie kennt, zur Anwen- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. dung zu bringen; ja dieses Letzte wird oft völlig unmöglich seyn, wie es in dem folgenden Beispiel anschaulich werden muß. Wenn ein Preuße in Frankreich erkrankt, und ein Testament zu machen wünscht, so müßte er dazu, nach der oben vorläufig aufgestellten Regel, die Mitwirkung eines Gerichts gebrauchen, da das Preußische Recht keine anderen Testamente, als gerichtliche, anerkennt. In Frankreich aber hat kein Gericht die Befugniß, bei einem Testamente thätig zu seyn, da dieses Geschäft lediglich den Notarien zu- kommt Code civil art. 971—979. . Daher würde jener Preuße genöthigt seyn, die Errichtung eines Testaments völlig zu unterlassen, vielleicht zum größten Nachtheil der Familie. Die nahe liegende Erwägung der in diesen Umständen liegenden großen Härte, wodurch Rechtsgeschäfte zuweilen ganz unmöglich werden, noch öfter in die Gefahr der Un- gültigkeit durch mangelhafte Ausführung kommen, und zwar beides nur in Folge von gesetzlichen Formen, die ge- wiß nicht zur Hemmung und Erschwerung des Verkehrs eingeführt sind, — diese Erwägung hat schon seit dem sechszehenten Jahrhundert mit stets steigender Ueberein- stimmung ein allgemeines Gewohnheitsrecht herbeigeführt, welches an die Stelle der oben vorläufig aufgestellten Re- gel tritt, und die eben dargestellten Schwierigkeiten beseitigt. Die neu gebildete Regel wird so ausgedrückt: Locus regit actum, und hat den Sinn, daß die Form eines Rechtsge- §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ). schäfts als genügend angesehen werden soll, wenn sie dem Gesetz des Ortes entspricht, an welchem das Geschäft vor- genommen wird, selbst wenn an dem Ort, wo das Rechts- verhältniß selbst seinen Sitz hat, eine andere Form gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Regel wird von den Schriftstellern verschiedener Zeiten und Nationen übereinstimmend aner- kannt P. Voet . Sect. 9 C. 2 Foelix p. 97 fg. Schäffner § 9. I. Voet . §. 13—15. Hert . § 73—85. Wächter II. S. 368 § 10. 23. Eichhorn deutsches bis 380 und S. 405 fg. Recht § 37. Story § 260. 261. . Wir haben zunächst die Anwendung dieser wichtigen Regel auf die einzelnen Arten der Rechtsverhältnisse genauer zu betrachten. Bei dem üblichen allgemeinen Ausdruck der- selben möchte man leicht annehmen, daß sie auf alle Ver- hältnisse anwendbar, und bei allen von gleich wichtiger und häufiger Anwendung wäre. Die genauere Erwägung wird diese Annahme einigermaßen beschränken. I. Bei dem Zustand der Person an sich wird sich kaum eine Anwendung jener Regel finden, da hier die bloße Willenserklärung, auf deren gesetzliche Form allein die Regel sich bezieht, wenig Einfluß hat. So würde es ganz irrig seyn, anzunehmen, daß ein Minderjähriger die Voll- jährigkeit, oder ein Ehrloser die Herstellung der Ehre, in einem fremden Lande erlangen könnte durch einen Ausspruch der höchsten Gewalt in jenem Lande, nach der Regel: locus regit actum. Denn diese Veränderungen des Zu- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. standes werden gar nicht bewirkt durch eine Willenserklärung der betheiligten Person, für deren gehörige Form nur zu sorgen wäre. Sie können vielmehr nur hervorgehen aus einer freien Entschließung der höchsten Staatsgewalt, und zwar derjenigen Gewalt, welcher die betheiligte Person als Unterthan unterworfen ist. II. Auch auf die das Sachenrecht betreffenden Rechts- geschäfte kann jener Regel kein bedeutender Einfluß zuge- schrieben werden, und zwar hier aus folgendem Grunde. Es muß erinnert werden an einen, oben zu einem andern Zweck bemerklich gemachten, durchgreifenden Unterschied unter den menschlichen Handlungen (S. 212). Es giebt Handlungen, die an sich überall gleich möglich sind, so daß es nur von zufälligen Umständen abhängt, ob sie hier oder dort vorkommen. Dahin gehören die obligatorischen Verträge, die Errichtung eines Testaments u. s. w. Es giebt aber andere Handlungen, die ihrer Natur nach nur an Einem Orte vorkommen können. Dahin gehören die meisten und wichtigsten in das Gebiet des Sachenrechts einschlagenden Handlungen. In demselben ist überall die lex rei sitae herrschend (§ 366), und auch die einflußreichen Handlungen stehen darin meist in so naher Beziehung zu der Sache selbst, daß sie nur da, wo sich die Sache eben befindet, gedacht werden können. Dahin gehört vor Allem die Tradition; eben so aber auch eine Reihe blos förmlicher Handlungen, wie die gerichtliche Auflassung, die Eintragung in Hypothekenbücher u. s. w., die nur bei einer an einen §. 381. IV. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ). bestimmten Ort gebundenen Behörde möglich sind. — Die Regel: locus regit actum, bezieht sich nun, ihrer Natur nach, lediglich auf Handlungen der ersten Art, weil nur bei diesen der Ort, wo die Handlung vorgenommen wird, von dem wahren Sitz des Rechtsverhältnisses zufällig ver- schieden seyn, und dadurch eine künstliche Aushülfe nöthig machen kann. Eben daher aber ist dieselbe auf die meisten und wichtigsten, das Sachenrecht betreffenden, Handlungen ohne Anwendung. Diese Bemerkung beschränkt sich auch nicht auf unbewegliche Sachen, sie ist vielmehr an sich wahr auch bei beweglichen, bei welchen gleichfalls die Tra- dition nur da geschehen kann, wo sie gerade sind. Nur ist bei den beweglichen Sachen dieser Umstand wenig erheblich und bemerklich, weil der Besitzer den Ort derselben jederzeit willkürlich verändern kann, wodurch sie augenblicklich einer neuen lex rei sitae unterworfen werden. Der Grund der Unanwendbarkeit jener Regel auf die dinglichen Rechte ist also wesentlich derselbe mit dem bei dem Zustand der Person an sich geltend gemachten Grunde. Er liegt darin, daß bei den dinglichen Rechten der Wille an sich nicht das Entscheidende ist, sondern daß es auf die Beziehung ankommt, in welche die Person mit der Sache, als dem Gegenstand des dinglichen Rechts, tritt. Diese Beziehung kann nun unter Anderem, nach der Bestimmung mancher positiven Rechte, in einer bloßen Willenserklärung bestehen, dieser Umstand aber ist an sich zufällig, dem Wesen des dinglichen Rechts fremd. VIII. 23 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. III. Auf Obligationen, vorzüglich auf obligatorische Verträge, steht der ausgedehntesten Anwendung unsrer Regel Nichts im Wege Wächter II. S. 405. , obgleich diese Art der An- wendung weniger häufig zur Sprache kommt. Einige Bei- spiele werden dieselbe anschaulich machen. In manchen Gesetzen sind für die obligatorischen Ver- träge über Grundstücke besondere Formen erforderlich (welche von der Uebertragung des Eigenthums ganz verschieden sind), anstatt daß das Römische Recht solche Formen nicht kennt. Nach unsrer Regel nun hat es kein Bedenken, daß die Gültigkeit einer solchen Handlung abgemessen werden muß nach dem Gesetz des Ortes, wo der Vertrag geschlossen wird, ohne Rücksicht auf die lex rei sitae. Ich habe diesen Fall besonders hervor, um darauf aufmerksam zu machen, daß im Preußischen Recht das Gegentheil ausdrücklich vor- geschrieben ist Allg. Landrecht I. 5 § 115. „In allen Fällen, wo unbeweg- liche Sachen, deren Eigenthum, Besitz oder Nutzung, der Gegen- stand eines Vertrages sind, müssen wegen der Form die Gesetze des Ortes, wo die Sache liegt, beob- achtet werden:“ Das Preußische Recht fordert aber für alle Ver- träge über Grundstücke schriftliche Abfassung, welches freilich nicht ganz ausdrücklich gesagt ist, aber doch unzweifelhaft folgt aus I. 5 § 135, I. 10 § 15—17, I. 21 § 233, und auch schon daraus, daß der Gegenstand solcher Ver- träge fast immer mehr, als Funfzig Thaler ( I. 5 § 131), werth seyn wird. Als Regel für Verträge überhaupt gilt dagegen der Satz: locus regit actum (I. 5 § 111), und diese Regel wird bei den außer Landes geschlossenen Verträgen über . Darin liegt also eine entschiedene, mit Absicht und Bewußtseyn vorgeschriebene einzelne Ausnahme der Regel: locus regit actum. §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ). Die Beweiskraft eines Handelsbuches ist zu beurtheilen nach dem Gesetz des Ortes, an welchem das Buch geführt wird Urtheil des Ober-Apella- tionsgerichts zu Cassel 1826. Seuffert Archiv B. 1 Num. 132. . Zwar scheint diese Beweiskraft dem Prozeßrecht anzugehören, und daher dem Gesetz des Gerichtsortes unter- worfen werden zu müssen. Allein die Beweiskraft ist hier unzertrennlich verbunden mit der Form und Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts selbst, welche hierin als das Ueberwiegende betrachtet werden muß. Der Fremde, der sich mit dem Kaufmann eines Ortes, an welchem Handelsbücher gelten, einläßt, unterwirft sich dem örtlichen Recht derselben. Die formelle Gültigkeit jeder einzelnen, unter einem Wechsel stehenden Unterschrift ist zu beurtheilen nach dem Recht des Ortes, an welchem diese Unterschrift darunter ge- setzt wird Urtheil des Revisionshofes zu Berlin 1844. Seuffert Archiv B. 2 Num. 121. . IV. Die wichtigste, und von jeher am meisten be- sprochene, Anwendung unsrer Regel ist die auf die Ab- fassung eines Testaments, wenn sich der Testator zufällig außer seinem Wohnsitze befindet. Hierüber ist, was die Regel selbst betrifft, schon längst allgemeine Uebereinstimmung vorhanden Rodenburg Tit. 2 C. 3 § 1—3. Vinnius selectae quaest. II. 19. Hert . § 23. Wächter II. S. 368—380. Zur Zeit des Durantis war die Frage noch sehr bestritten. Speculum II. tit. de instrum. edit. § 12 Num. 16. . bewegliche Sachen anerkannt, auch wenn vor Preußischen Gerichten geklagt wird. I. 5 § 148. 23* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zwei Abweichungen aber kommen bei dieser Anwendung vor. — Im Bereiche des Englischen Rechts soll die Regel zwar gelten, jedoch soll das Testament nicht einwirken auf auswärts liegende Grundstücke Story § 474. 478. . Die Unterscheidung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens scheint jedoch für die Anwendung der hier vorliegenden Regel noch weniger Sinn und Grund zu haben, als in anderen Be- ziehungen. — Ein neuerer Schriftsteller fügt folgende Ein- schränkung hinzu. Das Testament soll gültig seyn, wenn der Testator im Ausland sterbe. Kehre er aber in die Heimath zurück, so verliere es seine Gültigkeit, wenigstens in dem Fall, wenn diese Art der Testamente in dem ein- heimischen Rechte unbekannt sey Eichhorn deutsches Recht §. 37. . Ich glaube nicht, daß diese Einschränkung grundsätzlich gerechtfertigt werden kann, und sie scheint auch bei Anderen keinen Anklang gefunden zu haben. Indessen würde allerdings ein vorsichtiger Haus- vater wohl thun, in der Heimath ein neues Testament zu errichten, um jedem, von dieser Seite aus möglichen, künf- tigen Einwand ganz sicher vorzubeugen. V. Für den Abschluß der Ehe wird allgemein ange- nommen, daß unsere Regel anzuwenden sey Hert . § 10. Schäffner § 100. 101. Story § 121 fg. Es ist bemerkenswerth, daß die Theorie und Praxis des Englischen Rechts gerade in dieser Anwendung sehr unbedenklich zu seyn scheint. . Indessen scheint mir die Sache nicht ohne Bedenken. Wenn die Ein- §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum. ) wohner eines Landes, dessen Gesetz blos juristische Formen zum Abschluß einer Ehe erfordert, im Ausland eine Ehe schließen, so hat die Sache keinen Zweifel. Anders aber verhält es sich mit den Einwohnern eines Landes, dessen Gesetz die Ehe an die kirchliche Trauung bindet. Denn ein solches Gesetz hat einen sittlich religiösen Grund, also einen zwingenden Charakter (§ 349). Aus diesem Grunde würde ich die nachzuholende Trauung im Inlande für nöthig halten, nicht aber deswegen, weil angenommen werden müßte, daß die Ehegatten in fraudem legis im Ausland ihre Ehe geschlossen hätten, welche Absicht vielleicht gar nicht vorhanden, oder doch nicht erweislich seyn wird. Wenn aber auch die Trauung erst nachgeholt wird, so muß doch, selbst nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts, die Ehe für die bereits vergangene Zeit als gültig und wirksam angesehen werden. — Auf die schon bestehende Ehe fremder Personen, die in das Land einwandern, kann indessen jener strengere Grundsatz in keinem Fall bezogen werden. Denn ein Gesetz des hier erwähnten Inhalts, mit seinem zwingenden Charakter, bezieht sich nur auf die Ein- gehung von Ehen, nicht auf die Fortführung der schon bestehenden. Zum Schluß sind noch einige allgemeine Bemerkungen nachzutragen. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Manche haben behauptet, unsere Regel gelte nicht, wenn ein Geschäft im Ausland, zur Umgehung der einheimischen Gesetze ( in fraudem legis ), vorgenommen werde, etwa um den größeren Geschäftskosten im Inland, dem Gebrauch des Stempelpapiers u. s. w. auszuweichen I. Voet . § 14. Foelix p. 105. . Mit Recht haben Andere diese Einschränkung verworfen Schäffner § 85. . Solchen Umgehungen kann auf anderem Wege, besonders durch Geldstrafen, vorgebeugt werden; die Gültigkeit der Rechts- geschäfte davon abhängig zu machen, ist kein hinreichender Grund vorhanden, und es würde dazu wenigstens eines positiven Gesetzes bedürfen. Eine sehr wichtige Frage betrifft die eigentliche Stellung unsrer Regel. Ist die Beobachtung der am Orte der Handlung geltenden Form unbedingt nöthig, oder ist sie blos facultativ, so daß der Handelnde die Wahl hat, ent- weder diese Form zu beobachten, oder die Form des Ortes, dem das Rechtsgeschäft eigentlich angehört So allein darf die Frage gestellt werden, so daß nicht davon die Rede seyn kann, eine völlig willkürliche Wahl zu gestatten zwischen lex domicilii, rei sitae u. s. w. So scheint es jedoch an- zusehen I. Voet . § 15. ? Sieht man auf den Grund der Einführung unsrer besonderen Regel, als einer bloßen Begünstigung und Erleichterung, so kann man nicht zweifelhaft seyn, sie für facultativ zu halten, also ein Wahlrecht zu gestatten. Dieses ist denn auch meist anerkannt worden Rodenburg Tit. 2 C. 3 § 2. 3. Hert . § 10. 23 (etwas . §. 381. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ( Locus regit actum ). Wenn also der Einwohner eines unter dem Römischen Recht lebenden Landes in Paris ein Testament machen will, so kann er eine der mehreren Formen des Französischen Rechts anwenden; er kann aber auch vor Sieben Zeugen das Testament errichten. Auch in diesem letzten Fall ist in der Heimath das Testament gültig, wobei es sich nur von selbst versteht, daß es an dem Beweise der gehörig beobachteten Form nicht fehlen darf. — Wenn von Ein- wohnern eines Landes, das zur Ehe die kirchliche Trauung fordert, die Ehe geschlossen wird in einem Lande, das eine juristische Form und nicht die Trauung vorschreibt, und wenn sie sich hier kirchlich trauen lassen, ohne die juristische Form des Landes zu beobachten, so ist die Ehe gültig, weil sie die Form der Heimath, also des eigentlichen, bleibenden Sitzes der Ehe, angewendet haben Anerkannt in einem Urtheil des Ober-Appellationsgerichts zu Dresden 1845. Seuffert Archiv B. 2 Num. 5. . §. 382. VI. Formen der Rechtsgeschäfte. ( Locus regit actum. ) (Fortsetzung.) Bisher ist die besondere Rechtsregel über die anwend- bare Form der Rechtsgeschäfte vom Standpunkt eines allge- meinen Gewohnheitsrechts aus betrachtet worden, welches schwankend). Foelix p. 107 fg. Schäffner § 83 (schwankend). Wächter II. S. 377—380. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. aus einem anerkannten Bedürfniß hervorgegangen, und von den Rechtslehrern weiter ausgebildet worden ist. Es bleibt noch die Frage zu beantworten übrig, wie sich die positive Gesetzgebung zu jener Regel verhält. Zuerst die dem ge- meinen Recht zum Grunde liegende (Römisches und cano- nisches Recht), dann einige neuere Gesetzgebungen. Von jeher haben mehrere Schriftsteller versucht, jene Regel aus den Quellen des geschriebenen gemeinen Rechts abzuleiten; von Anderen aber ist mit Recht bemerkt worden, daß diese Versuche mißlungen sind Wächter I. S. 246. . Eine Uebersicht der für die erwähnte Regel angeführten Gesetzstellen wird dieses Urtheil bestätigen, wodurch übrigens der Wahrheit und Gewißheit der Regel selbst durchaus Nichts entzogen werden soll. 1. L. 9. C. de testamentis (6. 23). Dieses ist die scheinbarste unter den angeführten Stellen, dennoch begrün- det sie unsere Regel nicht. Es war ein Testament gemacht worden ohne Beobach- tung der bekannten Regel des Römischen Rechts, nach wel- cher die Zeugen in unmittelbarer Gegenwart des Testators seyn müssen L. 9 cit. „in conspectu testatoris“ L. 30. C. eod. „sub praesentia ipsius testatoris“. L. 3 C. Th. de test. (4. 4) „praesentes videant subscrip- tores“. — Vgl. Glück B. 34 S. 292. . Auf eine Anfrage der Patroclia (wahr- §. 382. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ꝛc. (Forts.) scheinlich der eingesetzten Erbin) rescribiren die Kaiser, das Testament sey nichtig „si non speciali privilegio Privilegium heißt hier ein Stadtrecht oder einzelnes Stück eines Stadtrechts, das durch eine Kaiserconstitution der hier in Frage stehenden Stadt ertheilt war. pa- triae tuae juris observatio relaxata est.“ — Ein schwa- cher Schein für die Beziehung dieser Stelle auf unsere Rechtsregel liegt in den Worten patriae tuae, die eine Colli- sion zwischen verschiedenen örtlichen Rechten anzudeuten scheinen. Allein dieser Schein verschwindet wieder, wenn man erwägt, daß doch unmöglich die patria der Erbin ent- scheidend seyn könnte; wo das Testament gemacht war, wird gar nicht gesagt. Wahrscheinlich hatte der Verstor- bene in seiner Heimath testirt, die auch die Heimath der Erbin war. Dann ist von einer Anwendung unserer Regel gar nicht die Rede, vielmehr enthält die Stelle dann nur den ohnehin unzweifelhaften Satz, daß in der Collision das Particularrecht dem gemeinen Recht vorgeht. 2. L. 2. C. quemadm. test. aper. (6. 32). Ein Vater, der von dem Wohnsitz abwesend war, hatte vor dem Tod seinem Sohne ein Testament übergeben, mit dem Auftrag, dasselbe in die Heimath zu überbringen. Die Kaiser rescri- biren, bei der Eröffnung des Testaments vor der städtischen Curie müßten die daselbst geltenden Gesetze und Gewohn- heiten beobachtet werden. — Dabei ist von einer Collision örtlicher Rechte nicht die Rede, sondern nur der unzweifel- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. hafte Satz ausgedrückt, daß bei einer gerichtlichen Handlung das Gesetz dieses Orts zu beobachten sey. 3. L. 1. C. de emanc. (8. 49). Vor den Duumvirn einer Stadt hatte ein Mann, der nicht dieser Stadt ange- hörte, seinen Sohn emancipirt, und die Gültigkeit dieser Handlung wurde bezweifelt. Der Zweifel gründete sich darauf, daß überhaupt in der Regel die Municipalmagistrate keine legis actio hatten, sondern sie nur ausnahmsweise durch Privilegium erlangen konnten Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 27. . Die Kaiser re- scribiren, die Gültigkeit der Handlung hänge ab von dem Inhalt des Stadtgesetzes. Gebe dieses die legis actio den Duumvirn, und zwar auch in der Ausdehnung, daß sie dieselbe selbst über Fremde ausüben könnten, so sey die Handlung gültig. — Von einer Collision örtlicher Rechte ist hier keine Spur. 4. C. 1. X. de spons. (4. 1). Ein Sachse hatte eine Fränkische Frau zur Ehe genommen, und dabei nicht die Sächsischen, sondern die Fränkischen Gebräuche beobachtet. Nachdem er mit ihr viele Jahre gelebt, und Kinder erzeugt hatte, berief er sich auf den erwähnten Fehler im Abschluß der Ehe, verstieß die Frau, und nahm eine andere. Eine Kirchenversammlung erklärt dieses Verfahren für strafbar, die versuchte zweite Ehe für nichtig, und verfügt die Her- stellung der früheren Ehe. — Auch hier ist von einer Colli- sion örtlicher Rechte nicht die Rede, und besonders wird §. 382. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ꝛc. (Forts.) der Ort des Abschlusses gar nicht erwähnt. Die Entschei- dung beruht darauf, daß die erste Ehe im Sinne des cano- nischen Rechts gültig und unauflöslich war, und daß da- bei die Beobachtung dieser oder jener Gebräuche des bür- gerlichen Rechts als ganz gleichgültig angesehen werden mußte. Das Französische Gesetzbuch hatte in dem Entwurf fol- genden Satz: „La forme des actes est reglée par les lois du lieu, dans lequel ils sont faits ou passés”. Diese Stelle wurde im Gesetzbuch selbst weggelassen, nicht weil man sie für falsch oder zweifelhaft hielt, sondern gerade umgekehrt, weil sie so gewiß und bekannt schien, daß ihre Aufnahme für überflüssig gehalten wurde Foelix p. 111. . Einzelne Anwendun- gen, worin unsere Rechtsregel als geltend vorausgesetzt wird, sind folgende: 1. Wenn ein Franzose oder ein Fremder einen acte de l’état civil im Auslande nach den in diesem Lande üblichen Formen aufnehmen läßt, so muß jener acte auch in Frankreich als gültig anerkannt werden Code civil art. 47. . 2. Franzosen können im Auslande eine gültige Ehe schließen nach den üblichen Formen des Ortes, wo sie sich befinden Code civil art. 170. . Die Gesetze über das vorherge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. hende Aufgebot und über die Bedingungen einer gültigen Ehe werden durch diese Bestimmung nicht berührt. 3. Der Franzose, der im Auslande testiren will, kann dieses nach seiner Wahl auf zweierlei Weise thun: entweder durch eigenhändige Schrift und Unterschrift (so wie in Frankreich), oder durch acte authentique nach den am Orte des errichteten Testaments üblichen Formen Code civil art. 999 vgl. art. 1317. . Das Preußische Recht enthält eine allgemeine Anerken- nung der Regel: locus regit actum, gar nicht. Eine blos scheinbare Abweichung von der Regel enthält das allgem. Landrecht Einl. §. 33. Diese Stelle will nicht sagen, daß Fremde die durch ein einzelnes Statut eingeführte Form nicht beobachten dürfen, oder daß eine so vorgenommene Handlung nicht gültig wäre; sondern, daß nur die Einhei- mischen, nicht die Fremden, zur Beobachtung des Statuts verpflichtet seyen Die Zweideutigkeit liegt in den Worten: „ gelten nur bei Handlungen“ u. s. w. nämlich: gelten als verpflichtend nur bei solchen Handlungen. Denn als zulässig und in ihrer Anwendung hinreichend gelten sie auch für Fremde. . Bei den Verträgen erkennt es diese Regel als gültig an, und läßt sie allgemein gelten in Ansehung beweglicher §. 382. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ꝛc. (Forts.) Sachen; bei unbeweglichen aber läßt es sie ausnahmsweise nicht gelten, fordert vielmehr die ausschließende Beobachtung der durch die lex rei sitae gebotenen Form (§ 381. e ). Ueber die Formen der im Ausland errichteten Testa- mente enthält das Landrecht gar keine Bestimmung. Da- raus schließt ein neuerer Schriftsteller, es müsse die allge- meine Vorschrift des gerichtlichen Testaments zur einzigen Richtschnur dienen, und unsere Rechtsregel dürfe nicht zur Anwendung kommen Koch Preußisches Recht § 40 Note 18. , welches eben so viel heißt, als daß ein Preuße in manchen fremden Ländern, z. B. in Frankreich, gar kein Testament machen könne. Ich muß diese Behauptung aus folgenden Gründen durchaus bestrei- ten. Als das allgemeine Landrecht abgefaßt wurde, gehörte unsere Rechtsregel unter den deutschen Juristen, und zwar gerade in Anwendung auf Testamente, zu den bekanntesten und gewissesten Sätzen. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß man eine Regel von solchem Charakter durch bloßes Stillschweigen zu beseitigen die Absicht gehabt haben sollte. Im Jahr 1823 wurde zur Bequemlichkeit des im Aus- land befindlichen Preußischen Gesandtschaftspersonals eine neue Form von Testamenten eingeführt Gesetz vom 3. April 1823 § 2, Gesetzsamml. 1823 S. 40. . Diese Be- stimmung kündigt sich durch Inhalt und Ausdruck, so wie durch den Eingang des Gesetzes, als eine ganz neue, posi- tive Vorschrift an. Es geht ihr aber folgende einleitende Stelle voran: Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. § 1. „Die letztwilligen Verordnungen Unserer Ge- sandten ..... sollen auch ferner, wie bisher , in ihrer äußeren Form alsdann gültig seyn, wenn sie die Gesetze des Orts, wo sie errichtet werden, erfüllen.“ Ich frage nun, was heißen die Worte: auch ferner, wie bisher ? Das Landrecht enthält ja gar Nichts über die Form der Testamente im Ausland. Dagegen enthielt von jeher das gemeine Recht in Deutschland unsere Rechts- regel, und zwar nicht besonders für Gesandte, sondern für alle Inländer, die im Ausland testiren wollten. Der Sinn der ganzen Stelle ist also folgender. Die Gesandten, so wie alle andere Einwohner, können im Auslande testiren nach den Formen des Orts, wo sie sich aufhalten. Dieses Recht nun, das sie ohnehin mit allen andern Inländern theilen, sollen sie auch ferner, wie bisher , ausüben dürfen (§ 1). Zu ihrer Bequemlichkeit aber soll gegenwärtig noch eine neue Form von Testamenten eingeführt und ihnen mit jener früheren zur freien Auswahl anheim gestellt werden (§ 2). Im J. 1824 wurde mit Weimar ein Vertrag über die gegenseitigen Rechtsverhältnisse der Unterthanen geschlossen, und gleiche oder ganz ähnliche Verträge mit anderen Nach- barstaaten folgten darauf in großer Anzahl (§ 374. qq ). In dem Art. 34 jenes Vertrags Gesetzsammlung 1824 S. 154. wird nun gesagt: „Alle Rechtsgeschäfte unter Lebenden, und auf den Todes- §. 382. VI. Formen der Rechtsgeschäfte ꝛc. (Forts.) fall , werden, was die Gültigkeit derselben rücksichtlich ihrer Form betrifft, nach den Gesetzen des Orts beurtheilt, wo sie eingegangen sind.“ Diese Bestimmung ist nun offenbar keine Gefälligkeit, keine Concession für die Nach- barstaaten, auch soll sie ja gegenseitig gelten. Sie war ferner nicht gedacht als eine neue Erfindung, sondern als Anschluß an ein allgemeines Rechtsprincip, welches auch schon aus der häufigen gleichlautenden Wiederholung folgt. Dieses Rechtsprincip aber konnte kein anderes seyn, als die uralte, in ganz Deutschland von jeher geltende Regel: locus regit actum, die also dadurch von Seiten unserer Gesetzgebung die unzweifelhafteste Anerkennung erhält. Buch III Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Zweites Kapitel. Zeitliche Gränzen der Herrschaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältnisse. §. 383. Einleitung . Schriftsteller : Chabot de l’Allier questions transitoires sur le code Napoléon. Paris 1809. 2 Voll. in 4. Weber über die Rückanwendung positiver Gesetze. Hannover 1811. Meyer principes sur les questions transitoires. Am- sterdam 1813. Bergmann das Verbot der rückwirkenden Kraft neuer Gesetze im Privatrecht. Hannover 1818. Struve über das positive Rechtsgesetz rücksichtlich seiner Ausdehnung in der Zeit. Göttingen 1831 Viele andere Schriften finden sich angeführt bei Bergmann S. XXI—XXIV. . Die Aufgabe des dritten Buchs dieses Rechtssystems ist dahin angegeben worden, das Gebiet, in welchem die Rechtsregeln über Rechtsverhältnisse herrschen sollen, und §. 383. Einleitung. die Gränzen dieses Gebietes, zu bestimmen (§ 344). Eine solche Gränzbestimmung kann nach zwei Seiten hin nöthig seyn, je nachdem neben einander, oder nach einander, ver- schiedene Rechtsregeln als geltend gedacht werden. Von der ersten Art, der Bestimmung der örtlichen Gränzen, ist bisher gehandelt worden (Kap. I. ). Es bleibt nun noch die zweite Art der Gränzbestimmung übrig, die sich auf die zeitlichen Gränzen bezieht. Dabei wird vorausgesetzt, daß an demselben Orte in zwei verschiedenen Zeiträumen verschiedene Rechtsregeln gelten, zu welchen ein gegebenes Rechtsverhältniß, oder eine einzelne Rechtsfrage, in solche Beziehung kommt, daß es zweifelhaft wird, welche unter jenen beiden Rechtsregeln die Entscheidung der Frage beherrschen soll. Ein solcher Streit zweier Rechtsregeln um die Herrschaft setzt also stets eine eingetretene Veränderung voraus. Diese Veränderung aber, sofern sie dem Gebiet der nun folgenden Untersuchung ange- hören soll, muß noch näher dahin bestimmt werden, daß es eine Veränderung in den Rechtsregeln selbst (dem objec- tiven Recht) seyn muß, nicht eine bloße Veränderung in den thatsächlichen Bedingungen des Rechtsverhältnisses (dem subjectiven Recht), indem nämlich die Veränderungen dieser letzten Art bereits in Verbindung mit den örtlichen Gränzen der Herrschaft abgehandelt worden sind S. o. § 344 am Schluß des §. . Wir setzen also im Laufe der jetzt folgenden Untersuchung voraus ein VIII. 24 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Rechtsverhältniß, das in sich selbst unverändert geblieben ist, dem aber zwei, der Zeit nach verschiedene, Rechtsregeln gegenüber treten, die um die Herrschaft über das Rechts- verhältniß streiten. Eine Veränderung in den Rechtsregeln aber, wie sie hier als Grund und Bedingung aller zeitlichen Collisions- fragen gedacht werden muß, kann in folgenden verschiedenen Gestalten eintreten: 1. Erlaß eines einzelnen neuen Gesetzes, welches gerade das jetzt vorliegende Rechtsverhältniß zum Gegenstand hat. 2. Abfassung eines neuen Gesetzbuches, also einer Ge- sammtheit von Rechtsregeln, worin auch das vor- liegende Rechtsverhältniß neue Bestimmungen er- hält Dieser Fall trat ein in Constantinopel vom J. 529 bis 534, in Preußen 1794, in Frankreich 1804, in Oesterreich 1812. . 3. Aufnahme eines fremden Gesetzbuches im Ganzen, anstatt des bisher geltenden Rechts So wie es unter dem Ein- fluß der Franzöfischen Uebermacht in mehreren Ländern in und außer Deutschland mit dem code Napo- léon geschah. . 4. Losreißen des Ortes, welcher den Sitz eines Rechts- verhältnisses bildet, aus seinem bisherigen Staats- verband, und Aufnahme in einen anderen, mit Unterwerfung unter das gesammte Recht dieses anderen Staates, in welchem Fall dieses neu über- §. 383. Einleitung. nommene Recht in einem ganzen Gesetzbuch, oder auch (und vielleicht neben dem Gesetzbuch) in ein- zelnen Gesetzen, selbst in einzelnen Regeln des Ge- wohnheitsrechts, bestehen kann Wichtige Fälle dieser Art sind eingetreten bei der Abtretung vieler Länder an Frankreich; später- hin, als Preußen theils frühere Provinzen zurück erhielt, theils neue Landestheile erwarb; nicht bei der Abtretung des linken Rhein- ufers an deutsche Staaten, weil damals das Französische Recht aufrecht erhalten wurde. . Wie verschieden diese Fälle von einander seyn mögen in ausgedehnter und wichtiger Anwendung, so stehen sie doch einander grundsätzlich ganz gleich in Ansehung der hier vorliegenden Collisionsfrage. In allen diesen Fällen ist es möglich, die Collisionsfrage durch besondere gesetz- liche Bestimmungen voraus zu entscheiden, und in den drei letzten Fällen ist dazu besondere Veranlassung vorhanden. Solche Gesetze werden transitorische genannt, indem sie den Uebergang aus einer Rechtsregel in eine andere zum Gegenstand haben. Als Justinian die Institutionen und die Digesten bekannt machte, legte er denselben rückwirkende Kraft bei L. 2 § 23, L. 3 § 23 C. de vet. j. enucl. (1. 17). Etwas anders lautet die Const. Summa § 3 über den Codex. Vgl. Berg- mann § 14. . Darin lag jedoch nicht der Ausdruck eines bleibenden Grund- satzes über Rückwirkung, noch die Aufstellung einer wahren Ausnahme, indem diese Rechtsbücher nicht dazu bestimmt waren, neues Recht zu schaffen, sondern das bestehende 24* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Recht zu sichern und zu reinigen. Man konnte darin eine Art von authentischer Auslegung des bestehenden Rechts im Großen sehen, welche von selbst rückwirkend seyn mußte (§ 397). In keiner Gesetzgebung ist für diese Collisionsfrage so viel Vorsorge getroffen worden, als in der Preußischen Das Oesterreichische Ein- führungspatent enthält über diesen Gegenstand nur wenige Bestim- mungen. Im Französischen Ge- setzbuch finden sich bei einzelnen Artikeln transitorische Bestimmun- gen (z. B. art. 2281); außerdem aber wurden einige abgesonderte transitorische Gesetze erlassen, gleich- zeitig mit dem code, namentlich über Adoption, Ehescheidung, un- eheliche Kinder. , und ich will gleich hier eine Uebersicht über die Preußischen transitorischen Gesetze geben, um in der Folge darauf leichter zurück weisen zu können. — Das älteste derselben ist das Publikationspatent des allgemeinen Landrechts vom 5. Februar 1794 Abgedruckt vor allen Aus- gaben des Landrechts. , welches in den §§ 8 bis 18 ausführ- liche transitorische Bestimmungen enthält. Daran schließen sich folgende Gesetze an, wodurch die Preußische Gesetzge- bung theils in neu erworbene Landestheile zuerst eingeführt, theils in wiedergewonnene Landestheile zurückgeführt wurde. 1803. Fürstenthum Hildesheim und Stadt Goslar ( Stengel’s Beiträge Band 17 S. 194). 1803. Paderborn und Münster ( Stengel Band 17 S. 235). 1803. Eichsfeld, Erfurt, Mühlhausen, Nordhausen ( Stengel Band 17 S. 253). §. 384. Zweierlei Rechtsregeln. 1814. Frühere Preußische Provinzen jenseits der Elbe (Ges. Samml. 1814, S. 89). 1816. Westpreußen (Ges. Samml. 1816, S. 217). 1816. Posen (Ges. Samml. 1816, S. 225). 1816. Herzogthum Sachsen (Ges. Samml. 1816, S. 233). 1818. Enklaven (Ges. Samml. 1818, S. 45). 1825. Herzogthum Westphalen (Ges. Samml. 1825, S. 153). Es ist dabei zu bemerken, daß die Einführungspatente von 1803 fast nur abgekürzte Wiederholungen des Patents von 1794 sind, anstatt daß die seit dem Jahre 1814 er- lassene Patente manche eigenthümliche und abweichende Bestimmungen enthalten. §. 384. Zweierlei Rechtsregeln . An die Spitze dieser Lehre wird gewöhnlich ein Grund- satz mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit gestellt, der bei den einzelnen Schriftstellern unter verschiedenen Wen- dungen erscheint, die sich jedoch meist auf folgende zwei Ausdrücke zurückführen lassen: Neuen Gesetzen ist keine rückwirkende Kraft bei- zulegen. Neue Gesetze sollen erworbene Rechte unberührt lassen. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Diesem Grundsatz soll weder seine Wahrheit, noch seine Wichtigkeit bestritten werden. Dennoch kann die herrschende Auffassung und Darstellung desselben als befriedigend nicht anerkannt werden, indem man ihn als allgemein anwendbar zu behandeln pflegt, während er nur für Eine Gattung von Rechtsregeln wahr, für eine andere Gattung aber völlig unwahr ist. Auf den ersten Blick möchte man geneigt seyn, dem hier angedeuteten Gegensatz der Auffassungen eine größere Wichtigkeit beizulegen, als ihm in der That gebührt, indem man glauben könnte, die hier getadelte Behandlung der Sache müßte dahin führen, die vorkommenden praktischen Rechtsfragen großentheils irrig zu entscheiden. Dem ist aber nicht also. Wo ein so bedenklicher, einschneidender Erfolg zu erwarten wäre, der sich dann durch den Versuch einer strengen Durchführung von selbst als unmöglich dar- stellen würde, pflegt man dadurch abzuhelfen, daß man Ausnahmen des angeblich allgemeinen Grundsatzes behaup- tet. Aber eben diese Aushülfe durch bloße Ausnahmen ist es, die hier völlig verworfen werden muß, welches unten ausführlich dargethan werden wird (§ 398). Und so muß ich bei dem erhobenen Widerspruch gegen die gewöhnlich angenommene Allgemeingültigkeit jenes Grundsatzes beharren, wenngleich diese irrige Annahme eine geringere Gefahr praktischer Folgen mit sich führt, als man glauben möchte. Um nun das Gebiet, in welchem der angegebene Grund- satz in der That anzuerkennen ist, näher zu begränzen, §. 384. Zweierlei Rechtsregeln. muß ich auf den verschiedenen Inhalt der Rechtsregeln eingehen, mit deren möglichen Veränderungen wir uns in der ganzen hier vorliegenden Untersuchung zu beschäftigen haben (§ 383). Eine erste Gattung von Rechtsregeln bezieht sich auf den Erwerb der Rechte , das heißt, auf die Verbindung eines Rechts mit einer einzelnen Person, oder auf die Ver- wandlung eines (abstracten) Rechtsinstituts in ein (persön- liches) Rechtsverhältniß S. o. B. 1 § 4. 5. . — Die Natur dieser Rechts- regeln und ihrer möglichen Veränderungen wird durch fol- gende Beispiele anschaulich werden. Wenn in einem Lande bisher das Eigenthum durch bloßen Vertrag veräußert und erworben werden konnte, ein neues Gesetz aber zur Ver- äußerung die Tradition fordert, so betrifft die Veränderung der Rechtsregel lediglich die Frage, unter welchen Bedin- gungen der Einzelne Eigenthum einer Sache erwerben, also zu seinem Rechte machen kann. Eben so, wenn bisher alle obligatorische Verträge mündlich mit voller Wirkung geschlossen werden konnten, ein neues Gesetz aber vor- schreibt, daß bei einem Gegenstand, dessen Werth mehr als Funfzig Thaler beträgt, nur ein schriftlicher Vertrag klag- bar seyn soll. Eine zweite Gattung von Rechtsregeln bezieht sich auf das Daseyn der Rechte , also auf die Anerkennung eines Rechtsinstituts im Allgemeinen, welche stets vorausgesetzt Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. werden muß, bevor von der Beziehung auf eine einzelne Person, oder von der Verwandlung eines Rechtsinstituts in ein Rechtsverhältniß, die Rede seyn kann. — Auch die Regeln dieser Gattung sind wieder von zweierlei Art, die in ihrem Umfang verschieden, in ihrem inneren Wesen gleich sind, und daher in Beziehung auf unsere gegenwärtige Un- tersuchung völlig auf gleicher Linie stehen. Einige dieser Rechtsregeln betreffen das Seyn oder Nichtseyn eines Rechtsinstituts. — Beispiele sind diese. Wenn in einem Staate bisher die Römische Sklaverei an- erkannt war, oder die Germanische Leibeigenschaft, oder das Zehentrecht, und ein neues Gesetz eines dieser Rechtsinsti- tute aufhebt, für unmöglich erklärt, ihm also den Rechts- schutz entzieht. Andere unter diesen Rechtsregeln betreffen zwar nicht das Seyn oder Nichtseyn, wohl aber das So oder An- dersseyn eines Rechtsinstituts, also, neben der allgemei- nen Fortdauer, eine innere Umwandlung desselben. — Da- hin gehören folgende Fälle. Anstatt des Eigenthums mit strenger Vindication (nach Römischem Recht) verordnet ein neues Gesetz, daß das Eigenthum gar nicht mehr durch Vindication, sondern nur durch Besitzklagen und Obliga- tionen geschützt werden soll. Anstatt des bisher unab- löslichen Zehentrechts, verordnet ein neues Gesetz, daß jede Partei einseitig die Ablösung des Zehentrechts verlangen könne. Eben dahin gehört das bekannte Gesetz Justinian’s über das Eigenthum. Seit Jahrhunderten hatte ein dop- §. 384. Zweierlei Rechtsregeln. peltes Eigenthum bestanden, ex jure quiritium und in bo- nis. Durch ein neues Gesetz hob Justinian diese zwei Arten auf, so daß künftig nur Ein Eigenthum, und zwar mit vollständiger Wirkung, bestehen sollte; in Verbindung damit hörte auch die bisherige Eigenthümlichkeit der res mancipi und des fundus Italicus auf. Es muß aber wiederholt werden, daß beide zuletzt er- wähnte Arten der Rechtsregeln das Daseyn der Rechte betreffen, unter sich also ganz gleichartig sind, und daß wir keine Veranlassung haben, im Laufe der gegenwärtigen Un- tersuchung sie zu unterscheiden. Ihr natürlicher Unterschied wurde nur erwähnt, um es anschaulich zu machen, in wel- chem Umfang und wie mannichfaltig die das Daseyn der Rechte betreffenden Rechtsregeln zu denken sind, und um jedem möglichen Zweifel über diesen Umfang vorzubeugen. Zu der hier dargestellten Unterscheidung von zweierlei Rechtsregeln, die den Erwerb, oder das Daseyn der Rechte betreffen, sind noch einige zusätzliche Bemerkungen nöthig Damit nicht diese Klassi- sication der Rechtsregeln, auf welcher die ganze folgende Unter- suchung beruht, für unvollständig und unzureichend gehalten werde, ist gleich hier zu bemerken, daß die gegenwärtige Untersuchung be- schränkt ist auf das materielle Pri- vatrecht, also das öffentliche Recht (insbesondere das Strafrecht), und das Prozeßrecht nicht in sich auf- nimmt. Diese Einschränkung ist dieselbe, welche schon oben ange- geben worden ist für die örtlichen Gränzen (§ 361. a ), ja für das ganze gegenwärtige Rechtssystem (B. 1 § 1). . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Was zuerst die Bezeichnung dieser zwei Gattungen von Regeln betrifft, so habe ich diejenige gewählt, welche vor- zugsweise durch sich selbst verständlich zu seyn schien. Man könnte sie auch dadurch zu unterscheiden suchen, daß man die eine Gattung auf das Recht im subjectiven, die andere auf das Recht im objectiven Sinn bezöge S. o. B. 1 § 4. 5. . Oder so, daß die eine Gattung auf die bleibende Natur (das Permanente) der Rechtsverhältnisse bezogen würde, die andere auf das Bewegliche in denselben. Die Gränze der beiden Gattungen von Rechtsregeln ist nicht überall unzweifelhaft, indem es bei manchen ungewiß erscheinen kann, ob sie der einen oder der andern Gattung angehören. Solche Zweifel sind nur durch genaue Erwä- gung des Sinnes und der Absicht neuer Gesetze zu lösen (§ 398). Die erste Gattung von Rechtsregeln wurde bezogen auf den Erwerb der Rechte; indessen ist darin auch der Verlust derselben, die Auflösung der Rechtsverhältnisse (ihre Abtren- nung von der Person des bisherigen Inhabers) mit inbe- griffen, und nur der Kürze wegen nicht mit ausgedrückt Es hätte daher diese Gat- tung auch bezeichnet werden können als: Regeln für die juristi- schen Thatsachen (B. 3 § 104). Ich habe diesen Ausdruck als zu abstract lautend vermieden. . In den meisten und wichtigsten Anwendungen fällt ohne- hin Beides völlig zusammen; so bei der Veräußerung, der Usucapion, der Klagverjährung, der Auflösung einer §. 384. Zweierlei Rechtsregeln. Obligation, in welchen Fällen stets der eine Theil gerade Das erwirbt, welches der andere Theil verliert. Aber auch in den seltneren und weniger wichtigen Fällen, worin der Verlust eines Rechts allein für sich eintritt, wie bei der Dereliction, hat es keinen Zweifel, daß die zeitliche Collision der Gesetze völlig eben so, wie bei dem Erwerb, zu beurtheilen ist. Die Natur mancher Rechte ist auf eine endlose Dauer eingerichtet, wie das Eigenthum vermittelst des Erbrechts, die Sklaverei, die sich durch die Geburt fortgesetzt, so daß ein völliges Aufhören dieser Rechte nur durch zufällige Um- stände eintreten kann; im Gegensatz anderer Rechte, die schon durch ihre Natur auf ein vorübergehendes Daseyn angewiesen sind, so wie fast alle Obligationen, der Nieß- brauch, die Familienverhältnisse. Bei beiden ist an sich die Collisionsfrage auf gleiche Weise zu entscheiden. Nur ist nicht zu verkennen, daß die das Daseyn der Rechte betref- fenden Regeln, und daher auch die Grundsätze für die Col- lision derselben, von ungleich größerer Wichtigkeit sind bei den Rechten von endloser Dauer, als bei den vorübergehenden. Wenn man die Frage aufwirft, welche von jenen beiden Gattungen von Rechtsregeln an sich selbst, und so auch in Ansehung möglicher Collisionen, wichtiger ist, so wird die Antwort verschieden ausfallen, je nach verschiedenen Ge- sichtspunkten, die man dabei wählen kann. Auf der einen Seite sind neue Gesetze über das Daseyn der Rechte wich- tiger, insofern sie tiefer in den gesammten Rechtszustand Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. eingreifen, und insbesondere das jetzt Bestehende umwan- deln. Auf der anderen Seite aber erscheinen neue Gesetze über den Erwerb der Rechte in der Hinsicht wichtiger, als sie häufiger zur Sprache und zum Bewußtseyn kommen. Sie bilden nämlich die Grundlage der juristischen Handlun- gen, der Rechtsgeschäfte Bei Weitem die meisten und wichtigsten juristischen That- sachen bestehen in freien Handlun- gen; allerdings nicht alle, viel- mehr kommen darunter auch zu- fällige Ereignisse vor, die aber mit den freien Handlungen in der Collisionsfrage unter völlig gleichen Regeln stehen. Dahin gehören z. B. als Gründe des Eigenthums- erwerbs die verschiedenen Formen der Accession; als Grund eines deferirten Intestaterbrechts der Tod einer bestimmten Person. , also des gesammten Verkehrs. Daher ist gerade die Collisionsfrage bei ihnen sowohl erheb- licher, als verwickelter, welcher Grund besonders mich bestimmt hat, diese Gattung der Rechtsregeln der anderen in der folgenden Untersuchung voran zu stellen. Aus der bisher angestellten Betrachtung ergiebt sich für die Lösung der hier vorliegenden Aufgabe folgende Anord- nung als natürlich und zweckmäßig. Die Aufgabe geht dahin, die zeitlichen Gränzen der Herrschaft für zweierlei Rechtsregeln zu bestimmen. A. Erstlich für die Rechtsregeln, welche den Erwerb der Rechte zum Gegenstand haben. §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. Dabei ist vor Allem der Grundsatz in seiner wahren Bedeutung darzustellen, und zugleich das Verhältniß alter und neuer Gesetzgebung, so wie der Meinungen der Schrift- steller, zu diesem Grundsatz anzugeben. Ferner ist dieser Grundsatz auf einzelne Rechtsverhält- nisse und Rechtsfragen anzuwenden. Endlich ist die Natur der Ausnahmen darzustellen, die neben diesem Grundsatz nicht selten vorkommen. B. Zweitens für die Rechtsregeln, welche das Daseyn der Rechte zum Gegenstande haben. Die Anordnung der einzelnen Fragen ist der für die erste Klasse angegebenen ähnlich, nur daß diese Fragen hier eine einfachere Gestalt annehmen. §. 385. A. Erwerb der Rechte. — Grundsatz . Es ist nunmehr der Grundsatz der zeitlichen Collision für diejenigen Rechtsregeln festzustellen, welche den Erwerb der Rechte zum Gegenstand haben. In diesem Gebiete ist in der That der Grundsatz als wahr anzunehmen, dessen Allgemeingültigkeit oben (§ 384) verneint werden mußte. Ich will denselben in den beiden vorläufig angegebenen Formeln genauer festzustellen suchen, wodurch zugleich das innere Verhältniß beider Formeln zu einander anschaulich werden wird. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Die erste Formel lautete so: Neuen Gesetzen ist keine rückwirkende Kraft beizulegen. Zunächst ist die wahre Bedeutung der Rückwirkung aufzusuchen, die durch diese Formel abgewiesen wer- den soll. Es ist augenscheinlich, daß dieselbe nicht in einem buch- stäblichen, materiellen Sinn aufzufassen ist. Dieser Sinn würde dahin gehen, daß das Geschehene ungeschehen ge- macht werden solle. Da nun Dieses an sich unmöglich ist, so bedarf es keiner Rechtsregel, um es zu verhindern. — Vielmehr ist also die Rückwirkung in einem juristischen oder formellen Sinn aufzufassen, wodurch sie die Bedeu- tung erhält, daß das rückwirkende Gesetz die Folgen der vergangenen juristischen Thatsachen unter seine Herrschaft ziehen, also auf diese Folgen einwirken würde. Eine solche Rückwirkung aber auf die Folgen der vergangenen That- sachen läßt sich noch in folgender Abstufung denken: A. Auf die Folgen allein, die von der Zeit des neuen Gesetzes künftig eintreten würden. B. Auf diese Folgen, und zugleich auf die, welche in die Zwischenzeit zwischen der juristischen Thatsache und dem neuen Gesetze fallen. Zwei Beispiele werden diese Rückwirkung anschaulich machen. — Wenn in einem Lande, das den Zinsvertrag ohne Einschränkung zuläßt, ein Gelddarlehen zu zehn Pro- zent Zinsen gegeben wird, nach drei Jahren aber wird das §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. Römische Recht in diesem Lande eingeführt, welches höhere Zinsen, als zu sechs Prozent, verbietet, so würde die Rück- wirkung der ersten, geringeren Abstufung dahin führen, daß von der Zeit des neuen Gesetzes an die überschießenden vier Prozente nicht mehr gefordert werden könnten, anstatt daß die in den verflossenen drei Jahren fällig gewordenen gültig bleiben würden und noch ferner eingeklagt werden könnten. Die zweite, weiter gehende Abstufung der Rück- wirkung würde dahin gehen, daß die überschießenden vier Prozente weder für die vergangenen drei Jahre, noch für die künftige Zeit, gefordert werden könnten. — Wenn fer- ner in einem Lande, das die Veräußerung des Eigenthums durch bloßen Vertrag zuläßt, ein Landgut in dieser Weise an einen Käufer veräußert wird, nach fünf Jahren aber ein neues Gesetz die Tradition zur Veräußerung erfordert, so würde die Rückwirkung der ersten Abstufung dahin füh- ren, daß der Käufer in den vergangenen fünf Jahren Ei- genthümer gewesen wäre, und die Früchte als Eigenthümer bezogen hätte, anstatt daß er von jetzt an Eigenthümer zu seyn aufhören müßte. Nach der zweiten Abstufung würde er auch in den vergangenen Jahren Nichteigenthümer gewe- sen seyn, und die Früchte mit Unrecht bezogen haben. Die oben aufgestellte Formel nun (der Grundsatz der Nichtrückwirkung) verneint schlechthin die Einwirkung des neuen Gesetzes auf die Folgen der vergangenen Thatsachen, und zwar in jeder denkbaren Abstufung. Sie erhält also den Zinsvertrag zu zehen Prozent aufrecht, sowohl für die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. vergangenen drei Jahre, als für die ganze Zukunft Diese Aufrechthaltung für die Zukunft wird meist unerheblich seyn, weil der Schuldner das Dar- lehen kündigen kann, und in Folge des neuen Gesetzes leicht Geld zu geringeren Zinsen finden wird. Sie ist in den seltneren Fällen wichtig, wenn die Unkündbarkeit der Schuld auf längere Zeit be- dungen seyn sollte. . Sie läßt das durch bloßen Vertrag erworbene Eigenthum fortwirken, nicht blos für die vergangenen fünf Jahre, son- dern auch für alle Zukunft. Ich gehe nun zur zweiten Formel über, die also lautet: Neue Gesetze sollen erworbene Rechte unberührt lassen. Damit wird gefordert die Schonung der bereits erwor- benen Rechte, oder, in genauerem Ausdruck, die Erhaltung der Rechtsverhältnisse in der ihnen einmal gegebenen Na- tur und Wirksamkeit. Manche haben diese zweite Formel so aufgefaßt, als ob darin ein neuer, selbstständiger Grundsatz enthalten wäre, verschieden von dem in der ersten Formel ausgedrückten Bergmann S. 92. Puchta Vorlesungen S. 223. . In der That aber erscheint in beiden Formeln ein und derselbe Grundsatz, nur von verschiedenen Seiten angesehen und bezeichnet. Die Anwendung auf die bereits bei der ersten Formel benutzten Beispiele wird Dieses anschaulich machen. — Der Glaubiger hat durch den auf zehen Pro- zent geschlossenen Zinsvertrag das Recht erworben, Zinsen in diesem Betrag zu fordern, so lange das Darlehen §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. besteht Es würde ganz unrichtig seyn, nur den Anspruch auf schon fällige Zinsen ein erworbenes Recht zu nennen. Auch der Anspruch auf künftige ist ein solches, jedoch darin von dem ersten verschieden, daß die Ausübung von dem Ein- tritt eines in der Zukunft liegen- den Zeitpunktes abhängt. , und dieses erworbene Recht soll erhalten wer- den, obgleich ein neues Gesetz die Zinsverträge auf ein ge- ringeres Maaß beschränkt. — Durch den bloßen Vertrag hat der Käufer des Landgutes Eigenthum erworben, und dieses erworbene Recht soll ihm erhalten werden, obgleich ein neues Gesetz die Veräußerung an die Bedingung der Tradition knüpft. Die auf die Erhaltung der erworbenen Rechte gerichtete Formel bedarf nach zwei Seiten einer näheren Bestimmung, um gegen mögliche, sehr bedenkliche, Mißverständnisse ge- schützt zu werden. Erstlich sind unter erworbenen Rechten, welche nach jener Formel erhalten werden sollen, nur die Rechtsverhält- nisse einer bestimmten Person zu verstehen, also die Be- standtheile eines Gebietes unabhängiger Herrschaft des indi- viduellen Willens S. o. B. 1 § 52. 53. , nicht die abstracten Befugnisse aller Menschen oder ganzer Klassen von Menschen Bergmann § 20. . Einige Beispiele werden diesen Gegensatz, und die aus demselben hervorgehende Beschränkung für die Anwendung der aufge- stellten Formel, anschaulich machen. — Wenn in einem Staate der bisher straflose Zweikampf unter Strafe gestellt wird, so ist dadurch allen jetztlebenden Einwohnern die VIII. 25 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. bisher genossene Befugniß, den Zweikampf ungestraft vorzu- nehmen, entzogen. Die augenblickliche Einwirkung dieses neuen Gesetzes aber wird durch unsere Formel nicht ausge- schlossen, weil die bisher vorhandene abstracte Befugniß aller Menschen zum straflosen Zweikampf nicht die Natur eines erworbenen Rechtes hat. — Auf gleiche Weise verhält es sich, wenn in einem Staate, der bisher Bürgschaften der Frauen mit voller Wirkung anerkannte, das Römische Recht, und mit diesem das Sc. Vellejanum, eingeführt wird, wodurch alle Frauen die bisherige Befugniß zu vollgültigen Bürgschaften verlieren. — Und ganz Dasselbe muß behauptet werden, wenn da, wo bisher die Volljährigkeit mit 21 Jahren eintrat, das Römische Recht mit der auf 25 Jahre bestimmten Volljährigkeit eingeführt wird. Alle, die zur Zeit dieses neuen Gesetzes noch nicht 21 Jahre vollendet haben Anders verhält es sich mit Denen, die zur Zeit des neuen Ge- setzes schon 21 Jahre zurückgelegt hatten, denn für jeden Einzelnen unter diesen war die Volljährigkeit bereits ein persönliches erworbenes Recht geworden, s. u. §. 389. , verlieren durch dasselbe die Befugniß, mit diesem Alter volljährig zu werden, und werden also Vier Jahre länger in der Minderjährigkeit erhalten. Zweitens sind erworbene Rechte nicht zu verwechseln mit bloßen Erwartungen , die durch das bisher bestehende Gesetz begründet waren, durch das neue Gesetz aber zerstört werden. Diese Zerstörung wird durch den auf die Er- haltung der erworbenen Rechte gerichteten Grundsatz keines- §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz, weges ausgeschlossen. — So konnte ein bestehendes Erb- folgegesetz in bestimmten Personen einer Familie die Er- wartung erregen, daß sie die Intestaterben eines anderen Familiengliedes werden würden, und sie mögen vielleicht ihren Lebensberuf nach dieser Erwartung eingerichtet haben. Wenn nun ein neues Erbfolgegesetz diese Erwartung ver- nichtet, so mag ihnen diese Aenderung des Rechts sehr störend werden, aber unser Grundsatz schließt diesen Erfolg nicht aus, da derselbe nur erworbene Rechte, nicht erregte Erwartungen, in Schutz nimmt. — Eben so verhält es sich, wenn Jemand von einem reichen kinderlosen Mann das Versprechen erhält, daß dieser ihn zum einzigen Erben einsetzen werde, wenn sogar das Testament wirklich gemacht und ihm gezeigt worden ist. Diese bloße Erwartung kann durch ein, bei dem Leben des Testators, erlassenes neues Gesetz, das die Testamente verbietet, eben so gut vereitelt werden, wie durch den veränderten Willen des Testators Meyer p. 32. 33. . — Dagegen würde es unrichtig seyn, hierin den bloßen Erwartungen gleich zu stellen die Rechte, die nur noch nicht ausgeübt werden können, weil sie an eine Bedingung oder Zeitbestimmung geknüpft sind. Dieses sind wirkliche Rechte, iudem selbst bei der Bedingung die eingetretene Erfüllung retrotrahirt wird. Der Unterschied liegt darin, daß bei der Erwartung aller Erfolg von der bloßen 25* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Willkür einer fremden Person abhängt, anstatt daß bei conditio und dies Dieses nicht anzunehmen ist S. o. B. 3 § 116. 117. 120. — Chabot T. 1 p. 128. Meyer p. 30—32 p. 172. . Der hier aufgestellte Gruudsatz , der aus beiden angege- benen Formen hervorgeht, hat aber zwei an sich verschiedene Bedeutungen, deren jede wahr und wichtig ist; die eine bezieht sich auf den Gesetzgeber, die andere auf den Richter. Für den Gesetzgeber hat jener Grundsatz die Bedeutung, daß er neue Gesetze nicht mit rückwirkender Kraft, nicht mit Gefährdung erworbener Rechte, erlassen soll Darauf geht der Ausdruck der L. 65 C. de decur. (10. 31) „cum conveniat leges futuris regulas imponere, non praeter- itis calumnias excitare.“ Die meisten anderen Stellen fassen mehr den Standpunkt der Belehrung für den Richter auf. So unter anderen auch die Stelle, aus welcher außer- dem die L. 65 cit. größtentheils wörtlich entnommen ist. L. 3 C. Th. de const. (1. 1) „Omnia constituta non praeteritis ca- lumniam faciunt, sed futuris regulam imponunt.“ . Für den Richter geht die Bedeutung des Grundsatzes dahin, jedes neue Gesetz, auch wenn es hierüber unbestimmt lautet, so auszulegen und anzuwenden, daß ihm keine rückwirkende Kraft beigelegt, daß kein erworbenes Recht gestört werde. Wird also in einem Staat, der bisher die Veräußerung durch bloßen Vertrag zuließ, die Tradition als Bedingung der Veräußerung vorgeschrieben, so wird dieses neue Gesetz der eben gestellten Anforderung dadurch genügen, daß es in folgendem Sinn gedacht wird: „Wer künftig Eigenthum veräußern will, soll sich dazu der Tradition bedienen.“ In §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. diesem Sinn soll der Gesetzgeber die neue Vorschrift denken (wenn auch nicht wörtlich ausdrücken), und der Richter sie anwenden. Bisher ist versucht worden, den Grundsatz in seiner eigentlichen Bedeutung und in seinen verschiedenen Be- ziehungen klar zu machen, so wie in gehörige Gränzen ein- zuschließen. Die Hauptfrage aber ist dabei noch nicht be- rührt worden: ob wir ihn überhaupt für wahr zu halten haben, und aus welchen Gründen. Man möchte vielleicht versucht seyn, Folgendes dagegen einzuwenden. Ein neues Gesetz wird stets gegeben in der Ueberzeugung, daß es besser sey, als das frühere. Daher müsse man dessen Wirksamkeit so weit, als möglich, aus- dehnen, um den zu erwartenden besseren Zustand dem weitesten Kreise mitzutheilen. — Diese Auffassung hat einige Verwandtschaft mit der oben bei dem territorialen Rechte erwähnten (§ 348), nach welcher bei jeder örtlichen Collision dex Gesetze nur immer das Gesetz des eigenen Landes fest- gehalten werden sollte. Wie aber damals diesem scheinbaren Grundsatz der wahre entgegen gesetzt werden mußte, nach welchem jedes Rechtsverhältniß vielmehr nach dem Gesetz des ihm naturgemäß zukommenden Rechtsgebietes zu beur- theilen war, so wird auch hier unsre Aufgabe dahin gehen, für die zeitliche Wirksamkeit eines jeden neuen Gesetzes das Gebiet der Herrschaft festzustellen, welches ihm naturgemäß zukommt. Die Gränzen dieses natürlichen Gebietes nun für die Herrschaft eines neuen Gesetzes sind es, welche Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. durch den oben aufgestellten Grundsatz der nichtrückwirken- den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet werden. Die Wahrheit dieser Behauptung aber geht aus folgenden Betrachtungen hervor. Erstlich ist höchst wichtig und wünschenswerth das unerschütterliche Vertrauen in die Herrschaft der bestehenden Gesetze. Damit ist nicht gemeint das Vertrauen in ihre stete Fortdauer, da vielmehr nach Umständen die Erwartung und der Wunsch eines bessernden Fortschrittes wohl begründet und heilsam seyn kann. Wohl aber ist gemeint das Ver- trauen, daß ihre Herrschaft und Wirksamkeit, so lange sie bestehen, unanfechtbar seyn werde. Es soll also Jeder darauf sicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeschäfte, die er zum Erwerb von Rechten nach den bestehenden Gesetzen eingerichtet hat, auch in Zukunft wirksam bleiben werden. Zweitens ist gleichfalls wichtig und wünschenswerth die Erhaltung des jederzeit bestehenden Rechts- und Vermögens- Bestandes. Diese Erhaltung aber wird, so weit die Gesetz- gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben aufgestellten Grundsatz, gefährdet durch den entgegen- gesetzten. Drittens ist der entgegengesetzte Grundsatz schon deshalb verwerflich, weil eine consequente Durchführung desselben ganz unmöglich ist, so daß er nur zufällig und inconsequen- terweise (also schon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten von Rechtsgeschäften einwirken würde, während alle anderen davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen- §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. gesetzten Grundsatz strenge durchführen, so müßte ein neues Gesetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anstatt des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er- forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene Veräußerungen unwirksam würden, oder durch nachgeholte Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich- keit eines solchen Rechtszustandes ist so einleuchtend, daß gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der Sache als richtig angesehen, und nur nach positiven Ge- setzen verworfen wird, auch diese Folgen mit aufzunehmen. Man glaubte also die Rückwirkung allgemein in Frage zu stellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete, noch unerledigte Rechtsgeschäfte, namentlich an früher ge- schlossene obligatorische Verträge, deren Erfüllung erst nach dem Erlaß des neuen Gesetzes gefordert wird Dieses ist namentlich die Ansicht von Weber , S. 108, der das unter dem früheren Gesetz durch bloßen Vertrag erworbene Eigen- thum fortwirken läßt, auch wenn ein neues Gesetz die Traditton zur Veräußerung erfordert. Er wird aber dadurch seinem Grund- satz in der That untreu, indem er unvermerkt bie Anwendung desselben inconsequent und willkürlich be- schränkt. . In dieser beschränkten Anwendung ist es allerdings denkbar, die Rückwirkung durchzuführen; aber eben diese ganz zu- fällige und willkürliche Beschränkung beweist, daß die An- nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundsatz ganz untauglich, und in der zufällig beschränkten Anwen- dung, worin sie möglich wäre, ungerecht ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. §. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Fortsetzung.) Der Grundsatz für die den Erwerb der Rechte betreffen- den Regeln ist bisher nur von dem Standpunkt einer allgemeinen Betrachtung über die Natur und Bestimmung der Gesetze erwogen worden; ich wende mich nun zu den Aussprüchen der Gesetzgebung über diese wichtige Frage. Hier tritt uns zunächst entgegen eine für den Orient von K. Theodosius II. im J. 440 erlassene Verord- nung L. 7 C. de legibus (1. 14). — Die Stelle wird wörtlich wieder- holt in einer Decretale von Gregor IX. , C. 13 X. de constit. (1. 2). Dem Inhalt nach stimmt damit überein C. 2 X. eod. , die auf alle spätere Zeiten, sowohl in der Ge- setzgebung, als in der Praxis, und in der Lehre der Schrift- steller, den entschiedensten Einfluß ausgeübt hat. Sie lautet also: Leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, non ad facta praeterita revo- cari, nisi nominatim et de praeterito tempore et adhuc pendentibus negotiis cautum sit. Der wichtige Inhalt dieser Berordnung, der die bisher vorgetragene Lehre völlig bestätigt, läßt sich auf folgende Hauptsätze zurückführen. Sie unterscheidet nicht zwischen vergangenen und künf- tigen Wirkungen juristischer Thatsachen, sondern zwischen §. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) vergangenen und künftigen Thatsachen selbst. Neue Ge- setze, sagt sie, sind anzuwenden auf alle späterhin vorzu- nehmende Rechtsgeschäfte ( futuris … negotiis ), nicht an- zuwenden auf vergangene Rechtsgeschäfte ( non ad facta praeterita revocari ), auch wenn deren Wirkungen erst noch in der Zukunft liegen sollten ( adhuc pendentibus ne- gotiis ) Denn die Beziehung auf die pendentia negotia ist der Ausnahme vorbehalten, für die regelmäßigeu Fälle also untersagt. Pendens negotium ist ein Ver- trag, der zur Zeit des neuen Ge- setzes schon geschlossen, aber ganz oder theilweise noch unerfüllt ist, so daß dessen Wirkungen in der Zukunft liegen. — Der Ausdruck negotium ist in der Stelle a po- tiori gebraucht, indem die meisten juristischen Tbatsachen (wenn auch nicht alle) wahre Rechtsgeschäfte sind (§ 384. e ). Auch anderwärts kommt einmal der Ausdruck ne- gotium für eine solche Thatsache vor, die gewiß kein Rechtsgeschäft ist, nämlich die Eröffnung einer Intestaterbfolge. L. 12 in f. C. de suis (6. 55). — Unter die pendentia negotia gehören nun unstreitig auch diejenigen, worüber bereits ein Rechtsstreit erhoben, aber noch nicht entschieden ist; je- doch glaube ich nicht, daß der hier gebrauchte Ausdruck gerade diesen Fall besonders hat bezeichnen sollen. Anders verhält es sich mit den causis … quae in judicii adhuc pendent in der const. Tanta § 23. . Sie macht den Vorbehalt, daß ein künftiges Gesetz ausnahmsweise auch wohl eine rückwirkende Kraft sich bei- legen könne, die alsdann anerkannt werden müsse. Hieraus erhellt, daß diese Verordnung gedacht ist als eine Anwei- sung (Auslegungsregel) für die Richter, nicht für den Ge- setzgeber, welchem vielmehr für jeden einzelnen Fall freie Hand ausdrücklich vorbehalten wird. Wäre aber auch dieser Vorbehalt nicht hinzugefügt, so würde er sich von Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. selbst verstanden haben, da diese Vorschrift künftig, wie im Ganzen, so auch in der Anwendung auf jeden einzelnen künftigen Fall, wieder aufgehoben werden konnte. Wichtig ist noch der Standpunkt, von welchem aus die Verordnung erlassen wird. Sie ist nicht gemeint als eine aus neuer Erfindung hervorgehende Vorschrift, vor welcher also etwa das Gegentheil anzunehmen gewesen wäre. Viel- mehr will sie nur aussprechen, Was aus der Natur und Bestimmung der Gesetzgebung als Regel nothwendig folge ( certum est ), also eine Belehrung geben zur Abwendung möglicher Irrthümer der Richter über diese Frage. Auch dürfen wir nicht zweifeln, daß jene Regel von jeher von den Römischen Juristen als wahr anerkannt worden ist, und es ist nur zufällig, daß uns nicht Aussprüche derselben aus älterer Zeit aufbewahrt sind Sehr bestimmt findet sich die Regel anerkannt bei Cicero in Verrem I. 42, und zwar als Etwas, das von jeher als unzweifelhaft angesehen worden sey. . Endlich ist oben bemerkt worden, daß neue Gesetze auf zweierlei Weise vorkommen können: als einzeln stehende, besondere Vorschriften (§ 383. Num. 1), oder im Zusam- menhang eines ganzen Gesetzbuchs, also eines mit Gesetzes- kraft versehenen Systems von Rechtsregeln (§ 383. Num. 2. 3. 4.). In der hier vorliegenden Verordnung ist augen- scheinlich nur an den ersten Fall gedacht, der Inhalt der- selben paßt aber ganz eben so auch auf den zweiten. §. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) Derselbe Grundsatz nun, den die angeführte Verordnung in allgemeiner Gestalt ausspricht, sindet sich anerkannt in einer Reihe von Constitutionen, welche als neue Gesetze über einzelne Rechtsfragen erlassen wurden, mit dem Zusatz, daß sie nur für die Zukunft gelten, nicht rückwirkend seyn sollten; dieser Zusatz hat dabei die Natur eines transitori- schen Gesetzes (§ 383). — Einige dieser Constitutionen sind dadurch bemerkenswerth, daß sie sehr bestimmt die oben erklärte Natur unsres Grundsatzes aussprechen, nach wel- cher derselbe bestimmt ist, die künftigen Wirkungen der vergangenen Thatsachen aufrecht zu halten L. un. § 16 C. de rei ux. act. (5. 13) „instrumenta enim jam confecta viribus ca- rere non patimur, sed suum exspectare eventum”. — L. un. § 13 C. de latina libert. toll. (7. 6). „Sed si quidem liberti jam mortui sunt et bona eorum quasi Latinorum his, quorum intererat, aggregata sunt, vel adhuc vivunt, nihil ex hac lege innovetur, sed maneant apud eos jure antiquo firmiter deten- ta et vindicanda” . . — Andere drücken den Grund unserer Regel ganz richtig dahin aus, daß Der, welcher im Vertrauen auf das beste- hende Gesetz seine Rechtsgeschäfte einrichte, keinen Tadel verdiene, indem er das künftige Gesetz nicht habe vorher- sehen und beachten können L . 29 C. de test . (6. 23), Nov . 22 C . 1. — Andere Con- stitutionen, die denselben Grund- satz anerkennen, sind diese: L. 65 C. de decur. (10. 31), L. 18 C. de testibus (4. 20), Nov. 66 C. 1 § 4. 5. . Wir haben nun zunächst zu untersuchen, welche Bedeu- tung diese Aussprüche des Römischen Rechts für uns, auf dem Standpunkte des gemeinen Rechts, haben, und wir Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. können diese Frage sogleich auch auf die im Römischen Recht vorkommenden Ausnahmen erstrecken, die eine rück- wirkende Kraft mit sich führen, und deren allgemeiner Vor- behalt bereits erwähnt worden ist, während die Erwähnung der einzelnen Fälle erst weiter unten ihre Stelle finden kann. Unsere Schriftsteller sind darüber ganz einverstanden, daß alle diese Aussprüche des Römischen Rechts, sie mö- gen die Regel oder die Ausnahme betreffen, so weit über- haupt Römisches Recht anerkannt wird, die Kraft wahrer Gesetze mit sich führen. Ich kann mich von der Wahrheit dieser Behauptung nicht überzeugen. Zuerst muß ich dieselbe grundsätzlich verwerfen. Wir mögen jene Aussprüche ansehen als Anweisungen für den Gesetzgeber oder für den Richter, welche beide Auffassungen an sich richtig sind (§ 385), so haben sie für uns, auch da, wo das Römische Recht anerkannt wird, die Kraft binden- der Gesetze nicht S. o. B. 1 § 27. 49. . Zweitens muß ich jene Behauptung verwerfen mit Rücksicht auf den besonderen Inhalt der Aussprüche, von welchen hier die Rede ist. Der allgemeine Ausspruch, welcher die rückwirkende Kraft verneint, so wie die einzel- nen Wiederholungen desselben (Note a. c. d. ), sollten gar nicht neues Recht aufstellen, und sind auch in der That nur Belehrungen, worin die richtige Behandlung neuer Gesetze naturgemäß anerkannt wird. Bei diesen Aussprüchen §. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) also ist die ganze Frage ohnehin eine völlige müssige. — Anders verhält es sich mit den einzelnen Ausnahmen jenes Grundsatzes, die allerdings einen völlig positiven Charakter an sich tragen. Und dennoch muß auch hier eine genauere Betrachtung zu demselben Erfolg führen. Um Dieses an- schaulich zu machen, will ich Justinian’s Gesetze über den Zinsvertrag prüfen. Im J. 528 hatte er verordnet, daß anstatt der seit Jahrhunderten erlaubten Zwölf Prozente künftig in der Regel nur Sechs Prozente an Zinsen be- dungen werden dürften L. 26 C. de usuris (4. 32). . Da nun bald darauf Zweifel entstanden wegen der vor dem J. 528 geschlossenen Zins- verträge, erließ er im J. 529 ein transitorisches Gesetz L. 27 C. de usuris (4. 32). des Inhalts, daß die vor dem J. 528 verfallenen Zinsen nach dem alten Gesetz, die seitdem verfallenen, so wie die künftigen, nach dem neuen Gesetz beurtheilt werden soll- ten Die letzte Bestimmung geht auf rückwirkende Kraft, enthält also eine Ausnahme unseres Grundsatzes (§ 385). . Nun wird wohl Jeder zugeben, daß von dem unmittelbaren Inhalt des Gesetzes nicht mehr die Rede seyn kann, da ganz gewiß keinem Richter ein vor 528 geschlos- sener Zinsvertrag zur Entscheidung vorgelegt werden wird. Eben so kann nicht von einer Anwendung des Gesetzes in den Ländern die Rede seyn, in welchen seit Jahrhunderten das Römische Recht herrschend ist, da auch hier die that- sächliche Veranlassung zu einer solchen Anwendung durch- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. aus fehlen muß. Der einzige Fall einer möglichen Anwen- dung wäre der, wenn etwa eine Gegend, die bisher kein Zinsverbot gekannt hätte, einem Staate einverleibt würde, in welchem Römisches Recht, mit dem Verbot höherer Zin- sen, als zu 6 Prozent, gilt. Hier könnte man daran den- ken, das angeführte transitorische Gesetz auf die in jener Gegend geschlossenen früheren Zinsverträge anzuwenden. Allein auch diese Anwendung würde ich als eine ungehö- rige, blos buchstäbliche, dem Geist des Gesetzes wider- sprechende, verwerfen müssen. Denn jedes transitorische Gesetz, so weit es über die Gränzen bloßer Belehrung hin- aus geht, und, so wie jenes Gesetz Justinian’s, eine Rück- wirkung anordnet, ist von streng positiver Natur, also ganz abhängig von den Umständen und Bedürfnissen seiner Zeit, und nicht der Ausdruck einer für alle Zeiten und Verhält- nisse gültigen Rechtsregel. Justinian kann also die hier erwähnte Rückwirkung verordnet haben, weil er (mit Recht oder Unrecht) annahm, sie sey nach dem Bedürfniß seiner Zeit nöthig oder nützlich. Wollten wir dieselbe aber jetzt anwenden, so würden wir über den Sinn derselben hinaus- gehen, indem wir ohne allen Grund voraussetzen müßten, er habe diese Vorschrift auch für alle künftige Zeiten, deren Bedürfnisse er unmöglich vorhersehen konnte, gelten lassen wollen. Wenngleich nun aus diesen Gründen hervorgeht, daß wir den erwähnten Aussprüchen des Römischen Rechts die Kraft bindender Gesetze, selbst in dem Gebiete unseres ge- §. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) meinen Rechts, absprechen müssen, so darf diese Behaup- tung keinesweges so verstanden werden, als wollten wir dieselben für gleichgültig oder unwichtig erklären. Sie sind vielmehr dadurch höchst wichtig geworden, daß sie als eine mächtige Autorität seit Jahrhunderten auf die Gesetzgebung, die gerichtliche Praxis, und die Lehre der Schriftsteller ein- gewirkt haben, wodurch, neben mancher Verschiedenheit im Einzelnen, dennoch im Ganzen eine so große Uebereinstim- mung entstanden ist, wie sie ohne diese gemeinsame Grund- lage gewiß nicht zu erwarten gewesen wäre. §. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Fortsetzung) . Der Ausspruch des Römischen Rechts über die Nicht- rückwirkung (§ 386) ist in die wichtigsten neueren Gesetz- gebungen übergegangen. I. Preußische Gesetzgebung. Die Einleitung zum allgemeinen Landrecht enthält die- sen Grundsatz in folgenden Worten. § 14. Neue Gesetze können auf schon vorhin vorgefallene Handlungen und Begeben- heiten nicht angewendet werden. Diese Vorschrift ist augenscheinlich gemeint als Anwei- sung für die Handlungsweise der Richter, so daß das Wort können eigentlich den Sinn von sollen mit sich führt. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II Zeitliche Gränzen. Was den Gesetzgeber betrifft, so war in dem Entwurf eine Stelle aufgenommen, welche den Vorbehalt von Aus- nahmen, übereinstimmend mit dem Römischen Recht, aus- drücken sollte Entwurf eines Gesetzbuchs Einleit. § 20. „Nur der Landes- herr kann, aus überwiegenden Gründen des gemeinen Besten, ein neues Gesetz auch auf ver- gangene Fälle zurückerstrecken.“ . Dieser Vorbehalt ist in dem Landrecht weggelassen worden, und es ist an die Stelle desselben die allgemeine Ausnahme getreten, daß neue Strafgesetze, so- fern sie milder seyen, als die alten, auch auf frühere Ver- brechen angewendet werden sollen Einleitung zum A. L. R. § 18—20. Eine andere, die Form der Rechtsgeschäfte betreffende Aus- nahme (§ 16. 17) wird weiter unten (§ 388. c ) erwähnt werden. . — Diese Weglas- sung ist jedoch ganz unerheblich, indem es sich ohnehin von selbst versteht, daß in jedem einzelnen künftigen Fall der Gesetzgeber berechtigt ist, einem neuen Gesetze ausnahms- weise die rückwirkende Kraft besonders beizulegen. Die oben angeführte Vorschrift stimmt mit dem Römi- schen Recht auch darin überein, daß sie ausdrücklich die juristischen Thatsachen der früheren Zeit („Handlungen und Begebenheiten“) der Einwirkung des neuen Gesetzes entzieht, also sowohl die vergangenen als die zukünftigen Wirkungen dieser früheren Thatsachen davon unabhängig erhält. Neben dieser allgemeinen Bestimmung, die für alle ge- genwärtige und künftige Gesetze die zeitliche Gränze ihrer §. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) Wirksamkeit feststellt, kommt nun aber noch in Betracht eine Anzahl transitorischer Vorschriften, veranlaßt durch die Einführung der gegenwärtigen Preußischen Gesetzgebung, bald in das gesammte Land, bald in einzelne Landestheile (§ 383). In diesen ist derselbe Grundsatz anerkannt, und nur in näheren Bestimmungen einzeln angewendet. II. Französische Gesetzgebung. Hier ist unser Grundsatz für das Privatrecht in folgen- den wenigen Worten anerkannt Code civil art. 2. . La loi ne dispose que pour l’avenir; elle n’a point d’effet rétroactif. Sowohl diese Kürze, als der gebrauchte gangbare Kunst- ausdruck ( effet rétroactif ) läßt keinen Zweifel, daß hier lediglich die aus dem Römischen Recht herrührende, und durch das wissenschaftliche Recht aller Länder längst ge- nauer ausgebildete Lehre ganz und vollständig anerkannt werden sollte; und so hat es auch die Französische Praxis aufgefaßt. Ganz in demselben Sinn ist die Regel im Strafrecht ausgesprochen Code pénal art. 4. . Die rückwirkende Kraft der neuen Strafgesetze, wenn sie milder sind als die früheren, ist hier nicht, wie im Preußischen Recht, durch das Gesetz selbst hinzugefügt, wohl aber durch die Praxis anerkannt. III. Oesterreichische Gesetzgebung. Auch hier findet sich blos folgende kurze Vorschrift Gesetzbuch § 5. . VIII. 26 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Gesetze wirken nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher er- worbene Rechte keinen Einfluß. Es gilt hier dieselbe Bemerkung, welche bereits für das Französische Gesetz gemacht worden ist. Ja es ist aus den gebrauchten Ausdrücken noch unzweifelhafter, daß der Gesetzgeber die gesammte im gemeinen Recht anerkannte und ausgebildete Theorie sich hat aneignen wollen. Bei der geringen Einwirkung der Gesetzgebung auf die vorliegende Lehre ist dem wissenschaftlichen Recht ein um so größerer Einfluß zugefallen, und es scheint daher nöthig, einige allgemeine Bemerkungen über die Stellung unserer Schriftsteller zu dieser Lehre voraus zu schicken. Im Großen und Ganzen findet sich eine größere Uebereinstim- mung, als man erwarten möchte; theils durch die große Autorität, die seit Jahrhunderten die Aussprüche des Rö- mischen Rechts ausgeübt haben (§ 386), theils durch die gerade hierin oft unverkennbare innere Macht der Dinge selbst. Die dennoch vorhandenen Verschiedenheiten haben eine zweifache Natur. Einige gründen sich auf die mehr oder weniger richtige Auffassung der einzelnen Rechtsverhältnisse in Beziehung auf unsere Frage, und von diesen wird erst unten, bei diesen Rechtsverhältnissen selbst, die Rede sein können. Andere sind entstanden aus den verschiedenen Ver- §. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) suchen, das mehr oder weniger deutlich Gedachte in allge- meinen Grundsätzen zu formuliren; diese Verschiedenheiten haben eine überwiegend theoretische Natur. Eine sehr in das Einzelne gehende Vergleichung und Kritik dieser Ver- suche würde nicht in rechtem Verhältniß stehen zu der da- von zu erwartenden Frucht. Es wird genügen, bei einigen Schriftstellern, die auf diese allgemeine Formulirung mehr als Andere, Kraft verwendet haben, auf das Eigenthümliche derselben hinzuweisen. Weber legt besonderes Gewicht auf folgende Unter- scheidung Weber § 21. a bis § 27. . Man könne ein neues Gesetz erstlich ver- suchen so zu behandeln, als wenn es schon in einer frü- heren Zeit vorhanden gewesen wäre, so daß es auch auf die in die Vergangenheit fallenden Wirkungen älterer Rechts- geschäfte bezogen würde. Darin liege eine rückwirkende Kraft, und diese sey verwerflich. Man könne aber auch zweitens sich darauf beschränken, die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeschäfte nach dem neuen Gesetze zu beurthei- len, und Dieses sey richtig. — Er glaubt, diese Unterschei- dung, als Grundlage der ganzen Lehre, aus der Natur der Sache abgeleitet zu haben, steht aber in der That unter dem Einfluß der L. 27 C. de usuris (§ 386. g) , deren sehr eigenthümliche und willkürliche Vorschrift sich ihm un- vermerkt in einen allgemeinen Grundsatz verwandelt. Wie sehr er auf diesem Wege zu einer inconsequenten Anwen- 26* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. dung seines Grundsatzes unvermerkt genöthigt wird, um der völligen Unausführbarkeit zu entgehen, ist schon oben bemerkt worden S. o. § 385. k. . Bergmann legt eine allgemeinere Unterscheidung zum Grunde Bergmann § 4 § 22 § 30. . Ein Anderes soll gelten nach der Natur der Sache, ein Anderes nach den ganz positiven Vorschriften des Römischen Rechts. — Nach der Natur der Sache soll Das wahr seyn, welches Weber für den Inhalt des Rö- mischen Rechts ausgiebt. Das neue Gesetz soll nur nicht retrodatirt, das heißt, auf die in die Vergangenheit fallen- den Wirkungen bezogen werden; die Beziehung auf die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeschäfte soll gültig seyn. — Die positive Vorschrift des Römischen Rechts soll da- von auf zweierlei Weise abweichen. Erstlich, indem es auch die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeschäfte in Schutz nehme; zweitens, indem es nicht blos die rechtlichen Wir- kungen (erworbene Rechte) schütze, sondern auch bloße Er- wartungen. Bei diesem letzten Schriftsteller ist besonders zu tadeln, daß er den Inhalt des Römischen Rechts in einen grund- sätzlichen Gegensatz bringt mit dem aus der Natur der Sache hervorgehenden Recht, welches der Absicht der von Theodosius II. herrührenden, und von Justinian in seine Gesetzsammlung aufgenommenen Hauptstelle geradezu wider- spricht (§ 386. a ), also nur vertheidigt werden kann durch §. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. (Forts.) die Voraussetzung, die Römischen Gesetzgeber hätten sich über die Natur der Sache völlig getäuscht, nicht durch die Annahme, sie hätten absichtlich neues, positives Recht vor- schreiben wollen. — Uebrigens schlägt Bergmann wesentlich dasselbe Verfahren ein, wie Weber. Dieser steht, wie schon bemerkt, ohne es sich recht deutlich zu machen, unter dem Einfluß der L. 27 C. de usuris; eben so Bergmann unter dem Einfluß von zwei Novellen Justinian’s ( N. 66 und N. 22 C. 1). Unter dem falschen Schein eines kritisch-historischen Verfahrens bildet er aus einigen allgemeinen Redensarten dieser Novellen, und aus sehr willkürlichen Vorschriften derselben, eine allgemeine Theorie der erlaubten und uner- laubten rückwirkenden Kraft der Gesetze aus, unter der ganz unkritischen stillschweigenden Voraussetzung, Justinian habe in diese Novellen eine solche Theorie niederlegen wol- len, sie sollten also den allgemeinen Maaßstab abgeben für die Anwendung neuer Gesetze überhaupt. Struve endlich zeichnet sich nicht aus durch eine be- sondere Auffassung der rückwirkenden Kraft überhaupt, in- dem er hierin vielmehr von der Auffassung Anderer mehr im Ausdruck, als im Wesen, abweicht. Dagegen steht er ganz allein in der Behauptung, daß die Regeln über die Anwendung neuer Gesetze auf Vergangenheit und Zukunft ausschließend aus der vom Richter zu erkennenden Natur der Sache, niemals aus positiven Gesetzen, hergenommen werden dürften. Jeder Versuch, diesen Gegenstand gesetz- lich zu regeln, soll gänzlich nichtig sein, und vom Richter Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. gar nicht beachtet werden dürfen; weshalb er denn auch alle transitorische Gesetzgebung völlig verwirft Struve S. 6. S. 30—34 S. 153—154. . — Bei dieser Auffassung der Sache ist hauptsächlich die Beschei- denheit zu verwundern, womit dieser Schriftsteller seine Be- hauptung über das Verhältniß des Richters zu den Ge- setzen auf den engen Kreis der die Rückwirkung betreffen- den Rechtsfragen einschränkt. Bei unbefangener Betrach- tung wird man sich überzeugen müssen, daß dieselbe Be- hauptung, wenn sie überhaupt wahr ist, auch auf das ganze übrige Gebiet aller Rechtsfragen ausgedehnt wer- den müsse. §. 388. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen des Grundsatzes . Indem ich jetzt zur Anwendung des aufgestellten Grund- satzes übergehe, muß ich zuvor auf einen, für unsere Un- tersuchung wichtigen, Unterschied in der Beschaffenheit der juristischen Thatsachen aufmerksam machen. Die meisten dieser Thatsachen sind einfache, einem einzelnen Zeitpunkt angehörende, Ereignisse, so wie die Verträge, deren Wesen in einer übereinstimmenden Willenserklärung besteht, also in einer augenblicklichen Handlung, bei welcher die vielleicht lange dauernde Vorbereitung ganz gleichgültig ist. Bei die- ser Art der Thatsachen ist es leicht zu bestimmen, ob ein §. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. neues Gesetz vor oder nach einer solchen Thatsache erlassen seyn mag. Dagegen giebt es manche andere Thatsachen, die sich über einen ganzen Zeitraum verbreiten, entweder indem sie einen gleichmäßig fortgesetzten Zustand voraussetzen (wie die Usucapion und die Klagverjährung), oder indem sie aus mehreren, der Zeit nach auseinander liegenden, einzelnen Ereignissen zusammengesetzt sind (wie die Testamente). Bei diesen ist die Bestimmung des Zeitverhältnisses zu einem neuen Gesetze schwierig und verwickelt, so daß sie nur durch sorgfältige Beachtung und Unterscheidung der einzelnen Um- stände gelingen kann, indem das neue Gesetz oft erlassen wird zu einer Zeit, welche zwischen dem Anfang und der Vollendung einer solchen Thatsache liegt. In den juristischen Thatsachen der ersten, einfacheren Art (den augenblicklichen Ereignissen) verdienen besonders zwei Momente unsere Aufmerksamkeit, worüber eine gemeinsame Vorbemerkung hier ihre rechte Stelle finden wird: die Handlungsfähigkeit der betheiligten Personen, und die juri- stische Form der Rechtsgeschäfte. Die Handlungsfähigkeit ist ausschließend zu beurtheilen nach der Zeit der juristischen Thatsache, sowohl was den faktischen Zustand, als was das bestehende Gesetz betrifft. Schließt also ein Minderjähriger ohne Vormund einen Ver- trag, so ist und bleibt dieser Vertrag ungültig, auch nach- dem das volljährige Alter erreicht ist; eben so aber auch, wenn ein späteres Gesetz den Zeitpunkt der Volljährigkeit Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. früher, als bisher, eintreten läßt. Dasselbe gilt aber auch umgekehrt; schließt also unter der Herrschaft des Französi- schen Rechts ein Einundzwanzigjähriger einen Vertrag, so ist und bleibt der Vertrag gültig, auch wenn bald nachher dieser Ort unter die Herrschaft des Römischen Rechts tritt, welches Fünf und zwanzig Jahre für die Volljährigkeit er- fordert. — Ueber diesen Gegenstand ist auch, so viel ich weiß, niemals ein Zweifel erhoben worden. — Dasselbe muß behauptet werden, wenn eine Frau Bürgschaft leistet, während das Römische Recht (mit dem Sc. Vellejanum ) gilt, welches Gesetz nachher aufgehoben wird, oder umgekehrt. Im ersten Fall ist und bleibt die Bürgschaft ungültig, im zweiten Fall ist und bleibt sie gültig, auch nach dem abän- dernden neuen Gesetz Von einer abweichenden Meinung von Meyer über das Sc. Vellejanum wird unten bei den Verträgen § 392 die Rede seyn. . Auf gleiche Weise muß die juristische Form eines Rechts- geschäfts beurtheilt werden ausschließend nach dem zur Zeit des vorgenommenen Geschäfts bestehenden Gesetz, so daß ein späteres Gesetz keinen Einfluß auf die Gültigkeit hat, ohne Unterschied, ob dasselbe die frühere Form erleichtert oder erschwert. Man kann diesen Satz so ausdrücken: tempus regit actum, übereinstimmend mit der Regel des örtlichen Rechts: locus regit actum (§ 381), ja er führt sogar noch einen höheren Grad von Gewißheit und Nothwendig- keit mit sich, als diese Regel, welche man als eine, durch §. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. allgemeine Rechtsgewohnheit begründete, Begünstigung der Rechtsgeschäfte ansieht. Denn bei dieser Regel des ört- lichen Rechts ist es oft (wenngleich nicht immer) den Par- teien möglich, eine andere Form zu beobachten, und darum wird ihnen billigerweise die Wahl gelassen, welches Gesetz sie in Ansehung der Form beobachten wollen: das am Ort der Handlung geltende, oder vielmehr das Gesetz des Ortes, welchem in anderer Hinsicht dieses Rechtsgeschäft angehört, z. B. das Gesetz des Wohnsitzes. Eine solche Möglichkeit, und das darauf gegründete Wahlrecht der Parteien zwischen verschiedenen Gesetzen, ist neben der Regel: tempus regit actum, gar nicht vorhanden, da Niemand vorhersehen kann, daß ein künftiges Gesetz die Form abändern werde, und worin die Aenderung bestehen werde. Daher ist denn auch von Schriftstellern diese Regel ohne Widerspruch anerkannt worden Weber S. 90 u. fg. Meyer p. 19. 29. 43. 61. 89. . Nur in Einer Beziehung könnte man einen Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Regel geltend machen wollen, wenn nämlich das neue Gesetz die Form eines Rechtsge- schäfts nicht erschwert, sondern erleichtert. Hier könnte man aus scheinbarer Milde und Schonung, aus dem unbedingten Bestreben nach der Aufrechthaltung der Rechtsgeschäfte, an- nehmen wollen, das Geschäft sey auch dann gültig, wenn die dabei angewendete, damals unzureichende, Form zu- fälligerweise den Forderungen des neuen Gesetzes genüge. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Diesen Weg hat in der That das Preußische Gesetz einge- schlagen Allg. L. R. Einleit. § 17. „Frühere Handlungen, welche, we- gen eines Mangels an Förmlich- keit, nach den alten Gesetzen un- gültig seyn würden, sind gültig, in sofern nur die nach den neu- ern Gesetzen erforderlichen Förm- lichkeiten, zur Zeit des darüber entstandenen Streites, dabei ange- troffen werden.“ . Ich halte aber diese Vorschrift für einen Mißgriff, und glaube, daß, wo ein solches Gesetz nicht besteht, gerade das Gegentheil nach allgemeinen Grundsätzen angenommen werden muß. Der erwähnten Vorschrift scheint die Ansicht zum Grunde zu liegen, die positiven Formen der Rechtsgeschäfte seyen Beschränkungen der individuellen Freiheit zum Vortheil des öffentlichen Wohls, etwa so, wie die Staatsabgaben, die der Staat, ohne Rechtsverletzung, nicht blos im Allge- meinen herabsetzen, sondern auch dem Einzelnen schenkungs- weise erlassen kann. Diese Ansicht kann nur etwa zugegeben werden für die mit manchen Rechtsgeschäften verbundene Stempelabgabe, und auch da nur, in sofern der Gebrauch des Stempelpapiers als Bedingung der Gültigkeit des Ge- schäfts vorgeschrieben seyn sollte; für alle andern Formen ist diese Ansicht unwahr, wie sich aus folgendem Beispiel ergeben wird. Wenn gegenwärtig in Berlin ein eigenhändig geschrie- benes Privattestament errichtet wird, so ist Dieses eine unwirksame Handlung, aus welcher, bei dem Tode des Testators, keine Rechte entspringen. Wird aber vor seinem Tode die Französische Testamentsform eingeführt, nach §. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. welcher das eigenhändige Privattestament vollgültig ist, so würde dadurch, nach der angeführten gesetzlichen Vor- schrift (Note c ), jenes Testament gültig werden und die künftige Erbfolge bestimmen. Darin scheint eine humane Begünstigung des Testators zu liegen, deren Richtigkeit jedoch fehr bezweifelt werden muß. Ein Gesetz, welches, wie das jetzt in Preußen bestehende, schlechthin die gericht- liche Abfassung der Testamente erfordert, wird dabei un- zweifelhaft von mehreren zusammen wirkenden, in sich ver- wandten, Beweggründen geleitet, die insgesammt auf der besonderen Wichtigkeit der Testamente, in Vergleichung mit anderen Rechtsgeschäften, beruhen. Durch die nothwendige Mitwirkung des Richters wird der Unterschiebung eines falschen Testaments vorgebeugt; ferner der unbesonnenen Uebereilung, die aus augenblicklicher Zuneigung oder Ab- neigung gegen bestimmte Personen hervorgehen kann; endlich dem eigennützigen Einfluß mancher Personen, dem sich der unbewachte, unberathene Testator aus Schwäche nicht zu entziehen vermag. Alle diese Beweggründe beziehen sich auf das Privatwohl, nicht auf den Vortheil des Staats, und wenn auch das neue Gesetz diese Gründe nicht mehr so hoch anschlägt, so ist es doch eine große Frage, ob der wahre Vortheil des Testators, nämlich die Aufrechthaltung des wahren, ernsten, besonnenen Willens, befördert wird durch die, dem juristischen Grundsatz widersprechende, rück- wärts gehende Bekräftigung eines bis dahin unwirksamen Testaments. Dieses wird besonders einleuchtend, wenn Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. man sich klar zu machen sucht, warum denn der Testator die zur Zeit des errichteten Testaments bestehende gesetzliche Form unbeachtet gelassen hat. Es kann Dieses geschehen seyn aus bloßer Rechtsunkunde, während ein ernster, be- sonnener Wille in der That vorhanden war; auf dieser Voraussetzung beruht ohne Zweifel die angeführte Vorschrift des Landrechts, die als reine Wohlthat gedacht wird. Aber es kann auch geschehen seyn mit vollem Bewußtseyn des bestehenden Rechts, so daß das eigenhändige Privattesta- ment eine bloße Vorbereitung seyn sollte zu einem gericht- lichen Akt, dessen Vornahme der Testator noch einer weitern Ueberlegung vorbehalten wollte. Dann bekräftigen wir, in Folge jenes Gesetzes, ein Testament, wozu der wahre, letzte Entschluß vielleicht niemals vorhanden war. Auf der anderen Seite kann man sagen, daß der Testator, indem er das Privattestament nach Erscheinung des neuen Ge- setzes aufbewahrte, so zu betrachten ist, als hätte er es jetzt neu geschrieben, wozu er doch unstreitig befugt war. Allein gerade bei Testamenten ist Nichts gewöhnlicher, als das unbestimmte Hinausschieben, und so ist Nichts unsicherer, als irgend eine Voraussetzung, die hierauf über den wahren, endlichen Willen gebaut werden möchte. Man verwickelt sich dabei in die Erwägung zufälliger, blos möglicher Um- stände, und bei unbefangener Betrachtung wird man ein- räumen müssen, daß es durchaus an einem befriedigenden Grunde fehlt, von der reinen juristischen Regel: tempus regit actum, abzugehen, und daß man dabei in Gefahr §. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen. kommt, aus vermeintlicher Humanität einen Erfolg eintreten zu lassen, der dem wirklichen Willen vielleicht geradezu widerspricht. Bei der Anwendung auf die einzelnen Rechtsverhält- nisse soll nunmehr dieselbe Anordnung befolgt werden, welche schon im ersten Kapitel befolgt worden ist Es versteht sich von selbst, daß hier dieselbe Beschränkung auf das Privatrecht, und zwar auf das materielle Privatrecht, zu beobachten ist, wie oben bei den Gränzen des örtlichen Rechts (§ 361. a. § 384. b ). . I. Zustand der Person an sich. II. Sachenrecht. III. Obligationenrecht. IV. Erbrecht. V. Familienrecht. Eines besonderen Abschnittes über die Formen der Rechtsgeschäfte bedarf es nicht, da diese Frage schon in den gegenwärtigen einleitenden Paragraphen aufgenommen worden ist. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. § 389. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen . I. Zustand der Person an sich . Die neuen Gesetze, welche den Zustand der Person an sich, insbesondere die Handlungsfähigkeit, zum Gegenstand haben, sind hier in zwei verschiedenen Rücksichten zu er- wägen. Erstlich wegen der denkbaren Einwirkung des neuen Gesetzes auf die vor demselben von der betheiligten Person vorgenommenen Rechtsgeschäfte; zweitens in Be- ziehung auf den persönlichen Zustand selbst, der durch das neue Gesetz beherrscht werden soll. — Die erste Frage ist bereits beantwortet worden (§ 388); es bleibt also nun die zweite Frage übrig, wie ein neues, den persönlichen Zu- stand betreffendes, Gesetz auf die zu seiner Zeit bestehenden Rechtsverhältnisse dieser Art einwirkt, und ob dabei insbe- sondere unser Grundsatz, der die Rückwirkung ausschließen soll, zur Anwendung kommt. Dieser Grundsatz findet auf den Zustand der Person an sich nur geringe Anwendung, indem die meisten Zu- stände dieser Art eine so abstracte Natur haben, daß sie als erworbene Rechte nicht angesehen werden können; unter besonderen Voraussetzungen jedoch, also ausnahmsweise, haben wir auch hier erworbene Rechte anzuerkennen (§ 385. d. e. f. ). Nur in diesen besonderen Fällen also ist die Ein- wirkung des neuen Gesetzes auf vorgefundene Zustände §. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Person an sich. durch unsren Grundsatz zu beschränken; in allen übrigen Fällen dagegen kommt das neue Gesetz augenblicklich zu ganz unbeschränkter Wirksamkeit. Dieses soll nunmehr in Anwendung auf die wichtigsten Fälle des Zustandes der Person an sich dargethan werden. 1. Wegen des Alters sind folgende Regeln anzu- nehmen. Wird die Minderjährigkeit durch ein neues Ge- setz verlängert oder verkürzt, so ist dasselbe sofort anzuwen- den auf alle Minderjährige, die es eben vorfindet, so daß keiner derselben behaupten kann, er habe durch das alte Gesetz das Recht erworben, gerade in dem durch dasselbe bestimmten Zeitpunkt volljährig zu werden. Anders verhält es sich jedoch mit Denen, welche nach dem alten Gesetz bereits volljährig geworden waren, wenn- gleich sie nach dem Inhalt des neuen Gesetzes noch minder- jährig seyn würden. Denn für diese bestimmte Personen ist die Volljährigkeit, und die mit derselben verbundene Selbstständigkeit, ein erworbenes Recht, begründet durch den unter der Herrschaft des alten Gesetzes eingetretenen bestimmten Zeitpunkt. Wollte man sie wieder minderjährig machen, und unter Vormundschaft stellen, so läge darin eine, unsrem Grundsatz widersprechende, Rückwirkung, die selbst durch ausdrückliche Vorschrift des Gesetzes nur als eine (nicht zu billigende) Ausnahme des Grundsatzes geltend gemacht werden könnte Es ist also für diesen Fall des neuen Gesetzes dieselbe Regel anzuwenden, welche für den Fall des veränderten Wohnsitzes schon oben aufgestellt worden ist (§ 365 p. q. ). . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Die Richtigkeit dieser Behauptung wird durch die Ver- gleichung mit folgendem Fall bestätigt. Wenn ein Minder- jähriger für volljährig erklärt wird, sey es durch den Lan- desherrn (nach Römischem Recht), oder durch ein Vormund- schaftsgericht (nach Preußischem Recht), so wird Niemand zweifeln, daß für ihn die Volljährigkeit mit ihren Folgen die Natur eines erworbenen Rechts hat. Gesetzt nun, daß bald nachher, und ehe diese bestimmte Person das gesetzliche Alter erreicht hat, in diesem Lande die Volljährigkeits- erklärung überhaupt abgeschafft würde, so müßte doch diese Person fortwährend als volljährig anzusehen seyn. Was aber in einem solchen Fall der Ausspruch des Landesherrn oder des Gerichts gewährt, darf auch Dem nicht versagt werden, der unter der Herrschaft des alten Gesetzes das von diesem vorgeschriebene Alter erreicht hat. Die hier aufgestellte Ansicht hat in der Preußischen Gesetzgebung vielfache Anerkennung gefunden. Das Einführungspatent des A. L. R. in die Provinzen jenseits der Elbe vom 9. Septbr. 1814 enthält im § 14 folgende Worte Gesetzsammlung 1814 S. 93. : Die Volljährigkeit tritt in Ansehung aller derjenigen Personen, welche solche vor dem 1. Januar 1815 Der 1. Jan. 1815 war der Tag, an welchem das Landrecht Gesetzeskraft erhalten sollte. nach den bisherigen Gesetzen noch nicht erreicht haben , erst mit dem vollendeten vier und zwanzigsten Jahre ein. §. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Person an sich. Eine gleichlautende Bestimmung enthalten die übrigen transitorischen Gesetze der nachfolgenden Jahre (§ 383), und eben so eine besondere für Erfurt und Wandersleben über die Volljährigkeit im J. 1817 erlassene Verordnung Gesetzsammlung 1817 S. 201. . Eine abweichende Ansicht über diese Frage vertheidigt ein Schriftsteller des Französischen Rechts, indem er be- hauptet, daß in einem solchen Fall der bereits volljährig Gewordene, in Folge des neuen Gesetzes, wieder als min- derjährig behandelt werden müsse, und zur Bestätigung dieser Behauptung übereinstimmende Urtheile der Gerichts- höfe von Nismes und Turin anführt Meyer p. 97. 98. . 2. Aehnliche Fragen können in Ansehung des Ge- schlechts vorkommen, nur mit dem Unterschied, daß dabei der Fall eines persönlich erworbenen Rechts, wie bei der Minderjährigkeit, nicht eintreten kann. Wenn in einem Lande, das bisher die Geschlechtsvor- mundschaft nicht kannte, eine solche in irgend einer ihrer vielen Abstufungen Eichhorn deutsches Recht § 324—326. durch neues Gesetz eingeführt wird, so sind derselben augenblicklich alle jetzt lebende Frauen un- terworfen. Eben so verhält es sich umgekehrt, wenn die bisher bestehende Geschlechtsvormundschaft durch neues Ge- setz abgeschafft wird Chabot T. 1 p. 29—36. . Wenn da, wo die Frauen, gleich den Männern, gültige Bürgschaften übernehmen können, das Sc. Vellejanum ein- VIII. 27 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. geführt wird, so wirkt diese neue Beschränkung augenblicklich auf alle jetzt lebende Frauen, wenn diese künftig in Bürg- schaften eintreten möchten. Ganz Dasselbe aber muß be- hauptet werden, wenn das bisher bestehende Sc. Vellejanum durch neues Gesetz aufgehoben wird Chabot T. 2 p. 350— 353. . In allen diesen Fällen also würde es ganz unbegründet seyn, wenn man etwa den jetztlebenden Frauen ein erwor- benes Recht auf die bisher besessene ausgedehntere Hand- lungsfähigkeit zuschreiben, und die Wirksamkeit des beschrän- kenden neuen Gesetzes auf die künftige weibliche Generation einschränken wollte. 3. Bei der Infamie ist die hier behandelte Frage gleichfalls aufgeworfen worden Ich habe oben, B. 2 § 83, zu zeigen gesucht, daß die Infamie für unser heutiges gemeines Recht keine Geltung mehr habe. Die gegenwärtige Erwähnung dersel- ben bezieht sich also theils auf die abweichende Meinung Anderer über diesen Punkt, theils auf neuere Gesetzgebungen, worin die Infamie anerkannt ist. . Die meisten und wichtigsten Fälle derselben gehören nicht in den Kreis unserer Untersuchung, die sich auf das Privatrecht beschränkt und das Strafrecht ausschließt; ich meine alle die Fälle, in welchen die Infamie als Criminal- strafe erscheint, sey es allein, oder in Verbindung mit an- deren Strafen, vielleicht auch als Folge anderer Strafen. Es könnte hier davon die Frage seyn etwa in Anwen- dung auf manche Fälle der sogenannten infamia immediata, wohin das Römische Recht mehrere Arten von unzüchtigen §. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Person an sich. Gewerben rechnet S. o. B. 2 S. 183. . Wenn nun ein neues Gesetz für solche Fälle die bisher nicht geltende Infamie einführt, so hat es keinen Zweifel, daß dasselbe auf Alle angewendet werden muß, die sich von jetzt an in dieser Lage befinden, und daß diese kein erworbenes Recht in Anspruch nehmen können, eine solche Lebensweise, frei von Infamie, zu führen. 4. Endlich kann unsere Frage noch vorkommen bei der gerichtlich erklärten Verschwendung , und den mit einer solchen Erklärung verbundenen Nachthei- len, insbesondere der Interdiction eigener Vermögens- verwaltung. Was in dieser Hinsicht durch neues Gesetz vorgeschrie- ben wird, sey es schärfend oder mildernd in Vergleichung mit dem bisher bestehenden Zustand, muß augenblicklich zur Anwendung kommen, und es kann dagegen die Fort- dauer des gegenwärtigen Zustandes, als eines angeb- lich erworbenen Rechtes, nicht in Anspruch genommen werden Meyer p. 99—111, der zur Bestätigung ein Urtheil des Cassationshofs zu Paris anführt. Chabot T. 2 p. 174—179 ist hierin abweichender Meinung. . 27* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. §. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen . II. Sachenrecht . Im Sachenrecht kommt unser Grundsatz meist zu reiner, vollständiger Anwendung. 1. Eigenthum . Wird dieses Recht durch bloßen Vertrag veräußert unter der Herrschaft eines Gesetzes, das eine solche Ver- äußerung als vollgültig anerkennt, so bleibt das erworbene Eigenthum gültig, auch wenn ein späteres Gesetz die Tra- dition zur Veräußerung erfordert Dieses wird auch anerkannt von Weber S. 108, jedoch inconsequenterweise, s. o. § 385, k. § 387. i. . Wird umgekehrt unter der Herrschaft eines Gesetzes, das die Tradition erfordert, ein bloßer Vertrag über die Veräußerung, ohne Tradition, geschlossen, so geht dadurch kein Eigenthum über, und selbst wenn ein späteres Gesetz den bloßen Vertrag für hinreichend erklärt, so wird auch dadurch der Uebergang des Eigenthums nicht begründet. Vielmehr bedarf es dann zu diesem Zweck entweder eines neuen Vertrags, oder der nachzuholenden Tradition Weber S. 108. 109. . 2. Servitut . Dabei gelten ganz dieselben Regeln, wie bei dem Eigen- thum, wenn etwa zwei Gesetze auf einander folgen, wovon das eine den bloßen Vertrag, das andere die Tradition §. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. oder irgend eine positive Form zur Errichtung der Servitut erfordert Chabot T. 2 p. 361. . Anders verhält es sich mit den sogenannten gesetzlichen Servituten. Wenn solche bisher nicht bestanden, durch ein neues Gesetz aber eingeführt werden, so ist dabei unser Grundsatz gar nicht anwendbar; vielmehr entstehen nun solche Beschränkungen des Eigenthums unmittelbar nach dem Erlaß des neuen Gesetzes, überall, wo die thatsächlichen Bedingungen derselben angetroffen werden Chabot T. 2 p. 361. Struve S. 267. . Der wahre Grund aber liegt darin, daß ein solches Gesetz nicht sowohl den Erwerb eines Rechts zum Gegenstand hat, als vielmehr das Daseyn (die Beschaffenheit) des Eigenthums, also die Bedingungen und Gränzen, welche für die Anerkennung des Eigenthums überhaupt gelten sollen. Auf diese ganze Gattung von Rechtsregeln bezieht sich aber nicht der Grund- satz, welcher die rückwirkende Kraft der Gesetze ausschließt (§ 384. 399). 3. Pfandrecht . Wenn in einem Lande, worin das Römische Pfandrecht besteht, durch neues Gesetz ein bisher unbekannter Fall des still- schweigenden Pfandrechts, zum Schutz irgend eines Rechts- geschäfts, eingeführt wird, so ist das neue Gesetz anzuwen- den auf alle später abgeschlossene Rechtsgeschäfte dieser Art, auf die früheren nicht. Dieser Satz wurde anerkannt von Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Justinian, als er zum Schutz der Dotalverhältnisse ein stillschweigendes Pfandrecht einführte; denn er fügte am Schluß seines umfassenden neuen Dotalgesetzes hinzu, daß alle Bestimmungen desselben (also auch die über das still- schweigende Pfandrecht) nur auf spätere Dotalgeschäfte an- gewendet werden sollten L. un. § 16. C. de rei ux. act. (5. 13). Bergmann S. 126. . Wird durch neues Gesetz einem Pfandrecht irgend eine Stelle in der Reihe der privilegirten Hypotheken angewie- sen, so haben auf das Privilegium nur diejenigen Hypothe- ken solcher Art Anspruch, die erst nach dem neuen Gesetz entstehen L. 12 § 3 C. qui pot. (8. 18) (Privilegium der Dos). — L. 27 in f. C. de pign. (8. 14) (Privilegium der Militia). . Diese aber haben den Anspruch auch gegen alle vor dem neuen Gesetz entstandene Hypotheken; die In- haber derselben haben also, sobald das neue Gesetz er- scheint, Maaßregeln zu treffen, um sich gegen die Gefahr solcher späteren privilegirten Hypotheken zu schützen Sie können gleich jetzt ihr Pfandrecht geltend machen, also zu einer Zeit, in welcher die mögliche künftige Concurrenz noch nicht vorhanden ist. . Im älteren Römischen Recht war es erlaubt, eine Sache mit der Verabredung zu verpfänden, daß der Glaubiger das Eigenthum des Pfandes um den Betrag der Schuld erwerben sollte, wenn die Schuld nicht be- zahlt werden würde Vatic. fragm. § 9 (von Papinian). Ein solcher Vertrag heißt lex commissoria. . Dieser Vertrag wurde später- §. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. hin verboten L. 3 C. de pactis pign. (8. 35), d. h. L. un. C. Th. de commiss. resc. (3. 2). — Weber S. 6. 51. Meyer p. 17, der über den historischen Zusammen- hang im Irrthum ist. . In Folge unseres Grundsatzes hätte dieses Verbot angewendet werden müssen nur auf die spä- teren Verträge dieses Inhalts; K. Constantin aber, von welchem das Gesetz herrührt, gab ihm ausnahmsweise rück- wirkende Kraft, wodurch es auch auf die vergangenen Ver- träge anwendbar wurde. — Nach den Gründen, die oben in Beziehung auf ein ähnliches Gesetz über die Zinsen ausgeführt worden sind (§ 386), hat dieser transitorische Zusatz für uns, selbst die Anwendbarkeit des Römischen Rechts überhaupt vorausgesetzt, keinerlei praktische Be- deutung. Die hier für die neuen Gesetze über das Pfandrecht aufgestellten Regeln sind aber durchaus nicht anwendbar, wenn diese Gesetze nicht sowohl die Aufnahme oder Ab- schaffung einzelner Fälle des Pfandrechts oder der Privi- legien zum Gegenstand haben (wie hier bisher vorausgesetzt wurde), als vielmehr ein neues System des Pfandrechts selbst. Dieser Fall tritt ein, wenn an die Stelle des bis- her geltenden Römischen Pfandrechts durch neues Gesetz das System der Hypothekenbücher eingeführt wird oder umgekehrt. In einem solchen Fall betrifft das neue Gesetz nicht mehr den Erwerb der Rechte von Seiten bestimmter Personen, sondern das Daseyn der Rechte (des Rechtsin- stituts). Dann ist aber der die Rückwirkung ausschließende Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Grundsatz gar nicht anwendbar (§ 384. 385), beide Rechts- systeme können nicht in einzelnen Anwendungen neben ein- ander bestehen, und das neue Gesetz muß augenblicklich und ausschließend zur Anwendung kommen. Wie aber hier der Uebergang aus dem alten Zustand in den neuen zu behandeln ist, um Rechtsverletzungen zu verhüten, davon wird unten an geeigneter Stelle die Rede seyn (§ 400). 4. Andere Jura in re. Das Römische Recht erkennt nur eine abgeschlossene kleine Zahl dinglicher Rechte neben dem Eigenthum als möglich an; es gestattet also nicht, neue dingliche Rechte nach Gutdünken zu erfinden. Die Preußische Gesetzgebung hat hierin einen ganz neuen Weg eingeschlagen. Sie läßt jedes an sich blos persönliche Recht des Gebrauchs oder der Nutzung einer fremden Sache in ein dingliches Recht übergehen, sobald dem Berechtigten der Besitz der Sache eingeräumt wird Koch Preußisches Recht B. 1. § 223. 317. . Unter dieser Voraussetzung also haben namentlich alle Miether und Pächter nach Preußischem Recht ein dingliches Recht, die nach dem Römischen Recht durchaus nur ein persönliches Gebrauchsrecht haben können. Wird nun an einem Ort das Preußische Recht an die Stelle des Römischen eingeführt, so behalten alle zur Zeit dieser Einführung vorhandene Miether und Pächter das persönliche Recht, das sie bis dahin hatten, und nur die §. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. neuen Verträge solcher Art gewähren ein dingliches Recht. — Eben so behalten im umgekehrten Fall die Miether das unter der Herrschaft des Preußischen Rechts entstandene dingliche Recht, die neuen Miether aber werden nach dem Römischen Recht als blos persönlich Berechtigte angesehen. — Auch hier also entscheidet unbedingt die Zeit der Ent- stehung jedes Rechtsverhältnisses über das anwendbare Ge- setz, und von einer rückwirkenden Kraft des neuen Gesetzes darf nicht die Rede seyn. Durch einen täuschenden Schein der Aehnlichkeit könnte man sich verleiten lassen, diesen Fall eben so zu behandeln, wie den unmittelbar vorher erwähnten Fall des Römischen und Preußischen Hypothekensystems. Dann würde auch die Einführung des dinglichen Rechts der Miether und Pächter als ein neues Gesetz über das Daseyn der Rechte (des Rechtsinstituts) zu betrachten seyn: von dem die rück- wirkende Kraft ausschließenden Grundsatz wäre dann nicht mehr die Rede, vielmehr müßte das neue Gesetz auch alle vorhandene Rechtsverhältnisse sofort ergreifen. In der That aber sind beide Fälle von durchaus ver- schiedener Natur. Die zwei erwähnten Systeme des Hypo- thekenrechts können nicht gleichzeitig neben einander bestehen, weil gerade der häufigste und schwierigste Fall im Hypo- thekenrecht die gleichzeitige Berechtigung mehrerer Personen an derselben Sache zum Gegenstand hat, deren Rang- ordnung nur durch das eine oder das andere System aus- schließend bestimmt werden kann. — Dagegen hat es durch- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. aus kein Bedenken, daß an demselben Orte die Rechte mehrerer Miether nach verschiedenen Regeln beurtheilt werden, wenn ihre Verträge zu verschiedener Zeit, und zwar unter der Herrschaft verschiedener Gesetze, geschlossen worden sind. Daher gehört die Frage wegen des dinglichen Rechts der Miether lediglich zu der Gattung von Rechts- regeln, welche sich auf den Erwerb der Rechte beziehen, also in dasjenige Gebiet, worin der die rückwirkende Kraft der Gesetze ausschließende Grundsatz anwendbar ist. §. 391. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen . II. Sachenrecht. (Fortsetzung.) Bei der Betrachtung der einzelnen, dem Sachenrecht angehörenden, Rechtsinstitute sind einige derselben mit Ab- sicht vorläufig übergangen worden, weil sie eigenthümliche Schwierigkeiten und Verwicklungen darbieten, und daher in einem größeren Zusammenhang behandelt werden müssen. Dieses ist der Erwerb des Eigenthums und der Servi- tuten durch Usucapion und longi temporis possessio (zu- sammen zu fassen unter dem Namen der Ersitzung), so wie die Aufhebung der Servituten durch nonusus und libertatis usucapio, gleichbedeutend mit dem Erwerb der Freiheit von der Servitut auf der Seite des Eigenthümers (§ 388). — Alle diese Fälle der Erwerbung haben folgende Eigenschaften mit einander gemein. Sie werden nicht vollzogen durch §. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Forts.) eine einfache, augenblickliche Handlung, sondern durch einen dauernden Zustand, welcher während eines ganzen Zeitraums gleichmäßig fortgesetzt seyn muß; es möge nun dieser Zu- stand bestehen in einer fortdauernden Thätigkeit (Besitz, Quasibesitz), oder aber in einer fortdauernden Unthätigkeit. In diesen Eigenschaften aber kommen mit den hier er- wähnten Rechtsinstituten völlig überein manche außer den Gränzen des Sachenrechts liegende Rechtsinstitute, vorzüg- lich die Klagverjährung, die gleichfalls auf der fortdauern- den Unthätigkeit während eines ganzen Zeitraums beruht, und eben so, wie die genannten Rechtsinstitute, zum Er- werb eines Rechtes führt, nämlich des Rechts einer Ein- rede, wodurch das bisher bestehende Klagrecht eines Andern völlig entkräftet wird. Die Anerkennung dieser inneren Verwandtschaft hat denn auch von jeher dahin geführt, alle Rechtsinstitute solcher Art unter Einen Gattungsbegriff zu bringen, und mit dem gemeinsamen Namen der Verjährung zu bezeichnen. Wie sehr nun auch dieses Verfahren Tadel verdient, und zur Verwirrung der Begriffe geführt hat S. o. B. 4 § 177. B. 5 § 237. , so ist doch die erwähnte innere Verwandtschaft aller dieser Rechtsinstitute nicht zu verkennen, und gerade in unsrer Lehre von der rückwirkenden Kraft tritt diese Verwandtschaft ganz unver- kennbar hervor. Es sollen daher gegenwärtig alle diese Rechtsinstitute zusammen gefaßt werden, als deren Reprä- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. sentanten die zwei wichtigsten derselben, die Usucapion und die Klagverjährung, gelten mögen. Wenn nun ein neues Gesetz das Recht der Usucapion oder der Klagverjährung in irgend einem Punkte abändert, so sind dabei folgende Fälle möglich. Das neue Gesetz kann erscheinen vor dem Anfang der Usucapion. Dann hat es keinen Zweifel, daß es diese spätere Usucapion vollständig beherrschen muß, so daß dabei von dem alten Gesetz nicht mehr die Rede seyn kann. — Es kann ferner erscheinen, nachdem eine Usucapion schon vollendet ist. Dann hat es wiederum keinen Zweifel, daß darauf das neue Gesetz gar nicht angewendet werden darf. Der unter dem alten Gesetz vollzogene Erwerb eines Rechts muß vielmehr vollständig aufrecht erhalten werden. — End- lich aber kann das neue Gesetz auch erscheinen während des Zeitraums, in welchem die Usucapion noch laufend ist; später, als der Anfang, früher, als das Ende derselben. Das sind die zweifelhaften Fälle, für welche wir nunmehr die Regel aufzustellen haben. Während dieses Zeitraums ist durchaus noch kein Recht erworben, es ist nur ein Erwerb vorbereitet. Daher muß auch das neue Gesetz sogleich wirksam in diesen un- vollendeten Zustand eingreifen. Zwar war auch in dieser Zeit die Erwartung eines Erwerbes erregt, und diese Er- wartung konnte mehr oder weniger nahe liegen; aber bloße Erwartungen werden überhaupt nicht durch den die Rück- §. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Forts.) wirkung ausschließenden Grundsatz geschützt S. o. § 385. — Im Gan- zen stimmt mit dieser Ansicht über- ein Weber S. 147—158; des- gleichen Bergmann S. 34— 36, was die Natur der Sache be- trifft, während er S. 163 nach Römischem Recht das Gegentheil, nämlich die fortdauernde Einwir- kung des alten Gesetzes annimmt, indem nach seiner Meinung auch die bloßen Erwartungen durch das R. R. geschützt seyn sollen (s. o. § 387. h ). — In der That wird hier derselbe Grundsatz gel- tend gemacht, welcher oben für die örtliche Colliston der Usucapions- gesetze angewendet worden ist (§ 367. k ). . — Be- trachten wir jetzt im Einzelnen die verschiedenen möglichen Fälle solcher neuen Gesetze. 1. Die bisher erlaubte Usucapion oder Klagverjährung wird aufgehoben, sey es überhaupt, oder für gewisse Fälle der Anwendung. — Dieses Gesetz ergreift auch alle Fälle der bereits laufenden Usucapion, so daß jeder Erwerb auf diesem Wege unmöglich wird. 2. Es wird umgekehrt die bisher unbekannte Usucapion oder Klagverjährung neu eingeführt. Das neue Institut ist nun sogleich auf alle jetzt schwebenden Rechtsverhältnisse anzuwenden, jedoch so, daß der Zeitraum von der Zeit des neuen Gesetzes an zu berechnen ist. Wer eine fremde Sache besaß unter den Bedingungen des neuen Usucapions- gesetzes, fängt jetzt an, sie zu usucapiren, gerade so, als wenn zur Zeit des erlassenen neuen Gesetzes sein Besitz an- gefangen hätte; die Zeit des früheren Besitzes wird ihm nicht angerechnet. — Alle vor dem neuen Gesetz entstan- denen Klagrechte treten augenblicklich unter die Regel der Klagverjährung, jedoch so, als ob sie erst jetzt entstanden Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. wären; die Zeit der früheren Versäumniß wird nicht gerechnet. Ein merkwürdiges Beispiel dieser letzten Art finden wir im Römischen Recht. Lange Zeit waren hier die meisten und wichtigsten Klagen ohne alle Verjährung, perpetuae actiones im strengsten Sinne des Worts. K. Theodosius II. führte für alle diese Klagen die Verjährung ein, welche in der Regel dreißig Jahre dauern soll. Nach dem so eben aufgestellten Grundsatz hätten die damals bereits laufenden Klagrechte erst nach dreißig Jahren erlöschen müssen. Der Kaiser aber gab seinem Gesetz theilweise rückwirkende Kraft, dergestalt, daß auch die vergangene Zeit mit eingerechnet werden sollte; jedoch sollte der Klagberechtigte in keinem Fall weniger, als zehen Jahre, von dem neuen Gesetze an, Zeit haben, um die früher entstandene Klage noch mit Er- folg anzustellen L. un. § 5 C. Th. de act. certo temp. (4. 14). Ein dringendes Bedürfniß zu dieser Abweichung von dem Grundsatz war wohl nicht zu behaupten. Ei- nige Rechtfertigung liegt darin, daß unter die Gründe der Klag- verjährung auch die Präsumtion der Tilgung gehört (s. o. B. 5 § 237). Diese Präsumtion aber hat Realität auch für die vor dem Erlaß des Verjährungsgesetzes abgelaufene Zeit der unterlassenen Klage. . Als Justinian dieses Gesetz in den Codex aufnahm, ließ er natürlich diese transitorische Be- stimmung weg L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39). , die seit etwa hundert Jahren ihre Wirksamkeit von selbst verloren hatte. 3. Wird eine Art der Unterbrechung, die bisher zu- lässig war, aufgehoben, oder umgekehrt eine neue Art der §. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Forts.) Unterbrechung eingeführt, so ist die eine oder die andere Bestimmung auch auf die laufende Usucapion sofort anzu- wenden. 4. Das neue Gesetz, welches den Zeitraum verlängert, ist sogleich anwendbar auch auf die laufende Usucapion oder Klagverjährung Im Jahre 528 ertheilte Justinian den Kirchen das Pri- vilegium, daß ihre Klagrechte erst in 100 Jahren verjähren sollten. L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2), s. o. B. 5 S. 355. Am Ende die- ses Gesetzes stehen die etwas dun- klen Worte: „Haec autem omnia observari sancimus in iis casi- bus, qui vel postea fuerint nati, vel jam in judicium deducti sunt.“ Büchstäblich genommen, gehen die letzten Worte auch auf die Klagen, deren bisherige (dreißigjährige) Verjährung be- reits vor der angestellten Klage abgelaufen war. Dann liegt da- rin eine durch Nichts gerechtfer- tigte Rückwirkung. Vgl. Weber S. 7. . 5. Schwieriger, und zugleich praktisch wichtiger, ist die Frage bei einem neuen Gesetz, welches den Zeitraum abkürzt. Hier müssen wir grundsätzlich dem Erwerber die Wahl lassen, ob er das alte Gesetz anwenden will, oder das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum erst berechnen von dem Erlaß des neuen Gesetzes an, so daß er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf. Zu der ersten Wahl ist er berechtigt, weil das neue Gesetz gewiß nicht die Absicht gehabt hat, dem Gegner einen günstigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Gesetz, zu verschaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin- geres Recht haben kann, als Der, welcher in diesem Augen- blick die Usucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da- gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung seyn, wenn Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. man ihm gestatten wollte, den neuen Zeitraum mit Ein- rechnung der schon abgelaufenen Zeit zu benutzen, da nun der Gegner weder die von dem alten, noch die von dem neuen Gesetz verstattete Frist zur Thätigkeit vollständig ge- nießen würde. Es könnte sogar die widersinnige Folge eintreten, daß die Klagverjährung im Augenblick, wo das neue Gesetz erscheint, sofort vollendet wäre So z. B. wenn ein Klag- recht, für welches die Verjährung von dreißig Jahren gilt, schon zehen Jahre lang unbenutzt besteht, und nun ein neues Gesetz erscheint, welches für Rechtsverhältnisse die- ser Art eine dreijährige Verjährung vorschreibt. — Bergmann will S. 36 nach der Natur der Sache eine proportionelle Rechnung ein- treten lassen; nach dieser müßte in dem so eben eingeführten Fall, in welchem ein Drittheil der alten Verjährung abgelaufen war, auch in der neu anfangenden dreijähri- gen Verjährung ein Drittheil als abgelaufen angenommen werden, so daß noch zwei Jahre übrig wären. Diese verwickelte Behand- lung ist weder grundsätzlich für das bestehende Recht zu behaupten, noch als positive Vorschrift zu empfehlen. . Die hier aufgestellten Grundsätze haben vollständige Anerkennung erhalten in der Preußischen Gesetzgebung. Das Einführungspatent des Landrechts enthält nämlich im § 17 folgende drei Bestimmungen. Die vor dieser Zeit abgelaufenen Verjährungen sind nach den alten Gesetzen zu beurtheilen; die jetzt laufenden nach dem Landrecht; die letzte Bestimmung aber erhält folgende Einschränkung: Sollte jedoch zur Vollendung einer schon vor dem 1. Jun. 1794 angefangenen Verjährung in dem neuen Landrechte eine kürzere Frist, als nach bis- herigen Gesetzen, vorgeschrieben seyn: so kann Der - §. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Forts.) jenige, welcher sich in einer solchen kürzern Verjährung gründen will , die Frist derselben nur vom 1. Jun. 1794 zu rechnen anfangen. Diese Vorschrift wird wörtlich wiederholt in den späte- ren transitorischen Gesetzen (§ 383). In der eben bemerkten Einschränkung liegt die Anerkennung des oben behaupteten Wahlrechts. Noch deutlicher aber findet sich diese in fol- gender Vorschrift eines Gesetzes vom 31. März 1838, welches für viele einzelne Klagen, die bisher in Dreißig Jahren verjährten, theils eine zweijährige, theils eine vierjährige Verjährung einführt Gesetzsammlung, 1838 S. 249—251. : § 7. Gegen solche Forderungen, welche zur Zeit der Publikation dieses Gesetzes bereits fällig waren, können die in den §§ 1. und 2 vorgeschriebenen kürzeren Fristen nur vom letzten Dezember 1838 an gerechnet werden. Bedarf es zur Vollendung der bereits ange- fangenen Verjährung nach den bisherigen gesetz- lichen Vorschriften nur noch einer kürzeren Frist, als der in dem gegenwärtigen Gesetze bestimmten, so hat es bei jener kürzeren Frist sein Bewenden . Das Französische Gesetzbuch verordnet für die zur Zeit seiner Einführung bereits angefangenen Verjährungen, daß sie in der Regel nach den alten Gesetzen beurtheilt VIII. 28 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. werden sollen Code civil art. 2181. „Les prescriptions, commencées à l’époque de la publication du présent titre, seront réglées conformément aux lois anciennes.“ ; jedoch mit der Einschränkung, daß sie von jetzt an nicht länger, als dreißig Jahre, dauern dürfen, wenn ihnen etwa das alte Gesetz eine längere Dauer an- weisen möchte. — Die hier aufgestellte Regel ist nach den oben entwickelten Grundsätzen nicht zu rechtfertigen. Sie enthält gerade das Gegentheil von rückwirkender Kraft, in- dem sie dem neuen Gesetz weniger Wirksamkeit einräumt, als ihm grundsätzlich zukommt; augenscheinlich in der Ab- sicht, hierin auch schon bloße Erwartungen zu schützen. Eine Härte oder Ungerechtigkeit kann darin allerdings nicht ge- funden werden. Das Einführungspatent des Oesterreichischen Gesetzbuchs stellt dieselbe Regel auf, wie das Französische Recht, daß die angefangenen Verjährungen nach den älteren Gesetzen zu beurtheilen seyen. Daneben aber verordnet es, nicht ganz passend, für die Fälle, worin das Gesetzbuch eine kürzere Verjährung vorschreibe, als die bisher geltende, das- jenige Wahlrecht, welches so eben in der Preußischen Ge- setzgebung nachgewiesen worden ist. §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. §. 392. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen . III. Obligationenrecht . Im Obligationenrecht kommt der aufgestellte Grundsatz zu eben so allgemeiner Anwendung, wie im Sachenrecht. Vorzüglich häufig findet sich diese Anwendung bei den Verträgen . Das Recht eines Vertrages also ist stets zu beurtheilen nach dem Gesetz, welches zur Zeit des geschlossenen Ver- trages bestand. Diese Regel ist anwendbar auf die persönliche Hand- lungsfähigkeit, so wie auf die Form des Vertrages (§ 388). Sie ist anwendbar auf die Bedingungen der Gültigkeit des Vertrages. Ferner auf die Art und den Grad seiner Wirksamkeit. Endlich auch auf die Ungültigkeit, Anfech- tung, Entkräftung eines Vertrages, ohne Unterschied, ob diese Gegenwirkung durch Klage oder durch Einrede ver- sucht werden möge. Der Anspruch auf die fortdauernde Wirksamkeit aller, diese verschiedenen Fragen betreffenden, Rechtsregeln, unab- hängig von jeder möglichen neuen Gesetzgebung, ist beiden Parteien durch den Abschluß des Vertrages erworben. Er bildet ein erworbenes Recht, welches in Folge unseres Grundsatzes aufrecht erhalten werden muß, jedem neuen Gesetz gegenüber. Dieser Satz ist auch anwendbar auf die Verträge, 28* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. deren Wirksamkeit durch eine Zeitbestimmung aufgeschoben, oder durch eine Bedingung ungewiß gemacht ist (§ 385. h ). Er ist auch unabhängig von dem Unterschied der absoluten und vermittelnden Rechtsregeln S. o. B. 1 § 16. , so daß die nicht selten aufgestellte Behauptung verworfen werden muß, nach welcher neue Prohibitivgesetze die Natur der früher geschlossenen Verträge sollen umändern können Damit stimmt überein Bergmann § 30. . Die hier aufgestellte Regel hat sehr allgemeine Aner- kennung gefunden in den, zu verschiedenen Zeiten erlassenen, transitorischen Gesetzen des Preußischen Staates Einführungspatent des A. L. R. § XI. „Es sind daher inson- derheit alle Verträge, welche vor dem 1. Juli 1794 errichtet wor- den, sowohl ihrer Form und ihrem Inhalte nach, als in Ansehung der daraus entstehenden rechtlichen Folgen, nur nach den zur Zeit des geschlossenen Contracts bestan- denen Gesetzen zu beurtheilen; wenngleich erst später auf Erfül- lung, Aufhebung, oder Leistung des Interesse aus einem solchen Contracte geklagt würde.” — Ganz eben so in dem transitori- schen Gesetze von 1803 § 5, 1814 § 5, und in den späteren transi- torischen Gesetzen (§ 383). . Eben so wird dieselbe mit großer Bestimmtheit und con- sequenter Durchführung anerkannt von einem der namhaf- testen Schriftsteller über das Französische Recht Chabot T. 1 p. 128— 139. . Jene Regel ist eine consequente, nothwendige Folge un- seres allgemeinen Grundsatzes. Aber auch von einem rein praktischen Standpunkte aus erscheint sie wahr und wichtig, indem nur durch ihre Durchführung das für die Sicherheit des Verkehrs unentbehrliche Vertrauen in die ungestörte §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. Wirksamkeit der Verträge erhalten werden kann. In der ausgedehntesten Wirksamkeit, und daher vorzugsweise wich- tig, erscheint dieselbe in Anwendung auf manche Verträge, die mit dinglichen Rechten in Verbindung stehen, und auf viele Generationen einzuwirken bestimmt sind Auf die Eigenthümlich- keit dieser Fälle hat sehr gut auf- merksam gemacht: Götze Altmär- kisches Provinzialrecht B. 1 S. 11 —13. Wir werden auf diese Art der Rechtsverhältnisse von einer anderen Seite zurückkommen bei der Gattung von Rechtsregeln, welche das Daseyn der Rechte zum Gegenstand haben (§ 399). . Es sind nunmehr einige Widersprüche zu erwähnen, welche gegen die hier dargestellte Regel theils in ein- zelnen Gesetzen, theils von manchen Schriftstellern, erhoben worden sind. Ein solcher Widerspruch liegt in dem schon oben er- wähnten Gesetz Justinian’s über die verbotenen Zinsen (§ 386. f. g ), nach welchem das Verbot auch auf die vergangenen Zinsverträge bezogen werden sollte, wiewohl nur für die künftig fällig werdenden Zinsen. Ein neuerer Schriftsteller hat diese Vorschrift zu einer allgemeinen Re- gel auszubilden gesucht (§ 387. f ), während andere darin ganz richtig nur eine Ausnahme unserer Regel, eine ein- zelne Abweichung von derselben, anerkannt haben Bergmann § 30. . — Sehr auffallend ist es, daß die neueren transitorischen Preußischen Gesetze, vom J. 1814 an, eine ganz ähnliche Bestimmung in sich aufgenommen haben Gesetz für die Provinzen jenseits der Elbe 1814 § 13, und eben so in den späteren transitori- schen Gesetzen (§ 383). , ohne zu be- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. merken, daß sie dadurch dem nahe dabei stehenden Grund- satz, welcher die Folgen der Verträge dem zur Zeit des Abschlusses geltenden Gesetze unterwirft (Note c ), geradezu widersprechen. Zu einer solchen Abweichung von dem rich- tigen, in den erwähnten Gesetzen selbst ausdrücklich aner- kannten, Grundsatz war aber bei dem Zinsvertrag am we- nigsten Bedürfniß vorhanden, da gerade hier die An- wendung auf die vergangenen Verträge meist ganz uner- heblich ist (§ 385. a ). Viel wichtiger aber und sehr weit greifend ist der Wi- derspruch gegen die Allgemeinheit der hier aufgestellten Regel, der von zwei neueren Schriftstellern erhoben worden ist. Er betrifft nicht die Regel an sich, sondern nur die Anwendung derselben auf die Anfechtung der Verträge, insofern diese nicht auf die Umstände bei dem Abschluß des Vertrags selbst, sondern auf spätere Thatsachen, z. B. auf den künftigen Entschluß einer Partei zur Anfechtungsklage, gegründet werden soll Gerade für solche Fälle haben die Preußischen Gesetze die Anwendbarkeit unserer Regel aus- drücklich anerkannt (Note c ). . Weber hat diese Behauptung nicht als allgemeinen Grundsatz aufgestellt, wohl aber in einer Reihe einzelner wichtiger Fälle geltend gemacht Diese Fälle werden unten bei den einzelnen Anwendungen erwähnt werden. . Bald nach ihm aber hat Meyer dieselbe auf einen abstrac- §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. ten Grundsatz zurückgeführt, und in folgender Weise durch- zuführen gesucht Meyer p. 36—40, 153— 155, 174—210. Er führt dabei zwar nicht Weber als Gewährs- mann an, da er aber dessen Schrift kennt (préface p. XI.) , so ist kaum zu zweifeln, daß er ihn hie- rin benutzt und befolgt hat. . Man soll (sagt er) zweierlei Folgen eines Vertrags unter- scheiden: nothwendige, oder unmittelbare, bei welchen die Ge- setze nicht rückwirken dürfen, — und zufällige, oder entfernte, bei welchen die Rückwirkung eines neuen Gesetzes auf äl- tere Verträge zulässig ist. — Unter die erste Klasse sollen gehören diejenigen Folgen, an welche die Parteien dachten oder denken konnten , die sie also stillschweigend mit in den Vertrag hereingezogen haben Meyer p. 38—39, 180, 187—191. . Unter die zweite Klasse dagegen die Folgen, die erst durch künftige That- sachen begründet werden; dahin werden gerechnet die An- fechtungsklagen wegen laesio enormis, Betrug, Zwang, Irrthum, Minderjährigkeit, außerdem auch der Widerruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit oder wegen nachgeborner Kinder Meyer p. 175—178. . — Diese ganze Unterscheidung nun ist völlig unhaltbar, schon deswegen, weil unter den Fällen der zwei- ten Klasse gewiß kein einziger ist, den sich nicht die Par- teien als Folge des Vertrags denken konnten . Um die Verwirrung der Begriffe zu vollenden, wird auch noch der Gegensatz von ipso jure und per exceptionem mit herein- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. gezogen Meyer p. 178. 179. , der doch gewiß auf diese Frage keinen Einfluß haben kann. Die völlige Grundlosigkeit dieser ganzen Lehre wird aber recht anschaulich werden aus folgender Uebersicht über die wichtigsten einzelnen Fälle, die hierbei zur Sprache gebracht worden sind. Die Ungültigkeit einer Obligation kann geltend gemacht werden durch folgende Rechtsmittel: durch eine eigentliche Klage, durch Restitution, durch eine Exception gegen die Klage der andern Partei. Nach dieser Ordnung sollen jetzt die einzelnen Fälle durchgegangen werden, welche (wie ich behaupte) sämmtlich zu beurtheilen sind nach dem zur Zeit des geschlossenen Vertrags geltenden Gesetz. 1. Anfechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. Sie ist zu beurtheilen nach dem zur Zeit des Verkaufs geltenden Gesetz Chabot T. 2 p. 286—289. . Das wird bestritten, weil der Verkauf nicht ipso jure ungültig sey, sondern erst durch die später erhobene Klage, deren Zeit also das an- wendbare Gesetz bestimme Weber S. 114—117. ; oder, wie sich ein Anderer ausdrückt, weil an diesen Erfolg nicht von den Parteien gedacht worden sey Meyer p. 37—38, 154, 175— 176, 209—210. . Diese Auffassung steht völlig im Widerspruch mit dem wahren Sinn der hier einschlagenden Rechtsregel. Die- selbe setzt voraus einen Verkäufer, der durchaus Geld be- darf und seine Sache unter dem halben Preis weggeben §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. muß, weil der einzige Käufer, der sich findet, seine Noth mißbraucht. Einem solchen unedlen Mißbrauch fremder Noth soll hier durch eine positive Rechtsregel entgegen ge- wirkt werden. Der Fall ist also ganz ähnlich dem des Zinswuchers, wobei auch das fremde Geldbedürfniß eigen- nützig mißbraucht wird. Jene Gründe der Gegner müßten consequenterweise dahin führen, daß ein unter dem Römischen Recht geschlossenes, zehen Jahre unaufkündbares, Darlehen zu zwanzig Procent, wenn kurz nachher ein neues Gesetz allen Zinswucher frei gäbe, vollständig erfüllt werden müßte. — Auch wird Meyer nicht bestreiten, daß im Fall des Verkaufs beide Parteien an den Fall der späteren An- fechtung denken konnten , d. h. daß dieser Fall nicht außer den Gränzen möglicher, selbst wahrscheinlicher, Berechnung lag, daß er nicht erst durch ganz neue, völlig unerwartete Umstände (wie er sich die Sache zu denken scheint) herbei geführt wurde. Ganz eben so ist nur die Zeit des geschlossenen Ver- trags zu berücksichtigen, wenn das in dieser Zeit bestehende Gesetz die Anfechtung nicht zuläßt, ein späteres Gesetz die- selbe einführt. Diese Bemerkung gilt auch für alle folgende Fälle. 2. Die Regel: Kauf bricht Miethe Dieser Fall ist insofern mit den übrigen nicht von gleicher Natur, als in ihm der Vertrag nicht angefochten und aufgehoben wird, welcher vielmehr sich stets wirksam erzeigt durch die dem , ist zu beurtheilen nach dem Gesetz, welches zur Zeit des geschlossenen Mieth- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. contracts besteht. Denn in dieser Zeit ist das Rechtsver- hältniß unabänderlich so bestimmt worden, daß sich der Miether den Folgen einer späteren Veräußerung unterwerfen mußte. Ein späteres Gesetz, das jene Regel aufhebt, kann hierin Nichts ändern, und es ist gleichgültig, ob dieses spätere Gesetz sich auf die vereinzelte Aufhebung jener Regel beschränkt, oder ob es dieselbe dadurch bewirkt, daß es überhaupt dem Miether ein dingliches Recht beilegt (§ 390 Num. 4). Es kommt daher nicht an auf die Zeit des später ge- schlossenen Verkaufs, noch weniger auf die Zeit der vom Käufer gegen den Miether angestellten Klage. Das in diesem letzten Zeitpunkt geltende Gesetz will Weber berücksichtigt wissen, wieder wie in dem vorhergehenden Fall, weil der Miethvertrag nicht an sich ungültig sey, sondern nur durch die Klage des Käufers entkräftet werde Weber S. 117—121. . 3. Widerruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit oder wegen nachgeborner Kinder. Es entscheidet die Zeit der Schenkung, nicht die Zeit des späteren Ereignisses, noch weniger die Zeit der auf Widerruf angestellten Klage Chabot T. 1. p. 174— 200. T. 2 p. 168. 194. . Das Gegentheil wird von Anderen behauptet, weil die Schenkung nicht von selbst ungültig sey, sondern erst durch Miether zustehende Entschädigungs- klage gegen den Vermiether. Die Frage ist nur die, ob ein Dritter (der Käufer) das Miethrecht an- zuerkennen hat oder nicht. §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. die Widerrufsklage entkräftet werde Weber S. 107. ; weil an diesen Erfolg die Parteien nicht gedacht haben, indem sonst die Schenkung vielmehr unterblieben seyn würde Meyer p. 175. 177. . — Aller- dings war die Undankbarkeit nicht zur Zeit der Schenkung erwartet; dagegen ist sehr natürlich die umgekehrte Er- wartung, der Beschenkte werde Undankbarkeit vermeiden, und er werde in dieser Gesinnung noch befestigt werden, durch die Rücksicht auf das den Widerruf gestattende Ge- setz. Die Voraussetzung also, daß der Schenker an jenes Gesetz gedacht habe, oder habe denken können, ist gewiß den Umständen ganz angemessen. 4. Restitution gegen einen Vertrag. Entscheidend ist die Zeit des Vertrags, nicht die des Restitutionsgesuchs Struve S. 266. . Das Gegentheil wird behauptet, weil der Vertrag an sich gültig sey, und erst durch die richterliche Handlung ent- kräftet werde Weber S. 113. 114. . Derselbe Gedanke wird von Anderen noch dadurch ausgebildet und von der Wahrheit weiter entfernt, daß die Restitution als Gnadensache von dem Souverain ertheilt werde Meyer p. 184. Hier- über ist zu vergleichen oben B. 7. § 317. . Gegen diese Behauptungen entscheidend ist der Umstand, daß, nach der im Justiniani- schen Recht vorliegenden Natur der Restitution, Der, welcher die Restitution begehrt, ein wahres erworbenes Recht auf Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. dieselbe hat, von dem Recht auf eine Klage oder eine Ein- rede nur wenig in der Form verschieden S. o. B. 7 S. 112. 113. 117. . 5. Exceptio doli, oder metus, zu beurtheilen nach der Zeit des Vertrags, ohne Rücksicht darauf, daß hier der Vertrag nicht ipso jure, sondern per exceptionem ungültig ist Bei dem Dolus ist Meyer sehr schwankend, ob er die durch denselben herbeigeführte Anfechtung und Ungültigkeit zu den nothwen- digen oder zu den zufälligen Fol- gen des Vertrags rechnen soll, p. 154. 179. 183. Was insbe- sondere die Restitution wegen Do- lus betrifft, s. o. B. 7. § 332. . 6. Exceptio Sc. Vellejani. Nach der Zeit der gelei- steten Bürgschaft Chabot T. 1 p. 352. — S. o. § 388. — Hier sucht Meyer p. 196—198 seinen Wi- derspruch durch ganz verschiedene, theilweise sich selbst aufhebende Gründe zu rechtfertigen. . 7. Exceptio Sc. Macedoniani. Desgleichen Hierin stimmt überein Meyer p. 194, weil ein solcher Vertrag den guten Sitten entge- gen sey und weil der Verzicht des Schuldners nicht wirke. Beiläu- fig verwechselt er den filiusfami- lias mit dem minor. . 8. Exceptio non numeratae pecuniae. Desgleichen. 9. Durch ein Gesetz des K. Friedrich I. (Anth. Sacramenta puberum ) , welches der Justinianischen Gesetz- sammlung einverleibt wurde, sollen die meisten Mängel eines Vertrags dadurch völlig beseitigt werden, daß der Schuldner den Vertrag durch Eid bekräftigt Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 4. S 162. . Die An- wendbarkeit dieses Gesetzes ist zu beurtheilen nach der Zeit §. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht. des geleisteten Eides. Dieses bestreitet Weber mit Unrecht aus dem Grunde, weil ein solcher Vertrag eigentlich an sich nichtig sey, und nur durch eine Handlung des Richters (officio judicis) hinterher geschützt werde; daher sey ent- scheidend die Zeit dieses richterlichen Ausspruchs Weber S. 109—113. . Allein es ist augenscheinlich, daß hier die Rechte der Par- teien schon vorher, eben so, wie in jedem anderen Rechts- verhältniß, unabänderlich festgestellt sind, und daß der Richter hier, wie in anderen Fällen, nur dazu berufen ist, diese Rechte anzuerkennen und zu schützen. Es sind nun noch einige andere Fragen übrig, die außer dem Kreise der eben dargestellten großen Meinungsver- schiedenheit liegen. Dahin gehören die Obligationen aus Delicten . Es ist allgemein anerkannt, daß diese zu beurtheilen sind nach dem zur Zeit des begangenen Delicts geltenden Gesetz Anerkannt im Preu- ßischen Allg. Landrecht Einleitung § 19. . Man könnte hierher ziehen die aus dem unehelichen Bei- schlaf entspringenden Rechte: davon aber wird besser unten (§ 399) gehandelt werden. Ferner gehören dahin die den Concurs betreffenden Ge- setze. Hierüber kann ich mich kurz fassen, indem ich auf die bei dem örtlichen Recht angestellte Untersuchung ver- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. weise (§ 374). Der Concurs betrifft hiernach nicht die Rechte selbst, sondern die Execution in eine an einem be- stimmten Zeitpunkt vorhandene Vermögensmasse; für diese Execution ist die Rangordnung der einzelnen Glaubiger zu bestimmen. Welches Gesetz ist auf diese Rangordnung an- zuwenden? Dabei sind zu unterscheiden die Hypotheken- glaubiger von den übrigen Glaubigern. Die Hypothekenglaubiger sind zu beurtheilen nach dem Gesetz, welches zur Zeit der Entstehung ihres dinglichen Rechts bestand (§ 390); die übrigen Glaubiger nach dem zur Zeit des ausgebrochenen Concurses bestehenden Ge- setz Anerkannt in den Preu- ßischen transitorischen Gesetzen (§ 383); so in dem Gesetz von 1814 für die Provinzen jenseits der Elbe § 15, und gleichlautend in den übrigen. — Damit stimmt überein Weber S. 167—178. . — Diese Regel wird bestätigt durch folgende Sätze des Römischen Rechts. Die Glaubiger der fünften Klasse werden pro rata befriedigt, ohne Rücksicht auf die Zeit der Entstehung ihrer Forderungen. Denn sie alle sind Hypo- thekarien, deren Hypotheken entstanden sind durch die mit der Eröffnung des Concurses verbundene missio in posses- sionem. — Eben so haben die Glaubiger der vierten Klasse privilegirte Hypotheken, aber ihr Hypothekenrecht, so wie der Rang ihrer Privilegien, ist auch erst entstanden zur Zeit der missio in possessionem und durch dieselbe. Vor- her also hatten sie eine bloße Erwartung dieser sie begün- stigenden Art der Execution (als eines Prozeßakts), kein Recht darauf. §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen . IV. Erbrecht . Wir haben die Regeln aufzusuchen für die testamen- tarische , die Intestaterbfolge , und für die Erbver- träge . I. Testament . Dieser Fall ist der schwierigste und bestrittenste in dem ganzen Gebiet der hier vorliegenden Untersuchung. Wir müssen zunächst suchen, einen festen Standpunkt zu gewinnen für die juristische Natur des Testaments. Das Schicksal einer Erbschaft soll bestimmt werden durch den letzten Willen des Verstorbenen (suprema, ultima voluntas) , welcher auf gehörige Weise ausgesprochen seyn muß. Damit ist also gemeint der im Zeitpunkt des Todes vorhandene Wille, da jeder frühere in der Zwischenzeit vielleicht verändert seyn kann. Nun ist es aber an sich unmöglich, gerade im Augenblick des Todes ein Testament zu machen, ja wegen der völligen Ungewißheit der Todes- zeit wird es oft nöthig oder räthlich seyn, den Willen, der als letzter gelten soll, in einem weit früheren, oft sehr entfernt liegenden, Zeitpunkt auszusprechen. Daher ist jeder Testator anzusehen als handelnd in zwei verschiedenen Zeit- punkten: indem er das Testament errichtet, und in dem Augenblick des Todes, worin er das früher errichtete Te- stament unverändert hinterläßt. Das Erste kann man die faktische Thätigkeit, das Zweite die juristische Thätigkeit des Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Testators nennen. Nur das Product der zweiten Thätigkeit kann und soll wirken; das der ersten bleibt in der ganzen Zwischenzeit meist unbekannt, immer unwirksam, und immer der unbeschränkten Willkür des Testators unterworfen. — Schon diese Betrachtung muß uns dahin führen, die fak- tische Thätigkeit (also die Form des errichteten Testaments) zu beurtheilen nach dem zur Zeit der Errichtung bestehenden Gesetz, die juristische (also den Inhalt) nach dem Gesetz zur Zeit des Todes Zweifelhaft bleibt vorläufig die persönliche Fähigkeit sowohl des Testators, als der Erben und Legatare, wovon unten die Rede seyn wird. . — Und schon hier können wir vorläufig zwei abweichende Ansichten ablehnen. Die eine will auch den Inhalt beurtheilen nach der Zeit des errich- teten Testaments, weil der Testator die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Inhalts verdiene, je nachdem sein Wille mit dem ihm bekannten (gegenwärtigen) Gesetz übereinstimme oder nicht, wobei man denn besonders an Prohibitivgesetze zu denken pflegt. Eine zweite Ansicht geht noch weiter, indem sie das Testament für ungültig erklärt, sowohl wenn es blos dem Gesetz zur Zeit des Testaments, als auch wenn es blos dem Gesetz zur Zeit des Todes widerspreche. Beiden Ansichten ist die Bemerkung entgegen zu setzen, daß für den Gesetzgeber nur Bedeutung hat der Inhalt eines hinter- lassenen, möglicherweise wirksamen, Testaments, anstatt daß Das, welches in dem Testament eines Lebenden etwa ge- schrieben stehen mag, völlig bedeutungslos für ihn ist. §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. Wie diese beiden Ansichten aus mißverstandenen Regeln des Römischen Rechts hervorgegangen sind, wird erst weiter unten klar gemacht werden können. Aus der bisher angestellten Betrachtung ergiebt sich, daß die hier bei den Testamenten vorliegende Frage nahe verwandt, obgleich nicht völlig gleich, ist mit der oben für die Usucapion und Klagverjährung abgehandelten Frage (§ 391). Die Usucapion beruhte auf einem fortdauernden, über einen ganzen Zeitraum gleichmäßig verbreiteten Zu- stand. Das Testament besteht aus zwei, in verschiedene Zeitpunkte fallenden, einzelnen Thätigkeiten. Beide also kommen mit einander darin überein, daß die Thatsache, wovon der Erwerb eines Rechts abhängt, nicht eine einfache, vorübergehende Natur hat, so wie wir es bei den meisten juristischen Thatsachen (Vertrag, Tradition u. s. w.) wahrnehmen. Daher ist für beide Fälle folgende Unterschei- dung anwendbar und wichtig. Ein neues Gesetz, dessen Einwirkung zu prüfen ist, kann erlassen werden: erstlich vor dem Anfang einer Usucapion, oder vor der Errichtung eines Testaments; zweitens nach dem Ablauf der Usucapion, oder nach dem Tode des Testators; drittens in der Zwischen- zeit zwischen dem Anfang und dem Ende der Usucapion, zwischen dem errichteten Testament und dem Tode des Te- stators. — Im ersten Fall ist die Einwirkung des neuen Gesetzes unzweifelhaft zu bejahen, im zweiten eben so un- zweifelhaft zu verneinen; der dritte Fall also ist der ein- zige Gegenstand unserer vorliegenden Untersuchung, so wie VIII. 29 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. er schon oben für die Usucapion festgestellt worden ist (§ 391). Indem wir nun für diesen Fall eines neuen Gesetzes, erlassen nach der Errichtung eines Testaments, aber vor dem Tode des Testators, die Regeln aufsuchen, müssen wir dabei einen zweifachen Zusammenhang dieser Regeln vor Augen behalten. Erstens mit den Regeln, welche oben für die Collisionen des örtlichen Rechts aufgestellt worden sind (§ 377). Zweitens, welches wichtiger und schwieriger ist, mit den Regeln über diejenigen Veränderungen, die, in der Zwischenzeit zwischen dem errichteten Testament und dem Tode, nicht in der Gesetzgebung eintreten, wohl aber in den thatsächlichen Verhältnissen. An sich gehören zu unsrer Aufgabe nur die Veränderungen der ersten Art. Dennoch müssen wir aus mehreren Gründen auch die Veränderun- gen der zweiten Art nicht nur berücksichtigen, sondern selbst durch genaue, in’s Einzelne gehende Untersuchung zu durch- forschen nicht scheuen. Wir müssen es, schon wegen der inneren Verwandtschaft, indem beiderlei Veränderungen großentheils nach gleichen Regeln zu beurtheilen sind. Noch mehr aber sind wir dazu genöthigt durch das Verfahren der meisten neueren Schriftsteller, deren Irrthümer großen- theils dadurch entstanden sind, daß sie theils die beiden angegebenen Arten der Veränderungen ohne Unterscheidung vermengen, theils die Regeln des Römischen Rechts über die thatsächlichen Veränderungen unrichtig auffassen. §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. Ich verlasse also jetzt den eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Aufgabe, die sich auf die Anwendbarkeit neuer Gesetze beschränkt, um die an sich verschiedene Frage zu beantworten: wie es nach Römischem Recht anzusehen ist, wenn in der Zwischenzeit, zwischen der Errichtung eines Testaments und dem Tode, eine Veränderung eintritt in den thatsächlichsten Verhältnissen, die auf die Gültigkeit des Testaments Einfluß haben können. Ich wiederhole es, daß diese Frage mit der Frage nach der Einwirkung neuer Gesetze zwar verwandt, aber nicht identisch ist, daß also eine Anwendung der für die eine Frage gültigen Regeln auf die andere Frage nur mit großer Vorsicht versucht werden darf. Die Gegenstände einer solchen möglichen Veränderung sind folgende: Persönliche Fähigkeit des Testators in Be- ziehung auf dessen Rechtsverhältnisse, so wie auf dessen physi- sche Eigenschaften. Inhalt des Testaments. Persönliche Fähigkeit des Honorirten (des Erben oder Legatars). 1. Persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen Rechtsverhältnisse . Diese hat zwei an sich verschiedene Bedingungen, die jedoch unter denselben Re- geln stehen. a. Der Testator muß testamentifactio haben. Dieser Ausdruck wird selbst von den Römischen Juristen in verschiedener Bedeutung gebraucht. Zuweilen ganz buchstäblich, für die Verfertigung eines Testa- ments. Anderwärts für die Testamentsfähigkeit 29* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. ohne Unterschied ihrer Bedingungen, so daß in die- sem Sinn dem Kinde und dem Wahnsinnigen die testa- mentifactio abgesprochen wird. Wo aber der Aus- druck genau und technisch gebraucht wird, wie be- sonders bei Ulpian , da bedeutet es den Besitz der Standeseigenschaft im Römischen Staate, welche fähig macht zur Mancipation, als der Grundform der Römischen Testamente. Nun ist testamentifactio gleichbedeutend mit commercium; es haben dieselbe alle cives und Latini, es entbehren sie alle peregrini Ulpian . XX. § 2 verglichen mit XIX. § 4. 5. . b. Der Testator muß fähig seyn, Vermögen zu haben und zu hinterlassen, er muß also nicht, in Beziehung auf einen künftigen Nachlaß, juristisch und noth- wendig vermögenslos seyn. In dieser Hinsicht ist unfähig der filiusfamilias, obgleich er testamenti- factio hat und daher Testamentszeuge seyn kann Ulpian . XX. § 2. 4. 5. 6. 10. . Auf gleiche Weise ist unfähig der Latinus Junianus, der eben so testamentifactio hat und deshalb Testa- mentszeuge seyn kann. Die Lex Junia hat ihm aber verboten, für sich ein Testament zu machen, indem sie verordnet, daß sein Vermögen im Augen- blick des Todes dem Patron zufallen soll, nicht als Erbschaft, sondern so, als ob er im Leben stets Sklave, folglich vermögensunfähig geblieben wäre Ulpian . XX. § 8. 14. . §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. Diese beiden Bedingungen der Testamentsfähigkeit kom- men darin überein, daß sie gleich nöthig sind für beide Zeitpunkte, die Zeit des Testaments und die Zeit des To- des, welches so viel sagen will, als daß dieselben sowohl zur faktischen als zur juristischen Thätigkeit im Testament gerechnet werden müssen. Wer also juristisch unfähig ist, kann kein Testament machen , und eben so wenig ein Testament hinterlassen . — Nur eine blos in die Zwi- schenzeit fallende Veränderung soll nicht schaden, indem in diesem Fall der Prätor das Testament aufrecht hält Gajus II. § 147, Ulpian . XXIII. § 6. L. 1 § 8 de B. P. sec. tab. (37. 11) , L. 6 § 12 de injusto (28. 3). . Zwei Beispiele werden diese Regeln anschaulich machen. Das Testament ist ungültig, wenn dem Testator die Civität fehlt zur Zeit des Testaments oder zur Zeit des Todes; nicht ungültig, wenn er nur in der Zwischenzeit vorüber- gehend die Civität verloren hatte. — Es ist ungültig, wenn der Testator filiusfamilias war zur Zeit des Testa- ments oder zur Zeit des Todes; gültig, wenn er sich in der Zwischenzeit arrogiren ließ, dann aber wieder emanci- pirt wurde. Es ergiebt sich aus dieser Behandlung der Sache im Römischen Recht, daß die Römer die in zwei Zeitpunkten nothwendige Fähigkeit des Testators, als gegründet in dem inneren Bedürfniß der Sache, mit Recht anerkannten und stets fest hielten, daß sie dagegen die Fortdauer dieses Zu- standes in der ganzen Zwischenzeit blos als eine Conse- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. quenz strenger Theorie, dem praktischen Bedürfniß nicht entsprechend, betrachteten, und daher beseitigten. 2. Persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen physische Eigenschaften . Diese hat eine ganz andere Natur, als die erste Art der Fähigkeit. Sie gehört ausschließend der faktischen Seite des Testaments an, und ist also nöthig zu der Zeit, in welcher das Testament gemacht wird. Dagegen ist jede spätere Aenderung ganz gleichgültig, und es wird dadurch weder das Testament gültig, wenn zur Zeit desselben die Fähigkeit fehlte, noch ungültig, wenn die Fähigkeit damals vorhanden war. Zu diesen Gründen der Ungültigkeit gehört: Unmündig- keit, Wahnsinn, nach dem älteren Römischen Recht auch Stummheit und eben so Taubheit. Wenn nun ein Unmün- diger oder ein Wahnsinniger ein Testament macht, so ist und bleibt dasselbe ungültig, auch wenn später Mündigkeit eintritt oder der Wahnsinn verschwindet. Umgekehrt ist und bleibt das Testament des geistig Gesunden gültig, auch wenn er späterhin in Wahnsinn verfällt, und selbst wenn er in diesem Zustand stirbt § 1. J. quib. non est perm. (2. 12) , L. 2 L. 6 § 1 L. 20 § 4 qui test. (28. 1) , L. 8 § 3 de j. cod. (29. 7) , L. 1 § 8. 9. de B. P. sec. tab. (37. 11). . 3. Der Inhalt des Testaments gehört ausschließend der juristischen Seite des Testaments an. Daher wird gar nicht gesehen auf die blos zur Zeit des errichteten Testa- §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. ments vorhandenen Verhältnisse, obgleich diese der Testator zunächst vor Augen hatte, sondern lediglich auf die Ver- hältnisse zur Zeit des Todes. Dieses war unzweifelhaft bei solchen thatsächlichen Verhältnissen, die eine ganz materielle Natur hatten. Die Schonung oder Verletzung des Pflichttheils hängt oft ab von der Größe des Vermögens. Diese wird beurtheilt nach der Zeit des Todes, gar nicht nach der Zeit des errichteten Testaments, welche doch dem Testator damals vor Augen stand L. 8 § 9 de inoff. (5. 2). . — Eben so die Verletzung des eingesetzten Erben im Verhältniß zu den Legaten, die durch verschiedene Gesetze verhütet werden sollte (Lex Furia, Voconia, Falcidia) , wird beurtheilt nach der Größe des Vermögens zur Zeit des Todes, so daß der frühere Zustand gleichgültig ist § 2 J. de L. Falc. (2. 22), L. 73 pr. ad L. Falc. (35. 2). . In manchen anderen Fällen hatte die Ungültigkeit des Inhalts eine strenger juristische Natur; so die Nichtigkeit des Testaments, in welchem ein Suus oder ein Posthumus präterirt war. Dennoch wurde auch hier die oben aufge- stellte Ansicht, nach welcher der Inhalt des Testaments aus- schließend nach der Zeit des Todes beurtheilt werden sollte, so sehr für richtig und dem praktischen Bedürfniß ange- messen gehalten, daß durch künstliche Mittel nachgeholfen wurde. Wenn also der präterirte Suus oder Posthumus noch vor dem Testator starb, so war und blieb eigentlich Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. das Testament nichtig; es wurde aber aufrecht erhalten, indem daraus der Prätor eine B. P. secundum tabulas er- theilte Ulpian . XXIII. § 6, L. 12 pr. de injusto (28. 3). — Man könnte diese Behandlung der Sache etwa so ausdrücken: Die durch Präterition bewirkte Nich- tigkeit war nach jus civile eine absolute; der Prätor verwandelte sie in eine relative, so daß sie nur von dem lebenden Präterirten selbst geltend gemacht werden konnte, nicht zufällig von einem Dritten, zu dessen Vortheil sie gar nicht eingeführt war. Nach der Strenge des jus civile war die Präterition des Suus oder Posthumus ein vernichtender Formfehler, der Prä- tor behandelte sie blos als ein Stück des Inhalts des Testaments. . — Ganz derselbe Erfolg trat auch ein, wenn der Testator fehlte durch die Präterition eines Emancipir- ten, oder durch die unbillige Enterbung eines nahen, zur Intestaterbfolge befähigten, Verwandten, nur mit dem Un- terschied, daß hier der Erfolg von selbst eintrat, nicht erst durch künstliche Aushülfe des Prätors. Denn der präter- irte Emancipirte hatte überhaupt nur einen Anspruch durch B. P. contra tabulas, die ein ganz persönliches Rechts- mittel war, angeboten dem zur Zeit des Erbanfalls leben- den Präterirten. Daher war die Präterition eines Eman- cipirten, der vor dem Testator starb, wirkungslos, weil ihm nun keine solche B. P. c. t. deferirt werden konnte. Ganz eben so verhielt es sich mit der Querela inofficiosi des unbillig ausgeschlossenen Intestatberechtigten. Denn auch diese ist ein ganz persönliches Rechtsmittel, von welchem nicht die Rede seyn kann, wenn etwa der unbillig Aus- geschlossene vor dem Testator stirbt. Vgl. oben B. 2. § 73 G. §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. 4. Persönliche Fähigkeit des Honorirten (des Erben oder Legatars). Dieser Fall ist unter allen der schwierigste, und er hat die meisten Mißverständnisse in unsrer Lehre erzeugt. An sich gehört dieser Punkt zum Inhalt des Testaments, so daß wir nach allgemeinen Gründen lediglich die that- sächlichen Verhältnisse zur Zeit des Todes zu berücksichtigen hätten, ganz ohne Rücksicht auf frühere Zustände. Dennoch haben ihn die Römer ganz anders behandelt, und wir müssen uns die Gründe dieser abweichenden Behandlung klar zu machen suchen. Die Römische Lehre ist folgende. Die juristische Fähig- keit des Erben und des Legatars beruht auf derselben testamentifactio, wie die des Testators (Note b ), so daß alle cives und Latini sie haben, alle peregrini sie ent- behren Ulpian . XXII. § 1. 2. 3. Hier ist weder der filius familias, noch der Latinus Julianus aus- geschlossen, weil der Vermögens- lose zwar Nichts hinterlassen, wohl aber Etwas zugewiesen bekommen kann. Auch nicht das Kind und der Wahnsinnige, weil es nicht nöthig ist, zu wollen oder zu han- deln, um eingesetzt zu werden. . Diese Standesfähigkeit muß vorhanden seyn in drei Zeitpunkten (tria tempora): zur Zeit des Testa- ments, zur Zeit des Todes An die Stelle dieses Zeit- punktes tritt bei bedingten Ein- setzungen die Zeit der erfüllten Bedingung, die also nicht etwa einen vierten Zeitpunkt bildet. , zur Zeit des Erwerbs. Eigentlich wäre auch die fortdauernde Fähigkeit in der Zwischenzeit nöthig; doch wird diese Forderung nachgesehen, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. so daß eine vorübergehende Unfähigkeit in der Zwischenzeit nicht schadet (media tempora non nocent) Die Hauptstellen für diese Lehre sind folgende: § 4 J. de her. qual. (2. 19), L. 6 § 2. L. 49 § 1 L. 59 § 4 de her. inst. (28. 5). — Die hier erwähnte Zwischenzeit ist indessen nur zu be- ziehen auf den ersten Zeitraum, zwischen Testament und Tod; die Unfähigkeit in dem zweiten zwi- schen Tod und Erwerb, schadet allerdings, indem durch sie die Erbschaft augenblicklich irgend einem Dritten deferirt wird, sey es der Substitut oder der In- testaterbe. . Was ist nun der Grund dieser, von der nach allge- meinen Gründen zu erwartenden so abweichenden, Behand- lung gerade dieses einen Falles? Wir können dabei ab- sehen von dem dritten Zeitpunkt (Erwerb der Erbschaft), der sich eigentlich von selbst versteht, und überhaupt nicht wichtig ist. Dann bleibt uns als auffallende, besonders zu erklärende, Erscheinung die Regel übrig, daß die Fähigkeit des Honorirten nicht blos erfordert wird zur Zeit des Todes (wie wir es erwarten möchten), sondern auch zur Zeit des errichteten Testaments, so daß die zu dieser Zeit vorhandene Unfähigkeit (z. B. Peregrinität) das Testament für immer ungültig macht, selbst wenn der eingesetzte Erbe bald nachher das Römische Bürgerrecht erwarb. Die Erklärung dieser auffallenden Erscheinung aber ist weder schwierig, noch zweifelhaft. Sie liegt in der Grund- form des Römischen Testaments als einer Mancipation des gegenwärtigen Vermögens Gajus II, § 103. , als eines idealen Ganzen (ohne Rücksicht auf dessen einzelne Bestandtheile, so wie §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. auf mögliche Zunahme oder Verminderung), wodurch das Ganze die Gestalt eines fingirten Erbvertrags annahm, also eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden, als dessen thätige, mitwirkende Theilnehmer alle in dem Testament bedachte Personen (repräsentirt durch den familiae emtor ) angesehen wurden. Deswegen sollten sie Alle die persönliche Fähig- keit haben zur Zeit dieses imaginären Vertrags. Daß diese Regel in der That rein theoretisch, der juri- stischen Form zu Liebe angenommen war, also nicht be- ruhend auf der Anerkennung eines inneren Bedürfnisses, ergiebt sich noch aus folgendem Umstand. In einer etwas neueren Zeit waren Beschränkungen der persönlichen Er- werbfähigkeit durch positive Gesetzgebung eingeführt worden, wobei man sich von jener alten formellen Rücksicht befreien zu können glaubte; dieser Fall trat ein bei den Ehelosen, den Kinderlosen, und den Latini Juniani. Bei dieser neu erfundenen Unfähigkeit sah man auf den Zustand zur Zeit des errichteten Testaments gar nicht; ja man ging sogar auf der anderen Seite noch einen Schritt weiter, indem man auch nicht einmal auf die Todeszeit sah, sondern nur auf die Zeit des Erwerbs. Diese letzte Vorschrift aber hatte den praktischen Zweck, daß gerade die dargebotene Erbschaft ein Beweggrund seyn sollte, für den Ehelosen, sogleich in eine Ehe zu treten, für den Latinus Junianus, sich des jus quiritium schnell würdig zu machen Ulpian . XXII. § 3 verglichen mit XVII. § 1 und III. § 1 — 6. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Hierin liegt der wahre Grund der auffallenden Regel über die tria tempora; nicht, wie Viele glauben, in der regula Catoniana L. 1 pr. de reg. Cat. (34. 7) „Quod, si testamenti facti tempore decessit testator, inutile foret: id legatum, quandocunque decesserit, non valere.“ . Die Unrichtigkeit dieser Ableitung ergiebt sich aus folgenden Betrachtungen. Die tria tempora werden nirgend auf diese ganz einzeln stehende, einer schon etwas neueren Zeit angehörende, Regel zurückgeführt, müssen also wohl einen allgemeineren und älteren Grund gehabt haben. Ferner geht die Regel des Cato nur auf Legate (Note p ), und namentlich nicht auf Erbschaften L. 3 eod. „Catoniana regula non pertinet ad here- ditates.“ Zwar will Cujacius obs. IV. 4 emendiren: liberta- tes, aber diese Emendation ist völlig willkürlich und weder durch Handschriften, noch durch inneres Bedürfniß unterstützt. Vergl. Voorda Interpret. II. 22. . Sie betrifft also überhaupt nicht die persönliche Fähigkeit des Honorirten, wovon allein hier die Rede ist, sondern andere Bedingungen eines ungültigen Legats; insbesondere wohl den Fall, wenn der Testator eine Sache per vindi- cationem legirt, ohne daran zur Zeit des Testaments das Römische Eigenthum zu haben. Dieses Legat ist ungültig, auch wenn er späterhin das Römische Eigenthum der Sache erwirbt Ulpian . XXIV. § 7. . Fassen wir dieses Alles in Einen Gedanken zusammen, so müssen wir sagen, die ganze Lehre der tria tempora gründete sich gar nicht auf die Natur der Sache, auf das §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. natürliche Wesen des Testaments, sondern sie hatte eine blos zufällige, historische Veranlassung. Ja wir müssen hinzufügen, daß es consequent gewesen wäre, diese Lehre im Justinianischen Recht gänzlich aufzugeben, indem ja in diesem Recht der Gedanke der Mancipation, als Grundlage der Testamente, völlig verschwunden war. Die so eben geführte Untersuchung betraf gar nicht die Frage wegen der zeitlichen Collision der Gesetze, war also eine Digression, aber eine unentbehrliche Digression. Denn indem ich mich nun zur Untersuchung der Veränderungen wende, die nicht in den Thatsachen eintreten, sondern in den Gesetzen, mnß ich stets zurückgehen auf die Analogie der eben aufgestellten Regeln. Jedoch darf davon dieser Gebrauch nur mit Vorsicht und Unterscheidung gemacht werden, besonders mit Rücksicht darauf, ob die aufgestellten Regeln aus der Natur der Sache abgeleitet wurden, oder aus eigenthümlichen Gründen. Ich werde mich dabei ganz an die Reihe von Fällen halten, wie sie so eben für die thatsächlichen Veränderungen aufgestellt wurden. 1. Persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen Rechtsverhältnisse . Diese muß in zwei Zeitpunkten vorhanden seyn: zur Zeit des errichteten Testaments und zur Zeit des Todes; fehlt sie in einem derselben, so ist und bleibt das Testament ungültig (S. 453). Sie kann aber gerade dadurch fehlen, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. daß der Zustand des Testators dem in einem dieser Zeit- punkte geltenden Gesetz nicht entspricht Chabot T. 2 p. 438. 439. — Dagegen glaubt Meyer p. 121—131, die Unfähigkeit zur Zeit des errichteten Testaments schade nicht, und sucht diese grundlose Behauptung gegen die allerdings nicht zutreffenden Einwürfe aus der regula Catoniana zu recht- fertigen. . Folgende Beispiele werden die Sache erläutern. Nach Römischem Recht konnten testiren: alle cives, alle unab- hängige Latini Dahin gehörten früher die Latini colonarii ( Ulpian . XIX. § 4), und, seitdem es solche nicht mehr gab, alle Nachkommen eines Latinus Junianus, da das Ver- bot der Lex Junia nur ihn selbst betraf, nicht die Nachkommen, welche Latini ingenui waren. , nicht die peregrini (S. 452). Gesetzt nun, ein solcher Latinus hätte ein Testament gemacht, und während seines Lebens wäre allen Latinen durch ein Kaiser- gesetz die testamentifactio entzogen worden, so wäre das Testament ungültig gewesen, wegen der Unfähigkeit zur Todeszeit. — Gesetzt, ein Peregrine hätte ein Testament gemacht, und während seines Lebens wäre durch ein Kaiser- gesetz allen Peregrinen die testamentifactio verliehen worden, so wäre das Testament ungültig geblieben, wegen der Un- fähigkeit zur Zeit des errichteten Testaments. 2. Persönliche Fähigkeit des Testators in Beziehung auf dessen physische Eigenschaften . Diese muß blos vorhanden seyn zur Zeit der Errichtung des Testaments, also entscheidet ausschließend das zu dieser Zeit geltende Gesetz. Ein nach demselben gültig gemachtes §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. Testament kann durch ein späteres Gesetz nicht ungültig werden, eben so aber auch umgekehrt. So waren im älteren Römischen Recht Stumme un- fähig, zu testiren; Justinian hat ihnen die Fähigkeit er- theilt L. 10 C. qui test. (6. 22). . Wenn nun kurz vor diesem Gesetz ein Stummer testirte, so wurde das Testament durch das neue Gesetz dennoch nicht gültig; er konnte aber jetzt ein gültiges Te- stament errichten. — Die Testamentsmündigkeit im weib- lichen Geschlecht setzt das Römische Recht auf zwölf Jahre L. 5 qui test. (28. 1). , das Preußische Recht auf vierzehn Jahre A. L. R. I. 12 § 16. . Wenn nun ein Mädchen von dreizehn Jahren ein Testament macht unter der Herrschaft des Römischen Rechts, so bleibt das Testament gültig, auch wenn gleich nachher das Preußische Gesetz eingeführt wird, und der Tod vor Vollendung des vierzehnten Jahres erfolgt. Wird das Testament unter der Herrschaft des Preußischen Rechts mit dreizehen Jahren errichtet, so bleibt es ungültig, selbst wenn gleich darauf das Römische Recht eingeführt wird. 3. Der Inhalt des Testaments richtet sich lediglich nach der Zeit des Todes, so daß das zu dieser Zeit beste- hende Gesetz über die Gültigkeit des Inhalts allein ent- scheidet, ohne Rücksicht auf die Vorschriften des früheren Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Gesetzes, selbst desjenigen, unter dessen Herrschaft das Te- stament errichtet war Chabot T. 2 p. 367— 370, p. 382, p. 445—454, der unter Allen diesen Punkt am rich- tigsten auffaßt, freilich mit Ein- mischung mancher Irrthümer über das R. R. — Weber S. 96— 98 läßt das Testament ungültig werden, wenn der Inhalt entwe- der dem Gesetz zur Zeit des Te- staments, oder dem zur Zeit des Todes widerspricht; er behandelt also diesen Punkt so, wie die juri- stische Fähigkeit des Testators (Num. 1). — Bergmann § 16. 19. 51 nimmt an, nach R. R. sey der Inhalt blos nach dem zur Zeit des Testaments gültigen Gesetz zu beurtheilen, und die Rücksicht auf die Todeszeit sey eine falsche Ansicht der französischen Rechtslehrer, aber auch eingedrun- gen in ihre Gesetzgebung. . Anwendungen dieser Regel, die für die Anwendung wichtiger ist, als alle andere, sind folgende. Pflichttheil und Präterition sind zu beurtheilen nach dem zur Todeszeit bestehenden Gesetz Chabot T. 2 p. 225, p. 464—475. . — Eben so die im Französischen Gesetzbuch verbotenen Fideicommisse (substitu- tions) Chabot T. 2 p. 382. Vgl. Meyer p. 132—148. . — Eben so die Vulgarsubstitution, die in Frankreich im J. 1790 verboten, durch den code aber wieder erlaubt wurde Chabot T. 2 p. 367— 370. . 4. Persönliche Fähigkeit des Honorirten (Erben oder Legatars). In den bisher erörterten Fällen und Fragen mußte für die Veränderungen in den Gesetzen genau dieselbe Regel ange- nommen werden, welche für die Veränderungen in den that- sächlichen Verhältnissen vom Römischen Recht anerkannt war (S. 451—456); denn diese Anerkennung hatte sich gegründet §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. auf die allgemeine Natur des Testaments überhaupt, also auf das innere Bedürfniß der Sache selbst. Ganz anders verhält es sich mit der Frage wegen der persönlichen Fähig- keit des Honorirten, bei welcher die thatsächlichen Verän- derungen im Römischen Recht nach der Regel der tria tem- pora beurtheilt werden. Denn diese Beurtheilung hatte keine innere, sondern nur historische Gründe, Gründe, die schon zu Justinian’s Zeit verschwunden waren, und vollends für uns gar keine Bedeutung mehr haben können. Wir müssen also hier die Analogie jener Regel des Römischen Rechts ganz verlassen, und uns lediglich an die wahre Natur des Testaments halten. Diese aber führt dahin, die persönliche Fähigkeit des Honorirten als ein zum In- halt des Testaments gehörendes Stück aufzufassen, und daher ausschließend nach dem zur Todeszeit geltenden Ge- setz zu beurtheilen, ohne Rücksicht auf das Recht, welches früher, etwa zur Zeit der Errichtung des Testaments, ge- golten haben mag Chabot T. 2 p. 462—464. stimmt mit dieser Entschei- dung völlig überein, ohne sich in die hier versuchte Begründung einzulassen. . Daß uns in dieser Behauptung die regula Catoniana nicht irre machen darf, und daß wir also auch keine Ver- anlassung haben, die Anwendbarkeit dieser Regel auf unsre Zeit künstlich zu widerlegen, wie es von Manchen versucht worden ist, wurde schon oben gezeigt. Besonders auf die VIII. 30 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Fähigkeit eines eingesetzten Erben kann jene Regel auch nicht einmal scheinbar angewendet werden (Noten p. q. ). 5. Ferner kommt das Gesetz über die Form des Te- staments in Betracht, von welcher zu sprechen bei den that- sächlichen Veränderungen gar keine Veranlassung war. Die Form gehört ganz zur faktischen Seite des Testa- ments, welches daher für gültig oder ungültig gehalten werden muß, je nachdem die angewendete Form dem da- mals geltenden Gesetz entsprach oder nicht, so daß hierin ein späteres Gesetz weder zum Vortheil, noch zum Nachtheil des Testaments Etwas zu aͤndern vermag Chabot T. 2 p. 394—399. Weber S. 90. . Diese Regel stimmt auch ganz mit den oben aufgestellten allge- meineren Regeln überein (§ 388). In Anwendung dieser Regel muß also ein unter dem Französischen Recht gemachtes eigenhändiges Privattestament gültig bleiben, auch wenn vor dem Tode des Testators das Preußische Recht eingeführt wird, welches die Privattesta- mente nicht anerkennt. Umgekehrt muß ein unter dem Preußischen Recht errichtetes eigenhändiges Privattestament ungültig bleiben, auch wenn während der Lebenszeit des Testators das Französische Recht eingeführt wird, welches diese Form der Testamente gestattet Eine hierin etwas abweichende Bestimmung des Preußischen Rechts ist schon oben erwähnt worden (§ 388. o ), und wird abermals im § 394. erwogen werden. . 6. Endlich ist noch der Fall zu erwähnen, wenn etwa §. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. ein Gesetz die testamentarische Erbfolge überhaupt auf- heben , also die gesetzliche für die allein gültige erklären sollte; nicht als ob dieser Fall etwa praktisch erheblich wäre, sondern weil die Betrachtung desselben dazu dienen kann, die ganze Ansicht der Sache mehr festzustellen. Wird nun ein Testament gemacht unter der Herrschaft eines Gesetzes, das die Testamente überhaupt untersagt, so ist und bleibt es ungültig, selbst wenn vor dem Tode ein neues Gesetz die Testamente wieder zulassen sollte. Dieses muß schon deshalb angenommen werden, weil für ein solches Testament keine dem gleichzeitigen Gesetz ge- nügende Form angewendet seyn kann, welches doch nach der eben aufgestellten Regel (Num. 5) erforderlich wäre. Eben so ist das Testament ungültig, wenn die testamen- tarische Erbfolge zur Zeit der Errichtung erlaubt, zur Zeit des Todes, vermöge eines neuen Gesetzes, untersagt war. Dieses ist schon deshalb anzunehmen, weil das neue Gesetz den ganzen Inhalt des Testaments entkräften wollte, die Gültigkeit des Inhalts aber nach dem zur Zeit des Todes bestehenden Gesetz zu beurtheilen ist (Num. 3). Aber auch eine zweite, noch durchgreifendere, Ansicht führt zu dem- selben Erfolg. Ein solches neues Gesetz betrifft eigentlich nicht den Erwerb eines Rechts (nämlich des Erbrechts ver- mittelst eines Testaments), sondern das Daseyn eines ganzen Rechtsinstituts (der testamentarischen Erbfolge), und bei Gesetzen dieser Art ist von der rückwirkenden Kraft über- haupt nicht die Rede (§ 384). 30* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Am zweifelhaftesten könnte der Fall gefunden werden, wenn zur Zeit der Errichtung und zur Zeit des Todes Te- stamente gesetzlich erlaubt wären, ein vorübergehendes Ge- setz der Zwischenzeit aber sie einmal untersagt hätte. Ich würde geneigt seyn, auf diesen Fall die Analogie der Römischen Regel: media tempora non nocent (Note m ), anzuwenden, und das Testament als gültig anzuerkennen. §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen . IV. Erbrecht. (Fortsetzung) . Die zeitliche Gränze der Herrschaft neuer Gesetze in Anwendung auf Testamente ist bisher nur noch aus allge- meinen Gesichtspunkten, nach der Natur der Testamente überhaupt, untersucht worden, ohne Rücksicht auf die unmittelbaren Aussprüche positiver Gesetze. Das Römische Recht wurde erwogen (§ 393) bei einer an sich ver- schiedenen Frage, der Frage wegen der thatsächlichen Ver- änderungen, die in Beziehung auf die Gültigkeit der Te- stamente von Einfluß seyn können. Von den Regeln des Römischen Rechts über diese andere Frage wurde eine blos analoge Anwendung versucht auf die Lösung unsrer vor- liegenden Aufgabe. Ich will nun untersuchen, welche Aus- sprüche positiver Gesetzgebungen für diese Aufgabe selbst benutzt werden können, also für die Bestimmung des Ein- §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) flusses, den wir neuen Gesetzen auf die Gültigkeit der Te- stamente zuzuschreiben haben. Zuerst soll das Römische Recht erwogen worden. In diesem finden wir einen allgemeinen Ausspruch über unsre Frage gar nicht. Der allgemeine, die rückwirkende Kraft der Gesetze verneinende Grundsatz (§ 386) ist für die Testamente deswegen nicht ausreichend, weil diese nicht so, wie die Verträge und Veräußerungen, einem einzelnen Zeitpunkt angehören, sondern mehreren Zeitpunkten (§ 393), so daß es gerade zweifelhaft seyn kann, in welchen Be- ziehungen das Testament unter die futura negotia, oder vielmehr unter die facta praeterita (die pendentia negotia ) zu rechnen seyn möge. Dagegen finden wir in vielen einzelnen Römischen Ge- setzen sehr bestimmte transitorische Vorschriften über die Frage, auf welche Testamente gerade diese neuen Gesetze angewendet oder nicht angewendet werden sollen. Dabei liegt nun der Gedanke sehr nahe, daß diese transitorischen Vorschriften zugleich den Ausdruck des auf unsre Frage be- züglichen allgemeinen, bleibenden Grundsatzes enthalten müßten, und unter dem Einfluß dieser Voraussetzung haben neuere Schriftsteller sehr häufig ihre Theorie ausgebildet. Aber gerade diese Voraussetzung ist sehr bedenklich, und für manche einzelne Fälle erweislich falsch. Denn die tran- sitorische Vorschrift kann im Einzelnen hervorgegangen seyn, nicht sowohl aus der Ueberzeugung, daß es nach allgemeinen Grundsätzen so seyn müsse, weil es der Natur der Testa- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. mente angemessen sey, als vielmehr aus schonender Rücksicht auf bestehende Thatsachen; dann aber ist die transitorische Vorschrift nicht Ausdruck einer als wahr anerkannten Regel, sondern vielmehr einer schonenden Ausnahme von der Regel. Diese Absicht der Gesetzgeber ist nicht nur überhaupt möglich, sondern gerade hier in mehreren Fällen unzweifelhaft vor- handen. Wir werden also die einzelnen transitorischen Vor- schriften des Römischen Rechts über das Recht der Testa- mente, welche nunmehr der Reihe nach angegeben werden sollen, mit den oben aufgestellten allgemeinen Grundsätzen (§ 393) zu vergleichen haben, um bei jeder dieser Vor- schriften zu erkennen, ob sie als anerkennender Ausdruck der Regel, oder vielmehr als Ausnahme von der Regel, anzusehen seyn möge. 1. Eine solche transitorische Vorschrift findet sich in der Lex Falcidia, welche im ersten Kapitel so lautet L. 1 pr. ad L. Falc. (35. 2). — Eine ähnliche tran- sitorische Bestimmung erwähnt Cicero ( in Verrem I. 41. 42) von der L. Voconia (qui here- dem fecerit ) , die aber Ver- res durch sein unredliches Edict in rückwirkende Kraft umgewan- delt habe durch die Worte: fecit, fecerit. : Qui cives Romani sunt, qui eorum post hanc Legem rogatam testamentum facere volet , ut eam pecuniam etc. Diese Bestimmung, welche dann im zweiten Kapitel wörtlich wiederholt wird, beschränkt die Anwendung des Gesetzes auf künftig zu errichtende Testamente, so daß die §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) schon errichteten, auch wenn die Testatoren noch lebten, davon frei seyn sollten. Darin liegt eine Ausnahme unsrer Regeln. Denn da die Bestimmung des Gesetzes den Inhalt des Testaments betraf, so hätte dasselbe eigentlich angewendet werden müssen auf alle Testamente, deren Urheber später starben (§ 393 Num. 3), auch wenn sie damals schon errichtet waren. Man wollte also den lebenden Testatoren die Mühe er- sparen, ihre schon gemachten Testamente mit dem neuen Gesetz zu vergleichen und danach nöthigenfalls umzuändern, zugleich auch die Gefahr, die aus der Vernachlässigung dieser Vorsicht für die vollständige Gültigkeit des Testaments entstehen konnte. Diese Schonung war aber deswegen natürlich und löblich, weil es in der That dem Gesetzgeber sehr gleichgültig seyn konnte, ob das Gesetz einige Jahre früher oder später ausschließende Anwendung erhielte. Es muß aber noch besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß dieses Gesetz nicht etwa die Absicht und die Folge hatte, eine bis dahin unbeschränkte Freiheit der Te- statoren in Beziehung auf Legate zu beschränken, sondern vielmehr die ganz anderen, für manche Fälle strengeren, Beschränkungen der Lex Furia und der Lex Voconia durch eine neue, zweckmäßigere, zu ersetzen Gajus II. § 224—227. . Die Meinung ging also dahin, daß auf die schwebenden Testamente die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Lex Furia und Lex Voconia, auf die künftigen lediglich die Lex Falcidia, angewendet werden sollten. 2. Im J. 531 verordnete Justinian , jede Erbein- setzung solle nur gültig seyn, wenn der Testator den Namen des Erben mit eigener Hand schreibe oder vor den Zeugen mündlich ausspreche. Diese Vorschrift solle aber nur ange- wendet werden auf künftige Testamente, nicht auf schon errichtete L. 29 C. de test. (6. 23). — Diese ganze Bestimmung hat nur noch ein historisches Interesse, da sie nach wenigen Jahren wieder aufgehoben wurde. Nov. 119 C. 9 (von 544). . — In dieser transitorischen Vorschrift lag eine reine Anwendung der oben aufgestellten Grundsätze, indem das neue Gesetz lediglich die Form des Testaments betraf (§ 393 Num. 5). Allein drei Jahre später (534) wurde jenes Gesetz in den neuesten Codex aufgenommen, und zwar mit dem so eben angeführten transitorischen Zu- satz. Darin lag also die Vorschrift, daß die in den ver- flossenen drei Jahren (zwischen 531 und 534) gemachten Testamente, auf die eigentlich das Gesetz schon anwendbar gewesen wäre, davon frei seyn sollten, also gewissermaßen eine Amnestie für die in diesen Testamenten etwa began- gene Vernachlässigung des Gesetzes. Man könnte diese auffallende Wiederholung der transitorischen Vorschrist viel- leicht für ein bloßes Versehen halten wollen; allein Justi- nian selbst hat dieselbe in einem späteren Gesetz für ab- sichtlich erklärt, gegründet auf die Wahrnehmung, daß das neue Gesetz ursprünglich nicht genug bekannt geworden sey, §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) welchem Mangel erst die Aufnahme in den neuen Codex abgeholfen habe Nov. 66 C. 1 § 1. . 3. Der Pflichttheil betrug nach altem Recht ein Vier- theil der Intestatportion; Justinian erhöhte ihn nach Verschiedenheit der Umstände auf ein Drittheil oder die Hälfte Nov. 18 (von 536). . Da dieses Gesetz den Inhalt des Testaments betraf, hätte es auch auf die schon errichteten Testamente angewendet werden müssen. Justinian aber verordnete, daß es erst auf künftige Testamente angewendet werden sollte, worin also wieder eine schonende Ausnahme lag Nov. 66 C. 1 § 2—5 (von 538). . 4. Durch Kaiserconstitutionen wurde die Befugniß eines Vaters, seine Concubinenkinder durch letzten Willen zu bedenken, auf mancherlei abwechselnde Weise beschränkt Göschen Vorlesungen III. 2 § 793. . Eines dieser beschränkenden Gesetze geht dahin, daß solche Kinder, wenn keine eheliche Kinder vorhanden wären, die Hälfte des Vermögens bekommen dürften. Es wurde aber hinzugefügt, diese Bestimmung solle nur angewendet werden auf künftig zu errichtende Testamente L. 8 C. de natur. lib. (5. 27), von Justinian 528. . Darin lag wieder eine Ausnahme, indem das Gesetz den Inhalt des Testaments betraf, also eigentlich auf schwebende Testamente anwendbar gewesen wäre. 5. Durch die L. Julia und die L. Papia Poppaea war unter K. Augustus die sehr verwickelte Caducität der Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Erbschaften und Legate eingeführt worden. Dieses Rechts- institut, welches durch viele spätere Gesetze umgebildet war, wurde von Justinian im J. 534 gänzlich aufge- hoben, jedoch mit dem Zusatz, daß dieses neue Recht erst auf die künftig zu errichtenden Testamente angewendet werden sollte L. un. § 15 C. de cad. toll. (6. 51). . Auch darin lag wieder eine Ausnahme von den aufgestellten Regeln, da das neue Gesetz den In- halt des Testaments zum Gegenstand hatte. Das Preußische Recht enthält über unsre Frage nur wenig bleibende, für alle Zeiten gültige Bestimmungen, und auch diese beantworten die Frage nicht unmittelbar, sondern können dafür nur durch Folgerungen benutzt werden. Es wird zweckmäßiger seyn, diese erst am Schluß zu erwähnen. Dagegen ist unsre Gesetzgebung reich an transitorischen Bestimmungen über Testamente, die also keinen allgemeinen bleibenden Grundsatz aussprechen, sondern bei Gelegenheit einzelner Einführungsakte die Behandlung der Testamente bestimmen, darin also höchstens, und nicht immer, einen allgemeinen Grundsatz durchblicken lassen. Die Reihe dieser transitorischen Vorschriften ist folgende (§ 383). §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) Das Einführungspatent des Allg. Landrechts von 1794 verordnet im § 12, daß alle damals errichtete Testamente „nach den Vorschriften der ältern Gesetze durchgehends beurtheilt werden sollen, wenngleich das Ableben des Te- stators erst später erfolgte.“ Durchgehends , also in Ansehung der Form und des Inhalts. Das erste ist eine reine Anwendung der oben aufgestellten Grundsätze; das zweite ist eine schonende Ausnahme von diesen Grundsätzen (§ 393 Num. 3), ähnlich den vielen so eben angeführten Ausnahmen in Römischen Gesetzen. Die drei Patente von 1803 stimmen damit im § 6 wörtlich überein. Eine nach zwei Seiten neue Wendung findet sich in dem für die Provinzen jenseits der Elbe erlassenen Patent von 1814 Gesetzsammlung 1814 S. 89—96. . Die erste neue Bestimmung schließt sich abändernd an die eben angeführten älteren Vorschriften. § 6. Alle Testamente und letztwillige Verord- nungen, welche vor dem 1. Januar 1815 errichtet worden, müssen, in Rücksicht ihrer Form , durchgehends nach den Vor- schriften der älteren Gesetze beurtheilt wer- den, wenngleich das Ableben des Erblas- sers erst später erfolgt seyn sollte. Der Zusatz: in Rücksicht ihrer Form , der in den früheren Patenten ganz fehlt, soll augenscheinlich den Ge- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. gensatz ausdrücken gegen die Rücksicht ihres Inhalts , soll also andeuten, daß der Inhalt vielmehr nach dem neuen Gesetz (nach dem Gesetz zur Zeit des Todes) beurtheilt werden solle. Darin liegt also die Anerkennung der oben aufgestellten Regeln über die auf die Form und den In- halt der Testamente anwendbaren Gesetze Bergmann S. 565 nimmt irrig an, es liege darin keine Abweichung von den älteren Patenten. . Die zweite neue Bestimmung wird weiter unten nach- geholt werden. Die eben erwähnte neue Bestimmung wurde ausführ- licher und genauer ausgedrückt in dem Patent für West- preußen von 1816 (§ 383). § 8. Alle Testamente ..... sind in Rücksicht ihrer Form durchgehends nach den Vor- schriften der älteren Gesetze zu beurtheilen. Auch der Inhalt der Testamente ist gültig, in sofern nicht Prohibitiv- gesetze zur Zeit des Erbanfalles ihm entgegen stehen. In letzterer Rücksicht ist insbesondere die Lehre von der Erbfähigkeit der instituir- ten Erben und vom Pflichttheil nach den zur Zeit des Erbanfalles geltenden Gesetzen zu beurtheilen . Mit dieser letzten Fassung stimmen die später erlassenen transitorischen Gesetze wörtlich überein. §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) Hier wird nun auf ganz unzweifelhafte Weise für die Anwendbarkeit verschiedener Gesetze zwischen Form und In- halt unterschieden; bei den Gesetzen über die Form soll die Zeit des errichteten Testaments, bei denen über den Inhalt die Todeszeit berücksichtigt werden, und zu dieser zweiten Klasse werden ganz richtig die Gesetze über die persönliche Fähigkeit des Honorirten gerechnet. Damit ist demnach die ganze Reihe der oben aufgestellten Regeln als rich- tig anerkannt, nur mit Ausnahme der Gesetze über die persönliche Fähigkeit des Testators, worüber gar Nichts gesagt ist. Unter den wieder gewonnenen Landestheilen aber fan- den sich drei, in denen bis zu diesem Zeitpunkt Französi- sches Recht gegolten hatte, in welchen man also darauf rechnen mußte, schwebende Testamente vorzufinden, die theils auf der eigenhändigen Schrift des Testators, theils auf notarieller Beglaubigung beruhten. Dieses wurde für zu gefährlich gehalten, und daher wurde in diesen Landes- theilen neben jener allgemeinen Bestimmung, und theilweise von ihr abweichend, die besondere Vorschrift aufgenommen, daß solche schwebende Testamente nur noch Ein Jahr lang gültig bleiben sollten. Binnen diesem Jahr sollte der Testa- tor ein neues Testament nach der Form des Landrechts (also gerichtlich) machen. Wenn der Testator nach Ablauf jenes Jahres sterben sollte ohne neues Testament, so sollte das vorgefundene wirkungslos seyn, wenn nicht bewiesen werden könne, daß er an der Errichtung eines neuen Testaments Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. fortwährend verhindert gewesen sey Provinzen jenseits der Elbe (1814) § 7. Westpreußen (1816) § 9. Posen (1816) § 9, s. o. § 383. . — In dieser ganz eigenthümlichen Bestimmung ist nun augenscheinlich der Ausdruck eines allgemeinen, bleibenden Grundsatzes nicht enthalten, sondern nur die Nothhülfe für einen einzelnen Fall. Auch findet sich in den übrigen transitorischen Ge- setzen eine ähnliche Bestimmung gar nicht. Unabhängig von diesen transitorischen Vorschriften ent- hält nun aber das Landrecht selbst folgende bleibende Be- stimmungen, die zur Entscheidung unserer die Testamente betreffenden Frage benutzt werden können (S. 474). A. Wenn ein Rechtsgeschäft durch die dabei beobach- teten Formen zwar nicht dem Gesetz, unter welchem es gemacht wurde, wohl aber einem späteren Gesetz, ge- nügt, so soll es ausnahmsweise aufrecht erhalten werden A. L. R. Einl. § 17, s. o. § 388. c. Von dem sehr bedenk- lichen Inhalt dieser Vorschrift ist eben daselbst gehandelt worden. . Diese Vorschrift geht gar nicht besonders auf Testa- mente, sondern auf Rechtsgeschäfte überhaupt, also aller- dings auch auf Testamente, und weicht bei diesen von den oben aufgestellten Regeln ab. Sie ist übrigens für den Fall der neuen Einführung des Landrechts bei Testamenten ganz unerheblich, weil sich kaum denken läßt, daß irgend- wo eine strengere Form für Testamente, als die landrecht- liche, eingeführt sein sollte, so daß, dieser strengeren Form §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) gegenüber, das Testament durch die später eingeführte land- rechtliche, als die weniger strenge Form, aufrecht erhalten werden könnte. Jene Vorschrift würde daher eine praktische Wichtigkeit erst dann erhalten, wenn künftig einmal im Preußischen Staat irgend eine leichtere Form der Testa- mente, etwa die des Französischen Rechts, eingeführt wer- den sollte. B. Die persönliche Fähigkeit des Testators soll nach der Zeit des errichteten Testaments beurtheilt werden A. L. R. I. 12 § 11. . Diese Vorschrift bezieht sich jedoch, wie die folgenden Sätze zeigen, auf Veränderungen in den Thatsachen, nicht in den Gesetzen, und kann daher nur durch Analogie auf Verän- derungen in den Gesetzen angewendet werden. Einzelne Anwendungen werden nun in folgender Weise gemacht. a. Die natürliche Unfähigkeit zur Zeit des Testaments macht das Testament ungültig, selbst wenn der damalige Mangel später gehoben wird, z. B. durch das erreichte reifere Alter A. L. R. I. 12 § 12. . Dieser Satz stimmt mit unsern Regeln überein. b. Die auf Rechtsgründen zur Zeit des Testaments beruhende Unfähigkeit verliert ihren nachtheiligen Einfluß, wenn der Mangel später gehoben wird A. L. R. I. 12 § 13. . Darin liegt eine Abweichung von unsern Regeln (§ 393 Num. 1). Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. c. War ungekehrt der Testator zur Zeit des errichte- ten Testaments fähig, verliert aber diese Fähigkeit späterhin zur Strafe einer gesetzwidrigen Hand- lung, so wird das Testament ungültig A. L. R. I. 12 § 14. . Stimmt mit unsern Regeln überein. C. „Bei Beurtheilung der Fähigkeit eines Erben oder Legatarii muß auf die Zeit des Erbanfalls gesehen wer- den.“ So lautet wörtlich A. L. R. I. 12 § 43. . — Auch diese Bestimmung ist, so wie die vori- gen, gewiß nur von thatsächlichen Veränderungen in der Person gemeint, kann aber durch Analogie unbedenklich auch auf Veränderungen in der Gesetzgebung angewendet werden, und stimmt in dieser Anwendung mit unsern Re- geln völlig überein. Das Oesterreichische Gesetzbuch enthält keine tran- sitorische Bestimmung über Testamente besonders, wohl aber die allgemeine Vorschrift, daß das neue Gesetzbuch auf vor- hergegangene Handlungen keinen Einfluß haben soll , auch wenn diese Handlungen in solchen Willenserklärungen bestehen, die von dem Erklärenden noch eigenmächtig abge- ändert, und nach den in dem gegenwärtigen Gesetzbuche enthaltenen Vorschriften eingerichtet werden könnten Wörtlich aus dem Einführungspatent von 1811 S. 5. 6. . — §. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) Damit sind augenscheinlich die Testamente bezeichnet, und es liegt in diesen Worten völlig dieselbe Vorschrift, welche oben aus dem Preußischen Einführungspatent von 1794 § 12 angeführt, und mit unsern Regeln verglichen wor- den ist. Die Meinungen der wichtigsten Schriftsteller sind schon oben bei den einzelnen Fragen angegeben worden. Weber fehlt hauptsächlich darin, daß er die Rechtsgültigkeit des Inhalts des Testaments abhängig macht von der Ueberein- stimmung mit den Gesetzen beider Zeitpunkte, während Bergmann hierin die Zeit des errichteten Testaments, und zwar diese allein, mit Unrecht berücksichtigen will. Chabot hat hierin richtigere Ansichten, als beide (§ 393. x ). Alle aber sind mehr oder weniger durch folgende Fehler in mannichfaltige Irrthümer gerathen. Sie haben nicht genug unterschieden zwischen den Ver- änderungen, welche in den thatsächlichen Verhältnissen, und denen, welche durch neue Gesetze eintreten können; eben so zwischen den natürlichen Mängeln, und den gesetzlichen Vorschriften, wodurch die persönliche Fähigkeit des Testa- tors gehindert seyn kann. Sie haben im Römischen Recht die wahren Gründe mancher Bestimmungen (besonders der tria tempora ) verkannt, und dagegen mit Unrecht andere, unpassende, Gründe untergeschoben, wohin besonders die regula Catoniana gehört. Ganz vorzüglich aber haben sie VIII. 31 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. einzelne transitorische Vorschriften des Römischen Rechts generalisirt, und darin den Ausdruck allgemeiner, bleibender Grundsätze über das Verhältniß alter und neuer Gesetze bei Testamenten angenommen, ganz gegen die Absicht der Urheber dieser Vorschriften. § 395. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen . IV. Erbrecht. (Fortsetzung.) II. Die Intestaterbfolge hat weit einfachere Ver- hältnisse, als die testamentarische, da bei ihr nicht zwei, oft sehr entlegene Thatsachen (Errichtung des Testaments und Erbanfall) in Betracht kommen. Darin aber stehen beide Fälle einander gleich, daß auch bei der Intestaterb- folge sowohl thatsächliche Verhältnisse mit ihren Verände- rungen, als neue Gesetze, zu beachten sind, und daß über jene das Römische Recht genaue Regeln aufgestellt hat, deren Analogie dann bei dem Fall neuer Gesetze zu be- nutzen ist. Die persönliche Fähigkeit des Verstorbenen, eine In- testaterbschaft zu hinterlassen, ist zu beurtheilen nach der Zeit des Todes. Das Römische Recht erfordert die Civität in dem Sinn, daß nur bei dem Tod eines Römischen Bür- gers die Regeln der Römischen Intestaterbfolge zur Anwen- dung kommen konnten, anstatt daß die im Römischen Staat sterbenden Ausländer nach dem Recht ihrer Heimath beerbt §. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) wurden. Ein Römer, der eine magna capitis deminutio erlitten hatte (ein Deportirter, oder ein servus poenae ), konnte ohnehin keine Erbschaft hinterlassen; was er hatte, oder zu haben schien, gehörte dem Fiscus. Die persönliche Fähigkeit, zu irgend einer Intestaterb- schaft berufen zu werden, beruhte auf derselben Bedingung der Civität; die magna capitis deminutio machte dazu un- fähig, während die minima kein unbedingtes Hinderniß war, sondern nur gewisse Ansprüche auf Intestaterbfolge, die auf Agnation gegründeten, aufhob L 1 § 4. 8 ad Sc. Tert. (38. 17). . Diese Fähigkeit mußte gewiß vorhanden seyn zur Zeit des Erbanfalls, aber auch zur Zeit des Erwerbs, ja sogar in der ganzen Zwischen- zeit, da jede in dieser Zeit eintretende Unfähigkeit eines berufenen Intestaterben dessen Erbantheil sogleich irgend einer anderen Person, sey diese neben ihm oder hinter ihm berufen, deferirt (§ 393. m ). Diese Regeln gelten auf gleiche Weise, es mag eine die Erbfähigkeit aufhebende Veränderung bewirkt worden seyn durch neue thatsächliche Verhältnisse, oder durch ein neues Gesetz. Das Wichtigste aber und zugleich das Schwierigste ist das persönliche Verhältniß des Intestaterben zum Erblasser, welches vorzugsweise in Verwandtschaft besteht. Dieses Verhältniß ist entscheidend sowohl für den Erbanspruch jedes Einzelnen überhaupt, als über die bestimmte Stelle, welche derselbe in der Reihefolge sämmtlicher für diesen 31* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Erbanfall denkbaren Erben einzunehmen hat. Dieses per- sönliche Verhältniß nun muß beurtheilt werden nach der Zeit des Erbanfalls , welche meist, jedoch nicht immer, zusammenfällt mit der Zeit des Todes . Dabei sind zu berücksichtigen die zwei Arten von Ver- änderungen, die in dieser Hinsicht eintreten können. A. Veränderungen in den thatsächlichen Ver- hältnissen . Gleichgültig, ohne allen Einfluß, sind die Zustände und Veränderungen vor dem Tode des Erblassers. Zwar kön- nen auch in dieser Zeit sehr bestimmte und wahrscheinliche Erwartungen entstanden seyn. Auf die Intestaterbschaft eines reichen ehelosen Mannes, der in vorgerückten Jahren stand, können nahe Verwandte mit großer Sicherheit ge- rechnet haben, und diese Erwartung kann durch eine späte Ehe mit Kindern vereitelt worden seyn. Allein bloße Er- wartungen sind ja überhaupt nicht durch Rechtsregeln zu schützen, und jene Verwandte mußten die Möglichkeit die- ser Veränderung, eben so wie die eines Testaments, be- denken. Um aber der genauen Bestimmung des entscheiden- den Zeitpunktes näher zu rücken, sind zunächst zwei vorläufige, gewissermaßen blos verneinende, Regeln zu be- achten. 1. Als Intestaterbe kann Niemand betrachtet werden, der erst nach dem Tode des Erblassers erzeugt ist. Die Grundbedingung also besteht darin, daß ein Intestaterbe §. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) während des Lebens des Erblassers geboren oder wenigstens erzeugt war § 8 J. de her. quae ab int. (3. 1), L. 6. 7. 8 pr. de suis (38. 16). — Ueber die Gleich- stellung des nasciturus mit dem natus vgl. oben B. 2 § 62. . 2. Wenn ein zur Erbschaft Berufener dieselbe aus- schlägt, oder vor ihrem Erwerbe stirbt, so scheint es natür- lich, daß in Folge dieser thatsächlichen Veränderung der zunächst nach ihm Berufene an seine Stelle trete, welches eine successio (ordinum, graduum) genannt wird. Diese successio ließ man jedoch im alten Civilrecht nicht zu, in- dem man sich ängstlich an den Buchstaben der Zwölf Tafeln anschloß; der Prätor ließ dieselbe in den von ihm neu ein- geführten Klassen der Erbfolge zu Gajus III. § 12. 22. 28. Ulpian . XXVI. § 5. . Justinian aber hat dieselbe allgemein zugelassen § 7 J. de legit. agnat. succ. (3. 2). . Diese zwei vorläufige Regeln vorausgesetzt, haben wir jetzt genauer den Zeitpunkt zu bestimmen, nach dessen that- sächlichen Verhältnissen die Intestaterbfolge zu regeln ist. Als diesen Zeitpunkt können wir allgemein angeben den Erbanfall , welcher jedoch nach Umständen in zwei ver- schiedenen Zeitpunkten eintreten kann. Wir haben in dieser Hinsicht zwei Fälle zu unter- scheiden. Der erste Fall ist der, wenn ein Testament vorhanden ist, und nur durch dessen Entkräftung die Intestaterbfolge Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. eröffnet wird. Dann ist die Zeit dieser Entkräftung als Zeit des Erbanfalls zu betrachten. Dieses tritt ein, wenn ein zur Erbschaft berufener Testamentserbe die Erbschaft ausschlägt, wenn er vor Antretung derselben stirbt, wenn die Erbeinsetzung an eine Bedingung geknüpft ist, und diese Bedingung vereitelt wird. Es wird aber in allen diesen Fällen vorausgesetzt, daß nicht andere Testamentserben da- neben stehen, durch welche das Testament aufrecht erhalten wird. — Der Erbanfall also tritt in jenen Fällen ein im Zeitpunkt der Ausschlagung, oder des Todes des Testaments- erben, oder der vereitelten Bedingung; von jeder dieser Thatsachen kann man behaupten, durch sie werde es gewiß, daß keine testamentarische Erbfolge eintreten werde, und da- durch werde also die Intestaterbfolge eröffnet. Der zweite Fall ist der, wenn ein Testament nicht vor- handen ist. Dann ist der Erbanfall unbedingt in den Zeit- punkt des Todes zu setzen, in keinen anderen, keinen späteren Zeitpunkt, an welchen man etwa denken könnte. Genau so wird diese wichtige Frage entschieden in fol- gender Stelle der Institutionen § 6 J. de legit. adgnat. succ. (3. 2). — Für den ersten Fall (des entkräfteten Testaments) finden sich viele Bestätigungen: Gajus III. § 13, L. 1 § 8, L. 2 § 5, L. 5 de suis (38. 16). : Proximus autem, siquidem nullo testamento facto quisquam decesserit, per hoc tempus requiritur, quo mortuus est is, cujus de hereditate quaeri- §. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) tur. Quod si facto testamento quisquam deces- serit, per hoc tempus requiritur, quo certum esse coeperit, nullum ex testamento heredem ex- stiturum; tunc enim proprie quisque intestato decessisse intelligitur. Wir bleiben jetzt bei dem zweiten Falle stehen, in welchem kein Testament vorhanden ist. Durch die ausgesprochene Regel werden wir angewiesen, die berufenen und nicht be- rufenen Intestaterben zu bestimmen lediglich nach dem per- sönlichen Verhältniß, welches zur Zeit des Todes wahrzu- nehmen war. Man möchte vielleicht sagen, dieses sey keine positive Anweisung, es verstehe sich von selbst, indem an irgend einen späteren Zeitpunkt gar nicht gedacht werden könne. Eine solche Auffassung würde ganz unrichtig seyn. Die so eben bei den Testamentserben angegebenen Fälle können großentheils auch bei den zunächst berufenen In- testaterben eintreten. Mehrere derselben können ausschlagen, können vor der Antretung sterben; was soll dann mit den ihnen angebotenen Erbtheilen geschehen? Hier sind zwei Behandlungen möglich. Man kann erstlich bei der durch die Todeszeit bestimmten Vertheilung stehen bleiben, und den vacant gewordenen Erbtheil, so lange es möglich ist, darauf zurück führen. Dann wird dieser Erbtheil den Mitberufenen durch jus accrescendi zu- fallen, und nur, wenn solche Mitberufene nicht vorhanden sind, also nur als Aushülfe, wird die successio ordinum oder graduum eintreten. — Man kann aber auch zweitens Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. den umgekehrten Weg einschlagen, den jetzigen Zeitpunkt, in welchem der Erbtheil vacant wurde, als Zeitpunkt des Erbanfalls betrachten, und hiernach die Intestaterbfolge neu reguliren. Dann wird die successio ordinum oder gra- duum voran stehen, das jus accrescendi vielleicht als Aus- hülfe angewendet werden. Nach dem oben aufgestellten Grundsatz müssen wir un- bedenklich die erste Behandlung vorziehen, also die Zeit des Todes als den bleibenden Zeitpunkt des Erbanfalls behan- deln, auch wenn eine später eintretende thatsächliche Ver- änderung eine nachträgliche Vertheilung nöthig machen sollte. Oder mit anderen Worten: In der Collision des jus accrescendi mit der Successio graduum muß das jus accrescendi den Vorzug erhalten Diese Frage bildet den Gegenstand einer alten, berühm- ten Controverse. Die hier vor- getragene Meinung wird ver- theidigt von Göschen Vorlesun- gen III. 2 § 929, und Bau- meister Anwachsungsrecht unter Miterben § 5. § 7. — Ein schein- barer Zweifel entsteht aus L. 1 § 10. 11 L. 2 ad Sc. Tert. (38. 17), worin allerdings die Re- gulirung nach der späteren Zeit, in welcher der zunächst Berufene ausschlägt, anerkannt wird. Allein nach der deutlichen Erklärung die- ser Stellen liegt darin nicht die Anwendung eines allgemeinen Grundsatzes, sondern eine beson- dere Vorschrift für das Verhält- niß des neu erfundenen Civilerb- rechts zwischen Mutter und Kin- dern zu dem jus antiquum der Agnaten. Man wollte verhindern, daß, durch das Ausschlagen der Mutter oder des Kindes, die Agnaten, unter denen keine suc- cessio graduum galt, vielleicht alles Erbrecht verlieren möchten, ganz gegen die Absicht der Sena- tusconsulte. . B. Veränderungen in der Gesetzgebung . Wir haben hier, so wie bei den Testamenten (§ 393), §. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) die Analogie der für die thatsächlichen Veränderungen gege- benen Vorschriften zu befolgen, und wir können es hier ganz unbedenklich, da jene Vorschriften ganz als der Aus- druck allgemeiner, bleibender Grundsätze anzusehen sind, so daß dabei nicht, wie bei den Testamenten, theilweise blos zufällige, historische Ansichten eingewirkt haben. Halten wir uns ganz an diese Analogie, so werden wir dadurch zu folgenden Regeln über die Einwirkung neuer Gesetze auf die Intestaterbfolge geführt. 1. Ein neues Gesetz, erlassen vor dem Erbanfall , muß stets auf den einzelnen Fall in der Intestaterbfolge einwirken. 2. Als Zeitpunkt des Erbanfalls ist zu betrachten: a. Wenn kein Testament vorhanden ist, die To- deszeit. b. Wenn ein Testament vorhanden ist, der Zeit- punkt, in welchem es zur Gewißheit wird, daß eine testamentarische Erbfolge nicht eintritt. 3. Ein nach dem Erbanfall erlassenes Gesetz hat keinen Einfluß, selbst wenn es in der Zwischenzeit zwischen dem Erbanfall und dem Antritt der Erbschaft erscheint. Dieser letzte Satz wird von den meisten Rechtslehrern an- erkannt Weber S. 96. Chabot T. 1 p. 379. („au moment de l’ouverture de la succession“). , von manchen aber bestritten Heise und Cropp juri- stische Abhandlungen, B. 2 S. 123—124, 130—132. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Der Widerspruch gegen denselben gründet sich haupt- sächlich auf folgende Verwechselung. Man sagt, der Grundsatz der Nichtrückwirkung der Gesetze bezwecke blos die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein Recht erworben, ein solcher Erwerb trete für ihn ein erst durch den Antritt der Erbschaft, und bis zu dieser könne daher ein neues Gesetz die Erbfolge ändern, ohne sich einer fehlerhaften Rückwirkung schuldig zu machen; beide Mo- mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweise zu- sammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbschaft erwerbe. Allein durch den bloßen Anfall der Erbschaft ist dem berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That schon erworben, und zwar ohne sein Zuthun, selbst ohne sein Wissen: das ausschließende Recht nämlich, die deferirte Erbschaft anzutreten und dadurch in sein Vermögen zu ver- wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuschlagen. Dieses ist ein wahres, erworbenes Recht, eben so sehr, wie jedes andere, durch den Grundsatz der rückwirkenden Kraft gegen ungehörige Einwirkung neuer Gesetze geschützt, also von einer bloßen Erwartung durchaus verschieden: nur freilich ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als das, welches nachher durch den Antritt der Erbschaft ent- steht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird. §. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Forts.) Die hier aufgestellte Regel wird bestätigt durch folgende transitorische Vorschriften. Ein Gesetz von K. Valentinian II. hatte den blos cognatischen Descendenten ein Intestaterbrecht auf drei Vier- theile des Vermögens ihrer Ascendenten gegeben, so daß die concurrirenden Agnaten nur Ein Viertheil erhalten sollten L. 4 C. Th. de leg. hered. (5. 1), § 16 J. de her. quae ab int. (3. 1). . Justinian erklärte die Descendenten in dieser Concurrenz für ausschließende Erben, also für frei von der Abgabe des einen Viertheils an die Agnaten L. 12 C. de suis (6. 55). . Er fügte aber folgende Worte hinzu: Quod tantum in futuris, non etiam praeteritis negotiis, servari decernimus. Diese Worte werden gewiß am einfachsten von einem künftigen Erbanfall verstanden, so daß dieser, und nicht der Antritt der Erbschaft, als futurum negotium bezeichnet wird. Daß aber Dieses in der That im Sinn des Gesetz- gebers lag, folgt unwidersprechlich aus den unmittelbar vorhergehenden Worten: „sed descendentes soli ad mortui successionen vocentur “, woraus erhellt, daß die Berufung zur Erbschaft, also die Delation , der Gegenstand war, worüber der Gesetzgeber verfügen wollte, in sofern diese Berufung nicht unter die praeterita negotia gehöre, worauf das Gesetz nicht einwirken solle. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Noch weit bestimmter sagt das Preußische transitorische Gesetz von 1794 (bei Einführung des A. L. R.) § 13: Die gesetzliche Erbfolge ..... ist, wenn der Erbanfall sich vor dem 1. Jun. 1794 ereignet, nach den bisherigen Gesetzen , späterhin aber ..... nach den Vorschriften des neuen Landrechts ..... zu beurtheilen. Damit stimmen denn auch alle spätere Preußische transito- rische Gesetze (§ 383) überein. III. Unwiderrufliche Erbverträge . Diese haben ganz die Natur von Verträgen überhaupt, und müssen also beurtheilt werden nach dem zur Zeit ihrer Abschließung geltenden Gesetze Chabot T. 1 p. 133. Struve S. 247—249. Vgl. oben § 392. . Gegen diese Behauptung ist die Einwendung erhoben worden, ein Erbvertrag gebe kein unbedingt erworbenes Recht, weil man stets ungewiß sey, welcher von beiden Theilen den anderen überleben werde Weber S. 98—99. . Diese Einwendung ist jedoch ohne Bedeutung, weil bedingte Rechte, eben so wie unbedingte, wirkliche Rechte sind, und durch den Grundsatz der Nichtrückwirkung gegen den ungehörigen Einfluß neuer Gesetze geschützt werden (§ 385. h ). §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. §. 396. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen . V. Familienrecht . Bei Französischen Schriftstellern findet sich nicht selten eine irrige Verwechselung der Gesetze über das Familien- recht mit den Gesetzen über den Zustand der Person an sich. Da nun bei diesen letzten von der Erhaltung er- worbener Rechte in der Regel nicht die Rede ist (§ 389), so daß jedes neue Gesetz dabei eine besonders freie Ein- wirkung haben kann, so übertragen sie dieses Verhältniß auf die Gesetze über das Familienrecht, ohne zu bedenken, daß diese letzten stets wahre erworbene Rechte vorfinden, und zu erhalten haben, eben so, wie die Gesetze über das Sachenrecht und über die Obligationen. Die Veranlassung zu dieser irrigen Verwechselung liegt in dem übertriebenen Gebrauch, den sie von der Eintheilung der Gesetze in statuts personnels und réels (§ 361. Num. 1), so wie der gleichnamigen Eintheilung der Rechte Droits personnels sind die, qui sont attachés aux per- sonnes, droits réels die droits attachés aux biens. machen, wodurch das reine Familienrecht, gleich dem Zustand der Person an sich, auf die Seite der droits personnels, und nur das angewandte Familienrecht auf die Seite der droits réels gestellt wird Chabot I. p. 23. 29— 31. 34. 377—378. — Dagegen spricht sich mit Recht tadelnd aus Bergmann § 50, doch ohne . — Obgleich nun diese Auffassung grund- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. sätzlich durchaus zu verwerfen ist, so hat sie sich doch in der Anwendung weniger verderblich gezeigt, als man er- warten möchte, da manche der wichtigsten einzelnen Fragen, die sie zu dem Familienrecht ziehen, in der That zu der Handlungsfähigkeit gehören Dahin gehört besonders die autorisation maritale, die nicht eigentlich zum Eherecht, son- dern zu der Geschlechtsvormund- schaft zu rechnen ist, s. o. § 389 Num. 2. , und auf der anderen Seite manche wichtige Gesetze über das wahre Familienrecht, besonders die Ehe, von dem Grundsatz der Nichtrückwirkung deswegen nicht beherrscht werden, weil sie nicht auf den Erwerb, sondern auf das Daseyn der Rechte sich beziehen. I. Ehe Es sind hier zu verglei- chen die über die örtlichen Grän- zen der Gesetze im § 379 aufge- stellten Regeln. . Da die Ehe ein wahrer Vertrag ist S. o. B. 3 § 141. , so möchte man erwarten, daß über das gesammte Recht derselben lediglich das zur Zeit der geschlossenen Ehe geltende Gesetz entscheiden müsse. Indessen hat diese, an sich richtige, Regel im reinen Eherecht (d. h. abgesehen von dem Einfluß der Ehe auf das Vermögen) Ueber den Begriff des reinen und angewandten Fami- lienrechts s. o. B. 1 § 54. 58. nur eine mäßige Anwendbarkeit. Der rechtsgültige Abschluß der Ehe muß allerdings ausschließend nach dem zu dieser Zeit geltenden Gesetz be- urtheilt werden Aus denselben Gründen, die oben für das örtliche Recht geltend gemacht worden sind (§ 379); vgl. Code civil art. . die eben gerügte Verwechselung scharf genug hervor zu heben. §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. Die persönliche Gewalt des Mannes über die Frau ist überhaupt ein Gegenstand von sehr beschränkter Einwirkung des Gesetzes und des Richteramtes. — Der juristisch wichtigste Fall der Anwendung einer solchen Gewalt aber, nämlich die eheliche Vormundschaft, gehört überhaupt nicht zum Eherecht, sondern zum Zustand der Persson an sich (Note c ). Wichtiger als alles Andere würde die Ehescheidung seyn, wenn diese nach dem zur Zeit der abgeschlossenen Ehe geltenden Gesetz zu beurtheilen wäre. Es wird aber unten gezeigt werden, daß weder diese Zeit, noch die Zeit der Thatsache, die als Scheidungsgrund dienen soll, maaß- gebend seyn darf, sondern allein die Zeit der Scheidungs- klage S. u. § 399. Vgl. § 379 N. 6. . Dagegen ist das eheliche Güterrecht (das angewandte Eherecht) ein höchst wichtiger Gegenstand der Anwendung unsrer Grundsätze. Hier nun müssen wir behaupten, daß das zur Zeit der abgeschlossenen Ehe geltende Gesetz in der Regel angewendet werden muß, auch wenn spätere Gesetze das eheliche Güterrecht abändern Die meisten Schriftsteller stimmen damit überein. Chabot T. 1 p. 79—81. Meyer p. 167. Pfeiffer praktische Ausführun- gen B. 2 S. 271—276. Mit- termaier deutsches Recht § 400. Num. V. . Diese Frage ist nahe verwandt mit der Frage nach dem anwendbaren örtlichen 170. — Dieselbe Meinung hat Reinhardt zu Glück B. 1 S. 10. Etwas abweichend ist Berg- mann S. 30. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Recht, und die meisten Gründe Ich sage: die meisten Gründe, nicht alle. Denn hier paßt nicht der Grund, daß die einseitige Willkür des Mannes, von welchem die Wahl des Wohn- sitzes abhängt, das bestehende Gü- terrecht nicht abändern dürfe. Die Veränderung im Gesetz hängt allerdings nicht ab von der Will- kür des Mannes. , die bei dieser letzten Frage oben (§ 379) für die Behauptung geltend gemacht worden sind, daß das am Wohnsitz des Mannes zur Zeit der geschlossenen Ehe geltende Gesetz angewendet werden müsse, ohne Einfluß späterer Veränderung des Wohnsitzes, sprechen auch gegen den Einfluß späterer Veränderung der Gesetze. Anwendungen dieses wichtigen Grundsatzes sind fol- gende: Das Verhältniß des Dotalrechts zum Recht der Güter- gemeinschaft; ob eines dieser Institute ausschließend gelten soll, oder beide neben einander, und in welcher Stellung gegen einander. Die Natur der Dos; dos profectitia: Uebergang der Rückforderung auf die Erben; unmittelbarer Rückfall des Eigenthums auf die Erben. — Es ist jedoch zu bemerken, daß, wo die Dos nach rein Römischem Grundsatz nur durch die willkürliche Handlung der bestellenden Person entsteht (nicht ipso jure ), nicht die Zeit der geschlossenen Ehe, sondern die Zeit der Bestellung der Dos, das anwendbare Gesetz bestimmen muß. Dieser Punkt ist ausdrücklich aner- kannt in einer transitorischen Vorschrift von Justinian L. un. in f. C 1 de rei ux. act. (5. 13). . §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. — Ganz eben so muß aber auch die Gütergemeinschaft nach dem Gesetz irgend eines späteren Zeitpunktes beur- theilt werden, wenn sie in einem einzelnen Fall begründet wird, nicht durch das zur Zeit der abgeschlossenen Ehe bestehende Gesetz, sondern durch einen in späterer Zeit ge- schlossenen Vertrag der Ehegatten Darin liegt also eine consequente Ausnahme der oben (Note i ) anerkannten Regel. . Die Folgen einer zweiten Ehe in Beziehung auf das Vermögen. Auch das ist anerkannt durch eine transitorische Vorschrift von Justinian Nov. 22 C. 1. . Die Einschränkungen der Liberalität unter Ehegatten werden unter (§ 399) erwähnt werden. Die sogenannte Erbfolge der Ehegatten hat eine zwei- deutige Natur. Oft ist sie die bloße Entwickelung und Nachwirkung eines schon unter den Lebenden bestehenden Güterrechts, insbesondere der Gütergemeinschaft in irgend einer ihrer vielfachen Gestalten. Dann richtet sie sich nach dem Gesetz der Zeit, in welcher dieses Rechtsverhältniß entstanden ist, welches in der Regel die Zeit der abge- schlossenen Ehe seyn wird, zuweilen die Zeit eines späterhin abgeschlossenen Vertrags (Note i und m ). — In anderen Fällen dagegen ist die Erfolge der Ehegatten eine wahre, reine Intestaterbfolge, und diese ist stets zu beurtheilen nach dem zur Zeit des Erbanfalls geltenden Gesetz. Unter diese anderen Fälle gehört das Edict unde vir et uxor und die Erbfolge des armen Ehegatten nach Römischem VIII. 32 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Recht. Eben so nach dem Brandenburgischen Provinzial- recht die Joachimica Ueber diesen Unterschied ist zu vergleichen § 379 Num. 5, und über die bei der wahren Intestaterbfolge anwendbate Regel § 395. B. . Dieselben Unterscheidungen und Regeln sind auch anzu- wenden auf die Erbfolge der Kinder, in sofern diese mit dem unter den Eltern bestehenden ehelichen Güterrecht in Zusammenhang steht. Alle diese Regeln werden natürlich nur dann zur An- wendung kommen, wenn das neue Gesetz über das eheliche Güterrecht nicht von besonderen transitorischen Vorschriften begleitet ist, und diese werden gerade bei dem hier vorlie- genden Gegenstand häufiger, als in anderen Fällen, zu erwarten seyn. Wenn etwa ein Gesetzgeber an die Stelle des bisher in seinem Lande ausschließend geltenden Dotal- rechts die allgemeine Gütergemeinschaft ausschließend ein- führen wollte, oder umgekehrt, so würde er doch schwerlich unterlassen, an die jetzt vorhandenen zahlreichen Ehen zu denken, und das Verhältniß des neuen Gesetzes zu denselben zu bestimmen. Ich will zum Schluß dieser Untersuchung einige wirklich erlassene transitorische Vorschriften über neue, die Ehe be- treffende, Gesetze zusammen stellen. Zwei Gesetze von Justinian , worin die hier aufge- stellten Grundsätze anerkannt und angewendet werden, sind bereits angegeben worden (Note l und n ). §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. Im Preußischen Recht kommen folgende transitorische Bestimmungen vor Die Bestimmungen über die Scheidungsgründe werden un- ten erwähnt werden, § 399. e. . Das Einführungspatent des allgemeinen Landrechts von 1794 verordnet im § 14, daß das eheliche Güterrecht, mit Einschluß der durch eine Scheidung etwa herbeigeführten Auseinandersetzung, beurtheilt werden soll nach dem zur Zeit der geschlossenen Ehe geltenden Gesetz; ganz nach dem hier aufgestellten Grundsatz. — Für den Fall einer auf das gemeine Recht (nicht auf Provinzialrecht) zu gründenden Intestaterbfolge wird dem Ueberlebenden die Wahl gelassen, ob er nach dem zur Zeit der geschlossenen Ehe geltenden Gesetz, oder nach dem Landrecht erben wolle. Dieses ist eine ganz neue, völlig positive Bestimmung, die durch keinen Rechtsgrundsatz begründet werden kann. Indessen liegt darin gewiß keine Härte oder Ungerechtigkeit, da es stets in der Macht jedes Ehegatten steht, diesen künftigen Erfolg durch Testament zu verhüten. Hat also der Verstorbene Dieses unterlassen, so kann man annehmen, er sey mit dieser gesetzlichen Begünstigung des Ueberlebenden einver- standen gewesen. Mit diesen Vorschriften stimmen wesentlich überein die transitorischen Gesetze von 1814 und 1816 (S. o. § 383.) — Pro- vinzen jenseits der Elbe § 9, West- preußen § 11. 12, Posen § 11, Sachsen § 11. Die hier und da anders gefaßten Bestimmungen beziehen sich auf das Provinzial- recht, nicht auf unsre Frage. Das . 32* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. II. Väterliche Gewalt . Die Entstehung derselben ist zu beurtheilen nach dem Gesetz der Zeit, in welche die dazu führenden Thatsachen fallen. So hat Justinian die neue Regel eingeführt, daß die Adoption eines in fremder väterlicher Gewalt stehenden Kindes in den meisten Fällen nicht mehr eine neue väterliche Gewalt gründen, so wie die bisherige auf- heben sollte L. 10 C. de adopt. (8. 48), § 2 J. de adopt. (1. 11). — Nämlich mit Ausnahme des Falles, wenn der Adoptivvater zugleich ein natürlicher Ascendent des Kindes ist. . Dieses Gesetz war gewiß anwendbar auf alle später vorgenommene Adoptionen; den früheren war ihre bis dahin geltende stärkere Wirkung nicht entzogen. — Eben so richtet sich die Legitimation durch nachfolgende Ehe lediglich nach dem Gesetz, welches zur Zeit der ge- schlossenen Ehe besteht, ohne Rücksicht auf ein späteres Ge- setz, oder auf das Gesetz zur Zeit der Geburt des Kindes (§ 380). Die persönlichen Rechte des Vaters über das Kind ge- hören nicht hierher; die Gesetze, die darüber bestimmen, betreffen das Daseyn des Rechts, nicht den Erwerb, wirken also auch auf die schon bestehenden Rechtsverhältnisse ein (§ 398). Gesetz für das Herzogthum West- phalen 1825 sagt über diese Ge- genstände gar Nichts, weil es im § 4 von der Einführung des A. L. R. vorläufig ganz ausnimmt die drei ersten Titel des zweiten Theils, welche allein von der Ehe und Intestaterbfolge handeln. §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. Was die Rechte im Vermögen betrifft, so liegt der Ge- danke sehr nahe, auf die väterliche Gewalt dieselben Regeln anzuwenden, die so eben für die Ehe aufgestellt worden sind. Dieses würde die Folge haben, daß die Rechte am Vermögen unabänderlich festgestellt wären durch das Gesetz, unter welchem die väterliche Gewalt entstanden ist, also durch das zur Zeit der Geburt des Kindes geltende Gesetz, so daß ein neues Gesetz blos auf die künftig geborenen Kinder Anwendung finden würde. Bei genauerer Betrachtung aber zeigt sich diese Analogie als eine bloße Täuschung, und wir müssen vielmehr annehmen, daß das neue Gesetz die Vermögensverhältnisse sogleich umbildet, auch in Be- ziehung auf die jetzt lebenden Kinder. Ich will damit an- fangen, diesen Satz durch ein Beispiel anschaulich zu machen, bevor ich den Beweis desselben unternehme. Nach dem älteren Römischen Recht konnte ein Kind in väterlicher Gewalt kein Vermögen haben, indem alles durch seine Handlungen Erworbene unmittelbar dem Vater er- worben wurde. Dieser Satz wurde im Lauf der Zeit be- schränkt bei manchen Arten des Erwerbes, namentlich bei dem castrense peculium, den bona materna u. s. w.; als Regel aber blieb er bestehen. Justinian hob diese Regel von Grund aus auf, indem er verordnete, daß jeder Erwerb des Kindes, wohin also auch der auf den eigenen Fleiß und das Gewerbe des Kindes gegründete gehört, eigenes Vermögen des Kindes, nicht mehr Vermögen des Vaters, bilden Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. sollte L. 6 C. de bon. quae lib. (6. 61), § 1 J. per quas pers. (2. 9). . Fragen wir nun, für welche Fälle dieses neue Gesetz anzuwenden war, so würde die angegebene täuschende Analogie dahin führen, es blos auf die späterhin gebornen Kinder anzuwenden. Nach der hier aufgestellten Behauptung dagegen müssen wir sagen, daß, von der Erscheinung des Gesetzes an, jeder neue Erwerb der Kinder als ihr eigenes Vermögen zu betrachten war; nur blieb das, welches sie schon vorher erworben hatten, Vermögen des Vaters. Es war also das Schicksal des neuen Erwerbes, die Erwerbs- fähigkeit, durch das neue Gesetz augenblicklich umgebildet, nicht das schon erworbene Vermögen. Der Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung liegt nun darin, daß die für den Erwerb des Kindes geltenden Regeln als Folgen der mehr oder weniger beschränkten Rechtsfähigkeit des Kindes zu betrachten sind S. o. B. 2 § 67. ; als solche aber gehören sie dem Zustand der Person an sich an, bei welchem der Grundsatz der Nichtrückwirkung keine An- wendung findet (§ 389). Gerade hierin zeigt sich ein durch- greifender Unterschied zwischen der väterlichen Gewalt und der Ehe, indem das eheliche Güterrecht (Dotalrecht oder Gütergemeinschaft) mit der Rechtsfähigkeit gar nicht zu- sammenhängt. — Dieses ist der juristische Ausdruck des durchgreifenden Unterschieds beider Rechtsverhältnisse. Auf denselben Erfolg aber werden wir geführt, wenn wir von §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. einem anderen Standpunkt aus die Sache betrachten. Die Ehe ist ein Rechtsverhältuiß zwischen zwei unabhängigen, selbstständigen Personen, durch deren freie Willkür, durch Vertrag, gebildet. Die väterliche Gewalt entsteht dagegen durch die Geburt des Kindes, also durch ein bloßes Natur- ereigniß, auf die unfreiwilligste Weise. Dabei kann von einem fortwirkenden Willen, von einer vertragsmäßigen Feststellung der Rechtsverhältnisse, nicht die Rede seyn. Was nun hier von den durch den äußersten Gegensatz eingreifenden neuen Gesetzen gesagt worden ist, muß eben so auf die geringeren gesetzlichen Abänderungen angewendet werden, da jene und diese Gesetze nur im Grade der Ein- wirkung verschieden, in der inneren Natur aber gleichartig sind. Wenn also ein neues Gesetz den väterlichen Nieß- brauch am Vermögen der Kinder einführt oder aufhebt, oder auf längere oder kürzere Lebensjahre des Kindes vor- schreibt, so muß dasselbe sogleich zur Anwendung kommen, auch an dem schon vorhandenen Vermögen der jetzt leben- den Kinder Weber S. 86. Rein- hardt zu Glück B. 1 S. 11. — Man könnte glauben, Dieses wi- derspreche nach R. R. der Natur des Nießbrauchs, welcher, einmal erworben, bis zum Tode des Nieß- brauchers fortdauere. Allein die- ser, auf dem Familienverhältniß beruhende, Nießbrauch hat eine andere Natur, auch schon nach R. R., welches dem emancipirenden Vater, als besondere Belohnung der Emancipation, den fortdauern- den Nießbrauch an der Hälfte des Vermögens gestattet. L. 6 § 3 C. de bon. quae lib. (6. 61). . Die hier aufgestellten Regeln werden nicht blos von Schriftstellern anerkannt, sondern auch in neueren Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. transitorischen Gesetzen des Preußischen Staates in Be- ziehung auf den elterlichen Nießbrauch Provinzen jenseits der Elbe 1814 § 10. Westpreußen 1816 § 13. Posen 1816 § 13. (s. o. § 383). . Die Auflösung der väterlichen Gewalt, namentlich durch Emancipation, steht unter dem Gesetz der Zeit, in welche die auflösende Thatsache fällt. Eben so stehen unter diesem die Folgen der Auflösung, wohin auch das praemium emancipationis gehört (Note u ). Von den Rechtsverhältnissen der unehelichen Kinder wird unten die Rede seyn (§ 399). III. Vormundschaft . Diese erscheint im heutigen Recht als Ausübung eines dem Staate zustehenden Schutzrechts, folglich als ein Zweig des öffentlichen Rechts (§ 380. C ). Es hat also keinen Zweifel, daß dieselbe jederzeit durch neue Gesetze umgebildet werden kann. Betreffen solche neue Gesetze die Art der Entstehung der Vormundschaft in einzelnen Fällen, so wird nicht leicht ein Bedürfniß angenommen werden, auch die schon errichteten Vormundschaften darnach abzuändern, ob- gleich das Recht auch zu dieser Abänderung keinem Zweifel unterworfen seyn könnte. Hat das Gesetz darüber Nichts bestimmt, so wird es nur auf künftig zu errichtende Vor- mundschaften zu beziehen seyn. Die aus Veranlassung einer Vormundschaft entstehenden Obligationen (actio tutelae directa, contraria) sind nach §. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht. den für die Obligationen geltenden Regeln zu beurtheilen (§ 392). IV. Freigelassene . Ein blos dem alten Recht angehörendes, die Freilassung der Sklaven betreffendes, Gesetz ist hier deswegen zu er- wähnen, weil sich dabei eine transitorische Vorschrift findet, welche von neueren Schriftstellern nicht ganz richtig aufge- faßt zu werden pflegt. Die Lex Junia hatte verordnet, daß in vielen Fällen einer unvollständigen Freilassung, der Freigelassene zwar wirklich frei, und zwar Latinus, werden, auch Vermögen zu erwerben fähig seyn sollte, daß aber sein erworbenes Vermögen im Augenblick des Todes dem Patron zufallen sollte, und zwar nicht als Erbschaft, sondern vermöge der Fiction, als wäre der Freigelassene im Sklavenstand ge- storben Gajus III. § 56. . Diese unvollständige Freilassung verwandelte Justinian in eine vollständige, so daß das Vermögen des Freigelassenen auf diesem Wege nicht mehr an den Patron fallen sollte. Er fügte aber hinzu, diese neue Vorschrift solle nur auf künftige Freilassungen angewendet werden; auf frühere Freilassungen solle das alte Recht angewendet werden, ohne Unterschied, ob der Freigelassene bereits ver- storben sey oder noch lebe L. un. § 13 C. de Lat. libert. toll. (7. 6). . — Dieses war nun nicht ein neues Gesetz über die Erbfolge (wie es neuere Schrift- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. steller gewöhnlich ansehen), sondern über die Freilassung, und die mit derselben verbundene Beschränkung des Ver- mögens. Die transitorische Vorschrift war der Natur des Rechtsverhältnisses völlig angemessen. §. 397. A. Erwerb der Rechte. — Ausnahmen . Durch die bisher geführte Untersuchung ist für die zeit- liche Einwirkung neuer Gesetze auf die einzelnen Klassen der Rechtsverhältnisse eine regelmäßige Gränze festgestellt worden. Ausnahmen von diesen Regeln sind in zwei entgegengesetzten Richtungen denkbar; sie können die Wirk- samkeit des neuen Gesetzes, in Vergleichung mit den auf- gestellten Regeln, entweder erweitern oder einschränken. Eine Erweiterung der Wirksamkeit eines neuen Ge- setzes, also eine rückwirkende Kraft des Gesetzes als Aus- nahme, wird meist den Sinn haben, daß der Gesetzgeber, von dem Gefühl der Wichtigkeit einer neuen Maaßregel durchdrungen, derselben so weit Geltung zu verschaffen sucht, als seine Macht reicht. Ein Beispiel ist oben ange- geben worden an einem Römischen Wuchergesetz (§ 386. f. g. ). Schwerlich möchte sich je eine Ausnahme dieser Art rechtfertigen lassen, indem stets der auf diesem Wege zu erreichende Vortheil überwogen werden wird von dem ungünstigen Eindruck, der ein so willkürliches Durchgrei- fen, selbst bei guter Absicht, zu begleiten pflegt. — Es §. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen. giebt aber auch Fälle, in welchen eine solche Ausnahme durch andere Beweggründe veranlaßt wird, insbesondere durch die Absicht einer Schonung des Einzelnen ohne Verletzung Anderer. Eine solche Bedeutung hat die Vor- schrift des Preußischen Rechts, daß ein milderes neues Strafgesetz auch auf die unter dem alten Gesetz begangenen Verbrechen angewendet werden soll S. o. § 387. b. Diese Bestimmung wird schon gerechtfertigt durch die dem Gesetzgeber im einzelnen Fall ohnehin zustehende Be- gnadigung. . Eine gleich scho- nende Absicht liegt zum Grunde bei einem anderen Preußi- schen Gesetz, nach welchem die Formfehler eines Rechts- geschäfts dadurch unschädlich gemacht werden, daß ein neue- res Gesetz eine leichtere Form vorschreibt, welcher die frü- her vorgenommene Handlung genügt. Die bedenkliche Ra- tur dieser Vorschrift ist jedoch schon oben bemerklich ge- macht worden (§ 388. c ). Eine Einschränkung der Wirksamkeit eines neuen Gesetzes als Ausnahme hat weit weniger Bedenken. Sie hat zum Zweck die Schonung bloßer Erwartungen, die durch den oben aufgestellten Grundsatz allerdings nicht ge- schützt werden (§ 385), und sie beruht stets auf der Ueber- zeugung, daß die Vorschrift eines neuen Gesetzes, wenn- gleich an sich heilsam, doch nicht von so durchgreifender Wichtigkeit sey, um eine augenblickliche unbedingte Ausfüh- rung zu erfordern, wodurch vielleicht individuelle Interessen gefährdet werden können. Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß dasselbe Römi- sche Kaisergesetz, welches die rückwirkende Kraft der Ge- setze im Allgemeinen verneint, den Vorbehalt einzelner Aus- nahmen ausdrücklich hinzufügt (§ 386. a ), dessen es je- doch nicht einmal bedurfte, da er sich ohnehin von selbst verstand. Im Laufe unserer Untersuchung sind nun viele Fälle solcher einzelnen Ausnahmen angegeben worden, theils aus dem Römischen Recht, theils aus neueren Gesetzgebun- gen. Es waren dieses Fälle beider Arten von Ausnahmen, sowohl erweiternde Solche Fälle kommen vor in den §§ 386. 388. 390. 391. 394. , als einschränkende So in den §§ 391 und 394. , und es ver- dient bemerkt zu werden, daß die Fälle der zweiten Art häufiger sind, als die der ersten. — Ferner ist bereits be- merkt worden, daß die im Römischen Recht enthaltenen ein- zelnen Ausnahmen für uns keine praktische Bedeutung haben, selbst da, wo etwa das Römische Recht für irgend ein Land neue Geltung als gemeines Recht erlangen möchte (§ 386). Solche Ausnahmen nun werden wir bei künftigen neuen Gesetzen nur da anzuerkennen haben, wo sie recht bestimmt vorgeschrieben sind, da der Gesetzgeber, wenn er sich zu einer Ausnahme entschließt, also des Gegensatzes zwischen Regel und Ausnahme sich deutlich bewußt wird, gewiß Veranlassung hat, darüber eine ausdrückliche, unzweideutige Erklärung auszusprechen. Auch ist es als merkwürdig her- §. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen. vorzuheben, daß gerade das Römische Kaisergesetz, welches seitdem die Grundlage unserer ganzen Lehre für alle Zeiten geworden ist, den Vorbehalt von Ausnahmen so aus- drückt: nisi nominatim et de praeterito tempore ..... cautum sit (§ 386. a). Ganz abweichend von dieser, im Römischen Recht selbst anerkannten und geforderten, Vorsicht, hat ein neuerer Schrift- steller versucht, durch mancherlei Anweisungen den neuen Gesetzen die vielleicht gehegte Absicht rückwirkender Kraft abzumerken Weber S. 78. 106 — 109. 137 fg. — Bergmann stellt § 26. 29 vorsichtigere An- sichten auf, jedoch nicht, ohne in den §§ 4. und 5. an dem unrich- tigen Verfahren von Weber eini- gen Antheil genommen zu haben. . Es sind dabei Gegensätze, die gar nicht hierher gehören, eingemischt worden, wie die zwischen Nich- tigkeit und versagtem Klagrecht, ipso jure und per exce- ptionem u. s. w. Auf diesem Wege kommt man nicht nur dahin, es mit der Anerkennung von Ausnahmen ungebühr- lich leicht zu nehmen, sondern es werden dadurch unver- merkt die Begriffe von Regel und Ausnahme, so wie die Gränzen zwischen beiden, verwischt oder schwankend ge- macht. Besonders ist ein solches Verfahren bedenklich in Anwendung auf neuere Gesetzgebungen, in welchen ein so festes System von Begriffen und Kunstausdrücken, wie im Römischen Recht, gar nicht vorausgesetzt werden darf, und denen daher geradezu Gewalt angethan wird durch eine Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Auslegung, die dennoch stillschweigend auf einer solchen Voraussetzung beruht Ein ganz ähnlicher Tadel ist bereits ausgesprochen worden bei den örtlichen Gränzen der Gesetze § 374. C. . Merkwürdigerweise fügt das Römische Recht für den Fall der erweiternden Ausnahmegesetze eine Einschränkung hinzu, die also als die Ausnahme einer Ausnahme zu be- trachten ist. Die ausnahmsweise vorgeschriebene Rückwir- kung soll nämlich nicht eintreten, wenn das Rechtsverhält- niß, worauf sie bezogen werden könnte, bereits durch Urtheil oder Vergleich entschieden worden ist ( judicatum vel trans- actum ). Diese Einschränkung ist zwar nirgend als blei- bender, allgemeiner Grundsatz ausgesprochen, sie wird aber in so vielen einzelnen Stellen des Römischen Rechts über- einstimmend wiederholt, daß sie unzweifelhaft als eine von den Römern allgemein anerkannte Regel betrachtet werden muß Bergmann S. 138. 146, wo diese Stellen übersichtlich an- gegeben werden. . Sie hat auch einen inneren Grund darin, daß sowohl das Urtheil, als der Vergleich das ursprüngliche Rechtsverhältniß umbildet, so daß nun an die Stelle des Rechtsverhältnisses, worauf sich das neue Gesetz bezog, eigentlich ein anderes getreten ist. Unter dem Urtheil aber ist hier nicht blos ein rechts- träftiges zu verstehen, sondern, bei noch schwebendem Rechtsstreit, auch schon ein Urtheil erster Instanz, wenn etwa während der Appellationsinstanz das neue Gesetz er- §. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen. scheint Nov. 115 pr. und C. 1. . Der Grund liegt darin, daß der erste Richter nur nach dem zur Zeit seines Urtheils geltenden Gesetz entschei- den durfte, der Appellationsrichter aber nur ein irriges, in sich nicht gerechtfertigtes, Urtheil abändern darf. Unter dem Vergleich ferner ist hier nicht blos der Ver- gleich im streng juristischen Sinne des Wortes (die trans- actio ) zu verstehen, sondern jede vertragsmäßige Beseitigung eines Rechtsstreits, welche bewirkt werden kann durch frei- williges Nachgeben von der einen oder andern Seite, also durch Erlaß, Verzicht, Anerkenntniß, Erfüllung eines An- spruchs, mag jenes Nachgeben ganz oder theilweise ge- schehen, und so zur völligen Beendigung des Streites führen Bergmann § 25. — Vgl. auch oben B. 7 § 302. . Unter die hier dargestellten Ausnahmen wird gewöhnlich der Fall einer authentischen Gesetzauslegung gerechnet S. o. B. 1 § 32. , so daß auch ein solches Gesetz rückwirkende Kraft auf frü- here Rechtsverhältnisse haben soll. Allerdings ist gegen die Rückanwendung eines blos auslegenden Gesetzes Nichts einzuwenden Sie wird ausdrücklich be- stätigt in Nov. 143 pr. , am Schluß der Stelle. , und nur die Auffassung derselben als eines Ausnahmefalles ist zu verwerfen: eine Meinungs- Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. verschiedenheit, die daher eine mehr theoretische, als prakti- sche Beschaffenheit hat. — Wird ein auslegendes Gesetz gegeben, so ist für den Richter der Inhalt desselben, also der dadurch festgestellte Sinn des früheren Gesetzes, wahr und gewiß, seine persönliche Ueberzeugung mag damit über- einstimmen oder nicht. Urtheilt er also in Gemäßheit des auslegenden Gesetzes, so wendet er in der That das aus- gelegte Gesetz an, nicht das auslegende (welches ihm nur das Verständniß für das frühere eröffnet), und darin liegt also keine Rückwirkung. Gegen die Natur einer Ausnahme spricht auch schon der Umstand, daß diese Art der Anwendung so im Allge- meinen, und nicht blos bei einzelnen auslegenden Gesetzen, anerkannt wird. Wäre es Ausnahme, so müßte es in ein- zelnen Fällen auch wohl anders seyn können, welches jedoch ganz unnatürlich, und dem Verhältniß des Gesetz- gebers zum Richter widersprechend, seyn würde. Man könnte etwa glauben, eine praktische Seite die- ser verschiedenen Auffassung müsse darin liegen, daß nach der von mir vertheidigten Ansicht die oben erwähnten Einschränkungen (Urtheil und Vergleich) nicht gelten würden. In der That aber gelten diese, nur aus einem etwas anders gewendeten Grunde. Wenn wir durch das auslegende Gesetz erfahren, daß das frühere Urtheil, oder der frühere Vergleich, von einer irrigen Auslegung ausgegangen sind, so verlieren sie dadurch niemals ihre §. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen. Wirksamkeit Das Urtheil ist nicht nich- tig, da es gewiß nicht gegen ein klares Gesetz gesprochen ist. We- ber S. 212—214. — (Nur etwa, wenn das auslegende Gesetz wäh- rend der Appellationsinstanz er- schiene, hätte deshalb der Appel- lationsrichter zu reformiren). — Der Vergleich kann selbst wegen eines thatsächlichen Irrthums nicht angefochten werden. L. 65 § 1 de cond. indeb. (12. 6), L. 23 C. de transact. (2. 4). Vgl. auch oben B. 7 S. 42. . Auch hier also ist entscheidend der schon oben geltend gemachte Umstand, daß Urtheil und Vergleich das frühere Verhältniß umbilden. Die hier aufgestellte Regel über wohlbegründete Rück- anwendung geht nicht blos auf die eigentliche Auslegung eines dunklen Gesetzes, sondern auch auf die Anerkennung und Bestätigung eines früheren Gesetzes oder Gewohnheits- rechts, wenn dessen Daseyn oder verbindende Kraft bisher zweifelhaft war. Dagegen geht sie nicht auf die Wieder- herstellung eines älteren, bisher außer Geltung gesetzten, Gesetzes. Ganz irrig unterscheiden Manche zwischen einem richtig oder irrig auslegenden Gesetz, weil das letzte in der That neues Recht bilde. Durch eine solche Annahme würde sich der Richter in der That über den Gesetzgeber stellen, also seine wahre Stellung gänzlich verkennen. Alles kommt darauf an, ob der Gesetzgeber das Gesetz als ein ausle- gendes gedacht und ausgesprochen hat, nicht ob es eine, nach der Meinung des Richters, richtige Auslegung ent- hält Ueber die Rückanwendung auslegender Gesetze, vgl. über- haupt Weber S. 54—61, S. 194—208. Bergmann § 10— 12, § 31—33. . VIII. 33 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Die Rückanwendung auslegender Gesetze hat im Preußi- schen Recht Anerkennung gefunden, und zwar mit Recht als bleibende, für alle Zeiten gültige, Regel Allg. Landrecht Einleitung § 15. von 1794 § 9. . Daneben aber steht eine verschiedene, blos transitorische Regel, an- wendbar auf den Fall der Einführung des allgemeinen Landrechts. Diese geht dahin, daß bei der Beurtheilung älterer Rechtsverhältnisse, wenn die damals geltenden Ge- setze dunkel und zweifelhaft sind, so daß bisher verschiedene Meinungen der Gerichte bestanden, künftig die Meinung vorgezogen werden soll, welche mit dem Inhalt des Land- rechts übereinstimmt, oder demselben am nächsten kommt Publicationspatent . §. 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz . Der ganzen gegenwärtigen Untersuchung ist zum Grund gelegt worden die Unterscheidung von zweierlei Rechtsregeln (§ 384). Eine Klasse derselben hatte zum Gegenstand den Erwerb der Rechte, und für diese galt der Grundsatz der Nichtrückwirkung, oder der Erhaltung erworbener Rechte. — Eine zweite Klasse von Rechtsregeln, deren Betrachtung nun noch übrig ist, hat zum Gegenstand das Daseyn der Rechte, und für diese Klasse hat der erwähnte Grundsatz keine Anwendung. §. 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz. Wir nennen aber Rechtsregeln über das Daseyn der Rechte zuvörderst die, welche den Gegensatz von Seyn oder Nichtseyn eines Rechtsinstituts betreffen, also Gesetze, wo- durch ein bisher geltendes Rechtsinstitut gänzlich aufgehoben wird; außerdem aber die, welche ein Rechtsinstitut, ohne es aufzuheben, in seiner Natur wesentlich umändern, also den Gegensatz von So oder Andersseyn eines Rechtsinsti- tuts betreffen. Von diesen allen nun wird behauptet, daß für sie die Erhaltung erworbener Rechte (die Nichtrück- wirkung) als herrschender Grundsatz, so wie bei den Rechts- regeln über den Erwerb der Rechte, unmöglich gedacht werden könne, indem die wichtigsten Gesetze solcher Art, wenn man ihnen einen solchen Sinn unterlegen wollte, überhaupt gar keinen Sinn haben würden. Um diese Behauptung anschaulich zu machen, werde ich drei Gesetze anführen, die in neuerer Zeit an verschiedenen Orten vorgekommen sind, und auf die ich versuchsweise den Grundsatz der Nichtrückwirkung anwenden will. Ein Ge- setz hebt die Leibeigenschaft auf. Ein anderes hebt die Zehenten auf, ohne Entschädigung, wie es z. B. gleich im Anfang der Französischen Revolution geschehen ist. Ein drittes Gesetz verwandelt die Zehenten, die bisher unablöslich waren, in ablösliche Rechte, indem es dem Verpflichteten (vielleicht auch dem Berechtigten) gestattet, sie mit einseitiger Willkür in eine Leistung anderer Art, von gleichem Geld- werth, zu verwandeln. — Wollte man nun diese drei Ge- setze unter den Grundsatz der Nichtrückwirkung stellen, so 33* Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. würden sie folgende Bedeutung bekommen. Jede künftige Errichtung einer Leibeigenschaft (oder eines Zehentrechts) ist verboten, ungültig, wirkungslos. Jede künftige Er- richtung eines Zehentrechts soll stets die Befugniß einseitiger Ablösung des Zehenten mit sich führen. — In dieser Be- deutung aber würden die erwähnten Gesetze völlig leer und überflüssig seyn, da seit sehr langer Zeit Niemand daran gedacht hat, eine Leibeigenschaft oder ein Zehentrecht neu zu begründen. Daraus folgt also, daß der Gesetzgeber diese. Bedeutung ganz gewiß nicht gemeint und gewollt hat, und daß also seine Absicht im vollständigen Gegensatz steht gegen die Absicht der den Erwerb der Rechte betreffenden Gesetze, indem diese nicht rückwärts, sondern nur auf künftige Rechtsgeschäfte einwirken, mithin erworbene Rechte erhalten wollen ; allerdings mit Ausnahmen, die jedoch höchst un- bedeutend sind, und fast verschwinden in Vergleichung mit der wirklich beobachteten Regel. Man kann nun allerdings den Zweifel erheben, ob nicht etwa alle Gesetze der erwähnten Art, eben weil sie erwor- bene Rechte zerstören oder umbilden, durchaus rechtswidrig und verwerflich seyn möchten. Ich will mich dieser Frage keinesweges entziehen, sie vielmehr einer selbstständigen Er- örterung unterwerfen. Nur wird es dem Gang unsrer Untersuchung förderlich seyn, diese ganz andere Frage vor- läufig auf sich beruhen zu lassen, und zunächst nur festzu- stellen, welches der Sinn und die Meinung der Gesetze ist, mit welchen wir uns gegenwärtig beschäftigen; die Recht- § 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz. mäßigkeit derselben soll am Schluß noch besonders geprüft werden (§ 400). Der Sinn und die Meinung der Gesetze dieser Klasse wird nun durch folgende Formeln ausgedrückt werden können, die im schneidenden Gegensatz stehen zu dem für die erste Klasse von Gesetzen oben aufgestellten Grundsatz (§ 384. 385). Neuen Gesetzen dieser Klasse ist rückwirkende Kraft beizulegen. Neue Gesetze dieser Klasse sollen erworbene Rechte nicht unberührt lassen. Folgende Betrachtung wird dazu dienen, die hier aufge- stellte Behauptung über den Sinn und die Meinung solcher Gesetze von einer anderen Seite her zu bestätigen. Die meisten und wichtigsten dieser Gesetze haben die oben, bei einer anderen Gelegenheit, dargestellte streng positive, zwin- gende Natur, indem sie außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben, und mit sittlichen, politischen, volkswirth- schaftlichen Gründen und Zwecken im Zusammenhang stehen (§ 349). Es liegt aber in der Natur solcher zwingenden Gesetze, daß sie ihre Macht und Wirksamkeit mehr, als andere Gesetze, ausdehnen müssen, wie dieses auch schon oben bei der örtlichen Collision der Gesetze geltend gemacht worden ist. Es ist nun noch anzugeben, welche Stellung unsre Schriftsteller zu der hier vorgetragenen Lehre einnehmen. Die Unterscheidung der zwei Klassen von Rechtsregeln, die Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. unter verschiedenen, ja entgegengesetzten, Grundsätzen stehen, wird nirgend gemacht, vielmehr wird der Grundsatz der Nichtrückwirkung als der für alle Gesetze gemeinsam gültige angesehen. Man möchte also erwarten, daß die Schrift- steller den Gesetzen, von denen wir hier reden, in der That den eben dargestellten völlig unpraktischen Sinn beilegen, also die Aufhebung der Leibeigenschaft als ein Verbot künftiger Errichtung der Leibeigenschaft behandeln würden. Davon sind sie jedoch weit entfernt. Sie rechnen vielmehr solche Gesetze unter die, schon im Römischen Recht vorbe- haltenen, Ausnahmen der Nichtrückwirkung (§ 397), und lassen von diesem Standpunkt aus eine Anwendung der- selben auf erworbene Rechte zu Weber S. 51—52. 188—189. Bergmann S. 156. 177. 257. . Obgleich nun durch diese Auffassung dem unmittelbaren Bedürfniß abgeholfen wird, ist dennoch eine solche Auskunft völlig zu verwerfen. Ausnahmen von dem Grundsatz der Nichtrückwirkung haben eine zufällige Natur, sind an sich entbehrlich, und würden besser gar nicht vorhanden seyn. Dieses Alles paßt auf die hier in Frage stehenden Gesetze nicht. Wenn wir diese unbefangen betrachten, so müssen wir uns sogleich überzeugen, daß in Beziehung auf sie jene Auskunft durchaus gezwungen ist, und den Gesetzen einen Sinn aufdrängt, der ihnen völlig fremd ist. Das Gesetz, welches die Leibeigenschaft aufhebt, würde dadurch auf gleiche Linie gestellt etwa mit Justinian’s Gesetz über die §. 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz. verbotenen Zinsen, und der so aufgefaßte vollständige In- halt desselben würde in consequent durchgeführter Fassung etwa so lauten: Es wird hierdurch verboten, künftig eine Leibeigenschaft zu errichten, auch soll diese Vorschrift aus- nahmsweise rückwirkende Kraft haben, so daß sogar auch die jetzt bestehenden Verhältnisse der Leibeigenschaft aufge- hoben seyn sollen. Dadurch wäre eine ganz unnütze Vor- schrift, an die Niemand gedacht hat, als Hauptgedanke an die Spitze gestellt, und es wäre als beiläufige Ausnahme Das hinzugefügt, welches allein der Gesetzgeber dachte und wollte. In den allermeisten Gesetzen solcher Art ist aber sicherlich keine Spur zu finden, die auf den Gedanken einer exceptionellen Rückwirkung gedeutet werden könnte. Zu diesen Gründen aber kommt noch ein rein praktischer Grund hinzu, der eine solche Behandlung der Sache völlig verwerflich macht. Hätten wir bei solchen Gesetzen mit einer exceptionellen Rückwirkung zu thun, so müßten wir dieselbe auch unter gewisse Einschränkungen stellen (§ 397. f ); sie müßte wegfallen, wenn ein Rechtsverhältniß durch Ur- theil oder Vergleich festgestellt wäre. Das würde aber zu der widersinnigen Folge führen, daß die Aufhebung aller Zehenten zwar anzuwenden wäre auf alle stets unbestrittene Zehentrechte, aber nicht auf die Zehenten, worüber einmal ein Rechtsstreit abgeurtheilt oder verglichen wäre. — Diese widersinnige Folge wollen nun in der That jene Schrift- steller nicht, vielmehr soll nach ihnen eine solche Aufhebung Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. allgemein wirken Weber S. 213—215. Bergmann S. 259. . Dahin aber können sie offenbar nur kommen, indem sie jene Einschränkung (die selbst schon die Ausnahme einer Ausnahme ist) durch eine neue Ausnahme beseitigen, also gleichsam eine Ausnahme dritter Potenz an- nehmen. So wird es aber immer augenscheinlicher, wie unnatürlich eine Auffassung ist, die zu solchen Rettungs- mitteln hindrängt. Sehr charakteristisch ist die ganz verschiedene Art, in welcher ein anderer Schriftsteller die angegebene Schwierig- keit zu lösen sucht Struve S. 150—152. 274—276. . Dieser läßt keine exceptionelle Rückwirkung, ja überhaupt keine Einwirkung des Gesetz- gebers auf zeitliche Collisionen der Gesetze zu (§ 387. i ). Bei der gegenwärtig vorliegenden Schwierigkeit aber hilft er sich damit, daß er blos die ihm besonders mißliebigen Institute, wie Leibeigenschaft, Steuerfreiheit des Adels, in’s Auge faßt. Diese nennt er Gräuel, moralische Schändlich- keiten, Ungerechtigkeiten, die an sich kein rechtliches Daseyn haben. Wenn ein Gesetz sie aufhebt, so soll es des Zu- satzes der rückwirkenden Kraft nicht bedürfen. Vielmehr soll jede der drei Staatsgewalten (die gesetzgebende, richter- liche, vollziehende) für sich allein die Macht haben, jene Institute zu ignoriren, und dadurch praktisch zu vernichten. — Eine Widerlegung dieser Ansicht wird man wohl nicht verlangen. Nur auf die praktische Schwierigkeit in der §. 398. B. Daseyn der Rechte. — Grundsatz. Ausführung will ich aufmerksam machen, die in der Fest- stellung des Daseyns und der Gränzen jener Gräuel und Schändlichkeiten liegt, indem darüber die subjektive Ansicht der einzelnen Träger der drei Staatsgewalten vielleicht nicht ganz übereinstimmend seyn könnte. Unter diesen Trägern könnten sich auch consequente Communisten finden, und diese würden das gesammte Institut des Eigenthums unter die Gräuel zählen. Nimmt man nun, wie es hier geschieht, zwei Klassen von Rechtsregeln an, die von ganz verschiedenen Grund- sätzen beherrscht werden, so ist Nichts wichtiger, als die Feststellung scharfer und sicherer Gränzen zwischen beiden Klassen. Für viele Fälle ist die Gränze keinem Zweifel unter- worfen; namentlich für die Fälle solcher Gesetze, in welchen ein bisher bestehendes Rechtsinstitut völlig aufgehoben wird. Zweifelhaft aber kann sie seyn bei den Gesetzen, welche ein Rechtsinstitut nicht aufheben, sondern nur umbilden Schon oben ist auf diese Zweifel im Allgemeinen aufmerksam gemacht worden (§ 384). Einzelne Fälle zweifelhafter Natur sind vorgekommen § 390 Num. 3. 4. § 393 Num. 6. . Dann wird Alles auf die unbefangene Prüfung des In- halts und des Zwecks des Gesetzes ankommen. Ein be- sonders sicheres, und für die meisten Fälle ausreichendes, Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Mittel der Gränzscheidung wird darin liegen, daß wir untersuchen, ob vielleicht ein neues Gesetz zu den so eben erwähnten Gesetzen von streng positiver, zwingender Natur gehört, die außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben (S. 517). In diesem Fall haben wir dasselbe un- zweifelhaft zu den Gesetzen über das Daseyn der Rechte zu zählen, auf welche der Grundsatz der Nichtrückwirkung keine Anwendung findet. §. 399. B. Daseyn der Rechte. — Anwendungen. Ausnahmen . Die Anwendungen des im § 398 aufgestellten Grund- satzes werden, eben so wie es bei den Gesetzen über den Er- werb der Rechte geschehen ist, nach gewissen Klassen der Rechtsverhältnisse dargestellt werden; jedoch sind hier ganz andere Klassen, als die dort angenommen, erforderlich. I. Die erste Klasse, und zugleich die wichtigste, bilden gewisse Rechtsverhältnisse, die ihrer Natur nach über das einzelne Menschenleben hinausreichen, ja zu einer endlosen Fortdauer bestimmt sind, und nur zufällig im einzelnen Fall untergehen. Sie lassen sich gemeinsam bezeichnen als Be- schränkungen der persönlichen Freiheit oder der Freiheit des Grundeigenthums, und sind oft aus dinglichen oder obliga- torischen Rechten gemischt. Die meisten derselben (nicht alle) haben insofern ein historisches Daseyn, als ihre Ent- §. 399. A. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. stehung in ganz andere Zeitalter und in untergegangene Volks- zustände fällt. Diese sind daher als abgeschlossen zu be- trachten, und werden nicht, so wie andere Rechtsverhält- nisse, durch Willkür stets neu erzeugt Vgl. oben § 392. e. . Die Gesetze, wodurch solche Rechtsinstitute aufgehoben oder umgebildet werden, sind stets von streng positiver, zwingender Natur, da sie außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben (§ 398). Aus dem Römischen Recht gehört dahin die für das heutige Europa längst verschwundene Sklaverei. Folgende Institute solcher Art sind in unserm heutigen Recht theils noch jetzt vorhanden, theils wenigstens bis auf unsre Tage erhalten geblieben: Die Leibeigenschaft. Reallasten aller Art, bestehend in der Leistung von Geld, Früchten, Diensten (Frohnden, Robotten). Insbesondere das Zehentrecht. Lehen. Familienfideicommisse. Prädialservituten. Emphyteuse Die zwei letztgenannten Arten haben nicht so, wie die vor- hergehenden, einen historischen, auf vergangene Zustände hindeu- tenden Charakter, allein die darauf bezüglichen umbildenden Gesetze sind in ihren Gründen und Zwecken ganz gleichartig mit den Gesetzen über die Zehenten und die Dienste. . Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Ueber das Verhältniß alter und neuer Gesetze zu ein- ander wird hier nicht leicht ein Zweifel entstehen. II. Die zweite Klasse bilden einige, auf das Ge- schlechterverhältniß bezügliche, Rechtsinstitute. Die Gesetze über diese Institute gehören deswegen hierher, weil sie nicht auf reinen Rechtsgründen beruhen, sondern auf sitt- lichen (theilweise sittlich-religiösen) Gründen. Die einzel- nen hierher gehörenden Fälle sind folgende: 1. Ehescheidung . Wenn durch ein neues Gesetz die Scheidung überhaupt eingeführt oder abgeschafft, oder wenn eine Aenderung in den Scheidungsgründen vorge- nommen wird, so entsteht die Frage nach dem Einfluß des neuen Gesetzes auf die bestehenden Ehen. Betrachtet man ein solches Gesetz von dem abstract juristischen Standpunkt aus, so hat es eine ähnliche Natur mit dem Gesetz über die Veräußerung des Eigenthums. Durch diese Ehescheidung verliert jeder Theil die bisher aus der Ehe entstehenden Rechte, so wie jeder die Freiheit von den Ansprüchen des anderen Theils, und zugleich alle Vortheile der Ehelosigkeit (Möglichkeit einer neuen Ehe) erwirbt. Hiernach möchte man glauben, es verhielte sich mit den Gesetzen über Ehescheidung gerade so, wie mit den Gesetzen über das Güterrecht (§ 396). Dann hätte jeder Ehegatte durch den Abschluß der Ehe das unabänderliche Recht erworben, bei einer künftigen Scheidung nach dem zur Zeit des Anfanges der Ehe bestehenden Gesetz beurtheilt zu werden. §. 399. B. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. Diese Auffassung muß jedoch verworfen werden, weil die Gesetze über die Ehescheidung sittliche Gründe und Zwecke, mithin eine zwingende Natur haben, und daher zu den Gesetzen über das Daseyn der Ehe gehören Man könnte es für ein- seitig und unbegründet halten, daß hier nur der Ehescheidung dieser Charakter zugeschrieben werde, nicht auch dem ganzen übrigen rein persönlichen Recht der Ehe, namentlich den persönlichen Rech- ten und Pflichten während der Ehe. Der Unterschied ist jedoch der, daß auf diese der Gesetzgeber und der Richter sehr wenig mög- lichen Einfluß haben, anstatt daß der Ausspruch über Daseyn oder Nichtdaseyn der Ehe (also die Ehescheidung) sehr wohl mit Er- folg durchgeführt werden kann. . Dieses ist gleich wahr, das neue Gesetz mag die Scheidung erschweren oder erleichtern. Das erste setzt den überwie- genden Werth auf Erhaltung der Reinheit und Heiligkeit der Ehen; das zweite auf unbeschränkte Erhaltung der in- dividuellen Freiheit Die Freiheit braucht hier nicht gedacht zu werden als bloße Willkür, als Verneinung unbe- quemer Schranken, welche aller- dings keine besonders sittliche Na- tur hat; sie kann auch gedacht werden als Schutz der sittlichen Freiheit in der Ehe gegen jeden äußeren, diese Freiheit störenden, und dadurch die Reinheit der Ehe gefährdenden, Zwang. Dieses war die ursprüngliche Ansicht der Rö- mer, wurzelnd in der Zeit alter Sittenreinheit. L. 134 pr. de V. O. (45. 1) , L. 14 C. de nupt. (5. 4) , L. 2 C. de inut. stip. (8. 39). ; beides sind sittliche Principien, deren relativer Werth oder Unwerth hier ganz dahin ge- stellt bleiben muß, wo es blos darauf ankommt, die Natur der darauf bezüglichen Gesetze zu bestimmen. Die hier aufgestellte Ansicht ist in der Preußischen transitorischen Gesetzgebung, wiewohl mit einer geringen Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Modification, anerkannt worden. Als in den Jahren 1814 und 1816 das allgemeine Landrecht in mehrere Provinzen theils neu eingeführt, theils wieder eingeführt wurde, be- stimmte man für die Scheidung der bestehenden Ehen, daß diese von jetzt an nach dem Landrecht, also unabhängig von dem Gesetz zur Zeit der geschlossenen Ehe, beurtheilt werden sollte. Nur wurde die sehr mäßige und nicht unbillige Ausnahme hinzugefügt, daß ein Scheidungsgrund des Landrechts nicht geltend gemacht werden dürfe, wenn die zum Grund liegende Thatsache vorgefallen sey während der Herrschaft des fremden Gesetzes, und in diesem Gesetz nicht als Scheidungsgrund gegolten habe Provinzen jenseits der Elbe § 9. Westpreußen § 11. Posen § 11. Sachsen § 11 (s. o. § 383). . Ganz gleiche Natur mit den Gesetzen über die Ehe- scheidung haben die Gesetze über die Nichtigkeitsklage ge- gen die Ehe. 2. Liberalität gegen Ehegatten . Diese ist nicht selten durch neue Gesetze, auch in der heutigen Zeit, be- schränkt worden. Im Römischen Recht kommt, als uraltes, sehr ausgebildetes Rechtsinstitut solcher Art, die verbotene Schenkung unter Ehegatten vor S. o. B. 4 § 162 — 164. . Man möchte nun glauben, ein solches Gesetz gehöre durchaus dem Güterrecht an, unter welcher Voraussetzung lediglich die Zeit der geschlossenen Ehe maaßgebend seyn §. 399. B. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. würde. In der That aber hat ein solches Gesetz zwingende Natur, wirkt also augenblicklich auf die bestehenden Ehen ein. Denn der Zweck desselben geht dahin, die Gefährdung der Reinheit der Ehe durch eigen- nützige Einwirkungen zu verhindern. Daher würde es irrig seyn, die Sache so zu betrachten, als hätte durch die abgeschlossene Ehe jeder Theil das unabänderliche Recht erworben, wegen der Liberalität zwischen ihm und dem an- dern Theil stets nach dem jetzt geltenden Gesetz beurtheilt zu werden. Dieselbe Ansicht ist auch schon oben, bei der örtlichen Collision der Gesetze, geltend gemacht worden (§ 379. Num. 4). 3. Uneheliche Kinder . Die aus dem außerehelichen Beischlaf abzuleitenden Rechte, theils des Kindes, theils der Mutter, gegen den Erzeuger gehören unter die schwierigsten und zweifelhaftesten Gegenstände, sowohl des Privatrechts, als der Gesetzge- bungspolitik. Man kann dabei ausgehen von der Annahme eines vom Erzeuger begangenen Delicts, welche nach den Reichs- gesetzen für unser gemeines Recht wohl begründet ist Reichspolizeiordnung 1530 Tit. 33, 1548 Tit. 25, 1577 Tit. 26. — Auch nach dem A. L. R. I. 3 § 36. 37 ist es eine gesetz- widrige Handlung, (jedoch muß im § 37 der Druckfehler 10 in 11 verbessert werden). — Indessen verwickelt man sich bei der Ablei- tung der Entschädigungsansprüche aus diesem Delict in die seltsam- sten und gewagtesten Vorstellungen. ; Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. oder auch von der Annahme der natürlichen Blutsverwandt- schaft, wobei jedoch stets die Thatsache der Paternität völlig ungewiß bleibt Die Präsumtion in der Ehe: pater est, quem nuptiae demonstrant, beruht auf der Würde und Heiligkeit der Ehe. Damit aber hat die Thatsache des erwiesenen oder eingestandenen außerehelichen Beischlafs auch nicht entfernte Aehnlichkeit, da neben dieser Thatsache schon die bloße Möglichkeit der Concurrenz anderer Männer Alles ungewiß macht, noch mehr aber die erwie- sene Wirklichkeit einer solchen Con- currenz ( exceptio plurium ). . In beiden Fällen könnte man annehmen, durch die Thatsache des als Erzeugung angesehenen Beischlafs sey ein unabänderliches Recht begründet, wobei ein späteres Gesetz Nichts ändern könne, es möge die Rechte der Kinder und der Mutter derselben erweitern oder beschränken. Das neue Gesetz würde dann nur Anwendung finden auf künf- tige Erzeugungen. Allein in der That haben solche Gesetze stets einen zwingenden Charakter, indem sie mit sittlichen Zwecken im Zusammenhang stehen. Darüber ist eine Meinungsverschie- denheit kaum möglich, daß die ausschließende Geschlechts- gemeinschaft in der Ehe, sowohl sittlich als für das Staats- wohl, höchst wünschenswerth, besonders aber, daß der Zu- stand unehelicher Kinder ein höchst unheilvoller ist. Man kann nun durch Erweiterung der Ansprüche der Kinder theils diesen Zustand mildern, theils dem Leichtsinn der Männer entgegen wirken wollen. Man kann umgekehrt versuchen, durch Beschränkung oder Aufhebung dieser An- §. 399. B. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. sprüche theils dem Leichtsinn der Frauen entgegen zu wirken, theils die Störung des Friedens mancher Ehen durch die von fremden Frauen erhobenen Ansprüche, zu verhüten. In beiden Richtungen neuer Gesetze ist ein sittlicher Zweck unverkennbar, und es kann dabei ganz gleichgültig seyn, welche dieser Richtungen an sich oder durch Erfahrungen im Großen mehr begründet seyn möge. Nimmt man Dieses als richtig an, so muß das neue Gesetz über uneheliche Kinder augenblicklich zur Anwendung kommen, ohne Rücksicht auf das Gesetz, welches zur Zeit der Erzeugung oder der Geburt des Kindes bestanden hat. — Dieselbe Regel ist schon oben in Beziehung auf die örtlichen Collisionen geltend gemacht worden (§ 374 Noten aa. bb. ). Mit diesen Ansichten stimmt überein das Französische Gesetz, welches selbst die Untersuchung der Paternität verbietet Code civil art. 340 „La recherche de la paternité est interdite.“ , also selbst die Möglichkeit abschneidet, einem unehelichen Kinde, mit Ausnahme der freiwilligen Aner- kennung, Ansprüche gegen den Erzeuger zu verschaffen. Man hat dieses Gesetz mit Unrecht getadelt, als ob es eine ungehörige Rückwirkung enthielte Struve S. 233. . Man hat es eben so mit Unrecht vertheidigt, als ob es den persönlichen Zu- stand an sich zum Gegenstand hätte Weber S. 79—82. Die- selbe Ansicht haben die Franzö- sischen Juristen. . Die wahre Recht- VIII. 34 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. fertigung liegt darin, daß es ein Gesetz von zwingender Natur ist. Eben so stimmt damit überein die transitorische Preußi- sche Gesetzgebung, die, nur mit anderem Ausdruck als das Französische Gesetz, verordnet, daß die unehelichen Kinder, auch wenn sie noch unter der Herrschaft des fremden Ge- setzes geboren wurden, dennoch von jetzt an die Ansprüche des Landrechts sollten geltend machen können Provinzen jenseits der Elbe § 11. Westpreußen § 14. Posen § 14 (s. o. § 383). . III. Eine dritte Klasse endlich bilden manche Gesetze über rein juristische Institute, welche durch jene Gesetze entweder völlig aufgehoben oder doch von Grund aus um- gebildet werden, und die deswegen augenblicklich auf schon bestehende Rechtsverhältnisse anzuwenden sind. Dahin gehört das Gesetz, wodurch Justinian das bisher bestehende zweifache Eigenthum ( ex jure quiritium und in bonis ) aufhob, und an dessen Stelle ein einfaches Eigenthum setzte, das alle bisher zuweilen getrennte Rechte in sich vereinigen sollte L. un. C. de nudo j. Quir. toll. (7. 25). Damit hörte von selbst auf die eigenthümliche Natur des fundus Italicus und der res mancipi. L. un. C. de usuc. transform. (7. 31). . — Eben so verhält es sich mit dem Französischen Gesetz, welches dem Eigenthümer einer beweglichen Sache die Vindication versagt, wenn dasselbe irgendwo anstatt des Römischen Rechts eingeführt werden sollte. Diese Veränderung würde augenblicklich §. 399. B. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. auch auf das gerade vorhandene bewegliche Eigenthum an- zuwenden seyn; eben so aber auch die umgekehrte Veränderung in dem Rechte des Eigenthums. Ferner gehört dahin ein neues Gesetz, welches gesetzliche Servituten, als natürliche Beschränkungen des Eigenthums, einführt, oder welches umgekehrt solche Servituten, wenn sie bisher bestanden, aufhebt (§ 390 Num. 2). Gleiche Natur hat die Verwandlung des Römischen Pfandrechts in das Preußische Hypothekenrecht; beide Systeme können nicht neben einander bestehen, vielmehr muß das eine sofort durch das andere verdrängt werden (§ 390 Num. 3). Welche Anstalten aber zu treffen sind, um diese Veränderung ohne Rechtsverletzung zu bewirken, wird sogleich angegeben werden (§ 400). Endlich würden wir dahin auch den Fall zu rechnen haben, wenn die testamentarische Erbfolge in einem Staate, der sie bisher anerkannte, durch ein neues Gesetz aufge- hoben würde (§ 393 Num. 6). Ausnahmen des für diese Klasse neuer Gesetze auf- gestellten Grundsatzes lassen sich eben sowohl denken, als bei den Gesetzen über den Erwerb der Rechte (§ 397). Nur werden sie hier niemals in der Richtung vorkommen, daß die Wirksamkeit des neuen Gesetzes noch mehr erweitert würde, als nach dem Grundsatz selbst, da dieser ohnehin Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. schon so weit als möglich geht; vielmehr werden sie nur dahin gerichtet seyn können, die Wirksamkeit des neuen Gesetzes auf schonende Weise einzuschränken. Ein Fall dieser Art aus einem Preußischen transitorischen Gesetz ist schon oben vorgekommen (§ 399. II. 1). Das Preußische Scheidungsgesetz sollte sogleich in Wirksamkeit treten, jedoch mit Ausnahme mancher, die Scheidung be- gründender Thatsachen. Eine andere Ausnahme findet sich in dem Gesetz des Königreichs Westphalen, welches die Lehen und Fidei- commisse aufhob, das heißt, in freies Eigenthum verwan- delte. Dieses Gesetz sollte natürlich nicht blos die Stiftung neuer Lehen nnd Fideicommisse verhindern, sondern gerade die bestehenden umwandeln. Es that Dieses jedoch mit der schonenden Ausnahme, daß der nächste Successionsfall noch nach dem bisherigen Recht behandelt werden sollte An diese Ausnahme hat späterhin das Preußische Gesetz vom 11. März 1818 in der Art angeknüpft, daß alle Lehen und Fideicommisse, worin der vorbe- haltene nächste Successionsfall noch nicht eingetreten war, nun- mehr für immer wiederhergestellt seyn sollten. Gesetz-Sammlung 1818. S. 17. . §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit . Ich kehre jetzt zurück zu der oben vorbehaltenen Frage wegen der Rechtmäßigkeit der gegenwärtig dargestellten Klasse von Gesetzen (S. 517). §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit. Es ist gezeigt worden, daß diese Gesetze, wenigstens in den meisten und wichtigsten Fällen, nur so gemeint seyn können , daß sie in erworbene Rechte eingreifen, indem sie die Rechtsinstitute selbst, also auch die unter denselben ste- henden einzelnen Rechtsverhältnisse Vgl. oben B. 1 § 4. 5 über die Begriffe von Rechtsverhält- niß und Rechtsinstitut. , entweder vernichten, oder doch wesentlich umbilden, beides ohne Rücksicht auf den Willen des Berechtigten. Man kann nun diese Behauptung zugeben, aber eben daran die scheinbare Einwendung anknüpfen, daß gerade deshalb die Gesetze dieser Art durchaus als rechtswidrig, verwerflich, unzulässig angesehen werden müßten. Wer diese Einwendung erhebt, geht offenbar aus von der Vor- aussetzung, daß jeder Eingriff in ein erworbenes Recht, ohne Einwilligung des Berechtigten, vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet, schlechthin unmöglich sey, und er sieht diese Unmöglichkeit als einen obersten, unbedingten Grundsatz an. Gerade diese Voraussetzung aber kann aus folgenden Gründen nicht zugegeben werden. Zuerst nicht, weil sie mit der allgemeinen Natur und Entstehung des Rechts unvereinbar ist. Das Recht hat seine Wurzel in dem gemeinsamen Bewußtseyn des Volkes. Dieses ist nun zwar auf der einen Seite durchaus verschie- den von dem leicht und schnell wechselnden, zufälligen und veränderlichen Bewußtseyn des einzelnen Menschen; auf Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. der anderen Seite aber ist es allerdings dem Gesetz einer umbildenden Entwickelung unterworfen, also nicht als ein ruhendes, stillstehendes zu denken B. 1 § 7. . Daher können wir unmöglich irgend einem einzelnen Zeitalter die Macht ein- räumen, durch sein eigenthümliches Rechtsbewußtseyn alle künftige Zeiten zu bannen und zu beherrschen. — Einige Beispiele werden Dieses anschaulich machen. Im ganzen Alterthum wurde der Stand der Sklaven als eine Art von Naturnothwendigkeit betrachtet, und man dachte sich kaum die Möglichkeit, daß ein gesittetes Volk ohne einen solchen leben könne. Im heutigen christlichen Europa wird eben so dieser Stand als völlig unmöglich, als allem Rechtsbewußtseyn durchaus widersprechend, ge- dacht Manche Schriftsteller ha- ben diesen Gegensatz mitunter da- durch zu verdunkeln oder abzu- schwächen gesucht, daß sie den in neuerer Zeit mit harten Freiheits- strafen verbundenen Zustand ver- glichen haben mit dem oft milden, ja freundlichen Zustand der Skla- ven des Alterthums. Dadurch aber wird das wahre Verhältniß nur entstellt. Um sich den Gegen- satz in seiner Reinheit und Schärfe vor Augen zu halten, muß man zwei Dinge bedenken. Erstlich die Entstehung der Skla- verei durch die Geburt; zweitens die dem Rechte nach ganz gleiche Stellung des Sklaven mit den Hausthieren ( Ulpian . XIX. 1), als einer käuflichen Waare. — Der heutige Sklavenstand im Orient, so wie der ganz verschie- dene in Amerika, kann hier ganz auf sich beruhen. . Der Uebergang aus dem einen dieser Zustände in den andern, in Folge der sehr allmäligen Einwirkung christlicher Sitten und Zustände, hat sich so langsam und unmerklich gemacht, daß wir das Aufhören des alten Zu- §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit. standes nicht mit Sicherheit geschichtlich verfolgen können. Gesetzt nun, dieser Uebergang wäre nicht so allmälig, son- dern in kurzer Zeit eingetreten, etwa in Folge einer gewalt- samen geistigen Erschütterung des Volksbewußtseyns, so würden wir unmöglich einem solchen neuen Zeitalter das Recht versagen können, der gegenwärtigen, allgemein ge- wordenen Ueberzeugung Raum zu geben, und dem Sklaven- stand als Rechtsinstitut die fernere Anerkennung zu ver- sagen. Daneben ließen sich mancherlei Wege denken, den Uebergang zu vermitteln, und gegen Gefahren zu schützen. Ein anderes Beispiel möge das Zehentrecht darbieten. In Zeiten einer wenig entwickelten, stationären Boden-Cultur konnte dieses als ein einfaches, natürliches, zweckmäßiges Rechtsinstitut gelten, und große Verbreitung erhalten. Bei lebendiger Entwickelung gewerblicher Thätigkeit mußte man sich überzeugen, daß durch eine solche, auf dem Roh- ertrag ruhende, Abgabe jeder Fortschritt des Landbaues gehemmt, oft unmöglich gemacht werde. Darunter litten die Verpflichteten, so wie durch sie der Staat im Ganzen, nicht die Berechtigten, die also vielleicht einer Verwandlung der ihnen bequemen Zehenten widerstrebten. Wenn nun die Ueberzeugung von den mit diesem Zustand verbundenen Nachtheilen allgemein wurde, so war die gesetzliche Ver- wandlung der bisher unablöslichen Zehenten in ablösliche gerechtfertigt, indem dadurch dem Staat und den Verpflich- teten ein augenscheinlicher großer Gewinn erworben, von Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. dem Berechtigten aber durch vollständige Entschädigung jeder Verlust abgewendet wurde. Der eben entwickelte erste Grund gegen die Voraussetzung einer unbedingten Rechtswidrigkeit der Gesetze, welche durch Zerstörung oder Umbildung von Rechtsinstituten irgend einen Eingriff in erworbene Rechte mit sich führen, war entnommen aus der Entstehung des Rechts, also aus der Betrachtung des Volkes, in dessen Rechtsbewußtseyn das Recht selbst seine Wurzel hat. Ein zweiter Grund, der zu demselben Ziele führt, bezieht sich auf die einzelnen Men- schen als Träger der erworbenen Rechte. Wer die abso- lute Unantastbarkeit erworbener Rechte durch neue Gesetze behauptet, verneint nur die Unfreiwilligkeit eines solchen Eingriffs, und räumt die Rechtmäßigkeit der Veränderung unbedenklich ein, sobald die Einwilligung des Berechtigten in die Aufhebung oder Umbildung des erworbenen Rechts hinzutritt. Wir wollen aber die Natur dieses Berechtigten, als des Trägers erworbener Rechte, näher betrachten. Das erworbene Recht erscheint als erweiterte Macht des einzel- nen Menschen, und hat stets eine mehr oder weniger zu- fällige Natur S. o. B. 1 § 4. 52. 53. . Der einzelne Mensch aber hat ein beschränktes und vorübergehendes Daseyn. Wenn daher gegen die Gesetze, wodurch Rechtsinstitute aufgehoben oder umgebildet werden, wegen des Eingriffs in erworbene Rechte ein unbedingter Widerspruch erhoben werden soll, §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit. so ist dieser Widerspruch wenigstens wegen der beschränkten Natur des Trägers erworbener Rechte nach zwei Seiten hin in enge Gränzen zu verweisen. Dem neuen Gesetze könnte höchstens seine rechtmäßige Einwirkung bestritten werden, so lange der Träger eines erworbenen Rechts lebt. Hinterläßt er Erben, so haben diese zur Zeit der Erscheinung des neuen Gesetzes kein ver- letzbares erworbenes Recht. Mit anderen Worten: Alles Erbrecht ist rein positiv, und wenn dasselbe durch ein neues Gesetz an gewisse Bedingungen und Schranken geknüpft wird, so kann darin niemals ein Eingriff in erworbene Rechte gefunden werden. Wir wollen Dieses auf den oben als Beispiel gewählten Fall anwenden. Wenn das neue Gesetz, welches die Sklaverei beseitigen wollte, die Bestimmung gäbe, daß in Zukunft kein Erbe durch Erbfolge das Eigenthum von Sklaven erwerben könnte, so läge darin gewiß nicht die Verletzung eines erworbenen Rechts. Diese Betrachtung gründete sich auf das nahe Ende jedes menschlichen Lebens. Eben dahin aber führt die Er- wägung des Anfangs. Jeder Mensch muß den Rechts- zustand anerkennen, den er bei seiner Geburt bestimmt findet. Wenn also vor seiner Geburt ein Rechtsinstitut durch neues Gesetz aufgehoben oder umgebildet wird, so kann wenigstens ihm nicht ein erworbenes Recht dadurch verletzt seyn Meyer p. 34. 35. Vgl. oben § 395. b. — Ein Gesetz, wel- ches die Lehen oder Fideicommisse aufhebt, verletzt daher gewiß nicht die Rechte Derjenigen, die erst später erzeugt werden. . VIII. 35 Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Durch diese Gründe sollte jedoch nur die Behauptung un- bedingter Rechtswidrigkeit aller Gesetze der hier betrachteten Art widerlegt werden. Ich bin aber weit entfernt, damit der schrankenlosen und willkürlichen Einwirkung durch solche Gesetze das Wort reden zu wollen. Es sollte vielmehr die ganze Frage von dem absoluten Rechtsboden entfernt, und in das Gebiet der Gesetzgebungspolitik hinüber geleitet werden, wo ihr wahrer Sitz ist, und wo vielen verderb- lichen Mißgriffen entgegen gewirkt werden kann durch die ernste Aufforderung zur Vorsicht, Besonnenheit und Mäßigung. Die Hauptgesichtspunkte, worauf es ankommt, möchten etwa folgende seyn. Die erste Vorsicht muß dahin gehen, nicht leichtsinnig zu verfahren, nicht ohne Noth ein Bedürfniß zu Gesetzen solcher Art anzunehmen, also mißtrauisch zu seyn gegen die aus bloßen Theorien abgeleitete, durch angebliche öffentliche Meinung unterstützte, Behauptung, daß das gemeine Wohl eine Neuerung erfordere. Zweitens ist in die Ausführung die höchste Schonung und Billigkeit zu legen. Diese wird bei den meisten und wichtigsten Gesetzen dieser Klasse, die sich auf stets fort- währende Rechtsverhältnisse beziehen (§ 399. I. ), darin be- stehen müssen, daß ein Rechtsinstitut nicht aufgehoben, sondern umgebildet, das Rechtsverhältniß aus einem unab- löslichen in ein ablösliches verwandelt werde. Wird in dieser Weise auf eine wahre, vollständige Entschädigung des Berechtigten hingewirkt, so hat das Gesetz seinen Be- §. 400. B. Daseyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit. ruf erfüllt. Dieses ist nicht schwer in den zahlreichen Fällen der Reallasten aller Art, bei welchen in der Regel nur zwei Personen einander gegenüber stehen. Jeder wahre politische oder volkswirthschaftliche Zweck wird durch die Ablösung mit Entschädigung vollständig erreicht, ohne Be- reicherung des einen Theils auf Kosten des anderen, die durch die Natur solcher Gesetze auf keine Weise zu recht- fertigen ist. Ein großartiges Beispiel solcher Entschädigung ist in neuerer Zeit durch die Englische Sklavenemancipation gege- ben worden, indem der Staat die Eigenthümer der Sklaven aus seinem Vermögen für den verlornen Werth entschädigte. Sehr schwierig ist die Lösung dieser Aufgabe bei der Aufhebung von Lehen und Fideicommissen, indem hier die Ansprüche und Erwartungen der zur Nachfolge berechtigten einzelnen Personen in hohem Grade ungewiß sind. Eine Verminderung des Nachtheils kann darin gesucht werden, daß die Ausführung etwas verschoben wird (§ 399. o ). In manchen Fällen ist gar keine Entschädigung nöthig, sondern nur die Vermittlung eines Uebergangs, welche zur Abwendung jedes möglichen Nachtheils hinreichend seyn kann. So ist es geschehen in den zahlreichen Fällen, in welchen die Preußische Hypothekenordnung an die Stelle des bisher geltenden gemeinrechtlichen Pfandrechts gesetzt wurde. Es kam dabei nur darauf an, den bisherigen Pfandgläubigern ihr Recht und ihre Priorität zu erhalten. Dieses geschah, indem sie öffentlich aufgefordert wurden’ Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. sich binnen einer bestimmten Frist zu melden, um in die neuen Hypothekenbücher nach der Rangordnung, die ihnen ihr bisheriges Recht anwies, eingetragen zu werden. Nicht einmal einer solchen Vorkehrung, noch weniger einer Entschädigung, bedurfte es, als Justinian das bis dahin bestehende zweifache Eigenthum aufhob (§ 299. n ). Denn durch diese Veränderung verlor Niemand ein Recht oder einen Vortheil, und es wurde nur der vom Gesetz- geber selbst ausgesprochene Zweck erreicht, die Gemüther der studirenden Jugend von dem Schrecken zu befreien, den ihnen bis dahin die in dieser Lehre erhaltene unnütze Ge- lehrsamkeit eingeflößt hatte. Berlin, gedruckt in der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.