Ein Lehrgedicht von Friedrich Rückert . Die Weisheit des Brahmanen, ein Lehrgedicht in Bruchstücken. Von Friedrich Rückert . Zweites Bändchen. Leipzig , Weidmann ' sche Buchhandlung . 1837. V. Rückert, Lehrgedicht II. 1 1. M annhafte Poesie ist was ich hier, o Sohn, Dir bringe, denn du hast die knabenhafte schon. Mannhafte Poesie, die Grundsatz und Gedanken Fuͤhrt gegen Fantasie und Traumwerk in die Schranken: Das Kindermaͤrchen aus der Vorzeit Ammenstuben, Von Saͤngern, Koͤnigen, Rittern und Reutersbuben; Voruͤber tanzte dir der bunte Spuk, woruͤber Du einst dich freutest, freu dich nun, das ist voruͤber. Nicht stehen bleiben sollst du mir beim Knabenhaften; Wer werden will ein Mann, darf nicht am Knaben haften. 1* 2. Zum Festtisch soll man Aufgewaͤrmtes nicht auftischen, Mit frischer Speise soll man frische Gaͤst' erfrischen. Doch aufgewaͤrmt ist nicht, was von der Vorzeit Tisch Uns zukam; immer bleibt die Paradisfrucht frisch. 3. Des Bechers schoͤnster Platz ist in des Trinkers Hand, Und nur ein schoͤnrer noch an seiner Lippen Rand. O waͤre so mein Buch ein Becher jede Stunde, Bald in des Freundes Hand und bald in seinem Munde. 4. Der Menschheit Groͤßtes moͤcht' ich euch im Spiegel zeigen, Und ihr Geringstes auch im Bilde nicht verschweigen. Denn manche werden durch des Großen Vorbild frei, Und manche troͤsten sich, daß schoͤn auch Kleines sei. 5. Ein anspruchvolles Buch will im Zusammenhang Gelesen seyn, und macht euch schwer den langen Gang. Dis anspruchlose macht die kurzen Gaͤng' euch leicht; Denn wo ihr stillstehn wollt, habt ihr ein Ziel erreicht. 6. Ein Bruchstuͤck, welches auf sein Ganzes sich besinnt, Ergaͤnzung immer sucht, und nimmer sie gewinnt: So findet sich der Mensch, wie er wird sein bewußt; Und an den Menschen knuͤpft den Menschen diese Lust. Ein Ganzes werden nie Bruchstuͤcke groß und klein; Ergaͤnzung findet doch die Welt in Gott allein. 7. Es ist ein altes Wort, die Seele sei ein Licht, Das alles um sich her erleuchtet, sich nur nicht. Von seinem Glanze wird die Schoͤpfung dir erschlossen, Allein des Lichtes Kern bleibt deinem Blick verschlossen. Als wie die Sonne rings mit tausend Stralen sieht, Wenn ihren Anblick selbst dir ein Gewoͤlk entzieht. Zwar vor der Sonne wird der Wolkenflor zerrinnen; Und wird vorm Geiste so die Nacht auch gehn vonhinnen? Vonhinnen gehet sie, du schaust das Licht der Wonne, Und siehst, geblendet, nichts, als saͤhst du in die Sonne. 8. Das Gluͤck des Mannes kann nicht Etwas seyn, o Sohn, Wo einer wenig hat und einer viel davon. Das Gluͤck muß etwas seyn wie Luft und Licht und Leben, Das allen allgemein, ist allen gleich gegeben. Nicht Reichthum kann es seyn und Macht und solche Gaben, Wovon den einen fehlt soviel die andern haben. Nicht Weisheit kann es seyn und Kunst, zu deren Stufen Die wen'gen kommen, die besonders sind berufen. Nur gut seyn ohne Groll ist hoͤchstes Gut des Manns, Weil gut seyn jeder soll, und wer es will, der kanns. 9. Wenn du nur die Natur, wenn du nur die Geschichte Befragtest, was dir die und die von Gott berichte; In manigfacher Kraͤft' und ew'gen Streits Urkunden, Viel Goͤtter haͤttest du, nicht Einen Gott, gefunden; Und wenn nicht mehrere, doch statt des Einen Zwei, Wovon der eine gut, der andre boͤse sei. In dir nur findest du, nicht in der Welt Getoͤse, Daß Einer nur ist gut, und nichts durch ihn das Boͤse. 10. „Dir scheinet heute dis, und jenes scheint dir morgen; Das Wahre, wie es scheint, bleibt immer dir verborgen.“ O nein, bald seh' ich den, bald seh' ich jenen Glanz; Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechsel ganz. 11. Von so viel Lehrern scheint mir jeder Recht zu haben; Als Manne geht es mir, wie es mir gieng als Knaben. Dort war ich Schal' und Kern zu sondern nicht im Stande, Nun unterscheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande. 12. Gar mancher haͤtte Recht, wenn man ihn recht verstaͤnde; Und man verstaͤnd' ihn, wenn das rechte Wort er faͤnde. Wir aber wollen, statt beim Wort ihn streng zu fassen, Nachsehn, was Gutes sich dabei mag denken lassen. 13. Oft dient ein Irrthum nur den andern wegzuraͤumen; Wir sehn der Wahrheit Spur, wo mag sie selber saͤumen? Ein neues Vorurteil muß uns von alten heilen; Wer aber macht uns heil von neuen Vorurteilen? 14. Ein Doppelbuͤndelein hat jeder Mann empfangen, Das er halb vorn herab und halb laͤßt hinten hangen. Die Fehler traͤgt er vorn, die seinen Naͤchsten schmuͤcken, Doch seine eigenen sind schwer auf seinem Ruͤcken. So sieht er immer die der andern, seine nie, Allein es gleicht sich aus: die andern sehen sie. 15. Hast du den Wunsch erreicht, daß er nicht mehr entweicht, O jauchze nicht! ein Weh lauscht hinter ihm vielleicht. Denn siehst du? sticht der Dorn des Knaben Finger nicht Gerad im Augenblick, wo er die Rose bricht? 16. Gleich einer Herberg' ist die Welt, in der am Abend Ein Reiter kehret ein, am Morgen weiter trabend. Gleich einer Blume ist die Luft der Welt, die fruͤhe Erbluͤhet, und nicht ahnt, daß sie vor Nacht verbluͤhe. 17. Was diese Welt dir giebt, was diese Welt dir nahm; Macht dir das eine Lust, macht dir das andre Gram? Was sie dir gab, davon mußt du einst Rechnung legen; Was sie dir nimmt, dein Lohn dafuͤr ist Gottes Segen. 18. Dem Manne steht es an, zu thun soviel er kann; Was zuthun mag das Gluͤck, das liegt nicht an dem Mann. Wenn er das Gluͤck besiegt, wird seinem Muth gehuldigt; Und wenn er unterliegt, so ist er wohl entschuldigt. 19. Ein Gluͤck, das ploͤtzlich kam, wird ploͤtzlich wieder gehn; Das langsamer gereift, wird laͤnger es bestehn? Nein! ohne Dauer ist hier jede Bluͤt' im Garten, Und unverwelklich bluͤht nur das, was wir erwarten. Laß jedes Gluͤck verbluͤhn, wenn dir nur eines bleibt, Die Hoffnung, die am Zweig stets neue Knospen treibt. 20. Der Zweifel treibt dich an, der Zweifel macht dich stocken, Er dient zu hemmen dich, und vorwaͤrts dich zu locken. Der vorwaͤrts treibende nie ruhende ist gut, Schlimm ist der stockende verstockte Zweifelmut. Daß etwas Gutes sei und Schoͤnes zu erstreben, Dem Guten wird darob kein Zweifel sich erheben. Daß etwas Gutes schon erstrebt und Schoͤnes sei, Dem Besten wohnt darob der groͤßte Zweifel bei. Zu immer hoͤhern Hoͤhn giebt dir der Zweifel Schwung, Doch in den Abgrund stuͤrzt dich die Verzweifelung. 21. Was unterscheidet Kunst von Wissenschaft? Das Koͤnnen; Dem muß den Vorrang doch das stolze Wissen goͤnnen. Wohl weiß die Wissenschaft, wie etwas sollte seyn, Doch machen kann sie's nicht, das kannst du, Kunst, allein. 22. Wag' es wenn du's vermagst, von beiden Lebenssfaͤren Die hier fuͤr Schein, die dort fuͤr Wahrheit zu erklaͤren! Und sieh die Wirklichkeit fuͤr einen Schatten an, Der dort vom fernen Licht sich streckt zu dir heran! Dagegen laß nur auch dem andern seinen Glauben, Der diese Wirklichkeit sich nicht will lassen rauben, Und selbst das Ewige fuͤr einen Schatten haͤlt, Der von dem Sinnlichen hinaus ins Leere faͤllt. Du kannst den Schatten hier nicht leugnen, der dich neckt, Und er dort jenen nicht, der ihm ein Grauen weckt. Ihr theilet beide gleich die Welt in Licht und Schatten, Und tauscht die Namen nur, wer will's euch nicht gestatten? 23. Der Mond rollt um die Erd', und um die Sonne sie, Und die um hoͤhere Sonn', und um noch hoͤhere die! Und immer weiter so, und immer weiter nur? In der Unendlichkeit verliert der Geist die Spur. Unendlich sei die Kraft, unendlich sei das Leben, Doch nicht unendlich sei der Raum deswegen eben. Was waͤr' Unendlichkeit die aͤußerliche so? Der innerlichen nur des Geistes bin ich froh. Jenseit der Koͤrperwelt muß eine Lichtwelt stehn, Aus der sie niedersank, in die sie auf will gehn. Die Sonnen leuchten nicht von ihrem eignen Lichte, Sie leuchten von dem Licht auf Gottes Angesichte. Licht ist das geistige Kleid, das diese Welt umfließt, Das sich an jedes Glied des großen Leibes schließt. Dis geistige Netz, gewebt aus Gottes Liebesblicken, Will immer bruͤnstiger die Koͤrperwelt umstricken. Und jedes Glied schließt an ein hoͤheres sich an, Durch dessen Zug es will gezogen seyn hinan. Zu Sonnen werden, die sich stark im Licht verklaͤren, Von deren Ausfluß dann die schwaͤcheren sich naͤhren. Doch wie sie nach dem Saum des Lichtes ewig greifen, Zu Sonnen werden auch die letzten endlich reifen. Und was auf ihnen ist, reift durch der Sonnen Kraft, Die Welt wird durch und durch mehr und mehr sonnenhaft. O Geist, mit diesem Thau mußt du dich auch befeuchten, Wenn du in diesem Bau mit willst als Sonne leuchten. 24. „Der Welt Grunduͤbel“ nennt den leeren Raum ein Weiser; Und widersprechen wird kein Bettler und kein Kaiser. Des Beutels leerer Raum, der leere Raum des Magens, Ist jedes Uebels Grund und jedes Unbehagens. Ob leer kein Weltraum sei vom Glanze der Gestirne, Ist mehr als einer doch in mehr als einem Hirne. Manch leeren Raum hat auch manch uͤbervolles Buch, Wie diesen hier, den fuͤllt vom leeren Raum der Spruch. 25. Die Koͤrperwelt bedarf des Lichtes, um Gestalten In immer reicherer Entwicklung zu entfalten. Die Geister, die im Stoff gefangen, werden frei, Nur wo der freieste traͤgt zur Befreiung bei. Das Licht hinwieder auch bedarf der Koͤrperwelt, Weil Manigfaltigkeit es nur durch sie erhaͤlt. Denn es ist einfach eins und strebt zu scheinen vieles, Das ist der Zweck des mit der Welt getriebnen Spieles. Zu sieben Farben wirds an jedem Wolkensaum, Und tausendfache Bluͤt' und Frucht an jedem Baum. Es freut sich seines Spiels, und ihm zum Spiel zu dienen Freut sich die Welt, und wir freun billig uns mit ihnen. 26. „Was machst du an der Welt? sie ist bereits gemacht.“ Um deine Freiheit hat dich dieser Spruch gebracht. Ja, fertig wenn die Welt gemacht waͤr' und vollendet, Verloren waͤr' an ihr dein Ringen und verschwendet. Doch sie ist nicht gemacht, du sollst sie helfen machen, Und dazu hat die Kraft dir Gott verliehn, dem schwachen. Nicht fertig ist die Welt, sie ist im ew'gen Werden, Und ihre Freiheit kann die deine nicht gefaͤrden. Mit todtem Raͤderwerk greift sie in dich nicht ein; Du bist ein Lebenstrieb in ihr, groß oder klein. Sie strebt nach ihrem Ziel mit aller Geister Ringen, Und nur wenn auch dein Geist ihr hilft, wird sie's erringen: Sie setzt dir Schwierigkeit entgegen zwar und Schranken; Doch, raͤumt dein Geist sie weg, so wird sie dir es danken. 27. Ich, der Gefangne, der mit seinen Ketten spielt, Der blinde Schuͤtze, der nach hohem Ziele zielt; Der, Geistern anverwandt, ans Thier gebundene, Sich selber suchend, stets sich selbst entschwundene; Der nicht weiß, was er ist, war oder werde seyn: Was waͤr' ich denn, wenn ich nichts waͤr' als ich allein? Ich bin auch du, weil du das bist, was in mir ist; Ich bin mehr als ich bin, weil du mein Alles bist. 28. Ob eine Wahrheit ist in dieser falschen Welt, Ich weiß nicht; minder noch, wo sie versteckt sich haͤlt. Daß eine Wahrheit war, schließ' ich aus ihrem Namen, Denn war und Wahrheit scheint ersproßt aus gleichem Samen. Doch wenn sie einmal war, wird sie dort ewig seyn, Wo alles ist was war, dort geht sie aus und ein. Dort werd' ich einst sie sehn in eigenster Gestalt: Jetzt scheint ihr Licht von dort herab durch Wolkenspalt. Sie ist die Sonne, die nicht selbst zur Erde kommt, Doch ist in ihrem Schein, was uns zum Leben frommt. Wie ist der Wahrheit Schein genannt? Wahrscheinlichkeit, Damit behelfen wir uns vorderhand zur Zeit. 29. Dein Amt, Gebildeter, und deine Aufgab' ist, Aussprechen was du fuͤhlst, darstellen was du bist. Denn Alles in der Welt ringt sich zu stellen dar, Und spricht sich unklar aus, du aber sollst es klar. Aufklaͤren sollst du uns dis Dunkel, und erklaͤren, Wie schoͤn die Dinge, wenn wir klar sie saͤhen, waͤren. 30. Die Sinne luͤgen nicht, schwach aber sind die Sinne; Wir werden nicht durch sie des Dinges Innres inne. Wir sehn vom Aeußern auch die eine nur der Seiten, Und die undeutlich selbst, wenn wir sie sehn vom weiten. Bei weitem sehen wir dem Ding nicht alles an, Doch alles, was daran wir sehn, ist wirklich dran. 31. Am Dinge zweifeln kannst du, was und ob es sei; An deinem Ich faͤllt dir gewis kein Zweifel bei. Dis ist der Ausgangspunkt: sei deiner nur gewis! Zu allem Wissen kommst du so ohn Hindernis. 32. Das Ding ist außer dir, weil du von dir es trennst, Doch ist es auch in dir, weil du's in dir erkennst. Gedoppelt also ist das Ding und zwiegestaltig, Im Widerspruch mit sich erscheint es dir zwiespaltig. Doch durch den Widerspruch hebt es sich auf mitnichten; Es fordert dich nur auf den Widerspruch zu schlichten. Du magst das innre Ding ein Bild des aͤußern nennen, Oder das aͤußre fuͤr das innere Bild erkennen. Ein Spiegel bist du nicht allein der Welt, sie ist Ein Spiegel auch, darin du selbst dich schauend bist. 33. Dort wo das Wissen mit dem Seyn zusammenfaͤllt, In dem Bewußtseyn ist der Mittelpunkt der Welt. Nur im Bewußtseyn was du findest, ist gefunden, Wo sich ein Aeußeres dem Inneren verbunden. Nur im Bewußtseyn wenn dir Gott ist aufgegangen, Hast du ihn wirklich, und gestillt ist dein Verlangen. Du hast ihn nicht gedacht, er ward dir nicht gegeben, Er lebt in dir, und macht dich und die Welt dir leben. 34. Ich bin der Geistersonn' ein ausgesandter Stral, Und solcher Stralen sind unzaͤhlbar eine Zahl. Wir sind der Sonne Glanz zusammen alzumal, Doch ist ein eigen Licht fuͤr sich ein jeder Stral. O Wunder, Eine Sonn' ist Alles alzumal, Und ganz die große Sonn' in jedem kleinsten Stral. 35. Ich seh' auf dieser Stuf', auf der ich bin gestellt, Nichts, wenn mein Blick sich hebt, viel, wenn er abwerts faͤllt. Tief seh' ich unter mir, und tiefer stets hinunter, Ein reges Lebensheer, ein Wimmeln ewig munter. Doch wenn ich blick' empor, so seh' ich nichts als Licht; Reicht, die hinunter reicht, die Leiter aufwerts nicht? Wol reicht sie auch hinauf, wol werden zwischen mir Viel hoͤhre Wesen stehn und, Hoͤchstes, zwischen dir. Allein ich seh' sie nicht, von deinem Licht geblendet, Das seine Kraft mir nur zum Niederblicken sendet. In tausend Bildern seh' ich hier dein Bild gewoben, Das troͤstet mich, daß ich dich selbst nicht sehn kann droben. 36. Gott ist von keinem Raum, von keiner Zeit umzirkt, Denn Gott ist da und dann, wo er und wann er wirkt. Und Gott wirkt uͤberall, und Gott wirkt immerfort; Immer ist seine Zeit, und Ueberall sein Ort. Er ist der Mittelpunkt, der Umkreis ist Er auch, Weltend' und Anfang ist sein Wechselauseinhauch. 37. Wol der Gedanke bringt die ganze Welt hervor, Der, welchen Gott gedacht, nicht den du denkst, o Thor. Du denkst sie, ohne daß darum entsteht die Welt, Und ohne daß, wenn du sie wegdenkst, sie wegfaͤllt. Aus Geist entstand die Welt, und gehet auf in Geist, Geist ist der Grund, aus dem, in den zuruͤck sie kreist. Der Geist ein Aetherduft hat sich in sich gedichtet, Und Sternennebel hat zu Sonnen sich gelichtet. Der Nebel hat in Luft und Wasser sich zersetzt, Und Schlamm ward Erd' und Stein, und Pflanz' und Thier zuletzt, Und menschliche Gestalt, in der der Menschengeist Durch Gottes Hauch erwacht, und Ihn, den Urgeist, preist. 38. Was ist die Schoͤnheit, Herz? das Spiegelbild der Liebe. Die Liebe fuͤhlte Schmerz, daß ungeliebt sie bliebe. Die Thraͤne, die ihr quoll, mußt' ihr zum Spiegel dienen; Sie kannte selbst sich nicht, wie sie sich drin erschienen. Sie rief: O schoͤn! Und Schoͤn heißt seitdem dieses Bild, Das aus dem feuchten Grund des Liebespiegels quillt. Der Spiegel und das Bild darin ist uns geblieben; Und wer die Schoͤnheit sieht, der muß die Schoͤnheit lieben. 39. Das Schoͤne stammet her vom Schonen, es ist zart, Und will behandelt seyn wie Blumen edler Art; Wie Blumen vor dem Frost und rauher Stuͤrme Drohen Will es geschonet seyn, verschont von allem Rohen. Rückert, Lehrgedicht II. 2 40. Was du verstehest, reizt dich wenig; was du nicht Verstehst, spricht dich nicht an; was willst du vom Gedicht? Du willst mit Recht, es sei verstaͤndlich-unverstaͤndlich, Vollendet an Gestalt, doch an Gehalt unendlich. 41. Die Abendroͤthe kam, und sah zum Tod ermattet Das Leben, Schlummer half, und sanft ward es bestattet. Die Nacht im Trauerflor, die dunkle Klagefrau, Gieng hinterdrein, und weint' aus Sternen kalten Thau. Doch Morgenroͤthe kam heran mit gluͤhnden Wangen, Und rief: Wo ist mein Kind? ich gluͤh' es zu umfangen. Gestorben! rief die Nacht mit letztem Thraͤnenguß. Da weckt' es rasch vom Schlaf der Morgenroͤthe Kuß. Die holde Mutter sprach: O duͤrft' ich bei dir bleiben! Doch schon die Sonne flammt, von dir mich zu vertreiben. Leb' wohl! auch diesen Tag und jeden mußt du sterben, Doch neues Leben stets von meinem Hauch erwerben. 42. Die Erde steht nie still auf ihrer Sonnenreise, Du kannst nicht stille stehn in deinem Sterbekreise. Du fernest dich von Gott, sobald du ihm nicht nahst, Und fuͤhlest deine Schuld, Herz, wann du Winter hast. 43. Was hat dich, Geist, vermocht aus Gott hervorzuwallen? Er hat dich nicht verbannt, du bist nicht abgefallen. Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben, Er wollte, daß er dich, daß du ihn koͤnntest lieben. Waͤrst du nicht außer ihm, wie koͤnntst du suchen ihn? Waͤr' er nicht außer dir, wie koͤnnt' er an dich ziehn? 2* 44. Warum oft gluͤcklich statt des Guten sei der Boͤse? Die Frage fragest du, und willst, daß ich sie loͤse. Den Knoten loͤs' ich nicht, ich hau' ihn so entzwei: Daß nie der Boͤse statt des Guten gluͤcklich sei. Er ist begluͤckt, wenn er ein Gluͤck weiß zu verdienen, Das einem Bessern nicht des Dienstes werth geschienen. Er ist anstelliger, arbeitsamer vielleicht, Und billig wird der Lohn dem Fleißigen gereicht. Es ist der Erde Lohn, der mit ihm wird begraben; Der Gute nur wird den des Himmels ewig haben. 45. Du sagst: „die Tugend darbt, indem das Laster prasset.“ Hast du der Tugend Werth so niedrig aufgefasset? Ist Ueberfluß ihr Lohn? der Lohn ist uͤberfluͤssig. Die Tugend aber darbt mit Recht, wenn sie ist muͤßig. Den Lohn der Arbeit, Brot, verdient der Boͤsewicht, Wenn er die Meerflut pfluͤgt, wenn er das Feld umbricht. Willst du ihn, frommer Mann, verdienen, reg dich frisch! Wo nicht, so nimm fuͤrlieb mit Duft vom Goͤttertisch. 46. Der Weise sollte seyn ein Koͤnig, und zum Lohne Der Weisheit tragen sollt' er auf dem Haupt die Krone. Doch soviel Weise giebts, wir hoffen's, in den Landen, Daß Koͤnigstellen gnug dazu nicht sind vorhanden. Auch Schade waͤr' es um den Weisen, wenn ein Kaiser Er oder Koͤnig wuͤrd', und bliebe nicht ein Weiser. Doch sollt' ein Koͤnig nur allein der Weise seyn, Der's auch als Koͤnig blieb, das Koͤnigthum gieng' ein. 47. Zusammen traten einst Gewalt und Macht und Staͤrke, Gemeinschaftliche Hand anlegend einem Werke. Mit Waffen die Gewalt, die Staͤrke mit dem Arm Geruͤstet, und die Macht mit einem Dienerschwarm. Doch waͤre nicht hinzu getreten auch die Kraft, Waͤr' ihr gesammtes Werk geblieben stuͤmperhaft. Nur wenig richten aus Gewalt und Macht und Staͤrke, O Koͤnig, wo die Kraft des Geistes fehlt, das merke. Denn goͤttlich ist die Kraft, und weltlich jene drei; Was kann die Erde thun, steht nicht der Himmel bei! 48. Unkoͤniglicher doch ist keine Eigenschaft Als Misgunst, durch sie wird ein Koͤnig bettelhaft. Ein Bettler nur misgoͤnnt dem andern ein Stuͤck Brot, Weil seinem Sack entgeht, was jenem dar sich bot. Ein Koͤnig aber braucht nichts einem zu misgoͤnnen, Weil er nicht selber braucht, was andre brauchen koͤnnen. Dem Koͤnig stehet an und ziemet Gunst vor allen, Und seine Ungunst mußt du lassen dir gefallen. Doch seine Misgunst ist ein Daͤmon schadenfroh, Der selber ihm misgoͤnnt, zu werden gnadenfroh. 49. Die Untern bilden sich nach ihrer Obern Bilde, Zu Dumpfheit oder Sinn, zu Herbheit oder Milde. Die Weisen haben dis zur unbedingten Huldigung Der Fuͤrsten nicht gesagt, noch zu des Volks Entschuldigung. Denn schlecht nicht muͤssen seyn, die schlechtes Muster haben, Doch doppelt suͤndigen, die boͤses Beispiel gaben. 50. Ein Fuͤhrer kraͤftigt sich am Anblick seiner Treuen, Wie ihre Kraͤfte sich an seinem Blick erneuen. Sie geben ihm Vertraun, und er gibt ihnen Muth, Sein Gut gibt er fuͤr sie, und sie fuͤr ihn ihr Blut. Er fuͤhlt in seinem Arm von tausenden die Macht, Und tausend Sinn' hat er auf einen Sinn gebracht. Wo also Herr und Heer sich fuͤhlet als ein Mann, Kein Wunder ist es wenn der Wunder wirken kann. Aus lockerm Staube wird ein Erdwall aufgeschuͤttet; Sonst wehte weg ein Wind, was jetzt kein Sturm zerruͤttet; So fest und stark ist, was der Eintracht Kitt verkuͤttet. 51. Wenn Du die Deinen fuͤhrst, bist du ihr Fuͤrst zu nennen; Fuͤhrst du zum Guten an, wer wird zum Schlechten rennen? Selbstherrscher ist, wer sich beherrscht, sein eigner Obrer, Und wer sich Herzen hat erobert, ein Erobrer. 52. Die leichtste Kunst fuͤr dich ist, Fuͤrst, geliebt zu werden; Nur liebreich brauchst du dich, nur menschlich zu geberden. Viel schwerer faͤllt es euch, daß ihr verhaßt euch macht; Und doch in dieser Kunst habt ihrs so weit gebracht. 53. Ein schlimmes Treiben ists, bei dem es nicht kann bleiben, Wenn keiner bleiben will bei dem was er soll treiben; Wenn jeder treiben will das was der andre treibt, Nicht Schafe treiben will, weil jener Boͤcke treibt; Nicht Moͤrtel reiben will, weil jener Farben reibt, Nicht Zahlen schreiben will, weil jener Verse schreibt; Nur hoͤher treiben will, was jeder hoͤher treibt, Nicht unten bleiben will, wenn einer oben bleibt. Ein schlimmes Treiben ists, bei dem es nicht kann bleiben; Kein Bleiben ist im Land, wo sie es also treiben. 54. Ein Schlechtes ist, wenn kommt das Gute, leicht verdrungen; Ein Leidliches nur wird vom Bessern schwer bezwungen. Denn Welt und Leben macht nicht Anspruͤch' unbescheiden; Solang es leidlich ist, wie sollten wirs nicht leiden? 55. Das Mittelmaͤßige nur ist des Guten Feind, Das Schlechte nicht, weil Schlecht und Gut sich nie vereint. Das Schlechte laͤßt sich nie dem Guten aͤhnlich drechseln, Sie sehn sich gar nicht gleich und sind nicht zu verwechseln. Das Mittelmaͤßige dagegen, weil es zwischen Gutem und Schlechtem liegt, droht beides zu vermischen. 56. Ein alter Weiser sprach: Den Mann mag's auch erbauen, Mit rechtem Sinne sich im Spiegel zu beschauen. Sieht er sein Antlitz schoͤn, so denk' er, etwas fehle, Wo nicht ein schoͤner Geist die schoͤne Form beseele. Und wo Unlieblichkeit er sieht in seinen Zuͤgen, So huͤt' er sich, hinzu unholden Sinn zu fuͤgen. 57. Aus vier Grundstoffen ist gemischt die Koͤrperwelt, Die als Grundstimmungen dein Innres auch enthaͤlt. Der Zorn ist eine Glut, dem heißen Feuer gleich, Die Traurigkeit wie Flut des Wassers feucht und weich. Die Lust ist wie die Luft, leicht, licht und wandelreich, Die Furcht wie Erdengruft, schwer, dumpf und todtenbleich. Laß deines Zornes Glut nie werden wilde Wuth; Sie sei ein steter Muth im Kampf fuͤrs hoͤchste Gut. Den Glutmuth daͤmpfe dir die Traurigkeit zur Demuth; Schwimm, und verschwimm nur nicht, in Sehnsucht und in Wehmuth; Im Weh' ist eine Wonn', und in der Lust ein Leid; Die reinste Lebenslust ist Liebe ohne Neid. Aus Furcht kommt Neid und Geiz und aller Selbstsucht Pein; In deinem Herzen sei nur Gottesfurcht allein. 58. Das Wasser strebt hinab, das Feuer strebt hinauf, Und zwischen beiden hat die Luft den staͤten Lauf. Die Erde aber ruht, geht weder auf noch nieder. Das sind des Weltgebaͤus nothwendige vier Glieder. Dieselben sind in dir; dein Wasser kommt von oben, Und zu der Hoͤhe hat dein Feuer sich erhoben. Frei schwebet deine Luft, der Weltvermittlung Odem, Und unerschuͤtterlich ruht deiner Erde Bodem. 59. Die Erd' im Schwesterchor kann wohl mit ihrem Loße Zufrieden seyn, und du sei's auch in ihrem Schoße! Gemessen ist ihr Theil nach gutem Mittelmaße, Sie wandelt, sich zum Heil, die goldne Mittelstraße; Der Sonne nicht so fern, um wie Saturn zu frieren, Noch wie Merkur so nah, um drin sich zu verlieren. Du siehst am besten auch des Koͤnigs Angesicht, Nicht ganz und gar entfernt, doch alzu nahe nicht. Und wenn sie mit Gefolg wie Jupiter nicht schreitet, So geht sie auch wie Mars nicht voͤllig unbegleitet. Ihr einer treuer Mond genuͤgt ihr zum Begleiter, Und dir genuͤgt ein Freund, du brauchest keinen weiter. 60. Sieh, wie in einem Wort die Zukunft du vereinst Mit der Vergangenheit, in voreinst und dereinst. Einmal gewesen ists, und einmal wird es seyn, Das Gluͤck, das niemals ist, es ist doch zweimal dein. 61. Ein Reich des Friedens ist, der Unschuld einst gewesen, Und wieder wird vom Weh die Menschheit einst genesen. Fern in der Zukunft steht und in Vergangenheit Das Heil, und troͤstet uns im Unheil dieser Zeit. Gewis, es war einmal, und wird auch einmal werden, Nur fragen laͤßt sich, ob im Himmel, ob auf Erden? Dort gnuͤgt' es selber mir zu meinem eignen Frommen, Allein ich wuͤnscht' es hier fuͤr die so nach mir kommen. 62. Das Sehn hat man umsonst, wenn nicht das Sprichwort luͤgt; Verlust ist beim Besitz: wohl, dem das Sehn genuͤgt! Doch sagt ein andres Wort! Vom Sehn wird man nicht satt; Wohl dem, der vieles sieht, und etwas eignes hat! 63. In jeder neuen Lag' ist freilich etwas schlimmer Als in der alten, doch auch etwas besser immer. Soll dir die neue Lag' ertraͤglich seyn, so schlag Das Beßre richtig an, das Schlimmre still ertrag. 64. Sind wir zum Lebensmahl berufen, um zu fasten? O nein! da waͤre schlimm bei unserm Wirthe gasten. Zum Fasten lud uns nicht der Herr zu seinem Feste, Er freut sich, daß des Mahls sich freuen seine Gaͤste. Fuͤrlieb nur nehmen sollt ihr, nicht euch uͤbernehmen, Vertraͤglich jeder auch dem Nachbar sich bequemen, Mit sinnigem Gespraͤch des Wirthes Tafel wuͤrzen, Und wenn ihr satt seid, euch zum Abzug dankbar schuͤrzen. 65. O Seele, glaub es nicht, was jene Denker sagen, Beim Denken muͤße man sich des Gefuͤhls entschlagen. Gefuͤhl ein Hindernis sei auf des Denkers Spur, Und selbst das Schoͤne steh' im Licht dem Wahren nur. Streng sei vom reinen Thun des Geistes auszuschließen Der Sinn; alsob so Sinn und Geist sich trennen ließen! Ich weiß nicht was sie so rein denkend vorgebracht, Ich aber habe stets gefuͤhlt, was ich gedacht. 66. Kind, lerne was du kannst, und frage nicht, wozu Einst das Gelernte dient, fuͤr jetzo lerne du. Das ist der Vorzug den die Jugend hat im Lernen, Daß ihr das Was steht nah, und das Wozu im Fernen. Dem Alter nachundnach muß dieser Muth verrauchen, Zu lernen ohne Zweck, wozu es sei zu brauchen. 67. Wievieles Wasser fließt in einem Strom zusammen, Und Holz wievielerlei geht auf in gleichen Flammen! Wer zaͤhlt die Geister, die in einem Geist verschwammen? Das Riesenkindlein saugt sich groß an vielen Ammen. Aus welchem Welttheil die und jene Blumen stammen, In einem Garten stehn sie alle schoͤn beisammen. 68. Zwei Sonnenstrale, von der Sonne ausgegangen, Vergaßen unterwegs, vonwannen sie entsprangen. Und haͤtten sie es nicht vergessen, waͤren sie Zur Sonne heimgekehrt, gelangt zur Erde nie. Zur Welt gelangten sie, und wirkten da geschaͤftig, Sonnenvergessen zwar, wirkten sie sonnenkraͤftig. Da kamen sie sich nah in ihrem Wirkungskreise; Wer bist du und woher? befragten sie sich leise. Ich weiß es nicht, allein du scheinst ein Fremdling mir; So bin ich einer auch, ich fuͤhls, ich gleiche dir. Und sind wir Fremdlinge, wo ist die Heimat nun? Dahin zusammen laß uns doch die Reise thun. — Der Sonn' Erinnrung gieng in beiden Stralen auf, Und freudig Hand in Hand nahmen sie heim den Lauf, Sich denkend unterwegs, daß jeder das gefunden Im Blick des andern, was ihm selber war geschwunden. Wie sollten sie vereint zur Sonne nicht gelangen, Die hier dem einen schon im andern aufgegangen? 69. Du klagest, daß die Welt so unvollkommen ist, Und fragst, warum? Weil du so unvollkommen bist. Wenn du vollkommen waͤrst, waͤr auch die Welt vollkommen, Die Unvollkommenheit waͤr ihr von dir genommen. Sie will Vollkommenheit nur mit dir selbst empfahn, Und du bist noch so weit zuruͤck auf dieser Bahn. Dank' ihr daß sie mit dir will halten gleichen Schritt, Und spute dich, daß sie auch vorwerts kommt damit! 70. Den Koͤrper mit dem Stein, das Leben mit der Pflanze, Die Seele mit dem Thier theilst du, o Mensch, fuͤrs Ganze. Vor Pflanze, Thier und Stein hast du voraus den Geist, Daß du ein Ganzes selbst, nicht nur fuͤrs Ganze seist. 71. O glaube nicht, daß du nicht seiest mitgezaͤhlt; Die Weltzahl ist nicht voll, wenn deine Ziffer fehlt. Die große Rechnung zwar ist ohne dich gemacht, Allein du selber bist in Rechnung mit gebracht. Ja mitgerechnet ist auf dich in alle Weise; Dein kleiner Ring greift ein in jene groͤßern Kreise. Zum Guten Schoͤnen will vom Mangelhaften Boͤsen Die Welt erloͤst seyn, und du sollst sie miterloͤsen. Vom Boͤsen mache dich, vom Mangelhaften frei; Zur Guͤt' und Schoͤne so der Welten traͤgst du bei. 72. Daß unerreichbar hoch das Vorbild alles Guten Und Schoͤnen ob dir steht, das sollte dich entmuthen? Ermuthen sollt' es dich, ihm ewig nachzustreben; Es steht so hoch, um dich stets hoͤher zu erheben. 73. Daß heilige der Zweck die Mittel, wird bestritten, Wir aber muͤßen nur Scheinheiligkeit verbitten. Der gute Zweck macht gut die Mittel, recht verstanden, Weil wir nie guten Zweck durch schlechte Mittel fanden. 74. Der Geist des Menschen fuͤhlt sich voͤllig zweierlei, Abhaͤngig ganz und gar, und unabhaͤngig frei. Abhaͤngig, insofern er Gott im Auge haͤlt, Und unabhaͤngig, wo er vor sich hat die Welt. Vorm Vater unfrei fuͤhlt sich so ein Sohn vom Haus, Selbstaͤndig aber wohl, sobald er tritt hinaus. 75. Sechs Woͤrtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag: Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben, Das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben. Ich muß, das ist die Schrank', in welcher mich die Welt Von einer, die Natur von andrer Seite haͤlt. Ich kann, das ist das Maß der mir verliehnen Kraft, Der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft. Ich will, die hoͤchste Kron' ist dieses, die mich schmuͤckt, Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedruͤckt. Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel, Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel. Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt, Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt. Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag, Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag. Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. 76. Bei seinem Vater hat das Kind nicht lernen wollen, Und in die Schule schickt' er es mit Liebesgrollen. Da schnarchte streng es an der Lehrer, der es lehrte, Daß zu des Vaters Lehr' es bald zuruͤck begehrte. In seine Lehre nahm der Vater es zuruͤck, Und nun gewitzigt lernt es fleißig und mit Gluͤck. 77. Ihr sagt, den Glanz des Lichts zu hoͤhen dient der Schatten; Und fuͤr die Koͤrperwelt will ich euch das gestatten. Doch fuͤr die Geisterwelt was soll des Boͤsen Schatten, Der nie dem reinen Licht des Guten sich kann gatten? Ohnmaͤchtig scheint die Kraft des Lichtes zu ermatten, Das nicht in seinen Glanz aufloͤsen kann die Schatten. Wie aber koͤnnten sich ins Licht aufloͤsen Schatten, Nachdem sie selber sich verstockt dagegen hatten? Wer loͤst den Widerspruch? Ein Ausweg kommt zu Statten: Licht wird er nicht, es wird in sich zunicht der Schatten. In Selbverzehrung wird des Boͤsen Grimm ersatten; Rein bleibt des Guten Licht, wo blieb des Boͤsen Schatten? Rückert, Lehrgedicht II. 3 78. Begreif, o Sohn, der Mensch ist eine kleine Welt, Enthaltend alles was die große nur enthaͤlt. Doch wie am Spiegelbild sich Rechts und Links umkehren, So gilt fuͤr Mensch und Welt Verschiedenheit der Lehren. Wenn Freundschaft Einheit ist, wenn Feindschaft ist Entzweiung, So hilft die Feindschaft erst dem Leben zur Befreiung. Sie bricht, daß Vieles sei, das starre Eins entzwei; Verschieden ist was lebt, der Tod ist einerlei. Du laß im Reich der Welt die hehre Zwietracht walten, Und lern' in deinem Zelt ihr Gegenbild entfalten. Laß aus der Kraͤfte Kampf des Lebens Fuͤlle sprießen, Um Frieden still mit dir und Gott und Welt zu schließen. 79. Begluͤckt der Weise, der ein kluges Weib gefunden, Die den genuͤgenden Beruf darin empfunden, Mit Sinnigkeit das Haupt des Sinnenden zu kraͤnzen, Den himmlisch strebenden auch irdisch zu ergaͤnzen, Der Sorge vorzustehn des Hauses und der Zeit, Daß seine Sorge sei nur Welt und Ewigkeit. 80. Verstand ist vom Verstehn, Vernunft ist vom Vernehmen; Die beiden brauchen sich nicht ihres Stamms zu schaͤmen. Verstanden haben zwar ist mehr als blos vernommen, Ein unverstandenes Vernommnes kann nicht frommen. Doch kann der Mensch verstehn nur was er recht vernahm, Was ihm von außen her, was ihm von oben kam. 3* 81. Unendlich fuͤhlest du dich in dir selbst, doch endlich Nach außen hin, und bist dir selber unverstaͤndlich. Versteh! Unendliches und Endlichs, das dir scheint So unvereinbar, ist durch Eines doch vereint. Du bist ein werdendes, nicht ein gewordnes Ich, Und alles Werden ist im Widerspruch mit sich. Unendliches, das wird, muß endlich sich geberden, Und Endlichs will, indem es wird, unendlich werden. 82. Wenn du das Hoͤhere vom Niedern voͤllig trennst, Nur jenes wahres Seyn, dis nicht'ge Taͤuschung nennst, So wird, emporgeruͤckt, dir jenes fern erblassen, Und dis, herabgedruͤckt, dir scheinen gottverlassen: Du wirst, was dich umgibt, als zu gering verachten, Als unerreichbar doch das, was dir fehlt, betrachten. Dann macht die Wirklichkeit, wie du sie moͤgest schelten, Ihr Recht auf dein Gefuͤhl nur um so derber gelten; Und jenes Ideal, wie hoch du's moͤgest preisen, Wird als ein Schattenbild unwirksam sich erweisen. So wird das eine dir durchs andere zunichte, Und deinem Bilde fehlts am Schatten wie am Lichte. Drum rath' ich dir, so ganz die zwei nicht zu entzwein; Ersprießlich ist dir nur von beiden der Verein. Du siehst, wie jeder Baum zum Sprießen haben muß Den Wipfel frei im Raum, im Boden fest den Fuß. Was du im Himmel schaust, das bring zur Erd' heran; Und was im Grund du baust, laß streben himmelan. Du magst an einer Frucht wol Kern und Schale trennen, Doch jeder mußt du Kern und Schale zuerkennen. Heil dir, wenn sich der Kern dir zum Genusse beut! Doch ists kein Schade, wenn dich auch die Schal' erfreut. 83. Den koͤrperlosen Geist mit schoͤnem Koͤrperschein Bekleiden, ist von Kunst die eine Seit' allein. Die andre Seite ist, den Leib zu Geist verklaͤren, Das Bild das sinnliche zum Sinnbild umgebaͤren. Beim halben Dichter laͤßt sich eins vom andern scheiden; Ein ganzer ist, wer ungetrennt vereint die beiden. 84. Das Gold der Menschheit wird bestaͤndig umgepraͤgt, Fuͤrst aber ist, wer Geld auf seinen Namen schlaͤgt, Im Reich des Geistes auch, nur daß er nicht so scharf, Wie jeder weltliche, Falschmuͤnzer strafen darf. 85. Das Boͤse hat nicht Macht, die Welt zu Grund zu richten, Denn nichtig ists in sich, und kann nur sich vernichten. Doch seine Wirkung kann es mittelbar erstrecken, Der boͤsen Seuche gleich, Gesundes anzustecken. Mittheilen kann sein Gift den Hang der Selbstzerstoͤrung; Kein Weiser halte sich gesichert vor Bethoͤrung. Hier ist die Leidenschaft, die selbst ihr Leiden schafft, Und dort der Zweifel, der hin zur Verzweiflung rafft. Das ist die Doppelform der Selbstzerstoͤrungswuth; Dagegen ist gering, was Welt und Zeit dir thut. 86. Traͤgt jeder doch genug! soll er nun helfen tragen Den andern auch, und sich mit ihrer Plage plagen? Selbst hilfst du ihnen nicht, wenn du dich plagst mit ihnen, Allein mit beßrer Huͤlf' und leichtrer kanst du dienen: Zeig' ihnen an dir selbst, daß nichts die Plage sei, Daß, wenn sie wollen, sie davon wie du sind frei. 87. Warum das große Ich der Menschheit sich gespalten In viele kleine, die uns auseinander halten? Daß auseinander sie uns halten, statt zusammen, Ist Schuld der Einzelnen, die aus dem Einen stammen; Daß sie in Einzelheit die Einheit nicht behuͤten, Wie einen Bluͤtenbaum ausmachen alle Bluͤten: So sollten, ohne daß sie ineinander schwammen, Die Eine Glut beseelt, auch ineinander stammen; Ein Baum der Weltvernunft, verzweigt in seine Ranken, Sich denkend Eines Geists eintraͤchtige Gedanken; Wo jeder goͤttliche Gedanke waͤr' ein Glanz Fuͤr sich, doch erst ein Licht zusammen alle ganz. Annaͤherung dazu ist jedes Geistes Macht, Der alles denket nach, was andre vorgedacht, Der selber denket vor, was nach ihm fort sich denkt, In jede Denkform sich, und jed' in sich versenkt. Vorahnend loͤst sein Geist der Geister Widerspruch, Wie Fruͤhling Wald und Feld in Einen Wohlgeruch. 88. Wenn du ans Goͤttliche stets halten willst dein Streben, Wie kanns davor bestehn? du mußt es ganz aufgeben. Doch, ist vom Goͤttlichen dein Streben abgekehrt, So hats gar alle Kraft verloren, allen Werth. In einer Mitte nur von fern und nah gewannst Du einen Standpunkt, wo du etwas willst und kannst. So hat dich Gott gestellt, und laͤßt dich wirken gerne Dein Werk, und wirkt durch dich, dir nah zugleich und ferne. Sowie ein Wandelstern die Kraft der Sonne braucht, Der er sich nicht entzieht, und nicht hinein sich taucht. 89. Wenn dich der Unmuth plagt in deiner Einsamkeit, Trag unter Menschen ihn, und sei davon befreit. Du siehst, sie sind vergnuͤgt; warum willst du dich graͤmen? O Schande, wenn sie dich an Lebensmuth beschaͤmen. Sie leiden und sind still, laß dirs zur Lehre dienen; Und klagen sie wie du, so troͤste dich mit ihnen. Nicht nur von Starken fuͤhlt der Schwache sich gestaͤrkt, Er selber fuͤhlt sich stark, wo er noch schwaͤchre merkt. 90. Du sagst, nothwendig hat das Beste Gott gemacht, Nicht besser konnte seyn die Welt hervorgebracht. Denn dem Allmaͤchtigen, Allguͤtigen, Allweisen, Geziemt das Beste nur aus des Denkbaren Kreisen. Nicht einmal willst du ihm, dem Allerfreisten, goͤnnen Die Freiheit, daß ers auch hab' anders machen koͤnnen! Ich aber sage dir, was mir ein Dichter sagte, Den ich um den Verhalt des hoͤchsten Dichters fragte. Er sprach: die Laien haͤlt ein Vorurteil gebunden, Wenn ein vollkommnes Werk sie haben vorgefunden, Zu meinen, daß es gar nicht anders koͤnne seyn, Und sich am ganzen Bau nicht ruͤcken lass' ein Stein. Am Bau, dem fertigen, ist freilich nichts zu ruͤcken, Doch zur Verfertigung gab es gar viele Bruͤcken. Und jeder Dichter weiß, wie gut ihm so die Sachen Gelungen, daß er sie auch anders konnte machen. Und macht' er anders sie, ihr stimmtet wieder bei, Daß dis das Best', und gar kein andres moͤglich sei. Gott der nach seiner Wahl hier macht' ein Bestes so, Ein andres Bestes macht er irgend anderswo. 91. Der Maler in der Nacht sehnt sich dem Tage zu, Denn was er malen soll, laͤßt ihm nicht Rast noch Ruh. Er kann es in der Nacht bei Kerzenschein nicht malen, Denn sein Gebilde soll von Lebensfarben stralen. Laß ihm den Tag aufgehn, und einen hellen Tag! Weil er am truͤben auch nichts helles malen mag. 92. Mein Goldschmidt, in Geduld mußt du die Zeit erwarten; Die Knappen laß im Berg erst machen ihre Fahrten. Im Huͤttendampfe laß Pochjungen wacker pochen, Und im Hochofen rein das Erz aus Schlacken kochen. Hier gilt die derbe Faust statt feiner Fingerspitze, Und vorarbeiten muß Handwerkerfleiß dem Witze. Wo ihr Beruf erlischt, beginnet deine Sendung; Sie liefern dir den Stoff, du gibst ihm die Vollendung. 93. Wenn es nicht weiter geht, gelobt sei Gottes Macht! Manch besserer als du hats nicht soweit gebracht. Und wenn es weiter noch soll gehn, in Gottes Namen! Solang ich vorwerts soll, laͤßt er mich nicht erlahmen. 94. Mich freuts am Abend nicht, daß mir manch Lied entsprungen; Mich freuts nur, wenn ich weiß, daß keines mir mislungen. Was thuts, wenn keins entsprang? doch wenn nur eins mislang, Mit diesem muß ich dann mich plagen tagelang. Ich kann ihm nicht entziehn das Leben, ihm verliehn; Das misgeborne Kind, ich muß es doch erziehn. 95. Am Schoͤnen fehlt es nicht, fuͤrs Schoͤne nicht am Sinn Warum wird nie der Welt das Schoͤne zum Gewinn? Das Schoͤne, wie der Sinn dafuͤr, ist so zerstreut, Daß selten eines sich des andern recht erfreut. 96. Sie sagen dir, nichts sei wie Eigenlob zu hassen: Uns sollst du loben, und von uns dich loben lassen! Doch wenn du sie nun lobst, daß sie dich wieder loben, Und sie dich preisen, um von dir zu seyn erhoben; Ist dieser Eigenruhm, weil er umstaͤndlicher Geworden ist, darum ein minder schaͤndlicher? Ihr habet nur das Amt einander zugeschoben, Einer den andern, statt jeder sich selbst, zu loben. 97. Das Uebel ist bestrebt sich selbst zu uͤberwinden, Denn nur das Uebel lehrt den Menschen Kuͤnst' erfinden; Das aber ist der Zweck von Kunst und Wissenschaft, Dem Uebel in der Welt zu brechen Spitz' und Kraft; Aus der Nothwendigkeit und des Naturzwangs Ketten Den Menschen ins Gebiet der Freiheit hinzuretten. Durch Kunst und Wissenschaft ist er soweit entronnen, Hat durch sie der Natur soviel schon abgewonnen; Durch Uebung mehr und mehr wird er derselben Meister, Bis endlich wird sein Geist beherrschen ihre Geister. 98. Das zu entwickeln, was Gott in den Keim gelegt, Ist des Erziehers Amt; wohl, wenn ers recht erwaͤgt! Du kanst mit deinem Geist auf einen Geist einfließen, Um, wie den Pflanzenkeim die Sonn', ihn aufzuschließen. Das Licht entwickelt zwar nur was im Keime lag, Doch ohne Licht waͤrs nicht gekommen an den Tag. So kanst du auch ins Herz, was drin nicht liegt, nicht legen, Doch jenachdem du es anregest, wird sichs regen. Nur ist ein wirklicher, der unentwickelt blieb, Bei weitem vorzuziehn falschangeregtem Trieb. Denn Unentwickeltes kann spaͤter sich entfalten, Doch Falschentwickeltes steht fest in Misgestalten. 99. Zum Unbedingten, das nicht hier ist bei den Dingen, Ringt, o bedingter Geist, dein unbedingtes Ringen, Denn von den Dingen weist dich ein bedingtes fort Zum andern, und zuletzt zum Unbedingten dort. Im Unbedingten dort, in welchem die Bedingung Alles Bedingten ruht, ist deiner Ruh Erringung; Im Unbedingten, das, indem es sich bedingt, Die Dinge und hervor dich selbst, Bedingter, bringt. Das Unbedingte hat sich selbst hervorgebracht, Bedingter Geist, in dir, indem du's hast gedacht. 100. Das ist nicht Weisheit, die nur sich fuͤr Weisheit haͤlt, Und sich in fremder Bloͤß' Entdeckung wohlgefaͤllt. Einseitig ist und war die Weisheit aller Weisen; Du wirst Allseitigkeit nicht als dein Vorrecht preisen. Jedweder Mensch ist doch nur eine von den Seiten Der Menschheit, welche sich ergaͤnzen und bestreiten. Auch eine bist du nur; daß du dich still ergaͤnzest Mit andern, nuͤtzt dir mehr, als daß du streitend glaͤnzest. 101. Des armen Menschen Gluͤck ist meistens ein Vermeiden Des Ungluͤcks, seine Lust Abwesenheit der Leiden. Verderben droht, und weicht, frei hebt er seine Brust, Das nennt er dann sein Gluͤck, das nennt er seine Lust. 102. Hat doch jede Geburt des Lebens ihre Wehn! Sie sind zu uͤberstehn, weil sie voruͤbergehn. O waͤre jedes Gluͤck mit Schmerzen nur geboren, Nicht einst mit schmerzlichern Gefuͤhlen auch verloren! 103. Auch dieses biet' ich dir, o Herr, zum Opfer an, Was, wenn dus forderst, ich ja nicht verweigern kan. Allein verschweigen kann ichs weder mir noch dir: Nimm die Willfaͤhrigkeit, und spar das Opfer mir! 104. Laß uͤber dich ergehn, was du nicht kanst abhalten, Des Zeitensturmes Wehn, der Schicksalsmaͤchte Walten. Sie haben dir herbei gewehet mancherlei, Und wehen es hinweg, alsob nicht dein es sei. Sie haben selber dich geblasen her, von wannen? Und rasten nicht bis sie dich hauchten auch von dannen. Von deines Lebens Laub ist Blatt auf Blatt entzittert, Und endlich ist der Stamm der morsche selbst zersplittert. 105. Dich traͤgt Erinnerung zu deiner Kindheit Schwelle, Den vollen lauten Strom zuruͤck zur stillen Quelle. Dort aber angelangt, begehrst du weiter nur Zu dringen, und verlierst im Dunkel bald die Spur. Und nur die Sternenschrift im Dunkeln kanst du lesen: Du warest eh du warst, und bleibst wann du gewesen. Alswie aus einem Traum erwachtest du, geboren, Und fandest eine Welt, wie eine du verloren. Du sahest sie vor dir sich wechselnd umgestalten, Und lerntest deine Kraft im Kampf mit ihr entfalten. Sovieles kam und gieng; laß alles gehn und schwinden! Du wirst dich anders stets, und stets denselben finden. 106. Ich finde dich, wo ich, o Hoͤchster, hin mich wende; Am Anfang find' ich dich, und finde dich am Ende. Dem Anfang geh' ich nach, in dir verliert er sich; Dem Abschluß spaͤh' ich nach, aus dir gebiert er sich. Du bist der Anfang, der sich aus sich selbst vollendet, Das Ende, das zuruͤck sich in den Anfang wendet. Und in der Mitte bist du selber das was ist; Und ich bin ich, weil du in mir die Mitte bist. 107. Du bist der Widerspruch, den Widerspruͤche loben, Und jeder Widerspruch ist in dir aufgehoben. Die Widerspruͤch', in die sich die Vernunft verstrickt, Zergehn, und sie zergeht, wo dich der Geist erblickt. Die Welt ist nicht in dir, und du bist nicht in ihr; Nur du bist in der Welt, die Welt ist nur in dir. 108. Ein herrliches Gefuͤhl ist es, in sich empfinden, Wie Lichter tauchen auf, und dunkle Wolken schwinden; Obauch der Lichter Glanz nicht mag zu sehn gestatten, Und von den Wolken noch geblieben sind die Schatten: Du kniest am Heiligthum der halbenthuͤllten Wahrheit, Und siehst vertrauenvoll entgegen voller Klarheit. 109. Ohn' einen hoͤchsten Gott und ohn' ein kuͤnft'ges Leben, Sagst du, sei kein Gesetz der Sittlichkeit gegeben. Doch die Geschichte sagt, daß, in die Brust gepraͤgt, Das sittliche Gesetz sich selber haͤlt und traͤgt. Wer dort es eingepraͤgt, kann freilich Gott nur seyn, Und fuͤr dis Leben nicht ists eingepraͤgt allein. Doch kann vergessen seyn, wozu er es gegeben, Vergessen, der es gab, und das Gesetz doch leben. So sind von Gott bedacht, auch die ihn nicht erkennen, Und ehren seine Macht, auch wenn sie's anders nennen. 110. Nicht darum sollst du dich verbunden halten, Kind, Zu Handlungen, weil sie von Gott geboten sind. Vielmehr als goͤttliches Gebot sei das empfunden Von dir, wozu du dich fuͤhlst innerlich verbunden. Was ist der Unterschied? dort mußt du andern glauben, Hier glaube nur dir selbst, und nichts kann dich dir rauben. 111. Thu recht und schreibe dir nicht als Verdienst es an, Denn deine Schuldigkeit allein hast du gethan. Thu's gern! und wenn dir das nicht zum Verdienst gereicht, Gereicht dirs doch zur Lust, daß dir die Pflicht ward leicht. 112. Heil, wenn das Gute du aus freiem Triebe thust, Und das Gesetz erfuͤllst, weil es ist deine Lust. Dann fuͤhlest du allein nicht des Gesetzes Zwang, Wenn du's verwandelt hast in deines Herzens Drang. 113. Mein wandelbares Ich, das ist und wird und war, Ergreift im Dein'gen sich, das ist unwandelbar. Denn du bist, der du warst, und bist, der seyn wirst, du! Es stroͤmt aus deinem Seyn mein Seyn dem deinen zu. Ich haͤtt' in jeder Nacht mich, der ich war, verloren, Und waͤr' an jedem Tag, als der nicht war, geboren, Haͤtt' ich mich nicht, daß ich derselbe bin, begriffen, Weil ich in dir, der ist, bin ewig inbegriffen. 114. Du fragst, was ist die Zeit? und was die Ewigkeit? Wo hebt sich Ew'ges an, und hebet auf die Zeit? Die Zeit, sobald du sie aufhebst, ist aufgehoben, Wo dich das Ewige zu sich erhebt nach oben. Die Zeit ist nicht, es ist allein die Ewigkeit, Die Ewigkeit allein ist ewig in der Zeit. Sie ist das in der Zeit sich stets gebaͤrende, Als wahre Gegenwart die Zeit durchwaͤhrende. Wo die Vergangenheit und Zukunft ist geschwunden In Gegenwart, da hast du Ewigkeit empfunden. Wo du Vergangenheit und Zukunft hast empfunden Als Gegenwart, da ist die Ewigkeit gefunden. Rückert, Lehrgedicht II. 4 115. Wo schließet sich der Raum, und stehet still die Zeit? Wo endet hier und dort sich die Unendlichkeit? Dort endet sie in Gott, hier endet sie in dir; Der Schein Unendlichkeit steht zwischen dort und hier. Den Schein, der zwischen dir und Gott steht, raͤume fort, Und einfaͤllt Raum und Zeit, dein hier ist ewig dort. 116. Was ich geworden bin, bin ich durch dich geworden; Du ordnest um dich her nach Wahl der Geister Orden. Den einen ziehst du vor, und stellest den zuruͤck, Und dieser auch entbehrt nicht sein bescheidnes Gluͤck. Der, welchen du erhoͤhst, wird von der Welt erhoben, Und der am tiefsten steht, kann dich den Hoͤchsten loben. Den einen fuͤhrest du des Kampfes rauhe Bahn, Den andern hebest du auf Fluͤgeln leicht hinan. Nicht soll sich der des Kampfs, noch der des Fluges bruͤsten; Du mußtest den mit Kraft, und den mit Schwingen ruͤsten. Und keiner bruͤsten soll vor keinem sich der beiden; Bewundern will ich den, und diesen nicht beneiden. Ich seh gleichhoch gestellt sie auf verschiednen Hoͤhn; Erhaben ist der Kampf, und Goͤttergluͤck ist schoͤn. Preis dem, der seine Kraft, dem, der sein Gluͤck erkennt, Und sie nicht sein, sie dein, dankbar erkennend, nennt. 117. Gott, der Luftwassererdundfeuergeister schuf, Gab jedem eignen Sinn und eigenen Beruf. Den Menschen schuf er nicht aus Fluten noch aus Flammen, Aus Lufthauch noch aus Staub, aus alle dem zusammen. Du kanst bald diesem Geist, und jenem bald verfallen, Doch Aller Einheit sollst du seyn, nicht eins von allen. 4* 118. Zunft und Vernunft, mein Sohn, sind leider zweierlei, Doch unsre Aufgab' ist, zu einigen die Zwei. Mein Sohn, in keiner Zunft ist die Vernunft zwar zuͤnftig, Doch seyn soll die Vernunft in jeder Zunft vernuͤnftig. 119. Abhaͤngig von der Welt mußt du dich nicht betrachten, Doch auch nicht gegen deins das Recht der Welt verachten. Nicht du lebst und die Welt ist todt, nicht lebt die Welt Und du bist todt; ihr seid zwei Leben gleichgestellt. Magst du dich nun als Mann, sie sich als Weib verhalten; Mag weiblich dein Gemuͤth, der Weltgeist maͤnnlich walten: Es sei nun, daß in dir die Welt sich eingebar, Es sei, daß du in ihr dich selber stellest dar; So wirst du hier als Mann ins Weltgetriebe greifen, Und dort in stiller Brust der Welt Geheimnis reifen. Drum soll einander Held und Dichter nicht beneiden, Denn nur verschieden ist die Welt verklaͤrt in Beiden. 120. Vom Thurme wird erzaͤhlt, den einst die Menschen bauten, Als sie auf eigne mehr dan Gottes Kraft vertrauten; Wie Gott, aufdaß er sie im kuͤhnen Bauwerk irrte, Die Sprachen wunderbar der Bauenden verwirrte; Sodaß nach manchem Streit sie endlich raͤthlich fanden, Auseinander zu gehn, weil sie sich nicht verstanden: Da griff zu guter Letz jeder nach seinem Sack, Und alle zogen sie nun ab mit Sack und Pack; Davon, wie vielfach nun gesprochen und geschrieben Die Sprachen seien, ist in jeder Sack geblieben: Denn jeder hat, so groß ist Eigennutzes Macht, Als alles er vergaß, an seinen Sack gedacht; Und keiner hat seitdem in seines Lebens Plack Vergessen den vom Thurm mit heim gebrachten Sack. 121. Wie wenig wissen doch die Menschen sich zu sagen Des sagenswerthen, die sich in Gesellschaft plagen. Alsob ertraͤglicher dadurch die Langeweile Dem einen sei, daß er sie mit den andern theile. Wo Ungelehrte unertraͤglich thun gelehrt, Da thun Gelehrte nun gar klaͤglich ungelehrt. Nur selten im Gespraͤch entwischt ein guter Spruch, Weil jeder, was er weiß, spart lieber fuͤr ein Buch. 122. Du bist nur halb, o Mensch, wie dich hervorgebracht Hat die Natur, und halb, wie du dich selbst gemacht. Sie hat den festen Grund gelegt, an den du ruͤhren Nicht darfst, dir aber bleibt der Bau drauf auszufuͤhren. Bei jenem kanst du nichts, bei diesem alles thun, Und dieses ist genug, um traͤge nie zu ruhn. Nie ruhe, bis du gut das was du schlecht gemacht An dir, und was du falsch gemacht, hast recht gemacht. Dazu ists nie zu fruͤh, dazu ists nie zu spaͤt; Denn stets im Werden, bist du nie geworden staͤt. 123. Oft hab' ich umgestimmt die Saiten meines Psalters Im Wechsel meiner Zeit und meines Lebensalters. Nun toͤnen sie voll Ernst, und wer da will, entscheid' es, Ob Alter oder Zeit dran schuld sei, oder beides. Die Zeit ist ernst sogar der jugendlichen Schaar, Wie mehr noch einem, dem mit ihr gebleicht das Haar. 124. Wer Anmuth, Freundlichkeit, Gefaͤlligkeit und Milde Nicht braucht in seinem Haus, doch draußen fuͤhrt im Schilde, Mit diesen Tugenden ist er nicht reich bedacht, Weil er zum Feierkleid und Festtagschmuck sie macht. Er sucht nur vor der Welt mit seinem Flitterputze Zu glaͤnzen, und daheim geht er in seinem Schmutze. 125. Wer gar nicht scherzen kann, der ist ein armer Mann, Und nur noch aͤrmer ist, wer nichts wan scherzen kann. Schwach ist ein Ernst, der stets vorm Scherz ist auf der Hut, Und schwaͤcher noch ein Scherz, der nicht auf Ernste ruht. 126. Die Eitelkeit der Welt erkennen, ist nicht schwer, Denn die Erkenntnis draͤngt von allen Seiten her. Doch nur die bessere Erkenntnis macht dich frei: Daß in der eitlen Welt dein Seyn nicht eitel sei. Die Eitelkeit der Welt mußt du an dir erfahren, Um deine hoͤhere Bestimmung zu gewahren. Nie, wie du gnuͤgsam seist, thut dir die Welt genug, Bis von ihr nahm dein Geist zum Himmel seinen Flug. Dann wirst du gern der Welt die Eitelkeit vergeben, Die dir ein Strebepunkt geworden zum Erheben. 127. Ist da die Welt fuͤr mich? bin ich da fuͤr die Welt? Fuͤr Beute hielt ich sie, die mich fuͤr Beute haͤlt. Als ich zu meinem Raub zu machen sie gedachte, Erkannt' ich, daß sie mich zu ihrem Raube machte. Ruͤckgeben kann ich nicht, was ich von ihr genommen, Und nicht ruͤckfordern, was sie hat von mir bekommen. Ihr vorenthalt' ich nichts, die nichts mir vorenthaͤlt; Die Welt ist da fuͤr mich, ich bin da fuͤr die Welt. 128. Die Jugend war mir truͤb umwoͤlkt durch meine Schuld, Und daß mein Alter nun hell ward, ist Gottes Huld. Wie duͤrft' ich gegen dich mit meinen Gaben prahlen? Nie kann ich meine Schuld, nie deine Huld bezahlen. 129. Der Himmel ist so voll von Sternen nah und fern, Von allen welcher wol ist meines Gluͤckes Stern? Ich wuͤnschte, daß einmal ich meinen Gluͤckstern saͤhe, Und daß kein Ungluͤckstern auch stuͤnd' in seiner Naͤhe. Nun, ist es mir versagt, den guten zu entdecken, So ist mirs auch erspart, vorm boͤsen zu erschrecken. 130. Den einen siehst du nie, doch steht er dir zur Seiten, Den andern siehst du stets, der immer steht vom weiten. Was steht am fernsten dir? dein Wunsch in der Erfuͤllung: Und was am naͤchsten, Mensch? dein Tod in der Verhuͤllung. 131. Die Seele vom Genuß, o Freund, ist dessen Kuͤrze; Die Furcht des Todes ist des Lebens scharfe Wuͤrze. Ein Thor klagt uͤberm Schmaus, daß er zu fruͤh sei aus; Ein Weiser ißt sich satt, und geht vergnuͤgt nach Haus. 132. Kein Kranker laͤßt vom Arzt das Leben sich absprechen, Kein Dichter uͤber sich den Stab vom Richter brechen. Ein jeder hat ein Recht zu leben wie er kann, Zu stuͤmpern wie er mag ein Recht auch jedermann. 133. Von Freunden sagt man dir, die mit dem Gluͤcke kaͤmen, Mit ihm verweileten, und mit ihm Abschied naͤhmen. Die falschen heißen sie, dagegen in der Noth Der wahre kommt, der dir Huͤlf' oder Trost doch bot. Glaub nur den Weisen, was sie tadeln oder loben, Doch moͤgest du an dir die Weisheit nie erproben. Nie brauchen moͤgest du den leidigen getreuen, Stets mit den falschen dich, den froͤhlichen, dich freuen. 134. Die Welt versprach dir nichts, mach' ihrs nicht zum Verbrechen, Du mußt dir selber nicht zuviel von ihr versprechen. Warum beluͤgst du dich, sie habe dich belogen? An ihr betrogst du dich, sie hat dich nicht betrogen. 135. Das Gute mußt du hin, wo's angewandt ist, wenden; Wo sie ist wohlgethan, mußt du die Wohlthat spenden. Denn mancher schlechte hat so einen schlechten Magen, Was wohl dem Guten thut, das kann er nicht vertragen. 136. Was, Dichter, suchst du? Ruhm? „Wen reizt die Seifenblase?“ Reichthuͤmer? „Haͤtt' ich auch Lust am gefaͤrbten Glase?“ Mitwirkung in der Zeit? „Ich bin nicht deren Sohn.“ Der Geister Bildung? „Sie sind uͤberbildet schon.“ Was also suchest du? dir selber zu genuͤgen? „Mich mit dem Schein, als thu' ich etwas, zu betruͤgen.“ 137. Du ruhest weichgepfuͤhlt am Ufer strombespuͤlt, Dich schlaͤfert ein die Flut, die leis dich unterwuͤhlt. Dich schaukelt Sommerluft, umgaukelt Bluͤtenduft, Und losgerissen traͤgt dein Bette dich zur Gruft. Sollt' ich erwecken dich, um zu erschrecken dich? Schwimm hin, und sanft im Traum die Flut soll decken dich. 138. Erwirb ein Gut, daß du es einem Erben lassest, Und einen Namen, der ihn schmuͤckt, wann du erblassest. Wie wenig, was ein Mensch von dieser Welt genießt, Wenn seine Spanne Zeit die Zukunft nicht umschließt. Genießen wird dein Kind, was du nicht hast genossen; In diesem Traume sind die Augen sanft geschlossen. 139. Du klagest: Was ich dort dem Mann hab' angetragen, Er hats nicht zugesagt, und hats nicht abgeschlagen. Und fragest: Soll ich nun damit zufrieden seyn? Frag' ich noch einmal, daß er Ja sag' oder Nein? Ja, wenn das harte Wort du ohne Herzverdruß Kanst hoͤren, mach ihm den, daß er es sagen muß. 140. Wie wirst du beide los, die dich zudringlich plagen? Sag jedem: schon hab' ichs dem andern abgeschlagen; Und wenn ichs dir gewaͤhrt', er wuͤrd' es uͤbel nehmen. So werden alle zwei zum Abzug sich bequemen. 141. Wer ist begluͤckt? wers waͤhnt. Wer unbegluͤckt? wers glaubt. Vom Glauben wird die Welt geschenkt dir und geraubt. Wenn er den Starken laͤhmt, und wenn er staͤrkt den Schwachen, Wird er zum Koͤnig den, zum Bettler jenen machen. Die Erde dienet ihm, und ist ihm unzulaͤnglich. Denn ihm allein ist nicht der Himmel unzugaͤnglich. Er tritt mit Zuversicht vor Gottes Angesicht, Und weiß gewis, daß er bestehn wird im Gericht. 142. Wenn gelten zwischen zwein die Freundschaft soll und taugen, Im Bunde muͤßen seyn die beiden wie zwei Augen. Wohin das eine zielt, dahin das andre spielt, Und selber schielen wird dis mit, wenn jenes schielt. 143. Waͤr' es mit einem dir mislungen oder zweien, Du koͤnntest sagen, daß sie schuld am Zwiespalt seien. Da es mit mehreren, mit allen dir mislingt, Wie kannst du zweifeln, daß die Schuld aus dir entspringt? 144. Wer vom gebahnten Weg im Unverstand abirrt, Und sich im Waldgeheg des Eigensinns verwirrt, Dann klagt, daß uͤberal sich Schwierigkeiten finden, Und niemand weg sie raͤumt, der ist wol gleich dem Blinden, Der von dem Sehenden sich nicht will lassen leiten, Und lieber auf gut Gluͤck und seine Fahr hinschreiten, Bald tritt in einen Dorn, bald stoͤßt an einen Stein, Bald in den Graben faͤllt, bald stolpert uͤber'n Rain, Hier rennt an einen Baum, dort wider eine Mauer, Den Pflanzer hier verwuͤnscht, und flucht dort dem Erbauer, Und klagt, die Welt sei schief und jeder Weg verbaut, Da er nur zwischendurch den graden Weg nicht schaut. 145. Lern' ohne Klagen, Herz, ein brennend Weh ertragen; Der Kerze brennt der Kopf, doch hoͤrst du nicht sie klagen. Aus reinem Stoff gemischt, still brennt sie bis sie lischt; Rein ist nicht Wachs und Docht, wenn sie im Brennen zischt. 146. Mein Sohn, wenn du gelangst zum Umgang schoͤner Frauen, Mit Andacht lerne sie, mit Ehrerbietung schauen. Leichtfertigkeit veruͤbt am Heiligsten Verrath; Denk an die Mutter, Sohn, die dich geboren hat. Zu solcher Wuͤrde ist ein jedes Weib berufen; Willst, kanst du, darfst du sie hinfuͤhren zu den Stufen? 147. Mein Sohn, gesteh ichs dir, daß ich vergessen habe Gar manches nun als Greis, was ich gelernt als Knabe. Nicht zur Entschuldigung gereicht dir das indessen; Erst lernen mußt du's auch, eh du es darfst vergessen. 148. Wie durch Gewoͤhnung lernt das Aug' im Dunkeln sehn, So lernt man Dunkles, durch Vertiefung drein, verstehn. Des Geistes Augen gehn dir auf, und wunderbar, Was nie schien einzusehn, scheint dir nun voͤllig klar. 149. Wer gerne thaͤtig ist, hat immer was zu thun; Kind, sage nie: Ich bin nun fertig und will ruhn. Mit dem Nothwendigen wenn du schon fertig bist, Doch bleibt dir etwas noch zu thun das nuͤtzlich ist. 150. Zu seinen Soͤhnen sprach ein Koͤnig: Seid beflissen Zu lernen jede Kunst und alle Art von Wissen. Wenn ihr vielleicht es braucht, so ists ein Kapital; Und wenn ihrs nicht beduͤrft, ein Schmuck ists allemal. 151. Wie trefflich ist gesagt das Wort des alten Weisen: Mein Sohn, die Zunge ist von Fleisch, das Schwert von Eisen. Laß deine Zunge nie das Amt des Schwertes fuͤhren; Zweischneidig, spitz und scharf, das will ihr nicht gebuͤhren. 152. Du bleibst in deiner Klaus' und gehst nicht aus dem Haus, So blicke manchmal doch zum Fenster nur hinaus. Und wenn zu deiner Wuͤrd' auch das sich nicht will schicken, So laß die Welt zu dir manchmal durchs Fenster blicken. Dein Fenster liegt so hoch, nichts Niedres schaut herein, Am Tage nur die Sonn', und Nachts der Sterne Schein. Was nicht die Sonne sieht, das werden Sterne sehn; Und theilen sie dirs mit, so wird dir nichts entgehn. 153. Sei du die Traube nicht, o Herz, die unterm Laube Sich birgt, damit der Dieb im Garten sie nicht raube. Gefunden freilich hat sie unterm Laub kein Dieb, Doch auch kein Sonnenstral, daher sie sauer blieb. 154. Wenn du die Nacht durchschlaͤfst, bedarfst du keines Lichts, Doch wenn du wachen mußt, ist noͤthiger dir nichts. Es ist ein Herzensfreund, der in Weltkuͤmmernissen Dich troͤstet; moͤchtest du dis Licht im Dunkel missen? 155. Warum ich euch soviel Sinnbildliches berichte? Weil Klein-Alltaͤgliches nur so wird zum Gedichte. Als Sinnbild muß man es fuͤr etwas Groͤßres fassen; Ein Großes an sich selbst darf man wie's ist nur lassen. 156. Dem muͤden Wandersmann ist doch die Nacht willkommen, Die den bestaubten Stab ihm aus der Hand genommen. Und wenn das Leben nun ist eine Wanderreise, Was freuet Lebende der Tod nicht gleicherweise? Den Wandrer freut die Nacht, nur wenn er ist am Ziel, Auf halbem Wege nicht wenn sie ihn uͤberfiel. Die meisten fuͤrchten sich darum vorm Tod vielleicht, Weil sie des Lebens Ziel noch haben nicht erreicht. 157. An Schoͤnes, Wahres hat uns oft ein Traum gemahnt, Was nicht in seinem Schatz der wache Geist geahnt. Doch Falsches, Haͤssliches auch hat er angedeutet, Was im Gemuͤthe laͤngst wir glaubten ausgereutet. 158. Der du erschufst die Welt, ohn' ihrer zu beduͤrfen, Erschaffen hast du sie nach deiner Lieb' Entwuͤrfen, Nach deiner Weisheit Plan, dem Zwecke deiner Macht; Und kein Nachdenken denkt, was du hast vorgedacht. Vorbringen kann kein Wort, was deins hervorgebracht. Doch hast du die Vernunft geschaffen, dich zu denken, Den Geist, nach dir den Flug, Unsichtbarer, zu lenken, Der Sehnsucht Stroͤm', o Meer, in dich sich zu versenken: Den wir am Anfang, den wir sehn am Ende stehn, Von dem wir kommen und zu dem wir alle gehn. Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht, Nur dis, von Gott zu Gott, ist meine Zuversicht. 159. Zur Unvergaͤnglichkeit fuͤhlt sich der Mensch berufen, Und so vergaͤnglich doch ist alles was wir schufen; Und alles, was wir sind, ist ebenso vergaͤnglich, Doch in uns das Gefuͤhl des Ew'gen unverdraͤnglich. Was ich gestrebt, vollbracht, empfunden und gedacht, So ewig wie ich selbst ist es von Gott gemacht. Mein Leben ist ein Schiff den Strom hinab getrieben, Dahinter keine Spur im Wasser ist geblieben. Wer nach mir gleitet, weiß nicht wer voran ihm glitt; Wer nach mir schreitet, fragt nicht wer voran ihm schritt. Wer nach mir streitet, ahnt nicht, daß ich vor ihm stritt; Wer nach mir leidet, fuͤhlt nicht, was ich vor ihm litt. Wie seines Lebens Strauch erschuͤttert mancher Hauch, Ist doch ihm unbewußt darunter meiner auch. Rückert, Lehrgedicht II. 5 160. Dir zeigt dis Sinnbild an den falschen Trost der Welt: Ein Krokodil, das man fuͤr einen Rachen haͤlt. Im Strome schwimmt ein Mann, und fuͤrchtet zu ertrinken, Doch dem Versinken nah, sieht er die Rettung winken. Er rudert angestrengt nach dem vermeinten Rachen, Das Krokodil empfaͤngt ihn dort mit offnem Rachen. 161. Je stand in einem Buch dis Gleichnis, lieber Sohn: Die Welt ist wie ein Wald, dein Thun ist wie ein Ton. Wie in den Wald du rufst, so ruft er dir zuruͤck, Und also selber schufst du in der Welt dein Gluͤck. Wenn in den Wald du schiltst, wirst du heraus gescholten; Und wie du uns vergiltst, wird wieder dir vergolten. 162. Ein Schiff vor Anker, doch die Segel aufgespannt; Mein Sohn, dis Sinnbild ist der Widersinn genannt. Nicht Widersinn, mein Sohn, du darfst es Unsinn nennen: Fest unten wurzeln und in Luͤften weiter rennen. Wenn nicht das Segel reißt, so reißt das Ankerseil; Und stets gefaͤhrdet ist so oder so das Heil. 163. Das Schoͤpfrad schoͤpft sich matt, und Athem schoͤpft es kaum; Sieh, seine Schoͤpfung ist die Gruͤne rings im Raum. Auf seine Schoͤpfung wird das Schoͤpfrad stolz und eitel, Als Schoͤpfer fuͤhlt es sich und hebet hoch die Scheitel. Doch, trank die Saat sich satt, zieht man das Schoͤpfrad nieder; Im Staube liegt sein Haupt, im Schmutze seine Glieder. 5* 164. Das Messer, wenn es auch ist oben noch so scharf, Hat unten einen Stiel, wo man's anfassen darf. Das alte Sprichwort sagt: Wie scharf das Messer sei, Es schneidet niemals doch den eignen Stiel entzwei. 165. Mein Sohn, der innre Werth macht nicht die Dinge gelten; Wohlfeil ist, was in Meng', und theuer ist, was selten. Im Goldland geben sie Goldketten ihren Hunden, Die Maͤnner tragen Schmuck von Eisen umgebunden. 166. Bleib in der Mittelhoͤh mit deinen Wuͤnschen stehn, Und laß zu hoch hinaus die Hoffnungen nicht gehn. Gar schoͤn ists wenn du mehr erlangst als du gehofft; Unangenehm betraf das Gegentheil dich oft. 167. Geh, suche Menschen auf, um dich als Mensch zu fuͤhlen In andern, ohne truͤb' im Busen dir zu wuͤhlen. Such einen Gluͤcklichen, wenn du es selbst nicht bist; Sei gluͤcklich daß du siehst, daß es ein andrer ist. Such auf Ungluͤckliche, wenn du es waͤhnst zu seyn, Und es dich troͤsten mag, daß du's nicht bist allein. Such einen auf, den du verstehst, der dich versteht; Wo nicht, wenn's nur zum Ohr, wenn nicht zum Herzen, geht. Verstoͤren wird ihn um so minder, was du klagst, Und dich erleichterts wenn du dein Anliegen sagst. 168. Ein Sprichwort sagt, darauf magst du dein Gluͤcke bauen: Dem Feinde soll man selbst zur Flucht die Bruͤcke bauen. Im Feld des Krieges zwar ist manches auch dawider; Laß heut den Feind entfliehn, so kommt er morgen wieder. Hingegen unbedingt gilts in des Lebens Krieg: Verfolge nicht zu weit den Feind und deinen Sieg. 169. Die gute Absicht macht das Boͤse niemals gut, Denn gute Absicht hat gar nie, wer Boͤses thut. Das Gute aber was du thust, wo nicht dabei Die gute Absicht ist, sag' ich, daß boͤs' es sei. Doch etwas, weder gut noch boͤse, was vollbracht In guter Absicht wird, das hat sie gut gemacht. 170. Die Lieb' ist vielerlei: es liebt das Allgemeine Sich selber, Gott mit sich im ew'gen Lustvereine. Das Allgemeine dann liebt das Besondre auch, Die ganze Welt durchdringt von Gott ein Liebeshauch. Und das Besondre liebt das Allgemeine dann, Das ist soviel ein Mensch, o Gott, dich lieben kann. Nur das Besondre kann ganz das Besondre lieben, Die Liebe zu dir selbst hat mich zur Welt getrieben. Ich bin ein Blumenstaub und will auf Blumen stieben. 171. Geh mit dem Knecht nicht um, waͤhl' ihn zum Freunde nicht, Der frei nicht, wie du ihm, dir schaun darf ins Gesicht. Schlimm ist Vertraulichkeit da wo Vertrauen fehlt, Und man verachtet, den man zum Vertrauten waͤhlt. 172. Wenn Seuche herrscht und selbst die Luft ist Krankheitszunder, Bleibt davon einer unergriffen, ists ein Wunder. Ein solches Wunder ists, wenn in der Zeit, befleckt Von soviel Boͤsem, bleibt ein Herz unangesteckt. 173. Wenn in Geschichten wir von Noth und Jammer lesen, So troͤstet dieses uns: dis alles ist gewesen. Die Herzen ruhen laͤngst, die das erlitten haben, Und ihre Suͤnden sind mit ihnen auch begraben. Doch ihre Lieb' und Treu, ihr Glauben und ihr Muth, Sind die auch hin wie Schaum geschwommen auf der Flut? Mitnichten, diese sind am Leben uns geblieben, Denn wozu wuͤrde wol Geschichte sonst geschrieben? 174. Der Mensch, dem Engel halb und halb dem Thier zu eigen, Kann sich zu diesem bald und bald zu jenem neigen. Strebt er dem Engel nach, wird er noch hoͤher fliegen, Und strebt er nach dem Thier, sogar noch tiefer liegen. 175. Hier auf der Tafel, Sohn, liegt manche Pomeranze, Und eine gleicht davon der anderen an Glanze. Nicht taͤusche dich der Glanz! es hat des Himmels Gunst Erschaffen einige, doch andere die Kunst. Gewachsen, wenn du willst, magst du sie alle nennen, Doch ein'ge sind von Wachs, woran wirst du's erkennen? Sie haben nebst Gestalt und Farb' auch den Geruch, Nur der Geschmack allein fehlt ihnen beim Versuch. Doch auch von denen, die am Baum gewachsen sind, Sind suͤß die wenigsten, die meisten herb, o Kind, Und bitter einige; doch laß dich nicht verdrießen Das Bißchen Bitterkeit, auch sie sind zu genießen. Und halt in Ehren auch die waͤchsernen Gestalten! Sie werden, ohne Saft, sich desto laͤnger halten. 176. Von allen Tugenden ist Scham genannt mit Recht Die Mutter, keine hat so bluͤhend ein Geschlecht. Die Tugendmutter, Sohn, sie ehre, wie du ehrst Die eigne Mutter, der du nie den Ruͤcken kehrst. Solange du sie hast vor Augen, lieber Sohn, Bist du unwuͤrdigen Versuchungen entflohn. 177. Verlier, o Juͤngling, nur Geduld und Hoffnung nicht; Richt' auf die Welt Vertraun, auf Gott die Zuversicht, An dich die Forderung zu kaͤmpfen als ein Mann, Und freue dich am Kampf, wenn dir der Sieg entrann. Wenn er dir oft entrann, wird er nicht stets entrinnen; Nur wer noch nichts gewann, hat alles zu gewinnen. Mir selber ist, was mir gelang, gar spaͤt gelungen, Doch mehr nun freut mich, daß ich rang, als was errungen. Ich wuͤnsche nicht, daß sie so gar lang hin dich halten, Doch gut ists, daß sie Zeit dir goͤnnen zum Entfalten. 178. Was ist der Weg, mein Sohn, an dem du noch nicht bist, Der gleich dem vor'gen lang, und doch viel kuͤrzer ist? Das ist der Weg den Berg hinab, den ich nun schreite, Viel langsamer kam ich herauf die andre Seite. Dort war ich ruͤstiger, doch ward der Weg mir laͤnger, Hier wird er kuͤrzer mir, dem doch schon muͤden Gaͤnger. 179. Wol ist das Gegentheil von der Gelegenheit Das Alter, denn es kommt zur ungelegnen Zeit. Gelegenheit ist kahl von hinten, vorn behaart, Davon das Gegentheil ist meist des Alters Art. Gelegenheit ist uns entflohn mit schnellem Schritt, Das Alter aber geht gemach und nimmt uns mit. 180. Das Bild der Ewigkeit, die Schlange die im Reif Sich kruͤmmt, und mit dem Kopf sich beißet in den Schweif, Mich wunderts, wie sie nicht erkrankt und stirbt, verwundet Vom gift'gen Biß, von dem nichts auf der Welt gesundet. Sie stirbt in Wahrheit auch in jedem Nu davon, Doch ist in jedem Nu auch neu geboren schon. 181. Das Leben magst du wohl vergleichen einem Feste, Doch nicht zur Freude sind geladen alle Gaͤste. Gar manchen, scheint es, lud man nur, um die Beschwerde Zu uͤbertragen, daß die Lust den andern werde. Den Esel lud man einst zu einem Hochzeitschmause, Weil es zu tragen Holz und Wasser gab im Hause. Der Esel dachte stolz, geladen bin ich auch. Ja wohl, beladen mit dem Tragref und dem Schlauch. 182. Der preise sein Geschick, wer irgend hat zu klagen; Erleichtert fuͤhle sich, wer Schweres hat zu tragen. Denn alle sind wir hier zu Zins und Zoll verpflichtet Dem Ungluͤck; gluͤcklich ist, wer ihn schon hat entrichtet. 183. Ein altes Sprichwort sagt: Es haͤngt sich an den Frevel Die Strafe so geschwind, wie Feuer an den Schwefel. Der Schwefel brennt, sobald ihm kommt ein Flaͤmmchen nahe, Und Frevel zittert stets, daß er den Lohn empfahe. 184. Wenn Weisheit thoͤricht wird, sucht sie den Stein der Weisen, Die Arzenei, die gleich fuͤr jedes Weh zu preisen, Die allgemeine Sprach' und einen ew'gen Frieden, Und alles was nie war, und nie wird seyn hienieden. Das Allgemeine ist beim Ew'gen ewig dort, Hier beim Vergaͤnglichen ist des Gemeinen Ort. Das Unbedingte ist, wo keine Dinge sind, Von welchen ist dein Witz bedingt, o Menschenkind; Ein Gutes, Schoͤnes steht, Ein Wahres dort gewis; Doch macht kein Sternenschein zum Tag die Finsternis. Kein Gutes hier ist gut, kein Schoͤnes schoͤn fuͤr alle, Gewisses selbst gewis nur im gewissen Falle. 185. Daß in der Mitte sei die Wahrheit, ist wol wahr, Und, daß beim Aeußersten zu irren sei Gefahr. Doch nicht wird Wahrheit durch zwei Aeußerste, verbunden, Noch durch Vermeidung auch der Aeußersten gefunden. Denn nichts ergeben sie, wenn man sie nur verneint, Und selbst aufheben sie sich, aͤußerlich vereint. Nur wo lebendig zwei sich einen, um das dritte Zu zeugen, findet sich die Wahrheit in der Mitte. 186. Der Welt soll man vertraun, auf sie nicht sich verlassen; Hab' auf dich selbst Vertraun, wo andre dich verlassen. Und wo dein Selbstvertraun wie das auf Menschen bricht, Da hab' auf Gott Vertraun, nur er verlaͤßt dich nicht. 187. Der Salamander sprach zu einem Schmetterlinge, Als er am Feuer ihn versengen sah die Schwinge: Wie bist du doch gewebt aus gar so leichten Stoffen! Mich hat in dieser Glut kein Unfall noch betroffen. Mein Blut macht um mich her die gluͤhen Kohlen kuͤhl, Und recht behaglich ist mirs auf dem Rosenpfuͤhl. Du ruͤhrest nur daran und gehest auf in Flammen; Wie kommt dein Ungemach und mein Gemach zusammen? Kann Tod und Leben so von gleicher Weide stammen? Da sprach der Schmetterling zum Salamander sterbend: So ist, was den erquickt, dem anderen verderbend. Vielleicht beneidet wer dich um dein zaͤhes Leben, Die Liebe aber liebt das ihre aufzugeben. — Mein Herz, vergleichest du die beiden mit einander, Du ziehst den Schmetterling wol vor dem Salamander. 188. Rechne nicht auf die Welt und ihren Freudenzoll; Sie gibt es tropfenweis und nimmt den Becher voll. In Groschen streckt sie vor, und will zum Zins den Thaler, Kein Stuͤndchen Stundung auch gibt sie dem saͤum'gen Zahler. 189. Du steuerst, Steuermann, dein Schiff nach einem Sterne, Der dir die Richtung zeigt, und deutet in die Ferne. Die Richtung, wo du kommst zum Ziele, zeigt der Stern, Er selbst ist nicht das Ziel, und bleibt dir ewig fern. 190. Im Sonnenschein des Gluͤcks ist Schwachen Stolz erlaubt; Der Kuͤrbis wuchs der Eich' im Sommer uͤbers Haupt. Der Winter kam und hat die Eiche kahl geschoren, Doch immer blieb sie frisch, der Kuͤrbis ist erfroren. 191. Was schlichtet, Herz, den Streit, der dich mit dir entzweit? Die Gottesfurcht, die dich von aller Furcht befreit; Von aller Furcht der Welt und weltlicher Geschicke, Von aller Furcht vor dir, dem quaͤlendsten der Stricke. Verstoͤren kann dich nichts, wenn du dich nicht verstoͤrst, Und frei nur fuͤhlst du dich, wenn du dem Herrn gehoͤrst. Wie schoͤn ists einen Herrn statt vieler Herrn zu haben, Der seine Diener kann mit Herrlichkeit begaben. 192. Das Ungluͤck in der Welt such', als du kanst, zu lindern, Soweit umher du reichst, zu mildern und zu mindern. Warum? schon weil es dich im eignen Gluͤck wird hindern. Doch reichest du nicht weit mit deinem schwachen Trost; Vom Mund drei Spannen stirbt dein warmer Hauch im Frost. Was bleibt dir da zum Trost, als daß, was Ungluͤck scheint, Von dem, der Aller Gluͤck will, anders ist gemeint; Und wer die Gabe nur, wie sie gemeint ist, nimmt, Den foͤrdert sie dazu, wozu sie war bestimmt. Nicht heben kann dein Blick den schwarzen Trauerschleier, Darunter saͤhst du sonst das weiße Kleid der Feier. 193. Der Armen Anblick ist ein stummer Vorwurf dir, O Reicher, frage dich: Wer gab den Vorzug mir? Der dir den Vorzug hat gegeben vor den Armen, Gab er nicht auch fuͤr sie dir in die Seel' Erbarmen? Und sind sie dankbarer fuͤr ihre Bloͤße gar, Als du fuͤr deine Pracht, wie bist du undankbar! Und wenn an freudigem Vertraun sie dich beschaͤmen, So braucht zur Strafe dir Gott nicht den Schatz zu nehmen. Er lasse dir den Schatz, damit du wie die Schlange, Die schaͤtzehuͤtende, dich kuͤmmerst zag und bange, Daß es die Armuth seh' und nicht solch Gluͤck verlange. 194. Ein alter Weiser lehrt, daß Tugend vielerlei, Doch stets ein Mittleres von zweien Aeußern sei; Im Wesen selber eins, doch von verschiednen Namen, Wie viele Schoͤßlinge aus einer Wurzel kamen. Gerechtigkeit, entfernt von Zu- und Gegenneigung, Von Vorlieb' und Mislieb', Abgunst und Gunstbezeigung. Leutseligkeit, entfernt von Schmeichelei und Trutz, Wie Wohlanstaͤndigkeit von Flitterpracht und Schmutz. Mannhaftigkeit, entfernt von Trotzigkeit und Zagnis, Und Tapferkeit, von Furcht und uͤbermuͤth'gem Wagnis. Freigebigkeit, gleichfern von Geiz und von Verschwendung; Besonnenheit, so fern von Arglist als Verblendung. Der Glaube, gleich entfernt von Un- und Ueberglauben, Der nichts dir dringet auf, und nichts sich laͤsset rauben. Die Nuͤchternheit, entfernt von Schlemmerei und Fasten; Die Ruͤhrigkeit, entfernt von Uebereil' und Rasten. Demuth, gleichweit von Stolz und Niedertraͤchtigkeit, Wie Leibeswohlgestalt von Fett und Schmaͤchtigkeit. Das Mittelmaß ist gut dem Alter wie der Jugend, Nur Mittelmaͤßigkeit allein ist keine Tugend. Im Mittelmaß vereint sich zweier Aeußern Kraft, Doch Mittelmaͤßigkeit ist beider untheilhaft. 195. Was einmal ist geschehn, das laß auf sich beruhn, Versaͤume nicht, auch das, was du noch kannst, zu thun. Ergib dich nur in das, was du nicht aͤndern kannst, So fuͤhlst du, daß du gleich zu Anderm Kraft gewannst. 196. Man sagt, die Traͤgheit ward vom Unverstand gefreit, Und ihrer Eh entsproß Armuth und Duͤrftigkeit. Die Eltern legten nur die Haͤnde in den Schooß, Doch ohne Unterhalt wurden die Kinder groß. Die waren undankbar, und trieben aus dem Haus Die Eltern, und das Paar zog in die Welt hinaus. Da war es wunderbar, sie ließen doch die Kinder Zu Haus, und fanden nun sie da und dort nicht minder. Voll Schrecken flohen sie und wollten sich verstecken, Doch stets bedrohen sie die Kinder aus den Ecken. 197. Vertrau auf Gottes Schutz! Wer koͤnnte sonst dich schuͤtzen? Und stuͤtze dich auf ihn! Auf wen willst du dich stuͤtzen! Der Welt Bosheit gereicht zum Besten Gottes Kindern, Und foͤrdern werden dich selbst Feinde die dich hindern. 198. Mein Kind, du bist schon lang der Mutter aus der Wiegen, Nun hilf dir selbst; wie du dir bettest, wirst du liegen. Mein Kind, du bist schon lang der Mutter aus der Wiegen, Die Fluͤgel wuchsen dir, gebrauche sie zum Fliegen. Mein Kind. du bist schon lang der Mutter aus der Wiegen; Der kommt nicht auf den Berg, wer nicht hinauf gestiegen. Mein Kind, du bist schon lang der Mutter aus der Wiegen; Greif an die Schwierigkeit, so wirst du sie besiegen. 199. Laß kommen, was da mag, ohn' es zuvor zu klagen! Zum Klagen ist die Zeit wann wir das Weh ertragen. Hier ist noch trockner Grund, wir ziehen Schuh und Strumpf Nicht ehr zum Waten aus als bis wir sind am Sumpf. 200. Durch Schaden wird man klug. Du gehst auf Heiles Pfaden, Wenn statt durch eignen klug du wirst durch fremden Schaden. Beispiele stehn vor dir, nimm Warnung an von ihnen, Daß du nie moͤgest selbst zum Warnungsbeispiel dienen. 201. Ein Bild von Großmuth ist der Loͤw' und Tapferkeit, Es ist ihm angestammt der Ruhm aus alter Zeit. Zwar sagen Maͤnner, die auf Laͤnderkunde reisen, Allbeides sei an ihm nicht unbedingt zu preisen. Allein wir glaubens nicht, und glauben sonst doch gern, Was zur Verkleinerung gereichet großen Herrn. Von koͤniglichem Muth wo wuͤrde denn gefunden Ein Vorbild, wenn es waͤr' am Loͤwen auch verschwunden! 202. Ein Sinnbild des Vereins der Schale mit dem Kerne Ist die Vereinigung des Lichts und der Laterne. Wer die Laterne traͤgt, und hat kein Licht darinn, Davon hat weder er noch irgendwer Gewinn. Rückert, Lehrgedicht II. 6 Wer offen traͤgt sein Licht, von keinem Schirm umwacht, Hat unverlaͤssiges Geleit bei wind'ger Nacht. Nur wem das Licht zugleich und die Latern' ist eigen, Sieht selber seinen Weg, und kann ihn andern zeigen. 203. Dein wahrer Freund ist nicht, wer dir den Spiegel haͤlt Der Schmeichelei, worin dein Bild dir selbst gefaͤllt. Dein wahrer Freund ist, wer dich sehn laͤßt deine Flecken, Und sie dir tilgen hilft, eh Feinde sie entdecken. 204. Wie selten ahnt ein Freund, was dein Gemuͤth bekriegt; Ihm steht von weitem, was dir naͤchst am Herzen liegt. Auch zwischen Freunden gibts unmittheilbare Sachen, Die jeder mit sich selbst und Gott hat abzumachen. 205. Es ist ein alter Spruch: Reiß ein dein altes Haus, So findest du den Schatz, und baust ein neues draus. Was ist damit gemeint? die ernstliche Belehrung: Bekehrung gruͤndliche, verkehrten Sinns Umkehrung. An alt baufaͤlligem Gebaͤude hilft kein Flicken, Zum morschen Balken wird kein derber Stein sich schicken. Du magst hier einen Klaff, dort einen Sprung verkleben, Stets wird ob deinem Haupt der Einsturz drohend schweben. Drum faß ein stark Vertraun, laß dir vorm Schutt nicht graun, Und bau von Grund-auf neu, was nicht ist umzubaun. Der aber ist begluͤckt, wer stets, zur rechten Zeit Nachhelfend, hielt sein Haus im Stand der Baulichkeit. 6* 206. Wer viele Diener hat, hat viele zu bedienen; Denn alle dienen ihm nur weil er dienet ihnen. Bedienen muß er sie mit Unterhalt und Lohn; Haͤlt das sie nicht im Dienst, so laufen sie davon. Sie dienen mit dem Leib, ihr Geist ist sorgenfrei, Sie lassen ihrem Herrn der Sorgen Sklaverei. 207. Wozu ein großes Haus? es nuͤtzt nicht voll noch leer. Zu einem großen Haus gehoͤrt ein großes Heer. Zu einem großen Heer gehoͤrt ein reicher Sold, Zum reichen Sold gehoͤrt ein eigner Schacht von Gold. Zum Schacht von Gold gehoͤrt viel Muͤh wol, ihn zu graben; Drum will ich auf der Welt ein kleines Haus nur haben. Das groͤßte Haus ist eng, das kleinste Haus ist weit, Wenn dort ist ein Gedraͤng und hier Zufriedenheit. 208. Das Sprichwort sagt: Wenn sich der Fuchs in seinem Bau Verschanzet, und verschließt die Pforten recht genau, Und davor steht der Loͤw' und droht mit grimmem Streich, So ist der Schwache drin dem Starken draußen gleich. 209. Wenn einer hat genug, soll er nach mehr nicht streben; Allein das schwere ist genug zu haben eben. Nie hat genug ein Mann an dem was er gewann, So lang er denkt, daß er noch mehr gewinnen kann. Kaum die Betrachtung hemmt sein thoͤrichtes Beginnen, Daß, wer viel hat, mehr kann verlieren als gewinnen. 210. Ein schlimmer Tischfreund ist Begierde, die nicht satt Von Kleinem wird, und nicht genug am Groͤsten hat. Ihr Schlund verschlingt, was sie vom Mund dir weggerissen, Und schmecken laͤßt sie dir in Ruhe keinen Bissen. 211. Oft war ich so gebeugt, wenn alles mir gegluͤckt, Und so erhoben oft, wenn alles mich gedruͤckt. Aus etwas anderm als Gelingen und Mislingen Der Außendinge muß mein Wohl und Weh entspringen. 212. Der Kranke, wenn er klagt um bittern Schmack im Munde, Nicht suͤße Arzenei gibt ihm der Arzt zur Stunde; Er gibt ihm bittre, nicht damit ihm bitter bleibe Der Mund, nein, Bitterkeit die Bitterkeit vertreibe. Der Kranke, wenn er ihm vertraut, genest vom Grunde, Und schmeckt die Suͤße der Gesundheit neu im Munde. 213. Die Weisen lehren dich, so schwierig als Entsagung Des Wuͤnschenswerthen sei des Widrigen Ertragung. Ich aber darf es dir wol im Vertrauen sagen: In dem Sinn hab' ich nie entsagt und nie ertragen. Was ich gegeben hin, was ich auf mich genommen, Ich kann nicht sagen, schwer sei es mir angekommen. 214. Der Meister hat gesagt: Es staͤnden unsre Sachen Viel besser, koͤnnte man nur alles zweimal machen. Im Kleinen magst du das am Einzelnen probieren, Im Großen geht es nicht, du wirst die Zeit verlieren. Was hilft im Einzelnen des Zweimalmachens Qual? Das ganze Leben doch man lebt es nur einmal. 215. Der Mensch dem Leibe nach wohnt in verschiednen Zonen, Und nach dem Geist in gar verschiednen Regionen. Nicht ist von Nordens Eis bis Suͤdens Sonnenbrand Verschiedner abgestuft das aͤußre Vaterland, Als von der nuͤchternsten Betrachtung bis zum Schwung Der hoͤchsten Andacht ist die innre Steigerung. Nicht wohnen kann ein Mensch zugleich in allen Zonen, Doch wechselweis der Geist in allen Regionen. 216. Gezogen ist ein Kreis, lang eh du tritst darein, Worin der Tummelplatz soll deiner Kraͤfte seyn. Erweitern kanst du selbst ihn weder noch verengern, Nicht deine Bahn darin verkuͤrzen noch verlaͤngern. Zufrieden kanst du seyn bei jedem Schritt darinn, Daß, statt nach deiner Wahl, es geht nach Gottes Sinn. 217. Verstand ist zweierlei: der ein' ist angeboren, Dein Wiegeneingebind und Mahlschatz unverloren. Erst zu erwerben ist der andre, zu ersparen, Der mit den Jahren waͤchst durch Lernen und Erfahren. Der zwei Verstaͤnde kann ein Mann entbehren keinen, Und erst ein ganzer wirds, wo beide sich vereinen. 218. Zwei Gleiche koͤnnen nicht im gleichen Felde gelten; Doch Anspruch machen zwei aufs voͤllig gleiche selten. Meist hat doch jeder Mann sein eignes Feld, und kann Dem Nebenmanne wohl das goͤnnen nebenan. 219. Dich ehr' ich, wenn du nie verwechselt Zweck und Mittel; Doch Anspruch hast du dann auf hoͤchsten Ehrentitel, Wenn, was als eigner Zweck genuͤgend waͤr' erschienen, Als Mittel sich erweist dem hoͤhern Zweck zu dienen. 220. Seh' ich in seiner Huͤlfsbeduͤrftigkeit ein Kind, So fuͤhl' ich, wie vor Gott wir alle Kinder sind. Wie haͤlfest du dir, Herz, wollt' er nicht dein des armen Sich ebenso, wie du dich deines Kinds, erbarmen! 221. Wenn Gutes dir gelang, warum willst du dich scheun, Weil es nicht dir entsprang, dich dessen doch zu freun? Da du so oft bereun mußt, was du schlecht gemacht, Soll dich nicht einmal freun auch was du recht vollbracht? 222. Das Unkraut, ausgerauft, waͤchst eben immer wieder, Und immer kaͤmpfen mußt du neu das Boͤse nieder. Wie du mußt jeden Tag neu waschen deine Glieder, So die Gedanken auch an jedem Tage wieder. 223. Ein Weiser, einst gefragt, wozu sei nutz das Leben Auf Erden?, sprach: um sich zum Himmel zu erheben. Zum Himmel wollen hier sich alle lebenden Erheben, alle wie verschieden strebenden. Zum Himmel heben will der eine sich durch Ruhm, Der andere durch Macht und hoͤchstes Herscherthum; Ein dritter durch Genuß der Guͤter dieser Erde, Ein vierter durch die Flucht vor Muͤhsal und Beschwerde; Ein andrer wiederum durch Duldmuth und Ertragung, Und endlich einer durch Gebet und Weltentsagung. Der Weise sieht die buntgetheilten Lebenskreise, Und freut sich, daß soviel mit ihm auf gleicher Reise Verschiedne Wege gehn, er laͤßt sie gehn auf ihren, Und sorget im Gedraͤng nicht seinen zu verlieren. 224. „Du, der du einst geklagt, dich fuͤhlend unbefriedigt, Nun klagest du nicht mehr, und bist du nun befriedigt?“ Befriedigt bin ich nicht, doch geb' ich mich zufrieden, Daß nicht Befriedigung zu finden sei hienieden. 225. In Unentschiedenheit und Zweifelmuth beklommner! Einst wirst du gluͤcklicher, einst wirst du seyn vollkommner. Einst wirst du wissender, einst besser als du bist; Weil jeder das nur wird, was er schon strebend ist. Dein fremdes Streben reicht weit uͤber dich hinaus Wo du dich selbst erreichst, da bist du erst zu Haus. 226. Die helle Gotteswelt, wie steht sie voll Gebilde Schoͤnleuchtender, wie hell voll Blumen ein Gefilde. Und was du selber thust, und was du selber bist, O fuͤhle wie's voll Lust Blum' unter Blumen ist. So bluͤhe dich nur aus, so dufte nur und lebe; Und pfluͤckt man dich zum Straus, vor Blumentod nicht bebe! 227. Du meine Mutter nicht, doch, Erde, meine Amme, Von deren Milch genaͤhrt bluͤht meine Geistesflamme! Du hast zur Freude mir dich immer bunt geschmuͤckt, Und unter Blumen mich am Busen festgedruͤckt. In deinem Bande lernt' ich stehn und gehn, mich wiegen Im Traum der Lust, und nun lernt' ich dir zu entfliegen. Leb wohl! vom Segen sei des Himmels uͤberthaut, Der zur Erziehung mich solang dir anvertraut. Dort nach dem weiten Haus des Vaters geht mein Lauf, Die Mutter such' ich dort, die unbekannte, auf, Die hohe, die sich mir im Traum nicht hat verhehlt, Und Ammenmaͤrchen hast du mir von ihr erzaͤhlt. 228. Was ist des Geistes Leib? Der Koͤrper ist es nicht, Der, aufgebaut aus Staub, in Staub zusammenbricht. Das ist des Geistes Leib: die Form, die er sich baut, In der mit Geistesblick ein Geist den andern schaut. Das ist der Leib, der jetzt die grobe Koͤrperhuͤlle Durchschimmernd, wann sie faͤllt, vortritt in klarer Fuͤlle. In diesem Leib sehn wir uns dort, laßt uns vertrauen: Der Geist hat seinen Leib, um, selbst geschaut, zu schauen. 229. In Andacht stehn wir fest, o Erd', auf dir, und preisen Die Elemente, die in dir und um dich kreisen; Die Flut, die dich umschließt, die Glut, die dich durchfließt, Die Luft, die um dich weit sich wie ein Mantel gießt. So uͤberschwaͤnglich sind die drei und wunderbar, Daß sich jedwedes stellt als ein Weltanfang dar; Sodaß die Weisen, die zuerst Weltursprung dachten, Zum Ersten diese dis und jene jenes machten. Aus Wasser ließen die hervor die Schoͤpfung tauchen, Und die aus Feuerglanz, und die aus Aetherhauchen. In Eintracht fassen wir die streitenden zusammen, Und sehn die Welt erbluͤhn aus Luͤften, Fluten, Flammen. Wer koͤnnt' am Weltgeweb recht sondern alle Faͤden, Dreifach zusammen wol geschlungen faͤnd' er jeden. Doch wir zerpfluͤcken nicht den Teppich der Natur, Und freun uns der aus Drei gewebten Buntheit nur. 230. Der Punkt ist eins fuͤr sich, zwei Punkte sind der Strich, Drei Striche Flaͤchenraum, vier Flaͤchen koͤrperlich. Sobald die Vierzahl ist, eins zwei drei vier, vorhanden, Ist aus dem Punkt, dem Nichts, die Koͤrperwelt entstanden. Und aus eins zwei drei vier muß alle Zahl bestehn, Denn wer vier drei zwei eins zusammenzaͤhlt, hat zehn. 231. Der Zahlen Grenz' ist zehn, die Grenze fuͤr die Todten Und Lebenden besteht in Gottes zehn Geboten. Zehn Finger hast du drum, o Kind, um ohne Fehlen An deiner Hand die zehn Gebote herzuzaͤhlen. 232. Die Dinge, spielen sie mit dir, spielst du mit ihnen? Zur Irrung gegenseits nur scheint ihr euch zu dienen. In diesem Augenblick will dieses wahr dir scheinen, Im andern Augenblick willst du's als falsch verneinen. Was ist von beiden nun? ist beides wohl zugleich? Ist nacheinander es, ein Werden wechselreich? Allbeides ist in dir, von einem Nu getrennt. Was ist nun das in dir, das so und so es nennt? Das ist dein Wechselndes, das Wechsel bringt den Dingen; Wo ist ein Stehendes, um sie zum Stehn zu bringen? Dis Stehende kann seyn das Ewige allein, Vor dem die Wahrheit steht und niederfaͤllt der Schein. Zieh alles Irdische vor dieses Gottgericht! Wahr ist, was mit ihm stimmt, und falsch was widerspricht. 233. Daß in denselben Fluß du kannst nicht zweimal steigen, Weil jeden Augenblick ihm andre Flut ist eigen, Und daß du selber auch, dir selber nicht getreuer, Bist jeden Augenblick ein anderer und neuer; Der Weise, der dis sprach, du meinest wol, daß schwach Er war und wandelbar, beweglich wie der Bach? Vielmehr unwandelbar war er, und blieb dabei, Beharrlich, steif und staͤt, daß Alles unstaͤt sei. Selbst unbeweglich, ließ er alles sich bewegen, Und dachte nicht daran sich selbst zu widerlegen. 234. Ein Lehrer lehrt dich, daß es keine Wahrheit gebe, Und geb' es eine, sie doch unerkennbar schwebe, Und wenn erkennbar, sei sie doch nicht mitzutheilen. Was kann den Lehrling vom dreifachen Zweifel heilen? Des Lehrers Lehre selbst, die er als wahr ausspricht; Denn, seiner Lehre nach, ist sie auch Wahrheit nicht. Nun wenn nicht dis, so ist das Gegentheil denn wahr, Daß eine Wahrheit sei, erkenn- und mittheilbar. 235. Daß gar kein Wissbares, daß nichts unwissbar sei, Ist einerlei im Sinn, im Ausdruck zweierlei. Im Ausdruck theilten sich, im Endzweck einverstanden, Scheinweise, die im Kampf mit wahren Weisen standen. Scheinweise wissen, auf in gleichen Schein zu loͤsen Wahrheit und Unterschied des Guten und des Boͤsen. Doch Weise wissen fest den Unterschied zu halten, Die Wahrheit im Geweb des Irrthums zu entfalten: Daß etwas nicht gewußt, etwas gewußt kann werden, Und dis ist noth uns just, und jenes nicht, auf Erden. 236. Wie unvollkommene Vorstellungen von Sfaͤren Des Himmels und der Welt kannst du im Geiste naͤhren, Und doch vollkommen fest in deiner Sfaͤre seyn; So wenig fließet auf das Thun das Wissen ein. Wer recht thut in der Welt, hat rechten Weltverstand, Ob er auch nicht die kunstgerechten Formeln fand. Der Ausdruck fehlt ihm nur, doch nicht der Einsicht Kern; Und wer entbehrt nicht um den Kern die Schale gern? 237. Das Gute kommt von dir, das Boͤse von der Welt Zum Theil, zum Theil von mir, mit dem es steht und faͤllt. Das Boͤse von der Welt das werd' ich leichter daͤmpfen, Das Boͤse von mir selbst hilf mir du selbst bekaͤmpfen! 238. Die Fehler, die zu tief dir waren angepraͤgt, Sie plagen dich noch lang, wann du sie abgelegt. Zum Vorschein kommen sie an deinen Kindern wieder, Und durch Erziehung kaͤmpfst du sie noch einmal nieder. 239. Die Weltbetrachtungsart und Ueberzeugungsweise, Die sich gebildet hat ein Volk in seinem Kreise, Erschuͤttert muß sie seyn und innerlich gestoͤrt, Sobald ein Volk allein nicht mehr sich angehoͤrt; Sobald es auch nur hoͤrt von fremden Sitten sagen Und Meinungen, die nicht mit seinen sich vertragen: Zuerst erwehrt es sich andringender Gefahren Dadurch, daß es mit Stolz die Fremden nennt Barbaren. Doch halten kann nicht lang des stolzen Wahns Umschildung, Und die Einbildung schmilzt mit fortgeschrittner Bildung. Dann droht ein andrer Wahn mit naͤherer Gefahr: Daß in der Menschenwelt nichts sei unwandelbar. Das eine gelte hier, das andre gelte dort, Und an sich Geltendes sei drum an keinem Ort. Kein an sich Geltendes des Guten, Schoͤnen, Rechten; Das ist der Kampf, den nun die Bildung durch muß fechten. Ihn helfe fechten, wer zuerst ihn angeregt, Weltweisheit, die die Welt vor Augen uns gelegt: Sie zeig' uns, daß die Form des Guten mancherlei, Doch stets an einem Ort nur eins das Rechte sei. Der Bildung Gipfel sei, an Fremden anerkennen Das Fremde, doch sich selbst nicht von sich selber trennen. 240. Noch jede Zeit hat umgeformt nach ihrem Brauch Die Weisheit alter Zeit, und so thun wir es auch. Wir nehmen sie nur an, wie wir sie brauchen koͤnnen, Und fuͤgen muß sie sich, wo wir den Platz ihr goͤnnen. Nimmt sie sich minder aus im Haus, als einst im Zelte, Doch ist es besser, daß sie so, als gar nicht, gelte. 241. Gar manche glauben, sprach ein Weiser wohlbeflissen, Nicht minder ihrem Wahn, als andre ihrem Wissen. Das eben ist der Wahn, der was zu wissen meint, Da wahres Wissen sich unwissend immer scheint. Drum waͤchst das Wissen, das nie gnug zu wissen glaubt, Des Fortschritts aber hat der Wahn sich selbst beraubt. 242. Vom Glauben gehst du aus, und kehrst zuruͤck zum Glauben; Der Zweifel steht am Weg, die Ruhe dir zu rauben. Gehst du ihm aus dem Weg? er ist auf allen Wegen, In anderer Gestalt tritt er dir dort entgegen. Drum flieh nicht vor dem Feind, und such' ihn auch nicht auf; Wo er dir aufstoͤßt, raͤum' ihn fort aus deinem Lauf! Bekaͤmpfen mußt du ihn, du mußt ihn uͤberwinden, Willst du durch sein Gebiet den Weg zur Wahrheit finden. Du zweifelst nicht, weil du geworden weiser bist; Du zweifelst, weil noch reif nicht deine Weisheit ist. Der Zweifel ist die Huͤll', in der die Frucht soll reifen, Und die gereifte Frucht wird ihre Huͤll' abstreifen. 243. Die Zukunft habet ihr, ihr habt das Vaterland, Ihr habt der Jugend Herz, Erzieher, in der Hand. Was ihr dem lockern Grund einpflanzt, wird Wurzel schlagen; Was ihr dem zarten Zweig einimpft, wird Fruͤchte tragen. Bedenkt, daß sie zum Heil der Welt das werden sollen, Was wir geworden nicht, und haben werden wollen. 244. Mein Kind, o koͤnnt' ich dich, da du nun auf die Schwellen Des Lebens eintritst, gleich ans Ziel im Geiste stellen; Damit du, was gethan am Schluß einst deiner Bahn Du moͤchtest, thaͤtest jetzt, indem du sie tritst an. Mein Kind, auf diesem Weg bin ich vor dir gegangen; Was hilfts, vor Dornen dich zu warnen und vor Schlangen? Mein Kind, mit deinem Gang heb' ich neu meine Schwingen; Was selbst mir nicht gelang, das moͤge dir gelingen. Rückert, Lehrgedicht II. 7 Was selbst ich nicht errang, das moͤgest du erringen; Was unvollbracht ich ließ, Gott lass' es dich vollbringen. Mein Kind, ich zittre beim Gedanken schon, daß fallen Du koͤnnest, und allein muß ich dich lassen wallen; Allein, in Gottes Hut, allein mit deinem Muth; Schreit und bedenk, daß man zuruͤck den Schritt nie thut. 245. Zum Himmel blick' empor, er ist voll heller Kerzen; Kind, freudig habe Gott vor Augen und im Herzen. In jedem Augenblick sollst du ihm angehoͤren, Das will er, doch dich nicht in deiner Freude stoͤren. Er will nicht, daß du sollst in stetem Bangen schweben, Denn er ist nicht der Tod, er ist das ew'ge Leben. Verschließest du dich ihm, so dringt er doch herein, Und macht mit seinem Blitz zunicht den falschen Schein. Doch nimmst du selbst ihn ein, wird er mit Lust dich naͤhren, Und nicht dein Irdisches vernichten, nur verklaͤren. Entweichen kannst du nicht, er wird dich uͤberschleichen; Vergleichen mußt du dich, die Hand zum Bund ihm reichen. Mit ihm im Kampfe, bist du nie mit dir im Frieden! Im Frieden sei mit ihm, so ist der Kampf geschieden. 246. Kind, lerne zweierlei, so wirst du nicht verderben; Zum ersten lerne was, um etwas zu erwerben. Zum andern lerne das, was Niemand dich kann lehren: Gern das, was du nicht kannst erwerben, zu entbehren. 247. Noch sorgen andere, mein Kind, fuͤr dich und wachen; Bald es fuͤr dich zu thun mußt du dich fertig machen. Und bist du fuͤr dich selbst von Sorgen einst geborgen, Fuͤr andre hast du dann zu wachen und zu sorgen. Der Mensch wird niemals frei von dieser Sorgenwacht, Die er bald anderen, und bald sich selber macht. 7* 248. Der groͤßre Bruder soll die kleinern uͤberwachen, Und diese sollen ihn zu ihrem Vorbild machen. So tritt er halb und halb schon an des Vaters Statt, Die ihnen er vielleicht einst zu vertreten hat. 249. So mancher klagt, und sagt, daß ihn die Welt verkennt; Doch kann er sagen wol, daß er sich selber kennt? Kennst du dich nicht, woran erkennst du mein Verkennen? Wer nicht verkannt will seyn, muß erst sich selbst erkennen. 250. Wer seine Schwaͤchen kennt, wird fremde nicht beschreien, Und wo er Nachsicht selbst bedarf, auch gern verzeihen. Doch wird er uͤberlaut auch Glaͤnzendes nicht loben, Weil menschliches Verdienst er kennt aus eignen Proben. Gleich von Bewunderern entfernet wie von Spoͤttern, Wird er sowenig, als verdammen, auch vergoͤttern. 251. Das Tonspiel kennen muß, wer's brauchen will zum Spiele; Und so die Menschen wer sie leiten will zum Ziele. Denn Niemand will allein und kann zum Ziele schreiten, Wo nicht zum gleichen Ziel der andern viele schreiten. Und ist das Ziel nur gut, so ist nichts einzuwenden, Wenn du zu deinem Ziel weißt andre fein zu wenden. Denn leider ohne Ziel gehn in der Irre viel, Die es dir danken, wenn du ihnen zeigst ein Ziel. 252. Kein Vorbereiten hilft, das Rechte recht zu thun, Denn anders dachtest du, und anders thust du nun. Ein andrer fuͤhlst du dich im Thun, als du dich dachtest, Und findest andres vor, als du in Rechnung brachtest. Drum ist kein Rath, als dich im Ganzen recht zu fassen, Und dann das Seinige dem Augenblick zu lassen. 253. Ist in dir etwas noch, das du dich schaͤmst zu zeigen, Zu deiner Ehre was du andern mußt verschweigen? Was hilft es dir, wenn du's dem Blick der Welt entziehst, Da wider Willen doch du es vor Augen siehst? Das wirf aus dir heraus, wenn du dir willst ersparen Des Anblicks Unlust sammt der Muͤh es zu verwahren. 254. Den innern Widerspruch im Menschen zu erklaͤren, Verneinten manche, daß in ihm zwo Seelen waͤren, Und ihn zum Guten die, zum Boͤsen jene triebe, Er aber unterthan bald der bald jener bliebe. Und andre nahmen an, daß ihn zu beiden Seiten Zween Engel, einer boͤs' und einer gut, begleiten, Die hier ins rechte Ohr ihm fluͤstern, dort ins linke, Hier, daß er sich erheb', und dort, daß er versinke. Zwo Seelen sollst du nicht, noch auch zween Engel glauben; Die Freiheit wuͤrdest du, die eigne Kraft dir rauben. Der Widerspruch ist da, woher ist er gekommen? Aus dem Verschiedenen, woraus dich Gott genommen. Genommen hat er, daß du beider Einheit seist, Von Erde deinen Leib, von Himmel deinen Geist. Der Leib von Erde kann nur Irdisches begehren, Der Geist vom Himmel nur zum Himmlischen sich kehren. So hat er dich gemischt, daß du dich selbst bekriegest, Mit deinem Hoͤheren dein Niederes besiegest, Ein Bild der Schoͤpfung selbst, die er nur dazu schuf, Daß dienstbar Leibliches sei geistigem Beruf. 255. Wer selber sich beherrscht, beherrschet auch die Welt, Weil stets das Aeußere des Innern Spiegel haͤlt. Wer sich beherrscht, den kann beherrschen außenher Kein Herrscher, denn allein im Aeußern herrschet der. Bedingen kann er dich mit Macht und dich umringen, Eindringen kann er nicht und in dir dich bezwingen. Antasten kann er nicht dein eignes Herrscherthum, Du aber goͤnnest gern ihm seinen Herrscherruhm; Wie du dem Blitze goͤnnst, dem Sturmwind seine Fluͤgel: Im Zuͤgel halte dich! Gott haͤlt die Welt im Zuͤgel. 256. Der Mensch kann was er will, wenn er will was er kann; Ist wohl ein guter Spruch, doch gnuͤgt er nicht dem Mann. Der Mensch kann was er will, wenn er will was er soll; In diesem ist das Maß der Mannestugend voll. Das ist der Zauberbann, womit du alles stillst: Wolle nur was du sollst, so kanst du was du willst. 257. Ein gutes Werkzeug braucht zur Arbeit ein Arbeiter, Und gute Waffen auch zum Waffenstreit ein Streiter. Du Streiter Gottes und Arbeiter, merk's, o Geist, Daß deines eignen Leibs du nicht unachtsam seist. Das ist dein Arbeitszeug, das ist dein Streitgewaffen; Das halte wohl in Stand, zu streiten und zu schaffen! O wie du dich bethoͤrst, wenn du den Leib zerstoͤrst, Der dir so angehoͤrt, wie du Gott angehoͤrst. Wie du Gott angehoͤrst, gehoͤrt dein Leib dir an, Und ohne deinen Leib bist du kein Gottesmann. 258. Sei maͤßig im Genuß, nicht bloß gewuͤrzter Speisen, Geistiger Wuͤrzen auch in Buͤchern deiner Weisen. Mit Speisen wirst du nur den Magen uͤberladen, Doch fremdes Denken kann dem eignen Denken schaden. Drum, wie du issest nur soviel du kanst verdauen, So lis auch mehr nicht als du brauchst dich zu erbauen. 259. In der Literatur unendlichem Gedraͤnge Lehr' ich ein Mittel dich, zu kuͤrzen deine Gaͤnge. Sieh darauf jeden Mann, den du begegnest, an, Was er nach seiner Art, und was nicht leisten kann. Hast du ihn so geschaͤtzt im Ganzen, laß ihn machen Im Einzlen was er will, und mache deine Sachen. 260. Ein Buͤcherkatalog fiel heut in meine Hand, Schwer wie ein Riese wog der starke dicke Band. O weh, Literatur wie breit bist du geworden, Wenn das die Titel nur sind deiner Buͤcherhorden. Wer kann die Titel bloß, wer erst die Buͤcher lesen? Der Zeiten Gluͤck war groß, als du noch klein gewesen. Doch wir, die Waͤchterschaar bei dem geschwollnen Drachen, Arbeiten immerdar ihn dicker noch zu machen. 261. Es wird mit Recht gesagt Markt der Literatur; Denn sie vergleichet sich mit einem Markte nur. Wie auf dem Markte stehn zum Kaufe Waaren feil, Und jeder nach Bedarf nimmt davon einen Theil: Der eine waͤhlt sich dis, der andre das vom Haufen, Doch keinem faͤllt es ein, den ganzen Markt zu kaufen: So auch wer koͤnnte jetzt sich noch einfallen lassen, Sich mit Literatur der ganzen zu befassen? Der greift sich hier ein Stuͤck, der eines dort heraus, Nach eigenem Geschmack und zum Verbrauch im Haus. Der Zufall waltet, wo am Urteil es gebricht, Und im Gewuͤhl ist ganz unmoͤglich Uebersicht. Unmerklich unter'm Glanz der ausgestellten Guͤter Wird an den Mann gebracht auch mancher Ladenhuͤter. Heut hat den Zulauf der, den andere beneiden, Die morgen am Verfall sich seines Krames weiden. Es bietet kurzen Ruhm mit ungewissem Brode Der uͤberfuͤllte Markt mit wechselhafter Mode. 262. Sie sagen mir, ich glaubs, allein ich fuͤhl' es nicht, Daß nun mein Haupt ein Kranz von Dichterlaub umflicht. Was hilft, den andre sehn, der Kranz, den ich nicht fuͤhle, Nicht fuͤhle, daß er mir die heißen Schlaͤfe kuͤhle! 263. Und locket wieder dich das Gaukelspiel der Welt, Was sie dir vorhaͤlt stets, und stets dir vorenthaͤlt! O nimm in deine Brust nicht diesen harten Stein; Zwei Herzen koͤnnen nicht in Einem Busen seyn. Er druͤckt das Herz dir ab, das sich daran will laben; O habe du das Herz, dein Herz fuͤr dich zu haben! In dir bist du gesund, und fuͤhlst in ihr dich krank; Gib, was du hast, der Welt, und nimm nicht ihren Dank! 264. In meiner Wohnung bin ich wohnlich eingewohnt, Mit Ungewohnetem will ich da seyn verschont. Das Ungewoͤhnliche zu sehen geh' ich aus, Doch zum Gewoͤhnlichen kehr' ich mit Lust nach Haus. Gewohnheit, aber nur die uͤble, ist zu schelten, Gewoͤhnung bessere muß fuͤr das beste gelten. Denn Gutes, zur Natur geworden, haftet nur, Gewohnheit aber wird zur anderen Natur. 265. Gefragt ein Weiser: denkst du nie ans Vaterland? Doch, sprach er, stets! und wies zum Himmel mit der Hand. Des Weisen Vaterland ist all des Himmels Weite, Und, uͤberwoͤlbt davon, der Menschheit ganze Breite. Hat er beim Weiteren das Engere vergessen? Vergisset er doch auch beim Denken nicht das Essen! Doch maͤßig isset er, und so ermisset er Klein Kleines, Großes nicht darob vergisset er. 266. Du bist begluͤckt, wenn dir gegeben ist, zusammen Mit vielen wirkend, dich mit ihnen zu entflammen. Doch wenn du stehst allein, so laß dich's nicht verdrießen, Statt Menschen mußt du nur der Menschheit dich erschließen. Aus jeder Raumesweit', aus allen Zeitenfernen, Gruͤßt den der Menschheit Geist, der von ihm weiß zu lernen. Gedanken steigen aus vermorschter Buͤchergruft, Und andre schwimmen in der Luft wie Bluͤtenduft. Noch kein gedachter je gieng Denkenden verloren, Und ungeahnet wird kein neuer auch geboren. Drum troͤsten magst du dich, wenn aufgieng dir ein Licht, Theilst du's auch keinem mit, der Welt entgeht es nicht. Sie streiten, wer zuerst dis habe vorgebracht; Der Geist der Menschheit hats gemeinschaftlich erdacht. 267. In seinem eignen Kreis wer laͤßt sich gerne stoͤren? Jedweder hat ein Recht sich selbst anzugehoͤren. Und also hast auch du dein Recht, zuruͤckzuweisen, Wer irgend oder was dich stoͤrt in deinen Kreisen. Doch nur wie sich's gehoͤrt, fein still und unentpoͤrt! Sonst hat nicht Fremdes dich, du hast dich selbst verstoͤrt. Gib lieber etwas preis, und zieh zuruͤck dich leise In einen innern Kreis aus einem aͤußerm Kreise; Wie ein Befehliger, der Vestung Außenwerke Aufgebend, sich verlaͤßt auf seines Hauptwerks Staͤrke: Die aͤußern Linien mußt du zu weit nicht dehnen, Sonst zu vertheidigen hast du zuviel an denen. 268. Wer nur beschaͤftigt ist, daß er sich selber bilde, Beschaͤmen mag ihn wol die arbeitsame Gilde, Die nur beschaͤftigt ist zu bilden fuͤr die Welt, Und jeden Tag dafuͤr den baaren Lohn erhaͤlt. Ja schaͤme dich, die Hand zu legen in den Schoß; Der Lohn, den du dir selbst dafuͤr gibst, ist nicht groß. Und wie du vom Versteck der Abgeschiedenheit Hervortritst, schmilzt der Traum der Selbzufriedenheit. Was hilfts daß du dir sagst, du bildest dich der Welt? Die doch als Musterbild dich nie vor Augen haͤlt. 269. Nie stille steht die Zeit, der Augenblick entschwebt, Und den du nicht benutzt, den hast du nicht gelebt. Und du auch stehst nie still, der gleiche bist du nimmer, Und wer nicht besser wird, ist schon geworden schlimmer. Wer einen Tag der Welt nicht nutzt, hat ihr geschadet, Weil er versaͤumt, wozu ihn Gott mit Kraft begnadet. 270. Mein Sohn, wenn du dich hast vergangen, buͤß' es gleich; Denn des Vergehens harrt fruͤh oder spaͤt der Streich. Wie aber buͤßest du's? Dadurch, daß du bereuest, Und dich des sicheren Gefuͤhls der Beßrung freuest. Mein Sohn, sei uͤberzeugt, es gibt noch Herzenskuͤnder, Und Gott allein nicht sieht ins Innre jedem Suͤnder. Ins Innre siehet auch dir jeder, dem getruͤbt Des Geistes Sehkraft selbst nicht ist, noch ungeuͤbt. Und welchem Blicke du begegnest, mußt du bangen, Daß er von Gott die Kraft, dich zu durchschaun, empfangen. An deiner Stirne steht's, dort wird er es entdecken; Wegwischen kannst du's nicht, du kannst es nicht verstecken. Drum wenn dort Boͤses steht geschrieben, schreibe du In leserlicher Schrift die Beßrung auch dazu. Nicht ungeschrieben zwar wird, was ist ausgestrichen, Doch fuͤr den Rechnerblick die Rechnung ausgeglichen. Mein Sohn, nicht darin such' hier Gottes Strafgericht, Daß jedem Suͤnder man die Strafe sichtbar spricht; Darin, daß keiner hier gesuͤndigt und verbrochen, Der nicht sich selber hat sein Strafurteil gesprochen. Straf' ist ihm das Gefuͤhl, daß er strafwuͤrdig sei, Und mehr noch Strafe dis, daß er von Straf' ist frei. Denn denken muß er, wenn sie hier ihn nicht ereilt, Entgegen eil' er ihr dort wo sie ewig weilt. Und dis Geschwuͤr, das er doch pochen fuͤhlt und kochen, Noch besser waͤr' es aufgebrochen, aufgestochen. Ja besser waͤr' es dir, du heiltest hier dich aus, Und kaͤmest dort gesund in deines Vaters Haus. 271. Vor allen Thieren, die dem Menschen aͤhnlich scheinen, Hat dis der Mensch voraus, zu laͤcheln und zu weinen. Durch Laͤcheln suchet er und Weinen uͤbers Thier Hinuͤber, o Natur, den Weg zuruͤck zu dir. Denn deine Blume auch, sie laͤchelt und sie weint, Wenn sie dein Thau benetzt, wenn sie dein Licht bescheint. Dein Weinen das Gewoͤlk, dein Laͤcheln ist die Sonne, Dein Laͤchelweinen ist wie unsres Wehmuthswonne. Du, weil wir weinen, weinst: wir laͤcheln, weil du lachst; Wir machen vor und nach dir alles, wie du's machst. 272. So lange du noch kanst erroͤthen und erblassen, Bist du von menschlichen Gefuͤhlen nicht verlassen. Nie moͤgen menschliche Gefuͤhle dir entweichen Soweit, daß du nicht kanst erroͤthen und erbleichen! Erbleichen macht dich Furcht, erroͤthen macht dich Scham, Furcht die vorm Boͤsen kommt, und Scham die nach ihm kam. Nur wenn du diese Furcht und Scham in dir zu toͤdten Vermagst, wirst du nicht mehr erblassen und erroͤthen. Wer nicht das Boͤse kennt, erblaßt, erroͤthet nicht, Das Thier am Boden hier, der Siddha dort im Licht. Vom Thiere fern, kanst du nicht an den Siddha reichen, Deswegen Furcht und Scham dich wechselnd uͤberschleichen. Du kanst dem Thiere nicht, noch auch dem Siddha gleichen, Dagegen wechselt dein Erroͤthen mit Erbleichen. O fuͤrchte dich nur nicht, noch schaͤme dich der Zeichen Der Menschlichkeit im Schamerroͤthen, Furchterbleichen! Doch wenn zur rechten Zeit vorm Boͤsen stets dir kam Die Furcht, so kommt dir nach zur Unzeit nie die Scham. Vorm letzten Boͤsen dann, dem Tod, wirst du erblassen Furchtlos, und druͤben sei Schamroͤthe dir erlassen. 273. Nicht leicht ein Schoͤnes wird, ein Gutes seyn, wovon Ich nicht gesagt ein Wort, gesungen einen Ton. Drum kann ich wohlgemuth gehn durch die Einsamkeiten, Wo solche Choͤre mich von Genien begleiten. Aufsprosset sanft und mild mir hier und dort ein Bild, Und schmuͤckt mit Fruͤhlingstraum das winternde Gefild. 274. Was du erlangen kanst, das stillt nicht dein Verlangen; Was dein Verlangen stillt, das kanst du nicht erlangen. Viel niedre Guͤter hat dein Hochsinn aufgegeben, Aufgeben aber kanst du nicht dein hoͤchstes Streben. Vertrau! umsonst ist nicht in dich gelegt der Trieb; Erschließen wird sich dort, was hier verschlossen blieb. Dann wirst du sehen, wann du schaust was du geahnt; Dis Ahnen hat den Weg zu jenem Schaun gebahnt. 275. Gott, also hat gesagt ein hoher Glaubenslehrer, Gott selber waͤchst in dir, o glaubiger Verehrer. Er waͤchst nicht in sich selbst, da ist er stets vollkommen, Der zur Vollkommenheit nur auch in dir soll kommen. Und waͤchst er nicht in dir, jemehr du ihn begreifst, Jemehr in deiner Brust du sein Geheimnis reifst? Wenn dich ein maͤßiges Verstaͤndniß gestern freute, So freuet hoͤhere Verstaͤndigung dich heute. Noch tiefre Einsicht geht dir morgen auf villeicht, Und immer waͤchst der Glanz, der nie die Spitz' erreicht. Und sollt' es Gott nicht freun, sowie es dich erfreut, In dir sich zu erneun, indem er dich erneut? Beschaut ein Lehrer doch in seines Schuͤlers Brust Stets reiner ausgepraͤgt sein eignes Bild mit Lust. Nicht minder schauet Gott im Spiegel von Kristallen, Wozu dein Herz er schuf, sich selbst mit Wohlgefallen. O Herz, das zum Behuf des Spiegels Er erschuf, Wie weit bist du entfernt zu gnuͤgen dem Beruf! 276. Es gibt noch Gluͤckliche, wenn du auch keiner bist; Die Freud' ist auf der Welt, wenn sie auch dein nicht ist. Doch diese Freud' ist dein, daß viele freun sich koͤnnen, Und diese Freud' allein wird Niemand dir misgoͤnnen. 277. Je laͤnger du's gehabt, je laͤnger willst du's haben, Und ein Geliebtes wird dir stets zu fruͤh begraben. Du bildetest dir ein, es sei auf ewig dein, Und solltest Gott, der dir's solang ließ, dankbar seyn. 278. Beim hoͤchsten Streben ist nothwendig hoͤchste Wage; Den Sieg begleitet stets Gefahr der Niederlage. Im Weg zum Guten kanst du in des Boͤsen Krallen, Und auf der Wahrheit Weg in jeden Irrthum fallen. 279. Gekommen in die Nacht der Welt ist Gottes Licht; Wir sind daran erwacht, und schlummern fuͤrder nicht. Wir schlummern fuͤrder nicht den Weltbetaͤubungschlummer, Wir blicken, wach im Licht, aufs Nachtgraun ohne Kummer. Wo ist der Naͤchte Graun? es ist vom Licht bezwungen; Wir blicken mit Vertraun ins Licht, vom Licht durchdrungen. Daß wir durchdrungen sind vom Lichte, dem wir dienen, Wir zeigens dem Gesind der Nacht in unsern Mienen. In hellen Mienen macht sich kund die Kraft des Herrn, Und wer nicht in der Nacht kann leuchten, ist kein Stern. Rückert, Lehrgedicht II. 8 280. Gar manche Schale muß von deinem Ich sich loͤsen, Zufaͤllig Irdisches, und mancher Rost des Boͤsen. Doch waͤhrend immermehr dein Ich sich also reinigt, Wird immer mehr mit ihm des Neuen auch vereinigt. Du strebest Tag fuͤr Tag durch Lernen wie durch Lehren, Durch Denken wie durch Thun, den Kern des Ichs zu mehren. Der Edelstein bedarf viel Mittel, sich zu schleifen; Viel Nahrungsmittel braucht der Saamen, um zu reifen. Wer kann zuletzt mit Lust im fert'gen Ich beruhn? Wer nichts hinzuthut, was er wieder weg muß thun. 281. Warum vertragen sich verschiedne Menschen selten? Weil jeder gelten will, und keinen lassen gelten. Und doch verschieden ist nur darum Mann von Mann, Daß jeder, jedem unbeschadet, gelten kann. In der Verschiedenheit der Stellung und der Meinung Ist wol der Spaltung Grund, doch der auch der Vereinung. 282. Die Unzufriedenheit mit deinem Thun, die Reue, Hilft dazu, daß sich nicht das falsche Thun erneue. Allein zum rechten Thun hilft sie dir wenig nur: Die Reue reutet aus, doch wer bestellt die Flur? Um deines Herzen Flur gedeihlich zu bestellen, Muß Selbstvertraun, genaͤhrt von Gottvertraun, dich schwellen. 8* 283. Daß in der Einsamkeit dir nicht der Reiz gebraͤche Der Unterhaltung, haͤltst du mit dir Selbstgespraͤche. Du hast den Vortheil, dis Gespraͤch allein zu leiten, Und laͤssest, was du gern nicht hoͤrest, leicht beiseiten. Einseitig ist darum doch nicht die Unterhaltung, Es ist in dir ein Keim unendlicher Entfaltung. Viel Unterredner sind in dir, du mußt nur jeden, Von dem du lernen willst, nicht hindern auszureden. 284. Steht denn so gar nichts fest in dir, daß du geschwinde Die Ueberzeugung beugst nach jedem neuen Winde? Es steht wol etwas fest gewurzelt wie der Baum; Die Zweige beugen sich, die Wurzel merkt es kaum. 285. Von deiner Eitelkeit was kann dich, Dichter, heilen? Und wollte dich die Welt vereinigt aburteilen; Berufst du gegen sie nur auf die Nachwelt dich, Und hoͤrst von der dich nie verurteilt sicherlich. 286. Unruhig ist die Welt, unruhig ist das Herz, Und eins das andre setzt in Unruh allerwerts. Im Himmel nur ist Ruh, im Himmel nur ist Frieden; O faͤnd' ich Ruh, von mir und von der Welt geschieden! Komm, Gottesruh, den Sturm mir aus der Brust zu hauchen! Laß mich den Krieg der Welt in deinen Frieden tauchen. 287. Du mußt die Gruͤbelei'n der Forschung nicht verachten; Das ist dein Gluͤck, daß sie dir nie zu schaffen machten. Doch gibt es andere, die anders aus nicht kommen; Die Plag', ihr einz'ger Trost, sei ihnen nicht genommen. 288. Ob die Erklaͤrungen der Sache falsch auch waͤren, Soviel erklaͤren sie, sie sei doch zu erklaͤren. Und ob als falsche noch viel andre muͤßen schwinden, Sie sind der Weg zuletzt die wahre doch zu finden. 289. Einfacher Haushalt ist im Staate zu empfehlen; Den sollst du, wie im Haus, auch im Gemuͤte waͤhlen. Ob enger sei der Leib, ob weiter sei der Bogen, Geschlossen sei er nur, so fest als rein gezogen. Was Fremdes tritt herein, anweis' ihm seine Stelle, Und was nur stoͤren kann, abweis' es von der Schwelle. Ein Manigfaltiges, ein Vielgestaltiges, Zusammen sei's gefaßt durch ein Gewaltiges, Durch ein Gewaltiges, das in der Mitte steht Als Sonn', um die sich ein Planetenwirbel dreht. Den Mittelpunkt des Lichts, den Mittelpunkt der Ruh, Der Zieh- und Schwerkraft, hast, mußt haben in dir du. Verdunkle nur ihn nicht und bring ihn nicht ins Schwanken Durch thoͤrichte Begier und eitele Gedanken. Du gibst den Dingen Werth, und mußt dich selbst verklagen, Wenn du, was du entbehrt, zu hoch hast angeschlagen. Mit Vielem haͤlt man Haus, mit Wen'gem kommt man aus; Der schont den Magen, wem genuͤgt ein Ohrenschmaus. Nimm nur, was dir sich beut, und thu was du vermagst, So lebst du ohne daß du dich noch andre plagst. 290. Wenn Gott in dir nur ist, so wird in Hoͤhn und Gruͤnden Der Schoͤpfung uͤberall sein Wirken dir sich kuͤnden. Dis ist, und dieses nur, die Huͤlfe der Natur: Sie lehret dich nicht Gott, doch zeigt dir seine Spur. Das wesentliche Licht muß in dir seyn dein eigen, Wenn sich sein Abglanz soll in tausend Spiegeln zeigen. Der Schluͤssel der Natur muß dir in Haͤnden ruhn, Um ihre ewigen Schatzkammern aufzuthun. Wie aber ist nun Gott in dich hineingekommen? Hast du ihn auf- und an-? hat er dich eingenommen? Du hast ihn nicht erdacht, noch selbst hervorgebracht; Schlief er villeicht in dir, und waͤre nur erwacht? Du bist die Wiege, die er selber sich erkoren; Nicht du gebarest ihn, er hat sich dir geboren. Er hat, um einzuziehn, die Pforten dir verliehn, Und auch dazu die Macht, selbst auszuschließen ihn. Er steht und klopfet an, und wenn du aufgethan, So hast du auch dazu von ihm die Kraft empfahn. 291. Du bist schon, weil ich bin; denn also fuͤhl' ich mich, Daß ich durch mich nichts bin, und alles bin durch dich. Der du zum lebenden Beweise dir mich schufest; Dich zu beweisen, ist, wozu du mich berufest: Dich zu beweisen durch mich selbst mir und der Welt, Die den Beweis von dir nicht kennt, den sie enthaͤlt. 292. Ein heller Morgen bringt dir einen guten Tag; Was ist nun, das dir hell den Morgen machen mag? Ein froher Abend wirkt wie Zauber durch die Nacht; Und sei der Morgen truͤb, doch bist du hell erwacht. Was aber konnte dir den frohen Abend bringen? Daß du am Tage sahst dein Treiben dir gelingen. Auf hellen Morgen weist das wiederum zuruͤck; So aus sich selbst im Kreis entfaltet sich das Gluͤck. Laß es, einmal im Schwung, in Stocken nicht gerathen! Stets Saamen traͤgt die Saat, und stets der Saame Saaten. 293. Den Forscher freuts daß er den Vorrath nie verliert, Weil jeder Aufschluß ihm Aufgaben neu gebiert. Hier von der Wurzel dort zum Apfel kamst du kaum; Er hat ein Dutzend Kern', und jeder wird ein Baum. 294. Ein Kind, das laͤuft vorm Jahr, geschiht ihm sonst kein Schade, Kriegt krumme Beine doch, die nie mehr werden grade. Mein Sohn, erst lerne stehn, eh du versuchst zu gehn; Wer sicher gehn will, muß durchaus erst sicher stehn. 295. In Schulen plagte man uns mit der Steigerung Von Moͤglich-, Wirklich- und Nothwendigkeit genung. Von Moͤglich ging man aus, zu Wirklich schritt man weiter, Und legte endlich ans Nothwendige die Leiter. Gering sei Moͤglichkeit, und Wirklichkeit vornehmer, Nothwendigkeit noch mehr, und desto unbequemer. Doch Moͤglichkeit ist leicht, Nothwendigkeit so schwer; Ist Leichtes unten wol, und Schweres obenher? Drum kehren wir es um, das erste sei das dritte, Doch zwischen beiden bleibt dem zweiten stets die Mitte. Die Wirklichkeit, die sich nicht senken darf noch heben, Bleibt zwischen Moͤglich- und Nothwendigkeit im Schweben. Nothwendigkeit ist ganz nothwendig Sklaverei, Halbfrei ist Wirklichkeit, nur Moͤglichkeit ganz frei. Nothwendig ist der Grund, und Wirklich steht darauf, Daruͤber aber nimmt das Moͤgliche den Lauf. Laßt aus Nothwendigkeit zur Wirklichkeit uns schreiten, Aufschweben dann befreit ins Reich der Moͤglichkeiten. 296. Sprachkunde, lieber Sohn, ist Grundlag' allem Wissen; Derselben sei zuerst und sei zuletzt beflissen! Einleitung nicht allein und eine Vorbereitung Zur Wissenschaft ist sie, und Mittel zur Bestreitung; Voruͤbung nicht der Kraft, um sie geschickt zu machen, Durch Ringen mit dem Wort, zum Kampfe mit den Sachen: Sie ist die Sache selbst im weitsten Wissenskreise, Der Aufschluß uͤber Geist und Menschendenkungsweise. In jeder raͤumlichen und zeitlichen Entfernung Den Menschen zu verstehn, dient seiner Sprach' Erlernung. Nur Sprachenkunde fuͤhrt zur Weltverstaͤndigung; Drum sinne spaͤt und fruͤh auf Sprachenbaͤndigung! 297. Mit jeder Sprache mehr, die du erlernst, befreist Du einen bisdaher in dir gebundnen Geist, Der jetzo thaͤtig wird mit eigner Denkverbindung, Dir aufschließt unbekannt gewesne Weltempfindung, Empfindung, wie ein Volk sich in der Welt empfunden; Nun diese Menschheitsform hast du in dir gefunden. Ein alter Dichter, der nur dreier Sprachen Gaben Besessen, ruͤhmte sich, der Seelen drei zu haben. Und wirklich haͤtt' in sich nur alle Menschengeister Der Geist vereint, der recht waͤr' aller Sprachen Meister. 298. Du freust dich, wenn du lernst, und freust dich, wenn du spielest, Wie mehr noch wenn zugleich allbeides du erzielest. Dann freuest du dich stets, wenn dir zu jeder Frist Ein Spiel dein Lernen und dein Spiel ein Lernen ist. 299. Die Wissenschaft verlangt ein heiteres Gemuͤte, Der innern Guͤte froh bewußt und Gottes Guͤte. Ein Herz, dem untergieng die Klarheit in der Truͤbung, Das heilt nicht Wissenschaft, das heilt allein Bußuͤbung. 300. Wer sich in sich vertieft, kann nicht die Welt regieren; Und wer sich hin ihr gibt, der wird sich selbst verlieren. Dich hinzugeben ihr, und wieder dich zuruͤck Von ihr zu nehmen, das allein ist Lust und Gluͤck. Des Geistes Athem soll wie der des Mundes seyn: Du sendest warm ihn aus, und ziehest frisch ihn ein. 301. Die Kunst ist um den Stamm des Lebens nur die Ranke, Die ihn umringelt, daß er bluͤhnden Schmuck ihr danke. Mit reichlichem Geweb laß sie den Stamm umstricken, Doch so nicht, daß der Stamm muͤß' unterm Schmuck ersticken. 302. Nur eine schoͤne Kunst ist nuͤtzlich in der That, Haushaltungskunst im Haus, im Leben und im Staat, Haushaltungskunst, die so der Kuͤnste Schaugepraͤnge Verwendet, daß kein Spiel den ernsten Zweck bedraͤnge. 303. Wenn mit Gefaͤlligkeit du einen willst verbinden, Laß ihn zusehr dabei dein Ansehn nicht empfinden. Du mußt ihm fuͤr die Gunst erniedrigende Bitt' Ersparen, oder er haͤlt sich des Dankes quitt. 304. Vermeiden sollen sich, die nicht zusammenpassen; Wahl der Gesellschaft ist jedwedem freigelassen. Zu wen'gen passen, ist ein nicht geringes Leiden, Denn schwer ist mit der Welt Beruͤhrung zu vermeiden. Doch ganz ungluͤcklich ist, wer allen Umgang haßt, Und, auf sich selbst beschraͤnkt, auch zu sich selbst nicht paßt. 305. Ein Buch, gelesenes, bringt dir die Welt ins Haus, Und ein geschriebnes bringt dich in die Welt hinaus. Gefall' es wohl dem Gluͤck, und moͤg' es dir gelingen, Dir immer schoͤn die Welt, dich schoͤn der Welt zu bringen. 306. Aufmerksamkeit, mein Sohn, ist was ich dir empfehle: Bei dem, wobei du bist, zu seyn mit ganzer Seele. Wenn du an andres denkst, als was dein Lehrer spricht, So hoͤrst du dis nur halb, und in dir haftets nicht. Du aber brauchst zum Gluͤck an andres nicht zu denken, Und kanst Aufmerksamkeit mir ungetheilte schenken. Das ist der Vorzug, den der Knabe hat vorm Mann, Der eignen Denkens sich nicht mehr entschlagen kann. Er hat bei allem, was er hoͤrt, soviel zu denken, Daß er kein voll Gehoͤr kann dem Gehoͤrten schenken. 307. Das Gaͤhnen, lieber Sohn, es ist zwar unwillkuͤrlich, Doch abgewoͤhnen mußt du dir's als ungebuͤrlich. Ich habe nie gesehn, daß, wenn du auf den Zaͤhnen Was Gutes hast zu kaun , dir kam dabei ein Gaͤhnen. Auch wuͤrde dir dadurch des Kauens Kraft entrissen, Und fallen moͤchte dir aus offnem Mund der Bissen. Beim Lernen aber ist das Gaͤhnen gleich erweckt; Ich sehe, daß es dir nicht wie das Essen schmeckt. Wenn gaͤhnend sich der Mund aufthut, schließt sich das Ohr So daß es ungehoͤrt des Lehrers Wort verlor. Wenn gaͤhnend sich der Mund aufthut, gehn zu die Augen, Daß sie des Buches Schrift nicht aufzufassen taugen. Des Lernens Suͤßigkeit hast du noch nicht empfunden, Sonst waͤre dir die Lust zu gaͤhnen ganz verschwunden. Das Wissen, wiß o Sohn, ist auch ein guter Bissen, Dem Seelengaumen wird durchs Gaͤhnen er entrissen. Drum wenn beim Lernen dir ein Gaͤhnen kommt, so hemm' es, Entschlossen mit dem Schloß der Zaͤhne niederklemm' es! So hat es dir vorerst den Bissen nicht genommen, Und endlich wird ihm selbst die Lust vergehn zu kommen. 308. Du sollst mir auch dein Ohr vor boͤser Rede sparen Nicht minder als davor die Zunge selbst bewahren. Denn auch das Hoͤren schon von boͤser Red', o Sohn, Theilt einem Herzen mit die Stimmung und den Ton. 309. Muth ist die beste Kraft, zu allem Guten noͤthig, Und willig sollst du seyn dazu mit Lust erboͤtig. Der Muth ist also gut, und besser noch Gutwillig; Wie wird aus beiden denn das boͤse Wort Muthwillig? Du lernst daraus, o Kind, viel Gutes wird zuletzt Ein Boͤses, wenn man es verkehrt zusammensetzt. Ein muth'ger Will' ist gut, noch besser will'ger Muth, Doch Willmuth und Muthwill' ist eine boͤse Brut. 310. Wol dient ein freier Mann in mehr als einem Feld, Er dient dem Freund, dem Haus, der Stadt, dem Staat, der We Die Dienste mancherlei weiß er, die sich verschlingen, In weit- und engerm Kreis, in Einklang auch zu bringen. Es tritt der fernste Dienst dem naͤchsten nicht zu nah, Noch auch vor ihm zuruͤck, zur Stell' ist jeder da. Begluͤckt, wenn jeder Dienst fand, unter der Benennung Verdienst, verdienten Lohn, verdiente Anerkennung. Wenn er die nicht erdient, hab' er sie nur verdient; Zum Lohn dient dis Gefuͤhl, und macht den frei, der dient. 311. Wer wird von Sorgen frei? kein Mensch in keiner Lage; Wie gluͤcklich deine sei, doch bleibt: wielang? die Frage. Und wer in sich nicht, fuͤhlt in andern sich gedruͤckt; Denn wer ist gluͤcklich, sieht er andre unbegluͤckt? 312. Wenn du im Gluͤcke schwimmst, das Ungluͤck nur vernimmst Von außen, ists nicht fein daß du den Ton anstimmst Von Gluͤckes Nichtigkeit, Ungluͤcks Unwichtigkeit; Dein thatlos guter Rath ist ohne Richtigkeit. Nur was du selbst vermagst zu tragen, zu entbehren, Kanst du mit ein'gem Recht an andre auch begehren. Und selber da mußt du den Schwachen Nachsicht goͤnnen, Wenn sie, was leicht dir wird, so leicht nicht nehmen koͤnnen. 313. Man sagt wol, ein Ersatz, ein zeit'ger Luͤckenbuͤßer, Nicht jeder Forderung genuͤgen soll' und muͤß' er. Doch wenn er wirklichem Beduͤrfnis nicht genuͤgt, Ists besser daß man nicht den Wunsch mit ihm betruͤgt. Denn das Beduͤrfnis wuͤrkt, solang die Luͤck' ist offen; Ist sie zum Schein gefuͤllt, bleibt Bessrung nicht zu hoffen. 314. Die Kunst veredelt, was sie mit der Hand beruͤhrt, Darum der hoͤchste Rang ihr im Verkehr gebuͤhrt. Sie findet Holz und Stein, und braucht den Zauberstab, Der ihnen Lebensschein und Geistesformen gab. Was ungebildetes ihr in die Hand gekommen, Wie es hindurch gieng, hat es Bildung angenommen. Und auch das Handwerk hat in allen seinen Gilden Dis mit der Kunst gemein, den rohen Stoff zu bilden. Der Handel aber, der von Hand und Handeln traͤgt Den Namen, hat dem Stoff kein Zeichen aufgepraͤgt. Gleichguͤltig handelt er mit Allem; sein Behandeln, Statt zu veredeln, will es nur in Geld verwandeln. Nicht edler wird die Waar', indem sie durch die Hand Des Kaufmanns geht und wird gefuͤhrt von Land zu Land. Doch wird sie theuerer nach Maß, Gewicht und Elle, Indem er uͤberall sie bringt zur rechten Stelle. Dis lern von ihm, ohn' ihn zu loben noch zu schelten: Mach' alles, was du hast, am rechten Orte gelten. 315. Man sagt: Im Großen sei, gewollt zu haben, gnug. Glaubs nicht! Unmaͤßiges zu wollen, ist nicht klug. Entschuld'gen magst du dich, daß dir die Kraft gebrach; Die Schuld bleibt immer dein: was langtest du danach? 316. Nicht fuͤr die Menschheit nur und fuͤr den Geist der Welten, Du mußt auch fuͤr dich selbst Geschichte lassen gelten. Denn Gleiches ist in dir, wie in der Welt die streitet, Ein Streben, das durch Kampf bestaͤndig vorwerts schreitet. Und wie die Geister, die der Zeiten Teppich weben, Stets neues wirkend, doch des Alten Bild aufheben, Und nie vergessen, wann sie sich zu hoͤhern Stufen Erhoben, was mit Fleiß sie auf der niedern schufen; So du auch, wenn du scheinst neuschaffend zu zerstoͤren Geschaffnes, fuͤhlst es doch dir ewig angehoͤren. Nur als du drinnen warst, war drin dein Thun befangen Nun erst herausgelangt, siehst du es unbefangen. Du siehst, daß mit im Strom zaͤhlt jede Einzelwelle, Und auch das Groͤste goͤnnt dem Kleinsten seine Stelle. Nicht missen moͤchtest du auch das was du verfehltest, Wenn es dir half dazu, daß du ein Beßres waͤhltest. 317. Sonst hat ein hoher Wahn, ein Glaube mich gehoben: Ich muͤße leben, weil ich viel noch muͤß' erproben; Ich muͤße leben, weil ich viel noch muͤße schaffen; Nun will der hohe Wahn, der Glaube, mir erschlaffen. Ich fuͤhle, daß geprobt, geschaffen ist genug; Und unterbleiben kann, was uͤbrig ist, mit Fug. Nun kann, statt der, die brach, mich nur die Stuͤtze halten Gott, der gewaltet hat solang, mag ferner walten! 317. Was sucht der Geist? das was als Widerspruch betiteln Die Sinne, suchet er ergaͤnzend zu ermitteln. Des Menschen Hoͤchstes ist des Streitenden Verbindung, Mit der Erkenntnis Frucht die Bluͤte der Empfindung. Als hohes Vorbild sei der Baum dir eingepraͤgt, Der hier im Garten Frucht zugleich und Bluͤte traͤgt. Rückert, Lehrgedicht II. 9 VI. 9* 1. W eil eben wir die Fahrt zu thun sind im Begriffe, Von der du bist gekehrt mit wohlbehaltnem Schiffe; So gib Erfahrungen von dir uns zu Geleitern, Damit wir sicher sind, an Klippen nicht zu scheitern. Denn schwierig ist die Fahrt, so sagt man, und gefahrvoll, Und unternehmen soll ein Mann sie fein gewahrvoll. — So nehmet meinen Rath! wol braucht hier Rath ein Mann; Doch wißt, daß keinen Rath man hier gebrauchen kann. Wen nicht das Gluͤck beraͤth, wer sich nicht kann berathen, Mit keinerlei Geraͤth wird ihm die Fahrt gerathen. Die Wege sind so breit, wer schief kommt, kommt so schief; Der Abgrund ist so weit, wer faͤllt, der faͤllt so tief. So viele Schiffe schon gefahren diese Strassen, Hat keines hinter sich ein Fahrgeleis gelassen. Sie zogen eine Spur solang nur als sie fuhren, Und wer nach ihnen fuhr, zog wieder andre Spuren; Die, wann er ist vorbei, im Glatten wieder schwinden; Und jedem steht es frei, stets eignen Weg zu finden. Versehn ist dieser Weg mit keinen Meilenzeigern, Als nur mit Sternen, die die Anzeig' oft verweigern. Zwar mit Marksteinen ist des Weges Rand besetzt, Doch merkt dein Rad sie nicht, bis es sich dran verletzt. Ein hoͤlzern Roͤsslein rennt auf endlos gruͤnen Raͤumen, Ihm waͤchst kein Haͤlmchen Gras, es wird nur satt von Schaͤumen. An Wasser fehlt es nicht zur Rechten noch zur Linken, Zum Trinken ist es nicht, es ist nur zum Ertrinken. Du weißt nicht, ob der Weg wird steil seyn oder eben, Da nach Gefallen er sich senken kann und heben. Was hilfts, ausfuͤhrlich dir das Fahrnis zu beschreiben? Erfahr es selbst, wenn du nicht willst zu Hause bleiben. 2. Wenn einen Henkel zum Anfassen hat der Krug, Mag bei dem Henkel ihn anfassen, wer ist klug. Doch wenn der Henkel fehlt, so greift, wer es versteht, Auch ohne Henkel an, und trinkt sogut es geht. Man muß Gelegenheit, wo sie sich zeigt, benutzen, Und vor Verlegenheit, wo sie erscheint, nicht stutzen. 3. Was ist bei diesem Spiel des Lebens zu gewinnen? Wer's nicht verlieren will, der sollt' es nicht beginnen. Denn zum Verlieren nur ist ein Gewinn der Lust, Und zu gewinnen ist nichts sicher als Verlust. Dich schmerzt, was du verlorst, dich, was du nicht gewannst, Am meisten schmerzt dich, was du noch verlieren kannst. Und alles hast du, wenn du hast den Muth gewonnen, Es auszuspielen weil es einmal ist begonnen. Du siehst, es waͤre fast der Muth mir selbst abhanden Gekommen, als einmal mir schlimm die Karten standen. Doch hab' ich mich bedacht und dieses Lied ersonnen: Was auch verloren sei, die Lieder sind gewonnen. 4. Des Freundes denkend, wenn ich Gluͤckliches erstrebt, Sprech' ich: O haͤttest du doch dieses miterlebt! Dann seiner denkend, wenn mich druͤcket eine Last, Sprech' ich: O gluͤcklich, daß du's miterlebt nicht hast! Ist zu bedauern, ist zu preisen, wer geschieden? Daß er hingieng und du noch dabist, sei zufrieden! 5. Nicht Ruh im Leben hat, wer Schaͤtz' hat in der Truhe; Und wer den Schatz vergraͤbt, hat auch im Tod nicht Ruhe. Solange muß er gehn als Geist um jeden Platz, Wo er den Schatz vergrub, bis jemand hob den Schatz. Freu dich, daß du kanst Ruh im Tod und Leben haben, Weil du hast keinen Schatz verschlossen noch vergraben. 6. Wie herzerquickend ist erfuͤllter Pflicht Gefuͤhl! Im Froste macht es warm, und in der Hitze kuͤhl. Gleichwie des Wachsthums Trieb durch Knoten an dem Rohr, So treibt aus Hemmungen des Sieges Kraft empor. Doch immer ist ein Kampf, wo wir zu siegen haben; O selig, wer sein Herz in Frieden hat begraben. 7. Mit Einzelliebe wer beginnet zu verschwenden Den Schatz des Herzens, wird mit Eigenliebe enden. Allliebe sei es die zuerst das Herz erfuͤllt, Aus deren Zauberduft sich Einzellieb' enthuͤllt. Die Einzelliebe bluͤht und welkt, der Traum sinkt nieder, Und wie am Anfang steht am End' Allliebe wieder: Allliebe zur Natur, zu jeder Kreatur, Zu Gott, und in dir selbst zu jeder Gottesspur. 8. Am Ort, wo du einmal entgiengst des Tigers Krallen, Wirst ohne Wallung du nicht leicht voruͤber wallen. So seh' ich nahn den Tag nicht ohne Herzenspochen, An dem vor Jahren mir das Ungluͤck eingebrochen. Voruͤber kann ich nicht ihm kommen ohne Schauern, Es moͤcht' im Hinterhalt ein Ungluͤck wieder lauern. 9. Ich denk' an euch, die ihr vom Schooß mir aufgeflogen, Und nun herab auf mich laͤchelt vom Himmelsbogen. Der holde Fruͤhling kommt, wo alles Schoͤne nieder Vom Himmel steigt, da kommt auch euer Bild mir wieder. Nun fliegt der Schmetterling, nach welchem sonst ihr lieft; Der Vogel singt, von dem ihr eingesungen schlieft. Nun bluͤhn die Blumen, die an eur Verbluͤhn mich mahnen, Und Luͤfte wehn, die eure Naͤh mich lassen ahnen. Was ihr mir waret, was ich euch gewesen bin, Und was ihr jetzt mir seid, beschaͤftigt meinen Sinn. Ihr wart an mich geknuͤpft durch ein natuͤrlich Band, Das aber hat geloͤst des Todes kalte Hand. Nur daß ihr im Gefuͤhl der Liebe waret mein, Verheißt mir, daß ihr auch mein werdet ewig seyn. Um dis Gefuͤhl und euch in ihm nie zu verlieren, Will ich noch oft mein Lied mit euern Namen zieren. 10. Du fragst, warum so fruͤh gescheite Kinder sterben, Indes die dummeren ein laͤngers Leben erben? Die Antwort ist: weil man gescheitres Nichts kann thun Als sterben in der Welt, die gar so dumm ist nun. Drum danket alle Gott, die ihr nicht zu gescheut Geworden, sondern noch der dummen Welt euch freut. 11. Wer alt geworden, mag sich an der Jugend Spruͤngen Ergoͤtzen, doch sie nachzuthun sich nicht verjuͤngen. So mag sich diese Zeit auch der Betrachtung freun Kindlicher Sagenwelt, nicht aber sie erneun. 12. Wenn du den lauten Streit vom Poͤbel stillen willst, Ich sage dir, wie du am sichersten ihn stillst. Erst laß die Streitenden recht an einander toben, Bis sich zur Heiserkeit die Wuth hat ausgeschnoben. Koͤnnen sie nicht mehr schrein, dann werden sie dich hoͤren, Dann schlage Frieden vor, sie werden ihn beschwoͤren. 13. An Winterabenden (mir ward der Schwank erzaͤhlt Von einem Freunde, den die Bibel viel gequaͤlt) Ließ lesen, weil er horcht' in feierlicher Stille, Ein alter Herr die Schrift den Diener mit der Brille. Die Brill' auf seiner Nas', in seiner Hand ein Stift, So las er, bis er kam an einen Punkt der Schrift, Der fuͤr des Herrn Verstand zu hoch war und zu kraus „Verstehst du's, Hans?“ - Nein, Herr!-„Ich auch nicht, Hans, streich's aus!“ So ausgestrichen ward viel Unverstandenes. Doch blieb am Ende noch genug Vorhandenes. Wol denkt der alte Herr, daß ohne viel Beschwerden Gemeinverstaͤndlich so die heil'ge Schrift soll werden. Doch als von vorn ins Buch es wieder gieng aufs Jahr, Fand heuer dunkel sich, was ferden deutlich war. „Verstehst du's, Hans?“ - Nein, Herr!-„Ich auch nicht, Hans, streich's aus!“ Da ward im dritten Jahr ein einz'ger Strich daraus. Was lehret uns der Strich? daß man in Schriften heilig Nicht Unverstaͤndliches ausstreichen soll voreilig. Das Unverstaͤndliche, laß nur mit drein es gehn, Sonst wirst du selbst nicht das Verstaͤndliche verstehn. 14. Zu schreiben leserlich ist durchaus zu empfehlen; Besonders laß es nicht am eignen Namen fehlen. Es ist Anmaßung, nur den Koͤnigen zu goͤnnen, Als muͤßte deinen Zug entziffern jeder koͤnnen. 15. Wenn dir das Himmelslicht durchs Fenster ist zuwider, So zuͤnde Kerzen an, und laß den Vorhang nieder! Leicht hast du dir zur Nacht den Stubentag gemacht, Doch draußen in der Welt wird es davon nicht Nacht. 16. Zu den Makrobiern ein Abgesandter kam, Der staunend in Betracht des Landes Wunder nahm. Zuletzt, damit er noch erstaunen muͤßte staͤrker, Ließen sie ihren Gast besichtigen die Kerker, Wo die Gefangenen Goldketten trugen alle, Weil nicht das Land erzeugt unedlere Metalle. Doch er sah's unerstaunt, als sei es ihm gelaͤufig, Und laͤchelnd sprach er: Dis hab' ich gesehn gar haͤufig. Denn wem ist unbekannt des Goldes starke Kraft, Die jeden uͤbermannt und alle legt in Haft? Der Unterschied ist nur, daß goldgefangen seien Hier die Gefangenen, bei uns daheim die Freien. 17. Ein Wuͤrfelspieler, dem schlimm jeder Wuͤrfel fiel, Der jedes Spiel verlor, doch nie die Lust am Spiel, Hat keine Ruh, bis er aufs Gluͤck des Wuͤrfelfalles Setzt alles was er hat, und hat verloren alles. Aufs Spiel hat er zuletzt die Wuͤrfel selbst gesetzt; Villeicht gewinnt er Ruh, wenn er verlieret jetzt. 18. Ihr sprecht: Misguͤnstiger! du hauest lieber ab Am Baum den untern Ast, weil er die Fruͤcht' uns gab. Ich sprach: weil mit dem Ast den Stamm geschlitzt ihr haͤttet! Verloren ist der Ast, allein der Stamm gerettet. 19. Wenn wir dich gruͤßen, fuͤhlst du dich vom Dank beschwert, Und gruͤßen wir dich nicht, so bist du ungeehrt. So sage denn wie man es dir zu Danke macht, Wenn dich von uns verdrießt die Unacht wie die Acht? 20. Wer sich im Spiegel, im Betragen, in der Welt, Im Reden und im Thun und Nichtthun selbst gefaͤllt, Wird auch im eigenen Gedichte sich gefallen, Und ist begluͤckt, misfiel' er auch den andern allen. 21. Viel schneller als der Schall ist, wie man weiß, das Licht; Was aber schneller als das Licht sei, weiß man nicht. Viel schneller als das Licht ist, denk ich, der Gedanke, Der jeden Augenblick beruͤhrt des Denkens Schranke. Doch auch die Schnelligkeit des Denkens scheint geringer Als ein gedankenlos bewegter Schreibefinger. Und uͤbertroffen wird die Schnelligkeit im Schreiben Von der des Lesens nur; wer kanns noch weiter treiben? 22. Um eine Blum' im Korn, von Knabenaug' erblickt, Um eine Blume wird wie mancher Halm geknickt! Dem Landmann waͤr' es gut, wenn unter seinem Rocken Gar keine Blume wuͤchs', um Knaben anzulocken. Dem Landmann waͤr' es recht, wenn unter seinem Weizen Gar keine Bluͤte stuͤnd', um Knabenlust zu reizen. Recht waͤr' es ihm und gut, wenn unter seinen Saaten Nicht waͤre, weshalb sie die Knaben ihm zertraten. Die Blumen nennet er Unkraut mit Recht, sie sind Das allerschaͤdlichste fuͤr seiner Pflege Kind. Alswie am Toͤchterchen ein strenger Vater schalt Die Schoͤnheit, die bei ihm nur als Verfuͤhrung galt; Nur daß der Vater nicht wie jener auch ausraufen Das Unkraut will noch darf, wonach die Knaben laufen. 23. Wenn einen Teller mehr hat auf den Tisch gesetzt Die Hausfrau, als am Tisch sich finden Gaͤste jetzt; So raͤume sie nur nicht den Teller wieder ein! Ein hungeriger Gast wird auf dem Wege seyn. 24. Wenn dir die Lust noch nicht vergangen ist, den Herden Der Weltberuͤhmtheiten auch beigezaͤhlt zu werden, Soll sie dir jetzt vergehn, wo zum beruͤhmten Mann Ein Moͤrder, frech im Tod wie Leben, werden kann, Und eine Metze, weil sie seine Metze war, Als eine Schoͤnheit sich darstellt, einaͤugig zwar. 25. O aͤrgre dich nur nicht, wenn deinen Werth vergißt, Dich ein Unwuͤrdiger mit seinem Maße mißt. O aͤrgre dich nur nicht! sonst wirst du gleich dich fast Noch aͤrger aͤrgern, daß du dich geaͤrgert hast. 26. Arbeite, wenn dichs treibt; und geht es nicht, so ruh; Schmeckt auch die Ruhe nicht, Zerstreuung suche du. Unfaͤhig, aͤrmster, bist du jeglicher Erfreuung, Wenn weder Arbeit dir noch Ruh schmeckt noch Zerstreuung. 27. Die Eigensucht ist nicht, nicht Theil an Andern nehmen; Denn dazu muß sich doch, wer auch nicht will, bequemen. Der Eigensuͤchtige nimmt Theil an Gluͤck und Leid; Denn dieses macht ihm Lust, und jenes macht ihm Neid. Die Eigensucht ist nur, annehmen solchen Schein Von Theilnahmlosigkeit, als gaͤlt' ihr alles klein. 28. Mich riß die Lieb' einmal zum Haß des Hasses hin, Des Hasses gegen das, des Liebender ich bin. Mich reut mein Haß, nicht weil er nicht haßwuͤrd'ges traͤfe, Doch ziemt die Nessel nicht um reine Liebesschlaͤfe. Laß hassen wer da will und beßres nicht vermag, O Lieb', und liebe du jung bis zum juͤngsten Tag. 29. Wer ehrenwerth sich fuͤhlt, will auch geehrt sich sehn; Wie jedem sieht er gern auch sich sein Recht geschehn. Selbst unbedenklich nimmt er aͤußres Ehrenzeichen Von denen an, die ihm nicht andres koͤnnen reichen. Auch ehrerbiet'ger Gruß, anstaͤndige Verbeugung, Ist dem Geehreten willkommene Bezeugung, Nicht seines Werthes, den er fuͤhlt, des Werthes deren, Die so bezeugen daß sie Ehrenwerthes ehren. 30. Wenn du dein Leben selbst in That verwandeln kannst, Dann magst du ruͤhmen dich, daß Freiheit du gewannst. Gemuͤthsbewegungen loͤs' auf in dein Erkennen, Dann thust du, leidest nicht, und darfst so frei dich nennen. 31. Der Geist ist als gesund und krank auch zu betrachten Alswie der Leib; gesund ist uͤber krank zu achten. Wer nur das Gute thut, damit er Boͤses meide, Ist krank, und werth daß er, um zu genesen, leide; Dem leiblich-kranken gleich, der bittre Arzeneien Mit Unlust nimmt, um sich vom Uebel zu befreien. Doch ein Gesunder ißt und trinkt, was ihm behagt, Und ist gesund nicht weil er etwas sich versagt. So der gesunde Geist thut was er will, und thut Deswegen Boͤses nicht; denn was er will ist gut. 32. Du sagst: Begier ist boͤs', es sei nun daß sie ruͤhre Vom Boͤsen her, es sei daß sie zum Boͤsen fuͤhre. Ich aber sage dir: Begier begehret nur Ihr Gutes, und verabscheut Boͤses von Natur. Vielmehr: Was sie begehrt, wird darum gut sie nennen, Und was sie scheuet, das davon als Boͤses trennen. Die Trennung boͤs' und gut bringst du nur in die Welt, Indem du sagst wie sie sich zur Begier verhaͤlt. Und haͤtte boͤs' und gut der Mensch nicht unterschieden, Waͤr' er begierdelos, mit der Natur im Frieden. 33. Verrede nicht, zu thun, was du dir vorgenommen Zu lassen! Uebernacht kann es dir anders kommen. Und auch zu lassen das verrede nicht, was du Zu thun dir vorgesetzt; viel aͤndert oft ein Nu. Schwach ist das Menschenkind, ein Rohr bewegt vom Wind; O tadle nicht, daß du bist wie die andern sind. Nur wo gebeut die Pflicht, und wo sie widerspricht, Da thut und unterlaͤßt ein Mann, und aͤndert nicht. Doch vieles kann geschehn und kann auch unterbleiben, In solchem darfst du dich von außen lassen treiben. 34. Den Menschen sollst du dich insoweit anbequemen, Um jeden in der Art, wie er sich gibt, zu nehmen. Nur selber jedes Art und Unart anzunehmen, Insoweit sollst du dich den Menschen nicht bequemen. 35. Ereignisse sind nicht das Wichtigste am Leben, Wenn, ohne dir bewußt zu werden, sie entschweben. Was innerlich nur ward, wie klein es sei, ist wichtig; Was aͤußerlich dir blieb, das Groͤste selbst ist nichtig. Drum draͤnge nicht zuviel hinaus dich in den Braus, Laß aber unbemerkt vorbei nichts deinem Haus. Zieh ein Ergebnis dir aus dem, was sich begab Bedeutendes, und frag' ihm die Bedeutung ab. Setz' ihm ein Denkmal, das dir zeig' in kuͤnft'gen Stunden, Daß der geschwundenen dir keine leer geschwunden. Rückert, Lehrgedicht II. 10 36. Oft mahnt ein jaͤher Stoß den sorgenlosen Gleiter Auf glatter Lebensflut an Truͤmmerung und Scheiter. Du dank' ihm, daß er aus Gedankenlosigkeit Dich weckt, zu danken Gott fuͤr gnaͤdiges Geleit; Fuͤr gnaͤdiges Geleit zu danken und zu flehn, Daß weiter sanft gewiegt dein Schifflein moͤge gehn. 37. Die Schlange fuͤhlte lang ein innerliches Quaͤlen, Daß ihre alte Haut nicht ab sich wollte schaͤlen. Sie wußte keinen Rath noch Mittel zu ergreifen, Die unbequeme Huͤll' auf einmal abzustreifen. So rathlos wie sie gieng, unachtsam fiel die Schlange In eine Schling' am Weg, gestellt zu ihrem Fange. Geblieben waͤre sie sonst in der Schlinge hangen, Nur durch den alten Balg ist sie der Schling' entgangen. Sie ließ den Schlauf darin, und ist hindurch geschluͤpft, Und hat die laͤst'ge Haut zugleich nun abgestruͤpft. So ist der innre Mensch durch den Verlust entronnen Des aͤußeren, und hat dadurch sich selbst gewonnen. 38. Schoͤn ist der Tropfen Thau am Halm, und nicht zu klein Der großen Sonne selbst ein Spiegelglas zu seyn. Schoͤn ist das Baͤchlein dann, das kaum zu kuͤssen wagt Die Blum', und murmellaut zu werden halb noch zagt. Und schoͤn ist auch der Strom, der sich mit Kraft ergießt, Im Spiel der Woge sich mit Rauschen selbst genießt. Und so freu immer dich, wenn Schoͤnes dir und Gutes Quillt, Thau, Bach oder Strom, perl' oder riesl' und flut' es. 10* 39. In Koͤnigshallen tritt man unbeschuhter ein, Weil sie sind ausgelegt mit koͤstlichem Gestein. O sieh, der Morgen hat mit thauigem Geschmeide Belegt die Gottes Flur; komm und den Fuß entkleide! Wer in des Maien Thau fruͤhmorgens wandeln mag, Fuͤhlt sich von unten auf gestaͤrkt den ganzen Tag. Froh fuͤhle, daß der Herr im Thau den Fuß dir wasche; Setz' ihn auf Suͤndenschmutz nie noch auf Kummerasche! 40. Wir bringen unsern Preis der Morgensonne dar, Die hell die Schoͤpfung macht und unsre Seele klar. Vor ihrer Ankunft geht der Morgenwind als Bothe, Und ihres Einzugs Fahn' erscheint im Morgenrothe. Ein Schauer meldet sie; und nun erscheint sie gleich, Und nimmt mit einem Blick Besitz von ihrem Reich. Den Nebelschleier hebt sie von den Berggestalten, Und draͤngt den Rest der Nacht zuruͤck in Thaͤlerfalten. Sie fuͤllt mit Glanz das Thal gleich einer Opferschale, Und einen eignen Stral trinkt jede Blum' im Thale. Und wie die Blum' in Lust zum Licht empor sich richtet, So hat in Menschenbrust Bewußtseyn sich gelichtet. Traumschattengaukelei, Nachttaͤuschungstruggespinnst, Zerreißt, Licht der Natur, wo du den Sieg gewinnst. Streck' aus die Stralenhand, das Opfer zu empfangen, Das dir die Schoͤpfung bringt und Herzen voll Verlangen. Erheb mit deinem Blick und stuͤtze, wie die Ranken Des Baumes, thauschwer sich aufrichtende Gedanken. Die Wuͤnsch' und Hoffnungen, die Vorsaͤtz' und Entschluͤsse, Beleb', erfrische, staͤrk' und zieh wie Sommerschuͤsse. Gib allen Knospen, daß sie sich zur Bluͤt' entfalten, Und allen Blumen, daß sie sich nach dir gestalten. Und allen Herzen gib, nach Blumenart zu wandeln, Unwandelbar zum Licht gewandt, im Licht zu wandeln. Das ist das Fruͤhgebet, das wir dir tragen vor; Trag es empor zu dir, und uͤber dich empor! Denn als ein Mittler gehst du durch der Schoͤpfung Mitte, Zu bringen Oberen der untern Wesen Bitte. Bring zu der Sonne sie, die dich am Faden leitet, Daß die sie bringe der, in deren Dienst sie schreitet. Der goldne Eimer reicht von immer hoͤhern Sonnen Zu immer hoͤhern bis zum hoͤchsten Sonnenbronnen. Dort fuͤllt ihr mit dem Thau den Eimer, der uns letzt; Dorthin, mit Dank gefuͤllt, tragt mir den leeren jetzt! 41. Komm her und laß uns in den heil'gen Fluten baden, Die mit dem Silberblick zur Reinigkeit uns laden. Die Sonne breitet aus des Stralenmantels Fuͤllen, Um in ein schoͤnres Kleid als ird'sches dich zu huͤllen. Ein lindes Badetuch reicht dir die Morgenluft, Das dich mit Wohlgeruch abtrocknet und mit Duft. Das Wasser selber wallt ein Guͤrtel von Kristallen, Der dir um die Gestalt sich schmiegt mit Wohlgefallen. Und auf dem Grunde ruht, geschmeidigt von der Flut, Die Erde, die dir weich Sandalendienste thut. So tauche rein dich ein in jedes Element, Und sei von dem, der ist in jedem, ungetrennt. Die Flut, die ewig traͤuft von seinen Augenlieden, Hat er zum Labequell dem Erdendurst beschieden. Die Thiere selbst der Flur sie kommen groß und klein Zur Traͤnke, aber nur des Nachts im Mondenschein. Sie sollen in der Nacht die kuͤhle Labe schmecken, Daß Mensch und Thier am Tag einander nicht erschrecken. Und die unschuldigsten, die reinesten der Innung, Tauchen am tiefsten ein, andaͤchtiger Gesinnung. Das Reh, das furchtsame, bleibt nicht am Ufer stehn, Zu trinken, sondern laͤßt die Flut ans Herz sich gehn. Und leis' entweicht es durch die Flut zum andern Rand, Wenn druͤben seinen Feind, den Tieger, treibt sein Brand. Der kuͤhne Tieger tritt nicht in die heil'ge Flut, Am Rande leckend loͤscht er seiner Zunge Glut. Die gift'ge Schlang' allein von allen Feldes Thieren Geht nicht zur Traͤnke, um ihr Gift nicht zu verlieren. Sie flieht die Fluten, weil sie ihr das Gift entziehn; Sei reine Flut, so wird die Suͤnde selbst dich fliehn. 42. Sieh, auf dem Pfuhl wie schwimmt das zarte Lotosblatt! So bleibt der Reine rein auch an unreiner Statt. Es sinkt nicht in die Flut, es ist von ihr gehoben, Die Flut netzt unten es, doch immer schwimmt es oben. Es wandelt druͤben Schlamm in Bluͤten himmelblau, Und freudig faͤllt darauf in jeder Nacht der Thau. O schilt mir nicht den Pfuhl, der solche Bluͤte naͤhrt! Die dunkle Mutter ist durchs lichte Kind verklaͤrt. Schilt nicht die Welt, sie woll' ein reines Herz verderben; Sie will durchs reine Herz die Reinheit selbst erwerben. Die Lotosblume bluͤht darum in Herzgestalt, Daß du zufrieden seist mit deinem Aufenthalt. 43. Die Pfeile des Geschicks fliegen nach allen Seiten, Und Menschentugend ist machtlos zum Gegenstreiten. Nur eine Schutzwehr bleibt, sich ohne Schuld bewahren, Um nicht zu aͤußerm Sturm auch innern zu erfahren. Denn zwar nicht ganz aufwiegt Unschuld des Schicksals Last, Doch leidest du nur halb, was du verdient nicht hast. 44. Wol manger Mann, wie groß geworden ist sein Heil, Mag meinen, daß ihm viel zu wenig ward zu Theil; Und wollt' er sich mit Ernst erpruͤfen, nicht zum Spiel, Muͤst' er gestehn, daß ihm zu Theil ward viel zu viel. 45. Ich lehre dich, daß du auf keinen Lehrer bauest, Auf eignen Fuͤßen stehst, mit eignen Augen schauest. Und wie du keinem traust, so traue mir auch nicht, Und dieses sei der Lohn fuͤr meinen Unterricht. 46. Ungluͤcklich kan ein Mensch vor lauter Gluͤck sich fuͤhlen; Ein kleines Ungemach kan großen Schaden kuͤhlen. Ich denk' an einen Freund, der, weil bei Nacht und Schlaf Nie eine Feuersbrunst, ein Diebstahl nie ihn traf, Sich muste Nacht fuͤr Nacht vom Traume lassen aͤffen, Jetzt endlich sollte, was ihn noch nicht traf, betreffen. Wie gluͤcklich haͤtt' ein Dieb, ein Feuer ihn gemacht! Geruhig haͤtt' er dann geschlafen jede Nacht. 47. Im Anfang hofft ein Mensch mit gluͤcklichem Erdreisten Was unerhoͤrtes unvergleichliches zu leisten. Bald sieht er sich enttaͤuscht, von Schranken eingehemmt, Vergebens daß er noch die Kraft entgegenstemmt. Er fuͤhlt es wohl, und sucht sichs aus dem Sinn zu schlagen, Daß auf der Welt heraus nichts kommt mit seinen Plagen. Doch zur Gewohnheit ward ihm seine Plage so, Nur durch die Plage wird er noch des Lebens froh. 48. Beklage dich nur nicht, daß dir so viel mislang; Sieh wie dabei auch viel Ersprießliches entsprang. Reich ist an Koͤrnern wie an Spreu die Ernte; scheue Nur nicht die Muͤh, und lis die Koͤrner aus der Spreue. 49. Das Restchen Leben ist wie das Zigarrenendchen, Je naͤher schon am Mund, je duftiger das Braͤndchen. Du moͤchtest mit der Lipp' es erst recht scharf nun fassen, Allein es brennt am Mund, du mußt es fallen lassen. 50. Man reist, damit es uns zuhaus erst recht gefalle; Und wer durchs Leben reist, der ist im gleichen Falle. Nur daß der Reisende hier nicht die Heimath kennt, Und nur am Heimweh fuͤhlt, er ist von ihr getrennt. Gereist zu seyn, wie wird dich's in der Heimat laben; Und einst wie lieblich wird es seyn gelebt zu haben. 51. Bist du gestuͤrzt und hat der Sturz dir nicht geschadet, So denke: dismal hat der Himmel dir gegnadet. Die Gnade hast du nicht verdient, verdiene sie! Steh auf mit Zuversicht und falle nie mehr, nie! 52. Wie nicht die Baͤume nur, zur Dauer auferzogen, Die Blumen auch mich freun, auf kurze Zeit gepflogen; So nicht nur Kinder, die, wills Gott, mich uͤberleben, Mich freuen jene auch, die ich dem Grab gegeben. 53. Wem ein Geliebtes stirbt, dem ist es wie ein Traum, Die ersten Tage kommt er zu sich selber kaum. Wie ers ertragen soll, kann er sich selbst nicht fragen; Und wenn er sich besinnt, so hat ers schon ertragen. 54. Du hast der Freunde viel, und geizest nicht um einen; Ich habe wenige, und nannte dich den meinen, Und muß im Herzen noch den meinigen dich nennen, Und darf es, wenn nicht dir, mir selber wol bekennen. Was dich entfremden konnt', hab' ich nicht Lust zu fragen; Doch daß es moͤglich war, das hab' ich zu beklagen. 55. Das beste Lebensgut ist leichter froher Sinn, Mit ihm ist kein Verlust und ohn' ihn kein Gewinn. Doch, ward dirs nicht so leicht, und ist dein Wesen schwerer, So troͤstet dich villeicht ein Wort von deinem Lehrer: Die dunkle Nelke, nicht die bunte Tulp' hat Duft, Und auch zum Himmel geht der Weg nur durch die Gruft. O scheu nicht durch die Gruft den Weg zu deinem Himmel; Und laß wer gehn will gehn durchs bunte Weltgewimmel. O scheu nur durch die Gruft den Weg zum Himme nicht! Im Herzen dunkler Duft, im Auge sanftes Licht. Im Auge sanftes Licht, im Herzen dunkler Duft; Du gehst, o bange nicht, zum Himmel durch die Gruft. 56. Mein Freund im fernen Gau! wie oft noch denk' ich nach Dem Worte, das dein Mund einst unbefangen sprach: Daß dirs unleidlich sei, im Leben wem zu nahn, Ohn' ihm zu geben Lieb' und Liebe zu empfahn. Sag', hast du warm bis jetzt den Anspruch fortgesetzt? So hat die kalte Welt gewis dich oft verletzt. Doch gluͤcklich wenn dir ward zum Stachel dis Verletzen, Herzhaft die Forderung des Herzens durchzusetzen. Ja, Liebe laͤßt nicht ruhn den so sie recht durchdrungen, Bis er von allem was kan lieben Lieb' errungen. 57. O klage nicht, mein Herz, daß dir zu spaͤt nun kommen Der Liebe Zeichen, da die Jugend dir verglommen. Ja, waͤr' es Gold und Gut, und Wuͤrd' und Wohlbehagen, So moͤchtest du, daß nun zu spaͤt es komme, klagen. Bald lassen muͤßtest du zuruͤck dis Hausgeraͤth; Doch was hinuͤber du mitnimmst, kommt nicht zu spaͤt. 58. Mein Meister (in der Brust genannt mit Andacht sei er) Sprach auch: Melodisch klingt die durchgespielte Leier. Er sprach es sich zum Trost und zur Beruhigung, Weil er so schoͤn noch spielt' und war schon alt genung. Auch mir erzittert, und er sprachs auch mir zum Trost, Die Brust von anderm Schaur als von des Alters Frost. Der Geist, der mir dis Spiel besaitet, laß es zittern Noch froh in seinem Hauch, bis es daran wird splittern. 59. Dein Donner rollt, und spricht, wenn ichs vergessen habe, Du seist mein Herr, und ich steh' unter deinem Stabe. Du waͤgst in deiner Hand bestaͤndig mein Geschick, Doch deutlicher fuͤhl' ichs in diesem Augenblick. Ich weiß nicht, was du, Herr, mit mir beschlossen habest, Wann du ruͤcknehmen willst das Pfand, das du mir gabest. Bereit zur Ruͤckgab' hier leg' ich es vor dir nieder, Und als dein neu Geschenk nehm' ich mit Dank es wieder. Das Leben ist mir werth, weil es ist eine Gabe, Die von der hoͤchsten Lieb' ich zum Andenken habe. 60. Wie leicht mag Flur und Land dem Juͤnglingsblick gefallen, Mit Liebe Hand in Hand traͤumt er darin zu wallen. Das schoͤnste Landschaftsbild reizt Greisenaugen kaum, Sie suchen im Gefild nicht mehr der Liebe Traum. 61. Der uͤber Ungemach du so dich darfst beklagen, Mußt hoͤhrer Wuͤrdigkeit Gefuͤhl als ich wol tragen. Weit uͤber mein Verdienst ist mir noch Heil beschieden, Und schaͤmen muͤßt' ich mich, wollt' ich nicht seyn zufrieden. 62. Mein Herz ist lauter Dank, indem ich ruͤckwerts blicke, Aus welcher Truͤbe sich gehellet mein Geschicke, Wie dumpfem Ringen sich entrang der lichte Schwung; Jung war ich kummeralt, und alte freudenjung. 63. Ich schmelz' in Dankbarkeit und Ruͤhrung, wenn ich denke, Daß ich durch deine Kraft nach deinen Zielen lenke Die Schritte, die solang, so oft, so tief, so schwer Gestrauchelt, und hinfort, hoff' ich, nicht straucheln mehr. Daß ich nicht weiter kam durch meine Schuld, o Scham! O Gluͤck, daß ich so weit durch deine Gnade kam. 64. Was du nie muͤde wirst zu fuͤhlen, wirst du nie Zu sagen muͤde, doch zu hoͤren werden sie, Die ausgenommen die wie du desgleichen fuͤhlen, Nicht die aus Langerweil' in Neuigkeiten wuͤhlen. Was dir am Herzen liegt, das sagst du nie genug, Und unermuͤdlich ist der Bauer hinterm Pflug. So unermuͤdlich bin ich meinen Pflug zu treiben, Und euch mein bestes Korn ins Herz zu saͤn durch Schreiben. 65. Wenn etwas Schoͤnes fuͤr mich selbst und fuͤr die Welt In mir geworden ist den Kaͤmpfen zum Vergelt, Die ich gekaͤmpft, so will ich gern gekaͤmpft sie haben, Und moͤgen sich mit mir am Schoͤnen viele laben! Doch manchmal denk' ich, ob nicht sei erkauft zu theuer Ein Bischen lautres Gold fuͤr soviel Laͤutrungsfeuer. 66. In diesen Zeiten darfst du Achtung keiner Arten Von keinem, wie er tief steh' unter dir, erwarten, Wenn du nicht aͤußerlich Macht uͤber ihn gewannst, Und ihm unmittelbar empfindlich schaden kannst. Kein Ansehn der Person, wie vorlaͤngst keins bei Gotte Gegolten, gilt nunmehr auch keins bei dieser Rotte. Nothwendig ist auch das, soll freies Volk erstehn, Doch mußt du freiem Volk huͤbsch aus dem Wege gehn. 67. Soweit hab' ichs gebracht mit dieser Welt Vergnuͤgung, Daß ich sie stelle gern zu dieser Welt Verfuͤgung, Und daß, wenn ich von fern seh die Vergnuͤganstalten, Ich bin vergnuͤgt darob, daß ich nicht mit muß halten. 68. O schwoͤre nicht, weil izt du hassest, stets zu hassen; Erlaß den Haß dem Feind! der Schwur sei dir erlassen. Auch schwoͤre nicht, wen izt du liebest, stets zu lieben; Die Freundschaft kann vergehn, dann ist der Schwur geblieben. Treu seyn dir selber nur und Gott und der Natur, Auch dieses schwoͤre nicht, doch halt es ohne Schwur! 69. Die Dankbarkeit ergeht nicht in des Handelns Schranken, Die Dankbarkeit besteht, das Wort sagts, im Gedanken. Mein Denken dankt, es ist mein Dank euch zugedacht, Wenn auch ihn weder Wort noch Werk bemerklich macht. Undankbar waͤr' ich sonst in einem wicht'gen Falle; Denn wem am meisten Dank ich schulde, todt sind alle. Mit Worten kann ich mich bei ihnen nicht bedanken, Doch sie begnuͤgen sich mit dankenden Gedanken. 70. Wer einmal hier hat in geliebtem Angesicht Des Todes Bild gesehn, vergißt es ewig nicht. Der Schatten legt, wohin fortan dein Auge schaut, Sich uͤber alles was dir lieb ist oder traut. 71. Oft faßt mich, wenn ich seh ein zartes Kinderleben, Wehmuth, wie ihm die Zeit wird Muͤh und Dornen weben. Viel seltner fuͤllet mich sein Anblick, mit Behagen Der Fruͤcht' und Bluͤten, die ihm noch die Welt wird tragen. Ich schließe nicht daraus, daß eitel sei die Welt, Doch daß sie mir nunmehr als eitel dar sich stellt. 72. Wie gleichest du, o Mensch, und dein Geschick den Saaten, Von denen Niemand weiß zuvor, wie sie gerathen. Wie manches Ungemach, Frost, Naͤsse, Duͤrre, Brand, Gibt ihnen zu bestehn des Himmels Unbestand. Und wenn sie gluͤcklich nun bestanden die Beschwerden, So ist ihr Ende, daß sie abgeschnitten werden. 73. Sieh an den Wasserfall, wo du ihm nahe stehst, Und sieh ihn wieder an, wenn du ihm ferne gehst! Er ist dir bald im Aug' und ist dir bald im Ohr, Ist in und außer dir, toͤnt nach und schwebt dir vor. Er fuͤllt dir jeden Sinn, und spricht zu allen Sinnen; Versuch es und entrinn, ihm ist nicht zu entrinnen. Er rauscht und rauscht und rauscht, die Gegend hoͤrt ihn rauschen, Und lauscht und lauscht und lauscht, und wird nicht satt zu lauschen. Er wuͤhlt und wuͤhlt und wuͤhlt, der Boden fuͤhlt ihn wuͤhlen, Und fuͤhlt und fuͤhlt und fuͤhlt, und reicht nicht aus zu fuͤhlen. Er schaͤumt und schaͤumt und schaͤumt, die Blume laͤßt ihn schaͤumen, Und traͤumt und traͤumt und traͤumt, und hoͤrt nicht auf zu traͤumen. Er stralt und stralt und stralt, der Maler sieht ihn stralen, Und malt und malt und malt, und wird nicht muͤd zu malen. Er haucht und haucht und haucht, feucht fuͤhlt die Luft sein Hauchen, Und taucht und taucht und taucht, sich satt darein zu tauchen. Rückert, Lehrgedicht II. 11 Er quillt und quillt und quillt, und wird nicht matt zu quellen; Er schwillt und schwillt und schwillt, und wird nicht satt zu schwellen. Und wie er quoll und quoll, und wie er schwoll und schwoll, Sein Quellen wird nie leer, sein Schwellen wird nie voll. Kein Gleiches hat die Flur, ein Gleiches ihm hat nur Die ewig sich aus sich gebaͤrende Natur. 74. Sieh an die Pflanze, die empor aus dunklem Grunde Zum Lichte treibt, von dem sie auch hat dunkle Kunde. Mit ihrem Stengel steht sie erst in Einigkeit, Und im Gezweige dann ist sie mit sich entzweit. Nicht in der Einung noch Entzweiung ist gefunden Das Licht, bis hoͤhere Vereinung sie verbunden. Die Knospe rundet sich, aus der die Bluͤt' erwacht, In deren Farbenduft das Licht ist angefacht. Durch soviel Stufen hat das Licht die Pflanz' erzogen, Um auf der obersten zu ruhn als Irisbogen. Das Leben der Natur ist eine solche Pflanze, Die aus sich selber ringt empor zu Gottes Glanze. Die Wurzel ist Gestein, Gewaͤchsreich ist der Stiel, Blaͤtterverzweigungen Thierlebens reges Spiel. Doch neues Leben ist von oben angezuͤndet, Wo der Naturtrieb sich im Menschenantlitz ruͤndet; Da ist des Himmels Stral im Irdischen verkuͤndet. Die Rose der Natur hat ihre Bluͤtenkrone Entfaltet, daß in ihr der Duft der Seele wohne. Die Rose, sterbend, haucht den Duft in Himmelsluft; So stirb, ein himmeleingesogner Bluͤtenduft! Die Rose, lebend, haucht Duft uͤber Liebesgruͤften; So leb', ein himmelan entbundnes Liebesduͤften! Leipzig , Druck von Hirschfeld.