Die Verwaltungslehre. Von Dr. Lorenz Stein. Vierter Theil . Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1867. Innere Verwaltungslehre. Erstes Hauptgebiet. Dritter Theil. Das Polizeirecht. Das Allgemeine Polizeirecht und die Sicherheitspolizei. Anhang . (Vierter Theil.) Das Pflegschaftswesen und sein Recht. Von Dr. Lorenz Stein. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1867. Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart. Einleitung. Es war eine der Hauptaufgaben, die ich mir bei der Be- arbeitung der innern Verwaltungslehre gestellt, einmal das ganze System derselben auf seine organischen Grundbegriffe zurückzuführen, und dadurch eine systematische Eintheilung der ganzen Wissenschaft und aller ihrer Theile in der Weise festzustellen, daß jede von der- selben umfaßte Thatsache, jede in derselben enthaltene Rechtsfrage sofort ihre natürliche Stellung im System finden und damit eben durch diesen organischen Zusammenhang mit dem Ganzen ihren Werth und ihre Lösung finden möge. Das nun zwingt mich, über den Gegenstand des folgenden Werkes ein paar Worte hinzuzufügen. Ich darf sagen, daß als ich diese Arbeit begann, alle einzelnen Theile nach langjährigen Vorarbeiten mir vollkommen klar schienen. Das System, in allen Punkten abgeschlossen, lag als ein fertiges vor mir, und meine Arbeit bestand und besteht nur noch darin, dasselbe mit seinem Material und mit der Ausführung im Einzelnen auszufüllen. Richtig oder nicht richtig — die Entscheidung darüber muß ich der Wissenschaft der Verwaltung anheimgeben — mir selbst war kein Theil des Ganzen mehr in seinem organischen Zu- sammenhang und seiner Stellung unbestimmt, als ich die Aus- arbeitung begann. Nur auf Einem Punkte sehe ich jetzt, nachdem der folgende vierte Theil mir fertig vorliegt, daß ich mich in der systematischen Ordnung geirrt habe. Er betraf die formell schwierigste aller Fragen, die Frage nach der Polizei und ihrer Rechte. Bei dem Entwurfe des Ganzen und selbst noch bei der Aus- arbeitung des speziellen, die Polizei betreffenden Theiles dachte ich mir, daß das Polizeirecht an sich, oder das Allgemeine Polizeirecht, als der allgemeine Theil der Aufgabe und des Rechts der Sicher- heitspolizei, oder als die Einleitung in die letztere zu stellen und zu bearbeiten wäre. Nun die vollständige Ausarbeitung mir vor- liegt, muß ich annehmen, daß dieß falsch war. Ich kann diesen systematischen Fehler nur gut machen, indem ich ihn hier offen gestehe, und das richtige Verhältniß angebe. Es wird derselbe dem Inhalt im Einzelnen keinen Abtrag thun; ich gebe mich aber der Hoffnung hin, daß er zur Lösung der Einen und vielleicht wichtigsten Aufgabe dieses Werkes nicht unwesentlich beitragen wird. Denn es scheint mir noch immer unendlich viel gewonnen, wenn neben der Selbständigkeit der Verwaltungslehre auch das organische System als ein feststehendes erkannt wird. Das Allgemeine Polizeirecht, das hier als Erster Theil des Polizeirechts auftritt und der Sicherheitspolizei voraufgeht, gehört nämlich überhaupt nicht in die innere Verwaltungslehre, sondern es ist ein organischer Theil der vollziehenden Gewalt und ihres Rechts, und hätte in derselben die Stelle einnehmen sollen, welche dort (S. 196 ff.) unter dem schon an sich nicht klaren und deßhalb nicht richtigen Titel „Das Polizeirecht oder das Zwangsrecht“ die dritte Abtheilung des ersten Theiles bildet. Es ist mir vielleicht gestattet, dieß zu begründen, und dabei den Fehler und seine, bei jedem solchen wissenschaftlichen Irrthum eintretende Folge, die Sünde der Wiederholung, zu gestehen. Denn das sicherste Crite- rium eines Fehlers in einem System oder auch die Unsicherheit in demselben ist es stets, wenn man gezwungen wird, auf den- selben Gegenstand mehr als einmal einzugehen. Das richtige Ver- hältniß aber ist folgendes. Die gesetzgebende Gewalt ist der Wille des Staats; die Voll- ziehung ist seine That (Handlung). Diese Vollziehung hat wieder ihren selbständigen Willen (Verordnung, Verfügung ꝛc.); sie hat ihren Organismus und sie hat ihr Recht . Dieß Recht ist das ihrer eigenen Willensbestimmung als das rechtliche Verhältniß der Verordnung zum Gesetz (Verordnungs- und Verfügungsrecht), das ihrer eigenen inneren Ordnung als das rechtliche Verhältniß ihrer Organe zu einander (Competenz ꝛc.) und endlich drittens entsteht das äußere Vollziehungsrecht, wenn und so weit die Action der Vollziehung mit der selbständigen einzelnen Person und ihrer Rechtssphäre zu thun hat. Dieses Recht nennen wir meist im engeren Sinne das Vollziehungsrecht, oder das Zwangsrecht. Und von diesem Rechtsgebiete ist das was wir das Polizeirecht nennen, ein, und zwar der zweite Theil. In folgender Weise. Aus dem allgemeinen Begriff der Vollziehung des Staats- willens entsteht nämlich der Begriff der Verwaltung dadurch, daß die Vollziehung ein bestimmtes Object — eine bestimmte Aufgabe des thätigen Staats — empfängt. So entstanden die Begriffe und Namen der Staatswirthschaft, der Rechtspflege, und der Innern Verwaltung. Alle diese Gebiete haben aber vermöge der Staats- begriffe eine gemeinsame, doppelte Aufgabe. Einerseits sollen sie positiv die Bedingungen der persönlichen Entwicklung feststellen, andrerseits sollen sie gegen die übermächtigen Gefahren schützen. Die letztere Aufgabe ist die der Polizei. Die Polizei als solche ist daher dem gesammten Umfang der Verwaltung immanent, wie die Gefahr selbst, mit der sie es zu thun hat. Jedes jener angeführten drei Hauptgebiete der Verwaltung hat nun seine Polizei, weil jedes seine eigenthümlichen Gefahren hat. Allein der Begriff der Polizei ist schon mit dem der Verwaltung an sich gegeben, und gehört daher keinem Theile — also auch nicht der Verwaltung des persönlichen Lebens — speziell an. Sie ist vielmehr die ganz all- gemeine negative Seite aller Verwaltung. Das Recht nun entsteht für sie wie immer erst da, wo ein Wille — der der vollziehenden Gewalt — einem andern Willen — dem des Einzelnen — gegenüber tritt. Geschieht dieß nun da, wo die Verwaltung die Freiheit des Einzelnen beschränkt, um durch diese Beschränkung eine Gefährdung der allgemeinen Entwicklung zu beseitigen, also eine polizeiliche Function auszuüben, so entsteht der Begriff des Polizeirechts . Wie daher die Polizei ein Theil der Verwaltung überhaupt, und die Verwaltung wieder ihrem Wesen nach die Vollziehung von bestimmten Staatsaufgaben ist, so ist das Allgemeine Polizeirecht ein Theil des allgemeinen Rechts der vollziehenden Gewalt und die Grundsätze desselben gelten nicht etwa bloß für die Innere Verwaltung etwa als allgemeiner Theil der Sicherheitspolizei, wie sie hier formell hingestellt ist, sondern als ein Theil des Rechts der vollziehenden Gewalt . Die Sicherheitspolizei dagegen ist wieder eine ganz bestimmte Er- scheinung dieser Polizei, und zwar diejenige, welche gegen Gefahren gerichtet ist, die speziell die allgemeine öffentliche Ordnung durch an sich erlaubte Handlungen einzelner Personen bedrohen, wie etwa die Gesundheitspolizei vor Gefährdungen der Gesundheit, die Gewichtspolizei vor Gefährdungen der richtigen Gewichte im Ver- kehr schützt u. s. w. Die öffentliche Sicherheit ist daher ein be- stimmter, einzelner Begriff und daher eine bestimmte Art der Gefahr, und die Sicherheitspolizei und ihr Recht gehören daher auch ganz unzweifelhaft in die Verwaltung der persönlichen Lebens- verhältnisse, wie das Polizeirecht an sich in die vollziehende Gewalt. Das ist wohl das wahre Verhältniß, und es war am Ende falsch, in der Absicht, die Sicherheitspolizei besser zu erklären, dem allge- meinen Polizeirecht seine richtige Stelle zu nehmen. Dagegen läßt es sich anderseits nicht verkennen, daß die for- melle Verbindung des allgemeinen Polizeiwesens mit der Sicherheits- polizei auch einen großen Vortheil darbietet. Derselbe besteht darin, daß fast nur in dieser Verbindung eigene Vorlesungen und selb- ständige theoretische Behandlungen des Polizeiwesens praktisch ein- gerichtet werden können, da ein Hinausreißen der Sicherheitspolizei aus dem ganzen Gebiete nicht thunlich ist. In der That hat auch dieß an sich nicht das geringste Bedenken; nur soll man dabei stets das Bewußtsein von der wahren systematischen Stellung und Auf- gabe des allgemeinen Polizeirechts neben dem des speziellen der Sicherheitspolizei festhalten. Damit würde jedem, auch dem streng- sten systematischen Bedürfniß Genüge geschehen. Ich habe geglaubt, diese Erklärung hier voraussenden zu müssen. Die große Unbestimmtheit des Begriffes der Polizei, die Aufgabe, dieselbe nur erst überhaupt auf ihr wahres Gebiet zu- rückzuführen, das Streben, sie dem so viel höheren und größeren der Verwaltung überhaupt und speziell des Innern unterzuordnen, und die Schwierigkeit, den Begriff der Sicherheitspolizei, der bis- her die ganze Polizei umfaßte, als einen ganz speziellen in der innern Verwaltung aufzustellen, haben den systematischen Fehler hervorgerufen. Die Lücke, die dadurch in der Lehre von der voll- ziehenden Gewalt entstanden ist, ist keine unbedeutende, und der Begriff und die Stellung der Sicherheitspolizei als spezielle Polizei des persönlichen Lebens haben dadurch nicht an Klarheit gewonnen. Indeß darf ich wiederholen, daß die einzelnen Ausführungen da- durch kaum erheblich leiden werden. Sollten meine verehrten Leser daher auf das System als solches Werth legen, so bitte ich nur, das hier aufgestellte „Polizeirecht“ einfach an die oben bezeichnete Stelle der vollziehenden Gewalt zu setzen. Es scheint mir, als ob alsdann dem Ganzen Genüge geschehen wäre. Ich kann dabei nicht schließen, ohne einen zweiten Punkt, gleichfalls systematischer Natur, hier zu berühren, bei dem es sich jedoch mehr um die Auffassung selbst als um eine formelle Be- stimmung handelt. Das ist das Preßrecht . Viele meiner Leser werden erwarten, daß das Preßrecht und die Preßgesetzgebung nebst Briefrecht, Hausrecht u. s. w. gleichfalls in die Sicherheits- polizei hineingestellt sein werde. Ich muß diese Auffassung für eine nicht richtige halten. Die Presse ist an und für sich durchaus keine bloß erlaubte Handlung, wie das Briefschreiben, der Besitz von Waffen u. s. w., sondern sie ist ein großes, gewaltiges Mittel der geistigen Bildung eines Volkes, und nimmt namentlich in unserer Zeit neben dem Unterrichtswesen eine vollkommen selb- ständige, demselben an Bedeutung und Einfluß fast gleichkommende Stellung ein. Wir können daher mit dem, was man die „Preß- polizei“ nennt und was in derselben vorkommt, weder das Wesen der Presse, noch auch das Recht derselben erschöpfen. Der Gedanke, die ganze Presse nur vom Standpunkt der Polizei zu behandeln, ist an sich dieses großen Bildungsmittels unwürdig; es wäre das fast als wollte man die Universitäten nur noch vom Standpunkt der Universitätspolizei betrachten. Es ist ferner kein Zweifel, daß gerade seit der letzten Zeit die Presse einen solchen Umfang gewonnen, daß sie mit der früheren kaum verglichen wer- den kann. So lange der Kampf um die Grundlagen der Ver- fassung Europa erschütterte, war es natürlich, daß die politische Presse nicht bloß die tonangebende, sondern auch die dem Umfange nach bedeutendste war. Daher stammt jene Einseitigkeit, die man noch vielfach findet, unter dem Ausdruck der „Presse“ ausschließ- lich die politische zu verstehen, und daher auch jene Richtung, welche das Preßrecht wesentlich nur als die höhere Polizei gegen die politische Presse auffaßte. Das hat sich geändert, und ändert sich mit jedem Tage mehr. Neben, ja zum Theil in der politi- schen Presse selbst ist eine zweite entstanden, die wir die Bildungs- presse nennen können, und die in der That an Umfang und In- halt in einer Weise gewonnen, die man noch vor zwanzig Jahren kaum für möglich gehalten. Dieselbe hat die dritte große Function der geistigen Welt übernommen, welche wir die Selbstbildung des Volkes , die Selbstverwaltung seines geistigen Lebens nennen können. Wir werden im folgenden Theile auf Inhalt und Bedeutung dieser Function genauer eingehen; hier genügt wohl, darauf hin- zuweisen, daß die Masse von geistiger Arbeit und geistiger Con- sumtion, die hier geboten und empfangen wird, so groß und so hochbedeutend ist, daß das politische, einst ausschließlich herrschende Element jetzt nur noch eine, wenn auch stets entscheidende Seite in dieser großen Bewegung der Geister bildet. Damit hat dann die Preßpolizei eine ganz andere Stellung eingenommen. Man hat sich endlich überzeugt, daß es weder in der Aufgabe noch in der Macht der Verwaltung liegt, in dieses Leben der Presse mit positiver Thätigkeit einzugreifen. Die Illusion ist geschwunden, daß man den Geist des Volkes beherrschen kann, indem man einen nutzlosen polizeilichen Kampf mit dem Geiste der Presse fortsetzt. Für unsere Zeit giebt es daher statt der alten Preßpolizei als der einzigen Form, in der die Verwaltung sich um die Presse kümmerte, ein Preßwesen, wie es ein Gesundheits- und ein Unter- richts-, ein Communications- und ein Creditwesen und anderes giebt. Dieß Preßwesen soll als solches in die Verwaltungslehre aufgenommen und von derselben behandelt werden; es ist nicht mehr bloß Gegenstand der Polizei, sondern der geistigen Bildung überhaupt, und die Lehre von ihm und seinem Recht ist künftig das Bewußtsein der Staatswissenschaft von der geistigen Welt und ihrer Arbeit im Staate. Das ist der Standpunkt, den wir ein- nehmen, und diesem Standpunkt entspricht in der That das posi- tive Preßrecht und seine Geschichte. Die Bewegung zur „Freiheit der Presse“ ist nicht bloß negativ die Beseitigung der polizeilichen Maßregeln gegen dieselbe, sondern eben so sehr positiv die Ent- wicklung einer organischen Auffassung ihrer Function. In dieser Weise haben wir im folgenden Theil, der Verwaltung des geistigen Lebens, die Presse aufgefaßt und ihr Recht behandelt. Es ist klar, daß dabei die Polizei der Presse keineswegs verschwindet. Die Presse fordert ihre gerichtliche und Verwaltungspolizei eben so gut als der Unterricht, das Maß und Gewicht, der Werthumlauf, die Land- und Forstwirthschaft u. s. w. Allein das Wesentliche ist, daß die Preßpolizei nicht mehr wie früher das Preßrecht selber ist , sondern vielmehr nur in dem Preßrecht vorkommt , in demselben Sinne, wie die Polizei als die schützende negative Seite der Verwaltung in jedem Gebiete des Verwaltungsrechts erscheint. Die würdige Auffassung der Presse im Ganzen fordert daher, daß man das Preßrecht nicht mehr als selbständige Kate- gorie der Sicherheitspolizei, und damit die Presse selbst nicht mehr als eine beständige, immanente, wir möchten sagen organische Ge- fährdung der öffentlichen Rechtsordnung betrachte. Die Verwal- tungslehre, will sie ihrem Zweck entsprechen, muß sich gewöhnen, statt wie bisher von den Gefahren, jetzt vielmehr von den Auf- gaben und der selbstgebildeten Organisation der Presse zu reden und sie wie jeden innern Lebensgenuß der freien Selbstentwicklung der Gemeinschaft aufzufassen. Dann erst wird in der Wissenschaft die beschränkte Verweisung des Preßwesens in das Polizeirecht aufhören, und die geistige Welt der Völker, die gewaltige bewun- dernswerthe Arbeit der Selbstbildung derselben, die die Grund- lage der Gegenwart und den Keim der Zukunft enthält, in ihrer mächtigen organischen Entwicklung sich zum Bewußtsein bringen. Wir dürfen nun nochmals die Ueberzeugung aussprechen, daß das hier Aufgestellte, für die organische Auffassung des Systems entscheidend, die Erörterung und Vergleichung der einzelnen Punkte in ihrem bezüglichen Werthe kaum wesentlich beeinflussen dürfte. Im Uebrigen muß die nachfolgende Arbeit es durch ihren Inhalt rechtfertigen, weßhalb sie eine größere Ausdehnung erhalten hat, als ich ursprünglich beabsichtigte. Ich muß, je länger ich dieß wichtige Gebiet betrachte, immer entschiedener zu der Ueberzeugung kommen, daß die wissenschaftliche Behandlung des Polizeirechts, die unsrer Literatur bekanntlich gänzlich fehlt, einerseits ein prin- zipiell durchgeführtes Verständniß des öffentlich rechtlichen Verhält- nisses von Gesetz und Verordnung, von Klag- und Beschwerderecht voraussetzt, und andrerseits zu einer der bisherigen Auffassung wesentlich verschiedenen Anschauung von der Natur und der Be- deutung der Strafe führen wird. Die Theorie, welche bisher sei es in dieser, sei es in jener Weise, aus diesem oder jenem Motiv die Strafe als einen in seinem ganzen Umfang wesentlich gleichartigen Begriff behandelt, und keine Unterscheidung innerhalb derselben enthält, ist nicht mehr haltbar. Ebensowenig ist das von Frankreich allerdings mit gutem historischen Grunde herüber- genommene System der Strafgesetzgebung, in dem alle Strafen gleichmäßig in die Strafgesetzbücher aufgenommen werden, auf die Dauer aufrecht zu halten. Wir müssen die alte Vorstellung eines spezifischen Unterschiedes zwischen Verbrechen einerseits und Ver- gehen andrerseits wieder zu ihrer wahren Bedeutung erheben. Es ist falsch , wenn man darin nichts als eine quantitative Verschie- denheit erblickt, und es ist falsch, wenn in Folge dessen die Be- handlungen der Strafrechtstheorien gar keine Rücksicht mehr auf diesen Unterschied nehmen, und das ganze Gebiet als eine gleich- artige Einheit mit einer so oder so gearteten Deduction umfassen. Es ist unabweisbar, dem Begriffe des Verbrechens eine Idee der sittlichen, dem Begriffe des Vergehens und der Uebertretung eine Idee der staatlichen oder wenn man lieber will der administrativen Ordnung zum Grunde zu legen. Es wird nicht möglich bleiben, alles was wir Strafe nennen, künftig als eine ebenso gleichartige Erscheinung mit einem und demselben Begriffe zu erledigen. Es ist schon dem gewöhnlichen Menschenverstande klar, daß eine Buße von einem Thaler etwas wesentlich anderes ist, als eine lebens- längliche Zuchthaus- oder gar die Todesstrafe. Es wird sich als unvermeidlich zeigen, das ganze Gebiet der Ordnungsstrafen von dem der eigentlichen Strafen, die wir die peinlichen Stra- fen nennen, zu trennen, und darnach die Wissenschaft des Straf- rechts umzugestalten. Es wird das aber nicht von der Straf- rechtslehre ausgehen, sondern vom Polizeirecht . Damit aber das Polizeirecht das vermöge, muß es innerhalb der Verwaltungs- lehre wieder als ein selbständiges Gebiet erscheinen. Ueber die Verwechslung von Polizei und Verwaltung, von Polizeiwissenschaft und Verwaltungslehre noch weiter zu reden, halten wir für über- flüssig. Allein wir müssen daran festhalten, daß wir ohne eine solche selbständige Lehre vom Polizeirecht weder in der Verwaltung noch in der Strafrechtslehre weiter kommen werden, und die Conse- quenzen für das Strafverfahren, die sich aus dem Wesen der letzteren ergeben und die ja schon zum Theil praktisch durchgeführt sind, liegen so nahe, daß wir sie nicht eigens hervorzuheben brauchen. Das sind die Gedanken, welche uns bewogen haben, die Frage nach dem Wesen der Polizei im Allgemeinen und der Sicherheitspolizei im Besondern hier möglichst gründlich und mit Zuhilfenahme der Gesetzgebung aller Hauptstaaten Europas zu be- handeln. Wir wissen recht wohl, daß wir in Beziehung auf die bisherige Anschauung der Criminalisten hier nur negativ aufge- treten sind. Aber obwohl wir sonst der negativen Arbeit keinen allzugroßen Werth beilegen, so wird man uns doch zugeben, daß sie der positiven Neugestaltung vorausgehen muß. Vielleicht daß uns Zeit und Kraft bleibt, wenn unsere nächste große Arbeit, die Verwaltungslehre, vollendet ist, auch im positiven Sinn die obigen Gedanken weiter auszuführen. Immer aber würde es unser Stolz sein, wenn das, was wir hier versucht, den Anlaß zu ernsterer Erwägung der ganzen Frage geben würde. Das Pflegschaftswesen hätte eigentlich einen selbständigen vier- ten Band bilden und dem Gesundheitswesen folgen sollen. Es ist aber nicht möglich, mehr über denselben zu sagen als was wir gesagt, ohne für eine Arbeit wie die unsere, die ohnehin so ziem- lich das Maß selbst einer recht geübten und auf langen Vorarbeiten ruhenden Leistungsfähigkeit erreicht, zu viel sagen zu müssen. Wenn es uns nur gelingt, den verwaltungsrechtlichen Standpunkt für dieß bisher amphibische Gebiet, das ziemlich heimatlos theils in bürgerliche Rechte, theils außerhalb demselben unter verschiedenen Namen umhergeworfen wird, festzustellen, so wäre viel gewonnen. Das Uebrige würde sich fast von selbst ergeben. Wien , Juni 1867. Inhalt. Das Polizeirecht. Grundbegriffe . Seite I. Begriff der Polizei 1 II. Das System der Polizei und die Sicherheitspolizei 3 III. Das Polizeirecht. System desselben. Allgemeines und besonderes Polizeirecht 6 Erster Theil. Das allgemeine Polizeirecht (der vollziehenden Gewalt gehörend). Einleitung 12 I. Begriff 12 II. Die systematischen Elemente desselben 12 III. Die gerichtliche Polizei und die Verwaltungspolizei 15 1) Der Unterschied an sich 15 2) Das Strafgericht und seine Polizei 16 3) Das Princip des Unterschiedes im Recht der gerichtlichen und der Verwaltungspolizei 19 Das allgemeine Verwaltungspolizeirecht für sich 26 I. Begriff 26 II. Princip des Rechts der Verwaltungspolizei 27 III. System des allgemeinen Polizeirechts 31 A. Das Recht der Polizeiverfügungen 31 1) Die Polizeiverfügung an sich 31 2) Das Polizeistrafrecht 36 B. Das Polizeiverfahren und sein Recht 50 1) Begriff 50 2) Das strafgerichtliche Polizeiverfahren 51 3) Das Verfahren der Polizeigerichte 57 4) Das verwaltungspolizeiliche Verfahren und das öffentliche Waffenrecht 60 a ) Das polizeiliche Vollzugsrecht im Allgemeinen 61 b ) Das persönliche Zwangsrecht 62 c ) Begriff und systematische Gestalt des polizeilichen Waffenrechts 64 1) Die militärische Assistenz 65 2) Die Gendarmerie 67 3) Waffenrecht einzelner Vollzugsorgane 70 C. Die Verantwortlichkeit der Polizei 74 Begriff 74 1) Haftung für die Polizeiverfügung 75 2) Die Haftung für das Polizeiverfahren 79 Zweiter Theil. Die Sicherheitspolizei und ihr Recht . (Persönliches Leben.) Seite Begriff, Princip und Stellung derselben 88 Erste Abtheilung . Höhere Sicherheitspolizei 92 I. Begriff und Princip 92 II. Die Grundlagen der historischen Rechtsbildung der höheren Sicher- heitspolizei 97 III. Das System und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei 103 IV. Das geltende Recht 107 1) Die Polizei der Verbindungen und geheimen Gesellschaften 107 2) Die Polizei der öffentlichen Versammlungen 115 3) Polizei der Volksbewegungen 119 4) Das Recht des Belagerungszustandes 124 Zweite Abtheilung . Einzelpolizei 132 I. Begriff und Recht der gerichtlichen und der eigentlichen Einzelpolizei 132 II. Allgemeine Principien des Rechts der Einzelpolizei 137 III. Das System des Rechts der Einzelpolizei 140 1) Die polizeiliche Verhaftung 140 2) Das polizeiliche Hausrecht 151 3) Polizeiliche Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Briefrecht 156 4) Polizei der Waffen 158 Dritte Abtheilung . Niedere Sicherheitspolizei 160 Begriff und Recht 160 I. Persönliche niedere Sicherheitspolizei 161 a ) Polizei des Bettels und Vagabundenwesens 161 b ) Polizei der entlassenen Sträflinge 166 II. Gewerbliche niedere Sicherheitspolizei 169 III. Elementare niedere Sicherheitspolizei 171 Das Pflegschaftswesen. Begriff und Rechtsprincip 177 I. Das Vormundschaftswesen 181 1) Begriff 181 2) Das Rechtsprincip der Vormundschaft 183 3) Die historischen Grundformen des Vormundschaftswesens und seines öffentlichen Rechts 184 a ) Das Vormundschaftswesen der Geschlechterordnung und des römischen Rechts 184 b ) Das Vormundschaftswesen der ständischen Epoche (das ger- manische Vormundschaftsrecht) 186 c ) Das Vormundschaftswesen der gegenwärtigen staatsbürger- lichen Gesellschaftsordnung 188 II. Das Verlassenschaftswesen 190 Begriff und Rechtsprincip 190 1) Die Todesfallsaufnahme und Verschollenheitserklärung 193 2) Die Verlassenschaftspflege 195 3) Die Erbschaftseinweisung und Erbschaftstheilung 196 III. Die Massenverwaltung (Concurswesen) 198 Das Polizeirecht. Grundbegriffe. I. Begriff der Polizei. Wer sich irgendwie mit den Grundbegriffen des öffentlichen Rechts und ihrer bestimmten und klaren Fassung eingehend beschäftigt hat, der weiß, daß es im ganzen Gebiete desselben keinen Begriff und kein Rechtssystem gibt, die auch nur annähernd solche Schwierigkeit machen, wie diejenigen, welche sich auf die Polizei beziehen. So wie man wissenschaftlich oder praktisch an dieß Gebiet hinankommt, so häufen sich diese Schwierigkeiten nicht so sehr im Einzelnen, als vielmehr für das Ganze und sein richtiges Verständniß, und zwar in einem solchen Grade, daß bisher weder die Wissenschaft noch die Gesetzgebung es versucht haben, zu einem definitiven Abschluß für Begriff und Gränze dieses Gebietes zu gelangen. Daß dieß nun dennoch, und zwar keinesweges bloß theoretisch nothwendig ist, darüber sind wohl im Grunde alle einig. Denn das, was wir Polizei nennen, greift so tief und gewaltig in das ganze Leben des Staats und des Einzelnen hinein und beschränkt die Freiheit des letzteren im Namen der Entwicklung des ersteren in so entschei- dender und zugleich empfindlicher Weise, daß ohne die vollständige Klarheit über die Polizei kein öffentliches Recht, am wenigsten das Verwaltungsrecht, als ein in sich harmonisches und fertiges angesehen werden kann. Um nun zu dieser Klarheit zu gelangen, muß man sich zuerst über Einen Satz einig sein. Kein Begriff ist an sich unklar. Jede Unfertigkeit in demselben beruht stets nur darauf, daß man mit demselben Wort verschiedene Funktionen bezeichnet. Die Aufgabe besteht nun darin, diese Funktionen zu scheiden. Nirgends ist dieß mehr ersichtlich, als bei dem Begriffe und in Folge dessen bei dem Recht der Polizei. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 1 Der reine Begriff der Polizei ist an sich sehr einfach. Er enthält die Gesammtheit der Funktionen des Staats, durch welche derselbe jedem in der Natur jeder Kraft liegenden maßlosen und eben dadurch gemein- gefährlichen Streben begränzend entgegentritt, wo ein solches die öffent- lichen Zustände der Gemeinschaft und ihres Rechts, ihres inneren und äußeren Lebens sich und seinen Sonderzwecken unterzuordnen trachtet und dadurch die organische Gesammtentwicklung gefährdet. Die Polizei ist daher die vollziehende Gewalt, in sofern der Gegenstand der- selben eine öffentliche Gefährdung, und ihre Aufgabe ein Schutz ist. Der Polizeiorganismus, den man auch wohl kurz als „Polizei“ bezeich- net, ist dabei der Organismus von Behörden, welche diese Funktion zu ihrer Aufgabe haben. (S. Vollz. Gewalt 196 ff.) Dieser reine Begriff ist nun durch zwei Momente unklar geworden. Zuerst hat der geschichtliche Gang der Entwicklung es mit sich gebracht, daß nicht eben bloß jene die Gesammtheit schützende , sondern jede Thätigkeit des Staats mit dem Ausdruck „Polizei“ be- zeichnet ward. Wir haben in der Lehre von der vollziehenden Gewalt dieß Verhältniß bereits erklärt. Sie bedeutet in diesem Sinn in der That die Verwaltung selbst, aber freilich die Verwaltung, insofern sie ohne alle selbstthätige Mitwirkung des Volkes einseitig vom staatlichen Organismus ausgeht. Sie ist damit die unfreie, wenn auch keinesweges principlose Form der Verwaltung, und enthält daher hier mehr einen historischen Abschnitt in der Verwaltung sowohl nach Geist als nach Form derselben, als einen systematischen Begriff. Das Princip, das sie verwirklicht, ist in der Inneren Verwaltung (Einleitung) als der Eudä- monismus bezeichnet worden. Wir können nun diesen Standpunkt für die Auffassung der Polizei wohl als einen überwundenen ansehen. Zweitens aber bedeutet der Ausdruck „Polizei“ die Vollziehung und die vollziehende Gewalt überhaupt in ihrer Scheidung von der Verwaltung in dem von uns aufgestellten Sinne, nach welchem die Verwaltung die Vollziehung einer bestimmten organischen Aufgabe des Staats ist. Aber auch hier wird unter Polizei wieder nicht die Voll- ziehung überhaupt, sondern nur dasjenige Gebiet derselben verstanden, welches sich gegen die einzelne Persönlichkeit richtet, und dieselbe zur Erfüllung der im Verwaltungsrecht liegenden Vorschriften zwingt . Die Polizei ist in diesem Sinne die Zwangsgewalt der Verwal- tung gegen den Einzelnen . (Vollz. Gewalt 201.) Allerdings nun könnte man bei diesem Begriffe stehen bleiben, wenn jene ganz allgemeine Funktion der Polizei, die Vollziehung im einzelnen Falle zu erzwingen, eben eine allgemeine bliebe. Denn man kann ganz füglich sagen, daß jede Vollziehung zugleich eine Sicherung gegen diejenigen Gefahren enthält, welche die Nichtvollziehung mit sich bringt, so daß der obige formale Begriff mit der angegebenen Auffassung übereinstimmte. Allein so wenig es einen abstrakten Begriff der Verwaltung gibt der bloß abstrakt bliebe, so wenig bleibt jenes allgemeine Element der Vollziehung ein bloß allgemeines. Auch die Aufgabe, durch die Po- lizei die öffentliche Sicherheit herzustellen, erscheint in Wirklichkeit als eine sehr concrete und bestimmte, zum Theil höchst verschieden gestaltete in jedem einzelnen Gebiete der Verwaltung; und das, was wir „Polizei“ nennen, wird daher in der Wirklichkeit des Staatslebens aus einer abstrakten Vollziehungsgewalt zu einer vielfach bestimmten Verwal- tungsaufgabe. In jedem Gebiete der Verwaltung muß die Funktion derselben für diese Verwaltungsaufgabe vorhanden sein, denselben Zweck in der verschiedensten Weise erfüllen, denselben Grundsatz unter den verschiedensten Modifikationen zur Geltung bringen. Es gilt daher für die Polizei, was wir für den Unterschied von Vollziehung und Verwal- tung gesagt haben. Aus dem allgemeinen Begriff der Polizei entsteht die eigentliche oder wirkliche Polizei, indem derselbe im Gebiete der Ver- waltung sich in lauter ganz bestimmte einzelne polizeiliche Aufga- ben auflöst. Diese nun bilden zusammen genommen das, was wir das System der Polizei nennen. Erst an dieß System der Polizei schließt sich das, worauf es uns ankommt, und was so viele Schwie- rigkeiten in der Staatswissenschaft von jeher gemacht hat, das System und die wissenschaftliche Behandlung des Polizeirechts. II. Das System der Polizei und die Sicherheitspolizei. Faßt man nämlich die Polizei in dem obigen Sinne als diejenige Funktion auf, welche in allen Punkten des Gesammtlebens dasselbe vor den Gefahren zu schützen hat, die aus dem Uebermaße irgend einer Kraft entstehen, so ist es klar, daß die Polizei an sich gar kein Sy- stem für sich haben kann , sondern daß sie sich vielmehr an das System der Verwaltung anschließt, und in jedem organischen Theil der letztern die negative Seite desselben bildet. Dadurch ist es eben erklärlich, daß, so lange überhaupt die Funktion der Verwaltung eine wesentlich negative war, auch die „Polizeiwissenschaft“ als Form der ganzen Ver- waltungslehre auftreten konnte. Jetzt, nachdem die positive Thätigkeit der Verwaltung als die Hauptsache anerkannt ist, müssen wir natürlich einen andern Standpunkt suchen. Und dieser besteht darin, daß, wie gesagt, die Polizei für jedes Gebiet der Verwaltung die negative Funktion besitzt, und daher sich an das System der Verwaltung selbst anschließt. Die Durchführung dieses Satzes nun hat dadurch einen Werth, daß man auf diese Weise zur endgültigen Klarheit über die große Unbestimmtheit gelangt, welche in dem Worte Polizei liegt. I. Zuerst nämlich haben wir den allgemeinen Begriff und Inhalt der Polizei von den einzelnen Gebieten derselben zu unterscheiden. Der allgemeine Theil der Polizeilehre enthält alles dasjenige, was in allen einzelnen Funktionen, bei aller ihrer Verschiedenheit gleichartig ist. Und da nun dieß wesentlich in der wirklichen Durchführung der Aufgaben der Polizei besteht, so ist allerdings richtig, daß dieser allgemeine Theil der Polizeilehre eben so gut als ein Theil der voll- ziehenden Gewalt und ihres Rechts im Unterschiede von der eigentlichen Verwaltung angesehen werden kann. Die Aufnahme desselben in die innere Verwaltung hat dagegen den allerdings nur didaktischen Vorzug, daß das Polizeiwesen als ein Ganzes erscheint. Steht dieß fest, und ist damit die organische Grundlage für das Verständniß der Polizei gefunden, so kann man alsdann später die Uebernahme dieses allgemei- nen Theils in die vollziehende Gewalt neben ihrer systematischen Rich- tigkeit auch zweckmäßig finden. II. Der besondere Theil der Polizei zerfällt dann, wie der allge- meine Begriff der Verwaltung, in die drei großen Gebiete der Staats- wirthschaft, der Rechtspflege und des Innern. Es gibt daher eine Finanzpolizei , eine Polizei der Rechtspflege oder gerichtliche Polizei, und endlich eine innere Polizei, die man wohl die eigentliche oder Verwaltungspolizei nennt. Wie es nun Sache der Staats- wirthschaft ist, ihre Polizei zu behandeln, und wie es Sache der Rechtspflege wäre, die ihrige zu erledigen, so ist es Sache der innern Verwaltungs- lehre, die Verwaltungspolizei als selbständigen Begriff anzuerkennen und durchzuführen. Das letztere ist es aber, was man als die eigentliche Polizeilehre bezeichnen könnte, wenn es möglich wäre, die polizeiliche, negative Funktion von der administrativen, positiven zu scheiden. Dieß nun ist aber nicht bloß fast unthunlich in den einzelnen Ge- bieten der Verwaltung des Innern, sondern es ist zugleich höchst schwierig zwischen der gerichtlichen und der Verwaltungspolizei, und wird noch schwieriger gemacht durch die in Gesetzgebung und Literatur fast durchgreifende Verschmelzung beider Begriffe. Es wird daher, so lange die ganze Theorie nicht feststeht, für jede Polizeilehre von ent- scheidender Bedeutung, dem Verhältniß der gerichtlichen wie administra- tiven Funktion der Polizei eine selbständige Beachtung zu widmen, was wir unten thun werden. III. Stehen auf diese Weise der Begriff und die drei Hauptgruppen der Polizei fest, so kann man nunmehr für die Verwaltungspolizei von dem reden, was wir das System der letzteren nennen müssen. Das System dieser Polizei ist das der Verwaltung selbst . Man wird daher von einer Bevölkerungs-, Gesundheits-, Bildungs-, Elementar-, Verkehrs-, Landwirthschaftspolizei u. s. w. mit Recht reden. Jeder dieser Begriffe wird die Gesammtheit von Grundsätzen und Maßregeln enthal- ten, welche die Verwaltung zum Schutze jedes dieser bestimmten Le- bensverhältnisse gegen die dasselbe bedrohenden Gefahren ergreift, wäh- rend die Verwaltung im engern Sinne die Maßregeln zur Förderung der Entwicklung bedeutet. Der Grund jedoch, weßhalb man diese Verwaltungspolizei von der Verwaltung nicht formell trennt, liegt dann eben im Wesen der Sache selbst, wie wir unten sehen werden. Und so wäre alles klar, bis auf den letzten formalen Begriff, mit dem wir noch abrechnen müssen. Das ist der der Sicherheitspolizei. IV. Das Bewußtsein von jener doppelten Funktion der Verwal- tung in allen ihren Gebieten, nämlich der positiven, fördernden und helfenden, und der negativen, schützenden und bewahrenden, ist bereits, wie bekannt, im vorigen Jahrhundert sehr lebhaft vorhanden gewesen, und hat auch seinen ganz specifischen Ausdruck gefunden. Man um- faßte nämlich jene Gesammtheit der positiven Anordnungen und Thä- tigkeiten mit dem Namen der Wohlfahrtspolizei und die Gesammt- heit der negativen mit dem Ausdruck der Sicherheitspolizei , welche man dann wieder gemeinsam als die „Polizei“ zusammenfaßte. Wohl- fahrtspolizei war demnach Verwaltung, Sicherheitspolizei war die innere Polizei. Am deutlichsten ist darüber vielleicht das preußische allgemeine Landrecht, das bekanntlich eben so sehr ein Verwaltungs- als ein bürger- liches Gesetzbuch ist, und sich daher über Verwaltung und Polizei klar sein mußte. Dasselbe sagt II, 13. §. 2. „Die vorzüglichste Pflicht des Staatsoberhaupts ist es, sowohl die innere als die äußere Ruhe und Sicherheit zu erhalten .“ §. 3. „Ihm kommt es zu, für Anstalten zu sorgen, wodurch den Einzelnen Mittel und Gelegenheit geschaffen werden, ihre Fähigkeit und Kraft zu bilden und dieselben zur Förde- rung des Wohlstandes anzuwenden.“ Da sind beide Begriffe in ihrer reinsten Form des vorigen Jahrhunderts. Endlich setzt das allge- meine Landrecht II, 17. §. 1—10 hinzu: „Die nöthigen Anstalten zu treffen , zu Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, ist das Amt der Polizei.“ So sind die Dinge bereits lange vorhanden, von denen wir zu reden haben. Nur Eins fehlt: das ist der Begriff eines selb- ständigen Rechts dieser Polizei, oder einer Gränze ihrer Berechtigung gegenüber dem Individuum. Um nun zu diesem zu gelangen, müssen wir nur zuvor die Bedeutung der Sicherheitspolizei als Theil des ganzen Polizeisystems genauer bestimmen. In der That nämlich ist dem Wortlaute nach jede Polizei eine „Sicherheitspolizei.“ Wenn man mithin noch den Ausdruck der Sicher- heitspolizei in einem speziellen Sinne gebraucht, so ist es nothwendig, sich darüber zu einigen, daß man damit einen bestimmten Theil der innern Polizei bezeichnet. Sonst ist der Verwirrung kein Ende. Und in diesem Sinne werden wir die „Sicherheit“ als ein selbständiges Gebiet der Polizei später aufstellen, als dasjenige nämlich, in welchem es sich nicht mehr um eine bestimmte, an ihrem Objekte qualificirbare, sondern um eine allgemeine Gefährdung der öffentlichen Ordnung handelt. Wir werden daher sagen, daß die innere Polizei aus zwei Hauptgebieten besteht, der Sicherheitspolizei , welche die Gemein- schaft vor der Gefährdung der allgemeinen Zustände und der öffentlichen Ordnung schützt, und den speziellen Theilen der Verwaltungspolizei, welche den Schutz gegen irgend eine ganz bestimmte, einzelne Gefähr- dung bietet. Die Sicherheitspolizei bildet daher auch einen selbständi- gen Theil der Verwaltung und ihres Rechts, während alle übrigen Funktionen der Polizei den einzelnen Gebieten der inneren Verwaltung immanent erscheinen. An diese allgemeinen Grundlagen schließen sich nun Begriff, In- halt und System des Polizeirechts . III. Das Polizeirecht. System desselben. Allgemeines und besonderes Polizeirecht. Wegen der entscheidenden Bedeutung, welche das Recht gerade für die Bestimmung und Stellung der Polizei im Gesammtleben des Staats hat, ist es nun nothwendig, gerade für die Polizei den Begriff ihres Rechts genauer zu entwickeln. Hier darf die allgemeine Definition nicht genügen, weil auf der letzteren die ganze Schärfe der folgenden Unterscheidungen zu beruhen hat. Die oben bezeichnete Funktion der Polizei hat es nämlich zuerst mit denjenigen Gefahren zu thun, welche aus elementaren Kräften ent- springen. Diesen gegenüber gibt es kein Recht der Polizei. Der Rechtsbegriff ist daher unanwendbar, wo der Polizei nur natürliche Gewalten entgegen treten (z. B. Errichtung von Leuchtthürmen, Regu- lirung von Wegen, Strombetten ꝛc.). Der Begriff des Rechts entsteht hier wie immer erst auf dem Punkte, wo die Funktion der Polizeiorgane in die Sphäre des individuellen Lebens hineingreift, und im Namen des Gesammtwohles eine Be- schränkung der persönlichen Freiheit von dem Einzelnen ent- weder fordert, oder sie einseitig hervorruft. Daß eine solche Beschränkung der persönlichen Freiheit durch die Organe und im Interesse der Gemeinschaft überhaupt, also auch bei öffentlichen Gefährdungen noth- wendig und berechtigt sein könne, hat der Begriff der Verwaltung entwickelt, welchem sie als immanenter Theil angehört. Das Wesen der freien Persönlichkeit fordert aber andererseits, daß diese polizeiliche Beschränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, sondern selbst wieder eine feste, durch den allgemeinen Willen gesetzte Gränze habe. Und die Gesammtheit von Grundsätzen, Regeln und geltenden Bestimmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber der persönlichen Freiheit eine solche Gränze geben, bilden das Polizeirecht . Dieser allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings die finanzielle und die gerichtliche sowohl als die Verwaltungspolizei. Es ist eine der großen Voraussetzungen der staatsbürgerlichen Freiheit, daß es gar keinen Akt der gesammten polizeilichen Thätigkeit gebe, dem nicht das ihm entsprechende Polizeirecht zur Seite stehe. Wenn die Polizei selbst die organische Bedingung der Gesammtentwicklung dadurch ist, daß sie dem Einzelnen wie der Gesammtordnung das Ele- ment der öffentlichen Sicherheit gibt, so ist das Polize irecht das Corollar derselben, indem es dem Einzelnen wie der Gesammtheit die zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi- duellen Rechtssphäre, gewährleistet. Das ist die organische Stellung und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei. II. Aus diesem Wesen des Polizeirechts hat sich nun zunächst der Gang der Geschichte desselben und sein Verständniß in der Lehre des öffentlichen Rechts ergeben. Die sehr große und zum Theil sehr ver- worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen umfaßt, namentlich ohne strenge Unterscheidung der gerichtlichen und Verwaltungspolizei, läßt sich in folgende Hauptgruppen zusammenfassen. Die Geschlechterordnung hat noch gar keine selbständige Polizei, weil sie noch keine selbständige Verwaltung hat. Selbst die Verpflich- tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin- nert, ist doch im Grunde nur Nothwehr. Die ständische Gesellschafts- ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als Thatsache; aber zum Begriffe eines öffentlichen Polize irechts gelangt auch sie nicht, weil die Grundherrlichkeiten und Körperschaften, die die Polizei ausüben, zugleich die Funktion der Gesetzgebung, der Verordnung und des Ge- richts mit der der Polizei in demselben Organ vereinigen, was den Begriff des individuellen Rechts gegenüber diesem Organe so gut auf- hebt, wie der Begriff des Gesetzes es in der staatsbürgerlichen Gesell- schaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polize irechts selbständig zur Geltung zu bringen, und damit für die gesammte Polizei in all ihren Formen eine neue Epoche zu begründen, mußte ein neues Element zur Geltung gelangen. Dieß nun geschieht mit dem Beginne der staatsbürgerlichen Gesell- schaft dadurch, daß der Staat sich selbständig hinstellt, von den an sich freien Einzelnen, die ihm angehören, scheidet, und somit in Staat und Staatsbürger sich zwei Persönlichkeiten (Rechtssubjekte sagt man, als ob es „Subjekte“ ohne Recht gäbe) gegenüber treten, von denen die eine in die Rechtssphäre der andern hineingreift, während das Wesen der andern für dieß Hineingreifen eine Gränze, das ist ein Recht fordert. Dieß Polizeirecht ist daher das erste charakteristische, formelle Merkmal des Eintretens der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung und der Erhebung derselben über die ständische Gesellschaft. Und von da an gilt nun für die gesammte historische Entwicklung des Polizeirechts der Satz, daß dasselbe mit der Entwicklung der staatsbürgerlichen Ge- sellschaft selbst fortschreitet, und somit den formellen Ausdruck des öffentlichen Bewußtseins von dem Werthe und dem Rechte, den Forderungen und der Bestimmung der individuellen Freiheit des Staatsbürgerthums bildet. Man kann nun in dieser historischen Entwicklung des Polizeirechts zwei große Epochen unterscheiden, die wir wenigstens im Allgemeinen charakterisiren müssen, um dem, was wir zu leisten haben, seine Stel- lung anzuweisen. Die erste Epoche beginnt mit dem sechzehnten Jahrhundert, und geht dahin, die staatsbürgerliche Freiheit gegen die polizeiliche Funktion dadurch zu sichern, daß zunächst die Aufgaben der letztern gesetzlich festgestellt werden. Dieß ist bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts der Inhalt aller auf die Polizei bezüglichen Gesetze, und vermöge der- selben erscheint das gesammte Verwaltungsrecht noch fast ausschließlich in Polizeiverordnungen. In dem Sinne aber, daß diese Gesetze neben den Verwaltungsaufgaben, welche die Polizei zu vollziehen hat, auch eine gesetzliche Gränze für die Freiheit des Einzelnen gegenüber jener Funktion der Polizei aufgestellt, und somit ein Polize irecht in unserm Sinne geschaffen hätten, gibt es noch kein Polizei- oder Verwal- tungsrecht. Erst mit dem Ende des vorigen und dem Anfang unsers Jahrhunderts beginnt die zweite Epoche. Diese beruht darauf, daß sich der Gedanke der Verantwortlichkeit der gesammten Polizei Bahn bricht und damit das Princip der persönlichen Freiheit gegen- über der polizeilichen Funktion sich ein selbständiges Rechtssystem bildet. Im Beginn dieser Epoche stehen wir , und das Folgende hat die Auf- gabe zu zeigen, welche Gestalt diese Epoche in den verschiedenen Ländern angenommen hat, und wie weit Theorie und Praxis darin gekommen sind, das Rechtssystem der polizeilichen Verantwortlichkeit gegenüber der Freiheit des einzelnen Staatsbürgers zum Bewußtsein zu bringen und auszubilden. Dieß wäre nun wohl ziemlich leicht, wenn namentlich in Deutsch- land die Epoche der ständischen Gesellschaftsordnung und der polizei- lichen Verwaltung bereits nicht bloß im Princip, sondern auch in der Wirklichkeit vollständig überwunden wäre. Allein das ist nicht der Fall. Die Wissenschaft hat daher hier nicht so sehr mit verkehrten Zuständen, als vielmehr mit unklaren Vorstellungen zu kämpfen. Die wesentlichste Aufgabe des Folgenden ist es daher, vor allen Dingen neben dem all- gemeinen Begriffe die einzelnen Momente desselben selbständig festzu- stellen, und das Recht der Polizei, das in seinem allgemeinen Begriffe feststeht, an diesen einzelnen Momenten zu einem selbständigen System zu entwickeln. Denn nur dadurch wird es möglich sein, dasjenige zu erreichen, was uns in der Wissenschaft des öffentlichen Rechts noch so gut als gänzlich fehlt, eine Theorie und Jurisprudenz des Polizeirechts , als des Rechts der persönlichen Freiheit gegen- über der polizeilichen Funktion. In diesem Sinne nun müssen wir neben dem Begriffe und der Geschichte des Polizeirechts von einem System desselben reden. Es ergibt sich dafür zunächst von selbst, daß dieses System auch hier nicht in dem Begriffe des Rechts, sondern in dem der Polizei liegt und liegen muß, für die es gelten soll. Dasselbe ist daher naturgemäß identisch mit dem organischen Wesen der Polizei; aber es ist für die wissen- schaftliche Behandlung von entscheidender Bedeutung, dieß speziell zu betonen. Es ergibt sich nämlich daraus, daß wir zunächst von einem allgemeinen Polizeirecht zu reden haben, als demjenigen Recht der Polizei, das allen verschiedenen Funktionen und Aufgaben derselben gleichmäßig inwohnt. An dieß schließt sich dann das besondere Polizeirecht, als dem- jenigen besondern Recht derselben, das durch die einzelnen, speziellen Aufgaben der Polizei in den einzelnen Gebieten der Verwaltung be- stimmt wird, und das dem entsprechend diejenigen Modifikationen jenes allgemeinen Polizeirechts enthält, welche durch diese besondern Aufgaben der Polizei gefordert werden. Von diesem besondern Polizeirecht bildet nun die Sicherheits- polizei wieder ein selbständig zu bearbeitendes Rechtsgebiet, während alle übrigen Theile der inneren Polizei integ irende Theile der einzelnen Verwaltungsgebiete ausmachen, die man wissenschaftlich nie , und praktisch nie mit Nutzen von den betreffenden Theilen der Verwaltungslehre scheiden kann. Das sind die Elemente des Systems des Polizeirechts . Der Grund des Mangels an einem System des Polizeirechts liegt in dem gesammten Entwicklungsgange der deutschen Gesetzgebung und Rechts- wissenschaft, die sich in denjenigen Arbeiten, mit denen sie sich dem Polizeirechte überhaupt zugewendet hat, namentlich mit dem Gebiete der gerichtlichen Polizei bisher beschäftigte, und hier Bedeutendes leistet, während die Verwaltungspolizei fast gänzlich von ihr unberücksichtigt geblieben ist. Der Grund davon besteht wesentlich in dem Mangel des Begriffes von einem selbständigen Verwaltungsrecht einerseits, und der bestimmten Unterscheidung von Klag- und Beschwerderecht. Das erste hat die Theorie des geltenden Rechts überhaupt, das zweite das System der rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gedeihen lassen. Daher finden wir eine Literatur für das Polizeirecht auch nur im Gebiete der einzelnen Fragen, was eine zum Theil große Einseitigkeit des Stand- punkts zur Folge hat, während sie für das Ganze fehlt. Wesentlich anders ist es in der französischen Literatur, die sehr vollständige und selbst casuistische Arbeiten über das Recht der Verwaltungspolizei besitzt. Dies beruht wieder darauf, daß die Polizei seit dem Code Pénal kein eigenes, formell gültiges Strafrecht hat, und daher das ganze Verfahren der criminalistischen Bearbeitung anheimfiel und auf allen Punkten der juristischen Auffassung Raum ließ. Die strenge, wenn auch vielfach formale Entwicklung des verfassungsmäßigen Rechts trug auch das ihrige dazu bei, so wie endlich die hohe und vortreffliche Ausbildung des Be- schwerdeverfahrens. Hier haben wir daher sehr viel zu thun, bevor wir der französischen Literatur nachkommen; doch hat ihre Entwicklung selbst es begründet, daß sie nicht so sehr systematisch und dogmatisch, als vielmehr casuistisch und hermeneutisch auf Grundlage der bestehenden Ge- setze verfahren ist. Die Deutschen werden hier die geistige Ordnung in das reiche, fast überreiche französische Material zu bringen haben. Daß die englische Literatur für das Polizeirecht kein eigenes Gebiet eröffnet hat, erklärt sich von selbst. Wenn man sich übrigens den Werth und die Bedeutung des Begriffs eines „Polizeirechts“ überhaupt, und daneben den mächtigen Fortschritt vergegenwärtigen will, den wir in Deutschland denn doch trotz alles Mangels an „System“ in dem öffentlichen Recht gemacht haben, so muß man einen Blick auf das werfen, was noch im Anfang unsers Jahrhunderts als Polizei gelehrt werden konnte, und was um so mehr Wunder nehmen muß, als schon im vorigen Jahr- hundert einzelne hervorragende Männer, wie Möser, J. H. Berg und Sonnenfels auf einem hochachtbaren Standpunkte standen, während freilich bei andern die Auffassung trotz mancher schönen Phrase im Kathederthum untergeht, wie bei Jakob , der Sonnenfels aus- geschrieben und nicht citirt, und Soden citirt und nicht verstanden hat. Die gewöhnlichen Lehrbücher der Polizei in den ersten Decennien unsers Jahrhunderts dagegen kannten das Polizeirecht überhaupt nur als „Hoheitsrecht“ des Staats, und mithin als Berechtigung der Polizei, ohne demselben in dem freien Staatsbürgerrecht ein Gegengewicht zu geben, wie z. B. Eisenhuth, Polizei der Staatseinwohner-Ordnung; Jung , Lehrbuch der Staatspolizeiwissenschaft, der auf S. 344 zu dem Satze gelangt: „die Unterthanen seien schuldig, alles zu tragen, was ihnen auferlegt werde,“ — worauf Soden in seiner Staatspolizei (National-Oekonomie Bd. 7) S. 123 mit Recht ausruft: „Wenn die Lehrer der Nationen solche Behauptungen wagen, können wir wohl erstaunen, daß die Willkür an die Stelle der Gesetze tritt und der Staatszweck bis auf die Erinnerung untergeht?“ Erst gegenüber solchen Anschauungen lernt man begreifen, wie Männer wie der treffliche Aretin in seinem Staatsrecht der constitutionellen Monarchie (1827, II. 166) und im Grunde auch Zachariä (Vierzig Bücher, IV. S. 288) sich so energisch auch gegen die „Wohlfahrtspolizei“ aussprechen konnten, die doch selbst in der französischen Revolution in der déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1793 in dem ersten Artikel derselben gipfelt: „Le but de la société est le bonheur commun.“ (Vergl. Stein , Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, I. Band S. 160 ff.) In der That, erst wenn man diese Schriftsteller mit unsrer Zeit vergleicht, so sieht man, wie viel wir in Deutschland seit fünfzig Jah- ren weiter gekommen sind, und wie viel die Nation Männern wie Soden, Lotz, Zachariä, Mohl und Andern verdankt. Wenigstens die Literaturgeschichte und die historische Wissenschaft sollte ihnen bleibende Denkmale errichten, statt sie, wie namentlich Soden, zu vergessen. Denn wie ganz anders sieht denn doch selbst bei Zimmermann (Wesen, Geschichte und Literatur der modernen Polizei, 1852, der freilich auch noch kein Polize irecht kennt) diese Polizei aus, als im Beginne dieses Jahrhunderts! Erster Theil. Das allgemeine Polizeirecht. Einleitung. I. Begriff. Der formale Begriff des allgemeinen Theiles des Polizeirechts dürfte nun wohl keine Schwierigkeit haben. Dasselbe entsteht, indem in allen verschiedenen Funktionen und Gebieten der Polizei ein gemein- sames und gleichartiges Element anerkannt wird. Dieß gemeinsame und gleichartige Element ist die, in gewissen Akten der Polizei enthaltene Beschränkung der Freiheit des Einzelnen , die zum Zwecke der Abwen- dung einer öffentlichen Gefahr geschieht. Das Recht dieses Eingreifens besteht in der Bestimmung der Gränze , welche dieser Beschränkung durch die Berechtigung der persönlichen Freiheit einerseits und durch die Natur der Gefahr andrerseits vorgeschrieben werden. Die Wissenschaft dieses Rechts besteht in der Darlegung der Elemente und Folgesätze, vermöge deren jene Gränze im Allgemeinen und in jedem besondern Falle bestimmt wird. Der Unterschied des allgemeinen Polizeirechts von dem besondern besteht dann darin, daß, da der allgemeine Theil der Polizei sich nicht auf eine einzelne Polizeihandlung, sondern auf die Thätigkeit der Polizei als solche bezieht, dieß Recht der allgemeinen Polizei auch nicht durch die Natur der einzelnen Gefahr gegeben wird, sondern durch die Natur der Thätigkeit der Polizei selber. Dadurch entsteht das, was man das System des allgemeinen Polizeirechts nennen kann. II. Die systematischen Elemente desselben. Indem wir nämlich, absehend von dem Objekt der polizeilichen Thätigkeit und dem Einfluß, den dasselbe auf das Recht hat, nur auf diese polizeiliche Funktion als solche sehen, ergibt sich, daß diese poli- zeiliche Funktion einzelne selbständig dastehende, und auch äußerlich von einander trennbare Momente besitzt, die jedes für sich dem allgemeinen Polizeirecht unterworfen sind. Das Wesen dieser Momente der Funk- tion, und die dadurch gewonnene bestimmte Gestalt des allgemeinen Begriffes des Rechts der Polizei, ergibt das System des letztern. Diese Elemente des Polizeirechtssystems sind nun um so wichtiger, als sie keineswegs bloß für die Verwaltungs-, sondern eben so gut für die finanzielle und die gerichtliche Polizei gelten. Sie werden daher zugleich als Grundlage eines bedeutsamen Theiles des Strafprocesses und sogar des Civilprocesses gelten müssen. Die Funktion der Polizei, welche jenes formale System ihres Rechts begründet, hat nun drei Momente. a) Sie erscheint zuerst als eine Verfügung des betreffenden Ver- waltungsorgans, welche den Willen desselben enthält, der das Ver- fahren zu verwirklichen hat. Diese Verfügung heißt je nach ihrer Form Befehl, Mandat, Ersuchen u. s. w. Sie erscheint selbständig und äußerlich von dem Verfahren geschieden in schriftlichem oder mündlichem Wege, kann aber auch in der Form von Verordnungen als öffentliche Bekanntmachung auftreten, oder endlich so eng mit dem wirklichen Vollzug zusammenfallen, daß man sie nicht mehr äußerlich scheiden kann, wie bei den Anwendungen von persönlichen Zwangsmitteln. In allen diesen Formen aber bleibt die Sache selbst, und mithin ihr Recht, dieselbe . Dieß Recht der Polizeiverfügung besteht nun nicht in dem Verhältniß derselben zur Sphäre und dem Recht der indivi- duellen Freiheit, denn so lange sie eben bloß Verfügung ist, hat das Individuum nichts mit ihr zu thun; sondern dieselbe enthält das öffent- liche rechtliche Verhältniß derselben zu dem geltenden Recht der Gesetze und Verordnungen , und richtet sich daher nach den Grund- sätzen, welche über das verfassungsmäßige Verordnungsrecht in der vollziehenden Gewalt dargelegt sind, so daß bei dem Widerstreit der- selben mit einem Gesetze die Klage, mit einer andern Verordnung die Beschwerde eintritt. Daß diese polizeiliche Verfügung eine ganz andere Gestalt in der gerichtlichen als in der Verwaltungspolizei hat, ändert diese allgemeinen Grundsätze nicht. b) Das zweite Moment der polizeilichen Funktion ist dann auf das die Vollziehung der Verfügung gerichtete Verfahren . Natürlich ist dasselbe unendlich verschieden, je nach dem äußern Zweck. Allein rechtlich sind alle Formen desselben gleich. Dieß Recht des polizeilichen Verfahrens beruht nun, im Gegensatz zu dem der polizeilichen Ver- fügung, darauf, daß es nicht durch das Verhalten zu dem gegebenen Objekt, sondern zu der Rechtssphäre des freien Staatsbürgers entsteht, und denjenigen Punkt bestimmt, bis zu welchem das Ver- fahren die persönliche Freiheit des Einzelnen beschränken darf. Der leitende Grundsatz dabei ist der, daß das Verfahren nur zur Anwen- dung derjenigen Mittel berechtigt ist, welche als unabweisbare Be- dingung der wirklichen und vollständigen Vollziehung des öffentlichen Willens angesehen werden müssen. Auch das gilt für beide Hauptarten der Polizei gleichmäßig, wird aber bei weitem vorwiegend für die Ver- waltungspolizei von Bedeutung. c) Das dritte Moment endlich enthält das Verhältniß der vollzoge- nen Funktion der Polizei zum bestehenden Rechtszustande; das Recht desselben ist einfach das der Verantwortlichkeit und Haftung der vollziehenden Organe auf dem verfassungsmäßigen Wege der Klage und der Beschwerde, und zwar so, daß entweder die Verfügung als solche Gegenstand derselben wird, oder der Vollzug für sich; eine Unterscheidung, welche am wichtigsten ist für die Organe, welche für Klage und Beschwerde zu haften haben, indem die erste Haftung sich auf die den Befehl gebenden, die zweite auf die den Befehl vollziehen- den bezieht, die wenigstens in den Funktionen der gerichtlichen und Verwaltungspolizei meistens geschieden sind. Demnach zerfällt das Polizeirecht an sich , und zwar noch ohne Rücksicht auf die Trennung zwischen der gerichtlichen und Verwaltungs- polizei, in drei Theile: das Recht der Polizeiverfügung , das Recht des Polizeiverfahrens und das Recht der Haftung der Polizei . Bei der wesentlich verschiedenen Funktion aber, welche die gerichtliche und die Verwaltungspolizei haben, werden die Formen und Namen dieser drei Theile auch für beide verschieden sein. Und darauf nun be- ruht das, was wir das System des Polizeirechts nennen, von dem, wie wir gleich hier sagen wollen, das Recht und System der eigentlichen Sicherheitspolizei wieder nur einen besonderen, wenn auch vorzugsweise wichtigen Theil bildet. Dieses System erscheint demnach in dem Verfügungs-, Verfahrens- und Haftungsrecht der gerichtlichen Polizei, gegenüber dem Einzelnen, dann in dem der Verwaltungs polizei, und endlich in dem Verhält- niß beider Zweige der Polizei zu einander , indem die letztere neben ihrer selbständigen Funktion auch noch als bloßes Vollzugsorgan der erstern agirt. Wir werden jedoch die beiden letzten Theile am besten zum Zwecke der klareren Uebersicht mit einander verbinden. Die Schwierigkeit für die Theorie wird wohl darin bestehen, diese Auffassung für die gerichtliche Polizei gelten zu lassen, da man zwar die Funktionen derselben kennt, allein gewohnt ist, sie als integrirende Theile des eigentlichen Strafprocesses zu behandeln. Dennoch müssen wir daran festhalten, daß dieser Theil des Strafprocesses in der That nichts ist, als ein Theil des Verwaltungsrechts, und daher eigener Darstellung bedarf, die er im Strafprocesse nicht zu finden gewohnt ist. III. Die gerichtliche Polizei und die Verwaltungspolizei. 1) Der Unterschied an sich . Auf der Grundlage der obigen Bestimmungen wäre nun das ganze Gebiet der Polizei ein höchst einfaches, wenn man mit dem an sich unzweifelhaften Satze genügen könnte, daß diese Polizei demnach in allen drei Gebieten der Verwaltung, Staatswirthschaft, Rechtspflege und Innerem auftritt, und man daher von einer allgemeinen und be- sondern Finanz-, Gerichts- und Ordnungspolizei zu reden haben würde. Allein es gibt hier ein Moment, welches die Gränze dieser an sich einfachen Begriffsbestimmungen verwirrt, und damit zugleich das Recht der Polizei unbestimmt macht. Dieß Moment liegt in dem allgemeinen Objekt aller Polizei, der gefährdenden Thätigkeit des Einzelnen. Ohne allen Zweifel nämlich ist die öffentliche Sicherheit, ganz ab- gesehen von dem ethischen Momente, gefährdet nicht bloß durch das, was jemand möglicher Weise thun kann , sondern auch dadurch, daß das, was jemand bereits gegen das Recht gethan hat , unbestraft bleibt. Die Sicherung der Bestrafung der Verbrechen ist daher ganz gewiß eine eben so wesentliche Bedingung der öffentlichen Sicherheit, als die Verhinderung von materiellen Gefährdungen. Nimmt man daher den oben bezeichneten allgemeinen Begriff der Polizei, so fällt unzweifelhaft die Verfolgung der Verbrecher zum Zwecke ihrer Bestra- fung eben so nothwendig unter denselben, als die polizeiliche Verhin- derung von Verbrechen und Gefährdungen. Und nun nennt man der Regel nach die Gesammtheit von polizeilichen Thätigkeiten, welche sich auf ein bereits geschehenes Verbrechen und seine Verfolgung be- ziehen, die gerichtliche Polizei , während dagegen Thätigkeiten der Polizei, welche es mit der Abwendung von Gefährdungen zu thun haben, die Verwaltungs- oder eigentliche Polizei heißt. Auch dieß nun wäre einfach, wenn nicht zwei Momente in der Wirklichkeit jene doctrinär scharfe Gränze beständig wieder verwischten, so wie es zur wirklichen polizeilichen Funktion kommt. Das erste liegt darin, daß oft dieselbe Handlung, welche einen verwaltungs-polizei- lichen Akt enthält, auch eine gerichtspolizeiliche ist, wie das namentlich bei der eigentlichen Sicherheitspolizei beständig eintritt. Das zweite liegt darin, daß meistens dieselben Organe beide Arten der Polizei ausüben. Nun würde dieß wiederum ohne große praktische Bedeutung sein, wenn nicht das Recht der gerichtlichen Polizei ein wesentlich anderes wäre , als das der Verwaltungspolizei, und daher die Polizei- organe regelmäßig in ihrer praktischen Funktion stets unter diesen bei- den so wesentlich verschiedenen Rechtssystemen zugleich stünden. Es tritt daher die Nothwendigkeit ein, hier eine Gränze zu ziehen, welche zwar sehr schwierig festzuhalten ist, aber dennoch für die staatsbürger- liche Freiheit hochwichtig ist. Und zu diesem Ende muß es uns erlaubt sein, zuerst die ganze Funktion der Rechtspflege zu charakterisiren, um den Punkt zu finden, auf welchem sich die gerichtliche Polizei eigentlich anschließt, und dann die Gränze und den Inhalt des Rechts beider Funktionen zu ziehen. 2) Das Strafgericht und seine Polizei . Wir glauben nun in Beziehung auf das gerichtliche Verfahren so kurz sein zu sollen, als es irgend möglich ist. Die Aufgabe des Fol- genden kann es nur sein, anzudeuten, weßhalb die Frage nach dem Verhältniß der Polizei zum Gerichte und seinem Verfahren als eine selbständige , mit eigener Funktion und eigenem Recht in der Straf- proceßordnung dastehende behandelt werden sollte . Erkennt man nämlich, daß die ganze Strafrechtspflege selbst nur ein bestimmtes Gebiet der Verwaltung des Rechts ist, so theilt sich der Strafproceß in vier Theile. Der erste Theil ist der, welcher die Bedingungen für die Auf- stellung und Durchführung des strafrechtlichen Beweises zu suchen und herzustellen hat. Der zweite ist der, welcher mit den auf diese Weise herbeigeschafften Mitteln den Beweis führt . Der dritte schöpft das Urtheil . Der vierte vollzieht es. Es ist nun kein Zweifel, daß der erste Theil kein Strafverfahren ist, sondern im weitesten Sinne eben das umfaßt und enthält, was wir die gerichtliche Polizei nennen. Die vom Gerichte geforderte Her- stellung der Beweismittel wird nämlich zur gerichtlichen Polizei, so- bald und in so fern dieselbe durch ein Eingreifen in die Rechtssphäre des Individuums geschieht. Dieser Theil ist kein Theil des eigentlichen Strafprocesses; denn das organische Wesen des Strafprocesses ist eben die Führung des Beweises mit den hergestellten Beweis- mitteln . Die Scheidung zwischen beiden Theilen ist im Einzelnen oft sehr schwer, nicht aber weil die Begriffe, sondern weil ihre Aeußerun- gen gleichdeutig sind und in einander übergehen. Unzweifelhaft aber ist, daß beide Funktionen wesentlich verschieden sind und auch oft wesentlich verschiedene Personen betreffen, wie bei Zeugen ꝛc. Steht nun dieß fest, so erscheint alles, was zur bloßen Herstellung der Beweismittel dient, eben als der Inbegriff der gerichtlichen Polizei. Und man kann und muß daher, noch ehe man zum Verhältniß derselben zu der Ver- waltungspolizei übergeht, die Kategorien des allgemeinen Polizeirechts auf diesen ersten Theil der strafgerichtlichen Thätigkeit anwenden. Die einzige Schwierigkeit wird dabei in der traditionellen Vorstellung liegen, als seien diese Funktionen Theile des Strafv erfahrens, während sie ein polizeiliches Verfahren enthalten. In der That, wie könnte das- jenige ein Strafv erfahren sein, dem noch nicht einmal die Gewißheit eines geschehenen Verbrechens zum Grunde liegt? Geht man daher davon aus, daß alles das, was dem auf der Gewißheit eines gesche- henen Verbrechens begründeten Strafverfahren voraufgeht, ein straf- polizeiliches Verfahren ist, so erscheinen für das letztere die drei oben bereits bezeichneten Kategorien des allgemeinen Polizeiverfahrens, die Verfügung, die Vollziehung und die Haftung. 1) Die strafpolizeiliche Verfügung des Strafgerichts hat stets zum Inhalt, die Herstellung des Beweises zu sichern. Die Art und das Maß, in welchem sie in die persönliche Freiheit eingreift, ist aller- dings eine wesentlich verschiedene, je nachdem es sich um bloße Gegen- stände handelt, die im Besitze einer bestimmten Person sind, oder um die Aussagen derselben, oder um die Sicherung des Verdächtigen. Sie erscheinen daher namentlich in dem gerichtspolizeilichen Recht der Be- schlagnahme und der Hausdurchsuchung, der Vorführung und der Ver- haftung. Wir werden ihnen und der nicht glücklichen Verschmelzung derselben mit den sicherheitspolizeilichen Maßregeln unten wieder be- gegnen. 2) Das Verfahren in Gemäßheit solcher Verfügungen ist nun zwar an sich einfach, aber schon hier tritt der Punkt ein, auf welchem sich Gericht und Verwaltung scheiden. Die gerichtliche Polizei kann nämlich entweder mit ihren eigenen Organen selbst ihre (obigen) Ver- fügungen vollziehen, oder sie kann zu dieser Vollziehung die Organe der Verwaltungspolizei benutzen. Im zweiten Falle bedarf die letztere eines formellen Befehles derselben, und es ist Grundsatz aller Ver- waltung, daß die Verwaltungspolizei solchen Befehlen zu gehorchen hat. Die Fragen aber, die hier entstehen, bilden einen so wesentlichen Theil des Folgenden, daß wir sie hier nur andeuten. 3) Was endlich die Haftung betrifft, so betreten wir hier ein Stein , die Verwaltungslehre. IV. 2 schwieriges und wenig geordnetes Gebiet. Die Verantwortlichkeit für Beweis, Urtheil und Exekution liegt nämlich in der Appellation, die im Grunde das vollständig geregelte Beschwerdeverfahren inner- halb der Rechtspflege und berufen ist, das Muster des Beschwerde- verfahrens für die innere Verwaltung zu werden . Die eigentliche Frage über die Haftung für die Aktionen der gerichtlichen Polizei, namentlich bei Verhaftungen u. s. w., die sich durch richterliches Urtheil als ungerechtfertigt zeigen, ist erst in neuester Zeit entstanden. Offenbar ist es unmöglich, eine Sicherung für die Verfolgung von Verbrechen herzustellen, wenn man die Richter oder den Staatsanwalt persönlich für jeden mit der Verfolgung von Verbrechen verbundenen Eingriff in die Rechtssphäre der Persönlichkeit (wie Verhaftung, Unter- suchungshaft ꝛc.) verantwortlich machen will, wo dieser Eingriff sich durch ein freisprechendes Urtheil als unbegründet, und daher als eine Ver- letzung des individuellen Rechts darstellt. Denn da sie vom Staate einen Auftrag erhalten haben, dessen Ausführung ohne Irrthum unmöglich ist, so folgt daß, so lange die letztere die gesetzlichen Formen nicht über- schreitet, eben nur der Staat selber den Schadensersatz zu leisten hat. Doch glauben wir nicht, hier auf diese Frage eingehen zu sollen. Dieß nun wären diejenigen Punkte, welche den gerichtspolizeilichen Inhalt der Strafproceßordnungen bilden. Bei allen verschiedenen An- sichten über Einzelnes wäre es nun gewiß leicht, sich über das Ganze zu einigen, wenn jene Funktionen stets nur von den dienenden Organen der Gerichte selbst ausgeführt werden könnten. Das geschieht aber nicht nur nicht, sondern kann auch nicht geschehen. Und hier ist es nun, wo die polizeiliche Funktion und die Bestimmung ihres allgemeinen Rechts eigentlich erst ihre Schwierigkeit finden. Es möge uns hier nur gestattet sein, darauf hinzuweisen, daß hier der Ort wäre, an welchem die Frage namentlich nach dem (gerichts- polizeilichen) Zwange zur Zeugnißablage (namentlich auch einer Re- daction bei incriminirten Artikeln), und die Frage nach Caution und Freilassung gegen dieselbe, so wie die ganze Frage nach der Unter- suchungshaft zu behandeln sind. Es scheint uns unzweifelhaft, daß alle diese Untersuchungen halb in der Luft schweben ohne rechte systema- tische und staatswissenschaftliche Heimath, so lange die gerichtliche Po- lizei nicht als ein selbständiger Theil der Strafproceßlehre behan- delt wird. Warum sollen sie diese organische Angehörigkeit erst der Lehre von der Verwaltungspolizei zu verdanken haben? 3) Das Princip des Unterschiedes im Recht der gerichtlichen und der Verwaltungspolizei . Die Nothwendigkeit der Unterscheidung der obigen beiden Funk- tionen der Polizei beruht nämlich für das praktische Recht darauf, daß, wie schon angedeutet, jener erste Theil, die strafgerichtliche Funktion, eben von einem ganz anderen, einem dem Gerichte nicht unterstehenden Organe, nämlich von dem Organismus der Sicherheitspolizei beinahe ausschließlich ausgeführt wird, so daß wie bekannt die Sicherheits- polizei zugleich die ganze Funktion der strafgerichtlichen Polizei zu über- nehmen hat. Es ergibt sich daraus, daß man in den Funktionen der Sicherheitspolizei drei Momente zu scheiden hat. Das erste und ein- fachste ist das, wo sie nur als vollziehende Gewalt für die strafgericht- liche Thätigkeit erscheint; das zweite das, wo sie als Vertreterin der öffentlichen Sicherheit, ohne Veranlassung vom Gerichte zu verlangen, selbstthätig die Verbrechen aufsucht und verfolgt, um sie dem Gericht zu überliefern; das dritte endlich ist dasjenige, wo sie mit geschehenen Verbrechen überhaupt nichts zu thun hat, sondern ihrem Begriffe nach nur als Verwaltungspolizei auftritt. Um nun die Bedeutung dieser Unterscheidung zu verfolgen, muß man natürlich vor allen Dingen die Grundlagen aufstellen, nach welchen sich für beide Theile, für das gerichtliche und das administrativ-poli- zeiliche Element, ein besonderes Recht bildet. So wie es nämlich feststeht, daß die Gerichte zugleich die Funktion haben, nicht bloß den Beweis für ein Verbrechen herzustellen und es zu strafen, sondern auch das geschehene Verbrechen zu entdecken, so haben Gerichte und Polizei dieselbe Thätigkeit, und in dieser speziellen Aufgabe sind die Organe der Polizei den Gerichten untergeordnet. Diese Unterordnung ist es nun, welche das erste Element des öffentlichen Polizeirechts erzeugt. So bald es sich nämlich darum handelt, das Eintreten der Rechts- folgen einer geschehenen That zu sichern, sei es durch Feststellung be- weisender Thatsachen, sei es durch Festhalten und Vorführen verdächti- ger Personen, da ist das Gericht das dazu competente Organ. Das Gericht hat in solchem Falle die geschehene That als solche nach dem ihr vorgeschriebenen Verfahren constatirt, und die Thäterschaft wenig- stens wahrscheinlich gemacht. In diesem Falle muß das Urtheil dar- über, es müssen die in Folge desselben zu ergreifenden Maßregeln, so wie die Bestimmung der durch diese Maßregeln betroffenen Person bereits feststehen, ehe ein Schritt geschieht, der, um die Verwirklichung des Rechts zu sichern, in die persönliche Freiheit hineingreift. Und in Gemäßheit dieser gerichtlichen Entscheidung hat dann die Ausführung Statt zu finden. Diese Entscheidung erscheint daher hier als ein ge- richtlicher Befehl an die vollziehenden Organe der Verwaltungs- polizei. Die letztere, welche einem solchen Urtheil gemäß handelt, hat hier daher selbst kein Urtheil zu fällen, sondern ist in der That nichts als die rein vollziehende Behörde für das Urtheil einer anderen. Sie hat daher ihrerseits nichts zu untersuchen und nichts zu beschließen, sondern sie hat einfach dem ihr von jenem Organe gegebe- nen Befehle Folge zu leisten. Sie hat daher auch nichts zu verant- worten, und unterliegt keiner Haftung für das, was sie thut. Sie hat nur zu sorgen, daß ihre in Gemäßheit des ihr zugekommenen Be- fehles vorgenommenen Thätigkeiten zur Sicherung der Rechtspflege die Gränze des Nothwendigen nicht überschreiten ; das ist ihre Funktion, und das ist ihr Recht. Die Polizei ist hier nichts als Dienerin des Gerichts. Und in diesem Sinne ist sie eigentlich überhaupt keine Po- lizei, sondern steht in Betreff ihrer Funktion neben dem Gerichtsdiener. Daß sie und nicht der letztere in diesen Fällen funktioniren, ist daher nicht Sache des organischen Systems, sondern Sache der Zweckmäßig- keit. Gäbe es keine wesentlich andere Thätigkeit derselben, so gäbe es eigentlich überhaupt keine wahre Polizei. Es wird daher nothwendig, zunächst erst die specifisch von der obigen verschiedene, eigentlich verwaltungspolizeiliche Thätigkeit und ihr Recht zu charakterisiren. Diese nun entsteht da, wo es sich nicht mehr um eine geschehene Rechtsverletzung handelt, deren Rechtsfolgen durch die Vollstreckung ge- sichert werden sollen, sondern um die Herstellung irgend eines Verhal- tens der betreffenden Personen, durch welche eine aus der Thätigkeit oder den Zuständen derselben möglicher Weise hervorgehende öffentliche Gefährdung beseitigt werden soll. Es liegt dabei schon im Begriff der letzteren, daß sie noch keine Rechtsverletzung enthalten darf; denn so wie dieß der Fall wird, ist das Einschreiten von Seiten der Polizei schon ein gerichtliches, das zur Aufgabe hat, die Anwendung des Ge- setzes gegen die bereits geschehene Uebertretung zu sichern. Dieß ist namentlich da vorhanden, wo eine allgemeine Polizeistrafverfügung eine Ordnungsstrafe auf eine Uebertretung gelegt hat. Hier ist die Ueber- tretung der Polizeiverfügung nicht mehr eine öffentliche Gefährdung, sondern selbst ein strafbares Vergehen, dessen Bestrafung das betreffende Einschreiten der Polizei sichert, das Gericht aber ausspricht. Wo es sich dagegen um etwas handelt, was die öffentliche Sicherheit zu ge- fährden droht , da ist das Einschreiten der Polizei nicht mehr bedingt durch die Strafandrohung, sondern durch die Natur der Gefahr, welcher begegnet werden soll. Es folgt daraus, daß das in diesem Sinne zu Vollziehende nicht aus dem Urtheil eines Gerichtes, sondern aus der freien und selbständigen Beurtheilung des Organes selbst hervorgehen muß, welches eben zu handeln hat. Es folgt weiter, daß Natur und Gränze solcher Vornahmen der Polizei daher auch von der Natur und Gränze dieser Gefahr bedingt sein müssen. Es folgt endlich, daß das Organ, welches solche Vornahmen seinerseits beschließt und durchführt, auch für das, was es thut, für die in seiner Thätigkeit enthaltene Beschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit die Verantwortung selbst zu übernehmen hat. Und es ergibt sich mithin, daß hier dieß Organ als ein selbstthätiges Organ der Verwaltung auftritt, und eine im Wesen der inneren Verwaltung überhaupt lie- gende, durch ihr Princip und durch ihre Objekte nicht etwa auf einem einzelnen Punkte, sondern vielmehr in allen Gebieten der Verwaltung gleichmäßig vorhandene und nothwendige Funktion der gesammten in- neren Verwaltung ist. Diese Funktion nennen wir nun die Verwal- tungspolizei . Es ergibt sich nun daraus zunächst, daß die gerichtliche Polizei und die Verwaltungspolizei die beiden großen Grundformen aller Po- lizei überhaupt sind. Die klare und bis ins Einzelne durchgeführte Scheidung beider ist daher die erste Bedingung jeder förderlichen wissen- schaftlichen Bearbeitung der eigentlichen Polizeilehre; ohne allen Zweifel aber ist eine definitive Gestaltung dessen, was wir das Polizeirecht nennen müssen, überhaupt nur durch diese strenge Unterscheidung mög- lich, und speziell der Begriff der Sicherheitspolizei , wie wir ihn als eigenes Gebiet der inneren Verwaltung im Folgenden aufstellen müssen, ohne dieselbe undenkbar. Denn es scheint klar, daß in dem ersten Falle das Recht der Polizei in den großen und allgemeinen Grundsätzen des dienstlichen Gehorsams , im zweiten dagegen in dem Recht der Polizeiverwaltung selber liege. Competenz und Haftung übernimmt im ersten Falle das Gericht, im zweiten die Po- lizei selbst. Demgemäß beruht auch das positive Recht des ersten Mo- ments vorzugsweise auf den Strafproceßordnungen, das des zweiten auf eigenen Gesetzen. Und es wäre daher bei der großen Einfachheit dieser Begriffe überhaupt kein Zweifel darüber möglich, daß der Ausdruck „gerichtliche Polizei“ streng im obigen Sinne genommen werden müßte, wenn nicht ein drittes Element, wieder mit eigenem Recht, hinzuträte. Dieß Element besteht nun darin, daß die Verwaltungspolizei ihrerseits auch ohne gerichtliche Aufforderung die allgemeine und spe- zielle Verpflichtung hat, die Verbrecher zu verfolgen und sie den Ge- richten zu überliefern. Sie ist daher hier in Wirklichkeit eine Polizei mit gerichtlicher Funktion; und wir müssen nur betonen, daß dieselbe gerade in diesem Sinne meistens die „gerichtliche Polizei“ genannt wird, während man sie weder als einfache Exekution des Gerichts, noch als reine Verwaltungspolizei so nennt. Es ist nun gegen eine solche Bezeichnung durchaus nichts zu erinnern. Nur ist eins dabei festzuhalten. In dieser ihrer gerichtlichen Funktion tritt nämlich für die Polizei nicht das Recht der gerichtlichen Exekutivpolizei, also nicht die Haftung des Gerichts für das, was die Polizei vornimmt, ein, sondern vielmehr das Recht der Verwaltungspolizei, das ist das der eigenen polizeilichen Haftung für ihre Maßregeln, so daß in dem, was wir im obigen Sinne „die gerichtliche Polizei“ genannt haben, also die polizeiliche Verfolgung von Verbrechen ohne Auftrag des Gerichts, eine strafgerichtliche Funktion, verbunden mit verwaltungs- polizeilichem Rechte, vorliegt . Gerade hier liegt daher auch die Schwierigkeit, das Recht der gerichtlichen Polizei mit all der Schärfe zu bestimmen, welche die Jurisprudenz fordern muß. Und zu dem Ende ist es schon hier klar, daß die Polizei in ihrem Verfahren nicht die Selbständigkeit des Gerichts für ihre Maßnahmen in Anspruch nehmen darf, sondern daß auch hier das Recht der Verwaltungs- polizei und nicht das Recht des gerichtlichen Einschreitens die rechtliche Gränze bestimmt, innerhalb deren die Polizei die Freiheit des Einzelnen zum Zweck der Verfolgung von Verbrechen beschränken darf. Die Anerkennung dieses Grundsatzes, die Zurückführung des Rechts der gerichtlichen Polizei auf die Principien der Verwal- tungspolizei bildet den höchsten Ausdruck des verfassungsmäßigen Polizeirechts, und bezeichnet den definitiven Uebergang von der ständi- schen zur staatsbürgerlichen Epoche des Verwaltungsrechts überhaupt. Denn die Geltung des gerichtlichen Rechts für das rein polizeiliche Verfahren, welches die erstere Epoche charakterisirt, legt das Urtheil über die Rechtlichkeit des Einschreitens eben in die Hand der Polizei, das ist in die des vollziehenden Organes, und das ist es, was die staatsbürgerliche Freiheit des Einzelnen principiell des Schutzes gegen die Willkür und den Irrthum der Polizei beraubt, indem es diese richterliche Competenz einem für die richterliche Funktion weder berufe- nen noch geeigneten Organe überweist. Erst nach diesem Punkte entscheidet es sich daher auch, ob ein richtiges Verständniß des Wesens der Polizei vorhanden ist oder nicht, und von diesem Gesichtspunkte aus muß auch die Bewegung der hier einschlagenden Literatur beur- theilt werden. Denn nun wird es, denken wir, klar sein, weßhalb man einerseits die Polizei als wesentlich für die Verfolgung der Verbrechen bestimmtes Organ bezeichnet hat, wie in Frankreich, während man andererseits, wie in England, trotzdem mit solcher Schärfe die rechtliche Gränze für die Funktionen der Polizei festhält. In Deutschland ist das positive Recht viel klarer als die Literatur, namentlich weil das erstere von Juristen ausgegangen ist, die leider die Polizeiwissenschaften den Staats- wissenschaften ausschließlich überlassen haben. Aber auch die nächste Aufgabe der Folgezeit liegt damit vor. Auch wir müssen der Polizei die Verpflichtung zur Verfolgung und Verhütung von Verbrechen un- bedingt zuweisen. Aber wir müssen dabei festhalten, daß die Gränze ihres Rechts gegenüber der persönlichen Freiheit sowohl im Allgemeinen als in den besonderen Polizeifunktionen in den Grundsätzen liegt, welche das Recht der Verwaltungspolizei im Allgemeinen, wie das Recht der Sicherheitspolizei im Besonderen aufstellen. Dieß nun zu suchen, ist der Zweck des Folgenden. Und das Ver- waltungspolizeirecht, welches sich daraus ergibt, wird dann, und das ist sein wahrer Werth, zugleich das Recht der gerichtlichen Polizei im obigen Sinne sein, das ist derjenigen Polizei, welche Verbrechen aufsucht und zur Bestrafung bringt, so weit sie dafür keinen gerichtlichen Befehl besitzt. Man wird am besten die ganze bisherige Literatur nach zwei durch- greifenden Epochen oder Richtungen scheiden. Die erste ist die, welche anstatt der Scheidung zwischen der gericht- lichen und der Verwaltungspolizei es nur zu einer Scheidung zwischen der Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei bringt. Diese Auffassung ist nichts anderes, als eine Entwicklung der eudämonistischen Verwal- tungsanschauung des vorigen Jahrhunderts, in der man anfangs in ziemlich unbestimmter Weise die positiven, direkt förderlichen Funktio- nen der „Polizei“ als Wohlfahrts-, die negativen, direkt vor Gefahren schützenden Funktionen derselben als Sicherheitspolizei bezeichnete. Die gerichtliche Polizei, welche dabei zur Aufgabe hatte, durch Verfolgung der Rechtsverletzungen das Recht zu schützen, fällt dadurch unmittelbar in die Sicherheitspolizei. Das ist im Wesentlichen die Vorstellung, wie sie bei Sonnenfels, Berg, Jacob u. A. herrscht, und sich bis in unser Jahrhundert hineinzieht. Die Entwicklung dieses Standpunktes besteht nun in der, allerdings mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer bestimmter werdenden, strengeren Scheidung zwischen beiden Gebieten, die schon von Justi (Band 13, Hauptstück 47) klar gefühlt wird, aber erst, und zwar wesentlich durch den Einfluß der französischen Auffassung, mit Pölitz und Aretin recht scharf hervortritt. Pölitz (Encykl. der Staatswissenschaften I. 11 und namentlich II. 274 ff.) erkennt deutlich die Verschiedenheit der Funktion, und Aretin (Staatsrecht der constitu- tionellen Monarchie II. 2. Abthl. 177 ff.), kommt sogar schon zu dem Gedanken einer „Rechtspolizei“ und ist somit der erste Vertreter der Idee eines Rechtsstaats gegenüber dem eudämonistischen Polizeistaat. Allein das spezifische Wesen der Polizei wird auch ihm nicht recht klar. Es blieb deßhalb die ganze Literatur bei dem abstrakten Begriffe stehen; das, worauf es ankam, den Begriff und den Inhalt des Polize irechts , konnte man unter diesen Umständen natürlich nicht finden, namentlich da auch der selbständige Begriff der Verwaltung gegenüber der Ver- fassung noch gänzlich fehlte. Dazu kam die vollständige Unklar- heit der Doktrin des öffentlichen Rechts sowohl der deutschen Länder als der einzelnen Territorien, welche sich durchaus nicht von der un- glücklichen Vorstellung los machen konnte, als sei die „Polizei“ ein „Hoheitsrecht.“ Die Hoffnungslosigkeit der Verwirrung bezeichnet sehr gut der im Einzelnen so klare, im Ganzen so unsystematische Klüber (Oeffentl. Recht des deutschen Bundes §. 380. 381). Die deutschen Staats- und Bundesrechtslehrer haben die Sache ohne viel Nachdenken hingenommen, und mit fleißig gehäuftem Material den Mangel zuzu- decken gesucht; so noch zuletzt Zöpfl mit seiner „Polizeihoheit“ ( II. §. 480). An einen Fortschritt war von dieser Seite nicht zu denken. Derselbe kam dagegen von Frankreich; und zwar auch nicht durch theoretische Reflexion, sondern durch den lebendigen Gang der freien Rechtsentwicklung. Die Beseitigung der grundherrlichen Verwaltung hob hier die polizeiliche Funktion der Gerichte auf, und mußte daher con- sequent auch die gerichtliche Funktion der Polizei beseitigen. Der Ge- danke, den Staatsbürger ohne Urtheil in seiner Freiheit beschränken zu lassen, widersprach dem neuen Staatsbürgerthum. Es ward daher durchgreifender Grundsatz des neuen französischen Rechts, die gesammte gerichtliche Funktion der Polizei zu entziehen und dieselbe den Ge- richten als police correctionnelle zu übergeben. Damit ward es denn nothwendig, in dem bisherigen allgemeinen Begriff der Polizei jene Unterscheidung eintreten zu lassen, die wir angeführt, und die gericht- liche Polizei neben der Verwaltungspolizei selbständig hinzustellen; nur daß man dabei wieder nach der alten Theorie nicht zum Begriff der Verwaltungspolizei gelangte, sondern nur von der Sicherheitspolizei sprach. Die erste formell ausgesprochene Bestimmung der Polizei in diesem Sinne ist wohl die des sog. Code de Brumaire, an IV, art. 16: „La police est instituée pour maintenir l’ordre public, la liberté, la propriété, la sûreté individuelle.“ (Dazu Polizeiordnung vom 12. Mess. an VIII. ) Der Code d’Instr. cr., art. 8, bestimmt die Sache noch genauer und definirt die gerichtliche Polizei: „La police judiciaire a pour objet de réchercher les délits, d’en rassembler les preuves, et d’en livrer les auteurs aux tribunaux„ — dem dann die spätere Theorie ganz consequent die Verwaltungsp olizei zur Seite stellte: „La police administrative consiste dans le maintien habituel de l’ordre public dans chaque lieu et dans chaque partie de l’administration générale.“ Laferrière , Dr. publ. et adm. II. Observat. prélim . Die übrige Literatur hält diese Scheidung aufrecht und führt sie im Detail durch, indem sie das polizeiliche Verwaltungsrecht der einzelnen Gebiete der Polizei daran an- knüpft. (S. die Literatur bei Block , Dict. de l’Adm. v. Police. ) Frank- reich hat daher eine eigene selbständige Polizeirechtslehre; weßhalb aber dennoch dieselbe nicht zu einem System geworden ist, sondern in lauter einzelnen Bruchstücken auftritt, wird sich unten erklären. Theoretisch ist die Polizei ganz in demselben Sinne auch in Holland wesentlich als Schutz gegen Verbrecher und als Mittel ihrer Entdeckung aufgefaßt ( de Bosch-Kemper , Staatsregt §. 338), obgleich sie auch dort praktisch zugleich Verwaltungspolizei ist und zu dem Ende ihr eigenes nicht unwichtiges Verordnungsrecht hat (s. unten). Diese französische Bewegung hat nun in den deutschen Staaten erst Platz gegriffen mit dem allgemeinen Streben, die Administration von der Justiz zu scheiden und zugleich an die Stelle der bisher meist willkür- lichen Polizeistrafrechte ein gesetzliches Recht zu stellen. Das geschah namentlich dadurch, daß das Polizeistrafgesetz nach französischem Muster in die Strafgesetzbücher überging, wovon unten. Allein zur Klarheit kommt auch diese Epoche nicht recht, bis die neuesten Polizeistrafgesetz- bücher den Gegenstand eingehender Debatten bilden. Erst hier tritt der Begriff eines eigenen Polizeirechts auf; aber er leidet selbst da noch an dem großen Mangel, daß zum Theil die Polizeiorgane noch eigene Gerichtsbarkeit behalten und über die von ihnen selbst aufge- stellten Verordnungen Recht sprechen, während man andererseits nie- mals zur klaren Unterscheidung von Klag- und Beschwerderecht gelangte, ohne welche eine definitive Gestaltung dieser Begriffe nicht denkbar ist. Als den Uebergang zu dieser Epoche, in deren Beginn wir stehen, kann man die Vorstellung von einer sog. „Präventiv-Justiz“ bezeichnen, die schon in ihrem Namen ihren Widerspruch enthält, obwohl Mohl ihr ein eigenes Buch gewidmet hat, dem vor allem neben der hier unumgänglich nothwendigen Berücksichtigung des positiven Rechts die Klarheit des Begriffes selbst fehlt. Denn es leuchtet ein, daß das, was ein Verbrechen hindert, das noch nicht geschehen ist, sondern zu geschehen droht, keine Justiz, und daß das, was sich auf ein bereits geschehenes Verbrechen bezieht, wieder keine Prävention sein kann. Denn selbst der Versuch zu einem Verbrechen ist ja ein Verbrechen, und wird bestraft, während die Ueberschreitung der gültigen Polizei- vorschriften eben dadurch, daß die letzteren ein geltendes Recht bilden, ein strafbares Vergehen bilden. Eine Vermischung beider Funktionen wird unter diesen Umständen nur dadurch erklärlich, daß dieselben von denselben Organen und oft in derselben Aktion vorkommen, wie bei der handhaften That; allein ihr Wesen bleibt verschieden und daher haben sie auch ein wesentlich verschiedenes Recht . An diesem Rechte nun wird der innere Unterschied ein äußerer, und daher wird die juristische Auffassung auch hier die formale Grundlage und der prak- tische Ausgangspunkt des Systemes bleiben. Das allgemeine Verwaltungs-Polizeirecht für sich. I. Begriff. Das allgemeine Verwaltungs-Polizeirecht in dem obigen Sinn ist daher das Recht der polizeilichen Thätigkeit an sich , noch ohne be- stimmte Beziehung auf einen einzelnen Gegenstand, insofern diese Thätigkeit um der Erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit willen eine Beschränkung der persönlichen Freiheit enthält; und zwar dem Obigen gemäß nicht bloß in Beziehung auf die Verhütung un- mittelbar drohender Gefahren, sondern auch in Beziehung auf die Ver- folgung von Verbrechen, so weit eben die Polizei hier kraft ihrer orga- nischen Bestimmung und nicht kraft eines richterlichen Befehles handelt. Die Aufgabe dieses allgemeinen Polizeirechts besteht nun darin, für jene Thätigkeit, so viel als thunlich ist, anstatt des subjektiven Ermessens der Polizeiorgane eine gesetzliche Gränze zu geben, welche eben dadurch die gesetzliche, von der Polizei in ihrer Funktion nicht zu überschreitende Gränze der staatsbürgerlichen Freiheit des Einzelnen enthält. Dieses Polizeirecht nun wird, wie gesagt, theils durch spezielle Ge- setze, theils wo dieselben nicht vorhanden sind, durch Verordnungen ge- bildet. Die Verfassungsmäßigkeit desselben erscheint dadurch, daß durch das System des Klage- und Beschwerderechts die wirkliche Aktion der Polizei stets auf die in den Gesetzen bestehenden Gränzen zurück- geführt wird. Das System des allgemeinen Polizeirechts enthält demnach die drei schon oben angedeuteten Theile: das Recht der Polizeiver- fügung , das Recht des Polizeiverfahrens , und das Recht der Haftung der Polizei für dasjenige, was sie in Verfügung und Ver- fahren wirklich als Beschränkung der individuellen Freiheit ausgeführt hat. Und es ist auch dabei wieder festzuhalten, daß diese drei Mo- mente auch für das gelten, was wir die gerichtliche Polizei genannt haben. II. Princip des Rechts der Verwaltungspolizei. Das Princip des Rechts aller Verwaltungspolizei, auch der ge- richtlichen, ist an sich ziemlich einfach. Es beruht dasselbe auf dem Wesen der Gefährdung, wobei die Straflosigkeit der Verbrechen gleich- falls zunächst als eine Art der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgefaßt werden muß. Das Wesen der „Gefährdung“ nämlich bringt es mit sich, daß es unthunlich ist, die Gränze des Gefährlichen von dem Ungefährlichen in objektiver Bestimmung zu scheiden, oder diejenigen Maßregeln ob- jektiv festzustellen, welche jedesmal vorgenommen werden müssen, um der Gefahr vorzubeugen. Es ist vielmehr klar, daß dieß Einschreiten gegen die öffentliche Gefährdung wenigstens in einer von vorn herein unbestimmbaren Masse von Fällen demjenigen Organ überlassen werden muß, das der Staat zur Wahrung der allgemeinen Sicherheit aufstellt. Das dafür eingesetzte Organ nennen wir nun die Polizei. Die Bestimmung der Polizei, die somit in ihrem Wesen liegt, gibt ihr damit die Verpflichtung, dasjenige zu thun, was als Bedingung für die Abwendung der öffentlichen Gefahr nothwendig erscheint, und mithin auch das Recht , diejenige Beschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit eintreten zu lassen, welche als Bedingung der öffentlichen Sicher- heit erscheint. Und das Recht auf diese Maßregeln bildet das Recht der Verwaltungspolizei . Die Wichtigkeit der möglichst scharfen Bestimmung dieses Rechts, sowohl in seinem allgemeinen Princip als in seinen einzelnen Momen- ten, beruht nun in Folgendem: In der That ist es nämlich unmöglich, in dem ganzen Gebiete dieser polizeilichen Thätigkeit mit dem positiven Recht im Einzelnen auszureichen. Es muß vielmehr unabweisbar dem Organismus der Polizei überlassen werden, selbständig und einseitig über dasjenige zu entscheiden , was in jedem einzelnen Falle für die öffentliche Sicher- heit nothwendig ist, und die Einzelnen müssen sich demselben eben so nothwendig unterwerfen. Nun aber enthält jedes Einschreiten der Polizei eine Beschränkung der persönlichen Freiheit. Es ergibt sich daraus, daß die Aufgabe der Polizei das Recht derselben involvirt, durch ihre Thätigkeit, und zwar ganz nach ihrem Ermessen, in die Sphäre der persönlichen Freiheit hineinzugreifen. Es ist nicht möglich, der Polizei dieß Recht zu nehmen, wenn man ihr die Verantwortlichkeit für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und auf diese Weise wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es die Sicherheit aller gewährt, andererseits als eine Gefährdung der öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erscheinen . Es ist dieß der Punkt, auf welchem sich die mit dem vorigen Jahrhundert entstehende tiefe Abneigung gegen ein Institut und ein Recht erklärt, dessen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie- mandem bezweifelt ward. So wie die staatsbürgerliche Gesellschaft auf- tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi- duellen Rechtssphäre die erste Bedingung der staatsbürgerlichen Freiheit und Entwicklung, und daß daher in jener Gestalt des Polizeirechts der lebendige und demnach nie zu beseitigende Feind der freien Bewegung des Volks gegeben sei. Dieser Gegensatz charakterisirt nun das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und der Haupteindruck desselben besteht in der Thatsache, daß man über- haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts der Polizei kommt, sondern von vorn herein geneigt ist, alles, was „Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs- willkür anzusehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward, daß man ohnehin keine Selbstverwaltung zuließ, und das Vereinswesen auf der niedersten Stufe stand. Das war im Allgemeinen der Stand- punkt dieser Zeit; derselbe ist aber kein europäischer, sondern ein spe- cifisch deutscher, indem Frankreich schon damals die Polizei mit ihrem Recht sehr klar anerkannte und behandelte, während England sie durch seine Gesetze mit vollem Bewußtsein auf ihr geringstes Maß zurück- führte. Auch in Deutschland wird dieß mit dem Siege der freien Auf- fassung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen- wärtig stehen. So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieste Verfas- sung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher nicht in der Beseitigung der Polizei, sondern vielmehr in der Zurück- führung derselben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der staatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entstand das Streben, diese Beschränkung derselben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher- heit auch wirklich zu formuliren, und so mit der Sicherung des Ein- zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be- wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus diesem Streben entsteht nun das, was wir das verfassungsmäßige Polizeirecht nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein wesentlich charak- teristisches Element des gesammten öffentlichen Rechts bildet. Das verfassungsmäßige Polizeirecht erscheint daher zunächst nicht als ein einzelnes bestimmtes Gebiet, sondern es tritt vielmehr in allen Theilen der Verwaltung auf, und in diesem Sinne ist es gar kein Zweifel, daß auch die gesammte gerichtliche Polizei nach ihrem oben aufgestellten Begriff dem verfassungsmäßigen Polizeirecht eben so gut angehört, als die Verwaltungspolizei. Allein eben weil sich das verfassungsmäßige Polizeirecht auf diese Weise durch das ganze Gebiet aller Verwaltung, Staatswirthschaft, Rechtspflege und Inneres hindurch zieht, erscheint es von vorne herein unthunlich, dasselbe in gleicher Form wie alles übrige öffentliche Recht gesetzmäßig zu codificiren. Die Unmöglichkeit einer solchen selbständigen Codification hat nun zwar die theoretische Anerkennung jenes Begriffes als eines organischen im öffentlichen Recht allerdings bisher gehindert, und die Doktrin eines eigenen „Polizeirechts“ und seiner Wissenschaft noch nicht zugelassen. Allein die Sache selbst ist dennoch da, und es ist kein Zweifel, daß sie damit auch einer wissenschaftlichen Behandlung entgegen geht. Es kommt zunächst nur darauf an, die Elemente dieses verfassungsmäßigen Polizeirechts festzustellen, und demnach das geltende Polizeirecht der einzelnen Staaten in seinem Werthe zu messen. Diese Elemente aber sind folgende: Das Princip der Verfassungsmäßigkeit des Polizeirechts nämlich beruht darauf, daß die Funktion aller Polizei nicht mehr als eine gesetzgeberische, wie im vorigen Jahrhundert, sondern als eine ver- ordnungsmäßige angesehen wird, und daß daher das von uns in der vollziehenden Gewalt aufgestellte Recht der Verordnungen gegenüber den Gesetzen für die gesammte Funktion der Polizei zur Geltung gelangt. Daraus folgt zuerst, daß das Recht der Polizei grundsätzlich nur so weit geht, als es mit dem bestehenden Rechte der Gesetze nicht in Widerspruch tritt. Die Gränze des Polizeirechts ist daher das Gesetz oder soll es sein. Das ist der erste leitende Grundgedanke alles Polizeirechts der verfassungsmäßigen Zustände. Dieses allgemeinste Princip setzt nun voraus, daß eben wirkliche Gesetze vorhanden sind, um diese Gränze der Polizei auch wirklich bestimmen zu können. Denn das Wesen des verfassungsmäßigen Ver- ordnungsrechts zeigt, daß da, wo das Gesetz fehlt, die Verordnung das Recht hat, dieselbe mit vollem Recht der Gesetze zu ersetzen, und daß, wenn dadurch eine Beengung des freien staatsbürgerlichen Rechts ent- steht, die Verordnungsgewalt nicht haftbar, sondern daß es Sache der Gesetzgebung ist, durch spezielle Gesetze der letztern ihre Gränze vorzu- zeichnen. Um zu einem wirklichen verfassungsmäßigen Verordnungs- recht zu gelangen, muß daher die Gesetzgebung nunmehr die Aufgabe anerkennen, ein gesetzliches Polizeirecht zu schaffen, und somit die staatsbürgerliche Freiheit durch Gesetze statt durch Verordnungen in ihrer Sphäre zu beschränken, wo die öffentliche Sicherheit dieß fordert. Allein dabei steht zweitens fest, daß eine allgemeine Codification des Polizeirechts überhaupt eben so unthunlich ist, als eine genauere Bestimmung der Funktion der Polizei in jedem einzelnen Falle. Die Bildung des verfassungsmäßigen Polizeirechts muß daher einen andern Weg einschlagen, und hat dieß auch bisher in ganz naturgemäßer Weise gethan. Dieselbe tritt nämlich in zwei Richtungen ein, die, wie wir gleich hier bemerken wollen, nicht gleichmäßig ausgebildet sind. Es ist vielmehr gewiß, daß der Charakter des Polizeirechts eines jeden Landes in dem Verhältniß besteht , in welchem diese beiden Richtungen neben einander zur Geltung und zur Entwicklung gediehen sind . Die erste und natürlichste dieser Richtungen bestand darin, daß man, so weit thunlich, das Recht aller Polizei in einzelnen Gesetzen für die einzelnen polizeilichen Aufgaben feststellte, welche dann die Gränze für die Berechtigung der Polizeifunktion in ihrer Beschränkung der persönlichen Freiheit bilden. Wir bemerken dabei nur, daß diese Gesetzgebung in vier Gruppen erscheint. Die erste ist in der Auf- nahme gewisser Gesetze für die Sicherheitspolizei in die verschiedenen Verfassungen gegeben. Die zweite besteht in den Rechtsbestimmungen über die Finanzbehörden (Regalien und Steuererhebung), die dritte in den Straf proceßordnungen (gerichtliches Polizeirecht), die vierte endlich in den Gesetzen über die innere Polizei. Die letztern nennt man zweckmäßig die eigentliche Polizeigesetzgebung . Es wird unsre Aufgabe sein, sie weiter unten näher zu charakterisiren. Die zweite der obigen Richtungen enthält nun das System der rechtlichen Verantwortlichkeit und Haftung der Polizeiorgane für das, was sie im Namen des Polizeirechts wirklich ausgeführt haben. Dieß System ist nun allerdings formell mit einiger Schwierigkeit auf- zustellen; in Wirklichkeit aber ist es sehr einfach, und wir werden es gleichfalls unten ausführen. Dieß sind nun die beiden Grundlagen für die Bildung des posi- tiven Polizeirechts als eines selbständigen, aber formell mit dem ge- sammten Gebiete der Verwaltung innig verschmolzenen Theiles des öffentlichen Rechts. Die „Polizeigesetzkunde“ oder das „Polizeirecht“ der einzelnen Staaten wird demnach die Gesammtheit eben jener ein- zelnen Gesetze enthalten, vermöge welcher das an sich dem Ermessen der Polizei überlassene Recht derselben so weit möglich objektiv bestimmt wird. In diesem Sinne ist der Begriff des Polizeirechts ein sehr ein- facher. Verwischt wird die Bestimmtheit desselben nur dann, wenn man, wie es allerdings der Regel nach geschieht, wieder einen Theil der eigent- lichen Verwaltungsgesetze mit den Polizeigesetzen zusammenwirft. Allein offenbar mangelt auch diesem Standpunkt, obwohl der Fort- schritt, der in demselben liegt, ein ganz unverkennbarer ist, ein wesent- liches Moment. Da nämlich die Polizeigesetzgebung oder das positive Recht der Polizei eben nicht ausreicht, so ist es klar, daß man die un- vermeidlichen Lücken, welche dieselbe stets hinterläßt, mit dem Elemente der allgemeinen Auffassung des Polizeirechtes ersetzen, und in diesem allgemeinen Theil des Polizeirechts die Quelle für den Ersatz der be- sondern Bestimmungen zu suchen hat. In diesem Sinne haben wir versucht, diesen allgemeinen Theil des Polizeirechts zu einem selbständigen Theile des Verwaltungsrechts zu erheben, und daran das besondere Polizeirecht anzuschließen. Und es folgt, denken wir, fast von selbst aus dem früheren, daß dieser all- gemeine Theil sich in die drei bereits oben bezeichneten Abschnitte theilen muß, in das allgemeine Recht der Polizeiverfügung, das des Polizei- verfahrens, und das der polizeilichen Haftung. Und nun zum Schluß möge noch einmal hervorgehoben werden, daß dieß ganze Polizeirecht nur so weit gilt, als die Polizei nicht auf Befehl des Gerichts handelt, dann aber auch da, wo es sich um die Entdeckung und Verfolgung bereits begangener Verbrechen handelt, eben so weit noch kein gericht- licher Befehl vorliegt. III. System des allgemeinen Polizeirechts. A. Das Recht der Polizeiverfügungen. 1) Die Polizeiverfügung an sich . Das Recht der Polizeiverfügung beruht auf der organischen Funktion der Polizei, die öffentliche Ordnung durch Beschränkung der Freiheit des Einzelnen zu sichern, indem die letztere in so weit von der Polizei gefordert wird, als dieselbe einzelne in dieser Freiheit liegende Hand- lungen für öffentlich gefährlich, oder aber die Vornahme gewisser anderer Handlungen als eine Bedingung der öffentlichen Sicherheit erkennt. Die Polizeiverfügung ist dieß auf dieser Erkenntniß beruhende öffentliche Verbot oder Gebot der betreffenden Handlungen des Einzelnen. Das Recht der Polizei auf den Erlaß solcher Verfügungen ist daher an sich und organisch durch das Wesen der Polizei selbst ge- geben, und die formellen Anerkennungen desselben in den Gesetzen der einzelnen Staaten müssen daher nicht als der wahre Rechtsgrund, sondern nur als die öffentlich rechtliche Formulirung desselben angesehen werden. Die Polizei hat an sich das Recht zu Polizeiverfügungen, und keine Gesetzgebung der Welt hat es der Polizei jemals bestritten oder verweigert. Die Competenz zum Erlaß der Polizeiverfügung überhaupt — noch ohne Beziehung auf das Polizeistrafrecht — ist eben deßhalb durch die Natur der Funktion jedes einzelnen Organes gegeben, auch ohne daß sie bestimmt ausgesprochen oder formulirt wäre. Jedes Organ der Verwaltung hat die, für die Sicherung seiner speziellen Funktion nothwendige Beschränkung der Thätigkeit des Einzelnen durch Gebot und Verbot zu bestimmen. Es gehören daher zum allgemeinsten Begriffe der Polizeiverfügungen auch diejenigen Anordnungen irgend einer Behörde, welche sich auf ihren speziellen Dienstverkehr mit dem Einzelnen beziehen. (Bureaudienstvorschriften ꝛc.) Indessen versteht man unter Polizeiverfügungen im eigentlichen Sinne doch nur diejenigen, welche das Verhalten des Einzelnen und seiner Thätigkeit zum öffent- lichen Verkehr betreffen. Und hier kann es kein Zweifel sein, daß die Competenz zu solchen Verfügungen nur denjenigen Organen zusteht, welche für die Sicherheit eben dieses öffentlichen Verkehrs zu sorgen haben. Diese nun sind entweder staatliche Organe, oder Organe der Selbstverwaltung, also wesentlich Gemeindeorgane. Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die staatlichen Organe die allgemeine Sicherheit, die Gemeindeorgane die örtliche aufrecht halten. Die Gränze zwischen beiden Begriffen ist daher auch im Grunde die Gränze zwischen der Com- petenz der staatlichen und der Gemeindebehörde. Und es folgt daraus, daß grundsätzlich die Gemeindeordnungen die Grundlage der Competenz zum Erlaß von Polizeiverfügungen enthalten; während eine solche Com- petenz für Vereine nur ausnahmsweise bei solchen Erwerbsgesellschaften eintritt, die mit dem öffentlichen Verkehr zu thun haben, wie Eisen- bahngesellschaften u. a. Dagegen haben die Regierungen fast durchgehend den Grundsatz festgehalten, daß diejenigen ortspolizeilichen Vorschriften, welche sich zugleich auf allgemeine Verkehrsverhältnisse beziehen, einer höheren amtlichen Bestätigung bedürfen, was in Bayern, Württemberg, Baden ausdrücklich vorgeschrieben ist, während in andern Staaten die Natur der Sache das Gesetz ersetzen muß. Das Recht solcher Verfügungen ist nun dem Principe nach sehr einfach. Da jede Verfügung einen Willensakt der vollziehenden Gewalt enthält, so fordert dieselbe zunächst den staatsbürgerlichen Gehorsam. Der Einzelne ist nicht zum Widerstande berechtigt. Er hat selbst die Com- petenz der betreffenden Behörde nicht zu untersuchen; wohl aber hat er das Recht, zu fordern, daß die Verfügung als Wille und Vorschrift eines (öffentlichen) Verwaltungsorgans auch wirklich legitimirt werde. Ueberschreitet dann seiner Meinung nach das Organ das Recht eines Gesetzes , so hat er dafür das Klagerecht; überschreitet es das Recht einer Verordnung , so hat er das Beschwerderecht. Das allgemeine Recht der Verfügung ist daher das allgemeine Haftungsrecht der Polizei, das unten zu bezeichnen ist. Wenn aber für eine Verfügung eine ge- setzliche Form vorgeschrieben, und diese nicht eingehalten ist, so ist in der That die Verfügung selbst keine Verfügung mehr, und gibt offenbar das Recht des Widerstandes, so weit eben die Verfügung selber geht. Dieß ganze allgemeine Verfügungsrecht ist nun wohl eigentlich nie- mals zweifelhaft gewesen und daher auch in der Theorie nur so weit beachtet, als es sich um die Competenzverhältnisse handelte. Eine be- stimmte Gestalt gewinnt die Frage erst in dem Recht der Polizei strafe . Und es ist nicht zu verkennen, daß der einzige Mangel der über den letztern Punkt vorliegenden Arbeiten wesentlich nur in dem Fehlen der Unterscheidung zwischen Polizeiverfügungs- und Polizeistrafrecht liegt, die wir nunmehr besonders zu betrachten haben. Wir glauben daher auch hier für Literatur und Gesetzgebung mit einigen kurzen Andeutungen ausreichen zu können, speziell über die Literatur der Competenz zur Polizeiverfügung überhaupt und ihre Ge- schichte. Das Beste ist noch immer für die frühere Zeit Malchus , Politik der innern Staatsverwaltung ( I. Theil Organismus der Be- hörden 1823). Speziell §. 33. Klüber , Oeffentliches Recht §. 380 ff. Vergl. Aretin , Constitutionelles Staatsrecht II. Bd. 2. Abth. S. 172. Mohl , Polizeiwissenschaft I. Rau , Begriff und Wesen der Polizei. Zeitschrift für Staatswissenschaft 1853. Ein recht guter Artikel im Staatswörterbuch „Polizei.“ Der Gedanke, daß die Sicherheits- polizei selbständig, und in jedem Staate individuell entwickelt und ge- staltet ist, wird nicht genug festgehalten. Ueber Begriff und Wesen des Organismus s. Stein , Vollziehende Gewalt S. 223 ff. Gesetzgebung und Recht . England . Frühere Geschichte: Gneist , Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I. 105 und a. a. O. — Gegenwärtig: Oberstes Organ: Minister des Innern als oberster Friedensrichter. Beamtete: Friedensrichter mit amtlicher Competenz, aber unter voller Haft- barkeit vor dem bürgerlichen Gericht. Selbstverwaltung : Die Gemeinden haben das Recht auf örtliche Polizeigesetze, bye-laws, und Organe derselben, gleichfalls unter richterlicher Haftung. Die Stein , die Verwaltungslehre. IV. 3 höhere Polizei ist durch die staatsbürgerlichen Rechte begränzt. ( Gneist I. und II. ) Frankreich . Die klarste Organisation in Europa, aber mit dem Princip der völligen Ausschließung der Selbstverwaltungspolizei. Selbständiges Auftreten der königlichen Polizei gegenüber der Patri- monialgerichtsbarkeit des Seigneurs. (Akten des Parlaments. Dec. 1561.) Verbot an die Juges seigneuriaux de faire des actes de police; der Chancelier de France wird chef de la justice et de la police . ( Arr. vom 28. Sept. 1584.) Lieutenant de Police . (Edikt vom 15. März 1667 und Okt. 1699.) Loiseau , Traité des Seigneuries . — Seit der Revolution Uebertragung der Polizei an den amtlichen Organismus: Präfekt für das Departement, Maire für die Commune, nebst ört- licher Organisation, und neben ihnen die Commissaires de police (Gesetz vom 28. Pluv. an VIII ) für je 10,000 Einw. in den Städten, streng durchgeführt durch Arrêté vom 10. März 1855. Polizeidirektion neben dem Bürgermeister, unmittelbar unter dem Präfekten, mit Competenz über die niederen Sicherheitspolizeiorgane der Gardes champêtres und forestiers auf dem Lande, die sergeants de ville und agents de police in den Städten, die vom Maire eingesetzt werden und zugleich Voll- zugsorgane der Rechtspflege ( police judiciaire ) sind. Préfet de police für das Depart. der Seine ( Arr. 3. Brum. a. X ). Daneben das Institut der Gendarmerie , welche ein integrirender Theil des Heeres, aber verpflichtet ist zu Berichten an den Präfekten und zur Hülfe für die Commissäre. Neueste Organisationsordre vom 29. Oct 1820. Reglement vom 21. Nov. 1823 und Decret vom 1. März 1854. (s. unten). — Dieser Gewalt gegenüber wird das Bedürfniß einer streng um- schriebenen Competenz um so lebhafter gefühlt; daher deren oberster Grundsatz: gänzliche Scheidung aller Rechtsp flege in polizei- lichen Sachen durch Errichtung der tribunaux de police correctio- nelle (Maire und Juge de paix, bei welchem der Commissaire de police die Staatsanwaltschaft bildet), bis zu Bußen von 15 Frcs.; bei größeren Bußen ist das tribunal de première instance das competente Gericht ( Code d’Instr. crim. 1808). So ist hier der Organismus der Sicherheitspolizei reine vollziehende Gewalt geworden, was wir in Deutschland noch zu erstreben haben. ( Laferrière , Dr. admin. I. Literatur bei Block , Dict. de l’admin. v. police. Malchus , Politik der innern Staatsverwaltung I. S. 140 ff. Klüber , Oeffentliches Recht §. 387.) Oesterreich . Neue Organisation der Polizeibehörden nach Aufhebung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit: Grundzüge vom 10. Dec. 1850. Wirkungskreis der Polizeibehörden von demselben Datum. Dann: Errichtung der Gendarmerie , Gesetz vom 18. Jan. 1850 (militärische Organisation). Trennung der Polizei von der inneren Verwaltung (Allerhöchste Entschließung vom 25. April 1852). Einsetzung der obersten Polizeibehörde ; Errichtung von Polizei- direktionen ( I. und II. Classe) mit Polizei- Bezirken und Com- missariaten . Oberleitung: Statthalter und Länderchefs. Gendar- merie untersteht jedoch nur der obersten Polizeibehörde; doch kann die Polizeibehörde Auftrag geben, und Pflicht der Gendarmerie zur Auf- rechthaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung. (Instruktion §. 103. 104). — Gerichtliche Competenz über Polizeivergehen bei den Poli- zeibehörden selbst (Verordnung vom 20. Juni 1858); zweite In- stanz: Commissäre. ( Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 15. 16). — Neueste Zeit: Gesetz vom 22. Oct. 1862, und Ueberlassung der gesammten Polizei an die größeren Städte zur Selbstverwaltung : Wien, Gratz ꝛc. 1866. (Vergleiche darüber unten.) Preußen . Durchgreifende Unterscheidung zwischen dem Osten und dem Westen (Rheinlande). Jener noch wesentlich auf Grundlage guts- herrlicher Polizei, mit Oberaufsicht der Staatsbehörden; dieser nach französischem Recht. Dieser Charakter bleibt nach 1848. Standpunkt: Allgem. Landrecht II. 13. 6. Recht auf Erlaß allgemeiner Ver- bote und Strafbestimmungen für „ein Majestätsrecht“ erklärt. Gen- darmerie bereits 1812 eingeführt; neue Organisation 1820; Princip: militärische Ordnung mit Hülfe für die Polizeibehörden. Verhältniß der Selbstverwaltung bis 1848: Revid. Städteordnung vom 17. März 1831; Magistrat als Verwaltung der Ortspolizei. ( Rönne §. 60 mit den einzelnen Gesetzen und Literatur.) — Dann Verfassung vom 5. Dec. 1848. Art. 40. Aufhebung der gutsherrlichen Polizei und Verfassungs-Urkunde 1850 §. 52, jedoch mit Vorbehalt. Erfolg: die Strafgerichtsbarkeit vollständig entzogen; die niedere Polizei ist geblieben . Darauf Gesetz über Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 und Gemeindeordnung vom 11. März 1850; principielle Uebergabe an die Selbstverwaltung; aber Sistirung der Gemeinde- ordnung (Erlaß vom 19. Juni 1852). Aufhebung (Gesetz vom 24. Mai 1853). Rönne I. 16. Städteordnung vom 30. Mai 1853. Bürgermeister mit Bürgerwache , wesentlich gegen Volksbe- wegung, ohne regelmäßigen Dienst. (K. Ordre vom 1. Oct.) Land- gerichtsordnung : Gutsherr. — Das Gesetz vom 20. Febr. 1858 erklärt die Polizei als ein mit dem Besitze eines Ritter- oder ähn- lichen Gutes verbundenes Recht . Dabei ist es geblieben! ( Rönne §. 60—61.) Die holländische Polizeiverwaltung beruht auf dem durchgreifenden Unterschied der königlichen und der örtlichen Polizei. Die erste wird durch ein System von königlichen Polizeicommissarien, die letztere durch den Bürgermeister als Haupt der ganzen örtlichen Polizei aus- geübt; dem letztern sind auch die Polizeicommissarien untergeordnet. ( Gemeindegesetz von 1850, Art. 184. 185.) de Bosch-Kemper , Staatsregt §. 196. Dieß System empfängt seine innere Einheit wieder dadurch, daß der König den Bürgermeister ernennt, was noch aus der französischen Zeit herstammt. Bayern . Organ: Ministerium des Innern als Haupt, Kreisregie- rungen; Distriktspolizeibehörden, theils Magistrate, theils Landgerichte (gutsherrlich). Für die Competenz allgemeines Gesetz. Polize istraf- recht (Gesetz vom 10. Nov. 1861). Pözl , Verwaltungsrecht §. 74 ff. May , bayerisches Strafrecht I. 136. — Württemberg. Mohl , Ver- waltungsrecht §. 146; speziell über die Landjäger und das Bürger- militär §. 191. 192. — Die Organisation in den meisten übrigen Staaten beruht auf der allgemeinen Organisation der Verwaltung, indem meistens die Selbstverwaltungskörper (Gemeinden) die niedere, die höheren Verwaltungsstellen die höhere Polizei ausüben. 2) Das Polizeistrafrecht . Obwohl nun der Begriff des Polizeiverfügungsrechts an sich sehr einfach ist, so bleibt derselben dennoch stets unbestimmt, so lange nicht das, was die Vollziehung und Verwirklichung solcher Verfügungen sichern soll, seinerseits bestimmt wird. Das ist die für die Uebertretung der Polizeiverfügung aufzustellende Strafe, oder das Polizeistraf- recht . Erst an dem Polizeistrafrecht gewinnt die Polizeiverfügung gleichsam ihren Körper; es ist der Weg, auf dem die letztere in das un- mittelbar praktische Leben hineingreift, und daher ist von jeher das Polizeistrafrecht das eigentlich charakteristische Moment an dem ganzen Polizeirecht und seiner Entwicklung gewesen. Das allgemeine Princip desselben ist wohl klar. Ist das, was die Polzeiverfügung vorschreibt, eine wirkliche Bedingung der Gesammt- entwicklung, so ist eine Nichterfüllung derselben von Seiten des Einzelnen ein Vergehen gegenüber der Gesammtheit, die ja doch wieder die erste Bedingung der Einzelwohlfahrt ist. Es muß daher auch für dieß Ver- gehen eine Strafe eintreten. Allein diese Strafe hat einen andern Charakter als die des Verbrechens. Da die polizeiliche Uebertretung keine Rechtssphäre verletzt, so kann auch das Maß und die Art der Strafe mit dem durch die Uebertretung verletzten Recht in keinem Ver- hältniß stehen. Die Strafe hat hier vielmehr einen Zweck , und ihr Charakter ist daher im durchgreifenden Gegensatze zu dem eigentlichen Strafrecht der, vielmehr eine Verwaltungsmaßregel als eine Strafe zu sein. Dieser Charakter entscheidet nun einerseits für das ganze Recht, und andererseits für das Maß der Polizeistrafe. Eine Verwaltungsmaßregel nennen wir die Polizeistrafe, weil es nicht ihre Aufgabe ist, dem sittlichen Princip der Strafe für eine ge- schehene Rechtsverletzung zu genügen, sondern nur den Einzelnen zur nothwendigen Befolgung der Vorschriften der Verwaltung zu veran- lassen. Daher heißt sie auch mit ihrem allgemeinen Namen Ordnungs- strafe , das ist eine Strafe, deren Basis nicht die Idee des Rechts, sondern die durch die Verwaltung aufrecht zu haltende öffentliche Ord- nung ist. Und dieser Charakter der Polizeistrafe entscheidet nun auch für das Maß und für das Rechtsprincip derselben. Was zunächst das letztere betrifft, so folgt aus jenem Charakter derselben zunächst, daß sie als Verwaltungsmaßregel auch principiell von der Verwaltung ausgehen kann , und daher an sich keines eigentlichen Gesetzes bedarf, um gültig zu sein. Das ist für die Ge- schichte des Polizeistrafrechts von entscheidender Bedeutung geworden, und darf bei der heutigen Gestalt desselben nicht übersehen werden, wie es andererseits ein nicht unwesentliches Element für die Geschichte der eigentlichen Strafgesetzgebung bildet. Geht man aber einen Schritt weiter, so ist es wohl keine Frage, daß eben damit auch das, was die Verwaltung als Verwaltungs- oder Ordnungsstrafe auflegt, auch einen wesentlich verschiedenen inneren Charakter hat, der schon dadurch äußerlich sich manifestirt, daß jede Verwaltungsstrafe keine That , sondern nur eine Gefahr voraussetzt, und daher in Form und Inhalt sich als eine wesentlich verschiedene von der peinlichen Strafe herausstellt. Indeß bleibt die äußere Ent- wicklung hier zunächst bei den obigen Momenten stehen; jener tiefere Unterschied tritt noch nicht hervor, und die Entwicklung bewegt sich noch bis auf die neueste Zeit im rein formellen Rechtsgebiet. In der That hat nämlich das alte Strafrecht bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts sich grundsätzlich auf dem Standpunkt gehalten, alle Ordnungs- und Polizeistrafen als ganz außerhalb seiner Sphäre liegend anzusehen. Es genügt ein Blick auf die Carolina, um dieß zu beweisen. Da aber die Nothwendigkeit eines strafrechtlichen Zwanges zur Befolgung der Polizeivorschriften dadurch natürlich nicht geringer ward, so mußte man das Recht zur Auferlegung von Polizeistrafen einfach der Polizeiverwaltung selbst überlassen. Dieß nun schien um so natürlicher, als der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung überhaupt weder theoretisch noch öffentlich rechtlich existirte und die Verwaltung der Rechtspflege mit der des Innern vielfach zusammenfiel. An eine systematische Mitwirkung der Vertretung ward weder bei der allgemeinen noch bei der örtlichen Gesetzgebung gedacht, und so fiel es bis dahin niemandem ein, an dem Rechte der Polizei zum Erlaß von Strafverfügungen zu zweifeln, denen gegenüber die Freiheit des Ein- zelnen ernstlich bedroht erschien. Auf diese Weise gab es nun zwar schon damals zwei große Strafsysteme: das peinliche Strafrecht, dessen Recht die Carolina bildete, und das polizeiliche, das von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit verschieden, nur darin gleich war, daß die „Polizei,“ das ist der gesammte Organismus der Verwaltung, es einseitig fest- stellte, und zweitens auch über das von ihr aufgestellte Recht einseitig und meist ohne ordentliches Verfahren richtete. Allein daß in beiden strafrechtlichen Gebieten nicht bloß formell, sondern der Sache nach eine wesentlich verschiedene Idee enthalten sei, kam nicht zum Bewußtsein. Es handelte sich nur noch um die formelle Bedrängniß der bürgerlichen Freiheit durch das letztere, und diese ward natürlich um so tiefer ge- fühlt, als keine Volksvertretung ein Gegengewicht gegen dieselbe abgab. Das war der Zustand, auf welchem in jener Zeit eben die große Ge- walt der Polizei beruhte, und dessen tiefere Grundlage eben jene Idee des Eudämonismus war, dessen sittliche und praktische Bedeutung wir bereits früher festgestellt haben. So wie nun mit unserem Jahrhundert die Selbständigkeit des Ein- zelnen gegenüber der bisher allgewaltigen Regierungsthätigkeit die Grund- lage aller öffentlichen Rechtsordnung wird, tritt dieses Princip natür- lich einem Zustande aufs Entschiedenste entgegen, in welchem nicht bloß die polizeiliche Beschränkung der persönlichen Freiheit des Einzelnen, sondern auch die Strafordnung, wenn auch nur für das Gebiet der Ordnungsstrafen, ausschließlich in das Ermessen der Polizeibehörde ge- legt ist. Die allgemeine Forderung, die sich daraus als erste und un- bedingteste, wenn auch nur formelle ergibt, ist die, daß jenes Recht der Polizei auf objektiv geltende Bestimmungen zurückgeführt, und da- durch die Selbständigkeit des Einzelnen geschützt werden solle. Diese mit der Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft nothwendige Forderung erscheint nun, wie in solchen Fällen immer, zuerst nur als allgemeines Princip. Allmählig gewinnt sie dann eine feste juristische Gestalt, und wird zur Grundlage einer eigenen Rechtsbildung; und für diese mußte es sich zunächst um zwei Fragen handeln; die erste war die, ob man überhaupt noch eines Systems der polizeilichen Strafen bedürfe ; die zweite Frage war die, in welcher Gestalt dies System zum öffentlichen Recht werden solle. Die dritte Frage nach dem höheren Wesen des Unterschiedes zwischen beiden Strafrechtsgebieten ward durch jene formelle Richtung noch in den Hintergrund geschoben, und kommt erst später zum Vorschein. Was nun die erste jener Fragen betrifft, so war die Antwort an sich sehr einfach. Die gänzliche Beseitigung dieser Ordnungsstrafen bleibt stets unmöglich, wenn man überhaupt die Polizei für die Auf- rechthaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich machen will. Das, worauf es daher ankam, war, das System dieser Ordnungsstrafen zu einem gesetzlich geltenden zu machen, und auf diese Weise auch hier das verfassungsmäßige Recht an die Stelle des polizeilichen zu setzen. Das nun konnte nur geschehen, indem man jenes System in ein eigenes Gesetz zusammenfaßte. Und so entstand jene Bewegung, welche mit dem Anfange dieses Jahrhunderts beginnend, auch jetzt noch keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden darf, und deren Inhalt durch gesetz- liche Feststellung der Ordnungsstrafen die Grundlage für die Herstellung eines gesetzmäßigen Polizeistrafrechts an die Stelle des bisherigen verordnungsmäßigen war. Allein trotz der Richtigkeit dieser Forderung an sich und trotz des Strebens ihr durch förmliche Polizeistrafgesetzbücher zu genügen, war es bald klar, daß eine vollständige Erschöpfung dieses Rechtsgebiets auch durch die ausführlichste Gesetzgebung nicht zu erreichen sein werde. Die Natur der Gefährdungen, denen die öffentliche Ordnung unterliegt, forderte noch immer einen gewissen freien Spielraum für die selbständige Polizeiverfügung, und innerhalb dieser Sphäre war es nun, wo sich die alte, wenn auch jetzt auf einen sehr engen Raum reducirte Be- rechtigung der Polizeistrafverfügung nach wie vor mit ihrer Gefährdung der individuellen Freiheit bewegte. Es kam mithin darauf an, diese beiden Elemente der Polizeistrafgesetzgebung zu combiniren. Und aus diesem Streben sind die gegenwärtigen Formen des Polizeistrafrechts hervorgegangen, die sich auf folgende Grundzüge zurückführen lassen. Die erste Gestalt des ganzen Polizeistrafrechts, das wir nunmehr wohl das staatsbürgerliche nennen können, ist diejenige, in welcher wenigstens grundsätzlich die Polizei gar kein eigenes Recht zu Straf- verfügungen hat, sondern die Strafen auch für die Polizeiüber- tretungen, obwohl sie keine peinlichen, sondern nur Verwaltungs- oder Ordnungsstrafen sind, in das allgemeine Strafgesetzbuch aufgenommen wurden, während den Polizeiorganen damit das Recht genommen ist, außerhalb dieser strafgesetzlichen Bestimmungen ihren Verfügungen noch eine pönale Sanktion zu geben. Dieß System ist zuerst und ausführlich in Frankreich durchgeführt. Die darauf bezügliche Gesetzgebung beginnt bereits mit dem großen organisatorischen Gesetz vom 16./24. Aug. 1790, welches der Ortspolizei zwar das Recht der Verfügung gab, aber das Recht der Bestrafung nahm. Die Scheidung der Polizei von der Rechts- pflege, hier zum erstenmal in Europa gesetzlich ausgesprochen, hat die erste selbständige Polizeistraf gesetzgebung ( T. IX. art. 5.) zur Folge, die frei- lich noch sehr unvollständig ist, so wie die erste öffentlich rechtliche Or- ganisation des Verfügungsrechts im Dekret vom 19./27. Juli 1791, nach welchem das Polizeiverfügungsrecht der Gemeindever- tretung überwiesen ward — zwei Principien, von denen jedes seine eigene weitere Entwicklung in Frankreich hat, die aber beide zwei Men- schenalter später nach Deutschland übertragen werden. Die Entwicklung der Organisation des Verfügungsrechts besteht freilich in Frankreich darin, daß die Theilnahme der Selbstverwaltung daran schon durch das Gesetz vom 28 Pluv. VIII aufgehoben, und an ihre Stelle der ganz amtliche Maire gesetzt wird. Die ziemlich voll- ständige Freiheit desselben, nach seinem Ermessen Verfügungen zu er- lassen, ward dann durch das Gesetz vom 18. Juli 1837 dahin neu geregelt, daß er seine Verfügungen jedesmal dem Souspréfet mitzutheilen habe, und daß der Préfet dieselben aufheben könne. Doch sind die Ver- fügungen des Maire sofort gültig , und nur wenn sie dauernde Ordnungen betreffen, erst nach vier Wochen rechtskräftig. Dabei ist es geblieben; das Polizeiverfügungsrecht an sich ist ein streng amtliches; Deutschland hat das freie Element der Selbstverwaltung erst in neuerer Zeit wieder hineingebracht. Das Polizeistrafrecht seinerseits, wie gesagt, durch das Gesetz vom 16./25. Aug. 1790 selbständig begründet, bleibt von da an ein selb- ständiger Theil des peinlichen Gesetzbuches. Es empfängt seine weitere Ausbildung durch den Code de Brumaire (Loi de 3 Brum. an IV) art. 600—606, wodurch eine für das ganze Polizeistrafrecht wichtige Unterscheidung festgestellt ward. Das war die der allgemeinen Ordnungsstrafe von den speziellen , für die einzelnen, speziell vom Gesetze aufgeführten Uebertretungen sanktionirten Polizeistrafen. Die erstere bestand in einer Buße von dem Werthe von 1—3 Arbeitstagen als Gefängniß. Die speziellen Polizeistrafen dagegen wurden dann im Code Pénal art. 470 ff. für einzelne Uebertretungen festgestellt. Auf diesen beiden Punkten beruht von da an das französische System des Polizeistrafrechts und der Art. 4 des Code Pénal konnte nunmehr mit aller Sicherheit bestimmen, daß keine Uebertretung mehr strafbar sein solle, wenn nicht das Gesetz die Strafbarkeit ausgesprochen. Dieser Standpunkt war nun allerdings ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem früheren, indem er die individuelle Freiheit gegenüber den Ver- waltungsorganen durch Aufstellung eines Gesetzes sicherte. Allein er hat trotzdem das Wesen des Strafrechts mißverstehen lassen, indem er die peinliche und die polizeiliche Strafordnung als ihrer Natur nach identisch hinstellte, was wiederum erst durch die deutsche Wissenschaft überwunden werden soll . Dabei war übrigens die praktische Folge die, daß der Maire als Ortspolizei nunmehr in jener Bestimmung nur die Maximalgränze seiner, auf dem Code Pénal begründeten Strafan- drohung fand, woher denn auch die ortspolizeilichen Verfügungen in Frankreich durchaus nicht seltener, oft aber viel willkürlicher sind als in Deutschland. Nur das ward festgehalten und mußte den deutschen Zuständen gegenüber als ein großer Fortschritt gelten, daß das Ur- theil über diese Verwaltungsstrafen gerichtlich in der Police cor- rectionnelle ausgesprochen, und die Verbindung von Polizei und Ge- richtsbarkeit darin beseitigt wird. (Vergleiche die Organisation communale bei Laferrière , Droit publ. T. I. und bei Balbie Dr. administr. T. II. Das Hauptwerk ist noch jetzt N. de Champagny , Traité de la police municipale, ou de l’autorité des maires, de l’administration et du gouvernement réglementaire 2. Bd. 1844. 47. Kurz bei Mohl , Literatur der Staats- wissenschaft III. 263. 264. Eng zusammengestellt in Block , Dict. de l’Adm. v. Organ. crim. nebst Literatur. Edel , Vortrag über den allgemeinen Theil des bayerischen Polizeistrafgesetzbuchs, Verhandl. der Kammer der Abgeordneten II. S. 149 ff.) An dieß französische System hat sich nun zunächst die belgische Gesetzgebung angeschlossen. Belgien hat französische Principien in seinem Recht, aber deutsche in seiner gesellschaftlichen Ordnung. Das erste Element ist für das Strafrecht, das zweite für das Verfügungsrecht entscheidend geworden. Das belgische Recht hat gleich anfangs das Ge- setz von der Verordnung und ihrem Recht als „droit réglementaire“ oder „pouvoir réglementaire“ sehr bestimmt geschieden, und daher auch das peinliche Strafrecht dem verwaltungsrechtlichen scharf getrennt zur Seite gestellt. In dem letztern ist aber die allgemeine Ordnungsstrafe wieder von den einzelnen, im Code Pénal enthaltenen Polizeistrafen ge- schieden , und zwar hier zum erstenmale mit klarem Bewußtsein ihrer besonderen Stellung. Das betreffende Gesetz ist so klar, daß wir mit seinen Worten alles erschöpft sehen. Das Gesetz vom 6. März 1818 sagt: Art. 1. „Les infractions aux réglements d’administration géné- rale, à l’égard desquelles la loi ne détermine pas des peines par- ticulières , sont punies d’une amende de dix à cent florins ou d’un emprisonnement d’un jour au moins ou de quatorze jours au plus, même cumulativement d’une amende et d’un emprisonnement.“ Dabei wird jedoch wieder festgehalten, daß „keine Handlung bestraft werden kann, als die vom Gesetz verboten ist.“ Der Cirkel ist klar. Da das Gesetz vom pouvoir réglementaire das Recht gibt, Handlungen durch réglements zu verbieten, so sind die verordnungsmäßig verbo- tenen Handlungen gesetzlich verboten und mithin nach dem Gesetz von 1818 verwaltungsrechtlich strafbar, neben den Bestimmungen des Code Pénal. Vergl. de Fooz , Droit adm. belg. T. III. Titre prélimin. und T. I. Tit. I. und T. IV. Die Erkenntniß, daß das peinliche und administrative Strafrecht ihrer Natur nach wesentlich verschieden sind, ist hier jedoch mehr geahnt als anerkannt. Das Recht zum Erlaß der Verfügungen ist jedoch nicht wie in Frankreich dem Maire überlassen; das germanische Element der Selbstverwaltung hat vielmehr den Grund- satz zur Geltung gebracht, den schon das Gesetz von 1818 anerkennt, daß die Gemeindeverwaltungen das Recht haben, Verwaltungsstrafen bis zu 50 fl. auszusprechen, was die neuere Loi communale art. 78. auf die gewöhnlichen Polizeistrafen herabsetzte. De Fooz T. I. Tit. II. Die deutschen Staaten, die sich dem Princip nach an die franzö- sische angeschlossen haben, bilden nun wieder eine selbständige Gruppe. Das sind diejenigen, welche den Versuch gemacht haben, das Verwaltungs- strafrecht von dem peinlichen zu scheiden und neben dem peinlichen Straf- gesetzbuch ein eigenes Polizeistrafgesetzbuch aufzustellen. Diese Staaten sind Württemberg, Bayern und Baden . Und damit ist nun die Bahn zu einer ganz neuen Gestaltung des Strafrechts gebrochen, die, freilich nur noch im ersten Beginne ihrer Entwicklung, doch schon eben in jenen Polizeistrafgesetzbüchern Bedeutendes geleistet hat. Das Verhältniß der letzteren zu einander ist eben deßhalb von be- sonderem Interesse und gehört schon jetzt der Geschichte des peinlichen Rechts an. Das älteste, Württembergische (1839) hat noch keine klare Vorstellung von dem Gegensatz zwischen Gesetz und Verordnung; doch hat Mohl (Württemb. Verfassungsrecht S. 67 ff.) den Unterschied schon ziemlich klar, wenn auch ohne Anwendung auf den Begriff des ver- fassungsmäßigen Verordnungsrechts dargestellt, und den Satz der Ver- fassungs-Urkunde §. 25 betont, daß niemand anders, als in den vom Gesetze bestimmten Fällen Strafe erleiden soll, weßhalb keine Verord- nung neue Strafandrohungen enthalten darf. Indeß bleibt dabei die Frage nach den örtlichen Polizeiverfügungen unentschieden (ebendas. S. 8, 9, 10) während die theoretische Behandlung des Polizeistraf- rechts ( Roller , Württemb. Polizeirecht 1856) sich um alles, was über den Text desselben hinausgeht, nicht kümmert. Dafür aber ist dieß Polizeistrafrecht die erste Codificirung des Verwaltungsstrafrechts, und dadurch seinem Stoffe nach umfangreicher und spezieller, als der betreffende Theil des Code Pénal. Es ist, obwohl in der allgemeinen deutschen Literatur wenig bekannt, dennoch sehr wichtig, weil es eben durch diese Aufstellung eines selbständigen Polizeistrafrechts den Anlaß zu der Frage gab, ob und wie weit die Elemente des allgemeinen Theils des peinlichen Strafrechts auf die Verwaltungsstrafen anzuwen- den seien. Und auf diesem Gebiet liegt nun der Standpunkt für das, was die beiden andern Polizeistrafgesetzbücher geleistet haben. Das erste ihm folgende ist das bayerische von 1861. Wir können uns der Ueberzeugung nicht verschließen, daß durch dieß Gesetz- buch und vielleicht noch mehr durch die Verhandlungen über dasselbe die Bahn für eine neue selbständige Behandlung des Verwaltungsstraf- rechts gebrochen ist. In der That ist es das erste, welches die Frage nach dem organischen Inhalt des Polizeistrafrechts zuerst gründlich angeregt, und ein festes System für das Recht der Polizeiverfügung aufgestellt hat. Die Grundlagen dieses Systems sind: I. Bestimmung der Competenz zum Erlaß ortspolizeilicher und distriktspolizeilicher Vorschriften (Art. 32—36). II. Competenz zum Erlaß von strafpolizei- lichen Vorschriften ohne spezielle Ermächtigung durch ein Gesetz, nur als königliche Verordnung, mit Polizeistrafen von 10—100 fl. (Art. 38). III. Die erste Anwendung der Grundbegriffe des allgemeinen Theils des peinlichen Strafrechts auf das Polizeistrafrecht. Der Mangel in diesem sonst trefflichen Gesetze scheint in dem Fehlen einer allgemeinen Ordnungsstrafe zu bestehen, das nicht durch die allgemeine Verweisung auf das (peinliche) Strafgesetzbuch in Art. 31. ersetzt wird. Für die frühere Geschichte und die speziellen Motive siehe Edels gründlichen Bericht a. a. O. Auf den Schultern dieses Gesetzes steht das neueste badische vom 31. Oktober 1863. Auch dieß Gesetz hat zunächst zur Aufgabe, das Verwaltungsstrafrecht zu einer selbständigen Gesetzgebung zu machen; zugleich aber dasselbe durch innige Verbindung mit den Grundbegriffen des peinlichen Strafrechts zu einem auch wissenschaftlichen System zu erheben. Es enthält fast dieselben Elemente, wie das baye- rische; einen „allgemeinen Theil“ mit den Begriffen von That, Versuch, Verjährung u. s. w. und einen speziellen mit den einzelnen Strafbe- stimmungen. Nur ist es mit, wir möchten sagen mehr Bewußtsein über Wesen und Stellung des Polizeistrafrechts entworfen, indem es speziell noch die neben seinen Bestimmungen geltenden Verwaltungs- strafgesetze aufnimmt, und dadurch dasjenige begründet, was als der wahre Abschluß dieser ganzen Bewegung angesehen werden muß, die Aufstellung eines vollständigen Verwaltungsstrafgesetzes neben dem peinlichen Strafgesetz , so daß das eigentlich soge- nannte Polizeistrafgesetz hier selbst wieder nur als ein Theil des Ver- waltungsstrafrechts angesehen wird. Wir sind überzeugt, daß damit für das ganze Strafrecht jene neue Richtung beginnt, deren Grund- lage eben die doppelte Idee der Strafe sein wird — der peinlichen mit ihrem sittlichen Inhalt, die ihren Grund im ethischen Wesen der Persönlichkeit hat, und der verwaltungsrechtlichen , die ihren Grund in ihrer Zweckmäßigkeit für die Aufgaben der Verwaltung suchen muß. Diese Idee entscheidet dann auch für das Recht zur Strafver- fügung , das nur bei der letzteren im Verordnungswege denkbar ist, indem alles, was für einen äußeren Zweck geschieht, stets sich der Ver- ordnung unterwirft, während eine peinliche Strafe nur als Ausdruck des sittlichen Bewußtseins der Gesammtheit auftreten kann. Es würde hier zu weit führen, darauf einzugehen. Wir bemerken nur noch, daß sich trotz des in §. 32, 33 enthaltenen Verbotes, irgend eine andere als die gesetzlich anerkannte Strafe auszusprechen, die Idee der allge- meinen Ordnungsstrafe in §. 6 und 29 erhalten, und damit der An- knüpfungspunkt für die allgemeinere Auffassung erhalten hat. Jeden- falls dürfte schon hier das feststehen, daß die systematische Weiterbildung der gesammten Strafrechtslehre nicht mehr innerhalb des bisherigen peinlichen Rechts liegen wird, das wohl ohnehin im Wesentlichen er- schöpft ist, sondern in einer Auffassung, die hoch genug steht, um beide Theile, das peinliche wie das Verwaltungsstrafrecht, von einem höchsten gemeinsamen Gesichtspunkt zu umfassen, als zwei große, verschiedene, aber doch organisch zusammenhängende Gebiete Eines Gedankens, der eben darum nicht mehr beiläufig, sondern in selbständiger wissenschaft- licher Durchführung zu behandeln und die etwas ermüdete Strafrechts- lehre neu zu beleben bestimmt ist. (Von allen auf die Polizeistrafgesetzgebung bezüglichen Arbeiten gebührt ohne Zweifel der vortrefflichen Arbeit von C. Edel , das Polizei- strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (Dollmann, Gesetzgebung des Königreichs Bayern 1862 B. V. ) der Vorzug. Der Verfasser hat das bayerische Polizeistrafgesetzbuch schon in den Verhandlungen der zweiten Kammer mit seinen eingreifenden Erläuterungen begleitet; das citirte Werk enthält aber außerdem nicht bloß die Exegese und die Geschichte der einzelnen Bestimmungen des betreffenden Gesetzes, son- dern in vollständiger Ausführlichkeit auch die übrige dahin gehörende Gesetzgebung des Königreichs, und darf dieß Werk als ein Muster für ähnliche Bearbeitungen angesehen werden. Wir nehmen daher an, daß bei allen folgenden einzelnen Paragraphen des bayerischen Polizeistraf- gesetzbuchs die betreffende Ausführung des Verfassers als hinzu citirt angenommen werden möge.) Was Baden betrifft, so verweisen wir auf die schöne Arbeit von L. Kempf , das Polizeistrafgesetzbuch für das Großherzogthum Baden, mit den Motiven, Commissionsberichten und landständischen Verhandlun- gen 1864. Eine andere Arbeit ist uns bis jetzt nicht bekannt. Auf dieser allgemeinen Grundlage wird es nun wohl leicht sein, das Recht und Wesen der Polizeistrafordnungen in den übrigen Staaten zu charakterisiren, so weit uns dieselben zugänglich waren. Am nächsten dem Standpunkte des süddeutschen Polizeistrafgesetz- buches kommt das preußische Recht. Im preußischen Recht ist näm- lich das Verhältniß zwischen Verordnung und Gesetz, und die Compe- tenzfrage über den Erlaß der ersteren allerdings sehr klar behandelt und entschieden. Hier sind zuerst die königlichen Verordnungen von den Polizeiverordnungen weit besser getrennt, als in Belgien und selbst in Baden und Bayern, und den letzteren das Recht voller Gültigkeit beigelegt, wenn sie unter den gesetzlichen Formen publicirt sind. Dieser Grundsatz ist schon durch das Allgemeine Landrecht II. T. 13, §. 6 be- gründet, der das Recht auf Erlaß von Verordnungen für ein „Maje- stätsrecht“ erklärt hat. Die Frage, in wie weit dieß Recht den Polizei- organen zukomme, und in wie weit speziell dieselben Polizeistrafen auf verordnungsmäßigem Wege aussprechen können, war in der rein poli- zeilichen Epoche des preußischen öffentlichen Rechts eigentlich gar nicht vorhanden, sondern die Sache wurde als selbstverständlich angesehen. Erst mit dem Siege der verfassungsmäßigen Verwaltung zeigte es sich auch hier, daß es eine der wesentlichsten Bedingungen der letzteren sei, über diesen Punkt ins Klare zu kommen. Und das geschah nun in der, für die ganze Entwicklung dieser Begriffe bezeichnenden Weise dadurch, daß die Reform der Strafgesetzgebung wesentlich zu dem Zweck unternommen wurde, um durch die Aufnahme des Polizeistrafen- systems in das Strafgesetzbuch ein gesetzliches Strafsystem für das Verwaltungsrecht zu schaffen . Das war nun die Haupt- aufgabe der neuen Redaktion des preußischen Strafgesetzbuches, bei dem im dritten Theil das französische Muster des Code Pénal IV. vorschwebte. Es geschah daher hier, was 1808 in Frankreich geschehen war, daß man nämlich das Verwaltungsstrafrecht mit dem peinlichen durch gemeinsame Codification formell identificirte , und dafür zwar ein objektioes Recht des ersteren gewann, aber in Gefahr gerieth, das Bewußtsein von seinem tiefen Unterschiede vom peinlichen Recht definitiv zu verlieren. Die formell vortreffliche Organisation der preußischen Verwaltung hat jedoch davor geschützt, indem jetzt neben dem betref- fenden Theile des Strafgesetzbuches das Gesetz vom 11. Mai 1850 über die Polizeiverwaltung gegeben ward, das im Grunde dasjenige als Princip enthält, was die Polizeistrafgesetzbücher des Südens als syste- matisches Strafrecht formuliren, das selbständige Verwaltungsstrafrecht. Nach diesem Gesetz kann nämlich auch jetzt noch die Verwaltung (unter dem Namen der Polizei) unter ausdrücklich vorgeschriebenen Formen die allgemeine Ordnungsstrafe für Ungehorsam gegen Polizeiver- fügungen da aussprechen, wo das Strafgesetz keine bestimmte Strafe enthält, und zwar im Maximum bis zu 3 und 10 Thaler Geldbuße. Diese Polizeistrafen bilden dann ein gültiges Recht für die Polizeigerichte, wie das Strafgesetzbuch selbst. Der verfassungsmäßige Fortschritt in diesem Gesetz besteht darin, daß es, wir glauben zuerst in Deutschland den Grundsatz zur Anwendung brachte, daß nach §. 5 desselben solche Ordnungsstrafen nur nach Berathung mit dem Gemeindevorstande erlassen werden, wobei wohl das belgische und holländische Recht zum Grunde lag. Wir verweisen für das Spezielle auf Rönne , Staats- recht I. §. 16, 48 und 49, und die stenographischen Berichte der I. Kam- mer von 1849, S. 2336 ff. — Bei allem formell Unfertigen, das hierin liegt, ist vielleicht gerade dieses Verhältniß der preußischen Gesetzgebung ein hochwichtiges Element der Weiterbildung. In der That bedeutet die Selbständigkeit des Gesetzes von 1850 die innere Selbständigkeit der Verwaltungsstrafe gegenüber der peinlichen; es ist klar, daß es, wenn auch historisch begründet, doch wissenschaftlich falsch ist, den III. Theil des Strafgesetzbuches zu einem Theil des peinlichen Rechts zu machen; es sollte vielmehr das Gesetz von 1850 der allgemeine , und das III. B. des Strafgesetzbuches der besondere Theil des preußischen Verwaltungsstrafrechts sein , und darauf die Theorie und Praxis des letzteren gegenüber dem peinlichen Strafrecht begründet werden. Das Gesetz von 1850 hat die hohe Bedeutung, diesen Standpunkt eines allgemeinen Verwaltungsstrafrechts gesetzlich zu begründen, dem das badische Polizeistrafgesetzbuch seinen materiellen Inhalt in seinem ersten Abschnitt gibt; die in der Selbständigkeit dieses Gesetzes gegebene Veranlassung zu einer solchen Behandlung ist der größte und eigentliche Vorzug des, wie sich aus dem Obigen ergiebt, zweitheiligen preußischen Verwaltungsstrafrechts, und wir halten fest an der Ueberzeugung, daß sich die Scheidung beider Grundformen alles Strafrechts, des peinlichen und des polizeilichen, von diesem Punkte aus entwickeln wird. Weit unklarer und unfertiger, wie diese Rechte, sind nun die übrigen positiven Gesetze Deutschlands in dieser Beziehung. Was zunächst Oesterreich betrifft, so ist es in seiner Gesetzgebung geradezu auf dem halben Wege stehen geblieben. Dasselbe begann nämlich allerdings nach dem Vorgange Frank- reichs und Preußens damit, das gesammte Gebiet der „Vergehungen und Uebertretungen“ in seinem zweiten Theile des Strafgesetzes von 1852 selbständig dem ersten Theile, die Verbrechen betreffend, gegen- über zu stellen. Das Gefühl der Sache war richtig; es ist das unklar gebliebene Streben, das peinliche Recht von dem Verwaltungsrecht zu scheiden. Allein dieser zweite Theil war zu allgemein gefaßt, und ent- hielt in der That neben dem Verwaltungsstrafrecht auch sehr wesentliche peinliche Elemente, was die ganze Auffassung nur verwirren konnte; dabei ließ derselbe eben wegen seiner Genauigkeit das Aufstellen einer allgemeinen Ordnungsstrafe als unnöthig erscheinen. Dieselbe fehlt demnach. Und da nun keine Verwaltung ohne eine solche allgemeine Ordnungsstrafe bestehen kann, während doch ein Recht zum Aussprechen derselben wieder nirgends in der österreichischen Gesetzgebung formulirt war, so mußte man nachträglich das thun, was man in Preußen mit dem Strafgesetzbuch gleichzeitig gethan hatte, nämlich ein Gesetz erlassen, das der Verwaltung die rechtliche Möglichkeit gab, ihre Verfügungen durch Verwaltungsstrafen zu sanktioniren. Das war die Verordnung vom 20. April 1854, welche an die Stelle der Verordnung vom 11. Mai 1851 und 14. August 1853 getreten ist, und das preußische Gesetz von 1850 ersetzen sollte. Diese Verordnung hat aber sonst den großen Fehler, daß sie eben keine allgemeine Verwaltungsstrafe aussprach, sondern sich begnügt, den (Polizei)-Behörden in §. 1 das Recht zu geben, ihre Verfügungen „durch die ihnen gesetzlich zustehenden Mittel zum Vollzuge zu bringen.“ Welches diese Mittel sind, wird nicht bestimmt genug gesagt; der §. 11 bestimmt nur, daß in bestimmten Fällen polizeiwidrigen Verhaltens eine Buße von 1 bis 100 fl. und 6 Stunden bis 14 Tage Arrest eintreten könne. Daraus nun ward die allgemeine Ordnungsstrafe durch die Verordnung vom 30. Septem- ber 1857, welche freilich eine zweite Unklarheit an die Stelle der ersten setzte, indem sie vorschrieb, daß „alle Handlungen oder Unterlassungen, welche von den Gesetzen oder von den Behörden innerhalb ihres Wir- kungskreises — im Allgemeinen als strafbar, oder aus polizeilichen oder andern (?) Rücksichten als gesetzwidrig erklärt sind, mit 1 bis 100 fl. Strafe oder Arrest von 6 Stunden bis 14 Tagen zu belegen sind.“ Was nun unter den „Behörden,“ was unter den „andern Rücksichten“ verstanden ist, wird nicht gesagt. Die Ordnungsstrafe ist damit da, aber die Competenz zur Anwendung derselben ist unbestimmt geblieben. Dagegen ist allerdings das Verfahren geregelt, speziell durch die Ver- ordnung vom 3. April 1855 und 5. März 1858, während wiederum der Grundsatz gänzlich und selbst in der neuen Gemeindeordnung fehlt, daß die Behörde bei örtlichen Vorschriften sich mit der Gemeindever- tretung ins Einvernehmen stellen solle. Das Ganze hat daher den Charakter eines formellen, nur im letzterwähnten Punkte auch materiellen Fortschreitens nach einem an sich bestimmt anerkannten, aber nicht zum Abschluß gediehenen Princip; es bleibt zu hoffen, daß Theorie und Praxis sich die Hände reichen, um aus diesem Zustande in den einer definitiven Rechtsordnung des Polizeirechts überzugehen. Vergl. dazu namentlich die Motive zur Strafproceßordnung von 1863, S. 92. Noch unfertiger sind nun wohl die übrigen deutschen Gesetzgebungen, wie die von Sachsen-Weimar, Gesetz vom 17. Januar 1854, welches das ganze Polizeistrafrecht den Polizeibehörden übergibt, nur mit der fast unklaren Beschränkung, daß dieselben bei Strafen über 5 Thaler oder 10 Tagen Gefängniß die Zustimmung des Bezirksdirektors einholen sollen. In Nassau hat die Gemeindeordnung vom 12. December 1848 dem Bürgermeister mit dem Gemeinderath das Recht zur Ordnungs- strafe in niederen Polizeisachen bis zu 3 fl. und 6 Tagen Arrest ge- geben. In andern Staaten mag es ähnlich sein. Es ist aber klar, daß alles dieß zu unfertig ist, um wissenschaftliche Beachtung zu ver- dienen. Wir bedürfen in Deutschland einer selbständigen Theorie und Gesetzgebung des Verwaltungsstrafrechts neben dem peinlichen Straf- recht, auf Grundlage des preußischen Princips und der süddeutschen Ausführung; darin liegt die Zukunft dieses Rechtsgebietes. Was nun endlich die beiden letzten Staaten betrifft, deren Verwal- tungsstrafrecht das Bild der in Europa geltenden Ordnungen wesentlich vervollständigt, England und Holland, so ist das Verhältniß derselben jetzt wohl einfach. England hat gar kein Strafgesetzbuch; aber es hat und hatte auch kein Polizeistrafrecht im continentalen Sinne. Das System, welches das letztere vertritt, ist im Ganzen sehr einfach, im Einzelnen aber in lauter Sonderbestimmungen zersplittert. Das Bedürfniß nach einem Verwaltungsstrafrecht hat nämlich bei dem völligen Mangel einer Codi- fication einerseits, und dem einer amtlichen Polizei andrerseits dahin geführt, das Recht zum Erlaß von Verwaltungsverfügungen mit polizei- lichem Bußrecht entweder in den einzelnen Verwaltungsgesetzen unmittelbar aufzunehmen, wobei die Buße gewöhnlich sofort genau bestimmt wird, wie bei Gesundheitspolizei, Sicherheitspolizei, vielen Theilen der Ge- werbspolizei und den dieselbe regelnden statuts, — oder aber den Selbstverwaltungskörpern, namentlich den Gemeinden, das Recht zu Polizeierlassen und Strafbestimmungen zu geben. Diese örtlichen Ge- meindepolizeibeschlüsse sind die bye-laws; die statuts, welche das Recht zu bye-laws verleihen, sind dann meistens schon mit einem Maximum der Buße versehen. Die Literatur des englischen öffentlichen Rechts hat sich mit diesem Theil des geltenden Rechts sehr wenig beschäftigt. Der Grundzug in allen diesen Bestimmungen besteht darin, daß das Princip der allgemeinen Ordnungsstrafe das leitende ist, und daß die spezielle Anwendung der letztern bei dem Mangel eines Strafgesetzbuches ganz dem Friedensrichter überlassen ist, wo die Bußen ( fines ) mit einem Statute verbunden sind, den Gemeindebehörden dagegen, wo diese das Recht der bye-laws durch die Genehmigung ( to incorporate ) ihrer Statuten empfangen haben. Weder Gneist noch Fischel , der ge- schmackvolle Compilator aus dem Gneist’schen Werk, noch Homers- ham haben darüber etwas Genaueres; auch dürfte das Obige im Wesent- lichen den Sachverhalt erschöpfen. Dem Grundcharakter nach gleich, der Form nach verschieden ist das Recht Hollands . Holland hat nämlich zuerst allerdings den Code Pénal in einfacher Uebersetzung angenommen (1810) und daher auch das Polizeistrafrecht des Art. 471. Allein die Gemeinde und ihre Selbstverwaltung war von jeher viel zu kräftig, als daß man ihr das Recht auf Erlaß von Gemeindeordnungen, selbst mit Polizeistrafen, je- mals hätte nehmen können. Grundsatz bleibt daher und ist gegenwärtig, daß der Gemeinderath das Recht hat, die Uebertretungen seiner Ver- ordnungen, soweit kein Gesetz oder Provinzialbeschluß dem vorgesehen hat, mit Geldbuße von 1 bis 25 fl. oder Gefängniß von 1 bis 3 Ta- gen zu bedrohen. ( Gemeentewet vom 29. Juni 1851, Art. 161—178. Van plaatzelike Verordeningen, nebst den genauen Vorschriften über die Formen derselben.) Doch kann der königliche Commissarius solche Verordnungen sistiren; der Bürgermeister hat deßhalb die Pflicht, die- selbe stets dem Commissär mitzutheilen. ( Gem. Wet. §. 187.) Die Frage nach Erlaß eines selbständigen Polizeistrafgesetzbuchs ist übrigens schon seit Jahren in Holland angeregt, und hat eine eigene Literatur her- vorgerufen, ohne daß man jedoch bisher zu einem Beschluß gelangt wäre. ( De Bosch-Kemper , Nederlandsche Staatsregt en Staatsbestur . Neueste Ausgabe 1866, §. 338 ff.) Bis dahin gilt der allgemeine Grundsatz des Gemeindegesetzes (28. Juli 1850) Art. 190: „Die Gemeinde- polizei beruht auf den örtlichen Verordnungen und Befehlen, welche die Gemeinde nach dem Gemeindegesetz selbst beschließt.“ Dieß nun sind die Umrisse und Grundlagen, des gegenwärtigen Polizei- oder Verwaltungsstrafrechts. Man sieht, daß alle Elemente einer Aufnahme in die Wissenschaft und einer selbständigen Behandlung vorhanden sind; allein ihre Erfüllung erhalten sie trotzdem erst durch das- jenige, was wir nun als das Polizeiverfahren genauer darzulegen haben, und das gleichfalls noch einer wissenschaftlichen Behandlung ent- behrt — hoffentlich nicht auf lange Zeit. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 4 B. Das Polizeiverfahren und sein Recht. 1) Begriff . Das, was wir nunmehr das Polizeiverfahren nennen, ist die Thätig- keit der Polizei, mit der sie die in der Polizeiverfügung gegebene An- ordnung vollstreckt. Jedes Polizeiverfahren gehört daher im weiteren Sinne des Wortes der vollziehenden Gewalt, wie jede Polizeiverfügung der Verordnungsgewalt angehört. Das Polizeiverfahren aber bildet einen selbständigen Theil der Vollziehung, dadurch, daß es stets die Voll- ziehung der Verfügung der Polizei selbst ist, oder eine Vollziehung nicht durch ein besonderes Vollzugsorgan, sondern durch das Organ der ver- ordnenden Gewalt selbst enthält. In jedem Polizeiverfahren vollzieht daher die Polizei ihre eigenen Verfügungen . Es ist nun allerdings zunächst einleuchtend, daß jeder Theil der Polizei sein eigenes Verfahren haben muß. Denn die Form und Natur dieses Verfahrens wird bestimmt durch das spezielle Objekt desselben, und muß sich nach demjenigen richten, was vermöge dieses Objekts als zweckmäßig erscheint. Es ist Sache der Verwaltung, bei den einzelnen Behörden dieß für jeden Fall besonders zu bestimmen. Diese Bestim- mungen sind entweder formelle, von der höheren Behörde ausgegangene, die als Instruktionen oder Circulare ꝛc. bezeichnet werden, oder sie sind dem Takte und der Sachkenntniß der Polizeiorgane selbst über- lassen. Dem Rechte gehören sie demnach nicht an, sondern dem Be- griffe der Zweckmäßigkeit. Das Recht des Polizeiverfahrens entsteht auch hier erst auf dem Punkte, wo die in ihm liegende Vollziehung einer an sich rechts- gültigen Polizeiverordnung in die Rechtssphäre des einzelnen Indi- viduums hineingreift. Das Verfahren bei einer nicht rechtsgültigen Polizeiverordnung gehört nicht unter dieß Recht, weil schon seine Vor- aussetzung eine rechtlose ist. Das Recht des Polizeiverfahrens hat daher nur die Frage zu beantworten, wo die Gränze für die ihre eigenen Verfügungen vollziehende Thätigkeit gegenüber der selbständigen indi- viduellen Persönlichkeit des Staatsbürgers zu setzen sei. Offenbar nun kann diese Frage nach dem Rechte des Polizeiver- fahrens gerade so wie die nach dem der Polizeiverfügung nur dadurch entstehen, daß die Natur der Sache, oder der Vollziehung, der Polizei das Ermessen über das, was sie zum Zwecke der Vollziehung zu thun hat, oder über Form und Gränze ihrer Thätigkeit bis zu einem ge- wissen Grade selbst überlassen muß. In dieser Berechtigung der Polizei, selbst zu entscheiden, was sie zu thun hat, liegt die Möglichkeit einer Verletzung der staatsbürgerlichen Freiheit eben so sehr, als in ihrer Berechtigung zu selbständigen Strafandrohungen. Jene staatsbürgerliche Freiheit soll nun gegen jeden Eingriff geschützt werden; andererseits soll aber auch die Vollziehung der Anordnungen gesichert sein, und die Gränze zwischen beiden gleichberechtigten organischen Forderungen bildet eben das Recht des Polizeiverfahrens . Es ergibt sich daraus das allgemeine Princip dieses Rechts von selbst. Die Eingriffe in die staatsbürgerliche Freiheit vermöge des Verfahrens der Polizei sind zwar unvermeidlich, aber sie dürfen in keinem einzelnen Fall weiter gehen, als sie die unabweisbare Bedingung für die wirkliche Vollziehung der öffentlich rechtlichen Anordnungen bilden. Wie weit dieß nun in jedem einzelnen Falle wirklich eintritt, hängt aber wegen der Natur der polizeilichen Vollziehung von dem ein- zelnen Falle selber ab. Allein alle diese noch so verschiedenen einzelnen Fälle haben etwas Gemeinsames und Gleichartiges; und wenn man daher mit Recht sagt, daß jede polizeiliche Funktion ihr eigenes Ver- fahren und Recht hat, so ist es andererseits eben so gewiß, daß es für jenes, allem Polizeiverfahren Gemeinsame auch ein gemeinsames Recht gibt. Und dieß gemeinsame Recht bildet daher den allgemeinen Theil des Rechts des Polizeiverfahrens. Die Rechtsgebiete, welche dieser allgemeine Theil des Verfahrens der Polizei hat, werden nun zunächst wesentlich bestimmt durch das Ver- hältniß desselben zur Rechtspflege. Es muß daher zuerst dasjenige Verfahren charakterisirt werden, welches wir das der gerichtlichen Polizei nennen. Dann muß der Charakter desjenigen Verfahrens festgestellt werden, welches wir als das der Polizeigerichte bezeichnen. Und erst dann kann man übergehen zu dem Verfahren der Verwal- tungspolizei und ihrem Recht. Dabei ist es klar, was wir schon früher hervorgehoben, daß dieß letztere sehr wohl auch als ein Theil der vollziehenden Gewalt betrachtet werden könne. Es wäre vielleicht sogar besser und systematischer ge- wesen, dasselbe als Polizeilehre in der Lehre von der letzteren aufzu- stellen. Daß wir es hieher stellen, hat nur den Vorzug, damit die Basis für die wissenschaftliche Behandlung der Sicherheitspolizei als besonderen Theil der Verwaltung zu gewinnen. Steht mit dem Fol- genden dieser Begriff und sein Inhalt fest, so könnte man unbedenklich das ganze Polizeirecht in die vollziehende Gewalt hinüber versetzen, wohin es systematisch gehört. 2) Das strafgerichtliche Polizeiverfahren . Nach dem eben dargelegten Begriff der gerichtlichen Polizei enthält das gerichtliche Polizeiverfahren die Gesammtheit von Thätigkeiten, welche die Verfolgung und Bestrafung von Verbrechen zu sichern haben. Das gerichtliche Polizeiverfahren im weiteren Sinne des Wortes ist daher ein Theil des gerichtlichen Verfahrens überhaupt, und gehört daher in der That dem Strafprocesse an, wo es auch fast allenthalben als integrirender Theil erscheint. Im engeren Sinne aber nennen wir das gerichtliche Polizeiverfahren diejenigen Thätigkeiten, welche nicht mehr von den Organen der Rechtspflege selbst, sondern von den Organen der Verwaltungspolizei für die Zwecke der Strafrechts- pflege vollzogen werden. Und das Recht des gerichtlichen Polizei- verfahrens ist demgemäß das Recht des Verfahrens der Verwaltungs- polizei in ihrer Funktion für die Strafrechtspflege. Es ist nun natürlich, daß dieß Verfahren selbst und so auch sein Recht wesentlich verschieden sind von dem verwaltungspolizeilichen Ver- fahren. Denn hier hat die Polizei nicht mehr ihre eigenen Verfügungen, sondern die Aufgabe eines ganz anderen Theiles der Verwaltung zu vollziehen. Sie ist daher mit ihrer Thätigkeit diesem Zwecke unter- geordnet, und das Recht dieser Thätigkeit wird sich daher auch nach diesen Zwecken bestimmen. Allein zugleich kommt dabei ein rein polizeiliches Element zur Geltung, und das ist es, wodurch dieß Verfahren nicht bloß als reine Exekution erscheint. Da nämlich die Straflosigkeit von Verbrechen an sich zugleich eine indirekte Gefährdung der öffentlichen Ordnung enthält, so folgt, daß die Polizei auch als solche den Zwecken der Rechtspflege zu dienen hat. Das gerichtliche Polizeiverfahren enthält daher selbst wieder mehrere Gesichtspunkte und Theile, und mit denselben ein ver- schiedenes Recht, das keineswegs immer in den Strafproceßordnungen selbständig geschieden oder von der Theorie hinreichend behandelt wird. Für unsern Zweck muß es jedoch genügen, diese Gebiete hier zu be- zeichnen, und die spezielle Ausführung der Strafproceßlehre zu über- lassen. I. Das gerichtliche Polizeiverfahren erscheint nämlich zuerst als die- jenige Thätigkeit der Polizei, welche in Folge direkter Aufforderung von Seiten der Organe der Rechtspflege eintritt. Das Rechtsprincip dieser Funktion ist, daß dabei die Verwaltungspolizei nur im Namen und also unter der Verantwortlichkeit des Gerichts handelt. Die Folge davon ist, daß sie dazu eines bestimmten Befehles von demselben be- darf. Es ist nothwendig, daß die Form dieses Befehles eine gesetzliche sei, damit die Selbständigkeit des Staatsbürgers hier vor dem Irrthum der Polizei geschützt sei. Die Bestimmung dieser Form ist dagegen un- zweifelhaft Sache des Strafproceßrechtes, und die Untersuchung der dabei vorkommenden Fragen Aufgabe der Strafproceßlehre. II. Die zweite Form, in der das gerichtliche Polizeiverfahren auf- tritt, enthält bereits ein wesentlich verwaltungspolizeiliches Element. Sie besteht in der Entdeckung von Verbrechen und den Thätern der- selben. Es ist im Allgemeinen kein Zweifel, daß diese Funktion eine Aufgabe der Verwaltungspolizei an sich ist, und zwar in der Weise, daß sie zur Ausübung derselben keines eigentlich gerichtlichen Befehles, ja nicht einmal einer eigenen Veranlassung von Seiten des Gerichts bedarf, sondern sie vermöge ihrer eigenen organischen Bestimmung zu leisten hat. Allein zugleich ist es klar, daß sich in dieser Funktion jene beiden Momente der polizeilichen Thätigkeit, die gerichtliche und die verwaltungspolizeiliche, bereits scheiden , und daß man daher hier auch von einem zweifachen Rechte derselben ganz füglich wird reden müssen. Da indeß auch dieß Recht noch dem Strafverfahren angehört, so muß es hier genügen, jene beiden Elemente nur in ihren Haupt- punkten zu bezeichnen. Das Verhältniß dieser Funktion zum Gericht besteht darin, zu- nächst dem Gerichte von demjenigen Anzeige zu machen, was auf ein geschehenes Verbrechen oder seine Thäter hindeuten kann. Sowie diese Anzeige geschehen ist, hat die gerichtliche Thätigkeit selbst einzutreten. Dabei nun tritt uns ein Begriff entgegen, der mit all seinen Miß- verständnissen als ein historischer, in seinem wahren Inhalt dagegen ein ganz einfacher und organischer ist. Das ist der Begriff der geheimen Polizei . Man hat dieselbe früher als ein besonderes Gebiet der Polizei betrachtet, weil sie meistens gegen Bedrohungen der öffentlichen Rechtszustände gerichtet war. Es ist klar, daß dieß falsch ist, und daß es eben so falsch ist, die geheime Polizei an sich zu verdammen, ja auch nur ihrer entbehren zu wollen. Sie ist ihrem Begriffe nach die ohne Kenntniß der Betheiligten vor sich gehende Untersuchung von That- sachen und Zuständen, welche zur Entdeckung von Verbrechen führen können. Es versteht sich von selbst, daß diese Entdeckung oft ohne Ge- heimniß gar nicht möglich ist, und daß nichts verkehrter wäre, als dieß Geheimniß an und für sich nicht zu wollen, wo es die Bedingung für das ist, was jeder will, die Bestrafung des Unrechts. Die geheime Polizei ist daher keine eigene Polizei, sondern erscheint nur als ein geheimes Verfahren der gerichtlichen Polizei . Das, worauf es bei dieser geheimen Polizei ankommt, ist daher auch nicht ihr Vor- handensein an sich, sondern vielmehr besteht und entsteht ihr Recht aus zwei andren Elementen. Zuerst nämlich handelt es sich darum, was das Objekt derselben sein soll. Und hier ist es, wo sich die geheime Polizei unserer Zeit von der früheren unterscheidet. Das, was den tiefen Unmuth des Staatsbürgerthums gegen dieselbe erweckte, war, daß man als das specifische Objekt der geheimen Polizei nicht eben ein wirkliches Verbrechen, sondern die politische Gesinnung als solche ansah, wobei es nur durch den tiefen Widerspruch mit jeder politischen Entwicklung möglich ward, daß diese Gesinnung an und für sich den Cha- rakter eines Verbrechens gegen die öffentliche Ordnung annahm. Zwei- tens folgt zum Theil aus dieser Stellung derselben, daß sie beständig versucht war, die rechtlichen Gränzen des polizeilichen Verfahrens gegenüber dem Staatsbürger zu überschreiten, ohne daß der letztere eben vermöge jenes Geheimnisses sich dagegen zu schützen im Stande war. Diese beiden Punkte waren es, welche man mit dem Begriffe der ge- heimen Polizei identificirte, nicht ohne große Schuld der Regierungen; sie haben sehr viel zum Mißverständniß des gesammten Polizeirechts bei- getragen. Sowie man aber darüber einig ist, daß die Polizei weder im öffentlichen noch im geheimen Verfahren das Recht, oder auch nur die Auf- gabe hat, die politische Gesinnung des Einzelnen zu untersuchen, und noch weniger das, um dieses Zweckes willen die Gränzen des gerichtspolizei- lichen Verfahrens zu überschreiten, sondern daß sie nichts ist, als eine durch die Natur der Sache nothwendig gemachte Form des gerichtlichen Verfahrens gegen ein bereits begangenes Verbrechen , das zur Entdeckung desselben oder seines Thäters führen soll, so kann verstän- diger Weise gegen diese geheime Polizei nichts eingewendet werden. Man kann daher von diesem Standpunkt aus auch kein positives Recht derselben fordern, sondern nur ein negatives; das ist eine Bezeichnung der Gränze, über welche sie nicht hinausgehen darf. Und diese ist in den einzelnen Gesetzen der Sicherheitspolizei gegeben, welche wir unten darzulegen haben. Der Endpunkt der Funktion dieses Verfahrens, möge es nun ein öffentliches oder geheimes sein, besteht zunächst, wie gesagt, darin, den Gerichten von den gemachten Entdeckungen die Anzeige zu machen. In der Verpflichtung dazu ist das Recht des Polizeiverfahrens gegeben . Daran aber knüpft sich das zweite Element dieses Rechts, nämlich das Verhältniß dieses Theiles des Polizeiverfahrens gegenüber dem Einzelnen . Die Aufgabe der Polizei auf diesem Punkte bestimmt das Recht derselben. Die Bedingung für die Entdeckung des Verbrechers und des Verbrechens besteht darin, daß die Dinge, welche zur Ent- deckung führen können, von dem Einzelnen nicht geändert, verheim- licht oder beseitigt werden. Es folgt daraus das Recht der Polizei im Dienste der Gerichte, diejenigen Beschränkungen der persönlichen Freiheit anzuordnen und eventuell selbst herzustellen, welche jede Be- seitigung der Spuren des Verbrechens zur Folge haben könnten. Die Polizei hat dieß jedoch gleichfalls nur in der Weise zu thun, daß sie sofort dem Gerichte Anzeige macht. So wie dieß geschehen ist, hat die gerichtliche Verfügung hier an die Stelle der polizeilichen einzutreten; die polizeiliche hört auf, und die Verwaltung der Rechtspflege tritt ein statt der Verwaltung der öffentlichen Sicherheit. Dieß ist allerdings nur ein allgemeines Princip. Das spezielle Recht erscheint dann in den besonderen Gesetzen der Sicherheitspolizei, die gerade hier sehr genau sind, um die Freiheit des Einzelnen gegen die Eingriffe des Polizeiverfahrens zu schützen. III. Das dritte Gebiet des gerichtlichen Polizeiverfahrens ist nun das Verfahren der Polizei bei handhafter That . Es bedarf keiner Erklärung, daß die Ergreifung des Thäters zugleich ein Gerichts- und ein verwaltungspolizeilicher Akt ist; jenes, um die Vollziehung der Strafe zu sichern, dieses, wo eine Wiederholung, Fortsetzung oder Er- weiterung des Verbrechens gehindert wird. Daß nun diese Ergreifung bei handhafter That zum Rechte des ge- richtlichen Polizeiverfahrens gehört, ist natürlich kein Zweifel. Betrachtet man dieselbe aber genauer, so zeigt es sich, daß sie sich in die drei Momente der Verhaftung, Beschlagnahme und Hausdurchsuchung auflöst. Denn nur in diesen Formen kann sie überhaupt stattfinden. Es folgt daraus, daß es neben dem Rechte dieser drei Akte der Sicherheitspolizei gar kein eigenes Recht der Ergreifung auf handhafter That geben kann. Wir verweisen daher auf diesen Theil unserer Darstellung und bemerken nur, daß wohl eben darum in den Gesetzgebungen keine weitere Ent- wicklung der für dieselbe geltenden Grundsätze aufgenommen ist. IV. Dieß nun sind die drei Formen, in denen die Aufgaben der gerichtlichen Polizei von den Organen der Verwaltungspolizei vollzogen werden. Die letzte und für das Strafverfahren vielleicht wichtigste Frage ist aber die über das Competenzverhältniß beider Organis- men der Verwaltung, des Gerichts und der Polizei. Indem wir nun auch diese Frage in ihrem speziellen Inhalt na- türlich der Strafproceßlehre überweisen, muß doch die Verwaltungslehre sich über das Princip klar sein, nach welchem dieses Competenzver- hältniß zu bestimmen ist. Und dieß Princip, obwohl es unseres Wissens nirgends ausgesprochen ist, ist dennoch eben so einfach als es wichtig ist. Das ganze Competenzverhältniß nämlich muß durch die Erfordernisse desselben Zweckes bestimmt sein, um dessentwillen überhaupt das Zusammenwirken beider Organe gefordert wird, die Entdeckung und Be- strafung der Verbrechen. Und da nun speziell für diese Funktion sich das eigene Institut der Staatsanwaltschaft herausgebildet hat, das die Be- dingungen und Forderungen für diese Bestrafung am besten kennt, so ist es die natürliche Folge, daß sich die Verwaltungspolizei im Dienste der Strafproceßordnung den Anweisungen der Staatsanwälte zu fügen und ihnen zu folgen hat , ohne daß damit die eigene Thätigkeit der Polizei ausgeschlossen wäre, so weit dieselbe mit den Anordnungen der Staats- anwaltschaft nicht im Widerspruch steht. Ein bloßes Recht zum „Er- suchen“ ist nicht ausreichend. Ebenso muß die wirkliche Thätigkeit der Polizei auf diesem Gebiete unter der Aufsicht des Staatsanwaltes stehen, so wie hier auch die Staatsanwaltschaft die Sorge zu tragen hat, daß die Anzeigen so schnell als möglich an die Gerichte gemacht werden, um aus dem polizeilichen Verfahren in möglichst kurzer Frist in das gerichtliche übergehen zu können. Wir glauben hier auf die Gesetze und Literatur nicht eingehen zu sollen, da das Ganze seine rechte Gestalt doch erst in einiger Verbin- dung mit dem Vorverfahren des Strafprocesses finden kann. Indeß muß doch hervorgehoben werden, daß die betreffenden Gesetze hier meistens sehr kurz sind und auf die einzelnen Punkte nicht eingehen, und daß eben so die strafprocessuale Literatur gleichfalls die Sache nicht erledigt. Die gesetzlichen Bestimmungen selbst sind zum Theil selbständig erlassen, zum Theil stehen sie in den verschiedenen Strafproceßordnungen, die meistens ganz allgemein den „ersten Angriff“ der Polizei zuweisen. Preußen : Verordnung vom 3. Januar 1849 §. 4. Kurhessen : Gesetz vom 22. Juli 1851 §. 145. Sachsen : Strafproceßordnung §. 76. Weimar : Strafproceßordnung von 1850 §. 39. Braunschweig : Straf- proceßordnung §. 23. 25. Bayern : Strafgesetzbuch Art. 19. Baden : Strafproceßordnung §. 51 u. ff. Die Begränzung des kurhessischen Gesetzes auf solche Handlungen, „deren Zweck durch richterliche Handlun- gen nicht erreichbar“ sein soll, ist unklar. Vergl. Sundelin , die Habeas- Corpus-Acte in der deutschen Strafproceßordnung von 1862 §. 4. Der Code d’Instr. Crim. sagt eigentlich gar nichts über das Verhältniß, als daß die „police judiciaire d. i. die recherche des crimes, delits et contraventions) sera exercée sous l’autorité des cours“ (Art. 8, 9). Darnach wieder Belgien und Holland, während in England sehr ge- naue Instruktionen, die bis ins Einzelnste gehen und höchst lehrreich sind, namentlich für die Londoner Polizei bestehen. Sie sind in treff- licher Weise gesammelt im Instruktionsbuche der Polizeiwache der Haupt- stadt London 1849, das man bei dahin einschlagenden Verfügungen als ausgezeichnetes Material benützen sollte. — Was die geheime Polizei betrifft, so ist die Frage nach derselben mit Unrecht ganz aus der Rechts- lehre verschwunden; es ist nicht überflüssig, die oben angeführten Punkte auch jetzt noch festzuhalten; nur darf man die historische Auffassung mit der systematischen nicht verschmelzen oder gar verwechseln. Ueber die ersteren siehe eine Menge eben nur vom angeführten historischen Standpunkte verständlicher Schriften und Streitigkeiten zusammengestellt bei Klüber , öffentliches Recht §. 381. Grävell , über höhere, ge- heime und Sicherheitspolizei 1820. Zachariä (deutsches Staatsrecht II. 180) faßt sie noch als „Nothrecht“ des Staats. Klüber gleichfalls a. a. O. Zachariä , 40 Bücher. IV. 294. Bei Zöpfl verschwindet sie. Meist die vorherrschende Meinung früherer Zeit, daß die höhere Sicherheitspolizei stets eine geheime sein müsse ( police haute ou géné- rale ). Aretin (Constitutionelles Staatsrecht II. 2. Abth.) charakterisirt am besten und zugleich am kürzesten, was man im Anfange unseres Jahrhunderts sich unter der geheimen Polizei (auch specifisch die „hohe“ Polizei genannt) dachte, und citirt die Publicisten, die den Kampf gegen dieselbe leiteten. In Frankreich war die geheime Polizei aus einem Organe der Sicherheit geradezu zu einem Organe der systematischen Reaction gegen die constitutionelle Entwicklung geworden. Daher heftiger Kampf gegen dieselbe. Im französischen Budget von 1824 waren noch 2½ Mill. für geheime Polizei aufgeführt. Mohl II. 189 ist sich offenbar nicht mehr klar geworden. Seit 1848 sind Namen und Be- griff verschwunden und die einzelnen Gesetze an ihre Stelle getreten. — Gute Zusammenstellung bei Rönne , preußisches Staatsrecht I. 52. Schon im vierten Rheinischen Landtag (3. März 1835) ward versprochen, daß keine geheime Polizei eingeführt werden solle; namentlich nicht für Briefe. Die speziellen Rechtsbestimmungen folgen unten. 3) Das Verfahren der Polizeigerichte . Es liegt wohl schon in dem von uns aufgestellten Begriff der Polizei und seinem Unterschiede von der Rechtspflege von selbst, daß wir mit dem Verfahren der Polizeigerichte als zweiter Form des Ver- hältnisses der Polizei zum Gerichtswesen uns hier nicht beschäftigen. Ob nun die Organisirung selbständiger Polizeigerichte richtig oder nicht richtig sei, und welches Verfahren dabei stattfinden solle, immer ist es gewiß, daß die Funktion eines vorhandenen Polizeigerichts eben eine gerichtliche ist, und daher nur deßhalb hier erwähnt werden muß, weil eben dieselben Organe diese gerichtliche Funktion vollziehen, welche die Verwaltungspolizei besorgen. Wir würden daher mit dieser Be- merkung dieß ganze Gebiet als erledigt ansehen, wenn nicht die Sache durch das, was wir als wesentlichen und tiefgehenden Unterschied des peinlichen und polizeilichen Strafrechts aufgestellt haben, uns nöthigte, hier eine Ansicht auszusprechen, die nicht bloß die Klarheit der Sache, sondern in eigenthümlicher Weise auch die Unklarheit der Gesetze und des bestehenden Rechts für sich hat, und für eine vernünftige Entwick- lung des innern Lebens der Staaten keinesweges gleichgültig ist. Es ist von jeher und mit Recht die Scheidung der Rechtspflege von der Verwaltung als eines der Hauptkriterien des staatsbürgerlichen Rechtslebens angesehen. Im Grunde drückt diese Forderung in ihrer Weise nur das aus, was wir als den organischen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung bezeichnet haben. Derselbe große Proceß des Fortschrittes im öffentlichen Recht, der sich hier Bahn gebrochen, hat sich nun auch, wie wir dargelegt, im Polizeistrafrecht Geltung ver- schafft. Seine erste Aeußerung war auf diesem Punkte die, das Ver- waltungsstrafrecht in das peinliche Strafrecht als Theil desselben hinüber zu nehmen, bis erst in neuester Zeit die von der Natur der beiden großen Strafprincipien des Verbrechens und Ordnungsrechts geforderte Unterscheidung und Scheidung wieder in den selbständigen Polizeistrafgesetzbüchern zur Erscheinung kam. Die natürliche Folge jener vom Code Pénal eingeführten Einverleibung des Verwaltungs- strafrechts in das peinliche war natürlich die, daß nun auch jedes im Strafgesetzbuch aufgeführte Ordnungsvergehen von denselben Ge- richten beurtheilt werden mußte, welches die eigentlichen Verbrechen beurtheilte. So entstanden alle den tribunaux en matière criminelle nachgebildeten untersten Strafinstanzen. Die Sache war nothwendig, um nur überhaupt das Recht des Gesetzes gegenüber dem der Verord- nung zur Geltung zu bringen. Allein es zeigte sich bald, daß das peinliche Strafgesetzbuch eben kein Verwaltungsstrafgesetzbuch sein könne , auch wenn man es wollte. Die specifische Natur des Ordnungsstraf- rechts brach sich Bahn theils in den Polizeistrafgesetzbüchern, theils aber auch in dem, was wir die allgemeinen Ordnungsstrafen und das Recht der Polizeibehörden auf Erlaß solcher Strafverfügungen genannt haben. Selbst in Frankreich war ein solches Ordnungsstrafrecht nicht zu vermeiden. Und jetzt mußte die Frage entstehen, ob denn wirklich auch diese Strafen durch die Gerichte bestimmt werden sollten. Die Antwort war fast allenthalben eine negative . Frankreich selbst ging mit seinem Beispiel voran, und schied in der Competenz der Gerichte, was es im Strafrecht nicht zu unterscheiden gewagt hatte, den Begriff der Ordnungsstrafe von dem der peinlichen Strafe. Der Code d’Instr. Crim. stellt nämlich bekanntlich die tribunaux de Police selbständig neben die tribunaux en matière correctionnelle und zwar so, daß die kleineren Ordnungsstrafen von dem Juge de paix und dem Maire „concurrement“ auf Grundlage eines gerichtlichen Verfahrens entschieden werden, während die tribunaux de Police correctionnelle competent werden mit 5 Tagen Gefängniß. Offenbar, ein solcher wesentlicher Unterschied war nur möglich, indem man zugleich den Unterschied der Verwaltungsstrafe von der peinlichen festhielt — und hat darnach, wie wir gesehen, der Maire das Recht behalten, Verfügun- gen zu erlassen, über die er dann nach Art. 166 des Code d’Instr. Crim. selbst wieder zu Gericht saß, und zwar als ganz formelles Gericht mit suspensivem Appell an die tribunaux . Im Grunde war damit die Frage eigentlich entschieden. Die Verwaltungs-Strafgerichtsbarkeit ist eine Verwaltungs-Jurisdiction , die peinliche gehört dem pein- lichen Gericht. Das, worauf es bei den Ordnungsstrafen ankommt, ist nicht das, daß sie gerade vor dem peinlichen Gericht verhandelt werden, sondern daß sie ein gesetzmäßiges öffentliches Ver- fahren mit Appellationsinstanz haben. Die Competenzgränze zwischen dem Polizei- und dem peinlichen Gericht muß in demjenigen gefunden werden, was das Strafgesetzbuch aufnimmt; es ist naturgemäß, daß das Urtheil über die allgemeinen Ordnungsstrafen nicht dem peinlichen Gericht übergeben werde. Es folgt daraus, daß es große Bedenken hat, das Verwaltungsstrafrecht in gar zu weitem Umfang in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Es ist entschieden richtiger , dasselbe in selbständigen Polizeistrafgesetzbüchern hinzustellen und mit einer guten Einleitung zu versehen, die formalen Grundsätze des Ver- fahrens zu fixiren und dann die Rechtspflege des Verwaltungsstraf- rechts eigenen Polizeigerichten zu überlassen, bei deren Bildung nur der Gedanke festzuhalten ist, daß das strafandrohende Organ, die Po- lizei, nicht allein entscheidet. Daß ein Organ über die Anwendung seiner eigenen Androhung entscheidet, kommt ja auch bei dem Gericht vor, und ist principiell nicht zu vermeiden, aber auch nicht bedenklich, wenn ein gutes Gesetz vorliegt. Die absolute Scheidung der Ver- waltungs- von der Gerichtsthätigkeit ist daher weder theoretisch noch praktisch nothwendig oder durchführbar. In allen Gebieten des wirk- lichen Lebens gibt es Punkte, auf denen die Funktionen in einander übergehen. Doch, wie gesagt, kann die Verwaltungslehre hier nicht weiter als bis zur Anregung der Sache gelangen. Sie wird, eben weil sie doch am Ende mit den höheren Gesichtspunkten innig zusammenhängt, erst dann zur klaren Entscheidung gelangen, wenn die allgemeine Straf- rechtslehre das Verbrechen und die peinliche Strafe von der Ueber- tretung und der Ordnungsstrafe, das peinliche Gesetz von der Straf- verordnung, und damit dann das peinliche Gericht und sein Verfahren von dem Ordnungsgerichte scheiden wird. 4) Das verwaltungspolizeiliche Verfahren und das öffentliche Waffenrecht . Nachdem nun die beiden andern Formen der Thätigkeit der Po- lizei selbständig hingestellt sind, wird es keine Schwierigkeit mehr haben, nunmehr das eigentliche verwaltungspolizeiliche Verfahren mit seinem eigenen Recht zu bestimmen. Das eigentliche (verwaltungs-) polizeiliche Verfahren ist nun die- jenige Thätigkeit, vermöge welcher die Polizei ihre eigenen Verfügun- gen verwirklicht. So lange das Objekt dieser Thätigkeit ein bloß sachlicher Zustand ist, ist natürlich auch von einem Recht keine Rede. Das Recht des polizeilichen Verfahrens beginnt da, wo die Thätigkeit der Polizei zum Zweck der Vollziehung ihrer Verfügung eine Beschränkung der persön- lichen Freiheit vornimmt. Die Gränze dieser Beschränkung ist dann das Recht des Polizeiverfahrens. Daß eine solche stattfinden muß, wenn die öffentliche Ordnung nicht von der Willkür Einzelner abhängig sein soll, ist klar, und niemals bestritten; daß ferner in dem Wesen dieser Thätigkeit eine unvermeidliche Unbestimmtheit liegt, und daß diese Unbestimmtheit es ist, welche die Freiheit der Staatsbürger bedroht, bedarf keines Beweises. Die Bestimmungen für das Polizeiverfahren sind daher Sache der bloß objektiven Zweckmäßigkeit, insofern es sich um die materiellen Verhältnisse handelt; so wie sie dagegen die Freiheit des Staatsbürgers betreffen, so werden sie zu einem öffentlichen Recht. Und das allgemeine Princip dieses Rechts ist unzweifelhaft. Die in dem Polizeiverfahren liegende Beschränkung der persönlichen Freiheit darf nur so weit gehen, als es nöthig ist , um die Vollziehung der polizeilichen Verfügung wirklich zu vollziehen, und nicht weiter. Die allgemeine Polizeirechtswissenschaft hat daher die Aufgabe, im Interesse der persönlichen Freiheit diese Gränze festzustellen. Offenbar kann nun dieß nur geschehen, indem dieselbe die Thätigkeit der Polizei nicht den materiellen Zwecken, sondern dem Willen und der Thätigkeit des Einzelnen selbst gegenüber gedacht wird. Die Elemente, die in diesen liegen, bilden die Theile des Rechts für das Polizeiverfahren, und geben zugleich den Inhalt desselben ab. Offenbar nun hat dieß Verfahren darnach zwei Stadien. Zuerst muß die Polizei sorgen, daß das rechtliche Nothwendige auch ohne den Willen des Betreffenden geschehe; zweitens muß sie den Widerstand, den ihr die Thätigkeit des Einzelnen (als der erscheinende Wille) ent- gegensetzt, durch Anwendung ihrer Kraft bezwingen. Wo das erste ausreicht, ist das zweite überflüssig, und wenn es dennoch geschieht, sogar unrechtlich. Das Recht des Polizeiverfahrens hat daher zwei Theile. Den ersten nennen wir das Vollzugsrecht , den zweiten das Zwangs- recht , das in das öffentliche Waffenrecht übergeht. Die Gesetzgebungen sind auf diesem Gebiete eben so mangelhaft, als die bisherige Literatur. Jene schweigen meistens ganz, mit Aus- nahme der Bestimmungen über das Waffenrecht, indem sie die Aus- führung im Einzelnen dem Ermessen der Polizeiorgane überlassen. Diese dagegen hat sich auch mit dem letzteren nur in einzelnen Fällen be- schäftigt. Dennoch ist die Sache von großer Bedeutung für die öffent- liche Sicherheit sowohl, als für die individuelle Freiheit, und bestimmt, einen wesentlichen Theil der Wissenschaft des Polizeirechts zu bilden. Uebrigens gestehen wir gerne, daß unsre Quellen nicht weit genug reichen, um mit aller Bestimmtheit ein Urtheil über alle bestehenden Gesetze abgeben zu können. Die Wissenschaft hat auch hier sich noch viel zu wenig mit der Vergleichung des Bestehenden abgegeben. a ) Das polizeiliche Vollzugsrecht im Allgemeinen. Bei der Begriffsbestimmung des polizeilichen Vollzugsrechts tritt uns zuerst als Grundlage des letzteren das Verhältniß desselben zum Zwangsrecht entgegen, das für das gesammte Polizeiverfahren maß- gebend ist. Da es sich bei der öffentlichen Ordnung nämlich nicht um den Willen des Einzelnen, sondern um die Thatsache handelt, durch welche die öffentliche Ordnung bedroht wird, so folgt, daß der erste Zwang gegen den Willen der betreffenden Person, der zweite gegen die Sache, und erst der dritte gegen die Person selbst gehen muß, indem ein Zwang gegen die Person so lange ungerechtfertigt ist, als die Polizei das von ihr Geforderte auch ohne solchen persönlichen Zwang erzielen kann. Das Vollzugsrecht muß daher folgende Stufen haben. Das erste Stadium ist das der polizeilichen Anordnung , welche mit dem in dem allgemeinen Ordnungsstrafrecht liegenden, aber auch einer bestimmten Strafandrohung als entferntestes, rein auf den Willen des Betreffenden bezüglichen Zwangsmittel versehen sein kann. Wir müssen dabei annehmen, daß wenn auch keine Strafandrohung ausgesprochen ist, dennoch von dem Polizeigerichte auf eine solche er- kannt werden kann, sobald überhaupt die allgemeine Ordnungsstrafe in das System des Polizeistrafrechts aufgenommen ist (s. oben). Das ist übrigens ein weiterer Grund, dieselbe gesetzlich anzuerkennen, und dabei jenes System zu completiren. Das zweite Stadium besteht dann darin, daß die Polizei die an- geordnete Vornahme auf Kosten des Betreffenden selbst vornehmen läßt. Es muß sich nach dem Wesen der abzuwendenden Gefahr richten, ob und wann dieß geschehen soll. Dabei ist ohne Zweifel festzuhalten, daß eine solche Vornahme den Betreffenden nicht von der Anwendung der allgemeinen Ordnungsstrafe befreit; jedoch dürfte gegen die Verur- theilung zu der letzteren in solchem Falle stets die Einwendung gelten, daß der Beklagte nicht im Stande war, aus einem nachweisbaren äußeren Grunde der polizeilichen Anordnung Folge zu leisten. Mit diesen beiden Schritten ist nun das polizeiliche Vollzugsver- fahren erschöpft, womit der Zweck der Polizei erreicht ist. Das Zwangs- verfahren kann in dem Sinne des speziellen Zwanges immer erst in dem folgenden Falle eintreten. Von den uns bekannten Gesetzgebungen hat zunächst Oesterreich die obigen Elemente ziemlich systematisch und genau anerkannt und ausgeführt in der „Vorschrift für die Vollstreckung der Verfügungen und Erkenntnisse der politischen und polizeilichen Behörden“ (Verord- nung vom 20. April 1854), obwohl der §. 7 noch immer zu gewissen Unsicherheiten Anlaß gibt, da er neben der Vollziehung auf Kosten des Betreffenden und neben der allgemeinen Ordnungsstrafe des §. 11 noch den Behörden gestattet, „die zum Zwecke führenden Vollzugs- und (?) Exekutionsmittel in Anwendung zu bringen.“ Das Verfahren in den zur politischen Amtshandlung gehörigen Uebertretungsfällen ist weiter geregelt durch Verordnung vom 5. März 1858. (S. Stubenrauch , österreichische Verwaltungsgesetzeskunde I. §. 158.) Das bayerische Poli- zeistrafgesetzbuch §. 30 ist nicht bloß kürzer, sondern auch juristisch besser gefaßt. Das badische stellt sich wesentlich auf den Standpunkt der Vollzugserzwingung durch Strafe (§. 30. 31); was nicht ausreicht, selbst wenn man in dieser Strafandrohung so weit geht, der Polizei das Recht auf eine 24stündige Verhaftung zu geben. — Der in dem Code d’Instr. Crim. mehrmals gebrauchte Ausdruck, daß derjenige, der sich nicht gehorsam zeigt, „sera contraint“ — natürlich von der con- trainte par corps zu unterscheiden — läßt sich eigentlich juristisch nicht weiter definiren. b ) Das persönliche Zwangsrecht. Dem Obigen entsprechend tritt nun der Zwang gegen die Person erst da ein, wo der Zwang gegen den Willen derselben oder die eigene polizeiliche Vollstreckung nicht mehr ausreichen. Welcher Art nun diese Anwendung physischen Zwanges gegen die Person sein müsse, läßt sich natürlich gar nicht weiter bestimmen, als daß derselbe gerade in der Art und in der Weise vorkommen müsse, um das von der Polizei als nothwendig Erklärte wirklich herzustellen; z. B. gewaltsame Entfer- nung von einem verbotenen Wege, gewaltsame Entreißung gewisser Gegenstände, gewaltsame Hinderung der Flucht durch Fesseln ꝛc. Die Gränze und Form, und damit das Recht des Zwanges beruhen hier auf dem einzelnen Fall . Nur der allgemeine Grundsatz gilt, daß der Zwang innerhalb der Gränze des Nothwendigen zu bleiben habe. Ein wesentlich verschiedenes Stadium tritt dagegen da ein, wo von Seiten des Betreffenden der Funktion der Polizei mit thätlicher Widersetzlichkeit begegnet wird. Auf diesem Punkte nun sind zwei Fälle möglich, welche gleichfalls ein verschiedenes Recht enthalten. Der erste Fall ist der, wo die Thätigkeit des Widerstandes bis zum direkten Angriffe gegen das polizeiliche Vollzugsorgan geht. Es ist kein Zweifel, daß in diesem Falle eigentlich der Begriff des Zwangs- rechts wegfällt, und an seine Stelle der Begriff und das Recht der Nothwehr für das Polizeiorgan eintritt. Die Frage nach der Be- strafung der in jenem Falle enthaltenen Widersetzlichkeit gegen den Beamteten muß dabei natürlich für sich behandelt werden. Aber schon bei dieser Frage nach der Nothwehr kommt das Recht der Waffe in Betracht, wie wir sogleich sehen werden. Der zweite Fall ist der, wo sich der Betreffende durch gewaltsame Thätigkeit der Funktion des Polizeiorganes entziehen will. Auf diesem Punkte ist die Gränze zwischen den erlaubten und nicht erlaub- ten Zwangsmitteln im Allgemeinen gar nicht zu ziehen, und zwar deßhalb nicht, weil jenes sich Entziehen eben so gut wie die thätliche Widersetzlichkeit unter die Kategorie des Widerstandes fällt. Nun muß man zugeben, daß es in der Natur des thätlichen Widerstandes liegt, keine objektive Gränze zwischen den einzelnen Akten des physischen Kampfes mehr zuzulassen. Es ist die von beiden Seiten entfesselte materielle Kraft, die elementare und mechanische Gewalt, in deren Bewegung die einzelnen Aktionen ununterscheidbar in einander über- gehen, und bei der es doch unzweifelhaft ist, daß das öffentliche Organ verpflichtet ist, ein größeres Maß von mechanischer Kraft anzu- wenden, als ihm entgegengesetzt wird. Es muß daher als allgemeiner Grundsatz angenommen werden, daß um ein Unrecht von Seiten des letztern zu constatiren, der Beweis von Seiten des Gezwungenen geliefert werden muß, daß die physische Kraftanwendung des öffentlichen Organes nicht nöthig war, und daß jede in derselben gegebene Ver- letzung der Person so lange strafbar bleibt, bis dieser Beweis wirklich von derselben geliefert ist. Für den Beweis selbst müssen indeß alle regelmäßigen Grundsätze der Beweisführung gelten. Dieß alles wäre nun einfach, wenn nicht die Betheiligung der öffentlichen Organe mit Waffen hier ein neues Gebiet eröffnete. c ) Begriff und systematische Gestalt des polizeilichen Waffenrechts. Das polizeiliche Waffenrecht beruht zunächst auf dem Wesen der Waffe selbst; zweitens auf dem Wesen der öffentlichen Betheiligung mit der Waffe. Die Natur der Waffe nämlich enthält das Mittel und damit den Ausdruck der an sich nicht mehr begränzten Zwangsgewalt, die denn vermöge der Waffe bis zur Tödtung gehen kann. Die öffentliche Betheiligung mit der Waffe bedeutet dann das Recht des zwingen- den Organes, die Waffe eben jener Natur nach auch wirklich anzu- wenden. Der Begriff eines öffentlichen Waffe nrechts enthält demnach die Frage, ob es bei der öffentlichen Betheiligung mit der Waffe noch eine objektive Gränze für die Anwendung derselben gebe, und wo dieselbe zu setzen sei. Die Nothwendigkeit der Aufstellung eines solchen Waffenrechts beruht wiederum auf demselben Grunde, aus dem das Polizeirecht überhaupt hervorgeht, nämlich darauf, daß die Waffe als rein physisches Element an sich in ihren Folgen für den, gegen den sie gebraucht wird, unbegränzt und unberechenbar ist, und daß das Zulassen des Waffengebrauches daher das Zulassen ganz unbegränzter Zwangsgewalt gegen die Person wird, bei welcher alsdann die Gränze, die sich das Exekutivorgan setzen will, ganz in dem subjektiven Er- messen des letztern liegt. Und hier ist daher der Punkt, auf welchem ein öffentliches Waffenrecht entstehen, und die Frage entschieden werden mußte, ob und wie weit eine gesetzliche Vorschrift über jene Gränze an die Stelle des individuellen Ermessens des Polizeiorgans treten könne. Diese Frage war dem vorigen Jahrhundert eine fast ganz unbe- kannte. Ihre Erledigung im Sinne eines Theiles des öffentlichen Rechts, und mithin als ein Theil des verfassungsmäßigen Verwaltungs- rechts gehört erst der Zeit an, wo die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Staatsbürger gegenüber der selbständigen Staatsgewalt gesetz- lich auf allen Punkten formulirt wird. Das verfassungsmäßige Waffen- recht ist daher, wie dieß ganze verfassungsmäßige Polizeirecht, ein Recht der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung. Die Grundlage der Rechtsbildung für dieß öffentliche Waffenrecht ist nun an sich sehr einfach; aber es ist wichtig, sie theoretisch festzuhalten, weil sich nur daran künftig eine klare und ausreichende Gesetzgebung über dasselbe anschließen kann. Diese Grundlage besteht nämlich darin, daß der Gebrauch der Waffe von den übrigen Exekutionsmitteln zuerst geschieden und dann in seinen Hauptformen selbständig behandelt wird, in der Weise, daß jede dieser Hauptformen wieder ihr besonderes öffentliches Waffenrecht bekommt. Diese Hauptformen sind nun erstlich die Benutzung der militä- rischen Assistenz , zweitens die Aufstellung der Gendarmerie als selbständiges Organ für den polizeilichen Waffendienst, und drittens das Waffenrecht einzelner Polizeiorgane. Die leitenden Grundsätze sind dabei, daß kein Vollzugsorgan Waffen ohne öffentliche Betheiligung führen darf, daß die Anwen- dung der Waffe daher regelmäßig dem polizeilichen Waffencorps der Gendarmerie und nur bei gesetzlichen Ausnahmen den einzelnen Polizeiorganen zusteht, und daß die militärische Assistenz an bestimmte gesetzliche Formen gebunden ist. Diese drei Grundlagen gelten wohl praktisch allenthalben. Allein sie sind verhältnißmäßig wenig ausgebildet, und zum Theil nur in den einzelnen Fällen der Sicherheitspolizei ge- nauer bestimmt worden. 1) Die militärische Assistenz. Das Recht der militärischen Assistenz hat zwei Stadien durchge- macht, welche, von Frankreich ausgehend, im preußischen Recht in sehr bestimmter Weise formulirt, in den übrigen Staaten dagegen, so viel wir sehen, noch im öffentlichen Recht zu keiner Klarheit gediehen sind. Vor der Einführung der Gendarmerie nämlich vertrat das reguläre Militär in allen Fällen die Anwendung der Waffengewalt, und ob- wohl darüber keine uns bekannte Gesetze bestanden, wurde es allenthalben als selbstverständlich angenommen, daß das Militär den Aufforderun- gen der Behörden zu folgen haben, so wie dieselben erklärten, mit ihren Mitteln nicht mehr für die öffentliche Ordnung einstehen zu können. Die Einführung der Gendarmerie ändert dieß Verhältniß wenigstens für Preußen dahin, daß die Verwaltungs- und Justizbehörden, wenn die Nothwendigkeit der Waffenanwendung eintritt, sich nur an die Gendarmerie zu wenden und dieser die anderweitige Requisition der bewaffneten Macht zu überlassen haben. Den ersten Standpunkt drückt die preußische Verordnung vom 26. December 1808 (§. 48) und die allgemeine Gerichtsordnung (Tit. 24. Thl. I. §. 148—150) aus; letztere jedoch schreibt noch vor, daß die Gerichte, ehe sie solche Hülfe eigenmächtig nachsuchen, sich erst an die Gerichte erster Instanz wenden und diese Stein , die Verwaltungslehre. IV. 5 wieder bei dem Justizminister anfragen sollen. Das Unpraktische in diesem Verhältniß ward mit der Organisation der Gendarmerie besei- tigt, durch welche die letztere jeder Behörde auf ihre Requisition Hülfe zu leisten hat. Das Recht des Militärs zum Waffengebrauch ist dann schließlich durch die Verordnung vom 20. März 1837 genau be- stimmt, die einzelnen Fälle genau aufgeführt und dabei §. 8 der all- gemeine Grundsatz ausgesprochen, „daß es von seinen Waffen nur so weit Gebrauch machen darf, als es zur Erreichung des gegebenen Zweckes erforderlich ist.“ Die Beurtheilung dieser Frage ist jedoch den Militärorganen selbst überlassen. Genauer bei Rönne , preußisches Staatsrecht I. §. 52. Diese Bestimmungen sind ganz geeignet, als Muster für das Recht des militärischen Waffengebrauches zu dienen; nur Eins fehlt, nämlich die Entscheidung der Frage, nach welchen Grundsätzen die Haftung und Verantwortlichkeit des Militärs bei Ueberschreitung der obigen Gesetze stattfinden soll. In dieser Bezie- hung ist die österreichische Gesetzgebung klarer. Die einzige Be- stimmung ist das Rescript vom 8. October 1844. Nach diesem Rescript soll die „ wirkliche Anwendung der Waffengewalt“ bei „Assistenz-Commanden“ als „erste Hauptregel nur da eintreten, wo der politische Commissär (?), der für die Anwendung in erster Linie (?) verantwortlich ist, sein Einschreiten selbst als unfruchtbar erklärt.“ Der zweite Fall ist da, wo das Militär selbst angegriffen wird. (S. das Nähere bei Ign. Maucher , das österreichische Strafgesetz sammt Gesetz und Verordnung. Wien 1847.) Dasselbe enthält noch spezielle Vor- schriften über die Anwendung der Waffe, läßt aber jene „Verantwort- lichkeit“ im Uebrigen doch unerörtert. Die französische Gesetzgebung hat einen etwas andern Standpunkt. Hier ist jeder bei Strafe ge- zwungen, den öffentlichen Organen im Falle öffentlicher Gefahr physische Hülfe zu leisten. Code Pénal, Art. 475. c. 12. Die Requisition des Militärs ist dagegen in den einzelnen Bestimmungen des Code d’Instr. Crim. als Theil des Strafrechts aufgefaßt. Die „force publique est tenue de marcher sur la réquisition contenue dans le mandat d’amener.“ Code d’Instr. Crim. 99. vgl. 108. 376.) Eine Ver- antwortlichkeit der bewaffneten Gewalt dürfte schwer nachzuweisen sein. Ueber den Tumult s. bei der Sicherheitspolizei. Hollands militäri- sches Assistenzrecht ist theils im Gemeindegesetz (Art. 184. 185), theils im Strafproceß (Art. 102) principiell, und durch eine eigene Instruktion aus- führlich geordnet. De Bosch-Kemper , Staatsregt §. 342. Der Bür- germeister als Haupt der örtlichen Polizei kann auch die Bürgerwehr ( schuttery ) berufen ( ib. §. 196). 2) Die Gendarmerie. Das Institut, welches wir jetzt als Gendarmerie bezeichnen, ist nicht neu. Schon Berg hat in seinem Handbuch des T. Polizeirechts Instruktionen für die „Hatschiere“ und „Landdragoner“ mehrerer deut- schen Staaten aus dem vorigen Jahrhundert mitgetheilt. Das, was demselben in unserem Jahrhundert aber seine eigentliche Bedeutung gab, ist sein Verhältniß zum öffentlichen Waffenrecht. Die Aufstellung der Gendarmerie bedeutet nämlich die Trennung des zur Anwendung der Waffe speziell bestimmten Vollzugs- organes von allen übrigen Polizeiorganen. In der Gendarmerie er- scheint das polizeiliche Waffenrecht als ein selbständiger Körper; mit ihr wird die Anwendung der Waffe zur Ausnahme im ganzen übrigen Ge- biet des polizeilichen Vollzugs; die Möglichkeit, die Waffe nach Ermessen anzuwenden, ist damit den letzteren grundsätzlich entzogen, und dem entspricht die weitere Consequenz, daß da, wo einem Polizeiorgan jetzt noch eine Waffe gegeben wird, dieselbe, wenn nicht ausdrückliche Gesetze entgegenstehen, nicht mehr als Zwangsmittel, sondern nur als Mittel des Schutzes bei voraussichtlichen Fällen der Nothwehr gebraucht werden soll. In diesem Sinne ist das Aufstellen der Gendarmerie ein keineswegs unwesentlicher Fortschritt, und das Recht derselben bildet damit einen integrirenden Theil des öffentlichen Zwangs- und Polizei- rechts. Dieses Recht nun stellt sich in folgenden Hauptgesichtspunkten dar. Zuerst enthält es das Princip seiner inneren Organisation; dann sein Verhältniß zu der polizeilichen Vollziehung; dann seine selbständige polizeiliche Thätigkeit, und endlich sein spezielles Waffenrecht, so weit ein solches besonders zur Erscheinung kommt. Alle diese Punkte beruhen nun gemeinschaftlich auf dem oben bezeichneten Wesen der Gendarmerie als selbständigem Organ des öffentlichen Waffenrechts. Was zuerst die innere Organisation derselben betrifft, so mußte die Gendarmerie, als eine für die Waffen bestimmte und daher aus dem Heere hervorgehende Anstalt, innerlich militärisch organisirt bleiben. Die Grundlage dieser militärischen Organisation war dabei formell die des Heeres in der Bildung, der Vertheilung, der Sub- ordination und der höchsten Leitung des ganzen Körpers. Materiell fand dem entsprechend, auf Recht und Disciplin der einzelnen Glieder dieses Körpers, das militärische Recht und Verfahren Anwendung. So stellte sich die Gendarmerie ganz selbständig und eigengeartet neben die übrige Polizei. Wenn darin nun einerseits ein Element ihrer Kraft lag, so war freilich damit andrerseits gerade durch diese Verschiedenheit die Schwierigkeit gegeben, das Verhältniß der Unterordnung und Com- petenz der übrigen Polizei, gegenüber diesem militärischen Körper, gut zu organisiren. Dieß Verhältniß nun erscheint als ein zweifaches. Zuerst hat die Gendarmerie eine selbständige polizeiliche Funktion. Sie soll allenthalben und ohne besondere Aufforderung da einschreiten, wo die öffentliche Ordnung in der Weise bedroht erscheint, daß voraussichtlich die Waffe selbst, oder doch die Furcht vor derselben als Mittel des Zwanges nothwendig wird. Zweitens aber ist die Gendarmerie eben ihrer Natur nach dazu bestimmt, den übrigen Voll- zugsorganen zu Hülfe zu kommen, wo der waffenlose Vollzug nicht ausreicht. Dieß nun muß sie natürlich auch da thun, wo diese Hülfe ihr auch ohne Aufforderung als nothwendig erscheint; es muß daher als rechtlicher Grundsatz angenommen werden, daß allenthalben , wo irgendwie Gewaltthätigkeiten, sei es gegen Vollzugsorgane, sei es gegen Einzelne, vorkommen, es in der öffentlichen Pflicht der Gendarmerie liegt, einzuschreiten. Die Gendarmerie aber bildet dann, wo diese Hülfe ausdrücklich von den Behörden gefordert wird, natür- lich die erste und naturgemäße Stellvertretung der militärischen Gewalt. Ueber alles dieß ist wohl kein Zweifel. Die Frage besteht wohl nur noch in dem Verhältniß der Funktion derselben, als selbständigen polizeilichen Körpers, zu der der übrigen Polizei. Und hier wird man scheiden müssen. Daß die Gendarmen eigene Beobachtungen und Be- richte zu machen haben, ist klar. Es fragt sich nur, welcher Stelle sie dieselben mittheilen sollen. Das Natürliche ist, daß sie verpflichtet sein sollten, der Verwaltungsbehörde dieselben mitzutheilen, wenn die- selbe sie ausdrücklich dazu auffordert , solche Beobachtungen zu machen. Es scheint aber zweitens, daß sie zu jeder Funktion des Vollzugs be- rechtigt sind, die nicht eine besondere Polizeiverfügung fordert, denn diese kann nur von den Polizeiorganen ausgehen. — Was endlich die Anwendung der Waffe betrifft, so muß dieselbe ihrer Natur nach der Gendarmerie überlassen bleiben; jedoch soll das Correlat dieses Rechts in der strafrechtlichen Haftung für diese Anwendung bestehen, bei der der Grundsatz streng durchgeführt werden muß, daß über jede wirkliche Anwendung der Waffe sogleich vom Polizeigericht ein genaues Protokoll aufzunehmen ist, das der eventuellen weiteren Untersuchung um Grunde lie gt. Die Erkenntniß von der großen Bedeutung dieses Organs, einer- seits für die öffentliche Sicherheit, aber auch zweitens für die Freiheit der Staatsbürger, ist zwar allgemein, hat aber doch noch nicht eine selbständige Beachtung in der allgemeinen Literatur hervorgerufen. Wenn einerseits das Gute in der Aufstellung der Gendarmerie liegt, daß sie die Waffenanwendung auf dieß bestimmte Organ beschränkt hat, so ist andererseits die bedenkliche Folge nicht zu verkennen, daß der von diesem militärischen Organe geforderte Gehorsam zugleich den Charakter eines militärischen annimmt, da derselbe wenig geneigt ist und sein kann, die Grundsätze des staatsbürgerlichen Gehorsams mit seinem Recht auf passiven Widerstand anzuerkennen. Dieses Bedenken aber liegt so tief in der Natur des Organs selber, daß es nicht möglich ist, es durch seine innere Organisation zu ändern; denn diese muß vermöge der Waffe eine militärische sein. Das einzige Gegengewicht dagegen, das zugleich das an sich richtige Wesen derselben nicht ändert, ist die genaue Competenzbestimmung zwischen ihr und der Polizei, und zweitens die Verpflichtung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem bürger- lichen, und nicht militärischen Gericht, für den wirklichen Gebrauch der Waffe. Während der erste Theil meist trefflich organisirt ist, läßt der zweite sehr viel zu wünschen übrig. Die erste Organisirung und Com- petenzbestimmung ist schon im Code d’Instr. Crim. gegeben, ( art. 32—46 und 48—49); genau ausgeführt im neuesten Decret vom 1. März 1854, speziell Art. 238—268. Die leitenden Grundsätze sind: die Officiere der Gendarmerie haben als Organe der gerichtlichen Polizei die Compe- tenz zu allen Akten des procureur; in Betreff der Verwaltungspolizei haben sie die Assistenz zu leisten, jedoch nur auf eine gesetzlich vorge- schriebene formelle Aufforderung, Decret von 1854, Art. 91, 95. Die ver- waltungs polizeilichen Berichte sind dem Préfet resp. Souspréfet (alle 5 Tage) abzustatten; die größern Störungen und Gefährdungen der öffent- lichen Sicherheit sind dem Kriegsminister (!) zugleich mitzutheilen; in Beziehung auf die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung hat sie jedoch wieder vom Minister des Innern ihre Instruktionen zu empfangen, speziell in Beziehung auf Bettler, Vagabunden, entlassene Sträflinge u. s. w. Sie haben die Verpflichtung, außerdem den procureurs alle Mitthei- lungen zu machen, welche sich auf geschehene Verbrechen beziehen; aber über das eigentliche Waffenrecht ist so wenig eine Bestimmung enthalten, als über ihre strafrechtliche Haftbarkeit. Das preußische Recht steht hier viel höher. Sie ward zuerst im Jahr 1812 eingeführt. Die neue Organisation vom 20. December 1820 ist noch im Wesentlichen nicht geändert. Dieselbe ist schon damals wesentlich als Hülfsorgan der Polizei erklärt, obgleich sie ihre natürliche militärische Organisation beibehalten hat. Ihre selbständigen Funktionen sind ungefähr dieselben, wie in Frankreich; allein die einzelnen Gendarmen sind in ihren Dienst- obliegenheiten, in der Anordnung und Ausführung derselben lediglich den betreffenden Civilbehörden untergeordnet, während die Offiziere wieder den höheren Stellen der Gendarmerie unterworfen bleiben, welche sie zum Dienst für die Civilbehörden commandiren kann. Das Recht der Waffen ist daneben mit möglichster Bestimmtheit vorge- schrieben, und so weit als möglich auf das Princip der Nothwehr zu- rückgeführt. (Siehe bei Rönne , Staatsrecht I. §. 52, II. §. 298 und §. 331.) Die Gendarmerie Oesterreichs ist durch das Gesetz vom 18. Januar 1850 organisirt. Die beiden Funktionen, die selbständige und die auf Aufforderung der Behörden geschehende, sind allerdings bestimmt geschieden, allein die Verbindung derselben mit den letztern, ist denn doch wesentlich nur auf die höheren Stellen angewiesen; münd- liche Befehle kann der Gendarme nur von seinen Vorgesetzten em- pfangen. Die Unterordnung ist strenge ausgeschlossen. Von einer straf- rechtlichen Verantwortlichkeit für den Gebrauch der Waffen ist keine Rede. ( Stubenrauch , I. §. 158.) Auf demselben Standpunkt steht die bayerische Gendarmerie-Ordnung vom 11. Oktober 1812. ( Pözl , Bayerisches Verwaltungsrecht §§. 74, 75.) Ueber die preußische Schutz- mannschaft , auf welche die Grundsätze der Gendarmerie durch das Gesetz vom 4. Februar 1854 anwendbar erklärt worden sind, siehe Rönne a. a. O. I. §. 52. 3) Waffenrecht einzelner Vollzugsorgane. Obwohl nun durch diese Organisation der Gendarmerie das all- gemeine Waffenrecht der vollziehenden Gewalt gesetzmäßig festgestellt ist, so gibt es dennoch eine Reihe von Verhältnissen, in welchen die Ueberweisung aller der Fälle, in denen die Anwendung der Waffen nothwendig wird, an die Gendarmerie nicht thunlich ist. Es handelt sich dabei um die Vollziehung öffentlich rechtlicher Anordnungen gegen den offenen Wider- stand der Betheiligten. Es scheint nun — denn besondere gesetzliche Vorschriften wüßten wir darüber nicht aufzuführen — daß bis zur neue- sten Zeit die Beleihung eines Polizeiorgans mit der Waffe schon an und für sich als die Berechtigung für dieselbe galt, nach eigenem Er- messen von dieser Waffe Gebrauch zu machen. Natürlich war das ein um so ernsteres Princip, als die Verantwortlichkeit für den wirklichen Gebrauch der Waffe im Dienste in der That nirgends gesetzlich aner- kannt war, und die Staatsbürger daher dem Ermessen, ja der Willkür und selbst schlechteren Motiven jener Organe bei jeder Exekution preis gegeben waren. Als nun das große Princip der Verfassungsmäßigkeit für die poli- zeiliche Vollziehung zur Geltung gelangte, mußte die Gesetzgebung das öffentliche Waffenrecht der Exekutivorgane dadurch zum vollen Abschluß bringen, daß sie für diejenigen einzelnen Fälle, in denen die Gendarmerie nicht genügte, eine Reihe einzelner Verordnungen über den Waffen- gebrauch erließ, und zwar mit spezieller Beziehung auf diejenigen poli- zeilichen Organe, deren Funktion gelegentliche Selbsthülfe erforderlich macht. Die dadurch entstandenen speziellen Bestimmungen bilden daher den dritten Theil des Rechts der polizeilichen Waffengewalt. Wenn man die darauf bezüglichen Verfügungen übersieht, so ist es deutlich erkennbar, daß sie eigentlich mehr aus dem einzelnen Be- dürfniß, als aus einem bestimmten, klar anerkannten, gemeinsamen Princip hervorgegangen sind. Sie sind daher auch so viel wir sehen da, wo solche bestehen, stückweise und ohne Zusammenhang entstan- den, haben nirgends gesetzliche Sanktion empfangen, sind auch nir- gends Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung geworden, und die Theorie ist daher, da der Mangel an Berücksichtigung derselben auch nicht einmal eine Sammlung hervorgerufen hat, auf ein sehr geringes Material angewiesen. Dennoch liegt dem Ganzen ein gemeinsamer Gedanke — oder Gefühl — zum Grunde, und es ist dadurch möglich, auch allgemeine Grundsätze für diese einzelnen Bestimmungen aufzu- stellen, und damit die wissenschaftliche Behandlung zu begründen. I. Ohne Zweifel muß angenommen werden, daß die Anwendung der Waffengewalt zum Zwecke der Vollziehung, nach Herstellung der Gendarmerie allenthalben ausgeschlossen ist, wo nicht eine bestimmte öffentliche Vorschrift sie zuläßt, so daß die Anwendung der Waffe außer- halb dieser gesetzlich bestimmten Gränze ein Vergehen, eventuell ein Verbrechen des vollziehenden Organs constituirt. II. Niemals soll einem solchen Organ eine Waffe gegeben werden, wenn es nicht mit solchen bestimmten Vorschriften über die Anwendung der Waffe versehen ist, deren genauere Kenntniß Pflicht des Betreffen- den ist. III. Die Betheiligung mit der Waffe und dem öffentlichen Waffen- recht soll nur da erfolgen, wo voraussichtlich der Zwang gegen den Widerstand keine genügende und augenblickliche Hülfe des eigentlichen polizeilichen Waffenkörpers finden wird. IV. Diese Betheiligung, als eine grundsätzliche und unter Umstän- den tief eingreifende Beschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit, soll nie auf dem Wege der Verordnung, sondern nur als Gesetz erlassen werden. V. Die wirkliche Anwendung der Waffe geschieht stets unter straf- rechtlicher Haftung des Polizeiorganes. Wir können nicht verhehlen, daß sowohl die bisherige Literatur als die Gesetzgebung den Anforderungen, welche man hier machen muß, nicht entspricht. Was zunächst die Literatur betrifft, so liegt der Grund einer ausreichenden Berücksichtigung auch dieser Frage in dem schon oben angeführten Verhältniß, nach welchem man den Gegenstand nicht be- handelt hat, weil man keinen rechten Platz für denselben wußte. In- deß haben einige Schriftsteller dennoch diese spezielle Gesetzgebung auf- genommen und zwar bei der systematischen Darstellung des Strafprocesses. Daneben sind die betreffenden Bestimmungen natürlich in den territorialen Verwaltungsgesetzkunden aufgeführt, jedoch ohne daß auch hier eine Ge- meinsamkeit der Auffassung stattfände. So hat Stubenrauch die österreichischen Gesetze nicht mitgetheilt, während Mayerhofer sie anführt; Rönne hat sie wieder vollständig, aber nur als Nebenbestim- mung neben dem einzelnen Organe: Roller hat gar nichts; eben so Pözl ; dagegen fehlen die polizeilichen Bestimmungen über das bürger- liche Waffenrecht nirgends. Das wird sich erst ändern, wenn die Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, speziell vom Polizeirechte, wissen- schaftlich behandelt werden wird. Was die positive Gesetzgebung betrifft, so hat England darüber unsers Wissens gar keine Bestimmung; das polizeiliche Waffenrecht fällt hier ganz unter das folgende Gebiet der Verantwortlichkeit der polizei- lichen Vollziehung. Eben so hat Frankreichs Gesetzgebung eine aus- drückliche Berechtigung zum Gebrauch der Waffen für einzelne Polizei- organe nicht ausgesprochen, selbst nicht bei den Flurwächtern. Doch sagt der Art. 186 des Code Pénal: Lorsqu’un fonctionnaire ou un officier public ou un administrateur, un agent ou un préposé du gouvernement ou de la police, un exécuteur des mandats de justice ou jugements, un commandant en chef ou en sousordre de la force publique aura, sans motif légitime, usé ou fait user de violences envers les personnes dans l’exercice ou à l’occasion de l’exercice de ses foncitions, il sera puni selon la nature et la gravité de ses violences et en élevant la peine suivant la régle posée par l’art. 198. Es wäre allerdings zu wünschen gewesen, daß das System, welches wir oben bezeichnet haben, auch formell in diesem Artikel klarer bezeichnet worden wäre. Indeß ist es der Sache nach nicht zweifelhaft. Das motif légitime ist offenbar entweder die handhafte That, oder die direkte Widersetzlichkeit gegen die Organe der Vollziehung. Beide geben dem- nach das Recht auf „violences“, unter denen man neben der allge- meinen physischen Gewalt ohne Zweifel auch die Waffen zu verstehen hat. Ob und wie weit die Anwendung der Waffen dann eine berech- tigte gewesen, hat das Gericht zu entscheiden, und zwar einfach nach Art. 309. Eine Unterscheidung der verschiedenen Arten der Polizei findet dabei nicht statt. Ueber die gerichtliche Verantwortlichkeit selbst siehe unten. Das zweite große System ist nun das der beiden großen deutschen Staaten, Oesterreichs und Preußens . Beide haben das öffentliche Waffenrecht einzelnen Vollzugsorganen zugesprochen. Es war natür- lich, daß bei diesen Bestimmungen die spezielle Natur der einzelnen Funktionen entscheidend war. Im Allgemeinen läßt sich dabei nicht verkennen, daß die betreffenden Gesetze das Bestreben haben, die An- wendung der Waffen gesetzlich, so weit als irgend thunlich, einerseits auf die Nothwehr zurückzuführen, andrerseits aber die Verantwort- lichkeit für den Waffengebrauch festzuhalten; Grundsätze, welche eben nur durch die Aufstellung der Gendarmerie möglich wurden, und stets in Verbindung mit derselben gedacht werden müssen. Was zunächst Oesterreich betrifft, so gibt es hier nur zwei Ka- tegorien von Beamteten, denen die Waffe im Dienst überhaupt gegeben ist, und für welche daher auch ein eigenes gesetzliches Waffengebrauchs- recht aufgestellt werden mußte. Das ist das Personal des Forst- und Feldschutzes einerseits, und das der Finanzwache andrerseits. Die ge- setzlichen Bestimmungen für beide haben einen wesentlich verschiedenen Charakter. Für die erste Kategorie ist die Anwendung der Waffe grund- sätzlich auf die Nothwehr beschränkt, offenbar, weil hier der Beweis des Widerstandes in den meisten Fällen kaum zu führen und die An- wendung der Waffe daher ganz der Willkür der Bediensteten überlassen sein würde. Für die zweite Kategorie findet eine solche Beschränkung dagegen nicht statt. Die betreffenden Bestimmungen sind: I. Forstgesetz vom 3. December 1852 (Reichsgesetzblatt 250). Nach §. 54 darf im Forstdienst von der Waffe nur im Falle gerechter Noth- wehr Gebrauch gemacht werden. — II. Minist.-Verord. vom 2. Januar 1854 (Reichsgesetzblatt 4. §. 3) verordnet, daß das für den Forstschutz- und Jagddienst oder für den Jagddienst allein beeidete Personal befugt ist, von der Waffe nur im Falle gerechter Nothwehr Gebrauch zu machen. (Außer diesem Falle ist es denselben nicht erlaubt, ihrer Selbsterhaltung wegen auf Personen zu schießen, die auf ihr Zurufen sich nicht ergeben.) — III. Dasselbe bestimmt die Minst.-Verord. vom 30. Januar 1860 (Reichsgesetzblatt 28) für das beeidete Feldschutzpersonal. — IV. Für die Finanzwache bestehen mehrere Vorschriften. a ) Die allgemeine des Hof- kammerdecrets vom 8. Februar 1846 (Politische Gesetzsamml. 74. Band, S. 21) b ) Für die Gränzbezirke Minist.-Verord. vom 15. Okt. 1853 (Reichsgesetzblatt 210 und vom 27. Juli 1864, Reichsgesetzblatt 64). Letztere Verordnungen beschränken das Recht zum Waffengebrauche nicht auf den Fall gerechter Nothwehr. (Vergl. Herbst , Handbuch des öster- reichischen Strafrechts.) Alle übrigen Bestimmungen gehören in den folgenden Abschnitt über die strafrechtliche Haftung für die Vollziehung. Es war wohl nicht ganz richtig, sie einfach mit dem Obigen zusammen zu stellen. Das amtliche Waffengebrauchsrecht in Preußen steht formell in allem Wesentlichen auf demselben Standpunkt; jedoch ist es nicht zu verkennen, daß die preußische Gesetzgebung ihren Beamteten viel größeren Spielraum in der Anwendung der Waffen einräumt, als die öster- reichische. Die Kategorien sind dabei dieselben. In Preußen haben nämlich das Recht des Waffengebrauchs erstlich die Gränzaufsichts- beamteten (also nicht wie in Oesterreich alle Finanzwachebeamteten) in Gemäßheit des Gesetzes vom 28. Juni 1834, dann die königlichen Forst- und Jagd beamteten in Gemäßheit des Gesetzes vom 31. März 1837 und endlich die Gefängnißaufsichts beamteten (Instruktion vom 11. März 1839). Diese Gesetze sind viel genauer und bestimmter als die betreffenden österreichischen, und dürfen in dieser Beziehung als Muster gelten. Genaue Darstellung bei Rönne , Staatsrecht II. §. 298. — Im französischen Recht muß wohl der allgemeine Grundsatz des Code Pénal (art. 28 und 42) ausreichen, daß jeder das Recht hat, Waffen zu tragen, wenn ihm dieß Recht nicht durch das Urtheil eines Gerichtes entzogen ist. Eine besondere Vorschrift über den Waffen- gebrauch einzelner Organe, wie der Garde champêtre oder Garde des forêts findet sich nicht. Ich habe auch bei den deutschen Staaten keine näheren Bestimmungen finden können. C. Die Verantwortlichkeit der Polizei. Begriff . Der dritte, wichtige Theil des öffentlichen Rechts der Polizei ent- hält nun dasjenige, was wir die öffentlich rechtliche Verant- wortlichkeit derselben nennen. Dieselbe ist in der That nirgends nothwendiger als hier. Denn jene Unbestimmtheit, welche in dem Wesen der Gefahr liegt, erzeugt theils Unaufmerksamkeit auf die polizeiliche Thätigkeit, welche sie ab- wenden soll, theils auch geradezu Willkür; und doch ist gerade bei der Polizei, deren Aufgabe so selten scharf begränzt werden kann, die mög- lichst bestimmte Reducirung derselben auf eine rechtliche Gränze noth- wendig. Da nun das Gesetz diese Gränze nicht geben kann, so muß sie für jeden einzelnen Akt der Polizei eintreten; das ist, es muß jedes Polizeiorgan für jede ihrer einzelnen Thätigkeiten in rechtlicher Haftung sein. Erst mit dieser und ihrem System ist das verfassungsmäßige Po- lizeirecht vollständig. Diese rechtliche Haftung hat nun wie die Thätigkeit der Polizei selbst zwei Hauptformen. Sie bezieht sich zuerst auf die Polizei- verfügungen und zweitens auf das Polizeiverfahren . Bei dem ersten handelt es sich um das Recht des Willens der Polizei, bei dem zweiten um das Recht ihrer Thätigkeit. Es darf uns nicht wundern, daß beides noch sehr wenig auf dem Continente ausgebildet ist; indeß stehen die großen Grundzüge dieses Rechts dennoch fest, und sollten einen integrirenden und selbständigen Theil jeder Behandlung des Po- lizeirechts bilden. Daß gerade dieser Theil von der bisherigen Theorie so wenig beachtet ist, liegt an zwei Gründen. Zuerst ist und bleibt allerdings die erste Vor- aussetzung dieses ganzen Gebietes das klare Bewußtsein von dem Unter- schiede von Gesetz und Verordnung, zweitens der auf jenem beruhende von Klag- und Beschwerderecht, ohne welchen freilich der erstere keinen Werth hat. Das letztere zeigt sich am deutlichsten in den Behandlungen des territorialen Staatsrechts, welche die Begriffe von Gesetz und Ver- ordnung auf das Klarste scheiden, ohne jedoch zu der naheliegenden verfassungsrechtlichen Consequenz zu gelangen, wie zuerst Mohl im württemb. Staatsrecht I. S. 66 ff., der den Unterschied sehr gut charak- terisirt, und Rönne , preuß. Staatsrecht I. §. 16, namentlich aber §. 47. Doch ist dabei nicht zu übersehen, daß sich beide viel zu sehr auf königliche Verordnungen beschränken, also die Verfügungen nicht be- rühren. Andere Territorial-Darstellungen haben die Frage überhaupt nicht berührt; das sog. deutsche Staatsrecht hat — theils auch aus historischen Gründen — die Begriffe von Gesetz und Verordnung überhaupt nicht in sich aufgenommen. (S. Stein , Vollziehungsgewalt S. 55 ff.) Wenn einmal jene Grundbegriffe auch in ihren Anwen- dungen feststehen, wird die innere Ordnung des verfassungsmäßigen Rechts viel klarer werden, als sie es gegenwärtig ist. 1) Haftung für die Polizeiverfügung . Unter dem Recht der Polizeiverfügung überhaupt — also speziell auch der Polizeistrafverfügung — bezeichnen wir das Verhältniß, in welchem diese Verfügungen zum gesetzlichen Recht stehen. Es bezeichnet einen hohen Grad öffentlich rechtlicher Entwicklung, wenn ein Staat überhaupt zu dem Bewußtsein gelangt, daß die Ver- fügungen seiner Exekutivorgane ein Recht haben müssen. Wir sind, wenigstens auf dem Continent, erst im Beginne dieser Rechtsbildung. Um so wichtiger ist es, die Elemente derselben festzustellen. Diese nun bestehen in drei Punkten, welche bis jetzt erst in wenig Staaten selbständige Berücksichtigung gefunden haben. Der erste Punkt betrifft das eigentliche Verordnungsrecht ; der leitende Grundsatz ist die Unterzeichnung der Minister, welche wiederum die ministerielle Verantwortlichkeit für das, in den Verordnungen auf- gestellte Recht gegenüber den Gesetzen enthaltene gesetzliche Recht be- gründet. Dieß Verordnungsrecht gehört jedoch nur im weiteren Sinne hierher, insofern die Verfügungen auf demselben beruhen. Der zweite Punkt — bereits erwähnt unter Polizeiverfügung — betrifft die Vorschriften über den Erlaß von örtlichen Polizeiver- fügungen. Das Princip derselben, das erst die neuere Zeit ausgebildet hat, hat sich in einigen Staaten zu einem förmlichen System entwickelt. Man muß hier das französische von dem deutschen Princip scheiden, und es ist kein Zweifel, daß das letztere viel höher steht, als das erstere. Nach dem französischen Princip ist nämlich jede Polizeiverfügung eine rein amtliche , und steht daher nur unter der Controle der höheren amtlichen Stellen, ohne alle Herbeiziehung der Theilnahme der Selbst- verwaltungskörper. Nach deutschem Princip dagegen sind solche orts- polizeilichen Verfügungen von Seiten der Ortsbehörden unter Zuziehung der Selbstverwaltungskörper — des Gemeinderathes — zu erlassen, und nur wenn sie allgemeine und dauernde Vorschriften enthalten, der höheren amtlichen Stelle mitzutheilen, welche dieselben eventuell außer Kraft setzen können. Der dritte Punkt endlich betrifft die Publikation solcher Ver- fügungen, welche in einigen Staaten genau geregelt ist. Auf diesen Elementen nun beruht das verfassungsmäßige Recht der Polizeiverfügung, welches, wie die Natur der Sache es fordert, in dem Recht der Beschwerde gegen die Verfügung als solche besteht. Da dieß Recht noch keineswegs gehörig entwickelt ist, so stellen wir für die Beurtheilung des geltenden Rechts hier die beiden leitenden Gesichts- punkte auf. Der erste ist der der Anerkennung des Beschwerderechts im All- gemeinen, dessen Unbestimmtheit im deutschen, dessen Klarheit im fran- zösischen, und dessen Vermischung mit dem Klagrecht im englischen Recht bereits in der „vollziehenden Gewalt“ dargelegt worden ist (S. 121 ff.). Es versteht sich dabei von selbst, daß auch da, wo keine besondere Be- ziehung auf das Recht der Polizeiverfügung vorhanden ist, dennoch die letztere unter dasselbe fällt, ja wohl meistens das eigentliche Objekt des- selben bildet. Es gelten daher hier alle am angemerkten Orte auf- gestellten Grundsätze für diese Verfügungen. Der zweite schließt sich nun auf das Genaueste an den tiefen, wenig durchgeführten Unterschied des peinlichen und Verwaltungsstraf- rechts. So lange nämlich nach dem Vorgange des Code Pénal beide mit einander verschmolzen blieben, war auch eine besondere Hervor- hebung des Verfahrens gegen Polizeiverfügungen nicht wohl thunlich. Auch gab Frankreich dafür kein Vorbild, da man dort ein vollständiges Beschwerderecht organisirt hatte, und daher das Bedürfniß nach einem eigenen Princip nicht empfand. Es konnte daher ein klares Bewußtsein über das wahre Verhältniß erst auftreten, als man das Ordnungs- strafrecht von dem peinlichen schied. So lange man nun dabei bei dem allgemeinen Ordnungsstrafrecht stehen blieb, mußte auch das Beschwerde- recht eine etwas allgemeine und unbestimmte Fassung erhalten. So- wie sich aber das Verwaltungsstrafrecht zu einer selbständigen Gesetz- gebung in den Polizeistrafrechten erhob, trat die Nothwendigkeit einer genauen Definition des erstern ein; und dieß muß als ein großer Fort- schritt in der Klarheit des öffentlichen Rechts überhaupt, namentlich in seinem Verhältniß zur individuellen staatsbürgerlichen Freiheit betrachtet werden. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß sich dieses System bald allgemein Bahn breche, und daß demgemäß das gesammte Ver- waltungsstrafrecht von dem peinlichen Recht geschieden werde. Da die übrigen deutschen Staaten unsers Wissens über diese Frage gar nichts Bestimmteres besitzen, als was bereits in der vollziehen- den Gewalt dargelegt ist, so beschränken wir uns hier darauf, das Recht Oesterreichs, Preußens, und das des süddeutschen Polizeistrafgesetz- buches zu charakterisiren. Das Recht Oesterreichs ist entschieden am unklarsten. Das Be- schwerderecht existirt hier nur in der Form des Rekurses, und zwar in dieser eben ganz formlos und ohne irgend ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren. Der Charakter des Verfügungsrechtes dagegen liegt auf einem andern Punkte. Da man nämlich kein gesetzliches Verfahren gegen die Verfügung als solche hatte, so gab man ein solches gegen das in Ge- mäßheit eines solchen ergangenen Urtheil . Die Folge war, daß der Schwerpunkt dieses ganzen Rechts in die Bestimmung über die Natur der competenten Behörde fiel. War diese nun Polizeibehörde, so gab es kein eigentliches Appellationsrecht, sondern das Verfahren war ein reines Beschwerdeverfahren wie in Frankreich, nur ohne die vortrefflichen Formen desselben. In diesem Sinne ward die ganze Frage durch drei sehr wichtige Verordnungen festgestellt — die Verordnung vom 3. April 1855, das Verfahren in den im Strafgesetzbuch auf- genommenen Verwaltungsvergehen betreffend, welche die Polizeibehörden dafür anstatt der Strafgerichte competent machte; die Verordnung vom 5. März 1858, welche das Verfahren vor diesen Polizeigerichten regelte, (und nach welcher statt des „Urtheils“ ein Auszug aus dem Protokoll gegeben wird, der die Thatsachen und die Entscheidung enthält) und die Verordnung vom 20. Juni 1858, welche den Polizeibehörden die Com- petenz für eine große Reihe von Verwaltungsstraffällen überwies, so- wie den Instanzenzug der Beschwerde (Polizeibehörde — politische Landesbehörde — Ministerium des Innern) feststellte; die Verordnung vom 31. Jan. 1860 fügte einige, namentlich die Strafmilderungsgründe in der Rekursinstanz betreffende Bestimmungen hinzu. Dieß Verfügungs- recht und Strafcompetenzrecht der Verwaltungsbehörden ward dann modificirt durch das, unter Mitwirkung des Reichsrathes erlassene, aber freilich höchst dürftige Gesetz vom 22. Okt. 1862, welches einen Theil dieser polizeilichen Competenz aufhob, und namentlich das im Straf- gesetzbuch enthaltene Gebiet der Verwaltungsvergehen den Gerichten zu- rückgab, wieder mit Ausnahme der großen Städte. Der Competenzstreit ward dabei durch die höchst eigenthümliche Bestimmung des §. 4 erledigt: „ zweifelt eine Polizeibehörde , ob eine derselben angezeigte strafbare Handlung in ihren Wirkungskreis gehöre, so soll sie sich mit dem be- treffenden (?) Gericht ins Einvernehmen setzen, und auf dessen Verlangen die Verhandlung dahin abtreten.“ Die völlige Unfertigkeit dieser Be- stimmungen, sowie die Unklarheit des ganzen Standpunktes ist offenbar. Eine Entscheidung über das Recht der Verfügung an sich wird gar nicht provocirt; der Einzelne muß es vom Ermessen der Polizei abhängen lassen, ob sie sich selber für competent hält; eine Organisirung des Re- kursverfahrens existirt nicht. Dennoch ist das Streben nach einem ob- jektiven Recht der Verfügung nicht zu verkennen, das namentlich auch durch die Aufstellung der allgemeinen Ordnungsstrafen (Verordnung vom 30. Sept. 1857) allerdings wohl motivirt war. Hier ist daher ein festes Rechtssystem noch zu schaffen. — Das preußische Recht ist darüber weit klarer, wenn auch nicht eben freisinniger. Schon das Gesetz vom 11. Mai 1842 stellte den Grundsatz auf, daß gegen jede polizeiliche Ver- fügung der Rekurs , oder gegen eine solche die Klage oder der Rechts- weg nur dann ergriffen werden kann, wenn die Verletzung eines zum Privateigenthum gehörigen Rechts (also keines Gesetzes überhaupt) behauptet wird. Der erstere ist an die vorgesetzte Dienstbehörde, der letztere an das Gericht zu richten. Dabei gelten die beiden Grundsätze, daß die Klage keinen Suspensiveffekt für die Ausführung der Verfügung hat, wohl aber der Beamtete (nach dem allg. Landrecht II. 10. §. 127 ff.) haftet. S. Rönne , Staatsrecht I. §. 56, nebst dem Streit über den Umfang jenes Gesetzes. Das Rekursverfahren ist nicht geregelt. — In Holland gibt der Bürgermeister in dringenden Fällen Polizei- verordnungen, welche er zur Kenntniß der Provinzial-Polizeicommission bringt, die das Recht hat, die Ausführung derselben zu vertagen ( Gem. Gesetz von 1850, Art. 187, und oben). Was nun die Territorien des Polizeistrafgesetzbuchs betrifft, so ist hier das Beschwerderecht so viel weiter aufgefaßt, daß es nicht bloß den Einzelnen, sondern auch den Gemeindevorständen zusteht, und daß jede höhere Stelle das Recht hat, die Verfügungen der niedern außer Kraft zu setzen. Bayer . Polizei- strafgesetzbuch Art. 40. 43. Ganz ähnlich bad . Polizeistrafgesetzbuch §. 26. Von besonderem Interesse sind die Debatten über die Frage, ob die Polizeigerichte auch die „Nothwendigkeit“ von Verfügungen neben ihrer „gesetzlichen Gültigkeit“ in Berathung ziehen können. (S. Stempf a. a. O. S. 63—73.) Eine solche Frage wäre ganz unmöglich gewesen, wenn man eben nicht in dem unglücklichen Ausdruck „Polizeigericht“ die Möglichkeit des Zweifels veranlaßt hätte, ob das Polizeigericht ein Ge- richt oder eine Verwaltungs instanz sei. Wir haben über die Stel- lung der Gerichte zu der Frage nach der Rechtsgültigkeit der Verord- nungen uns vollständig ausgesprochen. Es ist die Entscheidung, daß die Polizeigerichte jenes Recht nicht haben, eben gar nichts anderes als die einfache Qualifikation derselben zu rein gerichtlichen Organen. Warum dann aber sie noch Polizei gerichte nennen? Etwa weil sie über Polizeivergehungen richten? Würden darnach die, über die in dem Strafgesetzbuch aufgenommene Polizeivergehen richtenden Strafgerichte nicht auch consequent Polizeigerichte heißen müssen? — Sondern der Grund lag in dem unklaren Gefühl, daß das Verwaltungsstrafrecht eben etwas ganz anderes ist als das peinliche Strafrecht; die Scheidung der Polizei- und der peinlichen Gerichte entsprach und entspricht daher dem wahren Sachverhältniß, nur stehen wir noch auf dem Standpunkt, daß formelle Competenz und gesetzliche Natur der Sache sich nicht decken. Dieser Zweifel wird sich so lange wiederholen, bis das Verwaltungs- strafrecht aus dem peinlichen Strafgesetzbuch verbannt, und das Be- schwerderecht und Verfahren, wie das Klagverfahren, ein öffentliches und geregeltes sein wird. 2) Die Haftung für das Polizeiverfahren . Die Haftung oder das Recht für das Polizei verfahren neben dem Recht der Polizeiverfügung tritt nur da ein, wo es sich um das Verhalten der wirklich vollziehenden, physischen Thätigkeit der Po- lizeiorgane bei dem Eingriffe derselben in die Sphäre der individuellen Freiheit handelt. Es kann sich daher bei diesem Rechte weder um den Mißbrauch der physischen Gewalt an sich, noch auch um die Nothwehr handeln, sondern die Vollzugshaftung bezieht sich nur auf das bestimmte Moment der Art und des Grades in der an sich rechtlich begründeten Voll- ziehung. Die Grundlage des Rechts dieser Haftung als Theil des ver- fassungsmäßigen Polizeirechts ist nun in dem Wesen der polizeilichen Funktion überhaupt gegeben. Jede polizeiliche Funktion hat es nämlich, wie wir dargelegt, mit Kräften zu thun, und ist gegen die Aeußerung dieser Kräfte gerichtet. Jede Kraft aber ist an sich unbestimmt. Es ist daher auch nicht mög- lich, die Art und den Grad der Kraft für jeden Fall vorher zu be- stimmen, welche das Vollzugsorgan brauchen muß, um dem allgemeinen Willen gegenüber der Einzelkraft Verwirklichung zu verschaffen. Deß- halb ist es unvermeidlich, dem öffentlichen Organ und dessen individuellem Ermessen Form und Gränze der Gewalt zu überlassen, welche es im einzelnen Falle anzuwenden hat. Es folgt daraus, daß bei aller Ge- nauigkeit des geltenden Rechts über die Veranstaltung und das Verfahren der Exekution dennoch die Rechtsgränze des einzelnen Staatsbürgers gegenüber jenem Ermessen der Vollzugsorgane gefährdet ist. Gegen diese Gefährdung der staatsbürgerlichen Selbständigkeit durch die letztere gibt es nur einen Schutz, und dieser besteht in dem staatsbürgerlichen Recht der Beschwerde und der Klage des Einzelnen gegen die Ueber- schreitung der Gränzen der Zwangsgewalt, das auf diese Weise den Schlußstein des Systems des verfassungsmäßigen Polizeirechts bildet, und dem natürlich das Princip und das Recht der persönlichen Haf- tung der Polizeiorgane als Correlat entspricht. So einfach nun dieser Grundsatz an sich erscheint, und obwohl es keinem Zweifel unterliegen kann, daß erst hier die letztere Sicherung gegen polizeiliche, ja gegen administrative Willkür überhaupt gefunden werden kann, so fehlen uns doch die meisten Quellen, und wir sind darauf angewiesen, es bei den allgemeinen Grundlagen dieses öffentlichen Rechts bewenden zu lassen. I. Die allgemeine Schwierigkeit, mit der es dieser Theil des Rechts zu thun hat, ist im Besondern dieselbe, mit welcher das System des Klag- und Beschwerderechts bei der vollziehenden Gewalt im Allgemeinen zu kämpfen hat. Eine zu laxe Verantwortlichkeit wird die Rechtssicher- heit des Einzelnen gegenüber der Polizei, eine zu strenge die der Ge- meinschaft und des öffentlichen Rechtszustandes im Allgemeinen gegen- über dem Einzelnen in seinem Widerstande gefährden. Es kommt darauf an, hier eine richtige Gränze zu finden. Und es ist unmöglich, eine solche Gränze durch einzelne Bestimmungen zu setzen. Sie muß vielmehr auf einem festen und allgemeinen, für alle Vollziehung durch die Polizei gültigen Grundsatz beruhen. Dieser Grundsatz selbst dürfte nun ein an sich sehr einfacher sein. Kein Vollzugsorgan darf in der Anwendung der ihm zu Gebote stehen- den Mittel weiter gehen, als die Sicherung der Vollziehung des betreffenden öffentlichen Rechts es fordert . Ueber diesen Grundsatz ist wohl kein Streit denkbar. Es wird sich aber darum handeln, den Inhalt dieses allgemeinen Princips auf seine einzelnen Grundlagen zurückzuführen. Als diese dürften nun die folgenden gelten. Zuerst muß angenommen werden, daß jede Anwendung phy- sischer Gewalt gegen die Person von Seiten des Vollzugsorganes un- berechtigt ist, so lange die administrativen Vollzugsmittel (s. oben) nicht als erschöpft , oder nicht als unanwendbar erscheinen. Der zweite Grundsatz fordert, daß da, wo der persönliche Zwang eintritt, derselbe in Freiheit und Gesundheit des Gezwungenen nur so weit eingreifen darf, als die Vollziehung gegen den Willen des Betreffenden es unabweis- bar macht. Es muß daher jeder Anwendung persönlichen Zwanges eine bestimmte Aufforderung zum Gehorsam voraufgehen. Wenn der- selben von Seiten des Betreffenden die bestimmte Erklärung folgt, nicht gehorchen zu wollen, so ist der Beginn des physischen Zwanges ge- rechtfertigt. Ohne eine solche Erklärung nur dann, wenn der Be- treffende durch andere äußerlich unzweifelhafte Zeichen die Absicht kund gibt, sich der Vollziehung entziehen zu wollen. In beiden Fällen ist offenbar das Eintreten des persönlichen Zwanges gerechtfertigt. Das sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze für den polizeilichen Zwang. II. Sowie aber damit der Zwang wirklich in Ausübung gebracht wird, treten zwei Fälle ein, welche den Inhalt des Zwangsrechts bilden, und daher auch die Formen und den Inhalt des Haftungsrechts bestimmen. Zuerst kann der Zwang in Form und Objekt ein falscher sein. Verkehrt ist er stets, wenn er nicht geeignet ist, die Vollziehung des bestimmten betreffenden Rechts hervorzubringen. Allein dieser Mangel im wirklichen Zwange ist keine Verletzung des Rechts des Gezwungenen, sondern nur eine falsche Ausführung eines an sich berechtigten Befehles. Es tritt daher auch hier keine Haftung des vollziehenden Organes gegen- über dem Gezwungenen ein, sondern die Verantwortlichkeit desselben bezieht sich nur auf die befehlende Behörde, und besteht in der falschen Auffassung der an sich rechtsgültigen Funktion des Polizeiorganes. Daher ist hier kein Grund zu einer Klage des Gezwungenen, sondern nur zu einer Beschwerde desselben bei der höheren Stelle, von welcher der betreffende Befehl ausgegangen ist, und das dafür geltende Recht wird Stein , die Verwaltungslehre. IV. 6 daher stets nicht etwa ein Strafrecht, sondern das Disciplinarrecht der Staatsdiener sein. Wenn aber zweitens der Zwang in seinem Grade das Maß desjenigen überschreitet, was zur Vollziehung nothwendig war, so ist das Recht des Gezwungenen verletzt, und damit tritt statt des Beschwerderechts das Klagrecht desselben, mit demselben das der straf- rechtlichen, eventuell der bürgerlichen Haftung des Vollzugsorgans auf Schadenersatz ein. Sowie dieser Grundsatz des Klagrechts einmal an- erkannt und die Klage eingebracht ist, beginnt die Funktion des Ge- richtes , und die Klage hat den regelmäßigen Rechtsweg zu gehen. Es muß dabei festgehalten werden, daß dieses Klagrecht nicht etwa auf die Anwendung der Waffengewalt und dabei vorkommende Ver- letzungen beschränkt ist, sondern auf jeden gegen die Person aus- geübten Zwangsakt geht. Es ist dabei selbstverständlich, daß das Recht der Nothwehr bei dem polizeilichen Zwange für den Gezwungenen nicht gilt, da der Widerstand gegen die Funktion des Vollzugsorganes eben keine Noth enthält. Ebenso unzweifelhaft ist es offenbar, daß das Vollzugsorgan stets auf Nothwehr sich berufen und das ganze strafrechtliche Recht der Nothwehr für sich in Anspruch nehmen kann; mit der Nothwehr hört natürlich die Haftung auf. — Ob nun das Vollzugsorgan in jedem einzelnen Falle die Gränze des Zwanges über- schritten hat oder nicht, das zu beurtheilen ist die Sache des Gerichts. Es ist gar kein Grund vorhanden, das Urtheil oder Verfahren irgend eines andern Organes zu fordern. Das Gericht hat aber dabei ganz nach den für jede andere körperliche Verletzung geltenden Regeln zu ver- fahren, und zwar natürlich zuerst den Beweis herzustellen, daß das nothwendige Maß überschritten sei, dann die Strafe für die verschuldete Ueberschreitung festzusetzen. Alle diese höchst einfachen Grundsätze finden nun für ihre Anwendung überhaupt eigentlich nur die allgemeine Schwierigkeit in dem Bedenken gegen die Zulassung des administrativen Klagrechts überhaupt. Wo dieß nur erst einmal anerkannt ist, wird sich die Einfachheit und die entschiedene Berechtigung der obigen Forderungen von selbst ergeben. Und es ist kein Zweifel, daß kein verfassungsmäßiges Polizeirecht vollständig, und kein staatsbürgerlicher Rechtszustand gesichert ist, so lange jene Grundsätze nicht allgemein als unbezweifelt geltendes öffentliches Recht, als die letzte Voll- endung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts verwirklicht werden. Der spezielle Theil des Polizeirechts, namentlich das Sicherheits- polizeirecht, hat dann zu zeigen, mit welchen Modifikationen dieselben in den einzelnen Gebieten der Polizei zur Anwendung zu gelangen haben. Das geltende Recht der großen Staaten Europas ist nun gerade auf diesem Punkte nicht bloß dem Umfange und den Einzelheiten nach, sondern in seinem innersten Charakter so verschieden, daß es wenig Dinge gibt, in denen der tiefe Unterschied des öffentlichen Rechtszustandes so bestimmt ausgeprägt wäre, den uns die neuere Gestaltung des öffent- lichen Rechts gebracht hat. Obwohl uns — vielleicht eben deßhalb — eine eingehende Literatur und wissenschaftliche Behandlung mangelt, so wollen wir dennoch versuchen, die Grundlagen dieses Theiles der Wissen- schaft hier anzudeuten. In der That gehört nämlich dieß Gebiet zu denjenigen, in denen ohne eine Vergleichung des Charakters der ver- schiedenen Staaten das Verständniß und die Beurtheilung der einzelnen beinahe unmöglich ist; und es ist der Mangel eben einer solchen Ver- gleichung wohl nicht der letzte Grund, weßhalb die sonst so reiche deutsche Strafrechtsliteratur auch in diesem Theile nicht nur nicht der syste- matischen Behandlung, sondern selbst der Kenntniß des geltenden Rechts in den deutschen Staaten zu ermangeln scheint. Sie ist auch hier nicht über- den Inhalt der Strafproceßordnungen hinausgekommen . Wir hätten allen Grund gehabt, namentlich den neuern Schriftstellern wie Pohlmann (über das Wesen der administrativen contentiösen Sachen mit besonderer Rücksicht auf Bayern, Näff , das Verhältniß der Gerichte zu den Staats- und Regierungssachen (Zeitschr. für Civil- recht in Preußen, XII. 1. 22), welche gegen, und Bähr , der Rechts- staat, 1864, welcher in energischer und geistreicher Weise für das Klage- recht bei den Funktionen der Regierungsorgane eingetreten sind, zu danken, wenn sie außer abstrakten Gründen sich auch auf das bezogen hätten, was bereits in den einzelnen Staaten Europas Rechtens ist. Die Weiterentwicklung wird erst beginnen, wenn wir ein wissenschaft- liches Polizeirecht als Theil der Lehre von der vollziehenden Gewalt besitzen werden. Das englische Princip des Haftungsrechts ist ein sehr einfaches. Es ist bereits in der vollziehenden Gewalt S. 130 ff. dargestellt, und zwar in seiner allgemeinen Form. Die Haftung für die Anwendung der Vollzugsgewalt ist nicht nur keine andere als die allgemeine, sondern bildet recht eigentlich das Gebiet für die Geltung des englischen Rechts. Auf seine einfachsten Grundsätze zurückgeführt, besteht dasselbe in folgen- den Punkten. Jedes Vollzugsorgan, also namentlich der Friedens- richter, haftet für jeden Akt des Vollzuges. Die Haftung tritt jedoch niemals ein von Seiten der oberen Behörde, sondern stets von Seiten des Einzelnen, der sie durch eine förmliche Klage gegen die Organe geltend machen muß. Das Beschwerderecht ist hier in das Klagrecht aufgegangen, und eine Unterscheidung zwischen der Verordnung und ihrem Vollzuge findet nicht statt. Jedes Vollzugsorgan steht daher bei jeder Funktion unter der Möglichkeit eines Processes, und die spezielle Beziehung auf Anwendung der Waffengewalt war daher hier gar nicht nöthig. Die große Unsicherheit der Vollziehung, die durch diese Verschmelzung von Beschwerde und Klage entstehen mußte, erzeugte nun ein Gegengewicht in dem Grundsatz, daß man zwar nicht das Klagrecht aufhob, wohl aber demselben ein System von gesetzlichen Einreden für die Vollziehungsorgane zur Seite stellte, welches die letzteren vor unbegründeten und leichtsinnigen Klagen schützen solle. Das Princip dafür lag schon lange im englischen Recht; das System selbst ward durch das St. 11. 12. Vict. 44. (An act to protect Justices of the Peace from vexatious actions done by them in execution of their office 1848) ausgeführt; Grundlage ist, daß der Kläger vollständig beweisen muß, daß die Vollziehung maliciously und ohne reasonable and probable cause entweder überhaupt statt- gefunden, oder ihre Gränzen überschritten habe. Der Mangel einer Unterscheidung des Beschwerderechts vom Klagerecht würde selbst nach diesem Akte die Vollziehung in England ernstlich beeinträchtigen, wenn nicht die Processe so theuer wären. S. Gneist , Engl. Verwaltungs- recht II. a. a. O. Vergl. auch Kries , Engl. Armenpflege S. 56—57, der sich freilich nur auf das Verordnungs- und nicht auf das Vollzugs- recht bezieht; es ist aber nicht zu übersehen, daß für beide dieselben Rechtsgrundsätze gelten. Während somit in England das Haftungsrecht auf dem Klag- recht allein beruht, und zugleich ein für alle Vollziehung geltendes Recht bildet, ohne Unterschied der gegen Sachen oder Personen ange- wendeten Gewalt, sehen wir in Frankreich eine wesentlich andere Gestalt dieses Rechts auftreten. Hier ist nämlich die Haftung zwar grundsätz- lich auf das Klagerecht gegen jeden Beamteten basirt, der in der Voll- ziehung die Form und das Maß überschreitet, praktisch aber gilt dennoch fast nur das Beschwerderecht, so daß jenes die Ausnahme, dieses die Regel bildet. Die Aufstellung des Rechts der strafrechtlichen Haftung ist durch den Art. 186 des Code Pénal ganz allgemein und ohne alle Beschränkung sowohl für die Handlungen der Vollzugsorgane gegen Sachen als gegen Personen ausgesprochen; die spezielle Beziehung auf unberechtigte Vergewaltigung der Personen enthält Art. 309, zu welchem die Art. 485 und 486 des Code d’Instr. Crim. hinzugenommen werden müssen. Allein dieser einfache Grundsatz ist nun fast illusorisch gemacht durch eine Reihe von Bestimmungen, welche sich an den noch geltenden Art. 75 der Constitution vom 22 Frim. an VIII anschließen: „Les agents du Gouvernement autres que les Ministres ne peuvent être poursuivis pour des faits rélatifs à leur fonctions qu’en vertu d’une décision du Conseil d’État.“ Diese Autorisation des Staats- raths ist daher die eigentliche Grundlage des Systems der Haftung; wird sie nicht ertheilt, so folgt allerdings noch nicht, daß das Voll- zugsorgan ohne Strafe innerhalb der Disciplin bleibe, wohl aber, daß das Klagrecht ausgeschlossen ist. Der Conseil d’État entscheidet daher, ob eine Uebertretung der Vollzugsvorschrift stattgefunden habe oder nicht, so daß das Verfahren vor dem Conseil d’État das eigent- liche Beschwerdeverfahren ist, während das Klagrecht oder die Ver- folgung der Haftung vor dem ordentlichen Gericht nur sehr selten zur Ausübung kommt. Der eigenthümliche Charakter des ganzen Verwal- tungsrechts und seine scharfe, eben so sehr historische als principielle Scheidung vom Gerichte, den wir in der Lehre von der vollziehenden Gewalt dargelegt haben, kommt hier in schlagender Form wieder zur Erscheinung. Bei aller scheinbaren Freiheit des öffentlichen Rechts Frankreichs hat dasselbe sich niemals dazu verstehen können, das Ver- waltungsrecht und die Stellung der Beamteten als eine dem bürger- lichen Recht gleichstehende Rechtsbildung anzuerkennen, und die Be- amteten dem letzteren zu unterwerfen. Das Klagrecht des Code Pénal gegen die violences des fonctionnaire und die Art. 485. 486. des Code d’Instr. Crim. sind daher in der That eine leere Fiktion, und werden effektiv fast nie als bei gemeinen Verbrechen ausgeübt, während bei Rechtsverletzungen durch die Vollziehung grade das Beschwerderecht das einzig wirklich praktische Mittel ist. Da nun aber trotzdem der Code Pénal mit seinen Vorschriften be- steht, so hat sich aus dem oben bezeichneten Gegensatze desselben zu der Verfassung des Jahres VIII eine vollständige Jurisprudenz entwickelt, deren einzelne Sätze meistens durch Entscheidungen des Cassationshofes zu anerkanntem öffentlichem Recht geworden sind. Die darauf bezüg- lichen, geltenden Normen scheiden sich in zwei Gruppen. Zuerst ist durch eine Reihe von Entscheidungen festgestellt, daß für gewisse Kategorien von Beamten eine Zustimmung des Conseil d’État zur gerichtlichen Verfolgung überhaupt, also auch zum Klag- recht wegen Vollzugshandlungen, nicht erforderlich ist. Jedoch sind dieß nur Steuerbeamtete wegen Rechnungsmängel, und die Mitglieder der verschiedenen Conseils, Greffiers und andere, die eigentlich gar keine Beamteten sind. Zweitens ist jene Verpflichtung, die Erlaubniß zur klagrechtlichen Verfolgung des Beamteten wegen seiner amtlichen Akte nachzusuchen, so weit ausgedehnt, daß in der That die letzte Illusion über die Beseitigung desselben bei jedem andern als dem gemeinen Verbrechen verschwindet. Erstlich ist jene Erlaubniß auch für die Verfolgung solcher Rechtsverletzungen gefordert, welche gar nicht in der Vollziehung selbst enthalten waren, sondern nur mit derselben zusammenfallen; sie ist zweitens nothwendig, auch wenn der Beamtete aus dem Amte ausge- treten ist; sie wird drittens gefordert auch für die Rechtsansprüche gegen die Erben der Betreffenden; und endlich kann der fonctionnaire gar nicht darauf verzichten. Vollziehende Gewalt S. 133 ff. (Kurz und klar zusammengestellt von Smith bei Block v. Fonctionnaires. ) Es ist nun wohl nicht nothwendig, das System weiter zu charak- terisiren. Wir begnügen uns damit, es als ein unwahres zu bezeichnen, während das englische ein unpraktisches ist. Von beiden verschieden ist das deutsche System. Das deutsche System der Haftung für Vollzugsübertretungen ist nämlich ein unfertiges . Es ist nicht thunlich, irgend etwas als ge- meingültig, oder auch nur von der Theorie durchstehend anerkannt auf- zustellen. Das beruht nun zuerst wieder darauf, daß überhaupt im deutschen öffentlichen Recht die Begriffe von Beschwerde und Beschwerde- recht neben dem öffentlichen Klagrecht sich nicht bloß in der Theorie in vollständiger Unklarheit befinden, so weit es eine solche darüber gibt, sondern auch im Gebiete der Verfassungsurkunden und der übrigen Ver- fassungsgesetze in höchst unklarer, zum Theil sogar widersprechender Weise erledigt werden. Wir haben die einschlagenden Gesetze und An- sichten in der vollziehenden Gewalt S. 143—148 bereits mit- getheilt. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß das dort Gesagte, das für die Thätigkeiten der Verwaltungsorgane überhaupt gilt, auch und zwar speziell für ihre Haftung bei Vollziehungen gelten muß. Ehe man daher in Deutschland nicht über die Begriffe von Gesetz und Verordnung und Klag- und Beschwerderecht überhaupt einig wird, ist es nicht möglich, zur Klarheit über das Haftungsrecht der Organe beim Voll- zuge zu gelangen. — Indessen scheinen denn doch zwei Grundsätze fest- zustehen, welche vor der Hand den geltenden Zustand charakterisiren. Daß nämlich die Nothwehr und ihr Beweis das Vollzugsorgan vor jeder Verantwortung befreit, ist selbstverständlich und gehört daher nicht hierher. Nicht ohne Bedeutung ist jedoch das Streben, diese Nothwehr auch für die Vollzugsthätigkeit möglichst genau zu definiren, und mit der gesetzlichen Vollziehung in Harmonie zu bringen. Oesterreich. K. K. Decret vom 9. Okt. 1846; preuß. Strafgesetzbuch §. 316. Rönne , Staatsrecht I. §. 103 Note. Dagegen gilt als erster Grundsatz, daß zwar die Amtshandlung da aufhört , wo die Ueberschreitung des Maßes in der Vollziehung beginnt, daß aber der Beamtete für diese Ueberschrei- tung nur „der vorgesetzten Behörde“ „verantwortlich“ sei. So nach preußischem Recht. Strafgesetzbuch §. 87 ff. Goldtammer , Archiv des Strafrechts 1. 700. Oppenhof , Strafgesetzbuch §. 89. Beseler , Commentar zum Strafgesetzbuch S. 256. 257. Das ist höchst unvoll- ständig, da weder die vorgesetzte Behörde, noch der Begriff der Ver- antwortlichkeit auch nur annähernd klar sind und keiner der Commen- tatoren die Frage nach dem Klagrechte ernstlich zu untersuchen versucht hat. Leider hat auch Temme (Glossen zum Strafgesetzbuch S. 161) ohne Erkenntniß des letztern die Sache behandelt. Daß übrigens ein Vergehen im Exceß des Vollzugs liegt, hat das Strafgesetzbuch §. 316 anerkannt. Hier ist offenbar das System nicht fertig und klar. (Vergl. Rönne , Staatsrecht I. §. 103.) — In gleicher Weise erklärt das österr. Strafgesetzbuch §. 101 den „Mißbrauch der Amtsgewalt“ strafbar; aber zur Verfolgung ist regelmäßig die Anzeige an die obere Behörde nöthig. Ganz ähnlich, und in gleich unfertiger Bestimmung des Klagrechts, die übrigen deutschen Strafgesetzbücher. — Neben dieser Unbestimmtheit steht der zweite, wie es scheint, durchstehende Grundsatz, daß bei Tödtungen oder Verletzungen in Ausübung des Dienstes eine gerichtliche Unter- suchung Regel ist, jedoch die vorgesetzten Beamteten beigezogen werden sollen. So in der preuß. Verordnung für Gränz- und Forstbeamtete von 1834 und 1837 (s. oben); österr. Strafproceßordnung (29. Juli 1853) §. 93 für „Finanz- oder andere öffentliche Wachen.“ — Wir können hierin jedoch nicht den Anfang einer rationellen Ordnung dieses Rechts erkennen. Derselbe liegt vielmehr in denjenigen einzelnen Be- stimmungen, welche die Gesetzmäßigkeit der Vollziehung der sicherheits- polizeilichen Maßregeln geordnet haben, zu denen wir jetzt übergehen. Bei aller Richtigkeit fehlt denselben jedoch sowohl im geltenden Recht als in der Theorie der innere Zusammenhang, der sie als Ausdruck der obigen Grundsätze und damit als eine organische Einheit erschei- nen ließe. Zweiter Theil. Die Sicherheitspolizei und ihr Recht. Begriff, Princip und Stellung derselben. Nachdem auf diese Weise der allgemeine Begriff der Polizei und des Polizeirechts zunächst als Theil der gesammten Verwaltung fest- gestellt ist, wird es jetzt nothwendig, den speziellen Begriff der Sicherheits- polizei als einen Theil der innern Verwaltung zu bestimmen, wobei es nicht zu vergessen ist, daß der Begriff der Sicherheit in dem bis- herigen, gewöhnlichen Sinne ein specifisch deutscher und ursprünglich nur als Gegensatz zur Wohlfahrtspolizei aufgestellter anzusehen ist. Erst mit unserm Jahrhundert, wo jene Wohlfahrtspolizei sich zur Idee der innern Verwaltung entwickelt, scheidet sich die Sicherheitspolizei als ein selbständiges Gebiet, und nun geschieht das, was wir bereits früher bezeichnet haben, daß nämlich der Ausdruck Sicherheitspolizei die ganze polizeiliche Thätigkeit bezeichnet, da in der That die letzte Aufgabe der Polizei stets die Herstellung der Sicherheit enthält. Wir glauben nun schon früher gezeigt zu haben, daß es unabweisbar ist, diesen Begriff aufzulösen. Wir haben dabei nicht bloß die Polizei im Allgemeinen selb- ständig hingestellt, sondern wir haben auch bereits angedeutet, daß die innere Polizei so viele und verschiedene Aufgaben hat, daß man den Begriff der „Sicherheitspolizei“ als einen selbständigen und mit einem eigenen Rechtssysteme versehenen innerhalb der innern Polizei wieder aufstellen kann und muß , will man anders zur Klarheit über dieß Ge- biet gelangen. Und es möge uns daher gestattet sein, zunächst den Be- griff der „öffentlichen Sicherheit“ als einen bestimmten, von allen ver- wandten Vorstellungen zu scheidenden, zu definiren. Zu dem Ende muß man von dem Wesen des Objekts aller Polizei, der Gefährdungen selbst und ihren Formen, ausgehen. Alles, was wir ein Gefährdung nennen, wird nämlich zunächst einen bestimmten einzelnen Zustand oder ein bestimmtes einzelnes Lebensverhältniß einer Person betreffen. Alsdann beruht diese Gefähr- dung stets auf einer einzelnen Vornahme oder einer einzelnen Erschei- lung. Dieß ist der Fall für Gesundheit, Credit, Maß und Gewicht und hundert andere Dinge. Es ist kein Zweifel, daß es Aufgabe der Polizei ist, auch hiefür in jedem einzelnen Falle so viel Schutz zu ge- währen, als überhaupt durch Maßnahmen und Vorschriften über das auf solche spezielle Verhältnisse bezügliche Verhalten der einzelnen Person erzielt werden kann. Auf diese Weise entsteht das, was wir die ein- zelnen Arten der Polizei nennen — wie Gesundheits-, Credits-, Wege-, Maß- und Gewichtspolizei u. s. w. Und nun haben wir schon bemerkt, daß während das allen diesen Funktionen der Polizei Gemeinsame in das allgemeine Polizeirecht gehört, die einzelnen Theile vielmehr als immanente Elemente der einzelnen Zweige der Verwaltung selbst be- trachtet und in derselben dargestellt werden müssen, so daß, wenn es nicht noch ein spezielles Gebiet außer jenen einzelnen Abtheilungen gäbe, die ganze „Sicherheitspolizeilehre“ im Grunde vermöge dieser Auflösung in die Abtheilungen der innern Verwaltung geradezu verschwinden, und nur noch die Kategorie des allgemeinen Polizeirechts, die wir oben in ihrem Inhalt entwickelt haben, übrig bleiben würde. Dieß spezielle Gebiet ist aber das der eigentlichen „Sicherheit.“ Die erste und allgemeinste Voraussetzung aller gesicherten Entwicklung des Einzelnen nämlich ist offenbar die, daß die bestehende Rechtsordnung nicht gestört werde. Der Forderung nach einer gesicherten Rechtsordnung werden sich stets alle andern Forderungen unterordnen; sie umfaßt ihrer- seits alle Zustände und Lebensverhältnisse jedes Einzelnen; sie wird in keinem derselben erschöpft, und daher auch in der Gefährdung keines Einzelnen gefährdet. Denjenigen Zustand nun, in welchem diese öffent- liche Ordnung als Ganzes gesichert erscheint, nennen wir eben die öffentliche Sicherheit. Nun gibt es Bewegungen und Zustände, deren Natur es mit sich bringt, daß sie in irgend einer Weise nicht etwa einzelne Verhält- nisse, sondern eben die Rechtsordnung als solche bedrohen. Ihr Wesen besteht darin, daß sie gewisse unmeßbare, im Voraus nicht zu berech- nende Wirkungen erzeugen können, welche auf eine unbestimmbare Menge von Rechtsverhältnissen gefahrbringenden Einfluß ausüben. Solche Be- wegungen und Zustände gehen ihrerseits stets von Menschen aus, und in den meisten Fällen liegen ihnen Hoffnungen und Interessen zu Grunde, welche geeignet sind, die Gefährdung der öffentlichen Sicher- heit noch zu vergrößern. Diese Bewegungen und Zustände sind daher naturgemäß Objekte der Polizei; und in diesem Sinne erscheint die eigentliche Sicherheitspolizei als derjenige Theil der Polizei, deren Aufgabe es ist, nicht mehr die Gemeinschaft gegen einzelne Gefährdungen durch spezielle Maßregeln und Vorschriften zu schützen, sondern die ge- sammte öffentliche und private Rechtsordnung, eben als Voraussetzung der Unverletzlichkeit jedes einzelnen Rechts, vor Erschütterung zu be- wahren. Ohne Zweifcl nun ist dieser Begriff sehr unbestimmt, und es ist einleuchtend, daß ein auf einen so unbestimmten Begriff gebautes Polizei- recht der individuellen Freiheit sehr bedenklich werden mußte. In der That war das letztere bis zum vorigen Jahrhundert der Fall, wo man nicht dazu gelangte, in jenen Begriff der öffentlichen Sicherheit mehr Bestimmtheit zu bringen, und daher auch für die Sicherheitspolizei so wenig als für die übrige Polizei zu einem eigentlichen Rechtssysteme gelangte. Erst mit dem Auftreten des großen Princips der staats- bürgerlichen Gesellschaft mußte man, da man dieses Zweiges der Polizei natürlich nicht entbehren konnte, die speziellen Aufgaben derselben scharf bestimmen, um vermöge dieser Aufgaben ein eben so scharf bestimmtes System des Rechts der Sicherheitspolizei aufzustellen. Damit be- ginnt ein Proceß der Rechtsbildung, der von großer Bedeutung für das gesammte Staatsbürgerthum geworden, und für alle Theile der Sicher- heitspolizei gleichmäßig gültig ist. Die Natur der oben charakterisirten Gefährdungen bringt es nämlich mit sich, daß sich für die Thätigkeit der Polizei, für sich betrachtet, schwer oder gar keine Gränze gesetzlich aufstellen läßt, während ein Ein- schreiten derselben dennoch unbedingt nothwendig erscheint. Eine Rechts- bildung, welche die öffentliche Sicherheit mit der persönlichen Freiheit vereinigen soll, konnte daher nur dadurch stattfinden, daß man gewisse Handlungen, statt sie bloß der polizeilichen Thätigkeit zu überlassen, geradezu in das Strafrecht aufnahm, und somit diese polizeiliche Thätigkeit auf die gerichtliche reducirte. Allerdings haben die früheren Strafgesetzgebungen bereits Andeutungen für diese Gruppe von straf- baren Handlungen; allein erst mit unserm Jahrhundert sind die Be- stimmungen über dieselben genau ausgebildet, und zwar mit der un- verkennbaren Tendenz, die Aufgabe der Polizei und ihre selbstthätige Wirksamkeit auf das möglichst geringe Maß zu reduciren. An die Stelle allgemeiner sicherheitspolizeilicher Principien ist daher jetzt ein System von Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung getreten, das wir allerdings der Strafrechtslehre zu überlassen haben. Allein trotzdem konnte das Strafrecht nicht alle Verhältnisse umfassen und erschöpfen, welche als Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit er- scheinen. Die Polizei behielt daher eine sehr wesentliche Funktion, welche unabweisbar ihrer eigenen specifischen Thätigkeit überlassen werden mußte; und so entstand ein Verhältniß, welches uns erst das eigentliche Princip des Rechts der Sicherheitspolizei aufstellen läßt. Dieß nun ist, dem Obigen gemäß, in folgender Weise zu formuliren. Durch die Entwicklung des staatsbürgerlichen Rechts ist jede Ge- fährdung der öffentlichen Rechtsordnung an sich ein Verbrechen, wenn sie eine — meist gesetzlich bestimmte — Gränze überschreitet. Bis zu dieser Gränze ist dieselbe nur noch eine öffentliche Gefahr. In jedem Theile der Sicherheitspolizei sind daher, vermöge der neuen Strafgesetz- gebung, zwei Elemente vorhanden, einerseits die gerichtliche Polizei mit ihrem Recht, und andrerseits die Verwaltungspolizei. Und die Auf- gabe des Rechtssystems der Sicherheitspolizei wird es demnach sein, in jedem einzelnen Falle oder Gebiete der Frage für die öffentliche Sicher- heit diejenige Gränze für die polizeiliche Thätigkeit zu bestimmen, bei welcher die gerichtliche Polizei aufhört und die reine Sicherheits- polizei mit ihrem Recht der Verfügung, des Verfahrens und der Haftbarkeit anfängt . Da nun aber endlich die hier eintretenden Verhältnisse so sehr verschiedener Natur sind, so ist eine gemeinsame Codifikation dieses Polizeirechtes gar nicht versucht worden, und in der That nicht möglich. Im Gegentheil hat sich für jeden Theil ein eigenes Polizeirecht gebildet. Dieß nun ist in der Literatur noch sehr ungleichmäßig behandelt, und auch ist das geltende Recht keineswegs überall gleichartig. Daher wird es die erste und wichtigste Aufgabe der Wissenschaft sein, nur erst ein- mal hier ein festes System mit allgemein gültigen Gesichtspunkten auf- zustellen. An dieses System schließt sich dann naturgemäß die Ver- gleichung des geltenden Rechts, und hoffentlich die eigentlich wissen- schaftliche Behandlung des Sicherheitspolizeirechts, das bisher in der Theorie noch keine Heimath und in der Gesetzgebung keine Freiheit gehabt hat. Wir theilen nun das ganze Gebiet der Sicherheitspolizei nach einem einfachen Gesichtspunkt. Die höhere Sicherheitspolizei ist diejenige, welche das öffentliche Recht und seine Grundlagen zu schützen hat; die niedere Sicherheitspolizei dagegen ist diejenge, bei welcher es sich um den Schutz des Rechtszustandes der einzelnen Staatsbürger handelt. Die Eintheilung wird in klarer Weise alle Aufgaben derselben zu ordnen im Stande sein. Erste Abtheilung. Höhere Sicherheitspolizei. I. Begriff und Princip. Die höhere Sicherheitspolizei beruht darauf, daß der geordnete, theils in den Verfassungen, theils in dem Organismus und der regel- mäßigen Funktion der vollziehenden Gewalt ausgedrückte Rechtszustand eines Volkes nicht durch die elementaren Gewalten des Volkslebens und nicht durch Einzelbestrebungen gewaltsam gestört werde. Denn diese feste Ordnung erscheint als die erste Bedingung der Entwicklung jedes Einzelnen, weil sie die Gewähr der großen Funktionen des Staats für das Ganze und der freien Entwicklung der Thätigkeit des Indivi- duums für sich selber enthält. Die Gefährdung jener Ordnung ist daher eine Gefährdung aller Grundlagen des Volkslebens, und es ist die Aufgabe der höheren Sicherheitspolizei, diese Gefährdungen zu beseitigen. So einfach und natürlich nun auch diese Forderungen sind, so unterliegen sie doch einem Verhängniß, das zugleich die Grundlage der historischen Rechtsbildung für die Sicherheitspolizei geworden ist. Da nämlich die durch die Sicherheitspolizei zu schützende öffentliche Ordnung, das öffentliche Recht eines Staats, ein objektiv geltendes, festes Recht ist, während die dieses Recht erzeugenden Kräfte wechseln und fort- schreiten, so ist ein Zustand, in welchem eine vollständige und dauernde Harmonie dieser Kräfte und jenes für sie geltenden Rechts vorhanden wäre, weder denkbar, noch im Grunde wünschenswerth. Jede Entwicklung wird durch eine mehr oder weniger große und fühl- bare Spannung zwischen jenen beiden Faktoren begonnen und bedingt; der wirkliche Fortschritt erscheint damit in der materiellen und geistigen Entwicklung, so wie er zu einem ausgesprochenen Drange nach einer Aenderung des öffentlichen Rechts wird, natürlich als eine Gefahr des letzteren, da er es ja positiv beseitigen will, und jeder Ausdruck dieses Strebens, mag es sonst so berechtigt sein als es wolle, wird zur Ge- fährdung des Bestehenden, formell zunächst ganz gleichgültig ob das Be- stehende gut oder nicht gut, und das durch die geistigen und materiellen Volksbestrebungen erzielte Neue besser oder schlechter ist. Jede solche Bestrebung wird eben damit zu einem Gegenstande der höheren Sicher- heitspolizei, welche denselben nach ihrer formellen Aufgabe zu bekämpfen hat, während die höhere Entwicklung des Volkslebens ihn stets in solchen Fällen mit Freude begrüßt und fördert. Jeder Staat daher, der ein innerlich noch lebendiger ist, trägt den Keim dieses Widerspruches in sich, der eine höhere Sicherheitspolizei im Namen des Bestehenden fordert und thätig macht, während er zugleich dieselbe im Namen des Werdenden bekämpft und als den Feind des freiheitlichen Fortschrittes verurtheilt. Das ist der Grund aller Miß- verständnisse über das Wesen der höheren Sicherheitspolizei. Allein die gesunde Ordnung des Staatslebens hat ein Mittel, diesen Widerspruch zu lösen. Sie setzt grundsätzlich die Möglichkeit einer Aenderung des Bestehenden, aber zu gleicher Zeit bestimmt sie die gesetzlichen Formen, in denen dieselbe geschehen muß. Durch das erste wird dem Bedürfniß der Entwicklung genügt; durch das zweite wird jede ungesetzliche Form derselben statt zu einer Gefahr vielmehr zu einem Verbrechen. Die gesetzlichen Reformbewegungen gehören daher in solchen Staaten in die Verfassung, die ungesetzlichen in das Straf- recht. Alle Formen der Bestrebungen sind hier frei , so lange sie nicht strafbar sind . Die höhere Sicherheitspolizei hat hier daher nicht den Schutz der Verfassung, sondern nur noch den der öffentlichen Ordnung zur Aufgabe. Sie hat nicht zu kämpfen mit den politischen Ansichten, Bestrebungen und Aeußerungen an sich, sondern nur mit der That , welche äußerlich die bestehende Rechtsordnung angreift. Das Element der Verfassungs polizei ist in ihr nicht vorhanden, sondern sie ist bloß Ordnungspolizei; die Verfassung kennt keine Ge- fahren, sondern nur Verbrechen, und nicht die Polizei, sondern nur die Gerichte halten dieselben aufrecht. Wo nun aber das öffentliche Recht die Reform grundsätzlich überhaupt nicht zuläßt, oder doch die Theilnahme der verfassungsbildenden Elemente des Volkslebens davon ausschließt, da beginnt die höhere Sicherheits- polizei ihre seit einigen Jahrhunderten so sehr ausgebildete und ziem- lich bestrittene Aufgabe. Sie muß, da eine solche Bewegung mit den bestehenden Rechtsgrundsätzen in formellen Widerspruch tritt, dieselbe auch bekämpfen. Je tiefer nun die geltende Verfassung unter den Forde- rungen der gesellschaftlichen Entwicklung steht, um so lauter wird das Bestreben nach Reform, um so schwieriger und ernster die Aufgabe der höheren Sicherheitspolizei. Daher kommt es denn, daß die höhere Sicherheitspolizei stets im umgekehrten Verhältniß zur freien Entwick- lungsfähigkeit der Verfassung steht. Je zweckmäßiger die letztere, desto unnöthiger die erstere; je unfreier jene, desto nothwendiger und aus- gebildeter diese. Und es folgt aus demselben Grunde, daß da, wo die bestehende Verfassung durch das grundsätzliche Ausschließen aller Reform Gegenstand gewaltsamer Angriffe zu werden droht, die höhere Sicher- heitspolizei sich auch mehr mit materiellen Mitteln umgibt, und da, wo der Geist des Volkes im Namen der Idee der Freiheit die Reformen fordert, mit dem Geiste und mit den Ideen selbst einen Kampf auf Leben und Tod beginnt. Das ist der Weg, auf dem die Sicherheits- polizei, obwohl im Grunde kein Verständiger ihre Nothwendigkeit und Berechtigung jemals bezweifeln wird, dennoch sich und die Regierung, welche sie vertritt, mit den gewaltigsten Faktoren des Volkslebens in unlösbaren Widerspruch bringt, und mit dem falschen Zwecke, für den sie arbeiten muß, selbst zugleich verurtheilt wird. Auch dieser Widerspruch kann gelöst werden, und muß es, und diese Lösung ist es, aus welcher das Recht der höheren Sicherheits- polizei hervorgeht. Offenbar ist es nicht das Streben nach Aenderung des Bestehenden, welches an sich durch polizeiliche Thätigkeit zu unter- drücken ist, sondern nur das gewaltsame Eingreifen in die bestehende Ordnung, um vermöge desselben ein neues Recht zu schaffen. Ein solches gewaltsames Eingreifen, oder jede äußere, auf Aenderung der bestehenden Rechtsordnung gerichtete gewaltsame That enthält nun selbst wieder zwei Elemente, und daher auch zwei Arten des Rechts; und hier ist es, wo die gewöhnliche Auffassung uns nicht mehr ausreicht. Einerseits nämlich als wirkliche Verletzung der bestehenden gesetzlichen Ordnung ist sie ein Verbrechen, andererseits als Vorbereitung zu jener Verletzung durch an sich nicht verbotene Handlungen ist sie ein Gegen- stand der Polizei. Zum Verbrechen sind alle jene Handlungen zu zäh- len, welche den individuellen Willen an die Stelle des allgemeinen setzen; zur Vorbereitung diejenigen, welche die materiellen Bedingungen eines gewaltsamen Kampfes des Einzelnen mit der Ordnung der Ge- sammtheit darbieten. Das Recht des Verbrechens und Vergehens gegen die Sicherheit des öffentlichen Rechts findet daher seinen Platz im Strafrecht; allein das Recht der, solche Verbrechen materiell ermög- lichenden, an sich erlaubten Handlungen kann nicht im Strafrecht Platz finden, wo nicht die Begriffe von Versuch und Hülfe angewendet werden können. Das letztere Recht ist daher ein Theil des Polizeirechts, und erscheint somit als dasjenige, was wir speziell das Recht der höhe- ren Sicherheitspolizei zu nennen haben. Der Unterschied beider Rechtsgebiete an sich ist nun wohl einleuch- tend, eben so wie ihr Objekt. Das Objekt des Strafrechts bei Bedro- hung der öffentlichen Rechtsordnung ist eine durch das Strafgesetz ver- botene Handlung, das Objekt der Sicherheitspolizei dagegen stets eine erlaubte . Die Aufgabe des ersteren ist es, den Thäter der gericht- lichen Bestrafung zu überliefern; die Aufgabe der zweiten dagegen, die Einzelnen an der Begehung von Handlungen zu hindern, welche be- straft werden müßten. Das Organ, welches funktionirt, ist allerdings regelmäßig dasselbe; die Polizei wird sowohl den wirklichen Tumultuanten festnehmen und vor Gericht bringen, als sie den zum Tumult Herbeieilenden durch Absperrung der Straße von der Theilnahme am Auflauf zurückhält. Allein das Recht beider Funktionen ist wie die Funktionen selbst, ein sehr verschiedenes. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, daß das Organ im ersten Falle als gerichtliche, im zweiten als eine Sicherheitspolizei funktionirt. Und es ergibt sich daraus, daß es sich hier auch nicht mehr um eine einfache, sondern vielmehr um eine doppelte Rechtsbildung handelt, deren Charakter, denken wir, nunmehr festgestellt werden kann. Die Rechtsbildung für die gerichtliche höhere Sicherheitspolizei und die Verbrechen, die dahin gehören, liegt im Gebiete des Strafrechts und des Strafprocesses. Es ist einer der wesentlichen Unterschiede des gegenwärtigen Strafrechts von dem früheren, daß jetzt die Gränze für dasjenige genau festgestellt ist, was als Verbrechen gegen das öffentliche Recht gilt. Die Aufgabe dabei war nicht bloß, die Strafe überhaupt zu fixiren, sondern durch die Bestimmungen des Strafrechts sie der Polizei zu entziehen und den Gerichten zu übergeben, um die staats- bürgerliche Freiheit gerade in diesem Gebiete gegen polizeiliche Willkür sicher zu stellen. Allein es war klar, daß mit dem Strafrecht und Strafproceß hier nicht ausgereicht werden konnte. Es mußte stets dem eigentlich polizeilichen Verfahren ein wesentliches Maß von Berechtigung eingeräumt bleiben. Und an diese Nothwendigkeit schloß sich nun der zweite Theil der obigen Rechtsbildung. Dieser enthält nämlich den großen, in allen civilisirten Nationen ziemlich systematisch durchgeführ- ten Versuch, nunmehr auch das eigentlich sicherheitspolizeiliche Verfah- ren neben dem strafrechtlichen durch bestimmte Gesetze zu ordnen, die staatsbürgerliche Freiheit und namentlich die Formen der Kundgebung öffentlicher Ansichten, die im Gegensatz zum geltenden öffentlichen Recht stehen, vor polizeilicher Willkür sicher zu stellen, und damit dasjenige zu bilden, was wir das verfassungsmäßige Sicherheitspolizei- recht zu nennen haben. Wir denken, daß dieser Begriff nunmehr wohl klar sein wird. Die Sache selbst ist natürlich lange bekannt; das, worauf es hier zunächst ankam, war, sie wissenschaftlich zu formu- liren, und ihr ihre systematische Stellung zu geben. Diese kann sie im Strafrecht nicht finden, und das ist wohl der Grund, weßhalb sie bisher nie systematisch behandelt worden ist. Es ist nicht möglich, sich dieß so wichtige Gebiet anders als in der Form der Sicherheitspolizei und ihres Rechts zu denken, unter bestimmter theoretischer Scheidung von der gerichtlichen Polizei, und zugleich als eine selbständige, eine eigene historische Entwicklung darbietende, wichtige Erscheinung unsers öffentlichen Rechtslebens. Indem wir nun auch hier, wie in den übrigen Gebieten des Verwaltungsrechts, das tiefere Eingehen in die einzelnen namentlich juristischen Fragen den berufenen Fachmännern überlassen müssen, ist es doch nicht überflüssig, den Charakter der historischen Entwicklung dieses speziellen Sicherheitspolizeirechts schon hier festzustellen, der wohl eben so leicht zu verstehen als zu bezeichnen sein dürfte. Diese Rechtsbildung geht nun auch hier auf der allgemeinen Grund- lage ihrer beiden Elemente vor sich, des allgemeinen Princips und der einzelnen Rechtssätze. Die Voraussetzung jeder juristischen Behandlung ist hier offenbar die Scheidung zwischen dem Element des Straf- und des Polizeirechts, und mithin zwischen der gerichtlichen und der Sicherheitspolizei, bei welcher die offene Anerkennung der Nothwendigkeit der letztern, obwohl sie niemand formell zu läugnen wagt, doch auf große Schwierigkeit stößt. Man darf sich eben aus dem letzten Grunde nicht wundern, daß man in dieser Beziehung nicht weiter gekommen ist, da jede solche Anerkennung gar leicht als eine Negation des Rechts auf freie Ent- wicklung der Verfassung aus den angeführten historischen Gründen er- schien, und jeder sich leicht für um so freisinniger hielt, je rücksichts- loser er jede höhere Sicherheitspolizei verurtheilte. Daß daher England darüber gar keine Literatur hat, wird uns nicht wundern. Aber auch in Frankreich, wo doch die Polizei so thätig und mit einer so reichen Literatur versehen ist, hat man nicht gewagt, die höhere Sicherheits- polizei ( haute police ) ernstlich zu behandeln, da man, gleichfalls aus historischen und hinreichend bekannten Gründen, in derselben stets das Element der Reaktion gegen die Entwicklung einer freien Verfassung sah, und dieselbe meistens geradezu mit der „geheimen“ oder rich- tiger der Gesinnungspolizei verwechselte, über deren Verurtheilung wohl alle einig sind. Die französische Literatur hat sich daher auf die einzelnen Sicherheitspolizeigesetze beschränkt, ohne zu einem Princip zu gelangen. Was Deutschland betrifft, so ist hier von jeher der Muth der wissenschaftlichen Ueberzeugung stärker gewesen und hat daher auch die höhere Sicherheitspolizei offene Anerkennung im Princip und offene Bekämpfung ihrer Uebergriffe gefunden. Hier ist der erste wissen- schaftliche Vertreter der freien Gestaltung des Sicherheitspolizeirechts Aretin in seinem Staatsrecht der const. Monarchie Bd. II, Abth. II, dessen letzte Arbeit (S. 177 ff. 194 bei diesem Punkte beginnt die Fortsetzung Rottecks nach dem Tode des ausgezeichneten Verfassers) zu dem Trefflichsten gehört, was über die Polizei gesagt worden ist. Ihm folgt Pölitz , (Staatswissenschaft I. 502 und II. 361), die Frage bereits im Princip ganz richtig behandelnd, ohne jedoch auf die einzelnen Rechtsgebiete einzugehen, während die übrigen sich mehr im Gebiete allgemeiner Redensarten halten. Erst seit 1848 ist das Princip voll- ständig anerkannt, aber der Mangel einer selbständigen Verwaltungs- lehre schob das ganze Gebiet in die Strafproceßlehre, wo sie z. B. v. Sundelin in seiner fleißigen, aber ohne Beziehung zum Begriffe der hohen Polizei gearbeiteten Schrift: „Die Habeas Corpus -Akte und die Vorschriften zum Schutz der Person in den deutschen Strafgesetz- gebungen 1862“ zusammenstellte. — Was Mohl in seiner sog. „Prä- ventiv-Justiz“ will, ist ihm wohl nie klar geworden. Abgesehen von der schüchternen Besprechung der Hauptpunkte (§. 2—17) ist es doch wohl klar, daß das, was „Prävention“ ist, eben keine „Justiz“ mehr sein kann, die ihrem Begriffe nach eben eine geschehene That und für dieselbe eine positive Bestrafung enthält. Er denkt sich dabei offenbar unklar die von uns oben bezeichnete gerichtlich-polizeiliche Funktion der Verwaltungspolizei; aber hier kann man mit allgemeinen Sätzen eben nicht weit kommen. Begriff und Ausdruck der Präventiv-Justiz sind be- zeichnend genug, aber eben für den überwundenen Standpunkt der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. II. Die Grundlagen der historischen Rechtsbildung der höheren Sicherheitspolizei. Alle höhere Sicherheitspolizei hat eine Voraussetzung, die wir bereits angedeutet haben, und die es erklärt, weßhalb sie erst in der staatsbürgerlichen Gesellschaft zu einer selbständigen Rechtsbildung ge- langen kann. So lange nämlich die Aenderung des bestehenden öffent- lichen Rechts grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist auch jedes Bestreben, eine solche Reform herbeizuführen, an und für sich ein öffentliches Ver- brechen. Die Polizei hat hier daher nur die Funktion einer gerichtlichen Polizei, welche jede Aeußerung eines solchen Bestrebens sofort als be- reits geschehenes Verbrechen einfach dem Gerichte zuweisen muß. Erst da, wo die Verfassung selbst ihre eigene Entwicklungsfähigkeit und damit das Streben nach einer solchen Entwicklung als einen organischen Theil des staatsbürgerlichen Rechts anerkennt, scheidet sich die Sicher- heitspolizei von der gerichtlichen Polizei der Verbrechen gegen die öffent- liche Rechtsordnung; und dieser Proceß der Scheidung bietet dann eben den Inhalt der Geschichte ihrer Rechtsbildung. Die letztere hängt daher auf das Engste mit der ganzen öffentlichen Rechtsentwicklung Europa’s zusammen, oder ist vielmehr ein eigener Stein , die Verwaltungslehre. IV. 7 Theil derselben. Auf dieser Grundlage ist sie nicht schwer zu übersehen. Sie beginnt mit der französischen Revolution, und läßt uns einen tiefen Blick in das Wesen derselben, sowie in die Gesammtzustände der europäischen Völker thun, deren Recht durch die Folgen jener ge- waltigen Bewegung so tiefe Umwälzungen erfahren hat. Die Geschichte der französischen Revolution mit all ihren wunder- baren Wechselgestaltungen wäre gewiß unverständlich, und unverständ- lich bliebe mit ihr das neue Recht der Sicherheitspolizei in Europa, wenn jene einen einfachen Inhalt gehabt hätte. Allein in ihr waren vielmehr drei große Elemente der Geschichte thätig, und die Wechsel- wirkung dieser Elemente hat das wechselnde Recht der Revolution selbst er- zeugt und ihre Hauptepochen definirt. Das erste dieser Elemente war die vollständige Besiegung der ständischen Gesellschaftsordnung und ihres Rechts. Das zweite war der Gegensatz des freien Staatsbürgerthums gegen die selbstthätige und selbständige, persönliche Staatsidee und ihre öffentlich rechtliche Stellung. Das dritte war das, auf dem Gegensatz der Classen beruhende große sociale Element. Wir haben diese Elemente bereits in unserer Geschichte der socialen Bewegung Frankreichs ent- wickelt. Wir bedürfen ihrer hier nur, um das Wesen und die Stel- lung der Sicherheitspolizei in der neuen Rechtsordnung zu charakterisiren. So wie die staatsbürgerliche Gesellschaft zur Herrschaft gelangt, bildet sie sich ihr eigenthümliches Recht, das wir unter dem Namen des „constitutionellen Staatsrechts“ begreifen. Dabei ist sie von dem Bewußtsein durchdrungen, daß sie selbst keine abgeschlossene und fertige ist, und daß daher eine starre, für alle Zeit gültige Constitution ihr nicht entspricht. Sie fürchtet aber in diesem Werden, dem von ihr grundsätzlich anerkannten Recht auf Neugestaltung der Verfassung, zwei Dinge zugleich. Einerseits fürchtet sie die persönliche Staatsgewalt, andererscits den socialen Kampf. Sie erkennt fast instinktiv, daß die erstere den Fortschritt hemmen wird, und daß der zweite ihn überstürzen muß. Sie kann die Reform nicht entbehren um der ersteren willen, um so weniger, als sich die letzten Elemente der ständischen Ordnung auf das Engste mit ihr verbinden; sie kann sie nicht unbeschränkt zulassen um des zweiten willen, weil dann das Ende der Waffen- kampf ist. So muß sie ein doppeltes System des öffentlichen Rechts zulassen und ausbilden. Sie muß die nothwendigen Bedingungen der Reformbewegung als über dem Willen der Regierung erhaben feststellen, und das kann nur dadurch geschehen, daß sie dieselben unmittelbar in die Verfassungsurkunde aufnimmt, als einen Theil des Grund- gesetzes. Sie muß zugleich aber der Regierung selbst die rechtliche Ge- walt geben, gegen gewaltsame Störungen der bestehenden Constitution aufzutreten. Damit aber die letztere diese ihre Gewalt nicht mißbrauche, muß dieselbe in zweifacher Weise beschränkt werden. Zuerst muß die wirklich vorhandene Störung ein eigenes Verbrechen im Strafgesetze werden; dann muß auch da, wo statt des Verbrechens eine Gefahr vorliegt, das Verfahren gegen diese Gefährdung mit möglichst genauen Gesetzen umgeben werden. So beschränkt die staatsbürgerliche Gesell- schaft die höhere Sicherheitspolizei in drei gesetzlichen Formen. Die erste besteht in der Aufnahme des allgemeinen Princips der freien öffentlichen Willensäußerungen in die Verfassung, welche hier mit dem Princip des freien individuellen Rechts verbunden erscheint. Das zweite besteht in den Bestimmungen der neuen Strafgesetzbücher. Das dritte endlich enthält nun erst das eigentliche Sicherheitspolizeirecht. Aus diesem Verhältniß erklärt sich uns der historische Gang dieser Rechtsbildung. Natürlich kommt dabei stets die Aufnahme in die Ver- fassung in erster Reihe. Frankreich hat den Ruhm, das Princip für das Recht der höheren Sicherheitspolizei zuerst zum Bewußtsein gebracht und auch formulirt zu haben. Nur erscheint dasselbe hier rein negativ, als Bestimmung der rechtlichen Gränze für die Berechtigung der voll- ziehenden Gewalt gegenüber der freien Bewegung des Staatsbürger- thums. Die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ vom 26. Aug. 1789, welche der Constitution vom 3. Sept. 1791 vorauf- geht, ist im Grunde der erste große Ausdruck des Princips der Selbstbe- stimmung der Völker oder ihrer Verfassung — „le principe de toute sou- veraineté réside essentiellement dans la nation.“ (Art. 3.) Alle folgen- den Artikel enthalten die Bestimmungen über die Gränze der höheren, durch die Regierung ausgeübten Sicherheitspolizei gegenüber der Entwicklung der Verfassung durch eben diesen Volkswillen. Die déclaration des droits ist in der That das erste große Sicherheitspolizeirecht des Continents. Alle nachfolgenden Gesetze, ja alle nachfolgenden Ver- fassungen und Theorien sind nichts anderes, als die weitere Entwicklung der in dieser Declaration aufgestellten Principien des Polizeirechts der Verfassungsänderungen . Es mag uns, da man das vielfach gänzlich vergessen hat, verstattet sein, darauf hier wieder hinzuweisen. Um dieß Verhältniß klar zu machen, setzen wir einfach das Wort „Polizei“ an die Stelle des unbestimmten Fürwortes „nul,“ und die Sache liegt auf der Hand. Art. 5: Keine Polizei ( nul ) kann verbieten, was das Gesetz nicht verbietet. Art. 7: Die Polizei kann niemanden ver- haften, wenn das Gesetz ( la volonté générale ) es nicht vorschreibt. Art. 8: Die Polizei kann keine als die vom Gesetze vorgeschriebene Strafe anwenden. Art. 9: Jede polizeiliche Verhaftung einer Person, die nicht gesetzlich berechtigt ist, soll vom Gesetze strenge bestraft werden. Art. 10: Die Polizei darf niemanden in seinen religiösen Ansichten stören, wenn dieselben nicht die öffentliche Ordnung bedrohen. Art. 11: Die Sicherheitspolizei kann in dem Verkehr der Gedanken nur da ein- greifen, wo das Gesetz es im bestimmten Falle ausgesprochen hat. Endlich gar schon das Princip der polizeilichen Verantwortlichkeit im Art. 15: „Die Gemeinschaft ( la société ) hat das Recht, von jedem Organe ( agent ) seiner Verwaltung Rechenschaft zu fordern.“ Und um dem Bewußtsein von demjenigen, wovon es sich hier handelt, den klarsten Ausdruck zu geben, sagt Art. 12: „Die Sicherheit der öffent- lichen Rechte ( la garantie des droits de l’homme et du citoyen ) er- fordert eine öffentliche Gewalt (eine Sicherheitspolizei — „une force publique“ ), diese öffentliche Gewalt ist also eingesetzt zum Vortheil aller, und nicht zum Vortheil derer, denen sie anvertraut ist.“ — So ist hier das System des verfassungsmäßigen Polizeirechts beinahe voll- ständig formulirt. Die Scheidung zwischen dem Staatsbürger und der vollziehenden Gewalt, die Anerkennung der letzteren und ihrer selbst- bestimmten Thätigkeit, und endlich das große Princip der Begränzung der letzteren durch das Gesetz liegen hier klar vor. Dasjenige nämlich, wodurch jene déclaration des droits ihre Zeit so gewaltig ergriff, jene so oft mißverstandene Idee der souveraineté de la nation ( noch nicht die du peuple ) ist in der That nur Ein Moment in der Bedeutung der neuen bill of rights; sie ist zunächst nichts als das große Princip, daß das Gesetz das höchste Recht bilde. Das zweite Moment derselben besteht dagegen darin, daß sich diesem Gesetze die Verordnungsgewalt, und namentlich die der Sicherheitspolizei, die ihrer Natur nach am unbestimmtesten ist, zu unterwerfen habe. Mit diesem Princip gab sie den Völkern neben der Idee der Verfassung zugleich, wenn auch nur noch in ziemlich enger Beschränkung eben auf die Sicherheitspolizei, die große Grundlage alles verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts, die Unterordnung der Exekution unter die Legislative, und die Basis der persönlichen Freiheit in der Gültigkeit des Gesetzes gegenüber der (Polizei-) Verordnung. Das war es, dessen die staatsbürgerliche Gesellschaft be- durfte, um aus der strengen und willkürlichen polizeilichen in die staats- bürgerliche Verwaltung überzugehen, und der Jubel, mit dem man diese Erklärung der Menschenrechte begrüßte, bedeutete eben so sehr eine neue Epoche des Verwaltungs- und namentlich des Polizeirechts als der Verfassung. Und wenn man das erstere mehr fühlte als begriff, und darum viel schneller zu dem zweiten gelangte, das jedermann ver- ständlich war, so lag das einfach darin, daß eben eine Verfassung weit leichter herzustellen ist, als eine Verwaltung. Indeß blieb das gewon- nen, daß diese großen Principien, wenn auch nur erst in Beziehung auf die Sicherheitspolizei, als Grundlagen der Rechtsbildung von da an festgehalten werden. Und es muß dabei nicht übersehen werden, daß es sich hier eben noch nicht um die Verwaltungspolizei, sondern nur um die höhere Sicherheitspolizei handelt. Von hohem Interesse aber ist es nun, zu sehen, wie schrittweise mit dem Wiedererstehen der selb- ständigen Regierungsgewalt jene elementaren Grundsätze jetzt in den Verfassungen, zuerst in Frankreich und später auf dem übrigen Con- tinent, langsam aber unverkennbar abgeschwächt werden. Das specifische Merkmal dieser Abschwächung besteht darin, daß die späteren Verfas- sungen den Begriff und das organische Wesen des Gesetzes weglassen, die höhere Sicherheitspolizei, namentlich das Versammlungs- und Ver- einsrecht, in den Verfassungsurkunden stillschweigend übergehen, und sich meistens darauf beschränken, nur noch dasjenige beizuhalten, was die verfassungsmäßige Beschränkung der Einzelpolizei, Verhaftungs-, Haus- und Briefrecht betrifft. Schon die erste französische Constitution vom 3. Sept. 1791, indem sie den Titre premier als Approbation des principes de la déclaration des droits formell anerkennt, und alle obigen Punkte aufnimmt, kommt zu dem bedeutsamen Princip des Vereins- und Versammlungsrechts: „La liberté aux citoyens de s’as- sembler paisiblement et sans armes, en satisfaisant aux lois de police.“ Da steht bereits das „Gesetz der Polizei“ neben der Ver- fassung. Es ist eine zweite Gesetzgebung neben der ersten, mit gleicher Berechtigung, mit gleicher Bestimmung; es ist ein zweites Element in die liberté des citoyens hingekommen. Es ist klar, daß man sich über jene zweite Gewalt eben nicht klar ist; man erkennt ihre Noth- wendigkeit, aber noch nicht ihre Gränzen; und diese zweite Gewalt ist eben die Polizei. Sie ist da; ihre freie, selbständige Bewegung ist schon jetzt als Bedingung der organischen Entwicklung betrachtet, und es kommt nun darauf an, diese Bewegung der Polizei auch ihrerseits mit Gesetzen zu umgeben, um das staatsbürgerliche Recht des Einzel- nen zu wahren. Die Verfassung von 1793 ist in dieser Beziehung höchst bezeichnend; sie setzt die strengsten Strafen ein für jedes öffent- liche Organ, das in die Freiheit der Einzelnen ungesetzlich eingreift ( Déclar. des droits in der neuen Redaktion als Einleitung in die Constitution (Art. 11, 12); aber der Art. 55 scheidet bereits die Décrets von den Lois, und überweist den décrets des Corps législatif unter anderem auch „les mesures de sûreté et tranquillité générale;“ die Quelle des Verordnungsrechts ist damit formell neben derjenigen der Gesetze gleichberechtigt anerkannt, und seine Geschichte zeigt uns, in welch’ furchtbarer Weise diese höhere Sicherheitspolizei — denn es war nichts anderes, warum es sich handelte — ausgeübt ward. Die déclaration des droits vor der Constitution von 1795 lautet schon ganz anders. Hier ist nur die „rigueur qui ne serait pas nécessaire“ bei Verhaftung u. s. w. streng verboten (Art. 10); von einem Versammlungsrecht ist keine Rede mehr; es erscheint nur noch in den Assemblées primaires, den Urversammlungen ( T. III. ) Die Constitution von 1799 hat nun fast das Ganze weggelassen, und von da erscheint die höhere Sicherheits- polizei gar nicht mehr in den Verfassungen, sondern nur noch als Bestimmung über das Recht der Einzelpolizei. Diese aber bildet von da an einen integrirenden Bestandtheil aller, aus den französischen Verfassungen unmittelbar hervorgehenden Verfassungen des Continents, während namentlich in den deutschen Verfassungen auch diese nur zum Theil aufgenommen sind. Von einem Recht der freien öffentlichen Versammlungen und von einem Klagrecht gegen die Polizeiorgane dagegen, den beiden Elementen des verfassungsmäßigen Rechts der höheren Sicherheitspolizei, ist bei denselben keine Rede. Erst nach 1848 tritt von diesen beiden Rechten das erstere in den Verfassungen wieder auf, wenn auch nur schüchtern und ohne zur allgemeinen An- erkennung zu gelangen. Dagegen ist allerdings der Fortschritt auf dem zweiten und dritten Gebiet, das den obigen Mangel wesentlich ersetzt, nicht zu verkennen. Derselbe besteht einerseits in der Aufnahme der Verletzungen der öffentlichen Rechtsordnung in die Strafgesetz- bücher , bei denen wieder der Code Pénal vorangeht, und zwar nicht bloß für die Verwaltungsvergehen (Art. 471), sondern auch für die Verbrechen gegen die bestehende Rechtsordnung, wodurch die Funktion der Sicherheitspolizei auf die Ueberweisung der Thäter an die Gerichte beschränkt, und statt der polizeilichen Willkür eine feste gesetzliche Strafe und ein gerichtliches Verfahren aufgestellt wird, ein Verhältniß, was früher nicht stattfand, wo gegen die Feinde der bestehenden Rechts- ordnung ohne Urtheil und Recht polizeilich verfahren wurde. Anderer- seits aber entsteht in Frankreich an der Stelle jener allgemeinen Prin- cipien für das Recht der höheren Sicherheitspolizei eine Reihe von Gesetzen für die einzelnen Akte derselben, welche ihrerseits die bür- gerliche Freiheit zum Theil weit besser schützen, als jene abstrakten Grundsätze der déclaration des droits . Diese Bewegung geht nun von Frankreich über auf Belgien, Holland und die deutschen Staaten. Allein auch bei den letztern ist dieß Streben nach staatsbürgerlicher Verfassung und Freiheit in der ganzen ersten Hälfte unsers Jahrhunderts noch ein sehr abstraktes, und bewegt sich fast ausschließlich auf dem Boden der Frage nach der Volksvertretung und ihrer Steuerbewilligung, während die Fragen der Verwaltung und speziell das Recht der höheren Sicher- heitspolizei fast gar nicht berührt werden. Vereine und Versammlungen, in Belgien und Holland erlaubt, bleiben in Deutschland einfach ver- boten , über das Einschreiten bei Tumult existiren statt der Gesetze fast nur Verordnungen, die von den „Ständen“ gar nicht berathen. sondern als Domaine der Regierungsgewalt betrachtet werden; ein Be- schwerderecht wird zwar im Princip anerkannt, aber ein öffentlich recht- liches Verfahren in demselben gibt es überhaupt nicht, und die staats- rechtliche Literatur, erschöpft in reinen Verfassungsfragen, gelangt auch ihrerseits bei völliger Unklarheit über das Wesen der höheren Sicher- heitspolizei nicht zu einer Untersuchung über das Recht derselben. Deutsch- land ist daher bis 1848 nicht bloß in der Einzelpolizei, sondern auch in der höheren Sicherheitspolizei weit hinter England, Belgien, Holland und selbst Frankreich zurück. Allerdings beginnt nun mit 1848 eine neue Zeit. Allein man hat sie auch in dieser Beziehung mannigfach überschätzt. Die Verfas- sungen haben sich auch seit der deutschen Reichsverfassung zwar viel mit dem Recht der Einzelpolizei, aber wenig mit dem der höheren Polizei beschäftigt. Ein Princip ist auch in der neuen Literatur nicht ent- standen. Der Charakter dessen, was hier geschehen ist, besteht vielmehr wieder nach französischem Muster darin, daß man ein gesetzliches System des Polizeistrafrechts anerkannt, und zweitens, daß man für die ein- zelnen Akte der höheren Sicherheitspolizei einzelne Gesetze, und auch diese nicht allenthalben, erlassen hat. Es ist aber dennoch kaum zwei- felhaft, daß hier die Gesetzgebung weiter ist, als die Wissenschaft. Deutschland will einmal vorher systematisch wissen, was es gesetzlich zur Gültigkeit bringen soll. In keinem Lande ist die Literatur für die Rechtsbildung so bedeutend als hier. Gut oder übel, wir gehen von dieser Thatsache aus. So wenig wir auch hier hoffen dürfen, bei dem geringen Maß von Kenntniß des geltenden Rechts, das uns bis jetzt zu Gebote steht, hier irgend einen Punkt endgültig zu erledigen, so hat doch das Folgende vielleicht den Werth, in einer, wie wir glauben, entscheidenden Epoche für diesen Theil des öffentlichen Rechts den Anlaß zur Bildung einer systematischen Auffassung des Ganzen darzubieten. III. Das System und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei. Es geht aus der obigen Darstellung hervor, daß das geltende Recht jener großen Aufgabe, welche wir als die höhere Sicherheitspolizei bezeich- net haben, sich nicht so sehr in einer systematischen Einheit, als vielmehr in ihren einzelnen Funktionen und stückweise gebildet hat. Es hat daher einen Werth, eben jene Einheit hier als Grundlage dieser Theile und ihres Rechts voranzustellen. Das System der höheren Sicherheitspolizei ist natürlich das System der einzelnen Thätigkeiten der Polizei, mit welchen sie den Bewegungen entgegentritt, die die bestehende Rechtsordnung gefährden. So viele Grundformen die letzteren zeigen, so viele Abtheilungen muß daher auch das System dieser Polizei haben. Jene Grundformen nun haben sich allmählig in sehr bestimmter Weise ausgebildet, und ihre Namen und Begriffe im öffentlichen Rechtssysteme empfangen. Sie sind die Verbindung , die öffentliche Versammlung , die Volksbewe- gung , und endlich der Zustand allgemeinster Bedrohung der öffentlichen Rechtsordnung, die zum Belagerungszustande führt. In diesen vier Formen ist die Bedrohung der letzteren wohl erschöpft. An dieß formelle System schließt sich nun das des Rechts , wel- ches die höhere Polizei diesen Gefährdungen gegenüber besitzt. Und hier nun wird die Darlegung dieses Systems auf demjenigen fußen, was wir theils über den Unterschied der gerichtlichen und der Verwal- tungspolizei, theils über die Geschichte des Polizeirechts ausgeführt haben. Es ist nämlich dargelegt, wie die Nothwendigkeit, die höhere Sicher- heitspolizei beizubehalten, und anderseits die Forderung, das Recht der Staatsbürger ihnen gegenüber zu schützen, dahin geführt haben, die Verletzungen und selbst schon die ernstlichen Bedrohungen der öffent- lichen Rechtsordnung durch die Bestrebungen, welche sich darauf richten, zu selbständigen, mit bestimmten Thatbeständen bezeichneten, und mit bestimmten Strafen belegten Verbrechen zu machen. Das nun hat die ganze Stellung und das Recht der Polizei hier wesentlich geändert. Bis zur Aufstellung der neuen Strafgesetzbücher nämlich war die Polizei allein berechtigt, hier einzugreifen, und die Strafen, sowie das Ver- fahren gegen die Störer der öffentlichen Rechtsordnung fielen der Polizei anheim. Diese Vollgewalt der Polizei, die hier demnach allein nach ihrem eigenen Ermessen handelte, war für alle Bestrebungen, welche auf einen Fortschritt in den bestehenden Rechtsverhältnissen gerichtet waren, eine sehr ernsthafte Sache. Das Aufstellen eines bestimmten Strafsystems hatte daher den großen Werth, die Linie zu bezeichnen, bei der die rechtliche Strafbarkeit solcher Bestrebungen anfing, und es der Polizei unmöglich zu machen, einseitig solche Bewegungen durch ihr Strafverfahren unmöglich zu machen. Dann aber schied dieß Strafsystem nun auch innerhalb der höheren Sicherheitspolizei die gerichtliche von der polizeilichen Funktion, und gab damit beiden Funktionen ihr Recht. Von jetzt an nämlich hatte die Polizei da, wo in Verbindung, Ver- sammlung und Tumult ein nach dem Strafrecht zu verfolgendes Ver- brechen vorlag, nur noch das Recht und natürlich auch die Pflicht, einerseits durch ihre Maßregeln die Fortsetzung des Verbrechens zu hindern, anderseits aber die Thäter zwar zu ergreifen, aber dieselben auch sofort nach den bei der Einzelpolizei geltenden Grundsätzen (s. unten) den Gerichten zu überliefern. Alles weitere Verfahren ging sie nichts an; von einer rein polizeilichen, einseitig durch die Verordnungsgewalt ausgesprochenen Bestrafung war keine Rede mehr. In so weit war sie also zur rein gerichtlichen Polizei geworden, und alle Grundsätze des, früher bereits dargestellten allgemeinen gerichtlichen Polizeirechts waren auf sie anwendbar. Das, was früher die Polizei geleistet, be- schränkte sich daher jetzt auf die Anwendung der Grundsätze der reinen Sicherheitspolizei. Sowie diese Unterscheidung feststand, mußte nun die Frage entstehen, ob nicht auch diese rein sicherheitspolizeiliche Funktion der Polizei, statt ihrem Ermessen überlassen zu bleiben, nicht viel- mehr gleichfalls bestimmten, die individuelle Freiheit schützenden Rechts- formen unterworfen werden solle. Das Princip des neuen Staats- bürgerthums ließ dieß als eine nicht bloß berechtigte, sondern als eine ganz natürliche Forderung erscheinen; und so entstanden die Gesetze über Verbindungen, Versammlungen, Tumulte und Belagerungszustand. Der ursprüngliche Gedanke dieser Gesetze war nur der, ein gesetzliches Recht für die Funktion der Sicherheitspolizei in jenen Fällen zu schaffen, während die gerichtliche Funktion der letzteren als selbstver- ständlich vorausgesetzt, und die gerichtliche Strafe im Strafgesetzbuche bestimmt war. Da jedoch in einigen Strafgesetzbüchern dieß Strafrecht entweder gar nicht oder nicht vollständig enthalten war, so geschah es, daß die Specialgesetzgebung für jene Fälle vielfach neben dem rein poli- zeilichen Recht auch Elemente des eigentlichen Strafrechts mit enthielt. Das nun war der Grund, weßhalb man sich, namentlich da auch ein klarer Begriff der selbständigen höheren Sicherheitspolizei fehlte, über die eigentliche Stellung dieser Gesetze so wenig einig ward, als über die, welche die Einzelpolizei betrafen. Dennoch kann wohl über die Sache selbst kaum ein Zweifel sein. Das, was hin und wieder in jenen Gesetzen strafrechtliche Bestimmungen enthielt, muß als einfache Erweiterung des geltenden Strafrechts angesehen werden, und gehört dem Polizeirechte mithin überhaupt nicht an. Nimmt man dieß hin- weg, so folgt, daß alle übrigen Vorschriften nur das Recht des Polizei- verfahrens in den Fällen der höheren Sicherheitspolizei enthalten. Dieses Recht hört auf in dem Augenblick, wo statt einer bloßen Ge- fährdung schon ein wirkliches Verbrechen , strafbar nach dem Straf- gesetz, vorliegt. So wie dieß der Fall ist, wie wenn eine verbotene und strafbare Verbindung wirklich vorhanden ist u. s. w., hat die höhere Sicherheitspolizei dieß Verbrechen nur zu entdecken, seine Fortsetzung zu hindern und die Thäter dem Gericht zu überliefern; so lange es nicht geschehen ist, geht das Recht der höheren Sicherheitspolizei nur gegen die Gefahr, daß ein solches Verbrechen überhaupt geschehen könne. Natürlich sind nun dabei die Funktionen der gerichtlichen und der Sicher- heitspolizei materiell so eng verschmolzen, daß, da beide ein sehr ver- schiedenes Recht haben, die Aufstellung einer principiellen Gränze von entscheidender Bedeutung wird. Diese nun glauben wir im folgenden Satze aufstellen zu können. Die Aufgabe und das Recht der gericht- lichen Funktion der höheren Sicherheitspolizei tritt ein, sobald die letztere als eine Freiheitsbeschränkung eines einzelnen Indivi- duums auftreten muß, was natürlich namentlich bei Verhaftung der Fall ist. Hier hat die höhere Sicherheitspolizei sofort, sowie sie in die Rechts- sphäre eines einzelnen, speziell bestimmten Individuums für die Zwecke der allgemeinen Polizei eingreift, die Regeln der gerichtlichen Polizei zu befolgen, und steht in Beziehung auf ihre einzelnen Aktionen unter dem Grundsatze der Verantwortlichkeit des allgemeinen Polizeirechtes, ganz gleichgültig, welcher von den vier Fällen vorliegt. Sie kann eben deß- halb nie strafen, sondern nur die Bestrafung und Verfolgung gegen dieß Individuum sichern, und das Moment der höheren Sicherheits- polizei liegt eben darum nur darin, daß überhaupt durch die gerichtliche Bestrafung der Einzelnen die Verbrechen gegen die Rechtsordnung ge- hindert werden. — So lange es sich dagegen nicht um den Einzelnen und mithin um die von ihm bereits nach dem Strafgesetz strafbare Handlung und ihre Verfolgung handelt, sondern bloß noch um die Gefahr, daß durch solche Bewegung in den oben bezeichneten vier Formen die öffentliche Rechtsordnung gestört werde, tritt die reine Sicherheitspolizei ein, und zwar ist das Princip ihres Rechts in allen diesen Fällen ein- fach das, daß sie berechtigt ist, alle ihr gesetzlich zu Gebote stehen- den Mittel ohne Rücksicht auf die Rechtsverletzung Einzelner zur Beseitigung solcher Gefährdung anzuwenden. Man kann daher vielleicht am kürzesten und besten sagen: das reine Recht der höheren Sicherheits- polizei gilt so weit, als die Funktion der Polizei es nicht mit bestimm- ten Individuen zu thun hat; das Recht der gerichtlichen Polizei beginnt auf dem Punkte, wo jene Funktion sich gegen das einzelne bestimmte Individuum wendet. Und diese Scheidung muß daher diesem Theile des Polizeirechts zum Grunde gelegt werden. Demgemäß werden wir es nun versuchen, die vier einzelnen Fälle und ihr rein polizeiliches Recht zu charakterisiren. Jeder derselben hat wieder sein eigenes Recht , und es ist eine Aufgabe der Wissenschaft des Polizeirechts, dasselbe mit den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- rechts in organische Verbindung zu bringen. IV. Das geltende Recht. 1) Die Polizei der Verbindungen und geheimen Gesellschaften . Der Wechsel der Gesetzgebung wie die Unbestimmtheit der theoreti- schen Begriffe macht es nothwendig, der Darstellung der Verbindungs- und Gesellschaftspolizei eine möglichst scharfe Bestimmung der Begriffe vorauszusenden, die um so nothwendiger ist, als das Vereinswesen überhaupt noch keine rechte Stelle weder in der Rechts noch in der Staatswissenschaft gefunden hat, und jede Jurisprudenz des Vereins- wesens sich doch zuletzt an solche feste Kategorien anschließen muß. Wir können dieß jetzt leichter versuchen, als wir in der vollziehenden Ge- walt das eigentliche Vereinswesen in seiner verwaltungsrechtlichen Be- deutung bereits bezeichnet haben. Die Grundlage des ganzen Rechtssystems muß die Unterscheidung von Verbindungen und Vereinen bleiben. Die Verbindung ist jede Vereinigung, deren Zweck die Aenderung der bestehenden Rechts- ordnung ist. Ein Verein ist dagegen jede organisirte und dauernde Vereinigung, deren Zweck die Vollbringung irgend einer Aufgabe der Verwaltung ist. Die Gesellschaft endlich ist diejenige Unterart der Vereine, deren Zweck ein durch die organisirte Gemeinschaft der Kräfte angestrebter Erwerb der Mitglieder ist. Eine Genossenschaft wird man denjenigen Verein nennen, der, weil sein Zweck ein administrativer, aber die Erreichung desselben von der Vereinigung aller Betheiligten abhängiger ist, seine Organisation durch gesetzliche Vorschrift empfängt, wie die Associations syndicales in Frankreich, die Handwerkergenossen- schaften in Oesterreich u. a. Dieß sind die formellen Grundlagen. An sie schließt sich zuerst das allgemeine Rechtsprincip derselben. Da nämlich diese Vereinigungen in allen ihren Formen tief in das Gesammtleben hineingreifen und eine öffentliche Macht sind, so ist die erste und unabweisbare Forderung an alle, daß sie, ganz gleichgültig gegen ihren Zweck, öffentlich sein müssen. Der Begriff der „Oeffent- lichkeit“ hat eine doppelte rechtliche Bedeutung. Erstlich sollen solche Vereinigungen, da sie selbst ein Theil des Organismus der vollziehen- den Gewalt sind, ihren speziellen Organismus, in Statuten und Leitung, den Organen der vollziehenden Gewalt mittheilen; zweitens sollen sie ihre Thätigkeit in irgend einer Form der öffentlichen Kenntniß nicht vorenthalten. Aus diesen im Wesen aller Vereine liegenden Forderungen geht nun das erste Rechtsprincip für dieselben hervor, das Recht der Oeffentlichkeit . Dieses Rechtsprincip fand nun bis auf die neueste Zeit seinen Aus- druck wesentlich darin, daß jeder Verein entweder erst erlaubt sein, oder doch die Anzeige bei der Behörde machen mußte, die dann das Recht hatte, ihn zu verbieten. Eine Pflicht zur Oeffentlichkeit gegenüber dem Publikum existirte nicht . Die neuere Zeit hat nun jenes Recht be- stimmter dahin formulirt, daß, zunächst abgesehen von jedem speziellen Zweck der Vereine, die Geheimhaltung als solche zu einem straf- rechtlich zu verfolgenden Verbrechen geworden ist. Damit ist denn auch die Aufgabe der Sicherheitspolizei wohl klar. Sie hat die Existenz ge- heimer Gesellschaften, ohne Rücksicht auf ihren Zweck, zu entdecken, zu constatiren und die Mitglieder den Gerichten zu überliefern. Ein weiteres, eignes Polizeirecht gegenüber allen Arten von geheimen Gesellschaften gibt es nicht; das Uebrige gehört dem Strafverfahren und dem Straf- gericht. Es versteht sich dabei von selbst, daß wenn außer dem in der Geheimhaltung an sich liegenden Verbrechen auch noch der Zweck ein verbrecherischer ist (z. B. Hochverrath ꝛc.), die Strafe auch noch nach den strafrechtlichen Grundsätzen über Versuch und Beihülfe ꝛc. geregelt wird. Allein der Zweck hat auf das Recht der Sicherheitspolizei gar keinen Einfluß; der allergefährlichste Zweck gibt ihr nicht mehr Recht, als selbst der erlaubte, wenn derselbe auch die Thätigkeit anspornen mag. Der geheimen Gesellschaft gegen über ist die Polizei mithin rein gericht- liche Polizei , sei es, daß sie auf Befehl des Gerichts, oder nach eigenem Ermessen vorgeht. II. Wesentlich anders gestaltet sich die Sache da, wo es sich um den eigentlichen Verein handelt, der der Forderung der Oeffent- lichkeit Genüge geleistet hat, und seinen Statuten gemäß funktionirt. Hier sind zunächst, wie gesagt, Vereine, Erwerbsgesellschaften und Ge- nossenschaften zu unterscheiden. Das Princip für das Recht der Ver- waltungspolizei ist dabei einfach. In so weit nämlich diese Körper, wie es bei den eigentlichen Vereinen und Genossenschaften immer, bei den Erwerbsgesellschaften in vielen Fällen (Banken, Bahnen u. s. w.) der Fall ist, Aufgaben der Verwaltung vollziehen, tritt für sie das all- gemeine Recht ein, nach welchem die vollziehende Gewalt im Namen ihrer Verantwortlichkeit die Harmonie der einzelnen Thätigkeit mit dem Ganzen der Verwaltung herstellen muß. Die Ausübung dieses Rechts gegenüber den Selbstverwaltungskörpern und den Vereinen haben wir die Oberaufsicht genannt. Das Recht der Oberaufsicht besteht darin, von jedem Akte eines solchen öffentlichen Vereins Kenntniß zu nehmen, und speziell einzelne Akte im Gesammtinteresse der Verwaltung zu ver- bieten. Die Verwaltungsorgane werden nun dieß Recht regelmäßig durch eigens dazu bestimmte Beamte (Commissäre) ausüben. Sie können es aber auch ausüben lassen durch die Organe der Sicherheitspolizei. In diesem Falle muß eine bestimmte Delegation vorausgesetzt werden, und das delegirte Sicherheitspolizeiorgan ist alsdann nichts anderes, als jener Commissär. Es existirt auch hier kein besonderes Recht der Sicherheits- polizei, sondern dieß ganze Recht ist nichts als eine besondere Ausübung der Oberaufsicht. Dieß scheint keiner Erläuterung zu bedürfen. III. Was nun endlich die Verbindungen betrifft, deren Zweck es ist, durch die Vereinigung ihrer Mitglieder einen Einfluß auf die öffent- liche Rechtsordnung auszuüben, so ist das Polizeirecht gleichfalls ein un- gemein einfaches; nur muß man gerade hier den historischen Gesichts- punkt festhalten, der allein dieß ganze Rechtsgebiet aufklärt. Ursprünglich — schon seit dem vorigen Jahrhundert — sind alle Verbindungen verboten, da der Gedanke einer Aenderung des bestehen- den Rechts an und für sich als ein Verbrechen erschien. In der That verfolgte man in den Verbindungen die Tendenz derselben; es ergab sich daraus, daß nicht das Geheimniß als selbständiges Vergehen an- erkannt ward, sondern das Verbrechen bestand in dem Zwecke an und für sich. Erst mit dem Auftreten des constitutionellen Rechts entsteht die Frage, ob jener Zweck ein an sich erlaubter sei, natürlich abgesehen von dem Mittel, dessen sich die Verbindung zur Erreichung dieses Zweckes bedienen wollte; denn daß dieses Mittel für sich betrachtet jede solche Verbindung zu einem Verbrechen mache, wenn es die Anwendung von Gewalt enthielt, war ja kein Zweifel. Da nun die Verfassungen meistens selbst die Möglichkeit ihrer Aenderung anerkennen, so konnte man den Zweck, die Vorbereitung für eine nicht gewaltsame Aenderung der Ver- fassung, an sich nicht verurtheilen. Da aber dennoch die öffentliche Sicherheit bedroht erschien, wenn Verbindungen mit der offen ausge- sprochenen Tendenz der Erzielung von Verfassungsänderungen entstehen dürften, so suchte man dem Bedürfniß jener öffentlichen Sicherheit in anderer Form zu genügen, und so entstand das, was man die zweite Epoche des Polizeirechts der Verbindungen nennen kann. Dieselbe be- stand in dem Versuche, das Entstehen oder doch die Ausbreitung solcher Verbindungen, die gerade durch die Oeffentlichkeit am mächtigsten zu werden drohten, polizeilich zu hindern. Daraus gingen drei Systeme hervor. Das erste, französische System war das der Beschränkung auf eine geringe Anzahl von Mitgliedern bei an sich erlaubten Verbin- dungen. Das zweite, österreichisch-preußische, war das des absoluten Ver- botes jeder „politischen Verbindung.“ Das dritte, süddeutsche, war das der Erlaubniß . Im französischen System besteht daher das öffentliche Recht der Verbindungen in den Strafbestimmungen gegen die direkte oder indirekte Ueberschreitung der Zahl der erlaubten Mitglieder; im österreichisch-preußischen Bundesrecht in den strafrechtlichen Folgen der Errichtung einer solchen Verbindung überhaupt; im süddeutschen Recht in den strafrechtlichen Folgen der unerlaubten Errichtung derselben. Dadurch war nun das Polizeirecht wieder auf das enge Maß der ge- richtlichen Polizei zurückgeführt; die Polizei hatte, wieder mit oder ohne Befehl, nur zu bewachen, daß nicht solche unerlaubte Verbindungen entstehen, und die Uebertreter an das Gericht zu liefern. Das Recht der Verbindungen ward zum reinen Strafrecht . Man kann dieß, wie gesagt, als die zweite Epoche des letzteren betrachten. Die dritte Epoche tritt nun da ein, wo diese politischen Verbin- dungen „erlaubt“ sind. Erst hier kann es sich um ein eigentliches Sicherheitspolizeirecht handeln. Denn es ist doch kein Zweifel, daß, mag auch die Absicht der Verbindungen oder politischen Vereine noch so edel und an sich unbedenklich sein, die Thatsache derselben eine Gefahr für die öffentliche Rechtsordnung enthält. Während daher hier die ge- richtliche Polizei diesen Verbindungen als solchen gegenüber ausgeschlossen ist, und höchstens gegen die Vornahmen Einzelner innerhalb der Vereine gerichtet werden kann — wie wenn in denselben Einzelne zum Hoch- verrath ꝛc. auffordern — tritt statt derselben die höhere Sicherheitspolizei ein. Und das Recht dieser Sicherheitspolizei ist nun hier das eigentliche öffentliche Recht der „politischen Vereine“ oder Verbindungen. Man wird es dem Obigen nach nunmehr wohl nicht unerklärlich finden, wenn dieß Recht noch keineswegs ein fertiges und klares ist. Es ist, wenigstens in den deutschen Staaten, noch sehr in der Entwick- lung begriffen, und es scheint daher, abgesehen von dem positiven gel- tenden Recht, nicht unwichtig, die Grundkategorien des Sicherheits- polizeirechts der Verbindungen hier aufzustellen. Als diese erscheinen uns folgende: Erstlich darf die Sicherheitspolizei selbst bei völliger Freiheit der Verbindungen — natürlich stets unter Ausschluß jeder geheimen Ge- sellschaft — fordern, daß ihr von dem Dasein, der Organisation, den leitenden Persönlichkeiten und den Zusammenkünften regelmäßige und genaue Anzeige gemacht werde. Mit Recht soll man auch die staats- bürgerliche Mündigkeit als Bedingung des Eintritts verlangen. Zweitens muß die Sicherheitspolizei das Recht der Kenntniß jedes Aktes solcher Verbindungen besitzen, und daher ihre Organe zur Theilnahme an den Versammlungen senden dürfen, so wie man ihr das Recht der Einsicht in die Beschlüsse nicht vorenthalten kann. Das Recht der Beschlagnahme soll jedoch unter die Grundsätze der Einzel- polizei fallen (siehe unten). Drittens muß man den Grundsatz der Localisirung festhalten. Unter Localisirung ist dasjenige Recht zu verstehen, vermöge dessen die Bildung gemeinsamer Beschlüsse verschiedener Verbindungen an sich als gemeingefährlich anerkannt werden muß, sei es, daß dieselbe durch Affiliation, sei es durch andere Verbindungsformen ausgeübt wird. Hier tritt die Funktion der höheren Sicherheitspolizei ein, welche solche Affiliationen zu hindern, eventuell zu entdecken hat; sowie dieß letztere aber geschehen ist, hat sie die Betreffenden dem Gerichte zu übergeben. Viertens endlich kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die höhere Sicherheitspolizei das Recht haben muß, durch polizeiliche Ver- fügungen die einzelnen Versammlungen solcher Vereine aufzuheben , und sogar ohne gerichtliche Intervention die gesammte Thätigkeit der Vereine zu sistiren . Wir sind sogar der Ansicht, daß der Polizei das Recht zustehen muß, polizeilich solche Vereine aufzulösen . Nur sollte dabei ein geordnetes, nach französischem Muster eingerichtetes Beschwerde- verfahren hergestellt werden. Daß diese Auflösung außerdem im Falle eines verbrecherischen Vorgehens von Seiten des Gerichtes durch Ur- theil ausgesprochen werden kann, bedarf keines Beweises. Dieß sind nun die allgemeinen Grundsätze für das Recht der höheren Sicherheitspolizei. Das positive Recht derselben ist, wie schon gesagt, noch sehr unfertig. Wir beschränken uns darauf, dasselbe in seiner gegenwärtigen Gestalt zu charakterisiren. Auch im englischen Recht geht der oben bezeichnete Proceß vor sich; jedoch nur in Beziehung auf die geheimen Gesellschaften, während die politischen Verbindungen frei blieben. Der Grund lag nicht etwa in der freieren Auffassung von Seiten der Regierung, sondern in der höchst begränzten Funktion der Sicherheitspolizei überhaupt, und die Stellung, welche das öffentliche Klagrecht hier einnimmt. Daher ist es der einfache Grundsatz, daß jede Art von Verbindung als solche frei ist; beabsichtigte Verbrechen unterliegen dem Strafgesetz; für geschehene Rechtsverletzung haften die Mitglieder. Die Sicherheitspolizei ist hier rein gerichtlich. Ueber die Entstehung der Clubbs als Lesegesellschaften, und die sich daran anschließenden Discussing Societies des vorigen Jahr- hunderts, wie der Robin Hood Society in London, s. Buckle , History of Civil. I. 394. — In Frankreich wird neben dem vollkommen freien Recht des Vereinswesens das Clubbwesen in den sociétés secrètes schon durch das Decret vom 29. September 1791 verboten, nebst der Affi- liation und der petition en nom collectif. Eine feste Gestalt gewinnt jedoch dieß ganze Recht erst unter dem Kaiserthum, durch den viel be- sprochenen Art. 291 des Code Pénal. Derselbe ist zugleich die Basis des ganzen französischen Vereinsrechts. Nach ihm soll jede Association, die sich mit „objets religieux, littéraires, politiques ou autres “ beschäftigt und zu gewissen Zeiten zusammentritt, der Erlaubniß bedürfen, widri- genfalls die Vereinigung aufgehoben und die Leiter bestraft werden (Art. 292); eben so die, welche ihre Wohnung dazu hergeben. Wesentlich ist, daß die in solchen Zusammenkünften geschehenen Aufforderungen zum öffentlichen Widerstande an den Vorständen des Vereins bestraft werden (Art. 293). Ein Recht der Sicherheitspolizei ist nun indirekt in dem Satze enthalten, daß die Behörde das Recht haben soll, dem Ver- eine bei seiner Erlaubniß jede ihr angemessen erscheinende Bedingung aufzuerlegen. Das Gesetz vom 10. April 1834 ging einen wesentlichen Schritt weiter, und führte auch die Strafbarkeit der Theilnehmer ein; das Gesetz vom 28. Juli 1848 erlaubte wieder unbedingt die politischen Gesellschaften, verbot aber die geheimen Clubbs; das Gesetz vom 19. Juni 1849 gab der Regierung das Recht, jede Gesellschaft aufzulösen, und das Decret vom 23. März stellte das alte Recht wieder her, mit größerer Vollmacht für die Präfectur. So liegt jetzt wie früher das sicherheits- polizeiliche Element eben in den polizeilich vorgeschriebenen Bedingungen und in dem rein polizeilichen Recht der Auflösung. Laferrière , Droit admin. I. Ch. I. Block , Dict. v. Clubs und Sociétés secrètes. — Das Recht Belgiens ist auch hier viel freier wie das französische. Es steht auf der Basis der vollen Freiheit des Vereinsrechts; die Constitution vom 7. Februar 1831 (Art. 19, 20) erlaubt ohne alle Beschränkung jede Art von Vereinen; nur da, wo sie durch den für die Zusammenkunft gewählten Ort den Charakter von Volksversammlungen annehmen, tritt ein anderes Recht ein. (Vergl. J. Britz , La Constitution Belge 1865, S. 44, 45). In Holland bestand bisher die französische Gesetzgebung des Code Pénal (Strafregt art. 291—294). Erst das neue Grund- gesetz (in Art. 10) hat das Recht zu Vereinen ganz allgemein anerkannt; das eigentliche Vereinsgesetz ist jedoch erst vom 22. April 1853, und dieß ist keineswegs so gar einfach. Zwar ist keine Erlaubniß gefordert, ( as ) wohl aber sind alle Vereine, „welche mit der öffentlichen Ordnung im Widerspruch stehen“ ( stridig met de openbare orde ) verboten; dazu gehören alle Vereine, die zum Zweck haben, 1) den Widerstand gegen die Uebertretung von einem Recht, 2) Unsittlichkeit, 3) die Stö- rung in der Ausübung von Rechten, welche sie sein mögen (Art. 3). Damit werden die Art. 291, 292 und 294 des Strafrechts aufgehoben. Der Art. 293 aber blieb; derselbe bestimmt, daß (wörtlich nach Art. 293 des Code Pénal ) die Aufreizungen an den leitenden Organen mit Bußen von 100 bis 300 fl. bestraft werden sollen. Dieß Rechtssystem ist mit- hin in der That nur ein scheinbar freies Vereinsrecht. (Vergleiche de Bosch-Kemper §§. 80, 81.) Das holländische Vereinsrecht hat übrigens schon eine vollständige juristische Literatur, dessen sich das deutsche nicht rühmen kann. (Siehe de Bosch-Kemper §. 36.) Was speziell Deutschland betrifft, so muß man hier sowohl die Epochen als die einzelnen Länder scheiden. In der ersten Epoche gibt es kein Landes-Vereinsrecht, sondern an dessen Stelle tritt das Bundes- Vereinsrecht, dessen Formulirung im Bundesbeschluß vom 8. Juli 1832 gegeben ist. Die bekannte Grundlage ist das Verbot jedes politischen Vereins, also die rechtliche Unzulässigkeit der Erlaubniß; die geheimen Gesellschaften sind außerdem strafbar. Dieß System fällt mit der Reichs- verfassung vom 28. März 1849, welche das Vereinsrecht unbeschränkt anerkennt. Es war gleich anfangs wohl klar, daß es sich dabei nur um ein Princip handle, und daß eine besondere Gesetzgebung die spe- ziellen Fragen zu regeln habe. Die legislative Bewegung, die darauf entstand, scheidet sich daher zunächst in zwei Richtungen. Einerseits wird jenes allgemeine Princip in den einzelnen neuen Verfassungen an- erkannt: Oldenburg , Verfassungsurkunde 1852, Art. 51, 1; Preußen , 1850, §. 30; Schwarzburg-Sondershausen , Gesetz vom 2. Aug. 1852; Anhalt-Bernburg , Verfassung von 1850, §. 10; Coburg- Gotha , 1852, §. 46; Reuß , 1852; zugleich aber in den meisten, neben der gänzlich überflüssigen Bestimmung, daß die Vereine den be- stehenden Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen sollen, eine besondere Rege- lung des Vereinsrechts versprochen, wie schon das Erfurter Parlament gefordert. Diese Regelung ist nun in einzelnen Bundesstaaten wirk- lich eingetreten, und zwar in der Weise, daß einige Staaten sofort besondere Vereinsgesetze erließen, andere nicht, so daß wieder erneuert der Bund eintrat, und das Bundesgesetz vom 13. Juli 1854 das Vereins- wesen betreffend erließ. Das deutsche Vereinsrecht hat daher jetzt eine zweifache Gestalt; es ist ein Bundesrecht, und ein Recht der einzelnen Staa- ten, so daß auch nach Auflösung des deutschen Bundes das Gesetz von 1854 da als gültig angesehen werden muß, wo es publicirt worden ist. Das letztere enthält nun im Wesentlichen die leitenden Gedanken der Terri- torialgesetze, in ein Ganzes zusammengefaßt. Die grundsätzlichen Be- stimmungen sind: jeder politische Verein soll der Erlaubniß bedürfen, und überwacht werden; jeder solcher Verein kann , jeder Verein von Arbeitern mit socialistischen Zwecken (!) soll verboten werden; Minder- jährige dürfen nicht beitreten; und jede Verbindung der Vereine unter einander ist an und für sich verboten (die Principien der Publicität, der Localisirung und der obrigkeitlichen Erlaubniß). Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. §§. 468, 469. Im Allgemeinen sind nun die territorialen Gesetze viel freiheitlicher als dieß letzte Gesetz des deutschen Bundes. Die erste große Gesetzgebung über das Vereinswesen war das preußische Vereinsgesetz vom 11. März 1850, das sich an die Verfassung von 1848 und 1850 anschloß. Beide hatten ihrerseits das Recht der Vereine un- beschränkt anerkannt, jedoch hatte die Verfassung von 1850 (Art. 30) Stein , die Verwaltungslehre. IV. 8 schon ausgesprochen, daß „politische Vereine“ besondern Beschränkungen unterworfen werden könnten. In Gemäßheit dieser Bestimmung ward eben das Vereinsgesetz erlassen. Nach diesem Gesetz ist die Bildung solcher Vereine frei , jedoch müssen sie bei der Behörde angezeigt wer- den, und darf dieselbe ihre Organe den Sitzungen beiwohnen lassen. Letztere können die Versammlung aufheben; die Strafen gegen diejenigen, welche diesen Vorschriften zuwider handeln, sind in §. 15 und 16 ent- halten (Bußen von 5 bis 50 Thaler und Gefängniß von 8 Tagen bis zu 3 Monaten). Die Vorsteher müssen überdieß bei gleicher Buße die Statuten und das Verzeichniß der Mitglieder einsenden; daneben Ver- bot der Affiliation und der Aufnahme von unselbständigen Personen. (Das Nähere bei Rönne , Staatsrecht I. §. 100.) — In Oesterreich stellte sich das Vereinsgesetz von 1852 noch auf den Standpunkt des Verbots aller politischen Vereine; es ist das einzige dieser Art in Deutschland. Das bayerische Vereinsgesetz vom 26. Februar 1850 ist dagegen ganz frei, nur mit Beschränkung der Personen; der Bundes- beschluß von 1854 nicht publicirt. ( Pözl , Verfassungsrecht §. 28.) Doch können Verbindungen durch spezielle Verordnungen bei Ordnungsstrafe verboten werden (Polizeistrafgesetzbuch §. 59). — In Baden ist das Gesetz vom 14. Februar 1851 das geltende Recht, welches auf demselben Standpunkt steht, und nur noch härtere Strafen androht. Das Polizeistrafgesetzbuch hat es unberührt gelassen. ( Stempf a. a. O. S. 105.) Württemberg : Die erste Untersuchung des Vereinsrechts vom Standpunkte des öffentlichen Rechts ist wohl die von Mohl in dessen württembergischem Staatsrecht ( I. Bd. Verfassungsrecht S. 377 ff.) Grundsatz: Zurückführung auf das Strafrecht (Strafgesetzbuch Art. 78 bis 83 und Art. 149 und 173); Verpflichtung zur Vorlage der Sta- tuten, jedoch nur bei politischen Vereinen; bei andern Vereinen kann die Behörde die Statuten verlangen; geheime Verbindungen sind unbedingt verboten. (Verordnung vom 10. Febr. 1837; Mohl , Staats- recht II. 290.) Strafen im Polizeistrafgesetzbuch (Art. 18, Mohl , S. 384.) Neuestes Recht auf Grundlage des Bundesbeschlusses von 1854, eine eigene Verordnung vom 25. Juni 1855 mit wesentlich gleichen Grundsätzen. ( Roller , württemb. Polizeirecht S. 172—175.) — Königreich Sachsen : bis 1850 einfach der Standpunkt des Bundesbeschlusses vom 5. Juli 1852. ( Funke , Polizeirecht III. S. 10 ff.) Dann werden diese Bundes- beschlüsse aufgehoben ( Funke , Bd. V. S. 117, 118) und mit dem Jahre 1850 ein ganz neues System von Bestimmungen erlassen. Das Gesetz vom 22. November 1850 enthielt die Grundlage des gegenwärtig gel- tenden Rechts: Abschnitt I. von Versammlungen, Abschnitt II. Verein, Abschnitt III. Versammlung der bewaffneten Corps, Abschnitt IV. Schließung, nebst Strafbestimmungen. Dann ward wieder der Bundes- beschluß von 1854 durch die Verordnung vom 30. Januar 1855 publi- cirt; die Verordnung vom 31. Januar 1855 enthält die Ausführungs- bestimmungen. (Vergl. Funke , V. S. 118—124.) 2) Die Polizei der öffentlichen Versammlungen . Da die gewöhnliche Auffassung und selbst die Gesetzgebungen nicht immer zwischen Vereinen und Versammlungen hinreichend unterscheiden, obwohl das Recht derselben ein nicht unwesentlich verschiedenes ist, so muß hier eine juristische Definition vorausgehen, welche zugleich als Basis des sicherheitspolizeilichen Rechts zu dienen hat. Indem nämlich ein Verein nicht ohne eine Versammlung seiner Mitglieder gedacht werden kann, so folgt, daß die Vereinsversammlungen und ihr Recht bereits in dem Vereinsrecht enthalten sind. Von diesen wesentlich verschieden sind die öffentlichen Versammlungen . Oef- fentliche Versammlungen sind solche, die von bestimmten Personen ver- anlaßt, für einen bestimmten Zweck veranstaltet, und in ihrer Bethei- ligung nicht durch das Angehören an einen Verein beschränkt sind. Es scheint nicht nothwendig, daß jeder Theilnehmer das Recht zur Rede oder zur Stimmesabgabe habe, da dieß von den Leitern der Versamm- lung vorher bestimmt werden kann. Daher ist eine Vereinsversammlung als eine öffentliche anzusehen, sowie sie eine unbestimmte Zahl auch nur von Zuhörern zuläßt, während die Zulassung von vorausbestimmten Personen, wie von Berichterstattern ꝛc., den Vereinsversammlungen nicht den Charakter der Oeffentlichkeit gibt. Denn gerade in der Un- bestimmtheit der Theilnehmer liegt das, was für die öffentlichen Ver- sammlungen ihr eigenthümliches Recht erzeugt hat. Offenbar nämlich erzeugt jede Versammlung mit unbestimmter Zahl und daher auch unbekannten Mitgliedern eine an sich unmeßbare, gleich- sam elementare Gewalt, deren Bewegung nicht mehr ganz in der Macht der leitenden Personen ist, und bei denen daher auch keine Gewähr gegeben werden kann, daß sie durch das Bewußtsein des Rechts oder durch den Einfluß von einzelnen Persönlichkeiten von Störungen der öffentlichen Rechtsordnung abgehalten werden können. Natürlich hängt mithin die Gefahr für die letztern, welche in solchen öffentlichen Ver- sammlungen liegt, vielfach von den Zeitverhältnissen, und selbst von dem Orte ab, an dem sie gehalten werden. Es ist daher ganz erklärlich, daß die Versammlungen in geschlossenen Räumen einen andern Charakter haben als die unter freiem Himmel, und daß eine Versammlung mit Waffen etwas anderes bedeutet, als eine waffenlose. Es ist eben so klar, daß das Vereinsrecht das Versammlungsrecht nicht ersetzen kann, ja daß das Recht des ersteren von dem des letzteren in seinem ganzen Charakter unterschieden sein muß. Und demgemäß ist auch die Rechts- bildung nun ganz verschieden geworden, obgleich die Gesetzgebungen regelmäßig beide Theile zusammenfassen. Während nämlich bei dem Vereinsrecht und dem bestimmten Zwecke des Vereins der Schwerpunkt der polizeilichen Aufgabe darin liegt, die Ueberschreitung dieses Zweckes zu hindern, muß bei öffentlicher Versamm- lung der ganze Akt Gegenstand der Sicherheitspolizei sein. Während es beim Vereine einer eigenen Bestimmung bedarf, um die Organe der letzteren zuzulassen, ist diese Zulassung bei Versammlungen selbstverständ- lich und polizeilich nothwendig. Während bei den ersteren die Abhaltung von Vereinsversammlungen statutenmäßig geordnet ist, muß jede ein- zelne öffentliche Versammlung Gegenstand besonderer Anzeige, beziehungs- weise Erlaubniß sein. Während endlich bei den ersteren die Leiter bis zu einem gewissen Grade haften, ist eine solche Haftung bei den letz- teren nicht füglich denkbar, und die Bedeutung des an sich vernünftigen Princips der Erlaubniß besteht gerade darin, daß durch die letztere die Haftung von den Leitern auf die Einzelnen übergeht . Das Recht der öffentlichen Versammlungen ist daher unter allen Umständen ein durchaus sicherheitspolizeiliches Recht; und die Grundsätze dieses Rechts scheinen sehr einfach zu sein. Erstlich ist es richtig, das Princip der Anzeige aufrecht zu halten, und damit ist die unabweisbare Consequenz gegeben, daß die Sicherheits- polizei das Recht haben muß, eine Versammlung außerhalb beschränkter (geschlossener) Räume „unter freiem Himmel“ zu verbieten und zwar ohne Rücksicht auf den angegebenen Zweck, bloß wegen der in der Masse liegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Es versteht sich, daß dagegen eine Beschwerde statthaft bleibt; aber das Vornehmen einer solchen Versammlung gegen das Verbot ist aktiver Widerstand. Wo es sich dagegen um geschlossene Räume handelt, sollte die An- zeige mit dem Zweck genügen, und ein Verbot nicht gegen die Versamm- lung als solche, sondern nur gegen den Zweck derselben statthaft sein. Es ist keine Frage, daß im Zweifel die Sicherheitspolizei entscheidet, ob etwas ein geschlossener oder freier Raum ist; natürlich gegen das Recht der Beschwerde der Betheiligten. Zweitens bedarf es keiner Erklärung, daß bewaffnete Ver- sammlungen als an und für sich gefährlich verboten sein müssen. Drittens haftet bei angezeigten, beziehungsweise erlaubten Ver- sammlungen nicht die Leitung, sondern jeder Einzelne für das, was er in ihr sagt und thut. Wird eine Versammlung ohne Anzeige oder gegen die verweigerte Erlaubniß gehalten, so haften die Leiter als in- tellektuelle Urheber für das Vergehen der Theilnehmer, außer der Ordnungsstrafe. Viertens ist es kein Zweifel, daß der Sicherheitspolizei in jedem Augenblick das Recht zustehen muß, die Versammlung, nöthigenfalls mit militärischer Assistenz, aufzulösen. Die historische Entwicklung des Rechts der öffentlichen Versamm- lungen ist dadurch so unklar, daß man sie von den Vereinen nicht ge- hörig geschieden hat. Die frühere Zeit hat sie in Literatur und selbst in Gesetzgebung beständig verschmolzen. (Siehe Zachariä , deutsches Staats- und Bundesrecht I. 90; namentlich noch das allgemeine Land- recht II. 6, 1—10. Rönne , preuß. Staatsrecht I. §. 100.) Mohl hat das Verdienst, sie zuerst geschieden zu haben; doch ist er in seiner Behandlung der Frage in hohem Grade unklar durch seine Aengstlichkeit ( Präventiv-Justiz , §. 10). Das allgemeine Strafrecht hat nichts darin geleistet. (Man vergleiche z. B. Bluntschli II. 12. 8, 9.) Die Gesetzgebung ist aber auch in neuerer Zeit nicht zur rechten Scheidung gekommen, bis mit dem Jahre 1848 die Frage unabweisbar war. In England entstand sie schon 1769; als die Bewegung der französischen Revolution sich dort fühlbar machte, wurden die Versamm- lungen unter freiem Himmel zuerst geradezu verboten, 36 Georg III. 8 (1795) — dann gegen Anzeige mit Angabe des Zweckes gestattet, 37 Georg III. 79. (Siehe Buckle , History of Civilisation I. 422.) — In Frankreich geht das Recht der öffentlichen Versammlungen gleichen Schritt mit dem Vereinsrecht, weil eben die ersteren regelmäßig Vereins- versammlungen waren. Die Déclar. des droits enthält noch keine Be- stimmung; erst die Constitution von 1791 stellt den technisch gewordenen Grundsatz auf: die Constitution garantirt la liberté aux citoyens de s’assembler paisiblement et sans armes, jedoch en satisfaisant aux lois de police. Ueber diese Unbestimmtheit kommt auch die spätere Zeit nicht hinaus; doch ist es nicht zu übersehen, daß während das Ver- einsrecht beständig anerkannt wird, das Versammlungsrecht sich nur in der Constitution von 1848 (Art. 8) findet; namentlich die Charte läßt es gänzlich aus. An die Stelle dieses Princips tritt der Grundsatz, daß die „Réunions“ aller Art von der Autorité municipale erlaubt sein müssen, ohne Rücksicht auf ihren Zweck, und daß diese das Recht hat, sie jeden Augenblick für Attroupements zu erklären und dadurch strafbar zu machen. — In Deutschland traf die polizeiliche Beschränkung der Vereine natürlich die Versammlungen in noch höherem Grade. Der Bundesbeschluß vom 5. Juli 1832, der alle politischen Vereine verbot, stellte sogar den Grundsatz auf, daß nicht bloß Volksversammlungen, sondern sogar Volksfeste , die „nicht üblich“ waren, der Genehmigung bedürfen, mit spezieller Bestimmung, daß in den erlaubten Versamm- lungen keine politischen Reden , keine Adressen und keine Beschlüsse statt- finden dürfen. (Vergl. Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. §. 462.) Die Reichsverfassung von 1849 brach auch dieses Princip, und ward maß- gebend für die folgende Gesetzgebung. Sie stellte nämlich einerseits das Recht auf, sich „friedlich und ohne Waffen“ und ohne Erlaubniß zu versammeln, aber auch das Recht der Polizei, Versammlungen „unter freiem Himmel“ bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verbieten (§. 161). Das Erfurter Parlament beschränkte jenes Volksrecht auf Ver- sammlung in „geschlossenen Räumen.“ Diese Sätze wurden dann mit mehr oder weniger Klarheit zur Grundlage des öffentlichen Versamm- lungsrechts. Einige Verfassungsurkunden blieben bei einigermaßen un- bestimmten Ausdrücken; Oldenburg , Verfassung von 1852, Art. 50; Sachsen-Coburg , Verfassung von 1852, 44; Anhalt-Bernburg , 1850, §. 9; Hannover , Gesetz vom 5. September 1848, §. 4; doch wird das Recht der polizeilichen Ueberwachung und meistens auch die Beschränkung der Freiheit zu Versammlungen in geschlossenen Räumen ausdrücklich anerkannt, während die Erlaubniß und das Recht der Auf- lösung als selbstverständlich angenommen wird. ( Zöpfl , deutsches Staats- recht II. §. 294.) Andere haben ausdrückliche Bestimmungen darüber, die aber stets mit dem Vereinsrecht verbunden sind; Grundlage ist das preußische Vereinsgesetz von 1850: Vorgängige Anzeige (24 Stunden), Erlaubniß, Recht des Verbots und der Auflösung, Waffenlosigkeit, Beschränkung auf Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen; Streit- frage über den Begriff der letzteren. ( Rönne , Strafrecht I. §. 100.) Bayern , Vereinsgesetz von 1850: gleichfalls Erlaubniß bei Versamm- lungen unter freiem Himmel. ( Pözl , Verfassungsrecht §. 65, Verwal- tungsrecht §. 104.) Württemberg : Grundsatz der Erlaubniß all- gemein. (Verordnung vom 12. Juni 1832 und Verhandlungen darüber bei Mohl , württemb. Verfassungsrecht §. 73.) Das neueste Recht ist die Verordnung vom 25. Januar 1855, welche aber nur von den Ver- einsversammlungen redet, und bei politischen Vereinen jedesmal 12 Stunden vorher eine Anzeige fordert. ( Roller , württemb. Polizeirecht §. 263.) Baden , Gesetz von 1851, siehe oben; ebenso über Sachsen , siehe Funke , a. a. O. — Das belgische Recht hat die alte franzö- sische Bestimmung der vollen Freiheit beibehalten. ( Const. von 1831, Art. 19, 20.) Doch hat die Ortspolizei das Recht, die Versammlungen zu gestatten, wenn sie an einem öffentlichen Orte abgehalten werden sollen, was durch mehrere Arrêts festgestellt ist. ( Britz , La Const. Belge, Art. 55 und 56.) — Das holländische Vereinsgesetz vom 22. April 1855 stellt die zwei leitenden Grundsätze auf, daß Versamm- lungen unter freiem Himmel nicht ohne polizeiliche Erlaubniß stattfin- den dürfen (Art. 18), daß die höhere Polizei sie eventuell verbieten, und daß sie auch zu jeder Versammlung, in der das Publikum zugelassen wird, ihre Organe schicken, eventuell diesen Zugang „unter Beihülfe der Gemeindeverwaltung“ erzwingen kann. 3) Polizei der Volksbewegungen . Auch bei dem Begriff und Recht der Volksbewegungen muß man damit beginnen, das Strafrecht von dem Polizeirecht, und mithin auch das gerichtliche und das sicherheitspolizeiliche Verfahren scharf zu trennen, um so mehr, als auch das positive Recht diese Unterscheidung bereits gemacht und für beide Kategorien ein eigenes Rechtssystem geschaffen hat. Das was wir im Allgemeinen eine Volksbewegung nennen — das ist eine ohne spezielle Aufforderung entstandene Anhäufung von Menschen auf einem öffentlichen Platze, welche durch irgend eine gemeinsame Ab- sicht in Bewegung gesetzt wird — enthält zwei Hauptformen. Die erste Form ist die, in welcher die Versammelten einen be- stimmten, auf irgend eine Störung der öffentlichen Rechtsordnung ge- richteten Zweck haben und dieser Zweck durch bestimmte Handlungen erkennbar erscheint. Dieser Zweck kann entweder ein negativer, Wider- stand gegen ein Organ der vollziehenden Gewalt, oder ein positiver, Vergewaltigung von Personen oder Sachen aus irgend einem Grunde sein. In beiden Fällen wird von allen Theilnehmern das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit begangen. Diese allgemeine Kategorie hat nun verschiedene Momente; es kann Anstifter, Thäter, Mitschuldige geben; man kann je nach dem Objekte Aufruhr, Aufstand und bloßen Tumult oder öffentliche Ruhestörung unterscheiden; die Strafen können sehr verschieden sein; immer aber fallen alle diese Formen unter das Strafrecht . Demgemäß ist auch hier das Polizeirecht ein einfaches. Es ist kein anderes als das der gerichtlichen Polizei. Nur ist das wohl klar, daß es keine gerichtliche Polizei gegen die Volksbewegung als solche gibt, wie gegen Verbindungen und öffentliche Versammlungen, in denen die gerichtliche Polizei sich in der Person der Leiter gegen das Ganze richtet, während alles, wofür diese nicht verantwortlich gemacht werden können, wie wir gesehen haben, die Sicherheitspolizei ist. Bei der Volks- bewegung hat dagegen die gerichtliche Polizei, selbst wo das Verbrechen des Aufstandes u. s. w. vorliegt, nicht mit dem Ganzen zu thun. Die Aufgabe der Polizei geht, in Beziehung auf alle diese Verbrechen, viel- mehr einzig und allein dahin, die Einzelnen , die sich an solchen Be- wegungen betheiligen, zu ergreifen, und sie der gerichtlichen Verhand- lung zuzuführen. Jeder Akt der Polizei, sobald derselbe mit irgend einem Einzelnen zu thun hat, fällt daher unter das Recht der ge- richtlichen Polizei; die Polizei ist in Beziehung auf das Individuum zu nichts anderem berechtigt, als zu demjenigen, was innerhalb der Auf- gabe liegt, dieß Individuum vor Gericht zu stellen. Im Falle des Widerstandes von Seiten dieser Einzelnen treten dann die Rechtsgrund- sätze der allgemeinen Polizei, speziell das Waffenrecht derselben, ein. Die zweite Form der Volksbewegung ist nun die, in der weder ein erkennbarer Zweck, noch eine bereits geschehene strafrechtliche Störung der öffentlichen Rechtsordnung vorliegt, sondern nur, eben vermöge der an sich unbestimmten Gefahr, die in jeder Massenbewegung liegt, die Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Hier hat wieder die gerichtliche Polizei gar nichts zu thun, sondern die Be- seitigung dieser Gefährdung ist eben Sache der höheren Sicherheits- polizei . Und die gesetzlichen Vorschriften über das Verfahren derselben gegenüber einer solchen, noch kein Verbrechen enthaltenden Volks- bewegung ist eben das Recht der höheren Sicherheitspolizei. Dieses Recht nun erscheint zunächst an sich unendlich — gegenüber der elementaren Gewalt der Masse erscheint die Sicherheitspolizei be- rechtigt und sogar berufen, ganz nach ihrem, und zwar beinahe un- controlirbaren Ermessen, gleichfalls die materielle Gewalt anzuwenden. Allein eben so gewiß ist es, daß gerade in diesem an sich unbeschränkten Recht der Sicherheitspolizei die Unverletzlichkeit des Einzelnen dem sub- jektiven Dafürhalten der einzelnen Polizeiorgane in die Hand gegeben ist. Die Aufgabe nun, diesem einseitigen Ermessen der sicherheitspolizei- lichen Gewalten im Namen der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers diejenigen gesetzlichen Gränzen vorzuzeichnen, welche es derselben noch möglich machen, die Sicherheit herzustellen, hat nun ein förmliches Rechtssystem von Vorschriften erzeugt, die man einzeln betrachten muß, um wiederum ihr Verhältniß zur gerichtlichen Polizei klar zu stellen. Dieß Rechtssystem zerfällt in zwei Theile. Der erste enthält das Recht der Polizeiverfügungen , der zweite das Recht des Polizei- verfahrens bei den gefährlichen Volksbewegungen. Das Recht der Polizeiverfügungen zunächst besteht in dem Recht der Polizei, die freie Bewegung der Einzelnen im Verkehr bei drohender Gefahr durch Verbote zu beschränken (Absperrung von Straßen, Schließen der Läden u. s. w.), oder aber die Vergrößerung der Gefahr durch bestimmte Gebote zu beseitigen (Befehl die Angehörigen zu Hause zu halten, Erleuchtung von Fenstern u. s. w.). Es ist kein Zweifel, daß ein solches Recht auch dann besteht, wenn es entweder gar nicht, wie in einzelnen Ländern, gesetzlich ausgesprochen ist, oder stillschweigend vorausgesetzt wird, wie in anderen (z. B. österreichisches Strafgesetzbuch, §. 282). Sowie eine solche Verfügung erlassen ist, tritt natürlich das Recht der Polizei auf Erzwingung seiner Befolgung ein. Aber um zur gerichtlichen Verfolgung ein Recht zu geben, muß es öffentlich bekannt gemacht werden. Die Nichtbefolgung ist dann wieder ein Ver- gehen, meist mit eigenen Strafen bedroht, und die Maßregeln, durch welche die Polizei den Einzelnen zur Strafe zieht, fallen dann unter die gerichtliche Polizei und ihr Recht. Viel ernster und die eigentliche Hauptsache ist nun natürlich das Verfahren der Sicherheitspolizei und das Recht desselben. Und hier liegt die Scheidung in den Mitteln , welche die Polizei anwendet; jenes Recht ist wesentlich ein Recht dieser Mittel . So lange nämlich die Polizei die Gefährdung durch die Volks- bewegung nicht für groß genug hält, um zu den Waffen zu greifen, erscheint es nicht nothwendig, ein eigenes Recht für ihr Verfahren vor- zuschreiben, sondern es muß angenommen werden, daß das Waffenrecht des allgemeinen Polizeiverfahrens ausreicht. Die Gränze für dieß Waffenrecht liegt da, wo die Polizei noch durch Maßregeln gegen Ein- zelne (Verhaftung, Abführung ꝛc.) die Volksbewegung in Ordnung zu halten hoffen darf. Sowie dieß nicht mehr thunlich scheint, tritt dann das spezifische Recht des Waffengebrauches gegen die Masse ein. Und auf diesem Punkte hört eben das Recht auf , und der Kampf der elementaren Kräfte in der Gesellschaft beginnt. In der früheren Zeit nun war das, worauf es hierbei ankommt, die Entscheidung über das Vorhandensein einer so großen Gefahr, daß die Polizei zu den Waffen gegen das Volk zu greifen habe, ganz dem Ermessen der letztern überlassen. Erst unser Jahrhundert hat, um dieser ernsten Berechtigung der Sicherheitspolizei eine objektive Gränze zu geben, ein formelles Recht selbst für diesen Fall gebildet; und dieß formelle Recht zerfällt in zwei Theile. Der erste Rechtssatz dafür ist das Princip, das Interesse der Bürger selbst zur Beseitigung solcher Gefahren zu Hülfe zu rufen. Dieß geschieht durch die gesetzliche Haftung der Gemeinden für den durch eine Volksbewegung innerhalb ihrer Gränzen entstehenden Schaden . Dieser vollkommen richtige Grundsatz verbindet die Interessen mit dem Recht und ist als ein wesentliches Element der öffentlichen Ordnung anzusehen; denn praktisch ist dieser Grundsatz ein Rechtssatz der hohen Sicherheitspolizei. Der zweite Theil dieses Rechts wird nun durch die speziellen Vor- schriften über das Verfahren bei dem Waffengebrauch selbst gebildet. Die Aufgabe der dahin zielenden rechtlichen Bestimmungen ist, durch bestimmte Maßregeln und Einwirkungen auf die Masse dieselbe zu zer- streuen, um der Anwendung der Waffengewalt enthoben zu sein, und die letztere erst dann als berechtigt zu erklären, wenn die Fruchtlosigkeit jener Einwirkungen constatirt ist. Die praktische Ordnung dafür ist an sich einfach. Sie fordert erstlich, daß die Organe der vollziehenden Ge- walt mit ihren erkennbaren Abzeichen die Aufforderung zum Auseinander- gehen und die Drohung der Anwendung der Gewalt erlassen, und zwar in erkennbarer Weise (Trommeln ꝛc., „Verlesen der Aufruhrsakte“), dann, daß die Waffe gegen die Masse erst dann angewendet werde, wenn jene Drohung erfolglos bleibt. Daß bei direktem Angriffe gegen die militärische Macht die Anwendung der Waffe auch ohne solche Ver- lesung stattfinden kann, versteht sich von selbst. — Sowie die Waffen- gewalt beginnt , hört dann die Thätigkeit der Polizei auf; in dem mechanischen Kampf der elementaren Kräfte geht das Recht unter. Die Gesetzgebung über das Recht des Verfahrens der Sicherheits- polizei bei Volksbewegungen ist in England zuerst auf Grundlage des freien bürgerlichen Rechts, in Frankreich auf Grundlage der verwaltungs- rechtlichen Organisation der Behörden entstanden. Der Kampf zwischen Volk und Regierung am Ende des vorigen Jahrhunderts ließ die ganze Gesetzgebung unter der Regierung Georgs IV. entstehen. Das Sta- tute 1 Georg IV. 2, die Riot-Act, ist das erste europäische Gesetz über die Anwendung der Waffengewalt gegen Volksbewegungen; das Statute 7. 8 Georg IV. 30 ist eine spezielle Anwendung derselben gegen Arbeitertumulte. Das Statute 1 Vict. folgte dann dem Vor- gange Frankreichs, und setzte eigene Strafen für den Tumult ein, damit die gerichtliche Polizei an der Seite der Sicherheitspolizei einführend; wozu noch 4. 5 Vict. 56 wesentliche Zusätze gab. Ebenso ward die Haftung der Gemeinden schon durch 7. 8 Georg IV. 31 ausgesprochen. (Vgl. Gneist , engl. Verfassung II. 36.) — Von weit größerer Klarheit und auch von viel größerem Einfluß auf das übrige Europa war die französische Gesetzgebung. Sie faßte zuerst die sicherheitspolizeiliche An- wendung der Waffengewalt bei Volksbewegungen als ein selbständiges Polizeirecht neben dem Strafrecht auf, und hat dasselbe auch vollständig ausgebildet. Der rechtliche Name dafür ist die Loi martiale, der polizei- liche Ausdruck für die gefährliche Volksbewegung ist Attroupement („rassemblement tumultueux formé sur la voie publique“). Die erste Loi martiale ist vom 21. Okt. 1789; ein förmliches System stellte dann das Gesetz vom 3. Aug. 1791 auf, dessen Inhalt ziemlich unver- ändert auf das übrige Europa übergegangen ist. Darnach haben alle Behörden (nur mit Ausnahme der gardes champêtres et forestiers ) das Recht, dieß Gesetz anzuwenden. Die Formel ist: „Obéissance à la loi; on va faire usage de la force, que les bons citoyens se retirent.“ Diese Aufforderung muß mehrmal wiederholt werden unter Trommel- schlag. An diese Bestimmung für das Verfahren schloß sich dann der zweite Grundsatz der Haftung der Gemeinden (Gesetz vom 10 Vend. an IV ). Diese rein polizeiliche Gesetzgebung wird nun später durch eine strafrechtliche vervollständigt; und zwar zuerst durch das Gesetz vom 10. April 1831, dann durch das neueste Gesetz vom 10. April 1851. Darnach ist das Attroupement selbst für ein Délit der Betheiligten er- klärt, und zwar hat die Polizei dieselben nach der Verhaftung sofort vor das Gericht ( tribunal de simple police ) zu stellen; das letzte Gesetz hat namentlich das Strafsystem in der Weise geordnet, daß die Strafe bei der Verhaftung nach der ersten Aufforderung eine Ordnungsstrafe ist ( Code Pénal I. IV. ), nach der zweiten eine Gefängnißstrafe bis zu 3 Monaten; nach der dritten bis zu einem Jahre; daneben werden die „Chefs“ besonders bestraft. Es ist das rationellste Verfahren, das es gibt, und werth, allgemein eingeführt zu werden. Vgl. Laferrière , Droit adm. I. Ch. 2. Block , Dict. v. Attroupement. Was Deutschland betrifft, so hat zuerst Preußen den Versuch gemacht, sein Recht dem französischen nachzubilden. Die K. Kabinets- Ordre vom 3. Dec. 1798 ist eigentlich eine Umschreibung des Gesetzes von 1791; die Verordnung vom 17. August 1835 über die Anwendung der Waffengewalt hat das ausgeführt. Allein der wesentliche Unter- schied vom französischen Recht besteht darin, daß die Aufforderung zum Auseinandergehen vom militärischen Befehlshaber und nicht von der Civilbehörde ausgeht, und daß demgemäß auch dem letzteren allein über- lassen wird, über sein Einschreiten zu entscheiden. Das Strafgesetzbuch (§. 92) ging allerdings weiter, und fordert eine dreimalige Aufforderung, jedoch ohne bestimmte Form, und ohne bestimmte Competenz zur Er- klärung über den Zeitpunkt der Anwendung der Waffengewalt zwischen Militär- und Civilbehörde, so daß hier viel Einzelnes zweifelhaft ge- blieben ist, obgleich es gerade auf das Einzelne ankommt. Mit Recht bemerkt daher Rönne (Staatsrecht II. §. 346), daß eine Revision der betreffenden Gesetze sehr angezeigt wäre, was um so richtiger ist, als die Bestimmungen über die Solidarität der Theilnehmer durch die Ver- ordnung vom 17. August 1835 (§. 11), und die Haftung der Gemeinden im Gesetz vom 11. März 1850 (§. 6) ausgesprochen ist, das Ganze daher sehr zerstreut und einheitslos erscheint. — In Oesterreich gibt es neben den oben angeführten gesetzlichen Bestimmungen über Waffen- gewalt kein besonderes Recht. Das ist gegenüber dem preußischen Recht ein wesentlicher Mangel. In den übrigen deutschen Staaten ist uns eine eigene Gesetzgebung nur für Bayern bekannt: Gesetz über die Haftung der Gemeinden vom 12. März 1850 und Gesetz über die An- wendung der Waffen vom 4. Mai 1851 ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 106 und 107); und für Sachsen Gesetz vom 10. Mai 1851 über das Verfahren bei Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicher- heit; Berufung der bewaffneten Macht §. 1—6, Anwendung der Waffen §. 7—12 und Erklärung des Belagerungszustandes. ( Funke , sächsisches Polizeirecht, V. S. 124. 125.) — Das übrigens bestehende Recht wird demnach wohl auch jetzt das Verfahren ganz dem behördlichen Ermessen, oder aber dem des militärischen Befehlshabers überlassen, wie früher. (Vgl. Zöpfl , deutsches Staatsrecht, I. 155; sehr unbestimmt bei Mohl , Polizeiwissenschaft, III. 15. Weitere Literatur fehlt.) 4) Das Recht des Belagerungszustandes . (Kriegszustand und bürgerlicher Belagerungszustand.) Es ist kein Zweifel, daß derjenige Zustand, den wir den Be- lagerungszustand — in Oesterreich das Standrecht — nennen, die äußerste sicherheitspolizeiliche Maßregel ist, deren Verhängung in der Gewalt der Verwaltung liegt. Daß aber auch selbst für diesen Zustand ein objektiv gültiges Recht zur Anerkennung gelangt ist, muß als einer der wesent- lichsten Fortschritte der staatsbürgerlichen Freiheit anerkannt werden. Es darf uns jedoch nicht wundern, daß dieß Verhältniß noch so gut wie gar keine eigene Bearbeitung gefunden hat, da es ohne eine selbständige Theorie der höhern Sicherheitspolizei kaum richtig behandelt werden kann. Es möge uns daher verstattet sein, hier die Elemente dieser Theorie der Vergleichung des geltenden Rechts voranzustellen. Der Belagerungszustand entsteht, wenn die öffentliche Sicherheit durch eine allgemeine Gewalt auf allen Punkten zugleich, und nicht mehr auf einem einzelnen Punkte äußerlich bedroht ist. In einem solchen Zustande erscheint die Gefahr, welche eben zu jener Maßregel den Anlaß gibt, in einer zweifachen Gestalt, und das was wir den Belagerungs- zustand nennen, hat daher auch zwei Hauptformen, die wieder jede ihr besonderes Recht haben. Es ist dieß um so mehr festzuhalten, als nur noch das französische Recht diese Unterscheidung wenigstens zum Theil in sich aufgenommen hat, während das deutsche und die geringe darauf bezügliche Literatur denselben ganz übergeht. I. Da wo die öffentliche Sicherheit durch einen feindlichen Angriff in Waffen bedroht wird, entsteht das, was wir den militärischen Belagerungszustand — wir werden nach französischem Vorbild sagen Kriegszustand — nennen. Der Kriegszustand beruht darauf, daß die erste Bedingung der Vertheidigung gegen den feindlichen An- griff die Unterordnung des Bürgerthums unter die militärischen For- derungen ist. Der Kriegszustand muß daher diejenigen Beschränkungen der staatsbürgerlichen Freiheit setzen, welche als Bedingung der mili- tärischen Vertheidigung erscheinen. Diese Beschränkungen bestehen darin, daß das Recht zu bürgerlichen Verfügungen auf die militärischen Organe übergeht; zweitens darin, daß für diese Verfügungen ein mili- tärischer , und nicht mehr ein bürgerlicher Gehorsam gefordert wird. Die erste Folge davon ist, daß die noch vorhandenen Polizeiorgane ihrerseits das Recht auf Erlaß von einseitigen Verfügungen verlieren, und dieß ausschließlich an die militärischen Stellen übergeht. Die zweite ist die, daß die Polizeiorgane den militärischen unbedingt untergeordnet werden, und ihnen in ihren Vollziehungen Gehorsam zu leisten haben. Dieß Recht der militärischen Stellen auf Verfügungen und militärischen Gehorsam hat demgemäß nur Eine Gränze. Das Militär darf nicht mehr verlangen, als eben für die Vertheidigung nothwendig ist; alle Rechtsverhältnisse, welche mit der Vertheidigung gegen den äußern Feind in keiner Verbindung stehen, werden von dem Kriegszustand gar nicht berührt. Das Recht des Kriegszustandes erscheint daher auch in Be- ziehung auf das Eigenthum als Nothrecht, indem jeder sein Gut zur Vertheidigung hergeben muß, natürlich gegen die entsprechende Ent- schädigungsansprüche. — Das Verfahren im Kriegszustand beruht darauf, daß mit der Pflicht zum militärischen Gehorsam auch die Gerichtsbarkeit über die Befolgung und Nichtbefolgung der militärischen Verfügungen (in welche nach dem Obigen alle polizeilichen aufgehen) an die mili- tärischen Gerichte übergeht; dagegen bleiben alle anderen Organe der Verwaltung in ihrer systematischen Funktion. Es muß dabei angenommen werden, daß die militärischen Stellen das Recht haben, diese Funktion als solche (z. B. Unterricht, Gesundheitspolizei, bürgerliche Rechts- pflege ꝛc.) so weit zu suspendiren , als dieß für militärische Zwecke nothwendig erscheint; jedoch darf dadurch kein erworbenes Privatrecht verletzt werden, und darf diese Suspension auch nicht länger dauern und nicht weiter gehen, als der militärische Zweck dieß nothwendig macht. In keinem Falle jedoch erscheint gegen solche Maßregeln ein Klagrecht berechtigt, und eine Beschwerde kann nur bei der höheren militärischen Stelle angebracht werden. Dagegen steht das Recht der Entschädigung für jede Leistung natürlich jedem Einzelnen zu; daß von einem Suspensiveffekt jedoch weder hier noch bei der Beschwerde die Rede sein kann, versteht sich von selbst. Die gänzliche Unterordnung des öffentlichen Rechts der Staats- bürger unter das Militär, die auf diese Weise durch das leitende Princip des militärischen Gehorsams gegen jede militärische Verfügung gesetzt wird, muß nun zur möglichst genauen Bestimmung der Fälle auf- fordern, die bei dem Kriegszustand zur Beachtung kommen. Diese sind folgende: Erstlich kann der Kriegszustand nur örtlich ausgesprochen werden, und zwar nur im Falle eines wirklich vorhandenen oder bevorstehenden Angriffes auf einen bestimmten Ort. Er tritt daher nur in den Fällen ein, wo es sich um einen Kampf mit einer vorhandenen bewaff- neten Macht, sei es einer äußern, sei es einer innern, handelt, und nicht bei einer bloßen Störung der öffentlichen Ordnung durch die Ver- brechen Einzelner. Zweitens muß aber, wo eine solche feindliche bewaffnete Macht wirklich da und in der Lage ist, einen Angriff zu versuchen, der mili- tärische Befehlshaber auch das Recht haben, den Kriegszustand ein- seitig auszusprechen. Eine solche Erklärung in Kriegszustand gilt dann nicht weiter, als die unter dem betreffenden Befehlshaber stehenden Truppen vertheilt sind. Sowie diese Truppen den einzelnen Ort ver- lassen, hört der Kriegszustand von selbst auf, und die Sicherheitspolizei tritt in ihre frühere Funktion und Berechtigung zurück. Drittens dauern diese Funktionen und Berechtigungen auch wäh- rend des Kriegsstandes in so weit fort, als sie nicht speziell den mili- tärischen Organen übertragen worden sind. Die sicherheitspolizeilichen Organe haben jedoch in solchem Falle nicht ohne ausdrücklichen mili- tärischen Befehl das Recht auf militärischen, sondern nur auf bürger- lichen Gehorsam. Nur muß angenommen werden, daß das polizeiliche Verfügungsrecht unbedingt an die militärische Behörde übergeht, so weit es sich um neue Verfügungen handelt. Das Recht der bestehenden polizeilichen Anordnungen wird nicht geändert, wenn eine solche Aen- derung nicht ausdrücklich ausgesprochen ist. II. Ein ganz anderer Fall ist nun derjenige, den wir als den bürgerlichen Belagerungszustand — hier würden wir sagen das Standrecht — bezeichnen. Der bürgerliche Belagerungszustand beruht darauf, daß die öffentliche Sicherheit nicht mehr durch eine selbständig auftretende bewaffnete Macht, sondern durch die Menge und häufige Wiederholung von Verbrechen Einzelner bedroht wird. Ein solcher Zustand ist der Beweis, daß das ethische Element des Rechts- bewußtseins nicht mehr stark genug ist, die Menge von der Begehung solcher Verbrechen abzuhalten, und daß daher die Furcht vor unmittel- barer Strafe als äußerstes Mittel zur Verhinderung derselben gebraucht werden muß, während der Kriegszustand es mit Verbrechen überhaupt nicht zu thun hat. Daraus geht nun auch das Recht des Standrechts (bürgerlichen Belagerungszustandes) in seiner specifischen Unterscheidung von dem des Kriegszustandes fast von selbst hervor. Das Princip dieses Rechts muß es darnach sein, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, welche zum Zweck der Abschreckung eben die unmittelbare Bestrafung der, die gesammte Rechtsordnung gefährdenden Verbrechen möglich machen. Das Mittel dafür ist die Aufhebung des bürgerlichen Rechts für das Verfahren der gerichtlichen Polizei und der Strafgerichte. Das System desselben enthält folgende wesentliche Punkte. Zuerst muß die Erklärung des Standrechts von derjenigen Be- hörde ausgehen, welche für die öffentliche Sicherheit die Verantwort- lichkeit hat, also nicht wie beim Kriegszustand von der militärischen, sondern von der (politischen) Verwaltungsbehörde . Die Beziehung desselben auf Verbrechen und Rechtspflege fordert dabei, daß eine Ueber- einstimmung der letzteren mit den höheren Behörden der Rechtspflege voraufgehe; indeß muß der Verwaltungsbehörde als Vertreterin der Sicherheit das Recht zustehen, einseitig das Standrecht zu erklären, dann aber sofort bei Nichtübereinstimmung mit dem Gerichte die definitive Entscheidung des Verwaltungsministeriums darüber einzuholen. Zweitens muß die Erklärung formell und öffentlich geschehen, in der Weise, daß sie zu jedermanns Kunde gelangen kann (Trommel- schlag, Markt ꝛc.). Drittens hat dieselbe ihrem Inhalt nach sich 1) nur auf die- jenigen bestimmten Verbrechen zu beziehen, welche eben durch ihre häufige Wiederholung den Grund zur Erklärung selbst abgegeben haben. Die Standrechtserklärung soll daher in Beziehung auf diese Verbrechen stets so bestimmt lauten als möglich. Sie wird consequent sich auf solche Verbrechen beschränken, welche die öffentliche Ruhe und Ordnung direkt oder indirekt stören, und nicht mit solchen zu thun haben, die nicht in das öffentliche Leben eingreifen. 2) Hat die Erklärung des Belagerungszustandes ein neues System der Strafe aufzustellen, welches naturgemäß in härteren, als den regelmäßigen Strafen besteht. Der Grund der größeren Härte liegt darin, daß das Verbrechen selbst durch die, in einem solchen aufgeregten Zustande liegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung ein doppeltes wird, indem zu dem Verbrechen gegen das höhere oder niedere Individuum (Majestätsverbrechen, Mord, Brand ꝛc.) stets ein Verbrechen gegen die Rechtsordnung als solche hinzukommt. Die Anwendung der Todesstrafe scheint jedoch nicht nothwendig, als da, wo sie überhaupt im Strafgesetze schon ausgesprochen ist. 3) Kann diese Erklärung Thätigkeiten und Aeußerungen, welche an sich nur eine Gefährdung der öffentlichen Rechtsordnung enthalten, zu selbständigen Verbrechen machen . Dahin gehören namentlich Ausstreuung falscher Gerüchte, Aufreizungen und aufregende Reden u. s. w. Es liegt dabei der richtige Gedanke zum Grunde, daß die Verhältnisse aus dem, was an sich nicht einmal ein entfernter Versuch ist, eine wirkliche Verletzung der öffentlichen Sicherheit machen. Die Veröffent- lichung des Standrechts setzt jeden Einzelnen in die Lage, zu wissen, daß dieser Fall eingetreten ist. Das Halten von aufregenden Reden u. s. w. wird daher vermöge dieses Bewußtseins zu einem Versuch, der durch die Verhältnisse als ein nächster Versuch erscheint, und daher naturgemäß als Verbrechen strafbar ist, Es folgt daraus, daß die Erklärung des Standrechts zugleich die Strafe dafür bestimmen muß, da ohne Stand- recht solche Aeußerungen straflos sind. 4) Daß die Presse damit gleich- falls unter dasselbe Recht gestellt wird, versteht sich von selbst. Es ist klar, daß in solchem Zustande das Verfahren von doppelter Wichtigkeit wird. Das ganze Wesen des Standrechts fordert nämlich allerdings, daß das Verfahren der Gefahr angemessen sei, welche in dem Verbrechen liegt, und daß es daher ein kurzes und inappellables sei. Allein für dasselbe sind dennoch im Interesse der staatsbürgerlichen Freiheit drei Grundsätze leitend. Erstlich soll das ganze Verfahren sich nur auf die standrechtlichen Verbrechen beziehen. Zweitens soll das Gericht ein besonders dazu bestimmtes sein. Die Natur der öffentlichen Gefahr macht dabei ein militärisches Gericht durchaus nicht nothwendig, läßt aber auch die Wirksamkeit der Schwur- gerichte nicht zu. Die für die Standgerichte geltenden Grundsätze müßten sich auf zwei Hauptpunkte beschränken: erstlich muß die militärische Gerichtsbarkeit für alle diejenigen Fälle eintreten, wo die Einzelnen mit den Waffen in der Hand im offenen Widerstande gegen die Ver- waltung ergriffen werden; zweitens bleiben die früheren Gerichte, also auch die Schwurgerichte für alle diejenigen Verbrechen, für welche das Standrecht nicht verkündet ist. Drittens bleibt das gesammte Recht der Einzelpolizei vollkommen bestehen; nur ist die Polizei mit der Einführung des Standrechts eine standgerichtliche . Dieß nun heißt, daß Verhaftung, Haussuchung, Beschlagnahme und Waffenrecht im Namen des Standgerichts ausgeübt werden. Die rechtliche Formel daher ist die, daß die Polizei für ihre Funktionen nicht mehr eines gerichtlichen Befehles bedarf; daß also die Verhaftung ohne gerichtlichen Befehl auch bei nicht handhafter That, daß die Haussuchung ohne denselben auch bei nicht vorliegender elementarer Gefahr, und daß die Beschlagnahme auch ohne gerichtlichen Befehl und ohne Zuziehung der Gemeindeorgane stattfinden kann. Der Waffenbesitz als solcher kann zu einem Verbrechen gemacht und poli- zeilich verfolgt werden. Dieß ist der Unterschied zwischen der stand- rechtlichen und Verwaltungspolizei; derselbe ist kaum klar zu erkennen, ohne daß man das System der Einzelpolizei in seinen beiden Elementen, dem gerichtlichen und dem sicherheitspolizeilichen, vor Augen hat. Wir kommen sogleich auf das Letztere, und bemerken nur, daß wie die Theorie so auch die Gesetzgebungen hier nicht vollständig klar sind. Es muß daher das Recht der Standrechtserklärung eben so gut, als das der Er- klärung des Kriegszustandes noch eine Erläuterung in Beziehung auf die Verfassungen empfangen. III. Das Verhältniß der Verfassungsurkunden zu jenen beiden sicher- heitspolizeilichen Maßregeln kann zunächst nur historisch erklärt werden. Die Verfassungsurkunden bezeichnen nämlich historisch das Heraus- treten der staatsbürgerlichen Gesellschaft aus der polizeilichen Verwaltung. Es war daher eine ihrer Hauptaufgaben, das individuelle staatsbürger- liche Recht vor der Polizei mit ihrer naturgemäß unbestimmten Be- rechtigung zu schützen. Dadurch geschah es, daß die großen Principien der Einzelpolizei nicht bloß in die Verfassungen aufgenommen wurden, wohin sie gar nicht gehören , sondern auch eine wesentliche Stelle in derselben einnehmen. (S. den folgenden Abschnitt.) Die nothwendige Consequenz davon war die, daß die im reinen Begriff der höheren Sicherheitspolizei liegende Befugniß zur Erklärung des Belagerungs- zustandes und seines Rechts als eine theilweise Aufhebung der Ver- fassung angesehen wurde, und daher natürlich unter alle die Fragen und Bestimmungen fällt, welche sich an die Aenderungen der Verfassung anknüpfen. Die geschichtlich wohlbegründete Abneigung gegen die reine Polizeiverwaltung übertrug sich daher auf jenes Recht der Erklärung des Belagerungszustandes, denn das richtige Gefühl sagte den Völkern, daß im Grunde der Belagerungszustand gar nichts anderes ist, als die Herstellung des Verwaltungs- und Sicherheitspolizeirechts des vorigen Jahrhunderts innerhalb der verfassungs- mäßigen Verwaltung des unsrigen . Daher denn das Suchen nach einer Begränzung des Rechts der Erklärung dieses Zustandes, und zweitens die Entstehung der Frage, ob die verfassungsmäßigen Funktionen des Volkes durch die Erklärung des Belagerungszustandes aufgehoben werden. Was nun den ersten Punkt betrifft, so gibt es dafür drei Systeme. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 9 Entweder kann der Belagerungszustand nur durch den Beschluß der Reichsvertretung eingeführt werden, wie in England, oder er kann durch Verordnung des Ministeriums, aber gegen dessen Verantwortlich- keit gegenüber der Volksvertretung erklärt werden, wie in Preußen, oder endlich erklären ihn einfach die höheren und höchsten Verwaltungsbehörden als sicherheitspolizeiliche Maßregel, wie in Frankreich und Oesterreich. Von diesen Systemen ist ohne Zweifel das zweite das beste. In Betreff des zweiten Punktes muß man einfach sagen, daß die Vornahme der verfassungsmäßigen Funktionen durch den Belagerungs- zustand als solchem nicht unterbrochen werden dürfe, sondern daß eine solche Unterbrechung, wie namentlich die Sistirung von Wahlen, nur auf Grundlage örtlicher Unruhen, und zwar alsdann gegen Mittheilung an die verfassungsmäßigen Vertretungskörper und unter Verantwort- lichkeit der Verwaltungsbehörde eintreten kann. Gesetzgebung und Literatur. Mohl schweigt. Fast die einzige Arbeit ist Mittermaier , Gesetz über die persönliche Freiheit (Ar- chiv des Criminalrechtes 1849). — In England erscheint der Belage- rungszustand als Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte, kann nur durch Parlamentsbeschluß eingeführt werden, enthält nie das Eintreten der Militärgerichte, sondern wesentlich nur das Recht auf Verhaftung und die Aufhebung der Freilassung gegen Caution. Mittermaier ebend. S. 20. (S. das Folgende.) — In Frankreich ist die verfassungsmäßige Möglichkeit des bürgerlichen Belagerungszustandes zuerst durch das Gesetz vom 10 Frimaire, an VII eingeführt und dann die Grundzüge des Rechts desselben in der Constitution von 1799 ( an VIII ) Art. 91 aufgestellt, die wir anführen, weil sie nicht eben das sicherheitspolizeiliche, wohl aber das rechtliche Verhältniß des Belagerungszustandes zur Verfassung so formu- liren, daß die deutschen Gesetze derselben fast ausschließlich gefolgt sind. Es heißt: „Dans le cas de révolte à main armée, ou de troubles qui menacent la sûreté de l’État, la loi peut suspendre dans les lieux ou pour le temps qu’elle détermine, l’empire de la constitution. Cette suspension peut être provisoirement declarée dans les mêmes cas, par un arrêté du gouvernement , le corps législatif étant en vacances, pourvu que ce corps soit convoqué au plus court terme par un article du même arrêté .“ Nur übersah man, daß dieser Artikel alle verfassungsmäßigen Funktionen aufhebt, und daher die sofortige Berufung des gesetzgebenden Körpers fordert. Erst unter Na- poleon I. wird dann der état de guerre von dem état de siège ge- schieden, jeder mit eigenem Recht; die polizeiliche und gerichtliche Organisirung des bürgerlichen Belagerungszustandes datirt erst von dem Decret vom 24. December 1811, mit Einführung der militärischen Gerichtsbarkeit ( Arrêté vom 30. Juni 1832). Streit durch Constitution vom 24. Juni 1848, Art. 106, namentlich wer den Belagerungs- zustand erklären darf. Constitution von 1852, Art. 12: Recht des Kaisers ; Gesetz vom 9. August 1849: Nur die juridiction criminelle geht über an die militärische Gerichtsbarkeit. Laferrière Dr. adm. I. art. II. Mittermaier a. a. O. S. 34 ff. — Oesterreich : Die Er- klärung steht dem Landeschef zu; das Standrecht wird verkündet. Bildung des Standgerichts durch den Vorsteher des Gerichtshofes ; das Ganze ist wesentlich Gegenstand der Strafproceßordnung (§. 396 u. ff.) Diese §§. haben es nur mit dem bürgerlichen Belagerungszustand zu thun, für den sie den Namen des „Standrechts“ festhalten; Bestim- mungen über den Kriegszustand fehlen. Militärische Bestimmungen sind von 1803; modificirt durch Hofdecret vom 10. Februar 1816. Kund- machung vom 24. November 1849 und 22. Februar 1848. ( Stuben- rauch , Verwaltungsgesetzkunde I. §. 209. Mittermaier a. a. O. S. 42.) — Preußen : Recht der Verfassungsurkunde von 1848, §. 109. ( Mittermaier a. a. O. S. 43.) Diese allgemeine Bestimmung wird erst ausgeführt durch die Verfassungsurkunde von 1850. Die Grund- lage des preußischen Rechts ist die strenge Unterscheidung zwischen dem Kriegszustand und dem bürgerlichen Belagerungsrecht, indem nach dem oben bezeichneten französischen Vorgange der erste sich auf einen feind- lichen Angriff, speziell auf Festungen bezieht, und daher auch vom Festungscommandanten ausgesprochen werden kann, während den bürger- lichen Belagerungszustand nur das Staatsministerium erklären darf. Art. 111 der Verfassungsurkunde von 1850 stellte nämlich den Grund- satz fest, daß die Regierung das Recht habe, bei Gefahr für die öffent- liche Sicherheit gewisse verfassungsmäßige Rechte zu beschränken, und ver- sprach ein eigenes Gesetz. Dieses erschien: Gesetz vom 4. Juni 1851 über den Belagerungszustand , das ausführlichste unter allen existi- renden Gesetzen, hart, aber klar. Erklärung des, vom militärischen (§. 1) geschiedenen bürgerlichen Belagerungszustandes durch das Staats- ministerium; öffentliche Bekanntmachung; Uebergang der gesammten vollziehenden Gewalt an die militärische; dagegen ist die spezielle Suspension der einzelnen bürgerlichen verfassungsmäßigen Rechte noth- wendig. Dabei Verpflichtung zur Anzeige an die Volksvertretung. Rönne , Staatsrecht I. 47, §. 101. Bayern : Ohne eigenes Gesetz; das Recht des Aufruhrs ist hier wie in Oesterreich Theil des Strafgesetz- buches (1813, Art. 441). ( Pözl , Verfassungsrecht §. 161.) — In den übrigen deutschen Staaten nach Vorgang der Reichsverfassung vom 28. März 1849 (Art. IV. ) meist allgemeine Anerkennung des Rechts der Regierung auf Erklärung des Standrechts, jedoch ohne bestimmte Ge- setzgebung. Oldenburg : Verfassungsurkunde von 1852, Art. 54. Wal- deck : §. 96. Reuß : Gesetz vom 20. Juni 1856, Art. 38. Luxem- burg : Verfassungsurkunde von 1856, Art. 113. Dagegen in Baden eine ganze Gesetzgebung: Gesetz vom 7. Juni 1848; strenges Gesetz vom 23. Oktober 1848; endlich besser organisirt durch Gesetz vom 29. Januar 1851 über Kriegszustand und ein zweites eodem über Be- lagerungszustand. In Württemberg bezieht sich das „Standrecht“ nur auf das Militär; für den Belagerungszustand keine Gesetzgebung. ( Mohl , Württemb. Verwaltungsrecht §. 236.) Königreich Sachsen : Minist.-Gesetz v. 10. Mai 1851 enthält im §. 13 ff. die Bestimmungen über die Erklärung des ganzen Landes oder einzelner Orte in Belagerungs- stand. ( Funke , Polizeirecht V. S. 124. 125. In den übrigen Staaten fehlt die Gesetzgebung. Mittermaier a. a. O. 41 ff. Zöpfl , deutsches Staatsrecht I. 414.) In Holland ist man sich nach de Bosch-Kemper §. 343 (Maatregelen by oproer, in-staat-van-beleg-stelling) nicht einig darüber geworden, ob das französische Recht (s. oben), das seiner Zeit auch in Holland eingeführt ward, daselbst noch gilt oder nicht, obwohl man zugibt, daß bei Aufruhr „die Gemeinde in eine außer- ordentliche Stellung zur Regierung kommen kann, welche ungewöhnliche Maßregeln nöthig macht.“ (S. Literatur darüber a. a. O.) — Das belgische Recht scheint ganz das französische beibehalten zu haben. ( De Fooz , Droit adm. c. T. 1. Chap. II. ) Zweite Abtheilung. Einzelpolizei. I. Begriff und Recht der gerichtlichen und der eigentlichen Einzelpolizei. Bei der großen Wichtigkeit des Gebietes der Einzelpolizei und ihrem innigen Zusammenhange mit dem bisher dargestellten Systeme des Polizeirechtes wird es uns verstattet sein, diesen Gegenstand auf seine allgemeinen Grundlagen zurück zu führen, bevor wir auf die ein- zelnen Punkte eingehen, namentlich da man gerade hier ohne die strenge Scheidung von gerichtlicher und Verwaltungspolizei nicht zu einem klaren Rechtssysteme gelangen kann. Diese allgemeinen Grundlagen dürften nun folgende sein: Die Einzelpolizei enthält ihrem formalen Begriffe nach diejenigen Beschränkungen der individuellen Freiheit durch die Organe der Sicher- heitspolizei, welche durch die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Rechtsordnung durch den Einzelnen gefordert werden. Diese Bedrohung oder Gefährdung ist es nun, welche durch ihre zwei Grundformen die zwei Grundformen der polizeilichen Thätigkeit und damit die zwei Rechtssysteme der Einzelpolizei hervorruft. Jene Gefährdung kann nämlich einerseits in der durch die Thätig- keit der Betreffenden erzeugten Straflosigkeit einer bereits geschehenen Rechtsverletzung liegen, oder sie kann in der Gefahr bestehen, daß eine solche Verletzung des öffentlichen oder Privatrechts durch bestimmte Handlungen des Einzelnen demnächst entstehe. Beide Fälle der Ge- fahr, obwohl ganz ungleichartiger Natur, hat die Polzei abzuwenden. In beiden Fällen kann sie in die Lage kommen, um der öffentlichen Sicherheit willen in die Rechtssphäre des einzelnen Individuums ein- greifen zu müssen. In beiden Fällen muß die Aktion, welche ihr noth- wendig erscheint, bis zu einem gewissen Grade ihrem einseitigen Er- messen aus den bereits im allgemeinen Theile aufgestellten Gründen überlassen werden. Aber da in beiden Fällen die Unverletzlichkeit des Einzelnen zugleich erhalten und vor Irrthum und Willkür der Polizei geschützt werden soll, so muß jene Gränze für das Ermessen der Polizei rechtlich festgestellt werden. Und diejenigen rechtlichen Bestimmungen nun, durch welche dieß geschieht, bilden das Recht der Einzelpolizei . Dem Obigen gemäß zerfällt dieß Recht der Einzelpolizei daher in zwei große Abtheilungen. Die Polizei kann nämlich zuerst bei jenen Eingriffen in die persönliche Freiheit als das vollziehende Organ der Rechtspflege oder des Gerichts auftreten, und dann ist sie gerichtliche Polizei. Oder sie kann als Organ der öffentlichen Rechtssicherheit die Sicherung der letzteren durch solche Eingriffe herstellen, und dann ist sie Sicherheitspolizei. Das Recht beider Arten der Funktionen ist schon früher bezeichnet. Das Recht der gerichtlichen Polizei besteht darin, daß die Einzelpolizei hier keine andere Verpflichtung hat, als die der Aus- führung eines Befehles, und daher auch keine Haftung übernimmt. Das Recht der Verantwortlichkeit für das, den Befehl gebende Gericht ist von dem Strafproceß vorgeschrieben, oder in den Instruktionen der Staatsanwaltschaft enthalten, und die Haftung der Polizei besteht daher eben nur in der richtigen Ausführung des Befehles. Die Formen dieser Ausführung und die Gränze , bis zu welcher diese Ausführung in den Eingriffen in die persönliche Freiheit gehen kann, sind in den gesetzlichen Vorschriften über das gerichtliche Verfahren bestimmt, wie bei Verhaftung, Haussuchung u. s. w. Alle diese Vorschriften bilden kein Polizeirecht, ganz gleichgültig, ob sie von der Polizei oder von einem anderen Organe, oder selbst von einzelnen Staatsbürgern (wie bei Er- greifung auf handhafter That) ausgeführt werden, sondern einen integri- renden Theil des Strafverfahrens. Sie gehören daher auch gar nicht in das Verwaltungsrecht, sondern in die Lehre von der Rechtspflege. Nur auf Einem Punkte erscheint das Polizeirecht auch in diesem Gebiete. Dieß ist da, wo der Einzelne der gerichtlichen Aktion des Polizeiorganes Widerstand entgegensetzt. Dasjenige Polizeirecht jedoch, welches das Recht der Polizei gegenüber dem Widerstande des Einzelnen bestimmt, ist ein Theil des Rechts der vollziehenden Gewalt, und erscheint in der Verwaltungslehre in demjenigen, was wir das allgemeine Polizeirecht genannt haben. Auch dieß fällt daher nicht unter die Einzelpolizei. Man muß daher zuerst davon ausgehen, daß die gesammte Funktion der gerichtlichen Polizei, welche eben in der Ausführung irgend eines gerichtlichen Befehles gegen den Einzelnen geschieht, überhaupt keinen Theil des Sicherheitspolizeirechts gegen den Einzelnen bildet. Das Recht der eigentlichen Polizei gegen den Einzelnen beginnt daher erst da, wo entweder in Beziehung auf ein schon begangenes Ver- brechen oder bei einer vorhandenen öffentlichen Gefährdung die Polizei im Namen der öffentlichen Sicherheit das Recht des Einzelnen nach ihrem eigenen Ermessen beschränkt. Das Kriterium dieses Rechts gegenüber dem der gerichtlichen Polizei besteht nun, wie erwähnt, darin, daß das Interesse der öffentlichen Sicherheit ein solches selbständiges Einschreiten der Sicherheitspolizei ohne gerichtlichen Befehl niemals ganz ausschließen kann; daß aber dieses Einschreiten gesetzliche Gränzen hat, und daß in jedem solchen Falle die Polizei für die Innehaltung dieser Gränzen selbständig haftet und das Polizeiorgan dafür persönlich verant- wortlich wird. Offenbar nun hat diese Haftung der Sicherheitspolizei für ihre eigne selbständige Aktion einen ganz anderen Charakter als die des Gerichts. Denn das letztere kann sich zwar irren, aber es kann kein Unrecht thun in seinen Entscheidungen. Die Sicherung der persönlichen Freiheit besteht hier daher in der Appellation. Die Polizei aber kann positiv das Gesetz überschreiten. Es kann daher, da der Einzelne der- selben gehorchen muß, die Rechtssphäre des letzteren nur durch die gesetzlich anerkannte persönliche Haftung des Polizeiorgans wirklich geschützt werden. Eine solche ist nun aber nur denkbar, indem dem Einzelnen ein förm- liches Klagrecht gegen die Organe der Sicherheitspolizei und ihre Eingriffe in die Freiheit eingeräumt wird, da eine bloße Beschwerde zwar die Verkehrtheit der Aktion der Polizei als öffentliches Organ etwa im Disciplinarwege bestraft, aber für die Verletzung der Einzelfreiheit keinen Entgelt gibt. Man muß daher sagen, daß das entscheidende Kriterium dafür, ob jener so tief greifende Unterschied zwischen der ge- richtlichen und der Sicherheitspolizei und ihrem Rechte wirklich anerkannt ist oder bloß im Gefühle besteht, in allen Rechtssystemen darin liegt, ob dem Einzelnen bei Ueberschreitungen der Sicherheitspolizei ein eigenes Klagrecht gegen das einzelne Polizeiorgan eingeräumt und organisirt ist, oder nicht . Denn es ist klar, daß ohne ein solches Klagrecht zwar eben so genaue Vorschriften über das Verhalten der Sicherheitspolizei als solche gegeben sein können , wie sie in den Straf- proceßordnungen für das Verfahren derselben als gerichtlicher Polizei wirklich meistens gegeben sind, daß aber gegen die Uebertretungen solcher Vorschriften kein eigentlicher Rechtsschutz besteht, indem selbst bei vor- kommender Beschwerde die Polizei hier Richterin über das Verhalten ihrer Organe gegenüber dem gesetzlichen Polizeiverfahren gegen Einzelne bleibt, was mit dem Wesen der Rechtspflege in Widerspruch steht. Alle allgemeine Beurtheilung des Einzelpolizeirechts muß daher von dieser bestimmten Frage ausgehen. Um nun das zu können, muß natürlich erst die Vorfrage betrachtet werden, ob überhaupt für das Verfahren der Sicherheitspolizei als solcher , abgesehen von ihrer Funktion als vollziehendes Organ der Rechtspflege, überhaupt Gesetze bestehen . Und diese Frage kann nun nicht füglich ohne einen Blick auf die historische Entwicklung ge- löst werden. Dieselbe beruht nämlich, wie es aus den früheren Darstellungen hervorgeht, auf dem Proceß, durch welchen überhaupt die Funktion der Sicherheitspolizei von der der Gerichte getrennt wurde, eine Trennung, welche im Gebiete der Competenz den Uebergang von der ständischen Gesellschaft und ihrer Rechtsordnung zu der staatsbügerlichen bezeichnet. Diese Trennung der Polizei vom Gericht, oder der Administration von der Justiz, erscheint nämlich zuerst als eine negative Scheidung ihrer beiderseitigen Funktionen; dieser aber lag die sehr bestimmte Anschauung zum Grunde, daß nur das Gericht durch seine Funktion den Staats- bürgern Schutz ihres Rechts gewähre. Von dieser Anschauung aus kam man zu der ersten sehr wichtigen und richtigen Consequenz, daß die wichtigste Aufgabe des öffentlichen Rechts zum Schutze der persönlichen Freiheit darin bestehen müsse, die Funktion der Sicherheitspolizei in Be- ziehung auf den Einzelnen so zu ordnen, daß dieselben so schnell und sicher als möglich in eine Funktion der Gerichte übergehe . Dieß bildete sich, wie es in der Natur der Sache lag, zuerst aus bei der Verhaftung, und ward dann bald auf die anderen Theile der Einzel- polizei ausgedehnt. Die leitenden Grundsätze dafür wurden aus dem englischen Recht genommen. Dieselben bestehen darin, daß niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden, also durch keine Polizei ver- urtheilt werden kann, daß keine andere, als eine gesetzlich gültige Strafe ausgesprochen werden darf, und daß die Sicherheitspolizei die Verpflich- tung habe, den von ihr Ergriffenen in einer möglichst kurzen Frist vor den Richter zu stellen, der dann über die Fortdauer der Verhaftung u. s. w. entscheidet. Eben so ward das Hausrecht dahin bestimmt, daß der Polizei das Recht genommen wurde, als reine Sicherheitspolizei, also ohne gerichtlichen Befehl, das Haus zu betreten. Diese Grundsätze treten auf dem Continent bekanntlich zuerst in der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789 auf, aber freilich noch in ganz abstrakter Form ( art. 7: Un homme ne peut être accusé, arrêté ni détenu que dans les cas déterminés par la loi ). Die folgenden Verfassungen behalten diesen allgemeinen Satz bei, ohne zum Hausrecht und zur Beschlagnahme überzugehen; die Charte vom 4. Juni 1814 und die von 1830 führen ihn wörtlich fort, und das Recht der drei andern sicherheitspolizeilichen Funktionen wird durch eigne Gesetze bestimmt. Allein der Grundgedanke, daß jenes Recht der persönlichen Freiheit eine der großen und unabweisbaren Grundlagen der staatsbürgerlichen Ordnung sei, erhält sich von da an dauernd im Bewußtsein der Völker, und den Ausdruck dieses Bewußtseins bildet dann die Aufnahme jenes abstrakten Princips fast in alle continentalen Verfassungen dieses Jahrhunderts. Dasselbe steht so fest, daß auch die neuesten Verfassungen, nicht nur Deutschlands, sondern auch die außer- deutschen, jenen Satz fast mit gleichen Worten wiederholen, wie das dänische Grundgesetz vom 3. Juni 1849 ( VIII. §. 45 ff.), bis herab zum Grundgesetz von Serbien vom Jahre 1863 und Rumänien von 1866. Auf dieser Grundlage ließ sich dann allerdings leicht weiter bauen, und ein ausgebildetes System des Rechts der gerichtlichen Einzelpolizei errichten. Das ist nun zum Theil in einzelnen speziell dafür bestimmten Gesetzen geschehen; die Hauptbestimmungen jedoch bilden den Inhalt eines Theils der Strafproceßordnungen unseres Jahr- hunderts. Auch hier geht die französische Strafproceßordnung des Code d’Instr. crim. voran; ihr folgen dann langsam die der deutschen Staaten, welche jenes gerichtliche Polizeirecht sehr genau und gut ausgebildet haben. Und bei diesem System ist man nun in Betreff des gesetzlichen Polizeirechts formell stehen geblieben . In der That aber war dabei ein sehr wesentliches Moment nicht klar gestellt, und das ist es, worauf es gerade für das Verwaltungs- recht ankommt. Unzweifelhaft nämlich gibt es eine Reihe von Fällen, in denen zwar wirklich geschehene Verbrechen vorliegen, in denen aber aus irgend einem Grunde ein gerichtlicher Auftrag an die Polizei nicht gegeben ist, und in welchem das Einholen eines solchen auch nicht möglich ist. Es ist klar, daß in diesen Fällen die Polizei nach eigenem Er- messen vorgehen muß, und daß das Recht dieser eigentlichen, oder sicher- heitspolizeilichen Funktion in den Strafproceß- und gerichtlichen Polizei- ordnungen nicht gegeben ist. Dennoch war ein solches Recht eben so nothwendig, als das gerichtliche Polizeirecht. Und hier müssen wir nun sagen, daß die Gesetzgebungen Europa’s nicht vollständig, und da, wo sie es sind, nicht immer klar sind, da sie fast durchstehend den An- forderungen dieses Rechts durch die bereits angeführten Bestimmungen zu genügen glaubten, nach denen die Polizei namentlich in Verhaftungs- fällen die Verhafteten an das gerichtliche Verfahren zu überliefern habe. Zugleich rief die zum Theil sehr genaue Ausführung der gerichtlichen Polizei einerseits, und der Mangel einer selbständigen wissenschaftlichen Bearbeitung des Polizeirechts anderseits eine sehr einseitige strafproceßliche Auffassung des ganzen Verhältnisses bei den Criminalisten hervor, und wir sind daher auch auf dem Gebiete der Einzelpolizei nicht zu einem rechtlichen theoretischen Systeme gekommen, das allerdings in der crimi- nalistischen Jurisprudenz keine Stelle hatte, da diese immer erst bei dem gerichtlichen Befehle und seinen Folgen anfängt. Daß nun eine solche selbständige Behandlung des Einzelpolizei- rechts nothwendig ist, wird wohl niemand bezweifeln; eben so wenig, daß sie einen unabweisbaren Theil des Verwaltungsrecht im Allgemeinen, des Sicherheitspolizeirechts im Besondern bildet. Wir wollen daher ver- suchen, die Elemente derselben hier darzulegen, indem wir die vielfach ge- gebenen, aber zerstreuten Bestimmungen und Ansichten auf ein bestimmtes System zurückführen. Es darf demnach als Resultat des Bisherigen der Satz festgehalten werden, daß das Recht der Einzelpolizei das Recht der- jenigen polizeilichen Eingriffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen ist, welche für die Verfolgung von Verbrechen oder für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit von der Polizei vorgenommen werden, ohne daß dieselben auf Grund einer richterlichen Anordnung geschehen , indem wir die letztere nunmehr definitiv als eigentliche gerichtliche Polizei in das Gebiet des Strafprocesses verweisen. Dieß Recht der Einzelpolizei hat nun wieder einen allgemeinen Theil, und vier besondere Fälle, in denen die Grundsätze dieses allge- meinen Theils zur besonderen Anwendung gelangen. II. Allgemeine Principien des Rechts der eigentlichen Einzelpolizei. Die eigentliche Einzelpolizei hat nun ihrerseits, als eine von der gerichtlichen Polizei selbständig geschiedene Funktion, zwei Hauptauf- gaben. Die erste dieser Hauptaufgaben gehört, trotz ihrer formellen und rechtlichen Selbständigkeit, der Funktion der Rechtspflege an; erst die zweite ist rein polizeilich. Und es ist nicht etwa die Identität des letzten Zweckes der ersten Funktion mit dem der gesammten Rechtspflege, welche eine selbständige Behandlung derselben gehindert hat. Ohne Zweifel hat nämlich die Polizei die Aufgabe, auch ohne richterlichen Befehl geschehene Verbrechen zu entdecken, die Beweismittel zu sammeln und die Möglichkeit der Bestrafung zu sichern. Sie hat daher die Pflicht, alle diejenigen Thätigkeiten vorzunehmen, welche die Bedingung der Erfüllung dieser Aufgabe sind. Das Recht der Einzelpolizei wird daher die Gränze bedeuten, welche jene Thätig- keiten gegenüber der persönlichen Freiheit zu beobachten haben. Nun ist es ganz unmöglich, diese Gränze für alle denkbaren Fälle aufzu- stellen. Und da nun trotzdem die Polizei auch ohne gerichtlichen Befehl jene Aufgabe erfüllen muß, so kann dieß Rechtsgebiet nur auf zwei Punkten beruhen. Erstlich muß die Polizei für die Gesammtheit aller Fälle, um die es sich dabei handelt, ein leitendes Princip haben, und zweitens muß sie durch gerichtliche Haftung genöthigt werden, in jedem einzelnen Falle nach diesem Princip auch wirklich zu verfahren. Dieses allgemeine Recht der Einzelpolizei, das allerdings sehr ge- eignet ist, die ganze Thätigkeit der Polizei in hohem Grade beschwerlich zu machen, wird nun in den folgenden vier Fällen in den meisten Ländern durch spezielle Gesetze so genau bestimmt, daß die polizeiliche Funktion dadurch wieder sehr erleichtert wird. Allein dennoch bleiben jene leitenden Principien von hohem Werthe, sowohl für die Polizei selbst als für die staatsbürgerliche Freiheit. Der erste Grundsatz dafür ist nun der, daß die Polizei, wo sie als solche ein Verbrechen verfolgt, das Gericht beständig von den Er- gebnissen ihrer Beobachtung in Kenntniß zu halten hat, um auf dem Punkt , wo es zur Verfolgung nothwendig wird, den gerichtlichen Be- fehl bereits in Händen zu haben , vermöge dessen sie dann als ge- richtliche und nicht mehr als Sicherheitspolizei in die Freiheit des Ein- zelnen eingreifen kann. Dieß System gilt faktisch in England und Frankreich, und ist die natürliche Consequenz der wohl motivirten ge- richtlichen Haftungspflicht der Polizei, welche darin das Mittel besitzt, sich von der letzten so weit als möglich frei zu machen. Es wäre gut, dieß Princip zu einem geltenden durch Aufnahme in alle Polizei- instruktionen zu machen. Der zweite Grundsatz ist der, daß da, wo die Polizei in der Lage ist, dennoch ohne gerichtlichen Befehl in die Sphäre der persön- lichen Freiheit einzugreifen, sie ihr Verfahren nur so einrichten, also die persönliche Freiheit nur so weit beschränken soll, daß die Thatsachen, auf die es ankommt, ungetrübt und ungestört dem Gerichte vorgelegt werden können. Die Polizei hat daher hier eine wesentlich negative Aufgabe. Sie hat den Einzelnen zu nichts zu zwingen, sondern ihn nur zu hindern , sich selbst oder Beweismittel dem gerichtlichen Ver- fahren zu entziehen. Alles was darüber hinausgeht, liegt schon außer- halb der Sphäre des Rechts der Sicherheitspolizei, und in der That sind die meisten Sätze der folgenden einzelnen Fälle nichts anders als An- wendungen dieses Satzes. Der dritte Grundsatz ist nun der, daß die Polizei für das, was sie in dieser Beziehung wirklich thut, dem Einzelnen haftet , und daß mithin derselbe in allen Fällen das betreffende Organ auf dem Wege der Klage für sein Verfahren gerichtlich verfolgen kann. Dieß ist natür- lich der wichtigste von allen Sätzen; von ihm hängt der praktische Werth der obigen Principien ab, und es muß gefordert werden, daß jede Ge- setzgebung dieses Klagrecht als ein selbständiges Recht anerkenne und als solches formulire. Die Anwendung dieser Grundsätze findet sich nun in den folgen- den Punkten. Da eine eigene Gesetzgebung über das Recht der Einzelpolizei im Allgemeinen fehlt, so wird das, was über die Verantwortlichkeit der Polizei bestimmt ist, für dieß ganze Gebiet des Polizeirechts entscheidend. Nun steht allerdings wohl in ganz Europa fest, daß jeder Beamtete für die Ueberschreitung seiner amtlichen Gewalt gerichtlich zur Rechenschaft ge- zogen werden kann. Allein dieß Princip hat dennoch zwei wesentlich verschiedene Formen, die wir als die englische und die continentale bezeichnen können. Das englische Princip ist, wie schon früher ausge- führt, daß jeder, der sich durch die Ausübung der Polizeigewalt verletzt glaubt, das betreffende Organ auf dem Wege der Einzelklage ver- folgen, und eventuell zu Strafe und Schadenersatz verurtheilen lassen kann (s. oben und in der vollziehenden Gewalt). Die viel strengere amt- liche Entwicklung auf dem Continent hat das Princip der Haftung zwar schon in der französischen Revolution in allgemeinen Sätzen anerkannt, allein es hat sich nie zum englischen Recht der Privatklage gegen das Polizeiorgan erheben können. Der französische Grundsatz ist schon in der Déclaration des droits (art. 9) aufgestellt, freilich nur für die Verhaftung: „toute rigueur qui ne serait pas nécessaire pour s’assurer (d’une personne) doit être sévèrement réprimée par la loi“ und dann speziell wiederholt in der Constitution von 1793, Art. 10. Die folgende Zeit läßt denselben dann aus den Verfassungen weg und schiebt ihn in das Strafrecht hinüber, und hier erscheint derselbe als das Strafrecht des Amtsmißbrauchs in allen continentalen Strafrechten. Allein der wesent- liche Unterschied zwischen diesem Recht und dem englischen besteht den- noch darin, daß die Verfolgung des Amtsmißbrauchs Sache der Staatsanwaltschaft ist, daß also dasjenige Organ, welches eben die Sicherheitspolizei am meisten gebraucht, zugleich dasselbe sein muß, das sie im einzelnen Fall verklagt — ein Mißverhältniß, das natürlich praktisch fast dieselben Folgen haben kann, als ob es gar kein Gesetz in dieser Beziehung gäbe. Die Gesetze zum „Schutze der persönlichen Freiheit,“ wie das preußische von 1850 und die neuesten österreichischen von 1862, sind im übrigen eben so gut, zum Theil besser, wie das englische Recht. Nur in dem obigen Punkte fehlt der entscheidende Schlußsatz, der freilich eine wesentlich andere Auffassung auch im Strafproceß voraussetzt. Auch auf diesem Punkte wird nur durch die Einführung der Schwur- gerichte geholfen werden. — Die Uebung, daß die Polizei sich mit Be- fehlen des Gerichts versieht, um sie anwenden zu können, wenn nöthig, sollte ganz regelmäßig eingeführt werden. Wie man es in Frankreich macht, zeigen unter anderm Caulers Memoiren. Warum hat Stieber bei seiner sonst praktischen Darstellung nicht darauf hingewiesen? Oder ist es mehr ein Mangel in der Verantwortlichkeit im preußischen System, als ein Mangel in dem Schriftsteller? III. Das System des Rechts der Einzelpolizei. 1) Die polizeiliche Verhaftung . Auf Grundlage der obigen Darlegung scheiden wir nunmehr ganz bestimmt die polizeiliche Verhaftung als diejenige, welche die Polizei kraft ihres eigenen besonderen Rechts vollzieht, von der gerichtlichen , die auf Befehl eines Gerichts vorgenommen wird. Die letztere mit allen dahin gehörigen Fragen, Caution, Untersuchungshaft u. s. w., verweisen wir definitiv in den Strafproceß. Nur die erstere gehört dem Polizei-, und damit dem Verwaltungsrechte an. Es ist nun wohl klar, daß gerade in diesem polizeilichen Ver- haftungsrecht das Hauptgebiet desjenigen liegt, was wir das Recht des Schutzes der persönlichen Freiheit nennen. Denn in der That ist es vollständig unmöglich, zu verkennen, daß der Akt der Verhaftung nicht immer auf einen gerichtlichen Befehl warten kann, und daß es daher neben und vor der gerichtlichen Verhaftung noch eine polizeiliche gibt und geben muß , die ihrerseits ein Recht zum Schutze der persönlichen Freiheit fordert, so gut wie letztere. Der Versuch, die hierin liegende Schwierigkeit zu überwinden, beschränkt sich bis auf die neueste Zeit darauf, wie wir schon bemerkt, jede polizeiliche Verhaftung zu einer gerichtlichen zu machen, oder sie aufzuheben . Das wird zu- erst in England zu einem der großen Grundsätze des öffentlichen Rechts und bildet eigentlich den Kern der Habeas-Corpus-Akte. Von dem eng- lischen Recht geht nun die Rechtsbildung über auf den Continent, behält aber stets jenen Charakter des englischen Rechts; und wie diesem, so fehlt denn auch dem letztern ein klares und durchgeführtes Bewußtsein davon, daß mit der ganzen Habeas-Corpus-Akte und allen Bestimmungen über die gerichtliche Verhaftung das Recht der polizeilichen gar nicht berührt, sondern im Grunde nur der Rechtssatz ausgesprochen ist, daß die poli- zeiliche Verhaftung als solche nicht länger als eine möglichst kurze Frist dauern, und dann durch Vorführung vor den Richter in eine gericht- liche übergehen muß. Damit war nun freilich ein Recht der polizei- lichen Verhaftung überhaupt nicht gegeben, sondern nur ein Termin , innerhalb dem sie verstattet war, ohne daß andere Rechtssätze für sie Platz gegriffen hätten. Denn die Habeas-Corpus-Akte war in der That überhaupt nicht so sehr ein Recht der Verhaftung, als ein Recht auf ein richterliches Urtheil vor dem zuständigen Gericht. Trotz der Habeas-Corpus-Akte haben daher die Engländer eben so gut nur eine polizeiliche Verhaftung als der Continent, und im Grunde ist der Einzelne gegen dieselbe noch weit weniger geschützt als hier. Erst als die viel höher stehende Jurisprudenz des Continents sich der Sache bemächtigte, ward allmählig — keineswegs sogleich — die polizeiliche Verhaftung von der gerichtlichen geschieden, und damit ein eigenes Recht für die erstere vorbereitet. Die Schwierigkeit, es von dem letzteren zu scheiden, ist in der That nur durch den Mangel eines eigenen Polizeirechts ge- geben. Die Grundsätze desselben sind sehr einfach. Das Recht dieser polizeilichen Verhaftung hat zwei Theile: Das Recht der Verhaftung selbst , und das Recht des Verfahrens nach der Verhaftung . I. Die Polizei hat das Recht zur Verhaftung in zwei Haupt- kategorien. Es kann sich nämlich diese rein polizeiliche Verhaftung ent- weder auf ein geschehenes Verbrechen und Vergehen, oder auf eine Ge- fahr für die öffentliche Sicherheit beziehen. In Beziehung auf ein geschehenes Verbrechen sind die Fälle des Rechts der polizeilichen Verhaftung: 1) Die Ergreifung auf handhafter That , die keiner Erklärung oder Begründung bedarf; daß die Verfolgung nach der That dazu gehört, wenn jemand augenscheinlich als Thäter er- scheint, versteht sich von selbst. 2) Bei dringendem Verdacht gegen einen Verbrecher hat die Polizei gleichfalls das Recht der Verhaftung, sowie in dem Fall, wo sie nur durch Verhaftung die Beseitigung der Beweismittel eines Verbrechens verhindern kann. Allein in diesem Falle soll sie ihrerseits ihren Akt gerichtlich bei eintretender Klage des Verhafteten vertreten, und das Gericht wird dann entscheiden, ob die Verhaftung eine gegründete Ursache hatte, widrigenfalls das Polizei- organ zum Schadenersatz verurtheilt werden soll. Dieß ist darum richtig, weil jedes Polizeiorgan am besten über Verdachtsgründe urtheilen kann, und daher in der Lage ist, sich nöthigenfalls vom Gericht vorher einen Haftbefehl auszuwirken. 3) Die Verhaftung bei Uebertretung von Polizeiverfügungen gehört eigentlich dem ersten Fall, unterscheidet sich aber dadurch, daß die Freilassung sofort geschieht, sobald die polizei- liche Buße gezahlt ist. In Beziehung auf öffentliche Ruhestörung hat die polizeiliche Verhaftung einen andern Charakter. Hier ist sie nicht der Beginn des gerichtlichen Verfahrens durch die Polizei, sondern vielmehr das Ende des polizeilichen Verfahrens, eine Maßregel, welche mit ihrer Ursache zu Ende sein muß. Sie wird aus diesem Grunde oft statt einer Ver- haftung oder Verwahrung eine bloße Wegführung von dem Orte sein. Natürlich wird eine wirkliche Verhaftung daraus, wenn in der öffent- lichen Ruhestörung eine strafbare Uebertretung enthalten ist. II. Das Verfahren nach der Verhaftung und das Recht desselben ist nun gegeben durch den Zweck , aus dem die Verhaftung selbst her- vorging. Bei Verhaftung wegen eines Verbrechens war der Zweck die gerichtliche Verfolgung des letztern, daher muß sie sofort zu der letztern übergehen, oder aufgegeben werden. Deßhalb allgemeiner Grundsatz, daß bei jeder Verhaftung der Verhaftete vor seinen ordentlichen Richter gestellt werden muß. Der Termin für diese Stellung vor Gericht soll dabei stets als das Maximum der Dauer der rein polizeilichen Ver- haftung angesehen, und der Polizei die Pflicht auferlegt werden, wenn möglich den Verhafteten sogleich vor den Richter zu führen. Das Recht der polizeilichen Verhaftung ist hier gleich dem der gerichtlichen; der Unterschied liegt nur darin, daß bei der letztern der Richter, der den Befehl gab, bei der erstern aber das Polizeiorgan selbst für die Einleitung des Verhörs in der festgesetzten Frist verantwortlich ist, und dafür bestraft werden kann. Ein weiterer Unterschied existirt nicht; und dieser Unterschied ist wiederum nur da ein wesentlicher, wo, wie in England, das Recht der Privatklage dem Einzelnen zusteht. Ohne Zweifel aber geht auch das polizeiliche Verhaftungsrecht so weit, jeden Fluchtversuch und jede Collusion auch vor dem gerichtlichen Verhöre zu hindern; aber auch in diesem Falle hat die Polizei die Verhaftung dem Gerichte sofort anzuzeigen und von demselben bestätigen zu lassen, damit aus der polizeilichen eine gerichtliche Verhaftung werde. War dagegen der Zweck die Zahlung der Polizeistrafe, so hört die Verhaftung mit dieser Buße auf, wie sie durch das Angebot der Buße vermieden werden kann. War endlich der Zweck einfach die Verhinderung der öffentlichen Ruhestörung, so wird der Verhaftete, nachdem keine Be- fürchtung mehr dafür da ist, entlassen (Trunkenheit ꝛc.). Aber auch hier muß festgehalten werden, daß eine solche Verhaftung nicht länger als die kürzeste Verhaftungsfrist dauern darf, ohne das Polizei- organ verantwortlich zu machen. Es ist Sache des einzelnen Falles, die Verhaftung in eine andere Maßregel übergehen zu lassen, wenn nach der polizeilichen Verhaftungsfrist noch keine Gewißheit gegeben ist, daß die Ruhe nicht mehr gestört werde, wie wenn es sich zeigt, daß der Verhaftete irrsinnig ist, oder aus Hungersnoth sich verhaften ließ u. s. w. Uebersieht man nun von dem angegebenen Standpunkt die bestehenden Gesetzgebungen Europa’s, so ist es durchaus nicht zu verkennen, daß das Bewußtsein von dieser doppelten Art der Verhaftung denselben eigent- lich ganz deutlich vorschwebt, daß sie sogar ein doppeltes Recht dafür bereits aufgestellt haben, und daß es im Grunde nur darauf noch an- kommt, beide formell zu unterscheiden, um jene beiden Rechtssysteme, die ja bereits gelten, durch ihre Trennung und besondere Behandlung als gleichberechtigt neben einander zu stellen. Namentlich stehen Eng- land und Frankreich in dieser Beziehung in ihren Gesetzen sehr klar da, während Deutschland durch die noch immer herrschende Unsicherheit über das Klagerecht selbst unsicher geworden ist. Was zunächst England betrifft, so ist bekanntlich das Recht der gerichtlichen Verhaftung nicht erst durch die Habeas-Corpus-Akte ein- geführt, sondern die letztere hat vielmehr nur die Verletzung der in der- selben enthaltenen Grundsätze gerichtlich klagbar gemacht. Die con- tinentale Literatur hat dabei fast ausnahmslos übersehen, daß das Wesen jenes berühmten Gesetzes eben in dieser Klagbarkeit lag, und nicht in den Vorschriften, welche durch die Verpflichtung zur Stellung vor Gericht aus der polizeilichen Verhaftung eine gerichtliche machen sollen. Daher denn auch die allgemeine Vorstellung, daß man die englische Habeas-Corpus-Akte einführe , wenn man einen Termin für die Vorführung des Verhafteten vor Gericht aufstelle, während man für die rein polizeiliche Verhaftung gar kein Recht gab, und die Ver- folgung des Amtsmißbrauchs nicht dem Verletzten, sondern der Staats- anwaltschaft übergab, was sie praktisch werthlos machte. Wären die Juristen Englands so gut wie seine Gesetze, so hätten sie dieß Ver- hältniß bald durchschaut; so aber haben sie es den Publicisten und Historikern überlassen. Unter diesen bezeichnet wohl am besten mit wenig aber schlagenden Worten Macaulay ( Charles the Second, Ch. II. ) die Habeas-Corpus-Akte und die Bill of rights in ihrer eigentlichen Be- deutung für England. „From the time of the Great Charter the substantive law respecting the personal liberty of Englishmen (das Princip der persönlichen Freiheit, abstrakt wie in den deutschen Ver- fassungsurkunden) had been nearly the same as at present, but it had become nearly inefficacious for want of procedure . What was needed, was not a new right, but a prompt and searching remedy; and such a remedy the Habeas Corpus Act supplied (an- erkannt den 26. Mai 1679). Wir wüßten wenig zu diesen einfachen und durchsichtigen Sätzen hinzuzufügen. Daß neben jenem Recht der gerichtlichen Verhaftung nun noch die polizeiliche ganz selbständig besteht, und sogar ein eigenes Rechtssystem hat, dürfen wir nach den neuesten Forschungen über England und sein Recht wohl als bekannt voraus- setzen. Es steht jetzt fest, daß der Justice of peace das Recht auf Erlaß und Durchführung der einzelnen Polizeimaßregeln besitzt; der Ein- zelne, gegen den er sie durchführt, hat dagegen das Recht, ihn bei dem bürgerlichen Gericht zu verklagen , wo der Friedensrichter verurtheilt werden kann zum Schadenersatz; Schutz der letzteren gegen solche An- klagen durch 11 Vict. 12. 44 (1848). Siehe über das ganze Verhältniß Gneist (civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter) engl. Ver- fassung II. §. 74. 75. Kries , engl. Armenwesen; S. 55—57. Stein , vollziehende Gewalt, S. 130 — 133. Die beste Darstellung für das Verfahren der Friedensrichter: Burn , Justice of the peace, seit 1814 mit mehr als 30 Auflagen; jedoch ist hier das polizeiliche von dem ge- richtlichen Verfahren nicht strenge geschieden. Die einzige deutsche Darstellung, welche, so viel wir sehen, zuerst diese richtige Scheidung aufgestellt und auch durchgeführt hat, ist J. Glaser , das englisch- schottische Strafverfahren 1850, mit sehr praktischer — warum nicht zugleich kritisch auf die Sache eingehender? — Verweisung auf die ent- sprechenden Rechtssätze des österreichischen und französischen Verfahrens (§. 177—186). Die neueste Schrift von E. Bertrand , de la détention préventive en France et en Angleterre (1862), hat zwar nicht diese klare Unterscheidung festgehalten, wohl aber das ganze Verhaftungs- recht beider Länder einer sehr gründlichen Darstellung und Kritik unter- zogen, bei der er zu dem Resultat kommt, daß für die Schnelligkeit der Justiz, oder für das Verfahren nach der Verhaftung, viel besser in Frankreich gesorgt ist als in England. Er zeichnet sich dadurch vor Glaser aus, daß er das Verfahren nicht bloß der polizeilichen Verhaftung selbst, sondern auch das nach derselben genauer untersucht. Wir haben uns hier mit den Formen der gerichtlichen Verhaftung, die die vorzüglich gut behandelt sind, nicht zu beschäftigen. Allein das englische Recht bestimmt, daß der Constabel jeden, den er ohne Haft- befehl ( warrant ) verhaftet — also bei jeder rein polizeilichen Verhaf- tung — so lange in Haft behalten kann, als das Gericht keine Sitzung hat ( whenever any person shall be without warrant in the custody of any constable — during the time when the police wart shall be shut —) ohne daß ein fester, weiterer Termin angegeben wäre. Dieser Grundsatz ist alt und durch 2. 3 Vict. 65 nicht erst ein- geführt, wie Bertrand zu glauben scheint. Das Recht zur polizeilichen Verhaftung von Seiten des Constabler ist aber, wie er richtig ausführt, viel größer irgendwo auf dem Continent, vielleicht mit Ausnahme Rußlands. In der That kann er nicht bloß auf handhafter That bei Verbrechen und Vergehen verhaften, sondern auch „jede Person, welche er mit gutem Grund im Verdacht hat, ein öffentliches Unrecht begangen zu haben oder versuchen zu wollen “ ( about to comit any felony misdemeanour or breach of peace ) ja selbst da, wo dieselbe die ge- ringste öffentliche Ruhestörung begeht, und alle diese Fälle hat eben das Statute 2. 3 Vict. 17 genau und ausdrücklich formulirt. (Vgl. Bertrand , S. 6. 7.) Ist jemand des Nachts verhaftet ohne warrant, so wird er in das nächste Polizeigefängniß abgeführt. Hier kann der Constabler zwar den Verhafteten freilassen gegen Caution, wobei er die bail of recognizance unterzeichnen muß. Die Polizei hat zu diesem Zweck eigene polizeiliche Verhaftungsregister, in welche diese Stellungs- verpflichtung genau und speziell aufgezeichnet werden, nach 10 Georg IV. 44. ( Bertrand , S. 23. 24.) Diese Gewalt der Polizei ist nun, wie gesagt, eben dadurch eine sehr ernste, daß die Gerichte eben nicht regel- mäßige Sitzungen haben und kein Termin vorgeschrieben ist, so daß mit gutem Recht Blackstone sagt: „In Betrachtung der Individuen, welchen diese große Gewalt überliefert ist (der Constabler), ist es viel- leicht ganz gut, daß sie nicht gar zu sehr aufgeklärt sind über die Aus- dehnung ihrer gesetzlichen Berechtigung!“ ( Liv. 1. ch. IX ) Das ist vollkommen richtig, um so mehr, als der Constabler ermächtigt ist, bei etwaigem Widerstand zur physischen Gewalt überzugehen, ja den Wider- stehenden zu tödten ! ( Glaser , §. 176.) — Indeß hat Bernard dabei eben die zweite Seite der Sache weggelassen, nach welcher derselbe Constabler persönlich gegen Privatklage haftet für den unberechtigt zu- gefügten Schaden in Haft und Verletzung. Freilich versteht man erst jetzt die Nothwendigkeit dieser Haftung ganz, und es läßt sich jetzt begreifen, weßhalb man auf dem Continent bei viel geringerer Berech- tigung der Polizei diese Nothwendigkeit so lange mißverstanden hat. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 10 Denn während in England sich der Einzelne selbst gegen den nahe liegenden Amtsmißbrauch durch jene Klage schützt, sucht auf dem Con- tinent das Recht der polizeilichen Haft ihn gesetzlich zu schützen; dafür aber ist das Recht der Privatklage beseitigt, und die künftige Rechts- bildung Europas wird zur Aufgabe haben, beide Principien in an- gemessener Form zu vereinigen. Das continentale Verhaftungsrecht der Polizei beginnt mit der französischen Constitution vom 3. Sept. 1791 auf Grundlage der Decl. des droits. Und da die ganze folgende Rechtsbildung auf diesen Be- stimmungen beruht, und nur eine mehr oder weniger klare Entwicklung derselben ist, so dürfen wir sie hierhersetzen, um so mehr, als die Theorie gewöhnlich bei dem Code d’Instr. Crim. stehen bleibt, der nur in an- derer Form dasselbe gesagt hat. Die betreffenden Stellen lauten: Chap. V. Du pouvoir judiciaire. Art. 10. Nul homme ne peut être saisi (polizeiliche Vorführung) que pour être conduit devant l’officier de police; et nul ne peut être mis en arrestation ou déténu (Verhaftung und Verwahrung) qu’en vertu d’un mandat des officiers de policc (polizeilicher Verhaftungs- und Vorführungsbefehl) oder eines gerichtlichen Befehls: d’une ordonnance de prise de corps d’un tribunal, d’un decret d’accusation du corps législatif ou d’un jugement de condemnation à prison ou détention correctionnelle. Art. 11. Tout homme saisi et conduit devant l’officier de police sera examiné sur le champ ou au plus tard, dans les vingt- quatre heures . S’il résulte de l’éxamen qu’il n’y a aucun sujet d’inculpation contre lui, il sera remis aussitôt en liberté; ou s’il y a lieu de l’envoyer à la maison d’arrêt , il y sera conduit dans le plus bref délai, qui en aucun cas, ne pourra excèder trois jours . Art. 12. Nul homme arrêté ne peut être rétenu, s’il donne caution suffisante, dans tous les cas ou la loi permet de rester libre sous cautionnement. Folgen die trefflichen Bestimmungen über die Aufnahme in die Gefängnisse: daß jeder Wächter eine Person nur gegen Vorzeigung eines Haftbefehls aufnehmen , und die betreffende Person dem Vorstande des Gefängnisses vorführen soll, die allerdings schon dem Strafverfahren angehören. Unserer Ansicht nach ist eine bessere Bestimmung über die polizeiliche Haft und das Verfahren nirgends auf- gestellt. Die folgende Gesetzgebung hat nur mehr Schärfe in die ein- zelnen Momente des letztern hineingebracht. Das allgemeine Haftungs- recht der Polizei für unberechtigte Verhaftung ward dann im Code Pénal 119. 120 und Code d’Instr. Crim. 113—126 genauer als Strafe für détentions illegales und arbitraires ausgeführt, und das Recht der polizeilichen Verhaftung der Gendarmerie zugesprochen. (Gesetz vom 28 Germ. an VI. art. 158—169.) Mit Recht bemerkt Bertrand , daß der Grundgedanke der Beschränkung der rein polizeilichen Haft auf die Fälle der handhaften That im Code d’Instr. Crim. art. 106 erst durch die Jurisprudenz auch auf die Fälle des dringenden Verdachts und des Fluchtversuches hat ausgedehnt werden müssen, und daß trotz- dem die Polizei in allen ihren Organen niemals wegen eines Ver- gehens ( contravention ) ohne gerichtliche Aufforderung ( réquisition ) verhaften dürfe. S. 8. (Vgl. Laferrière , Droit adm. I. I. ch. IV. Vgl. auch Batbie , Droit publ. et adm. II. ch. III ), der übrigens diesen Theil nicht sehr eingehend behandelt. Hier ist es klar, daß nur noch das Eine fehlt — die Haftung auf Privatklage des Betheiligten, daß dieselbe aber auch so weit überflüssig geworden ist, als sie dieß überhaupt werden kann. Auf dieser Grundlage hat sich nur das deutsche Recht der poli- zeilichen Verhaftung entwickelt. Es ist nicht richtig, hier im Allgemeinen zu reden. Man muß vielmehr zwei Perioden unterscheiden, die erste geht bis zum Jahr 1848; wir stehen in der zweiten, die künftige dritte wird mit der Durchführung der Schwurgerichte und des Privatklagrechts beginnen. In der ersten Periode gelangen die Gesetzgebungen und selbst die Literatur nicht weiter, als bis zu Anerkennung des allgemeinen Princips, daß für die Verhaftung überhaupt eine gesetzliche Berech- tigung sein müsse. Von einer Unterscheidung der polizeilichen und ge- richtlichen Verhaftung ist noch keine Rede, und die Verhaftung selbst wird noch mit dem Recht auf ein competentes Gericht und dem Recht auf ein gerichtliches Urtheil als Bedingung jeder Bestrafung zusammen- geworfen. Dafür aber werden diese allgemeinen Grundsätze in die Verfassungsurkunden aufgenommen, und bestehen zum Theil noch immer fort; so Bayern (Verfassungsurkunde von 1818. IV. 18). Würt- temberg (Verfassungsurkunde von 1819. §. 26). Baden (Verfas- sungsurkunde von 1818. 15). Aehnlich in außerdeutschen: Schwedische Verfassungsurkunde §. 14. Polnische Verfassungsurkunde §. 18. Nor- wegische Verfassungsurkunde §. 99. Holländische Grondwet. §. 168. Neuester Zeit dänische Verfassungsurkunde. §. 85 ff. Rumänische von 1866. §. 24. Serbische von 1863. Die übrigen kleinen deutschen Staaten nehmen dann jene Bestimmungen seit den zwanziger Jahren gleichfalls auf: Großherzogthum Hessen (Verfassungsurkunde von 1820. §. 3). Königreich Sachsen (Verfassungsurkunde von 1831. §. 31). Kur- fürstenthum Hessen von 1831. §. 115. Sachsen-Altenburg von 1831. §. 50. Vergl. was Zöpfl sagt, der die Perioden nicht auseinander hält. (Deutsches Staatsrecht. II. §. 290. 292, dann 448.) Daß dieß nicht genüge, ward schon damals erkannt ( Aretin , Staatsrecht der consti- tutionellen Monarchie. Bd. II. I. Abth. S. 9 ff.). Sehr schön sagte Benj. Constant (Cours de polit. constitut. T. I. 302): „Ce qui pre- serve de l’arbitraire, c’est l’observance des formes. Les formes sont les divinités tutélaires des associations humaines, les formes sont les seules protectrices de l’innocence.“ Er hatte Recht; und gerade die Formen fehlten, und dadurch auch die Sache. Und eben darum konnte die zweite Periode nicht eintreten ohne eine tiefgehende Erschütterung. Diese kam mit dem Jahr 1848, und mit ihr eine neue Rechtsbildung für das Recht der persönlichen Freiheit. Man war zu der Ueberzeugung gekommen, daß es mit dem Princip nicht genug sei, sondern daß man eben gesetzlicher Formen bedürfe. Es war daher ganz natürlich, daß das deutsche Parlament in den Grundrechten ein spezielles Recht der Verhaftung aufzustellen versuchte. Allein da zeigte es sich, daß man keine klare Vorstellung hatte von dem wesentlichen Unterschiede zwischen der polizeilichen und der gerichtlichen Verhaftung und ihrem Recht; man wollte das Unmögliche — die polizeiliche Ver- haftung nur als gerichtliche gelten lassen, mit Ausnahme der handhaf- ten That, und trotz aller im Parlament beschäftigten Juristen zugleich die nicht gerichtliche, rein polizeiliche daneben rechtlich bestehen lassen. So geschah es, daß es im Art. III der deutschen Grundrechte heißt: „Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer That, nur geschehen kraft eines richterlichen Befehles. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder (!) innerhalb der näch- sten 24 Stunden dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehörde muß jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder freilassen, oder der richterlichen Behörde übergeben.“ Die Unklarheit ist klar genug; hier ist eine Verhaftung auf 24 Stunden, die nur auf richterlichen Befehl geschehen darf, zugleich ohne richterlichen Befehl förmlich autorisirt, und daneben der Begriff der „Verwahrung.“ Natürlich war es unmöglich, bei einem solchen direkten Widerspruch stehen zu bleiben. Allerdings begnügten sich einige Verfassungen damit, einfach jene Sätze aufzunehmen, wie Schwarz- burg-Sondershausen 1849, §. 11. Oldenburg 1852, Art. 39. Anhalt-Bernburg 1850, §. 5. Allein daß man in jenen Sätzen eine Vermengung der polizeilichen und gerichtlichen Verhaftung vorge- nommen, ward ersichtlich, so wie man aus dem abstrakten Gebiete der „bürgerlichen Freiheit“ in das des concreten Rechts hinüberkam. Und dafür gab Preußen in seiner Verfassung von 1850 den Anstoß. Die preußische Verfassungsurkunde bestimmte nämlich im Art. 5: „Die Bedingungen und Formen, unter denen eine Beschränkung (der persönlichen Freiheit) insbesondere eine Verhaftung, stattzufinden hat, werden durch das Gesetz bestimmt.“ Dieß Gesetz nun war das Gesetz vom 12. Febr. 1850 zum Schutze der persönlichen Freiheit, das den Unter- schied jener beiden Arten der Verhaftung durchführt, und das beste und vollständigste von allen dahin gehörigen Gesetzen ist, und mit Recht als Muster aufgestellt zu werden verdient. Darnach unterscheidet dasselbe die Verhaftung als die gerichtliche, auf gerichtlichen Befehl geschehende von der Festnahme wegen handhafter That, Fluchtversuch, Collision oder dringenden Verdachts bei einem begangenen Verbrechen, und die polizeiliche Verwahrung wegen öffentlicher Ruhestörung, mit dem Principe, daß die Festgenommenen im Laufe des folgenden Tages vom Richter verhört, die Verwahrten (Eingeführten) dagegen in derselben Zeit entlassen oder vor Gericht gestellt werden sollen. Ich kann die Ansicht Rönne’s (Staatsrecht. I. §. 89) nicht theilen, daß der zweite Punkt mit dem Art. 5 der Verfassung im Widerspruch stehe; dagegen ist auch die Festnahme polizeilicher Natur, und es fehlt die Bestim- mung, daß bei Erlegung der betreffenden Geldbuße die Freilassung sofort geschehen müsse . Bernard hätte aus diesem Gesetze viel lernen können; daß Heinze in seiner geschmackvollen Abhandlung (Das Recht der Untersuchungshaft, 1865) gar keinen Punkt gefunden hat, auf dieß Gesetz zu kommen, können wir nur beklagen. Noch näher hätte die Sache wohl dem, übrigens eben so umsichtigen als gründlichen K. R. Sonntag für seine treffliche Arbeit (Die Entlassung gegen Caution im deutschen Strafverfahren, 1865) gelegen, der in bescheidener Weise auf dem Titel gar nicht erwähnt, daß er eben so tüchtig das englische und französische Recht behandelt. Dieß Werk ist ein entscheidender Beweis dafür, daß die auch hier zum Grunde liegende einseitige Vorstellung, als ob die Verhaftung nur eine gerichtliche sein solle und jede andere an und für sich entweder eine Ausnahme oder ein Uebelstand ist, uns nicht zu einem selbständigen Polizeirecht kommen läßt. — Die übrigen deutschen Verfassungen haben es über die Verfassungsurkunde nicht hinausgebracht. Anhalt-Bernburg (Verfassungsurkunde von 1850, §. 6). Schwarzburg-Sondershausen (Verfassungsurkunde von 1849, §. 13). Waldeck (Verfassungsurkunde von 1852, §. 92). Olden- burg (Verfassungsurkunde von 1852, Art. 58. 59). Coburg-Gotha (Verfassungsurkunde von 1852, §. 32). Reuß , 1852, §. 10. Hier muß man die Fortbildung dieses Rechts statt in eigenen Gesetzen nach den geltenden Gesichtspunkten in den Strafproceßordnungen suchen. In diesen erscheint die Festnahme als das Ausnahmsweise; es ist die unklare Vorstellung des „ersten Angriffes,“ die hier herrscht, oder die Modifici- rung in bestimmten Fällen, wie bei Ruhestörungen u. s. w. Wir glauben uns darauf nicht einlassen zu sollen, da Sundelin die betreffenden Stellen in den deutschen Strafproceßordnungen in seiner kleinen Schrift (Die Habeas Corpus-Akte und Vorschriften zum Schutz der Person und des deutschen Strafproceßgesetzes 1862) bereits gesammelt hat (S. 49—51). Wir bemerken nur, daß Württemberg wohl den Ruhm hat, die Frage nach dem Recht der persönlichen Freiheit zuerst syste- matisch ausgebildet zu haben. (Grundlage für die Verfassungsurkunde §. 23). Siehe über die diesen Paragraphen betreffenden Kammerverhand- lungen: Mohl , württembergisches Verfassungsrecht, S. 348. Eine förm- liche Gesetzgebung kam jedoch nicht zu Stande; das Ganze blieb auf dem Standpunkt der Strafproceßordnung, jedoch mit dem, Württemberg eigenen, speziell durchgeführten Grundsatz, daß die Unterlassung der Vorführung vor den Richter innerhalb der ersten 24 Stunden mit bestimmten Strafen belegt ward. (Strafgesetzordnung Art. 432.) Haus- recht und Beschlagnahme fehlen dagegen. Auf diesem einseitigen Stand- punkt ist das württembergische Recht geblieben; die Grundlage ist noch immer nur die Strafproceßordnung vom 22. Juni 1843 (Art. 144—63), daneben Regelung des Verfahrens durch Dienst -Instructionen des Land- jägercorps (Verordnung vom 7. Juni 1823). Roller , Polizeirecht §. 238 ff. — Selbst für Bayern müssen wir auf die Strafproceßord- nung von 1813, (Art. 118—124) und dasjenige verweisen, was Pötzl , Verfassungsrecht §. 26 und Sundelin anführen. Die neueste Gesetzgebung ist die von Oesterreich in dem ersten Gesetze vom 27. Oct. 1863 zum Schutze der persönlichen Freiheit. Auch dieß Gesetz scheidet zwischen „Verhaftung,“ die nur „kraft eines richterlichen, mit Gründen (war das zweckmäßig, da der Verhaftete sie ohnehin am an- dern Tage erfährt?) versehenen Befehls“ (§. 2) und der „Anhaltung und Verwahrung“ (§. 3), auf welche binnen 48 Stunden entweder die Frei- lassung oder die richterliche Untersuchung folgen soll. Dabei ist jede andere Beschränkung der persönlichen Freiheit durch die Behörde bei bösem Vorsatz als Amtsmißbrauch (§. 101 des Strafgesetzes), sonst aber als Uebertretung mit drei Monaten Arrest zu bestrafen. Wie leider nur zu gewöhnlich, ist dieß so wichtige und in der deutschen Gesetzge- bung eine ehrenvolle Stellung einnehmende Gesetz von Sonntag a. a. O. S. 113 mit einigen Zeilen abgefertigt. Es hätte neben so mancher höchst unvollständigen Gesetzgebung in Deutschland wohl einen bessern Platz verdient. Das Gesammtresultat ist, daß die polizeiliche Verhaftung und ihr Recht thatsächlich, wie es ihre Natur fordert, allenthalben vorhanden sind, aber theoretisch zu keiner ihrer Wichtigkeit entsprechenden Selb- ständigkeit gelangen und auch nicht gelangen werden, so lange es neben dem peinlichen Strafrecht und Strafproceß nicht ein Verwaltungsstraf- recht und Verfahren geben wird. 2) Das polizeiliche Hausrecht . Nachdem wir nunmehr die polizeiliche Verhaftung von der gericht- lichen geschieden, wird es leicht sein, auf derselben Grundlage das Recht der Hausdurchsuchung in seinen zwei Formen zu bestimmen. Das Betreten des Hauses hat als Beschränkung der persönlichen Freiheit einen andern Charakter als die Verhaftung; da nämlich bei ihr natürlich das Moment der Flucht ganz und die der handhaften That und der Collusion zum Theil wegfallen, so folgt schon im Allge- meinen, daß die Beschränkung des polizeilichen Betretens eines Hauses viel größer sein muß als die der Verhaftung. Während es daher un- zweifelhaft ist, daß das Gericht unbedingt das Recht hat, das Betreten eines Hauses durch seinen Befehl zu erwirken, entsteht daher die Frage, ob überhaupt die Polizei ohne einen solchen Befehl das Recht haben solle, nach ihrem Ermessen in das Haus einzudringen. Die aus dem englischen Recht stammende Regel, daß „mein Haus meine Burg“ sein solle, hat nun durch den Mangel durchgreifender Unterscheidung zwischen gerichtlichem und polizeilichem Hausrecht viel Unklarheit hervorgerufen. Dennoch ist das System des letzteren im Grunde ein sehr einfaches. Das gerichtliche Hausrecht haben wir wohl nunmehr unbestritten den Strafproceßordnungen zu überlassen. Wir bemerken nur, daß das Verfahren bei dem Eindringen in das Haus etwas anderes ist als das Verfahren innerhalb des Hauses, dessen Charakter durch das Recht der Beschlagnahme (s. unten) gegeben ist. Das polizeiliche Hausrecht ist dagegen das Recht der Polizei, nach eigenem Ermessen mit amtlicher Gewalt Einlaß in ein Haus zu fordern. Wenn es bei diesem polizeilichen Hausrecht einerseits klar ist, daß dieß Eindringen niemals der zufälligen und willkürlichen Ansicht des Polizeiorganes überlassen werden kann, ohne die Freiheit des Indivi- duums ernstlich zu gefährden, so ist andererseits nicht weniger klar, daß man das polizeiliche Eindringen auch nicht allein auf den Fall eines gerichtlichen Befehles absolut beschränken kann, ohne die Sicher- heit in Gefahr zu bringen. Während daher die Vorstellung von dem freien Hausrecht mit dem unbezweifelten Recht des Gerichts, das Be- treten eines Hauses zu befehlen, gar nichts zu thun hat, besteht die rechtliche Freiheit des Hauses demnach 1) in den rechtlichen Bedin- gungen , unter denen die Polizei nach ihrem Ermessen auch ohne gerichtlichen Befehl das Haus betreten darf; 2) in der rechtlichen Begründung der Thätigkeiten , welche die Polizei nach geschehenem Betreten des Hauses vornimmt. Demnach ergeben sich folgende Grundlagen des polizeilichen Haus- rechts im Gegensatz zu dem gerichtlichen. Erstlich muß die Polizei das Recht haben, in Beziehung auf ein wirklich geschehenes Verbrechen in zwei Fällen ein Haus zu betreten, bez. den Eintritt zu erzwingen. Der erste dieser Fälle ist der der Verfolgung eines Verbrechers, der sich in ein Haus flüchtet; derselbe ist klar, und auch die Nachtzeit macht hier keine Ausnahme, da, wenn das Haus des Nachts offen ist für den Verbrecher, es auch für die nach- eilende Polizei nicht gesperrt sein soll. Der zweite tritt bei dem bloßen Verdacht eines Verbrechens ein. Hier muß festgehalten werden, das es nur Einen Fall gibt, in welchem der Verdacht zu einem poli- zeilichen Eindringen ermächtigt; das ist der, wo durch äußere unver- kennbare Zeichen (Nothruf u. s. w.) das Eindringen die Natur einer Verfolgung und Ergreifung auf handhafter That annimmt. Jedes andere Eindringen ohne gerichtlichen Befehl ist darum um so weniger berechtigt, als dieser gerichtliche Befehl leicht zu erhalten ist, und jede andere Form des Verdachts wirklich jede Grenze der Sicherheit des Hauses gegenüber der Polizei aufhebt. Wenn nun auf diese Weise die Polizei in das Haus eingedrungen ist, so ist ihr Recht zu polizei- lichen Maßregeln wiederum durch den Zweck beschränkt, um dessent- willen sie eingedrungen sind. Dieser Zweck ist entweder die Verhaftung einer betreffenden Person, oder die Beschlagnahme von Beweismitteln. Jedes Eingreifen der Polizei in Dinge und Verhältnisse, welche mit dem erfolgten Verbrechen nicht in Verbindung stehen, muß als Ueber- tretung betrachtet und dem Klagerecht untergeordnet werden. Die zweite wesentlich verschiedene Gruppe von rechtlichen Bedin- gungen für das Eindringen ohne gerichtlichen Befehl besteht darin, daß elementare Gefahren für die persönliche oder allgemeine Sicher- heit unverkennbar vorliegen, wie Feuer, Wasser und Einsturz. Hier kann es zwar kein Zweifel sein, daß die Polizei das Recht des Ein- trittes sich nöthigenfalls erzwingen kann; allein andererseits gibt ihr dieß Eindringen auch kein Recht zu irgend einer andern Vor- nahme , als derjenigen, welche auf die Beseitigung dieser Gefahr Bezug hat. Die Polizei haftet dabei für jede Handlung, mit der sie diese Grenze überschreitet. Das Recht der Polizei, öffentliche Lokale zu jeder Zeit zu be- treten, gehört eigentlich nicht in das Hausrecht, da ein solches öffent- liches Lokal (Schenke, Bordell ꝛc.) eben kein Haus im polizeilichen Sinne, das ist ein für den Aufenthalt eines einzelnen Individuums bestimmte Wohnung ist. Es ist wohl vorzugsweise die Möglichkeit der großen Willkür, welche die Polizei ausüben kann , wenn sie nach eigenem Ermessen in ein Haus einzudringen das Recht hat, die die Vorstellung von der Un- verletzlichkeit der Wohnung erzeugt hat. Auch hier ist der englische Grundsatz für das positive Recht, der französische für die Bezeichnung desselben maßgebend geworden; das deutsche, keineswegs vollständige Recht hat wiederum seinerseits aus Mangel an polizeilich rechtlicher Auffassung dasselbe beinahe ausschließlich in die Strafproceßordnungen verwiesen und dadurch das Verständniß des Polizeirechts unsicher ge- macht. Das englische Recht ist einfach. Das polizeiliche Recht des Eindringens in ein Haus ist neben dem unbezweifelten gerichtlichen ( Glaser a. a. O. §. 134—139) ganz dem der polizeilichen Verhaf- tung gleich und nach dem bestehenden Recht hat der englische Constable hier wieder eine Gewalt, welche keinem continentalen Polizeiorgane zusteht. Wir können, da merkwürdiger Weise die Schriftsteller, die über das englische Verhaftungsrecht so umständlich sind, sich mit dem englischen Hausrecht gar nicht beschäftigen, uns wohl am besten auf Glaser berufen. Jeder Constable hat das Recht, bei „glaubwürdiger Anzeige“ eine Verfolgung einer Person wie auf handhafter That durch „Horn und Nachruf“ ( by hue and cry ) einseitig anzuordnen und bei dieser Verfolgung in jedes Haus einzudringen , ja sogar die zur Verfolgung aufgeforderten Privatpersonen, die überdieß zur Nach- eile verpflichtet sind, haben mit ihm genau dasselbe Recht. Ob eine solche Anzeige glaubwürdig ist oder nicht, darüber entscheidet niemand anders als eben der Constable ! Das gilt schon seit 3. Edw. I. 9 bis auf die Gegenwart ( Blackstone IV, 21. Burn II, 683. v. Hue and cry ). Vgl. Glaser a. a. O. §. 138 u. 430. Eine rücksichtslosere, unbeschränktere Gefährdung des Rechts des Hauses ist wohl nicht denkbar, und man wird daraus ermessen, was rechtlich in England der Satz my house is my castle, wirklich werth ist. Wiederum müssen wir auf den früher citirten Satz Blackstones über die Constabler hinweisen, und wiederum müssen wir hervorheben, daß unter solchen Umständen aller- dings das Privatklagrecht in England in der That mehr als eine Noth- wehr gegen Polizei, denn als ein verfassungsmäßiges Recht erscheint. Auf dem Continent hat dieß ganze System nun eine ganz andere Gestalt angenommen. Hier hat wiederum Frankreich die Initiative ergriffen. Frankreich hat, wie gesagt, das allgemeine Princip der Unverletzlichkeit des Hauses zuerst anerkannt; die Unmöglichkeit jedoch, die Polizei ganz auszuschließen, ließ die Beschränkung auf die gerichtliche Haussuchung nicht zu, und die Unmöglichkeit der Privatklage gegen die Beamteten machte damit jenes Princip faktisch illusorisch. Aus dem Zusammenwirken dieser Elemente ist nun ein vollkommenes System des Hausrechts entstanden, das sich erst allmälig gebildet hat. Das Gesetz vom 19.—22. Juli 1791 stellt zuerst den Grundsatz auf, daß kein officier municipal in das Haus eindringen könne als in gewissen einzelnen Fällen, bei drohender Gefahr und mit richterlichem Befehl. Diese Grundsätze wurden nun in die Constitution vom Jahr VIII 1799 als Grundrecht im Wesentlichen aufgenommen, und sind die Grundlagen des ganzen continentalen Hausrechts geworden. Alle späteren Gesetze sind zum Theil nur Ausführungen dieser einfachen Principien, zum Theil sogar nur Uebersetzungen. Die Constitution von 1799 sagt T. VII. §. 76. La maison de toute personne habitant le territoire français est un asile inviolable. Pendant la nuit, nul n’a le droit d’y entrer que dans le cas d’incendie, d’inondation, ou de réclamation faite de l’intérieur de la maison. Pendant le jour on peut y entrer pour un objet special déterminé, ou par une loi, ou par ordre émané d’une autorité publique. Unter dem objet special wurden die Fälle des Gesetzes von 1791 verstanden (Volkszählung und Steuererhebung) unter der autorité publique zugleich Gericht und Polizei. Damit war der französischen administrativen Jurisprudenz ein weites Gebiet eröffnet und eine genauere Gesetzgebung nothwendig gemacht. Zuerst trat hier das Code pénal entscheidend auf, indem es im Art. 184 jede Behörde mit Strafe belegte, welche gegen den Willen des Einzelnen und ohne die Beobachtung der gesetzlichen Formen eine Wohnung betrat. Die Instruction der Gendarmerie vom 29. Oct. 1824 schrieb dann vor, daß auch sie des Nachts sich auf die Cernirung der Wohnung zu be- schränken habe. Bei der Feld- und Forstwache ist bestimmt, daß dieselben selbst in Verfolgung handhafter That nur in Gegenwart des Juge de paix oder des Maire in ein Haus eindringen können. Doch hat der Staatsanwalt das Recht, in der Wohnung eines „prévenu“ ein- zudringen, um Beweismittel des Verbrechens zu constatiren ( Code d’Instr. Crim. Art. 36). Das Recht des Eindringens bei der Nacht bleibt auf die ursprünglichen Fälle des Gesetzes von 1791 und der Constitution von 1799 beschränkt; dabei wird angenommen, daß er auch das Recht der Delegation an ein anderes Organ habe. So steht hier ein sehr gut ausgearbeitetes System sowohl des gerichtlichen als des rein poli- zeilichen Hausrechts fest, das mit Recht zum Muster für die Nachbar- staaten wurde. (Vgl. Batbie , Traité de droit publ. et admin. T. II. Ch. IV. Inviolabilité du domicile . Auch Laferrière , Droit publ. et admin. I. Ch. 2). Die deutsche Gesetzgebung hat dagegen erst nach 1848 ein solches Recht bei sich ausgebildet und ist auch hier sehr unvollständig geblieben. Der Charakter ist derselbe wie bei der Ver- haftung, zunächst die abstrakte, fast werthlose Aufnahme des Princips in einzelnen Verfassungen wie die von Preußen §. 6. Oldenburg Art. 40. Reuß §. 17. Waldeck §. 29. Luxemburg Art. 15 u. a. Diese Verfassungen folgen den deutschen Grundrechten , welche die französischen Bestimmungen im §. 140 unter dem allgemeinen Satz: „die Wohnung ist unverletzlich“ aufnahmen, jedoch viel unbestimmter, indem sie im §. 3 das Recht der polizeilichen Haussuchung neben der gerichtlichen und der Verfolgung auf frischer That dahin bestimm- ten, daß sie zulässig sei „in den Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise (warum Ausnahme?) bestimmten Beamten auf richterlichen Befehl dieselbe gestattet.“ ( Zöpfl , Staatsrecht II. §. 242 und 480.) Der Grund, die Regel des polizeilichen Eindringens in ein Haus zu einer Ausnahme zu erklären, liegt offenbar nur in der tradi- tionellen Furcht vor der Polizei. Jedenfalls kam es nun eben darauf an, diese Gesetze für jene sogenannten Ausnahmsfälle zu erlassen. Und hier traten wieder die beiden deutschen Formen ein. Zunächst lag es an der deutschen Rechtsbildung, das gerichtliche Hausrecht als Haupt- sache zu betrachten. Daher wurde das Hausrecht fast allenthalben zu einem Theil des Strafprocesses , was zur Folge hatte, daß die Strafproceßordnungen der verschiedenen Länder, da sie nun auch zu- gleich das polizeiliche Hausrecht zu regeln hatten, sehr unklar wurden, wie namentlich die badische §. 112, und die württembergische §. 239 und bayerische §. 251. Meistens genügt ein Verdacht, wie in England, ohne Klage gegen den Beamteten. ( Sundelin a. a. O. S. 33—35.) Da nun offenbar dieser einseitige Standpunkt nicht ausreichen konnte, so entstanden eigene Gesetze und zwar zuerst das preußische von 1850, welches eigentlich gar nichts anderes enthält, als die eben angeführten französischen Bestimmungen des droit de visite à domicile, und vernünftiger Weise auch gar nichts anderes enthalten konnte. Das Decret vom 14. Aug. 1850 regelt daneben jedoch noch namentlich das Verfahren der Finanzbeamten. Ein Fortschritt dagegen ist es, daß das Recht der Haussuchung von dem Hausrecht hier zuerst geschieden ist. Rönne (Staatsrecht I. §. 98) hat alle einzelnen auf diesen Punkt bezügliche Bestimmungen angeführt. Warum sich Sundelin gegen diese durchaus natürlichen Bestimmungen ereifert, ist in der That nicht abzusehen. Sie sind das Ergebniß einer fünfzigjährigen Rechts- bildung und gewiß dem englischen Recht vorzuziehen; es wäre nur ein Rückschritt, wenn die Gesetzgebung, wie er es will, mit der thüringischen Strafproceßordnung (Art. 145) auf die vage Bezeichnung „in dringenden Fällen“ beschränken würde. Das neueste Gesetz ist das österreichische vom 27. Oct. 1862. Hier ist der Unterschied zwischen der gerichtlichen und polizeilichen Haussuchung viel weniger klar als im preußischen. Regel ist die gerichtliche; Ausnahme ist die polizeiliche ohne Befehl des Gerichts zum Zwecke der gerichtlichen Verhaftung, der handhaften That, Nacheile, oder „Besitz von Gegenständen, welche auf Betheili- gung an einer strafbaren That hinweisen.“ Die Consequenz davon ist nicht abzusehen, da die Polizei selbst das Urtheil darüber behält, ob dieß der Fall ist, oder nicht. Dazu kommt, daß die Zustellung des Befehles erst innerhalb 24 Stunden stattfinden soll. Die Unterscheidung zwischen Nacht und Tag fehlt ganz, wie in Frankreich und Preußen. Die „polizeiliche Aufsicht“ gibt wie die „finanzielle Aufsicht“ (?) das Recht nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen. Dieß Gesetz ist, wie man sieht, neben der übrigen Rechtsbildung Europa’s kein vollkommenes zu nennen. Doch sind auch hier Haussuchungen von dem Betreten des Hauses geschieden (§. 5). 3) Polizeiliche Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Briefrecht . Geht man auch hier davon aus, das gerichtlich-polizeiliche Ver- fahren von dem sicherheitspolizeilichen zu scheiden, so sind die obigen Punkte nunmehr wohl sehr einfacher Natur, wenn gleich es von großer Wichtigkeit ist, sich über das leitende Princip zu einigen. Alle jene drei Thätigkeiten haben nämlich nur dann einen Sinn, wenn man sie in Beziehung nicht auf eine Gefahr, sondern auf ein bereits geschehenes Verbrechen denkt. Es folgt daraus, daß diese Funk- tionen der Polizei wirklich in der Regel nur als Akte der gerichtlichen Polizei, und daher auch nur auf Befehl des Gerichts geschehen können. Es folgt daraus ferner, daß die Vornahme solcher Thätigkeiten durch die Vorschriften der Strafproceßordnungen geordnet werden muß. Nur in Einem Falle kann von einem speziellen Polizeirecht dabei die Rede sein und das Recht dieses Falles ist gleichfalls sehr einfach; nur tritt hier das Eigenthümliche ein, daß gerade dieses Recht nirgends bestimmt ausgesprochen ist. Die Polizei kann ohne richterlichen Befehl nur dann zur Beschlagnahme greifen, wenn nicht etwa eine Person, sondern ein ganz bestimmter einzelner Gegenstand ihr als ein Beweismittel für die Verfolgung eines Verbrechens erscheint. Ihr Recht ist dabei gleich- falls einfach. Es besteht einzig und allein darin, die nöthigen Maß- regeln anzuordnen, damit ein solcher Gegenstand bis zur Vornahme der gerichtlichen Schritte unberührt bleibe. Sie hat natürlich in einem solchen Falle sofort die Anzeige an das Gericht zu erstatten und die weiteren Aufträge von demselben als gerichtliche Polizei zu erwarten. Ist Grund vorhanden, daß ein solcher Gegenstand beseitigt werde, so kann sie ihn, eventuell mit Gewalt, dem Besitze der betreffenden Person entziehen, ohne selbst irgend eine Aenderung damit vornehmen zu dürfen. Je nach den Verhältnissen muß dieß durch Bewachung, Ver- siegelung oder Depot geschehen. Grundsatz ist, daß sie selbst in Papiere und Briefe niemals Einsicht nehme, sondern sie nur dem Gericht überliefere, und eventuell von dem Gerichte das Recht zur Ein- sichtnahme empfangen muß. Alle andern Bestimmungen gehören den Strafproceßordnungen, also nicht der Sicherheitspolizei, sondern der gerichtlichen Polizei; oder, um das ganze Rechtsgebiet in Eine Formel zusammenzufassen: die Beschlagnahme kann auch polizeilich, die Durchsicht kann nur gerichtlich stattfinden. Es ist sehr schwer, etwas Genügendes über das positive Recht zu sagen, da so viel wir sehen, ein besonderes Recht für alle jene Fälle neben den Strafproceßordnungen und ihren Vorschriften nur in Preußen besteht. Das englische Recht läßt die Beschlagnahme, auch von Pa- pieren, durch den Constabler auch außergerichtlich zu, jedoch ohne be- stimmtes Gesetz und nur als allgemeine Consequenz des rein polizeilichen Rechts desselben. Grundsatz ist jedoch, daß die Einsicht in alle Papiere, also auch in Briefe, nur durch das Gericht geschehen darf. Die gerichtliche Beschlagnahme fordert einen formellen Search warrant. ( Glaser a. a. O. §. 140—146.) In Frankreich sind die visites à domicile und die Beschlagnahme nach dem Gesetz vom 24. Februar 1834 auf Grundlage des Code d’Instr. crim. 33 genau geordnet, und der Grundsatz fest- gestellt, daß sie nur in Gemäßheit eines Mandat de récherche vorge- nommen werden dürfen, wodurch die ganze Frage Sache der Straf- proceßordnung geworden ist. Doch hat der Code d’Instr. crim. art. 36 und 37 dem Staatsanwalt das einseitige Recht der Beschlagnahme ge- geben. Die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses ist formell anerkannt: schon Napoleon I. erklärte die Nothwendigkeit desselben vom rein poli- zeilichen Standpunkt „la violation du secret des lettres est inutile et dangereuse.“ ( Thiers , Histoire de l’Empire T. XX. L. 62, p. 636.) In Belgien hat die Constitution von 1830 das Briefgeheimniß für unverletzlich und die Postbeamten für verantwortlich erklärt. ( Batbie , Dr. publ. et admin. II. Ch. VI. ) — Das englische Briefrecht wird durch spezielle warrants gelegentlich umgangen, obgleich die Regierung es nicht gesteht. ( Fischel , die Verfassung Englands, S. 97—100.) Preußen hat in seinem Gesetz vom 12. Februar 1850 das einzige systematische Recht der Hausdurchsuchung und Beschlagnahme, von dem polizeilichen Hausrecht geschieden, aufgestellt. Der leitende Grundgedanke dabei ist, den allgemeinen Grundsatz der Verfassungsurkunde (Art. 33) dahin zu erklären, daß Haussuchungen nur unter Zuziehung von Behörden, der Angeschuldigten und Hausgenossen vorgenommen, und daß die Briefe zwar mit Beschlag belegt, aber nur auf richterlichen Befehl geöffnet werden dürfen. Ein Gesetz für die Ausnahmen bei Krieg ꝛc. ist noch nicht erlassen. Gute Darstellung bei Rönne , Staatsrecht I. §. 99. Der frühere Kampf für die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses, außer dem, was Klüber in seinem Oeffentlichen Recht sagt, namentlich bei Aretin , constitutionelles Staatsrecht II. 1. Abth. 188 ff. Das übrige deutsche Recht ist nur strafprocessualisch; die Berechtigung der Gerichte ist hier durchgehend sehr gut bestimmt, meist auf Grundlage des Satzes, daß die Briefe nur auf collegialen Beschluß geöffnet werden dürfen. Dagegen fehlt eine bestimmte Scheidung des Rechts der Beschlagnahme von dem der Einsicht in die Papiere, wie überhaupt des Sicherheits- von dem gerichtlichen Polizeiverfahren. ( Sundelin a. a. O. S. 33—42.) Das österreichische Gesetz vom 27. Oktober 1862 hat geradezu vorge- schrieben, daß auch die „Haussuchungen zum Zweck der polizeilichen Auf- sicht“ nach den Vorschriften der Strafproceßordnung zu geschehen haben §. 5. Dagegen fehlt das Recht der polizeilichen Beschlagnahme und die Strafproceßordnung §. 104 ff. gibt indirekt das Recht zu derselben schon bei dringenderem Verdacht; zur Nacht soll die Hausdurchsuchung nur in sehr dringenden Fällen stattfinden §. 107. Gemeindebeamte werden nicht beigezogen. 4) Polizei der Waffen . Die Polizei der Waffen hat nur eine Bedeutung, insofern die Waffen als Mittel zur Störung der öffentlichen Ordnung dienen. Sie ist daher in der Heimath der Revolutionen, in Frankreich entstanden, dort ausgebildet, und von da nach Deutschland herüber gegangen, während in England eine solche nicht existirt. Man kann im Allgemei- nen unterscheiden zwischen der Waffenpolizei überhaupt, und der Waffen- polizei in speziellen Fällen. Die Waffenpolizei überhaupt ist meisten- theils ein Verbot, Waffen von bestimmter Art ohne Genehmigung ver- fertigen , theils dieselben besitzen , theils mit denselben öffentlich er- scheinen zu dürfen. Die Waffenpolizei der speziellen Fälle tritt bei Störungen der öffentlichen Ruhe auf, und besteht in der meist mit schweren Strafen bestärkten Vorschrift, die Waffen abliefern zu müssen. Es ist ganz natürlich, daß mit oder ohne Gesetz und Verfügung die Handhabung dieser Polizei im umgekehrten Verhältniß zur öffentlichen Ruhe steht. Die Waffenpolizei Frankreichs unterscheidet zwischen der Erlaubniß zur Waffen fabrikation , indem die Produktion von Kriegswaffen einer eigenen Genehmigung von Seiten des Kriegsministeriums unter- liegt (Dekret vom 14. December 1810; Ordonnanz vom 24. Juli 1816, Gesetz vom 14. Juli 1860.) Der bloße Besitz von solchen Kriegswaffen wird als Vergehen betrachtet (Verordnung vom 6. März 1861). — Das Tragen von Waffen ward schon durch das Gesetz vom 13. Frim. an V verboten; das Gesetz vom 24. Februar 1834 hat das Tragen derselben mit bestimmten Strafen belegt, speziell bei einer aufrührerischen Bewe- gung. Die Jagdwaffen wurden durch Dekret vom 11. Juli 1810 und 4. Mai 1812 erlaubt; diese Erlaubniß ist bestimmt durch permis de chasse. (Gesetz vom 3. Mai 1844.) Gut bei Batbie a. a. O. S. 354—362. Laferrière a. a. O. I. Ch. II. Block v. Armes. — Das deutsche System hat sich wenig um die französische Unterschei- dung von Kriegs- und Privatwaffen gekümmert, dagegen hat es mit Recht das Hauptgewicht auf das Verbot heimlicher Waffen, und auf die sicherheitspolizeiliche Ueberwachung von Schießübungen gelegt. Eine sehr genaue Gesetzgebung in Preußen , welche in ganz verstän- diger Weise mit der definitiven Verweisung auf das Strafgesetzbuch §. 340. ff. schließt. (Rescript vom 22. November 1860.) Weitere Vor- schriften Rönne , Staatsrecht I. §. 100 und II. §. 350. In Oester- reich ist das Waffenpatent vom 24. Oktober 1852 zu einer systema- tischen Gesetzgebung über die Waffenpolizei geworden. Verbotene Waffen und Munition, jedoch mit Bewilligungsrecht der Behörde §. 1—14. Waffen tragen §. 14—17. Waffen pässe §. 18. Waffen- sendungen ; daneben Haftung für Culpa im Strafgesetzbuch §. 374. ( Stubenrauch , §§. 206 und 214.) — Auch in Württemberg auf Grundlage früherer Gesetze ein ausführliches Gesetz über Waffentragen vom 1. Juni 1853 ( Roller , Polizeirecht §. 123). — Bayern , Polizei- strafgesetzbuch §. 49. ( Baden , Polizeistrafgesetzbuch §. 41); wesentlich nach französischem Muster mit Unterscheidung von Kriegs- und Privat- waffen, ohne Unterschied von heimlichen und offenen Waffen, wie in Preußen. ( Stempf a. a. O., S. 116—118.) Dritte Abtheilung. Niedere Sicherheitspolizei. Begriff und Recht. Die niedere Sicherheitspolizei entsteht dadurch, daß durch mensch- liche oder natürliche Kräfte die Existenz der Einzelnen gefährdet werden kann, ohne daß eine bestimmte unmittelbar gefährdende That vorläge- und dieselbe im Stande wäre, sich überhaupt oder ohne Anwendung ganz außergewöhnlicher Vorsicht dagegen zu schützen. Es ist natürlich, daß eine solche Polizei überhaupt erst da entsteht, wo eine gewisse Dich- tigkeit der Bevölkerung solchen Gefahren den Charakter allgemeiner Zu- stände gibt. In dem Beginne der Civilisation sowohl als da, wo auch bei hoch ausgebildeter Gesittung die Bevölkerung sehr dünn ist, wie in einsamen Gegenden, muß die Gemeinschaft es den Individuen selbst überlassen, sich diesen Schutz zu schaffen. Je enger die Bevölkerung rückt, je mehr wälzt sie diese Sorge auf die Verwaltung, und so ent- steht ein ganzes System von Maßregeln, welche zusammen die niedere Sicherheitspolizei bilden. Dieselbe hat demgemäß einen ganz unbestimmten Umfang, weil sie sich auf alle den Einzelnen gefährlichen Verhältnisse bezieht. Je- doch scheiden sich in derselben drei ganz bestimmte Gebiete nach den drei Elementen der Gefahr. Die erste Ursache der Gefährdung der Sicher- heit sind die Menschen selbst als solche, die zweite sind die Beschäfti- gungen und die Besitzer derselben, die dritte endlich die natürlichen Zu- stände. Es ist dabei natürlich weder möglich, noch hat es einen Werth, alle einzelnen auf diese Gefährdungen bezüglichen Bestimmungen in den verschiedenen Ländern anzugeben, schon darum nicht, weil eben die natür- lichen Verhältnisse örtlicher Natur sind. Wohl aber hat das daraus entstehende niedere Polizeiwesen und sein Recht einen gewissen gleich- artigen Charakter, je nach der Ursache, aus der es entsteht, und auf diesen als das eigentliche Element der Vergleichung sind die einzelnen Bestimmungen zurückzuführen. Da nämlich die Sicherheitspolizei gefährlicher Personen und gefähr- licher Unternehmungen stets eine unvermeidliche Beschränkung der per- sönlichen Freiheit mit sich bringt, so wird das diese Freiheit beschrän- kende Recht stets ein gesetzmäßiges sein müssen, während die Ausführung seiner Bestimmungen den Selbstverwaltungskörpern um ihrer örtlichen Natur willen überlassen wird. Die rein natürliche Sicherheitspolizei dagegen beruht auf Verfügungen, und diese müssen stets von dem ört- lichen Verwaltungsorgane, vorzugsweise von den Selbstverwaltungskörpern sowohl angeordnet als ausgeführt werden. Daher fallen höchstens die erstern unter eine spezielle Vergleichung, während bei den letztern die Aufstellung der allgemeinen Kategorie genügen kann. Es ergibt sich von selbst daraus, daß die Quellen dieses Rechts hauptsächlich in den Verwaltungsgesetzkunden der einzelnen Länder zu suchen sind, die dieß Gebiet mit um so mehr Liebe und Umständlichkeit behandeln, als in ihm sich die Verwaltungsthätigkeit der niedersten Organe am meisten bewegt. I. Persönliche niedere Sicherheitspolizei. Die Grundlage der persönlichen niedern Sicherheitspolizei sind die- jenigen Zustände und Lebensverhältnisse der Individuen, welche wie sie selbst dauernd sind, auch eine dauernde Gefährdung der Gemeinschaft durch solche Persönlichkeiten enthalten. Diese Lebensverhältnisse erscheinen nun in zwei Hauptformen, den Vagabunden und Bettlern einer- seits, und den entlassenen Sträflingen andererseits. Es ist wohl kein Zweifel, daß bei beiden die Art und Weise, wie sie Gefahr bringen, vielfach gleich ist. Allein der ethische sowohl als der wirthschaftliche Grund dieser Gefahr ist wesentlich verschieden, und daher ist auch das Polizeiverfahren und das Polizeirecht bei beiden ein nicht minder ver- schiedenes. Sie fordern daher eine besondere Darstellung, wie denn das betreffende Verwaltungsrecht beider nicht gleichzeitig entstanden ist. a ) Polizei des Bettler- und Vagabundenthums. Die tiefe, dem germanischen Leben vorzugsweise eigenthümliche Ab- neigung gegen das Bettler- und Vagabundenthum beruht im Allgemeinen auf der Grundanschauung der Geschlechterordnung, welche das Angehören des Einzelnen an ein Geschlecht, und damit die Seßhaftigkeit als Basis der gesammten öffentlichen Rechtszustände anerkennt. Der Unseßhafte, nicht unter dem Recht des örtlichen Geschlechterkörpers stehend, ist ihm gegenüber rechtlos. Der Bettler aber wird, da in der Geschlechterordnung das Geschlecht seine Armen ernährt, ein Vorwurf gegen die Seinen. Beide sind daher im Widerspruche mit dem gesammten öffentlichen Rechts- zustande. Daher erscheint sowohl das Bettler- als das Vagabunden- thum als ein Unrecht, das an und für sich als Vergehen bestraft werden muß. Die ständische Ordnung schärft diese Auffassung für Vagabunden, da sie fordert, daß jeder einer ständischen Grundherrlichkeit angehören soll, während das kirchliche Almosen die Bettelei umgekehrt fördert. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 11 In der polizeilichen Epoche tritt dagegen ein neues System ins Leben, dessen Grundlage das gesetzliche Armenwesen ist. In ihm entspricht die Pflicht der Gemeinde, ihre Armen zu ernähren, dem Recht derselben, die Bettelei zu verfolgen. Das ganze Bettlerwesen als solches erscheint dadurch als eine Uebertretung der öffentlichen Ordnung, als ein Ver- gehen des Armen gegen seine Pflicht, sich nach den Regeln des Armen- wesens seiner Heimath unterstützen zu lassen, und so entsteht der Grund- satz der Strafe für die Bettelei, die ursprünglich als eine Polizeistrafe auftretend und von den Selbstverwaltungskörpern gehandhabt, durch Härte, Willkür und zufällige Ausführung von Seiten der örtlichen Polizeiorgane die Gesetzgebung der staatsbürgerlichen Epoche dazu nöthigt, die Bestrafung der Bettelei in das allgemeine Strafrecht aufzu- nehmen. Das Vagabundenthum dagegen bleibt seiner Natur nach ein Gegenstand der Polizei, da es auf keine bestimmbare rechtswidrige Hand- lung zurückgeführt werden kann. Es wird daher gleichsam in seine Momente aufgelöst. Grundlage ist das polizeiliche Verbot des erwerb- losen Herumtreibens, mit der Consequenz, daß die gesetzliche Armen- heimath nöthigenfalls den Vagabunden zu unterhalten habe. Die daraus entstehenden Maßregeln sind erstlich : die Verpflichtung des Unseßhaften selbst im Fall eines auf das Herumziehen berechneten Erwerbes, den letztern legitimiren zu können (Wanderbuch, Hausirpaß); zweitens : das Recht der Polizeiorgane bei mangelnder Legitimation den Betreffen- den festzuhalten; drittens : denselben an die Armenheimath abzusen- den (das sogenannte Schubwesen.) Zu einer Bestrafung der Vaga- bunden liegt an sich kein Grund vor. Dieselbe kann rationell nur da eintreten, wo der Unterstützte seine Armenheimath verläßt ohne Anzeige, und ohne Grund zu einem Erwerbe zu haben. Das Hausiren steht unter der Gewerbeordnung. Natürlich bestehen nun eine Menge der ausführlichsten Vorschriften über das Einzelne bei diesem Verfahren, die manches Verschiedene ent- halten. Doch ist die Grundlage allenthalben gleichartig wie die Natur der Sache es fordert. Dieselbe läßt sich in folgende Punkte zusammen- fassen: Betteln ist an sich straffällig bei organisirtem Armenwesen, Herumtreiben nur bedingt. Die Polizei hat in Beziehung auf das letzte die Aufgabe, den erwerblosen Herumtreiber dem organisirten Ar- menwesen seiner Heimath zu übergeben . Das Betteln ist ein Verstoß gegen das Recht , das Vagabundenthum ein Verstoß gegen die Ordnung . Mit im Grunde sehr geringen Abweichungen sind daher Geschichte und Recht in allen Ländern, bei aller Verschiedenheit doch wesentlich gleich. Regel ist jedoch, daß das Strafverfahren in dem Grade strenger ist, in welchem das Armenwesen allgemeiner und bestimmter ausgebildet erscheint. Man kann daher auch dies ganze Ge- biet als Theil des Armenwesens und als letzte Erfüllung seines Rechts betrachten. Von einer eigenen Literatur ist dabei außer den Angaben in den verschiedenen Verwaltungs- oder Polizeirechts-Darstellungen der ein- zelnen Länder keine Rede. Leider stoßen wir hier wieder auf den Mangel solcher Arbeiten in den meisten kleineren Staaten. England bietet den Hauptbeweis des obenerwähnten Zusammen- hangs zwischen Armen- und Bettlerwesen. Die strenge und schwere Armenpflicht hat das Herumtreiben und Betteln schon lange zu einem strafbaren Vergehen gemacht, ein Standpunkt, der seit Eduard IV. bis zur neuesten Zeit sich erhalten hat. Das gegenwärtige Recht beruht auf 5 Georg IV. 83. Aufstellung von drei Kategorien von Vagabun- den — disorderly persons — rogues and vagabonds — und incorri- gible rogues. Die Strafen sind darnach verschieden. Das Recht der Abführung in die Arbeitshäuser ist vollständig anerkannt; die höheren Grade werden eventuell mit Peitschenhieben bestraft. (Vergl. Gneist , englisches Verwaltungsrecht II. 37.) In Frankreich ist bei viel unvollständigerer Organisation des Armenwesens, aber bei einer genaueren Entwicklung des Strafrechts das Verhältniß eingetreten, daß zwar die Bettelei sowohl als das Va- gabundenthum strafbar sind, daß aber die Bettelei vielmehr nur als Anlaß zur regelmäßigen Armenunterstützung betrachtet wird. Im vori- gen Jahrhundert waren die Strafgesetze gegen die Mendicité sehr hart, wie überhaupt auf dem Continent (seit Edikt vom 27. Aug. 1612 in vielfacher Wiederholung und Verschärfung bis Dekret vom 20. Oktober 1750) bis man 1764 auf das dem englischen System ähnliche System der maisons de correction verfiel (Dekret vom 21. Sept. 1767), die nachher die Dépots de mendicité genannt wurden. Dieselben wurden durch das Dekret vom 30. Mai 1790 aufrecht erhalten, aber das Dekret vom 15. Okt. 1793 machte die Bettelei zu einem Vergehen, befahl die Errichtung von freilich nur Eines Arbeitshauses in jedem Departement, nannte die- selben maison de correction und ging so weit, auf Grundlage der Armenpflicht die Bettelei im Wiederholungsfalle mit der Deportation zu bedrohen; zugleich sollte jeder Bettler in ein solches Depot abge- führt werden. Da aber dieselben nicht zu Stande kamen (es gibt auch jetzt nur noch 20), so mußte sich der Code Pénal darauf beschränken, die harte Bestrafung der Bettelei auf diejenigen Orte zu beschränken, wo sich ein solches befindet (Art. 274), doch bleibt die gewerbsmäßige Bettelei auch sonst strafbar (Art. 275) und ein erschwerender Umstand bei Verbrechen (Art. 276—282). Die Instruktton für die Dépots de mendicité, so wie die Organisation ihrer Verwaltung in einem eigenen Reglement, Decl. des instruct. du M. de l’Intérieur. Die „Vagabundage“ wird gerichtlich erklärt, und hat nebst Kerkerstrafe von 2 bis 6 Mo- naten die Unterstellung unter die polizeiliche Aufsicht von 5 bis 10 Jahren zur Folge. ( Code Pénal art. 269—271.) Ueber das Ganze vergl. Laferrière , Dr. administratif I. T. I. Ch. IV. Sehr kurz ist Batbic , Dr. public et admin. II. p. 345. Eine sehr umfassende und zugleich mit historischen Angaben versehene Arbeit (speziell über die Declaration von 1794, S. 20—23) ist die Schrift von Th. Homberg , De la repression du vagabondage 1862. Freilich bezieht sich diese Arbeit wesentlich auf Frankreich und hat mehr einen socialen als juri- stischen Charakter ( mesures à prendre von S. 52 ff., nebst Statistik), enthält aber sehr viel Material für einzelne Fragen. In Deutschland war die Bettelei und das Vagabundenthum stets verfolgt; die Unsicherheit des vorigen Jahrhunderts machte nament- lich gegen das letztere sehr ernste Maßregeln nothwendig. Ueber die damaligen Zustände, namentlich das Räuberwesen, das keineswegs bloß eine Fiktion oder gar poetisch war (1799 und 1801, waren in der Wetterau angeblich zwei Räuberbanden von einigen hundert Mann mit Infanterie und Cavallerie), sowie über die strengen Gesetze gegen die Landstreicherei siehe J. H. Berg , deutsches Polizeirecht (Bd. IV. 2. Abth. Nr. XXXI. ) Mit unserem Jahrhundert und der Einführung eines geordneten Armenwesens tritt allenthalben ein geregelter Zustand ein, der freilich noch mit einer Unmasse einzelner Vorschriften überdeckt ist. Oesterreich . Nachdem die Hülfe durch die Verpflichtung zur regelmäßigen Armenunterstützung anerkannt ist (Verordn. vom 11. Oktober 1783), erscheint die Bettelei im Strafgesetzbuch §. 517 als strafbar. Die Gemeinde hat die Bettelpolizei. Das Vagabundenthum wird durch polizeiliche Ablieferung an die Heimath und in die Arbeitshäuser ver- folgt. Schubwesen und Verfahren dabei Stubenrauch , österreichische Verwaltungsgesetzkunde §. 338 ff. Preußen . Auch hier ward der alte Grundsatz der Bestrafung der Bettelei anerkannt (Gesetz vom 6. Januar 1843) aber zugleich ist dieser ganze Theil als Armenzuchtpolizei sowohl für die Armen als die Vagabunden geregelt durch das Gesetz vom 11. Mai 1855. Die letzteren kann die Landesbehörde (jetzt Landrath) schon nach dem allge- meinen Landrecht II. 19. 3, 5, in die Zwangsarbeitshäuser abführen lassen; das Strafgesetzbuch §§. 117—120 bestimmt sogar, daß sie dort bis zu drei Jahren stationirt werden können. (Siehe das Einzelne bei Rönne , Staatsrecht II. 336—344; K. v. Schmid , die Polizei- verwaltung auf dem platten Lande und in Städten, insbesondere in ihrem Verhältniß zur Strafrechtspflege 2. Aufl. 1866.) Bayern . Grundlage war bis zum Polizeistrafgesetzbuch das Mandat , das Bettler- und Vagantenwesen betreffend vom 28. Novbr. 1816, in welchem auch die Hausirgewerbe und ihr Recht aufgenommen waren. Das neue Polizeistrafgesetzbuch vom (10. November 1861) hat dann diese Begriffe und Verhältnisse neu bestimmt, die „Arbeitscheine“ (Art. 87), die „Landstreicher“ (Art. 88) und den „Bettel“ (Art. 89) juristisch definirt, das unbefugte Gabensammeln hinzugefügt (Art. 91) und ein Strafsystem aufgestellt (Art. 90), in welchem bei jugendlichen Personen „das Polizeigericht die Unterbringung in eine Erziehungs- anstalt“ anordnen kann. Das Strafgesetzbuch Art. 76 liegt diesen Bestimmungen zum Grunde. Württemberg steht im Ganzen auf demselben Standpunkt. Die Aufsicht schon in der Landesordnung T. 26. §. 12 ausgesprochen. Ge- nau organisirt in unserem Jahrhundert. Das Almosengeben sogar ver- boten 1766. Das Polizeistrafgesetz Art. 20 ff. hat die bisherigen Be- stimmungen ziemlich zusammengefaßt, nebst dem Ergänzungsgesetz vom 2. Mai 1853; auch hier im Zusammenwirken mit dem Strafgesetzbuche Art. 198. Strafe: Arrest. Competent ist das Bezirkspolizeiamt, daneben noch die Bestrafung der zur Armuth führenden Unmäßigkeit nach dem Polizeistrafgesetzbuch Art. 24 mit Arrest. Confination arbeits- scheuer Personen (bis 3 Jahre polizeiliche Competenz). Das Vagabunden- thum in Verbindung mit falschen Documenten nach dem Strafgesetz- buch Art. 197, beim Rückfalle Art. 196. Sonst polizeiliche Strafe bis 14 Tage Arrest, nebst Abführung in die „Beschäftigungsanstalt“ als polizeiliche Maßregel. ( Mohl , Württembergisches Verwaltungsrecht S. 374 und 284. G. Roller , Württembergisches Polizeirecht 1856, §. 40—82.) Königreich Sachsen . Grundlage ist noch das Mandat vom 9. Juni 1803, an welches sich wegen Einlieferung von Bettlern die Armenordnung vom 22. Oktober 1840 anschließt. Errichtung von Land- arbeitshäusern seit 1803 und Organisirung derselben. Einlieferung jugendlicher Verbrecher in die Correctionsanstalten (Verordn. vom 11. Juli 1839); Schubtransportwesen (Rescript vom 22. April 1842); ausführlich G. L. Funke , Polizeigesetze und Verordnungen des König- reichs Sachsen, II. Bd. 1847. Baden . Die Verhandlungen über das neue Polizeistrafgesetzbuch bieten sehr viel interessante Gesichtspunkte. Das Polizeistrafgesetzbuch scheidet die Arbeitsscheu von der Landstreicherei und dem Bettel . Natürlich ist auch hier die Begriffsbestimmung der ersteren die eigentliche Schwierigkeit; Grundlage ist die Arbeits fähigkeit ; unklar ist dabei die Bestimmung, daß arbeitsscheue Personen, „die sich nicht auf er- laubte Weise ernähren“ mit 4 Wochen Gefängniß bestraft werden sollen. Hier liegt doch offenbar das Strafbare in jenen unerlaubten Handlungen, die ja auch den Diebstahl umfassen. Für die Landstreicherei ist noch speciell durch Verordnung vom 19. December 1856 das polizeiliche Ver- fahren geregelt. (S. über die früheren Bestimmungen die Commissions- berichte bei Stempf a. a. O. S. 150—155 und badisches Strafgesetz- buch §. 639, sowie Gesetz vom 12. April 1856.) — Es ist wohl gewiß, daß in allen deutschen Staaten ähnliche Gesetze bestehen; durchgehend ist jedoch die Aufnahme der Strafbestimmungen in die verschiedenen Strafgesetzbücher, die zum Theil sehr hart sind, wie das braun- schweigische §. 73 (Gefängniß von 14 Tagen bis 3 Monaten). b ) Polizei der entlassenen Sträflinge. Die Polizei der entlassenen Sträflinge beruht offenbar auf einem wesentlich anderen Grunde als die der Arbeitslosen. Nicht die Strafe, sondern das Motiv des ersten Verbrechens wird als ein fortwirkendes angesehen und daher in dem entlassenen Sträfling der frühere Ver- brecher unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Es ist für den Begriff der Sache gleichgültig, ob der entlassene Sträfling arbeitslos ist oder nicht; die geschehene That haftet an ihm als Gefahr einer künftigen. Diese Vorstellung hat in früherer Zeit zu großer Willkür und nicht minder großem Unheil Anlaß gegeben. Unser Jahrhundert hat an die Stelle der früheren Rücksichtslosigkeit eine feste Rechtsordnung gesetzt, und hier hat wieder das Vereinswesen hilfreiche Hand geleistet. Man muß daher in diesem Gebiete zwei Standpunkte scheiden, den juristisch-polizeilichen und den socialen. Die Aufgabe der polizeilichen Gesetzgebung war es, die polizei- liche Oberaufsicht über die entlassenen Sträflinge juristisch zu formuliren. Daraus entstand der Grundsatz, daß dieß Aufsichtsrecht, das seiner Natur nach unbestimmt in seinen Gränzen ist, wenigstens nicht Gegen- stand der Willkür, sondern durch einen förmlichen Urtheilsspruch gesetzt werden solle. Dieses Princip gilt auf dem ganzen Continent, und hat die wichtige Folge, daß die Begründung der Nothwendigkeit jener Beschränkung der Freiheit nicht mehr in dem Bestraftwerden als solchem, sondern in der aus der Untersuchung sich ergebenden Individualität des Verbrechers gesucht und vom Gerichte nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften festgestellt wird — der einzige Weg, der polizeilichen Thätigkeit eine ethische Basis zu geben. Die Ausübung dieser Ober- aufsicht ist dann naturgemäß Sache der amtlichen Polizei, die Ver- pflichtung den entlassenen Sträflingen durch Arbeit wieder zu helfen, wird dagegen den Gemeinden zugewiesen, und anderseits ist es Sache der Rechtspflege, zu bestimmen, ob und wie weit die Aufsicht einen etwaigen Rückfall erschwert. Die sociale Auffassung dagegen erkennt hier die Aufgabe, jene Uebelstände in ihren Ursachen zu bekämpfen. Dieß geschieht theils durch die Sorge für die allgemeine Heranbildung der Jugend, welche dem Hülfswesen angehört, theils durch das Auftreten des Vereinswesens, welches Vereine für entlassene Sträflinge , namentlich für jugend- liche Verbrecher gegründet hat, um dieselben in eigenen Anstalten zu erziehen. Die Frage ist dabei nur die, ob es auch hier nicht besser wäre, solche Individuen bei Familien durch Mitwirkung der Vereine unterzubringen und auf diesem Wege das Ziel anzustreben. Uebrigens ist das ganze Gebiet noch sehr unentwickelt und ohne gemeinsam an- erkannte Grundlagen. Es fehlt noch sowohl die Statistik als die wissen- schaftliche Bearbeitung, während die reine sicherheitspolizeiliche Seite fast nur in den ausführlichen Instruktionen der niederen Polizeiorgane ausgebildet ist. Geltendes Recht. England . Hier bestimmte schon das Statut 4 Georg IV. 64 (The Goal Act. 1825), daß jedem entlassenen Sträfling bei seiner Entlassung eine kleine Summe (bis 2 Pfd.) gegeben werden solle, um zurückzukehren to any place of employment or honest oc- cupation. Darauf entstanden mehrfach Vereine für entlassene Sträf- linge ( decharged prisoners, aid societies ). Diese Vereine, welche die entlassenen Sträflinge theils direct, theils indirect unterstützen, standen bisher unter dem allgemeinen Vereinsrecht. Das Statut 25—26 Vict. 44 bestimmt nun, daß, sowie ein solcher Verein in einer Quarterly session formell anerkannt ( certified ) ist, jene Unterstützung des Goal Act nicht mehr den Sträflingen selbst, sondern diesem Vereine zur Verwendung übergeben werden soll. Damit beginnt die sociale Richtung der eng- lischen Sträflingsgesetzgebung. Frankreich . Selbständige Behandlung der répris de justice: Grundsatz der polizeilichen Ueberwachung schon im Gesetz vom 28 Flor. an XII. Der Code Pénal stellt sie à la disposition du Gouverne- ment (Art. 44); das Gesetz vom 28. April 1832 ordnet das polizeiliche confinement. Die Colonies pénitentiares, eingeführt durch ein Gesetz vom 5. August 1830, haben keinen großen Erfolg gehabt. Colonie de Mettraye , landwirthschaftliche Anstalt für entlassene junge Sträflinge, besteht seit 20 Jahren. Oesterreich . Grundsatz, die seit 1811 gesetzlich ausgesprochene Aufsicht über entlassene Sträflinge den Gemeinden durch die Polizei- organe zuzuweisen (Erlaß vom 5. März 1853). Diese sollen ihnen Arbeit geben, „daß sie nicht aus Noth ein Verbrechen begehen“ (Ent- schließung vom 30. Mai 1778). Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 179. Das Gesetz vom 27. Oktober 1862 zum Schutz der persönlichen Freiheit sagt in ziemlich unbestimmter Weise §. 5. „Niemand kann zum Aufenthalt an einem bestimmten Orte ohne rechtlich begründete Verpflichtung (?) erhalten (confinirt, internirt) werden. Eben so darf niemand außer den durch im Gesetz bestimmten Fällen aus einem be- stimmten Ort ausgeweisen werden.“ Die neueste Instruction vom December 1865 an die Generalinspection des Gefängnißwesens, auf sehr rationeller Basis entworfen, enthält in Beziehung auf entlassene Sträflinge folgenden Passus: „Durch Schutz- vereine ist dahin zu wirken, daß Sträflinge bei ihrer Entlassung aus der Strafanstalt einen ehrlichen Erwerb finden, damit nicht bloß sie selbst, sondern vor allem die ganze Gesellschaft vor Rückfällen derselben in die Bahn der Verbrechen bewahrt werde. Zu diesem Be- hufe sind die Ueberverdienstgelder zweckentsprechend zu regeln, so wie die Geldmittel zu bestimmen, aus welchen an solche Arbeits- geber , bei welchen entlassene Sträflinge durch mehrere Jahre mit Erfolg angemessene Beschäftigung und Obsorge finden, entsprechende Prä- mien verabreicht werden können.“ Arbeitshäuser sind sehr unvoll- ständig, jedes mit eigenen Instructionen. Den Vereinen für ent- lassene Sträflinge alle Unterstützung versprochen. Decret vom 17. April 1847. Wenige entstanden. Preußen . Grundsatz, daß die polizeiliche Aufsicht nur als selbständige Strafe ausgesprochen werden soll (Gesetz vom 12. Februar 1850 und Strafgesetzbuch §. 26—29. 116). Dagegen Recht auf polizei- liche Ueberwachung sowohl bei Sträflingen als bei allen herumziehen- den Gewerben . Bayern . Auch hier ist die Polizeiaussicht auf entlassene Sträflinge als eigene Strafe gerichtlich auszusprechen nach dem Strafgesetzbuch (Haupt- stück XV. XVII—XIX ). Von eigenen Anstalten dafür ist nichts bekannt. Württemberg . Hier kann die Confination durch die Kreisregie- rung gegen gewerbsmäßige Bettler erkannt werden. Polizeistrafgesetzbuch Art. 19—21. 24. 25; dagegen muß die polizeiliche Oberaufsicht gerichtlich erkannt werden (Strafgesetzbuch Art. 42) mit Recht der Ortsvorsteher auf Erlaubniß zur Ueberschreitung der Gränze (Strafgesetzbuch 43). Ueber die Beaufsichtigung selbst eine Ministerialverfügung vom 29. Juli 1845. Roller , Württembergisches Polizeirecht S. 41—43. Königreich Sachsen . Das „Correctionswesen“ ist im König- reich Sachsen durch viele Bestimmungen seit dem vorigen Jahrhundert geordnet: dasselbe ist eigentlich auf Vagabunden und Bettler berechnet, und die dortigen Correctionsanstalten sind nichts anders als Zwangs- arbeitshäuser; die Correctionsanstalt zu Bräunesdorf ist namentlich für jugendliche Vaganten bestimmt. Für entlassene Sträflinge besteht kein eignes Recht, als daß ihnen die Verwendung beim Straßenbau- wesen offen gehalten wird. Dagegen existirt seit 1836 ein Verein für entlassene Sträflinge, und ein Frauenverein für die entlassenen Mädchen und Frauen seit 1843. Vergl. Funke , Polizeigesetze und Ver- ordnungen des Königreichs Sachsen 1837. Bd. II. S. 472—505. — Für Baden ist das betreffende Recht in den Vorschriften über Land- streicherei enthalten. Polizeistrafgesetzbuch §. 64. 65. S. Stempf a. a. O. S. 151. Italien . Das System der modernen Polizei ist auch hier nach französischem Vorgange in das Strafgesetzbuch aufgenommen ( Codice Pénale vom 20. Nov. 1859). Darnach können die Sträflinge unter polizeiliche Aufsicht gestellt werden (Art. 45) und ihnen ein gezwungener Aufenthalt angewiesen werden (das) . Die Strafe für Bettelei Art. 442. Das Vagabundenthum bestimmt Art. 436. Strafe für oziosi, vagabondi und mendicanti validi (Art. 447). Gezwungener Aufenthalt. Verordnung vom 20. Mai 1866. II. Gewerbliche niedere Sicherheitspolizei. Die gewerbliche niedere Sicherheitspolizei hat die Aufgabe, die Gefährdung der Einzelnen durch den Betrieb einzelner Gewerbe zu be- seitigen. Da diese Gefährdung namentlich in gesundheitspolizeilicher Hinsicht besteht, mit Ausnahme der Druckereien, welche auch in Beziehung auf Sittenpolizei gefährlich werden können, so kann man dieß Gebiet eben so wohl der niederen Gesundheitspolizei hinzurechnen. Außerdem ist es natürlich nicht thunlich, hier alle einzelnen dahin einschlagen- den Bestimmungen aufzuzählen, da dieselben wenigstens dem größeren Theile nach örtlicher Natur sind. Es ist jedoch von Werth, diese Vor- schriften auf gewisse Kategorien zurückzuführen, welche die Einrichtung der einzelnen Bestimmungen erleichtern, und einen systematischen Ueber- blick gewähren. Alle dahin gehörigen Bestimmungen haben nämlich als Objekt ent- weder die Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit, oder die Gefährdung der Gesundheit durch die mechanischen, oder die durch die chemischen Elemente des Gewerbes. Die niedere Sicherheitspolizei hat die Auf- gabe, diese Gefahren auf doppeltem Wege zu bekämpfen. Die erste ist die Concession der Anlage eines Gewerbes. Die neuere Entwicklung der Gewerbefreiheit hat das System der Ge- nehmigung in diesem Sinne beibehalten; sie ist nicht mehr eine Genehmi- gung der Unternehmung als solcher , sondern nur die sicherheits- polizeiliche Erklärung, daß die Anlage in der Art und Weise an dem Orte , wo sie geschehen soll, keine Gefährdung des öffentlichen Wohl- seins enthält. Dieß bezieht sich wieder theils auf die Unternehmung selbst (Druckerei), theils auf den Ort derselben (Schlachthäuser, Seifen- siedereien ꝛc.). Die Entscheidung muß natürlich von der Ortsbehörde geschehen; jedes solche Verfahren aber soll stets unter Zuziehung der Nachbarn vorgenommen werden, und es ist durchaus richtig, nicht etwa an Ort und Stelle sofort zu entscheiden, sondern den Antrag des Be- treffenden zur öffentlichen Kenntniß zu bringen, und um etwaigen Einwendungen eine Frist zu setzen, sowie das Beschwerderecht in vollem Umfange gelten zu lassen. Das zweite Mittel ist die Sicherheitspolizei des Betriebes ; und zwar theils in Beziehung auf die gemeingefährliche Kraft der mechanischen Motoren (Dampfmaschinen), theils in Beziehung auf die physiologischen Eigenschaften des Betriebsmateriales (gesundheitsgefährliche Stoffe und ihre Beseitigung). Alle hier einschlagenden Bestimmungen bilden das zweite Gebiet der sanitären Gewerbepolizei . Erst die neueste Zeit hat hier auf Grundlage der Mechanik und Chemie ein ausgebreitetes und treffliches System erschaffen, dem wesentlich jedoch noch die sanitäre Polizei der Werkstätten der Handwerker fehlt, während es für Com- munikationsmittel und Fabriken ein vortreffliches genannt werden muß. Das dritte Mittel ist endlich die Sicherheitspolizei der Produkte selbst. Auch hier handelt es sich wesentlich um gesundheitspolizeiliche Vorschriften, die sich theils auf die Naturprodukte (Fleisch, Brod, Ge- tränke ꝛc.), theils auf gewerbliche Produkte beziehen; im letzteren Falle enthalten sie meist Anwendungen der Giftpolizei . Als Nachtrag zu den in dem Gesundheitswesen S. 72—76 bereits aufgeführten Gesetzgebungen über die Kinderarbeit möge uns gestattet sein, hier die zum Theil sehr reiche und ausführliche Gesetzgebung der Schweiz in Betreff der Fabriksarbeit aufzuführen. Die Kantone, welche eine solche Gesetzgebung bisher besitzen, sind Zürich, Glarus, St. Gallen, Aargau und Thurgau . In Zürich sind auf Grund- lage des Gesetzes vom 7. Mai 1832 (Gewerbeordnung) und des Polizei- gesetzes vom 16. December 1844 das Gesetz vom 24. Oktober 1859 betreffend die Verhältnisse der Fabrikarbeiter nebst mehreren Vollziehungs- verordnungen von 1859 und 1861, speciell die Verordnung vom 7 Febr. 1857, betreffend gesundheitspolizeiliche Untersuchung fremder Gesellen, Arbeiter u. s. w. erschienen. Tägliche Arbeitszeit für Schulkinder höchstens 5, für nicht confirmirte dagegen bis 13 Stunden! Verbot jeder Verwendung von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens. — Glarus . Gesetz vom 10. August 1864 über die Fabrikpolizei. Schulkinder dürfen in keiner Fabrik verwendet werden; Repetirschulkinder nie während der Schulzeit; höchste Arbeitszeit überhaupt 12 Stunden. St. Gallen . Gesetz vom 8. Juni 1853 betreffend die „Fabrikkinder.“ Auch hier Ausschluß der Schulkinder; Kinder der Ergänzungsschulen während der Schulzeit; Arbeitszeit unter dem 15. Jahre 12 Stunden und Verbot der nächtlichen Arbeit unter diesem Alter. — Aargau . Fabrikpolizei- gesetz vom 16. Mai 1862. Vollzugsverordnung vom 10. December 1862. Vor dem 13. Jahr Verbot jeder regelmäßigen Arbeit in den Fabriken; der Regierungsrath kann bei gesundheitsschädlichen Arbeiten die Ver- wendung von Kindern bis zum 16. Jahre verbieten. Arbeitszeit bis zum 16. Jahre 12 Stunden. Nachtarbeit verboten. — Thurgau . Verordnung vom 22. December 1815 und Unterrichtsgesetz vom 5. April 1853. Schulpflicht, und darf die Fabriksarbeit sie nicht beschränken. Arbeitszeit nicht genau bestimmt — doch nicht mehr als 12 bis 14 Stun- den ! Für „junge Leute“ (?) nur Verbot der Arbeit zur Nachtzeit. — Die übrigen Kantone haben keine speziellen Gesetze; die einzige Be- schränkung, freilich die sehr wichtige, ist die, daß in vielen Kantonen die Verwendung vor der Beendigung der Schulpflicht (Graubündten 14 Jahre, Schwyz 12 Jahre) geradezu verboten ist. Es ist dabei kein Zweifel, daß die obige Dauer der Arbeitszeit für die Kinder eine viel zu große ist. (Vgl. Zeitschrift für die schweizerische Statistik 1865 Nr. 1.) Wir glauben, daß dieß ganze Gebiet wesentlich der Gesundheits- polizei gehört, und dürfen, um nicht in Wiederholungen zu verfallen, auf dieselbe verweisen. Wenn die Ordnung der Kategorien eine etwas andere ist, so beruht dieß darauf, daß der Standpunkt der letzteren etwas verschieden ist, als der der bloßen Sicherheitspolizei, da diese im Grunde hier als das vollziehende Organ für die erstere erscheinen muß. III. Elementare niedere Sicherheitspolizei. Die elementare (natürliche) niedere Sicherheitspolizei hat es ihrer- seits mit den Gefährdungen zu thun, welche durch rein natürliche Ge- walten nicht mehr so sehr der Gesammtheit als vielmehr den Einzelnen bedrohen. Es ist unmöglich, darüber etwas Bestimmtes zu sagen, da diese Gefährdungen fast immer ganz örtlicher Natur sind. Sie entstehen theils durch Thiere , theils aus elementaren Verhält- nissen . Es ist Sache der Ortsbehörden, in beiden Beziehungen solche Vorschriften zu erlassen und zur Geltung zu bringen, welche in beiden Beziehungen der öffentlichen Sicherheit genügen. Auch hier erscheint diese ganze Sicherheitspolizei im Grunde nur als das Vollzugsorgan für die polizeilichen Forderungen gewisser größerer Verwaltungsgebiete; es ist festzuhalten, daß die elementare Sicherheitspolizei ebenso wie die gewerbliche keine wissenschaftliche oder systematische Selbständigkeit hat, und daß die von der übrigen Verwaltung getrennte Darstellung der- selben im Grunde nur auf der Verwechslung der Vollziehung und der Verwaltung im Kleinen beruht. In der That ist die örtliche Polizei der Hunde (Hundswuth), des Viehes, der Epizootie ein Theil der reinen Gesundheitspolizei, ebenso die Sicherheitspolizei der Badestellen ꝛc. Die Polizei der Gefahren auf öffentlichen Wegen gehört dem Wegewesen; die Polizei des Feuers dem Feuerwesen u. s. w. Die Aufgabe der Doctrin kann es hier nur sein, den innern Zusammenhang darzulegen; die Aufgabe der Praxis ist meist nichts anders, als eine vernünftige Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf gewisse öffentliche Bedürfnisse, welche in nur zu vielen Fällen statt von der Bevölkerung selbst, erst von der Orts- behörde angeordnet werden muß, um überhaupt zu geschehen. Die Selbständigkeit dieser elementaren Sicherheitspolizei beruht demnach dar- auf, daß eben die Polizeiorgane gleichsam das Sicherheitsgewissen der Bevölkerung sind; und es ist nicht zu verkennen, daß dieß seinen Werth hat. Es darf dabei, indem wir für alle speziellen Vorschriften auf die Landespolizeiordnungen aller Art verweisen müssen, doch der hier wieder erscheinende specifische Charakter des Polizeirechts der großen Völker nicht übergangen werden. In England beruht das ganze Ge- biet auf zwei Dingen. Zuerst auf der Removal Nuisances Act (Gesundheitswesen S. 33), welche die Behörde gesetzlich berechtigt, solche polizeiliche Sicherheitsmaßregeln vorzunehmen, wie sie das öffentliche Bedürfniß fordert. Allein es gibt dafür gar keine Art von amtlicher Inspektion. Es ist den Selbstverwaltungskörpern vollständig über- lassen, ob sie und wie weit sie im Sinne jenes Gesetzes derartige Vor- schriften selbst erlassen und über ihre Ausführung wachen wollen. Dagegen hat der Einzelne das Recht und auch das Mittel, die be- treffenden Behörden für die wirkliche Ausübung dieser Sicherheitsmaß- regeln zu zwingen. Dieß geschieht durch das System und Recht der Popular Actions gegen jedes Organ der Verwaltung, eine Klage des Einzelnen auf Schadenersatz mit dem Klagfundament der Nichtbeachtung der Public Nuisances Act. Das Gericht entscheidet dann. Dieß an sich sehr schöne System des Polizeirechts würde schwerlich zu etwas nützen, wenn das Interesse der Bewohner nicht vermöge der Selbstverwaltung ohnehin für diese Sicherheitspolizei sorgte. In Frankreich dagegen ist diese ganze Polizei in den Händen des Maire, der nichts als Beam- teter ist. Hier ist von einer Selbstverwaltung keine Rede, wohl aber hat Frankreich dafür sein treffliches Beschwerdeverfahren, das dieselbe in so vielen Punkten ersetzen muß. In Deutschland ist das Verhältniß ein vielgestaltiges, indem in einigen Beziehungen die Gemeinden, in anderen wieder die amtlichen Polizeibehörden, zum Theil auch die Gendarmerie eingreifen. Es ist vor der Hand unthunlich, darüber etwas Gemein- gültiges zu sagen. Die Polizeihandbücher von Funke für Sachsen, Roller für Württemberg, Mayerhofer und zum Theil auch Stubenrauch für Oesterreich geben das Einzelne; in Preußen hat diese niedere Polizeiver- waltung sogar in ähnlicher Weise eine eigene Literatur, wie die der Justices of peace in England und der Juges de paix in Frankreich in den Mannels etc. Vergl. namentlich das Werk von K. v. Schmid über die Polizeiverfassung (siehe oben; 2. Aufl. 1866). Der wesent- lichste Fortschritt besteht jedoch in den Polizeistrafgesetzbüchern (Württemberg, Bayern), welche ein objektives Recht und Verfahren bestimmen. Aber auch deren sind nur wenige, so daß wir sagen müssen, daß diese Sicherheitspolizei in Deutschland ganz als eine örtliche Rechtsbildung angesehen werden muß. Innere Verwaltungslehre. Erstes Hauptgebiet . Die Verwaltung und das persönliche Leben. Vierter Theil . Das Pflegschaftswesen. Das Pflegschaftswesen . Begriff und Rechtsprincip. Es kann natürlich nicht die Absicht des Folgenden sein, eine auch nur annähernd vollständige Darstellung des Pflegschaftswesens zu geben. Daß wir dabei sehr kurz sind, bedarf gegenüber dem mächtigen Stoffe wohl keiner Entschuldigung. Wohl aber müssen wir erklären, weß- halb wir überhaupt von demselben in der Verwaltungslehre reden, und während bisher das Verwaltungsrecht in dem bürgerlichen Rechte ent- halten war, nunmehr fordern, umgekehrt das bürgerliche Recht desselben in das Verwaltungsrecht aufzunehmen. Wir haben uns bereits im Allgemeinen über das Wesen desjenigen Rechtsgebietes ausgesprochen, das wir das bürgerliche Verwaltungsrecht genannt haben (vollziehende Gewalt S. 212). Es kann wohl kaum zweifelhaft sein, daß das Pflegschaftswesen eines der Hauptgebiete ist, welche diesem bürgerlichen Verwaltungsrecht angehören. Das, worauf es uns dabei ankommt, ist daher für unsern Zweck eben die Feststellung des Gesichtspunkts, nach welchem wir das gesammte Pflegschaftswesen nicht als einen Theil des bürgerlichen, sondern als einen Theil des Verwal- tungsrechts betrachten müssen, und zwar in der Weise, daß nicht etwa das bürgerlich-rechtliche Element in demselben als aufgehoben angesehen wird, sondern daß dasselbe vielmehr nur als die Gesammtheit derjenigen bürgerlich- rechtlichen Folgen erscheint, welche sich aus der, das Pflegschaftswesen bil- denden Verwaltungsthätigkeit für die dabei betheiligten Einzelnen ergeben. In der That nämlich kann man denn doch wohl schwerlich daran zweifeln, daß die Bestellung von Vormündern, die Pflicht zur Ueber- nahme der Vormundschaft, die Oberaufsicht der Behörde u. s. w. kein Privatrecht bilden, quod pactis privatorum mutari potest. Der Grund, weßhalb man es als solches behandelt hat, ist rein ein histo- rischer; und niemand wird die Aufnahme in die bürgerlichen Gesetz- bücher, die so viel anderes aus dem Verwaltungsrecht enthalten, für Stein , die Verwaltungslehre. IV. 12 einen Grund ansehen, ein bürgerliches Recht daraus zu machen. Doch müssen wir die weitere Darlegung dieses Gedankens, die ohne tieferes Eingehen auf das Wesen des Rechts und auf die Geschichte nicht denkbar ist, einer eigenen Arbeit überlassen. Hier muß es genügen, den innern und klaren Zusammenhang zwischen der Verwaltung und dem gesammten Pflegschaftswesen festzustellen, und dem ganzen Gebiete seine organische Stellung in der Wissenschaft damit anzuweisen. Dieß nun ist im Grunde sehr einfach. Es wird nur darauf an- kommen, den Begriff des Pflegschaftswesens nur erst einmal von dem seines Rechtes zu trennen; die administrative Natur des letztern ergibt sich dann fast von selbst. Freilich muß man zu dem Ende einen allge- meinen Ausgangspunkt annehmen. Die Grundlage alles Pflegschaftswesens ist nämlich die Thatsache, daß das, was wir eine Persönlichkeit nennen, aus zwei Elementen besteht, die, obwohl innigst verbunden, dennoch neben einander so selb- ständig sind, daß sie sich trennen, und jedes für sich untergehen können. Das erste dieser Elemente ist das rein persönliche, die Fähigkeit der freien Selbstbestimmung, ohne welche eine volle Persönlichkeit nicht ge- dacht werden kann; das zweite ist das natürliche, die Gütereinheit der Persönlichkeit, die wir die Wirthschaft nennen. Wir werden daher von einer geistigen und von einer wirthschaftlichen Persönlichkeit reden können. Nun ist das die Natur des Menschen, daß, während er stets und nothwendig eine wirthschaftliche Persönlichkeit ist, die geistige Persönlichkeit fehlen kann. Sie kann fehlen aus natürlichen Gründen, indem der Einzelne wegen Alters, Krankheit, Wahnsinns keine freie Selbstbestim- mung hat; sie kann fehlen, indem die Person dauernd abwesend ist; sie kann aber auch fehlen, indem die Person stirbt; und sie kann end- lich fehlen, indem sie die wirthschaftliche Persönlichkeit aufgeben, ihre Gütereinheit auflösen muß. Damit können also Zustände eintreten, in welchen die Persönlichkeit in der Wirklichkeit nur noch mit dem Einen ihrer beiden Momente existirt. Und hier tritt nun die Frage ein, was in solchem Falle die rechtlichen Forderungen und Folgen dieses Zustandes sind. Wenn nun ein solcher Zustand wirklich nur die Einzelnen berührte, so würde das Recht desselben kein anderes als das bürgerliche sein können. So ist es auch in der That, wo jemand z. B. während einer geistigen Affektion einen Vertrag schließt, oder in seiner Abwesenheit der negotiorum gestor seine Angelegenheiten verwaltet. Man ist sich vollständig darüber einig, daß da, wo die Störung oder materielle Aufhebung der freien Selbstbestimmung nur im Verhältniß des Ein- zelnen zum Einzelnen vorkommt, die Grundsätze des bürgerlichen Rechts entscheiden. Allein wo der Mangel der Selbstbestimmung aus irgend einem Grunde ein dauernder ist, da tritt ein anderes Verhältniß ein. Während nämlich jene fehlt, bleibt die wirthschaftliche Persön- lichkeit bestehen, und führt nothwendig ihr eigenes Leben fort. Dieß Leben bedingt und erzeugt wiederum seinerseits ganz unabwendbar eine beständige Berührung mit dem persönlichen und wirthschaftlichen Leben des andern Einzelnen; es ist ein Zustand einer wirthschaft- lichen Persönlichkeit ganz undenkbar, in welchem nicht beständige und unvermeidliche gegenseitige Leistungen vorhanden wären. Diese gegen- seitigen Leistungen sind jedesmal selbständige wirthschaftliche Akte, und die Selbstbestimmung der Persönlichkeit erscheint hier in dem Momente des gegenseitigen übereinstimmenden Willens, im Vertrage, oder in dem Kampfe gegen die fremde Verletzung, im Anspruch auf Schadenersatz. Es ist nun klar, daß demgemäß in der That nicht nur die eigene wirthschaftliche Persönlichkeit, sondern daß auch alle anderen , die mit oder ohne ihren Willen mit derselben in solchen Verhältnissen stehen, der persönlichen Zustimmung, also des geistigen Elementes der Persönlichkeit gar nicht entbehren können. Oder daß, da wir jene beständige und lebendige Gegenseitigkeit den Verkehr nennen, der Verkehr, der selbst eine Bedingung und zugleich eine Form des Lebens ist, das Vorhandensein der geistigen Persönlichkeit in der wirth- schaftlichen unbedingt fordert. Der Mangel der ersteren in der letzteren wird daher zu einem Widerspruch, ja zu einer Unmöglichkeit im Verkehrs- leben. Die einfache Aufhebung der wirthschaftlichen Persönlichkeit aber ist theils nicht möglich, weil selbst bei vollem Mangel der Selbstbestim- mung die Person da ist (Geisteskranke), theils als vorhanden gesetzt wird (Abwesende), theils eine Werdende ist (Unmündige), theils gesucht wird (Verlassenschaft), theils aber kann sie, wo sie eintritt (Concurs), dem Einzelnen nicht überlassen bleiben. Es muß daher durch die höchste Persönlichkeit selbst, den Staat, und in demselben durch seine Verwaltung, das Moment der geistigen Persönlichkeit in der wirthschaftlichen als eine Bedingung des Gesammtlebens hingestellt werden. Denn da die auf diese Weise hergestellte Persönlichkeit eine für alle im Verkehr gültige sein, und das Recht der nicht vorhandenen daher für den ganzen Ver- kehr ersetzen muß, so kann nur der Staat dieß allgemein Gültige in allgemein gültiger Weise thun. Und die Gesammtheit derjenigen Ord- nungen und Bestimmungen nun, durch welche die Verwaltung eine solche Erfüllung der Selbstbestimmung der Persönlichkeiten für den öffentlichen Verkehr herstellt, bildet das Pflegschafts- wesen . Die Grundformen dieses Pflegschaftswesens sind nun so vielfach, als es persönliche Lebensverhältnisse gibt, welche dasselbe fordern. Man wird sie jedoch auf drei zurückzuführen haben. Da, wo der Person nur die volle Selbstbestimmung für die durch ihr Wesen und ihr wirth- schaftliches Leben nothwendigen Thätigkeiten fehlt, und die letztere daher um der ersteren willen von der Verwaltung hergestellt werden muß, entsteht das Vormundschaftswesen . Da, wo die wirthschaft- liche Persönlichkeit (das Vermögen), vorhanden ist, die Person aber gänzlich fehlt, und mithin der Uebergang an die Rechtsnachfolger ver- mittelt werden soll, entsteht das Verlassenschaftswesen . Da end- lich, wo zwar die Person vorhanden, aber durch den Concurs der wirthschaftliche Tod eingetreten ist, entstehen die Begriffe der Masse und der Massenverwaltung . Alle drei zusammen bilden das Pfleg- schaftswesen. In diesem Pflegschaftswesen nun erscheint das Recht desselben dadurch, daß die Einzelpersönlichkeit mit ihren Beziehungen zwar un- vollständig aber nicht aufgehoben ist, und daß daher die Verwaltung mit den Einzelnen zusammenwirken muß, wie die Pflegschaft in jedem einzelnen Falle herzustellen. Die Gränze, bis zu welcher auf diese Weise die Thätigkeit der Verwaltung in der Erfüllung und Vertretung des Einzelnen zu gehen hat, bildet das öffentliche Recht des Pfleg- schaftswesens. Die Gebiete, in welchen dieses Recht erscheint, sind zuerst die Be- stellung des Pflegers, dann die Führung der Pflegschaft, endlich die mit dem Princip der Haftung verbundene Entlastung des Pflegers. Das leitende Princip dieses Rechts, welches demselben seinen Cha- rakter gibt, besteht darin, daß die Thätigkeit in Bestellung, Führung und Entlastung der Pfleger entweder von der Verwaltung ausgeht, und daher den Pflegern und der Pflegschaft den Charakter einer öffentlich rechtlichen Funktion gibt, oder daß die Verwaltung nur als oberauf- sehende Gewalt der Pflege zur Seite steht. Dieß ist nach den verschie- denen Zeiten und Völkern in jedem Theile der Pflegschaft sehr ver- schieden gewesen. Im Allgemeinen jedoch beruht die Gestalt und Ge- schichte dieses Rechts wesentlich auf der Gesellschaftsordnung, und ist daher verschieden für die Geschlechterordnung, die ständische und die staatsbürgerliche, indem namentlich die erstere den Antheil der Verwal- tung fast ganz ausschließt, die letztere dagegen die Pflegschaft überhaupt als eine öffentlich rechtliche Funktion, ein munus publicum hinstellt. Der Organismus des Pflegschaftswesens ist aus einer Reihe von Gründen, die theils in der Natur der Sache, theils aber auch in historischen Verhältnissen, namentlich im Wesen der Grundherrlichkeit liegen, von jeher identisch mit dem Organismus der Gerichte gewesen, und wird es auch zweckmäßig bleiben. Man kann daher sich begnügen, zu sagen, daß grundsätzlich die Gerichte die Pflegschaftsbehörden bilden. Allerdings aber ist Stellung und Thätigkeit derselben wesentlich verschieden, je nach den einzelnen Zweigen des Pflegschaftswesens. Die Grundverhältnisse dieses ganzen Gebietes der Verwaltung nun sind folgende. Die oben angedeutete Verbindung der Pflegschaft mit der Thätig- keit der Gerichte hat es mit sich gebracht, daß alle drei Gebiete der- selben ausschließlich von der Jurisprudenz behandelt worden sind, theils in dem Civilrecht, theils aber auch in dem Staatsrecht, während sie wieder bei vielen Darstellungen des Staatsrechts ganz weggelassen, bei andern wieder nur einige Theile derselben von demselben aufge- nommen werden. Diese Behandlungen sind stets mit der, der civilistischen Literatur eigenthümlichen Schärfe und Umsicht im Einzelnen und Prak- tischen, aber einerseits ohne den organischen Zusammenhang aller drei Gebiete des Pflegschaftswesens, anderseits ohne das innere Verhältniß zwischen dem römischen und germanischen Rechtsprincip, so wie großen- theils ohne Vergleichung der neueren historischen Entwicklung dieses Rechts gearbeitet. Unsere Darstellung kann nur Andeutungen über jene Punkte und ihren Zusammenhang geben. Es hat die Wissenschaft in der Anschauung und Verarbeitung des Ganzen noch ein weites Feld zu gewinnen, das zuletzt der Verwaltungslehre angehören wird. Wir glauben, daß der einzige Schriftsteller der staatswissenschaftlichen Literatur, der sich vom Standpunkt der Staatswissenschaft mit der Obervormund- schaft beschäftigt, Soden ist (Bd. 7), der auch seinerseits nur das po- lizeiliche Element darin bekämpft (S. 98), ohne zum Verlassenschafts- und Massenwesen zu kommen. — Uebrigens habe ich versucht, die oben- stehenden Grundgedanken zunächst für das Vormundschaftswesen genauer auszuführen in meiner unten citirten Abhandlung über das Vormund- schaftswesen. I. Das Vormundschaftswesen. 1) Begriff . Das Vormundschaftswesen enthält die Gesammtheit von Thätigkeiten und Bestimmungen der Verwaltung und des öffentlichen Rechts in allen denjenigen Verhältnissen, in welchen die Person für die wirthschaftliche Persönlichkeit zwar vorhanden ist, die natürlichen Zustände der Person aber die Selbstbestimmung derselben dauernd beschränken. Die Aufgabe des Vormundschaftswesens ist es, den ge- gebenen Mangel in der Selbstbestimmung znnächst formell so weit zu ersetzen , als dieß das persönliche und wirthschaftliche Leben noth- wendig erscheinen läßt, dann aber so weit thunlich auch für die Her- stellung und Entwickelung dieser Selbstbestimmung bei der betreffenden Person zu sorgen. Es gibt daher so viele Grundformen der Vormundschaft, als es Grundformen des Mangels an persönlicher Selbstbestimmung gibt. Dieselben erscheinen in drei großen Classen. Die erste enthält die Min- derjährigkeit , in der die Selbstbestimmung als eine werdende an- genommen wird und der Mangel derselben auf dem Alter beruht. Die zweite enthält die weibliche Vormundschaft, in der das Geschlecht der Grund der unvollkommenen Selbstbestimmung ist. Die dritte end- lich umfaßt alle Fälle, in denen die Vertretung durch zufällige Lebensverhältnisse nothwendig wird. Die erste hat daher ein natür- liches Ende mit dem Eintreten der Mündigkeit, die zweite ist natur- gemäß eine dauernde, die dritte ist je nach ihrer Ursache dauernd oder vorübergehend (absens — furiosus — prodigus). Die erste bezieht sich stets auf Person und Vermögen zugleich, die zweite nur im Falle spe- zieller Aufforderung auch auf die Person, die dritte je nach den Um- ständen auf eine oder beide. Eine durchgreifende Scheidung einer bloß auf das Vermögen bezüglichen Vertretung durch die Vormundschaft (cura) von der auch auf die Person bezüglichen (tutela) ist weder denk- bar, noch auch praktisch. Der Unterschied von cura und tutela ist nur als ein historischer anzuerkennen; er ist nur durch die falsche Behand- lung des römischen Rechts in die deutsche Rechtswissenschaft auf- genommen, von den deutschen Gesetzgebungen längst beseitigt, und muß als verwirrend aufgegeben werden. Die Vormundschaft ist vielmehr Ein Ganzes, hat als solches ihre Geschichte, ihr öffentliches Recht und ihren Organismus, und muß in diesem Sinne als organischer Theil des Pflegschaftswesens behandelt werden. Dagegen ist allerdings die Aufgabe der Vormundschaft, das ist Form und Maß, in welcher die Verwaltung den Mangel der Persönlichkeit zu ersetzen oder dieselbe zu vertreten hat, natürlich in den oben angegebenen drei Grundformen sehr verschieden, weil eben das Objekt derselben, der Mangel an der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, sehr verschieden ist. Es ist Aufgabe des speziellen Vormundschaftsrechts und seiner Lehre, dieß Verhältniß in den einzelnen Fällen genauer auszuführen. Die für alle geltenden, das allgemeine Vormundschaftswesen bildenden Grundsätze sind aber als Theil der Verwaltungslehre die folgenden. Ich habe versucht, die Elemente der Geschichte des Vormundschafts- wesens in der römischen und germanischen Welt hinzustellen. S. Stein , das Vormundschaftswesen. Haimerls österr. Vierteljahrsschrift. 1865. Heft 2. S. 224 ff. — Die Unterscheidung des österr. bürgerl. Gesetzbuchs §. 188 und des preuß. allgem. Landrechts II. 18. §. 3. 49 u. a. O. zwischen Cura und Tutela sind die Reflexe der römischen Theorie und an sich ohne praktischen Werth; es gibt in Wahrheit nur Eine Vormundschaft, wie es nur Eine Obervormundschaft gibt. 2) Das Rechtsprincip der Vormundschaft . Das allgemeinste Rechtsprincip der Vormundschaft ist auch hier das Rechtsprincip aller Verwaltung. Die Verwaltung hat dem Mangel der Selbstbestimmung nur in so weit durch ihr Eingreifen abzuhelfen, als die Erfüllung dieses Mangels eine Bedingung des Gesammt- verkehrs ist, und der Einzelne sich selbst nicht helfen kann. Wo beides der Fall ist, muß die Verwaltung eintreten; wo und in wie weit beides wegfällt, da muß die Thätigkeit der Verwaltung aufhören. In aller Thätigkeit der Vormundschaft ist daher ein Zusammen- wirken der Elemente der individuellen und der allgemeinen Persönlich- keit vorhanden; und das öffentliche Recht der Vormundschaft bestimmt demnach Gränze und Inhalt dessen, was die Verwaltung ihrerseits in der Vormundschaft gegenüber dem Einzelnen zu leisten hat. Dieß nun erscheint zuerst als die Oberaufsicht über jede vor- mundschaftliche Thätigkeit, die auf dem Princip beruht, daß der Mündel nicht im Stande ist, sich selbst vollständig zu vertreten und die wir mit einem Worte als das Princip der Obervormundschaft bezeichnen. Dann aber erscheint derselbe in den einzelnen positiven Thätigkeiten der Verwaltung, die wir die Vormundschafts- Verwaltung nennen. Die erstere gilt für alle Arten der Vormundschaft gleichmäßig, die letztere ist nach denselben sehr verschieden. Die Oberaufsicht der Obervormund- schaft nun geht demgemäß eben dahin, zu sorgen, daß in jeder Art der Vormundschaft gerade das, durch die spezielle Natur dieser Art Vor- geschriebene auch wirklich geschehe. Das Organ der Ausübung dieser Oberaufsicht oder die obervormundschaftliche Behörde ist dabei fast aus- schließlich das Gericht . Seine Grundsätze empfängt das Gericht durch das bestehende Recht. Das bestehende Recht aber hängt gerade bei der Vormundschaft wesentlich von der bestehenden Gesellschaftsordnung ab. Jede Gesellschaftsordnung hat daher ihre Vormundschaft und ihr Vor- mundschaftsrecht, und auch das gegenwärtige Recht kann nur als natür- liches Entwicklungsstadium dieser Geschichte erkannt werden. Wir werden es versuchen, diese großen historischen Grundformen der Vormundschaft im Folgenden zu charakterisiren, wesentlich um damit die Möglichkeit einer richtigen Beurtheilung des Charakters und der Rechtsbildung des heutigen europäischen Vormundschaftswesen anzubahnen. Diejenigen Punkte nun, worauf diese Vergleichung des verschiedenen geltenden Rechts hier zurückgeführt, und an denen als absoluten Grund- lagen des Vormundschaftswesens der Charakter jeder einzelnen Gestal- tung desselben zurückgeführt werden muß, sind zuerst das Organ der Obervormundschaft, und dann das Verhältniß seiner Thätigkeit zu dem des Individuums in Bestellung, Führung und Beendigung der Vormundschaft. Es ist uns leider hier ganz unmöglich, genauer auf das Vormund- schaftsrecht einzugehen. Die organische und zugleich historische Auffassung desselben bleibt eine der großen Aufgaben der Zukunft. Wir haben einige leitende Gesichtspunkte dafür in unserm oben erwähnten Aufsatz gegeben. Möge derselbe bald bedeutendere Arbeiten zu Nachfolgern haben! 3) Die historischen Grundformen des Vormundschaftwesens und seines öffentlichen Rechts . a) Das Vormundschaftswesen der Geschlechterordnung und des römischen Rechts. Das Vormundschaftswesen der Geschlechterordnung aller Zeiten, der römischen Patrizier sowohl als der germanischen Stämme, beruht darauf, daß das Geschlecht die einzige öffentlich rechtliche Persönlichkeit und zugleich der wahre Eigenthümer der Güter seiner Mitglieder ist. Das Geschlecht hat daher auch allein das Recht, die Obervormundschaft aus- zuüben, wenn der pater familias gestorben ist. Eine wirthschaftliche Unmündigkeit neben der persönlichen gibt es noch nicht, also weder eine curatela noch einen minor; die Mündigkeit tritt mit der Waffenfähigkeit ein. Einer Vormundschaftsordnung bedarf es nicht. Diese entsteht erst im römischen Recht, und zwar im Anschluß an die Geschlechterlosen, die Plebejer. Diese hatten ursprünglich in ihrer Unterwerfung unter die Ge- schlechter, ähnlich wie die freigebornen Mannen der germanischen Grund- herren, den patrizischen Geschlechterherrn als Vormund: den Patronus. Erst die XII Tab. gaben ihnen das Recht, den Vormund ihrer Kinder testamentarisch einzusetzen. Die Lockerung und Lösung der Abhängigkeit derselben von den Geschlechtern, theils auch der tiefe gegenseitige, nament- lich aber auf der Ausbeutung der plebejischen gentiles durch die patri- zischen patroni beruhende Haß der ersteren erzeugte dann den Grundsatz, daß da, wo kein testamentarischer Vormund vorhanden war, nunmehr die Staatsbehörde durch den Prätor einen solchen einzusetzen, und daß die Organe der plebejischen Sonderinteressen, die tribuni plebis, dar- über als eine noch unbestimmt gedachte Obervormundschaft zu wachen haben. Das bestimmte die Lex Atilia. Die mit der Auflösung der Geschlechterordnung gegebene Selbständigkeit der Frau machte dann die Ausdehnung der tutela auf diese, der häufige Mangel eines Hauptes der familia die Ausdehnung auf die Abwesenheit und auf den Wahn- sinn nothwendig. Da hier aber keine tutela vorhanden war, weil der pupillus fehlte, so entstand die Unterscheidung der wirthschaftlichen Vormundschaft, der curatela, von der persönlichen , der tutela. Die Steigerung des Reichthums und der Verschwendung nebst der Verfüh- rung junger aus der tutela entlassener 14jähriger Menschen erzeugte endlich die Nothwendigkeit, im öffentlichen Interesse einen neuen Rechts- begriff einzuführen. Das war der der wirthschaftlichen Unmün- digkeit neben der persönlichen Mündigkeit, nebst Aufstellung einer zweiten wirthschaftlichen Vormundschaft in dem minor annis und der cura minorum durch die lex Plaetoria, an die sich als selbstverständ- liche Ausdehnung der Begriff des prodigus und die cura prodigi auch über das 25. Jahr hinaus anschloß. Dadurch und durch den allmäh- ligen Untergang der Geschlechter löst sich nun die alte tutela gänzlich auf, die Geschlechtervormundschaft verschwindet, und an ihre Stelle tritt das große römische System der richterlichen Obervormundschaft , das, wenn auch im Einzelnen außerordentlich genau durchdacht, doch im Ganzen ziemlich unverstanden den Darstellungen der Pandekten zum Grunde liegt und durch sie mit all ihren Unklarheiten auf die germanische Zeit übergegangen ist. Läßt man die traditionellen Unterschiede weg, und erfaßt man dieß System seinem Wesen nach, so enthält es folgende Sätze: 1) Die tutela und curatela sind munera publica, das ist Auf- gaben der Verwaltung. Der Einzelne hat die Pflicht , diese Aufgabe zu übernehmen, und kann sich nur durch besondere Excusationsgründe davon befreien. 2) Die Obervormundschaft ist das Gericht , das jedoch unter Um- ständen und nach Ermessen die Verwandten als Familienrath herbeizieht. 3) Das Bestellungsrecht unterscheidet die Selbstbestellung (den tutor testamentarius ), die natürliche oder vielmehr geschlechtliche Bestellung (den tutor legitimus ) und die administrative (den tutor dati- vus ). Bei dem Minor treten alle drei Fälle ein, bei der Frau nur die beiden letztern; bei dem majorennen absens und furiosus nur der letztere. 4) Die Führung der Vormundschaft ist wesentlich die wirth- schaftliche Vermögensverwaltung. Ihr Princip ist die Erhaltung des Capitals, dem der Erwerb eines Vermögens unbedingt untergeordnet ist. Die Aufgabe des Erwerbs geistiger Güter (Bildung) kommt nicht zur selbständigen Erscheinung. 5) Die Beendigung der Vormundschaft enthält die Haftung der Vormünder. Aber diese Haftung ist eine privatrechtliche ; der Mündel muß sich seine Ansprüche selbst geltend machen. Es ist klar, daß auf diese Weise die alte tutela fast ganz ver- schwunden und an ihre Stelle ein allgemein gültiges System der Vor- mundschaft getreten ist, in dem die früher als selbständige Rechtsverhält- nisse erscheinenden Curatelen nur noch als untergeordnete Modifikationen des einheitlichen Vormundschaftswesens auftreten. Leider behielt man die alten Ausdrücke ohne historisches Verständniß in der Compilation Tribonians bei, was zu einer endlosen Masse von ganz unnützen und verwirrenden Ansichten Anlaß gegeben hat, so daß die Jurisprudenz darüber das germanische Vormundschaftswesen gar nicht begriff, und das staatsbürgerliche trotz guter Gesetze vielfach unklar machte. Die bisherigen Bearbeitungen der römischen Vormundschaft begehen den Fehler aller Lehren von den Pandekten, das römische Recht als ein innerlich gleichartiges Ganzes anzusehen. Damit ist jedes Verständ- niß, namentlich seines Verhältnisses zur gegenwärtigen Vormundschaft so gut als unmöglich. Doch ist hier nicht der Ort, genauer darauf einzugehen. (Vgl. meine oben citirte Abhandlung S. 242—266.) b) Das Vormundschaftswesen der ständischen Epoche. (Das germanische Vormundschaftsrecht.) Während das römische Vormundschaftswesen auf dem Begriff der Persönlichkeit und ihren einzelnen Momenten beruht, geht das der stän- dischen Epoche aus dem Hauptfaktor der ständischen Rechtsbildung, der Grundherrlichkeit und dem Lehnswesen hervor. Die Natur des letztern macht namentlich die kriegerische Leistung des Vasallen gegenüber dem Lehnsherrn zur Bedingung des Rechts auf den Lehnsbesitz. Die Ver- tretung des Unmündigen enthält daher vor allen Dingen die Pflicht zur Leistung dieser Dienste, und die Annahme derselben von Seiten des Lehnsherrn. Aus dem erstern Satz entwickelt sich neben der Waffen- vormundschaft zugleich die Frage, bis zu welchem Alter diese Waffen- vertretung nothwendig wird. Die Unterschiede der Waffen- oder persönlichen Mündigkeit und der wirthschaftlichen Volljährigkeit greifen dabei ein, und erzeugen, da das germanische Recht an den Unterschied von Tutel und Curatel nicht denkt, sehr verschiedene Bestimmungen, in denen sich statt der obigen römischen Unterscheidung eine zweite endgültig feststellt — die der Zurechnungsfähigkeit, welche der römischen pubertas, und die der Volljährigkeit, welche der römischen Majorennität ent- spricht; jene nur auf persönliche, diese auf wirthschaftliche Verhältnisse bezogen, aber dennoch in der Jahresziffer verschieden, meist vom 18. bis zum 24. Jahre. — Aus dem zweiten Punkte entwickelt sich als ganz spezielles Recht dieser Zeit das Recht des Lehnsherrn, der Tochter und Wittwe einen Mann zu geben, als Organ der Leistungen für die Lehnsherrn. — Beide Punkte zugleich, wesentlich auch in Verbindung mit dem Princip der Geschlechterherrschaft, nach welchem der König das Haupt aller Ascendenten und jetzt zugleich oberster Lehnsherr ist, erzeugen dann die Vorstellung von einer noch ganz unbestimmten Vormundschaft des Kö- nigs , die erst in der folgenden Epoche zu einer amtlichen wird. Diese lehnsrechtliche Vormundschaft ist dann wieder verschieden nach den ver- schiedenen Ländern. Die grundherrliche Vormundschaft hat dagegen den Charakter der alten römischen tutela legetima des patronus; nur nimmt sie gleich anfangs, da der Grundherr seine Rechte durch sein Patrimonial- gericht ausübt, die Elemente des römischen Vormundschaftswesens in sich auf; und so stehen beide Systeme eine Zeit lang neben einander, bis seit dem sechzehnten Jahrhundert mit den persönlichen Leistungen der Va- sallen auch die alte lehnsrechtliche Vormundschaft verschwindet, die ge- richtliche allenthalben an ihre Stelle tritt, und so die neueste Gestalt des Vormundschaftswesens eingeleitet wird, in der die Sache selbst allerdings viel klarer und einfacher ist, als die Theorie, welche aus Mangel an historischem Bewußtsein das Verschiedene vermischt und große Unklarheiten erzeugt, bis in unserem Jahrhundert das Vormundschafts- wesen seine ziemlich definitive Gestalt annimmt. Auch hier wäre die Voraussetzung aller richtigen Behandlung das Verständniß der innern Entwicklung des ständischen Wesens und nament- lich seines Besitzrechtes. Der Mangel desselben hat, da man aus den verschiedensten Angaben ein Gleiches machen wollte und in Deutschland weder das französische noch das englische verstand, große Unklarheit er- zeugt, die leider auch auf unsere Zeit fortgewirkt hat. (Vgl. Stein in der angeführten Abhandlung S. 266 ff.) c) Das Vormundschaftswesen der gegenwärtigen staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung. Die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung hat nun, wie sie es immer thut, aus den früheren Epochen diejenigen beiden Elemente hervor- gehoben, welche sie mit ihrem Princip der staatsbürgerlichen Gleichheit vereinigen konnte, und daraus das gegenwärtige System gebildet. Aus dem römischen Recht hat sie zuerst den Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit der Unmündigen gegenüber dem Vormund, und mithin der bürgerlichen Haftung für die wirthschaftliche Thätigkeit desselben entnommen, dann aber den Grundsatz, daß das Vormundschafts- wesen eine Verwaltungsaufgabe (munus publicum) sei und daher ein öffentliches Recht der Besetzung, Führung und Haftung der Vormund- schaft enthalte, das sich auf alle Zustände erstrecke, bei denen die Per- sönlichkeiten der öffentlichen Vertretung bedürfen. Aus dem ständisch-germanischen Recht entnimmt sie dann die prin- cipielle Aufhebung des Unterschiedes von Tutel und Curatel in den all- gemeinen Begriff der Vormundschaft, und zweitens den großen Gedanken der Ober vormundschaft des Staats, welche die Pflicht enthält, das Vor- mundschaftswesen im Ganzen durch Gesetze und Verordnungen zu regeln, und in jedem einzelnen Falle über die wirkliche Führung die Oberauf- sicht auszuüben. Die Staatenbildungen, in denen sich jene Gesellschaftsordnung ver- wirklicht, ihrerseits auf dem Principe der Einheit und Gleichheit aller Rechtsverhältnisse beruhend, erzeugen demgemäß eine, jene großen leiten- den Gedanken formulirende Vormundschaftsgesetzgebung , die be- reits im vorigen Jahrhundert beginnt, und glücklicher Weise versteht, sich von den Unklarheiten sowohl der rein römischen, als der sogenannten deutsch-privatrechtlichen Theorie fern zu halten. Sie verschmelzen die- selben vielmehr zu einem, im Ganzen sehr wohl geordneten, innerlich einheitlichen System, dessen Charakter im Wesentlichen darauf beruht, daß die im römischen Recht aufgestellten Aufgaben und Pflichten unter thätiger Mitwirkung der, einheitlich und amtlich organisirten obervormundschaftlichen Behörde zur Ausführung gelangen. Aus nahe liegenden Zweckmäßigkeitsgründen ist die letztere das Ge- richt , obgleich es nicht zu läugnen ist, daß dieß, mag man die Sache nehmen wie man immer will, doch im Grunde ein Widerspruch bleibt. Dieß ist der Charakter des Vormundschaftswesens unserer Zeit im Allgemeinen. Im Besondern aber hat nun jedes Land wieder sein eigenes Recht, und obwohl uns noch jede Vergleichung fehlt, so ist es doch kein Zweifel, daß der Unterschied wesentlich auf dem Verhältniß beruht, in welchen eben die Thätigkeit der Verwaltung zu der des Vormundes steht; dann auch in dem Maße, in welchem die Vormund- schaft von den übrigen Theilen des Pflegschaftswesens geschieden ist. Man kann in dieser Beziehung drei Hauptsysteme unterscheiden. Nach dem österreichischen Systeme hat das Gesetz die Formen der vormundschaftlichen Thätigkeit sehr genau bestimmt, und die Ent- lastung des Vormundes zum Theil von diesen Formen abhängig ge- macht. Das Gericht als obervormundschaftliche Behörde hat jedoch, nächst der Einsetzung des Vormundes, nur die oberaufsehende Ge- walt und den Schutz des Mündels gegen den Vormund. Es ist das römische System des Vormundschaftswesens als munus publicum in seiner reinsten Form, und kann als die feste Ordnung der Vormundschaft nach dem sogenannten gemeinen Recht Deutschlands angesehen werden. Das preußische System dagegen, auch hier seinem Charakter con- sequent, „betrachtet den Vormund nicht als einen bloßen Verwalter eines fremden Vermögens, sondern als einen Beamten des Staats. Die Obervormundschaft ist demgemäß nicht eine wesentlich oberaufsehende Gewalt, sondern der wahre Vormund, und der Vormundschaftsrichter“ (der amtliche Vormund) „kann mit Uebergehung des Vormundes, selbst wider dessen Willen, unmittelbar handeln.“ Diese vormundschaftliche Gewalt ist das Gericht, und „der gewesene Pflegling muß dem Vor- munde und dem Gerichte quittiren.“ ( Rönne , Staatsrecht II. §. 319.) Das französische System dagegen geht im Gegentheil davon aus, daß die staatliche Obervormundschaft nur dann einschreitet, wenn die Geschlechtervormundschaft nicht ausreicht. Ihre Aufgabe ist es daher, den Familienrath zu berufen (das consilium propinquorum der plebejischen Vormundschaft), eventuell ihn durch „Nachbarn“ zu er- setzen; doch hat der juge de paix den Vorsitz. Dieser Conseil de famille hat dann die Berufung und Oberaufsicht des von ihm zu bestellenden Vormundes. Der Vormund legt diesem Rathe Rechnung, und diese Rechnung wird, wieder nach römischem Recht, wie jede andere Privat- forderung vor dem Gerichte behandelt. Das englische System endlich ist noch jetzt eine vollständig unklare Verwirrung der Grundsätze aus dem lehns- und dem staatsbürgerlichen Rechte, bei der das römische Recht allerdings nicht ohne Einfluß gewesen ist. Alles Speziellere muß nun als Aufgabe der besondern Darstellung des Vormundschaftsrechts angesehen werden. Es ergibt sich indeß leicht, daß demgemäß das Vormundschafts- wesen als spezifischer Theil des Verwaltungsrechts angesehen werden muß, und daß dem bürgerlichen Rechte nur diejenigen rechtlichen Verhältnisse angehören, welche zwischen Vormund und Mündel aus der Befolgung des öffentlichen Vormundschaftsrechts entstehen kann. Man wird daher sagen, daß die Vormünderordnungen das öffent- liche, die bürgerlichen Gesetzbücher das bürgerliche Recht des Vormund- schaftswesens enthalten, und daß demgemäß die Scheidung beider Theile, nach der sie theils im bürgerlichen Recht, theils als besonderes Recht behandelt werden, theils auch im rein römischen Recht als heu- tiges gemeines Recht erscheinen, in der bisherigen Weise nur geeignet ist, unklare Vorstellungen und Verwirrung zu erwecken. Doch fordert die weitere Ausführung dieser Gedanken eine eigene, sehr tief einschneidende Behandlung. Ohne uns auf die Literatur einzulassen, bemerken wir hier nur die Hauptquellen für jene neueste Gestalt des Vormundschaftswesens. In Deutschland ist wohl allenthalben als das sogenannte gemeine Recht das bürgerliche von dem öffentlichen Recht in den Vormund- schaftsordnungen geschieden. In Oesterreich ist das bürgerliche Recht im bürgerl. Gesetzbuch (Theil I. 4. Hauptstück) enthalten, das öffent- liche Recht oder die Vormundschaftsverwaltung dagegen in dem Gesetz vom 9. August 1854 über das gerichtliche Verfahren über Rechtsangelegen- heiten außer Streitsachen, 31. Hauptstück. In Preußen steht das bürgerliche Recht im allgem. Landrecht II. 18. ( Rönne , II. §. 319.) In Frankreich hat der Code Civil L. I. T. X. das obige System des Conseil de famille aufgestellt. Eine Einigung über die Geltung des bürgerlichen oder öffentlichen Gesichtspunkts mangelt . In Eng- land scheint gar keine zu gelten. Stephen , Commentaries T. 192. III. 338. Stein in der angeführten Abhandlung, S. 282 und 293. II. Das Verlassenschaftswesen. Begriff und Rechtsprincip . Das Verlassenschaftswesen enthält das öffentliche Recht für dasjenige Verhältniß, welches eintritt, wenn durch das Wegfallen der Person in der vermögensrechtlichen Persönlichkeit die letztere an einen oder mehrere andere Berechtigte übergeht. Dieser Uebergang ist ein Proceß, der sich entweder ohne Zuthun der Verwaltung vollzieht, wenn die berechtigten Personen vorhanden sind, oder der das Vermögen so lange ohne persönliche Vertretung läßt, bis die berechtigte Person gefunden, oder ihr Recht anerkannt ist. In diesem Falle hat die Verwaltung im Interesse sowohl der einzelnen Betheiligten als des Verkehrs diese Ver- tretung zu übernehmen; die Aufgabe derselben ist aber nicht wie bei der Vormundschaft die wirthschaftliche Sorge für das Vermögen, sondern nur die Sicherung der Berechtigten durch die amtliche Vermitt- lung des Ueberganges an dieselben . Die Gesammtheit der Vorschriften für diese Thätigkeit der Verwaltung bildet das Verlassen- schaftswesen . Das leitende Princip dieses öffentlichen Rechts des Verlassenschafts- wesens ist demgemäß das allgemeine alles Verwaltungsrechts. Dasselbe soll nur da und nur so weit eintreten, als die Berechtigten faktisch oder rechtlich nicht im Stande sind, ihre eigenen Interessen durch eigene Thätigkeit geltend zu machen. In diesem Grundsatz liegt die natürliche und allein richtige Gränze für die Thätigkeit der Verwaltung bei Verlassenschaften. Wenn sie dieselbe überschreitet, thnt sie zu viel; wenn sie sie nicht inne hält, thut sie zu wenig. Der Werth des gel- tenden Verlassenschaftsrechts besteht aber, selbst da, wo diese Gränze inne gehalten wird, wesentlich darin, daß die Thätigkeit der Verwal- tung oder die Verlassenschaftsverhandlung den Berechtigten so leicht und so billig als möglich zu ihrem Rechte verhelfe. Das Entstehen einer nach diesen Grundsätzen geordneten Verlassen- schaftsordnung muß daher als ein wesentlicher Fortschritt der Verwal- tung anerkannt werden. Innerhalb ihrer richtigen Gränzen kann keine öffentliche Verwaltung ihrer entbehren. Allerdings aber fehlt uns auch hier nicht bloß die organische Auffassung ihres Wesens und ihrer Stellung im ganzen System, sondern auch die selbständige systematische Behandlung überhaupt und meist sogar eine eigene Gesetzgebung. Es ist die Ver- waltungslehre, die dieß alles von ihrem Standpunkt zu leisten hat. Im Allgemeinen scheiden sich nun zwei große historische Standpunkte nach den zwei großen Elementen, welche das Verlassenschaftsrecht bilden. Der erste ist der des römischen Rechts , welcher das Verlassenschafts- wesen als eine Angelegenheit der einzelnen Betheiligten auffaßt und den Berechtigten überläßt, auf dem Wege der gerichtlichen Klage ihr Recht geltend zu machen. Der zweite ist der der germanischen Ver- waltung , welche die Vertretung der Berechtigten amtlich , wenn auch in sehr verschiedenem Grade und in verschiedener Weise, übernimmt, und dabei das Recht des Einen gegen den Andern schützt. Daß das letztere nothwendig wird, wo die Existenz des Eigenthümers rechtlich fraglich ist, ist klar, und das daraus entstehende Recht empfing als Theil des Vormundschaftswesens wohl schon frühe Namen und Recht der Cura absentis, während die privatrechtlichen Grundgesetze der hereditas jacens das Auftheilungsrecht enthielten. So lange nun im Mittelalter wenig Verkehr von Ort zu Ort war, konnte das genügen. Als aber die entstehende Verkehrsbewegung verbunden mit dem verschiedenen localen Erbrecht Erben und Hinterlassenschaft oft weit auseinander brachte, mußte selbst bei vorhandenen Erben zum Theil um der gabella here- ditaria willen, die für Fremde zuerst in unserem Jahrhundert aufge- hoben ward (für Frankreich wird sie erst durch das Gesetz vom 14. Juli 1819 des Art. 726 des Code Civil aufgehoben), die örtliche Obrigkeit das Recht des Erben anerkennen und die Erbschaft auch dem aner- kannt Berechtigten durch einen eigenen Akt hinausgeben. Daraus ent- stand die Verlassenschaftsabhandlung des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die sich in einigen Ländern, wie Oesterreich, über jede Verlassenschaft ausbreitete, während sie sich sonst mit der Ausgleichung der Erbrechtsunterschiede allmählig auf diejenigen Punkte zurückzog, in denen eine amtliche Thätigkeit wirklich im Gesammtinteresse nothwendig erscheint. Das Verlassenschaftswesen ist daher jetzt im Princip allent- halben mit Ausnahme Oesterreichs auf seine natürlichen Gränzen zurück- geführt. Aber ihm fehlt noch gänzlich die organische wissenschaftliche Behandlung. Das Folgende kann nur die entscheidenden Punkte für dieselbe als Theil der Verwaltungslehre bezeichnen. Offenbar enthält die Verlassenschaftsabhandlung als Proceß des Ueberganges einer Hinterlassenschaft an die Berechtigten drei Theile oder Momente. Der erste Theil hat die öffentlich rechtliche Todes- fallserklärung zum Inhalt; der zweite Theil die amtliche Ueber- nahme der Hinterlassenschaft; der dritte Theil die Vertheilung oder die Uebergabe an die Berechtigten. Allerdings nun haben, mit einer Ausnahme, weder Theorie noch Gesetzgebung das Verlassenschaftswesen in diesem Sinne als Ganzes behandelt; dennoch aber haben Praxis und Theorie gleichmäßig dazu gewirkt, für jeden dieser Theile ein öffentliches, meist im Einzelnen sehr genau bestimmtes Recht aufzu- stellen, bei dem freilich nach der Natur der Sache in den gewöhnlichen Bearbeitungen das privatrechtliche Element überwiegt. Es muß hier genügen, die organische Einheit im Sinne der Verwaltungslehre anzugeben. Die bedeutendsten Arbeiten über diesen Gegenstand sind in früherer Zeit die Motive zum preußischen allgemeinen Landrecht bei Borne- mann , systematische Darstellung des preußischen Civilrechts, Bd. VI., und J. Ungers Schrift: die Verlassenschaftsabhandlung in Oesterreich 1862. Die letztere hat sich aber zu eng begränzt auf den Kampf gegen die österreichische Verlassenschaftsabhandlung und dadurch negativ Bedeutendes geleistet, während ein positives Resultat, die Beantwortung der Frage, was denn die Verlassenschaftsabhandlung nun sein und wie sie wirken solle, unerledigt bleibt. Die überwiegend negative Behandlung läßt den Verfasser auch sowohl das französische als das preußische Recht etwas einseitig beurtheilen. Das historische Entstehen des „gericht- lichen Einsatzes“ muß man auch nicht, wie S. 61 ff. geschieht, bloß auf Verordnungen zurückführen, sondern auf weit allgemeinere Verhält- nisse. Leider hat die rein kritische Richtung den Verfasser abgehalten, das Recht der Ediktalcitation und Todeserklärungen mit aufzunehmen. Solche Mängel sind immer die Folge davon, wenn man in der Kritik die höchste Leistung der Wissenschaft zu sehen glaubt. Weit objektiver und daher auch das ganze Recht der Verlassenschaft viel klarer dar- stellend ist die gründliche Arbeit von Ph . v. Harrassowsky , Grund- züge der Verlassenschaftsabhandlung nach österreichischem, im Vergleiche mit gemeinem, preußischem und französischem Recht. 1862. Eine selbständige Gesetzgebung über das Verlassenschaftswesen als Ganzes besteht nur in Oesterreich in dem Gesetze über das gericht- liche Verfahren außer Streitsachen vom 9. August 1854, Hauptstück II. In den übrigen Staaten sind die betreffenden Bestimmungen sehr zer- splittert, und daher eine Darstellung sehr schwer. Unger hat auch in seinen sonst so reichen Citaten die gesetzlichen Bestimmungen über die Todesfallserklärungen leider nicht aufgenommen. Warum hat der sonst so umsichtige Harrassowsky nicht das positive Recht der Ediktalcita- tionen spezieller nach den bestehenden Gesetzen behandelt? 1) Die Todesfallsaufnahme und Verschollenheitserklärung . Der Tod ist in seinen rechtlichen Folgen ein Ereigniß, dessen ob- jektive Gewißheit in jedem einzelnen Falle eine wichtige Bedingung des ungestörten Verkehres der Lebenden ist. Das römische Recht nun hat die Herstellung dieser Gewißheit als Sache jedes Einzelnen aufgefaßt; im römischen Recht ist der Tod in keiner Beziehung eine öffentliche Thatsache. Theils der Zusammenhang, in welchem in der germanischen Welt jeder Einzelne mit seinem ständischen Körper steht, theils die Ent- wicklung der Sanitätspolizei haben dagegen im germanischen Europa die öffentlich rechtliche Constatirung des Todes erzeugt, und die Ver- lassenschaftsbehandlung, für welche sie die erste Voraussetzung ist, haben sie formell sehr genau bestimmt, so daß über den öffentlichen Werth derselben kaum ein Zweifel obwaltet. Grundsatz ist dabei, daß diese Todesfallserklärung in dem Grade umständlicher formulirt wird, in welchem die Verwaltung sich mit der Verlassenschaft mehr beschäftigt. Diese amtliche Anerkennung des Todes erscheint nun in zwei Formen. Die erste ist die Todesfallsaufnahme , welche den Tod einer gegenwärtigen Person gerichtlich constatirt. Sie ist, gegenüber dem römischen Recht, als öffentliche Pflicht der dazu bestellten amtlichen Organe anerkannt, ihre Formen sind vorgeschrieben, und ihr Recht ist Anerkennung der durch sie bewiesenen Thatsache. Sie bezeichnet dem- gemäß den Moment in dem Verlassenschaftswesen, wo die amtliche Thätigkeit der Verlassenschaftsabhandlung zu beginnen hat. Stein , die Verwaltungslehre. IV. 13 Die zweite ist die amtliche (gerichtliche) Todes- oder Verschollen- heitserklärung . Sie enthält, gegenüber dem römischen Recht, die von der Verwaltung (Rechtspflege) statt von dem processualen Beweise den Einzelnen ausgehende, und daher als ein Verwaltungsakt mit be- stimmten öffentlich rechtlichen Formen ausgestattete Aufhebung aller Rechtswirkung des Lebens der betreffenden Person. Jene Formen, an dem Zeitungswesen ausgebildet, und mehr durch die Natur der Sache als durch eigene Gesetze bestimmt, beruhen auf der Ediktalladung oder Ediktalcitation , der die gerichtliche Verschollenheitserklärung folgt. Grundsatz ist, daß dem Verschollenen seine Rechte im Falle seines Wiedererscheinens gewahrt werden. Jedoch funktionirt das Gericht bei jener als Organ der inneren Verwaltung, speziell des Pflegschafts- wesens, bei diesem als Organ der Rechtspflege. Während die Todesfallsaufnahme schon im vorigen Jahrhundert sehr genau bestimmt ward, ist das Recht der Verschollenheitserklärung weder gesetzlich noch theoretisch gut behandelt. Das preußische all- gemeine Landrecht II. T. 11. §. 469 enthält die ersten genauen Vor- schriften über die Todesfallsaufnahme; das österreichische bürgerl. Gesetzbuch folgte T. I. 24 und T. 4. 277. Der Code Civil ausführlich im L. 1. T. IV. art. 4: Des actes de décès, dazu Art. 720 ff. Das österreichische Gesetz vom 9. August 1854 §. 34 ff. schrieb dann das Verfahren genauer vor, mit der speziellen Beziehung auf das Erbrecht, während in Preußen und Frankreich theils der criminalrechtliche, theils der sanitäre Gesichtspunkt vorwaltet. Ueber das österreichische Verfahren Unger a. a. O. S. 115. Da es kein gemeines Recht dafür gibt, gibt es auch keine deutsche Literatur. Auch Harrassowsky hat nur die Todesfallsaufnahme nach österreichischem, und daneben sehr kurz die nach preußischem und französischem Recht behandelt S. 8—14. Recht und Ordnung der Verschollenheitserklärung haben sich meist in die bürgerlichen Gesetzbücher verirrt. Oesterreichisches bürgerliches Ge- setzbuch §. 112 mit spezieller Beziehung auf die Ehe; Code Civil art. 115 und 143 das gesammte Recht des absens . Fehlt bei Unger und Harrassowsky . 2) Die Verlassenschaftspflege . Die Verlassenschaftspflege enthält nun die Gesammtheit der Auf- gaben der Verwaltung in Beziehung auf das, vermöge der Todesfalls- aufnahme oder Verschollenheitserklärung zu einer Verlassenschaft erklärte Vermögen . Es ist klar, daß, so lange bei Abwesenden die Verschollenheitserklärung nicht eingetreten ist, die Verlassenschafts- pflege nur als Vormundschaft für Abwesende erscheint. Die Aufgabe der Verlassenschaftspflege ist aber eine von der Verlassenschaftstheilung wesentlich verschiedene. Dieselbe ist eine zweifache. Zuerst ist sie die Vormundschaftspflege über die Verlassenschaft, so lange bis die Verlassenschaftstheilung ein- tritt. Zweitens enthält sie diejenigen Anordnungen, welche die Be- dingungen für die Sicherung der Rechte aller Betheiligten gegen einander und gegen Dritte herzustellen hat. Offenbar ist die natürliche Gränze dieses Rechts der Verwaltung in demjenigen gegeben, wodurch an die Stelle des Verstorbenen die durch die Erbeserklärung berechtigte, also in die Haftungen des Verstorbenen eintretende Person aufgestellt ist. Keine Verlassenschaftspflege soll weiter gehen, als bis zu diesem Augenblick; und es ergibt sich daraus der Satz, daß jede Verlassenschaftspflege nur subsidiär stattfinden soll. Die einfachen Grundsätze dafür sind unzweifel- haft die des französischen Rechts, nach welchem bei den gesetzlichen Erben überhaupt keine Verlassenschaftspflege eintritt, während die Fälle dieses Eintretens genau bestimmt sind. Das Verfahren dabei ist gleichfalls geordnet und zerfällt in den Akt der Versiegelung , den Akt der Entsiegelung , und den Akt der Inventarisirung , weil der gesetzliche Erbe mit dem Erbrecht zugleich den Besitz der Ver- lassenschaft empfängt. Wo dagegen dieser Besitz erst erworben werden muß, tritt eine Zwischenzeit ein, in welcher das Gericht als Organ der Verwaltung Besitzer ist; und dasjenige, was es in dieser Zwischenzeit zu thun hat, bildet den Inhalt der eigentlichen Verlassenschaftspflege. Diese nun ist eine zweifache; eine wirthschaftliche und eine rechtliche. Wirthschaftlich hat das Amt (Gericht), während es den Besitz der Erbschaft hat, dieselbe nach den allgemeinen Regeln der Vormund- schaft zu verwalten. Rechtlich hat das Amt diejenigen Maßregeln vorzunehmen, durch welche die Ansprüche aller Berechtigten auf den ihnen zukommenden Erwerb gesichert werden. Diese bestehen in den drei Akten der amt- lichen Versiegelung , der Entsiegelung und der Inventari- sirung . Die wirkliche Uebergabe an die Berechtigten kann natürlich erst auf Grund eines, diese Berechtigung anerkennenden gerichtlichen Urtheiles erfolgen und gehört dem Folgenden. Die Bedingung, unter der jene drei Akte vorzunehmen sind, wird stets entweder das Gesuch der Erben, das Recht des Staats, die Gefahr der Entwendung, oder das nachgewiesene Recht Dritter sein. Wo dieß nicht eintritt, wird bis zur Einweisung die Verlassenschaft wie jedes andere vormundschaftliche Vermögen verwaltet. Die Literatur erscheint hier nur als Commentar zu den betreffen- den Stellen des Gesetzes, und eben deßhalb meist ohne klare Unter- scheidung der Verlassenschaftspflege und der Erbschaftstheilung und Ein- weisung. Rönne (Staatsrecht II. §. 320) scheidet das viel besser wie Unger — „diese Verfügungen haben die Natur eines Arrestschlages“ — preußische allgemeine Gerichtsordnung I. 3. 29. 30. Das ganze öster- reichische Verfahren ist freilich überhaupt auf der grundsätzlichen, mög- lichst ausgedehnten Einengung des Gerichtes berechnet, die Unger mit vernichtender Kritik bezeichnet hat; und wenn Harrassowsky gegen ihn in Beziehung auf die materielle Seite der Sache gewiß Recht hat, so glauben wir, daß im öffentlichen Interesse das bisherige Verfahren kein haltbares sein kann. 3) Die Erbschaftseinweisung und Erbschaftstheilung . Die Erbschaftseinweisung (Einantwortung) und Erbschaftstheilung bezeichnen nun denjenigen Akt, durch welchen da, wo das Amt den Besitz der Verlassenschaft hat übernehmen müssen, dieser Besitz den als berechtigt Erklärten ausgeliefert wird . Es ist grundsätz- lich falsch, daß bei gesetzlichen Erben das Gericht überhaupt in diesen Besitz gelange, oder daß auch für diese eine amtliche Erbeseinweisung erfolgen müsse. Es ist aber unthunlich, dieß da zu vermeiden, wo das Erbrecht — nicht das Recht auf Vermächtnisse — selbst streitig ist. Der daraus folgende an sich einfache Grundsatz, daß im letzteren Falle das Amt die Betheiligten selbst, ohne sein Zuthun, sich ein gerichtliches Urtheil erwirken lasse, um auf Grundlage dieses Urtheils Einweisung und Theilung vorzunehmen, soll im Interesse des wirthschaftlichen Lebens dahin geändert werden, daß durch Intervention des Erbschaftsamts diese rechtlichen Fragen durch ein kurzes Vergleichsverfahren er- ledigt werden. Dieß Vergleichsverfahren hat nur auf die Erben Bezug; alle andern Berechtigten sind auf diese anzuweisen; es ist gänzlich falsch, Erledigung dritter Berechtigungen als Bedingung für die Erbschafts- einweisung aufzustellen, und dem Erben „nur den reinen Nachlaß ein- antworten zu wollen.“ Dagegen ist es richtig, daß, wenn bei Erb- theilungen Abschätzungen, Verkäufe u. s. w. zum Zweck derselben vor- genommen werden müssen, diese vom Gericht als Erbschaftsamt voll- zogen werden. In der Einweisung und Theilung der Erbschaften zeigen sich die drei Systeme des geltenden Rechtes für das gesammte Verlassenschafts- wesen am deutlichsten; das französische , das die Erbeseinweisung nur bei nicht gesetzlichen Erben, und bei diesen nur auf Grundlage eines gerichtlichen Verfahrens der Berechtigten als reine Execution des gerichtlichen Urtheils fordert — Koczynski , Versuch einer systematischen Darstellung des französischen Gerichtsverfahrens und Civilproceßordnung — Wackau nennt dieses Verfahren „die Verhandlungsmaxime beim Nach- laßverfahren“ — das österreichische , das die Einweisung erst ein- treten läßt, wenn das Gericht alle auf die Erbschaft bezüglichen Streitig- keiten erledigt hat ( Unger S. 117), selbst bei gesetzlichen Erben, und das preußische , das nach dem allgemeinen Landrecht I. 17. 82. und der allgemeinen Gerichtsordnung I. T. 46. den Grundsatz eines sum- marischen Vergleichsverfahrens an die Stelle der französischen Erbprocesse setzt, unter unmittelbarem Uebergange bei nicht streitigen Fällen. Es ist kaum zweifelhaft, daß das preußische das bei weitem vorzüglichere ist. Die Zusammenstellung der drei Grundformen ist sehr gut bei Harrassowsky a. a. O. S. 49—55; die Charakteristik des österreichischen Verfahrens S. 68, sowie die ganze Vergleichung ist klar und treffend; doch möchten wir das österreichische Princip um so weniger ganz ver- theidigen, als es selbst nach Harassowsky kein einfaches ist, und dadurch offenbar die Behörden viel zu viel da in Anspruch nimmt, wo die Selbstthätigkeit des Einzelnen ausreichen könnte und sollte . Weßhalb Unger übrigens S. 30 principiell gegen das „Legitimationsverfahren“ des preußischen norddeutschen allgemeinen Landrechts 1. 9. 482 auftritt, ist trotz Kochs Bemerkungen denn doch nicht recht abzusehen, wogegen wir allerdings die strenge Beschränkung desselben auf Fälle „mit besonderem Grund“ nach Koch für vollkommen richtig halten. Unger S. 32. Uebrigens ist neuerdings ein Gesetzentwurf für das Verlassen- schaftswesen publicirt, der in hohem Grade beachtenswerth ist. Wir unsererseits vermissen darin jedoch eine definitive Organisation des Verschollenheits- und Ediktalcitationswesens, die namentlich für Oester- reich von sehr hohem Werthe gewesen wäre. III. Die Massenverwaltung. (Concurswesen.) Wir glauben hier das Concurswesen nur im Allgemeinen als letzten Theil des Pflegschaftswesens anfügen zu müssen, da es einer selbständigen Darstellung ohnehin bedarf, zugleich aber ein zweites wesentliches Element enthält, wodurch es eben so sehr der Volkswirth- schaftspflege, speciell dem Handels- und Creditrecht angehört. Die beiden großen Bestandtheile alles Concurswesen sind nämlich folgende. Das Concurswesen ist zuerst ein Theil des reinen Pflegschafts- wesens, insofern bei ihm der wirthschaftliche Tod der Persönlichkeit zum Grunde liegt, wie beim Verlassenschaftswesen der persönliche Tod. Als Theil des Pflegschaftswesens tritt mit dem Concurs sofort die Pflegschaft ein, deren Aufgaben aber eben nur die gänzliche Auflösung der Wirthschaft durch die Theilung des Vermögens ist. Das Princip dieser Thätigkeit ist ein doppeltes: Sicherung aller Berechtigungen und Vertheilung des Vorhandenen. Es ist kein Zweifel, daß die erste Be- dingung einer zugleich gerechten, billigen und schnellen Erfüllung dieser Aufgabe durch das organische Zusammenwirken des Amts (Gerichts) als Vertreter der Gesammtheit und eines Ausschusses der Gläubiger als Vertreter der Einzelinteressen ist. Ein langsames, theures und kostspieliges Concurswesen ist ein großes volkswirthschaftliches Unglück für jedes Land. Die Aufgabe des wirthschaftlichen Concurswesens besteht dem- gemäß wie bei der Verlassenschaft zuerst in der Besitzübertragung der Masse an die Verwaltung mit vormundschaftlicher Thätigkeit, und dann in der Ueberlieferung an die gerichtlich als berechtigt aner- kannten Personen. Die Concursordnungen enthalten dabei eben nur die öffentlichen rechtlichen Bestimmungen für das Verfahren in Uebernahme, Streit und Vertheilung. Für das Massenvormundschafts- recht gilt dagegen der Grundsatz, der für alle Fälle maßgebend ist, daß die wirthschaftlichen Bedingungen des Erwerbes und selbst der Erhaltung des Vermögens denen der leichten und klaren Theilung unter- geordnet sein müssen ; weßhalb der Verkauf meistens die Haupt- aufgabe ist, da nur der Werth und nicht die Sache für die volle Theil- barkeit empfänglich erscheint. Das Concurswesen ist zweitens ein Theil des Creditrechts . Auf dem Grundgedanken, daß die Zahlungsfähigkeit des Einen die Be- dingung der Zahlungsfähigkeit des Andern wird, geht der weitere Ge- danke hervor, daß die Benützung des Credits bei bewußter Zahlungs- unfähigkeit eine wissentliche Gefährdung des allgemeinen wirthschaftlichen Lebens wird; und das erzeugt wieder den Grundsatz einer Bestrafung für den selbstverschuldeten Bankerott. Diese Bestrafung erscheint zuerst in der rohen Form der Personalhaft , die indeß allmählig die Strafe des betrügerischen , und endlich die des bloß selbstverschuldeten Bankerottes als die allein richtigen Formen des Creditstrafrechtes er- zeugt, an die sich selbst bei nichtverschuldetem Bankerott die Unfähigkeit zur Theilnahme an der Verwaltung öffentlicher Vermögen im weitesten Sinne anreiht — Grundsätze, mit denen das Pflegschaftswesen schon in die Volkswirthschaftpflege und ihre Rechtsordnungen hinüber reicht.