Nachtwachen. Von Bonaventura . Penig 1805 bey F. Dienemann und Comp. Erste Nachtwache . D ie Nachtstunde schlug; ich huͤllte mich in meine abenteuerliche Vermummung, nahm die Pike und das Horn zur Hand, ging in die Finsterniß hinaus und rief die Stunde ab, nachdem ich mich durch ein Kreuz gegen die boͤsen Geister geschuͤtzt hatte. Es war eine von jenen unheimlichen Naͤch- ten, wo Licht und Finsterniß schnell und selt- sam mit einander abwechselten. Am Himmel flogen die Wolken, vom Winde getrieben, wie wunderliche Riesenbilder voruͤber, und der Mond erschien und verschwand im raschen 1 Wechsel. Unten in den Straßen herrschte Todtenstille, nur hoch oben in der Luft hauste der Sturm, wie ein unsichtbarer Geist. Es war mir schon recht, und ich freute mich uͤber meinen einsam wiederhallenden Fuß- tritt, denn ich kam mir unter den vielen Schlaͤ- fern vor wie der Prinz im Maͤhrchen in der bezauberten Stadt, wo eine boͤse Macht jedes lebende Wesen in Stein verwandelt hatte; oder wie ein einzig Uebriggebliebener nach ei- ner allgemeinen Pest oder Suͤndfluth. Der letzte Vergleich machte mich schaudern, und ich war froh ein einzelnes mattes Laͤmp- chen noch hoch oben uͤber der Stadt auf ei- nem freien Dachkaͤmmerchen brennen zu sehen. Ich wußte wohl, wer da so hoch in den Luͤften regierte; es war ein verungluͤckter Poet, der nur in der Nacht wachte, weil dann seine Glaͤubiger schliefen, und die Musen allein nicht zu den letzten gehoͤrten. Ich konnte mich nicht entbrechen folgende Standrede an ihn zu halten: „O du, der du da oben dich herumtreibst, „ich verstehe dich wohl, denn ich war einst „deinesgleichen! Aber ich habe diese Beschaͤf- „tigung aufgegeben gegen ein ehrliches Hand- „werk, das seinen Mann ernaͤhrt, und das „fuͤr denjenigen, der sie darin aufzufinden „weiß, doch keinesweges ganz ohne Poesie ist. „Ich bin dir gleichsam wie ein satirischer „Stentor in den Weg gestellt, und unterbreche „deine Traͤume von Unsterblichkeit, die du da „oben in der Luft traͤumst, hier unten auf „der Erde regelmaͤßig durch die Erinnerung „an die Zeit und Vergaͤnglichkeit. Nachtwaͤch- „ter sind wir zwar beide; schade nur daß dir „deine Nachtwachen in dieser kalt prosaischen „Zeit nichts einbringen, indeß die meinigen „doch immer ein Uebriges abwerfen. Als ich „noch in der Nacht poesirte, wie du, mußte „ich hungern, wie du, und sang tauben Oh- „ren; das letzte thue ich zwar noch jetzt, aber „man bezahlt mich dafuͤr. O Freund Poet, „wer jezt leben will, der darf nicht dichten! „Ist dir aber das Singen angebohren, und „kannst du es durchaus nicht unterlassen, nun „so werde Nachtwaͤchter, wie ich, das ist noch „der einzige solide Posten wo es bezahlt wird, „und man dich nicht dabei verhungern laͤßt.— „Gute Nacht, Bruder Poet.“ Ich blickte noch einmal hinauf, und ge- wahrte seinen Schatten an der Wand, er war in einer tragischen Stellung begriffen, die eine Hand in den Haaren, die andre hielt das Blatt, von dem er wahrscheinlich seine Un- sterblichkeit sich vorrezitirte. Ich stieß ins Horn, rief ihm laut die Zeit zu, und ging meiner Wege.— Halt! dort wacht ein Kranker — auch in Traͤumen, wie der Poet, in wahren Fieber- traͤumen! Der Mann war ein Freigeist von jeher, und er haͤlt sich stark in seiner letzten Stunde, wie Voltaire. Da sehe ich ihn durch den Ein- schnitt im Fensterladen; er schaut blaß und ru- hig in das leere Nichts, wohin er nach einer Stunde einzugehen gedenkt, um den traum- losen Schlaf auf immer zu schlafen. Die Ro- sen des Lebens sind von seinen Wangen abge- fallen, aber sie bluͤhen rund um ihn auf den Gesichtern dreier holder Knaben. Der juͤngste droht ihm kindlich unwissend in das blasse starre Antlitz, weil es nicht mehr laͤcheln will, wie sonst. Die andern beiden stehen ernst be- trachtend, sie koͤnnen sich den Tod noch nicht denken in ihrem frischen Leben. Das junge Weib dagegen mit aufgeloͤßtem Haar und offner schoͤner Brust, blickt verzwei- felnd in die schwarze Gruft, und wischt nur dann und wann den Schweiß, wie mechanisch von der kalten Stirn des Sterbenden. Neben ihm steht, gluͤhend vor Zorn, der Pfaff mit aufgehobenem Kruzifixe, den Frei- geist zu bekehren. Seine Rede schwillt maͤch- tig an wie ein Strom, und er mahlt das Jenseits in kuͤhnen Bildern; aber nicht das schoͤne Morgenroth des neuen Tages und die aufbluͤhenden Lauben und Engel, sondern, wie ein wilder Hoͤllenbreugel, die Flammen und Abgruͤnde und die ganze schaudervolle Unter- welt des Dante. Vergebens! der Kranke bleibt stumm und starr, er sieht mit einer fuͤrchterlichen Ruhe ein Blatt nach dem andern abfallen, und fuͤhlt wie sich die kalte Eisrinde des Todes hoͤher und hoͤher zum Herzen hinaufzieht. Der Nachtwind pfiff mir durch die Haare und schuͤttelte die morschen Fensterladen, wie ein unsichtbarer herannahender Todesgeist. Ich schauderte, der Kranke blickte ploͤtzlich kraͤftig um sich, als gesundete er rasch durch ein Wun- der und fuͤhlte neues hoͤheres Leben. Dieses schnelle leuchtende Auflodern der schon verloͤ- schenden Flamme, der sichere Vorbote des na- hen Todes, wirft zugleich ein glaͤnzendes Licht in das vor dem Sterbenden aufgestellte Nacht- stuͤck, und leuchtet rasch und auf einen Augen- blick in die dichterische Fruͤhlingswelt des Glaubens und der Poesie. Sie ist die dop- pelte Beleuchtung in der Corregios Nacht, und verschmilzt den irdischen und himmlischen Strahl zu Einem wunderbaren Glanze. Der Kranke wieß die hoͤhere Hoffnung fest und entschieden zuruͤck, und fuͤhrte dadurch ei- nen großen Moment herbei. Der Pfaff don- nerte ihm zornig in die Seele und mahlte jezt mit Flammenzuͤgen wie ein Verzweifeln- der, und bannte den ganzen Tartarus herauf in die letzte Stunde des Sterbenden. Dieser laͤchelte nur und schuͤttelte den Kopf. Ich war in diesem Augenblicke seiner Fort- dauer gewiß; denn nur das endliche Wesen kann den Gedanken der Vernichtung nicht den- ken, waͤhrend der unsterbliche Geist nicht vor ihr zittert, der sich, ein freies Wesen, ihr frei opfern kann, wie sich die Indischen Wei- ber kuͤhn in die Flammen stuͤrzen, und der Vernichtung weihen. Ein milder Wahnsinn schien bei diesem An- blicke den Pfaffen zu ergreifen, und getreu seinem Karakter redete er jezt, indem ihm das Beschreiben zu ohnmaͤchtig erschien, in der Person des Teufels selbst, der ihm am naͤch- sten lag. Er druͤckte sich wie ein Meister darin aus aͤcht teufelisch im kuͤhnsten Style, und fern von der schwachen Manier des modernen Teufels. Dem Kranken wurde es zu arg. Er wen- dete sich finster weg, und blickte die drei Fruͤh- lingsrosen an, die um sein Bette bluͤheten. Da loderte die ganze heiße Liebe zum letzten- male in seinem Herzen auf, und uͤber das blasse Antlitz flog ein leichtes Roth, wie eine Erinnerung. Er ließ sich die Knaben reichen, und kuͤßte sie mit Anstrengung, dann legte er das schwere Haupt an die hochwallende Brust des Weibes, stieß ein leises, Ach! aus, das mehr Wollust als Schmerz schien, und entschlief liebend im Arm der Liebe. Der Pfaff seiner Teufelsrolle getreu, don- nerte ihm, der Bemerkung gemaͤß, daß das Gehoͤr bei Verstorbenen noch eine laͤngere Zeit reizbar bleibt, in die Ohren, und versprach ihm in seinem eigenen Namen fest und buͤn- dig, daß der Teufel nicht nur seine Seele, sondern auch seinen Leib abfodern wuͤrde. Somit stuͤrzte er fort, und hinaus auf die Gasse. Ich war verwirrt worden, hielt ihn in der Taͤuschung wahrhaft fuͤr den Teufel, und sezte ihm, als er an mir voruͤberfahren wollte, die Pike auf die Brust. „Geh zum Teufel!“ sagte er schnaubend, da besann ich mich und sagte: „Verzeiht, Hochwuͤrdiger, ich hielt euch in einer Art Besessenheit fuͤr ihn selbst, und sezte euch deshalb die Pike, als ein „Gott sei bei uns!“ aufs Herz. Haltet mir’s diesmal zu Gute!“ Er stuͤrzte fort. Ach! dort im Zimmer war die Szene lieb- licher worden. Das schoͤne Weib hielt den blassen Geliebten still in ihren Armen, wie einen Schlummernden; in schoͤner Unwissen- heit ahnte sie den Tod noch nicht, und glaubte, daß ihn der Schlaf zum neuen Leben staͤrken werde — ein holder Glaube, der im hoͤhern Sinne sie nicht taͤuschte. Die Kinder knieten ernst am Bette, und nur der juͤngste bemuͤ- hete sich den Vater zu wecken, waͤhrend die Mutter, ihm schweigend mit den Augen zu- winkend, die Hand auf sein umlocktes Haupt legte. Die Szene war zu schoͤn; ich wandte mich weg, um den Augenblick nicht zu schauen, in dem die Taͤuschung schwaͤnde. Mit gedaͤmpfter Stimme sang ich einen Sterbegesang unter dem Fenster, um in dem noch hoͤrenden Ohre den Feuerruf des Moͤnchs durch leise Toͤne zu verdraͤngen. Den Ster- benden ist die Musik verschwistert, sie ist der erste suͤße Laut vom fernen Jenseits, und die Muse des Gesanges ist die mystische Schwe- ster, die zum Himmel zeigt. So entschlum- merte Jakob Boͤhme, indem er die ferne Mu- sik vernahm, die Niemand, ausser dem Ster- benden hoͤrte. Zweite Nachtwache . D ie Stunde rief mich wieder zu meiner naͤcht- lichen Handthierung; da lagen die oͤden Stra- ßen, wie zugedeckt vor mir, und nur dann und wann flog ein Wetterleuchten luftig und rasch durch sie hin, und weit, weit in der Ferne murmelte es drein wie unverstaͤndlicher Zauberspruch. Mein Poet hatte das Licht ausgeloͤscht, weil der Himmel leuchtete und er dies leztere fuͤr wohlfeiler und poetischer zugleich hielt. Er schauete hoch droben in die Blitze hinein, im Fenster liegend, das weiße Nachthemd offen auf der Brust, und das schwarze Haar strup- pig und unordentlich um den Kopf. Ich erin- nerte mich an aͤhnliche uͤberpoetische Stunden, wo das Innere Sturm ist, der Mund im Donner reden, und die Hand statt der Feder den Blitz ergreifen moͤchte, um damit in feu- rigen Worten zu schreiben. Da fliegt der Geist von Pole zu Pole, glaubt das ganze Univer- sum zu uͤberfluͤgeln, und wenn er zulezt zur Sprache kommt — so ist es kindisch Wort, und die Hand zerreißt rasch das Papier. Ich bannte diesen poetischen Teufel in mir, der am Ende immer nur schadenfroh uͤber meine Schwaͤche aufzulachen pflegte, gewoͤhn- lich durch das Beschwoͤrungsmittel der Musik. Jezt pflege ich nur ein paarmal gellend ins Horn zu stoßen, und da geht’s auch voruͤber. Ueberall kann ich allen denen, die sich vor aͤhnlichen poetischen Ueberraschungen wie vor einem Fieber scheuen, den Ton meines Nacht- waͤchterhorns als ein aͤchtes antipoeticum em- pfehlen. Das Mittel ist wohlfeil und von gro- ßer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poesie fuͤr eine Wuth zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterschiede, daß jener diese Wuth vom Himmel und nicht aus dem Narrenhause herleitete. Mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei uͤberall bedenklich, weil es so wenig Verruͤckte mehr giebt, und ein solcher Ueberfluß an Ver- nuͤnftigen vorhanden ist, daß sie aus ihren eigenen Mitteln alle Faͤcher und sogar die Poe- sie besetzen koͤnnen. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umstaͤnden kein Unterkom- men. Ich gehe deshalb auch nur jezt blos noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nacht- waͤchter die meiste Muse habe. — Meinen Beruf zum Humoristen muͤßte ich hier freilich wohl zuvor erst darthun, allein ich lasse mich nicht darauf ein, weil man es uͤberhaupt jezt mit dem Berufe selbst so genau nicht nimmt, und sich dagegen mit dem Rufe allein begnuͤgt. Giebt es doch auch Dichter ohne Beruf, durch den bloßen Ruf — und somit ziehe ich mich aus dem Handel. Eben flammte ein Bliz durch die Luft, da schlichen drei an der Kirchhofsmauer hin wie Karnevalslarven. Ich rief sie an, doch war’s schon wieder Nacht rings um, und ich sah nichts, als einen gluͤhenden Schweif und ein paar feurige Augen, und zu dem fernen Don- ner murmelte eine Stimme in der Naͤhe, wie zu einer Don Juans Begleitung: „Thu was deines Amtes ist, Nachtrabe; aber mische dich nicht ins Geisterwerk!“ Das war mir doch etwas zu arg, und ich warf meine Pike dahin wo die Stimme her kam; eben blizte es wieder — da waren die drei in Luft zerronnen, wie Makbeths Hexen. „Erkennt ihr mich nicht fuͤr einen Geist an;“ — rief ich noch zornig hinterdrein, in der Hoffnung daß sie’s vernaͤhmen — „und doch war ich Poet, Baͤnkelsaͤnger, Marionet- tendirekteur und alles dergleichen Geistreiches nach einander. Ich moͤchte doch Eure Geister gekannt haben im Leben — wenn ihr anders wirklich bereits daraus seid! — ob sich der Meinige mit ihnen nicht haͤtte messen koͤnnen; oder habt ihr einen Zusatz von Geist erhalten nach eurem Tode, wie wir das Beispiel bei manchen großen Maͤnnern erfuhren, die erst nach ihrem Tode beruͤhmt wurden, und deren Schriften durch das lange Liegen an Geist ge- wannen; gleich dem Weine der mit dem zu- nehmenden Alter geistreicher wird.“ — Jezt war ich der Wohnung des exkommuni- zirten Freigeistes bis auf einige Schritte nahe gekommen. Aus der offenen Thuͤr legte sich ein matter Schein in die Nacht hinein, und floß oft seltsam mit dem Wetterleuchten zu- sammen, auch murmelte es vernehmlicher von den fernen Bergen heruͤber, wie wenn das Geisterreich sich ernstlich ins Spiel zu mischen gedaͤchte. Auf der Hausflur war der Todte, der uͤblichen Sitte gemaͤß, offen ausgestellt, um ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen, weil der Pfaff, teuflischen Andenkens, die Weihe verweigert hatte. Der Verstorbene laͤchelte in seinem festen Schlafe daruͤber, oder uͤber seinen eignen thoͤrichten Wahn, den das Jenseits widerlegt hatte, und sein Laͤcheln glaͤnzte wie ein ferner Wiederschein vom Leben uͤber die starren vom Tode verfestigten Zuͤge. Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle, schaute man in eine schwarz behaͤngte Nische; dort knieten unbeweglich die drei Knaben und die blasse Mutter vor einem Altare — die Gruppe der Niobe mit ihren Kindern — in stummes angstvolles Gebet versunken, um 2 Leib und Seele des Verstorbenen dem Teufel, dem der Pfaff sie zugesprochen, zu entreißen. Der Bruder des Abgeschiedenen allein, ein Soldat, hielt im festen sichern Glauben an den Himmel und an seinen eigenen Muth, der es mit dem Teufel selbst aufzunehmen wagte, Wache an dem Sarge. Sein Blick war ruhig und erwartend, und er schaute abwechselnd in das starre Antlitz des Todten und in das Wet- terleuchten, das oft feindlich durch den matten Schein der Kerzen zuckte; sein Saͤbel lag ge- zogen auf der Leiche, und glich mit seinem wie ein Kreuz gestalteten Griffe einer geist- lichen und weltlichen Waffe zugleich. Uebrigens herrschte Todtenstille rings um, und außer dem fernen Murren des Gewitters und dem Knistern der Kerzen vernahm man nichts. So bliebs, bis in einzelnen ernsten Schlaͤ- gen die Klocke Mitternacht ankuͤndigte; — da fuͤhrte ploͤzlich der Sturmwind hoch oben in den Luͤften die Gewitterwolke wie ein naͤcht- liches Schreckbild heruͤber, und bald hatte sie ihr Grabtuch am ganzen Himmel ausgebreitet. Die Kerzen um den Sarg verloͤschten, der Donner bruͤllte zuͤrnend, wie eine aufruͤhreri- sche Macht herunter und rief die festen Schlaͤ- fer auf, und die Wolke spie Flamme auf Flamme aus, wodurch das starre blasse Ant- liz des Todten allein grell und periodisch be- leuchtet wurde. Ich sah jezt, daß der Saͤbel des Soldaten durch die Nacht blizte, und dieser sich muthig zum Kampfe ruͤstete. Es waͤhrte auch nicht lange — die Luft warf Blasen auf, und die drei Makbeths Gei- ster waren ploͤtzlich wieder sichtbar, wie wenn der Sturmwind sie beim Scheitel herangewir- belt haͤtte. Der Blitz beleuchtete verzogene Teufelslarven und Schlangenhaar, und den ganzen hoͤllischen Apparat. Mich faßte in dem Augenblicke der Teufel bei einem Haare, und als sie die Gasse her- auffuhren, mischte ich mich rasch unter sie. Sie stuzten, wie wenn sie auf boͤsen Wegen gingen, uͤber den vierten ungebetenen der zu ihnen stieß. „Nun zum Teufel! Kann der Teufel auch auf guten Wegen gehen!“ rief ich wildlachend aus. „Drum laßt euch nicht ir- ren, daß ich euch auf boͤsen antreffe. Ich bin eures Gleichen, Bruͤder, ich mache mit euch Gemeinschaft!“ — Das brachte sie wahrhaftig in Verlegenheit. Der Eine stieß ein „Gott sei bei uns!“ aus, und kreuzte sich, was mich Wunder nahm, weshalb ich ausrief: „Bruder Teufel fall nicht so hart aus dem Karakter, ich moͤchte sonst beinahe an dir selbst verzweifeln und dich fuͤr einen Heiligen halten, zum mindesten fuͤr einen Geweihten. — Ueberlege ich’s indeß reiflicher, so muß ich dir wohl eher Gluͤck wuͤn- schen, daß du endlich auch das Kreuz verdauet hast, und von Haus aus ein eingefleischter Teufel, dich dem Scheine nach zu einem Hei- ligen ausbildetest!“ An der Sprache mochten sie es endlich weg haben, daß ich nicht einer ihres Gleichen waͤre, und sie fuhren alle drei auf mich ein, und sprachen nun gar in einem aͤcht klerischen Tone von Erkommuniziren, u. d. gl. wenn ich sie in ihrer Handthierung stoͤren wuͤrde. „Sorgt nicht,“ erwiederte ich, „ich habe bisher wahrlich an den Teufel nicht geglaubt, doch seit ich euch gesehen, ist er mir klar wor- den, und ich bin gewiß, daß ihr zunft- faͤhig seid. Macht eure Sachen ab, denn mit der Hoͤlle und der Kirche kann’s kein armer Nachtwaͤchter aufnehmen.“ Dahin fuhren sie, ins Haus hinein. Ich folgte bedenklich nach. Es war ein furchtbares Schauspiel. Blitz und Nacht wechselten Schlag auf Schlag. Jezt war es hell und man sah das Handgemenge der drei um den Sarg und das Blitzen des Saͤbels in der Hand des eisenfesten Kriegs- mannes, dazwischen schauete der Todte mit seinem blassen starren Gesichte unbeweglich wie eine Larve. Dann war es wieder tiefe Nacht, und nur fern, im Hintergrunde der Nische ein matter Schimmer und die knieende Mutter mit den drei Kindern rang im verzweifelnden Ge- bet. Es ging alles still und ohne Worte zu; aber jezt krachte es auf einmal zusammen, wie wenn der Teufel die Oberhand erhielte. Die Blitze wurden sparsamer und es blieb laͤngere Zeit Nacht. Nach einem Weilchen indeß fuh- ren zwei rasch zur Thuͤr heraus, und ich sah es durch die Finsterniß bei dem Leuchten ihrer Augen — sie trugen wirklich einen Todten mit sich fort. Da stand ich, in mich hineinfluchend vor der Thuͤr; auf der Flur war es ganz finster, keine Seele regte sich, und ich glaubte auch dem wackeren Kriegsmanne, zum mindesten, den Hals gebrochen. In diesem Augenblicke flammte ein heftiger Blitz, mit dem sich die Gewitterwolke voͤllig entlud, und blieb, gleichsam wie eine aufge- pflanzte Fackel, eine zeitlang in der Luft, ohne zu verloͤschen. Da sah ich den Soldaten wieder ruhig und kalt am Sarge stehen, und die Leiche laͤchelte wie zuvor — aber, o Wun- der! dicht neben dem laͤchelnden Todtenantlitze grinsete eine Teufelslarve, und der Rumpf fehlte zum Ganzen, und ein purpurrother Blutstrom faͤrbte das weiße Sterbegewand des schlafenden Freigeistes. — Schaudernd wickelte ich mich in meinen Mantel, vergaß es, zu blasen und die Stunde abzusingen und floh meiner Huͤtte zu. Dritte Nachtwache . W ir Nachtwaͤchter und Poeten kuͤmmern uns um das Treiben der Menschen am Tage, in der That wenig; denn es gehoͤrt zur Zeit zu den ausgemachten Wahrheiten: Die Menschen sind wenn sie handeln hoͤchst alltaͤglich und man mag ihnen hoͤchstens wenn sie traͤumen einiges Interesse abgewinnen. Aus diesem Grunde erfuhr ich denn auch von dem Ausgange jener Begebenheit nur Un- zusammenhaͤngendes, das ich eben so unzu- sammenhaͤngend mittheilen will. Ueber den Kopf zerbrach man sich am mei- sten die Koͤpfe, war es doch kein gewoͤhnlicher, sondern ein wahrhaftes Teufelshaupt. Die Justiz, der es vorgelegt wurde, wies die Sache von sich, indem sie aͤußerte, daß die Koͤpfe eben nicht in ihr Fach schluͤgen. Es war in der That ein boͤser Handel und man gerieth sogar in Streit daruͤber, ob man gegen den Soldat criminaliter verfahren, indem er einen Todschlag begangen, oder ihn vielmehr kanonisiren muͤsse, weil der Erschlagene der Teufel. Aus dem leztern entsprang wieder ein neues Uebel; es wurde nemlich in meh- reren Monaten keine Absolution mehr begehrt, weil man den Teufel jezt geradezu laͤugnete und sich auf den in Verwahrung genommenen Kopf berief. Die Pfaffen schrien sich von den Kanzeln heiser und behaupteten ohne weiteres, daß ein Teufel auch ohne Kopf bestehen koͤnne, wovon sie Beweisgruͤnde, aus ihren eigenen Mitteln, anzufuͤhren, erboͤthig waͤren. Aus dem Kopfe selbst konnte man in der That nicht ganz klug werden. Die Physiogno- mie war von Eisen; doch ein Schloß, das sich an der Seite befand, fuͤhrte fast auf die Ver- muthung, daß der Teufel noch ein zweites Gesicht unter dem ersten verborgen haͤtte, wel- ches er vielleicht nur fuͤr besondere Festtage aufsparte. Das Schlimmste war, daß zu dem Schlosse, und also auch zu diesem zweiten Ge- sichte, der Schluͤssel fehlte. Wer weiß was sonst fuͤr fruchtbare Bemerkungen uͤber Teufels- physiognomien haͤtten gemacht werden koͤnnen, da hingegen das erste nur ein bloßes Alltags- gesicht war, das der Teufel auf jedem Holz- schnitte fuͤhrt. In dieser allgemeinen Verwirrung und bei der Ungewißheit, ob man ein aͤchtes Teufels- haupt vor sich habe, wurde beschlossen, daß der Kopf dem Doktor Gall in Wien zugesandt wuͤrde, damit er die untruͤglichen satanischen Protuberanzen an ihm aufsuchen moͤchte; jezt mischte sich ploͤtzlich die Kirche ins Spiel, und erklaͤrte daß sie bei solchen Entscheidungen als die erste und lezte Instanz anzusehen sei, sie ließ sich den Schaͤdel ausliefern, und wie es bald darauf hieß, war er verschwunden, und mehrere der geistlichen Herren wollten in der Nachtstunde den Teufel selbst gesehen haben, wie er den ihm fehlenden Kopf wieder mit sich nahm. Somit blieb die ganze Sache so gut, wie unaufgeklaͤrt, um so mehr, da der einzige, der allenfalls noch einiges Licht haͤtte geben koͤn- nen, jener Pfaff nemlich, der das Anathema uͤber den Freigeist aussprach, an einem Schlag- flusse ploͤtzlich Todes verfahren war. So sagte es wenigstens das Geruͤcht und die Klosterher- ren; denn den Leichnam selbst hatte kein Pro- faner gesehen, weil er, der warmen Jahrszeit wegen, schnell beigesetzt werden mußte. Die Geschichte ging mir waͤhrend meiner Nachtwache sehr im Kopfe herum, denn ich hatte bis jezt nur an einen poetischen Teufel geglaubt, keinesweges aber an den wirklichen. Was den poetischen anbetrifft, so ist es gewiß sehr schade, daß man ihn jezt so aͤußerst ver- nachlaͤssiget, und statt eines absolut boͤsen Prinzips, lieber die tugendhaften Boͤsewichter, in Ifland- und Kotzebuescher Manier, vorzieht, in denen der Teufel vermenschlicht, und der Mensch verteufelt erscheint. In einem schwan- kenden Zeitalter scheut man alles Absolute und Selbststaͤndige; deshalb moͤgen wir denn auch weder aͤchten Spaß, noch aͤchten Ernst, weder aͤchte Tugend noch aͤchte Bosheit mehr leiden. Der Zeitkarakter ist zusammengeflikt und ge- stoppelt wie eine Narrenjakke, und was das Aergste dabei ist — der Narr, der darin stekt, moͤgte ernsthaft scheinen. — Als ich diese Betrachtungen anstellte, hatte ich mich in eine Nische vor einen steinernen Crispinus gestellt, der eben einen solchen grauen Mantel trug, als ich. Da bewegten sich ploͤzlich eine weibliche und eine maͤnnliche Gestalt dicht vor mir und lehnten sich fast an mich, weil sie mich fuͤr den Blind- und Taub- stummen von Stein hielten. Der Mann ließ es sich recht angelegen sein im rhetorischen Bombast, und sprach in einem Athem von Liebe und Treue; das Frauenbild dagegen zweifelte glaͤubig, und machte viel kuͤnstlichen Haͤnderingens. Jezt berief sich der Mann keklich auf mich, und schwur er stehe unwandelbar und unbeweglich wie das Stand- bild. Da wachte der Satyr in mir auf, und als jener die Hand gleichsam zur Betheuerung auf meinen Mantel legte, schuͤttelte ich mich boshaft ein wenig, woruͤber beide erstaunten; doch der Liebhaber nahms auf die leichte Ach- sel, und meinte der Quader unter dem Stand- bilde habe sich gesenkt, wodurch es das Gleich- gewicht in etwas verlohren. Er verschwur jezt nacheinander in zehn Ka- raktern aus den neuesten Dramen und Tragoͤ- dien seine Seele, wenn er jemals treulos; zu- lezt redete er gar noch in der Manier des Don Juan, dem er diesen Abend beigewohnt hatte, und schloß mit den bedeutenden Wor- ten: „dieser Stein soll als furchtbarer Gast erscheinen bei unserm naͤchtlichen Mahle, meine ich’s nicht redlich. “ Ich merkte mir’s und hoͤrte nun noch wie sie ihm das Haus beschrieb, und eine geheime Feder an der Thuͤr, wodurch er diese oͤffnen koͤnne, zugleich auch die Mitternachtstunde zum Gastmale festsezte. Ich war eine halbe Stunde fruͤher auf dem Plaze, fand das Haus, die Thuͤr, nebst der geheimen Feder, und schlich leise mehrere Hin- tertreppen hinauf bis zu einem Saale, auf dem es daͤmmerte. Das Licht fiel durch zwei Glasthuͤren; ich nahete mich der einen, und erblickte ein Wesen in einem Schlafrocke am Arbeitstische, von dem ich anfangs zweifelhaft blieb, ob es ein Mensch oder eine mechanische Figur sey, so sehr war alles Menschliche an ihm verwischt, und nur bloß der Ausdruck von Arbeit geblieben. Das Wesen schrieb, in Ak- tenstoͤße vergraben, wie ein lebendig einge- scharrter Laplaͤnder. Es kam mir vor als wollte es das Treiben und Hausen unter der Erde schon im Voraus, uͤber ihr, kosten, denn alles Leidenschaftliche und Theilnehmende war auf der kalten hoͤlzernen Stirne ausge- loͤscht, und die Marionette saß, leblos auf- gerichtet, in dem Aktensarge voll Buͤcherwuͤr- mer. Jezt wurde der unsichtbare Drath gezo- gen, da klapperten die Finger, ergriffen die Feder und unterzeichneten drei Papiere nach einander; ich blickte schaͤrfer hin — es waren Todesurtheile. Auf dem Tische lagen der Ju- stinian und die Halsordnung, gleichsam die per- sonifizirte Seele der Marionette. Tadeln konnte ich’s nicht; aber der kalte Gerechte kam mir vor wie die mechanische Todesmaschine, die willenlos niederfaͤllt; sein Arbeitstisch wie die Gerichtsstaͤte, auf der er in einer Minute mit drei Federzuͤgen drei Todesurtheile vollstreckt hatte. Beim Himmel haͤtte ich die Wahl zwischen beiden, lieber waͤre ich der lebende Suͤnder, als dieser todte Gerechte. Noch mehr ergriff es mich, als ich sein wohlgetroffenes in Wachs bossirtes Konterfei ihm unbeweglich gegenuͤber sitzen sah, als waͤre es an einem leblosen Exemplare nicht genug, und eine Doublette noͤthig, um die todte Sel- tenheit von zwei verschiedenen Seiten zu zeigen. Jezt trat die Dame von vorhin ein, und die Marionette zog die Muͤtze ab, und legte sie aͤngstlich erwartend bei sich hin. „Noch nicht schlafen gegangen?“ sagte jene, „was fuͤhren Sie fuͤr ein wildes Leben! die Phan- tasie ewig angespannt!“ — „Phantasie?“ fragte er verwundert, „was meinen Sie da- mit? Ich verstehe die neuen Terminologien so selten, in denen Sie jezt reden.“ — „Weil Sie sich fuͤr nichts hoͤheres interessiren; nicht einmal fuͤr das Tragische!“ — „Tra- gisch? Ei allerdings!“ antwortete er selbstge- faͤllig, „sehen Sie hier, ich lasse drei Delin- quenten hinrichten!“ — „O weh, welche Sen- timents!“ — „Wie? Ich dachte Ihnen eine Freude damit zu machen, weil in den Buͤchern die Sie lesen, so viele ums Leben kommen. Deshalb habe ich auch, um Sie zu uͤberraschen, die Hinrichtungen an Ihrem Geburtstage fest- gesezt!“ — „Mein Gott! Meine Nerven!“ — „O weh, Sie bekommen den Zufall jezt so haͤufig, daß mir jedesmal bang im Voraus wird!“ „Ach ja, Sie koͤnnen leider dabei nicht helfen. Gehen Sie nur, ich bitte, und legen Sie sich schlafen!“ Das Gespraͤch war zu Ende, und er ging, indem er sich den Schweiß von der Stirn 3 trocknete. Ich beschloß in dem Augenblicke teuflisch genug, ihm noch, wo moͤglich, diese Nacht seine Fran in die hochnothpeinliche Hals- gerichtsordnung auszuliefern, damit er Macht uͤber sie erhielte. Es waͤhrte nun auch gar nicht lange, als mein Mars zu seiner Venus schlich. Mir fehlte zum Vulkan, da ich von Natur hinkte, und nicht zum Besten aussah, eben wenig mehr, als das goldne Nez, indeß beschloß ich, in Ermangelung dessen, einige goldene Wahr- heiten und Sittenspruͤchlein anzuwenden. An- faͤnglich ging es ganz leidlich zu; mein Bur- sche suͤndigte blos an der Poesie durch eine zu materielle Tendenz seiner Schilderungen; er malte einen Himmel voll Nymphen und sich nekkender Liebesgoͤtter an den Betthimmel un- ter dem er zu ruhen gedachte, den Weg da- hin bestreute er mit Vexirrosen, die er zahl- reich in zierlichen Redefloskeln von sich warf, und die Dornen die ihm dann und wann die Fuͤße verwunden wollten, umging er durch leichte frivole Wendungen. Als der Suͤnder sich nun aber so in ein poetisches Element versezt, und die Moral voͤllig, dem Geiste der neuesten Theorien ge- maͤß, abgewiesen hatte, der gruͤnseidne Vor- hang vor der Glasthuͤr herabrollte, und das Ganze ein Gardinenstuͤck zu werden begann, wandte ich rasch mein antipoeticum an, und stieß gellend in das Nachtwaͤchterhorn, worauf ich mich auf ein leeres Piedestal, das fuͤr die Statue der Gerechtigkeit, die bis jezt noch in der Arbeit, bestimmt war, schwang, und still und unbeweglich stehen blieb. Der furchtbare Ton hatte die beiden aus der Poesie, und den Ehemann aus dem Schlafe geschreckt, und alle drei eilten ploͤzlich zu glei- cher Zeit aus zwei verschiedenen Thuͤren. „Der steinerne Gast“ rief der Liebhaber schaudernd, indem er mich erblickte; „Ah, meine Gerechtigkeit!“ der Ehemann, „ist sie endlich fertig geworden; wie unerwartet hast du mich dadurch uͤberrascht, Liebchen!“ — „Reiner Irrthum,“ sagte ich, „die Ge- rechtigkeit liegt noch immer druͤben beim Bild- hauer, und ich habe mich nur provisorisch auf das Piedestal gestellt, damit es, bei besonders wichtigen Gelegenheiten, nicht ganz leer sey. Es bleibt zwar immer mit mir nur ein Noth- behelf, denn die Gerechtigkeit ist kalt wie Marmor, und hat kein Herz in der steinernen Brust, ich aber bin ein armer Schelm voll sentimentaler Weichlichkeit, und gar dann und wann etwas poetisch gestimmt; indeß, bei ge- woͤhnlichen Faͤllen fuͤr das Haus mag ich im- mer gut genug seyn, und wenn es Noth thut, einen steinernen Gast abgeben. Solche Gaͤste haben das fuͤr sich, daß sie nicht mitessen und auch nicht warm werden, wo es Schaden bringen koͤnnte, dagegen die andern leicht Feuer fangen, und es dem Hausherrn vor der Stirn heiß machen, wie mir das Beispiel nahe liegt.“ „Ei, ei, mein Gott, was ist denn das?“ stammelte der Ehemann. „Daß die Stummen zu reden anfangen, meinen Sie? das fließt aus der Frivolitaͤt des Zeitalters. Man sollte nie den Teufel an die Wand malen. Unsere jungen Herren von Welt setzen sich aber daruͤber hinaus, und miß- brauchen dergleichen bei schwachen Seelen, um sich von der heroischen Seite zu zeigen. Da habe ich nun meinen Mann beim Worte ge- nommen, ob ich gleich eigentlich nicht hieher gehoͤre, sondern draußen auf dem Markte stehe im grauen Mantel als heiliger Crispinus von Stein.“ „Du Gott, was soll man davon denken!“ fuhr jener beaͤngstet fort, „es ist gar nicht in der Ordnung, und ein unerhoͤrter Fall!“ „Fuͤr den Rechtsgelehrten gewiß! dieser Crispinus war nemlich ein Schuster, legte sich aber aus besonderer Froͤmmigkeit und einem wirklichen Ueberflusse von Tugend auf die Die- berei, und stahl das Leder, um den Armen Schuhe daraus zu machen. Was laͤßt sich da entscheiden, reden Sie selbst! Ich sehe keinen andern Ausweg, als ihn zuerst zu haͤngen, und nachher zu kanonisiren. Aus aͤhnlichen Gruͤn- den muͤßte man z. B. gegen Ehebrecher verfah- ren, die bloß um den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, gegen die Gesetze verstoßen; der animus ist hier offenbar ein loͤblicher, und darauf kommts doch hauptsaͤchlich an. Wie manche Frau wuͤrde nicht ihren Mann zu Tode quaͤlen, wenn nicht ein solcher Hausfreund sich einfaͤnde, und aus reiner Moralitaͤt zum Schurken wuͤrde. Hier stehe ich eigentlich an meinem Thema, und wir koͤnnen nun in Gottes Namen die hochnothpeinliche Halsge- richtsordnung aufschlagen. — Doch ich sehe daß die Inquisiten bereits beide in Ohnmacht liegen; da muͤssen wir im Prozesse eine Pause machen!“ „Inquisiten?“ fragte der Ehemann mecha- nisch. „Ich sehe keine, die dort ist meine Ehehaͤlfte!“ — „Schon gut, wir wollen fuͤr’s erste bei ihr stehen bleiben. Ehehaͤlfte! Ganz recht! das heißt: das Kreuz oder die Qual in der Ehe — und wahrhaftig das ist schon eine exemplari- sche Ehe, wo dieses Kreuz nur die Haͤlfte aus- macht. Seyd Ihr nun, als die zweite Haͤlfte, der Ehesegen, so ist Eure Ehe wirklich ein Himmel auf Erden.“ „Der Ehesegen!“ sagte jener mit einem tiefen Seufzer. „Keine sentimentale Randglosse, lieber Freund, werfen wir hier vielmehr einen Blick auf den zweiten Inquisiten, der ebenfalls aus Schrecken, uͤber den steinernen Gast, in Ohn- macht liegt. Wenn wir Personen von Rechts- wegen, Milderungsgruͤnde aus moralischen Prinzipien herleiten duͤrften, so moͤgte ich schon sein Defensor seyn, und wollte wenig- stens die Strafe des Koͤpfens, die die Carolina uͤber ihn verhaͤngt, von ihm abwenden; zumal da bei solchen Schaͤchern das Koͤpfen doch nur in effigie angewandt werden kann, weil bei ihnen, ernstlich genommen, von einem Kopfe nie die Rede ist!“ — „Die Karolina sollte auf einmal so grau- sam geworden seyn!“ sagte jener ganz konfus. „Vorhin schauderte sie doch noch, als ich vom Hinrichten sprach!“ — „Ich verdenke es Euch nicht“ antwortete ich, „daß ihr beide Karolinen mit einander verwechselt; denn Eure lebende Karolina ist, als Ehekreuz und Folter, leicht mit der hoch- nothpeinlichen zu vertauschen, die ebenfalls kei- nen Himmel voll Geigen abhandelt. Ja fast moͤchte ich behaupten, eine solche eheliche sey noch viel aͤrger als die kaiserliche, indem in dieser wenigstens in keinem einzigen Falle von lebenslaͤnglicher Folter die Rede ist.“— „Aber mein Gott, das kann doch nicht so fort gehen!“ sagte er auf einmal wie zu sich kommend. „Man weiß nicht so recht mehr, ob man wacht oder traͤumt; ja ich haͤtte Lust mich zu betasten und zu zwicken, blos um zu sehen, ob ich wachte oder schliefe, wenn ich nicht darauf schwoͤren wollte, vorher wirklich den Nachtwaͤchter gehoͤrt zu haben!“ — „Ei mein Gott!“ rief ich aus. „Jezt er- wache ich; Ihr habt mich beim Namen geru- fen, und es ist noch mein Gluͤck, daß ich mich gerade nicht zu hoch befinde, etwa auf einem Dache, oder in einer dichterischen Begeisterung, um mir jezt beim Herabfallen den Hals zu brechen. So aber stehe ich gluͤcklicherweise nicht hoͤher, als hier die Gerechtigkeit stehen soll, und da bleibe ich noch menschlich und unter den Menschen. Ihr starrt mich an, und koͤnnt Euch nicht darin finden; doch will ich’s Euch sogleich loͤsen. Ich bin Nachtwaͤchter hier, und zugleich Nachtwandler, wahrscheinlich weil sich beide Funktionen in Einer Person vorstehen lassen. Wenn ich nun als Nachtwaͤch- ter mein Amt verrichte, so kommt mir oft die Lust an als Nachtwandler mich auf scharfe Spitzen, wie auf Dachspitzen oder andere kriti- sche Stellen in dieser Art zu begeben; und so bin ich denn auch wahrscheinlich hier auf das Piedestal der Themis gekommen. Es ist eine verzweifelte Laune, die mich noch um den Hals bringen kann; indeß fuͤgte es sich doch oft, daß ich dadurch die guten Einwohner dieser Stadt auf eine eigene Weise vor Diebstaͤhlen gesi- chert habe, eben weil ich in alle Winkel zu kriechen pflege, und das gerade die unschaͤd- lichsten Diebe sind, die ihr Handwerk nur draußen herum an den Laͤden mit Brechstan- gen exerciren. Dieser Punkt glaub ich, ent- schuldigt mich; und somit gehe es Euch wohl!“ Ich entfernte mich, und ließ den Ehemann und die andern beiden, die nun auch wieder zu sich gekommen waren, erstaunt zuruͤck. Wie sie nachher sich noch mit einander unterhalten haben, weiß ich nicht. Vierte Nachtwache . Z u den Lieblingsoͤrtern, an denen ich mich waͤhrend meiner Nachtwachen aufzuhalten pflege, gehoͤrt der Vorsprung in dem alten gothischen Dome. Hier sitze ich bei dem daͤm- mernden Scheine der einzigen immer brennen- den Lampe und komme mir oft selbst wie ein Nachtgeist vor. Der Ort laͤdt zu Betrachtun- gen ein; heute fuͤhrte es mich auf meine eigene Geschichte, und ich blaͤtterte, gleichsam aus Langerweile, mein Lebensbuch auf, das verwirrt und toll genug geschrieben ist. Gleich auf dem ersten Blatte sieht es be- denklich aus, und pagina V handelt nicht von meiner Geburt, sondern vom Schatzgraben. Hier sieht man mystische Zeichen, aus der Kabbala und auf dem erklaͤrenden Holzschnitte einen nicht gewoͤhnlichen Schuhmacher, der das Schuhmachen aufgeben will, um Gold machen zu lernen. Eine Zigeunerin steht da- neben, gelb und unkenntlich und das Haar struppig um die Stirn gezauset; sie unter- richtet ihn im Schatzgraben, giebt ihm eine Wuͤnschelruthe und zeigt auch genau den Ort an, wo er in drei Tagen einen Schatz heben soll. Ich habe heute blos die Laune mich bei den Holzschnitten in dem Buche aufzuhalten, und somit gehe ich zum zweiten Holzschnitte uͤber. Hier ist der Schuhmacher wieder, ohne die Zigeunerin; sein Gesicht ist diesmal dem Kuͤnstler schon weit ausdrucksvoller gelungen. Es hat kraͤftige Zuͤge und zeigt an, daß der Mann nicht blos bei den Fuͤssen stehen geblie- ben, sondern ultra crepidam gegangen ist. Er ist ein satirischer Beitrag zu den Fehlgriffen des Genies, und macht es einleuchtend, wie derjenige, der ein guter Hutmacher geworden waͤre, einen schlechten Schuhmacher abgeben muß, und auch im Gegentheile, wenn man das Beispiel auf den Kopf stellt. — Das Lo- kale ist ein Kreuzweg, die schwarzen Striche sollen die Nacht anschaulich machen und das Zikzak am Himmel einen Blitz bedeuten. Es ist klar, ein anderer ehrlicher Mann von Hand- werke liefe bei solchen Umgebungen davon; un- ser Genie aber laͤßt sich nicht stoͤren. Er hat bereits aus einer Vertiefung eine schwere Truhe gehoben; und ist auch schon daruͤber aus gewesen, sein erobertes Schatzkaͤstlein zu oͤffnen. Doch, o Himmel, sein Inhalt ist wohl nur allein fuͤr den kuriosen Liebhaber ein Schatz zu nennen — denn ich selbst befinde mich leibhaft in dem Kaͤstlein, und zwar ohne alle fahrende Habe, und schon ein ganz fer- tiger Weltbuͤrger. Was mein Schatzgraͤber fuͤr Betrachtungen uͤber seinen Fund angestellt hat, davon steht nichts auf dem Holzschnitte, weil der Kuͤnst- ler die Grenzen seiner Kunst nicht im minde- sten hat uͤberschreiten wollen. Dritter Holzschnitt. Hier ist ein gewiegter Kommentator von Noͤthen. — Auf einem Buche sitze ich, aus einem lese ich; mein Adoptiv-Vater beschaͤf- tigt sich mit einem Schuhe, scheint aber zu- gleich eigenen Betrachtungen uͤber die Unsterb- lichkeit Raum zu geben. Das Buch worauf ich sitze, enthaͤlt Hans Sachsens Fastnachtsspiele, das woraus ich lese, ist Jakob Boͤhmens Mor- genroͤthe, sie sind der Kern aus unserer Haus- bibliothek, weil beide Verfasser zunftfaͤhige Schuhmacher und Poeten waren. Weiter mag ich nicht im Erklaͤren gehen, weil in dem Holzschnitte von meiner eigenen Originalitaͤt zuviel die Rede ist. Ich lese also lieber das hiezugehoͤrige dritte Kapitel. fuͤr mich in der Stille. Es ist von meinem Schuhmacher, der so weit es ging, meinen Le- benslauf selbst fortgefuͤhrt hat, verfaßt, und hebt so an: „Wunderlich wird mir gar oft zu Muthe, wenn ich den Kreuzgang betrachte.“ — Es war nemlich dem Gebrauche gemaͤß, der Ort wo ich gefunden, bei meiner Taufe, zu mir Gevatter geworden. — „Ueber einen gewoͤhn- lichen Leisten kann ich ihn nicht schlagen, denn es ist etwas Ueberschwengliches in ihm, etwa wie in dem alten Boͤhme, der auch schon fruͤh uͤber dem Schuhmachen sich vertiefte und ins Geheimniß verfiel. So auch er; kommen ihm doch ganz gewoͤhnliche Dinge hoͤchst ungewoͤhn- lich vor; wie z.B. ein Sonnenaufgang, der sich doch tagtaͤglich zutraͤgt, und wobei wir an- dern Menschenkinder eben nichts Absonderliches zu denken pflegen. So auch die Sterne am Himmel und die Blumen auf der Erde, die er oft unter einander sich besprechen und gar wundersamen Verkehr treiben laͤßt. Hat er mich doch neulich uͤber einen Schuh gar konfus gemacht, indem er mich anfangs uͤber die Be- standtheile desselben befragte, und als ich ihm darauf Rede und Antwort gegeben hatte, ploͤz- lich uͤber jede einzelne Substanz Aufklaͤrung verlangte, immer hoͤher und hoͤher sich ver- stieg, erst in die Naturwissenschaften, indem er das Leder auf den Ochsen zuruͤck fuͤhrte, dann gar noch weiter bis ich mich zulezt mit meinem Schuhe hoch oben in der Theologie befand und er mir grad heraus sagte daß ich in meinem Fache ein Stuͤmper sei, weil ich ihm darin nicht bis zum lezten Grunde Aus- kunft geben koͤnnte. Ebenfalls nennt er die 4 Blumen oft eine Schrift, die wir nur nicht zu lesen verstaͤnden, desgleichen auch die bun- ten Gesteine. Er hoft diese Sprache noch einst zu lernen, und verspricht dann gar wundersame Dinge daraus mitzutheilen. Oft behorcht er ganz heimlich die Muͤcken oder Fliegen wenn sie im Sonnenschein summen, weil er glaubt sie unterredeten sich uͤber wichtige Gegenstaͤnde, von denen bis jezt noch kein Mensch etwas ahnete: Schwazt er den Gesellen und Lehr- burschen in der Werkstatt dergleichen vor und sie lachen uͤber ihn, so erklaͤrt er sie sehr ernst- haft fuͤr Blinde und Taube, die weder saͤhen noch hoͤrten, was um sie her vorginge. Jezt sizt er Tag und Nacht bei’m Jakob Boͤhme und Hans Sachs, welches zween gar abson- derliche Schuhmacher waren, aus denen auch zu ihrer Zeit niemand klug werden konnte. — Soviel ist mir sonnenklar; ein gewoͤhn- liches Menschenkind ist dieser Kreuzgang nicht, bin ich doch auch auf keine gewoͤhnliche Weise zu ihm gekommen. Nie wird mir der Abend aus dem Sinne kommen, als ich unmuthig uͤber meinen we- nigen Verdienst hier auf dem Dreifuße einge- schlummert war; — daß es gerade ein Drei- fuß sein mußte, soll, wie man mir sagt, nicht ohne Einfluß gewesen sein — es traͤumte mir wie ich einen Schaz faͤnde in einer verschlosse- nen Truhe, doch gebot man mir diese Truhe nicht eher zu oͤffnen, bis ich erwacht sein wuͤrde. Das war alles so deutlich und selbst verstaͤndig, indem Traum und Wachen sich ganz klar von einander unterschieden, daß es mir nie wieder aus dem Kopfe wollte, und ich zulezt mit einer Zigeunerin Bekanntschaft machte, um den Versuch wirklich anzustellen. Es ging alles in der Ordnung; ich hob die Truhe die ich im Traume gesehen, besann mich zuvor, ob ich wirklich wachte, und oͤff- nete sie dann; aber statt des Goldes was ich erwartete, hatte ich dieses Wunderkind aus der Erde gehoben. Anfangs war ich wohl etwas betreten daruͤ- ber, weil solch ein lebendiger Schaz zum min- desten von einem todten begleitet sein muß, wenn ein Uebriges dabei heraus kommen soll, und der Bube war mutternakt, und lachte noch dazu daruͤber, als ich ihn darauf ansah. Als ich mich besonnen hatte, nahm ich indeß die Sache tiefer und hatte meine eigenen Ge- danken dabei, weshalb ich meinen Schaz sorg- sam nach Hause trug. So weit mein ehrlicher Schuhmacher, als ich ploͤzlich durch eine sonderbare Erscheinung unterbrochen wurde. Eine große maͤnnliche Gestalt in einen Mantel gehuͤllt, schritt durch das Gewoͤlbe, und blieb auf einem Grabsteine stehen. Ich schlich mich leise hinter eine Saͤule, wo ich ihr nahe war, da warf sie den Mantel von sich, und ich erblickte hinter schwarzen tief uͤber die Stirne herabtretenden Haaren ein finsteres feindliches Antlitz mit ei- nem suͤdlichen blasgrauen Kolorit. Ich trete immer vor ein fremdes ungewoͤhn- liches Menschenleben mit denselben Gefuͤhlen hin, wie vor den Vorhang hinter dem ein Shakspearsches Schauspiel aufgefuͤhrt werden soll; und am liebsten ist es mir, wenn jenes so wie dieses ein Trauerspiel ist, wie ich denn auch neben dem aͤchten Ernst nur tragischen Spaß leiden mag, und solche Narren wie im Koͤnig Lear; eben weil diese allein wahrhaft kek sind und die Possenreißerei en gros trei- ben und ohne Ruͤcksichten, uͤber das ganze Menschenleben. Die kleinen Wizbolde und gutmuͤthigen Komoͤdienverfasser dagegen, die sich nur blos in den Familien umhertreiben, und nicht, wie Aristophanes, selbst uͤber die Goͤtter sich lustig zu machen wagen, sind mir herzlich zuwider, eben so wie jene schwachen geruͤhrten Seelen, die statt ein ganzes Men- schenleben zu zertruͤmmern, um den Menschen selbst daruͤber zu erheben, sich nur mit der kleinen Quaͤlerei beschaͤftigen, und neben ih- rem Gefolterten den Arzt stehen haben, der ihnen genau die Grade der Tortur bestimmt, damit der arme Schelm, obgleich geradebrecht, doch mit dem Leben zulezt noch davon gehen kann; als ob das Leben das Hoͤchste waͤre, und nicht vielmehr der Mensch, der doch wei- ter geht als das Leben, das grade nur den ersten Akt und den inferno in der divina co- media, durch die, er um sein Ideal zu su- chen, hinwandelt, ausmacht. — Mein Mann, der hier nahe vor mir auf dem Grabsteine kniete, einen blankgeschliffe- nen Dolch, den er aus einer schoͤn gearbeite- ten Scheide gezogen, in der Hand, schien mir aͤcht tragischer Natur zu sein, und fesselte mich in seine Naͤhe. Feuerlaͤrm hatte ich eben nicht Lust zu ma- chen, im Falle er etwas Ernsthaftes unter- nehmen wuͤrde, eben so wenig wollte ich als Vertrauter in der Koulisse stehen, um im fuͤnften Akte bei dem Stichworte zu rechter Zeit bereit zu sein, meinem Helden den Arm zu halten; denn sein Leben kam mir vor gleichsam wie die schoͤn gearbeitete Scheide in seiner Hand, die in der bunten Huͤlle den Dolch verbarg, oder wie der Blumenkorb der Kleopatra, unter dessen Rosen die giftige Schlange lauschte, und wo das Drama des Lebens sich einmal so zusammengestellt hat, muß man die tragische Katastrophe nicht ab- wenden wollen. Ich hatte einen Koͤnig Saul, als ich noch Marionettendirekteur war, dem er aufs Haar glich; auch in allen seinen Manieren — grade solche hoͤlzerne mechanische Bewegungen, und einen so steinernen antiken Stil, wodurch sich Marionettentruppen vor lebenden Schauspie- lern auszeichnen, die heut zu Tage auf un- sern Theatern nicht einmal auf die rechte Weise zu sterben verstehen. Es war schon alles dicht bis zum Nieder- fallen des Vorhangs beendigt, da blieb dem Manne ploͤtzlich der schon zum Todesstoße auf- gehobene Arm erstarrt, und er kniete wie ein steinernes Denkbild auf dem Grabsteine. Zwi- schen der Dolchspitze und der Brust, die sie durchschneiden sollte, war kaum noch einer Spanne weit Raum, und der Tod stand ganz dicht an dem Leben, doch schien die Zeit auf- gehoͤrt zu haben und nicht mehr fortruͤcken zu wollen und der eine Moment zur Ewigkeit ge- worden zu sein, die auf immer alle Veraͤnde- rung aufgehoben. Mir wurde es ganz unheimlich, ich sah er- schrocken hinauf nach dem Zifferblatte der Kir- chenuhr, auch hier stand der Zeiger still und grade auf der Mitternachtszahl. Ich schien mir gelaͤhmt und rings um war alles unbeweg- lich und todt; der Mann auf dem Grabe, der Dohm mit seinen starren hohen Saͤulen und Monumenten und den umher knieenden steinernen Rittern und Heiligen, die unbeweg- lich auf eine neue hereinbrechende Zeit und ein Fortschreiten in derselben, wodurch sie entfesselt wuͤrden, zu harren schienen. Jezt war’s voruͤber, das Raͤderwerk der Uhr machte sich Luft, der Zeiger ruͤckte fort, und der erste Schlag der Mitternachtsstunde hallte langsam durch das oͤde Gewoͤlbe. Da schien, wie durch das Anziehen des Uhrwerks, der Mann auf dem Grabe wieder Bewegung zu erhalten, der Dolch rollte rasselnd auf dem Steine hin, und zerbrach. „Verwuͤnscht sei die Starrsucht,“ sagte er kalt, wie wenn er’s schon gewohnt waͤre, „sie laͤßt mich nie den Stoß vollfuͤhren! —“ Damit stand er, wie, wenn nichts weiter vor- gefallen waͤre, auf, und wollte sich wieder entfernen. „Du gefaͤllst mir,“ rief ich, „es ist doch Haltung in deinem Leben, und aͤchte tragische Ruhe. Ich liebe die große klassische Wuͤrde im Menschen, die viel Worte haßt, wo viel gethan werden soll; und ein solcher salto mortale, wie der, zu dem du eben bereit warst, ist doch nichts kleines, und gehoͤrt zu den Forçestuͤcken, die man, bis zulezt, aufspart.“ — „Kannst du mir zu dem Sprunge verhel- fen,“ sagte er finster, „so ist’s gut; sonst bemuͤhe dich nicht weiter in Lobspruͤchen und Bemerkungen. Ueber die Kunst zu leben ist mehr als zuviel geschrieben, doch suche ich noch immer einen Traktat, uͤber die Kunst zu ster- ben, vergeblich; und ich kann nicht ster- ben!“ — „O besaͤßen doch dieses dein Talent manche von unsern beliebten Schriftstellern!“ rief ich aus, „Ihre Werke koͤnnten dann immerhin Ephemeren bleiben, waͤren sie selbst doch un- sterblich, und koͤnnten ihre ephemerische Schrift- stellerei ewig fortsetzen, und bis zum juͤngsten Tage beliebt bleiben. Leider aber kommt fuͤr sie die Stunde nur zu fruͤh, in der sie und ihre Eintagsfliegen mit ihnen sterben muͤssen. — O Freund, koͤnnte ich dich doch in diesem Augenblicke zu einem Kozebue erheben, dieser Kozebue ginge dann nie unter, und selbst am Ende aller Dinge laͤgen noch seine lezten Werke in dem Hogarthschen Schwanzstuͤcke, und die Zeit koͤnnte ihre lezte Pfeife die sie da raucht, mit einer Szene aus seinem lezten Drama anbrennen, und so begeistert, in die Ewigkeit uͤbergehen!“ Der Mann wollte jetzt still abtreten, und ohne, wie ein schlechter Akteur, noch zum Schlusse eine gewaltige Tirade zu machen; ich aber hielt ihn bei der Hand, und sagte: „Nicht so eilig, Freund, ist es doch nicht noͤthig, da du immer Zeit hast, so lange nur uͤberhaupt von der Zeit selbst die Rede sein kann; denn aus deinen Worten zu schließen, halte ich dich fuͤr den ewigen Juden, der, weil er das Un- sterbliche laͤsterte, zur Strafe schon hier unten unsterblich geworden ist, wo alles um ihn her vergeht. Du siehst finster, du einziger Mensch, dessen Leben der Zeiger der Zeit, der als ein scharfes, nie im Morden innehaltendes Schwerdt, auf dem Zifferblatte umherfliegt, nimmer durchschneiden soll, und der nicht eher vergehen kann, als bis ihr eisernes Raͤderwerk selbst zertruͤmmert. Nimm die Sache von der leichten Seite; denn es ist doch spaßhaft und der Muͤhe werth, dieser großen Tragikomoͤdie der Weltgeschichte bis zum lezten Akte als Zu- schauer beizuwohnen, und du kannst dir zulezt das ganz eigne Vergnuͤgen machen, wenn du am Ende aller Dinge uͤber der allgemeinen Suͤndfluth auf dem lezten hervorragenden Berggipfel als einzig Uebriggebliebener stehst, das ganze Stuͤck, auf deine eigene Hand, aus- zupfeifen, und dich dann wild und zornig, ein zweiter Prometheus, in den Abgrund zu stuͤrzen.“ „Pfeifen will ich,“ sagte der Mann trozig, „haͤtte mich nur der Dichter nicht selbst mit ins Stuͤck verflochten als handelnde Person; das verzeih ich ihm nimmer!“ „Um so besser!“ rief ich, „da giebt es wohl gar noch zu guter lezt eine Revolte im Stuͤcke selbst, und der erste Held empoͤrt sich gegen seinen Verfasser. Ist das doch auch in der, der großen Weltkomoͤdie nachgeaͤfften kleinen nicht selten, und der Held waͤchst am Ende dem Dichter uͤber den Kopf, daß er ihn nicht mehr bezwingen kann. — O ich haͤtte wohl Lust deine Geschichte anzuhoͤren, du ewig Reisender, um daruͤber mich auszuschuͤtten vor Lachen; wie ich denn oft bei einer aͤchten ern- sten Tragoͤdie brav zu lachen pflege, und im Gegentheile beim guten Possenspiele dann und wann weinen muß, indem das wahrhaft Kuͤhne und Große immer zugleich von den beiden entgegengesetzten Seiten aufgefaßt werden kann!“ — „Ich verstehe dich, Spaßvogel,“ sagte der Mann! „Bin auch gerade jezt wild genug um zu lachen, und dir meine Geschichte zu erzaͤhlen. Doch, beim Himmel, laß dir keine ernste Miene dabei entwischen, sonst machst du mich in dem Augenblicke stumm!“ — „Sorge nicht, Kamerad, ich lache mit,“ antwortete ich, und jener sezte sich unter eine steinerne, am Grabe betende Ritterfamilie, und hub an: „Es ist, du mirst mir’s zugeben, verdammt langweilig, seine eigene Geschichte von Perio- den zu Perioden, so recht gemuͤthlich, aufzu- rollen; ich bringe sie deshalb lieber in Hand- lung, und fuͤhre sie als ein Marionettenspiel mit dem Hanswurst auf; da wird das Ganze anschaulicher und possirlicher. Zuerst giebt es eine Mozartsche Sympho- nie von schlechten Dorfmusikanten exekutirt, das paßt so recht zu einem verpfuschten Leben, und erhebt das Gemuͤth durch die großen Ge- danken, indem man zugleich bei dem Gekrazze des Teufels werden moͤgte. — Dann kommt der Hanswurst, und entschuldigt den Mario- nettendirektor, weil er es wie unser Herrgott gemacht, und die wichtigsten Rollen den talent- losesten Akteuren anvertraut habe; er leitet grade daraus aber auch wieder das Gute her, daß das Stuͤck ruͤhrend ausfallen muͤsse, eben wie es bei großen tragischen Stoffen der Fall sei, die durch kleine gewoͤhnliche Dichter bear- beitet wuͤrden. Ueber das Leben und den Zeitkarakter macht er die hoͤchst albernen Be- merkungen, daß beide jezt mehr ruͤhrend als komisch seyen, und daß man jezt weniger uͤber die Menschen lachen als weinen koͤnne, weshalb er denn auch selbst ein moralischer und ernsthafter Narr geworden, und immer nur im edlen Genre sich zeige, wo er vielen Applaus bekaͤme. Darauf treten die hoͤlzernen Puppen selbst auf; zwei Bruͤder ohne Herzen umarmen sich, und der Hanswurst lacht uͤber das Zusammen- klappern der Arme, und uͤber den Kuß, wo- bei sie die steifen Lippen nicht bewegen koͤnnen. Der eine hoͤlzerne Bruder bleibt im Mario- nettenkarakter, und druͤckt sich unendlich steif aus, macht auch lange trockene Perioden, worin gar kein Leben hinein kommen will, und die deshalb Muster im prosaischen Style abgeben. Die andere Puppe aber moͤchte gern einen le- bendigen Akteur affektiren, und spricht hin und wieder in schlechten Jamben, reimt auch wohl gar zu Zeiten die Endsylben, und der Hans- wurst nikt dabei mit dem Kopfe, und haͤlt eine Rede uͤber die Waͤrme des Gefuͤhls in einer Marionette, und uͤber den eleganten Vortrag bei tragischen Gedichten. — Darauf geben sich die Bruͤder die hoͤlzernen Haͤnde und gehen ab. Der Hanswurst tanzt ein Solo zur Zugabe, und dann redet im Zwischenakte Mozart wieder durch die Dorfmusikanten. Jezt gehts weiter. Zwei neue Puppen treten auf, eine Kolombine mit einem Pagen, der den Sonnenschirm uͤber sie ausspannt; die Kolombine ist die prima donna der Gesellschaft, und ohne Schmeichelei das Meisterstuͤck des Formenschneiders. Wahrhaft griechische Kon- ture, und alles an ihr ins Ideale hinuͤber- gearbeitet. Der eine Bruder kommt, derje- nige, der vorher in Prosa sprach; er erblickt sie, schlaͤgt sich auf die Stelle des Herzens, redet darauf ploͤzlich in Versen, reimt alle Endsylben, oder bringt die Assonanz in A und O an, daß die Kolombine daruͤber erschrickt, und mit dem Pagen davon laͤuft. Jener will ihr nachstuͤrzen, rennt aber, weil der Mario- nettendirektor hier ein Versehen macht, sehr hart gegegen den Hanswurst, der nun, aus dem Stegreife, eine sehr boshafte satirische Rede haͤlt, worin er ihm darthut, daß es seinem Schoͤpfer — dem Marionettendirektor nemlich — nicht gefalle, ihm die Dame zu bestimmen, und daß dadurch eben das Stuͤck recht toll und komisch werden wuͤrde, indem ein melancholi- scher Narr die possirlichste Person in einem Possenspiele abgaͤbe. — Die andere Puppe 5 stoͤßt Fluͤche aus, laͤstert sogar in Verzweiflung auf den Direktor, wobei den Zuschauern vor Lachen die Thraͤnen aus den Augen stuͤrzen. Zulezt faßt sie aber doch noch Hoffnung die Dame wiederzufinden, und beschließt wenig- stens das ganze Theater zu durchsuchen. Der Hanswurst begleitet sie. Im dritten Akte erscheint die Kolombine wieder, und thut sehr schoͤn mit der andern Brudermarionette, sie singen auch ein zaͤrtliches Duett mit einander, und wechseln sodann die Ringe, worauf ein alter geschaͤftiger Pantalon mit Musikanten ankommt, die viel lustige Musik abspielen, wobei man nur allein die Toͤne nicht hoͤrt, was auf die Zuschauer einen sonderbaren Eindruck macht. Zulezt wird bei der stummen Musik getanzt, und der Panta- lon macht recht gute Bemerkungen uͤber sein musikalisches Gehoͤr, vertheidigt auch das Maͤhr- chen, daß die Toͤne am Nordpole gefroͤren, und nur im warmen Suͤden wieder aufthaueten und hoͤrbar wuͤrden. Das Alles ist so sonder- bar, daß man schlechterdings nicht weiß, ob man’s ernsthaft oder lustig nehmen soll; einige gescheute Leute unter den Zuschauern halten’s gar fuͤr toll. Als jene beiden ersten endlich zu Bette ge- gangen sind, kommt der Hanswurst mit dem andern Bruder wieder. Dieser spricht, wie er weite Reisen von einem Pole zum andern ge- macht, und doch die Kolombine nicht gefun- den, weshalb er verzweifeln und sich ums Leben bringen wollte. Der Hanswurst oͤffnet eine Klappe an der Brust der Marionette und findet wirklich jezt zu seinem Erstaunen ein Herz darin, woruͤber er besorgt wird und in der Angst mehrere gescheute Ideen bekommt, z. B. daß Alles in dem Leben, sowohl der Schmerz wie die Freude, nur Erscheinung sei, wobei nur blos das ein boͤser Punkt, daß die Erscheinung selbst nie zur Erscheinung kaͤme, weshalb die Marionetten es denn auch nie- mals ahneten, daß man sie zum Besten haͤtte und blos zum Zeitvertreibe mit ihnen spielte, sondern sich vielmehr sehr ernsthafte und be- deutende Personen duͤnkten. — Er will ihm darauf das Wesen einer Marionette selbst be- greiflich machen, konfundirt sich aber bestaͤndig dabei, und steht nach einer langen sehr drol- ligen Rede wieder am Ende da, wo er anfing. — Nun lachte er in der Stille haͤmisch ins Faͤust- chen und geht ab. — Im vierten Akte treffen die beiden Bruͤder zusammen, und indem der mit dem Herzen redet, werden ploͤtzlich die stummen Toͤne aus dem vorigen Akte hoͤrbar, und begleiten die Worte, woruͤber der Bruder ohne Herz ganz konfus wird. Arlequin kommt nun auch dazu und spottet uͤber die Liebe, weil sie keine he- roische Empfindung sei, und nicht fuͤr das all- gemeine Beste benuzt werden koͤnne. Er for- dert auch den Direktor auf, sie fuͤr die Folge ganz abzuschaffen, und reine moralische Ge- fuͤhle bei seiner Truppe einzufuͤhren. Zulezt dringt er auf eine Revision des Menschenge- schlechts und auf einige hoͤchstnoͤthige Weltre- paraturen; besteht auch sehr trotzig darauf zu wissen, weshalb er den Narren eines ihm un- bekannten Publikums abgeben muͤsse. Nun wird eine tragische Situation sehr schlecht ausgefuͤhrt. Die schoͤne Kolombine er- scheint nemlich, und als der Bruder ohne Herz sie dem andern als seine Gemahlin vor- stellt, faͤllt dieser ohne ein Wort zu sagen, hoͤchst ungeschickt, mit dem hoͤlzernen Kopfe auf einen Stein. Jene beiden laufen fort, um Huͤlfe zu senden; der Hanswurst aber hebt ihn auf und indem er ihm die blutige Stirn abwischt, bittet er ihn ganz gelassen, daß, weil es keine Dinge an sich gaͤbe, er sich den Stein, so wie die ganze Geschichte lieber aus dem Kopfe schlagen moͤge. Auch lobt er den Direktor, daß er das griechische Fatum abge- schaft und dafuͤr eine moralische Theaterord- nung eingefuͤhrt habe, nach der Alles zulezt sich gut aufloͤsen muͤsse. Der lezte Akt ist nun gar zum Todtlachen. Erst werden alberne Walzer gespielt, um die Gemuͤther zu besaͤnftigen; dann erscheint die Marionette mit dem Herzen, und beweiset der Kolombine durch Syllogismen und Sophis- men, daß der Direktor die Puppen vertauscht, und sie, in einem Irrthume, seinem Bruder zur Gemahlin gegeben, da sie doch dem komi- schen Ausgange des Stuͤcks gemaͤß, ihm selbst gehoͤre. Die Kolombine scheint ihm zu glau- ben, will aber doch aus Moralitaͤt und Ach- tung gegen den Marionettendirektor es nicht gehabt haben, worauf er in Verzweiflung ge- raͤth und kurze Anstalt sie zu entfuͤhren macht. Sie stoͤßt ihn veraͤchtlich zuruͤck, da gebehrdet er sich wie ein Rasender, rennt die hoͤlzerne Stirn gegen die Wand, und wendet die Asso- nanz in U an. Zulezt stuͤrzt er fort, und schleudert nur noch den schoͤnen Pagen aus dem zweiten Akte, der eben schlaftrunken, im Nachtkleide, voruͤbergehen will, in das Zim- mer, das er hinter sich zuschließt. Nach einer kurzen Pause erscheint er wie- der mit der Bruder-Marionette, die einen gezogenen Degen in der Hand haͤlt, und nach einer kurzen steifen Tirade, erst den Pagen, dann die Kolombine und endlich sich selbst nieder- stoͤßt. Der Bruder steht ganz stier und dumm unter den drei hoͤlzernen Puppen, die rings umher auf der Erde liegen; dann greift er, ohne ein Wort weiter zu sagen, ebenfalls nach dem Degen, um auch sich selbst, zu guter lezt, hinterherzusenden; doch in diesem Au- genblicke reißt der Drath, den der Direktor zu starr anzieht, und der Arm kann den Stoß nicht vollfuͤhren und haͤngt unbeweglich nieder; zugleich spricht es wie eine fremde Stimme aus dem Munde der Puppe und ruft: „Du sollst ewig leben!“ — Nun erscheint der Hanswurst wieder um ihn zu besaͤnftigen und zu troͤsten, fuͤhrt auch un- ter andern, als er es gar zu arg macht, aͤr gerlich an, wie albern es sei, wenn es ei- ner Marionette einfiele uͤber sich selbst zu re- flektiren, da sie doch blos der Laune des Di- rektors gemaͤß, sich betragen muͤsse, der sie wieder in den Kasten lege, wenn es ihm ge- fiele. Dann sagt er auch manches Gute uͤber die Freiheit des Willens und uͤber den Wahn- sinn in einem Marionettengehirne, den er ganz realistisch und vernuͤnftig abhandelt; alles das um der Puppe zu beweisen, wie toll es eigentlich von ihr sei dergleichen Dinge sehr hoch zu nehmen, indem alles zulezt doch auf ein Possenspiel hinausliefe, und der Hanswurst im Grunde die einzige vernuͤnftige Rolle in der ganzen Farçe abgaͤbe, eben weil er die Farçe nicht hoͤher naͤhme als eine Farçe.“ Hier hielt der Mann einen Augenblick inne, und sagte dann in recht lustig wilder Laune: „Da hast du das ganze Fastnachtsspiel, worin ich selbst den Bruder mit dem Herzen darge- stellt habe. Ich finde es uͤbrigens recht wohl gethan, seine Geschichte so in Holz zu schniz- zen und abzuspielen, man kann dabei recht boshaft sein, ohne daß die Moralisten etwas dagegen einwenden, und es eine Laͤsterung heißen duͤrfen. Auch erscheint alles recht er- haben unmotivirt, wie es doch in den ur- spruͤnglichen Verhaͤltnissen wirklich ist, obgleich wir albernen Menschen im Kleinen gern moti- viren moͤgen, dagegen unser Director es gar nicht thut, und keine Rechenschaft giebt, wes- halb er so manche verpfuschte Rolle, wie ich z. B. eine bin, in seinem Fastnachtsspiele nicht ausstreichen will. O schon seit vielen Men- schenaltern habe ich mich bestrebt aus dem Stuͤcke herauszuspringen, und dem Direktor zu entwischen, aber er laͤßt mich nicht fort, so pfiffig ich es auch anfangen mag. Das Ueber- druͤßigste dabei ist die Langeweile, die ich immer mehr empfinde; denn du sollst wissen, daß ich hier unten schon viele Jahrhunderte als Akteur gedient habe, und eine von den stehenden italienischen Masken bin, die gar nicht vom Theater herunterkommen.“ „Ich hab’s auf alle Weise versucht. An- fangs gab ich mich bei den Gerichten an, als großen Boͤsewicht und dreifachen Moͤrder; sie untersuchten’s und thaten endlich den Aus- spruch: ich muͤsse leben bleiben, indem sich aus meiner Defension ergaͤbe, wie ich nicht in bestimmten und ausdruͤklichen Worten den Mord beauftragt, und er mir nur hoͤchstens als eine geistige Handlung zuzurechnen sei, die nicht vor ein forum extornum gehoͤre. Ich verwuͤnschte meinen Defensor, und die Folge war ein leichter Injurienprozeß, womit man mich laufen ließ.“ „Darauf nahm ich Kriegsdienste, und ver- saͤumte keine Schlacht; doch zeichnete das Schicksal meinen Namen auf keine einzige Kugel, und der Tod umarmte mich auf der großen Wahlstaͤtte unter tausend Sterbenden, und zerriß seinen Lorbeerkranz, um ihn mit mir zu theilen. Ja ich mußte nun gar in dem verhaßten Drama eine glaͤnzende Heldenrolle uͤbernehmen, und verwuͤnschte knirschend meine Unsterblichkeit, die mir auf allen Seiten in den Weg trat.“ „Tausendmal sezte ich den Giftbecher an die Lippen, und tausendmal entstuͤrzte er der Hand, ehe ich ihn leeren konnte. Zu jeder Mitternachtsstunde trete ich, wie die mechani- sche Figur an dem Zifferblatte einer Uhr, aus meiner Verborgenheit hervor, um den To- desstoß zu vollfuͤhren, gehe aber jedesmal, wenn der lezte Schlag verhallt ist, wie sie, zuruͤck, um sofort ins Unendliche wieder zu kehren und abzugehen. O wuͤßte ich nur die- ses immerfort sausende Raͤderwerk der Zeit selbst aufzufinden, um mich hinein zu stuͤrzen und es auseinander zu reißen, oder mich zer- schmettern zu lassen. Die Sehnsucht diesen Vorsaz auszufuͤhren bringt mich oft zur Ver- zweiflung; ja ich mache selbst wie im Wahn- sinne tausend Plane es moͤglich zu machen — dann schaue ich aber ploͤzlich tief in mich selbst hinein, wie in einen unermeßlichen Abgrund, in dem die Zeit, wie ein unterirdischer nie versiegender Strom dumpf dahin rauscht, und aus der finsteren Tiefe schallt das Wort ewig einsam herauf, und ich stuͤrze schaudernd vor mir selbst zuruͤk, und kann mir doch nimmer entfliehen.“ — Hier endete der Mann, und in mir stieg die heiße Sehnsucht auf, dem armen Schlaf- losen das wohlthaͤtige Opium mit eigener Hand zu reichen, und ihm den langen suͤßen Schlaf, nach dem sein heißes uͤberwachtes Auge vergeblich schmachtete, zuzufuͤhren. Doch fuͤrch- tete ich, daß in dem entscheidenden Augen- blicke sein Wahnsinn von ihm weichen koͤnnte, und er, sterbend, das Leben, eben um der Vergaͤnglichkeit willen, wieder liebgewinnen moͤgte. O, aus diesem Widerspruche ist ja der Mensch geschaffen; er liebt das Leben um des Todes willen, und er wuͤrde es hassen, wenn das, was er fuͤrchtet, vor ihm verschwun- den waͤre. So konnte ich nichts fuͤr ihn thun, und uͤberließ ihn seinem Wahnsinn und seinem Schicksale. Fuͤnfte Nachtwache . D ie vorige Nachtwache waͤhrte lange, die Folge war, wie bey Jenem, Schlaflosigkeit, und ich mußte den hellen prosaischen Tag, den ich sonst meiner Gewohnheit gemaͤß, wie die Spa- nier, zur Nacht mache, durchwachen, und mich in dem buͤrgerlichen Leben und unter den vie- len wachen Schlaͤfern langweilen. Da konnte ich nun nichts bessers thun, als mir meine poetisch tolle Nacht in klare lang- weilige Prosa uͤbersetzen, und ich brachte das Leben des Wahnsinnigen recht motivirt und vernuͤnftig zu Papiere, und ließ es zur Lust und Ergoͤzlichkeit der gescheuten Tagwand- ler abdrucken. Eigentlich war es aber nur ein Mittel mich zu ermuͤden, und ich wollte es in dieser Nachtwache mir vorlesen, um nicht zum zweitenmale mit der Prosa und dem Tage mich einlassen zu muͤssen. Das geschieht denn auch nun jezt ganz plan, wie folget: „ Don Juans Vaterland war das heiße gluͤhende Spanien, in dem Baͤume und Men- schen sich weit uͤppiger entfalten und das ganze Leben ein feurigeres Kolorit annimmt. Nur er allein schien wie ein nordischer Felsen in diesen ewigen Fruͤhling versezt zu sein, er stand kalt und unbeweglich da und nur dann und wann lief ein Erdbeben unter ihm hin, daß sie erschraken, und es ihnen unheimlich in seiner Naͤhe wurde. Sein Bruder Don Ponce dagegen war jungfraͤulich mild, und wenn er sprach, bluͤhe- ten seine Worte in Blumen auf und schlangen sich um das Leben, durch das er wie durch ei- nen gruͤn verhuͤllten Zaubergarten hinwandelte. Alle liebten ihn; Juan haßte ihn nicht, aber sein Ausdruck war ihm zuwider, weil er nichts ruhig und groß zu nehmen wußte, sondern alles durch uͤberladene Verzierungen verklei- nerte, und uͤberall seine bunten Schnoͤrkel zu- vor anpinseln mußte, um sich die Dinge ge- faͤllig zu machen, wie schlechte Poeten, die die uͤppig reiche Natur noch zum zweitenmale auszuschmuͤcken versuchen, statt eine neue selbststaͤndige, durch eigene Kraft zu erschaf- fen. Ohne Theilnahme lebten sie bei einander, und wenn sie sich umarmten, so schienen sie wie zwei erstarrte Todte auf dem Bernhard Brust gegen Brust gelehnt, so kalt war es in den Herzen, in denen weder Haß noch Liebe herrschte; nur Ponce hielt ihre unbeweglich laͤchelnde Maske vor das Gesicht und verschwendete viel freund- liche Worte bei einem reinen angenehmen Vortrage ohne genialische Haͤrten und herzliche Rohheit. Juan wurde dann nur sproͤder und zuruͤckstoßender und dieser strenge Norden we- hete feindlich in den milden Suͤden daß die erkuͤnstelten Blumen schnell entblaͤtterten. Das Schicksal schien sich zu erzuͤrnen uͤber die Gleichguͤltigkeit zweier verwandten Herzen; und es warf tuͤckisch Haß und Aufruhr zwischen sie, damit sie, die die Liebe verschmaͤht hat- ten, als zornige Feinde sich einander naͤhern moͤchten. — Es war zu Sevilla als Juan untheilneh- mend einem Stiergefechte beiwohnte. Sein Blick schweif;te von dem Amphitheater ab, uͤber die uͤber einander emporsteigenden Reihen der Zuschauer, und haftete weniger bei der leben- den Menge als den bunten phantastischen Ver- zierungen und den gestickten Teppichen die die Balustraden bedeckten. Endlich wurde er auf eine einzige noch leere Loge aufmerksam, und 6 er starrte mechanisch dahin, wie wenn hier erst der Vorhang des wahren Schauspiels fuͤr ihn sich heben wuͤrde. Nach einer langen Pause erschien eine einzelne ganz in schwarze Schleier gehuͤllte hohe weibliche Gestalt, und hinter ihr ein bildschoͤner Page, der durch den ausge- spannten Sonnenschirm sie vor der Hitze schuͤzte. Sie blieb unbeweglich auf der Tribune stehen, und eben so unbeweglich stand ihr Juan gegen- uͤber; es war ihm als wenn das Raͤthsel sei- nes Lebens hinter diesen Schleiern verborgen waͤre, und doch fuͤrchtete er den Augenblick wenn sie fallen wuͤrden, wie wenn ein bluti- ger Bankos Geist sich daraus erheben sollte. Endlich war der Moment gekommen, und wie eine weiße Lilie bluͤhete eine zauberische weibliche Gestalt aus den Gewaͤndern auf, ihre Wangen schienen ohne Leben und die kaum gefaͤrbten Lippen waren still geschlossen; so glich sie mehr dem bedeutungsvollen Bilde ei- nes wunderbaren uͤbermenschlichen Wesens, als einem irdischen Weibe. Juan fuͤhlte zugleich Entsetzen und heiße wilde Liebe, es verwirrte sich tief in ihm, und ein lauter Schrei war die einzige Aeusserung die seinem Munde entfuhr. Die Unbekannte blickte rasch und scharf nach ihm hin, warf in demselben Augenblicke die Schleier uͤber, und war verschwunden. Juan eilte ihr nach, und fand sie nicht. Er durchstrich Sevilla — vergeblich; Angst und Liebe trieben ihn fort und wieder zuruͤck, doch aber erschien ihm oft in einzelnen schnell voruͤberfliegenden Sekunden der Augenblick in dem er sie finden wuͤrde eben so entsezlich als erwuͤnscht; er bemuͤhete sich diese Ahnung nur ein einzigesmal festzuhalten um sie zu begrei- fen, aber sie rauschte jedesmal wie ein naͤcht- licher Traum schnell an ihm voruͤber, und wenn er sich besann war es wieder dunkel und Alles in seinem Gedaͤchtnisse ausgeloͤscht. — Dreimal hatte er ganz Spanien durchkrei- set, ohne das blasse Antlitz wieder zu treffen, das toͤdtlich und liebend zugleich in sein Leben zu schauen schien; endlich trieb ihn ein un- widerstehliches Heimweh nach Sevilla zuruͤck; und der erste der ihm dort begegnete, war Ponce. Beide Bruͤder schienen vor einander zu er- schrecken, denn beide waren einander fremd bis zum Raͤthsel geworden. Juans Haͤrte war verschwunden und er stand ganz in Flammen wie ein Vulkan, durch dessen tausendjaͤhrige Schichten das innere Feuer sich mit einemmale Luft machte; aber in seiner Naͤhe schien es jezt nur um so gefaͤhrlicher. Ponces ehmalige Milde dagegen war zur Sproͤdigkeit geworden, und er stand kalt neben dem gluͤhenden Bru- der da, aller falscher Flitter war von seinem Leben abgefallen, und er glich einem Baume der seines vergaͤnglichen Fruͤhlingsschmuckes be- raubt, die nackten Aeste starr und verworren in die Luͤfte ausstreckt. — So entzuͤndet der- selbe Blizstrahl einen Wald daß er tausend Naͤchte hindurch den Horizont beleuchtet, in- deß er fluͤchtig uͤber die Haide hinfaͤhrt und nur die spaͤrlichen Blumen versengt daß sie verdorren und keine Spur zuruͤcklassen. Kalt hoͤflich bat Ponce Don Juan ihn zu seiner Wohnung zu begleiten, damit er ihm seine Gemahlin vorstellen koͤnne. Juan folgte mechanisch. Es war eben die Zeit der Siesta; die Bruͤder traten in einen von dichtem Wein- laube umhuͤllten Pavillon — da ruhete an ei- nem marmornen Denksteine eben die blasse Gestalt schlummernd und unbeweglich, neben dem steinernen Genius des Todes, dessen um- gestuͤrzte Fackel ihre Brust beruͤhrte. Juan stand starr und eingewurzelt, die finstere Ah- nung stieg rasch vor seinem Geiste auf und verschwand nicht wieder, und wurde furchtbar deutlich, wie das sich ploͤzlich aufloͤsende Raͤth- sel des Oedipus. Dann verließen ihn die Sinne, und er sank bewustlos auf den Stein nieder. Als er wieder erwachte, fand er sich allein, und nur der stumme ernste Juͤngling war bei ihm zuruͤk geblieben. Sturm und Aufruhr im Innern, stuͤrzte er hinaus ins Freie. — Und alles war um ihn her verwandelt und anders worden; die alte Zeit schien sich wie- derzugebaͤhren, und das graue Schicksal er- wachte aus seinem tiefen Schlafe, und herrschte wieder uͤber Erde und Himmel. Eine Furie verfolgte ihn, wie den Orestes, auf jedem Schritte, und hob oft tuͤckisch das Schlangen- haar, und zeigte ihm ihr schoͤnes Antliz. — Ponce mußte auf laͤngere Zeit Sevilla ver- lassen, da schlich Don Juan aus seiner tiefen Verborgenheit hervor, wie ein lichtscheuer Ver- brecher. In seiner Seele war alles fest und entschieden, doch floh er seinen eigenen Um- gang, um dem dunkeln Gefuͤhle keine Worte zu geben, und sich nicht gegen sich selbst er- klaͤren zu muͤssen. So suchte er, gegen sich geheimnißvoll, Ponces Landgut auf, und trat in Donna Ines Zimmer; sie erkannte ihn rasch, und die weiße Rose bluͤhete zum ersten- male roth und gluͤhend auf, und die Liebe be- lebte Pygmalions kaltes Wunderbild. Die Abendsonne brannte durch Laub und Bluͤthen, und Ines schob kindlich schuldlos den Wan- genpurpur dem Himmelsfeuer zu, das sie an- strahlte: dann ergriff sie bebend die Harfe, und wie Juan ihr Spiel mit der Floͤte begleitete, hub das verbotene Gespraͤch ohne Worte an, und die Toͤne bekannten und erwiederten Liebe. So bliebs bis Juan kuͤhner wurde, die mysti- sche Hieroglyphe verschmaͤhete, und die schoͤne geheimnißvolle Suͤnde in heller Rede offen- barte. Da schwand die Daͤmmerung vor der Unschuldigen, sie schien erst jezt wie durch ei- nen feindlichen Fackelglanz alles um sich her zu erkennen, und nannte zum erstenmale schaudernd und erschrocken den Namen „Bru- der!“ Die Sonne ging in demselben Augenblicke unter, und das eben noch gefaͤrbte Antliz war schnell wieder blaß wie zuvor. Juan verstummte; Ines zog die Klocke, und eben jener Page, schoͤn wie der Liebesgott, trat in das Zimmer. — Juan entfernte sich ohne ein Wort zu reden. Es war schon ganz finster draußen im Walde, er schritt gedankenlos vor sich hin, ploͤzlich stand Don Ponce dicht vor ihm, rasch zog er den Dolch und fuͤhrte wild den Stoß, — jezt kam er zur Besinnung; der Dolch stekte tief in dem Stamme eines Baumes, und nur seine Phantasie hatte den Bruder- mord begangen. Ponce kehrte endlich zuruͤck, aber Ines ge- dachte der Stunde nicht gegen ihn, und ver- huͤllte Liebe und Vergehen tief in ihre Brust. Juan haßte den Tag, und lebte von jezt an nur in der Nacht, denn was in ihm vorging war lichtscheu und gefaͤhrlich. Sobald es fin- ster wurde wandelte er jedesmal von dem Orte seines Aufenthalts hin nach Ponces Landgute, und blikte nach Ines Fenstern, doch wenn der Morgen wieder grauete, entfernte er sich wild und grollend. Einmal sah er Ines und den Pagen beim Lichtscheine, und seine Phantasie schuf ein Maͤhrchen, wie Ines ihn, des Juͤnglings wegen, zuruͤckgesezt habe, und nur diesem die suͤßen Stunden der Nacht heim- lich weihe; da schwur er in wilder Eifersucht dem schoͤnen Knaben den Tod, und beschloß die erste Gelegenheit zur Ausfuͤhrung zu er- greifen. — Das Licht auf ihrem Zimmer er- losch nicht, er waͤhnte den Pagen noch immer an ihrer Seite, harrte bebend vor Wuth und Liebe bis zur Mitternachtsstunde, dann schlich er, seiner nicht mehr maͤchtig, ein halb Wahn- sinniger, hervor bis zur Thuͤr des Hauses und fand sie nur angelehnt. Mit ungewissen wan- kenden Schritten ging er vor sich hin, und kam vor Ines Zimmer — ein rascher Druck, und es war geoͤffnet. Da lag die Blasse wieder wie an dem Sar- kophage, das Nachtgewand war nur leicht um sie her gewunden, und in das Saitenspiel, das sie, noch schlummernd, an die Brust lehnte, schlangen sich braune Lockenkraͤnze. Juans Lippen entfuhr unwillkuͤhrlich der Name seines Bruders, da glaubte er ploͤzlich in der Schla- fenden die Furie zu erblicken, die zwischen ihnen beiden aufgestiegen, und die Locken die das schoͤne Antliz umwallten, schienen sich in Schlangen zu verwandeln. Dann war sie aber wieder das Weib seiner Liebe, und er sank, außer sich, zu ihren Fuͤßen nieder, und druͤkte seine heißen Lippen in ihre Brust. Sie tau- melte erschrocken empor, erkannte ihn beim Scheine des Nachtlichts, stieß ihn mit heftiger Kraft von sich, und ihr Blik druͤckte Schauder und Entsezen aus. Der einzige Blick zerschmetterte ihn, doch erhob sich schnell sein boͤser Daͤmon, und er stuͤrzte fort, bewußtlos was er thun wollte — ein blutiger Vorsatz lag dunkel vor seiner Seele. Von dem Geraͤusche erweckt taumelte der Page schlaftrunken aus einem Zimmer im Vor- saale, er ergriff ihn und sagte rasch: „Deine Gebietherin verlangt nach dir, sie will in die Fruͤhmesse!“ Der Page rieb sich die Augen, er blikte ihm nach, und sah noch wie er in Ines Zimmer verschwand. Das Schicksal hatte die Katastrophe tuͤckisch vorbereitet; Don Juan fand des Bruders Schlafgemach, riß ihn aus dem ersten Schlummer, und rief ihm die Un- treue seines Weibes zu. Ponce fuhr rasch auf und wollte Erklaͤrung, aber er zog ihn heftig mit sich fort, und druͤkte ihm nur auf dem Wege seinen Dolch in die Hand; dann schob er ihn in das Zimmer. Es war todtenstill um Don Juan, er stand furchtbar einsam in der Nacht, und suchte zaͤhn- klappernd in dumpfer Angst die eben weggege- bene Waffe. Jezt entstand ein Geraͤusch und die Thuͤr flog wie von selbst aus den Angeln. Da wurde das schrekliche Nachtstuͤck beleuch- tet. Der schoͤne Knabe lag schon im festen Todesschlummer auf dem Boden, und aus Ines Brust floß der purpurrothe Strom, und haftete auf dem schneeweißen Schleier wie vorgestekte Rosen. Juan stand starr wie eine Bildsaͤule; Ines blikte ihn fest an, aber die blasse Lippe blieb geschlossen und enthuͤllte nichts, dann senkte sich der tiefe Schlaf sanft uͤber ihre Augen. Als sie starb erwachte erst Ponce, und er schien jezt zum erstenmale zu lieben, weil er die Liebe verlohr, und ein liebendes Herz zu fuͤhlen, um es zu durchbohren. Er vermaͤhlte sich still wieder mit Ines. Don Juan stand stumm und wahnsinnig unter den Todten. Sechste Nachtwache . W as gaͤbe ich doch darum, so recht zusam- menhaͤngend und schlechtweg erzaͤhlen zu koͤn- nen, wie andre ehrliche protestantische Dichter und Zeitschriftsteller die groß und herrlich da- bei werden, und fuͤr ihre goldenen Ideen gol- dene Realitaͤten eintauschen. Mir ists nun einmal nicht gegeben, und die kurze simple Mordgeschichte hat mich Schweiß und Muͤhe genug gekostet, und sieht doch immer noch kraus und bunt genug aus. Ich bin leider in den Jugendjahren und gleichsam im Keime schon verdorben, denn wie andere gelehrte Knaben und vielverspre- chende Juͤnglinge es sich angelegen sein lassen immer gescheuter und vernuͤnftiger zu werden, habe ich im Gegentheile stets eine besondere Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu einer absoluten Verworrenheit in mir zu brin- gen gesucht, eben um, wie unser Herrgott, erst ein gutes und vollstaͤndiges Chaos zu vol- lenden, aus welchem sich nachher gelegentlich, wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu- sammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu Zeiten in uͤberspannten Augenblicken wohl gar vor, als ob das Menschengeschlecht das Chaos selbst verpfuscht habe, und mit dem Ordnen zu voreilig gewesen sei, weshalb denn auch nichts an seinen gehoͤrigen Platz zu stehen kom- men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichst dazu thun muͤsse die Welt, wie ein verungluͤck- tes System auszustreichen und zu vernich- ten. — Ach, diese fixe Idee ist mir uͤbel genug bekommen, und haͤtte mich selbst beinahe ein- mal um mein Nachtwaͤchteramt gebracht, in- dem es mir in der lezten Stunde des Saͤku- lums einfiel mit dem juͤngsten Tage vorzuspu- ken und statt der Zeit die Ewigkeit auszuru- fen, woruͤber viele geistliche und weltliche Herren erschrocken aus ihren Federn fuhren und ganz in Verlegenheit kamen, weil sie so unerwartet nicht darauf vorbereitet waren. Drollig genug machte sich die Szene bei diesem falschen juͤngsten Tages Lerm, wobei ich den einzigen ruhigen Zuschauer abgab, in- deß alle Anderen mir als leidenschaftliche Ak- teurs dienen mußten. — O man haͤtte sehen sollen was das fuͤr ein Getreibe und Gedraͤnge wurde unter den armen Menschenkindern und wie der Adel aͤngstlich durch einanderlief, und sich doch noch zu rangiren suchte vor seinem Herrgott; eine Menge Justiz- und andere Woͤlfe wollten aus ihrer Haut fahren und be- muͤheten sich in voller Verzweiflung sich in Schaafe zu verwandeln, indem sie hier den in feuriger Angst umherlaufenden Wittwen und Waisen große Pensionen aussezten, dort un- gerechte Urtheile oͤffentlich kassirten und die ge- raubten Summen wodurch sie die armen Teu- fel zu Bettlern gemacht hatten, sogleich nach Ausgang des juͤngsten Tages zuruͤck zu zahlen gelobten. So manche Blutsauger und Vam- pyre denunciirten sich selbst als Haͤngens und Koͤpfens wuͤrdig und drangen darauf, daß noch in der Eile hier unten ihr Urtheil an ihnen vollzogen wuͤrde, um die Strafe von hoͤherer Hand von sich abzuwenden. Der stolzeste Mann im Staate stand zum erstenmale demuͤ- thig und fast kriechend mit der Krone in der Hand und komplimentirte mit einem zerlump- ten Kerl um den Vorrang, weil ihm eine hereinbrechende allgemeine Gleichheit moͤglich schien. Aemter wurden niedergelegt, Ordensbaͤnder und Ehrenzeichen eigenhaͤndig von ihren un- wuͤrdigen Besitzern abgeloͤset; Seelenhirten versprachen feierlich kuͤnftighin ihren Heerden neben den guten Worten noch obendrein ein gutes Beispiel in den Kauf zu geben, wenn der Herrgott nur diesesmal es noch beim Ein- sehen bewenden ließe. O was kann ichs beschreiben wie das Volk vor mir auf der Buͤhne in und durcheinander lief und in der Angst betete und fluchte und jammerte und heulte; und wie jeglicher Maske auf diesem zusammengeblasenen großen Balle, die Larve von dem Antlitze fiel und man in Bettlerkleidern Koͤnige und umgekehrt, in Ritterruͤstungen Schwaͤchlinge und so fast im- mer das Gegentheil zwischen Kleid und Mann entdeckte. Es freute mich daß sie lange vor uͤbergro- ßer Angst das Zoͤgern der himmlischen Krimi- naljustiz gar nicht bemerkten, und die ganze Stadt Zeit hatte, alle ihre Tugenden und La- ster aufzudecken und sich gleichsam vor mir, 7 ihrem lezten Mitbuͤrger, voͤllig zu entbloͤßen. Das einzige geniale Stuͤckchen veruͤbte ein sa- tirischer Bube, der schon vorher aus Langer- weile entschlossen war in das neue Saͤkulum nicht mit hinuͤberzuwandern, und jezt in der letzten Stunde des alten sich erschoß, um den Ver- such zu machen ob in diesem Indifferenzmo- mente zwischen Tod und Auferstehen, das Sterben noch auf einen Augenblick moͤglich sei, damit er nicht mit der ganzen uͤbergroßen Le- benslangeweile in die Ewigkeit ohne weiteres hinuͤbermuͤsse. Außer mir gab es uͤbrigens nur noch eine ruhige Person, und zwar den Stadtpoeten, der aus seinem Dachfenster trotzig in das Mi- chel Angelos Gemaͤlde hinabschauete, und auf seiner poetischen Hoͤhe auch das Weltende poe- tisch nehmen zu wollen schien. Ein Astronom nahe bei mir merkte endlich an, daß dieser große actus solennis sich doch etwas zu lange verzoͤgere und daß das feurige Schwerdt im Norden, statt des Gerichtsschwer- tes auch wohl nur als ein bloßer Nordschein zu nehmen sei. In diesem entscheidenden Mo- mente, da schon einige von den Schaͤchern die Koͤpfe wieder empor recken wollten, hielt ichs fuͤr nuͤzlich, sie wenigstens waͤhrend einer kur- zen erbaulichen Rede noch in ihrer Zerknir- schung festzuhalten zu suchen, und ich hub fol- gender Gestalt an: „Theuerste Mitbuͤrger! Ein Astronom kann in diesem Falle nicht als ein kompetenter Richter angesehen werden, indem ein so wichtiges Phaͤnomen, das uͤber uns am Himmel heraufzuziehen scheint, kei- nesweges wie ein unbedeutender Komet berech- net werden kann, und nur einmal waͤhrend der ganzen Weltgeschichte erscheint; laßt uns darum unsere feierliche Stimmung nicht so leicht- sinnig aufgeben, sondern vielmehr einige fuͤr unsern Standpunkt wichtige und zweckmaͤßige Betrachtungen anstellen. Was liegt uns wohl am Weltgerichtstage naͤher als ein Ruͤckblick auf den unter uns wankenden Planeten, der nun mit seinen Pa- radiesen und Kerkern mit seinen Narrenhaͤu- sern und Gelehrten Republiken zusammenstuͤr- zen soll; laßt uns deshalb in dieser lezten Stunde, da wir die Weltgeschichte abschließen wollen, nur kurz und summarisch uͤberschauen, was wir, seit dieser Erdball aus dem Chaos hervorgestiegen, auf ihm getrieben und ausge- fuͤhrt haben. Es ist seit Adam her eine lange Reihe von Jahren — wenn wir nicht gar die Zeitrechnung der Chineser als die guͤltige an- nehmen wollen — was haben wir aber darin vollbracht? — Ich behaupte: Gar Nichts! Staunet mich nicht so an; der heutige Tag ist eben nicht dazu eingerichtet sich wichtig zu machen, und es thut Noth daß wir uns uͤber Hals und Kopf noch ein wenig mit der Be- scheidenheit zu beschaͤftigen suchen. Sagt mir, mit was fuͤr einer Mine wollt ihr bei unserm Herrgott erscheinen, ihr meine Bruͤder, Fuͤrsten, Zinswucherer, Krieger, Moͤrder, Kapitalisten, Diebe, Staatsbeam- ten, Juristen, Theologen, Philosophen, Nar- ren und welches Amtes und Gewerbes ihr sein moͤgt; denn es darf heute keiner in dieser all- gemeinen Nationalversammlung ausbleiben, ob ich gleich merke, daß mehrere von euch sich gern auf die Beine machen moͤchten um Reis- aus zu nehmen. Gebt der Wahrheit die Ehre, was habt ihr vollbracht, das der Muͤhe werth waͤre? Ihr Philosophen z. B. habt ihr bis jezt et- was Wichtigers gesagt, als daß ihr nichts zu sagen wuͤßtet? — das eigentliche und am mei- sten einleuchtende Resultat aller bisherigen Philosophien! — Ihr Gelehrten, was hat eure Gelehrsamkeit anders bezwekt als eine Zersezung und Verfluͤchtigung des menschlichen Geistes um zulezt mit Muse und einfaͤltiger Wichtigkeit an das uͤbriggebliebene caput mor- tuum euch zu halten. — Ihr Theologen, die ihr so gern zur goͤttlichen Hofhaltung gezaͤhlt werden moͤchtet, und indem ihr mit dem Al- lerhoͤchsten liebaͤugelt und fuchsschwaͤnzt, hier unten eine leidliche Moͤrdergrube veranstaltet und die Menschen statt sie zu vereinigen in Sekten auseinander schleudert und den schoͤ- nen allgemeinen Bruͤder und Familienstand als boshafte Hausfreunde auf immer zerrissen habt. — Ihr Juristen, ihr Halbmenschen, die ihr eigentlich mit den Theologen nur eine Person ausmachen solltet, statt dessen euch aber in einer verwuͤnschten Stunde von ihnen trenntet um Leiber hinzurichten, wie jene Gei- ster. Ach nur auf dem Rabensteine reicht ihr Bruͤderseelen vor dem armen Suͤnder auf dem Gerichtsstuhle euch nur noch die Haͤnde und der geistliche und weltliche Henker erscheinen wuͤrdig neben einander! — Was soll ich gar von euch sagen, ihr Staatsmaͤnner, die ihr das Menschengeschlecht auf mechanische Prinzipien reduzirtet. Koͤnnt ihr mit euern Maximen vor einer himmlischen Revision bestehen, und wie wollt ihr, da wir jezt in einen Geisterstaat uͤberzugehen im Be- griffe sind, jene ausgepluͤnderten Menschenge- stalten placiren, von denen ihr gleichsam nur den abgestreiften Balg, indem ihr den Geist in ihnen ertoͤdtetet, zu benuzen wußtet. — O, und was draͤngt sich mir nicht noch alles auf uͤber die einzeln stehenden Riesen, die Fuͤr- sten und Herrscher, die mit Menschen statt mit Muͤnzen bezahlen, und mit dem Tode den schaͤndlichen Sklavenhandel treiben. — O es hat mich toll und wild gemacht, und wie ich die Erdenbrut jezt vor mir herum kriechend erblicke mit ihren Verdiensten und Tugenden, so moͤgte ich nur auf eine Stunde bei diesem allgemeinen Weltgerichte der Teufel sein, blos um euch eine noch kraͤftigere Rede zu halten! — Die feierliche Handlung zoͤgert noch immer, wie ich sehe, und es wird euch zur Bekehrung noch Raum gegeben, so betet und heult denn, ihr Heuchler, wie ihr es kurz vor dem Tode zu machen pflegt, wenn ihr euer ver- pfuschtes Leben nicht besser anzuwenden wißt, und unfaͤhig geworden seid, laͤnger zu suͤn- digen. Hinter Euch liegt die ganze Weltgeschichte wie ein alberner Roman, in dem es einige wenige leidliche Karaktere, und eine Unzahl erbaͤrmlicher giebt. Ach, euer Herrgott hat es nur in dem einzigen versehen, daß er ihn nicht selbst bearbeitete, sondern es euch uͤberlies daran zu schreiben. Sagt mir, wird er es jezt wohl der Muͤhe werth halten, das ver- pfuschte Ding in eine hoͤhere Sprache zu uͤber- setzen, oder muß er nicht vielmehr, wenn er es in seiner ganzen Seichtigkeit vor sich liegen sieht, es im Ingrim zerreißen, und euch mit euren ganzen Planen der Vergessenheit uͤber- antworten? Ich seh’s nicht anders ein! denn ihr alle, wie ich euch hier erblicke, koͤnnt ihr wohl mit Recht auf den Himmel oder die Hoͤlle Anspruch machen? Fuͤr jenen seid ihr zu schlecht, fuͤr diese zu langweilig! — Die Gerichtsanstalten ziehen sich noch in die Laͤnge, doch rathe ich euch werdet nicht etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zusam- men, um, bis es unter uns kracht, noch einige huͤbsche Fortschritte in der Zerknirschung ge- macht zu haben. Ich will mit den triftigsten Gruͤnden losbrechen: der Herr verschonte einst Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerech- ten willen, doch koͤnntet ihr frech genug sein zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei sich beherbergen werde. Thue jemand unter euch auch nur einen einzigen vernuͤnf- tigen Vorschlag, wohin man euch plazi- ren soll! Schon der seelige Kant hat es euch dargethan, wie Zeit und Raum nur bloße Formen der sinnlichen Anschauung sind; nun wißt ihr aber daß beide in der Geisterwelt nicht mehr vorkommen; jezt bitte ich euch, die ihr nur allein in der Sinnlichkeit lebt und webt, wie wollt ihr Raum finden, da wo es keinen Raum mehr giebt? — Ja, was wollt ihr gar beginnen, wenn es mit der Zeit zu Ende geht? Selbst auf eure groͤßten Weisen und Dichter angewandt, bleibt die Un- sterblichkeit zulezt doch auch nur ein uneigent- licher Ausdruck, was soll sie fuͤr euch arme Teufel bedeuten, die ihr keine andere Hand- lung ausgeuͤbt habt, als die, mit Waaren, und keinen andern Geist kennt, als den Wein- geist, durch den eure Poeten ein Analogon von Begeisterung in sich hervorbringen. — Da gebe nur jemand einen leidlichen Rath; ich wenigstens weiß beim Teufel nicht, wo ich mit euch hin soll!“ — Hier bemerkte ich eine Unruhe in der Ver- sammlung vor mir, und hoͤrte auch ganz deut- lich, wie einige junge Freigeister, welche jezt Synonyma mit Geistlosen sind, keklich be- haupteten, daß das ganze nur ein falscher Lerm gewesen. Der eine aus der Versammlung hatte auch bereits wieder seine Krone aufge- sezt, und der erste Rathsstand, der sich selbst vorhin denunciirte, aͤußerte erboßt: daß es strenge Ahnung verdiene mit einer ganzen re- spectiven Stadt Komoͤdie zu spielen, und daß man sich an mich als den ersten Lermstifter halten muͤsse. Ich gab jezt klein zu, und bat nur noch, indem ich mich an den Mann mit der Krone wandte, um einen Augenblick Gehoͤr; worauf ich folgendes bemerkte: „Wie ein solches Ge- richtstagansagen, selbst wenn es blos blinder Lerm, doch von einigem Nutzen sein koͤnne, und es sogar zu wuͤnschen waͤre, daß durch physikalische Experimente und einige Centner Beerlappenmehl, um von den Anhoͤhen und Thuͤrmen damit herabzublitzen, regelmaͤßig, von Staats wegen, ein solcher Vorspuk gemacht werden moͤgte, damit der Mann mit der Krone, der in keinem Falle allwissend, dann und wann dadurch eine allgemeine Staatsrevi- sion veranstalten, und den Staat selbst in puris naturalibus mit allen seinen Gebrechen erblik- ken koͤnnte, da er ihm sonst nur immer in Galla und taͤuschend durch die Staatsschneider oder Beschneider, die Guͤnstlinge und Raͤthe ausgeschmuͤkt, vorgefuͤhrt wuͤrde. Ja, ich truͤge selbst darauf an, mir als erstem Erfinder die- ses Staatsexperiments ein Patent uͤber meine Erfindung auszufertigen, bloß um die Neben- sporteln die an einem solchen pseudojuͤngsten Tage vorfielen, als z. B. die Seegenswuͤnsche der vielen wieder emporgeholfenen armen Teu- fel, die Fluͤche der gestuͤrzten Heiligen u. d. g. in meinen Saͤkel zu ziehen.“ Ja ich wagte zulezt, durch die Todtenstille um mich her kuͤhner gemacht, zu bemerken, „wie ich selbst heute schon eine solche Revision durch meinen Feuerlaͤrm veranstaltet haͤtte, und es nicht uͤbel gerathen sei gleich jezt an eine maͤßige Reparatur zu gehen, und das verscho- bene Staatsgebaͤude wieder leidlich durch einige Aemterentsetzungen, Hinrichtungen u. s. w. einzuruͤcken.“ Keiner redete, als ich ausgesprochen, ein Wort, und der Mann schob die Krone auf dem Haupte hin und her, als wenn er mit sich unschluͤssig waͤre; das endliche Resultat war indeß, daß meine Erfindung als unanwendbar verworfen wurde, und ich aus hoͤchster Gnade nur als ein Narr angesehen werden, und fuͤr diesesmal noch mit der Amtsentsetzung gegen mich innegehalten werden solle. Damit indeß ein aͤhnlicher Lerm nicht wie- der fuͤr die Folge zu besorgen, so wurden durch eine Kabinetsordre die von Samuel Day er- fundenen watchmanns noctuaries eingefuͤhrt, wodurch ich von einem singenden und blasen- den Nachtwaͤchter auf einen stummen reduzirt wurde Diese Nachtuhren sind so eingerichtet, daß der Nachtwaͤchter jedesmal in ein bis dahin ver- stektes Loch, das erst bei der bestimmten Stunde hervorruͤkt, einen Zettel stekt, zum Belege, daß er regelmaͤßig umhergegangen ist. Am Morgen schließt dann ein Polizeyoffizier die Uhr auf, um zu sehen, ob in jedem einzelnen Loche der Zettel sich vorfindet. , wobei man zum Grunde anfuͤhrte, daß ich durch mein Blasen und Rufen mich den Nachtdieben verriethe, und es deshalb als unzweckmaͤßig abgeschafft werden muͤsse. Die Tagdiebe waren so mit einemmale mei- ner Aufsicht entzogen, und ich wandle jezt stumm und traurig durch die oͤden Straßen, um in jeder Stunde meine Karte in die Nachtuhr zu schieben. O es ist unglaublich, was seitdem der Schlaf befoͤrdert ist, und wie so mancher, der bei seinen geheimen Suͤnden nichts als den juͤngsten Tag fuͤrchtete, seitdem meine Gerichtsposaune zerbrochen ist, ruhig und fest in seinen Kissen liegt. Siebente Nachtwache . I ch bin einmal auf meine Tollheiten gekom- men; nun ist aber mein Leben selbst die aͤrgste von allen, und ich will diese Nacht, da ich mir doch durch Blasen und Singen die Zeit nicht mehr vertreiben darf, in der Rekapitu- lation desselben fortfahren. Ich bin schon oft daran gegangen vor dem Spiegel meiner Einbildungskraft sizend, mich selbst leidlich zu portraitiren, habe aber im- mer in das verdammte Antliz hineingeschlagen, wenn ich zulezt fand, daß es einem Vexir- gemaͤlde glich, das von drei verschiedenen Standpunkten betrachtet, eine Grazie, eine Meerkaze und en façe den Teufel dazu dar- stellt. Da bin ich denn uͤber mich verwirrt ge- worden, und habe als den lezten Grund mei- nes Daseins hypothetisch angenommen, daß eben der Teufel selbst, um dem Himmel einen Possen zu spielen, sich waͤhrend einer dunkeln Nacht in das Bette einer eben kanonisirten Heiligen geschlichen, und da mich gleichsam als eine lex cruciata fuͤr unsern Herrgott nieder- geschrieben habe, bei der er sich am Weltge- richtstage den Kopf zerbrechen solle. Dieser verdammte Widerspruch in mir geht so weit, daß z. B. der Papst selbst beim Be- ten nicht andaͤchtiger sein kann, als ich beim blasphemiren, da ich hingegen wenn ich recht gute erbauliche Werke durchlese, mich der bos- haftesten Gedanken dabei durchaus nicht erweh- ren kann. Wenn andere verstaͤndige und ge- fuͤhlvolle Leute in die Natur hinauswandern um sich dort poetische Stifts- und Thabors- huͤtten zu errichten, so trage ich vielmehr dau- erhafte und auserlesene Baumaterialien zu ei- nem allgemeinen Narrenhause zusammen, wo- rinn ich Prosaisten und Dichter bei einander einsperren moͤchte. Ein paarmale jagte man mich aus Kirchen weil ich dort lachte, und eben so oft aus Freudenhaͤusern, weil ich drin beten wollte. Eins ist nur moͤglich; entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stim- menmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren. Dem sei wie ihm wolle, und meine Phy- siognomie falle haͤßlich oder schoͤn aus, ich will ein Stuͤndchen treulich daran kopiren. Schmei- cheln werde ich nicht, denn ich male in der Nacht, wo ich die gleissenden Farben nicht an- wenden kann und nur auf starke Schatten und Drucker mich einschraͤnken muß. 8 Mir gaben zuerst einige poetische Flugblaͤt- ter einen leidlichen Namen, die ich aus der Werkstaͤtte meines Schuhmachers fliegen ließ; das erste enthielt eine Leichenrede die ich nieder- schrieb als diesem ein Knaͤblein geboren wurde, und ich erinnere mich nur noch blos an den Anfang, der ohngefaͤhr so lautete: „Da kleiden sie ihn ein fuͤr seinen ersten Sarg, bis der zweite fertig worden, an dem seine Thaten und Thorheiten eingegraben sind; so wie man Fuͤrstenleichen erst in einen provi- sorischen Sarg einzulegen pflegt, bis sie dann spaͤter den zinnernen in die Gruft hinabtragen, der wuͤrdig mit Trophaͤen und Inschriften ver- ziert ist, und den Leichnam zum zweitenmale einsargen. — Traut auch, ich bitte euch, dem Lebensscheine und den Rosen auf den Wangen des Knaben nicht; das ist die Kunst der Na- tur, wodurch sie, gleich einem geschikten Arzte, den einbalsamirten Koͤrper eine laͤngere Zeit in einer angenehmen Taͤuschung erhaͤlt; in seinem Innern nagt doch die Verwesung schon, und wolltet ihr es aufdecken, so wuͤrdet ihr eben die Wuͤrmer aus ihren Keimen sich ent- wickeln sehen, die Freude und den Schmerz, die sich schnell durchnagen daß die Leiche in Staub zerfaͤllt. Ach nur da er noch nicht ge- bohren war lebte er, so wie das Gluͤk allein in der Hoffnung besteht, sobald es aber wirk- lich wird, sich selbst zerstoͤrt. Jezt steht er nur noch auf dem Paradebette, und die Blu- men die ihr auf ihn streut sind Herbstblumen fuͤr sein Sterbekleid. In der Ferne ruͤsten sich auch schon ringsum die Leichentraͤger, die seine Freuden und ihn selbst hinwegfuͤhren wollen, und die Erde bereitet schon seine Gruft fuͤr ihn, um ihn zu empfangen. Ueberall strecken nur der Tod und die Verwesung gierig ihre Arme nach ihm aus, ihn nach und nach zu verzehren, um zulezt wenn seine Schmerzen, seine Wonne, seine Erinnerung und sein Staub verwehet ist, vom Morden muͤde auf seiner leeren Gruft auszuruhen. Seine Asche hat die Natur dann schon laͤngst wieder zu neuen Todtenblumen fuͤr neue Sterbende verbraucht.“ — Das Uebrige von der Rede habe ich verges- sen. Sie meinten das Ganze sei nicht uͤbel und nur blos die Ueberschrift ein Fehler, in- dem offenbar statt Geburtstage, Sterbetage stehen muͤsse; so wurde es dann auch bei vor- kommenden Kinderleichen gebraucht. — Ein debuͤtirender Autor hat mit großen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen, da er sich erst uͤberhaupt durch seine Werke bekannt machen muß; hingegen ein schon aufgetretener und einmal applaudirter, blos durch seinen Namen seine Werke beruͤhmt macht; indem die Men- schen es nimmer sich uͤberreden koͤnnen, daß große Poeten und große Helden ihre Stunden haben, in denen sie schlechtere Werke und schlech- tere Handlungen ans Licht foͤrdern als die schlechtesten anderer hoͤchst alltaͤglicher Erden- soͤhne. Hoͤhe und Tiefe sind nie ohne einan- der, auf der Flaͤche dagegen, ist der Sturz nicht zu befuͤrchten. Mich verfolgte indeß das Gluͤck ordentlicher- weise und ich erhielt fast mehr Reime zusam- menzuflicken als Schuhe, so daß wir das alte Hans Sachsische Aushaͤngeschild uͤber unserer Werkstatt wieder herstellen, und zwei fuͤr den Staat wichtige Kuͤnste amalgamiren konnten. Dazu erhielt ich fuͤr ein Gedicht fast mehr be- zahlt als fuͤr einen Schuh, weshalb der alte Meister das lose Handwerk neben dem Brod- handwerke ungeneckt einherwandeln und meinen delphischen Dreifuß neben seinem gemeinnuͤzi- gen stehen lies. Als eine vernuͤnftige Anordnung der Vor- sehung betrachte ich es uͤbrigens, daß manche Menschen in einen engen erbaͤrmlichen Wir- kungskreis und zwischen vier Mauern einge- sperrt sind, wo in der dumpfen Kerkerluft ihr Licht nur matt und unschaͤdlich aufflammen kann, so daß man hoͤchstens dabei erkennt, daß man sich in einem Kerker befindet; da es im Gegentheile in der Freiheit wie ein Vulkan auflodern wuͤrde, um Alles ringsum in Brand zu stecken. — Bei mir fing es wirklich jezt schon an zu spruͤhen und zu funkeln, indeß konnten nichts weiter als poetische Leuchtkugeln zum Vorschein kommen, um das Terrain zu rekognosciren, aber keine Bomben um zu zer- sprengen und zu verheeren. Eine furchtbare Angst ergriff mich oft, wie einen Riesen, den man als Kind in einen niedrigen Raum ein- gemauert, und der jezt empor waͤchst und sich ausdehnen und aufrichten will, ohne es im Stande zu sein, und sich nur das Gehirn ein- druͤcken, oder zur verraͤnkten Misgestalt in einander draͤngen kann. Menschen dieses Schlages, wenn sie empor kaͤmen wuͤrden feindseelig sich aͤußern, und als eine Pest, ein Erdbeben oder Gewitter unter das Volk fahren, und ein gutes Stuͤck von dem Planeten aufreiben und zu Pulver ver- brennen. Doch sind diese Enakssoͤhne gewoͤhn- lich gut postirt, und es sind Berge uͤber sie ge- worfen wie uͤber die Titanen, worunter sie sich nur grimmig schuͤtteln koͤnnen. Hier ver- kohlt sich ihr Brennstoff allmaͤhlig, und nur selten gelingt’s ihnen sich Luft zu machen, und ihr Feuer zornig aus dem Vulkane gen Him- mel zu schleudern. Ich brachte das Volk indeß schon durch mein bloßes Feuerwerkern in Aufruhr, und die fluͤchtige satirische Rede eines Esels uͤber das Thema: warum es uͤberhaupt Esel geben muͤsse, machte gewaltigen Lerm. Ich hatte bei Gott wenig Arges dabei gedacht, und das Ganze bloß aufs Allgemeine bezogen; aber eine Satire ist wie ein Probirstein, und jedes Metall das daran voruͤberstreicht laͤßt das Zei- chen seines Werthes oder Unwerthes zuruͤck; so gings auch hier — der *** h at te das Blatt gelesen, und alles genau auf sich raffend ge- funden; weshalb man mich ohne weiteres in den Thurm sperrte, wo ich Muße hatte immer wilder zu werden. Dabei gings mir ubrigens mit meinem Menschenhasse wie den Fuͤrsten, die den einzelnen Menschen wohlthun, und sie nur in ganzen Heeren wuͤrgen. Endlich ließ man mich los, als die fremde Zahlung aufhoͤrte, denn mein alter Meister war Todes verfahren, und ich stand nun mut- terallein da in der Welt, als waͤre ich aus ei- nem andern Planeten herabgefallen. Jezt sah ich’s recht, wie der Mensch als Mensch nichts mehr gilt, und kein Eigenthum an der Erde hat, als was er sich erkauft oder erkaͤmpft. O wie ergrimmte ich, daß Bettler, Vagabun- den und andere arme Teufel, wie ich einer bin, das Faustrecht sich nehmen ließen, und es nur den Fuͤrsten zugestanden, als zu ihren Regalen gehoͤrig, die es nun im Großen aus- uͤben; konnte ich doch wahrlich kein Stuͤkchen Erde finden, um mich darauf niederzulassen, so sehr hatten sie jede Handbreit unter sich zer- theilt und zerstuͤckelt, und wollten schlechter- dings von dem Naturrechte, als dem einzigen allgemeinen und positiven nichts wissen, son- dern hatten in jedem Winkelchen ihr besonde- res Recht und ihren besondern Glauben; in Sparta besangen sie den Dieb, je kunstfertiger er zu stehlen verstand, und nebenan in Athen hingen sie ihn auf. Zu etwas mußte ich indeß greifen um nicht zu verhungern, hatten sie doch alles freie Ge- meingut der Natur bis auf die Voͤgel unterm Himmel und die Fische im Wasser an sich ge- rissen, und wollten mir kein Fruchtkorn zuge- stehen ohne gute baare Bezahlung. Ich waͤhlte das erste beste Fach, worin ich sie und ihr Treiben besingen konnte, und wurde Rhapsode wie der blinde Homer, der auch als Baͤnkel- saͤnger umherziehen mußte. Blut lieben sie uͤber die Maaßen, und wenn sie es auch nicht selbst vergießen, so moͤ- gen sie es doch fuͤr ihr Leben uͤberall in Bil- dern, Gedichten und im Leben selbst gern fließen sehen; in großen Schlachtstuͤcken am liebsten. Ich sang ihnen daher Mordgeschich- ten und hatte mein Auskommen dabei, ja ich fing an mich zu den nuͤzlichen Mitgliedern im Staate, als zu den Fechtmeistern, Gewehrfa- brikanten, Pulvermuͤllern, Kriegsministern, Aerzten u.s.w., die alle offenbar dem Tode in die Hand arbeiten, zu zaͤhlen, und bekam eine gute Meinung von mir, indem ich meine Zuhoͤrer und Schuͤler abzuhaͤrten, und sie an blutige Auftritte zu gewoͤhnen mich bemuͤhete. Endlich aber wurden mir doch die kleineren Mordstuͤcke zuwider, und ich wagte mich an groͤßere — an Seelenmorde durch Kirche und Staat, wofuͤr ich gute Stoffe aus der Ge- schichte waͤhlte; ließ auch hin und wieder kleine episodische Ergoͤzlichkeiten von leichteren Mor- den, als z.B. der Ehre, durch den tuͤckischen guten Ruf, der Liebe, durch kalte herzlose Buben, der Treue, durch falsche Freunde, der Gerechtigkeit, durch Gerichtshoͤfe, der gesun- den Vernunft, durch Zensuredikte u.s.w. mit einfließen. Da aber war es vorbei, und es wurden in kurzen mehr denn funfzig Injurien- prozesse gegen mich anhaͤngig gemacht. Ich trat auf vor Gericht als mein eigener advo- catus diaboli; vor mir saßen an der Tafel- runde ein halb Duzend mit den Gerechtigkeits- masken vor dem Antlize, worunter sie ihre eigene Schalksphysiognomie und zweite Ho- garthsgesichtshaͤlfte verbargen. Sie verstehen die Kunst des Rubens, wodurch er vermittelst eines einzigen Zuges ein lachendes Gesicht in ein weinendes verwandelte, und wenden sie bei sich selbst an, sobald sie sich auf die Ge- richtsstuͤhle niederlassen, damit man diese nicht fuͤr arme Suͤnderstuͤhlchen anzusehen geneigt sein moͤchte. — Nach einer strengen Verwar- nung, die Wahrheit auf die mir vorgelegten Anklagen zu sagen, hub ich so an: „Wohlweise! Ich stehe hier als beschul- digter Injuriant vor Ihnen, und alle corpora delicti sprechen wider mich, worunter ich auch sie selbst zu zaͤhlen fest willens bin, indem man corpora delicti nicht nur als die Gegen- staͤnde aus denen man auf ein bestimmtes Ver- brechen schließen kann, z. B. Brechstangen, Diebsleitern u. d. gl. sondern auch als die Leiber selbst in denen das Verbrechen wohnt, ansehen koͤnnte. Nun aber waͤre es nicht uͤbel gerathen, daß sie selbst nicht nur als gute Theoretiker die Verbrechen kennen lernten, sondern sie auch als brave Praktiker auszuuͤben verstaͤnden, wie denn schon manche Dichter sich ernstlich beklagen, daß ihre Rezensenten selbst, nicht einen einzigen Vers zu machen im Stande waͤren, und doch uͤber Verse richten wollten; — und was wuͤrden Sie, Wohlweise, zu ent- gegnen haben, wenn Ihnen, der Analogie ge- maͤß, ein Dieb, Ehebrecher oder irgend ein anderer Hundsfott dieses Gelichters, uͤber den sie richten wollten, eine aͤhnliche Nuß aufzu- knacken gaͤbe und sie nicht fuͤr kompetente Re- zensenten in ihrem Fache anerkennen wollte, weil sie in praxi selbst noch gar nichts praͤstirt. Die Gesetze scheinen auch in der That hierauf hinzudeuten, und eximiren sie als Ge- richtspersonen in manchen Faͤllen von den Ver- brechen, wie sie denn z. B. ungestraft erwuͤr- gen, mit dem Schwerdte um sich schlagen, mit Keulen niederhauen, verbrennen, saͤcken, le- bendig begraben, viertheilen und foltern duͤr- fen; — lauter grobe Missethaten, die man keinem andern als nur ihnen hingehen laͤßt. Ja auch in kleineren Vergehungen, und na- mentlich in dem Falle, worin ich mich jezt als Inquisit hier befinde, sprechen sie die Gesetze frei, so erlaubt ihnen die lox 13 § 1. und 2. de iniuriis geradezu diejenigen zu injuriiren, die sie selbst wegen Injurien in ihrem Ge- richtsgarn gefangen halten. Es ist unglaublich welche Vortheile aus dieser Einrichtung fuͤr den Staat fließen koͤnn- ten; wuͤrden nicht z. B. eine Menge Verbre- chen mehr zu Tage gefoͤrdert werden koͤnnen, wenn respektive Gerichtsherren in eigner Per- son die Lusthaͤuser besuchten, und die Lust voll- zoͤgen, um die Inkulpirten sogleich ohne wei- teres zu uͤberfuͤhren; wenn sie ebenfalls als Diebe sich unter die Diebe mischten, blos um ihre Kameraden haͤngen zu lassen; oder wenn sie selbst den Ehebruch vollzoͤgen, um die et- wanigen Ehebrecherinnen und solche die Lust und Liebe zu diesem Verbrechen haben und als schaͤdliche Mitglieder des Staats zu betrachten sind, kennen zu lernen. Guter Himmel, das Wohlthaͤtige einer sol- chen Einrichtung ist so klar, daß ich gar nichts weiter hinzufuͤgen mag, und bloß dieses un- maßgeblichen Vorschlags halber meine Losspre- chung verdient haͤtte. Ich gehe indeß zu meiner Vertheidigung selbst uͤber, Wohlweise! Mir ist hier eine in- iuria oralis und zwar nach der Unterabtheilung β eine gesungene Injurie zur Last ge- legt. Ich duͤrfte schon hier einen Grund der Nullitaͤt der Anklage finden, indem Saͤnger offenbar sich zu der Kaste der Dichter zaͤhlen, und es diesen leztern, eben weil sie nach der neuern Schule keine Tendenz bezwecken, er- laubt sein muͤsse in ihrer Begeisterung zu in- juriiren und blasphemiren so viel sie nur woll- ten. Ja es duͤrfte einem Dichter und Saͤnger schon deshalb dies Verbrechen nicht zugerechnet werden, weil die Begeisterung der Trunkenheit gleichzusezen ist, die ohne weiteres, wenn der Trunkene sich nicht culpose in diesen Zustand versezt hat, welches offenbar bei einem Begei- sterten nicht anzunehmen ist, indem die Be- geisterung eine Gabe der Goͤtter, von der Strafe befreit.— Indeß will ich meine Vertheidigung noch buͤndiger formiren, und verweise sie deshalb auf die Schriften unserer vorzuͤglichsten neuern Rechtslehrer, in denen es buͤndig dargethan ist, daß die Gerechtigkeit schlechterdings nichts mit der Moralitaͤt zu schaffen habe, und daß nur eine die aͤußern Rechte verlezende Handlung als ein Verbre- chen V. R. W. imputirt werden koͤnne. Nun aber habe ich nur moralisch injuriirt und ver- wundet, und weise deshalb die Klage vor die- sem Gerichtshofe als unzulaͤnglich ab, indem ich als moralische Person unter dem foro pri- vilegiato einer anderen Welt stehe. Ja, da nach Weber uͤber Injurien im ersten Abschnitte pag. 29 an denjenigen Perso- nen die auf das Recht auf Ehre Verzicht ge- than haben, keine Injurie begangen werden kann, so darf ich auch der Analogie gemaͤß folgern daß ich sie da sie als Icti und Ge- richtspersonen schlechthin von der Moralitaͤt sich losgesagt haben, hier an offener Gerichts- staͤtte mit allen moͤglichen moralischen Injurien uͤberhaͤufen darf; ja, wenn ich sie kalte ge- fuͤhllose unmoralische, obgleich wohlweise und gerechte Herren zu nennen wage, so ist das vielmehr als eine Apologie als Injurie zu halten, und ich weise schlechthin jede von hier ausgehende gerichtliche Anspruͤche als unzulaͤng- lich ab.“ — Hier hielt ich inne und alle sechs sahen sich eine Weile an ohne zu dezidiren; ich wartete ruhig. Haͤtten sie mir als Strafe das Wip- pen, das Trillhaus, den spanischen Mantel, Schmaͤnnchen, Riemschneiden oder gar das Aufreißen des Leibes, welches in Japan fuͤr sehr ehrenvoll gehalten wird, zuerkannt, mich wuͤrde es gefreuet haben, gegen die Bos- heit die der erste Rechtsfreund und Vorsizer veruͤbte, als er den Ausspruch that, daß mir schlechterdings das Verbrechen nicht zugerechnet werden koͤnnte, indem ich zu den mente captis zu zaͤhlen sein und mein Vergehen als die Folge eines partiellen Wahnsinns betrachtet werden muͤsse, weshalb man mich ohne weite- res an das Tollhaus abzuliefern habe. Es ist zu arg, ich mag heute nicht weiter rekapituliren, und will mich schlafen legen. 9 Achte Nachtwache . D ie Dichter sind ein unschaͤdliches Voͤlkchen, mit ihren Traͤumen und Entzuͤckungen und dem Himmel voll griechischer Goͤtter, den sie in ih- rer Phantasie mit sich umhertragen. Boͤsartig aber werden sie sobald sie sich erdreisten ihr Ideal an die Wirklichkeit zu halten, und nun in diese, mit der sie gar nichts zu schaffen haben sollten, zornig hineinschlagen. Sie wuͤr- den indeß unschaͤdlich bleiben, wenn man ih- nen nur in der Wirklichkeit ihr freies Plaͤzchen ungestoͤrt einraͤumen und sie nicht durch das Draͤngen und Treiben in derselben eben zum Ruͤckblik in sie zwingen wollte. Fuͤr den Maas- stab ihres Ideals muß alles zu klein ausfallen, denn dieser reicht uͤber die Wolken hinaus und sie selbst koͤnnen sein Ende nicht absehen, und muͤssen sich nur an die Sterne als provisorische Grenzpunkte halten, von denen indeß wer weiß wie viele bis heute unsichtbar sind und ihr Licht sich noch auf der Reise zu uns herab befindet. Der Stadtpoet auf seinem Dachkaͤmmerchen gehoͤrte auch zu den Idealisten, die man mit Ge- walt durch Hunger, Glaͤubiger, Gerichtsfrohne u. s. w. zu Realisten bekehrt hatte, wie Karl der Große die Heiden mit dem Schwerdte in den Fluß trieb, damit sie dort zu Christen getauft wuͤrden. Ich hatte mit dem Nacht- raben Bekanntschaft gemacht und lief wenn ich meine Karte als einen Zeitschein in die Nacht- uhr geschoben hatte, oft zu ihm hinauf, um seinem Gaͤhren und Brausen zuzuschauen, wenn er dort oben als begeisterter Apostel mit der Flamme auf dem Haupte gegen die Men- schen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte sich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo- rin die großen Geister der Menschheit deren Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle sie gleichsam nur erscheint, die Liebe, der Haß, die Zeit und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge- stalten auftraten, durch die statt des Chors ein tragischer Hanswurst, eine groteske und furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker hielt das schoͤne Antliz des Lebens mit eiser- ner Faust unverruͤkt vor seinen großen Hohl- spiegel, worinn es sich in wilde Zuͤge verzerrte und gleichsam seine Abgruͤnde offenbarte in den Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die schoͤ- nen Wangen fielen; so zeichnete er’s ab. Es ist gut, daß es viele nicht begriffen, denn in unserm Lorgnetten Zeitalter sind die groͤßesten Gegenstaͤnde so entruͤkt worden, daß man sie hoͤchstens nur noch in der Ferne un- deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤser erkennt; dagegen die kleinen recht gruͤndlich kultivirt werden, weil kurzsichtige in der Naͤhe um so schaͤrfer sehen. — Er hatte das Ganze bereits beendigt, und hoffte daß die Goͤtter die er dabei angerufen, sich ihm diesmal wenigstens als ein goldener Regen offenbahren wuͤrden, durch den er seine Glaͤubiger, den Hunger und die Gerichtsdie- ner von sich verscheuchen koͤnnte. Heute war der Tag an dem das imprimatur des wichtig- sten Zensors, des Verlegers, hatte einlaufen muͤssen, und mich trieb die Neugierde zu ihm hinauf und die Sehnsucht ihn in dem froͤhli- chen Gelage der Erdengoͤtter zu erblicken. — Ist es nicht traurig daß die Menschen ihre Freudensaͤle so fest verschlossen halten und durch Geharnischte Auf den hollaͤndischen Dukaten steht ein ge- harnischter Mann. bewachen lassen, vor denen der Bettler, der sie nicht bestechen kann, er- schrocken zuruͤckweicht! Ich stieg keuchend in den hohen Olymp hin- auf und oͤffnete den Eingang; aber statt eines Trauerspiels, das ich nicht erwartet hatte, fand ich ihrer zwei, das ruͤkgehende vom Ver- leger, und den Tragiker selbst der das zweite aus dem Stegereife zugleich gedichtet und als Protagonist So hieß der eine Akteur der zu Tespis Zeit mit dem Chore die ganze Tragoͤdie aus- machte. aufgefuͤhrt hatte. Da ihn der tragische Dolch gemangelt, so hatte er in der Eile, was bei einem improvisirten Drama leicht uͤbersehen werden kann, die Schnur die dem auf der Retourfuhre begriffenen Manu- scripte als Reisegurt gedient, dazu auserwaͤhlt, und schwebte an ihr als ein gen Himmel fah- render Heiliger, recht leicht und mit abgewor- fenem Erdenballast uͤber seinem Werke. Es war uͤbrigens in der Stube ganz still und fast schauerlich; nur ein paar zahme Maͤuse, spielten als einzige Hausthiere fried- lich zu meinen Fuͤssen und pfiffen, entweder aus guter Laune, oder aus Hunger; fuͤr das leztere schien beinahe eine dritte zu entschei- den, die sehr eifrig an der Unsterblichkeit des Dichters, seinem retourgegangenen opere posthumo, nagte. „Armer Teufel, sagte ich zu ihm hinauf- blickend, ich weiß nicht ob ich deine Himmel- farth komisch oder ernsthaft nehmen soll! Drol- lig bleibt es allerdings, daß du als eine Mo- zartsche Stimme in ein schlechtes Dorfkonzert mit eingelegt bist, und eben so natuͤrlich daß du dich daraus weggestohlen; in einem ganzen Lande von Hinkenden wird eine einzige Aus- nahme als ein seltsames verschrobenes lusus naturae verlacht, eben so wuͤrde in einem Staate von lauter Dieben die Ehrlichkeit allein mit dem Strange bestraft werden muͤssen; es kommt Alles in der Welt auf die Zusammen- stellung und Uebereinkunft an, und da nun deine Landsleute nur an ein abscheuliches krei- schendes Geschrei statt des Gesanges gewoͤhnt sind, so mußten sie dich eben deines guten gebildeten Vortrags wegen zu den Nachtwaͤch- tern zaͤhlen, wie ich denn deshalb auch einer ge- worden bin. O die Menschen schreiten huͤbsch vorwaͤrts und ich haͤtte wohl Lust meinen Kopf nach einem Jahrtausende nur auf eine Stunde lang in diese alberne Welt zu stecken; ich wette darauf ich wuͤrde sehen wie sie in den Antikenkabinetten und Museen nur noch das Frazzenhafte abzeichneten und nach einem Ide- ale der Haͤßlichkeit strebten, nachdem sie die Schoͤnheit laͤngst als eine zweite franzoͤsische Poesie fuͤr fade erklaͤrt haͤtten. Den mechani- schen Vorlesungen uͤber die Natur wuͤnschte ich auch beizuwohnen in denen es gelehrt wird wie man eine Welt mit geringem Aufwande von Kraͤften vollstaͤndig zusammenstellen kann, und die jungen Schuͤler zu Weltschoͤpfern aus- gebildet werden, da man sie jezt nur zu Ichs- schoͤpfern anzieht. Guter Gott was muͤssen nach einem Jahrtausend nicht fuͤr Fortschritte in allen Wissenschaften gemacht sein, da wir jezt bereits so weit sind; man muß dann, Naturreparirer, eben so haͤufig wie jezt Uhr- macher haben; Korrespondenzen mit dem Monde fuͤhren, von dem wir heutiges Tages schon Steine heraberhalten; Shakspearsche Stuͤcke in den untersten Klassen als Exercitien aus- arbeiten; die Liebe, die Freundschaft, die Treue, wie jezt den Hanswurst, schon nicht mehr auf den Theatern dulden; Tollhaͤuser nur noch fuͤr Vernuͤnftige aufbauen; die Aerzte als schaͤdliche Mitglieder des Staates ausreuten, weil sie das Mittel gegen den Tod aufgefunden; und Gewitter und Erdbe- ben so leicht veranstalten koͤnnen, wie jezt Feuerwerke. — Armer schwebender Teufel, wie wuͤrde es da mit deiner Unsterblichkeit aus- sehen, und du hast wohlgethan daß du dich rasch aus dem Staube machtest.“ — Ich wurde aber ploͤzlich in meiner guten Laune geruͤhrt, so wie ein heftig Lachender zulezt in Thraͤnen ausbricht, als ich in einen Winkel blikte, wo seine Kindheit gleichsam als die einzige Freude und zugleich als die einzige zuruͤckgebliebene Moͤbel dem Erblaßten stumm und bedeutend gegenuͤbergestellt war; es war ein altes verwittertes Gemaͤlde, auf dem die Farben schon halb verloͤscht, so wie dem Aberglauben nach auf den Portraiten Ver- storbener die Wangenroͤthe verfliegt. Es stellte den Poeten dar, wie er als ein freundlicher laͤchelnder Knabe an der Brust seiner Mutter spielte; ach das schoͤne Antliz war seine erste und einzige Liebe und sie war ihm nur sterbend untreu geworden. Hier in dem Bilde lachte die Kindheit noch um ihn, und er stand in dem Fruͤhlingsgarten voll geschlossener Blumen- knospen, nach deren Dufte er sich sehnte und die ihm nur als Giftblumen aufbrachen und den Tod gaben. Ich mußte mich schaudernd abwenden als ich die Kopie, den laͤchelnden umlokten Kindskopf, mit dem jezigen Origi- nale dem schwebenden Hypokratischen Gesichte verglich, das schwarz und schreklich wie ein Medusenhaupt in seine Jugend schauete. Er schien noch in der lezten Minute den lezten Blik auf das Gemaͤhlde geworfen zu haben, denn er hing dagegen gekehrt und die Lampe brannte dicht davor wie vor einem Altarblatte. — O die Leidenschaften sind die tuͤckischen Re- touschirer, die den bluͤhenden Rafaelskopf der Jugend mit den fortschreitenden Jahren auf- frischen und durch immer haͤrtere Zuͤge ent- stellen und verzerren, bis aus dem Engels- haupt eine Hoͤllenbreugeliche Larve geworden ist. — Der Arbeitstisch des Dichters, dieser Al- tar des Apoll, war ein Stein, denn alles vorraͤthige Holz, bis auf den abgeloͤsten Rah- men des Gemaͤldes, war laͤngst bei seinen naͤchtlichen Opfern zur Flamme verzehrt. Auf diesem Steine lagen das ruͤkgekehrte Trauer- spiel, der Mensch uͤberschrieben, und zu- gleich der Absagebrief des Poeten an das Le- ben; dieser lautete so: „Absagebrief an das Leben. Der Mensch taugt nichts, darum streiche ich ihn aus. Mein Mensch hat keinen Ver- leger gefunden weder als persona vera noch ficta , fuͤr die lezte (meine Tragoͤdie) will kein Buchhaͤndler die Drukkosten herschießen, und um die erste, (mich selbst) bekuͤmmert sich gar der Teufel nicht, und sie lassen mich verhungern, wie den Ugolino, in dem groͤßten Hungerthurme, der Welt, von dem sie vor meinen Augen den Schluͤssel auf immer in das Meer geworfen haben. Ein Gluͤck ist’s noch daß mir so viel Kraft uͤbrig bleibt, die Zinne zu erklimmen und mich hinabzustuͤrzen. Ich danke dafuͤr, in diesem meinem Testa- mente, dem Buchhaͤndler, der ob er gleich meinem Menschen nicht forthelfen wollte, mir doch wenigstens die Schnur in den Thurm hinabwarf, an der ich in die Hoͤhe kommen kann. Ich denke es ist lustig droben, und eine gute freie Aussicht; besser ist’s in alle Wege, selbst wenn ich nichts sehen sollte, als hier un- ten, denn ich weiß nichts mehr darum; — aber der alte Ugolino tappte, vor Hunger blind geworden, in seinem Thurme umher, und war sich seiner Blindheit bewußt und das Leben kaͤmpfte noch gewaltig in ihm, daß er nicht untergehen konnte. Ach ich habe zwar, wie er, in meinem Kerker auch noch mit holden Knaben getaͤn- delt, die ich einsam in der Nacht erzeugte und die um mich her spielten als eine bluͤhende Jugend und goldene helle Traͤume; in ihnen die ich hinterlassen wollte, schloß ich mich warm an das Leben; — aber sie haben auch sie ver- stoßen, und die hungrigen Thiere, die sie mit mir einsperrten, haben sie zernagt, daß sie mich nur noch in der Erinnerung umgaukeln. Mag’s sein; die Thuͤr ist fest hinter mir zugeworfen, und das leztemal, daß sie sie oͤff- neten, war’s nur um den Sarg meines lezten Kindes hereinzutragen; — ich hinterlasse nun nichts, und gehe dir trozig entgegen, Gott, oder Nichts!“ — Dies war die lezte zuruͤkgebliebene Asche von einer Flamme, die in sich selbst ersticken mußte. Ich sammelte sie, und so viele Reli- quien von dem Menschen ich den hungrigen Maͤusen noch entreissen konnte, sorgfaͤltig, in- dem ich mich gewaltsamerweise zum Erben der Hinterlassenschaft einsezte. Bringt mich der Himmel unverhofft einmal in eine bessere Lage, so gebe ich das Trauer- spiel: der Mensch , so zernagt und unvoll- staͤndig es auch ist, auf meine Kosten heraus, und vertheile die Exemplare gratis unter die Menschen. Fuͤr jezt will ich nur etwas vom Prologe des Hanswurstes mittheilen. Der Poet entschuldigt sich in einer kurzen Vorrede daruͤber, daß er den Hanswurst in eine Tra- goͤdie einzufuͤhren wagte, mit eigenen Worten folgendermaßen: „Die alten Griechen hatten einen Chorus in ihren Trauerspielen angebracht, der durch die allgemeinen Betrachtungen die er anstellte, den Blick von der einzelnen schrecklichen Hand- lung abwendete und so die Gemuͤther besaͤnf- tigte. Ich denke es ist mit dem Besaͤnftigen jezt nicht an der Zeit, und man soll vielmehr heftig erzuͤrnen und aufwiegeln, weil sonst nichts mehr anschlaͤgt, und die Menschheit im Ganzen so schlaff und boshaft geworden ist, daß sie’s ordentlicherweise mechanisch betreibt, und ihre heimlichen Suͤnden aus bloßer Ab- spannung vollfuͤhrt. Man soll sie heftig reizen, wie einen asthenischen Kranken, und ich habe deshalb meinen Hanswurst angebracht, um sie recht wild zu machen; denn wie, nach dem Sprichworte, Kinder und Narren die Wahrheit sagen, so befoͤrdern sie auch das Furchtbare und Tragische, indem jene es unschuldig hart vortragen, und diese gar daruͤber spotten und Possen damit treiben. Neuere Aesthetiker wer- den mir Gerechtigkeit wiederfahren lassen.“ — Das was ich noch von dem Manuscripte mittheilen will, lautete so: „Prolog des Hanswurstes zu der Tragoͤdie: der Mensch. Ich trete als Vorredner des Menschen auf. Ein respektives zahlreiches Publikum wird es leichter uͤbersehen, daß ich meiner Handthierung nach ein Narr bin, wenn ich fuͤr mich anfuͤhre, daß nach Doktor Darwin S. dessen Gedicht uͤber die Natur. ei- gentlich der Affe, der doch ohnstreitig noch laͤppischer ist als ein bloßer Narr, der Vor- redner und Prologist des ganzen Menschenge- schlechts ist, und daß meine und Ihre Gedan- ken und Gefuͤhle sich nur blos mit der Zeit etwas verfeinert und kultivirt haben, obgleich sie ihrem Ursprunge gemaͤß doch immer nur Gedanken und Gefuͤhle bleiben, wie sie in dem Kopfe und Herzen eines Affen entstehen konn- ten. Doktor Darwie , den ich hier als meinen Stellvertreter und Anwald auffuͤhre, behauptet naͤmlich, daß der Mensch als Mensch einer Affenart am mittellaͤndischen Meere sein Da- sein verdanke, und daß diese blos dadurch daß sie sich ihres Daumenmuskels so bedienen lernte, daß Daumen und Fingerspitzen sich be- ruͤhrten, sich allmaͤhlig ein verfeinertes Gefuͤhl verschaffte, von diesem in den folgenden Ge- nerationen zu Begriffen uͤberging und sich zu- lezt zu verstaͤndigen Menschen einkleidete, wie wir sie jezt noch taͤglich in Hof- und anderen Uniformen einherschreiten sehen. 10 Das Ganze hat sehr viel fuͤr sich; finden wir doch nach Jahrtausenden noch hin und wie- der auffallende Annaͤherungen und Verwand- schaften in dieser Ruͤksicht, ja ich glaube be- merkt zu haben, daß manche respektive und geschaͤzte Personen sich ihres Daumenmuskels noch jezt nicht gehoͤrig bedienen lernten, wie z. B. manche Schriftsteller und Leute die die Feder fuͤhren wollen; sollte ich darin nicht ir- ren, so spricht das sehr fuͤr Darwie . Auf der andern Seite finden wir auch manche Gefuͤhle und Geschicklichkeiten in dem Affen, die uns offenbar bei dem salto mortale zum Menschen entfallen sind, so liebt z. B. eine Affenmutter noch heutiges Tages ihre Kinder mehr als manche Fuͤrstenmutter; das einzige was dies widerlegen koͤnnte, waͤre noch, wenn man anfuͤhren wollte daß diese sie, eben aus uͤber- großer Liebe vernachlaͤßigte um das zu bezwek- ken, was jene nur etwas schneller durch das Erdruͤcken ihrer Jungen erreicht. Genug ich bin mit Doktor Darwie einver- standen, und thue den philanthropischen Vor- schlag, daß wir unsere juͤngeren Bruͤder, die Affen in allen Welttheilen, hoͤher schaͤzen ler- nen, und sie, die jezt nur unsere Parodisten sind, durch eine gruͤndliche Anweisung, den Daumen und die Fingerspizen zusammen zu bringen, so daß sie mindestens eine Schreib- feder fuͤhren koͤnnen, zu uns herauf ziehen moͤgen. Ist es doch besser mit dem ersten Doktor Darwie die Affen fuͤr unsere Vorfah- ren anzunehmen, als so lange zu zoͤgern bis ein zweiter gar andere wilde Thiere zu unsern Adscendenten macht, welches er vielleicht durch eben so gute Wahrscheinlichkeitsgruͤnde belegen koͤnnte, da die meisten Menschen, wenn man ihnen das Untertheil des Gesichts und den Mund, mit dem sie die gleissenden Worte ver- schwenden, verdekt, in ihren Physiognomien eine auffallende Geschlechtsaͤhnlichkeit besonders mit Raubvoͤgeln, als z. B. Geiern, Falken u. s. w. erhalten, ja da auch der alte Adel seine Stammbaͤume eher zu den Raubthieren, als Affen hinauffuͤhren kann, welches, ausser ihrer Vorliebe zur Raͤuberei im Mittelalter, auch noch aus ihren Wappen erhellet, in de- nen sie meistentheils Loͤwen, Tieger, Adler und andere dergleichen wilde Thiere fuͤhren. — Das Gesagte mag hinlaͤnglich sein, um meine Person und Maske vor der jezt aufzu- fuͤhrenden Tragoͤdie: Der Mensch, zu recht- fertigen. Ich verspreche einem respektiven Publikum zum Voraus daß ich spashaft sein will bis zum Todtlachen, der Dichter mag es noch so ernsthaft und tragisch anlegen. — Was soll es auch uͤberhaupt mit dem Ernste, der Mensch ist eine spashafte Bestie von Haus aus und er agirt blos auf einer groͤssern Buͤhne als die Akteure der kleinern in diese große wie in Hamlet eingeschachtelten; mag er’s noch so wichtig nehmen wollen, hinter den Koulissen muß er doch Krone, Zepter und Theaterdolch ablegen, und als abgetretener Komoͤdiant in sein dunkles Kaͤmmerchen schleichen, bis es dem Direktor gefaͤllt eine neue Komoͤdie anzu- sagen. Wollte er sein Ich in puris naturali- bus oder auch nur im Nachtkleide und mit der Schlafmuͤze zeigen, beim Teufel jedermann wuͤrde vor der Seichtigkeit und Nichtsnuzig- keit davon laufen; so behaͤngt er’s aber mit bunten Theaterlappen und nimmt die Masken der Freude und Liebe vor das Gesicht, um interessant zu scheinen, und durch das innen angebrachte Sprachrohr die Stimme zu erhoͤ- hen; dann schaut zulezt das Ich auf die Lap- pen herab, und bildet sich ein sie machten’s aus, ja es giebt wohl gar andere noch schlech- ter gekleidete Ich’s, die den zusammengeflikten Popanz bewundern und lobpreisen; denn beim Lichte besehen ist doch die zweite Mandan- dane Goͤthe’s Triumpf der Empfindsamkeit. auch eine nur kuͤnstlicher zusammenge- naͤhte, die eine gorge de Paris vorgestekt hat um ein Herz zu fingiren, und eine taͤu- schender gearbeitete Larve vor den Todtenkopf haͤlt. Der Todtenkopf fehlt nie hinter der lieb- aͤugelnden Larve, und das Leben ist nur das Schellenkleid das das Nichts umgehaͤngt hat, um damit zu klingeln und es zulezt grimmig zu zerreißen und von sich zu schleudern. Es ist Alles Nichts und wuͤrgt sich selbst auf und schlingt sich gierig hinunter, und eben dieses Selbstverschlingen ist die tuͤckische Spiegelfech- terei als gaͤbe es Etwas, da doch wenn das Wuͤrgen einmal inne halten wollte eben das Nichts recht deutlich zur Erscheinung kaͤme, daß sie davor erschrecken muͤßten; Thoren ver- stehen unter diesem Innehalten die Ewigkeit, es ist aber das eigentliche Nichts und der ab- solute Tod, da das Leben im Gegentheile nur durch ein fortlaufendes Sterben entsteht. Wollte man dergleichen ernsthaft nehmen, so moͤgte es leicht zum Tollhause fuͤhren, ich aber nehme es blos als Hanswurst, und fuͤhre dadurch den Prolog bis zur Tragoͤdie hin, in der es der Dichter freilich hoͤher genommen und sogar einen Gott und eine Unsterblichkeit in sie hineinerfunden hat, um seinen Menschen bedeutender zu machen. Ich hoffe indeß das alte Schicksal, unter dem bei den Griechen selbst die Goͤtter standen, darin abzugeben, und die handelnden Personen recht toll in ein- ander zu verwirren, daß sie gar nicht klug aus sich werden, und der Mensch sich zulezt fuͤr Gott selbst halten, oder zum mindesten wie die Idealisten und die Weltgeschichte, an einer solchen Maske formen soll. Ich habe mich jezt so ziemlich angekuͤndigt, und kann das Trauerspiel nun allenfalls selbst auftreten lassen mit seinen drei Einheiten, der Zeit — auf die ich streng halten werde, da- mit der Mensch sich gar nicht etwa in die Ewigkeit verirrt — des Orts — der immer im Raume bleiben soll — und der Hand- lung — die ich so viel als moͤglich beschraͤn- ken werde, damit der Oedipus, der Mensch, nur bis zur Blindheit, nicht aber in einer zweiten Handlung zur Verklaͤrung fortschreite. Gegen die Maskeneinfuͤhrung habe ich mich nicht gesperrt, denn je mehr Masken uͤber einander, um desto mehr Spaß, sie eine nach der andern abzuziehen bis zur vorlezten satiri- schen, der hypokratischen und der lezten verfe- stigten, die nicht mehr lacht und weint — dem Schaͤdel ohne Schopf und Zopf, mit dem der Tragikomiker am Ende ablaͤuft. — Auch ge- gen die Verse habe ich nichts einwenden wol- len, sie sind nur eine komischere Luͤge, so wie der Kothurn nur eine komischere Aufgeblasen- heit. Prologus tritt ab. —“ Neunte Nachtwache . E s freut mich daß ich in den vielen Dornen meines Lebens doch wenigstens Eine bluͤhende volle Rose fand; sie war zwar so von den Sta- cheln umschlungen, daß ich sie nur mit blutiger Hand und entblaͤttert hervorziehen konnte; doch aber pfluͤkte ich sie, und ihr sterbender Duft that mir wohl. Diesen einen Wonne- monat unter den uͤbrigen Winter- und Herbst- monden verlebte ich — im Tollhause. — Die Menschheit organisirt sich gerade nach Art einer Zwiebel, und schiebt immer eine Huͤlse in die andere bis zur kleinsten, worin der Mensch selbst denn ganz winzig stekt. So baut sie in den großen Himmelstempel an dessen Kuppel die Welten als wunderheilige Hieroglyphen schweben, kleinere Tempel mit kleinern Kuppeln und nachgeaͤfften Sternen, und in diese wieder noch kleinere Kapellen und Tabernakel, bis sie zulezt das Allerheiligste ganz en miniature wie in einen Ring einge- faßt hat, da es doch ringsum groß und maͤch- tig um Berge und Waͤlder schwebt, und in der glaͤnzenden Hostie, der Sonne, am Himmel emporgehoben wird, daß die Voͤlker davor nie- derfallen. In die allgemeine Weltreligion, die die Natur mit tausend Schriftzeichen geof- fenbart hat, schachtelt sie wieder kleinere Volks- und Stammreligionen fuͤr Juden, Hei- den, Tuͤrken und Christen; ja die leztern ha- ben auch daran nicht genug, sondern schachteln sich noch von neuem ein. — Eben so ist es mit dem allgemeinen Irrhause, aus dessen Fenstern so viele Koͤpfe schauen, theils mit partiellem, theils mit totalem Wahnsinne; anch in dieses sind noch kleinere Tollhaͤuser fuͤr besondere Narren hineingebaut. In eins von diesen kleinern brachten sie mich jezt aus dem großen, vermuthlich weil sie dieses fuͤr zu stark besezt hielten. Ich fand es indeß hier gerade wie dort; ja fast noch besser, weil die fixe Idee der mit mir eingesperrten Narren meistens eine angenehme war. Ich kann meine Mitnarren nicht besser darstellen, als wenn ich gerade den Augenblick waͤhle, wo ich sie dem besuchenden Arzte vor- fuͤhren mußte, was dann und wann geschah, weil mich der Aufseher des Instituts meiner unschaͤdlichen Narrheit halber zum Vize- und Unteraufseher ernannt hatte. Ich that es das leztemal unter folgender Rede: „Herr Doktor Oehlmann, oder Olea- rius — wie Sie denn ihren Namen vor Dis- sertationen und Programmen, durch eine todte Sprache in die Unsterblichkeit uͤbersetzen — wir laboriren zwar alle mehr oder minder an fixen Ideen; nicht nur einzelne Individuen, sondern ganze Gemeinheiten und Fakultaͤten, von denen z. B. viele der lezteren neben dem Vertriebe der Weisheit auch einem bloßen Huthhandel obliegen, wodurch sie sogar nicht weise Haͤupter, bloß vermoͤge des leichten Auf- druͤckens eines solchen Huthes aus ihrer Fa- brik in weise umzusetzen glauben; ja ihn oft selbst auf einen bloßen Rumpf schlagen und so scheinbar Philosophen bilden, weil die Gesich- ter der lezteren vor uͤbergroßem Spekuliren sich ohnedies gewoͤhnlich tief unter die Huth- krempe zu verkriechen pflegen. — Ich habe der vielen Beispiele halber, die sich hier mei- nem Gedaͤchtnisse aufdraͤngen, den Faden des Perioden verlohren, und reiße ihn lieber ganz ab, um von neuem anzuheben.“ Oehlmann schuͤttelte hier seinen Doktorhut, wie wenn er daran zweifelte, daß man dem meinigen eine Doublette von diesem erhandel- ten Exemplare jemals verabfolgen lassen wuͤrde. „Sie schuͤtteln, fuhr ich fort, weil mich der Himmel blos zu einem Narren kreirt hat, und nicht spaͤterhin der Kaiser zum Doktor? doch beseitigen wir das fuͤr jezt noch und re- den von meiner Tollheit und den Mitteln ihr abzuhelfen, lieber zulezt. Hier No. I. ist ein Beleg zur Humanitaͤt, der mehr als alle Schriften daruͤber gilt; ich kann nie an ihm voruͤbergehen, ohne mich an die groͤßten Helden der Vorzeit, einen Cur- tius, Coriolan, Regulus und dergleichen zu erinnern. Sein Wahnsinn besteht darin, die Menschheit zu hoch und sich selbst zu niedrig anzuschlagen; deshalb behaͤlt er, im Gegen- saze schlechter Poeten, alle Fluͤssigkeiten bei sich, weil er befuͤrchtet durch ihre Freilassung eine allgemeine Suͤndfluth herbeizufuͤhren. Ich ergrimme oft, wenn ich ihn betrachte, daruͤber, daß ich sein eingebildetes Vermoͤgen nicht in der That besize — wahrlich ich thaͤt’s, ich naͤhme die Erde als meinen pot de cham- bre in die Hand, daß alle Doktoren untergin- gen, und nur ihre Huͤthe in Menge oben schwaͤmmen. Es ist ein großer Gedanke — der arme Teufel faßt ihn nicht, denn sehn sie nur wie er da steht und sich quaͤlt, und den Athem zuruͤkhaͤlt, blos aus reiner Menschenliebe, und wenn wir ihm jezt von dieser Seite nicht Luft verschaffen, so ist er des Todes. Mein recipe sind Feuersbruͤnste, ausgetrocknete Stroͤ- me mit stillstehenden Muͤhlen und vielen Hun- grigen und Durstigen an den Ufern. Eine Radikalkur, denke ich, soll die Hoͤlle des Dante abgeben, durch die ich ihn jezt alle Tage fuͤhre, und die er zu verloͤschen sich ernstlich vorgesezt hat. — Seines urspruͤnglichen Handwerks nach, soll er ein Poet gewesen sein, der seine Fluͤssigkeiten in keinen Buch- laden ableiten konnte. — No. 2 und 3 sind philosophische Gegenfuͤßler, ein Idealist und ein Realist; jener laborirt an einer glaͤsernen Brust, und dieser an einem glaͤsernen Gefaͤße, weshalb er sein Ich niemals setzt, was jenem eine Kleinigkeit ist, ob er gleich dagegen die moralische Anschauung ver- meidet, und darum die Brust sorgfaͤltig be- deckt. No. 4. sizt hier blos deswegen weil er in der Bildung um ein halbes Jahrhundert zu weit vorausgeschritten ist; es wandeln noch einige von der Art frei herum, die man aber, wie billig, alle auch fuͤr toll haͤlt. No. 5. hielt zu verstaͤndige und verstaͤnd- liche Reden, deshalb haben sie ihn hieher ge- schickt. No. 6. ist aus der Verruͤktheit, den Scherz eines Großen als Ernst zu nehmen, verruͤkt geworden. No. 7. hat sein Gehirn versengt, dadurch daß er sich zu hoch in die Poesie verstieg, und No. 8 dadurch, daß er bei vernuͤnftigen Tagen es mit der Ruͤhrung in seinen Komoͤ- dien zu uͤbermaͤßig betrieb, seine Vernunft gaͤnzlich weggeschwemmt. Jener glaubt jezt als Flamme zu brennen, so wie im Gegentheile dieser als Wasser dahin fließt. Ich habe dann und wann versucht die widerstreitenden Ele- mente durch einen gegenseitigen Kampf zu verzehren, aber das Feuer fiel dann so heftig uͤber das Wasser her, daß ich No. 9, der sich fuͤr den Weltschoͤpfer haͤlt, herbeirufen mußte, um sie wieder von einan- der zu scheiden. Diese letzte Nummer haͤlt oft hoͤchst wun- derliche Selbstgespraͤche, und Sie koͤnnen jezt eben einem zuhoͤren, wenn sie anders Geduld dazu haben. Monolog des wahnsinnigen Welt- schoͤpfers. „Es ist ein wunderlich Ding hier in mei- ner Hand, und wenn ichs von Sekunde zu Sekunde — was sie dort ein Jahrhundert hei- ßen — durch das Vergroͤßerungsglas betrachte, so hat sich’s immer toller auf der Kugel ver- wirrt, und ich weiß nicht ob ich daruͤber lachen oder mich aͤrgern soll — wenn beides sich nur uͤberhaupt fuͤr mich schickte. Das Sonnenstaͤubchen, das daran herumkriecht, nennt sich Mensch; als ich es geschaffen hatte, sagte ich zwar der Sonderbarkeit wegen es sei gut — uͤbereilt war das freilich, indeß ich hatte nun einmal meine gute Laune, und al- les Neue ist hier oben in der langen Ewigkeit willkommen, wo es gar keinen Zeitvertreib giebt. — Mit manchem was ich geschaffen, bin ich freilich noch jezt zufrieden, so ergoͤzt mich die bunte Blumenwelt mit den Kindern die darunter spielen, und die fliegenden Blumen, 11 die Schmetterlinge und Insekten, die sich als leichtsinnige Jugend von ihren Muͤttern trenn- ten und doch zu ihnen zuruͤckkehren um ihre Milch zu trinken und an der Mutter Brust zu schlummern und zu sterben. Irgend ein Naturforscher stellt die Hypothese auf, daß die ersten Insekten nur Staubfaͤden an Pflanzen waren, die sich durch ein Ohnge- faͤhr von ihnen trennten. — Aber dies winzige Staͤubchen, dem ich einen lebendigen Athem einbließ und es Mensch nannte, aͤrgert mich wohl hin und wieder mit seinem Fuͤnk- chen Gottheit, das ich ihm in der Uebereilung anerschuf, und woruͤber es verruͤkt wurde. Ich haͤtte es gleich einsehen sollen, daß so we- nig Gottheit nur zum Boͤsen fuͤhren muͤsse, denn die arme Kreatur weiß nicht mehr, wo- hin sie sich wenden soll, und die Ahnung von Gott, die sie in sich herumtraͤgt, macht daß sie sich immer tiefer verwirret, ohne jemals damit aufs Reine zu kommen. In der einen Sekunde, die sie das goldene Zeitalter nannte, schnizte sie Figuren lieblich anzuschauen und baute Haͤuserchen daruͤber, deren Truͤmmer man in der andern Sekunde anstaunte und als die Wohnung der Goͤtter betrachtete. Dann betete sie die Sonne an, die ich ihr zur Erleuchtung anzuͤndete und die, mit meiner Studierlampe verglichen, sich wie das Fuͤnk- chen zur Flamme verhaͤlt. Zulezt — und das war das aͤrgste — duͤnkte sich das Staͤubchen selbst Gott und bauete Systeme auf, worin es sich bewunderte. Beim Teufel! Ich haͤtte die Puppe ungeschnizt lassen sollen! — Was soll ich nur mit ihr anfangen? — Hier oben sie in der Ewigkeit mit ihren Possen herum- huͤpfen lassen? — Das geht bei mir selbst nicht an; denn da sie sich dort unten schon mehr als zuviel langweilt und sich oft vergeblich be- muͤht in der kurzen Sekunde ihrer Existenz die Zeit sich zu vertreiben, wie muͤßte sie sich bei mir in der Ewigkeit, vor der ich oft selbst erschrecke, langweilen! Sie ganz und gar zu vernichten thut mir auch leid; denn der Staub traͤumt doch oft gar so angenehm von der Unsterblichkeit, und meint, eben weil er so etwas traͤume, muͤsse es ihm werden. — Was soll ich beginnen? Wahrlich hier steht mein Verstand selbst still! Lasse ich die Krea- tur sterben und wieder sterben, und verwische jedesmal das Fuͤnkchen Erinnerung an sich selbst, daß es von neuem auferstehe und um- herwandle? Das wird mir auf die Laͤnge auch langweilig, denn das Possenspiel immer und immer wiederholt, muß ermuͤden! — Am besten ich warte uͤberhaupt mit der Entschei- dung bis es mir einfaͤllt einen juͤngsten Tag festzusetzen und mir ein kluͤgerer Gedanke bei- kommt. —“ „Was das fuͤr ein verruchter Wahnsinn ist — fiel ich ein, als Nro. 9 inne hielt. — Wenn ein vernuͤnftiger Mensch dergleichen vor- braͤchte, wuͤrde man es wahrlich konfiszi- ren.“ — Oehlmann schuͤttelte den Kopf und machte einige bedeutende Anmerkungen uͤber Gemuͤths- krankheiten uͤberhaupt. Der Weltschoͤpfer, der bei seiner Rede ei- nen Kinderball in der Hand hielt und jezt mit ihm an zu spielen fing, fuhr nach einer Pause fort. „Wie die Physiker sich jezt uͤber die ver- aͤnderte Temperatur wundern, und neue Sy- steme daruͤber aufstellen werden. Ja diese Er- schuͤtterung bringt vielleicht Erdbeben und an- dere Erscheinungen zuwege, und es giebt ein weites Feld fuͤr die Teleologen. O das Son- nenstaͤubchen hat eine erstaunliche Vernunft, und bringt selbst in das Willkuͤhrlichste und Verworrenste etwas systematisches; ja es lobt und preiset oft seinen Schoͤpfer eben deshalb weil es davon uͤberrascht wurde daß er eben so gescheut als es selbst sei. — Dann treibt es sich durch einander und das Ameisenvolk bildet eine große Zusammenkunft und stellt sich fast an, als ob etwas darin abgehandelt wuͤrde. Lege ich jezt mein Hoͤrrohr an, so vernehme ich wirklich etwas und es summen von Kanzeln und Kathedern ernsthafte Reden uͤber die weise Einrichtung in der Natur, wenn ich etwa den Ball spiele und dadurch ein paar Duzzend Laͤnder und Staͤdte untergehen und mehrere von den Ameisen zerschmettert werden, die sich ohnedas seitdem sie die Kuh- pocken erfunden haben nur zu viel vermehren. O seit einer Sekunde sind sie so klug gewor- den, daß ich mich hier oben nicht schneuzen darf, ohne daß sie das Phaͤnomen ernsthaft untersuchen. — Beim Teufel! da ist es fast aͤrgerlich Gott zu sein, wenn einen solch ein Volk bekrittelt! — Ich moͤchte den ganzen Ball zerdruͤcken!“ — „Sehen Sie nur, Herr Doktor, — fuhr ich fort als der Weltschoͤpfer endete — wie grimmig der Kerl es auf die Welt angelegt hat; es ist fast gefaͤhrlich fuͤr uns andere Nar- ren, daß wir den Titanen unter uns dulden muͤssen, denn er hat eben so gut sein konse- quentes System wie Fichte, und nimmt es im Grunde mit dem Menschen noch geringer als dieser, der ihn nur von Himmel und Hoͤlle abtrennt, dafuͤr aber alles Klassische rings um- her in das kleine Ich, das jeder winzige Knabe ausrufen kann, wie in ein Taschenfor- mat zusammendraͤngt. Jeder vermag jezt aus der unbedeutenden Huͤlse, wie es ihm beliebt, ganze Kosmogonien, Theosophien, Weltge- schichten und dergleichen, samt den dazu ge- hoͤrigen Bilderchen herauszuziehen. Groß und herrlich ist das allerdings wenn nur das For- mat nicht so klein waͤre! — Schon Schlegel hat es sehr auf die kleinen Bilderchen abge- sehen, und ich muß gestehen daß mir eine große Iliade in Sedez herausgegeben, nimmer behagen will — das heißt den ganzen Olymp in eine Nußschale packen, und die Goͤtter und Helden muͤssen sich entweder zum verjuͤngten Maasstabe bequemen, oder ohne Gnade das Genik brechen!“ — „Sie sehen mich an, Herr Doktor, und schuͤtteln zum zweitenmale den Kopf! Ja, ja sie haben es getroffen; das Alles gehoͤrte zu meiner Tollheit und im vernuͤnftigen Zustande bin ich grade der entgegengesezten Meinung!“ „Lassen Sie uns den Weltschoͤpfer verlas- sen! —“ Hier Nro. 10 und 11 sind Belege zur Seelenwanderung; der erste bellt als Hund und diente ehmals am Hofe; der zweite hat sich aus einem Staatsbeamten in einen Wolf verwandelt. Man kommt auf eigene Gedan- ken bei ihnen. Nro. 12, 13, 14, 15 und 16 sind Varia- zionen uͤber denselben Gassenhauer, die Liebe. Nro. 17 hat sich uͤber seine eigene Nase vertieft. Finden sie das sonderbar? Ich nicht! Vertiefen sich doch oft ganze Fakultaͤten uͤber einen einzigen Buchstaben, ob sie ihn fuͤr ein α oder ω nehmen sollen. Nro. 18 ist ein Rechenmeister, der die lezte Zahl finden will. Nro. 19 denkt uͤber einen Diebstahl nach, den der Staat an ihm beging; — das darf er aber nur im Tollhause. Nro. 20 ist endlich mein eigenes Narren- kaͤmmerchen. Treten Sie immer herein und schauen Sie sich um, sind wir doch vor Gott alle gleich und laboriren blos an verschiedenen fixen Ideen, wo nicht an einem totalen Wahn- sinn bloß mit kleinen Nuanzen. — Das dort ist ein Sokrates Kopf dem Sie die Weisheit, so wie jenem Skaramuz, die Narrheit an der Nase ansehen. Dies Manuscript enthaͤlt ei- genhaͤndige Parallelen von mir uͤber beide, und ist zu Gunsten des Narren ausgefallen. — Nicht wahr der Fleck muͤßte kurirt werden? Es ist uͤberhaupt die verstockteste Seite an mir daß ich alles Vernuͤnftige abgeschmackt, so wie vice versa finde — ich kann mich der Grille gar nicht erwehren! Oft zwar habe ich es versucht die Weisheit mit den Haaren an mich zu reißen, und habe deshalb privatim mit allen drei Brodfakultaͤ- ten Umgang gepflogen, um mich demnaͤchst oͤffentlich, nach einem kurzen akademischen Musenbeilager, als eine heilige Dreizahl zum Besten der Menschheit einsegnen zu lassen, und mit den drei uͤbereinandergestuͤlpteu Dok- torhuͤten einherzuschreiten. O dachte ich bei mir selbst; koͤnntest du dann nicht blos durch leichten unbemerkbaren Hutwechsel als ein Pro- teus in praktischer und theoretischer Hinsicht umherwandeln! Ueber die kuͤrzeste Heilungs- methode der Krankheiten in Dissertationen verkehren, und den Kranken selbst auf dem kuͤrzesten Wege von seinem Uebel entbinden! Den Sterbenden, nach rasch vertauschtem Hute, als Rechtsfreund umarmen und sein Haus be- stellen, und endlich blos durch uͤbergeworfenen Mantel als Himmelsfreund ihm den rechten Weg zum Himmel zeigen. Wie in einer Fabrik durch verschiedene Maschinen, ließe sich auf diese Weise durch verschiedene Huͤte ein Hoͤch- stes und Leztes erreichen. Und welch ein Ue- berfluß an Weisheit und Gelde — eine er- wuͤnschte Kombination der beiden entgegenge- seztesten Guͤter, eine hoͤchste Idealisirung der Zentaurennatur im Menschen, wo das wohlge- saͤttigte Thier unten, den hoͤhern Reiter kek einherstolziren laͤßt. — Doch ich fand bei naͤherer Ansicht Alles ei- tel, und erkannte in aller dieser gepriesenen Weisheit zulezt nichts anders als die Decke die uͤber das Mosesantlitz des Lebens gehaͤngt ist, damit es Gott nicht schaue. Sie sehen wohin das fuͤhrt, und es ist eben meine fixe Idee, daß ich mich selbst fuͤr ver- nuͤnftiger halte als die in Systemen deducirte Vernunft, und fuͤr weiser als die docirte Weisheit. Ich moͤchte wahrlich mit Ihnen zu einer medizinischen Berathschlagung mich verbinden, bloß um zu uͤberlegen, wie dieser meiner Narr- heit beizukommen sei, und welche Mittel man dagegen anwenden koͤnnte. Die Sache ist von Wichtigkeit, denn sagen Sie, wie kann man gegen Krankheiten sich auflehnen wollen, wenn man selbst, wie Sie wissen, mit dem Systeme nicht im Reinen ist, ja wohl gar das fuͤr Krankheit haͤlt, was hoͤhere Gesundheit ist, und umgekehrt. Ja, wer entscheidet es zulezt, ob wir Nar- ren hier in dem Irrhause meisterhafter irren, oder die Fakultisten in den Hoͤrsaͤlen? Ob vielleicht nicht gar Irrthum, Wahrheit; Narr- heit, Weisheit; Tod, Leben ist — wie man vernuͤnftigerweise es dermalen gerade im Ge- gentheile nimmt! — O ich bin inkurabel, das sehe ich selbst ein.“ Der Doktor Oehlmann verordnete mir nach einigem Nachsinnen viele Bewegung und wenig oder gar kein Denken, weil er meinte, daß mein Wahnsinn, gerade wie bei andern eine Indigestion durch zu haͤufigen physischen Genuß, durch uͤbertriebene intellektuelle Schwelgerei entstanden sei. — Ich ließ ihn gehen! Fuͤr meinen Wonnemonat im Tollhause spare ich ein anderes Nachtstuͤck auf. Zehnte Nachtwache . D as ist eine wunderliche Nacht; der Mond- schein in den gothischen Bogen des Dohmes erscheint und verschwindet wie Geister — an der Laterne des Thurmes klettert ein Nacht- wandler herum, mit einem Saͤuglinge im Ar- me, es ist der Kloͤkner; sein Weib schaut aus der Luke, haͤnderingend, aber stumm wie das Grab, daß der schlafende Wanderer, der sicher, wie der sorglose Mensch, die gefaͤhrlichsten Stellen zuruͤklegt , nicht beim Rufe seines Na- mens erwachend und schwindelnd mit dem Knaben in das tiefe Grab hinunterstuͤrze. — Gegenuͤber in der Vorstadt bricht ein Dieb in einen Pallast; aber es ist mein Revier nicht, und ich bin zum Stummsein verdammt; so mag er einbrechen! — Ganz in der Ferne ist leise kaum vernehmbare Musik, wie wenn Muͤcken summen, oder Koch zur Nacht auf der Mundharmonika phantasirt; und oben am Horizont auf dem Eisspiegel der Wiese drehen sich leicht und luftig Schlittschuhlaͤufer, und tanzen den Baseler Todtentanz zu der Trauer- musik. — Alles ist kalt und starr und rauh, und von dem Naturtorso sind die Glieder abgefallen, und er streckt nur noch seine versteinerten Stuͤmpfe ohne die Kraͤnze von Bluͤthen und Blaͤttern gegen den Himmel. Die Nacht ist still und fast schrecklich und der kalte Tod steht in ihr, wie ein unsichtbarer Geist, der das uͤberwundene Leben festhaͤlt. Dann und wann stuͤrzt ein erfrorner Rabe von dem Kirchen- dache, und ein Bettler ohne Dach und Fach kaͤmpft mit dem Schlummer, der ihn so suͤß und lockend, in die Arme des Todes legen will, wie den leichtsinnigen Fischer die Nixe mit Gesang in die Wellen einladet. — Soll ich den Tod betruͤgen um das Bett- lerleben? Beim Teufel ich weiß es ja nicht was besser ist — Sein, oder Nichtsein! — O die dort mit dem nachgeahmten Suͤden in ih- ren Schlafkammern, und dem gemahlten Fruͤh- ling an den Waͤnden, wenn draußen der wirk- liche erstarret ist, werfen die Frage nicht auf, und sie bereiten sich selbst die Natur, wie ein leckeres Gericht auf ihren Tafeln, zu und ge- nießen sie gern nippend und in unterbrochenen Pausen, damit sie im Geschmack bleiben. Aber dieser Vogelfreie ruht der alten Mutter noch unmittelbar an der Brust, die eigensinnig und launisch, wie jede Alte, bald ihre Kinder erwaͤrmt und bald sie erdruͤckt. — Doch nein, du Mutter bist ewig treu und unveraͤnderlich, und bietest den Kindern Fruͤchte in dem gruͤ- nen Laube das sie beschattet, und Flammen und die Erinnerung an dich, wenn du schlum- merst; aber die Bruͤder haben den Joseph ver- stoßen, und verschließen tuͤckisch die Gaben, die du ihm, wie den andern Kindern reichst. — O die Bruͤder sind es nicht werth, daß Jo- seph unter ihnen wandle! — Er mag ent- schlummern! Da ist das Gesicht schon starr und kalt, und der Schlaf hat die Bildsaͤule seinem Bruder in die Arme gelegt; ich will sie hier aufrich- ten, daß sie wie ein Schreckbild, wenn die Sonne aufgeht, in den Tag schaue. — O moͤrderischer Tod, der Bettler hatte noch eine Erinnerung an das Leben und die Liebe — die braune Locke seines Weibes hier unter den Lumpen auf der Brust; du haͤttest ihn nicht wuͤrgen sollen, — und doch — Der Traum der Liebe. Die Liebe ist nicht schoͤn — es ist nur der Traum der Liebe der entzuͤckt. Hoͤre mein Ge- 12 bet, ernster Juͤngling! Siehst du an meiner Brust die Geliebte, o so brich sie schnell die Rose, und wirf den weißen Schleier uͤber das bluͤhende Gesicht. Die weiße Rose des Todes ist schoͤner als ihre Schwester, denn sie erin- nert an das Leben und macht es wuͤnschens- werth und theuer. Ueber dem Grabhuͤgel der Geliebten schwebt ihre Gestalt ewig jugendlich und bekraͤnzt und nimmer entstellt die Wirk- lichkeit ihre Zuͤge, und beruͤhrt sie nicht daß sie erkalte und die Umarmung sich ende. Ent- fuͤhre sie schnell die Geliebte, Juͤngling, denn die Entflohene kehrt wieder in meinen Traͤu- men und Gesaͤngen, sie windet den Kranz meiner Lieder und entschwebt in meinen Toͤ- nen zum Himmel. Nur die Lebende stirbt, die Todte bleibt bei mir, und ewig ist unsre Liebe und unsre Umarmung! — Horch! — Tanzmusik und Todtengesang — das schuͤttelt lustig seine Schellen! Ruͤstig, immer zu; wer den andern uͤbertaͤubt, fuͤhrt die Braut heim. Schade nur, ich sehe zwei Braͤute, eine weiße und eine rothe — zwei Hochzeiten, zu der einem im untern Stock- werk heulen die Klageweiber ihre Weise; einen Stock hoͤher pfeifen und geigen die Musikan- ten, und die Decke uͤber dem Todtenkaͤmmer- lein und dem Sarge bebt und droͤhnt vom Tanze. Erklaͤrt mir doch den naͤchtlichen Spuk! Lenore reitet voruͤber — die weiße Braut hier in der stillen Hochzeitkammer, liebte den Juͤngling der droben walzt; und, das ist Lebensweise, sie liebte, er vergaß, sie erblaßte, und er entgluͤhte fuͤr eine rothe Rose, die er heute heimfuͤhrt, indem man diese weg- traͤgt. — Das ist die alte Mutter der weißen Braut, am Sarge — sie weint nicht; denn sie ist blind — auch die weiße weint nicht und schlum- mert und traͤumt sehr suͤß. — Da stuͤrmt der Hochzeitszug noch tanzend die Stiegen herab — und der Juͤngling steht zwischen zwei Braͤuten. Er erblaßt doch ein wenig. Still! Die blinde Mutter erkennt ihn am Gange. — Sie fuͤhrt ihn zum Brautbette der schlummernden Braut. „Sie hat sich fruͤher niedergelegt zur Hoch- zeitnacht, als du, erweck sie nicht, sie schlaͤft so suͤß, aber deiner hat sie gedacht bis zum Schlummer. Das ist dein Bild auf ihrem Herzen. — O zieh die Hand nicht so erschrok- ken zuruͤk von der kalten Brust; die Nacht ist die laͤngste wo der Frost am bittersten ist, und sie liegt einsam im Brautbett’, ohne den Braͤutigam!“ — Sieh! Da hat der Schrecken die rothe Rose auch erblaßt und der Juͤngling steht zwi- chen den zwei weißen Braͤuten. — Fort, fort, das ist Weltlauf. O wenn ich doch blasen und singen duͤrfte. Jezt schwebt die Leiche hin durch die Gas- sen, und der Laternenschein still hinterdrein an den Waͤnden, wie wenn der voruͤberwan- delnde Tod sich dem schlummernden Leben nicht verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirscht unter den Fußtritten der Leichentraͤger — das ist der heimliche tuͤckische Brautgesang! — Und sie bergen sie in ihr Kaͤmmerlein. Aber nahe dabei singen und brausen noch Juͤnglinge, und verschwenden das Leben, und die Liebe und die Poesie in einem kurzen ra- schen Rausche, der am Morgen verflogen ist — wo ihre Thaten, ihre Traͤume, ihre Hoff- nungen, ihre Wuͤnsche, und alles um sie her nuͤchtern geworden und erkaltet ist. — Im Nonnenkloster der heiligen Ursula war noch spaͤt in der Nacht ein unruhiges Treiben. Die Klocke schlug dann und wann leise und dumpf an, wie wenn man traͤumend stuͤrmen hoͤrt, und an den Kirchenfenstern, deren Bo- gen uͤber die Mauer herabschaueten, flog oft ein ungewoͤhnlicher aber schnell wieder verloͤ- schender Lichtglanz auf. Ich ging einsam um die Mauer herum, die wie ein geweiheter Zauberkreis die heiligen Jungfrauen umschließt. — Ploͤzlich stieß ich auf jemand im Mantel — was ich von ihm erfuhr, gehoͤrt in die fol- gende Winternacht; was ich that, noch in diese. — Der Pfoͤrtner an der aͤussern Mauer war ein alter tiefsinniger Menschenhasser, der mir herzlich zugethan war, als einem Gegenstande, den er mit seinem Zorne nach Belieben uͤber- schuͤtten konnte. Ich besuchte ihn oft zur Nacht um seiner Galle Luft zu machen; auch jezt ging ich zu ihm. Er saß in seiner Huͤtte bei einer Lampe, in der Gesellschaft eines schwar- zen Vogels dem er eine Kappe uͤber den Kopf gezogen hatte, und mit ihm in Unterredung war. „Kennst du das Wesen — sprach der Pfoͤrt- ner — dessen Antliz tuͤckisch lacht, wenn die vorgehaltene Larve Thraͤnen vergießt, das Gott nennt, wenn es den Teufel denkt, das im Innern, wie der Apfel am todten Meere, giftigen Staub enthaͤlt, indeß die Schaale bluͤ- hend roth zum Genuß einladet, das durch das kuͤnstlich gewundene Sprachrohr melodische Toͤne von sich giebt indem es Aufruhr hinein- ruft, das wie die Sphynx nur freundlich laͤ- chelt, um zu zerreissen, und wie die Schlange bloß deshalb so innig umarmt, um den toͤdlichen Stachel in die Brust zu druͤcken? — Wer ist das Wesen, Schwarzer? „Mensch!“ kraͤchzte das Thier auf eine unangenehme Weise. „Der Schwarze spricht weiter kein Wort — sagte der Pfoͤrtner — aber er beantwortet deshalb doch jede meiner Fragen auf das tref- fendste. — Geh schlafen, Schwarzer!“ Der Vogel rief noch dreimal Mensch aus und sezte sich dann, wie wenn er tiefsinnig nachdaͤchte in eine finstere Ecke — er schlum- merte aber nur. „Sie spielen Begrabens im Kloster — fuhr der Alte fort — willst du nicht zuschauen? Eine keusche Urselinerinn ist heute Mutter worden; — in der Legende waͤre ’s; freilich als ein Wunder aufgezeichnet; aber, so sehr haben sie Gott in die Karte geschauet, daß sie heutiges Tages an keine Wunder mehr glau- ben. Die heilige Jungfrau wird diese Nacht lebendig eingescharrt. — Ich lasse dich ein; sieh’s zum Zeitvertreibe an!“ — Er nahm die Schluͤssel, die Angel pfiffen, und ich ging uͤber Graͤber durch den Kreuz- gang. Fackelglanz flog oft rasch uͤber die Mo- numente, auf denen steinerne Jungfrauen be- tend schlummerten, mit kuͤnstlich abgeformten Gesichtern, indeß drunten die Originale schon die Masken abgeworfen hatten. — Ich stellte mich hinter einen Pfeiler, drun- ten war eine offene gemauerte Gruft — ein einsames Entkleidungskaͤmmerchen fuͤr den ab- gehenden Menschen — im Kaͤmmerchen brannte eine blasse Todtenlampe und auf einem her- vorragenden Steine befand sich ein Brod, ein Krug Wasser, ein Kruzifix und ein Gebetbuch. In der uͤber die Gruft gebaueten Kirche herrschte tiefe Stille unter den Heiligen, die von den Waͤnden herabschaueten, nur wenn dann und wann ein Windstoß durch das Orgelwerk fuhr, heulte eine Pfeife unangenehm. Der Zug ward endlich durch die Saͤulen sichtbar — viele schweigende Jungfrauen und in der Mitte die wandelnde Braut des Todes Der ganze Akt haͤtte fuͤr einen poetisch weich- lich gestimmten Zuschauer etwas Schauder er- regendes, eben durch die fast mechanisch schrekliche Weise auf die er vollzogen wurde, gehabt, so wie denn die tragische Muse, je weniger Haͤnderingens sie macht, um so mehr erschuͤttert. Mein Gemuͤth indeß, (das einem mit Vorsatz widersinnig gestimmten Saiten- spiele gleicht, auf dem daher niemals in einer reinen Tonart gespielt werden kann, wenn nicht anders der Teufel einmal ein Konzert darauf ankuͤndigt) wurde wenig ergriffen, und es kam im Grunde nichts weiter als ein toller Lauf durch die Skala zuwege, der ohngefaͤhr durch die folgenden Toͤne ging und in einer Disharmonie stehen blieb: Lauf durch die Skala. „Das Leben laͤuft an dem Menschen vor- uͤber, aber so fluͤchtig daß er es vergeblich an- ruft ihm einen Augenblick Stand zu halten, um sich mit ihm zu besprechen, was es will, und warum es ihn anschaut. Da fliehen die Masken voruͤber, die Empfindungen, eine verzerrter wie die andere. Freude steh mir Rede — ruft der Mensch — weshalb du mir zulaͤchelst! Die Larve laͤchelt und entfli e ht. Schmerz laß dir fest ins Auge schauen, warum erscheinst du mir! Auch er ist schon voruͤber. — Zorn, warum blickst du mich an — ich frage es und du bist verschwunden. Und die Larven drehen sich im tollen raschen Tanze um mich her — um mich der ich Mensch heiße — und ich taumle mitten im Kreise um- her, schwindelnd von dem Anblicke und mich vergeblich bemuͤhend eine der Masken zu um- armen und ihr die Larve vom wahren Antlize wegzureißen; aber sie tanzen und tanzen nur — und ich — was soll ich denn im Kreise? Wer bin ich denn, wenn die Larven verschwin- den sollten? Gebt mir einen Spiegel ihr Fast- nachtsspieler, daß ich mich selbst einmal er- blicke — es wird mir uͤberdruͤssig nur immer eure wechselnden Gesichter anzuschauen. Ihr schuͤttelt — wie? steht kein Ich im Spiegel wenn ich davor trete — bin ich nur der Ge- danke eines Gedanken, der Traum eines Traumes — koͤnnt ihr mir nicht zu meinem Leibe verhelfen, und schuͤttelt ihr nur immer Eure Schellen, wenn ich denke es sind die meini- gen? — Hu! Das ist ja schrecklich einsam hier im Ich, wenn ich euch zuhalte ihr Mas- ken, und ich mich selbst anschauen will — al- lesverhallender Schall ohne den verschwunde- nen Ton — nirgends Gegenstand, und ich sehe doch — — das ist wohl das Nichts das ich sehe! — Weg, weg vom Ich — tanzt nur wieder fort ihr Larven!“ Jezt steigt die Nonne in die Gruft hinab. O endet doch das Spiel daß ich’s erfahre ob’s eigentlich auf Scherz oder auf Ernst hinaus- laͤuft. Folgt doch noch auf dem lezten Wege der Braut des Todes eine Maske — es ist der Wahnsinn. Die Larve laͤchelt heimlich — ob dahinter das wahre Antliz schaudert, oder verzuͤckt ist — wer sagt es mir? Zwar mauern sie, der Braut zur Gesell- schaft, eine Schlange ein — den Hunger — die sich ihr bald um die Brust schlingen, und bis zum Ich fortnagen wird. Wenn dann die lezte Maske auch verschwindet, und das Ich mit sich allein ist — wird es sich wohl die Zeit vertreiben? — Nun klopfen die Haͤmmer der Freimaurer dumpf durch das Gewoͤlbe, und ein Stein nach dem andern fuͤgt sich in das Gewoͤlbe der Gruft. Jezt erblicke ich nur noch durch eine kleine Luͤcke beim Lampenschein das heimliche Laͤcheln der Begrabenen — jezt blos ein wenig sich durchstehlenden Schimmer — — nun ist alles verdeckt, und die lebenden Todten singen zur guten Nacht ein ernstes miserere uͤber dem Haupte der Begrabenen. — Den Pfoͤrtner fand ich als ich zuruͤckkehrte, wie gewoͤhnlich mit seiner alten finstern Maske beisammen. — „Hassest du jezt die Men- schen?“ fragte er. „Ich bin fast mit mir allein — sagte ich — und hasse oder liebe eben so wenig als moͤglich! Ich versuche zu denken, daß ich nichts denke, und da bringe ich’s zulezt wohl so weit auf mich selbst zu kommen!“ — „Nimm den Wurm mit — fuhr der Alte fort, und hob die Decke uͤber einem schlum- mernden Kinde — ich mag ihn nicht bei mir behalten, denn ich habe noch Anfaͤlle von Men- schenliebe, wo ich ihn leicht im Wahnsinn er- sticken koͤnnte!“ Ich nahm den Knaben in die Arme, und das noch traͤumende Leben versoͤhnte mich wie- der mit dem erwachten. „Sie haben mir das Kind uͤbergeben es fortzuschaffen — sprach der Pfoͤrtner — denn sie dulden nichts Maͤnnliches unter sich die frommen Jungfrauen, ausser in den Gemaͤhl- den, fuͤr die Einbildungskraft; die Mutter des Knaben sahest du eben begraben, such jezt seinen Vater auf, oder schleudre den Buͤr- ger in die Welt, es hat keine Gefahr mit der Menschenbrut, sie geht nicht unter.“ „Ich kenne den Vater!“ antwortete ich, und ging aus der Huͤtte. Draußen stand der Unbekannte im Mantel und hielt mich fest. — „Die Braut ist begraben — dies ist dein Sohn!“ mit diesen Worten legte ich ihm den Knaben in die Arme, und er druͤkte ihn stumm ans Herz. Eilfte Nachtwache . F olgendes ist ein Bruchstuͤck aus der Ge- schichte des Unbekannten im Mantel. Ich liebe das Selbst — drum mag er selbst re- den! „Was ist denn die Sonne?“ fragte ich eines Tages meine Mutter, als sie den Son- nenaufgang von einem Berge beschrieb. „Ar- mer Knabe, du verstehst es nimmer, du bist blind geboren!“ antwortete sie geruͤhrt und fuhr sanft mit der Hand uͤber meine Stirn und meine Augen. Ich gluͤhete — die Beschreibung hatte mich entzuͤckt; zwischen den Menschen und meiner Liebe zu ihnen lag eine Scheidewand — wenn ich die Sonne nur einmal erblicken koͤnnte, glaubte ich, wuͤrde sie schwinden und ich mich eines naͤhern Umgangs mit meiner Mutter er- freuen duͤrfen. — Meine Phantasie arbeitete von jezt an hef- tig, der sehnsuchtsvolle Geist strebte gewalt- sam den Koͤrper zu durchbrechen und in das Licht zu schauen. Dort lag das Land meiner Ahnung, das Italien voll Wunder der Natur und Kunst. Sie sprachen viel von Nacht und Tag, fuͤr mich gab es nur eins, einen ewigen Tag, oder eine ewige Nacht — sie meinten es sei die letztere! — Ich saß in meinem Dunkel, und die wun- derbare große Welt ging in meinem Geiste 13 auf, aber die Beleuchtung fehlte, und ich stieg nur an dem Leben herum, wie an einem him- melhohen Felsen, mit verbundenen Augen; ich fuͤhlte die seidene Wange der Blume, trank ihren Duft — aber ich traͤumte, die Blume selbst sei unendlich schoͤner als ihr Duft und ihre seidene Wange. Ein lebhafter wunderbarer Traum ließ mich in einer Nacht das Licht erblicken, und es war es wahrlich; aber als ich erwachte, bemuͤhete ich mich vergeblich den Traum wieder hervor- zurufen. Um diese Zeit stieg die Musik wie ein lieb- licher Genius in meinen dunkeln Kerker, und schlang um ihre Saiten die zarten Blumen- kraͤnze der Poesie. Es war heiliger Boden den ich jetzt betrat — das erste Italien mei- ner Sehnsucht. Der Engel der zwischen den beiden Musen wandelte und sie mir zufuͤhrte, war ein Maͤd- chen, die himmlische Madonna hatte ihm ih- ren irdischen Namen hinterlassen. — Maria war mit mir von gleichem Alter, und sie ent- zuͤckte den blinden Knaben durch ihre Lieder und Toͤne, und rief die Liebe und die Hoff- nung aus ihren Traͤumen auf, daß sie zum erstenmale hell um sich schauten, und als die beiden schoͤnsten Vestalen in das Leben traten. Marie war eine elternlose Waise, und meine Mutter hatte, als sie sie zu sich nahm, ein feierliches Geluͤbde geleistet, das Kind dem Himmel zu weihen, wenn ich jemals das Licht erblicken wuͤrde. Jezt sehnte ich mich wieder nach der Sonne, denn sie entfuͤhrte mir Ma- rie und ihre Gesaͤnge. Bald darauf hoͤrte ich oͤfter von einem Arzte reden, von dessen Kunst man sich viel zu meinem Vortheile versprach. — Ich wankte zwischen entgegengesetzten Gefuͤhlen — die Liebe zur Sonne und zu Marie war gleich hef- tig in meiner Seele. Fast mit Gewalt mußte man mich dem Arzte entgegenfuͤhren. — Er gebot mir Ruhe — und meine Brust hob sich stuͤrmischer. Ich stand an den Pfor- ten des Lebens, gleichsam um zum zweiten- male geboren zu werden. Jetzt empfand ich einen heftigen Schmerz an meinen Augen; ich schrie auf, denn mein Traum kehrte zu mir zuruͤk — ich sah Licht! — Tausend bliz- zende Strahlen und Funken — ein rascher Blick in den reichsten Schaz des Lebens. Die vorige Nacht umgab mich dann wieder. Es war eine Binde um meine Augen gelegt, und ich durfte nur erst nach und nach in die neue Welt eingehen. Nichts von den Zwischenraͤumen — man zeigte mir nur wenige Gegenstaͤnde, und kein lebendiges Wesen, außer dem Arzte, nahte sich mir, bis dieser mich endlich fuͤr stark genug hielt das Groͤßeste zu ertragen. Er fuͤhrte mich in die Nacht hinaus, uͤber meinem Haupte in der unermeßlichen Ferne brannten die Sternbilder, und ich stand unter den tausend Welten wie ein Trunkener, Gott ahnend, ohne seinen Namen auszusprechen. — Vor mir ragten die alten Ruinen einer vori- gen Erde, die Berge, finster und rauh in die Nacht empor, ein mattes Wetterleuchten aus wolkenloser Luft spielte um ihre Haͤupter. Waͤlder ruhten tief und verhuͤllt zu ihren Fuͤßen und schuͤttelten nur leise ihre schwarzen Wipfel. Der Arzt stand ernst und still neben mir — einige Schritte weiter regte es sich wie eine verschleierte Gestalt. — Ich betete! — Ploͤtzlich veraͤnderte sich die Szene; uͤber die Berge schienen Geister heraufzuziehen, und die Sterne erblaßten wie vor Schrecken, und hinter mir deckte sich ein weiter Spiegel auf — das Weltmeer. — Ich bebte, denn ich glaubte Gott nahe sich. Und auf die Erde druͤckten sich Nebel und verhuͤllten sie sanft — aber am Himmel zogen die Geister maͤchtiger heran, und wie die Sterne verloͤschten, flogen goldene Rosen uͤber die Berge empor in den blauen Himmel, und ein zauberischer Fruͤhling bluͤhete in der Luft — immer maͤchtiger und maͤchtiger — jetzt wogte ein ganzes Meer heruͤber, und Flamme auf Flamme brannte in die Himmelsfluthen. Da stieg uͤber den Fichtenwald, in tausend Strahlen wiederleuchtend, wie eine entzuͤndete Welt die ewige Sonne empor! Ich schlug beide Haͤnde vor die Augen, und stuͤrzte zu Boden. Als ich wieder erwachte, da schwebte der Gott der Erde in den Luͤften, und die Braut hatte alle ihre Schleier zerrissen, und ent- huͤllte ihre hoͤchsten Reize dem Auge des Gottes. — Ueberall war Heiligthum — der Fruͤhling lag wie ein suͤßer Traum an den Bergen und auf den Fluren — die Sterne des Himmels brannten als Blumen in dem dunkeln Grase, aus tausend Quellen stuͤrzte das Lichtmeer herab in die Schoͤpfung, und die Farben stie- gen darin wie wunderbare Geister auf. Ein All von Liebe und Leben — rothe Fruͤchte und bluͤhende Kraͤnze in den Baͤumen, und duftende Gewinde um Huͤgel und Berge — in den Trauben brennende Diamanten — die Schmet- terlinge als fliegende gaukelnde Blumen in den Luͤften — Gesang aus tausend Kehlen, schmetternd, jubelnd, lobpreisend — und das Auge Gottes aus dem unendlichen Weltmeere zuruͤkschauend und aus der Perle im Blumen- kelche. Ich wagte den Ewigen zu denken! Ploͤzlich rauschte es hinter mir — neue Schleier fielen von dem Leben — ich schaute rasch zuruͤk und sahe — ach zum erstenmale! das weinende Auge der Mutter! O Nacht, Nacht, kehre zuruͤk! Ich ertrage all das Licht und die Liebe nicht laͤnger! Zwölfte Nachtwache . E s geht nun einmal hoͤchst unregelmaͤßig in der Welt zu, deshalb unterbreche ich den Un- bekannten im Mantel hier mitten in seiner Erzaͤhlung, und es waͤre nicht uͤbel zu wuͤn- schen daß mancher große Dichter und Schrift- steller sich selbst zur rechten Zeit unterbrechen moͤchte, so auch der Tod in der rechten Stunde das Leben großer Maͤnner — Beispiele liegen nahe. Oft erhebt sich der Mensch wie der Adler zur Sonne und scheinet der Erde entruͤckt, daß Alle dem Verklaͤrten in seinem Glanze nachstaunen; — aber der Egoist kehrt ploͤzlich zuruͤk und statt den Sonnenstrahl wie Prome- theus geraubt zu haben und zur Erde herab- zufuͤhren, verbindet er den Umstehenden die Augen, weil er glaubt es blende sie die Sonne. Wer kennt den Sonnenadler nicht, der durch die neuere Geschichte schwebt! — Was uͤbrigens meinen Unbekannten betrifft, so gebe ich nach romantischem Stoffe hungern- den Autoren mein Wort, daß sich ein maͤßiges Honorar mit seinem Leben erschreiben ließe — sie moͤgen ihn nur aufsuchen und seine Ge- schichte beenden lassen. — In dieser Nacht war grosser Lerm. Aus der Hausthuͤr eines beruͤhmten Dichters flog eine Peruͤcke und hinter drein eilte ihr Besiz- zer, so daß es zweideutig war, ob er dem vorausfliehenden Gute nachseze, oder vielmehr nachgesezt werde. Ich hielt ihn dieser Zwei- deutigkeit halber fest, und ließ ihn beichten. — Mein Freund! — sagte er — Ich seze der Unsterblichkeit nach, und werde von ihr nach- gesezt! Er selbst wird es wissen, wie schwer es ist beruͤhmt zu werden, wie noch unendlich schwerer aber zu leben; man klagt in allen Faͤchern uͤber Ueberhaͤufung, so auch in dem Fache des beruͤhmt und lebendig seins, dazu beschwert man sich uͤber so manche in beiden Faͤchern angestellte schlechte Subjekte, daß man niemandem mehr auf sein Wort glauben will. Mir besonders hat man große Schwierigkeiten in den Weg gelegt, und ich habe es durchaus zu nichts bringen koͤnnen. Sage er selbst, was soll ein Mensch der nicht schon im Mut- terleibe eine Krone auf dem Haupte traͤgt, oder mindestens, wenn er aus dem Eie ge- krochen, an den Aesten eines Stammbaums das Klettern lernen kann, in dieser Welt an- fangen, wenn er weiter nichts mitbringt, als sein naktes Ich und gesunde Glieder. Ich kenne nichts einfaͤltigeres in der Zeit worin wir einmal leben, und wo die Aemter, die Wuͤr- den, die Ordensbaͤnder und Sterne schon fruͤ- her fertig sind, als der, der sie tragen oder bekleiden soll. Moͤchte ein armer Teufel, der nicht mindestens bei seiner Geburt gleich in einen warmen Rock fahren kann, nicht lieber wuͤnschen als ein Stumpf aus seiner Mutter- leibe hervorzugehen, angestaunt und gespeiset zu werden? Ich denke er versteht mich Kame- rad! Ich hab’s auf alle Weise versucht mich fort- zubringen, aber immer vergeblich; bis ich endlich fand ich habe Kants Nase, Goͤthens Augen, Lessings Stirn, Schillers Mund, und den Hintern mehrerer beruͤhmter Maͤn- ner; ich machte darauf aufmerksam und fand Eingang, ja man fing an mich zu bewundern. Jetzt trieb ich’s weiter, ich schrieb an große Geister um alten abgelegten Troͤdel, und das Gluͤck wollte mir so wohl, daß ich jetzt in Schuhen einherschreite in denen einst Kant ei- genfuͤßig ging, am Tage Goͤthens Hut auf Lessings Peruͤcke setze, und zu Abends Schil- lers Schlafmuͤtze trage, ja ich ging noch wei- ter, ich lernte weinen wie Kotzebue und nie- sen wie Tiek, und er glaubt nicht welchen Eindruck ich oft dadurch zuwege bringe, die Kreatur wohnt nun einmal im Leibe, und hat es mit diesem lieber zu thun, als mit dem Geiste; es ist keine Spiegelfechterei, wenn ich ihm erzaͤhle, daß jemand vor dem ich einst wie Goͤthe mit verkehrt gesetztem Hute und in die Rockfalten verborgenen Haͤn- den einherwandelte, mir die Versicherung gab, das amuͤsire ihn mehr, als Goͤthens neueste Schriften. — Man zieht mich seitdem an die vornehmsten Tafeln und ich befinde mich wohl dabei. — „ Nur heute fuhr ich uͤbel, denn als ich einen bekannten großen Geist, der oͤffentlich bedeutend auftritt, in seinen vier Pfaͤhlen be- lauschen wollte, behandelte er mich als einen Dieb, ohnerachtet das was ich ihm in der Eile mit den Augen entwandte, nicht eben sehr ruͤhmenswerth war.“ Er setzte sich nach diesen Worten Lessings Peruͤcke wieder auf das Haupt und machte dabei noch folgenden Sarkasmus: Freund was hat man von dieser Unsterb- lichkeit, wenn nach dem Tode die Peruͤcke un- sterblicher ist, als der Mann der sie trug? — Vom Leben selbst will ich nicht einmal reden, denn waͤhrend seines Daseins stolzirt nur der sterblichste Schlucker unsterblich einher, waͤh- rend man nach dem Genius, wo er sich blik- ken laͤßt, mit Faͤusten ausschlaͤgt — erinnere er sich an das Haupt das vor mir in dieser Peruͤcke steckte! Gute Nacht!“ — Ich ließ den Narren laufen. — Auf dem Gottesacker trieb sich ein junger Mensch herum im Mondenschein, ich konnte ganz nahe an ihn kommen und er bemerkte mich nicht, weil er beschaͤftigt war durch hef- tiges Gestikuliren und Deklamiren sich in eine maͤßige Verzweiflung zu bringen — das Mit- tel ist probat, und ich kannte wirklich einen Fruͤhprediger der durch nichts zu Thraͤnen zu bewegen war, außer wenn er sich selbst sehr heftig reden hoͤrte; — es gelang ihm allmaͤlig damit, ja er zog zulezt ein Pistol und sezte es sich verschiedene male an die Stirn, bis er endlich eine solche Hoͤhe erreicht hatte, daß er kuͤhn genug war es abzudruͤcken — es versagte, und bei der heftigen Bewegung entfiel ihm ein falscher Haarzopf. Da die Sache mir zulezt doch etwas mißlich vorkam, so sprang ich hin- zu, und uͤberreichte ihm den Entfallenen un- ter einer fuͤr die Lage passenden Anrede. Er mochte ’s noch in der ersten Hitze fuͤr einen Dolch halten und brachte einige ernsthafte wie- wohl vergebliche Stoͤße damit zu Stande. Ich suchte ihn durch die Bemerkung, daß tragische Situationen durch komische Nuancen, wie z. B. durch einen dem Koͤnig Lear im Affekte entfallenen Haarbeutel u. d. g. gestoͤrt wuͤrden, zu sich zu bringen, und es gelang mir in so weit, daß er sich auf den Grabhuͤ- gel niedersetzte, und sich dazu verstand den falschen Haarzopf von mir wieder anheften zu lassen. Waͤhrend des Geschaͤftes versuchte ich es ihn durch eine Apologie des Lebens zu be- kehren, die er ruhig anhoͤren mußte, weil ich ihn bei den Haaren dazu hielt. Apologie des Lebens. Bei Gott, das Leben ist doch schoͤn! — Und was vermag Sie nur, junger Mensch, daß sie es leichtfertig wie diesen Haarzopf von sich schleudern wollen? — Fassen Sie das Band; ich will waͤhrend des Wickelns so kurz als moͤglich ihnen einige Schoͤnheiten zu ent- wickeln suchen. — Was giebt es auf der Erde das Sie im Himmel — wenn anders außer dem Lufthim- mel uͤber uns noch ein zweiter, oder gar meh- rere existiren sollten — besser erwarten koͤnn- ten? — Finden Sie nicht hier unten Alles leidlich eingerichtet? Wissenschaften, Kultur und Sitten sind im schoͤnsten Flore und wan- dern recht modern einher; der allgemeine Staat ist, wie Holland, mit Kanaͤlen und Graͤben durchschnitten, worinn alle menschliche Faͤhigkeiten geschickt abgeleitet und vertheilt werden, damit nicht zu fuͤrchten steht, daß sie auf einmal in zu großer Vereinigung das Ganze uͤberschwemmen moͤchten. Es giebt Menschen, die so vortheilhaft placirt sind, daß man sie als recht gute Hammer und Zan- gen betrachten kann, und die doch deshalb keinesweges an ihrer Unsterblichkeit Abbruch leiden; sehen sie nur diesen Koloß der Mensch- heit an, wie alles sich an ihm regt und arbeitet und verkehrt, der erste klettert uͤber den zweiten hinauf, und uͤber diesen wieder ein dritter, wie die Aequilibristen, dieser traͤgt Erfindungen, jener Systeme mit sich in die Hoͤhe, und es kann 14 nicht fehlen, daß dies Menschengeschlecht, das auf seinen eigenen Schultern immer hoͤher kommt, oder sich, wie Muͤnchhausen, bei sei- nem eigenen Zopf emporzieht, zuletzt sich bis in den Himmel verklettert, und es ganz un- noͤthig wird an einen zweiten zu denken. — Haͤlt der Zopf nur an diesem Menschheitskopfe und ist kein falscher, wie der, an dem ich wickele, was ist es denn noch noͤthig auf ei- nem andern Wege als auf diesem sich in eine hoͤhere Welt zu versetzen. Was denken Sie auch dort zu gewinnen, Freund? Bessere Gesetze etwa? Fuͤr unsere hienieden spricht das Alter! Bessere Sitten? Wir sind darin so empor gestiegen, daß wir fast daraus hinausgekommen und uͤber ihnen stehen! Bessere Verfassungen? Haben sie nicht, wie auf einer Landkarte die verschiede- nen Farben, eine Menge vor sich liegen? Gehen Sie nach Frankreich, Freund, wo die Verfassungen mit den Moden wechseln, da koͤnnen sie alle der Reihe nach anpassen, aus einer Monarchie in die Republik, und aus dieser wieder in eine Despotie fahren; sie koͤnnen dort groß und klein, kurz nach einan- der, und zuletzt wieder ganz gewoͤhnlich sein, was doch immer fuͤr die Menschheit am inter- essantesten bleibt. Freund, gegen den Menschenhaß giebt es trefliche Mittel; ja ich habe das Exempel ge- habt, daß ein gutes Gericht mich selbst einst vom Selbstmorde abbrachte, und ich gesaͤttigt ausrief: „das Leben ist doch schoͤn!“ Wie an- dere den Kopf oder das Herz, so nehme ich den Magen fuͤr den Sitz des Lebens an; an allem was je Großes und Vortrefliches in der Welt geschah, ist meistentheils der Magen Schuld. Der Mensch ist ein verschlingendes Geschoͤpf, und wirft man ihm nur viel vor, so giebt er in den Verdaunngsstunden die vor- treflichsten Sachen von sich, und verklaͤrt sich essend und wird unsterblich. Welche weise Einrichtung des Staats da- hero, die Buͤrger — wie die Hunde die man zu Kuͤnstlern ausbilden will — periodisch hun- gern zu lassen! Fuͤr eine Mahlzeit schlagen die Dichter wie die Nachtigallen, bilden die Philo- sophen Systeme, richten die Richter, heilen die Aerzte, heulen die Pfaffen, haͤmmern, klo- pfen, zimmern, ackern die Arbeiter, und der Staat frißt sich zur hoͤchsten Kultur hinauf. Ja haͤtte der Schoͤpfer den Magen vergessen, behaupte ich, so laͤge die Welt noch so roh da wie bei der Schoͤpfung, und sei jezt nicht der Rede werth. Was denken Sie nun aber von jenem Le- ben, in das Sie diese innere Seele aller Bil- dung nicht mit hinuͤber nehmen, und wo sie nur geistig hineindringen wollen! — Reißen Sie sich nicht los, ich schlinge jezt erst die Schleife, wodurch ich ihr Haar wieder mit dem Zopfe verbinde! — Freund, der Geist ohne Magen gleicht dem Baͤren, der traͤg an seinen eigenen Pfoten saugt. Er ist nur der Schatz- meister dieses in ihm haͤngenden Saͤkels, und schneiden Sie ihm diesen ab, so ist’s um ihn gethan. Giebt es eine Seelenwanderung, woran ich nicht zweifle, und fahren die abge- schiedenen Geister, wie denn das nicht un- wahrscheinlich ist, eben so gut in Blumen und Fruͤchte u. s. w. als in Thiere — wo liegt denn noch anders dieser Verbindungskanal der Geister, als in dem sie verschlingenden Ma- gen, durch ihn steigen sie, nachdem das ani- malische wieder abgegangen ist, verfluͤchtigt in den Kopf empor, und es liegt so am Tage, daß wir die groͤßten Weisen, einen Plato, Hemsterhuis, Kant u. s. w. blos durch behagli- ches Hineinessen in uns aufnehmen koͤnnen. Denken Sie hier an Beispiele: Goͤthe, der den Hans Sachs, die Romantiker und Grie- chen in sich vereinigt, ist ein so guter Esser, als Dichter, und hat wahrscheinlich diese Gei- ster vorweggespeiset; Bonaparte mag den Ju- lius Caͤsar zu sich genommen haben, und nur der Geist des Brutus scheint dort noch unge- gessen sich irgendwo aufzuhalten. — Wie ist es moͤglich, Freund, daß Sie die- sem Magen und diesem Leben entsagen, und uͤberhaupt aus dieser kuͤnstlichen Maschine, in der sie tausend Raͤder drehn und treiben, her- aus fliegen wollen? Wie viele Buͤhnen liegen nicht um sie her, auf denen sie als Held agi- ren koͤnnen! Schlachtfelder, Almanache, Litte- raturzeitungen, das groͤßere und das kleinere Theater“ — „Ich stehe am Hoftheater“ — fiel der junge Mensch ein, indem er eine Danksagungs- verbeugung fuͤr den wieder angehefteten fal- schen Zopf machte. — „Das Pistol ist uͤbri- gens ungeladen, und ich suchte mich nur hier am Grabe durch maͤßiges Rasen in den Karak- ter eines Selbstmoͤrders zu versetzen, den ich morgen darzustellen habe. Nuͤchternheit ist das Grab der Kunst! Ich fahre in die Leiden- schaften moͤglichst hinein, wie in Schlachthand- schuhe, ich spiele meine Karaktere mit Gefuͤhl, und bin wenigstens, wie die groͤßten Meister, auf einen Tag geizig, wenn ich einen Geizi- gen, oder toll, wenn ich einen Tollen darge- stellt habe. Dahin ging er, und ließ mich fast abgeschmakt und laͤcherlich da stehn. „O falsche Welt!“ rief ich grimmig aus — „an der nichts mehr wahrhaft ist, selbst bis auf die Haarzoͤpfe dei- ner Bewohner, du leerer abgeschmackter Tum- melplatz von Narren und Masken, ist es denn nicht moͤglich auf dir zu einiger Begeisterung sich zu erheben!“ Es war mir, wie wenn ich mich jezt in der Nacht unter dem zugedeckten Monde, weit ausdehnte, und auf großen schwarzen Schwin- gen, wie der Teufel uͤber dem Erdball schwebte. Ich schuͤttelte mich und lachte, und haͤtte gern alle die Schlaͤfer unter mir mit eins aufge- ruͤttelt; und das ganze Geschlecht im Ne- glig é e angeschaut, wo es noch keine Schminke, falsche Zaͤhne und Zoͤpfe und Bruͤste und Hin- tere auf- — und an- — und umgelegt, um den ganzen abgeschmakten Haufen boshaft aus- zupfeifen. Dreizehnte Nachtwache . I ch stieg den Berg hinauf am Ausgange der Stadt — es war die Tag- und Nachtgleiche des Fruͤhlings, und draußen lag die alte Fee, die Erde, und kochte ihre mitternaͤchtlichen Zau- berkraͤuter, um am Morgen nach abgeworfenem Silberhaare und ausgeglaͤtteten Runzeln, schoͤn umlockt und bekraͤnzt als eine junge Nymphe aufzustehen, und ihre neugebornen Kinder an dem schwellenden Busen zu tragen. — Unten im Thale blies ein Hirte das Alphorn, und die Toͤne sprachen so lockend von einem fernen Lande, und von Liebe und Jugend und Hof- nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol- genden Dithyrambus uͤber den Fruͤhling . „Du erscheinst, und erschrocken flieht dein finsterer Bruder, und die Schilde und Panzer, worin er gewaffnet dastand, rasseln durchein- anderstuͤrzend und zerbrechen; und siehe erroͤ- thend in Morgengluth tritt die junge Erde hervor, wie eine bluͤhende Jungfrau; und du kuͤssest die Geliebte, Juͤngling, und schlingst ihr den Brautkranz in die Locken. Da sinkt der letzte Glaͤtscher und das erstarrte Element wird frei, und fließt still dahin zwischen Blu- men und uͤberwoͤlkt von gruͤnen Gebuͤschen, die Berge halten ihre Sennenhuͤtten hoch in die blaue Luft, und an ihren Abhaͤngen kleben die gefleckten Heerden. Blumen bluͤhen und traͤumen Liebe, und die Nachtigall singt sie in den Gestraͤuchen. Die Baͤume schlingen ihre Zweige in duftige Kraͤnze, und reichen sie zum Himmel empor; der Adler steigt betend in den Sonnenglanz auf, wie zu Gott, und die Lerche wirbelt ihm nach, jubelnd uͤber der ge- schmuͤckten Erde. Jeder duftende Kelch wird zu einer Brautkammer, jedes Blatt ist eine kleine Welt, und alles saugt Leben und Liebe an dem heißen Herzen der Mutter! — Nur der Mensch —“ Hier verstummte ploͤzlich das Alphorn, und der lezte Ton und das lezte Wort verhallten langsam und sterbend. „Hast du nur bis zu diesem Worte ge- schrieben, Mutter Natur? Und in wessen Hand uͤberlieferst du die Feder zur Fortsetzung? — Kannst du es nimmer loͤsen, warum alle deine Geschoͤpfe traͤumend gluͤcklich sind, und nur der Mensch wachend dasteht und fragend — ohne Antwort zu erhalten? — Wo liegt der Tempel des Apollo — wo ist die Stimme, die einzig antwortende? Ich hoͤre nichts, als Wie- derhall, Wiederhall meiner eigenen Rede — bin ich denn allein? Allein! ruft die haͤmische Stimme. Mut- ter, Mutter, warum schweigst du? — O du haͤttest das letzte Wort in der Schoͤpfung nicht schreiben sollen, wenn du dabei abbrechen woll- test. Ich blaͤttere und blaͤttere in dem großen Buche, und finde nichts, als das eine Wort uͤber mich, und dahinter den Gedankenstrich, wie wenn der Dichter den Karakter, den er vollfuͤhren wollte, im Sinne behalten, und nur den Namen haͤtte mit einfließen lassen. War der Karakter zu schwierig zur Ausfuͤh- rung, warum strich der Dichter nicht auch den Namen aus, der jetzt allein dasteht, sich an- staunt, und nicht weiß, was er aus sich selbst machen soll. „Schlag das Buch zu, Name, bis der Dichter bei Laune ist, die leeren Blaͤtter, vor denen du nur als Titel stehst, vollzuschrei- ben!“ — — An dem Berge, mitten in das Museum der Natur, hatten sie noch ein kleines fuͤr die Kunst gebaut, wohinein jetzt mehrere Kenner und Dillettanten mit brennenden Fackeln zo- gen, um bei dem sich bewegenden Lichtscheine die Todten drinnen moͤglichst lebendig sich ein- zubilden. Ich habe auch dann und wann meine Kunstlaunen, aus mehr oder minderer Bosheit, und trete oft gern aus der großen Kunstkammer in die kleine, um zu sehen wie der Mensch, auch ohne den Haupttheil alles Lebens, das Leben selbst, einblasen zu koͤnnen, doch recht artig etwas bildet und schnitzt, wo- von er nachher meint, es gehe noch uͤber die Natur. Ich folgte den Kennern und Dilettanten! Und vor mir standen die steinernen Goͤtter als Kruͤppel ohne Arme und Beine, ja einige gar mit fehlenden Haͤuptern; das Schoͤnste und Herrlichste, wozu die Menschenmaske sich je ausgebildet hatte, der ganze Himmel eines großen gesunkenen Geschlechts, als Leichnam und Torso wieder ausgegraben aus Herkula- num und dem Bette der Tiber. Ein Inva- lidenhaus unsterblicher Goͤtter und Helden, hineingebaut zwischen eine erbaͤrmliche Mensch- heit. Die alten Kuͤnstler, die diese Goͤttertorsos gedacht und gebildet hatten, zogen verhuͤllt vor meinem Geiste voruͤber. — Jezt kletterte ein kleiner Dilettant von den Anwesenden an einer medicaͤischen Venus ohne Arme, muͤhsam hinauf, mit gespiztem Munde und fast thraͤnend, um, wie es schien, ihr den Hintern, als den bekanntlich gelungensten Kunsttheil dieser Goͤttin, zu kuͤssen. Mich er- grimmte es, weil ich in dieser herzlosen Zeit nichts weniger ausstehen kann, als die Frazze der Begeisterung, wozu sich manche Gesichter verziehen koͤnnen, und ich bestieg erzuͤrnt ein leeres Piedestal, um einige Worte zu ver- schwenden. Junger Kunstbruder! — redete ich ihn an. — Der goͤttliche Hintere liegt Ihnen zu hoch, und Sie kommen bei ihrer kurzen Gestalt nicht hinauf, ohne sich den Hals zu brechen! Ich rede aus Menschenliebe, denn es thut mir leid, daß Sie sich unter Lebensgefahr verstei- gen wollen. Wir sind seit dem Suͤndenfalle, vor dem Adam bekanntlich, nach der Versiche- rung der Rabbinen, seine hundert Ellen maß, merklich kleiner geworden, und schwinden von Zeit zu Zeit immer mehr, so daß man in unserm Saͤkulo vor allen solchen halsbrechen- den Versuchen, wie der vorliegende ist, ernst- lich warnen muß. Was wollen Sie uͤberhaupt bei der steinernen Jungfrau, die in diesem Augenblicke zu einer eisernen fuͤr Sie werden wuͤrde, wenn ihr nicht die aͤchten Arme zum Umschlingen fehlten; denn mit den ergaͤnzten hat es keine Noth, sie dienen nicht einmal zu einer Berlichingensfaust, und gleichen nur den angehefteten hoͤlzernen, an den Koͤrpern zer- schossener Soldaten. O Freund, was die Kunstaͤrzte der neuern Periode auch immer hei- len und flicken moͤgen, sie bringen doch die von der tuͤckischen Zeit verstuͤmmelten Goͤtter, wie z. B. diesen daliegenden Torso, nicht wie- der auf die Beine, und sie werden immer nur als Invaliden und emeriti hier in Ruhe gesezt verbleiben muͤssen. Einst, als sie noch aufrecht standen, und Arme und Schenkel und Haͤupter hatten, lag ein ganzes großes Hel- dengeschlecht vor ihnen im Staube; jezt ist das umgekehrt, und sie liegen im Boden, waͤhrend unser aufgeklaͤrtes Jahrhundert auf- recht steht, und wir selbst uns bemuͤhen leid- liche Goͤtter abzugeben. Kunstfreund, wohin sind wir gekommen, daß wir es wagen, diese großen Goͤttergraͤber aufzuwuͤhlen, und die unsterblichen Todten ans Licht zu ziehen, da wir doch wissen, wie hart bei den Roͤmern die bloße Verletzung der Menschengruͤfte verpoͤnt war. Freilich achten Aufgeklaͤrte diese Verstorbenen jezt geradezu fuͤr Goͤtzen, und die Kunst ist nur noch eine heimlich eingeschlichene heidnische Sekte, die an ihnen vergoͤttert und anbetet — aber was ist es auch mit ihr, Kunstfreund? Die Alten sangen Hymnen und Aeschylus und Sophokles dichteten ihre Choͤre zum Lobe der Goͤtter; unsere moderne Kunstreligion betet in Kriti- ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht Religioͤse im Herzen. Ach, man soll die alten Goͤtter wieder be- graben! Kuͤssen Sie den Hintern, junger Mann, kuͤssen Sie, und damit gut! Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie nicht mehr anbeten, so sollen Sie auch nicht weiter auf Kosten der Natur bewundern; denn der Menschwerdung dieser Goͤtter widersetze ich mich standhaft. Sie haben die Wahl; entwe- der beten, oder begraben! — Nicht so aufgeschaut, Lieber! Fuͤhren Sie die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in Person einmal in diesen Kunstsaal, und lassen Sie sie reden. Beim Teufel, sie wird lachen uͤber die komische Menschenmaske, die ihr so abgeschmackt wie der Popanz in Horazens Briefe an die Pisonen erscheinen muß. Lassen Sie sie sprechen, ob sie jemals zu dieser Zehe diese Nase, zu diesem Munde jene Stirn, zu dieser Hand jenen Hintern wirklich 15 geschaffen haben wuͤrde; — ich wette sie wuͤrde verdrießlich werden, wenn sie ihr so etwas einreden wollten! Dieser Apoll waͤre vielleicht ein Kruͤppel, haͤtte sie ihn von der kleinen Zehe fortgesetzt, dieser Antinous ein Thersites und jener tragische gewaltige Laokoon gar eine Art von Kaliban, wenn nach Naturgesetzen alles reformirt werden sollte. Ja was moͤchte dann wohl aus dieser Minerva werden, die jetzt bis zum hoͤchsten Punkte des Ideals hin- aufgearbeitet vor Ihnen steht, indem naͤmlich das Haupt an ihr defekt ist, worin der weise Geist thront, der nach Geisterart sich unsicht- bar gemacht hat. Diese Minerva ohne Kopf erregt uͤberhaupt noch in weit groͤßerem Maaße meine Aufmerk- samkeit, als der Agamemnon mit verhuͤlltem Haupte, in dem bekannten Gemaͤlde des Ti- manthes. So wie dieser naͤmlich den Kuͤnst- lern die Regel gegeben hat, den hoͤchsten un- endlichen Schmerz nur errathen zu lassen, so scheint jene dasselbe in Hinsicht auf die Ur- schoͤnheit anzudeuten. Unsere modernen rich- ten sich auch danach, und ihre Koͤpfe sind in doppelter Hinsicht nur als Surrogate von Koͤpfen anzusehen, und stehen da oben nur gleichsam wie die Knoͤpfe auf Thuͤrmen, zum bloßen Schlusse der Gestalt. — Die Alten backten, wie jener Prometheus dort im Win- kel, ihre Menschen zwar auch aus Thon, aber sie schufen den Sonnenfunken mit hinein; — wir spielen mit dem Feuer nicht gern, aus Furcht vor Gefahr, und lassen deshalb den Funken weg; — ja es giebt jetzt sogar eine allgemeine Feuerpolizei — eine Zensur und Rezensur — die schnell genug jedwede Flamme, die emporlodern will, erstickt. So kann denn der Sonnenfunken bei uns nicht aufkommen. Weise Einrichtung des Staates, der lieber gute brauchbare Maschienen, als kuͤhne Geister unter seinen Buͤrgern duldet, der den Fuchs selbst zum Balge herauspeitscht, um den Balg zu benutzen, der die Haͤnde und Fuͤße, als dauerhafte Dreh- und Tretemaschienen, hoͤher anschlaͤgt, als die Koͤpfe seiner Landeskinder. — Der Staat hat, wie der Briareus, nur einen einzigen Kopf, aber hundert Arme von Noͤthen — und damit gut!“ — Ich endete erschrocken, denn bei dem taͤu- schenden Fackelglanze schien sich der ganze ver- stuͤmmelte Olymp umher ploͤzlich zu beleben; der zuͤrnende Jupiter wollte sich aufrichten von seinem Sitze, der ernste Apoll griff nach dem Bogen und der klingenden Leier, maͤchtig baͤumten sich die Drachen um den kaͤmpfenden Laokoon und die sinkenden Soͤhne, Prometheus formte mit den Stuͤmpfen seiner Arme Men- schen, die stumme Niobe schuͤtzte das juͤngste ihrer Kleinen vor den herabstrahlenden Son- nenpfeilen, die Musen ohne Haͤnde, Arme und Lippen regten sich durcheinander, wie wenn sie sich bemuͤheten die alten verklunge- nen Lieder zu singen und zu spielen — aber es blieb alles still ringsum, und schien nur noch heftige zuckende Bewegung auf einem Schlachtfelde; — nur tief im Hintergrunde stand, ohne Beleuchtung, starr und versteinert ein Furienchor, und schaute finster und schreck- lich dem Gewuͤhle zu. Vierzehnte Nachtwache . K ehre mit mir zuruͤck ins Tollhaus, du stiller Begleiter, der du mich bei meinen Nachtwachen umgiebst. — Du erinnerst dich noch an meine Narren- kaͤmmerchen, wenn du anders den Faden mei- ner Geschichte — die sich still und verborgen, wie ein schmaler Strom, durch die Fels- und Waldstuͤcke, die ich umher aufhaͤufte, schlingt — nicht verloren hast. In diesem Narren- kaͤmmerchen lag ich, wie in einer Hoͤle der Sphynx, mit meinem Raͤthsel eingeschlossen, und war fast auf dem gluͤcklichen Wege, mich wahrhaft zur Tollheit, als dem einzigen halt- baren Systeme, zu bekennen, eben weil ich taͤglich Gelegenheit hatte die Resultate dieser allgemeinen Schule, mit denen der einzelnen zu vergleichen. Ich will etwas ausholen! sagen die Schrift- steller, wenn sie vom Eie einer Sache anhe- ben wollen, ich muß mich auch dazu bequemen, da ich in dieser Nacht das einzige Nachtigal- lenei meiner Liebe auszubruͤten gedenke; denn um mich her schlagen die Nachtigallen in allen Buͤschen und Gezweigen, und verbinden sich, wie ein Chor, zu einem einzigen Liebesge- sange. Ich spielte einst aus Ingrimm uͤber die Menschheit auf einem Hoftheater den Hamlet, als Gastrolle, um Gelegenheit zu haben, mich gegen das schweigend dasitzende Parterre eines Theils meiner Galle zu entledigen. An die- sem Abende trug es sich zu, daß die Ophelia aus ihrem Vexirwahnsinne Ernst machte und foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge- waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren sich mit dem Einstudieren der Rollen zu beschaͤfti- gen pflegen, so bemuͤhete sich dagegen der an- wesende seine Prima Donna mit aller Anstren- gung aus der gespielten herauszustudieren; — doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake- spear, dieses zweiten Schoͤpfers, hatte sie zu heftig ergriffen, und lies sie zum Schrecken aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr mich war es ein interessantes Schauspiel, die- ses gewaltige Eingreifen einer Riesenhand in ein fremdes Leben, dieses Umschaffen der wirk- lichen Person zu einer poetischen, die jetzt vor den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen ernsthaft auf- und abging, und abgerissene Gesaͤnge, wie wunderbare Geisterspruͤche, hoͤ- ren ließ. So sehr man auch mit den buͤndig- sten Gruͤnden in sie drang zur Vernunft zu- ruͤckzukehren, so heftig protestirte sie dagegen, und es blieb zuletzt kein anderes Mittel uͤbrig, als sie ins Tollhaus zu schicken. Zu meinem nicht geringen Erstaunen traf ich hier wieder mit ihr zusammen. Ihr Kaͤm- merchen stieß dicht an das meinige, und ich hoͤrte sie taͤglich den Holzschuh und Muschelhut ihres Geliebten besingen. Ein Kerl wie ich, der aus Haß und Grimm zusammengesetzt ist, und nicht wie andere Menschenkinder seiner Mutter Leibe, sondern vielmehr einem schwan- gern Vulkane entbunden zu sein scheint, hat fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und doch beschlich mich hier im Tollhause so etwas, es aͤußerte sich zwar anfangs nicht in den ge- woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr Mondschein, poetischen Andrangs zum Kopfe und dergleichen; sondern vielmehr in dem hef- tigen Bestreben zur Errichtung einer Narren- propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie von Verruͤckten, um sie zum Schrecken der an- dern vernuͤnftigen Menschen ploͤzlich anlanden zu lassen. Dies tolle Gefuͤhl indeß, das sie Liebe nen- nen, und das wie ein Flicken von Himmel auf diese duͤrre Steppe der Erde herunterge- fallen ist, fing doch am Ende auch bei mir an es ernstlicher zu nehmen, und ich machte zu meinem eigenen Entsetzen mehrere Gedichte in Versen, schaute auch in den Mond, und sang gar zu Zeiten mit, wenn draußen um das Toll- haus her die Nachtigallen pfiffen. Ich habe wahrhaft einmal einige Ruͤhrung an einem so- genannten melancholischen Abende verspuͤrt; ja ich konnte in gewissen Stunden aus einem Loche meiner Kaukasushoͤle schauen, und we- niger denken als nichts. — Auch Betrachtun- gen habe ich in diesem Zeitpunkte meiner Schreibtafel einverleibt, von welchen ich doch hier einige fuͤr gefuͤhlvolle Seelen ausheben will. An den Mond. Sanftes Antlitz voll Gutmuͤthigkeit und Ruͤhrung; denn beides mußt du dir verei- nen, weil du nicht einmal am Himmel den Mund aufreißest, weder zum Fluchen, noch zum Gaͤhnen, wenn tausend Narren und Verliebte ihre Seufzer und Wuͤnsche zu dir hinaufrich- ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkiesen; so lange du auch schon um die Erde herumge- laufen bist, als ihr Begleiter und Cicisbeo, so hast du dich doch bestaͤndig als ein treuer Confident gehalten, und man findet kein einzi- ges Beispiel in der Weltgeschichte bis zu Adam hin, wo du unwillig geworden waͤrest, die Nase geruͤmpft, oder einige haͤmische Mienen angenommen haͤttest, ob du gleich diese Seuf- zer und Klagen schon tausend und abermaltau- send male wiederholen hoͤrtest. Noch immer bist du gleich aufmerksam, ja man sieht dich so oft geruͤhrt das Wischtuͤchlein einer Wolke vorhalten, um deine Thraͤnen dahinter zu ver- bergen. Welchen bessern Zuhoͤrer koͤnnte sich ein seine Werke vorlesender Dichter waͤhlen, als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der ich hier im Tollhause mich liebend verzehre. Wie blaß du bist, Guter, wie theilnehmend, und zugleich wie aufmerksam auf alle, die noch in diesem Augenblicke außer mir stehen, und dich aufschauen! Deine gutmuͤthige Miene koͤnnte man leicht fuͤr Einfalt halten, beson- ders heute, wo dein Antlitz zugenommen hat und recht rund und genaͤhrt anzuschauen ist; aber du magst zunehmen, wie du willst, ich lasse mich dadurch in deinem Antheile nicht taͤuschen, bleibst du doch immer der Alte, und nimmst auch wieder ab, und verzehrst dich — ja verhuͤllst du nicht gar, wenn dich die Ruͤhrung uͤberwaͤltigt, dein Gesicht wie der weinende Agamemnon, daß man nichts von dir sieht, als den vor Gram kahlen Hinter- kopf! — Leb wohl, Trauter, Guter! An die Liebe. Weib, was willst du von mir, daß du dich an mich haͤngst? Hast du mir auch schon ins Gesicht geschaut? — Du mit deinem Laͤcheln und deinen holden liebaͤugelnden Mienen, und ich, mit all dem Grimme und Zorne im Me- dusenantlitz! — Traute, uͤberleg es, wir geben ein gar zu ungleiches Paar ab. Laß mich los, beim Teufel! ich habe nichts mit dir zu schaf- fen! Du laͤchelst wieder und haͤltst mich fest? Was soll die vorgehaltene Goͤttermaske, mit der du mich anblickst? Ich reiße sie dir ab, um das dahintersteckende Thier kennen zu lernen; denn in der That, ich halte dein wahres Ge- sicht nicht fuͤr das reizendste. — Himmel, das wird immer aͤrger, ich girre und schmachte ganz erbaͤrmlich — willst du mich voͤllig rasend machen! Weib, wie kannst du nur Gefallen daran finden auf einem so kreischenden Instru- mente, wie ich bin, spielen zu wollen! Die Komposizion ist fuͤr einen Fluch gesetzt, und ich muß ein Liebeslied dazu absingen. O laß mich fluchen und nicht in so schrecklichen Toͤnen schmachten! hauche deine Seufzer in eine Floͤte, aus mir schallen sie wie aus einer Kriegstrommete, und ich ruͤhre die Lermtrom- mel, wenn ich girre. — Und nun gar der erste Kuß — o das andere ließe sich noch uͤberstehen, wie alles, was sich blos in der Sprache und in Toͤnen umhertreibt, und es waͤre mir im- mer noch erlaubt heimlich etwas anderes dabei zu denken — aber der erste Kuß — ich habe niemals gekuͤßt, aus Abscheu gegen alle ruͤh- rende und zaͤrtliche Heuchelei — Unhold, wuͤßte ich daß du mich dazu verleiten koͤnntest, ich boͤte meine letzte Kraft auf, und schuͤttelte dich von mir! In solchen und dergleichen Fragmenten habe ich mich abgearbeitet, und mich ordentlich methodisch auszuschreiben gesucht, wie mancher Dichter, der seine Gefuͤhle so lange auf dem Papiere von sich giebt, bis sie zuletzt alle ab- gegangen sind, und der Kerl selbst ganz aus- gebrannt und nuͤchtern dasteht. Es schlug indeß alles fehl bei mir, ja die Symptome wurden immer kritischer, und ich fing gar an in mich vertieft umherzuwandern, und fuͤhlte mich fast human und kleinlaut ge- gen die Welt gestimmt. Einmal meinte ich gar, sie koͤnnte doch wohl die beste sein, und der Mensch selbst waͤre etwas mehr, als das erste Thier darauf, ja er habe einigen Werth und koͤnne vielleicht gar unsterblich sein. Als es so weit gekommen war, gab ich mich selbst verloren, und betrieb es jetzt ganz so langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver- liebter. Ich entsetzte mich schon nicht mehr, wenn ich versifizirte, ja ich konnte auf eine laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte mich an manche Ausdruͤcke, die ich sonst gar nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt ließ ich den ersten Liebesbrief vom Sta- pel laufen, den ich hier sammt dem andern Briefwechsel zur Erbauung anhaͤnge: Hamlet an Ophelia. Himmlischer Abgott meiner Seele, reizer- fuͤllteste Ophelia! Dieser Eingang zwar, mir dem ich meinen ersten Brief an dich uͤber- schrieb, als wir noch blos auf dem Hoftheater uns zum Vergnuͤgen der Zuschauer liebten, koͤnnte dich vielleicht taͤuschen, und es dir ein- reden wollen, als ob ich noch eben so wie da- mals an einem fingirten Wahnsinn und allen den metaphysischen Spitzfuͤndigkeiten, die ich von der hohen Schule mitbrachte, laborirte. — Aber laß dich dadurch nicht taͤuschen Abgott, denn ich bin fuͤr diesesmal wirklich toll — so sehr liegt alles in uns selbst und ist außer uns nichts Reelles, ja wir wissen nach der neuesten Schule nicht, ob wir in der That auf den Fuͤßen, oder auf dem Kopfe stehen, außer daß wir das erste durch uns selbst auf Treu und Glauben angenommen haben. — Es ist dies ein ganz verwuͤnschter Ernst, Ophelia, und du sollst nicht etwa glauben, daß ich es als Per- siflage von mir gebe. — Ach, wie ist es alles jetzt veraͤndert in deinem armen Hamlet — diese ganze Erde, die ihm sonst wie ein veroͤ- deter Garten voll Dornen und Disteln, wie ein Sammelplatz voll pestilenzischer Ausduͤn- stungen vorkam, hat sich jezt vor ihm in ein Eldorado verwandelt, in einen bluͤhenden Gar- ten der Hesperiden; er war einst so frei und kerngesund, als er sie haßte, und ist jetzt ein Sklav und fast krank, da er sie liebt. — Theuerste — ich wollte daß ich Verhaßteste sagen koͤnnte, es gaͤbe dann doch wenigstens nichts, was mich an diesen dummen Ball fesselte, und ich koͤnnte ganz froh und lustig mich von ihm hinunterstuͤrzen in das ewige Nichts — also leider Theuerste! ich sage jetzt nicht mehr wie vormals zu dir: Geh in ein Nonnenkloster! denn ich bin toll genug zu glau- ben, wenn der Mensch liebe, so sei der Narr etwas, ob er gleich deshalb doch immer nur dem Tode rascher entgegen geht, und die- ser ihm, bis sie sich beide endlich tref- fen und fest und ewig umarmen; es sei dies nun an dem Steine wo der heilige Gustav entschlummerte, auf dem Geruͤste wo die schoͤne Maria blutete, oder an 16 irgend einem noch bessern oder schlechtern Orte. Ich weiß gewiß, der boͤse Feind schwebt hohnlachend uͤber der Erde, und hat die Liebe, als eine bezaubernde Maske, auf sie herabge- worfen, um die sich jezt alle Menschenkinder reißen, sie auf eine Minute lang vorzuhalten. Sieh, auch ich habe sie leider gefaßt, und mi- naudire mit dem Todtenkopfe recht zaͤrtlich hinter ihr, und habe beim Teufel Lust das Menschenkind mit dir fortzupflanzen. O waͤre die verwuͤnschte Larve nicht, es haͤtten dann die Erdensoͤhne hienieden gewiß dem juͤngsten Tage einen Possen gespielt durch ein Gesez gegen die Bevoͤlkerung, damit unser Herrgott, oder wer sonst zulezt den Erdball noch einmal anschauen will, ihn zu seiner Verwunderung von Menschen durchaus entvoͤlkert gefunden haͤtte. Doch laß mich endlich zu dem Punkte kom- men, den ich leider, so sehr ich mir auch Muͤhe gebe, nicht umgehen kann — zu mei- ner Liebeserklaͤrung! Zorniger, wilder, menschenfeindlicher hat es in mir seit meiner Geburt nicht ausgese- hen, als in diesem Augenblicke, wo ich es dir aufgebracht hinschreibe, daß ich dich liebe, dich anbete, und daß ich nach dem Wunsche dich zu hassen und zu verabscheuen, keinen sehnlichern hege, als das Gestaͤndniß deiner Gegenliebe zu vernehmen. Bis dahin dein liebender Hamlet. Ophelia an Hamlet. Liebe und Haß steht in meiner Rolle, und zulezt auch Wahnsinn — aber sage mir was ist das alles eigentlich an sich, daß ich waͤh- len kann. Giebt es etwas an sich, oder ist alles nur Wort und Hauch und viel Phantasie. — Sieh da kann ich mich nimmer herausfin- den, ob ich ein Traum — ob es nur Spiel, oder Wahrheit, und ob die Wahrheit wieder mehr als Spiel — eine Huͤlse sitzt uͤber der andern, und ich bin oft auf dem Punkte den Verstand daruͤber zu verlieren. Hilf mir nur meine Rolle zuruͤcklesen, bis zu mir selbst. Ob ich denn selbst wohl noch außer meiner Rolle wandle, oder ob alles nur Rolle, und ich selbst eine dazu. Die Alten hatten Goͤtter, und auch einen darunter, den sie Traum nannten, es mußte ihm sonderbar zu Muthe sein, wenn es ihm etwa einfiel sich fuͤr wirklich halten zu wollen, und er doch immer nur Traum blieb. Fast glaube ich der Mensch ist auch solch ein Gott. Ich moͤchte gern mich auf einen Augenblick mit mir selbst unterreden, um zu erfahren, ob ich selbst liebe, oder nur mein Name Ophelia — und ob die Liebe selbst etwas ist, oder nur ein Name. — Sieh, da suche ich mich zu ereilen, aber ich laufe immer vor mir her und mein Name hin- terdrein, und nun sage ich wieder die Rolle auf — aber die Rolle ist nicht Ich. Bring mich nur einmal zu meinem Ich, so will ich es fragen, ob es dich liebt. Ophelia. Hamlet an Ophelia. Gruͤbele dergleichen Dingen nicht so tief nach, Theure, denn sie sind so verworrener Natur, daß sie leicht zum Tollhause fuͤhren koͤnnten! Es ist Alles Rolle, die Rolle selbst und der Schauspieler, der darin steckt, und in ihm wieder seine Gedanken und Plane und Begeisterungen und Possen — alles gehoͤrt dem Momente an, und entflieht rasch, wie das Wort, von den Lippen des Komoͤdianten. — Alles ist auch nur Theater, mag der Komoͤ- diant auf der Erde selbst spielen, oder zwei Schritte hoͤher, auf den Brettern, oder zwei Schritte tiefer, in dem Boden, wo die Wuͤr- mer das Stichwort des abgegangenen Koͤnigs aufgreifen; mag Fruͤhling, Winter, Sommer oder Herbst die Buͤhne dekorireu , und der Theatermeister Sonne oder Mond hineinhaͤn- gen, oder hinter den Koulissen donnern und stuͤrmen — alles verfliegt doch wieder und loͤscht aus und verwandelt sich — bis auf den Fruͤhling in dem Menschenherzen; und wenn die Koulissen ganz weggezogen sind, steht nur ein seltsames nacktes Gerippe dahinter, ohne Farbe und Leben, und das Gerippe grinset die anderen noch herumlaufenden Komoͤdianten an. Willst du aus der Rolle dich herauslesen, bis zum Ich? — Sieh dort steht das Gerippe und wirft eine Handvoll Staub in die Luft und faͤllt jezt selbst zusammen; — aber hin- terdrein wird hoͤhnisch gelacht. Das ist der Weltgeist, oder der Teufel — oder das Nichts im Wiederhalle! Sein oder Nichtsein! Wie einfaͤltig war ich damals, als ich mit dem Finger an der Nase diese Frage aufwarf, wie noch einfaͤlti- ger diejenigen, die es mir nachfragten, und wunder glaubten was hinter dem Ganzen steckte. Ich haͤtte das Sein erst um das Sein selbst befragen sollen, dann ließe sich nachher auch uͤber das Nichtsein etwas Ge- scheutes ausmitteln. Ich brachte damals noch die Unsterblichkeitstheorie von der hohen Schule mit, und fuͤhrte sie durch alle Kategorien. Ja, ich fuͤrchtete wahrlich den Tod der Unsterblich- keit halber — und beim Himmel mit Recht, wenn hinter dieser langweiligen comedie lar- moyante noch eine zweite folgen sollte — ich denke es hat damit nichts zu sagen! Darum, theure Ophelia, schlag dir das alles aus dem Sinne, und laß uns liebeu und fortpflanzen und alle die Posseu mittrei- ben — blos aus Rache, damit nach uns noch Rollen auftreten muͤssen, die alle diese Lang- weiligkeiten von neuen ausweiten, bis auf einen lezten Schauspieler, der grimmig das Papier zerreißt und aus der Rolle faͤllt, um nicht mehr vor einem unsichtbar dasizenden Parterre spielen zu muͤssen. Liebe mich kurz und gut, ohne weiteres Gruͤbeln! Hamlet. Ophelia an Hamlet. Du stehst einmal als Stichwort in meiner Rolle, und ich kann dich nicht herausreißen, so wenig wie die Blaͤtter aus dem Stuͤcke, wo- rauf meine Liebe zu dir geschrieben ist. So will ich denn, da ich mich aus der Rolle nicht zuruͤcklesen kann, in ihr fortlesen bis zum En- de und zu dem exeunt omnes , hinter dem dann doch wohl das eigentliche Ich stehen wird. Dann sage ich dir, ob außer der Rolle noch etwas existirt und das Ich lebt und dich liebt. Ophelia. Hinter diesem Briefwechsel trat nun unser Wortwechsel ein, und jeder nachfolgende Wech- sel, von den Blicken, Kuͤssen und dergleichen an, bis zum Selbstwechsel. Nach wenigen Monaten war das Stichwort zu einer neuen Rolle geschrieben. — Ich war doch fast gluͤcklich in der Zeit, und spuͤrte in dem Tollhause zuerst einige Menschenliebe, so daß ich ernsthaft uͤber Planen bruͤtete mit den Narren um mich her Plato’s Republick zu realisiren. Doch da strich der Traumgott wie- der alles aus! Die Ophelia wurde immer blasser und ver- nuͤnftiger, obgleich der Arzt meinte, der Un- sinn sei bei ihr im Steigen; aber es war der Moment, wo ein großer Sinn in ihn ein- trat. — Es stuͤrmte wild um das Tollhaus her — ich lag am Gitter und schaute in die Nacht, außer der am Himmel und auf Erden nichts weiter zu sehen war. Es war mir, als staͤnde ich dicht am Nichts und riefe hinein, aber es gaͤbe keinen Ton mehr — ich erschrack, denn ich glaubte wirklich gerufen zu haben, aber ich hoͤrte mich nur in mir. Ein Bliz, ohne nach- folgenden Donnerschlag, flog pfeilschnell, aber still durch die Nacht, und der Tag erschien und verschwand rasch in ihr, wie ein Geist. Ne- ben mir auf der einen Seite rasselte ein Wahn- sinniger schrecklich mit seinen Ketten, auf der andern hoͤrte ich Ophelia abgerissene Stuͤcke ihrer Balladen singen, doch wurden die Toͤne oft Seufzer, und zulezt schien mir alles eine große Disharmonie, zu der die rasselnden Ket- ten die begleitende Musik abgaben. Es duͤnkte mich, als entschliefe ich. Da sah ich mich selbst mit mir allein im Nichts, nur in der weiten Ferne verglimmte noch die letzte Erde, wie ein ausloͤschender Funken — aber es war nur ein Gedanke von mir, der eben endete. Ein einziger Ton bebte schwer und ernst durch die Oede — es war die ausschlagende Zeit, und die Ewigkeit trat jetzt ein. Ich hatte jezt aufgehoͤrt alles andere zu denken, und dachte nur mich selbst! Kein Gegenstand war rings- um aufzufinden, als das große schreckliche Ich, das an sich selbst zehrte, und im Verschlingen stets sich wiedergebar. Ich sank nicht, denn es war kein Raum mehr, eben so wenig schien ich emporzuschweben. Die Abwechselung war zugleich mit der Zeit verschwunden, und es herrschte eine fuͤrchterliche ewig oͤde Langeweile. Außer mir, versuchte ich mich zu vernichten — aber ich blieb und fuͤhlte mich unsterb- lich! — Hier vernichtete sich der Traum in seiner eigenen Groͤße und ich erwachte tiefaufathmend — das Licht war erloschen, ringsum tiefe Nacht; nur Ophelien hoͤrte ich leise ihre Bal- laden singen, wie wenn sie jemand damit in den Schlaf wiegte. Ich tappte an den Waͤn- den aus meiner Kammer, neben mir schlichen draußen durch die Finsterniß noch Wahnsinnige und zischelten leise. Ich oͤffnete Opheliens Thuͤr, sie lag blaß auf ihrem Lager, bemuͤht ein todtes eben ge- borenes Kind an ihrer Brust in den Schlaf zu lullen; neben ihr stand ein irres Maͤdchen und legte den Finger auf den Mund, wie wenn sie mir Stille zuwinkte. Jezt schlaͤft es! sagte Ophelia und blickte mich laͤchelnd an, und das Laͤcheln war mir, wie wenn ich in ein aufgeworfenes Grab schau- te. — Gottlob, es giebt einen Tod, und da- hinter liegt keine Ewigkeit! sprach ich unwill- kuͤhrlich. Sie laͤchelte fort und fluͤsterte nach einer Pause, wie wenn die Sprache sich allmaͤlig in Hauche aufloͤsen und leise verschwinden wollte: Die Rolle geht zu Ende, aber das Ich bleibt, und sie begraben nur die Rolle. Gottlob daß ich aus dem Stuͤcke herauskomme und meinen angenommenen Namen ablegen kann; hinter dem Stuͤcke geht das Ich an! — Es ist nichts! sagte ich schuͤttelnd. — Sie fuhr kaum hoͤrbar fort: Dort steht es schon hinter den Koulissen und wartet auf das Stichwort; wenn nur der Vorhang erst ganz nieder ist! — Ach, ich liebe dich! das ist die lezte Rede im Stuͤcke, und sie allein will ich aus meiner Rolle zu be- halten suchen — es war die schoͤnste Stelle! Das Uebrige moͤgen sie begraben! — Da fiel der Vorhang und Ophelia trat ab — niemand klatschte und es war, als ob kein Zuschauer zugegen waͤre. Sie schlief schon ganz fest mit dem Kinde an der Brust, und beide waren nur sehr blaß und man hoͤrte keine Athemzuͤge, denn der Tod hatte ihnen seine weiße Maske schon aufgelegt. — Ich stand stuͤrmisch aufgereizt neben dem Lager und in mir machte es sich zornig Luft, wie zu einem wilden Gelaͤchter — ich erschrack, denn es wurde kein Gelaͤchter, sondern die erste Thraͤne, die ich weinte. Nahe bei mir heulte noch einer; — doch war es nur der Sturm, der durch das Tollhaus pfiff. Als ich aufblickte, standen die Wahnsinni- gen in einem Halbkreise um das Lager her, alle schweigend, aber seltsam gestikulirend und sich gebaͤrdend; einige laͤchelnd, andere tief nachsinnend, noch andere den Kopf schuͤttelnd, oder starr die weiße Schlummernde und das Kind betrachtend; — auch der Weltschoͤpfer war darunter, aber er legte nur bedeutend den Finger auf den Mund. Es ward mir fast bange in dem Kreise! Funfzehnte Nachtwache . S o sehr es auch die taͤgliche Erfahrung lehrt, daß man an allen Plaͤtzen Narren duldet, so aufgebracht war man doch daruͤber, daß ich den Versuch angestellt hatte, sie fortzupflan- zen, und mir wurde daruͤber sogar zur Strafe mein Narrenkaͤmmerchen aufgesagt. Ach es war mir recht traurig, als ich von meinen Bruͤdern Abschied nehmen sollte, um wieder unter die Vernuͤnftigen zu laufen; und wie nun die Thuͤr des Tollhauses hinter mir in das Schloß rasselte, stand ich ganz einsam da und suchte melancholisch den Gottesacker auf, wo sie die Ophelia hingetragen hatten. O haͤtte ich nur mindestens einen Laertes auf- finden koͤnnen, um mit ihm an dem Grabe mich herumzuschlagen, denn ich hatte aus dem Tollhause einen verstaͤrkten Haß gegen alle Vernuͤnftige mitgebracht, die mit ihren plat- ten nichtssagenden Physiognomien, jezt wieder um und neben mir wandelten. Ein Reicher und ein Bettler haben den Vorzug vor anderen gewoͤhnlichen Menschenkin- dern, daß sie ihrem Hange zum Reisen vollen Lauf lassen duͤrfen. Der Reiche schließt sich die Herrlichkeiten der Erde mit dem goldenen Schluͤssel in seiner Hand auf; der Arme hat ein Freibillet fuͤr die ganze Natur, und er kann die hoͤchsten und schoͤnsten Wohnungen nach Belieben beziehen; heute den Aetna, morgen die Fingalsgrotte; in dieser Woche den Sommeraufenthalt des Weisen am Gen- fersee, und in der folgenden die koͤstliche kry- stallene Halle des Rheinfalles, wo statt der Deckengemaͤlde ihm die Sonne Regenbogen uͤber das Haupt webt, und die Natur seinen Pallast im immerwaͤhrenden Zerstoͤren wieder aufbaut. Zeigt mir einen Koͤnig, der glaͤnzender wohnen kann, als ein Bettler! Ich reisete uͤberdies mit dem Vortheile, nirgend um meine Zeche gemahnt zu werden, oder mich fuͤr die Nachtmahlzeit bei jemand anderm, als bei der alten Mutter selbst be- danken zu muͤssen; denn die Erde hatte noch Wurzeln in ihrem Schooße, die sie mir nicht verweigerte, und sie reichte der durstigen Lippe in der dargebotenen Felsenschaale den frischen brausenden Trank des stuͤrzenden Wasserfalls. — Ich war recht froh und frei und haßte die Menschen nach Belieben, weil sie so klein und nichtsnutzig durch den großen Sonnentempel hinschlichen. 17 Einst hatte ich mich eben von meinem La- ger, einem duftenden blumigten Rasen, auf- gerichtet, und schaute in die Morgenglut, die wie ein Geist aus dem Meere aufstieg, wobei ich, um das Nuͤtzliche mit dem Angenehmen zu verbinden, eine aufgegrabene Wurzel an- biß. Es gehoͤrt zur menschlichen Groͤße in der Naͤhe erhabener Gegenstaͤnde, Nebengeschaͤfte zu betreiben, z.B. der aufgehenden Sonne, mit der Pfeife im Munde ins Antlitz zu schauen, oder waͤhrend der Katastrophe einer Tragoͤdie Makkaroni zu speisen und dergleichen; die Menschen haben es darin sehr weit gebracht. Als ich nun so behaglich da lag, wandelte mich die Laune zu einem Monologe an, den ich folgendergestalt hielt: „Nichts geht doch uͤber das Lachen, und ich schlage es fast so hoch an, wie andere ge- bildete Leute das Weinen, obgleich sich eine Thraͤne leicht zu Tage foͤrdern laͤßt, blos durch starkes Hinschauen auf einen Fleck, oder durch mechanisches Lesen Kotzebuescher Dramen, ja zuletzt schon durch heftig anhaltendes Lachen allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehen- den Sonne haͤufig Thraͤnen vergießen sehen, und andere standen nahe dabei und ruͤhmten es als ein Zeichen eines gefuͤhlvollen Gemuͤ- thes, und weinten zuletzt uͤber den Weinen- den. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund, ruͤhrt der Gegenstand so heftig? — Nicht doch; sagte jener, aber der Lichtstrahl wirkt nach neuern Beobachtungen, außerdem daß er nie- sen und weinen zuwege bringt, auch auf das Erzeugen; und ich war in Italien! — Ich verstand den Mann, der der Sonne zu etwas Reellerm ins Auge schaute, als zum bloßen Phantasieren. — Als ich mich lachend umdre- hete, schalten die andern mich weinend in sehr harten Ausdruͤcken; ich lachte uͤber diesen Kontrast noch staͤrker, und es fehlte wenig, so haͤtten sie mich aus Ruͤhrung gesteinigt! — Wo giebt es uͤberhaupt ein wirksameres Mittel jedem Hohne der Welt und selbst dem Schicksale Troz zu bieten, als das Lachen? Vor dieser satirischen Maske erschrickt der ge- ruͤstetste Feind, und selbst das Ungluͤck weicht erschrocken von mir, wenn ich es zu verlachen wage! — Was beim Teufel, ist auch diese ganze Erde, nebst ihrem empfindsamen Be- gleiter dem Monde, anders werth als sie aus- zulachen — ja sie hat allein darum noch eini- gen Werth weil das Lachen auf ihr zu Hause ist. Es war alles auf ihr so empfindsam und gut eingerichtet, daß es dem Teufel, der sie einst zum Zeitvertreibe sich beschaute, zum Aerger gereichte; um sich an dem Werkmeister zu raͤchen, schickte er das Gelaͤchter ab, und es wußte sich geschickt und unbemerkt in der Maske der Freude einzuschleichen, die Men- schen nahmen’s willig auf, bis es zuletzt die Larve abzog und als Satire sie boshaft an- schaute. — Laßt mir nur das Lachen mein le- belang, und ich halte es hier unten aus!“ — Hoho! rief es jetzt dicht an meinem Ohre, und als ich mich umdrehete, schaute mir ein hoͤlzerner Hanswurst keck und trotzig ins Antlitz. „Er ist mein Patron! sagte ein großer Kerl, der ihn mir entgegenhielt, und neben sich ei- nen großen Kasten stehen hatte. Er hat Talente zum Hanswurst, und ich brauche eben einen, denn der meinige ist mir heute verstorben. Hat er Lust, so schlage er ein; der Posten ist eintraͤglich, und wirft mehr ab, als Wur- zeln fressen!“ — Der hoͤlzerne Spaßmacher schaute mich da- bei vertraulich an, und ich fuͤhlte mich zu ihm hingezogen, wie zu einem Freunde. „Der Kerl ist in Venedig geschnitzt, — sagte der Puppenspieler wie zur Aufmunterung — und ich wette, er macht seine Sache besser, als irgend ein anderer; schaue er nur, er geht und steht, wie auf lebendigen Beinen, legt die Hand aufs Herz, trinkt und ißt, wenn ich am Faden ziehe, und kann lachen und wei- nen, wie ein gewoͤhnlicher Mensch, bloß durch einen leichten mechanischen Druck!“ — Topp! rief ich, und nahm den Kasten auf die Schultern, und die hoͤlzerne Gesellschaft klapperte drinnen unter dem Tragen, wie wenn sie eine franzoͤsische Revoluzion zum Zeit- vertreibe auffuͤhrte. Im Wirthshause fanden wir das Theater, und schon Leute, die sichs ansehen wollten; der Direktor gab mir einen fluͤchtigen theoretischen Unterricht in der tragischen sowohl, wie in der komischen Kunst, auch eroͤffnete er mir zur Zerstreuung eine kleine Seitenthuͤr, wo mein Vorgaͤnger im Hanswurst auf der Streu im Leichentuche lag, und seine Rolle ausgespielt hatte; das Gesicht war recht boshaft verzogen, und jener sagte: Er ist im Lachen verstorben, wodurch er sich hinter der Buͤhne einen Stick- fluß zuzog! — Ein schoͤner Tod’! erwiederte ich, und wir machten uns nun bereit die hoͤlzerne Truppe zu dirigiren. Mein Gefaͤhrte hatte große Force in den Liebhabern und Liebhaberinnen, wovon er diese durch die Fistel sprach. Mein Haupt- fach dagegen war der Hanswurst, doch hatte ich auch nebenzu die Koͤnige zu besorgen. Als der Vorhang fiel, umarmte mich der Mann feurig, und sagte daß ich meinem Posten Ehre mache. Wie theuer einem indeß das Dirigiren zu stehen kommen kann, das hatten wir Gelegenheit auch unter Marionetten zu erfahren; die Sache trug sich folgendergestalt zu: Wir hatten unsere Buͤhne in einem kleinen deutschen Dorfe, nahe an der franzoͤsischen Grenze, aufgeschlagen. Sie gaben druͤben grade die große Tragikomoͤdie, in der ein Koͤnig ungluͤcklich debuͤtirte, und der Hans- wurst, als Freiheit und Gleichheit, lustig Menschenkoͤpfe, statt der Schellen, schuͤttelte. — Wir hatten den ungluͤcklichen Einfall den Holofernes auf das Theater zu bringen, und erhizten dadurch die zuschauenden Bauern so heftig, daß sie die Buͤhne erstuͤrmten, unter den Schauspielerinnen uns die Judith entfuͤhr- ten, und mit ihr und dem abgeschlagenen hoͤl- zernen Haupte des Holofernes geradesweges vor das Haus des Schulzen zogen, und nicht weniger als seinen Kopf von ihm forderten. Das in Anspruch genommene Haupt erblaßte, als die Rebellen ihm das blutige hoͤlzerne entgegenhielten, und weil die Sache mir im- mer bedenklicher schien, so suchte ich ihr rasch eine andere Wendung zu geben. Ich bemaͤch- tigte mich des Holoferneskopfes, sprang auf einen Stein, und suchte in der Angst folgende Rede zu Stande zu bringen: „Lieben Landleute!“ „Schaut dieses hoͤlzerne blutige Koͤnigs- haupt an, das ich hier hoch emporhalte. Es wurde, als es noch auf dem Rumpfe saß, durch diesen Drath regiert, den Drath regierte wieder meine Hand, und so fort bis ins Ge- heimnißvolle, wo das Regiment nicht mehr zu bestimmen ist. Dieses Haupt ist ein koͤnig- liches, ich aber, der an dem Drathe zog, daß es so oder so nickte, oder schuͤttelte, bin ein ganz gewoͤhnlicher Kerl, und komme im Staate in gar keine Betrachtung. Wie konn- tet ihr euch also wohl gegen diesen Holofernes erzuͤrnen, wenn er nickte, oder schuͤttelte wie ich es wollte? — Ich denke ihr findet meine Rede vernuͤnftig, Landleute! — Doch aber scheint der Zorn uͤber dieses hoͤlzerne Haupt, sich bestimmt auf das Haupt eures Schulzen uͤbertragen zu haben — und das finde ich un- billig. — Ich will mich bildlich auszudruͤcken suchen: Mein Holofernes spielt nicht nach en- rem Willen; wohlan, so schlagt mich, den gemeinen Kerl, auf die Haͤnde, daß mein Minister, der Drath den ich anziehe, eine andere Richtung bekommt, und durch diese wieder der Koͤnigskopf anmuthiger und ver- staͤndiger nicke oder schuͤttele. Was hat euch dieser arme Kopf gethan, daß ihr so mit ihm umspringt; er ist das mechanischste Ding auf der Welt und es wohnt nicht einmal ein Ge- danke in ihm. Fordert doch von diesem Kopfe keine Freiheit, da er selbst nichts Analoges davon in sich enthaͤlt. — Auch ist es ein miß- liches Ding um das, was ihr Freiheit schel- tet, ist es doch nicht das Marionettenspiel allein, was ihr heute gesehen habt, wo dem hoͤlzernen Koͤnige der Kopf ohne weiteren Er- folg vom Rumpfe geschlagen wird, sondern ich habe dergleichen von noch fehlerhafterer Natur in meinem Kasten, wo der Dichter dem Stoffe nicht gewachsen war, und er nach Art politi- scher Poeten, die Republick an der er dichtete, zu einer Despotie verpfuschte. Ich kann der- gleichen vor euch auffuͤhren! — Unrecht bleibt es auch immer solche widernatuͤrliche Strafen zu exerziren, als z. B. da auf das Koͤpfen zu bestehen, wo sich kein Kopf vorfindet, denn dieser hoͤlzerne ist nur blos fuͤr das Auge da, und zum Gluͤcke verstehe ich es, ihn wieder auf den Rumpf zu sezen, was nicht in jedem aͤhnlichen Falle gluͤcken duͤrfte. Und wehe mei- nen armen Marionetten, wenn es einmal ei- nem wirklichen Kopfe einfiele, den hoͤlzernen hier in meiner Hand ersetzen zu wollen, und jener nun auf seine Weise nickte und schuͤttelte, und den Drath ganz abrisse — da koͤnnte eine Posse sich leicht zu einer ernsten Tragoͤdie re- volutioniren! — Ich denke, ich habe genug gesagt, Landleute!“ — Die Menschheit ist im Ganzen, wenn sie nicht grade an fixen Ideen leidet, eine ehr- liche einfaͤltige Haut, und sie findet sich leicht in das Entgegengesezteste; ja ich glaube sie kann sich, wenn sie heute ein leichtes Band, das sie fesselte, zerrissen hat, morgen mit eben dem Enthusiasmus in Ketten werfen las- sen. Einer der droben zuschaut, muß mit dem Volke Mitleid haben. So gaben auch heute meine Bauern das Revoluzioniren gutmuͤthig wieder auf, und ließen dagegen ihren Schulzen hochleben; leider nur verwandelte sich diese Freude der lebenden Akteurs in bitteres Leid fuͤr meine hoͤlzernen. Wir Direktoren erwachten naͤmlich in der folgenden Nacht von einem anhaltenden Ge- raͤusche, das vom Theater her erschallte; an- fangs schoben wir es auf Rollenneid, oder eine unter der Truppe ausgebrochene Kabale, als wir uns aber naͤher zu unterrichten suchten, fanden wir unten den Schulzen, dem ich eben das Haupt wieder auf dem Rumpfe befestigt hatte, mit dem Holofernes in der Hand, und von Gerichtsdienern begleitet, die die ganze Truppe im Namen des Staates zu Gefange- nen machten, weil man sie fuͤr politisch ge- faͤhrlich erklaͤrte. Alle meine Einreden waren vergeblich, und sie zogen vor meinen Augen mehrere Koͤnige und Herren, als den Salomo, Herodes, David, Alexander u. f. m. aus dem Kasten um sie fortzuschleppen. So in- konsequent verfaͤhrt der Staat gegen seine eige- nen Repraͤsentanten! — Der lezte Mann war mein Hanswurst; ich erniedrigte mich fuͤr ihn fast zu Bitten — allein man that mir kund, daß durch ein strenges Zensuredikt alle Satire im Staate ohne Ausnahme verboten sei, und man sie schon zum voraus in den Koͤpfen kon- fiscire. Mit Muͤhe erhielt ich es nur auf ei- nen Augenblick noch mit ihm abseits zu treten; ich nahm ihn mit mir hinter eine Koulisse, und hier in der Einsamkeit druͤckte ich unbe- lauscht seinen hoͤlzernen Mund an den meini- gen und vergoß die zweite Thraͤne, denn er war außer Ophelia das einzige Wesen, das ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. — Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf folgenden Tag wie ein Traͤumender umher, und am Abende fand man ihn, weil er die angesagte Tragikomoͤdie nicht schuldig bleiben wollte, auf der Buͤhne an einer Wolke er- haͤngt. So traurig endete auch dieses Unterneh- men, und ich suchte nun endlich mit Ernst, von den Muͤhseligkeiten des Lebens ermuͤdet; mich unter den Menschen um einen soliden Posten zu bewerben. Es geht doch nichts auf Erden uͤber das Bewußtsein nuͤtzlich zu sein und einen festen Gehalt zu genießen; — der Mensch ist nicht Kosmopolit allein, er ist auch Staatsbuͤrger! — Das Nachtwaͤchteramt war eben vakant geworden, und ich glaubte mich allenfalls tuͤchtig ihm mit Ehre vorzustehen. Die Welt ist jezt sehr gebildet und man for- dert mit Recht große Talente von jedem ein- zelnen Buͤrger. — Wohl dem der Konnexionen hat — es ge- lang mir bei dem Diener des Ministers Zu- tritt zu erhalten, er hatte grade seine gute Stunde, und empfahl mich seinem Herrn; so wurde ich die Staatsleiter immer hoͤher ge- hoben und ging aus einer Hand in die andere, bis zur obersten Sprosse, wo ich einen Fußfall wagte, und man mir gnaͤdig Hoffnung zum Nachtwaͤchter machte. — Eine naͤhere Pruͤfung in der ich darthun mußte, ob ich theils einen gemaͤßigten Vortrag besaͤße, um den Monar- chen wenn er schliefe nicht aus dem Schlafe zu wecken, theils aber auch einen angenehmen und gebildeten, um in schlaflosen Naͤchten sei- nen musikalischen Sinn nicht zu beleidigen, fiel nicht ganz ungluͤcklich aus, und ich hatte die Freude mich, nachdem mir vorher noch weiteres Studium angelegentlich empfohlen war, als Nachtwaͤchter angestellt zu sehen. Sechszehnte Nachtwache . I ch wuͤnschte dieses Ultimatum und Hogarth- sche Schwanzstuͤck meiner Nachtwachen, recht deutlich vor Jedermanns Augen ausmahlen zu koͤnnen; leider aber fehlen mir die Farben in der Nacht dazu, und ich kann nichts als Schatten und lustige Nebelbilder vor dem Glase meiner magischen Laterne hinfliehen lassen. Wenn ich in der Laune bin Koͤnige und Bettler in eine recht lustige bruͤderliche Ge- sellschaft zusammenzustellen, so wandle ich auf dem Kirchhofe uͤber ihre Graͤber hin, und denke sie mir, wie sie da unten im Boden friedlich neben einander liegen, im Stande der groͤßten Freiheit und Gleichheit, und nur in ihrem Schlafe satirische Traͤume haben, und haͤmisch aus den Augenhoͤlen grinsen. Unten sind sie Bruͤder, nur oben aus dem Rasen ragt hoͤchstens noch ein moosigter Stein her- auf, woran die alten zerschlagenen Wappen des Großen haͤngen, indeß auf dem Grabe des Bettlers nur eine wilde Blume sproßt, oder eine Nessel. — Ich besuchte auch in dieser Nacht meinen Lieblingsort, dieses Vorstadtstheater, wo der Tod dirigirt, und tolle poetische Possen als Nachspiele hinter den prosaischen Dramen auf- fuͤhrt, die auf dem Hof- und Welttheater dargestellt werden. Es war eine schwuͤle druͤk- kende Luft, und der Mond schaute nur heim- lich zu den Graͤbern herab, und blaue Blize flogen dann und wann an ihm voruͤber. Ein 18 Poet meinte, die zweite Welt lausche in die untenliegende herunter — ich hielt es nur fuͤr aͤffenden Wiederhall und matten taͤuschenden Lichtschein, der noch eine Weile dem versunkenen Leben nachgaukelt; wie der abgestorbene faulende Baum noch eine Zeitlang des Nachts zu glaͤn- zen scheint, bis er ganz in Staub zerfaͤllt. — Ich war unwillkuͤhrlich an dem Denkmale eines Alchymisten stehen geblieben; ein alter kraͤftiger Kopf starrte aus dem Steine hervor, und unverstaͤndliche Zeichen aus der Kabbala waren die Inschrift. Der Poet trieb sich eine Zeitlang unter den Graͤbern herum, und besprach sich ab- wechselnd mit auf dem Boden liegenden Schaͤdeln, um sich in Feuer zu setzen, wie er sagte; mir wurde es langweilig, und ich schlief daruͤber am Denkmale ein. Da hoͤrte ich im Schlafe das Gewitter auf- steigen, und der Poet wollte den Donner in Musik sezen und Worte dazu dichten, aber die Toͤne ordneten sich nicht und die Worte schienen zu zersprengen und in einzelnen un- verstaͤndlichen Sylben durcheinander zu fliehen. Dem Poeten stand der Schweiß auf der Stirne, weil er keinen Verstand in sein Naturgedicht bringen konnte — der Narr hatte das Dichten bisher nur auf dem Papiere versucht. Der Traum verwickelte sich immer tiefer. Der Poet hatte sein Blatt von neuem ergriffen und versuchte zu schreiben; zur Unterlage diente ihm ein Schaͤdel — er begann wirklich und ich sah den Titel vollendet: Gedicht uͤber die Unsterblichkeit. Der Schaͤdel grinsete tuͤckisch unter dem Blatte, der Poet hatte kein Arg daraus, und schrieb den Eingang zum Gedichte, worin er die Phantasie anrief ihm zu diktiren. Darauf hub er mit einem grausenden Gemaͤlde des Todes an, um zulezt die Unsterblichkeit desto glaͤnzender hervorfuͤhren zu koͤnnen, wie den hellen strahlenden Sonnenaufgang nach der tief- sten dunkelsten Nacht. Er war ganz in seine Phantasieen vertieft und bemerkte es nicht, daß sich um ihn her alle Graͤber geoͤffnet hat- ten, und die Schlaͤfer unten boshaft laͤchelten, doch ohne sich zu bewegen. Jezt stand er am Uebergange und fing an die Posaunen zu bla- sen und viele Zuruͤstungen zum juͤngsten Tage zu machen. Eben war er im Begriffe alle Todte zu erwecken, da schien es als ob etwas Unsichtbares seine Hand hielte, und er blickte verwundert auf — und unten in den Schlaf- kammern lagen sie noch alle still und laͤchelten, und niemand wollte erwachen. Schnell ergriff er die Feder von neuem und rief heftiger und sezte eine starke Begleitung von Donner und Posaunenschall zu seiner Stimme — umsonst, sie schuͤttelten nur alle unmuthig unten und wandten sich auf die andere Seite von ihm weg, um ruhiger zu schlafen und ihm die nackten Hinterkoͤpfe zu zeigen. — „Wie, ist denn kein Gott!“ rief er wild aus, und das Echo gab ihm das Wort „Gott!“ laut und vernehmlich zuruͤck. Jezt stand er ganz ein- faͤltig da und kaͤuete an der Feder. „Der Teufel hat das Echo erschaffen!“ sagte er zu- lezt — „Weiß man doch nicht zu unterschei- den ob es bloß aͤfft, oder ob wirklich geredet wird!“ — Er setzte noch einmal rasch an, doch die Schriftzuͤge kamen nicht zum Vorscheine; da steckte er abgespannt und fast gleichmuͤthig die Feder hinter das Ohr und sagte monoton: „Die Unsterblichkeit ist widerspaͤnstig, die Ver- leger zahlen bogenweis und die Honorare sind heuer sehr schmal; da wirft dergleichen Schrei- berei nichts ab, und ich will mich wieder in die Dramen werfen!“ — Ich erwachte bei diesen Worten, und mit dem Traume war auch der Poet vom Kirchhofe verschwunden; aber an meiner Seite saß ein braunes Boͤhmerweib und schien aufmerksam in meinen Gesichtszuͤgen zu lesen. Ich erschrack fast vor der großen gigantischen Gestalt, und vor dem dunkeln Antlize, in das ein seltsam barokkes Leben mit eben so grellen Zuͤgen nie- dergeschrieben schien. „Gieb mir die Hand, Blanker!“ sagte sie geheimnißvoll, und ich reichte sie ihr unwillkuͤhrlich hin. Je staͤrker und sicherer der Mensch sich selbst gefaßt haͤlt, um so laͤppischer erscheint ihm alles Geheimnißvolle und Wunderbare, vom Freimaurerorden an, bis zu den Mysterien einer zweiten Welt. Ich schauderte heute zum erstenmale etwas, denn das Weib las aus meiner Hand mein ganzes voriges Leben, wie aus einem Buche mir vor, bis hin zu dem Augenblicke, wo ich als ein Schaz gehoben wurde (S. die vierte Nachtwache.) Darauf sagte sie: „Sollst auch deinen Vater sehen, Blanker; schau dich um, er steht hinter dir!“ — Ich wandte mich rasch — und der ernste steinerne Kopf des Alchymisten blickte mich starr an. Sie legte die Hand auf ihn, und sagte sonderbar laͤchelnd: „Der ist’s! und ich bin die Mutter!“ — Das gab eine tolle ruͤhrende Familienscene — die braune Zigeunermutter und der stei- nerne Vater, der halb aus der Erde hervorragte, als wollte er den Sohn halsen und an die kalte Brust druͤcken. Um die Familiengruppe zu runden umarmte ich beide, und als ich so mitten inne saß, erzaͤhlte das Weib im Baͤn- kelsaͤngervortrage: „Es war in der Christnacht, als dein Va- ter den Teufel bannen wollte — er las aus dem Buche, und ich leuchtete dazu mit drei besprochenen Kerzen — unter dem Boden lief es hin, wie wenn die Erde Wellen schluͤge, und das Licht brannte blau. Wir hielten jezt an der Stelle, wo dem Himmel entsagt und der Hoͤlle geschworen wird, und blickten uns eine Weile schweigend an. Es ist zur Abwech- selung! sagte dann dieser Steinerne und las die Stelle laut und vernehmlich — zwischen uns lachte es leise, wir lachten laut mit, um nicht albern dazustehen. Nun fing es an in der Nacht um uns her sein Wesen zu treiben, und wir merkten, daß wir nicht allein waren. Ich schmiegte mich in dem gezogenen Kreise dicht an deinen Vater, wir beruͤhrten zufaͤllig das Zeichen des Erdgeistes, und wurden warm beisammen. Als der Teufel erschien, erblick- ten wir ihn nur noch mit halb geoͤffneten Au- gen — es war grade der Moment in dem du entstandest! — Jener war recht bei Laune und erbot sich Pathenstelle zu vertreten; er mochte ein angenehmer Mann in seinen besten Jahren sein, und ich erstaune uͤber die Aehnlichkeit, die du mit ihm hast; nur siehst du finsterer aus, was du dir noch abgewoͤhnen duͤrftest. Als du geboren wurdest, hatte ich soviel Ge- wissenhaftigkeit dich in christliche Haͤnde zu uͤbergeben, und spielte dich darum jenem Schazgraͤber zu, der dich erzog. — Das ist deine Familiengeschichte, Blanker!“ — Welch ein helles Licht nach dieser Rede in mir aufging, das koͤnnen sich nur Psychologen vorstellen; der Schluͤssel zu meinem Selbst war mir gereicht, und ich oͤffnete zum ersten- male mit Erstaunen und heimlichem Schauder die lang verschlossene Thuͤr — da sah es aus wie in Blaubarts Kammer, und es haͤtte mich erwuͤrgt, waͤre ich minder furchtlos gewesen. Es war ein gefaͤhrlicher psychologischer Schluͤssel! Ich moͤchte mich selbst, wie ich bin, ge- schickten Psychologen zur Secirung und Anato- mirung vorlegen, um zu sehen ob sie das aus mir herauslesen wuͤrden, was ich jezt wirklich las — dieser Zweifel soll uͤbrigens der Wissen- schaft selbst nicht zu nahe treten, die ich wahr- lich hoch schaͤze, weil sie es sich nicht verdrie- ßen laͤßt an einen so hypothetischen Gegenstand, als die Seele ist, Zeit und Muͤhe zu ver- schwenden. Ich moͤchte einige von den Betrachtungen, die ich uͤber mich selbst in diesem Augenblicke gemacht hatte, laut geaͤußert haben, denn die Zigeunerin sprach wie ein Orakel: „Es ist groͤßer die Welt zu hassen, als sie zu lieben; wer liebt begehrt, wer haßt, ist sich selbst ge- nug, und bedarf nichts weiter als seinen Haß in der Brust und keinen dritten!“ Die Worte dienten ihr zur Parole, und ich erkannte durch sie, daß sie zu meiner Fa- milie gehoͤre. — Nach einer Weile sagte sie ganz heimlich: „Ich moͤchte den Alten da un- ten in seinem lezten chemischen Prozesse, den er mit sich selbst anstellt, wohl noch einmal sehen; er liegt schon lange im Boden — ob wohl noch was von ihm uͤbrig ist? — Wir wollen’s doch anschauen!“ — Nach diesen Worten schlich sie uͤber Schaͤdel und Todten- knochen hin nach dem Gebeinhause, kehrte mit Schaufel und Hacke zuruͤck und grub sich still und geheimnißvoll in die Erde. Ich ließ sie bei der sonderbaren Arbeit al- lein, denn druͤben wandelte einer mit vielen Ausbeugungen und Kruͤmmungen um die Graͤ- ber hin, wie wenn er ihm im Wege stehen- den Gestalten auswiche; oft schien er zu laͤ- cheln, oft aber wandte er sich erschrocken und zitternd ab, und floh einige Schritte, bis er wieder vor einem neuen Gegenstande zuruͤckzu- beben schien. — Als ich ihm nahe war, faßte er meine Hand, und sagte tiefaufathmend: „Gottlob ein Lebender! Begleite mich nur bis zu jenem Grabe! — Ich hielts fuͤr Wahn- sinn und schritt mit ihm fort, um das Ende zu erwarten, oft draͤngte er mich, wenn ich einem Grabe zu nahe kam zuruͤck, daß ich die Luft daruͤber nicht beruͤhren sollte, zulezt aber schien er mehr Muth zu fassen, und ruhte eine Weile zwischen drei großen Monumenten aus; es waren umgestuͤrzte Saͤulen, und an den Tafeln standen die Namen verstorbener Fuͤrsten. „Hier koͤnnen wir etwas verziehen; sagte er, denn uͤber den Graͤbern steht nichts als Stein und Denkmal, und drunten im Boden mag hoͤchstens noch eine Handvoll Staub, ne- ben den Kronen und Zeptern zu finden sein; solche große Herren vergehen schnell, weil sie im Ueberflusse genießen und schon im Leben eine große Masse erdigter Theile in sich auf- nehmen.“ Ich sah ihn erstaunt an, da fuhr er fort: „Ihr haltet mich wohl gar fuͤr toll; aber darin irrt Ihr! Ich betrete diese Orte nicht gern, denn ich habe einen wunderbaren Sinn mit auf die Welt gebracht, und erblicke wider meinen Willen auf Graͤbern die darunter lie- genden Todten mehr oder minder deutlich, nach den Graden ihrer Verwesung Ein Beispiel dieser originellen Geisterseherei findet sich, wenn ich nicht irre, in Moritz Magazin der Erfahrungsseelenkunde. . So lange der Verstorbene unten noch unversehrt ist, so lange steht fuͤr mich seine Gestalt deutlich uͤber der Gruft, und nur wenn der Koͤrper sich mehr und mehr aufloͤst, verliert sich auch das Bild in Schatten und Nebel, und verfliegt zulezt ganz wenn das Grab leer ist. — Die weite Erde ist zwar ein einziger Gottesacker, aber die Gestalten der Verweseten nehmen eine freundlichere Gestalt an und bluͤhen als schoͤne Blumen wieder auf; — hier aber ste- hen sie noch alle deutlich umher und blicken mich an, daß ich erschrocken vor ihnen zuruͤck- weiche. Nichts sollte mich auch bewegen diese Staͤtte zu betreten, wenn mich nicht eine Schaͤferstunde hier erwartete!“ — „Da haͤtte Euer Liebchen auch einen freund- lichern Ort fuͤr Euch erwaͤhlen sollen!“ sagte ich unwillig uͤber seine unbekannte Schoͤne, als er eine Weile inne hielt. „Sie ist dazu gezwungen!“ antwortete er. — Denn sie hat hier ihre Wohnung aufgeschla- gen!“ Jezt begriff ichs und verstand ihn, als er auf ein fernes Grab deutete — „Dort unten ruht sie — sie starb in der Bluͤthe, und ich kann nur hier nach ihrem Brautbette wandeln. Sie laͤchelt mir schon aus der Ferne entgegen, und ich muß eilen; denn seit einiger Zeit wird die Gestalt immer luftiger, und nur das Laͤ- cheln um die Lippen ist noch ganz deutlich.“ — „Das ist doch mindestens einmal eine et- was ungewoͤhnliche Liebschaft, die ich erlebe, — setzte ich hinzu — uͤbrigens ist auf der Erde nichts langweiliger als ein Verliebter!“ — Wir wandelten jezt weiter fort, und er entwarf mir im Gehen noch fluͤchtig einige Skizzen von den Inhabern der Wohnungen an denen wir vorbei mußten. „Dort hat sich ein Hofnarr noch gut ge- halten, er steht vollkommen da, bis auf den Spott und die Satire in seinen Minen. — Hier harrt ein Poet der Auferstehung entge- gen, aber von ihm selbst ist nur wenig noch dazu vorhanden, denn ich sehe bloß leichten Duft, und muß die Phantasie anstrengen, et- was Gescheutes hineinzufinden. — Da erblicke ich eine Mutter mit dem Kinde an der Brust, und beide laͤcheln! — (Es erschuͤtterte mich, denn es war grade das Grab der Ophelia!) — Hier liegen ein Finanzier und ein Politi- ker beisammen, aber an beiden ist schon vieles defekt. — Jenes soll das Grab eines beruͤhm- ten Geizhalses sein, er haͤlt noch mit der schon verschwindenden Hand den Zipfel seines Lei- chentuches fest!“ — Jetzt waren wir zur Stelle, und er bat mich ihn zu verlassen; aus der Ferne sah ich nur noch wie er die Luft umarmte und heiße Kuͤsse ausstroͤmte — es war eine recht selt- same Schaͤferstunde! — — Indeß hatte die Wahrsagerin das Grab des Vaters gesprengt, und der morsche Sarg hob sich aus dem Boden; neugierig gleitete das Mondlicht an den halb verwitterten Schildern und Verzierungen hinab, und das Kruzifix auf dem Deckel blinkte hell und weiß. Mir war doch ungewoͤhnlich zu Muthe, als die alte graue Vergangenheit noch einmal sich in der Gegenwart umsah, und die lezte Wiege des Vaters, die ihn in den langen Schlummer wiegte, heraufstieg. Ich zoͤgerte den Deckel zu heben, und redete in der Pause, um mir selbst Muth zu machen, einen Wurm an, den ich ergriff, als er sich eben bei dem Sarge aus dem Boden wuͤhlte: „Außer den Favoriten und Guͤnstlingen der Großen und Herren, giebt es nur noch ein Voͤlkchen, das es sich recht eigentlich an den Bruͤsten der Majestaͤt wohl sein laͤßt; und zu diesem gehoͤrst du, Minirer! Der Koͤnig er- naͤhrt sich von dem Marke seines Landes, und du dich wieder von dem Koͤnige selbst, um die verstorbene Majestaͤt, wie Hamlet sagt, nach einer Reise durch drei oder vier Magen, wie- der in den Schooß, oder mindestens in den Bauch ihrer getreuen Unterthanen zu fuͤhren. An dem Gehirne wie vieler Koͤnige und Fuͤr- sten hast du dich gemaͤstet, du fetter Schma- rozer, bis du zu diesem Grade von Wohlbe- leibtheit gekommen bist? Den Idealismus wie vieler Philosophen hast du auf diesen deinen Realismus zuruͤckgefuͤhrt? Du bist ein unwi- derlegbarer Beleg fuͤr die reelle Nuͤzlichkeit der Ideen, da du dich an der Weisheit so man- cher Koͤpfe wacker gemaͤstet hast. — Dir ist nichts mehr heilig, weder Schoͤnheit noch Haͤß- lichkeit, weder Tugend noch Laster; alles um- windest du Laokoons Schlange, und beurkun- dest deine intensive Erhabenheit an dem gan- zen Menschengeschlechte. Wo ist jezt das Auge das so bezaubernd laͤchelte, oder so drohend gebot — Du Satiriker sizest allein in der lee- ren Knochenhoͤle und schauest frech und boshaft um dich, und machst das Haupt zu deiner Wohnung, und zu etwas noch schlechterm, in 19 dem sonst die Plane eines Caͤsar und Alexan- der geboren wurden. Was ist nun dieser Pal- last, der eine ganze Welt und einen Himmel in sich schließt; dieses Feenschloß, in dem der Liebe Wunder bezaubernd gaukeln; dieser Mikrokosmus, in dem alles was groß und herrlich, und alles Schreckliche und Furchtbare im Keime nebeneinander liegt, der Tempel gebar und Goͤtter, Inquisitionen und Teufel; dieses Schwanzstuͤck der Schoͤpfung — das Menschenhaupt! — — die Behausung eines Wurmes. — O was ist die Welt, wenn das- jenige was sie dachte nichts ist und alles darin nur voruͤberfliegende Phantasie! — Was sind die Phantasieen der Erde, der Fruͤhling und die Blumen, wenn die Phantasie in diesem kleinen Rund verweht, wenn hier im innern Pantheon alle Goͤtter von ihren Fußgestellen stuͤrzen, und Wuͤrmer und Verwesung einzie- hen. O ruͤhmt mir nichts von der Selbststaͤn- digkeit des Geistes — hier liegt seine zerschla- gene Werkstatt, und die tausend Faͤden, wo- mit er das Gewebe der Welt webte, sind alle zerrissen, und die Welt mit ihnen. — — Auch der Alte hier in seiner Kammer wird schon seine Theaterkleider abgeworfen haben, und dieser boshafte Bube, in meiner Hand, kommt vielleicht eben von dem Kehraus, dem er hier in der vaͤterlichen Behausung beige- wohnt hat; — doch mag’s sein — ich will er- grimmt in das Nichts schauen, und Bruͤder- schaft mit ihm machen, damit ich keine mensch- lichen Reste mehr verspuͤre, wenn es auch mich zulezt ergreift!“ — Ich war jezt stark und wild genug den Dek- kel zu heben, ob ich gleich fuͤhlte, daß dieser Grimm und Zorn, wie Alles uͤbrige, auch mit zum Nichts gehoͤre. — Wie seltsam — als das stille Schlafkaͤm- merchen sich aufthat, in dem ich keinen Schlaͤ- fer mehr erwartete, lag er noch unversehrt auf dem Kissen, mit blassem ernsten Gesichte und schwarzen krausen Haaren um Schlaͤfe und Stirn; es war noch die abgeformte Buͤste vom Leben, die hier in dem unterirdischen Museum des Todes zur Seltenheit aufbewahrt wurde, und der alte Schwarzkuͤnstler schien dem Nichts Troz bieten zu wollen. „So sah er aus, als er den Teufel bannte!“ sagte die Wahrsagerin — „Nur haben sie ihm nachher die Haͤnde gefaltet, daß er hier unten wider Willen beten muß!“ — — „Und warum betet er denn?“ fragte ich zornig — da druͤben uͤber uns im Himmelssee funkeln und schwimmen zwar unzaͤhlige Sterne, aber wenn es Welten sind, wie viele kluge Koͤpfe behaupten, so giebt es auch Schaͤdel auf ihnen und Wuͤrmer, wie hier unten; das geht so fort durch die ganze Unermeßlichkeit, und der Baseler Todtentanz wird dadurch nur um so lustiger und wilder und der Ballsaal groͤßer. — O wie sie alle, die auf den Graͤ- bern umherlaufen, und auf einer tausendfach geschichteten Lava vergangener Geschlechter — wie sie alle nach Liebe wimmern, und nach einem großen Herzen uͤber den Wolken, woran sie mit allen ihren Erden einst ruhen koͤnnen! Wimmert nicht laͤnger — diese Myriaden von Welten saußen in allen ihren Himmeln nur durch eine gigantische Naturkraft, und diese schreckliche Gebaͤrerin, die alles und sich selbst mit geboren hat, hat kein Herz in der eigenen Brust, sondern formt nur kleine zum Zeit- vertreib, die sie umher vertheilt — haltet euch an diese, und liebt und girrt so lange diese Herzen noch zusammenhalten! — Ich will nicht lieben, und recht kalt und starr bleiben, um wo moͤglich dazu lachen zu koͤnnen, wenn die Riesenhand auch mich zerdruͤckt!“ — „Der alte Schwarzkuͤnstler scheint zu mei- ner Rede zu lachen! Weißt du es etwa besser, Teufelsbanner — und steigt uͤber diesem zer- truͤmmerten Pantheon ein neues herrlicheres auf, das in die Wolken reicht, und in dem sich die kolossalen ringsumher basizenden Goͤt- ter wirklich aufrichten koͤnnen, ohne sich an der niedern Decke die Koͤpfe zu zerstoßen — — wenn es wahr waͤre, so moͤchte es zu ruͤhmen sein, und es duͤrfte schon die Muͤhe verlohnen zu zu schauen, wie mancher unermeßliche Geist auch seinen unermeßlichen Spielraum erhielte, und nicht mehr zu wuͤrgen brauchte und zu hassen, um groß zu sein, sondern frei in die Himmel emporsteigen koͤnnte, um dort sein strahlendes Gefieder auszubreiten. — Der Ge- danke koͤnnte mich fast erhizen! — Nur alle duͤrften sie mir nicht erstehen wollen; alle nicht! — Was wollten so viele Pygmaͤen und Kruͤppel in dem großen herrlichen Pantheon, in dem nur die Schoͤnheit thronen soll, und die Goͤtter! O man schaͤmt sich dieser Gesell- schaft ja oft genug schon auf Erden, wie koͤnnte man den Himmel mit ihnen gemein- schaftlich theilen! — Nur ihr moͤgt euch aus dem Schlummer erheben, ihr großen koͤnigli- chen Haͤupter, die ihr mit den Diademen in der Weltgeschichte erscheint, und ihr begei- sterten Saͤnger, die ihr von den Koͤniglichen entzuͤckt redet und sie verherrlicht! Die andern moͤgen ruhig schlafen und recht sanft, auch angenehme Traͤume haben, die goͤnne ich ih- nen von Herzen!“ — „Mit dir, alter Alchymist, moͤchte ich den Weg schon antreten; nur betteln sollst du mir nicht um den Himmel — nicht betteln — lieber ertroze ihn, wenn du Kraft hast. Die stuͤrzenden Titanen sind mehr werth, als ein ganzer Erdball voll Heuchler, die sich ins Pan- theon durch ein wenig Moral und so und so zusammengehaltene Tugend schleichen moͤchten! Laß uns dem Riesen der zweiten Welt geruͤ- stet entgegengehen; denn nur wenn wir unsere Fahne dort aufpflanzen, sind wir es werth dort zu wohnen! — Laß das Betteln; ich reiße dir die Haͤnde mit Gewalt auseinan- der!“ — — „Wehe! Was ist das — bist auch du nur eine Maske und betruͤgst mich? — Ich sehe dich nicht mehr Vater — wo bist du? — Bei der Beruͤhrung zerfaͤllt alles in Asche, und nur auf dem Boden liegt noch eine Handvoll Staub, und ein paar genaͤhrte Wuͤrmer schlei- chen sich heimlich weg, wie moralische Leichen- redner, die sich beim Trauermahle uͤbernom- men haben. Ich streue diese Handvoll vaͤter- lichen Staub in die Luͤfte und es bleibt — Nichts!“ „Druͤben auf dem Grabe steht noch der Geisterseher und umarmt Nichts!“ „Und der Wiederhall im Gebeinhause ruft zum leztenmale — Nichts! — Inhalt. Erste Nachtwache . Der sterbende Freigeist. Seite 1 Zweite Nachtwache . Die Erscheinung des Teufels. — 12 Dritte Nachtwache . Rede des steinernen Crispinus uͤber das Kapitel de adulteriis. S.24 Vierte Nachtwache . Holzschnitte; nebst dem Leben eines Wahnsinnigen als Marionettenspiel. S. 44 Fuͤnfte Nachtwache . Die Bruͤder. — 78 Sechste Nachtwache . Das Weltgericht. — 93 Siebente Nachtwache . Selbstportraitiren. — Leichenrede am Geburtstage eines Kindes. — Der Baͤnkelsaͤnger. — Inju- rienklage. S. 111 Achte Nachtwache . Des Dichters Himmelfahrt. — Absagebrief an das Leben. — Prolog des Hanswurstes zu der Tra- goͤdie: der Mensch. S. 130 Neunte Nachtwache . Das Tollhaus. — Monolog des wahnsinnigen Weltschoͤpfers. — Der vernuͤnftige Narr. S. 153 Zehnte Nachtwache . Die Winternacht. — Der Traum der Liebe. — Die weiße und die rothe Braut. — Das Be- graͤbniß der Nonne. — Lauf durch die musika- lische Tonleiter. S. 174 Eilfte Nachtwache . Ahnungen eines Blindgebornen. — Das Geluͤbde. — Der erste Sonnenaufgang. S. 192 Zwoͤlfte Nachtwache . Der Sonnenadler. — Die unsterbliche Peruͤcke. — Der falsche Haarzopf. — Apologie des Lebens. — Der Komoͤdiant. S. 201 Dreizehnte Nachtwache . Dithyrambus uͤber den Fruͤhling. — Der Titel ohne das Buch. — Das Invalidenhaus der Goͤt- ter. — Der Hintere der Venus. — S. 217 Vierzehnte Nachtwache . Die Liebe zweier Narren. — . S. 230 Funfzehnte Nachtwache . Das Marionettentheater. S. 255 Sechszehnte Nachtwache . Das Boͤhmerweib. — Der Geisterseher. — Das Grab des Vaters. S. 272