RÖMISCHE GESCHICHTE VON THEODOR MOMMSEN . ERSTER BAND . BIS ZUR SCHLACHT VON PYDNA. LEIPZIG , WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG . 1854 . MEINEM FREUNDE MORIZ HAUPT IN BERLIN. INHALT . ERSTES BUCH. Bis zur Abschaffung des römischen Königthums . KAPITEL I. Seite Einleitung 3 KAPITEL II. Die ältesten Einwanderungen in Italien 7 KAPITEL III. Die Ansiedlungen der Latiner 22 KAPITEL IV. Die Anfänge Roms 30 KAPITEL V. Roms Hegemonie in Latium 38 KAPITEL VI. Die ursprüngliche Verfassung Roms 49 KAPITEL VII. Die Nichtbürger und die reformirte Verfassung 64 KAPITEL VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme. Anfänge der Samniten 74 KAPITEL IX. Die Etrusker 79 INHALT. KAPITEL X. Seite Die Hellenen und Punier in Italien. Seeherrschaft der Tusker und Karthager 88 KAPITEL XI. Recht und Gericht 102 KAPITEL XII. Religion 111 KAPITEL XIII. Ackerbau, Gewerbe und Handel 122 KAPITEL XIV. Mass und Schrift 136 KAPITEL XV. Die Kunst 146 ZWEITES BUCH. Von der Abschaffung des römischen König - thums bis zur Einigung Italiens . KAPITEL I. Aenderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt 157 KAPITEL II. Das Volkstribunat und die Decemvirn 170 KAPITEL III. Die Ausgleichung der Stände 187 KAPITEL IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten 203 KAPITEL V. Die Unterwerfung der Latiner und Campaner unter Rom 220 KAPITEL VI. Die Italiker gegen Rom 232 KAPITEL VII. König Pyrrhos gegen Rom 252 KAPITEL VIII. Innere Verhältnisse 285 INHALT. DRITTES BUCH. Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwer - fung Karthagos und der griechischen Staaten . Seite KAPITEL I. Karthago 309 KAPITEL II. Der erste Krieg mit Karthago 330 KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen 363 KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal 379 KAPITEL V. Der hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae 406 KAPITEL VI. Der hannibalische Krieg von Cannae bis Zama 431 KAPITEL VII. Der Westen vom hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode 484 KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der zweite makedonische Krieg 501 KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien 540 KAPITEL X. Der dritte makedonische Krieg 571 KAPITEL XI. Die Verfassung und die inneren Verhältnisse 601 ERSTES BUCH. Bis zur Abschaffung des römischen Königthums. τὰ παλαιότερα σαφῶς μὲν εὑϱεῖν διὰ χϱόνου πλῆϑος ἀδύνατα ἦν˙ ἐϰ δὲ τεϰμηϱίων ν ἐπὶ μαϰϱότατον σϰοποῦντί μοι πιστεῦσαι ξυμβαί- νει οὐ μεγάλα νομίζω γενέσϑαι, οὔτε ϰατὰ τοὺς πολέμους οὔτε ἐς τὰ ἄλλα. Thukyd. Röm. Gesch. I. 1 KAPITEL I. Einleitung . R ings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den grössten Busen des Oceans bildet und bald durch Inseln oder vorspringende Land- festen verengt, bald wieder sich in beträchtlicher Breite aus- dehnend die drei Theile der alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Völkerstämme sich an, welche, ethnogra- phisch und sprachgeschichtlich betrachtet verschiedenen Racen angehörig, historisch ein Ganzes ausmachen, ein Völkersystem, dessen Civilisationsgeschichte, wenn gleich sie in ihren Anfängen anknüpft an einen andern Gesichts- und Geschichtskreis, dennoch, wie die Stämme den Ufern des Mittelmeers sich nähern, sie alle in sich aufgenommen und einen eigenthümlichen Gang in Grün- dung, Blüthe und Untergang verfolgt hat. Diese Culturgeschichte der Umwohner des Mittelmeers, die man nicht passend als die Geschichte der alten Welt zu bezeichnen pflegt, führt in drei grossen Entwicklungsstadien uns die Geschichte vor der Aegypter, der Hellenen und der Italiker, welche an den östlichen Cultur- kreis anknüpfen durch die Phoeniker, das Volk der Vermittlung. Jene drei Nationen gelangten jede auf ihren eigenen Bahnen zu einer eigenthümlichen und grossartigen Civilisation und haben in mannigfaltigster Wechselbeziehung zu einander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfüllt war und neue Völkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten 1* ERSTES BUCH. KAPITEL I. nur wie die Wellen den Strand umspült hatten, sich über beide Ufer ergossen und indem sie die Südküste geschichtlich trennten von der nördlichen, den Schwerpunkt der Civilisation verlegten vom Mittelmeer an den atlantischen Ocean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht bloss zufällig und chronologisch, sondern es beginnt mit dieser die Gestaltung eines neuen Culturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an die untergehende oder untergegangene Civilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die orientalische, aber auch wie diese bestimmt war eine eigene Bahn zu durchmessen und Völkerglück und Völkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglückende Mühe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber nur ein vorläufiges ist dieses Ziel; das grossartigste Civilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfüllen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem so wie es am Ziele zu stehen scheint die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in höherem Sinne neu gestellt wird. Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Acts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der westlicheren unter den beiden Halbinseln, die vom nördlichen Continent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die Kette der Apenninen, welche an die west- lichen Ausläufer des Alpenstockes anknüpfend und zwischen dem schmalen östlichen und dem breiteren westlichen Becken des Mittelmeers in südöstlicher Richtung streichend zu dem Gebirgsstock der Abruzzen ansteigt und mit ihm hart an die Ostküste hinantritt; nicht in steiler Kette die beiden Hälften scheidend, sondern breit durch das Land gelagert und nament- lich in den Abruzzen vielfache durch mässige Pässe verbun- dene Hochebenen einschliessend. Die nördlich zwischen dieser Bergkette und den Alpen sich ausdehnenden flachen Niede- rungen gehören geographisch und bis in sehr späte Zeit auch historisch nicht zu dem südlichen Hügelland, dessen Geschichte uns hier beschäftigt; erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das Küstenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Pothal definitiv zu Italien gezogen. Den südlichen Theil durch- schneidet der Länge nach eine Bergreihe, die von den Abruzzen EINLEITUNG. auslaufend gegen Süden zieht, anfangs ungetheilt und von be- trächtlicher Höhe, dann nach einer Einsattlung, die eine Hügel- landschaft bildet, sich spaltet und einen flachen Höhenzug gegen Südosten, eine steilere Kette gegen Süden entsendend mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln abschliesst. An diesen gleichfalls breit gelagerten und oft zur Hochebene sich erweiternden Bergzug lehnt sich an der östlichen Küste ein ebenes nördlich von dem Bergstock der Abruzzen geschlosse- nes Vorland, welches nur der einförmige Garganus inselartig unterbricht, von schwach entwickelter Küstenbildung und von wenigen Flüssen durchschnitten; an der Südküste zwischen den beiden Halbinseln eine reiche Stromniederung mit wenigen Häfen; an der Westküste ein breites von bedeutenden Strö- men, namentlich der Tiber durchschnittenes, von den Fluthen und den zahlreichen Vulcanen in mannigfaltigster Thal- und Hügel-, Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, das all- mählich gegen Süden sich verflacht und mit der gesegneten campanischen Ebene abschliesst. Die italische Halbinsel theilt mit der griechischen die gemässigte Temperatur und die ge- sunde Luft auf den mässig hohen Bergen und im Ganzen auch in den Thälern und Ebenen. In der Küstenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbar überlegen durch die reichen Fluss- ebenen und die fruchtbaren oder kräuterreichen Bergabhänge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf; es ist ein schönes Land, das die Thätigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen wie dem ruhigen Streben Wege in die Ferne oder auch friedlichen Gewinn daheim in gleicher Weise darbietet. Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzählt werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst über Italien, dann über die Welt gewann, so lässt sich doch dies im höheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man die Be- zwingung Italiens durch die Römer zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesammten Stammes der Italiker, von dem die Römer wohl der gewal- tigste, aber doch nur ein Zweig sind. — Die italische Ge- schichte zerfällt in zwei Hauptabschnitte: in die innere Ge- schichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Führung ERSTES BUCH. KAPITEL I. des latinischen Stammes und in die Geschichte der itali- schen Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedlung auf der Halbinsel; die Gefährdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine theilweise Unterjochung durch Völker andrer Herkunft und älterer Civilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren Ver- nichtung oder Unterwerfung; endlich die Kämpfe der beiden italischen Hauptstämme, der Latiner und der Samniten um die Hegemonie auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des fünften Jahrhunderts der Stadt. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten Bücher bilden. Den zweiten Abschnitt eröffnen die punischen Kriege; er umfasst die reis- send schnelle Ausdehnung des Römerreichs bis an und über seine natürlichen Grenzen, den langen Statusquo der römi- schen Kaiserzeit und das Zusammenstürzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Büchern erzählt werden. KAPITEL II. Die ältesten Einwanderungen in Italien . Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzählt von der ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; viel- mehr war im Alterthum der Glaube allgemein, dass dort wie überall die erste Bevölkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Die Entscheidung über den Ursprung der verschiedenen Racen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem Naturforscher überlassen; geschicht- lich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die älteste Bevölkerung Italiens autochthon war oder eingewandert. Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob die Reihenfolge der Einwanderungen in das schon besetzte Land zu erkennen und zu scheiden, um das Ringen der Nationalitäten um Besitz und Macht so weit möglich rückwärts zu verfolgen. Wir unter- scheiden in Italien ohne Mühe die Völkerstämme, welche in historischer Zeit eingewandert sind, wie die Hellenen, und die- jenigen, die ihre Nationalität so verändert haben, dass der primitive Charakter derselben dadurch für uns unerkennbar geworden ist, wie zum Beispiel die Brettier und die Bewohner der sabinischen Landschaft; von denjenigen Völkern, bei denen keines von beiden der Fall ist, muss die Forschung ausgehen um die Elemente der ältesten Geschichte, die Stämme zu er- kennen. Wären wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Völkernamen und der zerrütteten angeblich geschicht- lichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen civilisirter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger ERSTES BUCH. KAPITEL II. Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte zusammengesetzt und conventionell fixirt ist, so müsste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch für uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingeprägt um durch die nachfolgende Cultur gänzlich ver- wischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten um der Geschichtsforschung einen Anhalt zu gewähren über die Stammverschiedenheit oder Stammverwandschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Völkern. — So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im äussersten Südosten Italiens, auf der messapischen oder calabrischen Halbinsel sind Inschriften in ziemlicher An- zahl gefunden worden, deren Sprache wesentliche Verschieden- heit von allen andern italischen und eine gewisse Analogie mit den griechischen Dialekten zeigt, zum Beispiel in dem Gebrauch der aspirirten Consonanten und dem Vermeiden der Buch- staben m und t im Auslaut. Sie sind nicht enträthselt und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird Ihren Klang mögen einige Grabschriften vergegenwärtigen; wie ϑεο- τοϱας artahiaihi bennarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. . Dass der Dialekt dem indogermanischen angehört, scheinen die Genitivformen aihi und ihi, entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο, anzudeuten. Unzweifelhaft ge- hören diese Trümmer dem Idiom der Iapyger an, welche auch die Ueberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latini- schen und samnitischen Stämmen unterscheidet; glaubwürdige Angaben und zahlreiche Spuren führen dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm auch in Apulien ursprünglich sesshaft war. Bemerkenswerth ist die auffallende Leichtigkeit, mit der diese Nation sich hellenisirt: Apulien, noch in Timaeos AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. Zeit (um 400 Roms) von barbarischen Iapygern bewohnt, ist im sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgend eine directe Colonisirung von Griechenland aus dort stattgefunden hätte, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Volke der Messapier zeigen sich viel- fache Ansätze zu einer analogen Entwickelung. — Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genügt wohl um dasselbe von den übrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der grossen indogermanischen Familie zukommt, der doch auch die Iapyger wahrscheinlich angehör- ten. Diese Lücke ist indess nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Be- ginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volks- stamm. Der wenig widerstandsfähige, leicht in andere Natio- nalitäten sich auflösende Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die ältesten Ein- wanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die ältesten Wanderungen der Völker alle zu Lande erfolgt; zumal in Italien, dessen Küste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und desshalb noch in Homers Zeit den Hellenen völlig unbekannt war. Kamen aber die frühesten Ansiedler über den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Ver- muthung wagen, dass die am weitesten nach Süden geschobe- nen Stämme die ältesten Bewohner Italiens sein werden; und eben hier am äussersten südöstlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. Die Mitte der Halbinsel ist, so weit unsere zuverlässige Ueberlieferung zurückreicht, bewohnt von zwei Völkern oder vielmehr zwei Stämmen desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit grösserer Sicher- heit bestimmen lässt als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. Wir dürfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel wesent- lich beruht; es theilt sich in die beiden Stämme der Latiner und der Umbrer mit den südlichen Ausläufern der letzteren, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten ausgesandten Völkerschaften. Die sprachliche Analyse dieser drei Idiome hat gezeigt, dass sie ERSTES BUCH. KAPITEL II. zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachen- kette und dass die Epoche, in der sich eine Einheit bildeten, eine verhältnissmässig späte ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigenthümliche Spirant f, worin sie übereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen helle- nischen und hellenobarbarischen Stämmen so wie vom San- skrit selbst. Die Aspiraten dagegen sind den Italikern ursprüng- lich fremd, während sie von den Griechen und die härteren davon auch von den Etruskern festgehalten wurden, und werden bei jenen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h . Die fei- neren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen so weit möglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschädigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurückziehen des Accents und die dadurch hervorgerufene Zerstörung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Stämmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in stärkerem Grad als jene, in geringerem als diese; die un- mässige Zerstörung der Endungen im Umbrischen ist sicher nicht in dem ursprünglichen Sprachgeist begründet, sondern späterer tuskischer Einfluss, der sich in derselben Richtung wenn gleich schwächer auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vocale fallen bei den italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmässig, lange häufig ab; die schliessenden Con- sonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zähigkeit festgehalten worden, während das Umbrische auch diese fallen lässt. Damit hängt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurückgelassen hat und dafür ein eigenthümliches durch Anfügung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der grösste Theil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, während den Grie- chen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der Hülfszeitwörter grossentheils erspart. Während die ita- lischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual ver- zichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verloren ging, durchgängig, grossentheils auch den Locativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint keinen Grund gefunden zu haben den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten; während man die in den Beugungen sich ausdrückenden Wortbeziehungen mit grosser Schärfe fest- hielt. Eigenthümlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. ist die in den Gerundien und Supinen vollständiger als sonst irgendwo durchgeführte Substantivirung der Zeitwörter. — Diese aus einer reichen Fülle analoger Erscheinungen ausge- wählten Beispiele genügen um die Individualität des italischen Sprachstamms jedem andern indogermanischen gegenüber dar- zuthun und zeigen denselben zugleich sprachlich wie geogra- phisch als nächsten Stammverwandten der Griechen; der Grie- che und der Italiker sind Brüder, der Kelte und der Slave ihnen Vettern. Diese wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und Stämme muss früh und klar den beiden grossen Nationen aufgegangen sein; denn wir fin- den in der römischen Sprache ein uraltes Wort räthselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus , das jeden Hellenen bezeich- net, ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Ὀπιϰός, die von allen den Griechen in älterer Zeit bekannten latini- schen und samnitischen Stämmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. — Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen be- stimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Wo der Römer q , sagt der Samnite und der Umbrer namentlich im Fürwort p , so pis für quis ; ganz ähnlich wie sich auch sonst noch verwandte Sprachen scheiden, wie z. B. dem Keltischen in der Bretagne und Wales p , dem Galischen und Irischen k eigen ist. In den Vocalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und überhaupt den nördlichen Dialekten sehr zerstört, dagegen in den südlichen italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der Römer den sonst so streng bewahrten Grundvocal abschwächt, was nicht geschieht in den verwandten Sprachen. Der Genitiv der Wörter auf a ist in diesen wie bei den Griechen as , bei den Römern in der ausgebildeten Sprache ae ; der der Wörter auf us im Samnitischen eis , im Umbrischen es , bei den Römern ei ; der Locativ tritt bei diesen im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurück, während er in den anderen italischen Dia- lekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen erhalten. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Römern fremd; während das oskisch- umbrische von der Wurzel es gebildete Futur nach griechi- scher Art ( her-est wie λέγ-σω ) bei den Römern fast, viel- leicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo ). In vielen dieser Unterschiede, z. B. in den Casus- ERSTES BUCH. KAPITEL II. formen sind die Unterschiede indess nur vorhanden für die beiderseits ausgebildeten Sprachen, während die Anfänge zu- sammenfallen und je mehr überhaupt die Forschung eindringt in die Kunde der neben dem Latein stehenden italischen Sprachen, desto deutlicher erscheinen sie als eng unter sich wie dem Latein verwandt. Wenn auch unsre Kunde selbst des umbrischen und des samnitischen oder oskischen Dialekts noch äusserst lückenhaft ist, wenn andere Dialekte gar in zu geringen Trümmern auf uns gekommen sind, um sie in ihrer Individualität zu erfassen oder auch nur die Mundarten danach mit Sicherheit und Genauigkeit zu classificiren — so der vols- kische und der marsische; andere, wie der sabinische, bis auf geringe als dialektische Eigenthümlichkeiten im provinzialen La- tein erhaltene Spuren völlig untergegangen sind, so lässt doch die Combination der sprachlichen und der historischen That- sachen daran keinen Zweifel, dass diese sämmtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen italischen Stam- mes angehört haben. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen selbstständig steht, so verhalten sich in jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, während sich die Verschiedenheiten des Oskischen und Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sicilien und in Sparta. — Jede dieser Spracherscheinungen ist Er- gebniss und Zeugniss eines historischen Ereignisses; es lässt sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Völker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloss; dass aus diesem als- dann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den westlichen und östlichen Stamm, der östliche alsdann wieder in Umbrer und Osker aus einander gingen. Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen diesen Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die frühe- sten unzweifelhaft lange vor derjenigen Einwanderung statt- fanden, welche die Stammväter der Italiker über die Apenni- nen führte. — Dagegen kann uns die Vergleichung der Spra- chen, richtig und vorsichtig behandelt, ein annäherndes Bild desjenigen Culturgrades gewähren, auf dem das Volk sich be- fand als jene Trennungen eintraten, und damit die Anfänge der Geschichte, welche nichts ist als die Entwicklung der AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. Civilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ des erreichten Cultur- grades; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Acten die Zukunft nicht versäumen wird für jene Zeiten zu schöpfen, aus welchen alle directe Ueberlieferung verstummt ist. Wäh- rend die jetzt getrennten indogermanischen Völker einen gleich- sprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Cul- turgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in conventionell festgestelltem Ge- brauch alle Einzelvölker übernahmen um auf der gegebenen Grundlage selbstständig ihn weiter zu gestalten. Wir finden in diesem Wortschatz nicht blos die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Thätigkeiten, der Wahrnehmungen, wie sum , do , pater , das heisst den ursprünglichen Wiederhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Culturwörter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in der gewohnheitsmässig ausgeprägten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmässiger Entwicklung noch aus späterer Uebersiedelung erklärbar sind. So besitzen wir Zeugnisse für die Entwicklung des Hirtenlebens in dieser fernen Epoche in den unabänderlich fixirten Namen der zahmen Thiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos , griechisch βοῦς; avis ist lateinisch ovis , griechisch ὄϊς; sanskritisch açvas , latei- nisch equus , griechisch ἳππος; sanskritisch hañsas , latei- nisch anser , griechisch χήν sanskritisch âtis , griechisch νῆσσα , lateinisch anas ; ebenso sind pecus , taurus , canis sans- kritische Wörter. Ferner für den Gebrauch der Wagen: sanskritisch jugam ist lateinisch iugum , griechisch ζνγόν, deutsch Joch ; sanskritisch akshas (Achse und Karren), latei- nisch axis , griechisch ἂξων, ἅμ-αξα ; für den des Sil- bers und Kupfers: argentum aes kehren wieder im Sanskrit und hatten doch schwerlich eigene Namen, ehe man sie zu scheiden und zu brauchen verstand, wie denn auch sans- kritisch asis , lateinisch ensis auf Gebrauch von Metallwaffen hindeutet. So giebt es Zeugniss für die uralte Nutzung des Salzes, sanskritisch saras , lateinisch sal , griechisch ἅλς ; für den Häuser- und Hüttenbau, sanskritisch dam ( as ) , lateinisch domus , griechisch δόμος ; sanskritisch vêças , lateinisch vicus , griechisch οἶϰος . Selbst die Elemente der Religion und der Wissenschaft zeigen Spuren ursprünglicher Gemeinschaft; die ERSTES BUCH. KAPITEL II. Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam , êkaça - tam , lateinisch centum , griechisch ἑ-ϰατόν, gothisch hund ); der Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst ( mensis ), und nicht blos der Begriff der Gottheit (sanskritisch dêvas , lateinisch deus , griechisch ϑεός ) gehört zum ältesten Volksgut, sondern auch manche der älte- sten Naturbilder und Natursagen; wie denn der griechische Uranos der Varunas, der Zeus oder Iovis pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden, der Hermeias ursprünglich Sâramêyas , der Rasche, von dem Namen der Götterhündin Saramâ metrony- misch gebildet ist, und zum Beispiel die griechische Sage von dem Raub der Rinder des Helios, die wohl mit der römischen Cacussage zusammenhängt, ihre sinnvolle Naturerklärung erst in der indischen Mythologie findet, ebenso die Erinnyenbilder in ihrem altersgrauen räthselhaften Geheimniss mit den älte- sten Hellenen aus dem Osten eingewandert zu sein scheinen. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohler- worbenen Eigen jeder Nation in Sitte und Sprache vollkommen durchzuführen bleibt einer Zeit vorbehalten, wo die Geschicht- schreibung ihre grossartige Aufgabe tiefer als es die unsrige thut erfassen und es auch hier verschmähen wird ‚in Ketten zu reden‘. Wenn die Aufgabe den Culturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der Scheidung der Stämme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt angehört, so ist es dagegen speciell Aufgabe der italischen Geschichte zu ermitteln, so weit es möglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich von einander schieden. Denn die Verwandtschaft der Griechen und der Lateiner in Sprache und Sitte, welche ent- schieden eine engere ist als die beider Nationen mit den Kelten oder Slaven, ja selbst als die mit den ihnen noch am nächsten stehenden Germanen, lässt daran keinen Zweifel, dass nicht die Stammväter der Griechen und die der Italiker jede für sich aus der Heimath entlassen worden sind, sondern dass sie ursprünglich eine graecoitalische Nation gebildet haben. Es ist keine überflüssige Arbeit, wenn wir fragen, wie weit in dieser Epoche die Nation gelangt war; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen Civilisation, den Ausgangs- punkt der nationalen Geschichte. — Alle Spuren deuten da- hin, dass, während die Indogermanen wahrscheinlich ein Hir- tenleben führten und die Halmfrucht vielleicht sammelten und assen, nicht aber bauten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. sogar schon ein wein- und ölbauendes Volk waren. Zwar liegt der Uebergang von der Hirtenwirthschaft zum Ackerbau so nah, dass er bei allen indogermanischen Völkern eingetre- ten ist, ohne dass ein historischer Zusammenhang zum Beispiel des indischen und des slavischen Ackerbaus anzunehmen wäre. Allein in Hinsicht auf die Stammväter der Griechen und der Italiker lässt ein solcher Zusammenhang sich nicht abweisen. Dafür zeugt die Sprache: ager ἀγϱός; aro aratrum ἀϱόω ἂϱοτϱον; ligo neben λαχαίνω; hortus χόϱτος; hordeum ϰϱιϑή; cicer ϰέγχϱος; milium μελίνη; vinum οἶνος; oliva ἐλαία, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf alt- attischen und römischen Denkmälern ganz gleichgebildet vor- kommt, wie in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, und in der Bereitungsart: puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη; denn das Backen ist jüngeren Ursprungs und wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Wie alt der Weinbau in Ita- lien ist, beweist die Benennung der Landschaft Οἰνωτϱία, die bis zu den ältesten griechischen Anlandern hinaufzureichen scheint. Dass auch die Germanen in unmittelbarem Zusam- menhang mit dieser Entwicklung standen, wie die Ausdrücke Acker, aran (pflügen, mundartlich eren), Rechen neben ligo, Garten neben hortus zu verstehen geben, kann hier nur ange- deutet werden. Erwähnenswerth ist es dagegen, dass die san- skritischen Bezeichnungen für die Gegenstände des Ackerbaus denen der westlichen Völker nicht gleichartig sind; agras ist bei den Indern überhaupt Gebiet, Flur, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmuthige überhaupt, namentlich auch von Getränken, — man sieht, dass die Wurzeln schon vor der Trennung bestanden, aber die bestimmten Beziehungen des Bewirthschaftens, des Aufwühlens, des anmuthigen Tran- kes erst später hinzutraten. Ob der durch das Feststellen dieser Bezeichnungen charakterisirte Fortschritt des Stammes stattfand, während er in den südkaukasischen Gegenden in Armenien ansässig war, wo Gerste und Spelt, der Weinstock und der Apfelbaum und andere älteste Culturpflanzen einhei- misch sein sollen, sind Fragen, auf die schwerlich eine sichere Antwort sich geben lässt. Sicher aber ist der Ackerbau für die graecoitalische wie ja für alle anderen Nationen auch der Keim und der Kern ihres Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben, wie Religion ERSTES BUCH. KAPITEL II. und Sage, Gesetz und Sitte um die Wette bekunden. Das Haus und der feste Heerd, den der Ackerbauer sich gründet anstatt der leichten Hütte und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisirt in der Göttin Vesta oder Ἑστία, fast der einzigen, die beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der ältesten itali- schen Stammsagen legt dem König Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben müssen, Vitalus oder Vitulus die Ueber- führung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knüpft sinnig die ursprünglich italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Führer der Urcolonien den Ackerstier macht oder wenn die ältesten latinischen Volksnamen das Volk be- zeichnen als Schnitter ( Siculi , auch wohl Sicani ) oder als Feldarbeiter ( Opsci ). Es gehört zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten römischen Ursprungssage, dass darin ein Hirten- und Jägervolk auftritt, das dennoch Städte gründet. — Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flächenmasse und die Weise der Limitation bei beiden Völ- kern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn gleich rohe Vermessung desselben nicht ge- dacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron; es darf danach, so wie nach dem Stehenbleiben der Zahlwörter bei Hundert angenommen werden, dass das durch die Natur selbst dem Menschen angegebene Decimalsystem auch das älteste graecoitalische und das künstlichere duodeci- male späteren Ursprungs ist. Dass der römische Fuss, der einzige unter den italischen, den wir genau kennen, um ein Geringes kleiner als der griechische ( \frac{24}{25} desselben ist 1 rö- mischer Fuss) ist, erklärt sich daraus, dass die mathematisch genaue Bestimmung des Fusses unzweifelhaft einer viel spä- teren Epoche angehört. Das Princip der Limitation ist ein- fach; der Feldmesser orientirt sich nach einer der Himmels- gegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Süden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt ( templum, τέμενος von τέμνω ) er steht, alsdann in gewissen festen Abständen den Hauptschneidelinien parallele Linien, wo- durch eine Reihe rechtwinklichter Grundstücke entsteht, deren Ecken die Grenzpfähle ( termini, in sicilischen Inschriften τέϱ- μονες, gewöhnlich ὅϱοι ) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ur- AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. sprungs ist, finden wir bei den Römern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleo- ten, die sie wahrscheinlich eben so wenig von den Italikern entlehnt haben, als diese sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigenthümlich römisch und charak- teristisch ist die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Princips, wonach man selbst wo Fluss und Meer eine natür- liche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen vertheilte Land abschloss. — Das griechische Haus, wie Homer es kennt, ist im Wesentlichen dasselbe, das in Italien beständig festgehalten ward; das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze in- nere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium mit dem Ehebett, dem Hausaltar und dem Heerd, dessen Rauch die Decke schwärzt — daher der Name — und durch ein Loch in derselben abzieht; ihm gleicht durchaus das home- rische Megaron mit Hausaltar und Heerd und schwarzberusster Decke. Ebenso ist es im Schiffbau; navis erscheint schon im sanskritischen ndus in gleicher Geltung, ebenso Ruder ( aritram, ἐϱετμός, remus, triresmis ); während die Bezeichnungen für Segel ( velum von vehere ), Mast ( malus der Baum) und Raa ( an- tenna , das ist ἄνα-tenda, supertensa ) italischen Ursprungs sind, also, wenn diese Spuren nicht trügen, die Graecoitaliker wohl Ruderbarken hatten, aber keine Segelschiffe. Die uralte italische Sitte, dass die Bauern gemeinschaftlich ihr Mittagsmahl hielten, deren Ursprung der Mythus an die Einführung des Ackerbaus anknüpft, vergleicht Aristoteles mit den kretischen Syssitien. Ebenso ist die Kleidung beider Völker wesentlich identisch, denn die Tunica entspricht völlig dem Chiton und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Ilimation; ja selbst in dem so veränderlichen Waffenwesen ist wenigstens der Name der Hauptwaffe jener Zeit, der Lanze ( lancea λόγχη) wahrschein- lich bei beiden Völkern ein Erbstück der graecoitalischen Epoche. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurück auf dieselben Elemente alles was die materiellen Grund- lagen der menschlichen Existenz betrifft; die ältesten Aufga- ben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Völkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemein- schaftlich gelöst worden. Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Auf- gabe des Menschen, mit sich selbst, mit seines Gleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, lässt so Röm. Gesch. I. 2 ERSTES BUCH. KAPITEL II. viele Lösungen zu als es Provinzen giebt in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiel- len, wo die Charaktere der Individuen und der Völker sich scheiden, und wo auch zwischen Hellenen und Italikern jene tiefe innerliche Differenz sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Kunst und Religion sind von beiden Völkern so eigenthüm- lich, so durchaus national entwickelt worden, dass die gemein- schaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Völker fussten, dort und hier überwuchert und unsern Augen fast ganz ent- zogen ist. Jenes hellenische Wesen, das den Staat dem Men- schen, dem Einzelnen das Ganze aufopfert, dessen politische Entwicklung besteht in einer Lösung erst der nationalen Einheit, dann sogar der Gewalt der Gemeinde, dessen reli- giöse Anschauung erst die Götter zu Menschen machte und dann die Götter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und die Gedanken freigab; und jenes römische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Bürger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Götter bannte, das die keusche Verhüllung des Körpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem wer anders sein wollte als die Genossen ein schlechter Bürger hiess, in dem der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpönte hohe Gedanke — wer vermag diese scharfen Gegensätze in Gedanken zurückzuführen auf die ur- sprüngliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vor- bereitete und erzeugte? Es wäre thörichte Vermessenheit, diesen Schleier lüften zu wollen; nur mit wenigen Andeu- tungen soll es versucht werden die Anfänge der italischen Nationalität und ihre Anknüpfung an eine ältere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. Alles was man das patriarchalische Element im Staate nen- nen kann, ruht in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehört hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des geschlechtlichen Lebens, welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet; und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des häuslichen Kreises die Ebenbürtigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persönlichkeit rücksichtlose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der väter- AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. lichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Unterthänigkeit hat erst in Italien sich entwickelt zur rechtlichen Knechtschaft. Auf dem Hause beruht das Ge- schlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen des- selben Stammvaters. Dass das Geschlechterwesen bei den Griechen wie bei den Italikern die Grundlage des öffentlichen Lebens war, ist unzweifelhaft; allein während in Griechenland die Zustände früh verschwanden, in denen die Aleuaden, die Herakliden, die Alkmaeoniden das staatliche Leben beherrsch- ten, ward in Italien das gesammte Privatrecht auf das Recht der Geschlechter aufgebaut und was in der patriarchalischen Epoche natürlich und sittlich gegolten hatte, durch Gesetz und Recht scharf und hart festgestellt. Der Gang der Ent- wicklung spiegelt sich in den Namen. In den älteren grie- chischen tritt der Geschlechtsname sehr häufig adjectivisch zum Eigennamen hinzu, während umgekehrt noch die römi- schen Gelehrten es wussten, dass ihre Vorfahren ursprünglich nur einen, den späteren Vornamen führten. Aber während in Griechenland der adjectivische Geschlechtsname früh verschwin- det, wird er bei den Italikern und zwar nicht bloss bei den Rö- mern zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen daneben zurücktritt. Ja es ist als sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der römischen Individualnamen, verglichen mit der üppigen und poetischen Fülle der griechischen Eigennamen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellirung, hier die freie Entwicklung der Per- sönlichkeit im Wesen der Nation lag. — So mag man sich für jene graecoitalische Periode ein Zusammenleben in Fami- liengemeinden unter Stammhäuptern denken, das allerdings schon die Anfänge der Rechtsbildung enthielt, aber in dem von den späteren Politien, der römischen wie der hellenischen noch kaum die Keime sich finden. Gericht, Busse, Vergeltung ( crimen, ϰϱίνειυ; poena, ποίνη; talio, ταλάω τῆλναι) sind graecoitalische Begriffe; das strenge Schuldrecht, nach dem der Schuldner für die Zahlung des Empfangenen mit sei- nem Leibe haftet, ist den Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam; die ‚Gesetze des Kö- nigs Italus‘, die noch in Aristoteles Zeit angewendet wurden, mögen diese alten Institutionen bezeichnen. Eine gewisse Verfassung, das Regiment des Stammhauptes, ein Rath der Alten, Versammlungen der waffenfähigen Freien werden nicht 2* ERSTES BUCH. KAPITEL II. gefehlt haben; aber alle eigentlich politischen Institutionen sind in Normen wie in Namen italischen Ursprungs und lassen sich nicht über die Scheidung der Stämme hinaus verfolgen. — Nicht anders ist es in der Religion. Nur wenige Grundgedanken und Göttergestalten der beiden Völker gehören zu ihrem gemein- samen Erbgut; so die Hestia oder Vesta, der Begriff des hei- ligen abgegrenzten Raumes ( templum, τέμενος), der Glaube an die schattenhafte Fortdauer der Verstorbenen; von dem alten Gemeinschatz der symbolisirten und personificirten Naturan- schauungen ward hüben und drüben nur wenig bewahrt. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den Völkern selbst die grossen Gegensätze sich schieden, welche die graeco- italische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammenge- halten hatte, so schied sich auch jetzt in der Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdrücken, dass die Hündin der Götter die verscheuchten Kühe der Heerde zu- sammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kühe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss für einen Zweck gestalteten Sohn der Götterhündin den zu allen Diensten bereiten und geschickten Götterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflächelte, blickte er in das glänzende Auge der Tochter des Zeus Athenaea — aber so mächtig waren ihm die Gestalten, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanz der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schönheit ge- staltete. Anders, nicht schwächer offenbarte sich die innige Religiosität des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlägt, so verhüllt der Römer sein Haupt; denn jenes Gebet ist An- schauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorrathskammer ( penates ) ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der männliche Genius, der Frau die weibliche Iuno, dem Gehöfte der Gott der Einfriedigung ( Herculus oder Her- cules von hercere, nicht von Ἡϱαϰλῆς), der Grenze der Ter- minus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Ver- AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. tumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Thätigkeit vergei- stigt; so wird beispielsweise in der Fürbitte für den Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Säens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Ein- fahrens, Aufspeicherns und des Oeffnens der Scheuer; und in ähnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereigniss mit heiligem Leben ausgestattet. Je grössere Kreise indess die Abstraction beschreibt, desto höher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Iupiter und Iuno die Abstractionen der Männlichkeit und der Weiblichkeit, Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea dia die göttliche, Dea bona oder bei den Samniten Dea cupra die gute Gottheit. Diese Götter konnten freilich nicht sich ver- mählen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Wie den Griechen alles concret und körperlich erschien, so konnte der Römer nur abstracte vollkommen durchsichtige Formeln brauchen und konnte eben desshalb nicht beginnen mit dem alten Sagenschatz der Urzeit, den er nicht mehr verstand. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfülle seiner heiligen Epen, dieses die Abstractionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen Mythologie die Person, in der römischen der Begriff, dort die Freiheit, hier die Nothwendigkeit. Jene führt zum Mythus und zur Cultfigur und damit zur Poesie und zur Bildnerei; aber das tiefe Gefühl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfähigkeit des Einzelnen, der Glaube an die ei- genen Götter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Völker haben sich einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird den Athener schmähen weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Römer, weil er nicht bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Entschlossen gab der Italiker die Willkür auf um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen ver- stände. Mochte der Einzelne bei dieser Unterthänigkeit verder- ben und der schönste menschliche Keim darüber verkümmern: er gewann dafür ein Vaterland und ein Vaterlandsgefühl wie der Grieche es nie gekannt hat und errang die nationale Einheit, die ihm endlich über den zersplitterten hellenischen Stamm und über den ganzen Erdkreis die Botmässigkeit in die Hand legte. KAPITEL III. Die Ansiedlungen der Latiner . Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden nach Süden lässt sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wan- derung einschlug. Vermuthlich zog sie in ähnlicher Richtung an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabel- lischen Stämme aufbrachen; der Strom überfluthet die Höhen erst wenn die Niederungen schon eingenommen sind und nur wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste sassen, erklärt es sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnügten und erst von diesen aus wo es anging sich zwischen die latinischen Völker drängten. — Dass vom linken Ufer der Tiber bis an die volskischen Berge ein latini- scher Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Campanien offen standen, verschmäht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern ver- wandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Campanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrschein- lich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als Kumae ANSIEDLUNGEN DER LATINER. von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahr- scheinlich latinischer Stamm, die Ausoner Campanien inne hatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes) werden von den besten Beobach- tern nicht dem iapygischen, sondern dem italischen Stamm zugezählt; es ist nichts im Wege sie dem latinischen Stamm beizuzählen, obwohl die frühe vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisirung dieser Gegenden und deren spätere Ueberfluthung durch samnitische Schwärme die Spuren der älteren Nationalität gänzlich verwischt hat. Den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzen sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste ita- lische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum König Morges von Italien (d. h. der brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuss aus Rom ge- kommen sei, und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammes- gleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner dialektischer Eigenthümlichkeiten des sicilischen Griechisch mit dem Lateinischen (μοῖτον mutuum; πατάνη patina; ϰάϱϰαϱον carcer ) erklärt sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern aus den Handelsverbindungen zwischen Rom und den sicilischen Grie- chen; glaublich ist es indess nach allen Spuren, dass nicht bloss die latinische, sondern auch die campanische und lucani- sche Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sicilien in alter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation bewohnt waren. — Die Schicksale dieser Stämme waren sehr ungleich. Die in Sicilien, Grossgriechenland und Campanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer Epoche, wo sie deren Waffen und deren Civilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten und wurden entweder völlig helle- nisiert, wie namentlich in Sicilien, oder doch so geschwächt, dass sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen eine thätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. — Anders war es in Latium, wo griechische Colonien nicht ge- gründet worden sind und es den Einwohnern nach harten ERSTES BUCH. KAPITEL III. Kämpfen gelang sich gegen die Sabiner wie gegen die nörd- lichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war. Schon in urältester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkämpfe gewesen, während des Wassers langsam bildende Kraft und gewaltige Vulcane Schicht über Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehöre. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehören; im Süden von dem bis zu 4000 Fuss Höhe ansteigenden volski- schen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlichziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Häfen bildet; im Norden in das weite etrurische Hügelland sich verlaufend, breitet eine weite Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem ‚Bergstrom‘, der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Fläche auf theils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circaeischen Vorgebirgs im Südwesten, so wie der ähnliche obwohl niedri- gere Höhenzug des Ianiculum bei Rom; theils vulcanische Er- hebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Theil es noch sind; die bedeutendste unter diesen ist das Albanergebirg, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene empor- ragt. — Das eigentliche Latium ist indess nur ein kleiner Theil dieses Gebietes. Alles Land nördlich von der Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Bündniss, ein Landfriede nicht möglich war und die Waffenruhe stets auf bestimmte Zeit ab- geschlossen worden zu sein scheint. Die Feststellung der Tibergrenze gegen Norden ist uralt und wird von der Sage auf die Fehde zwischen den Aeneaden und dem König Mezen- tius zurückgeführt. Die flachen und sumpfigen Strecken süd- lich vom Albanergebirg finden wir in den Händen der umbrisch- sabellischen Stämme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr ursprünglich latinische Städte. Nur der mittlere Theil, zwischen der Tiber, dem Apennin, den ANSIEDLUNGEN DER LATINER. Albanerbergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deut- schen Quadratmeilen, wenig grösser als der jetzige Canton Zürich, ist das eigentliche Latium, die ‚breite Ebene‘ Lᾰtium doch wohl von derselben Wurzel wie πλατύς lᾰtus (Seite); auch l±tus (breit) ist verwandt. , wie sie von den Höhen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach; mit Ausnahme des san- digen und zum Theil von der Tiber aufgeschwemmten Meeres- strandes wird die Fläche unterbrochen durch mässig hohe oft ziemlich steile Tuffhügel und tiefe Erdspalten und stets wech- selnde Steigungen und Senkungen des Bodens, zwischen denen sich im Winter jene Lachen bilden, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organi- schen Substanzen, die böse fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrthum, dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaus entstanden seien, wie ihn das Miss- regiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das heu- tige erzeugt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem man- gelnden Gefäll des Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indess, obwohl noch nicht voll- ständig erklärt, dass bis auf einen gewissen Grad die böse Luft sich bannen lässt durch die Intensität der Bodencultur; wovon zum Theil die Ursache darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberfläche das Austrocknen der stehenden Wässer beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dich- ten ackerbauenden Bevölkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunde Bevölkerung gedeihen lassen und in denen der Rei- sende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine für uns befremdliche Thatsache; man muss sich erinnern, dass auf einer niedrigeren Culturstufe das Volk überhaupt einen schärferen Blick hat für das, was die Natur erheischt, und eine grössere Fügsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch eine elastischere Natur, die dem Boden sich innig anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz ähnlichen physischen Verhält- nissen der Ackerbau noch heut zu Tage betrieben; die böse Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren Einflüssen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der That schützt vor der Aria cattiva nichts so sicher als das Tragen der Thiervliesse und das ERSTES BUCH. KAPITEL III. lodernde Feuer; woraus sich erklärt, wesshalb der römische Landmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Heerd nicht erlöschen liess. Im Uebri- gen ist der Boden dem Ackerbau günstig; er ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung er- tragsfähig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen giebt durchschnittlich etwa das fünfte Korn Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle, vergleicht mit der römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus decom- ponirter Lava und Asche, den Resten ausgebrannter Vulcane. Die Bevölke- rung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigenthum ungemein zerstückelt. Fast der ganze Ackerbau wird von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug ein, der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackersmanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestellen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer vertheilt werden; würden Verwalter- und Taglöhnerwirthschaft an die Stelle des Bewirthschaf- tens durch kleine Grundeigenthümer treten, so würde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma. . An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so höher und hei- liger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle. Die natürlichen Festen der latinischen Ebene sind theils die Höhen von Tibur und Praeneste auf den letzten Ausläufern der Sabinerberge, theils und besonders die Burg Latiums, das Albanergebirg, das die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die ge- sichertste Lage den Ansiedlern darbot. Dorthin führen auch die ältesten geschichtlichen Spuren. Hier lag ausser andern uralten Ansiedlungen, wie Tusculum und Aricia, vor allem Alba selbst, die Metropole von ganz Latium, dessen sämmt- liche Städte als seine Colonien gelten wie alle Latiner als albanischen Heimathrechts. In seiner nächsten Umgegend, obwohl nicht in der Stadt selbst, sind die altnationalen Bun- desstätten Latiums, die Dingstätte am Quell der Ferentina bei Marino und der Tempel des ‚latinischen Gottes‘ ( Iupiter La- tiaris ) auf dem Monte Cavo, wo alljährlich an einem vom Vorstand festgesetzten Tage das latinische Bundesfest gefeiert ward. Dort begegnen wir einem der grossartigsten Bauwerke, das Italien aufzuweisen hat, dem gewaltigen in den harten ANSIEDLUNGEN DER LATINER. Fels gebrochenen unterirdischen Kanal, durch den die schöne Bergebene von Aricia trocken gelegt ist; obwohl es dem Egois- mus der römischen Sage gefallen hat diesen Bau als Episode in die Belagerung von Veii einzuflechten, wird es doch kaum einem Zweifel unterliegen, dass er, der der Stadt Aricia ver- muthlich den Namen gab Aricia doch wohl die Brache, von arare . , weit älter und ein Werk derje- nigen Epoche ist, wo Alba die Hauptstadt Latiums nicht blos hiess, sondern war. Dass mit der ersten Ansiedlung des latinischen Stammes in diesem Gebiete keineswegs die Gründung von umwallten Städten verbunden war, bedarf keines Beweises; wenn auch sei es durch die erste Ansiedlung sei es durch spätere Thei- lung die Geschlechtsgenossen regelmässig zugleich zu einer Markgenossenschaft zusammentreten mochten, so wohnte doch unzweifelhaft jeder auf dem Land, das er pflügte und seine Grenze wie seine Wehr war zunächst der Hofzaun. Doch konnte es an festen localen Mittelpunkten nicht fehlen; nicht so sehr weil der gemeinschaftliche Versammlungsplatz doch wohl regelmässig derselbe war, sondern weil das Bedürfniss der Vertheidigung es schlechterdings erforderte irgendwo in der Feldmark einen Hügel oder eine künstliche Burg einzu- richten, wo die Bauern sich und ihr Vieh vor dem Einfall des Feindes bergen konnten. Diese Plätze, die natürlich auch zugleich die heiligen Stätten der Markgenossen einschlossen und die wir uns übrigens als regelmässig unbewohnt oder schwach bewohnt zu denken haben, begegnen uns unter den Namen der ‚Berge‘ ( montes ) und ‚Bauten‘ ( pagi von pangere ), der ‚Burgen‘ ( arces von arcere ) und ‚Ringe‘ ( urbes von urvus, curvus, orbis ) und sie sind die Grundlage der vorstädtischen Gauverfassung in Italien geworden, welche in denjenigen itali- schen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst spät und zum Theil noch bis auf den heutigen Tag nicht voll- ständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen deutlich sich erken- nen lässt. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Ringmauern, sondern in unzähligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge alterthümlicher Mauerringe, die als ‚verödete Städte‘ mit einzelnen Tempeln das Staunen der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von denen jene ihre ‚Urbewohner‘ ( aborigines ), diese ihre Pelasger ERSTES BUCH. KAPITEL III. hier unterbringen zu können meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen keineswegs Stadtmauern erkennen, sondern Zufluchtstätten der Markgenossen, wie sie in älterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien wenn gleich in weniger kunstvoller Weise sich fanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu städtischen Ansiedlungen übergegangenen Stämme ihren Städten steinerne Ringmauern gaben, auch die Land- schaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwälle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natürlich; als dann in der spätern Zeit des ge- sicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstätten verlassen und bald den späteren Generationen ein Räthsel. — In der römi- schen Mark findet sich eine andere Spur dieser ältesten Ge- schlechtergaue in den uralten Pagi, aus denen man später die Landtribus gestaltet hat. Dass es alte Familienbezirke sind, wird uns von der Ansiedlung der Claudier am Anio be- richtet und geht ebenso sicher für die übrigen Districte aus den Namen hervor, welche sämmtlich entweder für uns gänz- lich verschollenen Geschlechtern entlehnt sind (so den Camilii, Galerii, Lemonii, Pupinii, Voltinii ) oder den ältesten römi- schen Patricierfamilien, den Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Poplilii, Romilii, Sergii, Veturii. Es ist bemerkenswerth, dass alle Namen gentilicisch gebildet sind und unter den Geschlechtern kein einziges derjenigen erscheint, die erst später nach Rom eingebürgert wurden, namentlich keines der albischen; so dass wir in diesem Verzeichniss wohl berechtigt sind die bedeutendsten unter den seit Menschen- gedenken in der römischen Mark, lange ehe sie die römische hiess, angesiedelten Geschlechter zu erkennen. Zunächst stand jeder Gau, zugleich Geschlechts- und Markgenossenschaft, für sich allein als politische Einheit; al- lein natürlich schlossen sich zu grösserer gemeinschaftlicher Sicherheit mehrere Gaue zusammen zu Eidgenossenschaften, und es ist dies der erste Keim zu den Städtebünden, deren weitere Entwicklung den Inhalt der italischen Geschichte bis zur Erreichung der nationalen Einheit ausfüllt. — An der Spitze eines bedeutenden Gemeinbundes dieser Art erscheint in sehr früher Zeit Alba; das Verzeichniss der ‚albischen Völker‘, die unter diesem Namen bis in späte Zeit am latini- schen Bundesfest theilnahmen, ist vielleicht die älteste urkund- liche Ueberlieferung der italischen Geschichte. Es nennt zuerst ANSIEDLUNGEN DER LATINER. Alba selbst, dann dreissig grösstentheils für uns vollständig verschollene Flecken, die sogenannten albanischen Colonien, von denen unter den sonst bekannten die meisten zwischen Alba und Praeneste (so Aesula, Bola, Pedum, Vitellia, Toleria) und zwi- schen Alba und Antium (so Corioli, Longula, Pollusca) gelegen sind; doch erscheint merkwürdiger Weise darunter auch Fi- denae, das zwischen Tiber und Anio 11 Miglien über Rom hinaus liegt, ja vielleicht auch das noch weiter entfernte Horta. — Eine zweite Verbrüderung ist diejenige, deren Bun- desstätte der Hain der Diana in Aricia war; ihm gehörten nach Cato bei Stiftung des Heiligthums an die Gemeinden Tus- culum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, ferner Pometia, Ardea, die Rutuler, Cora und Tibur; das hohe Alter dieses Verzeich- nisses, welches theils sabellische, theils latinische Stämme in politischer Conföderation zeigt, bezeugt die Erwähnung des früh zerstörten Suessa Pometia. — An der Spitze eines ähn- lichen Bundes, dem vielleicht Lavicum und Nomentum ange- hörten, mag Gabii gestanden haben, einstmals der nächste und gefährlichste Gegner Roms, gegen den die Burg Sucusa gebaut ward zwischen Palatin und Esquilin. Es wäre ver- geblich die Kreise genauer abgrenzen zu wollen; ohne Zweifel waren auch die Bünde selbst wandelbar und schloss der ein- zelne Gau sich bald da, bald dort an oder versuchte sich auch auf eigene Hand zu behaupten. ‚Grössere und kleinere Völkergemeinden umschlossen die neue Stadt, sagt Strabon von dem neu gegründeten Rom, von denen einige auch in unabhängigen Dörfern wohnten, keinem gemeinsamen Stamm unterthan‘. — Dass alle diese Bünde sich wieder als Stamm- und Bundesgenossen in der latinischen Conföderation zusam- menfanden, als die ‚alten Latiner‘ ( prisci Latini ) im Gegen- satz der später ausserhalb Latium angesiedelten latinischen Gemeinden, ist sehr wahrscheinlich, obgleich sich natürlich nicht ausmachen lässt, wie weit das Recht und die Macht dieser obersten Bundesgemeinde reichte. Dass Alba als Haupt- und Muttergemeinde galt, ist gewiss, und bloss in diesem Sinn wird Rom auch als albanische Colonie bezeichnet. KAPITEL IV. Die Anfänge Roms . Etwa vier deutsche Meilen von der Mündung des Tiber- flusses aufwärts erheben sich an beiden Ufern desselben mässige Hügel, höhere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; auf den letzteren liegt Rom. Die Stätte ist minder gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten La- tinerstädte; der Weinstock und der Fruchtbaum gedeihen nicht wohl in der nächsten Umgebung und es ist Mangel an aus- giebigen Quellen — denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem capenischen Thor noch der später im Tul- lianum gefasste capitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommen die häufigen Ueberschwemmungen des Flusses, der bei sehr geringem Gefäll die reichlich ihm in der Regenzeit zuströ- menden Bergwasser nicht schnell dem Meer zuzuführen vermag und die zwischen den Hügeln sich öffnenden Thäler und Nie- derungen überstaut und versumpft, um die Lage für den An- siedler keineswegs lockend zu machen. Schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck nicht die erste naturgemässe Ansiedlung der einwandernden Bauern sich gelenkt haben könne, sondern dass die Noth oder vielmehr irgend ein eigenthümlicher Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben müsse. Diesen Grund sucht die einheimische Sage in der Anlage der Stadt durch Ausgetretene von Alba unter Führung der albanischen Fürsten- söhne Romulus und Remus; eine Legende, die zwar viel älter erfunden und viel naiver gebildet ist als die hellenisirende ERSTES BUCH. KAPITEL IV. Aeneasfabel, der aber dennoch geschichtlich kaum eine grössere Bedeutung beigelegt werden darf. Wie verhältnissmässig späten Ursprungs selbst der Name Romulus ist, beweist der Umstand, dass der ältere Name des Stammes urkundlich nicht Romani war, sondern Ramnes und erst später mit einer der ältern Sprachperiode geläufigen, sonst aber innerhalb des Lateini- schen nicht mehr vorkommenden Umlautung in Romaneis oder Romani überging; so dass der Name Roma oder Rama viel- leicht ursprünglich die Wald- oder Buschstadt bezeichnet. Die Geschichte kann keinenfalls in jener Legende etwas anderes erkennen als einen alten Versuch die seltsame Entstehung des Orts an einer so wenig dem Ackerbau günstigen Stätte zu erklären und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknüpfen. Machen wir uns frei von dem, was Geschichte zu sein vorgiebt, und erwägen wir die natürlichen Verhältnisse der Localität, so führen diese auf eine ganz andere Vermuthung. Die Tiber ist Latiums natürliche Handelsstrasse, ihre Mündung an dem hafenarmen Strande der nothwendige Ankerplatz der Seefahrer; es ist ferner der Fluss seit uralter Zeit die Grenz- wehr des latinischen Stammes gegen die nördlichen Nachbarn. Zum Grenzkastell und zum Emporium für die Fluss- und Seeschifffahrt der latinischen Landschaft eignet kein Platz sich besser als Rom, das gegen Seeräuber grösseren Schutz bot als die unmittelbar an der Küste gelegenen Orte und bei dem damaligen Stande der Schifffahrt dem Seefahrer nicht minder bequem gelegen war wie dem Flussschiffer und das die Vortheile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flus- ses vereinigte. In der That sprechen hiefür zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als der Inhalt historisirter Novelletten. Man erwäge die Grenzen des ältesten römischen Stadtgebietes. Gegen Osten liegen die Städte Antemnae, Fidenae Collatia, Gabii in nächster Nähe, zum Theil keine deutsche Meile vor den spätern Thoren der Stadt; gegen Süden grenzte sie an der spätern latinischen und appischen Strasse mit Tus- culum und Alba, wir wissen nicht genau wo, aber schwerlich in viel weiterer Entfernung; gegen Südwesten war die Grenze zwischen Rom und Lavinium schon am sechsten Miglienstein. Während so landeinwärts überall Rom in die möglichst engen Schranken zurückgewiesen ist, dehnt es sich an beiden Ufern der Tiber gegen das Meer hin aus, bis an welches die ältesten uns bekannten Traditionen das römische Stadtgebiet ANFAENGE ROMS. erstrecken; am rechten Ufer besass Rom hier die durch die Salinen wichtigen ‚sieben Gaue‘, an dem gesicherten linken den römischen Peiraeeus, die Stadt an der ‚Mündung‘ ( Ostia ), seit unvordenklichen Zeiten römische Bürgercolonie, das heisst römische Vorstadt. Es kann das nicht Zufall sein; eine Ge- meinde mit dieser Hauptstadt und diesem Gebiet muss ge- gründet worden sein als Entrepot für den latinischen See- und Flusshandel und maritime Grenzfestung Latiums. Daher jene uralten Beziehungen zu Caere, das für die Etrusker war was für Latium Rom und dessen nächster Nachbar; daher die Brücke über den Fluss und der Brückenkopf am andern Ufer, das Ianiculum; daher die Galeere als städtisches Wappen. Wahrscheinlich hängt es auch hiermit zusammen, dass Rom in Latium so früh eine Sonderstellung einnimmt; keine Spur deutet darauf hin, dass Rom zu irgend einer Zeit einer der latinischen Sondergenossenschaften als Glied angehört habe. Auch die Sage versäumt nicht es zu bezeichnen, dass diese Gemeinde, obwohl albanischen Ursprungs, doch von Haus aus keineswegs Glied der albanischen Eidgenossenschaft ist, sondern stellt dieser das römische Gemeinwesen als ebenbür- tig zur Seite, in welcher Hinsicht die alten Traditionen über das in Rom bestehende Asylrecht für Flüchtige aus den um- liegenden Gemeinden und über das den Römern mit den Bürgern der Nachbarstaaten in ältester Zeit mangelnde Conu- bium Aufmerksamkeit verdienen. Daher endlich der bemer- kenswerthe Gegensatz, in dem Rom von Haus aus zu den übrigen latinischen Städten steht durch die Centralisirung der Einwohnerschaft und die rasche und kräftige Entwicklung städtischen Lebens. Wir sind gewohnt uns Rom als einen ausschliesslich ackerbauenden und dem Meer fremden Staat vorzustellen; aber es ist nicht zufällig, dass Rom zuerst unter allen Staaten der Italiker eigenes Geld schlug und dass es in unglaublich früher Zeit mit überseeischen Handelsstaaten Ver- träge abschloss. Die nationale Sitte in offenen Dörfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Nothfall zu benutzen ist in Rom wahr- scheinlich viel früher beschränkt worden als in den andern Gemeinden von Latium. Nicht als ob der Römer seinen Bauerhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehört hätte; aber schon die böse Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er so weit es anging auf den luftigeren und gesunderen Stadthügeln seine ANFAENGE ROMS. Wohnung nahm; und neben dem Bauer muss eine zahlreiche nicht agricole Bevölkerung von Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansässig gewesen sein. Die dichte Be- völkerung des römischen Gebietes, das höchstens zu 5½ Quadratmeilen zum Theil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der ältesten Stadt- verfassung eine Bürgerwehr von 3300 freien Männern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner zählte, erklärt sich auf diese Art einigermassen. So mag Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, eher die jüngste Stadt in Latium sein als die älteste; bevor das Land einigermassen bebaut und das albanische Gebirg so wie manche andere Höhe der Campagna mit Burgen bedeckt war, konnte eine derartige Anlage nicht entstehen. Wie sie entstanden ist: ob durch Beschluss der latinischen Eidgenos- senschaft, ob durch den genialen Blick eines verschollenen Städtegründers, ob durch die natürliche Entwicklung des Ver- kehrs — wer wagt das zu bestimmen? Dass die Aera, die von der Gründung der Stadt datirt, von einem willkürlich fixirten Jahre ausgeht so gut wie die, die von Erschaffung der Welt an rechnet, ist anerkannt; aber es muss nicht min- der zugestanden werden, dass auch von dem Jahre abgesehen die Stadtgründung selbst keineswegs als Anfangspunct der rö- mischen Geschichte gelten kann. Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Die Sage zwar bringt die Anlage des ersten Mauerringes in Zusammenhang mit der Entstehung der römischen Gemeinde; allein die Geschichte muss es als mög- lich, ja als wahrscheinlich bezeichnen, dass bevor die Mauern auf dem Capitol und dem Palatin entstanden, schon eine römische Gemeinde existirte, und dass ein Theil der Ge- schlechtergaue der römischen Mark auf diesen Hügeln ihre Heiligthümer und Zufluchtsstätten lange Zeit fanden, ehe die Schifffahrt und die Grenzvertheidigung diesen Platz für Latium wichtig machten. Eine Ueberlieferung aus diesen urältesten Zeiten mag das ‚Wolssfest‘ sein, das das Geschlecht der Fabier am palatinischen Hügel beging Die Quinctilier, die mit ihnen genannt werden, müssen, da sie albi- scher Herkunft sind, nach Albas Zerstörung hinzugetreten sein so gut wie viel später die Iulier. ; ein Bauern- und Hirten- fest, das wie kein anderes die schlichten Spässe patriarcha- lischer Einfalt bewahrt und merkwürdig genug unter allen Röm. Gesch. I. 3 ERSTES BUCH. KAPITEL IV. heidnischen Festen sich am längsten im christlichen Rom be- hauptet hat. Wie die Stammgemeinden, die ursprünglich um die sieben Hügel an der Tiber den Pflug und das Schwert geführt haben, zur Einigung gelangten, wissen wir nicht; nur hat sich in der Eintheilung der ältesten römischen Bürgerschaft die Spur er- halten, dass diese selbst eine Eidgenossenschaft ist und aus drei verbündeten Gemeinden besteht, den Ramnern, Titiern und Lu- cerern, von denen jede ein Drittheil der Feldmark besitzt und in der Bürgerwehr wie im Rath der Alten gleichmässig ver- treten ist, nicht minder im Sacralwesen, wo die sechs Jung- frauen der Vesta, die drei hohen Priester des Iupiter, Mars, Quirinus sich wahrscheinlich auf diese Dreitheilung beziehen. Die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet; unzweifelhaft auf Grund einer ächten und glaub- würdigen Ueberlieferung der ‚titischen Genossenschaft‘, die bei dem Eintritt dieser Gemeinde in die Eidgenossenschaft zur Bewahrung ihres nationalen Sonderrituals gestiftet zu sein be- hauptete. In der That finden sich Spuren solchen uralten sabinischen Nationalcults in Rom; so namentlich des Maurs oder Mars und des Semo Sancus neben dem gleichgeltenden latinischen Dius Fidius. Dass die Ramnes mit den Romani identisch sind, ward schon bemerkt; über die Herkunft der Luceres ist nichts zu sagen als dass nichts im Wege steht sie gleich den Ramnern für eine latinische Gemeinde zu erklären. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die älteste römi- sche Bürgerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverständige Meinung, dass die römische Nation ein Mischvolk sei, knüpft hier an und bemüht sich in verschie- denartiger Weise die drei grossen italischen Racen als com- ponirende Elemente des ältesten Rom darzustellen und das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und volksthümlich entwickelt hat, in ein wüstes Gerölle etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Elemente zu verwandeln. Daran ist schwerlich mehr Wahres, als dass in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm ohne Frage in Sprache und Sitte sich noch keineswegs so scharf gegenüber- standen wie später der Römer und der Samnite, eine sabel- lische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eintrat und in dieser mit Ausnahme einzelner im Ritual fortgepflanzter Nationalinstitutionen sich vollständig latinisirte; ganz ähnlich wie einige Jahrhunderte später die sabinische Geschlechts- ANFAENGE ROMS. genossenschaft des Attus Clauzus oder Appius Claudius mit ihren Clienten nach Rom übersiedelte, eine Mark am rechten Ufer des Anio angewiesen erhielt und in Sprache und Natio- nalität schnell sich verschmolz mit der römischen Gemeinde. Jene Latinisirung der Titier selbst beweist am besten, was schon der Name der Gemeinschaft und das innerhalb dersel- ben den Ramnern zustehende Rangvorrecht anzeigen, dass trotz jener Dreitheilung die Eidgenossenschaft nie etwas an- deres war noch sein wollte als ein Theil der latinischen Nation, in dem die Ramner waren was Alba in der albischen, und dass man sehr mit Unrecht Gewicht gelegt hat auf den Unter- schied der Ramner und der Titier und beider von den Luce- rern, deren Vereinigung man sich viel mehr als die Zusammen- ziehung dreier stammgleicher oder stammverwandter Bauer- schaften zu denken hat denn als die Vereinigung dreier we- sentlich ungleicher Völkerschaften. Wenden wir lieber den Blick auf das städtische Gemeinwesen in Rom, dessen mer- cantile und strategische Machtentwicklung zu verfolgen bei weitem wichtiger und ausführbarer ist als das unfruchtbare Geschäft unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysiren. Jene Entwicklung kön- nen wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen über die allmählig entstandenen Umwallungen und Verschan- zungen der Stadt Rom, deren Anlage mit der Entwicklung des römischen Gemeinwesens zu städtischer Bedeutung noth- wendig Hand in Hand gegangen sein muss. Dass die drei verschiedenen Gemeinden, aus denen die älteste römische entstanden ist, jemals auf den sieben Hügeln getrennte Umwallungen eingenommen haben, ist eine Sage, die zu historisiren man in alter und neuer Zeit umsonst be- müht gewesen ist und die der verständige Forscher dahin stellen wird, wo die Schlacht am Palatin und das anmuthige Mährchen von der Tarpeia ihren Platz finden. Wohl aber besteht ein wirklicher und sehr bestimmter Gegensatz zwischen der Befestigung des Capitols und der Umwallung der Stadt. Das Capitolium ist dem Namen wie der Sache nach die Akra der Römer; dass die Befestigung dieser Burg zurückweist in die Zeit, wo es noch gar in dieser Gegend eine städtische Ansiedlung nicht gab, zeigt die bis in späte Zeit festgehaltene Weise, nach der auf dieser Doppelspitze Privatwohnungen nicht standen, vielleicht nicht stehen durften: der Raum zwi- schen den beiden Höhen, das Heiligthum des schlimmen Iu- 3* ERSTES BUCH. KAPITEL IV. piter (Ve-diovis), das sogenannte Asyl war mit Wald bedeckt und offenbar ursprünglich bestimmt die Bauern mit ihren Heerden aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Ganz ähnliche uralte Zufluchts- stätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ost- schweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Die städ- tische Ansiedlung musste demnach, in Rom wie überall, nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg beginnen und als sie bedeutend genug ward um Schutz durch Wall und Graben zu erheischen, entstand ausserhalb des Capitols die erste eigent- liche Stadt, an welche dann wieder Vorstädte und, indem auch diese aufblühten und Schutz bedurften, neue Umwallungen an die erste sich anschlossen wie in den Marschen ein Deich an den andern, bis eine Reihe solcher einzelner Mauer- ringe um die Burg herum gelagert war. Das Andenken hieran bewahrte das Fest der sieben Berge ( septimontium ), das man zu feiern fortfuhr als jene alten Befestigungen längst nicht mehr bestanden. Die ‚sieben Ringe‘ sind der Cermalus und der Palatinus, das heisst die beiden Abhänge des später Pa- latin genannten Hügels gegen Capitol und Aventin; die Velia, der den Palatin mit dem Esquilin verbindende später durch die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Hügelrücken; der Oppius, Cispius und Fagutal, die drei Spitzen des Esqui- lin; endlich die Sucusa oder Subura, die in der Niederung zwischen dem Capitol, dem Esquilin und dem Palatin ange- legte künstliche Festung. Augenscheinlich sind diese Umwal- lungen nicht auf einmal entstanden. Die älteste Anlage um- fasste nach glaubwürdigen Zeugnissen nur den palatinischen Hügel in dem weiteren Sinn, wo der Cermalus und die Velia dazu gehören; dies ist die alte Roma quadrata , so genannt von der viereckigen Form dieses Hügels, welche die ältesten Heiligthümer, das strohgedeckte Haus des Romulus, das Kö- nigshaus, den Vestatempel einschliesst, und deren Thore und Mauern zum Theil noch in der Kaiserzeit sichtbar waren. Namentlich die Thore am Cermalus Porta Romana und Porta Mugonia werden oft erwähnt und noch Tacitus beschreibt genau den Zug des Walles am palatinischen Hügel vom Ende des Cermalus bis zum Anfang der Velia. Es war dies und blieb für alle Zeiten der vornehmste Stadttheil und bildete später den ersten servianischen Bezirk. Hieran schloss sich zuerst die Ansiedlung auf den Carinen, der äussersten Spitze des Esquilin, mit der Festung gegen die Gabiner im Thal der ANFAENGE ROMS. Subura; woraus darum später das zweite servianische Quar- tier gebildet ward. Damals waren die Esquiliae (welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst), wie der Name sagt, Vorstadt ( exquiliae , wie inquilinus ). Dass nach dieser Seite sich die Stadt erweiterte, erklärt sich einfach daraus, dass man auf dem Höhenzuge blieb, den Palatin und Velia bezeichneten, und sowohl die isolirten Berge vermied als die sumpfigen und ganz schutzlosen Zwischenthäler. Später zog man dann auch die ‚Vorstadt‘ zur Stadt und es schlossen sich dann an jene wieder offene Vorstädte an; nament- lich die gezwungenen Ansiedler werden nicht das Recht gehabt haben sich Wall und Graben zu errichten, und sehr bezeichnend ist es in dieser Hinsicht, dass das ‚Tuskerquar- tier‘ ( vicus Tuscus ) in der Niederung zwischen Stadt- und Burgmauer angelegt ist. Der Gegensatz zwischen Stadt und Burg blieb bestehen, bis der grossartige Wallbau, der dem König Servius Tullius zugeschrieben wird, die Burg, die innere und äussere Stadt und die offenen Vorstädte mit einem ein- zigen grossen Mauerring umgab. Aber ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegen- den Landschaft ohne Zweifel gänzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der Ackersmann auf dem Palatin wie auf an- dern Hügeln Latiums den Pflug führte und nur die in ge- wöhnlichen Zeiten verlassene Zufluchtstätte auf dem Capitol einen Anfang festerer Ansiedlung darbot, der ältesten handel- und thatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht; wie dann später die aufblühende Ansiedlung auf dem Palatin und in den ‚sieben Ringen‘ zusammenfällt mit der Besetzung der Tibermündungen durch die römische Gemeinde und über- haupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freieren Verkehr, zu städtischer Gesittung und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in den Eidge- nossenschaften, so wird die Gründung einer einheitlichen Gross- stadt, der servianische Wall zusammenhängen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft über die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen ver- mochte. KAPITEL V. Roms Hegemonie in Latium. Mit dem Aufblühen des Landes und der steigenden Cultur nahmen die Fehden, die der tapfere und leidenschaftliche italische Stamm unter sich zu führen pflegte, nothwendig einen andern Charakter an. Die Ueberlieferung schweigt; von jenen ersten Zügen und Raufereien, in denen der Charakter der Völker hervorzutreten beginnt, wie in den Spielen und Fahr- ten des Knaben der Sinn des Mannes, hat uns kein ita- lischer Homer ein Abbild aufbewahrt, und was wir aus den spätern Verhältnissen ahnen oder muthmassen, ist dürftig und farblos. An die Stelle des Raubens trat allmählig die Erobe- rung, an die Stelle der Fehde der Krieg; politische Mächte begannen sich zu gestalten, schwächere Staaten mussten den stärkeren gegenüber sich verstehen zur Ergebung mit Land und Leuten oder doch zum Eintritt in die Clientel. So ent- standen einerseits die latinischen Eidgenossenschaften, die auf dem letzteren Princip beruhend aus einer oder einigen füh- renden und einer Anzahl minder mächtiger Gemeinden be- standen, andrerseits der römische Einheitsstaat, der hiezu im scharfen Gegensatz nicht durch Bündnisse den Staat erwei- terte, sondern geradezu durch Reunion, indem die Mark der Eroberten zur römischen geschlagen, sie selbst nach Rom über- gesiedelt und ihren Göttern in Rom eine neue Heimath ge- gründet wurde. Wie eng und nothwendig die Gebietserweite- rung und die Ansiedlung der Bezwungenen in Rom zusammen- hing, beweist besser als alle einzelne Erzählungen aus der ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. Sagenzeit der Satz des römischen Staatsrechts, dass nur wer die Grenzen des Gebiets erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorschieben dürfe. So weit die Macht der Römer reichte, duldeten sie in dieser Zeit keinen politischen Mittel- punkt ausser der eigenen Hauptstadt. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung von Ostia, wo man die factische Entstehung einer Stadt zwar nicht hindern konnte noch wollte, aber dem Gemeinwesen jede politische Selbst- ständigkeit entzog und den dort Angesiedelten kein eigenes Bürgerrecht gab, sondern nur das römische ihnen liess, wenn sie es hatten. In ganz ähnlicher Weise wurden die eroberten Städte zu Dörfern gemacht und den nicht weggeführten Be- wohnern so gut wie den nach Rom übergesiedelten das römi- sche Schutzrecht aufgezwungen, einzelne auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heisst dem Patriciat beschenkt. Da die Tiber- mündung wahrscheinlich durch die friedliche Entwicklung des latinischen Verkehrs für Rom gewonnen ward — Ficana zwi- schen Rom und Ostia ist wohl nie eine selbstständige Ge- meinde gewesen — so sind die zuerst durch die römischen Waffen errungenen Gebiete vermuthlich die an der obern Tiber und zwischen der Tiber und dem Anio gelegenen Ge- meinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia gewesen, die unmittelbar auf Rom drückten und in frühester Zeit, wahrscheinlich schon vor Albas Zerstörung, ihre Selbsständigkeit einbüssten. In dieser Gegend erscheint später als selbstständige Gemeinde nur No- mentum, das vielleicht durch Bündniss mit Rom seine Frei- heit rettete; um den Besitz von Fidenae, den Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer der Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heisst Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albanerbergen inne hatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; die Burg, die unter dem Palatin zum Schutz der Vorstadt gegen die Ueberfälle der nur 12000 Schritt ent- fernt wohnenden Gabiner erbaut ward, ist schon erwähnt worden und bis in späte Zeit hinab galt das gabinische Ge- wand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabi- nische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. So stand Rom, dessen Gebiet hiedurch auf etwa 9 Quadratmeilen gebracht war, als Stadt den Dorfschaften, als Einheit den Bünden, als seegewaltig den Landgemeinden gegenüber und mochte dem unausbleiblichen Zusammenstoss mit dem mächtigsten der la- ERSTES BUCH. KAPITEL V. tinischen Bünde, dem der albischen Orte mit jener Sicherheit entgegensehen, die die politisch und militärisch geschlossene Macht zum ebenbürtigen Gegner der scheinbar überlegenen Ligue macht. Erfolgt ist der Zusammenstoss; Alba ward von römischen Schaaren erobert und zerstört, die albische Mark mit der römi- schen vereinigt, die Einwohner theils am Fusse des Berges in Bovillae angesiedelt, theils nach Rom verpflanzt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die von Alba nach Rom übergesiedel- ten vornehmen Geschlechter, darunter die der Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; sie hatten ohne Zweifel ihre albischen Familienheiligthümer bewahrt, wie denn der Geschlechtcult der Iulier in Bovillae in der Kaiser- zeit wieder zu grossem Ansehen sich erhob. Wie der Zu- sammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht bekannt; der Kampf der drei römischen gegen die drei albi- schen Brüder ist nichts als eine factische Bezeichnung eines Zwistes zweier gleich mächtiger und eng verwandter Stämme. Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte über die Folgen dieses tiefgreifenden Ereignisses. Nur so viel ist bezeugt und beglaubigt, dass, während Alba selbst zerstört ward, Rom als einen Theil des Eroberten die Hegemonie in Anspruch nahm über die bis dahin von Alba abhängigen Ort- schaften und sie erlangte, und dass hieraus unter Benutzung der alten Tradition, dass Alba die Urheimath des latinischen Stammes sei, vor allen Dingen aber durch die Macht und das Glück der römischen Waffen allmählig die Hegemonie Roms über ganz Latium erwachsen ist. Indem man formell und sacral den alten albischen Bund bestehen liess mit seiner Versammlung der dreissig Gemeinden und seinem Bundesfest, wurden doch, in ähnlicher Art wie in der englischen Verfas- sung, die verfallenen Communen entweder ganz beseitigt oder doch aus der Liste der stimmberechtigten Ortschaften gestri- chen; so scheint es erklärt werden zu müssen, dass der Verein, obgleich die Versammlung nach wie vor aus dreissig Gliedern bestand, doch schliesslich sieben und vierzig Gemeinden in sich schloss. Auf diesem Wege gelang es die ganze latinische Landschaft und einen nicht unbeträchtlichen Theil der südlich und östlich angrenzenden Stämme in dem Bunde zu vereinigen, dessen bleibende Hegemonie Rom mehr als selbstständiger Sonderstaat, denn als Bundesglied führte. Es versteht sich, dass man daneben nicht versäumte abgefallene oder ver- ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. kümmerte Gemeinden der römischen unmittelbar einzuver- leiben. Wie nach Albas Fall einerseits das römische Gebiet, andrer- seits der latinische Bund allmählig ausgebreitet ward, können wir nicht mehr verfolgen. Der Glanz dieser ungemeinen Erfolge ruht auf der Königszeit, vor allem auf dem königlichen Hause der Tarquinier wie ein fernes Abendroth, in dem die Umrisse verschwimmen; in der uns überlieferten conventionellen Erzäh- lung dieser Kriege dürften wenige einzelne Ereignisse, wie etwa die Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen historischen Kern enthalten, während die umständliche Fassung überall und meistens der Inhalt selbst keinen Glau- ben verdient. Möglich scheint es dagegen das Resultat dieser römisch-latinischen Fehden genauer zu bezeichnen und von der Ausdehnung der latinischen Eidgenossenschaft so wie von ihrer Stellung gegen Rom am Schluss der Königszeit eine deutliche Vorstellung zu gewinnen. — Wie weit das Gebiet der latinischen Eidgenossenschaft um das Ende der Königs- zeit reichte, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmen nach den beiden ältesten römischen Urkunden, von denen wir Kenntniss haben: dem Handels- und Schifffahrtsvertrag, den die Consuln Lucius Iunius Brutus und Marcus Horatius bald nach Vertreibung der Könige (nach der später üblichen Rech- nung im J. 245 der Stadt) mit Karthago abschlossen, und aus einem wenig jüngeren Verzeichniss der latinischen Städte, das wahrscheinlich der Erneuerung des Bündnisses zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius (261 d. St.) angehört. Nach dem ersten verpflichten sich die Karthager im latinischen Lande keine Festung anzulegen und den Latinern, die Roms Oberhoheit anerkennen, namentlich den Seestädten Laurentum, Ardea, Antium, Circeii, Tarracina keinen Schaden zuzufügen; sollte indess eine latinische Stadt die Anerkennung der Ober- hoheit Roms verweigern, so sollen die Karthager dieselbe un- gehindert bekriegen dürfen, vorausgesetzt dass sie nicht über Nacht auf dem Lande zubringen und unter der Bedingung, wenn sie eine Stadt erobern sollten, statt sie zu schleifen sie den Römern auszuliefern. — Das zweite Verzeichniss zählt als die dreissig Städte, die damals den Bund bildeten, fol- gende auf, von denen nur sieben (Pedum, Toleria, Corioli und die vier zuletzt genannten) zu den dreissig alten albischen Ge- meinden gehören: zwischen Tiberis und Anio Nomentum; zwischen dem Anio und dem Albanergebirg: Tibur, Gabii, ERSTES BUCH. KAPITEL V. Scaptia, Lavici, Pedum, Praeneste, auch wohl Toleria; am Albanergebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli, La- nuvium; an der latinischen Küste Tellenae, Laurentum, Lavi- nium; im Gebiet der Rutuler Ardea; in der volskischen Ebene Velitrae, Satricum, Circeii; am westlichen Abhang der Volsker- berge Cora, Norba, Setia; unbestimmter Lage Tricria, Carna, Bubetum, Caruentum, Foretum, Querquetula. — Von Rechts- wegen erstreckte sich also die latinische Eidgenossenschaft schon damals bis nach Tarracina, also bis an die Grenze des spätern Latium, das die Volsker und Rutuler einschliesst; eine politische Grenze, deren Feststellung dieser Epoche angehört. Allein dass factisch ein Theil der Bundesgemeinden sich dem latinischen Bund wenn sie konnten entzogen, deutet der Ver- trag mit Karthago sehr verständlich an, indem er solchen ab- trünnigen Gemeinden den Bundesschutz entzieht; und nament- lich die stammfremden Rutuler und Volsker scheinen sehr häufig der römischen Hegemonie abgesagt zu haben. Es kann darum nicht befremden, dass, während der Friedensvertrag den Zustand darstellt, den die Römer als den normalen und rechtmässigen betrachteten, das zweite Verzeichniss, das den factischen Bestand der Eidgenossenschaft in einem bestimmten Jahr angiebt, die beiden wichtigen Volskerstädte Antium und Tarracina auslässt, von denen die erste nach der Erzählung der Annalisten in eben dem Jahre, wo das Bündniss erneuert ward, mit den Römern Krieg führte. Ein dritter wohl aus ähnlichen Quellen geschöpfter Bericht lautet dahin, dass zu der Zeit des ältern Tarquinius die Eidgenossenschaft alle la- tinischen und die beiden Volskerstädte Ecetra und Antium in sich begriffen habe. In der That scheint das Gebiet der Rutuler und noch mehr das der Volsker der beständige Kriegs- schauplatz gewesen zu sein, auf dem die Herrschaft über kräftige und widerstrebende Gemeinden durch die Waffen stets aufs neue gewonnen werden musste. In der späteren etwas besser beglaubigten Geschichte finden wir die volski- schen Orte, namentlich Velitrae, Norba, Circeii, Satricum, Antium regelmässig im Kampf mit den Latinern und nur vor- übergehend und gezwungen als Glieder der Eidgenossenschaft; offenbar in denselben Kreis gehört die Zerstörung der reichen Volskerstadt Suessa Pometia. Ueber das entfernte Tarracina mag nun gar die römische Hegemonie regelmässig in blossen Prätensionen bestanden haben. — Was die östlichen und nördlichen Nachbarn Roms anlangt, so stand die Landschaft ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. der Herniker wenigstens zeitweise in Vertrag mit der latini- schen, ohne dass doch die hernikischen Gemeinden unmittel- bar eingetreten wären in den Latinerbund. Mit den Aequern, Sabinern und Etruskern fehlte es an Fehden nicht, allein zu dauernden Eroberungen scheinen dieselben nicht geführt zu haben, am wenigsten gegen die mächtigen Etrusker; selbst von Fidenae, das auf der latinischen Seite der Tiber 6000 Schritt von Rom lag, gewannen die Römer nicht so festen Besitz, dass nicht in Zeiten der Schwäche die Veienter wieder versucht hätten sich ihrer alten Offensivbasis wieder zu be- mächtigen. Dagegen scheint das eigentliche Latium, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Lavici und be- sonders Gabii, gelegentlich der römischen Botmässigkeit sich entzogen, doch im Allgemeinen nach Alba's Fall ohne vielen Widerstand sich der römischen Hegemonie gefügt und treu daran festgehalten zu haben; begreiflich genug, denn nur mit und durch Rom, die zu Lande wie zur See mächtigste latini- sche Gemeinde, konnten die Latiner ihre Küsten gegen Kar- thager, Hellenen und Etrusker, ihre Grenzen gegen die mächt- tigen Nachbarn sichern und die Herrschaft über die halb unterworfenen Volsker aufrecht erhalten. Die Einigung des latinischen Stammes unter römischer Hegemonie ist das histo- rische Ergebniss der römischen Königszeit. Die Form der römischen Hegemonie über Latium war im Ganzen die eines gleichen Bündnisses zwischen der römischen Gemeinde einer- und der latinischen Eidgenossenschaft andrer- seits, wodurch ein ewiger Landfrieden in der ganzen Mark und ein ewiges Bündniss für den Angriff wie für die Verthei- digung festgestellt ward. ‚Friede soll sein zwischen den Rö- mern und allen Gemeinden der Latiner, so lange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg führen unter einander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hülfe geleistet werden mit gesammter Hand und gleichmässig vertheilt werden, was ge- wonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.‘ Die festgesetzte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Creditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des Geschäftsverkehrs und es ward damit etwas Aehnliches erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bun- ERSTES BUCH. KAPITEL V. desgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen nicht nothwendig identisch und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volksthümliche Entwickelung des la- tinischen Rechtes und das Bestreben die Rechtsgleichheit möglichst festzuhalten führten denn doch dahin, dass das Pri- vatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehr- würdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüssen; sollte er zur Strafe die Freiheit, und was dasselbe war, das Bürger- recht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem Staat, um bei Fremden in die Knechtschaft einzutreten. Die- sen Rechtssatz erstreckte man jetzt auf das gesammte Bundes- gebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben können innerhalb der gesammten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die Bestimmung des zweiten Ver- trags zwischen Rom und Karthago, dass der von den Kartha- gern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen römischen Hafen betrete, und die später in die zwölf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfähige Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden müsse jenseit der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes. Eine ächte Ehe war allerdings zwischen Bürgern verschiedener Gemeinden an sich nicht möglich, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass nach altem Herkommen zwischen den römischen und einzelnen latinischen Patriciaten, das heisst Vollbürgerschaften, das Recht der Zwischenheirathen bestand. Die politischen Rechte konnte selbstverständlich jeder nur da ausüben, wo er eingebürgert war, und streng ward darauf gehalten, dass Niemand Bürger zweier Gemeinden sein könne, durch jedes neu gewonnene Bürgerrecht sollte das bisher bestehende von selbst aufgehoben sein. Sonach befanden sich in jeder eidgenössischen Gemeinde die Angehörigen der übri- gen eidgenössischen Communen wesentlich in dem Verhältniss, welches zur Zeit des Zwölftafelrechts die Plebejer in Rom gegen die Patricier einnahmen; oder, nach heutiger Termino- logie, es bestand neben den besondern Bürgerrechten der ein- ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. zelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlas- sungsrecht. Dass dies wesentlich zum Vortheil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und dass die Zahl der römischen Insassen sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. — In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde selbstständig und souverain, so weit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als sol- chem die Autonomie gegen Rom; ja es wird versichert und ist nicht unwahrscheinlich, dass Albas Stellung zu den abhän- gigen Orten eine mehr überlegene gewesen sei als die Roms zu den latinischen Gemeinden und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt hätten. Es scheint glaublich, dass Alba im Bundesrath den Vorsitz führte, während Rom die latinischen Abgeordneten selbstständig rathschlagen liess am Quell der Ferentina, unter Vorsitz wie es scheint eines aus der Mitte der Versammlung gewählten Beamten; ja es war sogar, offenbar zur Festigung des Bundes, in dem Vertrag zwischen Rom und Latium den Römern jedes Sonderbündniss mit einzelnen Bundesstaaten untersagt worden. Mehr ein Ehren- recht war es, dass bei dem latinischen Bundesfest anstatt der albischen jetzt als deren Rechtsnachfolger die römischen Magistrate den Vorsitz führten und dass für Rom und Latium das Opfer dargebracht ward wie früher für Alba und die albi- schen Völker; womit es auch zusammenhängt, dass neben dem alten Bundesheiligthum auf der Stätte von Alba ein zweites in Rom gegründet ward, der Tempel der Diana auf dem Aventin, so dass theils auf römischen Boden für Rom und Latium, theils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. — Auch im Kriegswesen ward das Gleichgewicht beider Theile festgehalten. Das Bundesheer ward gebildet aus den römischen Truppen und aus dem durch die Contingente der einzelnen Gemeinden gebildeten latinischen Heer; wie das die spätere Weise des Aufgebots lehrt und für die ältere Zeit zum Beispiel die Erzählung, dass, während König Tullus Veii belagerte, der Zuzug der Tusculaner auf dem Oppius, der der Anagniner auf dem Cispius aufgestellt war zur Verstärkung der städti- schen Besatzung. Wenn dem Bericht, dass König Tarquinius jeden Manipel halb aus Römern, halb aus Latinern gebildet habe, wirklich eine ächte Kunde zu Grunde liegt, so kann ERSTES BUCH. KAPITEL V. man darin nur einen vorübergehenden Versuch erkennen die Bundescontingente in eine einheitliche Armee zu verwandeln und die latinischen Gemeinden in Rom aufgehen zu lassen. Das Obercommando sollte wechseln zwischen Rom und Latium, so dass nur in den Jahren, wo Rom den Befehlshaber stellte, die latinischen Zuzüge vor den Thoren Roms erschienen und am Thor den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als ihren Feldherrn begrüssten, wenn die vom latinischen Bundesrath dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögel- flugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl ver- sichert hatten. Ebenso wurde, was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, zu gleichen Theilen zwischen Rom und Latium getheilt. Während sonach in allen inneren Beziehun- gen mit eifersüchtiger Strenge gehalten ward auf die strengste Gleichheit in Rechten und Pflichten, trat die römisch-latinische Föderation gegen aussen auf als Einheit. Nach dem römischen Staatsrecht widerstreitet es dem Begriff des ‚gleichen Bünd- nisses‘ nicht, dass dasselbe dem Einzelstaate jeden Separatver- trag mit dem Ausland untersagt und den Entscheid über Krieg, Frieden und Vertrag ausschliesslich in die Hände eines der Ver- bündeten giebt; ganz so weit indess ging das latinische Bünd- niss nicht zu Gunsten Roms. Es war weder Rom noch Latium darin untersagt auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen, wo dann freilich auch den Verbündeten nicht oblag Zuzug zu leisten. Indess wenn einmal sei es nach Bundesschluss, sei es im Fall eines Vertheidigungskrieges ein Bundeskrieg begonnen hatte, so lag dessen Leitung und Beendigung unbeschränkt in der Hand des Bundesfeldherrn; und dass im Frieden Rom für die ganze latinische Landschaft Verträge abschloss, beweist der Handelstractat mit Karthago. Ob in solchem Fall, um denselben rechtlich bindend für die ganze Genossenschaft zu machen, noch ein Beschluss des latinischen Bundesraths nothwendig war oder Rom kraft seiner Hegemonie ein für allemal im gewöhnlichen Verkehr die Eidgenossenschaft dem Ausland gegenüber vertrat, können wir nicht mehr aus- machen; eine factische Hegemonie hat Rom unzweifelhaft be- ständig besessen und behauptet, wie es ja denn auch eben in diesem Vertrag eine Botmässigkeit über die latinischen Staaten in Anspruch nimmt. So war Rom durch die Gunst der Götter und die Kraft der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt die mächtige Hauptstadt einer blühenden Landschaft geworden. ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. Mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden An- forderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont musste auch der Charakter der Stadt sich ändern. Hatte bisher der Römer sich begnügt die Hügel unter der Burg, wie sich einer nach dem andern mit Gebäuden füllte, nothdürftig zu ver- schanzen; war der Brückenkopf auf dem andern Ufer isolirt, die Brücke wehrlos und deshalb zum schleunigsten Abbrechen eingerichtet gewesen, so verlangte die Hauptstadt von Latium ein anderes in sich geschlossenes Vertheidigungssystem. Es ward also, angeblich unter der Regierung des Königs Servius Tullius, Brücke, Stadt und Burg mit einem Wall eingeschlos- sen, der eine zusammenhängende und gesicherte Vertheidi- gungslinie darbot. Der Wall begann am Fluss bei der subli- cischen Holzbrücke, welche über den natürlichen Brücken- pfeiler, die Tiberinsel hinüberführte auf das Castell des Iani- culum, so dass der südliche Zugang zu der Brücke sich inner- halb der Ringmauern befand. Von da lief er zum Capitol, dessen vom Palatin abgewendete Mauer einen Theil des Stadt- walles bildete, umfasste alsdann den ganzen Raum des Quiri- nal, Viminal und Esquilin, wo ein mächtiger Erddamm den Mangel der natürlichen Böschung ersetzte, ferner den Caelius und den Aventin, wo er wiederum an den Fluss anstiess. So war nicht bloss die Altstadt auf dem Palatin und die Neu- stadt auf den Carinen in den Mauerring gezogen, sondern auch die Vorstädte, die auf dem Esquilin, an den Abhängen des Palatin, auf dem Caelius und sonst entstanden waren, ja sogar die beiden von Häusern frei gelassenen bewaldeten Spitzen, der Burghügel und der Aventin. Die unbrauchbaren und der Ansiedlung hinderlichen Mauern der bisherigen Stadt liess man verfallen; die Burg aber mit ihrem Felsenbrunnen, dem sorgfältig gefassten ‚Quellhaus‘ ( tullianum ), blieb nach wie vor ein besonderes Castell, das noch nach Eroberung der Stadt ver- theidigungsfähig war. — Aber das Werk war nicht vollständig, so lange der mit schwerer Mühe geschirmte Boden nicht auch dem Flusse abgewonnen war, dessen Wasser das Thal zwi- schen dem Palatin und dem Capitol beständig füllte, so dass hier eine regelmässige Fähre bestand, und das Thal zwischen dem Capitol und der Velia so wie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die aus prachtvollen Quadern zusammen- gefügten unterirdischen Abzugsgräben, wie sie noch heute stehen und wie die Späteren sie als ein Wunderwerk des königlichen Rom anstaunten, dürften eher der folgenden Epoche angehören, ERSTES BUCH. KAPITEL V. da Travertin dabei verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzählt wird; allein die Anlage selbst gehört ohne allen Zweifel in diese Epoche. So ward es möglich an den entsumpften oder trocken gelegten Stellen die öffentlichen Plätze zu gewinnen, deren man be- durfte. Der Versammlungsplatz, der bis dahin auf dem capi- tolinischen Platze auf der Burg sich befunden hatte, ward nun verlegt auf die Fläche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte ( comitium ) und dehnte von dort sich aus längs des Palatin in der Richtung gegen die Velia, wo zu beiden Seiten des neuen römischen Marktes ( forum Romanum ) Reihen von Kaufläden entstanden. In dem Thal zwischen Aventin und Palatin ward für die Rennspiele der Raum abgesteckt — der Circus; unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt an- gelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevöl- kerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligthümer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligthum der Diana und auf der Höhe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vaters Diovis, der seinem Volk all diese Herrlich- keit gewährt hatte und nun wie die Römer über die umlie- genden Nationen, so mit ihnen über die unterworfenen Götter der Besiegten triumphirte. KAPITEL VI. Die ursprüngliche Verfassung Roms . Vater und Mutter, Söhne und Töchter, Hof und Woh- nung, Knechte und Geräth — das sind die natürlichen Ele- mente, aus denen überall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber scheiden sich die Völker höherer Culturfähigkeit, dass diese natürlichen Gegensätze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem römischen gleich an schlichter, aber un- erbittlicher Durchführung der von der Natur selbst vorgezeich- neten Rechtsverhältnisse. Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich von den Priestern ihm zu Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) ange- trauten Ehefrau, mit den Söhnen und deren rechten Frauen und Kindern und den unverheiratheten Töchtern nebst allem diesen zufallenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der die Kinder der Töchter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie eheliche sind, der Familie des Mannes angehören, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Diese Familie wird geleitet und gelenkt durch den einen allmächtigen Willen des Vaters. Nicht als ob Weib und Kinder nur um seinetwillen da wären wie die Unter- thanen in dem absoluten Staat nur existiren für den König; auch die Frau und die Kinder sind Inhaber eigener Rechte. Röm. Gesch. I. 4 ERSTES BUCH. KAPITEL VI. Aber die Einheit des Hauses verlangt, dass sie alle vertreten werden durch einen einheitlichen Repräsentanten, den Haus- vater und Herrn. Die unumschränkte und keinem auf der Erde verantwortliche Macht des Hausherrn ist unabänderlich und unzerstörbar so lange er lebt; nicht das Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille vermögen bei seinen Lebzeiten die Macht zu lösen, ausser wenn die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters übergeht in die Hand des Mannes und aus ihrem Ge- schlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottes- schutz des Mannes eintretend, ihm nun unterthan wird, wie sie es bisher ihrem Vater war. Immer trennt noch eine ungeheure Kluft den Sclaven und den Haussohn, die Habe und die Glieder der Familie; jene sind bloss unterthan der Gewalt, diese haben eigenen Antheil daran, nur dass deren Ausübung ruht so lange der Vater lebt, oder, wie die Römer dies fassen, die Sclaven sind Sachen, die Haussöhne Personen. Zwar hat dies zunächst zur Folge, dass bei Lebzeiten des Hausherrn wohl der Knecht von ihm sich lösen kann, wenn der Herr will, aber nicht der Sohn; denn die Sache zur Person zu erheben, wo die natürliche Bedingung der Willens- fähigkeit vorhanden ist, ist möglich, nicht aber zur Person zu machen wer schon Person ist — und darum ist die Manu- mission des Sclaven so alt wie der Eigenthumsprozess, die Emancipation des Sohnes aber erst durch eigenthümliche Umwege in weit späterer Zeit möglich geworden. Wenn in- dess der Hausherr stirbt, so ändert dies gar nichts in der Lage des Knechts; wogegen die Söhne jetzt von selbst als Hausherren auftreten und nun ihrerseits über die Frauen und Kinder und das Vermögen die bisher vom Vater geübten Rechte erlangen. So lange der Hausherr lebt, ist ihm gegen- über alles rechtlos was zur Familie gehört, der Stier und der Sclave, aber nicht minder Weib und Kind. Er hat das Recht und die Pflicht über die Seinigen die richterliche Gewalt zu üben und nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Was die Seinigen erwerben, sei es durch eigene Arbeit oder fremde Gabe, wird Eigenthum des Vaters wie der Verdienst des Knechts; so lange der Vater lebt, können die unterthäni- gen Personen kein Vermögen haben, daher auch nicht ver- äussern noch vererben. Ja der Vater kann wie den Sclaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigenthum übertragen; ist der Käufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht, URSPRÜNGLICHE VERFASSUNG ROMS. ist er ein Römer, so wird der Sohn, da er als Römer nicht Knecht eines Römers werden kann, seinem Käufer an Knecht- tes Statt und fällt von selbst zurück in die väterliche Gewalt, so wie die Gewalt des Käufers über ihn gelöst ist. Diese unerbittliche Consequenz, welche die väterliche und eheherr- liche Gewalt in ein wahres Eigenthumsrecht umwandelte, unterlag gar keinen Rechtsbeschränkungen; nur die Religion sprach für einige der ärgsten Fälle einen Bannfluch aus, dessen Execution indess den Göttern zukam, nicht der irdi- schen Gerechtigkeit. So wurde der verwünscht, der seine Ehefrau oder den verheiratheten Sohn verkaufte; und in ähn- licher Weise wurde es durchgesetzt, dass bei der Ausübung der häuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch über Kind und Frau nicht fällen durfte, ohne vorher die nächsten Blutsverwandten, sowohl die seini- gen wie die der Frau, zugezogen und befragt zu haben. — So mächtig war die Einheit der Familie, dass selbst der Tod des Hausherrn sie nicht vollständig löste. Die durch denselben selbstständig gewordenen Descendenten betrachten sich noch in vieler Hinsicht als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in manchen andern Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber für die Stellung der Wittwe und der unverheiratheten Töchter. Da nach älterer römischer Ansicht das Weib nicht fähig ist weder über Andere noch über sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt über sie oder, wie sie hier mit milderem Ausdruck heisst, die Hut ( tutela ) bei der Familie nach wie vor, nur dass diese statt des verstor- benen Hausherrn jetzt ausgeübt wird durch die Gesammtheit der nächsten männlichen Familienglieder, regelmässig also über die Mutter durch die Söhne, über die Schwestern durch die Brüder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegründete Fa- milie unverändert fort, bis sie ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation factisch das Band sich lockern und die Möglichkeit des Nachweises der ursprünglichen Ein- heit allmählig verschwinden. Hierauf und hierauf allein beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder nach römischem Ausdruck der Agnaten und Gentilen. Beide be- zeichnen den Mannsstamm; die Familie aber umfasst nur die- jenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemein- schaftlichen Stammherrn nachzuweisen vermögen, das Ge- schlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung 4 * ERSTES BUCH. KAPITEL VI. selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn darthun können, aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den Grad. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen aus; wenn es heisst: ‚Marcus, Sohn des Marcus, Enkel des Marcus und so weiter, der Marcier‘, so reicht die Familie so weit, als die Ascendenten individuell bezeichnet werden und wo dies aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Ab- stammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Marcuskinder vererbt hat. Neben diesen streng geschlossenen unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechts- einheiten standen die freien Leute, die entweder als Gäste für kürzere oder längere, auch wohl für Lebenszeit im Hause verweilten, oder die früher als Knechte darin gelebt hatten und von dem Herrn mit der Freiheit waren beschenkt worden. Dies Verhältniss war nicht, wie das des Herrn zum Sclaven oder des Vaters zum Sohne, ein rechtliches; der Gast wie der Freigelassene war Familienhaupt und erkannte keinen über sich als Herrn. Wohl aber forderte die Sitte, theils dass der Hausherr die ihm zugewandten Leute schütze und vertrete, theils dass sie den Hausherrn ehrten gleich dem Vater und ihm willig gehorchten; davon heisst er der Ehrenvater ( pa- tronus wie matrona , die der Mutter gleich zu ehrende Frau), sie die Hörigen ( clientes von cluere ). Der Vater kann rechtlich nicht klagen gegen den Sohn noch der Sohn gegen den Vater; zwischen Patron und Clienten verbietet die Klage die Sitte, welche dem Patron die Schutzpflicht, dem Clienten Ehrerbie- tung befiehlt. Regelmässige vermögensrechtliche Folgen hat dies Verhältniss nicht; wohl aber werden in allen ausser- ordentlichen Fällen, die den Patron zu Ehren- oder Nothaus- gaben zwingen, die Clienten zur Beisteuer aufgefordert, und ebenso natürlich ist es, dass wenn der Gast oder der Frei- gelassene starb ohne eigene Erben, seine Habe dem Schutz- herrn zufiel, der nach den Seinigen ihm der Nächste war. Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fa- bier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser Geschlechter. Römischer Bürger war, wer einem jener Geschlechter angehörte; desshalb nannten sich URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. die Vollbürger die ‚Descendenten‘ ( patricii ), nämlich irgend eines jener Patriarchen, auf die der einzelne Geschlechtsgau sich zurückführte. Jede innerhalb dieses Kreises in den üblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als ächte römische und be- gründete für die Kinder das Bürgerrecht; wogegen davon aus- geschlossen erschien, wer in unrechter Ehe oder ausser der Ehe erzeugt war. Die Rechte des Hausherrn blieben bestehen, ohne dass der Staat sich in deren Ausübung einmischte, und die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengescho- benen Familien dem Staat wie sie bestanden einverleibt; allein dem Staate gegenüber galt die Stellung in der Familie nicht, so dass in politischen Pflichten und Rechten der Haussohn neben, im Hause unter dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, dass die Gäste, die Freigelassenen, die Clienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie angehörten, aber es konnte nicht ausbleiben, dass sie bald auch ohne Vermittlung ihres Patrons Recht an- sprachen und erhielten. Um so mehr galt dies von den Gästen und Schutzbefohlenen der Gesammtschaft, namentlich den an sie von andern Gemeinden geschickten Boten. So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Bürgern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhen- den Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsge- meinschaft im Kleinen wie im Grossen der Familie nachge- bildet. Dem Hause giebt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu rühmen vermochte. Darum setzt sie aus ihrer Mitte sich einen Herrn ( rex ) und Gebieter ( dictator ), einen Meister des Volkes ( magister populi ), welcher der Herr im Hause der römischen Gemeinde ist, wie denn auch neben oder in seiner Wohnung der ewig flammende Heerd der Vesta und die wohl- versperrte Vorrathskammer der Penaten zu finden sind — sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Des Königs Amt beginnt mit der Wahl; aber Treue und Gehorsam ist die Gemeinde dem König erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen ERSTES BUCH. KAPITEL VI. Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genom- men hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie die- ser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Ge- meinde, die er befragt und befriedigt ( auspicia publica ). Die Verträge, die er abschliesst im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot ( imperium ) ist allmächtig im Frieden wie im Kriege, wesshalb die Boten ( li- ctores, von licere laden) mit Beilen und Ruthen ihm überall voranschreiten, wo er in amtlicher Function auftritt. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und criminellen Rechtshändeln, und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die Freiheit, so dass er den Bürger dem Mitbürger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sclaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Be- rufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturtheil stattzugeben ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er selbst oder wen er mit seiner Macht bekleidet, befehligt das Heer. Wie der Hausherr im Hause nicht der mächtigste ist, sondern der allein mächtige, so ist auch der König nicht der erste, son- dern der einzige Machthaber im Staate; er mag um sich die Uebung der Macht zu erleichtern, einzelne Befugnisse Andern übertragen, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der min- der wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen, aber jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abge- leitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange dieser will im Amt. Alle die Beamten der ältesten Zeit, die ‚Spürer des argen Mordes‘ ( quaestores paricidii ), die Abthei- lungsführer ( tribuni, von tribus Theil) des Fussvolks ( milites das heisst die Tausendgänger) und der Reiterei ( celeres ), der während der Abwesenheit des Königs im Felde ernannte Stadt- vogt ( praefectus urbi ) sind nichts als königliche Commissarien und keineswegs Magistrate im spätern Sinn. Eine äussere rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie nicht haben; im Staate ist er so wenig einem Richter verant- wortlich wie der Hausherr im Hause. Nur der Tod beendigt seine Macht; hat er sich nicht selbst einen Nachfolger ernannt, was ihm rechtlich nicht bloss freigestanden haben muss, son- dern wohl im Kreise seiner Pflichten lag, so tritt der Rath URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. der Alten ungerufen zusammen und bezeichnet, wir wissen nicht ob durch Loos oder Wahl, einen ‚Zwischenkönig‘ ( in- terrex ), der indess nur fünf Tage im Amte bleiben und das Volk sich nicht verpflichten darf. Dieser kann, da er in un- gebotenem Ding, also mangelhaft ernannt ist, selbst den König nicht ernennen, sondern ernennt einen zweiten Zwischenkönig auf andere fünf Tage, der nun den neuen König bezeichnet, ohne dass nach der richtigen Ansicht eine formelle Einwir- kung des Senats oder gar des Volkes auf die Wahl des Kö- nigs angenommen werden dürfte — der König wird von sei- nem Vorgänger oder im Nothfall vom Zwischenkönig ernannt wie später vom Consul der Dictator. So wird ‚der hohe Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist‚‘ von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz des Wechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der römische Diovis darstellt, repräsentirt rechtlich der Fürst und darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; den Elfenbeinstab mit dem Adler, die rothe Schminke des Gesichts, den goldenen Eichenkranz führen der römische Gott wie der römische König in gleicher Weise. Aber man würde sehr irren darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie zu machen; nicht der Gott des Volkes ist der König sondern viel eher der Eigenthümer des Staats. Darum weiss man auch nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlech- tes oder von irgend einem geheimnissvollen Zauber, danach der König von anderem Stoff wäre als andre Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frühern Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung. Der König ist eben nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor allem aber die Nothwendigkeit dass Einer Herr sein müsse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seines Glei- chen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger dem Gebieter. Darin liegt die sittliche und factische Begren- zung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges thun; er konnte den Mitstreitern ihren Antheil an der Beute schmälern, er konnte übermässige Frohnden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigenthum des Bürgers; ERSTES BUCH. KAPITEL VI. aber wenn er es that, so vergass er, dass seine Machtfülle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen, und wenn sich gegen ihn die Waffen kehrten, mit denen man ihm bei seinem Antritt gehuldigt hatte? Die rechtliche Beschränkung aber der Königsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Ge- setze vielmehr entweder von der Volksversammlung im Voraus gutgeheissen sein musste oder ein illegaler und tyrannischer Act war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sitt- lich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveränetät und überhaupt im modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden. Die mächtigste äussere Schranke, welche Herkommen und Sitte der absoluten Gewalt entgegenstellten, ist in dem Satze ausgesprochen, dass es weder dem Hausvater noch dem König ziemt sich in wichtigen Fällen zu entscheiden, ohne anderer Männer Rath vernommen zu haben. So ist die eheherr- liche und väterliche Gewalt umgrenzt worden durch den Fa- milienrath und noch weit schärfer ausgeprägt besteht für den König wie überhaupt für die gesammte römische Magistratur aller Epochen die Regel, dass in wichtigen Fällen vor Fassung des Beschlusses die Freunde, das ist für den König der Rath der Alten um ihre Meinung befragt werden müssen, so dass dieser einen bestimmenden Einfluss auf die wichtigen Landes- angelegenheiten gewann, ohne dass doch die Unbeschränktheit der Königsgewalt dadurch rechtlich aufgehoben wurde. — Der Rath der Aelteren, der senatus ist der römische Staatsrath, mit dem der König alle Angelegenheiten zu berathen hat, die nicht richterlicher oder militärischer Natur sind. Er ist kei- neswegs bloss die Versammlung dieser oder jener Freunde des Königs, die zuzuziehen dem König beliebt hat, sondern eine dauernde politische Institution, in der sogar ein gewisser Repräsentativcharakter in der ältesten Zeit unverkennbar her- vortritt. Als die Geschlechtergaue zusammentraten und sich einen gemeinschaftlichen König ernannten, scheint jedes Ge- schlecht durch seinen Aeltesten vertreten worden zu sein, der gewissermassen den Patriarchen des Geschlechts repräsentirte und darum ‚Ascendent‘ ( pater ) genannt ward; diese Aeltesten, die ‚Ascendenten‘ ( patres ) bildeten den ursprünglichen Senat. URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. Hieraus erklärt sich, wesshalb der einmal ernannte Rathsherr es auf Lebenszeit blieb und vielleicht selbst der König ihm diese Stellung nicht entziehen konnte. Es erklärt sich ferner daraus, dass die Zahl der Rathsherrnstellen eine feste und der Zahl der dem Staate angehörigen Geschlechtsgenossen- schaften gleiche blieb, so dass mit der Einbürgerung neuer Gemeinden, die wieder gleich der römischen aus Geschlechts- genossenschaften bestanden, die Vermehrung der Senatssitze als staatsrechtliche Nothwendigkeit verbunden war. Indess besteht diese Repräsentation der Geschlechter durch den Senat mehr der Absicht nach, als zu Rechte; denn es steht dem König die freie und unbeschränkte Auswahl der Senatoren zu, so dass es sogar nur von ihm abhängt auch Nichtbürgern Sitz im Rathe einzuräumen, womit nicht gesagt, aber auch nicht verneint werden soll, dass dies schon in der Königszeit geschah. Freilich kam diesen die Bezeichnung als ‚Aelteste‘ nicht zu; später finden wir für sie die Benennung der ‚Zu- geschriebenen‘ ( conscripti ). Anfangs, als noch die Individua- lität der Geschlechter im Volke lebendig war, mag es wenig- stens als Regel festgehalten sein, dass wenn ein Senator starb, der König den an seine Stelle berief, der ihm in der Ge- schlechtsgenossenschaft als Aeltester gefolgt sein würde; allein mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde ging wohl auch factisch die Auswahl der Raths- herren ins freie Ermessen des Königs über und nur das er- schien als Missbrauch, dass der König erledigte Stellen unbe- setzt liess. — Dennoch sicherte die Lebenslänglichkeit der Rathsherrnstellen und ihre Gründung auf die wesentlichen Elemente des römischen Staates dem Senat eine ganz andere Bedeutung als sie einer blossen Vereinigung von königlichen Vertrauten hätte zukommen können; ja wie von dem Rath der Aeltesten die erste Königswahl ausgegangen war, so ruhten auch auf ihnen, wenn der König ohne ernannten Nachfolger gestorben, die Auspicien des Staates, das heisst der Be- griff der Staatseinheit und versammelten sie sich in diesem Fall ungeladen zur Vornahme der Neuwahl; nur dass dann freilich die etwa im Senat befindlichen Nichtbürger ausschei- den und bloss die Patricier wählen. — Dem König gegenüber beschränken allerdings die Rechte der Senatoren sich einfach darauf Rath zu ertheilen, wenn sie gefragt werden. Der Kö- nig beruft den Rath, wann es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; kein Rathsherr darf ungefragt seine Meinung sagen, ERSTES BUCH. KAPITEL VI. noch weniger der Rath sich ungeladen versammeln. Der Rathschlag ist kein Befehl; der König kann es unterlassen ihm zu folgen, ohne dass dem Senat ein Mittel zustände seiner ‚Autorität‘ praktische Geltung zu verschaffen. ‚Ich habe euch gewählt, spricht der König zu den Rathsherren, nicht dass ihr mich leitet sondern um euch zu gebieten‘. — Indess factisch galt es unzweifelhaft als schnöder Missbrauch der Königsgewalt, wenn bei wichtigen Dingen die Befragung des Senats unterblieb. So mag er mitgewirkt haben bei der Auflage von Frohnden und ausserordentlichen Leistungen überhaupt, bei der Verfügung über das eroberte Gebiet und sonst; ferner überall, wo es nothwendig war die Landesge- meinde zu befragen, so bei der Arrogation, bei der Aufnahme in die Bürgerschaft und bei der Erklärung eines Angriffskrie- ges. War die römische Gemeinde von einem Nachbar geschä- digt und die Sühne verweigert worden, so rief der Fetialis die Götter an zu Zeugen der Unbill und schloss mit den Worten: ‚darüber aber wollen wir Alten Rath pflegen daheim, wie wir zu unserem Rechte kommen‘, worauf denn der König nach gehaltener Berathschlagung mit den Vätern die Sache an die Gemeinde brachte; nur wenn diese und der Rath ein- verstanden waren, galt der Krieg als ein gerechter, in dem der Segen der Götter mit Fug erwartet werden konnte. Die Bürgerschaft zerfiel in drei ‚Theile‘ ( tribus; wie tota umbrisch und oskisch die Gemeinde heisst). Diese Theile waren die Ramner oder eigentlichen Römer, die Titier und die Lucerer, von denen jeder ehedem eine eigene Gemeinde gebildet haben muss; jeder Theil zerfiel wieder in zehn ‚Pflegschaften‘ ( curia wohl mit curare oder coerare, ϰοίϱανος verwandt), deren jeder ein ‚Pfleger‘ ( curio, ) ihnen allen ein ‚Oberpfleger‘ ( curio maximus ) vorstand; die ‚Theile‘ hatten so viel wir wissen besondere Vor- stände nicht. Die Curie ist die unterste Eintheilung der Bür- gerschaft; rechtlich bestehen in derselben keine Unterabtheilun- gen, sondern es stehen sämmtliche Curialen, ohne Unterschied der im Hause ihnen zukommenden Stellung, in der Curie sich gleich. Wenn dennoch auf jede Curie zehn Geschlechtsgenos- senschaften gezählt werden, so kann man dies nur beziehen auf den ältesten factischen Bestand etwa der Ramnes, welcher übertragen ward auf die beiden zutretenden Gemeinden; hundert Geschlechtsgenossenschaften einer jeden hielt man fest als idea- len Normalbestand eines jeden der drei ‚Theile‘, den die drei- hundert Patriarchen im Rath der Alten und ebenso im Heer die URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. dreihundert Reiter, die dreitausend Fusssoldaten im Ganzen repräsentirten, ohne dass im Einzelnen die Rathsherrn- oder Ritterstelle dem Geschlecht entsprochen oder der factische Bestand der Geschlechter wirklich dreihundert gewesen wäre. Wie die Geschlechtsgenossenschaften selbst zugleich Markge- nossenschaften waren, scheinen auch die Curien und die Tribus zugleich Eintheilung der Bürger und der Feldmark gewesen zu sein; unter den wenigen Curiennamen, die wir kennen, finden sich theils gentilicische Bezeichnungen, zum Beispiel Titia , theils locale, zum Beispiel Veliensis . Standes- vorzüge innerhalb der Bürgerschaften bestanden nicht. Aller- dings behaupteten die Ramner, als der älteste Theil der Ge- meinde, überall wo die ‚Theile‘ auftraten, die erste Stelle und ebenso unterschied man von den ‚Altbürgern‘ ( maiores gentes ), das heisst denjenigen Geschlechtern, deren Aufnahme in die Bürgerschaft nicht mehr nachzuweisen war, die ‚Neubürger‘ ( minores gentes ), deren Reception, wie zum Beispiel die der albischen Geschlechter, auf ein noch bekanntes Ereigniss zu- rückgeführt werden konnte. Allein rechtliche Folgen knüpften sich keine an diesen thatsächlichen Unterschied; der Neubür- ger stand politisch dem Altbürger völlig gleich und wie dieser dem Nichtbürger schroff gegenüber. — Die Bürgerschaft hatte allein das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen; sie ist die ‚Kriegerschaft‘ ( populus, populari brandschatzen; popa der Schlächter), und ‚Lanzenmänner‘ ( quirites ) heisst sie der König, wenn er zu ihnen redet. Zum Angriffsheere, der ‚Lese‘ ( legio ) stellt jeder Theil gleich viel Reiter ( celeres ) und Fuss- volk, von jenen hundert ( centuria ), von diesen tausend ( milites von mille und ire ), so dass drei Centurien der Reiter, drei Tausendschaften der Fussgänger, jene unter dem Abtheilungs- führer der Reiter ( tribunus celerum ), diese unter denen der Fussgänger ( tribuni militum ) das Kriegsheer bilden. Bei der steigenden Zahl und Kraft des Staates ward es möglich die Reiterei zu verdoppeln, so dass seitdem jeder Theil zwei Centurien stellte; ob zugleich eine entsprechende Vermehrung des Fussvolks stattfand, wissen wir nicht. — Wenn die Bür- gerschaft sich versammelte, erschienen bei der ‚Zusammen- kunft‘ ( com-itia ) alle Gemeindeglieder mit Ausnahme der Wei- ber und der noch nicht waffenfähigen Kinder und traten nicht in den militärischen Abtheilungen, sondern nach Curien zu- sammen. Sie traten zusammen nicht wann es ihnen beliebte noch zu gesetzten Fristen, sondern wenn der König die Bürger ERSTES BUCH. KAPITEL VI. lud ( calare, comitia calata ); nicht um zu reden, sondern um zu hören, nicht um zu fragen, sondern um zu antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der König oder wem er das Wort freiwillig giebt; die Rede des Volkes ist einfache Antwort auf die Frage, ohne Debatte, ohne Bedin- gung, ohne Begründung, ohne Fragtheilung. Im ordentlichen Lauf der Dinge besteht die Theilnahme des Volkes am Regi- ment darin freiwillig sich zu verpflichten. So thut der König, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die versammelten Curien die Frage, ob sie ihm treu und gehorsam sein und ihn selbst wie seine Diener, die Spürer ( quaestores ) und Boten ( lictores ) in hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die unzweifelhaft ebenso wenig verneint werden durfte als die ihr ganz ähnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Eine ähnliche Ansprache ( lex, von λέγειν ) oder Anfrage ( rogatio ) richtet der König an das Volk in allen ausserordentlichen Fällen, wo etwas geschehen sollte, das der gewöhnlichen Rechtsconsequenz zuwider lief; und hier durfte ebenso unzweifelhaft die Frage bejaht wie verneint werden. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschränkt sein Eigenthum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgiebt; dass das Eigenthum vorläufig ihm bleibe und bei seinem Tode auf einen Andern übergehe, ist rechtlich unmöglich — es sei denn, dass ihm das Volk solches gestatte; was hier nicht bloss die in Curien versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Bürgerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveräusserliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, und darum auch, wer keinem Haus- herrn unterthan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen — es sei denn, dass ihm das Volk solches ge- statte. Dies ist die Adrogation. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann das Bürgerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden — es sei denn, dass das Volk den Patriciat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft ohne Curienbeschluss vor der Kaiserzeit nicht gültig geschehen konnte. Im gewöhnlichen Rechtslauf trifft den todeswürdigen Verbrecher, nachdem der König oder sein Stellvertreter nach Urtheil und Recht den Spruch gethan, unerbittlich die Todesstrafe, da der König wie jeder andere Richter nicht begnadigen kann — es sei denn, dass der zum URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. Tode verurtheilte Bürger die Gnade des Volkes anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenweges gestatte. Dies ist der Anfang der Provocation, die darum auch vor- zugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungs- gründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht ge- brochen werden — es sei denn, dass wegen zugefügter Unbill das Volk es gestatte. Daher musste das Volk nothwendig be- fragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem Vertheidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die Ver- sammlung der Curien, sondern an das Heer. So wird endlich überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es nothwendig das Volk zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetz- gebung von Alters her ein Recht der Gemeinde, nicht des Königs. Es war, wie Sallust sagt, die königliche Gewalt un- umschränkt und durch Gesetze gebunden ( imperium legitimum ); unumschränkt, insofern sein Gebot unbedingt vollzogen werden musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlau- fendes und nicht von dem wahren Souverain, dem Volke gut- geheissenes Gebot keine rechtlichen Folgen erzeugte und zum Beispiel der widerrechtlich vom König zum Patricier erklärte Mann nach wie vor Plebejer blieb. Also war die älteste rö- mische Verfassung gewissermassen die umgekehrte constitu- tionelle Monarchie. Wie in dieser der König gilt als der In- haber und Träger der Machtfülle und darum die Gnadenacte von ihm ausgehen, während die Ausübung der Rechte des Staates den Vertretern des Volkes zusteht, so war die römi- sche Volksgemeinde ungefähr was in England der König ist, während alle Ausübung und Verwaltung dem Vorsteher der- selben zustand. Die Staatsverwaltung war sehr einfach. Die öffentlichen Leistungen, wie Frohnden und Kriegsdienst, trug im Allge- meinen derjenige, den sie eben nach herkömmlicher Reihen- folge trafen mit Leib und Gut; wenn eine Entschädigung ge- geben ward, so gewährte sie der District oder wer nicht dienen wollte oder konnte, nicht aber der Staat. Die Lasten des Krieges trafen also die Staatskasse zunächst nicht; woher denn auch regelmässige directe Steuern für die Bürgerschaft ERSTES BUCH. KAPITEL VI. nicht bestanden. Die ansässigen Metöken scheinen ein Schutz- geld erlegt zu haben ( aerarii ); ausserdem flossen in die Staats- kasse die uralten Hafenzölle und die Einnahme von den Do- mänen, namentlich das Weidegeld ( scriptura ) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote ( vectigalia ), die vom Ackerland des Staats die Pächter abzu- geben hatten; ferner der Kriegsgewinn an Land und Beute, der nicht Eigenthum des Königs war, sondern Eigenthum des Staats. Reichten in ausserordentlichen Fällen diese Einkünfte nicht aus, so ward eine Umlage ( tributum ) ausgeschrieben, die als gezwungene Anleihe betrachtet und in besseren Zeit- läuften zurückgezahlt ward; ob dieselbe erhoben ward von den Ansässigen, mochten sie Bürger sein oder nicht, oder, wie es wahrscheinlicher ist, von den Bürgern als solchen, lässt sich nicht entscheiden. Dass der König die Finanzen leitete, ver- steht sich von selbst; wie weit er herkömmlich beschränkt war, ist nicht wohl mehr auszumachen, das Volk indess ist unzwei- felhaft hierbei nie gefragt worden, wogegen bei Auflage des Tributum und Vertheilung des im Kriege gewonnenen Acker- landes es wohl Sitte war den Senat zu befragen. Einnahmen hatte der König als solcher nicht; das Amt war eine Ehre, kein nutzbares Gut und selbst von regelmässigen Ehrengaben ist nicht die Rede. Dagegen finden sich Spuren, dass das letzte Königsgeschlecht, das der Tarquinier, von Haus aus reich war und ausgedehnte Ländereien besass. So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der eigenen Nationalität, während zugleich — es wird dies so- gleich dargestellt werden — dem Verkehr mit dem Auslande grossherzig die Thore weit aufgethan wurden. Diese Ver- fassung ist weder gemacht noch entlehnt, sondern erwachsen in und mit dem römischen Volke; es mag sein, dass, wie der Purpurmantel und der Elfenbeinstab sicher den Grie- chen — nicht den Etruskern — entlehnt wurden, man auch die vierundzwanzig Lictoren vom Ausland herübergenommen hat, aber wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte ist im römischen Staatsrecht, beweist die durchgängige Bezeich- nung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen Staats für alle Zeiten thatsächlich festgestellt hat; denn trotz URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. der wandelnden Formen steht es fest, so lange es eine rö- mische Gemeinde giebt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rath der Alten die höchste Autorität im Staate ist und dass jede Ausnahmsbestimmung der Sanctionirung des Souverains bedarf, das heisst der Volksgemeinde. KAPITEL VII. Die Nichtbürger und die reformirte Verfassung . Neben der Bürgerschaft standen die Nichtbürger, die ‚Hörigen‘ ( clientes ), wie man sie nannte als die Zugewandten der einzelnen Bürgerhäuser, oder die ‚Menge‘ ( plebes , von pleo, plenus ), wie sie negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte. Während den Fremden, der nirgends einen Anhalt im Staat besass, zu vertreiben und zu berauben Jedem freistand, genossen diese Zugewandten mittel- bar und unmittelbar vollen Rechtsschutz und alle Vortheile des Gastrechts, wogegen wie die persönlichen Leistungen der Bürger sie nicht trafen, so auch sie an den Rechten der Bürgerschaft keinen Theil hatten. Dass wir sie dennoch in gewissen Beziehungen zu den Curien finden, ist nicht zu ver- wundern; da ursprünglich der Client regelmässig einem be- stimmten Patron sich anschloss, ist es natürlich, dass man diesen beim Gottesdienst und bei Festlichkeiten zuliess mit seinen Gästen, die aber natürlich darum weder in der Legion noch in den Comitien standen. Dagegen in privatrechtlicher Hinsicht bestanden seit uralter Zeit die liberalsten Grundsätze. Das römische Recht weiss weder von Erbgutsqualität noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet eines- theils jedem dispositionsfähigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschränkte Verfügung über sein Vermögen, andrerseits jedem, der überhaupt zum Verkehr mit römischen Bürgern durch das Gastrecht befugt war, selbst dem Fremden und dem Clienten, das unbeschränkte Recht bewegliches und NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die den Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte und das Niederlas- sungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde un- gleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, ja jedem nach Rom auf die Dauer übersiedelnden und sich in den Schutz eines römischen Hauses begebenden Fremden gewährte. Anfänglich waren also die Bürger in der That die Schutz- herren, die Nichtbürger die Geschützten; allein wie in allen Gemeinden, die ihr Bürgerrecht schliessen, ward es bald schwer und wurde immer schwerer dieses rechtliche Verhältniss mit dem factischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Auf- blühen des Verkehrs, das durch das latinische Bündniss ge- währleistete Niederlassungsrecht aller Latiner in der Haupt- stadt, die mit dem Wohlstand steigende Zahl der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der Nichtbürger unver- hältnissmässig vermehren. Es kam dazu nach Ueberwindung der umliegenden Gemeinden der grössere Theil der Bevölke- rung der Nachbarstädte, welcher, mochte er nun gezwungen nach Rom übersiedelnd dort eintreten in die Clientel oder in seiner alten zum Dorf herabgesetzten Heimath verbleiben, immer sein eigenes Bürgerrecht mit römischem Metökenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbürgern und lichtete beständig die Reihen der patricischen Nachkommenschaft, während die Insassen den Erfolg der Siege theilten, ohne mit ihrem Blute dafür zu bezahlen. — Unter solchen Verhältnissen ist es fast befremdlich, dass der römische Patriciat nicht noch viel schneller zusammenschwand als es in der That der Fall war. Dass er noch längere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund wohl weniger zu suchen in der Verleihung des römischen Bürger- rechts an einzelne ansehnliche auswärtige Geschlechter, die freiwillig oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das römische Bürgerrecht empfingen — denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer seltener geworden zu sein, je mehr das römische Bürgerrecht im Preise stieg. Von grösserer Bedeutung war vermuthlich die Einführung der Civilehe, wonach das von patricischen als Eheleute wenn auch ohne Confarreation zusammenlebenden Aeltern erzeugte Kind volles Bürgerrecht erwarb so gut wie das in confarreirter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die schon vor den zwölf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht Röm. Gesch. I. 5 ERSTES BUCH. KAPITEL VI. ursprüngliche Civilehe eben eingeführt ward um das Zusam- menschwinden des Patriciats zu hemmen. Es ist sogar nicht unglaublich, dass alle in ungleicher oder ausser der Ehe von patricischen Müttern erzeugten Kinder in späterer Zeit gleich- falls in die Bürgerschaft eintraten. — Wenn so die Zahl der Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegenden Wachsen begriffen war, während die der Bürger sich im besten Fall nicht vermindern mochte, musste gleichzeitig auch die Stellung der Insassen unmerklich einen anderen und freieren Charakter annehmen. Die Nichtbürger waren nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimath, und vererbten gleich dem Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Die drückende Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich allmählig. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte Fremde auch noch ganz isolirt im Staat, so galt dies schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Client aus- schliesslich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermitt- lung des Patrons, so musste, je mehr der Staat sich consoli- dirte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung des Patrons vom König dem einzelnen Clienten Rechtsfolge und Abhülfe der Unbill gewährt werden; es ist sehr wahr- scheinlich, dass eine grosse Zahl der Nichtbürger, namentlich die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden dies da- durch bewerkstelligten, dass sie sich geradezu in die Clientel des Königs begaben und also nur dem einen Herrn dienten, dem wenn gleich in anderer Art auch die Bürger gehorchten. Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen seinen eigenen Schutz- leuten eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden, deren Geschenke und Erbschaften seinen Schatz füllten, deren Frohnden er kraft eigenen Rechts in Anspruch nehmen konnte, und die er stets bereit fand sich um den Beschützer NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. als Gefolge zu schaaren. — So erwuchs neben der Bürger- schaft eine zweite römische Gemeinde, aus den Clienten ent- stand die Plebs. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Clienten und dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk, factisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhältniss zu einem der politisch berechtigten Ge- meindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmässig waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volks- theile geschah indess schwerlich auf dem Wege der Revolu- tion, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Ver- fassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel wie alle Ereignisse einer Epoche, die wir nicht kennen durch historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen; aber ihr Wesen zeugt dafür, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab, sondern dass sie entweder der Weisheit eines der römi- schen Könige ihren Ursprung verdankt oder dem Drängen der Bürgerschaft auf Befreiung von dem auschliesslichen Kriegs- dienst und auf Zuziehung der Nichtbürger zu dem Aufgebot. Es wurde durch die servianische Verfassung die Dienstpflicht und die damit zusammenhängende Verpflichtung dem Staat im Nothfall vorzuschiessen (das Tributum) statt auf die Bür- gerschaft als solche gelegt auf die Grundbesitzer, die ‚Ansäs- sigen‘ ( adsidui ) oder ‚Begüterten‘ ( locupletes ), mochten sie Bürger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persönlichen zu einer Reallast. Im Einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war. Wie es mit den Fremden gehalten ward, die römischen Grund- besitz inne hatten, wissen wir nicht; wahrscheinlich bestand 5 * ERSTES BUCH. KAPITEL VI. eine Einrichtung, nach der kein Ausländer römischen Grund- besitz erwerben durfte ohne factisch nach Rom überzusiedeln und dort unter die Insassen, also unter die Kriegspflichtigen einzutreten. Nach der Grösse der Grundstücke wurde die kriegspflichtige Mannschaft eingetheilt in fünf ‚Ladungen‘ ( classes , ϰλήσεις oder ϰλάσεις; wie βάσις altlateinisch bas- sis ), von denen indess nur die Pflichtigen der ersten Ladung oder die Vollhufener in vollständiger Rüstung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise als die zum Kriegsdienst Berufenen ( classici ) galten, während von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Drei Vierteln, Hälften, Vierteln und Achteln einer ganzen Bauer- stelle, zwar auch die Erfüllung der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armirung verlangt ward. Nach der damaligen Ver- theilung des Bodens waren fast die Hälfte der Bauerstellen Vollhufen, während die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufner reichlich ein Achtel der Ansäs- sigen ausmachten; wesshalb festgesetzt ward, dass für das Fussvolk auf achtzig Vollhufner je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Während hier auf den politischen Unterschied keine Rücksicht genommen ward, verfuhr man dagegen bei der Bil- dung der Reiterei so, dass die bestehende Bürgercavallerie beibehalten, daneben aber eine doppelt so starke Truppe hin- zugefügt ward, die ganz oder doch grösstentheils aus Nicht- bürgern bestand. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man damals die Infanterieabtheilungen für jeden Feldzug neu formirte und nach der Heimkehr entliess, dagegen in den Abtheilungen der Cavallerie Rosse wie Män- ner aus militärischen Rücksichten auch im Frieden zusammen- gehalten wurden und regelmässige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der römischen Ritterschaft bis in die späteste Zeit fortbestanden. So ist es gekommen, dass das erste Drittel der Rittercenturien auch in dieser sonst principiell den Unter- schied zwischen Bürgern und Nichtbürgern nicht berücksich- tigenden Verfassung ausschliesslich den Bürgern verblieb; nicht politische, sondern militärische Gründe haben diese Anomalie hervorgerufen. Zur Reiterei nahm man die vermögendsten und ansehnlichsten Grundbesitzer unter Bürgern und Nicht- bürgern, und es scheint schon früh, vielleicht von Anfang an ein gewisses Ackermass als zum Reiterdienst verpflichtend ge- golten zu haben; doch bestanden daneben eine Anzahl Frei- NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. stellen, indem die unverheiratheten Frauen, die unmündigen Knaben und die kinderlosen Greise, welche Grundbesitz hatten, angehalten wurden anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Rei- tern für das Pferd und dessen Fütterung zu sorgen. Im Ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter; doch wurden beim effectiven Dienst die Reiter mehr geschont. — Die nicht an- sässigen Leute (‚Kinderzeuger‘, proletarii ) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen so wie eine Anzahl Er- satzmänner (zugegebene Leute, adcensi ), die unbewaffnet ( velati ) mit dem Heer zogen und im Felde, wo Lücken ent- standen, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen mit in die Reihe gestellt wurden. Zum Behuf der Aushebung wurde Stadt und Weichbild eingetheilt in vier ‚Theile‘ ( tribus ), wodurch die alte Drei- theilung wenigstens in ihrer localen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der den Hügel gleiches Namens mit der Velia in sich schloss; den der Subúra, dem der District dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esqui- linischen; und den collinischen, den der Quirinal und Vi- minal, die ‚Hügel‘ im Gegensatz der ‚Berge‘ des Capitol und Palatin, bildeten. Die Ordnung ist der alten aus der allmä- lichen Entstehung der Stadt hervorgegangenen Rangfolge der Quartiere entlehnt; der erste District begreift die Altstadt, der zweite die ältere Neustadt, der dritte die alte viel später um- mauerte ‚Vorstadt‘, der vierte endlich das erst durch den servianischen Wall zur Stadt gezogene Quartier. Ausserhalb der Mauern wird zu jedem District der anliegende Landbezirk gehört haben, wie denn Ostia zur Palatina zählt; dass die vier Districte ungefähr gleiche Mannszahl hatten, ergiebt sich aus ihrer gleichmässigen Anziehung bei der Aushebung. Ueber- haupt hat diese Eintheilung, die zunächst auf den Boden al- lein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz äusserlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religiöse Bedeutung zugekommen; denn dass in jedem Stadt- district sechs Kapellen der räthselhaften Argei sich befanden, macht dieselben ebenso wenig zu sacralen Districten als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward. — Jeder dieser vier Aushebungsdistricte hatte den vier- ten Theil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen mi- litärischen Abtheilung zu stellen, so dass jede Legion und jede Centurie gleich viel Conscribirte aus jedem Bezirk zählte; of- fenbar um, wie diese Institution hauptsächlich bestimmt war ERSTES BUCH. KAPITEL VI. den Unterschied zwischen Bürgern und Insassen im Heer auf- zuheben, so auch im Einzelnen alle Gegensätze gentilicischer und localer Natur in der Einheit des römischen Volkes auf- gehen zu machen. Militärisch wurde die waffenfähige Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die ‚Jün- geren‘ vom achtzehnten bis zum fünfundvierzigsten Jahre, vor- wiegend zum Felddienst verwandt wurden, während die ‚Ael- teren‘ die Mauern daheim schirmten. Die militärische Einheit bildete in der Infanterie die Legion, eine vollständig hellenisch gereihte und gerüstete Phalanx von dreitausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Fronte von fünfhundert Schwergerü- steten bildeten; wozu dann noch zwölfhundert ‚Ungerüstete‘ ( velites , wie velati ) kamen. Die vier ersten Glieder jeder Phalanx bildeten die vollgerüsteten Hopliten der ersten Klasse oder der Vollhufner, im fünften und sechsten standen die minder gerüsteten Bauern der zweiten und dritten Klasse; die beiden letzten Klassen bildeten die Leichtbewaffneten. Für die leichte Ausfüllung zufälliger Lücken, die der Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es dienten also in jeder Le- gion 42 Centurien oder 4200 Mann, davon 3000 Hopliten, 2000 der ersten, je 500 der beiden folgenden Klassen, ferner 1200 Velites, davon 500 der vierten, 700 der fünften Klasse; aus jedem Aushebungsbezirk enthielt die Legion 1050, die Cen- turie 25 Mann. Regelmässig rückten zwei Legionen aus, während zwei andere daheim den Besatzungsdienst versahen; wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf vier Legionen oder 16800 Mann kamen, 80 Centurien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten Klasse; ungerechnet die beiden Cen- turien Ersatzmannschaft so wie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800 Pferden bestand, davon ein Drittel der alten Bürger- schaft reservirt blieb; beim Auszug pflegten indess nur drei Centurien jeder Legion beigegeben zu werden. Der Normal- bestand des römischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem Effec- tivbestand der römischen Waffenfähigen, wie er war zur Zeit der Einführung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im Allgemeinen entsprochen haben wird. Bei steigender Bevöl- kerung wurde nicht die Zahl der Centurien vermehrt, sondern man verstärkte durch zugegebene Leute die einzelnen Abthei- lungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. denn solche überzählige Mitglieder in allen römischen Corpora- tionen von geschlossener Zahl häufig vorkamen. Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorg f ältigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von Seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt vorgeschrieben oder doch sorgfältiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt werden solle, in dem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zu- behör, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lastthieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veräusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde für nichtig erklärt und eine Revision der Grundbesitzregister, die zugleich Aushebungsrolle waren, in angemessenen Zwi- schenräumen vorgeschrieben. So sind aus der servianischen Kriegsordnung die Mancipation und der Census hervorge- gangen. Augenscheinlich ist diese ganze Institution nicht zunächst zu politischen Zwecken eingerichtet, sondern rein im militäri- schen Interesse, um die Schlagfertigkeit der Bürgerschaft durch Beiziehung der Insassen zu steigern. Weitere Anwendung ward für jetzt nicht davon gemacht; obwohl es nicht fehlen konnte, dass factisch mit der Theilnahme an der Waffenpflicht die Stellung der Einwohnerschaft sich änderte. Wer Soldat ist, muss auch Offizier werden können, so lange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Ple- bejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden und hiemit war ihnen sogar der Eintritt in den Rath, dem recht- lich ohnehin nichts im Wege stand, doch wohl auch factisch eröffnet. Blieb nun auch die bisherige Bürgerschaft nach wie vor im Sonderbesitz der politischen Rechte, so musste doch, was bisher dem Bürgerheer, nicht der Curienversammlung zu- gestanden hatte, jetzt mit Nothwendigkeit übergehen auf die versammelten Centurien der Bürger und der Insassen, so dass also jetzt diese es sind, die zu den Testamenten der Soldaten vor der Schlacht ihr Vollwort geben und die der König vor dem Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der späteren Entwicklung wegen diese Ansätze zur Betheiligung der Centurien an den öffent- lichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein es kann nicht geleugnet werden, dass der Erwerb dieser Rechte durch die Centurien mehr folgeweise eintrat, als zunächst beabsichtigt war und dass nach wie vor der servianischen Reform die Curienversammlung als die eigentliche Bürgergemeinde galt, ERSTES BUCH. KAPITEL VII. deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete. Neben diesen Vollbürgern standen die Insassen oder, wie sie auch heissen, die ‚Bürger ohne Stimmrecht‘ ( cives sine suffra- gio ), die theilnehmen an den öffentlichen Lasten, der Heeres- folge und der Steuer (daher municipes ); wogegen das Schutz- geld für sie wegfiel und dies fortan nur noch von den ausser den Tribus stehenden, das heisst den nichtansässigen Metöken ( aerarii ) erlegt ward. — Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich drei politische Klassen fest der Activ-, Passiv- und Schutzbürger; Kategorien, die viele Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrschten. Die für militärische Zwecke geschaffene Form auch für poli- tische Reformen zu benutzen war indess einer spätern Epoche aufbehalten. Wann und wie diese Reform stattfand, darüber sind nur Vermuthungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst die servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben, wenn es 8000 volle und ebensoviel Theilhufener oder Hufener- söhne und ausserdem eine Anzahl grösserer Landgutsbesitzer oder deren Söhne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht möglich sein sie unter 20 Morgen anzusetzen; rechnen wir als Minimum 10000 Vollhufen, so würden diese einen Flächenraum von 9 deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Brachland und Weide, Häu- serraum und Dünen noch so mässig in Ansatz bringt, das Ge- biet zu der Zeit, wo diese Reform durchgeführt ward, minde- stens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch beträchtlichere gehabt haben muss. Folgt man der Ueberlieferung, so müsste man gar eine Zahl von 84000 ansässigen und waffenfähigen Bürgern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem ersten Census gezählt haben. Indess dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein Blick auf die Karte; offenbar ist sie entstanden, indem die 16800 Waffen- fähigen des Normalstandes der Infanterie nach einem durch- schnittlichen die Familie zu 5 Köpfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 freien Activ- und Passivbürgern zu er- geben schien. Aber auch nach jenen mässigeren Sätzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer Bevölkerung NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. von nahe an 20000 Waffenfähigen und mindestens der drei- fachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grund- sässigen Leuten und Knechten nothwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die servianische Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage übereinstimmt. Wie das ursprüngliche Zahlverhältniss der Patricier und Plebejer im Heere sich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln; nach den Reitern darf es nicht beurtheilt werden, da wohl feststeht, dass in den sechs ersten Centurien kein Plebejer, nicht aber, dass in den zwölf minderen kein Patri- cier dienen durfte. — Im Allgemeinen aber ist es einleuch- tend einerseits, dass diese servianische Institution nicht her- vorgegangen ist aus dem Ständekampf, sondern dass sie den Stempel eines reformirenden Gesetzgebers an sich trägt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos; andrer- seits dass sie entstanden ist unter griechischem Einfluss. Ein- zelne Analogien können trügen, wie zum Beispiel, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf die Wittwen und Waisen an- gewiesen wurden; aber die Entlehnung der Rüstung wie der Stellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufälliges Zusammentreten, und ebenso wenig zufällig ist es, dass das wichtigste Wort in dieser reformirten Verfassung, classis ein griechisches Lehnwort ist. Erwägen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modificirten, die das Schwergewicht in die Hände der Besitzenden legte, so werden wir ohne Be- denken hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die servia- nische Reform hervorrief, eine im Wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monar- chische Form des römischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsänderung. KAPITEL VIII. Die umbrisch - sabellischen Stämme . Anfänge der Samniten . Später als die Latiner scheint die Wanderung der um- brischen Stämme begonnen zu haben, die gleich der latini- schen sich südwärts bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die östliche Küste zu sich hielt. Es ist peinlich davon zu reden; denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in äl- tester Zeit ganz Norditalien inne hatten, bis wo im Osten die illyrischen Stämme begannen, im Westen die Ligurer, von de- ren Kämpfen mit den Umbrern es Sagen giebt, und auf deren Ausdehnung in ältester Zeit gegen Süden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba) verglichen mit den ligu- rischen Ilvates vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Grösse mögen die offenbar italischen Namen der ältesten Ansiedlungen im Pothal Hatria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt) so wie die zahlreichen umbrischen Spuren in Südetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders gilt dies von dem südlichsten Strich zwischen dem ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und der Tiber. In Falerii ward nach Strabons Zeugniss eine andere Sprache ge- redet als die etruskische und der Localcult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehören die uralten, auch sacralen ANFAENGE DER SAMNITEN. Beziehungen zwischen Caere und Rom. Es ist sogar wahr- scheinlich, dass noch nach der tuskischen Eroberung umbri- sche Bevölkerung sich hier gehalten hat und dass die schnelle Latinisirung dieser Gegend im Vergleich mit dem eigentlichen Etrurien damit in Verbindung steht. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kämpfen zurückgedrängt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie später inne haben, bezeichnet schon ihre geographische Lage so deutlich wie heutzutage die der Be- wohner Graubündens und die der Basken ihre ähnlichen Schick- sale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den Umbrern dreihundert Städte entrissen haben, und was mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Igu- viner, die wir noch besitzen, werden nebst anderen Stämmen vor allem die Tursker als Landesfeinde verwünscht. — Wie sie von Norden zurückgedrängt werden, dringen die Umbrer vor gegen Süden, im Allgemeinen sich haltend auf dem Ge- birgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Stäm- men besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschränkend und um so leichter sich mit ihnen vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgeprägt sein konnte wie wir später ihn finden. In diesen Kreis gehört was die Sage zu erzählen weiss von dem Ein- dringen der Sabiner in Latium und ihren Kämpfen mit den Römern; ähnliche Erscheinungen mögen sich längs der gan- zen Westküste wiederholt haben. Im Ganzen behaupteten die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem be- nannten Landschaft neben Latium, auch in dem Volskerland; vermuthlich weil die latinische Bevölkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; während andrerseits die wohl bevöl- kerten Ebenen besser Widerstand zu leisten vermochten, ohne indess das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie der Titier und später der Claudier in Rom, ganz abwehren zu können oder zu wollen. So mischten sich hier die Stämme hüben und drüben, woraus sich erklärt, wesshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und dieser Strich wie die Sabina sich so früh und so schnell latinisiren konnten. — Der Hauptstock des umbrischen Stam- mes aber warf sich aus der Sabina östlich in die Gebirge der Abruzzen und das südlich an diese sich anschliessende Hügel- land; sie besetzten auch hier wie an der Westküste die ber- ERSTES BUCH. KAPITEL VIII. gigen Striche, deren dünne Bevölkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, während dagegen in dem ebenen apulischen Küstenland, unter steten Fehden namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im Ganzen die alte einheimische Bevölkerung der Iapyger sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, lässt sich natürlich nicht be- stimmen; vermuthlich aber doch um die Zeit wo die Könige über Rom herrschten. Die Sage erzählt, dass die Sabiner, gedrängt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren die in dem Kriegsjahre geborenen Söhne und Töch- ter, nachdem sie erwachsen wären, auszusenden, um den Göt- tern der Heimath auswärts neue Sitze zu gründen. Den einen Schwarm führte der Stier des Mars; das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in späterer Zeit von da aus die schöne Ebene östlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetz- ten, und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstätte, dort bei Agnone, hier bei Boiano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen führte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf ( hirpus ) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In ähnlicher Weise zweigten von dem gemein- schaftlichen Stamm sich die übrigen kleinen Völkerschaften ab: die Praetuttier, bei Teramo; die Vestiner, am Gran Sasso; die Marruciner, bei Chieti; die Frentraner an der apulischen Grenze; die Paeligner, am Majellagebirg; die Marser endlich am Fucinersee, die mit den Volskern und den Latinern sich berührten. In ihnen allen blieb das Gefühl der Verwandt- schaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Während die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die westlichen Ausläufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder hel- lenischen Bevölkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Stämme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrückt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Städtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; für den Handelsverkehr lagen sie zu fern und dem Bedürfniss der Vertheidigung ge- nügten die Bergspitzen und die Schutzburgen, während die Bauern wohnen blieben in den offenen Weilern oder auch wo Wald und Quell oder Wiese einem Jeden gefiel. In den ANFAENGE DER SAMNITEN. Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergthäler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Cantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergcantone in geringem Zusammen- hang unter sich und in völliger Isolirung gegen das übrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner we- niger als irgend ein anderer Theil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk Samniten in dem östlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früher Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an umschloss ein festes politisches Band diese Nation und gab ihr die Kraft später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbür- tigem Kampf zu ringen. Wie das Band geknüpft ward, wissen wir ebenso wenig als wir die Organisation dieser Einigung nachweisen können; das aber ist klar, dass darin keine ein- zelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauerschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertre- tern gebildeten Versammlung liegt, die erforderlichen Falls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht aggressiv ist, sondern sich beschränkt auf die Vertheidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so concentrirt, die Leiden- schaft so mächtig, dass die Erweiterung der Grenzen plan- mässig verfolgt wird. Was die Römer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Schaaren, die auf Landraub ausgingen und von der Heimath im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Die ganze Geschichte der beiden Völker ist vorgezeichnet in ihrem dia- metral auseinander gehenden Colonisationssystem. Doch gehö- ren die Eroberungen, welche die Samniten im südlichen und südwestlichen Italien machten, erst einer späteren Periode an; in der Epoche, während die Könige in Rom herrschten, schei- nen die Samniten selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereigniss aus dem Kreise dieser Völkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom obern Meer, Umbrer und Dau- nier im Jahre der Stadt 234 (Ol. 64) zu erwähnen; es mö- gen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten ERSTES BUCH. KAPITEL VIII. Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zügen zu geschehen pflegt, die Drängenden und die Gedrängten zu einem Heer vereinigt zu haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von ihnen südwärts gedrängten Ia- pyger. Indess das Unternehmen scheiterte; für diesmal gelang es noch der überlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos den Sturm der Barbaren von der schönen Seestadt abzuschlagen. KAPITEL IX. Die Etrusker . Im schärfsten Gegensatz zu den latinischen und den sa- bellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker. Schon der Körperbau unterschied die beiden Na- tionen; statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze stäm- mige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir wissen von den Sitten und Gebräuchen dieser Nation, lässt gleichfalls auf eine tiefe und ursprüngliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen Stämmen schliessen; so nament- lich die Religion, die bei den Tuskern einen trüben phan- tastischen Charakter trägt und im geheimnissvollen Zahlenspiel und wüsten und grausamen Anschauungen und Gebräuchen sich gefällt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus der Römer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilder- dienst. Was hier angedeutet wird, das bestätigt das wich- tigste Document der Nationalität, die Sprache, deren auf uns gekommene Reste, so zahlreich sie sind und so manchen An- halt sie für die Entzifferungsversuche darbieten, dennoch so vollkommen isolirt stehen, dass es bis jetzt nicht einmal ge- lungen ist den Platz des Etruskischen in der Klassificirung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der älteren ist die Vokalisirung voll- ständig durchgeführt und das Zusammenstossen zweier Kon- ERSTES BUCH. KAPITEL IX. sonanten fast ohne Ausnahme vermieden Dahin gehören zum Beispiel Inschriften caeritischer Thongefässe wie: mi- niceϑumamimaϑumaramlisiaiϑipurenaieϑeeruisieepanamineϑunastavhelefu oder: mi ramuϑaf kaiufinaia. . Dieses weiche klangvolle Idiom ward allmählich durch Abwerfen der vocali- schen und consonantischen Endungen und durch Abschwächen oder Ausstossen der Vocale in eine unerträglich harte und rauhe Sprache verwandelt Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff ge- ben zum Beispiel der Anfang der grossen perusiner Inschrift: eulat tanna larezul amevaχr lautn velϑinase stlaafunas sleleϑcaru. ; so machte man zum Beispiel ramϑa aus ramuϑaf , Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchfentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in sehr früher Zeit zusammenfielen, während sich wie im Lateinischen und in den rauheren grie- chischen Dialekten der Accent auf die Anfangssylbe zurückzog. Aehnlich erging es mit den aspirirten Consonanten; während die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirirten b oder des f und die Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die übrigen ϑ φ χ beibehielten, liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gänzlich ausser in Lehn- wörtern fallen und bedienten sich dagegen der übrigen drei in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehörten, wie zum Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen Wörtern und Endungen, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die mei- sten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, häufig als Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiespra- chigen Inschrift von Chiusi übersetzt wird durch Cainia natus ; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des Ge- schlechts, in das sie eingeheirathet haben: Lecnesa zum Bei- spiel Gattin eines Licinius; die Namensendung enna, wie zum Beispiel Vivenna, Spurinna den römischen Vibius oder Vibie- nus und Spurius zu entsprechen scheinen; clan mit dem Ca- sus clensi ist Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes ist Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns, Helios und Eos Usil. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und dem Latein; aber manches DIE ETRUSKER. davon könnte aus Latium nach Etrurien gekommen sein, wie die Götternamen Minerva, Lasa, Neptunus, die entschieden italischen Ursprungs sind, oder wenigstens in romanisirten Formen uns überliefert sein, wie zum Beispiel der Name der etruskischen Göttin Voltumna mit lateinischer Endung. Siche- rer deuten allerdings einzelne Spuren wenigstens auf indoger- manischen Ursprung; wie namentlich mi im Anfang vieler älterer Inschriften sicher ἐμί, εἰμί ist und die Genitivform consonantischer Stämme veneruf, rafuvuf im Lateinischen genau sich wiederfindet und der alten sanskritischen Endung as entspricht. Ebenso hängt der Name des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl ebenso mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen, wie Záv mit dem gleichbedeutenden diwan . Aber mag auch, wie allerdings wahrscheinlich ist, die etruski- sche Sprache dem indogermanischen Stamm angehören, so steht sie doch von den sämmtlichen griechisch-italischen Idio- men ebenso weit ab wie die Sprache der Kelten und der Slaven; und so klang sie auch den Römern: ‚tuskisch und gallisch‘ sind Barbarensprachen, ‚oskisch und volskisch‘ Bauern- mundarten. Ebenso wenig wie dem griechisch-italischen ist es gelungen die tuskische Sprache irgend einem andern be- kannten Sprachstamm anzuschliessen; bis jetzt wenigstens sind sämmtliche Sprachen in dieser Beziehung bald mit der ein- fachen, bald mit der peinlichen Frage, aber immer vergeblich befragt worden. Mit dem Baskischen, an das sich der geogra- phischen Lage nach noch am ersten denken liesse, haben ent- scheidende Analogien sich nicht herausgestellt; ebenso wenig deuten die geringen Reste der ligurischen Sprache in Orts- und Personennamen auf Zusammenhang mit den Tuskern. Selbst die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuski- schen Meeres, namenlich auf Sardinien, jene räthselhaften Grabthürme (Nurhagen genannt) zu tausenden aufgeführt hat, kann nicht die etruskische gewesen sein, da in deren Gebiet kein einziges gleichartiges Gebäude vorkommt. Die Etrusker, sagt schon Dionysios, stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte; und weiter haben auch wir nichts zu sagen. Ebenso wenig lässt sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehört und dessen geschichtliche Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indess ist kaum eine Frage eifri- ger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Röm. Gesch. I. 6 ERSTES BUCH. KAPITEL IX. Archäologen vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswerth ist, ‚nach der Mutter der Hekabe‘, wie Kaiser Tiberius meinte. Da die ältesten und bedeutend- sten etruskischen Städte tief im Binnenlande liegen, ja un- mittelbar am Meer keine einzige namhafte Stadt ausser Popu- lonia, von der wir aber eben sicher wissen, dass sie zu den alten Zwölfstädten nicht gehörte; da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Süden sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande von Norden oder Westen her in die Halbinsel eingewandert; wie denn auch die niedere Culturstufe, auf der wir sie zuerst finden, mit einer Einwan- derung über das Meer sich schlecht vertragen würde. Eine Meerenge überschritten schon in frühester Zeit die Völker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen Westküste setzt ganz andere Bedingungen voraus. — Mit dieser einfachen und naturgemässen Auffassung aber in grellen Widerspruch tritt eine sehr alte schon bei Herodotos vorkom- mende Erzählung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder seien, die in zahllosen Wandelungen und Steigerungen bei den Späteren wiederkehrt, wenn gleich verständige For- scher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdrücklich dagegen erklärten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich vorfinde. Es ist möglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach Etrurien ge- langt ist und an dessen Abenteuer diese Mährchen anknüpfen; wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzählung auf einem blossen Quiproquo. Die italischen Etrusker hiessen theils nach ihrem Archegeten Ras-ennae mit der oben erwähnten gentili- cischen Endung, mit welchem Namen die Raet-i allerdings zusammenhängen könnten; theils und gewöhnlicher Turs- ennae , denn diese Form scheint der griechischen Τυϱσ-ηνοί, Τϱ̓ϱ̔υηνοί, der umbrischen Turs-ci, der römischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen. Die zufällige Namensähnlich- keit dieser Tursenner und des lydischen Volkes der Τοϱ̓ϱ̔- ηβοί oder auch wohl Τυϱ̓ϱ̔-ηνοί, so genannt von der Stadt Τύϱ̓ϱ̔α, scheint in der That die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter nicht besser gewordenen Hypothese und des gan- zen babylonischen Thurmes darauf aufgeführter Geschichtsklit- terungen zu sein. Indem man mit dem lydischen Piraten- wesen den alten etruskischen Seeverkehr verknüpfte und endlich noch — zuerst nachweislich thut es Thukydides — DIE ETRUSKER. die torrhebischen Seeräuber mit Recht oder Unrecht mit dem auf allen Meeren plündernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger zusammenbrachte, entstand eine der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber — so in den älte- sten Quellen, wie in den homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit diesen oder jenen in der Abstammung und im Verkehr jemals etwas gemein gehabt hätten. Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestim- men, was die nachweislich ältesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft nördlich vom Padus sassen, östlich an der Etsch grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornämlich zeugt dafür der rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius Zeit die Bewohner der rätischen Alpen (Graubündten und Tirol) rede- ten, so wie das bis in späte Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Südlich vom Padus und an den Mündungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jene als der herrschende, diese als der ältere Stamm, der die alten Kaufstädte Hatria und Spina gegründet hatte, während Felsina (Bologna) und Ravenna tuskischer Gründung scheinen. Es hat lange ge- währt, ehe die Kelten den Padus überschritten; womit es zu- sammenhängt, dass auf dem rechten Ufer desselben das etrus- kische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem früh aufgegebenen linken. Doch ist im Ganzen dieses nordetruskische Gebiet zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwick- lung hier sich hätte gestalten können. — Weit wichtiger für die Geschichte wurde die grosse Ansiedlung der Tusker in dem Lande, das noch heute ihren Namen trägt. Mögen auch Umbrer oder Ligurer hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Occupation und Civilisation vollständig vertilgt worden. In diesem Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und östlich vom Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalität ihre bleibende Stätte gefunden und mit grosser Zähigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet 6* ERSTES BUCH. KAPITEL IX. von da nordwärts bis zur Mündung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etrus- kisch, ohne dass grössere Ansiedlungen daselbst gediehen. Die Südgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der ciminische Wald, eine Hügelkette südlich von Viterbo, späterhin der Tiberstrom; es ward schon oben erwähnt, dass das Gebiet zwischen dem ciminischen Gebirg und der Tiber mit den Städten Sutrium und Nepete, Falerii, Veii, Caere erst ge- raume Zeit später als die nördlicheren Districte, möglicher- weise erst im zweiten Jahrhundert Roms von den Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die ursprüngliche ita- lische Bevölkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in abhängigem Verhältniss behauptete. — Seitdem der Tiber- strom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im Ganzen ein friedliches Verhältniss ein- getreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So lebendig in den Römern das Gefühl lebte, dass der Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befürchtet zu haben als zum Beispiel von den Stam- mesverwandten in Gabii und Alba; ganz natürlich, denn dort schützte die Naturgrenze des breiten Stromes und die fried- liche Politik des caeritischen Handelsstaates, welcher den Römern den Besitz der beiden Ufer der Tibermündung nicht bestritten zu haben scheint. Ueberall kam es den Römern zu Statten, dass keine der mächtigeren etruskischen Städte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer Rom. Die- jenige, die der Tiber am nächsten war, die der Veienter ge- rieth natürlich am häufigsten mit Rom und Latium in Con- flicte, namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, ähnlich wie auf dem rechten den Römern das Ianiculum, als eine Art Brückenkopf diente und bald in den Händen der Albaner und nach Albas Fall der Römer, bald in denen der Etrusker sich befand. Schwankender sind die Spuren von Kämpfen mit den Caeri- ten; so die alte Sage von den Siegen des Königs Mezentius von Caere über die Latiner, die ihm Wein zinsen mussten. — Dass die Etrusker, namentlich als die Kelten sie aus dem Norden zu drängen begannen, sich südwärts geworfen hätten, wäre an sich begreiflich; doch ist es einerseits sehr zweifel- haft, ob die keltische Invasion in die Lombardei schon dieser DIE ETRUSKER. Periode angehört, andrerseits sind die Spuren des Vordringens der Etrusker über die Tiber hinaus auf dem Landweg keines- wegs sicher. In dem grossen Barbarenheer, das im Jahre der Stadt 234 unter den Mauern von Kumae vernichtet ward, werden die Etrusker an erster Stelle genannt; indess selbst wenn man diese Nachricht als durchaus glaubwürdig ansieht, betrifft sie mehr einen Plünderungs- als einen Eroberungszug, und was die Hauptsache ist, wir finden in geschichtlicher Zeit südwärts von der Tiber keine etruskische Bevölkerung mit Ausnahme der campanischen Ansiedlungen, die wahr- scheinlich nicht auf dem Landweg gegründet sind. — Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom an- langt, so findet sich ein vereinzelter aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, dass die Ueberreste einer tuskischen Schaar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben Mastarna geführt habe, unter die- sem nach Rom gezogen und dort auf dem caelischen Berge an- gesiedelt worden sei; wir dürfen die Nachricht für zuverlässig halten, wenn gleich der Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom König geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermuthung solcher Ar- chäologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf eine ähnliche Ansiedlung deutet das ‚Tuskerquartier‘ unter dem Palatin; beide Plätze, der caelische Berg wie das Tus- kerquartier liegen ausserhalb der vorservianischen Stadtmauer, was auf eine abhängige Stellung der Angesiedelten schliessen lässt. — Dass das jüngste Königsgeschlecht, das über die Römer geherrscht hat, das der Tarquinier aus Etrurien ent- sprossen ist, leidet kaum einen Zweifel, sei es nun aus Tarquinii, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarch- nas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der Name Tanaquil oder Tanchvil ist in Etrurien gemein. Allein mit dieser vereinzelten Thatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tus- kischer Abkunft in Rom geherrscht hat, ist wenig zu machen bei dem völligen Untergang der geschichtlichen Kette der Er- eignisse; denn die überlieferte Erzählung, wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii übergesiedelten Griechen und in Rom als Metoeke eingewandert sei, ist weder Geschichte noch Sage, und wenn ein gesunder Kern darin liegt, so kann es nur der sein, dass die Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft über Rom keineswegs als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde über ERSTES BUCH. KAPITEL IX. Rom, aber freilich auch nicht umgekehrt als die Herrschaft Roms über Südetrurien gefasst werden kann. In der That ist weder für die eine noch für die andere Annahme irgend qin ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tar- euinier spielt in Latium, nicht in Etrurien und so weit wir sehen, hat während der ganzen Königszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in Gebräuchen einen wesentlichen Einfluss geübt oder gar die ebenmässige Entwicklung des rö- mischen Staats und der latinischen Bündnisse unterbrochen. Von den Seefahrten der Tusker und ihrer Meer- und Küsten- herrschaft wird im folgenden Kapitel gesprochen werden. Die tuskische Verfassung beruht gleich der latinischen auf der Stadtgemeinde. Die frühe Richtung der Nation auf Schifffahrt, Handel und Industrie scheint der Entwicklung städtischer Gemeinwesen förderlich gewesen zu sein; unter allen italischen Städten wird Caere am frühesten in den grie- chischen Berichten genannt. Im Ganzen finden wir die Etru- sker minder kriegstüchtig und kriegslustig als die Römer und Sabeller; der unitalischen Sitte mit Söldnern zu fechten be- gegnet man hier sehr früh. Die älteste Verfassung der Ge- meinden muss in den allgemeinen Grundzügen Aehnlichkeit mit der römischen gehabt haben: Könige oder Lucumonen herrschten, die ähnliche Insignien, also wohl auch ähnliche Machtfülle besassen wie die römischen; Vornehme und Ge- ringe standen sich schroff gegenüber; für die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung bürgt die Analogie des Namensy- stems, nur dass be den Etruskern die Abstammung von mütterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im römi- schen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss nicht die gesammte Nation, sondern es waren die nördlichen und die campanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie die Ge- meinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Bünde be- stand aus zwölf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich für den Götterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im Wesentlichen gleich- berechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Theil wenig- stens so mächtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Centralgewalt zur Consolidirung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den übrigen Zwölfstädten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist DIE ETRUSKER. indess ebenso selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaft- lich handeln als das Umgekehrte selten ist bei den latinischen Eidgenossenschaften; die Kriege führt regelmässig eine ein- zelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so schliessen sich dennoch sehr häufig ein- zelne Stände aus — es scheint von Haus aus an einer festen und gebietenden Oberleitung zu fehlen. KAPITEL X. Die Hellenen und Punier in Italien . Seeherrschaft der Tusker und Karthager . Die älteste griechische Urkunde, die homerischen Ge- sänge wissen in ihren alten Theilen von Italien und Sicilien nichts Bestimmtes zu berichten. Ihr Horizont reicht nicht hinaus über das östliche Becken des Mittelmeers. Aus dem Westland mochten verirrte Schiffer die erste Nachricht von der Existenz desselben, den Namen der Siculer und etwa noch Kunde von Meeresstrudeln und feuerspeienden Inseln heimgebracht haben; Mährchenerzähler und Dichter füllten sodann die leeren Räume mit ihren luftigen Gestalten. Aber schon als die hesiodische Theogonie entstand, scheint das ganze Gestade Italiens den Hellenen bekannt gewesen zu sein und nicht viel später mögen sie begonnen haben sich dort anzusiedeln. Dass die ältesten hellenischen Einwanderer des Westens aus Kleinasien gekommen sind, wo zuerst bei den Griechen der überseeische Handel aufblühte, darf nicht bezweifelt wer- den. Deutlicher als Sagen und Namengleichheit zeugt dafür das Gewichtsystem, das in Grossgriechenland nicht dem in Attika und im Peloponnes vor Solon gebräuchlichen, sondern dem persischen folgt; denn in Kyme und den achaeischen Staaten ist der doppelte Golddareikos, in Rhegion, Zankle, Himera, Naxos der persische Silberdareikos die Münzeinheit. — Für die älteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; gewiss mit Recht. DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher Landungsplatz näher; allein keiner bot dieselbe Sicherheit vor den Stürmen und vor den Barbaren wie die Insel Ischia, auf der die Stadt ursprünglich lag; ja selbst als man es wagte von da nach dem Festland überzusiedeln leitete dieselbe Rücksicht nicht nach der bequemsten Stelle, sondern nach der steilen, aber geschützten Felsklippe. Hieraus erklärt sich auch, wesshalb der Name der Opiker, den zunächst die in der campanischen Landschaft heimischen Italiker führten, bei den Griechen auf sämmtliche Italiker übertragen ward; es war dies der erste Stamm derselben, mit dem sie in dauernde Berührung traten. — Es waren kleinasiatische Kaufleute, die hier zuerst sich ansiedelten; denn es ist nicht zu bezweifeln, dass diese Niederlassung ursprünglich eine Handelsfactorei und nicht des Ackerbaus, sondern des Verkehrs wegen angelegt war. Erst in einer beträchtlich spätern Zeit begann die eigentliche Co- lonisirung des Westens, die auf massenhafte Einwanderung gegründet und auf die Bildung ackerbauender Staaten gerichtet war; insofern ist es, wenn auch die Zahl auf ungefährer Schätzung beruhen mag, doch im Wesentlichen richtig, dass Kyme dreihundert Jahr älter ist als Sybaris, das heisst dass in der überseeischen Einwanderung ins Westland der grie- chische Kaufmann dem griechischen Ackerbauer um drei Jahr- hunderte vorangegangen ist. Dass die agricole Colonisation Unteritaliens in die ersten zwanzig Olympiaden oder ins erste Jahrhundert der Stadt fällt — so die Gründung von Rhegion 01. 8, 3 um die Zeit der Erbauung Roms, die von Sybaris 01. 14, 2 oder 23 der Stadt, die von Tarent 01. 18, 1 oder 46 der Stadt — ist sicher überliefert und das erste chronolo- gisch fixirte Ereigniss der Geschichte Italiens. Die Geschichte der italischen und sicilischen Griechen ist zwar kein Theil der italischen; die hellenischen Colonisten des Westens blieben stets im engsten Zusammenhang mit der Heimath und hatten Theil an den Nationalfesten und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch für Italien wichtig den ver- schiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzüge hervorzu- heben, die den verschiedenartigen Einfluss der griechischen Colonisirung auf Italien wesentlich bedingen. — Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am mei- sten geschlossene war diejenige, die den achäischen Städte- bund hervorrief, welchen die Städte Siris, Pandosia, Metabus ERSTES BUCH. KAPITEL X. oder Metapontion, Sybaris mit seinen Pflanzstädten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina, Pyxus oder Buxentum bildeten. Diese Colonisten gehörten, im Grossen und Ganzen genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigenthümlichen von dem dorischen, dem er sonst am nächsten verwandt ist, zum Beispiel durch den Mangel des h sich unterscheidenden Dialekt so wie nicht minder an- statt des sonst allgemein in Gebrauch gekommenen jüngeren Alphabets an der altnationalen hellenischen Schreibweise be- ständig festhielt und seine besondere Nationalität den Barbaren wie den andern Griechen gegenüber in einer festen bündi- schen Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer lässt sich anwenden, was Polybios von der achaeischen Sym- machie im Peloponnes sagt: ‚nicht allein in eidgenössischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und Münzen so wie derselben Vorsteher, Rathmänner und Richter‘. — Dieser achaeische Städtebund war eine eigent- liche Colonisation. Die Städte waren ohne Häfen — nur Kroton hatte eine leidliche Rhede — und ohne Eigenhandel; der Sybarite rühmte sich zu ergrauen zwischen den Brücken seiner Lagunenstadt und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss die Küstensäume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem Wein- und Rinderland (Οἰνωτϱία, Ἰταλία) oder der ‚grossen Hellas‘; die eingeborne ackerbauende Be- völkerung musste in Clientel oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirthschaften und zinsen. Sybaris — seiner Zeit die grösste Stadt Italiens — gebot über vier barbarische Stämme und fünf und zwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia gründen; die überschwänglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und des Bradanos warfen den städti- schen Herren überreichen Ertrag ab — hier hat vielleicht zuerst eine regelmässige Getreideausfuhr stattgefunden. Von der hohen Blüthe, zu welcher diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer, ihre Mün- zen von strenger alterthümlich schöner Arbeit; überhaupt die frühesten Denkmäler italischer Kunst und Schrift, von denen die ältesten nicht nach Ol. 50 oder 174 der Stadt entstanden sein können. Diese Münzen zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss theilnahmen an der eben um diese Zeit im DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in der Technik demselben wohl gar überlegen waren; denn statt der dicken oft nur einseitig geprägten und regelmässig schrift- losen Silberstücke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern üblich waren, schlu- gen die italischen Achaeer mit grosser und selbstständiger Ge- schicklichkeit aus zwei gleichartigen theils erhaben theils vertieft geschnittenen Stempeln grosse dünne stets mit Aufschrift ver- sehene Silbermünzen, deren sorgfältig vor der Falschmünzerei jener Zeit — Plattirung geringen Metalls mit dünnen Silber- blättern — sich schützende Prägweise den wohlgeordneten Culturstaat verräth. — Dennoch trug diese schnelle Blüthe keine Frucht; in der mühelosen weder durch kräftige Gegen- wehr der Eingebornen noch durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen früh die Spannkraft des Körpers und des Geistes. Keiner der glänzenden Namen der griechischen Kunst und Litteratur ver- herrlicht die italischen Achaeer, während Sicilien deren un- zählige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Heerde der Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die strenge Oligarchie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden sich abgeschlossen und im Nothfall an der Cen- tralgewalt einen sicheren Rückhalt hatte; dagegen waren eben diese aristokratischen Elemente nicht minder gefährlich, vor allem wenn sie in den verschiedenen Gemeinden unter ein- ander sich verbündeten und sich gegenseitig aushalfen. Am bekanntesten ist die durch den Namen des Pythagoras be- zeichnete solidarische Verbindung der ‚Freunde‘, welche die herrschende Klasse ‚gleich den Göttern zu verehren‘, die die- nende ‚gleich den Thieren zu unterwerfen‘ theoretisch und praktisch einschärfte, und dadurch eine furchtbare Reaction hervorrief, welche mit der Vernichtung der pythagorischen ‚Freunde‘ und mit der Erneuerung der alten Bundesverfas- sung endigte. Allein rasende Parteifehden, sociale Missstände aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten Civilisation hörten nicht auf in den achaeischen Gemeinden zu wüthen, bis ihre politische Macht darüber zusammenbrach. — Es ist nicht zu verwun- dern, dass für die Civilisation Italiens die daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die übrigen ERSTES BUCH. KAPITEL X. griechischen Niederlassungen. Ueber die politischen Grenzen hinaus ihren Einfluss zu erstrecken lag diesen Ackerbauern ferner als den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets ver- knechteten sie die Eingebornen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch voll- ständige Hellenisirung eine neue Bahn zu eröffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das grie- chische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskräftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgend einem andern Ge- biet, während aus den Trümmern der eingebornen Italiker und der Achaeer und den späteren Einwanderern sabellischer Herkunft zwiesprachige Mischvölker hervorgegangen sind, die denn auch zu keinem rechten Gedeihen gelangten. Indess diese Katastrophe gehört der Zeit nach in die folgende Periode. Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der übrigen Griechen, die im Allgemeinen als Handelsemporien bezeichnet werden können, wie sie denn auch ganz abweichend von den achaeischen durchgängig an den besten Häfen und Landungsplätzen angelegt sind. Es gehören dahin die sogenannten chalkidischen Colonien, in Italien Kyme, mit seiner Tochterstadt Neapolis, und Rhegion, in Sicilien Zankle, später Messana, Naxos, Katana, Himera, ferner die dorischen, wozu in Sicilien Syrakus, Gela, Akragas, in Italien nur Taras oder Tarentum gehören mit dessen Ko- lonie Herakleia; ausserdem die Stadt der Lokrer mit den Pflanzstädten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegründete Phokierstadt Vele oder Velia (Elea). Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche der Gründungen waren mannichfaltig verschieden; die chalkidischen Kolonien, die ältesten unter allen, sprachen den weichen ionischen Dia- lekt So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Thongefäss Τα- ταίες ἐμὶ λέqυϑος· Ͱὸς δ᾽ ἄν με ϰλέφσει ϑυφλὸς ἔσται. , während in Tarent und Syrakus der dorische vorwal- tete. Indess eine gewisse Gemeinschaft, wenigstens im Gegen- satz zu den Achaeern, lässt sich nicht verkennen; so in dem allen jenen Städten gemeinsamen Gebrauch des jüngeren grie- chischen Alphabets Es ist dasjenige gemeint, das die altphönicischen Formen des Iota Ϟ Gamma 𐤂 oder | und Lambda 𐤋 durch die weniger der Verwechselung ausgesetzten | C V ersetzte und regelmässig auch das leicht mit Pi 𐤐 zu verwechselnde Rho 𐤓 durch den Beistrich als R unterschied. und selbst in dem Dorismus der Sprache, DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. der auch in die chalkidischen Städte früh eindrang. — Die glänzendste Rolle unter diesen Staaten, so weit sie Italien angehören, fiel den Tarentinern zu. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Südküste, machte ihre Stadt zum natürlichen Entrepot des süditalischen Handels, ja sogar eines Theiles des Verkehrs auf dem adriatischen Meer; denn vor dem Aufblühen Brundisiums in römischer Zeit war Sipus der südlichste nennenswerthe Stapelort an der Ostküste und die Schiffer von Epidamnos und Apollonia zogen es häufig vor in Tarent zu löschen — Hydrus (Otranto) scheint in den Händen der Tarentiner gewesen zu sein. Der reiche Fisch- fang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle so wie deren Färbung mit dem Saft der tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wett- eifern konnte — beide Industrien hieher eingebürgert aus dem kleinasiatischen Miletos — beschäftigten Tausende von Händen und fügten zu dem Zwischen- noch den Ausfuhrhan- del hinzu; die nirgends im griechischen Italien in solcher Menge und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen tarentinischen Münzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs. — Aller- dings gehört die grösste Blüthe Tarents erst der folgenden Periode an. Erst nach Sybaris Untergang, mit dem in dessen Blüthezeit Tarent gewetteifert hatte, erhob sich dies zum ersten Rang unter den italischen Hellenen. Namentlich nachdem in Folge einer furchtbaren Niederlage der Tarentiner durch die lapyger (Ol. 76, 3, 280 der Stadt), der schwersten, die bis dahin ein Griechenheer von Barbaren erlitten hatte, die ur- sprüngliche aristokratische Verfassung in die vollständigste Demokratie übergegangen war, entfaltete sich hier die ganze Gewalt des Volksgeistes bald in grossartigster Erhebung, bald in schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Ein eigenthümlich reges Leben herrschte in diesem italischen Athen, das unter seiner Schiffer-, Fischer- und Fabrikanten- bevölkerung viel Reiche, aber wenig Vornehme zählte; es ist bezeichnend, dass in dieser Stadt, wo alles belacht und ver- lacht ward, die travestirte Tragödie erfunden worden ist. — Im Verhältniss zu den Italikern scheinen die Tarentiner nicht darauf ausgegangen zu sein ihr Gebiet wesentlich zu erwei- tern; ihr Landheer bestand seit der Demokratisirung des Staats nicht mehr aus Bürgern, sondern aus gemietheten Söldnern, und die Kriegsmacht des Staates lag hauptsächlich in der ERSTES BUCH. KAPITEL X. Flotte, die gestützt auf die starke Handelsmarine die bedeu- tendste grossgriechische Seemacht ward. Es ist sonach er- klärlich, dass auf die Tarentiner zurückgeht, was sich von griechischer Civilisation im Südosten Italiens vorfindet; indess fallen davon in diese Zeit nur die ersten Anfänge. Der Helle- nismus Apuliens entwickelte sich erst in einer späteren Epoche. Bescheidener war die Blüthe der griechischen Städte am Vesuv, der Kymaeer, die von der fruchtbaren Insel Aenaria auf das Festland hinübergingen und auf einem natürlich festen Hügel hart am Meere sich niederliessen, von wo aus der Hafen- platz Dikaearchia, die Städte Parthenope und Neapolis ge- gründet wurden. Wir wissen wenig von der älteren Geschichte dieser campanischen Griechen; doch ist es klar, dass sie nicht erobernd und unterdrückend gegen die Eingebornen auftraten, sondern von ihrem engen Bezirk aus mit ihnen friedlich han- delten und verkehrten und dadurch, indem sie sich eine ge- deihliche Existenz schufen, zugleich die wichtigste Stelle ein- nahmen unter den Missionären der griechischen Civilisation in Italien. Sie lebten nach den Gesetzen des Charondas, die den lokrischen des Zaleukos — dem ältesten griechischen Gesetzbuch — im Ganzen wie im Einzelnen sehr ähnlich ge- wesen zu sein scheinen, in einer demokratischen jedoch durch hohen Census gemässigten Verfassung, welche die Macht in die Hände eines aus den Reichsten erlesenen Rathes von tau- send Mitgliedern legte; eine Verfassung, die sich bewährte und im Ganzen von diesen Städten Tyrannis wie Pöbelregi- ment fernhielt. — Von ähnlicher Art mag die jüngste der grössern italischen Colonien, die um 01. 61, der Stadt 217 gegründete Niederlassung der Phokier Velia gewesen sein, nur dass dies kühne Schiffergeschlecht weniger mit den nächsten Anwohnern in den lucanischen Gebirgen verkehrte als zur See mit den Küstenbewohnern des tyrrhenischen Meeres; ver- schiedene Spuren deuten auf einen alten und freundlichen Verkehr mit den Latinern an der Tiber. Indess den kühnen hellenischen Schiffern und Kaufleuten fehlte es nicht an einer concurrirenden und rivalisirenden Nation. Um ganz Sicilien herum, erzählt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen oder wenigstens ehe sie dort in grösserer Anzahl sich festsetzten, die Poener auf den Land- spitzen und Inselchen ihre Factoreien gegründet, des Handels wegen mit den Eingebornen, nicht um Land zu gewinnen. Dass dieselben auch in Unteritalien vor den Griechen gehaust DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. haben, dafür fehlt es an jedem Beweis; vielmehr ist es glaub- lich überliefert, dass von den civilisirten Nationen des Ostens zuerst die Phokier es gewesen sind welche durch die ‚Spalte‘ (ϱ̔ήγιον) einfuhren in die Westsee. Die beiden Nationen, von denen die Poener wahrscheinlich von Africa, die Griechen von Italien herüberkamen, stiessen bald auf einander in Sicilien, um dessen Besitz sie Jahrhunderte lang rangen, ohne dass es der einen oder der andern gelungen wäre den Rivalen voll- ständig zu verdrängen. Die Griechen bemächtigten sich zuerst der nordöstlichen Spitze, wo die ältesten chalkidischen Colo- nien Himera, Zankle, Naxos angelegt wurden; der dorischen Einwanderung gelang es geraume Zeit hernach die grössere östliche Hälfte der Insel zu gewinnen, wo die kaufmännischen Etablissements der Poener einer energischen Kolonisationspoli- tik erlagen und Syrakus, Gela, Akragas entstanden. Allein der Nordwesten blieb im Besitz der Punier, mit den wichtigen Häfen Soloeis und Panormos an der Nordküste, Motye an der Africa zugewandten Spitze. Karthagos Macht, deren kräftiger Aufschwung um die Mitte des zweiten Jahrhunderts fällt, kam den sicilischen Poenern zu Hülfe und der Strom der griechi- schen Einwanderung stockte nach der Anlegung von Akragas (174 der Stadt). Bestimmter und energischer ergriff und ver- folgte die führende Macht der punischen Nation seitdem den Gedanken wenigstens in den Meeren westlich von Sardi- nien und Sicilien sich nicht von den Griechen vertreiben zu lassen, wie früher die Poener aus dem ausschliesslichen Besitz der ganzen Westsee, dem Besitz der beiden Verbindungs- strassen zwischen dem westlichen und dem östlichen Becken und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient und Occident verdrängt worden waren. Schon um Kyros Zeit, um 200 der Stadt eroberte der karthagische Feldherr Malchus einen grossen Theil Sardiniens, das um die Zeit der Vertrei- bung der römischen Könige im unbestrittenen Besitz Karthagos sich befindet. So consolidirt sich im südlichen Italien und im östlichen Sicilien die hellenische, in Westsicilien und auf Sardinien die punische Nation, beide jetzt nicht mehr sich beschränkend auf die Anlage von Handelsfactoreien, sondern städtegründend und länderbeherrschend. Aber indem zugleich ihre Rivalität sich immer schärfer feststellt, scheint eben dies veranlasst zu haben, dass das mittlere und nördliche Italien nicht colonisirt ward, sondern unter dem Schutz jener Rivalität die einheimischen ERSTES BUCH. KAPITEL X. Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik verfolgen konnten. Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn- ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie- deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim- fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab des Elpenor heisst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heisst den Wil- den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See- fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See gedachten. — Dass die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver- steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer Flösse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon- nenen Element: Aethalia und Populonia musste verlassen werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru- skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. nicht mehr auf ihre eigenen Gewässer. Sie gesellten sich die Volsker zu, die in Clientelverhältniss zu ihnen traten und deren Waldungen in der pomptinischen Ebene den Etruskern die Kiele ihrer Seeschiffe lieferten; dem Seeraub der Antiaten hat erst die römische Herrschaft ein Ende gemacht und nicht umsonst heisst das Gestade der südlichen Volsker den griechi- schen Schiffern das der Laestrygonen. Auch in das campa- nische Meer gelangten die Etrusker früh, wo sie die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren hafenlosen Felsen von Capri eine rechte Corsarenwarte besetzten um nach beiden Meeren hin den Küstenfahrern aufzupassen. Zu- gleich scheinen sie von hier aus ins Binnenland von Cam- panien eingedrungen zu sein und sollen dort einen eigenen Zwölfstädtebund gegründet haben; wovon wenigstens so viel geschichtlich ist, dass etruskisch redende Gemeinden im cam- panischen Binnenland entstanden und bis in späte Zeit sich dort erhielten. Zwar behaupteten sich die Griechen am Vesuv; allein die bescheidenen Grenzen, innerhalb deren sie hier sich hiel- ten, dürfen wohl auf die Hemmung durch die etruskische Macht zurückgeführt werden. Gemildert, aber nicht aufgehoben erscheint derselbe Gegen- satz in dem südlichen Etrurien und in Latium so wie an den Mündungen des Padus, wo die edlere italische Nationalität eine mildere Gesittung erzeugte und dem Fremden ein gastlicherer Empfang bereitet war, ohne dass doch griechische Colonien hier geduldet worden wären. Schon jene Sagen setzen sehr bezeichnend den ‚wilden Tyrrhener‘ dem Latiner entgegen und die unwirthliche Küste der Volsker dem friedlichen lau- rentischen Gestade. Die grossen Handelsstädte, die in sehr früher Zeit hier entstanden, Spina und Hatria am Po, Rom an der Tiber, Caere in Etrurien sind, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung von der Küste zu schliessen, sicher italische, nicht griechische Grün- dungen; dennoch finden wir sie seit alter Zeit in Verbindung mit den Hellenen. Der Verkehr mit dem Apolloheiligthum in Delphi, mit dem kumanischen Orakel ist verwebt in die äl- teste caeritische und römische Ueberlieferung; ja von Spina und Caere ist es gewiss, dass in Delphi ihnen wie anderen in regelmässigem Verkehr mit dem Heiligthum stehenden Ge- meinden eigene Schatzhäuser erbaut waren. Der erste unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische König Arimnos, vielleicht Herr von Ariminum. Röm. Gesch. I. 7 ERSTES BUCH. KAPITEL X. Vor allem merkwürdig aber ist die Stellung von Caere, das nicht wie Rom und Spina durch seine Lage von der Natur zum Emporium bestimmt ist; sein Hafen ist schlecht und Gruben giebt es nicht in der Nähe. Aber dort bestand eine Art von Freihafen für die Griechen wie für die Poener, wovon die drei caeritischen Hafenstädte: zwei griechische Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo) einerseits, ‚die punische‘ (Punicum, bei S. Marinella) andrerseits das Andenken bewahrt haben. Ja Caere selbst führt seinen zweiten Namen Agylla nicht, wie man meint, von den Pelasgern, sondern von den Puniern; denn im Punischen heisst dies die ‚Rundstadt‘, wie eben Caere vom Ufer aus gesehen sich darstellt. ‚Die Caeri- ten, sagt Strabon, galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit und weil sie, so mächtig sie waren, doch des Raubes sich enthielten‘; nicht des Seeraubes, der in jener Zeit vom Seehandel untrennbar war, sondern der Beraubung der hellenischen Gäste in Alsion und Pyrgi. Es schliesst dies übrigens nicht aus, vielmehr ist nicht daran zu zweifeln, dass diese drei Hafenplätze den fremden Schiffern wohl geöffnet, aber wenigstens in der späteren Zeit nicht mehr im Besitz der Fremden waren; mögen die Mauern von Pyrgi auch von Griechen erbaut sein, wie die sehr eigenthümliche von der Architektur der caeritischen und überhaupt der etru- skischen Stadtmauern wesentlich abweichende Bauart der- selben anzudeuten scheint, so ward die Stadt doch, so wie die Caeriten zu eigener Macht gelangten, von der Metro- pole in Besitz genommen. Fortan ward in Caere und ebenso in den Städten gleicher Stellung der fremde Schiffer wohl ge- duldet; allein daneben erblühte ein eigener Handel, der unter dem Schutz der etruskischen Piraterie, gleichsam einer rohen Navigationsacte, bald den der Fremden in diesen Gewässern überflügeln mochte. So wurden diese Städte, wo die Italiker friedlich schalteten und den fremden Kaufmann duldeten, vor allen reich und mächtig und wie für die hellenischen Waaren so auch für die Keime der hellenischen Civilisation die rech- ten Stapelplätze. Es mussten die Etrusker und in minderem Grade die ihnen hier sich anschliessenden Latiner wohl mächtig werden zur See im Handel wie im Krieg. Sie hatten am westlichen Meer den grossen italischen Freihafen inne, am östlichen die Pomündungen und ihre Lagunenstadt, das Venedig jener Zeit; von Meer zu Meer wohnend beherrschten sie die Land- DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. strasse, die seit alter Zeit beide Meere verband; im Süden waren sie vorgedrungen in die reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten italischen Ausfuhr- artikel, das Eisen von Ilva, das Kupfer von Campanien und Volaterrae, das Silber von Populonia, ja den Bernstein, dessen uralte Strasse von der Ostsee ans Mittelmeer bei Hatria führte und dessen Heimath darum auch nach der griechischen Sage die Pomündung ist. Es konnte nicht fehlen, dass aus ihren Kapern bald eine mächtige Kriegsflotte ward und unter deren Schutz ihre Kauffahrer beide Meere beherrschten; mit Grund nannte darum der Grieche das westliche das Meer der Tusker, das östliche das Meer des tuskischen Hatria. So entwickelte sich jene wilde etruskische Corsarenwirthschaft, welche den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen machte — der Enterhaken gilt für eine tuskische Erfindung —; aber auch jener ausgedehnte Handel, in Folge dessen in Sybaris der etruskische und der milesische Kaufmann concurrirten; und aus beiden entsprang der mass- und sinnlose Luxus, in dem daheim die Etrusker sich gefielen. Den friedlichen Ver- kehr der Etrusker mit den Griechen schon in dieser Zeit be- zeugen namentlich die Silbermünzen, die etwa vom Jahre 200 der Stadt an Populonia geschlagen hat; sie sind nicht den grossgriechischen nachgeahmt, sondern attische Didrachmen, wie sie damals in Attika und Sicilien gangbar waren. Dass dieser Verkehr die Befehdung der Griechen, namentlich der nächstwohnenden nicht ausschloss, leuchtet ein; unverkennbar ist die etruskische Politik, die römische und caeritische nicht minder als die des eigentlichen Etrurien von Haus aus darauf ausgegangen die Ansiedlung der Griechen in Italien zu hem- men und sie von den italischen Meeren mehr oder minder vollständig auszuschliessen. Trafen also die Etrusker, Latiner und Karthager zusam- men in demselben Interesse und demselben politischen Ziel, so konnte dass sie sich verbündeten, um so weniger fehlen, als jede Nation einzeln dem gewaltigen Aufschwung der helleni- schen kaum hätte Widerstand leisten können. Darum schlossen Etrurien und Karthago in früher Zeit einen Tractat, der nicht bloss die Waareneinfuhr und die Rechtsfolge regelte, sondern auch ein Kriegsbündniss (συμμαχία) einschloss. Dass Rom nebst Latium wenn auch nicht unbedingt sich diesem anschloss, doch im Ganzen eine ähnliche Politik verfolgte, ist bei den engen Beziehungen zwischen Rom und Caere und dem Han- 7* ERSTES BUCH. KAPITEL X. delsbündniss zwischen Rom und Karthago nicht zu bezweifeln. In Folge dessen hinderten die Italiker die Besetzung Sardi- niens und der Nordküste Siciliens durch die Karthager nicht; und beide machten gemeinschaftliche Sache gegen jeden, der sie im Alleinbesitz ihrer Meere bedrohte. Wirklich gelang es die Griechen zu hemmen, jedoch nicht ohne Ausnahme. Zwar in dem unwirthlichen Ostmeer finden wir keine altgriechische Colonie an der italischen noch nördlich von Schwarzkerkyra an der illyrischen Küste; allein im Westmeer wussten dennoch die kühnen Rhodier und Phokaeer Fuss zu fassen. Jene setz- ten sich gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt auf den liparischen Inseln fest, und trotz der Anstrengungen der tuskischen ‚Seeräuber‘, die Jahr aus Jahr ein die Insel bedrohten, gelang es ihnen sich zu behaupten; ja es leidet wohl keinen Zweifel, dass von hier aus an das Pyrenäengebirg eine Kolonie geführt ward, Rhoda, jetzt Rosas. Sogar bis nach Saguntum scheint eine griechische Kolonie geführt zu sein, die von Zakynthiern und Ardeaten gestiftet sein soll. — Folgen- reicher noch war der kühne Widerstand der kleinasiatischen Phokaeer. Sie, die zuerst den Griechen die Westsee erschlos- sen hatten und deren Ansiedlungen unter den sicilischen Elymern ‚aus troischer Zeit‘ vielleicht sogar älter sind als die Besetzung der Insel durch die Punier, sie waren nicht gemeint vor den Barbaren aus diesen Gewässern zu weichen und grün- deten um die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt, ver- muthlich ehe Karthago übermächtig geworden war und ehe jene tuskisch-punische Allianz sich festgestellt hatte, die west- lichste der grossen Griechenstädte, Massalia an der Küste der Kelten. Die Stadt gedieh trotz ihrer Isolirung und monopo- lisirte bald den Handel von den Pyrenäen bis nach Nizza. Ein zweiter Versuch war nicht minder kühn, aber der Erfolg minder glücklich. Andere Phokaeer siedelten sich Caere gegen- über an in Alalia (Aleria) auf Corsica; sie zu vertreiben er- schien die vereinigte Flotte der Etrusker und Karthager. In einer grossen Schlacht — einer der ältesten Seeschlachten, die die Geschichte nennt — um das Jahr 217 der Stadt siegten die Phokaeer mit sechzig Schiffen über die doppelt so starken Feinde oder schrieben sich wenigstens den Sieg zu; denn dem Erfolg nach war der Sieg einer Niederlage gleich. Die Phokaeer gaben Corsica auf und zogen sich zurück an die süditalische Küste, wo sie Velia gründeten; Corsica mit den Städten Alalia und Nikaea ward tuskischer Besitz und die DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. Eingebornen zinsten dort seitdem ihren Herren Pech, Wachs und Honig. Charakteristisch ist es für die Stellung der Cae- riten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu sühnen, den delphischen Apoll beschickten. — In welchem Verhältniss die Italiker zu den Poenern standen, vermögen wir genauer nicht zu bestimmen; vermuthlich suchte man sie von den östlichen Gewässern und von Spanien fernzuhalten, auf das Karthago früh den Blick geworfen hatte. Wir finden wenig- stens, dass den Römern in ihrem Vertrag mit Karthago der Besuch der spanischen Küste nicht so erleichtert ward wie der von Africa, Sardinien und Sicilien. Dass Tarraco eine tuskische Gründung sei, und dass die Etrusker eine Kolonie nach den canarischen Inseln hätten senden wollen, aber von den Karthagern daran verhindert worden seien; dass die Ar- deaten sich in Saguntum angesiedelt; dass ein punischer Schiffer, der das römische ihm in den atlantischen Ocean nachsteuernde Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen Schif- fes auf eine Sandbank geführt habe, desshalb von seiner Ge- meinde belohnt worden sei, sind Erzählungen, deren Glaub- würdigkeit nicht ausser Zweifel ist, die aber, auch wenn sie erfunden sein sollten, für die Rivalität auch unter den ver- bündeten Flaggen bezeichnend sind. — Was die östlichen Gewässer anlangt, so war es natürlich den Karthagern nicht möglich die auch im adriatischen Meer mächtigen Etrusker davon auszuschliessen; dagegen den Latinern untersagte der Vertrag mit Karthago die Beschiffung der Gewässer östlich vom Kap Bon und ebenso ein Vertrag mit Tarent, den wir wohl schon in diese Zeit setzen dürfen, ihnen die Fahrt östlich vom lakinischen Vorgebirge. KAPITEL XI. Recht und Gericht . Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genügen die Entwicklung der Gesammtheit dar- zustellen und das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des Einzelnen, so sehr auch diese von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, bei Seite zu lassen oder doch nur in den allgemeinsten Umrissen anzudeuten. Dies letztere hier und eben für diese älteste geschichtlich so gut wie ver- schollene Zeit wenigstens zu versuchen schien desswegen noth- wendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Culturvölker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen lässt. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Völkernamen und getrübten Sagen ist wie die dürren Blätter, von denen wir mühsam begreifen, dass sie einst grün gewesen sind; statt die uner- quickliche Rede durch diese säuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu classificiren wird es sich besser schicken zu fra- gen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechts- verkehr, das ideale in der Religion sich ausgeprägt haben, wie man gewirthschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Völkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So dürftig auch hier unser Wissen ist, schon für das römische Volk, mehr noch für das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lückenvolle Kunde dem Leser RECHT UND GERICHT. statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewähren. Vom Rechtswesen ist nur für die römische Gemeinde eine Ueberlieferung auf uns gekommen. — Gericht oder ‚Ge- bot‘ ( ius ) hält der König an den Sprechtagen ( dies fasti ) auf dem Marktplatz, sitzend auf dem ‚Herrenstuhl‘ ( sella curulis ); ihm zur Seite stehen seine Boten, vor ihm die Parteien. In- dess die Herrenmacht des Hausvaters und der Familie be- stand daneben fort auch nach Bildung der römischen Gemeinde, unbedingt für die Frauen, deren rechter Richter entweder der Vater oder der Ehemann oder in deren Ermangelung die Fa- milie ist, beschränkt für die Männer, die nur in dem Haus- vater einen zweiten Herrn neben dem König über sich er- kennen; in allen Fällen aber concurrirt mit der Familien- die königliche Gerichtsbarkeit. — Regelmässig schreitet der Staat von sich aus nur ein, wenn der gemeine Frieden gebrochen ist, also vor allen Dingen im Fall des Landesverraths oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind ( proditio ) und der ge- waltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit ( perduellio ). Aber auch der arge Mörder ( paricida ), der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch bösen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Götter und des Volkes überlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden desshalb dem Hoch- verräther gleich geachtet. Den Prozess eröffnet und leitet der König und fällt das Urtheil, nachdem er mit den zugezogenen Rathmännern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den Prozess eröffnet hat, die weitere Verhandlung und die Urtheilsfällung an Stellvertreter zu übertragen, die regelmässig aus dem Rath genommen werden. Ausserordent- liche Stellvertreter der Art sind die Commissarien zur Aburthei- lung der Empörung ( duoviri perduellionis ). Ständige Stellver- treter scheinen die ‚Mordspürer‘ ( quaestores paricidii ) gewesen zu sein, denen zunächst wohl die Aufspürung und Verhaftung der Mörder, also eine gewisse polizeiliche Thätigkeit oblag. Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Bürgschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des Geständnisses kommt nur vor für Sclaven. Wer über- wiesen ist den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, büsst immer mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig, so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen gestürzt, der Ernte- dieb aufgeknüpft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann ERSTES BUCH. KAPITEL XI. der König nicht, sondern nur das Volk; der König aber kann dem Verurtheilten die Betretung des Gnadenweges ( provoca- tio ) gestatten oder verweigern. — Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhängt der König nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa ) von Rindern oder Schafen. Auch Ruthen- hiebe zu erkennen steht in der Hand des Königs. — In allen übrigen Fällen, wo nur der Einzelne, nicht der gemeine Frie- den verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher seinen Spruch ( lex ) dem König vorträgt (daher lege agere und die ‚Sprechtage‘); der König kann wieder entweder selbst die Sache untersuchen oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmässige Form der Sühnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergänzend ein, wenn der Dieb den Be- stohlenen, der Schädiger den Geschädigten nicht zufrieden- stellte durch eine ausreichende Sühne ( poena ), wenn Jemand sein Eigenthum vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfüllt ward. Was in dieser Epoche als ausreichende Sühne des Diebstahls galt, lässt sich nicht bestimmen; natürlich schätzte der Geschädigte, doch stand wohl seit ältester Zeit dem Richter das Recht der Ermässigung zu. Von dem auf frischer That ergriffenen Diebe forderte der Verletzte billig Schwereres als von dem später entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu sühnen ist, gegen jenen stärker ist als gegen diesen. Erschien das Verbrechen minderer Sühne unfähig oder war der Dieb nicht im Stande die Schätzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zu- gesprochen. — Bei Schädigung ( iniuria ) des Körpers wie der Sachen musste in den leichteren Fällen der Verletzte wohl unbedingt Sühne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstümmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. — Das Eigenthum ruht überall direct oder indirect auf der Zutheilung einzelner Sachen an einzelne Bürger durch den Staat, am bestimmtesten bei dem Grundeigenthum, welches herrührt von Ausweisung einzelner Stücke Landes an den einzelnen Bürger aus der gemeinen Mark. Dasselbe geht frei von Hand zu Hand, jedoch so, dass beim Kauf und Tausch immer Zug um Zug geleistet wird und Kauf auf Credit keine Klage giebt, aber auch kein Eigenthum überträgt. Seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der RECHT UND GERICHT. regelmässige Werthmesser geworden war, bestand die Form des Kaufes also darin, dass der Käufer dem Verkäufer die festgesetzten Kupferpfunde vor Zeugen auf der Wage zuwägt und dieser ihm gleichzeitig die gekaufte Sache in die Hand giebt ( mancipare ); dafür dass er Eigenthümer sei, muss der Verkäufer einstehen und büsst im entgegenstehenden Fall dem Käufer ähnlich wie wenn er die Sache ihm entwendet hätte. Wem sein Eigenthum widerrechtlich entzogen oder vorent- halten wird, der zeigt die ‚Vergewaltigung‘ dem König an ( vindiciae ), worauf ihm dieser nach untersuchter Sache zu seinem Rechte verhilft. — Heilig wie das Eigenthum ist auch das Darlehen, welches gleichfalls durch Zuwägen des Kupfers unter Verpflichtung ( nexus ) der Rückgabe vor Zeugen einge- gangen und ebenso wieder aufgelöst wird; der Schuldner haftet für Kapital und Zins, welcher für das Jahr den zwölften Theil des Kapitals ( uncia ; 8½ Procent) zu betragen pflegte. Die übrigen Verträge waren in dieser Zeit wohl noch nicht klagbar, mit Ausnahme des Verlöbnisses, wobei der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht giebt, dem Bräutigam dafür Sühne und Ersatz zu leisten hat. Anstatt der Verpfän- dung, die das Recht nicht kannte, diente ein Vertrag, der dem Gläubiger sofort das Eigenthum an dem Unterpfand gab und ihn verpflichtete im Fall der Rückzahlung des Darlehns das Eigenthum dem Schuldner zurückzuübertragen. — Ward der Staat angerufen um über das streitige Eigenthum zu ent- scheiden oder die Zahlung der Forderung zu vermitteln, so kam es darauf an, ob das Sachverhältniss erst festzustellen war oder schon klar vorlag, welches letztere bei Eigenthums- klagen nicht wohl denkbar war, dagegen bei Darlehnsklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittelst der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhält- nisses geschah in Form einer Wette ( sponsio ), wobei jede Partei für den Fall des Unterliegens einen Einsatz machte: bei wich- tigen Sachen von mehr als zehn Rindern Werth einen von fünf Rindern, bei geringeren einen von fünf Schafen; der Einsatz der unterliegenden Partei fiel den Priestern zu zum Behuf der öffentlichen Opfer. Wer also verurtheilt war und ohne den Spruch zu erfüllen dreissig Tage hatte verstreichen lassen; ferner wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmässig der Schuldner, wofern er nicht Zeugen für die Rückzahlung hatte, unterlag dem Executionsverfahren ‚durch Handanlegung‘ ( manus iniectio ), indem ihn der Kläger packte ERSTES BUCH. KAPITEL XI. wo er ihn fand und ihn vor Gericht stellte, nicht um sich zu vertheidigen, sondern um die anerkannte Schuld zu erfüllen. Zwar ein Dritter konnte für ihn auftreten und diese Gewalt- that als unbefugte bezeichnen ( vindex ), worauf dann das Ver- fahren sistirt ward; allein diese Vertretung machte den Ver- treter persönlich verantwortlich, wesshalb auch für ansässige Leute nur andre Ansässige Vertreter sein konnten. Trat weder Erfüllung noch Vertretung ein, so sprach der König den Schuldner dem Gläubiger so zu, dass er ihn abführen und halten konnte gleich einem Sclaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen und war während derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und ausgerufen worden, ob Jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg ge- blieben, so hatten die Gläubiger das Recht ihn zu tödten und sich in seine Leiche zu theilen, oder auch ihn mit seinen Kin- dern und seiner Habe als Sclaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sclaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der römischen Gemeinde blieb, nach römischem Recht nicht vollständig Sclave werden. — So ward Habe und Gut eines Jeden von der römischen Gemeinde gegen den Dieb und Schädiger sowohl wie gegen den unbefug- ten Besitzer und den zahlungsunfähigen Schuldner mit unnach- sichtlicher Strenge geschirmt. — Ebenso schirmte man das Gut der Unmündigen und der Wahnsinnigen, indem man die nächsten Erben zu der Hut desselben berief, und nicht min- der das Gut der Weiber, die gleichsam als lebenslänglich un- mündig betrachtet wurden. Nach dem Tode fällt das Gut den nächsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Theile erhalten. Dispensiren von der gesetzlichen Erbfolge kann allerdings nur die Volksversamm- lung, wobei auch der an dem Vermögen haftenden Sacral- pflichten wegen das Gutachten der Priester einzuholen ist; indess scheinen solche Dispensationen früh sehr häufig ge- worden zu sein und im Entstehungsfall konnte bei der voll- kommen freien Disposition, die einem Jeden über sein Ver- mögen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesammtver- mögen einem Freund übertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemäss vertheilte. Nach diesem Rechte lebten in Rom die Bürger und die Schutzverwandten, zwischen denen, so weit wir sehen von Anfang an, die vollständigste rechtliche Gleichheit bestand. RECHT UND GERICHT. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem römischen Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe; was der römische Bürger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am Meeres- ufer aufgelesene herrenlose Muschel. Nur das Grundstück, das ausserhalb der römischen Grenze liegt, kann der römische Bürger wohl factisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigenthümer gelten; denn die Grenze der Gemeinde verrücken kann nur die Gemeinde. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, be- wegliches wie unbewegliches Gut, fällt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier hängt es denn auch von diesem ab die Grenze vorzuschieben oder zurückzunehmen. — Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere Staatsverträge, die den Mitgliedern fremder Gemeinden ge- wisse Rechte in Rom sichern. Vor allem wichtig in dieser Hinsicht ist das ewige Bündniss zwischen Rom und Latium, das alle Verträge zwischen Römern und Latinern für rechts- gültig erklärte und zugleich für diese einen beschleunigten Civil- prozess verordnete vor geschwornen ‚Wiederschaffern‘ ( recipe- ratores ), welche, da sie gegen den sonstigen römischen Ge- brauch, einem Richter die Entscheidung zu übertragen, immer in der Mehrheit und in ungleicher Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammen- gesetztes Handels- und Messgericht zu denken sind. Sie ur- theilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages und müssen spätestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Ob die vollkommene Rechtsgleichheit zwischen Römern und La- tinern, namentlich das gegenseitige Erbrecht schon dieser Epoche angehört, ist ungewiss. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Römern und Latinern sich bewegte, wa- ren natürlich die allgemeinen, in denen auch Patricier und Plebejer mit einander verkehrten; denn die Mancipation und das Nexum sind ursprünglich gar keine Formalacte, sondern der prägnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach. — In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem ei- gentlichen Ausland vermittelt. Der Vertrag mit Karthago setzte fest, dass der römische Kaufmann, der an einen Karthager verkaufen wolle im karthagischen Sicilien, in Sardinien und Africa, dabei den karthagischen Staatsherold und den Staats- schreiber zuziehen müsse, in welchem Falle ihm die karthagische ERSTES BUCH. KAPITEL XI. Gemeinde gutstehe für die Zahlung seiner Forderung. Aehn- liche Verträge müssen mit den Caeriten und andern befreun- deten Völkern bestanden haben und die Grundlage geworden sein des internationalen Privatrechts ( ius gentium ), das sich in Rom allmählich neben dem Landrecht entwickelte. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwürdige Mutuum, der ‚Wandel‘ (von mutare, wie dividuus ); eine Form des Dar- lehns, die nicht wie das Nexum auf einer ausdrücklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklärung des Schuldners be- ruht, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschäftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das Wort als μοῖτον im sicilischen Griechisch wiederkehrt; wahr- scheinlich als Lehnwort aus dem Lateinischen, in Folge des häufigen Verkehrs der latinischen Schiffer auf der Insel. Eben dahin gehört der Uebergang des lateinischen carcer in die sicilische Landessprache (ϰάϱϰαϱον), während das verwandte ergastulum umgekehrt von ἐϱγαστής lateinisch gebildet ist. Haft und Zwangsarbeit sind ja die Folgen des nicht bezahlten Darlehns in allen alten Rechten. Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Gesammt- heit dieser Institutionen, die im Wesentlichen entnommen sind der ältesten etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Königthums veranstalteten Aufzeichnung des römischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Königszeit sich wohl für einzelne Puncte, aber nicht im Ganzen bezwei- feln lässt, so erkennen wir darin das Recht eines weit vor- geschrittenen ebenso liberalen als consequenten Handelsstaats. Hier ist keine Spur von jenem ältesten Zustand, den die ger- manischen Institutionen uns darstellen, wo die Staatsgewalt noch ringt mit der Autorität der kleineren im Volke aufgegan- genen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften; keine Rechts- allianz innerhalb des Staates zur Ergänzung der unvollkom- menen Staatshülfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz; keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfügung des Einzelnen beschränkenden Familieneigenthums. Derglei- chen muss wohl einmal auch bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sacralrechts, zum Beispiel in dem Sühnbock, den der unfreiwillige Todt- schläger den nächsten Verwandten des Getödteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon RECHT UND GERICHT. für die älteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen können, ist dies ein längst überwundener Standpunkt. Zwar ist das Geschlecht, die Familie in der römischen Gemeinde nicht vernichtet; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates ist durch sie ebenso wenig beschränkt als durch die Freiheit, die der Staat dem Bürger gewährt und gewähr- leistet. Der letzte Rechtsgrund ist überall der Staat — die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck für das Bürgerrecht im weitesten Sinn, alles Eigenthum beruht auf ausdrücklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den Einzelnen. Scharf und klar ist das Gebiet des Staates und der Bürger geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbürger oder den Gast, welche zunächst durch Ver- gleich und Sühne oder Befriedigung des Verletzten abgethan und niemals mit dem Leben gebüsst werden, sondern höch- stens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die grösste Liberalität in Gestattung des Verkehrs und das strengste Executionssystem; ganz wie heutzutage in Handels- staaten die allgemeine Wechselfähigkeit und der strengste Wech- selprozess zusammen auftreten. Der Bürger und der Schutz- genosse stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsver- träge gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind im Recht mit den Männern völlig in eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschränkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht über sein Vermögen. Wer überhaupt ver- fügen kann, ist in seinem Kreise so souverain, wie der Staat herrscht über alle. Höchst charakteristisch ist das Creditsystem: ein Bodencredit existirt nicht, sondern anstatt der Hypothekar- schuld tritt sofort ein womit heutzutage das Hypothekarver- fahren schliesst, der Uebergang des Eigenthums vom Schuldner auf dem Gläubiger; dagegen ist der persönliche Credit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantirt, indem der Gläubiger befugt ist den zahlungsunfähigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und jedem Gläubiger dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier in vollkommenem legislatorischen Ernst vom Gesetzgeber eingeräumt, ja der Punct wegen des Zuvielabschnei- dens von ihm sorgfältiger verclausulirt wird als es der Jude that. Man konnte es nicht deutlicher aussprechen, dass man ERSTES BUCH. KAPITEL XI. zugleich unabhängige und nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmännischen Credit herzustellen, alles Scheineigen- thum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdrücken beabsichtigte. Nimmt man dazu das früh aner- kannte Niederlassungsrecht sämmtlicher Latiner und die gleich- falls früh ausgesprochene Gültigkeit der Civilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Höchste von seinen Bürgern verlangte und den Begriff der Unterthänigkeit des Einzelnen steigerte wie keiner vor oder nach ihm, dies nur that und nur thun konnte, weil er die Schranken des Ver- kehrs selber niederwarf und die Freiheit ebenso sehr in dieser Richtung entfesselte, wie er in jener sie beschränkte. Ueberall steht neben der unbedingten Willkür die ungemes- sene Strenge; wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Bürger gleich; Eigenthum und Forderung sind so allmächtig, dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Berücksich- tigung sich zeigt; es ist als fände das Recht eine Freude daran überall die schärfsten Spitzen zu bezeichnen, die äusser- sten Consequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbe- griffs gewaltsam dem blödesten Verstande aufzudrängen. Die poetische Form, die gemüthliche Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmuthig walten, sind dem Römer fremd; in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zu viel. Es ist nicht grausam; alles Nöthige wird vollzogen ohne Umstände, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des römischen Rechts, den zu gewinnen andre Völker Jahrtausende haben ringen müssen. Aber es ist schreck- lich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis; denn es ist ja Volksrecht — schrecklicher als die Bleidächer und die Marterkammern jenes lebendige Begräbniss, das der Arme in dem Schuldthurm jedes vermögenden Mannes klaffen sah. Aber darin eben ist die Grösse Roms beschlossen und begründet, dass das Volk solche Rechte sich selber gesetzt und solches Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsätze der Freiheit und der Botmässigkeit, des Eigenthums und der Rechtsfolge unverfälscht und ungemildert walteten und heute noch walten. KAPITEL XII. Religion . Es ward schon früher angedeutet, dass die römische Götterwelt hervorgegangen ist aus der Wiederspiegelung der römischen Gemeinde in einem höheren und geistigeren An- schauungskreise, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Zahllos und ewig wech- selnd war die Schaar der Götter, wie der Kreis der irdischen Dinge fluthet im ewigen Kommen und Gehen; der Staat und der Gau, die Zunft und das Geschlecht, jeder Bürger, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung hatte darin sein Ge- genbild, das mit dem irdischen Begleiter kam, bestand und verging. Wie der irdische Kreis der römischen Gemeinde abgeschlossen war gegen die übrigen Staaten, so standen auch die römischen Götter den fremden schroff gegenüber und die beiden Kreise wurden in der Regel gleichmässig erweitert; wenn aus der eroberten Stadt die Bürger übersiedelten nach Rom, so lud man auch die Götter ein dort eine neue Stätte sich zu bereiten, ja man unterschied wie die Altbürger und die Insassen so die ‚einheimischen‘ ( indigetes ) und die ‚neu- sässigen‘ ( novensides ) Götter. — Wie Jedermann die ihm eigen zukommenden oder die gerade ihn angehenden Götter verehrte, so die Gemeinde als solche die ihrigen. Es bezog sich demnach der älteste öffentliche Cult vor allem auf die drei Götter, die das Volk nach den drei Curien darstellten, und auf die Gottheit des römischen Heerdes. Jene drei sind der römische Vater Iovis, der vornehmste unter allen als Ver- ERSTES BUCH. KAPITEL XII. treter der Ramner; der von den Sabinern entlehnte Mars, der mit den Titiern nach Rom kam; endlich der Quirinus, der von der geschlossenen Gemeinde der römischen Speer- träger ( quirites ) den Namen hat, wesshalb auch später, als man die Zahl der Bezirke schloss, der letzte nach ihm ge- nannt ward. Diesen drei Göttern waren ausserhalb der Stadt — der vorservianischen nämlich — heilige Stätten gewidmet; dem Iovis natürlich die Burg, dem Mars die Ebene zwischen der Burg und dem Fluss, dem Quirinus der nach ihm be- nannte Hügel. Dagegen der Gottheit des römischen Heerdes, der Vesta war wie billig unmittelbar neben oder vielmehr in dem Hause des Königs, in dem ältesten und vornehmsten Theil der Stadt am Palatin, die Stätte bereitet, an welche die ‚Vorrathskammer‘ ( penates ) sich anschloss. Diesen vier Gott- heiten wurden seit ältester Zeit ständige Diener vom Staate bestellt: jenen Dreien jedem ein ‚Zünder‘ ( flamen ) zum Dar- bringen der Brandopfer, während sechs keusche Jungfrauen, gleichsam als die Haustöchter des römischen Volkes, zum Dienste der Vesta genommen wurden und das heilsame Feuer des gemeinen Heerdes, den Bürgern zum Exempel und Wahr- zeichen, stets lodernd unterhielten. Es war dieser häuslich- öffentliche Cult der heiligste aller römischen, wie er denn auch unter allen heidnischen Gottesdiensten zuletzt dem Chri- stenthum in Rom erlegen ist. — Natürlich beschränkte sich indess schon die älteste Verehrung keineswegs auf diejenigen Gottheiten, die den römischen Staat unmittelbar darstellten; auch andern Abstractionen wurde eine eigene Verehrung ge- widmet, deren Ursprung zum Theil über Roms Entstehung hinaufreichen mag und deren Begehung im Namen des Volkes einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern oblag. Dahin gehören die zwölf ‚Springer‘ ( salii ) aus der Altstadt und die zwölf Springer aus der Vorstadt, die im März den Waffentanz aufführten und dazu sangen; ferner die zwölf ‚Ackerbrüder‘ ( fratres arvales ), welche die ‚schaffende Göttin‘ im Mai anriefen für das Gedeihen der Saaten. Diese drei nicht gentilicischen sind unter allen Priestercollegien die vornehmsten. Ihnen schliesst die titische Brüderschaft sich an, die den Sondercult der zweiten römischen Tribus zu bewahren und zu besorgen hat. Minder an- gesehen waren die Geschlechtsgottesdienste, bei denen zugleich das Volk sich betheiligt. So das ‚Wolfsfest‘ ( lupercalia ), das für die Beschirmung der Heerden dem ‚günstigen Gotte‘ ( Faunus ) von dem uralten Fabiergeschlecht und dem nach Albas Fall RELIGION. ihnen zugegebenen Quinctiliern im Monat Februar gefeiert ward; ein rechtes Hirtencarneval, bei dem die Wolfswehrer ( ‚luperci‘ ) nackt mit dem Bocksfell umgürtet herumsprangen und die Leute mit Riemen klatschten. Ebenso lag der Dienst des ‚Beschliessers‘ Hercules, der den eingefriedigten Bauerhof schirmte, den Geschlechtern der Potitier und Pinarier ob, und so war unzweifelhaft noch bei zahlreichen andern gentilicischen Culten zugleich die Gemeinde mit vertreten und betheiligt. — Zu diesem ältesten Gottesdienst der römischen Gemeinde traten allmählich neue Verehrungen hinzu; so der Diana, der der Aventin angewiesen ward, als der Repräsentantin der latini- schen Eidgenossenschaft, für die aber eben darum ein besondrer römischer Priester nicht bestellt ward; und zahlreicher an- derer Götterbegriffe, denen in bestimmter Weise durch allge- meine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte Geschlechter oder Genossenschaften zu huldigen die Gemeinde sich gewöhnte, einzelnen auch wohl einen eigenen Zünder bestellte, so dass deren zuletzt fünfzehn gezählt wurden. Aber sorgfältig unterschied man darunter jene drei Altzünder ( fla- mines maiores ), die bis in die späteste Zeit nur aus den Altbürgern genommen werden konnten, ebenso wie die drei alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier und der Arvalen stets den Vorrang vor allen übrigen Priestercollegien behaupteten. — Während also den Kreis der Götter zu vermehren nur von der Vorstellung der Menschen abhing, blieben doch die abgeschiedenen Geister streng von ihnen ausgeschlossen. Zwar glaubte man auch an deren Fort- leben und brachten ihnen Speise und Trank; allein sie hausten in den Räumen der Tiefe, während die Götter droben walte- ten, und keine Brücke führte aus der unteren in die obere Welt. Der griechische Heroencult ist den Römern völlig fremd und wie jung und schlecht die Romulussage erfunden ist, zeigt schon die ganz unrömische Verwandlung desselben in den Quirinus. Numa, der älteste und ehrwürdigste Name in der römischen Sage, ist nie als Gott in Rom verehrt worden wie Theseus in Athen. Die Verehrung der Götter geschieht unmittelbar, so dass der Anrufende selber redet zu dem Gott, die Gemeinde natür- lich durch den Mund des Königs wie die Curie durch den des Curio und die Ritterschaft durch den des Anführers der Reiter; kein Symboldienst und keine Priestervermittlung soll diese ursprüngliche und einfache Beziehung verdecken und Röm. Gesch. I. 8 ERSTES BUCH. KAPITEL XII. verdunkeln. Des Bildes bedarf der Gott nicht noch einer be- sonderen Behausung, denn das Abbild des Gottes findet sich ja ohnehin in der irdischen Welt und eben dort ist seine Stätte ( templum ); doch ist freilich die Bilderverehrung und die damit zusammenhängende Errichtung eigener Gotteshäuser ( aediculae ) schon früh nach griechischem Muster eingedrungen. — In Hinsicht auf die Priester hat zwar der Staat dafür ge- sorgt, dass die nothwendigen und stehenden Leistungen an die Götter der Gemeinde durch bestimmte ständige Diener beschafft werden und ähnliche Anordnungen kann für sich auch der Bürger treffen; das hebt indess nicht auf, dass regelmässig jeder, der König wie der Bürger mit den Göttern selber ver- kehrt und es versucht ihren Willen zu erforschen und zu be- stimmen. Allein es ist dies freilich nicht leicht. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verständlich ist; ja wer es recht versteht, der weiss den Willen des Gottes auch zu bestimmen, sogar im Nothfall ihn zu überlisten oder zu zwingen, wie denn diese Auffassung des Gottes als eines praktischen Hülfsinstrumentes für die Er- reichung sehr concreter irdischer Zwecke durch die Richtung des Italikers auf das Fassliche und Reelle nothwendig gegeben und noch heutzutage dem italienischen Volkscharakter tief ein- geprägt ist. Darum ist es natürlich, dass der Verehrer des Gottes regelmässig Sachverständige zuzieht und deren Rath vernimmt; und hieraus sind die religiösen Genossenschaften hervorgegangen, die auf die politische Entwickelung weit be- deutender eingewirkt haben als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition für die gottesdienstlichen Ver- richtungen, deren rechte Vollziehung eine gewisse Kunde vor- aussetzte und für deren rechte Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen sich selbst, natürlich aus den Bürgern, ergänzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. Dahin gehören die zwanzig Staatsboten ( fetiales ), das zahlreichste aller dieser Collegien, bestimmt, bevor es Ar- chive gab, das Andenken an die Verträge der Gemeinde mit den benachbarten zu bewahren und wenn das Bundesrecht ver- letzt war, darüber gutachtlich zu entscheiden, nöthigenfalls den Sühneversuch und die Kriegserklärung zu besorgen; vor allem RELIGION. aber die drei ansehnlichsten Genossenschaften der Brücken- bauer, der Vögelschauer und der Orakelbewahrer. Die beiden Orakelbewahrer ( duoviri sacris faciundis ) erforschten in zweifelhaften Fällen, wenn es eines gottesdienstlichen Actes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei, den Willen der Gottheit aus den Orakel- büchern; die sechs Auguren verstanden die Sprache der Götter aus dem Flug der Vögel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward; endlich die fünf Brückenbauer ( ‚pontifi- ces‘ ) hatten zunächst die ebenso heilige als politisch wichtige Aufgabe den Bau und das Abbrechen der Tiberbrücke zu leiten. Es waren die römischen Ingenieure, die das Geheimniss der Masse und Zahlen verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam den Kalender des Staats zu führen, dem Volke Neu- und Vollmond abzurufen und dafür zu sorgen, dass jede got- tesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage vor sich gehe; und da sie also vor allen andern den Ueberblick über den ganzen Gottesdienst hatten, ging auch wo es nöthig war, bei Ehe, Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob die Verfügung nicht irgendwie verstosse gegen das gött- liche Recht, und ging von ihnen die Feststellung und Bekannt- machung der allgemeinen exoterischen Sacralvorschriften aus, die unter dem Namen der Königsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, und unter ihnen wieder ihr ‚Aeltester‘ ( pontifex maximus ) die allgemeine Oberaufsicht über den römischen Gottesdienst und was damit zusammenhing — und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichnen als den Inbe- griff ihres Wissens ‚die Kunde göttlicher und menschlicher Dinge‘; und in der That sind die Anfänge der Geschichtsauf- zeichnung wie des Rechtes im Schoss dieser Genossenschaft entstanden. Denn wie alle Geschichtsschreibung an den Ka- lender und das Jahrzeitbuch anknüpft, musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssätze, da nach der Einrichtung der römischen Gerichte in diesen selbst eine Ueberlieferung nicht entstehen konnte, in dem Collegium der Pontifices tradi- tionell werden, das über Gerichtstage und religiöse Rechtsfragen ein Gutachten zu geben allein competent war. Selbst eine gewisse polizeiliche Gewalt und die Ausübung des Hausrechts der römischen Gemeinde über ihre Töchter, die Vestalinnen, waren unter den Attributionen dieser Genossenschaft. — Aber wie hochansehnlich immer auch diese Genossenschaften waren 8* ERSTES BUCH. KAPITEL XII. und wie wichtige und umfassende Befugnisse sie zugetheilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den am höchsten gestellten, dass sie Sachverständige waren und nicht zu befehlen, sondern Rath zu ertheilen, die Antwort der Götter nicht unmittelbar zu erbitten, sondern die ertheilte dem Fra- ger auszulegen hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem König nach, sondern er darf unge- fragt nicht einmal seinen Rath ertheilen; dem König steht es zu zu bestimmen, ob und wann er die Vögel beobachten will und der Vögelschauer steht nur dabei und verdollmetscht ihm, wenn es nöthig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen als wenn die Beikommen- den es von ihm begehren, und mit unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Frömmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in dem Staat die Priesterschaft in vollkommener Macht- losigkeit zu verbleiben und von allem Befehlen ausgeschlossen dem geringsten Beamten gleich jedem andern Bürger Gehor- sam zu leisten hat. Worin der römische Götterdienst bestand, lässt sich im Allgemeinen schon erkennen aus den Namen der Priester und Priesterschaften. Die Gottesverehrung, hervorgegangen aus dem freudigen Behagen des Menschen am Irdischen und nur in untergeordneter Weise aus der Furcht vor den Naturkräf- ten, ist durchgängig Aeusserung der Freude: Lieder und Ge- sänge, Spiele und Tänze sind der Inhalt der meisten römi- schen gottesdienstlichen Gebräuche, vor allem aber natürlich die Schmäuse, namentlich wenn ein Stück Vieh geschlachtet worden ist; das Schwein als der gewöhnliche Festbraten ist auch den Göttern das gefälligste Opfer. Menschenopfer sind den Römern, wenigstens so weit unser Blick reicht, fremd geblieben, ausser wo in Zeiten höchster Noth Verzweiflung und Aberglaube im Gräuel Rettung suchten. Wohl aber suchte man das verwirkte Unheil von dem Menschen auf andere Wesen abzulenken; so bot wer absichtslos unschuldiges Blut vergossen hatte, für sich einen Bock dar, und ähnlich flehte man zum Vater Tiberis, der jährlich seine Opfer erheischte, sich anstatt der Häupter der Menschen genügen zu lassen an dreissig Zwiebelhäuptern, die man in den Fluss versenkte. Geheimnisskrämerei und das sittenlose Mysterienwesen ist dem italischen Cultus gänzlich fremd und verträgt sich nicht mit dessen menschlich heiterem und klarem Wesen. Dagegen RELIGION. benutzten die Priester, namentlich die Pontifices die Furcht vor den Göttern dazu um die sittlichen Verpflichtungen einzu- schärfen, besonders diejenigen, welche im Rechtsweg sich nicht ausreichend geltend machen liessen. So stand auf Abpflügen des Grenzrains, auf nächtlichen Diebstahl der Feldfrüchte auf dem Halm, auf das Vergreifen an der Person des Königs ausser der bürgerlichen Strafe noch der Bannfluch der betreffenden Gottheit. Aber auch in Fällen, wo die Gemeinde nicht ein- griff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verhei- ratheten Sohn verkaufte; wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater sei- nem Gast oder zugewandten Mann das Treuwort brach, mochte wer das geübt wohl vor dem bürgerlichen Rechte straffrei ausgehen, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte. Nicht als wäre ein also Verwünschter ( sacer ) und dem Gott Heimgefallener vogelfrei gewesen; eine solche aller bürgerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist in Rom nur ausnahmsweise während der politischen Kämpfe als Schärfung des Bannfluchs vorgekommen und folgt auch gar nicht aus jenem Fluch, dessen Ausführung nicht der bürgerlichen Ge- richtsbarkeit, geschweige denn dem einzelnen Bürger, auch nicht den machtlosen Priestern, sondern einzig den Göttern selber zusteht. Aber der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fusst, wird in älterer Zeit mächtig gewesen sein selbst über leichtsinnige und böse Naturen. Also war und wirkte die römische Religion, in ihrer reinen und ungehemmten durchaus volksthümlichen Entwick- lung. Es thut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit ältester Zeit Weisen und Wesen der Gottesverehrung vom Auslande her herübergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Bürgerrechts an einzelne Fremde den rö- mischen Staat denationalisirt hat. Dass man von Alters her mit den Latinern die Götter tauschte wie die Waaren, ver- steht sich; bemerkenswerther ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Göttern und Gottesverehrungen. Ob der- gleichen aus Etrurien entlehnt worden sind, ist zweifelhaft; denn die Lasen, die ältere Bezeichnung der Genien (von lascivus ) und die Minerva, die Göttin des Gedächtnisses ( mens, menervare ), welche man wohl als ursprünglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt auch wohl zu allem was wir sonst wissen vom römischen Verkehr, dass früher und ausge- ERSTES BUCH. KAPITEL XII. dehnter als irgend ein anderer ausländischer der griechische Cult in Rom Berücksichtigung fand. Den ältesten Anlass gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der römischen Götter beschränkte sich auf Ja und Nein; während seit ural- ter Zeit die redseligeren Griechengötter Rathschläge ertheilten zur Abwendung des Unheils. Solche Rathschläge in Vorrath zu haben waren die Römer schon gar früh bemüht, und Abschriften der Blätter der kymaeischen Sibylle waren dess- halb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Campanien, zu deren rechter Benutzung das Collegium der Orakelbewahrer, das dritte unter den drei höchsten, von der Gemeinde bestellt ward, auch von derselben zwei griechi- sche Sclaven zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuchs an- geschafft wurden. Ebenso geht die Befragung des delphischen Apollon durch rathsuchende Römer in ferne Zeit zurück, wie dies die älteste römische Form des Namens Aperta, der Er- öffner, eine etymogologisirende Entstellung des dorischen Apellon, eben durch ihre Barbarei verräth. Auch die Schiffer- götter, Kastor und Polydeukes oder römisch Pollux, ferner die Heilgötter, Asklapios oder Aesculapius, wurden aus nahelie- genden Gründen den Römern früh bekannt, wenn gleich deren öffentliche Verehrung erst später begann; eher möchte der Name des Festes der ‚guten Göttin‘ ( bona dea ) Damium, entsprechend dem griechischen δάμιον oder δήμιον, in diese Epoche zurückreichen. — Indessen sind diese einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland von geringer Bedeutung und ebenso unbedeutend und verschollen die Trümmer des Na- tursymbolismus der Urzeit, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag; im Grossen und Gan- zen ist die römische Religion eine organische Schöpfung des Volkes, bei dem wir sie finden, dem sie die Begriffe zwar verkörpert, aber dennoch in vollständiger Durchsichtig- keit darstellte. Den Dichter freilich und den Künstler konnten diese Götter nicht begeistern wie die griechischen mit ihrer freien und persönlichen Existenz und ihrem eigenen Charakter und Schicksal, und der oberflächlichen Betrachtung mochte jene durchsichtige Welt flach erscheinen, wie die Tiefe des klaren Stroms das Auge täuscht. Aber wie die Christen des ersten Jahrhunderts frömmer waren als Raphael und seine Zeitgenossen, so liegt auch in dem geistigen und dem Bilder- wesen abgewandten römischen Cult eine tiefere Frömmigkeit als in dem sinnlichen Treiben der Griechen. RELIGION. Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem Wenigen zu schliessen das wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit local verschiedener Färbung und Gestaltung. Dass sie abwich von der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gründung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebräuche; aber eben sie giebt ein belehrendes Beispiel worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Stämmen die regelmässige Weise der Götterbefragung; aber die Titier schauten nach andern Vögeln als die rammischen Auguren. Ueberall wo wir vergleichen können, zeigen sich ähnliche Verhältnisse; die Fassung der Götter als Abstractionen des Irdischen und ihre unpersönliche Natur sind beiden Stämmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem dama- ligen Cultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist be- greiflich; wir vermögen den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen. Aber in den Trümmern, die vom etruskischen Sacral- wesen auf uns gekommen sind, begegnet uns ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine düstere und dennoch lang- weilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feier- liche Inthronisirung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publicum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Cult bei weitem nicht in solcher Vollständigkeit und Reinheit wie den latinischen, aber mag die spätere Grübelei auch manches erst hineingetragen haben und mögen auch gerade die düstern und phantastischen, von dem latinischen Cult am meisten sich entfernenden Sätze uns vorzugsweise überliefert sein, wie denn in der That beides nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug übrig um die Mystik und Barbarei dieses Cultes als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begrün- det zu bezeichnen. — Der etruskischen Religionsphilosophie ist die Welt endlich. Die Welt mit ihren Göttern wird, wie sie entstanden ist, so wieder vergehen nach Ablauf eines be- stimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind; über ihr walten die verhüllten Götter, die der etruskische Iupiter selber befragt. So suchte man dort nach dem Urgrund des Seins trotz den modernen Philosophen. Die etruskischen Götter selbst in ihrem charakteristischen Unterschied von den latinischen sind weniger bekannt; aber bestimmt treten unter ihnen die bösen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Cult grausam ist und namentlich das Opfern ERSTES BUCH. KAPITEL XII. der Gefangenen einschliesst — so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in Tarquinii die gefangenen Römer. Statt der stillen in den Räumen der Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen ‚guten Geister‘, wie die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hölle, in die die armen Seelen zur Peinigung durch Schlägel und Schlangen ab- geholt werden von dem Todtenführer, einer wilden halbthieri- schen Greisengestalt mit Flügeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man später in Rom bei den Kampfspielen verwandte um den Mann zu costumiren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erlösung daraus giebt, die nach gewissen geheim- nissvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Götter. Es ist merkwürdig, dass um ihre Unterwelt zu be- völkern, die Etrusker früh von den Griechen deren finsterste Vorstellungen entlehnten, wie denn die acheruntische Lehre und der Charun eine grosse Rolle in der etruskischen Weis- heit spielen. — Aber vor allen Dingen beschäftigt den Etru- sker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Römer ver- nahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Götter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und er- kannte nur im Allgemeinen, ob die Handlung Glück oder Unglück bringen werde. Störungen im Laufe der Natur gal- ten ihm als unglückbringend und hemmten die Handlung, so Blitz und Donner die Volksversammlung, und man suchte sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst getödtet ward. Aber jenseit der Tiber begnügte man sich damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opferthiere dem gläubigen Mann seine Zukunft bis ins Einzelne heraus und je seltsamer die Göttersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was es verkünde und wie man das Unheil etwa abwenden könne. So entstand die Blitzlehre, die Haruspicin, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Ver- standes, namentlich die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepflügt worden, Tages genannt — man sollte meinen, er sei eigens erfunden um das zugleich kindische und altersschwache Treiben zu persiffliren — also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verrathen und war dann sogleich ge- RELIGION. storben. Seine Schüler und Nachfolger lehrten, welche Götter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Him- mels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein ein- zelnes Ereigniss und wenn dieses, ob dasselbe ein bestimmt datirtes sei oder durch Kunst sich vorschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und der- gleichen wundersame Künste mehr, denen man gelegentlich die Sportulirungsgelüste anmerkt. Wie tief dies alles dem römischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man später in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward es einzubürgern; in dieser Epoche genügten den Römern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel. Sie hatten nichts gemein mit einander, die italische Religion des freudigen Vertrauens und die etruskische der bangen Furcht. KAPITEL XIII. Ackerbau , Gewerbe und Handel . Ackerbau und Handel sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der äusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf dieselben Rücksicht genommen werden musste. Es soll hier versucht werden anknüpfend an jene einzelnen Betrachtungen die italische, namentlich die römische Oekonomie zusammenfassend und ergänzend zu schildern. Der Feldbau ist der Grundpfeiler aller italischen Staaten gewesen, der sabellischen und etruskischen nicht minder als der latinischen. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirthschaft jenseit der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel fällt, ward schon bemerkt. Der Ackerbau bestand in Italien lange, ehe man das Eisen schmelzen lernte; denn der heilige Pflug, mit dem man die Furche zog um darauf den Mauerring zu errichten, in welchem die Bauern Schutz finden sollten vor dem feindlichen Ueberfall, hatte eine kupferne Schaar. — Dass namentlich in Rom, über dessen agrarische Verhältnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen lässt, nicht bloss der Schwerpunct des Staates ur- sprünglich in der Bauerschaft lag, sondern auch dahin gear- beitet ward die Gesammtheit der Ansässigen immer festzu- halten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die servianische Reform, welche nur hervorgerufen sein kann durch das Missverhältniss, dass im Laufe der Zeit ein grosser Theil des römischen Grundbesitzes in die Hände von Nicht- ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. bürgern gelangt war und dass also die Rechte und Pflichten der Bürgerschaft nicht mehr auf der Ansässigkeit ruhten. Die reformirte Verfassung beseitigte diese Gefahr nicht bloss für einmal, sondern für alle Folgezeit, indem sie die Gemeinde- glieder ohne Rücksicht auf ihre politische Stellung ein für allemal schied in ‚Ansässige‘ und ‚Kindererzieler‘ und auf jene die gemeinen Lasten legte, denen die gemeinen Rechte im natürlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Römer war ebenso wie die Verfassung basirt auf die Ansässigkeit; wie im Staat der ansässige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck den noch nicht ansässigen Leuten Besitz zu verschaffen. Nicht Kriegscontribution oder festen Zins legte man der überwundenen Gemeinde auf, sondern die Ab- tretung eines Theils, gewöhnlich eines Drittels, ihrer Feld- mark, wo dann regelmässig römische Bauerhöfe entstanden. Viele Völker haben gesiegt und erobert wie die Römer; aber keines hat gleich ihnen den gewonnenen Boden also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschaar zum zweiten- mal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wie- der entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflüger macht; die Römer haben viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden römischen Boden abgetreten. — Dieser energisch colonisirenden Eroberungspolitik zur Seite geht das strengste politische Centralisirungssystem; die neuen Ansied- lungen wurden nicht selbstständige Gemeinden, das heisst vor- läufig Clienten und künftig Rivale, sondern es wuchs die rö- mische Stadtgemeinde um so viel ansässige Bürger, als Land- loose neu waren ausgelegt worden. Selbst wo es factisch unvermeidlich war eine städtische Ansiedlung zu gestatten, wie zum Beispiel an dem Hafenplatz der Tibermündung, ging man hiervon nicht ab; schon dieser Zeit gehört der ge- niale Gedanke der Bürgercolonie, das heisst einer factischen Stadtgemeinde, die rechtlich unselbstständig ist und willenlos in der Hauptstadt aufgeht; die im Staate steht wie im Ver- mögen des Vaters das Peculium des Sohnes. In der Beherr- schung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Grösse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und un- mittelbarste Herrschaft der Bürger über den Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegründeten Bauer- schaft. ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. Die Theilung des Ackerlandes vermögen wir nicht mehr ge- nau zu erkennen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in ältester Zeit die gesammte Mark gemeinschaftlich bestellt ward, wie denn Zusammenwohnen und Wirthschaften der Theilbesitzer bis in die späteste Zeit in Rom sehr häufig vorkam; dieser Zeit mag das älteste Mass des ‚Sondereigenthums‘ ( heredium von herus ), von 2 Iugeren (2 preussische Morgen) angehören, welches das Gartenland gewesen sein wird, das der Einzelne mit seinen Händen bestellte. In dieser Epoche bestand also die Hauptmasse des Sondergutes nicht in Grundbesitz, sondern in Sclaven und Vieh, von wo sich die uralte Bezeichnung des Privatvermögens als ‚Sclaven- und Viehbestand‘ ( familia pecu- niaque ) herschreibt, sowie die Feststellung der Form der Eigen- thumsübertragung durch Kupfer und Wage, die eigentlich für Immobilien nicht passt. Indess wenigstens schon bei Einfüh- rung der servianischen Verfassung finden wir den gemeinen Acker aufgetheilt und nur die Weide, namentlich die Schaf- weide im ungetheilten Besitze der Gemeinde gelassen. Welches Ackermass jetzt als Vollhufe galt, ist zwar nicht gelungen zu bestimmen; indess geht aus dem Organismus der servianischen Verfassung mit Bestimmtheit hervor, dass die mittleren Bauer- stellen, die einer Familie zu thun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh so wie die Anwendung des Pfluges gestatteten, die durchschnittliche Masse ausmachten, so dass weder eine übermässige Zerstückelung des Grundbesitzes statt- fand noch auch die grösseren Grundbesitzer ein schädliches Uebergewicht gewannen. Die herkömmliche Nutzungsweise der grossen Güter ist in dieser Zeit, wo eine ausgedehnte Weidewirthschaft wohl nur auf der Gemeinweide stattfand, die Verpachtung in kleinen Parzellen gegen Abgabe eines Theils, in späterer Zeit nicht selten bis zu vier Fünfteln der gewon- nenen Früchte; wie sie noch jetzt in Italien allgemein ist. Die Pächter waren theils zugewandte Leute, theils Knechte des Grundherrn, die der Herkunft nach sich jenen im Ganzen ebenbürtig fühlen mochten; etruskische, sabinische und volski- sche Kriegsgefangene und deren Descendenz müssen in dieser Epoche die Hauptmasse der römischen Sclavenschaft gebildet haben. Das Verhältniss zwischen dem freien Pächter und dem Verpächter, das sogenannte Precarium, beruhte weniger auf dem Recht, als auf Treue und Glauben; es bestand kein Rechtsmittel weder um den Pächter im Besitz zu schützen noch um dem Verpächter zu seiner Fruchtquote zu verhelfen, ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. und jederzeit konnte der Pächter die Pacht aufgeben oder der Verpächter den Pächter ausweisen. Aus dieser Art der Bewirthschaftung erklärt sich, wesshalb aus den reichen Guts- besitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel entstanden ist; denn sie fesselte, da die verderbliche Institution der Mittels- männer den Römern fremd blieb, den Gutsherrn fast nicht weniger an den Grundbesitz als den Pächter. Sein Haus war der Bauernhof; in der Stadt hatte er nur ein Quartier, seine Geschäfte zu besorgen und während der heissen Zeit dort die Villeggiatur zu halten. Ferner ist es bemerkenswerth, dass durch diese Institution auch ein grosser Theil der nicht an- sässigen Leute, der Clienten, Freigelassenen und Knechte factisch Haus und Hof empfing und verwaltete; wodurch die Unsittlichkeit und Gefährlichkeit dieser abhängigen Verhält- nisse wesentlich gemildert ward. Der römische Knecht hatte zwar nicht rechtlich, aber in der Regel doch thatsächlich Land und Vieh, Weib und Kinder wie der Gutsherr und die Mög- lichkeit sich frei zu arbeiten lag ihm nicht fern. Dann aber fand sich in dieser ackerbauenden und eigenthumslosen Be- völkerung das rechte Material für die römische Colonisations- politik, welche ohne dies nimmermehr gelingen konnte; denn es baut nicht wer da will den Acker mit eigener Hand und der Staat kann wohl dem Landmann Land verleihen, aber nicht dem Handwerker den Muth und die Kraft geben um die Pflugschaar zu führen. Sonach war der grosse Grundbesitz, der verhältnissmässig eben so vielen Familien eine wenn auch geringere Existenz verschaffte wie der mittlere und kleine, keineswegs der Vermehrung der Bürgerschaft hinderlich und für den Staat vom wesentlichsten Nutzen, indem ihm in den verhältnissmässig hoch und frei gestellten Herrn die natür- lichen Leiter und Regierer der Gemeinde erwuchsen, in den Pächtern die Pflanzschule für seine Colonien. — Dass bei der freien Theilbarkeit des Eigenthums es an Insten und Garten- besitzern nicht fehlen konnte, bei denen der Karst an die Stelle des Pfluges trat, versteht sich von selbst. Die allzu- grosse Zerstückelung des Bodens zu verhüten bediente man sich nicht einer Beschränkung der freien Disposition durch einen gesetzlichen Machtspruch, sondern zum Theil der Ausführung von Colonisten, welche regelmässig die Gründung einer Anzahl neuer Vollhufen zur Folge hatte und häufig wohl auch die Ein- ziehung einer Anzahl Instenstellen veranlasste; theils überliess man die Beschränkung der Bodentheilung der Gewohnheit und ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. der Einsicht des Volkes, und mit Grund; denn dass die Landloose regelmässig zusammenblieben, beweisen ihre feststehenden Indi- vidualnamen. Sehr häufig blieben die Miterben in ungetheiltem Besitz des Erbguts; doch sorgte schon das älteste Recht dafür, dass diese Gemeinschaft zu jeder Zeit von jedem Theilhaber beliebig aufgelöst und die factische Auftheilung durchgeführt werden könne. Es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammen- wohnen; aber sie dazu zu nöthigen ist dem liberalen Geiste des römischen Rechts fremd. Gegen schlechte Wirthschafter sicherte man die Anerben nicht durch Feststellung der Erb- gutsqualität der Grundstücke, sondern dadurch, dass man ihnen, jedoch nur wenn ererbtes Vermögen leichtsinnig ver- schleudert ward, gestattete den Verschwender vom Gericht für wahnsinnig erklären und also unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht im Wesentlichen entzogen; wenn sie sich verheiratheten, gab man ihnen regelmässig einen Geschlechtsgenossen zum Mann, damit das Gut zusammenbliebe. Ausserdem hatten eine Reihe Sacralvorschriften zum Zweck die Pflege und den Schutz des Acker- und Weinbaus, zum Beispiel das Verbot von unbe- schnittenen Reben gewonnenen Wein den Göttern darzubrin- gen. — Der Ueberschuldung des Grundbesitzes beugte das Recht dadurch vor, dass es den Uebergang desselben vom Schuldner auf den Gläubiger in jeder möglichen Weise theils geradezu vorschrieb — so bei der Hypothekarschuld — theils, wie beim einfachen Darlehen, durch ein strenges Executionsver- fahren sehr erleichterte; doch bewährte sich das letztere Mittel nur unvollkommen. — Was die Weise der Production selbst betrifft, so genügen für den gegenwärtigen Zweck darüber wenige Andeutungen. Die Feldbestellung beschränkte sich vorzugsweise auf den Korn-, das heisst den Speltbau; die Pflege des Wein- stocks ist wohl auch früh aufgekommen, aber doch verhältniss- mässig, wenigstens in Latium, bedeutend jünger. Das Getreide war die regelmässige Nahrung; eine selbstständige Viehwirthschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand schwer- lich in grossem Umfang, wenn man nicht das auf die gemeine Weide aufgetriebene Kleinvieh dahin rechnen will. Sonst hielt man im Allgemeinen das Vieh nur zur Bestellung des Bodens, den Stier, auch die Kuh zum Pflügen, Pferde, Esel und Maul- thiere zum Tragen der Lasten. Dass Schweine und Geflügel, besonders Gänse daneben gehalten und der Gartenbau nicht vernachlässigt ward, bedarf kaum der Bemerkung. Im Ganzen ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. ward der Ackerbau, bei aller in seinem Wesen liegenden Stabilität, doch intensiv und intelligent getrieben; die gemüth- liche Anhänglichkeit an die ererbte Scholle und an die mit ihr überkommene Weise der Bestellung ist dem praktischen Italiener fremd. So mag namentlich das Berieselungssystem schon früh eingeführt sein und mit den ersten Anfängen der römischen Wissenschaft finden wir gleich eine theoretische Behandlung des Ackerbaus. Für den Römer, auch für den reichen, galt es, sagt Cato, als das höchste Lob ein guter Bauer zu heissen. Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausge- dehnteste Gewerbe war, daneben aber andere Zweige der In- dustrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der frühen Ent- wicklung des städtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und in der That werden unter den Institutionen des Königs Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen acht Handwerkerzünfte aufgezählt: der Flötenbläser, der Goldschmiede, der Kupfer- schmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Färber, der Töpfer, der Schuster — womit wohl in der That für die älteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmässige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung für fremde Rechnung arbeitenden Gewerke im Wesentlichen erschöpft sein wird. Für das städtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft müssen diese Gewerkschaften in der ältesten Periode von grosser Be- deutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den späteren durch die Masse der für den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersclaven und die stei- gende Einfuhr von Luxuswaaren gedrückten Verhältnissen des römischen Handwerks. Vom Waffenrecht indess blieben diese Industriellen durchgängig ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und gewissen Klassen der Musikanten eigene militärisch organisirte Abtheilungen dem Heer beigegeben wurden, und in Folge dessen behielten die Gewerke eine politisch untergeordnete Stellung. Die Einrich- tung der Zünfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften; die Sachverständigen thaten sich zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgend einer Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder monopolistischer Ten- ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. denzen noch dagegen angewandter Schutzmittel — freilich sind über keine Seite des römischen Volkslebens die Nach- richten so völlig versiegt wie über die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der ältesten Epoche auf den Verkehr der Italiker unter einander beschränkt hat, versteht sich von selbst. Das hohe Alter der römischen Messen ( mercatus ), die wohl zu unterscheiden sind von den gewöhnlichen Wochen- märkten ( nundinae ), beweist die sehr früh, nämlich vor dem Abkommen des k, dafür in der römischen Schrift festgestellte Abkürzung; sie mögen sich ursprünglich nicht, wie es später üblich war, an die Spiele angeschlossen haben, sondern stan- den wohl in Verbindung mit der Festfeier in dem Bundes- tempel auf dem Aventin, wozu jedes Jahr am 13. August die Latiner nach Rom kamen und diese Gelegenheit zugleich be- nutzten zu Erledigung der Prozesse und zum Einkauf ihres Bedarfs. Aehnliche und vielleicht noch grössere Bedeutung hatte für Etrurien die jährliche Landesversammlung am Tem- pel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von rö- mischen Kaufleuten regelmässig besucht ward. Aber die be- deutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht günstiger zu finden war für den Waarentausch unter den drei grossen Nationen. Der hohe einzeln stehende Berg, der wie von der Natur selbst mitten in die Tiberebene den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens gehört zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmässig erschienen hier die römischen Kauf- leute und Verletzungen derselben führten manchen Hader mit den Sabinern herbei. — Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen lange bevor das erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war; man half sich aus mit Korn und Wein und das kupferarme Latium bezog hier seinen Bedarf von den reichen Metallschätzen Etruriens, wofür man gewöhnlich wohl mit Sclaven bezahlte, deren uralter Export auf das rechte Tiberufer schon erwähnt ist. Dieser vorhellenischen Epoche des italischen Verkehrs dürfte, wie später zu zeigen sein wird, die Feststellung der Zahlzeichen italischer Erfindung und des italischen Duodecimal- systems angehören und in diesen Bildungen die ältesten Spu- ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. ren des sich noch selbst überlassenen Internationalverkehrs der italischen Völker vorliegen. In welcher Art der griechische und der punische Verkehr auf die unabhängig gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im Allgemeinen schon früher bezeichnet. Fast ganz unberührt von ihm blieben die sabellischen Stämme, die nur einen ge- ringen und unwirthlichen Küstensaum inne hatten und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel städtischer Entwick- lung bei ihnen rührt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westküste, wo in Campanien Griechen und Italiker friedlich neben einander wohnten, in Latium und noch mehr in Etrurien ein ausgedehnter und regelmässiger Waarentausch stattfand. Was die ältesten Einfuhrartikel waren, lässt sich theils aus den Fundstücken schliessen, die uralte caeritische Gräber ergeben haben, theils aus Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Römer bewahrt sind, theils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natürlich kaufte man längere Zeit die fremden Manufacte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir können zwar nicht die Grenze bestimmen, welche die Handwerke vor der Scheidung der Stämme und dann in der Periode erreichten, wo Italien sich selbst überlassen war; es mag dahin gestellt bleiben, in wie weit die italischen Walker, Färber, Gerber und Töpfer von Griechenland oder Phönicien aus den Anstoss empfangen oder selbstständig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, nicht aufgekommen sein, bevor der überseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung Goldschmuck unter den Bewohnern der Halbinsel vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den ältesten Grabkammern von Caere und Vulci Goldplatten mit eingestem- pelten geflügelten Löwen und ähnlichen Ornamenten babyloni- scher Fabrik. Es mag über das einzelne Fundstück gestritten werden, ob es vom Ausland eingeführt oder einheimische Nachahmung ist; im Ganzen leidet es keinen Zweifel, dass in ältester Zeit an der ganzen Westküste Metallwaaren vom Osten her eingeführt wurden. Es wird sich später, wo von der Kunst die Rede sein wird, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik in Thon und Metall daselbst Röm. Gesch. I. 9 ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. in sehr früher Zeit durch griechischen Einfluss eine mächtige Anregung empfangen haben, das heisst dass die ältesten Werk- zeuge und die ältesten Muster aus Griechenland gekommen sind. Einfuhrartikel waren ferner andere Schmucksachen und Zierrath, wie zum Beispiel Glas- und Bernsteinperlen, welche letztere freilich auch auf dem Landweg bezogen sein könnten, Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen, und Gefässe von bläulichem Schmelzglas oder grün- lichem Thon, nach Material und Stiel wie nach den einge- drückten Hieroglyphen zu schliessen ägyptischen Ursprungs, in jene Grabkammern mit eingelegt waren; ferner Salben, wie die dort gefundenen Salbgefässe von orientalischem Alabaster — darunter mehrere als Isis geformte — zeigen; Purpur, Elfenbein und Weihrauch, wie deren uralte Lehnnamen ( pur- pura = ποϱφύας; scipio = σϰίπων, σϰῆπτϱον, auch wohl ebur = ἐλέφας; thus = τὸ ϑύος) anzeigen. Ob das Zu- sammentreffen der Namen für Oel ( oleum = ἔλαιον), Wein ( vinum = οἶνος), Flachs ( linum = λίνον) aus der alten Stamm- und Sprachgleichheit sich erklärt oder ob auch diese Bezeichnungen im Lateinischen den Griechen entlehnt sind, lässt sich schwer entscheiden; sicher aber sind Spuren des Verkehrs die auf die Mahlzeiten sich beziehenden Wörter amphora neben ἀμφοϱεύς und die Kuchennamen lucuns γλυϰοῦς, placenta πλαϰοῦς, turunda τυϱοῦς, wo die charak- teristische Bildung aus dem Accusativ Beachtung verdient. Während diese Wörter aus Griechenland nach Rom gewandert sind, hat das lateinische patina als πατάνη im sikelischen Griechisch Aufnahme gefunden. Der barbarische Charakter, den all diese Verstümmelungen tragen, ist der schlagendste Beweis ihres hohen Alters, wie denn auch das purpurne Kö- nigsgewand und der Gebrauch des Weihrauchs beim Opfer in ganz Italien seit der ältesten Zeit verbreitet gefunden wird. Auch das attische und kerkyraeische Luxusgeschirr wird früh von den Italikern gekauft worden sein, wenn gleich die Sitte den Todten solche Gefässe mitzugeben erst in der folgenden Periode aufgekommen zu sein scheint. — Wenn sonach das älteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxus- waaren aus dem Osten bezog, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabriciren versuchte, so hatte es zum Austausch nichts zu bieten als seine Rohpro- ducte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sclaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. und, wenn etwa im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande des Waarenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon früher erklärt worden, warum sich der italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Alle hauptsächlichen Ausfuhr- artikel mangelten den Latinern, so dass sie durchaus einen Passivhandel führten; wogegen die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich noth- wendig günstiger stellen musste. Daher der schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre mächtige Handelsstel- lung; während Latium vorwiegend eine ackerbauende Land- schaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen Be- ziehungen: die ältesten nach griechischer Art, nur mit ungrie- chischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Gräber finden sich in Caere, während die latinische Landschaft kein einziges Luxusgrab aus älterer Zeit aufweist und hier wie bei den Sabellern ein einfacher Rasen die Leiche eines Jeden be- deckte. Die ältesten Münzen, den grossgriechischen der Zeit nach wenig nachstehend, gehören Etrurien, namentlich Popu- lonia; Latium hat in der ganzen Königszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst die fremden Münzen nicht eingeführt, denn nur äusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort kommt ihnen überall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im Ganzen dieselben Waaren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabricirte; aber in der Intensität des Verkehrs stand die südliche Landschaft weit zurück hinter dem nördlichen Nachbar. Ein nicht minder bemerkenswerther Unterschied des Ver- kehrs der Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den ältesten Handel der Etrusker im adriatischen Meer können wir kaum etwas angeben als die Vermuthung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen sei. Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die östlichen Meere wagten und nicht bloss mit Si- cilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland ver- kehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen Thongefässe, die in den jün- 9* ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. geren etruskischen Gräbern so zahlreich sind und zu andern Zwecken als zum Gräberschmuck, wie bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingeführt wurden, während umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen früh in Attika ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Mün- zen. Die Silberstücke von Populonia, fast vollwichtige Di- drachmen nach solonischem Fuss und sehr verwandt den ältesten syrakusanischen Münzen, ehe dort die leichten Tetra- drachmen aufkamen, sind nachgeprägt einem uralten einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, andrerseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstück, das sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse im Posenschen ge- funden hat, und das wahrscheinlich im eigentlichen Griechen- land geschlagen ist. Dass ausserdem und seit der Entwick- lung der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugs- weise die Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwähnt; es ist beachtenswerth, dass in den ältesten Gräbern von Caere ausser einheimischem Bronze- und Silbergeräth vorwiegend orientalische Waaren sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herrühren können, wahrscheinlicher aber doch von punischen Handelsmännern eingeführt wurden. Indess darf diesem pu- nischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und na- mentlich nicht übersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Cultur von den Griechen, nicht von den Phöniciern nach Etrurien gebracht sind. — Nach einer andern Richtung weist der latinische Verkehr. So wenig Gelegenheit wir auch haben Vergleichungen der römischen und der etruskischen Reception hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie möglich sind, eine vollständige Unabhängigkeit beider von ein- ander und es lässt sich sogar noch erkennen, dass ein anderer griechischer Stamm auf die Etrusker, ein anderer auf die La- tiner einwirkte. Am evidentesten tritt dies hervor im Alpha- bet; das nach Etrurien gelangte griechische ist wesentlich verschieden von dem den Latinern mitgetheilten und während jenes so primitiv ist, dass dessen Heimath sich nicht mehr ausmachen lässt, zeigt dieses genau die Zeichen und Formen, deren die chalkidischen und dorischen Colonien Italiens und Siciliens sich bedienten. Aber auch in einzelnen Wörtern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der römische Pollux, der tuskische Pultuke sind selbstständige Corruptionen des ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der römische Ulixes entspricht genau der in Sicilien üblichen Namensform; ebenso der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der römische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der römische Aperta, später Apollo, ist entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu aus Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums auf den Zug des latinischen Handels zu den Kumanern und den Sikelioten; und eben dahin führt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Münze von Poseidonia; der Getreide- kauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, Kumanern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhältniss des latini- schen Geld- und Creditwesens zu dem sicilischen. Wie die locale dorisch-chalkidische Bezeichnung der Silbermünze νό- μος, das sicilische Mass ἡμίνα waren in gleicher Bedeutung nach Latium übergingen, so waren umgekehrt die italischen Gewichtbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die beim Gebrauch des Kupfers nach dem Gewicht an Geldes Statt dienten, in den corrupten und hybriden Formen λίτϱα, τϱιᾶς, τετϱᾶς, ἑξᾶς, οὐγϰία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sicilien in den gemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. Damit zu vergleichen ist das schon erwähnte Vorkommen des römischen Handelsdarlehns, des mutuum in der sicili- schen Landessprache. Ja es ist dieser Verkehr so bedeutend gewesen, dass das sicilische Gewicht- und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein festes Verhältniss gesetzt ward, indem man drei halbe sicilische Minen gleich zwei römischen Pfunden setzte und dann nach dem conventionellen Werthverhältniss des Kupfers zum Silber von 125: 1, später von 250: 1 eine der halben Mine Kupfer an Werth entsprechende Silberlitra schlug. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren im sicilischen Verkehr zahlreich circulirten. Während also alles sich vereinigt um den regen Handel der Latiner mit den kumanischen und noch mehr mit den sici- lischen Griechen zu documentiren, finden sich für den Ver- kehr mit anderen Völkern so gut wie gar keine Beweise. Der Vertrag mit Karthago beweist zwar, dass römische Schiffe bis nach Africa und Sardinien kamen, allein dass er haupt- sächlich der unter punischer Herrschaft stehenden Sikelioten ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. wegen von Rom abgeschlossen ist, zeigt die nur für Sici- lien den römischen Kaufleuten darin zugesicherte vollstän- dige Rechtsgleichheit; das Ostmeer aber war den Römern vertragsmässig geschlossen. — Fragen wir schliesslich, wie dieser Handel geführt ward, ob von italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so scheinen, wenigstens was Latium anlangt, all die eben angeführten Spuren für die erstere Annahme zu entspre- chen. Es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Be- zeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehns da- durch in allgemeinen Gebrauch auf der sicilischen Insel kommen konnten, dass sicilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer einhandelten gegen Schmuck. Entscheidend ist aber, dass der Vertrag mit Karthago wohl dem römischen Kaufmann im karthagischen Gebiet Rechtsgleichheit oder doch gewisse Vergünstigungen stipulirt, aber keineswegs dem kar- thagischen auf römischem Gebiet die Reciprocität. Es soll natürlich nicht behauptet werden, dass dem karthagischen Unterthan und dem befreundeten Griechen der römische Hafen geradezu verschlossen gewesen wäre. Aber es ist nur eine consequente Entwicklung der italischen Handels- politik, dass man so weit es anging den Handel mit eigenen Schiffen führte und durch Staatsverträge darauf hinwirkte; dass man andrerseits sich dies gefallen liess, zeigt nicht min- der die Einträglichkeit dieses Verkehrs für die Griechen und Punier wie die achtunggebietende Stellung der italischen See- mächte. — Was endlich die Personen und Stände anlangt, durch die dieser Handel in Italien geführt ward, so hat sich auffallender Weise in Rom nie ein eigener höherer Kauf- mannsstand entwickelt. Der Grund ist, dass der Grosshandel von Anfang an sich in den Händen der grossen Grundbesitzer befunden hat — eine Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren schiffbaren Flüssen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der von seinen Pächtern in Fruchtquoten bezahlt wird, früh in den Besitz von Barken gelangte, ist natürlich und beglaubigt; der überseeische Eigenhandel musste also um so mehr ihm zufallen, als der grosse Grundbesitzer allein die Schiffe und in den Früchten die Ausfuhrartikel besass. In der That ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den Rö- mern der älteren Zeit nicht bekannt; die grossen Grundbe- sitzer sind immer zugleich die Speculanten und die Capita- ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. listen. Bei einem sehr intensiven Handel wäre allerdings diese Vereinigung nicht durchzuführen gewesen; allein wie die bis- herige Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der latinischen Landschaft sich hier concentrirte, allein im Wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde. KAPITEL XIV. Mass und Schrift . Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hört die Erkenntniss des Menschen auf so vergänglich zu sein wie er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht den Völkern auch auf diesen Bahnen zu folgen. Um messen zu können, müssen vor allen Dingen die Be- griffe der zeitlichen und räumlichen Einheit und des aus gleichen Theilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das Zah- lensystem entwickelt werden. Für jenen Begriff bietet die Natur als nächste Anhaltspunkte für die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, für den Raum die Länge des Mannesfusses, der leichter misst als der Arm, für das Gewicht die mit ausgestrecktem Arm auf der Hand schwebend zu haltende Last oder das Pfund ( libra, das Schwe- bende, wie librare zeigt). Zur Fixirung des aus gleichen Theilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fünf oder die Hände mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Decimalsystem, welches als das älteste und sämmtlichen Indogermanen ursprüngliche durch die Sprache sich ausweist. Diese Elemente des Zählens und Messens, deren Feststellung weit über die Trennung der Stämme zu- rückreicht, sind von den Italikern lange Zeit im Wesentlichen unverändert festgehalten worden; es ist dies die Epoche, in der I, V und X, ohne Zweifel Nachbildungen des Fingers, der MASS UND SCHRIFT. offenen Hand und der beiden Hände und die ältesten und einzig nationalen aller italischen Schriftzeichen, irgendwo auf der Halbinsel erfunden wurden und sich zu allen auf ihr an- gesiedelten Stämmen verbreiteten. Decimale Raummasse, wie diese Zeichen sie überall voraussetzen, können wir indess nur nachweisen bei dem Stamm, der am ungetrübtesten seine alterthümlichen Gewohnheiten bewahrte, in dem oskischen und umbrischen Vorsus, einem Flächenmass von hundert Fuss ins Gevierte gleich dem griechischen Plethron. Das älteste römische Zeitmass, das wir kennen, ist gleichfalls decimal: das zehnmonatliche Jahr, welches nichts ist als eine Anwen- dung des Decimalsystems auf die uralte Rechnung nach Mond- monaten. Der Tag blieb sehr lange die kleinste Einheit — die Eintheilung in Stunden ist erst durch die alexandrini- schen Sonnenuhren festgestellt worden — und es erklärt sich daher, dass späterhin der Anfang des Tages von den Römern auf die Mitternacht, von den Sabellern und Etruskern auf Mittag festgesetzt wurde. Sonnenauf- und Untergang, später auch Mittag und die Mittzeiten zwischen Morgen und Mittag, Mittag und Abend wurden nach unmittelbarer Beobachtung abgerufen. Wie viele Tage auf den Mondmonat gingen, be- stimmte man nicht durch Rechnung, sondern gleichfalls durch unmittelbare Beobachtung; den Neumond rief der Priester öffentlich aus ( kalendae, Ausrufetag), worauf dann das erste Viertel ( nonae ) und acht Tage nach diesem der Vollmond ( idus, vielleicht Scheidetag) folgten; die Zwischentage zwischen Voll- und Neumond zählte man nach uralter über die Scheidung der Stämme zurückgehender Sitte nicht von dem letztverflosse- nen Epochentag vor-, sondern von dem nächstfolgenden rück- wärts. Dieser Mondmonat war also der synodische von der mitt- leren Dauer von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten, statt dessen man der Kürze wegen einen ‚Kreis‘ ( annus ) von zehn Monaten setzte Das zehnmonatliche Jahr hatte also 295 Tage; die spätere Berech- nung desselben zu 304 Tagen beruht auf Rückrechnung aus dem Sonnen- jahr von 365 Tagen, wie sie nach dessen Einführung für die praktische Anwendung des zehnmonatlichen Jahres nothwendig ward. ; alleindie astronomische Einheit blieb immer der Monat und es war nicht einmal möglich bei jenem zehnmonatlichen Jahr den Monaten Individualnamen zu geben. Es bedarf keiner Bemerkung, dass man daneben die Jahreszeiten unterschied und nach diesen die Feste normirte; für die Rechnung indess diente lange bloss der Mondmonat und der Tag. ERSTES BUCH. KAPITEL XIV. Diese ursprüngliche Messweise wurde verändert durch eine merkwürdige Reform, die in dem Zeit- wie in dem Raum- mass das Duodecimalsystem feststellend offenbar national ita- lisch und vor der hellenischen Einwirkung durchgeführt ist. Ausgegangen ist diese Reform von der Zeit, indem man beo- bachtet hatte, dass ungefähr nach zwölf Mondmonaten oder ungefähr 355 Tagen die Jahreszeiten ihren Kreislauf vollendet hatten. So gewann man ein wenn auch unvollkommenes Son- nenjahr, in dem die Monate nun auch individuell bezeichnet werden konnten — so in Rom der erste als der des Mars, die drei folgenden als die des Sprossens, Reifens und Ge- deihens, die sechs nächsten mit ihren Zahlen, endlich die zwei letzten als die Monate der Oeffnung und der Reinigung. Dass nur ein einziger Monat nach dem Namen eines Gottes benannt ist und zwar nach dem sabinischen Gott der Titier, legt die Frage nahe, ob diese Einrichtung etwa sabinischen Ursprungs sein sollte. Diese Namen hatten indess nur locale Geltung; fast jede Gemeinde in Latium hatte ihre eigenen Monatsnamen und öfters auch abweichende Fristen, wie zum Beispiel in dem uralten Kalender von Alba Monate von 36 und von 16 Tagen vorkommen, wo also nicht die Neumonde, sondern Feste oder andere Termine die Grenze der Monate bezeichneten. Die Mängel dieses Sonnenjahrs glich man eini- germassen aus theils durch Einschaltung eines ‚Arbeitmonats‘ ( mercedonius ), nach dem Princip dass 20 Sonnenjahre einer bestimmten Zahl (wahrscheinlich 247) Mondmonaten entspre- chen müssten, theils durch die Beibehaltung der auf sichere Beobachtung sich gründenden Rechnung nach Mondumläufen für alle Fälle, wo es auf genaue Zeitbestimmung ankam. Um endlich auch eine Jahreszählung zu gewinnen, ward an einem bestimmten Monatstag in einem öffentlichen Gebäude — in Rom an den Iden des September im Tempel des capitolini- schen Jupiter — ein Nagel eingeschlagen. — Im Anschluss hieran ward nun auch für das Flächenmass eine aus dem Decimal- und Duodecimalsystem zusammengesetzte Einheit von 120 Fuss ins Geviert ( actus ) festgestellt und ebenso im Li- nienmass der ‚Fuss‘, im Gewichtsystem das ‚Gewicht‘ oder das ‚Kupfer‘ ( libra, as ) in zwölf Zwölftel ( unciae ) und dieses Zwölftel wieder in zweimal zwölf Stückchen ( scripula ) einge- theilt; im Körpermass mögen ähnliche Festsetzungen verschol- len sein. Dies in den Namen wie in den Verhältnissen ab- solut ungriechische System finden wir in Latium wie in Etru- MASS UND SCHRIFT. rien, wo zum Beispiel die Zwölfzahl in den Zwölfstädtebünden und die Rechnung nach Idus und Nonen wie die Sitte der Jahresnägel ebenso vorkommen wie in Rom; wie denn überall Rechnung und Messung leicht die Volksgrenzen überschreiten. Dass es auf einmal und durch bewusste Schöpfung entstanden ist, zeigt die innere Geschlossenheit des Systems; Ort und Zeit sind nicht mehr zu ermitteln, obwohl mehr auf latinischen Ursprung deutet als auf etruskischen und für das Entstehen dieser Einrichtung vor der Erfindung der Schreibekunst die Sitte der Jahresnägel spricht. Dass der Anfang der etruski- schen Volksaera, wie es scheint, ins Jahr 1044 vor Christi gesetzt wird, verdient Beachtung, obwohl man hier wie bei allen Weltaeren beim Anfang der wirklichen Rechnung eine durch Speculation gewonnene Anzahl Jahre als verflossen angesetzt haben wird, so dass diese Zahl nicht berechtigt den Anfang der etruskischen Cultur so hoch hinaufzurücken. Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westküste eröffnet hatte, war dies nicht ohne Einfluss auf das dort übliche Masssystem. Zwar die Zeitmes- sung wie das Flächenmass blieben unberührt von dem grie- chischen System; allein das Längenmass, das Gewicht und vor allem das Körpermass, das heisst diejenigen Bestimmun- gen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, empfan- den den griechischen Einfluss. Der römische Fuss, der später freilich um ein Geringes kleiner war als der griechische, aber damals entweder wirklich noch gleich war oder doch gleich geachtet ward, wurde neben seiner römischen Eintheilung in zwölf Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- und sechzehn Fingerbreiten getheilt; ferner wurde das römische Gewicht in ein festes Verhältniss zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sicilien herrschte, nicht aber in Kyme — ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr zwei römische Pfund gleich drei halben Minen (Kupferlitren) gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermasse theils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbniss ( amphora, modius nach μέδιμνος, congius aus χοεύς, hemina, cyathus ) oder durch Uebersetzung ( acetabulum von ὀξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης Corruption von sextarius ist; theils in den Verhältnissen. Die gewöhnlichsten Masse sind identisch, für Flüssigkeiten der ERSTES BUCH. KAPITEL XIV. Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch für trockene Waaren; die römische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhältniss zu dem griechischen Me- tretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Lebendig und deutlich ist noch für den, der solche Schrift zu lesen versteht, in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sicilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. — Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Römer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnützen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50, 100 und 1000 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf ähnlichem Wege wenigstens das Zeichen für 100 gewonnen zu haben. Später setzte sich wie gewöhnlich das Ziffersystem beider Völker ins Gleiche, indem das römische im Wesentlichen in Etrurien angenommen ward. Jünger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Wie schwierig die erste Individualisirung der in so mannich- faltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die Thatsache, dass für alle Staaten des an- tiken Civilisationsgebietes der Mittelmeerstaaten nur ein einziges Alphabet erfunden worden ist, das von den Erfindern auf die übrigen Völker übertragen ward. Es sind zwei Epochen zu unterscheiden in dieser bedeutsamen Schöpfung des Menschen- geistes. Die semitische Sprache, in der der Vocal untergeord- neter Natur ist und kein Wort beginnen kann, erleichtert eben desshalb die Individualisirung der Consonanten; wesshalb denn auch hier bei dem regen Schiffervolk der Phoeniker das älteste Alphabet erfunden worden ist, in dem aber die Vocale noch mangeln. Den Griechen war es vorbehalten diese zuzufügen, oder, wie Euripides seinen Palamedes sagen lässt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fügt' ich lautlos' und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen. Dies Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht wor- den, zwar in sehr früher Zeit, aber dennoch nachdem das Alphabet schon in Griechenland eine bedeutende Entwicklung durchlaufen hatte und schon mehrfache Reformen eingetreten waren, namentlich die Hinzufügung von drei neuen Buchstaben ξ φ χ und die Abänderung der Zeichen für γ λ ι Siehe Seite 92 Note**. . Auch MASS UND SCHRIFT. das ist schon bemerkt worden, dass zwei verschiedene grie- chische Alphabete nach Italien gelangt sind; das eine mit doppeltem s (Sigma s und San sch ) und einfachem k und mit der älteren Form des r P nach Etrurien, das zweite mit einfachem s und doppeltem k (Kappa k und Koppa q ) und der jüngeren Form des r R nach Latium. Die älteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die jüngere schreibt in abge- setzten Parallelzeilen von rechts nach links, der Römer dagegen auch in parallelen Linien, aber von links nach rechts. Ueber die Herkunft des etruskischen Alphabets lässt sich mit Be- stimmtheit nur sagen, dass es von Kerkyra und Korinth nicht, auch nicht von den sikelischen Dorern entlehnt ist; am mei- sten für sich hat die Herleitung des Alphabets aus dem alt- attischen, das früher als irgend ein anderes der griechischen Alphabete das Koppa fallen gelassen zu haben scheint. Ebenso wenig lässt sich mit Bestimmtheit entscheiden, ob das tuski- sche Alphabet von Spina oder von Caere aus sich über Etru- rien verbreitet hat, obwohl die Wahrscheinlichkeit für das letzte uralte Entrepot des Handels und der Civilisation spricht. — Dagegen liegt die Ableitung des lateinischen Alphabets von dem der kumanischen und sikelischen Griechen offenkundig vor; ja es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass hier nicht bloss wie in Etrurien eine einmalige Reception stattgefunden hat, sondern dass in Folge des lebhaften Verkehrs der Latiner in Sicilien sie längere Zeit sich mit dem dort üblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die älteren Formen Σ und M den Römern nicht unbekannt waren, aber die jüngeren S und M dieselben im gemeinen Gebrauch ersetz- ten; was sich nur erklären lässt durch eine dauernde Ausglei- chung beider Alphabete. Desshalb ist es auch bedenklich aus dem verhältnissmässig jüngeren Charakter desjenigen griechi- schen Alphabets, das nach Rom gelangt ist, in Vergleichung mit dem nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien früher geschrieben worden ist als in Rom. — Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buch- stabenschatzes auf die Empfänger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwürdiges Gefäss aus einem der älte- sten vor Erfindung des Bogens gebauten Gräber von Caere, worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien ERSTES BUCH. KAPITEL XIV. kam, verzeichnet ist, daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar; offenbar eine heilige Reliquie der Einführung und Acclimatisirung der Buch- stabenschrift in Etrurien. Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist für die Geschichte dessen weitere Entwicklung auf itali- schem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn hiedurch fällt ein Lichtstrahl in den italischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Küsten mit den Fremden. In der ältesten Epoche des etruskischen Al- phabets, in der man sich im Wesentlichen des eingeführten Alphabets unverändert bediente, scheint der Gebrauch dessel- ben sich auf die Etrusker am Po und in Toscana beschränkt zu haben; Verzweigungen dieses Alphabets sind alsdann, offen- bar von Hatria und Spina aus, südlich an der Ostküste hinab bis in die Abruzzen, nördlich zu den Venetern und später sogar zu den Kelten an und in, ja jenseit der Alpen gelangt, so dass die letzten Ausläufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die jüngere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsächlich erstreckt auf die Einführung abgesetzter Zeilenschrift, auf die Unterdrückung des o , das man im Sprechen vom u nicht mehr zu schei- den wusste, und auf die Einführung eines neuen Buchstaben f, wofür dem überlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese Reform ist offenbar entstanden bei den west- lichen Etruskern und hat, während sie sich jenseit des Apennin nicht verbreitete, dagegen bei sämmtlichen sabellischen Stämmen, zunächst bei den Umbrern sich eingebürgert, wo das Alphabet denn wieder bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, häufig die Mediae ganz oder zum Theil verloren, anderswo wieder neue Vocale und Consonanten ent- wickelt hat. Diese Reform des Alphabets ist nicht bloss so alt wie die ältesten in Etrurien gefundenen Gräber, sondern beträchtlich älter, da das erwähnte in einem derselben ge- fundene Syllabarium das reformirte Alphabet bereits in einer wesentlich modificirten und modernisirten Gestalt giebt; und da das reformirte selbst wieder gegen das primitive gehalten relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurück- gehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangt ist. — Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Al- phabets im Norden, Osten und Süden der Halbinsel, so hat MASS UND SCHRIFT. sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt und im Ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet; nur fielen γ ϰ und ζ σ allmählich lautlich zusammen, wovon dann die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (ϰ ζ) aus der Schrift verschwand. Diese waren nachweislich schon beseitigt, als man die zwölf Tafeln niederschrieb; wer nun erwägt, dass in den ältesten Abkürzungen der Unterschied von γ c und ϰ k noch regelmässig durchgeführt ward — wie denn C· Gaius , CN· Gnaeus ist, K· Kaeso, Kalendae, MERK· merkatus — dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeit- raum, in dem die Abkürzungen sich fixirten, weit jenseit der Entstehung der zwölf Tafeln liegt; dass endlich zwischen der Einführung der Schrift und der Feststellung eines conventio- nellen Abkürzungssystems nothwendig eine bedeutende Frist liegen muss, der wird wie für Etrurien so für Latium den Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufrücken, die dem Anfang der beglaubigten ägyptischen Zeitrechnung oder dem Anfang der Siriusperiode, dem Jahre 1322 vor Christi Geburt näher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechen- land die Olympiadenchronologie beginnt. Für das hohe Alter der Schreibekunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königs- zeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den der König Tarquinius (schwerlich indess der letzte) abschloss und der, geschrieben auf dem Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Alterthümern reichen wahr- scheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses, das König Servius Tullius mit Latium abschloss, und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah, freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hülfe eines latinischen Exemplars hergestellten Copie, denn dass man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahr- scheinlich. Aber schon damals ritzte man ( exarare, scribere verwandt mit scrobes ) Ebenso altsächsisch writan, eigentlich reissen, dann schreiben. oder malte ( linere, daher littera ) auf Blätter ( folium ), Bast ( liber ) oder Holztafeln ( tabula, album ), später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagnini- schen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten im Tem- ERSTES BUCH. KAPITEL XIV. pel der Göttin der Erinnerung ( Iuno moneta ) auf dem Capitol bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate, die Vor- läufer der städtischen Chronik. Es wird kaum noch nöthig sein zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs ( scriptura ), an die Anrede im Senat ‚Väter und Zugeschriebene‘ ( patres conscripti ), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Ge- schlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalen- ders. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der späteren Historiker die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten und ihre Verkehrtheit nach Schilderung von Motiven und Cha- rakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen in der Tradition zu suchen, und darüber das zu verkennen, was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verwei- gert haben würde. Werfen wir noch einen Blick zurück auf die also bezeich- nete Geschichte der italischen Schrift, so ist vor allem bemer- kenswerth die schwache und indirecte Einwirkung des helle- nischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den west- licheren Völkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet erhielten ehe sie den Zug auf dem Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Sam- niten also schon bei ihrer Entlassung aus dem Mutterlande das Alphabet mit sich nahmen. Andererseits enthält diese Ge- schichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die An- nahme, welche die spätere der etruskischen Mystik und Alter- thumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wieder- holt, dass die römische Civilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müsste hier vor allem eine Spur davon sich zeigen; aber gerade umge- kehrt findet sich in Latium der Keim der Schreibkunst grie- chisch, der Entwicklung national; selbst das den Römern so wünschenswerthe Zeichen f ward nicht aufgenommen, ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen für 50 entlehnt haben. — Es ist ferner charakteristisch, dass in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht, gegen welche dann späterhin bei den meisten wiederum eine MASS UND SCHRIFT. Reaction eintritt. Die feineren Lautverschiedenheiten, nament- lich der Mediae und ihrer Tenues, der Sibilanten und einzelner Vocale wurden von den Einführern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen mächtigen Leuten, wohl empfunden, aber die nachlässige Gewöhnung, wohl auch der allmählich stok- kende Verkehr mit den Griechen führte mit der Zeit eine Verschleifung und Verdumpfung der feineren Lautverschieden- heiten herbei. So sind die Mediae in den sämmtlichen etru- skischen Dialekten untergegangen, während die Umbrer γ d, die Samniten d, die Römer γ einbüssten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte; doch kam es dazu nicht und auch jene Verluste ersetzten die letzten beiden Völker später wieder durch neu gebildete Zeichen. Ebenso fielen den Etru- skern schon früh o und u zusammen und auch bei den La- teinern zeigen sich Ansätze derselben Verderbniss; doch drang sie hier nicht durch und selbst unter den sabellischen Stäm- men, die das Alphabet schon ohne o empfangen hatten, er- setzte der samnitische später das mangelnde Zeichen. Es ist charakteristisch, dass diese Lautzerstörung, von denen namentlich die erste ganz und gar ungriechisch ist, augen- scheinlich von Etrurien ausgeht, und dass sie nicht eintritt oder wieder aufgehoben wird, wo wie in Latium und später in Samnium der griechische Einfluss den etruskischen über- wiegt. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn während der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhält, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafür zwei neue Sibilanten entwickelt, beschränkt sich der Samnite auf s und z gleich dem Griechen, der Römer sogar auf s allein. Indess wir greifen hier vor; dieser Epoche gehört nur die ursprüng- lich reine Aufnahme und die allmähliche Trübung des grie- chischen Lautsystems an, während die Reaction dagegen in die folgende Epoche und mit den Anfängen des Einflusses der griechischen Litteratur auf Latium und Samnium zusam- menfällt. Röm. Gesch. I. 10 KAPITEL XV. Die Kunst . Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehört und gehörte die italienische keineswegs; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht das Menschliche zu idealisiren und das Leblose zu vermenschlichen ebenso wie der rechte Sinn für Melodie. Darum bringt er es in der lyrischen und epischen wie in der höheren dramatischen Dicht- kunst und nicht minder in der Musik selten über Fertigkeiten. Sein scharfer Blick und seine anmuthige Gewandtheit lassen ihm die Causerie und Anekdote in der Art von Horatius und Boccaccio, den launigen Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die besten der heutigen Volkslieder ihn zeigen, die nie- dere Komödie und die Posse, vor allem aber die Rhetorik und die Schauspielkunst leicht gelingen; und selbst die höch- sten in Italien gelungenen Leistungen, göttliche Gedichte wie Dante's Commedia und Geschichtbücher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer im Verstande mehr als im Herzen wurzelnden, mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. — Eigentliche Sagenbildung ist dem Italiker fremd. Seine Götter sind Begriffe, welche zu rechter persönlicher Gestaltung überhaupt nicht und am wenigsten in der frischen Urzeit gediehen und keine Lebens- geschichte mit Liebesfahrten und Kämpfen entwickelten; die DIE KUNST. Menschen, auch die grössten und herrlichsten, blieben ihm doch immer Sterbliche und steigerten sich nicht wie in Grie- chenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoller Pflege der Ueberlieferung im Geiste der Menge zu göttergleichen Heroen. So konnte ein Epos nicht entstehen und zur Ge- schichte war es noch zu früh. — Dass Lieder nicht fehlten und gejubelt und gesungen ward, versteht sich. Von den religiösen Litaneien, die in diesem Kreise zuerst sich fixirten und die schon den Philologen der augusteischen Zeit als die ältesten Denkmäler der lateinischen Sprache galten, ist eine auf uns gekommen in dem Lied der römischen Arvalbrüder, das wohl auch hier eine Stelle verdient mit der freilich nicht in allen Stücken gesicherten Uebersetzung: Enos, Lases, iuvate! Ne veluerve, Marmar, sins incurrere in pleores! Satur furere, Mars! Limen sali! Sta berber! Semunis alternis advocapit conctos! Enos, Marmor, iuvato! Triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! Nos, Lares, iuvate! Ne malam luem, Mamers, sinas incurrere in plures! Satur furendi esto, Mars! In limen insili! Desiste verberare (limen)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! an die Götter Uns, Lasen, helfet! Nicht die böse Seuche, Mars Mars, lass einstürmen auf mehrere! Satt sei des Wüthens, Mars! an die einzel- nen Brüder Auf die Schwelle springe! Steh ab vom Hüpfen! an alle Brüder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen! an den Gott Uns, Mars Mars, hilf! an die einzel- nen Brüder Juble! juble! juble! juble! juble! Aus solchen noch wenig fixirten Weisen, wie sie etwa auch schon vor der Scheidung der Stämme vorgekommen sein mögen, entwickelte sich ein eigenthümlich italischer Rhythmus, der sogenannte saturnische Vers, der auf Wechselgesang be- rechnet und vom Accent beherrscht ist, was übrigens beides auch in dem Liede der Ackerbrüder schon hervortritt. Das folgende freilich einer bedeutend späteren Zeit angehörende Gedicht mag davon eine Vorstellung geben: 10* ERSTES BUCH. KAPITEL XV. Quod ré suá difeidens — ásperé afleicta Paréns timéns heic vóvit — vólo hóc solúto Decumá factá poloúcta — leibereis lubéntes Donú danúnt ⏑ Hérco͡lei — máxsumé ⏑ mére͡to Semól te͡ oránt se vóti — crébro cón⏑démnes ⏑ -́ ⏑ -́ ⏑ -́ ⏓ ‖ -́ ⏑ -́ ⏑ -́ ⏑ Was, Missgeschick befürchtend — schwer betroffnem Wohlstand, Besorgt der Ahn gelobte, — dess Gelöbniss eintraf, Zu Weih' und Schmaus den Zehnten — bringen gern die Kinder Dem Hercoles zur Gabe — dar, dem hochverdienten; Sie flehn zugleich dich an, dass — oft du sie erhörest. Solche Lieder muss man sich, wie es scheint, von zwei Sängern, die in jeder Zeile bei dem Einschnitt wechseln, zur Flöte vorgetragen denken; beim Festbraten und bei der Wein- lese, beim Spiel und am Todtenbette. Dass aus diesem Wechsellied bei dem eigenthümlichen mimischen Geschick des Italieners und seiner Lust an Geberdenspiel und Verkleidung sich sehr bald die Anfänge eines Schauspiels entwickelten, ist begreiflich; es ist nicht unmöglich, dass schon in dieser Zeit sich die stehenden Charaktermasken feststellten, die wir später bei Latinern und Samniten finden und die den improvisiren- den Komödianten die Durchführung der Rolle so wesentlich erleichtern; wie zum Beispiel Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfrass, Papus der gute Papa, der weise Dossennus, die man artig mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Doctor der italienischen Pulcinellkomödie verglichen hat. Wie es gleichzeitig in Etrurien stand, lässt sich noch viel weniger bestimmen. Dass auch diesem Volk die poetische Begabung fehlte und noch in viel höherem Masse als den Ita- likern, ist nach dem allgemeinen Charakter der Nation nicht unwahrscheinlich und wohl mag man auch dafür geltend machen, dass Etrurien in der römischen Litteratur fast keinen anderen namhaften Vertreter hat als den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffärtigen und mattherzigen der Poe- sie beflissenen Jungen. Schauspielertrieb herrschte auch hier; die Fescenninen, im südlichen Etrurien heimisch, scheinen im Wesentlichen von der italischen Volkskomödie sich nur durch grössere Unbändigkeit unterschieden zu haben. Aber neben diesen frischen und ehrlichen Spässen kam in Etrurien früh eine stumme Pantomime mit Tanz und Gesang auf, welche DIE KUNST. von den tuskischen Histrionen und Subulonen zur Profession gemacht und bald ein in jeder Beziehung gemeines Gewerbe wurde, das um geringen Lohn und keine Ehre auch in Rom schon früh mit seinen Vorstellungen auftrat. Auch mag in Etrurien schon in alter Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker in einer späteren gesunkenen Epoche, wo der allgemeine Verfall die Zopfgelehr- samkeit zur Blüthe brachte, mit den Juden und Chaldäern die Ehre theilten als Urquell göttlicher Weisheit angestaunt zu werden. Die hellenische Mittheilung beschränkte auf diesem Ge- biet sich vermuthlich darauf aus dem reichen griechischen Sagenschatz den Fremden zu erzählen — wie denn in der That die altrömischen Corruptionen des Kyklops ( Cocles ), Lao- medon ( Alumentus ), Ganymedes ( Catamitus ), Neilos ( Melus ) von dem Eindruck solcher Erzählungen zeugen und ohne sie die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren auf dem poetischen Schatz ruhenden Darstellungen nicht begreiflich sein würde. Mächtiger trat der griechische Einfluss auf in der Bau- und Bildkunst. So wenig zu bezweifeln steht, dass schon vor der hellenischen Einwanderung in Italien gebaut und Mauern ge- fügt wurden, so hat es doch grosse Wahrscheinlichkeit, dass die älteren Bauten regelmässig Holz- oder Erdwälle waren und dass die Steinconstruction erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen, von denen die Italiker wohl sicher erst den Gebrauch des Eisens lernten und jedenfalls das Richtmass ( groma aus γνώμων γνῶμα) erhielten. Alle ältesten italischen Steinbauten zeigen die auf- fallendste Aehnlichkeit mit den ältesten griechischen. Die uralten Gräber von Caere und Alsion, die vor Erfindung des Bogens gebaut sind, ersetzen denselben durch über einander geschobene allmählich einspringende und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen, ganz wie in den Thesauren von Orchomenos. Der Emissar des Albanersees hat die grösste Aehnlichkeit mit dem des kopaischen. Die kyklopischen Ring- mauern, die bald ganz roh aus grossen unbearbeiteten Stein- blöcken mit dazwischen eingeschobenen kleineren Steinen, bald polygon aus in einander greifenden vieleckig zugehaue- nen Steinblöcken, bald quadratisch in horizontalen Lagen geschichtet sind und sich in Italien, vorzugsweise in Etrurien, ERSTES BUCH. KAPITEL XV. Latium, Umbrien und der Sabina finden, sind zwar zum grossen Theil wahrscheinlich erst in viel späterer Zeit, einige sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt errichtet; allein die Aehnlichkeit namentlich des künstlichen polygonen Baus mit griechischem Mauerbau kann schwerlich für zufällig ge- halten werden, während die einfacheren und minder soliden beiden andern Arten sich eher als selbstständig betrachten lassen. In der That ist es in Etrurien wieder Pyrgi, das nebst den zwei nicht sehr weit entlegenen Orten Cosa und Satunia allein polygone Mauern hat, deren erste Anlage zumal bei dem bedeutsamen Namen wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth. Caere selbst und die Masse der übrigen etruskischen Städte sind nicht im polygonen Stil ummauert. Dagegen beherrscht derselbe Latium und das dahinter liegende Binnenland. Dass solche Bauten hier vorkommen, dagegen an der Ostküste, die den Griechen ferner lag, und im Süden, der ihnen im Ganzen unterworfen war, sie sich nicht oder doch wenigstens nicht häufig finden, zeigt eben wieder recht deutlich, dass die An- regung zu diesen Bauwerken nicht von den in Italien ange- siedelten, sondern von den an der Westküste mit den freien Italikern verkehrenden Griechen kam, aber auch, dass diese An- regung weit intensiver auf Latium wirkte als auf Etrurien. — Ob die lebendige Aneignung dieser dem energischen und rea- listischen italischen Wesen so congenialen Architektur so weit ging, dass der Bogen in Italien erfunden und von da den Hellenen mitgetheilt ward, lässt sich nicht mehr entscheiden; denn auch zugegeben, dass die grossen hydraulischen Anlagen der Römer, die Hauptkloake und das Brunnenhaus ( tullianum ) am Capitol wirklich die ältesten aller noch erhaltenen Bogen sind, so können wir, denen so zahlreiche Aktenstücke fehlen, unmöglich auf die vorhandenen Trümmer hin den Griechen den Besitz des Bogens in älterer Zeit absprechen, und noch weniger lässt sich entscheiden, ob man früher in Latium oder in Etrurien Bogen gebaut hat. Auch der Tempel, der in der Kaiserzeit der tuscanische heisst, wie der des capitolinischen Iupiter in Rom, ist im Wesentlichen der griechische, das heisst ein viereckiger oder runder ganz oder zum Theil von Säulengängen eingefasster ummauerter und gedeckter Raum, ursprünglich ein Holz-, kein Steinbau; nur dass die Elemente, die zum Beispiel in dem dorischen Kapitäl und der ionischen Basis getrennt vor- DIE KUNST. kommen, hier noch vereinigt erscheinen; die Stile hatten sich also noch nicht bestimmt geschieden, als diese Ueber- lieferung stattfand. Das Originelle dabei, namentlich das spitze weit vorspringende Dach, mochte man dem italischen strohgedeckten Hause entnehmen, dessen Form, wie albanische Aschenkisten sie zeigen, dazu recht wohl stimmt; immer vor- ausgesetzt, was sich schwer wird erweisen lassen, dass nicht in jener Zeit auch das griechische Wohn- und Gotteshaus noch ein spitzes Dach hatte. — Unter den bildenden Künsten ist die Plastik in Stein durch den Mangel eines geeigneten Materials sehr zurückgehalten worden; den Marmor von Luna und Carrara kannte man noch nicht. Dagegen die Metall- und Thonarbeiten sind in Etrurien, theils in Folge der Thonlager und Silber- und Kupfergruben des Landes, theils durch den dort hinströmenden Reichthum früh angeregt worden und haben eine grosse Entwicklung erlangt. Dass die tyrrheni- schen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden, begreift, wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruski- schen Gräber gesehen hat; woneben freilich die rohe Arbeit der Münzen von Populonia auffällt. In noch viel grösserem Massstab entwickelte sich unter den günstigen Localverhält- nissen der Kupferguss; selbst an die Verfertigung grosser Erz- figuren, von Kolossalstatuen bis zu funfzig Fuss Höhe wagte sich der etruskische Künstler, und die capitolinische Wölfin so wie einzelne Geräthstücke, Helme und Leuchter aus etru- skischen Gräbern gehören zu den schönsten Werken des alten strengen Kunststils. Die Thonarbeit endlich, die besonders in Veii geblüht zu haben scheint, schuf nicht bloss grössere Thon- figuren und Statuen, sondern entwickelte auch eine eigen- thümliche Ornamentik, welche Dächer, Giebel und Wände mit Aufsätzen und Reliefplatten von gebrannter Erde schmückte. Die Steinschneidekunst scheint nicht zu den ältesten Kunstzweigen Italiens zu gehören; sie schliesst sich in Etrurien, wo sie allein früher aufgekommen ist, an die ursprünglich ägyptische Skara- baeenform an. — Ebenbürtig neben der bildenden, wenn nicht ihr überlegen erscheint endlich die zeichnende Kunst, sowohl die Linienzeichnung, welche in Latium besonders die kupfernen Putzkästchen, in Etrurien vornämlich die Rückseiten der kupfer- nen Handspiegel durch ihre zierlichen Umrisse schmückte, als die monochromatische Malerei, deren Meisterwerke selbst in der Kaiserzeit in Caere, Rom, Lavinium, Ardea bewundert wurden und deren handwerkmässige Leistungen die ausge- ERSTES BUCH. KAPITEL XV. malten Grabkammern Südetruriens noch heute zeigen. — Dass die Uebung und Steigerung dieser verschiedenen Kunstformen grossentheils erst den folgenden Perioden angehört und von den auf uns gekommenen latinischen und etruskischen Kunst- werken nur ein kleiner Theil während der römischen Königs- herrschaft entstanden ist, kann nicht bezweifelt werden; allein die Anregung zu all diesen Kunstrichtungen und Gewerken ist offenbar in einer Zeit erfolgt, wo die griechische Kunst noch sehr starr und unentwickelt war und mag der Zeit der Einführung des Alphabets nicht gar fern stehen. Desshalb gehören sie geschichtlich betrachtet in diese Periode. Versuchen wir geschichtliche Resultate aus diesen Archi- ven uralter Kunstüberlieferung und Kunstübung zu gewinnen, so ist zunächst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht unter punischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich ent- wickelt hat; es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht ihr bestimmtes Musterbild fände in der altgriechischen Kunst, und insofern hat die Sage ganz Recht, wenn sie die Einführung der Thonbildnerei in Italien zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den ‚Ordner‘, ‚Zeichner‘ und ‚Bildner‘, Diopos, Eucheir und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunächst von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmit- telbarer Nachahmung orientalischer Kunstformen findet sich ebenso wenig eine Spur als von einer selbstständig entwickel- ten Kunstform; selbst die Skarabaeen sind auch in Griechen- land in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie zum Beispiel ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer In- schrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Punier mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen. — Von wo die Kunst den Etruskern und Latinern kam, ist begreiflich noch schwerer zu bestimmen als die Heimath der Alphabete; doch ist eine verschiedene Her- leitung auch hier wahrscheinlich, da es sich sonst schwer be- greifen liesse, warum zum Beispiel die Zeichnung auf Metall in Latium auf andere Gegenstände angewandt ward als in Etrurien und warum die Steinschneidekunst und die Wand- malereien in Grabkammern sich auf Etrurien beschränkten. Bemerkenswerth ist es, dass von den drei Kunstformen, die in Griechenland nur in sehr beschränkter, in Etrurien dagegen DIE KUNST. in grosser Ausdehnung geübt wurden, dem Skarabaeenschnitt, der Spiegelzeichnung und der Grabmalerei. die bis jetzt be- kannten griechischen Beispiele ausschliesslich nach Athen oder Aegina führen; so dass uns hier abermals wie bei den Mün- zen und dem Alphabet die etruskischen Spuren nach Attika weisen. Für Latium dagegen sind die Spuren minder be- stimmt; doch weist nach Campanien die Thatsache, dass unter den Münzen die der südlicheren latinischen Städte bei weitem die schönsten sind, und dahin so wie nach Sicilien die nicht unwahrscheinliche Vermuthung, dass der Verfertiger der be- rühmten praenestinischen Cista Novios Plautius ein in Rom ansässiger Campaner, und dass Damophilos, der mit Gorgasos den uralten Cerestempel in Rom mit bemalten Thonfiguren schmückte, vielleicht der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 Roms) gewesen ist. — Vergleichen wir die Art, wie sich die Stämme verhielten zu der griechischen Kunst, so bemerken wir ähnliche Verschiedenheiten, wie sie die Ge- schichte des Alphabets ergab. Die Sabeller blieben, so viel wir sehen, so gut wie ganz unberührt von derselben, ausser insofern von der praktischen Architektur das Nothwendigste mittelbar auch auf sie überging; nur die Volsker gingen weiter und bildeten auch in Thon. In Latium und Etrurien ward die Kunst gepflegt, aber in wesentlich anderer Art. Ueberall wo wir vergleichen können, sind die etruskischen Kunstwerke den latinischen an Masse und Pracht ebenso überlegen als sie zurückstehen in Geist und Schönheit, und wieder in Etru- rien ist es vorzugsweise der südliche Theil, in dem die rei- chen Kunstschätze von Caere, Tarquinii, Volci sich finden, während der nördliche weit zurücksteht und zum Beispiel die nördlichste Stadt Volaterrae, mit dem grössten Gebiet unter allen etruskischen, von allen auch der griechischen Kunst am fernsten steht. Die herrlichsten italischen Gemälde bewunderte man in Ardea und Lanuvium, demnächst in Rom und Caere; aber die Kunst des Pinsels zu verschwenden an den Wän- den des Todtengemaches war nicht Sitte in Latium, son- dern nur in Etrurien, vorzugsweise im mittleren; nördlich von Chiusi hat sich kein ausgemaltes Grab gefunden. Der Kupferguss ward in Etrurien weit schwunghafter betrieben als in Latium; aber welches etruskische Werk reicht an die capi- tolinische Wölfin? und als später die Sitte der gegossenen Kupfermünzen aufkam, entstanden die schönsten Formen im südlichen Latium, leidliche in Rom und Umbrien, während ERSTES BUCH. KAPITEL XV. die des nördlichen Etrurien fast bildlos und barbarisch sind. Die Zahl der etruskischen Spiegel überwiegt weitaus die der latinischen und besonders praenestinischen Schmuckkäst- chen; unter diesen wie unter jenen giebt es schöne Arbei- ten, allein von dem schönsten Werk der letzteren Gattung, der ficoronischen Cista, konnte mit Recht gesagt werden, dass kaum ein zweites Erzeugniss der Graphik des Alterthums vor- handen ist, welches so wie dieses den Stempel einer in Schön- heit und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen rei- nen und ernsten Kunst an sich trüge, und dieses Werk ist nach ausdrücklicher Angabe in Rom gezeichnet. So ist es überall, wo wir vergleichen können; und wo wir es nicht können, zum Beispiel bei den Silbermünzen und dem Gold- schmuck, rührt dies daher, dass man in Latium eben jene nicht brauchte und diesen dem Todten mit ins Grab zu legen erst die Sitte, dann das Gesetz verbot. Es ist eine gewisse barbarische Ueberschwänglichkeit in der Art wie im Stil, die den etruskischen Kunstwerken ihren eigenthümlichen Charakter giebt und den latinischen völlig fremd ist. Was in Griechen- land einzelner Scherz und flüchtige Skizze ist, wird in Etru- rien stehende Sitte und sorgfältiges Kunstwerk; während dort auf leichtem Material und in mässigen Verhältnissen gearbeitet wird, liebt es die etruskische Kunst die Pracht und Grösse ihrer Werke renommistisch hervorzuheben; wo sie nachbildet, muss sie übertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmu- thige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppig- keit zur Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je selbst- ständiger sie sich gestaltet. Dass die etruskische Kunst auch nach Latium und namentlich nach Rom hinübergegriffen hat, leidet keinen Zweifel; es ist nichts natürlicher, als dass man in Rom bei dem Bau der ersten Gotteshäuser etruskische Ar- beiter zuzog und die ersten thönernen Kunstwerke derselben, wie die Bildsäule des capitolinischen Iupiter und das Vierge- spann auf dem Dach seines Tempels, in Veii bestellte. Allein daneben gab es eine eigenthümliche von der etruskischen un- abhängige Kunst in Latium, die in weit vollkommnerer Weise, wenn auch mit beschränkteren Mitteln ihren griechischen Vor- bildern nacheiferte; und wie man sich auch sträuben mag, so gut wie man lange aufgehört hat die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen müssen den Etruskern in der Geschichte der italischen Kunst den letzten Platz statt des ersten anzuweisen. ZWEITES BUCH. Von der Abschaffung des römischen Königthums bis zur Einigung Italiens. — δεῖ οὐϰ ἐϰπλήττειν τὸν συγγραφέα τερατευ- όμενον διὰ τῆς ἱστοϱίας τοὺς ἐντυγχάνοντας. Polyb. KAPITEL I. Aenderung der Verfassung . Beschränkung der Magistratsgewalt . Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt des Staa- tes, dieser Schwerpunct der italischen Verfassungen, legte in die Hände des einzigen auf Lebenszeit ernannten Vorstehers der Gemeinde eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Bürger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die nothwen- dige Folge waren Bestrebungen jene Gewalt zu beschränken; aber das ist das Grossartige in diesen römischen Reformversu- chen und Revolutionen, dass man nie unternimmt weder die Omnipotenz des Staates zu beschränken noch auch nur sie ent- sprechender Organe zu berauben, dass man nie die sogenann- ten natürlichen Rechte des Einzelnen gegen die Gemeinde geltend zu machen versucht, sondern dass der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung durch den Willen eines Einzigen. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der römi- schen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk regiert werden soll und nicht regieren. Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Bürgerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbürger um politische Gleichberechtigung. Dahin gehören die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Itali- ker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Bürger ge- ZWEITES BUCH. KAPITEL I. nannt werden wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner uud die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und forderten. Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermögenden und der aus dem Besitz gedrängten oder verarmenden Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhält- nisse Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauer- wirthschaften theils kleiner Eigenthümer, die von der Gnade des Capital-, theils kleiner Zeitpächter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach Einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persönliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende Prole- tariat schon früh so mächtig, dass es wesentlich in die Schick- sale der Gemeinde eingreifen konnte. Das städtische Prole- tariat gewann erst in weit späterer Zeit politische Bedeutung. In diesen Gegensätzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermuthlich nicht minder die uns gänzlich verlorene der übrigen italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Bürgerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die socialen Con- flicte der Besitzenden und der Besitzlosen, so mannichfaltig sie sich durchkreuzen und in einander schlingen und oft selt- same Allianzen herbeiführen, sind dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden. Da die servianische Reform, welche den Insassen in militärischer Hinsicht dem Bürger gleichstellt, mehr als eine administrative Massregel erscheint denn als her- vorgegangen aus politischen Parteitendenzen, so darf als der erste dieser Gegensätze, der zu inneren Krisen und Verfas- sungsänderungen führte, derjenige betrachtet werden, der auf die Beschränkung der Magistratur hinarbeitet und dessen frühe- ster Erfolg besteht in der Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Königthums. Wie nothwendig diese durch die natürliche Entwicklung der Dinge gegeben war, dafür ist der schlagend- ste Beweis, dass dieselbe Verfassungsänderung, wie wir sie in Rom finden, in allen italischen, ja auch in den griechischen Staaten in analoger Weise vor sich gegangen ist. Dass die latinischen Städte, ehe sie in die römische Gemeinde auf- gingen, gleich dieser von zwei jährlich ernannten Vorstehern, Dictatoren oder Prätoren genannt, regiert wurden, beweist die spätere latinische Municipalverfassung; ja dass schon Alba bei seinem Fall unter jährigen Königen stand, behaupteten die AENDERUNG DER VERFASSUNG. römischen Alterthumsforscher oder schlossen es vielmehr aus dem als Priesteramt bis in die späteste Zeit fortgeführten Amt des albanischen Dictator. Bei den Sabellern, Etruskern und Apulern finden wir gleichfalls in späterer Zeit die alten lebens- länglichen Regenten verschwunden. Für den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur für den Krieg die Magistrate einen König, das heisst einen dem römischen Dictator ähnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten einem jährlich wechselnden ‚Gemein- debesorger‘ ( medix tuticus ) und ähnliche Institutionen mögen wir auch bei den übrigen Volks- und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Die Bestellung zweier höchster Beamten mit concurrirender Gewalt, der ‚Collegen‘ ( consules, wie exsules, insula ), wie wir sie in Rom und den übrigen Städten La- tiums finden, darf dagegen als eine eigenthümlich latinische Ordnung betrachtet werden. Zu dieser seltsamen Institution, die nicht den Beamten zusammen, sondern jedem ganz die höchste Macht übertrug, wird überhaupt sich kaum in einem andern grössern Staate eine Parallele finden; doch hat sie im Ganzen genommen sich praktisch bewährt und ist später von den Römern bei allen Magistraturen fast ohne Ausnahme bei- behalten worden. So einfach die Ursache dieser Veränderung ist, so man- nichfaltig mochten die Anlässe sein; man mochte nach dem Tode des lebenslänglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwählen, wie nach Romulus Tode der römische Senat versucht haben soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was König Servius Tullius angeblich beabsichtigte; oder das Volk mochte gegen einen Tyrannen aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des römischen Königthums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, ‚des Uebermüthigen‘, auch noch so sehr in historische Anekdo- ten ein- und zur historischen Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzügen nicht zu zweifeln. Dass der König es unterliess den Senat zu befragen und zu ergänzen, dass er Todesurtheile und Confiscationen ohne Zuziehung der Rath- männer aussprach, dass er den Bürgern Kriegsarbeit und Handdienste über die Gebühr ansann, bezeichnet die Ueber- lieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empörung; von der Erbitterung des Volkes zeugt das förmliche Gelöbniss, das dasselbe ablegte, fortan keinen König mehr zu dulden und ZWEITES BUCH. KAPITEL I. der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Königs sich anknüpfte, vor allem aber die Verfügung, dass der ‚Opfer- könig‘, den man creiren zu müssen glaubte, damit nicht die Götter den gewohnten Vermittler vermissten, kein weiteres Amt bekleiden könne und also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmächtigste aller römischen Beamten ward. Nicht bloss aber wurde das Königthum abgeschafft, sondern zugleich auch der König verbannt mit seinem ganzen Geschlecht — ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilici- schen Verbindungen hatten; dies Gesetz beantragte der Reiter- führer Lucius Iunius Brutus, als der nach dem König oberste Beamte, und so trug die Revolution von ihm den Namen. Das Geschlecht der Tarquinier siedelte darauf über nach Caere, wo ihr Geschlechtsgrab kürzlich aufgedeckt worden ist. — Dies ist alles, was historisch über dies wichtige Ereigniss als sicher angesehen werden kann, an welches die älteste römische Jahreszählung anzuknüpfen pflegte. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde wie die römische die königliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Gene- rationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfähiger und der Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung auswärtiger Staaten in denselben deutet keine Spur und der grosse Krieg mit Etrurien, der übrigens wohl nur durch chronologische Con- fusion in den römischen Jahresbüchern so nahe an die Ver- treibung der Tarquinier gerückt ist, kann nicht als eine Inter- vention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeinträchtigten Landsmannes angesehen werden aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des vollständigsten Sieges doch das römische Königthum keineswegs wieder hergestellt noch auch nur die Tarquinier zurückgeführt haben. Sind wir über den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glücke klarer vor, worin die Verfassungsänderung bestand. Die Kö- nigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vacanz nach wie vor der ‚Zwischenkönig‘ ernannt ward; im Gegentheil setzte man alles daran sie wesentlich festzuhalten in ihrer ungeschmälerten Fülle. Die Aufgabe die absolute Gewalt zugleich rechtlich festzuhalten und factisch zu beschränken ist in ächt römischer Weise ebenso scharf als einfach gelöst worden theils durch die Begrenzung der Zeit- dauer, theils durch die Einsetzung zweier gleich berechtigter AENDERUNG DER VERFASSUNG. und gleich absoluter Herren. Die zeitliche Begrenzung ist aus- nahmlos; die regelmässigen Beamten treten nach einem Jahr, die ausserordentlichen nach höchstens sechs Monaten vom Amte ab. Das Princip der Collegialität, das dem Volke versinnlicht ward durch die Theilung der vierundzwanzig königlichen Lic- toren unter die beiden Consuln, gilt nur für die ordentlichen Beamten, von denen das Machtwort eines jeden zwar in der Regel entschied gleich dem des Königs, aber dennoch durch das Machtwort des gleichberechtigten Collegen nothwendig, jedoch durch sich selbst, nicht durch eine controlirende Auto- rität vernichtet ward. — Ganz unbeschränkt ging indess doch die königliche Gewalt nicht über auf die Consuln. Hatte im Criminalprozess so wie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem König nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern auch die Entscheidung darüber, ob der Verurtheilte den Gnadenweg betreten dürfe oder nicht, so bestimmte jetzt das valerische Gesetz (J. 245 Roms), dass der Consul der Provocation des Verurtheilten stattgeben müsse, wenn er auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt habe; was durch ein späteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 erlassen) auf schwere Vermögensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die consularischen Lictoren, wo der Consul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes geführt hatten. Es ist bezeichnend, dass dem Beamten, der der Provocation nicht ihren Lauf liess, das Gesetz nichts an- deres drohte als die Infamie, die nach damaligen Verhältnis- sen im Wesentlichen nichts war als eine sittliche Makel und höchstens zur Folge hatte, dass das Zeugniss des Ehrlosen nicht mehr galt. Man drohte nicht mehr, weil man nicht mehr drohen konnte, ohne der Königsgewalt eine wenn auch erst nachfolgende Controle zu bestellen und damit ihren Cha- rakter als der absoluten und unverantwortlichen Machtvoll- kommenheit zu beschränken; was der Beamte gethan hat, mag nichtig sein, aber auch für die nichtige Amtshandlung giebt es keinen Strafrichter. — Eine in der Tendenz ähnliche Beschränkung fand statt in der Civilgerichtsbarkeit; denn wahr- scheinlich gehört die Verwandlung des Rechtes der Beamten, nach festgestellter Sache einem Privatmann die Untersuchung des Sachverhalts zu übertragen, in eine Pflicht dieser Epoche an. Vermuthlich ward dies erreicht durch eine allgemeine Röm. Gesch. I. 11 ZWEITES BUCH. KAPITEL I. Feststellung des Rechtes der Consuln ihr Imperium an Stell- vertreter oder Nachfolger zu übertragen. Hatte dem König die Ernennung von Stellvertretern unbeschränkt frei, aber nie für ihn ein Zwang dazu bestanden, so scheint dem Consul von Haus aus das Mandiren für bestimmte Fälle vorgeschrie- ben zu sein, namentlich ausser bei dem Civilprozess auch für die Verwaltung des Staatsschatzes. So wurden die beiden Poli- zeiherren ( quaestores ), die auch der König schon zu ernennen pflegte, jetzt gesetzlich ständige vom Consul ernannte und natürlich mit dem Consul selbst abtretende Beamten und ver- einigten die Verwaltung der Schatzkammer mit ihren bisherigen Functionen. Ausser diesen Fällen aber, wo die Mandirung der Gewalt gesetzlich vorgeschrieben war, ward die willkür- liche Ernennung von Stellvertretern beschränkt theils auf das militärische Imperium, welches derselben nicht entrathen konnte, theils auf den Fall, wo der Consul durch dieselbe zugleich seine und seines Collegen Gewalt suspendirte, auf die Ernennung eines mit voller königlicher Macht ausgestatteten einzigen Ge- meindehauptes, des Dictator. — Das Recht den Nachfolger zu ernennen, das der König unbeschränkt geübt hatte, ward dem Gemeindevorsteher auch jetzt keineswegs entzogen; aber er wurde verpflichtet denjenigen zu ernennen, den die Ge- meinde ihm bezeichnet haben würde; so dass der Consul bei diesem Act zwar immer eine ganz andere Stellung behielt als die eines Wahldirigenten ist, und er zum Beispiel einzelne Can- didaten zurückweisen und die auf sie gefallenen Stimmen nicht beachten, anfangs vielleicht sogar die Wahl auf eine von ihm entworfene Candidatenliste beschränken konnte, dennoch aber die Ernennung des Beamten von jetzt an formell von dem Vorgänger, materiell aber von der Gemeinde ausging. — Alle diese Beschränkungen der Gewalt kamen indess nur zur An- wendung gegen den ordentlichen Magistrat. Gegen den Dic- tator galt die Provocation nur wie gegen den König, wenn er freiwillig ihr wich; so wie er ernannt war, wurden alle übrigen Beamten von Rechtswegen machtlos und ihm völlig unterthan; sehr wahrscheinlich unterschied sich der Absicht nach seine Gewalt von der königlichen überall nur durch die zeitliche Begrenzung und dadurch, dass der Dictator als ausserordent- licher Beamter sich keinen Nachfolger ernannte. — Im Ganzen also blieben auch die Consuln, wie es die Könige gewesen waren, oberste Verwalter, Richter ( iudices ) und Feldherren ( praetores ) und auch in religiöser Hinsicht war es nicht der AENDERUNG DER VERFASSUNG. Opferkönig, der nur damit der Name vorhanden sei ernannt ward, sondern der Consul, der für die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Götter mit Hülfe der Sachverständigen erforschte. Für den Nothfall hielt man sich überdiess die Möglichkeit offen die volle unumschränkte Königsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Collegialität und durch die Specialrestrictionen ge- zogenen Schranken; wesshalb denn auch dem Dictator gleich dem König die vier und zwanzig Weibel mit Ruthen und Beilen vorausschritten. So gewann durch die Aenderung der Verfassung die Ge- meinde die wichtigsten Rechte: das Recht die Gemeindevor- steher jährlich zu bezeichnen und über Tod und Leben des Bürgers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmöglich diejenige Gemeinde sein, die auch nach Einführung der servianischen Militärreform noch als die rechte Bürgerver- sammlung gesetzlich betrachtet ward, obwohl sie thatsächlich schon zum Adelstande geworden war. Die Kraft des Volkes war bei der ‚Menge‘, welche ‚achtbare Leute‘ ( nobiles, Gen- tlemen) in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten mit trug, mochte ertragen werden, so lange die Gemeindeversammlung selbst im Wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und so lange die Königsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Bürgern nicht viel weniger fürchterlich war als den In- sassen und somit in der Nation die Rechtsgleichheit sich er- hielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmässigen Wahlen und Entscheidungen berufen und der Vorsteher factisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrückt ward, konnte dies Verhältniss nicht aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Mor- gen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patricier und der Insassen durchgesetzt werden konnte. Somit war eine Transaction unvermeidlich. Die Patricier behielten das Imperium wie den Verkehr mit den Göttern, das heisst den Inbegriff der weltlichen wie der geistlichen Aemter und ihre Versammlung sowohl das Huldigungsrecht oder vielmehr die Huldigungspflicht als auch die bisher von ihr ausgeübte Befugniss von den Gesetzen zu dispensiren, so weit diese privatrechtlicher Natur war. Alle politischen Befugnisse, so- 11* ZWEITES BUCH. KAPITEL I. wohl die Provocation in dem Criminalverfahren, das ja wesent- lich politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen übertragen oder ihm neu erworben, so dass die Centurien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die geringen Anfänge der servianischen Verfassung, wie namentlich das dem Heer überwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklärung eines Angriffskrieges, zu einer solchen Ent- wicklung, dass die Curien durch die Centurienversammlung völlig und auf immer verdunkelt wurden und man sich ge- wöhnte das souveraine Volk in der letzteren zu erblicken. Den Geschlechtern wurde in dieser nur insoweit ein Vorrecht verliehen, als ihren sechs Rittercenturien das Recht des Vor- stimmens blieb; denn es ist kaum zu bezweifeln, dass sie erst später dies an die zwölf plebejischen Rittercenturien abgeben mussten. Debatte fand nicht statt ausser wenn der Magistrat freiwillig selbst sprach oder Andere sprechen hiess, nur dass bei der Provocation natürlich beide Theile gehört werden mussten; die einfache Majorität der Centurien entschied. Aber nicht unbeschränkt erwarben die Centurien diese wichtigen Rechte; die Altbürgerschaft war noch zu mächtig um sich so auf einen Schlag das Heft aus den Händen win- den zu lassen. Nur bei der Provocation, die ja nichts anderes war als die Frage, ob das Urtheil des Beamten vollzogen oder vernichtet werden solle, entschieden die Centurien unbedingt; in allen übrigen Fällen, bei den Wahlen wie bei den Abstim- mungen unterlag ihr Beschluss dem Gutachten des Adels, der denselben billigte oder cassirte. An die Curienversammlung zwar ging diese Begutachtung nicht; es schien eine staats- rechtliche Unmöglichkeit den Beschluss des Volkes abermals dem Volke vorzulegen. Allein nichts stand im Wege darüber das Gutachten ( auctoritas ) der adlichen Senatoren einzuziehen und die Magistrate an dessen Befolgung zu binden. Seit der Zeit erscheint der Senat in doppelter Stellung und Thätigkeit. Die Plebejer, die seit der servianischen Verfassung durch Be- kleidung von Offizierstellen in der Bürgerwehr einen factischen Anspruch auf den Eintritt in den Senat erworben hatten, konnte man natürlich jetzt um so weniger aus demselben verdrängen; es hat sich sogar eine alte Ueberlieferung er- halten, dass nach Vertreibung der Könige von den drei- AENDERUNG DER VERFASSUNG. hundert Rathsgliedern hundert vier und sechzig ‚Zugeschrie- bene‘ ( conscripti ), also Plebejer waren. Allein man unter- schied von nun an die allgemeinen Senatsversammlungen, in denen der Senat ( patres [ et ] conscripti ) als Staatsrath fungirte und die einzubringenden Gesetze, die Candidaten- listen, die Verwaltungsfragen mit den Magistraten berieth, und die Sonderversammlungen der patricischen Senatoren ( patres ), in denen der Adelssenat seine verfassungsmässigen Rechte der Wahl des Interrex und der Bestätigung oder Verwerfung der von den Centurien beliebten Wahlen und Gesetze ausübte. Weiter ging, wie es scheint, die unmittelbare Aenderung der Verfassung nicht. Dass die Vertreibung der Tarquinier nicht, wie die kläglichen Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes war, son- dern das Werk zweier grosser politischer Parteien, die wie die englischen Tories und Whigs 1688 durch die gemeinsame Gefahr, das Gemeinwesen in die Willkürregierung eines Herren ver- wandelt zu sehen, einen Augenblick vereinigt wurden, um den Staat zu retten und dann sofort wieder sich zu entzweien — das kann nur verkennen, wer entweder die Thatsachen nicht kennt oder nicht weiss, was ein Gemeinwesen ist. Solche Transactionen beschränken zu allen Zeiten sich auf das ge- ringste Mass gegenseitiger durch mühsames Abdingen gewon- nener Concessionen, und lassen die Zukunft entscheiden, wie im Einzelnen das Schwergewicht der constitutiven Elemente sich stellt und wie sie in einander greifen oder gegen einander wirken. Also war es ohne Zweifel auch in Rom. So tief- greifend die unmittelbaren Neuerungen dieser Verfassungs- reform waren, so waren doch die mittelbaren noch weit um- fassender und vielleicht gewaltiger, als selbst ihre Urheber sie ahnten. Dies war die Zeit, wo um es mit einem Worte zu sagen, die römische Bürgerschaft in dem späteren Sinne des Wortes entstand. Hatten die adlichen Geschlechter längst aufgehört als Inbegriff der Gemeinde zu gelten, so waren doch auch die Plebejer bisher wenig mehr als Insassen gewesen, welche man wohl zu Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes im Wesentlichen als ge- duldete Leute erschienen und deren Kreis gegen Gäste und Fremde scharf abzustecken kaum nöthig scheinen mochte. Es ward dies anders, nicht so sehr durch die steigende Be- ZWEITES BUCH. KAPITEL I. deutung der Centurien, die ja doch im Wesentlichen nur die Ansässigen umschlossen, als durch das Provocationsrecht, das das Haupt und den Rücken auch des ärmsten Bürgers vor dem allgewaltigen Herrn des Volkes schützte. Es ist kein Zweifel, dass theils die festere Regulirung des Niederlassungs- rechtes sowohl den latinischen Eidgenossen als andern Staa- ten gegenüber eben hierdurch hervorgerufen ward, theils die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen das Ausland im Sinn und Geist des Volkes auf diese Zeit zurückgeht. Der Gegensatz zwischen Patriciern und Ple- bejern war ein städtischer, der zwischen Römern und Fremden ein politischer; das Gefühl der staatlichen Ein- heit, der beginnenden Grossmacht war mit diesem in die Herzen der Nation gepflanzt, um jene kleinlichen Differenzen erst zu untergraben und sodann im allmächtigen Strom mit sich fortzureissen. Dies war die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schie- den. Begründet zwar liegt der Gegensatz in dem innersten Wesen des römischen Staates; denn auch die römische Königs- gewalt stand unter, nicht über dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Römer wie jedes andere politisch fähige Volk vor dem Princip der Autorität hegten, erzeugte den merkwürdigen Satz des römischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz gegründete Befehl des Beamten zwar während der Dauer seines Amtes gelte, aber mit diesem wegfalle. Es ist einleuchtend, dass hiebei, so lange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung praktisch fast verschwinden musste und die legislative Thätigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten Spielraum, als die Vor- steher jährlich wechselnde wurden, und es war jetzt keines- wegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Consul bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullität be- ging, sein Nachfolger eine neue Instruction der Sache an- ordnen konnte. Dies war endlich die Zeit, wo die bürgerliche und die militärische Gewalt sich von einander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier die Beile; dort waren die constitutionellen Beschränkungen der Provocation und der regulirten Mandirung massgebend, hier schaltete der Feldherr unumschränkt wie der König. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer AENDERUNG DER VERFASSUNG. als solche die eigentliche Stadt regelmässig nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame Be- stimmungen nur unter der Herrschaft der bürgerlichen Gewalt getroffen werden könnten, lag im Geiste der Verfassung, und wenn auch gelegentlich ein Beamter diesen Satz nicht respec- tirte und im Lager eine Volksversammlung berief, so war ein solcher Beschluss zwar nicht rechtlich nichtig, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald als wäre es verboten. Jener Gegensatz der Quiriten und Soldaten wurzelte allmählich fest und fester in den Gemüthern der Bürger. Ein bürgerliches Gemeinwesen ward also begründet durch die Aenderung der Verfassung, deren tiefgreifende Bedeutung man verkennt, wenn man darin bloss eine Veränderung in der Dauer der höchsten Magistratur sieht, und nicht minder verkennt, wenn man sie bezeichnet als einen Sieg des Patri- ciats über die Plebejer und die königliche Gewalt. Es ist zwar vollkommen richtig, dass durch die neue Verfassung zu- nächst das Patriciat ans Regiment kam. Wohl war der König Patricier wie der Consul, aber jener war durch seine Aus- nahmestellung über Patricier nicht minder wie über Plebejer hinausgerückt und konnte leicht in den Fall kommen sich vorzugsweise auf die Menge gegen den Adel zu stützen. Da- gegen der Consul, der nie vergessen konnte, dass er dem adlichen Mitbürger, dem er heute befahl, morgen werde ge- horchen müssen; dessen Gewalt stets durch den Collegen gelähmt und leicht durch die Dictatur suspendirt werden konnte, stand keineswegs ausserhalb seines Standes. Was aber noch wichtiger ist, es fehlte ihm das erste Element die politischen Angelegenheiten zu leiten und zu entscheiden, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfülle ihm immer eingeräumt werde, wird die politische Leitung der Dinge nie in die Hand bekommen, wenn er nicht auf längere Frist bestellt ist; denn Stabilität ist die erste und nothwendigste Bedingung des Regiments. Das ist der Grund, wesshalb der Staatsrath, der wie früher dem König so jetzt dem Consul zur Seite stand, sofort mit der Abschaffung des Königthums die gesammte executive Gewalt erwarb, und der Consul, obwohl rechtlich von dem Rathe unabhängig wie der König, doch thatsächlich herabsank zum präsidirenden und ausführenden Chef der Rathsversammlung, der die laufenden Geschäfte besorgte, die Prozesse entschied und in den Krie- ZWEITES BUCH. KAPITEL I. gen das Commando führte, aber in allen Angelegenheiten entscheidender und dauernder Bedeutung abhing vom Senat. So wurde bei wichtigen Staatsverträgen, bei der Erweiterung der Gemeinde und überhaupt bei jedem Act, dessen Folgen sich über das Amtsjahr erstrecken sollten, die Befragung des Senats unvermeidlich. Nirgends aber griff er so entschieden ein wie in die Leitung der Finanzen, die er sehr früh voll- ständig den Consuln entzog und nicht einmal dem sonst unbeschränkten Dictator darauf Einfluss verstattete. Die Ge- meindekasse sollten die Consuln nicht selber verwalten, son- dern die zwei von ihnen bezeichneten Quästoren, die natür- lich noch weit mehr als die Consuln vom Senat abhängig waren. Die Verwaltung und eventuelle Auftheilung des Ge- meinlandes regulirte der Senat. Was endlich die Wahl in den Senat betrifft, so scheint zwar, wie schon bemerkt ward, dem Eintritt des Plebejers in denselben zu keiner Zeit ein rechtliches Hinderniss entgegengestanden zu haben und eine Anzahl angesehener Plebejer unmittelbar nach der Revolution in den Senat eingeschrieben worden zu sein; allein es ist leicht begreiflich, dass es anderen als den Gliedern der Pa- tricier- und der angesehenen Plebejerfamilien jetzt bei weitem schwerer war als in der Königszeit Sitz in der Rathsver- sammlung zu erhalten und dass die innehabenden Familien eifersüchtig über den Besitz der Rathsherrnstellen wachten. — Allein mochten auch im Hinblick auf diese Dinge die Mit- lebenden meinen, dass die Revolution den Plebejern nur schwerere Ketten gebracht habe, so muss doch die unpar- teiische Geschichte anders urtheilen. Die Patricier gewannen allerdings das Regiment, aber nicht von der Gemeinde, son- dern vom König; was die Gemeinde errang, das ging dage- gen dem Patriciat verloren. Was die Patricier erwarben, war praktisch fühlbarer und handgreiflicher; was die Gemeinde gewann, mochte nicht einer von tausend zu schätzen wissen, aber in ihm lag die Bürgschaft der Zukunft. Die Gemeinde war bisher politisch nichts gewesen; indem sie jetzt etwas ward, war die Altbürgerschaft überwunden; es ist die erste Bresche, nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum datirte das römische Volk mit Recht seine politische Existenz von dem Gesetze des Reiterführers Lucius Iunius Brutus. — Innerhalb der Gemeinde lag fortan das Schwergewicht der Macht in denen, welchen die ältere Verfassung die politischen Bürden vorzugs- AENDERUNG DER VERFASSUNG. weise aufgelegt hatte, in den Ansässigen, und zwar weder in den grossen Gutsbesitzern noch in den Instenleuten, sondern in dem mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch inso- fern bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebenso viel Stimmabtheilungen besetzten wie die Jugend. Die künftige souveraine Staatsgewalt war schon jetzt scharf und deutlich bezeichnet. KAPITEL II. Das Volkstribunat und die Decemvirn . Die Altbürgerschaft war durch die neue Gemeindeordnung in den vollen Besitz der politischen Macht auf gesetzlichem Wege gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herab- gedrückte Magistratur, Inhaberin des engeren Raths und aller Aemter und Priesterthümer, ausgerüstet mit der ausschliess- lichen Kunde der göttlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine politischer Praxis, stimmangebend in der grossen Wahlversammlung und einflussreich in der Gemeinde durch den starken Anhang fügsamer und den einzelnen Fa- milien anhänglicher Leute, endlich befugt jeden Gemeinde- beschluss zu prüfen und zu cassiren, konnten die Patricier die factische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zurücksetzung schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunächst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand die Menge, die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politi- schen Kampfe fern zu halten. In der That finden wir in der ersten Zeit nach Vertreibung der Könige verschiedene Mass- regeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen den gemeinen Mann für das Adelsregiment von der ökonomi- schen Seite zu gewinnen: die Hafenzölle wurden herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitäten Getreide für Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. Staatsmonopol gemacht, um den Bürgern Korn und Salz zu billigen Preisen abgeben zu können. Allein im Wesentlichen ist gerade umgekehrt mit der Verfassungsänderung in den finanziellen und ökonomischen Verhältnissen Roms eine Revo- lution eingeleitet, deren Tendenz hinausgeht auf die Zerstö- rung der Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes und auf die Entwicklung einerseits einer Herr- schaft der Grund- und Geldherren, andrerseits eines acker- bauenden Proletariats. Schon die Minderung der Hafenzölle, obwohl im Allge- meinen eine populäre Massregel, kam vorzugsweise dem Gross- handel zu Gute. Wichtiger noch war die Ausdehnung der finanziellen Geschäfte des Aerars auf solche Unternehmungen, die regelmässig von Privaten betrieben werden. Es führte dies in Verbindung mit der geringen Zahl und dem schnellen Wechsel der römischen Beamten zu einem System der indi- recten Finanzverwaltung, das in seiner Entwicklung für den römischen Staat so folgenreich wie verderblich geworden ist und dessen Keime wahrscheinlich hier, namentlich in dem Salzmonopol zu suchen sind. Der Staat gab nach und nach alle seine indirecten Hebungen und alle complicirteren Zah- lungen und Verrichtungen in die Hände von Mittelsmännern, die eine Abschlagssumme gaben oder empfingen und dann für ihre Rechnung wirthschafteten. Natürlich konnten nur bedeutende Capitalisten und, da der Staat streng auf ding- liche Sicherheit sah, hauptsächlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei betheiligen und so erwuchs eine Klasse von Steuerpächtern und Lieferanten, die in dem reissend schnellen Wachsthum ihrer Opulenz, in der Gewalt über den Staat dem sie zu dienen schienen und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Börsenspeculan- ten vollkommen vergleichbar sind. — Aber zunächst und am empfindlichsten offenbarte sich die veränderte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Staatsdomänen, die geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide stand nach dem Buchstaben des Rechts dem Bürger zu, das heisst dem Patricier; denn auch jetzt hatten die Ple- bejer keineswegs Rechtsgleichheit erlangt, sondern nur ge- wisse besonders ertheilte Rechte, wozu dieses nicht gehörte. Dass die Könige indess, die frei über die Gemeinweide dispo- nirten, auch dem Plebejer darauf Weiderecht gestatten konnten ZWEITES BUCH. KAPITEL II. und gestattet haben, versteht sich; aber ebenso deutlich ist es, dass der Senat, seit er die finanzielle Verwaltung an sich gerissen hatte, es nicht unter seiner Würde hielt die Gemein- weide zunächst für sich, das heisst für die Adlichen und für die reichen in den Senat aufgenommenen Plebejer in An- spruch zu nehmen und den kleinen Ackerbesitzer, der eben die Weide am nöthigsten brauchte, in dem Mitgenuss zu beein- trächtigen. Es war ferner bisher ein Hutgeld erlegt worden, das in den gemeinen Seckel fiel; die patricischen Quästoren erhoben dasselbe säumig und nachsichtig und liessen allmäh- lig es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domänen gewonnen worden, regel- mässige Landauslegungen angeordnet, bei der alle ärmeren Bür- ger und Insassen berücksichtigt wurden. Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger sie zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche Occupationssystem, das heisst die Ueberlassung der Domänen- güter nicht zum Eigenthum oder zur Pacht, sondern zu un- entgeltlicher jederzeit widerruflicher Sondernutzung an privi- legirte Personen. So traf den mittleren und kleinen Grund- besitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Bürgernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch dass das Hutgeld nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse floss; und die Landauslegungen stockten, die für das agricole Pro- letariat einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten, etwa wie heutzutage ein grossartiges und fest regulirtes Emigrations- system es thun würde. Die schweren zum Theil unglücklichen Kriege, die dadurch herbeigeführten unerschwinglichen Kriegs- steuern und Frohnden thaten das Uebrige, um den Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sclaven seines Schuldherrn zu machen, oder, was wohl das Gewöhnlichste wie das Verderblichste war, ihn durch Ueberschuldung thatsächlich zum Zeitpächter seines Gläubigers herabzudrücken. Die Capitalisten, denen hier ein neues Gebiet einträglicher und mühe- und gefahrloser Specu- lation sich eröffnete, liessen wohl regelmässig dem Bauer, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Hände gab, den Namen des Eigenthümers und den factischen Besitz; allein mochte damit für den Einzelnen der äusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese precäre von der Gnade des Gläubigers jederzeit abhängige Stellung des Bauern VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. bei der derselbe alle Lasten des Eigenthums trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisiren und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigenthums auf den Gläubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des Staats den reellen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwälzen, ward umgangen durch das strenge per- sönliche Creditsystem, das für Kaufleute sehr zweckmässig sein mochte, die Bauern aber ruinirte. Hatten die bäuer- lichen Verhältnisse bei der freien Theilbarkeit des Bodens schon immer gedroht ein überschuldetes Ackerbauproletariat zu entwickeln, so musste unter solchen Verhältnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhülfen sich versperrten, die Noth und die Hoffnungslosigkeit unter der ackerbauenden Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen. Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhältnissen hervorging, fällt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem grösste Theil der Patricier reich begütert, so fehlte es doch natürlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und an- sehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals wohl zur grösseren Hälfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der patricischen Magistrate die finanzielle Ober- leitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass alle jene ökonomischen Vortheile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den Reichen insge- sammt zu Gute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, da durch den Eintritt in den Senat die tüchtigsten und widerstandsfähigsten Personen aus der Klasse der Unterdrückten übertraten in die der Unter- drücker. — Hiedurch aber ward die politische Stellung des Adels unhaltbar. Hätte er es über sich vermocht gerecht zu regieren und den Mittelstand geschützt, wie es Einzelne aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der gedrückten Stellung der Magistratur damit durchdringen zu können, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Hätte er es vermocht die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriciats zu knüpfen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und speculiren. Allein die Eng- herzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles ächten Junkerthums sind, ver- ZWEITES BUCH. KAPITEL II. leugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader. Der politischen Revolution folgte also alsbald eine sociale, die der blinde Egoismus der neuen Machthaber muthwillig heraufbeschwor. Jene setzen die zurechtgemachten Annalen ins Jahr 244, diese in die Jahre 259 und 260; doch ist der Zwischenraum unzweifelhaft bedeutend länger gewesen. Die strenge Uebung des Schuldrechts — so lautet die Erzählung — erregte die Erbitterung der ganzen Bauerschaft. Als im Jahre 259 für einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veran- staltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft dem Ge- bot zu folgen, so dass der Consul Publius Servilius die Anwen- dung der Schuldgesetze vorläufig suspendirte und sowohl die schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl als auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte. Die Bauern stellten sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erfochten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungs- loser Strenge wandte der zweite Consul Appius Claudius die Creditgesetze an und der College, den die Soldaten anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Col- legialität nicht zum Schutz des Volkes eingeführt, sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indess man litt was nicht zu ändern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Consuls nicht mehr. Erst dem ernannten Dictator Manius Valerius fügten sich die Bauern, theils aus Scheu vor der höhern Amtsgewalt, theils im Vertrauen auf seinen populären Sinn — die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfründe dünkte. Der Sieg war wieder bei den römischen Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Dictator seine Reformvorschläge dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnäckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie üblich, vor den Thoren der Stadt; als die Nachricht hin- auskam, verliess es den Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, geführt von den Legionscommandanten, den plebejischen Kriegstribunen, in militärischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Hügel besetzte und Miene machte in diesem fruchtbarsten Theil des römischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu gründen. Dieser Abmarsch, bei dem die Verzagten und VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. Gleichgültigen durch den Corpsgeist und die geschlossene militärische Organisation waren fortgerissen worden, liess dem Senat keine Wahl als nachzugeben, zumal da auch den hart- näckigsten Pressern jetzt auf eine handgreifliche Art demon- strirt worden war, dass ein solcher Bürgerkrieg auch mit ökonomischem Ruin enden müsse. Der Dictator vermittelte das Verträgniss; die Bürger kehrten zurück in die Stadt- mauern; die äusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem ‚den Grossen‘ ( ma- ximus ) und den Berg jenseit des Anio ‚den heiligen‘; es lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Lei- tung unter den zufällig gegebenen Feldherrn von der Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgeführten Revolution, an die das Volk gern und stolz sich erinnerte. Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat. Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der drückendsten Schuldnoth und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch Gründung verschiedener Colo- nien, brachte der Dictator verfassungsmässig ein Gesetz durch, welches er überdies noch, ohne Zweifel um den Bürgern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwören und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden ‚Hausherren‘ ( aediles ). Dies Gesetz stellte den zwei patricischen Consuln fünf plebejische Tribunen zur Seite als eine von der consularischen völlig unabhängige und ihr coordinirte Gewalt, welche indess gegen das militäri- sche Imperium, das heisst gegen das der Dictatoren durchaus und gegen das der Consuln ausserhalb der Stadt, unwirksam ward. Doch fand keineswegs eine Theilung der Gewalten statt. Das Imperium, das Recht zu befehlen blieb den Con- suln ungeschmälert; dagegen erhielten die Tribunen theils das Recht jeden von einem Beamten erlassenen Befehl, durch den der betroffene Bürger sich verletzt hielt, durch ihren eingeleg- ten Protest zu vernichten, theils die Befugniss Criminalurtheile unbeschränkt auszusprechen und dieselben, wenn Provocation eingelegt ward, vor dem versammelten Volke zu vertheidigen; woran sich dann sehr bald das Recht der Tribunen anschloss überhaupt zum Volk zu reden und Beschlussfassung zu be- wirken. Kraft des ersten Rechtes konnten sie dem Militär- ZWEITES BUCH. KAPITEL II. pflichtigen es möglich machen sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Haft des verurtheilten Schuldners und die Unter- suchungshaft verhindern oder aufheben und was dessen mehr war. Damit auch nicht diese Rechtshülfe durch Entfernung der Helfer vereitelt werdenkönne , war ferner verordnet, dass der Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen dürfe und Tag und Nacht seine Thüre offen stehen müsse. Aber dass der Richter seinen Spruch that, der Senat seinen Beschluss fasste, die Centurien abstimmten, konnten sie nicht wehren. — Kraft ihres Richteramts konnten sie jeden Bürger, selbst den Consul im Amte, durch ihre Boten vor sich laden, ihn, wenn er sich weigerte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geld- bussen erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehülfen zur Seite, ebenso die Zehnmänner für Prozesssachen ( iudices decemviri , später decemviri litibus iudicandis ); die Competenz der letzteren ist nicht bekannt, die Aedilen hatten die Iudication gleich den Tribunen, vorzugsweise führten sie die geringeren mit Bussen sühnbaren Sachen. Da den Tribunen das militärische Imperium fehlte, ohne das die Centurien nicht versammelt werden konnten, und da es doch schlechterdings nothwendig schien jene bei der Vertheidigung ihrer Urtheile vor dem Volk in Folge eingelegter Provocation von den patricischen Beamten unabhängig zu machen, so ward eine neue Abstim- mungsweise für sie eingeführt, nach den Quartieren. Die vier bisherigen Quartiere, die Stadt und Land umfassten, taugten in- dess dazu nicht, da sie zu gross waren und die Zahl gerade; man theilte desshalb das Gebiet in ein und zwanzig neue Districte, von denen die ersten vier die alten jetzt auf die nächste Umge- bung der Stadt beschränkten waren, sechzehn andere gebildet wurden aus dem Landgebiet mit Zugrundelegung der Ge- schlechtergaue des ältesten römischen Ackers, die letzte end- lich, die crustuminische, ihren Namen erhielt von dem Orte, nach den die Plebejer ausgezogen waren. Die Stimmenden in den Centurien wie in den Tribus waren im Wesentlichen dieselben, die Gesammtheit der ansässigen Leute; aber der Unterschied des grossen und des kleinen Grundbesitzes so wie das Vorstimmrecht des Adels fiel in den letzteren weg und die hier präsidirenden Tribunen gaben der Versammlung noch bestimmter einen oppositionellen Charakter. — Da so- mit die Tribunen im peinlichen Prozess als Vertheidiger ihres VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. Urtheils vor dem Volke zu sprechen hatten, lag es nahe, dass sie auch zu andern Zwecken Versammlungen des Volkes an- setzten und zu ihm sprachen oder sprechen liessen; welches Recht durch das icilische Gesetz (262) ihnen noch besonders gewährleistet und jedem, der dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht ward. Dass demnach dem Tribun nicht wohl gewehrt werden konnte auch andere Beschlüsse als die Bestätigung seiner Urtheilssprüche zum Antrag und zur Abstimmung zu bringen, leuchtet ein; gültige Volksschlüsse waren derartige ‚Beliebungen der Menge‘ ( plebi scita ) zwar eigentlich nicht, allein da der Unterschied denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer Seite die Gültig- keit dieser Schlüsse als autonomischer Festsetzungen der Ge- meinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel das icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt. — So waren die Tribunen des Volkes bestellt dem Einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung und Führung, versehen mit un- beschränkter richterlicher Gewalt im peinlichen Verfahren um also ihrem Befehl Nachdruck geben zu können, endlich selbst persönlich für unverletzlich ( sacrosancti ) erklärt, indem das Volk Mann für Mann für sich und seine Kinder geschworen hatte den Tribun zu vertheidigen und wer sich an ihm ver- griff, nicht bloss den Göttern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als vogelfrei und geächtet. Die tribunicische Gewalt ist gewissermassen das Gegen- bild der consularischen. Der jährliche Wechsel und die Un- absetzbarkeit sind beiden Magistraturen gemein; ebenso die eigenthümliche Collegialität, die in jedes einzelnen Beamten Hand die volle Machtfülle legt und bei Collisionen das Nein dem Ja vorgehen lässt — wesshalb, wo der Tribun verbietet, das Verbot des Einzelnen trotz des Widerspruchs der Collegen genügt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Colle- gen gehemmt werden kann. Consuln und Tribunen haben volle und concurrirende Criminaljurisdiction; wie jenen die beiden Quästoren, stehen diesen die beiden Aedilen hierin zur Seite. Jene sind nothwendig Patricier, gewählt von den wesentlich plebejischen Centurien; diese nothwendig Plebejer, gewählt von den patricischen Curien. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschränktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fügt sich der Consul, nicht aber dem Consul sich der Tribun. So steht die positive und die negirende Macht, Röm. Gesch. I. 12 ZWEITES BUCH. KAPITEL II. das Befehlen und Verbieten in der schärfsten und schroffsten Weise gesetzlich sich gegenüber; der Hader war geschlichtet, indem die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward. Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass auf den Wink eines einzigen dieser fünf zu Magistraten erhobenen Oppositionschefs die Verwaltung im gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu concurrirend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten ver- darb? Waren die Plebejer der politischen Gleichstellung, die Armen der billigen Rechtspflege und der zweckmässigen Fi- nanzverwaltung dadurch näher gerückt? — Ohne Zweifel war das Tribunat eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer, als sie die Zulassung zu den Magistraturen begehrten; aber es war dies seine eigentliche Bestimmung keineswegs, es ist den reichen Grund- und Capitalherren, nicht dem politisch privilegirten Stande abgerungen und sollte nicht den plebeji- schen Senatoren die Aemter verschaffen, sondern dem gemeinen Mann billigen Rechtsschutz sichern. Diesen Zweck hat es nicht erfüllt. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war, und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmässig hemmen? Hätte er es gekonnt, so war damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Creditsystem, die heillose Occupation der Domänen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst an diesen Missbräuchen kein minderes Interesse hatten als die Patricier. So gründete man diese Magistratur, deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuch- tete und die doch die nothwendige ökonomische Reform un- möglich durchsetzen konnte. Sie ist seltsam und kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Compromiss zwi- schen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis be- wahrt. Wäre es wahr, so würde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil, und für das römische war es vielmehr ein Unglück, dass die Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. physischen und geistigen Kräfte der Nation. Es ist aber nicht einmal richtig; wie schon das beweist, dass die italischen Staaten ebenso regelmässig ohne Tyrannen geblieben sind wie sie in den hellenischen regelmässig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Tyrannis überall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und dass die Italiker länger als die Griechen die nicht grundsässigen Bürger von den Gemein- deversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knüpfte eben an an das tribunicische Amt. Dass das Volkstribunat auch genützt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird Niemand verkennen; aber ebenso wenig, dass wo es sich nützlich erwies, es für ganz andere Dinge gebraucht ward als wofür man es begründet hatte. Das verwegene Experiment den Führern der Opposition ein ver- fassungsmässiges Veto einzuräumen und die Macht es rück- sichtslos geltend zu machen, bleibt ein Nothbehelf, durch den der Staat politisch desorganisirt und die socialen Missstände durch ewige Palliative ziellos hingeschleppt wurden. Der somit organisirte Bürgerkrieg ging seinen Gang. Wie zur Schlacht standen die Parteien sich gegenüber, jede unter ihren Führern; Beschränkung der consularischen, Erweiterung der tribunicischen Gewalt ward auf der einen, die Vernich- tung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt; die ge- setzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung sich zur Landesvertheidigung zu stellen waren die Waffen der Ple- bejer, denen die Junker Gewalt und Einverständnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmör- ders entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handge- menge und hüben und drüben vergriff man sich an der Hei- ligkeit der Magistratspersonen. Es zeigt von dem starken Bürgersinn im Volk, nicht dass es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die Gemeinde trotz der hef- tigsten Krämpfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereigniss aus diesen Ständekämpfen ist die Geschichte des Gaius Marcius, eines tapferen Adlichen, der von Corioli's Er- stürmung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263, erbittert über die Weigerung der Centurien ihm das Consulat zu über- tragen, beantragt haben, wie Einige sagen, die Einstellung der Getreideverkäufe aus den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie Andere berichten, gera- dezu die Abschaffung des Tribunats. Angeklagt von den Tri- 12* ZWEITES BUCH. KAPITEL II. bunen auf Leib und Leben, habe er die Stadt verlassen, in- dess nur um zurückzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff seine Vaterstadt für den Landes- feind zu erobern habe das ernste Wort der Mutter sein Ge- wissen gerührt und also sei von ihm der erste Verrath durch einen zweiten gesühnt worden und beide durch den Tod. Wie viel darin wahr ist, lässt sich nicht entscheiden; aber die Er- zählung, aus der die naive Impertinenz der römischen Anna- listen eine vaterländische Glorie gemacht hat, öffnet den Ein- blick in die tiefe sittliche und politische Schändlichkeit dieser ständischen Kämpfe. Aehnlich ist der Ueberfall des Capitols durch eine Schaar politischer Flüchtlinge, geführt von Appius Herdonius im Jahr 297; sie riefen die Sclaven zu den Waf- fen und erst nach heissem Kampf und mit Hülfe der her- beigeeilten Tusculaner ward die römische Bürgerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben Charakter fanati- scher Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den lügenseligen Stammsagen sich nicht mehr erfassen lässt; so das Uebergewicht des fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 den einen Consul stellte, und die Reaction dagegen, ihre Auswanderung aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker an der Cremera (277). Vielleicht hängt es mit diesem Hader zusammen, dass das bis dahin dem Magistrat zuständige Vorschlagsrecht der Nach- folger wenigstens für den einen Consul wegfiel (um 273). Noch gehässiger war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus Genucius, der es gewagt hatte zwei Consulare zur Rechen- schaft zu ziehen und der am Morgen des zu der Anklage bestimmten Tages todt im Bette gefunden ward (281); die unmittelbare Folge davon war das publilische Gesetz (283), welches zwar nur als Gemeindebeliebung durchging, aber dessen Anfechtung der Adel nicht wagte. Dadurch ging die Wahl der Tribunen von den Curien über auf die Tri- bus und es schwand damit die letzte versöhnliche Bestim- mung, welche die Verfassung noch enthielt. — Folgenrei- cher aber und einsichtiger angelegt als alle diese Partei- manöver war der Versuch des Spurius Cassius dem wirklichen Uebel abzuhelfen durch einen directen Angriff auf die finan- zielle Omnipotenz der Reichen. Er war Patricier und keiner that es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Consulat (268) beantragte er eine Auftheilung des Gemeinlandes in der Volksversamm- VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. lung, das heisst er versuchte die Domänenverwaltung dem Senat zu entreissen. Er mochte meinen, dass die Auszeich- nung seiner Persönlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen könne selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwäche; allein es misslang. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer tra- ten auf seine Seite; der gemeine Mann war missvergnügt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit gebot, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Theil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er königliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Königen gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis unter den Kämpfen darüber das Ge- meinwesen zu Grunde ging. Da ward noch ein Versuch gemacht die tribunicische Gewalt in der Weise zu beseitigen, dass dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren Wege gesichert ward. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte die Ernennung einer Commission von fünf Männern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechtes, an das die Consuln künftighin in ihrer richterlichen Gewalt ge- bunden sein sollten. Zehn Jahre vergingen, ehe dieser An- trag zur Ausführung kam — Jahre des heissesten Stände- kampfes, welche überdiess vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die Regierungspartei die Durchbringung des Gesetzes und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Männer zu Tribu- nen. Man versuchte durch andere Concessionen den Angriff zu beseitigen; im Jahre 297 ward die Vermehrung der Tri- bunen von fünf auf zehn bewilligt — freilich ein zweifelhafter Gewinn —; im folgenden Jahre durch ein icilisches Plebiscit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbe- wohnt, unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen Besitzes aufgetheilt. Die Gemeinde nahm was ihr geboten ward, allein sie hörte nicht auf das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahr 300 kam ein Vergleich zu Stande; die Abfas- sung eines Landrechts ward beschlossen und vorläufig eine Ge- sandtschaft nach Griechenland geschickt um die solonischen und ZWEITES BUCH. KAPITEL II. andere griechische Gesetze heimzubringen. Endlich im Jahr 303 wurden ‚Zehnmänner zur Abfassung des Landrechts‘ aus dem Adel gewählt, welche zugleich als höchste Beamte anstatt der Consuln fungirten ( decemviri consulari imperio legibus scribundis ); das Volkstribunat so wie das Provocationsrecht wurden suspendirt und die Zehnmänner nur verpflichtet die beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. — Erwägt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden als die Beschränkung der consularischen Gewalt durch das geschrie- bene Gesetz an die Stelle der tribunicischen Hülfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich überzeugt haben, dass es so nicht bleiben konnte wie es war, und die Anarchie in Permanenz erklären wohl die Gemeinde zu Grunde richtete, aber in der That dabei ein reeller Erfolg für Niemand heraus- kam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribunen in die Administration so wie ihre Iudication schlechterdings schädlich waren und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als eine Art Cassationsgericht die Willkür des Magistrats be- schränkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschrie- benes Landrecht begehrten, von den Patriciern erwiedert, dass dann der tribunicische Rechtschutz überflüssig werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist nicht klar und vielleicht überhaupt nie bestimmt ausge- sprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des Landrechts; die Absicht aber war vermuthlich, dass die Zehn- männer bei ihrem Rücktritt dem Volke vorschlagen sollten auf die tribuniscische Gewalt zu verzichten und die jetzt nicht mehr nach Willkür, sondern nach geschriebenem Recht urthei- lenden Consuln gewähren zu lassen. Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemüther hüben und drüben diesen friedlichen Austrag annehmen würden. Die Decemvirn des Jahres 303 brachten ihr Gesetz vor das Volk und von diesem bestätigt wurde dasselbe, in zehn Erztafeln eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbühne vor dem Rathhaus angeschlagen. Da indess noch ein Nachtrag erfor- derlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 wieder Zehnmänner, die noch zwei Tafeln hinzufügten; so entstand das erste und einzige römische Landrecht, das Gesetz der VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. zwölf Tafeln. Dass dasselbe Neuerungen, abgesehen von po- lizeilichen und blossen Zweckmässigkeitsbestimmungen, im Ganzen nicht enthalten konnte, leuchtet ein. Selbst zur Mil- derung der Schuldgesetze geschah nichts anderes als dass ein — wahrscheinlich sehr niedriges — Zinsmaximum (8⅓ Pro- cent) verordnet und der Wucherer mit schwerer Strafe — cha- rakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb — bedroht ward; der strenge Schuldprozess ward wenigstens in seinen Hauptzügen nicht geändert. Aenderungen der ständi- schen Rechte waren begreiflicher Weise noch weniger beab- sichtigt; der Unterschied zwischen Ansässigen und Nichtan- sässigen, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen wurden vielmehr aufs Neue im Stadtrecht bestä- tigt, ebenso zur Beschränkung der Beamtenwillkür und zum Schutz des Bürgers ausdrücklich vorgeschrieben, dass das spätere Gesetz durchaus dem früheren vorgehen und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Bürger erlassen werden solle. Am bemerkenswerthesten ist die Ausschliessung der Provocation in Capitalsachen an die Tributcomitien, während die an die Centurien gewährleistet ward; was sich nur dadurch erklärt, dass die Abschaffung der tribunicischen Gewalt und folglich auch der tribunicischen Criminalprozesse beabsichtigt war. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weisthums als in der jetzt förmlich fest- gestellten Verpflichtung der Consuln, nach diesen Prozessfor- men und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der öffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechts- verwaltung der Controle der Publicität unterworfen und der Consul genöthigt ward allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. So war das Stadtrecht vollendet; es blieb den Zehnmännern nur noch übrig die beiden letzten Tafeln zu publiciren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zögerten indess; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig sei, führten sie selbst nach Verlauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was nach römischem Staatsrecht möglich war, da auch der auf Zeit bestellte Beamte erst durch Niederlegung des Amtes Beamter zu sein aufhörte. Was der Grund davon war, ist schwer zu sagen; wahrscheinlich fürchtete die Regierungspartei, dass beim Wiedereintreten der Consuln die Erneuerung auch des tribunicischen Collegiums gefordert werden würde, und wartete wenigstens auf einen ZWEITES BUCH. KAPITEL II. günstigen Moment zur Erneuerung des Consulats ohne die Beschränkungen der valerischen Gesetze. Die gemässigte Partei der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, versuchte, heisst es, im Senat die Abdankung der Decemvirn zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmänner Appius Clau- dius, ein leidenschaftlicher Vorfechter der strengen Adelspartei, gewann bei dem grösseren Theil der Senatoren das Uebergewicht, und auch das Volk fügte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner begonnen. Allein die Re- volution gährte in den Gemüthern; zum Ausbruch brachte sie die Ermordung des ehemaligen Volkstribuns Lucius Siccius Dentatus, des tapfersten Mannes in Rom, der in hundert und zwanzig Schlachten gefochten und fünf und vierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, und der jetzt im Lager umgebracht gefunden ward, ermordet wie es hiess auf Anstiften der Zehn- männer; ferner der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Freiheitsprozess gegen die Tochter des Centurionen Lucius Vir- ginius, die Braut des ehemaligen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch den Vater zwang seiner Tochter selbst auf offenem Markt das Messer in die Brust zu stossen, um sie der Schande zu entreissen. Während das Volk erstarrt ob der unerhörten That die Leiche des schönen Mädchens um- stand, befahl der Decemvir seinen Bütteln den Vater und als- dann den Bräutigam vor seinen Stuhl zu führen und ihm, von dessen Spruch keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine Gewalt. Nun war das Mass voll. Während der Senat zittert und schwankt, erschei- nen der Vater und der Bräutigam mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren That in den beiden Lagern; die Heere verlassen ihre Führer, sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribunen sich ernennen. Immer noch weigern die De- cemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo der Bürgerkrieg schon da war und der Strassenkampf stündlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmänner ihrer usurpirten und entehrten Ge- walt und Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das Volkstribunat wieder her- gestellt wurde. Die Anklagen gegen die Decemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. Spurius Oppius im Gefängniss sich das Leben nahmen, die acht andern ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen ein- zog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemässigte Volkstribun Marcus Duilius durch rechtzeitigen Ge- brauch seines Veto. So lautet die Erzählung, die wie gewöhnlich die Anlässe ausmalt und die Ursachen zurücktreten lässt. Es sind nicht die einzelnen Schandthaten der Zehnmänner, die die Erneue- rung der tribunicischen Gewalt provocirten. Die Plebejer büss- ten durch deren Untergang die einzige ihnen zugängliche politische Stellung ein und es ist begreiflich, dass es den Führern mit dem Verzicht auf dieselbe vielleicht niemals Ernst war, dass sie wenigstens die erste Gelegenheit ergriffen um dem Volke darzuthun, dass der todte Buchstabe keineswegs dem tribunicischen Arm vergleichbar sei. Der Uebermuth des Adels, der seltsamer Weise zu den Zehnmännern seine eifrig- sten Vorfechter ausgelesen hatte, kam ihnen auf halbem Wege entgegen und so zerriss der Unverstand der Parteien wie Spinneweben den Einigungsplan. — Der neue Vergleich fiel wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und be- schränkte in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das dem Adel abgedrungene Stadtrecht, dessen beide letz- ten Tafeln nachträglich publicirt wurden, in dem Vergleich festgehalten und die Consuln danach zu richten verpflich- tet wurden, versteht sich von selbst. Dadurch verloren allerdings die Tribus die Gerichtsbarkeit in Capitalsachen; allein zum reichlichen Ersatz dafür ward verordnet, dass künftig jeder Magistrat, also auch der Dictator bei seiner Ernennung verpflichtet werden müsse, der Provocation statt- zugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büsste mit dem Kopfe und galt als vogelfrei. Den Tribunen blieb in dem Recht auf Geldbussen unbeschränkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tributcomitien zu bringen ein ausrei- chendes Mittel die bürgerliche Existenz ihres Gegners zu ver- nichten. Neu war es, dass den Tribunen und ihren Comitien Einfluss eingeräumt ward auf die Administration und die Fi- nanzen. Die Verwaltung der Kriegskasse ward den Consuln abgenommen und zweien Zahlmeistern ( quaestores ) übertragen, die von den Tribunen in ihren Comitien, jedoch aus dem Adel ernannt wurden; dies waren die ersten ‚Gemeindebelie- bungen‘, denen unbestrittene Rechtskraft zukam und um deren willen desshalb auch den Tribunen das Recht der Vogelschau ZWEITES BUCH. KAPITEL II. gewährt ward. Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen eine berathende Stimme im Senat eingeräumt und, damit keine Unterschiebung oder Verfälschung von Senatsschlüssen statt- finde, den Aedilen deren Aufbewahrung überwiesen ward. Zwar in den Saal des Senats die Tribunen zuzulassen schien dem Senat unter seiner Würde; es wurde ihnen eine Bank an die Thüre gesetzt um von da aus den Verhandlungen zu folgen. Allein man konnte es nicht wehren, dass die Tribunen jetzt einschritten gegen einen ihnen missfälligen Senatsbeschluss und dass sich, wenn auch erst allmählich, der neue Grundsatz feststellte, dass jede Beschlussfassung des Senats oder der Volksversammlung durch Einschreiten eines Tribuns gehemmt ward. So endigte dieser Kampf, der begonnen war um die tribunicische Gewalt zu beseitigen, mit der definitiven Vollen- dung ihres Cassirungsrechts sowohl einzelner Administrations- acte auf Anrufen des Beschwerten als auch jeder Beschluss- nahme der constitutiven Staatsgewalten nach dem Ermessen des Tribuns. Mit den heiligsten Eiden und allem was die Religion Ehrfürchtiges darbot wurde sowohl die Person der Tribunen als die ununterbrochene Dauer und die Vollzählig- keit des Collegiums gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden diese Magistratur aufzuheben. KAPITEL III. Die Ausgleichung der Stände . Die tribunicischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den socialen, nicht aus den politischen Missverhältnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Theil der vermögenden in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder ent- gegen war als die Patricier; denn auch sie waren Privilegirte und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich zurück- gesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen ihre Ansprüche auf Theilnahme an den Aemtern geltend zu machen, während der ganze Senat in seiner finan- ziellen Sondermacht bedroht war. So erklärt es sich, dass während der ersten fünfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der direct auf politische Ausgleichung der Stände hinzielte. — Allein wie unhaltbar diese Allianz der Patricier und der mit ihnen haltenden reichen Plebejer war, leuchtet ein. Ohne Zweifel hat ein Theil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich angeschlos- sen, theils aus Billigkeitsgefühl gegen ihre Standesgenossen, theils in Folge des natürlichen Bundes aller Zurückgesetzten, theils endlich weil sie begriffen, dass Concessionen an die Menge unvermeidlich waren und dass sie, richtig benutzt, der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate geben und die politische Gleichheit zur Folge haben würden. Wenn die vornehmen Plebejer an die Spitze ihres Standes traten, so hielten sie in dem Tribunat den Bürgerkrieg ge- ZWEITES BUCH. KAPITEL III. setzlich in der Hand und konnten mit dem socialen Nothstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingun- gen zu dictiren und als Vermittler zwischen beiden Parteien mühelos für sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. — Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der vornehmen Plebejer trat ein nach dem Sturz des Decemvirats. Es war jetzt voll- kommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich nicht besei- tigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres thun als sich dieses mächtigen Hebels zu bemächtigen zur Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes. Wie wehrlos der Adel der vereinigten Plebs gegenüber- stand, zeigt nichts so augenscheinlich, als dass die beiden Fundamentalsätze der exclusiven Partei, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen und die Unfähigkeit der Bürgerlichen zur Bekleidung eines Amtes, kaum vier Jahre nach der Decemviralrevolution und auf den ersten Streich fielen. Im Jahre 309 wurde bestimmt durch das canuleiische Gesetz, dass die Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen als eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten; und es wurde ferner durchgesetzt, dass statt der Consuln Kriegstribune mit consu- larischer Gewalt ernannt werden sollten, zu welchem Amt nach altem Recht jeder dienstpflichtige Römer wählbar war. — Damit waren die Adelsprivilegien in der That gesetzlich beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens werth gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen. Allein wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld für die ohnmächtige und tückische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen, der Kniffe, und indem der Adel es nicht ver- schmähte auf solchem Wege seine Ehre und seine Staatsklug- heit zu compromittiren, konnte er sich rühmen den Bürger- krieg noch ein Jahrhundert verlängert und dem gemeinen Mann Concessionen verschafft zu haben, zu welcher die rö- mische Aristokratie, wenn sie sich aufrichtig hätte einigen können, nicht leicht gezwungen worden wäre. — Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannichfach wie die politische Kümmerlichkeit überhaupt. Man gab in der Sache nach, versagte aber in kränkender Weise den Bürgerlichen den ehrenvollen Namen des Consulats und die Zulassung zur Ehre des Triumphes. Statt ein für allemal zu entscheiden, räumte man, was man einräumen musste, nur für die näch- AUSGLEICHUNG DER STAENDE. sten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich der eitle Kampf, ob patricische Consuln oder aus beiden Ständen Kriegstribunen mit gleicher Gewalt ernannt werden sollten und unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Er- müdung und Langeweile zu überwinden, keineswegs als die unwirksamste. Man zersplitterte die bis dahin ungetheilte höchste Gewalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Ver- mehrung der Angriffspuncte in die Länge zu ziehen. So wurde die Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuer- listen, welche bisher durch die Consuln oder durch von ihnen ernannte Stellvertreter besorgt worden war, schon im Jahre 311 zweien von den Centurien aus dem Adel ernannten Schätzern ( censores ) übertragen; doch hatte dieses Amt ur- sprünglich keineswegs die hohe Bedeutung und die moralische Suprematie, die im Verlauf der Zeit ihm beigelegt worden ist. Ebenso wurde im Jahre 333 den Consuln die Ernennung ihrer beiden Quästoren entzogen; offenbar in der Absicht, da die Plebs von dem höchsten Amte einmal nicht mehr auszuschlie- ssen war, diesem Amt selbst seine finanzielle Macht zu ent- ziehen und durch die Censoren und Quästoren das Budget und die Staatskasse in der Hand des Adels festzuhalten. Der letztere Plan indess gelang nur halb, da die Plebejer alsbald durchsetzten, dass die Quästoren aus beiden Ständen gewählt werden könnten. — Geradezu die plebejischen Rechte anzu- greifen wagte man kaum; und wo es geschah, zeigt sich der Angriff mehr als ein Act impotenter Rache denn als ein politisches Beginnen. So namentlich der Process gegen Mae- lius. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während schwerer Theurung (316) Getreide zu solchen Preisen, dass er den patricischen Magazinvorsteher ( praefectus annonae ) Gaius Minucius beschämte und beschimpfte. Dieser beschul- digte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein kaum glaublich ist es, dass ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indess man nahm die Sache ernsthaft. Titus Quinctius Capitolinus, der zum sechsten Mal Consul war, er- nannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Dictator ohne Provocation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiter- führer des Dictators, Gaius Servilius Ahala mit eigener Hand. ZWEITES BUCH. KAPITEL III. Sein Haus ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Spei- chern dem Volke umsonst vertheilt, und die seinen Tod zu rächen drohten heimlich über die Seite gebracht. Dieser schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junker- partei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte damit das Provocationsrecht zu untergraben, so hatte sie um- sonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut ver- gossen. — Besser indess als alle übrigen Mittel dienten dem Adel Wahlintriguen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein müssen, zeigt am besten, dass schon 322 es nöthig schien ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natür- lich nichts half. Konnte man auf die Stimmberechtigten nicht wirken durch Corruption oder Drohung, so thaten die Wahl- directoren das Uebrige und liessen zum Beispiel so viele ple- bejische Candidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich zersplitterten, oder liessen diejenigen weg, die die Majorität zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alle dem eine solche Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob nicht eine Nichtigkeit in der Vogelschau oder den sonstigen religiö- sen Ceremonien bei dieser Wahl vorgekommen seien; welche diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass den priester- lichen Sachverständigen-Collegien das Recht zukomme jeden Staatsact, Gesetz oder Wahl wegen Verletzung religiöser Er- fordernisse zu cassiren. Auf diesem Wege wurde es möglich, dass, nachdem die Wählbarkeit der Plebejer als Grundsatz schon im Jahre 309 gesetzlich festgestellt worden war und seitdem gesetzlich anerkannt blieb, dennoch nicht vor dem Jahre 345 eine plebejische Wahl zur Quästur und nicht vor dem Jahre 354 eine plebejische Wahl zum consularischen Kriegstribunat durchgesetzt wurde. Es zeigte sich, dass die principielle Abschaffung der Adelsprivilegien durch gesetzliche Anordnungen der plebejischen Aristokratie noch keineswegs wirklich gleiche Stellung gab mit dem Adel. In den Comitien entschieden die Stimmen des Mittelstandes, der sich nicht be- rufen fand die vornehmen Nichtadlichen vorzugsweise auf den Schild zu heben, so lange seine eigenen Anliegen von der plebejischen nicht minder wie von der patricischen Aristokratie zurückgewiesen wurden. Die socialen Fragen hatten während dieser politischen AUSGLEICHUNG DER STAENDE. Kämpfe im Ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristo- kratie des Tribunats sich zu ihren Zwecken bemächtigt hatte, war weder von der Domänenangelegenheit noch von dem Creditwesen ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neu gewonnenen Ländereien noch an verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neu gewonnenen Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ar- deatischen Gebietes 312, des lavicanischen 336, des veienti- schen 361, jedoch mehr aus militärischen Gründen als um dem Bauer zu helfen und keineswegs in ausreichendem Um- fang. Wohl machten einzelne Tribunen den Versuch das Ge- setz des Cassius wieder aufzunehmen; so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 den Antrag auf Auftheilung sämmtlicher Staatsländereien — allein sie schei- terten, charakteristisch genug für die damalige Situation, an dem Widerstand ihrer eigenen Collegen, das heisst der plebe- jischen Aristokratie. Auch unter den Patriciern versuchten einzelne der gemeinen Noth zu helfen; allein mit nicht bes- serem Erfolge wie einst Spurius Cassius. Patricier wie dieser und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persön- liche Tapferkeit trat Marcus Manlius, der Retter der Burg während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer auf für die unterdrückten Leute, mit denen die Kriegskameradschaft und der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feld- herrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus ihn verband. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängniss abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste ihn aus mit seinem Gelde; zugleich bot er seine Grundstücke zum Verkauf aus, laut erklärend, dass so lange er noch einen Fuss breit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle. Das war mehr als genug um die ganze Regimentspartei, Pa- tricier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu ver- einigen. Der Hochverrathsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des Königthums wirkte mit jenem tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurtheilte ihn zum Tode und nichts trug sein Ruhm ihm ein als dass man das Volk zum Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmen- den den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker ZWEITES BUCH. KAPITEL III. überlieferte (370). — Während also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das Missverhältniss immer schreien- der durch die bedeutende Erweiterung der Domanialbesitzungen in Folge der glücklichen Kriege, und andrerseits griff die Ueber- schuldung und Verarmung immer weiter in der Bauernschaft um sich, namentlich in Folge des schweren veientischen Krie- ges (348-358) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364). Zwar als es in dem veientischen Kriege nothwendig wurde die Dienstzeit der Soldaten zu ver- längern und sie statt nur für den Sommer auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraus- sehend, im Begriff war ihre Einwilligung zu der Kriegserklä- rung zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wich- tigen Concession: er übernahm den Sold, den bisher die Districte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirecten Abgaben und der Domänen (348). Nur für den Fall, dass die Staatskasse au- genblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage ( tributum ) ausgeschrieben, die indess als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Staatskasse späterhin zurück- gezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwerthung der Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch häufige Umlagen, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinirten, dass sie officiell nicht als Steuern, sondern als Vor- schüsse betrachtet wurden. Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgültigkeit der Gemeinde thatsächlich von der politischen Gleichberech- tigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauerschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmächtig gegenüberstand, lag es nahe ein Compromiss zu versuchen. Dies waren die licinisch- sextischen Gesetze, die einerseits mit Beseitigung des Consu- lartribunats den Grundsatz feststellten, dass wenigstens der eine Consul Plebejer sein müsse und den Plebejern ferner den Zutritt zu dem einen der drei grossen Priestercollegien, dem auf zehn Mitglieder vermehrten der Orakelbewahrer ( decemviri sacris faciundis ) eröffneten; andrerseits theils für die Occupa- tion des Domaniallandes ein Maximum von 500 Iugern (= 494 preussische Morgen) für jeden Bürger feststellten, theils den AUSGLEICHUNG DER STAENDE. Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Capital und Anordnung von Rückzahlungsfristen Erleichterung schaff- ten. Vergeblich boten die Patricier gegen diese Gesetzvor- schläge ihre letzten Mittel auf; selbst die Dictatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu verzögern, nicht sie abzuwenden. Gern hätte auch das Volk die Vorschläge getheilt; was lag ihm am Consulat, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilität nicht popular; sie fasste die Gesetze in eine einzige Rogation zusammen und sie gingen endlich nach lang-, angeblich elfjährigem Kampfe durch im Jahre 387. Zwar das unverbesserliche Junkerthum verleug- nete sich auch hier nicht; auch jetzt suchte man noch durch ein politisches Kipp- und Wippsystem einige Trümmer der alten Vorrechte zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem Consulat, als dies den Plebejern eröffnet ward, die Rechts- pflege getrennt und dafür ein eigener dritter Consul oder, wie er gewöhnlich heisst, ein Praetor bestellt. Ebenso er- hielten die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizei- gerichte zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer ständigen Gerichtsbarkeit zum Unterschied von den plebejischen die Gerichtsstuhl-Aedilen ( aediles curules ) genannt wurden. Allein die curulische Aedilität ward sofort den Plebejern zugänglich, so wie dagegen umgekehrt die bisher plebejische den Patri- ciern; im Jahre 415 ward die Censur, im Jahre 417 die Praetur den Plebejern geöffnet. Es hatten sich jetzt die ehe- maligen Vorrechte des Geschlechtsadels bei der Aemterbewer- bung in Zurücksetzungen verwandelt; denn während der Ple- bejer jedes Amt bekleiden konnte, waren die Geschlechter ausgeschlossen vom Tribunat und von der zweiten Censor- und Consulstelle. In den ersten Decennien nach dem licinisch- sextischen Gesetze ist dasselbe freilich noch mehrere Male übertreten worden durch Ernennung zweier patricischer Con- suln; allein auch dies finden wir seit dem Jahre 411 nicht wieder. Ebenso wenig änderte es an der Sache, wenn noch einmal ein patricischer Augur in der Wahl eines plebejischen Dictators (427) geheime ungeweihten Augen verborgene Mängel fand. Das Recht endlich der patricischen Senatoren den Be- schluss der Centurien zu bestätigen oder zu verwerfen, das sie auszuüben freilich wohl selten gewagt hatten, wurde ihnen durch das publilische Gesetz von 415, von dem das maenische Röm. Gesch. I. 13 ZWEITES BUCH. KAPITEL III. von 416 wohl nicht verschieden ist, in der Art entzogen, dass sie jeden Beschluss der Centurien im Voraus zu bestätigen angewiesen wurden. — Länger behaupteten begreiflicher Weise die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche der- selben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche Wählbarkeit zu den drei höchsten Flaminaten und dem sacerdotalen Königthum, hat man nie- mals gerührt. Dagegen waren die beiden Collegien der Pon- tifices und der Auspices, an welche die Kunde des Rechtes und ein bedeutender Einfluss auf die Comitien sich knüpfte, zu wichtig als dass diese Sonderbesitz der Patricier hätten bleiben können; das ogulnische Gesetz vom Jahre 454 erklärte auch die Plebejer für wählbar in dieselben, und seitdem ist überall nicht mehr die Rede von dem Hader der Geschlechter und der Gemeinen, der so lange den Staat bewegt und so zweck- los das öffentliche Leben zerrüttet und vergiftet hatte. In der That aber hörte der Geschlechtsadel in Rom auf eine politische Institution zu sein schon mit den licinisch-sextischen Gesetzen: seine späteren Widerspenstigkeiten sind nichts als gleichgültige Umtriebe schmollender Junker. Mit Recht weihte Marcus Furius Camillus nach dem Durchgang jener Rogation desswegen der Eintracht ein Heiligthum, auf einer über der alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium erhöheten Flä- che am Fusse des Capitols, wo der Senat häufig zusammenzu- treten pflegte; dieser Platz hiess seitdem der Eintrachtsplatz. Es war die letzte öffentliche Handlung des alten Vorkämpfers der Adelspartei und eine seiner schönsten, die religiöse Weihe der Ausgleichung und Sühnung des nur zu lange fortgespon- nenen Zwistes. Ein anderer Gegensatz tieferer Begründung und ernst- licherer Bedeutung befestigte sich nur um so mehr, seitdem die Adelsprivilegien beseitigt waren. Die reichen und ange- sehenen Familien, die factisch das Regiment ausschliesslich in Händen hatten und social immer mehr zu einem eigenen scharf abgeschlossenen Stande erwuchsen, standen in den Interessen wie in den Ansichten bestimmt entgegen sowohl der mittleren und kleinen Bauerschaft als der nicht mit Grund- besitz ansässigen Menge, welche letztere jetzt zuerst in der politischen Geschichte hervorzutreten beginnt. Diese Gegensätze aufheben zu wollen konnte einem praktischen Staatsmann nicht einfallen; wohl aber war es eine wichtige Aufgabe, ja die erste von allen, den Mittelstand zu conserviren und dem entgegen- AUSGLEICHUNG DER STAENDE. zuwirken, dass die Bürgerschaft sich auflöse in Aristokratie und Proletariat, wovon die unvermeidliche Folge die Despotie in dieser oder jener Form gewesen sein würde. In der That wurde von den Behörden in der Epoche nach dem licinisch- sextischen Gesetz mit grösserer Energie als zu irgend einer ande- ren Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet den ansässigen Mittelstand zu schützen. Die Vorschriften in Betreff der Domä- nenoccupation wurden mit Strenge gehandhabt; es ist charak- teristisch für die Stellung der plebejischen Aristokratie, dass einer der Urheber des neuen Ackergesetzes, Gaius Licinius, selbst unter den ersten wegen Ueberschreitung des Acker- maximum Verurtheilten sich befand. Ebenso suchte man dem Creditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmäh- lich geschärft, so dass das Zinsmaximum successiv von 12 (im Jahre 397) auf 6 von Hundert (im Jahre 407) ermässigt und endlich (Jahr 412) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Die letztere Thorheit scheint sich bald von selbst aufgehoben zu haben; factisch blieb es wohl bei dem Maximum von 12 vom Hundert, das nach den Geldverhältnissen des Alterthums überhaupt ungefähr sein mochte was heute die Maxima von fünf oder sechs vom Hundert. Strafklagen gegen notorische Wucherer wurden häufig vor das Volk gebracht und fanden bereitwilliges Gehör; im Jahre 402 wurde eine Schuldentil- gungscommission niedergesetzt und 407 gesetzliche Terminzah- lungen angeordnet. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das poetelische Gesetz (428 oder 441), nach welchem theils jeder Schuldner, der seine Zahlungsfähig- keit eidlich erhärtete, durch Abtretung seines Vermögens seine persönliche Freiheit sich rettete, theils das bisherige kurze Executivverfahren bei der Darlehnsschuld abgeschafft ward. — Dass alle diese Mittel nicht genügen konnten, leuchtet ein; wie gross in der That noch die Schuldenlast blieb, zeigt die Emeute vom Jahre 467, wo das Volk, nachdem es über neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte mit der Ge- genpartei sich einigen können, hinauszog auf das Ianiculum und erst ein rechtzeitiger Angriff der äusseren Feinde der Gemeinde den Frieden wiedergab. Indess ist es sehr unge- recht, wenn man diesen ernstlichen Versuchen der Verarmung des Mittelstandes zu steuern ihre Unzulänglichkeit entgegen- hält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radicale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum 13* ZWEITES BUCH. KAPITEL III. Theil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der Einfalt von der Niederträchtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum nicht minder unverständig. Eher liesse sich um- gekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemächtigt gehabt, und ob es wirk- lich so gewaltsamer und gefährlicher Mittel bedurft habe wie zum Beispiel die Kürzung der gezahlten Zinsen am Capital ist. Unsere Acten reichen nicht aus, um hier über Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen wir, dass der ansäs- sige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und bedenk- lichen ökonomischen Lage sich befand. Eine wirksamere Abhülfe, als Prohibitivgesetze und Moratorien sie gewähren konnten, brachten ihm, wie es scheint, die politischen Erfolge der Gemeinde und die allmählich sich befestigende Herrschaft der Römer über Italien. Die vielen und grossen Colonien, die zu deren Sicherung gegründet werden mussten und von denen die Hauptmasse im fünften Jahrhundert ausgeführt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat theils eigene Bauerstellen, theils durch den Abfluss auch den Zu- rückbleibenden Erleichterung daheim. Die Occupationen der Vornehmen warfen sich mehr auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichthümer, die in Folge der Siege und des Besitzes nach Rom strömten, müssen den Zinsfuss herab- gedrückt haben; die steigende Bevölkerung der Hauptstadt kam dem Ackerbauer in ganz Latium zu Gute; ein weises Incorporationssystem vereinigte eine Anzahl angrenzender früher unterthäniger Gemeinden mit der römischen und verstärkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Factionen zum Schweigen, und wenn der Nothstand der Mittelklasse auch keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen ver- stopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der römische Mittelstand im Ganzen in einer weit minder gedrückten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Könige. Die Verfassung und Verwaltung ward durch diese stän- dischen Kämpfe im Wesentlichen nicht geändert. Der legale Souverain blieb nach wie vor die Bürgerschaft in ihren or- dentlichen Versammlungen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein für allemal den Centurien über- wiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Consuln und Censoren, die Abstimmung nach Districten ebenso gültig AUSGLEICHUNG DER STAENDE. sein solle wie die nach Centurien, was angeblich schon das valerische Gesetz von 305, sicher das publilische von 415 und das hortensische von 467 verordneten. Eine wesentliche Neuerung lag hierin nicht, da im Ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren. Von weit grösserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Pe- riode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit in Frage gestellt zu werden anfing. Der erste, der hieran rüttelte, war Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt. Er legte, ohne den Senat oder das Volk zu fragen, in seiner Censur 442 die Bürgerliste so an, dass der nicht grundsässige Mann in die Tribus, die ihm gefiel, und alsdann nach seinem Vermögen in die entspre- chende Centurie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor um vollständig Bestand zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der berühmte Besieger der Samniten Quintus Fabius Rullianus übernahm es in seiner Censur 449 sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass die Macht in den Händen der Grundsässigen und Vermögen- den blieb. Er wies die nicht grundsässigen Leute und ebenso die grundsässigen Freigelassenen der drei letzten Klassen sämmtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden; so dass seitdem in den Districtsversammlungen die sämmtlichen ansässigen freigebor- nen Leute nebst den ansässigen Freigelassenen der beiden ersten Klassen die ländlichen Districte allein inne hatten. Die Zahl dieser Landtribus, ursprünglich 17, stieg allmählich, bis sie jedoch erst in der folgenden Periode auf 31 festgestellt ward, In den Centurien wurden die nicht ansässigen Freigeborenen geduldet, dagegen die Freigelassenen, mit Ausnahme der An- sässigen der beiden ersten Klassen, des Stimmrechts beraubt. Auf diese Weise ward dafür gesorgt, dass in den Tributcomi- tien die Ansässigen überwogen, in den Centuriatcomitien, für die bei dem entschiedenen Uebergewicht der Vermögenden geringere Vorsichtsmassregeln ausreichten, wenigstens die Frei- gelassenen nicht schaden konnten. Durch diese weise und gemässigte Festsetzung, wegen deren das Volk ihrem Urheber den Namen des Grossen verlieh, ward einerseits die Kriegs- pflicht wie billig auch den nicht ansässigen Bürgern aufgelegt, andrerseits der steigenden Macht der gewesenen Sclaven ein Riegel vorgeschoben, welcher in einem Staat, der Sclaverei ZWEITES BUCH. KAPITEL III. zulässt, unerlässliches Bedürfniss ist. Ein eigenthümliches strenges Sittengericht, das allmählich an die Schatzung und die Aufnahme der Bürgerliste sich anknüpfte, schloss überdiess aus den Reihen der Bürgerschaft alle notorisch unwürdigen Individuen aus und wahrte der Bürgerehre ihre volle sittliche und politische Reinheit. — Was die Competenz der Comitien anlangt, so zeigt diese die Tendenz sich allmählich, aber sehr langsam zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk gewählten Magistrate gehört gewissermassen hierher; bezeich- nend ist, dass seit 392 die Kriegstribune einer Legion, seit 443 je vier in jeder der vier ersten Legionen nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der Bürgerschaft ernannt wurden. In die Administration griff während dieser Periode die Bür- gerschaft im Ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegser- klärung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch für den Fall festgestellt, wo ein anstatt des Friedens auf eine Reihe von Jahren abgeschlossener Waf- fenstillstand ablief und zu entscheiden stand, ob der Krieg factisch wieder beginnen solle (327). Sonst ward eine Ver- waltungsfrage nur an das Volk gebracht, wenn entweder der höchste Beamte mit dem Senat in Collision gerieth und sich an das Volk wandte — so als den Führern der Volkspartei unter dem Adel Lucius Valerius und Marcus Horatius im Jahre 305 und dem ersten plebejischen Dictator Gaius Marcius Ru- tilus im Jahre 398 vom Senat die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; ferner als der Senat gegen den Willen des Consulartribuns die Auslieferung des pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier im Jahre 364 beschloss — es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluss vom Volke cassirt ward und schwer hat ihn die Gemeinde gebüsst. Oder Senat und Beamte einigten sich in schwierigen und gehässigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheimzugeben; so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklärt hatte, ehe dies er wirklich begann, um Frieden bat (401), wo der Senat Bedenken trug den Volksschluss ohne Weiteres aufzuheben; und später als der Senat den demüthig von den Samniten erbetenen Frieden abzuschlagen wünschte, aber die Gehässig- keit der Erklärung scheuend sie dem Volke überliess (436). Erst gegen das Ende dieser Periode finden wir eine bedeu- tend erweiterte Competenz der Districtversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich eine Befragung der- selben bei Friedensschlüssen und Bündnissen; es ist wahr- AUSGLEICHUNG DER STAENDE. scheinlich, dass diese zurückzuführen ist auf das hortensische Gesetz von 467. — Indess darf man bei diesen der Form nach demokratischen Erweiterungen der Competenz der Bür- gerversammlungen nicht vergessen, dass in der That der prak- tische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten mehr und mehr zu schwinden begann. Abgesehen davon, dass die Abhängigkeit der Debatte von der Willfährigkeit des Vorsitzenden und die Unzulässigkeit der Amendementsstellung diesen Ver- sammlungen einen wesentlichen Theil ihrer Bedeutung raubte, ist wohl zu erwägen, dass mit der Erweiterung der römischen Grenzen diese Urversammlungen ihren rechten Boden verloren. Eine Versammlung der Grundsässigen des Weichbildes konnte recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden und recht wohl wissen was sie wollte, auch ohne zu discutiren; eine Versammlung der Staatsbürger dagegen war, von einzel- nen ausserordentlichen Fällen abgesehen, in ihrer Zusammen- setzung wie in ihrer Entscheidung wesentlich theils den in der Hauptstadt domicilirten Bürgern in die Hände gegeben, theils vom Zufall abhängig. Die Stimmordnung nach Distric- ten oder Centurien arbeitete diesem Uebelstand zwar einiger- massen, aber keineswegs genügend entgegen. Es ist daher vollkommen erklärlich, dass die Comitien, die in den beiden ersten Jahrhunderten der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit haben, allmählich beginnen ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. Indess für jetzt machte sich diese beginnende Zerrüttung der Ver- fassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Comitien nicht leicht störend eingriffen in das Regiment des Senats. Denn in der That war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere ge- worden durch das ovinische Gesetz, das etwa um die Mitte dieser Periode zu fallen scheint; dasselbe übertrug anstatt der Consuln den Censoren die Auswahl der Senatoren, indem es sie zugleich anwies die gewesenen Beamten vorzugsweise zu berücksichtigen und nur aus besonderen Gründen einen sol- chen Expectanten auszuschliessen. So ruhte der Senat im Wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, son- dern indirect auf der Wahl durch das Volk. Andrerseits ZWEITES BUCH. KAPITEL III. kam dazu die folgenreiche Veränderung der Stellung des Se- nats zu dem Volkstribunat. Die Volkstribunen erhielten, wir wissen nicht genau wann, aber ohne Zweifel in dieser Epoche der Ausgleichung der Stände, im Senat gleiche Rechte mit den Consuln. Nicht bloss ward ihnen statt des Sitzes auf einer Bank an der Thür ihr Platz im Senat selbst angewiesen gleich und neben den übrigen Beamten und erwarben sie wie diese das Recht bei den Verhandlungen das Wort zu ergreifen, sondern es ward ihnen auch gestattet den Senat zu versam- meln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken — das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur, das von den ordentlichen Beamten nur den Consuln und den ihnen gleichstehenden Praetoren zustand. Zwar das Stimm- recht im Senat empfingen die Tribunen nicht; aber es war dies keine Zurücksetzung, sondern allgemeiner Grundsatz des römischen Staatsrechts, dass sämmtlichen functionirenden Beam- ten während ihres Amtsjahrs nur eine berathende Stimme im Staatsrathe zukam und den Rath nur gab, wer zur That nicht befugt war. Der politische Erfolg dieser weisen Massregel war, dass der höchsten Executivstelle des Consuln- und Prae- torencollegiums eine zweite in dem tribunicischen Collegium zur Seite gestellt ward und das letztere seinen ursprünglichen Charakter der als Behörde constituirten Opposition verlor, in- dem man es in die Regierung hineinzog. Es war die mil- deste Form das Volkstribunat, das seit der Ausgleichung der Stände eigentlich zwecklos geworden war, thatsächlich zu absorbiren. Immer zwar blieben die verfassungsmässigen Rechte der einzelnen Volkstribunen eine schneidende und gefährliche Waffe; aber man paralysirte sie von Seite der Regierung regelmässig durch sich selbst. Von einer colle- gialischen Opposition des Tribunats gegen die Regierung ist schlechterdings nicht mehr die Rede; vielmehr ward das Tribunat eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung um das Volk zu bestimmmen und Ausschrei- tungen der Beamten zu hemmen. — Formell erweiterte die Competenz des Senats sich kaum; die bescheidenen For- men blieben dieselben wie früher. Allein materiell um- fasste seine Gewalt die gesammte höhere Centralverwaltung und die Gesetzgebung; die Beamten waren nichts anderes als Präsidenten seiner Sitzungen und Ausführer seiner Beschlüsse und die Gemeinde beschloss regelmässig erst auf das Gutachten des Senates hin. Nur in die Besorgung der laufenden Ange- AUSGLEICHUNG DER STAENDE. legenheiten und in die richterliche und militärische Leitung mischte der Senat sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Tact in der römischen Aristokratie um aus der Leitung des Staats eine Bevormundung des Beamten und das Werkzeug zur Maschine machen zu wollen. Ebenso liess man den Wahlen ihren freien Lauf; man hütete sich einzugreifen in die Privilegien der Bürgerschaft und schuf nicht durch verletzende Neuerungen Ambition und Opposition. Wohl aber sicherte der Senat, soweit es anging, sich auch Einfluss auf die Ernennung der Beamten; wozu ihm theils diejenigen Mittel dienten, die verfassungsmässig den Beamten selbst zu- standen, wie denn namentlich die Ernennung des Dictators anfing factisch vom Senat auszugehen, theils das wichtige Recht den vom Volke gewählten Beamten das Commando zu verlän- gern, wozu früher ein Volksbeschluss erforderlich war, das in- dess schon im Jahre 447 und später regelmässig vom Senate geübt ward. — So war es der Senat, der factisch in Rom re- gierte, und das strenge Urtheil der Geschichte muss es aner- kennen, dass diese Körperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern durch die freie Wahl der Nation; bestätigt von fünf zu fünf Jahren durch das strenge Sittengericht der ehrwürdigsten Männer; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in sich schliessend was das Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Poli- tik; die Executive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des ständischen Haders dienstbar gewordene tribunicische Inter- cession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Consequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Muth die erste poli- tische Körperschaft aller Zeiten — eine ‚Versammlung von Kö- nigen‘, die es verstand mit republikanischer Hingebung despo- tische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es aller- dings nicht zu verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie ihre Sonderinteressen ZWEITES BUCH. KAPITEL V. parteiisch zu wahren bedacht war und dass die Klugheit und die Energie der Körperschaft hier häufig nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indess der grosse in schweren Kämpfen festgestellte Grundsatz, dass jeder römische Bürger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich ergebende Eröffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den Senat für Jedermann erhielten neben dem Glanz der militärischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem Unter- schied der Stände jene Erbitterung und Gehässigkeit, die den Kampf der Patricier und Plebejer bezeichnen; und da die glückliche Wendung der äussern Politik es mit sich brachte, dass länger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum für sich fanden ohne den Mittelstand unterdrücken zu müssen, so hat das römische Volk in seinem Senat längere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzuführen vermocht, eine weise und glück- liche Selbstregierung. KAPITEL IV. Sturz der etruskischen Macht . Die Kelten . Nachdem die Entwicklung der römischen Verfassung wäh- rend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die äussere Geschichte Roms und Italiens wieder zurück in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf ihrem Höhepunct. Die Herrschaft auf der tyrrhe- nischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbündeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kämpfen sich behauptete, so war dagegen Corsica tuskisch und ebenso die Häfen Campaniens und der volskischen Landschaft, während die Söhne des karthagischen Feldherrn Mago durch die vollständige Eroberung Sardiniens (um 260) die Grösse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt be- gründeten und in Sicilien die Phoenikier während der inneren Fehden der hellenischen Colonien ihren Besitzstand ohne we- sentliche Anfechtung behaupteten. Nicht minder beherrschten die tuskischen Schiffe das adriatische Meer und selbst in den östlichen Gewässern waren ihre Kaper gefürchtet. — Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der la- tinischen Landschaft zu gewinnen war für Etrurien, das von den volskischen Städten in seiner Clientel und von seinen campanischen Besitzungen allein durch die Latiner geschie- den war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der römischen Macht Latium ausrei- chend beschirmt und die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etru- ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. rien behauptet. Allein als der gesammte tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwäche des römischen Staats nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem König Larth Porsena von Clusium seinen Angriff mächtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom capitulirte und trat im Frieden (angeblich 246) nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die nächst- liegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also die aus- schliessliche Herrschaft über den Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine sämmtlichen Waffen aus und verpflich- tete sich fortan des Eisens nur zur Pflugschaar sich zu be- dienen. Es schien, als könne die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern sein. Allein die Gefahr, welche die Coalition der etruskischen und karthagischen Nation über die Griechen wie die Italiker gebracht hatte, ward glücklich beschworen durch die enge Verbündung der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr auf einander angewiesenen Völker. Zu- nächst fand das etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war und vor den Mauern von Aricia stand, hier die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzei- tige Hülfe der Kymaeer, die den Latinern zu Hülfe eilten (247). Wir wissen nicht, wie der Kampf endigte und nament- lich nicht, ob es Rom gelang sich sofort des verderblichen und schimpflichen Friedens zu entledigen; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer auf längere Zeit sich zu behaupten nicht vermochten. Aber die hellenische Nation ward bald zu einem ent- scheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genöthigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskönig führte auch Kar- thago in die Bahnen der persischen Politik — wie denn selbst ein Bündniss zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwür- dig überliefert ist — und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Combinationen, die gleichzeitig die asiatischen Schaaren auf Griechenland, die punischen auf Sicilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Civilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt) rettete und rächte sie im Osten; und an demselben Tag — so wird erzählt — besiegten die Herren von Syra- kus und Akragas, Gelon und Theron das ungeheure Heer des STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. karthagischen Feldherrn Hamilkar Magos Sohn bei Himera so vollständig, dass der Krieg damit zu Ende war, und die Poener, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten Si- cilien für sich zu erobern, mit dem, was sie dort besassen, sich begnügend, zurückkehrten zu ihrer bisherigen defensi- ven Politik. Noch sind von den grossen Silberstücken erhalten, welche für diesen Feldzug aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons Damareta und andrer edler Syrakusanerinnen geschlagen wurden, und die späteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Königs und des herrlichen von Simonides ge- feierten Sieges. — Gleichzeitig melden die römischen Annalen einen heftigen Krieg gegen die Veienter (271-280). Die Römer erlitten zwar schwere Niederlagen; im Andenken ge- blieben ist der Untergang des fabischen Geschlechts (277) an der Cremera, das freiwillig an die Grenze zur Vertheidi- gung einer gefährdeten Stellung übergesiedelt war. Allein im Ganzen entschied doch für sie der Erfolg, indem sie in dem Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, Fidenae und den am rechten Tiberufer ab- getretenen District wieder gewannen. Es ist nicht auszu- machen, wie weit dieser Kampf zwischen Latium und Etru- rien zusammenhängt mit denen zwischen den Griechen und den Poenern und Persern; aber mögen die Römer im Bunde oder nicht gestanden haben mit den Siegern von Salamis und Himera, gewiss ist es, dass wenigstens die Interessen zusammen- trafen und dass die nächste Folge der Demüthigung Karthagos der Sturz der Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbündeten war. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und Zankle, hatte ihren Kapern die sicilische Meerenge durch eine stehende Flotte gesperrt (272); entscheidend war der grosse Seesieg, den die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (282) über die tyrrhenische Flotte errangen, der die Karthager vergeblich Hülfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pin- daros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: ‚Hieron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhenergut von Kyme‘ Ͱιάϱον ὁ Δεινομένεος ϰαὶ τοί Συϱαϰόσιοι τοῖ Δὶ Τυϱαν᾽ ἀπὸ Κύμας. — Von jetzt an sind es nicht mehr die Karthager und die Etrusker, die die erste Rolle in der tyrrhenischen See spielen, sondern im ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. obern Meer die Massalioten, im unteren die Syrakusaner, und namentlich die letzteren beschränkten mehr und mehr das etruskische Corsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen den campanischen und den nördlichen Etruskern unterbrochen; um das Jahr 302 wurde von Syra- kus, um der tuskischen Piraterie gründlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel Corsica und die etruskische Küste verheerte und die Insel Aethalia (Elba) be- setzte. Ward man auch nicht völlig Herr über die etruskisch- karthagische Piraterie — wie wir denn namentlich wissen, dass das Kaperwesen in Antium fortdauerte bis in den Anfang des fünften Jahrhunderts der Stadt —, so war doch das mächtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbündeten Tusker und Poener. Einen Augenblick schien es, als müsse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die attischen Galeeren, deren Zug gegen Syrakus im Laufe des peloponne- sischen Krieges (339-341) die Etrusker, die alten Handels- freunde der Athener, mit drei Funfzigrudrern unterstützten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern, und Syrakus ward nach dem schmählichen Schei- tern der attischen Expedition unbestritten die erste griechische Seemacht, so dass die Männer, die dort an der Spitze des Staates standen, auf die Herrschaft über Sicilien und Unter- italien und über beide Meere Italiens hinzustreben begannen; wogegen andrerseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sicilien ernstlicher als bisher bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwältigung der Syrakusaner und die Unterwer- fung der ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sicilischen Mittelstaaten, die Stei- gerung der karthagischen Macht auf der Insel, die ausserdem aus diesen Kämpfen hervorgingen, können hier nicht erzählt werden; was Etrurien anlangt, so trafen dies die empfindlichsten Schläge von Dionysios, dem neuen Herrn von Syrakus. Er führte zahlreiche Colonien in die adriatische See, wo er Ankon, Nu- mana, Hatria an der italischen, die Inseln Lissos und Issa an der illyrischen Küste besetzte (um 367), ja durch die Erstür- mung und Plünderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pyrgi (369) griff er die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat sich nicht wieder erholt; und als nach Dionysios Tode die inneren Unruhen in Syrakus den Kartha- gern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im tyrrhe- STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. nischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass so- gar, als um 446 Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Kar- thago rüstete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten für Corsica fürchten, das sie wahrschein- lich behaupteten; die alte tuskisch-punische Symmachie, die noch zu Aristoteles Zeit (370-432) bestand, war jedenfalls gesprengt, aber auch die etruskische Seeherrschaft zu Ende. Dieser rasche und verhängnissvolle Glückswechsel würde unerklärlich sein, wenn nicht die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sicilischen Griechen sie zur See angriffen, sich zu Lande von allen Seiten her schwer bedrängt gesehen hätten. Kaum war ihre campanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch sich nicht mehr im Stande sah den Angriffen der sabellischen Bergvölker zu widerstehen. Ihre Hauptstadt Capua fiel 331 und die tuskische Bevölkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten verjagt oder ausge- rottet. Auch die campanischen Griechen, vereinzelt und ge- schwächt, hatten schwer zu leiden; Kyme selbst ward 335 von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten sich diese, namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hülfe der Syrakusaner, während der etruskische Name in Campanien ausgelöscht ward und aus der Geschichte spurlos verschwindet; kaum dass ein- zelne etruskische Gemeinden eine kümmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten. — Noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im nördlichen Italien ein und be- schränkten das etruskische Gebiet auf diejenigen engen Gren- zen, die seitdem die Grenzen Etruriens blieben. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und der erste Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italischen, germanischen und hellenischen Schwestern. Es fehlt ihr bei manchen tüchtigen und noch mehr glänzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staat- liche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der mensch- lichen Entwicklung sich gründet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich für den freien Kelten das Feld mit eigenen Hän- den zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugs- ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. weise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Heerden sich nährend und in den Eichenwäldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kel- ten; wogegen das Zusammenleben in Städten und Flecken ihnen willkommen ist und diese bei ihnen früher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre bürgerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen alten Na- tionen gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Ge- meinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Bür- gersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militärische, in der die Bande der Disciplin dem Einzelnen die schwere Mühe abnehmen sich selber zu bezwingen. ‚Die hervorstechenden Eigenschaften der keltischen Race — sagt ihr Geschichtsschreiber Thierry — sind die persönliche Tapferkeit, in der sie es allen (?) Völkern zuvorthun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äusserste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit‘. Kürzer sagt ungefähr dasselbe der alte Cato: ‚ auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit‘. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Bürger erklären die geschichtliche Thatsache, dass die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen gegründet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschiren; dem Grundstück die bewegliche Habe vorziehend, allem andern aber das Gold; das Waffen- werk betreibend als organisirtes Raubwesen oder gar als Hand- werk um Lohn. Es sind die rechten Lanzknechte des Alter- thums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart — recht im Gegensatz zu Griechen und Römern, die das Haupt und die Oberlippe stets schoren —, in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit un- geheurem Schild nebst dem langen schlechtgestählten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bear- STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. beiten verstanden. Zum Renommiren dient alles, selbst die Wunde, die oft hernach erweitert wird der breiteren Narbe zu Liebe. Gewöhnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen in ältester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittel- alters; am meisten die den Römern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes, zu dem sie nicht bloss im Kriege den einzelnen Feind herausforderten, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Geberden verhöhnt hatten; auch im Frieden fochten sie gegen einander auf Leben und Tod in glänzender Rüstung, und dass die Zechgelage hernach nicht fehlten, ver- steht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kämpfen und Heldenthaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Frühling und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine eigene Cultur von ihnen geschaffen worden. So schildern uns die Alten diese Nation; über ihre Her- kunft lässt sich nur muthmassen. Demselben Schoss ent- sprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und ger- manischen Völkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem östlichen Mutterland in Europa eingerückt, wo sie in frühester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begründeten, gegen Norden hin sich übersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Süden die Pyrenäen überschreitend und mit den iberischen Völkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indess führte ihre erste grosse Wan- derung sie vorbei und erst von den westlichen Ländern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Züge, die sie über die Alpen und den Haemus, ja über den Bosporus führten und durch die sie das Schrek- ken der sämmtlichen civilisirten Nationen des Alterthums durch manche Jahrhunderte geworden sind, bis Cäsars Siege und die von Augustus geordnete Grenzvertheidigung ihre Macht brachen. — Die einheimische Wandersage, die hauptsächlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen Zügen folgender- massen Die Verknüpfung der Wanderung des Bellovesus mit der Gründung . Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze Röm. Gesch. I. 14 ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. damals wie noch zu Cäsars Zeit der Gau der Bituriger (um Bourges) stand, habe unter dem König Ambiatus zwei grosse Heeresschwärme entsendet, geführt von den beiden Neffen des Königs; davon sei der eine Sigovesus über den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite Bellovesus über die graischen Alpen (den kleinen St. Bern- hard) in das Pothal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die älteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum. Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomanen mit den Städten Brixia (Brescia) und Verona begründet habe. — Unaufhörlich strömte es fortan über die Alpen in das schöne ebene Land und die keltischen Stämme sammt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Händen war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermuthlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Pothal an- sässigen Kelten mit neugekommenen Stämmen vereinigt hatten (358?), gingen diese letzteren hinüber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedrängen. Es waren dies die Boier, die angeblich auf einer andern Strasse, über den pöninischen Berg (grosser St. Bernhard) in Italien eingedrungen waren und sich nun ansiedelten in der heutigen Romagna, wo die alte Etru- skerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde; endlich die Senonen, der letzte grössere Keltenstamm, der diesseit der Alpen, an der Küste von Rimini bis Ancona sich angesiedelt hat. von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahr- hunderts der Stadt bestimmt wird, gehört unzweifelhaft nicht der einheimi- schen natürlich zeitlosen Sage an, sondern der spätern chronologisirenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfälle und Einwande- rungen mögen sehr früh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsich- greifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Hälfte des dritten Jahr- hunderts der Stadt gesetzt werden. — Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausführung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht über die cottischen Alpen (Mont Genevre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern über die graischen (kleiner St. Bernhard) und das der Salasser ging; den Namen des Berges giebt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermuthung an. STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. Diese schweren Bedrängnisse an der Nordgrenze erklären allein, aber auch vollständig das plötzliche Sinken der eben noch so gewaltig in Latium und Campanien und auf beiden Meeren sich entwickelnden etruskischen Macht. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewältigung der campanischen Etrusker gehört eben derselben Epoche an, wo die Insubrer und Ce- nomanen am Po sich niederliessen; und eben in diese Zeit fällt auch die Wiedererhebung der durch Porsena wenige Jahr- zehende zuvor aufs tiefste gedemüthigten und fast geknechte- ten römischen Bürgerschaft. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 hatte sie das Verlorene wieder gewonnen und war im We- sentlichen der Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Könige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er ablief im Jahre 309, begannen zwar die Kriege aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezüge, die für beide Theile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu mächtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff hätte unternehmen können. Erst der Abfall der Fidenaten, die die römische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermor- deten und sich dem König der Veienter Lars Tolumnius unter- warfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher glück- lich für die Römer ablief: der König Tolumnius fiel im Ge- fecht von der Hand des römischen Consuls Aulus Cornelius Cossus (326?), Fidenae ward genommen und 329 ein neuer Waffenstillstand auf 200 Monate abgeschlossen. Während des- selben steigerte sich Etruriens Bedrängniss mehr und mehr; schon bedrohten die Kelten das Gebiet am rechten Ufer des Po und als nun jener Waffenstillstand Ende 346 abgelaufen war, entschlossen sich die Römer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der nicht mehr bloss gegen, sondern um Veii geführt ward. Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belage- rung Veiis, die gleich der troianischen zehn Jahre gewährt haben soll, ist wenig beglaubigt. Die Sage und Dichtung hat sich dieser Ereignisse bemächtigt, und mit Recht; denn ge- kämpft ward hier mit bis dahin unerhörter Anstrengung um einen bis dahin unerhörten Kampfpreis. Es war das erste Mal, dass ein römisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erste Mal, dass die Gemeinde den Krieg aus Staatsmitteln zu führen unternahm. Aber es war auch das erste Mal, dass die Römer es versuchten sich eine stammfremde Nation zu 14* ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. unterwerfen und ihre Waffen hinübertrugen über die alte Grenze der latinischen Landschaft. Indess die Kräfte waren nicht gleich. Die Römer fanden Unterstützung bei den Lati- nern und Hernikern, denen der Sturz des gefürchteten Lan- desfeindes fast nicht minder Genugthuung und Förderung ge- währte als den Römern selbst; während Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die nächsten Städte, Capena, Fa- lerii, auch Tarquinii ihm Zuzug leisteten — innere Parteiun- gen, namentlich die Opposition, auf die das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Königsregiment bei den aristokratischen Regierungen der übrigen Städte traf, sollen nebst den gallischen Angriffen jene Unthätigkeit der übrigen Etrusker herbeigeführt haben. Trotzdem war die Belage- rung der grossen und festen Stadt eine Riesenaufgabe, deren Lösung unmöglich gewesen wäre, wenn die etruskische Nation ihre Schuldigkeit gethan hätte; vereinzelt und verlassen unter- lag die Stadt (358) nach tapferer Gegenwehr dem ausharren- den Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glänzende und gefährliche Bahn der aus- ländischen Eroberungen aufthat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die bis in späte Zeit fortgepflanzte Sitte die römischen Festspiele zu beschliessen mit dem ‚Veienterverkauf‘, wobei der ärgste alte Krüppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als ‚König der Veienter‘. Die Stadt ward zerstört, der Boden verwünscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten Frieden zu machen; das mächtige Volsinii, das in bundesmässiger Halbheit während Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, be- quemte nach wenigen Jahren (363) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmüthige Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Römern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Es war der Fall der beiden Festen unter jenem Doppelangriff der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation. Indess einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Völkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr unter einander sich aufreiben und als solle auch Roms neu aufblühende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natürlichen Lauf der Politik widersprach, be- STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. schworen über die Römer ihre eigene Uebermüthigkeit und Kurzsichtigkeit. — Die keltischen Schaaren, die nach Melpums Fall über den Fluss gesetzt waren, überflutheten mit reissender Geschwindigkeit das nördliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und längs des adriatischen Meeres, sondern sogar auch das eigentliche Etrurien diesseit des Apennin. Das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toscana und dem Kirchenstaat) ward belagert von den Senonen (363). So gedemüthigt waren die Etrusker, dass die tuskische Stadt die Zerstörer Veiis um Hülfe anrief. Es wäre vielleicht eine weise Politik gewesen dieselbe zu gewähren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewährten Schutz in Abhängigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weit- blickende Intervention, die die Römer genöthigt haben würde einen ernsten Kampf an der tuskischen Grenze zu beginnen, lag noch nicht im Horizont ihrer damaligen Politik. So blieb nichts übrig als sich jeder Einmischung zu enthalten; allein thörichter Weise schlug man die Hülfstruppen ab und schickte Gesandte. Noch thörichter meinten diese den Kelten durch grosse Worte imponiren und, als dies fehlschlug, gegen Bar- baren ungestraft das Völkerrecht verletzen zu können, indem sie an einem Gefecht theilnahmen und der eine von ihnen darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde stach. Die Barbaren, die einsichtiger, gemässigter und rechtlicher ver- fuhren als die Römer, begnügten sich von diesen durch Gesandte die nothwendige Genugthuung zu heischen. Allein in Rom überwog das Mitleid gegen die Landsleute die Ge- rechtigkeit gegen die Fremden; die Genugthuung ward ver- weigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die tapfern Vorkämpfer für das Vaterland sogar zu Consulartribunen für das Jahr 364, das in den römischen Annalen so verhängniss- voll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkönig der Gallier die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm — die Zahl wird auf 170,000 Köpfe angegeben — wandte sich gegen Rom. Solche Züge in un- bekannte und ferne Gegenden waren den Galliern geläufig, die als bewaffnete Auswandererschaaren marschirten unbe- kümmert um Deckung und Rückzug; in Rom aber ahnte man offenbar nicht das Gefährliche eines also schnellen und rück- sichtslosen Angriffs. Erst als die Gallier die Tiber überschrit- ten hatten und keine drei deutschen Meilen mehr von den ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. Thoren entfernt am Bache Allia standen, am 18. Juli 364 vertrat ihnen eine römische Heeresmacht den Weg. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Räuber, übermüthig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherrn — Camillus hatte in Folge des Ständehaders von den Geschäften sich zurückgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rückzugs? Die Niederlage blieb nicht aus; sie war nicht bloss vollständig, sondern die wilde Flucht der Römer, die zwischen sich und die nachsetzenden Barbaren den Fluss zu bringen eilten, führte den grösseren Theil des geschlagenen Heeres auf das rechte Tiberufer und nach Veii, womit man ohne alle Noth die Hauptstadt preisgab. Die geringe dort zurückgeblie- bene oder dorthin geflüchtete Mannschaft reichte nicht aus um die Mauern zu besetzen und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger in Rom ein durch die offenen Thore. Hätten sie es am ersten gethan, wie sie es konnten, so war Rom verloren. Jetzt gewann man Zeit die Heiligthümer zu flüchten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu be- setzen und nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man in der Stadt — man hatte kein Brot für alle. Die Menge der Wehrlosen ver- lief sich in die Nachbarstädte; aber mancher, vor allem eine Anzahl angesehener Greise mochten den Untergang der Stadt nicht überleben und erwarteten in ihren Häusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und plünderten was an Menschen und Gut sich vorfand und zün- deten schliesslich vor den Augen der römischen Besatzung auf dem Capitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungs- kunst verstanden sie nicht; es blieb ihnen nichts übrig als die Blokade des steilen Burgfelsens, die schwierig war, da die Lebensmittel für den grossen Heeresschwarm nur durch be- waffnete nicht selten von den latinischen Bürgerschaften, na- mentlich von den Ardeaten mit Muth und Glück zurückge- schlagene Streifpartien sich herbeischaffen liessen. Dennoch harrten sie mit einer unter ihren Verhältnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon be- gannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunklen Nacht nur durch das Schnattern der heiligen Gänse im capitolinischen Tempel und das zufällige Erwachen des tapfern Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. die Neige zu gehen, als ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus den Kelten gemeldet ward und sie bewog das gebotene Lösegeld anzunehmen. Das höhnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es auf- gewogen werde vom römischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren. — Die fürchterliche Katastrophe der Niederlage und des Bran- des, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz wo die Heiligthümer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden — all die Einzelheiten dieses unerhörten Ereignisses gingen über von der Erinne- rung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gänse sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch — mochten die Römer fortan datiren nach der Aera der Eroberung der Stadt, mochte diese Begebenheit wiederhallen in der ganzen damaligen civilisirten Welt und ihren Weg finden bis in die grie- chischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Folgen ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begeben- heiten beizuzählen. Sie ändert eben nichts in den politischen Verhältnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spät und schlecht erfundene Sage den Sieger von Veii wieder zurückbringen lässt nach Rom; wie die Flüchtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahn- sinnige Gedanke einiger mattherzigen Klugheitspolitiker die Bürgerschaft nach Veii überzusiedeln durch Camillus hoch- herzige Gegenrede beseitigt ist, die Häuser eilig und unor- dentlich — die engen und krummen Strassen schreiben von dieser Zeit sich her — sich aus den Trümmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereigniss dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schärfe zu neh- men und mehr noch zwischen Latium und Rom die alten Bande der Einigkeit fester zu knüpfen wesentlich beigetragen hat. Der Kampf der Gallier und der Römer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstossen zweier politischer Mächte, die einander be- dingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleich- bar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstört wird, sofort wieder sich ins Gleiche setzt. Die Gallier sind noch ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387, wo Ca- millus sie bei Alba schlug — der letzte Sieg des greisen Hel- den; der siebenmal consularischer Kriegstribun, fünfmal Dic- tator gewesen war; im Jahre 393, wo der Dictator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenüber 3000 Schritte von der Stadt an der Aniobrücke lagerte, ehe es aber zum Kampf ge- kommen war, der gallische Schwarm nach Campanien abzog; im Jahre 394, wo der Dictator Quintus Servilius Ahala vor dem collinischen Thor mit den aus Campanien heimkehrenden Schaaren stritt; im Jahre 396, wo ihnen der Dictator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrückliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404, wo sie sogar den Winter über auf dem Alba- nerberg campirten und sich mit den griechischen Piraten an der Küste um den Raub schlugen, bis Lucius Furius Camillus im folgenden Jahre sie vertrieb — ein Ereigniss, von dem der Zeitgenosse Aristoteles (370-432) in Athen vernahm. Allein diese Raubzüge, so schreckhaft und beschwerlich sie waren, waren mehr Unglücksfälle als geschichtliche Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben war, dass die Römer sich selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der civilisirten Nationen gegen den Anstoss der ge- fürchteten Barbaren erschienen — eine Auffassung, die ihre spätere Weltstellung mehr als man meint gefördert hat. Die Tusker, die den gallischen Ueberfall genutzt hat- ten um Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenügenden Kräften erschienen waren; jetzt traf sie der schwere Arm Latiums. Nach wiederholten Niederlagen blieb das ganze südliche Etrurien bis zu den ciminischen Hügeln in den Händen der Römer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Bürgerbezirke einrich- teten (367) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der Festungen Sutrium (371) und Nepete (381). Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit römischen Colonisten bedeckte Landstrich der vollständigen Romanisirung entgegen. Um 396 versuchten die nächstliegenden etruskischen Städte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die römischen Uebergriffe aufzulehnen. Wie tief die Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzelung der sämmt- lichen römischen Gefangenen, dreihundert und sieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii nach dem ersten Feldzug; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403) musste Caere, das als den Römern zunächst STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. gelegen am schwersten büsste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmälerten Gebiet, das ihm blieb aus dem etruskischen Bunde aus und in ein abhängiges Ver- hältniss zu Rom eintreten. Die Caeriten erhielten das römi- sche Bürgerrecht ohne Stimm- und Ehrenrechte ( civitas sine suffragio ); was im Resultat darauf hinauslief, dass die Ge- meinde ihre eigene Verwaltung unter selbstgewählten Beamten und ihr Landrecht behielt, aber ihre Selbstständigkeit nach aussen hin verlor, so dass die römischen Kriege und Bündnisse für sie mit galten und Aushebung und Steuern die Caeriten trafen gleich den römischen Bürgern. Diese Form der Unter- werfung, durch welche der bisher selbstständige Staat verwan- delt wurde in eine unfreie, aber sich selbst verwaltende Ge- meinde, wurde hier zuerst und seitdem häufig bei entlegneren Eroberungen angewendet statt der bisher üblichen Weise den Besiegten den unbedingten Eintritt in das römische Bürgerrecht, aufzuzwingen; offenbar weil es angemessen schien das römische Bürgerrecht, das ja ein Stadtbürgerrecht war, nicht über ge- wisse enge Grenzen auszudehnen, die um diese Zeit im Norden und im Süden erreicht schienen. Nicht lange nachher (411) trat auch Falerii aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Südetrurien in der einen oder andern Form der römischen Suprematie unter- worfen. Tarquinii und wohl das nördliche Etrurien überhaupt begnügte man sich durch einen Friedensvertrag auf 400 Mo- nate für lange Zeit zu fesseln (403). Auch im nördlichen Italien ordneten sich allmählich die durch und gegen einander stürmenden Völker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Züge über die Alpen hörten auf, zum Theil wohl in Folge der verzwei- felten Vertheidigung der Etrusker in ihrer beschränkteren Heimath und der ernstlichen Gegenwehr der mächtigen Rö- mer, zum Theil wohl auch in Folge uns unbekannter Verän- derungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apen- ninen bis hinab zu den Abruzzen waren die Kelten im All- gemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber ihre An- siedlungspolitik war schlaff und oberflächlich und ihre Herr- schaft wurzelte nicht tief in dem neu gewonnenen Lande, das ausschliesslich zu besitzen sie keineswegs bedacht waren. Ausser den Völkerschaften in den Alpen, über deren Herkunft wir ungenügend unterrichtet sind, blieben die Etrusker oder, ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. wie sie hier heissen die Raeter, sitzen in dem heutigen Grau- bündten und Tirol, ebenso die Umbrer in den Thälern des Apennin. Den nordöstlichen Theil des Pothals behielten die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Ber- gen behaupteten sich ligurische Stämme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, nördlich vom Po die Insubrer und Cenomanen, südlich die Boier, an der adriatischen Küste von Ariminum bis Ankon, in dem sogenannten ‚Gallierland‘ ( ager Gallicus ) die Senonen, kleinerer Völkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier müssen die etruskischen Ansiedlungen zum Theil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage geschützt war, blieb bis in die Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Hatria am Po, wo zahl- reiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische We- sen fortbestanden zu haben; noch Skylax, der um 400 Italien bereiste, nennt die Gegend von Hatria und Spina tuskisches Land. Nur so erklärt sich auch, wie etruskische Corsaren bis weit ins fünfte Jahrhundert hinein das adriatische Meer unsicher machen konnten, und wesshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Küsten desselben mit Colonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429, wie eine kürzlich ent- deckte merkwürdige Urkunde lehrt, die Anlage einer Colonie im adriatischen Meer zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper beschloss. — Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es waren das einzelne Trümmer und Splitter der früheren Macht- entwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zu Gute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von Einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfänge derjenigen Civilisation aus, die wir späterhin bei den Kelten und überhaupt den Alpen- völkern finden. Schon die Ansiedlung der Keltenschwärme selbst, der ‚Trümmer des Heeres‘, wie Skylax sie nennt, in den lombardischen Ebenen gehört hierher; aber auch die Anfänge der Handwerke und Künste und das Alphabet sind den lom- bardischen Kelten, ja den Alpenvölkern bis in die heutige Steiermark hinein von den Etruskern aus zugekommen. Während also die Besitzungen in Campanien wie nörd- lich vom Apennin und südlich vom ciminischen Walde den STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. Etruskern verloren gingen, gelang es ihnen in den also be- schränkten Grenzen sich zu behaupten und, wenn die Zeiten der Macht und des Aufstrebens auch vorüber waren, minde- stens der Segnungen des Friedens und des Wohllebens sich zu erfreuen. So weit unsere dürftige Kunde von den inneren Zuständen der Nation reicht, finden wir aristokratische Ten- denzen vorwiegend, in ähnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Königthums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Städten Etruriens durchgeführt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Städten ein Patricierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschränkt sah. Selten nur gelang es selbst zur Landesver- theidigung alle etruskischen Städte zu vereinigen und Volsi- niis nominelle Hegemonie hält nicht den entferntesten Ver- gleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Führung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die aus- schliessliche staatliche Berechtigung der Altbürger, der auch den römischen Staat politisch und ökonomisch hätte ver- derben müssen, wenn nicht die äusseren Erfolge es möglich gemacht hätten die Ansprüche der Plebejer wenigstens mate- riell auf Kosten fremder Völker zu befriedigen und dem Ehr- geiz andere Bahnen zu öffnen — dieser Kampf gegen die Geschlechterherrschaft muss Etrurien staatlich, ökonomisch und sittlich zu Grunde gerichtet haben. Ungeheure Vermögen, namentlich an Grundbesitz, concentrirten sich in den Händen von wenigen Adlichen, während die Massen verarmten; die socialen Umwälzungen, die hieraus entstanden, erhöhten die Noth, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Centralgewalt blieb zuletzt den bedrängten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453, in Volsinii 488 nichts übrig als die Römer zur Hülfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch der Unabhängigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht sich der römischen Oberherrschaft zu ent- ziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einem andern italischen Stamm, den Samniten. KAPITEL V. Die Unterwerfung der Latiner und Campaner unter Rom . Das grosse Werk der römischen Königszeit, Roms Herr- schaft über Latium in Form der Hegemonie, ward nicht we- sentlich erschüttert durch die Aenderung der Verfassung. Es mag sein, dass der Bund auf kurze Zeit dadurch in Schwan- ken gerieth; darauf deutet die Sage von der Regillerschlacht, die der Dictator oder Consul Aulus Postumius Albus (255? 258?) mit Hülfe der Dioskuren über die Latiner gewonnen haben soll, und sicherer die Bundeserneuerung von 261, ein Werk des Spurius Cassius. Dass aber die alten Verhältnisse im Wesentlichen fortbestanden, zeigt die Folge; und in der That mahnte die gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe von Veii und Fidenae aus, den latinischen Stamm gebieterisch zur Einigkeit, welche, wie Rom einmal stand, nur möglich war mit Anerkennung seiner Oberherr- lichkeit. Latium fügte sich, und der einigen Nation gelang es nicht bloss sich der Etrusker zu erwehren, sondern auch die alten Landesfeinde, die Aequer am obern Anio und die Volsker am Meer um Antium und Tarracina, allmählich zu bän- digen. Die mit diesen Völkern sich jährlich erneuernden Fehden, die in unsern Annalen so berichtet werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gänzlich bei Seite gelassen wird, sollen hier nicht erzählt werden; es ge- nügt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erken- UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. nen wir, dass es den Römern und Latinern vor allem darauf ankam die Aequer von den Volskern zu trennen und der Com- municationen Herr zu werden; zu diesem Ende wurden die ältesten Bundesfestungen oder sogenannten latinischen Colonien angelegt, Cora, Norba (angeblich 262), Signia (angeblich ver- stärkt 259), welche alle auf den Verbindungspunkten liegen. Vollständiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Römer (268), welcher die Volsker vollständig isolirte und dem Bunde eine Vormauer gewährte gegen die südlich und östlich wohnenden sabellischen Stämme; es ist begreiflich, wesshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden andern in Rath und Beuteantheil zugestanden ward. Die schwächeren Aequer waren seitdem wenig gefährlich; es genügte von Zeit zu Zeit einen Plünderzug gegen sie zu unternehmen. Ernstlicher wi- derstanden die Volsker, denen der Bund durch allmählich vor- geschobene Festungen langsam den Boden abgewann. Velitrae war schon 260 als Vormauer für Latium gegründet worden; es folgten Suessa Pometia, Ardea (312) und merkwürdig genug Circeii (361), das, so lange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen ward oft versucht und ge- lang auch vorübergehend 287; aber 295 machte die Stadt sich wieder frei und führte einen siebzigjährigen Krieg gegen Rom, bis sie bald nach dem gallischen Brande (365) sich an Marcus Furius Camillus ergab. Damit war der feste Besitz des pomptinischen Gebietes gewonnen, das gesichert ward durch die Anlage der Festung Setia (371, verstärkt 375) und 396 in Ackerloose und in Bürgerbezirke vertheilt ward. Seit- dem haben die Volsker wohl noch sich empört, aber keine Kriege mehr gegen Rom geführt. — Ueber das Verhältniss der sabinischen Landschaft ist wenig bekannt; der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass dieselbe früh von Rom abhängig ward — schon in den Samniterkriegen marschiren die römischen Heere durch die Sabina stets wie durch friedliches Land — und dass sie früh, viel früher zum Beispiel als der volskische District, sich romanisirt hat. Es hängt dies, und vermuthlich ebenso die geringe Theilnahme der Sabiner an dem verzwei- felten Widerstand der Aequer und Volsker, wohl damit zu- sammen, dass eben um diese Zeit die von dort ausgehenden Schaaren sich über Unteritalien ergossen; da die campani- schen Fluren stärker lockten als die römische Ebene und ZWEITES BUCH. KAPITEL V. selbst die Heimath, mögen die Römer das halb verlassene Land ohne vielen Widerstand besetzt haben. Aber je entschiednere Erfolge der Bund der Römer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Sabiner errang, desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Zum Theil lag die Ursache in den Uebergriffen des führenden Staates. Die Festungen, auf deren Anlage jene Erfolge wesentlich be- ruhten, sollten Bundesfestungen sein, das heisst neue Gemein- den, die gleich den übrigen latinischen Städten in die Eidge- nossenschaft der Latiner eintraten und deren Besatzung und Bevölkerung gebildet ward aus Aussendlingen der sämmtlichen Bundesgenossen; allein in der Ausführung waren die meisten, nicht selten alle Ansiedler römische Bürger, die mit Aufgebung ihres römischen Bürgerrechts in die neue Stadt zogen, wo- durch sich die Römer zugleich die vorwiegende Anhänglich- keit dieser neuen Bundesglieder und den wesentlichen mate- riellen Vortheil der Eroberungen zuwandten. Dazu kamen einzelne gehässige Ungerechtigkeiten; so der schmähliche Schiedsspruch zwischen Aricinern und Ardeaten 308, wo- durch die Römer, angerufen zu compromissarischer Entschei- dung über ein zwischen den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe für sich nahmen, und die noch schänd- lichere Ausnutzung des durch diesen Spruch in Ardea ent- standenen Haders, wo das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, während der Adel an Rom festhielt, zur Aussendung römischer Colonisten in die reiche Stadt, denen die Lände- reien der Anhänger der antirömischen Partei ausgetheilt wur- den (312). Hauptsächlich indess war die Ursache, wesshalb der Bund sich innerlich auflöste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der andern Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des andern nicht mehr bedurfte. Der Hader kam zuerst zum Ausbruch bei der schliesslichen Auftheilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Ver- bündeten gegen einander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl an dem letzten Verzweiflungs- kampf der Volsker Theil genommen; jetzt mussten Praeneste (372-374), Tusculum (373), Tibur (394. 400) mit den Waf- fen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar nicht mit den eben einmal wieder einrückenden gallischen Schaaren gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum allgemeinen Aufstand kam es indess nicht und mit UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. leichter Mühe bemeisterte Rom die einzelnen Städte; Tuscu- lum ward sogar genöthigt sein Gemeinwesen aufzugeben und in den römischen Bürgerverband einzutreten — der erste Fall der Incorporation einer ganzen Bürgerschaft in die rö- mische ohne Schleifung der Stadt. Bald nachher geschah dasselbe mit Satricum. Ernster war der Kampf gegen die Her- niker (392-396), in dem der erste plebejische Consul Gaius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Römer und diese Niederlage bewog die Latiner das Bündniss mit Rom zu er- neuern (396). Allein mit gutem Willem folgten sie nicht mehr den römischen Fahnen; ihre Reisläufer fochten zahl- reich in den Heeren, die gegen Rom im Felde standen, und der Beschluss der latinischen Bundesversammlung im Jahre 405 den Römern den Zuzug zu weigern zeigte, was beim Ausbruch eines ernstlichen Kampfes bevorstand. Und dass ein solcher sich vorbereitete, war klar. Unaufhaltsam näherten sich die römischen Legionen dem Liris; schon 397 ward glücklich gekämpft mit den Privernaten, 409 mit den Aurun- kern, denen Sora am Liris entrissen ward. Schon standen die römischen Heere an der Grenze der Samniten und das Freundschaftsbündniss, das im Jahre 400 die beiden tapfersten und mächtigsten italischen Nationen mit einander schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens. In einer Hinsicht wenigstens war es ein gleicher Kampf. Dass die phalangitische Ordnung des römischen Heeres, die in der servianischen Zeit von den unteritalischen Griechen entlehnt worden war, in der Zeit des Pyrrhos nicht mehr be- stand, ist ausgemacht. Es ist in der Zwischenzeit die ge- schlossene Reihe der schwergerüsteten Lanzenträger aufgelöst worden in kleinere und beweglichere Abtheilungen, die Lanze selbst beschränkt worden auf einen Theil der Truppe; dafür tritt ein der eigenthümliche schwere Wurfspeer, das viereckige oder runde halb von Eisen halb von Holz gemachte Pilum, und das Schwert gewinnt grössere Bedeutung, von geringeren Aenderungen zu schweigen. Einzelne dieser Veränderungen scheinen von den gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ge- führten gallischen Kriegen herzurühren; es wird ferner berich- tet, dass die Römer ihre neuen Waffen entlehnt hätten von den Samniten. Schwerlich wird es sich bestimmt entscheiden lassen, wann und wie diese neue Militärorganisation statt- gefunden hat, die für die Machtentwicklung Roms von der ZWEITES BUCH. KAPITEL V. tiefsten Bedeutung gewesen ist; allein es leidet keinen Zweifel, einestheils dass die Samniten auch in der Stellung und Be- waffnung den Römern gleichartiger gegenüberstanden als die Etrusker und die Gallier, anderntheils dass die neue Heer- ordnung im Wesentlichen schon bestand als die samnitischen Kriege begannen. Die samnitische Nation, die als man in Rom die Tar- quinier austrieb ohne Zweifel schon seit längerer Zeit im Be- sitz des zwischen der apulischen und der campanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Hügellandes gewesen war, war auf der einen Seite durch die Daunier — Arpis Macht und Blüthe fällt in diese Zeit — auf der andern durch die Griechen und Etrusker bisher an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des dritten, das Sinken der griechischen Colo- nien im Laufe des vierten Jahrhunderts machten ihnen Luft nach Süden und nach Westen und ein samnitischer Schwarm nach dem andern machte fortan sich Bahn bis an, ja über das Meer. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Campaner vernommen wird seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts; die Etrusker werden erdrückt, die Griechen beschränkt, jenen Capua (331), diesen Kyme (335) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon früher zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364 in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts wird der Name der Brettier zuerst gehört, die ungleich den andern Stämmen nicht als Colonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Umsonst such- ten die Griechen sich des Andranges der Barbaren zu er- wehren; der achaeische Städtebund ward 361 reconstituirt und festgesetzt, dass wenn von den Lucanern eine der ver- bündeten Städte angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die Führer der nicht erschienenen Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst die Einigkeit half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der ältere Dionysios mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Während Dionysios sie von der See verdrängte, ward von den Italikern eine Stadt nach der andern besetzt oder zerstört und nur UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. wenigen, wie zum Beispiel Neapel, gelang es mühsam und durch Verträge mit den barbarischen Nachbarn sich in be- scheidener Wohlfahrt zu behaupten. In unglaublich kurzer Zeit war der blühende Städtering zerstört oder verödet. Nur Ta- rent, geschützt durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kämpfen mit den Messapiern unterhaltene Schlag- fertigkeit blieb unabhängig und mächtig, wenn gleich auch diese Stadt beständig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genöthigt war in der griechischen Heimath Bündnisse und Söldner zu suchen. — Um die Zeit, wo Veii und Antium römisch wurden, hatten die samnitischen Schaa- ren bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger grie- chischer Pflanzstädte ohne Zusammenhang unter sich, und der apulisch-messapischen Küste. Der um 400 abgefasste Reise- bericht des Griechen Skylax setzt die eigentlichen Samniten mit ihren ‚fünf Zungen‘ von einem Meer zum andern an, da- neben die Campaner, im Süden von Paestum bis Thurii die Lucaner, unter denen hier wie öfter die Brettier mitbegriffen sind. In der That, wer mit einander vergleicht, was die bei- den grossen Nationen Italiens, die latinische und die samniti- sche, errungen hatten, bevor sie sich berührten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter und glänzender als die der Römer. Aber der Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen städtischen Mittelpunct aus, den Latium in Rom besass, dehnt sich die Herrschaft dieses Stammes langsam aus nach allen Seiten, zwar in verhältnissmässig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend wo sie hintritt, durch Gründung von festen Städten römischer Art mit abhängigem Bundesrecht oder durch Romanisirung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es giebt hier keine einzelne führende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Daher erfüllen die samnitischen Schaaren einen unverhältnissmässig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die grössern Griechenstädte, Thurii, Kroton, Metapont, Heraklea, Rhegion, Neapel bestehen fort, wenn gleich geschwächt und öfters ab- hängig, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Städten werden die Hellenen geduldet und Kyme zum Bei- spiel, Posidonia, Laos, Hipponion blieben, wie Skylax und die Münzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Grie- chenstädte. So entstanden gemischte Bevölkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen Röm. Gesch. I. 15 ZWEITES BUCH. KAPITEL V. auch hellenische Elemente und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und Campanien müssen in minderem Grade ähnliche Mischun- gen stattgefunden haben. Der gefährliche Zauber der hel- lenischen Cultur musste nothwendig einwirken auf die samni- tische Nation, namentlich in Campanien, wo Neapel früh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisirte. Capua, Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer Bevölke- rung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfas- sung an; wie denn auch in der That die heimische Gauver- fassung unter den neuen Verhältnissen unmöglich fortbestehen konnte. Die campanischen Samnitenstädte begannen Münzen zu schlagen, zum Theil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der Grösse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und Reichthum. Das- selbe gilt in minderem Grade von den Lucanern und Brettiern. Die Gräberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das pracht- volle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Häusern der Todten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der Väter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitge- brachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, während in Campanien das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich selbstständig entwik- kelte zu grösserer Klarheit und Feinheit. Wir treffen selbst auf einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie. — Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberührt von diesen Neue- rungen, die, so schön und natürlich sie sein mochten, doch mächtig dazu beitrugen immer mehr das Band der nationalen Einheit zu lockern, das von Haus aus schon ein loses war. Denn während Rom mit aller Energie darauf hinarbeitete die von da ausgehenden Gründungen an die Heimath zu ketten, scheint bei dem samnitischen Stamm jeder Schwarm, der sich neue Sitze gesucht und gefunden hatte, fortan selbstständig seinen Weg gegangen zu sein. So war die Eroberung von Caere, Veii, Antium für die Römer eine wirkliche Machter- weiterung, aber die Gründung der campanischen Samniten- städte, der lucanischen und brettischen Eidgenossenschaft UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. schwächte vielmehr das Mutterland. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens, dem Rom in dieser Zeit entging, kam ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die gesitteten ‚Phil- hellenen‘ Campaniens gewöhnten sich vor den rauheren Stäm- men der Berge gleich den Hellenen selbst zu zittern; diese, die eigentlichen Samniten hörten nicht auf in Campanien einzu- dringen und die entarteten älteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener Staat, der über die Kraft von ganz Latium verfügte; die Unterthanen mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und zersplittert und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Väter unge- schmälert bewahrt, war aber auch mit den übrigen samniti- schen Völker- und Bürgerschaften völlig darüber zerfallen. In der That war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Römer über den Liris führte. Die Sidiciner in Teanum, die Cam- paner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen Schwärmen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzten drohten, Hülfe bei den Römern (411). Das begehrte Bündniss ward verweigert. Darauf bot die cam- panische Gesandtschaft die Unterwerfung ihrer Landschaft unter die Oberherrlichkeit Roms an und solcher Lockung vermoch- ten die Römer nicht zu widerstehen. Römische Gesandte gingen zu den Samniten ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern das Gebiet der befreundeten Macht zu respectiren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im Ein- zelnen nicht mehr zu ermitteln Vielleicht kein Abschnitt der römischen Annalen ist ärger entstellt als die Erzählung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgenderma- ssen. Nachdem 411 beide Consuln in Campanien eingerückt waren, erfocht zuerst der Consul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus über die Sam- niten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der College Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass durch die Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius geführten Abtheilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang der caudinischen Pässe bei Suessula von den beiden Consuln geschlagen; die Samniten wurden vollständig überwunden — man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfeld auf — und zum Frieden genöthigt, in welchem die Römer Capua behielten, dagegen Teanum, das sich ihnen nicht zu eigen gegeben, den Samniten überliessen (413). Glückwünsche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verwei- ; wir sehen nur, dass zwi- schen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei 15* ZWEITES BUCH. KAPITEL V. es ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zu Stande kam, wodurch die Römer freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am obern Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklärt sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Taren- tiner gegen die Uebergriffe der Italiker machten; aber auch die Römer hatten guten Grund sich mit den Samniten so schnell wie möglich abzufinden, denn die Latiner, beunruhigt durch die Ausbreitung der römischen Macht in ihrem Rücken, gingen von unwilliger und saumseliger Bundesgenossenschaft über zu offenem Angriff. Alle ursprünglich latinischen Städte, selbst die in den römischen Bürgerverband aufgenommenen Tusculaner, erklärten sich gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, während dagegen die römischen Colonien in Latium mit Ausnahme von Velitrae sämmtlich festhielten an dem römischen Bündniss. Dass die Campaner ungeachtet der eben erst freiwillig den Römern angetragenen Unterwerfung dennoch der römischen Herrschaft sich nur unwillig fügten und trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom fest- haltenden Optimatenpartei die Menge gemeinschaftliche Sache gert hatten und gegen Rom zu rüsten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, während die Römer zu- nächst durch eine Militärverschwörung der in Campanien zurückgelassenen Besatzung (412), dann durch die Einnahme von Privernum (413) und den Krieg gegen die Antiaten beschäftigt waren. Da aber wechseln plötzlich und seltsam die Parteiverhältnisse. Die Latiner, die umsonst das römi- sche Bürgerrecht und Antheil am Consulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den Römern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Campanern, die der römischen Herrschaft be- reits müde waren. Nur die Laurenter in Latium und die campanischen Ritter hielten zu den Römern, welche ihrerseits Unterstützung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer überfiel Samnium; das römisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fucinersee und von da an Latium vorüber in Campanien einmarschirt war, die Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Campaner am Vesuv, welche der Con- sul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines eigenen gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein College Publius Decius Mus die Götter versöhnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Consul Manlius den Latinern und Campanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Theil ihres Gebietes gestraft. — Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht von Unmöglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehört das Kriegführen der Antiaten nach der Dedition von 365; der selbstständige Feld- UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. machte mit der latinischen Eidgenossenschaft, dass nicht minder die Volsker einen letzten Versuch machten sich bei diesem An- lass der römischen Herrschaft zu entziehen, ist begreiflich. Die Lage der Römer war bedenklich; die Legionen, die über den Liris gegangen waren und Campanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der Latiner und Volsker von der Hei- math abgeschnitten und nur ein entscheidender Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) lieferte der Consul Titus Manlius Imperiosus Torquatus die entscheidende Schlacht gegen die vereinigten Latiner und Campaner; sie ward vollständig gewonnen (414), worauf in den beiden folgenden Jahren die einzelnen Städte der Latiner und Volsker, die noch Widerstand leisteten, durch Capitulation oder Sturm bezwungen und die ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht ward. — Der Sieg war vollständig; er ward benutzt zur Auflösung des latinischen Bundes. Ein Theil der latinischen Städte: Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum verloren ihre Selbstständigkeit und traten gleich Tus- culum und Satricum in den römischen Bürgerverband, womit zug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den Bestimmungen der Verträge zwischen Rom und Latium; der unerhörte Marsch des römischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua, während ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem eben so verwirrten wie sentimentalen Bericht über den Militäraufstand 412 und den Geschichtchen von dem gezwungenen An- führer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem römischen Götz von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen: so ist die Erzählung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der muthigen That des Marcus Calpurnius Flamma oder wie er sonst hiess im ersten punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425; so der Opfertod des Publius Decius bekannt- lich bei dem Sohne desselben 459. Ueberhaupt verräth in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen glaubwürdigen annalistischen Berichte; die Erzählung ist voll von ausgeführten Schlachtgemälden; von eingewebten Anekdoten, wie zum Bei- spiel die von dem setinischen Prätor, der auf den Stufen des Rathhauses den Hals bricht weil er dreist genug gewesen war das Consulat zu begehren, und die aus dem Beinamen des Titus Manlius herausgesponnenen mancherlei Geschichtchen; von ausführlichen und zum Theil bedenklichen archäologi- schen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion, die Devotionsformulare, das laurentische Bündniss gehören. Unter solchen Um- ständen erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der andern und oft älteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der That schlecht passt zu der übrigen Erzählung, die nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius. ZWEITES BUCH. KAPITEL V. die Errichtung zweier neuer Bürgerbezirke (422) zusammen- hängt. Velitrae's Mauern wurden niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im römischen Etrurien internirt, die Stadt wahrscheinlich als unterthänige Gemeinde nach cae- ritischem Recht constituirt. Den übrigen latinischen Städten wurden die Gebiete geschmälert und die gewonnenen Aecker an römische Bürger vertheilt (414). Das Sonderbündniss Roms mit einer jeden einzelnen Stadt ward erneuert, wenn gleich unter nachtheiligeren Bedingungen — namentlich wurde ihnen der Anspruch auf einen Beutetheil entzogen —; der Bund selbst aber in seiner Gesammtheit nicht wiederhergestellt. Die neuen Colonien Antium (416) und Tarracina (425), die nicht als selbstständige Staaten latinischen Rechts, sondern als römische Bürgergemeinden gegründet wurden, sicherten den Besitz der Landschaft und schlossen vor allem die Latiner vom Meere aus, über das Rom mit kluger Eifersucht wachte. Keine ab- hängige Gemeinde, nicht einmal die Bürgercolonien durften Kriegsschiffe halten; die Schnäbel der antiatischen Galeeren führte man nach Rom die Rednerbühne auf dem Markt damit zu schmücken. — In gleicher Weise, wenn auch in andern Formen ward in dem südlichen volskischen und dem campa- nischen Gebiet die römische Herrschaft durchgeführt und be- festigt. Capua, Kyme, Fundi, Formiae und eine Anzahl klei- nerer Städte wurden abhängige römische Gemeinden caeriti- schen Rechts; ebenso Privernum, dessen Bürger, unterstützt von dem kühnen fundanischen Parteigänger Vitruvius Vaccus die Ehre hatten für die latinische Freiheit den letzten Kampf zu kämpfen — er endigte mit der Erstürmung der Stadt (425) und der Hinrichtung des Vaccus im römischen Kerker. Das wichtige Capua zu sichern nährte man die Spaltung zwi- schen dem Adel und der Gemeinde; jener erhielt in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, einen eigenen Gerichtsstand, eigene Versammlungsplätze, ja die Anweisung beträchtlicher Pensionen — sechzehnhundert je von jährlich 450 Drachmen — auf die campanische Gemeindekasse. Die Verfassung ward einige Jahre später (436) im römischen Interesse revidirt und ein ständiger Commissar von Rom dorthin abgeordnet. End- lich und hauptsächlich war man darauf bedacht auch eine eigene römische Bevölkerung in diesen Gegenden emporzu- bringen, wesshalb man von den im Krieg gewonnenen Län- dereien namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet so zahlreiche Ackerloose an römische Bürger austheilte, UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. dass wenige Jahre nachher (436) dort zwei neue Bürgerbezirke errichtet werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Colonien latinischen Rechts sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420) mitten in der campanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beo- bachtet werden konnten, und Fregellae (426), das den Ueber- gang über den Liris sicherte. Beide Colonien waren unge- wöhnlich stark und gelangten schnell zur Blüthe, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gründung von Cales, die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine römische Besatzung verlegt, worüber die Samniten, denen dieser Bezirk überlassen ward, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom sei- nem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staats- kunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen Stellungen, die es politisch und militärisch mit einem unzerreissbaren Netze zu umflechten und allmählich sich einzuverleiben verstand. — Dass die Sam- niten das bedrohliche Vorschreiten der Römer nicht gern sahen, versteht sich; aber die ernstliche Gegenwehr ward versäumt. Zwar Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom ge- wonnen und stark besetzt zu haben; denn während die Stadt früher Hülfe gegen Samnium in Capua und Rom nachsucht, erscheint sie in den späteren Kämpfen als die Vormauer der samnitischen Macht gegen Westen. Auch am obern Liris breiteten sie sich aus, aber nach ihrer Weise mehr erobernd und zerstörend, als auf die Dauer sich festsetzend. So zer- störten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die Anlage der römischen Colonie daselbst erleichtert ward, und schreck- ten zwei andere Volskerstädte Fabrateria (Falvaterra) und Luca (unbekannter Lage) so, dass dieselben, Capuas Beispiel fol- gend sich (424) den Römern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die römische Eroberung Cam- paniens eine vollständige Thatsache war, bevor sie sich ernst- lich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Theil zu suchen ist in den gleichzeitigen Fehden der samniti- schen Nation mit den italischen Hellenen, aber zum Theil auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der Eidgenossenschaft. KAPITEL VI. Die Italiker gegen Rom . Während die Römer am Liris und Volturnus fochten, be- wegten den Südosten der Halbinsel andere Kämpfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann für gute Worte und besseres Geld die Bandenführer der Heimath. Der Spartanerkönig Archidamos, der mit einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hülfe gekommen war, erlag an dem- selben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 der Stadt, 338 vor Christus); wie die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafür, dass er und seine Leute neunzehn Jahre früher theilgenommen hatten an der Plünderung des delphischen Heiligthums. Seinen Platz nahm ein mächtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der Molosser, Bruder der Olym- pias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den mitgebrach- ten Schaaren wusste er unter seinen Fahnen zu vereinigen die Zuzüge der Griechenstädte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner, die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen, ja sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren beträcht- liche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossen- schaft schliessen lässt. So sah er sich bald dem Feinde über- legen. Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten Sabeller, fiel in seine Hände. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern zu DIE ITALIKER GEGEN ROM. Hülfe; Alexander schlägt ihre vereinigte Streitmacht bei Pae- stum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der östlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff den Römern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stamm- sitzen anzugreifen. Aber die tarentiner Kaufleute erschraken vor so unerwarteten und unerwünschten Erfolgen; es kam zum Krieg zwischen dem Feldhauptmann, der als gedungener Söldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er in Italien ein westhellenisches Reich begründen gleich wie sein Neffe im fernen Osten. Alexander verlor den Muth nicht; er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die übrigen italischen Griechen aufgerufen zu haben sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich zwischen ihnen und den sabel- lischen Völkerschaften zu vermitteln suchte. Allein seine gross- artigen Entwürfe fanden nur schwache Unterstützung bei den entarteten und entmuthigten Griechen und der nothgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrirten (422) Es wird nicht überflüssig sein daran zu erinnern, dass was über Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbüchern her- rührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwär- tige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist. Man hüte sich daher den im Allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ost- italischen Ereignisse zu sehr ins Einzelne verfolgen zu wollen. . Mit seinem Tode kehrten im Wesentlichen die alten Zustände wieder zurück. Die griechischen Städte sahen sich wiederum vereinzelt und überall im Nachtheil; dar- auf angewiesen sich so gut es gehen mochte zu schützen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswärtige Hülfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 mit Hülfe von Syrakus die Bret- tier zurückschlug. Die samnitischen Stämme erhielten aufs Neue das Uebergewicht und konnten, unbekümmert um die Griechen, wieder ihre Blicke gegen Latium und Campanien wenden. Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertrümmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die schönste Landschaft der Halbinsel im unbe- strittenen und wohlbefestigten Besitz der Römer, die zweite Stadt Italiens in römischer Clientel. Während die Griechen und die Samniten mit einander rangen, hatte Rom fast unbe- ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. stritten sich emporgeschwungen zu einer Machtstellung, die zu erschüttern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Kraft besass. Zwar drohte die Gefahr römischer Unterjochung ihnen allein und man mochte noch ihr entgehen, wenn die schwächeren Völker gegen Rom sich vereinigten. Aber die Klarheit, der Muth, die Hingebung, wie eine solche Coalition unzähliger bisher grossentheils feindlich oder doch sich fremd gegenüberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich erst, als es schon zu spät war. Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwä- chung der griechischen Republiken war nächst Rom unzweifel- haft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidge- nossenschaft und zugleich war sie es, die von den römischen Uebergriffen am nächsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu in dem Kampf um die Freiheit und Na- tionalität, den die Italiker gegen Rom zu führen hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu übernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleineren sabellischen Völker- schaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in bäuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Auf- ruf eines verwandten Stammes sie mahnte zur Vertheidigung der gemeinsamen Güter unter die Waffen zu treten. Die Marser dagegen scheinen als die nächsten Nachbarn der Römer im Gan- zen neutral geblieben zu sein; die Apuler, die alten und erbit- terten Gegner der Sabeller, waren die natürlichen Verbünde- ten der Römer. Um die mächtigeren, aber in sich zerrissenen Lucaner und Brettier zu gewinnen mussten die in ihren Gren- zen eingeschlossenen Griechenstädte zweiten und dritten Ranges preisgegeben werden; wogegen die Samniten zählen konnten auf die Beihülfe Tarents und der campanischen Griechen. Dass auch die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg er- rungen war, dem Bunde sich anschliessen würden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- land lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den übrigen Völkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kräfte; ein einziger glück- licher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzünden. Die Geschichte darf dem edlen DIE ITALIKER GEGEN ROM. Volke das Zeugniss nicht versagen, dass es seine Pflicht be- griffen und gethan hat. Mehrere Jahre schon währte der Hader zwischen Rom und Samnium in Folge der beständigen Uebergriffe, die die Römer sich am Liris erlaubten und unter denen die Grün- dung von Fregellae 426 der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die cam- panischen Griechen. Die Zwillingsstädte Palaeo- und Neopolis, die eine politische Einheit gebildet und auch die griechischen Inseln im Golf beherrscht zu haben scheinen, waren inner- halb des römischen Gebiets die einzigen noch nicht unter- worfenen Gemeinden. Die Tarentiner und Samniten, unter- richtet von dem Plane der Römer sich dieser Städte zu bemächtigen, beschlossen ihnen zuvorzukommen. Allein die Tarentiner waren nicht so wohl zu fern als zu schlaff um diesen Plan auszuführen; wogegen die Samniten in der That eine starke Besatzung nach Palaeopolis hineinwarfen. Sofort erklärten die Römer dem Namen nach den Palaeopolitanern, in der That den Samniten den Krieg (427). Nachdem die Belagerung eine Weile gewährt hatte, wurden Unterhandlun- gen angeknüpft zwischen den Römern und den campanischen Griechen, die des gestörten Handels und der fremden Be- satzung müde waren. Die Römer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war die Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sonderverträge von der Coalition, deren Bildung bevor- stand, fernzuhalten und die überhaupt durch ihre Diplomatie eben so sehr wie durch ihre Legionen ihre Absichten durch- zusetzen gewohnt waren, beeilten sich den Griechen die gün- stigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit und Befreiung vom Militärdienst, gleiches Bündniss und ewigen Frieden. Darauf hin ward, nachdem die Palaeopolitaner sich der Besatzung durch List entledigt hatten, der Vertrag abge- schlossen (428). Die sabellischen Städte südlich vom Vol- turnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, hielten zwar wenigstens im Anfang des Krieges mit Samnium; allein theils ihre sehr ausgesetzte Lage, theils die Machinationen der Rö- mer, welche die optimatische Partei in diesen Städten durch alle Hebel der List und des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und die an Capuas Vorgang einen mäch- tigen Fürsprecher fanden, bewirkten, dass diese Städte nach dem Fall von Palaeopolis sich entweder für Rom erklärten oder doch neutral blieben. Ein wichtigerer Erfolg gelang den ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. Römern in Lucanien, dessen Bewohner seit längerer Zeit in heftigem innerem Hader lebten. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinct für den Anschluss an die Samniten; da aber das Bündniss mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser Theil der regierenden Herren nicht gemeint war die einträglichen Plünderungszüge einzustellen, so gelang es den Römern mit den Lucanern ein Bündniss abzu- schliessen, das unschätzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also Rom seine ganze Macht gegen Samnium verwenden konnte. Mochte auch die nationale Partei in Lucanien unter dem Einfluss Tarents vorübergehend ans Ruder gelangen, so hielten jedenfalls die Parteien in dem Volke sich so die Wage, dass dasselbe während des ersten und entscheidenden Abschnittes des grossen samnitischen Krieges in denselben nicht wesentlich zu Gunsten der Samniten eingriff. In Folge dessen verhielt auch Tarent sich leidend, wozu frei- lich auch die sikelischen Angelegenheiten und die Schlaffheit und Fahrigkeit der tarentiner Demagogie das Ihrige beitrugen. So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der östlichen Bergdistricte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 begann der Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Städte an der campanischen Grenze, Rufrium (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae wurden von den Römern besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die römischen Heere fechtend und plündernd Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie mit offenen Armen empfing, überall im entschiedensten Vortheil. Der Muth der Samniten war gebrochen; sie sandten die römischen Gefangenen zurück und mit ihnen die Leiche des Führers der Kriegspartei Brutulus Papius, welcher den römischen Hen- kern zuvorgekommen war, als die samnitische Volksgemeinde beschloss durch seine Auslieferung Frieden und leidliche Be- dingungen vom Feinde zu erkaufen. Demüthig bat man um Frieden; er ward verweigert (432). Da rüsteten sich die Samni- ten unter ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur äussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das römische Heer, das unter den beiden Consuln des folgenden Jahres (433) Spurius Po- stumius und Titus Veturius bei Calatia (zwischen Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die Nachricht und die Aussage zahlreicher Gefangenen bestätigte sie, dass die Sam- niten Luceria eng eingeschlossen hielten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser Gefahr DIE ITALIKER GEGEN ROM. schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zur rechten Zeit anlangen, so konnte kein andrer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fort- setzung der appischen Strasse die römische Chaussee von Ca- pua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio Der Ort ist im Allgemeinen gewiss genug, da Caudium sicher bei Arpaja lag; ob aber das Thal zwischen Arpaja und Montesarchio gemeint ist oder das zwischen Arienzo und Arpaja, ist um so zweifelhafter, als das letztere seitdem durch Naturereignisse um mindestens 100 Palmen aufgehöht zu sein scheint. Ich folge der gangbaren Annahme ohne sie vertreten zu wollen. durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhügeln umschlossen und nur zugänglich war durch tiefe Einschnitte beim Ein- und beim Austritt. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne Hinderniss in das Thal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschirend zeigte sich der Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleich- zeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den samnitischen Cohorten. Zu spät begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern an dem verhängnissvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das rö- mische Heer, die gesammte active Streitmacht mit den beiden höchstcommandirenden Feldherren, war gänzlich unfähig zu manövriren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die römischen Generale boten die Capitulation an; der samnitische Feldherr konnte nichts besseres thun als sie annehmen und das ganze Heer gefangen nehmen — nur thörichte Rhetorik lässt ihm die Wahl bloss zwischen Entlassung und Nieder- metzelung der römischen Armee —, worauf ihm dann der Weg nach Campanien und Latium offen stand und unter den damaligen Verhältnissen, wo der grösste Theil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben würde, Roms politische Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militärconvention zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu können; sei es dass er die unverständige Friedenssehnsucht der Eidgenossen theilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es dass er nicht im Stande war der kriegesmüden Partei es zu wehren, die ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedin- gungen waren mässig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen — Cales und Fregellae — schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern. Für die Ausführung bürgte der Eid der commandirenden Feldherren und aller Stabsoffiziere, ferner sechshundert aus der römischen Reiterei erlesene Geisseln. Auf diese Bedingungen hin ward das römische Heer entlassen, unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer erliess den gehassten Feinden nicht die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzugs unter den Galgen durch. — Allein der römi- sche Senat, unbekümmert um den Eid der Offiziere und um das Schicksal der Geisseln, cassirte den Vertrag und begnügte sich diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persönlich für dessen Erfüllung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankom- men, ob die römische Advocaten- und Pfaffencasuistik hiebei den Buchstaben des Rechts gewahrt oder ob der römische Senat diesen durch seinen Beschluss verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Römer hier kein Tadel. Es ist sehr gleichgültig, ob nach formellem römischem Staatsrecht der commandirende General befugt war ohne vorbehaltene Ra- tification der Bürgerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen fest, dass jeder nicht rein militärische Vertrag zur Competenz der bürger- lichen Gewalten gehörte. Es war ein grösserer Fehler des sam- nitischen Feldherrn den römischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der römischen, dass sie nicht die Seelengrösse hatten die letztere Anmuthung unbedingt zurückzuweisen. Dass der rö- mische Senat einen solchen Vertrag nicht annahm, war recht und nothwendig. Kein grosses Volk giebt was es besitzt anders hin als unter dem Druck der Nothwendigkeit; alle Abtretungs- verträge sind Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Ver- pflichtungen. Wenn jedes Volk mit Recht seine Ehre darein setzt schimpfliche Verträge mit den Waffen zu zerreissen, wie kann ihm dann die Ehre gebieten an einem solchen Vertrage, zu dem ein unglücklicher Feldherr moralisch genöthigt wor- den ist, geduldig festzuhalten, wenn die Schande brennt und die Kraft ungebrochen dasteht? So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die man thöricht gehofft hatte, sondern nur Krieg und DIE ITALIKER GEGEN ROM. wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die geschändete Waffenehre, die preisgegebenen Kame- raden. Die ausgelieferten römischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, theils weil sie zu gross dachten um an diesen Unglücklichen ihre Rache zu üben, theils weil sie damit den Römern würden zugestanden haben, dass das Bündniss nur die Schwörenden verpflichtet habe, nicht den römischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die Geis- seln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wand- ten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward besetzt, Fregellae überfallen und erstürmt (434), bevor die Römer die aufgelöste Armee wieder reorganisirt hatten; was man hätte erreichen können, zeigt der Uebertritt der Satricaner zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich gelähmt, nicht geschwächt; voll Scham und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den erprobtesten Führer Lucius Papirius Cursor, gleich aus- gezeichnet als Soldat wie als Feldherr, an die Spitze des neu gebildeten Heeres. Dasselbe theilte sich; die eine Hälfte zog durch die Sabina und das adriatische Littoral vor Luceria, die andere eben dahin durch Samnium selbst, indem sie das samnitische Heer unter glücklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort die römischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die Arpaner leisteten den Römern wichtigen Bei- stand, vorzüglich durch Beischaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Römern (435). Papirius genoss die doppelte Freude die verloren gegebenen Kameraden zu befreien und die Galgen von Caudium der samnitischen Besatzung von Luceria zu vergelten. In den folgenden Jahren (435-437) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium geführt Dass zwischen den Römern und Samniten 436. 437 ein förmlicher zweijähriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich. als in dem apulischen und frentanischen Gebiet, wo theils die samnitischen Verbündeten gezüchtigt wur- den, theils Rom neue Bundesverträge abschloss mit den apu- lischen Teanensern und den Canusinern; gleichzeitig ward Satricum zur Botmässigkeit zurückgebracht und schwer für ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. seinen Abfall bestraft. Alsdann zog der Krieg sich nach Cam- panien, wo die Römer die Grenzstadt gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de' Goti) eroberten (438). Die Samniten zogen die Nuceriner (438) und bald darauf die Nolaner auf ihre Seite; am obern Liris vertrieben die Soraner selbst die römische Besatzung (439); eine Erhebung der Ausoner berei- tete sich vor und bedrohte das wichtige Cales. Selbst in Ca- pua regten sich lebhaft die antirömisch Gesinnten; ein samni- tisches Heer rückte in Campanien ein und lagerte vor der Stadt, in der Hoffnung durch seine Nähe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben (440). Allein Sora ward von den Römern wieder genommen, nachdem die samnitische Entsatz- armee geschlagen war (440). Die Bewegungen unter den Ausonern wurden mit grausamer Strenge unterdrückt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam und gleichzeitig ein Dictator eigends ernannt um die politischen Prozesse gegen die Führer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurtheilen, so dass die namhaftesten derselben dem römi- schen Henker zu entgehen freiwillig den Tod nahmen (440). Das samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Campanien gezwungen; die Römer, dem Feinde auf den Fersen folgend, überschritten den Matese und lager- ten im Winter 440 vor der Hauptstadt Samniums Bovianum. So ward Nola von selbst gewonnen (441); die Römer waren einsichtig genug durch den günstigsten dem neapolitanischen ähnlichen Bundesvertrag die Stadt für immer von der samni- tischen Partei zu trennen. Endlich (441) fiel auch Fregellae, das die Samniten im achten Jahre inne hatten; zweihundert der Bürger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom geführt und dort zum warnenden Beispiel für die überall sich regenden Patrioten auf offenem Markte enthaup- tet. — Hiemit war Apulien und Campanien in den Händen der Römer. Zur endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren 440 bis 442 neue Festungen gegründet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolirten und ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der campanischen Gewässer, Saticula an der campanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Calatia, Sora und nach DIE ITALIKER GEGEN ROM. anderen militärisch wichtigen Plätzen. Die Chaussirung der grossen Militärstrasse von Rom nach Capua, die der Censor Appius Claudius 442 veranstaltete, vollendete die Sicherung Campaniens. Immer vollständiger entwickelten sich die Ab- sichten der Römer; es galt die Unterwerfung Italiens, das von Jahr zu Jahr durch das römische Festungs- und Strassennetz enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon waren die Samniten von den Römern umsponnen; schon schnitt die Li- nie von Rom nach Luceria Nord- und Süditalien von einander ab, wie einst die Festungen Cora und Norba die Volsker und Aequer trennten; wie damals auf die Herniker, stützte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es hohe Zeit war dem tapfern Bergvolk, das nun schon funfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Römer kämpfte, endlich zu Hülfe zu kommen. Die nächsten Bundesgenossen der Samniten wären die Ta- rentiner gewesen; allein deren unstete, übermüthige und kurz- sichtige Demagogenpolitik liess sie da sich betheiligen, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausbleiben, wo ihr nächstes Interesse sie hinrief. Nach der caudinischen Katastrophe hat- ten sie, als die Römer und Samniten sich in Apulien gegen- über standen, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten die Waffen niederzulegen (434). Die Samniten zeigten sich bereit, allein die Römer antworteten durch die Ausstek- kung des Zeichens zur Schlacht und so kehrten die Gesandten unverrichteter Sache wieder heim. Vernünftiger Weise konnte jene Gesandtschaft nichts sein als die Einleitung zu einer Kriegserklärung gegen Rom; allein die tarentiner Regierung war schwach genug ihrem übermüthigen Gebot keine weitere Folge zu geben, wobei freilich auch mitwirkte, dass die immer noch fortwährende lucanische Fehde ihr die unmittel- bare Betheiligung am Kampf sehr schwierig gemacht haben würde. Lieber unterstützte man gegen Agathokles von Syra- kus, der früher in tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade war entlassen worden, die oligarchische Städtepartei in Sicilien und sandte dem Beispiel Spartas fol- gend eine Flotte nach der Insel, die in der campanischen See bessere Dienste gethan haben würde (440). — Energi- scher handelten die nord- und mittelitalischen Völker, die namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufge- rüttelt worden zu sein scheinen. Zuerst (443) schlugen die Röm. Gesch. I. 16 ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. Etrusker los, deren Friedensvertrag von 403 schon einige Jahre früher zu Ende gegangen war. Die römische Grenz- festung Sutrium hatte eine zweijährige Belagerung auszuhalten und in den heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern ge- liefert wurden, zogen die Römer anfänglich in der Regel den Kürzeren. Allein der Consul des Jahres 444 Quintus Fabius Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Führer, stellte nicht bloss im römischen Etrurien das Uebergewicht der rö- mischen Waffen wieder her, sondern drang kühn ein in das eigentliche durch die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Communicationen den Römern fast unbekannt ge- bliebene etrurische Land. Der Zug über den noch von keinem römischen Heer überschrittenen ciminischen Wald und die Plünderung des reichen lange von Kriegsnoth verschont ge- bliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen, und die tollkühne Expedition, die der Senat zu spät dem verwegenen Führer verboten hatte, erregte grosse Furcht in Rom, wo man eilte neue Legionen zu bilden. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldenthat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, be- quemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der mächtigsten etruskischen Städte, Perusia, Cortona und Arre- tium zu einem Sonderfrieden auf dreissig (444) und, nach- dem im folgenden Jahre die Römer noch einmal bei Perusia die übrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierzig Jahre (446); worauf auch die übrigen Städte vom Kampfe abstanden und in Etrurien Waf- fenruhe eintrat. — Während dieser Ereignisse hatte der Krieg auch in Samnium nicht geruht. Nachdem der Feldzug von 443 sich gleich den bisherigen auf die Belagerung und Er- stürmung einzelner samnitischer Plätze beschränkt hatte, nahm im folgenden Jahre in Folge der etruskischen Diversion der Krieg eine für die Samniten günstige Wendung. Rullianus gefährliche Lage und die Gerüchte über seine Vernichtung veranlassten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der römi- sche Consul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstörte die aufleuchtenden Hoffnungen der Samniten. Wieder trat Lucius Papirius gegen sie an die DIE ITALIKER GEGEN ROM. Spitze der römischen Truppen und siegte in einer grossen und entscheidenden Schlacht (445), zu der die Samniten ihre letzten Kräfte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntröcke mit den Gold-, die Weissröcke mit den Silberschil- den wurde hier aufgerieben und die glänzende Rüstung der- selben schmückte seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen längs des römischen Marktes. Immer höher stieg die Noth, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446) legten die Etrusker die Waffen nieder und zugleich ergab sich die letzte Stadt Campaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, nachdem die Römer sie zu Wasser und zu Lande gleichzeitig angegriffen hatten, unter gün- stigen Bedingungen den Römern. Zwar fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im nördlichen, an den Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in die Reihen der Samniten; allein was hätte entscheidend sein können gegen Rom, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden hätten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des endlichen Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rul- lianus an der obern Tiber mit der Armee von Samnium den Weg, was die geschwächten Samniten zu hindern ausser Stande waren; darauf zerstreute sich der umbrische Landsturm. Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden besiegt, ebenso die Marser; wenn gleich die übrigen sabellischen Stämme noch dem Namen nach Feinde der Römer blieben, stand doch allmählich Samnium thatsächlich allein. Wäh- rend die römischen Heere dort standen und dessen Burgen bra- chen, fielen die Anagniner, die wegen der unter den samnitischen Gefangenen vorgefundenen hernikischen Freiwilligen von den Römern zur Rede gestellt worden waren, offen ab von Rom (448) und schnitten das römische Heer, in dessen Rücken sie standen, von Latium ab. Die Lage war gefährlich; noch einmal war den Samniten das Kriegsglück günstig; Sora und Calatia fielen ihnen in die Hände. Allein die Anagniner, im Stich gelassen von den übrigen Hernikern, unterlagen schnell den von Rom ausgesandten Truppen und rechtzeitig machten diese dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um Frieden, indess ver- geblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feld- zug von 449 brachte die Entscheidung. Die beiden römischen 16* ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. Consularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Campanien aus durch die Bergpässe, Lucius Postumius vom adriatischen Meer am Biferno hinauf, in Samnium ein, um sich vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, die Hand zu reichen; nach einem entscheiden- den Sieg und nach der Gefangennahme der samnitischen Feldherrn Statius Gellius erstürmten die beiden römischen Heere Bovianum. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Land- schaft machte dem zweiundzwanzigjährigen Krieg ein Ende. Die samnitischen Besatzungen wurden aus Sora und Arpinum zurückgezogen und von den Samniten Gesandte nach Rom geschickt den Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Stämme, die Marser, Marruciner, Paeligner, Fren- taner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom ge- währte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar zum Theil vorgeschrieben, zum Beispiel den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein und es ward das gleiche Bündniss zwischen diesen Staaten und den Römern erneuert (450). — Vermuthlich um dieselbe Zeit und wohl in Folge des samnitischen Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide Städte nicht gegen einander gefochten. Roms Bundesgenossen, die Lucaner, machten den Tarentinern und den mit diesen verbündeten Sallentinern während der letzten Jahre des sam- nitischen Krieges, als die Römer überall im Vortheil und die Samniten in ihre Berge eingeschlossen waren, so viel zu schaf- fen, dass die Tarentiner nicht bloss dem Untergang der Sam- niten zusehen, sondern endlich trotz der mit Alexander ge- machten unerfreulichen Erfahrungen sich entschliessen mussten zu ihrem eigenen Schutz einen spartanischen Prinzen Kleony- mos herbeizurufen. Dieser, mit den mitgebrachten fünftausend Söldnern eine eben so starke in Italien angeworbene Schaar vereinigend und die Zuzüge der Messapier, der kleineren Griechenstädte und vor allem das tarentinische Bürgerheer, zweiundzwanzigtausend Mann stark, an sich ziehend zwang die Lucaner mit Tarent Frieden zu machen und eine samni- tisch gesinnte Regierung einzusetzen, wogegen ihnen Metapont aufgeopfert ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den Spartaner ihnen zu Hülfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst für die Freiheit der italischen Städte und Völker in die Wagschale zu werfen. Allein er war kein DIE ITALIKER GEGEN ROM. Alexander oder Pyrrhos, sondern ein gewöhnlicher Freibeuter. Er beeilte sich nicht einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr Schläge zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es sich wohl sein in der Stadt, während er redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der Be- freiung der sicilischen Griechen. Endlich, als der Widerstand der Samniten gebrochen war und die römischen Heere schon anfingen sich im Südosten der Halbinsel zu zeigen und zum Beispiel 447 das sallentinische Gebiet plündernd durchzogen, ging der spartanische Condottier mit seinen Söldnern zu Schiff und überrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen war um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piraten- züge zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich ge- lassen und zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Ita- lien beraubt, blieb den Tarentinern so wie den mit ihnen verbündeten Italikern, Lucanern und Sallentinern nichts übrig als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewährt worden zu sein scheint. Bald nachher (451) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallen- tinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit römischer Hülfe abgeschlagen. Roms Sieg war vollständig; es galt ihn zu nutzen. Dass den Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Völkerschaften überhaupt so mässige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmuth, die die Römer nicht kannten, sondern weise und klare Berechnung. Für jetzt galt es vor allem in Mittelitalien die Stellungen noch fester zu sichern und die Sprengung der nördlichen und südlichen Italiker vollständig durchzuführen. Anagnia ward gezwungen in das Unterthänigkeitsverhältniss ( civitas sine suffragio ) ein- zutreten; man bedauerte in Rom, dass die übrigen Städte der Herniker Aletrium, Verulae, Ferentinum nicht gleichfalls ab- gefallen waren und jeder Vorwand fehlte ihnen das römische Bürgerrecht aufzunöthigen, nachdem sie die Zumuthung frei- willig ihre Freiheit mit demselben zu vertauschen höflich ab- gelehnt hatten. Dagegen ward Arpinum unterthänig, Frusino verlor ein Drittel seines Gebiets; am obern Liris ward neben Fregellae Sora, die schon früher mit Besatzung belegte Volsker- stadt, jetzt auf die Dauer in eine Festung verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte Volsker- gebiet vollständig unterworfen und ging seiner Romanisirung ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft welche Samnium und Etrurien scheidet, wurden zwei Militärstrassen hineingeführt und durch neue Festungen gesichert. Die nörd- liche, aus der später die flaminische wurde, deckte die Tiber- linie; sie führte durch das mit Rom verbündete Ocriculum nach Narnia, wie die Römer die alte umbrische Feste Nequi- num nannten, als sie dort eine Militärcolonie anlegten (455). Die südliche, die spätere valerische, lief an den Fucinersee über Carsioli und Alba, welche beiden Plätze gleichfalls Colo- nien erhielten (451-453), namentlich das wichtige Alba, der Schlüssel zum Marserland, eine Besatzung von 6000 Mann. Die kleinen Völkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen statt- fanden, setzten sich zur Wehre, aber die Umbrer, die in Nequi- num sich hartnäckig vertheidigten, die Aequer, die Alba, die Marser, die Carsioli überfielen, konnten Rom freilich nicht auf- halten in seinem Gang und nicht verhindern, dass jene beiden grossen Riegel sich zwischen Samnium und Etrurien schoben. Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede verderblicher war als der verderblichste Krieg und was mehr ist, sie handelte danach. Noch standen in Etrurien einzelne Gemeinden gegen Rom im Felde und kurze Waffenstillstände wechselten mit heftigen, aber erfolglosen Ge- fechten, während auch die Gallier sich nach langer Waffen- ruhe wieder anfingen zu regen; noch war ganz Mittelitalien in Gährung und zum Theil in offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht völlig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spät die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht säumen, die Schwierigkeit der Aufgabe stieg, die Mittel der Abwehr sanken mit jedem Jahre. Nach kaum fünf- jähriger Friedensruhe begann die samnitische Eidgenossenschaft im Jahre 456 aufs Neue den Kampf, indem sie zuerst sich mit aller Macht auf die Lucaner warfen und diese zum An- schluss an Samnium nöthigten; vielleicht um Tarent Luft zu machen und es mit zum Krieg heranzuziehen. Natürlich er- klärten die Römer sofort den Krieg, auf den man in Samnium gefasst war; es bezeichnet die Stimmung, dass die samnitische Regierung den römischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht im Stande für ihre Unverletzlichkeit ihnen zu bürgen, wenn sie samnitisches Gebiet beträten. — Der Krieg begann also von neuem und wieder durchzogen die römischen Truppen Samnium, während ein zweites Heer in Etrurien focht (456); DIE ITALIKER GEGEN ROM. die Lucaner wurden zum Frieden gezwungen und lucanische Geisseln nach Rom geführt. Das folgende Jahr konnten beide Consuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifer- num, sein treuer Waffengefährte Publius Decius Mus bei Male- ventum und fünf Monate hindurch lagerten zwei römische Heere in Feindesland. Die Ursache war, dass die tuskischen Staaten sich bereit zeigten mit Rom einen Sonderfrieden zu schliessen; welchen abzuwenden die Samniten das Aeusserste aufboten. Der samnitische Feldherr Gellius Egnatius bot endlich den Etruskern an in ihrem eigenen Lande ihnen Hülfe zu brin- gen; und diese Zusicherung bewog den tuskischen Bundes- rath auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstreng- ungen um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Vertheidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Campanien, das dritte und stärkste nach Etru- rien; und wirklich zog im Jahre 458 das letztere, geführt von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverständniss waren, in Etrurien ein, wo die Städte mit wenigen Ausnahmen gegen Rom sich erhoben und ihre Zuzüge sandten, während sie zugleich gal- lische Söldnerschaaren anwarben. Die Römer hinderten den Abmarsch nicht; sie nahmen in diesem Sommer einige feste Plätze in Samnium und brachen den Einfluss der samniti- schen Partei in Lucanien. Als man aber den kühnen und klugen Marsch des samnitischen Heeres erfuhr, ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheira- thete in Cohorten formirt — man fühlte hüben und drüben, dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 jedoch ver- ging, wie es scheint, mit Rüstungen und Märschen. Für das folgende (459) stellten die Römer ihre beiden besten Gene- rale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fa- bius Rullianus an die Spitze der Armee von Etrurien, welche mit allen in Campanien irgend entbehrlichen Truppen verstärkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter über ein Drittel römische Vollbürger zählte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Verbündeten war Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen; dorthin wandten sich die Consuln, indem sie mit der Hauptmacht an den beiden Ufern der Tiber hinauf marschirten, während zugleich die ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um wo möglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entschei- dung abzurufen zur Vertheidigung der Heimath. Die erste Begegnung lief nicht glücklich für die Römer ab; ihre Vorhut ward in dem Gebiet von Chiusi geschlagen von den vereinig- ten Galliern und Samniten. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Trümmer ihrer Städte hindurchgezogen waren um auf der rechten Wahlstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nach- richt von dem Einfall der römischen Reserve in Etrurien ein grosser Theil der etruskischen Contingente von der Bundes- armee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am östlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entschei- denden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten Flügel der Römer stand zwischen Rullianus bei- den Legionen und dem samnitischen Heer die Schlacht lange Zeit ohne Entscheidung; auf dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die römische Reiterei durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht und schon begannen die Legionen zu weichen. Da rief der Consul den Priester Marcus Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des römischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern weihen; und alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stürzend suchte und fand er den Tod. Diese helden- müthige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feld- herrn war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten griffen von Neuem an um den Führer zu rächen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten Augenblick erschien der Consular Lucius Scipio auf Rullianus Befehl mit der Reserve auf dem gefährdeten linken Flügel. Die vortreffliche campanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den Rücken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Thore des Lagers fiel. Neuntausend Römer bedeckten die Wahlstatt; aber der theuer erkaufte Sieg war solchen Opfers werth. Das Bundesheer löste sich auf und damit der Bund selbst; Umbrien blieb in römischer Ge- walt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruz- zen ab in die Heimath. Campanien, das die Samniten wäh- rend des etruskischen Krieges überschwemmt hatten, ward ihnen mit leichter Mühe wieder entrissen. Etrurien bat im DIE ITALIKER GEGEN ROM. folgenden Jahre (460) um Frieden, den Volsinii, Perusia, Ar- retium und wohl überhaupt alle dem Bunde gegen Rom bei- getretene Städte auf vierzig Jahre abschliessen mussten. Aber die Samniten dachten anders; sie rüsteten sich zur hoffnungs- losen Gegenwehr mit jenem Muth freier Leute, der das Glück zwar nicht zwingen, aber beschämen kann. Als im Jahre 460 die beiden Consularheere in Samnium einrückten, stiessen sie überall auf den erbittersten Widerstand; ja Marcus Atilius erlitt eine Schlappe bei Luceria und die Samniten konnten in Cam- panien eindringen und das Gebiet der römischen Colonie Interamna am Liris verwüsten. Im Jahre darauf lieferte Lu- cius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des ersten samni- tischen Krieges, bei Aquilonia eine grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16000 Weissröcke, mit heiligem Eide geschworen hatten den Tod der Flucht vorzu- ziehen. Indess das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwüren und verzweifeltem Flehen; der Römer siegte und stürmte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe geflüchtet hatten. Mit beispielloser Ausdauer hielten sich die Eidgenossen in ihren Bergen und Burgen und erfochten noch manchen Vortheil im Einzelnen während der letzten Jahre des verzweifelten Krieges; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462) gegen sie aufgeboten und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers von Caudium, erfocht noch für sein Volk einen letzten Sieg, den die Römer niedrig genug an ihm rächten, indem sie ihn, als er später gefangen ward, im Kerker hinrichten liessen (463). Aber nichts regte sich in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461 begann, ver- dient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium sehnsüchtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch im Stande war Hülfe zu gewähren; aber sie blieb aus. — Die nächste Ursache der Unthätigkeit Tarents war — ausser der Parteinahme der Lucaner für Rom seit 456 — ohne Zweifel die Furcht vor Agathokles, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing sich gegen Italien zu wenden. Nach- dem Kleonymos durch Demetrios den Belagerer von Kerkyra vertrieben war, setzte dort um 455 Agathokles sich fest und bedrohte vom adriatischen wie vom ionischen Meere her die Tarentiner. Diese Furcht war allerdings zum Theil beseitigt, seit Kerkyra im Jahre 459 an König Pyrrhos von Epeiros ab- getreten war; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort die Tarentiner zu beschäftigen, wie sie denn im Jahre 464 ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. den König Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schützen halfen, und ebenso hörte Agathokles nicht auf durch seine itali- sche Politik den Tarentinern Sorge zu machen. Als er starb (465) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zu Grunde ging, war es zu spät; Samnium, des siebenunddreissigjährigen Kampfes müde, hatte das Jahr vorher (464) mit dem römi- schen Consul Manius Curius Dentatus Friede geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden wie im Frieden von 450 keine schimpflichen Bedin- gungen gestellt und Samnium seiner äusseren Unabhängigkeit nicht beraubt; nicht einmal Gebietsabtretungen scheinen statt- gefunden zu haben. Die römische Staatsklugheit zog es vor auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten und, ehe man ging an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes, zunächst das campanische und adriatische Littoral fest an Rom zu knüpfen. Campanien zwar war längst unterthänig; allein die weitblickende römische Politik fand es nöthig zur Sicherung der campanischen Küste dort zwei Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459), deren neue Bürger- schaften nach dem feststehenden Grundsatz in das volle römi- sche Bürgerrecht eintraten und kein auch nur der Form nach selbstständiges Gemeinwesen bilden durften. Energischer noch ward die Ausdehnung der römischen Herrschaft in Mittelita- lien betrieben. Hier wurde den sämmtlichen Sabinern nach kurzer und ohnmächtiger Gegenwehr das römische Untertha- nenrecht aufgenöthigt (464) und in den Abruzzen nicht weit von der Küste die starke Festung Hatria angelegt (465), wo- durch die über Carsioli und Alba gezogene militärische Linie bis nah an das adriatische Meer geführt war. Aber die wich- tigste Gründung von allen war die von Venusia (463), wohin die unerhörte Zahl von 20000 Colonisten geführt ward; die Stadt, in einer ungemein festen Stellung an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium gegründet, war bestimmt als Zwingburg für die umwohnenden Völkerschaften und vor allen Dingen zur Unterbrechung der Verbindung zwischen den bei- den mächtigsten Feinden Roms im südlichen Italien. So er- streckte sich, als die samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene römische Gebiet nordwärts bis zum cimini- schen Walde, östlich bis an die Abruzzen, südlich bis nach Capua, während die beiden vorgeschobenen Posten, Luceria und Venusia, gegen Osten und Süden auf den Verbindungs- DIE ITALIKER GEGEN ROM. linien der Gegner angelegt dieselben nach allen Richtungen hin isolirten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fünften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Na- tionen, welche die Gunst der Götter und die eigene Tüchtig- keit im Gebiet der alten Civilisation zu den Führern erhoben hatte, begannen sich einander näher zu rücken im Rath und auf dem Schlachtfelde und die Sieger der übrigen sich fertig machten zu dem letzten und entscheidenden Wettkampf. KAPITEL VII. König Pyrrhos gegen Rom . In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pfleg- ten die Griechen ihre römischen Herren damit zu ärgern, dass sie als die Ursache der römischen Grösse das Fieber bezeich- neten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 in Babylon verschied. Da es nicht allzu tröstlich war das Geschehene zu überdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was hätte kommen mögen, wenn der grosse König, wie es seine Absicht gewesen sein soll als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Römern die Erde streitig gemacht haben würde. An Schiffen und Soldaten wenigstens fehlte es ihm nicht und der Autokrat, der damit versehen ist, wird Gründe zur Kriegführung nicht ver- missen. Es war des griechischen Königs würdig die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner gegen Rom zu schützen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker, ja der Römer selbst boten Gelegenheit genug die Verhältnisse der Halbinsel kennen zu lernen und Beziehungen dort anzu- knüpfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes nothwendig auf sich ziehen, und wohl lag es in Alexanders Sinn die no- minelle Herrschaft des Perserkönigs über die tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; was die Karthager besorgten, KOENIG PYRRHOS. beweist der punische Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indess mochten dies Träume oder Pläne sein, der König starb ohne mit den Angelegenheiten des Westens sich beschäftigt zu haben Die Richtigkeit von Strabons Erzählung, dass Alexander der Grosse in Rom Beschwerde geführt habe über die antiatischen Seeräuber, muss wenigstens dahin gestellt bleiben. Demetrios dem Belagerer sieht es eher ähnlich, dass er die Piraterie im tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen, durch Verordnung abschaffte. — Für die Gesandtschaft der Römer nach Babylon besitzen wir dagegen das Zeugniss des Klitarchos (bei Plinius hist. nat. 3, 5, 57) und es ist kein Grund sie zu bezweifeln; nur darf man weder glauben, dass sie dem König nach griechischer Sitte einen goldenen Kranz überreichte (Memnon 25) noch überhaupt daraus auf irgend wesent- liche Beziehungen der damaligen Machthaber im Osten und Westen schliessen. und mit ihm gingen jene Gedan- ken zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die ganze intellectuelle Kraft des hellenischen Wesens, die ganze materielle Fülle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Le- bens, die Gründung des Hellenismus im Orient keineswegs zu Grunde, wohl aber ward es fortgeführt in anderer Weise, durch die Spaltung des bisher vereinigten Reiches und unter stetem Hader der verschiedenen aus diesen Trümmern sich bildenden Staaten. Bei solchen Verhältnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-ägyptischen Staaten daran denken im Occident festen Fuss zu fassen und gegen die Römer oder die Karthager sich zu wenden. Das östliche und das westliche Staatensystem bestanden neben einander ohne politisch in einander zu greifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen ökonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel Rhodos, der erste Vertreter einer neutra- len Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 einen Vertrag mit Rom abschloss, natürlich einen Handelstractat, wie er begreiflich ist zwischen einem Kauf- mannsvolk und den Herren der caeritischen und campanischen Küste. Nicht anderer Art ist auch die Söldnerlieferung, die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und namentlich nach Tarent ging. Die politischen Beziehungen, zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta wirkten hiebei nur in sehr untergeordneter Weise mit; im Ganzen waren diese Söldner- werbungen nichts als Geschäfte und Sparta, obwohl es regel- ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. mässig den Tarentinern ihre Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Unterthanen verkauften. Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch König Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Glücksritter, dass er seinen Stammbaum zurück- führte auf Aeakos und Achilleus und dass er, wäre er fried- licher gesinnt gewesen, als ‚König‘ über ein kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolirter Freiheit hätte leben und sterben können. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und al- lerdings, die Gründung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sicilien gebildet hätten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvölker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedrängt haben würde — dieser Gedanke ist wohl gross und kühn wie derjenige, der den makedonischen König über den Hellespont führte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den östlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, deren Stab namentlich vorzüg- lich war, dem Grosskönig vollkommen die Spitze bieten; aber der König von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Baiern neben Preussen, erhielt eine nennenswerthe Armee nur durch Söldner und durch Bündnisse, die auf zufälligen politischen Combinationen beruhten. Alexander trat im Perser- reich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Coalition von Secundärstaaten; Alexander hinterliess sein Reich vollkommen gesichert durch die unbedingte Unterthänigkeit Griechenlands und das starke unter Antipater zurückbleibende Heer, Pyrrhos bürgte für die Integrität seines eigenen Gebie- tes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Der Schwerpunct der Reiches konnte für beide Eroberer nicht mehr die Heimath sein, wenn die Pläne gelangen; allein eher noch war es ausführbar den Sitz der makedonischen Militär- monarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syra- kus eine Soldatendynastie zu gründen. Die Demokratie der grie- chischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich nun einmal nicht in die straffen Formen des Militärstaats zurückzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechi- schen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient KOENIG PYRRHOS. war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Stämme lebten dort seit langem neben einander und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölke- rung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Occident konnten die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden werden; aber kein Eroberer mochte die Italiker in ägypti- sche Fellahs verwandeln oder aus den römischen Bauern Zins- pflichtige der hellenischen Barone machen. Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte der Gegner — überall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer grossen ge- schichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Culturepoche, dieser als eine geschichtliche Epi- sode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Schei- tern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kühne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmög- liche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem grösseren Verwand- ten so wenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften. — Und dennoch knüpft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epeiroten, eine eigene Theilnahme, die allerdings zum Theil der ritterlichen und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben gilt, aber mehr noch dem Umstand, dass er der erste Grieche ist, der den Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spätere Entfaltung der antiken Civilisation und ein wesent- licher Theil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Pha- langen und Cohorten, zwischen der Söldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkönigthum und dem Senatoren- regiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationa- len Kraft — dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenis- mus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appellirt hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlacht- tag das Urtheil nur bestätigt. Wenn aber hier die Griechen ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. unterliegen, so ist ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen nicht politischen Wettkampf und eben schon diese Kämpfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms über die Hellenen ein anderer sein wird als der über Gallier und Pu- nier, und dass der Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild bei Seite gelegt ist. König Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molotter (um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben ver- lor (441). Sein damals sechsjähriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier Glaukias gerettet und im Laufe der Kämpfe um Makedoniens Besitz noch ein Knabe von De- metrios dem Belagerer wieder zurückgeführt in sein ange- stammtes Fürstenthum (447), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei wieder einzubüssen (um 452) und als landflüchtiger Fürstensohn im Gefolge der make- donischen Generale sein Lagerleben zu beginnen. Bald machte seine Persönlichkeit sich geltend. Unter Antigonos machte er dessen letzte Feldzüge mit; der alte Marschall Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Ur- theil des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglückliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geissel nach Alexandrien an den Hof der Lagiden, wo er durch sein kühnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militärische gründlich verachtenden Soldaten- sinn nicht minder des staatsklugen Ptolemaeos Lagos Sohn Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine männliche Schön- heit, der das wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag that, die der königlichen Damen. Eben damals gründete der kühne Demetrios sich wieder einmal ein neues Reich, diesmal in Makedonien; natürlich in der Absicht von dort aus die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt ihn niederzuhalten, ihm daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der epeirotische Jüngling eine war, vortrefflich für seine feine Politik zu nutzen verstand, that nicht bloss seiner Gemahlin der Königin Berenike einen Ge- fallen, sondern förderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen Fürsten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten ‚Sohn‘ zur Rückkehr in die Heimath seinen Beistand und seinen mächtigen Einfluss KOENIG PYRRHOS. lieh (458). Zurückgekehrt in sein väterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die tapfern Epeiroten, die Albanesen des Al- terthums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begei- sterung an dem muthigen Jüngling, dem ‚Adler‘, wie sie ihn hiessen. In den Wirren, die nach Kassanders Tod (457) um die makedonische Thronfolge geführt wurden, erweiterte der Epeirote sein Gebiet; nach und nach gewann er das Küsten- land mit den wichtigen Handelsstädten Apollonia und Epidam- nos, die Inseln Lissos und Kerkyra, ja selbst einen Theil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkräften dem König Demetrios zur Bewunderung der Make- donier selbst. Ja als Demetrios durch seine eigene Thorheit in Makedonien vom Thron gestürzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden den- selben freiwillig an (467). In der That, keiner war würdiger als Pyrrhos das königliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fürstlich- keit und Niederträchtigkeit gleichbedeutend zu werden began- nen, leuchtete hell Pyrrhos persönlich unbefleckter und sitten- reiner Charakter. Wie die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fern hielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbei- führte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zu ihrem König gemacht, er der gleich Alexander in seinem Haus, im Freun- deskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen hielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich abwehrte; er der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber jenes seltsam überspannte makedonische Nationalgefühl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tüchtigsten Fremden vorzog, jene Widerspenstig- keit gegen jeden nicht makedonischen Führer, welcher der grösste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eume- nes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeiroti- schen Fürsten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herr- schaft über Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht führen konnte und zu schwach, vielleicht auch zu hochherzig war sich dem Volke gegen seinen Willen aufzudringen, über- liess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467). Aber der Mann, der Alexanders Krone ge- tragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn Röm. Gesch. I. 17 ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebil- dete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhand- lungen über die Kriegskunst schrieb, konnte unmöglich sein Leben darüber beschliessen, dass er die Rechnungen des kö- niglichen Viehverwalters durchsah und jährlich von seinen braven Epeiroten die landüblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und dem allen zu mehrerer Bekräftigung mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz für ihn auf dem makedonischen Thron, so war überhaupt in der Heimath seines Bleibens nicht; er konnte der erste sein und also nicht der zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Könige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefährliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die treuen Epeiroten ihm fol- gen würden, wohin er sie führte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhältnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausführbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre früher Pyrrhos Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos auf seine makedonischen Pläne zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft für sich und für die hellenische Nation zu be- gründen. Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 für Italien herbeigeführt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die römische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Völkerschaft, deren Parteinahme für Rom die Tarentiner während der samniti- schen Kriege gelähmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafür von den Römern die Griechen- städte in ihrem Gebiet preisgegeben worden und sie waren nach dem Frieden beschäftigt in Gemeinschaft mit den Bret- tiern eine nach der andern zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner Ste- nius Statilius und aufs Aeusserste bedrängt, wandten sich um Hülfe nach Rom, ganz wie einst die Campaner gegen die Samniten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Frei- heit und Selbstständigkeit. Da durch Venusias Anlage für Rom die Unterstützung der Lucaner entbehrlich geworden KOENIG PYRRHOS. war, gewährten die Römer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Römern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den mächtigeren Verbündeten betrogen um den An- theil an der gemeinschaftlichen Beute, knüpften Verhandlungen an mit der samnitisch-tarentinischen Partei, um eine neue Coalition der Italiker zu Stande zu bringen; als die Römer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen, setzten sie die Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469), indem sie zugleich nicht bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Galler aufriefen mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der That erhob sich der etruskische Bund und warb zahlreiche gallische Söldner; das römische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treugebliebenen Arretinern zu Hülfe führte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den senonischen Söldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470). Die römischen Gesandten, welche bei den noch dem Namen nach zu Roms Bundesgenossen zählenden Senonen über die Stellung von Reisläufern gegen Rom Klage führen und die unentgeltliche Rückgabe der Gefangenen begehren sollten, wurden erschlagen auf Befehl des Senonenhäuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den Römern zu rächen hatte, und in Folge dessen ergriffen die Senonen offen Partei für die Etrusker. Ganz Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn auch die südlichen Land- schaften den Augenblick ergriffen und sich gegen Rom erklär- ten. In der That scheinen die immer für die Freiheit einzu- stehen willigen Samniten den Krieg erklärt zu haben; aber geschwächt und von allen Seiten eingeschlossen wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nützen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Während unter den Gegnern Bündnisse ver- handelt, Subsidientractate festgesetzt, Söldner zusammengebracht wurden, handelten die Römer und liessen zunächst die Senonen es empfinden, wie gefährlich es sei die Römer zu besiegen. Der Consul Publius Cornelius Dolabella rückte mit einem star- ken Heer in ihr Gebiet; was nicht über die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben — bei einem Hirtenvolk lässt sich das begreifen — und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471); es ist nicht un- 17* ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. wahrscheinlich, dass diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwärme bilden halfen, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien über- schwemmen. Die nächsten Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fort- führten und deren senonische Söldner jetzt gegen die Römer nicht mehr als Miethlinge, sondern als verzweifelte Rächer der Heimath fochten. Das gesammte etruskisch-gallische Heer zog gegen Rom; allein beim Uebergang über die Tiber in der Nähe des vadimonischen Sees wurden sie von den Rö- mern vollständig geschlagen (471) und nachdem sie das Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bun- desgenossen im Stich und schlossen für sich mit den Römern Frieden (472). So war das gefährlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln überwunden, ehe noch der Bund sich zusammenfand. Rom erhielt dadurch freie Hand gegen Unter- italien, wo in den Jahren 469-471 der Kampf nicht ernst- lich geführt worden war und die schwache römische Armee Mühe gehabt hatte sich in Thurii gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten. Jetzt (472) erschien der Consul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor Thurii, be- freite die Stadt, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren nicht dorischen Griechenstädte, die in den Römern ihre Ret- ter erkannten, fielen ihnen überall freiwillig zu; römische Besatzungen blieben zurück in den wichtigsten Plätzen, na- mentlich in Lokri, Kroton, Thurii und Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vortheil. Die Vernich- tung der Senonen hatte den Römern eine bedeutende Strecke des adriatischen Littorals in die Hände gegeben; man eilte sich dessen zu bemächtigen, ohne Zweifel in Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten. Es ward (um 471) eine Bürgercolonie geführt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine römische Flotte aus dem tyrrhenischen Meer in die östlichen Gewässer, offenbar um im adriatischen Meer zu stationiren und dort die römischen Besitzungen zu decken. KOENIG PYRRHOS. Die Tarentiner hatten bisher sich ruhig verhalten und seit dem Vertrag von 450 mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernich- tung der Senonen zugesehen, sich die Gründung von Venusia, Hadria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen ohne Einspruch zu thun. Aber als jetzt die römische Flotte auf ihrer Fahrt vom tyrrhenischen ins adriatische Meer in die tarentinischen Gewässer gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Er- bitterung endlich über; die uralten Verträge, die den römischen Kriegsschiffen untersagten östlich vom lakinischen Vorgebirg zu fahren (s. S. 101), kamen in der Ekklesia zur Sprache; wüthend stürzte der Haufe über die römischen Kriegsschiffe her, die unversehens überfallen nach heftigem Kampf unterlagen; fünf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der römische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraine Unverstand und die souveraine Gewissenlosigkeit der Pöbelherrschaft er- klärt diese schmachvollen Vorgänge. Jene Verträge gehörten einer Zeit an, die längst überschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gründung von Hadria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Römer im guten Glauben an den Schutz der Verträge in den Golf einfuhren — lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Grund zur Kriegserklärung dar- zubieten. Wollte Tarent den Krieg an Rom erklären, so that es damit bloss was längst hätte geschehen sollen; und wenn man vorzog statt des wirklichen Grundes sich auf Vertrags- bruch und dergleichen Vorwände in der Kriegserklärung zu stützen, so liess sich dagegen weiter nichts sagen, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Würde erachtet hat das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaff- neter Hand ungewarnt überfiel, war eine Thorheit nicht min- der als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Civilisation, wo die Gesittung plötzlich das Steuerruder ver- liert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben an den Fort- schritt der Menschheit. — Und als wäre damit noch nicht genug gethan, überfielen nach dieser Heldenthat die Tarentiner Thurii, dessen römische Besatzung überrumpelt ward und ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. capitulirte (im Winter 47⅔), und bestraften die Thuriner, dieselben die von Tarent stets den Lucanern vertragsmässig preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedrängt worden waren, schwer für ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren. Die Barbaren verfuhren indess mit einer Mässigung, die bei solcher Macht und nach solchen Kränkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms die tarentinische Neutrali- tät so lange wie möglich gelten zu lassen, und die leitenden Männer im Senat verwarfen desshalb den Antrag, den eine Minorität in begreiflicher Erbitterung gestellt hatte, den Taren- tinern sofort den Krieg zu erklären. Vielmehr ward ihnen ein Vergleich angeboten unter den mässigsten Bedingungen, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefange- nen, Rückgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueber- falls der Flotte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unab- hängigkeit etwas zu vergeben, diese Bedingungen eingehen und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch möglich sei. Mit diesen Vorschlägen ging eine römische Ge- sandtschaft nach Tarent (473), während gleichzeitig ihren Worten Nachdruck zu geben ein römisches Heer unter dem Consul Lucius Aemilius in Samnium einrückte. Allein auch dieser Versuch den Frieden zu erhalten scheiterte an der Un- botmässigkeit des städtischen Pöbels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit sogar an der Person der Gesandten in unwürdiger Weise vergriff. Nun rückte der Consul zwar ein in das tarentinische Gebiet, aber noch einmal bot er auf dieselben Bedingungen den Frieden, bevor er die Feindselig- keiten begann. Als auch dies vergeblich war, begann er zwar die Aecker und Landhäuser zu verwüsten und schlug die städtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Löse- geld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck in der Stadt der aristokratischen Partei das Ueber- gewicht geben und damit den Frieden herbeiführen werde. Die Römer boten alles auf die Tarentiner nicht aufs Aeusserste zu treiben; womit sie sie nothwendig dem Epeiroten in die Arme geworfen hätten, dessen Absichten auf Italien kein Ge- heimniss mehr waren. Schon war eine tarentinische Gesandt- schaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurück- gekehrt; der König hatte mehr begehrt als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die Bür- KOENIG PYRRHOS. gerwehr vor den Römern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam überzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem König gutdünkende Bedingung, das heisst die Wahl zwi- schen Unterwerfung unter die römische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten sich fast in der Stadt die Wage; endlich setzte die demago- gische, die trotz Roms anscheinender Mässigung die Rache für die den Römern zugefügten Schändlichkeiten fürchtete, es durch, dass man mit Pyrrhos abschloss. Er erhielt den Ober- befehl über die Truppen der Tarentiner und der übrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht Besatzung in Tarent zu halten. Dass Tarent die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen in Italien nicht länger als nöthig zu bleiben, vermuthlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt über diese Nothwendigkeit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Während die taren- tinischen Gesandten — ohne Zweifel die Häupter der Kriegs- partei — in Epeiros abwesend waren, schlug indess in der von den Römern bedrängten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem römisch Gesinnten über- tragen, als die Rückkehr der Gesandten mit dem abgeschlos- senen Tractat in Begleitung von Pyrrhos vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Endlich ward dem kläglichen Schwanken ein Ende gemacht, indem eine festere Hand die Zügel fasste. Noch im Herbst 473 lan- dete Pyrrhos General Milon mit 3000 Epeiroten, besetzte die Citadelle der Stadt und erlöste die Bürger von dem lästigen Postendienst; Aemilius räumte darauf das Gebiet von Tarent und nahm Winterquartiere in Apulien. Mit der Hauptmacht erschien der König selbst in Tarent zu Anfang des Jahres 474 nach einer stürmischen Ueberfahrt, die zahlreiche Opfer kostete. Ihm folgte ein buntgemischtes Heer, theils bestehend aus den Haustruppen, den Molottern, Thesprotiern, Chao- nern, Ambrakioten, theils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die König Ptolemaeos von Ma- kedonien vertragsmässig ihm überlassen, theils aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Söldnern; im Ganzen zählte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elephanten, also nicht viel weniger als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander funfzig Jahre zuvor den Hellespont überschritt. In Italien indess standen ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. die Angelegenheiten der Coalition nicht zum besten; nirgends in ganz Unteritalien hielt dieselbe das Feld und auch in Ober- italien hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzug (473) nichts als Niederlagen erlitten. Die Wirklichkeit bildete einen unerfreulichen Gegensatz zu den grossen Worten der Verbündeten, die dem König erklärt hat- ten 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld stellen zu können; das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos über- tragen, war eben noch erst zu schaffen, wozu vorläufig haupt- sächlich nur Tarents eigene Hülfsquellen zu Gebot standen. Der König befahl die Anwerbung eines italischen Söldnerheers mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfähigen Leute aus der Bürgerschaft zum Kriegsdienst aus, unter Androhung der Todesstrafe gegen die Säumigen. Natürlich erregte dies Ver- fahren die grösste Unzufriedenheit; es war unerträglich, dass man nun doch fechten musste, während man gedacht hatte den Sieg wie eine andere Waare für gutes Geld sich zu kau- fen. Jetzt gab der Erfolg bei Allen der Friedenspartei Recht und Verbindungen wurden sogar mit Rom angeknüpft oder schienen angeknüpft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Wider- stand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine eroberte; die Soldaten wurden in die Häuser einquartirt, die Volksver- sammlungen und die zahlreichen Kränzchen (συσσίτια) sus- pendirt, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt und die Thore mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der führenden Männer wurden als Geisseln über das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen, aber nicht grausamen Massregeln waren nothwendig, da es schlechterdings unmöglich war sich in irgend einem Sinn auf die Tarentiner zu verlas- sen; erst jetzt konnte der König, gestützt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen im Felde beginnen. Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampfe man entgegenging. Vor allem galt es die Treue der Bundes- genossen, das heisst der Unterthanen zu sichern; die unzu- verlässigen Städte erhielten Besatzung und wo es nothwendig schien, wurden die Führer der Partei der Unabhängigkeit fest- gesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Glieder des praenestinischen Senats. Für den Krieg wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausge- schrieben, von allen Unterthanen und Bundesgenossen das volle Contingent eingemahnt, ja man rief die eigentlich von KOENIG PYRRHOS. der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen. Ein römisches Heer blieb als Reserve in Rom, während ein zwei- tes unter dem Consul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein- rückte und Volsinii und Volci zu Paaren trieb. Vor allem aber kam es darauf an dem König entgegenzutreten ehe Un- teritalien unter seinen Fahnen sich vereinigte. Man zählte zum Theil auf die römischen Besatzungen in den Griechen- städten; allein die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe — es waren 800 Campaner und 400 Sidiciner unter einem campanischen Hauptmann Decius — entriss den Römern diese wichtige Stadt ohne sie doch Pyrrhos in die Hände zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militäraufstand der Nationalhass der Campaner gegen die Römer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte andrerseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen über das Meer gekommen war, unmöglich die Trup- pen in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirthe in den Häusern niedergemacht hatten; und so blieben sie für sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den campanischen Söldnern des Agathokles, die das gegenüberliegende Messana in ähnlicher Weise gewonnen hatten, und brandschatzten und verheerten auf ihre eigene Rechnung die umliegenden Griechenstädte, so Kroton, wo sie die römische Besatzung niedermachten, und Kaulonia, das sie zerstörten. Dagegen gelang es den Römern durch ein schwaches Corps, das an der lucanischen Grenze sich aufstellte, und durch die Besatzung von Venusia die Lu- caner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hin- dern, während die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen minde- stens 60000 Mann stark, unter dem Consul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschirte, der zur Deckung der tarentinischen Colonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannte- ren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza. mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen sich aufgestellt hatte (474). Die Römer, die unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang über den Siris erzwangen, eröffneten die Schlacht mit einem hitzigen Reiterangriff, bei dem sie siegten, nach- dem der König, der seine Reiter selber führte, vom Pferde ge- stürzt und die Seinigen dadurch in Unordnung gerathen waren. Indess Pyrrhos stellte sich an die Spitze des Fussvolks und ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. von neuem begann ein entscheidenderer Kampf. Siebenmal tra- fen die Legionen und die Phalanx im Choc auf einander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Königs, und weil er an diesem heissen Tage die Rüstung des Königs trug, glaubte das Heer zum zweiten Mal, dass der König gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine sämmtliche Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entblössten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte aufs Neue den Muth der Seinigen; gegen die Reiter wurden die bis dahin zurück- gehaltenen Elephanten vorgeführt. Die Pferde scheuten vor ihnen, die Reiter wussten den gewaltigen Thieren nicht bei- zukommen und wandten sich zur Flucht; die fliehenden Reiter, die nachsetzenden Elephanten lösten endlich auch die ge- schlossenen Glieder des römischen Fussvolks und die Elephan- ten im Verein mit der trefflichen thessalischen Reiterei richteten ein grosses Blutbad unter den Flüchtenden an. Hätte nicht ein tapferer römischer Soldat, Gaius Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elephanten verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so wäre das römische Heer aufgerieben worden; so gelang es den Rest der römischen Truppen über den Siris zurückzuführen. Indess der Verlust war gross; 7000 Römer wurden todt oder wund von den Siegern auf der Wahlstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Römer selbst gaben wohl mit Ein- schluss der vom Schlachtfeld zurückgebrachten Verwundeten ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tüch- tigsten Offiziere waren gefallen. Erwägend, dass sein Verlust hauptsächlich auf die altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die römische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den Elephan- tenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mochte der König wohl diesen Sieg einer Niederlage vergleichen, wenn er auch nicht so thöricht war, wie die römischen Poe- ten später erfanden, dies auszusprechen in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenks. — Zunächst indess war es ein unschätzbarer Erfolg, der nicht bloss Pyrrhos Feldherrnruhm glänzend bewährte, sondern auch den hinsie- chenden Bund der Italioten wenn irgend etwas zur Einigung KOENIG PYRRHOS. und zu energischen Anstrengungen aufrufen konnte. Lucanien war für die Römer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lu- caner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der campa- nischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstädte sämmt- lich dem König zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die römische Besatzung aus; von ihm waren sie überzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern nicht preisgeben werde. So war bald ganz Unteritalien mit Ausnahme von Venusia den Rö- mern verloren; aber weiter wirkte der Sieg nicht. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Kö- nig durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an in sein Heer einzutreten; allein er er- fuhr, dass er nicht mit Söldnern focht, sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Römer noch Bundesgenosse, nahm bei ihm Dienste. Pyrrhos bot den Römern Frieden an. Er traute seinem Siege nicht und hoffte durchsetzen zu können, dass die grie- chischen Städte in Italien frei würden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges sich bilde als abhängige Verbündete der neuen griechischen Macht; denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechi- schen Städte — also namentlich der campanischen und lucani- schen — aus der römischen Botmässigkeit und Rückgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden werden, so war es doch wünschenswerth diesen erst zu begin- nen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sicilien gewonnen, vielleicht Africa erobert war. — Mit solchen Instructionen begab sich Pyrrhos vertrauter Minister, der Thessalier Kineas nach Rom. Der gewandte Unterhändler, den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, so weit sich dem Staatsmann der Rhetor, dem Volksführer der Her- rendiener vergleichen lässt, hatte Auftrag die Achtung, die der Sieger von Herakleia für seine Besiegten in der That empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Königs selber nach Rom zu kommen zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte Ge- schenke die Gemüther zu des Königs Gunsten zu stimmen, ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. kurz alle Künste der Cabinetspolitik, wie sie an den Höfen von Alexandria und Antiochia erprobt waren, gegen die Rö- mer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemäss einen Schritt zurück zu thun, abzu- warten, bis der gefährliche Gegner sich weiter verwickelt ha- ben oder nicht mehr sein würde. Indess der Altcensor Appius Claudius (Censor 442, Consul 447. 458), der wegen Alters und Blindheit sich von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat führen liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem jüngeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem König das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staats- grundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, so lange aus- wärtige Truppen auf italischem Gebiet ständen, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der ge- wandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effect zu machen, hatte vielmehr sich selber imponiren lassen durch diesen männ- lichen Ernst nach so schwerer Niederlage — er erklärte da- heim, dass in dieser Stadt jeder Bürger ihm erschienen sei wie ein König; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen. — Pyrrhos, der während dieser Ver- handlungen in Campanien eingerückt war, brach auf die Nach- richt von ihrem Ausgang sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschüttern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Rö- mer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes ‚sich einschreiben zu lassen an die Stelle der Gefallenen‘ hatte die junge Mannschaft sich gleich nach der Schlacht von Herakleia zur Aushebung schaarenweise her- beigedrängt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurückgezogenen Corps war Laevinus stärker als vorher und folgte dem Marsch des Königs. Er vermochte Capua zu decken und einen Versuch des Gegners mit Neapel Ver- bindungen anzuknüpfen zu vereiteln; so straff war die Haltung der Römer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein nam- hafter Bundesstaat es wagte vom römischen Bündniss abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich durch die reiche Landschaft, deren blühenden Zustand er bewunderte, Fregellae überrumpelnd und den Uebergang über den Liris erzwingend, gegen Rom selbst. Der Weg ward ihm nicht verlegt; er gelangte bis Anag- KOENIG PYRRHOS. nia, 40000 Schritte von Rom, ja Spätere lassen ihn gleich Hannibal von Praeneste aus die römischen Mauern und Zinnen erblicken. Aber überall schlossen ihm die Städte Latiums die Thore; Laevinus folgte von Campanien aus langsam nach, während von Norden der Consul Tiberius Coruncanius, der mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, auch seinerseits die etruskische Armee heranführte und in Rom selbst die Reserve unter dem Dic- tator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem König blieb nichts übrig als umzukehren und nachdem er eine Zeitlang in Cam- panien den vereinigten Heeren der beiden Consuln unthätig gegenübergestanden hatte, auch von dort abzuziehen und seine Truppen für den Winter in die befreundeten Städte zu ver- theilen; er selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Römer ihre Operationen ein; das Heer be- zog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter Zelten campirten. So endigte der Feldzug des Jahres 474. Der Sondervertrag Etruriens im entscheidenden Augenblick und des Königs un- vermutheter Rückzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gänzlich täuschte, wogen zum grossen Theil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich über die Lasten des Krieges, namentlich über die schlechte Mannszucht der bei ihnen ein- quartirten Söldner, und der König, müde des kleinlichen Ge- zänks und des unpolitischen wie unmilitärischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch unlösbar sein möge. Die Ankunft einer römischen Gesandt- schaft, dreier Consulare, darunter der Sieger von Thurii Ga- ius Fabricius, liess einen Augenblick wieder bei ihm die Frie- denshoffnungen erwachen; allein es zeigte sich bald, dass sie nur Vollmacht hatten wegen Lösung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess sämmtliche Gefangene zur Feier der Sa- turnalien auf ihr Ehrenwort; dass sie es hielten und dass der römische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster Weise gefeiert. — Mit dem Frühjahr 475 ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rückte in Apulien ein, wohin das römische Heer ihm entge- ZWEITES BUCH. KAPTEL VII. genkam. Es blieb dem König nichts übrig als eine zweite Schlacht zu liefern, in der Hoffnung durch einen entschei- denden Sieg die römische Symmachie in diesen Landschaften zu erschüttern. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere auf einander. Unter Pyrrhos Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die itali- schen Söldner, die Bürgerwehr — die sogenannten Weiss- schilder — von Tarent, und die verbündeten Lucaner, Bret- tier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, über 8000 Reiter und 19 Elephanten. Mit den Römern standen an diesem Tage die Latiner, Campaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner; auch sie zählten über 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 römische Bürger und 8000 Reiter. Beide Theile hatten in ihrem Heerwesen Aen- derungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzüge der Manipularordnung erkennend, hatte auf den Flügeln die lange Fronte seiner Phalangen vertauscht mit einer der Cohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Fähnlein, indem er, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militärischen Gründen, zwischen die Abtheilungen seiner eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Cohorten einschob; im Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Römer führten zur Abwehr der Elephanten eine Art Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche zum Herablassen eingerichtete Masten mit Eisenstacheln be- festigt waren — gewissermassen das Vorbild der Enterbrücken, die im ersten punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten. — Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der uns auch vorliegende römische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachtheil, da es ihnen nicht gelang an den schroffen und sumpfigen Fluss- ufern, wo sie gezwungen wurden das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln noch Reiterei und Elephanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Römern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestört entfaltete. Vergeblich stürzten sich die Römer verzweifelten Muths mit ihren Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschütterlich jedem Angriff in der Fronte, bis endlich der Ansturm der Elephanten auch KOENIG PYRRHOS. diese Schlacht entschied, nachdem deren zahlreiche Bedeckung die Bemannung der römischen Streitwagen durch Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Stränge zerschnitten hatte. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der römischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indess nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Dass während des Haupttref- fens ein von der römischen Hauptmacht abgesondertes arpa- nisches Corps das schwach besetzte epeirotische Lager ange- griffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der römische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Römer auf alle Fälle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin überein, dass das römische Heer über den Fluss zurückging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Bericht auf römischer Seite 6000, auf griechischer 3505 Diese Zahlen scheinen glaubwürdig. Der römische Bericht giebt, wohl an Todten und Verwundeten, für jede Seite 15000 Mann an, ein spä- terer sogar auf römischer 5000, auf griechischer 20000 Todte. Es mag das hier Platz finden, um an einem der seltenen Beispiele, wo Controle möglich ist, die Unglaubwürdigkeit der Zahlangaben zu zeigen, in denen die Lüge bei den Annalisten lawinenartig anschwillt. ; unter den Ver- wundeten war der König selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte, während er wie immer im dichtesten Ge- tümmel kämpfte. Wohl war es ein Sieg, den Pyrrhos erfoch- ten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; ein Sieg der dem König als Feldherrn wie als Soldaten Ehre machte, aber seine politischen Zwecke nicht förderte. Er bedurfte eines glänzenden Erfolges, der das römische Heer auflöste und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; jetzt wo die römische Armee und die römische Eidgenossenschaft ungebrochen blie- ben und das griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung angefesselt stillstand, blieb ihm nichts übrig als den Feldzug verloren zu geben und in die Winterquartiere zu gehen, die der König in Tarent nahm, die Römer diesmal in Apulien. Immer deutlicher offen- barte es sich, dass militärisch die Hülfsquellen des Königs den römischen ebenso nachstanden wie politisch die lose und wi- derspenstige Coalition den Vergleich nicht aushielt mit der festgegründeten römischen Symmachie. Wohl konnte das ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfüh- rung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr erfech- ten wie die von Herakleia und Ausculum, aber mit jedem neuen Siege vernutzten sich die Mittel und es war klar, dass die Römer sich als die Stärkeren fühlten und den endlichen Sieg mit muthiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie es die griechischen Fürsten verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zer- schellten alle strategischen Combinationen. Pyrrhos fühlte wie die Dinge standen; überdrüssig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend ertrug er ungeduldig was die mi- litärische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, be- vor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben würde, und gern ergriff er einen Vorwand das lästige Gebot zu umgehen. Diesen boten ihm bald die sicilischen Angelegenheiten. Nach Agathokles Tode (465) fehlte es den sicilischen Griechen an einer leitenden Macht. Während in den ein- zelnen hellenischen Städten unfähige Demagogen und unfähige Tyrannen einander ablösten, dehnten die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestört aus und nach- dem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekom- men das seit Jahrhunderten standhaft verfolgte Ziel endlich erreichen und die ganze Insel unter ihre Botmässigkeit brin- gen zu können; sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwäche des Regiments so weit ge- bracht, dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswärtiger Hülfe; und Niemand konnte diese gewähren als König Pyrrhos. Er, der Tochtermann des Agathokles; sein Sohn und Agathokles Enkel, der damals sechzehnjährige Alexander waren die natürlichen Erben der hochfliegenden Pläne des Herren von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus dafür Entschädigung finden als Hauptstadt eines westhellenischen Rei- ches. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter ähnlichen Bedingungen dem König Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475) und durch eine seltene Fügung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunächst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Pläne des Epeirotenkönigs. — Freilich war die KOENIG PYRRHOS. nächste Folge von dieser Vereinigung der italischen und sici- lischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsverträge jetzt in ein Offensiv- und Defensiv- bündniss gegen Pyrrhos (475), dessen Bedingungen dahin lau- teten, dass, wenn Pyrrhos römisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene Theil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die Hülfstruppen selbst be- solden solle; dass in solchem Fall Karthago die Transport- schiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Römern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten sein zu Lande für die Römer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das Wort gäben keinen Sonder- frieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des Vertrages war auf römischer Seite einen Angriff auf Tarent möglich zu machen und Pyrrhos von der Heimath abzuschneiden, was ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausführbar war; auf Seiten der Karthager den König in Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestört ins Werk setzen zu können Die späteren Römer und mit ihnen die Neueren geben dem Bündniss die Wendung, als hätten die Römer absichtlich vermieden die karthagische Hülfe in Italien anzunehmen. Das wäre unvernünftig gewesen und die That- sachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklärt sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kämpften die Karthager allerdings für Rom. . Es lag also im Interesse beider Mächte zunächst sich des Meeres zwischen Italien und Sicilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admi- ral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sicilischen Meerenge. Die Mamertiner, die für ihre Frevel gegen die griechische Bevölkerung Messanas die gerechte Strafe erwar- tete, wenn Pyrrhos in Sicilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an an die Römer und Karthager und sicher- ten diesen die sicilische Seite des Passes. Gern hätten die Verbündeten auch Rhegion auf der gegenüberliegenden Küste gehabt; allein verzeihen konnte Rom der campanischen Be- satzung unmöglich und ein Versuch der vereinigten Römer und Karthager sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu be- mächtigen schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockirte die Stadt von der Seeseite, Röm. Gesch. I. 18 ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. während gleichzeitig ein starkes punisches Heer die Belage- rung zu Lande begann (476). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die An- gelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Consuln des Jahres 476, Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kräftig begonnen und trotz der Niederlagen, die die Römer erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich er- mattet fühlten und den Frieden herbeiwünschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch ein leidliches Abkommen zu er- langen. Der Consul Fabricius hatte dem König einen Elen- den zugesandt, der ihm den Antrag gemacht gegen gute Be- zahlung den König zu vergiften. Zum Dank gab der König nicht bloss alle römischen Gefangenen ohne Lösegeld frei, sondern er fühlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapfern Gegner, dass er zur Belohnung ihnen einen ungemein billigen und günstigen Frieden selber antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernst- lich gefürchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme. Indess der Senat blieb fest und wiederholte seine frühere Antwort. Wollte der König nicht Syrakus den Karthagern in die Hände fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstö- ren lassen, so blieb ihm nichts andres übrig als seine itali- schen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorläufig auf den Besitz der wichtigsten Hafenplätze, namentlich von Tarent und Lokri zu beschränken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf entweder seiner Feldherrnpflicht nach- zukommen oder die Stadt ihnen zurückzugeben. Den Klagen und Vorwürfen setzte der König gute Worte oder derbe Ab- weisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurück, des Königs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Frühjahr 476 sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein, wo er trotz der karthagischen Flotte glücklich landete. Durch Pyrrhos Abzug erhielten die Römer freie Hand in Italien, wo Niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner überall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Wälder. Indess der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran theils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges Schuld war, theils aber wohl auch die Erschöpfung der Römer, von deren KOENIG PYRRHOS. Verlusten das Sinken der Bürgerrolle von 473 auf 479 um 17000 Köpfe zeugt. Noch im Jahre 476 gelang es dem Con- sul Gaius Fabricius die bedeutendste tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der unter den günstigsten Bedingungen gewährt ward. Im Feldzug von 477 schlug man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unter- nommener Angriff auf die verschanzten Höhen den Römern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem süd- lichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Ein Versuch Kroton zu überrumpeln misslang, indem Milon von Tarent aus den Römern zuvorkam; die epeirotische Be- satzung machte sogar einen glücklichen Ausfall gegen das be- lagernde Heer. Indess gelang es endlich dem Consul dennoch dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unvertheidigten Stadt sich zu bemächtigen (477). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die früher die römi- sche Besatzung dem König ausgeliefert hatten, jetzt den Ver- rath durch Verrath sühnend die epeirotische erschlugen; womit die ganze Südküste in den Händen der Römer war mit Aus- nahme von Rhegion und Tarent. Die Belagerung dieser Stadt ward nicht einmal versucht; abgesehen davon, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Römer gegen einen erfah- renen und entschlossenen griechischen Commandanten im ent- schiedensten Nachtheil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte, und Karthagos Angelegenheiten standen in Sicilien durchaus nicht so, dass es diese hätte gewähren können. — Pyrrhos Landung auf der Insel hatte mit einem Schlage die Lage der Dinge verändert. Er hatte die Belagerung von Sy- rakus sofort aufgehoben, alle freien Griechenstädte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen Conföderation den Karthagern ihre sämmtlichen Besitzungen entrissen bis auf Lilybaeon, wo sie und ebenso die Mamertiner in Messana mit Mühe sich zu behaupten vermochten durch die Hülfe ihrer damals auf dem Mittelmeer unbeschränkt herr- schenden Seemacht. Unter solchen Umständen wäre in Ge- mässheit des Vertrags von 475 viel eher Rom im Fall gewesen den Karthagern auf Sicilien Beistand zu leisten als Karthago mit seiner Flotte den Römern Tarent erobern zu helfen; über- haupt aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Römern die Hülfe erst angeboten, als die 18* ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. wesentliche Gefahr vorüber war; diese ihrerseits hatten nichts gethan den Abzug des Königs aus Italien, den Sturz der kar- thagischen Macht in Sicilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Verträge hatte Karthago dem König einen Sonderfrieden angetragen, worin sie sich begnügten mit dem Besitz von Lilybaeon und dem König Geld und Kriegsschiffe zur Verfügung stellten, natürlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indess es war einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Königs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefähr dieselbe gewesen wäre wie vor Pyrrhos Lan- dung; das verlorene Gebiet war leicht wieder gewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und beschäftigte sich mit der Ausrüstung einer Kriegsflotte. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies später geta- delt; es war vielmehr schlechterdings nothwendig und mit den Mitteln der Insel leicht durchzuführen. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schützen, um Karthago daheim anzu- greifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg gethan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele näher als im Sommer 478, wo er Karthago gedemüthigt vor sich sah, Sicilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknüpfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag. Die wesentliche Schwäche von Pyrrhos Stellung beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sicilien wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respectirte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Ver- trauten zu Amtleuten über die Städte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab zu Richtern anstatt der einheimischen Ge- schworenen seine Hofleute, sprach Confiscationen, Verbannun- gen, Todesurtheile nach Gutdünken aus, selbst über diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sicilien am lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Städte und beherrschte Sici- lien nicht als der Führer des Nationalbundes, sondern als König. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Be- griffen sich ein guter und weiser Regent zu sein dünken, so ertrugen doch die Griechen mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller Zucht entwöhnten Nation diese Verpflan- KOENIG PYRRHOS. zung des Diadochensystems nach Syrakus; sehr bald schien das karthagische Joch dem thörichten Volk erträglicher als das neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Städte knüpften mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder sich auf der Insel zu zeigen und überall von den Griechen unterstützt, machte es reissende Fortschritte. Zwar war in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, das Glück wie immer mit dem ‚Adler‘; allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte, wenn der König sich entfernte. — Zu diesem ersten und wesent- lichsten Fehler beging Pyrrhos einen zweiten; er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste er, eben bei der Gährung in den Gemüthern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz verdrängt und damit den Unzufriedenen den Rückhalt abge- schnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden konnte; hier war nichts zu versäumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den übrigen Bundesgenossen, nachdem sie ein- mal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 durch eine glänzende Wiederkehr aus- zutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, können nur gelöst werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefühl zu beherrschen vermögen; und eine solche war Pyrrhos nicht. Die verhängnissvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478. Unterwegs hatte die neue syrakusani- sche Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu be- stehen, worin jene eine beträchtliche Anzahl Schiffe einbüsste. Die Kunde von diesem ersten Unfall genügte zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Städte dem König Geld und Truppen und der glänzende Staat brach zusammen so schnell wie er entstanden war, theils weil der König selbst die Treue und Liebe, auf der jeder Staat ruht, in den Herzen seiner Unterthanen untergraben hatte, theils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte zur Rettung der Nationalität auf kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Da- mit war Pyrrhos Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fühlt was er gewesen und was er jetzt ist, der den Krieg ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. nicht mehr als Mittel zum Zwecke führt, sondern um im wilden Würfelspiel sich zu betäuben und wo möglich im Schlachtgetümmel einen Soldatentod zu finden. An der ita- lischen Küste angelangt begann der König mit einem Versuch sich Rhegions zu bemächtigen; aber die Campaner erwehrten sich seiner mit Hülfe der Mamertiner und der König ward in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen über- rumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung schwer büssten, und plünderte den reichen Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu füllen. So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr be- grüssten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den König fünf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbündeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedrängten Samniten, in deren Gebiet die Römer 478/9 überwintert hatten, zu Hülfe rückte der König im Frühjahr 479 ins Feld und zwang bei Benevent auf dem arusinischen Felde den Consul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien heranrückenden Collegen vereinigen konnte. Aber ein Versuch durch einen Nachtmarsch den Römern ein Corps in die Flanke zu werfen schlug fehl, da dasselbe sich in den Wäldern verirrte; und nach heftigem Kampf in der Ebene entschieden auch hier wieder die Ele- phanten die Schlacht, aber diesmal für die Römer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schützen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; 1300 Gefangene fielen in ihre Hände und vier Elephanten — die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erlös später in Rom eine gewaltige Wasserleitung gebaut ward. Ohne Geld und ohne Truppen um das Feld zu halten sandte Pyrrhos an seine Verbündeten, die ihm zur Ausrüstung nach Italien ge- steuert hatten, die Könige von Makedonien und Asien; aber man fürchtete ihn auch in der Heimath nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und er- bittert durch diese Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479) heim nach Griechenland, wo dem verzweifelten Spieler eher noch sich eine Aussicht bot als bei dem stetigen und gemessenen KOENIG PYRRHOS. Gang der italischen Verhältnisse. In der That gewann er nicht bloss schnell zurück was von seinem Reiche war abge- rissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestüm und der Unfähigkeit den stolzen Sinn zu zähmen scheiterten seine letzten Pläne; er gewann noch Schlachten, aber keinen Erfolg mehr und verlor Herr- schaft und Leben in einem elenden Strassengefecht im pelo- ponnesischen Argos (482). In Italien ist der Kampf zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der itali- schen Nationalpartei. Zwar so lange der Held, dessen mäch- tiger Arm es gewagt hatte dem Schicksal in die Zügel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenn gleich abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch die tarentinische Friedenspartei nach des Königs Ent- fernung in der Stadt die Oberhand gewinnen, Milon, der für Pyrrhos darin den Befehl führte, wies ihre Anmuthungen ab und liess die römisch gesinnten Städter in dem Castell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene Hand Frieden schliessen mit Rom, wie es ihnen beliebte, ohne darum seine Thore zu öffnen. Aber als Pyrrhos todt war und Milon die Bürgerschaft im Begriff sah die Stadt auszuliefern an die Karthager, die schon mit einer Flotte im Hafen lagen, zog er es vor dem römischen Consul Lucius Papirius die Burg zu übergeben (482) und damit für sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen — ein ungeheurer Glücksfall für die Römer, denn nach den Erfahrungen, die Philipp vor Pe- rinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lily- baeon gemacht hatten, liess sich bezweifeln, ob die damalige Strategik überhaupt im Stande war eine regelmässig befestigte und von der See her zugängliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und was hätte kommen mögen, wenn die Punier in Tarent sich gegen die Römer hielten wie in Lilybaeon gegen die Griechen! Nachdem die Uebergabe geschehen war, fuhren die Karthager heim unter dem Vorgeben, dass sie den Römern hätten zur Hülfe kommen wollen; was sie nachher, als eine römische Gesandtschaft Beschwerde zu führen in Karthago erschien, mit feierlichen Eiden zu bekräftigen sich nicht scheuten. Die Tarentiner erhielten, vermuthlich durch Ver- mittelung ihrer Emigrirten, die Autonomie zurück; aber Waf- ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. fen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern nieder- gerissen werden. In demselben Jahre unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Hälfte des einträglichen und für den Schiffbau wichtigen Si- lawaldes abtreten mussten. Es versteht sich, dass alle diese Staaten unter der Form eines ewigen Bündnisses, wobei die Römer die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten sich vor- behielten, ihre politische Selbstständigkeit nach aussen hin verloren und factisch Unterthanen der Römer wurden. — Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die wohlverdiente Strafe für den Mord der rheginischen Bürger und der Besatzung von Kroton; es war wieder Rom, das die Rache für die Hellenen übernahm, unter Beistand des neuen Herrn von Syrakus Hieron, der nicht bloss Zuzug und Lebensmittel sandte, sondern auch gleichzeitig auf die Schuld- genossen der rheginischen Besatzung, die Mamertiner einen Angriff machte. Trotz des hartnäckigsten Widerstandes der Meuterer wurde Rhegion nach langer Belagerung genommen (484), was von der Besatzung übrig war, in Rom auf offenem Markte gestäupt und enthauptet, die alten Einwohner aber so viel möglich in ihr Vermögen wieder eingewiesen. So war im Jahre 484 ganz Italien zur Ruhe und zur Unterthänigkeit ge- bracht. Nur die Samniten, die hartnäckigsten Gegner Roms, setzten trotz des officiellen Friedensschlusses noch als ‚Räu- ber‘ den Kampf fort, so dass sogar im Jahre 485 man noch einmal beide Consuln gegen sie schicken musste. Aber auch der hochherzigste Volksmuth, die tapferste Verzweif- lung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen den Frieden. — Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wie- derum eine Reihe von Colonien angelegt: in Lucanien Pae- stum und Cosa (481), als Zwingburgen für Samnium Bene- ventum (486) und Aesernia (um 491), als Vorposten ge- gen die Gallier Ariminum (486), in Picenum Firmum (um 490) und die Bürgercolonie Castrum novum; die Colonisirung des wichtigen Hafenplatzes Brundisium, der Tarent zu ersetzen bestimmt war, wurde vorbereitet. Die Gründung dieser Co- lonien erforderte noch einige Kriege mit den kleinen Völker- schaften, deren Gebiet durch diese Anlagen geschmälert ward, den Picentern (485. 486), von denen eine Anzahl in die Ge- gend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern (487. 488), den umbrischen Sassinaten (487. 488), welche letzte KOENIG PYRRHOS. nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Der Zweck dieser Gründungen war theils die Sicherung des adriatischen Littorals, haupt- sächlich wohl gegen Makedonien und Epeiros, womit es auch zusammenhängt, dass mit Apollonia, einer der griechischen Han- delsstädte im epeirotischen Gebiet Vertrag und Bündniss gemacht ward; theils die Sicherung Unteritaliens, wo hauptsächlich das Binnenland besetzt ward, während man die minder ge- fährdete Südküste gleich der campanischen durch Begünstigung der griechischen Städte, namentlich von Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia für Rom zu sichern sich begnügte. Zu demselben Zweck wurden ferner noch seit 487 vier neue Beamte ernannt, die Flottenquästoren ( quaestores classici ), deren Aufgabe theils die Sicherung der Küste und die Bildung einer Kriegsmarine war, theils die Erhebung der Einkünfte von den neu gewon- nenen Domänen und die Oberaufsicht über den von den neuen Bundesgenossen zu leistenden Zuzug. Von diesen vier Quästoren hatte der erste seinen Sitz in dem vornehmsten Hafen Roms, in Ostia; der zweite residirte in Cales und beauf- sichtigte die Häfen von Misenum und Brundisium; der dritte die wichtige Seestation Ariminum; der Sitz des vierten ist nicht bekannt. — Diesen militärischen Massregeln zur Siche- rung der Herrschaft über Italien ging zur Seite die sorgfäl- tigste Ueberwachung und Fortbildung der politischen Institu- tionen. Die römische Vollbürgerschaft ward erweitert durch die Aufnahme der den Römern nah verwandten und damals wohl schon im Wesentlichen latinisirten Sabiner, nachdem deren Treue in dem letzten Krieg sich erprobt hatte (486). In ähnlicher Weise scheinen um dieselbe Zeit eine Anzahl Gemeinden im südlichen Latium aus dem Unterthanen- in das Bürgerverhältniss eingetreten zu sein, so dass seitdem ausser dem altrömischen das ehemalige sabinische Gebiet und ein grosser Theil der Gemeinden Latiums so wie eine Anzahl italischer Küstenstädte eine Bürgerbevölkerung hatten. Ihnen zunächst standen die latinischen Gemeinden, unter denen noch einige wenige altlatinische sich befanden, wäh- rend bei weitem die grössere Zahl bestand aus den von Rom aus gegründeten und durch ganz Italien zerstreuten Festungen. Dass diese durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknüpften Gemeinden, die kleinen Tyrannen der um- liegenden Landschaft, an Rom hielten wie die Vorposten an der Hauptarmee, ist begreiflich. Durch die Latinerstädte ward ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. Italien von Rom beherrscht, während jenen selbst nicht bloss grosse materielle und politische Vortheile aus ihrer Stellung zu Rom zuflossen, sondern auch einem jeden ihrer Bürger die zwischen Rom und Latium bestehende Freizügigkeit die Gewinnung des Bürgerrechts in der herrschenden Gemeinde möglich machte. Freilich nachdem der Zweck erreicht war, verspürten es auch die Latiner, dass Rom ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte; es wird im folgenden Buch darzu- stellen sein, wie für die seit 486, dass heisst seit der voll- ständigen Unterwerfung Italiens, gegründeten Städte das freie Zugrecht beschränkt ward. — Neben den beiden Klassen der herrschenden Nation, den römischen Vollbürgern und den La- tinern, standen die Unterthanen, theils als Communen römi- scher Bürger ohne Stimmrecht, wie zum Beispiel Caere und Capua, theils als Bundesstaaten mit vertragsmässig festge- stellten mehr oder minder geschmälerten Rechten. Für die Treue dieser Unterthanen bürgte im Wesentlichen allerdings die Furcht; allein der Senat war zu staatsklug sich allein darauf zu verlassen. Es ward von Rom aus dafür gesorgt, dass in jeder Stadt eine römische Partei entstand. Zu dem Ende wurde das demokratische Regiment wo es bestand geändert und die vermöglichen und angesehenen Leute, die zu gewinnen oder zu schrecken waren, überall ans Ruder gebracht. Ein merkwürdiges Exempel in dieser Art ward 489 an Volsinii statuirt. Die Partei der Altbürger, die in Volsinii ähnlich wie in Rom auf gesetzlichem Wege ihre Sonderrechte eingebüsst haben muss, wandte sich nach Rom um Wiederherstellung der alten Verfassung; wor- auf die Bürgerschaft, hievon in Kunde gesetzt, die Landesver- räther zur gerechten Strafe zog. Allein der römische Senat nahm Partei für die Altbürger und da die Bürgerschaft sich nicht gutwillig fügte, wurden Truppen gesandt um die in an- erkannter Wirksamkeit stehende Verfassung von Volsinii zu zerreissen. Die Zerstörung der alten Hauptstadt Etruriens bewies den Italikern, dass sie nicht bloss die politische Selbst- ständigkeit eingebüsst hatten, sondern auch die communale. — In welchem numerischen Verhältniss diese vier politischen Klassen der Bewohner Italiens zu einander standen, ist nicht mehr auch nur annähernd zu ermitteln Es ist zu bedauern, dass wir über die Zahlenverhältnisse nicht ge- nügende Auskunft zu geben im Stande sind. Man kann die Zahl der waf- ; wohl aber erkennen KOENIG PYRRHOS. wir, dass Rom die doppelte Klippe vermied die militärischen Kräfte seiner Bundesgenossen und Unterthanen entweder un- genutzt zu lassen oder sie so zu nutzen, dass die herrschende Gemeinde von den beherrschten abhängig ward. Im Ganzen pflegte bei jedem römischen Heer die Zahl der Bürger und die der Bundesgenossen gleich zu sein, wo denn allerdings wohl jene bei der Aushebung stärker in Anspruch genommen wer- den mussten. Unter den Bundesgenossen wurden die latini- schen Gemeinden vorzugsweise angezogen, damit die herr- schende Nation überall im Heer das Uebergewicht habe. Die kostspieligsten Dienstgattungen wurden dagegen vorzugsweise den Unterthanen überwiesen; so lag die Unterhaltung und Be- mannung der Kriegsmarine vorwiegend den griechischen Städten fenfähigen römischen Bürger für die Königszeit auf etwa 20000 anschlagen (S. 70). Eine festgestellte Thatsache ist es, dass von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare römische Mark nicht wesentlich erwei- tert ward; womit es vollkommen übereinstimmt, dass bis auf das Jahr 367 neue Bürgerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen über die Gestorbenen, durch Ein- wanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so wird es doch schlechterdings unmöglich sein mit den engen Grenzen eines Gebiets, das schwerlich 30 Quadratmeilen erreichte, die überlieferten Cen- suszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffen- fähigen römischen Bürger in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362, wofür eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr dürften diese Zahlen mit den 84700 Bürgern des servianischen Census auf einer Linie stehen und überhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Censusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten Zahlenangaben sich gefallen und sich verrathen. — Erst mit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts beginnen theils die grossen Gebietserwer- bungen, theils die Incorporationen ganzer Gemeinden in die römische (S. 223), wodurch die Bürgerrolle plötzlich und beträchtlich steigen musste. Es ist glaubwürdig überliefert wie an sich glaublich, dass um 416 man 165000 römische Bürger zählte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Campanien zählte man im fünften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfähige Bürger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem andern Grunde geschichtlich wenig brauchbar, insofern hier nämlich unzweifelhaft die römischen Voll- bürger und die ‚Bürger ohne Stimme‘, wie zum Beispiel die Caeriten und Capuaner, in einander gerechnet sind, während doch die letztern factisch durchaus den Unterthanen beigezählt werden müssen und Rom viel sicherer zählen konnte auf die hier nicht eingerechneten Zuzüge der Latiner, als auf die campanischen Legionen. ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. ob und zur Reiterei pflegten die Bundesgenossen in stärkerem — in späterer Zeit in dreifach stärkerem — Verhältniss als die Römer beigezogen zu werden. Mit allen Mitteln ward dahin gewirkt, dass die Bundestruppen nicht dazu gelangten als grössere militärische Einheiten unter einheimischen Füh- rern den Römern gefährlich werden zu können; die einzelnen Zuzüge wurden desshalb nicht in besondere Corps vereinigt, sondern in kleineren Abtheilungen den römischen Legionen attachirt und die Abtheilungscommandanten von den Römern bestellt, zu den höheren Offizierstellen aber ausschliesslich Römer genommen. — So die einzelnen Städte und Gaue Italiens durch ebenso künstlich wie grossartig geschlungene Ketten vereinigend vermochte es die römische Gemeinde als Herrin von Italien eine Grossmacht zu werden, die ebenbürtig eintrat in das System der Staaten des Mittel- meers, aus denen die letzten Kriege eine Reihe von Mittel- staaten, namentlich Tarent, Samnium und Lucanien, ausge- strichen hatten. Gleichsam die officielle Anerkennung empfing Rom in seiner neuen Stellung durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 von Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch zunächst nur die Handelsbeziehungen regelten, doch ohne Zweifel schon eine politische Verbündung vorbereiteten. Wie Karthago mit der ägyptischen Regierung um Kyrene rang, mit der römischen um Sicilien bald ringen sollte, so stritt Make- donien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechen- land, mit dieser demnächst um die Herrschaft der adriatischen Küsten; es konnte nicht fehlen, dass die neuen Kämpfe, die allerseits sich vorbereiteten, in einander eingriffen und dass Rom nach Ueberwindung Italiens in den weiten Kreis hinein- gezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwürfe seinen Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten. KAPITEL VIII. Innere Verhältnisse . Wenn von der Entwicklung der Verfassungen, von den Völkerkämpfen um Herrschaft oder Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwältigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, sich der Blick wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm auch hier überall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch welche die Fesseln des Geschlechterregiments gesprengt wur- den und eine reiche Fülle nationaler Bildungen untergehen musste um ein Volk zu bereichern. Darf auch der Geschicht- schreiber es nicht einmal versuchen den grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannichfaltigkeit der individuel- len Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschreitet er doch seine Aufgabe nicht, wenn er aus der zertrümmerten Ueber- lieferung einzelne Bruchstücke ergreifend hindeutet auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als früher das römische in den Vordergrund tritt, so ist dies nicht bloss in den zufälligen Lücken unsrer Ueberlieferung begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der verän- derten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationali- tät die übrigen italischen zu verdunkeln beginnt. Unter Latiums Einfluss beginnen die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland, ja selbst Campanien sich in dieser ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Epoche zu romanisiren, wovon der fast gänzliche Mangel von Sprachdenkmälern der alten Landesdialecte und das Vorkom- men sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugniss ablegt. Die zahlreichen Einzelassignationen und Co- lonialgründungen in ganz Italien sind nicht bloss militärisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Po- sten des latinischen Stammes. Zwar war die Latinisirung Italiens schwerlich schon damals Ziel der römischen Politik; es ist im Gegentheil viel wahrscheinlicher, dass man den Ge- gensatz gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht hielt und es scheint zum Beispiel die Einführung des Lateini- schen in den officiellen Sprachgebrauch den von Rom ab- hängigen Gemeinden keineswegs unbedingt gestattet gewesen zu sein. Indess konnte es nicht fehlen, dass nicht mit dem latinischen Volke auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunächst das Principat gewann und anfing die übrigen itali- schen Nationalitäten zu untergraben. — Gleichzeitig wurden dieselben angegriffen von einer anderen Seite und mit einem anders begründeten Uebergewicht durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechenthum seiner geistigen Ueberlegenheit über die übrigen Nationen anfing sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ab- legte und sich im Stillen hellenisirte. Es erfolgte dies ähn- lich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Colonisirung, sondern durch Civilisirung, die mit dem tarentinischen Land- handel Hand in Hand gegangen zu sein scheint — wenigstens erklärt es sich bei dieser Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisirung vollständiger durchführten als die Tarent näher wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am frühesten graecisirten Städte, zum Beispiel Arpi nicht an der Küste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen stärkeren Einfluss übte als irgendwo sonst, erklärt sich theils aus seiner Lage, theils aus der ge- ringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, theils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität. Indess einzeln steht diese Erscheinung keineswegs; vielmehr ist schon früher (S. 226) darauf aufmerksam gemacht worden, INNERE VERHAELTNISSE. dass die südlichen sabellischen Stämme, obwohl sie im Verein mit den syrakusanischen Tyrannen zunächst das hellenische Wesen in Grossgriechenland verdarben und knickten, doch zugleich durch die Berührung und Mischung mit den Griechen theils griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, theils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner und ein Theil der Campaner. Sogar das entfernte Etrurien zeigt die Ansätze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerthen dieser Epoche angehörenden Vasenfunden (S. 131), in denen es mit Campanien und Lucanien rivalisirt; und wenn auch Latium und Samnium dem Hellenismus ferner geblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der römischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Münzwesen, in der Religion, ja in der Bildung der Stamm- sage begegnen wir griechischen Spuren; namentlich seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts aber, das heisst seit der Eroberung Campaniens scheint der griechische Einfluss sich in weiteren Kreisen geltend gemacht zu haben. In diese Zeit fällt die Einrichtung der auch sprachlich merkwürdigen Graeco- stasis, einer Tribüne auf dem römischen Markt für die vor- nehmen griechischen Fremden, zunächst die Massalioten (S. 293). Die Jahrbücher weisen schon als Beinamen vornehmer Römer die griechischen Namen Philippos oder römisch Pili- pus, Philo, Sophos, Hypsaeos. Griechische Sitten dringen ein; so der nicht italische Gebrauch Inschriften zur Ehre des Todten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio Consul 456 das älteste uns bekannte Bei- spiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise ohne Staatsbeschluss an öffentlichen Orten Ehrendenkmäler den Vor- fahren zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilder mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfah- ren aufhängte (442); so das Darbringen der Palmzweige bei dem Triumph, das zuerst 461 vorkam. Charakteristisch ist die Errichtung der Bildsäulen des tapfersten und des weisesten Griechen auf dem römischen Markt, die während der sam- nitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon stattfand; man wählte den Pythagoras und den Alkibiades, jener der Heiland, dieser der Hannibal der Westhellenen. Wie verbrei- tet die Kenntniss des Griechischen schon im fünften Jahr- ZWEITES BUCH KAPITEL VIII. hundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Ge- sandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der Römer wenn auch nicht im reinsten Griechisch doch ohne Dollmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Die Wahrheit des Berichts, dass in älteren Zeiten die römischen Vornehmen ihre Kinder in Etrurien erziehen liessen, mag dahingestellt bleiben Es ist sehr die Frage, ob sie nicht zu den zahlreichen Fabeln ge- hört, die die etruskisirenden Archäologen in Umlauf setzten. Wenigstens begreift sich schwer, was die römischen Knaben in Etrurien lernten, denn dass das Studium der tuskischen Sprache damals in Rom die Rolle wie jetzt bei uns das der französischen gespielt hätte, werden doch selbst die eifrig- sten heutigen Bekenner des Tages-Cultus nicht behaupten; und von der etru- skischen Haruspicin etwas zu verstehen galt noch für weit schimpflicher als derselben sich zu bedienen. das aber leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staats- geschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. — So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwärts wie der Römer arbeitete die Erde sich unterthänig zu machen und die kleineren Nationalitäten, wie die samni- tische, keltische, etruskische, verloren von zwei Seiten her bedrängt immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft. Ueber die Entwicklung der Rechtsgrundsätze und der Rechtspflege in der römischen Gemeinde ist wenig zu sagen, da die wesentlichen Grundlagen beibehalten wurden, wie sie in der Königszeit sich festgestellt hatten, die Veränderungen aber mit der Beschränkung der Beamtengewalt und den Stän- dekämpfen eng zusammenhängen und in deren Darstellung schon angedeutet worden sind. Vor allem gehört hierher die Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung der recht- sprechenden Beamten auf den geschriebenen Buchstaben anstatt des schwerer zu ermittelnden Herkommens (S. 303. 304). Dass das wesentlich Neue hiebei eben die Aufzeichnung des Weis- thums war, ward gleichfalls schon bemerkt (S.183); doch leidet es keinen Zweifel, dass nicht wenige Bestimmungen neu waren und den Zweck hatten nützliche Institutionen zu begründen oder Missstände zu heben. Dahin gehören wohl ohne Zweifel die Polizeigesetze, welche die Begräbnissgelage und die Klag- weiber verbieten und der Verschwendung bei Bestattungen in dem Gebrauch von Purpurtüchern, Flötenbläsern und der- gleichen eine Grenze setzten — zugleich merkwürdige Zeugnisse INNERE VERHAELTNISSE. für den hohen Culturstand, den die römische Nation damals schon erreicht hatte. Eben dahin sind verschiedene Bestim- mungen zu rechnen, die den solonischen Gesetzen geradezu nachgebildet sind: die Sicherung des freien Associationsrechts und der Autonomie der so entstandenen Vereine; die Vorschrift über die Grenzstreifen, die das Abpflügen erschwerte; die Mil- derung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer That ertappte Dieb sich fortan lösen konnte durch Leistung des doppelten Ersatzes. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt wurde beschränkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurück- fallen, sondern fortan frei sein solle; woran später durch eine streng genommen dem Geist des römischen Rechts zuwider- laufende Rechtsdeduction die Möglichkeit angeknüpft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn begebe durch Emancipation. Das Schuldrecht ward in ähn- lichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch das poetelische Gesetz gemildert (S. 195). Die freie Bestim- mung endlich über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach ältestem römischem Recht zugestanden hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz den Privattesta- menten dieselbe Kraft beilegte, welche den in den Curien bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. — Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechts- pflegeordnung. In dem Civilverfahren, welches indess nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger began- genen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon früher übliche Theilung des Verfahrens in Feststellung der Rechts- frage vor dem Magistrat ( ius ) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann ( iudicium ) mit Abschaffung des Königthums gesetzliche Vorschrift (S.161); und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logi- sche und praktische Schärfe und Bestimmtheit zu verdanken Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegirte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermuthlich besonders um sich die Scham zu ersparen über die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das bei- . Röm. Gesch. I. 19 ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Ferner ward die im Eigenthumsprozess bisher der unbeding- ten Willkür des Beamten anheimgegebene Entscheidung über den Besitzstand allmählich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem Eigenthums- das Besitzrecht festgestellt, wodurch abermals die Magistratsgewalt einen wichtigen Theil ihrer Macht einbüsste. Gleichzeitig ward das römische Criminal- verfahren geordnet, indem das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten Appellationsinstanz ward. War der Angeklagte vom Beamten verurtheilt und berief sich auf das Volk, so wurde in drei Gemeindeversammlungen die Sache verhandelt, indem der urtheilende Beamte seinen Spruch rechtfertigte und so der Sache nach als öffentlicher Ankläger auftrat; im vierten Termin erst fand die Umfrage ( anquisitio ) statt, indem das Volk das Urtheil bestätigte oder verwarf. Milderung war nicht gestattet. Indem also theils das Crimi- nalurtheil letzter Instanz gefunden ward in denselben Formen und von denselben Organen, die für die Gesetzgebung be- standen, und den Stempel seines Ursprungs aus dem Gnaden- verfahren niemals verleugnete, theils die aus den Ständekäm- pfen hervorgegangene concurrirende Jurisdiction erster Instanz sämmtlicher höherer Magistrate in Criminalprozessen (S. 176) den Mangel einer festen Instructionsbehörde nach sich zog, ward das römische Criminalverfahren vollständig grundsatzlos und zerrüttet und auf gesetzlichem Wege zum Spielball und Werk- zeug der politischen Parteien herabgewürdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar vorzugsweise für eigentliche politische Verbrechen eingeführt, aber doch auch für andere, zum Beispiel Mord und Wucher anwendbar war. Dazu kam die Schwerfälligkeit jenes Ver- spiellos schwankende und unentwickelte römische Criminalrecht könnte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch diejenigen überzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen möchte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allge- meineren staatlichen Verhältnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhängt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des römi- schen Civilrechts hauptsächlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der Kläger und der Beklagte gezwungen wurden vor allen Dingen die Forde- rung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motiviren und zu formuliren; zweitens darin, dass man für die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein ständiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknüpfte. Mit jenem schnitten die Römer die advokatische Rahulisterei, mit diesem die unfähige Gesetzmacherei ab, so weit sich dergleichen ab- schneiden lässt, und versöhnten mit beiden die zwei entgegenstehenden For- derungen, dass das Recht stets fest und dass es stets zeitgemäss sei. INNERE VERHAELTNISSE. fahrens, welche mit verschuldet hat, dass man sich gewöhnte ein summarisches Criminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sclaven und geringe Leute neben jenem förmlichen zu dulden. Auch hier überschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natürlichen Grenzen und führte Institutionen herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben die Römer allmählich von der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwöhnen. Noch weniger sind wir im Stande die Weiterbildung der römischen Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen, die im Allgemeinen einfach festhielt an der einfachen Fröm- migkeit der Ahnen, gleich weit entfernt vom Aber- wie vom Unglauben. Die Beziehungen zum Ausland bestehen fort in der alten Weise. Der delphische Apoll wird beschickt wie es üblich ist bei allen unter dem Einfluss griechischer Cultur stehenden Völkern und erhält nach besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii den Zehnten der Beute (360); ja es wird ihm ein Tempel in der Stadt gebaut (323, er- neuert 401) und ebenso gegen das Ende dieser Periode dem von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach Rom geführten Asklapios oder Acsculap (463). Einzeln wird in schweren Zeitläuften Klage vernommen über das Eindringen ausländischen Aberglaubens, vermuthlich etruskischer Haruspi- cin (so 326); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt ein billiges Einsehen zu thun. In Etrurien dagegen wird, wäh- rend die Nation in politischer Nichtigkeit und träger Opu- lenz stockte und verdarb, der stumpfsinnige Fatalismus, die wüste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettel- prophetenwesen sich allmählich zu jener Höhe entwickelt ha- ben, auf der wir sie später dort finden. — In dem Priester- wesen traten unsers Wissens durchgreifende Veränderungen nicht ein. Unter den üblen Folgen des Ständehaders ist es schon angeführt worden, dass man den Collegien der Sach- verständigen einen grösseren Einfluss einzuräumen begann und sich ihrer bediente um politische Acte zu cassiren (S.190), wo- durch theils der Glaube im Volke erschüttert, theils den Pfaf- fen ein sehr schädlicher Einfluss auf die öffentlichen Geschäfte zugestanden ward. Dass der Ackerbau, namentlich der mittlere Grundbesitz auch in dieser Periode die Grundlage aller politischen und socialen Verhältnisse des römischen Staates blieb, bedarf kei- ner Bemerkung; in dem blühenden Zustand der römischen 19* ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Bauerwirthschaften erkannte Pyrrhos scharfer Blick den Grund des politischen und militärischen Uebergewichts der Römer. Aus den römischen Bauern bestand die Volksversammlung wie das Heer und sie waren es, die in die Colonien geführt mit dem Pfluge sicherten, was sie mit dem Schwert gewonnen hatten. Die Geschichte dieses Standes ist die innere Ge- schichte Roms; es ist schon dargestellt worden, welche ge- fährliche Krisen dessen Verschuldung im dritten und vierten Jahrhundert herbeiführte, bis mit den entscheidenden politi- schen Erfolgen Roms theils die Assignationen, Colonisirungen und Incorporationen den Bauernstand wieder vermehrten, theils das Sinken des Zinsfusses und die steigende städtische Entwick- lung der Hauptstadt dem latinischen Ackerbauer durch billiges Geld und hohe Kornpreise aufhalfen. — Freilich vermehrte neben der ansässigen Bevölkerung sich auch die nichtbe- sitzende und vermuthlich in noch stärkerem Verhältniss. Schon im fünften Jahrhundert waren die Fleischerscharren am Markte den Läden der Geldwechsler gewichen und zog sich zu bei- den Seiten desselben eine Reihe glänzender Kaufhallen hin. Es konnte nicht fehlen, dass in einer Stadt wie Rom auch städtischer Luxus allmählich erblühte und die Zahl der diesem dienstbaren Leute schnell anwuchs; namentlich durch die steigende Zahl der Sclaven, wovon die sehr ernsthafte Sclaven- verschwörung des Jahres 335 Zeugniss giebt, und die dadurch veranlasste Vermehrung der Freigelassenen, die unbequem zu werden anfing, wie man schliessen kann aus der im Jahre 397 auf die Freilassungen gelegten Steuer von 5 Procent des Werthes der Sclaven und aus der Beschränkung der politi- schen Rechte der Freigelassenen durch die Censur des Jahres 450. Nur wenige derselben werden dem Ackerbau sich ge- widmet haben; die grössere Menge betrieb Gewerbe und Han- del in Rom für eigene Rechnung und für die ihrer Patrone, denn regelmässig hatte der Freilasser einen Antheil, oft die Hälfte von dem Gewinn der von ihm entlassenen Leute sich ausbedungen und häufig überdies gab der Patron ihnen Capital in ihr Geschäft; so dass bei den Geschäften des Frei- gelassenen der Patron in nicht viel anderer Weise betheiligt war als bei denen, die der Sclave für Rechnung seines Herrn betrieb. Wenn sich also die städtische und industrielle Be- triebsamkeit vermehrte, so floss doch durch die eigenthümliche Stellung der Sclaven und Freigelassenen ein guter Theil des Gewinns aus dem kleinen Gewerb und Handel in die Kasse INNERE VERHAELTNISSE. der Grossen; und dies in Verbindung mit den vom Staat ins Leben gerufenen Lieferungs- und Unternehmungsgesellschaften war der hauptsächliche Grund, dass neben dem Bauernstande in der römischen Gemeinde niemals eine Klasse unabhängiger Industrieller aufkam. Durch welche Umstände und Manipula- tionen die grossen Grundbesitzer in Rom auch die Capitalher- ren wurden und die Hypothekardarlehen wie den Grosshandel und die Lieferungen und Arbeiten für den Staat in die Hände bekamen, ist schon früher (S.134. 171) bezeichnet worden. Ueber den Verkehr der Völker im Innern und mit dem Ausland fliessen uns die Quellen sehr spärlich. Im Allgemei- nen zeugt von der steigenden Regsamkeit desselben der Ueber- gang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, der in diese Epoche gehört. Während der ersten drei Jahrhunderte der Stadt ward in Italien, abgesehen von den griechischen Colo- nien, eigene Münze nicht geschlagen, mit einziger Ausnahme von Populonia und vielleicht einigen benachbarten tuskischen Städten, die aus dem in ihren Gruben gewonnenen Silber attische Didrachmen prägten; die Latiner und vermuthlich auch die Sabeller betrieben ihren Verkehr hauptsächlich mit- telst des Kupfers, das als allgemein geltende Waare nach dem Gewicht genommen ward. Es lag somit in der Natur der Ver- hältnisse, dass die Mittelitaliker, als sie sich entschlossen nach griechischem Vorbild eine Münze einzuführen, zwar in allem Uebrigen an griechische Muster sich anschlossen, aber statt des Silbers Kupfer zu ihrem Münzmetall erwählten und als Münzeinheit die bisherige Wertheinheit, das Kupferpfund an- nahmen; womit es zusammenhing, dass man die Münzen goss statt sie zu prägen, denn kein Stempel hätte ausgereicht für so grosse und schwere Stücke. Dass man von Anfang an nicht vollwichtig münzte, ist begreiflich, da der Staat nur auf diesem Wege die verhältnissmässig wohl bedeutenden Herstel- lungskosten decken und das Einschmelzen der Landesmünze verhindern konnte. — Geschichtlich bemerkenswerth ist es, dass diese Neuerung in Italien höchst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Decemvirn, die in der solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulirung des Münzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich ver- breitete über eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der überlegenen Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Indess darf dies ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. nicht so verstanden werden, als sei ein und derselbe Münz- fuss in all diesen Städten eingeführt worden; vielmehr ist derselbe durchaus örtlich und so auch wohl das Gebiet einer jeden Münze vorwiegend cantonal gewesen. Trotz dieser localen Verschiedenheiten lassen sich die mittel- und norditalischen Kupfermünzfüsse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher die Münzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behan- delt zu sein scheinen: die Münzen der nördlich vom ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der umbrischen Städte, die Münzen von Rom und Latium und die des östlichen Littorals; letztere finden wir in ein bestimmtes Verhältniss gesetzt zu den Silbermünzen, die im südlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen Ein- wanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Colonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Römer selbst für ihre unteritalischen Besitzungen aneig- neten. Danach wird auch der italische Binnenhandel in die- selben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Völkern; dass in Samnium eine Landesmünze völlig fehlt, ist bezeichnend für die geringere Entwicklung des Verkehrs in diesen Bergdistricten. In der That scheinen die früher sehr engen Handelsverbindungen zwischen Latium und den campanischen Griechen durch die samnitische Einwande- rung in Campanien merklich gestört worden zu sein, wovon eine Spur sein möchte die Weigerung der Samniten in Capua und Cumae in der Hungersnoth von 343 den Römern ferner mit campanischem Getreide auszuhelfen; während andrerseits viel- fache Spuren dahin führen, dass der grossgriechische, nament- lich der tarentinische Handel die ganze Ostküste Italiens be- herrschte. — Als indess gegen das Ende dieser Epoche Italien sich unter römischer Herrschaft vereinigt fand, musste die staatliche Einigung auch jene commerciellen Scheidewände nothwendig beseitigen, während andrerseits die energische Politik der Römer den Unterthanen das Münzrecht unmöglich ferner zugestehen konnte und endlich der Eintritt der römisch- italischen Eidgenossenschaft in das hellenistische Staatensystem dazu nöthigte mit der nationalen auch die mercantile Isolirung aufzugeben. In Folge dessen wurden 485 sämmtliche Münzstät- ten in Italien auf die Prägung von Scheidemünze beschränkt mit Ausnahme der römischen, in dieser aber ein gemeines ita- lisches Courant geschlagen, das beruhte auf dem Gleichgewicht der beiden bisher gangbaren Münzmetalle und dessen Silber- INNERE VERHAELTNISSE. stück zugleich der gangbarsten griechischen Münzeinheit, der attischen Drachme im gemeinen Verkehr gleichgesetzt wer- den konnte, obwohl es um ein Geringes leichter war. Hielt man daneben auch anfangs noch das Kupferstück in der Art fest, dass es dem nominell entsprechenden Silberstück auch reell im Metallwerth gleichkam, so erlangte doch factisch sehr schnell das Silber die Oberhand in ganz Italien und nament- lich in Latium, wo einzelne Städte wie zum Beispiel Signia schon vor 485 einen Versuch gemacht hatten das Silbergeld bei sich einzuführen. Die aus dem Lager des Pyrrhos, aus Samnium und Tarent heimgebrachten Schätze, die reichen Einnahmequellen, welche die Eroberung Italiens geschaffen hatte, machten es möglich das neue Geldstück sofort in grossen Massen zu schlagen; und wie der Sieg über Pyrrhos und Tarent und die römische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmann dieser Zeit zu denken geben mochten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich werden, wenn ihm diese neuen römischen Drach- men in die Hände kamen, deren flaches, unkünstlerisches und einförmiges Gepräge sie von den gleichzeitigen wunderschönen Münzen des Pyrrhos und der Sikelioten nicht minder unter- schied als ihre rechtliche, gleichmässige und gewissenhafte Behandlung in Schrot und Korn. Was den überseeischen Verkehr angelangt, so ist aller Grund anzunehmen, dass die früher (S. 131) bezeichneten sicilisch-lati- nischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Han- delsbeziehungen auch in dieser Epoche fortbestanden. Dass die Einfuhr der Luxuswaaren zunahm, ist erklärlich; einigermassen verfolgen können wir dies an der Einfuhr des gemalten Thon- geschirrs, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sicilien nach Italien kam und in den Gegenden der hel- lenischen Halbcultur, namentlich in Lucanien, Campanien und Etrurien mit barbarischer Verschwendung zur Ausschmückung der Grabkammern verwandt wurde, während die strenge römische Zucht wie das schlichte samnitische Wesen diesen thörichten Luxus nicht bei sich aufkommen liessen. Die Ge- fässe ältesten Stils, die in Italien sich gefunden haben, dürfen in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts der Stadt (Ol. 70-80) gesetzt werden, während die zahlreicheren des stren- gen Stils der ersten, die des vollendet schönen Stils der zwei- ten Hälfte des vierten angehören, und die an Zahl, Pracht und Grösse immer zunehmende Masse der übrigen gewöhn- ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. licher Arbeit im Ganzen dem folgenden Jahrhundert beizulegen sein wird. — Bei der Weise dieser Zeit den Seehandel mit armirten Schiffen zu treiben und der engen Verbindung des Seekrieges oder der Piraterie und des überseeischen Handels hing der letztere wesentlich vom Stand der Kriegsmarine ab. Ganz vernachlässigt ward diese von den Römern zu keiner Zeit; Latium lieferte ihnen zum Schiffbau die schönsten Tan- nen und Fichten, welche die gerühmten unteritalischen weit übertrafen und die Docks in Rom beweisen allein schon, dass man nicht daran dachte die Flotte eingehen zu lassen. In der That ward das Weihgeschenk aus der veientischen Beute auf einem römischen Kriegsschiff nach Delphi gesandt (360); die Griechenstädte, die eintraten in die römische Symmachie (zuerst Neapel 428), zur Stellung von Kriegsschiffen verpflich- tet; im samnitischen Kriege durch Volksschluss eine Flotte gegen Nuceria gerüstet (443); ja eine römische Flotte von 25 Schiffen ging nach Corsica ab um dort eine Stadt zu gründen (vor 446), was indess nicht zur Ausführung kam. Dass die römischen Städte am tyrrhenischen Meer, namentlich Antium (römische Colonie seit 416) ihren Handel mit bewaff- neten Schiffen und also auch gelegentlich das Piratengewerbe betrieben, beweisen die Beschwerden, welche Alexander der Grosse († 431) und Demetrios der Belagerer († 471) über antiatische Seeräuber in Rom geführt haben sollen (S. 253); auch der ‚tyrrhenische Corsar‘ Postumius, den Timoleon um 415 auf- brachte, könnte ein Antiate gewesen sein. Es steht demnach vollkommen fest, dass Rom niemals seinen alten Traditionen (S. 32) untreu geworden ist und niemals so thöricht war bloss Con- tinentalmacht sein zu wollen; wie es denn auch auf die Siche- rung der Küsten und Häfen Italiens die grösste Sorgfalt ver- wandte. Indess war es begreiflich, dass während der schwe- ren und langjährigen Landkriege des vierten und fünften Jahrhunderts die Flotte allmählich verfiel oder doch in ihrer Entwicklung mit der steigenden Macht Roms keineswegs Schritt hielt. Dafür zeugt die Plünderung der latinischen Küste durch eine vermuthlich sicilische Kriegsflotte im Jahre 405 und deutlicher noch der wahrscheinlich 406 Eher 406 als 448, da es nicht wahrscheinlich ist, dass Tyros nach Alexander für sich Staatsverträge abzuschliessen befugt war. abgeschlos- sene zweite Vertrag mit Karthago und Tyros. Durch diesen wurden die römischen Schiffer beschränkt auf die Fahrt nach INNERE VERHAELTNISSE. dem karthagischen Sicilien und nach dem Hafen von Kar- thago selbst, während es ihnen untersagt ward nicht bloss in das östliche Meer zu schiffen, sondern auch Sardinien und die punischen Besitzungen in Spanien zu betreten, welche der erste Vertrag den Römern theils ausdrücklich geöffnet, theils wenigstens nicht geschlossen hatte. Sehr klar erscheint hier die veränderte Lage der Dinge im mittelländischen Meer. Hier rang nach dem Sturz der etruskischen Marine Karthago mit den Syrakusanern um die Herrschaft der See und errang sie trotz der vorübergehenden Erfolge des Dionysios (348- 389), des Agathokles (437-465) und des Pyrrhos (476-478). Die Römer, von den Landkriegen in Anspruch genommen und in ihrer eigenen Heimath von den griechischen Flotten heimgesucht, fügten sich zur See der Suprematie der Karthager und erkannten deren Prohibitivsystem an, indem sie sich von den Productions- plätzen, Spanien und dem Orient ausschliessen liessen und haupt- sächlich nur ihre alte und wichtige Handelsverbindung mit Sici- lien sich bewahrten; es mochte dies der einzige Weg sein zu verhindern, dass nicht wie im Jahre vor dem Abschluss des Ver- trages Latium zugleich von dem gallischen Land- und dem griechi- schen Seeraub heimgesucht ward (S. 216). Mit Massalia bestand daneben das alte enge Freundschaftsverhältniss fort. In ihrem Thesauros in Delphi ward das römische Weihgeschenk nach Veiis Eroberung aufgestellt und nach der gallischen Eroberung ward für die römischen Abgebrannten in Massalia gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging — der römische Senat vergalt dies durch Gewährung von Handelsbegünstigungen und eines Ehrenplatzes neben der Senatorentribüne bei der Feier der Spiele auf dem Markt, der schon erwähnten Graecostasis. — Dass die grossen Erfolge in den italischen Kriegen und namentlich die Besetzung der adriatischen Küste auch die maritime Stellung Roms we- sentlich verändern mussten, versteht sich; der mit Rhodos um 448 geschlossene Vertrag ist dafür ein vereinzelter Beweis. Wie deutlich man in Karthago wie in Rom begriff, welche Fol- gen sich knüpfen mussten an die Unterwerfung der griechischen Städte in Süditalien unter die Herrschaft Roms, beweist schon die geringe Willfährigkeit, die die beiden grossen Städte sich be- zeigten, als der König Pyrrhos sie zu einer Allianz zwang, aber deutlicher noch die Versuche der Karthager sich selber in Rhe- gion oder in Tarent festzusetzen, andrerseits die gleichzeitige Ernennung der römischen Flottenquaestoren und die Besetzung von Brundisium unmittelbar nach der Beendigung des Krieges. ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Den bauenden und bildenden Künsten scheint die gegen- wärtige Epoche minder günstig gewesen zu sein, als die Kö- nigszeit, in der die jugendliche hellenische Kunst ein frisches Volk stetig und übermächtig anregte, und die nachfolgenden Perioden, in denen man die griechischen Kunstwerke erst zu plündern, dann zu schätzen und endlich nachzubilden begann. Der Verfall Grossgriechenlands und Siciliens und die Ver- drängung der griechischen Schiffe vom tyrrhenischen Meer durch Etrusker und Karthager schwächten den griechischen Einfluss überall; aber auch innere Verhältnisse scheinen mit- gewirkt zu haben. In Etrurien mochte der politische und geistige Verfall des Volkes vielleicht zunächst den Luxus der Kunst steigern, aber zugleich was an ihr noch edel war zu Grunde richten. Die früher bezeichnete Richtung der etruski- schen Kunst auf das Imponirende durch Kostbarkeit, Sonder- barkeit oder Grösse, überhaupt die massenhafte und hand- werksmässige Production von Kunstsachen gehört vorzugsweise in diese Epoche, wenn sie auch schon von vorn herein im etruskischen Wesen begründet ist. Wie weit dieselbe ging, be- weist ausser den Gräberfunden zum Beispiel die Angabe, dass in Volsinii, dem tuskischen Delphi, zweitausend eherne Sta- tuen aufgestellt waren. Dass der Geist aus der Kunst ent- wichen war, beweist das strenge Festhalten des einmal über- lieferten Stils in den älteren Kunstzweigen und die elende Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bild- hauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf die Münzen. Nicht minder charakteristisch ist die massen- hafte Einführung der gemalten Gefässe aus Attika neben den ganz einzelnen durchaus misslungenen Versuchen sie nachzu- machen. Es ist kaum zu bezweifeln, dass wenn diese Sitte in Etrurien im ersten Jahrhundert und nicht im dritten auf- gekommen wäre, man es wenigstens zu einer leidlichen Nach- bildung gebracht haben würde ähnlich wie im Erzguss und in der Zeichnung auf Metall; jetzt aber fand man es bequemer zu kaufen als zu formen, passiv aufzunehmen statt selbstthätig zu reproduciren. Dass auch die Abtrennung der südlichen Städte, in denen die Kunst wohl ihre geschicktesten Vertreter gefunden hatte, von dem mehr barbarischen Norden und die zeitige Romanisirung der Gegend von Caere und Veii hiebei wesentlich mitgewirkt hat, ist nicht zu bezweifeln. — Was den sabellischen Stamm anlangt, so haben diejenigen seiner Zweige, die mit den Griechen in die engste Verbindung tra- INNERE VERHAELTNISSE. ten, im Wesentlichen die hellenische Kunst bei sich adoptirt; was in Campanien und im Brettierlande gefertigt ist, steht regelmässig im Niveau der gleichzeitigen griechischen Arbeiten. Geringer hat der Einfluss hellenischer Kunst die Lucaner er- griffen und bei den Samniten finden wir nirgends ihre Spuren. — Dass in Latium die griechische Kunst, wenn auch in be- schränktem Umfang, doch mit Geist und Frische gepflegt ward und vorzügliche Kunstwerke, die capitolinische Wölfin von Erz, die ficoronische Cista, die bemalten Thonbildwerke, die der Lehrer des Zeuxis für Rom arbeitete, die gefeierten ardeati- schen Gemälde in dieser Epoche hier entstanden, ward schon bei der vorigen berührt (S. 153). Rom indess scheint, wenig- stens nach den Assen zu schliessen, in dieser Hinsicht von andern latinischen Städten weit übertroffen worden zu sein; und überall war wohl daselbst die Königszeit, namentlich die Epoche der grossen Eroberungen, der Kunst günstiger als die ersten zwei Jahrhunderte der Republik. Den sparsamen Vätern der Stadt wie den schanzenden Bürgern werden Luxusbauten wie die Tempel auf dem Capitol und Aventin und der grosse Circus vermuthlich ein Gräuel gewesen sein und es ist be- merkenswerth, dass das bedeutendste Bauwerk der republika- nischen Zeit vor den Samnitenkriegen, der Cerestempel am Circus, ein Muster des nationalen oder sogenannten tuscani- schen Stils, herrührt von Spurius Cassius (261), der in mehr als einer Hinsicht in die Traditionen der Königszeit wieder einlenkte. — Erst mit der entschiedenen Herrschaft über Ita- lien und dem glänzenden Zustand der römischen Finanzen änderten sich auch hierin die Dinge. Es begann jenes gross- artige System öffentlicher Bauten zu gemeinnützigen Zwecken, namentlich der Wasserleitungen in der Stadt, der Militär- strassen auf der Halbinsel. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Censur (442) das veraltete Bauern- system des Sparschatzsammelns bei Seite warf und seine Mit- bürger die öffentlichen Mittel in würdiger Weise gebrauchen lehrte. Ihm verdankt Rom die erste Wasserleitung, Italien die erste grosse Chaussee. Bald folgten ähnliche Anlagen in gleichem Sinn. Erwähnung verdient die Entwässerung des Thals von Rieti, indem dem Velino, wo er oberhalb Terni sich in die Nera stürzt, das breitere Bett geöffnet ward, durch das er heute noch fliesst; ein Werk des Manius Curius, der nach der Besiegung der Sabiner (464) in jenem schönen Thal eine Ansiedlung armer Bürger begründete. In der That, solche ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Werke rechtfertigten die Siege und verdunkelten in den Au- gen auch verständiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen Tempel. Nun fing auch die neue Hauptstadt Ita- liens an sich mit Kunstwerken zu schmücken; die Bildsäulen der gefeierten Männer der Vorzeit, der Könige, der Helden der frühesten republikanischen Zeit, des griechischen Doll- metsch der solonischen Gesetze wurden auf dem Markte aufge- stellt; das kolossale Erzbild des Jupiter, das Spurius Carvilius aus der samnitischen Beute gegossen, sah man bis vom alba- nischen Berge; die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 dedicirten Tempel der Salus auf dem Quirinal ausführte, erwarben in Zeichnung und Färbung noch das Lob der Kunst- richter der augusteischen Zeit. Die Strassen wurden verziert mit den besten Stücken der Beute; Volsinii — so wollte man wissen — sei der Krieg gemacht worden seiner Erzbilder wegen. Das Plündern der Tempel indess ging erst in späterer Zeit an. Dass die Künstler und die Käufer begannen sich aus Campanien, ja vielleicht schon aus weiterer Ferne nach Latium und Rom zu ziehen, ist natürlich; ein einzelner Be- weis ist die ficoronische Cista, die von einem vermuthlich cam- panischen Künstler des fünften Jahrhunderts in Rom verfer- tigt und nach Praeneste verkauft ward. Ueber den Fortschritt, den die Sprache von den Tar- quiniern bis auf die Zeit des Pyrrhoskrieges gemacht hat, ist es fast vermessen zu reden, da es uns, abgesehen von den stark modernisirten Bruchstücken der Zwölftafeln und einigen kleinen Ueberresten aus dem fünften Jahrhundert, an allen Documenten aus dieser Periode fehlt. Was wir haben, zeigt viel grössere Unterschiede von dem Arvalliede als von den Denkmälern der folgenden Zeit und es mag wohl übertrieben sein, wenn erzählt wird, dass die römischen Gelehrten im Anfang des siebenten Jahrhunderts Mühe hatten Urkunden des dritten zu verstehen; ausser einer Anzahl veralteter Wör- ter und schroffer Verbindungen, namentlich mittelst Weglas- sung des unbestimmten Subjects, stossen wir auf wesentliche Schwierigkeiten nicht. Bemerkenswerth ist, dass im Laufe des fünften Jahrhunderts eine Reaction im römischen Lautsystem sich geltend macht, indem der verlorene g -Laut wieder her- gestellt wird, o und u , die zusammenzufallen drohten, wieder schärfer geschieden werden; gleichzeitig tritt vielfältig r an die Stelle von s . Diese Aenderungen stehen zum Theil wenig- stens in Zusammenhang mit der steigenden von Griechenland INNERE VERHAELTNISSE. bestimmten Civilisation, die wieder dringt auf weichere und mannichfaltigere Laute. — Eher noch lässt sich einiges er- kennen über die Anfänge der Wissenschaft und der Litteratur. Zwar in den exacten Wissenschaften haben es die Römer nie weit gebracht; selbst in dem Theil des Militärwesens, der mathematische Kenntnisse voraussetzt, wie in der Befestigung, dem Festungskrieg, dem Maschinenbau, ja sogar im Schlagen des Lagers sind die Römer durchaus Schüler der Griechen gewesen und geblieben; das kunstmässige Lagerabstecken lernten sie zunächst von ihrem grossen Gegner Pyrrhos. Die Unfähigkeit der Römer auf diesem Gebiet zeigt sich in der Regulirung des Kalenders, die die Decemvirn versuchten. Sie wollten den damaligen attischen vormetonischen Kalender, der auf der Gleichsetzung von 99 Mondmonaten (zu 29 Tagen 12 Stunden) und 8 Sonnenjahren (zu 365 Tagen 6 Stunden) beruhte und in acht Jahren 90 Tage einschaltete, bei sich einführen und hiessen jedes andere Jahr einen Monat abwech- selnd von 22 und 23 Tagen einschalten; allein man setzte aus irgend einem Versehen den Mondmonat um zwei Stun- den länger an, wodurch natürlich der Kalender bald in die ärgste Verwirrung gerieth und man genöthigt war gelegentlich einen Schaltmonat ausfallen zu lassen. Die Theilung des Tages nach Stunden blieb den Römern unbekannt bis auf den An- fang der folgenden Periode (491), wo eine für Sicilien be- stimmte Sonnenuhr auf dem römischen Markt aufgestellt ward und der griechische Name ( hora ) den Römern geläufig zu werden anfing; bis dahin richtete man sich nach dem Stande der Sonne. — Bedeutendere und eigenthümlichere Leistungen begegnen uns auf anderen geistigen Gebieten, namentlich auf dem der Rechtswissenschaft und der Geschichte. Das von den Zehnmännern aufgezeichnete Stadtrecht ist wohl das älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten königlichen Gesetze sein, das heisst gewisser vorzugsweise sacraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahr- scheinlich von dem Collegium der Pontifices, das selbst zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ueberhaupt sind vermuthlich schon seit dem Anfang dieser Periode die wichtigeren Gesetze und öffentlichen Beschlüsse regelmässig schriftlich verzeichnet wor- den; wozu den Anstoss wohl die Bestellung einer Privilegien- ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. lage der Gemeinde unter Hut der Aedilen gab (260; S. 175). Damit bildete sich der eigenthümliche römische Curialstil, der der heutigen englischen Gerichtssprache gleicht an langathmigen Perioden, endloser Aufzählung der Einzelheiten und feststehen- den Formeln und Wendungen und sich dem Eingeweihten durch Schärfe und Bestimmtheit empfiehlt, während der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger nichts verstehend zuhört. — Während also die Masse der geschriebenen Gesetze und Urkunden sich mehrte, stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den jährlich wechselnden Beamten als den aus der Menge herausgegriffenen Geschwornen war es Be- dürfniss an Gewährsmänner ( auctores ) sich wenden zu kön- nen, welche den Rechtsgang kannten und nach Präcedentien oder in deren Ermangelung nach Gründen eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es ge- wohnt waren sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Götterverehrung bezüglichen Bedenken und Rechtsacte vom Volke angegangen zu werden, gaben auch in anderen Rechtspuncten auf Verlangen Rathschläge und Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Collegiums die Tradition, die dem römischen Privatrecht zu Grunde liegt, vor allem die Formeln der rechten Klage für jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde vom Censor Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekannt gemacht. Indess dieser Versuch eine ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu formuliren steht für lange Zeit gänzlich vereinzelt da. Dass die Kunde des Rech- tes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsämtern zu gelangen, ist be- greiflich, wenn auch die Erzählung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus (Consul 449) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Consul 473) ihre Ehrenämter der Rechtskenntniss verdankten, wohl eher Muthmassung Späterer ist als Ueberlieferung. — Die Anfänge einer gleichzeitigen Geschichtschreibung gehen vermuthlich zurück auf die Beseitigung der lebenslänglichen Regenten; seit diese jährlich wechselten, wird man ein Jahrbuch ( liber annalis ) gehabt haben, das zunächst Magistratsverzeichniss war, aber allmählich auch andere Notizen aufnehmen musste und dessen Führung natürlich den Mass- und Schriftgelehrten, INNERE VERHAELTNISSE. das heisst den Pontifices oblag. Dass die auf uns gekomme- nen Fasten wohl lückenhaft und interpolirt sind, aber vom Anfang dieser Periode an im Kerne ächt, lässt sich nicht be- zweifeln; und von einzelnen Notizen kann dasselbe gelten. Allein dass eine regelmässige Aufzeichnung der Jahresbegeben- heiten erst viel später begonnen hat, oder wenn sie früher begonnen hat, im gallischen Brande untergegangen ist, zeigen vielfache Spuren; so wissen wir, dass die älteste in der Stadt- chronik nach Beobachtung angegebene Sonnenfinsterniss die ist vom Jahre 350 kurz vor dem gallischen Brande, dass die gesühnten Prodigien sich erst seit Pyrrhos Zeit regelmässig verzeichnet finden, und dass die Censuszahlen erst seit dem Anfang des fünften Jahrhundert anfangen glaublich zu lauten (S. 72. 282). Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Schosse des Collegiums, dem die Führung des Jahrbuchs oder der Stadtchronik oblag, ein Menschenalter etwa nach dem galli- schen Brande ein Versuch gemacht worden ist die zu Anfang fehlende Geschichte der Königszeit wieder herzustellen und den dürftigen Notizen aus den ersten Zeiten der Republik eine tapfere Verbesserung angedeihen zu lassen. Wie man dabei verfuhr, vermögen wir natürlich nicht zu bestimmen. Familiensagen der adlichen Geschlechter und Historisirung der Anfänge alter Volksinstitutionen lieferten wohl einen Theil des Materials, wie zum Beispiel die Fabiergeschichten öfters er- scheinen und die schöne Erzählung von den Horatiern und Curiatiern die Entstehung der Provocation zu veranschaulichen bestimmt ist. Küstererzählungen nach Art derjenigen, aus denen die Mirabilia Urbis erwuchsen, erkennt man in den Geschichtchen vom heiligen Feigenbaum und andern, die an bestimmte Plätze und Reliquien anknüpfen. Bemerkenswerth ist das Bestreben den Ursprung der Stadt an den troischen Kreis, den der Staatsverfassung an die pythagoreische Ur- weisheit anzulehnen; jene hat der an der latinischen Küste weit früher localisirten Odysseussage die vom Aeneas substituirt, diese die ächt nationalen Gestalten des Königs Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung eines politisirenden und philosophirenden Ausländers getrübt. Diese hellenisirende Tendenz der conventionellen Urgeschichte Roms macht es wahrscheinlich, dass sie nicht vor der zweiten Hälfte des vier- ten Jahrhunderts entstanden ist; jünger ist sie indess auch nicht, denn schon Timaeos (402 - 498) ward die römische Nostensage in Latium ungefähr ebenso berichtet wie wir sie ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. kennen und die erste nachweisliche diplomatische Berührung zwischen Rom und dem griechischen Osten ist die Verwen- dung des Senats für die stammverwandten Ilier (472). — Von einer Litteratur ausser derjenigen, die in den Gesetz- urkunden und der Stadtchronik enthalten ist, lässt sich kaum reden. Dass in einem Staat wie der römische war die Kunst der Rede früh grosses Gewicht erlangte, ist natürlich; die Sitte den Verstorbenen bei der Bestattung Gedächtnissreden zu halten geht weit zurück, und an italienischer Vehemenz und Eloquenz wird es dabei nicht gefehlt haben. Loblieder auf berühmte Männer wurden wohl bei Schmäusen zur Flöte recitirt, ebenso Todtenklagen am Sterbebett und Festlieder bei Processionen; aber von dem freiwillig und ungeboten her- vorsprudelnden Liederquell, wie ihn die Griechen und die Deutschen besitzen, findet sich keine Spur weder im alten noch im neuen Rom. Nur Spottlieder gedeihen, so dass die zwölf Tafeln ein Verbot aufnahmen gegen das Absingen solcher vor den Thüren der Beikommenden, und ebenso die improvisirte Charakterkomödie, deren schon gedacht ward (S. 148). Die Büh- nenspiele, welche in Rom zuerst 390 und seitdem oft von etruskischen Schauspielern gegeben wurden, waren Tänze zur Flöte ohne Dialog, also wohl eine Art Ballet, dessen Erfindung für die Richtung des etruskischen Wesens bezeichnend ist. — Von den Werken dieser grossen Zeit ist in Thaten und Gründungen viel auf die Nachwelt gekommen; Aufzeichnungen sind in ihr wenige entstanden und so gut wie nichts ist uns übrig geblieben; nichts aber, das ehrwürdiger und zugleich charakteristischer wäre als die Grabschrift des Lucius Scipio, der im Jahre 456 Consul war und mitfocht in der entschei- denden Schlacht von Sentinum (S. 248). Wir lesen auf dem schönen Sarkophag in edlem dorischem Stil, der noch vor acht- zig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloss: Cornéliús Lucius — Scipió Barbátus Gnaivód patré prognálus — fórlis vir sapiénsque Quoiús fórma virtu — lei parisuma fúit Consól censór aidilis — quei fuit apúd vos Taurásiá Cisaúna — Sámnió cépit Subigit omné Loucánam — ópsidésque abdoúcit. ⏑ -́ ⏑ -́ ⏑ -́ ⏓ ‖ -́ ⏑ -́ ⏑ -́ ⏑ Cornelius Lucius — Scipio Barbatus Des Vaters Gnaevus Sohn, ein — Mann von Kraft und Weisheit, Dess Wohlgestalt war seiner — Tugend angemessen, INNERE VERHAELTNISSE. Der Consul, Censor war bei — euch wie auch Aedilis Taurasia, Cisauna, — Samnium bezwang er, Nimmt ganz Lucanien ein und — führet weg die Geisseln Wie wenig noch in dieser Zeit auf die Einzelheiten in den römi- schen Annalen gegeben werden kann, zeigt die Vergleichung ihrer Erzählung mit dieser Inschrift. Nach jener führt Lucius Scipio den Krieg in Etrurien, sein College in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom. . Die Grabschrift des adlichen und tüchtigen, schönen und klu- gen Mannes mag uns wohl gelten für die ganze Reihe von Staatsmännern und Kriegern, die mitgebaut haben an der Grösse des römischen Staats. Es ist wohl nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass sie alle so gleichartig erscheinen und ein bestimmtes individuelles Bild uns nirgends entgegentritt — die einzige Ausnahme ist der wunderbare Appius Claudius, der im Staat die Schranken der Ansässigkeit als der unerläss- lichen Qualification des vollen Staatsbürgerrechts zersprengt, der das alte Finanzsystem bricht, von dem die römischen Wasserleitungen und Chausseen, die römische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik datiren — seines Klagspie- gels ist schon gedacht, aber auch aufgezeichnete Reden, pytha- goreische Sprüche, Veränderungen in der Orthographie wer- den ihm beigelegt —, der als Mann den Gesetzen und Ge- bräuchen in seiner Amtsführung und seinem Lebenswandel keck und ungezogen entgegentritt als wäre er ein Athener, und dann sein öffentliches Leben damit beschliesst, dass er als blinder Greis den Pyrrhos im Senat überwindet und Roms vollendete Herrschaft über Italien zuerst förmlich und feier- lich in der entscheidenden Stunde ausspricht. Aber den ge- nialen Mann blendeten die Götter wegen seiner vorzeitigen Weisheit. Es ist nicht nöthig und nicht wünschenswerth, dass ein Bürger die übrigen verdunkle; weder durch reicheres Silbergeräth als das einzige Salzfass ist, das auf dem Tische jedes guten Bürgerhauses sich findet, noch durch künst- lichen Erzbeschlag der Hausthür, noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen straft der Censor; und für diese ist kein Raum in der Verfassung. Diese Zeit gehört nicht dem Einzelnen an; die Bürger müssen sich alle gleichen, damit jeder einem König gleich sei. Es ist der eine unbewegliche politische Gedanke, der sie beherrscht, von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzend im Senat, bei dessen Verhandlungen die Söhne vornehmer Familien schon als Knaben hinzugezogen werden, um sogleich in die grossen Röm. Gesch. I. 20 ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. leitenden Ideen sich hineinzuleben, die sie einst auf den Stühlen ihrer Väter und Ahnen zu vertreten bestimmt sind. Also ward Italien der römischen Bürgerschaft unterthan. Aber auch der Nike folgt ihre Nemesis. Rom kommt es auf keinen Menschen an, weder auf den Soldaten noch auf den Consul, und die Eigenartigkeit des menschlichen Wesens wird erdrückt in dieser starren Gemeinschaft. Rom ist gross geworden wie kein anderer Staat, aber es hat seine Grösse theuer bezahlt mit der Aufopferung der anmuthigen Mannichfaltigkeit, der bequemen Lässlichkeit, der innerlichen Freiheit des helleni- schen Lebens. DRITTES BUCH . Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten. arduum res gestas scribere. Sallustius. 20* KAPITEL I. Karthago . Der Völker- und Culturkreis des semitischen Stammes ist ein wesentlich anderer als derjenige, dem die Römer und Griechen angehören. Der Schwerpunct liegt für jene im Osten, für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wande- rung die Grenze verschoben und die Stämme durch einander warfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den aramaei- schen, arabischen, israelitischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgend ein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikiern oder Puniern. Ihre Heimath ist der schmale Küstenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Chanaan, oder das Dattelpalmenland, das heisst Phoenike. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der Reichthum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche mittellän- dische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Muth, Scharfsinn und Begeisterung vermögen, haben die Phoenikier aufgeboten um dem Handel und was daraus folgt, der Schifffahrt, Fabrica- tion, Colonisirung die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden wir sie in Cypern und Aegypten, in Griechenland und Sicilien, DRITTES BUCH. KAPITEL I. in Africa und Spanien, ja sogar auf dem atlantischen Meer und der Nordsee; durch ihre Hände gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, das Elfenbein und die Löwenfelle aus dem inneren Africa, der arabische Weih- rauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Thongeschirr und edle Weine, das cyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag und überall kommen sie herum, um doch immer wieder zurückzukehren zu der engen Heimath, an der ihr Herz hängt. Die Phoenikier haben wohl ein Recht in der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewährt es sich, dass das Alterthum die Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Ihre religiösen Vor- stellungen sind formlos und unschön und ihr Gottesdienst schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu wecken als zu bändigen bestimmt. In der Kunst sind sie, so weit wir sehen, nicht einmal den Italikern, geschweige denn den Griechen ebenbürtig und selbst in der Wissenschaft scheinen sie mehr das praktisch Brauchbare aufgenommen und verarbeitet, als schöpferisch sie weiter gebildet zu haben — entlehnten sie doch allem Anschein nach die Lautschrift von Aegypten, Mass und Gewicht von Babylon und eben daher die Anregungen zu ihrer kunstreichen Industrie. Manchen wichtigen Keim der Civilisation haben sie mit ihren Waaren vertrieben; aber die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich be- rührten, zu civilisiren und sich zu assimiliren, wie sie die Hellenen, auch die Italiker besitzen, fehlt gänzlich den Pu- niern. Selbst der staatsbildende Trieb ist in ihr Gemüth nicht so gepflanzt, wie er überall bei den Indogermanen uns begegnet. Während der höchsten Blüthe von Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den Assyriern, bald den Aegyptern unterthan. Mit der halben Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Männer berechneten, dass die Sperrung der Karavanenstrassen nach dem Osten oder der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme als der schwerste Tribut und zahlten darum prompt ihre Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren KARTHAGO. Schiffen die Schlachten der Könige mit. — Wie die Phoe- nikier daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch draussen keineswegs geneigt die friedlichen Bahnen der kaufmännischen mit der Eroberungspolitik zu vertauschen. Ihre Colonien sind Factoreien; es liegt ihnen mehr daran den Eingebornen Waaren abzunehmen und zu bringen als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Colonisi- rung durchzuführen. Selbst mit ihren Concurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem öst- lichen Sicilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrän- gen und in den grossen Seeschlachten, die in früher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217) und Kyme (282) sind es die Etrusker, nicht die Phoenikier, die die Schwere des Kampfes gegen die Grie- chen tragen. Ist die Concurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikiern ein Versuch gemacht worden Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phoeni- kier zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der ältern Zeit offensiv auf dem Kampfplatz erscheinen, in der grossen sicilischen Expedition der africanischen Phoenikier, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274), sind sie nur als gehorsame Unter- thanen des Grosskönigs und um der Theilnahme an dem Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellenen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der That in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen. — Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den Phoenikiern zu finden waren, haben sie oft bewie- sen. Es ist der Mangel an Bürgersinn, der bei dem lebendig- sten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoenikier bezeich- net. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht nach der Herrschaft; ‚ruhig lebten sie, sagt das Buch der Richter, nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemuth und im Besitz von Reichthum‘. Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen ge- DRITTES BUCH. KAPITEL I. gründeten, in welche Gegenden weder der Arm des Gross- königs noch die gefährliche Rivalität der griechischen See- fahrer reichte, die Eingebornen aber den Fremdlingen gegen- überstanden wie in America die Indianer den Europäern. Unter den zahlreichen und blühenden phoenikischen Städten an diesen Gestaden ragte vor allen hervor die ‚Neustadt‘, Karthada oder, wie die Occidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die früheste Niederlassung der Phoe- nikier in dieser Gegend und ursprünglich vielleicht schutzbe- fohlene Stadt des nahen Utica, der ältesten Phoenikierstadt in Libyen, überflügelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimath selbst durch die unvergleichlich günstige Lage und die rege Thätigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Mündung des Bagradas (Medscherda), der die reichste Getrei- delandschaft Nordafricas durchströmt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhäusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwäldern bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite als meer- umflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von Nordafrica, des Golfes von Tunis, da wo dies schöne Bassin den besten Ankergrund für grosse Schiffe und hart am Strande das trefflichste Quellwasser darbietet, ist dieser Platz für Ackerbau und Handel und die Vermittlung beider so gün- stig gelegen, dass nicht bloss die erste phoenikische Kaufstadt daselbst entstand, sondern auch in der römischen Zeit Kar- thago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiser- reiches wurde und noch heute unter nicht günstigen Verhält- nissen dort eine blühende Stadt von hundertundfunfzigtausend Einwohnern besteht. Die agricole, mercantile, industrielle Blüthe einer Stadt in solcher Lage und mit solchen Bewoh- nern ist begreiflich; eher fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen Machtent- wicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seinen Charakter auch in Karthago nicht verleugnete, dafür fehlt es keineswegs an Be- weisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Blüthe hinab für den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berbern, den Stamm der Maxitaner oder Maziken; und obwohl das Meer und die Wüste die Stadt hin- reichend schützten vor jedem Angriff der östlichen Mächte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskönigs wenn KARTHAGO. auch nur dem Namen nach anerkannt zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. — Aber bei allem guten Willen sich zu fügen und zu schmie- gen traten doch Verhältnisse ein, die diese Phoenikier in eine energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoenikier schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte in Sici- lien, in Spanien, ja in Libyen selbst das Gleiche zu thun, mussten die Phoenikier doch irgendwo Stand halten, wenn sie nicht gänzlich sich wollten vernichten lassen; hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskönig zu thun hatten, genügte es nicht sich zu unterwerfen um gegen Schoss und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet; schon das ganze östliche Sicilien in den Händen der Grie- chen; es war für die Phoenikier die höchste Zeit zu ernst- l i cher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordrängen der Kyenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich jenseit der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit kartha- gisch e r Hülfe erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf de r westlichen Spitze Siciliens sich der Griechen und be- gaben s ich gern und freiwillig in die Clientel der mächtigsten punisch en Stadt des Westens. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweit e Jahrhundert der Stadt fallen und die den südwest- lichen Th eil des Mittelmeers den Phoenikiern retteten, gaben der Stadt, d ie sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation u nd zugleich eine veränderte politische Stellung. Karthago wa r nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Her s chaft über Libyen und über einen Theil des Mittelmeers, w eil sie es musste. Wesentlich trug wahrschein- lich bei zu die sen Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei, die in Griechenla nd etwa um die Mitte des vierten Jahrhun- derts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei de n Karern weit älter ist und vielleicht eben bei den Phoenikiern b egann. Durch das ausländische Werb- system ward der Kri eg zu einer grossartigen Geldspeculation, die eben recht im Sin ne des phoenikischen Wesens ist. Fassen wir zuerst die neue Stellung ins Auge, die Kar- thago in Africa einzuneh me n sich anschickte, indem man an- fing auszugehen auf Grun db esitz und Herrschaft. Die kartha- DRITTES BUCH. KAPITEL I. gischen Kaufleute entledigten sich des Bodenzinses, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten müssen, was wie es scheint erst um das Jahr 300 Roms durchgesetzt ward. Dadurch ward eine eigene Ackerwirthschaft möglich. Von jeher hatten die Phoenikier es sich angelegen sein lassen ihre Capi- talien auch in Grundbesitz anzulegen und den Feldbau in grossem Massstab zu betreiben durch Sclaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein grosser Theil der Israeliten in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn dienstbar war. Jetzt konn- ten die Karthager unbeschränkt den reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der Plantagenbesitzer verwandt ist; gefesselte Sclaven bestellten das Land — wir finden, dass einzelne Bürger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging weiter. Die ackerbauenden Dörfer der Umgegend — der Ackerbau scheint bei den Libyern sehr früh und wahr- scheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung, vermuth- lich von Aegypten aus, eingeführt zu sein — wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Thei l der Bodenfrüchte als Tribut entrichteten und zur Bildu n g eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmässigen R e- krutirungssystem unterworfen wurden. Mit den schweife en Hirtenstämmen (νόμαδες) an den Grenzen währten die F eh den beständig; indess sicherte eine verschanzte Postenket te das befriedete Gebiet und langsam wurden jene zurückgedr än gt in die Wüsten und Berge oder gezwungen die karthagisc he Ober- herrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzu zu stel- len. Um die Zeit des ersten punischen Krieges w ard ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den Quelle n des Med- scherda) von den Karthagern erobert. Dies sin d , die Städte und Stämme (ἕϑνη) der Unterthanen‘, die in de n karthagi- schen Staatsverträgen erscheinen; jenes die unf rei en libyschen Dörfer, dieses die unterthänigen Nomaden. — Hiezu kam endlich die Herrschaft Karthagos über die ü bri gen Phoenikier in Africa oder die sogenannten Libyphoeniki er zu denen theils die von Karthago aus an die ganze afric ani sche Nord- und einen Theil der Nordwestküste geführten kle in eren Ansiedlungen gehörten, die nicht unbedeutend gewese n s ein können, da auf einmal 30000 solcher Colonisten allein am atlantischen Meer angesiedelt wurden, theils die beson der s an der Küste der heutigen Provinz Constantine und de eylik von Tunis zahl- reich begründeten altphoenikischen Nie derlassungen, zum Bei- KARTHAGO. spiel Hippo, später regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Kleinleptis (südlich von Susa) — die zweite Stadt der africanischen Phoenikier —, Thapsos (ebendaselbst), Grossleptis (bei Tripoli). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Städte unter karthagische Botmässigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber ist, dass sie als Unterthanen der Karthager selbst in officiellen Actenstücken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen müssen und Steuer und Zuzug nach Kar- thago zu leisten hatten. Indess waren sie nicht der Rekruti- rung noch der Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Kleinleptis zum Beispiel jährlich die ungeheure Summe von 365 Talenten (547500 Thlr. preussisch); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten also zum Beispiel mit ihnen in gleiche Ehe treten Die schärfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu den Uticensern, andrerseits zu den libyschen Unterthanen heissen: οί Καϱχηδονίων ὕπαϱχοι ὅσοι τοῖς αὐτοῖς νόμοις χϱῶνται; sonst heissen sie auch Bundes- (συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Städte (Liv. 34, 62. Iustin. 22, 7. 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwähnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus den ‚gleichen Gesetzen‘. Dass die altphoenikischen Colonien zu den Libyphoenikiern gehören, beweist die Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); andrerseits heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegründeten Ansied- lungen zum Beispiel im Periplus des Hanno: ‚Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseit der Säulen des Herkules schiffe und Städte der Liby- phoenikier gründe‘. Im Wesentlichen bezeichnen die Libyphoenikier bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten Phoenikier bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in der That wenigstens bei der Anlage sehr expo- nirter Colonien den Phoenikiern häufig Libyer beigegeben wurden (Diodoros 13, 79). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhältniss zwischen den römischen Latinern und den karthagischen Libyphoenikiern ist unverkennbar. . Einzig Utica hatte seine Mauern und seine Selbst- ständigkeit bewahrt, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietät der Karthager gegen ihre alten Beschützer; wie denn die Phoenikier für solche Verhältnisse eine merkwürdige von der griechischen Gleichgültigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im auswärtigen Verkehr sind es stets ‚Karthago und Utica‘, die zusammen festsetzen und ver- sprechen; was natürlich nicht ausschliesst, dass die weit wich- tigere Neustadt der That nach auch über Utica die Hegemonie DRITTES BUCH. KAPITEL I. behauptete. — So ward aus der tyrischen Factorei die Haupt- stadt eines mächtigen nordafricanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wüste sich erstreckte bis zum atlantischen Meer, im westlichen Theil (Marocco und Algier) zwar mit zum Theil oberflächlicher Besetzung der Küstensäume sich begnü- gend, aber in dem reicheren östlichen, den heutigen Districten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland beherr- schend und seine Grenze beständig weiter gegen Süden vor- schiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoeni- kische Civilisation herrschte in Libyen ähnlich wie in Klein- asien und Syrien die griechische nach den Zügen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Höfen der Nomadenscheiks ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die civilisirteren einheimischen Stämme nahmen für ihre Sprache das phoenikische Alphabet an Wenn die Behauptung gegründet ist, dass das libysche Alphabet zum Theil ältere Buchstabenformen aufweist als das phoenikische, so folgt daraus nicht, dass die Libyer die Schrift von älteren Einwanderern erhielten, son- dern nur, dass die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer älteren Periode desselben angehört als die ist, in der die auf uns gekommenen Denkmäler der phoenikischen Sprache geschrieben wurden. . Sie vollständig zu phoenikisiren lag indess weder im Geiste der Nation noch in der Politik Karthagos. — Die Epoche, in der diese Umwand- lung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen stattgefunden hat, lässt sich um so weniger bestimmen, als die Veränderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwähnte Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen Durchführung vermuthlich das vierte und fünfte Jahrhundert Roms ausgefüllt hat. — Zu allem die- sem kam endlich das Sinken der grossen phoenikischen Städte in der Heimath, von Sidon und besonders von Tyros, dessen Blüthe theils in Folge innerer Bewegungen, theils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fünften Jahrhundert Roms zu Grunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten grossentheils über nach der gesicherten und blühenden Tochter- stadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre Capitalien und ihre Traditionen. Als die Phoenikier mit Rom in Be- KARTHAGO. rührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste punische Stadt, wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte der karthagischen Macht; ihre See- und Colonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt. — In Spanien war der Hauptplatz der Phoenikier die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie eine Kette von Factoreien westlich und östlich davon und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Küste davon inne hatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht; man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschel- fang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwoh- nenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoe- nikier thatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingebornen gesandte Hülfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. — Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit besetzt, theils der Fischereien wegen, theils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kämpfe geführt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sar- dinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Während die Eingebornen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldscla- verei entzogen wie die Numidier in Africa an dem Saum der Wüste, wurden nach Caralis (Cagliari) und andern wichtigen Puncten phoenikische Colonien geführt und die fruchtbaren Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauer ver- werthet. — In Sicilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die grössere westliche Hälfte der Insel in früher Zeit den Griechen in die Hände gefallen; allein die Phoenikier behaup- teten sich mit Hülfe der Karthager theils auf den kleineren In- seln in der Nähe, den Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend war, auf der sicilischen Ost- und theils Nordostküste, wo sie von DRITTES BUCH. KAPITEL I. Motye, später von Lilybaeon aus die Verbindung mit Africa, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der eingebornen Elymer, Sikaner und Sikeler. Es hatte sich, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhält- nissmässig friedlicher Zustand auf der Insel hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der Kartha- ger gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274) nicht auf die Dauer unterbrach und der im Ganzen fortbe- stand bis auf die attische Expedition nach Sicilien (339-341). Die beiden rivalisirenden Nationen bequemten sich einander zu dulden und beschränkten sich im Wesentlichen jede auf ihr Gebiet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Karthager ihren sicilischen Unterthanen, auf deren Treue so viel ankam und die es nicht weise war den Unterschied der punischen Herrschaft und der griechischen Freiheit allzu schneidend fühlen zu lassen, eine freiere Bewegung gestatteten als den libyschen und sardischen; wenigstens finden wir, dass dieselben grösserer Freiheiten im Handel mit dem Ausland genossen und ihren inneren Verkehr nicht mit dem karthagischen Zei- chen-, sondern nach griechischer Weise mit Metallgeld betrie- ben. — Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein noch von weit grösserer Bedeu- tung insofern, als sie die Pfeiler der karthagischen Seeherr- schaft waren. Durch den Besitz von Südspanien, der Balea- ren, Sardiniens, des westlichen Sicilien und Melites in Ver- bindung mit der Verhinderung hellenischer Colonisirungen sowohl an der spanischen Ostküste als auf Corsica und in der Gegend der Syrten machten die Herren der nordafricani- schen Küste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisirten die westliche Meerenge. Das tyrrhenische und gallische Meer zwar mussten die Phoenikier mit andern Nationen theilen; allein es war dies allenfalls zu ertragen, so lange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; ja mit den ersteren als den minder gefährlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar in Bündniss gegen die Griechen. — Indess als nach dem Sturz der etruskischen Macht, den wie es zu gehen pflegt bei derartigen Nothbündnissen, Karthago wohl schwer- lich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwürfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische See- macht, konnte jenes Gleichgewichtssystem nicht länger Bestand KARTHAGO. haben. Wie die Herren von Syrakus nach der Herrschaft über Sicilien und Unteritalien und zugleich über das tyrrhe- nische und adriatische Meer zu streben anfingen, wurden auch die Karthager gewaltsam getrieben zu einer energischeren Po- litik. Das nächste Ergebniss der langen und hartnäckigen Kämpfe zwischen ihnen und ihrem ebenso mächtigen als schändlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389) war die Vernichtung oder Schwächung der sicilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag, und die Theilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die blühendsten Städte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kämpfe von den Karthagern von Grund aus zerstört; nicht ungern sah Diony- sios, wie das Hellenenthum hier zu Grunde ging oder doch geknickt ward, um sodann gestützt auf die fremden aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Söldner die ver- ödeten oder mit Militärcolonien belegten Landschaften um so sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagi- schen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Städte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und ei- nen Theil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unter- warf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden Mächten nur als ein vorläufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche den Nebenbuhler ganz zu verdrängen. Viermal waren die Karthager Herren von ganz Sicilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen Mauern (360 unter Dionysios dem Aelteren; 410 unter Timoleon; 445 unter Agathokles; 476 unter Pyrrhos); fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tüchtigen Führern, wie der ältere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, ihrer- seits dem Erfolg ebenso nahe. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite Karthagos, von deren Seite regelmässig der Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit römischer Stetigkeit den Plan verfolgten ihre Gegner von der Insel zu verdrängen, doch mit weit grösserer Plan- mässigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Par- teien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Vertheidi- gung. Mit Recht durften die Phoenikier erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottier die Beute ihnen entreissen würde; und vorläufig war wenigstens zur See der Kampf schon entschieden. Pyrrhos Versuch die syrakusani- DRITTES BUCH. KAPITEL I. sche Flotte wieder herzustellen war der letzte; nachdem dieser gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Ne- benbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen zeigten, was sie ver- mochte und wohin sie zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Unterthanen gegenüber zu mo- nopolisiren; wovon ein einzelnes zufällig erhaltenes Zeugniss ist, dass Karthago den römischen Handelsschiffen die spani- schen, sardinischen und die libyschen Häfen durch den Ver- trag vom Jahre 245 freigab, dagegen durch den vom Jahre 406 ihnen jene mit Ausnahme des eigenen karthagischen schloss. Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa funfzig Jahre vor dem Anfang des ersten punischen Krieges starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Ari- stokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschäfte stand zunächst bei dem Rath der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jähr- lich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtund- zwanzig Gerusiasten, die auch wie es scheint Jahr für Jahr von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rath ist es, der im Wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Wer- bungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine An- zahl Gerusiasten beiordnet, aus denen regelmässig die Unter- befehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressirt. Ob neben diesem kleinen Rath noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeu- ten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Ein- fluss zugestanden zu haben; hauptsächlich functionirten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores ). Grösser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles älterer Zeitgenosse, sagt, dass die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag sein Amt mit Recht von römischen Schriftstellern als Dictatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebe- nen Gerusiasten thatsächlich wenigstens seine Macht beschrän- ken mussten und ebenso die den Römern unbekannte Re- chenschaft, die ihn nach Niederlegung des Amtes erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht und es ist derselbe also schon desshalb vom Jahrkönig un- KARTHAGO. zweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehre- rer Aemter in einer Person bei den Karthagern üblich und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. — Aber über der Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der Hundertundvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ur- sprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war hervorgegangen gleich dem spartanischen Ephorat aus der aristokratischen Opposition gegen die monar- chischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte eine einzige durch Reichthum und Kriegsruhm vor allen her- vorleuchtende Familie, das Geschlecht des Barkas die Verwal- tung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit der Decemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Candidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmänner- schaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich ver- muthlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch thatsächlich längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, wesshalb sie bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das Einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behörde als einer auf aristokratischer Coopta- tion beruhenden Vertretung der Oligarchie; wovon eine verein- zelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst waren sie bestimmt zu fungiren als politische Geschworne, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommen- den Falls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Nieder- legung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gut- dünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Ver- waltungsbehörden unter Controle einer andern Körperschaft gestellt werden, der Schwerpunct der Macht über von der controlirten auf die controlirende Behörde; und es begreift sich leicht, theils dass die letztere allenthalben in die Verwal- tung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Röm. Gesch. I. 21 DRITTES BUCH. KAPITEL I. Depeschen erst den Richtern vorlegt und dann dem Volke, theils dass die Furcht vor der regelmässig nach dem Erfolg abgemessenen Controle daheim in Rath und That den kartha- gischen Staatsmann wie den Feldherrn lähmte. — Die kar- thagische Bürgerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdrücklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlun- gen beschränkt, doch thatsächlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wah- len in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst wenn durch Vorschlag der Ge- rusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in an- deren Fragen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es für gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Bür- gerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisirung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die hiebei erwähnt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, mögen oligarchisch geleitete Zünfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen ‚Stadtbürgern‘ und ‚Handarbei- tern‘ wird erwähnt, der auf eine sehr niedrige, vielleicht recht- lose Stellung der letzteren schliessen lässt. — Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische Verfassung als ein Capitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer Bürgergemeinde ohne ansässigen Mittelstand, die einerseits aus einer besitzlosen von der Hand in den Mund lebenden städtischen Menge bestand, andrerseits aus Gross- händlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Vögten. Das System die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Un- terthanen zu bereichern, indem sie ausgesendet werden als Schatzungsbeamte und Frohnvögte in die abhängigen Gemein- den, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten städti- schen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der Dauerhaftigkeit und Stabilität der karthagischen Verfassung. Es ist wohl be- zeugt, dass in Karthago weder von oben noch von unten jemals eine nennenswerthe Revolution stattgefunden hatte und dass die demokratische Opposition noch zur Zeit des ersten punischen Krieges völlig machtlos war, indem sich die Menge begnügte mit den in Form der Wahlbestechungen und sonst ihr zufallenden nutzbaren Rechten der Herr- schaft und führerlos blieb in Folge der materiellen Vortheile KARTHAGO. die die regierende Partei allen ehrgeizigen oder bedrängten Vornehmen zu bieten im Stande war. — In finanzieller Hin- sicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter allen Staa- ten des Alterthums den ersten Platz. Zur Zeit des pelopon- nesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugniss des ersten Geschichtsschreibers der Griechen allen hellenischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre Einkünfte denen des Grosskönigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der kar- thagischen Landwirthschaft, welche Feldherren und Staats- männer dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugniss ab, dass der römische Senat in späterer Zeit den Italikern den puni- schen Feldbau officiell als Muster empfahl; und nicht minder sind die Römer die Schüler der Phoenikier geworden in der Ausbeutung der Unterthanen, durch welche die Grundrente ‚des besten Theils von Europa‘ und der reichen zum Theil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der kleinen Syrte, hun- dertfältige Frucht tragenden nordafricanischen Landschaft für die Karthager gewonnen ward. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufblühende Rhederei und Fabrication brachte schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansied- lern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeich- net worden, wie man durch ausgedehnte und immer gestei- gerte Monopolisirung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeers und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu concentriren verstand. Wenn es schlechterdings unmöglich ist von der Capitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des Alterthums zusammenströmte, so kann wenigstens von den öffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Be- griff geben, dass trotz des kostspieligen Systems, nach dem Kar- thago sein Kriegswesen organisirt hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern der Unterthanen und die Zollgefälle die Ausgaben vollständig deckten und von den Bürgern directe Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch nach dem zweiten punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine jährliche Kriegssteuer von 300000 Thalern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen gere- 21* DRITTES BUCH. KAPITEL I. gelte Finanzwirthschaft gedeckt werden und man vierzehn Jahre nach dem Frieden zur sofortigen Erlegung der noch übrigen sechs und dreissig Termine sich erbieten konnte. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkünfte, in der sich die Ueberle- genheit der karthagischen Finanzwirthschaft ausspricht; auch die ökonomischen Grundsätze einer späteren und vorgeschrittneren Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Alterthums: es ist von ausländischen Staatsanleihen die Rede und im Geldsystem finden wir neben Goldmünzen ein dem Stoff nach werthloses Zeichengeld, welches sonst dem Alterthum völlig fremd ist. In der That, wenn der Staat eine Speculation wäre, nie hätte einer glänzender seine Aufgabe gelöst als Karthago. Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer. Beides waren Ackerbaustaaten; aber in Karthago herrschte der grosse Grundbesitz, die Gutswirthschaft, das Sclavensystem, während in Rom die Masse der Bürgerschaft selbst das Feld baute. Die Mehrzahl der Bevölkerung war also in Rom be- sitzend, das ist conservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demagogen zu- gänglich. — Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die Richter in Karthago. Allein wäh- rend der römische Senat jeder Tüchtigkeit sich öffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte er dem Volke ver- trauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen Controle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat aus- schliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Miss- trauen nach oben wie nach unten und so konnte er weder sicher sein, dass das Volk ihm folgte wohin es geführt ward, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht ver- scherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Kar- thager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung viel- leicht alles gerettet hätte, und der grossen nationalen Aufgaben überdrüssig oder vergessen den halb fertigen Bau einstürzen liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Da- her ist der tüchtige Beamte in Rom regelmässig im Einver- ständniss mit seiner Regierung, in Karthago häufig in ent- schiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen oder gemeinschaftliche KARTHAGO. Sache zu machen mit der opponirenden Reformpartei. Deren Macht war im Steigen in Rom wie in Karthago, aber weit schneller stieg sie hier. Schon während des zweiten punischen Krieges hat- ten die Volksversammlungen einen andern Charakter angenom- men und waren sie es, die im Staate entschieden; man vernimmt die für eine beginnende Herrschaft der städtischen Menge be- zeichnende Klage, dass in Karthago die Buben die Revolutionen machen helfen. Nach Beendigung des hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Raths der Hundert zwei Jahre nach einander im Amt sein könne und damit die volle Demokratie eingeführt, die allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten im Stande war. Allein diese Verfassungsänderung trat erst ein, als es zu spät und durch Schuld der verrotte- ten Oligarchie der Staat schon verloren war. — Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde Gemeinden. Aber Rom nahm allmählich ei- nen District nach dem andern in sein Bürgerrecht auf und eröffnete den latinischen Gemeinden gesetzlich den Zutritt; Karthago schloss sich vollständig ab und liess den abhängigen Districten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige Gleich- stellung. Rom gönnte den stammverwandten Gemeinden Antheil an den Früchten des Sieges, namentlich den gewon- nenen Domänen und suchte in den übrigen unterthänigen Staaten durch materielle Begünstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen. Karthago behielt nicht bloss für sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den am besten gestellten stammverwandten Städten die Handelsfreiheit. Rom nahm auch den am schlechtesten gestellten unterworfenen Gemein- den die Selbstständigkeit nicht ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago sandte überall hin seine Vögte und belastete selbst die altphoenikischen Städte mit schwerem Zins, während die unterworfenen Stämme factisch als Staats- sclaven behandelt wurden. So war im karthagischen Staats- verband nicht eine einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell gewonnen haben würde; in dem römischen nicht eine ein- zige, die nicht viel wagte durch die Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfältig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgends durch äus- serste Massregeln herausforderte zum Kampf. Wenn die kar- DRITTES BUCH. KAPITEL I. thagischen Staatsmänner meinten die phoenikischen Unter- thanen durch die grössere Furcht vor den empörten Libyern, die sämmtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische Interesse knüpfen zu können, so übertrugen sie einen kaufmännischen Calcul dahin wo er nicht hingehört; die Erfahrung bewies, dass die römische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, so wie ein feindliches Heer den africa- nischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldner- krieg; von dem Geiste, der in Africa herrschte, mag Zeugniss ablegen, dass die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. — Finanziell waren die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel den römischen weit überlegen; allein dies glich zum Theil sich wie- der aus dadurch, dass die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zölle, eben wenn man sie am nöthigsten brauchte, weit eher versiegten als die römischen, und dass die kartha- gische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die rö- mische. — Die militärischen Hülfsmittel der Römer und Kar- thager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft be- trug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Ein- schluss der Frauen und Kinder Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Rücksicht auf den Raum die mögliche Einwohnerzahl auf höchstens 250000 Köpfe berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, na- mentlich in einer Handelsstadt mit sechsstöckigen Häusern, ist dagegen zu erinnern, dass die Zählung wohl politisch zu verstehen ist, nicht städtisch, ebenso wie die römischen Censuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezählt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im unterthänigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesen- den gab es natürlich eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdrücklich berichtet wird, dass in Gades aus gleichem Grunde die Zahl der Bürger stets weit höher war als die der ansässigen Bürgerschaft. und mochte am Ende des fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fünften Jahrhundert im Nothfall ein Bürgerheer von 40000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe des fünften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfähigen KARTHAGO. Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem Effectivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die kar- thagische Regierung auch es sich angelegen sein liess die Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Kör- per des Landmanns geben noch die unüberwindliche Scheu der Phoenikier vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften Jahrhundert focht in den sicilischen Heeren noch eine ‚heilige Schaar‘ von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Bei- spiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dass dagegen die römischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den Schlachtfeldern standen, ist bekannt. Aehnlich stand es mit den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre Bürgertruppen, waren die Libyphoenikier ebenso wenig kriegs- tüchtig wie die Karthager und begreiflicher Weise noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die zuzugpflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit vermuthlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschaar von 450 Mann und auch diese nur zum Theil aus Libyphoenikiern. Den Kern der karthagischen Ar- meen bildeten die Libyer, aus deren Rekruten sich unter tüchtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei eine unübertroffene Truppe bildete. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bun- descontingenten und Söldnerschaaren die Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Nothfall die im Ausland angewor- bene Soldatesca. Der Zahl nach konnte ein solches Heer ohne Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Muth fähig sein mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn Söldner angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen eine gefährlich lange Zeit, während die römische Miliz jeden Augenblick auszuziehen im Stande war, sondern, was die Hauptsache ist, während die punischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vor- DRITTES BUCH. KAPITEL I. theil, fanden sich die römischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagi- schen Offizier gewöhnlichen Schlages galten seine Söldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefähr so viel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln gelten; daher Schändlichkeiten wie zum Beispiel der Verrath der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358, der einen gefährlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort ge- wordene Ruf der ‚punischen Treue‘, der den Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Söld- nerheere über einen Staat bringen können, hat Karthago in vollem Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefährlicher erfunden als seine Feinde. — Die Män- gel dieses Heerwesens, die die karthagische Regierung nicht verkennen konnte, suchte man allerdings auf jede Weise zu ersetzen. Man hielt auf gefüllte Kassen und gefüllte Zeug- häuser, um jederzeit Söldner ausstatten zu können. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heu- tige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmässig überlegen finden, und die Elephanten, seit diese im Krieg gebraucht wurden und die älteren bei den Libyern nationalen Streitwagen ver- drängt hatten; zwischen den Mauern Karthagos waren Stal- lungen für 300 Elephanten angelegt. Die abhängigen Städte zu befestigen konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Africa gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Städte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten unter- worfenen Städte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette römischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen für die Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Stärke der Mauern der Hauptstadt, während Rom politisch und militärisch so gesichert war, dass es eine förmliche Belagerung niemals erfahren hat. Endlich das Haupt- bollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man die grösste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Führung der Schiffe waren die Karthager den Griechen überlegen; in Kar- thago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Reihen von Ruderbänken und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fünfrudrer, waren in der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, sämmtlich Staatssclaven, die KARTHAGO. nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitäne gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Römern überlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbündeten Griechen und den weni- geren eigenen nicht im Stande waren sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbe- stritten das westliche Meer beherrschte. — Fassen wir schliess- lich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden grossen Mächte ergiebt, so rechtfertigt sich wohl das Urtheil eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen begann, im Allge- meinen einander gewachsen waren; allein wir können nicht unterlassen hinzuzufügen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichthum vermochten, um statt der natür- lichen Mittel zum Angriff und zur Vertheidigung andere zu finden; aber dass es nicht im Stande gewesen war die Grund- mängel eines eigenen Landheers und einer auf eigenen Füssen stehenden Symmachie in irgend ausreichender Weise zu er- setzen. Dass Rom nur in Italien, Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht verken- nen; und ebenso wenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der Schifffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich herstellen, wo es Bäume, Eisen und Wasser gab; dass selbst mächtige See- staaten nicht im Stande waren den schwächeren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in Africa selbst mehrfach erprobt. Seit Agathokles den Weg dorthin gezeigt hatte, konnte auch ein römischer General ihn finden, und während in Italien mit dem Einrücken einer punischen Inva- sionsarmee der Krieg begann, war er in Libyen mit dem Ein- rücken einer römischen zu Ende und verwandelte sich in eine Belagerung, in der der hartnäckigste Heldenmuth, wenn nicht besondere Zufälle eintraten, doch endlich unterliegen musste. KAPITEL II. Der erste Krieg mit Karthago . Seit mehr als einem Jahrhundert verheerten die Kriege zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren die schöne sicilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg geführt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Kar- thago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republi- kanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dyna- sten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen Griechenstädten; andrerseits mit Söldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlach- ten schlugen wie die punischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher in der occidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die schwächere Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 hatte Karthago sich beschränkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia Minoa und Himera und hatte ausdrücklich die Hegemonie der Syrakusier über sämmtliche östliche Städte anerkannt. Pyrrhos Vertreibung aus Sicilien und Italien (479) liess Akragas und überhaupt die bei weitem grössere Hälfte der Insel in Karthagos Händen; die Syrakusier besassen nichts mehr als die Südostspitze der Insel (Heloros, Neeton, Akrae, Leontion, Megara) und Tauromenion. In der zweiten grossen Stadt an der Ostküste, in Messana hatte eine fremdländische Soldatenschaar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, un- abhängig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Sie ERSTER PUNISCHER KRIEG. waren von Campanien gekommen, wo bei den dort angesie- delten Sabellern ein wüstes Wesen eingerissen war, das aus Campanien im vierten und fünften Jahrhundert machte, was später Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz für die söldnersuchenden Fürsten und Städte. Die von den campanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbcultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den übrigen campanischen Städten, wo man keinen statt- lichen Schmaus mehr hielt, ohne dass die Gäste durch Fechter- spiele auf Leben und Tod während des Mahles ergötzt wur- den, die politische Ohnmacht, zu der die römische Herrschaft sie verurtheilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfügung über sich selbst vollständig zu entziehen — alles dies trieb die campanische Jugend schaarenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie überall die Entfremdung von der Heimath, die Gewöhnung an Gewalt- thätigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgültigkeit gegen den Treubruch im Gefolge hatte. Warum eine Söldnerschaar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht für sich selbst bemächtigen solle, vorausgesetzt nur dass sie dieselbe zu be- haupten im Stande war, leuchtete den Campanern nicht ein — hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Städte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begründet. Nirgends luden die politi- schen Verhältnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sicilien; schon die während des peloponnesischen Krieges nach Sicilien gelangten campanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 setzte ein campanischer Trupp, der früher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465) das Räuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messa- na, der zweiten Stadt des griechischen Siciliens und dem Haupt- sitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Theile der Insel. Die Bürger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Häuser der- selben unter die Soldaten vertheilt und die neuen Herren der Stadt oder wie sie sich nannten, die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordöstlichen Theil sie in den wüsten Zeiten nach Agathokles Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Ereignisse, durch welche die Syrakusier die wichtigste unterthänige Stadt ver- DRITTES BUCH. KAPITEL II. loren und einen neuen und mächtigen Gegner in nächster Nähe erhielten; mit karthagischer Hülfe behaupteten die Ma- mertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Königs gab ihnen ihre ganze Macht zurück. — Es ziemt der Historie weder den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich bemächtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Sünde der Väter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fühlt die Sünden Anderer zu richten, mag die Menschen ver- dammen; für Sicilien konnte es heilbringend sein, dass hier eine streitkräftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmählich sich in den Stand setzte, den Kampf, dem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwöhnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Ausländer mit eigenen Kräften aufzunehmen. Zunächst indess kam es anders. Ein junger syrakusani- scher Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Ge- schlechte Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum König Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzügen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbürger wie die der syrakusanischen Sol- datesca auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militärische Wahl an die Spitze des mit den Bürgern hadernden Heeres gerufen (479/80 Roms, Ol. 126, 2). Durch seine kluge Verwaltung, sein adliches Wesen und seinen mässigen Sinn gewann er schnell sich die Herzen der syra- kusanischen, des schändlichsten Despotenunfugs gewohnten Bürgerschaft und überhaupt der sicilischen Griechen. Er ent- ledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmässigen Söldnerheeres, regenerirte die Bürgermiliz nnd versuchte, an- fangs mit dem Titel als Feldherr, später als König, mit den Bürgertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die tief gesunkene hellenische Macht wieder herzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverständniss mit den Griechen den König Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die nächsten Feinde der Syrakusier waren die Ma- mertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem aus- gerotteten Söldner, die Mörder ihrer griechischen Wirthe, die Schmälerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischen Städte. Im ERSTER PUNISCHER KRIEG. Bunde mit den Römern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Campaner in Rhegion ihre Legionen schickten (483), wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum König der Sikelioten ausgerufen ward (484), gelang es die Mamertiner in ihre Stadt einzuschliessen und nachdem die Belagerung einige Jahre gewährt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs Aeusserste gebracht und un- fähig die Stadt gegen Hieron länger mit eigenen Kräften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht mög- lich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Campaner in Rom getroffen hatte, eben so sicher in Syrakus der mes- sanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt an die Karthager oder an die Römer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Erobe- rung des wichtigen Platzes, um über alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es vortheilhafter sei den Puniern oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majorität der campanischen Bürgerschaft, den Besitz der meerbeherrschen- den Festung den Römern anzutragen. Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten der Mamertiner im römischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem Ueberschreiten des schma- len Meerarmes hing, konnte damals Niemand ahnen; aber jedem der rathschlagenden Väter der Stadt musste das offen- bar sein, dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere Folgen sich knüpfen mussten als an irgend einen der bisher vom Senat gefassten Beschlüsse. Strenge und rechtliche Männer freilich mochten fragen, wie es möglich sei überhaupt zu schwanken über das, was zu thun sei, und also nicht bloss das Bündniss mit Hieron zu brechen, sondern nachdem eben erst die rheginischen Cam- paner mit gerechter Härte von den Römern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen sicilischen Helfers- helfer zum Bündniss und zur Freundschaft von Staatswegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab damit ein Aergerniss, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Declamationen liefern, sondern auch sittliche Gemüther ernstlich empören musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war, zurückfragen, wie man römische Bürger, die den DRITTES BUCH. KAPITEL II. Fahneneid gebrochen und römische Bundesgenossen hinter- listig gemordet hatten, gleichstellen könne mit Fremden, die wohl auch gefrevelt hätten gegen Fremde, aber wo jenen zu Richtern, diesen zu Rächern die Römer Niemand bestellt habe. Hätte es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siciliens; schwerlich gingen beider Mächte Pläne damals weiter. Allein eben darin lag es begründet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten wünschte — so die Karthager Tarent, die Römer Syrakus und Messana; und dass sie, als dies un- möglich geworden war, die Grenzplätze lieber sich als der andern Grossmacht gönnten. Wie Karthago in Italien ver- sucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Römern in Be- sitz genommen werden sollten, diese Städte für sich zu ge- winnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt in Sicilien sich für Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die Stadt selbst- ständig blieb oder syrakusanisch war, sondern man warf sie den Puniern in die Arme. War es gerechtfertigt die Gelegen- heit entschlüpfen zu lassen, die sicher so nicht wieder kehrte, sich des natürlichen Brückenkopfs zwischen Italien und Sici- lien zu bemächtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten Gründen zuverlässige Besatzung zu sichern; gerecht- fertigt mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft über den letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch ernsthaftere Bedenken geltend machen als die der Gefühlspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago führen musste, war das geringste der- selben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn nicht zu fürchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueber- schreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und rein continentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die Väter Roms Grösse gegründet hatten, um ein neues zu beginnen, dessen Resultate vorherzusagen Nie- mand vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Be- rechnung aufhört und wo der Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Muth giebt die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ERSTER PUNISCHER KRIEG. ihr zu folgen es weiss keiner wohin. Nach langer ernster Berathung über den Antrag der Consuln die Legionen den Mamertinern zu Hülfe zu führen kam der Senat zu keinem entscheidenden Beschluss, sondern verwies die Sache an das Volk. In diesem lebte das frische Gefühl der durch eigene Kraft gegründeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Römern wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen den Muth, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motivirt ward die Unterstützung der Ma- mertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom über sämmtliche Italiker ansprach. Auf Antrag der Consuln beschloss die Bürgerschaft den überseeischen Italikern Hülfe zu senden (489). Man bereitete sich also zum Kriege, erwartend, wie die beiden zunächst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom verbündeten sicilischen Mächte die Invasion der Römer auf die Insel aufnehmen würden. Hieron hatte Grund genug die an ihn ergangene Aufforderung der Römer, gegen ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Falle die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Römern mit einer Kriegserklärung zu antworten; blieb er indess allein, so war ein solcher Krieg eine Thorheit und von seiner vorsichtigen und gemässigten Politik konnte man erwarten, dass er sich fügen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmöglich schien es nicht. Eine römische Gesandtschaft ging jetzt (489), sieben Jahre nach dem Versuch der punischen Flotte sich Tarents zu bemächtigen, nach Karthago, um Auf- klärung wegen dieser Vorgänge zu verlangen; man erinnerte sich nicht ohne Grund jetzt plötzlich wieder der halb verges- senen Beschwerden — es schien nicht überflüssig unter an- deren Kriegsvorbereitungen auch die papierene Rüstkammer mit Kriegsgründen zu füllen und für die künftigen Manifeste sich, wie die Römer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Theils zu reserviren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleich standen und nur der zufällige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouirung des karthagischen Admirals zurück, der den Versuch auf Ta- rent gemacht hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden. DRITTES BUCH. KAPITEL II. Die Gegenbeschuldigungen, die natürlich nicht fehlten, waren gemässigt gehalten und vermieden es sogar die beabsichtigte sicilische Invasion als Kriegsgrund zu bezeichnen, obwohl sie es war; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sicilischen Angelegenheiten als innere, in die eine unab- hängige Macht keinen Eingriff gestatten kann, und war ent- schlossen hienach zu handeln. Die punische Politik indess ging einen leiseren Gang als der der offenen Kriegsdrohung war. Als in Rom die Vorbereitungen zum Kriege endlich so weit gedie- hen waren, dass die Flotte, gebildet aus den Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des römischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion erschienen (Frühling 490), kam ihnen von Messana die uner- wartete Botschaft, dass die Karthager im Einverständniss mit der antirömischen Partei in Messana als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den Mamertinern vermittelt hätten und die Belagerung also aufgehoben sei; dass ferner im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admiral Hanno. Die vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Bürgerschaft liess unter verbindlichem Dank für die schleunig gewährte Bundeshülfe den römischen Be- fehlshabern anzeigen, dass man sich freue derselben nicht mehr zu bedürfen. Es schien fast, als hätten die Römer vor Messana sich ebenso nutzlos compromittirt wie die Karthager vor Tarent. Indess der gewandte und verwegene Offizier, der die römische Vorhut befehligte, schiffte nichts desto weniger seine Truppen ein. Die Karthager wiesen die römischen Schiffe zurück und brachten sogar einige derselben auf, die der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zu geben, den guten Freunden jenseit der Meerenge zurück- sandte. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken und bei einem zweiten Versuch gelang die Ueberfahrt. Kaum gelandet berief er die Bürgerschaft zur Versammlung und auf seinen Wunsch erschien in derselben gleichfalls der Admiral, noch immer wähnend den offenen Bruch vermeiden zu können. Allein in der Versammlung selbst bemächtigten die Römer sich seiner Person und Hanno sowie die schwache und führer- lose punische Besatzung auf der Burg waren kleinmüthig ge- nug jener an seine Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen ERSTER PUNISCHER KRIEG. und mit ihm die Stadt zu räumen. So war der Brückenkopf der Insel in den Händen der Römer. Die karthagischen Be- hörden, mit Recht erzürnt über die Thorheit und Schwäche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und beschlossen den Krieg. Vor allem galt es den verlorenen Platz wieder zu ge- winnen. Eine starke karthagische Flotte, geführt von Hanno Hannibals Sohn, erschien auf der Höhe von Messana; während die Flotte die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite. Hieron, der nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte um den Krieg gegen Rom zu beginnen, führte sein kaum zurückgezogenes Heer wieder gegen Messana und über- nahm den Angriff auf die Südseite der Stadt. — Allein mitt- lerweile war auch der römische Consul Appius Claudius Cau- dex mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen und in einer dunkeln Nacht gelang die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kühnheit und Glück waren mit den Römern; die Verbündeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesammten römischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt ausrückenden römischen Legionen einzeln ge- schlagen und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer über behauptete das römische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust hatte aufge- geben werden müssen, kehrte das römische Heer zurück nach Messana und von da unter Zurücklassung einer starken Be- satzung nach Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Römer mögen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Consul nicht triumphirte; indess konnte das kräftige Auftreten der Römer in Sicilien nicht verfehlen auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu ma- chen. Als dann im folgenden Jahre beide Consuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die Insel betraten, als der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug ‘der von Messana’ (Messalla) genannt, einen glänzenden Sieg über die verbündeten Karthager und Syrakusaner erfocht und das punische Heer seitdem nicht mehr gegen die Römer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht bloss eine Menge kleinerer griechischer Städte den Römern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische Partei und machte Friede und Bündniss mit den Römern (491). Er folgte einer richtigen Röm. Gesch. I. 22 DRITTES BUCH. KAPITEL II. Politik, indem er, so wie sich gezeigt hatte, dass es den Rö- mern Ernst war mit dem Einschreiten in Sicilien, sich sofort ihnen anschloss, als es noch Zeit war den Frieden ohne Abtre- tungen und Opfer zu erkaufen. Die sicilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik nicht durch- führen konnten und nur zwischen römischer und karthagischer Hegemonie zu wählen hatten, mussten jedenfalls die erstere vorziehen, da die Römer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel für sich zu erobern, sondern nur sie Karthago zu entreissen beabsichtigten, und auf alle Fälle von Rom eine leidliche Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu er- warten war anstatt des karthagischen Tyrannisir- und Mono- polisirsystems. Hieron blieb seitdem der wichtigste, stand- hafteste und geachtetste Bundesgenosse der Römer auf der Insel. — Für die Römer war hiermit das nächste Ziel erreicht. Durch das Doppelbündniss mit Messana und Syrakus war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unter- haltung der Heere gesichert. Seit die Ostküste der Insel in den Händen der Römer war, verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg einen grossen Theil seines wag- lichen Charakters und machte zunächst nicht viel grössere Schwierigkeiten als die Kriege in Samnium und Etrurien. Die zwei Legionen, die man für das nächste Jahr (492) nach der Insel hinübersandte, reichten aus, um im Einverständniss mit den sicilischen Griechen die Karthager überall in die Festungen zurückzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Kar- thager, Hannibal Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs Aeusserste zu vertheidigen. Unfähig die feste Stadt zu stürmen, blokirten die Römer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die Eingeschlossenen, die bis 50000 Köpfe zählten, litten bald Mangel am Noth- wendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia und schnitt seinerseits der römischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Noth gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedrängnissen und der Ungewissheit herauszu- kommen. In dieser zeigte sich die numidische Reiterei eben so sehr der römischen überlegen wie der punischen Infante- rie das römische Fussvolk; das letztere entschied für Rom den Sieg, allein die Verluste auch der Römer waren sehr beträcht- lich und der Erfolg der gewonnenen Schlacht ward zum Theil ERSTER PUNISCHER KRIEG. dadurch verscherzt, dass es nach der Schlacht der belagerten Armee während der Verwirrung und der Ermüdung der Sieger gelang aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen. Dennoch war der Sieg von Bedeutung; Akragas fiel dadurch in die Hände der Römer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Ober- befehl, sich bis an die Zähne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg hörte auf der Insel auf; nur durch Landungen und durch Ausfälle aus den Festungen ward er fortgesetzt in einer für die Römer äusserst nachtheiligen und beschwerlichen Weise. In der That empfanden die Römer erst jetzt die wirk- lichen Schwierigkeiten des Krieges. Die karthagische Flotte beherrschte die See und hielt nicht bloss die sicilischen Kü- stenstädte im Gehorsam und mit allem Nothwendigen ver- sehen, sondern bedrohte auch Italien mit einer Landung, wesswegen schon 492 dort eine consularische Armee hatte zurückbleiben müssen. Zwar zu einer grösseren Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Ab- theilungen an den italischen Küsten und brandschatzten die Bundesgenossen und was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war völlig ge- lähmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus vollständig zu Grunde zu richten, während die Karthager über die Contributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden sicilischen Tri- bute leicht verschmerzten. Die Römer erfuhren jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht war die Karthager aus dem Felde zu schlagen als schwierig sie zu überwinden, und dass alles darauf ankam eine Flotte zu schaffen. Man sah es ein und beschloss eine römische Flotte von hundert fünf und zwanzig Dreideckern herzustellen. Die Ausführung indess dieses energischen Be- schlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben machen möchte, als hätten damals zuerst die Römer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in früherer Zeit üblich gewesen waren; Fünfdecker, die nach dem neueren besonders 22* DRITTES BUCH. KAPITEL II. von Karthago ausgehenden Systeme des Seekrieges fast aus- schliesslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Ita- lien noch nicht gebaut. Die Massregel der Römer war also ungefähr der Art, wie wenn jetzt ein Seestaat von Fregatten und Kuttern übergehen wollte zum Bau von Linien- schiffen; und eben wie man heute in solchem Fall wo möglich ein fremdes Linienschiff zum Muster nehmen würde, überwiesen auch die Römer ihren Schiffsbaumeistern eine ge- strandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel hät- ten die Römer, wenn sie gewollt hätten, mit Hülfe der Syra- kusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen können; allein ihre Staatsmänner waren zu einsichtig um Italien durch eine nichtitalische Flotte vertheidigen zu wollen. Dagegen wurden die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl für die Schiffsoffiziere, die man grösstentheils aus der ita- lischen Handelsmarine genommen haben wird, als für die Ma- trosen, deren Name ( socii navales ) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden später Sclaven verwandt, die der Staat und die reicheren Familien stellten, bald auch die ärmere Klasse der Bürger. Unter solchen Verhältnissen und wenn man theils den damaligen verhältnissmässig niedrigen Stand des Schiff- baus, theils die römische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es begreiflich, dass die Römer die Aufgabe, an der Na- poleon gescheitert ist, eine Continental- in eine Seemacht um- zuwandeln, innerhalb eines Jahres lösten und ihre Flotte von hundert und zwanzig Segeln in der That im Frühjahr 494 von Stapel lief. Freilich konnte weder Geld noch Energie bewirken, dass dieselbe der karthagischen an Zahl und Segel- tüchtigkeit gleichkam; und es musste dies um so bedenklicher erscheinen, als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Ma- növriren bestand. Es kam zwar im Seegefecht auch häufig vor, dass Schwergerüstete und Bogenschützen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, allein der gewöhnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im Uebersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vordertheile mit schweren Eisenschnäbeln versehen waren; die kämpfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss ge- lang, der gewöhnlich entschied. Desshalb befanden sich unter der Bemannung eines gewöhnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa 10 Soldaten, dagegen 170 ERSTER PUNISCHER KRIEG. Ruderer, 50 bis 60 für jedes Deck; die des Fünfdeckers zählte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhältniss. — Man kam auf den glücklichen Gedanken, das was den römi- schen Schiffen bei ihren ungeübten Schiffsoffizieren und Ruder- mannschaften an Manövrirfähigkeit nothwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zutheilte. Man erfand eine fliegende Brücke, die auf dem Vordertheil des Schiffes so be- festigt ward, dass sie nach vorne wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum für zwei Mann in der Fronte. Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das römi- sche heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, ward die Brücke auf dessen Verdeck niedergelassen und darin mittelst eines eisernen Stachels be- festigt; wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert ward, sondern die Schiffssoldaten über die Brücke auf das feindliche Verdeck hinübergehen und dasselbe wie im Landgefecht er- stürmen konnten. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebil- det, sondern nach Bedürfniss die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die römische Flotte zugleich die Lan- dungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten. — So schufen sich die Römer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem römischen Flottenbau ein Feenmährchen machen, und verfehlen überdiess ihren Zweck; man muss be- greifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Römer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das Nöthige und Mögliche, durch geniale Erfind- samkeit, durch Energie in Entschluss und Ausführung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward, die übler war als sie zunächst schien. Der Anfang indess war den Römern nicht günstig. Der römische Admiral, der Consul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten 17 segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494), meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu können. Allein eine Abtheilung der bei Panormos stationirten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die römischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Escadre mit dem Con- sul ohne Kampf gefangen. Indess dies schreckte die Haupt- DRITTES BUCH. KAPITEL II. flotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf der Fahrt längs der italischen Küste traf sie auf ein schwächeres kar- thagisches Recognoscirungsgeschwader, dem sie das Glück hatte einen den ersten römischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufügen und traf so glücklich und siegreich im Ha- fen von Messana ein, wo der zweite Consul Gaius Duilius das Commando an der Stelle seines gefangenen Collegen über- nahm. An der Landspitze von Mylae nordwestlich von Mes- sana traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Pan- ormos herankam, auf die römische, welche hier ihre erste grössere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht segeln- den und unbehülflichen römischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stürzten sich in aufgelöster Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbrücken bewährten sich voll- kommen. Die römischen Schiffe fesselten und stürmten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die gefährlichen Brücken sich niedersenkten auf das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen funfzig karthagische Schiffe, fast die Hälfte ihrer Flotte, von den Rö- mern versenkt oder genommen, unter den letztern das Admi- ralschiff Hannibals, einst das des Königs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch grösser der moralische Eindruck. Rom war plötzlich eine Seemacht geworden und hatte die Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich hinausspinnen zu sollen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, ener- gisch zu Ende zu führen. Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte ent- weder Karthago auf den italischen Inseln angreifen und ihm die Küstenfestungen Siciliens und Sardiniens eine nach der andern entreissen, was durch gut combinirte Operationen zu Lande und zur See ausführbar war; war dies durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtre- tung dieser Inseln Friede geschlossen oder, wenn dies miss- lang oder nicht genügte, der zweite Act des Krieges nach Africa verlegt werden. Oder man konnte die Inseln vernachlässigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in Agathokles abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbren- nend und alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Hau- fens, sondern die Verbindungen der africanischen Invasions- armee mit Italien deckend durch eine starke Flotte; in die- ERSTER PUNISCHER KRIEG. sem Falle liess sich entweder von der Bestürzung der Feinde nach den ersten Erfolgen ein mässiger Frie- de erwarten oder, wenn man wollte, mit äusserster Ge- walt der Feind zu vollständiger Ergebung nöthigen. — Man wählte zunächst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von Mylae (495) erstürmte der Consul Lucius Sci- pio den Hafen Aleria auf Corsica — wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser That gedenkt — und machte aus Corsica eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch sich in Olbia auf der Nordküste dieser Insel fest- zusetzen misslang indess, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Küste ge- plündert; aber zu einer bleibenden Festsetzung der Römer kam es nicht. Ebenso wenig kam man in Sicilien vorwärts. Hamilkar führte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstädten fielen jährlich einige von den Römern ab und mussten den Puniern mühsam wieder entrissen werden, und in den Küstenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffen- platz Drepana, wohin der leichteren Seevertheidigung wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx übergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am tyndarischen Vorgebirg (497), in dem beide Theile sich den Sieg zuschrieben, änderte nichts in der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun liegen an den Verhältnissen oder an dem getheilten und schnell wechselnden Oberbefehl der römischen Truppen, der die concentrirte Gesammtleitung einer Reihe kleinerer Operationen ungemein erschwerte. Mitt- lerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Küsten aufgehört hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau; müde des erfolglosen Ganges der Operationen und ungeduldig dem Kriege ein Ziel zu set- zen beschloss der Senat das System zu ändern und Karthago in Africa anzugreifen. Im Frühjahr 498 ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der libyschen Küste; an der Mündung des Himeraflusses am südlichen Ufer Siciliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der Führung der beiden Consuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Vulso, beides erprobter Generale. Der DRITTES BUCH. KAPITEL II. karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Africa fanden die Römer die feindliche Flotte auf der Höhe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimath vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben grössere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht gegen ein- ander standen. Die römische Flotte von 330 Segeln zählte wenigstens 100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der et- wa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an die- sem Tage aufgeboten waren, um zwischen den beiden mäch- tigen Bürgerschaften zu entscheiden. Die Punier standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken Flügel ge- lehnt an die sicilische Küste. Die Römer ordneten sich ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Consuln an der Spitze, in schräger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Kavallerie gebauten Fahrzeugen am Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtge- schlossen auf den Feind. Langsamer folgte ein viertes in Re- serve gestelltes Geschwader. Der keilförmige Angriff durch- brach ohne Mühe die karthagische Linie, da das zunächst angegriffene Centrum derselben absichtlich zurückwich. Die Schlacht löste sich auf in drei gesonderte Treffen. Während die Admirale mit den beiden auf ihren Flügeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Centrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke an der Küste aufgestellte Flügel der Karthager auf das dritte römische Ge- schwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert ward den beiden vorderen zu folgen, und drängte dasselbe in heftigem und überlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die römische Reserve von dem rechten karthagischen Flügel auf der hohen See umgangen und von hinten ange- fallen. Indess das erste dieser drei Treffen war bald zu Ende; die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, offenbar viel schwächer als die beiden gegen sie fechtenden römischen Geschwader, suchten das Weite. Mittlerweile hatten die bei- den andern Abtheilungen der Römer einen harten Stand gegen den überlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die ge- fürchteten Enterbrücken ihnen zu Statten und mit deren Hülfe gelang es sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale ERSTER PUNISCHER KRIEG. mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die römische Reserve Luft und nachdem auch der zweite Kampf zum Vortheil der Römer entschieden war, fielen alle noch seefähigen römischen Schiffe dem hartnäckig seinen Vortheil verfolgenden karthagischen linken Flügel in den Rücken, so dass dieser umzingelt und fast ganz genommen ward. Im Uebrigen war der Verlust ungefähr gleich. Von der römischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von der kar- thagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz des beträchtlichen Verlustes es nicht auf Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurück an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Römer lande- ten auf der Halbinsel statt an der westlichen Seite, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der östlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz bietenden geräumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem schildförmig aus der Ebene aufsteigenden Hügel gelegen, eine vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und setzten sich auf dem Hügel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes Schiffslager errichtet und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die römischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000 Sclaven konnten nach Rom geführt werden. Durch die ungeheuersten Glücksfälle war der kühne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Römer sich fühl- ten, beweist der Beschluss des Senats, dass der grösste Theil der Flotte und die Hälfte der Armee nach Italien zurück- geführt werden solle; Marcus Regulus blieb allein in Africa mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indess die Zuversicht nicht übertrieben. Die kartha- gische Armee, die entmuthigt sich nicht in die Ebene wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elephanten nicht verwenden konnte. Die Städte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und überschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen den nächsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in Tunes sein Winter- lager aufschlug. Der Karthager Muth war gebrochen; sie baten um Frieden. — Allein die Bedingungen, die der Consul DRITTES BUCH. KAPITEL II. stellte: nicht bloss Abtretung von Sicilien und Sardinien, son- dern Eingehung eines ungleichen Bündnisses mit Rom, wel- ches die Karthager verpflichtet hätte auf eine eigene Kriegs- marine zu verzichten und zu den römischen Kriegen Schiffe zu stellen — diese Bedingungen, welche Karthago Neapel und Tarent gleichgestellt haben würden, konnten nicht ange- nommen werden, so lange noch ein punisches Heer im Felde, eine punische Flotte auf der See, und die Hauptstadt uner- schüttert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie auch in der tiefsten Versunkenheit in den orientalischen Völkern bei dem Herannahen äusserster Gefahren abermals grossartig auf- zuflammen pflegt, diese Energie der höchsten Noth trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sicilien den kleinen Krieg gegen die Römer so erfolgreich geführt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sicilischen Truppen, die für die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern gab; die Verbindungen und das Gold der Karthager führten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter schaarenweise zu und ebenso zahlreiche griechische Söldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organi- sirungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienst- herren von grossem Nutzen war Der Bericht, dass zunächst Xanthippos militärisches Talent Karthago gerettet haben soll, ist wahrscheinlich gefärbt; die karthagischen Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben um zu lernen, dass die leichte africanische Cavallerie zweckmässiger auf der Ebene verwandt werde als in Hügeln und Wäldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen Wachstubengespräche, ist selbst Polybios nicht frei. — Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in ägyptische Dienste. . Während also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der römische Feldherr unthätig bei Tunes. Mochte er nicht ah- nen, welcher Sturm sich über seinem Haupt zusammenzog oder mochte militärisches Ehrgefühl ihm zu thun verbieten, was seine Lage erheischte — statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht im Stande war auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute stehen vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt, sogar seine Rückzugslinie zu dem Schifflager zu sichern versäumend, und versäumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch ERSTER PUNISCHER KRIEG. Verhandlungen mit den aufständischen Stämmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Muth- willig brachte er sich und sein Heer also in dieselbe Lage, in die einst Agathokles auf seinem verzweifelten Abenteurer- zug sich befunden hatte. Als das Frühjahr kam (499), hatten sich die Dinge schon so verändert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins Feld rückten und den Römern eine Schlacht anboten; natürlich, denn es lag alles daran mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien Verstär- kung kommen konnte. Aus demselben Grunde hätten die Römer zögern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unüber- windlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Stärke — denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefähr dieselbe war, gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elephanten ein entschiedenes Uebergewicht — und trotz des ungünstigen Terrains, wozu die Karthager sich ein weites Blachfeld, ver- muthlich unweit Tunes, ausersehen hatten. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager commandirte, warf zunächst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewöhnlich die bei- den Flügel der Schlachtlinie besetzt hatte; die wenigen römi- schen Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Cavalleriemassen und das römische Fussvolk sah sich von denselben überflügelt und umschwärmt. Nichts destoweniger standen die Legionen unerschüttert und versuchten einen An- griff auf die feindliche Linie; allein die Masse derselben war gedeckt durch die Elephantenreihe, welche den rechten Flügel und das Centrum der Römer hemmten, während es dem lin- ken römischen gelang an den Elephanten vorbeimarschirend die Söldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen zu errei- chen und vollständig zu werfen. Allein eben dieser Erfolg zerriss die römische Linie. Die Hauptmasse, von vorn von den Elephanten, von den Seiten und im Rücken von der Rei- terei angegriffen, formirte sich zwar ins Viereck und verthei- digte sich heldenmüthig, allein endlich wurden doch die ge- schlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Flügel traf auf das intacte karthagische Centrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feind- lichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte; nur zweitausend Mann, ver- muthlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten leichten DRITTES BUCH. KAPITEL II. Truppen und Reiter, gewannen, während die römischen Legio- nen sich niedermachen liessen, so viel Vorsprung um mit Noth Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Consul selbst, der in Karthago starb; seine Familie, in der Mei- nung dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch be- handelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefange- nen die empörendste Rache, bis es selbst die Sclaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribunen der Schändlichkeit steuer- ten Weiter ist über Regulus Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503, bald 513 gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt. Die spätere Zeit, die in dem Glück und Unglück der Vorfahren nur nach Stoffen suchte für Schulacte, hat aus Regulus das Pro- totyp des unglücklichen, wie aus Fabricius das des dürftigen Helden ge- macht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwärtige Flitter, die übel contrastiren mit der ernsten und schlichten Geschichte. . — Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natürlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine römische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus und nach einem schönen Sieg am her- maeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbüssten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit um die dort verschanzten Trümmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedrängniss zu befreien. Wäre sie gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so hätte sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln mögen, der wahrscheinlich den puni- schen Kriegen ein Ende gemacht haben würde. So vollständig aber hatten jetzt die Römer den Kopf verloren, dass sie nach einem glücklichen Gefecht vor Clupea sämmtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wich- tigen und leicht zu vertheidigenden Platz räumend, der ihnen die Möglichkeit der Landung in Africa sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen africanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versäumten die Gelegen- heit nicht ihre leeren Kassen zu füllen und den Unterthanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine ausser- ordentliche Contribution von 1000 Talenten Silber (1½ Mill. Thlr.) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in sämmt- lichen abgefallenen Gemeinden die Scheiks ans Kreuz geschla- gen — es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wüthen der karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der einige Jahre später in Africa aus- ERSTER PUNISCHER KRIEG. gebrochenen Revolution. Endlich als wollte wie früher das Glück, so jetzt das Unglück den Römern das Mass füllen, gingen in einem schweren Sturm auf der Rückfahrt der Flotte drei Viertheile der römischen Schiffe mit der Mannschaft zu Grunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499). Die Capitäne hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die im- provisirten römischen Admirale hatten die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal Hannos Sohn landete in Lilybaeon mit einem starken Heer, das besonders durch die ungeheure Elephantenmasse — es waren ihrer 140 — in den Stand gesetzt wurde gegen die Römer das Feld zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es möglich war den Mangel guten Fussvolks durch Ele- phanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die Römer nahmen den sicilischen Krieg von neuem auf; die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Räumung von Clupea beweist, im römischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den africani- schen Krieg nicht wollte und sich begnügte die Inseln all- mählich zu unterwerfen. Allein auch hiezu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstört war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Auf einmal wurde zu zweihun- dert und zwanzig neuen Kriegsschiffen der Kiel gelegt — nie hatte man bisher gleichzeitig so viele zu bauen unternommen — und in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten standen sie sämmtlich segelfertig. Im Frühjahr 500 erschien die römische Flotte, dreihundert grösstentheils neue Schiffe zählend, an der sicilischen Nordküste; durch einen glücklichen Angriff von der Seeseite ward Panormos erobert, die bedeu- tendste Stadt des karthagischen Siciliens und ebenso die klei- neren Plätze Solus, Kephaloedion, Tyndaris, so dass am gan- zen nördlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der Haupt- stationen der Römer auf Sicilien. Der Landkrieg daselbst stockte indess; die beiden Armeen standen vor Lilybaeon ein- ander gegenüber, ohne dass die römischen Befehlshaber, die der Elephantenmasse nicht beizukommen wussten, eine Haupt- schlacht zu erzwingen versucht hätten. — Im folgenden Jahr (501) zogen die Consuln es vor statt die sichern Vortheile in DRITTES BUCH. KAPITEL II. Sicilien zu verfolgen eine Expedition nach Africa zu machen, nicht um zu landen, sondern um die Küstenstädte zu plün- dern. Ungehindert kamen sie damit zu Stande; allein nach- dem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten unbe- kannten Gewässern der kleinen Syrte auf die Untiefen auf- gelaufen und mit Mühe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sicilien und Italien ein Sturm, der über 150 römische Schiffe kostete; und auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten den Weg längs der Küste zu wählen, auf Befehl der Consuln von Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern müssen. — Da ergriff der Kleinmuth die Väter der Stadt; sie be- schlossen die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Küstenvertheidigung und die Geleitung der Transporte zu beschränken. Zum Glück nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sicilien eine günstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 Thermae, der letzte Punct, den die Karthager an der Nordküste besassen, und die wichtige Insel Lipara den Römern in die Hände gefallen waren, erfocht im Jahre darauf der Consul Gaius Caecilius Metellus unter den Mauern von Panormos einen glänzenden Sieg über das Ele- phantenheer (Sommer 503). Die unvorsichtig vorgeführten Thiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten leichten Truppen der Römer geworfen und stürzten theils in den Graben hinab, theils zurück auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elephanten zugleich sich zum Strande drängten, um von den punischen Schiffen aufgenom- men zu werden. 120 Elephanten wurden gefangen und das punische Heer, dessen Stärke auf den Thieren beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb, nach- dem auch, noch der Eryx den Römern in die Hände gefallen war (505), auf der Insel nichts mehr den Karthagern als Dre- pana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frie- den an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurückgewiesen und beschlossen die Belage- rung der beiden sicilischen Städte ernsthaft anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen. Es war die erste grosse und regel- rechte Belagerung, die Rom unternahm, und eine der hart- näckigsten die die Geschichte kennt. Die Römer eröffneten sie mit einem wichtigen Erfolg: ihrer Flotte gelang es sich ERSTER PUNISCHER KRIEG. in den Hafen von Lilybaeon zu legen und die Stadt von der Seeseite zu blokiren. Indess vollständig die See zu sperren vermochte man nicht, so sehr die Römer durch Versenkungen und Pallisaden bemüht waren den Hafen zu schliessen. Trotz dessen und trotz der sorgfältigsten Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwässer genau kundige Schnellsegler eine regelmässige Verbindung zwischen den Be- lagerten in der Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nachdem die Belagerung einige Zeit gewährt hatte, glückte es einer karthagischen Flotte von 50 Segeln in den Hafen einzufahren, Lebensmittel in Menge und Ver- stärkung von 10000 Mann in die Stadt zu werfen und unan- gefochten wieder heim zu kehren. Nicht viel glücklicher war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen wurden errichtet und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauerthürme eingeworfen; die Bresche schien bald practicabel. Allein der tüchtige karthagi- sche Befehlshaber Himilko vereitelte diesen Angriff, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Römer mit der Besatzung ein Einverständniss anzuknüpfen ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt und endlich, nachdem die Belagerer einen ersten Ausfall abge- schlagen hatten, gelang es den Karthagern während einer stürmischen Nacht die römische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Römer gaben hierauf die Vorbereitungen zum Sturm auf und begnügten sich die Stadt zu Wasser und zu Lande zu blokiren. Freilich waren die Aussichten auf Erfolg sehr fern, so lange man nicht im Stande war den feindlichen Schiffen den Eingang gänzlich abzuschneiden; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager häufig abgefangen wurden und das die Seuchen, die in der unge- sunden Gegend einheimisch sind, zu decimiren begannen. Indess die Eroberung Lilybaeons war wichtig genug, um ge- duldig bei der mühseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der Zeit den gewünschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Consul Publius Claudius schien die Aufgabe Lilybaeon zu blokiren zu gering; es gefiel ihm besser wieder einmal den Operationsplan zu ändern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte unversehens zu überfallen. DRITTES BUCH. KAPITEL II. Um Mitternacht fuhr er ab mit dem ganzen Blokadegeschwa- der, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte; in guter Ordnung segelnd, den rechten Flügel am Lande, den linken in der hohen See, erreichte er glücklich mit Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Der punische Admi- ral Atarbas, obwohl überrascht, verlor die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die römischen Schiffe in den nach Süden sichelförmig sich öffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sie ausserhalb desselben in Linie. Dem römischen Admiral blieb nichts übrig als die vordersten Schiffe möglichst schnell aus dem Hafen zurückzunehmen und das Gleiche zu thun, allein über dieser rückgängigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste die Schlacht anneh- men in einer Linie, die theils von der feindlichen um fünf Schiffe überflügelt war, da es an Zeit gebrach die Schiffe wieder aus dem Hafen vollständig zu entwickeln, theils so dicht an die Küste gedrängt war, dass seine Fahrzeuge weder zurückweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich unter einander zu Hülfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie begann, sondern die römische Flotte so vollständig umstrickt, dass sie fast ganz den Feinden in die Hände fiel. Zwar der Consul entkam, indem er zuerst davon floh; aber 93 römische Schiffe, mehr als drei Viertel der Blokadeflotte, mit dem Kern der römischen Legionen an Bord fielen den Puniern in die Hände. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die Karthager über die Rö- mer erfochten haben. Lilybaeon war der That nach von der Seeseite befreit, denn wenn auch die Trümmer der römischen Flotte den Hafen wieder erreichten, so war diese doch jetzt viel zu schwach um den nie ganz geschlossenen Hafen ernst- lich zu versperren und konnte vor dem Angriff der karthagi- schen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers; die mühsamen Erfolge des aufreibenden Festungs- krieges waren plötzlich vereitelt durch die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers. Was dessen Uebermuth noch an Kriegsschiffen den Römern ge- lassen hatte, ging kurz darauf zu Grunde durch den Unver- stand seines Collegen. Der zweite Consul Lucius Iunius Pul- lus, der den Auftrag erhalten hatte die für das Heer in Lilybaeon bestimmten Transporte in Syrakus zu verladen und ERSTER PUNISCHER KRIEG. die Transportflotte längs der südlichen Küste der Insel mit der zweiten römischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu convoyiren, beging den Fehler seine Schiffe zu theilen und den ersten Trans- port allein abgehen zu lassen und erst später mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die römische Flotte im Hafen von Lilybaeon blokirte, von der Abfahrt der römischen Transportflotte vernahm, wandte er sich nach der Südküste der Insel und indem er sich zwischen die beiden römischen Geschwader legte, schnitt er sie von einander ab und zwang sie an den unwirthlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei schlechten Nothhäfen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Römern tapfer zurückge- wiesen mit Hülfe der Strandbatterien, die hier wie überall an der Küste schon seit längerer Zeit errichtet waren; allein da für die Römer an eine Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt nicht zu denken war, konnte Karthalo den nächsten Sturm abwarten, dem er auf der hohen See mit seinen unbeschwerten und gut geführten Schiffen leicht entging, während die beiden Flotten auf ihren schlechten Rheden vollständig vernichtet wurden. Die Mannschaft und die Ladung gelang es den Rö- mern indess grösstentheils zu retten (505). Der römische Senat war rathlos. Der Krieg währte nun ins funfzehnte Jahr und von dem Ziele schien man weiter ab zu sein im funfzehnten als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Krieg zu Grunde gegangen, drei davon mit römischen Heeren am Bord; ein viertes ausgesuchtes Land- heer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Si- cilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus zu erkennen, dass die Bür- gerrolle bloss von 502 auf 507 um den sechsten Theil der Gesammtzahl, etwa 40000 Köpfe sank; wozu man noch rechnen muss die Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs traf und daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhältniss wie die Römer. Von den finanziellen Verlusten ist es nicht möglich sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl die unmittelbare Einbusse an Schiffen und Mate- rial als die mittelbare durch die Lähmung des Handels müssen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte Röm. Gesch. I. 23 DRITTES BUCH. KAPITEL II. endigen wollen. Man hatte eine Landung in Africa mit fri- schen Kräften, im vollen Lauf der Siege versucht und war völlig gescheitert. Man hatte Sicilien Stadt um Stadt zu erstür- men unternommen; die geringeren Plätze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen Seeburgen standen unbezwinglicher als je zuvor. Was sollte man beginnen? In der That, der Klein- muth behielt gewissermassen Recht. Die Väter der Stadt ver- zagten; sie liessen die Sachen eben gehen wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hin- spinnender Krieg für Italien verderblicher war als die An- strengung des letzten Mannes und des letzten Silberstücks, aber ohne den Muth und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glück um zu den alten nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte die Flotte ab; höchstens beförderte man die Kaperei und stellte den Capitänen, die auf ihre ei- gene Hand dieselbe zu wagen bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfügung. Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgeführt, weil man eben nicht anders konnte; allein man begnügte sich die sicilischen Festungen zu beobachten und was man besass nothdürftig zu behaupten, was ohne Hülfe der Flotte ein sehr zahlreiches Heer und äusserst kostspielige Anstalten erforderte. — Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demüthigen im Stande war. Dass auch dort die Erschöpfung der Kräfte gefühlt ward, versteht sich; allein wie die Sachen standen, konnten die punischen Finanzen unmöglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der ihnen hauptsächlich nur Geld kostete, nicht hätten offensiv und nach- drücklich fortführen können. Allein die karthagische Regierung war eben nicht energisch, sondern schwach und lässig, wenn nicht ein leichter und sicherer Gewinn oder die äusserste Noth sie trieb. Froh der römischen Flotte los zu sein liess man thöricht auch die eigene verfallen und fing an nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den klei- nen Krieg in und um Sicilien zu beschränken. So folgten sechs thatenlose Kriegsjahre (506-511), die ruhmlosesten, welche die römische Geschichte kennt und ruhm- los auch für das Volk der Karthager. Indess ein Mann von diesen dachte und handelte anders als seine Nation. Hamilkar Bar- kas, ein junger vielversprechender Offizier, hatte den Oberbe- fehl der sicilischen Truppen übernommen. Woran es seinem Staate fehlte, war eine zuverlässige und krieggeübte Infanterie; ERSTER PUNISCHER KRIEG. es begriffen das viele, aber Hamilkar allein fasste den Plan sie zu schaffen. Er wusste wohl, dass man von Karthago aus ihn nicht unterstützen, dass man kein punisches, nicht einmal ein libysches Heer ihm zusenden, sondern mit seinen Söld- nern ihn fechten lassen werde; dass er höchstens erwarten könne die Erlaubniss zu erhalten das Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Söldnern freilich nichts; aber der ächte Feldherr vermag es den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Per- sönlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon hinreichend geübt und sie gewöhnt hatte dem Le- gionar ins Auge zu sehen, setzte er sich mit ihnen auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrschte. Seine Söldner richteten hier häuslich sich ein mit ihren Frauen und Kin- dern; von hier aus liess er das platte Land durchstreifen, wäh- rend Kaper die italische Küste bis Kyme brandschatzten und ernährte seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren; zur See mit Drepana die Verbindung unterhal- tend bedrohte er in nächster Nähe das wichtige Panormos mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Römer nicht ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gewährt hatte, besetzte Hamilkar auch die Stadt auf dem Eryx, von wo aus die Römer Drepana beunruhigten. Den Felsengipfel mit dem Tempel der Aphro- dite behielten die Römer in Händen, die das schlimmste Raub- gesindel, das sich ihnen zugedrängt hatte, keltische Ueber- läufer aus dem karthagischen Heer auf diesen verlorenen Posten stellten; Hamilkar belagerte sie, die die Zeit dazu be- nutzten den Tempel zu plündern und Schändlichkeiten aller Art zu verüben, von seiner Stadt aus, die auf der halben Höhe des Berges lag, unbekümmert um die von der Ebene her ihrer- seits ihn blokirenden Römer, da er zur See mit der Flotte und der Besatzung von Drepana die Verbindung sich offen hielt. — Es schien der Krieg eine immer ungünstigere Wen- dung für die Römer zu nehmen. In dem sicilischen Krieg kam der Staat um sein Geld und seine Soldaten wie die Feld- herren um ihre Ehre; es war schon klar, dass dem Hamilkar kein römischer General gewachsen war und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Söldner sich dreist würde 23* DRITTES BUCH. KAPITEL II. messen können mit dem Legionar. Immer verwegener zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Küste — schon hatte gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausrücken müssen. Noch einige Jahre, so that Ha- milkar von Sicilien aus mit der Flotte, was später auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. — Indess der römische Senat verharrte in seiner Unthätigkeit; die Par- tei der Kleinmüthigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Männer den Staat auch ohne Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen sicilischen Krieg ein Ende zu machen. Die glücklichen Corsarenfahrten hatten wenn nicht den Muth der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in die Ge- schwader zusammengethan, Hippo an der africanischen Küste niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glückliches Seegefecht geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so grossartiger Weise vorgekom- men ist, stellten die vermögenden und patriotisch gesinnten Römer eine Kriegsflotte her, deren Kern die für den Kaper- dienst gebauten Schiffe und die darin geübten Mannschaften abgaben und die überhaupt weit sorgfältiger hergestellt wurde als dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese unge- heure Anstrengung, dass eine Anzahl Bürger im zweiundzwan- zigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den Anna- len der Geschichte. Der Consul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre zu Theil ward diese Flotte in die sicilische See zu führen, fand fast keinen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar seine Corsarenzüge gemacht, verschwan- den vor der Uebermacht und fast ohne Widerstand besetzten die Römer die Häfen von Lilybaeon und Drepana, dessen Be- lagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward. Karthago war vollständig überrumpelt; selbst die bei- den Festungen, schwach verproviantirt, schwebten in grosser Gefahr. Man rüstete in Karthago eine Flotte, aber so eilig man that, ging doch das Jahr zu Ende, ohne dass in Sicilien karthagische Segel sich gezeigt hätten. Als endlich im Früh- jahr 513 die zusammengerafften Schiffe auf der Höhe von Drepana erschienen, geschah es in der Hoffnung ungestört lan- den, die Vorräthe ausschiffen und die für ein Seegefecht er- ERSTER PUNISCHER KRIEG. forderlichen Truppen an Bord nehmen zu können — es war mehr eine Transport- als eine Kriegsflotte. Allein die römi- sche verlegte ihr den Weg und zwang sie, da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollte, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignano) die Schlacht anzu- nehmen (10. März 513). Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft; die römische Flotte gut gebaut und bemannt und von dem tapfern Catulus trotz seiner vor Drepana erhaltenen Wunde vortrefflich geführt, warf im ersten Anlauf die schwer- beladenen schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; funfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhr der sieg- reiche Consul ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der römischen Patrioten hatte Frucht ge- tragen; sie gab den Sieg und mit ihm den Frieden. — Die Karthager kreuzigten zunächst den unglücklichen Admiral, was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sicilischen Feldherrn unbeschränkte Vollmacht den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der seine achtjährige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, war hochherzig genug weder seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwürfe aufzugeben. Sicilien freilich war nicht zu halten, seit die Römer die See beherrschten; und dass die Karthager, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegyp- ten zu füllen versucht hatten, auch nur einen Versuch noch machen würden, die römische Flotte zu überwältigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also Sicilien auf. Dagegen ward die Selbstständigkeit und Integrität des karthagischen Staats und Gebiets ausdrücklich anerkannt in der üblichen Form, dass weder Rom mit der karthagischen noch Karthago mit der römischen Symmachie, das heisst mit den unterthänigen und abhängigen Gemeinden in Sonderbündniss treten oder Krieg beginnen noch in diesem Gebiet Hoheitsrechte ausüben oder Werbungen vornehmen dürfe Dass die Karthager versprechen mussten keine Kriegsschiffe in das Gebiet der römischen Symmachie — also auch nicht nach Syrakus, viel- leicht selbst nicht nach Massalia — zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaub- lich genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27). . Was die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rückgabe der römischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegscontribu- tion von selbst; dagegen die Forderungen des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die römischen Ueberläufer ausliefern DRITTES BUCH. KAPITEL II. solle, wies der Karthager entschlossen zurück, und mit Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewährte den Puniern freien Abzug aus Sicilien gegen das mässige Löse- geld von 18 Denaren (4⅔ Thlr.) für den Mann. — Man konnte in Karthago mit diesen Bedingungen zufrieden sein, wenn die Fortführung des Krieges einmal unmöglich war oder schien. Es kann sein, dass der natürliche Wunsch dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden zu bringen, die Erinne- rung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges, die Erwägung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen lässt, vielleicht selbst Hamilkars Persönlichkeit mithalfen den römischen Feldherrn zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf unzufrie- den war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem Einfluss der Patrioten, die letzte Schiffrüstung durchgesetzt hatten, anfänglich die Ratification verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen wir nicht und vermögen nicht zu entscheiden, ob die Opposition gegen den Entwurf in der That den Frieden nur verwarf um dem Feinde die Bedingun- gen zu steigern, oder ob sie sich erinnerte, dass Regulus von Karthargo den Verzicht auf die politische Unabhängigkeit gefordert hatte und entschlossen war den Krieg fortzuführen, bis man an diesem Ziel stand. Erfolgte die Weigerung in dem ersteren Sinne, so war sie vermuthlich fehlerhaft; gegen Siciliens Gewinn verschwand jedes andere Zugeständniss und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und erfinderischem Geist sehr gewagt die Sicherung des Hauptgewinns an Neben- zwecke zu setzen. Lag der Weigerung die Absicht zu Grunde den Krieg zu endigen erst mit der politischen Vernichtung Karthagos, so zeigt sie politischen Tact, der die kommen- den Dinge ahnte; aber freilich hing alles davon ab, ob Roms Kräfte jetzt ausreichten den Zug des Regulus zu er- neuern und soviel nachzusetzen als erforderlich war um nicht bloss den Muth, sondern die Mauern der mächtigen Phoeni- kierstadt zu brechen; und wer wagt es diese Frage in einem oder dem andern Sinn zu beantworten? — Schliesslich über- trug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Commis- sion, die in Sicilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestätigten im Wesentlichen den Entwurf; nur ward die für die Kriegskosten von Karthago zu zahlende Summe erhöht auf 3200 Talente (fast 5 Mill. Thlr.), davon ein Drittel gleich, ERSTER PUNISCHER KRIEG. der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung von Sicilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sicilien in den definitiven Tractat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redactionelle Veränderung ge- funden werden; denn dass Karthago, wenn es Sicilien hin- gab, sich die längst von römischen Schiffen besetzte Insel Li- para nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich, und dass man absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, ist ein unwürdiger und unwahrscheinlicher Ver- dacht. — So war man endlich einig. Der unbesiegte Feld- herr einer überwundenen Nation stieg herab von seinen lang- vertheidigten Bergen und übergab den neuen Herren der Insel die Festungen, die Karthago seit wenigstens vierhundert Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt und von deren Mauern alle Stürme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die römische Grenze vorrückte über den Meerring, der die Halbinsel einfasst. Er ist einer der längsten und schwersten, welchen die Römer geführt haben; die Soldaten, welche fochten in der entscheidenen Schlacht, waren zum guten Theil, als er begann, noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Römer so schlecht und so unsicher geführt haben, militärisch sowohl wie politisch. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels der politischen Systeme, zwi- schen der nicht mehr ausreichenden italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der römische Senat und das römische Kriegswesen waren unübertrefflich organisirt für die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese ver- anlasste, waren reine Continentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnächst auf der römischen Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Märsche und Operationen zählten nur an zweiter, an erster Stelle die Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen kaum einmal beiläufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten beim Mangel der Artillerie wesentlich immer das Handgemenge ent- schied, dass eine Rathversammlung diese Operationen zu diri- DRITTES BUCH. KAPITEL II. giren und wer eben Bürgermeister war die Truppen zu be- fehligen im Stande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in unabseh- bare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdtheils hinein und hinaus über weite Meeresflächen; jede Welle war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen aus konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die Belagerung der festen Plätze, namentlich der Küstenfestungen, an der die ersten Taktiker Griechenlands so oft gescheitert waren, hatten die Römer jetzt zum ersten Mal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und mit dem Bürgermilizwesen. Es galt eine Flotte zu schaffen und was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt die wahren Angriffs- und Vertheidigungspuncte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Züge zu berechnen und in einander zu pas- sen; geschah dies nicht, so konnte der taktisch weit schwä- chere Feind gar leicht den Stärkeren besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zügel eines solchen Regiments der Rath- versammlung und den commandirenden Bürgermeistern ent- schlüpften? — Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht was man begann; erst im Laufe des Kampfes drängten die Unzulänglichkeiten des römischen Systems eine nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen ei- ner festen militärischen Leitung, die Unfähigkeit der Feld- herren, die vollständige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Theil half man ihnen ab durch Energie und durch Glück; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schöp- fung war ein grossartiger Nothbehelf und ist es zu allen Zei- ten geblieben. Man bildete eine römische Flotte, aber man nationalisirte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets stiefmütterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschätzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die See- offiziere waren grossentheils italische Griechen, die Bemannung Unterthanen oder gar Sclaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er ein Schiff genommen habe, wo er zu Fuss habe gehen können. Es lag dies zum Theil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum gea- delt werden kann; allein die Offiziere wenigstens hätte man heben, ferner eigene Schiffssoldaten bilden können. Man hätte den Impuls der Nation benutzend allmählich darauf ausgehen ERSTER PUNISCHER KRIEG. sollen eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch Segel- fähigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem Kaperwesen während des langen Krieges die Gelegen- heit nahe genug lag; allein es geschah von der Regierung nichts der Art. — Dennoch ist das römische Flottenwesen in seiner unbehülflichen Grossartigkeit noch die genialste Schöp- fung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt für Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu überwinden waren diejenigen Mängel, die sich ohne Aenderung der Ver- fassung nicht beseitigen liessen. Dass der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System der Kriegführung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging wie die Räumung von Clupea und die mehr- malige Einziehung der Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sicilische Städte belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die africanische Küste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern für gut fand; dass überhaupt der Oberbefehl jährlich von Rechts we- gen wechselte — das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen anzuregen, die schwieriger zu lösen waren als der Flottenbau, aber freilich ebenso wenig vereinigen mit den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber liess sich das nicht beseitigen, dass Niemand in die neue Kriegführung sich zu finden wusste, weder der Senat noch die Feldherren. Regulus Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man befangen war in dem Gedanken, dass die takti- sche Ueberlegenheit alles entscheide. Es giebt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glück so die Erfolge in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahre 498 genau da wo funfzig Jahre später Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee gegenüberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurück, so wie man sich von der takti- schen Ueberlegenheit der Römer überzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die Schlacht an wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich überwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein tüchtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauern- manier, durch die Etrurien und Samnium waren gewonnen wor- den, war die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der Satz war irrig geworden, dass jeder Bürgersmann gut genug sei zum General; in dem neuen Kriegssystem konnte DRITTES BUCH. KAPITEL II. man nur Feldherren brauchen von militärischer Schule und militärischem Blick, und freilich war das nicht jeder Bürger- meister. Noch viel ärger aber war es, dass man das Ober- commando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu können. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stürme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner Bürgeradmirale. — Rom hat endlich gesiegt, aber es war ein halber Sieg — es kam das sonst nicht vor, dass man sich mit weit geringerem begnügte als zu Anfang gefor- dert, ja geboten worden war; und wenn Rom siegte, so ver- dankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Götter und der Energie seiner Bürger, aber mehr als beiden den die Mängel der römischen Kriegführung noch weit übertreffenden Fehlern seiner Feinde. KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen . Das Italien, über welches seit der Besiegung des Königs Pyrrhos Rom die Herrschaft ohne Widerspruch im In- oder im Ausland behauptete, bezeichnete zunächst die mehr oder minder eng verwandten Stämme der Latiner, Sabeller, Etru- sker und italischen Griechen als eine nationale Einheit, die zuerst und vornämlich sich als solche zusammengefunden zu haben scheint in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten. Deren Gebiet ist der eigentliche Gegensatz zu dem italischen Lande und bis in sehr späte Zeit hinab galten selbst Sena Gallica (Sinigaglia) und Ariminum (Rimini) als ausseritalische Städte; die geographische Scheide zwischen beiden bildete der Apennin, und Italien endete damals westlich am Macrafluss bei Spezzia, östlich am Aesis oberhalb Ancona. Die Römer adop- tirten diesen Begriff der italischen Nation und steigerten ihn, indem sie den Anspruch erhoben und durchfochten unter den italischen Gemeinden die führende zu sein, von dem der na- tionalen zu dem der politischen Einheit Wann es aufkam die geschlossene römische Eidgenossenschaft als die der Italiker zu bezeichnen, lässt sich nicht genau bestimmen; aber sicher nicht vor den Kriegen mit Pyrrhos und den Beziehungen zu den Mamerti- nern, die hiefür wichtig werden mussten, und wahrscheinlich unter dem Einfluss der Griechen, die den Namen Italia, ursprünglich den des heutigen Calabriens, allmählich anfingen auf die nördlichen Gegenden zu übertragen. Noch die griechischen Schriftsteller des fünften Jahrhunderts der Stadt, wie zum Beispiel Aristoteles, kennen jenes weitere Italien nicht. ; und als solcher DRITTES BUCH. KAPITEL III. hat er in den einmal festgestellten Grenzen mehrere Jahrhun- derte sich unverrückt behauptet. Indess die römische Herrschaft beschränkte sich auf diese Grenzen nicht. Sie wurden zuerst überschritten, als die Republik alte und neue Unbill zu rächen die keltischen Senonen politisch vernichtete (471) und in deren ehemaligem Gebiet die Grenzfestungen Sena (um 471) und Ariminum (486) angelegt, die hie und da etwa zurück- bleibenden keltischen Haufen nicht in die italische Eidge- nossenschaft aufgenommen, sondern als zinspflichtige Unter- thanen behandelt wurden. Jetzt, wo die Africaner besiegt und zurückgedrängt waren, machte eine neue umfassendere politische Idee sich geltend. Italien, wie es damals ver- standen ward, war und blieb die herrschende Gemeinschaft; allein die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel erforderte es, dass man zu Lande die Grenze bis an die Alpen vor- schob und beide Meere im Westen und Osten sich unter- warf, und dies ins Werk zu setzen fand die Regierung der römischen Gemeinde schnell ihre ganze Thatkraft und Sicher- heit wieder. Zunächst in der Westsee, die für Italien bei weitem wichtiger ist als das adriatische Meer, war die wichtigste Stel- lung gewonnen durch den so eben beendigten Krieg mit den Africanern, die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sici- lien. Von den drei Mächten, die bisher in den Besitz der Insel sich getheilt hatten, den Mamertinern, Syrakusanern und Karthagern war die erste schon zu Anfang des Krieges als Glied der italischen Nation anerkannt worden und hatte mit dem Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit sich die communale Selbstverwaltung, die Freiheit vom Tribut und die Theilnahme an den gemeinen Rechten der italischen Eid- genossenschaft erkauft. Syrakus behielt seine bisherige Stel- lung als unabhängige Mittelmacht, die mit den übrigen unab- hängigen Staaten in selbstständige Beziehungen zu treten befugt war; eine Gebietserweiterung ward ihm nicht zu Theil. Hieron mochte zufrieden sein, dass der Krieg der beiden Grossmächte nicht mit dem Sturz der einen oder der andern geendigt hatte, und wir finden ihn darauf bedacht, so viel seine Mittel und die Klugheit es ihm erlaubten, den Kartha- gern in ihren gefährlichen Krisen nach dem Friedensschluss mit Rom beizustehen, namentlich durch bedeutende Kornsen- dungen. Was endlich das bisher karthagische Gebiet, das heisst den bei weitem grössten Theil der Insel anlangt, so ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. behielten die Römer dafür das von Karthago befolgte System unverändert bei. Die Einwohner blieben ausgeschlossen aus der herrschenden Eidgenossenschaft und nicht einmal Colo- nien wurden dort hingesandt; dagegen hatten die Siculer fortan ihre Zehnten, wenn auch geringere, nach Rom zu zah- len statt wie bisher nach Karthago. Sie verloren das Waffen- recht und stellten nicht einmal Zuzug zum römischen Heere; in den festen Plätzen blieb römische Besatzung, welche zu commandiren und den ganzen District zu leiten jährlich ein römischer Vogt hinübergesandt ward. So entstand der Gegen- satz zwischen der italischen Eidgenossenschaft und den unter- thänigen ‚Aemtern‘ ( provinciae ), der bisher nicht bestanden hatte; denn dass einzelne Keltendörfer am Po schon früher ähn- lich mochten behandelt wurden sein, hat nicht viel zu bedeuten. Im Wesentlichen ward das neue System erst jetzt festgestellt und gemodelt nach der karthagischen Unterthanenverfassung, die seine Grundsätze und seinen Geist für alle Zukunft be- stimmte. — Während man noch beschäftigt war die sicilischen Angelegenheiten zu ordnen und nur bedauerte, dass der Be- sitz des schönen Eilandes doch, so lange Sardinien kartha- gisch blieb, nicht ausreichte um die westliche See in ein italisches Binnenmeer zu verwandeln, kamen unvermuthet An- erbietungen, die eine nahe Aussicht eröffneten auf den Er- werb dieser zweiten Insel des Mittelmeeres. In Africa war inzwischen durch die Schuld der Regierungsbehörden ein fürchterlicher Aufruhr der Söldner und der Unterthanen aus- gebrochen. Hamilkar hatte seinen sicilischen Söldnern in den letzten Kriegsjahren den Sold nicht ferner aus eigenen Mitteln auszahlen können und vergeblich Geldsendungen von daheim erbeten; er möge, hiess es, die Leute nur zur Ablöh- nung nach Africa senden. Er fügte sich, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig in kleineren Abthei- lungen ein, damit man sie truppweise ablohnen oder min- destens dislociren könne, und legte hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte nicht so sehr an den leeren Kassen als an dem collegialischen Geschäftsgang und dem Unverstand der Bureaukratie. Man wartete, bis das ge- sammte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann den Leuten an dem versprochenen Solde zu kürzen. Natürlich entstand eine Meuterei unter den Truppen und aus dieser eine allgemeine Schilderhebung der gesammten kartha- gischen Soldatesca und der africanischen Unterthanen. Das DRITTES BUCH. KAPITEL III. unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meu- terern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder ab- hängigen Districten; sie kannten die Stimmung, welche die officielle Schlächterei nach dem Zuge des Regulus und der fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen hatte und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie sich nach Hause zerstreuten mit dem meuterisch erpressten Solde. Seit langem hatte man sich in Karthago die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten als sie anzünden; wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des sicilischen Heeres wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert, das aus der Stadt ausrückende kar- thagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Führers gänzlich geschlagen. Während also der Krieg in Africa wüthete, vermochten die sardinischen Besatzungen, die gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufstän- dischen erklärt hatten, gegen die Eingebornen der Insel sich nicht zu halten und boten dieselbe den Römern an (um 515); diese gingen darauf ein und besetzten die Insel (516). Es war zum zweitenmal, dass das grosse und siegreiche Volk sich hergab Brüderschaft zu machen mit dem feilen Söldner- gesindel und seinen Raub mit ihm zu theilen; in diesem zwei- ten Falle wäre es wohl möglich gewesen dem Gebot der Ehre den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Als Karthago, das durch Hamilkars Genie sich plötzlich vom Abgrund gerettet und in Africa wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt sah (517), von den Römern die Rückgabe Sardiniens begehrte, brachte man nichtige Beschwerden vor, wonach die Karthager römischen Handelsleuten Unbill zugefügt oder gar solche ins Meer gestürzt haben sollten, und eilte den Krieg zu erklären Dass die Abtretung der zwischen Sicilien und Italien liegenden In- seln, die der Friede von 513 den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht einschloss, ist ausgemacht; es ist aber auch schlecht be- glaubigt, dass die Römer damit die Besatzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden motivirten. Hätten sie es gethan, so würden sie bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefügt haben. . ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. Man bereute den Friedensschluss von 513, der wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig schien; man hatte vergessen, wie erschöpft damals der eigene Staat gewesen war, wie mächtig der karthagische dagestan- den hatte; man sah den gehassten und immer noch gefürch- teten Feind in grösserer Gefahr schweben als je die römischen Kriege ihm gebracht hatten; und so dachte man eben das Ver- säumte nachholen zu können. Die Scham hatte verboten mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man hatte den Karthagern ausnahmsweise zu diesem Krieg in Ita- lien Werbungen zu veranstalten gestattet und den italischen Schiffern mit den Libyern zu verkehren untersagt; für die rö- mischen Capitäne indess, die den Aufständischen ihre Bedürf- nisse zugeführt hatten und die von Hamilkar waren aufge- griffen und eingesteckt worden, hatte sich der römische Senat verwandt und ihre Freigebung erlangt. Auch die Anträge, die Utica machte sich gleich Sardinien den Römern zu ergeben, wies man zurück, weil sie weiter geführt hätten als man zu gehen gedacht und hinaus über die natürlichen Grenzen Ita- liens. Aber Sardinien, das besetzt worden war in der Zeit der höchsten Bedrängniss Karthagos, war man nicht gesonnen wieder herauszugeben, als diese Gefahr wider Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Römer abgewendet war; der Satz, dass in der Politik jeder darf was er kann, trat hervor in seiner unverhüllten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitte- rung hiess die Karthager den gebotenen Krieg annehmen; hätte Catulus fünf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung be- standen, der Krieg würde wahrscheinlich seinen Fortgang ge- habt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gährung, der Staat durch den vierundzwanzigjährigen Krieg mit Rom und den fast fünfjährigen entsetzlichen Bürgerkrieg aufs Aeusserste geschwächt war, musste man sich wohl fügen und da es die Römer einmal nicht anders wollten und nur auf wiederholte flehentliche Bitten widerwillig vom Kriege abstan- den, ihnen auch noch als Entschädigung für die muthwillig veranlassten Kriegsrüstungen 1200 Talente (1⅘ Mill. Thlr.) zahlen. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Corsica fügte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne römische Be- satzungen standen. Man bildete aus ihnen beiden das zweite römische ‚Amt‘, das sich indess hauptsächlich, namentlich in dem rauhen Corsica nur auf den Besitz der Küsten be- DRITTES BUCH. KAPITEL III. schränkte. Die Unterthanen wurden gleich den Siculern zehntpflichtig; mit den Eingebornen im Innern führte man beständig Kriege oder vielmehr man trieb dort die Menschen- jagd: man hetzte sie mit Hunden und führte die gefangene Waare auf den Sclavenmarkt, aber an eine ernstliche Unter- werfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die Eidge- nossenschaft das tyrrhenische Meer das ihrige nennen. Im adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und längst vorbereitete Colonie Brundisium endlich noch wäh- rend des Krieges mit Karthago gegründet worden war (510), standen die Dinge für Rom nicht minder günstig. In der Westsee hatte Rom seinen Rivalen beseitigt; in der östlichen sorgte die hellenische Zwietracht dafür, dass keiner der Staa- ten auf der griechischen Halbinsel eine namhafte Macht ent- wickele. Der bedeutendste derselben, der makedonische, war damals kaum im Stande die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schützen und unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achäer verdrängt worden. Wie sehr den Römern daran gelegen war Makedonien und dessen natürlichen Ver- bündeten, den syrischen König niederzuhalten und wie eng sie sich anschlossen an die eben darauf gerichtete ägyptische Politik, beweist das merkwürdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem König Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstützen, den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. 507-529) führte und bei dem wahrschein- lich Makedonien für den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den hellenisti- schen Staaten jetzt enger; auch mit Syrien knüpfte der Senat Verbindung an und verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos für die stammverwandten Ilier. — Indess der un- mittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der östlichen Mächte enthielt man sich, weil es deren nicht bedurfte. Die achäische Eidgenossenschaft, die im Aufblühen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die ätolische Soldatengemeinde, das verfallene Makedonierreich hielten selber einer den andern nieder, ohne dass dazu römische Dazwi- schenkunft nöthig gewesen wäre; und überseeischen Länder- gewinn vermied man damals eher in Rom als dass man ihn ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen nicht theilgenommen hätten an der Zerstörung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hülfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplo- matische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschämte Antwort er- theilten, ging das antiquarische Interesse der römischen Herren doch keineswegs so weit um einen Krieg anzufangen, der die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben würde (um 515). — Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicher Weise das einzige Gewerbe war, das an der adria- tischen Küste blühte und von der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Römer lange gefallen mit einer nicht löblichen Geduld, die zusammenhängt mit ihrer gründlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlech- ten Flottenwesen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Begünstigung Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand sein altes Geschäft der Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Corsaren zu Gunsten seiner Feinde fort- zuführen, hatten die Herren von Skodra zu gemeinschaftlichen Piratenzügen im grossen Stil die illyrischen Völkerschaften, etwa die heutigen Dalmatier, Montenegriner und Nordalbanesen, vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten ‚liburnischen‘ Schiffe, führten die Illyrier den Krieg gegen Jedermann zur See und an den Kü- sten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstädte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen Küstenplätze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (nördlich von Avlone am Aoos), hatten natürlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter südlich, in Phoenike, der blühendsten Stadt von Epeiros setzten die Corsaren sich fest; halb gezwungen halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Räubern in eine unnatürliche Symmachie; bis nach Elis und Messene waren die Küsten nirgends mehr sicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer was sie an Schiffen hatten um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeräubern und deren griechischen Bundesge- nossen geschlagen; die Corsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Corfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hülfsgesuche der alt- verbündeten Apolloniaten, die flehende Bitte der belagerten Röm. Gesch. I. 24 DRITTES BUCH. KAPITEL III. Issaeer nöthigten endlich den römischen Senat wenigstens Ge- sandte, die Brüder Gaius und Lucius Coruncanius nach Skodra zu schicken, um von dem König Agron Abstellung des Unwe- sens zu begehren. Der König erwiderte, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde den Illyriern ein besseres Landrecht beizubringen. Zur Strafe dieser allerdings nicht sehr diplomati- schen Replik wurden auf Geheiss des Königs — so wenigstens behaupteten die Römer — beide Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Mörder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Frühjahr 525 erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Cor- sarenböte, während diese die Raubburgen brach; die Königin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die Regierung für ihren unmündigen Sohn Pinnes führte, musste, in ihrem letz- ten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom dictirte: das Gebiet der Herren von Skodra erhielt wieder nördlich und südlich seine ursprünglichen engen Grenzen, alle griechischen Städte mussten sie entlassen, ebenso die Ar- diaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die Atin- tanen im nördlichen Epeiros; südlich von Lissos (Alessio zwi- schen Scutari und Durazzo) sollte künftig kein armirtes illy- risches Fahrzeug noch über zwei nicht armirte zusammen fah- ren dürfen. Roms Seeherrschaft auf dem adriatischen Meer war in der löblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische Unter- drückung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte sich zugleich an der Ostküste fest. Die Illyrier von Skodra wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatini- schen Inseln und Küsten wurde Demetrios von Pharos, der aus dem Dienst der Teuta in römische getreten war, als ab- hängiger Dynast und römischer Bundesgenosse eingesetzt; die griechischen Städte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknüpft. Wie hätte es an- ders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im obern adriatischen Meere, welche ihm seine italischen Be- sitzungen an dem entgegengesetzten Ufer nicht gewährten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Han- ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. delsstädte, sahen in den Römern ihre Retter und thaten ohne Zweifel was sie konnten sich des mächtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Hellas war nicht bloss Niemand im Stande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas grösser war oder die Scham, als statt der zehn Linienschiffe der achaeischen Eidgenossenschaft, der streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre Häfen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe lösten, die den Griechen zukam und an der diese so kläglich ge- scheitert waren. Aber wenn man sich schämte, dass die Ret- tung den bedrängten Landsleuten vom Ausland hatte kommen müssen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man säumte nicht die Römer durch Zulassung zu den isthmischen Spielen und den eleusinischen Mysterien feierlich aufzunehmen in den hellenischen Nationalverband. — Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung mit den Waffen zu protestiren und verschmähte es mit Worten zu thun. Widerstand fand sich nirgends; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schlüssel zum Hause des Nachbarn an sich nahm, in ihm sich einen Gegner geschaffen, von dem, wenn er wieder zu Kräften oder eine günstige Gelegenheit ihm vorkam, sich er- warten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Hätte der kräftige und besonnene König Antigonos Doson län- ger gelebt, so würde wohl schon er den hingeworfenen Hand- schuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre später der Dynast Demetrios von Pharos sich der römischen Hegemonie entzog, im Einverständniss mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Römern für unabhängig er- klärten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos Bündniss mit ihm und Demetrios Truppen fochten mit in Antigonos Heer in der Schlacht bei Sellasia (533). Allein Antigonos starb (Winter 533/4); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es geschehen, dass der Consul Lucius Aemilius Paullus den Verbündeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstörte und ihn landflüchtig aus seinem Reiche trieb (535). Auf dem Festland von Italien war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstägige Krieg mit Falerii (513) ist kaum etwas mehr als eine Curiosität. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette noch eine weite Strecke sich aus, die den Römern nicht unbedingt gehorchte. Jenseits 24* DRITTES BUCH. KAPITEL III. des Apennin besassen die Römer nur den schmalen Raum zwischen dem Aesis oberhalb Ancona und dem Rubico unter- halb Cesena Nach den sorgfältigsten neueren Untersuchungen der Localität ist der Rubico der Fiumicino bei Savignano, der indess jetzt in dem obern Theil seines Laufs sein Bett verändert hat. , ungefähr die heutigen Provinzen Forli und Urbino. Südlich vom Po behauptete sich noch der mächtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen östlich die Lingonen, westlich (im heutigen Herzogthum Parma) die Anaren, zwei kleinere vermuthlich in der Clientel der Boier stehende keltische Cantone die Ebene ausfüllten. Wo diese aufhört, begannen die Ligurer, die mit einzelnen keltischen Stämmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und Pisa an sitzend das Quellgebiet des Po inne hatten. Von der Ebene nordwärts vom Po hatten die Veneter, verschie- denen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den östlichen Theil etwa von Verona bis zur Küste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Ce- nomanen (um Brescia und Cremona), die selten mit der kel- tischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutend- ste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den kleineren in den Alpenthälern zerstreuten Ge- meinden theils keltischer, theils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die Pforten der Alpen, der mächtige auf 250000 Schritte schiffbare Strom, die grösste und fruchtbarste Ebene des damaligen civilisirten Europa wa- ren nach wie vor in den Händen der Erbfeinde des italischen Namens, die wohl gedemüthigt und geschwächt, doch immer noch kaum dem Namen nach abhängig und immer noch un- bequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und dünn- gesäet in den weiten Flächen ihre Heerden- und Plünderwirth- schaft fortführten. Man durfte erwarten, dass die Römer eilen würden, sich dieser Gebiete zu bemächtigen; um so mehr als die Kelten allmählich anfingen ihrer Niederlagen in den Feld- zügen von 471 und 472 zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war die transalpinischen Kelten wieder begannen diesseit der Alpen sich zu zeigen. In der That hatten bereits im Jahre 516 die Boier wieder den Krieg begonnen und deren Herren Atis und Galatas ohne Auftrag der Landesgemeinde die Transalpiner aufgefordert mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 lagerte ein Kelten- heer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die Römer, für den Augenblick dort viel zu schwach um die Schlacht zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen um Zeit zu gewinnen Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von Ariminum zu fordern wagten. Es schien, als sollten die Zeiten des Brennus wiederkehren, als ein unvermutheter Zwischenfall dem Krieg ein Ende machte, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl für ihr eigenes Gebiet fürchtend, geriethen in Händel mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feld- schlacht und nachdem die boiischen Häuptlinge von ihren eige- nen Leuten erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Römern in die Hände gegeben und es hing nur von diesen ab sie auszutreiben gleich den Senonen und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein sie begnügten sich mit der Abtretung einiger Landstriche und gaben den Boiern Frieden (518). Es mag das geschehen sein, weil man eben damals den Wiederausbruch des Krieges mit Karthago erwartete; gewiss ist es, dass die Römer sich nicht beeilten die Occupation des Landes bis an die Alpen vorzunehmen, obwohl die beständigen Besorgnisse der Kelten vor solcher römischen Invasion von den Absichten der Römer hinreichend zeugen. Endlich waren es nicht diese, sondern die Kelten, die den Krieg begannen, sei es, dass die Ackerver- theilungen an der römischen Ostküste (522), obwohl zunächst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das Keltenvolk wieder einmal des Sitzens müde war und eine neue Heerfahrt zu rüsten be- liebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich für die Römer erklärten, traten sämmtliche italische Kelten zusammen und ihnen schlossen sich unter den Führern Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kel- ten des obern Rhonethals oder vielmehr deren Reisläufer, die Gaesaten oder Germanen an; welcher letztere Name hier zum erstenmal in der Geschichte erscheint Dieselben, die Polybios bezeichnet als ‚die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man wegen ihrer Reisläuferei Gaesaten (Lanzknechte) nenne‘, werden in den gleichzeitigen römischen Aufzeichnungen Germani . Mit 50000 zu Fuss DRITTES BUCH. KAPITEL III. und 20000 zu Ross oder zu Wagen kämpfenden Soldaten rück- ten die Führer der Kelten auf den Apennin zu, ehe Rom sich von dieser Seite des Angriffs versah (529); man hatte nicht erwartet, dass sie mit Vernachlässigung der römischen Festun- gen an der Ostküste und des Schutzes der eigenen Stamm- genossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen würden. Die Kelten schienen den Italikern dasselbe Schicksal bereiten zu wollen, das nicht gar lange vorher Griechenland erfahren hatte. Die Besorgnisse waren gross durch ganz Ita- lien und selbst in Rom zitterte die Bürgerschaft, so dass man es nicht verschmähte den wüsten Glauben der Masse, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der römische Boden vom Verhängniss gallisch zu werden bestimmt sei, durch einen noch crasseren Aberglauben zu beschwichtigen und zur Erfüllung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem römischen Markt lebendig zu begraben. Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden consularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zählte, stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl sich so schnell wie möglich nach dem zunächst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbündeten Ceno- manen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimath zurücklassen müssen; jetzt ward auch der Landsturm der Um- brer angewiesen von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzurücken und dem Feinde daheim jeden erdenk- lichen Schaden zuzufügen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und wo möglich sperren, bis die regulären Truppen eintreffen könnten. In Rom bil- dete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten Vorkämpfer sah, wurde die dienstfähige Mannschaft verzeichnet, Vorräthe und Kriegs- material zusammengebracht. — Indess alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich überrumpeln lassen und Etrurien zu retten war es zu spät. Die Kelten fanden den Apennin kaum vertheidigt und erreichten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. genannt. Die besten Sprachforscher sind darüber einig, dass das letzte Wort nicht deutschen Ursprungs ist, sondern keltischen, und ‚Schreier‘ be- zeichnet; die Geschichte ihrerseits bestätigt dies, indem sie hier als Germanen nicht die später so genannten Deutschen vorführt, sondern einen Keltenschwarm. ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. Schon standen sie bei Clusium drei Tagemärsche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Consul Papus ihnen in der Flanke erschien, während die etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im Rücken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde folgte. Plötzlich wandten die Gallier sich rückwärts. Nachdem sie die Lagerfeuer angezündet hatten, übernahm die Reiterei die Vorposten; das Fussvolk zog ab auf der Strasse gegen Fae- sulae (Fiesole). Als am Morgen darauf auch die Reiterei auf- brach und die tuskische Landwehr, die dicht am Feinde la- gerte, des Abzugs inne ward, meinte sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und folgte im eiligen Marsch. Al- lein eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewählten Schlachtfeld die römische Miliz, die ermattet und aufgelöst von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf; und auch der Rest des Landsturms, der nothdürftig auf einem Hügel Zuflucht gefunden, wäre verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das consularische Heer er- schienen wäre. Es war dies für die Gallier das Zeichen zum Abmarsch. Ihr geschickt angelegter Plan die Vereinigung der beiden römischen Heere zu hindern und das schwächere ein- zeln zu vernichten war nur halb gelungen; für jetzt schien es ihnen gerathen zunächst die beträchtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Küste und marschirten am Strande hin, als sie unvermuthet sich hier den Weg verlegt fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisa gelandet waren und, da sie zu spät kamen um den Apennin zu sperren, sich sofort gleichfalls auf dem Küstenweg in der dem Marsch der Gallier entgegenge- setzten Richtung in Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Mündung des Ombrone) trafen sie auf den Feind. Während das römische Fussvolk in geschlossener Fronte auf der grossen Strasse vorrückte, ging die Reiterei, geführt vom Consul Gaius Atilius Regulus selbst, seitwärts vor um den Galliern in die Flanke zu kommen und sobald wie möglich dem andern römischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reiter- gefecht, in dem Regulus selber fiel; aber nicht umsonst hatte er sein Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und ahnte den Zusammenhang; schleu- DRITTES BUCH. KAPITEL III. nig ordnete er seine Legionen und von beiden Seiten drang das römische Fussvolk auf das Keltenheer ein. Muthig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen die sardinischen Legionen; das Reitergefecht ging davon gesondert seinen Gang auf dem Flügel. Die Kräfte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen und die ver- zweifelte Lage der Gallier zwang sie zur hartnäckigsten Ge- genwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes ge- wohnt, wichen vor den Geschossen der römischen Plänkler; im Handgemenge setzte die bessere Stählung der römischen Waffen die Gallier in Nachtheil; endlich entschied der Flanken- angriff der siegreichen römischen Reiterei den Tag. Die kelti- schen Berittenen entrannen; für das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei römischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem König Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen todt auf dem Schlacht- feld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach kelti- scher Sitte selber den Tod gegeben. — Der Sieg war voll- ständig und die Römer fest entschlossen die Wiederholung solchen Einfalls durch die völlige Ueberwältigung der Kelten diesseit der Alpen unmöglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530) sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531) die Anaren; damit war das Flachland bis zum Padus in römischen Händen. Ernstlichere Kämpfe kostete die Eroberung des nördlichen Ufers. Gaius Flaminius überschritt in dem neugewonnenen anarischen Ge- biet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am andern Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich den Fluss im Rücken in einer so gefährlichen Lage, dass er mit dem Feind um freien Abzug capitulirte, den die Insubrer thörichter Weise zugestanden. Kaum war er indess abgezogen, als er auch schon wieder vom Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her zum zweitenmal einrückte in den Gau der Insubrer. Zu spät begriffen diese, um was es sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Göttin die goldenen Feldzeichen, ‚die unbeweglichen‘ genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000 Mann stark boten sie den Römern die Schlacht an. Die Lage war gefährlich; die Römer standen an einem Fluss (vielleicht dem Oglio), von der Hei- math getrennt durch das feindliche Gebiet und für den Bei- ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. stand im Kampf wie die Rückzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indess es gab keine Wahl. Man zog die Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenüber, stellte man die Legionen auf und brach die Brücken ab, um nicht von den unsichern Bundesgenossen im Rücken angefallen zu werden. Also schnitt der Fluss den Rückzug ab und ging der Weg zur Heimath durch das feindliche Heer. Die Ueberlegenheit der römischen Waffen und der römischen Disciplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch; wieder einmal hatte die römische Taktik die strategischen Fehler gut gemacht. Der Sieg gehörte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherrn, die nur gegen den gerechten Beschluss des Senats durch Volksgunst triumphirten. Gern hätten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwer- fung, und so weit war man noch nicht. Sie versuchten sich mit Hülfe der nördlichen Stammgenossen zu halten und mit 30000 von ihnen geworbener Söldner derselben und ihrer ei- genen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrückenden consularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer Diversion, welche die Insubrer gegen die römische Festung Clastidium am rechten Poufer versuch- ten, fiel der gallische König Virdumarus von der Hand des Consuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch für die Römer entschiedenen Schlacht erstürmte der Consul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der Insubrer Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollständig besiegt und der Gnade eines Siegers preisgegeben, der in ihnen die National- feinde und die Usurpatoren seines Erbes sah. Es zeigt von dem losen Zusammenhang der keltischen Nation, dass keiner der nördlichen Stämme ausser um Gold sich der Stammge- nossen und Vorposten annahm. Wie eben vorher die Römer den Hellenen im Piratenkrieg gezeigt hatten, welcher Unter- schied bestehe zwischen römischen und griechischen Flotten, so hatten sie jetzt glänzend bewiesen, dass Rom Italiens Pfor- ten anders gegen den Landraub zu wahren wusste als Ma- kedonien die Thore Griechenlands und dass trotz allen inne- ren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenüber ebenso einig dastand wie Griechenland zerrissen. — Die Alpengrenze war DRITTES BUCH. KAPITEL III. erreicht, insofern als das ganze Blachland den Römern unter- thänig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von abhängigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indess der Zeit um die Consequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisiren. In den Gebirgen zwar, im Nordapennin, in dem heutigen Piemont und in den Alpen duldete man im Ganzen die bisherigen Bewohner; die zahl- reichen sogenannten Kriege, die namentlich gegen die Li- gurer geführt wurden (zuerst 516), scheinen mehr Sclaven- jagden gewesen zu sein und wenn auch einzelne Gaue und Thäler den Römern sich unterwarfen, so war die römische Herrschaft doch hier in der Regel ein leerer Name. Auch die Expedition nach Istrien (533) scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Pira- ten zu vernichten und längs der Küste zwischen den itali- schen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Verbindung herzustellen. Im Ganzen verfuhr man in Norditalien wie in Sardinien; man nahm das ebene Land in Besitz und kümmerte sich wenig um die Gebirge. Dage- gen griffen die Römer mit aller Energie ihre neue Aufgabe an das Pothal, in dem die Kelten völlig auszurotten das Ziel ihrer Politik sein musste und war, in Besitz zu nehmen und zu sichern. Hier ward das dritte Amt, Gallia oder Ariminum genannt, eingerichtet; die grosse Nordchaussee, die schon achtzig Jahre früher über Otricoli nach Narni geführt und kurz vorher bis an die neugegründete Festung Spoletium (514) verlängert worden war, wurde jetzt (534) unter dem Namen der flaminischen Strasse über den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlo- pass an die Küste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum geführt, der Hauptstadt der neuen Provinz. Es war die erste Kunststrasse, die den Apennin überschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig be- schäftigt das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit römischen Ortschaften zu bedecken. Schon war am Po selbst zur Dek- kung des Uebergangs die starke Festung Placentia (Piacenza) gegründet, schon am linken Ufer Cremona angelegt, am rech- ten auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die Fortführung der Chaussee vor, als ein plötzliches Ereigniss die Römer in der Ausbeu- tung ihrer Erfolge unterbrach. KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal . Der Vertrag mit Rom von 513 gab den Karthagern Frieden, aber um einen theuren Preis. Dass die Tribute des grössten Theils von Sicilien jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste Verlust; viel schlimmer war es, dass man nicht bloss die Hoff- nung hatte aufgeben müssen, deren Erfüllung so nahe ge- schienen, die sämmtlichen Seestrassen aus dem östlichen ins westliche Mittelmeer zu monopolisiren, sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte südwestliche Becken des Mittelmeers seit Siciliens Verlust für alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollständig unabhängig gewor- den war. Indess die ruhigen sidonischen Männer hätten auch darüber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon ähnliche Schläge erfahren; man hatte mit den Massalioten, den Etruskern, den sicilischen Griechen theilen müssen, was man früher allein besessen; das was geblieben war, Africa, Spanien, die Pforten des atlantischen Meeres, reichte aus um mächtig und wohlgemuth zu leben. Aber freilich, wer bürgte dafür, dass auch nur dies blieb? — Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das was er forderte zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Feindes oder ein besonderer Glücksfall dazwischen trat, un- zweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden die Ratifi- cation verweigert ward und man wusste, wie die öffentliche Meinung in Rom jetzt diesen Friedensschluss beurtheilte. Man mochte zugeben, dass Rom jetzt noch nicht dachte an die Eroberung Africas und ihm Italien genügte; aber wenn an dieser Genügsamkeit die Existenz des karthagischen Staats hing, so sah es übel damit aus, und wer bürgte dafür, dass die Römer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden den africanischen Nachbar wenn nicht sich zu unter- werfen, so doch unschädlich zu machen? — Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung für die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht um die erlit- tene Niederlage zu rächen, nicht einmal zunächst um das Verlorene zurückzugewinnen, sondern um nicht ferner seine Existenz abhängig zu wissen von dem Gutfinden des Landes- feindes. Allein wenn einem schwächeren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die klügeren, entschlosseneren, hingebenderen Männer, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur günstigen Stunde aufnehmen und so die politische Defen- sive durch die strategische Offensive verdecken möchten, überall sich gehemmt sehen durch die träge und feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, wel- che nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschie- ben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die wie natürlich sich anschlossen an die schon zwischen den Conservativen und den Reformisten bestehenden politischen Gegensätze; jene fand ihre Stütze in den Regierungsbehörden, dem Rath der Alten und den Hun- dertmännern, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal und in den Offizieren des sicilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars Führung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzählt HAMILKAR UND HANNIBAL. worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch ihre unfähige alle Vorsichtsmassregeln der sicilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung angezettelt, diese Meuterei durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems in eine Revolution verwandelt und endlich durch ihre und namentlich ihres Führers, des Heerverderbers Hanno militärische Unfähig- keit das Land an den Rand des Abgrundes gebracht hatte, ward der Held von der Eirkte Hamilkar Barkas in der höch- sten Noth von der Regierung selbst ersucht sie von den Fol- gen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Commando an und dachte hochsinnig genug es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm den Hanno zum Collegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimgeschickt hatte, vermochte er es über sich auf die flehentliche Bitte der Re- gierung dem Hanno zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzu- räumen und trotz der Feinde wie trotz des Collegen durch seinen Einfluss bei den Aufständischen, seine geschickte Be- handlung der numidischen Scheiks, sein unvergleichliches Or- ganisirungs- und Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand völlig niederzuwerfen und das empörte Africa zum Gehorsam zurückzubringen (Ende 517). — Die Patrioten- partei hatte während dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter. Einerseits waren bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre Unfähigkeit, ihre Co- teriepolitik, ihre Hinneigung zu den Römern; andrerseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom danach einnahm, deutlich für den geringsten Mann, dass das Damoklesschwerdt der römischen Kriegserklärung stets über Karthago hing und dass, wie jetzt die Dinge stan- den, der Krieg mit Rom nothwendig Karthagos Untergang zur Folge haben müsse. Es mochte nicht Wenige geben, die an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd die Auswanderung nach den Inseln des atlantischen Meeres anriethen; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemüther verschmähen es ohne die Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht aus dem, worüber die Menge der Guten ver- zweifelt, Begeisterung zu schöpfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben dictirte; es blieb nichts übrig als sich zu fügen und den neuen Hass zu dem alten schlagend ihn sorgfältig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Capital einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt DRITTES BUCH. KAPITEL IV. man zu einer politischen Reform Wir sind über diese Vorgänge nicht bloss unvollkommen berichtet, sondern auch einseitig, da natürlich die Version der karthagischen Friedens- partei die der römischen Annalisten wurde. Indess selbst in unsern zer- trümmerten und getrübten Berichten — die wichtigsten sind Fabius bei Polybios 3, 8; Appian Hisp. 4 und Diodor 25 S. 567 — erscheinen die Verhältnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die ‚revolutionäre Verbindung‘ (έταιϱεία τῶν πονηϱοτάτων ἀνϑϱώ- πων) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihres Gleichen suchen, vielleicht auch finden. . Von der Unverbesserlich- keit der Regimentspartei hatte man sich hinreichend überzeugt; dass die regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen noch grössere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans Naive grenzende Unverschämtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess machten als dem Urheber des Söldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der Regie- rung seinen sicilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksführer die mor- schen Stühle dieses Missregiments hätten umstossen wollen, so würden sie in Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf desto grössere in Rom, mit dem die regierenden Herren von Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrath grenzten. Zu allen übrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass weder die Römer noch die eigene römisch gesinnte Regierung darum gewahr wurden. — So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und durchgesetzt, dass von den bei- den Oberfeldherren, die am Ende des libyschen Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, der erstere abberufen und der letztere zum Ober- feldherrn für ganz Africa auf unbestimmte Zeit in der Art ernannt ward, dass er eine von den Regierungscollegien un- abhängige Stellung — eine verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Dictatur — erhielt und nur von der Volksversammlung abberufen und zur Ver- antwortung gezogen werden durfte Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsverträge ab und die Ra- tification der Behörde ist eine Formalität (Pol. 3, 21); Rom protestirt bei ihnen und beim Senat (Pol. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten. . Selbst die Wahl eines HAMILKAR UND HANNIBAL. Nachfolgers ging nicht von den Behörden der Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Geru- siasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Verträgen neben dem Feldherrn genannt werden; natürlich unter Bestätigung der Volksversammlung daheim. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domäne ansah und behandelte. — Der Form nach war Hamilkars Aufgabe bescheiden. Die Kriege mit den numidischen Stämmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war im Binnenland die ‚Stadt der hundert Thore‘ Theveste (Tebessa) von den Puniern besetzt worden. Die Fortführung dieser Grenzfehden liess sich als eine innere nicht sehr bedeutende Massregel betrachten, zu welcher die karthagische Regierung, da man sie nicht störte in dem was sie zunächst begehrte, stillschweigen konnte, wäh- rend die Römer deren Tragweite vielleicht nicht einmal er- kannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sicilischen und im libyschen Kriege es bewährt, dass die Geschicke ihn zum Retter des Vaterlandes bestimmt hatten oder keinen. Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der gross- artige Kampf des Menschen gegen das Schicksal geführt wor- den. Das Heer sollte den Staat retten; aber was für ein Heer? Die karthagische Bürgerwehr hatte unter Hamilkars Führung im libyschen Krieg sich nicht schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist die Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der höchsten Gefahr schwebt, einmal zum Kampf hinauszuführen und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natürlich fast aus- schliesslich die gebildete Klasse vertreten. Bürgermiliz fand sich gar nicht in Hamilkars Heer; höchstens einige libyphoeniki- sche Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus dem libyschen Zwangsrekruten und aus Söldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar möglich war, allein nur, wenn er seinen Leuten rechten und reichlichen Sold zu zahlen ver- mochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkünfte in Kar- thago selbst zu viel nöthigeren Dingen gebraucht wurden als die gegen den Feind fechtenden Heere zu besolden, hatte er in Sicilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber ernähren und im Grossen ausgeführt werden, was auf dem Monte Pellegrino im Kleinen versucht worden war. Aber noch DRITTES BUCH. KAPITEL IV. mehr. Hamilkar war nicht bloss Militär-, er war auch Partei- chef; gegen die unversöhnliche und der Gelegenheit ihn zu stürzen begierig und geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die Bürgerschaft sich stützen, und mochten deren Füh- rer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und durch das unselige Corruptionssystem gewöhnt nichts für nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Noth oder die Begeisterung einmal durch, wie das überall selbst in den feilsten Körperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar für seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchführbaren Plan die Unterstützung des karthagischen Volkes dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimath durch regelmässige Geldsendungen die Mittel ge- währen den Pöbel bei guter Laune zu erhalten. So genöthigt von der lauen und feilen Menge die Erlaubniss sie zu retten zu erbetteln oder zu erkaufen; genöthigt dem Uebermuth der Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demuth und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genöthigt den verachteten Vaterlandsverräthern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plänen seine Verachtung zu verbergen — so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlos- senheit der einen und der andern bauend, zugleich beide täuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten, zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu überwinden kaum möglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus über die Dreissig; aber es schien ihm zu ahnen, als er sich anschickte zu sei- nem Zuge, dass es ihm nicht vergönnt sein werde das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfüllung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjährigen Sohn Han- nibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des höchsten Gottes dem römischen Namen ewigen Hass schwören und zog ihn und die jüngeren Söhne Hasdrubal und Mago, die ‚Löwen- brut‘, wie er sie nannte, im Feldlager auf als Erben seiner Entwürfe, seines Genies und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr in Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des Söldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Frühjahr 518). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders HAMILKAR UND HANNIBAL. an Elephanten stark war, zog an der Küste hin, neben ihm segelte die Flotte, geführt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Plötzlich vernahm man, er sei bei den Säulen des Herkules über das Meer gegangen und in Spanien gelan- det, wo er Krieg führe mit den Eingebornen; mit Leuten die ihm nichts zu Leide gethan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen Behörden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die africanischen Angelegenheiten ver- nachlässige; als die Numidier wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdrücklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhängige Stämme sich bequemten Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien gethan, können wir nicht mehr im Einzelnen verfolgen. Aber wie viel von ihm geleistet worden ist als Militär und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526), bis er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kämpfend den Tod fand, wie Scharn- horst, eben als seine Pläne zu reifen begannen; wie alsdann im Sinne des Meisters während der nächsten acht Jahre (527- 534) der Erbe seines Amtes und seiner Pläne, sein Tochter- mann Hasdrubal das angefangene Werk weiter geführt hat, das zeigen die Erfolge. Statt der kleinen Entrepots für den Han- del, die nebst dem Schutzrecht über Gades bis dahin Kar- thago an der spanischen Küste allein besessen und als Depen- denz von Libyen behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst begründet und durch Hasdrubals staatsmännische Gewandtheit befestigt. Die schönsten Landschaften Spaniens, die Süd- und Ostküste wurden punisches Provinzialgebiet; Städte wurden gegründet, vor allem Spanisch-Karthago (Cartagena), von Hasdrubal an dem einzigen guten Hafen an der Südküste angelegt, mit Hasdrubals prächtiger ‚Königsburg‘; der Ackerbau blühte auf und mehr noch der Grubenbau in den glücklich aufgefunde- nen Silberminen von Cartagena, die ein Jahrhundert später gegen 2½ Millionen Thaler jährlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden abhängig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es die Häuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheirathen in das karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier für seinen Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle und die Einnahmen der Provinz nährten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch übrig nach Karthago zu senden und für die Röm. Gesch. I. 25 DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Zukunft zurückzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. Im karthagischen Gebiet fanden regel- mässige Aushebungen statt; die Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Corps; von den abhängi- gen Gemeinden kam Zuzug und kamen Söldner, so viel man begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimath und als Ersatz für den Patriotis- mus den Fahnensinn und die begeisterte Anhänglichkeit an seine grossen Führer; die ewigen Kämpfe mit den tapfern Iberern und Kelten schufen zu der vorzüglichen numidischen Reiterei ein vortreffliches Fussvolk. — Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Bürgerschaft regelmässige Lei- stungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr für sie noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand was er in Sicilien und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen glänzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populär, dass es sogar möglich ward in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall, bedeutende Nachsendungen africanischer Truppen nach Spa- nien durchzusetzen und die Regierungspartei wohl oder übel schweigen oder doch sich begnügen musste unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere und den Pöbel zu schelten. — Auch von Rom aus geschah nichts um den spanischen Angelegenheiten ernstlich eine an- dere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der Unthätigkeit der Römer war unzweifelhaft eben ihre Unbe- kanntschaft mit den Verhältnissen der entlegenen Halbinsel, wel- che sicher auch für Hamilkar die Hauptursache gewesen ist zur Ausführung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst nicht unmöglich gewesen wäre, Africa selbst zu erwählen. Zwar die Erklärungen, mit denen die karthagischen Feldherren den römischen um Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Commissarien entgegenkamen, die Ver- sicherungen, dass alles dies nur geschehe um die römischen Kriegscontributionen prompt zahlen zu können, fanden schwer- lich vollen Glauben im Senat; allein man erkannte wahrschein- lich von Hamilkars Plänen nur den nächsten Zweck: für die Tribute und den Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu finden, und hielt einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion nach Italien von Spanien aus, wie das sowohl ausdrückliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, für schlechterdings unmöglich. Dass unter HAMILKAR UND HANNIBAL. der Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich sich gedrun- gen fühlen ihre römischen Freunde aufzuklären über den dro- henden Sturm, den zu beschwören die karthagischen Behörden längst ausser Stande waren, und wenn es geschah, so mochte man in Rom solchen Parteidenunciationen mit Fug den Glauben versagen. Allerdings musste die unbegreiflich rasche und gewal- tige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien allmäh- lich die Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Römer er- wecken; wie sie ihr denn auch in der That in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 schlossen sie, ihres jungen Hellenenthums eingedenk, mit den beiden griechischen oder halbgriechischen Städten an der spanischen Ostküste, Zakynthos oder Sagun- tum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Bündniss und indem sie den karthagischen Feldherrn Has- drubal davon in Kenntniss setzten, wiesen sie ihn zugleich an den Ebro nicht erobernd zu überschreiten, was auch zu- gesagt ward. Es geschah dies keineswegs um einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern — den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln — sondern theils um der materiellen Macht der spanischen Kar- thager, die gefährlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, theils um sich an den freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenäen, die Rom also unter seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten für den Fall, dass eine Landung und ein Krieg in Spanien nothwendig werden sollte. Für den nächsten Krieg mit Karthago, über dessen Un- vermeidlichkeit der Senat sich nie getäuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich grössere Nachtheile, als dass man genöthigt werden könne einige Legionen nach Spanien zu senden und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde als er ohne Spanien es ge- wesen wäre; war man doch fest entschlossen, wie der Feldzugs- plan von 536 beweist, und wie es auch gar nicht anders sein konnte, den nächsten Krieg in Africa zu beginnen und zu be- endigen, womit dann über Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den ersten Jahren die karthagischen Contribu- tionen, welche die Kriegserklärung abgeschnitten hätte, alsdann Hamilkars Tod, von dem Freunde und Feinde urtheilen moch- ten, dass seine Entwürfe mit ihm gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass 25* DRITTES BUCH. KAPITEL IV. es nicht weise sei länger mit der Erneuerung des Krieges zu zögern, der sehr erklärliche Wunsch zuvor mit den Galliern im Pothal fertig zu werden, da diese, mit Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, benutzen würden um die transalpinischen Völkerschaften aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch äusserst gefährlichen Keltenzüge zu erneuern. Dass weder Rücksichten auf die karthagische Friedenspartei noch auf die bestehenden Verträge die Römer abhielten, versteht sich; überdiess war, wenn man den Krieg wollte, mit Benutzung der spanischen Fehden ein Vorwand augenblicklich gefunden. Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebenso wenig lässt sich leugnen, dass der römische Senat diese Ver- hältnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat — Fehler, von denen seine Führung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlichere Belege aufweist. Ueberall ist die römische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch Zähigkeit, Schlauheit und Consequenz, als durch eine grossartige Auffassung und Ordnung der Dinge, in der die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithridates ihren Gegnern sich oft überlegen gezeigt haben. So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glück die Weihe. Die Mittel zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine stetig sich füllende Kasse; aber um für den Kampf den rechten Augenblick, die rechte Richtung zu finden, fehlte der Führer. Der Mann, der Kopf und Herz genug besessen um in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung zu bahnen, war nicht mehr, als es möglich ward ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Augenblick noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der Oberleitung des Unter- nehmens nicht gewachsen glaubte, vermögen wir nicht zu ent- scheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 von Mörderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heers an seine Stelle Hamilkars ältesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger Mann — geboren 505, also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Gräuel des libyschen Krieges mit durchempfunden. HAMILKAR UND HANNIBAL. Noch ein Knabe war er dem Vater ins Lager gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Körper machte aus ihm einen vortrefflichen Läufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter; Schlaflosigkeit griff ihn nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die Bildung der vornehmen Phoenikier jener Zeit; im Griechischen brachte er, wie es scheint erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten Sosilos von Sparta es weit genug um Staatsschriften in dieser Sprache selber abfassen zu können. Wie er heranwuchs trat er in das Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu thun, um ihn neben sich fallen zu sehen in der Schlacht. Nachher hatte er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glänzende persönliche Tapfer- keit wie durch sein Führertalent sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte jetzt aus- führen, wofür sein Vater und sein Schwager gelebt und ge- storben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Römern hiess er grausam, den Karthagern habsüchtig; freilich hasste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals Geld und Vorräthe ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indess, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trüben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Mo- nomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen ge- schehen ist, liegt nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhältnissen und nach dem damaligen Völkerrecht zu ver- antworten wäre. Hannibal wusste wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Thatkraft mit einander zu vereinigen. Eigenthümlich ist ihm die erfinderi- sche Verschmitztheit, die einen der Grundzüge des punischen Charakters bildet; er ging gern eigenthümliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und Kriegslisten aller Art waren ihm ge- läufig, und den Charakter der Gegner studirte er mit bei- spielloser Sorgfalt. Durch die sorgfältigste Spionage beobachtete er den Feind und hatte stehende Kundschafter in Rom selbst; DRITTES BUCH. KAPITEL IV. ihn selbst sah man häufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strate- gischen Genie zeugt jedes Blatt der Geschichte seiner Zeit und nicht minder von seiner staatsmännischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom bekundete durch seine Reform der karthagischen Verfassung und den beispiellosen Einfluss, den er als landflüchtiger Fremdling in den Kabinetten der östlichen Mächte ausübte. Welche Macht über die Menschen er besass, beweist seine unvergleichliche Gewalt über ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Frühling 534) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gründe jetzt, da das Keltenland noch in Gährung war und ein Krieg zwi- schen Rom und Makedonien vor der Thür schien, ungesäumt loszuschlagen und den Krieg früher dahin zu tragen wohin es ihm beliebte als die Römer ihn begannen wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Africa. Sein Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Mass- stab gefüllt; allein die Kriegserklärung blieb aus. Hasdrubals, des patriotischen Volksführers Platz war in Karthago schwe- rer zu ersetzen als in Africa; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Führer der Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Ha- milkars Pläne beschnitten und bemängelt hatte, war keines- wegs gemeint den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und in offener Widersetzlichkeit gegen die legitimen Behörden den Krieg zu erklären konnte Hannibal nicht wagen. Er versuchte die Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnügten sich in Rom Klage zu führen. Er versuchte, als darauf von Rom eine Commission erschien, nun diese durch schnöde Antworten zur Kriegserklärung zu treiben; allein die Commissarien sahen, wie die Dinge standen, sie schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu führen und daheim zu berichten, dass Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Thür sei. So verfloss die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal plötzlich gestorben war; die Gründung der Festungen im italischen Keltenland ward mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den HAMILKAR UND HANNIBAL. Römern betrieben; man schickte in Rom sich an im nächsten Frühjahr der Schilderhebung in Illyrien ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner karthagischen Unterthanen, den Turdetanern zu nahe träten und er sie darum angreifen müsse; und ohne die Antwort abzuwarten begann er im Frühling 535 die Belagerung der mit Rom verbündeten Stadt, das heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und berieth, mag man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Capitulation in gewissen Kreisen machte; alle ‚angesehenen Männer‘, heisst es, missbilligten den ‚ohne Auftrag‘ geschehenen Angriff; es war die Rede von Desavouirung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rath die Furcht vor Rom schwieg vor der näheren vor dem Heer und der der Menge; sei es, dass man die Unmöglichkeit begriff einen solchen Schritt einmal gethan zurückzuthun; sei es, dass die blosse Macht der Trägheit ein bestimmtes Auftreten hinderte — man entschloss sich endlich sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg wenn nicht zu führen, doch für sich führen zu lassen. Sagunt vertheidigte sich, wie nur spanische Städte sich zu vertheidigen verstehen; hätten die Römer nur einen geringen Theil der Energie ihrer Schutzbefohlenen gezeigt, sie, die Herren der See und geeigneter Landungsplätze, hätten wäh- rend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts, statt mit dem elenden illyrischen Räuberkrieg die Zeit zu verderben, sich die Schande des versäumten Schutzes ersparen und dem Krieg viel- leicht eine andere Wendung geben können. Indess sie säumten und die Stadt ward endlich erstürmt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Vertheilung sandte, ward der Patriotismus und die Kriegslust bei Vielen rege, die davon bisher nichts gespürt hatten, und die Austheilung schnitt jede Versöhnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstörung Sagunts eine römische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Aus- lieferung des Feldherrn und der im Lager anwesenden Ge- rusiasten forderte, und als der römische Sprecher, die ver- suchte Rechtfertigung unterbrechend, die Discussion abschnitt und sein Gewand zusammenfassend sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia wählen möge, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen lasse auf die Wahl des Römers; und als dieser den Krieg bot, nahm man ihn an (Frühling 536). DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Hannibal, der durch den hartnäckigen Widerstand der Sa- guntiner ein volles Jahr verloren hatte, war für den Winter 535/6 wie gewöhnlich zurückgegangen nach Cartagena, um alles theils zum Angriff vorzubereiten, theils zur Vertheidigung von Spanien und Africa; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten führte, lag es ihm ob auch zum Schutz der Heimath die Anstalten zu treffen. Die gesammte Masse seiner Streitkräfte betrug ungefähr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd; ferner 58 Elephanten und 32 bemannte, 18 un- bemannte Fünfdecker ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elephanten und Schiffen. Die Truppen bestanden ausser weni- gen punischen Schwadronen im Wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen karthagischen Unterthanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letztern sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub während des ganzen Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzig punischen Sonder- patriotismus nicht theilte, eidlich das karthagische Bürgerrecht, wenn sie als Sieger nach Africa zurückkehren würden. Mit Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen fehlten fremde Söldner in diesem karthagischen Heere ganz. Von die- sen Truppen verwandte der Oberfeldherr etwa 20000 Mann zur Besetzung von Africa, davon der kleinere Theil nach der Hauptstadt und dem eigentlich punischen Gebiet, der grössere an die westliche Spitze von Africa gelegt ward. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann zu Fuss zurück nebst 2500 Pferden und fast der Hälfte der Elephanten, ausserdem die dort stationirte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment übernahm hier Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar karthagische Gebiet ward verhältnissmässig schwach besetzt, da die Hauptstadt im Nothfall Hülfsmittel genug bot; ebenso genügte für Spanien, wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, für jetzt eine mässige Zahl von Fusssoldaten, während dagegen ein verhältnissmässig starker Theil der eigentlich africanischen Waffen, der Pferde und Elephan- ten dort zurückblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet die Verbindungen zwischen Spanien und Africa zu sichern, wesshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrica von einer sehr starken Truppenmasse gehütet ward. Für die Treue der Truppen bürgte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geisseln der spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer Aushebungsbezirke, indem die ostafricanische HAMILKAR UND HANNIBAL. Landwehr vorwiegend nach Spanien, die spanische nach West- africa, die westafricanische nach Karthago kamen. So war für die Vertheidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fünfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westküste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln wo möglich sich wieder auf Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von Anstrengungen glaubte Hannibal der Regierung zumuthen zu können. Mit der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzurücken, wie das ohne Zweifel schon in Hamilkars ursprünglichem Plan lag. Ein entscheidender An- griff auf Rom war nur in Italien wie auf Karthago nur in Libyen möglich; so gewiss Rom seinen nächsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vorn herein entweder auf ein secundäres Operationsobject, wie zum Beispiel Sicilien, oder gar auf die Vertheidigung beschränken — die Niederlagen brachten in all diesen Fällen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht. — Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militärische Expedition mit stra- tegischem Ziel, so bedurfte man dort einer näheren Operations- basis, als Spanien oder Africa waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stützen, da Rom das Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgend ein haltbarer Stützpunct. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; zwischen dem römischen Festungsnetz und der festgeketteten Bundes- genossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrückt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte für Hannibal sein, was für Napoleon in seinen sehr ähnlichen russischen Feld- zügen Polen gewesen ist; diese noch von dem kaum beendeten Unabhängigkeitskampf gährenden Nationen, den Italikern stamm- fremd und in ihrer Existenz bedroht, um die eben erst die ersten Ringe der römischen Festungs- und Chausseenkette gelegt wurden, mussten in dem punischen Heere, das zahl- reiche spanische Kelten in seinen Reihen zählte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rückhalt, als Verpflegungs- und DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Rekrutirungsbezirk dienen. Schon waren förmliche Verträge mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme bei ihren Stamm- genossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Römer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend führten end- lich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten Verhältnissen; Demetrios von Pharos, der das römische Bündniss mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Römern vertrieben worden war, lebte als Flüchtling am makedonischen Hof und dieser hatte den Römern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es möglich war die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin ge- richtet gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Römer zu ihrer grossen Verwunderung im Jahre 524 in Ligu- rien begegnet waren. — Weniger deutlich ist es, warum Hanni- bal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Römer noch ihr Bund mit Massalia einen Landungsversuch in Genua unmöglich machte, leuchtet ein. In unsrer Ueberlieferung fehlen um diese Frage genügend zu entscheiden nicht wenige Factoren, auf die es ankommen würde und die sich nicht durch Vermuthung ergänzen lassen. Das Wahrscheinliche bleibt, dass Hannibal von den zwei Uebeln, unter denen er zu wählen hatte, es vorzog, statt den ihm unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfällen der Seefahrt und des Seekrieges sich auszusetzen, lieber die un- zweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer anzunehmen, um so mehr als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge hätte überschreiten müssen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel geringere Schwie- rigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf der viel grössere Schwärme die Alpen über- stiegen hatten; der Verbündete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. — So vereinigte Hannibal die für die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer HAMILKAR UND HANNIBAL. 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter etwa zwei Drit- tel Africaner und ein Drittel Spanier — die mitgeführten 37 Ele- phanten mochten mehr bestimmt sein den Galliern zu imponiren als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das, welches Xanthippos führte, genöthigt sich hinter einem Vorhang von Elephanten zu verbergen und Hannibal einsichtig genug um dieser zweischneidigen Waffe, die eben so oft die Niederlage des eigenen wie die des feindlichen Heers entschied, sich nur sparsam und vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach der Feldherr im Frühling 536 von Cartagena gegen den Ebro auf. Von den getroffenen Mass- regeln, namentlich den mit den Kelten angeknüpften Verbin- dungen und von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militärischen Instinct der lange Krieg entwickelt hatte, den klaren Blick und die sichere Hand des Führers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen der Römer vor ihnen darlegte, die ge- wisse Knechtung der theuren Heimath, das schmachvolle An- sinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Bürgersinn in den Herzen aller. Der römische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in festgegründeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten Zeit. Längst hätte man Herr der Alpenthore und mit den Kelten fertig sein können; noch waren diese furchtbar und jene offen. Man hätte mit Karthago entweder Freundschaft haben können, wenn man den Frieden von 513 loyal einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago längst gedemüthigt sein; jener Frieden ward durch die Wegnahme Sardiniens thatsächlich gebrochen und Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestört regeneriren. Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte man diese Freund- schaft verscherzt. An einem leitenden die Verhältnisse im Zusam- menhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; überall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun be- gann der Krieg, zu dem Zeit und Ort der Feind hatte bestimmen können; und im Vollgefühl militärischer Ueberlegenheit war man rathlos über Ziel und Gang der nächsten Operationen. DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Man disponirte über eine halbe Million brauchbarer Soldaten — nur die römische Reiterei war minder gut und verhältnissmässig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel. Diese ein Achtel der Gesammtzahl der ausrückenden Truppen. Der römischen Flotte von 220 Fünfdeckern, die eben aus dem adriatischen Meer in die Westsee zurückfuhr, hatte keiner der westlichen Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die natürliche und richtige Verwendung dieser erdrückenden Ueber- macht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg eröffnet werden solle mit einer Landung in Afri- ca; die spätere Wendung der Ereignisse hatte die Römer gezwungen derselben eine gleichzeitige Landung in Spanien hinzuzufügen, vornämlich um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan musste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 thatsächlich eröffnet war, vor allen Dingen eilen ein römisches Heer in Spanien zu landen, ehe die Stadt fiel; allein man versäumte das Gebot des Vortheils nicht minder wie der Ehre und Sagunt hielt sich acht Monate lang umsonst — als die Stadt capitulirte, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal gerüstet. — Indess noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenäen frei, dessen Völkerschaften nicht bloss die natürlichen Verbündeten der Römer waren, sondern auch von römischen Emissarien gleich den Saguntinern Ver- sprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Catalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten förmlichen Kriegserklärung die Römer wie die Punier im April aufbrachen, konnte Hannibal den römischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. Allerdings wurde, nachdem der grössere Theil des Heeres und der Flotte für den Zug nach Africa disponibel gemacht worden war, der zweite Consul Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, da eben am Po ein Aufstand ausbrach, das zur Einschiffung bereit stehende Heer dort zu verwenden und für die spanische Expedition neue Legionen zu bilden. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen, mit welchen er, da der Drang der Umstände ihn zwang um nicht die kostbare Zeit zu verlieren seine Leute nicht zu schonen, in wenigen Monaten fertig ward, freilich mit dem Verlust des vierten Theils seiner Armee, und erreichte die Linie der Pyrenäen. Dass durch jene Zögerung die HAMILKAR UND HANNIBAL. spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert wurden, konnte man eben so sicher vorhersehen als die Zöge- rung selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber wäre selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Frühling 536 nicht geahnt haben muss, durch zeitiges Er- scheinen der Römer in Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht sein spanisches ‚Königreich‘ auf- gebend sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstürmung und an die Unterwerfung Cataloniens gewandt hatte, das beträchtliche Corps, das er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenäen zurückliess, bewiesen zur Genüge, dass, wenn ein römisches Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht hätte, er sich nicht begnügt haben würde sich dem- selben zu entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Römer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen zu verzögern im Stande waren, so schloss der Winter die Alpenpässe, ehe Hannibal sie erreichte, und die africanische Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziel ab. — An den Pyrenäen angelangt entliess Hannibal einen Theil seiner Truppen in die Heimath; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenüber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefühl steuern sollte, dass von diesem Unternehmen wenige heimkehren würden. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne Schwierigkeit überschritten und alsdann der Kü- stenweg über Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das theils die früher angeknüpften Verbin- dungen, theils das punische Gold, theils die Waffen dem Heere öffneten. Als es Ende Juli Avignon gegenüber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicherer Widerstand zu warten. Die gallischen Völkerschaften dieser Gegend, die unter dem Einfluss der Massalioten standen, hatten ihren Landsturm an dem gegenüberliegenden Rhoneufer aufgestellt. Der Consul Scipio ferner, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spät komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenäen passirt habe, und befand sich seitdem in Massalia mit einem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2200 Reitern, mit dem er bereit schien Hannibal den Rhoneübergang und den Einmarsch in Italien zu wehren. Erst hier, wie es scheint, erkannten die Römer, DRITTES BUCH. KAPITEL IV. wohin Hannibals Pläne zielten. Zum Glück für Hannibal stand der Consul noch unthätig in Massalia, vier Tagesmärsche vom Uebergangspunct; allein die Boten des gallischen Landsturms eilten ihn zu benachrichtigen. Es galt in schleunigster Eile das Heer mit seiner starken Reiterei und den Elephanten unter den Augen des Feindes über den reissenden Strom zu führen, und Hannibal besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf Hannibals Befehl von den zahlreichen Rhoneschif- fern in dieser Gegend alle ihre Barken zu jedem Preise auf- gekauft und was an Kähnen noch fehlte, aus gefällten Bäumen gezimmert, so dass die ganze zahlreiche Armee an einem Tage übergesetzt werden konnte. Während dies geschah, marschirte eine starke Abtheilung unter Hanno Bomilkars Sohn in Gewalt- märschen stromaufwärts bis zu einem zwei kleine Tagemärsche oberhalb Avignon gelegenen Uebergangspunct, den sie unver- theidigt fanden und hier auf schleunig zusammengeschlagenen Flössen den Fluss überschritten, um dann sich stromabwärts wendend die Gallier in den Rücken zu fassen, die dem Haupt- heer den Uebergang sperrten. Schon am Morgen des fünften Tages nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch stiegen in dieser Richtung Rauchsignale auf, für Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Ueber- gang. Eben als die Gallier, sehend dass die feindliche Kahn- flotte sich in Bewegung setze, das Ufer zu besetzen eilten, loderte plötzlich ihr Lager hinter der Linie in Flammen auf und also, überrascht und getheilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zer- streuten sich in eiliger Flucht. — Scipio indess war beschäf- tigt in Massalia Kriegsrathsitzungen über die geeignete Be- setzung der Rhoneübergänge abzuhalten und, da er den galli- schen Boten misstraute, das rechte Rhoneufer durch eine schwache römische Reiterabtheilung recognosciren zu lassen. Als diese in die Gegend von Avignon kam, fand sie die ge- sammte karthagische Armee schon auf dem rechten Rhoneufer mit Ausnahme der Elephanten, mit deren Ueberführung man eben beschäftigt war. Nachdem die Römer, um nur die Reco- gnoscirung beendigen zu können, einigen karthagischen Schwa- dronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte — das erste, in dem die Römer und Punier in diesem Kriege auf einander trafen —, wandten sie sich eiligst zurück um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach nun Hals über Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als er dort eintraf, war HAMILKAR UND HANNIBAL. die zur Deckung des Ueberganges der Elephanten zurückgeblie- bene Nachhut, die feindliche Reiterei bereits seit drei Tagen abmarschirt und es blieb den Römern nichts übrig als mit ermüdeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heim- zukehren und auf die ‚feige Flucht‘ des Puniers zu schelten. So hatte man zum drittenmal durch reine Lässigkeit die Bundesgenossen und die sichere Vertheidigungslinie preis- gegeben und nach diesem ersten Fehler, vom verkehrten Ra- sten übergehend zu verkehrtem Hasten, ohne irgend eine Aussicht auf Erfolg nun doch noch gethan, was mit so siche- rer einige Tage zuvor geschehen konnte, und hatte eben dadurch das wirkliche Mittel den Fehler wieder gut zu machen aus den Händen gegeben. Seit Hannibal diesseit der Rhone im Kelten- lande stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er die Alpen erreichte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte — in sieben Tagen konnte er über Genua den Po erreichen — und mit sei- nem Corps die schwachen Abtheilungen im Pothal vereinigte, so konnte er dort wenigstens dem Feind einen gefährlichen Em- pfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar dem sonst tüchtigen Manne sei es der politische Muth, sei es die militärische Einsicht die Bestimmung seines Corps den Um- ständen gemäss zu verändern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurück nach Pisa. Hannibal, der nach dem Uebergang über die Rhone in einer grossen Heerversammlung den Truppen das Ziel des Zuges auseinandergesetzt und den aus dem Pothal angelangten Keltenhäuptling Magilus selbst durch Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpässen fort. Welchen derselben er wählte, darüber konnte weder die Kürze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunächst entscheiden, wenn gleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte; sondern den Weg musste er einschlagen, der für seine Bagage, seine starke Reiterei und die Elephanten practicabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel sei es im Guten oder mit Gewalt sich verschaffen konnte — denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte Lebensmittel auf Saum- thieren sich nachzuführen, so konnten doch bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann DRITTES BUCH. KAPITEL IV. zählte, diese nothwendig nur für einige Tage ausreichen. Ab- gesehen von dem Küstenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Römer ihn sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgeführt haben würde, führten in alter Zeit Der Weg über den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heer- strasse geworden. Die östlichen Pässe, wie zum Beispiel die über die pö- ninische Alpe oder den grossen St. Bernhard, der übrigens auch erst durch Caesar und Augustus Militärstrasse ward, kommen natürlich nicht in Betracht. von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenübergänge: der Pass über die cottische Alpe (Mont Genevre) in das Gebiet der Tauriner (über Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der über die graische (kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kürzere; allein von da an, wo man das Rhonethal verlässt, führt er in den unwegsamen und unfruchtbaren Flussthälern des Drac, der Romanche und der oberen Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben- bis achttägigen Gebirgmarsch; eine Heerstrasse ist hier erst durch Pompeius angelegt worden, um zwischen der dies- und jenseitigen gallischen Provinz eine kürzere Verbindung herzu- stellen. — Der Weg über den kleinen St. Bernhard ist etwas länger; allein sowie er die erste das Rhonethal östlich be- grenzende Alpenwand überschritten hat, führt er in das Thal der obern Isere, das von Grenoble über Chambery bis hart an den Fuss des kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpen- kette sich hinzieht und unter allen Alpenthälern das breiteste, fruchtbarste und bevölkertste ist. Es ist ferner der Weg über den kleinen Bernhard unter allen natürlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; ob- wohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, überschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein österreichisches Corps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss über zwei Bergkämme führt, ist endlich von den ältesten Zeiten an die grosse Heer- strasse aus dem Kelten- ins italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der That keine Wahl; es war ein glückliches Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv für Hannibal, dass die ihm verbündeten keltischen Stämme in Italien bis an den kleinen Bernhard wohnten, während ihn der Weg über den Mont Genevre zunächst in das Gebiet der Tauriner geführt haben würde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in Fehde lagen. — So marschirte das karthagische Heer zunächst an der Rhone hinauf gegen das Thal der obern HAMILKAR UND HANNIBAL. Isere zu, nicht, wie man vermuthen könnte, auf dem nächsten Weg, an dem linken Ufer der untern Isere hinauf, von Va- lence nach Grenoble, sondern durch die ‚Insel‘ der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevölkerte Niederung, die nördlich und westlich von der Rhone, südlich von der Isere, östlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder desshalb, weil die nächste Strasse durch ein unwegsames und armes Bergland geführt hätte, während die Insel eben und äusserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iserethal scheidet. Der Marsch an der Rhone hin und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpen- wand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwie- rigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch ge- schickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Häupt- lingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben so zu verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorräthe ergänzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang über die erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und über die nur ein einziger gangbarer Pfad (über den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) führt, wäre fast der Zug ge- scheitert. Die allobrogische Bevölkerung hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es früh genug um einen unversehe- nen Ueberfall vermeiden zu können und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Häuser der nächsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So ward die Höhe ohne Schwierigkeit gewonnen; allein auf dem äusserst steilen Weg, der von der Höhe nach dem See von Bourget hinabführt, glitten und stürzten die Maulthiere und die Pferde, und die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschirende Armee gemacht wurden, fügten derselben weniger an sich als durch die da- durch entstehende Verwirrung beträchtlichen Schaden zu. Selbst als Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Mühe und mit starkem Verlust den Berg hinunter gejagt, allein die Verwirrung, besonders in dem Train ward noch erhöht durch den Lärm des Gefechtes. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt überfiel Hannibal sofort die nächste Stadt, um die Barbaren zu züchtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumthieren und Pferden möglichst wieder Röm. Gesch. I. 26 DRITTES BUCH. KAPITEL IV. zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem anmuthigen Thal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tag eintrat in das Gebiet der Centronen (die heu- tige Tarantaise), wo allmählich das Thal sich verengte, hatte man wiederum mehr Veranlassung auf seiner Hut zu sein; indess die Centronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) mit Zweigen und Kränzen und stellten Schlachtvieh, Führer und Geisseln. Man zog wie durch Freun- desland durch das centronische Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isere verlässt und durch ein enges und schwieriges Defilé an dem Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der Centronen theils im Rücken der Armee, theils auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergrändern, in der Hoff- nung den Train und die Bagage abzuschneiden. Allein Han- nibal, dessen sicherer Tact in all jenen Protestationen der Centronen nichts gesehen hatte als die Absicht Schonung ih- res Gebiets und die reiche Beute zugleich zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die Rei- terei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem ge- sammten Fussvolk; wodurch er die Absicht der Feinde ver- eitelte, obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Berghängen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder herabgerollte Steine sehr beträchtlichen Verlust zufügten. An dem ‚weissen Stein‘ (noch jetzt la roche blanche ), einem hohen einzeln stehenden Kreidefels am Fuss des Bernhard, der den Aufweg beherrscht, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die ganze Nacht hindurch mühsam hinauf defilirenden Pferde und Saumthiere zu decken, und erreichte unter beständigen sehr blutigen Gefechten end- lich am folgenden Tage die Passhöhe. Hier auf der geschütz- ten Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2½ Miglien aus- breitet, liess er die Armee rasten. Die Entmuthigung hatte angefangen sich der Gemüther der Soldaten zu bemächtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende gehen- den Vorräthe, die Defileenmärsche unter beständigen Angriffen des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das HAMILKAR UND HANNIBAL. nur der Begeisterung des Führers und seiner Nächsten nicht chimärisch erscheinende Ziel, fingen an auch die africanischen und spanischen Veteranen zu demoralisiren. Indess die Zu- versicht des Feldherrn, die Rückkehr zahlreicher Versprengter, die erreichte Wasserscheide, der Blick auf die Fluren Italiens, die Nähe der befreundeten Gallier stellten nebst der kurzen Rast die Haltung der Truppen einigermassen wieder her und mit erneutem Muthe schickte man zu dem letzten und schwie- rigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei nichtwesentlich beunruhigt; aber die vor- gerückte Jahreszeit — man war schon im Anfang September — vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfälle der Barbaren bereitet hatten. Auf dem steilen und schlüpfrigen Berghang längs der Doria, wo der frisch- gefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen und Thiere und stürzten in die Abgründe; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches ge- langte man an einen Pass von etwa 200 Schritt Länge — es ist die Wegstrecke, auf welche von den steil darüber hängen- den Felsen des Cramont beständig Lawinen hinabstürzen und in kalten Sommern der Schnee nicht wegzuthauen pflegt — wo durch die alten und glatten Schnee- und Eismassen, über die eine dünne Decke frischen Schnees sich hinzog, der Weg für Elephanten und Pferde vollständig gesperrt war. Das Fussvolk ging hinüber; mit dem Trosse, der Reiterei und den Elephanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag vermochten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg für Pferde und Saumthiere zu bahnen; allein erst nach einer weiteren dreitägigen Arbeit mit beständiger Ablösung der Hände konnten endlich die halb verhungerten Elephanten hinüber geführt werden. So war nach viertägigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem weitern dreitägigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Thal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser, Clienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbündeten und ihre Befreier begrüssten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die Ebene von Ivrea, wo die erschöpften Truppen in den Dörfern ein- quartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vier- zehntägige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu er- holen. Hätten die Römer, wie sie es konnten, ein Corps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei Turin 26* DRITTES BUCH. KAPITEL IV. gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so hätte es miss- lich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glück für ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, und störten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese berühmte Expedition sich knüpfen, können als erledigt und im Wesentlichen als ge- löst gelten durch die musterhaft geführte Untersuchung der Herren Wickham und Cramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten, mögen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. — Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, ‚fingen die Spitzen schon an sich dicht mit Schnee zu bedecken‘ (Pol. 3, 54); auf dem Wege lag schon Schnee (Pol. 3, 55), aber vielleicht grösstentheils nicht frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestürzten Lawinen. Auf dem Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August die genannten Engländer den Berg überstiegen, fanden sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Berghänge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf ‚als schon der Winter heran- nahte‘ — denn mehr ist συνάπτειν τὴν τῆς πλειάδος δύσιν Pol. 3, 54 nicht, am wenigsten der Tag des Frühuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oc- tober); vgl. Ideler Chronol. I, 241. — Kam Hannibal neun Tage später, also Mitte September in Italien an, so ist auch Platz für die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende December (Pol. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die Translocation des nach Africa bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer Heerver- sammlung ὑπὸ τὴν ἐαϱινὴν ὥϱαν (Pol. 3, 34), also gegen Ende März, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch fünf (oder nach App. 7, 4 sechs) Monate währte. Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der Anfang Sommer (Pol. 3, 41), also spätestens Anfang Juni sich einschiffte, unterwegs sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Unthätigkeit längere Zeit gesessen haben muss. . — Das Ziel war erreicht, aber mit schwe- ren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem Pyre- näenübergang zählte, waren mehr als die Hälfte das Opfer der Gefechte, der Märsche und der Flussübergänge geworden; Hannibal zählte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss — davon drei Fünftel Libyer, zwei Fünf- tel Spanier — und 6000 zum Theil wohl demontirte Reiter, deren verhältnissmässig geringer Verlust nicht minder für die Trefflichkeit der numidischen Cavallerie spricht als für die wohlüberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausge- suchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 525 Miglien oder etwa 35 mässigen Tagemärschen, dessen Fortsetzung und Been- HAMILKAR UND HANNIBAL. digung nur durch unberechenbare Glücksfälle und noch unbe- rechenbarere Fehler des Feindes möglich ward, den kein be- sonderer nicht vorherzusehender grösserer Unfall störte und der nicht bloss solche Opfer kostete, sondern die Armee so strapazirte und demoralisirte, dass sie einer längeren Rast bedurfte um wieder kampffähig zu werden, ist eine Operation von zweifelhaftem Werthe und es darf in Frage gestellt wer- den, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Ob der ausgezeichnete Führer wegen dieses Feldzugplanes Tadel oder Lob verdient, lässt sich nicht mehr entscheiden; wir sehen wohl die Mängel des von ihm befolgten Operationsplans, nicht aber können wir entscheiden, ob er im Stande war sie vor- herzusehen — führte doch sein Weg durch unbekanntes Bar- barenland — und ob ein anderer Plan, etwa die Küstenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschif- fen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben würde. Die um- sichtige und meisterhafte Ausführung des Planes im Einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswerth und worauf am Ende alles ankam — sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, Hamil- kars grosser Gedanke in Italien den Kampf mit Rom aufzu- nehmen, war jetzt zur That geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Auf- gabe schwieriger und grossartiger war als die von York und Blücher, so hat auch der sichere Tact geschichtlicher Erinne- rung das letzte Glied der grossen Kette von vorbereitenden Thaten, den Uebergang über die Alpen stets mit grösserer Bewunderung genannt als die Schlachten am trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. KAPITEL V. Der hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae . Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseit der Alpen war die Lage der Dinge mit einem Schlag ver- wandelt und der römische Kriegsplan gesprengt. Von den beiden römischen Hauptarmeen war die eine in Spanien ge- landet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie zu- rückzuziehen war nicht mehr möglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Consuls Tiberius Sempronius nach Africa bestimmt war, stand glücklicherweise noch in Sicilien; die römische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien und Sicilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusani- schen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich ver- sucht Lilybaeon zu überrumpeln und darauf in einem Seege- fecht vor diesem Hafen den Kürzern gezogen. Indess das Verweilen dieser Schiffe in den italischen Gewässern war sehr unbequem; der Consul beschloss, bevor er nach Africa über- fuhr, die kleinen Inseln um Sicilien zu besetzen und die gegen Italien operirende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Ge- schwaders, das er bei den liparischen Inseln vermuthete, wäh- rend es bei Vibo (Montaleone) gelandet die brettische Küste brand- schatzte, verging der Sommer. Heer und Flotte standen noch in Lilybaeon, als der Befehl des Senats an den Consul erging so schleunig wie möglich zur Vertheidigung der Heimath zurück- HANNIBALISCHER KRIEG. zukehren. — Während also die beiden grossen jede für sich der Armee Hannibals an Zahl gleichen römischen Armeen in weiter Ferne von dem Pothal standen, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein römisches Heer in Folge der unter den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrec- tion. Die Gründung der beiden römischen Zwingburgen Pla- centia und Cremona, von denen jede 6000 Colonisten erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gründung von Mutina im boischen Land hatten schon im Frühling 536 vor der mit Hannibal verabredeten Zeit die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Colonisten, plötzlich über- fallen, flüchteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius Man- lius, der in der Provinz Ariminum den Oberbefehl führte, eilte schleunig mit seiner einzigen Legion herbei um die blokirten Colonisten zu entsetzen; allein in den Wäldern überfallen blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes übrig als sich auf einem Hügel festzusetzen, wo die Boier ihn nun gleich- falls blokirten, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer und Stadt glücklich befreite und den gallischen Aufstand für den Augenblick dämpfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der insofern als er Scipios Abfahrt nach Spanien verzögerte Hannibals Plan wesentlich gefördert hatte, war andrerseits die Ursache, dass er das Pothal nicht bis auf die Festungen völlig unbesetzt fand. Allein das römische Corps, dessen zwei stark decimirte Le- gionen keine 20000 Soldaten zählten, war nur beschäftigt die Kelten im Zaum zu halten, nicht sich den Alpenpässen zu nähern, deren Bedrohung man erst, als im August der Consul Gnaeus Scipio ohne sein Heer von Massalia eintraf, in Rom erfuhr und vielleicht selbst damals noch wenig beachtete, da ja der tollkühne Streich allein an den Alpen scheitern werde; wenigstens stand in der entscheidenden Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein römischer Vor- posten. Hannibal hatte volle Zeit sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Thore verschloss, nach dreitägiger Belagerung zu erstürmen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden im obern Pothal zum Bündniss zu be- wegen oder zu schrecken, bevor Gnaeus Scipio, der das Com- mando im Pothal übernommen hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, der die schwierige Aufgabe hatte mit einem bedeutend DRITTES BUCH. KAPITEL V. geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen der überlegenen feindlichen Armee auf- und die überall sich regende keltische Insurrection niederzuhalten, war, vermuthlich bei Cremona, über den Po gegangen und rückte an diesem hinauf dem Feind entgegen, während Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwärts marschirte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercelli traf die römische Reiterei, die mit dem leichten Fussvolk vorgegangen war um eine forcirte Recognoscirung vorzunehmen, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete punische, beide geführt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene Ge- fecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Fronte der Reiterei aufgestellt war, riss aus vor dem Anstoss der feindlichen schweren Rei- terei und während diese von vorn die römischen Reitermassen engagirte, nahm die leichte numidische Cavallerie, nachdem sie die zersprengten Schaaren des feindlichen Fussvolks bei Seite gedrängt hatte, die römischen Reiter in die Flanken und den Rücken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Römer war sehr beträchtlich; der Consul selbst, der als Soldat gut machte was er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefährliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjährigen Sohnes, der muthig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang ihm zu folgen und den Vater herauszuhauen. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklärt über die Stärke des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwächeren Armee sich in der Ebene mit dem Rücken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich unter den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurückzukehren. Wie die Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der römi- schen Unwiderstehlichkeit von ihm gewichen waren, fand er sein bedeutendes militärisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysirt hatte. Durch einen rasch ent- worfenen und sicher ausgeführten Marsch gelangte er glück- lich auf das zur Unzeit verlassene rechte Ufer des Flusses, während Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, und brach die Pobrücke hinter dem Heere ab, wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte römische Detache- ment von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. In- HANNIBALISCHER KRIEG. dess konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Händen war, es ihm nicht verwehrt werden, dass er strom- aufwärts marschirend auf einer Schiffbrücke übersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem römischen Heere gegenübertrat. Dies hatte in der Ebene von Placentia Stel- lung genommen; allein die Meuterei einer keltischen Abthei- lung im römischen Lager und die ringsum aufs neue aus- brechende gallische Insurrection zwang den Consul die Ebene zu räumen und sich auf den Hügeln hinter der Trebia zu setzen, was ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem Plündern und Anzünden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In die- ser starken Stellung, den linken Flügel gelehnt an den Apen- nin, den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahrzeit nicht unbedeutende Trebia hemmte er Hannibals Vorrücken so vollständig, dass diesem nichts übrig blieb als sein Lager gegenüber aufzu- schlagen und das in seinem Rücken gelassene römische Castell Clastidium, in dem reiche Magazine sich befanden, zur Aus- füllung der Zeit zu belagern. Zwar die Insurrection fast aller gallischer Cantone mit Ausnahme der römisch gesinnten Ce- nomanen vermochte Scipio nicht abzuwenden, aber die von ihm genommene Stellung so wie die Bedrohung der insubri- schen Grenzen durch die Cenomanen hinderte doch die mäch- tigsten gallischen Gemeinden sich massenweise dem Feinde anzuschliessen. Das zweite römische Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, konnte mitten durch das insurgirte Land ohne wesentliche Hinderung Pla- centia erreichen und mit der Poarmee sich vereinigen; Scipio hatte seine schwierige Aufgabe vollständig und glänzend ge- löst. Das römische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben wo es stand, um den Feind entweder zu nöthigen in der winterlichen Jahreszeit den Flussübergang und den Angriff auf das römische Lager zu versuchen oder sein Vor- rücken einzustellen und den Wankelmuth der Gallier durch die lästigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indess so einleuchtend dies war, so war es nicht minder klar, dass man schon im December war und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Consul Tiberius Sempronius, der in Folge von Scipos Verwundung den Ober- DRITTES BUCH. KAPITEL V. befehl allein führte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versäumte nichts ihn zum Kampf zu reizen; die den Römern treugebliebenen kel- tischen Dörfer wurden grausam verheert und als darüber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern sich des Sieges zu rühmen. Bald an einem rauhen regnerischen Morgen kam es zu der Hauptschlacht, den Römern unvermu- thet. Vom frühesten Morgen an hatten die römischen leichten Truppen herumgeplänkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; sie wich langsam und hitzig folgten die Römer ihr nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vor- theil zu verfolgen. Plötzlich stand die Reiterei; die Römer fanden sich auf dem von Hannibal gewählten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten Armee gegenüber — die Vor- hut war verloren, wenn nicht das Gros der Armee schleunigst über den Bach folgte. Hungrig, ermüdet und durchnässt kamen die Römer an und eilten sich in Reihe und Glied zu stellen, die Reiter wie immer auf den Flügeln, das Fussvolk im Mittel- treffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vor- hut bildeten, begannen das Gefecht; allein die römischen hat- ten fast schon gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Flügeln die Reiterei, welche die Ele- phanten von vorn bedrängten und die weit zahlreicheren kar- thagischen Reiter links und rechts überflügelten. Aber das römische Fussvolk focht seines Namens werth; das punische sah zu Anfang sich aufs Heftigste bedrängt und selbst als die Zurückdrängung der römischen Reiter der feindlichen Caval- lerie und den Leichtbewaffneten gestattete ihre Angriffe gegen das römische Eussvolk zu kehren, stand dies zwar vom Vor- dringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu bringen. Da plötzlich erschien eine auserlesene karthagische Schaar, 2000 Mann halb zu Fuss halb zu Pferd unter der Führung von Mago, Hannibals jüngstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Rücken der römischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Flügel der Armee und die letzten Glieder des römischen Centrums wurden durch diesen Angriff aufgelöst und zersprengt, während das erste Treffen, 10000 Mann stark, sich eng zusammenschliessend die karthagische Linie sprengte und mitten durch die Feinde sich seitwärts einen Ausweg bahnte, der der feindlichen Infanterie, nament- lich den gallischen Insurgenten theuer zu stehen kam. Diese tapfere Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Pla- HANNIBALISCHER KRIEG. centia und unter ihrem Schutz entrann ein Theil der Ver- sprengten; die Masse aber ward von den Elephanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht und nur ein Theil der Reiterei und einige Abtheilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten. Wenige Schlachten machen dem römischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feld- herrn, der sie schlug; obwohl der billig Urtheilende nicht ver- gessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende Feldhauptmannschaft eine unmilitärische Institution war und von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch für die Sieger war der Verlust gross; wenn gleich der Verlust im Kampfe hauptsächlich auf die keltischen Insurgenten ge- fallen war, so erlagen doch nachher den in Folge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten Soldaten und sämmtliche Elephanten bis auf einen einzigen. — Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrection sich nun im ganzen Keltenland ungestört erhob und organisirte. Die Ueberreste der römischen Poarmee warfen sich in die Festun- gen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der Heimath mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Consul Ti- berius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwa- chen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Märsche in der rauhen Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog wo er war das Winterbivouac und begnügte sich, da ein ernst- licher Versuch auf die grösseren Festungen zu nichts geführt haben würde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placen- tia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit den galli- schen Aufstand zu organisiren; über 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer ange- schlossen haben. Für den Feldzug des Jahres 537 wurden in Rom keine ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrach- tete, und nicht mit Unrecht, die Existenz Roms noch keines- wegs als ernstlich bedroht. Ausser den Küstenbesatzungen, die nach Sardinien, Sicilien und Tarent, und den Verstärkun- gen die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen DRITTES BUCH. KAPITEL V. Consuln Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur so viel Mannschaft als nöthig war um die vier Legionen wieder voll- zählig zu machen; einzig die Reiterei wurde verstärkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich desshalb an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden führten, und von denen die westliche damals in Arretium, die östliche in Ariminum endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Während die Truppen aus den Pofestun- gen wohl zu Wasser ihren Corps wieder zugeführt wurden, er- warteten hier die Consuln den Beginn der besseren Jahreszeit um in der Defensive die Apenninpässe zu besetzen und zur Offensive übergehend in das Pothal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keines- wegs die Absicht das Pothal zu vertheidigen. Er kannte Rom besser vielleicht als die Römer es selbst kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwächere war und es blieb trotz der glänzenden Schlacht an der Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demüthigung Roms, von dem zähen römischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueber- rumpelung zu erreichen sei, sondern nur durch die vollständige Ueberwältigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie un- endlich dem Feinde, dem von daheim nur unsichere und unre- gelmässige Unterstützung zukam und der in Italien zunächst nur auf das schwankende und launische Keltenvolk sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer Festig- keit und an militärischen Hülfsmitteln überlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Mühe der punische Fusssoldat unter dem Legionar taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glänzende Rückzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungs- weise in Italien bestimmt haben: die Führung des Krieges mit stetem Wechsel des Operationsplans und des Kriegsschau- platzes, gewissermassen abenteuernd zu bewerkstelligen; die Beendigung aber nicht von den militärischen Erfolgen zu er- warten, sondern von den politischen, von der allmählichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen Eid- genossenschaft. Jene Führung war nothwendig, weil Hannibal als der schwächere Theil verloren war, so wie der Krieg zum Stehen kam, und nur, wenn der Gegner stets durch unver- muthete Combinationen deroutirt ward, das Einzige, was er gegen so viele Nachtheile in die Wagschale zu werfen hatte, HANNIBALISCHER KRIEG. sein militärisches Genie vollständig ins Gewicht fiel. Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedes- mal die Generale überwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht diese den Karthagern eben so überlegen blieb wie er seinen Gegnern. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Glücks sich nie hierüber getäuscht hat, ist bewun- derungswürdiger als seine bewundertsten Schlachten. — Dies und nicht die Bitten der Gallier, die ihn nicht bestimmen durf- ten ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und be- beschloss den Kriegsschauplatz nach Italien selbst zu verlegen. Vorher hiess er alle Gefangene sich vorführen; die Römer wurden ausgesondert und mit Sclavenfesseln belastet — dass Hannibal alle waffenfähigen Römer, die er hier und sonst aufgriff, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel minde- stens stark übertrieben —, dagegen die sämmtlichen italischen Bundesgenossen ohne Lösegeld entlassen, um daheim zu be- richten, dass Hannibal nicht gegen Italien Krieg führe, son- dern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte Unabhängigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Rächer. So brach er, da der Winter zu Ende ging, aus dem Pothal auf um sich einen Weg durch die schwie- rigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etrurischen Armee stand vorläufig noch bei Arezzo, vermuthlich um hier die aus den Pofestungen ihm zugeführ- ten Truppen an sich zu ziehen und alsdann zur Deckung des Arnothales und der Apenninpässe etwa bei Lucca sich auf- zustellen, so wie es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninübergang ward in möglichst westlicher Richtung, das heisst möglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die Frühlingsregen so über- staut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu marschiren hatte, ohne auch nur zur nächtlichen Rast einen trockenen Platz anders zu finden als wo ihn das zusammengehäufte Ge- päck und die gefallenen Saumthiere darboten. Die Truppen litten unsäglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem punischen in den schon grundlosen Wegen marschirte; es murrte laut und wäre ohne Zweifel in Masse ausgerissen, DRITTES BUCH. KAPITEL V. wenn nicht die punische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmöglich gemacht hätte. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufen- weise; andere Seuchen decimirten die Soldaten; Hannibal selbst verlor in Folge einer Augenentzündung das eine Auge. Indess das Ziel ward erreicht. Hannibal lagerte bei Fiesole, während Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar würden, um sie zu sperren. Nachdem die rö- mische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Consul, der vielleicht stark genug gewesen wäre um die Bergpässe zu vertheidigen, aber sicher nicht im Stande war Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts besseres thun als zu warten, bis das Heer herankam, das bei Arimi- num nun völlig überflüssig stand. Indess er selber urtheilte anders. Er war ein politischer Parteiführer, durch seine Be- mühungen die Macht des Senats zu beschränken in die Höhe gekommen, durch die gegen ihn während seiner Consulate gesponnenen aristokratischen Intriguen erbittert zum über- müthigsten Trotz gegen Sitte und Herkommen, sich berau- schend zugleich in der blinden Liebe des gemeinen Mannes und eben so sehr in dem bittern Hass der Herrenpartei, und über alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein mili- tärisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531, der für unbefangene Urtheiler nur bewies, dass tüchtige Soldaten öfters gutmachen was schlechte Generale verderben, galt ihm und seinen Anhängern als der unumstössliche Be- weis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche um dem Hannibal ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Con- sulat verschafft und solche Hoffnungen hatten jetzt eine der- artige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager geführt, dass deren Zahl nach der Versicherung nüchterner Ge- schichtsschreiber die der Legionarier überstieg. Hannibal grün- dete zum Theil hierauf seinen Plan. Weit entfernt ihn anzu- greifen marschirte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Plündern gründlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Kla- gen und die Erbitterung der Menge, die sich musste ausplün- dern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu berei- chern versprochen; das Bezeigen, dass der Feind ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue vor der Ankunft seines Collegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen Mann HANNIBALISCHER KRIEG. bestimmen sein strategisches Genie zu entwickeln und dem unbesonnenen hochmüthigen Feind eine derbe Lection zu er- theilen. Nie ist ein Plan vollständiger gelungen. Eilig folgte der Consul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorüber langsam durch das reiche Chianathal gegen Perugia zu mar- schirte; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte sein Schlachtfeld zu wählen, ein enges Defilé zwischen zwei steilen Bergwänden, das vorn ein hoher Hügel, hinten der trasimenische See abschloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Trup- pen und die Reiterei stellten hinter den Seitenwänden ver- deckt sich auf. Unbedenklich rückten die römischen Colonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ih- nen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des römischen Zuges sich dem Hügel näherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die Reiterei, hinter den Hügeln vor- rückend, den Eingang des Passes und auf den Rändern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel überall punische Waffen. Es war keine Schlacht, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilés geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt; der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, dar- unter der Consul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Colonnenspitze selbst, 6000 Mann zu Fuss schlug sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch und bewies wie- derum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein ab- geschnitten und ohne Kunde von dem übrigen Heer marschir- ten sie auf Gerathewohl weiter und wurden am folgenden Tag auf einem Hügel, den sie besetzt hatten, von einem kar- thagischen Reitercorps umzingelt und da die Capitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen ward, sämmtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Römer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust — 1500 Mann — traf wieder vorwiegend die Gallier Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Dictatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat und Hannibal zur Erntezeit (Juli, August) zum zweiten Mal in Apulien einrückte. Die Kalenderverwirrung (S. 301) war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg. . Und als wäre DRITTES BUCH. KAPITEL V. dies nicht genug, so erschien gleich nach der Schlacht die Rei- terei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius vorläufig seinem Collegen zu Hülfe sandte, selber langsam nachrückend. Auch dies Corps ward umzingelt und theils niedergemacht, theils gefangen. Ganz Etrurien war verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschiren. Dort machte man sich auf das Aeusserste ge- gefasst; man brach die Tiberbrücken ab und ernannte den Quin- tus Fabius Maximus zum Dictator um die Mauern in Stand zu setzen und die Vertheidigung zu leiten, für welche ein Reserve- heer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, in Stand gesetzt. Allein Hannibal sah weiter als König Pyrrhos. Er mar- schirte nicht auf Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tüchtiger Feldherr, seine Armee mit Hülfe der Festun- gen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenüber festgehalten haben würde. Es geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschirte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit römischen Bauerhöfen bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des adriatischen Meeres. Hier hielt er eine längere Rast, um in der anmuthigen Gegend und der schönen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen, in dem Menschen und Pferde noch nicht die Nachwehen der Frühlingscampagne verwunden hatten, und sein libysches Fuss- volk in römischer Weise zu reorganisiren, wozu die Masse der erbeuteten römischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knüpfte er ferner die lange unterbrochenen Verbin- dungen mit der Heimath wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich als sein Heer hinreichend sich wieder hergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geübt war, brach er auf und mar- schirte langsam an der Küste hinab in das südliche Italien hinein. — Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umge- staltung der Infanterie sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der beständig eines Angriffs auf die Hauptstadt gewärtigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestörter Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments im Herzen des feindlichen Landes mit einer noch immer ver- hältnissmässig geringen Armee sein militärisches System voll- HANNIBALISCHER KRIEG. ständig zu reformiren und den Versuch zu machen den unbe- siegbaren italischen africanische Legionen gegenüberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfan- gen werde sich zu lockern, erfüllte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten Unabhängigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Söldnern geführt hatten, kam es hiebei am wenig- sten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in mili- tärischer Hinsicht, waren nächst den latinischen die sabelli- schen Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genähert. Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Thore; nicht eine einzige italische Gemeinde machte Bündniss mit dem Phoenikier. Damit war viel, ja alles gewonnen für die Römer; indess man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig es sein würde die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen, ohne dass sich ein römisches Heer auch nur im Felde zeigte. Der Dic- tator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatz- legionen und das Heer von Ariminum zusammen und als Han- nibal an der römischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschirte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aecae die römischen Feldzeichen. Ihr Führer indess verfuhr anders als seine Vorgänger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Festigkeit, die nicht Wenigen als Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit, der politi- schen Allmacht des Senats und des Bürgermeistercommandos erwartete er das Heil des Staates nächst Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegführung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaction gegen dessen thö- richte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschäfte gerufen reiste er ins Lager, eben so fest entschlossen um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden wie sein Vorgänger um jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel überzeugt, dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten würden vorzurücken, so lange das römische Heer intact ihm gegen- überstehe, und dass es also nicht schwer halten werde die auf das Fouragiren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwächen und allmählich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im römischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualität des feindlichen Anführers. An dem römischen Heer vorüber mar- schirte er über den Apennin in das Herz von Italien nach Röm. Gesch. I. 27 DRITTES BUCH. KAPITEL V. Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Campanien und wandte sich von da gegen Ca- pua, das unter allen italischen Städten nächst Rom die be- deutendste und eben darum von der römischen Regierung wie keine andere Gemeinde in der kränkendsten Weise ge- drückt und zurückgesetzt worden war. Er hatte dort Verbin- dungen angeknüpft, die den Abfall der Campaner vom römi- schen Bündniss hoffen liessen; allein auch diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rückwärts sich wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Dictator war während dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf den Höhen gefolgt und hatte seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurtheilt mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen plünderten und in der ganzen Ebene die Dörfer in Flammen aufgingen. Jetzt wie Hannibal den Rückmarsch angetreten, verlegte der Dictator ihm den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er das linke Ufer des Volturnus durch die Besetzung dieser Stadt sperrte und auf dem rechten die krönenden Höhen mit seiner Hauptarmee einnahm, während eine Abthei- lung von 4000 Mann auf der am Fluss hinführenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess seine Leichtbewaff- neten eine Anhöhe, die unmittelbar über der Strasse sich er- hob, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit ange- zündeten Reisigbündeln auf den Hörnern vortreiben, so dass es schien, als zöge dort die ganze karthagische Armee in nächtlicher Weile bei Fackelschein ab. Die römische Abthei- lung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse überflüssig wähnend, zog sich seitwärts auf dieselben Anhöhen; auf der Strasse selbst zog Hannibal als- dann mit dem Gros seiner Armee ab, ohne dem Feind zu be- gegnen, worauf er am andern Morgen ohne Mühe und mit star- kem Verlust für die Römer seine leichten Truppen degagirte und zurücknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in nordöstlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die Landschaften der Hirpiner, Campaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne Widerstand durchzogen und ge- brandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen sollte. Wohl erkennend, dass ihm nichts übrig bleibe als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, ohne irgend einen Bundesgenossen gefunden zu haben, begann er die HANNIBALISCHER KRIEG. schwierige Operation den Winterbedarf des Heeres durch die- ses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite völlig flache apulische Ebene, die Getreide und Gras in Ueberfluss darbot und von seiner überlegenen Reiterei gänzlich beherrscht werden konnte, hatte er hiezu sich aus- ersehen. Bei Gerunium 25 Miglien nördlich von Luceria ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres täglich zum Einbringen der Vorräthe ausgesendet wur- den, während Hannibal mit dem Rest Stellung nahm um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Das römische Heer, das damals in Abwesenheit des Dictators sein Unterfeldherr Marcus Minucius befehligte, rückte an den Feind heran und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo es theils durch seine blosse Anwesenheit die Detachirungen und dadurch die Verproviantirung des feindlichen Heeres hinderte, theils in einer Reihe glücklicher Gefechte, die es gegen einzelne punische Abtheilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestand, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdrängte und sie nöthigte sich bei Gerunium zu concentriren. Auf die Nach- richt von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war sich römischer Seits vertheidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Fein- des zu erwarten, so war es doch ein seltsames Vertheidigungs- und Aushungerungssystem, bei welchem der Feind unter den Augen einer an Zahl gleichen römischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert verwüstet und durch eine geordnete Fouragirung im grössten Massstab sich für den Winter hinreichend verprovian- tirt hatte. So hatte Gnaeus Scipio, als er im Pothal comman- dirte, die defensive Haltung nicht verstanden und der Versuch seines Nachfolgers bei Casilinum ihm nachzuahmen war auf eine Weise gescheitert, die den städtischen Spottvögeln reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswerth, dass die italischen Ge- meinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegen- heit der Punier, die Nichtigkeit der römischen Hülfe so fühl- bar darthat; allein wie lange konnte man ihnen zumuthen die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der römischen Truppen und ihrer eigenen Contingente aus- plündern zu lassen? Endlich was das römische Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegführung nöthigte; es bestand nicht aus rohen Rekruten, 27* DRITTES BUCH. KAPITEL V. sondern theils aus den dienstgewohnten Legionen von Arimi- num, theils aus einberufener Landwehr, und weit entfernt durch die letzten Niederlagen entmuthigt zu sein, war es er- bittert über die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, ‚Hannibals Lakai‘, ihm zuwies, und verlangte mit lauter Stimme gegen den Feind geführt zu werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Bürgerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Marcus Terentius Varro, bemächtigten sich des Haders — wobei man nicht vergessen darf, dass der Dictator thatsächlich vom Senat ernannt ward und dies Amt galt als das Palladium der conservativen Partei — und setzten im Verein mit den unmuthigen Soldaten und den Be- sitzern der geplünderten Güter den verfassungs- und sinn- widrigen Volksbeschluss durch: die Dictatur, die dazu bestimmt war in Zeiten der Gefahr die Uebelstände des getheilten Ober- befehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fa- bius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu ertheilen. So wurde die römische Armee, nachdem ihre gefährliche Spaltung in zwei abgesonderte Corps eben erst zweckmässig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum ge- theilt, sondern an die Spitze einer jeden Abtheilung ein Füh- rer gestellt, der einen dem des Collegen geradezu und offen- kundig entgegengesetzten Kriegsplan befolgte. Quintus Fabius blieb natürlich mehr als je bei seinem methodischen Nichts- thun; Marcus Minucius, genöthigt seinen Dictatortitel auf dem Schlachtfeld zu rechtfertigen, griff übereilt und mit geringen Streitkräften an und wäre vernichtet worden, wenn nicht hier sein College durch das rechtzeitige Erscheinen seines frischen Corps grösseres Unglück abgewandt hätte. Der Dictator Quin- tus Fabius, dem diese letzte Wendung der Dinge gewisserma- ssen Recht gegeben hatte, legte verfassungsmässig in der Mitte des Herbstes sein Amt nieder und übergab den beiden Consuln Gnaeus Servilius und Marcus Regulus den Oberbefehl, worauf bald nachher von beiden Seiten die Operationen für dies Jahr eingestellt wurden. Hannibal hatte in diesem Feldzug vollstän- dig erreicht, was mit den Waffen sich erreichen liess; nicht eine einzige wesentliche Operation hatte der Gegner ihm ver- eitelt. Nicht der ‚Zauderer‘ hat Rom gerettet, sondern die feste Fugung seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass, mit dem der phoenikische Mann von den Occidentalen empfangen ward. HANNIBALISCHER KRIEG. Trotz aller Unfälle stand der römische Stolz nicht minder aufrecht als die römische Symmachie. Die Geschenke, welche die griechischen Städte in Italien und der König Hieron von Syrakus für den nächsten Feldzug anboten — sie traf der Krieg minder schwer als die übrigen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten — wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Häuptlingen zeigte man an, dass sie nicht säu- men möchten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den König von Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Partei des Uebermuths, die dem Senatsregiment feind war, führte noch immer das Ruder. Was den italischen Krieg anlangte, war man entschlossen keineswegs zurückzukehren zu der Kriegführung des Fabius, welche den Staat langsam zwar, aber sicher verderbe; dass der Volksdicta- tor nicht bessere Ergebnisse erfochten hatte, komme, so meinte man, einzig daher, weil man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fünftel über die Normalzahl verstärkt, und die entspre- chende Anzahl Bundesgenossen, zusammen 80000 Mann zu Fuss und über 6000 Reiter, genug um den nicht halb so starken Gegner zu erdrücken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Pothal bestimmt, um wo möglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimath zurückzuziehen. Diese Beschlüsse waren ver- ständig; es kam nur darauf an auch über den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetze- reien hatten die Dictatur und überhaupt den Senat unpopu- lärer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld der Führer, die thörichte Rede, dass der Senat den Krieg ab- sichtlich in die Länge ziehe. Da also an die Ernennung eines Dictators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Consuln angemessen zu leiten, was indess den Ver- dacht und den Eigensinn erst recht rege machte. Mit Mühe brachte der Senat den einen seiner Candidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 den illyrischen Krieg verständig geführt hatte; die ungeheure Majorität der Bürgerschaft gab ihm zum Collegen den Candidaten der Volks- partei Marcus Terentius Varro, einen unfähigen Mann, der nur bekannt war durch seine verbissene Opposition gegen den Senat DRITTES BUCH. KAPITEL V. und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minu- cius zum Condictator, und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschämtheit. Den beiden Consuln des vorigen Jahres wurde daneben das Com- mando verlängert; doch blieb den neu ernannten Consuln die Oberfeldherrschaft, die nach der alten thörichter Weise bei- behaltenen Sitte Tag um Tag zwischen ihnen wechselte. Mit Anfang des Sommers 538 trafen Paullus und Varro mit den vier neuen Legionen in Apulien ein, wo die beiden Heere sich seit dem vorigen Herbst gegenüberstanden. Hannibals Vor- räthe gingen schon auf die Neige und die Erntezeit war noch fern; unter seinen Soldaten, namentlich den Kelten zeigte sichtlich sich grosse Verstimmung — man brauchte nur zuzu- warten, mit der doppelten Armee den Feind ebenso festzu- halten wie bisher mit der einfachen und ihn am Abmarsch und Fouragiren zu verhindern, so stand man am Ziel. Allein dem Helden von der Gasse missfiel dergleichen militärische Pedanterie; er befahl die Schlacht zu liefern wo man eben stand und der Kriegsrath musste sich fügen Der Schlachttag ist nach dem unberichtigten Kalender der 2. August; nach dem berichtigten muss er, wie sowohl die Angaben über die Ernte lehren als die Vergleichung des Datums der trasimenischen Schlacht, viel mehr in den Juni fallen. . Das römische Heer hatte bisher auf beiden Ufern des Aufidus eine wohlge- wählte Stellung inne gehabt. Jetzt ward das linke Ufer ver- lassen; nur eine Abtheilung von 10000 Mann blieb dort zurück um das daselbst befindliche karthagische Lager zu überfallen. Die Massen des römischen und des karthagischen Heeres stell- ten sich in Schlachtordnung auf dem rechten Ufer in einem weiten nirgends Schutz bietenden Blachfeld bei dem Städtchen Cannae. Die römische Reiterei stand auf den Flügeln, die schwächere der Bürgerwehr auf dem rechten am Fluss, ge- führt von Paullus, die stärkere bundesgenössische auf dem linken gegen die Ebene, geführt von Varro. Im Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewöhnlich tiefer Stellung unter dem Befehl des Proconsuls Gnaeus Servilius. Diesem gegenüber ordnete Hannibal sein Fussvolk im Halbmond, so dass die kel- tischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Rüstung die vorgeschobene Mitte, die römisch gerüsteten Libyer auf beiden Seiten die zurückgenommenen Flügel bildeten. An der Flussseite stellte die gesammte schwere Reiterei unter Has- HANNIBALISCHER KRIEG. drubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Kar- thager gegen Varros schwere Cavallerie focht, ward das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung hin- gehalten. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollständig; eilig drängten die Sieger nach und verfolgten ihren Vortheil. Allein auf ihrem rechten Flügel hatte das Glück sich mittlerweile gegen sie gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterflügel der Feinde bloss beschäftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen regulären Reiterei gegen den schwächeren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die Römer und wurden grösstentheils in den Fluss gesprengt; verwundet ritt Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu theilen. Diese hatten, um den Sieg über die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffscolonne verwandelt, die keilförmig eindrang in das feindliche Centrum. In dieser Stellung wurden sie von dem libyschen Fussvolk, das rechts und links einschwenkte, von bei- den Seiten heftig angegriffen und ein Theil von ihnen gezwun- gen Halt zu machen um gegen die Flankenangriffe sich zu ver- theidigen, wodurch der ganze Zug ins Stocken kam und die dichtgestellte Infanteriemasse nicht mehr Raum fand sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem Flügel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs Neue gesam- melt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Flügel des Varro geführt, der schon mit den Numidiern genug zu thun hatte. Vor dem doppelten Angriff stob die italische Reiterei schnell auseinander und Hasdrubal, die Verfolgung der Flüchtigen den Numidiern überlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem rö- mischen Fussvolk in den Rücken zu führen. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht möglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Grösse so vollständig und mit so geringem Verlust des Gegners in der Feldschlacht vernichtet worden wie das römische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebüsst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Römern, die in der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten über 70000 das DRITTES BUCH. KAPITEL V. Feld, darunter der Consul Lucius Paullus, der Proconsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig Män- ner senatorischen Ranges. Nur den Consul Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des römischen Lagers, 10000 Mann stark, ward grösstentheils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, theils aus diesen Truppen, theils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahr durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien ge- sandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feld- herrn Lucius Postumius, dem für das nächste Jahr ernannten Consul, von den Galliern gänzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Combination zu reifen, um deren willen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zu- nächst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntniss der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kräfte des Westens und Ostens allmählich sich vereinigen würden um der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstützung, die die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her hatte das kühne und feste Auftreten des dorthin gesandten römischen Feldherrn Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hanni- bals Uebergang über die Rhone war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Küste zwischen den Pyre- näen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemächtigt (536). Er hatte im folgenden Jahr (537) die karthagische Flotte an der Ebromündung völlig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Vertheidiger des Pothals, mit Verstärkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro überschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538), nachdem er aus Africa Verstärkungen erhal- ten, den Versuch gemacht dem Befehl seines Bruders nachzu- kommen und ihm eine Armee zuzuführen; allein die Scipionen verlegten ihm den Uebergang über den Ebro und schlugen ihn vollständig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die mächtige Völkerschaft der Celtiberer und zahlreiche andere spanische Stämme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenäen- pässe und durch die zuverlässigen Massalioten auch die galli- HANNIBALISCHER KRIEG. sche Küste. So war von Spanien aus für Hannibal jetzt weniger als je Unterstützung zu erwarten. — Von Karthago war bisher zur Unterstützung des Feldherrn in Italien so viel geschehen, wie man erwarten konnte: punische Geschwader bedrohten die Küsten Italiens und der römischen Inseln und hüteten Africa vor einer römischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte nicht sowohl die Un- gewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und das Vermissen einer Hafenstation in Italien als die langjährige Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genüge, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Fol- gen dieser unverzeihlichen Unthätigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmählich leer, der Sold kam in Rückstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst die factiöse Oppo- sition daheim zum Schweigen; der karthagische Senat beschloss dem Feldherrn 4000 numidische Reiter, 40 Elephanten und 2000 Talente Silber (1½ Million Thlr.) zur Verfügung zu stellen und in Spanien 20000 Mann zu Fuss und 4000 Be- rittene für ihn ausheben zu lassen. — Die längst besprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war anfangs durch Antigonos plötzlichen Tod, dann durch seines Nach- folgers Philippos Unentschiedenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Ae- toler (534-537) verzögert worden. Erst jetzt nach der cannensischen Schlacht fand Demetrios von Pharos Gehör beim Hofe von Pella mit dem Antrag seine illyrischen Be- sitzungen an Makedonien abzutreten — sie mussten freilich den Römern erst entrissen werden — und erst jetzt schloss man ab mit Karthago. Makedonien übernahm es eine Lan- dungsarmee an die italische Ostküste zu werfen, wogegen ihm die Rückgabe der römischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. — Ungefähr gleichzeitig trat der Nachfolger des alten im vierundfunfzigsten Regierungsjahr (Herbst 538) verstorbenen Königs Hieron von Syrakus, der junge unfähige Hieronymos über zur karthagischen Partei, nachdem ihm zuerst wie er begehrt Sicilien bis an die alte karthagisch-sicilische Grenze, dann als sein Uebermuth stieg der Besitz der ganzen Insel bereitwillig versprochen worden war. Die karthagische Flotte, die Syrakus bedroht hatte, machte sofort gemeinschaftliche Sache mit den Syrakusanern, und die Lage der römischen DRITTES BUCH. KAPITEL V. Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten bei den aegatischen Inseln postirten karthagischen Geschwader zu thun gehabt, ward auf einmal sehr bedenklich, während zugleich die in Rom zur Einschiffung nach Sicilien bereitstehende Mannschaft in Folge der cannensischen Niederlage für andere und drin- gendere Erfordernisse verwendet werden musste. — Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebäude der römischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stösse zweier schwerer Kriegsjahre uner- schüttert überstanden hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte durch die römischen Colonien Luceria und Brundisium schwer be- einträchtigte Städte; die Brettier — diese zuerst von allen — mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner grösstentheils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vor- nämlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstädte Atella und Calatia entschied. Freilich erfolgte der Parteiwechsel überall und namentlich in Capua erst nach hartnäckigen inneren Kämpfen, indem die vielfach an das römische Interesse gefesselte Adels- partei demselben sehr ernstlich widerstrebte. Hannibal sah sich zum Beispiel genöthigt einen der Führer der campani- schen Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einrücken der Punier hartnäckig das römische Bündniss ver- focht, festnehmen und nach Karthago abführen zu lassen; um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn so eben den Campanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveränetät. Dagegen hielten die süditalischen Griechen fest am römischen Bündniss, wobei die römischen Besatzungen freilich auch das Ihrige thaten, aber mehr noch der sehr ent- schiedene Widerwille gegen das phoenikische Wesen und des- sen neue lucanische und brettische Bundesgenossen und die Anhänglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit seinen Helle- nismus zu bethätigen eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So wider- standen die campanischen Griechen, namentlich Neapel, muthig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe thaten in Grossgriechen- land trotz ihrer sehr gefährdeten Stellung Rhegion, Thurii, HANNIBALISCHER KRIEG. Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den vereinigten Brettiern und Puniern theils erstürmt, theils zur Capitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri geführt, worauf brettische Colonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die süditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Pae- stum, Cosa, Cales unerschüttert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Er- oberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunächst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurückgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem ältesten Sitz der römischen Herrschaft, wo lateinische Sitte und Sprache schon überall vorwog und man sich als Genossen der Herrscher, nicht als Unterthanen fühlte. Hannibals Gegner im kartha- gischen Senat unterliessen nicht daran zu erinnern, dass nicht ein römischer Bürger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der römischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertrümmert werden. Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Blüthe der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesammten Zahl der kampffähigen Italiker zu Grunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen Versündigungen, die sich die römi- sche Bürgerschaft hatte zu Schulden kommen lassen, und nicht etwa bloss einzelne thörichte oder elende Männer. Die für die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgends mehr; es war eben nicht möglich über die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege führen solle, Jahr für Jahr die Pandorabüchse des Stimm- kastens entscheiden zu lassen. Da eine gründliche Verfas- sungsrevision, wenn sie überhaupt ausführbar war, jetzt wenig- stens nicht begonnen werden durfte, so blieb nichts anderes übrig als zunächst der einzigen Behörde, die dazu im Stande war, dem Senat die thatsächliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Uebertragung und Verlängerung des Comman- dos zu übergeben und den Comitien nur die formelle Be- stätigung vorzubehalten. Die glänzenden Erfolge der Scipionen in dem schwierigen spanischen Feldzug zeigten, was auf die- sem Weg sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits nagte an den aristokratischen Elementen der Ver- DRITTES BUCH. KAPITEL V. fassung, mischte sich ein; die unvernünftigen Beschuldigungen, dass die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde conspirirten, fanden Glauben beim ‚Volk‘; die Heilande des politischen Köh- lerglaubens, die Gaius Flaminius und Marcus Varro, beide ‚neue Männer‘ und Volksfreunde vom reinsten Wasser, wurden dem- nach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser Menge beauftragt, und die Ergebnisse waren die Schlachten am trasimenischen See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicher Weise seine Aufgabe jetzt besser fasste als da er des Regulus halbe Armee aus Africa zurückrief, die Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäss; allein die Art, wie er den Krieg führte, als die erste jener beiden Nieder- lagen ihm augenblicklich das Ruder in die Hand gab, ist gleichfalls nicht unbefangen. Auch Quintus Fabius, so wenig er mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, hat den Krieg nicht bloss als Militär geführt, sondern auch als politischer Gegner des Gaius Flaminius, und in einer Zeit, die Einigkeit brauchte, gethan was er konnte um zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Dictatur ihm unter den Hän- den zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die cannen- sische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht ver- schuldeten aber nicht Quintus Fabius noch Marcus Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und dem Regierten, die Spaltung zwischen Rath und Bürgerschaft. Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich war, mussten sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwe- rer wiegt, dies gethan zu haben, gethan mit Unterdrückung aller an sich gerechten Recriminationen, ist die herrliche und unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro — allein von allen Generalen, die in der Schlacht commandirt hatten — nach Rom zurückkehrte, und die römischen Sena- toren bis an das Thor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er nicht verzweifelt habe an der Rettung des Vaterlandes, waren dies weder leere Reden um mit grossen Worten das Elend zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines HANNIBALISCHER KRIEG. solchen Aufrufs verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur wie man gemeinsam die Noth zu wenden im Stande sei. In allem ging der Senat voran und gab den Bürgern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurück. Er bewahrte seine feste und strenge Haltung, während die Boten von allen Seiten nach Rom eilten um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundes- genossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu be- richten, um Verstärkung zu begehren für das Pothal und für Sicilien, während Italien preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenströmen der Menge an den Thoren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Häuser gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschränkt, damit der Dienst der freudigen Götter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht allzulange unterbrochen werde — denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Todtenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indess durch zwei tüchtige Kriegstribunen, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es durch seine stolze Begeisterung und durch die guten Schwerter sei- ner Getreuen diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an der Rettung des Vaterlandes über das Meer zu entweichen ge- dachten. Zu ihnen begab sich mit seiner Handvoll Leute der Consul Marcus Varro; allmählich fanden sich dort etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisiren und zu schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradiren befahl. Der unfähige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurückberufen; der Prätor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war mit der Flotte von Ostia nach Sicilien abzugehen, übernahm den Oberbefehl. Eine kampffähige Armee zu organisiren strengte man die äussersten Kräfte an. Die Latiner wurden beschickt um Hülfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knaben- alter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja sogar achttausend vom Staat angekaufte Sklaven stellte man ein in das Heer. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestücke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerke überall in Thätigkeit. Der Senat ward ergänzt — nicht, wie ängstliche Patrioten forderten, DRITTES BUCH. KAPITEL VI. aus den Latinern, sondern aus den nächstberechtigten römi- schen Bürgern. Hannibal bot die Lösung der Gefangenen auf Kosten des römischen Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen ange- langten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen sollten nicht glauben, dass Rom zu trans- igiren gedenke, sondern es musste auch dem letzten Bürger begreiflich gemacht werden, dass für ihn wie für alle es kei- nen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. KAPITEL VI. Der hannibalische Krieg von Cannae bis Zama . Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzügen war dasselbe erreicht, so weit es überhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die latinischen oder latinisirten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den Tag von Cannae nicht irre geworden waren, überhaupt nicht dem Schreck, sondern nur der Gewalt weichen würden, lag am Tage, und der verzweifelte Muth, mit dem selbst in Süd- italien einzelne kleine und rettungslos verlorene Landstädte wie das brettische Petelia gegen den Punier sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte auf diesem Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom führen zu können, so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch sonst die italische Coalition keineswegs die gehofften Resultate für Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal das Recht nicht haben solle campanische Bürger anders als freiwillig unter die Waffen zu rufen; es war nicht vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten war, und die thörichten Städter meinten zugleich der römischen wie der phoenikischen Herr- schaft sich entziehen zu können. Samnium und Lucanien waren nicht mehr was sie gewesen, als König Pyrrhos gedacht hatte an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom einzu- ziehen. Nicht bloss zerschnitt das römische Festungsnetz DRITTES BUCH. KAPITEL VI. überall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die vieljährige römische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwöhnt — nur mässiger Zuzug kam von hieher zu den römischen Heeren —, den alten Hass beschwichtigt, überall eine Menge Einzelner in das Interesse der herrschen- den Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueber- winder der Römer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fühlte doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeiste- rung, sondern Kleinmuth warf die sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter solchen Umständen stockte in Italien der Krieg. Hannibal, der den südlichen Theil der Halbinsel beherrschte bis hinauf zum Volturnus und zum Gar- ganus und diese Landschaften keineswegs wie das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entblösst ward; und, um die gewonnenen Landschaften gegen die überall ihm trotzenden Festungen und die von Norden her anrückenden Heere zu vertheidigen und gleichzeitig die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine Streitkräfte, ein Heer von etwa 40000 Mann ohne die italischen Zuzüge zu rechnen, bei weitem nicht aus. Es kam hinzu, dass die Römer, durch furchtbare Erfahrungen belehrt, zu einem ver- ständigeren System der Kriegführung übergingen und Feld- herren an die Spitze ihrer Heere stellten, die weder von den Bergen herab den feindlichen Operationen zusahen noch in die Ebene hinabstiegen um in der Feldschlacht mit einem Schlage den Krieg zu entscheiden, sondern in verschanzten Lagern unter den Mauern der Festungen sich aufstellend den Kampf aufnah- men, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Ver- nichtung führte. Es war der Prätor Marcus Claudius Mar- cellus, der, nach der cannensischen Niederlage vorläufig zum factischen Oberbefehl vom Senat berufen, diese neue Kriegs- weise, die zwischen Zauderei und Vorschnelligkeit die rechte Mitte zu finden verstand, muthig und glücklich ergriff und durchzuführen begann. Und wenn die Rettung Roms aus dieser höchsten Gefahr nicht das Verdienst eines Einzelnen ist, son- dern der römischen Bürgerschaft insgemein und vorzugsweise dem Senat gebührt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Campanien HANNIBALISCHER KRIEG. gewandt. Er kannte Rom besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf hätte entscheiden kön- nen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffs- krieg gegen die Festungen weit minder entwickelt war als das Vertheidigungssystem, zerschellte unzählige Male der voll- ständigste Erfolg im Felde an den Mauern der Hauptstädte. Rath und Bürgerschaft in Karthago waren weitaus nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte Stand gehalten und vollständig gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schlüssel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden anneh- men werde? Statt also über solchen leeren Demonstrationen die möglichen und wichtigen Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der Belagerung der paar tausend römi- scher Flüchtlinge in den Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die Römer Be- satzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anrücken die zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Ueber- tritt bestimmt. Er durfte hoffen von Capua aus sich eines der campanischen Häfen bemächtigen zu können, um dort die Verstärkungen an sich zu ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgezwungen hatten. Als die Römer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, sam- melten sie die ihnen übrig gebliebenen Truppen auf dem rechten Ufer des Volturnus, während in Apulien nur eine schwache Abtheilung zurückblieb. Mit den zwei cannensischen Legionen marschirte Marcus Marcellus nach Teanum Sidici- num, wo er von Rom und Ostia die zunächst disponiblen Truppen an sich zog, und während der Dictator Marcus Ju- nius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, ging Marcellus bis nach Casilinum vor an den Volturnus, um wo möglich Capua zu retten. Er fand dies indess schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen Versuche auf Neapel an dem muthigen Widerstand der Bürger- schaft gescheitert und die Römer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden andern grösseren Küstenstädte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der Kampf zwischen Röm. Gesch. I. 28 DRITTES BUCH. KAPITEL VI. der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an die Punier oder an die Römer. Benachrichtigt, dass die er- stere die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia über den Fluss und an den Höhen von Suessula hin um die feind- liche Armee herum marschirend, erreichte er Nola früh genug um es gegen die äusseren und die inneren Feinde zu be- haupten, ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit namhaftem Verlust zurück; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die Hannibal erlitten, moralisch von weit grösserer Bedeutung war als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Campanien Nuceria, Acerrae und nach einer hart- näckigen bis ins folgende Jahr (539) sich hinziehenden Be- lagerung auch der Schlüssel der Volturnuslinie, Casilinum von Hannibal erobert und über die Senate dieser Städte, die zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhängt. Aber das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Rö- mern mit verhältnissmässig geringer Einbusse den gefährlichen Moment der ersten Schwäche zu überwinden. Der Krieg kam in Campanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im nächsten Jahre (539) erhielt der Krieg schon ein ganz anderes Aussehen. Die beiden im vor- jährigen Feldzug erprobten Feldherrn, Marcus Marcellus, der Retter von Nola, und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich als Reiterführer des Dictators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus Fabius Maximus traten, Marcellus als Proconsul, die beiden andern als Consuln, an die Spitze der drei römischen Heere, welche bestimmt waren Capua und Hannibal zu um- ringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestützt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, Gracchus an der Küste, wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum Stellung nahm. Die Campaner, welche nach Hamae drei Mig- lien von Cumae ausrückten um die Cumaner zu überrumpeln, wurden von Gracchus nachdrücklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht den Kürzern, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert ward, unmuthig nach Capua zurück. Während so die Römer in Campanien nicht bloss behaupteten was sie besassen, sondern auch Comhulteria und andere kleinere Plätze wieder gewannen, erschollen von Hannibals östlichen Verbündeten laute Klagen. Ein römisches HANNIBALISCHER KRIEG. Heer unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, theils um in Gemeinschaft mit der römischen Flotte die Ostküste und die Bewegungen der Makedonier zu beobachten, theils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufständischen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brand- schatzen. Um diesen Luft zu machen wandte Hannibal zu- nächst sich gegen seinen thätigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg über die punische Armee. Nach dem Fehl- schlagen dieser Diversion machte das punische Heer, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien unmittelbar zu steuern, sich von Campanien nach Arpi auf den Weg; ihm folgte Tiberius Gracchus mit seinem Corps, während die beiden andern römischen Heere in Campanien sich anschickten mit dem nächsten Frühjahr zum Angriff auf Capua überzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Märsche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im Wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, wei- tere Unternehmungen durch die unumgängliche Vertheidigung des Gewonnenen selbst fast unmöglich gemacht. An die Of- fensive liess sich nicht denken, die Defensive war schwierig und drohte jährlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen, dass die zweite Hälfte seines grossen Tag- werks, die Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen Bundesgenossen Kräften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei dem Rath von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Höfen von Pella und Syrakus. Wenn in Africa, Spanien, Sicilien, Makedonien jetzt alle Kräfte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward für die Heere und Flotten von Westen, Süden und Osten, so konnte er hoffen glücklich zu Ende zu führen, was die Vorhut unter seiner Leitung so glänzend begonnen hatte. Das Natürlichste und Leichteste wäre gewesen ihm von daheim solche Unterstützung zuzusenden, wie der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberührt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe geführt war, sie auf- zubieten vermochte. Dass es möglich gewesen wäre eine 28* DRITTES BUCH. KAPITEL VI. punische Flotte von jeder beliebigen Stärke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal so lange als der Hafen von Syrakus karthagisch war und durch Makedonien die brundi- sinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die unge- hinderte Landung von 4000 Africanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zuführte, in Lokri, und mehr noch Hannibals ungestörte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war. Allein nachdem der erste Ein- druck des Sieges von Cannae sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen und die in der Kurzsichtigkeit und Lässigkeit der Bürgerschaft treue Verbündete fand, die Bitten des Feldherrn um nachdrücklichere Unterstützung ab mit der halb einfälti- gen, halb perfiden Antwort, dass er ja keine Hülfe brauche, wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der römische Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem städtischen Parteigetreibe fremd, fand keinen Volksführer, auf den er sich hätte stützen können wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste zur Rettung der Heimath die Mittel, die diese selbst in reicher Fülle besass, im Ausland suchen. — Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die Führer des spanischen Patrioten- heers, auf die in Syrakus angeknüpften Verbindungen und auf Philippos Intervention. Es kam alles darauf an von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkräfte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu führen; und zu diesem Ende sind die Kriege in Spanien, Sicilien und Griechenland geführt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck und sehr mit Unrecht hat man oft sie höher angeschlagen. Für die Römer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist die Pyrenäenpässe zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu vertheidigen und die Verbindung zwischen Italien und Sicilien zu sperren; es ver- steht sich, dass diese Defensive wo möglich offensiv geführt wird und im günstigen Fall sich entwickelt zur Verdrängung der Punier aus Spanien und Sicilien und zur Sprengung der Bündnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der ita- lische Krieg an sich zwar tritt zunächst in den Hintergrund und löst sich auf in Festungskämpfe und Razzias, die in der Hauptsache nicht entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, so lange die Punier überhaupt die Offensive festhalten, stets HANNIBALISCHER KRIEG. das Ziel aller Operationen, und alle Anstrengung wie alles Interesse knüpft sich daran die Isolirung Hannibals im süd- lichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Wäre es möglich gewesen unmittelbar nach der cannen- sischen Schlacht alle die Hülfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, so konnte er des Erfolgs ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war Has- drubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, dass die Anstrengungen an Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische Sieg die karthagische Bürgerschaft angespannt hatte, grösstentheils für Spanien verwendet wurden, ohne dass die Lage der Dinge dort dadurch besser geworden wäre. Die Scipionen verlegten den Kriegsschauplatz im folgen- den Feldzug (539) vom Ebro an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glänzende Siege. In Sardinien mit den Eingebornen angeknüpfte Verbindungen liessen die Kar- thager hoffen, dass sie sich der Insel würden bemächtigen können, die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit gewesen wäre. Indess Titus Manlius Tor- quatus, der mit einem römischen Heer nach Sardinien ge- sendet ward, vernichtete die karthagische Landungsarmee voll- ständig und sicherte den Römern aufs neue den unbestrittenen Besitz der Insel (539). Die nach Sicilien geschickten can- nensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel sich muthig und glücklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 von Mörderhand seinen Tod fand. Selbst mit Makedonien verzögerte sich die Ratification des Bündnisses, hauptsächlich weil die makedonischen an Hannibal gesendeten Boten auf der Rückreise von den römischen Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So unterblieb vorläufig die gefürchtete Invasion an der Ostküste und die Römer gewannen Zeit die wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und für den Fall der Kriegserklärung selbst einen Einfall in Makedonien vorzube- reiten. Während also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken kam, war ausserhalb Italien karthagischer Seits nichts geschehen, was eine baldige Landung neuer Heere oder Flot- ten in Italien gefördert hätte. Römischer Seits hatte man sich dagegen mit der grössten Energie überall in Vertheidigungs- DRITTES BUCH. KAPITEL VI. zustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie fehlte, grösstentheils mit Erfolg gefochten. Darüber verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der cannensi- sche Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeuten- den Anstrengungen, die man gemacht hatte, waren, sei es durch factiöse Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der verschiedenen im Rath laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden, dass sie nirgends wesent- lich gefördert hatten und da, wo sie am nützlichsten gewesen wären, eben der kleinste Theil hinkam. Am Ende des Jahres 539 durfte auch der besonnene römische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr vorüber sei und es nur darauf ankomme mit Anspannung aller Kräfte auf sämmt- lichen Puncten auszuharren in der heldenmüthig begonnenen Gegenwehr, um sie zum glücklichen Ende zu führen. Am ersten ging der Krieg in Sicilien zu Ende. Es hatte nicht zunächst in Hannibals Plan gelegen auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufällig, hauptsächlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverständigen Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, der ohne Zweifel eben aus diesem Grunde vom karthagischen Rath mit besonderem Eifer geführt ward. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 getödtet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob die Bürgerschaft bei der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt hatte Syrakus alle Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager über die Römer trotz aller Verspre- chen und Verträge unzweifelhaft jenen wenigstens die Herr- schaft über ganz Sicilien geben musste. Theils hiedurch be- wogen, theils geschreckt durch die drohenden Anstalten der Römer, die alles aufboten um die wichtige Insel, die Brücke zwischen Italien und Africa wieder vollständig in ihre Gewalt zu bringen, und jetzt für den Feldzug 540 ihren besten Feld- herrn, den Marcus Marcellus nach Sicilien gesandt hatten, zeigte die syrakusanische Bürgerschaft sich geneigt durch rechtzeitige Rückkehr zum römischen Bündniss das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwir- rung in der Stadt, wo nach Hieronymos Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die Hand- streiche der zahlreichen Prätendenten auf den erledigten Thron wild durch einander wogten, die fremden Hauptleute der Söld- nerschaaren aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte Emissäre Hippokrates und Epi- HANNIBALISCHER KRIEG. kydes Gelegenheit die Friedensversuche zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; die nur zu gegründete Schilderung von der fürchterlichen Bestrafung, die den so eben wieder unterworfenen Leontinern von den Römern zu Theil geworden war, erweckte auch in dem bes- sern Theil der Bürgerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spät sei um das alte Verhältniss mit Rom wieder herzustellen; unter den Söldnern endlich wurden die zahlreichen römischen Ueber- läufer, meistens durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht überzeugt, dass der Friede der Bürgerschaft mit Rom ihr Todesurtheil sei. So wurden die Vorsteher der Bürgerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates und Epikydes übernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Consul nichts übrig als zur Belagerung zu schreiten; indess die geschickte Leitung der Vertheidigung, bei der na- mentlich der als gelehrter Mathematiker berühmte syrakusani- sche Ingenieur Archimedes sich hervorthat, zwang die Römer nach achtmonatlicher Belagerung dieselbe in eine Blokade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war auch von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten die Sy- rakusaner unterstützt hatte, auf die Nachricht von der aber- maligen Schilderhebung derselben gegen die Römer ein star- kes Landheer unter Himilko nach Sicilien gesendet worden, das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rückte der kühne und fähige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; Marcellus Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden feindlichen Hee- ren fing an bedenklich zu werden. Indess mit Hülfe einiger Verstärkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der Insel und setzte die Blokade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als die feindlichen Armeen die fürchterliche Strenge, mit der die Römer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls verdächtigen Bürgerschaft von Enna durch die römische Besatzung daselbst, den grössten Theil der kleinen Landstädte den Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 gelang es Mar- cellus in die syrakusanischen Vorstädte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten; während ei- nes Festes in der Stadt erstiegen die Römer einen von den Wachen verlassenen Theil der weitläuftigen Aussen- DRITTES BUCH. KAPITEL VI. mauern. Die Festung Euryalos, die am äussersten westlichen Ende der Vorstädte gelegen diese und die vom Binnenland nach Syrakus führende Hauptstrasse sicherte, war hiemit ab- geschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so die Belage- rung der Stadt eine den Römern günstige Wendung zu neh- men begann, rückten die beiden Heere unter Himilko und Hippokrates zum Ersatz heran und versuchten einen gleich- zeitigen überdies noch mit einem Landungsversuch der kar- thagischen Flotte und einem Ausfall der syrakusanischen Be- satzung combinirten Angriff auf die römischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen und die beiden Entsatz- heere mussten sich begnügen vor der Stadt ihr Lager auf- zuschlagen, in den sumpfigen Niederungen des Anapos, die im Hochsommer und im Herbst dem darin Verweilenden tödt- liche Seuchen erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, öfter als die Tapferkeit der Bürger; zwei punische Heere, da- mals die Stadt belagernd, waren zu den Zeiten des ersten Dionys unter den Mauern der Stadt durch diese Seuchen ver- nichtet worden. Jetzt wendete der Stadt die eigene Schutz- wehr das Schicksal zum Verderben; während Marcellus Heer in den Vorstädten einquartiert nur wenig litt, verödeten die Fieber die punischen und die syrakusanischen Bivouacs. Hippo- krates starb, desgleichen Himilko und die meisten Punier; die Ueberbleibsel der beiden Heere, grösstentheils eingeborne Si- culer, verliefen sich in die benachbarten Städte. Noch mach- ten die Karthager einen Versuch die Stadt durch eine Flotte zu retten; allein ihr Admiral Bomilkar entwich, als ihm der Feind die Seeschlacht anbot. Nun gab selbst Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas. Gern hätte Syrakus sich den Römern ergeben; die Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zwei- ten Mal scheiterten sie an den Ueberläufern; in einer aber- maligen Meuterei der Soldaten wurden die Vorsteher der Bürgerschaft und eine Anzahl angesehener Bürger erschlagen und das Regiment und die Vertheidigung der Stadt von den fremden Truppen ihren Hauptleuten übertragen. Nun knüpfte Marcellus mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden noch freien Stadttheile, die Insel in die Hände lieferte; worauf die Bürgerschaft ihm freiwillig auch die Thore von Achradina aufthat (Herbst 542). Wenn irgendwo hätte gegen diese Stadt, die offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten HANNIBALISCHER KRIEG. Versuche gemacht hatte sich der Tyrannei des fremden Mili- tärs zu entziehen, selbst nach den nicht löblichen Grundsätzen des römischen Staatsrechts über die Behandlung bundbrüchiger Gemeinden Gnade eintreten können. Allein nicht bloss be- fleckte Marcellus seine Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen Plünderung der reichen Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Bürgern auch Archimedes den Tod fand, sondern auch der römische Senat hatte kein Ohr für die ver- späteten Beschwerden der Syrakusaner über den gefeierten Feldherrn und gab weder den Einzelnen die Beute zurück noch der Stadt ihre Freiheit. — Sicilien schien damit für die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier in der Ferne thätig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter Hanno und Epikydes rath- und thatlos bei Akragas stand, einen libyschen Reiteroffizier, den Mutines, der den Befehl der numidischen Reiterei übernahm und mit seinen flüchtigen Schaaren, den bittern Hass, den die römische Zwing- herrschaft auf der ganzen Insel gesäet hatte, zu offener Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem glücklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himera- fluss die karthagische und die römische Armee auf einander trafen, gegen Marcellus selbst mit Glück einige Gefechte bestand. Indess das Verhältniss, das zwischen Hannibal und dem kar- thagischen Rath obwaltete, wiederholte hier sich im Kleinen. Der vom Rath bestellte Feldherr verfolgte mit eifersüchtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand darauf dem Proconsul eine Schlacht zu liefern ohne Mutines und die Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollständig geschlagen. Mutines liess sich dadurch nicht irren; er be- hauptete sich im Innern des Landes, besetzte mehrere kleine Städte und konnte, da von Karthago nicht unbeträchtliche Verstärkungen ihm zukamen, seine Operationen allmählich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glänzend, dass endlich der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hin- dern konnte ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Com- mando über die leichte Reiterei abnahm und es seinem Sohn übertrug. Der Numidier, der nun seit zwei Jahren seinen punischen Herren die Insel erhalten hatte, fand hiemit das Mass seiner Geduld erschöpft; er und seine Reiter, die dem jüngeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unter- handlung mit dem römischen Feldherrn Marcus Valerius Lae- vinus und lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Nachen und ging nach Karthago um den schändlichen Vater- landsverrath des hannibalischen Offiziers den Seinen zu be- richten; die punische Besatzung in der Stadt ward niederge- macht und die Bürgerschaft in die Sclaverei verkauft (544). Zur Sicherung der Insel vor ähnlichen Ueberfällen, wie die Landung von 540 gewesen war, erhielt die Stadt eine römische Colonie; die alte herrliche Akragas ward zur römischen Festung Agrigentum. Nachdem also ganz Sicilien unterworfen war, ward römischer Seits dafür gesorgt, dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerrüttete Insel zurückkehre. Man trieb das Räuber- gesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte es hinüber nach Italien, um von Rhegion aus in Han- nibals Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung that ihr Möglichstes um den gänzlich darniederlie- genden Ackerbau wieder auf der Insel in Aufnahme zu brin- gen. Im karthagischen Rath war wohl noch öfter die Rede davon eine Flotte nach Sicilien zu senden und den Krieg dort zu erneuern; allein es blieb bei Entwürfen. Entscheidender als Syrakus hätte Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen können. Von den östlichen Mächten war für den Augenblick weder Förderung noch Hin- derung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos natür- licher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei Raphia 537 sich glücklich schätzen müssen von dem schlaffen Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; theils die Rivalität der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des Krieges, theils Prätenden- tenaufstände im Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, Baktrien und den östlichen Satrapien hinderten ihn jener grossen antirömischen Allianz sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinn trug. Der ägyptische Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Bündniss 544 erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als durch Kornschiffe unter- stützen werde. In den grossen italischen Kampf ein entschei- dendes Gewicht zu werfen waren somit Makedonien und Grie- chenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwie- tracht; sie konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es über sich gewannen nur für wenige Jahre zusammenzu- stehen gegen den gemeinschaftlichen Feind. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fürchte, es möge mit HANNIBALISCHER KRIEG. den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich aufführ- ten, demnächst vorbei sein; seine ernste Mahnung nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass eine stärkere Macht allen Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe — diese Reden hatten wesentlich dazu beigetragen den Frie- den zwischen Philippos und den Aetolern herbeizuführen (537) und für dessen Tendenz bezeichnend war es, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in Griechenland wie in Kar- thago; einen Augenblick schien es möglich einen hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines solchen Heerzugs konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Na- tion, womit ein solcher Krieg allein geführt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe nicht sich aus dem Unter- drücker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Bündnisses mit Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten und die Art der Kriegführung war noch weniger geeignet Sym- pathie und Zuversicht zu erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen Schlacht (538) gemacht ward sich der Stadt Apollonia zu bemächtigen, scheiterte in einer fast lächerlichen Weise, indem Philippos schleunigst um- kehrte auf das gänzlich unbegründete Gerücht, dass eine rö- mische Flotte in das adriatische Meer steuere. Dies geschah noch ehe es zum förmlichen Bruch mit Rom kam; als dieser endlich erfolgt war, erwartete Freund und Feind eine makedo- sche Landung in Unteritalien. Seit 539 standen bei Brundisium eine römische Flotte und ein römisches Heer um derselben zu begegnen; Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flotille von leichten illyrischen Barken um sein Heer hinüberzuführen. Allein als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Muth den gefürchteten Fünfdeckern zur See zu be- gegnen; er brach das seinem Bundesgenossen Hannibal gege- bene Versprechen einen Landungsversuch zu machen und um doch etwas zu thun, entschloss er sich auf seinen Theil der Beute, die römischen Besitzungen in Epeiros einen Angriff zu machen (540). Im besten Falle wäre dabei nichts herausge- kommen; allein die Römer, die wohl wussten, dass die offen- sive Deckung vorzüglicher ist als die defensive, begnügten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die römische Flotte führte DRITTES BUCH. KAPITEL VI. eine Heerabtheilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward dem König wieder abgenommen, nach Apollonia Be- satzung geworfen und das makedonische Lager erstürmt, wor- auf Philippos vom halben Thun zur völligen Unthätigkeit über- ging und trotz aller Beschwerden Hannibals, der umsonst solche Lahmheit und Kurzsichtigkeit durch sein Feuer und seine Klarheit zum Handeln zu spornen versuchte, einige Jahre in thatenlosem Kriegszustand verstreichen liess. Erst der Fall von Tarent (542), wodurch Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Küsten gewann, die zunächst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten, veranlasste die Römer den Schlag von weitem zu pariren und den Makedo- niern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen Versuch auf Italien nicht denken könnten. In Griechen- land war der nationale Aufschwung natürlich längst verraucht; mit Hülfe der alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, fiel es dem römischen Admiral Laevinus nicht schwer gegen Makedonien eine Coa- lition der Mittel- und Kleinmächte unter römischem Schutz zu Stande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch die Zusicherung des seit langem von den Aeto- lern begehrten akarnanischen Gebietes gewonnen hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die übrigen Hellenen auf gemeinschaftliche Rechnung zu plündern an Land und Leuten, so dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Römern gehören sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die antimakedonisch oder vielmehr zunächst antiachaeisch gesinnten Staaten an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister Soldat Machanidas über den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen des unmündigen Königs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf gedungene Söldnerschaaren gestütztes Abenteurerregiment zu begründen. Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Häuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen Stämme und endlich König Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vortheil mit Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war sich der römischen Clientel schon jetzt anzu- HANNIBALISCHER KRIEG. schliessen, wo seine Theilnahme noch etwas werth war. Es ist weder erfreulich noch nothwendig den Wechselfällen dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl jedem einzelnen seiner Gegner überlegen und nach allen Seiten hin mit Ener- gie und persönlicher Tapferkeit die Angriffe zurückweisend, rieb sich dennoch auf in dieser heillosen Defensive. Bald galt es sich gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemein- schaft mit der römischen Flotte die unglücklichen Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die nördlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hülfe gegen die aetolischen und spartanischen Raubzüge; bald bedrohten die Kriegsschiffe von Pergamon und Rom die östliche Küste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer Kriegsflotte lähmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithynien, ja von Han- nibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, womit er hätte anfangen müssen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen, von denen indess kein Gebrauch mehr gemacht ward, wenn überhaupt der Befehl zur Ausführung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafür hatten, bedauerten den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kräfte sich selbst zerfleischten und der Wohlstand des Landes zu Grunde ging. Wiederholt hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. Selbst von den Aetolern, auf die es unter den römischen Alliirten haupt- sächlich ankam, gingen allmählich manchem die Augen auf über die ehrlose und verderbliche Rolle, zu der sie das römi- sche Bündniss verurtheilte; es ging ein Schrei der Empörung durch die ganze griechische Nation, als die Aetoler in Ge- meinschaft mit den Römern hellenische Bürgerschaften, wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Scla- verei verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei; sie wagten viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen und fanden die Römer keineswegs geneigt, zumal bei der günstigen Wendung der Dinge in Spanien und Italien, von einem Kriege abzustehen, den sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen führten und dessen Last und Nachtheil wesentlich auf die Aetoler fiel. Diese sahen sich hart be- drängt, besonders seit der kleine König der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien DRITTES BUCH. KAPITEL VI. den makedonischen Einfällen geöffnet worden war. Endlich entschlossen die Aetoler sich den vermittelnden Städten Gehör zu geben und trotz der Gegenbestrebungen der Römer kam im Winter 548/9 ein Friede zwischen den griechischen Mächten zu Stande. Die Aetoler hatten einen übermächtigen Bundes- genossen in einen gefährlichen Feind verwandelt; indess es schien dem römischen Senat, der eben damals alle Kräfte des erschöpften Staates zu der entscheidenden africanischen Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick den Bruch des Bündnisses zu ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, der nach dem Rücktritt der Aetoler neue Anstrengungen von den Römern selbst gefordert haben würde, schien es zweckmässi- ger durch einen Frieden zu beendigen, durch den Rom mit Ausnahme des werthlosen atintanischen Gebiets seine sämmt- lichen Besitzungen in Epeiros behielt. Unter den Umständen musste Philippos sich glücklich schätzen so günstige Bedingun- gen zu erhalten; allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht länger verbergen liess, dass all das unsägliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit widerwärtiger Un- menschlichkeit geführten Krieges über Griechenland gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige Combination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick getheilt hatte, unwiederbringlich geschei- tert war. In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals mäch- tig war, war der Kampf ernster. Er bewegt sich in selt- samen Wechselfällen, wie die eigenthümliche Beschaffenheit des Landes und Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schönen Ebrothal und dem üppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahl- reichen Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren eben so leicht als bewaff- neter Landsturm zusammenzutreiben, wie sie schwer gegen den Feind sich führen und überhaupt nur sich zusammenhal- ten liessen. Die Städter waren ebensowenig zu festem und gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnäckig jede einzelne Bürgerschaft hinter ihren Wällen dem Dränger Trotz bot. Sie alle scheinen zwischen den Römern und den Kar- thagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob die lästigen Gäste, die sich im Ebrothal, oder die, welche am Guadal- quivir sich festgesetzt hatten, ein grösseres oder kleineres Stück der Halbinsel besassen, mag den Eingebornen ziemlich HANNIBALISCHER KRIEG. gleichgültig gewesen sein, wesshalb von der eigenthümlich spanischen Zähigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Aus- nahmen, wie Sagunt auf römischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Kriege wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die Römer noch die Afri- caner hinreichende eigene Mannschaft mit sich geführt hatten, nothwendig zum Propagandakrieg, in dem selten festgegrün- dete Anhänglichkeit, gewöhnlich Furcht, Geld oder Zufall ent- schied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen end- losen Festungs- und Guerillakrieg auflöste um bald aus der Asche wieder aufzulodern. Die Armeen wechseln wie die Dünen am Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht mehr. Doch ist im Allgemeinen das Uebergewicht auf Seiten der Römer, theils durch die glück- liche Wahl ihrer Führer, theils durch den stärkeren Kern mitgebrachter zuverlässiger Truppen. Bei unserer sehr un- vollkommenen und namentlich in der Zeitrechnung tiefzerrüt- teten Ueberlieferung ist es indess nicht wohl möglich von einem also geführten Kriege eine befriedigende Darstellung zu geben. — Die beiden Statthalter der Römer auf der Halbinsel Gnaeus und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus gute Generale und vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glänzendsten Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyre- näen durchstehend behauptet und der Versuch die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wieder herzustellen blutig zurückgewie- sen worden, sondern es hatten auch die römischen Heere schon 539 in Andalusien mit Glück gefochten. Der Zug dort- hin ward das Jahr darauf (540) mit noch grösserem Erfolg wiederholt; die Römer trugen ihre Waffen fast bis zu den Säulen des Hercules, breiteten ihre Clientel im südlichen Spanien aus und sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation so weit möglich bezahlten. Wäh- rend so die Karthager sich in Spanien bedrängt sahen, wuss- ten ihnen die Römer im westlichen Africa selbst einen ge- fährlichen Feind zu erwecken. Von den beiden mächtigen westafricanischen Fürsten, Gala, der das Gebiet gegen Kar- thago zu, und Syphax, der das gegen das atlantische Meer hin beherrschte, trat der letztere mit den Scipionen in Verbin- dung (um 541). Wäre es möglich gewesen ein römisches DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Heer ihm zuzuführen, so hätte man grosse Erfolge hoffen dürfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war zu schwach um sich zu theilen. Indess schon Syphax eigene Truppen, ge- schult und geführt von römischen Offizieren, erregten unter den libyschen Unterthanen Karthagos so ernstliche Gährung, dass der stellvertretende Obercommandant von Spanien und Africa Hasdrubal Barkas selbst mit dem Kern der spanischen Truppen nach Africa ging. Es ist von diesem libyschen Krieg wenig mehr überliefert als die Erzählung der grausamen Rache, die Karthago wie es pflegte an den Aufständischen nahm, nachdem der Nebenbuhler des Syphax Gala sich für Karthago erklärt und durch seinen tapfern Sohn Massinissa den Syphax geschlagen und zum Frieden genöthigt hatte. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden (543), wohin ihm beträchtliche Verstärkungen und Massinissa selbst bald folgten. Die Scipionen, die während der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541. 542) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen sich unerwartet von so überlegenen Streitkräften ange- griffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurückweichen oder die Spanier aufbieten mussten. Sie wählten das Letztere und nahmen 20000 Celtiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago besser zu begegnen, ihr Heer theilten. Es wäre vielleicht noch alles gut gegangen, wenn sie nur die römischen Truppen zusammengehalten hätten; allein sie lösten dieselben auf und bereiteten sich damit den Untergang. Wäh- rend Gnaeus mit seinem Corps, einem Drittel der römischen und den sämmtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenüber lagerte, bestimmte dieser ohne Mühe die Spanier im römischen Heer durch eine Summe Geldes zum Abzug, was ihnen nach ihrer Soldatenmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherren überliefen. Dem römischen Feldherrn blieb nichts übrig als in möglichster Eile seinen Rückzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich das zweite römische Corps unter Publius von den beiden andern punischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft angegriffen und Massinissas kecke Reiterschaaren setzten die Karthager in entschiedenen Vortheil. Schon war das römische Lager fast eingeschlossen; es fehlte nur noch HANNIBALISCHER KRIEG. an dem Eintreffen der erwarteten spanischen Hülfstruppen, um die Römer vollständig zu blokiren. Der kühne Entschluss des Proconsuls mit seinen besten Truppen den Spaniern entgegen- zugehen, bevor deren Erscheinen die Lücke in der Blokade füllte, endigte nicht glücklich. Die Römer waren wohl anfangs im Vortheil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfal- lenden rasch waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die Verfolgung des halb schon erfochtenen Sie- ges als auch den Rückmarsch, bis dass die punische Infan- terie herankam und endlich der Fall des Feldherrn die ver- lorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen war, fand Gnaeus, während er langsam zurückweichend sich des einen karthagischen Heeres mühsam erwehrte, plötzlich von dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden Rückzug sich abge- schnitten. Auf einen nackten Hügel gedrängt, der nicht ein- mal die Möglichkeit bot ein Lager zu schlagen, wurde das ganze Corps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abtheilung allein rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus Schule, Gaius Marcius hinüber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem Legaten Titus Fon- teius den von dem Corps des Publius im Lager gebliebenen Theil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im jen- seitigen Spanien zerstreuten römischen Besatzungen vermoch- ten sich dorthin zu flüchten. Aber in ganz Spanien bis zum Ebro herrschten die Punier ungestört und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss überschritten, die Pyrenäen frei und die Verbindung mit Italien hergestellt sein würde. Allein die Noth rief im römischen Lager den rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung älterer nicht un- tüchtiger Offiziere zum Führer des Heeres den Gaius Marcius, und an seiner gewandten Leitung und vielleicht ebenso sehr an dem Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldher- ren scheiterten deren Versuche den wichtigen Sieg zu verfolgen. Die Karthager wurden zurückgeworfen über den Fluss und zunächst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann ein neues Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glück gestattete dies die Wendung des Kriegs in Italien, wo so eben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion — 12000 Mann — unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine Röm. Gesch. I. 29 DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544) hatte den gewünschten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Capitulation nur durch unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht für den spanischen Krieg. Er war ein tüch- tiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulärer Mann, wenig geschickt Vortheil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermuth, womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im jenseitigen Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten, und nicht dazu geeignet die alten Verbindungen wieder anzuknüpfen und neue einzuleiten. Der Senat, der die Bedeutung und die Eigenthümlichkeit des spa- nischen Krieges richtig beurtheilte und durch die von der römischen Flotte gefangen heimgebrachten Uticenser von den grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte um Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer über die Pyrenäen zu senden, beschloss nach Spanien neue Verstärkungen und einen ausserordentlichen Feldherrn höheren Ranges hinzuschicken, dessen Ernennung man dem Volke an- heim zu geben für gut fand. Lange Zeit — so lautet der Bericht — meldete sich Niemand zur Bewerbung um das gefährliche und verwickelte Amt, bis endlich ein junger siebenundzwanzigjäh- riger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in Spanien gefal- lenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der römische Senat in diesen von ihm veranlassten Comitien eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so aus- gestorben gewesen, dass für den wichtigen Posten kein ver- suchter Offizier sich angeboten hätte. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen und er- probten Offizier, der in den heissen Tagen an der Trebia und bei Cannae sich glänzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der erforderliche Rang abging um als Nachfolger von gewe- senen Prätoren und Consuln aufzutreten, so war es sehr natürlich diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute Art nöthigte den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden Qualification zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopuläre spanische Expedition bei der Menge beliebt machen musste. War der Effect dieser angeblich improvisirten Candidatur berechnet, so gelang er vollständig. Der Sohn, der den Tod des Vaters zu rächen ging, dem er neun Jahre HANNIBALISCHER KRIEG. zuvor an der Trebia das Leben gerettet hatte, der männlich schöne junge Mann mit den langen Locken, der bescheiden erröthend in Ermangelung eines Besseren sich darbot für den Posten der Gefahr; der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die Stimmen der Centurien zu der höchsten Amt- staffel erhoben — das alles machte auf die römischen Bürger und Bauern einen wunderbaren und unauslöschlichen Eindruck. Und in der That, Publius Scipio war eine begeisterte und be- geisternde Natur. Er ist keiner jener Wenigen, die mit ihrem eisernen Willen die Welt in neue Gleise zwingen, um sie auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft zu bestimmen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zügel fallen, bis die Räder über sie hinrollen. Geniale Neubildungen, wie sie Rom wohl in jener Zeit bedurft hätte, hat Publius Scipio nicht versucht; er hat im Auftrag des Senats Schlachten ge- wonnen und Länder erobert, aber es ist weit von da bis zu Caesar und Alexander. Als Krieger und Staatsmann ist er für sein Vaterland nicht mehr gewesen als etwa Gaius Catulus und Marcus Marcellus; der besondere Zauber aber, der auf dieser anmuthigen Heldengestalt ruht, ist jene blendende Au- reole heiterer und sicherer Begeisterung, mit der er halb gläubig halb geschickt sich umgab. Mit gerade genug Schwär- merei um die Herzen zu erwärmen und genug Berechnung, um das Verständige überall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug um den Glauben der Menge an seine göttlichen Inspirationen zu thei- len noch schlicht genug ihn zu beseitigen, und doch im Stillen innig überzeugt ein Mann von Gottes besonderen Gnaden zu sein; mit einem Wort eine ächte Prophetennatur; über dem Volke stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts und königlichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Königtitels sich zu erniedrigen meinte, aber ebenso wenig begreifen konnte, dass die Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Grösse so sicher, dass er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig aner- kannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzüglicher Offizier und feingebildeter Diplomat ohne das abstossende Sondergepräge dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten römischen Nationalgefühl, redege- wandt und anmuthiger Sitte, gewann Publius Scipio die Her- zen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines grösseren 29* DRITTES BUCH. KAPITEL VI. karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien. Publius Scipio ging nach Spanien 544/5 ab, begleitet von dem Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen Oberfeldherrn als Beistand und Rath dienen sollte, und von seinem Flottenführer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgerüstet abermals mit einer überzählig star- ken Legion und einer wohlgefüllten Kasse. Gleich sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kühnsten und glücklichsten Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei kartha- gischen Heerführer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons Sohn an der Mündung des Tajo, Mago an den Säulen des Herkules; der nächste von ihnen um zehn Tagemärsche entfernt von der punischen Hauptstadt Neukar- thago. Plötzlich im Frühjahr 545, ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese Stadt, die er von der Ebromündung aus in wenigen Tagen auf dem Küstenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von un- gefähr 30000 Mann und der Flotte auf und überraschte die nicht über 1000 Mann starke punische Besatzung mit einem plötzlichen combinirten Angriff zu Wasser und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der römischen Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hülfe war weit entfernt; indess wehrte der Com- mandant Mago sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Bürgerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten um die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indess die Römer ohne Mühe zurückschlugen. Alsdann begann ihrerseits von der Landseite der Sturm gegen die Mauern, ohne dass sie zu der Eröffnung einer regelmässigen Belagerung sich die Zeit nahmen. Heftig drängten die Römer auf dem schmalen Land- weg gegen die Stadt; immer neue Colonnen lösten die ermü- deten Stürmer ab; die schwache Besatzung war aufs Aeusserste erschöpft, aber einen Erfolg hatten die Römer nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck die Besatzung wegzuziehen von der Hafenseite, wo er, unterrichtet davon, dass ein Theil des Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. Während an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abthei- lung mit Leitern über das Watt, ‚wo Neptun ihnen selbst den HANNIBALISCHER KRIEG. Weg zeige‘, und sie hatte in der That das Glück die Mauern hier unvertheidigt zu finden. So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg capitulirte. Mit der punischen Hauptstadt fielen 18 abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesammte Kriegsmaterial, bedeutende Ge- treidevorräthe, die Kriegskasse von 600 Talenten (fast 1 Mill. Thlr.), die Geisseln der sämmtlichen spanischen Bundesgenos- sen Karthagos und zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter in die Gewalt der Rö- mer. Scipio verhiess den Geisseln die Erlaubniss zur Heimkehr, so wie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Bündniss getreten sein würde, und nutzte die Hülfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstärken und in besseren Stand zu bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zwei- tausend an der Zahl, für das römische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der übrigen Menge die fähigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Nur die Stadtbürger wurden geschont und ihnen die Freiheit und ihre bisherige Stel- lung gelassen; Scipio kannte die Phoenikier und wusste, dass sie gehorchen würden, und es war wichtig die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen Hafen an der Ostküste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss durch eine Besatzung zu sichern. — So war die verwegene Unternehmung gelungen; verwegen desshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte nach Gallien vorzudringen und diesen auszuführen beschäftigt war, und weil die schwache am Ebro zurückgelassene Abtheilung unmöglich im Stande war ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rückkehr sich auch nur verzögerte. Indess er war zurück in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro gezeigt hatte; das gefährliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er seine nächste Aufgabe im Stich liess um einen lockenden Streich auszuführen, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die an das Fabelhafte grenzende Einnahme der punischen Hauptstadt rechtfertigte so über die Massen alles, was man daheim von dem wunderbaren Jüngling sich versprochen hatte, dass jedes andere Urtheil verstummen musste. Scipios Commando wurde auf unbestimmte Zeit verlängert; er selber beschloss sich nicht mehr auf die dürftige Aufgabe zu beschränken der Hüter der Pyrenäenpässe zu sein. Schon hatten in Folge des Falles von DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Cartagena nicht bloss die diesseitigen Spanier sich völlig unter- worfen, sondern auch jenseit des Ebro die mächtigsten Für- sten die karthagische Clientel mit der römischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/6 dazu seine Flotte aufzulösen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im Süden die Offensive nachdrücklicher als bisher ergreifen könne. So marschirte er im Jahre 546 nach Andalusien, wo er auf Hasdrubal Barkas traf, der in Ausführung des lange gehegten Planes dem Bruder zu Hülfe zu kommen nordwärts zog. Bei Baecula kam es zur Schlacht, in der sich die Römer den Sieg zuschrieben und 10000 Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit Aufopferung eines Theiles seiner Armee, im Wesentlichen seinen Zweck. Mit seiner Kasse, seinen Elephanten und dem besten Theil seiner Truppen schlug er sich durch an die spanische Nordküste, erreichte am Ocean hinziehend die westlichen, wie es scheint nicht besetzten Pyrenäenpässe und stand noch vor dem Ein- tritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss mit der ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden unüberlegt und unweise gewesen war; der nächsten Aufgabe des spani- schen Heeres, die nicht bloss Scipios Vater und Oheim, son- dern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln gelöst hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermuth nicht genügt und wesentlich verschuldete er die äusserst gefährliche Lage, in der Rom im Sommer 547 schwebte, als Hannibals Plan eines combinirten Angriffs auf die Römer endlich dennoch sich realisirte. Indess die Götter deckten die Fehler ihres Lieb- lings mit Lorbeeren zu. In Italien ging die Gefahr glücklich vorüber; man liess sich das Bulletin des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den fähigsten Feldherrn und den Kern der spanisch-punischen Armee in Italien zu bekämpfen gehabt hatte. — Nach Has- drubal Barkas Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurückbleibenden Feldherren vorläufig zurückzuweichen, Has- drubal Gisgons Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Ba- learen, und bis neue Verstärkungen aus Africa anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen zu lassen, ähn- lich wie es Mutines in Sicilien mit so grossem Erfolge gethan. HANNIBALISCHER KRIEG. So gerieth die ganze Ostküste in die Gewalt der Römer. Im folgenden Jahr (547) erschien wirklich aus Africa Hanno mit einem dritten Heere, worauf Mago und Hasdrubal sich wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug die vereinigten Heere von Mago und Hanno und nahm diesen selbst gefangen. Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und vertheilte seine Truppen in die anda- lusischen Städte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch eine, Oringis erstürmen konnte. Die Punier schienen über- wältigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548) wie- der ein gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elephanten, 4000 Mann zu Pferde, 70000 zu Fuss, freilich zum aller- grössten Theil zusammengeraffte spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das römische Heer zählte wenig mehr als die Hälfte des feindlichen und auch von die- sen war ein guter Theil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schla- gen kamen — die einzige Möglichkeit ihr Ausreissen zu verhin- dern — während er umgekehrt seine römischen Truppen zuerst auf die Spanier des Feindes warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die Römer und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines solchen Heeres gleich- bedeutend mit der völligen Auflösung desselben — einzeln retteten sich Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago nach Gades. Die Römer standen jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halb- insel und traten das hiedurch ihnen zufallende Erbe der kar- thagischen Herrschaft sofort an: die einzelnen nicht gutwillig sich fügenden Städte wurden bezwungen und zum Theil mit grau- samer Härte bestraft. Spanien war so entschieden unter- worfen, dass Scipio auf der africanischen Küste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja sogar mit Massinissa für den Fall einer Expedition nach Africa Verbindungen ein- leiten konnte — ein tollkühnes Wagstück, das durch keinen entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den neugierigen Hauptstädtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den Befehl führte, war noch pu- nisch. Einen Augenblick schien es, als ob die Spanier, ohne Zweifel bitter getäuscht in ihren Hoffnungen nach Beendigung des punischen Regiments auch der römischen Gäste loszuwerden und ihre alte Freiheit wieder zu erlangen, eine allgemeine Insurrec- tion gegen die Römer versuchen würden, bei welcher die bis- herigen Verbündeten Roms vorangingen. Die Erkrankung des DRITTES BUCH. KAPITEL VI. römischen Feldherrn und die Meuterei eines römischen Corps, veranlasst durch den seit vielen Jahren rückständigen Sold, be- günstigten den Aufstand. Indess Scipio genas schneller als man gemeint hatte und dämpfte mit Gewandtheit den Soldatenauf- stand; worauf auch die zuerst aufgestandenen Gemeinden alsbald niedergeworfen wurden, ehe die Insurrection Boden gewann. Da also diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen hatten und Gades doch auf die Länge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich vorfinde, und damit wo möglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren — es rächte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgelöst hatte — und musste zum zweiten Mal die ihm anvertraute Vertheidigung der Heimath gegen neue Invasionen seinen Göttern anheimstellen. Unbehindert verliess der letzte von Hamilkars Söhnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab sich auch Gades, die älteste und letzte Besitzung der Punier, unter günstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war nach dreizehnjährigem Kampfe aus einer karthagischen in eine römische Provinz verwandelt wor- den, in der zwar noch Jahrhunderte lang die stets besiegte und nie überwundene Insurrection den Kampf gegen die Rö- mer fortführte, aber doch im Augenblick kein Feind den Römern gegenüberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe um sein Commando abzugeben (Ende 548) und in Rom persönlich von seinen Siegen und der neuge- wonnenen Provinz zu berichten. Während also Marcellus in Sicilien, Publius Sulpicius in Griechenland, Scipio in Spanien den Krieg beendigten, währte auch auf der italischen Halbinsel der gewaltige Kampf ununter- brochen. Hier standen, nachdem die cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an Verlust und Gewinn sich allmählich übersehen liessen, im Anfang des Jahres 540, des fünften Kriegsjahres, die Römer und Punier folgendermassen sich gegenüber. Norditalien hatten die Römer nach Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wo- von zwei in Gallien standen, die dritte als Rückhalt in Pice- num. Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus waren mit Ausnahme der Festungen und der meisten Häfen in Han- nibals Händen. Er stand mit der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenüber, gestützt auf die Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im brettischen HANNIBALISCHER KRIEG. Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gänzlich in die Arme geworfen hatten und wo auch die Häfen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Römer von Messana aus schützten, von den Puniern besetzt worden waren, stand ein zweites punisches Heer unter Hanno, ohne zunächst einen Feind sich gegenüber zu sehen. Die römische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Consuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam römischer Seits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in alle Seehäfen gelegte Besatzung, welche bei Tarent und Brundisium wegen der dort befürchteten ma- kedonischen Landung durch eine Legion verstärkt worden war, endlich die starke das Meer ohne Widerstreit beherr- schende Flotte. Rechnet man dazu die römischen Heere in Sicilien, Sardinien und Spanien, so lässt sich die Gesammt- zahl der römischen Streitkräfte, auch abgesehen von dem Be- satzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Bürgerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel für dies Jahr neu ein- berufene Leute, und etwa die Hälfte römische Bürger. Man darf annehmen, dass die gesammte dienstfähige Mannschaft vom 17. bis zum 45. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sclaven, den Alten, Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhältnissen auch die Finanzen im Ge- dränge waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsächlich angewiesen war, ging natürlich nur sehr unregel- mässig ein. Aber trotz dieser Noth an Mannschaft und Geld sahen die Römer dennoch sich im Stande das rasch Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kräfte, aber doch zurückzugewinnen; ihre Heere jährlich zu vermehren, während die punischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Campaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie die römischen Festungen in Unteritalien sich selber genügten noch von Hannibals schwachem Heer hin- reichend gedeckt werden konnten, jährlich Boden zu gewin- nen; endlich mittelst der von Marcus Marcellus begründeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die Ueberlegenheit des römischen Fussvolks in vollem Umfang ins Spiel zu bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Sieg hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Bürgergenerale waren vorbei. Es DRITTES BUCH. KAPITEL VI. blieb ihm nichts übrig als abzuwarten, bis etwa Philippos die längst versprochene Landung ausführen oder die Brüder aus Spanien ihm die Hand reichen würden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Clientel so weit möglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zähen Defensive, die jetzt beginnt, kaum den Feldherrn wieder, der wie kaum ein anderer stürmisch und verwegen die Offensive geführt hat; est ist psychologisch wie militärisch bewunderns- werth, dass derselbe Mann die beiden ihm gestellten Auf- gaben ganz entgegengesetzter Art mit gleicher Vollkommenheit gelöst hat. Zunächst zog der Krieg sich vornämlich nach Campanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte er von den campanischen Städten, die die Römer besassen, irgend eine den starken römischen Besatzungen zu entreissen noch konnte er wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstädte auch Casilinum, das ihm den Uebergang über den Volturnus sicherte, von den beiden Consularheeren nach hartnäckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Han- nibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sichern Landungsplatz für die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich in Lucanien mit der römischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem glücklichen Gefecht, bei dem die zum Dienst gepressten Sclavenlegionen sich aus- gezeichnet hatten, den Sclavensoldaten im Namen des Volkes die Freiheit und das Bürgerrecht. — Im folgenden Jahr (541) gewannen die Römer das reiche und wichtige Arpi zurück, dessen Bürgerschaft, nachdem die römischen Soldaten sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gemeinschaftliche Sache machte gegen die karthagische Besatzung. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Städte gingen über zu Rom; ja sogar eine spanische Abthei- lung des punischen Heeres trat, durch spanische Emissäre von dem Gang der Ereignisse in der Heimath in Kenntniss gesetzt, aus karthagischen in römische Dienste. — Ungünstiger war für die Römer das Jahr 542 durch neue politische und militärische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. In den grossgriechischen Städten, die bisher treu zu Rom HANNIBALISCHER KRIEG. gehalten hatten, hatte Hannibal schon seit langer Zeit Verbin- dungen angeknüpft; es gelang ihm die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geisseln durch seine Emissäre zu einem tollen Fluchtversuch zu bestimmen, bei dem sie schleunig von den römischen Posten wieder aufgegriffen wur- den. Allein die unverständige Rachsucht der Römer erfüllte Hannibals Wünsche über sein Erwarten; die Hinrichtung der sämmtlichen entwichenen Geisseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Thore öffnen möchten. Wirklich ward Tarent durch Einverständniss mit der Bürgerschaft und durch die Nachlässigkeit des römischen Commandanten von den Kar- thagern besetzt; kaum dass die römische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents folgten Heraklea, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung der tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden müssen. Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerückt, dass Rom sich genöthigt sah dem fast gänz- lich vernachlässigtem griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu glücklicher Weise die Einnahme von Syrakus und der günstige Stand des spa- nischen Krieges die Möglichkeit gewährte. In Campanien hatten die Römer zwar noch nicht mit der wirklichen Belage- rung von Capua begonnen; allein die in der Nähe postirten römischen Legionen hatten doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass die volk- reiche Stadt auswärtiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal beeilte sich einen beträchtlichen Getreidetransport zusammen- zubringen, den die Campaner angewiesen wurden bei Bene- vent in Empfang zu nehmen; allein ihre Saumseligkeit gab den Consuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbei- zukommen, dem Hanno, der den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und der ge- sammten Vorräthe zu bemächtigen. Die beiden Consuln schlos- sen darauf die Stadt ein, während Tiberius Gracchus sich auf der appischen Strasse bei Benevent aufstellte um Hannibal den Weg zum Entsatz der Stadt zu verlegen. Aber der tapfere Mann fiel durch die schändliche List eines treulosen Lucaners und sein Tod kam einer völligen Niederlage gleich, da sein Heer, grösstentheils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen Sclaven, nach dem Fall des geliebten Füh- rers auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Ca- DRITTES BUCH. KAPITEL VI. pua offen und nöthigte durch sein unvermuthetes Erscheinen die beiden Consuln die kaum begonnene Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem ihre Reiterei noch vor Hannibals Ein- treffen von der punischen, die unter Hanno und Bostar als Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzüglichen cam- panischen nachdrücklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von Marcus Centenius, einem vom Unter- offizier zum Feldherrn unvorsichtig beförderten Mann, ange- führten regulären Truppen und Freischaaren in Lucanien, und die nicht viel weniger vollständige Niederlage des nachlässigen und übermuthigen Prätors Gnaeus Fulvius Flaccus in Apulien beschlossen die lange Reihe der Calamitäten dieses Jahres. Indess trotz aller Unfälle hatten in Campanien die Römer, so wie Hannibal den Rücken wandte um sich nach Apulien zu begeben, sich wieder um Capua zusammengezogen, Appius Claudius bei Puteoli und Volturnum, Quintus Fulvius bei Ca- silinum, der Prätor Gaius Claudius Nero auf der nolani- schen Strasse, jedes der drei Heere in verschanzten Lagern, die durch befestigte Linien mit einander verbunden waren; und die grosse ungenügend verproviantirte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht entfernter Zeit sich zur Capitula- tion gezwungen sehen, wenn kein Entsatz kam. Wie der Winter 542/3 zu Ende ging, waren auch die Vorräthe fast erschöpft und dringende Boten, die kaum im Stande waren durch die wohlbewachten römischen Linien sich durchzu- schleichen, begehrten schleunige Hülfe von Hannibal, der in Tarent stand beschäftigt mit der Belagerung der Burg. In Eilmärschen brach er mit 33 Elephanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Campanien auf, hob den römischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sichern Erwartung, dass die römischen Feldherrn eben wie im vorigen Jahre darauf hin die Belagerung aufheben würden. Allein die Römer, die Zeit gehabt hatten ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, rührten sich nicht und sahen unbeweglich von den Wällen aus zu, wie auf der einen Seite die campanischen Reiter, auf der andern die numidischen Schwärme an ihre Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm war nicht zu denken und es war vorauszusehen, dass Hannibals Anrücken bald die andern römischen Heere nach Campanien nachziehen würde, wenn nicht schon früher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragirten Lande Hannibals Heer aus Cam- HANNIBALISCHER KRIEG. panien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfin- derischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Campanern von seinem Vorhaben Nachricht gegeben und sie zum Aus- harren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kühnheit wie in seinen ersten italischen Feldzügen warf er sich mit einem schwachen Heer zwischen die feindlichen Armeen und Fe- stungen und führte seine Truppen durch Samnium und auf der valerischen Strasse an Tivoli vorbei bis zur Aniobrücke, die er passirte und auf dem andern Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn ihnen erzählt ward von Hannibal vor dem Thor; eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die beiden Legionen in der Stadt rückten aus und verhinderten die Berennung der Mauern; die Plünderung der Landhäuser und Aecker konnten sie nicht wehren. In- dess Hannibals Absicht war es keineswegs gegen Rom aus- zuführen, was Scipio bald nachher gegen Cartagéna gelang, noch auch nur lange vor den Thoren stehen zu bleiben; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Theil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom mar- schiren und ihm also Gelegenheit geben werde die Blokade zu sprengen. Darum brach er freiwillig nach kurzem Ver- weilen wieder auf und wandte sich südwärts. Allein die römischen Feldherrn hatten den Fehler vermieden, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen nach wie vor in den Linien um Capua und es war nur ein schwaches Corps nach Rom detachirt worden. Wie Hannibal diese Kunde erhielt, wandte er plötzlich sich um gegen den Consul Publius Galba, der ihm von Rom her unbesonnen gefolgt war und mit dem er bisher vermieden hatte zu schla- gen, überwand ihn und erstürmte sein Lager; aber es war das ein geringer Ersatz für Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die Bürgerschaft, namentlich die besseren Klassen derselben mit bangen Ahnungen der Zukunft ent- gegengesehen; den Führern der Rom feindlichen Volkspartei blieb die Curie und die städtische Verwaltung fast ausschliess- lich überlassen. Jetzt ergriff die Verzweiflung Arme und Reiche und die Campaner nicht minder als die punische Be- satzung. Achtundzwanzig vom Rath wählten den freiwilligen DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Tod; die übrigen übergaben die Stadt der Gnade eines un- versöhnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von selbst; man stritt nur über langen oder kurzen Prozess: ob es klüger und zweckmässiger sei die weiteren Verzweigungen des Hochverraths auch ausserhalb Capuas gründlich zu ermitteln oder durch rasche Execution der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der römische Senat; die letztere Meinung, viel- leicht die weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfunfzig Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplätzen von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Proconsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rathes eingekerkert, ein zahlreicher Theil der Bürgerschaft in die Sclaverei verkauft, das Vermögen der Wohlhabenderen confiscirt. Aehnliche Gerichte ergingen über Atella und Ca- latia. Diese Strafen waren hart; allein mit Rücksicht auf das, was Capuas Abfall für Rom bedeutet und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch üblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der sämmtlichen in Capua zur Zeit des Ab- falls anwesenden römischen Bürger unmittelbar nach dem Uebertritt die Bürgerschaft sich selber ihr Urtheil gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte um die stille Rivalität, die lange zwischen den beiden grössten Städten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen durch die völlige politische Vernichtung des gehassten und beneideten Nebenbuh- lers, die Aufhebung der campanischen Stadtverfassung. — Unge- heuer war der Eindruck von Capuas Fall, um so mehr, da er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijährige allen An- strengungen Hannibals zum Trotz durchgeführte Belagerung her- beigeführt worden war; er war ebenso sehr das Signal der den Römern wiedergewonnenen Oberhand in Italien wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlore- nen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht dem Ein- druck dieser Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzu- arbeiten durch die Einnahme von Rhegion oder der tarentini- schen Burg. Sein Gewaltmarsch um Rhegion zu überraschen hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwa- der den Hafen sperrte, aber da die Römer mit ihrer weit stärkeren Flotte jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzu- schneiden vermochten und Hannibal in dem Gebiet, das er HANNIBALISCHER KRIEG. beherrschte, Mühe hatte für sein Heer genug Vorräthe aufzu- treiben, litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel we- niger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glück selbst schien von dem Karthager gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschütterung des Ansehens und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbündeten genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr compromittirten Gemeinde auf leidliche Bedingungen wieder zurückzutreten in die römische Symmachie, waren noch weit empfindlicher für Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl in die schwan- kenden Städte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer noch mehr schwächte und seine zuverlässigen Truppen der Aufreibung in kleinen Abtheilungen und dem Verrath preisgab — so wurden im Jahre 544 bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter niedergemacht —; oder auch die unsicheren Städte zu schleifen und anzuzünden um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Clientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fühlten die Römer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten beträchtliche Verstärkungen nach Spa- nien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der römischen Armee gefährdet war, und gestatteten zum ersten- mal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesammtzahl der Truppen, die bisher trotz der jährlich stei- genden Schwierigkeit der Aushebung jährlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward denn auch im nächsten Jahr (544) der italische Krieg lässiger als bisher von den Römern geführt, obwohl Marcus Marcellus nach der Beendigung des sicilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee übernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den Karthagern un- entschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. Nur in Apulien ge- lang Hannibal die Besiegung des Proconsuls Gnaeus Fulvius Cen- tumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545) schritten die Römer dazu der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal übergetre- ten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemächtigen. Wäh- rend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zähigkeit und Energie fortsetzte — in einer zwei- tägigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am DRITTES BUCH. KAPITEL VI. zweiten einen schweren und blutigen Sieg —; während der Consul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der punischen Besatzungen bestimmte; während gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal nöthigten den bedrängten Brettiern zu Hülfe zu eilen, setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal — zum fünften Mal — das Consulat über- nommen hatte und damit den Auftrag Tarent wieder zu er- obern, sich fest im nahen messapischen Gebiet und der Verrath einer brettischen Abtheilung der Besatzung überlieferte ihm die Stadt, in der von den erbitterten Siegern fürchterlich ge- haust ward. Was von der Besatzung oder von der Bürger- schaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht und die Häuser geplündert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sclaven verkauft, 3000 Talente (4½ Mill. Thlr.) in den Staatsschatz geflossen sein. Hannibal kam zum Entsatz als alles vorbei war und zog sich zurück nach Metapont. Die Eroberung Tarents durch Quintus Fabius war des alten Feldherrn letzte Kriegs- that; er starb nicht lange darauf, in dem Jahr, wo Hannibal Italien verliess. — Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebüsst hatte und allmählich sich auf die südwestliche Spitze der Halbinsel beschränkt sah, gedachte Marcus Marcellus, der für das nächste Jahr (546) zum Consul gewählt worden war, in Verbindung mit seinem tüchtigen Collegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen; allein das Schicksal sparte diesen Kranz für ein jüngeres Haupt. Bei einer unbedeutenden Recognoscirung wurden beide Consuln von einer Abtheilung africanischer Reiter überfallen; Marcellus, schon ein Sechziger, focht tapfer den ungleichen Kampf, bis er sterbend vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an dem im Gefecht empfangenen Wunden (546). Man stand jetzt im eilften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fühlte man den schwe- ren und jährlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die Staatsfinanzen waren aufs Aeusserste erschöpft. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Scheidemünze verringert, den Legalcurs des Silberstückes um mehr als ein Drittel erhöht und eine Goldmünze weit über den Metallwerth ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Credit nehmen und ihnen durch die HANNIBALISCHER KRIEG. Finger sehen, weil man sie brauchte, so dass die Missbräuche arg genug wurden um zuletzt die Aedilen zu veranlassen durch Anklage vor dem Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuiren. Man nahm den Patriotismus der Ver- mögenden, die freilich verhältnissmässig eben am meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst; so hatten schon seit langem die Soldaten aus den besseren Klassen die An- nahme des Soldes verweigert und so gelang es durch eine freiwillige Anleihe bei den Reichen eine Flotte auszurüsten und zu bemannen (544). Man griff die Mündelgelder an, ja man sah sich endlich genöthigt den letzten lange gesparten Nothpfennig (etwa 1200000 Thlr. in Gold) im Jahre der Er- oberung von Tarent anzugreifen. Dennoch genügte der Staat seinen nothwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren Provinzen in be- sorglicher Weise. Aber die Bedrängniss des Staats war nicht der schlimmste Theil des materiellen Nothstandes. Ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Händen für die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preuss. Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (4⅓ Thlr.), mindestens das Dreifache des hauptstädtischen Mittelpreises, und Viele wären geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegyp- ten Zufuhr gekommen wäre und nicht vor allem der in Sicilien wieder aufblühende Feldbau der ärgsten Noth gesteuert hätte. Wie aber solche Zustände die kleinen Bauerwirthschaften zerstö- ren, den sauer zurückgelegten Sparschatz verzehren, die blühen- den Dörfer in Bettler- und Räubernester verwandeln, das leh- ren ähnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. — Bedenklicher noch als diese materielle Noth war die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den römischen Krieg, der auch ihnen Gut und Blut frass. Zwar die nichtlatinischen Gemeinden, so weit sie nicht schon für Hannibal Partei ergriffen hatten, waren kaum im Stande sich zu widersetzen, so lange Latium zu Rom stand; aber auch die latinischen fingen an zu schwanken. Die meisten latinischen Communen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem nördlichen Campanien, also eben in denjenigen italischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklärten im Jahr 545 dem rö- mischen Senat, dass sie von jetzt an weder Contingente noch Steuern mehr schicken und es den Römern überlassen würden den in ihrem Interesse geführten Krieg selber zu bestreiten. Röm. Gesch. I: 30 DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Die Bestürzung in Rom war gross; allein für den Augenblick gab es kein Mittel die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glück handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und süditalischen Colonien, an ihrer Spitze das mächtige und patriotische Fregellae, erklärten im Gegentheil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschlössen — freilich war es ihnen allen sehr deutlich dar- gethan, dass bei dem gegenwärtigen Kriege ihre Existenz wo möglich noch mehr auf dem Spiele stand als die der Haupt- stadt, und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss für Rom, sondern für die Hegemonie der Latiner, ja für die nationale Unabhängigkeit Italiens geführt ward. Jener halbe Abfall war sicherlich bloss hervorgegangen aus Kurzsichtigkeit und Er- schöpfung, nicht aus Landesverrath; ohne Zweifel würden dieselben Städte ein Bündniss mit den Puniern mit Abscheu zurückgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Römern und Latinern, und der Rückschlag auf die unterworfene Bevölkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich bedenkliche Gährung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwörung ward entdeckt und schien so gefährlich, dass man desswegen römische Truppen marschiren liess. Militär und Polizei unterdrückten diese Bewegung zwar ohne Mühe; allein sie war ein bedenkliches Zeichen, was in jenen Land- schaften kommen könne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr schreckten. — In diese schwierigen und gespann- ten Verhältnisse schlug plötzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 die Pyrenäen über- schritten habe und man sich darauf gefasst machen müsse im nächsten Jahr mit den beiden Söhnen Hamilkars in Italien den Krieg zu führen. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausge- harrt; was die factiöse Opposition daheim, was der kurzsich- tige Philippos ihm versagt hatte, das führte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst Hamilkars Geist mäch- tig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch punisches Gold geworben, bereit sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen gleich dem Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien aber war nicht mehr, was es vor eilf Jahren gewesen: der Staat und die Einzelnen waren erschöpft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr HANNIBALISCHER KRIEG. so eben auf dem Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der That, Scipio mochte die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder 23 Legionen auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man über- rascht. Freunden und Feinden über alle Erwartung früh stand Hasdrubal diesseit der Alpen (547); die Gallier, der Durchmärsche jetzt gewohnt, öffneten für gutes Geld willig ihre Pässe und lieferten was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom beabsichtigt hatte die Ausgänge der Alpenpässe zu besetzen, so kam man damit zu spät; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die Gallier mit glei- chem Erfolg wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt worden sei. Schleunigst begab der Consul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien: Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gährung; Freiwillige von dort verstärkten das punische Heer. Sein College Gaius Nero zog aus Venusia den Prätor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet und die grosse Strasse, die von Rhegion nach Apulien führt, ent- lang marschirend traf er bei Grumentum auf den Consul. Es kam zu einem hartnäckigen Gefecht, in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewöhnlichen ge- schickten Seitenmärsche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war, dort wie hier gegenüber. Dass Hannibal freiwillig stehen blieb und nicht von der römischen Armee am Vorrücken gehindert ward, scheint nicht zu be- zweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter nördlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit Hasdrubal oder in Muthmassungen über dessen Marsch, die wir nicht kennen. Während also hier die beiden Heere sich unthätig gegenüberstanden, ward von Neros Posten die im feindlichen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdru- bals aufgefangen; sie enthielt, dass Hasdrubal beabsichtige die 30* DRITTES BUCH. KAPITEL VI. flaminische Strasse einzuschlagen, also zunächst sich an der Küste zu halten und dann bei Fano über den Apennin ge- gen Narni sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narni als dem zur Vereinigung der beiden punischen Heere ausersehenen Punct die hauptstädtische Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abtheilung nach der Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Han- nibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kühnen Wagniss mit einem kleinen aber auserlesenen Corps von 7000 Mann in Gewaltmärschen nordwärts zu eilen und wo möglich in Gemeinschaft mit dem Collegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn das römische Heer, das er zurückliess, blieb immer stark genug um Hannibal entweder zurückzuwerfen, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Ort der Ent- scheidung einzutreffen, wenn er abzog. Nero fand den Col- legen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind erwartend; sofort rückten beide Consuln aus gegen Hasdrubal, den sie beschäftigt fanden den Metaurus zu überschreiten. Hasdrubal wünschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwärts den Römern zu entziehen; allein seine Führer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der römischen Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das römische Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdru- bal stellte die Spanier auf den rechten Flügel, davor seine zehn Elephanten, die Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Flügel und der Consul Livius, der hier befehligte, ward hart gedrängt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenüberstehenden Feind stehen liess und um die eigne Armee herum marschirend den Spaniern in die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkämpfte und sehr blutige Sieg war vollständig; das Heer, das keinen Rück- zug hatte, ward vernichtet, das Lager erstürmt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und als Mann war er werth, Hannibals Bruder zu sein. Am Tag nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum vierzehntägiger Abwesenheit abermals HANNIBALISCHER KRIEG. in Apulien Hannibal gegenüber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht gerührt hatte. Die Botschaft brachte ihm der Consul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Rö- mer den feindlichen Posten hinwerfen hiess, um also dem grossen Gegner, der den Krieg mit Todten verschmähte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus zu vergelten. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er gab Apulien und Luca- nien, sogar Metapont auf und zog sich mit seinen Truppen zurück in das brettische Land, dessen Häfen sein einziger Rückzug waren. Durch die Energie der römischen Feldher- ren und mehr noch durch eine beispiellos glückliche Fügung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Grösse Han- nibals zähes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der Grösse der cannensischen den Vergleich vollkommen aus- hält. Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschäfte be- gannen wieder wie in Friedenszeit; Jeder fühlte, dass die Gefahr des Krieges überwunden sei. Indess ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die Bürger waren erschöpft durch die übermässige moralische und materielle Anspannung aller Kräfte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die römischen und latinischen Bauern auf ihre verödeten Höfe zurückgeführt, die Kasse durch den Verkauf eines Theils der campanischen Do- mäne gefüllt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an das freiwillige Kriegsanlehen zurückzuzahlen und zwang die wei- gernden Colonien ihren versäumten Pflichten mit schweren Zinsen zu genügen. — Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glänzender Beweis von Hannibals strategischem Talent so wie freilich auch von der Unfähigkeit der jetzt ihm gegen- überstehenden römischen Feldherren, dass er vier Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit überlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte sich in die Festungen einzuschliessen noch sich einzuschiffen. Frei- lich musste er immer weiter zurückweichen, weniger in Folge der ihm von den Römern gelieferten nichts entscheidenden Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden und er zuletzt nur auf die Städte noch zählen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios Veranstaltung DRITTES BUCH. KAPITEL VI. von Rhegion aus wieder eingenommen (549). Als sollten noch schliesslich seine Entwürfe von den karthagischen Be- hörden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine glänzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der erwarteten Landung der Römer jene Pläne nun selbst wieder hervor (548. 549) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien Verstärkung und Subsidien mit dem Befehl den Krieg in Italien aufs neue zu entflammen und den zittern- den Besitzern der libyschen Landhäuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine Ge- sandtschaft nach Makedonien um Philippos zur Erneuerung des Bündnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549). Allein es war zu spät. Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er that öffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Corps nach Africa, das nach der Behauptung der Römer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; begreiflich wäre es, allein Beweise wenigstens hatten die Römer nicht, wie der spätere Verlauf der Ereignisse zeigt. An eine makedonische Lan- dung in Italien ward nicht gedacht. — Ernstlicher griff Mago, Hannibals jüngster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Trüm- mern der spanischen Armee, die er zunächst nach Minorca geführt hatte, landete er im Jahre 549 bei Genua, zerstörte die Stadt und rief zu den Waffen die Ligurer und Gallier, die wie immer das Gold und die Neuheit des Unternehmens schaarenweise herbeizog; sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten, gingen seine Verbindungen. Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig, um ihm eine ernstliche Unternehmung, gegen das eigentliche Italien möglich zu machen, und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg hätte vorgehen können. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der Heimath nicht gewollt, da sie möglich war; jetzt, da sie sie wollten, war sie nicht mehr möglich. Wohl Niemand zweifelte im römischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago be- gonnen werden müsse; allein die africanische Expedition, so unvermeidlich sie war, anzuordnen scheute man sich. Man bedurfte dazu vor allem eines fähigen und beliebten Führers; und man hatte keinen. Die besten Generale waren entweder HANNIBALISCHER KRIEG. auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, für einen solchen ganz neuen und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena Gaius Nero und Marcus Livius wären der Aufgabe wohl gewachsen gewesen, allein sie waren beide im höchsten Grade unpopuläre Aristokraten und es war zweifelhaft, ob es gelingen würde ihnen das Kommando zu verschaffen — so weit war man ja schon, dass die Tüchtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied — und mehr als zweifelhaft, ob dies die Männer waren, die dem erschöpften Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien zurück und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so glänzend erfüllt hatte oder doch erfüllt zu haben schien, ward sogleich für das nächste Jahr zum Consul gewählt. Er trat sein Amt an (549) mit dem festen Entschluss die schon in Spanien entworfene africanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indess im Senat war die Majorität dem jungen Feldherrn keineswegs günstig gesinnt. Seine griechische Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas bäurischen Vätern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegführung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie begründet der Vorwurf war, dass er gegen seine Corpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schändlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri ver- übte, und die Scipio durch seine Fahrlässigkeit mittelbar in der ärgerlichsten Weise verschuldet hatte. Dass bei den Ver- handlungen im Senat über die Anordnung des africanischen Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafür der neue Consul nicht übel Lust bezeigte, wo immer Brauch und Ver- fassung mit seinen Privatabsichten in Conflict geriethen, solche Hemmnisse bei Seite zu schieben, und dass er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich äussersten Falls der Regierungs- behörde gegenüber auf seinen Ruhm und seine Popularität bei dem Volke zu stützen gedenke, musste den Senat nicht bloss kränken, sondern auch die ernstliche Besorgniss er- wecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den etwanigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen Instructionen bin- den werde; eine Besorgniss, welche die eigenmächtige Füh- rung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet war. Indess bewies man auf beiden Seiten Einsicht DRITTES BUCH. KAPITEL VI. genug um es nicht zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, dass die africanische Ex- pedition nothwendig und es nicht weise war, dieselbe aufs Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein äusserst fähiger Offizier und insofern zum Führer eines solchen Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte vom Volke die Verlängerung seines Oberbefehls so lange als nöthig und die Aufbietung der letzten Kräfte zu erlan- gen. Die Majorität kam zu dem Entschluss Scipio den gewünsch- ten Auftrag zu ertheilen, nachdem derselbe zuvor die der höch- sten Regierungsbehörde schuldige Rücksicht wenigstens der Form nach gewahrt und im Voraus sich dem Beschluss des Senats un- terworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sicilien gehen um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im nächsten Jahre in Africa landen. Es ward ihm hiezu die sicilische Armee — noch immer jene beiden aus den Trüm- mern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen — zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache Besatzung und die Flotte vollständig ausreichten, und ausser- dem ihm gestattet in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich, dass der Senat die Expedition nicht anord- nete, sondern vielmehr geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Hälfte der Mittel, die man einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und überdies eben dasjenige Corps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zurücksetzung behandelt worden war. Die africanische Armee war im Sinne der Majorität des Senats ein verlorner Posten von Strafcompagnien und Volontärs, deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. — Ein anderer Mann als Scipio hätte vielleicht erklärt, dass die africanische Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen werden müsse; allein Scipios Zuver- sicht ging auf die Bedingungen ein, wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Zug zu gelangen. Sorgfältig vermied er so weit es anging das Volk unmittelbar zu be- lästigen, um nicht der Popularität der Expedition zu schaden. Was die Kosten derselben anlangte, namentlich die beträcht- lichen des Flottenbaus, so wurden diese im Wesentlichen beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Contribution der etruskischen Städte, das heisst durch eine den Arretinern und den sonstigen punisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegt Kriegssteuer. Die Mannschaft verstärkten Freiwillige, HANNIBALISCHER KRIEG. deren bis siebentausend aus allen Gegenden Italiens dem Rufe des beliebten Offiziers folgten. So ging Scipio im Frühjahr 550 mit zwei starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 Transportschiffen nach Africa unter Segel und landete glücklich, ohne den geringsten Widerstand zu finden, am schönen Vorgebirge in der Nähe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die Plünderungszüge, welche die römischen Geschwader in den letzten Jahren häufig nach der africanischen Küste gemacht hatten, ein ernstlicherer Einfall folgen werde, hatten, um des- sen sich zu erwehren, nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs Neue in Gang zu bringen versucht, sondern auch daheim gerüstet um die Römer zu empfangen. Es war gelungen von den beiden grossen westafricanischen Scheiks, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamündung westlich von Oran), dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem mäch- tigeren, durch Vertrag und Verschwägerung eng an Karthago zu knüpfen, den andern aber, den alten Nebenbuhler des Syphax, völlig zu beseitigen. Massinissa war nach verzweifelter Gegen- wehr der vereinigten Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Länder dem letztern zur Beute lassen müssen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der Wüste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 Elephanten — Hanno war eigends desshalb auf Ele- phantenjagd ausgeschickt worden — schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Führung des in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal Gisgons Sohn; im Hafen lag eine starke Flotte. Ein makedonisches Corps unter Sopater und eine Sendung keltiberischer Söldner wurden demnächst erwartet. — Auf das Gerücht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind gegenübergestanden hatte; allein der länder- lose Fürst brachte zunächst den Römern nichts als seine per- sönliche Tüchtigkeit, und die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich müde, hatten doch in ähnlichen Fällen zu bittere Erfahrungen gemacht um sich sofort für die Römer zu erklären. So begann Scipio den Feldzug. So lange er nur die schwächere karthagische Armee gegen sich hatte, war er im Vortheil und konnte nach einigen glücklichen Reitergefechten zur Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, an- DRITTES BUCH. KAPITEL VI. geblich mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben und für den Winter auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und Kar- thago ein befestigtes Schifflager geschlagen werden. Hier ver- ging dem römischen General der Winter 550/1. Das Frühjahr fand ihn in einer ziemlich unbequemen Lage, aus der er sich durch einen glücklichen Handstreich befreite. Die Africaner, eingeschläfert durch die von Scipio mehr listig als ehrlich an- gesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern überfallen: die Rohr- hütten der Numidier loderten in Flammen auf und als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die Flüchtenden von den römischen Abtheilungen niedergemacht. Dieser nächtliche Ueberfall war verderblicher als viele Schlachten; indess die Karthager liessen den Muth nicht sinken und verwarfen sogar den Rath der Furchtsamen oder vielmehr der Verständigen Mago und Hannibal zurückzurufen. Eben jetzt waren die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hülfstruppen angelangt; man beschloss auf den ‚grossen Feldern‘, fünf Tagemärsche von Utica noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte sie anzunehmen; mit leichter Mühe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die zusammengerafften kar- thagischen und numidischen Schwärme und auch die Kelti- berer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wur- den nach hartnäckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Africaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgends mehr das Feld halten. Ein Angriff auf das römische Schiffs- lager, den die karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein ungünstiges, aber doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser Glücksstern zuwarf und durch welche Massinissa das für die Römer ward, was anfangs Sy- phax den Karthagern gewesen war. — Nach solchen Nieder- lagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sech- zehn Jahren hatte schweigen müssen, wiederum ihr Haupt erheben und sich offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. Hasdrubal Gisgons Sohn ward abwesend von der Regierung zum Tode verurtheilt und ein Versuch gemacht von Scipio Waffenstillstand und Frieden zu gewinnen. Er forderte Aufgebung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeers, Uebergabe des Reiches des HANNIBALISCHER KRIEG. Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf 20 und eine Kriegscontribution von 4000 Talenten (6 Mill. Thaler) — Bedingungen, die für Karthago so beispiellos günstig erscheinen, dass die Frage sich aufdrängt, ob sie Scipio mehr in seinem oder in Roms Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmächtigten nahmen diese Bedingungen an unter Vorbehalt der Ratification ihrer Behörden und es ging eine karthagische Gesandtschaft desshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war nicht gemeint so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Ver- trauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom ihnen gegeben, feuerte sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede nothwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen musste. In der Bürgerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht; man beschloss die Friedensverhandlungen der Opposition nur geschehen zu lassen, um mittlerweile zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung sich vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl schleunigst nach Africa heim- zukehren. Mago, der seit drei Jahren (549-551) daran arbeitete in Norditalien eine Coalition gegen Rom ins Leben zu rufen, hatte eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mai- land) gegen das weit überlegene römische Doppelheer eine Schlacht geliefert, in der die römische Reiterei zum Weichen und das Fussvolk ins Gedränge gebracht worden war und der Sieg sich für die Karthager zu erklären schien, als der kühne Angriff eines römischen Trupps auf die feindlichen Elephanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und fähigen Führers das Glück der Schlacht wandte. Das puni- sche Heer musste an die ligurische Küste zurückweichen, wo es den Befehl zur Einschiffung empfing und vollzog; Mago aber starb auf der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal dagegen, der in der letzten Zeit sich in und um Kroton ver- schanzt hatte, stand bereit dem Befehl zu folgen, dem er wahrscheinlich zuvorgekommen wäre, wenn nicht die letzten Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten hätten seinem Vaterland in Italien nützlicher sein zu können als in Libyen. Er liess seine Pferde niederstossen so wie die italischen Soldaten, die sich weigerten ihm über das Meer zu folgen und bestieg die auf der Rhede von Kroton längst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe, die ihn glücklich nach Leptis führten; ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Waffenstillstandes, sondern auf eigene Verantwortlichkeit und Gefahr. So stand der letzte von Hamilkars ‚Löwenbrut‘ aber- mals auf dem Boden der Heimath, die er fast noch ein Knabe verlassen hatte um seine grossartige und doch so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwärts auszie- hend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo ge- schehen war was er hatte verhüten wollen und was er ver- hütet hätte, wenn er gedurft, jetzt sollte er, wenn möglich, retten und helfen; und er that es ohne zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei offen auf; das schändliche Urtheil gegen Hasdrubal ward cassirt, neue Verbindungen mit den numidischen Scheiks durch Hannibals Gewandtheit angeknüpft und nicht bloss dem thatsächlich ab- geschlossenen Frieden in der Volksversammlung die Bestäti- gung verweigert, sondern auch durch die Plünderung einer an der africanischen Küste gestrandeten römischen Transport- flotte, ja sogar durch den Ueberfall eines römische Gesandte führenden römischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebro- chen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem La- ger bei Tunis auf (552) und durchzog das reiche Thal des Bagradas (Medscherda), indem er den Ortschaften keine Ca- pitulation mehr gewährte, sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Städte in Masse aufgreifen und verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt Kaf, bei Kas o Dschaber), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm zusammentraf. Der punische Feldherr versuchte den römischen in einer persönlichen Zusammenkunft zu be- stimmen bessere Bedingungen zu gewähren; allein Scipio, der schon bis an die äusserste Grenze der Concessionen gegangen war, konnte unmöglich nach dem Bruch des Waffenstillstandes zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, und es ist nicht glaub- lich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas Anderes bezweckte als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs unbe- dingt gegen den Frieden seien. Die Conferenz führte zu kei- nem Ergebniss und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama (vermuthlich unweit Sicca Weder Ort noch Zeit der Schlacht sind hinreichend festgestellt. Jener wird doch wohl kein anderer sein, als das bekannte Zama regia; die Zeit etwa das Frühjahr 552. Die Bestimmung des Tages auf den 19. October wegen der Sonnenfinsterniss ist nicht zuverlässig. ). In drei Linien ord- HANNIBALISCHER KRIEG. nete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die kartha- gischen Miethstruppen, in das zweite die africanische Land- und die punische Bürgerwehr nebst dem makedonischen Corps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie standen die 80 Elephanten, die Reiterei auf den Flügeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei Glieder, wie die Römer pflegten und ordnete sie so, dass die Elephanten durch und neben der Linie weg ausbrechen konn- ten, ohne sie zu sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstän- dig, sondern die seitwärts ausweichenden Elephanten brachten auch die karthagischen Reiterflügel in Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die überdies durch das Eintreffen von Massinissas Schaaren dem Feinde weit überlegen war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Ge- fecht zwischen den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem äusserst blutigen Handgemenge geriethen endlich beide Theile in Verwirrung und mussten an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Römer fanden ihn; die karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass sich die Söld- ner verrathen glaubten und es zwischen ihnen und der kar- thagischen Bürgerwehr zum Handgemenge kam. Indess Han- nibal zog eilig, was von den beiden ersten Linien noch übrig war, auf die beiden Flügel zurück und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio drängte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch kampffähig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben Wahlstatt ein zweites noch fürchterlicheres Gemetzel; Hanni- bals alte Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei der Römer und Massinissas, von der Verfolgung der geschlagenen feindlichen zurückkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das punische Heer vernichtet; dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen wa- ren, hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll Leute gelangte Hannibal flüchtig nach Hadrumetum. — Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des Krieges rathen; dagegen konnte der römische Feldherr sofort die Belagerung der Hauptstadt beginnen, die weder gedeckt noch verproviantirt war, und es stand bei ihm, wenn nicht unberechenbare Zwischenfälle DRITTES BUCH. KAPITEL VI. eintraten, das Schicksal, welches Hannibal über Rom hatte bringen wollen, jetzt über Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht gethan; er gewährte Frieden (553), freilich nicht mehr auf die früheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzten Verhandlungen für Rom wie für Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf funfzig Jahre eine jährliche Contribution von 200 Talenten (300000 Thaler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig machen nicht gegen Rom oder seine Verbündeten und über- haupt ausserhalb Africa gar nicht, in Africa ausserhalb ihres eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubniss Roms Krieg zu führen; was thatsächlich darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine politische Selbstständigkeit ver- lor. Es scheint sogar, dass sie unter Umständen verpflichtet waren Kriegsschiffe zu der römischen Flotte zu stellen. — Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Been- digung des schwersten Krieges, den Rom geführt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu müssen, dem Feinde zu günstige Bedingungen gewährte. Die Anklage möchte gegründet sein, wenn der erste Entwurf zu Stande ge- kommen wäre; gegen den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhältnisse so, dass der Günstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung ernstlich zu fürchten gehabt hätte; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Hände gebunden und ein mächtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht sich der römischen Suprematie zu entziehen, geschweige denn mit Rom zu rivalisiren; es wusste überdies jeder, der es wissen wollte, dass der so eben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago und dass an eine Erneuerung des Riesenplanes der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht denken liess. Es mochte den rach- süchtigen Italienern wenig dünken, dass nur die fünfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und Dorfschulzenver- stand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernich- tete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der es verschmäht hatte das Verbrechen die Römer zittern gemacht zu haben gründlich zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen Motive den Römer bestimm- HANNIBALISCHER KRIEG. ten, und nicht die adlichen und hochsinnigen, die auch in seiner Natur lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen Abbe- rufung oder des möglichen Glückswechsels noch die Besorg- niss vor dem allerdings nicht fernliegenden Ausbruch des makedonischen Krieges haben den sicheren und zuversicht- lichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich gelungen war, gehindert die Execution an der unglücklichen Stadt zu vollziehen, die funfzig Jahre später seinem Adoptivenkel aufge- tragen wurde und die wohl schon jetzt gleich vollzogen werden konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der ungestümen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnäckig- keit und dem Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verständige Schranken zu setzen; der Seelenadel und die staatsmännische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fügung in das Unvermeid- liche als in Scipios weisem Zurücktreten von dem Ueberflüs- sigen und Schmählichen des Sieges. Sollte er, der hochher- zige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem Vaterlande nütze, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Han- dels und Ackerbaus völlig zu verderben und einen der Grund- pfeiler der damaligen Civilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten Männer Roms sich hergaben zu Henkern der Civilisation der Nachbarn und mit einer müssigen Thräne die ewige Schande der Nation von sich abzuwaschen leichtfertig glaubten. So war der zweite punische, oder wie die Römer ihn richtiger nennen, der hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Bosporos bis zu den Säulen des Her- kules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Hatte Rom bis auf diesen Krieg sein politisches Ziel nicht höher gesteckt als bis zu der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb seiner natürlichen Grenzen und der itali- schen Inseln und Meere, so war man durch die Ergebnisse des Krieges viel weiter geführt worden, als es in dem ur- sprünglichen Plan lag; in welcher Hinsicht namentlich Beach- tung verdient, wie fast zufällig Rom zu dem Besitz von Spa- nien gelangte. Es ist mehr als wahrscheinlich und wird durch die Behandlung Africas deutlich bewiesen, dass man den Krieg begann und beschloss mit dem Gedanken nicht die Herrschaft DRITTES BUCH. KAPITEL VI. über die Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Welt- monarchie zu begründen, sondern einen gefährlichen Neben- buhler unschädlich zu machen und Italien mit bequemen Nachbaren zu umringen. Die Herrschaft über Italien hat Rom errungen, weil es sie erstrebt hat; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft über das Mittelmeergebiet ist den Römern gewissermassen ohne ihre Absicht von den Ver- hältnissen zugeworfen worden. — Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spa- niens in eine römische freilich in ewiger Insurrection begrif- fene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin dependen- ten syrakusanischen Reiches mit der römischen Provinz Sici- lien; die Begründung des römischen statt des karthagischen Patronats über die bedeutendsten numidischen Häuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem mächtigen Han- delsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie über den Westen des Mittelmeerge- biets; ferner das entschieden ausgesprochene Ineinandergreifen des östlichen und westlichen Staatensystems, das im ersten puni- schen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das dem- nächst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Con- flicte der alexandrischen Monarchien. In Italien war zunächst das Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt und nur noch eine Zeitfrage war es, wann die Execution vollzogen werden würde. Innerhalb der römischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schärfere Her- vortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner Schwankungen doch im Ganzen in treuer Gemeinschaft überstandene Gefahr fester als bisher geschlossen hatte, und die steigende Unterdrückung der nicht latinischen oder latinisirten Landschaften, namentlich Etruriens und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder vielmehr die Rache theils den mächtigsten, theils den zugleich ältesten und letzten Bundesgenossen Hanni- bals, die Gemeinde Capua und die Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; den gesammten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswärtiger oder römisch gesinnter Campaner erklärte der Senat zur öffentlichen Domäne und gab ihn seit- dem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; auch ihre Haupt- HANNIBALISCHER KRIEG. stadt wurde geschleift und die Bewohner zerstreut in die um- liegenden Dörfer. Der Brettier Loos war noch härter; sie wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Römer gemacht und für ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die übrigen Verbündeten Hannibals büssten schwer, so die griechischen Städte mit Ausnahme der wenigen, die beständig zu Rom gehalten hatten, wie die campanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossentheils Stücke ihrer Mark verloren. Auf einem Theil der also gewonnenen Aecker wur- den neue Colonien angelegt; so im Jahre 560 eine ganze Reihe Bürgercolonien an den besten Häfen Unteritaliens, unter denen Sipontum (bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum, in dem ehemaligen Gebiet der süd- lichen Picenter und diesen zur Zwingburg bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen Villeggiatur und des asiatisch-ägyptischen Luxushandels ward. Ferner ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562). Auf anderen Grundstücken in Samnium und Apulien wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Africa einzeln angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplätze der vornehmen Herren in Rom ersetzten die Hüt- ten und das Pflugland. Es versteht sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel eine vollständige Epurirung aller namhaften nicht gut römisch gesinnten Leute vorgenommen ward, so weit eine solche durch politische Prozesse und Güter- confiscationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien fühlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie fortan Unterthanen Roms seien; die Besiegung Han- nibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden. Wie die Dinge standen, zeigt die ängstliche Sorgfalt, womit während des folgenden makedonischen Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward und die Verstärkungen, die den wichtigsten Colonien — so Venusia 554, Narnia 555, Cosa 557 — von Rom her zugesandt wurden. — Im Staatsregiment hatte die veränderte Stellung Roms jetzt allerdings unter den leitenden Klassen eine Generation grossgezogen, die nicht mehr wie im ersten punischen Krieg mit der Kirchthurmspolitik die Welt regieren zu können meinte; die Stellung des Senats ist nach innen wie nach aussen klar und fest. Allein zugleich Röm. Gesch. I. 31 DRITTES BUCH. KAPITEL VI. hatten sich die Gefahren herausgestellt, die die demokratischen Elemente der römischen Verfassung dem neuen Grossstaate droh- ten. Man hatte nie verkennen können und nie in Rom ver- kannt, dass in den Urwahlen, wie sie dort bestanden, haupt- sächlich der Zufall entschied, allein es liess sich dies ertragen, so lange die moralische Gewalt des Senats über die Menge den Zufall nöthigenfalls zu beherrschen im Stande war und so lange überhaupt auf die Individualität der Bürgerwehrführer und Jahrvorsteher nicht viel ankam. Jetzt begann jene Auto- rität in der allgemeinen Zügellosigkeit und Uebermüthigkeit zu schwinden und eben jetzt kam etwas mehr darauf an, wer Consul ward, als da es gegen die Volsker und Aequer ging. Man hatte in dieser Beziehung nach gemachten bitteren Erfah- rungen allerdings wenn nicht die Sätze, doch die Uebung der Verfassung zum Bessern verändert; es war dies der wesent- liche Grund, dem man die Rettung und den Sieg verdankte. Die Zukunft musste lehren, ob jene Erfahrungen auf die Dauer gefruchtet hatten. — Welche Lücken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen Bevölkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der römischen Bürgerschaft, deren Zahl während des Krieges fast um den vierten Theil geschwunden war; selbst die Angabe der Gesammtzahl der im hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Köpfe scheint durchaus nicht übertrieben. Wie sehr endlich der siebzehnjährige Krieg, der zugleich im Ausland nach allen vier Weltgegenden und im Inland geführt worden war, die Volkswirthschaft im tiefsten Kern erschüttert haben musste, ist im Allgemeinen klar; zur Ausführung im Einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann durch die Confiscationen und nament- lich das campanische Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein durch diese Ausdehnung der Domänenwirthschaft ging natürlich der Volkswohlstand um eben so viel zurück als er in anderen Zeiten gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatsländereien. Eine Menge blühender Ortschaften — man rechnet vierhundert — war vernichtet und verderbt, das mühsam gesparte Capital aufge- zehrt, die Bevölkerung durch das Lagerleben demoralisirt, die alte gute Tradition bürgerlicher und bäuerlicher Sitte von der Hauptstadt bis in das letzte Dorf untergraben. Sclaven und verzweifelte Leute thaten sich in Räuberbanden zusammen, von deren Gefährlichkeit es einen Begriff giebt, dass in einem einzigen Jahre (569) allein in Apulien 7000 Menschen ver- HANNIBALISCHER KRIEG. urtheilt werden mussten. Die sich ausdehnenden Weiden mit den halb wilden Hirtensclaven begünstigten diese heillose Ver- wilderung des Landes und der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege auf- gestellte Beispiel, dass das römische Volk statt von selbst ge- erntetem auch von sicilischem und ägyptischem Getreide ernährt werden könne. — Dennoch durfte der Römer, dem die Götter be- schieden hatten das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk, dessen gesammte dienstfähige Jugend fast zehn Jahre hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung un- terhaltene, doch im Ganzen friedliche und freundliche Zusammen- leben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Völkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Alterthum fremd: damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wett- kampf der Sieger war der Sieg den Römern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmählich zu latinisiren, die Unterworfenen in den Provinzen als Unterthanen zu beherrschen, nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformiren, den schwankenden Mittelstand neu zu befestigen und zu erwei- tern — das mochte Mancher fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien glücklichen Zeiten entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter günstigen Verhältnissen gegründete Wohl- stand und die entschiedenste politische Suprematie über die damalige civilisirte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein gerechtes Selbstgefühl, jedem Stolz ein würdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben würde. Freilich wenn nicht, nicht. Für den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen Stimmen und die trüben Besorgnisse, als von allen Seiten die Krieger und Sieger in ihre Häuser zurück- kehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke an Sol- daten und Bürger an der Tagesordnung waren, die gelösten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Africa, Griechen- land und endlich der jugendliche Sieger im glänzenden Zuge durch die geschmückten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Gläubigen zuflüsterten, er zu Rath und That unmittel- bar seine Eingebungen empfangen hatte. 31* KAPITEL VII. Der Westen vom hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode . Unter den Aemtern, mit denen Rom die italische Eid- genossenschaft rings umgab, war eines der wichtigsten die Provinz Ariminum oder Gallien, in deren Ordnung und Ein- richtung man eben durch den hannibalischen Krieg unter- brochen worden war. Es verstand sich von selbst, dass man jetzt da fortfahren würde, wo man aufgehört hatte, und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedens- schlusses mit Karthago (553) hatten im Gebiet der zunächst bedrohten Boier die Kämpfe wieder begonnen, und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen römischen Landsturm gelang, so wie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in Nord- italien zurückgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunächst bedrohten Stämme, der Boier und Insubrer: auch die Ligurer trieb die näher rückende Gefahr in die Waffen und selbst die cenomanische Jugend hörte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behörden als auf den Noth- ruf der bedrohten Stammgenossen. Von ‚den beiden Riegeln gegen die gallischen Züge‘, Placentia und Cremona ward der erste niedergeworfen — von der placentinischen Einwohner- schaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben —, der zweite berannt. Eilig marschirten die Legionen heran um zu retten was noch zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. grossen Schlacht, in der der punische Führer wohl versuchte durch geschickte und kriegsmässige Leitung die Inferiorität seiner Truppen zu ersetzen; aber trotz Hamilkars Führung hielten die Gallier dem Andrang der Legionen nicht Stand und flohen in wilder Verwirrung. Unter den zahlreichen Tod- ten war auch der karthagische Offizier. Indess setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das nächste Jahr (555), hauptsächlich durch die Schuld des sorglosen Führers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 konnte Placentia nothdürftig wieder hergestellt werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungs- kampf vereinigten Cantone ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer geriethen in Zwist und die Cenomanen tra- ten nicht bloss zurück von dem Nationalbunde, sondern er- kauften auch die Verzeihung von den Römern durch schimpf- lichen Verrath der Landsleute, indem sie während einer Schlacht, die die Insubrer den Römern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557). So gedemüthigt und im Stich gelassen bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleich- falls zu einem Sonderfrieden (558). Die Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren aller- dings härter, als sie den Gliedern der italischen Eidgenossen- schaft gewährt zu werden pflegten; namentlich vergass man nicht die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Bürger dieser beiden Keltenstämme das römische Bürgerrecht solle gewinnen können. Indess liess man ihnen ihre Existenz; ihr Gebiet, in das die räuberischen Alpenbewohner regelmässige Razzias zu machen pflegten, ward nicht zu dem der Eidgenossenschaft gezogen, welches vielmehr der Po begrenzte. Wie rasch übri- gens die Latinisirung dieser Keltenlandschaften vorschritt, be- weist das Zeugniss des Polybios, der etwa vierzig Jahre später diese Gegenden bereiste, dass daselbst nur noch wenige Dörfer unter den Alpen keltisch geblieben seien — ein Bericht, der übertrieben scheint, aber auch so beweist, dass die Cultur- stufe, auf der diese Kelten standen, eine bei weitem niedri- gere war als die der Sabeller und Etrusker. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalität länger behauptet zu haben. — Das hauptsächliche Bestreben der Römer war in diesen Landschaften begreiflicher Weise darauf gerichtet dem Nach- rücken der transalpinischen Kelten zu steuern und die natür- DRITTES BUCH. KAPITEL VII. liche Scheidewand der Halbinsel und des inneren Continents auch als politische Grenze festzustellen. Dass die Furcht vor dem römischen Namen auch schon zu den nächstliegenden keltischen Cantonen jenseit der Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloss die vollständige Unthätigkeit, mit der dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Lands- leute zusahen, sondern mehr noch die officielle Missbilligung und Desavouirung, welche die transalpinischen Cantone — man wird zunächst an die Helvetier (zwischen dem Genfersee und dem Main) und an die Carner und Taurisker (in Kärnthen und Steiermark) zu denken haben — gegen die beschwerde- führenden römischen Gesandten aussprachen über die Ver- suche einzelner keltischer Haufen sich diesseit der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demüthige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem römi- schen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot über die Alpen zurückzugehen ohne Widerrede sich fügten (568 fg. 575) und die Stadt, die sie 12000 Schritt von Aquileia schon angelegt hatten, zerstören liessen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpenthore für die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen römischen Unterthanen ein, die solche Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein solcher Versuch, welcher auf einer bis dahin den Römern unbekannt gebliebenen Strasse im innersten Winkel des adriatischen Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veran- lassten die Gründung einer Festung in dem äussersten nord- östlichen Winkel Italiens, der nördlichsten italischen Colonie Aquileia (571-573), die nicht bloss diesen Weg den Fremden für immer zu verlegen, sondern auch die dortige für die Schifffahrt vorzüglich gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewässern zu steuern bestimmt war. Die Anlage derselben veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577), der mit der Erstürmung einiger Castelle und dem Fall des Königs Aepulo schnell beendigt war und durch nichts merkwürdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des römischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief. DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseit des Padus, wo der römische Senat beschlossen hatte mit den Kelten, ein Ende zu machen und mit den Boiern zu wiederholen, was achtzig Jahre zuvor mit den Senonen geschehen war. Die Boier wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Noch einmal ward der Padus von ihnen überschritten und ein Versuch gemacht die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen (560); ein Consul ward in seinem Lager von ihnen blokirt und wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich mühsam gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Römer siegten (561) und seitdem war der Krieg kein Kampf mehr, sondern eine Hetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das römische Lager, in das der noch übrige bessere Theil der Bevölkerung sich zu flüchten begann, und die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu übertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr übrig sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Römer forderten Ab- tretung des halben Gebietes (563); sie konnte nicht verwei- gert werden, aber auch auf dem geschmälerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Siegern Nach Strab ons Bericht wären diese italischen Boier von den Römern über die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn zwischen dem Neusiedler- und Plattensee hervorgegan- gen, welche in der augusteischen Zeit von den über die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einöde hinterliess. Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der römischen Jahrbücher, nach der man sich römischer Seits begnügte mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklären, bedarf es in der That der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht — verschwinden doch auch die übrigen keltischen Völkerschaften, obwohl sie von Krieg und Co- lonisirung in weit minderem Grade heimgesucht wurden, nicht viel weniger rasch und vollständig aus der Reihe der italischen Nationen. Andrerseits führen andere Berichte vielmehr darauf jene Boier am Plattensee herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Baiern und Böhmen sass, bis deutsche Stämme ihn südwärts drängten. Ueberall aber ist es sehr zweifelhaft, ob die so weit versprengten Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Böhmen finden, wirklich Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme dürfte auf nichts an- derem beruhen als auf einem Rückschluss aus dieser Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst, oft unüberlegt, anwandten. Das Land südwärts vom Po, wenn es DRITTES BUCH. KAPITEL VII. auch nicht förmlich zu Italien gezogen ward, erhielt doch italische Organisation und städtische Ordnung; jenseit des Padus begann die Gauverfassung nach keltischer Art, der Clans mit festen Gebieten, aber ohne eigentliche Hauptstädte. — Nachdem die Römer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die Festungen Placentia und Cremona, deren Colonisten während der letzten unruhigen Jahre grossentheils hingerafft worden waren oder sich verlaufen hatten, wieder organisirt und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegründet wurden in und bei dem ehemaligen senonischen Gebiet Po- tentia (bei Recanati unweit Ancona; 570) und Pisaurum (Pe- saro; 570), ferner in der neu gewonnenen boischen Land- schaft die Festungen Bononia (565), Mutina (571) und Parma (571), von denen die Colonie Mutina schon vor dem hanni- balischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gründung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militär- chausseen; es wurde die flaminische Strasse von ihrem nörd- lichen Endpunct Ariminum unter dem Namen der aemilischen bis Placentia verlängert (567) und eine kürzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen durch eine zweite Strasse hergestellt, die die ältere Strasse von Rom nach Arretium über den Apennin bis nach Bononia fortführte und dort in die aemilische Strasse mündete. In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Thäler und Hügel hauptsächlich von dem vielgetheilten ligu- rischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Römer in ähnlicher Weise. Was südlich von der Magra wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsächlich die Apuaner, die auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend einer- seits das Gebiet von Pisa, andrerseits das von Bononia und Mutina unaufhörlich plünderten. Was hier nicht dem Schwert der Römer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent übergesiedelt (574) und durch energische Massregeln die ligurische Nation, welcher man noch im Jahre 578 die von ihr eroberte Colonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das Pothal von dem des Arno scheiden, voll- ständig unterdrückt. Die 577 auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer ähnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Römern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem für die Ueberfahrt nach Massalia und nach DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. Spanien die gewöhnliche Station ward. Gegen die westliche- ren ligurischen Stämme, die die genuesischen Apenninen und die Seealpen inne hatten, ruhten die Kämpfe nie. Es waren unbequeme Nachbaren, die zu Lande und zur See zu plündern pflegten; die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfällen und ihren Corsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden indess bei den ewigen Fehden nicht gewonnen und vielleicht auch nicht bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, darauf ausging den Landweg nach Spanien freizumachen und die grosse Küstenstrasse von Luna über Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen sich zu bahnen; jenseits der Alpen war es die Aufgabe der Massalioten den römischen Schiffen die Küstenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen zu halten. Das Binnen- land mit seinen unwegsamen Thälern und seinen Felsen- nestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Römern hauptsächlich als Kriegsschule zur Uebung und Abhärtung der Soldaten wie der Offiziere. — Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer führte man gegen die Corsen und mehr noch gegen die Bewohner des innern Sardinien, welche die gegen sie gerichteten Raub- züge durch Ueberfälle der Küstenlandschaft vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577, nicht so sehr weil er der Provinz den ‚Frieden‘ gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner er- schlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sclaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, dass es Sprich- wort ward ‚spottwohlfeil wie ein Sarde‘. In Africa, wo die Römer unmittelbare Besitzungen nicht hatten noch haben wollten, ging ihr Bestreben dahin unter den libyschen Eingebornen, den natürlichen Feinden ihrer phoenikischen Zwingherren, einen Staat grosszuziehen, nicht bedeutend genug, um ohne Roms Schutz etwas zu vermögen, doch genügend, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe ausser- halb Africa vernichtet worden war, auch in Libyen so einzu- schnüren, dass es der gequälten Stadt unmöglich werde sich je wieder zu rühren. Der hiezu ausersehene unter den ein- gebornen Häuptlingen war der Herr von Cirta Massinissa, bis- her der schwächere Nebenbuhler des mächtigsten westafrica- nischen Scheiks Syphax von Siga. Der letztere, der für Karthago Partei ergriffen, war in dem letzten Krieg überwun- den und gefangen nach Italien abgeführt worden, wo er in DRITTES BUCH. KAPITEL VII. der Haft starb; sein Sohn Vermina erlangte durch demüthiges Bitten von den Römern den Besitz eines kleinen Theils des väterlichen Gebiets (554), allein er vermochte nicht den Mas- sinissa um die Stellung des bevorzugten Drängers von Kar- thago zu bringen, welche diesem das ältere römische Bünd- niss zuwarf. Massinissa nutzte zur Erweiterung seiner Macht sorgfältig die Gunst, deren er in Rom genoss und welche die Römer bei allen Gelegenheiten mit absichtlicher Deutlichkeit hervortreten liessen, so dass man sogar ihm die Ehre erwies, die nichtitalischen Bundesgenossen nicht leicht ausserhalb ihrer Heimath gespendet ward, mit seinen numidischen Reitern neben den Legionen gegen Philippos fechten zu dürfen, und ihm schon 554 Gebietserweiterungen in Aussicht stellte — natürlich auf Kosten Karthagos. Es war das nicht schwer bei der Unsicherheit der africanischen Grenzverhältnisse, wel- che theils in der Natur der Landschaft, theils vielleicht auch in der Absicht der römischen Ordner begründet war; die Be- stimmung des Friedensvertrags, die den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmälert liess, aber Massinissa alle diejenigen Besitzungen garantirte, die er oder sein Vorweser innerhalb der karthagischen Grenzen besessen hatten, sieht fast so aus, als wäre sie da um Controversen nicht zu heben, sondern zu wecken. Aehnlich steht es mit der durch den römischen Friedenstractat den Karthagern auferlegten Verpflichtung nicht gegen römische Bundesgenossen Krieg zu führen, so dass sie nach dem Wortlaut des Vertrags nicht einmal aus ihrem eige- nen und unbestrittenen Gebiet den numidischen Nachbar zu vertreiben befugt waren. Unter solchen Verhältnissen und bei der Parteilichkeit der einzigen Macht, die hier als Schieds- richter einschreiten konnte, ist die peinliche Lage Karthagos begreiflich. Schon 561 sah Karthago sich unter nichtigen Vorwänden überfallen und den reichsten Theil seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der kleinen Syrte, theils von den Numidiern geplündert, theils sogar von ihnen in Besitz ge- nommen. So gingen die Uebergriffe beständig weiter; das platte Land kam in die Hände der Numidier und mit Mühe behaupteten die Karthager sich in den grösseren Ortschaften. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder römische Commissionen in Africa erschienen, die nach gründlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom die Beauftragten Massi- nissas Mangel an Instructionen vorschützten und die Sache DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. vertagt ward. So erklärten zum Beispiel die Karthager ein- mal (582), dass ihnen bloss in den letzten zwei Jahren wieder siebzig Dörfer vertragswidrig entrissen worden seien und be- schworen den römischen Senat ihnen entweder zu gestatten sich mit den Waffen zu vertheidigen, oder ein Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regu- liren, damit sie wenigstens ein für allemal erführen, wie viel sie einbüssen sollten; besser sei es sonst sie geradezu zu römischen Unterthanen zu machen als sie so allmählig den Libyern auszuliefern. Der römische Senat mässigte wohl zu- weilen den allzugrossen Ungestüm der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten; aber eine Abstellung der Beschwerden erfolgte nicht, denn im Grunde war es eben diese Quälerei Karthagos, um deren willen Massinissa von den Römern der Stadt als Nachbar gesetzt worden war. Nur phoenikische Geduld war im Stande sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja sogar den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie be- gehrten und nicht begehrten, mit unermüdlicher Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die römische Gunst zu buhlen; man hoffte wenigstens die com- munale Freiheit, auf die sich Karthago thatsächlich beschränkt sah, für die Stadt zu retten. In der That suchte Karthago nach dem Sturz seiner politischen Macht nicht ohne Erfolg sich im Innern zu regeneriren. Die bessernde Macht der Noth und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen mächtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Criminal- untersuchung gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der itali- schen Beute das Mass ihrer verbrecherischen Thorheiten voll gemacht hatte — diese verfaulte Oligarchie wurde auf Han- nibals Antrag über den Haufen geworfen und ein demokrati- sches Regiment eingeführt, wie es den Verhältnissen der Bür- gerschaft angemessen war (vor 559). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der rückständigen und unterschlagenen Gel- der und durch Einführung einer besseren Controle so schnell wieder geordnet, dass ohne die Bürger irgendwie mit ausser- ordentlichen Steuern zu belasten die römische Contribution gezahlt, ja sogar schon 567 die sofortige Leistung der sämmt- lichen Terminzahlungen angeboten werden konnte — ein An- erbieten, das die Römer freilich, denen an der Tributpflich- DRITTES BUCH. KAPITEL VII. tigkeit Karthagos mehr gelegen war als an der Geldsumme selbst, begreiflicher Weise ablehnten. Mit neidischen Augen sahen sie, dass die Stadt trotz aller angewandten Mühe doch nicht zu ruiniren war. Dies nährte ihre Furcht und immer aufs Neue lief durch Rom das Gerücht, dass ein dritter pu- nischer Krieg vor der Thür sei; was denn jedesmal das Sig- nal war zu neuen diplomatischen Misshandlungen von römi- scher, zu neuen Schädigungen von Massinissas Seite. Bald sollte Hamilkar, der im nördlichen Italien die Kelten gegen die Römer führte (554), dies im Auftrag seiner Regierung gethan haben; bald sollte Hannibal Verbindungen anspinnen mit Antiochos (559); bald hatte nach dessen Entfernung ein Emissär von ihm, Ariston von Tyros sich in Karthago blicken lassen, um die Bürger auf die Landung einer asiatischen Kriegsflotte in Karthago vorzubereiten (561); bald hatte der Rath in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Aescula- pius den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (580); bald sprach man in Rom von der gewaltigen Flotte, die Karthago rüste für den makedonischen Krieg (583). Es ist allerdings mehr als wahrscheinlich, dass Hannibal es keineswegs aufge- geben hatte seine Vaterstadt abermals gegen Rom zu bewaff- nen und sie in den nahe bevorstehenden Kampf der östlichen Mächte zu verwickeln; es war keine eingebildete Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559), die wahrscheinlich beauftragt war Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden kar- thagischen Oligarchen, die Briefe über Briefe nach Rom sand- ten um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbin- dungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind zu denunciren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demüthigendes Eingeständniss der Furcht des mächtigsten Volkes vor dem einfachen Schofeten von Kar- thago lag, so begreiflich und ehrenwerth es ist, dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch that gegen diesen er- niedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständniss eben nichts andres als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur römische Gefühlspolitiker ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. konnten. Die eigenthümliche Anerkennung, die er bei dem Landesfeind fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Be- siegten trifft. Die Karthager konnten nichts thun als sich fügen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die grössere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die mindere liess ihren grössten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimath verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vol- lem Masse sich bewährt. — Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal lässt es sich verantworten, dass man nach dessen Entfernung nicht aufhörte die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gährten dort wie begreiflich die Parteien; es gab noch eine Patriotenpartei, ja sogar eine Partei, die mit den Libyern gemeinschaftliche Sache machen wollte, allein die römisch Gesinnten waren und blieben dennoch am Regi- ment und man hätte sich wohl in Rom beruhigen können, wenn nicht die gründliche Angst vom hannibalischen Kriege her noch immer nachgewirkt hätte, deren die Menge, ja selbst der gewöhnliche Schlag der Herren von der Regierung sich zu entschlagen nicht vermochte. Während also die Macht der Phoenikier in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimath erlegen war, erwuchs unter der Gunst Roms und der kräftigen Leitung eines begabten einheimischen Regenten die bis dahin barbarische und unterdrückte libysche Nation zu einem sich rasch civilisirenden und mächtigen Staate und die Residenz Cirta zu einer lebhaften Hauptstadt. Massinissa vereinigte mit seinem väterlichen Reiche theils im Wesentlichen das des Sy- phax, theils eine Menge von dem karthagischen Gebiet allmählich abgerissener Stücke; so dass sein Reich sich ausdehnte vom Flusse Molochath (jetzt Mluia an der maroccanisch-französi- schen Grenze) bis an die Grenze von Kyrene und von Westen, Süden und Norden das karthagische Gebiet umschloss. Die alte Sidonierstadt Grossleptis ward nicht bloss den Numidiern gehorsam, sondern die einheimische Sitte und Sprache fing dort an die phoenikische zu verdrängen; selbst das obere Thal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vacca DRITTES BUCH. KAPITEL VII. war dem König unterthan und überall drückte er in nächster Nähe auf die Karthager. Aber es war nicht bloss das ge- schmälerte Gebiet, wodurch Karthago Eintrag geschah; die ‚schweifenden Hirten‘ (νομάδες) wurden ein anderes Volk durch ihren grossen König und begannen Ackerbau zu treiben und sich ansässig zu machen, wobei der König mit seinem Beispiel voranging — weithin machte er die Felder urbar und konnte jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinter- lassen. Wie er seine Hirten umschuf in Bürger, verwandelte er seine Plündererhorden in Soldaten und hinterliess seinem Nachfolger eine überreiche Schatzkammer und ein wohldisci- plinirtes Heer. Die bisher unterdrückte Nationalität hob sich in ihren eigenen Augen und der Libyer fing an dem Phoenikier sich gleich, ja sich überlegen zu fühlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom es hören, dass sie Fremdlinge seien in Africa und das Land den Libyern gehöre. Die Seele dieses merkwürdigen Aufschwungs einer, wie es schien, im Verkommen begriffenen Nation war Massinissa; ein merk- würdiger Mann, den die Natur und das Glück wunderbar begünstigt hatten. Er brachte sein Leben auf neunzig Jahre (516-605), seine Regierung auf sechzig; noch im hohen Alter vermochte er einen vollen Tag auf demselben Platz zu stehen ohne die Stellung zu wechseln und im sechs und acht- zigsten Jahre ward ihm ein Sohn geboren. Er verstand es Zucht in seinem Hause zu halten wie Ordnung in seinem Lande und erprobte von den Wechselfällen des Geschickes eben genug um dessen Gunst zu verdienen und zu empfinden. Es leidet keinen Zweifel, dass er in Karthago seine künftige Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist dafür be- zeichnend. Die nationale Civilisation Nordafricas, die selbst in der nivellirenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig dasteht, ist viel weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa. In Spanien fügten die griechischen und punischen Städte an der Küste, wie Emporiae, Neukarthago, Gades sich um so bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie selbst kaum im Stande gewesen wären sich gegen die Eingebornen zu schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch nicht versäumte durch engen Anschluss an die Römer, denen Massalia als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien viel- fach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern. DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. Die Eingebornen dagegen machten den Römern unsäglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs an Ansätzen zu einer national-iberischen Civilisation, von deren Eigenthümlichkeit freilich es uns nicht wohl möglich ist eine deutliche Vorstel- lung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weit- verbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrothals und die andalusische und vermuthlich jede von diesen wieder in mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr frühe Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das punische Alphabet zurück- zugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar überliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von 6000 Zeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeich- nungen besassen; allerdings wird diese Völkerschaft die civi- lisirteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regel- mässig mit fremden Söldnern führte. Auf dieselbe Gegend werden auch wohl Polybios Schilderungen zu beziehen sein von dem blühenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, durch die bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch um Spottpreise zu haben war, und von den prächtigen Königspalästen mit den goldenen und silbernen Krügen voll ‚Gerstenwein‘. Auch die Culturelemente, die die Römer mitbrachten, fasste wenigstens ein Theil der Spanier eifrig auf, so dass früher als irgendwo sonst in den über- seeischen Provinzen eine Latinisirung sich in Spanien vor- bereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der warmen Bäder nach italischer Weise auch bei den Eingebornen auf. Auch das römische Geld ist allem Anschein nach weit früher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss gangbar, sondern auch nachgemünzt wor- den; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das sogenannte ‚Silber von Osca‘ (jetzt Huesca in Arragonien), das heisst spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 erwähnt und viel später kann die Prägung schon desshalb nicht begonnen haben, weil das Gepräge dem der ältesten römischen Denare nach- geahmt ist. Im innern Spanien dagegen, zum Beispiel in Intercatia noch um 600, kannte man den Gebrauch des Gol- des und Silbers nicht. Allein mochte auch in den südlichen und östlichen Landschaften die Gesittung der Eingebornen der römischen Civilisation und der römischen Herrschaft soweit DRITTES BUCH. KAPITEL VII. vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgends auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Nor- den und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen mehr oder minder rohen Völkerschaften, die sich ebensowenig unter einander wie mit den Römern vertrugen. Die Eingebornen waren voll Unruhe und Kriegslust und selbst in offener Feld- schlacht nicht verächtliche Gegner, die mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen annahmen, und ihren gefürchteten Sturmcolonnen nicht selten selbst die römischen Legionen zum Wanken brachten. Wäre der Sinn nationaler Einheit in ihnen mächtig gewesen, viel- leicht hätten sie es vermocht sich der aufgedrungenen Fremd- herrschaft zu entledigen; aber ihre Tapferkeit war die des Soldaten, nicht des Bürgers, und es fehlte ihr gar sehr am politischen Verstand. Charakteristisch für dies ritterliche Wesen der Ahnherren Don Quixotes ist die Ausforderung, die zwanzig Jahre nach dem Ende des hannibalischen Krieges die Einwohner der kleinen keltiberischen Stadt Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn zu- schickten: er habe ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd, ein Schwert und einen Mantel zu senden, sonst werde es ihm übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie häufig es nicht ertrugen die Schmach der Entwaffnung zu überleben, waren die Spanier dennoch geneigt jedem Werber zu folgen und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen — be- zeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen im Solde der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zu- sandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaaren zusam- men um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in cam- panischer Weise. Wie unsicher das Binnenland war, zeigt zum Beispiel, dass in einigermassen aufgeregten Zeiten die römischen Commandanten des jenseitigen Spaniens auf der Heimreise eine Escorte bis zu 6000 Mann mit sich nahmen, und deutlicher noch der seltsame Verkehr, den in der grie- chisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nach- baren pflogen. Die griechische Ansiedlung, die auf einer DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. Halbinsel lag und an der Landseite von dem spanischen Stadttheil durch eine Mauer getrennt war, liess diese jede Nacht durch den dritten Theil ihrer Bürgerwehr besetzen und an dem einzigen Thor einen höheren Beamten beständig die Wache versehen; kein Spanier durfte die Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingebornen die Waaren nur zu in starken und wohl escortirten Abtheilungen. Die Internirung westlich von Cartagena galt den Römern als schwere Strafe. — So war das Land beschaffen, dessen Behauptung und Re- gierung den Römern seit dem zweiten punischen Kriege oblag. In Folge desselben erwarben dieselben in Spanien zwei ver- schiedene Gebiete, die eigentlich karthagische Provinz, die zunächst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfasst, und die Ebrolandschaft, das Standquartier der römischen Heere während des letzten Krie- ges; aus welchen Gebieten die beiden römischen Provinzen des jen- und diesseitigen Spaniens hervorgingen, deren Grenz- linie — im Wesentlichen der Ebro — im Jahre 557 regulirt ward. Hinsichtlich der Abgaben behielt man das karthagische System bei, nach dem die einzelnen Städte und Häuptlinge nicht, wie in dem friedlicheren Sicilien, den Zehnten, sondern feste Abgaben an Geld und sonstigen Leistungen entrichteten. Eigenthümlich, aber bei dem ewigen Kriegsstand in der Pro- vinz wohl erklärlich, war es, dass man ihnen nicht bloss Steuern auflegte, sondern auch die Stellung von Zuzug. Der hauptsächliche Gewinn, den die Römer aus dem Lande zogen, bestand in dem Ertrag der wichtigen Eisen- und der noch wichtigeren Silbergruben, deren Bewirthschaftung namentlich Marcus Cato regulirte (559) und deren Ruhm früh bis in den fernen Orient drang. 1 Makkab. 8, 3; ‚Und Judas hörte was die Römer gethan hatten im Lande Hispanien um Herren zu werden der Silber- und der Goldgruben daselbst‘. Das Binnenland, ungefähr den beiden Castilien entsprechend, das die Römer unter dem Namen Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmählich unter römische Botmässigkeit zu bringen, während man sich be- gnügte die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die Lusitanier im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfällen in das römische Gebiet abzuhalten und mit den Stämmen an der Nordküste, den Gallaekern, Asturern und Cantabrern noch gar nicht sich berührte. Die Röm. Gesch. I. 32 DRITTES BUCH. KAPITEL VII. Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war in- dess nicht durchzuführen ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des diesseitigen Spanien namentlich die Bändi- gung der Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurückweisung der Lusitanier jährlich zu schaffen machte. Es ward somit nöthig in Spanien ein römisches Heer von vier starken Legio- nen oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei es dennoch sehr häufig erforderlich war in den von Rom besetzten Landschaften den Landsturm aufzu- bieten und damit die Legionen zu verstärken. Es war dies in doppelter Weise von grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in grösserem Umfang, ein stehendes römi- sches Heer erscheint und hier zuerst auch der Dienst anfängt dauernd zu werden. Die alte römische Weise nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbedürf- niss sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht über ein Jahr bei der Fahne zu halten, erwies sich als schlechterdings unverträglich mit der Behauptung der unruhigen, fernen und überseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings unmöglich die Truppen von da wegzuziehen und sehr gefährlich sie auch nur in Masse abzulösen. Die römische Bürgerschaft fing an inne zu werden, dass die Herrschaft über ein fremdes Volk nicht bloss für den Knecht eine Plage ist, sondern auch für den Herrn, und murrte laut über den verhassten spanischen Kriegsdienst. Während die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten eine Ablösung der bestehenden Corps in Masse zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. — Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Römern geführt wurden, kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und währten, so lange der hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit Karthago (553) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen; jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 brach in beiden Provinzen eine allgemeine Insurrection aus; der Befehlshaber der jenseitigen ward hart gedrängt, der der diesseitigen völlig überwunden und selber erschlagen. Es ward nöthig den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tüchtige Prätor Quintus Minucius über die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 den Consul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. fand bei der Landung in Emporiae das ganze diesseitige Spanien von den Insurgenten überschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im innern Lande ein paar Burgen noch für Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem consularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die römi- sche Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag entschied, worauf das ganze diesseitige Spanien seine Unterwerfung ein- sandte. Indess wie wenig es mit derselben ernstlich gemeint war, zeigte die theilweise Schilderhebung, die auf das irrige Gerücht von der Heimkehr des Consuls nach Rom sofort wieder stattfand. Nachdem die Gemeinden, die zum zweiten- mal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sclaverei verkauft waren, ordnete Cato eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erliess an die sämmtlichen Städte der Eingebornen von den Pyrenäen bis zum Guadalquivir den Befehl ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen; welchem Gebot die wenigsten die Erfüllung zu verweigern wagten, da man nicht wusste, wie weit es sich erstrecke, und keine Zeit war sich zu verständigen. Von den wenigen widerspenstigen Gemeinden fügten demnächst sich die meisten, als das römische Heer vor ihren Mauern erschien, ohne den Sturm zu erwarten. — Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne bleibenden Erfolg. Allein nichts desto weniger hatte man fast jährlich in der ‚friedlichen Provinz‘ ein Gebirgsthal oder ein Bergcastell zum Gehorsam zu bringen und die stetigen Einfälle der Lusitanier in die jenseitige Provinz endigten ge- legentlich mit derben Niederlagen der Römer; wie zum Bei- spiel 563 ein römisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in Eilmärschen in die ruhigern Landschaften zurückkehren musste. Erst ein Sieg, den der Prätor Lucius Aemilius Paullus 565, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Prätor Gaius Calpurnius jen- seit des Tagus 569 über die Lusitanier erfocht, schaffte auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die nomi- nelle Herrschaft der Römer über die keltiberischen Völker- schaften ernstlicher festgestellt durch Quintus Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege über dieselben 573 wenigstens die nächstliegenden Cantone zur Unterwerfung zwang, und mehr noch durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575. 576), welcher seine Erfolge nicht bloss den Waffen verdankte, 32* DRITTES BUCH. KAPITEL VII. mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich unter- warf, sondern mehr noch seinem geschickten Eingehen auf die Weise der schlichten und stolzen Nation. Indem er an- gesehene Keltiberer bestimmte im römischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Clientel; indem er den schweifen- den Leuten Land anwies und sie in Städten zusammenzog — die spanische Stadt Gracchuris bewahrt des Römers Namen —, ward dem Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhältnisse der einzelnen Völkerschaften zu den Römern durch gerechte und weise Verträge regelte, verstopfte er so weit möglich die Quelle künftiger Empörungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch man ches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein. KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der zweite makedonische Krieg . Das Werk, welches König Alexander von Makedonien begonnen hatte ein Jahrhundert zuvor ehe die Römer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit Landes ge- wannen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens den Orient zu helle- nisiren, sich allmählich verändert und erweitert zu dem Auf- bau eines hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbe- zwingliche Wander- und Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und Kyrene, an den Nil und in das schwarze Meer geführt hatte, hielt jetzt fest, was der König gewonnen hatte, und überall in dem alten Reich der Achämeniden liess sich die griechische Civilisation friedlich nieder unter dem Schutz der Sarissen. Die Offiziere, die den grossen Feldherrn beerbten, glichen allmählich sich aus und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmässigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehö- ren, Makedonien, Asien und Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fünften, der seit 534 dort den Königsthron einnahm, äusserlich wenigstens im Ganzen was es gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondirter Militärstaat mit wohl geordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhältnisse sich wieder hergestellt, nachdem die Fluthen der gallischen Ueber- schwemmung sich verlaufen hatten; die Grenzwache hielt die DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. illyrischen Barbaren in gewöhnlichen Zeiten wenigstens ohne Mühe im Zaum. Im Süden war Griechenland nicht bloss überhaupt von Makedonien abhängig, sondern ein grosser Theil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn vom Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plätze, wie das Vorgebirg Sunion, Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet — alle diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu unterthä- nig und empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, ‚die drei Fesseln der Hellenen‘. Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevölkerung dieses weiten Gebiets war auffallend dünn; mit Anstrengung aller Kräfte vermochte Makedonien kaum so viel Mannschaft auf- zubringen als ein gewöhnliches consularisches Heer von zwei Legionen zählte und es ist unverkennbar, dass in dieser Hin- sicht sich das Land noch nicht von der durch die Züge Ale- xanders und die gallische Invasion hervorgebrachten Entvöl- kerung erholt hatte. Aber während im eigentlichen Griechen- land die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerrüttet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Mühe werth schien, selbst von den Besseren der eine über dem Becher, der andre mit dem Rappier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb; während im Orient und in Alexandrien die Griechen unter die dichte einheimische Bevölkerung wohl befruchtende Ele- mente aussäen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genügte um die Offiziere, die Staats- männer und die Schulmeister den Nationen zu liefern und viel zu gering war um einen Mittelstand reingriechischen Schlages auch nur in den Städten zu bilden, bestand dagegen im nördlichen Griechenland noch ein guter Theil jener alten kernigen Nationalität, aus der die Marathonkämpfer hervor- gegangen waren. Daher rührt die Zuversicht, mit der die Ma- kedonier, die Aetoler, die Akarnanen, überall wo sie im Osten auftreten, als eine bessere Race sich geben und genommen werden, und die überlegene Rolle, welche sie desswegen an den Höfen von Alexandria und Antiochia spielen. Die Erzäh- DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. lung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der längere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt heim- kehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Scla- ven achtet. Diese derbe Tüchtigkeit und der ungeschwächte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem mächtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zu Gute. Wohl ist auch hier der Absolutismus emporgekom- men gegen die alte gewissermassen ständische Verfassung; allein Herr und Unterthan stehen doch in Makedonien keines- wegs zu einander wie in Asien und Aegypten und das Volk fühlt sich noch selbstständig und frei. In festem Muth gegen den Landesfeind wie er auch heisse, in unerschütterlicher Treue gegen die Heimath und die angestammte Regierung, im muthigen Ausharren unter den schwersten Bedrängnissen steht keines unter allen Völkern der alten Geschichte dem römischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion gereicht den leitenden Männern wie dem Volke, das sie leiteten, zu unvergänglicher Ehre. — Der zweite von den Grossstaaten, Asien war nichts als das ober- flächlich regenerirte und hellenisirte Persien, das Reich des ‚Königs der Könige‘, wie es selbst bezeichnend für seine An- massung wie für seine Schwäche sich zu nennen pflegte, mit denselben Ansprüchen vom Hellespont bis zum Pendschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein Bündel von mehr oder minder abhängigen Dependenzstaaten, unbot- mässigen Satrapien und halbfreien griechischen Städten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich der Seleukiden gezählt ward, war thatsächlich die ganze Nordküste und der grössere Theil des östlichen Binnenlandes in den Händen ein- heimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Theil in Besitz der Könige von Pergamon, und die Inseln und Küstenstädte theils aegyptisch, theils frei, so dass dem Grosskönig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisirender Rechtstitel gegen freie Städte und Fürsten — ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen die Aegypter aus den Küstenlandschaften zu ver- drängen, in dem Grenzhader mit den östlichen Völkern, den DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansässig gewordenen Kelten, in den be- ständigen Bestrebungen den Emancipationsversuchen der öst- lichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und Prätendentenversuchen, an denen es zwar in keinem der Diadochenstaaten fehlt wie über- haupt an keinem der Gräuel, welche die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge führt, allein die in dem Staate Asien desshalb verderblicher waren als anderswo, weil bei der losen Zusammenfügung des Reiches sie hier zu der Trennung einzelner Landestheile auf kürzere oder längere Zeit zu führen pflegten. — Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und religiösen Herkommens ein vollkommen absolutes Cabinetsregiment be- gründet hatte, in welchem selbst das schlimmste Missregiment weder Emancipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufüh- ren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Roya- lismus der Makedonier, der auf ihrem Selbstgefühl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten das Land vollständig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; wesshalb hier mehr noch als in Makedonien und Asien die Schlaffheit und Trägheit der Herrscher den Staat lähmte, während umgekehrt in den Hän- den von Männern, wie der erste Ptolemaeos und Ptolemiaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich äusserst brauchbar er- wies. Zu den eigenthümlichen Vorzügen Aegyptens vor den beiden grossen Rivalen gehört es, dass die aegyptische Politik nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimath Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegründet hatte, hörten nicht auf sich als unmittelbare Fortsetzungen der ale- xandrischen Monarchie zu betrachten und erhoben lauter oder leiser den Anspruch dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Aegypten dagegen begnügte sich ein Handels- und Seestaat zu sein, der von der engen Heimath aus nicht die Erde zu beherrschen gedachte, wohl aber das östliche Mittelmeer und dessen Küsten und Inseln; es ist be- zeichnend, dass Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberun- gen freiwillig an Seleukos Kallinikos zurückgab bis auf die Hafenstadt von Antiochia. Theils hiedurch, theils durch die DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. günstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Con- tinentalmächten gegenüber in eine vortreffliche militärische Stellung zur Vertheidigung wie zum Angriff. Während der Gegner selbst nach glücklichen Erfolgen kaum im Stande war das ringsum für Landheere fast unzugängliche Aegypten ernst- lich zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Süd- und Westküste von Kleinasien, ja sogar in Eu- ropa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose Exploitirung des fruchtbaren Nilthals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und durch eine ebenso einsichtige als rücksichts- lose Finanzwirthschaft, welche die materiellen Interessen ernst- lich und geschickt förderte, war der alexandrinische Hof seinen Gegnern auch als Geldmacht beständig überlegen. Endlich die intelligente Munificenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster Forschung in allen Gebieten des Könnens und Wissens entgegenkamen, und diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nutzte nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Ma- schinenbau den Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspürten, sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, so weit sie sich überhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. Wäre Ale- xanders Reich stehen geblieben, so hätte die griechische Wis- senschaft und Kunst einen Staat gefunden, würdig und fähig sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Trümmer gefallen war, wucherte in ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschöpflich waren, die Könige Tragödien und die Minister dazu die Commentare schrieben und die Pensionen und Akademien florirten. — Das Verhält- niss der drei Grossstaaten zu einander ergiebt sich aus dem Gesagten. Die Seemacht, welche die Küsten beherrschte und das Meer monopolisirte, musste nach dem ersten grossen Er- folg den europäischen vom asiatischen Continent politisch zu trennen jetzt hinarbeiten auf die Schwächung der beiden Grossstaaten des Festlandes und also auf die Beschützung der sämmtlichen kleineren Staaten, während umgekehrt Makedo- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. nien und Asien zwar auch unter einander rivalisirten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenüber zusammenhielten oder doch zusammenhalten sollten. Unter den Staaten zweiten Ranges ist für die Berührun- gen des Ostens mit dem Westen zunächst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom südlichen Ende des kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das ganze nördliche Kleinasien erfüllt: Atropatene (im heutigen Ader- bidjan südwestlich vom kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im kleinasiatischen Binnenland, Pontos am süd- östlichen, Bithynien am südwestlichen Ufer des schwarzen Mee- res — sie alle Splitter des grossen Perserreichs und beherrscht von morgenländischen, meistens altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte Zufluchtstätte des alten Perserthums, an der selbst Alexanders Zug spurlos vorübergebraust war. — Von grösserer Wichtigkeit für die allgemeinen Verhältnisse ist der Keltenstamm, welcher in dem kleinasiatischen Binnenland westlich von Kappadokien sich ansässig gemacht hatte und dort in seiner heimischen Gauverfassung lebte, beschäftigt von hier aus seinen unkriege- rischen Nachbarn theils die Söldner zu jedem Krieg zu liefern, theils die umliegenden Landschaften zu plündern oder zu brandschatzen. Diese rohen, aber kräftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Grosskönige selbst, welche, nach- dem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden und König Antiochos I. Soter sogar selbst im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte, zuletzt selber zur Zins- zahlung sich verstanden. — Dem kühnen und glücklichen Auf- treten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Bürger von Pergamon Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Königstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen ver- erbte. Dieser neue Hof war im Kleinen was der alexandrini- sche im Grossen; auch hier war die Förderung der materiel- len Interessen, die Pflege von Kunst und Litteratur an der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nüch- terne Kabinetspolitik, deren wesentlicher Zweck war theils die Macht der beiden gefährlichen festländischen Nachbarn zu schwächen, theils einen selbstständigen Griechenstaat im west- lichen Kleinasien zu begründen. Der wohlgefüllte Schatz trug wesentlich zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. bei; sie schossen den syrischen Königen bedeutende Summen vor, deren Rückzahlung später unter den römischen Friedens- bedingungen eine Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die verbündeten Römer und Aetoler im letzten Krieg den Bundes- genossen Philipps, den Achaeern entrissen hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmässig zufiel, um 30 Talente (45000 Thlr.) an Attalos verkauft ward. Indess trotz des Glanzes des Hofes und trotz des Titels des Staatsoberhaupts behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom städtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewöhnlich mit den Freistädten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenz von Medici des Alterthums, blieb sein Lebelang ein reicher Bürgersmann und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause trotz des Königtitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab gegen die wüste Schandwirth- schaft der adlicheren Dynastien. — In dem europäischen Griechenland waren ausser den römischen Besitzungen an der Ostküste, von denen in der wichtigsten, Kerkyra ein römischer Beamter residirte, und den vollständig makedonischen Gebieten noch mehr oder minder im Stande eine eigene Politik zu verfolgen die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im nördlichen, die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. — Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknüpft, die Akarnanen namentlich, weil sie der von den Aetolern drohen- den Unterdrückung einzig durch makedonischen Schutz zu ent- gehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren Zustände waren sehr verschieden; wie es zum Theil aussah, dafür mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am ärgsten zuging, es Sitte geworden war jedes Vermögen, das nicht in gerader Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen und es für die Bewerber um die Staatsämter manches Jahrzehend die erste Wahlbe- dingung war, dass sie sich verpflichteten keinem Gläubi- ger, am wenigsten einem Ausländer, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. — Die Athener pflegten von Alexan- dreia aus gegen Makedonien unterstützt zu werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indess waren völlig machtlos und nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese unwürdigen Nachfolger einer herrlichen Vor- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. zeit unter einer Reihe von Kleinstädten gleichen Schlages hervor. — Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eid- genossenschaft; das kräftige Nordgriechenthum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wüste Zucht- und Regimentlosigkeit — es war Staatsgrundsatz, dass der aetoli- sche Mann gegen jeden, selbst gegen einen mit den Aetolern verbündeten Staat als Reisläufer dienen könne, und auf die dringenden Bitten der übrigen Griechen dies Unwesen abzu- stellen, erklärte die Tagsatzung, eher könne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Land- recht. Die Aetoler hätten dem griechischen Volke von gro- ssem Nutzen sein können, wenn sie nicht durch diese orga- nisirte Räuberwirthschaft, durch ihre gründliche Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen den makedonischen Grossstaat ihrer Nation noch viel mehr geschadet hätten. — Im Peloponnes hatte der achaeische Bund die besten Elemente des eigentlichen Grie- chenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, National- sinn und friedliche Schlagfertigkeit gegründeten Eidgenossen- schaft. Indess die Blüthe und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der äusserlichen Erweiterung geknickt worden durch Aratos diplomatischen Egoismus, welcher den achaeischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so vollständig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jähr- lich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwächeren Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta wurden durch ihre alte namentlich durch Grenzstreitigkeiten genährte Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und antimakedo- nisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkönigthum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er stützte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Söldner, denen er nicht bloss die Häuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der Bürger überwies, und unterhielt ämsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Association zum See- raub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Söldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ort- DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. schaften besass. Seine Raubzüge zu Lande wie seine Piraten- schiffe am Vorgebirg Malea waren weit und breit gefürchtet, er selbst als niedrig und grausam verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus und um die Zeit der Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen sich in den Besitz von Messene zu setzen. — Endlich die unabhängigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstädte an dem europäischen Ufer der Propontis so wie auf der ganzen kleinasiatischen Küste und auf den Inseln des aegaeischen Meeres; sie sind zugleich die lichteste Seite in dieser trüben Mannichfaltigkeit des hellenistischen Staatensystems. Es sind vor allem drei Städte, die seit Alexanders Tode wieder volle Freiheit genos- sen und durch ihren thätigen Seehandel auch zu einer acht- baren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landge- biet gelangten: Byzantion, die Herrin des Bosporos und des wichtigen Kornhandels nach dem schwarzen Meer so wie der Sundzölle; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochter- stadt und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren durch ihre glückliche Lage für Handel und Schifffahrt Vermittler des Verkehrs in dem ganzen östlichen Mittelmeer geworden und die tüchtige Flotte wie der in der berühmten Belagerung von 450 bewährte Muth der Bürger setzten sie in den Stand in jener Zeit ewiger Feh- den aller gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen zwangen den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporus zu gestatten und ebensowenig die pergamenischen Dynasten das schwarze Meer sperren liessen. Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen wo möglich fern, obwohl sie an der gegenüberliegenden kari- schen Küste nicht unbeträchtliche Besitzungen erworben hatten, und führten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Söld- nern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten standen sie in freund- schaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung bei den Höfen, so dass nicht selten in den Kriegen der Gross- staaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich der griechischen Seestädte an, die im pontischen, im bithynischen und pergamenischen Reich oder auf den von Aegypten den Seleukiden entrissenen kleinasiati- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. schen Küsten und Inseln bestanden, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und unzählige andere. Alle diese waren im Wesentlichen frei und hatten mit ihren Grund- herren nichts zu schaffen als die Bestätigung ihrer Privilegien zu erbitten und höchstens einen mässigen Zins zu entrichten; gegen etwanige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsächlich hülfreich hiebei waren die Rhodier, welche zum Beispiel Si- nope gegen Mithradates von Pontos nachdrücklich unterstütz- ten. Wie fest die Freiheiten dieser kleinasiatischen Städte sich unter dem Hader und eben durch die Zwiste der Mo- narchen gegründet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre nachher zwischen Antiochos und den Römern nicht über die Freiheit der Städte selbst gestritten ward, sondern darüber, ob sie die Bestätigung ihrer Freibriefe vom König nachzusuchen hätten oder nicht. Dieser Städtebund war eine förmliche Hansa, eben auch in dieser eigenthümlichen Stel- lung zu den Landesherren, sein Haupt Rhodos, das in Ver- trägen für sich und seine Bundesgenossen verhandelte und stipulirte. Hier ward die städtische Freiheit gegen die mo- narchischen Interessen vertreten und während um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb hier in verhältnissmässiger Ruhe Bürgersinn und bürgerlicher Wohlstand heimisch und Kunst und Wissenschaft gediehen hier, ohne durch wüste Soldatenwirthschaft zertreten oder von der Hofluft corrumpirt zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Occident fiel, und die östlichen Mächte, zunächst Philippos von Makedonien veranlasst wurden in die Verhältnisse des Westens einzugrei- fen. Wie es geschah und wie der erste makedonische Krieg (540-548) verlief, ist zum Theil schon erzählt worden. Es ist angedeutet worden, was Philippos im hannibalischen Kriege hätte thun können und wie wenig von dem geschah, was Han- nibal erwartet und berechnet hatte; es hatte wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Würfelspielen keines verderb- licher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indess war er keine unbedeutende Natur. Er war ein rechter König, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das leb- hafte Gefühl selbst und allein zu herrschen war der Grund- DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. zug seines Wesens; er war stolz nicht bloss auf seinen Purpur, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der öffentlichen Angelegen- heiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefühl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, und eben vor allem die fähigsten und gebildetsten Männer, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter Ge- sell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang gefährlich. Allein zugleich war er eine der übermüthig- sten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er Niemand fürchte als die Götter; aber es schien fast, als seien diese Götter dieselben, denen sein Flottenführer Dikaearchos regelmässige Opfer darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben seiner Rathgeber und der Begünstiger seiner Pläne war ihm heilig noch verschmähte er es seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch Zerstörung ehrwürdiger Denkmäler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angeführt, dass wer den Vater ermorden lasse, auch die Söhne tödten müsse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die Grausam- keit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm gleichgültig und die Inconsequenz, die den Menschen allein erträglich macht, fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, dass kein Versprechen und kein Moralgebot für den absoluten König bindend sei, so schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plänen die wesentlichsten Hindernisse in den Weg ge- legt hat. Einsicht und Entschlossenheit kann Niemand ihm absprechen, aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Theil dadurch sich erklärt, dass er schon im achtzehnten Jahr zum absolu- ten Herrscher berufen ward und dass sein unbändiges Wüthen gegen jeden, der durch Widerreden und Widerrathen ihn in seinem Selbstregieren störte, alle selbstständigen Rathgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag um die schwache und schmähliche Führung des ersten makedonischen Krieges hervorzurufen, lässt sich nicht sagen — vielleicht jene Lässigkeit der Hoffart, die erst gegen die nahe gerückte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst Gleichgültigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. Plan und Eifersucht auf Hannibals ihn beschämende Grösse. Gewiss ist, dass sein späteres Benehmen nicht den Philippos wieder erkennen lässt, an dessen Saumseligkeit Hannibals Plan scheitert. Philippos schloss den Vertrag mit den Römern und den Aetolern 548/9 in der ernsten Absicht mit Rom einen dauern- den Frieden zu machen und sich künftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwältigung ungern sah und es kann sein, dass Hannibal auf eine zweite makedoni- sche Kriegserklärung hoffte und dass Philippos im Stillen das letzte karthagische Heer mit Söldnern verstärkte; allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess, als auch die Art der Unterstützung und beson- ders das völlige Stillschweigen der Römer über diesen Frie- densbruch, da sie doch nach Kriegsgründen suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos keineswegs im Jahre 551 nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor hätte thun sollen. — Er hatte sein Auge nach einer ganz andern Seite gewen- det. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 550 gestorben. Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fünfjähri- ges Kind, hatten die Könige von Makedonien und Asien Phi- lippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll der Continentalmonarchien gegen den Seestaat gründlich zu sät- tigen. Der ägyptische Staat sollte aufgelöst werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Die Könige hatten zwar nicht bloss keinen Kriegsgrund, sondern nicht einmal einen Kriegsvorwand; recht in Philippos Art, der über solche Rücksichten lachte, begann man nichts desto weniger den Krieg, ‚eben wie die grossen Fische die kleinen auffressen.‘ — In einer Hinsicht hatte Philippos richtig gerechnet. Aegypten hatte genug zu thun sich des näheren Feindes in Syrien zu erwehren und musste die kleinasiatischen Besitzungen und die Kykladen unvertheidigt preisgeben, als Philippos auf diese als auf seinen Antheil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom den Frieden ab- schloss (553), liess Philippos von den ihm unterthänigen Städ- ten eine Flotte ausrüsten, die Truppen an Bord nahm und an der thrakischen Küste hinaufsegelte. Hier ward Lysi- macheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Clientelverhältniss stand, gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Aetolern, die so eben mit Philippos Friede gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestört. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da König Prusias von Bithy- nien mit Philippos im Bunde war; zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstädte in seinem Gebiet bezwingen. Chalkedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde er- stürmt und dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sclaven gemacht — eine zwecklose Barbarei, über die Prusias selbst, der die Stadt unbeschädigt zu besitzen wünschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg in Kios commandirt hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem König schnöde und arglistig vereitelt worden waren. Aber wäre auch dies nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstädte auf dem Spiel. Unmöglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle ägyptische Herrschaft verdrängt ward durch das makedonische Zwingherrenthum, mit dem die städ- tische Freiheit und der ungefesselte Handelsverkehr sich nim- mermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es hier nicht galt um das Bestätigungsrecht der städtischen Freibriefe, sondern um Tod und Leben für einen und für alle. Schon war Lampsakos gefallen und Thasos be- handelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos Theophiliskos ermahnte seine Bürger die gemeinsame Gefahr durch gemeinsame Gegenwehr abzuwenden und nicht geschehen zu lassen, dass die Städte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute würden. Rhodos entschloss sich und erklärte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der hochbejahrte König Attalos von Pergamon, Phi- lippos politischer und persönlicher Feind. Während die Flotte der Verbündeten sich an der aeolischen Küste sammelte, liess Philippos durch einen Theil der seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem andern erschien er selbst vor Pergamon, das er indess vergeblich berannte. Er musste sich begnügen das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit zerstörten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zu- rückzulassen. Plötzlich brach er von Pergamon auf und schiffte sich ein, um sich mit dem Geschwader, das bei Sa- mos stand, wieder zu vereinigen. Allein die rhodisch-perga- menische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deck- Röm. Gesch. I. 33 DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. schiffe war geringer, allein die Menge ihrer offenen Kähne glich dies wieder aus und Philippos Epibaten fochten mit grossem Muthe; doch unterlag er endlich und fast die Hälfte seiner Deckschiffe, vier und zwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000 Matrosen, 3000 makedonische Epibaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel. Aber von den Führern der Verbündeten war Attalos von seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden sein Admiralschiff bei Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, des- sen Bürgermuth den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, während Attalos Flotte in die Heimath ging und die rhodische vorläufig bei Chios blieb, Philippos, der fälschlich sich den Sieg zuschrieb, seinen Zug weiter fort- setzen, und sich nach Samos wenden, um die karischen Städte zu besetzen. An der karischen Küste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstützt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Theile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedo- niern gewonnen zu sein, denn während die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurückwichen, besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Städte; wenn er Ptolemaeos selbst hätte angreifen wollen und es nicht vorgezogen hätte sich auf die Gewinnung seines Beuteantheils zu beschränken, er hätte jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten denken können. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenüber und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; aber in der Landschaft, wo jede Stadt eine Festung war, entspann sich ein Belagerungskrieg, der sich in die Länge zog ohne erhebliche Resultate zu geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien Zeuxis unterstützte den Bundesgenos- sen seines Herrn eben so lau wie Philippos sich bewies in der Förderung der Interessen des syrischen Königs und die griechischen Städte gaben Unterstützung nur aus Zwang oder Furcht. Die Verproviantirung des Heeres ward immer schwie- riger; Philippos musste heute den plündern, der ihm gestern DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmählich die gute Jahres- zeit zu Ende und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstärkt und auch die des Attalos wieder an sich ge- zogen, so dass sie zur See entschieden überlegen waren. Es schien fast, als könnten sie dem König den Rückzug abschnei- den und ihn zwingen Winterquartier in Karien zu nehmen, während doch die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler und der Römer, seine Rückkehr dringend erheischten. Indess Philippos entschloss sich; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, theils in Myrina, um Pergamon in Schach zu halten, theils in den kleinen Städten um Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pe- dasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern, und bei der Nachlässigkeit, mit wel- cher die Bundesgenossen das Meer bewachten, gelang es ihm glücklich mit der Flotte die thrakische Küste zu erreichen und noch vor dem Winter 553 zu Hause zu sein. In der That zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht länger gestattete die Plünderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die Römer, die in dem- selben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre Bedin- gungen abgeschlossen hatten, fingen an sich ernstlich um diese Verwicklungen im Osten zu bekümmern. Es ist oft gesagt wor- den, dass sie nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien den Osten sich zu unterwerfen; eine ernstlichere Erwägung wird zu einem gerechteren Urtheil führen. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft über die Mittelmeer- staaten griff, sondern nichts weiter begehrte als in Africa und in Griechenland ungefährliche Nachbaren zu haben. Ma- kedoniens Macht war allerdings nicht gering und es ist augen- scheinlich, dass der römische Senat den Frieden von 548/9, der sie ganz in ihrer Integrität beliess, nur ungern gewährte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte, beweist am besten die geringe und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genöthigte Truppenzahl, mit welcher Rom den nächsten Krieg geführt hat. Ueberhaupt ist es keineswegs ausgemacht, dass der römische Senat den durchaus freiwillig von ihm zugestandenen Frieden in der bestimmten Absicht schloss den Krieg bei gelegener Zeit wie- der zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei 33* DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. der gründlichen Erschöpfung des Staats und der äussersten Unlust der Bürgerschaft auf einen zweiten überseeischen Krieg sich einzulassen der makedonische Krieg den Römern in hohem Grade unbequem kam. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre 548 war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein unmöglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Theil des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die neutralen Handelsstaaten erdrückte, und da- mit seine Macht verdoppelte. Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demüthigung, vielleicht die Ueberwältigung von Rhodos auch dem sicilischen und italischen Handel tiefe Wun- den geschlagen haben würden; und konnte man überhaupt ru- hig zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen Continentalmächten abhängig ward? Gegen Atta- los, den treuen Bundesgenossen aus dem ersten makedonischen Krieg, hatte Rom die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms den schützenden Arm über alle Hellenen auszustrecken keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner, Rhe- giner, Massalioten und Emporienser konnten bezeugen, dass dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit die Römer den Griechen näher stan- den als jede andere Nation und wenig ferner als die helleni- sirten Makedonier. Es ist seltsam den Römern das Recht zu bestreiten über die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empört zu fühlen. So vereinigten sich in der That alle politischen, commerciellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos, einem der gerechtesten, die die Stadt je geführt hat, zu bestimmen. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich ent- schloss und sich weder durch die Erschöpfung des Staates abhalten liess noch durch die Impopularität einer solchen Kriegserklärung. Schon 553 erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sicilischen Flotte von 38 Segeln in der östlichen See, noch ehe der Krieg erklärt war; man fing an auf den Krieg sich ernstlich zu bereiten. Indess war man in Verlegenheit einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen man dem Volk gegenüber nothwendig bedurfte, auch wenn nicht die Senatoren überhaupt viel zu einsichtige Po- litiker gewesen wären um den nominellen Kriegsgrund in DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Philippos Art gering zu schätzen. Die Unterstützung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewährt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die römischen Unterthanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit längerer Zeit über die makedonischen Ueber- griffe. Schon 551 hatte ein römischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos Schaaren aus dem illy- rischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat hatte dess- wegen den Gesandten des Königs 552 erklärt, wenn er Krieg suche, werde er ihn früher finden als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts als die gewöhnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn übte; eine Verhandlung darüber hätte im gegenwärtigen Augenblick zur Demüthigung und Sühnung, aber nicht zum Kriege geführt. Mit den sämmtlichen kriegführenden Mächten im Osten stand die römische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und hätte ihnen Beistand gegen den Angriff gewähren können. Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicher Weise nicht säumten die römische Hülfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn auch alexandrinische Gesandte den römischen Senat ersuchten die Vormundschaft über das königliche Kind zu führen, scheint doch keineswegs sich beeilt zu haben durch Anrufung römischer Intervention zwar die au- genblickliche Bedrängniss zu beendigen, aber zugleich der gro- ssen westlichen Seemacht das Ostmeer zu öffnen. Vor allen Din- gen aber hätte die Hülfe für Aegypten zunächst in Syrien geleistet werden müssen und würde Rom in einen Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natürlich um so mehr zu vermeiden wünschte als man fest entschlossen war sich nicht in die asiatischen Angelegen- heiten zu mischen. Es blieb nichts übrig als vorläufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um theils von Aegypten zu erlangen, was den Umständen nach nicht schwer war, dass es die Einmischung der Römer in die östlichen Angelegenheiten geschehen liess, theils den König Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, theils endlich den Bruch mit Philippos möglichst zu beschleunigen und die Coalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu fördern (Ende 553). In Alexandria und Antiochia erreichte man ohne Mühe, was man wünschte. Der alexan- drinische Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den der Senat abge- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. sandt hatte um als ‚Vormund des Königs‘ wenigstens diplo- matischen Schutz zu gewähren. Antiochos, sei es aus Schlaff- heit, sei es bestimmt durch die Erklärung der Römer in Syrien nicht interveniren zu wollen, verfolgte seine Pläne in Syrien und liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen; ob er dessfalls bestimmte Erklärungen den Römern gab, ist nicht gewiss, aber wenig wahrscheinlich. Darüber war das Frühjahr 554 herangekommen und der Krieg hatte wie- der begonnen. Philippos warf sich zunächst wieder auf Thra- kien, wo er die sämmtlichen Küstenplätze, namentlich Maro- neia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte; er wollte seine europäi- schen Besitzungen vor einer römischen Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Küste Abydos an, an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht mehr zu fürchten brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese behauptete das aegaeische Meer, nachdem das schwächere makedonische Geschwader sich zurückgezogen hatte; Philippos beschränkte zur See sich darauf auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros Besatzungen zu lassen und Kaperschiffe auszurüsten. Die Rhodier gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter über bei Aegina gestanden und mit den Declamationen der Athener sich die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. Es wäre wohl möglich gewesen den Abydenern, die sich heldenmüthig ver- theidigten, zu Hülfe zu kommen, allein die Verbündeten rühr- ten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle Waffenfähige im Kampf vor den Mauern und ein grosser Theil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren — die Gnade des Siegers bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist gegeben wurden um freiwillig zu sterben. Hier im Lager vor Abydos traf die römische Ge- sandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschäfte in Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bear- beitet hatte, mit dem König zusammen und konnte ihrer vom Senat erhaltenen Aufträge sich entledigen: der König solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg führen, Ptolemaeos die entrissenen Besitzungen zurückgeben und we- gen der den Pergamenern und Rhodiern zugefügten Schädi- gung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Senats den König zur Kriegserklärung zu reizen ward nicht erreicht; der römische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom König nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schö- nen römischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte zu Gute halten wolle. — Indess war mittlerweile die gewünschte Veranlassung zur Kriegserklärung von einer an- dern Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer alber- nen und grausamen Eitelkeit zwei unglückliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich zufällig in ihre Myste- rien verirrt hatten. Als die Akarnanen in gerechter Erbitte- rung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugthuung ver- schaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen in Make- donien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren ei- genen Leuten ohne förmliche Kriegserklärung in Attika ein- zufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es liess auch der Führer der makedonischen Schaar Nikanor auf die drohenden Worte der gerade in Athen an- wesenden römischen Gesandten sofort seine Truppen den Rückmarsch antreten (Ende 553). Aber es war zu spät. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um über den An- griff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu be- richten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich was ihm bevorstand; wesshalb er zunächst gleich im Frühling 554 seinen Oberbefehlshaber in Griechen- land Philokles anwies das attische Gebiet zu verwüsten und die Stadt möglichst zu bedrängen. — Der Senat hatte jetzt was er bedurfte und konnte im Frühjahr 554 die Kriegs- erklärung ‚wegen Angriffs auf einen mit Rom verbündeten Staat‘ vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erste Mal fast einstimmig verworfen: thörichte oder tücki- sche Volkstribunen querulirten über den Rath, der den Bür- gern keine Ruhe gönnen wolle; aber der Krieg war einmal nothwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der Senat unmöglich von seinem Plan zurücktreten konnte. Die Bürgerschaft ward durch Vorstellungen und Concessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswerth, dass diese Concessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen er- folgten. Aus ihren im activen Dienst befindlichen Contingenten wurden — ganz entgegen den sonstigen römischen Maximen — die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sicilien und Sardi- nien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen. Die DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. sämmtlichen vom hannibalischen Krieg her unter Waffen stehen- den Bürgertruppen wurden entlassen; nur Freiwillige sollten da- raus zum makedonischen Krieg aufgeboten werden dürfen, wel- ches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene Freiwillige waren — es rief diess später im Herbst 555 einen bedenklichen Militäraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, ge- führt von dem Consul Publius Sulpicius Galba. — So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass für die weit- läuftigen und schwierigen Verhältnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, die souverainen Bürgerschaftsver- sammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhängi- gen Beschlüssen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefähr- lichen Modificationen der militärisch nothwendigen Massregeln und zu noch gefährlicherer Zurücksetzung der latinischen Bun- desgenossen führte. Philippos Lage war sehr übel. Die östlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms hätten zusammenstehen müssen und unter andern Umständen auch vielleicht zusam- mengestanden haben würden, waren hauptsächlich durch Phi- lippos Schuld so unter einander verhetzt, dass sie die römi- sche Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu fördern geneigt waren. Asien, Philipps natürlicher und wichtigster Bundesgenosse, war durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg vorläufig an thätigem Eingreifen gehin- dert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse daran, dass die römische Flotte dem Ostmeer fern blieb; es ist bezeichnend, dass selbst jetzt noch eine ägyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen gab, wie bereit der alexandrinische Hof sei den Römern die Mühe abzunehmen in Attika zu interveniren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Theilungsvertrag über Aegypten warf diesen wichtigen Staat ge- radezu den Römern in die Arme und erzwang die Erklärung des Kabinets von Alexandria, dass es in die Angelegenheiten des europäischen Griechenlands sich nur mit Einwilligung der Römer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedrängter ge- stellt waren die griechischen Handelsstädte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, Byzanz; sie hätten unter andern Umstän- den ohne Zweifel das Ihrige gethan um den Römern das Ost- DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. meer zu sperren, aber Philippos grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie gezwungen zu einem ungleichen Kampf, in den die italische Grossmacht zu verwickeln sie alles anwandten. Im eigentlichen Griechenland fanden die rö- mischen Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei, den Spar- tanern, Eleern, Athenern und Aetolern hätte Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aus- geheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen thessalischen Städte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des phthiotischen Thebae bestanden, hatte die Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios neue Erbitterung gegen Philippos bei den Aetolern hervorgerufen. Wenn sie zauderten sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsächlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Römern. — Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das makedonische Interesse geknüpf- ten griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Boeotern und Achaeern nur die Akarnanen und Boeoter unerschüttert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die rö- mischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der König der Athamanen Amynander schloss an Rom sich fest an. Sogar von den Achaeern hatte Philippos durch die Er- mordung des Aratos theils viele verletzt, theils überhaupt einer freieren Entwicklung der Eidgenossenschaft wieder Raum ge- geben; sie hatte unter Philopoemens (Strateg seit 546) Lei- tung ihr Heerwesen regenerirt, in glücklichen Kämpfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden und folgte nicht mehr wie zu Aratos Zeit blind der makedonischen Po- litik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische Eidgenossen- schaft, die Philippos Vergrösserungssucht weder zu fördern noch zunächst zu fürchten hatte, diesen Krieg vom unparteii- schen und nationalhellenischen Gesichtspunkte aus an; und begriff, was zu begreifen nicht schwer war, dass die helleni- sche Nation damit den Römern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es begehrten und wünschten. Die Achaeer ver- suchten zwischen Philippos und den Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spät. Der nationale Patriotismus, der einst DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. den Bundesgenossenkrieg beendigt und zu dem ersten Krieg zwischen Makedonien und Rom wesentlich beigetragen hatte, war erloschen; die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg und vergeblich bereiste Philippos die Städte und Inseln um die Nation wieder zu entflammen — es war das die Nemesis für Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht ändern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des Jahres 554 landete der Consul Publius Sulpicius Galba mit seinen beiden Legionen und 1000 numi- dischen Reitern, ja sogar mit Elephanten, die aus der kartha- gischen Beute herrührten, bei Apollonia; auf welche Nachricht der König eilig vom Hellespont nach Thessalien zurückkehrte. Indess theils die schon weit vorgerückte Jahreszeit, theils die Erkrankung des römischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts weiter vorgenommen ward als eine starke Recognoscirung, bei der die nächstliegenden Ortschaf- ten, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia von den Römern besetzt wurden. Mit den nördlichen Barbaren, na- mentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra und dem Dardanerfürsten Bato, die selbstverständlich eilten die gute Gelegenheit zu nutzen, ward für das nächste Jahr ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet. — Wichtiger waren die Unternehmungen der römischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zählte. Während die übrigen Schiffe bei Kerkyra für den Winter Station nahmen, ging eine Abtheilung unter Gaius Claudius Cento nach dem Peiraeeus, um den bedrängten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento die Landschaft gegen die Streifereien der korinthi- schen Besatzung und die makedonischen Corsaren schon hin- reichend gedeckt fand, segelte er weiter und erschien plötz- lich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philippos in Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorräthe und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Commandant So- pater nichts weniger als einen römischen Angriff erwartete. Die unvertheidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung nie- dergemacht, die Gefangenen befreit und die Vorräthe ver- brannt; leider fehlte es an Truppen um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem Ueberfall brach Phi- lippos in ungestümer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die Brandstätte, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. misslang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der König sein Leben preisgab; da Gaius Claudius vom Peiraeeus, Attalos von Aegina nahten, musste der Versuch aufgegeben werden. Phi- lippos verweilte indess noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militärisch waren seine Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achaeer für sich in Waffen zu brin- gen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus so wie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts übrig als seine begreifliche Erbitterung in unwürdiger Weise durch Verwüstung der Landschaft und Zer- störung der Bäume des Akademos zu befriedigen und nach dem Norden zurückzukehren. So verging der Winter. Mit dem Frühjahr 555 brach der Proconsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen seine Legionen von Apol- lonia auf der kürzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu führen. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstützen: in nördlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in östlicher ein Angriff der combi- nirten Flotte der Römer und der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Süden her sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang sie zur Theilnahme am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, die der Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, über- schritten hatte und in die fruchtbare dassaretische Ebene hin- abgestiegen war, gelangte er an die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese übersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegen- gegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevölker- ten Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwest- lichen Landesgrenze auf einander trafen und auf 200 Schritt von einander lagerten. Philippos Heer zählte, nachdem er das zur Besetzung der nördlichen Pässe detachirte Corps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter; das römische war ungefähr ebenso stark. Indess die Makedonier hatten den grossen Vortheil, dass sie, in der Heimath fechtend und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Mühe den Pro- viant zugeführt erhielten, während sie sich so dicht an die Rö- mer gelagert hatten, dass diese es nicht wagen konnten zu aus- gedehnter Fouragirung sich zu zerstreuen. Galba bot die Schlacht wiederholt an, allein der König versagte sie beharrlich und DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. die Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Römer darin einige Vortheile erfochten, änderten in der Haupt- sache nichts. Galba war genöthigt sein Lager abzubrechen und 8000 Schritte weiter bei Oktolophos ein anderes aufzu- schlagen, von wo er leichter sich verproviantiren zu können meinte. Aber auch hier wurden die ausgeschickten Abthei- lungen von den leichten Truppen und der Reiterei der Make- donier vernichtet; die Legionen mussten zu Hülfe kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zu- rück, wobei der König selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefährlichen Lage rettete die Römer der Erfolg, den die von Galba veranlassten Nebenangriffe der Bundesgenossen hatte, oder vielmehr die Schwäche der ma- kedonischen Streitmacht. Obwohl Philippos in seinem Gebiet möglichst starke Aushebungen vorgenommen und römische Ueberläufer und andere Söldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht ausser den Besatzungen in Klein- asien und Thrakien mehr als das Heer, womit er selbst dem Consul gegenüberstand, auf die Beine zu bringen und über- diess noch um dasselbe zu bilden, die Nordpässe in der pe- lagonischen Landschaft entblössen müssen. Für die Deckung der Ostküste verliess er sich theils auf die von ihm angeord- nete Verwüstung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine Station hätten bieten können, theils auf die Besetzung von Thasos und der Küste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte. Für die Südgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutra- lität der Aetoler rechnen müssen. Jetzt traten diese plötzlich dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien ein, während zugleich die Dardaner und Illyrier die nördlichen Landschaften über- schwemmten und die römische Flotte unter Lucius Apustius von Kerkyra aufbrechend in den östlichen Gewässern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten. — Philippos gab hienach freiwillig seine Stellung auf und wich in östlicher Richtung zurück; ob es geschah um den wahrscheinlich unvermutheten Einfall der Aetoler zu- rückzuschlagen oder um das römische Heer sich nach und ins Verderben zu ziehen oder um je nach den Umständen eines oder das andere zu thun, ist nicht wohl zu entscheiden. DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Er bewerkstelligte seinen Rückzug so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste ihm zu folgen, seine Spur verlor und Philippos den Engpass, der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen erreichen und besetzen konnte, an welchem die Römer zu erwarten und ihnen die Schlacht zu liefern er entschlossen war. So weit gelang sein Plan. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich als unbrauchbar auf dem waldigen und unglei- chen Terrain; die Makedonier wurden theils umgangen, theils durchbrochen und verloren viele Leute. Indess wenn auch Philippos Heer nach diesem unglücklichen Treffen nicht länger im Stande war den Römern das weitere Vordringen zu weh- ren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land weiter unbekannten Gefahren entgegen zu ziehen und kehrten zurück nach Apollonia, nachdem sie die frucht- baren Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, Elymaea, Orestis verwüstet und die bedeutendste Stadt von Orestis Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See) sich ihnen ergeben hatte — es war die einzige makedonische Stadt, die den Römern ihre Thore öffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier Pelion, an den obern Zuflüssen des Apsos, erstürmt und stark besetzt, um auf einem ähnlichen Zug künftig als Basis zu dienen. — Philippos störte die römi- sche Hauptarmee auf ihrem Rückzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmärschen gegen die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen den König beschäftig- ten, das reiche Thal des Peneios furcht- und rücksichtslos plünderten, schlug sie vollständig und nöthigte was nicht fiel sich einzeln auf den ihnen wohlbekannten Bergpfaden zu retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die in Aetolien für aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der Eidgenossenschaft un- gemein zusammen. Die Dardaner wurden von dem Führer der leichten Truppen Philipps Athenagoras ohne Mühe und mit starkem Verlust über die Berge zurückgejagt. Die römi- sche Flotte richtete auch nicht viel aus; sie verjagte die ma- kedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halb- insel, die aber bei Mende die makedonische Besatzung kräftig zurückwies. Der Rest des Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die entschlossene Ver- theidigung der makedonischen Besatzung lange verzögert ward. DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand un- thätig bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Frühzeitig gingen diese in die Winter- quartiere, die Römer nach dem Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimath. — Der römische Feldzugsplan war vollständig gescheitert; die Truppen standen nach einem äusserst beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Frühling aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler und die glücklich gewonnene Schlacht am Pass von Eordaea hätte von der ge- sammten Macht vielleicht kein Mann das römische Gebiet wieder gesehen. Die vierfache Offensive hatte überall ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen freilich vergeblichen Versuch machen die an der aeto- lisch-thessalischen Grenze gelegene und die Peneios-Ebene be- herrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Beistand Philippos vergeblich zu den Göttern flehte, sich im nächsten Feldzug mit ihm ver- einigte, so durfte er grosse Erfolge erwarten. Es schien in der That, als schicke Antiochos sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des Königs Attalos, der von den Römern militärischen Schutz er- bat. Diese indess beeilten sich nicht den Grosskönig jetzt zum Bruch zu drängen; sie schickten Gesandte, die in der That es erreichten, dass Attalos Gebiet geräumt ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen. Indess der glückliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Muth oder Uebermuth so gehoben, dass, nachdem er der Neutralität der Achaeer und der Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plätze und des verabscheuten Admirals Herakleides aufs Neue versichert hatte, im nächsten Frühling 556 er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische Landschaft einrückte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohl verschanztes La- ger zu beziehen. Ihm gegenüber lagerte das durch neue Truppensendungen verstärkte römische Heer, dessen Oberbefehl Publius Villius führte, bis im Sommer 556 der neue Consul Titus Quinctius Flamininus denselben übernahm. Flamininus war ein junger Mann von dreissig Jahren, ein geschickter Offizier und besserer Diplomat und in vieler Hinsicht wohl geeignet DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. für die Behandlung der schwierigen griechischen Verhältnisse. Einer aus der jüngeren Generation, die dem hellenischen We- sen sich zuneigten, hatte er mit dem altväterischen Wesen auch den altväterischen Patriotismus von sich abgethan und dachte zwar auch an das Vaterland, aber mehr noch an sich und seine hellenischen Sympathien. Wohl wäre es für Rom wie für Grie- chenland besser gewesen, wenn ein Mann dahin gesandt worden wäre, den weder feine Schmeichelei bestochen noch beissende Spottrede verletzt hätte, der die Erbärmlichkeit der hellenischen Staatsverfassungen nicht über litterarischen und künstlerischen Reminiscenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behan- delt, den Römern aber es erspart hätte unausführbaren Idea- len nachzustreben. — Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem König sogleich eine Zusammenkunft, während die beiden Heere unthätig sich gegenüber standen. Philippos machte Frie- densvorschläge; er erbot sich alle eigenen Eroberungen zu- rückzugeben und über den den griechischen Städten zugefügten Schaden sich einem billigen Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren die altmakedonischen Besitzungen, namentlich Thessalien aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. So standen schon vierzig Tage die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass Philippos wich oder Flamininus sich ent- schliessen konnte entweder den Sturm anzuordnen oder den König stehen zu lassen und die vorjährige Expedition wieder zu versuchen. Da half dem römischen General die Verräthe- rei einiger Vornehmen unter den sonst gut makedonisch ge- sinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegen- heit. Sie führten auf Bergpfaden ein römisches Corps von 4000 Mann zu Fuss und 300 Reitern auf die Höhen oberhalb des makedonischen Lagers und wie der Consul alsdann das feindliche Heer von vorn angriff, entschied der Angriff der unvermuthet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden römischen Abtheilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurück bis an den Pass Tempe, die Pforte des eigentlichen Makedo- niens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Städte, die er nicht vertheidigen konnte, zerstörte er selbst — nur Pherae schloss ihm die Thore und entging dadurch dem gleichen Schicksal. In Folge dieses Sieges traten zunächst die Epeiroten vom makedonischen Bündniss ab, was Flamininus geschickte Milde wesentlich be- schleunigte. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. Siege der Römer sogleich die Athamanen und Aetoler einge- brochen und die Römer folgten bald; das platte Land war leicht überschwemmt, allein die festen Städte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstützung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem überlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland in den Händen der Coalition. — Dagegen war der Süden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der makedonisch gesinnten Boeotier mit einander die Verbindung unterhielten, und durch die achaeische Neutralität noch immer wesentlich in makedonischer Gewalt und Flamininus entschloss sich, da es doch zu spät war, um dies Jahr noch in Make- donien einzudringen, zunächst Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, hatte bisher sich damit beschäftigt zwei kleinere Städte auf Euboea, Eretria und Karystos einzunehmen und daselbst Beute zu machen; worauf beide indess ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem makedonischen Commandanten von Chalkis Philokles aufs Neue besetzt wurden. Jetzt wandte die Flotte der Bundesgenossen sich nach Kenchreae, dem östlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der anderen Seite rückte Flamininus in Phokis ein und be- setzte die Landschaft, in der nur Elateia eine längere Belage- rung aushielt; sie und namentlich Antikyra am korinthischen Meerbusen waren zum Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die römischen Legionen sich nähern, auf der andern die Flotte der Bundesgenossen schon in ihrem eigenen Gebiet sahen, verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerthe, aber politisch unhaltbare Neutralität; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknüpften Städte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss dieselbe den Beitritt zu der Coalition gegen Philippos, und Kykliades und andere Führer der makedonischen Partei verliessen die Heimath. Sofort vereinigten sich die Truppen der Achaeer mit der römischen Flotte und eilten Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die Zwing- burg Philipps gegen die Achaeer, ihnen römischer Seits für ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Allein DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. die makedonische Besatzung, die 1300 Mann stark war und grossentheils aus italischen Ueberläufern bestand, vertheidigte nicht bloss entschlossen die fast uneinnehmbare Stadt, sondern es kam auch von Chalkis Philokles herbei mit einer Abtheilung von 1500 Mann, die zuerst Korinth entsetzte und sodann in das Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverständ- niss mit der makedonisch gesinnten Bürgerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung war, dass der König, der nach dem Uebertritt der Achaeer zur römischen Partei den bisherigen Bundesgenossen der Römer Nabis von Sparta auf seine Seite zu bringen hoffte, die treue Stadt der Schreckensherrschaft dieses Tyrannen auslieferte. Nabis hätte ohne Zweifel entschieden für Philippos Partei ergriffen, wenn die Parteien im Gleichgewicht gestanden hätten; denn er war hauptsächlich nur desshalb römischer Bundesgenosse, weil er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 sogar mit ihnen in offenem Krieg sich befand. Allein Philippos Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als dass irgend Jemand jetzt sich auf seine Seite zu schlagen Lust verspürt hätte. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, allein er verrieth den Verräther und blieb im Bündniss mit Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei unter einander im Krieg begriffenen Mächten verbün- det zu sein, vorläufig zwischen den Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn aber- mals, um wo möglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Conferenz, die in Nikaea am malischen Meerbusen ab- gehalten ward, erschien der König persönlich und versuchte mit Flamininus zu einer Verständigung zu gelangen, indem er den petulanten Uebermuth der kleinen Herren mit Stolz und Fein- heit zurückwies und von den Römern durch markirte Deferenz gegen sie als die einzigen ihm ebenbürtigen Gegner erträg- liche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war ge- bildet genug um durch die Urbanität des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen die Bundesgenossen, welche der Römer wie der König gleich verachten gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fühlen; allein seine Vollmacht ging nicht so weit wie das Begehren des Königs und somit wies er ihn an den Senat, nachdem ein zweimonatlicher Waffenstillstand gegen Einräumung von Phokis und Lokris zugestanden wor- den war. Im römischen Senat war man indess längst einig, dass Makedonien alle seine auswärtigen Besitzungen aufgeben Röm. Gesch. I. 34 DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. müsse; als daher Philippos Gesandte in Rom erschienen, be- gnügte man sich sie zu fragen, ob sie Vollmacht hätten auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und De- metrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des Krieges. Mit Hülfe der Volkstribunen gelang es dem Senat den so nachtheiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Commando zu verlängern; er erhielt bedeutende Verstärkung und die beiden früheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen sich ihm zur Verfügung zu stellen. Auch Philip- pos entschloss sich noch einmal die Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter gegen ihn in Waf- fen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf 6000 Mann verstärkt, während er selbst, die letzten Kräfte des er- schöpften Makedonien aufbietend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, dar- unter 16000 makedonische Phalangiten aufzustellen vermochte. So begann der vierte Feldzug 557. Flamininus schickte einen Theil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland bemächtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen dem Bündniss gegen Rom we- nigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden hiedurch die Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grosse Schwierigkeit, auf die in dem feindlichen und grossentheils öden Lande die Verpflegung des Heeres stiess und die schon oft die Operationen gehemmt hatte, sollte die Flotte beseitigen, die die Aufgabe hatte das Heer längs der Küste zu begleiten und ihm die aus Africa, Sicilien und Sar- dinien gesandten Vorräthe nachzuführen. Indess die Entschei- dung kam früher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, un- geduldig und zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aus- halten den Feind an der makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rückte er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm entgegenrückenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide Heere, das makedonische und das römische, das durch Zuzüge der Apolloniaten, der Atha- manen und der von Nabis gesandten Kretenser, besonders DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. aber durch einen starken aetolischen Haufen verstärkt worden war, zählten ungefähr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Römer an Reiterei dem Gegner über- legen. Vorwärts Skotussa traf während eines trüben Regen- tages der römische Vortrab unvermuthet auf den feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen hohen und stei- len Hügel, die Kynoskephalae, besetzt hielt. Zurückgetrieben in die Ebene erhielten die Römer Verstärkung aus dem Lager von den leichten Truppen und dem trefflichen Corps der aetoli- schen Reiterei und drängten nun ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und über die Höhe zurück. Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstützung an ihrer gesammten Reiterei und dem grössten Theil der leichten Infanterie; die Römer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust fast bis an ihr Lager zurückgejagt und hätten sich völlig zur Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten hätten, bis Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeiführen konnte. Philippos siegreiche Truppen forderten eifrig die Fortsetzung des Kampfes; der Feldherr gab dem ungestümen Ruf der Soldaten nach und ordnete seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder sie noch der König an die- sem Tage erwartet hatten. Es galt den Hügel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entblösst war. Der rechte Flügel der Phalanx unter des Königs eigener Führung kam früh genug dort an um sich ungestört auf der Höhe in Schlachtordnung zu stellen. Als nun die leichten Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Hügel herauf- stürmten, zog Philipp dieselben rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen und ohne zu erwarten, dass auf dem linken Flügel Nikanor mit der anderen langsamer folgenden Hälfte der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren den Hügel hinab sich auf die Legionen stürzen, während die Peltasten sie gleichzeitig umgingen und ihnen in die Flanke fielen. Der unwiderstehliche Angriff der Phalanx am günstigen Orte zersprengte das römische Fuss- volk und der linke Flügel der Römer ward völlig geschlagen. Nikanor dagegen war, da er die Vorbereitungen zum Angriff sah, mit der andern Hälfte der Phalanx schleunigst gefolgt, wobei die Glieder sich gelöst hatten; während die ersten Reihen schon eilig den Berg hinab dem siegreichen rechten Flügel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Un- 34* DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. ordnung geriethen, gewannen die letzten Glieder eben erst die Höhe. Der rechte Flügel der Römer ward unter diesen Umständen leicht mit dem feindlichen linken fertig; die Ele- phanten allein, die auf diesem Flügel standen, vernichteten die aufgelösten makedonischen Schaaren. Während des fürch- terlichen Gemetzels, das hier entstand, nahm ein entschlosse- ner römischer Offizier zwanzig Fähnlein zusammen und warf sich mit diesen auf den andern makedonischen Flügel, der den römischen linken verfolgend so weit vorgedrungen war, dass der römische rechte ihm im Rücken stand. Gegen den Angriff von hinten war die siegreiche Phalanx wehrlos und mit diesem Angriff war die Schlacht zu Ende. Bei der voll- ständigen Auflösung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass 13000 Makedonier theils gefangen theils gefallen waren, gefallen meistens, weil die römischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen nicht kann- ten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte um Niemanden zu compromittiren, räumte er Thessalien und ging in seine Heimath zurück. Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nach- theile auf allen Puncten, die sie noch besetzt hielten: in Ka- rien schlugen die rhodischen Söldner das dort stehende ma- kedonische Corps und zwangen dasselbe sich in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von Niko- stratos mit seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen und das akarnanische Leukas nach heldenmüthiger Gegenwehr erstürmt. Philippos war vollständig überwunden; seine letzten Verbündeten, die Akarnanen ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es lag vollständig in der Hand der Römer den Frieden zu dictiren; sie nutzten ihre Macht ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders vernichten; auf der Con- ferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von aetolischer Seite ausdrücklich gestellt. Allein was hiess das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Galater niederreissen? Schon war während des eben geendigten Krie- ges das blühende Lysimacheia auf dem thrakischen Chersonesos von den Thrakern gänzlich zerstört worden — eine ernste War- nung für die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwärtigen Verfehdungen der griechischen Staaten gethan hatte, konnte nicht die Hand dazu bieten, dass die römische DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Grossmacht für den Groll der aetolischen Eidgenossenschaft die Execution übernahm, auch wenn nicht seine hellenischen Sympathieen für den feinen und ritterlichen König ebenso sehr gewonnen gewesen wären wie sein römisches Nationalge- fühl verletzt war durch die Prahlereien der Aetoler, der ‚Sieger von Kynoskephalae‘, wie sie sich nannten. Den Aetolern er- wiederte er, dass es nicht römische Sitte sei Besiegte zu ver- nichten, übrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei Makedonien zu vernichten, wenn sie könnten. Der König ward mit aller möglichen Rücksicht behandelt und nachdem die Präliminarien, die im Wesentlichen den in Ni- kaea gestellten Bedingungen entsprachen, von Flamininus im Allgemeinen gebilligt waren, ihm gegen Zahlung einer Geld- summe und Stellung von Geisseln, darunter seines Sohnes Demetrios, ein längerer Waffenstillstand bewilligt, den Phi- lippos höchst nöthig brauchte um die Dardaner aus Makedo- nien hinauszuschlagen. — Die definitive Regulirung der ver- wickelten griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Commission von zehn Personen übertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr ähnliche Bedingungen, wie sie Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswärtigen Besitzungen in Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des aegaeischen Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmälert bis auf einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklärt ward — eine Bestimmung, die Philippos äusserst empfindlich fiel, allein die die Römer nicht umhin konnten ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es unmöglich war ihm die freie Verfügung über einmal von ihm abgefallene Unterthanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet keine auswärtigen Bündnisse ohne Vor- wissen Roms abzuschliessen noch nach auswärts Besatzungen zu schicken; ferner nicht ausserhalb Makedoniens gegen civi- lisirte Staaten noch überhaupt gegen römische Bundesgenossen Krieg zu führen und kein Heer über 5000 Mann, keine Ele- phanten und nicht über 5 Deckschiffe zu unterhalten, die übrigen an die Römer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den Römern in Symmachie, die ihn verpflichtete auf Ver- langen Zuzug zu senden, wie denn gleich nachher die make- donischen Truppen mit den Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Contribution von 1000 Talenten (1½Million Thlr.). — Nachdem Makedonien also zu voll- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. ständiger politischer Nullität herabgedrückt und ihm nur so viel Macht gelassen war als es bedurfte um die Grenze zu hüten, schritt man dazu über die vom König abgetretenen Be- sitzungen zu verfügen. Die Römer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass die überseeischen Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die überhaupt keineswegs des Ländererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen nichts von der Beute für sich und zwangen dadurch auch ihre Bundesgenossen zur Mässigung. Sie beschlossen sämmt- liche Staaten Griechenlands, die bisher unter Philippos ge- standen, frei zu erklären; und Flamininus erhielt den Auftrag das dessfällige Decret den zu den isthmischen Spielen ver- sammelten Griechen zu verlesen (558). Der Jubel war gross und mag aufrichtig gewesen sein wie die Absicht, in der der Senat die Freiheit verlieh Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift ‚T. Quincti‘, die zum Andenken an den siegreichen Befreier der Hellenen in Griechenland geschlagen wurden. Der Gebrauch der lateini- schen Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit. , freilich mochte es auch nicht fehlen an ernsthaften Männern, die fragten, ob die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute. — Ausgenommen waren von dieser allgemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften östlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra Pleu- ratos fielen und diesen ein Menschenalter zuvor von den Rö- mern gedemüthigten Land- und Seeräuberstaat wieder zu der mächtigsten unter all den kleinen Herrschaften in diesen Stri- chen machten; ferner einige Ortschaften im westlichen Thes- salien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen für seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dank- adressen und Höflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward nur mittelbar den Bundesgenossen gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Städte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch am späte- sten der Coalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es scheint aus dem ehrenwerthen Grunde, dass dieser Bundes- staat unter allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die sämmtlichen Besitzungen Philipps auf dem Pelo- ponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstände; sie durften die phokischen und lokri- schen Städte in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Ver- suche dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudeh- nen wurden theils entschieden zurückgewiesen, theils in die Ferne geschoben, und die thessalischen Städte vielmehr in vier kleine selbstständige Eidgenossenschaften geordnet. Dem rhodischen Städtebund kam die Befreiung von Thasos und Lem- nos, der thrakischen und kleinasiatischen Städte zu Gute. — Die schwierigste Aufgabe blieb die Ordnung der inneren Verhält- nisse, sowohl der Staaten zu einander, als der einzelnen Staaten unter sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achaeern seit 550 geführte Krieg, dessen Vermittelung den Römern nothwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen Nabis zum Nachgeben, na- mentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen blieb Flamininus doch zuletzt nichts übrig als dem eigensinnigen kleinen Raub- herrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Römer und auf Antiochos Einrücken in Europa rechnete und die Rückstellung von Argos beharrlich weigerte, endlich von den sämmtlichen Hellenen auf einer grossen Tagfahrt in Ko- rinth den Krieg erklären zu lassen und mit der Flotte und dem römisch - bundesgenössischen Heere, darunter auch mit einem von Philippos gesandten Contingent sowie mit den lakedämonischen Emigranten unter dem legitimen König von Sparta Agesipolis, in den Peloponnes einzurücken (559). Um den Gegner durch die überwältigende Uebermacht sogleich zu erdrücken, waren nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlässigung der übrigen Städte sogleich die Hauptstadt selbst von ihnen umstellt worden; allein man erreichte nicht ganz den gewünschten Zweck. Nabis hatte eine beträchtliche Armee, bis 15000 Mann, dar- unter 5000 Söldner ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein vollständiges Schreckensregiment, die Hinrichtung einer Masse ihm verdächtiger Offiziere und Bewohner der Landschaft aufs Neue befestigt. Sogar als nach den ersten Er- folgen der römischen Armee und Flotte er selber sich ent- schloss nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten verhältnissmässig sehr günstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf ‚das Volk‘, das heisst das von Nabis in Sparta domi- cilirte Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. dem Siege fürchtend und getäuscht durch obligate Lügen über die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranrücken der Aetoler und der Asiaten, den von dem rö- mischen Feldherrn gegebenen Frieden und der Kampf begann aufs Neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu einem Sturm auf die Stadt, die schon von den Römern erstiegen war, als sie das Anzünden der genommenen Strassen wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbst- ständigkeit und ward weder gezwungen die Emigranten wieder aufzunehmen noch dem achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswärtigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Städte und über- diess noch die ganze Küste abtreten, sich verpflichten weder auswärtige Bündnisse zu schliessen noch Krieg zu führen und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kähne, end- lich alles Raubgut wieder abzuliefern, den Römern Geisseln zu stellen und eine Kriegscontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Städte an der lakoni- schen Küste angewiesen und diese neue Volksgemeinde, die sogenannten ‚freien Lakonen‘ im Gegensatz der monarchisch regierten Spartaner, angewiesen in den achaeischen Bund einzutreten. Ihr Vermögen erhielten die Emigrirten nicht zurück, indem die ihnen angewiesene Landschaft dafür als Ersatz angesehen ward, wogegen verfügt ward, dass den Emi- grirten die Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurückgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfügungen ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefürchteten und gehassten Nabis, die Rückführung der Emigrirten und die Ausdehnung der achaei- schen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indess nicht verkennen, dass Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es möglich ist, wo sich zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische Parteien gegenüberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern wäre die Einverleibung Spartas in den achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rückführung der Emigranten und die vollständige Re- DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. stauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments würde nur ein Schreckensregiment durch das andre abgelöst haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafür gründlich gesorgt, dass es mit dem spar- tanischen See- und Landraub ein Ende hatte und das Regi- ment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Ge- meinde unbequem fallen konnte. Es ist möglich, dass Flami- ninus, der den Nabis kannte und wissen musste, wie wün- schenswerth dessen Beseitigung war, dieselbe unterliess um nicht durch unabsehbare Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trüben und dass die Römer überdiess ein Gegengewicht gegen die Macht der achaeischen Eidgenos- senschaft im Peloponnes zu conserviren suchten; indess der erste Vorwurf trifft einen Nebenpunct und in letzterer Hin- sicht ist es wenig wahrscheinlich, dass die Römer sich herab- liessen die Achaeer zu fürchten. — Somit war wenigstens äusserlich der Friede zwischen den kleinen griechischen Staa- ten gestiftet. Aber auch die inneren Verhältnisse der einzel- nen Gemeinden gaben dem römischen Schiedsrichter zu thun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung selbst noch nach dem Frieden mit Philippos offen zur Schau; als Flami- ninus auf ihre Bitte die Rückkehr der in Philippos Diensten gestandenen Boeoter bewilligt hatte, ward der entschiedenste makedonische Parteigänger Brachyllas zum Vorstand der boeoti- schen Genossenschaft erwählt und auch sonst Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld; indess die römisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Römer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubniss sie sich dazu erbitten zu müssen glaubten, liess es geschehen. Brachyllas ward hienach ermordet; worauf die Boeoter sich nicht begnügten die Mörder zu verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passirenden römischen Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent für jeden Soldaten auf und da sie diese nicht zahlten, nahm er die nächstliegen- den Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558). Nun kamen freilich demüthige Bitten und auf die Fürbitte der Achaeer und Athener liess Flamininus von den Schuldigen ab gegen eine sehr mässige Busse. Die makedonische Partei indess blieb dennoch in der kleinen Landschaft am Ruder; ihrer DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. knabenhaften Opposition setzten die Römer nichts entgegen als die Langmuth der Uebermacht. Flamininus begnügte sich so weit es ohne Gewaltthätigkeit anging, auf die inneren Ver- hältnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden einzuwirken, mit den Reichern den Rath und die Gerichte zu besetzen, die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die städtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das was in jeder Gemeinde nach Kriegsrecht an die Römer gefallen war, zu dem Vermögen der betreffenden Stadt schlug, mög- lichst an das römische Interesse zu knüpfen. Im Frühjahr 560 war die Arbeit beendigt; Flamininus versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der sämmtlichen griechi- schen Gemeinden, ermahnte sie zu verständigem und mässi- gem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige Gegengabe für die Römer, dass man die italischen Gefangenen, die während des hannibalischen Krieges nach Grie- chenland verkauft worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf räumte er die letzten Festungen, in denen noch römische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst den davon abhängigen kleineren Forts auf Euboea, und Akroko- rinth, also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, thatsächlich Lügen stra- fend, und zog mit den sämmtlichen römischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die Heimath. Nur von der verächtlichen Unredlichkeit oder der elenden Sentimentalität kann es verkannt werden, dass es mit der Be- freiung Griechenlands den Römern vollkommen Ernst war und die Ursache, wesshalb der grossartig angelegte Plan ein so kümmerliches Gebäude lieferte, einzig zu suchen ist in der vollständigen sittlichen und staatlichen Auflösung der helleni- schen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine mächtige Nation das Land, welches sie sich gewöhnt hatte als ihre Urheimath und als das Heiligthum ihrer geistigen und höheren Interessen zu betrachten, mit ihrem mächtigen Arm plötzlich zur vollen Freiheit führte und jeder Gemeinde die Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die un- beschränkte Selbstregierung verlieh; bloss die Jämmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. Der politische Calcul machte den Römern die Befreiung Griechenlands mög- lich; zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich mächtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Römer trifft, DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. so ist es der, dass sie und vor allem dass den Flamininus, der die wohlgegründeten Bedenken des Senats überwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte die Erbärmlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen und all den Gemeinden, die mit ihren in und gegen einander gährenden ohnmächtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben ein für allemal zu legen durch eine diese ebenso er- bärmliche als schädliche Freiheit an Ort und Stelle beseitigende Uebermacht. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politi- schen Mord, wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte die römischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den römisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie in landüblicher Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Fol- gen dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos wäre nicht entstanden ohne den politischen Fehler der Befreiung Grie- chenlands, und er wäre ungefährlich geblieben ohne den militärischen Fehler aus den wichtigen Festungen der euro- päischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis für jede Sünde, für den impotenten Frei- heitsdrang wie für den unverständigen Edelmuth. KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien . In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 der König Antiochos der Dritte, der Ur- urenkel des Begründers der Dynastie. Auch er war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Thätigkeit und Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzügen im Osten entwickelt, um ohne allzu arge Lächerlichkeit im Hofstil der Grosse zu heissen. Mehr indess durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des ägyptischen Philopator, als durch seine eigene Tüchtigkeit war es ihm gelungen die Integrität der Monarchie einiger- massen wiederherzustellen und zuerst die östlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von Achaeos diesseit des Tauros in Kleinasien begründeten Sonderstaat wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch das schmerzlich entbehrte syrische Küstenland den Aegyptern zu entreissen war im Jahre der trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig zurückgewiesen worden und Antiochos hatte sich wohl gehütet mit Aegypten den Streit wieder aufzuneh- men, so lange dort ein Mann, wenn auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (550) schien der rechte Augenblick gekommen mit Aegypten ein Ende zu machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Phi- lippos und hatte sich auf Koilesyrien geworfen, während die- ser die kleinasiatischen Städte angriff. Als die Römer hier intervenirten, schien es einen Augenblick, als werde Antiochos DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache machen, wie die Natur der Sache und der Bündnissvertrag es mit sich brachten. Allein nicht weitsichtig genug um überhaupt die Einmischung der Römer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie zurückzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vortheil am besten zu wahren, wenn er Philippos leicht vorauszusehende Ueberwältigung durch die Römer dazu nutzte um die Besitzungen Aegyptens, die er mit Philippos hatte theilen wollen, nun sämmtlich für sich zu gewinnen. Der römische Senat, der fest entschlossen war sich um die asia- tischen Angelegenheiten nicht anders als im äussersten Noth- fall zu bekümmern und den Kreis seiner Macht mit den Säulen des Herkules und dem Hellespont zu begrenzen, ging auf die Absichten des Königs ein. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als gethan war, mochte es Antiochos selbst nicht recht Ernst sein; dagegen begann er ungestört von den Römern, die trotz ihrer engen Beziehungen zu dem alexandrinischen Hof und ihrem könig- lichen Mündel keineswegs im Sinne hatten wirklich, wie sie sich nannten, dessen ‚Beschützer‘ zu sein, die Eroberung der auswärtigen Besitzungen Aegyptens. Er griff zunächst die kilikischen so wie die syrischen und palästinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 am Berge Panion bei den Jordanquellen über den ägyptischen Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollständigen Besitz dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte die ägyptischen Vormünder des jungen Königs so sehr, dass dieselben, um Antiochos vom Einrücken in Aegyp- ten abzuhalten, sich zum Frieden bequemten und durch das Verlöbniss ihres Mündels mit der Tochter des Antiochos Kleo- patra den Frieden besiegelten. Nachdem also das nächste Ziel erreicht war, zog Antiochos im folgenden, in dem Jahr der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- und 100 offnen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals ägyptischen Besitzungen an der Süd- und Westküste Kleinasiens in Besitz zu nehmen — wahrscheinlich hatte die ägyptische Regierung diese Districte, die factisch in Philippos Händen waren, im Frieden an Antiochos abgetreten und über- haupt auf die sämmtlichen auswärtigen Besitzungen zu Antio- chos Gunsten verzichtet — und um überhaupt die kleinasia- tischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Römer gerichtet, welche von Anfang an Philippos die Bedingung gestellt hatten seine Besatzungen aus Kleinasien wegzuziehen und den Rho- diern und Pergamenern ihr Gebiet, den Freistädten die bis- herige Verfassung ungekränkt zu lassen, und nun hiedurch nichts bewirkten, als dass an Philippos Stelle sich Antiochos derselben bemächtigte. Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte. Es versteht sich, dass dieselben die Römer nicht minder in diesen Krieg zu verwickeln wünsch- ten als in den eben beendigten. Schon 555/6 hatte Attalos von den Römern militärische Hülfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetze, während Attalos Truppen in dem römischen Kriege beschäftigt seien. Die energischeren Rhodier erklärten sogar dem König Antiochos, als im Frühjahr 557 dessen Flotte an der kleinasiatischen Küste hinaufsegelte, dass sie die Ueberschreitung der chelidonischen Inseln (an der lykischen Küste) als Kriegserklärung betrachten würden, und als Antiochos sich hieran nicht kehrte, hatten sie, ermuthigt durch die eben eintreffende Kunde von der Schlacht bei Ky- noskephalae, sofort den Krieg begonnen und die wichtigsten karischen Städte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die Insel Samos in der That vor dem König geschützt. Auch von den halbfreien Städten hatten zwar die meisten sich demsel- ben gefügt, allein einige derselben, namentlich die wichtigen Städte Smyrna, Alexandreia Troas und Lampsakos hatten auf dieselbe Kunde von der Ueberwältigung Philipps Muth bekom- men sich dem Syrer zu widersetzen und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen der Rhodier. — Indess die Römer zeigten sich keineswegs bereitwillig hierauf einzugehen und in Asien unmittelbar zu interveniren. Nicht bloss zauderte man, so lange der makedonische Krieg währte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer Verwendung, die übrigens zunächst sich wirksam erwies; sondern auch nach dem Siege sprach man es wohl aus, dass die Städte, die Ptolemaeos und Philippos in Händen gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Städte Abydos, Kios, Myrina figurirte in den römischen Acten- stücken, allein man that nicht das Geringste um sie durchzu- setzen; als König Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen benutzte um die seinigen in DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. die Städte zu legen, liess man es geschehen. Ja man ging so weit sich selbst dessen Landung in Europa im Frühjahr 558 und sein Einrücken in den thrakischen Chersonesos ge- fallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm und längere Zeit verwandte auf die Züchtigung der thrakischen Barbaren und die Wiederherstellung des zerstörten Lysima- cheia, das er zu seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neu gestifteten Satrapie Thrakien ausersehen hatte. Fla- mininus, in dessen Händen die Leitung dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den König Gesandte, die von der Integrität des ägyptischen Gebiets und von der Freiheit der sämmtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der König redete wiederum von seinen vortrefflichen Rechtstiteln auf das alte von seinem Ahn- herrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, setzte ausein- ander, dass er nicht beschäftigt sei Land zu erobern, sondern einzig die Integrität seines angestammten Gebiets zu erhalten, und lehnte die römische Vermittlung in dem Streit des Königs mit den ihm unterthänigen Städten in Kleinasien ab. Mit Recht konnte er hinzufügen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei und es den Römern an einem formellen Grund fehle hier zu interveniren Das bestimmte Zeugniss des Hieronymus, welcher das Verlöbniss der syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius 33, 40 und Appian Syr. 3 und mit dem wirklichen Vollzug der Vermählung im Jahre 561 setzen es ausser Zweifel, dass die Einmischung der Römer in die ägyptischen Angelegenhei- ten in diesem Fall eine unberufene war. Die plötzliche Heimkehr des Kö- nigs nach Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen Königs von Aegypten, und die dadurch hervorgerufenen Projecte einer Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, veranlasste den Abbruch der Conferenzen, ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem Resultat gekommen wäre. Das folgende Jahr 559 kam der König wieder nach Lysimacheia mit verstärkter Flotte und Armee und beschäftigte sich die neue Satrapie zu ordnen, die er seinem Sohn Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte landflüchtig werden müssen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm zu Theil ward, war so gut wie eine Kriegserklärung gegen Rom. Flamininus liess sich nicht irren; wie sehr selbst jetzt noch die Römer einen Krieg zu vermeiden suchten, zeigt die vollständige Räu- DRITTES BUCH. KAPITEL IX. mung Griechenlands im Frühjahr 560, die unter solchen Um- ständen wenigstens eine arge Verkehrtheit war. Der Gedanke lässt sich fast nicht abweisen, dass Flamininus, um nur den Ruhm des gänzlich beendigten Krieges und des befreiten Hel- las ungeschmälert heimzubringen, sich begnügte das glimmende Feuer des Aufstandes und des Krieges vorläufig oberflächlich zu verschütten. Der römische Staatsmann mochte durchaus Recht haben, wenn er von Griechenland nichts begehrte, als dass die Gemeinden unabhängig seien, und wenn er jede In- tervention der Römer in die asiatischen Angelegenheiten für einen politischen Fehler erklärte; aber die gährende Opposi- tion in Griechenland, der schwächliche Uebermuth des Asiaten, das Verweilen des erbitterten Römerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche Anzeichen einer öst- lichen Coalition, deren Ziel mindestens sein musste Griechen- land aus der römischen Clientel in die der antirömisch gesinnten Staaten zu bringen. Flamininus, indem er Forderungen stellte, für die marschiren zu lassen er nicht gesonnen war, und in- dem er die Kriegsvorbereitungen jener Coalition absichtlich ignorirte, that in Worten zu viel was in Thaten zu wenig und vergass seine Pflicht und seine Heimath über die eigene Eitelkeit, die den Griechen in beiden Welttheilen die Freiheit geschenkt zu haben wünschte. Antiochos nutzte die unerwarte Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die Verhältnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen würde, zu dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der Feind zu zögern schien. Er vermählte jetzt (561) dem jungen König von Ae- gypten seine Verlobte, die syrische Kleopatra; dass er zugleich seinem Schwiegersohn die Rückgabe der ihm entrissenen Pro- vinzen versprochen habe, ward zwar später ägyptischer Seits behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht und jedenfalls blieb factisch das Land beim syrischen Reiche Wir haben dafür das Zeugniss des Polyhios 28, 1, das die weitere Geschichte Iudaeas vollkommen bestätigt; Eusebius (p. 117 Mai) irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden wir, dass um 567 syrische Steuerpächter ihre Abgaben nach Alexandreia zahlen (Joseph. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel geschah dies unbeschadet der Souveränetäts- rechte in der Art, dass die Mitgift der Kleopatra in Renten auf diese Stadt angewiesen war; und eben daher entsprang später vermuthlich der Streit. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 seinem Vater Attalos auf dem DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. Thron von Pergamon gefolgt war, die Zurückgabe der ihm abgenommenen Städte und gleichfalls eine seiner Töchter zur Gemahlin, wenn er von dem römischen Bündniss lassen wolle. Ebenso vermählte er eine Tochter dem König Ariarathes von Kappadokien und gewann die Galater durch Geschenke, wäh- rend er die stets aufrührerischen Pisidier und andere kleine Völkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der klein- asiatischen Städte erklärte der König, dass er die Unabhängig- keit der alten Freistädte, wie Rhodos und Kyzikos zugestehen und hinsichtlich der übrigen sich begnügen wolle mit einer bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt, ja er gab zu verstehen, dass er bereit sei sich dem Schieds- gericht der Rhodier zu unterwerfen. Im europäischen Grie- chenland war man der Aetoler gewiss und hoffte auch Philip- pos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es ward ein Plan gutgeheissen, den Hannibal vorlegte, wonach der Karthager von Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern erhalten sollte und damit zu- erst in Karthago anlaufen, um dort den dritten punischen, und dann in Italien landen, um daselbst den zweiten hanniba- lischen Krieg zu erwecken; tyrische Emissäre gingen nach Karthago um die Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der spanischen Insurrection, die eben als Hannibal Karthago verliess auf ihrem Höhepunct stand. — Während also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen wie immer die- jenigen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten thaten. Es waren dies die erbitterten und übermüthigen Aetoler, welche nach gerade selber zu glauben anfingen, dass Philippos von ihnen und nicht von den Römern überwunden worden sei, und es gar nicht erwarten konnten, dass Antiochos in Griechenland einrückte. Sie charakterisirt die Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklärung gegen Rom begehrte: die werde er selber ihm überbringen, wenn das aetolische Heer an der Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschäftsträger des syrischen Königs für Grie- chenland und täuschten beide Theile, indem sie den König glau- ben machten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten Erlöser ausstreckten, und denen, die in Griechenland Röm. Gesch. I. 35 DRITTES BUCH. KAPITEL IX. auf sie hören wollten, vorspiegelten, dass die Landung des Königs näher sei als sie es wirklich war. So gelang es ihnen in der That den einfältigen Eigensinn des Nabis zum Los- schlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegs- feuer zwei Jahre nach Flamininus Entfernung, im Frühling 562 wieder anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch den letzten Ver- trag an die Achaeer gekommenen Städte der freien Lakonen, und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg der Achaeer Philopoemen schlug ihn an den harbosthenischen Ber- gen und kaum den vierten Theil seines Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurück, in der ihn Philo- poemen einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht ge- nügte um Antiochos nach Europa zu rufen, beschlossen die Aetoler sich selber in den Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser wichtigen Städte den König zur Einschiffung zu bestimmen. Zunächst gedachte man sich Spartas dadurch zu bemächtigen, dass der Aetoler Alexamenos, mit 1000 Mann in die Stadt einrückend unter dem Vorgeben bundesmässigen Zuzug zu bringen, bei die- ser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege räume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau erschlagen; allein die Aetoler zerstreuten sich darauf um die Stadt zu plündern und wurden von den Lakedaemoniern, die Zeit fan- den sich zu sammeln, sämmtlich niedergemacht. Die Stadt liess dann sich von Philopoemen bestimmen in den achaei- schen Bund einzutreten. Nachdem das löbliche Project also verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte fast den ganzen Peloponnes in den Händen der Gegenpartei zu einigen, ging es den Aetolern auch in Chalkis wenig besser: es gelang da- selbst der römischen Partei gegen die Aetoler und die chalkidi- schen Verbannten die römisch gesinnten Bürgerschaften von Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeizurufen. Dagegen glückte die Besetzung von Demetrias, da die Magne- ten, denen die Stadt zugefallen war, nicht ohne Grund fürch- teten, dass sie von den Römern Philippos als Preis für die Hülfe gegen Antiochos versprochen sei; es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem Vorwande dem Eurylochos, dem zurückgerufenen Haupt der Opposition gegen Rom, das Geleite zu geben sich in die Stadt einzu- schleichen wussten. So traten die Magneten halb freiwillig DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. halb gezwungen auf die Seite der Aetoler und man säumte nicht dies bei dem Seleukiden geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemüht war ihn durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht länger mehr vermeiden. Schon im Frühling 561 hatte Flamininus, der fortfuhr im Senat in den östlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, den Boten des Königs Menip- pos und Hegesianax das römische Ultimatum ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem Gutdünken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht der Römer über Smyrna, Lampsakos und Alexan- dreia Troas sich gefallen zu lassen. Dieselben Forderungen waren im Frühling 562 noch einmal verhandelt worden auf einer Zusammenkunft der römischen Gesandten Publius Sul- picius und Publius Villius mit dem König in Ephesos, seinem Hauptwaffenplatz und Standquartier in Kleinasien; man hatte von beiden Seiten sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht möglich sei. In Rom war seit- dem der Krieg beschlossen. Schon im Sommer 562 erschien eine römische Flotte von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo ihr Ein- treffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sicilische und italische Ostküste wurde stark besetzt, um etwanigen Landungsversuchen sogleich zu begegnen; für den Herbst ward in Griechenland ein Land- heer erwartet. Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Frühjahr 562 Griechenland, um die Intriguen der Ge- genpartei zu hintertreiben und so weit möglich die unzeitige Räumung Griechenlands wieder gut zu machen. Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung förmlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem Flamininus Chalkis für die Römer zu retten, indem er eine Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hin- einwarf. Er machte ferner einen Versuch Demetrias wieder zu gewinnen und die Magneten schwankten. Wenn auch einige kleinasiatische Städte, die Antiochos vor dem Beginn des grossen Kriegs zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er durfte jetzt nicht länger zögern mit der Lan- dung, wofern er nicht die Römer all die Vortheile wiedergewin- nen lassen wollte, die sie durch die Entfernung ihrer Besatzun- gen aus Griechenland zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Er 35* DRITTES BUCH. KAPITEL IX. nahm also die Schiffe und Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte — es waren nur 40 Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und 6 Elephanten — und brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 bei Pteleon am pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das nahe Demetrias besetzte. Ungefähr um dieselbe Zeit landete auch ein römisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Prätor Marcus Baebius bei Apollonia. Es war also von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Coa- lition gegen Rom, als deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisi- ren werde. Was zunächst den Plan betraf in Karthago und Italien den Römern Feinde zu erwecken, so traf Hannibal wie immer so auch am Hof zu Ephesos das Loos seine gross- artigen und hochherzigen Pläne für kleinkrämerischer und niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Aus- führung geschah nichts als dass man einige karthagische Pa- trioten compromittirte; den Karthagern blieb keine andere Wahl als sich den Römern unbedingt botmässig zu erweisen. Die Camarilla wollte eben den Hannibal nicht — der Mann war der Hofcabale zu unbequem gross und nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel den Feld- herrn, mit dessen Namen die Römer ihre Kinder schreckten, des Einverständnisses mit den römischen Gesandten zu be- zichtigen, gelang es ihr den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf seine Selbstständigkeit sich viel zu Gute that und mit nichts so leicht zu beherrschen war wie mit der Furcht beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielge- nannten Mann dürfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rath beschlossen ward den Phoenikier künftig nur für unter- geordnete Aufgaben und zum Rathgeben zu verwenden, vor- behältlich natürlich den Rath nie zu befolgen. Hannibal rächte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden glänzend ausführte. — In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskönig; dagegen trat Prusias von Bithynien wie im- mer auf die Seite des Mächtigeren. König Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte Antiochos Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurückgewiesen, sondern auch die Römer be- ständig zu einem Kriege gedrängt, von dem er Vergrösserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier und DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten hielt fest am römischen Bündniss und bot Unter- stützung an Zufuhr und Mannschaft an, welche man indess römischer Seits nicht annahm. — In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien ein- nehmen würde. Vielleicht hätte die richtige Politik ihn be- stimmen sollen sich alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet mit Antiochos zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche Rücksichten bestimmt, son- dern durch Neigung und Abneigung, und begreiflicher Weise traf sein Hass viel mehr den treulosen Bundesgenossen, der ihn im Stich gelassen hatte gegen den gemeinschaftlichen Feind, um dafür auch seinen Antheil an der Beute einzu- ziehen und ihm in Thrakien ein lästiger Nachbar zu werden, als seinen Sieger, der ihn rücksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung ab- geschmackter Prätendenten auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei Kynoskephalae blei- chenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen Mann tief verletzte; so dass er seine ganze Streitmacht mit dem grössten Eifer den Römern zur Verfügung stellte. Ebenso entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die zweite, die achaeische Eidgenossenschaft fest am römischen Bündniss; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von Flamininus hineingelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke makedonische Partei zur Vernunft brachte. Die Epei- roten gaben sich Mühe es wo möglich beiden Parteien recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos Seite ausser den Aetolern und Magneten, denen ein Theil der benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache König der Atha- manen Amynander, der sich durch thörichte Aussichten auf die makedonische Königskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt mit den Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschränkter Gewalt, den die Aetoler dem Grosskönig de- cretirten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte sich eben wie gewöhnlich beiderseits belogen: statt der un- ermesslichen Schaaren Asiens führte der König eine Armee heran kaum halb so stark wie ein gewöhnliches consulari- DRITTES BUCH. KAPITEL IX. sches Heer, und statt der offenen Arme, die sämmtliche Hel- lenen ihrem Befreier vom römischen Joch entgegenstreckten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige verliederlichte Bür- gerschaften dem König Brüderschaft an. Für den Augenblick freilich war Antiochos den Römern im eigentlichen Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte zwar Besatzung von den griechischen Verbündeten der Römer und wies die erste Aufforderung zurück; allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht davor rückte und eine römische Abtheilung, die zu spät kam um sie zu be- setzen, wurde bei Delion von Antiochos vernichtet. Euboea war für die Römer verloren. Noch ward schon im Winter von Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen ein Versuch gemacht Thessalien zu gewinnen; die Thermopy- len wurden besetzt, Pherae und andere Städte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran und entsetzte Larissa, wo er den Winter über blieb. Antiochos, des Winterfeldzugs müde, zog es vor in seine lu- stigen Quartiere in Chalkis zurückzugehen, wo es hoch her- ging und der König sogar trotz seiner funfzig Jahre und seiner kriegerischen Pläne mit einer hübschen Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/3, ohne dass Antiochos viel mehr gethan hätte als in Griechenland hin und herschreiben — er führe den Krieg mit Dinte und Feder, sagte ein römischer Offizier. Mit dem ersten Frühjahr 563 traf der römische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tüchtiger von den Feinden wie von seinen Soldaten ge- fürchteter Feldherr, der Admiral Gaius Livius, unter den Kriegstribunen die gewesenen Consuln Marcus Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens und Lucius Valerius Flaccus, die nach altrömischer Weise es nicht verschmähten jetzt wieder als einfache Legionscommandanten in das Heer einzutreten. Sie brachten mit sich Verstärkungen an Schiffen und Mann- schaft, darunter numidische Reiter und libysche Elephanten, von Massinissa gesendet, und die Erlaubniss des Senats von den ausseritalischen Verbündeten bis zu 5000 Mann Hülfs- truppen anzunehmen, so dass dadurch die Gesammtzahl der römischen Streitkräfte auf etwa 40000 Mann stieg. Der König, der im Anfang des Frühjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von Glabrios Landung DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. in sein Hauptquartier zurück, um nun auch seinerseits den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stell- vertreter in Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicher Weise ihm alle Verstärkungen ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch durch Krankheit und Deser- tion in den liederlichen Winterquartieren decimirte Heer, wo- mit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld stellen wollen, führten jetzt da es galt ihrem Oberfeld- herrn nicht mehr als 4000 Mann zu. Die römischen Truppen hatten indess bereits die Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen Städten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzten; es folgte der Consul mit der Hauptarmee. Die Gesammtmacht der Römer sammelte sich in Larissa. Statt eilig nach Asien zurückzukehren und gegen den in jeder Hinsicht überlegenen Feind das Feld zu räumen, beschloss Antiochos sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft seines grossen asiatischen Heeres abzuwarten. Indem er selbst in dem Hauptpass sich aufstellte, befahl er den Ae- tolern den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu umgehen; allein nur der Hälfte des aetolischen Zuzugs gefiel es diesem Befehl ihres Oberfeld- herrn nachzukommen. Die übrigen 2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern Theil nahmen, als dass sie versuchten während derselben das römische Lager zu überfallen und auszurauben. Aber auch die auf dem Gebirg postirten Aetoler betrieben den Wachdienst lässig und widerwillig; ihr Posten auf dem Kallidromos liess sich von Cato überrumpeln und die asiatische Phalanx, die der Consul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob aus einander, als ihr den Berg hinabeilend die Römer in die Flanke fielen. Da Antiochos für nichts gesorgt und an den Rückzug nicht gedacht hatte, so ward das Heer theils auf dem Schlachtfeld, theils auf der Flucht durch unbekannte Gegenden vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Deme- trias und der König selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; nicht einmal die Festungen konnten länger vertheidigt werden. Chalkis ergab sich an die Römer, Demetrias an Philippos, dem als Entschädigung für die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Consuls aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubniss ward sich der sämmtlichen zu Antio- chos übergetretenen Gemeinden im eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der dolopischen und aperantischen Landschaften zu bemächtigen. Was sich in Griechenland für Antiochos ausgesprochen hatte, eilte seinen Frieden zu machen: die Epeiroten baten demüthig um Ver- zeihung für ihr zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und Messenier fügten sich, die letzterem nach einigem Sträuben, den Achaeern. Es erfüllte sich, was Hannibal dem König vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen würden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die Ae- toler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Corps nach hartnäckiger Gegenwehr zur Capitulation gezwun- gen worden war, mit den schwer gereizten Römern ihren Frieden zu machen; indess die strengen Forderungen des römischen Consuls und eine rechtzeitig von Antiochos ein- laufende Geldsendung gaben ihnen den Muth die Verhand- lungen noch einmal abzubrechen und während zwei ganzer Monate die Belagerung in Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und es war vorherzusehen, dass die Erstürmung oder die Capitulation nicht mehr fern sei, als Flamininus, der seiner alten Politik getreu jede helle- nische Gemeinde vor den ärgsten Folgen ihres eigenen Un- verstandes und vor der Strenge seiner rauheren Collegen zu bewahren bemüht war, sich ins Mittel schlug und zunächst einen leidlichen Waffenstillstand zu Stande brachte. Damit war auch der letzte Widerstand in Griechenland vorläufig wenigstens beseitigt. Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimath in sehr bedenklichem Licht er- scheinen liessen, während doch bei Antiochos kurzsichtigem Eigensinn sich nicht darauf rechnen liess den Krieg anders als durch einen Angriff im eigenen Lande des Feindes zu beendigen. Es galt zunächst die See zu sichern. Die römische Flotte, die während des Feldzugs in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte die Verbindung zwischen Griechenland und Kleinasien aufzuheben und der es in der That gelungen war um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschäftigt DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. den Uebergang der Römer nach Asien für das nächste Jahr vorzubereiten und zunächst die feindliche Flotte aus dem aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssos auf dem südlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die römische sie auf, be- stehend aus 75 römischen, 24 pergamenischen und 6 kar- thagischen Deckschiffen unter der Führung des Gaius Livius. Der syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrirter, hatte nur 70 Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die rö- mische Flotte noch die rhodischen Schiffe erwartete und Po- lyxenidas auf die überlegene Seetüchtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den Asiaten eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein so wie es zum Entern kam, siegte die römische Tapferkeit und nur der Schnelligkeit ihrer Rudrer und Segel verdankten es die Asiaten, dass sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch während des Nachsetzens trafen 25 rhodische Schiffe ein und die Ueberlegenheit der Römer in diesen Gewässern war nun zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seit- dem ruhig im Hafen von Ephesos und da es nicht gelang sie zu einer zweiten Schlacht zu bestimmen, löste die römisch-bun- desgenössische Flotte sich auf und die römischen Kriegsschiffe gingen für den Winter nach dem Hafen von Kane in der Nähe von Pergamon. Beiderseits war man bemüht während des Winters für den nächsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen. Die Rö- mer suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: Smyrna, das alle Versuche des Königs der Stadt sich zu bemächtigen beharrlich zurückgewiesen hatte, nahm die Römer mit offenen Armen auf und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst gewann die römische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen den Römern wo möglich den Uebergang nach Asien zu weh- ren, wesshalb er eifrig zur See rüstete und theils durch Po- lyxenidas die bei Ephesos stationirende Flotte herstellen und vermehren, theils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoe- nikien eine neue Flotte ausrüsten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines weitläuftigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Früh im nächsten Jahre (564) nahm die römische Flotte ihre Operationen wieder auf. Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal 36 Segel stark rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Höhe von Ephesos beobachten und ging mit dem grössten Theil der römischen und den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag nachzukommen und durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des Landheers vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Aby- dos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Nie- derlage der rhodischen Flotte zurückrief. Der rhodische Ad- miral Pausistratos, eingeschläfert durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes von Antiochos abfallen zu wollen, hatte sich im Hafen von Samos überrumpeln lassen; er selbst war gefallen, seine sämmtlichen Schiffe bis auf fünf rhodische und zwei koische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese Botschaft zu Seleukos übergetreten, der in diesen Gegenden für seinen Vater den Oberbefehl zu Lande führte. Indess als die römische Flotte theils von Kane, theils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, war Polyxenidas abermals genöthigt sich in den Hafen von Ephe- sos einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht ver- weigerte und bei der geringen Zahl der römischen Mannschaft an einen Angriff von der Landseite nicht zu denken war, blieb auch der römischen Flotte nichts übrig als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abtheilung ging nach Pa- tara an die lykische Küste, um theils den Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen von dorther auf sie gerichteten Angriffe Ruhe zu verschaffen, theils und vornämlich um die feindliche Flotte, die an der Südküste erwartet ward, vom aegaeischen Meer abzusperren. Als dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzürnte der neue Admiral Lucius Aemilius Regil- lus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgelöst hatte, sich darüber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren ihm unterwegs begreiflich zu ma- chen, dass es zunächst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die Beherrschung des aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon begonnen, während Antiochos mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzun- gen der Mytilenaeer auf dem Festland verwüstete; man hoffte mit dem verhassten Eumenes fertig zu werden, bevor die rö- mische Hülfe erschien. Die römische Flotte ging nach Elaea DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. und dem Hafen von Adramyttion um dem Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon wäre verloren gewesen, wenn nicht die Belagerung schlaff und nachlässig betrieben worden wäre; dadurch gewann Eumenes Zeit achaeische Hülfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kühne und glückliche Ausfälle die gallischen Söldner des Antiochos, die mit der Belagerung beauftragt waren, in der That zwangen dieselbe aufzuheben. Auch in den südlichen Gewässern wurden die Entwürfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal gerüstete und geführte syrische Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die stehenden Westwinde zurückgehalten worden war, endlich in das aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Mündung des Eurymedon vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich hier lieferten, trug über Hannibals Taktik und über die numerische Ueberzahl die Vorzüglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere den Sieg davon. Die rhodische Flotte stellte hienach sich bei Patara auf und vereitelte die beabsichtigte Vereinigung der ganzen asia- tischen Seemacht. Es war dies das erste Seetreffen und die letzte Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Im aegaeischen Meer ward die römisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der pergameni- schen Schiffe in den Hellespont zur Unterstützung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwächt hatte, nun ihrer- seits von der des Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zählte als der Gegner. Am 23. December des unbe- richtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564 kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und Kolophon; die Römer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und umzingelten den linken Flügel gänzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkündigte den Römern die In- schrift in saturnischem Mass über dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des Königs Antiochos und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Römer also ‚den grossen Zwist schlichteten und die Könige bezwangen.‘ Seitdem wagten die feindlichen Schiffe nicht mehr sich auf der offenen See zu zeigen und versuchten nicht weiter den Uebergang des römischen Landheers zu erschweren. DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Zur Führung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der That den Oberbefehl führte für den nominellen Höchst- commandirenden, seinen geistig unbedeutenden und militärisch unfähigen Bruder Lucius Scipio. Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das Heer des Gla- brio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem ge- liebten Führer zu fechten. Im römischen Juli, nach der richtigen Zeit im März fanden die Scipionen sich bei dem Heere ein um den asiatischen Feldzug zu beginnen; allein man war unangenehm überrascht, als man sich statt dessen zu- nächst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aeto- lern verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus grenzenlose Rücksichten gegen die Hellenen übertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl gelassen zwischen Zahlung einer absolut unerschwinglichen Kriegscontribution und unbedingter Er- gebung, was sie aufs Neue unter die Waffen getrieben hatte; und es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- und Fe- stungskrieg zu Ende gehen würde. Scipio beseitigte das unbequeme Hinderniss durch Bewilligung eines sechsmonat- lichen Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte in dem aegaeischen Meere nur blokirt war und die zweite, die aus dem Südmeer herankam, täglich dort eintreffen konnte, schien es rathsam den Land- weg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und über den Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da König Philippos von Make- donien vollständig zuverlässig und auch König Prusias von Bithynien mit den Römern in Bündniss war und die römische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und mühselige Weg längs der makedonischen und thrakischen Küste ward ohne wesentlichen Verlust zurück- gelegt; Philippos sorgte theils für Zufuhr, theils für freund- liche Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indess hatte man theils mit den Aetolern, theils auf dem Marsch so viel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht von Myonnesos auf dem thrakischen Chersonesos anlangte. Das wunderbare Glück, das Scipio in Asien nicht minder wie in Africa zur Seite stand, räumte alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht bei Myon- DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. nesos verlor Antiochos so vollständig den Kopf, dass er einestheils die starkbesetzte und verproviantirte Festung Lysimacheia von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen Einwohnerschaft räumen liess und dabei sogar ver- gass die Besatzungen aus Aenos und Maroneia herauszuziehen, ja die reichen Magazine zu vernichten, anderntheils der Lan- dung der Römer am asiatischen Ufer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern während derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb auf das Schicksal zu schel- ten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur Lysimacheia hätte vertheidigen und sein grosses Heer an den Hellespont vorrücken lassen, Scipio genöthigt worden wäre auf dem euro- päischen Ufer Winterquartiere zu nehmen, in einer militärisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. — Während die Römer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage still- standen um sich zu erholen und ihren durch religiöse Pflichten zurückgehaltenen Führer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte des Grosskönigs ein, die Frieden boten. Antiochos bot die Hälfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europäischen Besitzungen so wie der sämmtlichen in Klein- asien zu Rom übergetretenen griechischen Städte; allein Scipio forderte sämmtliche Kriegskosten und die Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklärte er, wären annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch nur diesseit des Hellesponts stände; jetzt aber reichten sie nicht, wo das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fühle. Die Versuche des Grosskönigs von dem feindlichen Feldherrn in morgenländischer Art den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen — er bot die Hälfte seiner Einkünfte! — scheiterten wie billig; für die unentgeltliche Rückgabe seines in Gefangen- schaft gerathenen Sohnes gab der stolze Bürger dem Gross- könig als Lohn den Freundesrath auf jede Bedingung Frieden zu schliessen. In der That stand es nicht so; hätte der Kö- nig sich zu entschliessen vermocht den Krieg in die Länge und in das innere Asien zurückweichend den Feind sich nach zu ziehen, so war ein endlicher Erfolg noch keineswegs unmöglich. Allein Antiochos, gereizt durch den vermuthlich berechneten Uebermuth des Gegners und für jede dauernde und consequente Kriegführung zu schlaff, eilte seine ungeheure ungleiche und undisciplinirte Heermasse je eher desto lieber dem Stoss der römischen Legionen darzubieten. Bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spätherbst 564 die DRITTES BUCH. KAPITEL IX. römischen Truppen auf den Feind. Er zählte nahe an 80000 Mann, darunter 12000 Reiter; die Römer, die von Achaeern, Pergamenern und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem nicht die Hälfte, allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurückgebliebenen Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Commando übernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu können, bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die Peltasten, Bogenwerfer, Schleuderer, die berittenen Schützen der Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Flügeln die schwere Cavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kürassiere), neben ihnen nach innen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Cen- trum die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der beiden Treffen standen 54 Elephanten zwischen die Haufen der Phalanx und der schweren Reiterei vertheilt. Die Römer stellten auf den linken Flügel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen; die Masse der Reiterei und die sämmtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes führte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die Schlacht damit, dass er seine Schützen und Schleuderer gegen die Sichelwagen schickte mit dem Befehl auf die Bespannung zu halten; in kurzer Zeit waren nicht bloss diese in Verwirrung gerathen, sondern auch die nächststehenden Kameelreiter mit fortge- rissen und schon gerieth sogar im zweiten Treffen der da- hinterstehende linke Flügel der schweren Reiterei in Verwir- rung. Eumenes warf sich sogleich mit der ganzen römischen Reiterei, die 3000 Pferde zählte, auf die Söldnerinfanterie, die im zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Flügel der Kürassiere stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung gerathenen Kürassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen durchgelassen hatte und sich fertig machte gegen die römischen Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke gehemmt und sah sich genöthigt stehen zu bleiben und nach beiden Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zu Statten kam. Wäre die schwere asiatische Reiterei zur Hand DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. gewesen, so hätte die Schlacht wieder hergestellt können, aber der linke Flügel war zersprengt und der rechte, den Antiochos selber anführte, hatte, die kleine ihm gegenüber- stehende römische Reiterabtheilung vor sich hertreibend, das römische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Mühe erwehrte. Darüber fehlten auf der Wahlstatt jetzt im entscheidenden Augenblick die Reiter. Die Römer hüteten sich wohl die Phalanx mit den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schützen und Schleuderer, denen in der dichtgedrängten Masse kein Geschoss fehlte. Die Phalanx zog sich nichts destoweniger langsam und geordnet zurück, bis die in den Zwischenräumen stehenden Elephanten scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit löste das ganze Heer in wilder Flucht sich auf; ein Versuch das Lager zu halten misslang und mehrte nur die Zahl der Todten und Gefangenen. Die Schätzung des Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht un- glaublich; den Römern, deren Legionen gar nicht zum Schla- gen gekommen waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Welttheil überlieferte, 24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Klein- asien unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig flüchten musste, und die syrische Hauptstadt Sardes. Der König bat um Frieden und nahm die von den Römern nach der Schlacht gestellten Bedingungen, die wie gewöhnlich keine anderen waren als die vor der Schlacht dem König gebotenen, vorläufig an. Bis zu deren Ratification blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Königs, was ihm auf nicht weniger als 3000 Talente (4½ Mill. Thlr.) zu stehen kam. Vielleicht niemals ist eine Grossmacht so rasch, so völlig und so schmählich zu Grunde gegangen wie das Se- leukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf bei der Plünderung des Beltempels in Ely- mais südlich vom kaspischen Meer, mit dessen Schätzen er seine leeren Kassen zu füllen gedachte, von den Einwohnern erschlagen. Es galt nun, nachdem der Sieg erfochten war, die An- gelegenheiten in Kleinasien und in Griechenland zu ordnen. Dort war Antiochos zwar besiegt, aber seine Verbündeten und Satrapen im Binnenland, die phrygischen, kappadokischen und paphlagonischen Dynasten zögerten mit der Unterwerfung im Vertrauen auf ihre Entfernung, und die kleinasiatischen Kelten, die nicht eigentlich mit Antiochos im Bunde gestanden DRITTES BUCH. KAPITEL IX. hatten, sondern ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande hatten Miethstruppen anwerben lassen, fanden sich gleichfalls nicht veranlasst um die Römer sich zu bekümmern. Dem neuen römischen Oberfeldherrn Gnaeus Manlius Vulso, der im Frühjahr 565 den Lucius Scipio in Kleinasien ablöste, war dies ein erwünschter Vorwand auch seinerseits sich um sein Vaterland ein Verdienst zu erwerben und die römische Schutzherrschaft über die Hellenen in Kleinasien eben so geltend zu machen wie es in Spanien und Gallien geschehen war; obwohl die strengeren Männer im Senat bei diesem Krieg sowohl den Grund als den Zweck vermissten. Der Consul brach von Ephesos auf, brandschatzte die Städte und Fürsten am obern Maeander und in Pamphylien ohne Ursache wie ohne Mass und wandte sich darauf nordwärts gegen die Kelten. Der westlichste Canton derselben, die Tolistobojer, hatte sich auf den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit Habe und Gut zurückgezogen, in der Hoff- nung, dass sie sich hier würden vertheidigen können, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwänge. Allein die Geschosse der römischen Schleuderer und Schützen, die so oft gegen die damit unbekannten Kelten den Ausschlag gaben fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Völker, erzwangen die Höhen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar oft früher und später am Po und an der Seine geliefert worden sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden Stellen ungeheuer. Was übrig blieb rettete sich über den Halys zu dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Consul nicht beunruhigte, da er es nicht wagte die in den Präliminarien zwischen Scipio und Antiochos verabredete Grenze zu überschreiten. Die Regulirung der kleinasiatischen Verhältnisse erfolgte theils durch den Frieden mit Antiochos (565), theils durch die Fest- setzungen einer römischen Commission, der der Consul Vulso vor- stand. Ausser der Stellung von Geisseln, darunter seines jüngern gleichnamigen Sohnes, und einer nach dem Mass der Schätze Asiens bemessenen Kriegscontribution von 15000 euboeischen Talenten (22½ Mill. Thlr.), davon der fünfte Theil sogleich, der Rest in zwölf Jahreszielern entrichtet ward, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seiner sämmtlichen europäischen Besit- DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. zungen und in Kleinasien des ganzen Gebietes westlich vom Halys in seinem ganzen Lauf und von der Bergkette des Tauros, die Kilikien und Lykaonien scheidet, so dass ihm, da der nord- östliche Theil Kleinasiens den Königen von Kappadokien ge- horchte, in Vorderasien nichts blieb als Kilikien. Er verlor das Recht gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu füh- ren oder im Fall eines Vertheidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht das Meer westlich von der Kalykadnosmündung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu befahren ausser um Gesandte, Geisseln oder Tribut zu bringen, überhaupt Deckschiffe über zehn zu halten, ausser im Fall eines Ver- theidigungskrieges, und Kriegselephanten zu zähmen, endlich das Recht in den westlichen Staaten Werbungen zu veran- stalten oder politische Flüchtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die Kriegsschiffe, die er über die be- stimmte Zahl besass, die Elephanten und die politischen Flücht- linge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er aus. Zur Entschädigung erhielt der Grosskönig den Titel eines Freundes der römischen Bürgergemeinde. Der Staat Syrien war hiemit zu Lande und auf dem Meer vollständig aus dem Westen verdrängt und für immer; es ist bezeichnend für die kraft- und zusammenhanglose Organisation des Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom überwundenen Gross- staaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. — König Ari- arathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Römern bezeichneten Grenze ihrer Clientel lag, mit einer Geldbusse von 600 Talenten (900000 Thlr.) davon, die dann noch auf die Fürbitte seines Schwiegersohns Eumenes auf die Hälfte herabgesetzt ward. — König Prusias von Bi- thynien behielt sein Gebiet wie es war, ebenso die Kelten, deren Freiheit bald nachher ausdrücklich anerkannt ward: doch mussten diese geloben nicht ferner bewaffnete Haufen über die Grenze zu senden, wodurch die schimpflichen Tri- bute, die viele kleinasiatische Städte ihnen zahlten, ein Ende hatten. Rom erwies damit den asiatischen Griechen eine wirkliche Wohlthat, die diese nicht ermangelten mit goldenen Kränzen und den transcendentalsten Lobreden zu erwiedern. — In Vorderasien war die Besitzregulirung nicht ohne Schwie- rigkeit, zumal da hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa collidirte; endlich gelang es sich in folgender Art zu verständigen. Allen griechischen Röm. Gesch. I. 36 DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Städten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei und den Römern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestätigt und sie alle mit Ausnahme der dem Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung für die Zukunft enthoben. So wurden na- mentlich frei die Städte Dardanos und Ilion, die alten Stamm- genossen der Römer von Aeneas Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberühmte Namen. Phokaea, das gegen die Capi- tulation von den römischen Flottensoldaten geplündert worden war, erhielt zum Ersatz dafür gleichfalls ausnahmsweise sein Gebiet zurück und die Freiheit. Die meisten Städte der grie- chisch-asiatischen Hansa erhielten überdiess Gebietserweiterung und andere Vortheile. Am besten ward natürlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den grössern Theil von Karien südlich vom Maeander empfing; ausserdem garantirte Antiochos den Rhodiern in seinem Ge- biet ihr Eigenthum und ihre Forderungen so wie die bisher genossene Zollfreiheit. — Alles Uebrige, also bei weitem der grösste Theil der Beute fiel an die Attaliden, deren alte Treue gegen Rom so wie die in diesem Kriege bestandenen Drang- sale und Eumenes persönliches Verdienst um den Ausfall der entscheidenden Schlacht in einer Weise belohnt ward wie nie ein König seinem Verbündeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon besass, die Provinzen Phrygien am Hel- lespont, Lydien mit Ephesos und Sardes, den nördlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien, die milysche Landschaft zwi- schen Phrygien und Lykien und als Hafenplatz am südlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; über Pamphylien ward später zwischen Eumenes und Antiochos gestritten, ob es dies- oder jenseit des Tauros liege. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft und das Zinsrecht in den griechischen Städten, die nicht unbeschränkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, dass den Städten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhöht werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen dem Eumenes die 350 Talente (½ Mill. Thlr.), die derselbe dem Vater Attalos schuldig geworden war, zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (190000 Thlr.) für die rückständigen Getreidelieferun- gen zu entschädigen. Endlich erhielt er die königlichen For- sten und die von Antiochos abgelieferten Elephanten, nich DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. aber die Kriegsschiffe, die verbrannt wurden; eine Seemacht litten die Römer nicht neben sich. Hiedurch war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was Numidien in Africa war, ein von Rom abhängiger mächtiger Staat mit absoluter Verfassung, bestimmt und fähig sowohl Makedonien als Syrien in Schranken zu halten ohne anders als in ausserordentlichen Fällen römischer Unterstützung zu bedürfen. Mit dieser durch die römische Politik gebotenen Schöpfung hatte man die durch Sympathie, Wohlwollen und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen Griechen so weit möglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren Ostens jenseit des Tauros und Halys war man fest entschlos- sen sich nicht zu bekümmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des Friedens mit Antiochos und noch entschie- dener die bestimmte Weigerung des Senats der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern für sie erbetene Freiheit zu gewähren. Ebenso getreu blieb man dem festgestellten Grundsatz keine weiteren unmittelbaren Besitzungen zu er- werben. Nachdem die römische Flotte noch eine Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sclaverei verkauften Römer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer 566 Asien, wobei das Land- heer, das wieder durch Thrakien zog, durch die Nachlässig- keit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfällen der Wilden viel zu leiden hatte. Sie brachten nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze zusammenzufinden pflegten. Auch das europäische Griechenland war von diesem asia- tischen Krieg erschüttert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer noch nicht gelernt hatten sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten nach dem im Frühling 564 mit Scipio abgeschlossenen Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Corsaren den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher gemacht, sondern viel- leicht noch während des Waffenstillstandes, getäuscht durch falsche Nachrichten über den Stand der Dinge in Asien, die Tollheit begangen den Amynander wieder auf seinen athama- nischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von die- sem besetzten aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, wobei der König mehrere Nachtheile erlitt. Es versteht sich, dass hienach auf ihre Bitte um 36* DRITTES BUCH. KAPITEL IX. Frieden mit Rom die Antwort war die Landung des Consuls Marcus Fulvius Nobilior im Frühling 565, der mit den Legionen in ihr Land zog und Ambrakia nach funfzehntägiger Belagerung durch eine für die Besatzung ehrenvolle Capitulation einnahm, während zugleich die Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer über die Aetoler herfielen. Dennoch liessen auf ihre wiederholten Friedensgesuche die Römer, die diesen erbärmlichen und tückischen Gegnern gegenüber eine wahrhaft exemplarische Geduld bewiesen, sich bewegen vom Kriege abzustehen und leidliche Bedingungen zu gewähren. Die Aetoler verloren alle Städte und Gebiete, die in den Hän- den ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches später frei und selbstständig ward in Folge einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrigue, ferner Oinia, das den Akar- nanen gegeben wurde; ebenso traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht Krieg und Frieden zu schliessen, und wurden in dieser Hinsicht von den auswärtigen Beziehungen Roms abhängig; ferner zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Frieden und fügte sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner von Same, die befürchteten aus ihrer wohl- gelegenen Stadt durch eine römische Colonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten Ergebung wieder ab und hiel- ten eine viermonatliche Belagerung aus, worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner sämmtlich in die Scla- verei verkauft wurden. — Rom selbst nahm in Griechenland für sich die eben erwähnte Insel Kephallenia und die be- nachbarte Insel Zakynthos, welche die Achaeer von dem Statt- halter ihres letzten Besitzers Amynander gekauft hatten und ungern wieder herausgaben. Ueberhaupt waren die beiden bedeutendsten Bundesgenossen Roms, Philippos und die Achaeer, keineswegs befriedigt durch den ihnen gegönnten Antheil an der Beute. Philippos fühlte sich nicht ohne Grund verletzt; er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die haupt- sächlichen Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen Beistand überwunden waren. Der Senat erkannte dies allerdings an, indem er ihm den noch rückständigen Tribut erliess und seine Geisseln ihm zurücksandte; allein die Gebietserweiterungen, wie er sie ge- hofft, empfing er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den Aetolern abgenommen hatte; DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. ausserdem blieben thatsächlich in seinen Händen die dolopi- sche und athamanische Landschaft und ein Theil von Thes- salien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Clientel, aber über die Küstenstädte und die Inseln Thasos und Lemnos, die factisch in seinen Händen waren, ward nichts bestimmt und der Chersonesos sogar aus- drücklich an Eumenes gegeben; es war nicht schwer zu er- kennen, dass Eumenes nur desshalb auch Besitzungen in Europa empfangen hatte um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Nothfall niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht ritterlichen Mannes ist natür- lich; allein es war nicht Schikane, was die Römer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische Nothwendigkeit. Make- donien büsste dafür, dass es einmal eine Macht ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg geführt hattte ; man hatte hier und hier mit viel besserem Grund als gegen Karthago sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht wiederkehre. — Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen Antiochos ihren lange genährten Wunsch befriedigt den Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland auch Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die Römer hatten dies geschehen lassen und es sogar ge- duldet, dass man dabei mit absichtlicher Rücksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. Flamininus hatte, als Messene erklärte, sich den Römern unterwerfen, aber nicht in die Eidge- nossenschaft eintreten zu wollen und diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen den Achaeern zu Gemüthe zu führen, dass solche Sonderverfügungen über einen Theil der Beute an sich unrecht und in dem Verhältniss der Achaeer zu den Römern mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im Wesentlichen den Achaeern ihren Willen ge- than. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von ihrer zwerghaften Vergrösserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt Pleuron in Aetolien, die sie während des Krieges besetzt hatten, nicht fahren und machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer Eidgenossenschaft; sie blickten nach Zakynthos und Aegina und hörten sehr unmuthig Fla- mininus guten Rathschlag sich mit ihrem Peloponnes zu be- DRITTES BUCH. KAPITEL IX. gnügen. Sie glaubten es sich schuldig zu sein die Unabhän- gigkeit ihres Staates um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von Kriegsrecht, von der treuen Beihülfe der Achaeer in den Kriegen der Römer; man fragte die römischen Gesandten auf der achaeischen Tag- satzung, warum Rom sich um Messene bekümmere, da Achaia ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen, wurde applaudirt und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles würde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel lächerlicher gewesen wäre. Ohne Zweifel lagen edle Gefühle hier zu Grunde; es lag eine tiefe Gerechtigkeit und ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu gründen und den Dank der Hellenen zu verdienen bemüht war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete als den Undank. Aber trotz der guten Absichten der Führer ist dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Thorheit und eine wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten Mann das gründlichste Gefühl der Ohnmacht. Stets horcht Jeder nach Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile: man dankt dem Himmel, wenn das gefürchtete Decret ausbleibt; man mault, wenn der Senat zu verstehen giebt, dass man wohl thun werde freiwillig nachzugeben um es nicht gezwun- gen zu thun; man thut was man muss wo möglich in einer für die Römer verletzenden Weise ‚um die Formen zu retten‘; man berichtet, erläutert, verschiebt, schleicht sich durch und wenn es nicht anders gehen will, so wird mit einem patrio- tischem Seufzer nachgegeben. Das Treiben hätte Anspruch wo nicht auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Führer zum Kampf entschlossen gewesen wären und der Knechtschaft der Nation den Untergang vorgezogen hätten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen politi- schen Selbstmord — man wollte wo möglich frei sein, aber denn doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Römer, die die gefürchtete römische Intervention in die inneren Angelegenheiten Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie die Knaben den Stock, den sie fürchten, selber einer über den andern bringen. Der von dem gelehrten Pöbel hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Römer be- DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. strebt gewesen wären den inneren Zwist nach Griechenland zu tragen, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, welche politisirende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die Römer trugen den inneren Hader nach Griechenland — wahrlich Eulen nach Athen —, sondern die Griechen ihn nach Rom. Namentlich die Achaeer, die über ihren Arrondi- rungsgelüsten gänzlich übersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus die aetolisch gesinnten Städte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren Zwistes. Unaufhörlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden in Rom sie aus der verhassten Gemeinschaft zu lösen, darunter charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rückkehr in die Heimath den Achaeern verdankten. Unauf- hörlich ward von dem achaeischen Bunde in Sparta und Messene regenerirt und restaurirt; die wüthendsten Emigrirten von dort bestimmen die Massregeln der Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollständigen Restauration, wo die sämmtlichen von Nabis mit dem Bürgerrecht beschenkten Sclaven wieder in die Knecht- schaft verkauft und aus dem Erlös ein Säulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut, wo die alten Güterverhält- nisse in Sparta wieder hergestellt, die lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern niedergerissen wurden (566). Ueber alle diese Wirthschaft ward dann zuletzt von allen Seiten der römische Senat zum Schied- spruch aufgefordert — eine Belästigung, die die gerechte Strafe für die befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt sich zu viel in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche der achaeischen Gesinnungs- tüchtigkeit mit musterhafter Indifferenz, sondern liess selbst die ärgsten Dinge mit sträflicher Gleichgültigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als nach jener Restaura- tion die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat darüber zwar gescholten, aber nichts cassirt habe, und für die Lake- daemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empört über den von den Achaeern verfügten Justizmord von beiläufig sechzig bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Criminaljustiz über die Spartaner nahm — freilich ein em- pörender Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines unab- hängigen Staates! Die römischen Staatsmänner kümmerten DRITTES BUCH. KAPITEL IX. sich so wenig wie möglich um diese Sündfluth in der Nuss- schale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen über die oberflächlichen, widersprechenden und unklaren Entschei- dungen des Senats; freilich wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegen einander redeten! Dazu kam der persönliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmänner in Rom machten; selbst Flamininus schüttelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschäften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld völlig ausging und er die Pe- loponnesier beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und dass sie machen könnten was sie wollten (572). Begreif- lich ist dies, aber nicht recht; wie die Römer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung hier mit Ernst und Consequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 an den Senat ging um sie über die Zustände im Peloponnes aufzuklären und eine folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begründet hat; aber er hatte Recht. So umfasste die Clientel der römischen Gemeinde jetzt die sämmtlichen Staaten von dem östlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgends bestand ein Staat, den man der Mühe werth gehalten hätte zu fürchten. Aber noch lebte ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies; der heimath- lose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war dort an der ehrlosen Aristokra- ten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten müssen den Hannibal auszuliefern, allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen und lebte jetzt am Hof des Königs Prusias, be- schäftigt diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unter- stützen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Thorheit, die so wie sie erzählt wird sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass der römische Senat zwar es unter seiner Würde hielt den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu lassen, — die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, scheint DER KRIEG GEGEN ANTIOCHOS VON ASIEN. keinen Glauben zu verdienen —, dass aber Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen für grosse Thaten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm wie die Griechen von ihren Ketten so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den grössten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu führen, was nicht diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, der jämmer- lichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein Vergnügen daraus dem römischen Gesandten die kleine Ge- fälligkeit zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein Haus von Mördern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, fügt ein Römer hinzu, denn er kannte die Römer und das Wort der Kö- nige. — Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Hälfte des Jahres 571, siebenund- sechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sicilien; er hatte gerade genug gelebt um den Westen vollständig unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Römerschlacht gegen die Schiffe seiner römisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen um dann zuschauen zu müssen, wie Rom auch den Osten überwand gleich wie der Sturm das führerlose Schiff, und zu fühlen dass er allein im Stande war es zu lenken. — Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, als er starb; aber redlich hatte er in funfzigjährigem Kampfe den Knabenschwur gehalten. — Um dieselbe Zeit, wahrschein- lich in demselben Jahre starb auch der Mann, den die Römer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das Glück mit allen den Erfolgen über- schüttet, die seinem Gegner versagt blieben, mit Erfolgen, die ihm gehörten und nicht gehörten. Spanien, Africa, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Ge- bieterin der civilisirten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren überblieben für seinen Bruder und seinen Neffen. Africanus, Asiaticus, Hispallus. Und doch verzehrte auch er seine letzten Jahre in bitterem Gram und starb wenig über funfzig Jahre alt in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen in der Vaterstadt, für die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten, seine Leiche nicht beizusetzen. Es ist nicht DRITTES BUCH. KAPITEL IX. genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Wir wissen von Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gel- der, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, ohne Zweifel nichtige Verläumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklären; obwohl es charakteristisch für den Mann ist, dass er seine Rechnungs- bücher, statt sich einfach dadurch zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der Ankläger zerriss und die Römer aufforderte ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Ankläger stehen und folgte dem Scipio auf das Capitol; aber es war dies der letzte schöne Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung ein anderer und besserer zu sein als die übrigen Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwärtigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der ächte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den ursprünglich hochherzigen Sinn. Ueberall aber gehört es zur Eigenthümlichkeit solcher aus ächtem Gold und schimmernden Flittern seltsam gemischten Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glückes und des Glanzes der Jugend bedürfen um ihren Zauber zu üben, und dass wenn dieser Zauber zu schwinden anfängt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht. KAPITEL X. Der dritte makedonische Krieg . Philippos von Makedonien war empfindlich gekränkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos von den Römern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge war nicht geeignet seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in Griechenland und Thrakien, grossentheils Gemeinden, die einst vor dem makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem römischen, machten es sich wie billig zum Geschäft der gefallenen Grossmacht all die Tritte zurückzugeben, die sie seit Philippos des zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten, und der nichtige Hochmuth wie der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzun- gen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in unaufhör- lichen Beschwerden bei dem römischen Senat. Philippos war von den Römern zugestanden worden, was er den Aetolern abgenommen habe; allein in Thessalien hatte nur die Eidge- nossenschaft der Magneten sich förmlich an die Aetoler ange- schlossen, wogegen diejenigen Städte, die Philippos in zwei anderen der thessalischen Eidgenossenschaften, der thessali- schen im engern Sinn und der perrhaebischen den Aetolern entrissen hatte, von ihren Bünden zurückverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Städte nur befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu können; auch Eumenes forderte die Seestädte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien besessen hatte, nament- DRITTES BUCH. KAPITEL X. lich Aenos und Maroneia, obwohl ausdrücklich ihm im Frieden mit Antiochos nur der thrakische Chersonesos zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner sämmt- lichen Nachbarn, über Unterstützung des Königs Prusias gegen Eumenes, über Handelsconcurrenz, über verletzte Contracte und geraubtes Vieh strömten nach Rom; vor dem römischen Senat musste der König von Makedonien von dem souverainen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen oder Un- recht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urtheil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Küste, aus den thessalischen und parrhaebischen Städten die Besatzungen wegziehen und die römischen Commissare höflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles vor- schriftmässig ausgeführt sei. Man war in Rom nicht so er- bittert gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hin- sicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte nicht so rücksichtslos jede Form gegen ihn wie es gegen Kar- thago geschah, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indess Philippos war keineswegs der Mann diese Pein mit phoenikischer Geduld über sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundes- genossen gezürnt als dem ehrenwerthen Gegner, und seit lan- gem gewohnt nicht makedonische, sondern persönliche Politik zu treiben hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts ge- sehen als eine vortreffliche Gelegenheit sich an dem Alliirten, der ihn schmählich im Stich gelassen und verrathen hatte, augenblicklich zu rächen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Römer, die sehr gut begriffen, dass nicht die Freundschaft für Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos den Ma- kedonier bestimmte und die überdiess keineswegs nach sol- chen Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl gehütet irgend etwas Wesentliches zu Philippos Gunsten zu thun und hatten viel- mehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem König Phi- lippos politisch und persönlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen östlichen Mächten am meisten dazu beigetragen hatten Makedonien und Syrien zu zertrümmern und die römische Clientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. wohl mit Rom hatten halten müssen, hatten diese Attaliden dazu benutzt um im Wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite zu stellen, der zu- gleich ihm an Macht ebenbürtig und Roms Client war. Den- noch hätte vielleicht, wie die Verhältnisse einmal standen, ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich entschlossen den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das Ehrgefühl, von allen unedlen die Rachsucht am mächtigsten waren, war taub für die Stimme sei es der Feigheit sei es der Resignation, und nährte tief im Herzen den Entschluss abermals die Würfel zu werfen, wie er zu Tage lag in der bei Gelegenheit der Schmähungen, der thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien von ihm angeführten theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne nicht untergegangen sei Ηδη γάϱ φϱάσδει πάνϑ᾽ ἅλιον ἅμμι δεδύϰει. . Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verber- gung seiner Entschlüsse eine Ruhe, einen Ernst und eine Consequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewährt hätte, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Rich- tung gegeben haben würden. Namentlich die Fügsamkeit gegen die Römer, mit der er sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war für den harten und stolzen Mann eine schwere Prüfung, die er doch muthig ertrug — seine Unterthanen freilich und die unschuldigen Gegenstände des Haders, wie das unglück- liche Maroneia, büssten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 schien der Krieg ausbrechen zu müssen; aber auf Philippos Geheiss bewirkte sein jüngerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geissel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine römische Partei zu bilden, die Philipps natürlich den Römern nicht unbekannte Bestre- bungen zu paralysiren im Stande wäre, und hatte zu deren Haupt, ja vielleicht zum künftigen König Makedoniens den jüngeren leidenschaftlich an Rom hängenden Prinzen auser- sehen. Man gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes willen verzeihe; DRITTES BUCH. KAPITEL X. wovon natürlich die Folge war, dass im königlichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Königs älterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den künftigen Nebenbuhler zu unterdrücken suchte. Es scheint nicht, dass Demetrios sich in die römischen Intriguen einliess; erst der falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn schuldig zu werden und auch da beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indess Perseus sorgte dafür, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios that das Uebrige und so gab der Vater Befehl den Sohn aus dem Wege zu räumen. Zu spät erfuhr Philippos die Ränke, die Perseus gesponnen hatte und der Tod ereilte ihn über der Absicht den Brudermörder zu strafen und von der Thronfolge auszu- schliessen. Er starb im Jahre 575 in Demetrias, im neun- undfunfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zer- schmettert, das Haus zerrüttet, und gebrochenen Herzens gestand er ein, dass all seine Mühsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren. — Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem römi- schen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesübungen wohl erfahren, im Lager auf- gewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, über die Philippos seines Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharr- lich wie sein Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe König und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glück begleitet, war vom Schicksal ver- wöhnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in den unglücklichen römischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. In der That griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des väterlichen Werkes an und rüstete eifriger als es vorher geschehen war zum Kriege gegen Rom; es kam für ihn noch hinzu, dass es wahr- lich nicht die Schuld der Römer war, wenn er das make- donische Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen gewohnt war; und es schien in der That nicht grundlos, dass seine Landsleute und viele Helle- nen aller Stämme in ihm den rechten Feldherrn für den nahen- den Befreiungskrieg gefunden zu haben meinten. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialität und Philipps Spannkraft, die wahrhaft königlichen Eigenschaften, die das Glück verdunkelt und geschändet, aber die reinigende Macht der Noth wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge gehen, aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Pläne und verfolgte sie mit unermüdlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirk- lichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschränkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er häufte Schätze auf Schätze auf für den Römer- krieg und als die Römer im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstücken sich zu trennen. Es ist be- zeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst eilte die compromittirenden Papiere in seinem Kabinet zu vernich- ten, der Sohn dagegen seine Schätze nahm und sich ein- schiffte. In gewöhnlichen Zeiten hätte er einen König vom Dutzendschlag so gut und besser wie mancher Andere abgeben können; aber er war nicht geschaffen ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein ausser- ordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefühl hier allein nicht durch den Hader politi- scher Parteien paralysirt. Den grossen Vortheil der monar- chischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera anderer Men- schen und frischer Hoffnungen mit sich führt, hatte der König verständig benutzt und seine Regierung begonnen mit allge- meiner Amnestie, mit Zurückberufung der flüchtigen Bankerot- tirer und Erlass der rückständigen Steuern. Die gehässige Härte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vortheil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Lücken in der makedonischen Bevölkerung theils von selbst ausgefüllt, theils der Regierung gestattet hiefür als für den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Für- DRITTES BUCH. KAPITEL X. sorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Küstenstädte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolo- nisten, deren Treue und Wehrhaftigkeit er gewiss war; er zog, um die verheerenden Einfälle der Dardaner ein für alle- mal abzuwehren, gegen Norden eine Militärgrenze, indem er das Zwischenland jenseit der Landesgrenze bis an das bar- barische Gebiet zur Einöde machte, und gründete neue Städte in den nördlichen Provinzen. Kurz, er that Zug für Zug das- selbe für Makedonien, wodurch später Augustus das römische Reich zum zweitenmal gründete. Die Armee war zahlreich — 30000 Mann ohne die Zuzüge und die Miethstruppen zu rechnen — und die junge Mannschaft kriegsgeübt durch den beständigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Selt- sam ist es, dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte sein Heer römisch zu organisiren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft über- wundene, aber doch noch immer unüberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zöllen und Zehnten sich geschaffen hatte, und den aufblühenden Ackerbau und Handel war es gelungen den Schatz, die Speicher und die Arsenale zu füllen; als der Krieg begann, lag im makedonischen Staatsschatz Geld genug um für das dermalige Heer und für 10000 Mann Miethstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in den öffentlichen Magazinen Getreidevorräthe auf eben so lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preuss. Scheffel) und Waffen für ein dreifach so starkes Heer als das gegenwärtige war. In der That war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom über- rascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens verdoppelt und mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es vermocht Rom bis in seine Grundfesten zu erschüttern. — Nicht so günstig standen die äusseren Verhältnisse. Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Pläne von Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste sich an die Spitze einer Coalition aller unterdrückten Staaten gegen Roms Supre- matie zu stellen; und allerdings gingen die Fäden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten; indess der Erfolg war gering. Dass die Treue der Italiker schwanke, ward wohl behauptet; allein es konnte weder Freund noch Feind entgehen, dass DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. zunächst eine Wiederaufnahme der Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die nächtlichen Conferenzen makedoni- scher Abgeordneten mit dem karthagischen Senat, die Massi- nissa in Rom denuncirte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Männer nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr möglich ist, völlig erfunden waren. Die Könige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheirathen in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts heraus, als dass die un- sterbliche Naivetät der Diplomatie die Länder mit Liebschaften erobern zu wollen sich einmal mehr prostituirte. Den König Eumenes, den gewinnen zu wollen lächerlich gewesen wäre, hätten Perseus Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rückkehr von Rom, wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphoi ermordet werden, allein der saubere Plan miss- lang. — Von grösserer Bedeutung waren die Bestrebungen die nördlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwie- geln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu er- drücken durch einen anderen vom linken Ufer der Donau her- beigezogenen noch wilderen Schwarm germanischer Abstam- mung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen von ihnen in Bewegung gesetzten Völkerlawine selbst nach Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpässe bereits erkunden liess — ein grossartiger Hannibals würdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals Alpenübergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass hiemit die Grün- dung der römischen Festung Aquileia zusammenhängt, die eben in Philippos letzte Zeit fällt (573) und nicht passt zu dem sonst von den Römern in ihren italischen Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indess an dem verzwei- felten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen nächst- wohnenden Völkerschaften; die Bastarner mussten wieder ab- ziehen und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der König suchte nun wenigstens unter den Häuptlingen des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des nördlichen Albaniens, seine Clien- tel auszubreiten; nicht ohne Perseus Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros durch Mör- derhand um, und der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach Röm. Gesch. I. 37 DRITTES BUCH. KAPITEL X. gleich seinem Vater in Bündniss mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer der dalmatini- schen Inseln, berichteten dem Senat, dass König Perseus mit dem jungen schwachen trunkfälligen Menschen in heimlichem Einverständniss stehe und Genthios Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten. — In den östlichen Landschaften zwischen der unteren Donau und der makedonischen Grenze stand der mächtigste unter den thrakischen Häuptlingen, der Fürst der ehemals in diesem ganzen Gebiet herrschenden, jetzt vornämlich an der obern Maritza ansässigen Odrysen, der kluge und tapfere Kotys mit Perseus im engsten Bündniss; von den andern kleineren Häuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fürst der Sagaeer Abrupo- lis, in Folge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichte- ten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hieher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Söldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. — Unter der unglücklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus lange vor der Kriegserklärung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft geführt, indem man theils die nationale, theils — man gestatte den Ausdruck — die communistische Partei auf die Seite Make- doniens zu bringen versuchte. Dass die ganze nationale Partei unter den asiatischen wie unter den europäischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch gesinnt war, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der römischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen Natio- nalität durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spät war, jeder es begriff, dass die abscheulichste makedonische Regierung minder ver- nichtend für Griechenland war als die aus den edelsten Ab- sichten ehrenhafter Ausländer hervorgegangene freie Verfas- sung. Dass die tüchtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland diese Partei ergriffen, war in der Ordnung; römisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hie und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich über den Zustand und die Zukunft der Nation nicht täuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der der Träger jener fremdländischen Freiheit unter den Griechen war. Vergeblich behandelte er die ihm unterwor- fenen Städte mit Rücksichten aller Art; vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit wohl- DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. klingenden Worten und noch besser klingendem Golde — er musste vernehmen, dass man seine Geschenke zurückgewiesen, ja dass im ganzen Peloponnes eines schönen Tages man nach Tagsatzungsbeschluss alle früher ihm errichteten Statuen zer- schlagen und die Ehrentafeln eingeschmolzen habe (584), während Perseus Name auf allen Lippen war, während selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch gesinnten Staaten, wie die Achaeer, über die Aufhebung der gegen Ma- kedonien gerichteten Gesetze beriethen; während Byzantion, obwohl mitten im pergamenischen Reich gelegen, nicht von Eumenes, sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing, und ebenso Lampsakos am Hel, lespont sich dem Makedonier anschloss; während die mächtigen und besonnenen Rhodier dem König Perseus seine syrische Braut- da die syrischen Kriegsschiffe im aegaeischen Meer sich nicht zei- gen durften, mit ihrer ganzen prächtigen Kriegsflotte von Antiochia her zuführten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; während Beauf- tragte der asiatischen Städte, also der Unterthanen des Eu- menes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten ge- heime Conferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der König Perseus unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei Delphoi den Hellenen sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass der König bei dem bevorstehenden Kriege sich auf diese nationale Propaganda zu stützen gedachte, lag in den Verhältnissen. Arg aber war es, dass er die fürchterliche ökonomische Zer- rüttung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine Umwälzung der Eigenthums- und Schuldverhältnisse wünsch- ten, an Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueber- schuldung der Gemeinden wie der Einzelnen im europäischen Griechenland mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes ist es schwer sich einen hin- reichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die andere überfiel und ausplünderte bloss um Geld zu ma- chen, so zum Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aeto- lern, den Perrhaebern, den Thessalern lieferten die Besitzen- den und die Nichtbesitzenden sich förmliche Schlachten. Die ärgsten Gräuelthaten verstehen sich bei solchen Zuständen von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versöhnung verkündet und ein neuer Landfriede gemacht 37* DRITTES BUCH. KAPITEL X. einzig zu dem Zweck eine Anzahl von Emigrirten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Römer versuchten zu ver- mitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter Sache zurück und meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die Erbitterung nicht zu bezähmen sei. Hier half in der That nichts andres mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der sentimentale Hellenismus fing an ebenso verderblich zu wer- den wie er von Anfang an lächerlich war. König Perseus aber bemächtigte sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute die nichts, am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess nicht bloss Verfügungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottirer, sondern liess auch in Larissa, Delphoi und Delos Aufforderungen anschlagen an sämmtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer Schulden wegen landflüchtig gewordene Griechen, nach Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehe- maligen Ehren und Güter zu gewärtigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass in ganz Nordgriechen- land die glimmende sociale Revolution nun in offene Flammen ausschlug und die national-sociale Partei daselbst um Hülfe sandte zu Perseus. Wenn aber mit solchen Mitteln die hellenische Nationalität gerettet werden sollte, so durfte bei aller Achtung vor Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises werth sei. Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezögert habe und dass es Zeit sei dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des thrakischen Häuptlings Abrupolis, der mit den Römern in Bündniss stand, die Bündnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem Theil der boeotischen Städte waren ebenso viel Verletzungen des Friedens von 557 und genügten für das officielle Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass die formelle Souveränetät Makedoniens im Be- griff stand sich in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem Patronat über die Hellenen zu verdrängen. Schon 581 spra- chen die römischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich unumwunden aus, dass ein Bündniss mit Perseus gleichbedeutend sei mit dem Abfall von dem römischen. 582 kam König Eumenes persönlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklärung beschloss und die Lan- dungsplätze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber der Art war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurück könne, die Antwort gab, er sei bereit ein neues wirklich gleiches Bündniss mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag von 557 sehe er als aufgehoben an, und die Gesand- ten anwies binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit war der Krieg thatsächlich erklärt. Es war im Herbst 582; wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei überall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende römische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdrücken und den Römern die Landung streitig machen. Allein der König, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem Gastfreund, dem Consular Quintus Marcius Philippus in Verhandlungen ein über die Frivolität der römischen Kriegs- erklärung, welche dieser benutzte um den König zu bestim- men den Angriff zu verschieben und noch einmal einen Frie- densversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung sämmtlicher Makedonier aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren der älteren Schule die ‚neue Weisheit‘ ihres Collegen und die unrömische List; allein der Zweck war er- reicht und der Winter verfloss, ohne dass Perseus sich rührte. Desto eifriger nutzten die römischen Diplomaten die Zwischen- zeit um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen socialen Be- wegungen einverstanden war noch überhaupt sich weiter ver- stieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen Neutralität, dachte daran sich Perseus in die Arme zu werfen; und über- dies war dort jetzt durch römischen Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloss. Ebenso hatte zwar der aetolische Bund in seinen inneren Unruhen von Perseus Hülfe erbeten; aber der unter den Augen des römischen Gesandten gewählte neue Strateg Lykis- kos war römischer gesinnt als die Römer selbst. Auch bei den Thessalern behielt die römische Partei die Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und ökono- misch aufs tiefste zerrütteten Boeoter hatten sich in ihrer Ge- sammtheit nicht offen für Perseus erklärt; nur zwei einzelne Städte Haliartos und Koroneia hatten Sonderbündnisse mit ihm abgeschlossen. Da auf die Beschwerden des römischen Ge- DRITTES BUCH. KAPITEL X. sandten die Boeoter ihm den Stand der Dinge mittheilten, erklärte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenüber ausspreche; und darauf hin lief die boeotische Eid- genossenschaft geradezu aus einander um nie sich wieder zu vereinigen! Es ist nicht wahr, dass Epaminondas grosser Bau von den Römern zerstört worden ist; er fiel thatsächlich zu- sammen, ehe sie daran rührten, und ward also freilich das Vorspiel für die Auflösung der übrigen noch fester geschlossenen griechischen Städtebünde Die rechtliche Auflösung der boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte übrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstörung Korinths (Pausan. 7, 14, 4. 16, 6). . Mit der Mannschaft der römisch gesinnten boeotischen Städte belagerte der römische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe die römische Flotte im aegaeischen Meer erschien. — Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Castelle an der makedonischen Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt und so wie die Schifffahrt wieder begann, erhielt Larissa eine Be- satzung von 2000 Mann. Perseus sah dem allen unthätig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines eige- nen Gebietes besetzt, als die römischen Legionen im Frühling oder nach dem officiellen Kalender im Juni 583 an der West- küste landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bun- desgenossen gefunden haben würde, auch wenn er so viel Energie gezeigt hätte, als er Schlaffheit bewies; dass unter diesen Umständen er völlig allein blieb und jene weitläuftigen Propagandaversuche vorläufig wenigstens zu gar nichts führten, ist in der Ordnung. Karthago, Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen Freistädte, selbst das mit Perseus bis- her so eng befreundete Byzanz boten den Römern Kriegsschiffe an, welche diese indess ablehnten; Eumenes machte sein Land- heer und seine Schiffe mobil; König Ariarathes von Kappadokien schickte unverlangt Geisseln nach Rom; Perseus Schwager, Kö- nig Prusias II. von Bithynien blieb neutral; in ganz Griechen- land rührte sich niemand; König Antiochos IV. von Syrien, im Curialstil ‚der Gott, der glänzende Siegbringer‘ genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem ‚Grossen‘, rührte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmächtigen Aegypten während dieses Krieges das syrische Küstenland zu entreissen. DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Indess wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht verächtlicher Gegner. Sein Heer zählte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest grösstentheils Söldner. Die Ge- sammtmacht der Römer in Griechenland betrug zwischen 30 und 40000 Mann italische Truppen, ausserdem über 10000 Mann numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe zählte, da ihr keine feindliche gegenüberstand — Perseus, dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen ver- boten hatte, richtete erst jetzt Werften ein in Thessalonike — die aber bis 10000 Mann Truppen führte, da sie hauptsächlich zu Belagerungen bestimmt war. Die Flotte führte Gaius Lu- cretius, das Landheer der Consul Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abtheilung in Illyrien, um von We- sten aus Makedonien su beunruhigen, während er mit der Hauptmacht wie gewöhnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran den schwierigen Marsch zu beunruhigen, sondern begnügte sich in Perrhaebien einzu- rücken und die nächsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete er den Feind und unweit Larissa erfolgte das erste Gefecht zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Römer wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen und zersprengt; die Römer hatten 2000 Mann zu Fuss, 200 Reiter an Todten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich glück- lich schätzen unbehindert den Peneios überschreiten zu kön- nen. Perseus benutzte den Sieg um den Frieden zu erbitten auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten hatte; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er bereit. Die Römer schlu- gen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden nach einer Niederlage und hier hätte derselbe allerdings folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indess anzu- greifen verstand der elende römische Feldherr auch nicht; man zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah. Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Römer schlecht geführt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen glänzend gesiegt habe — ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen Insurrection der Patriotenpartei führen und durch die Eröffnung eines Gue- DRITTES BUCH. KAPITEL X. rillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Vertheidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelähmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Römer in einem zweiten Rei- tergefecht bei Phalanna davon trugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschränkten und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurückzukehren und Thessalien zu räumen. Das hiess natürlich so viel, als auf jeden Gedan- ken einer hellenischen Insurrection verzichten; was sonst hätte geschehen können, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernst- liches mehr; Perseus überwand den König Genthios, züchtigte die Dardaner und liess durch Kotys die römisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hin- ausschlagen. Dagegen nahm die römische Westarmee einige illyrische Städte und der Consul beschäftigte sich damit Thes- salien von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den römischen Heldenmuth die beiden unglücklichen boeoti- schen Städte, die mit Perseus hielten; Haliartos ward von dem römischen Admiral Gaius Lucretius erstürmt und die Einwoh- nerschaft in die Sclaverei verkauft, Koroneia von dem Consul Crassus gar trotz der Capitulation ebenso behandelt. Noch nie hatte ein römisches Heer so schlechte Mannszucht gehal- ten wie unter diesen Befehlshabern. Das Heer ward so zer- rüttet, dass auch im nächsten Feldzug 584 der neue Consul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfähig und niederträchtig erwies wie sein Vorgänger. Die Flotte lief ohne allen Erfolg an den thrakischen Küsten- plätzen an. Die Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, er- litt eine Schlappe über die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein völlig verunglückt war, griff der Kö- nig mit den an der Südgrenze durch den tiefen alle Pässe sperrenden Schnee disponibel gewordenen Truppen ihn seiner- seits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Ge- fangene ab und knüpfte Verbindungen mit dem König Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen in Aetolien einzufallen, während Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Festung, die er vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. Die römische Hauptarmee machte ein paar Versuche erst über die kambunischen Berge, dann durch die thessalischen Pässe in Makedonien einzudringen, aber sie wurden schlaff angestellt und beide von Perseus zurückgewiesen. Hauptsäch- lich war der Consul bemüht das Heer einigermassen zu reor- ganisiren, was freilich auch vor allen Dingen nöthig war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier erfor- derte. Abschied und Urlaub waren käuflich geworden, die Abtheilungen daher niemals vollzählig; die Mannschaft ward im Sommer einquartiert und wie die Offiziere im grossen Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Völker- schaften wurden in schmählichster Weise beargwohnt — so wälzte man die Schuld der schimpflichen Niederlage bei La- rissa auf die angebliche Verrätherei der aetolischen Reiterei und sandte unerhörter Weise deren Offiziere zur Criminal- untersuchung nach Rom; so drängte man die Molotter in Epeiros durch falschen Argwohn zum wirklichen Abfall; die verbündeten Städte wurden, als wären sie erobert, mit Kriegs- contributionen belegt und wenn sie auf den römischen Senat provocirten, die Bürger hingerichtet oder zu Sclaven verkauft — so in Abdera und ähnlich in Chalkis. Der Senat schritt sehr ernstlich ein: er befahl die Befreiung der unglücklichen Koroneer und Abderiten und verbot den römischen Beamten ohne Erlaubniss des Senats Leistungen von den Bundesge- nossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Bürger- schaft einstimmig verurtheilt. Allein das konnte nicht ändern, dass das Ergebniss dieser beiden ersten Feldzüge militärisch null, politisch ein Schandfleck für die Römer war, deren un- gemeine Erfolge im Osten nicht zum wenigsten darauf beruh- ten, dass sie der hellenischen Sündenwirthschaft gegenüber sittlich rein und tüchtig auftraten. Hätte an Perseus Stelle Phi- lippos commandirt, so würde dieser Krieg vermuthlich mit der Vernichtung des römischen Heeres und dem Abfall der mei- sten Hellenen begonnen haben; allein Rom war so glücklich in den Fehlern stets von seinem Gegner überboten zu werden. Perseus begnügte sich in Makedonien, das nach Süden und Westen eine wahre Bergfestung ist, gleich wie in einer be- lagerten Stadt sich zu verschanzen. Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 nach Make- donien sandte, Quintus Marcius Philippus, jener schon erwähnte ehrliche Gastfreund des Königs, war seiner keineswegs leich- DRITTES BUCH. KAPITEL X. ten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagstück durch den Pass Lapathus westlich von Tempe den Uebergang über den Olympos in der Art zu versuchen, dass er gegen die Besatzung des Passes eine Abtheilung zurückliess und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhänge nach Herakleion zu den Weg sich bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss konnte eine Handvoll entschlosse- ner Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen Rück- zug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang, wie er stand mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne die Möglichkeit zu fouragiren, war seine Lage nicht minder verzweifelt, als da er in seinem ersten Consulat in den ligurischen Engpässen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen und militärisch verloren war. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Per- seus Unfähigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen könne gegen die Römer anders als durch Sperrung der Pässe sich zu vertheidigen, gab er sich seltsamer Weise verloren, so wie er die Römer diesseit derselben erblickte, flüchtete eiligst nach Pydna und befahl seine Schiffe zu verbrennen und seine Schätze zu versenken. Obwohl somit die makedonische Ar- mee sich freiwillig zurückzog, war dennoch der Mangel im Lager des Consuls so gross, dass er im Vorrücken wesentlich gehindert ward. Hätte nicht zur rechten Zeit das unüber- windliche Tempe capitulirt und seine reichen Vorräthe dem Feinde überliefert, so wäre er in die schlimmste Lage gera- then; denn der König kam zur Besinnung und eilte, schleunigst Gegenbefehle ertheilend, in die verlassene Position wieder ein- zurücken. Da Quintus Marcius, der schon vier Tagemärsche vorwärts gegangen war, wegen Mangels an Lebensmitteln wieder hatte umkehren müssen, fand der König dieselbe unbesetzt und verbarricadirte sich an dem Ufer des kleinen Flusses Enipeus. So in den äussersten Winkel Thessaliens eingeklemmt verblieb das römische Heer den Rest des Sommers und den Winter in seiner Stellung. Hier verdankte man also den Erfolg, den ersten wesentlichen in diesem Kriege, nicht dem römischen Feldherrn, sondern dem feindlichen. Die römische Flotte ver- suchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete über- haupt gar nichts aus. Perseus leichte Schiffe streiften kühn DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. zwischen den Kykladen, beschützten die nach Makedonien bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwächten Abtheilung nichts ausrichten und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Consuls vereitelt. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das Versprechen einer gro- ssen Geldsumme hatte erkaufen lassen mit Rom zu brechen und die römischen Gesandten einkerkern liess; worauf der sparsame König es überflüssig fand die Gelder zu zahlen, da Genthios nun ohnehin gezwungen war statt seiner zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja hätte Perseus sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er hätte einen dritten Krieg entzünden können. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 20000 Mann halb zu Pferd, halb zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte sich nicht einigen über den Sold. Auch in Hellas gährte es so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklich- keit und einer vollen Kasse leicht hätte entzünden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu geben und die Griechen nichts umsonst thaten, blieb das Land ruhig. Endlich entschloss man sich in Rom den rechten Mann nach Griechenland zu senden. Es war Lucius Aemilius Paul- lus, der Sohn des gleichnamigen Consuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem Vermögen und desshalb auf dem Wahlplatz nicht so glücklich wie auf dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich ungewöhnlich hervorgethan. Jetzt wählte das Volk ihn zum zweitenmal zum Consul für das Jahr 586 seiner Ver- dienste wegen, was damals schon eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der Rechte: ein vorzüg- licher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kräftig, ein unbestechlicher Beamter — ‚einer der wenigen Römer jener Zeit, denen man kein Geld bieten konnte‘, sagt ein Zeitgenosse von ihm — und ein Mann von hellenischer Bildung, der den Waffenstillstand benutzte Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen und vor dem olympischen Zeus stehend es aussprach, dass nur Pheidias es verstanden habe das homerische Ideal darzustellen. — Nachdem der neue Consul DRITTES BUCH. KAPITEL X. im Lager bei Herakleion eingetroffen war, säumte die Entschei- dung nicht lange. Während Vorpostengefechte im Flussbett des Enipeus die Makedonier beschäftigten, liess er durch Publius Nasica den schlecht bewachten Pass bei Pythion über- rumpeln; der Feind war also umgangen und musste nach Pydna zurückweichen. Am römischen 4. September 586 oder am 22. Juni des julianischen Kalenders — eine Sonnenfinster- niss, die ein kundiger römischer Offizier dem Heer voraus- sagte, damit kein böses Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung — wurden beim Tränken der Rosse nach Mittag zufällig die Vorposten hand- gemein, und beide Theile entschlossen sich die eigentlich erst auf den nächsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der Römer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stürmte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand später ein, dass er gezittert habe. Die römi- sche Vorhut zerstob, eine paelignische Cohorte ward nieder- gerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurück bis sie einen Hügel erreicht hatten, bis hart an das römische Lager. Hier wandte sich das Glück. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung lösten die Glieder der Pha- lanx; in einzelnen Cohorten drangen die Römer in jede Lücke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische Reiterei, die allein noch hätte Hülfe bringen können, ruhig zusah und bald sich in Massen davon machte, mit ihr unter den Ersten der König, so war in weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle hier die Phalanx selbst untergehen, die bei Pydna ihre letzte grosse Schlacht schlug. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am funfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl übernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der König flüchte mit seinem Golde — noch hatte er über 6000 Talente (9 Mill. Thlr.) in seiner Kasse — nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. die königlichen Pagen und die letzten Gefährten. Einen Augen- blick hoffte er, dass das Asyl recht ihn schützen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen Strohhalm halte. Ein Versuch zu Kotys zu flüchten misslang. So schrieb er an den Consul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er sich darin König genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte auf Gnade und Ungnade den Römern sich aus mit seinen Kindern und seinen Schätzen, kleinmüthig und wei- nend, den Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem gegenwärtigen Erfolg nachsinnend empfing der Consul den vornehmsten Gefangenen, den je ein römischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fucinersee Dass die Römer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbürgte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getödtet, ist sicher eine Fabel. ; sein Sohn lebte in späteren Jahren in derselben italischen Landstadt als Schreiber. — So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und hellenisirt hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zu Grunde. — Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehle, ward gleichzeitig auch der Krieg gegen den ‚König‘ Genthios von Illyrien von dem Prätor Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Könige, der Erbe des grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen neben einander gefangen in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren dürfe, die Flamininus unzeitige Milde über Rom gebracht hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Conferenz zu Amphipolis am Strymon verfügte die römische Commission die Auflösung der Monarchie, die mehr als irgend ein andrer griechischer Staat durch enge Nationalität zusammen- geschlossen war, in vier Eidgenossenschaften, die von Amphi- polis in den östlichen Landschaften, die von Thessalonike mit der chalkidischen Halbinsel, die von Pella an der thessalischen Grenze und die von Pelagonia im Binnenland. Die Verfassung der Eidgenossenschaften legte alle Macht in die Hände der Vornehmen. Dem Volke blieb die Wahl der Regierungsmit- glieder und sein Landrecht; Zwischenheirathen indess unter den Bürgern der vier Eidgenossenschaften waren ungültig DRITTES BUCH. KAPITEL X. und keiner durfte in mehr als einer derselben ansässig sein. Alle königlichen Beamten so wie deren erwachsene Söhne mussten das Land verlassen und sich nach Italien begeben, bei Todesstrafe — man fürchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalität. Den vier Gemeinwesen wurden die königlichen Domänen und die Regalien entzogen, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein Hauptreichthum des Landes, deren Bearbeitung untersagt ward; doch ward wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben schon 596 wieder gestattet. Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 die makedonischen Berg- werke wieder eröffnet wurden, erhält ihre nähere Bestimmung durch die Münzen. Goldmünzen der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Gold- gruben also blieben entweder geschlossen oder wurden zum Vortheils Roms ausgebeutet. Dagegen finden sich allerdings Silbermünzen des ersten Ma- kedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; für die kurze Zeit, in der sie geschlagen sein müssen (596-608), ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt von einem sehr energischen Be- trieb der Gruben. Von der Grundsteuer, die an die Könige entrichtet ward, ward die Hälfte erlassen, die andere Hälfte sollte in Zukunft nach Rom bezahlt werden; sie betrug jährlich 100 Talente (150000 Thlr.). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch diese Steuer später er- lassen ward. Polyb. 37, 4. Die Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Das ganze Land ward für ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfälle der Barbaren bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt. — Man erreichte seinen Zweck. Das make- donische Land empörte sich noch einmal, als ein Prinz aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen rief, und ist übri- gens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne Geschichte geblieben. — Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansässigen die Hälfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme der Städte, die es mit den Römern gehalten hatten — eine Ausnahme, die zu machen Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward confiscirt und den wichtigeren griechischen Gemeinden an dieser Küste geschenkt; man durfte hoffen, hiemit die ewigen Quälereien, welche die Illy- rier ihren Nachbaren namentlich durch ihre Corsaren zufügten, DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. gründlich abgestellt zu haben. — Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurück. — So waren die nördlichen Verhältnisse geordnet und nun auch Makedonien endlich von dem Joch der Mo- narchie erlöst — in der That, Griechenland war freier als je, ein König nirgends mehr vorhanden. Aber man beschränkte sich nicht darauf Makedonien zu demüthigen. Es war im Senat beschlossen die sämmtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind, ein für allemal un- schädlich zu machen und sie mit einander in dieselbe de- müthige Clientel herabzudrücken. Dass es beschlossen ward, mag entschuldbar sein; allein die Art, wie man namentlich gegen die mächtigeren unter den griechischen Clientenstaaten verfuhr, ist einer Grossmacht nicht würdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. Am schwer- sten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten und dessen man jetzt, nach Makedoniens Vernich- tung, freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden. Es schien nicht leicht gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen erträglichen Vorwand zu finden um ihn aus seiner bevorzugten Stellung zu verdrängen und ihn vorläufig wenigstens in Ungnade fallen lassen zu können. Auf einmal kamen um die Zeit, da die Römer im Lager bei Herakleion standen, seltsame Gerüchte über ihn in Umlauf: er stehe mit Perseus in heimlichem Verkehr; plötzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; für seine Nichttheilnahme am Feldzug seien ihm 500, für die Vermittlung des Friedens 1500 Ta- lente geboten worden, und der Vertrag habe sich nur an Perseus Geiz zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging der König mit ihr, als die römische sich ins Winter- quartier begab, gleichfalls heim, nachdem er dem Consul seine Aufwartung gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Mährchen wie nur irgend eine heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und consequente Attalide, der den Krieg durch seine Reise 582 zunächst veranlasst hatte und fast desswegen von Perseus Banditen ermordet worden wäre, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten eines Krieges überwunden waren, über dessen endlichen Ausgang überdies nie ernstlich gezweifelt werden konnte, dass er damals seinem Mörder seinen Antheil an der Beute um einige Ta- DRITTES BUCH. KAPITEL X. lente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche Erbärmlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Römer wagten nicht jene Verdächti- gungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das Benehmen der römischen Grossen gegen Attalos, Eumenes Bruder, der die pergamenischen Hülfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit offenen Armen ward der wackre und treue Kamerad in Rom empfan- gen und aufgefordert nicht für seinen Bruder, sondern für sich zu bitten — gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewähren. Allein die pergamenische Regentenfamilie lebte unter sich nicht wie es in den fürstlichen Häusern her- gebracht war; Attalos erbat nichts als Aenos und Maroneia und erhielt sie, da der Senat meinte, dass dies nur eine vorläufige Bitte sei, mit grosser Artigkeit zugestanden. Als er aber abreiste ohne mehr erbeten zu haben, wurden die Städte frei erklärt. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Per- gamener von der makedonischen Beute; hatte man nach An- tiochos Besiegung Philippos gegenüber noch die Formen ge- schont, so wollte man jetzt verletzen und demüthigen. Um diese Zeit scheint Pamphylien, über dessen Besitz Eumenes und Antiochos bisher gestritten, von Rom unabhängig erklärt zu sein. Bald nachher erbat Eumenes die römische Vermittlung bei den Galatern, die sein Reich überschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Der römische Gesandte gestand sie zu, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer ge- gen sie befehligte, besser nicht mitgehe um nicht die Wilden zu verstimmen, und merkwürdiger Weise richtete er gar nichts aus, ja er erzählte bei der Rückkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe. Endlich reiste Eumenes selbst nach Rom. Der Senat, wie vom bösen Gewissen geplagt, beschloss plötzlich, dass Könige künftig nicht mehr nach Rom sollten kommen dürfen, und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen ihm diesen Senatsbeschluss vorzu- legen, ihn zu fragen was er wolle und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der König schwieg; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der halbmächtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmächtigen Unterthänigkeit. DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Aehnlich erging es den Rhodiern, deren Einverständniss mit Rom schon seit einiger Zeit getrübt war. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen Freund- schaftsverhältniss, das sie nicht hinderte Bündnisse jeder Art einzugehen und nicht nöthigte den Römern auf Verlangen Zuzug zu leisten. Dass in Rom der Wunsch bestand sie zu demüthigen, hatte sich während des Aufstandes der nach An- tiochos Ueberwindung ihnen zugetheilten Lykier gezeigt (576). Die Rhodier hatten sie als abtrünnige Unterthanen behandelt und in grausamer Weise geknechtet; sie aber behaupteten rhodische Bundesgenossen zu sein und drangen mit dieser Behauptung im römischen Senat durch, als derselbe aufge- fordert ward den zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hiebei hatte indess ein gerechtfertigtes Mitleid mit den arg gedrückten Leuten wohl das Meiste gethan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, als dass man diesen wie andern hellenischen Hader gehen liess, bis die Hadernden in irgend einer Art zu Ende kamen. Als der Krieg mit Perseus ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle übrigen Grie- chen ungern und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war übel berufen, so dass die Rhodier sogar seine Festgesandt- schaft bei der Heliosfeier abwiesen. Allein dies hinderte sie nicht fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 ihnen ertheilte Erlaubniss der Getreideausfuhr aus Sicilien beweist die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Plötzlich erschienen kurz vor der Schlacht bei Pydna rhodi- sche Gesandte im römischen Hauptquartier und im römischen Senat mit der Erklärung, dass die Rhodier nicht länger diesen Krieg dulden würden, der auf ihren makedonischen Handel und auf die Hafeneinnahme drücke, und dass sie der Partei, die sich weigere Frieden zu schliessen, selbst den Krieg er- klären würden; zu welchem Ende bereits mit Kreta, mit den asiatischen Städten ein Bündniss abgeschlossen sei. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles möglich; aber diese wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die in Rhodos erst beschlossen sein kann als man dort den Fall des Tempe- passes kannte, verlangt eine nähere Erklärung. Den Schlüssel giebt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Consul Quin- tus Marcius, jener Meister der ‚neumodischen Diplomatie‘, im Lager bei Herakleion, also nach Besetzung des Tempe- Röm. Gesch. I. 38 DRITTES BUCH. KAPITEL X. passes den rhodischen Gesandten Agepolis mit Artigkeiten überhäufte und ihn unter der Hand ersuchte den Frieden zu vermitteln. Republikanische Eitelkeit und Verkehrtheit thaten das Uebrige; man meinte, die Römer gäben sich verloren, man hätte gern zwischen vier Grossmächten zugleich den Ver- mittler gespielt — Verbindungen mit Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr als sie sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel grösstentheils selbst von jenen Intri- guen nichts wusste, vernahm die wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war sehr erfreut über die gute Gelegenheit die übermüthige Kaufstadt etwas zu demüthigen. Ein kriegslustiger Prätor ging gar so weit bei dem Volk die Kriegserklärung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst be- schworen die rhodischen Gesandten einmal über das andere kniefällig den Senat der 140jährigen Freundschaft mehr als des einen Irrthumes zu gedenken; umsonst schickten sie die Häupter der makedonischen Partei auf das Schaffot oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren Goldkranz zum Dank für die unterlassene Kriegserklärung. Der ehrliche Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen hätten und fragte, ob man anfangen wolle Wünsche und Ge- danken zu strafen und ob man den Völkern die Besorgniss verargen könne, dass die Römer sich alles erlauben möchten, wenn sie Niemanden mehr fürchten würden. Seine Worte waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre Be- sitzungen auf dem Festland, die einen jährlichen Ertrag von 120 Talenten (180000 Thlr.) abwarfen. Schlimmer noch waren die Massregeln, die den rhodischen Handel trafen. Schon das Verbot der Salzeinfuhr nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis dahin das Jahr 1 Mill. Drachmen (250000 Thlr.) abgeworfen hatte, sank in kürzester Zeit auf 15000 Dr. (37500 Thlr.). Ueberhaupt aber waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und kühnen Handelspolitik gelähmt und der Staat fing an zu siechen. Selbst das erbetene Bünd- niss ward anfangs abgeschlagen und erst 590 nach wieder- holten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber macht- losen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und Aegypten konnte man kürzer zu Werke DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. gehen. Zwischen beiden war Krieg ausgebrochen, wieder einmal über Koelesyrien und Palaestina. Nach der Behaup- tung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermählung der syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von Babylon indess, der sich im factischen Besitz befand, in Abrede stellte. Wie es scheint, gab die Anwei- sung der Mitgift auf die Steuern der koelesyrischen Städte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der Kleopatra im Jahre 581, mit dem spätestens die Rentenzah- lungen aufhörten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein auch König Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um während der Beschäftigung der Römer in Makedonien das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens noch einmal anzustreben; es sollte das letzte Mal sein. Das Glück schien ihm günstig. Der damalige König von Aegypten, Ptolemaeos der Sechste Philo- metor, der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter überschritten und war schlecht berathen; nach einem grossen Sieg an der syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in welchem die Legionen in Griechenland landeten (583), in das Gebiet seines Neffen einrücken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm desshalb die Thore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle den jüngern Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum König. Als hierauf Antiochos durch Unruhen in seinem Reiche abgerufen ward und in seiner Abwesenheit die Brüder sich mit einander vertrugen, setzte er nach seiner Rückkehr gegen beide den Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna (586), traf ihn der römische Gesandte Gaius Popillius, ein har- ter barscher Mann, und insinuirte ihm den Befehl des Senats alles Eroberte zurückzugeben und Aegypten in einer bestimm- ten Frist zu räumen. Als der König sich Bedenkzeit erbat, zog der Consular mit dem Stabe einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklären, bevor er den Kreis überschreite. Der König er- wiederte, dass er gehorche und zog ab nach seiner Residenz, um dort als der Gott, der glänzende Siegbringer, der er war, die Bezwingung Aegyptens nach römischer Sitte zu feiern und den Triumph des Paullus zu parodiren. — Aegypten 38* DRITTES BUCH. KAPITEL X. fügte sich freiwillig in die römische Clientel; aber auch die Könige von Babylon standen hiemit ab von dem letzten Ver- such ihre Unabhängigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die Seleukiden im koelesyrischen Krieg den gleichen und gleich letzten Ver- such sich ihre ehemalige Macht wieder zu gewinnen; aber es ist bezeichnend für den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen entschieden und hier das barsche Wort eines Diplomaten. In Griechenland selbst waren als Verbündete des Perseus, nachdem die beiden boeotischen Städte schon mehr als genug gebüsst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ort- schaften in Epeiros der Plünderung Preis und verkaufte die Einwohner, 150000 an der Zahl, in die Sclaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die Akarnanen Leukas wegen ihres zwei- deutigen Benehmens, wogegen die Athener, die fortfuhren den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schämten um die öde Stätte von Haliartos zu petitioni- ren, die ihnen denn auch zu Theil ward. So war etwas für die Musen geschehen, aber mehr war zu thun für die Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also be- gannen durch ganz Griechenland die Hochverrathsprozesse. Wer in Perseus Heer gedient hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Königs oder die Angaben der zum Denunciren herbeiströmenden politischen Gegner compromittirten — der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten unter den Thessalern, Aeto- lern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der Heimath entfernt; namentlich aber über tausend Achaeer, wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte den Leuten den Prozess als die kindische Opposition der Hellenen mundtodt zu machen. Den Achaeern, die wie gewöhnlich sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklärte der Senat, ermüdet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Unter- suchung, endlich rund heraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben würden. Sie wurden hier in den Land- städten internirt und leidlich gehalten, Fluchtversuche indess mit dem Tode bestraft; ähnlich wird die Lage der aus Ma- kedonien weggeführten ehemaligen Beamten gewesen sein. DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Wie die Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so ge- waltsam er war, noch der erträglichste und die enragirten Griechen der Römerpartei sehr wenig zufrieden damit, dass man nicht häufiger köpfte. Lykiskos hatte es desshalb zweck- mässig gefunden in der Rathsversammlung vorläufig 500 der vornehmsten Männer der aetolischen Patriotenpartei nieder- stossen zu lassen; die römische Commission, die den Menschen brauchte, liess es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch durch römische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf glauben, dass sie zum Theil um solche Gräuel abzuschneiden jenes italische Internirungs- system aufstellte. Da überhaupt im eigentlichen Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung wie Rhodos oder Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demüthigung weiter nicht, sondern was man that, geschah nur um Gerech- tigkeit, freilich im römischen Sinne, zu üben und die ärger- lichsten und eclatantesten Ausbrüche des Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiemit die hellenistischen Staaten sämmtlich der römischen Clientel vollständig unterthan geworden und das ge- sammte Reich Alexanders des Grossen, gleich als wäre die Stadt sein Erbe geworden, an die römische Bürgergemeinde gefallen. Von allen Seiten strömten die Könige und die Gesandten nach Rom um Glück zu wünschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt wird als wenn Könige antichambriren. König Massinissa, der auf ausdrücklichen Befehl davon abgestan- den war selber zu erscheinen, liess durch seinen Sohn erklären, dass er sich nur als den Nutzniesser, die Römer aber als die wahren Eigenthümer seines Reiches betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm übrig lassen würden. Darin war wenigstens Wahrheit. König Prusias von Bithynien aber, der seine Neutralität abzubüssen hatte, trug die Palme in diesem Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat geführt ward, und huldigte ‚den rettenden Göttern‘. Da er so sehr verächtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und schenkte ihm die Flotte des Perseus. — Der Augenblick wenigstens für solche Huldigungen war wohlgewählt. Von der Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der römischen Welt- herrschaft. Sie ist in der That die letzte Schlacht, in der ein civilisirter Staat als ebenbürtige Grossmacht Rom auf der Wahlstatt gegenübergetreten ist; alle späteren Kämpfe sind DRITTES BUCH. KAPITEL X. Rebellionen oder Kriege gegen Völker, die ausserhalb des Kreises der römisch-griechischen Civilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze civilisirte Welt erkennt fortan in dem römischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen Commissionen in letzter Instanz zwischen Königen und Völ- kern entscheiden um dessen Sprache und Sitten sich anzu- eignen fremde Prinzen und vornehme junge Männer in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu entledigen ist in der That nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem grossen Mithradates von Pon- tos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhält an seiner bisherigen Politik keine unmittelbaren Besitzungen ausser- halb Italien zu erwerben, ausser wo wie in Spanien die Nothwendigkeit sie aufdringt; denn offenbar war auch Spa- niens Erwerb weit mehr eine Last als ein Gewinn und man behielt die Halbinsel nur, weil man um jeden Preis die Bildung eines neuen hannibalischen Staats verhindern zu müssen glaubte und es einmal nicht möglich war hier zwei Nationen gegen einander zu balanciren, wie in Gallien die Kelten durch die Massalioten, in Libyen die Punier durch die Eingebornen. Wenn man konnte, hielt man fest an der Staatsmaxime keine überseeischen Eroberungen und Besatzun- gen zu übernehmen; aber es war eine Sisyphusarbeit jene zahllosen Clientelstaaten durch die blosse politische Suprematie so weit in Ordnung zu halten, dass sie weder sich in völlige Schwäche und Anarchie auflösten, wie es in Griechenland geschah, noch dem halbfreien Staat die Möglichkeit blieb sich zur vollen Unabhängigkeit zu entwickeln, wie es nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte ganz zu Grunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Füsse stel- len; wesshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine bessere Stellung bei den römischen Diplomaten hatte als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufge- richtet, aber wer selber sich aufrichtete erniedrigt ward — die Aetoler, Makedonien nach dem asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Das alles ward auf die Länge den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern; nach der Schlacht von Pydna zeigen sich schon deutlich die Anfänge eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms auch nur Mittelstaaten in der ihnen möglichen Unabhängigkeit neben sich zu dulden, wesshalb Makedonien nicht mehr geschwächt, DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. sondern vernichtet ward. Die immer nothwendiger werdende Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie socialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo die Nord- grenze nothwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind ebensoviel Anfänge der nahenden Verwandlung der Clientelstaaten in Unterthanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurück auf den von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertrümmerung durchmessenen Lauf, so erscheint die römi- sche Weltherrschaft keineswegs, wie man wohl zu sagen pflegt, als ein von unersättlicher Ländergier entworfener und durchgeführter Riesenplan, sondern als ein Ergebniss, das der römischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufge- drungen hat. Es ist offenbar für jede nicht oberflächliche Betrachtung, dass man während dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft über Italien, dass man bloss wünschte nicht übermächtige Nachbarn neben sich zu haben und dass man, nicht aus Humanität gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefühl den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdrücken zu lassen, sich sehr ernstlich dagegen stemmte erst Africa, dann Griechenland, endlich Asien in den Kreis der römischen Clientel hineinzu- ziehen, bis die Umstände jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahe legten. Die Römer haben stets behauptet, dass sie nicht Erobe- rungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es ist etwas sehr Wahres darin, denn mit Ausnahme des Krieges um Sicilien sind zu allen grossen Kriegen, zu dem hannibalischen und dem antiochischen und nicht minder zu denen mit Philippos und Perseus, sie entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhörte Störung der bestehenden politischen Ver- hältnisse genöthigt und daher auch in der Regel von ihrem Ausbruch überrascht worden. Dass sie sich nicht so gemä- ssigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es hätten thun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spa- niens, die Feststellung der Tutel über Africa, vor allem der halb phantastische Plan den Griechen überall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind theils die DRITTES BUCH. KAPITEL X. blinde Furcht vor Karthago, theils der noch viel blindere hel- lenistische Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Römer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verständige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall ist die römische Politik nicht die eines einzigen gewaltigen Kopfes oder eines in einer Familie sich forterbenden Dynastenstrebens, sondern die Politik einer sehr tüchtigen, aber etwas beschränkten Raths- herrenversammlung, die um Pläne in Caesars und Napoleons Sinn zu entwerfen der grossartigen Combination viel zu wenig und des richtigen Instincts für das Glück des Volkes viel zu viel gehabt hat. Die römische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Alterthums überhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und desshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch unschädlich zu ma- chen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige Grossmacht des Alterthums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen und nur der Erfolg unterschied zwischen ihnen, da nach dem Willen des Verhängnisses all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen vergehen mussten um eine unter allen zu bereichern und alle am letzten Ende bauen halfen an Italiens Grösse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall. KAPITEL XI. Die Verfassung und die inneren Verhältnisse . In keiner Epoche ist die römische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom sicilischen bis zum dritten makedonischen Kriege und noch ein Menschenalter über die- sen hinaus. Die Vermehrung der Beamtenzahl hielt schwer- lich auch nur Schritt mit der Erweiterung der Grenzen und der Vermehrung der Obliegenheiten der Regierung; wesent- liche Verfassungsänderungen fanden kaum statt, und selbst die wichtigsten, von denen wir Kunde haben, die Ausdehnung der Wahlen auf priesterliche Würden und die Umgestaltung der Abstimmungsweise in den Volksversammlungen, waren zwar Fortschritte im demokratischen Sinn, aber mit den Reformen weder der vorhergehenden noch der folgenden Periode an Wichtigkeit irgend zu vergleichen. Unter den geistlichen Aem- tern blieben die eigentlichen Priesterthümer, sowohl die Fla- minate wie die Collegien der Salier und Arvalen, von dem Kampf der Parteien unberührt wegen ihrer politischen Nich- tigkeit. Dagegen die Collegien der Sachverständigen, der Pon- tifices, der Auguren, der Orakelbewahrer, der Schmausherren, griffen vielfach ein in das öffentliche Leben und wie einst die Plebejer sich den Eintritt in dieselben zu erkämpfen bemüht gewesen waren, so suchte jetzt die Bewegungspartei die Be- setzung dieser Aemter in die Hände der Bürgerversammlung zu bringen. Dem Geiste dieser Institutionen, die ja eben be- stimmt waren die Kunde des göttlichen und menschlichen DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Rechts rein und vollständig den Nachkommen zu überliefern, widersprach es indess den Eintritt in diese Collegien den Zu- fälligkeiten der Volkswahl zu überliefern, und noch war dieser Geist so mächtig, dass man sich darauf beschränkte die Wahl der Vorsteher dieser Körperschaften, so weit sie Vorsteher hatten, aus dem Schoss der Körperschaften den Comitien zu übertragen; wobei überdiess noch, um ja nichts zu versehen, nicht das ganze Volk wählte, sondern nur die kleinere Hälfte der Bezirke. Auf diese Art kam, vermuthlich im Anfang die- ser Epoche, sicher vor dem Jahre 542 die Wahl des Vor- stehers der Curionen und die wichtigere des obersten Pontifex an die Bürgerversammlung. — Von grösserer Bedeutung war die Reform der Centuriatcomitien, die höchst wahrscheinlich in dem Jahre erfolgte, in dem der erste punische Krieg zu Ende ging (513). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der alte Geschlechtsadel in seinen und die plebejische Nobilität in ihren Abtheilungen; alsdann die erste Klasse, das heisst die Höchstbesteuerten; und diese beiden Abtheilungen hatten, wenn sie einig waren, jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuer- pflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das der unter dem niedrigsten Steuersatz von 11000 Assen Geschätzten wesentlich illusorisch und den Freigelasse- nen fehlte mit geringen Ausnahmen das Stimmrecht ganz. Nach der neuen Ordnung stimmte dagegen einfach Bezirk nach Bezirk und nur in dem einzelnen Bezirk Klasse nach Klasse; die Höchstbesteuerten erhielten, statt wie nach der alten fast die Hälfte, nach der neuen Ordnung nur etwa ein Fünftel der Gesammtzahl der Stimmen, nicht mehr als jede der vier folgenden Klassen. Zugleich wurde die Zahl der Bürgerbe- zirke, nachdem sie auf fünf und dreissig gebracht war, hiemit geschlossen und fortan die Neubürger nicht mehr in neue Bezirke geordnet, sondern in die bestehenden eingeschrieben. Es wird diese Reform als das Ende der ständischen Kämpfe bezeichnet, und mit Recht; sie schaffte das letzte politische Vorrecht des Adels, das wichtige Vorstimmrecht, ab und stellte die reicheren Steuerpflichtigen den ärmeren wesentlich gleich. Insofern ist ihre Tendenz allerdings demokratisch. Allein selbst abgesehen davon, dass im Allgemeinen die Zeitgenossen wie die Nachwelt gewohnt sind die Wichtigkeit der Verände- rungen in der Stimmordnung der Urversammlungen zu über- schätzen, wird man auch im Besondern die demokratische VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Tendenz dieser Reform nicht allzuhoch anschlagen dürfen. Die Reform betraf bloss die Centuriatcomitien, denen ausser den Wahlen der Consuln und Censoren und der Entscheidung über die Erklärung eines Angriffskrieges regelmässig keine Fragen vorgelegt wurden; die übrigen Wahlen und die regel- mässige Entscheidung über Gesetzvorschläge und Criminalan- klagen kamen ohnehin schon an die nach Districten stim- menden Tributcomitien, so dass die Reform eigentlich nichts anderes that als den Unterschied der Centuriat- und der Tri- butcomitien thatsächlich aufheben. Es war nicht von sehr grossem Gewicht, dass man nicht ganz auf demselben Wege in beiden Comitien zu gleichem Ziel kam. Die Centurien schlossen grundsätzlich die unter dem Minimalcensus ge- schätzten und die freigelassenen Bürger aus, während die Tribus alle Bürger umfassten. Aber dafür waren in den Tri- bus alle nicht ansässigen und die meisten freigelassenen Bür- ger in die vier städtischen Tribus zusammengedrängt, während die ansässigen freigebornen Bürger die ein und dreissig übri- gen inne hatten; in den Centurien dagegen standen die an- sässigen und nichtansässigen Bürger seit Appius Claudius Census sich gleich. Im Resultat kamen beide Stimmordnun- gen darauf hinaus, dass diejenigen Bürger, die überhaupt ein ernstliches Stimmrecht hatten, wesentlich unter einander gleich- standen, die vermögenslosen und die Freigelassenen aber kein oder doch kein wirksames Stimmrecht besassen. Anfangs zwar wurden bei jener Reform die Freigelassenen den Frei- geborenen gleichgestellt, aber zwanzig Jahre später (534) sie wieder aus den Stimmabtheilungen so gut wie entfernt — eine Massregel, die der Censor Tiberius Sempronius Gracchus, der Vater der beiden Urheber der römischen Revolution, im Jahre 585 gegen die immer wieder sich eindrängenden Freigelas- senen wiederholte und schärfte. Im Ganzen blieben also Freigelassene und Arme ausgeschlossen von der politischen Gleichberechtigung; was um so wichtiger war und um so deutlicher als ein Sieg der conservativen Partei erschien, als man diese zurückgesetzten Klassen zu den Staatslasten mög- lichst mit heranzuziehen anfing. Der Minimalcensus der Le- gionssoldaten, der früher mit dem Minimalcensus der Centu- riatcomitien von 11000 As zusammengefallen war, wurde im Laufe dieser Periode auf 4000 As vermindert; es wurden die zwischen 4000 und 1500 As geschätzten Freigebornen so wie die Freigelassenen zum Dienst auf der Flotte herangezogen, die DRITTES BUCH. KAPITEL XI. zwischen 1500 und 375 As geschätzten Freigebornen wenigstens im Nothfall in das Heer eingestellt. In Folge dieser Bestimmun- gen behielt auch noch die reformirte Verfassung einen sehr entschieden aristokratischen Charakter. Die Reform der Cen- turienordnung selbst war mehr administrativer als politischer Art und hätte der Bürgerversammlung kaum eine wesentlich veränderte Richtung gegeben, selbst wenn diese Versammlung im Staat damals noch gewesen wäre, was sie früher war. Allein dies Rad in der Staatsmaschine ward allmählich so ge- lähmt, dass die Veränderungen in seinem Bau keineswegs mehr die Bedeutung haben wie in den Zeiten des Kampfes der Patricier und der Plebejer. Der römischen Bürgerversammlung, die vortrefflich orga- nisirt war um die Gemeindeinteressen zu berathen, waren die Verhältnisse vollständig über den Kopf gewachsen. In den höchsten und schwierigsten Fragen, die die herrschende Welt- macht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entschei- dende Wort zu gestatten; über Feldherrnernennungen und Staatsverträge ihn, der weder die Gründe noch die Folgen seiner Beschlüsse begriff, in letzter Instanz aburtheilen zu lassen war ebenso sinnlos wie lächerlich. Dazu kam die arge Unbehülflichkeit der Maschine, die schon in der vorigen Pe- riode auffallend hervorgetreten und theils durch die steigende Zahl der Bürger, theils durch die Reform selbst noch wesent- lich vermehrt worden war; denn indem man seit der Reform die Neubürger in die alten Bezirke einschrieb, ward allmählich jeder Bezirk zusammengesetzt aus durchaus verschiedenen über das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften und verlor jeden inneren Zusammenhang. Eine bestimmte Leitung und eine Vorberathung in den Bezirken ward immer schwieriger; was um so übler war, als in den Comitien selbst nicht de- battirt ward. Das Ergebniss davon war wie billig die alberne und unmündige Rolle, die die Comitien ohne Ausnahme in der Geschichte dieser Zeit spielen; in der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen, und wenn sie aus- nahmsweise nein sagten, wie zum Beispiel im zweiten make- donischen Krieg, konnte man sicher sein dass die Kirchthurms- der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich endende Opposition machte. Nie ist in der beschränktesten Monarchie dem Monarchen so völlig die Leitung der öffentlichen Angele- genheiten entzogen worden wie es dem souverainen römischen VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Volke geschah; der Senat beherrschte die Comitien vollständig, und um so mehr, als die vornehmen Familien sich eben in dieser Periode fester zusammenschlossen und wieder anfingen einen eigenen Stand zu bilden, der im Senat seine Vertretung fand — charakteristisch genug eben in einer Epoche, welche formell die Grundsätze der Gleichberechtigung in der Bürger- schaft zur Anerkennung brachte. Zwar lag eine gewisse Erb- lichkeit in dem Wesen des senatorischen Instituts; es war ja von Haus aus gewissermassen eine Repräsentation der Ge- schlechter. Allein jetzt stellte sich nicht bloss fest, dass alle Mitglieder der regierenden Familien, so wie sie zu ihren Jah- ren gekommen waren, ihren Weg fanden in den Senat, son- dern, was schlimmer war, es ward den Männern, denen bloss ihr Verdienst einen Anspruch gab auf einen Sitz in der Curie, zwar der Eintritt in dieselbe nicht versperrt, aber zur Beklei- dung der beiden höchsten Würden, des Consulats und der Censur, wurden sie nicht leicht gelassen. Es fing an als eine Art Usurpation betrachtet zu werden, wenn ein ‚neuer Mann‘ sich bewarb um diese Aemter und nur selten und ungern, wie zum Beispiel zu Gunsten Catos und Glabrios, gestattete man Ausnahmen. Schon schämte der Senator sich bei den Spielen neben dem Plebejer zu sitzen; die Trennung der Sitzplätze, die der grosse Scipio 560 als Censor verfügt haben soll, war die offizielle Ankündigung der Scheidung zwischen Regierenden und Regierten. Um die regierenden Familien, in deren Händen zugleich ungeheure Reichthümer sich be- fanden, schloss sich dann der unvermeidliche Anhang von Günstlingen und Bettlern; es ward nöthig die Geschenke be- sonders desshalb gesetzlich zu beschränken, weil die Senatoren anfingen unter diesen Namen sich von ihren Clienten regel- mässig Tribut entrichten zu lassen. Diese neue Sonderstellung erweckte eine neue Opposition. Es ward der Grund gelegt zu einer neuen Parteibildung, welche die so eben beseitigte Be- vorrechtigung des Patriciats unter veränderten Namen wieder aufnahm und der Kampf drohte nur um so schwieriger und erbitterter zu werden, als die Zurücksetzung mehr eine that- sächliche als eine rechtliche war. Für jetzt freilich herrschte noch der Senat im Wesentlichen unumschränkt; und er ver- diente es zu herrschen. Er hatte, nachdem er Lehrgeld ge- geben während des ersten punischen Krieges, allmählich einen Geist in sich entwickelt, der der consequenten Führung des ihm zugefallenen Weltregiments gewachsen war; nicht so ab- DRITTES BUCH. KAPITEL XI. geschlossen um nicht jeder Capacität Raum in seinem Schosse zu gönnen und fest genug zusammengeschaart um politische Routine und politische Tradition in sich zu bilden, rechtfer- tigte er in dem hannibalischen und den daraus ferner sich entspinnenden Kriegen glänzend vor der Welt seine Befugniss sie zu beherrschen. Wären daneben die Bürgerversammlun- gen bloss nichtig gewesen, so hätte man sie immerhin den Souverain repräsentiren lassen mögen; allein wenn die sou- veraine Behörde unmündig ist und dennoch nicht mundtodt, so fehlt es ihr nicht an Vertretern, die als den Willen des höchstgebietenden Herrn den ihrigen proclamiren. Jede Mi- norität im Senat konnte der Majorität gegenüber appelliren an die Comitien; jedem einzelnen Mann, der die leichte Kunst besass unmündigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war das Mittel an die Hand gegeben einen Be- schluss zu erwirken, dem Beamte und Senat formell sich fü- gen mussten. Solches Beginnen mochte loyal und zweckmässig sein, so lange die Bürgerversammlung wirklich im Stande war zu regieren; aber da dies anerkannter Massen nicht mehr der Fall war, so thut man dieser ‚populären Partei‘, wie sie sich nannte, viel zu viel Ehre an, wenn man sie eine demokrati- sche nennt — sie verhält sich zu der Demokratie wie das Günstlings- und Mätressenregiment zum Royalismus. Ihr Ziel war nicht die Herrschaft des Volkes zu gründen, sondern die des Senats zu stürzen und in der einen oder andern Form die Herrschaft für sich zu usurpiren, oder vielmehr zunächst — denn noch war man beim Anfang — einzelne Massregeln im Interesse der Antragsteller gegen die Regierung durchzu- setzen. Hieher gehören die Verhandlungen vor dem Volk über Marcellus Oberbefehl; die Drohung Scipios sich vom Volk das Commando übertragen zu lassen; die versuchte Kriegserklärung gegen die Rhodier; vor allen Dingen aber die thörichten Feldherrnwahlen, welche durch dieses System eben dann, wenn am meisten auf sie ankam, auf jene Bürgergene- rale fielen, die im Weinhaus Schlachtpläne auf den Tisch zu zeichnen und auf den Kamaschendienst kraft ihres angebornen strategischen Genies mitleidig herabzusehen gewohnt sind. Was dabei herauskam, zeigt der erste Abschnitt des hanni- balischen Krieges und der Krieg gegen Perseus. Immer wei- ter dehnte die formelle Competenz des Volkes sich aus in Justiz und Administration, namentlich hinsichtlich der Ratifi- cation von Staatsverträgen, je weniger die Bürgerversammlung VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. im Stande war die Tragweite ihrer Beschlüsse zu fassen. In der That war das Volk weniger competent als je und während die Macht des Senats wie der Magistrate und überhaupt aller verfassungsmässigen Gewalten beschränkt, die Regierung auf Schritt und Tritt gekreuzt und beirrt ward, begreiflicher Weise eben am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war, erweiterte jede Ausdehnung der sogenannten Volkscom- petenz bloss die Macht der factiösen Minorität und der ein- zelnen Ehrgeizigen. Freilich war das Uebel erst im Beginnen; die neuen Parteien, die senatorische und die populare, waren noch nicht dahin gelangt auch nur ihre Lager vollständig ab- zustecken. Der gute und verständige Sinn in der Bürger- schaft war nicht erloschen und obwohl in der Regel nicht er in den Comitien entschied, so war es doch nicht unmöglich wenn es galt ihn auch in diesen wieder zu erwecken, sei es durch das Wort eines angesehenen Mannes, sei es durch die lautere Stimme der Noth und der Schande. So wurden Mar- cellus und Paullus vom Volk zu Feldherren gewählt und so gelang es die Einwilligung des Volkes zu dem zweiten Krieg gegen Philippos zu erwirken. Aber dieses Mittel erwies sich nur wirksam im äussersten Fall. Für die regelmässigen An- gelegenheiten stand der Regierung zwar verfassungsmässig die Dictatur zu Gebot; aber bei der steigenden demokratischen Tendenz war es nicht mehr möglich von dieser unpopulären Magistratur Gebrauch zu machen und seit der Dictatur des Quintus Fabius 537 und der Reaction dagegen, die dem In- stitut den Todesstoss gegeben, war sie thatsächlich beseitigt. Hauptsächlich stützte desshalb der Senat sich auf das popu- läre Tribunat, das zwar eingeführt war um den Senat zu lähmen, aber nach der Ausgleichung der ständischen Kämpfe das Mittel geworden war, durch das der Senat einzig sich hielt; denn indem jedem der zehn jetzt im Senat zu Sitz und Stimme berechtigten Volkstribunen das Recht zustand jeden Volksbeschluss durch sein Einschreiten zu cassiren und die Beamten zu verhaften, vermochte durch sie der Senat einigermassen die Comitien und die factiöse Opposition im Zaume und die Staatsmaschine im Gleise zu halten (S. 201). Im minderen Grade wurden zu gleichem Zweck die sacralen Institutionen gebraucht oder vielmehr gemissbraucht. Allein dass diese Mittel nicht reichten, und namentlich die Wahlen vollständig dem Zufall oder der Intrigue anheimfallen mussten, leuchtet ein. Augenblicklich war der Zustand noch erträglich, DRITTES BUCH. KAPITEL XI. da die Männer der popularen Partei noch nicht genau wuss- ten was sie wollten und mehr für den Fortschritt im Allge- meinen, als für ein bestimmtes Parteiprogramm, mehr um einzelne Massregeln der Regierung abzuzwingen als um die Verfassung umzustürzen sprachen und handelten; allein der gegenwärtige Uebelstand und die künftige Gefahr waren gross genug um eine Reform dringend zu erheischen und der han- nibalische Krieg vor allem hatte die Nothwendigkeit einer tapferen Verbesserung der Verfassung wahrlich klar genug dargethan. Indess die conservative Partei machte nicht einmal einen Versuch in dieser Richtung, sondern liess die Dinge eben gehen und bereitete, sei es durch ihre Kurzsichtigkeit, sei es durch ihre Feigheit, den Nachkommen eine böse Zeit; indem der Acker nicht rechtzeitig umgebrochen ward, säeten Unkraut auch die es nicht wollten. Den späteren Geschlech- tern, die die Stürme der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als das Muster des römischen Staatsmannes. Es war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmässigkeiten, eine Zeit wie die des wal- poleschen Regiments in England; und es trat in Rom kein Chatham auf, der die stockenden Adern der Nation in frische Wallung gebracht hätte. Die Stabilität der Verfassung war hier wie überall ein Zeichen nicht der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote einer Revolution. In demselben Geiste gestalteten sich die Verhältnisse zu der italischen Eidgenossenschaft in dieser Epoche allmählich um; die wichtigsten Veränderungen sind gleichfalls mehr that- sächliche als rechtliche Neuerungen. Die römische Eidgenos- senschaft bestand zu Anfang dieser Periode aus Vollbürgern, Passivbürgern ohne Stimmrecht und Bundesgenossen sehr ver- schiedenen Rechtes, unter denen die Städte in Latium, soweit sie nicht bereits in die römische Bürgerschaft eingetreten waren, und die von Rom gegründeten föderirten Städte, die sogenannten latinischen Colonien, die wichtigste und bevor- zugteste Klasse ausmachten. Von diesen drei Klassen wurde die zweite insofern abgeschafft, als alle Stadtgemeinden mit Passivbürgerrecht entweder ganz aufgelöst wurden, wie in Folge des hannibalischen Krieges ausser andern namentlich Capua, oder das Vollbürgerrecht empfingen, das im Laufe des sechsten Jahrhunderts Roms den übrigen Halbbürgergemeinden VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. allmählich zu Theil ward. Die factische Schwierigkeit, die grossentheils zu der Ertheilung des Passivbürgerrechts geführt hatte, dass nämlich das Vollbürgerrecht die Gemeinden den römischen Gerichten unterwarf und aus entfernteren Districten man doch nicht wohl die Leute beständig nach Rom kommen lassen konnte, beseitigte man in der Art, dass anstatt der wegfallenden städtischen Jurisdiction ein von Rom aus ernann- ter stellvertretender Richter ( praefectus ) eintrat; es bleibt frei- lich zweifelhaft, ob bei diesem Wechsel die Gemeinden mehr gewannen oder mehr verloren. Am Schluss dieser Periode gab es also keine andern römischen Passivbürger weiter, als ein- zelne aus besonderen Gründen vom Stimmrecht ausgeschlos- sene Individuen; die Bürger ohne Stimmrecht als Klasse in der Eidgenossenschaft waren verschwunden. Es ging diese wichtige Veränderung hervor aus demselben Geiste, der die Stimmreform veranlasste: man nivellirte innerhalb der römi- schen Bürgerschaft und beseitigte alle anderen Zurücksetzun- gen mit Ausnahme der der Nichtansässigen und der freige- lassenen Sclaven. Die römische Bürgerschaft bildete seitdem eine geographisch ziemlich geschlossene Masse, die an der Westküste von Caere bis Cumae reichte und im Binnenland La- tium im weitesten Sinn und die Sabina in sich schloss; nur einzelne Städte latinischen Rechts, wie zum Beispiel Tibur, Praeneste, Cora, Norba, waren innerhalb dieses Gebiets encla- virt. Dazu kamen ferner eine Anzahl römischer Bürger, die ohne municipale Gemeinwesen zu bilden in Dörfern durch ganz Italien zerstreut lebten, und die von Rom an den Küsten angelegten Colonien, die nach römischer Uebung Theile der römischen Vollbürgerschaft ausmachten. Gegen das Ende dieser Periode ward ferner der Grundsatz aufgegeben allen von Rom im Binnenlande gegründeten Festungen bloss latinisches Recht zu gewähren. Aquileia, dessen Gründung 571 begann, ist die jüngste der italischen Colonien Roms, welche latinisches Recht empfingen; die ungefähr gleichzeitig (570-577) aus- geführten Colonien Potentia, Pisaurum, Parma, Mutina, Luna erhielten bei der Gründung das volle Bürgerrecht. — Wenn also die römische Bürgerschaft im Innern sich ausglich und sich consolidirte, so schloss sie andrerseits gegen die Bundes- genossenschaft sich vollständig ab. Es lässt sich mit Sicher- heit keine einzige italische Gemeinde bezeichnen, die in dieser Periode das bundesgenössische mit dem Bürgerrecht vertauscht hätte und es kann mit Wahrscheinlichkeit angenommen wer- Röm. Gesch. I. 39 DRITTES BUCH. KAPITEL XI. den, dass seit der vollendeten Unterwerfung Italiens das rö- mische Bürgerrecht überhaupt an keine italische Gemeinde mehr gegeben worden ist mit Ausnahme der neuen See- und seit 570 der neuen Landcolonien. Aber auch in den Bundes- verträgen macht seit derselben Zeit dieselbe Richtung sich geltend die Bundesgenossen dem römischen Verbande fern- zuhalten und namentlich die Gewinnung des römischen Bür- gerrechts ihnen zu erschweren. Von den vier und dreissig Colonien latinischen Rechts, die Rom in Italien und im cis- alpinischen Gallien gegründet hat, waren die zwölf jüngsten, das heisst das 486 gegründete Ariminum und die seitdem angelegten, wesentlich schlechteren Rechtes als die älteren (S. 282). Während diesen, dem ‚grössern Latium‘, die volle Freizügigkeit verbrieft worden war und jeder aus einer sol- chen Stadt in Rom einwandernde Bürger dort als Passivbür- ger ( municeps ) lebte und alle Rechte und Pflichten des römi- schen Bürgers theilte mit Ausnahme der passiven Wahlfähigkeit und des Stimmrechts, ja vielleicht auch dieses in ähnlicher Weise übte wie die nichtansässigen Vollbürger Dies latinische Stimmrecht bestand wenigstens eine Zeitlang darin, dass bei jeder einzelnen Abstimmung das Loos den Stimmbezirk feststellte, in welchem sämmtliche Latiner zu stimmen hatten. , wurden da- gegen die Bürger der zwölf jüngsten Colonien, des ‚kleinern Latium‘ beschränkt auf privatrechtliche Gleichstellung mit den Römern im Handel und Wandel Cicero meldet ( pro Caec. 35), dass Sulla den Volaterranern das Recht von Ariminum gegeben habe, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der zwölf Colonien, die nicht römisches Bürgerrecht besassen, aber das Commercium mit den Römern. Ueber wenige Dinge ist so viel ver- handelt worden wie über die Beziehung dieses Zwölfstädterechts; und doch ist die Lösung sehr einfach: es sind die zwölf jüngsten latinischen Colo- nien — Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia — gemeint, an deren Spitze ja eben Ariminum steht. Damit ist zugleich bewiesen, was an sich schon wahrscheinlich war, dass alle nach Aquileias Gründung in Italien ausgeführten Colonien zu den Bürgercolonien gehören. — Ob Zwischen- heirathen zwischen Römern und Latinern als gültig angesehen wurden, d. h. das Kind dem Stande des Vaters folgte, ist nicht ausgemacht. Wahrschein- lich stand den Bürgern des grösseren Latium das Conubium zu (Diodoros 590, 62. fr Vat. 130 Dind.); dass es denen des kleineren fehlte, unterliegt keinem gegründeten Zweifel. . Nur den gewesenen Ge- meindebeamten gestattete man die Gewinnung des römischen Bürgerrechts und sorgte also in geschickter Weise dafür, dass die Capacitäten Rom nicht entfremdet wurden. Was also VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. galt für die bevorzugteste Klasse der Bundesgenossen, wird ohne Frage auch in analoger Weise für die übrigen Föderir- ten zur Anwendung gekommen sein, über deren in Folge des hannibalischen Krieges sehr zu ihrem Nachtheil veränderte Stellung und Stimmung schon früher einige Andeutungen gege- ben worden sind (S. 480). Die wenigen Verträge italischer Städte mit Rom, die den hannibalischen Krieg unverändert über- dauerten, wie zum Beispiel die mit Tibur, Praeneste, Neapel, Nola, Heraklea, gewährten wichtige Rechte, die den späteren fehlen und erkannten namentlich das Exilrecht an, das auf der Freizügigkeit ruht; von Tibur und Praeneste ist es nicht zu bezweifeln und von den andern nicht unwahr- scheinlich, dass diese Verträge im Wesentlichen den Bundes- städten das Recht des grössern Latium gaben. — Gegen das Ende dieser Periode ging man noch einen Schritt weiter. Es liefen Klagen ein über die Verödung der latinischen Städte in Folge der Freizügigkeit, die zwischen Rom und dem grös- sern Latium bestand; während andrerseits die italischen Bun- desgenossen minderen Rechtes anfingen sich in die latinischen Gemeinden einzudrängen. Wenn das also fortgehe, hiess es, würden die Städte bald nicht mehr im Stande sein ihre Con- tingente vollzählig zu machen. Römischer Seits ward hierauf beschlossen die Latiner ihr Zugrecht nur dann ausüben zu lassen, wenn der Uebertretende leibliche Kinder in seiner Heimathsge- meinde zurücklasse; nach welchem Grundsatz polizeiliche Aus- weisungen aus der Hauptstadt in grossem Umfang stattfanden (567. 577). Mochte diese Massregel auch zunächst im Interesse der Bundesstädte getroffen sein, so diente sie doch jedenfalls dazu das den Römern unbequeme freie Zugrecht der Bundesgenossen auch da, wo es einmal verbrieft war, zu beschränken. Das Ziel, wohin man steuerte, ist offenbar: es galt die römische Bürgerschaft jetzt aufs Neue abzuschliessen wie sie in der ältesten Zeit abgeschlossen gewesen war und das Plebejat, das durch die Liberalität seiner Institutionen gross geworden war, wieder einzuschnüren in die starren Satzungen des Patriciats. Wie innerhalb der Bürgerschaft die senatorischen Familien dem Volke gegenüberstanden, so und noch viel schroffer trat die ganze Bürgerschaft der italischen Eidgenossenschaft gegen- über. Zu jener rechtlichen kamen vielfache factische Zurück- setzungen, die den Italikern immer bestimmter das Gefühl aufdrängten, dass sie nichts seien als Unterthanen Roms; na- mentlich seit dem Ende des zweiten punischen Krieges, den 39* DRITTES BUCH. KAPITEL XI. die Italiker für Rom entschieden hatten, fühlte die Bürger- schaft sich so sicher, dass sie der Stützen ihrer Macht nicht ferner zu bedürfen vermeinte. Dass die vom Waffendienst ausgeschlossenen Bundesgenossen, wie die Brettier und die südlichen Picenter, da man sie wie Sclaven behandelte, auch gleich Sclaven sich verhielten und zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, ausrissen wo sie konn- ten und gern Dienste nahmen gegen Rom, versteht sich ohne- hin; aber auch die Verbündeten besseren Rechts, namentlich die latinischen Colonien, dieser Fels auf dem die römische Herrschaft über Italien ruhte, wurden schon vielfach zurück- gesetzt und gekränkt. Zum Kriegsdienst fing man an die Bundesgenossen immer stärker und drückender anzuziehen: so wurden zum Beispiel 536 fast doppelt so viel Bundesge- nossen aufgeboten als Bürger; so nach dem hannibalischen Krieg die Bürger alle verabschiedet, nicht aber die Bundes- genossen; so die letztern vorzugsweise verwandt für den ver- hassten spanischen Dienst und für die Besatzungen; so ward (571) das Triumphalgeschenk der Bundesgenossen gegen das der Bürger um die Hälfte verkürzt, so dass inmitten des aus- gelassenen Jubels dieses Soldatencarnevals jene stumm hinter dem Siegeswagen einhergingen. Das alte Recht der Bundes- städte auf einen gesetzlichen Antheil an der Beute war längst und mit Fug beseitigt; aber es war üblich anstatt dessen den einzelnen Städten theils aus dem Erlös der beweglichen Beute eine Verehrung zu machen, theils von dem gewonnenen Lande, so lange es römische Domäne blieb, den Bundesgemeinden einzelne Striche zur Sondernutzung anzuweisen, bei der Auf- theilung aber Bürger und Bundesgenossen gleichmässig zu berücksichtigen. Diese Geschenke und Anweisungen an die Bundesgenossen unterblieben zwar nicht ganz, aber sie wur- den doch immer dürftiger; so zum Beispiel erhielten im Jahre 581 bei Landanweisungen in Norditalien die Bürger je zehn, die Nichtbürger nur je drei Jugera Ackerlandes. Dass bei solchem Verfahren das römische Bürgerrecht unverhältniss- mässig im Preise stieg und das latinische Recht anfing gering geachtet zu werden, ist kein Wunder; daher jene massenhafte Uebersiedelung der Latiner nach Rom, von der so eben ge- sprochen ward, und daher die Nothwendigkeit den seit 570 im italischen Binnenland gegründeten Städten das volle Bür- gerrecht zu gewähren — es fand sich kein römischer Bürger mehr, der willig gewesen wäre sein Bürgerrecht auch mit VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Erwerbung bedeutender materieller Vortheile gegen latinisches Recht aufzugeben. Eine tiefe Verstimmung riss ein zwischen der römischen Bürger- und der italischen Eidgenossenschaft; sie wagte zwar noch nicht laut zu werden, aber man durfte fragen, ob, wenn einmal ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien tragen sollte, er noch auf jenen felsenfesten Wider- stand stossen würde, an dem der Karthager gescheitert war. Andrerseits war man wieder darauf bedacht die Brücke abzu- brechen zwischen der italischen Eidgenossenschaft und den nichtitalischen Nationen; an der Nordgrenze, wo am ersten eine factische Verschmelzung eintreten konnte, war man be- müht sie vertragsmässig abzuschneiden und rückte desshalb in die Verträge mit den Keltenstämmen, die diesseit der Alpen geduldet wurden, die Clausel ein, dass keiner aus diesen Ge- meinden das römische Bürgerrecht je solle gewinnen dürfen. So standen die senatorischen Familien gegen die Bürger, die Bürger gegen die Italiker, die Italiker gegen die Ausländer in schroffer Abgeschlossenheit und die Regierung that was sie konnte dies politische Kastenwesen zu fördern und den Ge- gensatz der privilegirten gegen die zurückgesetzte Klasse in immer weiteren Kreisen sich wiederholen zu lassen. Endlich trat in dieser Epoche in den römischen Staats- verband eine neue Klasse von Staatsangehörigen ein, die der älteren Zeit fremd und eigentlich dem Geiste der römischen Institutionen zuwider war; es waren dies die Aemter, deren es am Schluss dieser Periode fünf gab: Sicilien, Sardinien mit Corsica, das jen- und das diesseitige Spanien und Gallien, das heisst das Keltenland zwischen Apenninen und Alpen. Das ältere römische Staatsrecht kannte eigentliche Unterthanen nicht; die überwundenen Bürgerschaften wurden entweder in die Sclaverei verkauft und vernichtet oder zu einem Bündniss zugelassen, das ihnen wenigstens die communale Selbstständig- keit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein mit den Gebieten, die man Karthago entriss, ward zugleich der Grundsatz über- nommen, dass in den auswärtigen Besitzungen Land und Leute nur bestimmt seien Geld zu machen für ihre Zwingherrn. Da die drei ältesten römischen Aemter, Sicilien, wo man übrigens auch in dem hieronischen Theil eine der karthagischen gleich- artige Verwaltung vorgefunden hatte, Sardinien und das jen- seitige Spanien, im Wesentlichen den Karthagern abgenommen worden waren, ist es begreiflich und zunächst vielleicht mehr aus Bequemlichkeit und Kurzsichtigkeit als in bestimmter Ab- DRITTES BUCH. KAPITEL XI. sicht geschehen, dass man die Verfassung der Aemter nach dem Muster der karthagischen ordnete oder vielmehr die kar- thagische Provinzialverwaltung einfach beibehielt. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feinde erbte. Die Herrschaft der römischen Amtleute in den Aemtern konnte keine andere sein als ein militärisches Willkürregiment, gegen dessen Ueber- griffe in Gewaltthätigkeit und Spoliation es an aller ernstlichen Schranke fehlte. Die finanziellen Lasten an sich, die Zehnten, Zölle und Abgaben mochten erträglich sein; aber die willkür- liche Steigerung derselben durch die Beamten und die ver- kehrte Hebungsart drückten schwer auf die Provinzialen. Früh riss dazu die verderbliche Sitte ein dem Amtmann ‚Ehren- wein‘ und andere ‚freiwillige‘ Gaben zu verehren; schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens im Jahre 556 sich begnügen diese Hebungen zu reguliren und zu beschränken. Ebenso ward das Vorspannrecht der in Staatsgeschäften Rei- senden durch missbräuchliche Ausdehnung für die Unterthanen eine schwere Last; ja sogar das Gastrecht, das die Beamten auf der Durchreise in Anspruch nahmen, fing an Vorwand für Erpressungen zu werden. Am übelsten aber war es, dass in der Hebung der Steuern theils dem Ermessen der Beamten zu viel überlassen ward, theils die römische Staatskasse, um sich die Manipulation der Hebungen zu vereinfachen, durch- gängig dieselben an Mittelsmänner übertrug, die gegen eine feste Summe die Provinzialgefälle in Bausch und Bogen ein- handelten und sie dann auf eigene Rechnung und Gefahr ein- zogen. So konnte es vorkommen, dass der Amtmann in die einzelnen Städte Militärcommissare zur Beförderung der He- bungen bestellte; dass er die Steuerpflichtigen anwies anstatt des schuldigen Zehntenkorns den Werth in Geld nach der Schätzung des Amtmanns abzuliefern; dass wenn ein Dop- pelzehnten erhoben und, wie in solchem Falle billig und üblich, für den zweiten Zehnten von dem römischen Schatze eine Vergütung gegeben ward, der Amtmann nach eigenem Ermessen das Mass der Vergütung bestimmte — lauter Miss- bräuche, welche der Senat auf die Klagen der Spanier den dortigen Statthaltern im Jahre 583 untersagte. Schlimmer aber noch als die willkürlichen Hebungsvorschriften, die die Beam- ten erliessen, war die mitleidlose Strenge der Generalsteuer- pächter. Wie arg es schon war, zeigt zum Beispiel, dass der Senat im Jahre 587 die Sistirung des makedonischen Gruben- baus hauptsächlich desshalb beschloss, weil, wo Staatspächter VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. seien, nothwendig entweder die Kasse bestohlen würde oder die Bundesgenossen geplündert und es daher rathsamer sei von dem übrigens so ergiebigen Betrieb ganz abzustehen — freilich ein seltsames Armuthszeugniss, das die controlirende Behörde sich selber ausstellte. Im Gefolge der Steuerpächter überschwemmten römische Banquiers die Provinzen, um den verlegenen Schuldnern vorzuschiessen und also ihnen hülfreich zu sein bei ihrem ökonomischen Ruin. Ihr Treiben war so verderblich, dass zum Beispiel Cato in seiner sardinischen Verwaltung es nöthig fand sämmtliche römische Banquiers aus der Insel auszuweisen, und unter seinen Maximen den Satz mit aufstellte, dass wenig Unterschied sei zwischen einem Banquier und einem Mörder. — In minderem Grade als die Aemter, jedoch auch schon nicht gering hatten die abhängigen Freistaaten und Königreiche von den mittelbaren und unmittel- baren Erpressungen der römischen Beamten und von dem Uebermuth der italischen Grosshändler und Banquiers zu lei- den; die Raubzüge des Gnaeus Vulso in Kleinasien und die heillose Wirthschaft während des Krieges gegen Perseus in Griechenland zeigen ungefähr, was man am Ende dieser Pe- riode sich schon gegen die Clientelstaaten herausnahm. — Was die Controle anlangt, so fanden die Provinzialen gegen die Bedrückungen durch die römischen Speculanten Schutz bei den Amtmännern, der allerdings sehr ungleich war und wesentlich von dem guten Willen und der Tüchtigkeit der letztern abhing; allein es muss anerkannt werden, dass die Senatoren verhält- nissmässig sich in den Provinzen rechtschaffener und ehrbarer verhielten als die Geldleute, und wenn auch nicht alle so derb und entschlossen durchgriffen wie zum Beispiel Cato, so ist es doch hauptsächlich in dieser Beziehung, dass den Unter- thanen späterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Gegen Ueber- griffe der Beamten stand dagegen den Unterthanen und Clien- telstaaten kein anderer Weg offen als entweder eine Civilklage in Rom zu erheben, wobei aber, da die Civilgerichte damals in den Händen des Senats sich befanden, jedenfalls ein sena- torisches Gericht vom römischen Prätor bestellt ward, oder zu appelliren an die Administrativjurisdiction des Senats; eine Criminalklage zu erheben war den Verletzten nicht anders möglich als wenn irgend ein römischer Beamter, der Crimi- naljurisdiction besass, die Sache in die Hand zu nehmen und sie an das Volksgericht zu bringen sich entschloss. Der ge- DRITTES BUCH. KAPITEL XI. wöhnliche Weg der Beschwerdeführung war die Berufung an die höchste Verwaltungsbehörde, und noch war genug Recht- lichkeit und Ehrenhaftigkeit in der römischen Aristokratie um dieser Berufung oftmals Erfolg zu verschaffen und zu be- wirken, dass die römischen Beamten die Götter und den Senat einigermassen fürchteten und in der Regel im Stehlen Mass hielten. Allein theils konnten bei der exorbitanten Gewalt der römischen Beamten regelmässig solche Beschwer- den erst vorgebracht werden, wenn sie ihr Amt niedergelegt hatten und das Uebel geschehen war; theils konnten Klagen der Fremden gegen Römer vor einer weit entfernten Behörde, der die Beklagten selbst und die Mehrzahl der gleich Schul- digen angehörten, von Anfang an nur auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen war fast gewisses Verderben. Es kam hinzu, dass diese Beschwerden durchaus nach dem Verwaltungs-, nicht nach dem Rechtsstandpunkt beurtheilt wurden. So stellte die heillose Regel sich fest, dass bei geringen Erpressungen und mässiger Gewaltthätigkeit der römische Beamte gewisser- massen in seiner Competenz und von Rechtswegen straffrei sei, die Beschädigten also zu schweigen hätten. Die Conse- quenzen aus diesem Satz hat die Folgezeit zu ziehen nicht unterlassen. Richten wir den Blick auf die ökonomische Lage des Staates und der Bürger, so versteht sich die glänzende Lage der Staatsfinanzen so sehr von selbst, dass es kaum nöthig ist dabei zu verweilen. Man sah sich im Stande die verfas- sungsmässige Grundsteuerfreiheit des römischen Ackers seit dem dritten makedonischen Krieg nicht mehr durch Vorschuss- zahlungen zu beeinträchtigen. Die indirecten Abgaben, wie das Salzmonopol und die Hafenzölle, stiegen von selbst durch den vermehrten Reichthum Italiens; wenn daneben noch der Salzpreis erhöht ward und neue Hafenzölle, zum Beispiel in Puteoli, eingeführt wurden, so hatten diese Erhöhungen wohl mehr den Zweck Schritt zu halten mit dem allgemeinen Stei- gen der Preise und Sinken des Geldwerths und mit der Aus- dehnung des überseeischen Handels, als die Lasten in der That zu steigern. Die Hauptquellen der Staatseinnahmen wurden mehr und mehr die Abgaben aus den Provinzen an Zehnten, Zöllen und Ertrag der Bergwerke; daneben seit Ca- puas Fall der Zins der verpachteten campanischen Domänen. Die Verwaltung war, soweit das System der Erhebung durch VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Mittelsmänner es zulässt, sorgfältig und rechtschaffen; der Senat litt keinen Unterschleif in Hinsicht auf die öffentlichen Gelder. Mit Bewunderung hebt es Polybios hervor, dass man in Grie- chenland kaum einzelne Beamte finde, die nicht in die Kasse eingriffen, in Rom dagegen Unterschleif sehr selten sei und dass der römische Beamte und Commissar auf sein einfaches Treuwort ungeheure Summen redlich verwalte, während in Hellas für die kleinste Summe zehn besiegelte Briefe und zwanzig Zeugen aufgeboten würden und dennoch jeder be- trüge. — Dass die Einnahmen einen ungeheuren Ueberschuss über die Ausgaben herausstellten, liegt in den Verhältnissen. Es war möglich theils auf die wichtigsten Einnahmequellen zu verzichten, so zum Beispiel auf den Ertrag der makedo- nischen Bergwerke und auf die Nutzung des grössten Theils der italischen und vieler ausseritalischen Domänen, die man zur Occupation hingab, theils die übrigen Einnahmen durch Mittelsmänner, also mit starkem Verlust zu erheben und den- noch nicht bloss allen laufenden Ausgaben gerecht zu werden, sondern auch sowohl die öffentlichen Bauten im grossem Mass- stab zu betreiben als auch einen beträchtlichen Sparpfennig in der Kasse aufzuhäufen. Für die Bauten und Reparaturen finden wir in Friedenszeiten ein Fünftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der öffentlichen Einkünfte verwandt; so ward zum Beispiel für Reinigung und Herstellung der Kloaken der Haupt- stadt auf einmal eine Summe von 1½ Mill. Thlr. (1000 Ta- lente) bestimmt. Als man im Jahre 545 die letzte Reserve des Staatsschatzes angriff, betrug diese etwas über eine Mil- lion Thaler (4000 Pfund Gold); kurze Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597) befand sich in der Staatskasse ein todtes Kapital von nahe an 6 Mill. Thlr., wovon etwa fünf Sechstel in Goldbarren, der Rest zur Hälfte in ungeprägtem, zur Hälfte in geprägtem Silber vorhanden war. Es lagen in der Kasse 17410 römische Pfund Gold, 22070 Pfund un- geprägten, 18230 Pfund geprägten Silbers; das Legalverhältniss des Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1 : 11. 91. Man erkennt zugleich hieraus, was ja auch bei den Beziehungen Roms zum Aus- lande nicht wohl anders sein konnte, dass in den Kassen der grösseren Kapitalisten und vor allem des Staats selbst mehr Gold als Silber sich fand; von der Münze indess blieb jenes so gut wie ganz ausgeschlossen und auf den Barrenverkehr beschränkt, während im Kleinverkehr das Silber allein umlief. Aber der blühende Zustand der Staatsfinanzen ward mehr DRITTES BUCH. KAPITEL XI. als aufgewogen durch die auch ökonomisch bedenkliche Lage des Landes. Es soll hier nicht die Rede sein von der Lage der Provinzen; dass diese sich schlechter befanden unter römi- scher Herrschaft als unter karthagischer, ist nicht glaublich und politisch betrachtet kam auch nicht eben viel darauf an, ob die Siculer und Spanier es etwas mehr oder minder leidlich hatten. Aber Italien selbst war nicht mehr was es früher gewesen war. Der Reichthum stieg; aber die Volkszahl und die Volkskraft fingen an zu sinken. Cato und Polybios be- zeugen es ausdrücklich, dass am Ende des sechsten Jahrhun- derts Italien weit schwächer als am Ende des fünften bevöl- kert und nicht mehr im Stande war solche Heere auszusenden wie im ersten punischen Krieg; die Zuziehung der bis dahin befreiten Classen zum Kriegsdienst, die Klagen der Bundes- gemeinden über die Schwierigkeit ihren Zuzug vollzählig zu machen bestätigen diese Angaben. Noch lauter reden die Zahlen der römischen Bürgerliste. Die Bürgerschaft zählte im Jahre 502 kurz nach Regulus Zug nach Africa 298000 Köpfe; sie war um ein Zehntel (auf 270000 Köpfe) gesunken am Anfang, um mehr als ein Viertel (auf 214000 Köpfe) am Ende des zwei- ten punischen Krieges und ein Menschenalter nachher, nach einer Epoche verhältnissmässig geringer Verluste durch den Krieg, war kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Bür- gerschaft zu Anfang dieser Periode stand, obwohl inzwischen durch die Anlage der grossen Bürgercolonien in der nordita- lischen Ebene ein beträchtlicher ausserordentlicher Zuwachs eingetreten war. — Die unmittelbare Ursache dieser Entvöl- kerung der Halbinsel waren allerdings die beiden punischen Kriege, deren Folgen in dieser Beziehung schon früher ange- deutet worden sind (S. 353. 482); nicht bloss war durch sie die Bürger- und die Bundesgenossenschaft decimirt worden, sondern es hatte der hannibalische Krieg ausser einer Menge kleinerer Gemeinden zwei Städte ersten Ranges, Capua und Tarent — beides Gemeinden, die einst Heere von 30000 Mann ins Feld gesendet hatten — vollständig ruinirt. — Aber verderblicher als der verderbliche Krieg wirkte der Verfall des italischen Ackerbaues; ihm wesentlich ist es zuzuschreiben, dass die Lücken sich nicht wieder füllten, die der Krieg gerissen hatte. Ausser den allgemeinen Verhältnissen, der mit der Bildung und dem Reichthum steigenden Arbeitsscheu und dem Zudrang zu dem Wohlleben, das der Rentier wie der Bettler in der Hauptstadt fand, wirkten hiezu besonders zwei Ursachen: der VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Zudrang des überseeischen Korns auf die italischen Märkte und die Richtung der Intelligenz unter der erwerbenden Klasse auf Geldverkehr und Handel. Seit dem zweiten makedonischen Krieg versorgte der Staat seine Heere statt mit italischem mit dem Getreide der Provinzen, vor allem aus Sicilien; es ward dies die eigentliche Bestimmung des Zehntkornes, das von den Provinzialen theils ganz ohne Entgelt, theils, wenn man sehr viel bedurfte, gegen eine geringe Vergütung erhoben ward. Wie es scheint, verdang der Staat den Zehntpächtern seine Zehnten in der Art, dass sie theils eine gewisse Quantität Getreides, theils eine Geldsumme den römischen Behörden abzuliefern hatten; und somit verschloss dem italischen Land- mann sich die wichtige Absatzquelle der Kornlieferungen an den Staat, ein Absatz, der, namentlich seit in Spanien that- sächlich das Heer stehend geworden war, von ungemeiner Bedeutung gewesen sein würde. Allein dies war das Ge- ringste. Begreiflicher Weise erhielt der Staat in Friedenszeiten sehr häufig mehr Getreide umsonst geliefert als er bedurfte; diese Vorräthe zu Schleuderpreisen an die Stadtbürgerschaft abzugeben lag um so näher, als schon seit alter Zeit die rö- mische Regierung auf die Kornpreise ein wachsames Auge hatte und bei drohenden Theurungen durch rechtzeitigen Ein- kauf im Ausland einzuschreiten pflegte. Umsonst eiferte Cato gegen solche kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein und diese ausserordentlichen, aber ver- muthlich sehr häufigen Kornvertheilungen wurden der Keim der späteren Getreidegesetze. Aber ausser dem Korn, das unentgeltlich an den Staat und zu Spottpreisen an die Con- sumenten kam, musste auch das sonstige überseeische Korn auf den italischen Ackerbau drücken. Nicht bloss konnten die Zehntenpächter die Getreidemassen, die in ihre Hände kamen, in der Regel ohne Zweifel unter dem Productionspreis weggeben, sondern sehr wahrscheinlich war überhaupt der letztere in den Provinzen, namentlich im Sicilien in Folge der günstigen Bodenverhältnisse und der ausgedehnten Gross- und Sclavenwirthschaft nach karthagischem System (S. 324) beträchtlich niedriger als in Italien. Musste also das fremde Korn schon im natürlichen Laufe der Dinge nach der Halb- insel strömen, so scheint die Regierung, statt dem italischen Landmann durch einen Schutzzoll zu Hülfe zu kommen, sogar künstlich seine Lage verschlimmert zu haben, indem sie die Kornausfuhr der Provinzen für das Mutterland monopolisirte; DRITTES BUCH. KAPITEL XI. wenigstens finden wir, dass die Ausfuhr einer Quantität Ge- treide aus Sicilien den Rhodiern als besondere Vergünstigung gestattet ward. Solche Wirthschaft möchte vielleicht sich rechtfertigen lassen in einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau nicht ausreicht zur Ernährung der Bevölkerung; ein Land wie Italien, in dem die Industrie unbedeutend, die Landwirthschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruinirt und den Interessen der hauptstäd- tischen Bevölkerung, der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmählichste Weise geopfert. Nirgends vielleicht liegt so deutlich wie hier zu Tage, wie schlecht die Verfassung und wie unfähig die Regierung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das dürftigste Repräsentativsystem hätte zu ernsten Vorstellungen und zur Abstellung des Uebels geführt, und jede Regierung, die den Namen verdient hätte, wäre von selber eingeschritten; aber freilich in jenen demokratischen Versammlungen machte alles andere, nur nicht die Stimme und die Noth des Volkes sich geltend, und die Scipionen und Flaminine hatten ja die Griechen zu emancipiren und die republicanische Königscontrole zu beschaffen. Die Strafe folgte dieser Sündenwirthschaft auf dem Fusse. In frucht- baren Jahren ward das sicilische und sardinische Korn in den italischen Häfen um die Fracht losgeschlagen; schon zu Catos Zeit war Sicilien die Kornkammer der Hauptstadt und das ita- lische Getreide wie das italische Ackerland völlig entwerthet. Die fast unglaubliche Billigkeit der Lebensmittel in den reich- sten Kornlandschaften der Halbinsel, der heutigen Lombardei und der Romagna, erwähnt Polybios; für Kost und Nacht- quartier zahlte man durchschnittlich einen halben As den Tag (2 Pf.), für den preussischen Scheffel Weizen (6 Modii) einen halben Denar (3 Gr. 3 Pf.) Ob es richtig ist, dass die Kornpreise im Alterthum stärker ge- schwankt haben als in neuerer Zeit, dürfte sehr zu bezweifeln sein; abge- sehen natürlich von den ältesten Zeiten, in denen der überseeische Handel noch nicht entwickelt war. Vergleicht man Preise wie diesen des Getreides im Pothal von 3⅓ Gr. den Scheffel mit denen der ärgsten Kriegstheuerung, wo z. B. im hannibalischen Kriege der Scheffel auf 99, im Bürgerkrieg auf 198-218 Groschen (nach dem heutigen Silberwerth des Denars berechnet) stieg, so scheint der Abstand ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend und könnten unter sonst gleichen Verhältnissen auch heutzutage wieder nach der einen wie nach der andern Seite hin vorkommen. Als hauptstädtischer Mittelpreis kann wenigstens für das siebente und achte — Preise, die nur begreif- VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. ich sind in Gegenden reicher Production und ohne Absatz- quellen. Wenn also das italische Getreide systematisch ent- werthet ward, so warfen sich die Folgen dieses verkehrten ökonomischen Systems in Verbindung mit anderen Ursachen hauptsächlich auf den kleineren Grundbesitz und drohten ihn völlig zu verschlingen. Schon an sich war es dem grösseren Ackerbauer eher möglich mit dem fremden Korn zu concur- riren durch veränderte Bewirthschaftung und Minderung der Productionskosten; zu welchem Ende entweder den kleinen Zeitpächtern die Abgabe fast unerschwinglicher Fruchtquoten ( \frac{6}{7} zum Beispiel) vom Ertrag an den Grundherrn aufgebürdet oder noch besser geradezu die Sclavenwirthschaft nach sicili- scher Art, das heisst der Plantagenbau eingeführt ward. Allein noch gründlicher ward geholfen, indem man den Ackerbau ganz aufgab und der Viehzucht sich zuwandte, die wegen des schwierigeren überseeischen Transports die Concurrenz des Auslandes minder zu fürchten hatte und bei der man ökono- misch sich besser stand. Aus dem Pothal, das sein Getreide nicht abzusetzen vermochte, gingen die Schweine nach ganz Italien. Selbst Cato, obwohl er für seine Person bei dem Landbau, das heisst der Gutswirthschaft blieb und diese durch Rath und Beispiel eifrig predigte, räth denen, die einen hohen Bodenzins ziehen möchten, statt des Ackerbaus die Weide- wirthschaft an. Diese aber kann mit Vortheil nur im Grossen getrieben werden; und so wurden die italischen Producenten, mochten sie Ackerbauer oder Viehzüchter sein, durch die Ver- hältnisse gezwungen der Gutswirthschaft sich zuzuwenden. Aeussere Umstände begünstigten diese Richtung. Die Masse des nach Rom strömenden Capitals erleichterte das Zusam- menkaufen der kleinen Grundstücke; das unverständige von Gaius Flaminius veranlasste claudische Gesetz von 536, welches den Senatoren die Kaufmannsgeschäfte als für sie ungeziemend verbot, zwang die reichsten Familien ihre Capi- talien in Grundstücken anzulegen und beförderte also, was man mit allen Mitteln hätte verhüten sollen, das Verschwinden des kleinen Eigenthums. Es kam hinzu, dass das von Privaten zinsfrei auf Widerruf besessene Domänenland, die sogenannten Possessionen, deren factische Erblichkeit trotz des vereinzelten Jahrhundert Roms der von 1 Denar für den Modius oder 1⅓ Thlr. für den preussischen Scheffel Weizen angenommen werden, wobei freilich zu beachten ist, dass die Differenz dieser Preise von den heutigen sowohl auf Seite des Korns, als auf Seite des Silbers sein kann. DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Angriffs von Gaius Flaminius sich mehr und mehr befestigte, von Haus aus zur Guts- und zur Weidewirthschaft einluden; denn die Regierung war thöricht genug den Einzelnen regel- mässig grössere Striche occupiren zu lassen und die Occu- panten fühlten keineswegs sich geneigt in einen so unsichern Besitz Bau- und Bestellungskosten hineinzustecken. Schon jetzt klagten die Einsichtigen laut über die Ausdehnung der Gutswirthschaft und das Verschwinden der Bauerstellen; auf die weitausgedehnten und neben und gleich Eigenthum besessenen Possessionen der Vornehmen im cisalpinischen Gallien, in Samnium, in Apulien, im Brettierland hinweisend forderte Cato Abhülfe des Uebels und zunächst neue und umfängliche Landanweisungen. Es war dies nicht ganz ver- geblich. Die weise Colonisation der Landschaft zwischen den Apenninen und dem Po trug ihre Früchte; die zahlreichen neugegründeten Bauerstellen daselbst verschwanden nicht so schnell und Polybios, der bald nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, rühmt deren zahlreiche, schöne und kräf- tige Bevölkerung. Wenn man das Interesse des Landes ver- standen hätte, so hätte diese Landschaft werden müssen, was Sicilien war: die Kornkammer Italiens. In ähnlicher Weise war für Picenum die Auftheilung der Possessionen durch Gaius Flaminius 522 nützlich geworden — eine Massregel, die nicht aus den reinsten Absichten hervorgegangen sein mag, in ihren Wirkungen aber sich nützlich erwies; indess hatte die Gegend im hannibalischen Kriege viel auszustehen gehabt. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren Verhältnisse schon von Haus aus dem Gedeihen eines freien Bauerstandes ungünstig. Besser stand es in Latium, dem der hauptstädtische Markt zu Gute kam, und in den abgeschlossenen Bergthälern der Marser und Sabeller, die alle der hannibalische Krieg im Ganzen verschont hatte. Samnium dagegen, nach der Zählung von 529 die blühendste Landschaft der Halbinsel nächst dem römischen Bürgerdistrict und da- mals im Stande halb so viel Waffenfähige zu stellen als die sämmtlichen latinischen Städte, hatte im hannibalischen Kriege schwer gelitten; und die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des scipionischen Heeres deckten, obwohl bedeutend, doch den Verlust nicht. Noch übler waren in demselben Kriege Campanien und Apulien, beide bis dahin wohl bevöl- kerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet wor- den. In Apulien fanden später Assignationen statt, allein VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. die Colonien daselbst gediehen nicht. Bevölkerter blieb die schöne campanische Ebene; ein grosser Theil der Bauern indess waren kleine Zeitpächter der Staatsdomänen, gegen deren Occupirung hier die Regierung mit Nachdruck einschritt. Endlich das lucanische und brettische Gebiet, dessen Bevöl- kerung schon vor dem Kriege dünn war und nicht die Hälfte der samnitischen betrug, wurde im Kriege entsetzlich verödet und auch von den römischen Colonien daselbst gedieh nur Valentia (Monteleone). In diesen drei südlichsten italischen Landschaften, Apulien, Lucanien und dem Brettiergebiet, hat der Ackerbau sich nie wieder erholt, und die Viehwirthschaft hatte hier ihren rechten Sitz. Die halbwilden Hirten, fast sämmtlich Sclaven und grossentheils gefangene Feinde, mach- ten Apulien schon 569 so unsicher, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; es ward eine Sclavenverschwö- rung entdeckt, in die gegen 7000 Menschen verwickelt waren und die wie es scheint auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigte. Ueberhaupt wuchs die Sclavenbevölkerung in demselben Verhältniss wie die freie sank; es kam schon vor, dass Sclavenrotten Miene machten Städte wie Setia und Prae- neste zu überfallen (556) und dass man sich in Etrurien mit einer solchen Bande förmlich herumschlug (558). Man versuchte dem Uebel gesetzlich zu steuern und schrieb den Gutsherren vor unter ihren Arbeitern eine bestimmte Anzahl freier Leute zu verwenden; die Absicht war gut, aber es ist sehr zweifelhaft, ob für die Durchsetzung der Vorschrift durch ernstliche Beaufsichtigung gesorgt ward. Dem Sinken der italischen Bodenwirthschaft zur Seite geht das rasche und künstliche Aufblühen des italischen Han- dels und des Geldverkehrs. Die nächste Ursache war das politische Uebergewicht Roms, das theils den Römern und Latinern eine bevorrechtete Handelsstellung sicherte — in den Provinzen waren sie die Herren im Hause und selbst in vielen Clientelstaaten stand den Römern und Latinern ver- tragsmässig Zollfreiheit zu — theils durch den Handel und durch andere Kanäle von Westen und Osten eine Capital- masse nach Rom führte, von der eine bestimmte Vorstellung kaum zu gewinnen ist, die aber deutlich erscheint in der nicht minder als die politische und militärische entschiedenen Geldübermacht Roms gegen die übrige civilisirte Welt. Cha- rakteristisch ist der Ausdruck, den ein Grieche von dem jün- geren Scipio Africanus braucht, ‚für einen Römer sei er nicht DRITTES BUCH. KAPITEL XI. reich gewesen‘. Einigermassen einen Massstab gewähren die Angaben, dass Lucius Paullus, der kein reicher Senator war, ein Vermögen von 60 Talenten (90000 Thlr.) hinterliess, wäh- rend allein die Mitgift jeder der Töchter des ältern Scipio Africanus sich auf 50 Talente (75000 Thlr.) belief. Der reichste Grieche des sechsten Jahrhunderts besass ein Ver- mögen von 200 Talenten (300000 Thlr.); dagegen kosteten Gladiatorenspiele, wie sie sich schickten für die Leichenfeier eines angesehenen Römers, 300 Talente (450000 Thlr.). Zu diesen ungeheuren Geldmitteln kam hinzu, dass der kaufmän- nische Associationsgeist geweckt und künstlich genährt ward durch das System der römischen Regierung die Einziehung der Einnahmen und die Ausführung der öffentlichen Werke durch Mittelsmänner besorgen zu lassen, und zwar regelmässig, vielleicht sogar gesetzlich, der grösseren Sicherheit wegen nicht durch Einzelne, sondern durch Gesellschaften. Aufs tiefste grif- fen diese Associationen ein in die Wirthschaft im Ganzen wie im Einzelnen; es gab kaum einen vermögenden Römer, der nicht bei den Staatspachtungen betheiligt war, und nach dem Muster dieser Unternehmungen und eng mit ihnen ver- bündet organisirte sich der gesammte Gross- und Geldhandel. Ein kaufmännischer Geist bemächtigte sich der Nation, mit seiner ganzen Pünktlichkeit im Leisten wie im Fordern, aber auch mit seiner ganzen Gewissensweite und Unerbittlichkeit. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und Niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch nicht unter nahen Angehörigen. Die Gesetzgebung selbst ist von diesem Geiste kaufmännischer Moral durchdrungen; Zusammenhaltung des Vermögens für sich und die Erben wird gewissermassen Bürgerpflicht, die Uebernahme von Bürg- schaften, das Geben von Geschenken und von Vermächtnissen werden durch besondere Volksschlüsse beschränkt, die Erb- schaften, wenn sie nicht an die nächsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. An sich war diese Entwickelung natur- gemäss und hätte von grossem Nutzen für Italien sein können, wenn sie nicht mit dem Ruin des Ackerbaus zusammen auf- getreten wäre; wie es war, mehrten sich wohl die Capitalien des Volkes, aber auch diese allein. Dazu ist es bemerkens- werth, dass die sterilsten Verkehrszweige eben diejenigen waren, die vorzugsweise in Rom Aufnahme fanden. Die Steuer- pachtungen selbst waren nothwendig unproductiv wie alles blosse Hebungswesen; es kam noch hinzu, dass die Pächter VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. für die geringeren Geschäfte natürlich vorzugsweise Sclaven verwandten. Der Geldhandel selbst und das gewerbmässige Leihgeschäft sind wenig besser und doch ist kein Zweig der commerciellen Industrie so eifrig von den Römern gepflegt worden; nicht bloss dass die Banquiers die grossen Unterneh- mungen unterstützten, sondern sie verbreiteten sich auch überall in den kleinen Verkehr und in den sämmtlichen Pro- vinzen und Clientelstaaten ward es so zu sagen Monopol der Römer den Geldsuchenden vorzuschiessen. Italische Banquiers und Kaufleute fingen an sich in Menge in den Provinzen und den Clientelstaaten niederzulassen, um dort ihre bevorzugte Stellung auszubeuten und in der Regel mit ihrem im Ausland gewonnenen Vermögen seiner Zeit nach Italien zurückzukehren. Der Handel Italiens ward mehr und mehr passiv. Selbst gegen Norden, wo am ersten eine für Italien günstige Han- delsbilanz erwartet werden könnte, scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. Die Einfuhr der Sclaven, die aus den kel- tischen und wohl auch schon aus den germanischen Ländern nach Ariminum und den übrigen norditalischen Märkten ström- ten, konnte man mit andern Waaren nicht decken, so dass es nothwendig schien im Jahre 523 die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland zu verbieten. Rom war eben die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild; der Handel aber einer jeden Hauptstadt, wenn sie nichts weiter als dieses ist, muss passiv werden und Rom suchte nicht etwas weiter zu sein. Man besass ja Geld genug um die Waaren zu be- zahlen; kaum dass man sich die Mühe gab sie zu holen. Wie es mit der italischen Schiffahrt stand, ist schwer zu sagen; es scheint indess, dass die rührige hellenische Nation im See- verkehr den Vorrang behauptete vor den Italikern. Sicherer ist es, dass die Industrie in Italien verhältnissmässig zurück- blieb; nur das Bauwesen kam in Aufschwung durch die gross- artigen Anlagen von Strassen und Gebäuden, die auf Kosten des Staats und der Gemeinden, bald auch der einzelnen Reichen ausgeführt wurden. Die Ausführung geschah regel- mässig durch Accord mit den Unternehmern, die das Capital hergaben und im Einzelnen die Arbeit meist durch Sclaven ausführen liessen; selbst die Architekten waren grossentheils unfrei. Es zeigen sich keine Versuche die gewerbmässige Industrie, wie sie in Aegypten, in Syrien und Phoenikien und sonst bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie in die Hände zu bekommen; man kaufte wohl aegyptisches Röm. Gesch. I. 40 DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Linnen und tyrischen Purpur, aber so viel wir wissen, ward weder im Ausland noch im Inland von Italikern fabricirt. — Während also der bisherige Mittelstand zu siechen beginnt, und die Bauerschaft droht sich in Gutsbesitzer und Tagelöhner oder Sclaven aufzulösen, bildet sich eine neue Mittelklasse von Banquiers, die hinter dem senatorischen Stand mehr an Geburt, Rang und Einfluss zurückstehen als an Vermögen. Es sind die Anfänge des Ritterstandes. Dass die Latinisirung Italiens in dieser Epoche rasch vorschritt, ist begreiflich und war für das Land ein Glück. Ausser den allgemeinen Umständen, die sie förderten, waren es wieder besonders die Colonien und Einzelassignationen, durch die die latinische Bevölkerung im Brettierland, in Pice- num, vor allem im Pothal sich ausbreitete. Nur dem Grie- chenthum gegenüber machte das latinische Wesen keine Er- oberungen, wie es eben auch in den Verhältnissen dieser hellenisirenden Epoche liegt; die Griechenstädte in Italien blieben was sie waren, so weit nicht der Krieg sie zernichtete, und in Apulien, das wie kein anderer Theil Italiens von den Römern vernachlässigt ward und fast ganz mit Colonien ver- schont blieb, scheint in dieser Epoche der Hellenismus voll- ständig geherrscht und hier eine localgriechische Civilisation ins Leben gerufen zu haben, die unter dem Einfluss der ver- blühenden hellenischen Cultur stand. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen städtischen Münzen durchgängig mit griechischer Aufschrift und die Vasenmalerei, die hier allein in Italien in grossem Umfang, aber mit mehr Pracht als Geschmack betrieben ward, zeigen uns Apulien voll- ständig eingegangen in den Kreis griechischer Art und Sitte. — Weit wichtiger indess als diese vereinzelte Erscheinung ist das hellenisirende Wesen, das in der latinischen Nation auf jedem Gebiet des Denkens und Handelns sich eindrängt und im heftigsten Kampfe mit der Richtung, die an dem Glauben und dem Leben der Väter festhält, immer weiter Boden ge- winnt. Wohl haben Beziehungen zu Hellas und Einwirkung des Griechenthums auf Rom auch in den beiden ersten Perioden schon bestanden; zuerst die naive und originelle Aufnahme der frischen Anregung, wie sie das jugendliche Griechenthum den Italikern darbot, dann ein äusserliches Anschliessen an den hellenischen Volkskreis und die Aneignung der Sprache und der Erfindungen der Griechen um den praktischen Be- dürfnissen zu genügen. Allein jetzt ist es anders; das Hel- VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. lenenthum ist weder bloss Anregung mehr noch bloss Neben- sache, sondern es möchte das lateinische Wesen geradezu verdrängen in Versmass und Dichtweise, Bau- und Bildkunst, Familie und Religion — man möchte ein Grieche werden mit seinem ganzen inneren Leben und nur eben fortfahren mit römischen Worten zu reden. Die Ursache liegt nahe. Rom hatte die Epoche der Civilisation erreicht, wo ein rei- cheres geistiges Leben anfängt Bedürfniss zu werden; und wie die germanischen Nationen, Engländer wie Deutsche, in den Pausen ihrer eigenen Productivität es nicht verschmähten die armselige französische Civilisation sich anzueignen, so warf sich die überhaupt unproductive italische Nation mit all ihrem Sinnen und Denken auf die herrlichen Schätze wie auf den schandbaren Unflat der hellenischen Cultur. Diese ein- reissende neue Sitte aber weckt unvermeidlich ein Gegenstreben; wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock gerufen hat, so in Rom das fremde Wesen denjenigen Geist, der gleichsam verkörpert erscheint in Marcus Porcius Cato (520-605). Er pflegt als das Muster des ächten Römers angesehen zu werden, weil er der letzte namhafte Staatsmann der alten Schule war. Mit grösserem Recht gilt er als der Repräsentant der nationalen Opposition gegen den italischen Hellenismus. Beim Pfluge hergekommen und in die politische Laufbahn gezogen durch seinen Gutsnachbar, einen der we- nigen Adlichen die dem Zug der Zeit abhold waren, Lucius Valerius Flaccus, der in dem derben sabinischen Bauer den rechten Mann erkannte um dem Strom der Zeit sich ent- gegenzustemmen, hat er sein langes Leben daran gesetzt diese Aufgabe redlich wie er es verstand nach allen Seiten hin zu lösen und noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schön — grüne Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rothe Haare — und politisch wie sittlich gründlich bornirt; aber die elegante Corruption in und ausser dem Senat zitterte doch im Geheimen vor dem derben tref- fenden Bauernwitz des furchtlosen und schlagfertigen Mannes, des narbenbedeckten Veteranen aus dem hannibalischen Kriege, wenn er einem nach dem andern seiner vornehmen Collegen sein Sündenregister auf dem Markt vorhielt, allerdings ohne es mit den Beweisen sehr genau zu nehmen und freilich auch immer mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persönlich gereizt hatten. Die Scipionen und die Flaminine sahen zwar 40* DRITTES BUCH. KAPITEL XI. vornehm herab auf den ahnenlosen Beller und glaubten nicht mit Unrecht ihn weit zu übersehen; aber es blieb denn doch unbequem, dass der Bauer sie alle bei der Bewerbung um die Censur aus dem Felde schlug und dann als Censor 570 mit seinem adlichen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus den Bru- der des Africaners aus der Ritterliste strich wegen der an- geblich von ihm unterschlagenen syrischen Gelder und den Bruder des Befreiers der Griechen gar aus dem Senat stiess wegen der schandbaren Ermordung eines wehrlosen Feindes — als Höchstcommandirender im gallischen Lager hatte derselbe, um seinen Buhlknaben für die versäumten Fechterspiele zu entschädigen, einen zu ihm sich flüchtenden Boier mit eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Cato stützte sich bei seiner rücksichtslosen Opposition vor allem auf die Bauer- schaft, die in ihren Comitien ihn nie fallen liess, so oft auch seine Feinde ihn durch Anklagen zu stürzen suchten. Seinen Gegnern stand die Adelspartei zur Seite, doch muss es aner- kannt werden, dass der Adel, wo er als Gesammtheit auftrat, in dieser Zeit noch keineswegs geneigt war seinen Mitgliedern alles nachzusehen, sondern der Senat lange Zeit ernstliche und wohlgemeinte Anstrengungen machte den ärgsten Miss- bräuchen zu steuern, wesshalb Cato auch im Senat eine un- gemein ansehnliche Stellung einnahm. Ein grosser Mann war er nicht und am wenigsten ein weitblickender Staats- mann; nie hat er einen Versuch gemacht die Quellen des Uebels zu verstopfen und sein ganzes Leben damit verbracht gegen Symptome zu fechten und mit Polizei und Justiz den Zeitgeist zu bannen. Aber wie er war, ein Feind aller Bü- berei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialität, hat er durch seine furcht- und mitleidlosen Angriffe und durch seine unglaubliche Rührigkeit dem Lande wenigstens das ge- nützt, dass der Strom der Corruption auf einige Jahrzehende zurückgestaut ward. Man findet die hellenistischen Tendenzen so wie die na- tionale Opposition wieder auf allen Gebieten des Denkens und des Thuns der damaligen Zeit; und fast überall ist auch Cato wieder thätig. Ihren Keim aber und ihren wesentlichen Sitz haben jene in der Litteratur und Kunst, welche in der gegenwärtigen Epoche anfangen auch in Italien wie längst schon in den griechischen Staaten ein wesentliches Element der Politien und der Politik zu werden. Noch im Anfang dieser Periode war das nicht der Fall. Man zeichnete auf VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. zu privater und öffentlicher Erinnerung, sang sein Lied und trieb seinen Spass in der landüblichen Wechselrede, dem saturnischen Mass. ‚Die Dichtkunst‘ sagt Cato, ‚ward nicht geehrt; wer sich damit abgab oder bei den Gastmählern herumzog, der hiess ein Herumstreicher‘. Das waren Impro- visatoren, wie sie noch heute durch die römischen Oste- rien ziehen; eine Litteratur gab es nicht. Allmählich fing man an die klassischen Werke der Griechen zu lesen, anfangs vermuthlich bloss um griechisch daraus zu lernen, das der Kaufmann wie der Staatsmann brauchte; im Laufe der Zeit aber entwickelte sich hieraus eine allgemeinere Kunde der griechischen Litteratur. Zu Catos Zeit bereits war sie allge- mein verbreitet; es kam schon vor, dass Senatoren beim Becher griechische Verse declamirten. Sehr bald schlossen sich hieran Versuche in römischer Sprache zu dichten und zu publiciren. Um das Ende des ersten punischen Krieges verfertigte ein Grieche aus Tarent, Andronicus, eine Ueber- setzung der Odyssee in saturnischem Mass, vermuthlich statt Commentars für die Schüler, die die Odyssee mit ihm lasen, und Lust- und mehr noch Trauerspiele in griechischen Massen und nach griechischen Mustern, die auch aufgeführt wurden; doch erschienen der Mit- und Nachwelt diese Arbeiten mehr als Curiositäten denn als Kunstwerke. Bedeutender in ge- schichtlicher Beziehung ist Gnaeus Naevius (etwa 480-550), der älteste lateinische Schriftsteller; er machte den Versuch ein lateinisches Epos und Schauspiel zu schaffen, wobei er in den Massen seinem Vorgänger folgte. Es ist Schade, dass wir nicht mehr im Stande sind über den merkwürdigen Mann ein eigenes Urtheil zu gewinnen; so gewiss auch er von Grie- chenland seine Anregung empfing, so ist er doch, sowohl der Zeit nach, in der er blühte, als seiner Herkunft und Stellung nach — er war ein Latiner aus Campanien, vermuthlich aus einer der Latinerstädte daselbst, wie Suessa oder Cales, und focht mit im ersten punischen Krieg — als ganz besonders nach den Spuren und Trümmern seines Wirkens zu schliessen, keineswegs den Vertretern jenes oben bezeichneten Hellenis- mus zuzuzählen. Vielmehr scheint er eine durchaus nationale Richtung eingeschlagen und in wahrhaft genialer Weise die- jenigen Elemente in dem italischen Volksleben aufgefasst zu haben, die einer poetischen Belebung fähig waren: die Chronik und die Komik. Die erstere schuf er, indem er die Geschichte des ersten punischen Krieges, den er selbst mitgemacht hatte, DRITTES BUCH. KAPITEL XI. in saturnischen Versen schrieb — ein Werk, das etwa den Reimchroniken des deutschen Mittelalters vergleichbar gewesen sein mag. Vielleicht noch bezeichnender für seine nationale Tendenz ist die Schöpfung des ernsten Schauspiels mit römi- schem Costüm, der sogenannten Praetexta, die gleichfalls auf ihn zurückgeht; in solchen Stücken stellte er ‚die Erziehung des Romulus und Remus‘ und ‚die Schlacht bei Clastidium‘ von 532, also Sagen- und gleichzeitige Geschichte dar. Be- deutender noch als diese Episirung und Dramatisirung der Chronik sind seine Versuche gewesen die Komik poetisch zu beleben. Er scheint dafür im Wesentlichen zwar die griechi- schen Formen adoptirt zu haben; wie lebensfrisch aber und ächt italisch dieselben gehandhabt wurden, bezeugt die An- gabe, dass er wegen seiner impertinenten Ausfälle gegen angesehene Leute von der Polizei in Rom eingesteckt ward, und erst wieder freikam, als er in andern Komödien öffentlich Busse und Abbitte gethan. Dass die Polizei wenn nicht Recht, doch Ursache dazu hatte, beweisen zum Beispiel die folgenden Zeilen, die er an den Sieger von Zama zu richten beliebte: Jener selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte, Dessen Thaten lebendig leben, der bei den Völkern allen allein gilt, Den hat nach Haus der eigne Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wenn man bedenkt, dass diese und andre des Aristopha- nes nicht unwürdige Zeilen so ziemlich das früheste Schrift- werk sind, das in Rom geschrieben ward, so mochte er nicht ganz unbefugt in seiner Grabschrift von sich sagen, dass mit seinem Tode die lateinische Sprache in Rom zu Ende gehe Wenn es wahr ist, dass er 550 in Utica starb, so entfloh er wäh- rend des hannibalischen Krieges in das feindliche Land. Allein Varro zweifelte wohl nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Jahrszahl. Dass er ein Campaner war, deutet Gellius an; seine latinische Nationalität, wenn auch dafür Name und Werke nicht zeugten, er selbst in der Grabschrift. . Er irrte aber; denn wenn auch das nationale Epos und das nationale Schauspiel, die er zu schaffen gedachte, kein rechtes Gedeihen fanden, so erwuchs doch die dreiste Lustig- keit, die er in den Garten der lateinischen Poesie gepflanzt, zu einem prächtigen Baum, dem einzigen daselbst, der nicht als Zierpflanze frisch und fröhlich gedieh. Plautus († 570) aus Sassina, einer ohne Zweifel in dieser Epoche schon völlig latinisirten Stadt an der Grenze von Umbrien gegen das längst lateinisch redende Picenum, war der rechte Vertreter dieser Richtung. Seine Lustspiele, so sehr sie, in der Fabel na- VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. mentlich vollständig, von den griechischen Mustern abhängen und so wenig sie Anspruch machen auf die eigentliche Poesie der Komik wie sie Aristophanes, Shakespeare und Cervantes verstanden, sind doch mit ihrer nicht tiefen, aber drastischen Darstellung der Charaktere, den ergötzlichen Verwicklungen, vor allem dem natürlichen und raschen Dialog und dem ewigen Sprudel lustiger Wendungen und vortrefflicher Spässe einer der besten und originellsten Theile der lateinischen Litteratur; und man kann hinzufügen, dass auch in der Folge- zeit nur diejenigen italischen Dichter, welche diesen Ton an- schlugen, wie zum Beispiel Lucilius und zum Theil noch Catull und Horaz, auf klingende Saiten trafen. Selbst das geborgte Gut dieser Art ward leichter heimisch als wo in den ernsteren und höheren Gattungen der Litteratur Entleh- nungen stattfanden, denn während die Poesie von Haus aus national ist und schwer zu verpflanzen, ist der Witz an sich kosmopolitisch. Dagegen der Begründer und der rechte Ver- treter des Hellenismus in der römischen Litteratur ist Quintus Ennius (515-585). Ennius, wie Andronicus von Haus aus wo nicht Grieche, doch Halbgrieche, messapischer Herkunft nämlich und hellenischer Bildung, und ein Menschenalter jünger als Naevius, gehört derjenigen Epoche an, wo mit dem Ende des zweiten punischen Krieges das griechische Wesen in Rom recht in Gang kam. Er brach geradezu mit der älteren Richtung und rühmte sich dessen, indem er das ein- zige, was in der römischen Poesie altnationalen Ursprungs war, das saturnische Mass beseitigte und durchgängig in die griechischen Rhythmen die lateinische Sprache fügte oder zwängte, und indem er auf einmal die ganze Mannigfaltigkeit der griechischen Dichtgattungen, auch die didaktische Poesie — er übersetzte naturphilosophische, mythologische, ja gastro- nomische Lehrgedichte der Griechen —, vielleicht sogar die griechische Lyrik nach Rom zu übertragen den Versuch machte. Doch versteht es sich von selbst, dass er die von seinem Vorfahren festgestellten Gattungen nicht fallen liess, ja die me- trische Staatschronik, die das Werk des Naevius durch Voll- ständigkeit wie durch Eleganz verdunkelte und wohl auch überhaupt einen höhern Ton anschlagend den Olymp und die Götter mit in die Chronik zog, ist sein Hauptwerk ge- blieben. Das Mass seines Talents abzuschätzen vermögen wir nicht mehr; die Composition war nach dem Urtheil der Alten mangelhaft, wogegen im Einzelnen sprachlich und rhythmisch DRITTES BUCH. KAPITEL XI. vortreffliche Stellen vorkommen So die schöne Stelle aus dem Trauerspiel Phönix, die recht römi- schen Bürgersinn athmet: Doch dem Mann mit Muthe mächtig ziemt's zu wirken in der Welt. Vor den Richterstuhl zu laden tapfern Sinns das schuldige Haupt — Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlägt das Herz; Sonst in tiefer Nacht begraben ruhen bleibt die Frevelthat. und die malerischen Zeilen aus dem epischen Gedicht Scipio: Et Neptunus saevus undeis aspereis pausam dedit, Sol equeis iter repressit unguleis volantibus, Constitere amneis peremneis, arbores vento vacant. Und es hiess die Wogen stocken streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurück der Sonnengott, Ewige Ström im Laufe rasten, an den Bäumen steht das Laub. ; mit Wahrscheinlichkeit darf angenommen werden, dass er mehr durch Gewandtheit und Eleganz sich auszeichnete als durch geniale Productivität. Wie Klopstock für den deutschen gab er sich für den römi- schen Homer und ward dafür genommen; von ihm datirt man später die römische Poesie oder wie ein Dichter der ciceronischen Zeit sagt: Als es Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt Sich im Kriegsgewand die Muse der Quiriten hartem Volk. In beidem ist die Wahrheit enthalten, dass während Nae- vius und die seiner Richtung folgten sich so viel wie möglich auf das Grenzgebiet der Poesie gegen die Prosa beschränkten, Ennius zuerst wenigstens danach strebte ein Poet im vollen Sinn des Wortes zu sein; und dass wie Homer für die Grie- chen so Ennius für die Römer den Ton angab, in den die Späteren einstimmten, zunächst in der Tragödie Pacuvius, Ennius Landsmann, in der Komödie Statius Caecilius, später Terenz. Im Uebrigen freilich zeigt die officielle Parallelisirung der homerischen Ilias und der ennianischen Jahrbücher durch den fast komischen Contrast nur um so schneidender die Schwäche der italischen Poesie, gleich wie die Bettelarmuth unserer vorlitterarischen Zeit sich am deutlichsten in der deutschen Sappho-Karschin und dem deutschen Pindar-Willa- mov abspiegelt. Wie unsere Orangerien gegen die sicilischen Orangenwälder steht die römische Litteratur gegen die griechi- sche; man kann auch an jener sich erfreuen, nur darf man sie nicht vergleichen. — Aehnlich stand es in den bildenden Künsten, nur dass die Römer sich hier bei weitem mehr passiv verhielten. Von namhafter Kunstübung ist weniger die Rede als in der vorigen Periode. Dass das schon früher VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. begründete System der Nutzbauten bei der günstigen finan- ziellen Lage des Staats immer grossartiger aufblühte, ward schon bemerkt. Das Ende dieser Periode ist bezeichnet durch die Anlage der sogenannten Basiliken, die etwa unsern heuti- gen Bazaren entsprechen: grossartige für Prachtläden wie für öffentliche Zwecke geeignete Säulenhallen, die längs des Marktes angelegt wurden und die bisherigen Privatläden verdrängten. Der Urheber dieser für das hauptstädtische Leben wichtigen Institution ist wiederum Marcus Cato, der in seiner Censur (570) die erste dieser Hallen, die porcische oder die der Silberschmiede, dem Rathhause zur Seite anlegen liess; neben welcher bald andere sich erhoben. — Indess wenn von römi- scher Kunstübung aus dieser Epoche wenig berichtet werden kann, so fingen dagegen die Kunstliebe und die Kunstkenner- schaft an nothwendige Erfordernisse des gebildeten Mannes zu werden. Selbst ein Mann wie Lucius Paullus, der keines- wegs unbedingt einstimmte in die moderne Weise, betrachtete und beurtheilte den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Da- mit hing denn zusammen das Wegführen der Kunstschätze aus den eroberten griechischen Städten, zuerst in grösserem Umfang aus Syrakus nach der Einnahme durch Marcus Mar- cellus 542, dann aus dem eigentlichen Griechenland na- mentlich durch Titus Flamininus 560 und durch Marcus Fulvius Nobilior 567, zwei Hauptvertreter des römischen Hel- lenismus, endlich durch Lucius Paullus 587. Die nationale Partei begnügte sich auf dies Dilettiren mit fremder Litteratur und Kunst verächtlich herabzusehen, ohne geradezu sich da- gegen aufzulehnen. Quintus Ennius, der seine poetischen Erfolge der Verherrlichung der vornehmen Römer und ihrer Ahnen wesentlich mit verdankte und recht im Gegensatz zu Naevius als dienstwilliger Client der Scipionen, der Flaminine, der Fulvier lebte und schrieb, lobte zwar als vorsichtiger Mann, der es mit keinem verdarb, auch Catos spanische Tha- ten in seiner Chronik nach oder über Gebühr; darum aber be- kam Marcus Fulvius Nobilior nicht minder von Cato zu hören, dass es sich für den römischen Beamten nicht schicke einen solchen Menschen wie den messapischen Poeten in seinem Gefolg in die Provinz mitzunehmen. Das Wegschleppen der Kunstwerke ward laut missbilligt; wie der alte Quintus Ma- ximus, Catos Ideal des ächten Römers, als nach der Eroberung Tarents wegen der Bildsäulen bei ihm angefragt ward, zur Antwort gegeben hatte, dass man den Tarentinern ihre er- DRITTES BUCH. KAPITEL XI. zürnten Götter lassen möge, so schalt Cato auf die, die über die altmodischen Thonbilder auf den Tempeldächern spotteten. Poesie und Kunst galten als Handwerk, das für geringe Leute und Fremde sich wohl schicke, aber für angesehene Bürger unziemlich war; und diese Auffassung blieb lange Zeit die herrschende in Rom. Später als Litteratur und Kunst fingen die griechischen Wissenschaften an in Rom sich einzubürgern. Am frühesten wahrscheinlich die Grammatik, die mit den Anfängen der Litteratur um Naevius Zeit begonnen zu haben scheint, in- dem man die wissenschaftlichen Grundsätze, nach denen die griechische Sprache behandelt ward, auch auf die lateinische übertrug. Dieser Zeit an gehört die Regulirung des römi- schen Alphabets durch Beseitigung der veralteten Zeichen und Aufnahme des schon seit längerer Zeit wieder eingeführ- ten g an die Stelle des ausgestossenen z ; womit ohne Zweifel auch eine allmähliche Feststellung der Rechtschreibung zu- sammenhing. Es knüpft sich jene Regulirung des Alphabets an den Namen des Spurius Carvilius, der vermuthlich schon förmlichen Sprachunterricht gab. Der Grammatik folgte die griechische Heilkunst — der erste griechische Arzt kam 535 nach Rom — und die griechische Geschichtschreibung, welche Quintus Fabius und Lucius Cincius, beides senatorische und während des zweiten punischen Krieges in Staatsgeschäften thätige Männer, zuerst einführten und dabei nicht bloss im Gegensatz gegen die alte einheimische Chronik griechischen Pragmatismus, sondern sogar statt der eigenen die griechische Sprache anwandten. Die Rhetorik und Philosophie fanden erst in den letzten Decennien dieser Epoche ihren Weg nach Rom. Diese griechischen Wissenschaften, die Medicin, die Historie, die Rhetorik, die Philosophie traf der volle Hass der Männer nationalen Strebens und die ernstlichsten Versuche wurden gemacht sich der Feinde zu erwehren. Vor allen Dingen ward die Polizei zu Hülfe gerufen. Je zahlreicher die jungen Leute den fremden Philosophen zuströmten, desto mehr eilte der Senat die sämmtlichen griechischen Philosophen und Rhetoren aus der Stadt zu weisen (593) — nachdem Cato den vielbewunderten Karneades gehört, erklärte er im Senat, dass der Mensch nothwendig fortgeschafft werden müsse, denn wenn er Gründe und Gegengründe aufzähle, könne Nie- mand daraus klug werden, auf welcher Seite das Recht sei. Die griechischen Aerzte ebenso auszuweisen war leider nicht VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. wohl möglich; Cato musste sich begnügen in seinen Schriften die Hausmittel anzupreisen, die ihm und seiner Frau ein langes Leben und dauernde Gesundheit verschafft hätten, und die fremden Heilkünstler mit einem Eifer herunterzumachen, der einer bessern Sache würdig war. ‚Ich kenne die Griechen von Athen her‘, schrieb er; ‚ich bin bereit zu beweisen, dass es das verdorbenste und widerspenstigste Gesindel ist — glaube mir, mein Sohn Marcus, das ist so wahr wie ein Orakel. Wenn das Volk uns seine Wissenschaft bringt, so wird es alles verderben, ganz besonders aber, wenn es seine Aerzte hieher schickt. Sie haben sich ver- schworen alle Barbaren umzubringen mittelst der Heilkunst, aber sie lassen sich noch dafür bezahlen, damit man ihre Absicht nicht merke und die Sache leicht gehe. Auch uns nennen sie Barbaren, ja sie geben uns sogar den ehrenrührigen Namen Opiker‘. — Der gute Mann wusste nicht, wie sehr unschuldig die Hellenen dazu gekommen waren die Italiker mit einem Namen zu bezeichnen, der im Griechischen nichts Anstössiges, aber im La- nischen eine schmutzige Bedeutung hatte. Man erlangte wenig- stens so viel, dass das Gewerbe gebrandmarkt ward und Jahr- hunderte lang kein freier Römer sich zu demselben hergab. Wie Cato über seine Collegen im Senat dachte, die die römi- sche Geschichte griechisch schrieben, zeigt seine Frage an den Aulus Postumius, der wegen seines schlechten Griechisch in der Vorrede seines Geschichtwerks sich als Ausländer ent- schuldigte, wer ihn denn gezwungen habe Dinge zu treiben, die er nicht verstehe. Dieser freilich, der sogar griechische Verse herausgab, gehörte zu den schlimmsten Graecomanen und machte durch sein widerliches Hellenisiren allen verstän- digen Leuten sich und die Sache zum Gespött und zum Ekel. — Aber die nationale Partei beschränkte sich nicht auf den Tadel des gelehrten hellenisirenden Treibens; sehr ernstlich war wenigstens Cato selbst bemüht an die Stelle dieser grie- chischen eine römische Wissenschaft und eine römische Ge- schichtschreibung zu setzen und von all den vielfachen Be- strebungen des thätigen Mannes ist keine so achtbar und so erfolgreich gewesen. Er stand hierin wie es scheint ziemlich allein; ausser ihm war nur noch etwa thätig in gleicher Rich- tung sein Zeitgenosse Sextus Aelius Paetus, zugenannt der Schlaue ( Catus ), der nicht bloss der erste praktische Jurist seiner Zeit war und auf diesem Wege zum Consulat (556) und zur Censur (560) gelangte, sondern auch ein Buch über das Landrecht schrieb, worin zu jedem Satz der zwölf Tafeln die Erläuterung und das entsprechende Klagformular hinzu- gefügt war, das sogenannte ‚dreitheilige Buch‘ ( tripertita ). DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Wahrscheinlich waren die Formulare im Wesentlichen der Sammlung des Appius entlehnt; die Erläuterung bestand wohl hauptsächlich in einer Erklärung der veralteten Ausdrücke und darf in Verbindung gebracht werden mit der eben damals aufblühenden Wissenschaft lateinischer Grammatik. Im übrigen beschränkten sich die Rechtsgelehrten dieser Zeit auf die praktische Thätigkeit, das heisst auf die Bescheidung der an- fragenden Parteien und auf die Bildung der zuhörenden jün- geren Leute. — Aber so einsam Cato stand, so ersetzte er doch dies einigermassen durch seine vielumfassende Thätigkeit. In der Wissenschaft sollte alles unmittelbar Praktische, aber auch dieses allein und dies möglichst kurz und schlicht zu- sammengefasst werden; wobei die Schriften der Hellenen be- nutzt wurden — ‚die griechischen Bücher muss man einsehen, aber nicht auswendig lernen‘, lautet einer von Catos Weis- sprüchen —, aber nur um aus dem Wust unnützer Betrach- tungen einzelne brauchbare Erfahrungssätze zu gewinnen. In dieser Weise hatten ja auch schon die Vorfahren grie- chische Erfindungen sich angeeignet; in ihrem Sinne fort- fahrend fasste Cato das Ergebniss seiner Bestrebungen zusam- men in einem merkwürdigen Buche, das für die spätere Entwicklung der römischen Litteratur sehr wichtig geworden ist, einer Art Encyclopädie, die er seinem Sohne zuschrieb und in der in kurzen Sätzen dargelegt war, was ein ‚braver Mann‘ ( vir bonus ) sein müsse als sittlicher Mensch überhaupt, als Redner, als Kriegsmann, als Landmann, als Rechtskundiger und als Arzt. Dass diese Bücher, deren recht eigentliche Be- stimmung war mit der Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den Scharfsinn und den Tiefsinn der Griechen zu verbannen, im Ganzen nicht mehr sein wollten noch waren als schlichte häusliche Noth- und Hülfsbücher, versteht sich von selbst; aber eben so sehr, dass es an kernigen Sprüchen nicht fehlte, wohin zum Beispiel die goldene Regel für den Redner gehört ‚an die Sache zu denken und die Worte sich von selber geben zu lassen‘ — eine Regel, die die Nachfahren öfter anführten als befolgten. — Ohne Zweifel höher stand Catos Geschichtswerk, die ‚Anfänge‘ genannt; das erste römische Geschichtbuch, das sich losmachte einerseits aus den Fesseln der Jahrzeitbuch- form, andrerseits aus denen der griechisch schreibenden Hi- storiographie, und das wir, wenn die Ungunst der Zeiten es uns gegönnt hätte, wohl würden stellen dürfen neben die Musen Herodots. Cato erzählte nicht in Chronikenweise die VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Ereignisse Jahr für Jahr, sondern die Geschichte in grösseren Abschnitten — zuerst im ersten Buch die Sage von Roms Gründung, der Königszeit und der Vertreibung der Tarquinier; alsdann im zweiten und dritten die ähnlichen Sagen von dem Ursprung der übrigen italischen Gemeinden und deren Eintritt in die römische Eidgenossenschaft, hierauf im vierten und fünf- ten die Kriege vom ersten punischen bis auf den Krieg mit Antiochos, endlich in den letzten beiden Büchern die Ereig- nisse der letzten zwanzig Lebensjahre des Verfassers. Es ist charakteristisch, dass die Epoche von der Vertreibung der Könige bis auf den ersten punischen Krieg gewissermassen fehlt; offenbar weil wohl die Sage und die Geschichte, nicht aber die zwischen beiden in der Mitte liegende Zeit eine zu- sammenhängende Erzählung gestattete. Ebenso charakteri- stisch ist die sonst unerhörte ausführliche Berücksichtigung der übrigen italischen Gemeinden; man sieht, dass die Oppo- sition gegen das hauptstädtische Treiben auf die Landschaft sich stützte. Die letzten Bücher müssen anders und ausführ- licher die Ereignisse geschildert haben; zu ihnen eine Art Ergänzung bildeten die Staatsreden, die Cato gleichfalls, zuerst unter den Römern, aufzuzeichnen anfing — es waren gewisser- massen politische Memoiren, Nachträge zu seinem Hauptwerk, in das er auch mehrere der Reden einrückte. In der Rede- schriftstellerei fand er zahlreiche Nachfolger; das originelle Buch der ‚Anfänge‘ hat seinen Platz in der römischen Litte- ratur behauptet, aber eine Schule nicht begründet — der römische Thukydides blieb aus. Aber dass, während Poesie und bildende Kunst dem Handwerk gleich geachtet wurden, die Beschäftigung mit den Nützlichkeitswissenschaften und mit der Geschichte auch den Staatsmann ehre, war ein Grund- satz, den zuerst Cato entschieden auf- und für längere Zeit bei seiner Nation feststellte. Dieselben Parteien, die in Kunst und Wissenschaft sich befehdeten, standen sich auch gegenüber in den Fragen der religiösen, politischen und sittlichen Zucht. Man stand eben an der Grenze zweier Epochen und auf jedem Gebiet des menschlichen Thuns und Sinnens rangen der italische Bauer und der weltbürgerliche Grossstädter. Der Einfluss der helle- nischen Civilisation des siebenten Jahrhunderts mit ihrer bei- spiellosen Sittenlosigkeit und Gottlosigkeit ist eben in dem Religionswesen sehr sichtbar und sehr nachtheilig. Der alte einfache Glaube der Italiker war wie es fiel die Bewunderung DRITTES BUCH. KAPITEL XI. oder der Spott der Griechen; in den Kriegen gegen die Ae- toler höhnten deren Offiziere die Römer, dass sie ihre Feld- herren in die Schlacht schickten um zu opfern, wogegen der einsichtigere Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit die Römer gar sehr belobt wegen dieser politisch so wirksamen Hegung der Götterfurcht und seine Landsleute belehrt, dass sie sich darüber nicht wundern möchten: alles das geschehe um der Menge willen und es könne doch kein Staat bestehen aus lauter klugen Leuten. Aber schon fingen Unglaube und Aberglaube an die Grundlagen der einheimischen Religion zu unterwühlen. Schon im ersten punischen Krieg (505) kam es vor, dass mit den Auspicien, die vor der Schlacht befragt werden, der Consul selbst sträflichen Spott trieb — freilich ein Consul aus dem übermüthigen und im Guten und Bösen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Als die Kunst- liebhaberei dann einriss, schmückten heilige Bildnisse der Götter gleich anderem Hausgeräth die Zimmer der Reichen, worüber Catos frommer Eifer vergeblich zürnte. Bedenklicher noch ist das Einreissen des wüsten Aberglaubens, den nament- lich die schweren Zeiten des hannibalischen Krieges weckten. Die Regierung selbst konnte nicht umhin sich dem zu fügen; als in den letzten bangen Jahren des hannibalischen Krieges das Orakel gebot die phrygische Göttermutter aus Pessinus, einer Stadt der kleinasiatischen Gallier, nach Rom zu holen, musste der Senat wohl oder übel sich dazu entschliessen eine Gesandt- schaft zu entsenden und die feierliche Einholung des rauhen Feldsteins anzuordnen, den die pessinuntischen Priester als das rechte Abbild der Mutter Kybele den Fremden verehrt hatten (550), ja zur ewigen Erinnerung an das fröhliche Ereigniss unter sich Clubgesellschaften stiften, bei denen die Pflicht die Gesellschaft zu bewirthen unter den Mitgliedern umging — Gesellschaften, die für das festere Zusammen- schliessen der vornehmen Familien und das beginnende He- tärienwesen nicht ohne Wichtigkeit gewesen zu sein scheinen. Aber schlimmer als diese anfangs wenigstens unschuldigen Sodalitäten war es, dass mit diesem öffentlich anerkannten Cult der Göttermutter die Gottesverehrung der Orientalen zum erstenmal Fuss fasste in Rom. Der ganze wüste Apparat jener Priester, die zu Ehren der Göttin sich castrirt hatten und mit ihrem Erzpriester an der Spitze in Purpurgewändern und unter dem Schall der Pfeifen und Pauken in feierlichem Ge- pränge durch die Strassen zogen und den bettelnden Pfaffen VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. an jeder Thüre für die Göttin eine Gabe heischen liessen, war damit übergesiedelt nach Rom, und wenn auch zunächst man streng darauf hielt, dass die Priester dieser neuen Göttin — die Galli und ihr Haupt, der Archigallus — nicht Römer waren, sondern Kleinasiaten, so musste dennoch dies sinnlich- mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stim- mung und die Anschauung des Volkes sein. Die goldene Zeit der Bettelpropheten beginnt; vergeblich stemmten die einsich- tigeren Männer sich gegen das um sich greifende Gesindel. Die Polizei wies die Schwindler aus der Hauptstadt; der Senat verbot jede nicht vom Staat gestattete Gottesverehrung; allein wenn einmal die Köpfe verrückt sind, so legen sie selbst auf höhern Befehl nicht sofort sich zur Ruhe. Mehr nützte es, wenn ein Gutsherr seinem Meier in den Contract setzte: ‚dass er kein Opfer darbringen dürfe anders als an dem Markfest auf dem Grenzaltar oder auf seinem eigenen Heerd, und dass er nicht befragen solle weder einen Eingeweidebesichtiger noch einen Vogelschauer noch einen Wahrsager noch einen Chaldäer‘ — wie Cato that und anrieth; allein solche strenge Zucht war auch nicht mehr nach dem Geschmack der Zeit. Nicht bloss machte jeder ausländische Schwindel Glück in den niederen wie in den höheren Kreisen, sondern es ward auch schon einheimischer geliefert; so entdeckte man zum Beispiel im Jahre 573 die hinterlassenen Schriften des Königs Numa, in denen ganz neuer und seltsamer Gottesdienst vorgeschrieben gewesen sein soll — mehr als dies und dass die Bücher sehr neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht, denn der Senat legte die Hand auf die Rollen und liess sie kurzweg ins Feuer werfen. Wohin das führen konnte, zeigt der bakchische Geheimdienst, der durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien und von da aus nach Rom und über ganz Italien verbreitet wor- den war — eine Muckerwirthschaft der scheusslichsten Art, mit Unzucht, Testamentsfälschungen und Giftmischerei im Ge- folge, um sich fressend wie ein Krebs und überall die Fami- lien zerrüttend. Der Senat schritt ein mit furchtbarem, aber heilsamem Nachdruck, als die Sache zur Anzeige kam (568); die Behörden verurtheilten über 7000 Menschen, grossentheils zum Tode, und strenge Vorschriften ergingen für die Zukunft. Dennoch ging die Wirthschaft fort; noch 574 klagte der be- treffende Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurtheilt worden seien und noch kein Ende sich absehen lasse. Die DRITTES BUCH. KAPITEL XI. andere Seite zu diesem um sich greifenden Cult der auslän- dischen Mysterien war es denn, dass die Priester der Landes- religion anfingen für ihre nutzbaren Privilegien zu kämpfen, zum Beispiel Anspruch machten auf Befreiung von den öffent- lichen Abgaben und sehr unwillig die Rückstände nachzahl- ten (558). Aehnliche Erscheinungen begegnen im politischen Leben, wo die alte Sitte und die neue Weise gleichfalls oft sich schroff gegenübertraten. Der wunderlichste und der folgen- reichste unter den neuen politischen Gedanken dieser Epoche ist jenes Project einer Emancipation der Hellenen, dessen schmählicher Schiffbruch früher dargestellt ward; man kann dies als die fixe Idee der neuen Schule bezeichnen, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten gewesen und denn auch von Cato bis zur Lächerlichkeit gepredigt worden ist. Ueberall beginnen die alten ehrbaren Gebräuche zu verschwin- den und was sich sonst von selbst verbot, muss durch Gesetze untersagt werden. Dahin gehört zum Beispiel, dass auch die, welche keine Schlachten geschlagen hatten, anfingen sich um die Ehre des Triumphs zu bewerben (zum Beispiel 574); dass blutjunge Leute sich zu den höchsten Aemtern drängten, bis ein Gesetz dagegen erlassen ward; dahin vor allem die immer mehr überhand nehmende Behandlung der Criminalsachen in den Volksgerichten nicht nach Recht und Gerechtigkeit, son- dern nach Gunst und Mitleid. Es kam schon vor, dass einem Feldherrn, der die ihm auf Treue und Glauben sich ergeben- den Bundesgenossen wortbrüchig hatte niedermetzeln lassen, seine eigenen Thränen und die seiner unmündigen Kinder die Freisprechung verschafften. Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist des Volkes im Sinken war, bewies der panische Schreck, der in dem unbedeutenden istrischen Krieg Heer und Flotte der Römer, ja ganz Italien in einer kaum glaublichen Weise ergriff (576) und wegen dessen Cato seinen Landsleuten eine eigene Strafrede hielt; ja im dritten make- donischen Krieg ward durch die elende Disciplin in der That schon das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt. Nicht ganz mit Unrecht wird dies Erschlaffen der Kriegszucht zurück- geführt auf den Sieger von Zama. Die alte schöne Sitte, dass der Oberfeldherr des einen Jahres in einem andern wieder als Stabsoffizier eintrat, wird schon selten; es ist Demonstra- tion gegen die neue Schule, dass Cato und Flaccus sich in dieser Art unter Glabrios Oberbefehl stellen. Wie sehr das VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Landvogtspielen den römischen Beamtenstand demoralisiren musste, ist schon in einem andern Zusammenhang angedeutet worden; derselbe Mann, der heute im Ausland eine gesetz- liche Militärtyrannis geführt hatte, konnte unmöglich sich wieder zurückfinden in die bürgerliche Gemeinschaft, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. Wo man den Blick auch hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; es ist nur eine Zeitfrage, wann er stürzen wird, und was die Hauptsache ist, nirgends gewahrt man die Vorbereitungen zu einem ernstlichen und ehrlichen Neubau. Endlich das Familienleben und die Sittenzucht sind gleich- falls im Sinken. In den vornehmsten Häusern kamen ent- setzliche Verbrechen vor; in denen zum Beispiel der Calpur- ner und der Fulvier ward der Vater ermordet von der Mutter um dem Sohn Platz zu machen für das Consulat; Pläne ka- men zur Anzeige die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden. Die Familienbande erschlafften; die Ehelosigkeit ward immer häufiger — schon 520 suchten die Censoren ihr entgegen zu wirken —, ebenso die Geldheirathen und die Ehescheidungen. Aber nichts ist so auffallend wie die beginnende Emancipation der Frauen zunächst in ökonomischer, demnächst auch in anderen Beziehungen. Die alte Sitte der Römer stellte die verheiratheten Frauen unter die eheherrliche Gewalt, die der väterlichen durchaus gleich war, die unverheiratheten unter die ihrer nächsten Verwandten, die der väterlichen nahe kam; allein es ward immer gewöhnlicher die Ehe einzugehen ohne Uebertragung der eheherrlichen Vormundschaft an den Mann und der Frau dabei die vermögensrechtliche Selbstständigkeit zu wahren, die Vogtschaft der Verwandten aber durch Schein- ehen zu sprengen. Wie bedenklich die Anzahl der reichen und selbstständigen Frauen der Regierung erschien, zeigt das exorbitante Gesetz vom Jahre 585, das die Erbeinsetzung der Frauen überhaupt verbot, und die Erstreckung dieses Satzes durch die Praxis auf die wichtigsten Fälle der Collateralerb- schaften, die ohne Testament an Frauen fielen. Aber auch in öffentlichen Dingen fingen die Frauen an einen Willen zu haben und ‚die Herrscher der Welt zu beherrschen‘, wie Cato sagte, der in seiner Rede über die Mitgiften vergeblich an die guten alten Zeiten erinnerte, da die Frau dem Mann unter- than war und ihm Busse thun musste für den Ehebruch wie für das Weintrinken. Schon erhoben sich in den Provinzen Röm. Gesch. I. 41 DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Statuen römischer Frauen; ja in der römischen Volksversamm- lung selbst setzte trotz Catos eifrigem Schelten ihr Einfluss es durch, dass die alten Verbote des Goldschmuckes, der bunten Kleider, der Wagen gesetzlich aufgehoben wurden. — Die Ueppigkeit stieg in Schmuck und Speisen, in der Ver- zierung der Villen wie in der einreissenden Mätressen- und Knabenwirthschaft; namentlich seit das Heer aus Kleinasien zurückgekehrt war, fand eine Masse neuer und frivoler Luxus- artikel ihren Weg nach Rom und es begann die wissenschaft- liche Kochkunst. Gesetze dagegen werden wohl erlassen; der ausländische Wein ward untersagt und als Maximum der Kosten einer Festmahlzeit 100 schwere Asse (5½ Thlr.), einer gewöhn- lichen 10 (16 Gr.) festgesetzt durch ein Gesetz vom Jahre 593; allein gleichzeitig bezahlte man nach Catos Bemerkung für einen Topf Sardellen aus dem schwarzen Meer mehr als für einen Ackerknecht und einen hübschen Knaben theurer als ein Bauerngut. Das Leben ward unverhältnissmässig theuer in Rom und namentlich stiegen die Miethen; und doch stieg in gleichem Mass die Arbeitsscheu und das Bedürfniss zu lottern und zu gaffen. Die Zahl der Festtage wurde vermehrt; die Floralien kamen 516, die Megalesien 560 hinzu; seit dem Ende des zweiten punischen Krieges wurde es häufig, dass man das eben beendigte Fest noch einmal wieder von vorn beginnen liess; die Gelegenheitsfeste bei Leichenfeiern vornehmer Männer und sonst wurden immer zahlreicher und ihre Ausstattung immer verschwenderischer. Die Pracht der Spiele wurde allmählig der Massstab, nach dem das Volk die Tüchtigkeit der Candidaten zu den Staatsämtern bemass. Man war ganz nah an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte. Schon 534 war ein zweiter Rennplatz angelegt worden, bezeichnend genug von Gaius Flaminius, dem ersten Demagogen von Profession, den Rom hervorgebracht hat; er mag sich mit dieser Verdop- pelung der Spielplätze die Erlaubniss erkauft haben die Schlacht am trasimenischen See zu liefern. Die Spiele selbst wurden andere. Die unschuldigen Pferde- und Wagenrennen nach grossgriechischer Weise, die etruskischen Flötentänze genügten nicht mehr. Mit 490 beginnen die Fechterspiele nach cam- panischer, mit 514 die scenischen nach tarentiner Weise, mit 568 die Thierhetzen und in diesem Jahre traten auch zuerst griechische Athleten auf; die bedeutenden Kosten wurden überall grossentheils auf die Provinzialen gewälzt. Was von VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. bildenden Elementen in den scenischen und musischen Spielen lag, gab man von vorn herein dadurch Preis, dass man diese Lustbarkeiten vorwiegend für den gemeinen Mann bestimmte und es der Absicht der Geber geradezu entgegen war den Genuss einem ausgewählten Kreis zu bereiten. Wie das Publikum be- schaffen war, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587, wo die ersten griechischen Flötenbläser, da sie mit ihren Melo- dien missfielen, vom Regisseur angewiesen wurden lieber sich unter einander zu prügeln, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. — Unter solchen Verhältnissen musste freilich und vor allen Dingen in der Hauptstadt Geld und nichts als Geld die Losung werden für Hoch und Niedrig. Schon lange that in Griechenland Niemand etwas umsonst, wie die Grie- chen selbst eingestanden; seit dem zweiten makedonischen Krieg fingen die vornehmen Römer an auch in dieser Hin- sicht zu hellenisiren und es wird schon als etwas Besonderes angemerkt, dass Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm. Man vermied es geradezu zu stehlen; aber alle krum- men Wege zu schnellem Reichthum schienen erlaubt: Zins- und Kornwucher, Lieferantenbetrug, Geldheirathen, Verun- treuung der Beute. Ja das Stimmrecht schon ward einzeln feil, wenn gleich im Ganzen die Wählerschaft noch zu achtbar war, als dass directe Wahlbestechung systematisch hätte be- trieben werden können. Vor allem aber war es die Verwal- tung der Provinzialstellen, die bald Ehrenämter nur noch hiessen, die als Mittel zu schnellem Reichthum betrachtet ward; und was das Amt war für die Grossen, war für den gemeinen Mann der Kriegsdienst. Die Veteranen aus dem zweiten makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg waren durchgängig als wohlhabende Leute heimgekehrt. Dies war die Ursache, wesshalb zum dritten makedonischen Krieg so zahlreiche Freiwillige sich meldeten; und als Lucius Paullus ihnen dann nicht hinreichend nach Willen lebte, fehlte wenig daran, dass ihm nicht mittelst Volksbeschluss wesentlich durch seine eigenen Soldaten die Ehre des Triumphs entzogen wurde. Selbst solche Dinge, die nach römischer Ansicht für Geld zu leisten schimpflich war, wie namentlich der Rechtsbeistand, wurden käuflich, indem der Sachwalter anfing ‚Geschenke‘ zu nehmen; was dann freilich durch Volksschluss untersagt ward. Nur die Rechtswissenschaft hielt sich rein von solcher Schande; auch ohne Gesetz blieben die Rechtsverständigen bei ihrer ehr- baren Sitte den guten Rath umsonst zu geben. Aber es war 41* DRITTES BUCH. KAPITEL XI. dies eine einzelne Ausnahme, wenigstens in der Hauptstadt. Die Masse der Bevölkerung fand keinen Genuss in der Arbeit mehr und arbeitete nur, um so schnell wie möglich zum faulen Genuss zu gelangen. Wahrlich, die Pandorabüchse, die das Schicksal den Römern zugetheilt hatte, war eine Gabe von zweifelhaftem Werth. Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.