Lienhard und Gertrud . Ein Buch fuͤr das Volk . Berlin und Leipzig, bey George Jakob Decker, 1781. Vorrede . Leser! D iese Bogen sind die historische Grund- lage eines Versuchs, dem Volk einige ihm wichtige Wahrheiten auf eine Art zu sa- gen, die ihm in Kopf und ans Herz ge- hen sollte. Ich suchte sowohl das gegenwaͤrtige Historische als das folgende Belehrende auf die moͤglichst sorgfaͤltige Nachahmung der Natur, und auf die einfache Darle- gung dessen, was allenthalben schon da ist, zu gruͤnden. Ich habe mich in dem, was ich hier erzaͤhle, und was ich auf der Bahn ei- nes thaͤtigen Lebens meistens selbst gesehn )( 2 und Vorrede . und gehoͤrt habe, so gar gehuͤtet, nicht einmal meine eigene Meynung hinzuzuse- tzen, zu dem, was ich sah und hoͤrte, daß das Volk selber empfindet, urtheilt, glaubt, redt und versucht. Und nun wird es sich zeigen; Sind mei- ne Erfahrungen wahr, und gebe ich sie, wie ich sie empfangen habe, und wie mein Endzweck ist, so werden sie bey allen denen, welche die Sachen, die ich erzaͤhle, selber taͤglich vor Augen sehn, Eingang finden. Sind sie aber unrichtig, sind sie das Werk meiner Einbildungen und der Tand mei- ner eigenen Meynungen, so werden sie, wie andere Sonntagspredigten, am Mon- tag erschwinden. Ich sage nichts weiter, sondern ich fuͤge nur noch zwo Betrachtungen bey, welche meine Grundsaͤtze uͤber die Art eines weisen Volksunterrichts, ins Licht zu se- tzen geschickt scheinen. Die Vorrede . Die erste ist aus einem Buche un- sers seligen Luthers, dessen Feder in je- der Zeile Menschlichkeit, Volkskenntniß und Volksunterricht athmet. Sie lau- tet also: „Die heilige Schrift meynt es auch da- „rum so gut mit uns, daß sie nicht bloß „mit den grossen Thaten der heiligen Maͤn- „ner rumpler , sondern uns auch ihre „kleinsten Worte an Tag giebt, und so „den innern Grund ihres Herzens uns „aufschließt.“ Die zweyte ist aus einem juͤdischen Rabiner, und lautet nach einer lateini- schen Uebersetzung also: „Es waren unter den Voͤlkern der Hei- „den, die rings umher und um das Erb- „theil Abrahams wohnen, Maͤnner voll „Weisheit, die weit und breit auf der „Erde ihres gleichen nicht hatten; diese )( 3 „spra- Vorrede . „sprachen: Lasset uns zu den Koͤnigen und „zu ihren Gewaltigen gehn, und sie leh- „ren, die Voͤlker auf Erden gluͤcklich „machen. „Und die weisen Maͤnner giengen hin- „aus, und lernten die Sprache des Hau- „ses der Koͤnige und ihrer Gewaltigen, „und redeten mit den Koͤnigen und mit „ihren Gewaltigen in ihrer Sprache. „Und die Koͤnige und die Gewaltigen „lobten die weisen Maͤnner, und gaben „ihnen Gold und Seide und Weyrauch, „ thaten aber gegen die Voͤlker wie vor- „hin. Und die weisen Maͤnner wurden „von dem Gold und der Seide und dem „Weyrauch blind, und sahen nicht mehr, „daß die Koͤnige und ihre Gewaltigen un- „weise und thoͤricht handeln, an allem „Volk, das auf Erden lebt. „Aber ein Mann aus unserm Volk „beschalt die Weisen der Heiden, gab „dem Vorrede „dem Bettler am Weg seine Hand, fuͤhrte „das Kind des Dieben, und den Suͤnder, „und den Verbannten in seine Huͤtte, gruͤß- „te die Zoller, und die Kriegsknechte, und „die Samariter, wie seine Bruͤder, die „aus seinem Stamme sind. „Und sein Thun, und seine Armuth, „und sein Ausharren in seiner Liebe ge- „gen alle Menschen gewann ihm das Herz „des Volks, daß es auf ihn traute, als „auf seinen Vater. Und als der Mann „aus Israel sah, daß alles Volk auf ihn „traute, als auf seinen Vater, lehrte er „das Volk, worinn sein wahres Wohl „bestehe; und das Volk hoͤrte seine Stim- „me, und die Fuͤrsten hoͤrten die Stimme „des Volks. Das ist die Stelle des Rabiners, zu der ich kein einiges Wort hinzusetze. Und jezt, ehe ihr aus meiner Stille geht, liebe Blaͤtter! an die Orte, wo die )( 4 Winde Vorrede . Winde blasen, und die Stuͤrme brausen, an die Orte, wo kein Friede ist — Nur noch diß Wort, liebe Blaͤtter! moͤge es euch vor boͤsen Stuͤrmen bewah- ren! Ich habe keinen Theil an allem Streit der Menschen uͤber ihre Meynungen; aber das, was sie fromm und brav und treu und bider machen, was Liebe Gottes und Liebe des Naͤchsten in ihr Herz, und was Gluͤck und Segen in ihr Haus bringen kann, das, meyne ich, sey, ausser allem Streit, uns allen und fuͤr uns alle in un- sere Herzen gelegt. Den 25. Hornung 1781. Der Verfasser. Innhalt . Blatt. §.. 1. E in herzguter Mann, der aber doch Weib und Kinder hoͤchst ungluͤcklich macht 3 — 2. Eine Frau, die Entschluͤsse nimmt, und ausfuͤhrt, und die einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat 9 — 3. Ein Unmensch erscheint 17 — 4. Er ist bey seines gleichen; und da ist’s wo man Schelmen kennen lernt 22 — 5. Er findet seinen Meister 27 — 6. Wahrhafte Bauerngespraͤche 34 — 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an 45 — 8. Wenn man die Raͤder schmiert, so geht der Wagen 50 — 9. Von den Rechten im Land 53 — 10. Des Scheerers Hund saͤuft Wasser zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Untervogt ein Spiel, das recht gut stand 57 — 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte 64 — 12. Hanshaltungsfreuden 70 )( 5 §. 13. Innhalt. Blatt. §. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war 73 — 14. Niedriger Eigennutz 84 — 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder eine Dummheit, die ein Glas Wein kostet 88 — 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett 91 — 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich 97 — 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤpfel gestohlen hat, und die Kran- ke stirbt 105 — 19. Guter Muth troͤstet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur 110 — 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz hat den Mann zum Muͤßiggang ver- fuͤhrt 113 — 21. Undank und Neid 115 — 22. Die Qualen des Meyneids lassen sich nicht mit spitzfuͤndigen Kuͤnsten er- sticken 117 — 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau 125 — 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares Herz 130 — 25. Wie Schelmen mit einander reden 132 §. 26. Innhalt. Blatt. §. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichsten abscheu- lichsten Thaten 134 — 27. Fleiß und Arbeitsamkeit, ohne ein dankbares und mitleidiges Herz 138 — 28. Der Abend vor einem Festtage in ei- nes Vogts Hause, der wirthet 144 — 29. Fortsetzung, wie Schelmen mit ein- ander reden und handeln 150 — 30. Fortsetzung, wie Schelmen mit ein- ander reden und handeln, auf eine andere Manier 157 — 31. Der Abend vor einem Festtage, im Hause einer rechtschaffenen Mutter 166 — 32. Die Freuden der Gebetsstunde 168 — 33. Die Ernsthaftigkeit der Gebetsstun- de 170 — 34. So ein Unterricht wird verstanden und geht an’s Herz, aber es giebt ihn eine Mutter 173 — 35. Ein Samstagsabendgebet 177 — 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine Andacht und Emporhebung der See- le zu Gott 182 — 37. Sie bringen einem armen Mann ei- ne Erbsbruͤhe 187 §. 38. Innhalt. Blatt. §. 38. Die reine stille Groͤsse eines wohl- thaͤtigen Herzens 190 — 39. Eine Predigt 194 — 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war. Item, vom Wissen und Irrthum; und von dem, was heisse, den Armen druͤcken 204 — 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Unfug an 215 — 42. Zugabe zur Morgenpredigt 218 — 43. Die Bauern im Wirthshause wer- den beunruhiget 219 — 44. Geschichte eines Menschenherzens, waͤhrend dem H. Nachtmahl 222 — 45. Die Frau sagt ihrem Manne grosse Wahrheiten; aber viele Jahre zu spaͤth 225 — 46. Selbstgespraͤch eines Manns, der mit seinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt 228 — 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden 231 — 48. Etwas von der Suͤnde 236 — 49. Kindercharacter und Kinderlehren 238 — 50. Unarten und boͤse Gewohnheiten ver- derben dem Menschen auch die ange- nehmen Stunden, in denen er etwas Gutes thut 245 §. 51. Innhalt. Blatt. §. 51. Es kann keinem Menschen in Sinn kommen, was fuͤr gute Folgen auch die kleinste gute Handlung haben kann 248 — 52. Am Morgen sehr fruͤh ist viel zu spaͤth fuͤr das, was man am Abend vorher haͤtte thun sollen 250 — 53. Je mehr der Mensch fehlerhaft ist, desto unverschaͤmter begegnet er denen, die auch fehlen 252 — 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit 254 — 55. Ein Heuchler macht sich einen Schel- men zum Freund 255 — 56. Es wird Ernst; der Vogt muß nicht mehr Wirth seyn 260 — 57. Wie er sich gebehrdet 262 — 58. Wer bey ihm war 264 — 59. Aufloͤsung eines Zweifels 265 — 60. Eine Ausschweifung 266 — 61. Der alte Mann leert sein Herz aus 268 — 62. Das Entsetzen der Gewissensunruhe 272 — 63. Daß man mit Liebe und mit Theil- nehmung der gaͤnzlichen Kopfsver- wirrung angstvoller Menschen vor- kommen koͤnne 273 — 64. Ein Pfarrer, der eine Gewissensfache behandelt 274 §. 65. Innhalt. Blatt. §. 65. Daß es auch beym niedrigsten Volk eine Delicatesse gebe, selbst bey der Annahme von Wohlthaten, um die sie bitten 280 — 66. Ein Foͤrster, der keine Gespenster glaubt 282 — 67. Ein Mann, den es geluͤstet, einen Markstein zu versetzen, moͤchte auch gern die Gespenster nicht glauben, und er darf nicht 285 — 68. Die untergehende Sonne und ein ver- lorner armer Tropf 287 — 69. Wie man seyn muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will 288 — 70. Ein Mann, der ein Schelm ist und ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und des Maͤurers Frau ist weise 289 — 71. Die Hauptauftritte naͤhern sich 294 — 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt de n Vogt 297 — 73. Er macht sich an den Markstein 298 — 74. Die Nacht betruͤgt Besoffene und Schelmen, die in der Angst sind, am staͤrksten 299 — 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung 301 — 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus 305 — 77. Seelsorgerarbeit 306 §. 78. Innhalt. Blatt. §. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner 315 — 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht 319 — 80. Des Junkers Antwortschreiben an den Pfarrer 322 — 81. Ein guter Kuͤher 325 — 82. Ein Gutscher, dem seines Junkers Sohn lieb ist 327 — 83. Ein Edelmann bey seinen Arbeits- leuten 329 — 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die bey- de ein gleich gutes Herz haben, kom- men zusammen 330 — 85. Des Junkers Herz gegen seinen feh- lenden Vogt 331 — 86. Der Pfarrer zeigt abermal sein gu- tes Herz 333 — 87. Vom guten Muth und von Ge- spenstern 335 — 88. Von Gespenstern, in einem andern Thon 343 — 89. Ein Urtheil 347 — 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegau- mers 350 — 91. Des Junkers Antwort 353 — 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Ge- meinde 357 §. 93. Innhalt. Blatt. §. 93. Daß die Armen bey diesem Lustspiel gewinnen 361 — 94. Der Junker dankt dem Pfarrer 363 — 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem sein Großvater Unrecht gethan hatte, um Verzeihung 366 — 96. Reine Herzensguͤte eines armen Manns, gegen seinen Feind 369 — 97. Seine Dankbarkeit gegen seinen edeln Herrn 372 — 98. Auftritte, die an’s Herz gehen sollen 373 — 99. Eine angenehme Aussicht 378 — 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn 378 Lienhard und Gertrud . A §. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kind hoͤchst ungluͤcklich macht. E s wohnt in Bonnal ein Maͤurer. Ich muß hier melden, daß in der ganzen Ge- schichte ein alter angesehener Einwohner von Bonnal redend eingefuͤhrt wird. Er heißt Lienhard — und seine Frau Gertrud. Er hat sieben Kinder und ein gutes Verdienst. — Aber er hat den Fehler, daß er sich im Wirthshaus oft verfuͤhren laͤßt. Wann er da ansitzt, so handelt er wie ein Unsinniger; — und es sind in unserm Dorf schlaue abgefeimte Bursche, die darauf losgehen, A 2 und und daraus leben, daß sie den Ehrlichern und Ein- faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß das Geld aus der Tasche locken. Diese kannten den guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk noch zum Spiel, und raubten ihm so den Lohn seines Schweisses. Aber allemal, wenn das am Abend geschehen war, reuete es Lienharden am Mor- gen — und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger- trud und seine Kinder Brod mangeln sah, daß er zitterte, weinte, seine Augen niederschlug, und seine Thraͤnen verbarg. Gertrud ist die beste Frau im Dorf — aber sie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt, verschupft ins aͤusserste Elend zu sinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte. Gertrud sah die nahe Gefahr, und war da- von in ihrem Innersten durchdrungen. Wenn sie Gras von ihrer Wiese holte, wenn sie Heu von ihrer Buͤhne nahm, wenn sie die Milch in ihren reinlichen Becken besorgte; ach! bey allem, bey allem aͤngstigte sie immer der Gedanke — daß ihre Wiese, ihr Heustock und ihre halbe Huͤtte ihnen bald werden entrissen werden, und wenn ihre Kinder um sie her stunden, und sich an ihren Schoos draͤngten, so war ihre Wehmuth immer noch groͤßer; Allemal flossen dann Thraͤnen uͤber ihre Wangen. Bis Bis jezt konnte sie zwar ihr stilles Weinen vor den Kindern verbergen; aber am Mitwochen vor der letzten Ostern — da ihr Mann auch gar zu lang nicht heim kam, war ihr Schmerz zu maͤchtig, und die Kinder bemerkten ihre Thraͤnen. Ach Mutter! riefen sie alle aus einem Munde, du weinest, und draͤngten sich enger an ihren Schoos. Angst und Sorge zeigten sich in jeder Geberde. — Banges Schluchsen, tiefes, niedergeschlagenes Staunen, und stille Thraͤnen umringten die Mutter, und selbst der Saͤugling auf ihrem Arme verrieth ein bisher ihm fremdes Schmerzengefuͤhl. Sein erster Ausdruck von Sorge und von Angst — Sein starres Auge, das zum erstenmale ohne Laͤcheln hart und steif und bang nach ihr blickte — alles dieses brach ihr gaͤnz- lich das Herz. Ihre Klagen brachen jezt in lau- tem Schreyen aus, und alle Kinder und der Saͤug- ling weinten mit der Mutter, und es war ein ent- setzliches Jammergeschrey, als eben Lienhard die Thuͤre eroͤffnete. Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bethe; hoͤrte das Oeffnen der Thuͤre nicht, und sah nicht den kommenden Vater — Auch die Kinder wur- den seiner nicht gewahr — Sie sahn nur die jam- mernde Mutter — und hiengen an ihren Armen, an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand sie Lienhard. A 3 Gott Gott im Himmel sieht die Thraͤnen der Elen- den — und setzt ihrem Jammer ein Ziel. Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar- men! — Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu diesem Anblick, der seine Seele durchdrang, — daß seine Glieder bebeten. Todesblaͤsse stieg in sein Antlitz — und schnell und gebrochen konnte er kaum sagen — Herr JEsus! was ist das? Da erst sah ihn die Mutter, da erst sahn ihn die Kin- der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr sich — O Mutter! der Vater ist da! riefen die Kinder aus einem Munde; und selbst der Saͤugling weinte nicht mehr — So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee- rende Flamme nun nachlaͤßt — so verliert sich auch das wilde Entsetzen, und wird stille, bedaͤchtliche Sorge. — Gertrud liebte den Lienhard — und seine Ge- genwart war ihr auch im tiefsten Jammer Erqui- ckung — und auch Lienharden verließ jezt das erste bange Entsetzen — Was ist, Gertrud! sagte er zu ihr, dieser er- schreckliche Jammer, in dem ich dich antraf? O mein Lieber! erwiederte Gertrud — finstre Sorgen umhuͤllen mein Herz — und wenn du weg bist, so nagt mich mein Kummer noch tiefer — Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du weinest — ich Elender! Da Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lien- hard huͤllte sein Antlitz in ihren Schoos, und konnte nicht reden! — Auch Gertrud schwieg eine Weile — und lehnte sich in stiller Wehmuth an ihren Mann, der im- mer mehr weinte und schluchzte, und sich aͤngstigte auf ihrem Schoosse. Indessen sammelte Gertrud alle ihre Staͤrke, und faßte Muth, nun an ihn zu dringen, daß er seine Kinder nicht ferner diesem Ungluͤck und Elend aussetzte. Gertrud war fromm — und glaubte an Gott — und ehe sie redete, betete sie still fuͤr ihren Mann und fuͤr ihre Kinder, und ihr Herz war sichtbar- lich heiterer; da sagte sie: Lienhard trau auf Gottes Erbarmen, und fasse doch Muth — ganz recht zu thun — O Gertrud, Gertrud! — sagte Lienhard, und weinte, und seine Thraͤnen flossen in Stroͤmen — O mein Lieber! fasse Muth, sagte Gertrud, und glaube an deinen Vater im Himmel, so wird alles wieder besser gehen. Es gehet mir ans Herz, daß ich dich weinen mache. Mein Lieber! — ich wollte dir gern jeden Kummer verschweigen, — du weissest, an deiner Seite saͤttigt mich Wasser und Brod, und die stille Mitternachtsstunde ist mir viel und oft frohe Arbeitsstunde, — fuͤr dich und meine Kinder. Aber, mein Lieber! wenn ich dir A 4 meine meine Sorgen verhehlte — daß ich mich noch einst von dir und diesen Lieben trennen muͤßte — so waͤr ich nicht Mutter an meinen Kindern — und an dir waͤr ich nicht treu — O Theurer! Noch sind un- sere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns — aber, mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben — so wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤs- sen — und dann denke, o Lieber! denk auch, wie dir seyn muͤßte, wenn dein Niclas einst keine Huͤtte mehr haͤtte! und Knecht seyn muͤßte — Er, der jezo schon so gern von Freyheit und eigenem Heerde redt — Lienhard — wenn er und alle die Lieben — durch unsern Fehler arm gemacht, einst in ihrem Herzen uns nicht mehr dank- ten — sondern weinten ob uns, ihren Eltern — koͤnntest du leben, Lienhard! und sehen, wie dein Niclas, dein Jonas, wie dein Liseli ( Lise ) und dein Annelj, ( Enne ) Diese Geschichte ist schweizerisch. Die Scene davon ist in der Schweiz, und ihre Helden sind Schwei- zer. Man hat deshalben die schweizerischen Na- men beybehalten, und so gar schweizerische Pro- vincialworte, wie z. E. verschupfen , welches den Fall bedeutet, da ein Mensch von einem Orte zum andern mit einer Art von Drucke und von Verachtung verstossen wird. o Gott! verschupft, an fremden Tischen Brod suchen muͤßten — ich wuͤrde sterben, wenn wenn ich das sehen muͤßte — so sagte Gertrud — und Thraͤnen flossen von ihren Wangen — Und Lienhard weinte nicht minder — Was soll ich thun? — ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma- chen? — ich bin noch elender als du weissest — O Gertrud! Gertrud! Dann schwieg er wieder, rang seine Haͤnde und weinte lautes Entsetzen — O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen — o Theurer! was es auch seyn mag — rede — daß wir uns helfen und rathen — §. 2. Eine Frau, die Entschluͤsse nimmt, aus- fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat — O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz, dir mein Elend zu sagen — und deine Sorgen zu vergroͤßern — und doch muß ich es thun. Ich bin Hummel, dem Vogt Vogt ist in der Schweiz, was in Deutschland der Schulz im Dorfe ist. , noch dreyßig Gulden schuldig — und der ist ein Hund, und kein A 5 Mensch Mensch gegen die, so ihm schuldig sind — Ach! daß ich ihn in meinem Leben nie gesehn haͤtte — Wenn ich nicht bey ihm einkehre, so droht er mir mit den Rechten — und wenn ich einkehre, so ist der Lohn meines Schweisses und meiner Arbeit in seinen Klauen. — Das, Gertrud, das ist die Quelle unsers Elends. — O Lieber! sagte hierauf Gertrud, darfst du nicht zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißst, wie alle Wittwen und Waisen sich seiner ruͤhmen — O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz gewaͤhren gegen diesem Mann — O Gertrud! erwiederte Lienhard — ich kann nicht — ich darf nicht — was wollte ich gegen dem Vogt sagen? — der tausenderley anbringt und kuͤhn ist — und schlau und hundert Helfers-Helfer und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig- keit zu verschreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt. Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner Obrigkeit geredt — Aber wenn Noth und Elend mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr- heit gerade gegen jedermann sagen koͤnnen. — O Theurer! fuͤrchte dir nicht — denke an mich und deine Kinder, und gehe — O Gertrud! sagte Lienhard — ich kann nicht — ich darf nicht — ich bin nicht unschuldig — Der Vogt wird sich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen — daß ich ein liederlicher Tropf bin — O Gertrud! ich bin bin nicht unschuldig — was will ich sagen? Nie- mand wird ihn fuͤr den Kopf stossen — und aussa- gen, daß er mich zu allem verleitet hat — O Ger- trud! koͤnnt ich’s! doͤrft ich’s! wie gerne wollt ich’s! Aber thaͤt ich’s und mißlung’s, denk, wie wuͤrde er sich raͤchen. Gertrud. Aber auch wenn du schweigst, rich- tet er dich unausweichlich zu Grunde. Lienhard, denk an deine Kinder und gehe — diese Unruhe unsers Herzens muß enden — gehe oder ich gehe. Lienhard. — O Gertrud! ich darf nicht! Darfst du’s, ach Gott! Gertrud! ach Gott! darfst du’s, so gehe schnell hin zu Arner — und sag ihm alles — Ja, ich will gehen, sagt Gertrud — und schlief keine Stunde in der Nacht — aber sie betete in der schlaflosen Nacht — und ward immer staͤrker und entschlossener, zu gehen zu Arner, dem Herrn des Orts — Und am fruͤhen Morgen nahm sie den Saͤug- ling, der wie eine Rose bluͤhete, und gieng zwo Stunden weit zum Schlosse des Junkers. Arner saß eben bey seiner Linde, vor der Pforte des Schlosses, als Gertrud sich ihm nahete — Er sah sie — er sahe den Saͤugling auf ihrem Arme — und Wehmuth und Leiden und getrocknete Zaͤhren auf ihrem Antlitz — Was Was willst du, meine Tochter? wer bist du? sagte er so liebreich, daß sie Muth fassete zu re- den — Ich bin Gertrud, sagte sie — das Weib des Maͤurer Lienhards von Bonnal. Du bist ein braves Weib, sagte Arner. Ich habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus- gezeichnet — Sie sind sittsamer und bescheidener als alle uͤbrigen Kinder, und sie scheinen besser ge- naͤhrt — und doch, hoͤre ich, seyd ihr sehr arm — Was willst du, meine Tochter? O Gnaͤdiger Herr! mein Mann ist laͤngst dem Vogt Hummel dreyßig Gulden schuldig — und das ist ein harter Mann — Er verfuͤhrt ihn zum Spiel und zu aller Verschwendung — Und da er ihn fuͤrch- ten muß, so darf er sein Wirthshaus nicht mei- den; wenn er schon fast alle Tage sein Verdienst und das Brod seiner Kinder darinn zuruͤck lassen muß. Gnaͤdiger Herr! es sind sieben unerzogene Kin- der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt ist’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelstab gera- then; Und ich weiß, daß Sie sich der Wittwen und der Waisen erbarmen, und darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unser Ungluͤck zu sagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bey mir — in der Absicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten doͤrfe, Verfuͤgun- gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, bis er er bezahlt seyn wird, nicht mehr draͤngen und pla- gen doͤrfe — Arner hatte laͤngst einen Verdacht auf Hum̃el — Er erkannte sogleich die Wahrheit dieser Klage, und die Weisheit der Bitte — Er nahm eine Schale Thee, die vor ihm stund, und sagte: Du bist nuͤch- tern, Gertrud? Trink diesen Thee, und gieb dei- nem schoͤnen Kind von dieser Milch. Erroͤthend stand Gertrud da — Diese Vater- guͤte gieng ihr ans Herz, daß sie ihre Thraͤnen nicht halten konnte — Und Arner ließ sie jezt die Thaten des Vogts und seiner Mitgesellen und die Noth und die Sor- gen vieler Jahre erzaͤhlen; hoͤrte aufmerksam zu, und einmal fragte er sie — Wie hast du, Gertrud! das Spargeld deiner Kinder retten koͤnnen in aller dieser Noth? Da antwortete Gertrud — Das war wohl schwer, Gnaͤdiger Herr! aber es mußte mir seyn, als ob das Geld nicht mein waͤre, als ob es ein Sterbender mir auf seinem Todbethe gegeben haͤtte, daß ich es seinen Kindern aufbehalten sollte. So, fast ganz so sah ich es an — Wenn ich zu Zeiten in der dringendsten Noth den Kindern Brod dar- aus kaufen mußte, so ruhete ich nicht, bis ich mit Nachtarbeit wieder so viel nebenhin erspart und den Kindern wieder erstattet haͤtte. War War das allemal wieder moͤglich — Gertrud? fragt Arner — O Gnaͤdiger Herr! wenn der Mensch sich et- was vest vornimmt — so ist ihm mehr moͤglich, als man glaubt — und Gott hilft im aͤussersten Elend — wenn man redlich fuͤr Noth und Brod arbeitet — Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen. Arner war durch und durch von der Unschuld und von der Tugend dieses Weibes geruͤhrt — fragte aber immer noch mehr — und sagte: Ger- trud, wo hast du dieses Spargeld? Da legte Gertrud sieben reinliche Paͤckgen auf Arners Tisch — und bey jedem Paͤckgen lag ein Zedel, von wem alles waͤre — und wenn Gertrud etwas davon genommen hatte — so stand es aufge- schrieben — und wie sie es wieder zugelegt haͤtte. Arner las diese Zedel aufmerksam durch — Gertrud sah’s und erroͤthete. Ich habe diese Papiere wegnehmen sollen, Gnaͤdiger Herr! Arner laͤchelte — und las fort — aber Ger- trud stand beschaͤmt da, und sichtbarlich pochte ihr Herz ob diesen Zedeln —; denn sie war beschei- den — und demuͤthig — und graͤmte sich auch uͤber den mindesten Anschein von Eitelkeit — Arner sah ihre Unruhe, daß sie die Zedel nicht beyseits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe der Unschuld, die beschaͤmt da steht, wenn ihre Tu- Tugend und ihre Weisheit bemerkt wird, — und beschloß dem Weib mehr, als es bat, und hoffete, Gnade zu erweisen; dann er fuͤhlte ihren Werth — und daß unter Tausenden kein Weib ihr gleich kaͤme. Er legte jezt einem jeden Paͤckgen et- was bey, und sagte: — Bring deinen Kindern ihr Spargeld wieder, Gertrud! — und ich lege aus meiner Boͤrse dreyßig Gulden beyseits fuͤr den Vogt — bis er bezahlt ist. — Gehe nun heim, Ger- trud — morgen werde ich ohne dis in dein Dorf kommen; und da werde ich dir Ruhe schaffen vor dem Hummel. Gertrud konnte vor Freuden nicht reden — Kaum brachte sie stammelnd ein gebrochenes schluch- zendes “Gott lohne es ihnen, Gnaͤdiger Herr!„ hervor; Und nun gieng sie mit ihrem Saͤugling und mit ihrem Trost in ihres Mannes Arme — Sie eilete — betete — und dankte Gott auf dem langen Wege — und weinte Thraͤnen des Danks und der Hoffnung, bis sie in ihrer Huͤtte war. Lienhard sah sie kommen — und sah den Trost ihres Herzens — in ihren Augen — Bist du schon wieder da? rief er ihr entgegen — es ist dir wol gegangen bey Arner — Wie weißst du’s schon, sagte Gertrud? Ich sehe dir’s an, du Gute! du kanst dich nicht verstellen — Das kann ich nicht, sagte Gertrud, und ich moͤcht es nicht — wenn ich’s auch koͤnnte, dir die gute gute Botschaft einen Augenblick vorenthalten, Lien- hard! Da erzaͤhlte sie ihm die Guͤte des Vater Arners, wie er ihren Worten glaubte — und wie er ihr Huͤlfe versprach — Denn gab sie den Kin- dern des Arners Geschenke und kuͤßte ein jedes waͤr- mer und heiterer als es schon lange geschehen war, und sagte ihnen: Betet alle Tage, daß es Arner wohl gehe, Kinder — wie ihr betet, daß es mir und dem Vater wohl gehe! Arner sorgt, daß es allen Leu- ten im Lande wohl gehe — er sorgt, daß es euch wohl gehe — und wann ihr brav, verstaͤndig und arbeitsam seyn werdet — so werdet ihr ihm lieb seyn, wie ihr mir und dem Vater lieb seyd. Von dieser Zeit an beteten die Kinder des Maͤurers, wenn sie am Morgen und am Abend fuͤr ihren Vater und Mutter beteten, auch fuͤr Arner, den Vater des Landes. — Gertrud und Lienhard faßten nun neue Ent- schluͤsse fuͤr die Ordnung ihres Hauses und fuͤr die Bildung ihrer Kinder zu allem Guten — und die- ser Tag war ihnen ein seliger Festtag. — Lien- hards Muth staͤrkte sich wieder, und am Abend machte Gertrud ihm ein Essen, das er liebte — und sie freueten sich beyde des kommenden Morgens der Huͤlfe Arners — und der Guͤte ihres Vaters. — Auch Arner sehnete sich nach dem kommenden Morgen — eine That zu thun — wie er tausende that, um seinem Daseyn einen Werth zu geben. — §. 3. §. 3. Ein Unmensch erscheint. U nd da am gleichen Abend sein Vogt zu ihm kam, nach seinen Befehlen zu fragen, sagte er ihm: — Ich werde morgen selbst nach Bonnal kommen: Ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung haben — Der Untervogt aber antwortete: Gnaͤdi- ger Herr! Hat Euer Gnaden Schloßmaͤurer jezt Zeit? Nein, erwiederte Arner; aber es ist in dei- nem Dorf ein Maͤurer Lienhard, dem ich dieses Verdienst gern goͤnne. Warum hast du mir ihn noch nie zu einer Arbeit empfohlen? Der Vogt buͤckte sich tief und sagte: Ich haͤt- te den armen Maͤurer nicht empfehlen duͤrfen zu Euer Herrlichkeit Gebaͤuden. Arner. Ist er ein braver Mann, Vogt? daß ich auf ihn gehn kann — Vogt. Ja, Ihr Gnaden koͤnnen sich auf ihn verlassen, er ist nur gar zu treuherzig. Arner. Man sagt, er habe ein braves Weib! ist sie keine Schwaͤtzerinn? fragte hierauf Arner mit Nachdruck. Nein, sagte der Vogt; sie ist wahrlich eine arbeitsame stille Frau. B Gut, Gut, sagte Arner! sey morgen um neun Uhr auf dem Kirchhof — Ich werde dich daselbst an- treffen — Da gieng der Vogt fort; ganz erfreut uͤber diese Rede; denn er dachte bey sich selber, das ist eine neue Milchkuh in meinen Stall, und sann schon auf Raͤnke, dem Maͤurer das Geld, das er bey diesem Bau verdienen moͤchte, abzulocken; und schnell eilte er heim und nach des Maͤurers kleiner Huͤtte. Es war schon dunkel, als er mit Ungestuͤm anpochte. Lienhard und Gertrud sassen noch beym Tische. Noch stuhnd der Rest ihres Essens vor ihnen. Lienhard aber erkannte die Stimme des neidischen Vogts. Er erschrack und schob das Essen in einen Winkel. Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er sich nicht fuͤrchten, und daß er sich auf Arner vertrauen soll- te. Dennoch wurd er todtblaß, als er dem Vogt die Thuͤre oͤffnete. Dieser roch schnell wie ein gieriger Hund das verborgene Nachtessen; that aber doch freundlich und sagte — nur laͤchelnd — Ihr laßt euch recht wohl seyn, ihr Leute; so endlich ist’s leicht ohne das Wirthshaus zu seyn; nicht wahr, Lienhard? Dieser schlug die Augen nieder und schwieg; aber Gertrud war kuͤhner — und sagte; Was be- fihlt fihlt dann der Herr Vogt — Es ist ganz sonderbar, daß er einem so schlechten Haus naͤher, als ans Fenster kommt — Hummel verbarg seinen Zorn, laͤchelte, und sagte: Es ist wahr, ich haͤtte eine so gute Kuͤche hier nicht erwartet; sonst haͤtte ich vielleicht mehr zugesprochen. Das erbitterte Gertrud. Vogt! antwortete sie ihm, du riechst unser Nachtessen, und miß- goͤnst es uns; du solltest dich schaͤmen, einem armen Mann ein Nachtessen, das er liebt und vielleicht im Jahr nicht dreymal hat, zu verbittern. — Es ist nicht so boͤs gemeynt, antwortete der Vogt, im- mer noch laͤchelnd. Eine Weile darauf aber setzte er etwas ernsthafter hinzu: Du bist gar zu trotzig, Gertrud; das steht armen Leuten nicht wohl an. Du solltest wol denken, ihr gienget mich vielleicht auch etwas an; — doch ich will jezt nicht hievon anfangen. Ich bin deinem Mann immer gut; und wenn ich ihm dienen kann, so thue ich’s; darvon kann ich Proben geben. Gertrud. Vogt! — Mein Mann wird alle Tage in deinem Wirthshaus zum Spiel und zum Trunke verfuͤhrt — und denn muß ich daheim mit meinen Kindern alles moͤgliche Elend erdulden; das ist der Dienst, den wir von dir zu ruͤhmen haben. B 2 Hum- Hummel. Du thust mir Unrecht, Gertrud! Es ist wahr, dein Mann ist etwas liederlich; Ich habe es ihm auch schon gesagt, aber in meinem Wirthshause muß ich in Gottes Namen einem jeden, der’s will, Essen und Trinken geben; — das thut ja jedermann — Gertrud. Ja — aber nicht jedermann drohet einem ungluͤcklichen armen Mann mit den Rechten, wann er nicht alle Jahre seine Schuld wieder doppelt groß macht. Nun konnte sich der Vogt nicht mehr halten; mit Wuth fuhr er den Lienhard an — Bist du so ein Gesell Lienhard, daß du solches von mir redest? — Muß ich noch in meinen Bart hinein hoͤren, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann um Ehr und guten Namen bringen wollt? — Hab’ ich nicht jeweilen vor Vorgesetzten mit dir gerech- net? gut, daß deine Zedel fein alle noch bey mir und in meinen Handen sind — Willt du mir et- wan gar meine Anforderung laͤugnen, Lienhard? — Es ist ganz nicht die Rede hievon — sagte Lienhard: Gertrud sucht nur, daß ich ferner nicht neue Schulden mache — Der Vogt besann sich schon wieder, milderte den Ton und sagte: Das ist endlich nicht so gar uͤbel, doch bist du der Mann — sie wird dich nicht wollen in ein Bockshorn hineinschieben — Ger- Gertrud. Nichts weniger, Vogt! ich moͤch- te ihn gern aus dem Bockshorn, darinn er steckt, heraus bringen — und das ist dein Buch, Vogt, und seine schoͤnen Zedel — Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen; so ist er augenblicklich aus diesem Bockshorn, wie du’s heissest — Gertrud. Das wird er wohl thun koͤnnen — wenn er nichts Neues mehr macht — Hummel. Du bist stolz, Gertrud — es wird sich zeigen — Gelt Gertrud, du willst lieber mit deinem Mann daheim allein broͤselen euch was zu gut thun. , als ihm ein Glas Wein bey mir goͤnnen. Gertrud. Du bist niedertraͤchtig, Vogt! aber deine Rede thut mir nicht weh. Hummel konnte diese Sprache nicht laͤnger aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen seyn mußte, das dieses Weib so kuͤhn machte. Darum durfte er nicht seinen Muth kuͤhlen, und nahm Abschied. Hast du sonst was zu befehlen, sagte Ger- trud. Nichts, wenn’s so gemeynt ist, antwortete Hummel. Wie gemeynt? erwiederte Gertrud laͤchelnd — und sah ihm steif ins Gesicht. Das verwirrte den B 3 Vogt Vogt noch mehr, daß er sich nicht zu geberden wußte. Er gieng jezt — und brummete bey sich selbst die Treppe hinunter, was doch das seyn moͤchte. Dem Lienhard war zwar nicht wol bey der Sache; aber dem Vogt noch viel weniger. §. 4. Er ist bey seines gleichen; und da ist’s wo man Schelmen kennen lernt. — E s war jezt fast Mitternacht, und doch war er kaum heim, so sandte er noch zu zweyen von Lienhards Nachbaren, daß sie des Augenblicks zu ihm kaͤmen. Sie waren schon im Bette, als er nach ihnen schickte; aber doch saͤumeten sie sich nicht. Sie stuhnden auf und giengen in der finstern Nacht zu ihm hin. Und er fragte uͤber alles, was Lienhard und Gertrud seit einigen Tagen gethan haͤtten. Da sie ihm aber nicht gleich etwas sagen konnten, das ihm Licht gab, stieß er seine Wuth gegen sie aus. Ihr Ihr Hunde! was man von euch will, ist immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofuͤr muß ich immer euer Narr seyn? Wenn ihr Holz frevelt, und ganze Fuder raubet — so muß ich nichts wis- sen — wenn ihr in den Schloßtriften waidet — und alle Zaͤune wegtraget, so muß ich schweigen. Du Buller! mehr als ein Drittheil von deiner Waisenrechnung war falsch — und — ich schwieg — meynst du, das Bißchen verschimmelt Heu stelle mich zufrieden? — es ist noch nicht verjaͤhrt — Und du Kruͤel! deine halbe Matte gehoͤrt dei- nes Bruders Kindern. Du alter Dieb! — was habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker uͤberlasse, dem du gehoͤrst? — Dieses Gerede machte den Nachbaren bang. Was koͤnnen wir thun? was koͤnnen wir machen — Herr Untervogt — weder Tag noch Nacht ist uns zu viel — zu thun, was du uns heissest. Ihr Hunde! ihr koͤnnt nichts, ihr wißt nichts. Ich bin ausser mir vor Wuth. Ich muß wissen, was des Maͤurers Gesindel diese Woche gehabt hat — was hinder diesem Pochen steckt — so wuͤthete er — Indessen besann sich Kruͤel. Halt, Vogt — ich glaub, ich koͤnne dienen, erst faͤllt mir’s ein — Gertrud war heute bis Mittag uͤber Feld — und am Abend hat ihr Liselj beym Brunnen den Schloß- herrn sehr geruͤhmt — gewiß war sie im Schloß — B 4 am am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube — aber Niemand weiß warum. Heute sind sie alle ganz besonders froͤlich. Der Vogt war nun uͤberzeuget, daß Gertrud im Schloß gewesen waͤre. Zorn und Unruhe wuͤtheten nun noch gewaltiger in seiner Seele. Er stieß greuliche Fluͤche aus, schimpfte mit abscheulichen Worten auf Arner, der alles Bettel- gesindel anhoͤrte, und Lienhard und Gertrud schwur er Rache ernstlich empfinden zu machen. Doch muͤßt ihr schweigen, Nachbaren — ich will mit dem Gesindel freundlich thun, bis es reif ist. Forschet fleißig nach, was sie thun, und bringt mir Nach- richt. Ich will euer Mann seyn, wo es noͤthig seyn wird. Da nahm er noch Buller beyseits, und sagte — Weißst du nichts von den gestohlenen Blumenge- schirren? Man sah dich vorgestern uͤber den Gren- zen, mit einem geladenen Esel; was hattest du zu fuͤhren? Buller erschrack — ich - - ich — hatte — Nu! nu! sprach der Vogt — sey mir treu! ich bin dir Mann, wo es die Noth erheischt. Da giengen die Nachbaren fort. Der Morgen aber war schon nahe — Und Hummel waͤlzte sich noch eine Stunde auf seinem Lager, staunte, sann auf Rache, knirsch- te oft im wilden Schlummer mit den Zaͤhnen, und und stampfte mit seinen Fuͤssen — bis der helle Tag ihn aus dem Bette trieb. Er beschloß jezt noch einmal Lienharden zu se- hen, sich zu uͤberwinden und ihm zu sagen, daß er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen haͤtte. Er raffte alle seine Kraͤfte zum Heuchel zusammen, und gieng zu ihm hin. Gertrud und Lienhard hatten diese Nacht sanf- ter geruht, als es ihnen seit langem nicht geschehn war. Und sie beteten am heitern Morgen um den Segen dieses Tages. Sie hofften auf die nahe Huͤlfe vom Vater Arner. Diese Hoffnung breitete See- lenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit uͤber sie aus. So fand sie Hummel. Er sah’s — und es gieng dem Satan an’s Herz, daß sein Zorn noch mehr entbrannte; aber er war seiner selbst maͤch- tig, wuͤnschete ihnen freundlich einen guten Mor- gen, und sagte: Lienhard! wir waren gestern unfreundlich gegen einander; das muß nicht so seyn. Ich habe dir etwas Gutes zu sagen. Ich kam eben vom Gnaͤdigen Herrn; er redete vom Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich sag- te, daß du den Bau wohl machen koͤnntest; und ich denke, er werde ihn dir geben. Sieh, so kann man einander dienen, — man muß sich nie so leicht aufbringen lassen. B 5 Er Lienhard. Er soll ja den Bau dem Schloß- maͤurer verdungen haben, das hast du laͤngst an der Gemeind gesagt. Hummel. Ich hab’s geglaubt, aber es ist nicht; der Schloßmaͤurer hat nur ein Kosten- verzeichniß gemacht, und du kannst leicht denken, er habe sich selber nicht vergessen. Wenn du ihn nach diesem Ueberschlag erhaltest, so verdienest du Geld wie Laub. — Lienert — da siehst du jezt, ob ich’s gut mit dir meyne — Der Maͤurer war von der Hoffnung des Baus uͤbernommen und dankte ihm herzlich. Aber Gertrud sah, wie der Vogt vom erstick- ten Zorn blaß war — und wie hinder seinem Laͤcheln verbissener Grimm verborgen lag; und sie freuete sich gar nicht. Indessen gieng der Vogt weg, und im Gehen sagte er noch: Innert einer Stunde wird Arner kommen, und Lienhards Lise, die an der Seite ihres Vaters stand, sagte zum Vogt: wir wissens schon seit gestern. Hummel erschrack zwar ob diesem Wort, aber er that doch nicht als ob er’s hoͤrte — Und Gertrud, die wohl sah, daß der Vogt dem Geld, so beym Kirchbau zu verdienen waͤre, auf- lauerte, war hieruͤber sehr unruhig. §. 5. §. 5. Er findet seinen Meister. I ndessen kam Arner auf den Kirchhof; und viel Volk aus dem Dorfe sammelte sich um ihn her — den guten Herrn zu sehen. Seyd ihr so muͤßig, oder ist’s Feyertag, daß ihr alle so Zeit habt, hier herumzuschwaͤrmen? sagte der Vogt zu einigen, die ihm zu nahe stuhn- den; denn er verhuͤtete immer, daß Niemand ver- nehme, was er fuͤr Befehle erhielte — Aber Arner bemerkte es, und sagt laut: Vogt! Ich habe es gern, daß meine Kinder auf dem Kirch- hof bleiben, und selbst hoͤren, wie ich es mit dem Bau haben will; warum jagst du sie fort? Tief bis an die Erde kruͤmmte sich Hummel, und rief den Nachbaren alsobald laut; Kommt doch wieder zuruͤck, Ihr Gnaden mag euch wohl dulden — Arner. Hast du die Schatzung vom Kirchbau gesehen? Vogt. Ja, Gnaͤdiger Herr! Arner. Glaubst du, Lienhard koͤnne den Bau um diesen Preis gut und dauerhaft machen? Ja, Gnaͤdiger Herr! antwortete der Vogt laut; und sehr leise setzte er hinzu, ich denke, da er im im Dorfe wohnt — koͤnnte er es vielleicht noch et- was weniges wolfeiler uͤbernehmen. Arner aber antwortete ganz laut. So viel ich dem Schloßmaͤurer haͤtte geben muͤssen, so viel gebe ich auch diesem. Laß ihn rufen, und sorge, daß alles, was aus dem Wald und aus den Ma- gazinen dem Schloßmaͤurer zukommen sollte, auch diesem ausgeliefert werde. Lienhard war e wenige Minuten ehe Arner ihn rufen liesse i ns obere Dorf gegangen; und Gertrud entschloß sich alsobald mit dem Boten selbst auf den Kirchhof zu gehn, und Arnern ihre Sor- gen zu entdecken. Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard mit dem Boten zuruͤck kommen sah, wurde er todtblaß — Arner bemerkt es und fragte ihn; wo fehlt’s Herr Untervogt — Vogt. Nichts, Gnaͤdiger Herr! gar nichts, doch ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen — Man sah dir fast so was an, sagte Arner, und sah ihm steif in die rothen Augen, kehrte sich denn zu Gertrud, gruͤßte sie freundlich, und sag- te: Ist dein Mann nicht da? doch es ist gleich viel, du must ihm nur sagen, daß er zu mir komme. Ich will ihm diesen Kirchenbau anver- trauen — Ger- Gertrud stand eine Weile sprachlos da, und durfte vor so viel Volk fast nicht reden. Arner. Warum redest du nicht, Gertrud? Ich will deinem Mann den Bau so geben, wie ihn der Schloßmaͤnrer wuͤrde uͤbernommen haben. Das sollte dich freuen, Gertrud — Gertrud hatte sich wieder erholt — und sagte jezt: Gnaͤdiger Herr! die Kirche ist so nahe am Wirthshaus — Alles Volk fieng an zu lachen — und da die meisten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen woll- ten, kehrten sie sich von ihm weg gerade gegen Arner. Der Vogt aber, der wohl sah, daß dieser al- les bemerkt haͤtte, stand jezt entruͤstet auf, stellte sich gegen Gertrud und sprach: Was hast du gegen mein Wirthshaus? Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und sagte; Geht diese Rede dich an, Untervogt! daß du darein redest? Dann wandte er sich wie- der zu Gertrud und sagte: Was ist das? Warum steht dir die Kirche zu nahe am Wirthshaus? Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Mein Mann ist beym Wein leicht zu verfuͤhren, und wenn er taͤg- lich so nahe am Wirthshaus arbeiten muß; ach Gott! ach Gott! ich fuͤrchte, er halte die Versu- chung nicht aus. Arner. Arner. Kann er denn das Wirthshaus nicht meiden, wenn’s ihm so gefaͤhrlich ist? Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Bey der heissen Arbeit duͤrstet man oft, und wenn denn immer Saufgesellschaft vor seinen Augen auf jede Art mit Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkaͤufen und mit Wetten ihn zulocken wird; ach Gott! ach Gott! wie wird er’s aushalten koͤnnen. Und wenn er denn nur ein wenig wieder Neues schuldig wird: so ist er wieder angebunden. Gnaͤdiger Herr! Wenn Sie doch wuͤßten, wie ein einziger Abend in solchen Haͤusern arme Leute ins Joch und in Schlingen bringen kann, wo es fast unmoͤglich ist, sich wieder heraus zu wickeln. Arner. Ich weiß es, Gertrud — und ich bin entruͤstet uͤber das, was du mir gestern sagtest; da vor deinen Augen und vor allem Volk will ich dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will druͤcken und draͤngen lassen. Sogleich wandte er sich gegen dem Vogt, und sagte ihm mit einer Stimme voll Ernst und mit einem Blicke, der durch Mark und Beine drang; Vogt! ist’s wahr, daß die armen Leute in dei- nem Hause gedraͤngt, verfuͤhrt, und vervortheilt werden? Betaͤubt und blaß, wie der Tod, antwortete der Vogt; In meinem Leben, Gnaͤdiger Herr! ist mir nie so etwas begegnet; und so lang ich lebe lebe und Vogt bin, sagt er, wischt den Schweiß von der Stirne — hustet — raͤuspert — faͤngt wie- der an — Es ist erschrecklich — — Arner. Du bist unruhig, Vogt! Die Frage ist einfaͤltig. Ist’s wahr, daß du arme Leute draͤn- gest, in Verwirrungen bringest, und ihnen in dei- nem Wirthshause Fallstricke legest, die ihre Haus- haltungen ungluͤcklich machen? Vogt. Nein, gewiß nicht, Gnaͤdiger Herr! Das ist der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient; ich haͤtte es vorher denken sollen. Man hat alle- mal einen solchen Dank, anstatt der Bezahlung. Arner. Mache dir vor die Bezahlung keine Sorge; es ist nur die Frage, ob dieses Weib luͤge. Vogt. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! ich will es tausendfach beweisen. Arner. Es ist genug am einfachen, Vogt! Aber nimm dich in Acht. Du sagtest gestern, Gertrud sey eine brave, stille, arbeitsame Frau und gar keine Schwaͤtzerinn. Ich weiß nicht — ich ‒ ‒ ‒ ich ‒ ‒ ‒ besinne ‒ ‒ ‒ Sie haben mich ‒ ‒ ‒ ich habe sie ‒ ‒ ‒ ich habe sie ‒ ‒ dafuͤr angesehen — sagte der keichende Vogt — Arner. Du bist auf eine Art unruhig, Vogt! daß man jezt nicht mit dir reden kann; es ist am besten, ich erkundige mich gerade da bey diesen da stehenden Nachbaren. Und sogleich wandte er sich zu zu zween alten Maͤnnern, die still und aufmerksam und ernsthaft da stuhnden, und sagte ihnen: Ist’s wahr, liebe Nachbaren! Werden die Leute in eu- rem Wirthshaus so zum Boͤsen verfuͤhrt und ge- druͤckt? Die Maͤnner sahn sich einer den andern an, und durften nicht reden. Aber Arner ermunterte sie liebreich. Fuͤrchtet euch nicht. Sagt mir gerade zu die reine Wahr- heit. Es ist mehr als zu wahr, Gnaͤdiger Herr! aber was wollen wir arme Leute gegen den Vogt kla- gen? sagte endlich der aͤltere, doch so leise, daß es nur Arner verstehn konnte. Es ist genug, alter Mann! sagte Arner, und wandte sich denn wieder zum Vogt. Ich bin eigentlich jezt nicht da, um diese Klage zu untersuchen; aber gewiß ist es, daß ich mei ne Armen vor aller Bedruͤckung will sicher haben, und schon laͤngst dachte ich, daß kein Vogt Wirth seyn sollte. Ich will aber das bis Montag ver- schieben — Gertrud! sage deinem Mann, daß er zu mir komme, und sey du wegen den Wirths- hausgefahren seinethalben jezt nur ruhig. Da nahm Arner noch einige Geschaͤfte vor, und als er sie vollendet hatte, gieng er noch in den na- hen Wald — und es war spaͤth, da er heim fuhr — Auch der Vogt, der ihm in den Wald folgen mußte, kam erst des Nachts wieder heim in sein Dorf. Als Als dieser jezt seinem Hause nahe war, und nur kein Licht in seiner Stube sah, auch keine Men- schenstimme darinn hoͤrte, ahndete ihm Boͤses; denn sonst war alle Abende das Haus voll — und alle Fenster von den Lichtern, die auf allen Tischen standen, erheitert, und das Gelerm der Saufenden toͤnte in der Stille der Nacht immer, daß man’s zu unterst an der Gasse noch hoͤrte, obgleich die Gasse lang ist, und des Vogts Haus zu oberst da- ran steht. Ueber dieser ungewoͤhnlichen Stille war der Vogt sehr erschrocken. Er oͤffnete mit wilder Un- gestuͤmheit die Thuͤre, und sagte: Was ist das? was ist das? daß kein Mensch hier ist. Sein Weib heulete in einem Winkel. O Mann! bist du wieder da. Mein Gott! was ist vor ein Ungluͤck begegnet! Es ist ein Jubilieren im Dorf von deinen Feinden, und kein Mensch wagt mehr auch nur ein Glas Wein bey uns zu trinken. Alles sagt, du seyst aus dem Wald nach Arnburg gefuͤhrt worden. Wie ein gefangenes wildes Schwein in seinen Stricken schnaubet, seinen Rachen oͤffnet, seine Augen rollt, und Wuth grunzet; so wuͤthete jezt Hummel, stampfte und tobte, sann auf Rache gegen Arner, und rasete, uͤber den Edeln. Denn redte er mit sich selbst: So koͤmmt das Land um seine Rechte. Er will mir das C Wirths- Wirthsrecht rauben, und den Schild in der Herr- schaft allein aushaͤngen. Bey Mannsgedenken ha- ben alle Voͤgte gewirthet. Alle Haͤndel giengen durch unsere Haͤnde. Dieser laͤuft jezt allenthal- ben selbst nach, und fraͤgelt jeden Floh aus, wie ein Dorfschulmeister. Daher trotzet jezt jeder Bub einem Gerichtsmann und sagt daß er selbst mit Arner reden koͤnne. So koͤmmt das Gericht um alles Ansehn und wir sitzen und schweigen, wie andere Schurken. Da er so an uns alle alte Lan- desrechte kraͤnkt und beugt. So verdrehte der alte Schelm die guten und weisen Thaten des edeln Herrn bey sich selbst, schnaubte und sann auf Rache, bis er entschlief. §. 6. Wahrhafte Bauerngespraͤche. A m Morgen aber war er fruͤhe auf, und sang und pfiff unter dem Fenster, auf daß man glaube, er sey wegen dem, so gestern vorgefallen war, ganz unbesorgt. Aber Fritz, sein Nachbar, rief ihm uͤber die Gasse: Hast du schon so fruͤhe Gaͤste, daß es so lustig geht? und laͤchelte bey sich selbst. Sie Sie werden schon kommen, Fritz! — Hopsasa und Heisasa, Zwetschgen sind nicht Feigen, sagt der Vogt, streckt das Brenntsglas zum Fenster hinaus, und ruft: Willst eins Bescheid thun, Fritz? Es ist mir noch zu fruͤh, antwortete Fritz, ich will warten, bis mehr Gesellschaft da ist. Du bist immer der alte Schalk, sagte der Vogt; aber glaub’s, der gestrige Spaß wird nicht so uͤbel ausschlagen. Es fliegt kein Voͤgelein so hoch, es laͤßt sich wieder nieder. Ich weiß nicht, antwortete Fritz. Der Vo- gel, den ich meyne, hat sich lange nicht herunter gelassen. Aber wir reden vielleicht nicht vom glei- chen Vogel. Willst’s mithalten, Vogt! man ruft zur Morgensuppe, und hiemit schob Fritz das Fenster zu. Das ist kurz abgebunden, murrete der Vogt bey sich selbst, und schuͤttelte den Kopf, daß Haar und Backen zitterten. Ich werde, denk’ ich, des Teufels Arbeit haben, bis das gestrige Henkerszeug den Leuten allen wieder aus dem Kopf seyn wird; So sagt er zu sich selber, schenkt sich ein — trinkt — sagt denn wieder — Muth gefaßt! Kommt Zeit! Kommt Rath! Heute ist’s Samstag, die Kaͤlber lassen sich scheeren, ich gehe ins Barthaus, da gibt sich um ein Glas Wein eins nach dem an- C 2 dern. dern. Die Bauern glauben mir immer eher zehen, als dem Pfarrer ein halbes. So sagt der Vogt zu sich selber, und dann zur Frau: Fuͤll mir die Saublatter mit Tabak; — aber nicht von meinem, nur vom Stinker, er ist gut fuͤr die Pursche. Und wenn des Scheerers Bub Wein holt, so gib ihm vom drey- mal geschwefelten, und thue in jede Maas ein halb Glas Brennts. Er gieng fort. Aber auf der Gasse, noch nahe beym Hause, besann er sich wieder, kehrte zu- ruͤck und sagte der Frau; Es koͤnnten Schelme mitsaufen. Ich muß mich in Acht nehmen. Schick mir vom gelbgesottenen Wasser, wenn ich La Cote La Cotte. Vin de la Côte. — Welsch-Berner- Wein. fordern lasse, und bring das selber. Drauf gieng er wieder fort. Aber ehe er noch im Barthaus war, unter der Linde beym Schulhaus, trift er Nickel Spitz und Jogli Rubel an. Wohinaus so im Sonnabend- Habit, Herr Untervogt! fragte Nickel Spitz — Vogt. Ich muß den Bart herunter haben — Nickel. Das ist sonderbar, daß du am Sam- stag Morgen schon Zeit hast — Vogt. Es ist wahr, es ist nicht so das Jahr durch — Nickel. Nickel. Nein. Einmal seit langem kamst du immer Sonntags zwischen der Morgenpredigt zum Scheerer. Vogt. Ja; ein paar mal. Nickel. Ja — ein paar mal, die letzten. Da der Pfarrer dir deinen Hund aus der Kirche jagen ließ, seitdem kamst du ihm nicht viel mehr ins Gehaͤge. Vogt. Du bist ein Narr, Nickel, daß du so was reden magst. Man muß essen und verges- sen. Die Hundsjagd ist mir laͤngst aus dem Kopf. Nickel. Ich moͤchte mich nicht drauf verlas- sen, wenn ich Pfarrer waͤre. Vogt. Du bist nicht klug, Nickel. Warum das nicht? Aber kommt in die Stube, es gibt wohl etwan einen Weinkauf oder sonst kurze Zeit — Nickel. Du wuͤrdest dem Scheerer aufwar- ten, wenn er in seinem Haus einen Weinkauf trin- ken liesse. Der Vogt, als Wirth, duldete nicht, daß in ei- nem Hause, als in dem seinen, bey keinem An- laß Wein aus geschenkt wuͤrde. Vogt. Ich bin nicht halb so eigennuͤtzig. Man will mir ja das Wirthschaftsrecht ganz neh- men. Aber, Nickel! wir sind noch nicht da; der, den ich meyne, hat noch aufs wenigste sechs Wo- chen und drey Tage Arbeit, eh er’s bekoͤmmt — C 3 Nickel. Nickel. Ich glaub es selbst. Doch ist’s im- mer nicht die beste Ordnung fuͤr dich, daß der junge Herr seines Großvaters Glauben changirt hat. Vogt. Ja, er hat einmal nicht voͤllig des Großvaters Glauben. Nickel. Ich traue fast, er sey in keinem Punkt und in keinem Artikel von allen Zwoͤlfen mit dem Alten des gleichen Glaubens. Vogt. Es kann seyn. Aber der Alte war mir in seinem Glauben ein anderer Mann. Nickel. Ich denk’s wohl. Der erste Arti- kel seines Glaubens hieß: Ich glaube an dich, mei- nen Vogt — Vogt. Das ist lustig. Aber wie hieß denn der andere? Nickel. Was weiß ich grad jezt. Ich denk, er hieß: Ich glaub gusser dir, meinem Vogt, kei- nem Menschen kein Wort. Vogt. Du solltest Pfarrer werden, Nickel, du wuͤrdest den Catechismus nicht blos erklaͤren; du wuͤrdest noch einen aufsetzen. Nickel. Das wuͤrde man mir wohl nicht zulas- sen. Thaͤt’ ich’s, ich wuͤrde ihn machen so deutsch und so klar, daß ihn die Kinder ohne den Pfarrer ver- stuͤhnden; und denn wuͤrde er ja natuͤrlich nichts nuͤtze seyn. Vogt. Vogt. Wir wollen beym Alten bleiben, Ni- ckel! Es ist mir mit dem Catechismus wie mit etwas anderm. Es koͤmmt nie nichts bessers hin- ten nach. Nickel. Das ist so ein Spruͤchwort, das manch- mal wahr ist, und manchmal nicht. Fuͤr dich, scheint’s, trift’s dismal ein mit dem neuen Junker — Vogt. Es wird erst fuͤr andere nachkommen; wenn ihr ordentlich wartet. Und fuͤr mich fuͤrchte ich mich nicht so uͤbel vor diesem neuen Herrn. Es findet jeder seinen Meister. Nickel. Das ist wahr. Doch ist deine alte Zeit mit dem vorigen Sommer Man begrub im vorigen Sommer Arners Groß- vater — Sein Vater war viele Jahre vorher in einem Treffen in Preußischen Diensten ge- storben — unter dem Bo- den — Vogt. Nickel! Ich habe sie doch einmal ge- habt; suche sie ein anderer jezt auch. Nickel. Das ist wahr, du hast sie gehabt, und sie war recht gut. Aber wie haͤtt’s koͤnnen fehlen; der Schreiber, der Weibel und der Vi- carj waren dir schuldig. Vogt. Man redte mir das nach; aber es war drum nicht wahr. Nickel. Du magst jezt auch das sagen; du C 4 haͤt- hattest ja mit ein Paaren oͤffentlich Haͤndel, daß das Geld nicht wieder zuruͤck kommen wollte. Vogt. Du Narr, du weißst auch gar noch alles! Nickel. Noch viel mehr, als das, weiß ich noch. Ich weiß noch, wie du mit des Rudis Vater gedroͤlt — und wie ich dich da neben dem Hundstall unter den Strohwellen auf dem Bauch liegend vor des Rudis Fenstern antraf. Sein An- wald war eben bey ihm; bis um zwey Uhr am Morgen horchtest du auf deinem Bauch, was in der Stube geredt wurde. Ich hatte eben die Nacht- wache — und eine ganze Woche war mir der Wein frey bey dir, daß ich schwiege. Vogt. Du bist ein Ketzer; daß du das sagst, es ist kein Wort wahr, und du wuͤrdest schoͤn ste- hen, wenn du’s beweisen muͤßtest. Nickel. Vom beweisen ist jezt nicht die Rede, aber ob’s wahr sey, weißst du wohl. Vogt. Es ist gut, daß du’s einsteckst zuruͤcknimmst — — Nickel. Der Teufel gab dir das in Sinn, unter dem Stroh in tiefer Nacht zu horchen; du hoͤrtest alle Worte, und hattest da gut mit dem Schreiber deine eigene Aussage zu verdrehen. Vogt. Was du auch redest? Nickel. Was ich auch rede? Haͤtte der Schrei- ber nicht vor der Audienz deine Aussage veraͤndert, so so haͤtte der Rudj seine Matte noch, und der Wuͤst und der Keibacker haͤtten den schoͤnen Eyd nicht thun muͤssen. Vogt. Ja — Du verstehest den Handel wie der Schulmeister Hebraͤisch. Nickel. Wenn ich ihn nicht verstuͤhnde, ich haͤtte ihn von dir gelernt. Mehr als zwanzigmal lachtest du mit mir ob deinem gehorsamen Diener dem Herrn Schreiber. Vogt. Ja! das wohl; aber das, was du sagst, that er doch nicht. Sonst ist’s wahr: er war ein schlauer Teufel. Troͤst Gott seine Seele — es wird nun zehn Jahr auf Michaelis, seit dem er unter dem Boden ist. Nickel. Seit dem er hinabgefahren ist zur Hoͤllen — wolltest du sagen. Vogt. Das ist nicht recht. Von den Tod- ten unter dem Boden muß man nichts Boͤses sa- gen. Nickel. Du hast recht — sonst wuͤrde ich er- zaͤhlen, wie er bey Noͤppis Kindern geschrieben hat. Vogt. Er wird dir auf dem Todbett gebeich- tet haben! daß du alles so wohl weißst. Nickel. Einmal weiß ich’s. Vogt. Das beste ist, daß ich den Handel ge- wonnen habe, wenn du wuͤßtest, daß ich den Han- del verlohren haͤtte, denn waͤr’s mir leid. C 5 Nickel. Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den Handel gewonnen hast; aber auch wie! Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht. Nickel. Behuͤte Gott alle Menschen, die arm sind vor der Feder. Vogt. Du hast recht. Es sollten nur Ehren- leute und wohlhabende Maͤnner schreiben duͤrfen, vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß eben mit allem zufrieden seyn, wie es ist. Nickel. Vogt; dein weiser Spruch da mah- net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim hoͤrte. Es war einer aus dem Elsaß. Er er- zaͤhlte vor einem ganzen Tisch Leute: Es habe ein Einsiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt abgemahlt, und er koͤnne das Buch fast aus- wendig. Da baten wir ihn, er solle uns auch ei- ne von diesen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte er uns eben die, an die du mich mahnest. Vogt. Nun was ist sie denn, du Plauderer? — Nickel. Sie heißt — ich kann sie zum Gluͤck noch — “Es klagte und jammerte das Schaf, daß „der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz- „ger es so schrecklich quaͤlten — Ein Fuchs, der „eben vor dem Stall stuhnd, hoͤrte die Klage — „und sagte zum Schaf: Man muß immer zufrie- „den seyn mit der weisen Ordnung, die in der Welt „ist — „ist — wenn es anders waͤre — so wuͤrde es ge- „wiß noch schlimmer seyn.„ “Das laͤßt sich hoͤren, antwortete das Schaf, „wenn der Stall zu ist — aber wenn er offen waͤ- „re — so wuͤrde es denn doch auch keine Wahr- „heit fuͤr mich seyn.„ “Es ist freylich gut, daß Woͤlfe, Fuͤchse und „Raubthiere da seyn — aber es ist auch gut, daß „man die Schafstaͤlle ordentlich zumache — und „daß die guten schwachen Thiere gute Hirten und „Schutzhunde haben, gegen die Raubthiere.„ “Behuͤte mir Gott meine Huͤtte, setzte der „Pilger hinzu. Es gibt eben allenthalben viel „Raubthiere und wenig gute Hirten Das geschahe nicht unter der gegenwaͤrtigen Re- gierung Ludwigs des XVI. — Heili- „ger Gott! du weissest, warum es so ist; wir „muͤssen schweigen. Seine Cameraden setzten „hinzu: Ja wir muͤssen wohl schweigen — und „denn — Heilige Mutter Gottes! bitte fuͤr uns „jezt und in der Stunde unsers Absterbens, Amen.„ Es ruͤhrete uns alle, wie die Pilger so herzlich redeten, und wir konnten einmahl jezt nicht den Narren treiben, wie sonst ob ihrem Heilige Mut- ter Gottes bitte fuͤr uns. Vogt. Ja das H. Mutter Gottes gehoͤrt auch zu einer so herzlichen Schafsmeynung, nach wel- cher cher aber Woͤlfe und Fuͤchse und alle Thiere von der Art Hunger crepieren muͤßten — Nickel. Es waͤre eben auch kein Schade — Vogt. Weißst du das so gewiß? — Nickel. Nein. Ich bin ein Narr — sie muͤßten nicht Hunger crepieren; sie wuͤrden noch immer Aase und Gewild finden, und das gehoͤrt ihnen, und nicht zahmes Vieh — das mit Muͤhe und Kosten erzogen und gehuͤtet werden muß. Vogt. So liessest du sie doch auch nicht ganz Hunger crepieren, das ist noch viel fuͤr einen Freund der zahmen Thiere. Aber es friert mich; komm in die Stube. Nickel. Ich kann nicht; ich muß weiters. Vogt. Nun so behuͤt euch Gott, Nachbaren! Auf Wiedersehen — (Er geht ab) Rubel und Nickel stehen noch eine Weile, und Rubel sagt zum Nickel: Du hast ihm Gesalzenes aufgestellt. Nickel. Ich wollte, es waͤre noch dazu ge- pfeffert gewesen, daß es ihn bis morgen auf der Zunge brennte. Rubel. Du wuͤrdest vor acht Tagen nicht so mit ihm geredt haben. Nickel. Und er wuͤrde vor acht Tagen nicht also geantwortet haben — Rubel. Das ist auch wahr. Er ist zahm geworden wie mein Hund, als er das erstemal das Nasband trug. Nickel. Wann die Maas voll ist, so uͤber- laͤuft sie — das war noch immer bey einem jeden wahr, und wird es auch beym Vogt werden — Rubel. Behuͤte Gott einen vor Aemtern; Ich moͤchte nicht Vogt seyn mit seinen zween Hoͤfen — Nickel. Aber wenn dir jemand einen halben anboͤte und den Vogtsdienst dazu, was wuͤrdest du machen? Rubel. Du Narr! — Nickel. Du Gescheider! was wuͤrdest du ma- chen? Gelt, du wuͤrdest dem, der dir ihn anboͤte, geschwind einschlagen, das Tuch mit den zwo Farben um dich wickeln, und denn Vogt seyn — Rubel. Meynst du’s so? — Nickel. Ja ich meyn’s so — Rubel. Wir schwaͤtzen die Zeit weg — B’huͤ- te Gott, Nickel — Nickel. B’huͤte Gott, Rubel — §. 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an. D a der Vogt jezt in die Scheerstube kam — gruͤßte er den Scheerer und die Frau und die Nach- baren — ohne Husten und ehe er sich setzte. Sonst hustete und raͤusperte er sich aͤllemal vorher, und warf warf denn sein Gott gruͤß euch erst dar, wenn er ausgespien und sich gesetzt hatte — Die Bauern antworteten mit Laͤcheln, und setz- ten ihre Kappen viel schneller wieder auf den Kopf, als sie sonst thaten, wenn der Herr Untervogt sie gegruͤßt hatte. Er aber fieng alsobald das Ge- spraͤch an. Immer gute Losung, Meister Scheerer! sagt er; und so viel Arbeit, daß mich wundert, wie ihr das alles nur so mit zwo Haͤnden machen koͤnnt. Der Scheerer war sonst ein stiller Mann, der auf solche Worte nicht gern antwortete. Aber der Vogt hatte ihn jezt etliche Monate hinter ein- ander und das allemal am Sonntag am Morgen zwischen der Predigt mit solchen Stichelreden ver- druͤßlich gemacht; und wie’s denn geht, er wollte einmal jezt auch antworten, und sagte: Herr Untervogt! Es sollte euch nicht wun- dern, wie man mit zwo Haͤnden viel arbeiten und doch wenig verdienen koͤnne. Aber wie man mit beyden Haͤnden nichts thun, und darbey viel Geld verdienen koͤnne: das sollte euch wundern. Vogt. Ja, das ist wahr, Scheerer! Du solltest es auch probieren. Die Kunst ist — Man legt die Haͤnde auf eine Art und Gattung zusam- men, wie’s recht ist — Denn regnet es Geld zum Dach hinein — Der Der Scheerer wagte noch eins und sagte: Nein, Vogt, man wickelt sie wohl unter den zweyfarbigten Mantel, und sagt die drey Worte: Es ist so , bey meinem Eyd es ist so — und bey gutem Anlaß streckt man kraͤftig drey Finger hinauf, zween hinab — abrakadabra — und die Saͤcke strotzen von Geld — Das machte den Vogt toll, und er antwor- tete: Du koͤnntest zaubern, Scheerer! Aber das ist nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤssen nothwendig auch Zauber- und Henkerskuͤnste ver- stehen. Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er sich mit dem Vogt eingelassen. Er schwieg auch, ließ den andern reden, und seifte mausstill den Mann ein, der ihm saß. Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und sagte: Der Scheerer ist ein ausgemachter Herr! er darf unser einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja Spitzhosen — Stadtschuhe — und am Sonntag Manschetten. Er hat Haͤnde so zart, wie ein Jun- ker — und Waden, wie ein Stadtschreiber. Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das auch schon gehoͤrt — und lachten nicht uͤber des Vogts Witz. Nur der junge Gallj, der eben saß, mußte uͤber die Stadtschreiberwaden lachen; denn er kam eben aus aus der Kanzley, wo der Spaß mit den Waden just eintraf. Aber der Scheerer, dem er sich unter dem Messer bewegte, schnitt ihn in die obere Lippe. Das machte die Bauern unwillig, daß alle die Koͤpfe schuͤttelten. Und der alte Ulj nahm die Tabakspfeife aus dem Munde, und sagte; Vogt! es ist gar nicht recht, daß du da dem Scheerer Molest 3 machest. Und da die andern sahn, daß der alte Ulj sich nicht scheute, und das laut sagte, murreten sie auch lauter, und sagten; Der Gallj blutet! Ja wir koͤnnen so dem Schee- rer nicht ansitzen. Es ist mir leid, sagte der Vogt, ich will den Schaden wieder gut machen. Bub! hol drey Flaschen Wein vom guten, der heilt Wunden, ohne daß man ihn warm macht. Sobald der Vogt vom Wein redte, verlohr sich das ernste Murren der Bauern. Einige trauten zwar nicht, daß es Ernst gelte. Aber Lenk, der in einer Ecke saß, loͤste ihnen das Raͤthsel auf, und sagte Des Vogts Wein hat gestern auf dem Kirch- hof so abgeschlagen. Der Vogt aber nahm jezt seinen Seckel voll Tabak, und legte ihn auf den Tisch. Und Und Christen, der Staͤndlisaͤnger Baͤnkelsaͤnger. , forderte ihm zuerst eine Pfeife voll ab. Er gab sie. Da stuhnden immer mehrere her- bey; und die Stube war bald voll Rauch vom Stinktabak. Der Vogt aber rauchte vom bes- sern. Indessen waren der Scheerer und die Nach- baren immer noch still, und machten gar nicht viel Wesens. Das schien dem Meister Urias nicht gut. Er gieng die Stube hinauf und hinunter, und drehete den Zeigfinger uͤber die Nase, wie er es immer macht, wenn ihm sein Krummes nicht grad gehen will. Es ist verteufelt kalt in der Stube, so in der Kaͤlte richte ich nichts aus, sagt er zu sich sel- ber, geht aus der Stube, gibt der Magd einen Kreuzer, daß sie staͤrker einheize; und es war bald warm in der Stube — §. 8. D §. 8. Wenn man die Raͤder schmiert, so geht der Wagen. I ndessen koͤmmt der geschwefelte Wein. Glaͤser, Glaͤser her, Meister Scheerer; ruft der Vogt. Und Frau und Junge bringen bald Glaͤser’s genug. Die Nachbaren naͤhern sich saͤmtlich den Wein- kruͤgen, und der Vogt schenkt ihnen ein. Jezt sind der alte Ulj und alle Nachbaren wie- der zufrieden. Und des jungen Gallis Wunde ist ja nicht der Rede werth. Waͤre der Narr nur still gesessen, so wuͤrde ihn der Scheerer nicht geschnitten haben. Nach und nach geht jezt einem jeden das Maul auf, und lautes Saufgewuͤhl erhebt sich. Alles lobt wieder den Vogt, und der Maͤurer Lienhard ist jezt am vordern Tisch ein Schlingel, und am hindern ein Bettler. Da erzaͤhlt der eine, wie er sich alle Tage voll foff, und jezt den Heiligen mache, und der an- dere, wie er wohl merke, warum die schoͤne Ger- trud, und nicht der Maͤurer, zum jungen Herrn ins Schloß gegangen sey; und wieder ein anderer, wie ihm diese Nacht von der Nase getraͤumt habe, die die der Vogt dem Maͤurer nach Verdienen bald drehen werde. Wie ein garstiger Vogel den Schnabel in Sumpf steckt, und sich von faͤulendem Koth naͤhrt, so labete Hummel bey dem Gerede der Nachba- ren sein arges Herz. Doch mischet’ er sich sehr bedachtsam und ernst- haft in das verworrene Gewuͤhl dieser Saͤufer und Schwaͤtzer. Nachbar Richter! sagt er und reicht ihm das Glas dar, das er annimmt: Ihr waret ja selber bey der letzten Rechnung, und noch ein beeydig- ter Mann. Ihr wisset, daß mir damals der Maͤu- rer dreyßig Gulden schuldig geblieben ist. Nun ist’s schon ein halbes Jahr; und er hat mir noch keinen Heller bezahlt. — Ich habe auch ihm das Geld nicht einmal gefordert, und ihm kein boͤses Wort gegeben, und doch kann es leicht kom- men, ich verliere die Schuld bis auf den letzten Heller. Das versteht sich, schwuren die Bauern. Du wirst keinen! Heller mehr von deinem Geld sehen, und schenkten sich ein. Der Vogt aber nahm aus seinem Sackkalen- der die Handschrift des Maͤurers, legte sie auf den Tisch, und sagte; Da koͤnnet ihr sehen, ob’s wahr ist. D 2 Die Die Bauern beguckten die Handschrift, als ob sie lesen koͤnnten, und sprachen: Das ist ein Schur- ke, der Maͤurer. Und Christen, der Staͤndlisaͤnger, der bis jezt viel und stillschweigend herunter geschluckt hatte, wischt mit dem Rockermel das Maul ab, steht auf, hebt sein Glas in die Hoͤhe, und ruft: Es lebe der Herr Untervogt! und alle Calfack- ter muͤssen verrecken, so ruft er, trinkt aus, hebt das Glas wieder dem dar, der einschenkt, trinkt wieder aus, und singt: „ Der, der dem andern Gruben graͤbt, „ Der, der dem andern Stricke legt, „ Und waͤr er wie der Teufel fein; „ Und waͤr er noch so hoch am Brett, „ Er faͤllt, wie man zu sagen pflegt — „ Am Ende selbst in Dr.. hinein — „ In Dr.. hinein — „ Juhe, „ Maͤurer! „ Juhe — §. 9. §. 9. Von den Rechten im Land. N icht so laͤrmend, Christen! sagte der Vogt; das nuͤtzt nichts. Es waͤre mir leid, wenn dem Maͤurer ein Ungluͤck begegnete. Ich verzeihe es ihm gerne. Er hat’s aus Armuth gethan. Aber das ist schlimm, daß keine Rechte mehr im Land sicher sind. Die Nachbaren horchten steif, als er von den Rechten im Land redte. Etliche stellten so gar die Glaͤser beyseits, da sie vom Rechten im Land hoͤ- reten, und horchten. Ich bin ein alter Mann, Nachbaren! und mir kann nicht viel dran liegen. Ich habe keine Kin- der, und mit mir ist’s ans. Aber ihr habt Jungens — Nachbaren! Euch muß an euern Rech- ten viel gelegen seyn. Ja. Unsere Rechte! riefen die Bauern. Ihr seyd unser Vogt. Vergebt kein Haar von unsern Rechten. Vogt. Ja, Nachbaren! Es ist mit dem Wirthsrecht eine Gemeindsache, und ein theures Recht um das Wirthsrecht; wir muͤssen uns weh- ren. D 3 Etliche Etliche wenige Bauern schuͤttelten die Koͤpfe, und sagten einander leise ins Ohr. Er hat der Gemeind nie nichts nachgefragt. Jezt will er die Gemeind in den Koth hinein zie- hen, in dem er steckt. Aber die mehrern laͤrmten immer staͤrker, stuͤrm- ten und schwuren und fluchten, daß ihnen grad uͤber- morgen Gemeind seyn muͤsse. Die Verstaͤndigern schwiegen, und sagten nur ganz still unter einander. Wir wollen denn sehen, wenn ihnen der Wein aus dem Kopf seyn wird. Indessen trank der Vogt bedaͤchtlich immer von seinem gesottenen Wasser, und fuhr fort, die er- hitzten Nachbaren wegen ihren Landesrechten in Sorgen zu setzen. Ihr wißt alle, sagt’ er zu ihnen, wie unser Altvater Ruͤpplj vor zweyhundert Jahren mit dem grausamen Ahnherrn dieses Junkers zu kaͤmpfen hatte — Dieser alte Ruͤpplj Ruͤpplj war ein ehrwuͤrdiger Altvater von Bon- nal, und hatte gegen einen alten Erbherrn von Arnheim sich der Gemeind treulich angenom- men, und Haab und Gut dran gesetzt, daß das Dorf nicht einen Tag mehr Frohndienste tragen muͤsse. Aber das Spruͤchwort, das ihm (mein Grosvater hat es mir tausendmal erzaͤhlt) hatte zu seinem liebsten Spruͤch- Spruͤchwort — Wenn die Junker den Bettlern im Dorf hoͤfelen, (gute Worte geben) so helf Gott den Bauern. Sie thun das nur, damit sie die Bauern entzweyen, und denn allein Meister seyn. Nach- baren! wir muͤssen immer nur die Narren im Spiel seyn. Bauern. Nichts ist gewisser. Wir muͤssen immer nur die Narren im Spiel seyn. Vogt. Ja, Nac hb aren! Wenn eure Gerichts- maͤnner nichts mehr zu bedeuten haben, dann ha- bet ihrs gerade wie die Soldaten, denen der Hin- derhut abgeschnitten ist. Der neue Junker ist fein und listig wie der Teufel. Es saͤhe ihm’s kein Mensch an, und gewiß giebt er ohne gute Gruͤn- de keinem Menschen kein gutes Wort. Wenn ihr nur das Halbe wuͤßtet, was ich, ich wuͤrde denn nicht noͤthig haben zu reden. Aber ihr seyd doch auch nicht Stocknarren. Ihr werdet wohl etwas merken, und auf eurer Hut seyn. Aebj, mit dem es der Vogt abgeredt, und dem er ein Zeichen gegeben hatte, antwortete ihm: Meynst du, Vogt! wir merken den Griff nicht. Er will das Wirthsrecht ins Schloß ziehen. Vogt. Merkt ihr etwas. D 4 Bauern. ihm Hummel da in den Mund legt, von dem weiß kein Mensch mit Wahrheit, daß es Ruͤp- plj in seinem Leben ein einziges mal gesagt haͤtte. Bauern. Ja, bey Gott. Aber wir leiden es nicht. Unsere Kinder sollen ein Wirthshaus ha- ben, das frey ist, wie wir’s jezt haben. Aebj. Er koͤnnt uns im Schloß die Maas Wein fuͤr einen Ducaten verkaufen. Und wir wuͤr- den Schelmen an unsern Kindern seyn. Vogt. Das ist auch zu viel geredt, Aebj ! Auf einen Ducaten kann er die Maas Wein doch nicht bringen. Aebj. Ja, ja. Schmied und Wagner schlagen auf, daß es ein Grausen ist, und selber das Holz ist zehnmal theurer als vor fuͤnfzig Jah- ren. Was kannst du sagen, Vogt, so wie al- les im Zwang ist, muß alles so steigen. Was kannst du sagen, wie hoch die Maas Wein noch kommen koͤnnte, wenn das Schloß allein ausschen- ken duͤrfte. Er ist jezt schon teufelstheuer wegen dem Umgeld. Vogt. Es ist so; es ist in allem immer mehr Zwang und Hinderniß, und das vertheuert alles. Ja, ja, wenn wir’s leiden, sagten die Bauern- laͤrmten, soffen und drohten. Das Gespraͤch wurd endlich wildes Gewuͤhl eines tobenden Gesindels, das ich nicht weiter beschreiben kann. §. 10. §. 10. Des Scheerers Hund sauft Wasser zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Un- tervogt ein Spiel, das recht gut stand. D ie meisten waren schon tuͤchtig besoffen. Chri- sten, der Staͤndlisaͤnger, der neben dem Vogt saß, am staͤrksten. Dieser schrie einsmals: Laßt mich hervor. Der Vogt und die Nachbaren stuhnden auf, und machten ihm Platz. Aber er schwankte uͤber den Tisch, und stieß des Vogts Wasserkrug um. Erschrocken wischt dieser, so geschwind er kann, das verschuͤttete Wasser vom Tisch ab, damit Nie- mand das Verschuͤttete auffasse, und den Betrug merke. Aber des Scheerers Hund, der unter dem Tische war, war durstig, lappete das ver- schuͤttete Wasser vom Boden, und ungluͤcklicher Weise sah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach dem guten Wein unter dem Tische hinab guckte, daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun- der und Zeichen, Vogt! seit wenn saufen die Hunde Wein? Du Narr! seit langem, antwortet der Vogt, und winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, und D 5 stoßt stoßt ihn mit den Fuͤssen unter dem Tisch, daß er doch schweige. Auch dem Hund giebt er einen Stoß, daß er anderswo hingehe. Aber der verstuhnd den Befehl nicht, denn er gehoͤrte dem Scheerer; er gab Laut, murrete, und leckte denn ferner das ver- schuͤttete Wasser vom Boden. Der Herr Unter- vogt aber erblaßte uͤber diesem Saufen des Hunds; denn es guckten immer mehrere Nachbaren unter den Tisch. Man stieß bald in allen Ecken die Koͤpfe zusammen, und zeigte auf den Hund. Des Schee- rers Frau nahm jezt sogar die Scherben des ver- brochenen Kruges vom Boden auf und an die Nase; und da sie nach Wasser rochen, schuͤttelte sie maͤch- tig den Kopf, und sagte laut: „ Das ist nicht schoͤn! „ Nach und nach murmelten die Bauern an al- len Ecken: Darhinter steckt was. Und der Scheerer sagte dem Vogt unter die Nase: Vogt! dem schoͤner Wein ist gesottenes Wasser. Ist das wahr? riefen die Bauern. Was Teu- fels ist das, Vogt! warum saufest du Wasser? — Betroffen antwortete der Vogt: Es ist mir nicht recht wohl; Ich muß mir schonen. Aber die Bauern glaubten die Antwort nicht — und links und rechts murmelte je laͤnger je mehr alles; Es geht hier nicht recht zu. Ueber Ueber das klagten jezt noch einige, es schwindle ihnen von dem Weine, den sie getrunken haͤtten, und dis sollte von so wenigem nicht seyn. Die zween Vornehmsten aber, die da waren stuhnden auf, gaben dem Scheerer den Lohn, spra- chen: Behuͤte Gott, Nachbaren, und giengen gegen der Stubenthuͤre. So einsmals, ihr Herren, warum so eins- mals aus der Gesellschaft, rief ihnen der Vogt. Wir haben sonst zu thun, antworteten die Maͤn- ner und giengen fort. Der Scheerer begleitete sie ausser der Stube, und sagte zu ihnen; Ich wollte lieber, der Vogt waͤre gegangen. Das ist kein Stuͤcklein, bey dem er’s gut meynt, weder mit dem Wein noch mit dem Wasser. Wir glauben’s auch nicht; sonst wuͤrden wir noch da sitzen, antworteten die Maͤnner. Scheerer. Und dieses Saufgewuͤhl kann ich nicht leiden — Die Maͤnner. Du hast auch keine Ursache — und du koͤnntest noch in Ungelegenheit kommen. Wenn ich dich waͤre, setzte der Aeltere hinzu, ich braͤche selber ab. Ich darf nicht wohl, antwortete der Scheerer. Es ist nicht mehr die alte Zeit, und du bist doch in deiner Stube etwann noch Meister, sag- ten die Maͤnner. Ich Ich will euch folgen, sagte der Scheerer, und gieng wieder in die Stube. Wo fehlt’s diesen Herren, Scheerer? daß sie so einsmals aufbrechen? fragte der Vogt. Und der Scheerer antwortete. Es ist mir eben wie ihnen; so ein Gewuͤhl ist nicht artig, und mein Haus ist gar nicht dafuͤr. Vogt. A ha — ist das die Meynung. Scheerer. Ja wahrlich, Herr Untervogt! ich habe gern eine ruhige Stube. Dieser Streit aber gefiel den Ehrengaͤsten ni wohl. Wir wollen stiller seyn, sagte der Eine. Wir wollen recht thun, sagte der Andere. Immer gut Freund seyn ist Meister, ein Drit- ter. Vogt! noch einen Krug — sagte Christen — Ha, Nachbaren! ich habe auch eine Stube; wir koͤnnen den Herrn Scheerer gar wohl in Ruhe lassen, sagte der Vogt. Das wird mir lieb seyn, antwortete der Schee- rer. Aber die Gemeindsache ist vergessen, und das theure Wirthsrecht, Nachbaren! sagte noch durstig Aebj der aͤltere. Mir nach, wer nicht falsch ist, rief drohend der Vogt, murrete Donner und Wetter, blickte wild umher, sagte zu Niemand, behuͤte Gott, und schlug schlug die Thuͤr hinder sich zu, daß die Stube zitterte — Das ist unverschaͤmt, sagte der Scheerer. Ja es ist unverschaͤmt, sagten viele Bauern. Das ist nicht richtig, sagte der juͤngere Meyer, ich einmal gehe nicht ins Vogts Haus — Ich auch nicht, antwortete Lauͤpj — Nein, der Teufel, ich auch nicht, ich denke an gestern Morgen, sagte der Renold. Ich stuhnd zunaͤchst bey ihm und bey Arner, und ich sah wohl, wie es gemeynt war. Die Nachbaren sahn sich einer den andern an, was sie thun wollten; aber die meisten setzten sich wieder und blieben. Nur Aebj und Christen und noch ein paar Lum- pen nahmen des Vogts leere Flaschen ab dem Ti- sche unter den Arm, und giengen ihm nach. Dieser aber sah jezt aus seinem Fenster nach der Gasse, die ins Scheerers Haus fuͤhrte, und als ihm lange Niemand nachkam: wurd er uͤber sich selber zornig. Daß ich ein Ochs bin, ein lahmer Ochs. Es ist bald Mittag, und ich habe nichts ausgerichtet. Der Wein ist gesoffen, und jezt lachen sie mich noch aus. Ich habe mit ihnen gepaperlet wie ein Kind, das noch saͤugt, und mich herabgelas- sen wie einer ihres gleichen. Ja wenn ich’s mit diesen Hundskerls im Ernst gut meynte; wenn das, das, was der Gemeinde nutzlich ist, auch mir lieb und recht waͤre, oder wenn ich mich zuletzt, nur aͤusserlich mehr gestellt haͤtte, als ob ich’s gut mit ihr meyne; denn waͤre es angegangen. So eine Gemeinde tanzt im Augenblick nach eines Geschei- den Pfeife, wenn sie denkt, daß man es gut meyne. Aber die Zeiten waren gar zu gut fuͤr mich. Unter dem Alten fragte ich der Gemeind oder einem Geißbock ungefehr gleich viel nach. So lang ich Vogt bin, war’s meine Lust und meine Freude sie immer nur zu narren, zu beschimpfen und zu meistern, und eigentlich hab ich gut im Sinn es noch ferner zu thun. Aber darum muß und soll ich sie auch tuͤchtig drey Schritt vom Leib halten; das Haͤndedruͤcken, das Herablassen, das mit jedermann Rath halten und freundlich thun, wie ein aller Leute Schwager, geht nicht mehr an, wenn man einen zu wohl kennt. Unser einer muß still und allein fuͤr sich handeln, nur die Leute brauchen, die er kennt, und die Gemeind, Gemeind seyn lassen. Ein Hirt berathet sich nicht mit den Ochsen; und doch war ich heut Narrs genug und wollte es thun. Indessen kamen die Maͤnner mit den leeren Flaschen. Seyd ihr allein — wollten die Hunde nicht mit? fragte der Vogt — Nein, kein Mensch, antwortete Aebj. Und Und der Vogt; Daran liegt viel. Christen. Ja, recht viel, ich denk’s auch. Vogt. Doch moͤcht ich gern wissen, was sie jezt mit einander schwaͤtzen und rathen. Christen geh und suche noch mehr Flaschen. Christen. Es sind keine mehr da. Vogt. Du Narr, das ist gleich viel. Geh nur und suche. Wenn du nichts find’st, so laß dich scheeren oder laß zu Ader, und wart und horch auf alles, was sie erzaͤhlen: Ueberbringst du mir vieles, so sauf ich mit dir bis an den Mor- gen. Und du Loͤlj, du must zu des Maͤurers aͤltern Gesellen — dem Joseph gehn; aber sieh daß dich Niemand merke. Du must ihm sagen, daß er zu mir komme in der Mittagsstunde. Noch ein Glas Wein auf den Weg. Mich duͤrstet — sagt Loͤlj — ich will dann laufen wie ein Jagdhund, und im Blitz wieder da seyn. Gut, sagte der Vogt, und gab ihnen noch ei- nen auf den Weg. Da giengen diese, und die Voͤgtin stellte den zween andern auch Wein dar zum trinken. §. 11. §. 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte. D er Vogt aber gieng staunend in seine Neben- stube, und rathschlagte mit sich selber, wenn Jo- seph kommen werde, wie er’s anstellen wolle. Falsch ist er, darauf kann ich zaͤhlen; und schlau wie der Teufel. Es stehn viel Thaler, die er versoffen, auf seines Meisters Rechnung — aber mein Begehren ist rund. Er wird sich fuͤrchten, und mir nicht trauen. ‒ ‒ ‒ Es laͤutet schon Mittag. Ich will ihm bis zehn Thaler bieten innert drey Wochen faͤllt der ganze Bestich das aͤussere Pflaster der Mauer. vom Thurn herunter, wenn er thut was ich will. Zehn Thaler sollen mich nicht reuen, sagt der Vogt — und da er so mit sich selber redt, kommt Loͤlj und hinder ihm Joseph — sie kamen nicht mit einander, damit man desto weniger Ver- dacht schoͤpfe. Gott gruͤß dich, Joseph; weiß dein Meister nicht, daß du hier bist? Der Joseph antwortete: Er ist noch im Schloß, aber er wird auf den Mittag wieder kommen, wenn ich nur um ein Uhr wieder auf der Arbeit seyn werde, so wird er nichts merken. Gut Gut — Ich habe mit dir zu reden, Joseph! Wir muͤssen allein seyn, sagte der Vogt, fuͤhrte ihn in die hintere Stube, schloß die Thuͤre zu, und stieß den einen Riegel. Es stuhnden Schweinenfleisch, Wuͤrste, Wein und Brod auf dem Tische. Der Vogt nahm zween Stuͤhle, stellte sie zum Tisch, und sagte zu Jo- seph; Du versaͤumest dein Mittagessen, halt’s mit und setze dich. Das laͤßt sich thun, antwortete Joseph, setzte sich hin, und fragte den Vogt: Herr Vogt! sag er, was will er, ich bin zu seinen Diensten — Der Vogt antwortete: Auf dein gut Wohlseyn, Joseph! trink eins; und denn wiederum; versuch diese Wuͤrste, sie sollen gut seyn. Warum greifst du nicht zu? Du hast ja sonst theure Zeit genug bey deinem Meister. Joseph. Das wohl — Aber es wird doch jezt besser kommen; wenn er Schloßarbeit kriegt. Vogt. Du bist ein Narr, Joseph! Du soll- test dir wohl einbilden, wie lange das gehn moͤchte. Ich wollt’s ihm gerne goͤnnen; aber er ist nicht der Mann zu so etwas. Er hat auch noch nie ein Hauptgebaͤude gehabt; aber er verlaͤßt sich auf dich, Joseph. Joseph. Das kann seyn — Es ist so was. E Vogt. Vogt. Ich hab’ es mir wohl eingebildet, und darum mit dir reden wollen. Du koͤnntest mir ei- nen grossen Gefallen thun. Joseph. Ich bin zur Aufwart, Herr Unter- vogt! Auf sein gut Wohlseyn. (Er trinkt.) Es soll dir gelten, Maͤurer! sagt der Vogt, und legt ihm wieder Wuͤrste vor, und faͤhrt fort: Es waͤre mir lieb, daß das Fundament der Kirch- mauer von gehauenen Steinen aus dem Schwendi- bruch gesetzt wuͤrde. Joseph. Potz Blitz, Herr Vogt! das geht nicht an; er versteht das jezunder nicht. Dieser Stein ist hierzu nicht gut, und zum Fundament taugt er gar nicht. Vogt. O der Stein ist nicht so schlimm; ich habe ihn schon gar zu viel brauchen gesehn. Er ist, bey Gott! gut, Joseph! Und mir geschaͤhe ein grosser Gefallen, wenn diese Steingrube wieder eroͤffnet wuͤrde. Joseph. Vogt! es geht nicht an. Vogt. Ich will dankbar seyn fuͤr den Dienst, Joseph! Joseph. Die Mauer ist innert sechs Jahren faul, wenn sie aus diesem Stein gemacht wird. Vogt. Ach, ich mag von diesem nichts hoͤ- ren; das sind Narretheyen. Joseph. Bey Gott, es ist wahr. Es sind am Fundament zwo Miststaͤtte und ein ewiger Ab- lauf lauf von Staͤllen. Der Stein wird abfaulen wie ein tannenes Bret. Vogt. Und denn zuletzt, was fragst du dar- nach, ob die Mauer in zehn Jahren noch gut ist. Du wirst fuͤrchten, der Schloßherr vermoͤge als- dann keine neue mehr. Thust du, was ich sage, so hast du ein grosses, recht grosses Trinkgeld zu er- warten. Joseph. Das ist wohl gut; aber wenn der Junker es selber merkte, daß der Stein nichts nuͤtze ist? Vogt. Wie sollte er das verstehn? davon ist keine Rede. Joseph. Er weiß in gewissen Sachen viel mehr, als man glauben sollte; du kennst ihn aber besser als ich. Vogt. Ach! das versteht er nicht. Joseph. Ich glaub’s zuletzt selbst nicht. Der Stein ist dem Ansehen nach sehr schoͤn, und zu an- derer Arbeit vortrefflich gut. Vogt. Gieb mir deine Hand darauf, daß der Meister die Steine aus diesem Bruche nehmen muß. Thut er’s, so kriegst du fuͤnf Thaler Trink- geld. Joseph. Das ist viel, wenn ich’s nur schon haͤtte. Vogt. Es ist mir, bey Gott! Ernst. Ich zahle dir fuͤnf Thaler, wenn er’s thut. E 2 Joseph. Joseph. Nun, da hat er mein Wort, Herr Vogt. (Er streckt ihm die Hand dar, und ver- spricht ihm’s in die Hand) Es soll so seyn, Herr Vogt! Wie geredt; was scheer ich mich um den Herrn im Schloß. Vogt. Noch ein Wort, Joseph. Ich habe ein Saͤckchen voll Zeugs von einem Herrn aus der Apothek. Es soll gut seyn, daß der Bestich an den Mauern halte, wie Eysen, wenn man’s un- ter den Kalch mischt. Aber wie es ist mit diesen Spitzhoͤslerkuͤnsten Spitzhoͤsler sagen die Schweizerbauern den Her- ren, weil sie nicht grosse weite Hosen tragen wie sie. — . Man darf ihnen eben nicht ganz trauen. Ich moͤchte es lieber an einem frem- den Bau als an meinem eigenen versuchen. Joseph. Das kann ich schon. Ich will’s an eines Nachbaren Ecken probieren. Vogt. Das an einem Ecken probieren, so im Kleinen, ist nie nichts nutze. Man irret sich dabey, wenn’s geraͤth, und wenn’s fehlt. Man darf nie trauen, und ist nie sicher, wie’s denn im Grossen koͤmmt. Ich moͤchte es am ganzen Kirchthurn pro- bieren, Joseph! ist das nicht moͤglich? Joseph. Braucht’s viel solcher Waar unter den Kalch? Vogt. Ich glaub auf ein Faͤßlein nur ein Paar Pfunde. Joseph. Joseph. Dann ist’s gar leicht. Vogt. Willst du mir’s thun? Joseph. Ja freylich. Vogt. Und schweigen, wenn’s fehlt? Joseph. Es kann nicht uͤbel fehlen, und na- tuͤrlich schweigt man. Vogt. Du holest die Waar allemal bey mir ab, wenn du sie brauchst, und ein Glas Wein dazu. Joseph. Ich werde nicht ermangeln, Herr Untervogt! Aber ich muß fort. Es hat Ein Uhr geschlagen. (Er nimmt das Glas) Zur schuldigen Dankbarkeit, Herr Untervogt! Vogt. Du hast nichts zu danken. Wenn du Wort haltest, so kriegst du fuͤnf Thaler. Es soll nicht fehlen, Herr Untervogt! sagt Jo- seph, steht auf, stellt seinen Stuhl in einen Ecken, und sagt dann: Es muß seyn, Herr Untervogt! schuldigen Dank; und trinkt jezt das letzte. Vogt. Nun, wenn es seyn muß, so behuͤt Gott, Joseph! Es bleibt bey der Abrede. Da gieng Joseph, und sagte im Gehen zu sich selber: Das ist ein sonderbares Begehren mit den Steinen, und noch sonderbarer mit der Waar in Kalch. Man probiert so etwas nicht am ganzen Kirchthurn. Aber einmal das Trinkgeld soll mir jezt nicht entwischen. Das meyn’ ich, sey richtig, ich mag’s denn thun oder nicht. E 3 Das Das ist gut gegangen, recht gut, sagte der Vogt zu sich selber; besser als ich geglaubt habe, und noch um den halben Preis. Ich haͤtte ihm zehn Thaler versprochen wie fuͤnfe, wenn er den Handel verstanden haͤtte. Wie’s mich freut, daß der Handel in Ordnung ist! Nein, nein! man muß den Muth nie fallen lassen. Waͤr’ nur auch die Mauer schon ausser dem Boden! Geduld! Am Montag brechen sie schon Steine dazu. — O du guter Maurer! Deine Frau hat dir ein boͤses Fres- sen gekochet, und du meynst, du sitzest oben auf dem Thron. §. 12. Haushaltungsfreuden. D er Maͤurer Lienhard, der am Morgen fruͤh ins Schloß gegangen war, war nun auch wieder zu- ruͤck und bey seiner Frau. Diese hatte geeilt, ihre Samstagsarbeit zu vollen- den, ehe ihr Mann wieder zuruͤck kaͤme. Sie hatte die Kinder gekaͤmmt, ihnen die Haare geflochten, ihre Kleider durchgesehn, die kleine Stube gereiniget, und waͤhrend der Arbeit ihre Lieben ein Lied ge- lehrt — Das Das muͤßt ihr dem lieben Vater singen, wenn er heimkommen wird, sagte sie den Kindern, und die Kinder lernten gern, was den Vater freuen wuͤrde, wenn er heim kaͤme. Mitten in ihrer Arbeit, ohne Muͤh’, ohne Ver- saͤumniß, ohne Buch sangen sie es der Mutter nach, bis sie es konnten. Und da der Vater jezt heim kam, gruͤßte ihn die Mutter, und sang dann, und alle Kinder san- gen mit ihr. Der du von dem Himmel bist, Kummer, Leid und Schmerzen stillest; Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung fuͤllest. Ach! ich bin des Umtriebs muͤde, Muͤde vom Unruhe und Begierden, von Hoff- nung und Sorgen, immer ohne feste innere Zu- friedenheit umher getrieben zu werden. Bangen Schmerzens, wilder Lust? Suͤsser Friede! Komm, ach komm in meine Brust. Eine Thraͤne schoß Lienhard ins Auge, da die Mutter und die Kinder alle so heiter und ruhig ihm entgegen sangen. Daß euch Gott segne, ihr Lieben! daß dich Gott segne, du Liebe! sagte er mit inniger Bewe- gung zu ihnen. E 4 Lieber! Lieber! antwortete Gertrud; Die Erde ist ein Himmel, wenn man Friede sucht, recht thut und wenig wuͤnscht. Lienhard. Wenn ich eine Stunde diesen Him- mel des Lebens, den Frieden im Herzen geniessen werde, so hast du mir ihn gegeben. Bis in Tod will ich dir danken, daß du mich rettetest, und diese Kinder werden’s dir danken, wenn du einst ge- storben seyn wirst. O Kinder! thut doch immer recht, und folget eurer Mutter, so wird’s euch wohl gehen. Gertrud. Du bist och auch gar herzlich heute. Lienhard. Es ist mir auch gut gegangen bey Arner. Gertrud. Ach, Gott Lob, mein Lieber! Lienhard. Das ist doch auch ein Mann, der seines Gleichen nicht hat. Frau! daß ich doch auch so ein Kind war, und nicht zu ihm gehn durfte. Gertrud. Daß wir immer auch so hintennach klug werden, mein Lieber! Aber erzaͤhle du mir auch, wie es dir bey ihm gegangen ist. (Sie setzt sich neben ihn hin, nimmt einen Strumpf zum Stricken in die Hand, und er sagt hierauf zu ihr:) §. 13. §. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war. W enn du dich so setzest, wie am Sonntag Abends zu deiner Bibel, so werde ich dir wohl viel erzaͤhlen muͤssen. Gertrud. Alles, alles, du Lieber! must du mir erzaͤhlen. Lienhard. Ja, ich werde jezt noch alles so wissen; aber aha, mein Drutschelj! es ist Sam- stag, du hast nicht so gar lang Zeit. Gertrud lacht. Thu deine Augen auf. Lienhard sieht sich um. Aha! Bist du schon fertig? Lise. (zwischen ein) Sie hat recht geeilt, Va- ter! Ich und Enne, wir halfen ihr aufraͤumen. Ist das nicht recht? Wohl! Es ist mehr als recht, antwortete der Vater. Aber fang jezt einmal an zu erzaͤhlen, sagte Ger- trud. Und Lienhard: Arner frng mich sogar mei- nes Vaters Namen und die Gasse, wo ich wohne, und das Numero meines Hauses. E 5 Ger- Gertrud. O, du erzaͤhlest nicht recht, Lien- hard! ich weiß, er hat nicht so angefangen. Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel! wie denn anders? Gertrud. Du hast ihn zu erst gegruͤßt, und er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht? Lienhard. Du Hexli! du hast doch recht; ich habe nicht von vornen angefangen. Gertrud. Gelt, Lienj! Lienhard. Nun, er frug mich, so bald er mich sah, ob ich ihn nicht mehr fuͤrchtete? Ich buͤckte mich so tief und so gut ich konnte, und sagte: Ver- zeih er mir, Gnaͤdiger Herr! Er lachte, und ließ mir gleich einen Krug Wein vorsetzen. Gertrud. Nun, das ist doch wirklich ein ganz andrer Anfang. Warst du fein bald fertig mit dem Krug? Ohne Zweifel. Lienhard. Nein, Frau. Ich that so zuͤchtig, wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anruͤhren; Aber er verstuhnd’s anders. Ich weiß wohl, daß du den Wein auch kennest, schenk dir nur ein, sagte er. Ich that sachte, was er sagte, trank eins auf sein Wohlseyn; Aber er sah mich so steif an, daß mir das Glas am Mund zitterte. Gertrud. Das gute Gewissen, Lienj! das kam dir eben jezt in die Finger; aber du hast dich doch wieder vom Schrecken erholt? Lien- Lienhard. Ja, und das recht bald. Er war gar liebreich, und sagte: Es ist ganz natuͤrlich, daß ein Mann, der stark arbeitet, gern ein Glas Wein trinkt. Es ist ihm auch wohl zu goͤnnen; aber das ist ein Ungluͤck, wenn einer, anstatt sich mit einem Glas Wein zu erquicken, beym Wein ein Narr wird, und nicht mehr an Weib und Kind denkt, und an seine alten Tage: Das ist ein Ungluͤck, Lienhard! Frau! Es gieng mir ein Stich ins Herz, als er das sagte. Doch faßte ich mich und antwor- tete: Ich waͤre in so ungluͤckliche Umstaͤnde verwickelt gewesen, daß ich mir in Gottes Namen nicht mehr zu helfen gewußt haͤtte; Und ich haͤtte, weiß Gott, in der Zeit kein Glas Wein mit einem freudigen Herzen getrunken. Gertrud. Hast du doch das herausbringen koͤn- nen? Lienhard. Wenn er nicht so liebreich gewe- sen waͤre, ich haͤtt’ es gewiß nicht gekonnt. Gertrud. Was sagte er noch weiter? Lienhard. Es sey ein Ungluͤck, daß die mei- sten Armen in ihrer Noth mit Leuten anbinden, die sie fliehen sollten, wie die Pest. Ich mußte einmal jezt seufzen. Ich glaube, er merkte es, denn er fuhr wie mitleidig fort: Wenn man es den guten Leuten nur auch bey- bringen koͤnnte, ehe sie es mit ihrem Schaden ler- nen. nen. Der Arme ist schon halb errettet, wenn er nur keinem Blutsauger unter die Klauen faͤllt. Bald hernach fieng er wieder an und sagte: Es geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme sich oft im abscheulichsten Elend aufzehren, und nicht den Verstand und das Herz haben, ihre Umstaͤnde an einem Ort zu entdecken, wo man ihnen herzlich gerne helfen wuͤrde, wenn man nur auch recht wuͤßte, wie sich die Sachen ver- halten. Es ist vor Gott nicht zu verantworten, wie du dich Jahr und Tag vom Vogt hast herum- schleppen lassen, und wie du Weib und Kind so in Unruhe und Gefahr setzen konntest, ohne auch nur ein einzig mal mich um Rath und Huͤlfe zu bitten. Maͤurer! denke nur auch, wenn deine Frau nicht mehr Herz und Verstand gehabt haͤtte, als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus gelaufen waͤre. Gertrud. Das alles hat er gesagt, ehe er dem Hausnumero nachgefragt hat? Lienhard. Du hoͤrst es ja wohl. Gertrud. Du hast mir’s mit Fleiß nicht sagen wollen; Du! Lienhard. Es waͤre, denk ich wohl, das ge- scheideste gewesen. Du wirst mir sonst noch gar zu stolz, daß du so viel Herz gehabt hast. Gertrud. Meinst du’s, Hausmeister? Ja, ja einmal auf diesen Streich werde ich mir etwas einbilden, einbilden, so lang ich leben werde, und so lang er uns wohl thun wird. Aber was sagte Arner noch weiter? Lienhard. Er nahm mich wegen dem Bau ins Examen. Es war gut, daß ich noch nicht alles vergessen hatte. Ich mußte ihm alles beym Klafter ausrechnen — und die Fuhren von Kalch und Sand und Steinen auf’s Puͤnktgen aus- spitzen. Gertrud. Bist du um keine Nulle verirrt im Rechnen. Lienhard. Nein das mal nicht, du Liebe. Gertrud. Gott Lob! Lienhard. Ja wohl Gott Lob. Gertrud. Ist jezt alles in der Ordnung? Lienhard. Ja, recht schoͤn ist’s in der Ord- nung. — Rathe, wie viel hat er mir vorgeschos- sen? (Er klingelt mit den Thalern im Sack) und sagt: Gelt es ist lang, daß ich nicht so geklingelt habe? Gertrud seufzt. Lienhard. Seufze du jezt nicht, du Liebe! wir wollen hausen und sparen, und wir werden jezt gewiß nicht mehr in die alte Noth kommen. Gertrud. Ja. Gott im Himmel hat uns geholfen. Lienhard. Und noch mehr Leuten im Dorf mit uns. Denk! er hat zehn arme Hausvaͤter, die die gewiß alle sehr in der Noth waren, zu Tag- loͤhnern bey diesem Bau angenommen, und er giebt jedem des Tags 25 Kreutzer — Du Liebe! du haͤttest sehn sollen, mit was fuͤr Sorgfalt er die Leute ausgewaͤhlt hat. Gertrud. O, sag mir doch das recht! Lienhard. Ja, wenn ich’s jezt noch so wuͤßte. Gertrud. Besinne dich ein wenig. Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar- men Hausvaͤtern nach; wie viel Kinder sie haͤtten, wie groß diese waͤren; was fuͤr Verdienst und Huͤlfe sie haͤtten. Dann suchte er die Verdienst- losesten und die, welche am meisten unerzogene Kinder hatten, daraus, und sagte zweymal zu mir: Wenn du jemand kennst, der, wie du, im Drucke ist: so sag es mir. Ich nannte vor allen aus den Huͤbel Rudj, und der hat jezt fuͤr ein Jahr gewiß Verdienst. Gertrud. Es ist brav, daß du dem Rudj deine Erdaͤpfel nicht hast entgelten lassen. Lienhard. Ich koͤnnte keinem Armen nichts nachtragen, Frau! und diese Haushaltung ist erschrecklich elend. Ich habe den Rudelj erst vor ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof- fen; und ich that als ob ich ihn nicht saͤhe. Es gieng mir ans Herz; er sieht aus wie Theurung und Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen zuletzt noch immer zu essen. Gertrud. Gertrud. Das ist wohl gut, du Lieber! aber stehlen hilft nicht im Elend; und der Arme der’s thut, koͤmmt dadurch nur gedoppelt in die Noth. Lienhard. Freylich; aber beym nagenden Hunger Eßwaaren vor sich sehen, und wissen, wie viel davon in den Gruben verfaulen muß, und wie selber alles Vieh davon genug hat, und sie dann doch liegen lassen und sie nicht anruͤhren: O, Liebe! wie viel braucht’s dazu! Gertrud. Es ist gewiß schwer; aber gewiß muß der Arme es koͤnnen, oder er ist unausweich- lich hoͤchst ungluͤcklich. Lienhard. O Liebe! wer wuͤrde in seinem Fall es thun? Wer will’s von ihm fordern? Gertrud. Gott! der’s vom Armen fordert, giebt ihm Kraft es zu thun, und bildet ihn durch den Zwang, durch die Noth, und durch die vielen Leiden seiner Umstaͤnde, zu der grossen Ueberwindung, zu der er aufgefordert ist. Glaube mir, Lienert! Gott hilft dem Armen so im Ver- borgenen, und giebt ihm Staͤrke und Verstand zu tragen, zu leiden und auszuhalten, was schier unglaͤublich scheint. Wenn’s denn durchgestritten, wenn das gute Gewissen bewahrt ist, Lienert! denn ist ihm himmelwohl; viel besser als allen, die nicht Anlaß hatten, so viel zu uͤberwinden. Lienhard. Lienhard. Ich weiß es, Gertrud! an dir weiß ich’s. Ich bin auch nicht blind. Ich sah es oft, wie du in der groͤssesten Noth auf Gott trautest und zufrieden warst: aber wenig Men- schen sind im Elend wie du, und viele sind, wie ich, bey dem Drang der Noth und des Elends sehr schwach; darum denke ich immer, man sollte mehr thun, um allen Armen Arbeit und Brod zu verschaffen. Ich glaube sie wuͤrden denn alle auch besser seyn, als sie in der Verwirrung ihrer Roth und ihres vielen Jammers jezo sind. Gertrud. O Lieber! Das ist bey weitem nicht so; wenn es nichts als Arbeit und Verdienst brauchte, die Armen gluͤcklich zu machen: so wuͤrde bald geholfen seyn. Aber das ist nicht so; bey Reichen und bey Armen muß das Herz in Ord- nung seyn, wenn sie gluͤcklich seyn sollen. Und zu diesem Zweck kommen die weit mehrern Men- schen eher durch Roth und Sorgen, als durch Ruhe und Freuden; Gott wuͤrde uns sonst wohl gerne lauter Freude goͤnnen. Da aber die Men- schen Gluͤck und Ruhe und Freuden nur alsdenn ertragen koͤnnen, wenn ihr Herz zu vielen Ue- berwindungen gebildet, standhaft, stark, ge- dultig und weise ist, so ist offenbar nothwendig, daß viel Elend und Roth in der Welt seyn muß; denn ohne das koͤmmt bey wenigen Menschen das Herz in Ordnung und zur innern Ruhe. Und wo das das mangelt, so ists gleich viel, der Mensch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und steckt alle Tage im Wirthshause. Da- bey aber ist er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch- ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage duͤrstet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in seinem Winkel findet. Lienhard seufzte, und Gertrud schwieg auch eine Weile, dann sagte sie: Hast du auch nachgesehen, ob die Gesellen arbeiten? Ich muß dir sagen, der Joseph ist heute wieder ins Wirthshaus geschlichen. Lienhard. Das ist verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen lassen. Er hat sich eben gar sonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim kam, bey ihnen auf der Arbeit gewesen, und wenn er eben aus dem Wirthshaus gekommen ist: so macht mir das, was er gesagt hat, Unruhe; es ist denn nicht aus seinem Hafen. Gertrud. Was ist’s denn? Lienhard. Er sagte: der Stein aus dem Schwendibruch waͤre so vortrefflich zur Kirch- mauer, und da ich ihm antwortete, die grossen Feldkiesel, die in Menge nahe da herum laͤgen, waͤren viel besser, sagte er; ich woll immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anstellen. Die Mauer werde von den Schwendisteinen viel schoͤner und ansehnlicher werden. Ich dachte eben, F er er sage das so aus guter Meynung. Doch hat er so ploͤtzlich von dem Stein angefangen, daß es mich schon da sonderbar duͤnkte; und wenn er beym Vogt gewesen ist, so steckt gewiß etwas darhinter. Der Schwendistein ist muͤrb und sandigt, und zu dieser Arbeit gar nichts nuͤtze. Wenn das eine Fuchsfalle waͤre? Gertrud. Joseph ist nicht durch und durch gut. Nimm dich in Acht. Lienbard. Da fangen sie mich nicht. Der Junker will keine Sandsteine an der Mauer haben. Gertrud. Warum das? Lienhard. Er sagte, weil um an der Mauer Miststellen und Ablaͤufe von Staͤllen waͤ- ren: so wuͤrde der Sandstein faulen, und vom Salpeter angefressen werden. Gertrud. Ist das wahr? Lienhard. Ja; Ich habe selbst einmal in der Fremde an einem Gebaͤude gearbeitet, da man das ganze Fundament, das von Sandsteinen war, wieder hat wegnehmen muͤssen. Gertrud. Daß er das so versteht? Lienhard. Es verwunderte mich selber, aber er verstehts vollkommen. Er fragte mich auch, wo der beste Sand sey. Ich sagte: im Schachen bey der untern Muͤhlin. Das ist sehr weit zu fuͤhren und Berg an, antwortete er: man muß Leute und Vieh schonen. Weissest Weissest du keinen, der naͤher waͤre? Ich sagte, es sey gerad oben an der Kirche sehr reines Sand im Mattenbuͤhl; aber es sey eigenthuͤmliches Land: man muͤßte die Grube zahlen, und koͤnnte nicht anders als durch Matten fahren, wo man einen Abtrag wuͤrde thun muͤssen. Das schadet nichts, antwortete er, es ist besser, als Sand aus dem Schachen herauf holen. Ja ich muß dir noch et- was erzaͤhlen. Eben da er vom Sand redete, meldete der Knecht den Junker von Oberhofen. Ich glaubte, ich muͤßte jezt sagen, ich wollte ihn nicht aufhalten und ein andermal kommen. Er lachte und sagte: Nein, Maͤurer! ich mache gern eine Arbeit aus, und erst wenn ich fertig bin, sehe in dann, wer weiter etwas mit mir wolle. Du kommst mir eben recht mit deinem Abschied nehmen. Es ge- hoͤrt zu deiner alten Ordnung, die aufhoͤren muß, so liederlich bey jedem Anlaß Geschaͤffte und Arbeit liegen zu lassen. Ich kratzete hinter den Ohren, Frau! haͤtte ich nur auch mit meinem ein andermal kommen geschwiegen. Es hat dir auch etwas gehoͤrt, sagte Gertrud, und eben rief jemand vor der Thuͤre Holaho! Ist Niemand daheim? F 2 §. 14. §. 14. Niedriger Eigennutz. D er Maͤurer machte die Thuͤre auf, und die Schnabergritte, des Siegristen Sohnsfrau, und des Vogts Bruders sel. Tochter, kam in die Stube. Nachdem sie den Maͤurer und die Frau gegruͤßt, dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge- than hatte, sagte sie zu ihm: Du wirst wohl jezt nicht mehr unsern schlech- ten Ofen bestreichen wollen? Lienhard! Lienhard. Warum denn das nicht, Frau Nachbarinn? fehlt etwas daran? Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wisse, woran ich sey. Lienhard. Du bist so sorgfaͤltig, Grittlj! es haͤtte aber uͤbel fehlen koͤnnen. Gritte. Ja, die Zeiten aͤndern sich, und mit ihnen die Leute auch. Lienhard. Das ist wohl wahr: aber Leute zum Ofen bestreichen findet man doch immer. Gritte. Das ist eben der Vortheil. Gertrud, die bis jezt so geschwiegen hatte, nimmt das Brodmesser von der Wand, und schneidet von einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtsuppe. Das Das ist schwarz Brod, sagt Gritte. Es giebt aber jezt bald bessers, da dein Mann Herr Schloß- maͤurer geworden ist. Du bist naͤrrisch, Gritte! Ich will Gott dan- ken, wenn ich mein Lebtag genug solches habe, sagte Gertrud. Und Gritte: Weiß Brod ist doch besser, und wie sollt’s fehlen? Du wirst noch Frau Unter- voͤgtinn, und dann dein Mann vielleicht Herr Un- tervogt; aber es wuͤrde uns dabey uͤbel gehen. Lienhard. Was willst du mit dem Sticheln? Ich habe das nicht gern; gerade heraus ist Meister, wenn man was hat, das man sagen darf. Gritte. Ha, Maͤurer, das darf ich, wenn’s seyn muß. Mein Mann ist doch auch des Siegri- sten Tochtermann, und es ist, so lange die Kirche steht, nie erhoͤrt worden, daß, wenn es Arbeit daran gegeben hat, des Siegristen seine Leute nicht den Vorzug gehabt haͤtten. Lienhard. Und jezt was weiters? Gritte. Ja, und jezt, eben jezt hat der Un- tervogt einen Zedel im Haus, darinn mehr als ein Dutzend der groͤßsten Lumpen aus dem Dorf als Arbeiter bey dem Kirchbau aufgezeichnet sind, und von des Siegristen Leuten steht kein Wort da- rinn. Lienhard. Aber Frau Nachbarinn, was geht das mich an? Hab’ ich den Zedel geschrieben? F 3 Gritte. Gritte. Nein, geschrieben hast du ihn nicht; aber, ich denk wohl, angegeben. Lienhard. Das waͤr wohl viel, wenn ich dem Junker seine Zedel angeben muͤßte. Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle Tage im Schloß steckst, und gerad heute wieder dort warst. Und wenn du auch berichtet haͤttest, wie es vor diesem gewesen ist, so waͤr es beym Alten geblieben. Lienhard. Du gehst an den Waͤnden, Gritte, wenn du das glaubst. Arner ist nicht der Mann, der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er koͤnn’s mit dem Neuen besser machen. Gritte. Man sieht’s — Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem Verdienst den Armen und Nothleidenden aufhelfen. Gritte. Ja eben will er nur Lumpen- und Bettelgesindel aufhelfen. Lienhard. Es sind nicht alle Arme Gesindel, Gritte; Man muß ni e so reden. Es weiß keiner, wie’s ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom- men wird. Gritte. Eben das ist’s. Es muß ein jeder fuͤr sein Stuͤck Brod sorgen; und darum thut’s uns auch weh, daß man unser so gar vergessen hat. Lienhard. Ach Gritte! Das ist jezt was an- ders. Du hast schoͤne Guͤter, und issest bey dei- nem Vater, und dieser hat das beste Verdienst im Dorf Dorf und du mußst nicht, wie unsere Armen, fuͤr das taͤgliche Brod sorgen. Gritte. Du magst jezt sagen, was du willst. Es thut einem jeden weh, wenn er glaubt, es ge- hoͤre ihm etwas, und wenn es ihm dann ein an- derer Hund vor dem Maul wegfrißt. Lienhard. Spare die Hunde, Grittli, wenn du von Menschen redest, sonst findest du einst einen, der dich beißt. Und wenn du glaubst, das Ver- dienst gehoͤre dir, so bist du jung und stark, und so hast du gute Fuͤsse und ein gutes Mundstuͤck; du kannst also deine Sache selbst an Ort und Stelle hintragen und anbringen, wo man dir zu deinem Recht verhelfen kann. Gritte. Grossen Dank, Herr Maͤurer! fuͤr den schoͤnen Rath. Lienhard. Ich kann keinen bessern geben. Gritte. Es giebt etwan auch wieder Gelegen- heit, den Dienst zu erwiedern — Leb wohl, Lie- nert! — Lienhard. Leb auch wohl, Gritte! Ich kann dir nicht besser helfen. Gritte geht fort, und Lienhard zu seinen Ge- sellen. F 4 §. 15. §. 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder eine Dummheit, die ein Glas Wein kostet. D ieser war heute am Morgen nicht so bald aus dem Schloß weg, so sandte Arner den Zedel, in dem er die Tagloͤhner aufgeschrieben hatte, durch den Harschier Flink dem Vogt, mit dem Befehl, es ihnen anzuzeigen. Der Harschier brachte den Befehl dem Vogt noch Vormittag; aber bisher waren sonst alle Briefe, die aus dem Schloß an ihn kamen, uͤberschrieben: “An den ehrsamen und bescheidenen, meinen lieben und getreuen Vogt Hummel in Bonnal„ und auf diesem stand nur: An den Vogt Hummel in Bonnal. Was denkt der verdammte Spritzer, der Schloß- schreiber, daß er mir den Tittel nicht giebt, wie er mir gehoͤrt, sagte der Vogt, so bald er den Brief in die Hand nahm, zu Flink, der ihn uͤberbrachte. Der Harschier aber antwortete: Besinn dich, Vogt! was du redest. Der Junker hat den Brief selbst uͤberschrieben. Vogt. Das ist nicht wahr. Ich kenne die Hand des gepuderten Bettelbuben, des Schreibers. Flink Flink schuͤttelte den Kopf und sagte; Das ist herzhaft. Ich sah mit meinen Augen, daß der Junker ihn uͤberschrieb; ich stand neben ihm in der Stube, als er’s that. Vogt. So hab ich mich denn verdammt ge- irrt, Flink! Das Wort ist mir so entfahren — Vergiß es, und komm, trink ein Glas Wein mit mir in der Stube. Nimm dich ein andermal in Acht, Vogt! Ich mache nicht gern Ungelegenheit, sonst koͤnnte das geben, sagt Flink — geht mit dem Vogt in die Stube, stellt das kurze Gewehr ab, in einen Ecken, laͤßt sich eins belieben, und geht dann wieder fort. Da machte der Vogt den Brief auf, las ihn und sagte: Das sind ja alles lauter Lumpen und Bettler, vom ersten bis zum letzten. Donner! wie das denn auch geht. Von meinen Leuten kein einziger, als der Schabenmichel! Nicht einmal einen Tagloͤh- ner kann ich ihm mehr aufsalzen. Und jezt soll ich es ihnen heute noch ansagen; das ist schwere Ar- beit fuͤr mich. Aber ich will’s thun. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Gerade jezt will ich’s an- sagen, und ihnen rathen, am Montag ins Schloß zu gehn, dem Junker zu danken. Er kennt von den Purschen nicht einen. Es fehlt nicht, der Maͤurer hat sie ihm alle angerathen. Wenn sie denn am Montag ins Schloß kommen, und so alle miteinander zerris- F 5 sen sen wie Hergeloffene — der eine ohne Schuh, der andre ohne Hut, vor dem Erbherren da stehn; es nimmt mich Wunder, ob es dann nichts geben wird, das mir in meinen Kram dient. So rath- schlagt er mit sich selber, kleidet sich an, und nimmt dann wieder den Zedel zur Hand, um zu sehen, wie einer dem andern in der Naͤhe wohne, damit er den Weg nicht zweymal gehn muͤsse. Der Huͤbelrudj war zwar nicht der naͤchste; aber er gieng, seit dem er seinem Vater die Brun- nenmatte abgerechtiget hatte, nicht mehr gern in sein Haus; denn es stiegen ihm allemal allerhand Gedanken auf, wenn er die armen Leute darinn sah. Ich will zuerst geschwind zu dem Pack, sagt er, und gieng alsobald hin fuͤr das Fenster. §. 16. §. 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett. D er Huͤbelrudi saß eben bey seinen vier Kin- dern. Vor drey Monaten war ihm seine Frau ge- storben, und jezt lag seine Mutter sterbend auf ei- nem Strohsack, und sagte zu Rudi; Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere. O Mutter! so bald das Feuer im Ofen ver- loschen seyn wird, will ich gehen. Die Mutter. Hast du auch noch Holz, Rudi? Ich denke wohl, nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi! ach, ich bin dir zur Last — Rudi. O Mutter, Mutter! sag doch das nicht, du bist mir nicht zur Last. Mein Gott! mein Gott! Koͤnnte ich dir nur auch, was du noͤ- thig hast, geben. — Du duͤrstest, du hungerst, und klagst nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter! Die Mutter. Graͤme dich nicht, Rudi! Mei- ne Schmerzen sind, Gott Lob! nicht groß; und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh- nen, was du mir thust. Rudj. Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine Armuth so weh, als jezt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott! so krank und elend leidest du, und traͤgst du meinen Mangel — Die Mutter. Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht man wenig mehr auf Erden, und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; er staͤrkt mich in meiner nahen Stunde. Rudi. (in Thraͤnen) Meynst du denn, Mut- ter! du erholest dich nicht wieder? Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht. Rudi. O mein Gott! Die Mutter. Troͤste dich, Rudi! Ich gehe ins bessere Leben. Rudi. (schluchzend) O Gott! Die Mutter. Troͤste dich, Rudi! Du warst die Freude meiner Jugend, und der Trost meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Haͤnde werden jezt bald meine Augen schliessen. Dann werde ich zu Gott kommen, und ich will fuͤr dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieses Lebens, wenn sie uͤberstanden sind, machen einem nur wohl. Mich troͤstet und mir ist wie heilig alles, was ich uͤberstanden habe, so gut als alle Lust und Freude des Lebens. Ich danke Gott, fuͤr diese frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber wenn wenn die Frucht des Lebens im Herbst reifet, und wenn der Baum sich zum Schlafe des Winters ent- blaͤttert: dann ist das Leiden des Lebens ihm hei- lig, und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl gehen bey allem deinem Leiden. Rudi. O Mutter! Liebe Mutter! Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi. Rudi. Was? Mutter! Die Mutter. Es liegt mir seit gestern, wie ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir’s sagen. Rudi. Was ist’s denn, liebe Mutter? Die Mutter. Ich sah gestern, daß sich der Rudeli hinter meinem Bette versteckte, und gebra- tene Erdaͤpfel aus seinem Sack aß. Er gab auch seinen Geschwistern, und auch sie assen verstohlen. Rudi! Diese Erdaͤpfel sind nicht unser; sonst wuͤrde der Junge sie auf den Tisch geworfen, und seinen Geschwistern laut gerufen haben, ach! er wuͤrde auch mir einen gebracht haben, wie ers tausendmal that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er so mit etwas auf den Haͤnden zu mir sprang, und so herzlich zu mir sagte: Iß auch, Großmutter! O Ru- di! wenn dieser Herzensjunge ein Dieb werden sollte. O Rudi! wie mir dieser Gedanke seit gestern so schwer macht! Wo ist er? Bring mir ihn, ich will mit ihm reden. Rudi. Rudi. O ich Elender! (Er laͤuft geschwind, sucht den Knaben und bringt ihn der Mutter an’s Bett). Die Mutter setzt sich muͤhselig zum letztenmal auf, kehrt sich gegen den Knaben, nimmt seine beyden Haͤnde in ihre Arme und senkt das schwache sterbende Haupt hinab auf den Knaben. Der Kleine weint laut — Großmutter! Was willst du? Du stirbst doch nicht — ach stirb doch nicht, Großmutter! Sie antwortet gebrochen, Ja Rudeli! ich werde gewiß bald sterben. Jesus! ach mein Gott! stirb doch nicht Groß- mutter, sagt der Kleine. Die Kranke verliert den Athem und muß sich niederlegen. Der Knab und sein Vater zerfliessen in Thraͤ- nen — Sie erholt sich aber bald wieder und sagt: Es ist mir schon wieder besser, da ich jezt liege — Und der Rudeli! Du stirbst doch jezt nicht mehr, Großmutter! Die Mutter. Thu doch nicht so, du Lieber! ich sterbe ja gern; und werde denn auch zu einem lieben Vater kommen. Wenn du wuͤßtest, Rudeli! wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kommen soll, du wuͤrdest dich nicht so betruͤben. Rudeli. Rudeli. Ich will mit dir sterben, Großmut- ter, wenn du stirbst. Die Mutter. Nein, Rudeli! du wirst nicht mit mir sterben, du wirst, will’s Gott, noch lang leben und brav werden; und wenn einst dein Vater alt und schwach seyn wird, seine Huͤlfe und sein Trost seyn. Gelt Rudeli! du willst ihm folgen, und brav werden und recht thun. Versprich mir’s, du Lieber! Rudeli. Ja, Großmutter! ich will gewiß recht thun und ihm folgen. Die Mutter. Rudelj! Der Vater im Him- mel, zu dem ich jezt bald kommen werde, sieht und hoͤrt alles, was wir thun und was wir ver- sprechen! Gelt Rudelj, du weißst das? und du glaubst es. Rudeli. Ja, Großmutter! ich weiß es, und glaube es. Die Mutter. Aber warum hast du denn doch gestern hinter meinem Bette verstohlen Erdaͤpfel ge- gessen? Rudeli. Verzeih mir’s doch, Großmutter! ich will’s nicht mehr thun. Verzeih mir’s doch, ich will’s gewiß nicht mehr thun. Großmutter! Die Mutter. Hast du sie gestohlen? Rudeli. (Schluchzend) j. j. ja, Großmutter! Die Mutter. Wem hast du sie gestohlen? Rudeli. Dem Maͤu-Maͤu-Maͤurer. Die Die Mutter. Du mußst zu ihm gehen, Ru- deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe. Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich darf nicht! Die Mutter. Du mußst, Rudeli! damit du es ein andermal nicht mehr thust. Ohne Wider- rede mußst du gehen! und um Gottes willen, mein Lieber! wenn dich schon hungert, nimm doch nichts mehr. Gott verlaͤßt niemand; er gibt allemal wieder — O Rudeli! wenn dich schon hungert; wenn du schon nichts hast und nichts weißst, traue auf deinen lieben Gott, und stihl nicht mehr. Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will gewiß nicht mehr stehlen; wenn mich schon hun- gert; ich will nicht mehr stehlen. Die Mutter. Nun so segne dich denn mein Gott! auf den ich hoffe — und er bewahre dich du Lieber! Sie druͤckt ihn an ihr Herz, weinet und sagt dann: Du mußst jezt zum Maͤurer gehen und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm — und sag des Maͤurers, daß auch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid sey, daß ich ihnen die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne — sage ihnen ich wollte Gott fuͤr sie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges segne — Es thut mir so wehe — Sie haben das Ihrige auch so noͤthig — und wenn die Frau nicht so Tag und Nacht arbeitete, sie koͤnn- tens bey ihrer grossen Haushaltung fast nicht er- machen. machen. Rudi! du arbeitest ihm gern ein paar Tage dafuͤr, daß er das Seinige wieder erhalte. Rudi. Ach mein Gott! von Herzen gern, meine liebe Mutter! Da er eben das sagte, klopfte der Vogt ans Fenster. §. 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich. U nd die Kranke erkannte ihn an seinem Husten, und sagte: O Gott! Rudi! Es ist der Vogt! Ge- wiß sind das Brod und der Anken, wovon du mir Suppen kochest, noch nicht bezahlt. Rudi. Um Gottes willen, bekuͤmmere dich nicht, Mutter! Es ist nichts daran gelegen. Ich will ihm arbeiten und in der Ernde schneiden, was er will. Ach! er wartet dir nicht, sagt die Mutter, und der Rudi geht aus der Stube zum Vogt. Die Kranke aber seufzet bey sich selber, und sagt — Seit unserm Handel, Gott verzeih ihn dem armen verblendeten Tropf! ist mir immer ein Stich in’s Herz gegangen, wenn ich ihn sah — G Ach Ach Gott! und in meiner nahen Stunde muß er noch vor mein Fenster kommen und husten — Es ist Gottes Wille, daß ich ihm ganz, daß ich ihm jezt verzeihe, und den letzten Groll uͤberwinde, und fuͤr seine Seele bete. Ich will es thun. Gott du leitetest den Handel! Verzeih ihm. Vater im Himmel! Verzeih ihm. Sie hoͤrt jezt den Vogt laut reden, erschrickt und sagt: Ach Gott, er ist zornig! O du armer Rudi! Du kommst um meinetwillen unter seine Haͤnde. Sie hoͤrt ihn noch einmal reden, und sinkt in Ohnmacht. Der Rudeli springt aus der Stube zum Va- ter und ruft ihm: Vater! Komm doch, komm doch! die Großmutter ist glaub ich todt. Der Rudi antwortete: Herr Jesus! Vogt ich muß in die Stube. Und der Vogt: Ja es thut Noth; das Un- gluͤck wird gar groß seyn, wenn die Hexe einmal todt seyn wird. Der Rudi hoͤrte nicht, was er sagte, und war schnell in der Stube. Die Kranke erholte sich bald wieder, und wie sie die Augen oͤffnete, sagte sie: Er war zornig, Rudi? Er will dir gewiß nicht warten. Rudi. Nein Mutter! es ist etwas recht Gu- tes. Aber hast du dich auch wieder recht er- holet? Ja, Ja, sagt die Mutter! sieht ihn ernsthaft und wehmuͤthig an. Was Gutes kann dieser bringen? Was sagst du? willst du mich troͤsten, und allein leiden? Er hat dir gedrohet! Rudi. Nein, weiß Gott, Mutter! er hat mir angesagt, ich sey Tagloͤhner beym Kirchbau; und der Junker zahle einem des Tags 25 Kreuzer. Die Mutter. Herr Gott! ist das auch wahr? Rudi. Ja gewiß, Mutter! und es ist da mehr als fuͤr ein ganzes Jahr Arbeit. Die Mutter. Nun ich sterbe leichter, Rudi! Du bist gut, mein lieber Gott. Sey doch bis an ihr Ende ihr guter Gott! Und Rudi, glaub’s doch ewig vest: Je groͤsser Noth, Je naͤher Gott. Sie schwieg jezt eine Weile; dann sagte sie wieder: Ich glaube, es sey mit mir aus — Mein Athem nimmt alle Augenblicke ab — Wir muͤssen scheiden, Rudi, ich will Abschied nehmen. Der Rudi bebt, zittert, nimmt seine Kappe ab, faͤllt auf seine Knie, vor dem Bette seiner Mutter, faltet seine Haͤnde, hebt seine Augen gen Himmel, und kann vor Thraͤnen und Schluch- zen nicht reden. Dann sagt die Mutter: Fasse Muth, Rudi! zu hoffen auf’s ewige Leben, wo wir uns wieder G 2 sehn sehn werden. Der Tod ist ein Augenblick, der voruͤber geht; ich fuͤrchte ihn nicht. Ich weiß, daß mein Erloͤser lebt, und daß er, mein Erret- ter, wird uͤber meinen Staub stehen; und nach- dem sich meine Haut wiederum wird uͤber das Gebein gezogen haben; alsdann werde ich in mei- nem Fleisch Gott sehen. Meine Augen werden ihn sehen, und nicht eines andern. Der Rudi hatte sich jezt wieder erholt, und sagte: so gieb mir deinen Segen Mutter! Will’s Gott komme ich dir auch bald nach, ins ewige Leben. Und dann die Mutter: Erhoͤre mich, Vater im Himmel! und gieb deinen Segen meinem Kind — meinem Kind, dem Einigen, so du mir gegeben hast, und das mir so innig lieb ist — Rudi! mein Gott und mein Er- loͤser sey mit dir; und wie er Isaak und Jacob um ihres Vaters Abrahams willen Gutes gethan hat, ach! so moͤge er auch, um meines Segens wil- len, dir Gutes thun die Fuͤlle; daß dein Herz sich wieder erfreue und frohlocke, und seinen Namen preise. Hoͤre mich jezt, Rudi! und thue, was ich sage. Lehre deine Kinder Ordnung und Fleiß, daß sie in der Armuth nicht verlegen, unordentlich und lie- derlich werden. Lehre sie auf Gott im Himmel trauen und bauen, und Geschwister an einander blei- ben ben in Freude und Leid: so wird’s ihnen auch in ihrer Armuth wohlgehen. Verzeihe auch dem Vogt, und wenn ich todt und begraben seyn werde, so geh zu ihm hin, und sage ihm: ich sey mit einem versoͤhnten Herze gegen ihn gestorben; Und wenn Gott meine Bitte er- hoͤre, so werde es ihm wohlgehen, und er werde noch zur Erkenntniß seiner selbst kommen, ehe er von hinnen scheiden werde. Nach einer Weile sagte dann die Mutter wieder: Rudi! Gieb mir meine zwo Bibeln, mein Gebetbuch und eine Schrift, die unter meinem Halstuch in einem Schaͤchtelchen liegt. Und Rudi stand von seinen Knien auf, und brachte alles der Mutter. Da sagte sie: Bring mir jezt auch die Kinder alle. Er brachte sie vom Tisch, wo sie sassen und weinten, zu ihrem Bett. Und auch diese fielen auf ihre Knie vor dem Bette der Mutter. Da sagte sie zu ihnen: Weinet nicht so, ihr Lieben! Euer Vater im Himmel wird euch er- halten, und euch segnen. Ihr waret mir lieb, ihr Theuern! und es thut mir weh, daß ich euch so arm und ohne eine Mutter verlassen muß. — Aber hoffet auf Gott, und trauet auf ihn in allem, was euch begegnen wird; so werdet ihr an ihm G 3 immer immer mehr als Vaterhuͤlfe und Muttertreue fin- den. Denket an mich, ihr Lieben! ich hinterlasse euch zwar nichts; aber ihr waret mir lieb, und ich weiß, daß ich euch auch lieb bin. Da meine Bibeln und mein Gebetbuch, sind fast alles, was ich noch habe; aber haltet es nicht gering, Kinder! Es war in meinem schweren Le- ben mir tausendmal Trost und Erquickung. Las- set Gottes Wort euch euern Trost seyn, Kinder! und euere Freude; und liebet einander, und helfet und rathet einander, so lang ihr leben werdet; und seyd aufrichtig, treu, liebreich und gefaͤllig gegen alle Menschen, so wird’s euch wohl gehen im Leben. Und du, Rudi! behalte dem Betheli die groͤs- sere, und dem Rudeli die kleinere Bibel; und dem Kleinen die zwey Betbuͤcher zum Angedenken von mir. Ach, dir habe ich keines, Rudi! Aber du hast keines noͤthig: du vergissest meiner nicht. Dann ruft sie noch einmal dem Rudeli: Gieb mir deine Hand, du Lieber! Gelt, du nimmst doch niemand nichts mehr? Nein doch auch, Großmutter! glaub mir’s doch auch: ich werde gewiß niemand nichts neh- men, sagte der Rudeli, mit heissen Thraͤnen. Nun ich will dir’s glauben, und zu Gott fuͤr dich beten, sagte die Mutter. Sieh Lieber! da geb ich deinem deinem Vater ein Papier, das mir der Herr Pfar- rer gab, bey dem ich diente. Wenn du aͤlter seyn wirst: so lies es, und denk an mich, und sey fromm und treu. Es war ein Zeugniß von dem verstorbenen Pfar- rer in Eichstaͤtten, daß die kranke Cathrine zehn Jahre bey ihm gedienet, und ihm so zu sagen geholfen haͤtte, seine Kinder erziehen, nachdem seine Frau ihm gestorben war; daß der Cathrine alles anver- traut gewesen sey, und daß sie alles wohl so sorg- faͤltig als seine Frau sel. regiert habe. Der Pfar- rer dankt ihr darum, und sagt: daß sie wie eine Mutter an seinen Kindern gehandelt habe; und daß er in seinem Leben nicht vergessen werde, was sie in seinem Witwenstand an ihm gethan habe. Sie hatte auch wirklich ein betraͤchtli- ches Stuͤck Geld in diesem Dienst erworben, und solches ihrem sel. Mann an die Matte gege- ben, die der Vogt ihnen hernach wieder abproces- siert hat. Nachdem sie dem Rudi dieses Papier gegeben hatte, sagte sie ferner — Es sind noch zwey gute Hemder da. Gieb mir keines von diesen ins Grab; das, so ich trage, ist recht. Und meinen Rock und meine zwey Fuͤrtuͤcher lasse, so bald ich todt seyn werde, den Kindern ver- schneiden. G 4 Und Und dann sagte sie bald darauf: Siehe doch sorg- faͤltig zum Betheli, Rudi! es ist wieder so fluͤßig. Halte die Kinder doch immer rein mit Waschen und Strehlen, und suche ihnen doch alle Jahr Ehren- preis und Hollunder (Holder) Schweizernamen von blutreinigenden Kraͤutern. , ihr Gebluͤt zu verbessern; sie sind so verderbt. Wenn du’s immer kannst, so thue doch ihnen eine Geiß zu den Sommer durch, das Bethelj kann sie jezt huͤten — Du dauerst mich, daß du so alleine bist; aber fasse Muth, und thue, was du kannst. Der Verdienst an dem Kirchbau erleichtert dich jezt auch wieder — Ich danke Gott auch fuͤr dieses. Die Mutter schwieg jezt — und der Vater und die Kinder blieben noch eine Weile auf ihren Knien, und der Vater und die Kinder beteten alle Gebete, die sie konnten. Dann stuhnden sie auf von ihren Knien, und Rudi sagt zu der Mutter: Mutter! ich will dir jezt auch das Laub in die Decke holen. Sie antwortete: Das hat jezt nicht Eil, Rudi! Es ist, Gott Lob! jezt waͤrmer in der Stube; Und du mußst mit dem Kleinen jezt zum Maͤurer. Und der Rudi winkt dem Betheli aus der Stube, und sagt: Gieb auf die Großmutter acht, wenn ihr etwas begegnet, so schick das Anneli mir nach; ich werde bey des Maͤurers seyn. §. 18. §. 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤp- fel gestohlen hat, und die Kranke stirbt. U nd nahm dann den Kleinen an die Hand, und gieng mit ihm. Gertrud war allein bey Hause, als sie kamen, und sah bald, daß der Vater und der Knab Thraͤ- nen in den Augen hatten. Was willst du, Nachbar Rudi? Warum wei- nest du? warum weint der Kleine? fragte sie lieb- reich, und bot dem Kleinen die Hand. Ach, Gertrud! Ich bin in einem Ungluͤck, ant- wortete Rudi — Ich muß zu dir kommen, weil der Rudeli euch etliche mal aus eurer Grube Erd- aͤpfel genommen hat. Die Großmutter hat’s gestern gemerkt, und er hat’s ihr bekennt — Verzeih es uns, Gertrud! Die Großmutter ist auf dem Todbett. Ach, mein Gott! sie hat so eben Abschied bey uns ge- nommen. Ich weiß vor Angst und Sorge nicht, was ich sage. Gertrud! Sie laͤßt dich auch um Verzeihung bitten. Es ist mir leid, ich kann sie dir jezt nicht zu- ruͤck geben; aber ich will gern ein paar Tage kom- G 5 men men dafuͤr zu arbeiten. Verzeih’s uns! der Knabe hat’s aus dringendem Hunger gethan. Gertrud. Schweig einmal hievon, Rudi! — Und du, lieber Kleiner! komm, versprich mir, daß du Niemand nichts mehr nehmen willst. Sie kuͤßt ihn, und sagt: Du hast eine brave Großmutter, werde doch auch so fromm und brav wie sie. Rudeli. Verzeih’ mir, Frau! Ich will, weiß Gott! nicht mehr stehlen. Gertrud. Nein, Kind! thue es nicht mehr; du weissest jezt noch nicht, wie elend und ungluͤcklich alle Dieben werden. Thue es doch nicht mehr! Und wenn dich hungert, komm lieber zu mir und sag’ es mir. Wenn ich kann, ich will dir etwas geben. Rudi. Ich danke Gott, daß ich jezt bey der Kirche zu verdienen habe, und hoffe, der Hun- ger werde ihn nun auch nicht mehr so bald zu so etwas verleiten. Gertrud. Es hat mich und meinen Mann ge- freut, daß der Junker mit dem Verdienst auch an dich gedacht hat. Rudi. Ach! es freuet mich, daß die Mutter noch den Trost erlebt hat. Sage doch deinem Mann, ich wolle ihm ehrlich und treu arbeiten, und fruͤh und spaͤt seyn; und ich wolle mir die Erdaͤpfel doch auch herzlich gern am Lohn abziehen lassen. Ger- Gertrud. Von dem ist keine Rede, Rudi! Mein Mann thut das gewiß nicht. Wir sind, Gott Lob! durch den Bau jezt auch erleichtert. Rudi! Ich will mit dir zu deiner Mutter gehn, wenn es so schlimm ist. Sie fuͤllt dem Rudeli seinen Sack mit duͤrrem Obst — sagt ihm noch einmal: Du Lieber! nimm doch Niemand nichts mehr; und geht dann mit dem Rudi zu seiner Mutter. Und als er unter einem Nußbaum Laub zusam- men las, die Decke ihres Betts besser zu fuͤllen, half ihm Gertrud Laub aufsammeln, und dann eil- ten sie zu ihr hin. Gertrud gruͤßte die Kranke, nahm ihre Hand- und weinte. Du weinest, Gertrud! sagte die Großmutter; wir sollten weinen. Hast du uns verziehen? Gertrud. Ach! was verziehen. Cathrine! Eure Noth geht mir zu Herzen, und noch mehr deine Guͤte und deine Sorgfalt. Gott wird deine Treue und deine Sorgfalt gewiß noch an den Dei- nigen segnen, du Gute! Cathrine. Hast du uns verziehen, Gertrud? Gertrud. Schweig doch hievon, Cathrine! Ich wollte, ich koͤnnte dich in etwas in deiner Krank- heit erleichtern. Cathrine. Du bist gut, Gertrud! Ich danke dir; aber Gott wird bald helfen — Rudeli! Hast du du sie um Verzeihung gebeten? Hat sie’s dir ver- ziehen? Rudeli. Ja, Großmutter! sieh doch, wie gut sie ist. (Er zeigt ihr den Sack voll duͤrr Obst.) Wie ich schlummere, sagte die Großmutter. Hast du sie auch recht um Verzeihung gebeten? Rudeli. Ja, Großmutter! Es war mir ge- wiß Ernst. Cathrine. Es uͤbernimmt mich ein Schlummer, und es dunkelt vor meinen Augen — Ich muß ei- len, Gertrud! sagte sie leise und gebrochen — Ich wollte dich doch noch etwas bitten; aber darf ich? Dieses ungluͤckliche Kind hat dir gestohlen — darf ich dich doch noch bitten, Gertrud — wenn — — ich — — todt seyn — — — diesen armen — — ver- lasse--nen Kindern — — sie sind so verlassen — — Sie streckt die Hand aus — (die Augen sind schon zu) darf ich — — hoffen — — folg ihr — — — Rud — — — Sie verschied, ohne ausreden zu koͤnnen. Der Rudi glaubte, sie sey nur entschlafen, und sagte den Kindern: Rede keines kein Wort; sie schlaͤft; wenn sie sich auch wieder erholte! Gertrud aber vermuthete, daß es der Tod sey, und sagt es dem Rudi. Wie jezt dieser und wie alle Kleinen die Haͤnde zusammen schlugen und trostlos waren, das kann ich nicht beschreiben — Leser — Laß mich schweigen und wei- weinen, denn es geht mir an’s Herz — wie die Menschheit im Staube der Erden zur Unsterblichkeit reifet, und wie sie im Prunk und Tand der Erden unreif verwelket. Wege doch, Menschheit! wege doch den Werth des Lebens auf dem Todbette des Menschen — und du, der du den Armen verachtest, bemitleidest, und nicht kennest — sage mir, ob der also sterben kann, der ungluͤcklich gelebt hat? Aber ich schweige; ich will euch nicht lehren, Menschen! Ich haͤtte nur diß gern, daß ihr selber die Augen aufthaͤtet, und selbst umsaͤhet, wo Gluͤck und Ungluͤck, Segen und Unsegen in der Welt ist. Gertrud troͤstete den armen Rudi, und sagte ihm noch den letzten Wunsch der edeln Mutter, den er in seinem Jammer nicht gehoͤrt hatte. Der Rudi nimmt treuherzig ihre Hand — Wie mich die liebe Mutter reuet! wie sie so gut war! Gertrud! gelt, du willst auch an ihre Bitte den- ken? Gertrud. Ich muͤßte ein Herz haben wie ein Stein, wenn ich’s vergessen koͤnnte. Ich will an deinen Kindern thun, was ich kann. Rudi. Ach! Gott wird dir’s vergelten, was du an uns thun wirst. Gertrud kehret sich gegen das Fenster, wischt ihre Thraͤnen vom Angesicht, hebt ihre Augen gen Himmel, seufzet, nimmt dann den Rudeli und seine Ge- Geschwister, eins nach dem andern mit warmen Thraͤnen, besorgt die Todte zum Grabe, und geht erst, nachdem sie alles, was noͤthig war, gethan hatte, wieder in ihre Huͤtte. §. 19. Guter Muth troͤstet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur. D er Untervogt, der zuerst zu Rudi gegangen war, gieng von ihm weg zu den uͤbrigen Tagloͤhnern, und zuerst zu Jogli Baͤr. Dieser spaltete eben Holz, sang und pfiff beym Scheitstock; als er aber den Vogt sah, machte er grosse Augen: Wenn du Geld willst, Vogt! so ist nichts da. Vogt. Du singst und pfeifst ja wie die Voͤ- gel im Hanfsamen; wie koͤnnt’s dir am Geld feh- len? Baͤr. Wenn Heulen Brod gaͤbe, ich wuͤrde nicht pfeifen; aber im Ernst, was willst du? Vogt. Nichts, als dir sagen, du seyst Hand- langer beym Kirchbau, und habest des Tags fuͤnf und zwanzig Krenzer. Baͤr. Ist das auch wahr? Vogt. Vogt. Im Ernst. Du sollst am Montag ins Schloß kommen. Wenn’s Ernst ist, so sag ich schuldigen Dank, Herr Untervogt! da siehest du jezt, warum ich heute singen und pfeifen mag. Lachend gieng der Vogt von ihm weg, und sagte im Gehen: Keine Stunde in meinem Leben ist mir so wohl als diesem Bett- ler. Der Baͤr aber gieng in seine Stube zu seinem Weib. Ha, nur immer gutes Muths! Unser lie- ber Herr Gott meynt’s immer noch gut, Frau! ich bin Tagloͤhner am Kirchbau. Frau. Ja, es wird lange gehen, bis es an dich kommen wird. Du hast immer den Sack voll Trost; aber nie Brod. Baͤr. Das Brod soll nicht fehlen, wenn ich einst den Taglohn haben werde. Frau. Aber der Taglohn kann fehlen. Baͤr. Nein, mein Sack nicht. Arner zahlt die Tagloͤhner brav; das wird nicht fehlen. Frau. Spassest du; oder ist’s wahr mit dem Bau? Baͤr Der Vogt kommt so eben und sagte: Ich muͤsse am Montag mit den Tagloͤhnern, die an der Kirche arbeiten, ins Schloß; also kann’s doch nicht wohl fehlen. Frau. Das waͤr doch auch. Gott Lob! wenn ich einst eine ruhige Stunde hoffen koͤnnte. Baͤr. Baͤr. Du sollt deren noch recht viele haben; ich freue mich wie ein Kind darauf. Du bist denn auch nicht mehr boͤs, wenn ich munter und lustig heim komme; ich will dir den Wochenlohn alle- mal bis auf den Kreuzer heimbringen, so bald ich ihn haben werde. Es wuͤrde mich nicht mehr freuen zu leben, wenn ich nicht hoffen duͤrfte, es werde auch noch eine Zeit kommen, in der du mit Freuden denken werdest, du habest doch einen braven Mann. Wenn schon dein Guͤttlein in meinen armen Haͤnden so stark abgenommen hat. Verzeih mir’s, wills Gott bring ich noch was rechtes davon wieder ein. Frau. Dein guter Muth machet mir Freu- de; aber ich denke und fuͤrchte doch immer, es sey Liederlichkeit. Baͤr. Was versaͤume ich dann? oder was verthue ich! Frau. Ich sage das eben nicht: aber es ist dir nie schwer, wenn schon kein Brod da ist. Baͤr. Aber kommt denn Brod, wenn ich mich graͤme? Frau. Ich kann’s in Gottes Namen nicht aͤndern, mir ist einmal immer schwer. Baͤr. Fasse Muth, Frau! und muntre dich auf, es wird dir wohl auch wieder leichter werden. Frau. Ja, jezt hast du auch keinen ganzen Rock am Montag ins Schloß. Baͤr. Baͤr. O, so gehe ich mit dem Halben. Du hast immer Sorgen, sagte er: gieng sodann wieder zu seinem Scheitstock, und spaltete Holz, bis es dunkel wurd. Von diesem weg geht der Vogt zu Laͤupi, der war nicht bey Hause; da sagte er es dem Huͤgli, seinem Nachbar, und gieng dann zu Hans Lee- mann. §. 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz, hat den Mann zum Muͤssiggang ver- fuͤhrt. E r stuhnd vor seiner Hausthuͤre, gaffte umher; sah den Vogt von ferne, sagte zu sich selber: Da gibt’s was Neues, und rief ihm: Wo hinaus, Herr Untervogt! so nahe auf mich zu? Vogt. So gar zu dir selber, Leemann. Leemann. Das waͤr mir viel Ehre, Vogt! aber sage doch: was macht des Maͤurers Frau? Thut sie ihren Mund noch so weit auf, wie vor- gestern auf dem Kirchhof; das war eine Hexe, Vogt! H Vogt. Vogt. Du kannst so was sagen, du! Du bist jezt Handlanger bey ihrem Mann. Leemann. Weissest sonst nichts Neues? daß du so mit dem kommst. Vogt. Nein, es ist mir Ernst; und ich komme auf Befehl aus dem Schloß, es dir anzusagen. Leemann. Wie komm’ ich zu dieser Ehre? Herr Untervogt! Vogt. Es duͤnkt mich im Schlaf. Leemann. Ich werde wohl darob erwachen, wenn’s wahr ist. Um welche Zeit muß man an die Arbeit? Vogt. Ich denk’, am Morgen. Leemann. Und am Abend denkst du auch wieder davon. Wie viel sind unser, Herr Unter- vogt! Vogt. Es sind zehen. Leemann. Sag mir doch, es wundert mich, welche? Der Vogt sagt ihm einen nach dem andern daher. Zwischen ein fragt Leemann mehr als von zwanzigen; der nicht, der auch nicht? Ich ver- saͤume mich, sagte endlich der Vogt, und geht weiter. §. 21. §. 21. Undank und Neid. V on ihm weg, geht der Vogt zu Joͤgli Lenk. Dieser lag auf der Ofenbank, er rauchte seine Pfeife; die Frau spinnte, und fuͤnf halb nackende Kinder lagen auf dem Ofen. Der Vogt sagt ihm kurz den Bericht. Lenk nimmt die Pfeife aus dem Mnnde , und antwor- tet: Das ist wohl viel, daß auch einmal etwas Gutes an mich kommt. Sonst war ich, so lang ich lebe, vor allem Guten sicher. Vogt. Lenk! eben noch viel Leute, denk ich, mit dir. Lenk. Ist mein Bruder auch unter den Tag- loͤhnern? Vogt. Nein. Lenk. Wer sind die andern. Der Vogt nennet sie. Lenk. Mein Bruder ist doch ein viel besserer Arbeiter, als der Rudi, der Baͤr und der Marxt; vom Kriecher mag ich nicht reden. Es ist bey Gott ausser mir kein einziger, unter allen zehen, nur ein halb so guter Arbeiter, als er. Vogt! koͤnn- test du nicht machen, daß er auch kommen muͤßte. H 2 Ich Ich weiß nicht, sagt der Vogt: bricht das Ge- spraͤch ab, und geht. Die Frau bey der Kunkel schwieg so lange der Vogt da war; aber das Gespraͤch that ihr im Her- zen weh; und so bald der Vogt fort war, sagte sie dem Mann. Du bist undankbar gegen Gott und Menschen. Da dir Gott in der tiefsten Noth Huͤlfe und Rath zeigt, verleumdest du deine Nachbaren, denen Gott eben das Gute thut, das er dir thun will. Lenk. Ich werde meinen Batzen verdienen muͤssen, und ihn eben nicht umsonst bekommen. Frau. Aber bis jezt hattest du gar nichts zu verdienen. Lenk. Aber auch keine Muͤhe! Frau. Und deine Kinder kein Brod. Lenk. Aber ich, was hatte ich mehr als ihr? sagte der Limmel. Die Frau schwieg, und weinte bittere Thraͤnen. §. 22. §. 22. Die Qualen des Meyneids lassen sich nicht mit spitzfuͤndigen Kuͤnsten er- sticken. V om Lenk weg, geht der Vogt zum Kriecher, und trifft im Dahingehen unversehens den Hans Wuͤst an. Wenn er ihn von ferne gesehn haͤtte, so wuͤrde er ihm ausgewichen seyn; denn seit des Rudi Han- del klopfte dem Vogt und dem Wuͤst beyden das Herz, wo sie einander antrafen; aber unversehens stieß der Vogt am Ecken von der Seitenstrasse beym untern Brunn hart auf diesen an. Bist du’s, sagte der Vogt? und ja, ich bin’s, antwortete Wuͤst. Vogt. Warum kommst du nicht mehr zu mir? und denkest auch gar nicht an das Geld, das ich dir geliehen habe. Wuͤst. Ich habe jezt kein Geld. Und wenn ich zuruͤck denke, so fuͤrchte ich, es sey nur zu theuer bezahlt, dein Geld. Vogt. Du redetest doch nicht so, da ich dir’s gab, Wuͤst! und so ist doch boͤs dienen. H 3 Wuͤst. Wuͤst. Ja, dienen, das ist etwas: aber die- nen, daß einem hernach auf Gottes Erdboden keine Stunde mehr wohl ist, das ist etwas anders. Vogt. Rede nicht so, Wuͤst! Du hast nichts ausgesagt, als was wahr ist. Wuͤst. Du sagst freylich das immer: Aber immer ist mir in meinem Herzen, ich habe falsch geschworen. Vogt. Das ist nicht wahr, Wuͤst! es ist auf meine Seele nicht wahr. Du beschwurest nur, was dir vorgelesen wurde, und das war unverfaͤnglich geschrieben. Ich habe dir’s mehr als hundertmal vorgelesen, und du sahst es ein, wie ich, und sag- test mir allemal: ja, dazu kann ich schwoͤren! War das nicht ehrlich und gerade zu? Was willst du jezt mit deinem hinten nach Graͤmen? Aber es ist dir nur um die Schuld; du denkest, wenn du so redest, ich warte dir noch laͤnger. Wuͤst. Nein, Vogt! da irrest du. Wenn ich das Geld haͤtte, so wuͤrde ich es dir in diesem Au- genblick hinwerfen, damit ich dich nicht wieder sehe; denn mein Herz klopft mir, so oft ich dich erblicke. Du bist ein Narr, sagte der Vogt: aber auch ihm klopfte das Herz. Wuͤst. Ich sah es auch lang an, wie du vorsagtest; aber es gefiel mir doch grad im An- fange fange nicht; daß es mich duͤnkte, der Junker habe so geredt, als ob er’s anders verstanden haͤtte. Vogt. Es geht dich ganz und gar nichts an, was der Junker muͤndlich geredt hat. Du schwurst nur auf den Zedel, den man dir vorlas. Wuͤst. Aber er hat doch darauf geurteilt, wie er ihn muͤndlich verstanden hat. Vogt. Wenn der Junker ein Narr war, so sehe er zu, was geht das dich an? Er hatte ja den Zedel vor sich. Und wenn er ihm nicht deutlich gewesen waͤre, so haͤtte er ihn ja anders schreiben lassen koͤnnen. Wuͤst. Ich weiß wohl, daß du mir es alle- mal wieder ausreden kannst. Aber das macht mir nicht wohl im Herzen; und auf die Communion ist mir immer gar zu entsetzlich, daß ich versinken moͤchte. Vogt! O, daß ich dir nie schuldig gewesen waͤre! O, daß ich dich nie gekannt haͤtte, oder daß ich ge- storben waͤre am Tage, ehe ich den Eid that. Vogt. Aber um Gottes willen, Wuͤst! Quaͤle dich nicht so; es ist Narrheit. Denke doch nur auch allen Umstaͤnden nach; wir giengen be- daͤchtlich; in deiner Gegenwart fragte ich den Vi- cari, deutlich und klar: Muß dann der Wuͤst et- was anders beschwoͤren, als im Zedel steht? sagt es ihm doch, er versteht es nicht recht. Weissest du noch, was er geantwortet? Wuͤst. Ja, aber dann ist’s — — H 4 Vogt. Vogt. Ha, er sagte doch mit ausdruͤcklichen Worten: Der Wuͤst muß kein Haar mehr beschwoͤ- ren, als im Zedel steht. Sagte er nicht genau diese Worte? Wuͤst. Ja, aber dann ist’s, wann er das ge- sagt hat! Vogt. Was aber dann ist’s? Ist dir das auch nicht genug! Wuͤst. Nein, Vogt! ich will nur heraus re- den, es muß doch seyn. Der Vicari war dir schuldig, wie ich; und du weissest, was er fuͤr ein Held war, und wie er allen Huren nachzog. Es mag mich also wenig troͤsten, was so ein leichtsinni- ger Tropf zu mir sagte. Vogt. Sein Leben geht dich nichts an; aber die Lehre verstuhnd er doch: das weissest du. Wuͤst. Nein, ich weiß das nicht: aber das weiß ich, daß er nichts taugte. Vogt. Aber das geht dich nichts an. Wuͤst. Ha, es ist mit dem so; wenn ich einen Menschen in einem Stuͤck als sehr schlimm und gottlos kenne, so darf ich ihm in allem andern eben auch nicht viel Gutes zutrauen. Deshalben fuͤrchte ich, der Taugenichts, dein Herr Vicari, habe mich eingeschlaͤfert, und das wuͤrde mich denn doch so etwas angehn. Vogt. Laße diese Gedanken fahren, Wuͤst! Du schwurst auf nichts, als was wahr war. Wuͤst. Wuͤst. Ich dachte lang auch so: aber es ist aus; ich kann mein Herz nicht mehr bedoͤhren. Der arme Rudi! wo ich gehe und stehe, sehe ich ihn vor mir. Der arme Rudi! wie er im Elend und Hunger und Mangel gegen mich zu Gott seufzet. O! o seine Kinder, sie serben, sind gelb, krumm und schwarz, wie Zigeuner. Sie waren schoͤn und bluͤheten wie Engel, und mein Eid brachte sie um ihre Matte. Vogt. Ich hatte Recht, es war, wie ich sagte: und jezt hat der Rudi Arbeit am Kirchbau, daß er auch wieder zurecht kommt. Wuͤst. Was geht das mich an: haͤtte ich nicht geschworen, mir wuͤrde gleich viel seyn, ob der Rudi reich waͤre, oder ein Bettler. Vogt. Laß dich doch das nicht anfechten! ich hatte Recht. Wuͤst. Nicht anfechten? — Ja, Vogt! Haͤtte ich ihm sein Haus erbrochen, und all sein Gut gestohlen, es wuͤrde mir noch besser zu Muthe seyn. O, Vogt! daß ich das gethan habe. O, o! Es ist wieder bald heilige Zeit! O, waͤr ich doch tausend Klafter unter dem Boden! Vogt. Um Gottes willen, Wuͤst! thue doch nicht so auf der offenen Strasse vor den Leuten, wenn’s auch jemand hoͤrte! Du plagest dich mit deiner Dummheit: Alles, was du schwurst, ist wahr! H 5 Wuͤst. Wuͤst. Dummheit hin, und Dummheit her. Haͤtte ich nicht geschworen, so haͤtte der Rudi noch seine Matte. Vogt. Aber du hast sie ihm doch nicht ab- gesprochen, und mir hast du sie nicht zuerkannt? Was geht’s also in’s Teufels Namen zuletzt dich an, wem die Matte sey. Wuͤst. Nichts geht’s mich an, wem die Mat- ten sey; aber daß ich falsch geschworen habe, das geht mich leider, Gott erbarm, an. Vogt. Aber das ist nicht wahr, du hast nicht falsch geschworen; das, worauf du schwurst, war wahr. Wuͤst. Aber das ist nur verdreht: ich sagte dem Junker nicht, wie ich die Schrift verstuhnd; und er verstuhnde sie anders, du magst sagen, was du willst. Ich weiß! ich empfinde es in mir selber. Ich war ein Judas und ein Verraͤther; und mein Eid, Worte hin und Worte her, war Meyneid. Vogt. Du dauerst mich, Wuͤst! mit deinem Unverstand; aber du bist krank: du siehst ja aus, wie wenn du aus dem Grabe kaͤmest; und wenn’s einem nicht wohl ist, so sieht man alles anders an, als es ist. Beruhige dich, Wuͤst! Komm mit mix heim, und trink ein Glas Wein mit mir! Wuͤst. Ich mag nicht, Vogt! mich erquickt nichts mehr auf Erden. Vogt. Vogt. Beruhige dich, Wuͤst! Schlag es doch jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder gesund seyn wirst. Du wirst dann wohl wieder sehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand- schrift zerreissen, es macht dich vielleicht auch ruhiger. Wuͤst. Nein, Vogt! Behalte die Handschrift. Sollte ich vor Hunger mein Fleisch fressen, so werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein Blutgeld auf meine Seele. Hast du mich betro- gen, hat mich der Vicari eingeschlaͤfert, so wird vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht, daß es so kommen wuͤrde. Vogt. Nimm diese Handschrift, Wuͤst! sieh, ich zerreisse sie vor deinen Augen, und ich nehme es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig! Wuͤst. Nimm auf dich, was du willst, Vogt! ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver- kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die Schuld zahlen. Vogt. Besinne dich eines Bessern, du irrest dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal weiter. Wuͤst. Gott Lob! daß du gehst; bliebest du laͤnger, ich wuͤrde ausser mir selber kommen vor deinen Augen. Vogt. Beruhige dich, Wuͤst, in Gottes Namen! Sie giengen jetzt von einander. Der Der Vogt aber, da er allein war, mußte, so sehr er auch nicht wollte, doch bey sich selber auch seufzen, und sagte: daß mir jezt auch das noch hat begegnen muͤssen; ich hatte doch heut sonst genug. Er verhaͤrtete sich aber bald wieder, und sagte dann weiter: Der arme Schelm dauert mich, wie er sich plagt! Aber er hat nicht Recht, es geht ihn nichts an, wie ihn der Richter verstanden hat. Der Teufel moͤchte Eide schwoͤren, wenn man den Sinn so genau und so scharf heraus klauben wollte. Ich weiß auch, wie andere Leute, und eben die, so das am besten verstehn muͤssen, den Eid nach ihren Auslegungen nehmen, und ruhig sind; wo ein jeder anderer armer Schelm, der wie der Wuͤst denkt, meynen muͤßte, er saͤhe mit seinen Augen Sonnen- klar daß sie ihn verdrehen; und doch wollte ich, ich haͤtte diese Gedanken jezt aus dem Kopf, sie ma- chen mich verdruͤßlich. Ich will zuruͤck und ein Glas Wein trinken. So sagte er, und that treulich, was er gesagt hatte. §. 23. §. 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau. E r gieng sodann zum Felix Kriecher. Das war ein Kerl, der immer umher gieng, wie die Gedult selbst, wenn sie im tiefsten Leiden schmachtet. Vor dem Scheerer, dem Vogt und dem Muͤller, und vor einem jeden Fremden buͤckte er sich so tief als vor dem Pfarrer! und diesem gieng er in alle Wo- chenpredigten und in alle Singstunden am Sonntag Abends. Dafuͤr erhielt er aber auch, dann und wann, ein Glas Wein, und durfte er zuweilen, wenn er recht spaͤth kam, und nahe genug zustuhnde, auch zum Nachtessen bleiben. Mit den Pietisten im Dorf aber kam er nicht zurecht, ob ers gleich sorgfaͤltig versuchte; denn er wollte um ihrentwillen es mit den andern auch nicht verderben. Und das geht bey den Pietisten nicht an; Sie leidens nicht an ihren Schuͤlern, daß sie auf beyden Achseln tragen; und so ward er, trotz allem Anschein von De- muth, trotz aller ausgelernten Heuchlerkunst, und trotz seines geistlichen Hochmuths, welches sonst alles bey den Pietisten gar wohl empfiehlt, ausge- schlossen. Neben Neben diesen aͤusserlichen und oͤffentlich bekann- ten Eigenschaften, hatte er auch noch einige andre, zwar nur zum stillen Gebrauch seines haͤuslichen Lebens; aber doch muß ich sie auch erzehlen. Er war mit seiner Frau und mit seinen Kin- dern ein Teufel. In der aͤussersten Armuth wuͤn- schet er immer etwas Gutes zu essen: und wenn er’s dann nicht hatte, so lag ihm alles nicht recht; bald waren die Kinder nicht recht gekaͤmmt, bald nicht recht gewaschen, und so tausenderley; und wenn er nichts fand zum Zanken, so sah ihn etwan das Kleine vierteljaͤhrige sauer an, dann gab er ihm tuͤchtig auf die kleinen Haͤnde, daß es Respect lerne. Du bist ein Narr! sagte ihm einst bey einem solchen Anlasse die Frau: und sie hatte freylich Recht, und nicht mehr als die reine Wahrheit geredt; aber er stiesse sie mit den Fuͤssen; sie wollte ent- fliehn, und fiel unter der Thuͤre zwey Loͤcher in den Kopf. Ob diesen Loͤchern ist der Nachbar er- schrocken, denn er dachte weislich in seinem Sinn: der zerschlagene Kopf koͤnne sein Leben ruchtbar machen. Und wie alle Heuchler im Schrecken sich bie- gen, und schmiegen und kruͤmmen, so kruͤmmte und schmiegte sich damals auch Kriecher; er bat die Frau auf seinen Knien, und um tausend Gotts- willen, willen, zwar nicht, daß sie es ihm verzeihe, sondern nur, daß sie es Niemand sage. Sie that es, und litte gedultig die Schmer- zen einer starken Verwundung, und sagte zum Scheerer und zu den Nachbaren, sie sey von der Buͤhne gefallen; diese glaubten ihr zwar nicht alle, und ach! die gute Frau! sie haͤtte es vorher denken sollen. Kein Heuchler war je dankbar, kein Heuch- ler haͤlt sein Wort, sie haͤtte ihm also nicht glau- ben sollen. Doch was sage ich! sie hatte das alles wohl gewußt, aber dabey an ihre Kinder ge- dacht, und empfunden, daß Niemand als Gott sein Herz aͤndern koͤnne, und daß also alles Gerede unter den Leuten umsonst seyn wuͤrde; die brave Frau! Ach! daß sie nicht gluͤcklicher ist — O! daß ihr Herz alle Tage Kraͤnkungen von ihm leiden muß. Sie schweigt und betet zu Gott, und dankt ihm fuͤr die Pruͤfungen der Leiden. O Ewigkeit! wenn du einst enthuͤllest die Wege Gottes! und den Segen der Menschen, die Gott durch Leiden, Elend und Jammer, so in ihrem Innern Staͤrke, Gedult und Weisheit leh- ret. O Ewigkeit! wie wirst du die Gepruͤfte erhoͤhen, die du hier so erniedriget hast! Kriecher hatte das Loch im Kopf vergessen, fast ehe als es wieder geheilet war, und er ist immer der gleiche. Er kraͤnkt und plagt die Frau ohne Ursach und Anlaß, alle Tage, und er verbittert ihr das das Leben. Eine Viertelstunde ehe der Vogt kam, hatte die Katze die Oellampe vom Ofen herunter geworfen, und ein paar Tropfen giengen verloh- ren. Du Laster! haͤttest du sie besser versorgt, sagte er mit seiner gewoͤhnten Wuth zur Frau; du kannst jezt im Finstern sitzen, und das Feuer mit Kuͤhkoth anzuͤnden, du Hornvieh! Die Frau antwortete kein Wort; aber haͤufig flossen die Thraͤnen von ihren Wangen, und die Kinder in allen Ecken weinten wie die Mutter. So eben klopfte der Vogt an. Schweigt doch! um aller Liebe willen, schweigt doch! Was will’s geben, der Vogt ist vor der Thuͤre, sagt Kriecher; wischt den Kindern mit seinem Schnupftuch geschwind die Thraͤnen vom Backen; droht ihnen; Wenn eines nur noch much- zet, so sehet zu, wie ich’s zerhauen werde; oͤffnet dann dem Vogt die Thuͤre, buͤckt sich, und fragt ihn: was habt ihr zu befehlen, Herr Untervogt? Der Vogt sagt ihm kurz den Bericht. Kriecher aber, der bey der Thuͤre die Ohren spitzt, und Niemand mehr weinen hoͤrt, antwortet dem Vogt: kommt doch in die Stube, Herr Un- tervogt! ich will’s doch auch geschwind meiner lie- ben Frau sagen, wie ein grosses Gluͤck mir wider- fahre. Der Vogt geht mit ihm in die Stube, und Kriecher sagt seiner Frau: Der Der Herr Untervogt bringt mir eben die gluͤck- liche Botschaft, daß ich an dem Kirchbau Antheil habe, und das ist eine grosse Gnade, fuͤr die ich nicht genug danken kann. Die Frau antwortet: Ich danke Gott! (Ein Seufzer entfaͤhrt ihr.) Vogt. Fehlt deiner Frau etwas? Kriecher. Es ist ihr leider die Zeit her nicht gar wohl, Herr Untervogt! Seitwerts blickt er zornig und drohend gegen die Frau. Vogt. Ich muß wieder gehen. Gute Besse- rung, Frau! Frau. Behuͤt euch Gott, Herr Untervogt! Kriecher. Seyd doch auch so gut und danket dem Gnaͤdigen Herrn in meinem Namen fuͤr diese Gnade, wenn ich beten darf, Herr Untervogt! Vogt. Du kannst es selber thun. Kriecher. Ihr habt auch Recht, Herr Unter- vogt! Es war unverschaͤmt von mir, daß ich euch drum bat. Ich will naͤchster Tagen expreß ins Schloß gehn; es ist meine Schuldigkeit. Vogt. Am Montag Morgens gehn die an- dern alle, und ich denke, du werdest wohl mitgehn koͤnnen. Kriecher. Natuͤrlich, Herr Untervogt! Ja freylich. Ich wußte es nur nicht, daß sie auch giengen. J Vogt. Vogt. Behuͤt euch Gott, Kriecher! Kriecher. Ich sag euch schuldigen Dank, Herr Untervogt! Vogt. Du hast mir nichts zu danken. (Er geht.) Und sagt im Gehn zu sich selbst: Wenn der nicht den Teufel im Schild fuͤhrt, so treugt mich denn alles. Vielleicht waͤre das ein Mann, wie ich einen brauchte gegen den Maͤurer; aber wer will einem Heuchler trauen. Ich will den Schabenmi- chel lieber, der ist gerade zu ein Schelm. §. 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares Herz. V om Kriecher weg kommt der Vogt zu Aebi, dem juͤngern. Als dieser hoͤrte, was ihm begegnete, jauchzte er vor Freuden, und sprang auf, wie ein junges Rind am ersten Fruͤhlingstage auf der Weide aufspringt — Das will ich jezt auch meiner Frau sagen, daß sie sich recht freue. Ich warte bis morgen; es sind just morgen acht Jahre, daß sie mich nahm. Es war Josephstag, ich weiß es noch, wie wenn’s gestern waͤre. Wir haben seitdem manche saure, aber auch m an che ohe frohe Stunde gehabt. Gott sey Lob und Dank fuͤr alles. Aber ja morgen, so bald sie erwachen wird, will ich’s ihr dann sagen — Waͤr’s doch schon mor- gen! Es ist mir, ich sehe es jezt schon, wie sie weinen und lachen wird durch einander, und wie sie ihre Lie- ben und mich in ihrer Freude an’s Herz druͤcken wird. Ach! waͤr’s doch schon morgen! Ich toͤde das eine Huhn ihr zur Freude, und koch es, ohne daß sie’s merkt, in der Suppe; Es freut sie dann doch, wenn es sie schon reuet. Nein, ich mache mir kein Gewis- sen davor, es ist fuͤr diese Freude nicht Suͤnde — Ich thue es und toͤde es. Den ganzen Tag bleib ich daheim, und freue mich mit ihr und mit den Kindern — Nein, ich gehe mit ihr zur Kirche und zum Nachtmahl. Jauchzen und freuen wollen wir uns, und dem lieben Gott danken, daß er so gut ist — So redte der juͤngere Aebi in der Freude seines Herzens uͤber des Vogts gute Botschaft mit sich selber, und konnte vor Sehnsucht den Morgen fast nicht erleben, und that dann, was er eben ge- sagt hatte. J 2 §. 25. §. 25. Wie Schelmen mit einander reden. V om Aebi weg gieng der Vogt zum Schaben- michel. Dieser sieht ihn von ferne; winkt ihm in einen Ecken hinter das Haus, und fragt ihn: Was Teufels hast du? Vogt. Etwas Lustiges. Michel. Ja du bist der Kerl, den man schickt zu Hochzeiten, zum Tanz, und zum Lustigmachen einzuladen. Vogt. Es ist einmal nichts Trauriges. Michel. Was denn? Vogt. Du seyst in eine neue Gesellschaft gekommen. Michel. Mit wem denn einmal, und warum? Vogt. Mit dem Huͤbelrudi, mit dem Lenk, mit dem Leemann, mit dem Kriecher, und mit dem Marx auf der Reuͤti. Michel. Du Narr! Was soll ich mit diesen? Vogt. Aufbauen und ausbutzen das Haus des Herrn in Bonnal und seine Mauern am Kirch- hof. Michel. In Ernst? Vogt. Bey Gott! Michel. Michel. Aber wer hat hiezu die Blinden und die Lahmen ausersehn? Vogt. Mein Wohledelgebohrner, der Wohl- weise und Gestrenge Junker. Michel. Ist er ein Narr? Vogt. Was weiß ich. Michel. Es hat einmal das Ansehen. Vogt. Vielleicht ist es nicht das schlimmste, daß er so ist, leicht Holz ist gut drehen, aber ich muß fort. Komme diesen Abend zu mir, ich muß mit dir reden. Michel. Ich will nicht fehlen. — Zu wem geht jezt die Reise? Vogt. Auf die Reuͤti zum Marx. Michel. Das ist ein Kerl zur Arbeit. Man muß von Sinnen seyn, so einen anzustellen. Ich glaube nicht, daß der bey Jahr und Tag einen Karft oder Schaufel in der Hand gehabt habe; und er ist auf der einen Seite halb lahm. Vogt. Was macht das? Komme du auf den Abend richtig zu mir. — Jezt gieng der Vogt von ihm weg zum Marx auf der Reuͤti. J 3 §. 26. §. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichsten abscheulichsten Thaten. D ieser war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han- delschaft getrieben; aber jezt war er schon laͤngst ver- gantet, und lebte fast gaͤnzlich vom Allmosen des Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die er hatte. In allem seinem Elend aber blieb er immer gleich hochmuͤthig, und verbarg er den dringenden Mangel und Hunger seines Hauses, aussert da, wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und mochte. Dieser, als er den Vogt sah, erschrack heftig, aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne das schon todtgelb. Er nahm schnell die umher liegenden Lumpen, und schob sie unter die Decke des Betts. Befahl den fast nackenden Kindern, auf der Stell sich in die Kammer zu verbergen — Herr Jesus! sagen die Kinder, es schneyet und regnet ja hinein — hoͤre doch, wie’s stuͤrmt, Vater! es ist ja kein Fenster mehr in der Kammer. Geht, ihr gottlosen Kinder! wie ihr mich so toll machet. Meynt ihr, es sey euch nicht noͤthig, daß daß ihr euer Fleisch kreuzigen lernet. — Es ist nicht auszustehn, Vater! sagen die Kinder. Es wird ja nicht lang waͤhren, ihr Ketzern, geht doch, sagt der Vater — stoßt sie hinein, schließt die Thuͤre, und ruft dann dem Vogt in die Stube. Dieser sagte ihm den Bericht. Der Marx aber dankt dem Vogt, und fragt: Bin ich Auf- seher unter diesen Leuten? Was denkst du, Marx? antwortete der Vogt. Nein, Arbeiter bist du, wie die andern. Marx. So! Herr Untervogt! Vogt. Es steht dir frey; wenn du etwann allenfalls die Arbeit nicht willst. Marx. Ich bin freylich sonst solcher Ar- beit nicht gewohnt. Aber weil’s das Schloß und den Herrn Pfarrer antrifft, so darf ich wohl nicht anders, und will ich sie annehmen. Vogt. Es wird sie gar freuen, und ich denke fast, der Junker werde mich noch einmal zu dir schicken, dir zu danken. Marx. Ha! ich meyn’s eben nicht so; aber insgemein moͤchte ich doch nicht bey Jedermann tagloͤhnen. Vogt. Du hast sonst Brod! Marx. Gott Lob! noch immer. Vogt. Ich weiß wohl; aber wo sind deine Kinder? J 4 Marx. Marx. Bey meiner Frauen sel. Schwester, sie essen da zu Mittag. Vogt. Es war mir, ich hoͤrte eben in der Kam- mer Kinder schreyen. Marx. Es ist kein einziges bey Hause. Der Vogt hoͤrt das Geschrey noch einmal, oͤffnet ohne Complimenten die Kammerthuͤre, sieht die fast nackenden Kinder, von Wind, Regen und Schnee, die in die Kammer hinein stuͤrmen, zit- ternd und schlotternd, daß sie fast nicht reden konn- ten, und sagt dann: Essen deine Kinder da zu Mittag, Marx? — Du bist ein Hund und ein Heuchler, und du hast das um deines verdammten Hochmuths willen schon mehr so gemacht. Marx. Um Gottes willen! sag es doch Nie- mand, bring mir’s doch nicht aus, Vogt! Um Gottes willen! unter der Sonne waͤre kein un- gluͤcklicherer Mensch als ich, wenn’s mir auskaͤme. Vogt. Bist du denn auch von Sinnen? Auch jetzo sagst du nicht einmal, daß sie aus dem Hunds- stall heraus kommen sollen. Siehest du denn auch nicht, daß sie braun und blau sind vor Frieren? So wuͤrde ich einmal meinen Budel nicht ein- sperren. Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt! um Gottes willen! sag’s doch Niemand. Vogt. Vogt. Und du spielst denn noch beym Pfar- rer den Frommen — Marx. Um Gottes willen! sag’s doch Nie- mand. Vogt. Das ist doch huͤndisch — du Heiliger, ja du Ketzer! Hoͤrst du, das bist du, ein Ketzer! Denn so macht es kein Mensch. Du hast dem Pfaffen den Schlaghandel die vorige Woche auch erzaͤhlt. Kein Mensch als du. Du giengst eben um 12 Uhr, da es geschah, von einer frommen Fresseten heim, und neben meinem Haus vorbey. Marx. Nein, um Gottes willen! glaub doch das nicht. Gott im Himmel weiß, daß es nicht wahr ist. Vogt. Darfst du auch das sagen! Marx. Weiß Gott, es ist nicht wahr. Vogt! ich wollte, daß ich nicht mehr hier vom Platze kaͤ- me, wenn’s wahr ist. Vogt. Marx! darfst du das, was du jezt sagst, vor meinen Augen dem Pfarrer unter die Nase sagen? Ich weiß mehr, als du glaubst. Der Marx stotterte — ich weiß — ich moͤch- te — ich ha — — habe nicht davon angefangen. So einen Hund und einen Luͤgner, wie du bist, habe ich in meinem Leben keinen gesehen. Wir kennen jezt einander, sagte der Vogt, gieng und erzaͤhlte alles in eben der Stunde des Pfarrers Koͤ- chinn, die sich denn fast zu Tode lachte ob dem from- J 5 men men Israeliten ab der Reuͤti, und heilig versprach es dem Pfarrer getreulich zu uͤberbringen. Der Vogt aber freute sich in seinem Herzen, daß hof- fentlich der Pfarrer dem wuͤsten Ketzer das Wochen- brod jezt nicht mehr geben wuͤrde; worinn er sich aber groͤblich irrte, denn der Pfarrer hatte ihm bis jezt das Brod wahrlich nicht um seiner Tugend, sondern um seines Hungers willen gegeben. §. 27. Fleiß und Arbeitsamkeit, ohne ein dank- bares und mitleidiges Herz. V om Marx weg gieng der Vogt nun endlich zum letsten. Dieses war der Kienast, ein kraͤnk- licher Mann. Er gieng zwar erst gegen die fuͤnf- zig; aber Armuth und Sorgen hatten ihn gar abgeschwaͤcht, und heute war er besonders in einem erschrecklichen Kummer. Seine aͤlteste Tochter hatte gestern in der Stadt Dienste genommen, und zeigte dann heute dem Va- ter den Dingpfenning, woruͤber der arme Mann gewaltig erschrocken war. Seine Frau, die noch kindete, war eben jezt naͤ- hig, und das Susanneli war unter den Kindern das einzige, einzige, das der Haushaltung Huͤlfe leisten konnte, jezt aber sollte es in 14 Tagen den Dienst an- treten. Der Vater bat es mit weinenden Augen, und um Gottes willen, es solle das Haftgeld wieder zu- ruͤck geben, und bey ihm bleiben, bis nach der Mutter Kindbette. Ich will nicht, antwortete die Tochter; wo finde ich denn gleich wieder einen andern Dienst? wenn ich diesen aufsage. Der Vater. Ich will nach der Kindbette selbst mit dir in die Stadt gehn, und dir helfen einen an- dern suchen; bleib doch nur so lange. Die Tochter. Es geht ein halbes Jahr, Vater! bis zum andern Ziel, und der Dienst, den ich jezt habe, ist gut. Wer kann wissen, wie dann der seyn werde, den du mir willst suchen helfen. Und kurzum, ich warte nicht bis auf das andere Ziel. Der Vater. Du weissest doch, Susan- neli! daß ich auch alles an dir gethan habe, was ich immer konnte. Denke doch auch an deine juͤngern Jahre, und verlasse mich jezt nicht in mei- ner Noth. Die Tochter. Willst du mir denn vor meinem Gluͤck seyn? Vater! Der Vater. Ach! es ist nicht dein Gluͤck, daß du deine armen Eltern in diesen Umstaͤnden ver- lassest; thue es doch nicht, Susanneli! ich bitte dich dich. Meine Frau hat noch ein schoͤnes Fuͤrtuch, es ist das letste, und es ist ihr lieb; sie hat es von ihrer sel. Gotten zum Seelgeraͤth (Todesandenken): aber sie muß es dir nach der Kindbette geben, wenn du nur bleibest. Die Tochter. Ich mag nichts, weder von euern Lumpen, noch von euerer Hoffart. Ich kann das und bessers selber verdienen. Es ist einmal Zeit, daß ich fuͤr mich selber sorge. Wenn ich noch zehn Jahre bey euch bliebe, ich wuͤrde nicht zu Bett und Kasten kommen. Der Vater. Es wird doch auch nicht alles auf dieses halbe Jahr ankommen — Ich will dich nach der Kindbette dann gewiß nicht mehr versaͤu- men. Bleib doch nur noch diese wenigen Wochen. Nein, ich thue es nicht, Vater! antwortete die Tochter — Kehrt sich um, und laͤuft fort zu ei- ner Nachbarinn. Der Vater steht jezt da! niedergeschlagen von seinen Sorgen und von seinem Kummer, und sagt zu sich selber: Wie will ich mir in diesem Un- gluͤck helfen — Wie will ich’s nur meiner armen Frau anbringen, die Hiobsbotschaft? Ich bin doch ein elender Tropf, daß ich mit diesem Kind so gefehlt habe. Es arbeitet so braf, dacht ich immer, und verzieh ihm dann alles. Meine Frau sagte mir hundertmal: Es ist so frech und so grob gegen seinen Eltern, und was es seinen Ge- schwi- schwistern thun und zeigen muß, das thut und zei- get es ihnen alles so haͤßig, so unartig, und so ganz ohne Anmuth und Liebe, daß keines nichts von ihm lernt. — — Es arbeitet doch braf, viel- leicht sind die andern auch Schuld, man muß ihm etwas verzeihen, war immer meine Antwort. — Jezt habe ich dieses Arbeiten; ich haͤtte es doch denken sollen, wenn bey einem Menschen das Herz einmal hart ist, so ist’s aus, was er auch sonst Gutes hat, man kann nicht mehr auf ihn zaͤhlen. Aber, wenn ich’s nur auch meiner Frau schon gesagt haͤtte; wie wird sie doch thun! Da der Mann so mit ihm selber redte, stuhnd der Vogt neben ihm zu, und er sah ihn nicht ein- mal. Was darfst du denn deiner Frau nicht sagen, Kienast? fragt ihn jezt dieser. Der Kienast sieht auf, erblickt den Vogt, und sagt: Bist du da, Vogt? Ich sah dich nicht — Ha, was darf ich meiner Frau nicht sagen? Das Susanneli hat in der Stadt Dienste genommen, und wir haͤtten’s jezt auch so noͤthig! Aber ich haͤtte fast vergessen zu fragen, was willst du bey mir? Vogt. Es kann dir vielleicht ein Trost seyn, was ich bringe, weil’s mit dem Susanneli so ist. Kienast. Das waͤr wohl ein Gluͤck in meiner Noth. Vogt. Vogt. Du hast Arbeit an dem Kirchbau, und alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannst du dir in allweg helfen. Kienast. Herr Gott im Himmel! darf ich diese Huͤlfe hoffen? Vogt. Ja, ja Kienast! Es ist gewiß, wie ich sage. Kienast. Nun so sey Gott gelobt und ihm gedankt. (Es wird ihm bloͤd, seine Glieder zit- tern.) Ich muß niedersitzen, diese Freude hat mich so uͤbernommen auf mein Schrecken. Er setzt sich auf einen nahen Holzstock, und lehnet sich an die Wand des Hauses, daß er nicht sinke. Der Vogt sagte: Du magst wenig erleiden. Und der Kienast: Ich bin noch nuͤchtern. So spaͤth, erwiederte der Vogt, und gieng sei- nes Weges fort. Die arme Frau in der Stube sah, daß der Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entsetz- lich: Das ist ein Ungluͤck! Mein Mann ist heute den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was er thut; und eben jezt sah ich das Susanneli bey der Nachbarinn beyde Haͤnde zerwerfen, als wenn es vor Verdruß ausser sich waͤre, und jezt noch der Vogt! Was ist doch fuͤr ein Ungluͤck obhanden? Es ist keine geplagtere Frau unter der Sonne. Schon so weit in vierzig, und noch alle Jahr ein Kind, und Sorgen und Mangel und Angst um mich mich her — So graͤmte sich die arme Frau in der Stube — Der Mann aber hatte sich indessen wie- der erholt, und kam mit einem so heitern und freudigen Gesicht hinein zu seiner Lieben, als er seit Jahren nicht hatte. Du thust froͤlich! Meynst du, ich wisse nicht, daß der Vogt da war? sagte die Frau. Und er antwortete: Wie vom Himmel herab ist er gekommen zu unserm Trost! Ist das moͤglich? erwiederte die Frau. Kienast. Setze dich nieder, Frau! ich muß dir Gutes erzaͤhlen — Da sagte er ihr, was eben mit dem Susanneli begegnet, und wie er in einer grossen Herzensangst gewesen waͤre, und wie ihm, Gott Lob! jezt gaͤnzlich aus der Noth geholfen sey. Da aß er die Suppe, die er in der Angst zu Mittag hatte stehn lassen; und er und die Frau weineten heisse Thraͤnen des Danks und der Freude gegen Gott, der ihnen also geholfen in ihrer Roth. Und sie liessen das Susanneli noch desselbigen Tags gehen in seinen Stadtdienst, wie es wollte. §. 28. §. 28. Der Abend vor einem Festtage in eines Vogts Hause, der wirthet. N un eilte der Vogt von seinem Laufen ermuͤdet und durstig wieder heim, es war schon sehr spaͤth; und der Kienast wohnete beynahe eine Stunde vom Dorf weg auf dem Berg. Allenthalben hatte er heute durch seine Gesellen schon verkuͤndet, daß er uͤber den gestrigen Vorfall gar nicht erschrocken, und bey einem Jahre nie so lustig und munter gewesen waͤre, wie heute. Das machte denn, daß auf den Abend etliche wieder Muth faßten, und sich still dem Wirths- hause zuschlichen. Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere, und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tische alle wieder fast eben so voll, als gewoͤhnlich. So geht es, wenn ein Jaͤger im Heuet von einem Kirschbaum einen Vogel herunter schießt, so fliegt die Schaar der Voͤgel, die Kirschen fraß, erschrocken und schnell vom Baum weg, und alle die Voͤgel kreischen vor der Gefahr. Aber nach ei- ner Weile setzt sich schon wieder einer, im Anfange nur einer, an den Baum; und sieht er dann den Jaͤ- Jaͤger nicht mehr, so pfeift er, nicht das Gekreisch des erschreckten Vogels. Er pfeift dann den mun- tern Laut der Freßlust bey der nahen Speise. Auf den Ruf des kuͤhnern Fressers ruͤcken dann die forchtsamern auch wieder an; und alle fressen Kirschen, als ob der Jaͤger keinen erschossen haͤtte. So war es und kam es, daß die Stube jezt wieder voll war von Nachbaren, die gestern und heute Vormittags sich noch nicht getrauten zu kom- men. Bey allem Boͤsen, und selbst bey Schelmentha- ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks bey einander ist, und wenn die, so den Ton geben, herzhaft und frech sind; und da das in den Wirths- haͤusern nie fehlt, so ist unstreitig, daß sie das ge- meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen schlim- men Streichen frech und leichtsinnig genug zu bil- den und zu stimmen weit besser eingerichtet sind, als es die armen einfaͤltigen Schulen sind, die Men- schen zu einem braven, stillen, wirthschaftlichen Leben zu bilden. Aber zur Historie. Die Nachbaren im Wirthshause waren jezt alle wieder des Vogts Freunde, denn sie sassen bey sei- nem Wein. Da sprach der eine, wie der Vogt ein Mann sey, und wie ihn bey Gott! noch keiner gemeistert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind sey, und wie der Vogt seinen Großvater in Ord- nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott K im im Himmel nicht recht und am juͤngsten und letz- ten Tage nicht zu verantworten sey, daß er dem ar- men Gemeindlein das Wirthsrecht abstehlen wolle, das es doch seit Noahs und Abrahams Zeiten be- sessen haͤtte. Dann wieder ein andrer, wie er es beym Donner! doch noch nicht habe, und wie er’s vor allen Tenfeln erzwingen wolle — daß morgen schon darwider Gemeind seyn muͤsse. Dann erzaͤhlt wieder ein andrer, wie es mit dem gar nicht so noth thue, und wie der Vogt seine Feinde alle immer so schoͤn in die Grube gebracht habe, und wie er jezt weder mit dem Gnaͤdigen Herrn, noch mit dem Bettler, dem Maͤurer, eine neue Mode anfangen werde. — So schwatzten die Maͤnner und soffen. Die Voͤgtinn lachte mit unter, trug einen Krug nach dem andern auf den Tisch, und zeichnete alle richtig an die Tafel in der Nebenstube mit ihrer Kreide. Indessen kam der Vogt, und es freute ihn in seinem Herzen, daß er die Tische alle wieder so be- setzt fand mit seinen Lumpen. Das ist brav, ihr Herren! daß ihr mich nicht verlasset, sagte er zu ihnen. Du bist uns noch nicht feil, antworteten die Bauern, und tranken mit Laͤrmen und Bruͤllen auf seine Gesundheit. Der Der Laͤrm ist groß, Nachbaren! Man muß oh- ne Aergerniß leben, sagte der Vogt; es ist heiliger Abend. Mache die Fensterlaͤden zu, Frau! und loͤsche die Lichter gegen der Gasse — Es ist besser, wir gehen in die hintere Stube, Nachbaren! Ist’s warm dort, Frau? Frau. Ja, ich habe daran gedacht, und ein- heitzen lassen. Vogt. Gut. Nehmet alles vom Tisch in die hintere Stube. Da nahmen die Frau und die Nachbaren Glaͤ- ser, Flaschen, Brod, Kaͤs, Messer und Teller und Karten und Wuͤrfel, und trugen alles in die hin- tere Stube, in deren man, geschaͤhe auch ein Mord, auf der Gasse nichts hoͤrt. Da sind wir jezt sicher vor Schelmen, die vor den Fenstern horchen, und vor den heiligen Knech- ten Er meynt Chorrichter, Stillstaͤnder, Kirchenaͤlte- sten, deren Pflicht es ist, dem Pfarrer solche naͤchtliche Ungebuͤhren anzuzeigen; und dieser ist’s, den der gottlose Vogt, nach einem wirklich eingerissenen Ton, den Schwarzen nennt. des Schwarzen. Aber ich bin durstig wie ein Jagdhund, Wein her! Die Frau bringt ihn. K 2 Und Und Christen fragt alsobald: Ist das vom heu- tigen, Vogt! den des Scheerers Hund. mitsaͤuft? Vogt. Ja, so ein Narr bin ich wieder. Christen. Was hattest du wohl fuͤr eine Teu- felsabsicht dabey? Vogt. Bey Gott! keine. Es war ein blosser Narreneinfall. Ich war noch nuͤchtern, und wollte nicht saufen. Christen. Pfeif das dem Scheitstock, vielleicht glaubt er’s, ich mag nicht. Vogt. Warum nicht? Christen. Warum nicht? Weil dein Wein, den wir soffen, auch nach Schwefel roch wie die Pest? Vogt. Wer sagt das? Christen. Ich, Meister Urias! Ich merkte es nicht in der Stube; aber da ich den leeren Krug heim trug, roch es mir noch in die Nase, daß es mich fast zuruͤck schlug — Alles und alles zusam- men genommen, so ist einmal ziemlich am Tage, daß du mit Gunst etwas gesucht hast. Vogt. Ich weiß so wenig, was fuͤr Wein die Frau geschickt hat, als ein Kind in der Wie- ge. — Mit deinen Einbildungen, du Narr! Christen. Aber du weißst doch auch noch, daß du eine schoͤne Predigt von den Rechten im Lande gehalten hast? Du hast das, denk ich, auch so aus unbedachtem Muthe gethan, wie man eine Prise Tabak nimmt. Vogt. Vogt. Schweig jezt, Christen! Das beste waͤr, ich liesse dich brav zerpruͤgeln, daß du mir den Krug umgeleert hast. Aber ich muß jezt wissen, wie es heute beym Scheerer gegangen ist, da ich fort war. Christen. Aber das Versprechen, Vogt? Vogt. Was fuͤr ein Versprechen? Christen. Daß ich weinfrey seyn soll bis am Morgen, wenn ich was Rechts wisse. Vogt. Wenn du denn aber nichts weißst, willst du doch saufen? Christen. Ja, nichts wissen; nur Wein her, und hoͤr dann. Der Vogt gibt ihm, sitzt zu ihm hin, und Chri- sten erzaͤhlt jezt, was er weiß und was er nicht weiß. Einst machte er es so bunt, daß es der Vogt merkte. Luͤg doch auch so, du Hund! daß man es nicht mit Haͤnden greift, sagte er. Nein, bey Gott! antwortete Christen, so wahr ich ein Suͤnder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct an dem, was ich sage. Nun denn, sagte der Vogt, der jezt doch ge- nug hatte, der Schabenmichel ist eben gekommen, ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an den andern Tisch, wo dieser saß, klopft ihm auf die Achsel und sagt: K 3 §. 29. §. 29. Fortsetzung, wie Schelmen mit einander reden und handeln. B ist du auch unter den Suͤndern? Ich dachte, du seyst, seit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf einmal heilig geworden, so wie unser Metzger, als er einst eine Woche fuͤr den Siegrist Mittag laͤuten mußte. Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht nicht so blitzschnell; aber wenn’s einmal angeht, so lasse ich dann nicht nach. Vogt. Ich moͤchte dann dein Beichtiger seyn, Michel! Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu. Vogt. Warum das? Michel. Du wuͤrdest mir die Suͤnden wohl doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden. Vogt. Waͤre dir das nicht recht? Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich- tiger haben, der die Suͤnden verzeiht und nachlaͤßt, und nicht einen, der sie aufkreidet. Vogt. Ich kann auch Suͤnden verzeihen und nachlassen. Michel. Michel. Suͤnden aus deinem Buche? Vogt. Freylich! Oft und viel muß ichs lei- der; aber besser ist’s, man halte sich, daß ich’s gern thue. Michel. Kann man das, Herr Untervogt? Vogt. Wir wollen sehn. (Er winkt ihm.) Sie gehn mit einander an’s kleine Tischlein am Ecken beym Ofen. Und der Vogt sagt: Es ist gut, daß du da dist, es kann dein Gluͤck seyn. Michel. Ich habe Gluͤck noͤthig. Vogt. Ich glaub es; aber wenn du dich an- schickst, so fehlt’s nicht, du machst Geld auf dei- nem Posten. Michel. Aber wie muß ich das anstellen? Vogt. Du mußst dich bey dem Maͤurer ein- schmeicheln, und recht hungrig und arm thun. Michel. Das kann ich ohne Luͤgen. Vogt. Du mußst dann viel und oft deinen Kindern dein Abendbrod geben, damit sie glauben, du habest ein Herz so weich, wie zerlassene But- ter, und die Kinder muͤssen dir baarfuß und zer- lumpt nachlaufen. Michel. Auch das ist nicht schwer. Vogt. Und dann, wenn du unter allen zehen der Liebste seyn wirst, erst dann wird deine rechte Arbeit angehn. Michel. Und was ist denn die? K 4 Vogt. Vogt. Alles zu thun, was bey dem Bau Streit und Verdacht anzetteln, was die Arbeit in Unordnung bringen, und was die Tagloͤhner und den Meister dem Junker erleiden kann. Michel. Das mag jezt wohl ein Bißchen ein schwerers Stuͤcklein seyn. Vogt. Aber es ist so auch ein Stuͤcklein, da- bey du Geld verdienen kannst. Michel. Ohne diese Hoffnung koͤnnte wohl ein Gescheider diese Wegweisung geben; aber nur ein Narr koͤnnte sie annehmen. Vogt. Das versteht sich, daß du Geld dabey verdienen mußst. Michel. Zween Thaler Handgeld, Herr Un- tervogt! das muß baar voraus bezahlt seyn, sonst ding ich nicht in diesen Krieg. Vogt. Du wirst alle Tage unverschaͤmter, Michel! Du verdienst bey der Arbeit, die ich dir zeige, Geld mit Muͤßiggehen, und du willst denn noch, ich soll dir den Lohn geben, daß du den gu- ten Rath annimmst. Michel. Ich mag nichts hoͤren. Du willst, daß ich in deinem Dienst den Schelmen mache, und ich will’s thun, und treu seyn und herzhaft; aber Handgeld und Dingpfenning, zween Thaler und keinen Kreuzer minder, das muß heraus, sonst stehe du selber hin, Vogt! Vogt. Vogt. Du Hund! du weißst, wo du zwingen kannst; da sind die zween Thaler. Michel. Nun ist’s in der Ordnung, Meister! jezt nur befohlen. Vogt. Ich denke, so etwann in der Nacht Ge- ruͤststangen abbrechen, und mit einem Schlag ein Paar Kirchenfenster von oben herunter spalten, das sey dir ein leichtes; und daß Seiler und Kaͤrste und was Kleines herum liegt, bey einem solchen Ehrenanlaß verschwinden muͤssen, das versteht sich von selbst. Michel. Natuͤrlich. Vogt. Und dann in einer dunkeln Racht die Geruͤstbreter alle den Huͤgel hinab in Fluß tragen, daß sie weiter nach Holland fahren, das ist auch nicht schwer. Michel. Nichts weniger; das kann ich voll- kommen. Ich haͤnge ein grosses weisses Hemd mit- ten auf den Kirchhof an eine Stange, daß der Waͤchter und die Frau Nachbarinn, wenn sie ein Gepolter hoͤren, das Gespenst sehen, sich segnen, und mir vom Leib bleiben. Vogt. Du loser Ketzer du! was fuͤr ein Einfall! Michel. Ich thue es gewiß; es bewahrt vor dem Halseisen. Vogt. Ja, aber das muß noch seyn; wenn Zeichnungen, Rechnungen und Plaͤne, die dem K 5 Jun- Junker gehoͤren, etwann umher liegen, die mußst du ordentlich hintragen, wo sie kein Hund sucht, und des Nachts dann abholen zum Einheizen. Michel. Ganz wohl, Herr Untervogt! Vogt. Auch mußst du es so einfaͤdeln, daß deine ehrende Gesellschaft im Herrndienst sich recht wohl seyn lasse, daß sie liederlich arbeite, und beson- ders, daß, wenn der Junker oder Jemand aus dem Schloß koͤmmt, die Lumpenordnung am groͤssesten sey — Und daß du dann auch diesen winken mußst, wie schoͤn es gehe, versteht sich. Michel. Ich will alles probieren, und ich ver- steh jezt ganz wohl, was du eigentlich willst. Vogt. Aber vor allem aus ist’s wahrlich noͤ- thig, daß du und ich Feinde werden. Michel. Auch das versteht sich. Vogt. Wir wollen damit gerade jezt anfan- gen. Es koͤnnten Mamelucken da seyn, und er- zaͤhlen, wie wir hier in Eintracht in diesem Ecken Rath gehalten haben. Michel. Du hast Recht. Vogt. Trink noch ein Paar Glaͤser, dann thue ich dergleichen, als ob ich mit dir rechnen wollte, und du laͤugnest mir etwas. Ich fange Laͤrm an; Du schmaͤlst a uch, und wir stossen dich zur Thuͤre hinaus. Michel. Das ist gut ausgedacht. (Er saͤuft ge- geschwind den Krug aus, und sagt dann zum Vogt: Fang jezt nur an.) Der Vogt murmelt von der Rechnung, und sagt etwas vernemlich: Nun einmal den Gulden hab ich nicht erhalten. Michel. Besinn dich, Vogt! Vogt. Ich weiß in Gottes Namen nichts da- von. Er ruft seiner Frau: Frau! hast du die vo- rige Woche einen Gulden vom Michel erhalten? Die Frau. Behuͤt uns Gott! Keinen Kreu- zer. Vogt. Das ist wunderlich — Gieb mir den Rodel. (Sie bringt ihn.) Der Vogt liest — Da ist Montag — nichts von dir — Dienstag — nichts von dir — Da ist Mitwochen — — Am Mitwochen, sagtest du ja, war es. Michel. Ja. Vogt. Da ist Mitwochen — siehe da, es ist nichts von dir — Und auch Donnerstag, Freytag und Samstag, es ist kein Wort da von dem Gulden. Michel. Das ist vom Teufel; ich hab ihn doch bezahlt. Vogt. Sachte, sachte, Herr Nachbar! Ich schreibe alles auf. Michel. Was hab ich von deinem Ausschrei- ben, Vogt? Ich habe den Gulden bezahlt. Vogt. Das ist nicht wahr, Michel! Michel. Michel. Ein Schelm sagt, ich hab ihn nicht bezahlt. Vogt. Was sagst du, ungehaͤngter Spitzbub? Etliche Bauern stehn auf: Er hat den Vogt gescholten, wir habens gehoͤrt. Michel. Es ist nicht wahr; aber ich habe den Gulden bezahlt. Bauern. Was sagst du, Schelm! du habst ihn nicht gescholten? Wir haben’s alle gehoͤrt. Vogt. Werft mir den Hund aus der Stube. Michel. (Mit dem Messer in der Hand) Wer mich anruͤhrt, der sehe zu — Vogt. Nehmt ihm das Messer. Sie nehmen ihm das Messer, stossen ihn zur Thuͤr hinaus, und kommen dann wieder. Vogt. Es ist gut, daß er fort ist; er war nur ein Spion vom Maͤurer. Bauern. Bey Gott! das war er. Es ist gut, daß der Schelm fort ist. §. 30. §. 30. Fortsetzung, wie Schelmen mit einander reden und handeln, auf eine andere Manier. W ein her, Frau Voͤgtinn! Vogt! wir saufen auf die Erndte hin; eine Garbe vom Zehenden fuͤr die Maß. Vogt. Ihr wollt mich bald bezahlen. Bauern. Nicht so bald, aber desto schwerer. Der Vogt setzt sich zu ihnen, und sanft auch mit ihnen nach Herzenslust, auf den kuͤnftigen Zehn- den. Nun sind alle Maͤuler offen, ein wildes Ge- wuͤhl von Fluchen und Schwoͤren, von Zotten und Possen, von Schimpfen und Trotzen, erhebt sich an allen Tischen. Sie erzaͤhlen von Hurereyen und Diebstaͤlen, von Schlaghaͤndeln und Scheltworten, von Schulden, die sie lustig gelaͤugnet, von Pro- cessen, die sie mit feinen Streichen gewonnen haͤtten, von Bosheiten und Unsinn — davon das meiste er- logen, viel aber, leider Gott erbarm! wahr war; wie sie den alten Arner in Holz und Feld und Zehnden bestohlen haͤtten; auch wie ihre Weiber jezt jezt bey den Kindern Truͤbsal bliesen, wie die eine das Betbuch naͤhme — die andere einen Krug Wein in Spreuer oder in Strohsack verberge; auch von ihren Buben und Maͤdchen, wie eines dem Vater helfe die Mutter betriegen, und ein anderes der Mutter helfe den Vater erwischen; und wie sie es als Buben auch so gemacht haͤtten und noch viel schlimmer. Dann kamen sie auf den armen Uli, der uͤber etlichen solchen Narrenpossen ertappt worden, und elendiglich umgekommen waͤre, am Galgen; wie er aber andaͤchtig gebetet haͤtte, und gewiß selig gestorben waͤre; nachdem er, wie man wohl wis- se, nicht das Halbe bekennet habe, aber doch um des unchnistlichen Pfarrers willen haͤtte ins Gras beissen muͤssen. Sie waren eben an dieser Geschichte und an des Pfarrers Bosheit, als die Voͤgtinn ihrem Mann winkte, daß er heraus kaͤme. Wart, bis die Geschichte mit dem Gehaͤngten voruͤber ist, war seine Antwort. Sie aber sagt’ ihm leise ins Ohr: Der Joseph ist da. Er antworte- te: Versteck ihn, ich will bald kommen. Der Joseph hatte sich in die Kuͤche geschlichen. Es war aber so viel Volk im Haus, daß die Voͤg- tiun befuͤrchtete, man sehe ihn da. Sie loͤschte das Licht aus, und sagte ihm: Joseph! ziehe deine Schuhe ab, und schleich mir nach nach in die untere Stube, der Mann kommt hin- unter. Der Joseph nahm seine Schuhe in die Hand und folgte ihr nach auf den Zehen in die untere Stube. Und es gieng nicht lange, so kam der Vogt auch, und fragte ihn: Was willst du noch so spaͤth, Joseph? Joseph. Nicht viel. Ich will dir nur sa- gen: Es sey mit den Steinen recht gut in der Ordnung. Vogt. Das freut mich, Joseph! Joseph. Der Meister redte heute von der Mauer, und schwatzte da, daß die nahen Kiesel und Feldsteine recht gut waͤren. Ich sagte ihm aber gerade zu, daß er ein Narr sey und seine Sa- chen nie recht anstellen wolle. Die Mauer werde vom Schwendistein so schoͤn und glatt werden wie ein Teller. Er sagte kein Wort dagegen, und ich fuhr fort: Wenn er nicht Schwendisteine nehme, so stosse er sein Gluͤck mit Fuͤssen von sich. Vogt. Hat er sich dazu entschlossen? Joseph. Ja freylich; das war im Augen- blick richtig. Am Montag werden wir den Bruch angreifen. Vogt. Die Tagloͤhner muͤssen ja am Montag ins Schloß. Joseph. Joseph. Sie werden zu Mittag schon wieder zuruͤck und mit der Waar in dem Kalch seyn. Das hat seine Richtigkeit, wie wenn’s schon drinnen waͤre. Vogt. Das ist recht und gut; wenn’s doch nur schon gemacht waͤre. Dein Trinkgeld liegt schon parat, Joseph! Joseph. Ich haͤtte es eben jezt recht noͤthig, Vogt! Vogt. Komm nur am Montag, wenn ihr den Bruch angefangen haben werdet; es liegt parat. Joseph. Meynst du, ich halte nicht Wort? Vogt. Wohl, Joseph! ich traue dir. Joseph. So gieb mir doch gerade jetzo drey Thaler — auf unsere Abrede — Ich wollte gern morgen meine neuen Stiefel beym Schuster abho- len; es ist mein Namenstag, und ich mag jezt dem Meister kein Geld fordern. Vogt. Ich kann jezt nicht wohl. Komme doch am Montag Abend. Joseph. Da sehe ich, wie du mir trauest. Man mag wohl etwas versprechen, aber halten, das ist was anders! Ich glaubte auf dein Trink- geld zaͤhlen zu doͤrfen, Herr Untervogt! Vogt. Meiner Seele! ich gieb es dir. Joseph. Ich seh’s ja — Vogt. Es ist am Montag auch noch Zeit. Joseph. Vogt! du zeigest mir, daß man’s mit Haͤnden greifen kann, daß du mir nicht traust. Also Also darf ich auch sagen, wie’s mir ist: Wird der Steinbruch einmal angegriffen seyn, so wirst du mir kein gut Wort mehr geben. Vogt. Das ist doch unverschaͤmt, Joseph! ich werde dir gewiß Wort halten. Joseph. Ich mag nichts hoͤren, wenn’s nicht jezt seyn kann, so ist alles au s. Vogt. Kannst du es jezt nicht mit zween Tha- lern machen? Joseph. Nein, ich muß drey haben; aber dann kannst du auch auf mich zaͤhlen, in allem. Vogt. Ich will’s endlich thun, aber du haltest dann mir doch dein Wort? Joseph. Wenn ich dich dann anfuͤhre, so sage, wo du willst, ich sey der groͤste Schelm und Dieb auf der Erden. Der Vogt rief jezt der Frau, und sagt’ ihr: Gieb dem Joseph drey Thaler. Die Frau nimmt ihn beyseits, und sagt ihm: Thue doch das nicht. Vogt. Rede mir nichts ein. Thue, was ich sage. Frau. Sey doch doch kein Narr; du bist be- soffen, es wird dich morgen reuen. Vogt. Rede mir kein Wort ein. Drey Tha- ler im Augenblick — hoͤrst du, was ich sage? Die Frau seufzt, holt die Thaler, wirft sie dem Vogt dar. Dieser giebt sie dem Joseph, und L sagt sagt noch einmal: Du wirst mich doch nicht an- fuͤhren wollen? Behuͤte mich Gott davor! Was denkst du auch, Vogt? antwortete Joseph — geht, zaͤhlt ausser der Thuͤre noch einmal seine drey Thaler, und sagt zu sich selbst: Nun ist mein Lohn zwischen den Fingern, und da ist er sicherer, als in des Vogts Kisten. Er ist ein alter Schelm, und ich will nicht sein Narr seyn. Nehm jezt meinethalben der Meister Kiesel- oder Blaustein. Die Voͤgtinn heulete vor Zorn auf der Herd- staͤtte in der Kuͤche; und gieng nicht mehr in die Stube bis nach Mitternacht. Auch dem Vogt ahndete, so bald er fort war, daß er sich uͤbereilt haͤtte; aber er vergaß es bald wieder bey der Gesellschaft. Der Graͤuel der San- fenden dauerte bis nach Mitternacht. Endlich kam die Voͤgtinn aus der Kuͤche, und sagte: Es ist Zeit, es ist einmal Zeit aufzubrechen, es geht gegen dem Morgen, und ist heiliger Abend. Heiliger Abend! sagten die Kerls, streckten sich, gaͤhnten, soffen aus, und stuhnden nach und nach auf. Jezt taumelten, wankten sie allenthalben um- her, hielten sich an Tischen und Waͤnden, und kamen mit Muͤhe zum Hause hinaus. Gehe Geht doch ein jeder allein, und macht kein Gewuͤhl, sagte ihnen die Voͤgtinn, sonst kriegen der Pfarrer und sein Chorgericht Strafen. Nein, es ist besser, wir versaufen das Geld, antworteten die Maͤnner. Und die Voͤgtinn: Wenn ihr den Waͤchter an- trefft, so saget ihm, es stehe ein Glas Wein und ein Stuͤck Brod fuͤr ihn da. Und sie waren kaum fort, so erschien der Waͤch- ter vor den Fenstern des Wirthshauses, und rief: Wollt ihr hoͤren, was ich euch will sagen, Die Glock und die hat Ein Uhr g’schlagen. Ein Uhr g’schlagen. Die Voͤgtinn verstuhnd den Ruf, bracht ihm den Wein, und bat, daß er doch dem Pfarrer nicht sage, wie lange sie gewirthet habe. Und nun half sie noch dem schlummernden Besoffenen aus den Schuhen und Struͤmpfen — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — L 2 Und Anmerkung. Hier standen noch ein Paar Zeilen — Das ist un- flaͤtig, sagte ein Knab von noch nicht zehn Jah- ren, der sie lesen hoͤrte. Ich umarmte ihn, und strich die Stelle durch. Juͤngling! wirst du dein reines Gefuͤhl und das sanfte Erroͤthen deiner Wan- Und sie brummte noch von Josephs Thalern, und von der Dummheit ihres Manns; er aber schlummerte, schnarchte, wußte nicht, was er that. Endlich kamen beyde am heiligen Abend zur Ruhe. Und Wangen behalten, so wird der Zug deiner Jugend dir Freude machen im Alter; aber wirst du diese sanfte Unschuld deines Herzens der Kuͤhnheit dei- nes anwachsenden Muths aufopfern — wird dein blitzendes Auge einst sich nicht mehr niederschla- gen, nicht mehr Thraͤnen fallen lassen; wird dei- ne Wange nicht mehr erroͤthen, beym Anblick dessen, was unrecht und schaͤndlich ist, Juͤngling! dann wirst du ob dieser Stelle weinen, oder sie vielleicht nicht mehr werth achten, sie zu lesen. In diesem Augenblick mußte mir natuͤrlich der Gedanke auffallen: Wie weit darf ein sittlicher Schriftsteller das Laster mahlen? Darf mein Mund aussprechen, was Hogarth und ** ge- mahlt haben? Aussprechen das Thun dieser Men- schen, die ich ohne Bedenken vom Pinsel und vom Grabstichel gemahlt sehe? Mein Gefuͤhl beht zuruͤcke, wenn ich’s in Worte bringe und aus- spreche, das Thun dieser Menschen, und ich sehe mich um, ob mich Niemand hoͤre. Aber das Bild des Mahlers seh ich hingelehnt am Arme des Besten, des Edelsten, und scheue mich nicht. Die Zunge des Menschen, sein Mund, sind enger mit dem Gefuͤhl seines Herzens verbunden, als seine Hand. Die Kunst, die mit Hand und Pin- Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile nichts mehr von ihnen zu erzaͤhlen. Ich kehre zu- ruͤck zu Lienhard und Gertrud — Wie das eine Welt ist! Bald steht neben einem Hundsstall ein Garten, und auf einer Wiese ist bald stinkender Unrath, bald herrliches, m ilchreiches Futter. Ja, es ist wunderlich auf der Welt! Selbst die schoͤnen Wiesen geben ohne den Unrath, den wir darauf schuͤtten, kein Futter. Pinsel das Laster mahlt, und kuͤhn ist, und das Tiefste treffend enthuͤllet, entweihet das Herz nicht mit der Gewalt, mit der es der Mund thut, wenn er mit gleicher Kuͤhnheit das Laster ent- bloͤßt darstellt. Das ist keine Lobrede fuͤr alle angebeteten Dich- ter; aber es duͤnkt mich hingegen, besonders in einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton ist, den Kopf mit Bildern des Muͤßiggangs, an- statt mit Berufs- und Geschaͤftssachen zu fuͤllen, eine fuͤr das Menschengeschlecht hoͤchst wichtige Wahrheit. L 2 §. 31. §. 31. Der Abend vor einem Festtage, im Hause einer rechtschaffenen Mutter. G ertrud war noch allein bey ihren Kindern. Die Vorfaͤlle der Woche und der morndrige festliche Morgen erfuͤllten ihr Herz. In sich selbst geschlos- s n und still bereitete sie das Nachtessen, nahm ih- rem Mann und den Kindern und sich selber ihre Sonntagskleider aus dem Kasten, und bereitete al- les auf morgen, damit denn am heiligen Tage sie nichts mehr zerstreue. Und da sie ihre Geschaͤfte vollendet hatte, setzte sie sich mit ihren Lieben an Tisch, um mit ihnen zu beten. Es war alle Samstage ihre Gewohnheit, den Kindern in der Abendgebetstunde ihre Fehler und auch die Vorfaͤlle der Woche, die ihnen wichtig und erbaulich seyn konnten, ans Herz zu legen. Und heute war sie besonders eingedenk der Guͤte Gottes gegen sie in dieser Woche, und wollte die- sen Vorfall, so gut ihr moͤglich war, den jungen Herzen tief einpraͤgen, daß er ihnen unvergeßlich bliebe. Die Kinder sassen still um sie her, falteten ihre Haͤnde zum Gebet, und die Mutter redte mit ihnen. Ich Ich habe euch etwas Gutes zu sagen, Kinder! Der liebe Vater hat in dieser Woche eine gute Ar- beit bekommen, an deren sein Verdienst viel besser ist, als an dem, was er sonst thun muß — Kin- der! wir duͤrfen hoffen, daß wir in Zukunft das taͤgliche Brod mit weniger Sorgen und Kummer haben werden. Danket, Kinder! dem lieben Gott, daß er so gut gegen uns ist; und denket fleißig an die alte Zeit, wo ich euch jeden Mundvoll Brod mit Angst und Sorgen abtheilen mußte. Es that mir da so manchmal im Herzen weh, daß ich euch so oft und viel nicht genug geben konnte; aber der liebe Gott im Himmel wußte schon, daß er helfen wollte, und daß es besser fuͤr euch sey, meine Lieben! daß ihr zur Armuth, zur Geduld, und zur Ueberwindung der Geluͤste gezogen wuͤrdet, als daß ihr Ueber- fluß haͤttet. Denn der Mensch, der alles hat, was er will, wird gar zu gern leichtsinnig, ver- gißt seines Gottes, und thut nicht das, was ihm selbst das nuͤtzlichste und beste ist. Denkt doch, so lang ihr leben werdet, Kinder! an diese Armuth, und an alle Noth und Sorgen, die wir hatten — und wenn es jezt besser geht, Kinder! so denkt an die, so Mangel leiden, so wie ihr Mangel leiden mußtet. Vergesset nie, wie Hunger und Mangel ein Elend sind, auf daß ihr mitleidig werdet gegen dem Armen. Und wenn ihr einen Mundvoll uͤber- L 4 fluͤßiges fluͤßiges habt, es ihm gern gebet — Nicht wahr, Kinder! ihr wollt es gern thun? O ja, Mutter! gewiß gerne — sagten alle Kin- der. §. 32. Die Freuden der Gebetsstunde. Mutter. N iclas! wen kennest du, der am meisten Hunger leiden muß? Niclas. Mutter! den Rudeli. Du warst gestern bey seinem Vater, der muß schier Hun- ger sterben; er isset Gras ab dem Boden. Mutter. Wolltest du ihm gern dann und wann dein Abendbrod geben? Niclas. O ja, Mutter! darf ich gerad mor- gen. Mutter. Ja, du darfst es. Niclas. Das freuet mich! Mutter. Und du, Lise! wem wolltest du dann und wann dein Abendbrod geben? Lise. Ich besinne mich jezt nicht gerade, wem ich’s am liebsten gaͤbe. Mutter. Kommt dir denn kein Kind in Sinn, das Hunger leiden muß? Lise. Lise. Wohl freylich, Mutter! Mutter. Warum weißst du denn nicht, wem du’s geben willst? Du hast immer so kluges Be- denken, Lise! Lise. Ich weiß es jezt auch, Mutter! Mutter. Wem denn? Lise. Des Reuͤtimarxen Beteli — Ich sah es heute auf des Vogts Mist verdorbene Erdaͤpfel her- aussuchen. Niclas. Ja, Mutter! ich sah es auch, und suchte in allen meinen Saͤcken, aber ich fand keinen Mundvoll Brod mehr — haͤtte ich’s nur auch ei- ne Viertelstunde laͤnger gespart. Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern Kinder — und sie hatten alle eine herzinnige Freude daruͤber, daß sie morgen ihr Abendbrod armen Kin- dern geben sollten. Die Mutter ließ sie eine Weile diese Freude geniessen — dann sagte sie zu ihnen: Kinder! es ist jezt genug hievon — Denket jezt auch daran, wie unser Gnaͤdige Herr euch so schoͤne Geschenke ge- macht hat. Ja unsere schoͤnen Batzen — willst du sie uns doch zeigen, Mutter? sagten die Kinder. Hernach, nach dem Beten, sagte die Mutter. Die Kinder jauchzeten vor Freuden. L 5 §. 33. §. 33. Die Ernsthaftigkeit der Gebetsstunde. I hr laͤrmet, Kinder! sagte die Mutter. Wenn euch etwas Gutes begegnet, so denket doch bey al- lem an Gott, der uns alles giebt. Wenn ihr das thut, Kinder! so werdet ihr in keiner Freude wild und ungestuͤmm seyn. Ich bin gern selber mit euch froͤlich, ihr Lieben! aber wenn man in Freude und Leid ungestuͤmm und heftig ist, so verlieret man die stille Gleichmuͤthigkeit und Ruhe seines Herzens. Und wenn der Mensch kein stilles, ruhiges und heiteres Herz hat, so ist ihm nicht wohl. Darum muß er Gott vor Augen haben. Die Gebetsstunde des Abends und Morgens ist darfuͤr, daß ihr das nie vergesset. Denn, wenn der Mensch Gott dankt oder betet, so ist er in seinen Freuden nie ausge- lassen und in seinen Sorgen nie ohne Trost. Aber darum, Kinder! muß der Mensch, besonders in sei- ner Gebetsstunde, suchen ruhig und heiter zu seyn — Sehet, Kinder! wenn ihr dem Vater recht danket fuͤr etwas, so jauchzet und laͤrmet ihr nicht — Ihr fallet ihm still und mit wenig Worten um den Hals; und wenn’s euch recht zu Herzen gehet, so steigen euch Thraͤnen in die Augen — Sehet, Kin- der! der! so ist’s auch gegen Gott! Wen̄’s euch cht freuet, was er euch Gutes thut, und wenn es euch recht im Herzen ist zu danken, so machet ihr gewiß nicht viel Geschreyes und Geredes — aber Thraͤnen kom- men euch in die Augen, daß der Vater im Himmel so gut ist — Sehet, Kinder! dafuͤr ist alles Beten, daß einem das Herz im Leib gegen Gott und Men- schen immer dankbar bleibe; und wenn man recht betet, so thut man auch Recht, und wird Gott und Menschen lieb in seinem ganzen Leben. Niclas. Auch dem Gnaͤdigen Herrn werden wir recht lieb, wenn wir Recht thun, sagtest du gestern. Mutter. Ja, Kinder! es ist ein recht guter und frommer Herr! Gott lohne ihm alles was er an uns thut. Wenn du ihm einst nur recht lieb wirst, Niclas! Niclas. Ich will ihm thun, was er will; wie dir und dem Vater will ich ihm thun, was er will, weil er so gut ist. Mutter. Das ist brav, Niclas! denk nur im- mer so, so wirst du ihm gewiß lieb werden. Niclas. Wenn ich nur auch einmal mit ihm reden duͤrfte. Mutter. Was wolltest du mit ihm reden? Niclas. Ich wollte ihm danken fuͤr den schoͤ- nen Batzen. Anneli. Duͤrftest du ihm danken? Niclas. Niclas. Warum das nicht? Anneli. Ich duͤrft’s nicht. Lise. Ich auch nicht. Mutter. Warum duͤrftet ihr das nicht, Kin- der? Lise. Ich muͤßte lachen — Mutter. Was lachen? Lise! und noch vor- aus sagen, daß du nicht anders als laͤppisch thun koͤnntest. Wenn du nicht viel Thorheiten im Kopf haͤttest, es koͤnnte dir an so etwas kein Sinn kom- men. Anneli. Ich muͤßte nicht lachen, laber ich wuͤrde mich fuͤrchten. Mutter. Er wuͤrde dich bey der Hand nehmen, Anneli! und wuͤrde auf dich herab laͤcheln, wie der Vater, wenn er recht gut mit dir ist. Dann wuͤr- dest du dich doch nicht mehr fuͤrchten, Anneli! Anneli. Nein — dann nicht. Jonas. Und ich dann auch nicht. §. 34. §. 34. So ein Unterricht wird verstanden und geht an’s Herz, aber es giebt ihn ei- ne Mutter. Mutter. A ber ihr Lieben! wie ist’s in dieser Woche mit dem Rechtthun gegangen? Die Kinder sehen eines das andere an, und schweigen. Mutter. Anneli! thatest du Recht in dieser Woche? Anneli. Nein Mutter! du weißst es wohl mit dem Bruͤderlein. Mutter. Anneli! es haͤtte dem Kind etwas begegnen koͤnnen; es sind schon Kinder, die man so allein gelassen hat, erstickt. Und uͤber das, denk nur, wie’s dir waͤre, wenn man dich in eine Kammer einsperrte, und dich da hungern und duͤrsten und schreyen liesse. Die kleinen Kinder werden auch zornig, und schreyen, wenn man sie lang ohne Huͤlfe laͤßt, so entsetzlich, daß sie fuͤr ihr ganzes Leben elend werden koͤnnen. — Anneli! so duͤ f te ich, weiß Gott! keinen Augenblick mehr ruhig vom Hause Hause weg, wenn ich fuͤrchten muͤßte, du haͤttest zu dem Kind nicht recht Sorge. Anneli. Glaube mir’s doch, Mutter! ich will gewiß nicht mehr von ihm weggehn. Mutter. Ich wills zum lieben Gott hoffen, du werdest mich nicht mehr so in Schrecken setzen. Und, Niclas! wie ists dir in dieser Woche ge- gangen? Niclas. Ich weiß nichts Boͤses. Mutter. Denkst du nicht mehr dran, daß du am Montag das Gruͤteli umgestossen hast? Niclas. Ich hab’s nicht mit Fleiß gethan, Mutter! Mutter. Wenn du es noch gar mit Fleiß ge- than haͤttest, schaͤmest du dich nicht, das zu sagen? Niclas. Es ist mir leid! Ich will’s nicht mehr thun, Mutter! Mutter. Wenn du einmal groß seyn, und so, wie jezt, nicht Achtung geben wirst, was um und an dir ist, so wirst du es mit deinem g r ossen Schaden lernen muͤssen. Schon unter den Knaben kommen die Unbedachtsamen immer in Haͤndel und Streit — und so muß ich fuͤrchten, mein lieber Niclas! daß du dir mit deinem unbedachtsamen Wesen viel Un- gluͤck und Sorgen auf den Hals ziehen werdest. Niclas. Ich will gewiß Acht geben, Mutter! Mutter. Thue es doch, mein Lieber! und glaub glaub mir, dieses unbedachtsame Wesen wuͤrde dich gewiß ungluͤcklich machen. Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben. Mutter. Und du, Lise! wie hast du dich in dieser Woche aufgefuͤhrt? Lise. Ich weiß einmal nichts anders diese Woche, Mutter! Mutter. Gewiß nicht? Lise. Nein einmal, Mutter! so viel ich mich besinne; ich wollte es sonst gern sagen, Mutter! Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts weißst, mit so viel Worten antwortest, als ein an- ders, wenn es recht viel zu sagen hat. Lise. Was habe ich jezt denn auch gesagt, Mut- ter? Mutter. Eben nichts, und doch viel geant- wortet. Es ist das, was wir dir tausendmal schon sagten, du seyst nicht bescheiden, du besinnest dich uͤber nichts, was du reden sollst, und muͤssest doch immer geredt haben — Was hattest du gerad vor- gestern dem Untervogt zu sagen, du wissest, daß Arner bald kommen werde? Lise. Es ist mir leid, Mutter! Mutter. Wir haben’s dir schon so oft gesagt, daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re- den sollst, insonderheit vor fremden Leuten; und doch thust du es immerfort — Wenn jezt dein Va- ter ter es nicht haͤtte sagen duͤrfen, daß er es schon wisse, und wenn er so Verdruß von deinem Ge- schwaͤtze gehabt haͤtte? Lise. Es wuͤrde mir sehr leid seyn; aber weder du noch er haben doch kein Wort gesagt, daß es Niemand wissen soll. Mutter. Ja, ich will’s dem Vater sagen, wenn er heim koͤmmt. Wir muͤssen so zu al- len Worten, die wir in der Stube reden, allemal hinzusetzen: Das darf jezt die Lise sagen bey den Nachbaren, und beym Brunnen erzaͤhlen — aber das nicht — und das nicht — und das wieder — so weißst du denn recht ordentlich und richtig, wo- von du plappern darfst. Lise. Verzeih mir doch, Mutter! Ich meynte es auch nicht so. Mutter. Man hat es dir fuͤr ein und allemal gesagt, daß du in nichts, was dich nicht angeht, plaudern sollst; aber es ist vergeblich. Der Feh- ler ist dir nicht abzugewoͤhnen, als mit Ernst, und das erstemal, daß ich dich wieder bey so unbeson- nenem Geschwaͤtz antreffen werde, werde ich dich mit der Ruthe abstrafen. Die Thraͤnen schossen der Lise in die Augen, da die Mutter von der Ruthe redte. Die Mutter sah es, und sagte zu ihr: Lise! die groͤßsten Ungluͤcke entstehen aus unvorsichtigem Geschwaͤtze, und dieser Fehler muß dir abgewoͤhnt seyn. So So redte die Mutter mit allen, so gar mit dem kleinen Gruͤtli: Du mußst deine Suppe nicht mehr so ungestuͤmm fordern, sonst laß ich dich ein ander mal noch laͤnger warten, oder ich gebe sie gar ei- nem andern. Nach allem diesem beteten die Kinder ihre ge- woͤhnten Abendgebete, und nach denselben das Sam- stagsgebet, das Gertrud sie gelehrt hatte. Es lau- tet also: §. 35. Ein Samstagsabendgebet. L ieber Vater im Himmel! Du bist immer gut mit den Menschen auf Erden, und auch mit uns bist du immer gut, und giebst uns alles, was wir noͤ- thig haben. Ja, du giebst uns Gutes zum Ue- berfluß. Alles koͤmmt von dir — das Brod und alles, was uns der liebe Vater und die liebe Mut- ter geben, alles giebst du ihnen, und sie geben es uns gern. Sie freuen sich uͤber alles, was sie uns thun und geben koͤnnen, und sagen uns, wir sollen es dir danken, daß sie so gut mit uns sind; sie sa- gen uns, wenn sie dich nicht kennten, und du ih- nen nicht lieb waͤrest, so waͤren auch wir ihnen nicht M so so lieb, und sie wuͤrden, wenn sie dich nicht kenn- ten und liebten, uns gar viel weniger Gutes thun koͤnnen. Sie sagen uns ferner, daß wir es dem Heiland der Menschen danken sollen, daß sie dich, himmlischer Vater! erkennen und lieben, und daß alle Menschen, welche diesen lieben Heiland nicht kennen und lieben, und nicht allem guten Rathe fol- gen, den er den Menschen auf Erden gegeben hat, auch dich, himmlischer Vater nicht so lieben, und ihre Kinder nicht so fromm und sorgfaͤltig erziehen, als die, so dem Heiland der Welt glauben. Un- ser liebe Vater und die liebe Mutter erzaͤhlen uns immer viel von diesem lieben Jesus, wie er es so gut mit den Menschen auf Erden gemeynt, wie er, damit er alles thue, was er koͤnne, die Menschen zeitlich und ewig gluͤcklich zu machen, sein Leben in tausendfachem Elend zugebracht ha- be, und wie er endlich am Kreuze gestorben sey; wie ihn Gott wieder vom Tode auferweckt habe, und wie er jezt in der Herrlichkeit des Himmels zur Rechten auf dem Throne Gottes, seines Vaters, lebe, und noch jezt alle Menschen auf Erden gleich liebe und suche gluͤcklich und selig zu machen — Es geht uns allemal an’s Herz, wenn wir von diesem lieben Jesus hoͤren — wenn wir nur auch lernen so leben, daß wir ihm lieb werden, und daß wir einst zu ihm kommen in den Himmel. Lieber Lieber Vater im Himmel! Wir arme Kinder, die wir hier beysammen sitzen und beten, sind Bruͤ- der und Schwestern; darum wollen wir immer recht gut mit einander seyn, und einander nie nichts zu leid thun, sondern alles Gute, was wir koͤnnen und moͤgen. Zu den Kleinen wollen wir Sorge tragen mit aller Treue und mit allem Fleiß, daß der liebe Vater und die liebe Mutter ohne Sorgen ihrer Arbeit und ihrem Brode nachgehn koͤnnen; das ist das Einzige, so wir ihnen thun koͤnnen — fuͤr alle Muͤhe und Sorgen und Ausgaben, die sie fuͤr uns haben. Vergilt ihnen, du Vater im Him- mel! alles, was sie an uns thun, und laß uns ih- nen in allem, was sie wollen, folgen, daß wir ih- nen lieb bleiben bis an’s Ende ihres Lebens, da du sie von uns nehmen und belohnen wirst fuͤr ihre Treue, die sie uns werden erwiesen haben. Lieber himmlischer Vater! Laß uns den mor- genden heiligen Tag deiner Guͤte und der Liebe Jesu Christi, und auch alles dessen, was uns unser Va- ter und unsere Mutter und alle Menschen Gutes thun, recht eingedenk seyn; damit wir gegen Gott und Menschen dankbar werden, und gehorsam, und damit wir in der Liebe wandeln vor deinen Augen unser Lebenlang — Hier mußte Niclas inne halten. Dann sprach Gertrud allemal, nach den Vorfaͤllen der Woche, das weitere vor. M 2 Heute Heute sagte sie ihnen: Wir danken dir, himm- lischer Vater! daß du unsern lieben Eltern in die- ser Woche die schweren Sorgen fuͤr ihr Brod und fuͤr ihre Haushaltung erleichtert, und dem Vater einen guten, eintraͤglichen Verdienst gezeiget hast. Wir danken dir, daß unsere Obrigkeit mit wah- rem Vaterherzen unser Schutz, unser Trost und unsere Huͤlfe in allem Elend und in aller Noth ist. Wir danken dir fuͤr die Gutthat unsers Gnaͤdigen Herrn. Wir wollen, will’s Gott! aufwachsen, wie zu deiner Ehre, also auch zu seinem Dienst und Wohlgefallen; denn er ist uns, wie ein treuer Va- ter. Hierauf sprach sie der Lise vor: Verzeih mir, o mein Gott! meine alte Unart, und lehre mich, mei- ne Zunge im Zaum halten — schweigen, wo ich nicht reden soll, und behutsam und bedaͤchtlich ant- worten, wo man mich fraget. Sodann spricht sie dem Niclas vor: Bewahre mich, Vater im Himmel! doch in Zukunft vor mei- nem hastigen Wesen, und lehre mich, mich auch in Acht nehmen, was ich mache, und wer um und an mir sey. Dann dem Anneli: Es ist mir leid, mein lie- ber Gott! daß ich mein Bruͤderlein so leichtsinnig ver- lassen, und damit die liebe Mutter so in Schrecken gesetzt habe. Ich will es in meinem Leben nicht mehr thun, mein lieber Gott! Und Und nachdem die Mutter allen Kindern so vor- gesprochen hatte, betete sie ferner: Herr! Erhoͤre uns. Vater! Verzeih uns. Jesus! Erbarm dich unser. Dann betete Niclas das heilige Vater unser. Und dann Enne: Behuͤt mir, Gott! den lie- ben Vater und die liebe Mutter und die lieben Ge- schwister, auch unsern lieben Gnaͤdigen Herrn von Arnheim, und alle guten lieben Menschen auf Er- den — Und dann die Lise: Das walt Gott, Der Vater! Der Sohn! und der heilige Geist! Und dann die Mutter: Nun Gott sey mit euch! Gott erhalte euch! Der Herr lasse sein heiliges Angesicht uͤber euch leuchten, und sey euch gnaͤdig! Eine Weile noch sassen die Kinder und die Mut- ter in der ernsten Stille, die ein wahres Gebet al- len Menschen einfloͤssen muß. M 3 §. 36. §. 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine An- dacht und Emporhebung der Seele zu Gott. L ise unterbrach diese Stille — Du zeigest uns jezt die neuen Batzen, sagte sie zur Mutter — Ja, ich will sie euch zeigen, antwortete die Mutter. Aber, Lise! du bist immer das, so zuerst redet. Niclas juckt jezt vom Ort auf, wo er saß, draͤngt sich hinter dem Gruͤtli hervor, daß er naͤher beym Licht sey, um die Batzen zu sehen, und stoͤßt denn das Kleine, daß es laut weint. Da sagte die Mutter: Niclas! es ist nicht Recht; in eben der Viertelstunde versprachst du, sorgfaͤlti- ger zu seyn, und jezt thnst du das. Niclas. Ach Mutter! es ist mir leid; ich will’s in meinem Lebe nicht mehr thun. Mutter. Das sagtest du eben jezt zu deinem lieben Gott, und thatst es wieder; es ist dir nicht Ernst. Niclas. Ach ja, Mutter! Es ist mir gewiß Ernst. Verzeih mir, es ist mir gewiß Ernst und recht leid. Mut- Mutter. Mir auch, du Lieber! Aber du denkst nicht daran, wenn ich dich nicht abstrafe. Du mußst jezt ungeessen ins Bett. Sie sagts, und fuͤhrt den Knaben von den andern Kindern weg in seine Kammer. Seine Geschwister standen alle traurig in der Stube umher; es that ihnen weh, daß der liebe Niclas nicht zu Nacht essen mußte. Daß ihr euch doch nicht mit Liebe leiten lassen wollt, Kinder! sagte ihnen die Mutter. Laß ihn doch diesmal wieder heraus, sagten die Kinder. Nein, meine Lieben! Seine Unvorsichtigkeit muß ihm abgewoͤhnt werden, antwortete die Mutter. So wollen wir jezt die Batzen nicht sehn bis morgen; er sieht sie denn mit uns, sagte Enne. Und die Mutter: Das ist recht, Enne! Ja, er muß sie alsdann mit euch sehn. Jezt gab sie noch den Kindern ihr Nachtessen, und gieng dann mit ihnen in ihre Kammer, wo Niclas noch weinte. Nimm dich doch ein andermal in Acht, lieber, lieber Niclas! sagte ihm die Mutter. Und Niclas! Verzeih mir’s doch, meine liebe, liebe Mutter! Verzeih mir’s doch, und kuͤsse mich; ich will gern nichts zu Nacht essen. Da kuͤßte Gertrud ihren Niclas und eine heisse Thraͤne floß auf sein Antlitz, als sie ihm sagte: O Niclas! Niclas! werde bedachtsam — Niclas M 4 mit mit beyden Haͤnden umschlingt den Hals der Mut- ter und sagt: O Mutter! Mutter! verzeih mir. Gertrud segnete noch ihre Kinder, und gieng wieder in ihre Stube. Jezt war sie ganz allein — Eine kleine Lam- pe leuchtete nur schwach in der Stube, und ihr Herz war feyerlich still, und ihre Stille war ein Gebet, das unaussprechlich ohne Worte ihr Inner- stes bewegte. Empfindung von Gott und von seiner Guͤte! Gefuͤhl von der Hoffnung des ewigen Le- bens, und von der innern Gluͤckseligkeit der Men- schen, die auf Gott im Himmel trauen und bauen; alles dieses bewegte ihr Herz, daß sie hinsank auf ihre Knie, und ein Strom von Thraͤnen floß ihre Wangen herunter. Schoͤn ist die Thraͤne des Kinds, wenn es von der Wohlthat des Vaters geruͤhrt schluchzend zu- ruͤck sieht, seine Wange trocknet, und sich erholen muß, ehe es den Dank seines Herzens stammeln kann. Schoͤn sind die Thraͤnen des Niclas, die er in dieser Stunde weint, daß er die gute gute Mutter erzuͤrnet hat, die ihm so lieb ist. Schoͤn sind die Thraͤnen des Menschen alle, die er also aus gutem Kinderherzen weint. Der Herr im Himmel sieht herab auf das Schluchzen seines Danks — und auf die Thraͤnen seiner Augen, wenn er ihn lieb hat. Der Der Herr im Himmel sah die Thraͤnen der Gertrud, und hoͤrte das Schluchzen ihres Herzens, und das Opfer ihres Danks war ein angenehmer Geruch vor ihm. Gertrud weinte lang vor dem Herrn ihrem Gott, und ihre Augen waren noch naß, als ihr Mann heim kam. Warum weinest du, Gertrud? Deine Augen sind roth und naß. Warum weinest du heute, Gertrud? fragte sie Lienhard. Gertrud antwortete: Mein Lieber! Es sind keine Thraͤnen von Kummer — fuͤrchte dich nicht — Ich wollte Gott danken fuͤr diese Woche, da ward mir das Herz zu voll, ich mußte hinsinken auf meine Knie, ich konnte nicht reden — ich muß- te nur weinen; aber es war mir, ich habe in mei- nem Leben Gott nie so gedankt. Du Liebe! antwortete Lienhard; wenn ich nur auch mein Herz, wie du, so schnell empor h eben und zu Thraͤnen bringen koͤnnte! Es ist mir jezt auch gewiß Ernst recht zu thun, und gegen Gott und Menschen redlich und dankbar zu seyn; aber es wird mir nie so, daß ich auf meine Knie fallen und Thraͤnen vergiessen moͤchte. Gertrud. Wenn’s dir nur Ernst ist, recht zu thun, so ist alles andre gleich viel. Der eine hat eine schwache Stimme, und der andre eine starke; daran liegt nichts. Nur wozu sie ein jeder braucht, M 5 darauf darauf koͤmmt’s allein an — Mein Lieber! Thraͤ- nen sind nichts, und Kniefallen ist nichts; aber der Entschluß, gegen Gott und Menschen redlich und dankbar zu seyn, das ist alles. Daß der eine Mensch weichmuͤthig, und daß der andre es weniger ist, das ist eben so viel, als daß der eine Wurm schwaͤr- faͤlliger und der andre leichter in dem Staube daher schleicht. Wenn es dir nur Ernst ist, mein Lieber! so wirst du ihn finden. Ihn, der allen Menschen Vater ist. Lienhard senkt mit einer Thraͤne im Aug sein Haupt auf ihren Schooß, und sie haͤlt ihr Ange- sicht in stiller Wehmuth uͤber das seine. Sie bleiben eine Weile in dieser Stellung still, staunen — und schweigen. Endlich sagte Gertrud zu ihm: Willst du nicht zu Nacht essen? Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz ist zu voll, ich koͤnnte jezt nicht essen. Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte sie; aber weißst du, was wir thun wollen — Ich trage das Essen zu dem armen Rudi — Seine Mutter ist heute gestorben. §. 37. §. 37. Sie bringen einem armen Mann eine Erbsbruͤhe. Lienhard. I st sie endlich ihres Elends los? Gertrud. Ja, Gott Lob! aber du haͤttest sie sollen sterben sehn; mein Lieber! Denk, sie ent- deckte an ihrem Todestag, daß ihr Rudeli uns Erdaͤpfel gestohlen haͤtte. Der Vater und der Knab mußten zu mir kommen, und um Verzeihung bit- ten. Sie ließ uns auch ausdruͤcklich in ihrem Namen bitten, wir sollten es ihr verzeihen, daß sie die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne, und der gute Rudi versprach so herzlich, daß er es dir ab- verdienen wolle — Denk, wie mir bey dem allem war, mein Lieber! Ich lief zu der Sterbenden, aber ich kann dir’s nicht erzaͤhlen; es ist nicht aus- zusprechen, mit welcher Wehmuth, wie innig ge- kraͤnkt sie mich noch einmal fragte, ob ich’s ihnen verziehen haͤtte; und da sie sah, daß mein Herz geruͤhrt war, empfahl sie mir ihre Kinder — wie sie das fast nicht thun und fast nicht wagen duͤrfte — wie sie es bis auf den letsten Augenblick verspart, und dann, da sie empfand, daß sie eilen muͤßte, end- endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe gegen die Ihrigen that — und wie sie mitten, indem sie es that, ausgeloͤscht ist, das ist nicht auszu- sprechen und nicht zu erzaͤhlen. Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn. Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn. Sie nimmt ihre Erbsbruͤhe und sie gehen. Da sie kamen, saß der Rudi neben der Todten auf ihrem Bett, weinte und seufzte, und der Klei- ne rief dem Vater aus seiner Kammer und bat ihn um Brod — Nein, nicht um Brod — um rohe Wurzeln nur, oder was es waͤre. Ach! ich habe nichts, gar nichts — um Got- tes willen, schweig doch bis morgen; ich habe nichts, sagt ihm der Vater. Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va- ter! ich kann nicht schlafen — O! wie mich hun- gert, Vater! O wie mich hungert! hoͤren ihn Lienhard und Gertrud rufen, oͤffnen die Thuͤre, stellen das Essen den Hungrigen dar, und sagen zu ihnen: Esset doch geschwind, ehe es kalt ist. O Gott! sagte der Rudi, was ihr an mir thut. Rudeli, das sind die Leute, denen du Erdaͤpfel gestohlen hast; und auch ich habe davon geessen. Gertrud. Schweig doch einmal hievon, Rudi! Rudi. Ich darf euch nicht ansehn, so geht’s mir mir an’s Herz, daß wir euch das haben thun duͤr- fen. Lienhard. Iß doch jezt, Rudi! Rudeli. Iß doch, Vater! wir wollen doch essen, Vater! Rudi. So bete eben. Rudeli. Speis Gott — Troͤst Gott — Alle armen Kind Die auf Erden sind An Seel und Leib, Amen! So betet der Knab, nimmt den Loͤffel, zittert, weint und ißt. So vergelt’s euch Gott zu tausendmalen — sagt der Vater, ißt auch, und Thraͤnen fallen uͤber seine Wangen in seine Speise. Sie assen aber das Essen nicht auf, sondern stellten ein Blaͤttlein voll den Kindern beyseits, die schliefen, dann betete der Rudeli ab Tische: Wer geessen hat Gott danken soll; Der uns gespeist hat Abermal. Ihm sey Lob, Preis und Dank gesagt, Von nun an bis in Ewigkeit, Amen! Als nun der Rudi ihnen noch einmal danken wollte, entfuhr ihm ein Seufzer — §. 38. §. 38. Die reine stille Groͤsse eines wohlthaͤtigen Herzens. F ehlt dir etwas, Rudi? Wenn’s etwas ist, da wir dir helfen koͤnnen, so sag es, sagten Lienhard und Gertrud zu ihm. Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch, antwortete der Rudi. Aber sichtbar erstickt’ er das tiefe Seufzen des Herzens, das immer empordringen wollte. Mitleidig und traurig sahen ihn Lienhard und Gertrud an, und sprachen: Du seufzest doch, und man sieht’s, dein Herz ist uͤber etwas beklemmt. Sag’s doch, ach sag’s doch, Vater! sie sind ja so gut, bittet ihn der Kleine. Thu es doch, und sag es, wenn wir helfen koͤn- nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud. Darf ich’s! erwiederte der Arme; Ich habe weder Schuh noch Struͤmpfe, und sollte morgen mit der Mutter zum Grabe, und uͤbermorgen in’s Schloß gehn. Lienhard. Daß du dich auch so graͤmen magst uͤber dieses! Warum sagtest du doch das nicht auch gerade gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern geben. Rudi. Wirst du mir, ach mein Gott! nach allem, was vorgefallen ist, auch glauben, daß ich dir es unversehrt und mit Dank wieder zuruͤck ge- ben werde? Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und deine Noth haben dich zu aͤngstlich gemacht. Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und Menschen, so wird dir durchaus leichter ums Herz werden, und du wirst dir in allen Umstaͤnden bes- ser helfen koͤnnen. Rudi. Ja, Gertrud! Ich sollte wohl meinem Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich nicht genug danken. Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi! Gertrud. Ich moͤchte deine Mutter noch sehen. Sie gehn mit einer schwachen Lampe an ihr Bett — und Gertrud und Lienhard und der Rudi und der Kleine, alle mit Thraͤnen in den Augen — staunen in tiefem stillen Schweigen eine Weile sie an, decken sie dann wieder zu, und nehmen fast ohne Worte herzlich Abschied von einander. Und im Heimgehn sagte Lienhard zu Gertrud: Es geht mir an’s Herz, welche Tiefe des Elends! Nicht mehr in die Kirche gehn koͤnnen, nicht mehr um Arbeit bitten, nicht mehr dafuͤr danken koͤnnen, weil man man keine Kleider, nicht einmal Schuh und Struͤm- pfe dazu hat. Gertrud. Wenn der Mann nicht unschuldig an seinem Elend waͤre, er muͤßte verzweifeln. Lienhard. Ja, Gertrud! er muͤßte verzwei- feln; gewiß, er muͤßte verzweifeln, Gertrud! Wenn ich meine Kinder so um Brod schreyen hoͤrte, und keines haͤtte, und Schuld daran waͤre, Gertrud! ich muͤßte verzweifeln; und ich war auf dem Weg zu diesem Elend. Gertrud. Ja, wir sind aus grossen Gefahren errettet. Indem sie so redten, kamen sie neben dem Wirthshaus vorbey, und das dumpfe Gewuͤhl der Saͤufer und Prasser ertoͤnte in ihren Ohren. Dem Lienhard klopfte das Herz schon von ferne; aber ein Schauer durchfuhr ihn und ein banges Ent- setzen, als er sich ihm naͤherte. Sanft und weh- muͤthig sah ihn Gertrud jezt an, und beschaͤmt er- wiederte Lienhard den wehmuͤthigen Anblick seiner Gertrud, und sagte: O des herrlichen Abends an deiner Seite! und wenn ich jezt auch hier gewesen waͤre! So sagt er. Die Wehmuth der Gertrud waͤchst jezt zu Thraͤ- nen, und sie hebt ihre Augen gen Himmel. Er siehts — Thraͤnen steigen auch ihm in die Augen, und gleiche Wehmuth in das Antlitz, wie seiner Ge- liebten. Auch er hebt seine Augen gen Himmel, und und beyde hefteten eine Weile ihr Antlitz auf den schoͤnen Himmel. Sie sahn mit wonnevollen Thraͤ- nen den hellleuchtenden Mond an, und noch won- nevollere innere Zufriedenheit versicherte sie, daß Gott im Himmel die reinen und unschuldigen Gefuͤhle ih- rer Herzen guthiesse. Nach dieser kleinen Verweilung giengen sie in ihre Huͤtte. Alsobald suchte Gertrud Schuhe und Struͤm- pfe fuͤr den Rudi, und Lienhard brachte sie ihm noch am gleichen Abend. Da er wieder zuruͤck war, beteten sie noch ein Vorbereitungsgebet zum heiligen Nachtmahl, und entschliefen in gottseligen Gedanken. Am Morgen stuhnden siel fruͤh auf, und freu- ten sich des Herrn, lasen die Leidensgeschichte des Heilands und die Einsetzung des heiligen Abend- mahls, und lobten Gott in der fruͤhen Stunde vor dem Aufgange der Sonne am heiligen Tage. Dann weckten sie ihre Kinder, warteten noch ihr Morgengebet ab, und giengen zur Kirche. Eine Viertelstunde vor dem Zusammenlaͤuten stuhnd auch der Vogt auf. Er konnte den Schluͤs- sel zum Kleiderkasten nicht finden, fluchte Entsetzen und Graͤuel, stieß den Kasten auf mit dem Schuh, kleidete sich an, gieng zur Kirche, setzte sich in den ersten Stuhl des Chors, nahm den Hut vor den Mund, blickte mit den Augen in alle N Ecken Ecken der Kirche, und betete zugleich unter dem Hute. Bald darauf kam auch der Pfarrer. Da sang die Gemeinde zwey Stuͤcke von dem Passionslied: O Mensch! bewein’ dein Suͤnden groß, und wie es weiter lautet. Dann trat der Pfarrer auf die Kanzel, und predigte und lehrte an diesem Tage seine Gemeinde also. §. 39. Eine Predigt. Meine Kinder ! W er den Herrn fuͤrchtet, und fromm und aufrich- tig vor seinen Augen wandelt, der wandelt im Licht. Aber wer des Herrn seines Gottes in seinem Thun vergißt, der wandelt in der Finsterniß. Darum lasset euch nicht verfuͤhren, es ist nur einer gut, und der ist euer Vater. Warum laufet ihr in der Irre umher, und tappet in der Finsterniß? Es ist Niemand euer Va- ter, als nur Gott. Huͤtet euch vor den Menschen, daß ihr von ih- nen nicht Dinge lernt, die euerm Vater mißfallen. Selig ist der Mensch, dessen Vater Gott ist. Selig Selig ist der Mensch, der sich vor dem Boͤsen fuͤrchtet, und der das Arge hasset; denn es geht denen nicht wohl, die Boͤses thun, und der Arge ver- strickt sich in seiner Arglist. Es geht denen nicht wohl, die ihren Naͤchsten druͤcken und draͤngen. Nein, es geht dem Men- schen nicht wohl, uͤber den der Arme zu Gott schreyt. Weh dem Elenden, der im Winter den Armen speiset, und in der Ernde das Doppelte von ihm wieder abnimmt. Weh dem Gottlosen, der dem Armen im Som- mer Wein aufdringt, und im Herbst ihm zwey- mal so viel wieder fordert. Weh ihm, wenn er dem Armen sein Stroh und sein Futter abdruͤckt, daß er sein Land nicht mehr bauen kann. Weh ihm, wenn die Kinder des Armen um seiner Hartherzigkeit willen Brod mangeln. Weh dem Gottlosen, der den Armen Geld leiht, daß sie seine Knechte werden, ihm zu Gebote stehn, ohne Lohn arbeiten, und doch zinsen muͤssen. Weh ihm, wenn sie vor Gericht und Recht fuͤr ihn aussagen, falsches Zeugniß geben, und Meyn- eide schwoͤren, daß er Recht hat. Weh ihm, wenn er Boͤswichter in seinem Haus versammelt, und mit ihnen dem Gerechten auf- lauert, ihn zu verfuͤhren, daß er auch werde wie N 2 sie, sie, und daß er seines Gottes, und seines Weibs, und seiner Kinder vergesse, und verschwende bey ihnen den Lohn seiner Arbeit, auf den die Mutter samt den Kindern hoffet. Und weh auch dem Elenden, der sich also von dem Gottlosen verfuͤhren laͤßt, und in seinem Un- sinn verschwendet das Geld, das in seiner Haushal- tung noͤthig ist. Weh ihm, wenn sein Weib uͤber ihn zu Gott seufzt, daß sie nicht Milch hat, den Saͤugling zu naͤhren. Weh ihm, wenn der Saͤugling um seines Sau- fens willen serbet. Weh ihm, wenn die Mutter uͤber seiner Kin- der Brodmangel und uͤber unvernuͤnftig aufgebuͤr- dete Arbeit weint. Weh dem Elenden, der das Lehrgeld seiner Soͤhne verspielt; wenn sein Alter kommen wird, wer- den sie zu ihm sagen: Du warst nicht unser Vater, du lehrtest uns nicht Brod verdienen, womit koͤnnen wir dir helfen? Weh denen, die mit Luͤgen umgehen, und das Krumme gerad und das Gerade krumm machen, denn sie werden zu Schanden werden. Weh euch, wenn ihr der Wittwe Aecker und des Waisen Haus zu wohlfeil gekauft habt, weh euch! denn der Wittwe und des Waisen Vater ist euer Herr, und und die Armen und die Wittwen und die Waisen sind ihm lieb, und ihr seyd ihm ein Graͤuel und ein Abscheu, darum, daß ihr boͤs seyd und hart mit den Armen. Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von dem, was nicht euer ist. Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins, der in den Reben des Armen gewachsen ist. Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde Menschen ihr Korn mit Seufzen in eure Saͤcke ausschuͤtten. Ob ihr gleich spoͤttelt und scherzet, wenn euer Unterdruͤckte sich vor euch wie ein Wurm windet, und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie- der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr euch gleich gegen alles das verhaͤrtet, so ist es euch doch keine Stunde wohl in eurem Herzen. Nein, es ist dem Menschen nicht wohl auf Got- tes Erdboden, der den Armen aussaugt. Moͤg er seyn, wer er will, moͤg er uͤber alle Gefahr, uͤber alle Verantwortung und uͤber alle Strafe auf der Erde hinaus seyn. Moͤg er so gar Richter im Lande seyn, und Elende, die besser, als er, sind, mit seiner Hand gefangen nehmen und mit seinem Munde anklagen. Moͤg er so gar sitzen und richten selber uͤber sie, auf Leben und Tod, und sprechen das Urtheil auf Schwerdt und Rad. N 3 Er Er ist schlimmer als sie. Wer den Armen aus Uebermuth druͤckt, und elenden Leuten Fallstricke legt, und die Haͤuser der Wittwen aussaugt — der ist schlimmer, als Diebe und Moͤrder, deren Lohn der Tod ist. Darum ist dem Menschen auf Erden, der das thut, auch keine Stunde wohl in seinem Herzen. Er irret auf Gottes Erdboden umher, belastet mit dem Fluche des Brudermoͤrders, der seinem Herzen keine Ruhe laͤßt. Er irret umher, und will und sucht immer die Schrecken seines Inwendigen vor sich selber zu ver- bergen. Mit Saufen und Prassen, Mit Muthwillen und Bosheiten, Mit Hader und Streit, Mit Lug und Betrug, Mit Zoten und Possen, Mit Schmaͤhen und Schimpfen, Mit Aufhetzen und Hinterreden, will er sich selbst die Zeit, die ihm zur Last ist, vertreiben. Aber er wird die Stimme seines Gewissens nicht immer ersticken, er wird dem Schrecken des Herrn nicht immer entgehen koͤnnen; Es wird ihn uͤber- fallen, wie ein Gewaffneter, und ihr werdet ihn sehn zittern und zagen, wie einen Gefangenen, dem der Tod droht. Aber Aber selig ist der Mensch, der keinen Theil hat an seinem Thun. Selig ist der Mensch, der nicht Schuld ist an der Armuth eines seiner Nebenmenschen. Selig ist der Mensch, der von keinem Armen Gaben oder Gewinn in seiner Hand hat. Selig seyd ihr, wenn euer Mund rein ist von harten Worten, und euer. Aug von harten Bli- cken. Selig seyd ihr, wenn der Arme euch segnet, und wenn Wittwen und Waisen Thraͤnen des Danks uͤber euch zu Gott weinen. Selig ist der Mensch, der in der Liebe wan- delt vor dem Herrn seinem Gott, und vor allem seinem Volk. Selig seyd ihr, ihr Frommen! Kommet und freuet euch beym Mahl des Herrn der Liebe. Der Herr, euer Gott, ist euer Vater. Die Pfaͤnder der Liebe aus seiner Hand werden euch er- quicken, und das Heil eures Herzens wird wachsen, weil eure Liebe gegen Gott, euern Vater, und ge- gen die Menschen, eure Bruͤder, wachsen und stark werden wird. Aber ihr, die ihr ohne Liebe wandelt, und in euerm Thun nicht achtet, daß Gott euer Vater ist, daß eure Nebenmenschen Kinder eures Gottes sind, und daß der Arme euer Bruder ist, ihr Gottlosen! was thut N 4 ihr ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie gestern den Armen druͤcken und draͤngen werdet! was thut ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn essen, und seinen Kelch trinken, und sagen: daß ihr ein Leib und ein Herz, ein Geist und eine Seele mit euern Bruͤdern seyd? Verlasset doch diese Vorhoͤfe, und meidet das Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen — daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn uͤber eu- erm Anblick erblasse, und daß er in der Stunde seiner Erquickung nicht denken muͤsse, ihr werdet ihn mor- gen erwuͤrgen. Goͤnnet, ach! goͤnnet ihm doch diese Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch, und euch nicht sehe. Denn der Arme zittert vor euch, und dem Waisen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg seyd. Aber warum rede ich mit euch? Ich ver- schwende umsonst meine Worte. Ihr geht nicht von da weg, wo ihr Menschen kraͤnken koͤnnet; wo ihr sie vor euch zitternd und angstvoll sehet, da ist euch wohl, und ihr meynet, es muͤsse, wie ihr, Niemand Ruhe haben in seinem Herzen. Aber ihr irret euch; siehe, ich wende mich von euch weg, als ob ihr nicht da waͤret. Und ihr Arme und Gedruͤckte in meiner Ge- meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr sie nicht saͤhet, als ob sie nicht da waͤren. Der Der Herr ist da! Auf den ihr hoffet — Der Herr ist da! Glaubet und trauet auf ihn; und die Frucht eurer Truͤbsal und eurer Leiden wird euch zum Segen werden. Glaubet und trauet dem Herrn euerm Gott, und fuͤrchtet euch nicht vor den Gottlosen; aber huͤtet euch vor ihnen, geduldet euch lieber, traget lieber allen Mangel, leidet lieber Schaden, als daß ihr Huͤlfe bey dem Hartherzigen suchet; denn die Worte eines harten Mannes sind Luͤgen, und seine Huͤlfe ist eine Lockspeise, womit er den Armen fange, daß er ihn toͤde. Darum fliehet den Gott- losen, wenn er euch laͤchelnd gruͤsset, wenn er sei- ne Hand euch bietet und die eure schuͤttelt und druͤcket. Wenn er euch alle seine Huͤlfe antraͤgt, so fliehet, denn der Gottlose verstrickt den Armen. Fliehet vor ihm, und bindet nicht mit ihm an; aber fuͤrchtet ihn nicht, wenn ihr ihn sehet stehen fest und groß — wie die hohe Eiche fest und groß! fuͤrchtet ihn nicht. Gehet hin, ihr Lieben! in euern Wald, an den Ort, wo die hohen alten Eichen standen, und und sehet, wie die kleinen Baͤume, die unter ihrem Schatten serbten, jezt zugenommen haben, wie sie gruͤnen und bluͤhen. Die Sonne scheint jezt wie- der auf die jungen Baͤume, und der Tau des Him- N 5 mels mels faͤllt auf sie in seiner Kraft, und die grossen weiten Wurzeln der Eiche, die alle Nahrung aus der Erde sogen, faulen jezt und geben den jungen Baͤumen Nahrung, die im Schatten der Eiche serbten. Darum hoffet auf den Herrn, denn seine Huͤlfe mangelt denen nie, die auf ihn hoffen. Der Tag des Herrn wird uͤber den Gottlosen kommen, und an demselben Tage wird er, wenn er den Unterdruͤckten und Elenden ansehen wird, heulen und sprechen: Waͤr ich wie dieser einer! Darum trauet auf den Herrn, ihr Betruͤbten und Unterdruͤckten! und freuet euch, daß ihr den Herrn erkennet, der das Mahl der Liebe eingesetzt hat. Denn durch die Liebe tragt ihr der Erde Lei- den, wie einen Schatz von dem Herrn, und unter euern Lasten wachsen eure Kraͤfte und euer Segen. Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der Liebe erkennet, denn ohne Liebe wuͤrdet ihr erlie- gen, und werden wie die Gottlosen, die euch pla- gen und betriegen. Lobpreiset den Herrn der Liebe, daß er das Abendmahl eingesetzt, und unter seinen Millionen auch euch zu seinem heiligen Geheimniß berufen hat! Lobpreiset den Herrn! Die Offenbarung der Liebe ist die Erloͤsung der Welt! Liebe Liebe ist das Band, das den Erdkreis verbindet. Liebe ist das Band, das Gott und Menschen verbindet. Ohne Liebe ist der Mensch ohne Gott; und ohne Gott und ohne Liebe was ist der Mensch? Doͤrft ihr’s sagen? Doͤrft ihr’s aussprechen? Doͤrft ihr’s denken? Was der Mensch ist ohne Gott und ohne Liebe. Ich darf’s nicht sagen. Ich kann’s nicht aussprechen. Nicht Mensch. Unmensch ist der Mensch ohne Gott und ohne Liebe. Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der Liebe erkennet, der den Erdkreis von der Unmensch- lichkeit zur Liebe, von der Finsterniß zum Licht, und vom Tod zum ewigen Leben berufen hat! Und noch einmal sage ich euch: Freuet euch, daß ihr den Herrn erkennet, und betet fuͤr alle die so ihn nicht erkennen, daß sie zur Erkenntniß der Wahrheit und zu eurer Freude gelangen. Meine Kinder! kommet zum heiligen Mahl euers Herrn — Amen! Nachdem der Pfarrer dieses gesagt, und fast eine Stunde seine Gemeinde christlich gelehret hatte, betete er mit ihnen, und die ganze Gemeinde nahm das Nachtmahl des Herrn. Der Vogt Hummel aber aber dienete zu beym Nachtmahl des Herrn; und nachdem alles Volk dem Herrn gedankt hatte, sangen sie wieder ein Lied, und der Pfarrer segnete die Gemeinde; und ein jeder gieng in seine Huͤtte. §. 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war. Item, vom Wissen und Irrthum; und von dem, was heisse, den Armen druͤcken. D er Vogt Hummel aber ergrimmte uͤber die Rede des Pfarrers, die er uͤber den Gottlosen gehalten hatte, in seinem Herzen; und am Tage des Herrn, den die ganze Gemeinde in stiller Feyer hei- ligte, tobte und wuͤtete er, schimpfte und redte er graͤuliche Dinge uͤber den Pfarrer. So bald er vom Tisch des Herrn heim gieng, sandte er sogleich zu den gottlosen Gesellen seines Lebens, daß sie geschwind zu ihm kamen. Diese waren bald da, und fuͤhrten mit dem Vogt laster- hafte, leichtfertige Reden uͤber den Pfarrer und uͤber seine christliche Predigt. Der Vogt fieng zuerst an: Ich kann das ver- dammte Schimpfen und Sticheln nicht leiden. Es Es ist auch nicht Recht, es ist Suͤnde, beson- ders an einem heiligen Tage ist es Suͤnde, daß er’s thut, sagte Aebi. Und der Vogt: Er weiß es, der Boͤsewicht, daß ich es nicht leiden kann; aber desto mehr thut er’s. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben seyn, wenn er die Leute mit seinem Predigen, und mit seinem Verdrehen alles dessen, was er nicht ver- steht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn und Wuth bringen kann. Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan- gelisten und die Apostel im neuen Testament haben Niemand geschimpft. Christen. Das mußst du nicht sagen, sie ha- ben auch geschimpft, und noch mehr als der Pfarrer. Aebi. Das ist nicht wahr, Christen! Christen. Du bist ein Narr, Aebi! Ihr blin- den Fuͤhrer, ihr Schlangen, ihr Ottergezuͤchte, und so tausenderley. Du verstehst die Bibel, Aebi! Bauern. Ja, Aebi! es ist wahr, sie haben auch geschimpft. Christen. Ja, aber Rechtshaͤndel! die sie nicht verstanden, und Rechnungssachen, die vor der Ober- keit ausgemacht und in der Ordnung sind, ahndeten sie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute, die das wohl durften. Bauern. Es versteht sich, es waren andre Leute. Christen. Christen. Ja, es mußten wohl andre Leute seyn, denn sonst haͤtten sie es nicht duͤrfen; den- ket, wie sie es machten — Einst einem Annas — ja Annas hieß er — und hinten nach auch seiner Frauen; nur daß sie eine Luͤge sagten, sind sie zu Boden gefallen, und waren todt. Bauern. Ist das auch wahr, um einer Luͤge willen? Christen. Ja, so wahr ich lebe, und da vor euch stehe. Aebi. Es ist doch schoͤn, wenn man die Bi- bel versteht. Christen. Ich dank’s meinem Vater unter dem Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts Sonderbares. Er hat uns unser ganzes Muttergut durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das koͤnnte ich noch wohl verschmerzen, haͤtte er sich nur nicht mit dem gehaͤngten Uli so eingelassen! so etwas traͤgt man Kind und Kindskindern nach; aber lesen konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das mußten wir auch koͤnnen; er ließ es keinem nach. Aebi. Es hat mich tausendmal gewundert, wie er auch so ein Schlimmling hat seyn koͤnnen, da er doch so viel wußte. Bauern. Ja, es ist freylich wunderlich, so viel er wußte. Jost. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus ist.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch hier- hieruͤber verwundert. Wenn vieles Wissen die Leute braf machen wuͤrde, so waͤren ja eure Anwaͤlde und eure Troͤler, und eure Voͤgte und euere Richter, mit Respect zu melden, immer die Braͤfsten. Bauern. Ja, es ist so, Nachbar! es ist so. Jost. Glaubet es nur, Nachbaren! Es ist zwi- schen Wissen und Thun ein himmelweiter Unter- schied. Wer aus dem Wissen allein sein Handwerk macht, der hat wahrlich groß Acht zu geben, daß er das Thun nicht verlerne. Bauern. Ja, Nachbar! es ist so, was einer nicht treibt, das verlernt er. Jost. Natuͤrlich, und wenn einer den Muͤßig- gang treibt, so wird er nichts nuͤtze. Und so geht’s denen, die sich aus Muͤßiggang und langer Zeit aufs Fraͤgeln und Schwatzen legen, sie werden nichts nuͤtze. Gebt nur Acht, die meisten dieser Pursche alle, die immer bald Kalender und bald Bibelhistorien, und bald die alten und bald die neuen Mandate in der Hand oder im Mund haben, sind Tagdieben. — Wenn man mit ihnen etwas, das Hausordnung Kinderzucht, Gewinn und Gewerb antrifft, reden will, wenn sie Rath geben sollen, wie dieses oder jenes, das jezt nothwendig ist, anzugreifen waͤre; so stehn sie da, wie Tropfen, und wissen nichts, und koͤnnen nichts. Nur da, wo man muͤßig ist, in Wirthshaͤusern, auf Tanzplaͤtzen, bey dem Sonn- und Feyertagsgeschwatzen — da wollen sie sich dann zeigen; zeigen; sie bringen aber Quacksalbereyen, Dumm- heiten und Geschichten an, an denen hinten und vornen nichts wahr ist. Und doch ist’s weit und breit eingerissen, daß ganze Stuben voll brafe Bauern bey Stunden so einem Großmaul, das ih- nen eine Luͤge nach der andern aufbindet, zuhoͤ- ren koͤnnen. Aebi. Es ist bey meiner Seel so, wie der Nachbar da sagt; und, Christen! er hat deinen Vater durch und durch abgemahlt. Vollkommen so hatten wir’s mit ihm. Dumm war er in allem, was Holz und Feld, Vieh und Futter, Dreschen und Pfluͤgen, und alles dergleichen antraf, wie ein Ochs, und zu allem, was er angreifen sollte, traͤg wie ein Hammel — Aber im Wirthshaus und bey den Kirchstaͤnden Die Plaͤtze, wo die Bauern am Sonntag zwischen den Predigten und des Abends, leider Gott er- barm! vor langer Zeit, Mann und Weib, jung und alt, zusammen stehn und schwatzen. , bey Lichtstubeten und auf den Gemeindplaͤtzen redte er, wie ein Weiser aus Mor- genland — bald vom Doctor Faust, bald vom Herrn Christus, bald von der Hexe von Endor, oder deren von Hirzau, und bald von den Stiergefechten in Mastricht und dem Pferdrennen in Londen — So toll und dumm er alles machte, und so handgreif- lich er Luͤgen aufband, so hoͤrte man ihm den- noch immer gern zu, bis er fast gehenkt wurde, da da hat endlich sein Credit mit dem Erzaͤhlen ab- genommen. Jost. Das ist ziemlich spaͤt. Aebi. Ja, wir waren lang Narren, und zahl- ten ihm manchen guten Krug Wein fuͤr lautre Luͤgen. Jost. Ich denke, es waͤre ihm besser gewesen, ihr haͤttet ihm keinen bezahlt. Aebi. Bey Gott! Ich glaube selbst, wenn wir ihm keinen bezahlt haͤtten, so waͤre er nicht unter den Galgen gekommen, er haͤtte alsdann arbeiten muͤssen. Jost. So ist ihm eure Gutherzigkeit eben uͤbel bekommen. Bauern. Ja wohl, in Gottes Namen. Jost. Es ist ein verflucht verfuͤhrerisches Ding um das muͤßiggaͤngerische Histoͤrlein-Aufsuchen und Histoͤrlein-Erzaͤhlen, und gar heillos, die Bibel in diesen Narrenzeitvertreib hineinzuziehen. Leupi. Mein Vater hat mich einst tuͤchtig ge- pruͤgelt, da ich so uͤber einem Histoͤrlein, ich glau- be, es war auch aus der Bibel, vergessen, das Vieh ab der Weyde zu holen. Jost. Er hatte auch Recht. Thun, was in der Bibel steht, ist unser Einem seine Sache, und davon erzaͤhlen, des Pfarrers — Die Bibel ist ein Mandat, ein Befehl, und was wuͤrde der Commandant zu dir sagen, wenn er einen Befehl O ins ins Dorf schickte, man sollte Fuhren in die Vestung thun, und du dann, anstatt in den Wald zu fah- ren, und zu laden, dich ins Wirthshaus setztest, den Befehl zur Hand naͤhmest, ihn ablaͤsest, und den Nachbaren bey deinem Glas Wein bis auf den Abend erklaͤrtest, was er ausweise und wolle. Aebi. Ha! was wuͤrd er mir sagen? Alle Schand und Spott wuͤrd er mir sagen, und mich ins Loch werfen lassen, daß ich ihn fuͤr einen Nar- ren gehalten habe. Jost. Und just das sind die Leute auch werth, die aus lauter M uͤßi ggang, und damit sie im Wirths- haus Histoͤrlein erzaͤhlen koͤnnen, in der Bibel lesen. Christen. Ja; aber man muß doch darinn lesen, damit man den rechten Weg nicht verfehle. Jost. Das versteht sich; aber die, so bey allen Stauden still stehen, und von allen Brunnen und Marksteinen und Kreuzen, die sie auf dem Weg antreffen, Geschwaͤtz treiben, sind nicht die, welche auf dem Weg fort wandeln wollen. Man verwundert sich wahrscheinlich uͤber die Ernst- haftigkeit des Gespraͤchs, an welchem ausgezeich- nete Lumpen und Saͤufer Theil nehmen — Aber es giebt Gesichtspunkte von Sachen, welche diese Aebi. Aber wie ist denn das, Nachbar? Man sagt sonst, man trage an nichts zu schwer, das man man wisse; aber es duͤnkt mich, man koͤnne am Vielwissen auch zu schwer tragen. Jost. Ja freylich, Nachbar! Man traͤgt an allem zu schwer, was einen an etwas besserm und nothwendigerm versaͤumt. Man muß alles nur wis- sen um des Thuns willen. Und wenn man sich darauf legt, um des Schwaͤtzens willen viel wissen zu wollen, so wird man gewiß nichts nuͤtze. Es ist mit dem Wissen und Thun, wie mit ei- nem Handwerk. Ein Schuhmacher, z. E. muß arbeiten, das ist seine Hauptsache; er muß aber auch das Leder kennen und seinen Einkauf verste- hen, das ist das Mittel, durch welches er in sei- nem Handwerk wohl faͤhrt, und so ist’s in allem. Ausuͤben und Thun ist fuͤr alle Menschen immer die Hauptsache. Wissen und Verstehn ist das Mit- tel, durch welches sie in ihrer Hauptsache wohl fahren. O 2 Aber diese Leute interessiren, wie unser Einen, und Augenblicke, wo sie sehr ernsthaft und, nach ih- rer Art, sehr naiv und sehr richtig von allen Din- gen reden und urtheilen; und man ist sehr irrig, wenn man den liederlichen Bauer und Saͤufer sich immer als einen besoffenen Trunkenbold, ohne Verstand und ohne Theilnehmung an ern- sten Sachen, vorstellt — Er ist nur alsdann so be- schaffen, wenn er wirklich zu viel getrunken hat, und das war jezt noch nicht der Fall. Aber darum muß sich auch alles Wissen des Menschen bey einem jeden nach dem richten, was er auszuuͤben und zu thun hat, oder was fuͤr ihn die Hauptsache ist. Aebi. Jezt fang ich’s bald an zu merken — Wenn man den Kopf mit zu vielem und fremdem voll hat, so hat man ihn nicht bey seiner Arbeit und bey dem, was allemal am noͤthigsten ist. Jost. Eben das ist’s. Gedanken und Kopf soll- ten einem jeden bey dem seyn, was ihn am naͤch- sten angeht. Einmal ich mach’s so. — Ich habe keine Wassermatten, darum liegt es mir nicht schwer im Kopf, wie man waͤssern muß, und bis ich eige- nes Gehoͤlze habe, staune ich gewiß nicht mit Muͤhe nach, wie man es am besten besorge. Aber meine Gillenbehaͤlter sind mir wohl im Kopf, weil sie meine magern Matten fett machen — So wuͤrde es in al- len Ecken gut gehn, wenn ein jeder das Seine recht im Kopf haͤtte. Man koͤmmt immer fruͤh genug zum Vielwissen, wenn man lernt recht wissen, und recht wissen lernt man nie, wenn man nicht in der Naͤhe bey dem Seinigen und bey dem Thun anfaͤngt. Auf den Fuß koͤmmt das Wissen in seiner Ord- nung in den Kopf. Und man koͤmmt gewiß weit im Leben, wenn man so anfaͤngt; aber beym muͤs- sigen Schwatzen und von Kalenderhistorien oder an- dern Traͤumen aus den Wolken und aus dem Mond lernt man gewiß nichts als liederlich werden. Aebi. Aebi. Man faͤngt das in der Schul an. Waͤhrend dem ganzen Gespraͤch stuhnde der Vogt am Ofen, staunte, waͤrmte sich, hoͤrte kaum, was sie sagten, und sprach nur wenig und ganz ver- wirrt in das, so sie redten. Er vergaß so gar den Wein bey seinem Staunen, darum waͤhrete auch das Gespraͤch mit dem Aebi und dem Fremden so lange. Vielleicht aber hat er seinen Kram nicht gerne aus- geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und fort war — Denn er fieng da endlich auf einmal damit an, und sagte ihnen, als ob er’s bey sei- nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her- unter. Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen druͤcken heißt, Niemand thaͤte, so waͤren, mich soll der Teufel holen, wenn es nicht so ist, gar keine Arme in der Welt; aber wo ich mich umsehe, vom Fuͤrsten an bis zum Nachtwaͤchter, von der ersten Landeskam̄er bi s zur lezten Dorfgemeinde, sucht Alles seinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm im Weg steht. Der alte Pfarrer hat selbst Wein aus- geschenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber so wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im- mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den Niedern, ich muß mich auch druͤcken lassen. Wer etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß druͤcken, oder er muß das Seine wegschenken und O 3 betteln. betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie ich, er wuͤrde nicht so viel Kummer fuͤr sie haben; aber es ist ihm nicht um die Armen. Er will nur schimpfen, und die Leute hinter einander richten und irre machen. Ja, die Armen sind Pursche, wenn ich zehn Schelmen noͤthig habe, so finde ich Eilfe unter den Armen. Der Erzschelm vergißt, daß die reichen Schelmen fuͤr sich selbst schaffen, und sich darum nicht brau- chen lassen. Ich wollte wohl gerne, man braͤchte mir mein Einkommen auch alle Fronfasten richtig ins Haus; ich wuͤrde zuletzt wohl auch ler- nen, es fromm und andaͤchtig abnehmen. Aber in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und auf Bauernhoͤfen, wo alles auf den Heller muß ausgespitzt seyn, und wo man einen auch in allen Ecken rupft — da hat’s eine andre Bewandtnis. Ich wette, wer da gegen Tagloͤhner und Arme nach- sichtig und weichmuͤthig handeln wollte, der wuͤrde um Haab und Gut kommen — Das sind allenthal- ben Schelmen — So redte der Vogt, und verdrehte sich selber in seinem Herzen die Stimme seines Ge- wissens, die ihn unruhig machte, und ihm laut sagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der Mann sey, der allen Armen im Dorf den Schweiß und das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤcke. Aber wie er auch mit sich selber kuͤnstelte, so war ihm doch nicht wohl. Angst und Sorgen quaͤlten ihn ihn sichtbar. Er gieng in seiner Unruhe beklemmt die Stube hinauf und hinunter. Alsdann sagte er wieder: Ich bin so erbittert uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was ich thue; und es ist mir sonst nicht wohl. Ist’s auch so kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, seit- dem ich daheim bin. Nein, sagten die Nachbaren, es ist nicht kalt; aber man sah dir’s in der Kirche schon an, daß dir nicht wohl ist; du sahst todtblaß aus. Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir schon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es ist mir so bloͤd — ich muß saufen — wir wollen in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt. §. 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un- fug an. A ber der Ehegaumer Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) sind in der Schweiz Kirchenaͤlteste, die nebst den Pfar- rern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen haben. , der an’s Vogts Gasse wohnte, und den Aebi, den Christen und die an- dern Lumpen zwischen der Predigt ins Wirthshaus gehn sah, aͤrgerte sich in seinem Herzen, und ge- O 4 dachte dachte in dieser Stunde an seinen Eid, den er ge- schworen hatte, Acht zu geben auf allen Unfug und auf alles gottlose Wesen, und solches dem Pfarrer anzuzeigen. Und der Ehegaumer bestellte einen ehrbaren Mann, daß er Acht geben sollte auf diese Pursche, ob sie vor der Predigt wieder aus dem Wirthshaus heim giengen oder nicht? Und da es bald zusammen laͤuten wollte, und noch Nie- mand wieder heraus kam, gieng er zum Pfarrer, und sagt’ ihm, was er gesehen und wie er den Samuel Treu bestellt haͤtte, Acht zu geben. Der Pfarrer aber erschrack uͤber diesen Bericht; seufzete still bey sich selber, und redete nicht viel. Da dachte der Ehegaumer, der Herr! Pfar- rer studiere noch an seiner Predigt, und redete bey seinem Glas Wein auch minder, als er sonst gewoͤhnt war. Endlich als der Pfarrer eben in die Kirche ge- hen wollte, kam der Samuel, und der Ehegaumer sagte zu ihm: Du kannst jezt dem Wohlehrwuͤrdigen Herrn Pfarrer alles selber erzaͤhlen. Da sagte der Samuel: Gott gruͤß euch, Wohl- ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Der Pfarrer dankt’ ihm, und sagte: Sind denn die Leute noch nicht wieder heim? Samuel. Nein, Herr Pfarrer! ich gieng von dem Augenblick an, da mich der Ehegaumer be- stellte, stellte, immer um das Wirthshaus herum, und es ist kein Mensch, ausser die Voͤgtinn, die in der Kirche ist, zum Haus heraus gegangen. Pfarrer. Sie sind also noch alle ganz gewiß im Wirthshause? Samuel. Ja, Herr Pfarrer! ganz gewiß. Ehegaumer. Da seht ihr jezt, Wohlehr- wuͤrdiger Herr Pfarrer! daß ich mich nicht geirrt habe, und daß ich es habe anzeigen muͤssen. Pfarrer. Es ist ein Ungluͤck, daß an einem heiligen Tage solche Sachen einem Zeit und Ruhe rauben muͤssen. Ehegaumer. Was wir thaten, Wohlehr- wuͤrdiger Herr Pfarrer! war unsre theure Pflicht. Pfarrer. Ich weiß es, und ich danke euch fuͤr eure Sorgfalt; aber Nachbaren! vergesset doch ob ei- ner kleinen leichten Pflicht die schwaͤrern und groͤssern nicht. Acht auf uns selber zu haben, und uͤber unsere eigene Herzen zu wachen, ist immer die erste und wichtigste Pflicht des Menschen. Darum ist es allemal ein Ungluͤck, wenn solche boͤse Sachen ei- nem Menschen Zerstreuungen veranlassen. Nach einer Weile sagte er dann wieder: Nein, es ist doch nicht laͤnger auszustehn, die- ses graͤnzenlose Unwesen — und mit aller Nachsicht wird es immer nur aͤrger. Und darauf gieng er mit diesen Maͤnnern zur Kirche. O 5 §. 42. §. 42. Zugabe zur Morgenpredigt. E s folgeten ihm aber in der Leidensgeschichte die Worte: Und da Judas den Bissen genommen hatte, fuhr der Satan in sein Herz, u. s. w. Und er redete mit seiner Gemeinde uͤber die ganze Geschichte des Verraͤthers — Und er kam in einen grossen Eifer, also daß er mit den Haͤn- den stark auf das Kanzelbrett schlug, welches er sonst bey Jahren nicht gethan hatte. Und er sagte: daß alle die, so vom Nacht- mahl des Herrn zum Spiel und Saufen weglaufen, nicht um ein Haar besser waͤren als Judas; und daß ihr Ende seyn wuͤrde, wie das Ende des Ver- raͤthers. Und die Leute in der Kirche fiengen an zu stau- nen und nachzusinnen, was doch der grosse Eifer des Pfarrers bedeute? Da und dort stieß man die Koͤpfe zusammen, und murmelte umher: der Vogt habe sein Haus voll von seinen Lumpen. Und bald warf alles links und rechts die Augen auf seinen leeren Kirchstuhl und auf die Voͤgtinn. Diese Diese merkte es — zitterte — schlug die Augen nieder — durfte keinen Menschen mehr ansehn — und lief im Anfang des Singens zur Kirche hin- aus. Da sie aber das that, ward das Gerede erst noch groͤsser, daß man auch mit den Fingern auf sie zeigte; und es stuhnden in den hintersten Wei- berstuͤhlen einige sogar auf die Baͤnke, sie zu sehn, und das Gesang selbst mißthoͤnte ob dem Gemuͤrmel. §. 43. Die Bauern im Wirthshause werden be- unruhiget. S ie aber lief, so schnell sie vermochte, heim. Und als sie in die Stube kam, warf sie das Kirchenbuch im Zorn mitten unter die Flaschen und Glaͤser, und fieng an uͤberlaut zu heulen. Der Vogt und die Nachbaren fragten: Was ist das? Voͤgtinn. Ihr solltet’s wohl wissen — Es ist nicht Recht, daß ihr an einem heiligen Tage hier saufet. Vogt. Ist’s nur das? so ist’s wenig. Bauern. Und das erstemal, daß du daruͤber heulst! Vogt. Vogt. Ich glaubte auf’s wenigste, du habest den Geldseckel verloren. Voͤgtinn. Treib jezt noch den Narren; wenn du in der Kirche gewesen waͤrst, du wuͤrdest nicht narren. Vogt. Was ist’s denn? Heul doch nicht so, und rede; Was ist’s denn? Voͤgtinn. Der Pfarrer muß vernommen haben, daß deine Herren da saufen waͤhrend der Predigt. Vogt. Das waͤre verflucht! Voͤgtinn. Er weiß es gewiß. Vogt. Welcher Satan kann es ihm jezt schon gesagt haben? Voͤgtinn. Welcher Satan, du Narr! Sie kommen ja mit ihren Tabakspfeifen uͤber die Stras- se und nicht zum Camin hinab ins Haus; und dann noch ordentlich neben des Ehegaumers Haus vorbey. Jezt hat der Pfarrer gethan, daß es nicht auszusprechen ist; und alle Leute haben mit den Fin- gern auf mich gezeigt. Vogt. Das ist abermal ein verdammtes Stuͤck, das mir so ein Satan angerichtet hat! Voͤgtinn. Warum mußtet ihr eben heut kom- men — ihr Saufhuͤnde — Ihr wußtet wohl, daß es nicht Recht ist. Bauern. Wir sind nicht Schuld; er hat uns einen Boten geschickt. Voͤgtinn. Ist das wahr? Bauern. Bauern. Ja, ja! Vogt. Es war mir so wunderlich als es mir seyn konnte; und unausstehlich allein zu seyn. Voͤgtinn. Das ist gleich viel. Aber Nach- baren! geht doch so schnell ihr koͤnnet durch die hintere Thuͤr heim, und machet, daß das Volk, wenn es aus der Kirche kommt, einen jeden vor seinem Hause antreffe; so koͤnnt ihr die Sache noch bemaͤnteln. Man hat noch nicht vollends ausgesun- gen; aber gehet, es ist doch Zeit. Vogt. Ja, gehet — gehet — das ist ein Abi- gailsrath. Die Bauern giengen. Da erzaͤhlte die Frau ihm erst recht, daß der Pfarrer vom Judas geprediget haͤtte; wie der Teufel ihm in sein Herz gefahren waͤre — wie er sich er- haͤngt haͤtte, und wie die, so vom Nachtmahl weggien- gen, zu saufen und zu spielen, ein gleiches Ende nehmen wuͤrden. Er war so eifrig, sagte die Frau, daß er mit den Faͤusten auf’s Kanzelbrett schluge, und mir ist schier geschwunden und ohnmaͤchtig worden. Der Vogt aber erschrack uͤber das, so die Frau erzaͤhlte, so sehr, daß er war wie ein Stummer, und kein Wort antwortete. Aber schwaͤre tiefe Seufzer thoͤnten jezt aus dem stolzen Munde, den man Jahre lang nie so seufzen gehoͤrt hatte. Seine Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum er so seufze? Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als einmal sagte er mit bangem Seufzen zu sich sel- ber: Wohin kommt’s noch weiter! Wohin kommt’s noch mit mir? So gieng er jezt lang seufzend die Stube hin- auf und himmter. Endlich sagt’ er zur Frauen: Bring mir ein Jastpulver vom Scheerer, mein Gebluͤt wallet in mir, und macht mich unruhig; ich will morgen zu Ader lassen, wenn’s auf das Pulver nicht bes- ser wird. Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm’s, und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter. §. 44. Geschichte eines Menschenherzens, waͤh- rend dem Nachtmahle. D a erzaͤhlte er der Frauen, wie er heute mit gutem versoͤhnten Herzen zur Kirche gegangen waͤre, wie er auch in seinem Stuhl Gott um Verzeihung seiner Suͤnden gebeten haͤtte; aber da uͤber die Pre- digt des Pfarrers toll geworden waͤre, und seither kei- nen guten Gedanken mehr haͤtte haben koͤnnen. Auch wie wie ihm erschreckliche und graͤuliche Dinge waͤhrend dem Nachtmahl zu Sinn gekommen waͤren. Ich konnte, so sagte er zur Frauen: ich konnte waͤhrend dem Nachtmahl nicht beten und nicht seufzen. Mein Herz war mir wie ein Stein — Und da mir der Pfarrer das Brod gab, so sah er mich an, daß es nicht auszusprechen war; nein! ich kann’s nicht aus- sprechen; aber auch nicht vergessen, wie er mich ansah — Wenn ein Richter einen armen Suͤnder dem Rad und dem Scheiterhaufen uͤbergiebt, und eben uͤber ihn den Stab bricht; er kann ihn nicht so ansehen. Vergessen kann ich’s nicht, wie er mich ansah. Ein kalter Schweiß floß uͤber meine Stir- ne, und meine Hand zitterte, da ich von ihm das Brod nahm. Und da ich’s geessen hatte, uͤbernahm mich ein wuͤtender schrecklicher Zorn uͤber den Pfarrer, daß ich mit meinen Zaͤhnen knirschte, und ihn nicht mehr an- sehen durfte. Frau! ein Abscheulichers stieg mir dann nach dem andern in’s Herz. Ich erschrack uͤber diesen Gedanken, wie ich ob grossen Donnerstrahlen erschrecke; aber ich konnte ihrer nicht los werden. Ich zitterte vor dem Taufsteine, In Bonnal gehen die Communicanten zum Tauf- stein, und empfangen da vom Pfarrer das Brod, und von den Dorfvorgesetzten den Kelch. daß ich den den Kelch vor Schauer und Entsetzen nicht vest hielt. Da kam Joseph in zerrissenen Stiefeln, und schlug seine Schelmenaugen vor mir zu Boden — und meine drey Thaler! Wie’s mir durch Leib und Seel schauerte, der Gedanke an meine drey Tha- ler. Dann kam Gertrud, hub ihre Augen gen Him- mel, und dann auf den Kelch, als ob sie mich nicht saͤhe; als ob ich nicht da waͤre. Sie hasset und verflucht mich, und richtet mich zu Grunde; und sie konnte thun, als ob sie mich nicht saͤhe; als ob ich nicht da waͤre. Dann kam der Maͤurer, sah mich so weh- muͤthig an, als ob er aus tiefem Herzensgrunde zu mir sagen wollte: Verzeih mir, Vogt! Er, der mich, wenn er koͤnnte, an Galgen bringen wuͤrde. Dann kam auch Schabenmichel, blaß und er- schrocken wie ich, und zitterte wie ich. Denk, Frau! wie mir bey dem allem zu Muthe war. Ich fuͤrchtete immer, auch Hans Wuͤst komme nach; dann haͤtte ich’s nicht ausgehalten; der Kelch wuͤrde mir aus der Hand gefallen; Ich selbst, ich wuͤrde gewiß zu Boden gesunken seyn; ich konnte mich fast nicht mehr auf den Fuͤssen halten. Und als ich in den Stuhl zuruͤck kam, uͤberfiel mich ein Zittern in meinen Gliedern, daß ich beym Singen das Buch nicht in den Haͤnden halten konnte. Und Und bey allem kam mir immer in Sinn: Arner! Arner! ist an allem diesem Schuld; und Zorn und Wuth und Rache tobeten in meinem Herzen waͤhrend der Stunde meines Dienstes. Woran ich in meinem Leben nie dachte, das kam mir waͤhrend dem Nachtmahl in Sinn. Ich darf’s fast nicht sagen, es schauert mir, es nur zu denken. Es kam mir in Sinn: ich soll ihm den gros- sen Markstein auf dem Berg uͤber den Felsen hin- unter stuͤrzen; es weiß den Markstein Niemand als ich. §. 45. Die Frau sagt ihrem Manne grosse Wahr- heiten; aber viele Jahre zu spaͤth. D ie Voͤgtinn erschrack uͤber diesen Reden ihres Manns heftig; sie wußte aber nicht, was sie sagen wollte, und schwieg, so lang er redete, ganz still. Auch eine Weile hernach schwiegen beyde. Endlich aber fieng die Voͤgtinn wieder an und sagte zu ihm: Es ist mir angst und bang wegen allem, was du ge- sagt hast. Du mußst diesen Gesellen entsagen, das Ding geht nicht gut; und wir werden aͤlter. P Vogt. Vogt. Du hast durchaus Recht; aber es ist gar nicht leicht. Voͤgtinn. Es mag schwer seyn oder nicht, es muß seyn; sie muͤssen dir vom Hals. Vogt. Du weissest wohl, wie viel mich an sie bindet, und was sie wissen. Voͤgtinn. Du weissest noch viel mehr von ih- nen: sie sind Schelmen, und duͤrfen nichts sagen; du mußst dich von ihnen losmachen. Der Vogt seufzet; die Frau aber faͤhrt fort: Sie fressen und saufen immer bey dir, und zahlen dich nicht. Und wenn du besoffen bist, so lassest du dich noch von ihnen anfuͤhren, wie ein Tropf — Denk doch, um Gottes willen! nur wie es gestern mit dem Joseph gegangen ist: Ich habe dir, ach mein Gott! wie gut hab ich’s gemeynt, rathen wollen, aber wie bist du mit mir umgegangen? Und ohne das sind auch gestern zween Thaler aus deinem Camisolsack weiter spatziert, und sind nicht einmal aufgeschrieben — Wie lang kann das noch gehn? Wenn du bey deinen schlimmen Haͤndeln nachrechnest, was nebenhin gegangen ist, so hast du bey allem ver- loren; und doch faͤhrst du noch immer fort mit diesen Leuten, und oft und viel nur um deines gottlosen Hochmuths willen. Bald muß dir so ein Hund reden, was du willst, und bald ein ande- rer schweigen, wo du willst; darfuͤr dann fressen und saufen sie bey dir, und zum schoͤnen Dank, wenn dich dich einer kann in eine Grube bringen und verra- then, so thut er’s. Ja vor Alters, da dich alles fuͤrchtete wie ein Schwerdt, da konntest du die Pursche in Ordnung halten; aber jezt bist du ihrer nicht mehr Meister, und zaͤhl darauf: du bist ein verlorner Mann in dei- nen alten Tagen, wenn du ihrer nicht muͤßig gehest. Es steht so schluͤpfrig um uns, als es nur kann; so bald du weg bist, lachen und narren die Knech- te, arbeiten nicht, und wollen nur saufen — So sagte die Frau. Der Vogt aber antwortete auf alles kein Wort, sondern saß stillschweigend und staunend vor ihr, da sie so redete. Endlich stand er auf und gieng in den Garten, aus dem Garten in seine Brunnen- matt, aus dieser in Pferdstall. Angst und Sorgen trieben ihn so umher; doch blieb er eine Weile im Pferdstall und redete da mit sich selber. P 2 §. 46. §. 46. Selbstgespraͤch eines Manns, der mit seinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt. M ehr als Recht hat die Frau; aber was will ich machen? Ich kann nicht helfen; unmoͤglich kann ich mir aus allem, worinn ich stecke, heraus helfen. So sagt er; flucht dann wieder auf Arner, als ob dieser ihm alles auf den Hals gezogen; und dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in der Kirche rasend gemacht haͤtte; dann kam er wie- der auf den Markstein, und sprach: Ich versetze ihn nicht, den verwuͤnschten Stein; aber wenn’s jemand thaͤte, so wuͤrde der Junker um den dritten Theil seiner Waldung kommen. Sodann wieder: Das ist ganz richtig, der achte und neunte obrigkeitliche Markstein wuͤrden ihm das Stuͤck in gerader Linie wegschneiden; aber behuͤte mich Gott davor, ich versetze keinen Markstein. Dann wieder: Wenn’s auch kein rechter Mark- stein waͤre? er liegt da, wie seit der Suͤndfluth; er hat keine Numer und kein Zeichen. Dann gieng er in die Stube, nahm sein Haus- buch — rechnete — schrieb — blaͤtterte — that Pa- piere von einander — legte sie wieder zusammen — ver- vergaß, was er gelesen — suchte wieder, was er eben geschrieben hatte — legte dann das Buch wieder in den Kasten — gieng die Stube hinauf und hin- unter — und dachte und redete immer mit sich sel- ber vom Markstein ganz ohne Schloßzeichen und Numero. Sonst ist kein einziger Markstein ohne Zeichen. Was mir in Sinn koͤmmt: Ein alter Ar- ner soll die obrigkeitliche Waldung so hart beschnit- ten haben; wenn es auch hier waͤre. Bey Gott! es ist hier! es ist die unnatuͤrlichste Kruͤmmung in die obrigkeitlichen Grenzen hinein; bey zwo Stunden geht sie sonst in geraͤderer Linie als hier; und der Stein hat kein Zeichen und die Scheidung keinen Graben. Wenn die Waldung der Obrigkeit gehoͤrte, ich thaͤte dann nicht Unrecht, ich waͤre treu am Landes- herrn. Aber wenn ich mich irrte — Nein, ich versetze den Stein nicht. Ich muͤßte ihn umgraben, in der finstern Nacht muͤßte ich ihn einen starken Stein- wurf weit auf der Ebne fortruͤcken bis an den Fel- sen, und er ist schwer. Er laͤßt sich nicht versenken, wie eine Brunnquell. Am Tage wuͤrde man jeden Karststreich hoͤren, so nahe ist er an der Landstrasse; und zu Nacht — ich darf nicht. Ich wuͤrde vor je- dem Geraͤusch erschrecken. Wenn ein Dachs daher schliche, oder ein Reh aufspraͤnge, es wuͤrde mir ohn- maͤchtig bey der Arbeit werden. Und wer weiß, ob nicht im Ernst ein Gespenst mich uͤber der Arbeit ergreifen koͤnnte. Es ist wahrlich unsicher des Nachts P 3 um um die Marksteine, und es ist besser, ich lasse es bleiben. Dann wieder nach einer Weile: Daß auch so viele Leute weder Hoͤlle noch Ge- spenster glauben! Der alte Schreiber glaubte von allem kein Wort; und der Vicari — es ist bey Gott! nicht moͤglich, daß er etwas geglaubt hat; aber der Schreiber, der sagte es uͤberlaut und wohl hundert- mal zu mir, wie mit meinem Hund, wie mit meinem Roß, sey es mit mir aus, wenn ich todt seyn werde. Er glaubte das, fuͤrchtete sich vor nichts, und that, was er wollte. Wenn er auch Recht gehabt haͤtte, wenn ich’s glauben koͤnnte, wenn ich’s hoffen duͤrfte, wenn ich’s in mein Herz hinein bringen koͤnnte, daß es wahr waͤre, bey der ersten Jagd wuͤrde ich hinter den Gebuͤschen Arnern auflauren und ihn todschiessen — ich wuͤrde dem Pfaffen sein Haus abbrennen; aber es ist vergebens, ich kann’s nicht glauben, ich darf’s nicht hoffen — Es ist nicht wahr! Narren sind’s, verirrte Narren, die es glauben, oder sie thun nur dergleichen. O! o! es ist ein Gott! Es ist ein Gott! Markstein, Markstein! ich versetze dich nicht. So redte der Mann, und zitterte, und konnte die- ser Gedanken nicht los werden. Entsetzen durchfuhr sein Innerstes. Er wollte sich selbst entfliehn, gieng auf die Strasse, stuhnd zum zum ersten besten Nachbar, fragte ihn von Wetter und vom Wind, und von den Schnecken, die im Herbst vor drey Jahren den Roggen verduͤnnert hatten. Dann kam er nach einer Weile mit ein Paar Durstigen wieder in sein Wirthshaus, gab ihnen zu trinken, daß sie blieben — nahm noch ein Jastpulver vom Scheerer, und brachte so endlich den Tag des Herrn zu Ende. §. 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden. U nd nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des Entsetzens — Mein Herz war mir schwer, mein Auge war finster, meine Stirne umwoͤlkt, und bang war’s mir im Busen, uͤber deinen Graͤueln. Nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des Ent- setzens! Mein Auge erheitert sich wieder, meine Stirne entwoͤlkt sich, und mein Busen athmet wieder un- beklommen und frey. Ich naͤhere mich wieder einer Huͤtte, in welcher Menschlichkeit wohnt. Da heut am Morgen der Lienhard und seine Frau zur Kirche gegangen waren, sassen ihre Kin- der fromm und still in der Wohnstube beysammen, P 4 bete- beteten, sangen und wiederholten, was sie in der Woche gelernt hatten; denn sie mußten solches alle Sonntage des Abends der Gertrud wiederholen. Lise, das Aelteste, mußte allemal waͤhrend der Kirche das kleine Gruͤteli versorgen, es aufnehmen, es troͤcknen, ihm seinen Brey geben; und das ist immer der Lise groͤßste Sonntagsfreude, wenn sie allemal das Kleine so aufnimmt und speist, so meynt dann Lise, sie sey auch schon groß. Wie sie dann die Mutter spielt, ihr nachaͤffet, das Kleine tau- sendmal herzt, ihm nickt und laͤchelt — Wie das Kleine ihr wieder entgegen laͤchelt, seine Haͤnde zer- wirft, und mit den Fuͤssen zappelt auf ihrem Schoosse; wie es seine Lise bald bey der Haube nimmt, bald bey den kleinen Zoͤpfen, bald bey der Nase; dann wie es uͤber dem bunten Sonntagshalstuch J — aͤ J — aͤ macht — dann wie Niclas und Enne ihm J — aͤ antworten; wie dann das Kleine Kopf und Augen herum dreht, den Ton sucht, den Niclas erblickt, und auch gegen ihn lacht — wie Niclas dann zuspringt und das lachende Schwesterlein her- zet — wie dann Lise den Vorzug will, und allem aufbietet, daß das Liebe gegen sie lache; Auch wie sie fuͤr es Sorge traͤgt, wie sie seinem Weinen vorkoͤm̃t, wie sie ihm Freude macht, es bald in die Hoͤhe hebt bis an die Buͤhne, bald wieder gleich lustig und sorgfaͤltig hinunter laͤßt bis an den Boden — wie dann das Gruͤteli bey diesem Spiele jauchzet, auch auch wie sie Haͤnde und Kopf dem Kind in Spie- gel hinein druͤckt, und dann endlich, wie es beym Anblick der Mutter weit hinunter in die Gasse jauch- zet — wie’s ihr entgegen nickt und laͤchelt — wie’s seine beyden Haͤndchen nach ihr ausstreckt, und nach ihr haͤngend fast uͤberwaͤlzet auf des Schwe- sterleins Arm — das alles ist wahrlich schoͤn; Es ist die Morgenfveude der Kinder des Lienhards an den Sonntagen und an den heiligen Festen — und diese Freuden frommer Kinder sind wahrlich schoͤn vor dem Herrn ihrem Gott. Er sieht mit Wohlgefal- len auf die Unschuld der Kinder, wenn sie sich also ihres Lebens freuen, und er segnet sie, daß es ihnen wohlgehe ihr Lebenlang, wenn sie folgen und recht thun. Gertrud war heute mit ihren Kindern zufrieden; sie hatten alles in der Ordnung gethan, was ihnen befohlen war. Es ist die groͤßste Freude frommer Kinder auf Erden, wenn Vater und Mutter mit ihnen zufrie- den sind. Die Kinder der Gertrud hatten jezt diese Freu- de, sie draͤngten sich an den Schooß ihrer Eltern, riefen bald Vater, bald Mutter, suchten ihre Haͤn- de, hielten sich an ihren Armen, und sprangen am Arme des Vaters und am Arme der Mutter an ih- ren Hals. P 5 Das Das war dem Lienhard und der Gertrud ein Labsal, am Festtage des Herrn. So lang sie Mutter ist, ist es die Sonntags- freude der Gertrud, die Freude uͤber ihre Kinder, und uͤber ihre kindliche Sehnsucht nach Vater und Mutter — darum sind ihre Kinder auch fromm und sanft. Lienhard weinte heute, daß er oft diese Freu- den des Lebens sich selber entriß. Die haͤuslichen Freuden des Menschen sind die schoͤnsten der Erden. Und die Freude der Eltern uͤber ihre Kinder, ist die heiligste Freude der Menschheit. Sie macht das Herz der Eltern fromm und gut. Sie hebt die Menschheit empor zu ihrem Vater im Himmel. Darum segnet der Herr die Thraͤnen solcher Freu- den, und lohnet den Menschen jede Vatertreue und jede Muttersorge an ihren Kindern. Aber der Gottlose, der seine Kinder fuͤr nichts achtet — der Gottlose, dem sie eine Last sind, und eine Buͤrde — der Gottlose, der in der Woche vor ihnen siiehet und am Sonntage sich vor ihnen verbirget — der Gottlose, der Ruhe suchet vor ih- rer Unschuld und vor ihrer Freude, und der sie nicht leiden kann, bis ihre Unschuld und ihre Freude dahin ist, bis sie wie er gezogen sind — Der Gottlose, der das thut, stosset den besten Segen der Erden weg von sich mit Fuͤssen. Er wird wird auch keine Freude erleben an seinen Kindern, und keine Ruhe finden vor ihnen — In der Freude ihres Herzens redeten Lienhard und Gertrud mit ihren Kindern am heiligen Festtage, von dem gu- ten Vater im Himmel und von dem Leiden ihres Erloͤsers. Die Kinder hoͤrten still und aufmerksam zu, und die Mittagsstunde gieng schnell und frohe voruͤber, wie die Stunde eines Hochzeitfestes. Da laͤuteten die Glocken zusammen, und Lien- hard und Gertrud giengen nochmals zur Kirche. Der Weg fuͤhrte sie wieder bey des Vogts Hause vorbey, und Lienhard sagte zu Gertrud: Der Vogt sah diesen Morgen in der Kirche er- schrecklich aus; in meinem Leben sah ich ihn nie so. Der Schweiß tropfte von seiner Stirne, da er zudienete; hast du es nicht bemerkt, Gertrud? Ich sah, daß er zitterte, da er mir den Kelch gab. Ich habe es nicht bemerkt, sagte Gertrud. Lienhard. Es gieng mir an’s Herz, wie der Mann aussahe. Haͤtte ich’s duͤrfen, Frau! ich haͤtte ihm uͤberlaut zugerufen: Verzeih mir, Vogt! Und wenn ich ihm mit etwas zeigen koͤnnte, daß ich’s nicht boͤs meyne, ich wuͤrde es gerne thun. Gertrud. Lohn dir Gott dein Herz, Lieber! es ist recht, wann du Anlaß hast; aber des Rudis hungernde Kinder und noch mehr schreyen Rache uͤber den Mann, und er wird dieser Rache ge- wiß nicht entrinnen. Lien- Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann ist hoͤchst ungluͤcklich. Ich sah es schon lang mitten im Laͤrm seines Hauses, daß ihn nagende Unruhe plagte. Gertrud. Mein Lieber! wer von einem stil- len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s niemals wohl seyn in seinem Herzen. Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le- ben deutlich erfahren und gesehen habe, so ist es die- ses. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger des Vogts in seinem Haus rathschlagten, vornahmen, erschlichen oder erzwangen, alles machte sie nie ei- ne Stunde zufrieden und ruhig. Unter diesen Gespraͤchen kamen sie zur Kirche, und wurden da sehr von dem Eifer geruͤhrt, mit welchem der Pfarrer uͤber die Geschichte des Ver- raͤthers redete. §. 48. Etwas von der Suͤnde. G ertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei- berstuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus sey schon wieder voll von seinen Lumpen, auch gehoͤrt, und sagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die- ser antwortete: Ich kann’s doch fast nicht glau- ben — ben — waͤhrend der Kirche an einem heiligen Tage. Gertrud. Es ist freylich erschrecklich! aber die Verwicklungen eines gottlosen Lebens fuͤhren zu allem, auch zu dem abscheulichsten! Lienhard seufzt. Gertrud faͤhrt fort: Ich erin- nere mich, so lang ich lebe, an das Bild, das unser Pfarrer selig uns von der Suͤnde machte, da er uns das letzte Mal zum heiligen Nachtmahl vorbereitete. Er verglich sie mit einem See, der beym an- haltenden Regen nach und nach aufschwellt. Das Steigen des See’s, sagte er, ist immer unmerklich; aber es nimmt doch alle Tage und alle Stunde zu. Der See wird immer hoͤher und hoͤher, und die Gefahr wird gleich groß, als wenn er ploͤtzlich und mit Sturm so aufschwellte. Darum geht der Vernuͤnftige und Erfahrne im Anfange zu den Wehren und Daͤmmen, sie zu be- sichtigen, ob sie dem Ausbruch zu steuren in Ordnung sind. Der Unerfahrne und der Unweise aber achten das Steigen des See’s nicht, bis die Daͤmme zerris- sen, bis Felder und Wiesen verwuͤstet sind, und bis die Sturmglocke dem Lande aufbietet, der Verhee- rung zu wehren. So, sagte er, sey es mit der Suͤnde und dem Verderben, das sie anrichte. Ich bin noch nicht alt, aber ich habe es doch schon hundertmal erfahren, daß der redliche Seel- sorger sorger Recht hatte; und daß ein jeder, der in irgend einer Suͤnde anhaltend fortwandelt, sein Herz so verhaͤrtet, daß er das Steigen ihrer Graͤuel nicht mehr achtet, bis Verheerung und Entsetzen ihn aus dem Schlafe weckt. §. 49. Kindercharacter und Kinderlehren. U nter diesen Gespraͤchen kamen sie aus der Kirche wieder in ihre Huͤtte. Und die Kinder alle liefen dem Vater und der Mutter die Stiege hinunter entgegen; riefen und baten, so bald sie sie sahn: wir wollen doch ge- schwind wiederholen, was wir diese Woche ge- lernt haben; komme doch geschwind, Mutter! daß wir bald fertig werden. Gertrud. Warum so eifrig heut, ihr Lieben? warum thut es so noth? Kinder. Ja, wir duͤrfen dann, Mutter, wenn wir’s koͤnnen, mit dem Abendbrod, gelt, Mutter! wir duͤrfen? Du hast’s uns gestern versprochen. Mutter. Ich will gern sehn, wie ihr das koͤnnt, was ihr gelernet habt. Kinder. Aber wir duͤrfen alsdann, Mutter? Mutter. Ja, wenn ihr fertig seyn werdet. Die Die Kinder freuten sich herzlich, und wiederhol- ten, was sie in der Woche gelernt hatten, geschwind und gut. Da gab die Mutter ihnen ihr Abendbrod und zwo Schuͤsseln Milch, von der sie den Rahm nicht abgenommen hatte, weil es Festtag war. Sie nahm jezt auch das Gruͤteli an ihre Brust, und hoͤrte mit Herzensfreude zu, wie die Kinder waͤhrend dem Essen eines dem andern erzaͤhlten, wem sie ihr Abendbrod geben wollten. Keines aß einen Mundvoll von seinem Brod — Keines that ein Broͤcklein davon in die Milch, sondern alle assen sie darohne, und jedes freute sich uͤber sein Brod, zeigte es dem andern, und jedes wollte, das seine sey das groͤßste. Jezt waren sie fertig mit ihrer Milch — das Brod lag noch neben der Mutter. Niclas schlich zu ihr hin, nahm ihr die Hand und sagte: Du giebst mir doch auch noch einen Mundvoll Brod fuͤr mich, Mutter! Mutter. Du hast ja schon, Niclas! Niclas. Ich muß es ja dem Rudeli geben. Mutter. Ich habe dir’s nicht befohlen; du darfst es essen, wenn du willst. Niclas. Nein, ich will’s nicht essen; aber du giebst mir doch noch einen Mundvoll? Mutter. Nein, gewiß nicht. Niclas. Ae — warum nicht? Mut- Mutter. Damit du nicht meynst, man muͤsse erst, wenn man den Bauch voll hat, und nichts mehr mag, an die Armen denken. Niclas. Ist’s darum, Mutter? Mutter. Aber giebst du es ihm jezt doch ganz? Niclas. Ja, Mutter! gewiß, gewiß. Ich weiß, er hungert entfetzlich — und wir essen um sechs Uhr zu Nacht. Mutter. Und, Niclas! ich denke, er bekom- me dann auch nichts. Niclas. Ja, weiß Gott, Mutter! er bekoͤmmt gewiß nichts zu Nacht. Mutter. Ja, das Elend der Armen ist groß, und man muß grausam und hart seyn, wenn man nicht gern, was man kann, an sich selbst und an seinem eignen Maul erspart, ihnen ihre grosse Noth zu erleichtern. Thraͤnen stehn dem Niclas in den Augen. Die Mutter fraͤgt sodann auch noch die andern Kinder: Lise! giebst du deines auch ganz weg? Lise. Ja gewiß, Mutter! Mutter. Und du, Enne! du auch? Enne. Ja freylich, Mutter! Mutter. Und du auch, Jonas? Jonas. Das denk ich, Mutter! Mutter. Nun das ist braf, Kinder! Aber wie wollt ihr es jezt auch anstellen? — Es hat alles so seine Ordnung; und wenn man’s noch so gut meynt, so so kann man etwas doch unrecht anstellen — Ni- clas! wie willst du’s machen mit dem Brod? Niclas. Ich will laufen, was ich vermag, und ihm rufen, dem Rudeli; ich steck es nur nicht in Sack, daß er’s geschwind kriege. Laß mich doch jezt gehn, Mutter! Mutter. Wart noch ein wenig, Niclas! Und du, Lise! wie willst du es machen? Lise. Ich will’s nicht so machen, wie der Ni- clas. Ich winke dem Betheli in eine Ecke; ich verstecke das Brod da unter meine Schuͤrze, und ich gebe ihm’s, daß es Niemand siehet, nicht ein- mal sein Vater. Mutter. Und du, Enne! wie willst du’s machen? Enne. Weiß ich’s, wie ich den Heireli an- treffen werde? Ich werde es ihm geben, wie’s mir kommen wird. Mutter. Und du, Jonas! du kleiner Schelm, du hast Tuͤcke im Sinn, wie willst du’s machen? Jonas. In’s Maul stecke ich’s ihm, mein Brod, Mutter! wie du mir’s machst, wen du lustig bist — Das Maul und die Augen zu, sag ich ihm; dann leg ichs ihm zwischen die Zaͤhne. Es wird lachen, gelt, Mutter! es wird lachen. Mutter. Das ist alles recht, Kinder! aber ich muß euch doch etwas sagen: Ihr muͤßt das Brod den Kindern still und allein geben, daß es Niemand sehe, damit man nicht meyne, ihr wollet groß thun. Q Niclas. Niclas. Potz tausend, Mutter! so muß ich mein Brod auch in Sack thun? Mutter. Das versteht sich, Niclas! Lise. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut- ter! und sagte es vorher, ich wolle es nicht so ma- chen. Mutter. Du bist immer das allerwitzigste, Lise! Ich habe nur vergessen, dich dafuͤr zu ruͤh- men; du thust also recht wohl, daß du mich selbst daran erinnerst. Lise erroͤthete und schwieg; und die Mutter sagte zu den Kindern: Ihr koͤnnet jezt gehn; aber den- ket an das, was ich euch gesagt habe — Die Kin- der gehn. Niclas laͤuft und springt, was er vermag, zu des Rudis Huͤtte hinunter; aber dieser ist nicht auf der Gasse. Niclas hustet ihm, raͤuspert sich — ruft, aber vergebens, er koͤmmt nicht hinunter und nicht ans Fenster. Niclas zu sich selber: Was soll ich jezt machen? Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und ihm nur sagen, er soll herauskommen auf die Gasse. Der Rudeli saß eben mit seinem Vater und mit seinen Geschwistern dey dem offenen Sarge der lie- ben gestorbenen Großmutter, die man in ein Paar Stunden begraben sollte — und der Vater und die Kin- Kinder redeten alle mit Thraͤnen von der grossen Treue und Liebe, die die Verstorbene ihnen im Leben erzeigt hatte; sie weinten uͤber ihrem letzten Kum- mer wegen den Erdaͤpfeln, und versprachen vor dem offenen Sarg dem lieben Gott im Himmel, in kei- ner Noth, auch wenn sie noch so sehr hungern wuͤr- den, keinem Menschen mehr etwas zu stehlen. Eben jezt oͤffnet Niclas die Thuͤre — sieht die Gestorbene — erschrickt — und laͤuft wieder aus der Stube. Der Rudi aber, der ihn sieht, denkt, der Lien- hard wolle ihm etwas sagen lassen, laͤuft dem Kna- ben nach, und fragt ihn, was er wolle? Nichts, nichts, antwortete Niclas! nur zu dem Rudeli hab ich wollen; aber er betet jezt. Rudi. Das macht nichts, wenn du zu ihm willst. Niclas. Laß ihn doch nur ein wenig zu mir auf die Gasse. Rudi. Es ist ja so kalt, und er geht nicht gern von der Großmutter weg. Komm doch zu ihm in die Stube. Niclas. Ich mag nicht hinein, Rudi! laß ihn doch nur einen Augenblick zu mir herauskom- men. Ich mag’s wohl leiden, antwortete der Rudi, und geht zuruͤck nach der Stube. Q 2 Niclas Niclas geht ihm nach bis an die Thuͤre, und ruft dem Rudeli: Komm doch einen Augenblick zu mir heraus. Rudeli. Ich mag jezt nicht auf die Gasse, Niclas! Ich bin jezt lieber bey der Großmutter; man nimmt sie mir bald weg. Niclas. Komm doch nur einen Augenblick. Rudi. Geh doch und sieh, was er will. Der Rudeli geht hinaus. Der Niclas nimmt ihn bey dem Arm und sagt: Komm, ich muß dir etwas sagen — fuͤhrt ihn in eine Ecke, steckt ihm sein Brod geschwind in den Sack, urd laͤuft da- von. Der Rudeli dankt und ruft ihm nach: Dank doch auch deinem Vater und deiner Mutter. Niclas kehrt sich um, deutet ihm mit den Haͤn- den, daß er doch schweige, und sagt: Es muß es Niemand wissen; und laͤuft wie ein Pfeil davon. §. 50. §. 50. Unarten und boͤse Gewohnheiten verder- ben dem Menschen auch die angeneh- men Stunden, in denen er etwas Gu- tes thut. L ise geht indessen allgemach in ihrem Schritt ins obere Dorf zu des Reutimarren Betheli. Dieses stuhnd eben am Fenster. Lise winkt ihm, und das Betheli schleicht aus der Stube zu ihm heraus — Der Vater aber, der es merkt, schleicht ihm nach, und versteckt sich hinter das Tennthor. Die Kinder vor dem Tennthor denken an kei- nen Vater, und schwatzen nach Herzenslust. Lise. Du, Betheli! ich habe dir da Brod. Betheli. (Das zitternd die Hand darnach streckt) Du bist gut, Lise! Es hungert mich; aber warum bringst du mir jezt Brod? Lise. Weil du mir lieb bist, Betheli! Wir haben jezt genug Brod; mein Vater muß die Kirche bauen. Betheli. Meiner auch. Lise. Ja, aber deiner ist nur Handlanger. Betheli. Das ist gleich viel, wenn’s nur Brod giebt. Q 3 Lise. Lise. Habt ihr grossen Hunger leiden muͤssen? Betheli. Ach! wenns nur jezt besser wird. Lise. Was habt ihr zu Mittag gehabt? Betheli. Ich darf dir’s nicht sagen. Lise. Warum nicht? Betheli. Wenn es der Vater vernaͤhme, er wuͤrde mir — Lise. Ich wuͤrd’ es ihm gewiß gleich sagen? Das Betheli nimmt ein Stuͤck ungekochte weis- se Ruben aus dem Sack, und sagt: Da siehe — — Lise. Herr Jesus! sonst nichts? Betheli. Nein, weiß Gott! jezt schon zween Tage. Lise. Und du darfst es Niemand sagen, und Niemand nichts fordern? Betheli. Ja, wenn er nur wuͤßte, was ich dir gesagt habe, es wuͤrde mir zehn! — Lise. Iß doch das Brod, ehe du wieder hin- ein mußst. Betheli. Ja, ich will; ich muß bald wieder hinein, sonst fehlts — Es faͤngt an zu essen, und eben oͤffnet der fromme Marx ab der Reuti das kleinere Thuͤrlein der Tenne, und sagt: Was issest du da, mein Kind! Sein Kind worget und schluckt ganz erschrocken uͤber dem lieben Vater den ungekauten Mundvoll herunter, und sagt: Nichts, nichts, Vater! Marx. Marx. Ja — nichts — wart nur — Und du, Lise — es ist mir kein Gefallen, wenn man mei- nen Kindern hinterrucks Brod giebt, damit sie er- zaͤhlen, was man im Hause esse oder trinke, und dabey so gottlos luͤgen. Du gottloses Betheli! assen wir nicht einen Eyerkuchen zu Mittag? Lise zieht jezt so geschwind wieder ab, als es allgemach daher gekommen war. Das Betheli aber nimmt der liebe Bater mit wildem zornigem Blick am Arm in die Stube. Und Lise hoͤret es weit, weit vom Haus weg noch schreyen — Enne trifft den Heireli unter seiner Hausthuͤre an, und sagt ihm: Willst du Brod? Heireli. Ja, wenn du hast. Enne giebt’s ihm; er dankt und ißt, und Enne geht wieder fort. Der Jonas schlich um des Schabenmichels Haus herum, bis Baͤbeli ihn sah, und herab kam. Was machst du da, Jonas? sagte Baͤbeli. Jonas. Ich moͤchte gern etwas Lustiges ma- chen. Baͤbeli. Ich will mich mit dir lustig machen, Jonas! Jonas. Willst du thun, was ich will, Baͤ- beli? es geht dann gewiß lustig. Baͤbeli. Was willst du denn machen? Jonas. Du mußst s’Maul aufthun und die Augen zu. Q 4 Baͤ- Baͤbeli. Jaͤ, du thust mir etwas Garstiges in’s Maul. Jonas. Nein, das thue ich dir nicht, Baͤbe- li! meiner Treue! nicht. Baͤbeli. Nu — — aber sieh zu, wenn du mich anfuͤhrst. (Es thut das Maul auf und die Augen nur halb zu.) Jonas. Recht zu mit den Augen, sonst gilt’s nicht. Baͤbeli. Ja; Aber wenn du ein Schelm bist? (Es thut jezt die Augen ganz zu.) Flugs schiebt ihm Jonas das Brod in’s Maul, und laͤuft fort. Das Baͤbeli nimmt das Brod aus dem Maul, und sagt: das ist lustig; sitzt nieder und ißt. §. 51. Es kann keinem Menschen in Sinn kom- men, was fuͤr gute Folgen auch die kleinste gute Handlung haben kann. S ein Vater Michel sieht das Spiel der Kinder vom Fenster, und erkennt den Jonas des Lien- hards; und es geht ihm ein Stich ins Herz. Was ich fuͤr ein Satan bin! sagt er zu sich selber. Ich verkaufe mich dem Vogt zum Verraͤ- ther ther wider den Maͤurer, der mir Brod zeigt und Verdienst — und jezt muß ich noch sehn, daß auch dieser Kleine ein Herz hat, wie ein Engel — Ich thue diesen Leuten nichts Boͤses; der Vogt ist mir seit gestern ein Graͤuel. Ich kann’s nicht vergessen, wie er aussah, da er mir den Kelch gab — So sagte der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernsten Betrachtungen uͤber sein Leben bey Hause. Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder zuruͤck, erzaͤhlten dem Vater und der Mutter, wie’s ihnen gegangen war, und waren sehr munter. Lise allein war es nicht, zwang sich aber froͤlich zu schei- nen, und erzaͤhlte mit viel Worten, wie sie das Betheli so herzlich erfreut habe. Es ist dir gewiß etwas begegnet, sagte Ger- trud? Nein, es ist mir gewiß nichts begegnet, und es hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Lise. Die Mutter fragte jezt nicht weiter, sondern betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachtessen, und begleitete sie zur Ruhe. Gertrud und Lienhard lasen noch eine Stunde in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem, was sie lasen; und es war ihnen herzinniglich wohl am Abend des heiligen Fests. Q 5 §. 52. §. 52. Am Morgen sehr fruͤh ist viel zu spaͤt fuͤr das, was man am Abend vorher haͤtte thun sollen. A m Morgen aber sehr fruͤh, so bald der Maͤurer erwachte, hoͤrte er jemand ihm vor dem Fenster rufen. Er stuhnd alsobald auf, und oͤffnete die Thuͤre. Es war Flink, der Harschier aus dem Schloß. Er gruͤßte den Maͤurer und sagte: Maͤurer! ich habe dir schon gestern den Befehl bringen sollen, daß man ungesaͤumt heute mit dem Steinbrechen anfangen soll. Maͤurer. So viel ich gehoͤrt habe, hat der Vogt die Arbeiter heute in’s Schloß gehn heissen; doch es ist noch fruͤh, ich denk, sie werden noch nicht fort seyn; ich will es ihnen sagen. Da rief er dem Lenk, der in der Naͤhe wohnte, vor seinem Fenster; aber es antwortete Niemand. Nach einer Weile kam Killer, der mit ihm un- ter einem Dache wohnt, hervor und sagte: Der Lenk ist bey einer halben Stunde schon fort, mit den andern ins Schloß. Der Vogt hat ihnen ge- stern nach dem Nachtessen noch sagen lassen, daß sie sie unfehlbar vor den Vieren fort sollen, weil er auf den Mittag wieder daheim seyn muͤsse. Der Harschier war ernstlich betroffen uͤber diesen Bericht, und sagte: Das ist verflucht; aber was ist zu machen, erwiederte der Maͤurer? Flink. Kann ich sie vielleicht noch einholen? Maͤurer. Auf des Martis Huͤgel siehest du ih- nen ja auf eine halbe Stunde nach; da kannst du sie, nachdem der Wind geht, zuruͤckrufen, so weit du sie siehest. Dieser saͤumt sich jezt nicht, laͤuft schnell auf den Huͤgel, ruft, pfeift und schreyt da, was er aus dem Hals vermag; aber vergebens — Sie hoͤren ihn nicht, gehn ihres Wegs fort, und sind ihm bald aus den Augen. Der Vogt aber, der noch nicht so weit entfernt war, hoͤrte das Rufen vom Huͤgel, kehrte sich um, das Gewehr des Harschiers glaͤnzte im Morgen- strahl der Sonne, daß der Vogt ihn erkannte; und es wunderte ihn, was der Harschier wolle; er gieng zuruͤck und der Harschier ihm entgegen. Dieser erzaͤhlte ihm jezt, wie er gestern bis zum Sterben Kopfweh gehabt und versaͤumt habe, dem Maͤurer anzusagen, daß man schon heute mit dem Steinbrechen anfangen muͤsse. §. 53. §. 53. Je mehr der Mensch fehlerhaft ist, je un- verschaͤmter begegnet er denen, die auch fehlen. D u vermaledeyter Schlingel! was du fuͤr Strei- che machest; antwortete der Vogt. Flink. Es wird so gar uͤbel nicht seyn. Wie hab ich vom Teufel wissen koͤnnen, daß die Kerl alle vor Tag zum Dorf hinaus fliegen werden — Hast du es ihnen befohlen? Vogt. Ja eben, du Hund! Ich muß jezt viel- leicht deinen Fehler ausfressen. Flink. Ich werde auch kaum leer draus kom- men. Vogt. Es ist verflucht — Flink. Das war genau auch mein Wort, da ich hoͤrte, daß sie fort waͤren. Vogt. Ich mag jezt nicht spassen, Schlingel! Flink. Ich eben auch nicht; aber was ma- chen? Vogt. Du Narr! nachdenken. Flink. Es ist eine halbe Stunde zu spaͤt fuͤr meinen Kopf. Vogt. Vogt. Wart, man muß nur nie verzagt seyn. Es faͤllt mir etwas ein. Sag du nur keck und mit Ernst, du habest den Befehl am Abend der Frau oder einem Kind des Maͤurers gesagt. Sie rich- ten wider dich nichts aus, wenn du mit Ernst da- ran setzest. Flink. Mit dem hab ich nichts zu thun; es koͤnnte fehlen. Vogt. Nein, es koͤnnte nicht fehlen, wenn du daran setztest; aber bey mehrerm Nachdenken faͤllt mir etwas ein, das noch besser ist. Flink. Was denn? Vogt. Du mußst zuruͤcklaufen zum Maͤurer, dich graͤmen und jammern und sagen: Es koͤnne dir uͤbel gehn, daß du den Befehl versaͤumt ha- best; aber er koͤnne dir mit einem einzigen guten Wort aus allem helfen, wenn er nur etwann ein- mal dem Junker sage, er habe den Zedel am Sonn- tag empfangen, und aus Mißverstand, da es hei- liger Abend gewesen waͤre, es ihnen erst heute ansagen wollen — Das schadet dem Maͤurer kein Haar, und thut er’s, so ist vollkommen geholfen. Flink. Du hast Recht; ich glaube, das wuͤrde angehn. Vogt. Es fehlt gewiß nicht. Flink. Ich muß gehen, ich habe noch Briefe; aber ich will doch noch diesen Morgen zum Maͤu- rer hin. Behuͤt dich Gott, Vogt! (Er geht.) Der Der Vogt allein: Ich erzaͤhle es einmal jezt so, wie abgeredt, im Schloß. Fehlts dann, so sage ich, der Harschier hat mir’s so erzaͤhlt. §. 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit. I ndessen kamen die Tagloͤhner zum Schloß, setz- ten sich auf die Baͤnke bey der Scheune, und warteten da, bis jemand sie rufen, oder bis der Vogt kommen wuͤrde, der ihnen versprochen hatte, alsobald nachzukommen. Als aber der Hausknecht im Schlosse sie bey der Scheune sah, gieng er zu ihnen hinunter, und sagte: Warum seyd ihr da, Nachbaren? Unser Herr glaubt, ihr seyd an der Arbeit beym Kirchbau. Die Maͤnner antworteten: Der Untervogt habe ihnen befohlen, hieher zu kommen, dem Junker fuͤr die Arbeit zu danken. Das war nicht noͤthig, erwiederte Claus! Er wird euch auch nicht viel darauf halten; aber ich will euch melden. Der Hausknecht meldete die Maͤnner. Der Junker ließ sie sogleich vor sich, und fragte sie freundlich, was sie wollten? Nach- Nachdem sie es gesagt, und mit Muͤhe und Ar- beit etwas vom Danken wollen gestammelt hat- ten — sagte der Junker: Wer hat euch befohlen, um deswillen hieher zu kommen? Der Untervogt! antworteten die Maͤnner, und wollten noch einmal danken. Das ist wider meinen Willen geschehen, sagte Arner! Geht jezt in Gottes Namen, und seyd fleißig und treu, so freut’s mich, wenn der Ver- dienst diesem oder jenem unter euch aufhelfen kann; aber sagt dem Meister: daß man noch heute mit dem Steinbrechen anfangen muͤsse. Da giengen die Maͤnner wieder heim. §. 55. Ein Heuchler macht sich einen Schelmen zum Freund. U nd in ihrem Heimgehen sagte einer zum andern: Das ist doch ein herzguter Herr — der junge Junker. Der alte waͤre es auch gewesen, wenn er nicht auf hunderterley Arten betrogen und hintergangen worden waͤre, sagten die aͤltern Maͤnner alle aus einem Munde. Mein Mein Vater hat’s mir tausendmal gesagt, wie er in der Jugend so gewesen, und es geblieben sey, bis er endlich ganz am Vogt den Narren gefres- sen hatte, sagt Aebi. Da war’s aus mit des Herrn Guͤte; sie triefte nur in’s Vogts Kisten, und der fuͤhrte ihn wie ei- nen pohlnischen Baͤren am Seil, wohin er wollte, sagte Leemann. Was er fuͤr ein Hund ist, daß er uns jezt so ohne Befehl im Feld herum sprengt, und noch dazu allein laͤßt! sagt Lenk. Das ist so sein Brauch, sagte der Kienast; aber ein Hundsbrauch, erwiederte der Lenk. Ja, der Herr Untervogt ist doch ein braver Mann. Unser einer kann eben nicht alles wissen, was vorfaͤllt, antwortete der Kriecher fast so laut, als er konnte; denn er sah, daß der Untervogt im Hohlweg still daher schlich, und nahe bey ihnen war. Der Teufel! du magst ihn wohl ruͤhmen; ich einmal ruͤhme jezt den Junker, sagte Lenk auch ganz laut, denn er sah den Vogt nicht im Hohlwege. Dieser aber trittet eben, indem ers sagte, ausser den Hag, gruͤßt die Nachbaren, und fragt dann den Lenk: Warum ruͤhmst du den Junker so maͤchtig? Der Lenk antwortete betroffen: Ha, wir rede- ten da mit einander, wie er so liebreich und freund- lich war. Das Das war aber doch nicht alles, erwidert der Vogt. Ich weiß einmal nichts anders, sagt Lenk. Das ist nicht schoͤn, Lenk! wenn man so sei- ner Worte zuruͤck geht, sagt Kriecher, und faͤhrt fort: Er war aber nicht allein, Herr Untervogt! es murreten da etliche, daß ihr sie so allein gelassen haͤttet; ich sagte aber: unser einer koͤnne ja nicht wis- sen, was so einem Herrn allemal vorfaͤllt. Auf dieses hin sagte einmal der Lenk: Ich moͤg wohl den Vogt ruͤhmen; er einmal ruͤhme jezt den Jun- ker. Aha! es war also mit mir, daß du den Jun- ker verglichen hast, sagt der Vogt, und lachte laut. Er hat’s aber eben auch nicht so gemeynt, wie man es ihm jezt aufnimmt, sagen etliche Maͤnner, schuͤtteln die Koͤpfe, und murren uͤber den Kriecher. Es hat gar nichts zu bedeuten, und ist nichts Boͤses; es ist ein altes Sprichtwort: Deß Brod ich eß, deß Lied ich sing, sagt der Vogt; druͤckt dem Kriecher die Hand, redet aber nichts weiter hiervon, sondern fragt die Maͤnner: ob Arner zor- nig gewesen waͤre? Nein, antworteten die Maͤnner, gar nicht; er sagte nur: wir sollten heim eilen, und ungesaͤumt noch heute an die Arbeit gehn. Sagt das dem Maͤurer, und es habe mit dem Mißverstand nichts zu bedeuten; ich lasse ihn gruͤs- R sen, sen, sagte ihnen der Vogt, gieng seines Wegs, und auch die Maͤnner giengen den Ihrigen. Der Harschier aber war schon laͤngst bey dem Maͤurer, und bat ihn und flehete, er sollte doch sa- gen: er habe den Befehl am Sonntag erhalten. Der Maͤurer wollte dem Vogt und dem Har- schier gern gefaͤllig seyn, und redte mit seiner Frau. Ich fuͤrchte alles, was krumm ist, antwortete die Frau; und ich wette, der Vogt hat sich jezt schon darmit entschuldiget. Mich duͤnkt, wenn der Jun- ker dich fraͤgt, so muͤssest du ihm die Warheit sa- gen; wenn aber, wie es seyn kann, der Sach Nie- mand mehr nachfragt, so koͤnnst du es gelten las- sen, wie sie es machen, indem das Niemand wei- ters nichts schadt. Lienhard sagte darauf dem Harschier seine Meynung auf diesen Fuß. Indessen kamen die Maͤnner von Arnburg zu- ruͤck. Ihr seyd geschwind wieder da, sagte ihnen der Maͤurer. Sie antworteten: Wir haͤtten den Gang uͤberall ersparen koͤnnen. Lienhard. War er erzoͤrnt uͤber diesem Ver- sehen? Die Maͤnner. Nein, gar nicht. Er war gar freundlich und liebreich, und er sagte uns, daß wir heim eilen und noch heut an die Arbeit gehn sollen. Flink. Flink. Da siehst du jezt selbst, daß es fuͤr dich nichts zu bedeuten hat. Fuͤr mich ist es et- was ganz anders; und auch fuͤr den Vogt. Ja, bey Anlaß des Vogts, unterbricht sie der ehrliche Huͤbelrudi, wir haͤttens fast vergessen: er lasse dich gruͤssen, und es habe mit dem Mißver- staͤndniß gar nichts zu bedeuten. Lienhard. Ist er schon beym Junker gewe- sen, da ihr ihn antrafet? Die Maͤnner. Nein, wir trafen ihn auf dem Weg zu ihm an. Lienhard. Er weiß also nichts, als was ihr ihm sagtet; und was ich jezt auch weiß. Die Maͤnner. Es kann nicht wohl anders seyn. Flink. Du bleibst doch bey deinem Versprechen? Der Maͤurer. Ja, aber ganz wie ich’s ge- sagt habe. Jezt befahl der Maͤurer den Maͤnnern, noch bey Zeiten bey der Arbeit zu seyn, und ruͤstete noch einige Werkzeuge; und, nachdem er geessen hatte, gieng er mit den Maͤnnern das erstemal an seine Arbeit. Wolle sie dir Gott segnen, sagte ihm Ger- trud, da er gieng — Wolle sie ihm Gott segnen, muß ich einmal auch sagen, da er geht. R 2 §. 56. §. 56. Es wird Ernst; der Vogt muß nicht mehr Wirth seyn. D a der Vogt ins Schloß kam, ließ ihn Arner lang warten; endlich kam er heraus auf die Laube, und fragte ihn, mit Unwillen: Was ist das? wa- rum machtest du heut die Leute alle ins Schloß kommen, ohne Befehl? Ich glaubte, es waͤre meine Pflicht, den Maͤn- nern zu rathen, Euer Gnaden fuͤr die Arbeit zu danken, antwortete der Vogt. Und Arner erwiderte: deine Pflicht ist zu thun, was mir und meinen Herrschaftsleuten nuͤtzlich ist, und was ich dir befehle; aber gar nicht arme Leu- te im Feld herum zu sprengen, und sie Complimen- ten zu lernen, die nichts nuͤtzen, und die ich nicht suche! Das aber, warum ich dich habe hieher kommen lassen, ist dir zu sagen: daß ich die Vogts- stelle nicht laͤnger in einem Wirthshause lasse. Der Vogt erblaßte, zitterte, und wußte nicht, was er antworten wollte; denn er erwartete nichts weniger als einen so ploͤtzlichen Entschluß. Arner redte fort: Ich will dir die Wahl lassen, welches von beyden du lieber bleiben willst; aber in in vierzehn Tagen will ich deinen Entschluß wis- sen. Der Vogt hatte sich in etwas wieder erholt, und dankte stammelnd fuͤr die Bedenkzeit. Arner erwiderte: Ich uͤbereile Niemand gern, und ich suche dich nicht zu unterdruͤcken, alter Mann! aber diese zween Berufe schicken sich nicht zusam- men. Diese Guͤte Arners machte dem Vogt Muth. Er antwortete: Es haben doch bisher alle Voͤgte Ihrer Herrschaft gewirthet, und in allen Landen unsers Fuͤrsten ist das ein gemeines. Arner aber war kurz, und sagt: Du hast jezt meine Meynung gehoͤrt — nimmt dann den Sack- kalender — und sagt ferner: Heute ist der 20ste Merz, und in vierzehn Tagen wird der 3ten Aprill seyn, also auf den 3ten Aprill erwarte ich deine Ant- wort, weiter habe ich dermalen nichts zu sagen — Arner zeichnete noch den Tag in seinen Kalender, und gieng in seine Stube. R 3 §. 57. §. 57. Wie er sich gebehrdet. B ang und beklemmt in seinem Herzen, gieng der Vogt auch fort. Dieser Schlag hatte ihn so verwirrt, daß er die Leute, neben denen er durch die Laube und die Stiege hinunter vorbey gieng, nicht sah und nicht kannte. So, fast seiner selber nicht bewußt, kam er bis unten an die Schloßhalde zum alten dichtstaͤmmigen Nußbaum, da steht er dann wieder still, und sagt zu sich selber: Ich muß Athem holen — wie mir das Herz klopft — ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht — ohne einzu- treten in eine Klage — ohne etwas auf mich zu beweisen — bloß weil’s ihm so beliebt — — — soll ich nicht Vogt seyn oder nicht Wirth — — — das ist uͤber alle Grenzen — — — kann er mich dazu zwingen — ich glaub’s nicht — — — Den Mantel kann er mir ohne Klage nicht nehmen — und das Wirthrecht ist gekauft — aber wenn er sucht — wenn er oͤffentlich Klage sucht, er findet was er will — Von allen den verdammten Buben, denen ich diente, ist mir keiner, kein einziger treu. Warum doch? Rathet, Kinder! Was soll ich jezt machen — vierzehn Tage ist end- lich lich immer etwas — — Oft hab ich viel in so viel Zeit in Ordnung gebracht — wenn mir nur der Muth nicht faͤllt — alles kommt nur von dem Maͤurer — kann ich den verderben, so fehlts nicht, ich finde Auswege aus allem — Aber wie mir so schwach und bloͤde ist. Er nim̃t eine Brandteweinflasche aus dem Sack, kehrt sich gegen dem Schatten des Baums, braucht sein Haus- mittel, und trinkt einen Schoppen auf einmal her- unter. Einen Dieben oder einen Moͤrder, dem Steckbriefe nachjagen, erquickt der erste Trunk Was- ser, den er auf dem erlaufenen Boden der Frey- heit trinkt, nicht staͤrker als die Brandtsflasche den Vogt bey seinen Raͤnken erquickt. Er fuͤhlt sich jezt wieder besser, und mit seinen Kraͤften waͤchst auch wieder der Muth des Verbrechers. Das hat mich maͤchtig erfrischt, sagt er zu sich selber, und stellt sich wieder wie ein Mann, der Herz hat, und den Kopf hoch traͤgt. Vor einer Weile, sagt er, glaubte ich eben noch, sie werden mich vor dem Abendbrod fressen, jezt ist mir wieder, als ob ich das Maͤurerlein, und selber den Arner da, den Gnaͤ- digen Buben, mit dem kleinen Finger zusammen druͤcke, daß sie jauchzen wie solche, die man be y den Ohren in die Hoͤhe zieht. Gut war’s, daß ich meine Flasche nicht ver- gessen habe; aber was ich auch fuͤr ein Kerl waͤre, ohne sie. R 4 So So redte der Vogt mit sich selber. Das Schre- cken war nun voͤllig seinem Zorn, seinem Stolz, und seiner Brandtsflasche gewichen. Er gieng wieder so hochmuͤthig und so feindse- lig einher, als er je that. Er nickte den Leuten auf dem Feld, die ihn gruͤßten, vogtrichterlich stolz, nur so ein klein we- nig zu. Er trug seinen knorrichten Stock so gebieterisch hoch in der Hand, als ob er im Land mehr zu befehlen habe, als zehn Arner; er haͤngte sein Maul, wie eine alte Stutte, und mach- te Augen so groß und so rund, man sagt bey uns, wie ein Pflugsraͤdli. So gieng der Tropf einher, zu einer Zeit, da er so wenig Ursach hatte. §. 58. Wer bey ihm war. N eben ihm gieng sein grosser Tuͤrk, ein Hund, der auf einen Wink des Vogts die grossen weissen Zaͤhne gegen Jedermann zeigte; auf einen andern aber seinen Mann auf Leib und Leben packte. Die- ser grosse Tuͤrk, der weit und breit das Schrecken des armen lumpigten Mannes so gut war, als sein Meister das Schrecken aller armen gedruͤckten Miet- linge linge und Schuldner in der ganzen Herrschaft ist. Dieser gewa l ge Tuͤrk gieng neben dem Vogt gleich gravitaͤtisch daher; aber ich darf nicht sagen, was mir in dem Maul ist. — Doch ist ganz gewiß, daß der Vogt, der entsetzlich wuͤtend war, einmal jezt in seinem Angesicht mit dem Hund etwas gleiches hatte. §. 59. Aufloͤsung eines Zweifels. In einem andern Buch wuͤrde ich den Abschnitt uͤberschreiben: Die Sorgfalt des Autors gegen kunstrichterliches Bedenken. A ber daß der Vogt nach dem gestrigen Jammer und nach dem heutigen Schrecken jezt dennoch so stolz thut, das wundert vielleicht einen einfaͤltigen Fraͤgler; ein gescheider Landmann merkets von selbst. Der Hochmuth plagt einen nie staͤrker, als wenn man im Koth steckt. So lang alles gut geht, und Niemand in Zweifel zieht, daß man oben am Bret ist, so thut Niemand so gar dick; aber dann, wenn links und rechts der Schadenfroh ausstreut, es stehe nicht wie vor altem — dann regt sich das Blut, schaͤumt und wallt auf, wie heisse Butter im Kessel — und das war eben der Fall des Vogts. R 5 Also Also ist es ganz natuͤrlich und auch den Einfaͤl- tigsten begreiflich, daß er, da sich unten an der Schloßhalden vom Schrecken wieder erholt hatte, so stolz habe thun koͤnnen, als ich gesagt habe. Zu dem hatte er diese Nacht auf seine zwey Pulver, und da er wenig getrunken hatte, ausser- ordentlich wohl geschlafen, und heut am Morgen den Kopf von den Schrecken und Sorgen des vo- rigen Tags zimlich leer gehabt. Ich erzaͤhle die Sachen, wie sie geschehen, und wie sie mir zu Ohren gekommen sind; aber ich koͤnnte und moͤchte bey weitem nicht allemal auf unnuͤtze Fragen so Antwort geben, wie jezt. §. 60. Eine Ausschweifung. F reylich waͤre es besser gewesen, er haͤtte seine Brenntsflasche am Nußbaum, unter dem er stuhnd, zerschlagen, und waͤre zuruͤckgegangen zu seinem Herrn, ihm seine Umstaͤnde zu entdecken; ihm zu sa- gen, daß er nicht reich sey, sondern den Vogtsdienst und das Wirthsrecht um der Schulden willen, darinn er stecke, nothwendig habe, und ihn um Gnad und Barmherzigkeit zu bitten; ich weiß, Arner haͤtte den alten Mann in diesen Umstaͤnden nicht verstossen. Aber Aber eben das ist das Ungluͤck der Gottlosen; ihre Laster bringen sie um allen Verstand, daß sie in ihren wichtigsten Angelegenheiten wie blind werden, und daß sie wie unsinnig zu ihrem Verderben handeln; da hingegen die guten redlichen Menschen, die ein einfaͤltiges und unschuldiges Herz haben, im Un- gluͤck ihren Verstand gar viel besser behalten, und sich daher auch gemeiniglich in den Zufaͤllen des Lebens weit leichter helfen und rathen koͤnnen, als die Gottlosen. Sie demuͤthigen sich im Ungluͤck, sie beten ihre Fehler ab — sie richten in der Noth ihre Augen nach der Hand, die allenthalben gegen das Elend der Menschen, welche mit reinem Herzen Huͤlfe su- chen, sich ausstreckt. Der Friede Gottes, der alle Vernunft uͤber- trifft, ist ihnen Schutz und Leitstern durch ihr Le- ben, und sie kommen immer so durch die Welt, daß sie am Ende Gott von Herzen danken. Aber den Gottlosen fuͤhrt seine Gottlosigkeit aus einer Tiefe in die andere. Er braucht seinen Verstand nie auf den geraden Wegen der frommen Einfalt, Ruh und Gerechtig- keit und Frieden zu suchen. — Er braucht ihn nur zu den krummen Wegen der Bosheit, Jammer an- zurichten, und Unruh zu stiften. Darum koͤmmt er immer in Ungluͤck; in seiner Noth trotzt er dann. Er laͤugnet im Fehler, er ist hochmuͤthig im Elend. Huͤlf Huͤlf und Rettung will er entweder erheucheln und erliegen, oder erzwingen und erstehlen. Er traut auf seinen verwirrten wilden Sinn. Er stoͤßt die Hand des Vaters, die sich gegen ihn ausstreckt, von sich; und wenn dieser ihm zuruft: Beug dich, mein Kind! — ich, dein Vater, ich bin der da zuͤchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater — so verspottet er die Stimme des Retters und sagt: Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will ich mir helfen, wie ich will. Darum ist des Gottlosen Ende immer so tiefer Jammer und so tiefes Elend. §. 61. Der alte Mann leert sein Herz aus. I ch bin jung gewesen und alt worden, und ich habe mich viel und oft umgesehn, wie es dem Frommen und dem Gottlosen auch gehe. — Ich habe die Kna- ben meines Dorfs mit mir aufwachsen gesehn — Ich sah sie Maͤnner werden — Kinder und Kinds- kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet — Gott! du weißst meine Stunde, wenn ich meinen Bruͤdern folgen soll — Meine Kraͤfte nehmen ab; aber aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unser Le- ben ist wie eine Blume des Felds, die am Morgen bluͤhet, am Abend aber verwelket. O Herr, un- ser Herrscher! du bist gnaͤdig und gut den Men- schen, die auf dich trauen — darum hoffet meine Seele auf dich; aber der Weg des Suͤnders fuͤhrt zum Verderben. — Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo- sen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin- der gesehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe fuͤr nichts achteten — allen, allen ist’s uͤbel gegan- gen am Ende. Ich kannte des ungluͤcklichen Ulis Vater — ich habe mit ihm unter einem Dache ge- wohnt, und mit meinen Augen gesehn, wie der gottlose Sohn den armen Vater kraͤnkte und schimpf- te — und in meinem Leben werde ich’s nicht ver- gessen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor seinem Tode uͤber ihn weinte. — Ich sah den boͤ- sen Buben an seiner Begraͤbniß lachen — Kann ihn Gott leben lassen, dachte ich, den Boͤsewicht? Was geschah? Er nahm ein Weib, das hatte viel Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichsten, und gieng in seinem Stolz und in seiner Bosheit einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand auf Erden uͤber ihm waͤre. Ein Jahr gieng voruͤber, da sah ich den stol- zen Uli an seiner Frauen Begraͤbniß heulen und wei- nen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis auf auf den letzten Heller zuruͤckgeben. Er war ploͤtz- lich wieder arm wie ein Bettler. In seiner Ar- muth stahl er, und ihr wisset, welch ein Ende er ge- nommen hat. Kinder! so sah ich immer, daß das Ende des Gottlosen Jammer und Schrecken ist. Ich sah aber auch den tausendfachen Segen und Frieden in den stillen Huͤtten der Frommen — Es ist ihnen wohl bey dem, so sie haben — Bey wenigem ist ihnen wohl, und bey vielem sind sie genuͤgsam. Arbeit in ihren Haͤnden und Ruhe in ihren Herzen, das ist der Theil ihres Lebens — Sie geniessen froh das Ihrige, und begehren das nicht, was ihrem Naͤchsten ist. Der Hochmuth plagt sie nicht, und der Neid verbittert ihnen ihr Leben nicht; darum sind sie immer froher und zufriedener und mehrentheils auch gesuͤnder als die Gottlosen. Sie haben auch des Lebens Nothwendigkeiten sicherer und ruhiger; denn sie haben ihren Kopf und ihr Herz nicht bey Bosheiten, sondern bey ihrer Arbeit und bey den Geliebten ihrer stillen Huͤtten. — So ist ihnen wohl im Leben. Gott im Himmel sieht herab auf ihre Sorge und auf ihren Kummer, und hilft ihnen. Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! Ich sah viele fromme Arme auf ihrem Todbette, und ich habe nicht gefunden, daß Einer, ein Einziger von allen, in dieser Stunde sich uͤber seine Armuth und uͤber die Noth seines Lebens beklagt haͤtte. Alle, alle alle dankten Gott fuͤr die tausend Proben seiner Va- terguͤte, die sie in ihrem Leben genossen hatten. O Kinder meines Dorfs! werdet doch fromm, und bleibet einfaͤltig und unschuldig — Ich habe gesehn, wie das schlaue und arglistige Wesen einen Ausgang nimmt. — Hummel und seine Gesellen waren weit schlauer, als alle andern; sie wußten im- mer tausend Dinge, wovon uns andern nichts traͤum- te. — Das machte sie stolz, und sie glaubten, der Einfaͤltigere sey nur darum in der Welt, daß er ihr Narr waͤre. Sie frassen einige Zeit das Brod der Wittwen und der Waisen, und tobten und wuͤtheten gegen die, so nicht ihre Knie bogen vor ihnen — Aber ihr Ende hat sich genaͤhert. Der Herr im Himmel hoͤrte der Wittwen und der Waisen Seuf- zen — Er sah die Thraͤnen der Muͤtter, die sie mit ihren Kindern weinten uͤber den gottlosen Bu- ben, die ihre Maͤnner und Vaͤter verfuͤhrten und draͤngten; und der Herr im Himmel half dem Un- terdruͤckten und dem Waisen, der keine Hoffnung mehr hatte, zu seinem Rechte zu gelangen. §. 62. §. 62. Das Entsetzen der Gewissensunruhe. A ls am Samstag Abends Hans Wuͤst vom Vogt heim kam, quaͤlten ihn die Sorgen des Meyneids noch tiefer, daß er auf dem Boden sich waͤlzte und heulte, wie ein Hund, dem ein erschreckliches Grim- men die Eingeweide zerreißt; so rasete er die Nacht uͤber und den ganzen folgenden heiligen Tag — raufte seine Haare sich aus — schlug sich mit Faͤu- sten bis aufs Blut — aß nichts und trank nichts, lief wuͤthend umher, und sagte: O, o des Ru- dis Hausmatte! O, o seine Hausmatte, seine Haus- matte! Es brennt auf meiner Seelen! — — Der Satan, o, o! der leidige Satan ist meiner maͤch- tig — O weh mir! O weh meiner armen See- len! So gieng er wuͤthend umher, geplagt und ge- quaͤlt von den Sorgen des Meyneids, und heulte das Jammergeheul seiner entsetzlichen graͤulichen Schrecken. Abgemattet von den Qualen dieser Sorgen, konnte er endlich am Sonntag Nachts wieder ein- schlafen. Am Am Morgen darauf war ihm wieder etwas leichter, und er nahm den Entschluß, seine Qualen nicht mehr bey sich zu behalten, sondern alles dem Pfarrer zu sagen. Er nahm auch seinen Sonntagsrock, und was er sonst fand, und band alles in einen Buͤndel zu- sammen, damit er das Geld, das er dem Vogt schuldig war, darauf entlehnen koͤnne. Er nimmt jezt den Buͤndel, zittert, geht in den Pfarrhof, steht da, will wieder fortlaufen, steht wieder still, wirft den Buͤndel in den Haus- gang, und macht Gebehrden, wie ein Mensch, der nicht bey Sinnen ist. §. 63. Daß man mit Liebe und mit Theilnehmung der gaͤnzlichen Kopfsverwirrung angst- voller Menschen vorkommen koͤnne. D er Pfarrer sieht ihn in diesem Zustande, geht zu ihm hinunter, und sagt ihm: Was ist dir, Wuͤst? wo fehlt’s dir? Komm mit mir hinauf in die Stu- be, wenn du etwas mit mir reden willst. Da gieng der Wuͤst mit dem Pfarrer hinauf in seine Stube. S Und Und der Pfarrer war mit dem Wuͤst so freund- lich und so herzlich, als er nur konnte. Denn er sah seine Verwirrung und seine Angst, und er hatte das Gemurmel, daß er wegen seines Eids fast ver- zweifeln wollte, gestern auch schon gehoͤrt. Der Wuͤst aber, da er sah, wie liebreich und freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte sich nach und nach wieder und sagte: Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Ich glaube, ich habe einen falschen Eid gethan, und verzweifle fast daruͤber. Ich kann es nicht mehr ertragen; ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe, leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm- herzigkeit von Gott hoffen darf. §. 64. Ein Pfarrer, der eine Gewissenssache be- handelt. D er Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen leid ist uͤber deinen Fehler, so zweifle nicht an Got- tes Erbarmen. Wuͤst. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch bey diesem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar- mung hoffen, und der Verzeihung der Suͤnden mich getroͤsten? Pfar- Pfarrer. Wenn Gott einen Menschen dahin gebracht hat, daß er aufrichtige Busse thut, und im Ernst nach der Verzeihung seiner Suͤnden seufzet: so hat er ihm den Weg zur Verzeihung und zur Erhaltung aller geistlichen Gnaden schon gezeigt; glaube das, Wuͤst! Und wenn deine Busse dir auf- richtig von Herzen geht, so zweifle nicht, sie wird Gott wohlgefaͤllig seyn. Wuͤst. Aber kann ich es auch wissen, daß sie ihm wohlgefaͤllig ist? Pfarrer. Du kannst bey dir selber wahrlich wohl wissen, wenn du mit Ernst auf dich Achtung giebst, ob sie aufrichtig ist, und ganz von Herzen geht, und wenn sie aufrichtig ist, so ist sie Gott ge- faͤllig; das ist das Einzige, was ich sagen kann. Siehe, Wuͤst! wenn einer dem Nachbar den Grund vom Acker weggepfluͤgt hat — und es reuet ihn: er geht, ohne daß der Nachbar es weiß, ohne daß er es fordert, fuͤr sich selber und im Stillen, pfluͤgt den Grund dem Nachbar wieder an seinen Acker, und thut eher ein Uebriges, als zu wenig — so muß ich denken, es sey ihm Ernst mit seiner Neue. Giebt er ihm aber das Seinige nicht, oder nicht ganz zuruͤck; braucht er im Zuruͤckgeben Vortheil; sorgt er nur, daß ihm der Diebstahl nicht auskomme; ist ihm nur um sich selbst, und nicht um seinen Nach- bar zu thun, dem er Unrecht gethan hat: so sind S 2 seine seine Reue und sein Zuruͤckpfluͤgen ein Tand, mit wel- chem der Tropf sich selber bethoͤret. Wuͤst! wenn du in deinem Herzen nichts suchest, und nichts wuͤn- schest, als daß aller Schade, den deine boͤse That verursacht, und alles Aergerniß, das sie ange- richtet hat, aufhoͤre und wieder gut werde, und daß dir Gott und Menschen verzeihen; wenn du nichts anders wuͤnschest, wenn du von Herzen gern alles leidest und thust, um deinen Fehler so viel moͤglich wieder gut zu machen: so ist deine Busse gewiß aufrichtig; und dann zweifle nicht, daß sie nicht Gott gefaͤllig sey. Wuͤst. Herr Pfarrer! Ich will gern leiden und thun, was ich auf Gottes Boden thun kann, wenn mir nur dieser Stein ab dem Herzen koͤmmt. Wie er mich druͤckt, Herr Pfarrer! Wo ich geh und steh, zittre ich uͤber dieser Suͤnde. Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Gehe nur ein- faͤltig, ger de und redlich in deinem Ungluͤck zu Werk, so wird’s dir gewiß leichter werden. Wuͤst. O, wenn ich nur das hoffen darf, Herr Pfarrer! Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Trau auf Gott! Er ist der Gott des Suͤnders, der ihn sucht. Thue du nur, was du kannst, gewissenhaft und redlich. Das groͤßste Ungluͤck, das aus deinem Eid entstan- den ist, sind die Umstaͤnde des armen Rudis, der da- dadurch in ein entsetzliches Elend gerathen ist; aber ich hoffe, der Junker werde, wenn du ihm die Sache bekennen wirst, dann selber helfen, daß der Mann in seinem Elend getroͤstet werden koͤnne. Wuͤst. Eben der arme Rudi, eben der ist’s, der mir immer auf dem Herzen liegt. Herr Pfar- rer! meynet ihr, der Junker koͤnne ihm auch wie- der zu seiner Matten helfen? Pfarrer. Gewiß weiß ich’s nicht. Der Vogt wird freylich alles, was er kann, anbringen, dein jeziges Zeugniß verdaͤchtig zu machen; aber der Junker wird hingegen auch alles thun, was er kann, dem ungluͤcklichen Mann zu dem Seinigen zu helfen. Wuͤst. Wenn es ihm nur auch geraͤth. Pfarrer. Ich wuͤnsche es von Herzen, und hoffe es wirklich; aber es mag auch dem Rudi hierinn gehn, wie es will, so ist es um deiner selbst und um der Ruhe deines Herzens willen gleich noth- wendig, daß du alles dem Junker offenbarest. Wuͤst. Ich will es ja gern thun, Herr Pfar- rer! Pfarrer. Es ist der gerade Weg, und es freut mich, daß du ihn so willig gehn willst; er wird dir Ruhe und Friede in dein Herz bringen — Aber freylich wird dir das Bekenntniß Schimpf und Schande und Gefaͤngniß und schweres Elend zu- ziehen. S 3 Wuͤst. Wuͤst. O Herr Pfarrer! das ist alles nichts gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnaͤdig seyn werde. Pfarrer. Du siebst die Sache in deinem Un- gluͤck so redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre Fr eu de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir so viel gute Gedanken und so viel Staͤrke zu guten und rechtschaffenen Entschluͤssen gegeben hat, daß er diese Gnade dir ferner schenken wolle; so bist du auf einem recht guten Weg, und wirst, will’s Gott! al- les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge- dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer begegnen wird, so zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlassen. Wuͤst. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch so gut und liebreich seyd, mit einem so schweren Suͤnder! Pfarrer. Gott selber ist in seinem Thun gegen uns arme Menschen nur Schonung und Liebe; und ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu- ten Gottes und Herrn seyn, wenn ich, in welchem Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und schmaͤhlte. So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤst, der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts sagte. Der Pfarrer schwieg auch eine Weile. Der Der Wuͤst aber fieng wieder an, und sagte: Herr Pfarrer! ich habe noch etwas anzubringen. Pfarrer. Was denn? Wuͤst. Ich bin seit dem Handel dem Vogt noch acht Gulden schuldig. Er sagte zwar vorge- stern, er wolle die Handschrift zerreissen; aber ich will nicht, daß er mir etwas schenke, ich will ihn bezahlen. Pfarrer. Du hast Recht; das muß unum- gaͤnglich seyn, und noch ehe du Arnern die Sache entdeckest. Wuͤst. Ich habe unten im Haus einen Buͤn- del; es ist mein Sonntagsrock und noch etwas da- rinnen, das zusammen wohl die acht Gulden werth ist. Ich muß in Gottes Namen die acht Gulden entlehnen, und ich habe gedacht, ihr zuͤrnet es nicht, wenn ich euch bitte, daß ihr mir sie gegen dieses Pfand vorstrecket. Pfarrer. Ich nehme nie keine Sicherheit von Jemand, und oft muß ich so etwas abschlagen, so weh es mir auch thut; aber in deinem Fall schlage ich es nicht ab. Sogleich giebt er ihm das Geld, und sagt: Trag es alsobald zum Vogt hin, und deinen Buͤndel, den nimm nur wieder mit dir heim. S 4 §. 65. §. 65. Daß es auch beym niedrigsten Volk eine Delicatesse gebe, selbst bey der Annah- me von Wohlthaten, um die sie bit- ten. W uͤst zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab- nahm; dankte und sagte: Aber den Buͤndel nehme ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer! Nun so lasse ich ihn denn nachtragen, wenn du ihn nicht gern selber nimmst, erwiederte laͤchelnd der Pfarrer. Wuͤst. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be- haltet den Buͤndel, damit ihr fuͤr eure Sache sicher seyd. Pfarrer. Das wird sich schon geben, Wuͤst! bekuͤmmere dich jezt nicht hieruͤber, und denke viel- mehr an das weit Wichtigere, das dir vorsteht. Ich will heute noch dem Junker schreiben, und du bringst ihm dann morgen den Brief. Wuͤst. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber um Gottes willen! behaltet den Buͤndel, ich darf sonst das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf nicht. Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alsobald mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgen etwann etwann um neun Uhr wieder zu mir; aber rede mir kein Wort weiter vom Buͤndel. Da gieng der Wuͤst erleichtert und in seinem Gewissen getroͤstet, vom Pfarrer fort gerade in’s Vogts Haus, und gab das Geld, da der Mann nicht zu Hause war, der Frau. Diese fragte ihn: Woher so viel Geld auf ein- mal, Wuͤst? Niedergeschlagen und kurz antwortete der Wuͤst: Ich habe es so gemacht, wie ich’s gekonnt habe; Gott Lob! daß du es hast. Die Voͤgtinn erwiederte: Wir haben dich doch noch nie darum genoͤthigt. Wuͤst. Ich weiß es wohl; aber es ist viel- leicht eben darum nichts desto besser. Voͤgtinn. Das ist wunderlich geredt, Wuͤst! wo fehlt’s dir? Du bist die Zeither gar nicht recht. Wuͤst. Ach Gott! du wirst’s wohl erfahren; aber zaͤhl doch das Geld; ich muß gehen. Die Voͤgtinn zaͤhlt das Geld, und sagt: Es ist richtig. Wuͤst. Nun, gieb es deinem Mann ordent- lich. Behuͤt Gott, Frau Voͤgtinn Voͤgtinn. Muß es seyn — so behuͤt auch Gott, Wuͤst! S 5 §. 66. §. 66. Ein Foͤrster, der keine Gespenster glaubt. D er Vogt hatte auf dem Ruͤckweg von Arnheim im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank und prahlte er unter den Bauern. Er erzaͤhlte ihnen von seinen gewonnenen Haͤndeln; von sei- ner Gewalt unter dem verstorbenen Arner; wie er unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord- nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine Lumpenordnung sey. Dann gab er seinem Hund das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks- pursch, ohne den Wein, zu Mittag hat; spoͤttelte uͤber einen armen Mann, dem ein Seufzer ent- fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod dem Hund darstellen sah. Gelt, du wuͤrdest auch so vorlieb nehmen, spricht er zum Armen — streichelt den Hund, und prahlt und saͤuft und pocht so unter den Bauern bis auf den Abend. Da kam der alte Foͤrster vom Schloß, und nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und der Vogt, der keinen Augenblick gern allein ist, sagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim. Wenn du gleich kommst, antwortete der Foͤr- ster; ich muß einer Spur nach. Den Den Augenblick, antwortet der Vogt; trinkt aus — zahlt die Irte — und sie giengen gleich mit einander. Da sie jezt allein auf der Strasse waren, fragte der Vogt den Foͤrster: ob es auch sicher sey zu Nacht im Wald vor den Gespenstern. Foͤrster. Warum fragst du mich das? Vogt. Ha! weil’s mich wundert. Foͤrster. Du bist ein alter Narr! schon dreyßig Jahr Vogt, und solche Dummheiten fra- gen! du solltest dich schaͤmen. Vogt. Nein, bey Gott! mit den Gespenstern weiß ich nie recht, wie ich daran bin, ob ich sie glauben soll oder nicht? und doch hab ich auch noch keines gesehen. Foͤrster. Nun, weil du mich so treuherzig fraͤgst, so will ich dir aus dem Wunder helfen — Du zahlst mir einst eine Bouteille fuͤr meine Er- klaͤrung. Vogt. Gern zwey, wenn du sie recht machst. Foͤrster. Ich bin nun vierzig Jahre auf mei- nem Posten, und als ein Junge schon vom vierten Jahre an von meinem Vater im Wald erzogen worden. Dieser erzaͤhlte den Bauern in den Wirths- haͤusern und in den Schenken immer von den vielen Gespenstern und Schrecknissen des Waldes; aber er trieb nur mit ihnen den Narren; mit mir ver- stuhnd er’s ganz anders: Ich sollte Foͤrster wer- den, den, und also solcherley Zeugs weder glauben noch fuͤrchten; deshalben nahm er mich zu Nacht, wenn weder Mond noch Sterne schienen, wenn die Stuͤrme braußten, auf Fronfasten und Weyhnacht in den Wald; wenn er dann ein Feuer oder einen Schein sah, oder ein Geraͤusch hoͤrte, so mußte ich mit ihm drauf los uͤber Stauden und Stoͤcke, uͤber Graͤben und Suͤmpfe, und uͤber alle Kreuzwege mußte ich mit ihm dem Geraͤusch nach; und es waren immer Zigeuner, Diebe und Bettler — sodann rief er ihnen mit seiner erschrecklichen Stim- me zu: Vom Platze, ihr Schelmen! Und wenn’s ihrer zehn und zwanzig waren, sie strichen sich immer fort, und sie liessen oft noch Haͤfen und Pfannen und Braten zuruͤck, daß es eine Lust war. Oft war das Geraͤusch auch nur Hochgewild, das manchmal gar wunderbare Thoͤne von sich giebt, und die faulen, alten Holzstaͤmme geben einen Schein, und machen in der Nacht Gestalten, die jedermann, der nicht hinzu darf, in Schrecken setzen koͤnnen. Und das ist alles, was ich in meinem Leben im Wald Unrichtiges gefunden habe; aber immer wird’s mein Amtsvortheil seyn und bleiben, daß meine Nachbaren ordentlich glauben, er sey wohl gespickt mit Gespenstern und mit Teufeln; denn siehe, unser einer altet, und ist froh, bey dunkeln Naͤchten den Frevlern nicht nachlaufen zu muͤssen. §. 67. §. 67. Ein Mann, den es geluͤstet, einen Markstein zu versctzen, moͤchte auch gern die Gespenster nicht glauben, und er darf nicht. S o redete der Mann — Und sie kamen indessen an den Seitenweg, durch welchen der Foͤrster in Wald gieng; und der Vogt, der nunmehr allein war, redete da mit sich selber: Er ist vierzig Jahre lang Foͤrster, und hat noch kein Gespenst gesehen, und glaubt keines; und ich bin ein Narr und glaube sie, und darf nicht ein- mal dran denken eine Viertelstunde im Wald einen Stein auszugraben. Wie ein Schelm und ein Dieb nimmt er mir das Wirthsrecht, und der Hundsstein da auf dem Felsen ist keine rechte Mark; ich glaub’s nicht — Und wenn sie es waͤre! haͤtte er ein besseres Recht, als mein Wirthshaus? So gewaltthaͤtig einem Mann sein Eigenthum rauben! Wer, als der Satan, hat ihm das ein- geben koͤnnen? Und da er meinem Haus nicht schont, so habe ich keinen Grund, seinem verdamm- ten Kieselstein zu schonen; aber ich darf nicht. Zu Nacht darf ich nicht auf den Platz, und am Tage Tage kann’s wegen der Landesstrasse nicht seyn — So redete er mit sich selber; kam bald auf des Meyers Huͤgel, der nahe am Dorfe liegt. Er sah die Maͤurer an den grossen Feld- steinen, die in der Ebne da herum liegen, arbei- ten; denn es war noch nicht vollends sechs Uhr. Und er ergrimmte daruͤber bey sich selber. Alles, alles, was ich anstelle und vornehme — alles, alles fehlt mir — alles — — alles wird an mir zum Schelmen — — Muß ich jezt noch ne- ben dem verdammten Joseph vorbeygehn — und schweigen — Nein, ich kann’s nicht — neben ihm vorbeygehn und schweigen kann ich nicht — Ich will lieber hier warten, bis sie heim gehn — Er setzt sich nieder; nach einer Weile steht er wieder auf, und sagt: Ich will, ich kann ihnen auch hier nicht zusehen — ich will auf die andre Seite des Huͤgels gehn — O du verdammter Joseph — Er steht auf, geht einige Schritte zuruͤck, hin- ter den Huͤgel, und setzt sich wieder. §. 68. §. 68. Die untergehende Sonne und ein ver- lorner armer Tropf. D ie Sonne gieng jezt eben unter, und schien noch mit ihren letzten Strahlen auf die Seite der Anhoͤhe, auf der er eben saß. Um ihn her war das tiefere Feld; und unten am Huͤgel alles schon im Schatten. Sie gieng aber herrlich und schoͤn unter, ohne Wind und ohne Gewoͤlke, Gottes Sonne; und der Vogt, der in ihre letzten herrlichen Strahlen, die auf ihn fielen, hinein sah, sagte zu sich selber: Sie geht doch schoͤn unter, und staunte gegen sie hin, bis sie hinter dem Berg war. Jezt ist alles im Schatten, und bald ist’s Nacht. O mein Herz! Schatten, Nacht und Grausen ist um dich her; dir scheint keine Sonne. So mußte er zu sich selber sagen, und wollte, oder er wollte nicht, denn der Gedanke schauerte ihm durch seine Seele, und er kirrete mit den Zaͤhnen — an- statt hinzufallen, und anzubeten den Herrn des Himmels, der die Sonne aus der Nacht wieder hervor ruft — anstatt auf den Herrn zu hoffen, der aus dem Staub errettet und aus den Tiefen er- erloͤst, knirschte er mit den Zaͤhnen. Da schlug die Glocke in Bonnal sechs Uhr; und die Maͤu- rer giengen vom Feld heim, und der Vogt folgete ihnen nach. §. 69. Wie man seyn muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will. D ie meisten Arbeiter des Maͤurers hatten ihn schon an diesem ersten Abend, an dem sie bey ihm schaff- ten, lieb gewonnen. Er arbeitete die ganze Zeit mit ihnen, wie sie, griff die schwersten Steine sel- ber an, stuhnd in Koth und in Wasser, wo es noͤthig war, hinein, wie ein anderer, und noch vor ihnen. Er zeigte ihnen, da sie ganz ungeuͤbt in dieser Ar- beit waren, mit Liebe und Gedult, ihre Art und Weise und ihre Vortheile, und ließ auch gegen die Ungeschicktesten keine Ungedult blicken; kein du Narr, du Ochs entfuhr ihm gegen einen Einzigen, ob er gleich hundertmal Anlaß und Gelegenheit dazu ge- habt haͤtte. Diese Gedult und diese bescheidene Sorgfalt des Meisters und sein Eifer, selber zu arbeiten, mach- ten, daß alles sehr wohl von statten gieng. §. 70. §. 70. Ein Mann, der ein Schelm ist und ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und des Maͤurers Frau ist weise. M ichel, als einer der Staͤrksten und Verstaͤndigsten, war den ganzen Abend an der Seite des Meisters, und sah alle die herzliche Liebe und Guͤte, mit deren dieser auch gegen die Ungeschicktesten handelte, und Michel, der ein Schelm ist und ein Dieb, gewann den Lienhard lieb, dieses geraden, redlichen Wesens wegen, und es gieng Michel an’s Herz; gegen diesen brafen, rechtschaffenen Mann wollte er kein Schelm seyn. Aber dem Kriecher und dem frommen Marx ab der Reuti gefiel es schon nicht so wohl, daß er kei- nen Unterschied machte unter den Leuten, und so gar auch mit dem Boͤsewicht, dem Michel, recht freundlich waͤre. Auch Lenk schuͤttelte den Kopf wohl hundertmal, und sprach bey sich selbst: Er ist ein Narr; naͤhm er Leute, die arbeiten koͤnnen, wie ich und mein Bruder, er wuͤrde nicht halb so viel Muͤhe haben — Aber die mehrern, die er mit Liebe und mit Gedult zur Arbeit anfuͤhrte, dankten ihm von Herzensgrunde, und hie und da stiegen stille Seuf- T zer zer zum Vater der Menschen empor, der alle Ge- dult und alle Liebe, die ein Mensch seinem schwaͤ- chern Bruder erweiset, lohnt und segnet. Michel konnte die boͤse Abrede, die er am Sam- stag m dem Vogt gemacht hatte, nicht laͤnger auf seinem Herzen tragen, und sagte im Heimgehn zu seinem Meister: Ich habe dir etwas zu sagen; ich will mit dir heimgehn; So komm denn, antwor- tete Lienhard. Da gieng er mit dem Meister in seine Huͤtte, und erzaͤhlte ihm, wie der Vogt ihn am Sam- stag zu Schelmenstreichen gedungen, und wie er ihm auf den schoͤnen Handel zween Thaler gegeben haͤtte. Lienhard erschrack; aber schwarz und gruͤn war’s der Gertrud vor den Augen, uͤber der Erzaͤhlung. Das ist erschrecklich, sagte Lienhard. Ja, das ist wohl erschrecklich, erwiederte Gertrud. Laß dich jezt das nicht kuͤmmern, ich bitte dich, Gertrud! Laß dir das jezt keine Muͤhe machen, ich bitte dich, Meister! sagte Michel — Seht, gegen euch ver- suͤndige ich mich gewiß nicht; darauf koͤnnt ihr zaͤhlen. Lienhard. Ich danke dir, Michel! aber ich hab es doch an dem Vogt auch nicht verdient. Michel. Er ist ein eingefleischter Teufel; die Hoͤlle erfindet nicht, was er, wenn er auf Rache denkt und raset. Lienhard. Es zittert alles an mir. Ger- Gertrud. Beynahe ward mir ohnmaͤchtig. Michel. Seyd doch nicht Kinder, alles hat ja ein Ende. Gertrud und Lienhard. (Beyde auf einmal) Gott Lob! Gott Lob! Michel. Seht, ihr habt jezt das Ding, wie ihr nur wollt. Wenn ihr wollt, so will ich den Vogt auf dem Glauben lassen, daß ich ihm treu sey, und gerad morgen oder uͤbermorgen vom Bau Geschirr wegnehmen, und ins Vogts Haus tragen. Dann gehst du in aller Stille zu Arner, nimmst einen Gewaltsschein, alle Haͤuser durchsuchen zu duͤrfen; faͤngst bey des Vogts seinem an — dringst ploͤtzlich in die Nebenkammer hinein, wo du es gewiß finden wirst; aber nimm das in Acht: Du mußst ploͤtzlich in dem Augenblick, in dem du den Gewaltschein zeigest, hineindringen, sonst ist es ge- fehlt. Sie sind im Stande, sie nehmen es dir un- ter den Augen weg, steigen zum Fenster hinein, oder legen es unter die Decke des Betts. Wenn du dann hoͤflich bist, und da nicht nachsuchst, so werden wir in einem schoͤnen Handel seyn. — Ich denke aber fast, es ist besser fuͤr dich, du schickst Jemand an- ders; es ist kein Stuͤck Arbeit fuͤr dich. Lienhard. Nein, Michel! das Stuͤck Arbeit wuͤrde mir gewiß nicht gerathen. Michel. Das ist gleich viel; ich will dir schon Jemand finden, der diese Arbeit recht mache. T 2 Ger- Gertrud. Michel! ich denke, wir sollten Go t danken, daß wir von der Gefahr, die uͤber uns schwebte, jezt befreyt sind, und nicht aus Rache dafuͤr dem Vogt eine Falle legen. Michel. Er verdient seinen Lohn; mache dir daruͤber kein Bedenken. Gertrud. Was er verdiene oder nicht ver- diene, das ist nicht unsere Sache zu urtheilen; aber nicht Rache auszuuͤben, das ist unsere Sache, und der einzige gerade Weg, den wir in diesem Falle gehn koͤnnen. Michel. Ich muß bekennen, du hast Recht, Gertrud! und es ist viel, daß du dich so uͤberwin- den kannst; aber ja, du hast Recht, er wird seinen Lohn schon finden; und uͤberall los seyn, und nichts mit ihm zu thun haben, ist das beste. Ich will auch gerade zu mit ihm brechen, und ihm seine zween Thaler zuruͤckgeben; jezt hab ich aber nur noch anderthalben. Er nimmt sie aus dem Sack, legt sie auf den Tisch, zaͤhlt sie, und sagt dann weiter: Ich weiß jezt nicht, ob ich ihm die anderthalben allein bringen, oder ob ich auf den Wochenlohn warten will, bis am Samstag, da ich dann alles bey einander haben werde? Lienhard. Es macht mir gar nichts, dir den halben Thaler jezt voraus zu bezahlen. Michel. Ich bin herzlich froh, wenn es seyn kann, daß ich dieses Mannes noch heute los komme. Ich Ich trag es ihm noch in dieser Stunde ins Haus, wenn ich’s habe. Meister! seit gestern beym H. Nacht- mahl lag es mir schon schwer auf dem Herzen, daß ich ihm so boͤse Sachen versprochen hatte; a u f den Abend kam noch dein Jonas, und gab meinem Kinde sein Abendbrod — und auch das machte, daß es mir an’s Herz gieng, daß ich gegen dir ein Schelm seyn wollte. Ich habe dich nie recht gekannt, und nie viel Umgang mit dir gehabt, Lienhard! aber heute habe ich gesehn, daß du mit Gedult und mit Liebe Jeder- mann helfen und rathen wolltest; und ich meynte, ich wuͤrde nicht selig sterben koͤnnen, wenn ich einem so brafen, treuen Menschen das Gute mit Boͤsem verguͤlte. (Er hat Thraͤnen in den Augen) Da seht ihr, ob’s mir nicht Ernst ist. Lienhard. Thue doch uͤberall Niemand nichts Boͤses mehr. Michel. Will’s Gott! will ich dir folgen. Gertrud. Es wird dir dann gewiß auch uͤber- all wieder besser gehn. Lienhard. Willst du noch diesen Abend zum Vogt gehn? Michel. Ja, wenn ich kann. Der Maͤurer giebt ihm den halben Thaler und sagt: Bring ihn doch nicht in Zorn. Gertrud. Sag ihm doch nicht, daß wir et- was davon wissen. T 3 Michel. Michel. Ich will so kurz seyn, als nn; aber den Augenblick geh ich, so ist’s bald ber. Behuͤt Gott, Gertrud! Ich danke dir, Lienhard! schlaft wohl. Lienhard. Thu ihm auch also; Behuͤt Gott, Michel! (Er geht ab.) §. 71. Die Hauptauftritte naͤhern sich. A ls der Vogt heim kam, traf er seine Frau al- lein in der Stube an. Er konnte also die Wuth und den Zorn, den er den Tag uͤber gesammelt hatte, nun ausleeren. Auf dem Feld, im Schloß und in Hirzau, da war’s etwas anders. Unter den Leu- ten zeigt so einer nicht leicht, wie’s ihm um’s Herz ist. Ungeschickt, wie ein Schaͤferbub, wuͤrde man sagen, wuͤrde ein Vogt seyn, der das nicht koͤnnte; und das hat man dem Hummel nie nachgeredt. Er konnte ganze Tage hinunter schlucken, Zorn und Neid, und Haß und Gram, und immer laͤcheln, und schwatzen, und trinken; aber, wenn er heim kam, und zum Gluͤck oder Ungluͤck die Wohnstube leer fand, alsdann stieß er die Wuth fuͤrchterlich aus, die er unter den Leuten gesammelt hatte. Seine Seine Frau weinte in einer Ecke, und sagte: Um Gottes willen! thue doch nicht so; mit diesem Rasen bringst du Arnern nur immer mehr auf. Er ruht nicht, bis du dich zum Ziel legst. Er wird nicht ruhen, ich mag thun, was ich will; er wird nicht ruhen, bis er mich zu Grunde gerichtet haben wird. Ein Schelm, ein Dieb, ein Hund ist er; der Verfluchteste unter allen Verfluchten, sagte der Mann. Und die Frau: Herr Jesus! um Gottes willen! wie du redest, du bist von Sinnen. Vogt. Hab ich nicht Ursache? Weißst du es nicht? Er nimmt mir das Wirthsrecht oder den Mantel innert vierzehn Tagen. Voͤgtinn. Ich weiß es; aber um Gottes wil- len! thue doch jezt nicht so. Das ganze Dorf weiß es schon. Der Schloßschreiber hat’s dem Weibel gesagt, und dieser hat’s allerorten ausge- kramt. Ich wußte nichts bis auf den Abend, da ich traͤnkte; da lachten die Leute auf beyden Sei- ten der Gasse vor allen Haͤusern, und die Margreth, die auch traͤnkte, nahm mich beyseits, und sagte mir das Ungluͤck. Und noch etwas: Hans Wuͤst hat die acht Gulden zuruͤckgebracht. Woher koͤmmt jezt dieser zu acht Gulden? Auch darhinder steckt Arner. Ach Gott! ach Gott! allenthalben droht ein Ungewitter — so sagte die Frau. Wie ein Donnerschlag erschreckte das Wort, T 4 Hans Hans Wuͤst hat die acht Gulden zuruͤckgebracht, den Bogt. Er stuhnd eine Weile, starrte mit halbgeoͤff- netem Mund die Frau an, und sagte dann: Wo ist das Geld? Wo sind die acht Gulden? Die Frau stellt’s in einem zerbrochenen Trinkglas auf den Tisch. Der Vogt starrt eine Weile das Geld an, zaͤhlt’s nicht, und sagt dann: Es ist nicht aus dem Schloß; der Junker giebt keine ungesoͤnderten Sorten. Voͤgtinn. Ich bin froh, daß es nicht aus dem Schlosse ist. Vogt. Es steckt doch etwas darhinter; du haͤt- test es ihm nicht abnehmen sollen. Voͤgtinn. Warum das? Voͤgt. Ich haͤtte ihn ausforschen moͤgen, wo- her er’s habe. Voͤgtinn. Ich habe wohl daran gedacht; aber er wollte nicht warten, und ich glaube nicht, daß du etwas heraus gebracht haͤttest. Er war so kurz und abgebrochen, als man nur seyn kann. Vogt. Es stuͤrmt alles auf mich los; ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht — Gieb mir zu trin- ken — (sie stellt ihm den Krug dar) und er geht mit wilder Wuth die Stube hinauf und hinunter, schnaufet, trinkt, und redt mit sich selber: Ich will den Maͤurer verderben, das ist das erste, so seyn muß. Wenn’s mich hundert Thaler kostet — Der Michel muß ihn verderben; und dann will ich auch auch hinter den Markstein — so sagt er, und eben klopft Michel an. Wie im Schrecken juckt der Vogt zusammen, sagt: Wer ist da so spaͤt in der Nacht? und eilt an’s Fenster zu sehn. Mach auf, Vogt! ruft Michel. §. 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt den Vogt. W ie mir der so eben recht koͤmmt, sagt der Vogt, eilt, oͤffnet die Thuͤre, gruͤßt Micheln, und sagt: Will- kommen, Michel! Was bringst du guts Neues? Michel. Nicht viel; ich will dir nur sagen — Vogt. Du wirst nicht unter der Thuͤre reden wollen? Ich gehe noch lang nicht schlafen. Komm in die Stube. Michel. Ich muß wieder heim, Vogt! Ich will dir nur sagen, daß mich der Handel vom Sam- stag gereuet hat. Vogt. Ja, bey Gott! das waͤre so eben recht. Nein, der muß dich nicht gereuen — Wenn’s nicht genug ist, ich biete eher ein mehrers. Komm nur in die Stube. Es fehlt nicht, wir werden des Han- dels gewiß eins. Michel. Um keinen Preis, Vogt! Da sind deine zween Thaler. T 5 Vogt. Vogt. Ich nehme dir sie jezt nicht ab, Mi- chel! Treib nicht den Narren. Der Handel muß dir nicht schaden, und wenn dir die zween Thaler zu wenig sind, so komm in die Stube. Michel. Ich will weiter nichts hoͤren, Vogt! da ist dein Geld. Vogt. Bey Gott! ich nehme dir’s jezt nicht ab. Ich habe jezt geschworen; du mußst mit mir in die Stube. Michel. Das kann zuletzt wohl seyn. (Er geht mit ihm.) Da bin ich nun in der Stube, und da ist dein Geld. (Er legt es auf den Tisch.) Und jezt behuͤt Gott, Vogt! und hiemit kehrte er sich um, und gieng fort. §. 73. Er macht sich an den Markstein. D er Vogt stuhnd eine Weile stumm und sprach- los da, rollte seine Augen umher, schaͤumte zum Munde aus, zitterte, stampfte, und rief dann: Frau! gieb mir Brennt’s; es muß seyn, ich gehe. Frau. Wohin, wohin willst du in der stock- finstern Nacht? Vogt. Ich geh — ich geh, und grabe den Stein aus; gieb mir die Flasche. Frau. Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht. Vogt. Es muß seyn, es muß seyn; ich gehe. Frau. Es ist stockfinster; es geht nach den Zwoͤlfen, und in der Charwoche hat der Teufel sonst viel Gewalt. Vogt. Hat er das Roß, so nehm er den Zaum auch. Gieb mir die Flasche; ich gehe. Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und Karst auf die Achsel, und eilt im tiefen Dunkel der Nacht auf den Berg, seinem Herrn den Markstein zu versetzen. Rausch und Rache und Wuth machten ihn kuͤhn; doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei- nen Haasen rauschen hoͤrte, zitterte er, stand einen Augenblick still, und eilte dann wuͤthend weiter, bis er endlich zum Markstein kam. Er griff jezt schnell zur Arbeit, hackte und schaufelte umher. §. 74. Die Nacht betruͤgt Besoffene und Schel- men, die in der Angst sind, am staͤrksten. A ber ploͤtzlich erschreckt ihn ein Geraͤusche. Ein schwarzer Mann hinter dem Gestraͤuche koͤm̃t auf ihn zu. Um den Mann ist’s hell in der finstern Nacht, und und Feuer brennt auf des Mannes Kopfe. Das ist der Teufel leibhaftig, fagt der Vogt flieht, heult entsetzlich, und laͤßt Karst und Pickel und Schaufel, den Hut und die leere Brenntsflasche dahinten. Es war Christoff, der Huͤnertraͤger von Arn- heim, der Eyer in Oberhofen, Lunkofen, Hirzau und andern Orten aufgekauft hatte, und nun auf seinem Heimweg begriffen war. Er trug auf sei- nem Korb das Fell von einer schwarzen Ziege, und hatte eine Laterne daran haͤngen, um den Weg im Finstern zu finden. Dieser Eyertraͤger erkannte die Stimme des fliehenden Vogts; und da er dachte, daß er gewiß etwas Boͤses im Sinn haͤtte, er- grimmte er bey sich selber, und sprach: Dem ver- fluchten Buben will ich’s jezt machen! er meynt, ich sey der Teufel. Schnell stellt er seinen Korb ab, nimmt Karst und Pickel und Schaufel und seinen mit Eisen be- schlagenen Botenstock, bindet alles zusammen, schleppt es hinter sich her uͤber den Felsweg hinunter, daß es fuͤrchterlich rasselte, laͤuft so dem Vogt nach, und ruft mit hohler heulender Stimme: Oh — Ah — Uh — Hummel — Oh — Ah — Uh — Du bist mein — Wa — art — Hu — Hummel — — Der arme Vogt laͤuft, was er vermag, und schreyt in seinem Laufen erbaͤrmlich: Mordio — und helsio — Waͤchter! der Teufel nimmt mich. Und Und der Huͤnertraͤger immer hinten nach: Oh — Ah — Uh — Vo — ogt — — Wa — art — Vo — ogt! du bist mein — Vo — o — ogt — §. 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung. D er Waͤchter im Dorf hoͤrte das Laufen und Rufen vom Berge, und verstuhnd alle Worte; aber er fuͤrchtete sich, und klopfte einigen Nachbaxen am Fenster an. Steht doch auf, Nachbaren! sagt er zu ihnen; und hoͤrt, wie es am Berge geht. Es ist, als wenn der Teufel den Vogt nehmen wollte — hoͤrt doch, wie er Mordio und Helfio ruft! und er ist doch, weiß Gott! bey seiner Frau daheim; es ist keine zwo Stunden, ich hab ihn unter seinem Fen- ster gesehn. Als ihrer etwan Zehn beysammen waren, rie- then sie, sie wollten alle mit einander mit dem Windlicht und mit Gewehr wohl versehen dem Geraͤusch entgegen gehn; aber frisch Brod, den Psalter, und das Testament mit in Sack nehmen, daß ihnen der Teufel nichts anhaben koͤnne. Die Maͤnner giengen, hielten aber noch zuerst bey des Vogts Haus still, um zu sehn, ob er da- heim waͤre. Die Die Voͤgtinn wartete in Todesangst, wie’s ihm auf dem Berg gehn moͤchte; und da sie den naͤcht- lichen Laͤrm hoͤrte, und da die Maͤnner mit den Wind- lichtern an ihrem Hause klopften, erschrack sie ent- setzlich, und rief ihnen: Herr Jesus! was wollt ihr? Dein Mann soll herunter kommen, sagten die Maͤnner. Er ist nicht bey Hause; aber, Herr Jesus! was ist’s doch, warum ihr da seyd? sagte die Frau. Und die Maͤnner: Das ist eben schlimm, wenn er nicht daheim ist — Horch, wie er Mordio und Helfio schreyt, als wenn der Teufel ihm nach- liefe. Die Frau laͤuft jezt mit den Maͤnnern, wie un- sinnig, fort. Der Waͤchter fragte sie unterwegs: Was Teufels thut doch dein Mann jezt noch auf dem Berg? Er war ja noch vor ein Paar Stun- den bey Haus? Sie antwortete kein Wort, sondern heulete ent- setzlich. Auch des Vogts Hund heulete an seiner Ket- te entsetzlich. Als aber der Huͤnertraͤger das Volk, so dem Vogt zu Huͤlfe eilte, sich naͤhern sah, und als er des Vogts Hund so fuͤrchterlich heulen hoͤrte, kehrte er um, und gieng so still und so geschwind, als er konnte, wieder den Berg hinauf, zu seinem Korb, packte seine seine Beute auf, und setzte dann seinen Weg fort. Kunz aber, der mit des Vogts Frau einige Schritte voraus war, merkte, daß es eben nicht der Teufel seyn moͤchte; faßt den heulenden Vogt zimlich unsanft beym Arm, und sagt ihm: Was ist das? Warum thust du auch so, du Narr? O — — O — — laß mich — — O — — Teufel laß mich — — sagte der Vogt, der im Schrecken nichts sah und nichts hoͤrte. Du Narr! ich bin Kunz, dein Nachbar; und das ist deine Frau, sagte ihm dieser. Die andern Maͤnner sahn zuerst zimlich behut- sam umher, wo etwann der Teufel doch stecken moͤchte; und der mit dem Windlicht zuͤndete sorg- faͤltig in die Hoͤhe und auf den Boden, und auf alle vier Seiten; es steckte auch ein jeder seine rech- te Hand in den linken Sack, zum neugebackenen Brod, zum Testament und zum Psalter — Da sich aber lange nichts zeigte, faßten sie nach und nach Muth, und einige wurden sogar munter, und fien- gen an den Vogt zu fragen: Hat der Teufel dich mit den Klauen gekraͤuelt? oder mit den Fuͤssen getreten, daß du so blutest? Andre aber sprachen: Es ist jezt nicht Zeit zu spotten; wir haben ja alle die erschreckliche Stim- me gehoͤrt. Kunz Kunz aber sagte: Und mir ahndet, ein Wild- dieb, oder ein Harzer, habe den Vogt und uns alle geaͤffet. Als ich ihm nahe kam, hoͤrte das Geheul auf, und ein Mensch lief den Berg hinauf, was er konnte. Es hat mich tausendmal gereuet, daß ich ihm nicht nachgelaufen bin; und wir waren Narren, daß wir des Vogts Hund nicht mitgenom- men haben. Du bist ein Narr, Kunz! das war in Ewig- keit keine Menschenstimme. Es gieng durch Leib und Seel; es drang durch Mark und Bein; und ein mit Eisen beladener Wagen rasselt nicht so auf der Bergstrasse, wie das gerasselt hat. Ich will euch nicht widersprechen, Nachbaren! Es schauerte mir auch, da ich es hoͤrte. Aber doch lasse ich mir nicht ausreden, daß ich Jemand wieder den Berg hinauf laufen gehoͤrt habe. Meynst du, der Teufel koͤnne nicht auch laufen, daß man ihn hoͤre? sagten die Maͤnner. Der Vogt aber hoͤrte von allem Gerede kein Wort. Und da er daheim war, bat er die Maͤnner, daß sie doch diese Nacht bey ihm blieben; und sie blieben gar gern im Wirthshause. §. 76. §. 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus. I ndessen hatte der naͤchtliche Laͤrm alles im Dorfe aufgeweckt. Auch im Pfarrhause stuhnd alles auf, denn man vermuthete Ungluͤck. Und da der Pfarrer nachfragen ließ, was fuͤr ein Laͤrm sey? bekam er erschreckliche Berichte uͤber den graͤulichen Vorfall. Und der Pfarrer dachte: er wolle dieses Schrecken des Vogts, so dumm auch seine Ursache sey, benutzen, und gieng in der Nacht ins Wirths- haus. Blitzschnell verschwanden die Weinkruͤge von allen Tischen, da er kam. Die Bauern stuhnden auf, und sagten: Will- kommen, wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Der Pfarrer dankte, und sagte den Nachbaren: Es ist brav, daß ihr, wenn ein Ungluͤck begegnet, so bereit und dienstfertig seyd. Aber wollt ihr mich jezt eine Weile bey dem Vogt allein lassen? Bauern. Es ist unsere Schuldigkeit, wohl- ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Wir wuͤnschen euch eine gluͤckselige Nacht. U Pfar- Pfarrer. Ein gleiches, ihr Nachbaren! Aber ich muß euch noch bitten, daß ihr euch in Acht nehmet, was ihr uͤber diesen Vorfall erzaͤhlet. Es ist allemal unangenehm, wenn man groß Geschrey von einer Sache macht, und wenn darnach heraus koͤmmt, daß nichts an der Sache sey, oder et- was ganz anders. Fuͤr jezt weiß einmal noch Nie- mand, was eigentlich begegnet ist, und ihr wisset doch, Nachbaren! die Nacht treugt. Es ist so — wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! sagten die Bauern inner der Thuͤre. Und er ist immer so ein Narr, und will nichts glauben, sagten sie draussen. §. 77. Seelsorgerarbeit. D er Pfarrer aber redte mit dem Vogt herzlich; Untervogt! ich habe vernommen, daß dir etwas begegnet ist, und ich bin da, dir mit Trost, so gut ich kann, an die Hand zu gehen. Sage mir aufrich- tig, was ist dir eigentlich begegnet? Vogt. Ich bin ein armer ungluͤcklicher Tropf, der leidige Satan hat mich nehmen wollen. Pfarrer. Wie so, Vogt! wo ist dir das be- gegnet? Vogt. Vogt. Oben auf dem Berge. Pfarrer. Hast du denn wirklich Jemand ge- sehen? Hat dich Jemand angegriffen? Vogt. Ich sah ihn — ich sah ihn, wie er auf mich zulief. — Es war ein grosser schwarzer Mann, und er hatte Feuer auf seinem Kopfe — er ist mir nachgelaufen bis unten an den Berg. Pfarrer. Warum blutest du am Kopf? Vogt. Ich bin im Herunterlaufen gefal- len. Pfarrer. Es hat dich also Niemand mit kei- ner Hand angeruͤhrt? Vogt. Nein, aber gesehen habe ich ihn mit meinen Augen. Pfarrer. Nun Vogt! wir wollen uns nicht dabey aufhalten. Ich kann nicht begreifen, was es eigentlich war. Es mag aber gewesen seyn, was es will, so ist es gleich viel; denn, Untervogt! es ist eine Ewigkeit, wo ohne einigen Zweifel die Gottlosen in seine Klauen fallen werden; und diese Ewigkeit und die Gefahr, nach deinem Tode in seine Klauen zu fallen, sollte dich bey deinem Alter und bey deinem Leben freylich unruhig und sorgenvoll machen. Vogt. O Herr Pfarrer! ich weiß vor Sor- gen und Unruhe nicht, was ich thue. Um Gottes willen! was kann, was soll ich machen, daß ich U 2 vom vom Teufel wieder los werde — bin ich nicht jezt schon ganz in seiner Gewalt? Pfarrer. Vogt! plage dich nicht mit Ge- schwaͤtze und mit naͤrrischen Worten. Du bist bey Sinn und Verstand, und also ganz in deiner eige- nen Gewalt; thue, was recht ist, und was dir dein Gewissen sagt, daß du es Gott und Menschen schul- dig seyst. Du wirst alsdann bald merken, daß der Teufel keine Gewalt uͤber dich hat. Vogt. O Herr Pfarrer! was kann, was muß ich denn thun, daß ich bey Gott wieder zu Gnaden komme? Pfarrer. Im Ernst deine Fehler bereuen, dich bessern, und dein ungerechtes Gut wieder zu- ruͤck geben. Vogt. Man glaubt, ich sey reich, Herr Pfar- rer! aber ich bin’s weiß Gott nicht! Pfarrer. Das ist gleich viel, du hast des Rudis Matten mit Unrecht; und Wuͤst und Kei- bacher haben einen falschen Eid gethan; ich weiß es, und ich werde nicht ruhen, bis der Rudi wie- der zu dem Seinigen gelangt seyn wird. Vogt. O Herr Pfarrer! um Gottes willen! habt Mitleiden mit mir. Pfarrer. Das beste Mitleiden, das man mit dir haben kann, ist dieses: wenn man dich dahin bringen kann, gegen Gott und Menschen zu thun, was du schuldig bist. Vogt. Vogt. Ich will ja thun, was ihr wollt, Herr Pfarrer! Pfarrer. Willst du dem Rudi seine Matte wieder zuruͤck geben? Vogt. Um Gottes willen! ja, Herr Pfarrer! Pfarrer. Erkennest du also, daß du sie mit Unrecht besitzest? Vogt. In Gottes Namen! ja, Herr Pfar- rer! ich muß es bekennen; aber ich komme an den Bettelstab, wenn ich sie verliere. Pfarrer. Vogt! es ist besser betteln, als ar- mer Leute Gut unrechtmaͤßig vorenthalten. Der Vogt seufzet. Pfarrer. Aber was thatest du auch mitten in der Nacht auf dem Berg? Vogt. Um Gottes willen! fraget mich doch das nicht, Herr Pfarrer! ich kann’s, ich darf’s nicht sagen; habt Mitleiden mit mir, ich bin sonst verloren. Pfarrer. Ich will dir nicht zumuthen, mir etwas zu offenbaren, das du nicht willst. Thust du es gern, so will ich dir rathen wie ein Vater; willst du es nicht thun, in Gottes Namen! so ist es dann deine Schuld, wenn ich dir da, wo du es vielleicht am noͤthigsten haͤttest, nicht rathen kann. Aber da ich ohne deinen Willen von allem, was du mir sagen wirst, nichts offenbaren werde, so kann U 3 ich ich doch nicht sehn, was du dabey gewinnest, wenn du mir etwas verschweigst. Vogt. Aber werdet ihr gewiß nichts wider meinen Willen offenbar machen, es mag seyn was es will? Pfarrer. Nein, gewiß nicht, Vogt! Vogt. So will ich’s euch in Gottes Namen sagen: Ich wollte dem Junker einen Markstein ver- setzen. Pfarrer. Lieber Gott und mein Heiland! warum auch dem guten lieben Junker? Vogt. Ach! Er wollte mir das Wirthshaus oder den Vogtsdienst nehmen, das brachte mich in Wuth. Pfarrer. Du bist doch ein ungluͤcklicher Tropf, Vogt! er meynte es so wenig boͤse. Er hat dir noch einen Ersatz geben wollen, wenn du die Vogts- stelle freywillig aufgeben wuͤrdest. Vogt. Ist das auch wahr, Herr Pfarrer? Pfarrer. Ja, Vogt! ich kann dir es fuͤr ge- wiß sagen, denn ich habe es aus seinem Munde; er hat am Samstag Abend in seinem Berg gejagt, und ich habe ihn auf dem Weg vom Reutihof, wo ich bey der alten Frauen war, angetroffen; da hat er mir ausdruͤcklich gesagt: Der junge Meyer, den er zum Vogt machen wolle, muͤsse dir, damit du dich nicht zu beklagen habest, hundert Gul- den jaͤhrlichen Ersatzes geben. Vogt. Vogt. Ach Gott! Herr Pfarrer! haͤtte ich auch das gewußt, ich wuͤrde nicht in dieses Un- gluͤck gefallen seyn. Pfarrer. Man muß Gott vertrauen; auch wenn man noch nicht sieht, wo seine Vaterguͤte eigentlich hervor blicken will; und von einem guten Herrn muß man Gutes hoffen, auch wenn man noch nicht siehet, wie und worinn er sein gutes Herz offenbaren will. Das macht, daß man ihm getreu und gewaͤrtig bleibt, und dardurch denn sein Herz in allen Faͤllen zum Mitleiden und zu aller Vaterguͤte offen findet. Vogt. Ach Gott! wie ein ungluͤcklicher Mann ich bin! Haͤtte ich nur auch die Helfte von diesem gewußt. Pfarrer. Das Geschehene ist jezt nicht mehr zu aͤndern; aber was willst du jezt thun, Vogt? Vogt. Ich weiß es in Gottes Namen nicht; das Bekenntniß bringt mich um’s Leben. Was meynt ihr, Herr Pfarrer? Pfarrer. Ich wiederhole, was ich dir eben gesagt habe. Ich will dir kein Bekenntniß zumu- then; das, was ich sage, ist ein blosser Rath — aber meine Meynung ist, der gerade Weg habe noch Niemanden uͤbel ausgeschlagen. Arner ist barmher- zig, und du bist schuldig, thu jezt, was du willst; aber ich wuͤrde es auf seine Barmherzigkeit ankom̃en lassen. Ich sehe wohl, daß der Schritt schwer ist; U 4 aber aber es ist auch schwer, ihm den Fehler zu ver- schweigen, wenn du wahre Ruhe und Zufrieden- heit fuͤr dein Herz suchest. Der Vogt seufzet, und redet nichts. Der Pfarrer faͤhrt fort, und sagt wieder: Thue jezt in Gottes Namen, was du willst, Vogt! ich will dir nichts, zumuthen; aber je mehr ich es uͤber- lege, desto mehr duͤnkt mich, du fahrest am besten, wenn du es auf Arners Barmherzigkeit ankommen lassest; denn ich muß dir doch auch sagen, es koͤn- ne nicht anders seyn, der Junker werde nachfor- schen, warum du in dieser spaͤthen Nachtzeit auf der Strasse gewesen seyst? Vogt. Herr Jesus, Herr Pfarrer! was mir in Sinn kommt. Ich habe Pickel und Schaufel und Karst, und was weiß ich noch, beym Mark- stein gelassen, und er ist schon halb umgegraben; das kann alles ausbringen. Es uͤbernimmt mich eine Angst und ein Schrecken von wegen des Pi- ckels und des Karsts, daß es entsetzlich ist, Herr Pfarrer! Pfarrer. Wenn dich wegen dem armseligen Pickel und Karst, die man ja leicht heut noch vor Tag wegtragen und verbergen kann, eine solche Angst uͤbernimmt, Vogt! so denke doch, wie tau- send solche Umstaͤnde und Vorfaͤlle begegnen wer- den und begegnen muͤssen, wenn du schweigest, die dir deine uͤbrigen Tage noch alle zu Tagen der groͤ- sten sten Unruhe und der bittersten fortdauernden Besorg- nisse machen werden. — Ruhe fuͤr dein Herz wirst du nicht finden, Vogt! wenn du nicht bekennest. Vogt. Und ich kann auch nicht bey Gott wie- der zu Gnaden kommen, wenn ich schweige? Pfarrer. Vogt! wenn du das selber denkest, und selber sorgest und fuͤrchtest, und doch wie- der die Stimme deines Gewissens, wider deine eigne Ueberzeugung schweigest, wie koͤnnte es moͤg- lich seyn, daß dieses Thun Gott gefallen, und dir seine Gnade wieder bringen koͤnnte? Vogt. So muß ich’s denn bekennen? Pfarrer. Gott wolle mit seiner Gnade bey dir seyn, wenn du thust, was dein Gewissen dich heisset. Vogt. Ich will es bekennen. Und da er dieses gesagt hatte, betete der Pfar- rer vor ihm also: Preis und Dank und Anbetung, Vater im Himmel! Du hast deine Hand gegen ihn ausge- streckt, und sie hat ihm Zorn und Entsetzen ge- schienen, die Hand deiner Erbarmung und Liebe! Aber sie hat sein Herz bewegt, daß er sich nicht mehr gegen die Stimme der Wahrheit verhaͤrtet, wie er sich lange, lange vor ihr verhaͤrtet hat. Du, der du Schonung und Mitleiden und Gnade bist! Nimm das Opfer seines Bekenntnis- ses gnaͤdig an, und zeuch deine Hand nicht ab von U 5 ihm. ihm. Vollende das Werk deiner Erbarmung, und laß ihn wieder deinen Sohn, deinen Begnadigten werden. O Vater im Himmel! der Menschen Leben auf Erden ist Irrthum und Suͤnde! darum bist du gnaͤdig den armen Kindern der Menschen, und verzeihest ihnen Uebertretung und Suͤnde, wenn sie sich bessern. Preis und Anbetung, Vater im Himmel! Du hast deine Hand gegen ihn ausgestreckt, daß er dich suche; Du wirst das Werk deiner Erbarmung vollenden, und er wird dich finden, lobpreisen dei- nen Namen, und verkuͤndigen deine Gnade unter seinen Bruͤdern. Der Verfasser will hier anzeigen: daß er bald auch die Geschichte von Hummels Gefangenschaft und Kirchenbusse liefern wolle. Jezt war der Vogt durch und durch bewegt; Thraͤnen flossen von seinen Wangen. O Gott! Herr Pfarrer! ich will es bekennen, und thun, was man will. Ich will Ruhe suchen fuͤr mein Herz, und Gottes Erbarmen. Der Pfarrer redete noch eine Weile mit ihm, troͤstete ihn, und gieng dann wieder heim. Es gieng aber schon gegen fuͤnf Uhr, da er heim kam. Und er schrieb alsbald an Arner. Der Brief, den er gestern geschrieben, und der heutige, lauten also: §. 78. §. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner. Erster Brief . Hochedel gehohrner , Gnaͤdiger Herr! D er Ueberbringer dieses, Hans Wuͤst, hat mir heut eine Sache geoffenbart, welche von ei- ner Natur ist, daß ich nicht umhin konnte, ihm zu rathen, sie Euer Gnaden als seinem Richter zu entdecken — Er haͤlt nemlich in seinem Gewissen darfuͤr, der Eid, den er und Keibacher vor zehn Jahren in der Sache zwischen dem Huͤbelru- di und dem Vogt geschworen haben, sey falsch. Es ist eine sehr traurige Geschichte, und es kommen dabey sehr bedenkliche Umstaͤnde von dem verstorbe- nen Schloßschreiber und von dem ungluͤcklichen Vi- cari meines in Gott ruhenden Vorfahren ins Licht; und mir schauert vor aller Aergerniß, so dieses Bekenntniß hervor bringen kann. Ich danke aber wieder Gott, daß der Aermste unter meinen vielen Armen, der gedruͤckte leidende Rudi mit sei- ner schweren Haushaltung durch dieses Bekennt- niß wieder zu dem Seinigen kommen koͤnnte. Die Die taͤglich steigende Bosheit des Vogts, und sein Muthwillen, der jezt auch sogar die Feste nicht mehr schonet, machen mich glauben, die Zeit sei- ner Demuͤthigung sey nahe. — Fuͤr den ungluͤck- lichen armen Wuͤst bitte ich demuͤthig und dringend um alle Barmherzigkeit und um alle Gnade, welche die Pflichten der Gerechtigkeit dem menschenlieben- den Herzen Euer Gnaden erlauben koͤnnen. Meine liebe Frau empfiehlt sich ihrer edelmuͤthi- gen Gemahlinn, und meine Kinder ihren guten Fraͤu- leins. Sie sagen tausendfachen Dank fuͤr die Blumen- zwiebeln, mit denen Sie unsern Krautgarten verzie- ren wollen. Gewiß werden ihnen meine Kinder mit Fleiß abwarten; denn ihre Blumenfreude ist un- beschreiblich. Erlauben Sie, Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr! daß ich mit pflichtschuldiger Ergebenheit mich nenne Euer Wohledelgebohrnen Gnaden Bonnal , den 20. Merz 1780 . gehorsamsten Diener, Joachim Ernst, Pfr. Zwey- Zweyter Brief . Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr! S eit gestern Abends, da ich Euer Gnaden in bey- liegend schon versiegeltem Schreiben den Vorfall mit dem Hans Wuͤst pflichtmaͤßig zu wissen thun wollte, hat die alles leitende weise Vorsehung meine Hoffnungen und meine Wuͤnsche fuͤr den Rudi, und meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weise be- staͤtigt. Es entstuhnd in der Nacht ein allgemeiner Laͤrm im Dorf, der so groß war, daß ich Un- gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es sey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle den Vogt nehmen; er schreye erbaͤrmlich droben am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das erschreckliche Gerassel des ihm nachlaufenden Teu- fels gehoͤrt — Ich mußte ob diesem Berichte, Gott verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im- mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be- staͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt sey wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt waͤren, wieder heim; aber so erbaͤrmlich vom leidigen Satan herumgeschleppt und zugerichtet worden, daß er wahrscheinlicher Weise sterben werde. Das alles war freylich keine Waar in meinen Kram; aber was machen? Man muß die Welt brau- brauchen, wie sie ist, weil man sie nicht aͤndern kann. Ich dachte, es mag nun gewesen seyn, was es will, so ist der Vogt vielleicht jezt weich; ich muß also die gelegene Zeit nicht versaͤumen, und gieng deshalben sogleich zu ihm. Ich fand ihn in einem erbaͤrmlichen Zustande. Er glaubt steif und fest, der Teufel hab ihn neh- men wollen. Ich fragte zwar hin und her, um et- wann auf eine Spur zu kommen; aber ich begreife noch nichts von allem. Nur so viel ist gewiß, daß ihn Niemand angeruͤhrt hat, und daß seine Verwun- dung am Kopf, die aber leicht ist, von einem Falle herruͤhrt. — Auch hat der Teufel, sobald die Mann- schaft anruͤckte, mit seinem Rasseln und Heulen nachgelassen — Aber es ist Zeit zur Hauptsache zu kommen. Der Vogt war gedemuͤthigt, und bekannte mir zwo abscheuliche Thaten, die er mir freywillig er- laubt, Euer Gnaden zu offenbaren. Erstlich: Es sey wahr, was mir der Hans Wuͤst gestern geklagt haͤtte; nemlich: Er habe Ihren in Gott ruhenden Herrn Groß- vater in dem Handel mit dem Rudi irre gefuͤhrt, und die Matte sey mit Unrecht in seiner Hand. Zweytens: Er habe diese Nacht Euer Gnaden einen Markstein versetzen wollen, und sey wirklich an dieser Arbeit gewesen, als ihm der erschreck- liche Zufall begegnet sey. Ich Ich bitte Euer Gnaden demuͤthig, um Scho- nung und Barmherzigkeit auch fuͤr diesen ungluͤck- lichen Mann, der Gott Lob auch zur Demuth und zur Reue zuruͤckzukommen scheint. Da sich die Umstaͤnde also seit gestern geaͤndert haben, schick ich den Hans Wuͤst nicht mit seinem Brief, sondern ich sende beyde durch Wilhelm Aebi, und ich erwarte, was Euer Gnaden hierinn fuͤr fernere Befehle an mich werden gelangen lassen. Womit ich mit der vorzuͤglichsten Hochachtung verharre Euer Hochedelgebohrnen und Gnaden Bonnal , den 21. Merz 1780 . gehorsamster Diener, Joachim Ernst, Pfr. §. 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht. W ilhelm Aebi eilte nun mit den Briefen auf Arn- burg; aber Christoff, der Huͤnertraͤger, war fruͤher im Schloß, und erzaͤhlte dem Junker alles, was begegnet war, der Laͤnge und der Breite nach. Der Junker aber mußte auf seinem Lehnstuhl uͤber die Geschichte, uͤber das Schrecken des Vogts und uͤber das Oh — Ah — Uh — des Huͤnertraͤ- gers lachen, daß er den Bauch mit beyden Haͤn- den halten mußte. Therese, Therese, seine Gemahlinn, die im N ebenge- mach noch in der Ruhe war, hoͤrte das laute Ge- laͤchter und das Oh — Ah — Uh — des Huͤner- traͤgers, und rief: Carl! was ist das? Komm doch herein, und sage mir, was es ist. Da sagte der Junker zum Huͤnertraͤger: Meine Frau will auch hoͤren, wie du den Teufel vorstel- len koͤnnest; komm herein. Und er gieng mit dem Huͤnertraͤger ins Schlaf- zimmer seiner Gemahlinn. Da erzaͤhlte dieser wieder: wie er den Vogt bis unten in’s Feld verfolgt haͤtte — wie seine Nachbaren bey Dutzenden mit Spiessen und Pru ͤ geln und Wind- lichtern dem armen Vogt zu Huͤlf gekommen waͤren, und wie er dann wieder still den Berg hinauf ge- schlichen sey. Therese und Carl lachten auf ihrem Bette wie Kinder, und liessen den Huͤnertraͤger, so viel er woll- te, von dem koͤstlichen Wein des Junkers, der seit gestern noch da stuhnd, trinken. Herr Jesus! was denkst du auch, Junker? Mar- grithe! gieb doch Dienstenwein — wuͤrde freylich manche Graͤfinn gerufen haben. A. d. V. Alles zu seiner Zeit; Wenn der Huͤnertraͤger nur Huͤner bringt, warum sollte man ihm vom be- sten Wein geben? Wer soll dann den schlechtern trinken? Aber in gewissen Faͤllen kann auch der Buͤrger thun und soll er thun, was der Graf mit Rechte seinen Maͤgden verbietet. A. d. H. Hingegen ver- bot bot ihm Arner, noch Niemand kein Wort von der Sache zu erzaͤhlen. Indessen langte Wilhelm Aebi mit des Pfarrers Briefen an. Arner las sie, und die Geschichte des Hans Wuͤsts ruͤhrte ihn am meisten. Die Unvorsichtigkeit seines Großvaters, und das Ungluͤck des Rudis gien- gen ihm zu Herzen; aber die weise Handlungsart des Pfarrers freute ihn in der Seele. Er gab die Briefe sogleich seiner Therese, und sagte: Das ist doch ein herrlicher Mann, mein Pfar- rer in Bonnal. Menschenfreundlicher und sorgfaͤl- tiger haͤtte er nicht handeln koͤnnen. Therese las die Briefe, und sagte: Das ist eine erschreckliche Sache mit dem Wuͤst! Du mußst dem Rudi wieder zu dem Seinigen helfen. Saͤume doch nicht — und wenn der Vogt sich straͤubt, die Matte zuruͤckzugeben, so wirf ihn in alle Loͤcher. Er ist ein Satan, dem du nicht scho- nen mußst. Ich will ihn aufknuͤpfen lassen, antwortete Arner. Ach nein! du toͤdest Niemand, erwiederte The- rese. Meynst du, Therese? sagte Carl, und laͤchelte. Ja, ich meyn’s, sagte Therese, und kuͤßte ih- ren Carl. Du wuͤrdest mich nicht mehr kuͤssen, glaub ich, wenn ich’s thaͤte, Therese! sagte Carl. X Und Und Therese laͤchelnd: Das denk ich. Arner aber gieng in sein Cabinet, und antwor- tete dem Pfarrer. §. 80. Des Junkers Antwortschreiben an den Pfarrer. Wohlehrwuͤrdiger, lieber Herr Pfarrer! D er Vorfall mit dem Vogt ist mir eine Stunde vor ihrem Schreiben durch den Teufel selbst, der den Vogt den Berg hinabjagte, geoffenbart wor- den; und der ist mein lieber Huͤnertraͤger, Christoff, den sie wohl kennen. Ich erzaͤhle ihnen die ganze Geschichte, die recht lustig ist, noch heute; denn ich komme zu ihnen, und will wegen dem Mark- stein Gemeind halten lassen, und zugleich will ich mit meinen Bauern wegen ihrem Gespensterglau- ben jezt eine Comoͤdie spielen — und sie, mein lie- ber Herr Pfarrer! muͤssen auch mit mir in diese Comoͤdie — Ich denke, sie sind noch nicht in vielen gewesen, sonst wuͤrden sie gewiß nicht so schuͤchtern, aber vielleicht auch nicht so herzgut und so zufrie- den seyn. Ich Ich sende ihnen hier von meinem besten Wein zum herzlichen Gruß und Dank, daß sie mir so redlich und brav geholfen haben, meines lieben Großvaters Fehler wieder gut zu machen. Wir wollen diesen Abend zu seinem Andenken eins davon mit einander trinken. Mein lieber Herr Pfarrer! er war doch ein braver Mann, wenn die Schelmen schon so oft sein gutes Herz und sein Zu- trauen gemißbraucht haben. Ich danke ihnen, mein lieber Herr Pfarrer! fuͤr ihre Muͤhe und fuͤr ihre Sorgfalt wegen dem Huͤbel- rudi — Freylich will ich ihm helfen. Noch heute muß er mit meinem lieben Großvater wieder zufrieden wer- den, und, will’s Gott! in seinem Leben bey seinem Andenken nicht mehr trauern. Es thut mir in der Seele leid, daß er so ungluͤcklich gewesen ist; und ich will, auf was Weise ich kann, dafuͤr sor- gen, daß der Mann fuͤr sein Leiden und fuͤr seinen Kummer mit Freude und Ruhe wieder erquickt wer- de. Wir sind gewiß schuldig, die Fehler unsrer El- tern wieder gut zu machen, so viel wir koͤnnen und moͤgen. O es ist nicht recht, Herr Pfarrer! daß man behauptet, ein Richter sey nie in keiner Ge- fahr, und sey nie keinen Ersatz schuldig. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie wenig kennt man den Menschen, wenn man nicht einsieht, daß alle Richter eben durch Gefahr ihres Vermoͤgens nicht nur zur Ehr- lichkeit, sondern zur Sorgfalt und zur Anstrengung X 2 aller aller Aufmerksamkeit sollten bewogen und angehalten werden. — Aber was ich da vergebens schwatze. Meine Frau und meine Kinder gruͤssen ihre Ge- liebte alle herzlich, und senden ihren Toͤchtern noch eine Schachtel Blumenzeugs. Leben sie wohl, mein lieber Herr Pfarrer! und stuͤrmen sie jezt nicht so in allen Stuben herum, alles aufzuraͤumen, und Wuͤrste und Schinken zu sieden, als ob ich vor lauter Hunger bey ihnen einkehren wolle; sonst werde ich nicht wie- der zu ihnen kommen, so lieb sie mir sind. Ich danke ihnen noch einmal, mein lieber Herr Pfarrer! und bin mit wahrer Zuneigung Ihr Arnburg den 21. Merz 1780 . aufrichtiger Freund, Carl Arner von Arnheim. N. S. So eben sagt mir meine Frau, sie wolle die Comoͤdie mit dem Huͤnertraͤger auch sehn. Wir kommen Ihnen also alle mit den Kindern und mit dem grossen Wagen auf den Hals. §. 81. §. 81. Ein guter Kuͤher. D a Arner den Wilhelm fortgeschickt hatte, gieng er in seinen Stall, waͤhlte unter seinen fuͤnfzig Kuͤ- hen fuͤr den Huͤbelrudi eine aus, und sagte zu seinem Kuͤher: Futtere mir diese Kuhe wohl, und sag dem Bu- ben, daß er sie nach Bonnal fuͤhre, und in den Pfrundstall stelle, bis ich kommen werd e . Der Kuͤher aber antwortete seinem Herrn: Herr! ich muß thun, was ihr mich heißt; aber es ist un- ter diesen fuͤnfzigen allen keine, die mich so reuet. Sie ist noch so jung, so wohlgestalt und so schoͤn; sie koͤmmt mit der Milch in die beste Zeit. Du bist braf, Kuͤher! daß dich die schoͤne Kuh reut. Mich aber freut es, daß ich’s getroffen habe — Ich suchte eben die Schoͤnste — Sie koͤmmt in ei- nes armen Mannes Stall, Kuͤher! laß sie dich nicht reuen; sie wird ihn auch freuen. Kuͤher. Ach Herr! es ist ewig Schade um die Kuh — bey einem armen Mann wird sie abfallen; sie wird mager und haͤßlich werden. O Herr! wenn ich’s vernehme, daß sie Mangel hat, ich lauf alle Tage auf Bonnal, und bring ihr Salz und Brod alle Saͤcke voll. X 3 Junker. Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be- koͤmmt eine schoͤne Matte und Futter genug fuͤr die Kuh. Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn sie doch fort muß. Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es soll ihr nich t fehlen. Der Kuͤher futterte die Kuh, und seufzete bey sich selber, daß sein Herr die schoͤnste im Stall wegschenkte. Er nahm auch sein Morgenbrod und Salz, gab alles dem Fleck, und sagte dann zum Jungen: Nimm deinen Sonntagsrock und ein sauberes Hemd; strehle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußst den Fleck nach Bonnal fuͤhren. Und der Junge that, was der Kuͤher ihm sagte, und fuͤhrte die Kuh ab. Arner sann jezt eine Weile still und ernsthaft dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen wollte. Wie ein Vater, wenn er seinen wilden, ausartenden Knaben einsperrt und zuͤchtigt — nichts sucht, als das Wohl seines Kindes — wie es dem Vater an’s Herz geht, daß er strafen muß — wie er lieber verschonen und lieber belohnen wuͤrde; wie er seine Wehmuth in seinen Stra- fen so vaͤterlich aͤussert, und durch seine Liebe mit- ten im Strafen seinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe selber, an’s Herz greift. So, So, dacht Arner, muß ich strafen, wenn ich will, daß meine Gerechtigkeitspflege Vaterhandlung gegen meine Angehoͤrigen sey. Und in diesen Gesinnungen faßte er sein Urtheil gegen den Vogt ab. Indessen hatten seine Gemahlinn und seine Fraͤu- leins geeilt, daß man fruͤher, als sonst, zu Mittag aͤsse. §. 82. Ein Gutscher, dem seines Junkers Sohn lieb ist. U nd der kleine Carl, der schon mehr als zehnmal den Gutscher gebeten hatte, daß er den Wagen schnell fer- tig halten sollte, lief noch vom Essen in Stall, und rief: Wir haben geessen, Franz! spann an, und fahr geschwind an’s Schloßthor. Du luͤgst, Junge! sie haben noch nicht gees- sen; man klingelt ja eben zum Tische, sagte Franz. Carl. Was sagst du, ich luͤge? Das leid ich nicht, du alter Schnurrbart! Franz. Wart, Buͤbchen! ich will dich Schnurrbarten lehren; darfuͤr flechte ich den Pfer- den die Schwaͤnze und das Halshaar, und bind ich ihnen die Baͤnder und die Rosen in’s Haar — X 4 dann dann geht es noch eine Stunde; und redst du ein Wort, so sag ich zum Papa: Der Herodes hat das Grimmen; sieh, wie er den Kopf schuͤttelt — dann laͤßt er die Rappen im Stall, nimmt den kleinern Wagen, und du mußst nicht mit. Carl. Nein, Franz! Hoͤr doch auf, und flechte die Schwaͤnze nicht; nimm doch keine Baͤnder — Du bist mir lieb, Franz! und ich will dir nicht mehr Schnurrbart sagen. Franz. Du mußst mich kuͤssen, Carl! an mei- nen Bart mußst du mich kuͤssen, sonst nimm ich die Baͤnder und flechte. Carl. Nein, nur doch das nicht, Franz! Franz. Warum sagst du mir Schnurrbart? Du mußst mich kuͤssen, sonst nehm ich die Baͤn- der, und fahre nicht mit den Rappen. Carl. Nun, wenn ich muß; aber du machst dann den W a gen doch geschwind fertig? Da legte Franz den Roßstrigel ab, hub den jungen Junker in die Hoͤhe, und dieser kuͤßt’ ihn. Franz druͤckt’ ihn herzlich und sagt: Auch recht, Buͤbli! eilte mit dem Wagen, und fuhr bald vor das Schloßthor. Da saß Arner mit seiner Gemahlinn und mit seinen Kindern ein. Und Carl bat den Papa: Darf ich doch zu Franz auf den Bock sitzen? es ist so eng und so warm im Wagen. Mei- Meinethalben, sagt Arner, und ruft dem Franz: Hab gut Sorg zu ihm. §. 83. Ein Edelmann bey seinen Arbeitsleuten. U nd Franz fuhr mit seinen muthigen Rappen gut fort, und war bald auf der Ebne bey Bonnal, wo die Maͤnner Steine brachen. Da stieg Arner aus dem Wagen, nach ihrer Arbeit zu sehn; und er traf die Arbeiter alle einen Je- den an seinem schicklichen Platz an. Und der Steine waren fuͤr die Zeit, in welcher sie gearbeitet hatten, schon viele beysammen. Und Arner lobte die Ordnung und die gute An- stalt bey ihrer Arbeit, also, daß auch die Einfaͤltigsten merkten, daß es ihm nicht wuͤrde entgangen seyn, wenn das geringste nicht in Ordnung oder nur zum Schein dargestellt worden waͤre. Das freute den Lienhard, denn er dachte: Es sieht jezt ein Jeder selbst, daß es nicht an mir steht, Unordnung und Liederlichkeit zu dulden. Arner fragte auch den Meister, welches der Huͤ- belrudi sey; und in eben dem Augenblick, da ihm der Maͤurer ihn zeigte, waͤlzte der todtblasse und X 5 sicht- sichtbarlich schwache Rudi einen sehr gros s en Stein mit dem Hebeisen aus seinem Nest. Schnell rief Arner: Ueberluͤpft euch nicht, Nachbaren! und sor- get, daß keiner ungluͤcklich werde. Darauf befahl er noch dem Meister, ihnen einen Abendtrunk zu geben; und gieng weiter gegen Bonnal. §. 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die beyde ein gleich gutes Herz haben, kommen zusammen. E r sah bald den guten Pfarrer von Ferne ge- gen ihn kommen. Der Junker lief stark gegen dem Pfarrer, und rief ihm zu: Sie haben sich doch in diesem Wetter nicht bemuͤhen sollen; es ist nicht recht bey ihren Beschwaͤrden; und eilte dann heim mit ihm, in seine Stube. Und erzaͤhlte ihm die ganze Geschichte mit dem Huͤnertraͤger; dann sagte er: Ich habe zimlich Geschaͤfte, Herr Pfarrer! ich will schnell daran, damit wir noch ein paar Stunden ruhig Freude mit einander haben koͤnnen. Jezt sandte er auch zu dem jungen Meyer, und ließ ihm sagen, daß er zu ihm komme, und sagte sagte zum Pfarrer: Ich will vor allem aus des Vogts Rechnungen und Buͤcher versiegeln las- sen; denn ich will wissen, mit wem er in Rech- nung stehe; und er muß sie mit Jedermann vor mir in Ordnung bringen. Pfarrer. Dadurch werden sie einen guten Theil ihrer Angehoͤrigen sehr nahe kennen lernen, Gnaͤdiger Herr! Junker. Und wie ich hoffe, auch Wege fin- den, vieler haͤuslicher Verwirrung in diesem Dorfe ein Ende zu machen; wenn ich bey diesem Anlas- se Jedermann deutlich und einleuchtend machen kann, wie sich die Leute unwiederbringlich verderben, wenn sie mit solchen Wucherern, wie der Vogt ist, nur um einen Kreuzer anbinden. Es duͤnkt mich, Herr Pfarrer! die Landesgesetze thun zu wenig, diesem Landsverderben zu steuern. Pfarrer. Keine Gesetzgebung kann das, Gnaͤ- diger Herr! aber das Vaterherz eines Herrn. §. 85. Des Junkers Herz gegen seinen fehlen- den Vogt. I ndessen kam der juͤngere Meyer, und der Junker sagte zu ihm: Meyer! ich bin im Fall meinen Vogt zu zu entsetzen; aber so sehr er sich verfehlt hat, bewegen mich doch einige Umstaͤnde, daß ich wuͤnsche, ihm so lange er lebt, noch etwas vom Einkommen seines Dienstes zukommen zu lassen. Du bist ein wohl- habender Mann, Meyer! und ich denke, wenn ich dich zum Vogt mache, du lassest dem alten Mann gern noch jaͤhrlich hundert Gulden vom Dienste zu- fliessen. Meyer. Wenn sie mich zu diesem Dienste tuͤchtig finden, Gnaͤdiger Herr! so will ich mich hierinn, wie in allem andern, nach ihren Befeh- len richten. Junker. Nun, Meyer! so komme morgen zu mir auf Arnburg, ich will dann dieses Geschaͤft in Ordnung bringen. Jezt will ich dir nur sagen: du muͤssest mit meinem Schreiber und mit dem Richter Aebi dem Hummel alle seine Schriften und seine Rechnungen besiegeln. Ihr habt genau nachzu- sehn, daß von allen Papieren und Rechnungen nichts unterschlagen werde. Da giengen der Meyer und der Herrschafts- schreiber, nahmen noch den Richter Aebi mit sich, und besiegelten des Vogts Schriften. Die Voͤgtinn aber gieng mit einem nassen Schwamm gegen die gekreidete Wandtafel; aber der Meyer sah es, hinderte sie etwas durchzustrei- chen, und ließ die gekreidete Tafel schnell ab- schreiben. Und Und der Meyer, der Schreiber und der Richter Aebi verwunderten sich, als sie auf der Tafel fan- den : Samstags den 18ten dieses dem Joseph des Lienhards drey Thaler an Geld — Wofuͤr das, fragten der Meyer, der Schreiber und Aebi, den Vogt und die Voͤgtinn? aber sie wolltens nicht sagen. Und da die Maͤnner mit der Abschrift der Wandtafel ins Pfarrhaus kamen, verwunderte sich der Junker ebenfalls uͤber diese drey Thaler, und fragte die Maͤnner: Wisset ihr, fuͤr was das war? Es wollte Niemand mit einer Antwort heraus- ruͤcken, da wir fragten, antworteten die Maͤnner. Ich will es bald heraus bringen, sagte der Junker. Wenn Flink und der Gefaͤngnißwaͤchter da seyn werden, so sagt ihnen: sie sollen den Vogt und den Hans Wuͤst hieher bringen. §. 86. Der Pfarrer zeigt abermal sein gutes Herz. D er gute Pfarrer hatte das kaum gehoͤrt, so schlich er sich alsobald von der Gesellschaft weg ins Wirthshaus, und sagte dem Vogt: Um Got- tes willen! was ist das mit den drey Thalern an an Joseph? du machst dich doppelt ungluͤcklich, wenn du’s nicht sagst; der Junker ist zornig. Da bekannte der Vogt dem Pfarrer mit Thraͤ- nen alle Umstaͤnde mit Joseph und mit dem Gelde. Und der Pfarrer eilte schnell wieder zu Arner, und sagte ihm alles, und wie wehmuͤthig der Vogt es ihm gestanden haͤtte. Er bat auch den Junker noch einmal um Gnad und Barmherzigkeit fuͤr den armen Mann. Sorgen Sie nicht, Herr Pfarrer! Sie werden mich gewiß menschlich und mitleidend finden, sagt Arner. Er ließ hierauf den Joseph gebunden und ge- fangen von der Arbeit wegnehmen, und ihn mit dem Wuͤst und dem Vogt herbringen. Der Vogt zitterte wie ein Laub der großblaͤt- terigten Aspe. Der Wuͤst schien in stiller Weh- muth in sich selbst gekehrt, und von Herzen ge- duldig. Der Joseph aber knirschte mit den Zaͤhnen, und sagte zum Vogt: Du Donnersbub, du bist an em schuldig! Arner ließ die Gefangenen einen nach dem an- dern in die untere Stube des Pfarrhauses fuͤh- ren, wo er sie in Gegenwart des Meyers, des Aebis, und des Weibels verhoͤrte. Und nachdem der Schreiber alle ihre Aussagen von Wort zu Wort niedergeschrieben, und sie den Ge- Gefangenen wieder vorgelesen, diese sie auch von neuem wiederholt und bestaͤtigt hatten, ließ er sie alle unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und befahl, jezt an die Gemeinde zu laͤuten. §. 87. Vom guten Muth und von Gespenstern. V orher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke in die obere Stube zum Pfarrer, und sagte: Ich trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu- tes Muths seyn an der Gemeind; das muß man seyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will. Nichts ist gewisser, sagte der Pfarrer. Und der Junker noͤthigte ihn, auch eins zu trinken, und sagte: Wenn nur auch einmal die Geistlichen lernten so ganz ohne Umschweif und Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer! So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un- gezwungenes offenes Wesen an einem sehn, so sind sie schon halb gewonnen. Ach Junker! sagte der Pfarrer: Eben das so gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un- gezwungenem Wesen mit den Leuten umgehen, daran werden wir auf tausenderley Arten gehindert. Junker. Junker. Das ist ein Ungluͤck fuͤr ihren Stand, Herr Pfarrer! das sehr weit langt. Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! Ungezwungener, treuherziger und offener sollte Nie- mand mit den Leuten umgehn koͤnnen, als die Geistlichen. Sie sollten Volksmaͤnner seyn, und dazu gebildet werden; sie sollten den Leuten in den Augen ansehn, was und wo sie reden und schwei- gen sollen. Ihre Worte sollten sie sparen, wie Gold, und sie hergeben wie nichts; so leicht, so treffend und so menschenfreundlich, wie ihr Meister! Aber ach! sie bilden sich in andern Schulen, und man muß Geduld haben, Junker! es sind in allen Staͤnden noch gleich viel Hindernisse fuͤr die liebe Einfalt und fuͤr die Natur. Junker. Es ist so, man koͤmmt in allen Staͤnden immer mehr von dem weg, was man eigentlich darinn seyn sollte; man muß oft und viel Zeit, in der man wichtige Pflichten sei- nes Standes erfuͤllen sollte, mit Ceremonien und Comoͤdien zubringen; und es sind wenige Menschen, die unter der Last der Etikettenformularen und Pedantereyen das Gefuͤhl ihrer Pflichten und das innere Wesen ihrer Bestimmung so rein erhalten, wie es ihnen gelungen ist, mein lieber Herr Pfarrer! Aber an ihrer Seite ist’s mir Freude und Lust, die selige Bestimmung meiner Vaterwuͤrde zu fuͤh- len; len; auch will ich trachten, diese Bestimmung mit reinem Herzen zu erfuͤllen, und wie Sie, von al- len Ceremonien und Gauckeleyen, die man mit den Menschen spielt, nur das mitmachen, was ich muß. Pfarrer. Sie beschaͤmen mich, Gnaͤdiger Herr! Junker. Ich fuͤhle, was ich sage; aber es wird bald laͤuten. Ich sehne mich recht auf die Comoͤdie an der Gemeind; dismal, glaube ich, wolle ich ihnen etwas von ihrem Aberglauben aus- treiben. Pfarrer. Gott gebe! daß es Ihnen gelinge. Dieser Aberglaube ist allem Guten, das man den Leuten beybringen will, immer so viel und so stark im Weg. Junker. Ich fuͤhle es auch an meinem Orte, wie oft und viel er sie in ihren Angelegenheiten dumm, furchtsam und verwirrt macht. Pfarrer. Er giebt dem Kopf des Menschen einen krummen Schnitt, der alles, was er thut, redt und urtheilt, verruͤckt; und was noch wett wichtiger ist, er verdirbt das Herz des Men- schen, und floͤßt ihm eine stolze und rohe Haͤrte ein. Junker. Ja, Herr Pfarrer! man kann die reine Einfalt der Natur und die blinde Dumm- heit des Aberglaubens nie genug unterscheiden. Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! die unverdorbene Einfalt der Natur ist empfaͤnglich Y fuͤr fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; sie ist wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber ist wie gegossenes Erz, keines Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von diesem Unterschiede, der mir in meinem Berufe so wichtig ist, angefangen haben, einen Augenblick davon fort- schwatzen. Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache ist mir eben so wichtig. Pfarrer. Der Mensch in der unverdorbenen Einfalt seiner Natur, weiß wenig; aber sein Wis- sen ist in Ordnung, seine Aufmerksamkeit ist fest und stark auf das gerichtet, was ihm verstaͤndlich und brauchbar ist. Er bildet sich nichts darauf ein, etwas zu wissen, das er nicht versteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wissen; sie prahlt, das zu wissen, was sie nicht weiß und nicht ver- steht; sie masset sich an, die Unordnung ihres Wissens sey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng- liche Glanz ihrer Schaumblase sey goͤttliche Weis- heit und goͤttliches Licht. Die Einfalt und die Unschuld der Natur brauchen alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, sehen al- les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerspruch, sorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤr Mey- Meynung, und wandeln sanft und still und voll Liebe einher — Der Aberglaube aber setzt seine Meynung gegen seine Sinnen und gegen aller Men- schen Sinnen. Er findet nur Ruhe im Triumph sei- nes Eigenduͤnkels, und er stuͤrmt damit unsanft und wild und hart durch sein ganzes Leben. Den Menschen in seiner reinen Einfalt leiten sein unverdorbenes He r z, auf das er sich immer ge- trost verlassen kann, und seine Sinnen, die er mit Ruhe braucht. Den Aberglaͤubigen aber leitet seine Meynung, welcher er sein Herz, seine Sinnen, und oft Gott, Vaterland, seinen Raͤchsten und sich selbst aufopfert. Junker. Das zeigt die Geschichte auf allen Blaͤttern; und auch ein kleines Maaß von Erfah- rung und von Weltkenntniß uͤberzeugt einen jeden, daß Hartherzigkeit und Aberglaube immer gepaart gehn, und daß sie nichts als schaͤdliche und bittere Folgen mit sich fuͤhren. Pfarrer. Aus diesem wesentlichen Unterschied der Einfalt des guten unentwickelten Menschen, und der Dummheit des Aberglaubens, erhellet, Junker ! daß das beste Mittel gegen dem Aber- glauben zu wuͤrken, dieser ist: “Den Wahrheitsunterricht in der Auferzie- „hung des Volks auf das reine Gefuͤhl der sanf- „ten und guten Unschuld und Liebe zu bauen, und „die Kraft ihrer Aufmerksamkeit auf nahe Ge- Y 2 „gen- „genstaͤnde zu lenken, die sie in ihren persoͤnlichen „Lagen intereßiren.„ Junker. Ich begreife Sie, Herr Pfarrer! und ich finde, wie Sie, daß dadurch Aberglauben und Vorurtheil ihren Stachel, ihre innere Schaͤdlich- keit, ihre Uebereinstimmung mit den Leidenschaften und Begierden eines boͤsen Herzens, und mit den grundlosen Grillen der armseligen Einbildung eines muͤßigen spintisirenden Wissens verlieren wuͤrden. Und so waͤre der Rest der Vorurtheile und des Aberglaubens nur noch todtes Wort und Schatten der Sache ohne inneres Gift, und er wuͤr- de dann von selbst fallen. Pfarrer. So sehe ich es einmal an, Jun- ker! Ordnung, nahe Gegenstaͤnde, und die sanfte Entwicklung der Menschlichkeitstriebe muͤssen die Grundlagen des Volksunterrichts seyn, weil sie un- zweifelbar die Grundlagen der wahren menschli- chen Weisheit sind. Starke Aufmerksamkeit auf Meynungen, und auf entfe rn te Gegenstaͤnde und schwache auf Pflicht und auf That, und auf nahe Verhaͤltnisse, ist Unord- nung im Wesen des menschlichen Geistes. Sie pflanzet Unwissenheit in unsern wichtigsten Angelegenheiten, und dumme Vorliebe fuͤr Wis- sen und Kenntniß, die uns nicht angehn. Und Rohheit und Haͤrte des Herzens sind die na- tuͤrlichen Folgen alles Stolzes und aller Praͤsumptio- nen; nen; daher denn offenbar die Quelle des innern Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn zu suchen ist, daß beym Unterricht des Volks seine Aufmerksamkeit nicht fest und stark auf Gegen- staͤnde gelenkt wird , die seine Personallage nahe und wichtig intereßiren, und sein Herz zu reiner sanfter Menschlichkeit in allen Umstaͤnden stim- men. Thaͤte man das mit Ernst und Eifer, wie man mit Ernst und Eifer Meynungen einpraͤgt, so wuͤr- de man den Aberglauben an seinen Wurzeln unter- graben, und ihm alle seine Macht rauben — Aber ich fuͤhle taͤglich mehr, wie weit wir in die- ser Arbeit noch zuruͤck sind. Junker. Es ist in der Welt alles vergleichungs- weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere Zeiten, Zeiten, wo man Gespenster glauben oder ein Ketzer seyn mußte; Zeiten, wo man alte Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an der Folter fragen mußte, was sie mit dem Teufel gehabt, oder Gefahr lief, seine Rechte und seinen Ge- richtstuhl zu verlieren. Pfarrer. Das ist Gott Lob vorbey; aber es ist noch viel des alten Sauerteigs uͤbrig. Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer! es faͤllt ein Stein nach dem andern vom Tempel des Aberglaubens, wenn man nur auch so eifrig Y 3 an an Gottes Tempel aufbauete, als man an de m Tem- pel des Aberglaubens hinunter reißt. Pfarrer. Eben da fehlts, und eben das schwaͤcht oder zernichtet meine Freude daruͤber, daß man gegen den Aberglauben arbeitet; weil ich sehe, daß alle diese Leute gar nicht bekuͤmmert sind, das Heiligthum Gottes, die Religion, in ihrer Kraft und in ihrer Staͤrke auf der Erde zu er- halten. Junker. Es ist so; aber bey allen Revolutio- nen will man im Anfang das Kind mit dem Bad ausschuͤtten. Man hatte Recht, den Tempel des Herrn zu reinigen; aber man fuͤhlet jetzo schon, daß man im Eifer seine Mauern zerstossen hat, und man wird zuruͤck kommen, und die Mauern wie- der aufbauen. Pfarrer. Ich hoffe es zu Gott, und sehe es mit meinen Augen, daß man anfaͤngt zu fuͤhlen, daß die eingerissene Irreligiositaͤt die menschliche Gluͤckseligkeit unendlich untergraͤbt. Junker. Indessen muͤssen wir gehn, und ich will einmal auch heute gegen den Aberglauben stuͤrmen, und eure Gespenstercapelle zu Bonnal an- greifen. Pfarrer. Moͤge es Ihnen gelingen. Ich habe es mit meinem Angreifen und mit meinem Predigen dagegen noch nicht weit gebracht. Junker. Junker. Ich will’s nicht mit Worten versu- chen, Herr Pfarrer! Mein Huͤnertraͤger muß mit seinem Korb und mit seiner Laterne, mit seinem Karst und mit seinem Pickel mir uͤberfluͤßige Worte sparen. Pfarrer. Ich glaube im Ernst, dieser werde es vortrefflich gut machen; denn es ist gewiß, wenn man solche Vorfaͤlle wohl zu benutzen weiß, so rich- tet man dadurch in einem Augenblick mehr aus, als mit allen Rednerkuͤnsten in einem halben Jahr- hundert. §. 88. Von Gespenstern, in einem andern Thon. I ndessen waren die Bauern bald alle auf dem Ge- meindplatz — Der gestrige Vorfall und das Ge- ruͤcht von den Gefangenen war die Ursache, daß sie haufenweise herzueilten. Die erschreckliche Erschei- nung des Teufels hatte sie innigst bewegt — und sie hatten von Morgens fruͤhe an schon gerath- schlagt, was unter diesen Umstaͤnden zu thun sey, und sich entschlossen, es nicht mehr zu dulden, daß der Pfarrer so unglaͤubig lehre und predige, und alle Gespenster verlache. Sie riethen, sie wol- en den Ehegaumer Hartknopf angehn, daß er da- Y 4 fuͤr fuͤr einen Vortrag mache, an der Gemeinde; der junge Meyer aber widersetzte sich und sprach: Ich mag nicht, daß der alte Geizhund, der seine Kin- der verhungern laͤßt, und der allen schmutzigen Sup- pen nachlaͤuft, fuͤr uns und fuͤr unsern Glauben reden soll. Es ist uns eine ewige Schande, wenn wir den Heuchler anreden. Die Bauern antworteten: Wir wissen wohl, daß er ein Heuchler und ein Geizhund ist, wir wis- sen auch, daß seine Dienstmagd ein Laster ist, wie er, und wie sie mit einander leben. Es ist wahr, es luͤgt keiner von uns allen so frech, und keiner pfluͤgt dem andern, wie er, uͤber die Mark, und kei- ner putzt in der Ernde beyde Seiten der Furchen aus, wie er; aber dann kann von uns auch keiner, wie er, mit einem Pfarrer reden, oder eine geistli- che Sache behaupten. Wenn du einen weißst, der’s nur halb kann, wie er, und es thun will, so ist’s gut; aber der Meyer wußte Niemand. Also redeten die Maͤnner den Ehegaumer an, und sprachen: Du, Hartknopf! du bist der Mann, der einem Geistlichen Antwort geben kann, wie kei- ner von uns allen; du mußst, wenn der Junker heute Gemeind halten wird, den Pfarrer verklagen wegen seines Unglaubens, und einen Bettag begeh- ren wegen der Erscheinung des leidigen Satans. Sie redten es aber dennoch nicht oͤffentlich mit ihm ab, sondern nur die Vornehmsten betrieben den Han- del; del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele Freunde; aber den groͤssern Bauern war er desto verhaßter, besonders seit dem er sich in einer Mor- genpredigt erklaͤrt, es sey nicht recht, daß sie sich der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi- dersetzten. Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf an, und sprach: Ihr berichtet mich zwar spaͤt, doch will ich auf den Vortrag studieren; und er gieng von den Bauern weg in sein Haus, und stu- dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend, da es zur Gemeind laͤutete. Da aber jezt die Ver- schwornen fast alle bey einander waren, wunderten sie sich, warum der Hartknopf nicht kaͤme, und wußten nicht, wo es fehlte. Da sagte ihnen Ni- ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er wartet, bis ihr ihn abholet. Was ist zu machen, sagten die Bauern, wir muͤssen dem Narren uns wohl unterziehen, sonst koͤmmt er nicht. Und sie sandten drey Richter, ihn abzuholen; diese kamen dann bald wieder mit ihm zuruͤck. Und der Ehegaumer gruͤßte die Bauern so gra- vitaͤtisch, wie ein Pfarrer, und versicherte die Vor- gesetzten und Verschwornen, die um ihn herum stuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor- trag studiert. Y 5 In- Indessen gab Arner dem Huͤnertraͤger zum Zei- chen, wenn er ein grosses, weisses Schnupftuch zum Sack herausziehe, so soll er dann kommen, und ordentlich alles vortragen, und thun, wie ab- geredt sey. Dann gieng er mit dem Pfarrer und mit dem Schreiber an die Gemeinde. Alles Volk stuhnd auf, und gruͤßte den Gnaͤ- digen Herrn und den Wohlehrwuͤrdigen Herrn Pfar- rer. Arner dankte ihnen mit vaͤterlicher Guͤte, und sagte den Nachbaren: Sie sollten sich auf ihre Baͤn- ke setzen, damit alles in der Ordnung gehe. Therese aber und die Frau Pfarrerinn, auch alle Kinder und Dienste aus dem Schloß und aus dem Pfarrhause stuhnden auf dem Kirchhof, von dem man gerade hin auf den Gemeindplatz sehn konnte. Arner ließ jezt die Gefangenen einen nach dem andern vorfuͤhren, und ihnen alles, was sie ausge- sagt und bekannt hatten, oͤffentlich vorlesen. Und nachdem sie vor der Gemeinde das Vorge- lesene bestaͤtigt hatten, befahl er dem Vogt, sein Urtheil auf den Knien anzuhoͤren. Und redte ihn dann also an. §. 89. §. 89. Ein Urtheil. Ungluͤcklicher Mann! E s thut mir von Herzen weh, dir in deinen alten Tagen die Strafen anzuthun, die auf Verbrechen, wie die Deinigen sind, folgen muͤssen. Du hast den Tod verdient, nicht weil des Huͤbelrudis Matte oder mein Markstein eines Menschen Leben werth sind; sondern weil meyneidige Thaten und ein fre- ches Raͤuberleben uͤber ein Land graͤnzenlose Ge- fahren und Ungluͤck bringen koͤnnen. Der meyneidige Mann und der Raͤuber werden Moͤrder beym Anlaß, und sind Moͤrder im vielfa- chen Sinn durch die Folgen der Verwirrung, des Verdachts, des Jammers und des Elends, das sie anrichten. Darum hast du den Tod verdient. Ich schenke zwar wegen deinem Alter, und weil du einen Theil deiner Verbrechen gegen mich versoͤnlich ausge- uͤbt hast, dir das Leben. — Deine Strafe aber ist diese: Du sollst noch heute, in Begleitung aller Vor- gesetzten, und wer sonst mitgehn will, zu meinem Mark- Markstein gebracht werden, um daselbst in Ketten alles wieder in den vorigen Stand zu stellen. Hierauf sollst du in das Dorfgefaͤngniß hier in Bonnal gefuͤhrt werden; daselbst wird dein Herr Pfarrer ganzer vierzehn Tage deinen Lebenslauf von dir abfordern, damit man deutlich und klar finden koͤnne, woher eigentlich diese grosse Ruchlosigkeit und diese Haͤrte deines Herzens entsprungen sind. Und ich selbst werde alles Noͤthige vorkehren, den Umstaͤnden nachzuspuͤren, welche dich zu deinen Verbrechen verfuͤhrt haben, und welche auch andere von mei- nen Angehoͤrigen in gleiches Ungluͤck bringen koͤnnten. Am Sonntag uͤber vierzehn Tage wird sodann der Herr Pfarrer oͤffentlich vor der ganzen Gemein- de die Geschichte deines Lebenswandels, deiner haͤus- lichen Unordnung, deiner Hartherzigkeit, deiner Ver- drehung aller Eide und Pflichten, und deiner schoͤ- nen Rechnungsart gegen Arme und Reiche umstaͤnd- lich, mit deinen eigenen Aussagen bekraͤftigt, vor- legen. Und ich selbst will gegenwaͤrtig seyn, und mit dem Herrn Pfarrer alles vorkehren, was nur moͤg- lich ist, meine Angehoͤrigen in Zukunft vor solchen Gefahren sicher zu stellen, und ihnen gegen die Quel- len und Grundursachen des vielen haͤuslichen Elends, das im Dorf ist, Huͤlfe und Rath zu schaffen. Und hiemit wollte ich dich denn gern entlassen; und wenn meine Angehoͤrigen sanft und wohlgezo- gen gen genug waͤren, der Wahrheit und dem, was ihr zeitliches und ewiges Heil betrifft, um ihrer selbst willen, und nicht um der elenden Furcht vor rohen, grausamen und eckelhaften Strafen, zu folgen; so wuͤrde ich dich hiemit wirklich entlassen; aber bey so vielen rohen, unbaͤndigen und ungesitteten Leu- ten, die noch unter uns wohnen, ist’s noͤthig, daß ich um dieser willen noch beyfuͤge: Der Scharfrichter werde dich morgen unter den Galgen von Bonnal fuͤhren, dir daselbst deine rechte Hand an einen Pfahl in die Hoͤhe binden, und dei- ne drey ersten Finger mit unausloͤschlicher, schwar- zer Farbe anstreichen. Wobey aber mein ernster Wille ist, daß Nie- mand mit Gespoͤtt oder mit Gelaͤchter oder irgend ei- niger Beschimpfung dir diese Stunde deines Lei- dens wider meinen Willen verbittere, sondern alles Volk ohne Geraͤusch und ohne Gerede still mit ent- bloͤßtem Haupt zusehn soll. Den Hans Wuͤst verurtheilte der Junker zu acht- taͤgiger Gefaͤngnißstrafe. Und den Joseph, als einen Fremden, ließ er sogleich aus seinem Gebiet fortfuͤhren, und ihm alle Arbeit und das fernere Betreten seines Bodens bey Zuchthausstrafe verbieten. Indessen hatte des Pfarrers Gevatter, Hans Renold, ihm ganz in der Stille berichtet, was die Bauern mit dem Ehegaumer vorhaͤtten, und wie sie sie gewiß und unfehlbar ihn wegen seinem Unglau- ben angreifen wuͤrden. Der Pfarrer dankte dem Renold, und sagte ihm mit Laͤcheln: Er sollte ohne S gen seyn, es werde so uͤbel nicht ablaufen. Das ist vortrefflich, sagte der Junker, dem es der Pfarrer gesagt hatte, daß sie das Spiel selber anfangen wollen; und indem er’s sagte, stuhnd der Ehegaumer auf, und sprach: §. 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegaumers. Gnaͤdiger Herr! I st es auch erlaubt, im Namen der Bauern Eu- rer getreuen Gemeinde Bonnal etwas anzubringen, das eine Gewissenssache ist? Arner antwortete: Ich will hoͤren. Wer bist du? Was hast du? Der Ehegaumer antwortete: Ich bin Jakob Christoff Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer und Stillstaͤnder von Bonnal, meines Alters 56 Jahre. Und die Vorgesetzten des Dorfs haben mich im Namen der Gemeind erbeten und erwaͤhlt, daß ich fuͤr fuͤr sie, da sie einmal in geistlichen Sachen nicht erfahren und nicht beredt sind, etwas vorbringe. Arner. Nun dann, Ehegaumer Hartknopf! zur Sache. Da fieng der Ehegaumer abermal an: Gnaͤdi- ger Herr! Wir haben von unsern Alten einen Glauben, daß der Teufel und seine Gespenster dem Menschen oft und viel erscheinen; und da einmal jezt auf heute offenbar worden ist, daß unser al- ter Glaube an die Gespenster wahr ist, wie wir denn alle keinen Augenblick daran zweifelten, so haben wir in Gottes Namen die Freyheit nehmen muͤssen, unserm Gnaͤdigen Herrn anzuzeigen: daß einmal unser Herr Pfarrer, Gott verzeih’s ihm, nicht dieses Glaubens ist. — Wir wissen auch wohl, daß selbst Euer Gnaden, wegen den Gespenstern, es mit dem Herrn Pfarrer halten — Da man aber in Sachen des Glaubens Gott mehr gehorsamen muß, als den Menschen; so hoffen wir, Euer Gnaden werden es uns in Unterthaͤnigkeit verzei- hen, wann wir bitten, daß der Herr Pfarrer in Zukunft, wegen dem Teufel, unsere Kinder auf unsern alten Glauben lehre, und nichts mehr ge- gen die Gespenster rede, die wir glauben und glau- ben wollen. Auch wuͤnschten wir, daß auf einen nahen Sonntag ein Fast- Bet- und Bußtag ge- halten werden moͤchte, damit wir alle die uͤber- hand nehmende Suͤnde des Unglaubens gegen die Ge- Gespenster, im Staub und in der Asche gnaͤdiglich, und auf einen besonders dazu angesetzten Tag ab- beten koͤnnen. Der Junker und der Pfarrer konnten freylich das Lachen schier gar nicht verbeissen, bis er fertig war; doch hoͤrten sie ihm mit aller Gedult zu. Die Bauern aber freueten sich in ihrem Her- zen dieser Rede; und sie beschlossen, den theu- ren Mann zu Hunderten heim zu begleiten, da sie ihn nur zu Dreyen abgeholt hatten. Auch stuhnden sie zu Dutzenden auf, und sagten: Gnaͤdiger Herr! das waͤre in Gottes Namen unser aller Meynung, was der Ehegaumer da sagt. Den Armen aber, und allen denen, welchen der Pfarrer lieb war, war es recht angst und bang fuͤr ihn; und da und dort sagte noch einer zum andern: Waͤre er doch nur auch nicht so ungluͤcklich, und glaubte auch was andere Leute — er ist doch sonst auch so brav; aber diese durften nicht reden, so weh es ihnen that, daß seine Feinde jezt trium- phierten. §. 91. §. 91. Des Junkers Antwort. A ber der Junker setzte den Hut auf, sah et- was ernsthaft umher, und sagte: Nachbaren! Ihr bra uc htet eben keinen Redner fuͤr diese Dohr- heit — Die Sache selber und die Erscheinung des Teufels ist Irrthum; und euer Herr Pfarrer ist einer der verstaͤndigsten Geistlichen. Ihr solltet euch schaͤmen, ihn so durch einen armen Tropf, wie euer Ehegaumer da ist, beschimpfen zu wollen. Haͤttet ihr gebuͤhrende Achtung fuͤr seine vernuͤnf- tigen Lehren, so wuͤrdet ihr verstaͤndiger werden, euern alten Weiberglauben ablegen, und nicht al- len vernuͤnftigen Leuten zum Trotze Meynungen beybehalten wollen, die weder Haͤnde noch Fuͤsse haben. Die Bauern redeten zu Dutzenden: Offenbar ist doch diese Nacht der Teufel dem Vogt erschie- nen, und hat ihn nehmen wollen. Junker. Ihr seyd im Irrthum, Nachbaren! und ihr werdet euch noch vor dem Nachtessen eu- rer Dummheit schaͤmen muͤssen; aber ich hoffe, ihr seyd doch auch nicht alle gleich verhaͤrtet in Z eurer eurer Dohrheit — Meyer! bist du auch der Mey- nung: man duͤrfe es gar nicht mehr in Zweifel ziehen, daß es wirklich der leidige Satan gewesen sey, der den Vogt auf dem Berg so erschreckt hat? Der junge Meyer antwortete: Was weiß ich, Gnaͤdiger Herr! Der Ehegaumer und viele Bauern ergrimmten uͤber den Meyer, daß er also antwortete. Und der Ehegaumer murrete hinter sich uͤber die Baͤnke zu: Wie du auch wider Wissen und Gewissen redst, Meyer! — Viele Bauern aber sag- ten: Wir haben doch alle die erschreckliche Stimme des leidigen Satans gehoͤrt. Junker. Ich weiß wohl, daß ihr ein Geschrey, ein Gebruͤll und ein Gerassel gehoͤrt habt; aber wie koͤnnt ihr sagen, daß das der Teufel gewesen sey? Kann es nicht seyn, daß ein Mensch oder mehrere den Vogt, der zimlich zur Unzeit an diesem Ort war, haben erschrecken wollen? Der Wald ist nie leer von Leuten, und die Strasse ist nahe, also daß es eben so leicht Menschen koͤnnen gethan ha- ben, als der Teufel. Bauern. Zehn und zwanzig Menschen koͤnn- ten zusammen nicht so ein Geschrey machen; und wenn sie da gewesen waͤren, Gnaͤdiger Herr! und es gehoͤrt haͤtten, es kaͤme ihnen nicht in Sinn, daß Menschen so bruͤllen koͤnnten. Junker. Junker. Die Nacht treugt, Nachbaren! und wenn man einmal im Schrecken ist, so sieht und hoͤrt man alles doppelt. Bauern. Es ist nicht von dem zu reden, daß wir uns irren; es ist nicht moͤglich. Junker. Ich aber sage euch: Es ist ganz gewiß, daß ihr euch irret. Bauern. Nein, Gnaͤdiger Herr! es ist ganz gewiß, daß wir uns nicht irren. Junker. Ich meynte fast, ich koͤnnte euch beweisen, daß ihr euch irret. Bauern. Das moͤchten wir sehen, Gnaͤdiger Herr! Junker. Es koͤnnte leicht etwas schwerer seyn, als dieses. Bauern. Euer Gnaden scherzen. Junker. Nein, ich scherze nicht. Wenn ihr glaubet, ich koͤnne es nicht, so will ich es versu- chen; und wenn ihr die Gemeindwaide theilen wol- let, Wort halten, und euch beweisen, daß ein ein- ziger Mensch das Gebruͤll und das Gerassel alles gemacht habe. Bauern. Das ist nicht moͤglich. Junker. Wollt ihr es versuchen? Bauern. Ja, Junker! wir wollen es Wir duͤrften zwo Gemeindwaiden an das fetzen, nicht nur bloß eine, daß Sie das nicht koͤnnen. Z 2 Hierauf Hierauf entstuhnd ein Gemurmel. Einige Bauern sagten unter sich: Man muß sich doch in Acht neh- men, was man verspricht. Andere Bauern auch unter sich: Er kann das so wenig beweisen, als daß der Teufel in Himmel koͤmmt. Wieder andere Bauern auch unter sich: Wir haben nichts zu fuͤrchten; er muß hinten abziehen. Wir wollen daran setzen; er kann’s nicht beweisen. Bauern. (Laut) Ja, Junker! wenn ihr wollt Wort halten, so redet; wir sind’s zufrieden, wenn ihr das, was ihr gesagt habt, daß ein Mensch das Gebruͤll, so wir gestern gehoͤrt haben, gemacht ha- be; wenn ihr das beweisen koͤnnt, daß es bewiesen ist, und bewiesen heißt, so wollen wir die Gemeind- waide theilen; aber sonst gewiß nicht. Der Junker nimmt ein grosses weisses Schnupf- tuch, giebt dem Huͤnertraͤger das Zeichen, und sagt zu den Bauern: Nur eine Viertelstunde Bedenkzeit. Diese lachten in allen Ecken, und etliche riefen: Bis morgen, Junker! wenn ihr wollt. Der Junker antwortete auf diese Grobheit kein Wort; aber die auf dem Kirchhof, als sie den Huͤ- nertraͤger gegen dem Gemeindplatz anruͤcken sahn, lachten, was sie aus dem Halse vermochten. Es traͤumte aber den Bauern vom Boͤsen, als sie das laute Gelaͤchter hoͤrten, und den fremden Mann Mann mit dem schwarzen Korb und mit der Laterne anruͤcken sahn. Was ist das fuͤr ein Narr, am hellen Tag mit dem brennenden Licht? sagten die Bauern. Arner antwortete: Es ist mein Huͤnertraͤger von Arnheim, und rief ihm: Christoff! was willst du hier? Ich habe etwas anzubringen, Gnaͤdiger Herr! antwortete Christoff. Das magst du meinethalben, erwiederte Arner. Da stellte der Huͤnertraͤger seinen Korb ab, und sagte: §. 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Gemeinde. Gnaͤdiger Herr! Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! und ihr Nachbaren! H ier sind der Pickel, der Karst, die Schaufel, die Brennt’sflasche, die Tabackspfeife, und der grosse Wollhut euers Herrn Untervogts, das er alles in seinem Schrecken beym Markstein gelassen hat, als ich ihn heute von seiner schoͤnen Arbeit weg den Berg hinunter jagte. Bauern. Wir sollen jezt glauben, du habest das Geschrey gemacht? Das glauben wir heut und Z 3 mor- morgen nicht — Junker! der Beweis ist nicht gut; wir bitten um einen andern. Junker. Wartet nur ein wenig; er hat ja eine Laterne bey sich, er kann euch vielleicht heiterer zuͤnden — Und dann sehr laut und sehr ernsthaft: Still — wenn’s euch lieb ist, bis er ausgeredt hat. Die Bauern schweigen gehorsamst. Der Huͤnertraͤger aber faͤhrt fort: Ihr seyd un- hoͤflicher, als es im Land sonst der Gebrauch ist; warum laßt ihr mich nicht ausreden? Denkt an den Huͤnertraͤger von Arnheim. Wenn ihr mich nicht ganz hoͤret, so fehlt’s nicht, der kuͤnftige Ka- lender wird von euch voll seyn; denn es ist kein Punkt und kein Duͤpflein davon wahr, daß der Teu- fel dem Vogt erschienen ist. Ich hab ihn erschreckt, ich, der Huͤnertraͤger, so, wie ich da steh, mit die- sem Korb und mit diesem neuen, schwarzen Geißfell, das ich uͤber meinen Korb hatte, weil’s gestern am Morgen noch regnete, und diese Laterne hatte ich vornen am Korb, just so, wie ihr mich kommen sahet. Ich fuͤllte sie in Hirzau wohl mit Oel, damit sie gut zuͤnde; denn es war sehr dunkel, und der Weg ist boͤs, wie ihr wohl wißt, auf der Hir- zauer Seite. Um 11 Uhr war ich noch im Hir- zauer Wirthshaus, das kann ich mit dem Wirth und wohl mit zehn Maͤnnern beweisen, die auch da waren. Als ich auf die Hoͤhe vom Berg kam, schlug es eben zwoͤlf Uhr in Bonnal, und da hoͤrte ich, ich, wie der Vogt keinen halben Steinwurf weit von der Landstrasse fluchte und arbeitete, und da ich ihn an seiner Stimme und an seinem Husten rich- tig erkannte, wunderte es mich, was er da schaffe in der Mitternachtsstunde. Ich dachte fast, er grabe Schaͤtzen nach, und wenn ich eben recht komme, so werde er mit mir theilen — Ich gieng also dem Geraͤusch nach — Aber es scheint, der Herr Un- tervogt habe gestern gegen seine Gewohnheit etwas mehr, als noͤthig ist, getrunken gehabt; denn er hielt mich armen suͤndigen Menschen, so bald er mich sah, fuͤr den leibhaftigen Teufel. Und da ich sah, daß er einen Markstein in unsers Herrn Wald versetzen woll- te, dachte ich, nun er fuͤrchtet doch, was er verdient, ich will ihm jezt die Hoͤlle warm machen. Ich band schnell Karst, Pickel und Schaufel und meinen Bo- tenstock zusammen, schleppte das alles hinter mir her den Felsweg hinunter, und rief dann, was ich aus dem Hals vermochte: Oh — Ah — Uh — Vo — ogt — Du bist mein, Hu — ummel — — und ich war nicht mehr einen Steinwurf weit von euch weg, als ihr mit euerm Windlicht langsam und still dem Herrn Untervogt zu helfen daher schlichet. Aber ich wollte die unschuldigen Maͤnner nicht so, wie den Vogt, mit meinem Ge- bruͤll gar in der Naͤhe erschrecken, hoͤrte damit auf, und stieg wieder mit meiner Beute Berg an zu meinem Korb, und gieng den geraden Weg heim. Z 4 Es Es war eine Viertelstunde nach zwey Uhr, da mich unser Waͤchter antraf, und mich fragte: Was traͤgst du Bauerngeschirr auf deinem Eyerkorb? Ich weiß nicht mehr, was ich ihm geantwortet ha- be, einmal die Wahrheit nicht; denn ich wollte schweigen, bis ich sie dem Junker erzaͤhlt haͤtte, welches ich heut schon vor sechs Uhr gethan habe. Und nun, Nachbaren! wie koͤnnt ihr jezt finden, daß ich zu dieser Historie und zu diesem Geschirr am Morgen vor Tag gekommen sey, wenn das, was ich euch sage, nicht wahr ist? Einige Bauern kratzten hinter den Ohren, ei- nige lachten. Der Huͤnertraͤger fuhr fort: Wenn euch das wieder begegnet, Nachbaren! so will ich dem Waͤch- ter, den Vorgesetzten und einer ganzen ehrsamen Gemeind in Bonnal freundnachbarlich rathen, thut ihm dann also: Laßt den groͤßsten Hund in euerm Dorf ab der Ketten, so werdet ihr den Teufel bald finden. Der Huͤnertraͤger schweigt. Es erhebt sich ein allgemeines Gemurmel. §. 93. §. 93. Daß die Armen bey diesem Lustspiel ge- gewinnen. Einige Bauern. E s ist bey Gott! wie er gesagt hat; es treffen alle Umstaͤnde ein. Andere Bauern. Was wir auch fuͤr Narren waren! Kunz. Nun, ich hab dem Schurken doch nach- laufen wollen. Einige Vorgesetzten. Wenn wir nur die gemeine Waid nicht hinein gezogen haͤtten. Einige der Gemeinen. Hat er euch jezt mit der Allment? Die Reichen. Das ist verflucht! Die Armen. Das ist Gott Lob! Therese. Das Meisterstuͤck ist die Gemeinwaid. Pfarrerin. Alles ist wahrlich ein Meisterstuͤck. Der Ehegaumer. Moͤchten die Steine Blut weinen; unser Glaube ist verloren. Elias! Elias! Feuer vom Himmel. Die Kinder auf dem Kirchhof. Oh — Ah — Uh — du bist mein, Vogt! Der Pfarrer. So sah ich noch nie in’s Volk wirken. Z 5 Der Der Vogt. Traͤum ich, oder wach ich? Al- les war Irrthum, und ich muß unter den Galgen — und ich kann nicht zuͤrnen; es tobet keine Rache in mir, und ich muß unter den Galgen. So redte ein jedes im allgemeinen Gemurmel seine Sprache nach seiner Empfindung. Nach einer Weile stand Arner auf, laͤchelte ge- gen die Nachbaren, und sagte: Wie ist’s jezt mit dem heiligen Bettag gegen die fuͤrchterliche Erschei- nung des Teufels auf dem Berg? Recht thun, und Gott lieben, und Niemand fuͤrchten; das ist der einige, alte und wahre Glaube, und eure Erscheinungen und Gespenstergeschichten sind Dummheiten, die euch Kopf und Herz verder- ben. Nun ist doch endlich die Vertheilung euers elen- den Waidgangs zu Stande gekommen, und ihr wer- det in kurzen Jahren sehn, wie das euch fuͤr Kinder und Kindskinder so nuͤtzlich und so gut ausschlagen wird, und wie ich Ursach hatte, diese Sache so ei- frig zu wuͤnschen. Ich habe befohlen, daß man euch einen Trunk auf das Gemeindhaus bringen soll. Trinkt ihn auf mein Wohlseyn und auf das Wohlseyn eurer vielen Armen, die bey eurer Waidtheilung nichts mehr be- bekommen, als ihr andern; aber fuͤr die es darum ein Gluͤck ist, weil sie sonst nichts haben. Weiß doch keiner von euch, wie es seinen Kindern und Kindskindern noch gehn wird. Da entließ Arner die Gemeinde, und rief dann dem Huͤbelrudi, daß er nach einer Viertelstunde zu ihm in’s Pfarrhaus kommen soll. Und dann giengen der Junker und der Pfarrer zu den Frauen auf den Kirchhof, und von da mit ihnen ins Pfarrhaus. Der Pfarrer aber lobte Arnern, fuͤr die Weis- heit und die Menschlichkeit, mit welcher er an seinen lieben Pfarrkindern gehandelt habe; und sagte zu ihm: Ich werde Sie nie weiter weder um Schonung noch um Mitleiden gegen Jemand bitten, denn ihr Vaterherz ist wahrlich uͤber meine Bitten und uͤber meine Lehren erhaben. §. 94. Der Junker dankt dem Pfarrer. D er Junker aber antwortete dem Pfarrer: Ich bitte Euch, beschaͤmt mich nicht. Ich gehe so in Einfalt meine Wege, und bin noch jung; will’s Gott! werde ich’s noch besser lernen. Mich freut es herzlich, wenn Ihr mit meinem Urtheil zufrieden seyd; seyd; aber Ihr muͤßt nicht glauben, daß ich nicht wisse, daß Ihr weit mehr gethan habt, als ich, und daß eure Sorgfalt und eure Guͤte alles so in Ordnung gebracht haben, daß mir nichts uͤbrig ge- blieben ist, als das Urtheil zu faͤllen. Pfarrer. Gnaͤdiger Herr! Sie gehn zu weit mit ihrer Guͤte. Junker. Nein, Freund! es ist nichts, als was wahr ist; und ich waͤre undankbar und un- billich, wenn ich’s nicht erkennete. Ihr habt mit vie- ler Muͤhe und mit vieler Klugheit euch bestrebt, meines lieben Großvaters unvorsichtiges Urtheil aufzudecken, und seinen Folgen ein Ende zu ma- chen. Es wird den ehrlichen guten Mann im Himmel freuen, was Ihr gethan habt, und daß das schlimme Ding endlich wieder gut wor- den ist; und gewiß wuͤrde er es mir nicht verzei- hen, Herr Pfarrer! wenn ich diese eure Handlung unbelohnt liesse. Nehmt den kleinen Zehnden, den ich in euerm Dorf verpachtet habe, zum Zeichen meines Danks an. Und hiemit gab er ihm die gesiegelte Urkunde, die in den dankvollsten Ausdruͤcken abgefaßt war, in die Hand. Therese stuhnd an der Seite Arners, und steckte dem Pfarrer den schoͤnsten Blumenstraus, der je in einem Pfarrhaus gesehen worden war, in seine Hand. Das Das ist zum Angedenken des besten Großva- ters, Herr Pfarrer! sagte sie. Und erst am Mor- gen darauf fand die Frau Pfarrerinn, daß der Straus mit einer Schnur Perlen eingebunden war. Der gute Pfarrer war uͤbernommen, hatte Thraͤnen in den Augen, konnte aber nicht reden — Machen sie keine Worte, sagte der Junker. Ihr Herz waͤre eines Fuͤrstenthums wuͤrdig, sagte endlich der Pfarrer. Beschaͤmt mich nicht, lieber Herr Pfarrer! antwortete der Junker — Seyd mein Freund! Hand in Hand wollen wir schlagen, unsere Leute so gluͤcklich zu machen als wir koͤnnen. Ich will Sie in Zukunft mehr sehen, Herr Pfarrer! Und, nicht wahr: Sie kommen auch mehr zu mir — Mein Wagen stehet Ihnen zu Diensten. Nehmet ihn doch auch ohne Compliment an, wenn Ihr zu mir kommen wollt. §. 95. §. 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem sein Großvater Unrecht gethan hat- te, um Verzeihung. I ndessen kam der Huͤbelrudi, und der Junker streckte dem armen Mann die Hand dar, und sagte: Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan, und dir deine Matte abgesprochen. Das war ein Ungluͤck; der gute Herr ist betrogen worden. Du mußst ihm das verzeihen und nicht nachtragen. Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker! ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war. Warest du nicht boͤse auf ihn? sagte der Jun- ker. Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei- ner Armuth, und insonderheit im Anfange, oft schmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe ich gewiß nie gezoͤrnt. Junker. Ist das auch aufrichtig wahr, Rudi? Rudi. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß, daß es wahr ist, und daß ich nie gegen ihn haͤt- te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl, daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen, da da der Vogt falsche Zeugen fand, die einen Eid gegen mich thaten? Der gute alte Gnaͤdige Herr hat mir hernach, wo er mich sah, Allmosen ge- geben; und auf alle Feste sandte er mir in meinem Elend allemal Fleisch, Wein und Brod — daß ihm’s Gott lohne, dem alten lieben Gnaͤdigen Herrn! wie oft er meine arme Haushaltung er- quickt hat. Der Rudi hatte Thraͤnen in den Augen, und sagte dann weiters: Ach Gott, Junker! wenn er nur auch so allein mit uns geredt haͤtte, wie ihr, es waͤre vieles, vieles nicht begegnet; aber die Blut- sauger waren immer, immer wo man ihn sah, um ihn her, und verdrehten alles. Junker. Du mußst jezt das vergessen, Rudi! die Matte ist wieder dein; ich habe den Vogt in dem Protocoll durchstreichen lassen, und ich wuͤn- sche dir von Herzen Gluͤck dazu, Rudi! Der Rudi zittert — stammelt — Ich kann euch nicht danken, Gnaͤdiger Herr! Der Junker antwortet: Du hast mir nichts zu danken, Rudi! die Matten ist von Gott und Rechts- wegen dein. Jezt schlaͤgt der Rudi die Haͤnde zusammen, weint laut, und sagt dann: O! meiner, meiner Mutter Segen ist uͤber mir! Schluchzet dann wie- der, und sagt: Gnaͤdiger Herr! sie ist am Frey- tag tag gestorben, und hat, ehe sie starb, zu nir ge- sagt: Es wird dir wohl gehen, Rudi! denk an mich, Rudi! — O wie sie mich reut, Imker! meine liebe Mutter! Der Junker und der Pfarrer hatten Thraͤnen in den Augen, und der Junker sagte: Du guter frommer Rudi! Gottes Segen ist wohl bey dir, da du so fromm bist. Es ist der Mutter Segen — Ach! der besten, froͤmmsten, gedultigsten Mutter Segen ist es, Jun- ker! sagte der Rudi, und weinte fort. Wie mich der Mann dauert, Herr Pfarrer! daß er so lange das Seinige hat entbaͤhren muͤssen; sagte der Junker zum Pfarrer. Es ist jezt uͤberstanden, Junker! sagte der Rudi, und Leiden und Elend sind Gottes Segen, wenn sie uͤberstanden sind. Aber ich kann euch nicht genug danken fuͤr alles, fuͤr die Arbeit an der Kirche, die meine Mutter an ihrem Todestage noch erquickt und getroͤstet hat, und dann fuͤr die Matte; ich weiß nicht, was ich sagen noch was ich thun soll, Junker! Ach, wenn nur auch sie, wenn nur auch sie das noch erlebt haͤtte! Junker. Frommer Mann! sie wird sich dei- nes Wohlstands auch noch in der Ewigkeit freuen; deine Wehmuth und deine fromme Liebe ist mir so zu Herzen gegangen, daß ich fast vergessen haͤtte, daß der der Vogt dir auch noch die Nuͤtzung deines Guts und deine Kosten zu verguten schuldig sey. Pfarrer. Hieruͤber muß ich doch, Gnaͤdiger Herr! dem Rudi etwas vorstellen — der Vogt ist in sehr klammen Umstaͤnden. — Er ist dir freylich die Nuͤtzung und die Kosten schuldig, Rudi! aber ich weiß, du hast so viel Mitleiden, daß du mit ihm nicht genau rechnen, und ihn in seinen alten Tagen nicht ganz an Bettelstab bringen wirst. Ich habe ihm in seinen traurigen Umstaͤnden ver- sprochen, so viel ich koͤnne, fuͤr ihn um Barmher- zigkeit und um Mitleiden zu bitten, und ich muß es also auch gegen dich thun, Rudi! Erbarme dich seiner in seinem Elend. §. 96. Reine Herzensguͤte eines armen Manns, gegen seinen Feind. Rudi. V on der Nuͤtzung ist gar nicht zu reden, Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Und wenn der Vogt arm wird, ich will mich nicht ruͤhme n , aber ich will gewiß auch thun, was recht ist. A a Seht, Seht, Herr Pfarrer! die Matte traͤgt wohl mehr als fuͤr drey Kuͤhe Futter; und wenn ich zwo halten kann, so habe ich weiß Gott genug, mehr als ich haͤtte wuͤnschen duͤrfen, und ich will von Herzen gern den Vogt, so lang er lebt, alle Jahre fuͤr eine Kuhe Heu darab nehmen lassen. Pfarrer. Das ist sehr christlich und brav, Rudi! der liebe Gott wird dir das Uebrige segnen. Arner. Das ist wohl recht und schoͤn, Herr Pfarrer; aber man muß den guten Mann jezt bey Leibe nicht beym Wort nehmen; er ist von seiner Freude uͤbernommen. Rudi! ich lobe dein Aner- bieten; aber du mußst das Ding ein paar Tage ruhig uͤberlegen, es ist dann noch Zeit so etwas zu versprechen, wenn du sicher bist, daß es dich nicht mehr gereuen werde. Rudi. Ich bin ein armer Mann, Gnaͤdiger Herr! aber gewiß nicht so, daß mich etwas ehrliches gereuen sollte, wenn ich’s versprochen habe. Pfarrer. Der Junker hat Recht, Rudi! es ist fuͤr einmal genug, wenn du dir eben nicht viel fuͤr die Nuͤtzung versprichst. Wenn sodann der Vogt doch in Mangel kommen sollte, und du die Sache bey dir selber genugsam uͤberlegt haben wirst, so kannst du ja immer noch thun, was du willst. Rudi. Ja gewiß, Herr Pfarrer! will ich thun, was ich gesagt habe, wenn der Vogt arm wird. Jun- Junker. Nun, Rudi! ich moͤchte gern, daß du heute recht freudig und wohl zu Muthe waͤrest. Willt du gern hier bey uns ein Glas Wein trin- ken, oder gehst du lieber heim zu deinen Kindern? Ich habe dafuͤr gesorgt, daß du ein gutes Abend- essen daheim findest. Rudi. Ihr seyd auch gar zu guͤtig, Gnaͤdiger Herr! aber ich sollte heim zu meinen Kindern gehn, ich habe Niemand bey ihnen. Ach! meine Frau liegt im Grabe — und jezt meine Mutter auch! Junker. Nun, so gehe in Gottes Namen heim zu deinen Kindern — Unten im Pfrundstall ist eine Kuhe, die ich dir schenke, damit du wie- der mit meinem lieben Großvater, der dir Unrecht gethan hat, zufrieden werdest, und damit du dich heute mit deinen Kindern seines Andenkens freuest — Ich habe auch befohlen, daß man ein grosses Fu- der Heu ab des Vogts Buͤhne lade, denn es ist dein, du wirst das Fuder gerade jezt bey deinem Haus finden; und wenn dein Stall oder dein Haus baufaͤllig sind, so kannst du das noͤthige Holz in meinem Wald faͤllen lassen. A a 2 §. 97. §. 97. Seine Dankbarkeit gegen seinen edeln Herrn. D er Rudi wußte nicht, was er sagen wollte, so hatte ihn dieses alles uͤbernommen. Und diese Verwirrung des Mannes, der kein Wort hervor bringen konnte, freuete Arnern mehr, als keine Danksagung ihn haͤtte freuen koͤnnen. Der Rudi stammelte zuletzt einige Worte von Dank. Arner unterbrach ihn, und sagte laͤchelnd: Ich sehe wohl, daß du dankest, Rudi! bietet ihm sodann noch einmal seine Hand, und sagt weiter: Gehe jezt, Rudi! fahre mit deiner Kuhe heim, und zaͤhle darauf, wenn ich dir oder deiner Haushal- tung euer Leben versuͤssen kann, so wird es mich immer freuen es zu thun. Da gieng der Rudi von Arnern weg, und fuͤhrte die Kuhe heim. §. 98. §. 98. Auftritte, die an’s Herz gehen sollen. D er Pfarrer, die Frauen und die Toͤchter, ge- ruͤhrt von diesem Auftritte, hatten Thraͤnen in den Augen, und alles schwieg eine Weile still, da der Mann fort war. Hierauf sagt Therese: Was das fuͤr ein Abend war, Junker! Gottes Erdboden ist schoͤn, und die ganze Natur bietet uns allenthalben Wonne und Lust an. — Aber das Entzuͤcken der Menschlichkeit ist groͤsser als alle Schoͤnheit der Erde. — Ja wahr- lich, Geliebte! sie ist groͤsser als alle Schoͤnheit der Erde, sagte der Junker. Und der Pfarrer: Meine Thraͤnen danken Ihnen, Junker! fuͤr alle herrliche Auftritte, die Sie uns vor Augen gebracht haben. In meinem Leben, Junker! empfand ich die innere Groͤsse des menschlichen Her- zens nie reiner und edler, als bey dem Thun die- ses Mannes — Aber, Junker! man muß, man muß in Gottes Namen die reine Hoͤhe des menschlichen Herzens beym armen Verlassenen und Elenden su- chen. Die Frau Pfarrerinn aber druͤckte die Kinder, die alle Thraͤnen in ihren Augen hatten, an ihre A a 3 Brust, Brust, redete nichts, lehnte ihr Angesicht hinab auf die Kinder, und weinte wie sie. Nach einer Weile sagten die Kinder zu ihr: Wir wollen doch heute noch zu nen armen Kin- dern gehn; schicket doch unser Abendessen dahin. Und die Frau Pfarrerinn sagte zu Arners Ge- mahlinn: Gefaͤllts Ihnen, so gehen wir mit unsern Kindern. Sehr gerne, antwortete Therese. Und auch der Junker und der Pfarrer sagten: Sie wollten mitgehn. Arner hatte ein gebratenes Kalbsviertel in seinem Wagen Verzeihet, ihr buͤrgerlichen Toͤchter! die ihr ver- muthet, daß es im Wagen gestunken habe. mitgebracht fuͤr die arme Haushaltung — und die Frau Pfarrerinn hatte eine gute, dicke, fette Suppe dazu kochen lassen, und sie hatte eben alles ab- schicken wollen — jezt aber stellte sie noch das Abend- essen fuͤr sie und die Kinder dazu, und Claus trug alles in die Huͤtte des armen Manns. Alles Volk aus dem Dorf, jung und alt, Weib und Mann, und alle Kinder aus der Schul, stuhnden bey des Rudis Huͤtten, und bey dem Heuwagen, und bey der schoͤnen Kuhe. Einen Augenblick nur hinter dem Claus kamen der Junker und seine Gemahlinn, die Frau Pfarrerinn und alle Kinder auch in die Stube, und fanden — und und fanden — und sahen — im ganzen Hause nichts, als halbnackende Kinder — serbende — Hunger und Mangel athmende Geschoͤpfe. Das gieng Arner von neuem an’s Herz, was die Unvorsichtigkeit und die Schwaͤche eines Rich- ters fuͤr Elend erzeugen. Alles, alles war vom Elend des Hauses bewegt. Da sagte Arner zu den Frauen: Dieser Rudi will jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieses Elend, das ihr da seht, gestuͤrzt hat, lebenslaͤnglich noch den dritten Theil Heu ab seiner Matte versichern. Man muß das nicht leiden, sagte Therese, schnell und im Eifer uͤber dieses tiefe Elend. Nein, das ist nicht auszustehn, daß der Mann bey seinen vielen Kindern einen Heller des Seinigen dem gottlosen Buben verschenke. Aber wolltest du, Geliebte! wolltest du dem Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken se- tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf diese reine Hoͤhe gebracht hat — auf eine Hoͤhe, die so eben dein Herz so sehr bewegt, und zu Thraͤnen gebracht hat? sagte Arner. Nein, nein! das will ich nicht, versetzte Therese, das will ich nicht. Verschenk er alle seine Haabe, wenn er’s kann. Einen solchen Menschen verlaͤßt Gott nicht. Arner sagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei- nen Kindern zu essen. Der Der Rudeli aber nimmt seinen Vater beym Arm, und sagt ihm in’s Ohr: Vater! ich bring doch der Gertrud auch etwas — Ja, sagt der Rudi; aber wart nur. Arner hatte das Wort Gertrud gehoͤrt, und fragte den Rudi: Was sagt der Kleine von Gertrud? Da erzaͤhlte der Rudi dem Arner von den ge- stohlenen Erdaͤpfeln — von dem Todbett seiner Mut- ter — von der Guͤte des Lienhards und der Ger- trud; und wie selbst die Schuhe und Struͤmpfe, die er trage, von ihnen seyn. Dann setzte er hinzu: Gnaͤdiger Herr! der Tag ist mir so gesegnet; aber ich koͤnnte mit Freuden keinen Mund voll essen, wenn ich diese Leute nicht einladen duͤrfte. Wie das Arner gelobt — wie dann die Frauen die stillen Thaten einer armen Maͤurerinn — wie sie das erhabene Todbett der Cathrine mit Thraͤnen be- wunderten — Wie dann der Rudeli mit klopfendem Herzen zu Lienhard und Gertrud gelaufen, sie ein- zuladen — und wie diese mit ihren Kindern beschaͤmt mit niedergeschlagenen Augen, nicht auf des Ru- delis Bericht, sondern auf Arners Befehl, der sei- nen Claus nachgeschickt hatte, endlich kamen — auch wie Carl fuͤr den Rudeli vom Papa, und Emilie fuͤr Gritte und Lise von der Mama Schuh und Struͤmpfe und abgelegte Kleider erbaten — auch wie wie sie den armen Kindern von ihrem bessern Essen immer zulegten — auch wie Therese und die Frau Pfarrerinn mit ihnen so liebreich waren; wie aber diese erst, da Gertrud kam, recht freudig wurden — ihr alle zuliefen — ihre Haͤnde suchten — ihr zu- laͤchelten, und sich an ihren Schooß draͤngten — alles das will ich mich huͤten, mit viel Worten zu erzaͤhlen. Arner und Therese stuhnden, so lang sie konn- ten, bey diesem Schauspiel der innigsten Ruͤhrung, beym Anblick des erquickten und ganz geretteten Elends. Endlich nahmen sie mit Thraͤnen in den Augen stillen Abschied. Und der Junker sagte zum Gutscher: Fahr eine Weile nicht stark. Die Frau Pfarrerinn aber suchte noch alles uͤbergebliebene Essen zusammen, und gab es den Kindern. Und Lienhard und Gertrud blieben noch beym Rudi bis um acht Uhr, und waren von Herzen froͤlich. B b §. 99. §. 99. Eine angenehme Aussicht. U nd nun ist seit der vorigen Woche eine allgemeine Rede in unserm Dorf, Gertrud suche dem Rudi des jungen Meyers Schwester, die ihre beste Freun- dinn ist, zur Frau. Und da die Matte, die der Rudi nun wieder hat, unter Bruͤdern zweytausend Gulden werth ist, und auch der Junker, wie es heißt, ihrem Bruder gesagt hat, es wuͤrde ihn freuen; so meynt einmal Jedermann, es werde nicht fehlen, sie nehme ihn. Und dem Maͤurer geht es bey seinem Bau auch gar gut; er ist dem Junker taͤglich lieber. §. 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn. A uch der Huͤnertraͤger hatte noch ein Gluͤck. The- rese sah ihn im Heimfahren aus dem Wagen, und sagte zu Arnern: Dieser muß auch noch etwas haben. Eigentlich ist’s doch er, der mit seiner Nachtreise alles in Ordnung gebracht hat. Da Da rief Arner dem Huͤnertraͤger, und sagte: Christoff! meine Frau will nicht, daß du deine Teufelsarbeit umsonst gehabt habest; und gab ihm ein Paar Thaler. Der Huͤnertraͤger buͤckte sich tief, und sagte: Gnaͤdiger Herr! Also wuͤnschte ich mir alle die Tage meines Lebens nur Teufelsarbeit. Ja, sagte Arner, wenn du versichert bist, daß die Hunde allemal an den Ketten bleiben. Das ist auch wahr, Gnaͤdiger Herr! sagte der Huͤnertraͤger; und der Wagen fuhr fort.