Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Von F. W. J. Schelling , Dr . der Philosophie und Medicin und Professor zu Jena. Tuͤbingen , in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1803 . D iese Vorlesungen sind im Sommer 1802. auf der Universitaͤt zu Jena gehalten. Ihre Wirkung auf eine betraͤchtliche An¬ zahl von Zuhoͤrern: die Hoffnung, daß manche Ideen derselben, außer andern Folgen, auch fuͤr die naͤchsten oder doch zukuͤnftigen Bestimmungen der Academieen von einigem Gewicht seyn koͤnnten: der Gedanke, daß, wenn sie ihrem Zwecke nach keine neuen Enthuͤllungen uͤber die Principien erwarten lassen, doch die dem allgemeinfaßlichen Vortrag genaͤhertere Dar¬ stellung der letzteren, so wie die aus ih¬ nen hervorgehende Ansicht des Ganzen der Wissenschaften, nicht ohne allgemeineres Interesse seyn wuͤrde: schienen dem Ver¬ fasser hinreichende Bestimmungsgruͤnde zur oͤffentlichen Bekanntmachung derselben. Erste Vorlesung. Ueber den absoluten Begriff der Wissenschaft. 1 D ie besondern Gruͤnde kurz anzugeben, die mich bestimmen, diese Vorlesungen zu halten, moͤchte nicht uͤberfluͤssig seyn; uͤberfluͤssiger waͤre es ohne Zweifel, sich bey dem allgemeinen Be¬ weis lange zu verweilen, daß Vorlesungen uͤber die Methode des akademischen Studium fuͤr den studierenden Juͤngling nicht allein nuͤtzlich, sondern nothwendig, fuͤr die Belebung und die bessere Richtung der Wissenschaft selbst ersprie߬ lich sind. Der Juͤngling, wenn er mit dem Beginn der akademischen Laufbahn zuerst in die Welt der Wissenschaften eintritt, kann, jemehr er selbst Sinn und Trieb fuͤr das Ganze hat, de¬ sto weniger einen andern Eindruck davon erhal¬ ten, als den eines Chaos, in dem er noch nichts unterscheidet, oder eines weiten Oceans, auf den er sich ohne Compaß und Leitstern versetzt 1 * steht. Die Ausnahmen der Wenigen, welchen fruͤhzeitig ein sicheres Licht den Weg bezeichnet, der sie zu ihrem Ziele fuͤhret, koͤnnen hier nicht in Betracht kommen. Die gewoͤhnliche Folge jenes Zustandes ist: bey besser organisirten Koͤp¬ fen, daß sie sich regel- und ordnungslos allen moͤglichen Studien hingeben, nach allen Rich¬ tungen schweifen, ohne in irgend einer bis zu dem Kern vorzudringen, welcher der Ansatz ei¬ ner allseitigen und unendlichen Bildung ist, oder ihren fruchtlosen Versuchen im besten Fall etwas anders als, am Ende der akademischen Laufbahn, die Einsicht zu verdanken, wie vie¬ les sie umsonst gethan und wie vieles We¬ sentliche vernachlaͤssigt; bey andern, die von minder gutem Stoffe gebildet sind, daß sie gleich anfangs die Resignation uͤben, alsbald sich der Gemeinheit ergeben und hoͤchstens durch mechanischen Fleiß und bloßes Auffassen mit dem Gedaͤchtnisse so viel von ihrem besondern Fach sich anzueignen suchen, als sie glauben, daß zu ihrer kuͤnftigen aͤußeren Existenz noth¬ wendig sey. Die Verlegenheit, in der sich der Bessere in Ansehung der Wahl sowohl der Gegen¬ staͤnde, als der Art seines Studierens befindet, macht, daß er sein Vertrauen nicht selten Un¬ wuͤrdigen zuwendet, die ihn mit der Niedrigkeit ihrer eigenen Vorstellungen von den Wissen¬ schaften oder ihrem Haß dagegen erfuͤllen. Es ist also nothwendig, daß auf Univer¬ sitaͤten oͤffentlicher allgemeiner Unterricht uͤber den Zweck, die Art, das Ganze und die be¬ sondern Gegenstaͤnde des akademischen Studium ertheilt werde. Eine andere Ruͤcksicht kommt noch in Be¬ tracht. Auch in der Wissenschaft und Kunst hat das Besondere nur Werth, sofern es das Allgemeine und Absolute in sich empfaͤngt. Es geschieht aber, wie die meisten Beyspiele zei¬ gen, nur zu haͤufig, daß uͤber der bestimmten Beschaͤftigung die allgemeine der universellen Ausbildung, uͤber dem Bestreben, ein vorzuͤg¬ licher Rechtsgelehrter oder Arzt zu werden, die weit hoͤhere Bestimmung des Gelehrten uͤber¬ haupt, des durch Wissenschaft veredelten Gei¬ stes vergessen wird. Man koͤnnte erinnern, daß gegen diese Einseitigkeit der Bildung das Studium der allgemeineren Wissenschaften ein zureichendes Gegenmittel sey. Ich bin nicht gesonnen, dieß im Allgemeinen zu laͤugnen und behaupte es vielmehr selbst. Die Geometrie und Mathematik laͤutert den Geist zur rein vernunftmaͤßigen Erkenntniß, die des Stoffes nicht bedarf. Die Philosophie, welche den ganzen Menschen ergreift und alle Seiten sei¬ ner Natur beruͤhrt, ist noch mehr geeignet, den Geist von den Beschraͤnktheiten einer einsei¬ tigen Bildung zu befreyen und in das Reich des Allgemeinen und Absoluten zu erheben. Allein entweder existirt zwischen der allgemei¬ nern Wissenschaft und dem besondern Zweig der Erkenntniß, dem der Einzelne sich widmet, uͤberhaupt keine Beziehung, oder die Wissen¬ schaft in ihrer Allgemeinheit kann sich wenig¬ stens nicht so weit herunterlassen, diese Bezie¬ hungen aufzuzeigen, so daß der, welcher sie nicht selbst zu erkennen im Stande ist, sich in Ansehung der besondern Wissenschaften doch von der Leitung der absoluten verlassen sieht und lieber absichtlich sich von dem lebendigen Ganzen isoliren, als durch ein vergebliches Streben nach der Einheit mit demselben seine Kraͤfte nutzlos verschwenden will. Der besondern Bildung zu einem einzel¬ nen Fach muß also die Erkenntniß des organi¬ schen Ganzen der Wissenschaften vorangehen. Derjenige, welcher sich einer bestimmten ergiebt, muß die Stelle, die sie in diesem Ganzen ein¬ nimmt, und den besondern Geist, der sie beseelt, so wie die Art der Ausbildung kennen lernen, wodurch sie dem harmonischen Bau des Ganzen sich anschließt, die Art also auch, wie er selbst diese Wissenschaft zu nehmen hat, um sie nicht als ein Sklave, sondern als ein Freier und im Geiste des Ganzen zu denken. Sie erkennen aus dem eben Gesagten schon, daß eine Methodenlehre des akademi¬ schen Studium nur aus der wirklichen und wahren Erkenntniß des lebendigen Zusammen¬ hangs aller Wissenschaften hervorgehen koͤnne, daß ohne diese jede Anweisung todt, geistlos, einseitig, selbst beschraͤnkt seyn muͤsse. Viel¬ leicht aber war diese Foderung nie dringender, als zu der gegenwaͤrtigen Zeit, wo sich alles in Wissenschaft und Kunst gewaltiger zur Einheit hinzudraͤngen scheint, auch das scheinbar entle¬ genste in ihrem Gebiet sich beruͤhrt, jede Er¬ schuͤtterung, die im Centrum oder der Naͤhe desselben geschieht, schneller und gleichsam un¬ mittelbarer auch in die Theile sich fortleitet, und ein neues Organ der Anschauung allgemei¬ ner und fast fuͤr alle Gegenstaͤnde sich bildet. Nie kann eine solche Zeit vorbeygehen ohne die Geburt einer neuen Welt, welche diejenigen, die nicht thaͤtigen Theil an ihr haben, unfehl¬ bar in die Nichtigkeit begraͤbt. Vorzuͤglich nur den frischen und unverdorbenen Kraͤften der ju¬ gendlichen Welt kann die Bewahrung und Aus¬ bildung einer edlen Sache vertraut werden. Keiner ist von der Mitwirkung ausgeschlossen, da in jeden Theil, den er sich nimmt, ein Mo¬ ment des allgemeinen Wiedergebaͤhrungs-Pro¬ cesses faͤllt. Um mit Erfolg einzugreifen, muß er, selbst vom Geist des Ganzen ergriffen, seine Wissenschaft als organisches Glied begreifen, und ihre Bestimmung in der sich bildenden Welt zum Voraus erkennen. Hiezu muß er entweder durch sich selbst oder durch andere zu einer Zeit gelangen, wo er nicht selbst schon in obsoleten Formen verhaͤrtet, noch nicht durch lange Einwirkung fremder oder Ausuͤbung ei¬ gener Geistlosigkeit der hoͤhere Funken in ihm erstickt ist, in der fruͤheren Jugend also, und nach unsern Einrichtungen im Anfang des aka¬ demischen Studium. Von wem soll er diese Erkenntniß erlangen und wem soll er sich in dieser Ruͤcksicht ver¬ trauen? Am meisten sich selbst und dem bes¬ sern Genius, der sicher leitet; dann denenje¬ nigen, von denen sich am bestimmtesten einse¬ hen laͤßt, daß sie durch ihre besondere Wissen¬ schaft schon verbunden waren, sich die hoͤchsten und allgemeinsten Ansichten von dem Ganzen der Wissenschaften zu erwerben. Derjenige, welcher selbst nicht die allgemeine Idee der Wissenschaft hat, ist ohne Zweifel am wenig¬ sten faͤhig, sie in andern zu erwecken; der ei¬ ner untergeordneten und beschraͤnkten Wissen¬ schaft seinen uͤbrigens ruͤhmlichen Fleiß widmet, nicht geeignet, sich zur Anschauung eines orga¬ nischen Ganzen der Wissenschaft zu erheben. Diese Anschauung ist uͤberhaupt und im Allge¬ meinen nur von der Wissenschaft aller Wissen¬ schaften, der Philosophie; im Besondern also nur von dem Philosophen zu erwarten, dessen besondere Wissenschaft zugleich die absolut all¬ gemeine, dessen Streben also an sich schon auf die Totalitaͤt der Erkenntniß gerichtet seyn muß. Diese Betrachtungen sind es, M. H., die mich bestimmt haben, diese Vorlesungen zu er¬ oͤffnen, deren Absicht Sie aus dem Vorherge¬ henden ohne Muͤhe erkennen. In wie weit ich im Stande seyn werde, meiner eignen Idee eines solchen Vortrags und demnach meinen Absichten ein Genuͤge zu thun? diese Frage vorlaͤufig zu beantworten, uͤberlasse ich ruhig dem Zutrauen, welches Sie mir jederzeit ge¬ schenkt haben und dessen mich werth zu zeigen, ich auch bey dieser Gelegenheit streben werde. Lassen Sie mich alles, was doch bloß Einleitung, Vorbereitung seyn koͤnnte, abkuͤr¬ zen und gleich unmittelbar zu dem Einen gelan¬ gen, wovon unsre ganze folgende Untersuchung abhaͤngig seyn wird, und ohne das wir keinen Schritt zur Aufloͤsung unserer Aufgabe thun koͤnnen. Es ist die Idee des an sich selbst un¬ bedingten Wissens, welches schlechthin nur Ei¬ nes und in dem auch alles Wissen nur Eines ist, desjenigen Urwissens, welches, nur auf verschiedenen Stufen der erscheinenden idealen Welt sich in Zweige zerspaltend, in den gan¬ zen unermeßlichen Baum der Erkenntniß sich ausbreitet. Als das Wissen alles Wissens muß es dasjenige seyn, was die Foderung oder Vor¬ aussetzung, die in jeder Art desselben gemacht wird, aufs vollkommenste und nicht nur fuͤr den besondern Fall, sondern schlechthin allge¬ mein erfuͤllt und enthaͤlt. Man mag nun diese Voraussetzung als Uebereinstimmung mit dem Gegenstande, als reine Aufloͤsung des Beson¬ dern in's Allgemeine oder wie immer ausdruͤ¬ cken, so ist diese weder uͤberhaupt, noch in ir¬ gend einem Falle ohne die hoͤhere Vorausse¬ tzung denkbar, daß das wahre Ideale allein und ohne weitere Vermittlung auch das wahre Reale und außer jenem kein anderes sey. Wir koͤnnen diese wesentliche Einheit selbst in der Philosophie nicht eigentlich beweisen, da sie vielmehr der Eingang zu aller Wissenschaftlich¬ keit ist; es laͤßt sich nur eben dieß beweisen, daß ohne sie uͤberhaupt keine Wissenschaft sey, und es laͤßt sich nachweisen, daß in allem, was nur Anspruch macht, Wissenschaft zu seyn, eigent¬ lich diese Identitaͤt oder dieses gaͤnzliche Aufge¬ hen des Realen im Idealen beabsichtigt werde. Bewußtlos, liegt diese Voraussetzung al¬ lem dem, was die verschiedenen Wissenschaften von allgemeinen Gesetzen der Dinge oder der Natur uͤberhaupt ruͤhmen, so wie ihrem Be¬ streben nach Erkenntniß derselben zu Grunde. Sie wollen, daß das Concrete und das in be¬ sondern Erscheinungen Undurchdringliche sich fuͤr sie in die reine Evidenz und die Durchsich¬ tigkeit einer allgemeinen Vernunfterkenntniß aufloͤse. Man laͤßt diese Voraussetzung in den beschraͤnkteren Sphaͤren des Wissens und fuͤr den einzelnen Fall gelten, wenn man sie auch allgemein und absolut, wie sie von der Philosophie ausgesprochen wird, weder verste¬ hen, noch eben deswegen zugeben sollte. Mehr oder weniger mit Bewußtseyn gruͤn¬ det der Geometer seine Wissenschaft auf die ab¬ solute Realitaͤt des schlechthin Idealen, der, wenn er beweist: daß in jedem moͤglichen Drey¬ eck alle drey Winkel zusammen zweyen rechten gleich sind, dieses sein Wissen nicht durch Ver¬ gleichung mit concreten oder wirklichen Triangeln, auch nicht unmittelbar von ihnen, sondern von dem Urbild beweist: er weiß dieß unmittelbar aus dem Wissen selbst, welches schlechthin-ideal, und aus diesem Grunde auch schlechthin real ist. Aber wenn man auch die Frage nach der Moͤglichkeit des Wissens auf die des bloß endlichen Wissens einschraͤnken wollte, so waͤre selbst die Art empirischer Wahrheit, welche dieses hat, nimmer durch irgend ein Verhaͤltniß zu Etwas, das man Gegenstand nennt, — denn wie koͤnnte man zu diesem anders als immer nur durch das Wissen hin¬ durchkommen? — es waͤre also uͤberhaupt nicht begreiflich, wenn nicht jenes an sich Ideale, das in dem zeitlichen Wissen nur der Endlich¬ keit eingebildet erscheint, die Realitaͤt und die Substanz der Dinge selbst waͤre. Aber eben diese erste Voraussetzung aller Wissenschaft, jene wesentliche Einheit des unbe¬ dingt Idealen und des unbedingt Realen ist nur dadurch moͤglich, daß Dasselbe , welches das eine ist, auch das andere ist. Dieses aber ist die Idee des Absoluten, welche die ist: daß die Idee in Ansehung seiner auch das Seyn ist. So daß das Absolute auch jene oberste Voraussetzung des Wissens und das erste Wissen selbst ist. Durch dieses erste Wissen ist alles andre Wissen im Absoluten und selbst absolut. Denn obwohl das Urwissen in seiner vollkommenen Absolutheit urspruͤnglich nur in jenem, als dem absolut: Idealen, wohnt, ist es doch uns selbst als das Wesen aller Dinge und der ewige Be griff von uns selbst eingebildet, und unser Wis¬ sen in seiner Totalitaͤt ist bestimmt, ein Abbild jenes ewigen Wissens zu seyn. Es versteht sich, daß ich nicht von den einzelnen Wissen¬ schaften rede, welche und in wie fern sie sich von dieser Totalitaͤt abgesondert und von ihrem wahren Urbild entfernt haben. Allerdings kann nur das Wissen in seiner Allheit der vollkom¬ mene Reflex jenes vorbildlichen Wissens seyn, aber alles einzelne Wissen und jede besondere Wissenschaft ist in diesem Ganzen als organi¬ scher Theil begriffen; und alles Wissen daher, das nicht mittelbar oder unmittelbar, und sey es durch noch so viele Mittelglieder hindurch, sich auf das Urwissen bezieht, ist ohne Realitaͤt und Bedeutung. Von der Faͤhigkeit, alles, auch das ein¬ zelne Wissen, in dem Zusammenhang mit dem urspruͤnglichen und Einen zu erblicken, haͤngt es ab, ob man in der einzelnen Wissenschaft mit Geist und mit derjenigen hoͤhern Eingebung ar¬ beite, die man wissenschaftliches Genie nennt. Jeder Gedanke, der nicht in diesem Geiste der Ein¬ und Allheit gedacht ist, ist in sich selbst leer und verwerflich; was nicht harmonisch einzugreifen faͤhig ist in dieses treibende und lebende Ganze, ist ein todter Absatz, der nach organischen Ge¬ setzen fruͤher oder spaͤter ausgestoßen wird, und freylich giebt es auch im Reiche der Wissenschaft geschlechtslose Bienen genug, die, weil ihnen zu produciren versagt ist, durch anorgische Ab¬ saͤtze nach außen, ihre eigene Geistlosigkeit in Abdruͤcken vervielfaͤltigen. Indem ich jene Idee von der Bestim¬ mung alles Wissens ausgesprochen habe, habe ich von der Wuͤrde der Wissenschaft an sich selbst nichts mehr hinzuzufuͤgen: keine Norm der Ausbildung oder der Aufnahme der Wissen¬ schaft in sich selbst, die ich in dem Folgenden aufstellen kann, wird aus einem andern Grun¬ de als dieser Einen Idee fließen. Von Pythagoras erzaͤhlen die Geschicht¬ schreiber der Philosophie, daß er den bis auf seine Zeit gangbaren Namen der Wissenschaft, σοφία, zuerst in den der φιλοσοφία, der Liebe zur Weisheit, verwandelt habe, aus dem Grunde, weil außer Gott niemand weise sey. Wie es sich mit der historischen Wahrheit dieses Berichts verhalte, so ist doch in jener Umaͤnde¬ rung selbst, wie dem angegebenen Grund aner¬ kannt: daß alles Wissen ein Streben nach Ge¬ meinschaft mit dem goͤttlichen Wesen, eine Theilnahme an demjenigen Urwissen sey, des¬ sen Bild das sichtbare Universum und dessen Geburtsstaͤtte das Haupt der ewigen Macht ist. Nach derselbigen Ansicht, da alles Wissen nur Eines ist, und jede Art desselben nur als Glied eintritt in den Organismus des Ganzen, sind alle Wissenschaften und Arten des Wissens Theile der Einen Philosophie, naͤmlich des Strebens, an dem Urwissen Theil zu nehmen. Alles nun, was unmittelbar aus dem Ab¬ soluten als seiner Wurzel stammt, ist selbst ab¬ solut, demnach ohne Zweck außer sich, selbst Zweck. Das Wissen, in seiner Allheit, ist aber die eine, gleich absolute, Erscheinung des Einen Universum, von dem das Seyn oder die Natur die andre ist. Im Gebiet des Rea¬ 2 len herrscht die Endlichkeit, im Gebiet des Idealen die Unendlichkeit; jenes ist durch Nothwendigkeit das, was es ist, dieses soll es durch Freyheit seyn. Der Mensch, das Ver¬ nunftwesen uͤberhaupt, ist hingestellt, eine Er¬ gaͤnzung der Welterscheinung zu seyn: aus ihm aus seiner Thaͤtigkeit soll sich entwickeln, was zur Totalitaͤt der Offenbarung Gottes fehlt, da die Natur zwar das ganze goͤttliche Wesen, aber nur im Realen empfaͤngt; das Vernunft¬ wesen soll das Bild derselben goͤttlichen Natur, wie sie an sich selbst ist, demnach im Idealen ausdruͤcken. Wir haben gegen die Unbedingtheit der Wissenschaft einen sehr gangbaren Einwurf zu erwarten, dem wir einen hoͤhern Ausdruck lei¬ hen wollen, als er gewoͤhnlich annimmt, naͤm¬ lich: daß von jener in der Unendlichkeit zu entwerfenden Darstellung des Absoluten das Wissen selbst nur ein Theil, in ihr wie¬ der nur als Mittel begriffen sey, zu dem sich das Handeln als Zweck verhalte. Handeln, Handeln! ist der Ruf, der zwar von vielen Seiten ertoͤnt, am lautesten aber von denjenigen angestimmt wird, bey denen es mit dem Wissen nicht fort will. Es hat viel Empfehlendes fuͤr sich, zum Handeln aufzufordern. Handeln, denkt man, kann jeder, denn dieß haͤngt nur vom freyen Willen ab. Wissen aber, besonders philoso¬ phisches, ist nicht jedermanns Ding, und, ohne andre Bedingungen, auch mit dem besten Willen nichts darinn auszurichten. Wir stellen die Frage uͤber den vorliegen¬ den Einwurf gleich so: Was mag das fuͤr ein Handeln seyn, zu dem sich das Wissen als Mittel, und das fuͤr ein Wissen, welches sich zum Handeln als dem Zweck verhaͤlt? Welcher Grund, uͤberhaupt nur der Moͤg¬ lichkeit einer solchen Entgegensetzung laͤßt sich aufzeigen? Wenn die Saͤtze, die ich hier in Anre¬ gung bringen muß, nur in der Philosophie ihr vollkommenes Licht von allen Seiten erhalten koͤnnen, so verhindert dieß nicht, daß sie wenig¬ stens fuͤr die gegenwaͤrtige Anwendung verstaͤnd¬ lich seyn. Wer nur uͤberhaupt die Idee des 2 * Absoluten gefaßt hat, sieht auch ein, daß in ihm nur Ein Grund moͤglicher Entgegensetzung gedacht werden kann, und daß also, wenn uͤber¬ haupt aus ihm Gegensaͤtze begriffen werden koͤnnen, alle aus jenem Einen fließen muͤssen. Die Natur des Absoluten ist: als das absolut Ideale auch das Reale zu seyn. In dieser Be¬ stimmung liegen die zwey Moͤglichkeiten, daß es als Ideales seine Wesenheit in die Form, als das Reale, bildet, und daß es, weil diese in ihm nur eine absolute seyn kann, auf ewig gleiche Weise auch die Form wieder in das We¬ sen aufloͤst, so daß es Wesen und Form in voll¬ kommener Durchdringung ist. In diesen zwey Moͤglichkeiten besteht die Eine Handlung des Urwissens; da es aber schlechthin untheilbar, also ganz und durchaus Realitaͤt und Idealitaͤt ist, so muß von dieser untrennbaren Duplicitaͤt auch in jedem Act des absoluten Wissens ein Ausdruck, und in dem, was im Ganzen als das Reale, wie in dem, was als das Ideale erscheint, beides in Eins gebildet seyn. Wie also in der Natur als Bild der goͤttlichen Ver¬ wandlung der Idealitaͤt in die Realitaͤt auch wieder die Umwandlung der letzten in die erste durch das Licht, und vollendet durch die Ver¬ nunft erscheint, so muß dagegen in dem, was im Ganzen als das Ideale begriffen wird, gleichfalls wieder eine reale und ideale Seite angetroffen werden, wovon jene die Idealitaͤt in der Realitaͤt, aber als ideal, diese die entge¬ gengesetzte Art der Einheit erkennen laͤßt. Die erste Erscheinungsart ist das Wissen, in wie fern in diesem die Subjectivitaͤt in der Objecti¬ vitaͤt erscheint, die andere ist das Handeln, in wie fern in diesem vielmehr eine Aufnahme der Besonderheit in die Allgemeinheit gedacht wird. Es ist hinreichend, diese Verhaͤltnisse auch nur in der hoͤchsten Abstraction zu fassen, um einzusehen, daß die Entgegensetzung, in wel¬ cher die beiden Einheiten innerhalb der gleichen Identitaͤt des Urwissens, als Wissen und Han¬ deln erscheinen, nur fuͤr die bloß endliche Auf¬ fassung statt findet; denn es ist von sich selbst klar, daß wenn in dem Wissen das Unendliche sich dem Endlichen auf ideale Art, im Handeln auf gleiche Weise die Endlichkeit sich der Unend¬ lichkeit einbildet, jede von beyden in der Idee oder dem An-sich die gleiche absolute Einheit des Urwissens ausdruͤcke. Das zeitliche Wissen eben so wie das zeit¬ liche Handeln setzt nur auf bedingte Weise und successiv, was in der Idee auf unbedingte Weise und zumal ist; deshalb erscheinen in je¬ nem Wissen und Handeln eben so nothwendig getrennt, als sie in dieser, wegen der gleichen Ab¬ solutheit, Eines sind, wie in Gott als der Idee aller Ideen die absolute Weisheit unmit¬ telbar dadurch, daß sie absolut ist, auch unbe¬ dingte Macht, ohne Vorausgehen der Idee als Absicht, wodurch das Handeln bestimmt waͤre, demnach zugleich absolute Nothwendig¬ keit ist. Es verhaͤlt sich mit diesen, wie mit allen andern Gegensaͤtzen, daß sie nur sind, so lange jedes Glied nicht fuͤr sich absolut, demnach bloß mit dem endlichen Verstand aufgefaßt wird. Der Grund der gemachten Entgegensetzung liegt demnach allein in einem gleich unvollkom¬ menen Begriff vom Wissen und vom Handeln, welches dadurch erhoben werden soll, daß man das Wissen als Mittel zu ihm begreift. Zu dem wahrhaft absoluten Handeln kann das Wissen kein solches Verhaͤltniß haben; denn dieses kann, eben weil es absolut ist, nicht durch ein Wissen bestimmt seyn. Dieselbe Einheit, die im Wissen, bildet sich auch im Handeln zu einer absoluten in sich gegruͤndeten Welt aus. Vom erscheinenden Handeln ist hier so wenig die Rede, als vom erscheinenden Wis¬ sen: eines steht und faͤllt mit dem andern, denn jedes hat allerdings nur im Gegensatz gegen das andere Realitaͤt. Diejenigen, welche das Wissen zum Mittel, das Handeln zum Zweck machen, haben von jenem keinen Begriff, als den sie aus dem taͤg¬ lichen Thun und Treiben genommen haben, so wie dann auch das Wissen darnach seyn muß, um das Mittel zu diesem zu werden. Die Phi¬ losophie soll sie lehren, im Leben ihre Pflicht zu thun; dazu beduͤrfen sie also der Philosophie: sie thun solche nicht aus freyer Nothwendigkeit, sondern als Unterworfne eines Begriffs, den ih¬ nen die Wissenschaft an die Hand giebt. All¬ gemein soll die Wissenschaft dienen, ihnen das Feld zu bestellen, die Gewerbe zu vervollkomm¬ nen oder ihre verdorbenen Saͤfte zu verbessern. Die Geometrie, meynen sie, ist eine schoͤne Wissenschaft, nicht zwar, weil sie die reinste Evidenz, der objectivste Ausdruck der Vernunft selbst ist, sondern weil sie das Feld messen und Haͤuser bauen lehrt, oder die Handelsschifffahrt moͤglich macht; denn daß sie auch zum Krieg¬ fuͤhren dient, mindert ihren Werth, weil der Krieg doch ganz gegen die allgemeine Menschen¬ liebe ist. Die Philosophie ist nicht einmal zu jenem und hoͤchstens zu dem letzten gut, naͤm¬ lich gegen die seichten Koͤpfe und die Nuͤtzlich¬ keitsapostel in der Wissenschaft Krieg zu fuͤh¬ ren, und darum auch im Grunde hoͤchst ver¬ werflich. Die den Sinn jener absoluten Einheit des Wissens und Handelns nicht fassen, bringen dagegen solche Popularitaͤten vor, daß, wenn das Wissen mit dem Handeln Eins waͤre, die¬ ses immer aus jenem folgen muͤßte, da man doch sehr gut das Rechte wissen koͤnne, ohne es deswegen zu thun, und was dergleichen mehr ist. Sie haben ganz Recht, daß das Handeln aus dem Wissen nicht folge, und sie sprechen eben in jener Reflexion aus, daß das Wissen nicht Mittel des Handelns sey. Sie haben nur darin Unrecht, eine solche Folge zu erwarten. Sie begreifen keine Verhaͤltnisse zwischen Abso¬ luten; nicht, wie jedes Besondere fuͤr sich un¬ bedingt seyn kann, und machen das eine im Verhaͤltniß des Zwecks so gut wie das andere im Verhaͤltniß des Mittels zu einem Abhaͤn¬ gigen. Wissen und Handeln koͤnnen nie anders in wahrer Harmonie seyn, als durch die gleiche Absolutheit. Wie es kein wahres Wissen giebt, welches nicht mittelbar oder unmittelbar Aus¬ druck des Urwissens ist, so kein wahres Han¬ deln, welches nicht, und waͤr' es durch noch so viele Mittelglieder, das Urhandeln und in ihm das goͤttliche Wesen ausdruͤckt. Diejenige Frey¬ heit, die man in dem empirischen Handeln sucht, oder zu erblicken glaubt, ist eben so we¬ nig wahre Freyheit und eben so Taͤuschung, wie die Wahrheit, die im empirischen Wissen. Es giebt keine wahre Freyheit, als durch abso¬ lute Nothwendigkeit, und zwischen jener und dieser ist selbst wieder das Verhaͤltniß, wie zwi¬ schen absolutem Wissen und absolutem Handeln. Zweyte Vorlesung. Ueber die wissenschaftliche und sittliche Bestimmung der Academieen. D er Begriff des academischen Studium wies uns einerseits zu dem hoͤhern Begriff eines vorhandenen Ganzen von Wissenschaften zu¬ ruͤck, welches wir in seiner obersten Idee, dem Urwissen, zu fassen suchten; andrerseits fuͤhrt er uns auf die besondern Bedingungen, unter welchen die Wissenschaften auf unsern Academieen gelehrt und mitgetheilt werden. Wohl koͤnnte es des Philosophen wuͤr¬ diger scheinen, von dem Ganzen der Wissen¬ schaften ein unabhaͤngiges Bild zu entwerfen und die Art der ersten Erkenntniß desselben an sich selbst, ohne Beziehung auf die For¬ men bloß gegenwaͤrtiger Einrichtungen, vor¬ zuschreiben. Allein ich glaube in dem Fol¬ genden beweisen zu koͤnnen, daß eben auch diese Formen in dem Geist der neueren Welt nothwendig waren, und wenig¬ stens aͤußere Bedingungen der Wechseldurch¬ dringung der verschiedenartigen Elemente ihrer Bildung so lange seyn werden, bis durch jene die truͤbe Mischung der letztern sich zu schoͤnern Organisationen gelaͤutert haben wird. Der Grund, warum das Wissen uͤber¬ haupt seiner Erscheinung nach in die Zeit faͤllt, ist schon in dem zuvor Abgehandelten enthalten. Wie die sich in der Endlichkeit reflectirende Einheit des Idealen und Realen als beschlossene Totalitaͤt, als Natur, im Raum sich ausdruͤckt, so erscheint dieselbe im Unendlichen angeschaut unter der allgemeinen Form der endlosen Zeit. Aber die Zeit schließt die Ewigkeit nicht aus, und die Wissenschaft, wenn sie ihrer Erscheinung nach eine Geburt der Zeit ist, geht doch auf Gruͤndung einer Ewigkeit mitten in der Zeit. Was wahr ist, ist wie das, was an sich selbst recht und schoͤn ist, seiner Natur nach ewig und hat mitten in der Zeit kein Verhaͤlniß zu der Zeit. Sache der Zeit ist die Wissenschaft nur, in wie fern sie durch das Individuum sich aus¬ spricht. Das Wissen an sich ist aber so we¬ nig Sache der Individualitaͤt als das Han¬ deln an sich. Wie die wahre Handlung die¬ jenige ist, die gleichsam im Namen der gan¬ zen Gattung geschehen koͤnnte, so das wahre Wissen dasjenige, worin nicht das Indivi¬ duum, sondern die Vernunft weiß. Diese Un¬ abhaͤngigkeit des Wesens der Wissenschaft von der Zeit druͤckt sich in dem aus, daß sie Sa¬ che der Gattung ist, welche selbst ewig ist. Es ist also nothwendig, daß wie das Leben und Daseyn, so die Wissenschaft sich von Individuum an Individuum, von Geschlecht zu Geschlecht mittheile. Ueberlieferung ist der Ausdruck ihres ewigen Lebens. Es waͤre hier nicht der Ort, mit allen Gruͤnden, deren diese Behauptung faͤhig ist, zu beweisen, daß alle Wissenschaft und Kunst des gegenwaͤrti¬ gen Menschengeschlechts eine uͤberlieferte ist. Es ist undenkbar, daß der Mensch, wie er jetzt erscheint, durch sich selbst sich vom In¬ stinct zum Bewußtseyn, von der Thierheit zur Vernuͤnftigkeit erhoben habe. Es mußte also dem gegenwaͤrtigen Menschengeschlecht ein an¬ deres vorangegangen seyn, welches die alte Sage unter dem Bilde der Goͤtter und ersten Wohlthaͤter des menschlichen Geschlechts vere¬ wigt hat. Die Hypothese eines Urvolks er¬ klaͤrt bloß etwa die Spuren einer hohen Kul¬ tur in der Vorwelt, von der wir die schon entstellten Reste nach der ersten Trennung der Voͤlker finden, und etwa die Uebereinstim¬ mung in den Sagen der aͤltesten Voͤlker, wenn man nichts auf die Einheit des allem einge¬ bohrnen Erdgeistes rechnen will: aber sie er¬ klaͤrt keinen ersten Anfang und schiebt, wie jede empirische Hypothese, die Erklaͤrung nur weiter zuruͤck. Wie dem auch sey, so ist bekannt, daß das erste Ueberlieferungsmittel der hoͤheren Ideen, Handlungen, Lebensweise, Gebraͤuche, Symbole gewesen sind, wie selbst die Dog¬ men der fruͤhesten Religionen nur in Anwei¬ sungen zu religioͤsen Gebraͤuchen enthalten wa¬ ren. Die Staatenbildungen, die Gesetze, die einzelnen Anstalten, die errichtet waren, das Uebergewicht des goͤttlichen Princips in der Menschheit zu erhalten, waren ihrer Na¬ tur nach eben so viele Ausdruͤcke speculativer Ideen. Die Erfindung der Schrift gab der Ueberlieferung zunaͤchst nur eine groͤßere Si¬ cherheit; der Gedanke, in dem geistigen Stoff der Rede auch einen Ausdruck der Form und Kunst niederzulegen, der einen dauernden Werth haͤtte, konnte erst spaͤter erwachen. Wie in der schoͤnsten Bluͤthe der Menschheit selbst die Sittlichkeit nicht gleichsam dem In¬ dividuum eignete, sondern Geist des Ganzen war, aus dem sie aus: und in das sie zu¬ ruͤckfloß, so lebte auch die Wissenschaft in dem Licht und Aether des oͤffentlichen Lebens und einer allgemeinen Organisation. Wie uͤber¬ haupt die spaͤtere Zeit das Reale zuruͤckdraͤng¬ te und das Leben innerlicher machte, so auch das der Wissenschaft. Die neuere Welt ist in allem, und besonders in der Wissenschaft eine getheilte Welt, die in der Vergangen¬ heit und Gegenwart zugleich lebt. In dem Charakter aller Wissenschaften druͤckt es sich aus, daß die spaͤtere Zeit von dem histori¬ schen Wissen ausgehen mußte, daß sie eine untergegangene Welt der herrlichsten und groͤ߬ 3 ten Erscheinungen der Kunst und Wissenschaft hinter sich hatte, mit der sie, durch eine un¬ uͤbersteigliche Kluft von ihr getrennt, nicht durch das innere Band einer organisch-fort¬ gehenden Bildung, sondern einzig durch das aͤußere Band der historischen Ueberlieferung zusammenhieng. Der auflebende Trieb konnte sich im ersten Wiederbeginn der Wissenschaf¬ ten in unserm Welttheil nicht ruhig oder aus¬ schließlich auf das eigne Produciren, sondern nur unmittelbar zugleich auf das Verstehen, Be¬ wundern und Erklaͤren der vergangenen Herr¬ lichkeiten richten. Zu den urspruͤnglichen Ge¬ genstaͤnden des Wissens trat das vergangene Wissen daruͤber als ein neuer Gegenstand hin¬ zu; daher und weil zur tiefen Ergruͤndung des Vorhandenen selbst gegenwaͤrtiger Geist er¬ fodert wird, wurden Gelehrter, Kuͤnstler und Philosoph gleichbedeutende Begriffe, und das erste Praͤdicat auch demjenigen zuerkannt, der das Vorhandene mit keinem eignen Gedanken vermehrt hatte; und wenn die Griechen, wie ein Aegyptischer Priester zu Solon sagte, ewig jung waren, so war die moderne Welt dagegen in ihrer Jugend schon alt und er¬ fahren. Das Studium der Wissenschaften wie der Kuͤnste in ihrer historischen Entwicklung ist zu einer Art der Religion geworden: in ihrer Geschichte erkennt der Philosoph noch unenthuͤllter gleichsam die Absichten des Welt¬ geistes, die tiefste Wissenschaft, das gruͤnd¬ lichste Genie hat sich in diese Kenntniß er¬ gossen. Ein anderes ist, das Vergangene selbst zum Gegenstand der Wissenschaft zu machen, ein anderes, die Kenntniß davon an die Stelle des Wissens selbst zu setzen. Durch das historische Wissen in diesem Sinn wird der Zugang zu dem Urbild verschlossen; es fragt sich dann nicht mehr, ob irgend etwas mit dem An-sich des Wissens, sondern ob es mit irgend etwas abgeleitetem, welches von jenem ein bloß unvollkommenes Abbild ist, uͤber¬ einstimme? Aristoteles hatte in seinen Schrif¬ ten die Naturlehre und Naturgeschichte be¬ 3 * treffend die Natur selbst gefragt; in den spaͤ¬ tern Zeiten hatte sich das Andenken davon so voͤllig verloren, daß er selbst an die Stelle des Urbilds trat und gegen die deutlichen Aus¬ spruͤche der Natur durch Cartesius, Kepler u. a. seine Auctoritaͤt zum Zeugen aufgeru¬ fen wurde. Nach derselben Art historischer Bildung hat fuͤr einen großen Theil der so¬ genannten Gelehrten bis auf diesen Tag keine Idee Bedeutung und Realitaͤt, ehe sie durch andere Koͤpfe gegangen, historisch und eine Ver¬ gangenheit geworden ist. Mehr oder weniger in diesem Geist des historischen Wissens sind, nicht so sehr viel¬ leicht im ersten Beginn der wiedererwachen¬ den Literatur, als in viel spaͤteren Zeiten, unsre Academieen errichtet worden. Ihre ganze wissenschaftliche Organisation moͤchte sich nur vollstaͤndig aus diesem Abtrennen des Wis¬ sens von seinem Urbild durch historische Ge¬ lehrsamkeit ableiten lassen. Vorerst ist die große Masse dessen, was gelernt werden muß, nur um im Besitz des Vorhandenen zu seyn, die Ursache gewesen, daß man das Wissen so weit wie moͤglich in verschiedene Zweige zer¬ spaltet, und den lebendigen organischen Bau des Ganzen bis ins Kleinste zerfasert hat. Da alle isolirten Theile des Wis¬ sens, alle besonderen Wissenschaften also, so fern der universelle Geist aus ihnen gewichen ist, uͤberhaupt nur Mittel zum absoluten Wissen seyn koͤnnen, so war die nothwendige Folge jenes Zerstuͤckelns, daß uͤber den Mit¬ teln und Anstalten zum Wissen das Wissen selbst so gut wie verloren gegangen ist, und waͤhrend eine geschaͤftige Menge die Mit¬ tel fuͤr den Zweck selbst hielt und als Zweck geltend zu machen suchte, jenes, welches nur Eines und in seiner Einheit absolut ist, sich ganz in die obersten Theile zuruͤck¬ zog und auch in diesen zu jeder Zeit nur selt¬ ne Erscheinungen eines unbeschraͤnkten Lebens gegeben hat. Wir haben in dieser Ruͤcksicht vorzuͤglich die Frage zu beantworten: welche Foderun¬ gen selbst innerhalb der angenommenen Be¬ schraͤnkung und in den gegenwaͤrtigen Formen unserer Academieen an diese gemacht werden koͤnnen, damit aus dieser durchgaͤngigen Tren¬ nung im Einzelnen gleichwohl wieder eine Einheit im Ganzen entspringe? Ich werde diese Frage nicht beantworten koͤnnen, ohne zu¬ gleich von den nothwendigen Foderungen an die¬ jenigen, welche eine Academie permanent con¬ stituiren, an die Lehrer also, zu reden. Ich werde mich nicht scheuen, hieruͤber vor Ih¬ nen mit aller Freymuͤthigkeit zu sprechen. Der Eintritt in das academische Leben ist in Ansehung des studierenden Juͤnglings zugleich die erste Befreyung vom blinden Glauben, er soll hier zuerst lernen und sich uͤben, selbst zu urtheilen. Kein Lehrer, der seines Berufs wuͤrdig ist, wird eine andere Achtung verlan¬ gen, als die er sich durch Geistesuͤbergewicht, durch wissenschaftliche Bildung und seinen Ei¬ fer, diese allgemeiner zu verbreiten, er¬ werben kann. Nur der Unwissende, der Unfaͤhige wird diese Achtung auf ande¬ re Stuͤtzen zu gruͤnden suchen. Was mich noch mehr bestimmen muß, in dieser Sache ohne Ruͤckhalt zu reden, ist folgende Betrach¬ tung. Von den Anspruͤchen, welche die Stu¬ dierenden selbst an eine Academie und die Leh¬ rer derselben machen, haͤngt zum Theil die Er¬ fuͤllung derselben ab, und der einmal unter ih¬ nen geweckte wissenschaftliche Geist wirkt vor¬ theilhaft auf das Ganze zuruͤck, indem er den Untuͤchtigen durch die hoͤheren Forderungen, die an ihn gemacht werden, zuruͤckschreckt; den, welcher sie zu erfuͤllen faͤhig ist, zur Ergreifung dieses Wirkungskreises bestimmt. Gegen die aus der Idee der Sache selbst fließende Foderung der Behandlung aller Wis¬ senschaften im Geist des Allgemeinen und eines absoluten Wissens kann es kein Einwurf seyn zu fragen: woher die Lehrer saͤmmtlich zu nehmen waͤren, die dieses zu leisten vermoͤchten? Die Academieen sind es ja eben, auf welchen jene ihre erste Bildung erhalten: man gebe diesen nur die geistige Freyheit und beschraͤnke sie nicht durch Ruͤcksichten, die auf das wissenschaftliche Verhaͤltniß keine Anwendung haben, so werden sich die Lehrer von selbst bilden, die jenen Fode¬ rungen Genuͤge thun koͤnnen und wiederum im Stande sind andere zu bilden. Man koͤnnte fragen, ob es uͤberhaupt zie¬ me, gleichsam im Namen der Wissenschaft Fo¬ derungen an Academieen zu machen, dn es hin¬ laͤnglich bekannt und angenommen sey, daß sie Instrumente des Staats sind, die das seyn muͤs¬ sen, wozu dieser sie bestimmt. Wenn es nun seine Absicht waͤre, daß in Ansehung der Wis¬ senschaft durchgehends eine gewisse Maͤßigkeit, Zuruͤckhaltung, Einschraͤnkung auf das Gewoͤhn¬ liche oder Nuͤtzliche beobachtet wuͤrde, wie sollte dann von den Lehrern progressive Tendenz und Lust zur Ausbildung ihrer Wissenschaft nach Ideen erwartet werden koͤnnen? Es versteht sich wohl von selbst, daß wir gemeinschaftlich voraussetzen und voraussetzen muͤssen: der Staat wolle in den Academieen wirklich wissenschaftliche Anstalten sehen, und daß alles, was wir in Ansehung ihrer behaup¬ ten, nur unter dieser Bedingung gilt. Der Staat waͤre unstreitig befugt, die Academieen ganz aufzuheben oder in Industrie- und andere Schulen von aͤhnlichen Zwecken umzuwandeln: aber er kann nicht das erste beabsichtigen, ohne zugleich auch das Leben der Ideen und die freye¬ ste wissenschaftliche Bewegung zu wollen, durch deren Versagung aus kleinlichen, meistens nur die Ruhe der Unfaͤhigen in Schutz nehmenden, Ruͤcksichten das Genie zuruͤckgestoßen, das Ta¬ lent gelaͤhmt wird. Die aͤußere Vollstaͤndigkeit bringt noch kei¬ nesweges das wahre organische Leben aller Thei¬ le des Wissens hervor, welches durch die Uni¬ versitaͤten, die hiervon ihren Namen tragen, er¬ reicht werden soll. Hiezu bedarf es des gemein¬ schaftlichen Geistes, der aus der absoluten Wis¬ senschaft kommt, von der die einzelnen Wissen¬ schaften die Werkzeuge oder die objective reale Seite seyn sollen. Ich kann diese Ansicht hier noch nicht ausfuͤhren: indeß ist klar, daß von keiner Anwendung der Philosophie die Rede ist, dergleichen auf beynahe alle Faͤcher nach und nach versucht worden, ja sogar auf die, in Be¬ zug auf sie, niedrigsten Gegenstaͤnde, so daß man fast auch die Landwirthschaft, die Entbin¬ dungskunst oder Bandagenlehre philosophisch zu machen sich bestrebt hat. Es kann nicht leicht etwas thoͤrichteres geben, als das Bestreben von Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit einem philosophischen Ansehen zu bekleiden, waͤhrend sie uͤber die ersten Grundsaͤtze der Phi¬ losophie in Unwissenheit sind, gleich wie wenn jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬ deres Solidum ausmessen wollte, dem nicht ein¬ mal der erste Satz des Euklides bekannt waͤre. Nur von der Formlosigkeit in den meisten objectiven Wissenschaften rede ich, worinn sich auch nicht eine Ahndung von Kunst, oder nur die logischen Gesetze des Denkens ausdruͤcken, von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem Gedanken sich uͤber das Besondere erhebt, noch sich vorzustellen vermag, daß sie, auch in dem sinnlichen Stoff, das Unsinnliche, das Allge¬ meine darzustellen habe. Nur das schlechthin Allgemeine ist die Quelle der Ideen, und Ideen sind das Leben¬ dige der Wissenschaft. Wer sein besonderes Lehrfach nur als besonderes kennt, und nicht faͤhig ist, weder das Allgemeine in ihm zu er¬ kennen, noch den Ausdruck einer universell¬ wissenschaftlichen Bildung in ihm niederzulegen, ist unwuͤrdig, Lehrer und Bewahrer der Wis¬ senschaft zu seyn. Er wird sich auf vielfache Weise nuͤtzlich machen koͤnnen, als Physiker mit Errichtung von Blitzableitern, als Astronom mit Kalendermachen, als Arzt mit der Anwen¬ dung des Galvanismus in Krankheiten oder auf welche andere Weise er will; aber der Be¬ ruf des Lehrers fodert hoͤhere als Handwerkerta¬ lente. „Das Abpfloͤcken der Felder der Wissen¬ schaften, sagt Lichtenberg, mag seinen großen Nutzen haben bey der Vertheilung unter die Paͤchter ; aber den Philosophen, der immer den Zusammenhang des Ganzen vor Augen hat, warnt seine nach Einheit strebende Vernunft bey jedem Schritte, auf keine Pfloͤcke zu achten, die oft Bequemlichkeit und oft Eingeschraͤnktheit eingeschlagen haben.“ Ohne Zweifel war es nicht die besondere Geschicklichkeit in seiner Wis¬ senschaft, sondern das Vermoͤgen, sie mit den Ideen eines bis zur Allgemeinheit ausgebilde¬ ten Geistes zu durchdringen, wodurch Lichten¬ berg der geistreichste Physiker seiner Zeit und der vortrefflichste Lehrer seines Fachs gewe¬ sen ist. Ich muß hier eine Vorstellung beruͤhren, die sich diejenigen, an welche die Foderung, ihr besonderes Fach im Geist des Ganzen zu behan¬ deln, gemacht wird, gewoͤhnlich davon machen, naͤmlich, als werde verlangt, sie sollen es als bloßes Mittel betrachten; es ist aber viel¬ mehr das gerade Gegentheil der Fall, daß jeder seine Wissenschaft in dem Verhaͤltniß im Geist des Ganzen betreibt, in welchem er sie als Zweck an sich selbst und als absolut betrachtet. Schon an sich selbst kann nichts als Glied in einer wahren Totalitaͤt begriffen seyn, was in ihm bloß als Mittel wirkt. Jeder Staat ist in dem Verhaͤltniß vollkommen, in welchem je¬ des einzelne Glied, indem es Mittel zum Gan¬ zen, zugleich in sich selbst Zweck ist. Ebenda¬ durch, daß das Besondere in sich absolut ist, ist es auch wieder im Absoluten und integran¬ ter Theil desselben, und umgekehrt. Je mehr ein Gelehrter seinen besondern Kreis als Zweck an sich selbst begreift, ja ihn fuͤr sich wieder zum Mittelpunkt alles Wissens macht, den er zur allbefassenden Totalitaͤt er¬ weitern moͤchte, desto mehr bestrebt er sich, All¬ gemeines und Ideen in ihm auszudruͤcken. Da¬ gegen je weniger er vermag, ihn mit universellem Sinn zu fassen, desto mehr wird er ihn, er mag sich nun dessen bewußt oder nicht bewußt seyn, weil das, was nicht Zweck an sich selbst ist, nur Mittel seyn kann, nur als Mittel begreifen. Dieß muͤßte nun billig jedem, der sich selbst ehrt, unertraͤglich seyn; daher mit dieser Be¬ schraͤnktheit gewoͤhnlich auch die gemeine Ge¬ sinnung und der Mangel des wahren In¬ teresse an der Wissenschaft, außer dem, welches sie als Mittel fuͤr sehr reale, aͤußere Zwecke hat, vergesellschaftet ist. Ich weiß recht gut, daß sehr viele, und vor¬ nehmlich alle die, welche die Wissenschaft uͤber¬ haupt nur als Nuͤtzlichkeit begreifen, die Universi¬ taͤten als bloße Anstalten zur Ueberlieferung des Wissens, als einen Verein betrachten, der bloß die Absicht haͤtte, daß jeder in der Jugend ler¬ nen koͤnnte, was bis zu seiner Zeit in den Wis¬ senschaften geleistet worden ist, so daß es auch als eine Zufaͤlligkeit betrachtet werden muͤßte, wenn die Lehrer, außer dem daß sie das Vorhandene mittheilen, auch noch die Wissen¬ schaft durch eigne Erfindungen bereichern: — allein selbst angenommen, daß mit den Acade¬ mieen zunaͤchst nicht mehr, als dieses, beab¬ sichtigt wuͤrde und werden sollte, so fodert man doch ohne Zweifel zugleich, daß die Ueberliefe¬ rung mit Geist geschehe, widrigenfalls begreift man nicht, wofuͤr nur uͤberhaupt der lebendige Vortrag auf Academieen nothwendig waͤre; man koͤnnte alsdann den Lehrling unmittelbar nur an die ausdruͤcklich fuͤr ihn geschriebenen, ge¬ meinfaßlichen Handbuͤcher oder an die dicken Com¬ pilationen in allen Faͤchern verweisen. Zu ei¬ ner geistreichen Ueberlieferung gehoͤrt aber ohne Zweifel, daß man im Stande sey, die Erfin¬ dungen anderer aus der vergangenen und gegen¬ waͤrtigen Zeit richtig, scharf und in allen Be¬ ziehungen aufzufassen. Viele derselben sind von der Art, daß ihr innerster Geist nur durch ho¬ mogenes Genie, durch wirkliches Nacherfinden gefaßt werden kann. Jemand, der bloß uͤber¬ liefert, wird also in vielen Faͤllen in manchen Wissenschaften durchaus falsch uͤberliefern. Wo ist denn diejenige historische Darstellung der Philosophie der alten Zeit oder nur eines einzelnen Philosophen der alten oder selbst der neueren Welt, die man als eine gelungene, wahre, ihren Gegenstand erreichende Darstel¬ lung, mit Sicherheit bezeichnen koͤnnte? — Aber uͤberhaupt, wer in seiner Wissenschaft nur wie in einem fremden Eigenthume lebt, wer sie nicht persoͤnlich besitzt, sich ein sicheres und lebendiges Organ fuͤr sie erworben hat, sie nicht in jedem Augenblick neu aus sich zu erzeugen an¬ fangen koͤnnte, ist ein Unwuͤrdiger, der schon in dem Versuch, die Gedanken der Vorwelt oder Gegenwart bloß historisch zu uͤberliefern, uͤber seine Graͤnze geht und etwas uͤbernimmt, das er nicht leisten kann. Ohne Zweifel rechnet man zu einer geistreichen Ueberlieferung, daß sie mit Urtheil verbunden sey; aber wenn schon das allseitige und richtige Auffassen fremder Er¬ findungen, ohne eignes Vermoͤgen zu Ideen, unmoͤglich ist, wie viel unmoͤglicher noch das Urtheilen? Daß in Deutschland so viel von solchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man sie auf den Kopf stellte, kein eigner Gedanke herausfiele, beweist nichts; mit solchen Ur¬ theilen, als diese zu geben im Stande sind, waͤre der Wissenschaft gewiß nicht gedient. — Die nothwendige Folge des Unvermoͤgens, das Ganze seiner Wissenschaft sich aus sich selbst zu construiren und aus innerer, lebendiger An¬ schauung darzustellen, ist der bloß historische Vortrag derselben, z.B. der bekannte in der Philosophie: „Wenn wir unsere Aufmerksam¬ keit auf uns selbst richten, so werden wir ver¬ schiedene Aeußerungen dessen gewahr, was man die Seele nennt. — Man hat diese verschied¬ nen Wirkungen auf verschiedene Vermoͤgen zu¬ ruͤckgebracht. — Man nennt diese Vermoͤgen nach der Verschiedenheit der Aeußerungen Sinn¬ lichkeit, Verstand, Einbildungskraft u. s. w.“ Nun ist aber an sich nichts geistloser nicht nur, sondern auch geisttoͤdtender als eine solche Darstellung; aber es kommt noch uͤberdieß die besondere Bestimmung des academischen Vor¬ trags in Betracht, genetisch zu seyn. Dieß ist der wahre Vorzug der lebendigen Lehrart, daß der Lehrer nicht Resultate hinstellt, wie es der Schriftsteller pflegt, sondern daß er, in allen hoͤ¬ heren Scienzen wenigstens, die Art zu ihnen zu gelangen selbst darstellt, und in jedem Fall das Ganze der Wissenschaft gleichsam erst vor den Augen des Lehrlings entstehen laͤßt. Wie soll nun derjenige, der seine Wissenschaft selbst nicht aus eigner Construction besitzt, faͤhig seyn, sie nicht als ein Gegebenes, sondern als ein zu Erfindendes darzustellen? So wenig aber als die bloße Ueberliefe¬ rung ohne selbstthaͤtigen Geist hinreichend ist, um als Lehrer mit dem gehoͤrigen Erfolg zu 4 wirken, eben so sehr wird erfodert, daß derje¬ nige, welcher in irgend einer Wissenschaft leh¬ ren will, diese zuvor soweit gelernt habe, als moͤglich ist. In jeder, auch der gemeinsten Kunst, wird gefodert, daß man erst Proben des vollendeten Lernens abgelegt habe, ehe man die Kunst als Meister ausuͤben kann. Wenn man die Leichtigkeit bedenkt, mit der auf man¬ chen Universitaͤten der Lehrstuhl bestiegen wird, sollte man aber fast keinen Beruf fuͤr leichter halten, als den des Lehrers; und man wuͤrde sich in der Regel sogar sehr irren, einen Trieb der eignen Productivitaͤt fuͤr den Grund des schnellen Lehrerberufs zu halten, da gerade den, der am ehesten zu produciren im Stande ist, das Lernen am wenigsten Verlaͤugnung kosten kann. Wir haben bisher untersucht, wie die Uni¬ versitaͤten auch nur der ersten Absicht nach, in der sie errichtet wurden, seyn koͤnnten. Es scheint aber, daß sie wegen der Einseitigkeit der Idee, die ihnen urspruͤnglich zu Grunde liegt, weiter zu streben haben. Wir betrachteten sie dieser Idee gemaͤß bisher als Anstalten, die bloß fuͤr das Wissen errichtet sind. Da wir keine Gegensaͤtze als wahr zuge¬ ben, z. B. den des Wissens und Handelns, so ist allgemein nothwendig, daß in dem Verhaͤlt¬ niß, in welchem sich irgend etwas, das seinen Gegensatz in einem andern hat, seiner Absolut¬ heit annaͤhert, auch der Gegensatz, in dem es mit dem andern ist, sich aufhebt. So ist es demnach eine bloße Folge der Rohheit des Wis¬ sens, wenn die Academieen noch nicht angefan¬ gen haben, als Pflanzschulen der Wissenschaft zugleich allgemeine Bildungsanstalten zu seyn. Es ist nothwendig, hier zugleich die Ver¬ fassung der Academieen zu beruͤhren, in wie fern diese auf ihre sittliche Bestimmung einen wesentlichen Einfluß hat. Wenn die buͤrgerliche Gesellschaft uns gro¬ ßentheils eine entschiedene Disharmonie der 4 * Idee und der Wirklichkeit zeigt, so ist es, weil sie vorlaͤufig ganz andre Zwecke zu verfolgen hat, als aus jener hervorgehen, und die Mit¬ tel so uͤbermaͤchtig geworden sind, daß sie den Zweck selbst, zu dem sie erfunden sind, unter graben. Die Universitaͤten, da sie nur Verbin¬ dungen fuͤr die Wissenschaften sind, brauchen, außer dem, was der Staat freywillig und sei¬ nes eignen Vortheils wegen fuͤr ihre aͤußere Exi¬ stenz thun muß, keine andern Veranstaltungen fuͤr das Reale, als welche aus der Idee selbst fließen: die Weisheit vereinigt sich hier unmit¬ telbar mit der Klugheit; man hat nur das zu thun, was die Idee des Vereins fuͤr die Wis¬ senschaft ohnehin vorschreibt, um auch die Ver¬ fassung der Academieen vollkommen zu machen. Die buͤrgerliche Gesellschaft, so lange sie noch empirische Zwecke zum Nachtheil der abso¬ luten verfolgen muß, kann nur eine scheinbare und gezwungene, keine wahrhaft innere Iden¬ titaͤt herstellen. Academieen koͤnnen nur einen ab¬ soluten Zweck haben: außer diesem haben sie gar keinen. — Der Staat hat zur Erreichung seiner Absichten Trennungen noͤthig, nicht die in der Un¬ gleichheit der Staͤnde bestehende, sondern die weit mehr innerliche, durch das Isoliren und Entge¬ gensetzen des einzelnen Talents, die Unterdruͤ¬ ckung so vieler Individualitaͤten, die Richtung der Kraͤfte nach so ganz verschiedenen Seiten, um sie zu desto tauglicheren Instrumenten fuͤr ihn selbst zu machen. In einem wissenschaftli¬ chen Verein haben alle Mitglieder der Natur der Sache nach Einen Zweck: es soll auf Academieen nichts gelten, als die Wissenschaft, und kein anderer Unterschied seyn, als welchen das Talent und die Bildung macht. Men¬ schen, die bloß da sind, um sich auf andere Weise geltend zu machen, durch Verschwendung, durch nutzlose Hinbringung der Zeit in geistlo¬ sen Vergnuͤgungen, mit Einem Wort privile¬ girte Muͤssiggaͤnger, wie es in der buͤrgerlichen Gesellschaft giebt — und gewoͤhnlich sind es diese, die auf Universitaͤten am meisten Rohheit verbreiten — sollen hier nicht geduldet, und wer seinen Fleiß und seine auf die Wissenschaft gerichtete Absicht nicht beweisen kann, soll ent¬ fernt werden. Wenn die Wissenschaft allein regiert, alle Geister nur fuͤr diese in Besitz genommen sind, so werden von selbst keine andern Misleitungen der so edlen und herrlichen, am Ende doch vor¬ zuͤglich auf Beschaͤftigung mit Ideen gerichteten Triebe der Jugend statt finden koͤnnen. Wenn auf Universitaͤten Rohheit herrschend gewesen ist, oder je wieder werden koͤnnte, so waͤre es großentheils die Schuld der Lehrer oder der¬ jenigen, welchen die Aufsicht uͤber den Geist, der von diesen aus sich verbreitet, zukommt. Wenn die Lehrer selbst keinen andern als den aͤchten Geist um sich verbreiten, und keine andere Ruͤcksichten, als die des Wissens und seiner Vervollkommnung gelten: wenn die Aus¬ bruͤche der Poͤbelhaftigkeit unwuͤrdiger, den Be¬ ruf der Lehrer schaͤndender Menschen nicht durch die Niedrigkeit des jeweiligen gemeinen Wesens selbst geduldet werden, so werden von selbst aus der Reihe der studierenden Juͤnglinge die¬ jenigen verschwinden, die sich nicht anders als durch Rohheit auszuzeichnen vermoͤgen. Das Reich der Wissenschaften ist keine De¬ mokratie, noch weniger Ochlokratie, sondern Aristokratie im edelsten Sinne. Die Besten sollen herrschen. Auch die bloß Unfaͤhigen, welche irgend eine Convenienz empfiehlt, die bloßen sich vordraͤngenden Schwaͤtzer, die den wissenschaftlichen Stand durch kleine Arten von Industrie entehren, sollen in der gaͤnzlichen Passivitaͤt erhalten werden. Von selbst kann schon niemand der Verachtung entgehen, die ihm in diesen Verhaͤltnissen Unwissenheit und geistige Ohnmacht zuziehen, ja, da diese dann meistens mit Laͤcherlichkeit oder wahrer Nie¬ dertraͤchtigkeit gepaart sind, dienen sie der Ju¬ gend zum Spiel und stumpfen allzufruͤh den natuͤrlichen Eckel eines noch nicht erfahrnen Ge¬ muͤthes ab. Das Talent bedarf keines Schutzes, wenn nur das Gegentheil nicht beguͤnstigt ist; das Vermoͤgen zu Ideen verschafft sich von selbst die oberste und entschiedenste Wirkung. Dieß ist die einzige Politik, die in Anse¬ hung aller Anstalten fuͤr Wissenschaft statt hat, um sie bluͤhend zu machen, um ihnen so viel moͤglich Wuͤrde nach innen und Ansehen nach außen zu geben. Um die Academieen insbe¬ sondere zu Mustern von Verfassungen zu ma¬ chen, erfoderte es nichts, als was man, ohne ei¬ nen Widerspruch zu begehen, gar nicht umhin kann zu wollen; und da ich wie gesagt die Kluft zwischen Wissen und Handeln uͤberhaupt nicht zugebe, so kann ich sie unter jener Bedingung, auch in Ansehung der Academieen nicht zulassen. Die Bildung zum vernunftmaͤßigen Den¬ ken, worunter ich freylich keine bloß oberflaͤch¬ liche Angewoͤhnung, sondern eine in das We¬ sen des Menschen selbst uͤbergehende Bildung, die allein auch die aͤchtwissenschaftliche ist, ver¬ stehe, ist auch die einzige zum vernunftmaͤßigen Handeln; Zwecke, die außer dieser absoluten Sphaͤre scientifischer Ausbildung liegen, sind durch die erste Bestimmung der Academieen schon von ihnen ausgeschlossen. Derjenige, welcher von seiner besondern Wissenschaft aus die vollkommne Durchbil¬ dung bis zum absoluten Wissen erhalten hat, ist von selbst in das Reich der Klarheit, der Besonnenheit gehoben; das gefaͤhrlichste fuͤr den Menschen ist die Herrschaft dunkler Be¬ griffe, es ist fuͤr ihn schon vieles gewonnen, wenn diese nur uͤberhaupt beschraͤnkt ist, es ist alles gewonnen, wenn er zum absoluten Be¬ wußtseyn durchgedrungen ist, wenn er ganz im Licht wandelt. Die Wissenschaft richtet gleich unmittelbar den Sinn auf diejenige Anschauung, die, eine daurende Selbstgestaltung, unmittelbar zu der Identitaͤt mit sich und dadurch zu einem wahr¬ haft seeligen Leben fuͤhrt. Langsam erzieht die Erfahrung und das Leben, nicht ohne vielen Verlust der Zeit und der Kraft. Dem, der sich der Wissenschaft weiht, ist es vergoͤnnt, die Erfahrung sich vorauszunehmen und das, was doch am Ende einziges Resultat des durchge¬ bildetsten und erfahrungsreichsten Lebens seyn kann, gleich unmittelbar und an sich selbst zu erkennen. Dritte Vorlesung. Ueber die ersten Voraussetzungen des academischen Studium. D en hohen Zweck desjenigen, der sich uͤberhaupt der Wissenschaft weiht, glaube ich im Vorher¬ gehenden durch die Idee der letztern schon hin¬ laͤnglich ausgesprochen zu haben. Desto kuͤrzer werde ich mich uͤber die allgemeinen Foderun¬ gen, die an den gemacht werden muͤssen, der diesen Beruf erwaͤhlt, fassen koͤnnen. Der Begriff des Studierens schließt an sich schon und besonders nach den Verhaͤltnissen der neueren Kultur eine doppelte Seite in sich. Die erste ist die historische. In Ansehung der¬ selben findet das bloße Lernen statt. Die unumgaͤngliche Nothwendigkeit der Gefangen¬ nehmung und Ergebung seines Willens unter den Gehorsam des Lernens in allen Wissenschaf¬ ten folgt schon aus dem fruͤher Bewiesnen. Was auch bessere Koͤpfe in Erfuͤllung dieser Be¬ dingung misleitet, ist eine sehr gewoͤhnliche Taͤuschung. Sie fuͤhlen sich naͤmlich bey dem Lernen mehr angestrengt als eigentlich thaͤtig, und weil die Thaͤtigkeit der natuͤrlichere Zustand ist, hal¬ ten sie jede Art derselben fuͤr eine hoͤhere Aeu¬ ßerung des angebohrnen Vermoͤgens, wenn auch die Leichtigkeit, welche das eigne Denken und Entwerfen fuͤr sie hat, seinen Grund mehr in der Unkenntniß der wahren Gegenstaͤnde und eigentlichen Aufgaben des Wissens, als in einer aͤchten Fuͤlle des productiven Triebs haben soll¬ te. Im Lernen, selbst wo es durch lebendigen Vortrag geleitet wird, findet wenigstens keine Wahl statt: man muß durch alles, durch das Schwere wie das Leichte, durch das Anziehende wie das minder Anziehende hindurch; die Auf¬ gaben werden hier nicht willkuͤhrlich, nach Ideenassociation oder Neigung genommen, sondern mit Nothwendigkeit. In dem Gedankenspiel, bey mittelmaͤßig reger Ein¬ bildungskraft, die mit geringer Kenntniß der wissenschaftlichen Foderungen verbunden ist, nimmt man heraus, was gefaͤllt, und laͤßt lie¬ gen, was nicht gefaͤllt oder was auch im Erfin¬ den und eignen Denken nicht ohne Anstrengung ergruͤndet werden kann. Selbst derjenige, der von Natur berufen ist, zuvor nicht bearbeitete Gegenstaͤnde in neuen Gebieten sich zu seiner Aufgabe zu neh¬ men, muß doch den Geist auf jene Weise geuͤbt haben, um in diesen einst durchzudringen. Ohne dieß wird ihm auch im Selbstconstruiren immer nur ein desultorisches Verfahren und fragmentarisches Denken eigenthuͤmlich bleiben. Die Wissenschaft zu durchdringen, vermag nur, wer sie bis zur Totalitaͤt gestalten und bis zu der Gewißheit in sich ausbilden kann, kein we¬ sentliches Mittelglied uͤbersprungen, das Noth¬ wendige erschoͤpft zu haben. Ein gewisser Ton der Popularitaͤt in den obersten Wissenschaften, kraft dessen sie gerade¬ zu jedermanns Ding und jeder Fassungskraft angemessen seyn sollten, hat die Scheu vor An¬ strengung so allgemein verbreitet, daß die Schlaffheit die es mit den Begriffen nicht zu genau nimmt, die angenehme Oberflaͤchlichkeit und wohlgefaͤllige Seichtigkeit sogar zur soge¬ nannten feineren Ausbildung gehoͤrte, und man endlich auch den Zweck der academischen Bil¬ dung darauf beschraͤnkte, von dem Wein der hoͤheren Wissenschaften eben nur so viel zu ko¬ sten, als man mit Anstand auch einer Dame anbieten koͤnnte. Man muß den Universitaͤten zum Theil die Ehre widerfahren lassen, daß sie vorzuͤglich den einbrechenden Strom der Ungruͤndlichkeit, den die neuere Paͤdagogik noch vermehrte, auf¬ gehalten haben, obgleich es andrerseits auch der Ueberdruß an ihrer langweiligen, breiten und von keinem Geist belebten Gruͤndlichkeit war, was jenem den meisten Eingang verschaffte. Jede Wissenschaft hat außer ihrer eigen¬ thuͤmlichen Seite eine andere noch, die ihr mit der Kunst gemein ist. Es ist die Seite der Form, welche in einigen derselben sogar vom Stoff ganz unzertrennlich ist. Alle Vortrefflich¬ keit in der Kunst, alle Bildung eines edlen Stoffs in angemeßner Form, geht aus der Be¬ schraͤnkung hervor, die der Geist sich selbst setzt. Die Form wird nur durch Uebung vollstaͤndig erlangt, und aller wahre Unterricht soll seiner Bestimmung nach mehr auf diese als auf den Stoff gehen. Es giebt vergaͤngliche und hinfaͤllige For¬ men, und als besondere sind alle diejenigen, in die sich der Geist der Wissenschaft huͤllt, auch nur verschiedene Erscheinungsweisen des sich in ewig neuen Gestalten verjuͤngenden und wieder¬ gebaͤhrenden Genius. Aber in den besondern Formen ist eine allgemeine und absolute Form, von der jene selbst nur wieder die Symbole sind: und ihr Kunstwerth steigt in dem Maaße, in welchem ihnen gelingt, jene zu offenbaren. Alle Kunst aber hat eine Seite, von der sie durch Lernen erworben wird. Die Scheu vor Formen und angeblichen Schranken derselben ist die Scheu vor der Kunst in der Wissen¬ schaft. Aber nicht in der gegebenen und besondern Form, die nur gelernt seyn kann, sondern in eigenthuͤmlicher, selbstgebildeter, den gegebe¬ nen Stoff reproduciren, vollendet auch erst das Aufnehmen selbst. Lernen ist nur negative 5 Bedingung, wahre Intussusception nicht ohne innere Verwandlung in sich selbst moͤglich. Al¬ le Regeln, die man dem Studieren vorschrei¬ ben koͤnnte, fassen sich in der einen zusammen: Lerne nur, um selbst zu schaffen. Nur durch dieses goͤttliche Vermoͤgen der Production ist man wahrer Mensch, ohne dasselbe nur eine leidlich klug eingerichtete Maschine. Wer nicht mit demselben hoͤheren Antrieb, womit der Kuͤnstler aus einer rohen Masse das Bild seiner Seele und der eignen Erfindung hervorruft, es zur vollkommnen Herausarbeitung des Bildes seiner Wissenschaft in allen Zuͤgen und Theilen bis zur vollkommnen Einheit mit dem Urbild gebracht hat, hat sie uͤberhaupt nicht durch¬ drungen. Alles Produciren ruht auf einer Begeg¬ nung oder Wechseldurchdringung des Allgemei¬ nen und Besondern. Den Gegensatz jeder Be¬ sonderheit gegen die Absolutheit scharf zu fas¬ sen, und zugleich in demselben untheilbaren Act jene in dieser und diese in jener zu begreifen, ist das Geheimniß der Production. Hierdurch bilden sich jene hoͤheren Einheitspuncte, wo¬ durch das Getrennte zur Idee zusammenfließt, jene hoͤheren Formeln, in die sich das Concrete aufloͤst, die Gesetze „aus dem himmlischen Ae¬ ther gebohren, die nicht die sterbliche Natur des Menschen gezeugt hat.“ Die gewoͤhnliche Eintheilung der Erkennt¬ niß in die rationale und historische wird so be¬ stimmt, daß jene mit der Erkenntniß der Gruͤn¬ de verbunden, diese eine bloße Wissenschaft des Factum sey. Man koͤnnte einwenden, daß ja auch die Gruͤnde wieder bloß historisch gewußt werden koͤnnen: allein dann wuͤrden sie eben nicht als Gruͤnde aufgefaßt. Man hat den Ekelnamen der Brodwissenschaften allgemein denjenigen ge¬ geben, welche unmittelbarer als andere zum Ge¬ brauch des Lebens dienen. Aber keine Wissen¬ schaft verdient an sich diese Benennung. Wer die Philosophie oder Mathematik als Mittel behandelt, fuͤr den ist sie so gut bloßes Brod¬ studium, als die Rechtsgelehrsamkeit oder Me¬ dicin fuͤr denjenigen, der kein hoͤheres Interesse fuͤr sie hat, als das der Nuͤtzlichkeit fuͤr ihn 5 * selbst. Der Zweck alles Brodstudium ist, daß man die bloßen Resultate kennen lernt, entwe¬ der mit gaͤnzlicher Vernachlaͤssigung der Gruͤnde, oder daß man auch diese nur um eines aͤußeren Zwecks willen, z. B. um bey angeordneten Pruͤfungen nothduͤrftige Rechenschaft geben zu koͤnnen, historisch kennen lernt. Man kann sich dazu entschließen, einzig, weil man die Wissenschaft zu einem bloß empi¬ rischen Gebrauch erlernen will, d. h. sich selbst bloß als Mittel betrachtet. Nun kann gewiß niemand, der nur einen Funken von Achtung fuͤr sich selbst hat, sich gegenuͤber von der Wis¬ senschaft selbst so niedrig fuͤhlen, daß sie fuͤr ihn nur als Abrichtung fuͤr empirische Zwecke Werth haͤtte. Die nothwendigen Folgen einer solchen Art zu studieren, sind diese. Erstens ist es unmoͤglich, sich auch nur das Empfangene richtig anzueignen, nothwen¬ dig also, daß man es falsch anwende, da der Besitz desselben nicht auf einem lebendigen Or¬ gan der Anschauung, sondern nur auf dem Ge¬ daͤchtniß beruht. Wie oft senden Universitaͤten aus ihren Schulen solche Brodgelehrte zuruͤck, die sich alles, was sich in ihrem Fach von Ge¬ lehrsamkeit da vorfindet, vortrefflich eingepraͤgt haben, denen es aber fuͤr die Aufnahme des Besondern unter das Allgemeine gaͤnzlich an Urtheil fehlt! Lebendige Wissenschaftlichkeit bildet zur Anschauung; in dieser aber ist das Allgemeine und Besondere immer Eins. Der Brodgelehrte dagegen ist anschauungslos, er kann sich im vorkommenden Falle nichts con¬ struiren, selbstthaͤtig zusammensetzen, und da er im Lernen doch nicht auf alle moͤgliche Faͤlle vorbereitet werden konnte, so ist er in den mei¬ sten von seinem Wissen verlassen. Eine andere nothwendige Folge ist, daß ein solcher gaͤnzlich unfaͤhig ist, fortzuschreiten; auch damit legt er den Hauptcharakter des Men¬ schen und des wahren Gelehrten insbesondere ab. Er kann nicht fortschreiten, denn wahre Fortschritte sind nicht nach dem Maaßstab fruͤ¬ herer Lehren, sondern nur aus sich selbst und aus absoluten Principien zu beurtheilen. Hoͤch¬ stens faßt er auf, was selbst keinen Geist hat, neu angepriesene Mittel, diese oder jene fade Theorie, die eben entsteht und die Neugier reizt, oder einige neue Formeln, gelehrte No¬ vitaͤten u. s. w. Alles muß ihn als eine Be¬ sonderheit erscheinen, um von ihm aufgenom¬ men zu werden. Denn nur das Besondere kann gelernt werden und in der Qualitaͤt des Gelerntseyns ist alles nur ein Besonderes. Deswegen ist er der geschworne Feind jeder aͤch¬ ten Entdeckung, die im Allgemeinen gemacht wird, jeder Idee, weil er sie nicht faßt, jeder wirklichen Wahrheit, die ihn in seiner Ruhe stoͤrt. Vergißt er sich noch uͤberdieß so weit, sich dagegen aufzulehnen, so benimmt er sich entweder auf die bekannte ungeschickte Art, das Neue nach Principien und Ansichten zu beur¬ theilen, die jenes eben in Anspruͤche nimmt, mit Gruͤnden oder gar Auctoritaͤten zu streiten, die in dem vorhergehenden Zustand der Wissen¬ schaft etwa gelten konnten: oder es bleiben ihm im Gefuͤhl seiner Nichtigkeit nur Schmaͤhun¬ gen oder die Wasfen der Verlaͤumdung uͤbrig, zu denen er sich innerlich berechtigt fuͤhlt, weil jede neue Entdeckung wirklich ein persoͤnlicher Angriff auf ihn ist. Der Erfolg ihres Studierens oder wenig¬ stens die erste Richtung desselben haͤngt fuͤr alle mehr oder weniger von der Art und dem Grad von Bildung und Kenntniß ab, den sie auf die Academie mitbringen. Von der ersten aͤußeren und sittlichen Bildung, die fuͤr diese Erzie¬ hungsstufe schon erfodert wird, sage ich nichts, da alles, was hieruͤber zu sagen waͤre, sich von selbst versteht. Die sogenannten Vorkenntnisse betreffend, so kann man die Art von Wissen, die vor dem academischen erworben wird, nicht wohl anders denn als Kenntnisse bezeichnen. Fuͤr die Aus¬ dehnung derselben giebt es ohne Zweifel auch ei¬ nen Punct, jenseits und diesseits dessen das Rechte nicht besteht. Die hoͤheren Wissenschaften lassen sich nicht in der Qualitaͤt von Kenntnissen besitzen oder erlangen. Es wuͤrde nicht rathsam seyn, zu einer Zeit, wo doch in keiner Richtung die Ab¬ solutheit wahrhaft erreicht werden kann, dasje¬ nige Wissen zu anticipiren, das seiner Natur nach darauf beruht und diesen Charakter zugleich allem anderen Wissen mittheilt. Ja auch von Wissenschaften, deren Stoff zum Theil in Kenntnissen besteht, die nur im Zusammen¬ hang des Ganzen ihren wahren Werth erlan¬ gen koͤnnen, jene mitzutheilen, ehe der Geist durch die hoͤheren Wissenschaften in diesen ein¬ geweiht ist, koͤnnte nur die spaͤtere Vernachlaͤs¬ sigung, aber keinen Vortheil zur Folge haben. Der Erziehungseifer der letzten Zeit hat auch die niedrern Schulen nur nicht ganz zu Acade¬ mieen umzuschaffen zum Theil versucht, aber nur der Halbheit in der Wissenschaft neuen Vorschub gethan. Es ist uͤberhaupt noͤthig, auf jeder Stufe zu verweilen, bis man das sichre Gefuͤhl hat, sich auf ihr festgesetzt zu haben. Nur wenigen scheint es verstattet, Stufen zu uͤberspringen, obgleich dieß eigentlich nie der Fall ist. New¬ ton las in zartem Alter die Elemente des Eu¬ klides, wie ein selbstgeschriebenes Werk oder wie Andere unterhaltende Schriften lesen. Er konnte daher von der Elementargeometrie un¬ mittelbar zu den hoͤheren Untersuchungen uͤber¬ gehen. In der Regel ist das andere Extrem des obigen der Fall, naͤmlich die tiefste Vernachlaͤs¬ sigung der Vorbereitungsschulen. Was vor dem Eintritt in das academische Studium schlechthin schon erworben seyn sollte, ist alles, was zum Mechanischen in den Wissenschaften gehoͤrt. Theils hat uͤberhaupt jede Scienz ei¬ nen bestimmten Mechanismus, theils macht die allgemeine Verfassung der Wissenschaften mechanische Huͤlfsmittel, zu denselben zu gelan¬ gen, unentbehrlich. Ein Beyspiel des ersten Falls sind die allgemeinsten und ersten Opera¬ tionen der Analysis des Endlichen; der acade¬ mische Lehrer kann wohl ihre wissenschaftlichen Gruͤnde entwickeln, aber nicht den Rechenmei¬ ster machen. Ein Beyspiel des andern Falls ist die Kenntniß der Sprachen, alter und neuer, da diese allein den Zugang zu den vornehm¬ sten Quellen der Bildung und der Wissenschaft oͤffnen. Es gehoͤrt hieher uͤberhaupt alles, was mehr oder weniger durch Gedaͤchtniß aufgefaßt seyn will, da dieß im fruͤheren Alter theils am schaͤrfsten ist, theils am meisten geuͤbt seyn will. Ich werde hier nur vorzuͤglich von dem fruͤheren Studium der Sprachen reden, welches nicht bloß als nothwendige Stufe zu jeder fer¬ neren in der wissenschaftlichen Bildung unum¬ gaͤnglich ist, sondern einen unabhaͤngigen Werth in sich selbst hat. Die elenden Gruͤnde, aus welchen vorzuͤg¬ lich das Erlernen der alten Sprachen im fruͤhe¬ ren Alter von der modernen Erziehungskunst bestritten wird, beduͤrfen keiner Widerlegung mehr. Sie gelten nur fuͤr eben so viele beson¬ dere Beweise der Gemeinheit der Begriffe, die dieser zu Grunde lagen, und sind vorzuͤglich von einem misverstandenen Eifer gegen uͤberwiegen¬ de Ausbildung des Gedaͤchtnisses nach den Vor¬ stellungen einer empirischen Psychologie einge¬ geben. Die angeblichen Erfahrungen daruͤber waren von gewissen Gedaͤchtnißgelehrten herge¬ nommen, die sich zwar mit Kenntnissen aller Art angefuͤllt, aber dadurch freylich nicht hatten erwerben koͤnnen, was ihnen die Natur versagt hatte. Daß uͤbrigens weder ein großer Feld¬ herr, noch ein großer Mathematiker, oder Philo¬ soph, oder Dichter ohne Umfang und Energie des Gedaͤchtnisses moͤglich war, konnte fuͤr sie nicht in Betracht kommen, da es auch gar nicht darauf angesehen war, große Feldherrn, Mathemati¬ ker, Dichter oder Philosophen, sondern nuͤtz¬ liche, buͤrgerliche, gewerbsame Menschen zu bilden. Ich kenne keine Beschaͤftigungsart, welche mehr geeignet waͤre, im fruͤheren Alter dem er¬ wachenden Witz, Scharfsinn, Erfindungskraft die erste Uebung zu geben, als die vornehmlich mit den alten Sprachen. Ich rede hier naͤm¬ lich nicht von der Wissenschaft der Sprache im abstracten Sinn, in wie fern diese als unmit¬ telbarer Abdruck des inneren Typus der Ver¬ nunft Gegenstand einer wissenschaftlichen Con¬ struction ist. Eben so wenig von der Philolo¬ gie, zu der sich Sprachkenntniß nur wie das Mittel zu seinem viel hoͤheren Zwecke verhaͤlt. Der bloße Sprachgelehrte heißt nur durch Mis¬ brauch Philolog; dieser steht mit dem Kuͤnstler und Philosophen auf den hoͤchsten Stufen, oder vielmehr durchdringen sich beyde in ihm. Seine Sache ist die historische Construction der Werke der Kunst und Wissenschaft, deren Ge¬ schichte er in lebendiger Anschauung zu begrei¬ fen und darzustellen hat. Auf Universitaͤten soll eigentlich nur Philologie, in diesem Sinne behandelt, gelehrt werden; der academische Lehrer soll nicht Sprachmeister seyn. — Ich kehre zu meiner ersten Behauptung zuruͤck. Die Sprache an und fuͤr sich selbst schon und bloß grammatisch angesehen, ist eine fort¬ gehende angewandte Logik. Alle wissenschaft¬ liche Bildung besteht in der Fertigkeit, die Moͤglichkeiten zu erkennen, da im Gegentheil das gemeine Wissen nur Wirklichkeiten begreift. Der Physiker, wenn er erkannt hat, daß unter gewissen Bedingungen eine Erscheinung wahr¬ haft moͤglich sey, hat auch erkannt, daß sie wirklich ist. Das Studium der Sprache als Auslegung, vorzuͤglich aber als Verbesserung der Lesart durch Conjectur, uͤbt dieses Er¬ kennen der Moͤglichkeiten auf eine dem Kna¬ benalter angemessene Art, wie es noch im maͤnn¬ lichen Alter auch einen knabenhaft bleibenden Sinn angenehm beschaͤftigen kann. Es ist unmittelbare Bildung des Sinns, aus einer fuͤr uns erstorbenen Rede den lebendi¬ gen Geist zu erkennen, und es findet darin kein anderes Verhaͤltniß statt, als welches auch der Naturforscher zu der Natur hat. Die Natur ist fuͤr uns ein uralter Autor, der in Hierogly¬ phen geschrieben hat, dessen Blaͤtter colossal sind, wie der Kuͤnstler bey Goͤthe sagt. Eben der¬ jenige, der die Natur bloß auf dem empirischen Wege erforschen will, bedarf gleichsam am mei¬ sten Sprach -Kenntniß von ihr, um die fuͤr ihn ausgestorbene Rede zu verstehen. Im hoͤ¬ heren Sinn der Philologie ist dasselbe wahr. Die Erde ist ein Buch, das aus Bruchstuͤcken und Rhapsodieen sehr verschiedener Zeiten zu¬ sammengesetzt ist. Jedes Mineral ist ein wah¬ res philologisches Problem. In der Geologie wird der Wolf noch erwartet, der die Erde eben so wie den Homer zerlegt und ihre Zusam¬ mensetzung zeigt. In die besondern Theile des academischen Studium jetzt einzugehen und gleichsam das ganze Gebaͤude desselben auf den ersten Grund¬ lagen aufzufuͤhren, ist nicht moͤglich, ohne zu¬ gleich die Verzweigungen der Wissenschaft selbst zu verfolgen und das organische Ganze derselben zu construiren. Ich werde demnach zunaͤchst den Zusam¬ menhang aller Wissenschaften unter sich, und die Objectivitaͤt, welche diese innere, organi¬ sche Einheit durch die aͤußere Organisation der Universitaͤten erhalten hat, darstellen muͤssen. Gewissermaßen wuͤrde dieser Grundriß die Stelle einer allgemeinen Encyclopaͤdie der Wis¬ senschaften vertreten koͤnnen; da ich aber diese nie rein an sich, sondern immer zugleich in der besondern Beziehung meines Vortrags betrach¬ ten werde, so kann natuͤrlich kein aus den hoͤch¬ sten Principien auf die strengste Art abgeleite¬ tes System der Erkenntnisse hier erwartet wer¬ den. Ich kann, so wie uͤberhaupt in diesen Vorlesungen, nicht darauf ausgehen, meinen Gegenstand zu erschoͤpfen. Dieß kann man nur in der wirklichen Construction und Demon¬ stration erreichen: ich werde vieles nicht sagen, was vielleicht gesagt zu werden verdiente, desto mehr aber mich huͤten, etwas zu sagen, was nicht gesagt werden sollte, entweder an sich oder weil es die gegenwaͤrtige Zeit und der Zustand der Wissenschaften nothwendig machten. Vierte Vorlesung. Ueber das Studium der reinen Vernunftwissenschaften: der Mathematik, und der Philo¬ sophie im Allgemeinen. 6 D as schlechthin Eine, von dem alle Wissen¬ schaften ausfließen und in das sie zuruͤckkehren, ist das Urwissen, durch dessen Einbildung in's Concrete sich von Einem Centralpunkt aus das Ganze des Erkennens bis in die aͤußersten Glie¬ der gestaltet. Diejenigen Wissenschaften, in welchen es sich als in seinen unmittelbarsten Orga¬ nen reflectirt, und das Wissen als Reflectiren¬ des mit dem Urwissen als Reflectirtem in Eins zusammenfaͤllt, sind wie die allgemeinen Sen¬ soria in dem organischen Leib des Wissens. Wir haben von diesen Centralorganen aus¬ zugehen, um das Leben von ihnen aus durch verschiedene Quellen bis in die aͤußersten Thei¬ le zu leiten. Fuͤr denjenigen, der noch nicht selbst im Besitz desjenigen Wissens ist, welches mit dem Urwissen Eins und es selbst ist, giebt es keinen andern Weg, zur Anerkennung desselben geleitet zu werden, als durch den Gegensatz mit dem andern Wissen. 6* Ich kann hier unmoͤglich begreiflich ma¬ chen, wie wir dazu kommen, uͤberhaupt etwas Besonderes zu erkennen; nur so viel laͤßt sich bestimmt auch hier zeigen, daß ein solches Er¬ kennen kein absolutes und ebendarum auch nicht unbedingt wahres seyn kann. Man verstehe dies nicht im Sinne eines gewissen empirischen Skepticismus, der die Wahrheit der sinnlichen, d. i. ganz aufs Be¬ sondere gerichteten Vorstellungen aus dem Grunde der Sinnentaͤuschungen bezweifelt, so daß wenn es keine optischen und andere Be¬ truͤge gaͤbe, wir alsdann unserer sinnlichen Erkenntniß so ziemlich gewiß seyn koͤnnten; eben so wenig in dem eines rohen Empirismus uͤberhaupt, der die Wahrheit der sinnlichen Vorstellungen allgemein darum bezweifelt, weil doch die Affectionen, aus denen sie entspringen, erst durch die Seele zur Seele gelangen und auf diesem Wege viel von ihrer Urspruͤnglichkeit verlieren muͤssen. Aller Causalbezug zwischen Wissen und Seyn gehoͤrt selbst mit zu der sinn¬ lichen Taͤuschung und wenn jenes ein end¬ liches ist, so ist es dieß vermoͤge einer Deter¬ mination, die in ihm selbst und nicht außer ihm liegt. Aber eben dieß, daß es uͤberhaupt ein be¬ stimmtes Wissen ist, macht es zu einem abhaͤn¬ gigen, bedingten, stets veraͤnderlichen; das Bestimmte an ihm ist, wodurch es ein Man¬ nichfaltiges und Verschiedenes ist, die Form . Das Wesen des Wissens ist Eines, in allem das gleich, und kann eben deswegen auch nicht determinirt seyn. Wodurch sich also Wissen von Wissen unterscheidet, ist die Form, die im Besonderen aus der Indifferenz mit dem Wesen tritt, welches wir in so fern auch das Allgemeine nennen koͤnnen. Form getrennt von Wesen aber ist nicht reell, ist bloß Schein; das besondere Wissen rein als solches demnach kein wahres Wissen. Dem besondern steht das rein allgemeine gegenuͤber, welches als ein von jenem abgeson¬ dertes das abstracte heißt. Es kann hier eben so wenig die Entstehung dieses Wissens begreif¬ lich gemacht, es kann nur gezeigt werden, daß, wenn in dem besondern die Form dem Wesen unangemessen ist, das rein allgemeine dagegen dem Verstand als Wesen ohne Form erscheinen muͤsse. Wo die Form nicht im We¬ sen und durch dasselbe erkannt wird, wird eine Wirklichkeit erkannt, die nicht aus der Moͤglich¬ keit begriffen wird, wie die besondern und sinnlichen Bestimmungen der Substanz in Ewigkeit nicht aus dem Allgemeinbegriff derselben eingesehen werden koͤnnen; weshalb diejenigen, die bey diesem Gegensatz stehen bleiben, sich außer dem Allgemeinen noch das Besondere unter dem Namen des Stoffs als eines allgemeinen Inbegriffs der sinnlichen Ver¬ schiedenheiten zugeben lassen. Im entgegenge¬ setzten Fall wird die reine, abstracte Moͤglich¬ keit begriffen, aus der man nicht zu der Wirk¬ lichkeit herauskommen kann, und dies und jenes ist, mit Lessing zu reden, der breite Graben, vor dem der große Haufen der Philosophen von jeher stehen geblieben ist. Es ist klar genug, daß der letzte Grund und die Moͤglichkeit aller wahrhaft absoluten Erkenntniß darin ruhen muß, daß eben das Allgemeine zugleich auch das Besondere und dasselbe, was dem Verstand als bloße Moͤglich¬ keit ohne Wirklichkeit, Wesen ohne Form er¬ scheint, eben dieses auch die Wirklichkeit und die Form sey: dieß ist die Idee aller Ideen und aus diesem Grunde die des Absoluten selbst. Es ist nicht minder offenbar, daß das Absolute an sich betrachtet, da es eben nur diese Iden¬ titaͤt ist, an sich weder das eine noch das an¬ dere der Entgegengesetzten sey, daß es aber als das gleiche Wesen beyder, und demnach als Identitaͤt, in der Erscheinung nur entweder im Realen oder im Idealen sich darstellen koͤnne. Die beyden Seiten der Erkenntniß, die, in welcher die Wirklichkeit der Moͤglichkeit, und die, in welcher die letzte der ersten vorangeht, lassen sich naͤmlich unter sich wieder als reale und ideale entgegensetzen. Waͤre es nun denk¬ bar, daß im Realen oder Idealen selbst wie¬ der nicht das eine oder das andere der beyden Entgegengesetzten, sondern die reine Identi¬ taͤt beyder, als solche, durchbraͤche, so waͤre da¬ mit ohne Zweifel die Moͤglichkeit einer absolu¬ ten Erkenntniß selbst innerhalb der Erscheinung gegeben. Wenn demnach, um von diesem Punct aus weiter zu schließen, von der Identitaͤt der Moͤglichkeit und Wirklichkeit rein als solcher im Realen ein Reflex waͤre, so koͤnnte sie eben so wenig als ein abstracter Begriff, wie als con¬ cretes Ding erscheinen: das erste nicht, weil sie alsdann eine Moͤglichkeit waͤre, der die Wirklichkeit, das andere nicht, weil sie eine Wirklichkeit waͤre, der die Moͤglichkeit gegenuͤ¬ ber stuͤnde. Da sie ferner als Identitaͤt rein im Rea¬ len erscheinen sollte, muͤßte sie sich als reines Seyn , und in wie fern dem Seyn die Thaͤ¬ tigkeit entgegengesetzt ist, als Negation aller Thaͤtigkeit erscheinen. Dasselbe ist nach dem fruͤher aufgestellten Grundsatz einzusehen: daß jedes, was seinen Gegensatz in einem andern hat, nur, wie fern es in sich absolut ist, zu¬ gleich wieder die Identitaͤt von sich selbst und seinem Entgegengesetzten ist; denn das Reale wird diesem zufolge als Identitaͤt von Moͤglich¬ keit und Wirklichkeit nur erscheinen koͤnnen, in wie fern es in sich selbst absolutes Seyn, alles Entgegengesetzte daher von ihm negirt ist. Ein solches reines Seyn mit Vernei¬ nung aller Thaͤtigkeit ist nun ohne Zweifel der Raum ; aber eben derselbe ist auch weder ein Abstractum, denn sonst muͤßten mehrere Raͤume seyn, da der Raum in allen Raͤumen nur Ei¬ ner ist, noch ein Concretum, denn sonst muͤßte ein abstracter Begriff von ihm seyn, dem er als Besonderes nur unvollkommen angemessen waͤre; er ist aber ganz, was er ist, das Seyn erschoͤpft in ihm den Begriff und er ist ebendeswegen und nur, weil er absolut real ist, auch wieder absolut ideal. Zu Bestimmung der gleichen Identitaͤt, so fern sie im Idealen erscheint, koͤnnen wir uns unmittelbar des Gegensatzes mit dem Raum bedienen; denn da dieser als reines Seyn mit Negation aller Thaͤtigkeit erscheint, so wird jene dagegen sich als reine Thaͤtigkeit mit Verneinung alles Seyns darstellen muͤs¬ sen; aber aus dem Grunde, daß sie reine Thaͤtigkeit ist, wird sie nach dem angegebenen Princip auch wieder die Identitaͤt von sich und dem Entgegengesetzten, von Moͤglichkeit also und Wirklichkeit seyn. Eine solche Identitaͤt ist die reine Zeit . Kein Seyn als solches ist in der Zeit, sondern nur die Veraͤnderungen des Seyns, welche als Thaͤtigkeitsaͤußerungen und als Negationen des Seyns erscheinen. In der empirischen Zeit geht die Moͤglichkeit, als Ursache, der Wirklichkeit voran, in der rei¬ nen Zeit ist die erste auch die andere. Als Identitaͤt des Allgemeinen und Besondern ist die Zeit so wenig ein abstracter Begriff als ein concretes Ding, und es gilt von ihr in dieser Beziehung alles, was von dem Raume gilt. Diese Beweise sind hinreichend, einzuse¬ hen, sowohl daß in der reinen Anschauung des Raums und der Zeit eine wahrhaft objective Anschauung der Identitaͤt von Moͤglichkeit und Wirklichkeit als solcher gegeben ist, als auch: daß beyde bloß relative Absolute sind, da weder Raum noch Zeit die Idee aller Ideen an sich, sondern nur in getrenntem Reflex darstellen; daß aus demselben Grunde weder jener noch diese Bestimmungen des An-sich sind, und daß, wenn die in beyden ausgedruͤckte Einheit Grund einer Erkenntniß oder Wissenschaft ist, diese selbst bloß zur reflectirten Welt gehoͤren, aber nichts desto weniger der Form nach absolut seyn muͤsse. Wenn nun, was ich hier nicht beweisen, sondern nur als bewiesen in der Philosophie voraussetzen kann, Mathematik, als Analysis und Geometrie, ganz in jenen beyden An¬ schauungsarten gegruͤndet ist, so folgt, daß in jeder dieser Wissenschaften eine Erkenntnißart herrschend seyn muͤsse, die der Form nach abso¬ lut ist. Die Realitaͤt uͤberhaupt und die der Er¬ kenntniß insbesondere beruht weder allein auf dem Allgemeinbegriff, noch allein auf der Be¬ sonderheit; die mathematische Erkenntniß ist aber weder die eines bloßen Abstractum, noch die eines Concretum, sondern der in der A n ¬ schauung dargestellten Idee. Die Darstellung des Allgemeinen und Besondern in der Einheit, heißt uͤberhaupt Construction, die von der De¬ monstration wahrhaft nicht unterschieden ist. Die Einheit selbst druͤckt sich auf doppelte Weise aus. Erstens darinn, daß — um uns an das Beyspiel der Geometrie zu halten — allen Constructionen derselben, die sich unter sich wie¬ der unterscheiden, als Triangel, Quadrat, Cir¬ kel u. s. w. dieselbe absolute Form zu Grunde liegt, und zum wissenschaftlichen Begreifen dersel¬ ben in ihrer Besonderheit nichts außer der Einen allgemeinen und absoluten Einheit erfodert wird. Zweytens darinn, daß das Allgemeine jeder be¬ sondern Einheit, z. B. das allgemeine Dreyeck mit dem besonderen wieder Eins ist, und hin¬ wiederum das besondere Dreyeck statt aller gilt und Einheit und Allheit zugleich ist. Dieselbe Einheit druͤckt sich als die der Form und Wesen aus, da die Construction, welche als Erkennt¬ niß bloß Form scheinen wuͤrde, zugleich das Wesen des Construirten selbst ist. Es ist leicht, die Anwendung von dem Al¬ len auf die Analysis zu machen. Die Stelle der Mathematik im allgemei¬ nen System des Wissens ist zur Genuͤge be¬ stimmt, ihre Beziehung auf das academische Studium ergiebt sich daraus von selbst. Eine Erkenntnißart, welche das Wissen uͤber das Gesetz der Causalverbindung, das im gemeinen Wissen, wie in einem großen Theil der soge¬ nannten Wissenschaften herrschend ist, in das Gebiet einer reinen Vernunftidentitaͤt er¬ hebt, bedarf keines aͤußern Zwecks. So sehr man auch uͤbrigens die großen Wirkungen der Mathematik in ihrer Anwendung auf die allge¬ meinen Bewegungsgesetze, in der Astronomie und Physik uͤberhaupt, anerkennte, so waͤre derje¬ nige doch nicht zur Erkenntniß der Absolutheit dieser Wissenschaft gelangt, der sie nur um die¬ ser Folgen willen hochschaͤtzte, und dieß uͤber¬ haupt sowohl, als insbesondere weil diese zum Theil nur einem Misbrauch der reinen Ver¬ nunftevidenz ihren Ursprung verdanken. Die neuere Astronomie geht als Theorie auf nichts anders, als Umwandlung absoluter, aus der Idee fließender, Gesetze in empirische Noth¬ wendigkeiten aus und hat diesen Zweck zu ihrer vollkommenen Befriedigung erreicht; uͤbrigens kann es durchaus nicht Sache der Mathematik, in diesem Sinn und wie sie jetzt begriffen wird, seyn, uͤber das Wesen oder An-sich der Na¬ tur und ihrer Gegenstaͤnde das Geringste zu verstehen. Dazu waͤre noͤthig, daß sie selbst vorerst in ihren Ursprung zuruͤckginge und den in ihr ausgedruͤckten Typus der Ver¬ nunft allgemeiner begriffe. In wie fern die Mathematik eben so im Abstracten, wie die Natur im Concreten, der vollkommenste objec¬ tivste Ausdruck der Vernunft selbst ist, in so fern muͤssen alle Naturgesetze, wie sie in reine Vernunftgesetze sich aufloͤsen, ihre entsprechen¬ den Formen auch in der Mathematik finden: aber nicht so, wie man dieß bisher angenom¬ men hat, daß diese fuͤr jene nur bestimmend, und die Natur uͤbrigens in dieser Identitaͤt sich nur mechanisch verhalte, sondern so, daß Ma¬ thematik und Naturwissenschaft nur Eine und dieselbe von verschiedenen Seiten angesehene Wissenschaft seyn. Die Formen der Mathematik, wie sie jetzt verstanden werden, sind Symbole, fuͤr welche denen, die sie besitzen, der Schluͤssel verloren gegangen ist, den, nach sichern Spu¬ ren und Nachrichten der Alten, noch Euklides besaß. Der Weg zur Wiedererfindung kann nur der seyn, sie durchaus als Formen reiner Vernunft und Ausdruͤcke von Ideen zu begrei¬ fen, die sich in der objectiven Gestalt in ein anderes verwandelt zeigen. Je weniger der ge¬ genwaͤrtige Unterricht der Mathematik geeignet seyn moͤchte, zu dem urspruͤnglichen Sinn die¬ ser Formen zuruͤckzufuͤhren, desto mehr wird die Philosophie auf dem nun betretenen Wege auch die Mittel der Entraͤthselung und der Wiederherstellung jener uralten Wissenschaft an die Hand geben. Der Lehrling achte fuͤrnehmlich ja einzig auf diese Moͤglichkeit, so wie auf den bedeuten¬ den Gegensatz der Geometrie und Analysis, der dem des Realismus und Idealismus in der Philosophie auffallend entspricht. Wir haben an der Mathematik den bloß formellen Charakter der absoluten Erkenntnißart, den sie so lange behalten wird, als sie nicht voll¬ kommen symbolisch begriffen ist, aufgezeigt. Die Mathematik gehoͤrt in so fern noch zur bloß abgebildeten Welt, als sie das Urwissen, die absolute Identitaͤt nur im Reflex und, wel¬ ches davon eine nothwendige Folge ist, in ge¬ trennter Erscheinung zeigt. Die schlechthin und in jeder Beziehung absolute Erkenntnißart wuͤrde demnach diejenige seyn, welche das Ur¬ wissen unmittelbar und an sich selbst zum Grund und Gegenstand haͤtte. Die Wissenschaft aber, die außer jenem kein anderes Urbild hat, ist nothwendig die Wissenschaft alles Wissens, dem¬ nach die Philosophie . Es kann nicht, weder uͤberhaupt noch ins¬ besondere, hier ein Beweis gefuͤhrt werden, wodurch jedermaͤnniglich gezwungen wuͤrde, zu gestehen, Philosophie sey eben Wissenschaft des Urwissens; es kann nur bewiesen werden, eine solche Wissenschaft sey uͤberhaupt nothwendig, und man kann sicher seyn, beweisen zu koͤnnen, daß jeder andere Begriff, den man etwa von Philosophie aufstellen moͤchte, kein Begriff, nicht etwa nur dieser, sondern uͤberhaupt einer moͤglichen Wissenschaft sey. Philosophie und Mathematik sind sich da¬ rinn gleich, daß beyde in der absoluten Iden¬ titaͤt des Allgemeinen und Besondern gegruͤn¬ det, beyde also auch, in wie fern jede Einheit dieser Art Anschauung ist, uͤberhaupt in der Anschauung sind; aber die Anschauung der er¬ sten kann nicht wieder wie die der letzten eine reflectirte seyn, sie ist eine unmittelbare Ver¬ nunft- oder intellectuelle Anschauung, die mit ih¬ rem Gegenstande, dem Urwissen selbst, schlechthin identisch ist. Darstellung in intellectueller An¬ schauung ist philosophische Construction, aber wie die allgemeine Einheit, die allen zu Grunde liegt, so koͤnnen auch die besondern, in deren jeder die gleiche Absolutheit des Urwissens auf¬ genommen wird, nur in der Vernunftanschau¬ ung enthalten seyn und sind in so fern Ideen. 7 Die Philosophie ist also die Wissenschaft der Ideen oder der ewigen Urbilder der Dinge. Ohne intellectuelle Anschauung keine Philo¬ sophie! Auch die reine Anschauung des Raums und der Zeit ist nicht im gemeinen Bewußt¬ seyn, als solchem; denn auch sie ist die, nur im Sinnlichen reflectirte, intellectuelle. Aber der Mathematiker hat das Mittel der aͤußern Dar¬ stellung voraus: in der Philosophie faͤllt auch die Anschauung ganz in die Vernunft zuruͤck. Wer sie nicht hat, versteht auch nicht, was von ihr gesagt wird; sie kann also uͤberhaupt nicht gegeben werden. Eine negative Bedin¬ gung ihres Besitzes ist die klare und innige Einsicht der Nichtigkeit aller bloß endlichen Erkenntniß. Man kann sie in sich bilden: in dem Philosophen muß sie gleichsam zum Karakter werden, zum unwandelbaren Organ, zur Fertigkeit, alles nur zu sehen, wie es in der Idee sich darstellt. Ich habe hier nicht von der Philosophie uͤberhaupt, ich habe mir so weit von ihr zu re¬ den, als sie sich auf die erste wissenschaftliche Bildung bezieht. Von dem Nutzen der Philosophie zu re¬ den, achte ich unter der Wuͤrde dieser Wissen¬ schaft. Wer nur uͤberhaupt darnach fragen kann, ist sicher noch nicht einmal faͤhig, ihre Idee zu haben. Sie ist durch sich selbst von der Nuͤtzlichkeitsbeziehung frey gesprochen. Sie ist nur um ihrer selbst willen; um eines An¬ dern willen zu seyn, wuͤrde unmittelbar ihr We¬ sen selbst aufheben. Von den Vorwuͤrfen, die ihr gemacht werden, halte ich nicht ganz unnoͤthig zu spre¬ chen: sie soll sich nicht durch Nuͤtzlichkeit em¬ pfehlen, aber auch nicht durch Vorspiegelungen schaͤdlicher Wirkungen, die man ihr zuschreibt, wenigstens in aͤußern Beziehungen eingeschraͤnkt werden. 7 * Fuͤnfte Vorlesung. Ueber die gewoͤhnlichen Einwen¬ dungen gegen das Studium der Philosophie. W enn ich den sehr gemein gewordenen Vorwurf, daß die Philosophie der Religion und dem Staate gefaͤhrlich sey, nicht mit Stillschweigen uͤbergehe, so ist es, weil ich glaube, daß die meisten, die sich hierauf entgeg¬ nend haben vernehmen lassen, nicht im Stande gewesen sind, das gehoͤrige zu sagen. Die naͤchste Antwort waͤre wohl die: was mag das fuͤr ein Staat und was mag das fuͤr eine Religion seyn, denen die Philosophie ge¬ faͤhrlich seyn kann? Waͤre dies wirklich der Fall, so muͤßte die Schuld an der vorgeblichen Religion und dem angeblichen Staat liegen. Die Philosophie folgt nur ihren innern Gruͤn¬ den und kann sich wenig bekuͤmmern, ob alles, was von Menschen gemacht ist, damit uͤberein¬ stimme. Von der Religion rede ich hier nicht; ich behalte mir vor, in der Folge die innigste Einheit beyder, und wie die eine die andere er¬ zeugt, darzuthun. Was den Staat betrifft, so will ich die Frage allgemein stellen: Wovon kann man in der wissenschaftlichen Beziehung mit Recht sa¬ gen oder fuͤrchten, daß es dem Staat gefaͤhrlich sey? Es wird sich alsdann ohne Zweifel von selbst ergeben, ob die Philosophie etwas der Art sey oder ob etwas der Art aus ihr hervor¬ gehen koͤnne? Eine Richtung in der Wissenschaft halte ich in Beziehung auf den Staat fuͤr verderblich und die andere fuͤr untergrabend. Die erste ist, wenn das gemeine Wissen sich zum absoluten oder zur Beurtheilung dessel¬ ben aufrichten will. Der Staat beguͤnstige nur erst, daß der gemeine Verstand Schiedsrichter uͤber Ideen sey, so wird dieser sich bald auch uͤber den Staat erheben, dessen auf Vernunft und in Ideen gegruͤndete Verfassung er so wenig wie diese begreift. Mit denselben populaͤren Gruͤnden, mit welchen er gegen die Philosophie zu streiten meynt, kann er und noch viel ein¬ leuchtender die ersten Formen des Staates an¬ greifen. Ich muß erklaͤren, was ich unter ge¬ meinem Verstand begreife. Keineswegs allein oder vorzuͤglich den rohen, schlechthin ungebil¬ deten Verstand, sondern gleicherweise den durch falsche und oberflaͤchliche Kultur zum hohlen und leeren Raͤsonniren gebildeten Verstand, der sich fuͤr absolut gebildet haͤlt, und der in der neueren Zeit sich durch Herabwuͤrdigung alles dessen, was auf Ideen beruht, vorzuͤglich ge¬ aͤußert hat. Dieser Ideenleerheit, die sich Aufklaͤrung zu nennen untersteht, ist die Philosophie am meisten entgegengesetzt. Man wird zugeben muͤssen, daß es keine Nation in dieser Erhe¬ bung eines raͤsonnirenden Verstandes uͤber die Vernunft weiter gebracht hat, als die franzoͤsi¬ sche. Es ist demnach die groͤßte auch histori¬ sche Ungereimtheit, zu sagen: Philosophie sey fuͤr Erhaltung der Rechtsgrundsaͤtze gefaͤhrlich, (denn ich will mich so ausdruͤcken, da es aller¬ dings Verfassungen oder Zustaͤnde derselben ge¬ ben koͤnnte, denen die Philosophie zwar nicht gefaͤhrlich, aber eben auch nicht guͤnstig seyn kann). Gerade diejenige Nation, die, einige wenige Individuen fruͤherer Zeiten ausgenom¬ men, (denen man aber gewiß keinen Einfluß auf die politischen Begebenheiten der spaͤteren zuschreiben wird), in keiner Epoche, am wenig¬ sten in derjenigen, welche der Revolution voran¬ ging, Philosophen hatte, war es, die das Beyspiel einer durch rohe Graͤuel bezeichneten Umwaͤl¬ zung mit derselben Frevelhaftigkeit gab, mit welcher sie nachher zu neuen Formen der Sklaverey zuruͤckgekehrt ist. Ich laͤugne nicht, daß Raͤsonneurs in allen Wissenschaften und nach allen Richtungen in Frankreich den Na¬ men der Philosophen usurpirt haben; es moͤchte aber wohl keiner von denjenigen seyn, denen unter uns dieser Karakter unbestreitbar zukommt, der einem einzigen von jenen ihn zu¬ gestuͤnde. Es ist nicht zu verwundern und waͤre an sich, wenn man nicht auf andere Weise uͤber den Werth und die Bedeutung davon aufgeklaͤrt wuͤrde, sogar preiswuͤrdig, daß eine kraftvolle Re¬ gierung unter diesem Volk jene leeren Abstractio¬ nen proscribirt, in welchen allerdings großentheils oder allein bestand, was die Franzosen von wissen¬ schaftlichen Begriffen hatten. Mit hohlen Ver¬ standesbegriffen laͤßt sich freylich so wenig ein Staat als eine Philosophie bauen, und eine Nation, die den Zugang zu den Ideen nicht hat, thut Recht, wenigstens Reste von solchen aus Truͤmmern vorhanden gewesener Formen hervorzusuchen. Die Erhebung des gemeinen Verstandes zum Schiedsrichter in Sachen der Vernunft, fuͤhrt ganz nothwendig die Ochlokratie im Reiche der Wissenschaften und mit dieser fruͤher oder spaͤ¬ ter die allgemeine Erhebung des Poͤbels herbey. Fade oder heuchlerische Schwaͤtzer, die da mey¬ nen, ein gewisses suͤßlichtes Gemenge sogenann¬ ter sittlicher Grundsaͤtze an die Stelle der Ideen¬ herrschaft zu setzen, verrathen nur, wie wenig sie selbst von Sittlichkeit wissen. Es giebt keine ohne Ideen, und alles sittliche Handeln ist es nur als Ausdruck von Ideen. Die andere Richtung, in welche sich die erste verliert und welche die Aufloͤsung alles des¬ sen, was auf Ideen gegruͤndet ist, herbeyfuͤh¬ ren muß, ist die auf das bloß Nuͤtzliche. Wenn Einmal dieses der hoͤchste Maaßstab fuͤr alles ist, so gilt er auch fuͤr die Staatsverfassung. Nun giebt es aber wohl uͤberhaupt keine wan¬ delbarere Sicherheit, als jene; denn von dem, was heute nuͤtzlich ist, ist es morgen das Ge¬ gentheil. Aber noch uͤberdieß muß dieser, es sey durch welche Wirkung, sich verbreitende Trieb alles Große und jede Energie unter einer Na¬ tion ersticken. Nach dem Maaßstabe desselben waͤre die Erfindung des Spinnrads wichtiger, als die eines Weltsystems, und die Einfuͤhrung der Spanischen Schafzucht in einem Lande fuͤr ein groͤßeres Werk zu achten, als die Umgestal¬ tung einer Welt durch die fast goͤttlichen Kraͤfte eines Eroberers. Wenn Philosophie eine Na¬ tion groß machen koͤnnte, so waͤre es eine sol¬ che, die ganz in Ideen ist, die nicht uͤber den Genuß gruͤbelte oder die Liebe zum Leben als erste Triebfeder obenansetzte, sondern die Ver¬ achtung des Todes lehrte und nicht die Tugen¬ den großer Karaktere psychologisch zergliederte. In Deutschland koͤnnte, da kein aͤußeres Band es vermag, nur ein inneres, eine herrschende Religion oder Philosophie, den alten National¬ karakter hervorrufen, der in der Einzelnheit zerfallen ist und immer mehr zerfaͤllt. Es ist gewiß, daß ein kleines, friedliches, zu keinen großen Bestimmungen berufenes Voͤlklein auch keiner großen Motive bedarf; fuͤr dieses scheint es hinreichend, daß es leidlich zu essen und zu trinken habe und der Industrie sich ergebe. Selbst in groͤßeren Staaten zwingt die Un¬ verhaͤltnißmaͤßigkeit der Mittel, die ein ar¬ mer Boden darreicht, zu den Zwecken, die Regierungen selbst, sich mit diesem Nuͤtzlich¬ keitsgeist zu befreunden und alle Kuͤnste und Wissenschaften einzig auf das Streben darnach anzuweisen. Es leidet keinen Zweifel, daß solchen Staaten die Philosophie nichts nuͤtzen kann, und wenn die Fuͤrsten anfangen, immer mehr populaͤr zu werden, die Koͤnige selbst sich schaͤmen, Koͤnige zu seyn und nur die er¬ sten Buͤrger seyn wollen, auch die Philoso¬ phie nur anfangen kann, sich in eine buͤr¬ gerliche Moral umzuwandeln und von ihren hohen Regionen in das gemeine Leben herab¬ zusteigen. Die Staatsverfassung ist ein Bild der Verfassung des Ideenreichs. In diesem ist das Absolute als die Macht, von der alles ausfließt, der Monarch, die Ideen sind — nicht der Adel oder das Volk, weil das Be¬ griffe sind, die nur im Gegensatz gegen ein¬ ander Realitaͤt haben, sondern — die Freyen: die einzelnen wirklichen Dinge sind die Sclaven und Leibeigenen. Eine gleiche Stufenfolge ist unter den Wissenschaften. Die Philoso¬ phie lebt nur in Ideen, die Beschaͤftigung mit den einzelnen wirklichen Dingen uͤberlaͤßt sie den Physicis, Astronomis u. s. w. — Al¬ lein dieß sind ja selbst nur uͤberspannte Ideen und wer glaubt in dieser Humanitaͤt und Auf¬ geklaͤrtheit der Zeiten noch an so hohe Bezie¬ hungen des Staats? Wenn dem einbrechenden Strom, der im¬ mer sichtbarer Hohes und Niederes vermischt, seit auch der Poͤbel zu schreiben anhebt und jeder Plebejer in den Rang der Urtheiler sich erhebt, irgend etwas Einhalt zu thun vermag, so ist es die Philosophie, deren natuͤrlicher Wahlspruch das Wort ist: Odi profanum volgus et arceo . Nachdem man angefangen hatte, die Philosophie, nicht ohne Wirkung, als gefaͤhr¬ lich fuͤr Staat und Kirche zu verschreyen, ha¬ ben endlich auch die Inhaber verschiedentlicher Wissenschaften ihre Stimme gegen sie erhoben, als ob sie, auch in dieser Beziehung, verderb¬ lich waͤre, dadurch, daß sie von den gruͤndli¬ chen Wissenschaften abziehe, sie als entbehr¬ lich darstelle u. s. w. Es waͤre freylich vortrefflich, wenn auch die Gelehrten gewisser Faͤcher in den Rang der privilegirten Classen treten koͤnnten und von Staats wegen festgesetzt wuͤrde, es soll in keinem Zweig des Wissens ein Fortschritt, oder gar eine Umwandelung Statt finden. So weit ist es bis jetzt, wenigstens allgemein, noch nicht gekommen, wird auch wohl nie da¬ hin kommen. Es ist keine Wissenschaft, die an sich in Entgegensetzung mit der Philoso¬ phie waͤre, vielmehr sind alle eben durch sie und in ihr Eins. Es ist also immer nur die Wissenschaft, wie sie in irgend eines Men¬ schen Kopf existiert; und ist diese mit der Wissenschaft aller Wissenschaften im Wider¬ streit, desto schlimmer fuͤr sie! Warum ist denn die Geometrie seit langen Zeiten im un¬ gestoͤrten Besitz ihrer Lehrsaͤtze und im ruhigen Fortschreiten? Ich weiß, daß nichts so sehr, wie das gruͤndliche Studium der Philosophie, geschickt ist, Achtung fuͤr die Wissenschaft einzufloͤßen, obgleich diese Achtung fuͤr die Wissenschaft nicht immer eben eine Achtung fuͤr die Wis¬ senschaften seyn mag, wie sie jetzt sind; und wenn denn nun auch diejenigen, welche in der Philosophie eine Idee der Wahrheit er¬ langt haben, von dem grund- und bo¬ denlosen und unzusammenhaͤngenden Wesen, das ihnen in andern Faͤchern unter jenem Na¬ men angeboten wird, sich hinweg wenden und das Tiefere, das Begruͤndetere, Zusammen¬ haͤngendere suchen, so ist ja dies reiner Ge¬ winn fuͤr die Wissenschaft selbst. Daß diejenigen, die noch frisch, ohne vorgefaßte Meynungen, mit dem ersten noch unverfaͤlschten Sinn fuͤr Wahrheit zu den Wis¬ senschaften kommen, vor jeder Luft eines Zwei¬ fels an dem, was bisher gegolten oder selbst der Gewißheit der Unguͤltigkeit sorgfaͤltig be¬ wahrt und wie geistige Mumien einbalsamirt werden sollen, dafuͤr habe ich wenigstens kei¬ nen Sinn. Um nur in die andern Wissenschaften ein¬ dringen zu koͤnnen, muͤssen sie die Idee der Wahrheit aus der Philosophie empfangen ha¬ ben, und gewiß wird jeder mit desto groͤßerem Interesse zu einer Wissenschaft kommen, je mehr Ideen er zu ihr bringt; wie ich selbst waͤhrend der Zeit, daß ich hier gelehrt habe, einen allgemeineren Eifer fuͤr alle Theile der Naturwissenschaft, durch die Wirkung der Phi¬ losophie habe aufleben sehen. Die von dem Schaden, welchen Philosophie bey der Ju¬ gend stiftet, so viel zu sagen wissen, befinden sich in einem von beyden folgenden Faͤllen. Entweder haben sie sich wirklich die Wissen¬ 8 schaft dieser Philosophie verschafft oder nicht. In der Regel ist das letzte der Fall: wie koͤn¬ nen sie also urtheilen? Oder das erste: so verdanken sie selbst dem Studium der Philo¬ sophie den Nutzen, einzusehen, daß sie keinen Nutzen habe; wie man von Sokrates zu sa¬ gen pflegt, er habe seinem Wissen wenigstens so viel verdankt, zu wissen, daß er nichts wisse; diesen Nutzen sollten sie doch auch an¬ dern zu Theil werden lassen, und nicht ver¬ langen, daß man ihnen aufs Wort glaube, da die eigene Erfahrung doch ohnehin einen staͤrkeren Eindruck machen wird, als ihre Ver¬ sicherung: davon nichts zu sagen, daß, ohne jene Kenntniß, fuͤr die Jugend auch ihre scharfsinnige Polemik gegen diese Philosophie unverstaͤndlich, und ihre Anspielungen dagegen, so grob sie uͤbrigens seyn moͤgen, verloren waren. Der gewoͤhnliche Trost, den sie bey der Fruchtlosigkeit ihrer Warnungen und Vermah¬ nungen sich selbst und unter einander geben, ist dann der: daß es mit der Philosophie doch keinen langen Bestand haben werde, daß sie nur die Sache einer Mode sey, die aber, wie noch immer geschehen, zu ihrer Zeit auch vorbeygehen werde, daß ja ohnehin alle Au¬ genblicke neue Philosophieen entstehen und was dergleichen mehr ist. Was das Erste betrifft, so befinden sie sich ganz in dem Fall des Bauren, der an einen tiefen Strom kommend, ihn nur vom Regen geschwellt meynt und wartet, bis er ablaufen wird, Rusticus expectat, dum defluat amnis; at ille Labitur et labetur in omne volubilis aeuum. Was das Letzte betrifft, den schnellen Wechsel der Philosophieen, so sind sie wirklich nicht im Stande zu beurtheilen, ob das, was sie so nennen, wirklich verschiedene Philo¬ sophieen sind. Die scheinbaren Veraͤnde¬ rungen der Philosophie existiren nur fuͤr die Unwissenden. Sie gehen entweder jene uͤber¬ haupt nicht an, indem es allerdings und 8* eben auch jetzt Bestrebungen genug giebt, die sich fuͤr philosophische ausgeben, in denen aber keine Spur davon anzutreffen ist; allein eben um das, was sich Philosophie nennt, ohne es zu seyn, von der Philosophie abzuscheiden, muß ja untersucht, und weil die, die jetzt jung sind, kuͤnftig doch auch untersuchen sol¬ len, Philosophie studiert werden. Oder sie sind Verwandlungen, die einen wirklichen Be¬ zug auf Philosophie haben, so sind es Me¬ tamorphosen ihrer Form. Ihr Wesen ist un¬ wandelbar dasselbe, seit dem ersten, der es ausgesprochen hat: aber sie ist eine leben¬ dige Wissenschaft, und es giebt einen philo¬ sophischen Kunsttrieb, wie es einen poetischen giebt. Wenn noch Umgestaltungen in der Phi¬ losophie statt finden, so ist dieß Beweis, daß sie ihre letzte Form und absolute Gestalt noch nicht gewonnen hat. Es giebt untergeordne¬ tere und hoͤhere, es giebt einseitigere und umfassendere Formen: jede sogenannte neue Philosophie muß aber einen neuen Schritt in der Form gethan haben. Daß die Erschei¬ nungen sich draͤngen, ist begreiflich, weil die vorhergehende unmittelbarer den Sinn schaͤrft, den Trieb entzuͤndet. Selbst aber auch, wenn die Philosophie in der absoluten Form wird dargestellt seyn — und war sie es denn noch nicht, so weit dieß uͤberhaupt moͤglich ist? — wird es niemand verwehrt seyn, sie wieder in besondere Formen zu fassen. Die Philo¬ sophen haben das ganz eigenthuͤmlich voraus, daß sie in ihrer Wissenschaft eben so einig, als die Mathematiker sind, (alle waren es, die uͤberhaupt dafuͤr gelten konnten), und daß doch jeder gleich original seyn kann, was jene nicht koͤnnen. Die andern Wissenschaften koͤnnten sich Gluͤck wuͤnschen, wenn erst bey ihnen jener Wechsel der Formen ernstlicher eintraͤte. Um die absolute Form zu gewin¬ nen, muß sich der Geist in allen versuchen, dieß ist das allgemeine Gesetz jeder freyen Bildung. Mit der Nachrede, daß die Philosophie eine bloße Sache der Mode sey, kann es auch nicht so ernstlich gemeynt seyn. Die sie vorbringen, wuͤrden gerade darum sich nur um so leichter damit vertragen. Wenn sie nicht ganz nach der Mode seyn wollen, so wollen sie doch auch nicht ganz altmodisch seyn, und wenn sie nur hie und da etwas, und waͤr' es bloß ein Wort, von der neueren oder neuesten Philosophie er¬ haschen koͤnnen, verschmaͤhen sie es ja doch nicht, sich damit auszuschmuͤcken. Waͤr' es wirklich nur eine Sache der Mode, wie sie vorgeben, und demnach eben so leicht, als es ist, einen Kleiderschnitt oder Hut mit dem andern zu verwechseln, auch ein System der Medicin, der Theologie u. s. w. nach den neuesten Grundsaͤtzen aufzustellen, so wuͤrden sie gewiß nicht saͤumen es zu thun. Es muß also doch mit der Philosophie seine ganz eigen¬ thuͤmlichen Schwierigkeiten haben. Sechste Vorlesung. Ueber das Studium der Phi¬ losophie insbesondre. W enn das Wissen uͤberhaupt an sich selbst Zweck ist, so muß dieß noch vielmehr und im vorzuͤglichsten Sinne von demjenigen Wis¬ sen gelten, in welchem alles andere Eins und welches die Seele und das Leben von ihm ist. Kann Philosophie erlernt, kann sie uͤber¬ haupt durch Uebung, durch Fleiß erworben werden: oder ist sie ein angebohrnes Vermoͤ¬ gen, ein freyes Geschenk und durch Schi¬ ckung verliehen? Daß sie als solche nicht gelernt werden koͤnne, ist in dem Vorherge¬ henden schon enthalten. Nur die Kenntniß von ihren besondern Formen laͤßt sich auf die¬ sem Wege erlangen. Jene soll aber, bey dem Studium der Philosophie, außer der Aus¬ bildung des nicht zu erwerbenden Vermoͤgens, das Absolute zu fassen, mit beabsichtigt wer¬ den. Wenn gesagt wird, daß Philosophie nicht gelernt werden koͤnne, so ist die Mey¬ nung nicht, daß deswegen nun jeder sie ohne Uebung besitze, und daß man etwa eben so von Natur philosophiren koͤnne, als man sich von Natur besinnen oder Gedanken verbin¬ den kann. Die Meisten derjenigen, wel¬ che gegenwaͤrtig in der Philosophie urtheilen oder gar sich einfallen lassen, eigne Systeme auf die Bahn zu bringen, koͤnnten sich von diesem Duͤnkel schon durch die Kenntniß des zu¬ vor Gewesenen sattsam heilen. Es wuͤrde dann seltner geschehen, was so sehr gewoͤhnlich ist: daß man zu Irrthuͤmern, die man schon ab¬ gelegt hat, durch seichtere Gruͤnde, als welche man selbst dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt werden soll; seltner, daß jemand sich uͤberre¬ dete, mit ein Paar Wortformeln den Geist der Philosophie zu beschwoͤren und die großen Gegenstaͤnde derselben zu fassen. Das, was von der Philosophie, nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬ terricht geuͤbt werden kann, ist die Kunstseite dieser Wissenschaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektische Kunst ist keine wissenschaftliche Philosophie! Schon ihre Absicht, Alles als Eins darzustellen und in Formen, die urspruͤnglich dem Reflex angehoͤ¬ ren, dennoch das Urwissen auszudruͤcken, ist Be¬ weis davon. Es ist dieses Verhaͤltniß der Speculation zur Reflexion, worauf alle Dia¬ lektik beruht. Aber eben dieses Princip der Antinomie des Absoluten und der bloß endlichen Formen, so wie daß in der Philosophie Kunst und Pro¬ duction so wenig, als Form und Stoff in der Poesie getrennt seyn koͤnnen, beweist, daß auch die Dialektik eine Seite hat, von welcher sie nicht gelernt werden kann, und daß sie nicht minder, wie das, was man, der urspruͤnglichen Bedeutung des Worts gemaͤß die Poesie in der Philosophie nennen koͤnnte, auf dem productiven Vermoͤgen beruht. Von dem innern Wesen des Absoluten, welches die ewige In-Eins-Bildung des Allgemeinen und Besondern selbst ist, ist in der erscheinenden Welt ein Ausfluß in der Vernunft und der Einbildungskraft, welche beyde Ein und dasselbige sind, nur jene im Idealen, diese im Realen. Moͤgen diejeni¬ gen, denen nichts als ein duͤrrer und un¬ fruchtbarer Verstand zu Theil geworden ist, sich durch ihre Verwunderung schadlos halten, daß man zur Philosophie Einbildungskraft fo¬ dere. Statt desjenigen, was allein so genannt werden kann, ist Ihnen nur die lebhafte Ideen¬ association, die das Denken erschwert oder die falsche Imagination als eine regellose Repro¬ duction sinnlicher Bilder bekannt. Jedes wah¬ re durch Einbildungskraft geschaffene Kunstwerk ist die Aufloͤsung des gleichen Widerspruchs mit dem, der in den Ideen, vereinigt, dargestellt ist. Der bloß reflectirende Verstand begreift nur einfache Reihen und die Idee, als Syn¬ thesis von Entgegengesetzten, als Widerspruch. Das productive Vermoͤgen laͤßt sich, wo es ist, bilden, erhoͤhen und in's Unendliche durch sich selbst potenziiren: es laͤßt sich im Gegentheil auch im Keim ersticken oder wenig¬ stens in der Entwickelung hemmen. Wenn es daher eine Anweisung uͤber das Studium der Philosophie geben kann, so muß diese mehr ne¬ gativer Art seyn. Man kann den Sinn fuͤr Ideen nicht schaffen, wo er nicht ist; man kann aber verhindern, daß er nicht erdruͤckt oder falsch geleitet werde. Der Trieb und die Begierde, das Wesen der Dinge zu erforschen, ist den Menschen all¬ gemein so tief eingepflanzt, daß sie auch das Halbe, das Falsche mit Eifer ergreifen, wenn es nur den Schein und einige Hoffnung giebt, daß es sie zu dieser Erkenntniß fuͤhre. An¬ ders begreift man nicht, wie bey einem, im Ganzen recht ernstlichen Ernst, die oberflaͤch¬ lichsten Versuche in der Philosophie Theil¬ nahme erregen konnten, wenn sie nur in ir¬ gend einer Richtung Gewißheit versprachen. Der Verstand, den die Unphilosophie den gesunden nennt, da er nur der gemeine ist, verlangt gleichsam die baare und klin¬ gende Muͤnze der Wahrheit, und sucht sie sich ohne Ruͤcksicht auf das Unzureichende sei¬ ner Mittel zu verschaffen. In die Philoso¬ phie uͤbergreifend erzeugt er die Ungeheuer ei¬ ner rohen dogmatischen Philosophie, die mit dem Bedingten das Unbedingte zu ermessen, das Endliche zum Unendlichen auszudehnen sucht. Die Art zu schließen, welche in dem Gebiet des Abhaͤngigen von dem einen zum an¬ dern reicht, soll ihm hier uͤber die Kluft vom Abgeleiteten zum Absoluten helfen. — In der Regel versteigt er sich nicht einmal so weit, sondern bleibt unmittelbar bey dem, was er seine Thatsachen nennt, stehen. Die bescheidenste Philosophie in dieser Richtung ist die, welche allgemein zwar die Erfahrung als die einzige oder Hauptquelle realer Er¬ kenntniß ausgiebt: uͤbrigens aber von den Ideen zulaͤßt, daß sie vielleicht Realitaͤt ha¬ ben, die ihnen nur fuͤr unser Wissen gaͤnzlich fehle. Man kann wohl sagen, daß eine sol¬ che Philosophie studieren schlimmer ist, als uͤberhaupt keine kennen. Eben uͤber die That¬ sachen des Bewußtseyns zu Etwas, was an sich selbst absolut waͤre, hinaus zu kommen, ist die urspruͤngliche Absicht aller Philosophie: diese Thatsachen-Erzaͤhlung dafuͤr auszuge¬ ben, wuͤrde denen, die es pflegen, nicht ein¬ mal eingekommen seyn, waͤre nicht wahre Philosophie vorausgegangen. Der bloße Zweifel an der gemeinen und endlichen Ansicht der Dinge ist eben so wenig Philosophie; es muß zum kategorischen Wis¬ sen der Nichtigkeit desselben kommen und die¬ ses negative Wissen muß der positiven Anschau¬ ung der Absolutheit gleich werden, wenn es sich auch nur zum aͤchten Skepticismus erheben soll. Ganz zu den empirischen Versuchen in der Philosophie gehoͤrt auch, was man ins¬ gemein Logik nennt. Wenn diese eine Wis¬ senschaft der Form, gleichsam die reine Kunst¬ lehre der Philosophie seyn sollte, so muͤßte sie das seyn, was wir oben unter dem Na¬ men der Dialektik charakterisirt haben. Eine solche existirt noch nicht. Sollte sie eine reine Darstellung der Formen der Endlichkeit in ih¬ rer Beziehung aufs Absolute seyn, so muͤßte sie wissenschaftlicher Skepticismus seyn: da¬ fuͤr kann auch Kants transscendentale Logik nicht gehalten werden. Versteht man aber un¬ ter Logik eine rein formale, sich den Inhalt oder die Materie des Wissens entgegensetzende, Wissenschaft, so waͤre diese an sich eine der Philosophie direct entgegengesetzte Scienz, da diese eben auf die absolute Einheit der Form und des Wesens geht, oder; in wie fern sie den Stoff, in empirischer Bedeutung, als das Concrete, von sich absondert; eben die absolute Realitaͤt, die zugleich absolute Idea¬ litaͤt ist, darstellt. Sie ist demnach eine ganz empirische Doctrin, welche die Gesetze des ge¬ meinen Verstandes als absolute aufstellt, z. B. daß von zwey contradictorisch entgegen¬ gesetzten Begriffen jedem Wesen nur Einer zu¬ komme, was in der Sphaͤre der Endlichkeit seine vollkommne Richtigkeit hat, nicht aber in der Spekulation, die nur in der Gleich¬ setzung Entgegengesetzter ihren Anfang hat. Auf gleiche Weise stellt sie Gesetze des Ver¬ standesgebrauchs in seinen verschiedenen Func¬ tionen als Urtheilen, Eintheilen, Schließen auf. Aber wie? Ganz empirisch, ohne ihre Nothwendigkeit zu beweisen, wegen der sie an die Erfahrung verweist, z. B. daß mit vier Begriffen zu schließen, oder in einer Ein¬ theilung Glieder sich entgegenzusetzen, die in andrer Beziehung nicht wieder etwas Gemein¬ schaftliches haben, eine Ungereimtheit er¬ zeuge. Gesetzt aber, die Logik ließe sich darauf ein, diese Gesetze aus spekulativen Gruͤnden als nothwendige fuͤr dies reflectirte Erkennen zu beweisen, so waͤre sie alsdann keine abso¬ lute Wissenschaft mehr, sondern eine besondere Potenz in dem allgemeinen System der Ver¬ nunftwissenschaft. Auf die vorausgesetzte Ab¬ solutheit der Logik gruͤndet sich ganz die soge¬ nannte Kritik der reinen Vernunft, welche diese nur in der Unterordnung unter den Ver¬ stand kennt. In dieser wird die Vernunft als das Vermoͤgen zu schließen erklaͤrt, da sie vielmehr eine absolute Erkenntnißart ist, wie die durch Schluß eine durchaus bedingte. Waͤre keine andere Erkenntniß des Absoluten, als die durch Vernunftschluͤsse und keine an¬ dere Vernunft, als die in der Form des Ver¬ 9 standes, so muͤßten wir allerdings auf alle unmittelbare und kategorische Erkenntniß des Unbedingten und Uebersinnlichen, wie Kant lehrt, Verzicht thun. Solch ein großer Misgriff, als es Kant vorgestellt hat, ist es nach diesem nicht, daß man der natuͤrlichen Trockenheit der Logik durch anthropologische und psychologische Vor¬ kenntnisse aufzuhelfen gewußt hat, welches vielmehr ein recht gesundes Gefuͤhl von dem Werth der ersten voraussetzt, wie auch alle, welche die Philosophie in Logik setzen, gleich¬ sam eine angebohrne Hinneigung zur Psycho¬ logie haben. Was uͤbrigens von dieser sogenannten Wissenschaft an sich selbst zu halten sey, be¬ greift sich aus dem Vorhergehenden von selbst. Sie beruht auf der angenommenen Entgegen¬ setzung der Seele und des Leibes und man kann leicht urtheilen, was bey Nachforschun¬ gen uͤber etwas, das gar nicht existirt, naͤm¬ lich eine dem Leib entgegengesetzte Seele, her¬ auskommen kann. Alle wahre Wissenschaft des Menschen kann nur in der wesentlichen und absoluten Einheit der Seele und des Lei¬ bes, d. h. in der Idee des Menschen, also uͤberhaupt nicht in dem wirklichen und empi¬ rischen Menschen, der von dieser nur eine re¬ lative Erscheinung ist, gesucht werden. Eigentlich muͤßte von der Psychologie bey der Physik die Rede seyn, die nun ihrerseits mit dem gleichen Grunde das bloß Leibliche betrachtet, und die Materie und die Natur fuͤr todt annimmt. Die wahre Naturwissenschaft kann eben so wenig aus dieser Trennung, sondern ihrerseits ebenso nur aus der Identitaͤt der Seele und des Leibes aller Dinge hervorgehen: so daß zwischen Physik und Psychologie kein realer Ge¬ gensatz denkbar ist. Selbst aber wenn man diesen zugeben wollte, wuͤrde man doch von der Psycho¬ logie so wenig als etwa von der Physik in dersel¬ ben Entgegensetzung begreifen, wie sie an die Stelle der Philosophie gesetzt werden koͤnnte. Da die Psychologie die Seele nicht in der Idee, sondern der Erscheinungsweise nach und allein im Gegensatz gegen dasjenige 9 * kennt, womit sie in jener Eins ist, so hat sie die nothwendige Tendenz, alles im Menschen ei¬ nem Causalzusammenhang unterzuordnen, nichts zuzugeben, was unmittelbar aus dem Absolu¬ ten oder Wesen selbst kaͤme, und hiemit alles Hohe und Ungemeine herabzuwuͤrdigen. Die großen Thaten der vergangenen Zeit erscheinen, unter das psychologische Messer genommen, als das natuͤrliche Resultat einiger ganz begreifli¬ chen Motive. Die Ideen der Philosophie er¬ klaͤren sich aus mehreren sehr groben psychologi¬ schen Taͤuschungen. Die Werke der alten gro¬ ßen Meister der Kunst erscheinen als das na¬ tuͤrliche Spiel einiger besondern Gemuͤthskraͤfte, und wenn z. B. Shakespeare ein großer Dich¬ ter ist, so ist es wegen seiner vortrefflichen Kenntniß des menschlichen Herzens und seiner aͤußerst feinen Psychologie. Ein Hauptresultat dieser Lehre ist das allgemeine Applanirungssy¬ stem der Kraͤfte. Wozu soll es doch etwas wie Einbildungskraft, Genie u. s. w. geben? Im Grunde sind doch alle einander gleich, und was man mit jenen Worten bezeichnet, ist doch nur das Uebergewicht der einen Seelenkraft uͤber die andere und in so fern eine Krankheit, eine Abnormitaͤt, statt daß bey den vernuͤnftigen, ordentlichen, nuͤchternen Menschen alles in be¬ haglichem Gleichgewicht und darum in voll¬ kommner Gesundheit ist. Eine bloß empirische, auf Thatsachen be¬ ruhende, eben so wie eine bloß analytische und formale Philosophie, kann uͤberhaupt nicht zum Wissen bilden; eine einseitige Philosophie we¬ nigstens nicht zum absoluten Wissen, da sie viel¬ mehr fuͤr alle Gegenstaͤnde desselben nur einen eingeschraͤnkten Gesichtspunct bestimmt. Die Moͤglichkeit einer zwar spekulativen, aber uͤbrigens beschraͤnkten Philosophie ist da¬ durch gegeben, daß weil Alles in Allem wieder¬ kehrt und auf allen moͤglichen Stufen dieselbe Identitaͤt nur unter verschiedenen Gestalten sich wiederholt, diese an einem untergeordneten Punct der Reflexion aufgefaßt und in der be¬ sondern Form, in der sie auf diesem erscheint, zum Princip der absoluten Wissenschaft gemacht werden kann. Die Philosophie, die aus ei¬ nem solchen Princip hervorgeht, ist spekulativ, weil es nur der Abstraction von der Beschraͤnkt¬ heit der Auffassung und des Denkens der beson¬ dern Identitaͤt in der Absolutheit bedarf, um sich zu dem rein und schlechthin Allgemeinen zu erheben; sie ist einseitig, in wie fern sie dies nicht thut, und von dem Ganzen ein nach die¬ sem Gesichtspunct verzogenes und verschobenes Bild entwirft. Die neuere Welt ist allgemein die Welt der Gegensaͤtze, und wenn in der alten, aller ein¬ zelnen Regungen ungeachtet, doch im Ganzen das Unendliche mit dem Endlichen unter einer gemeinschaftlichen Huͤlle vereinigt liegt, so hat der Geist der spaͤteren Zeit zuerst diese Huͤlle gesprengt und jenes in absoluter Entgegense¬ tzung mit diesem erscheinen lassen. Von der unbestimmbar groͤßeren Bahn, welche dieser durch das Schicksal vorgezeichnet ist, uͤbersehen wir nur einen so kleinen Theil, daß uns der Gegensatz leicht als das Wesentliche und die Einheit, in die er sich aufzuloͤsen bestimmt ist, jederzeit nur als einzelne Erscheinung auffallen kann. Dennoch ist gewiß, daß diese hoͤhere Einheit, welche der gleichsam aus der unendli¬ chen Flucht zuruͤckgerufne Begriff mit dem End ichen darstellen wird, gegen die gewis¬ sermaßen bewußtlos und noch vor der Trennung vorhandene Identitaͤt der alten Welt sich im Ganzen wiederum eben so, wie das Kunstwerk zu dem organischen Werk der Natur verhalten wird. Hiermit sey es uͤbrigens, wie es wolle, so ist offenbar, daß in der neuern Welt Mittel¬ erscheinungen nothwendig sind, in denen der reine Gegensatz hervor tritt: es ist nothwendig sogar, daß dieser in der Wissenschaft wie in der Kunst unter den verschiedensten Formen im¬ mer wiederkehre, bevor er sich zur wahrhaft ab¬ soluten Identitaͤt verklaͤrt hat. Der Dualismus als eine nicht nur uͤber¬ haupt, sondern auch in seiner Wiederkehr noth¬ wendige Erscheinung der neueren Welt muß also das Uebergewicht durchaus auf seiner Seite haben, wie denn die in einzelnen Individuen durchgebrochene Identitaͤt fast fuͤr nichts gerech¬ net werden kann, da diese ja von ihrer Zeit ausgestoßen und verbannt, von der Nachwelt nur als merkwuͤrdige Beyspiele des Irrthums begriffen worden sind. Da in dem Verhaͤltniß, in welchem die großen Objectivitaͤten der Staatsverfassungen und selbst des allgemeinen religioͤsen Vereins verschwanden, sich das goͤttliche Princip von der Welt zuruͤckzog, so konnte in dem Aeußeren der Natur nichts als der reine entseelte Leib des Endlichen zuruͤckbleiben, das Licht hatte sich ganz nach innen gewandt und die Entgegense¬ tzung des Subjectiven und Objectiven mußte ih¬ ren hoͤchsten Gipfel erreichen. Wenn man von Spinoza absieht, so ist seit Cartesius, in wel¬ chem die Entzweyung sich wissenschaftlich be¬ stimmt ausgesprochen hatte, bis auf diese Zeit keine ihr entgegengesetzte Erscheinung, da auch Leibnitz seine Lehre in einer Form aus¬ sprach, die der Dualismus sich wieder aneig¬ nen konnte. Durch diese Zerreißung der Idee hatte auch das Unendliche seine Bedeutung ver¬ loren und diejenige, die es hatte, war eben so, wie jene Entgegensetzung, selbst eine bloß subje¬ ctive. Diese Subjectivitaͤt vollkommen bis zur gaͤnzlichen Verneinung der Realitaͤt des Absolu¬ ten geltend zu machen, war der erste Schritt, der zur Wiederherstellung der Philosophie ge¬ schehen konnte und durch die sogenannte kriti¬ sche Philosophie wirklich geschehen ist. Der Idealismus der Wissenschaftslehre hat nachher diese Richtung der Philosophie vollendet. Der Dualismus naͤmlich ist auch in dem letztern un¬ aufgehoben zuruͤckgeblieben. Aber das Unend¬ liche oder Absolute im Sinn des Dogmatismus ist bestimmter und mit der letzten Wurzel von Realitaͤt, die es in jenem hatte, aufgehoben worden. Als das An-sich mußte es ein ab¬ solut-Objectives schlechthin außer dem Ich seyn. Dieß ist undenkbar, indem ja eben die¬ ses Außer-dem-Ich-Setzen wieder ein Se¬ tzen fuͤr das Ich und demnach auch im Ich ist. Dieses ist der ewige und unaufloͤsliche Cirkel der Reflexion, der durch die Wissenschaftslehre aufs vollkommenste dargestellt ist. Die Idee des Absoluten ist in die Subjectivitaͤt, die sie der Rich¬ tung der spaͤtern Philosophie zufolge nothwendig hatte, und aus welcher sie nur durch einen, sich selbst misverstehenden, Dogmatismus scheinbar gesetzt worden war, dadurch restituirt, daß sie als eine bloß im Handeln und fuͤr das Handeln stattfindende Realitaͤt anerkannt ist, und man muß demnach den Idealismus in dieser Form als die vollkommen ausgesprochene, zum Be¬ wußtseyn ihrer selbst gekommene, Philosophie der neuern Welt betrachten. Im Cartesius, welcher ihr die erste Rich¬ tung auf die Subjectivitaͤt durch das cogito ergo sum gab, und dessen Einleitung der Phi¬ losophie (in seinen Meditationen) mit den spaͤ¬ teren Begruͤndungen derselben im Idealismus in der That ganz gleichlautend ist, konnten sich die Richtungen noch nicht rein gesondert darstel¬ len, die Subjectivitaͤt von der Objectivitaͤt nicht vollkommen geschieden erscheinen. Aber seine eigentliche Absicht, seine wahre Vorstel¬ lung von Gott, Welt, Seele hat er deutlicher als durch seine Philosophie, uͤber welche man ihn wegen des Ruhens auf dem ontologischen Beweis der Realitaͤt Gottes, dieses Restes aͤchter Philosophie, noch misverstehen konnte, in seiner Physik ausgesprochen. Merkwuͤrdig muß es allgemein erscheinen, daß durch denselbi¬ gen Geist, in welchem der Dualismus der Philosophie sich entschieden ausbildete, die me¬ chanische Physik in der neueren Welt zuerst die Gestalt des Systems annahm. Mit dem um¬ fassenden Geist des Cartesius ließe sich die An¬ nihilation der Natur, welcher sich der Idea¬ lismus in der oben angegebenen Gestalt ruͤhmt, eben so wahr und factisch machen, als sie es in seiner Physik wirklich war. Es kann naͤmlich fuͤr die Spekulation nicht den geringsten Unter¬ schied machen, ob die Natur in ihrer empiri¬ schen Gestalt, im realen Sinn oder im idealen wirklich ist. Es ist voͤllig gleichguͤltig, ob die einzelnen wirklichen Dinge auf die Weise wirk¬ lich sind, wie sie ein grober Empirismus sich denkt, oder ob sie nur, als Affectionen und Bestimmungen eines jeden Ich, als der absoluten Substanz, diesem aber wirklich und real inhaͤriren. Die wahre Vernichtung der Natur ist allerdings die, sie zu einem Ganzen absoluter Qualitaͤten, Beschraͤnktheiten und Affectionen zu machen, welche gleichsam fuͤr ideale Atomen gelten koͤnnen. Im Uebrigen bedarf es keines Beweises, daß eine Philosophie, die irgend ei¬ nen Gegensatz zuruͤcklaͤßt und nicht wahrhaft die absolute Harmonie hergestellt hat, auch nicht zum absoluten Wissen durchgedrungen sey und noch weniger dazu bilden koͤnne. Die Aufgabe, die sich jeder setzen muß, unmittelbar, wie er zur Philosophie gelangt, ist: die Eine wahrhaft absolute Erkenntniß, die ihrer Natur nach auch eine Erkenntniß des Absoluten ist, bis zur Totalitaͤt und bis zum vollkommnen Begreifen des Allen in Einem zu verfolgen. Die Philosophie oͤffnet in dem Ab¬ soluten und der Entfernung aller Gegensaͤtze, wodurch dieses selbst wieder, es sey auf subje¬ ctive oder objective Weise, in eine Beschraͤnktheit verwandelt worden ist, nicht nur uͤberhaupt das Reich der Ideen, sondern auch den wahren Ur¬ quell aller Erkenntniß der Natur, welche von jenen selbst nur das Werkzeug ist. Ich habe die letzte Bestimmung der neue¬ ren Welt schon im Vorhergehenden ausgespro¬ chen, eine hoͤhere, wahrhaft alles begreifende, Einheit darzustellen; sie gilt eben so sehr fuͤr die Wissenschaft als fuͤr die Kunst, und eben damit jene sey, muͤssen alle Gegensaͤtze sich ent¬ zweyen. Bisher war von innern Gegensaͤtzen in der Philosophie selbst die Rede, ich werde noch ei¬ niger aͤußeren erwaͤhnen muͤssen, welche ihr Einseitigkeit, falsche Richtung der Zeit und un¬ vollkommne Begriffe gegeben haben. Siebente Vorlesung . Ueber einige aͤußre Gegensaͤtze der Philosophie, vornaͤmlich den der positiven Wissenschaften. A ls ein aͤußerer Gegensatz der Philosophie ist der schon fruͤher angefuͤhrte von Wissen und Handeln, in seiner Anwendung auf jene, zu betrachten. Dieser ist keineswegs ein solcher, der in dem Geist der modernen Kultur uͤberhaupt gegruͤndet waͤre, er ist ein Produkt der neuesten Zeit, ein unmittelbarer Sproͤßling der wohl¬ bekannten Aufklaͤrerey. Dieser Richtung zufolge giebt es eigentlich nur eine praktische und keine theoretische Philosophie. Wie Kant, nachdem er in der theoretischen Philosophie die Idee Gottes, der Ewigkeit der Seele u. s. w. zu bloßen Ideen gemacht hatte, diesen dagegen in der sittlichen Gesinnung eine Art von Beglau¬ bigung zu geben suchte, so spricht sich in jenen Bestrebungen nur die endlich gluͤckliche Errei¬ chung der vollkommenen Befreyung von Ideen aus, fuͤr welche eine angebliche Sittlichkeit das Aequivalent seyn soll. Sittlichkeit ist Gottaͤhnliche Gesinnung, Erhebung uͤber die Bestimmung durch das Con¬ crete, ins Reich des schlechthin Allgemeinen. 10 Philosophie ist gleiche Erhebung und darum mit der Sittlichkeit innig Eins, nicht durch Un¬ teordnung, sondern durch wesentliche und inne¬ re Gleichheit. Es ist nur Eine Welt, welche so, wie sie im Absoluten ist, jedes in seiner Art und Weise abzubilden strebt, das Wissen als Wissen, das Handeln als Handeln. Die Welt des letzten ist daher in sich eben so absolut, als die des ersten, und die Moral eine nicht min¬ der spekulative Wissenschaft, als die theoreti¬ sche Philosophie. Jede besondere Pflicht ent¬ spricht einer besondern Idee und ist eine Welt fuͤr sich, wie jede Gattung in der Natur ihr Ur¬ bild hat, dem sie so viel moͤglich aͤhnlich zu seyn trachtet. Die Moral kann daher so wenig als Philosophie ohne Construction gedacht werden. Ich weiß, daß eine Sittenlehre in diesem Sinne noch nicht existirt, aber die Principien und Elemente einer solchen liegen in der hergestell¬ ten Absolutheit der Philosophie. Die Sittlichkeit wird in der allgemeinen Freyheit objectivirt und diese ist selbst nur gleich¬ sam die oͤffentliche Sittlichkeit. Die Construc¬ tion dieser sittlichen Organisation ist eine ganz gleiche Aufgabe mit der der Construction der Natur, und ruht auf spekulativen Ideen. Der Zerfall der aͤußern und innern sittlichen Einheit muͤßte sich durch den Zerfall der Philosophie und die Aufloͤsung der Ideen ausdruͤcken. So lange es aber nur die sichtbare Ohnmacht ist, welche die Sache des gemeinen Verstandes, da er in seiner natuͤrlichen Gestalt nicht mehr er¬ scheinen kann, unter dem erborgten Namen der Sittlichkeit fuͤhrt, ist dieser kraftlose Chor nur die nothwendige, der Schwachheit zugegebene, Begleitung des energischen Rhythmus der Zeit. Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff derselben lange genug bloß negativ gewesen, in ihren positiven Formen zu offenbaren, wird ein Werk der Philosophie seyn. Die Scheu vor der Spekulation, das angebliche Forteilen vom bloß Theoretischen zum Praktischen, bewirkt im Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie im Wissen. Das Studium einer streng theo¬ retischen Philosophie macht uns am unmittel¬ barsten mit Ideen vertraut, und nur Ideen 10 * geben dem Handeln Nachdruck und sittliche Be¬ deutung. Ich erwaͤhne noch eines andern aͤußern Gegensatzes, den die Philosophie gefunden hat, des der Religion. Nicht in dem Sinn, in welchem zu andrer Zeit Vernunft und Glauben im Widerstreit vorgestellt wurden, sondern in einem, neueren Ursprungs, nach welchem Reli¬ gion als reine Anschauung des Unendlichen, und Philosophie, welche als Wissenschaft nothwen¬ dig aus der Identitaͤt derselben herausgeht, entgegengesetzt werden. Wir suchen vorerst, uns diesen Gegensatz verstaͤndlich zu machen, um nachher zu finden, worauf es mit ihm ab¬ gesehen sey. Daß die Philosophie ihrem Wesen nach ganz in der Absolutheit ist, und auf keine Weise aus ihr herausgeht, ist eine vielfach ausgespro¬ chene Behauptung. Sie kennt vom Unendli¬ chen zum Endlichen keinen Uebergang, und be¬ ruht ganz auf der Moͤglichkeit, die Besonder¬ heit in der Absolutheit und diese in jener zu be¬ greifen, welches der Grund der Lehre von den Ideen ist. „Aber eben daß der Philosoph die Besonderheit in der Absolutheit darstellt, und nicht unmittelbar, wie von Natur, jene in die¬ ser und diese in jener anschaut, setzt schon eine vorhergegangene Differenziirung und ein Her¬ ausgehen aus der Identitaͤt voraus.“ Nach dieser naͤheren Bestimmung wuͤrde der hoͤchste Zustand des Geistes in Bezug aus das Absolute ein so viel moͤglich bewußtloses Bruͤten oder ein Stand der gaͤnzlichen Unschuld seyn muͤssen, in welchem jenes Anschauen sich sogar selbst nicht als Religion begriffe, weil damit schon Refle¬ xion und ein Heraustreten aus der Identitaͤt gesetzt waͤre. Nachdem also die Philosophie die Idee des Absoluten hergestellt, von der Beschraͤn¬ kung der Subjectivitaͤt befreyt, und in objecti¬ ven Formen, so weit ihr dieß verstattet ist, dar¬ zustellen versucht hat, ist jenes als ein neues und gleichsam das letzte Mittel der Subjectivi¬ rung ergriffen worden, die Wissenschaft zu ver¬ achten, weil diese allgemeinguͤltig, der Form¬ losigkeit entgegengesetzt, und mit Einem Wort, weil sie Wissenschaft ist. Es ist nicht zu ver¬ wundern, daß in einem Zeitalter, wo ein be¬ stimmter Dilettantismus sich fast uͤber alle Ge¬ genstaͤnde verbreitet hat, auch das Heiligste ihm nicht entgehen konnte, und diese Art des Nichtkoͤnnens oder Nichtwollens sich in die Re¬ ligion zuruͤckzieht, um den hoͤhern Anfoderun¬ gen zu entgehen. Preis denen, die das Wesen der Religion neu verkuͤndet, mit Leben und Energie darge¬ stellt und ihre Unabhaͤngigkeit von Moral und Philosophie behauptet haben! Wenn sie wol¬ len, daß Religion nicht durch Philosophie er¬ langt werde, so muͤssen sie mit dem gleichen Grunde wollen, daß Religion nicht die Philo¬ sophie geben, oder an ihre Stelle treten koͤnne. Was unabhaͤngig von allem objectiven Vermoͤ¬ gen erreicht werden kann, ist jene Harmonie mit sich selbst, die zur innern Schoͤnheit wird; aber diese auch objectiv, es sey in Wissenschaft oder Kunst, darzustellen, ist eine von jener bloß subjectiven Genialitaͤt sehr verschiedene Auf¬ gabe. Die daher ihr an sich loͤbliches Bestre¬ ben nach jener Harmonie, oder wohl gar nur das lebhaft gefuͤhlte Beduͤrfniß derselben, fuͤr das Vermoͤgen halten, sie auch aͤußerlich zu of¬ fenbaren, werden ohne die hoͤhere Bedingung mehr nur die Sehnsucht nach Poesie und Phi¬ losophie, als sie selbst, ausdruͤcken, in beyden auf das Formlose wirken, in der Philosophie das System verrufen, das sie, gleicherweise, zu machen und als Symbolik zu verstehen unfaͤ¬ hig sind. Auch Poesie also und Philosophie, welche eine andere Art des Dilettantismus entgegen¬ setzt, sind sich darin gleich, daß zu beyden ein aus sich selbst gezeugtes, urspruͤnglich ausge¬ bohrnes Bild der Welt erfodert wird. Der groͤßere Theil haͤlt sich mit einem bloß socialen Bild der Welt zur Kunst hinlaͤnglich ausgeruͤ¬ stet und faͤhig, die ewigen Ideen derselben aus¬ zudruͤcken: immer noch der bessere im Ver¬ gleich mit jenen, die ohne die geringste Erfah¬ rung der Welt, mit der Einfalt der Kinder, truͤbselig dichten. Der Empirismus ist in der Poesie eben so wohl und allgemeiner als in der Philosophie herrschend. Diejenigen, die auch etwa zufaͤlligerweise in Erfahrung gebracht, daß alle Kunst von der Anschauung der Natur und des Universum aus und in sie zuruͤckkehre, hal¬ ten dieser Vorstellung zufolge die einzelnen Er¬ scheinungen oder uͤberhaupt Besonderheiten fuͤr die Natur, und meynen, die ihr eingebohrne Poesie aufs vollkommenste zu fassen, indem sie jene zu Allegorieen von Empfindungen und Ge¬ muͤthszustaͤnden machen, womit denn, wie leicht zu sehen, dem Empirismus und der Sub¬ jectivitaͤt, beyden ihr hoͤchstes Recht widerfaͤhrt. In der obersten Wissenschaft ist alles Eins und urspruͤnglich verknuͤpft, Natur und Gott, Wissenschaft und Kunst, Religion und Poesie, und wenn sie in sich alle Gegensaͤtze aufhebt, steht sie auch mit nichts anderm nach außen in wahrhafter oder anderer Entgegensetzung, als welche die Unwissenschaftlichkeit, der Empiris¬ mus, oder eine oberflaͤchliche Liebhaberey, ohne Gehalt und Ernst, machen moͤgen. Die Philosophie ist unmittelbare Darstel¬ lung und Wissenschaft des Urwissens selbst, aber sie ist es nur ideal , nicht real. Koͤnnte die Intelligenz, in Einem Akt des Wissens, das absolute Ganze, als ein in allen Theilen vollen¬ detes System real begreifen, so hoͤrte sie eben damit auf endlich zu seyn, sie begriffe Alles wirklich als Eines, aber sie begriffe eben des¬ wegen Nichts als Bestimmtes. Die reale Darstellung des Urwissens ist alles andere Wissen, aber in diesem herrscht auch die Absonderung und Trennung, und es kann nie in dem Individuum real Eins wer¬ den, sondern allein in der Gattung, und auch in dieser nur fuͤr eine intellectuelle Anschauung, die den unendlichen Fortschritt als Gegenwart erblickt. Nun ist aber allgemein einzusehen, daß das Reell-Werden einer Idee in bestaͤndigem Fortschritt, so daß zwar nie das Einzelne, aber doch das Ganze ihr angemessen ist, sich als Ge¬ schichte ausdruͤcke. Geschichte ist weder das rein Verstandes-Gesetzmaͤßige, dem Begriff Unterworfene, noch das rein Gesetzlose, son¬ dern was, mit dem Schein der Freyheit im Einzelnen, Nothwendigkeit im Ganzen verbin¬ det. Das wirkliche Wissen, da es successive Offenbarung des Urwissens ist, hat demnach nothwendig eine historische Seite, und in wie fern alle Geschichte auf die Realisirung eines aͤußern Organismus als Ausdrucks von Ideen geht, hat die Wissenschaft auch das nothwen¬ dige Streben, sich eine objective Erscheinung und aͤußere Existenz zu geben. Diese aͤußere Erscheinung kann nur der Abdruck des innern Organismus des Urwissens selbst, und also der Philosophie seyn, nur daß sie getrennt darstellt, was in jenem, und eben so in dieser, Eines ist. Wir haben demnach vorerst den innern Typus der Philosophie von dem gemeinschaft¬ lichen Quell der Form und des Stoffes abzulei¬ ten, um jenem gemaͤß die Form eines aͤußern Organismus, in welchem das Wissen wahrhaft objectiv wird, zu bestimmen. Die reine Absolutheit fuͤr sich ist nothwen¬ dig auch reine Identitaͤt, aber die absolute Form dieser Identitaͤt ist: sich selbst auf ewige Weise Subject und Object zu seyn; dieses koͤn¬ nen wir als bereits bewiesen voraussetzen. Nicht das Subjective oder Objective in diesem ewigen Erkenntnißakt, als solches, ist die Abso¬ lutheit, sondern das, was von beyden das gleiche Wesen ist, und was eben deswegen durch keine Differenz getruͤbt wird. Dieselbe identische Wesenheit ist in dem, was wir die objective Seite jenes absoluten Producirens nennen koͤnnen, als Idealitaͤt in die Realitaͤt, und in dem, was die subjective, als Realitaͤt in die Idealitaͤt gebildet, so daß in jeder von bey¬ den die gleiche Subject-Objectivitaͤt, und in der absoluten Form auch das ganze Wesen des Absoluten gesetzt ist. Bezeichnen wir diese zwey Seiten als zwey Einheiten, so ist das Absolute an sich weder die eine noch die andere dieser Einheiten, denn es selbst ist ja eben nur die Identitaͤt, das gleiche Wesen einer jeden und dadurch beydes, und demnach sind beyde im Absoluten, obwohl auf eine nicht unterschiedene Weise, da in bey¬ den der Form und dem Wesen nach dassel¬ bige ist. Wird nun das Absolute als dasjenige auf¬ gefaßt, was an sich reine Identitaͤt, aber als diese zugleich das nothwendige Wesen der bey¬ den Einheiten ist, so haben wir damit den absoluten Indifferenzpunct der Form und des Wesens aufgefaßt, denjenigen, von dem alle Wissenschaft und Erkenntniß ausfließt. Jede der beyden Einheiten ist in der Ab¬ solutheit was die andere ist. Aber so nothwendig die wesentliche Einheit beyder der Karakter der Absolutheit selbst ist, so nothwendig ist es, daß beyde in der Nicht-Absolutheit als Nicht-Ei¬ nes und verschieden erscheinen. Denn gesetzt in der Erscheinung wuͤrde nur die eine unter¬ schieden, so waͤre diese auch als die eine im Absoluten; demnach als ausschließend die ent¬ gegengesetzte, und sonach selbst als nicht abso¬ lut, welches gegen die Voraussetzung ist. Beyde differenziiren sich also fuͤr die Er¬ scheinung nothwendig, wie sich das absolute Le¬ ben der Weltkoͤrper durch zwey relativ-verschie¬ dene Brennpuncte ausdruͤckt. Die Form, die in der Absolutheit mit dem Wesen Eines und es selbst war, wird als Form unterschieden. In der ersten als Einbildung der ewigen Ein¬ heit in die Vielheit, der Unendlichkeit in die Endlichkeit. Dieses ist die Form der Natur, welche, wie sie erscheint, jederzeit nur ein Mo¬ ment oder Durchgangspunct in dem ewigen Akt der Einbildung der Identitaͤt in die Differenz ist. Nein fuͤr sich betrachtet ist sie die Einheit, wo¬ durch sich die Dinge oder Ideen von der Iden¬ titaͤt als ihrem Centro entfernen und in sich selbst sind. Die Naturseite ist also an sich selbst nur die eine Seite aller Dinge. Die Form der andern Einheit wird als Einbildung der Vielheit in die Einheit, der Endlichkeit in die Unendlichkeit unterschieden und ist die der idealen oder geistigen Welt. Diese rein fuͤr sich betrachtet ist die Einheit, wodurch die Dinge in die Identitaͤt als ihr Centrum zuruͤckgehen und im Unendlichen sind, wie sie durch die erste in sich selbst sind. Die Philosophie betrachtet die beyden Ein¬ heiten nur in der Absolutheit und demnach auch nur in i deeller, nicht reeller Entgegensetzung. Ihr nothwendiger Typus ist: den absoluten Centralpunct gleicherweise in den beyden relati¬ ven und hinwiederum diese in jenem darzustel¬ len, und diese Grundform, welche im Ganzen ihrer Wissenschaft herrschend ist, wiederholt sich nothwendig auch im Einzelnen. Dieser innere Organismus des Urwissens und der Philosophie ist es nun auch, welcher in dem aͤußeren Ganzen der Wissenschaften sich ausdruͤcken, und durch Trennung und Ver¬ bindung derselben zu einem Koͤrper construiren muß. Alles Objectivwerden des Wissens geschieht nur durch Handeln, welches selbst wieder sich aͤußerlich durch ideale Producte ausdruͤckt. Das allgemeinste derselben ist der Staat, der, wie schon fruͤher bemerkt wurde, nach dem Urbild der Ideenwelt geformt ist. Aber eben weil der Staat selbst nur ein objectiv gewordenes Wissen ist, begreift er nothwendig in sich wieder einen aͤußern Organismus fuͤr das Wissen als solches, gleichsam einen ideellen und geistigen Staat: die Wissenschaften aber, in so fern sie durch oder in Bezug auf den Staat Objectivitaͤt er¬ langen, heißen positive Wissenschaften. Der Uebergang in die Objectivitaͤt setzt nothwendig die allgemeine Trennung der Wissenschaften als besonderer, da sie nur im Urwissen Eins sind. Aber der aͤußere Schematismus ihrer Tren¬ nung und ihrer Vereinigung muß doch wieder nach dem Bild des innern Typus der Philoso¬ phie entworfen seyn. Nun beruht dieser vor¬ zuͤglich auf drey Puncten, dem absoluten In¬ differenzpunct, in welchem reale und ideale Welt als Eins erblickt werden, und den zwey nur relativ oder ideell entgegengesetzten, wovon der eine der im Realen ausgedruͤckte absolute und das Centrum der realen Welt, der andere der im Idealen ausgedruͤckte absolute und das Centrum der idealen Welt ist. Es wird also auch der aͤußere Organismus des Wissens vor¬ zuͤglich auf drey von einander geschiedenen und doch aͤußerlich verbundenen Wissenschaften be¬ ruhen. Die erste, welche den absoluten Indiffe¬ renzpunct objectiv darstellt, wird die unmittel¬ bare Wissenschaft des absoluten und goͤttlichen Wesens, demnach die Theologie seyn. Von den beyden andern wird diejenige, welche die reelle Seite der Philosophie fuͤr sich nimmt und diese aͤußerlich repraͤsentirt, die Wissenschaft der Natur, und in so fern diese nicht nur uͤberhaupt sich in der des Organis¬ mus concentrirt, sondern auch, wie nachher naͤher gezeigt werden soll, nur in der Bezie¬ hung auf denselben positiv seyn kann, die Wissen¬ schaft des Organismus, also die Medicin, seyn. Die, welche die ideelle Seite der Philoso¬ phie in sich getrennt objectivirt, wird allgemein die Wissenschaft der Geschichte, und in wie fern das vorzuͤglichste Werk der letzten die Bil¬ dung der Rechtsverfassung ist, die Wissenschaft des Rechts, oder die Jurisprudenz, seyn. In so fern die Wissenschaften durch den Staat und in ihm eine wirklich objective Exi¬ stenz erlangen, eine Macht werden, heißen die Verbindungen fuͤr jede derselben insbesondere, Facultaͤten. Um von den Verhaͤltnissen dersel¬ ben unter einander das Noͤthige zu bemerken, besonders da Kant in der Schrift: Streit der Facultaͤten, diese Frage nach sehr einseitigen Gesichtspuncten betrachtet zu haben scheint, so ist offenbar, daß die Theologie, als diejenige, in welcher das Innerste der Philosophie objec¬ tivirt ist, die erste und oberste seyn muͤsse: in so fern das Ideale die hoͤhere Potenz des Rea¬ len ist, folgt, daß die juridische Fakultaͤt der medicinischen vorangehe. Was aber die philo¬ sophische betrifft, so ist meine Behauptung, daß es uͤberhaupt keine solche gebe, noch geben koͤnne, und der ganz einfache Beweis dafuͤr ist: daß das, was Alles ist, eben deswegen nichts insbesondere seyn kann. Es ist die Philosophie selbst, welche in den drey positiven Wissenschaften objectiv wird, aber sie wird durch keine einzelne derselben in ihrer Totalitaͤt objectiv. Die wahre Objectivi¬ taͤt der Philosophie in ihrer Totalitaͤt ist nur 11 die Kunst; es koͤnnte also auf jeden Fall keine philosophische, sondern nur eine Facultaͤt der Kuͤnste geben. Allein die Kuͤnste koͤnnen nie eine aͤußere Macht und eben so wenig durch den Staat privilegirt als beschraͤnkt seyn. Es giebt also nur freye Verbindungen fuͤr die Kunst: und dieß war auch auf den aͤlteren Universitaͤten der Sinn der jetzt sogenannten philosophischen Facultaͤt, welche Collegium Artium hieß, wie die Mitglieder desselben Ar¬ tisten. Diese Verschiedenheit der philosophi¬ schen Facultaͤt von den uͤbrigen hat sich bis jetzt noch darin erhalten, daß jene nicht wie diese privilegirte, dagegen auch in Staatspflicht ge¬ nommene Meister ( Doctores ), sondern Lehrer ( Magistros ) der freyen Kuͤnste creirt. Man koͤnnte sich uͤber die aufgestellte Be¬ hauptung auch darauf berufen, daß wo philo¬ sophische Facultaͤten sich nicht, ihrer ersten Be¬ stimmung gemaͤß, als freye Vereinigungen fuͤr die Kunst betrachtet haben, und der besondere Geist der Innung in ihnen herrschend war, sie im Ganzen und Einzelnen Carricatur und Ge¬ genstand des allgemeinen Spottes wurden, da sie ihrem Beruf nach billig die hoͤchste und all¬ gemeinste Achtung genießen sollten. Daß Theologie und Jurisprudenz eine po¬ sitive Seite haben, wird allgemein angenom¬ men; verwickelter ist es, dieselbe fuͤr die Na¬ turwissenschaft aufzuzeigen. Die Natur ist eine geschlossene in sich ruhende Objectivwerdung des Urwissens; ihr Gesetz ist die Endlichkeit wie das der Geschichte die Unendlichkeit. Hier kann also das Historische des Wissens nicht in den Gegenstand an und fuͤr sich, sondern nur in das Subject fallen: die Natur handelt im¬ mer in ihrer Integritaͤt und mit offenbarer Nothwendigkeit, und in wie fern ein einzelnes Handeln oder eine Begebenheit als solche in ihr gesetzt werden soll, muß es durch die Bestim¬ mung des Subjects geschehen. Ein solches Bestimmen der Natur zum Handeln, unter ge¬ wissen Bedingungen mit Ausschluß anderer, ist, was Experiment heißt. Dieses also giebt der Naturlehre eine historische Seite, da es eine veranstaltete Begebenheit ist, von welcher, wer 11* sie veranstaltet, den Zeugen macht. Aber auch in diesem Sinne hat die Naturwissenschaft doch nicht jene aͤußere Existenz, wie z. B. die Rechtsgelehrsamkeit; sie wird daher zu den po¬ sitiven nur in so fern gezaͤhlt, als das Wissen in ihr zur aͤußern und oͤffentlichen Pflicht wird. Dieses ist allein in der Medicin der Fall. Damit haben wir den ganzen Koͤrper der positiven Wissenschaften in seinem Gegensatz gegen Philosophie, und den Widerstreit des absoluten und historischen Wissens in seiner ganzen Ausdehnung. Was im allgemeinen uͤber die Behandlung aller besondern Faͤcher im Geist der Ein- und Allheit gesagt wurde, wird erst jetzt die Probe der Ausfuͤhrbarkeit bestehen, und seiner Moͤglichkeit nach gerechtfertigt wer¬ den muͤssen. Achte Vorlesung. Ueber die historische Constru¬ ction des Christenthums. D ie realen Wissenschaften uͤberhaupt koͤnnen von der absoluten als der idealen allein durch das historische Element geschieden oder beson¬ dere seyn. Aber die Theologie hat außer die¬ ser allgemeinen Beziehung auf die Geschichte noch eine, die ihr ganz eigenthuͤmlich ist und zu ihrem Wesen insbesondere gehoͤrt. Da sie als das wahre Centrum des Objec¬ tivwerdens der Philosophie vorzugsweise in spe¬ culativen Ideen ist, so ist sie uͤberhaupt die hoͤchste Synthese des philosophischen und histo¬ rischen Wissens; und als solche sie darzustellen, ist der Hauptzweck folgender Betrachtungen. Ich gruͤnde die historische Beziehung der Theologie nicht allein darauf: daß der erste Ur¬ sprung der Religion uͤberhaupt, so wie jeder andern Erkenntniß und Cultur allein aus dem Unterricht hoͤherer Naturen begreiflich ist, alle Religion also in ihrem ersten Daseyn schon Ue¬ berlieferung war; denn was die sonst gangba¬ ren empirischen Erklaͤrungsalten betrifft, de¬ ren einige die erste Idee von Gott oder Goͤt¬ tern aus Furcht, aus Dankbarkeit, oder an¬ dern Gemuͤthsbewegungen, andere durch eine schlaue Erfindung der ersten Gesetzgeber entste¬ hen lassen, so begreifen jene die Idee Gottes uͤberhaupt nur als die psychologische Erschei¬ nung, so wie diese weder erklaͤren, wie nur uͤberhaupt jemand zuerst den Gedanken gefaßt, sich zum Gesetzgeber eines Volkes zu machen, noch wie er Religion insbesondere als Schreckmittel zu brauchen sich einfallen lassen konnte, ohne zuvor die Idee derselben aus einer andern Quelle zu haben. Unter der Menge falscher und ideenloser Versuche der letzten Zeit stehen die sogenannten Geschichten der Menschheit oben an, welche ihre Vorstellungen von dem ersten Zustand unsers Geschlechts von den aus Rei¬ sebeschreibungen compilirten Zuͤgen der Rohheit wilder Voͤlker hernehmen, welche daher auch in ihnen die vornehmste Rolle spielen. Es giebt keinen Zustand der Barbarey, der nicht aus ei¬ ner untergegangenen Cultur herstammte. Den kuͤnftigen Bemuͤhungen der Erdgeschichte ist es vorbehalten, zu zeigen, wie auch jene, in einem Zustand der Wildheit lebende, Voͤlker nur von dem Zusammenhang mit der uͤbrigen Welt durch Revolutionen losgerissene und zum Theil zersprengte Voͤlkerschaften sind, die der Verbin¬ dung und der schon erworbenen Mittel der Cul¬ tur beraubt in den gegenwaͤrtigen Zustand zu¬ ruͤcksanken. Ich halte den Zustand der Cultur durchaus fuͤr den ersten des Menschengeschlechts, und die erste Gruͤndung der Staaten, der Wis¬ senschaften, der Religion und der Kuͤnste fuͤr gleichzeitig oder vielmehr fuͤr Eins, so daß dieß alles nicht wahrhaft gesondert, sondern in der vollkommensten Durchdringung war, wie es einst in der letzten Vollendung wieder seyn wird. Auch darauf gruͤndet sich die historische Beziehung der Theologie nicht allein, daß die besondern Formen des Christenthums, in wel¬ chen die Religion unter uns existirt, nur ge¬ schichtlich erkannt werden koͤnnen. Die absolute Beziehung ist, daß in dem Christenthum das Universum uͤberhaupt als Geschichte , als moralisches Reich, angeschaut wird, und daß diese allgemeine Anschauung den Grundkarakter desselben ausmacht. Voll¬ kommen koͤnnen wir dieß nur im Gegensatz ge¬ gen die Religion hauptsaͤchlich des griechischen Alterthums einsehen. Wenn ich der noch aͤl¬ teren, vorzuͤglich der Indischen nicht erwaͤhne, so ist es, weil sie in dieser Beziehung keinen Gegensatz bildet, ohne deswegen, nach meiner Meynung, die Einheit zu seyn. Die Ansicht von dieser hier vollstaͤndig mitzutheilen, erlau¬ ben die nothwendigen Schranken dieser Unter¬ suchung nicht, wir werden sie daher nur beylaͤu¬ fig aussprechen oder beruͤhren koͤnnen. Die Mythologie der Griechen war eine geschlossene Welt von Symbolen der Ideen, welche real nur als Goͤtter angeschaut werden koͤnnen. Reine Begraͤnzung von der einen und unge¬ theilte Absolutheit von der andern Seite ist das bestimmende Gesetz jeder einzelnen Goͤtter¬ gestalt, eben so wie der Goͤtterwelt im Ganzen. Das Unendliche wurde nur im Endlichen an¬ geschaut und auf diese Weise selbst der Endlich¬ keit untergeordnet. Die Goͤtter waren Wesen einer hoͤhern Natur, bleibende unwandelbare Gestalten. Ganz anders ist das Verhaͤltniß ei¬ ner Religion, die auf das Unendliche unmittel¬ bar an sich selbst geht, in welcher das Endliche nicht als Symbol des Unendlichen, zugleich um seiner selbst willen, sondern nur als Allegorie des ersten und in der gaͤnzlichen Unterordnung un¬ ter dasselbe gedacht wird. Das Ganze, worin die Ideen einer solchen Religion objectiv wer¬ den, ist nothwendig selbst ein Unendliches, keine nach allen Seiten vollendete und begraͤnzte Welt: die Gestalten nicht bleibend, sondern erscheinend, nicht ewige Naturwesen, sondern historische Gestalten, in denen sich das Goͤtt¬ liche nur voruͤbergehend offenbaret, und deren fluͤchtige Erscheinung allein durch den Glauben festgehalten werden kann, niemals aber in eine absolute Gegenwart verwandelt wird. Da, wo das Unendliche selbst endlich wer¬ den kann, kann es auch Vielheit werden; es ist Polytheismus moͤglich: da, wo es durch das Endliche nur bedeutet wird, bleibt es nothwen¬ dig Eins und es ist kein Polytheismus als ein Zugleichseyn goͤttlicher Gestalten moͤglich. Er entspringt durch Synthese der Absolutheit mit der Begraͤnzung, so daß in derselben weder die Absolutheit der Form nach, noch die Begraͤn¬ zung aufgehoben wird. In einer Religion wie das Christenthum kann diese nicht von der Na¬ tur hergenommen werden, da sie das Endliche uͤberhaupt nicht als Symbol des Unendlichen und in unabhaͤngiger Bedeutung begreift. Sie kann also nur von dem, was in die Zeit faͤllt, demnach der Geschichte hergenommen seyn und darum ist das Christenthum seinem inner¬ sten Geist nach und im hoͤchsten Sinne histo¬ risch. Jeder besondere Moment der Zeit ist Offenbarung einer besondern Seite Gottes, in deren jeder er absolut ist; was die griechische Religion als ein Zumal hatte, hat das Chri¬ stenthum als ein Nacheinander, wenn gleich die Zeit der Sonderung der Erscheinungen und mit ihr der Gestaltung noch nicht gekommen ist. Es ist schon fruͤher angedeutet worden, daß sich Natur und Geschichte uͤberhaupt als die reale und ideale Einheit verhalten; aber eben so verhaͤlt sich die Religion der griechischen Welt zu der christlichen, in welcher das Goͤttliche aufgehoͤrt hat, sich in der Natur zu offenbaren und nur in der Geschichte erkennbar ist. Die Natur ist allgemein die Sphaͤre des In-sich- selbst-Seyns der Dinge, in der diese, kraft der Einbildung des Unendlichen in ihr Endli¬ ches, als Symbole der Ideen zugleich ein von ihrer Bedeutung unabhaͤngiges Leben haben. Gott wird daher in der Natur gleichsam exote¬ risch, das Ideale erscheint durch ein Anderes als es selbst, durch ein Seyn; aber nur in wie fern dieses Seyn fuͤr das Wesen, das Sym¬ bol unabhaͤngig von der Idee, genommen wird, ist das Goͤttliche wahrhaft exoterisch, der Idee nach aber esoterisch. In der idealen Welt, also vornehmlich der Geschichte, legt das Goͤttliche die Huͤlle ab, sie ist das lautgewordene Myste¬ rium des goͤttlichen Reiches. Wie in den Sinnbildern der Natur lag in den griechischen Dichtungen die Intellectual¬ welt wie in einer Knospe verschlossen, verhuͤllt im Gegenstand und unausgesprochen im Sub¬ ject. Das Christenthum dagegen ist das geof¬ fenbarte Mysterium und, wie das Heidenthum seiner Natur nach exoterisch, eben so seiner Na¬ tur nach esoterisch. Mit dem Christenthum mußte sich eben deswegen auch das ganze Verhaͤltniß der Natur und der idealen Welt umkehren, und wie jene im Heidenthum das Offenbare war, dagegen diese als Mysterium zuruͤcktrat, so mußte im Christenthum vielmehr, in dem Verhaͤltniß als die ideelle Welt offenbar wurde, die Natur als Geheimniß zuruͤcktreten. Den Griechen war die Natur unmittelbar und an sich selbst goͤtt¬ lich, weil auch ihre Goͤtter nicht außer- und uͤbernatuͤrlich waren. Der neueren Welt war sie verschlossen, weil diese sie nicht an sich selbst, sondern als Gleichniß der unsichtbaren und gei¬ stigen Welt begriff. Die lebendigsten Erschei¬ nungen der Natur, wie die der Electricitaͤt und der Koͤrper, wenn sie sich chemisch veraͤndern, waren den Alten kaum bekannt, oder erweckten wenigstens unter ihnen nicht den allgemeinen Enthusiasmus, mit dem sie in der neueren Welt aufgenommen wurden. Die hoͤchste Re¬ ligiositaͤt, die sich in dem christlichen Mysticis¬ mus ausdruͤckte, hielt das Geheimniß der Na¬ tur und das der Menschwerdung Gottes fuͤr Eins und Dasselbe. Ich habe schon anderwaͤrts (im System des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß wir uͤberhaupt drey Perioden der Geschichte, die der Natur, des Schicksals und der Vorse¬ hung annehmen muͤssen. Diese drey Ideen druͤcken dieselbe Identitaͤt, aber auf verschiedene Weise aus. Auch das Schicksal ist Vorsehung, aber im Realen erkannt, wie die Vorsehung auch Schicksal ist, aber im Idealen angeschaut. Die ewige Nothwendigkeit offenbart sich, in der Zeit der Identitaͤt mit ihr, als Natur, wo der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen noch im gemeinschaftlichen Keim des Endlichen verschlossen ruht. So in der Zeit der schoͤnsten Bluͤthe der griechischen Religion und Poesie. Mit dem Abfall von ihr offenbart sie sich als Schicksal, indem sie in den wirklichen Wider¬ streit mit der Freyheit tritt. Dieß war das Ende der alten Welt, deren Geschichte eben deswegen im Ganzen genommen als die tragi¬ sche Periode betrachtet werden kann. Die neue Welt beginnt mit einem allgemeinen Suͤnden¬ fall, einem Abbrechen des Menschen von der Natur. Nicht die Hingabe an diese selbst ist die Suͤnde, sondern, so lange sie ohne Bewußt¬ seyn des Gegentheils ist, vielmehr das goldne Zeitalter. Das Bewußtseyn daruͤber hebt die Unschuld auf und fodert daher auch unmittel¬ bar die Versoͤhnung und die freywillige Unter¬ werfung, in der die Freyheit als besiegt und siegend zugleich aus dem Kampf hervorgeht. Diese bewußte Versoͤhnung, die an die Stelle der bewußtlosen Identitaͤt mit der Natur und an die der Entzweyung mit dem Schicksal tritt, und auf einer hoͤhern Stufe die Einheit wieder¬ herstellt, ist in der Idee der Vorsehung ausge¬ druͤckt. Das Christenthum also leitet in der Geschichte jene Periode der Vorsehung ein, wie die in ihm herrschende Anschauung des Univer¬ sum, die Anschauung desselben als Geschichte und als einer Welt der Vorsehung ist. Dieß ist die große historische Richtung des Christenthums: dieß der Grund, warum die Wissenschaft der Religion in ihm von der Ge¬ schichte unzertrennlich, ja mit ihr voͤllig Eins seyn muß. Jene Synthese mit der Geschichte, oh¬ ne welche Theologie selbst nicht gedacht werden kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬ gung die hoͤhere christliche Ansicht der Ge¬ schichte. Der Gegensatz, der insgemein zwischen Historie und Philosophie gemacht wird, be¬ steht nur, so lange die Geschichte als eine Rei¬ he zufaͤlliger Begebenheiten, oder als bloß em¬ pirische Nothwendigkeit begriffen wird: das erste ist die ganz gemeine Ansicht, uͤber die sich die andere zu erheben meynt, da sie ihr an Be¬ schraͤnkung gleich ist. Auch die Geschichte kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre Wurzel eben so im Absoluten wie die Natur, oder irgend ein anderer Gegenstand des Wis¬ sens. Die Zufaͤlligkeit der Begebenheiten und 12 Handlungen findet der gemeine Verstand vor¬ zuͤglich durch die Zufaͤlligkeit der Individuen begruͤndet. Ich frage dagegen: was ist denn dieses oder jenes Individuum anders, als eben das, welches diese oder jene bestimmte Handlung ausgefuͤhrt hat; einen andern Be¬ griff giebt es von ihm nicht: war also die Handlung nothwendig, so war es auch das In¬ dividuum. Was selbst von einem noch unter¬ geordneten Standpunct allein als frey und demnach objectiv zufaͤllig in allem Handeln er¬ scheinen kann, ist bloß, daß das Individuum von dem, was vorherbestimmt und nothwen¬ dig ist, dieses Bestimmte gerade zu seiner That macht: uͤbrigens aber und was den Er¬ folg betrifft, ist es, im Guten wie im Boͤsen, Werkzeug der absoluten Nothwendigkeit. Die empirische Nothwendigkeit ist nichts anders als eine Art, die Zufaͤlligkeit durch ein Zuruͤckschieben der Nothwendigkeit ins Unend¬ liche zu verlaͤngern. Wenn wir diese Art der Nothwendigkeit in der Natur nur fuͤr die Er¬ scheinung gelten lassen, wie vielmehr in der Geschichte? Wer, von hoͤherem Sinn, wird sich bereden, daß Begebenheiten, wie die Aus¬ bildung des Christenthums, die Voͤlkerwande¬ rung, die Kreuzzuͤge und so viele andere große Ereignisse, ihren wahren Grund in den empi¬ rischen Ursachen gehabt haben, die man ge¬ woͤhnlich dafuͤr ausgiebt? Und wenn diese wirklich obwalteten, so sind sie in dieser Bezie¬ hung wiederum nur die Werkzeuge einer ewi¬ gen Ordnung der Dinge. Was von Geschichte uͤberhaupt gilt, muß insbesondere von der der Religion gelten, naͤm¬ lich daß sie in einer ewigen Nothwendigkeit ge¬ gruͤndet und also eine Construction derselben moͤglich sey, wodurch sie mit der Wissenschaft der Religion innigst Eins und verbunden wird. Die historische Construction des Christen¬ thums kann von keinem andern Punct, als der allgemeinen Ansicht ausgehen, daß das Universum uͤberhaupt und so auch in wie fern es Geschichte ist nothwendig nach zwey Sei¬ ten differenziirt erscheine, und dieser Gegensatz, welchen die neuere Welt gegen die alte macht, 12 * st fuͤr sich zureichend, das Wesen und alle be¬ sondere Bestimmungen des Christenthums ein¬ zusehen. Die alte Welt ist in so fern wieder die Naturseite der Geschichte, als die in ihr herr¬ schende Einheit oder Idee, Seyn des Unend¬ lichen im Endlichen ist. Der Schluß der alten Zeit und die Graͤnze einer neuen, deren herr¬ schendes Princip das Unendliche war, konnte nur dadurch gemacht werden, daß das wahre Unendliche in das Endliche kam, nicht um die¬ ses zu vergoͤttern, sondern um es in seiner ei¬ genen Person Gott zu opfern und dadurch zu versoͤhnen. Die erste Idee des Christenthums ist daher nothwendig der Menschgewordene Gott, Christus als Gipfel und Ende der alten Goͤtterwelt. Auch er verendlicht in sich das Goͤttliche, aber er zieht nicht die Menschheit in ihrer Hohheit, sondern in ihrer Niedrigkeit an, und steht als eine von Ewigkeit zwar be¬ schlossene, aber in der Zeit vergaͤngliche Erschei¬ nung da, als Graͤnze der beyden Welten; er selbst geht zuruͤck ins Unsichtbare und verheißt statt seiner nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Princip, sondern den Geist, das ideale Princip, welches vielmehr das Endliche zum Unendlichen zuruͤckfuͤhrt und als solches das Licht der neuen Welt ist. An diese erste Idee knuͤpfen sich alle Be¬ stimmungen des Christenthums. Die Einheit des Unendlichen und Endlichen objectiv durch eine Symbolik, wie die griechische Religion, darzustellen, ist seiner ideellen Richtung nach unmoͤglich. Alle Symbolik faͤllt ins Subject zuruͤck, und die nicht aͤußerlich, sondern bloß innerlich zu schauende Aufloͤsung des Gegensa¬ tzes bleibt daher Mysterium, Geheimniß. Die durch alles hindurchgehende Antinomie des Goͤttlichen und Natuͤrlichen hebt sich allein durch die subjective Bestimmung auf, beyde auf eine unbegreifliche Weise als Eins zu den¬ ken. Eine solche subjective Einheit druͤckt der Begriff des Wunders aus. Der Ursprung je¬ der Idee ist nach dieser Vorstellung ein Wun¬ der, da sie in der Zeit entsteht, ohne ein Ver¬ haͤltniß zu ihr zu haben. Keine derselben kann auf zeitliche Weise entstehen, es ist das Abso¬ lute, d. h. es ist Gott selbst, der sie offenbart, und darum der Begriff der Offenbarung ein schlechthin nothwendiger im Christenthum. Eine Religion, die als Poesie in der Gat¬ tung lebt, bedarf so wenig einer historischen Grundlage, als die immer offene Natur ihrer bedarf. Wo das Goͤttliche nicht in bleibenden Gestalten lebt, sondern in fluͤchtigen Erschei¬ nungen voruͤbergeht, bedarf es der Mittel, diese fest zu halten und durch Ueberlieferung zu verewigen. Außer den eigentlichen Mysterien der Religion giebt es nothwendig eine Mytho¬ logie, welche die exoterische Seite derselben ist, und die sich auf die Religion gruͤndet, wie sich die Religion der ersten Art vielmehr umgekehrt auf die Mythologie gruͤndete. Die Ideen einer auf Anschauung des Un¬ endlichen im Endlichen gerichteten Religion muͤssen vorzugsweise im Seyn ausgedruͤckt seyn, die Ideen der entgegengesetzten, in der alle Symbolik nur dem Subject angehoͤrt, koͤn¬ nen allein durch Handeln objectiv werden. Das urspruͤngliche Symbol aller Anschauung Gottes in ihr ist die Geschichte, aber diese ist endlos, unermeßlich, sie muß also durch eine zugleich unendliche und doch begraͤnzte Erschei¬ nung repraͤsentirt werden, die selbst nicht wie¬ der real ist, wie der Staat, sondern ideal, und die Einheit aller im Geist bey der Ge¬ trenntheit im Einzelnen als unmittelbare Ge¬ genwart darstellt. Diese symbolische Anschau¬ ung ist die Kirche, als lebendiges Kunstwerk. Wie nun die Handlung, welche die Ein¬ heit des Unendlichen und Endlichen aͤußerlich ausdruͤckt, symbolisch heißen kann, so ist die¬ selbe, als innerlich, mystisch und Mysticismus uͤberhaupt eine subjective Symbolik. Wenn die Aeußerungen dieser Anschauungsart fast zu jeder Zeit in der Kirche Widerspruch und zum Theil Verfolgung gefunden haben, so ist es, weil sie das Esoterische des Christenthums exo¬ terisch zu machen suchten: nicht aber als ob der innerste Geist dieser Religion ein anderer, als der jener Anschauung waͤre. Wenn man die Handlungen und Gebraͤu¬ che der Kirche fuͤr objectiv symbolisch halten will, da ihre Bedeutung doch bloß mystisch ge¬ faßt werden kann, so haben wenigstens diejeni¬ gen Ideen des Christenthums, die in den Dogmen symbolisirt wurden, in diesen nicht aufgehoͤrt, von ganz speculativer Bedeutung zu seyn, da ihre Symbole kein von der Bedeu¬ tung unabhaͤngiges Leben in sich selbst erlangt haben, wie die der griechischen Mythologie. Versoͤhnung des von Gott abgefallenen Endlichen durch seine eigne Geburt in die End¬ lichkeit, ist der erste Gedanke des Christen¬ thums und die Vollendung seiner ganzen An¬ sicht des Universum und der Geschichte dessel¬ ben in der Idee der Dreyeinigkeit, welche eben deswegen in ihm schlechthin nothwendig ist. Bekanntlich hat schon Lessing in der Schrift: Erziehung des Menschengeschlechts, die philo¬ sophische Bedeutung dieser Lehre zu enthuͤllen gesucht, und was er daruͤber gesagt hat, ist vielleicht das Speculativste was er uͤberhaupt geschrieben. Es fehlt aber seiner Ansicht noch an der Beziehung dieser Idee auf die Geschichte der Welt, welche darinn liegt, daß der ewige, aus dem Wesen des Vaters aller Dinge ge¬ bohrene, Sohn Gottes das Endliche selbst ist, wie es in der ewigen Anschauung Gottes ist, und welches als ein leidender und den Ver¬ haͤngnissen der Zeit untergeordneter Gott er¬ scheint, der in dem Gipfel seiner Erscheinung, in Christo, die Welt der Endlichkeit schließt und die der Unendlichkeit, oder der Herrschaft des Geistes, eroͤffnet. Waͤre es fuͤr den gegenwaͤrtigen Zweck verstattet, weiter in diese historische Constru¬ ction einzugehen, so wuͤrden wir auf die gleiche Weise alle Gegensaͤtze des Christenthums und Heidenthums, so wie die in jenem herrschen¬ den Ideen und subjective Symbole der Ideen als nothwendige erkennen. Es genuͤgt mir, im Allgemeinen die Moͤglichkeit davon gezeigt zu haben. Wenn das Christenthum nicht nur uͤberhaupt, sondern auch in seinen vornehmsten Formen historisch nothwendig ist, und wir hier¬ mit die hoͤhere Ansicht der Geschichte selbst als eines Ausflusses der ewigen Nothwendigkeit ver¬ binden: so ist darinn auch die Moͤglichkeit gege¬ ben, es historisch als eine goͤttliche und absolute Erscheinung zu begreifen, also die einer wahr¬ haft historischen Wissenschaft der Religion, oder der Theologie. Neunte Vorlesung . Ueber das Studium der Theologie. W enn ich es schwer finde, von dem Stu¬ dium der Theologie zu reden, so ist es, weil ich die Erkenntnißart und den ganzen Stand¬ punct, aus welchem ihre Wahrheiten gefaßt seyn wollen, als verloren und vergessen ach¬ ten muß. Die saͤmtlichen Lehren dieser Wis¬ senschaft sind empirisch verstanden und als sol¬ che sowohl behauptet als bestritten worden. Auf diesem Boden aber sind sie uͤberall nicht einheimisch und verlieren durchaus allen Sinn und Bedeutung. Die Theologen behaupten, das Christen¬ thum sey eine goͤttliche Offenbarung, die sie als eine Handlung Gottes in der Zeit vor¬ stellen. Sie begeben sich also eben damit selbst auf den Standpunct, von welchem aus betrachtet, es keine Frage seyn kann, ob das Christenthum seinem Ursprung nach natuͤrlich erklaͤrbar ist. Derjenige muͤßte die Geschichte und Bildung der Zeit seines Entstehens sehr wenig kennen, der sich diese Aufgabe nicht befriedigend loͤsen koͤnnte. Man lese nur die Schriften der Gelehrten, in welchen der Keim des Christenthums nicht nur im Judenthum, sondern selbst in einem einzelnen religioͤsen Verein, der vor jenem existirte, nachgewie¬ sen ist; ja man bedarf dessen nicht einmal, obgleich, um diesen Zusammenhang darzule¬ gen, der Bericht des Josephus und die Spu¬ ren der christlichen Geschichtsbuͤcher selbst noch nicht einmal gehoͤrig benutzt sind. Genug, Christus als der Einzelne, ist eine voͤllig be¬ greifliche Person, und es war eine absolute Nothwendigkeit, ihn als symbolische Person und in hoͤherer Bedeutung zu fassen. Will man die Ausbreitung des Christen¬ thums als ein besonderes Werk der goͤttlichen Vorsehung betrachten? Man lerne die Zeit kennen, in der es seine ersten Eroberungen machte, um es als eine bloß einzelne Erschei¬ nung des allgemeinen Geistes derselben zu er¬ kennen. Nicht das Christenthum hat diesen erschaffen, sondern es selbst war nur eine vor¬ ahndende Anticipation desselben, das Erste, wodurch er ausgesprochen wurde. Das roͤmi¬ sche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Christenthum, ehe Constantin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrschaft waͤhlte; die vollste Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬ te die Sehnsucht nach dem Innern und Un¬ sichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, des¬ sen Macht bloß zeitlich war, der verlorne Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬ ne Religion schaffen, welche den Menschen an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte und zum Gluͤck machte. Die christlichen Religionslehrer koͤnnen keine ihrer historischen Behauptungen recht¬ fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Ansicht der Geschichte selbst, welche durch die Philoso¬ phie wie durch das Christenthum vorge¬ schrieben ist, zu der ihrigen gemacht zu ha¬ ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬ glauben auf seinem eigenen Boden gekaͤmpft, anstatt diesen, als den Standpunct, auf wel¬ chem er steht, selbst anzugreifen. Ihr habt, koͤnnten sie den Naturalisten sagen, fuͤr die Betrachtungsweise, die ihr annehmt, voll¬ kommen Recht, und unsere Ansicht schließt es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig urtheilet. Wir laͤugnen nur diesen selbst oder las¬ sen ihn als einen bloß untergeordneten gelten. Es ist derselbe Fall wie mit dem Empiriker, der dem Philosophen unwidersprechlich beweist, daß alles Wissen nur durch die aͤußere Noth¬ wendigkeit der Eindruͤcke gesetzt ist. Dasselbe Verhaͤltniß findet eben so in Ansehung aller Dogmen der Theologie statt. Von der Idee der Dreyeinigkeit ist es klar, daß sie, nicht speculativ aufgefaßt, uͤberhaupt ohne Sinn ist. Die Menschwerdung Gottes in Christo deuten die Theologen eben so em¬ pirisch, naͤmlich daß Gott in einem bestimm¬ ten Moment der Zeit menschliche Natur an¬ genommen habe, wobey schlechterdings nichts zu denken seyn kann, da Gott ewig außer aller Zeit ist. Die Menschwerdung Gottes ist also eine Menschwerdung von Ewigkeit. Der Mensch Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel und in so fern auch wieder der Anfang derselben, denn von ihm aus sollte sie dadurch sich fortsetzen, daß alle seine Nach¬ folger Glieder eines und desselben Leibes waͤ¬ ren, von dem er das Haupt ist. Daß in Christo zuerst Gott wahrhaft objectiv gewor¬ den, zeugt die Geschichte, denn wer vor ihm hat das Unendliche auf solche Weise ge¬ offenbaret? Es moͤchte sich beweisen lassen, daß so weit die historische Kenntniß nur immer zu¬ ruͤckgeht, schon zwey bestimmt verschiedene Stroͤme von Religion und Poesie unterscheid¬ bar sind: der Eine, welcher, schon in der Indischen Religion der herrschende, das In¬ tellectualsystem und den aͤltesten Idealismus uͤberliefert hat, der Andere, welcher die rea¬ listische Ansicht der Welt in sich faßte. Jener hat, nachdem er durch den ganzen Orient geflossen, im Christenthum sein bleibendes Beet gefunden, und mit dem fuͤr sich unfrucht¬ baren Boden des Occidents vermischt, die 13 Geburten der spaͤteren Welt erzeugt; der an¬ dere hat in der griechischen Mythologie durch Ergaͤnzung mit der entgegengesetzten Einheit, dem Idealischen der Kunst, die hoͤchste Schoͤn¬ heit gebohren. Und will man die Regungen des entgegengesetzten Pols in der griechischen Bildung fuͤr nichts rechnen, die mystischen Elemente einer abgesonderten Art der Poesie, die Verwerfung der Mythologie und Verban¬ nung der Dichter durch die Philosophen, vor¬ naͤmlich Plato, der in einer ganz fremden und entfernten Welt eine Prophezeyhung des Christenthums ist? Aber eben, daß das Christenthum schon vor und außer demselben existirt hat, beweist die Nothwendigkeit seiner Idee, und daß auch in dieser Beziehung keine absoluten Ge¬ gensaͤtze existiren. Die christlichen Missonarien, die nach Indien kamen, glaubten den Bewoh¬ nern etwas Unerhoͤrtes zu verkuͤndigen, wenn sie lehrten, daß der Gott der Christen Mensch geworden sey. Jene waren daruͤber nicht ver¬ wundert, sie bestritten die Fleischwerdung Got¬ tes in Christo keineswegs und fanden bloß seltsam, daß bey den Christen nur Einmal geschehen sey, was sich bey ihnen oftmals und in steter Wiederholung zutrage. Man kann nicht laͤugnen, daß sie von ihrer Reli¬ gion mehr Verstand gehabt haben, wie die christlichen Missionarien von der ihrigen. Die historische Construction des Christen¬ thums kann wegen dieser Universalitaͤt seiner Idee nicht ohne die religioͤse Construction der ganzen Geschichte gedacht werden. Sie ist also eben so wenig mit dem, was man bis¬ her allgemeine Religionsgeschichten genannt hat, (obgleich von nichts weniger als Reli¬ gion darinn die Rede ist), als mit der par¬ tieliern Geschichte der christlichen Religion und Kirche zu vergleichen. Eine solche Construction ist schon an sich selbst nur der hoͤhern Erkenntnißart moͤglich, welche sich uͤber die empirische Verkettung der Dinge erhebt; sie ist also nicht ohne Phi¬ losophie, welche das wahre Organ der Theo¬ 13* logie als Wissenschaft ist, worinn die hoͤchsten Ideen von dem goͤttlichen Wesen, der Na¬ tur als dem Werkzeug und der Geschichte als der Offenbarung Gottes objectiv werden. Es wird von selbst niemand die Behauptung der speculativen Bedeutung der vornehmsten Leh¬ ren der Theologie mit der Kantischen verwech¬ seln, deren Hauptabsicht am Ende allein dar¬ auf geht, das Positive und Historische aus dem Christenthum gaͤnzlich zu entfernen und zur reinen Vernunftreligion zu laͤutern. Die wahre Vernunftreligion ist, einzusehen, daß nur zwey Erscheinungen der Religion uͤber¬ haupt sind, die wirkliche Naturreligion, welche nothwendig Polytheismus im Sinn der Grie¬ chen ist, und die, welche, ganz sittlich, Gott in der Geschichte anschaut. In der Kanti¬ schen Laͤuterung ist auch keinesweges ein spe¬ culativer, sondern ein moralischer Sinn je¬ ner Lehren beabsichtigt, wodurch der empiri¬ sche Standpunct im Grunde nicht verlassen, auch die Wahrheit derselben nicht an sich, son¬ dern allein in der subjectiven Beziehung moͤg¬ licher Motive der Sittlichkeit angenommen wird. Wie der Dogmatismus in der Philoso¬ phie ist der gleiche in der Theologie ein Ver¬ setzen dessen, was nur absolut erkannt wer¬ den kann, auf den empirischen Gesichtspunct des Verstandes. Kant hat weder den einen noch den andern in der Wurzel angegriffen, da er nichts positives an ihre Stelle zu setzen wußte. Insbesondere nach seinem Vorschlag, beym Volksunterricht die Bibel moralisch aus¬ legen, hieße nur die empirische Erscheinung des Christenthums zu Zwecken, die ohne Mis¬ deutung gar nicht erreicht werden koͤnnen, ge¬ brauchen, aber nicht sich uͤber dieselbe zur Idee erheben. Die ersten Buͤcher der Geschichte und Lehre des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere, noch dazu unvollkommne Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Buͤchern zu suchen, deren Werth erst nach dem Maaß bestimmt werden muß, in welchem sie jene ausdruͤcken und ihr angemes¬ sen sind. Schon in dem Geiste des Heiden¬ bekehrers Paulus ist das Christenthum etwas anderes geworden, als es in dem des ersten Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit sollen wir stehen bleiben, die nur willkuͤhr¬ lich angenommen werden kann, sondern seine ganze Geschichte und die Welt, die es ge¬ schaffen, vor Augen haben. Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬ rerey, welche in Bezug auf das Christen¬ thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬ hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie man sagt, auf seinen urspruͤnglichen Sinn, seine erste Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬ cher Gestalt sie es auch das Urchristenthum nen¬ nen. Man sollte denken, die christlichen Re¬ ligionslehrer muͤßten es den spaͤteren Zeiten Dank wissen, daß sie aus dem duͤrftigen In¬ halt der ersten Religionsbuͤcher so viel specu¬ lativen Stoff gezogen und diesen zu einem System ausgebildet haben. Bequemer mag es freylich seyn, von dem scholastischen Wust der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬ laͤre Dogmatiken zu schreiben und sich mit der Sylbenstecherey und Worterklaͤrung zu beschaͤf¬ tigen, als das Christenthum und seine Leh¬ ren in universeller Beziehung zu fassen. Man kann sich indessen nicht des Gedankens erweh¬ ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die sogenannten biblischen Buͤcher fuͤr dasselbe ge¬ wesen sind, die an aͤcht religioͤsem Gehalt keine Vergleichung mit so vielen andern der fruͤheren und spaͤteren Zeit, vornehmlich den Indischen, auch nur von ferne aushalten. Man hat dem Gedanken der Hierarchie, dem Volk diese Buͤcher zu entziehen, eine bloß politische Absicht untergelegt: er moͤchte wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬ stenthum als eine lebendige Religion, nicht als eine Vergangenheit, sondern als eine ewi¬ ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬ der in der Kirche nicht aufhoͤrten, welche der Protestantismus, auch darinn inconsequent, nur als vor Zeiten geschehen zulaͤßt. Eigentlich waren es diese Buͤcher, die als Urkunden, deren bloß die Geschichtforschung, nicht aber der Glaube bedarf, bestaͤndig von neuem das empirische Christenthum an die Stelle der Idee gesetzt haben, welche unabhaͤngig von ihnen bestehen kann, und lauter durch die ganze Geschichte der neuen Welt in Vergleich mit der alten, als durch jene verkuͤndet wird, wo sie noch sehr unentwickelt liegt. Der Geist der neuen Zeit geht mit sicht¬ barer Consequenz auf Vernichtung aller bloß endlichen Formen und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Nach diesem Gesetz mu߬ te der Zustand eines allgemeinen und oͤffentli¬ chen Lebens, den die Religion im Christen¬ thum mehr oder weniger erreicht hatte, ver¬ gaͤnglich seyn, da er nur einen Theil der Absichten des Weltgeistes realisirt darstellte. Der Protestantismus entstand und war auch zur Zeit seines Ursprungs eine neue Zuruͤck¬ fuͤhrung des Geistes zum Unsinnlichen, ob¬ gleich dieses bloß negative Bestreben, außer¬ dem daß es die Stetigkeit in der Ent¬ wickelung des Christenthums aufhob, nie eine positive Vereinung und eine aͤußere sym¬ bollsche Erscheinung derselben, als Kirche, schaffen konnte. An die Stelle der lebendi¬ gen Auctoritaͤt trat die andere, todter in aus¬ gestorbnen Sprachen geschriebener Buͤcher, und da diese ihrer Natur nach nicht bindend seyn konnte, eine viel unwuͤrdigere Sclaverey, die Abhaͤngigkeit von Symbolen, die ein bloß menschliches Ansehen fuͤr sich hatten. Es war nothwendig, daß der Protestantismus, da er seinem Begriff nach antiuniversell ist, wie¬ der in Secten zerfiel und daß der Unglaube sich an die einzelnen Formen und die empiri¬ sche Erscheinung heftete, da die ganze Reli¬ gion an diese gewiesen war. Nicht geistreich aber unglaͤubig, nicht fromm und doch auch nicht witzig und frivol, aͤhnlich den Unseligen, wie sie Dante im Vor¬ grund der Hoͤlle existiren laͤßt, die weder re¬ bellisch gegen Gott noch treu waren, die der Himmel ausstieß und die Hoͤlle nicht aufnahm, weil auch die Verdammten keine Ehre von ih¬ nen haben wuͤrden, haben, vornehmlich deut¬ sche Gelehrte, mit Huͤlfe einer sogenannten gesunden Exegese, einer aufklaͤrenden Psycho¬ logie und schlaffen Moral, alles Speculative und selbst das subjectiv-Symbolische aus dem Christenthum entfernt. Der Glaube an seine Goͤttlichkeit wurde auf empirisch-historische Argumente gebaut, das Wunder der Offen¬ barung in einem sehr handgreiflichen Zirkel durch andere Wunder bewiesen. Da das Goͤttliche seiner Natur nach empirisch weder erkennbar noch demonstrabel ist, so hatten hiemit die Naturalisten gewonnenes Spiel. Man hatte schon mit ihnen unterhandelt, als man die Untersuchungen uͤber die Aechtheit der christlichen Buͤcher, den Beweis ihrer Eingebung aus einzelnen Stellen, zum Fun¬ dament der Theologie machte. Die Zuruͤck¬ weisung auf den Buchstaben einiger Buͤcher machte nothwendig, daß die ganze Wissen¬ schaft sich in Philologie und Auslegungskunst verwandelte, wodurch sie eine gaͤnzlich profane Scienz geworden ist, und, wo man das Pal¬ ladium der Rechtglaͤubigkeit in der sogenann¬ ten Sprachkenntniß sucht, ist die Theologie am tiefsten gesunken und am weitesten von ih¬ rer Idee entfernt. Hier besteht eine Haupt¬ kunst darin, so viel Wunder als moͤglich aus der Bibel weg oder heraus zu erklaͤren, wel¬ ches ein eben so klaͤgliches Beginnen ist, als das umgekehrte, aus diesen empirischen, noch dazu hoͤchst duͤrftigen, Factis die Goͤttlichkeit der Religion zu beweisen. Was hilft es, noch so viele hinwegzuschaffen, wenn es nicht mit allen moͤglich ist, denn auch nur Eines wuͤr¬ de, wenn diese Beweisart uͤberhaupt Sinn haͤtte, so viel wie tausend beweisen. Zu diesem phil o logischen Bestreben hat sich das psychologische gesellt, indem man sich große Muͤhe gegeben, viele Erzaͤhlungen, die offenbar juͤdische Fabeln sind, erfunden nach der Anleitung messianischer Weissagungen des alten Testaments, (uͤber welche Quelle die Ur¬ heber sogar selbst keinen Zweifel zulassen, in¬ dem sie hinzusetzen: es habe geschehen muͤs¬ sen, damit erfuͤllet wuͤrde, was geschrieben stehe), aus psychologischen Taͤuschungen begreif¬ lich zu machen. Verbunden hiemit ist die beliebte Ver¬ waͤsserungs-Methode, kraft welcher, unter dem Vorwand, dieses oder jenes seyen nur Redensarten orientalischen Schwulstes, die flachen Begriffe des behaglichsten gemeinen Verstandes, der modernen Moral und Reli¬ gion in die Urkunden hinein erklaͤrt werden. Zuletzt hat sich diese Entfernung der Wis¬ senschaft von der Speculation auch auf den Volksunterricht verbreitet, welcher rein mo¬ ralisch, ohne alle Ideen seyn sollte. Die Moral ist ohne Zweifel nichts auszeichnendes des Christenthums; um einiger Sittenspruͤche willen, wie die von der Liebe des Naͤchsten u. s. w. wuͤrde es nicht in der Welt und der Geschichte existirt haben. Es ist nicht die Schuld dieser gemeinen Menschenverstaͤndigkeit, wenn jenes moralische Predigen sich nicht noch tiefer herabgelassen und zu einem oͤkonomischen geworden ist. Die Prediger sollten wirklich zu verschiedenen Zeiten Landwirthe, Aerzte und was nicht alles seyn, und nicht allein die Kuhpocken von der Kanzel empfehlen, sondern auch die beste Art Kartoffeln zu erziehen, lehren. Ich mußte uͤber den Zustand der Theo¬ logie reden, weil ich das, was mir uͤber das Studium dieser Wissenschaft zu sagen noͤ¬ thig schien, nicht anders, als durch den Ge¬ gensatz gegen die herrschende Art desselben deutlich zu machen hoffen konnte. Die Goͤttlichkeit des Christenthums kann schlechterdings auf keine mittelbare Weise, son¬ dern nur eine unmittelbare und im Zusam¬ menhang mit der absoluten Ansicht der Ge¬ schichte erkannt werden. Deshalb ist unter andern der Begriff einer mittelbaren Offenba¬ rung, außerdem daß er nur zum Behuf ei¬ ner Zweydeutigkeit in der Rede ausgedacht ist, ein durchaus unzulaͤssiger, da er ganz empirisch ist. Was an dem Studium der Theologie wirklich bloß Sache der Empirie ist, wie die kritische und philologische Behandlung der er¬ sten christlichen Buͤcher, ist von dem Stu¬ dium der Wissenschaft an und fuͤr sich ganz abzusondern. Auf die Auslegung derselben koͤnnen die hoͤheren Ideen keinen Einfluß ha¬ ben, diese muß ganz unabhaͤngig wie bey jedem andern Schriftsteller geschehen, wo nicht gefragt wird, ob das, was er sagt, ver¬ nunftgemaͤß, historisch wahr oder religioͤs ist, sondern ob er es wirklich gesagt hat. Hin¬ wiederum ob diese Buͤcher aͤcht oder unaͤcht, die darinn enthaltenen Erzaͤhlungen wirkliche unentstellte Facta sind, ob ihr Inhalt selbst der Idee des Christenthums angemessen ist oder nicht, kann an der Realitaͤt derselben nichts aͤndern, da sie nicht von dieser Ein¬ zelheit abhaͤngig, sondern allgemein und ab¬ solut ist. Und schon laͤngst, wenn man nicht das Christenthum selbst als bloß zeitliche Er¬ scheinung begriffen haͤtte, waͤre die Auslegung frey gegeben, so daß wir in der historischen Wuͤrdigung dieser fuͤr die erste Geschichte des¬ selben so wichtigen Urkunden schon viel wei¬ ter gelangt seyn, und in einer so einfachen Sache nicht bis jetzt noch so viele Umwege und Verwickelungen gesucht wuͤrden. Das Wesentliche im Studium der Theo¬ logie ist die Verbindung der spekulativen und historischen Construction des Christenthums und seiner vornehmsten Lehren. Zwar an die Stelle des Exoterischen und Buchstaͤblichen des Christenthums das Esote¬ rische und Geistige treten zu lassen: diesem Beginnen widerspricht allerdings die offenbare Absicht der fruͤhesten Lehrer und der Kirche selbst, da diese wie jene zu jeder Zeit daruͤ¬ ber einverstanden waren, sich dem Eindrin¬ gen alles dessen, was nicht Sache aller Men¬ schen und voͤllig exoterisch seyn koͤnnte, zu wi¬ dersetzen. Es beweist ein richtiges Gefuͤhl, ein sicheres Bewußtseyn dessen, was sie wol¬ len mußten, in den ersten Gruͤndern, wie in den spaͤtern Haͤuptern des Christenthums, daß sie mit Ueberlegung entfernten, was der Oeffentlichkeit desselben Eintrag thun konnte, und es ausdruͤcklich als Haresis, als der Uni¬ versalitaͤt entgegenwirkend, ausschlossen. Selbst unter denjenigen, die zu der Kirche und den Orthodoxen gehoͤrten, erlangten doch die, wel¬ che am meisten auf den Buchstaben drangen, das groͤßte Ansehen, ja sie haben eigentlich das Christenthum als universelle Religions¬ form erschaffen. Nur der Buchstabe des Oc¬ cidentes konnte dem vom Orient kommenden idealen Princip einen Leib und die aͤußere Gestalt geben, wie das Licht der Sonne nu in dem Stoff der Erde seine herrlichen Ideen ausgebiert. Aber eben dieses Verhaͤltniß, welches den ersten Formen des Christenthums den Ur¬ sprung gab, kehrt, nachdem jene dem Ge¬ setz der Endlichkeit gemaͤß zerfallen sind, und die offenbare Unmoͤglichkeit ist, das Christen¬ thum in der exoterischen Gestalt zu behaup¬ ten, aufs Neue zuruͤck. Das Esoterische muß also hervortreten und, von seiner Huͤlle be¬ freyt, fuͤr sich leuchten. Der ewig lebendige Geist aller Bildung und Erschaffung wird es in neue und daurendere Formen kleiden, da es an dem dem Idealen entgegengesetzten Stoff nicht fehlt, der Occident und Orient sich in Einer und derselbigen Bildung nahe geruͤckt sind, und uͤberall, wo Entgegengesetzte sich beruͤhren, neues Leben entzuͤndet wird. Der Geist der neueren Welt hat in der Schonungs¬ losigkeit, womit er auch die schoͤnsten aber endlichen Formen, nach Zuruͤckziehung ihres Lebensprincips, in sich zerfallen ließ, hin¬ laͤnglich seine Absicht offenbart, das Unend¬ liche in ewig neuen Formen zu gebaͤhren. Daß er das Christenthum nicht als einzelne empirische Erscheinung, sondern als jene ewige Idee selbst wolle, hat er eben so klar bezeugt. Die nicht auf die Vergangenheit eingeschraͤnk¬ ten, sondern auf eine ungemessene Zeit sich er¬ streckenden Bestimmungen des Christenthums lassen sich deutlich genug in der Poesie und Philosophie erkennen. Jene fodert die Reli¬ gion als die oberste, ja einzige Moͤglichkeit auch der poetischen Versoͤhnung: diese hat mit dem wahrhaft spekulativen Standpunct auch den der Religion wieder errungen, den Empirismus und ihm gleichen Naturalismus 14 nicht bloß partiell, sondern allgemein aufge¬ hoben, und die Wiedergeburt des esoterischen Christenthums, wie die Verkuͤndigung des ab¬ soluten Evangelium in sich vorbereitet. Zehnte Vorlesung. Ueber das Studium der Hi¬ storie und der Jurisprudenz. 14 * W ie das Absolute selbst in der Doppelgestalt der Natur und Geschichte als Ein und Dassel¬ bige erscheint, zerlegt die Theolgie als Indiffe¬ renzpunct der realen Wissenschaften sich von der einen Seite in die Historie, von der andern in die Naturwissenschaft, deren jede ihren Gegen¬ stand getrennt von dem andern und eben damit auch von der obersten Einheit betrachtet. Dieß verhindert nicht, daß nicht jede der¬ selben in sich den Centralpunct herstellen, und so in das Urwissen zuruͤckgehen koͤnne. Die gemeine Vorstellung der Natur und Geschichte ist, daß in jener alles durch empiri¬ sche Nothwendigkeit, in dieser alles durch Frey¬ heit geschehe. Aber eben dieß sind selbst nur die Formen oder Arten, außer dem Absoluten zu seyn. Die Geschichte ist in so fern die hoͤhere Potenz der Natur, als sie im Idealen aus¬ druͤckt, was diese im Realen: dem Wesen nach aber ist ebendeswegen dasselbe in beyden, nur veraͤndert durch die Bestimmung oder Potenz, unter der es gesetzt ist. Koͤnnte in beyden das reine An-sich erblickt werden, so wuͤrden wir dasselbe, was in der Geschichte ideal, in der Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit, als Erscheinung, kann nichts erschaffen: es ist Ein Universum, welches die zwiefache Form der abgebildeten Welt jede fuͤr sich und in ihrer Art ausdruͤckt. Die vollendete Welt der Geschichte waͤre demnach selbst eine ideale Natur, der Staat, als der aͤußere Organismus einer in der Freyheit selbst erreichten Harmonie der Nothwen¬ digkeit und der Freyheit. Die Geschichte, so fern sie die Bildung dieses Vereins zum vor¬ zuͤglichsten Gegenstand hat, waͤre Geschichte im engern Sinn des Wortes. Die Frage, welche uns hier zunaͤchst ent¬ gegenkommt, naͤmlich ob Historie Wissenschaft seyn koͤnne? scheint wegen ihrer Beantwortung keinen Zweifel zuzulassen. Wenn naͤmlich Historie, als solche, und von dieser ist die Rede, der letzten entgegengesetzt ist, wie im Vorhergehenden allgemein angenommen wurde, so ist klar, daß sie nicht selbst Wissenschaft seyn koͤnne, und wenn die realen Wissenschaften Syn¬ thesen des Philosophischen und Historischen sind, so kann ebendeswegen die Historie selbst nicht wieder eine solche seyn, so wenig als es Philosophie seyn kann. Sie traͤte also in der letzten Beziehung mit dieser auf gleichen Rang. Um dieses Verhaͤltniß noch bestimmter ein¬ zusehen, unterscheiden wir die verschiedenen Standpuncte, auf welchen Historie gedacht werden koͤnnte. Der hoͤchste, der von uns im Vorherge¬ henden erkannt wurde, ist der religioͤse oder derjenige, in welchem die ganze Geschichte als Werk der Vorsehung begriffen wird. Daß die¬ ser nicht in der Historie als solcher geltend ge¬ macht werden koͤnne, folgt daraus, daß er von dem philosophischen nicht wesentlich verschieden ist. Es versteht sich, daß ich hiemit weder die re¬ ligioͤse noch die philosophische Construction der Ge¬ schichte laͤugne; allein jene gehoͤrt der Theolo¬ gie, diese der Philosophie an, und ist von der Historie als solcher nothwendig verschieden. Der entgegengesetzte Standpunct des ab¬ soluten ist der empirische, welcher wieder zwey Seiten hat. Die der reinen Aufnahme und Aus¬ mittlung des Geschehenen, welche Sache des Ge¬ schichtforschers ist, der von dem Historiker als sol¬ chen nur eine Seite repraͤsentirt. Die der Ver¬ bindung des empirischen Stoffs nach einer Ver¬ standes-Identitaͤt, oder, weil die letztere nicht in den Begebenheiten an und fuͤr sich selbst lie¬ gen kann, indem diese empirisch viel mehr zufaͤl¬ lig und nicht harmonisch erscheinen, der An¬ ordnung nach einem durch das Subject entwor¬ fenen Zweck, der in so fern didaktisch oder po¬ litisch ist. Diese Behandlung der Geschichte in ganz bestimmter, nicht allgemeiner Absicht, ist, was, der von den Alten festgesetzten Bedeu¬ tung zufolge, die pragmatische heißt. So ist Polybius, der sich uͤber diesen Begriff ausdruͤck¬ lich erklaͤrt, pragmatisch wegen der ganz be¬ stimmten auf die Technik des Kriegs gerichte¬ ten Absicht seiner Geschichtsbuͤcher: so Tacitus, weil er Schritt vor Schritt an dem Verfall des roͤmischen Staats die Wirkungen der Sittenlo¬ sigkeit und des Despotismus darstellt. Die Modernen sind geneigt, den pragma¬ tischen Geist fuͤr das Hoͤchste in der Historie zu halten und zieren sich selbst untereinander mit dem Praͤdicat desselben, als mit dem groͤßten Lob. Aber eben wegen ihrer subjectiven Ab¬ haͤngigkeit wird Niemand, der Sinn hat, die Darstellungen der beyden angefuͤhrten Ge¬ schichtschreiber in den ersten Rang der Historie setzen. Bey den Deutschen hat es nun uͤber¬ dieß mit dem pragmatischen Geist in der Regel die Bewandtniß, wie bey dem Famulus in Goe¬ the's Faust: „Was sie den Geist der Zeiten nen¬ nen, ist ihr eigner Geist, worinn die Zeiten sich bespiegeln.“ In Griechenland ergriffen die erhabensten, gereistesten, erfahrungsreichsten Geister den Griffel der Geschichte, um sie wie mit ewigen Charakteren zu schreiben. Herodo¬ tus ist ein wahrhaft Homerischer Kopf, im Thucydides concentrirt sich die ganze Bildung des Perikleischen Zeitalters zu einer goͤtt¬ lichen Anschauung. In Deutschland, wo die Wissenschaft immer mehr eine Sache der In¬ dustrie wird, wagen sich gerade die geistlosesten Koͤpfe an die Geschichte. Welch ein widerli¬ cher Anblick, das Bild großer Begebenheiten und Karaktere im Organ eines kurzsichtigen und einfaͤltigen Menschen entworfen, besonders wenn er sich noch Gewalt anthut, Verstand zu haben und diesen etwa darein setzt, die Groͤße der Zeiten und Voͤlker nach beschraͤnkten Ansich¬ ten, z. B. Wichtigkeit des Handels, diesen oder jenen nuͤtzlichen oder verderblichen Erfindun¬ gen zu schaͤtzen und uͤberhaupt einen so viel moͤglich gemeinen Maasstab an alles Erhabene zu legen: oder wenn er auf der andern Seite den historischen Pragmatismus darinn sucht, sich selbst durch Raͤsonniren uͤber die Begeben¬ heiten oder Ausschmuͤcken des Stoffs mit leeren rhetorischen Floskeln geltend zu machen, z. B. von den bestaͤndigen Fortschritten der Mensch¬ heit und wie Wir's denn zuletzt so herrlich weit gebracht. Dennoch ist selbst unter dem Heiligsten nichts, das heiliger waͤre als die Geschichte, dieser große Spiegel des Weltgeistes, dieses ewige Gedicht des goͤttlichen Verstandes: nichts das weniger die Beruͤhrung unreiner Haͤnde er¬ truͤge. Der pragmatische Zweck der Geschichte schließt von selbst die Universalitaͤt aus und fo¬ dert nothwendig auch einen beschraͤnkten Gegen¬ stand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine richtige und empirisch begruͤndete Verknuͤpfung der Begebenheiten, durch welche der Verstand zwar aufgeklaͤrt wird, die Vernunft aber ohne andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants Plan einer Geschichte im weltbuͤrgerlichen Sinn beabsichtigt eine bloße Verstandesgesetzmaͤßigkeit im Ganzen derselben, die nur hoͤher, naͤmlich in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur, gesucht wird, durch welche aus dem Krieg der Friede, zuletzt sogar der ewige und aus vielen andern Verirrungen endlich die aͤchte Rechtsver¬ fassung entstehen soll. Allein dieser Plan der Natur ist selbst nur der empirische Widerschein der wahren Nothwendigkeit, so wie die Ab¬ sicht einer darnach geordneten Geschichte nicht sowohl eine weltbuͤrgerliche als eine buͤrgerliche heißen muͤßte, den Fortgang naͤmlich der Menschheit zum ruhigen Verkehr, Gewerbe und Handelsbetrieb unter sich, und dieses so¬ nach uͤberhaupt als die hoͤchsten Fruͤchte des Menschenlebens und seiner Anstrengungen dar¬ zustellen. Es ist klar, daß, da die bloße Verknuͤp¬ fung der Begebenheiten nach empirischer Noth¬ wendigkeit immer nur pragmatisch seyn kann, die Historie aber in ihrer hoͤchsten Idee von aller subjectiven Beziehung unabhaͤngig und befreyt seyn muß, auch uͤberhaupt der em¬ pirische Standpunct nicht der hoͤchste ihrer Darstellungen seyn koͤnne. Auch die wahre Historie beruht auf einer Synthesis des Gegebenen und Wirklichen mit dem Idealen, aber nicht durch Philosophie, da diese die Wirklichkeit vielmehr aufhebt und ganz ideal ist: Historie aber ganz in jener und doch zugleich ideal seyn soll. Dieses ist nirgend als in der Kunst moͤglich, welche das Wirkliche ganz bestehen laͤßt, wie die Buͤhne reale Be¬ gebenheiten oder Geschichten, aber in einer Vol¬ lendung und Einheit darstellt, wodurch sie Aus¬ druck der hoͤchsten Ideen werden. Die Kunst also ist es, wodurch die Historie, indem sie Wissenschaft des Wirklichen als solchen ist, zu¬ gleich uͤber dasselbe auf das hoͤhere Gebiet des Idealen erhoben wird, auf dem die Wissen¬ schaft steht; und der dritte und absolute Stand¬ punct der Historie ist demnach der der histori¬ schen Kunst. Wir haben das Verhaͤltniß desselben zu den vorherangegebenen zu zeigen. Es versteht sich, daß der Historiker nicht, einer vermeynten Kunst zu lieb, den Stoff der Geschichte veraͤndern kann, deren oberstes Ge¬ setz Wahrheit seyn soll. Eben so wenig kann die Meynung seyn, daß die hoͤhere Darstellung den wirklichen Zusammenhang der Begebenhei¬ ten vernachlaͤssige, es hat vielmehr hiermit ganz dieselbe Bewandtniß, wie mit der Be¬ gruͤndung der Handlungen im Drama, wo zwar die einzelne aus der vorhergehenden und zuletzt alles aus der ersten Synthesis mit Noth¬ wendigkeit entspringen muß, die Aufeinander¬ folge selbst aber nicht empirisch, sondern nur aus einer hoͤhern Ordnung der Dinge begreif¬ lich seyn muß. Erst dann erhaͤlt die Geschichte ihre Vollendung fuͤr die Vernunft, wenn die empirischen Ursachen, indem sie den Verstand befriedigen, als Werkzeuge und Mittel der Er¬ scheinung einer hoͤheren Nothwendigkeit ge¬ braucht werden. In solcher Darstellung kann die Geschichte die Wirkung des groͤßten und erstaunenswuͤrdigsten Drama nicht verfehlen, das nur in einem unendlichen Geiste gedichtet seyn kann. Wir haben die Historie auf die gleiche Stufe mit der Kunst gesetzt. Aber, was diese darstellt, ist immer eine Identitaͤt der Noth¬ wendigkeit und Freyheit, und diese Erscheinung, vornehmlich in der Tragoͤdie, ist der eigentliche Gegenstand unserer Bewunderung. Diese selbe Identitaͤt aber ist zugleich der Standpunct der Philosophie und selbst der Religion fuͤr die Ge¬ schichte, da diese in der Vorsehung nichts an¬ ders, als die Weisheit erkennt, welche in dem Plane der Welt die Freyheit der Menschen mit der allgemeinen Nothwendigkeit und umgekehrt diese mit jener vereinigt. Nun soll aber die Historie wahrhaft weder auf dem philosophi¬ schen noch auf dem religioͤsen Standpunct ste¬ hen. Sie wird demnach auch jene Identitaͤt der Freyheit und Nothwendigkeit in dem Sin¬ ne darstellen muͤssen, wie sie vom Gesichtspunct der Wirklichkeit aus erscheint, den sie auf keine Weise verlassen soll. Von diesem aus ist sie aber nur als unbegriffene und ganz objective Identitaͤt erkennbar, als Schicksal. Die Mey¬ nung ist nicht, daß der Geschichtschreiber das Schicksal im Munde fuͤhre, sondern daß es durch die Objectivitaͤt seiner Darstellung von selbst und ohne sein Zuthun erscheine. Durch die Geschichtsbuͤcher des Herodotus gehen Ver¬ haͤngniß und Vergeltung als unsichtbare uͤberall waltende Gottheiten; in dem hoͤheren und voͤllig unabhaͤngigen Styl des Thucydides, der sich schon durch die Einfuͤhrung der Reden dra¬ matisch zeigt, ist jene hoͤhere Einheit in der Form ausgedruͤckt und ganz bis zur aͤußern Er¬ scheinung gebracht. Ueber die Art, wie Historie studiert wer¬ den soll, moͤge folgendes hinreichen. Sie muß im Ganzen nach Art des Epos betrachtet wer¬ den, das keinen bestimmten Anfang und kein be¬ stimmtes Ende hat: man nehme denjenigen Punct heraus, den man fuͤr den bedeutendsten oder interessantesten haͤlt, und von diesem aus bilde und erweitere sich das Ganze nach allen Richtungen. Man meide die sogenannten Universalhi¬ storien, die nichts lehren; andere giebt es noch nicht. Die wahre Universalgeschichte muͤßte im epischen Styl, also in dem Geiste verfaßt seyn, deren Anlage im Herodotus ist. Was man jetzt so nennt, sind Compendien, da¬ rinn alles Besondere und Bedeutende verwischt ist: auch derjenige aber, der Historie nicht zu seinem besondern Fach waͤhlt, gehe so viel moͤg¬ lich zu den Quellen und den Particulargeschichten, die ihn bey weitem mehr unterrichten. Er lerne fuͤr die neuere Geschichte die naive Ein¬ falt der Chroniken liebgewinnen, die keine praͤ¬ tensionvollen Karakterschilderungen machen, oder psychologisch motiviren. Wer sich zum historischen Kuͤnstler bilden will, halte sich einzig an die großen Muster der Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen und oͤffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬ den konnten. Wenn wir von Gibbon absehen, dessen Werk die umfassende Conception und die ganze Macht des großen Wendepunctes der neueren Zeit fuͤr sich hat, obgleich er nur Red¬ ner nicht Geschichtschreiber ist, existiren bloß wahrhaft nationelle Historiker, unter denen die spaͤtere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Muͤller nennen wird. Welche Stufen derjenige zu erklimmen hat, der wuͤrdiger Weise die Geschichte ver¬ zeichnen will, koͤnnten die, so diesem Beruf sich weihen, vorerst nur aus den Briefen, welche dieser als Juͤngling geschrieben, ohngefaͤhr er¬ messen. Aber uͤberhaupt alles, was Wissen¬ schaft und Kunst, was ein erfahrungsreiches 15 und oͤffentliches Leben vermoͤgen, muß dazu beytragen, den Historiker zu bilden. Die ersten Urbilder des historischen Styls sind das Epos in seiner urspruͤnglichen Ge¬ stalt und die Tragoͤdie; denn wenn die univer¬ selle Geschichte, deren Anfaͤnge, wie die Quel¬ len des Nils, unerkennbar, die epische Form und Fuͤlle liebt, will die besondere dagegen mehr concentrisch um einen gemeinschaftlichen Mittelpunct gebildet seyn; davon zu schweigen, daß fuͤr den Historiker die Tragoͤdie die wahre Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬ kungsart ist, zu welcher er gebildet seyn muß. Als den Gegenstand der Historie im en¬ gern Sinne bestimmten wir die Bildung eines objectiven Organismus der Freyheit oder des Staats. Es giebt eine Wissenschaft desselben, so nothwendig es eine Wissenschaft der Natur giebt. Seine Idee kann um so weniger aus der Erfahrung genommen seyn, da diese hier vielmehr selbst erst nach Ideen geschaffen und der Staat als Kunstwerk erscheinen soll. Wenn die realen Wissenschaften uͤberhaupt nur durch das historische Element von der Phi¬ losophie geschieden sind, so wird dasselbe auch von der Rechtswissenschaft gelten; aber nur so viel von dem Historischen derselben kann der Wissenschaft angehoͤren, als Ausdruck von Ideen ist, nicht also, was seiner Natur nach bloß endlich ist, wie alle Formen der Gesetze, die sich allein auf den aͤußeren Mechanismus des Staats beziehen, wohin fast der ganze Inbe¬ griff derjenigen gehoͤrt, welche in der gegenwaͤr¬ tigen Rechtswissenschaft gelehrt werden, und in denen man den Geist eines oͤffentlichen Zustan¬ des nur noch wie in Truͤmmern wohnen sieht. In Ansehung derselben giebt es keine an¬ dere Vorschrift, als sie empirisch, wie es zu dem Gebrauch in einzelnen Faͤllen vor Gerichts¬ hoͤfen oder in oͤffentlichen Verhaͤltnissen noͤthig ist, zu erlernen und zu lehren, und nicht die Philosophie zu entweihen, indem man sie in Dinge einmischt, welche an ihr keinen Theil haben. Die wissenschaftliche Construction des Staats wuͤrde, was das innere Leben desselben betrifft, kein entsprechendes historisches Element 15 * in den spaͤteren Zeiten finden, außer in wie fern selbst das Entgegengesetzte wieder zum Re¬ flex desjenigen dient, von dem es dieß ist. Das Privatleben und mit ihm auch das Pri¬ vatrecht hat sich von dem oͤffentlichen getrennt; jenes aber hat, abgesondert von diesem, so we¬ nig Absolutheit, als es in der Natur das Seyn der einzelnen Koͤrper und ihr besonderes Ver¬ haͤltniß unter einander hat. Da in der gaͤnz¬ lichen Zuruͤckziehung des allgemeinen und oͤf¬ fentlichen Geistes von dem einzelnen Leben die ses als die rein endliche Seite des Staats und voͤllig todt zuruͤckgeblieben ist, so ist auf die Gesetzmaͤßigkeit, die in ihm herrscht, durchaus keine Anwendung von Ideen und hoͤchstens die eines mechanischen Scharfsinnes moͤglich, um die empirischen Gruͤnde derselben in einzel¬ nen Faͤllen darzuthun oder streitige Faͤlle nach jenen zu entscheiden. Was allein von dieser Wissenschaft einer universell-historischen Ansicht faͤhig seyn moͤch¬ te, ist die Form des oͤffentlichen Lebens, in wie fern diese, auch ihren besondern Bestimmun¬ gen nach, aus dem Gegensatz der neuen mit der alten Welt begriffen werden kann und eine allgemeine Nothwendigkeit hat. Die Harmonie der Nothwendigkeit und Freyheit, die sich nothwendig aͤußerlich und in einer objectiven Einheit ausdruͤckt, dif¬ ferenziirt sich in dieser Erscheinung selbst wie¬ der nach zwey Seiten, und hat eine verschie¬ dene Gestalt, je nachdem sie im Realen oder Idealen ausgedruͤckt wird. Die vollkomme¬ ne Erscheinung derselben im Ersten ist der vollkommene Staat, dessen Idee erreicht ist, sobald das Besondere und das Allgemeine ab¬ solut Eins, alles was nothwendig zugleich frey und alles frey geschehende zugleich nothwendig ist. Indem das aͤußere und oͤffentliche Leben, in einer objectiven Harmonie jener beyden, ver¬ schwand, mußte es durch das subjective in ei¬ ner idealen Einheit ersetzt werden, welche die Kirche ist. Der Staat, in seiner Entgegense¬ tzung gegen die Kirche, ist selbst wieder die Na¬ turseite des Ganzen, worinn beyde Eins sind. In seiner Absolutheit mußte er das Entgegen¬ gesetzte Erscheinung verdraͤngen, eben des¬ wegen weil er es begriff: wie der griechische Staat keine Kirche kannte, wenn man nicht die Myste¬ rien dafuͤr rechnen will, die aber selbst nur ein Zweig des oͤffentlichen Lebens waren; seit die Mysterien exoterisch sind, ist der Staat dage¬ gen esoterisch, da in ihm nur das Einzelne im Ganzen, zu welchem es im Verhaͤltniß der Dif¬ ferenz ist, nicht aber das Ganze auch im Ein¬ zelnen lebt. In der realen Erscheinung des Staats existirte die Einheit in der Vielheit, so daß sie voͤllig mit ihr eins war: mit der Ent¬ gegensetzung beyder sind auch alle andere in dieser begriffnen Gegensaͤtze im Staat hervor¬ getreten. Die Einheit mußte das Herrschende werden, aber nicht in der absoluten sondern ab¬ stracten Gestalt, in der Monarchie, deren Be¬ griff mit dem der Kirche wesentlich verflochten ist. Im Gegentheil mußte die Vielheit oder Menge, durch ihre Entgegensetzung mit der Einheit selbst, ganz in Einzelnheit zerfallen, und hoͤrte auf, Werkzeug des Allgemeinen zu seyn. Wie die Vielheit in der Natur als Ein¬ bildung der Unendlichkeit in die Endlichkeit wieder absolut, in sich Einheit und Vielheit ist, so war in dem vollkommenen Staat die Viel¬ heit eben dadurch, daß sie zu einer abgeschlosse¬ nen Welt (im Sklavenstand) organisirt war, innerhalb derselben absolut, die gesonderte, aber eben deswegen in sich bestehende, reale Seite des Staats, waͤhrend aus dem gleichen Grunde die Freyen in dem reinen Aether eines idealen und dem der Ideen gleichen Lebens sich bewegten. Die neue Welt ist in allen Bezie¬ hungen die Welt der Mischung, wie die alte die der reinen Sonderung und Beschraͤnkung. Die sogenannte buͤrgerliche Freyheit hat nur die truͤbste Vermengung der Sklaverey mit der Freyheit, aber kein absolutes und eben dadurch w ieder freyes Bestehen der einen oder andern hervorgebracht. Die Entgegensetzung der Ein¬ heit und der Vielheit machte in dem Staat die Mittler nothwendig, die aber in dieser Mitte von Herrschen und Beherrschtseyn zu keiner ab¬ soluten Welt sich ausbildeten, und nur in der Entgegensetzung waren, niemals aber eine un¬ abhaͤngige, ihnen eigenthuͤmlich inwohnende und wesentliche Realitaͤt erlangten. Das erste Streben eines jeden, der die po¬ sitive Wissenschaft des Rechts und des Staats selbst als ein Freyer begreifen will, muͤßte die¬ ses seyn, sich durch Philosophie und Geschichte die lebendige Anschauung der spaͤteren Welt und der in ihr nothwendigen Formen des oͤf¬ fentlichen Lebens zu verschaffen: es ist nicht zu berechnen, welche Quelle der Bildung in dieser Wissenschaft eroͤffnet werden koͤnnte, wenn sie mit unabhaͤngigem Geiste, frey von der Bezie¬ hung auf den Gebrauch und an sich behandelt wuͤrde. Die wesentliche Voraussetzung hiezu ist die aͤchte und aus Ideen gefuͤhrte Construction des Staats, eine Aufgabe, von welcher bis jetzt die Republik des Plato die einzige Aufloͤ¬ sung ist. Obgleich wir auch hierinn den Ge¬ gensatz des Modernen und Antiken anerkennen muͤssen, wird dieses goͤttliche Werk doch im¬ mer das Urbild und Muster bleiben. Was sich uͤber die wahre Synthesis des Staats, in dem gegenwaͤrtigen Zusammenhang, aus¬ sprechen ließ, ist im Vorhergehenden wenig¬ stens angedeutet, und kann ohne die Ausfuͤh¬ rung oder die Hinweisung auf ein vorhandenes Document nicht weiter erklaͤrt werden. Ich beschraͤnke mich daher auf die Anzeige desjeni¬ gen, was in der bisherigen Behandlung des sogenannten Naturrechts allein beabsichtigt und geleistet worden ist. Fast am hartnaͤckigsten hat in diesem Theil der Philosophie sich das analytische Wesen und der Formalismus erhalten. Die ersten Be¬ griffe wurden entweder aus dem roͤmischen Recht oder von irgend einer eben gangbaren Form hergenommen, so daß das Naturrecht nicht nur alle moͤglichen Triebe der menschlichen Natur, die ganze Psychologie, sondern auch alle er¬ denkliche Formeln nach und nach durchgewan¬ dert ist. Durch Analyse derselben wurde eine Reihe formaler Saͤtze gefunden, mit deren Huͤlfe man nachher in der positiven Jurisprudenz auf¬ zuraͤumen hoffte. Besonders haben Kantische Juristen diese Philosophie als Magd ihrer Scienz zu brau¬ chen, fleißig angefangen und zu diesem Behuf auch richtig immer das Naturrecht reformirt. Diese Art des Philosophirens aͤußert sich als ein Schnappen nach Begriffen, gleich viel wel¬ cher Art sie sind, nur daß sie eine Einzelheit seyen, damit der, welcher sie aufgefangen, durch die Muͤhe, die er sich giebt, die uͤbrige Masse nach ihr zu verziehen, sich das Ansehen eines eignen Systems geben koͤnne, das aber dann in kurzer Zeit wieder durch ein anderes eigenes verdraͤngt wird u. s. w. Das erste Unternehmen, den Staat wie¬ der als reale Organisation zu construiren, war Fichte's Naturrecht. Wenn die bloß negative Seite der Verfassung, die nur auf Sicherstel¬ lung der Rechte geht, isolirt, und wenn von aller positiven Veranstaltung fuͤr die Energie die rhythmische Bewegung und die Schoͤnheit des oͤffentlichen Lebens abstrahirt werden koͤnn¬ te: so wuͤrde sich schwerlich uͤberhaupt ein an¬ deres Resultat oder eine andere Form des Staats ausfindig machen lassen, als in jenem dargestellt ist. Aber das Herausheben der bloß endlichen Seite dehnt den Organismus der Verfassung in einen endlosen Mechanismus aus, in dem nichts Unbedingtes angetroffen wird. Ueberhaupt aber kann allen bisherigen Versuchen die Abhaͤngigkeit ihres Bestrebens vorgeworfen werden, naͤmlich eine Einrichtung des Staats zu ersinnen, damit jenes oder dieses erreicht werde. Ob man diesen Zweck in die allgemeine Gluͤckseligkeit, in die Befriedi¬ gung der socialen Triebe der menschlichen Na¬ tur, oder in etwas rein Formales, wie das Zusammenleben freyer Wesen unter den Bedin¬ gungen der moͤglichsten Freyheit, setzt, ist in jener Beziehung voͤllig gleichguͤltig: denn in jedem Fall wird der Staat nur als Mittel, als bedingt und abhaͤngig begriffen. Alle wahre Construction ist ihrer Natur nach absolut und immer nur auf Eines, auch in der besondern Form, gerichtet. Sie ist z. B. nicht Constru¬ ction des Staats als solchen, sondern des ab¬ soluten Organismus in der Form des Staats. Diesen construiren heißt also nicht, ihn als Be¬ dingung der Moͤglichkeit von irgend etwas aͤu¬ ßerem fassen und uͤbrigens, wenn er nur vor¬ erst als das unmittelbare und sichtbare Bild des absoluten Lebens dargestellt ist, wird er auch von selbst alle Zwecke erfuͤllen: wie die Natur nicht ist, damit ein Gleichgewicht der Materie sey, sondern dieses Gleichgewicht ist, weil die Natur ist. Eilfte Vorlesung. Ueber die Naturwissenschaft im Allgemeinen. W enn wir von der Natur absolut reden wol¬ len, so verstehen wir darunter das Universum ohne Gegensatz, und unterscheiden nur in die¬ sem wieder die zwey Seiten: die, in welcher die Ideen auf reale, und die, in welcher sie auf ideale Weise gebohren werden. Beydes geschieht durch eine und dieselbe Wirkung des absoluten Producirens und nach den gleichen Ge¬ setzen, so daß in dem Universum an und fuͤr sich selbst kein Zwiespalt, sondern die vollkom¬ mene Einheit ist. Um die Natur als die allgemeine Geburt der Ideen zu fassen, muͤssen wir auf den Ur¬ sprung und die Bedeutung von diesen selbst zu¬ ruͤckgehen. Jener liegt in dem ewigen Gesetze der Ab¬ solutheit: sich selbst Object zu seyn: denn kraft desselben ist das Produciren Gottes eine Ein¬ bildung der ganzen Allgemeinheit und Wesen¬ heit in besondere Formen, wodurch diese, als besondere, doch zugleich Universa und das sind, was die Philosophen Monaden oder Ideen ge¬ nannt haben. Es wird in der Philosophie ausfuͤhrlicher gezeigt, daß die Ideen die einzigen Mittler sind, wodurch die besondern Dinge in Gott seyn koͤnnen, und daß nach diesem Gesetz so viel Universa als besondere Dinge sind, und doch, wegen der Gleichheit des Wesens, in allen nur Ein Universum. Obgleich nun die Ideen in Gott rein und absolut ideal sind, sind sie doch nicht todt, sondern lebendig, die ersten Organismen der goͤttlichen Selbstanschauung, die eben deswegen an allen Eigenschaften seines Wesens und in der besondern Form dennoch an der ungetheilten und absoluten Realitaͤt theil¬ nehmen. Kraft dieser Mittheilung sind sie, gleich Gott, productiv und wirken nach demselben Gesetze und auf die gleiche Weise, indem sie ihre Wesenheit in das Besondere bilden, und durch einzelne und besondere Dinge erkennbar machen, in ihnen selbst und fuͤr sich ohne Zeit, vom Standpunct der einzelnen Dinge aber und fuͤr diese in der Zeit. Die Ideen verhalten sich als die Seelen der Dinge, diese als ihre Leiber; jene sind in dieser Beziehung nothwen¬ dig unendlich, diese endlich. Das Unendliche kann aber mit dem Endlichen nie anders, als durch innere und wesentliche Gleichheit Eins werden. Wenn also dieses nicht in sich selbst, und als endlich, das ganze Unendliche schon be¬ greift und ausdruͤckt, und es selbst ist, nur von der objectiven Seite angesehen, kann auch die Idee nicht als Seele eintreten, und das Wesen erscheint nicht an sich selbst, sondern durch ein anderes, naͤmlich das Seyn. Wenn dagegen das Endliche, als solches, das ganze Unendliche in sich gebildet traͤgt, wie der voll¬ kommenste Organismus, der fuͤr sich schon die ganze Idee ist, tritt auch das Wesen des Dinges als Seele, als Idee hinzu und die Realitaͤt loͤst sich wieder in die Idealitaͤt auf. Dieß geschieht in der Vernunft, welche dem¬ nach das Centrum der Natur und des Objectiv¬ werdens der Ideen ist. 16 Wie also das Absolute in dem ewigen Er¬ kenntnißact sich selbst in den Ideen objectiv wird, so wirken diese auf eine ewige Weise in der Natur, welche sinnlich, d. i. vom Stand¬ punct der einzelnen Dinge angeschaut, diese auf zeitliche Weise gebiert, und, indem sie den goͤttlichen Saamen der Ideen empfangen hat, endlos fruchtbar erscheint. Wir sind bey dem Puncte, wo wir die beyden Erkenntniß- und Betrachtungsarten der Natur in ihrer Entgegensetzung verstaͤndlich machen koͤnnen. Die eine, welche die Natur als das Werkzeug der Ideen, oder allgemein als die reale Seite des Absoluten und demnach selbst absolut, die andere, welche sie fuͤr sich als getrennt vom Idealen und in ihrer Relativitaͤt betrachtet. Wir koͤnnen die erste allgemein die philosophische, die andere die empirische nen¬ nen, und stellen die Frage uͤber den Werth der¬ selben so, daß wir untersuchen: ob die empi¬ rische Betrachtungsart uͤberhaupt und in irgend einem Sinn zu einer Wissenschaft der Na¬ tur fuͤhren koͤnne? Es ist klar, daß die empirische Ansicht sich nicht uͤber die Koͤrperlichkeit erhebt und diese als etwas, das an sich selbst ist, betrachtet, da jene dagegen sie nur als das in ein Reales (durch den Act der Subject-Objectivirung) verwandelte Ideale begreift. Die Ideen sym¬ bolisiren sich in den Dingen, und da sie an sich Formen des absoluten Erkennens sind, erschei¬ nen sie in diesen als Formen des Seyns, wie auch die plastische Kunst ihre Ideen toͤdtet, um ihnen die Objectivitaͤt zu geben. Der Empi¬ rismus nimmt das Seyn ganz unabhaͤngig von seiner Bedeutung, da es die Natur des Sym¬ bols ist, ein eigenes Leben in sich selbst zu ha¬ ben. In dieser Trennung kann es nur als rein Endliches, mit gaͤnzlicher Negation des Unend¬ lichen erscheinen. Und wenn nur diese Ansicht in der spaͤteren Physik sich zur Allgemeinheit ausgebildet haͤtte, und jenem Begriff der Ma¬ terie, als dem rein Leiblichen, nicht dennoch der des Geistes, absolut entgegenstuͤnde, wo¬ durch sie verhindert wird, wenigstens in sich selbst ein Ganzes zu seyn, und diejenige Vollen¬ 16* dung zu haben, die sie im System der alten Atomistik, vorzuͤglich des Epikurus, erlangt hat. Dieses befreyt durch die Vernichtung der Natur selbst das Gemuͤth von der Sehnsucht und Furcht, anstatt daß jene vielmehr sich mit allen Vorstellungen des Dogmatismus befreun¬ det und selbst dient, die Entzweyung zu erhal¬ ten, aus der sie hervorgegangen ist. Dieses Denksystem, welches seinen Ur¬ sprung vom Cartesius herschreibt, hat das Ver¬ haͤltniß des Geistes und der Wissenschaft zur Natur selbst wesentlich veraͤndert. Ohne hoͤ¬ here Vorstellungen der Materie und der Natur, als die Atomenlehre, und doch ohne den Muth, diese zum umfassenden Ganzen zu erweitern, betrachtet es die Natur im Allgemeinen als ein verschlossenes Buch, als ein Geheimniß, das man immer nur im Einzelnen, und auch die¬ ses nur durch Zufall oder Gluͤck, niemals aber im Ganzen erforschen koͤnne. Wenn es we¬ sentlich zum Begriff der Wissenschaft ist, daß sie selbst nicht atomistisch, sondern aus Ei¬ nem Geiste gebildet sey und die Idee des Gan¬ zen den Theilen, nicht umgekehrt, diese jener vorangehen, so ist schon hieraus klar, daß eine wahre Wissenschaft der Natur auf diesem Wege unmoͤglich und unerreichbar sey. Die rein-endliche Auffassung hebt an und fuͤr sich schon alle organische Ansicht auf, und setzt an die Stelle derselben die einfache Reihe des Mechanismus, so wie an die Stelle der Con¬ struction die Erklaͤrung. In dieser wird von den beobachteten Wirkungen auf die Ursachen zuruͤckgeschlossen; allein daß es eben diese und keine andern sind, wuͤrde, wenn auch uͤbrigens die Schlußart zulaͤssig und keine Erscheinung waͤre, die unmittelbar aus einem absoluten Princip kaͤme, selbst daraus nicht gewiß seyn, daß jene durch sie begreiflich waͤren. Denn es folgt nicht, daß sie es nicht auch aus andern seyn koͤnnen. Nur wenn die Ursachen an sich selbst gekannt waͤren und von diesen auf die Wirkungen geschlossen wuͤrde, koͤnnte der Zusam¬ menhang beyder Nothwendigkeit und Evidenz haben; davon nichts zu sagen, daß die Wir¬ kungen nothduͤrftig wohl aus den Ursachen fol¬ gen muͤssen, nachdem man diese erst so ausge¬ dacht hat, als noͤthig war, jene daraus abzu¬ leiten. Das Innere aller Dinge und das, wor¬ aus alle lebendigen Erscheinungen derselben quillen, ist die Einheit des Realen und Idea¬ len, welche an sich absolute Ruhe nur durch Dif¬ ferenz i irung von außen zum Handeln bestimmt wird. Da der Grund aller Thaͤtigkeit in der Natur Einer ist, der allgegenwaͤrtig, durch kei¬ nen andern bedingt und in Bezug auf jedes Ding absolut ist, so koͤnnen sich die verschiede¬ nen Thaͤtigkeiten von einander bloß der Form nach unterscheiden, keine dieser Formen aber kann wieder aus einer andern begriffen werden, da jede in ihrer Art dasselbe, was die andere ist. Nicht daß eine Erscheinung von der an¬ dern abhaͤngig, sondern daß alle aus einem ge¬ meinschaftlichen Grunde fließen, macht die Ein¬ heit der Natur aus. Selbst die Ahndung des Empirismus, daß alles in der Natur durch die praͤstabilirte Harmonie aller Dinge vermittelt sey und kein Ding das andere anders als durch Vermittlung der allgemeinen Substanz veraͤndere oder affi¬ cire, wurde von ihm wieder mechanisch begrif¬ fen und zu dem Unding einer Wirkung in die Ferne (in der Bedeutung, welche dieser Aus¬ druck bey Newton und seinen Nachfolgern hat), umgedeutet. Da die Materie kein Lebensprincip in sich selbst hatte und man eine Einwirkung des Gei¬ stes auf sie als Erklaͤrungsgrund fuͤr die hoͤch¬ sten Erscheinungen, der willkuͤhrlichen Bewe¬ gung und aͤhnlicher, aufsparen wollte, so wurde fuͤr die naͤchsten Wirkungen etwas außer ihr angenommen, das nur gleichsam Materie seyn und durch Negation der vornehmsten Eigen¬ schaften derselben, der Schwere, u. a. sich dem negativen Begriff des Geistes (als immateriel¬ ler Substanz) annaͤhern sollte, als ob der Ge¬ gensatz zwischen beyden dadurch umgangen oder wenigstens vermindert werden koͤnnte. Auch die Moͤglichkeit des Begriffs imponderabler und incoercibler Materien zugegeben, wuͤrde doch jener Erklaͤrungsart zufolge alles in der Materie durch aͤußere Einwirkung gesetzt, der Tod das Erste, das Leben das Abgeleitete seyn. Selbst aber wenn von Seiten des Mecha¬ nismus jede Erscheinung vollkommen durch die Erklaͤrung begriffen wuͤrde, bliebe der Fall der¬ selbe, wie wenn jemand den Homer oder irgend einen Autor so erklaͤren wollte, daß er anfienge, die Form der Drucklettern begreiflich zu ma¬ chen, dann zu zeigen, auf welche Weise sie zu¬ sammengestellt und endlich abgedruckt worden, und wie zuletzt jenes Werk daraus entstanden sey. Mehr oder weniger ist dieß der Fall vor¬ zuͤglich mit dem, was man bisher in der Na¬ turlehre fuͤr mathematische Constructionen aus¬ gegeben hat. Schon fruͤher wurde bemerkt, daß die mathematischen Formen dabey von ei¬ nem ganz bloß mechanischen Gebrauch seyen. Sie sind nicht die wesentlichen Gruͤnde der Er¬ scheinungen selbst, welche vielmehr in etwas ganz Fremdartigem, Empirischen liegen, wie in Ansehung der Bewegungen der Weltkoͤrper in einem Stoß, den diese nach der Seite bekommen haben. Es ist wahr, daß man durch Anwendung der Mathematik die Abstaͤn¬ de der Planeten, die Zeit ihrer Umlaͤufe und Wiedererscheinungen mit Genauigkeit vorher¬ bestimmen gelernt hat, aber uͤber das Wesen oder An-sich dieser Bewegungen ist dadurch nicht der mindeste Aufschluß gegeben worden. Die sogenannte mathematische Naturlehre ist also bis jetzt leerer Formalismus, in welchem von einer wahren Wissenschaft der Natur nichts anzutreffen ist. Der Gegensatz, der zwischen Theorie und Erfahrung gemacht zu werden pflegt, hat schon darum keinen rechten Sinn, da in dem Begriff der Theorie bereits die Beziehung auf eine Besonderheit und demnach auf Erfah¬ rung liegt. Die absolute Wissenschaft ist nicht Theorie, und der Begriff der letztern gehoͤrt selbst der truͤben Mischung von Allgemeinem und Besonderm an, worinn das gemeine Wis¬ sen befangen ist. Theorie kann sich von der Erfahrung nur dadurch unterscheiden, daß sie diese abstracter, gesonderter von zufaͤlligen Bedingungen und in ihrer urspruͤnglichsten Form ausspricht. Aber eben diese herauszu¬ heben und in jeder Erscheinung das Handeln der Natur rein darzustellen, ist auch die Sache des Experiments: beyde stehen also auf gleicher Stufe. Man sieht daher nicht ein, wie das experimentirende Naturforschen sich uͤber die Theorie auf irgend eine Weise erheben koͤnne, da es einzig diese ist, von der jenes geleitet wird, ohne deren Eingebung es auch nicht einmal die Fragen (wie man es nennt) an die Natur thun koͤnnte, von deren Sinnigkeit die Klarheit der Antworten abhaͤngt, welche sie ertheilt. Beyde haben das gemein, daß ihr Ausgangspunct immer der bestimmte Gegen¬ stand, nicht ein allgemeines und absolutes Wis¬ sen ist. Beyde, wenn sie ihrem Begriff treu bleiben, unterscheiden sich von dem falschen Theoretisiren, welches auf Erklaͤrung der Na¬ turerscheinungen geht und zu diesem Behuf die Ursachen erdichtet: denn beyde beschraͤnken sich auf das bloße Aussprechen oder Darstellen der Erscheinungen selbst, und sind hierinn der Con¬ struction gleich, welche eben so wenig sich mit Erklaͤren abgiebt. Waͤre ihr Bestreben mit Be¬ wußtseyn verbunden, so koͤnnten sich beyde kein anderes Ziel denken, als von der Peripherie ge¬ gen das Centrum zu dringen, wie die Constru¬ ction vom Centro gegen die Peripherie geht. Allein der Weg in der ersten Richtung ist, wie der in der andern, unendlich, so daß, weil der Besitz des Mittelpuncts erste Bedingung der Wissenschaft ist, diese in der ersten nothwendig unerreichbar ist. Jede Wissenschaft fodert zu ihrer objecti¬ ven Existenz eine exoterische Seite; eine solche muß es also auch fuͤr die Naturwissenschaft oder fuͤr die Seite der Philosophie geben, durch welche sie Construction der Natur ist. Diese kann nur in dem Experiment und seinem noth¬ wendigen Correlat, der Theorie, (in der ange¬ gebenen Bedeutung) gefunden werden; aber diese muß nicht fodern, die Wissenschaft selbst, oder etwas anders, als die reale Seite dersel¬ ben zu seyn, in welcher das außer einander und in der Zeit ausgedehnt ist, was in den Ideen der ersten zumal ist. Nur dann wird die Em¬ pirie der Wissenschaft sich als Leib anschließen, wenn sie in ihrer Art dasselbe zu seyn sich be¬ strebt, was jene in der ihrigen ist, naͤmlich, empirische Construction: dann wird sie im Gei¬ ste des Ganzen sowohl gelehrt als betrieben, wenn sie, mit Enthaltung von Erklaͤrungen und Hypothesen, reine objective Darstellung der Erscheinung selbst ist und keine Idee anders, als durch diese auszusprechen sucht: nicht aber wenn duͤrftige Empirie aus ihren verschobenen Ansichten heraus Blicke in das Universum wer¬ fen, oder sie den Gegenstaͤnden aufdringen will, oder wenn dieses empirische Beginnen gar gegen allgemein bewiesne und allgemein einzu¬ sehende Wahrheiten, oder ein System von sol¬ chen mit einzelnen abgerißnen Erfahrungen, aus der Mitte einer Folge von Faͤllen, die sie selbst nicht uͤbersehen kann, oder einer Menge sich durchkreuzender und verwirrender Bedin¬ gungen, sich erhebt, ein Bestreben, das in sei¬ ner Absicht gegen die Wissenschaft eben so viel ist, als, um mich dieses bekannten Gleichnisses zu bedienen, den Durchbruch des Oceans mit Stroh stopfen zu wollen. Die absolute, in Ideen gegruͤndete Wis¬ senschaft der Natur ist demnach das erste und die Bedingung, unter welcher zuerst die empi¬ rische Naturlehre an die Stelle ihres blinden Umherschweifens ein methodisches, auf ein be¬ stimmtes Ziel gerichtetes Verfahren setzen kann. Denn die Geschichte der Wissenschaft zeigt, daß ein solches Construiren der Erscheinungen durch das Experiment, als wir gefodert haben, jeder¬ zeit nur in einzelnen Faͤllen, wie durch Instinct geleistet worden ist, daß also, um diese Me¬ thode der Naturforschung allgemein geltend zu machen, selbst das Vorbild der Construction in einer absoluten Wissenschaft erfodert wird. Die Idee einer solchen habe ich zu oft und zu wiederholt vor Ihnen entwickelt, als daß ich noͤthig achtete, sie hier weiter als in den allgemeinsten Beziehungen darzustellen. Wissenschaft der Natur ist an sich selbst schon Erhebung uͤber die einzelnen Erscheinun¬ gen und Producte zur Idee dessen, worinn sie Eins sind und aus dem sie als gemeinschaftli¬ chem Quell hervorgehen. Auch die Empirie hat doch eine dunkle Vorstellung von der Na¬ tur als einem Ganzen, worinn Eines durch Alles und Alles durch Eines bestimmt ist. Es hilft also nicht, das Einzelne zu kennen, wenn man das Ganze nicht weiß. Aber eben der Punct, in welchem Einheit und Allheit selbst Eines sind, wird nur durch Philosophie er¬ kannt, oder vielmehr die Erkenntniß von ihm ist die Philosophie selbst. Von dieser ist die erste und nothwendige Absicht, die Geburt aller Dinge aus Gott oder dem Absoluten zu begreifen und in wie fern die Natur die ganze reale Seite in dem ewigen Act der Subject-Objectivirung ist, ist Philo¬ sophie der Natur die erste und nothwendige Seite der Philosophie uͤberhaupt. Das Princip und das Element von ihr ist die absolute Idealitaͤt, aber diese waͤre ewig unerkennbar, verhuͤllt in sich selbst, wenn sie nicht sich als Subjectivitaͤt in die Objectivitaͤt verwandelte, von welcher Verwandlung die er¬ scheinende und endliche Natur das Symbol ist. Die Philosophie im Ganzen ist demnach abso¬ luter Idealismus, da auch jener Act im goͤttli¬ chen Erkennen begriffen ist, und die Naturphi¬ losophie hat in dem ersten keinen Gegensatz, sondern nur in dem relativen Idealismus, wel¬ cher von dem absolut-Idealen bloß die eine Seite begreift. Denn die vollendete Einbil¬ dung seiner Wesenheit in die Besonderheit, bis zur Identitaͤt beyder, producirt in Gott die Ideen, so daß die Einheit, wodurch diese in sich selbst und real sind, mit der, wodurch sie im Absoluten und ideal sind, unmittelbar eine und dieselbige ist. In den besondern Dingen aber, welche von den Ideen die bloßen Abbil¬ der sind, erscheinen diese Einheiten nicht als Eines, sondern in der Natur als der bloß re¬ lativ-realen Seite ist die erste im Uebergewicht, so daß sie im Gegensatz gegen die andere Seite, wo das Ideale huͤllenlos, unverstellt in ein an¬ deres hervortritt, als das Negative, die letz¬ tere dagegen als das Positive und das Princip von jener erscheint, da doch beyde nur die rela¬ tiven Erscheinungsweisen des absolut-Idealen und in ihm schlechthin Eins sind. Nach dieser Ansicht ist die Natur, nicht nur in ihrem An¬ sich, wo sie der ganze absolute Act der Subject- Objectivirung selbst ist, sondern auch der Erschei¬ nung nach, wo sie sich als die relativ-reale, oder objective Seite desselben darstellt, dem Wesen nach Eins und keine innerliche Verschie¬ denheit in ihr, in allen Dingen Ein Leben, die gleiche Macht zu seyn, dieselbe Legirung durch die Ideen. Es ist keine reine Leiblich¬ keit in ihr, sondern uͤberall Seele in Leib sym¬ bolisch umgewandelt und fuͤr die Erscheinung nur ein Uebergewicht des einen oder andern. Aus dem gleichen Grunde kann auch die Wis¬ senschaft der Natur nur Eine seyn, und die Theile, in welche sie der Verstand zersplittert, sind nur Zweige Einer absoluten Erkenntniß. Construction uͤberhaupt ist Darstellung des Realen im Idealen, des Besondern im schlecht¬ hin Allgemeinen, der Idee. Alles Besondere als solches ist Form, von allen Formen aber ist die nothwendige, ewige und absolute Form der Quell und Ursprung. Der Act der Subject-Objectivirung geht durch alle Dinge hindurch, und pflanzt sich in den be¬ sonderen Formen fort, die, da sie alle nur verschiedene Erscheinungsweisen der allgemeinen und unbedingten, in dieser selbst unbedingt sind. Da ferner der innere Typus aller Dinge wegen der gemeinschaftlichen Abkunft Einer seyn muß, und dieser mit Nothwendigkeit ein¬ gesehen werden kann, so wohnt dieselbe Noth¬ wendigkeit auch der in ihm gegruͤndeten Con¬ struction bey, welche demnach der Bestaͤtigung der Erfahrung nicht bedarf, sondern sich selbst genuͤgt und auch bis dahin fortgesetzt werden kann, wohin zu dringen die Erfahrung durch unuͤbersteigliche Graͤnzen gehindert ist, wie in das innere Triebwerk des organischen Lebens und der allgemeinen Bewegung. Nicht nur fuͤr das Handeln giebt es ein Schicksal: auch dem Wissen steht das An-sich des Universum und der Natur als eine unbe¬ dingte Nothwendigkeit vor, und wenn, nach 17 dem Ausspruch eines Alten, der tapfere Mann im Kampf mit dem Verhaͤngniß ein Schauspiel ist, auf das selbst die Gottheit mit Lust herab¬ sieht, so ist das Ringen des Geistes nach der Anschauung der urspruͤnglichen Natur und des ewigen Innern ihrer Erscheinungen ein nicht minder erhebender Anblick. Wie in der Tra¬ goͤdie der Streit weder dadurch, daß die Noth¬ wendigkeit, noch dadurch, daß die Freyheit un¬ terliegt, sondern allein durch die Erhebung der einen zur vollkommenen Gleichheit mit der an¬ dern wahrhaft geloͤst wird: so kann auch der Geist aus jenem Kampf mit der Natur allein dadurch versoͤhnt heraustreten, daß sie fuͤr ihn zur vollkommenen Indifferenz mit ihm selbst, und zum Idealen sich verklaͤrt. An jenen Widerstreit, der aus unbefrie¬ digter Begier nach Erkenntniß der Dinge ent¬ springt, hat der Dichter seine Erfindungen in dem eigenthuͤmlichsten Gedicht der Deutschen geknuͤpft und einen ewig frischen Quell der Be¬ geisterung geoͤffnet, der allein zureichend war, die Wissenschaft zu dieser Zeit zu verjuͤngen und den Hauch eines neuen Lebens uͤber sie zu ver¬ breiten. Wer in das Heiligthum der Natur eindringen will, naͤhre sich mit diesen Toͤnen einer hoͤheren Welt und sauge in fruͤher Ju¬ gend die Kraft in sich, die wie in dichten Licht¬ strahlen von diesem Gedicht ausgeht und das Innerste der Welt bewegt. 17 * Zwoͤlfte Vorlesung. Ueber das Studium der Physik und Chemie. D en besondern Erscheinungen und Formen, welche durch Erfahrung allein erkannt werden, geht nothwendig das vorher, wovon sie es sind, die Materie oder Substanz. Die Empirie kennt diese nur als Koͤrper, d. h. als Materie mit veraͤnderlicher Form, und denkt selbst den Ur¬ stoff, wenn sie anders darauf zuruͤckgeht, nur als eine unbestimmbare Menge von Koͤrpern unveraͤnderlicher Form, die deswegen Atomen heißen. Es fehlt ihr also die Erkenntniß der ersten Einheit, aus der alles in der Natur her¬ vorgeht, und in die alles zuruͤckkehrt. Um zum Wesen der Materie zu gelangen, muß durchaus das Bild jeder besondern Art derselben, z. B. der sogenannten unorganischen oder der organischen entfernt werden, da sie an sich nur der gemeinschaftliche Keim dieser ver¬ schiedenen Formen ist. Absolut betrachtet ist sie der Act der ewigen Selbstanschauung des Ab¬ soluten, so fern dieses in jenem sich objectiv und real macht; sowohl dieses An-sich der Mate¬ rie, als wie die besondern Dinge mit den Be¬ stimmungen der Erscheinung aus ihm hervorge¬ hen, zu zeigen, kann allein Sache der Philoso¬ phie seyn. Von dem ersten habe ich hinlaͤnglich schon im Vorhergehenden geredet und beschraͤnke mich also auf das andere. Die Idee jedes besondern Dinges ist schlechthin Eine und zu dem Wer¬ den unendlich vieler Dinge derselben Art ist die Eine Idee zureichend, deren unendliche Moͤg¬ lichkeit durch keine Wirklichkeit erschoͤpft wird. Da das erste Gesetz der Absolutheit dieses ist, schlechthin untheilbar zu seyn, so kann die Be¬ sonderheit der Ideen nicht in einer Negation der andern Ideen, sondern allein darinn beste¬ hen, daß in jeder alle, aber angemessen der be¬ sondern Form derselben, gebildet seyn. Von dieser Ordnung in der Ideenwelt muß das Vorbild fuͤr die Erkenntniß der sichtbaren hergenommen werden. Auch in dieser werden die ersten For¬ men Einheiten seyn, welche alle andere For¬ men als besondere in sich tragen und aus sich produciren, die also ebendeswegen selbst als Universa erscheinen. Die Art, wie sie in die Ausdehnung uͤbergehen, und den Raum erfuͤl¬ len, muß aus der ewigen Form der Einbil¬ dung der Einheit in die Vielheit selbst abgelei¬ tet werden, die in den Ideen mit der entgegen¬ gesetzten (wie gezeigt) Eins, in der Erscheinung aber als diese unterscheidbar und unterschieden ist. Der erste und allgemeine Typus der Raum¬ erfuͤllung ist nothwendig, daß die sinnlichen Einheiten, wie sie als Ideen aus dem Absolu¬ ten, als dem Centro, hervorgehen, ebenso in der Erscheinung aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunct, oder, weil jede Idee selbst wie¬ der productiv ist und ein Centrum seyn kann, aus gemeinschaftlichen Centris gebohren wer¬ den, und wie ihre Vorbilder zugleich abhaͤngig und selbststaͤndig seyen. Nach der Construction der Materie ist also die Erkenntniß des Weltbaues und seiner Gesetze die erste und vornehmste in der Phy¬ sik. Was die mathematische Naturlehre, seit der Zeit, daß durch Keplers goͤttliches Genie jene Gesetze ausgesprochen sind, fuͤr Erkenntniß derselben geleistet, ist, wie bekannt, daß sie eine den Gruͤnden nach ganz empirische Constru¬ ction davon versucht hat. Man kann als all¬ gemeine Regel annehmen, daß was in einer angeblichen Construction nicht reine allgemeine Form ist, auch keinen wissenschaftlichen Gehalt noch Wahrheit haben koͤnne. Der Grund, aus welchem die Centrifugalbewegung der Weltkoͤr¬ per abgeleitet wird, ist keine nothwendige Form, ist empirisches Factum. Die Newto¬ nische Attractivkraft, wenn sie auch fuͤr die auf dem Standpunct der Reflexion haftende Betrachtung eine nothwendige Annahme seyn mag, ist doch fuͤr die Vernunft, die nur absolute Verhaͤltnisse kennt, und also fuͤr die Construction von keiner Bedeutung. Die Gruͤnde der Kepler'schen Gesetze lassen sich, ohne allen empirischen Zusatz, rein aus der Lehre von den Ideen und den zwey Einhei¬ ten einsehen, die an sich selbst Eine Einheit sind, und kraft deren jedes Wesen, indem es in sich selbst absolut, zugleich im Absoluten ist und umgekehrt. Die physische Astronomie oder die Wis¬ senschaft der besondern Qualitaͤten und Ver¬ haͤltnisse der Gestirne beruht ihren vorzuͤg¬ lichsten Gruͤnden nach ganz auf allgemeinen An¬ sichten, und in Beziehung auf das Planeten¬ system insbesondere auf der Uebereinstimmung, welche zwischen diesen und den Producten der Erde statt findet. Der Weltkoͤrper gleicht der Idee, deren Abdruck er ist, darinn, daß er wie diese pro¬ ductiv ist und alle Formen des Universum aus sich hervorbringt. Die Materie, obgleich der Erscheinung nach der Leib des Univer¬ sum, differenziirt sich in sich selbst wieder zu Seele und Leib. Der Leib der Materie sind die einzelnen koͤrperlichen Dinge, in wel¬ chen die Einheit ganz in die Vielheit und Ausdehnung verloren ist, und die deswegen als unorganisch erscheinen. Die rein-historische Darstellung der un¬ organischen Formen ist zu einem abgesonderten Zweig der Kenntniß gebildet worden: nicht ohne richtigen Sinn mit Enthaltung von al¬ ler Berufung auf innere qualitative Bestim¬ mungen. Nachdem die specifische Verschieden¬ heit der Materie selbst quantitativ begriffen und die Moͤglichkeit gegeben ist, sie als Me¬ tamorphose einer und derselben Substanz durch bloße Formaͤnderung darzustellen: ist auch der Weg zu einer historischen Construction der Koͤrperreihe geoͤffnet, zu welcher bereits durch Steffens Ideen ein entschiedener Anfang ge¬ macht ist. Die Geologie, welche das Gleiche in An¬ sehung der ganzen Erde seyn muͤßte, duͤrfte keine ihrer Hervorbringungen ausschließen und muͤßte die Genesis aller in historischer Ste¬ tigkeit und Wechselbestimmung zeigen. Da die reale Seite der Wissenschaft immer nur historisch seyn kann, (weil außer der Wissen¬ schaft nichts ist, was unmittelbar und ur¬ spruͤnglich auf Wahrheit geht, als die Hi¬ storie), so wuͤrde die Geologie, in der Fuͤlle der hoͤchsten Ausbildung, als Historie der Natur selbst, fuͤr welche die Erde nur Mit¬ tel- und Ausgangspunct waͤre, die wahre Integration und rein objective Darstellung der Wissenschaft der Natur seyn, zu welcher auch die experimentirende Physik nur einen Ueber¬ gang bildet und das Mittel seyn kann. Wie die koͤrperlichen Dinge der Leib der Materie sind, so ist die ihr eingebildete Seele das Licht. Durch die Beziehung auf die Dif¬ ferenz und als der unmittelbare Begriff der¬ selben, wird das Ideale selbst endlich, und erscheint in der Unterordnung unter die Aus¬ dehnung, als ein Ideales, das den Raum zwar beschreibt, aber nicht erfuͤllt. Es ist also in der Erscheinung selbst, zwar das Ideale, aber nicht das ganze Ideale des Acts der Subject-Objectivirung, (indem es die eine Seite außer sich in dem Koͤrperlichen zuruͤck¬ laͤßt), sondern das bloß relativ-Ideale. Die Erkenntniß des Lichts ist der der Materie gleich, ja mit ihr Eins, da beyde nur im Gegensatz gegen einander, als die subjective und objective Seite wahrhaft begrif¬ fen werden koͤnnen. Seitdem dieser Geist der Natur von der Physik gewichen ist, ist fuͤr sie das Leben in allen Theilen derselben erlo¬ schen, wie es fuͤr sie keinen moͤglichen Ueber¬ gang von der allgemeinen zu der organischen Natur giebt. Die Newtonische Optik ist der groͤßte Beweis der Moͤglichkeit eines ganzen Gebaͤudes von Fehlschluͤssen, das in allen sei¬ nen Theilen auf Erfahrung und Experiment gegruͤndet ist. Als ob es nicht die, mehr oder minder bewußt, schon vorhandene Theo¬ rie waͤre, welche den Sinn und die Folge der Versuche nach sich, eigenwillig bestimmt, — wenn nicht ein seltner, aber gluͤcklicher Instinct, oder ein durch Construction gewonnener allge¬ meiner Schematismus die natuͤrliche Ordnung vorschreibt, — wird das Experiment, welches wohl Einzelheiten lehren, aber nie eine ganze Ansicht geben kann, fuͤr das untruͤgliche Prin¬ cip der Naturerkenntniß geachtet. Der Keim der Erde wird nur durch das Licht entfaltet. Denn die Materie muß Form werden und in die Besonderheit uͤbergehen, damit das Licht als Wesen und Allgemeines eintreten kann. Die allgemeine Form der Besonderwer¬ dung der Koͤrper ist das, wodurch sie sich selbst gleich und in sich zusammenhaͤngend sind. Aus den Verhaͤltnissen zu dieser allgemeinen Form, welche die der Einbildung der Einheit in die Differenz ist, muß sich also auch alle specifische Verschiedenheit der Materie einse¬ hen lassen. Das Hervorgehen aus der Identitaͤt ist in Ansehung aller Dinge unmittelbar zugleich das Zuruͤckstreben in die Einheit, welches ihre ideale Seite ist, das wodurch sie beseelt erscheinen. Den Inbegriff der lebendigen Erscheinun¬ gen der Koͤrper darzustellen, ist nach den be¬ reits bezeichneten Gegenstaͤnden der vorzuͤg¬ lichste und einzige der Physik, auch in wie fern sie in der gewoͤhnlichen Begraͤnzung und Trennung von der Wissenschaft der organi¬ schen Natur gedacht wird. Jene Erscheinungen sind, als den Koͤr¬ pern wesentlich inhaͤrirende Thaͤtigkeitsaͤuße¬ rungen, uͤberhaupt dynamisch genannt wor¬ den, so wie der Inbegriff derselben nach ih¬ ren verschieden bestimmten Formen der dyna¬ mische Proceß heißt. Es ist nothwendig, daß diese Formen auf einen gewissen Kreis eingeschlossen seyn und einen allgemeinen Typus befolgen. Nur durch den Besitz desselben kann man gewiß seyn, weder ein nothwendiges Glied zu uͤber¬ sehen, noch Erscheinungen, die wesentlich Ei¬ nes sind, als verschiedene zu betrachten. Die gewoͤhnliche Experimentalphysik findet sich in Ruͤcksicht der Mannichfaltigkeit und Einheit dieser Formen in der groͤßten Ungewißheit, so daß jede neue Art der Erscheinung fuͤr sie Grund der Annahme eines neuen von allen verschiedenen Princips wird, und daß bald diese Form aus jener, bald jene aus dieser abgeleitet wird. Stellen wir die gangbaren Theorieen und die Erklaͤrungsart jener Phaͤnomene im All¬ gemeinen unter den schon bestimmten Maas¬ stab, so ist in keiner derselben irgend eines als nothwendige und allgemeine Form, son¬ dern durchaus bloß als Zufaͤlligkeit begriffen. Denn daß es solche imponderable Fluͤssigkeiten giebt, als zu jenem Behuf angenommen wer¬ den, ist ohne alle Nothwendigkeit, und daß diese eben so beschaffen sind, daß ihre homo¬ genen Elemente sich abstoßen, die heterogenen sich anziehen, wie zur Erklaͤrung der magne¬ tischen und elektrischen Erscheinungen angenom¬ men wird, ist eine vollkommene Zufaͤlligkeit. Wenn man die Welt dieser hypothetischen Ele¬ mente sich zusammensetzt, so erhaͤlt man fol¬ gendes Bild ihrer Verfassung. Zunaͤchst in den Poren der groͤberen Stoffe ist die Luft, in den Poren der Luft der Waͤrmestoff, in den Poren von diesem die elektrische Fluͤssigkeit, welche wieder in den ihrigen die magnetische, so wie diese in den Zwischenraͤumen, welche auch sie hat, den Aether begreift. Gleich¬ wohl stoͤren sich diese verschiedenen in einan¬ der eingeschachtelten Fluͤssigkeiten nicht und er¬ scheinen nach dem Gefallen des Physikers jede 18 in ihrer Art, ohne mit der andern vermischt zu seyn, und finden sich ebenso ohne alle Verwirrung jede wieder an ihre Stelle. Diese Erklaͤrungsart ist also außerdem, daß sie ganz ohne wissenschaftlichen Gehalt ist, nicht einmal der empirischen Anschaulichkeit faͤhig. Aus der Kantischen Construction der Ma¬ terie entwickelte sich zunaͤchst eine hoͤhere, ge¬ gen die materielle Betrachtung der Phaͤnome¬ ne gerichtete Ansicht, die aber in allem, was sie Positives dagegen aufstellt, selbst auf ei¬ nem zu untergeordneten Standpunct zuruͤck¬ blieb. Die beyden Kraͤfte der Anziehung und Zuruͤckstoßung, wie sie Kant bestimmt, sind bloß formelle Factoren, durch Analysis ge¬ fundene Verstandesbegriffe, die von dem Le¬ ben und dem Wesen der Materie keine Ideen geben. Es kommt dazu, daß nach denselben die Verschiedenheit der Materie aus dem Ver¬ haͤltniß dieser Kraͤfte, das er als ein bloß arithmetisches kannte, einzusehen unmoͤglich ist. Die Nachfolger von Kant und die Phy¬ siker, welche eine Anwendung seiner Lehren versuchten, beschraͤnkten sich in Ansehung der dynamischen Vorstellung auf das bloß Nega¬ tive, wie in Ansehung des Lichts, von dem sie eine hoͤhere Meynung ausgesprochen zu haben glaubten, wenn sie es nur uͤberhaupt als immateriell bezeichneten, womit sich dann uͤbrigens jede andere mechanische Hypothese des Euler u. a. vertrug. Der Irrthum, der allen diesen Ansich¬ ten gemeinschaftlich zu Grunde lag, ist die Vorstellung der Materie als reiner Realitaͤt: es mußte erst die allgemeine Subject-Objec¬ tivitaͤt der Dinge und der Materie insbeson¬ dere wissenschaftlich hergestellt seyn, ehe man diese Formen, in denen ihr inneres Leben sich ausdruͤckt, begreifen konnte. Das Seyn jedes Dinges in der Identi¬ taͤt als der allgemeinen Seele, und das Stre¬ ben zur Wiedervereinigung mit ihr, wenn es aus der Einheit gesetzt ist, ist als allgemei¬ ner Grund der lebendigen Erscheinungen schon im Vorhergehenden angegeben. Die beson¬ 18 * dern Formen der Thaͤtigkeit sind keine der Materie zufaͤllige, sondern urspruͤnglich einge¬ bohrne und nothwendige Formen. Denn wie die Einheit der Idee im Seyn zu drey Di¬ mensionen sich ausbreitet, druͤckt auch das Le¬ ben und die Thaͤtigkeit sich in demselben Ty¬ pus und durch drey Formen aus, welche dem¬ nach dem Wesen der Materie so nothwendig als jene inhaͤriren. Durch diese Construction ist nicht allein gewiß, daß es nur diese drey For¬ men der lebendigen Bewegung der Koͤrper giebt, sondern es ist auch fuͤr alle besondren Bestim¬ mungen derselben das allgemeine Gesetz ge¬ funden, aus dem sie als nothwendige einge¬ sehen werden koͤnnen. Ich beschraͤnke mich hier zunaͤchst auf den chemischen Proceß, da die Wissenschaft seiner Erscheinungen zu einem besondern Zweig der Naturkenntniß gebildet worden ist. Das Verhaͤltniß der Physik zur Chemie hat sich in der neueren Zeit fast zu einer gaͤnz¬ lichen Unterordnung der ersten unter die letz¬ te entschieden. Der Schluͤssel zur Erklaͤrung aller Naturerscheinungen, auch der hoͤheren Formen, des Magnetismus, der Elektricitaͤt u. s. w. sollte in der Chemie gegeben seyn, und je mehr allmaͤhlig alle Naturerklaͤrung auf diese zuruͤckgebracht wurde, desto mehr verlor sie selbst die Mittel, ihre eigenen Er¬ scheinungen zu begreifen. Noch von der Ju¬ gendzeit der Wissenschaft her, wo die Ahn¬ dung der innern Einheit aller Dinge dem menschlichen Geist naͤher lag, hatte die jetzige Chemie einige bildliche Ausdruͤcke, wie Ver¬ wandtschaft u. a. behalten, die aber, weit entfernt Andeutungen einer Idee zu seyn, in ihr vielmehr nur Freystaͤtten der Unwissenheit wurden. Das oberste Princip und die aͤus¬ serste Graͤnze aller Erkenntniß wurde immer mehr das, was sich durch das Gewicht er¬ kennen laͤßt, und jene der Natur eingebohrnen, in ihr waltenden Geister, welche die unver¬ tilgbaren Qualitaͤten wirken, wurden selbst Materien, die in Gefaͤßen aufgefangen und eingesperrt werden konnten. Ich laͤugne nicht, daß die neuere Che¬ mie uns mit vielen Thatsachen bereichert hat, obgleich es immer wuͤnschenswerth bleibt, daß diese neue Welt gleich anfangs durch ein hoͤ¬ heres Organ entdeckt worden waͤre, und die Einbildung laͤcherlich ist, in der Aneinander¬ reihung jener Thatsachen, die durch nichts als die unverstaͤndlichen Worte Stoff, Anzie¬ hung u. s. w. zusammengehalten wird, eine Theorie erlangt zu haben, da man nicht ein¬ mal einen Begriff von Qualitaͤt, von Zusam¬ mensetzung, Zerlegung u. s. w. hatte. Es mag vortheilhaft seyn, die Chemie von der Physik abgesondert zu behandeln: aber dann muß sie auch als bloße experimen¬ tirende Kunst, ohne allen Anspruch auf Wis¬ senschaft, betrachtet werden. Die Construction der chemischen Erscheinungen gehoͤrt nicht ei¬ ner besondern S c ienz, sondern der allgemei¬ nen und umfassenden Wissenschaft der Natur an, in der sie nicht außer dem Zusammen¬ hang des Ganzen und als Phaͤnomene von eigenthuͤmlicher Gesetzmaͤßigkeit, sondern als einzelne Erscheinungsweisen des allgemeinen Lebens der Natur erkannt werden. Die Darstellung des allgemeinen dyna¬ mischen Processes, der im Weltsystem uͤber¬ haupt und in Ansehung des Ganzen der Erde statt findet, ist im weitesten Sinn Meteoro¬ logie und in so fern ein Theil der physischen Astronomie, da auch die allgemeinen Veraͤn¬ derungen der Erde nur durch ihr Verhaͤltniß zum allgemeinen Weltbau vollkommen gefaßt werden koͤnnen. Die Mechanik betreffend, von der ein großer Theil in die Physik aufgenommen wor¬ den ist, so gehoͤrt diese der angewandten Ma¬ thematik an; der allgemeine Typus ihrer For¬ men aber, welche nur die, rein objectiv aus¬ gedruͤckten, gleichsam getoͤdteten Formen des dynamischen Processes sind, ist ihr durch die Physik vorgezeichnet. Das Gebiet der letztern in ihrer gewoͤhn¬ lichen Absonderung beschraͤnkt sich auf die Sphaͤre des allgemeinen Gegensatzes zwischen dem Licht und der Materie oder Schwere. Die absolute Wissenschaft der Natur begreift in einem und demselben Ganzen sowohl diese Erscheinungen der getrennten Einheit, als die der hoͤheren, organischen Welt, durch deren Producte die ganze Subject-Objectivirung, in ihren zwey Seiten zugleich, erscheint. Dreyzehnte Vorlesung. Ueber das Studium der Medicin und der organischen Naturleh¬ re uͤberhaupt. W ie der Organismus, nach der aͤltesten An¬ sicht, nichts anderes als die Natur im Klei¬ nen und in der vollkommensten Selbstanschau¬ ung ist, so muß auch die Wissenschaft dessel¬ ben alle Strahlen der allgemeinen Erkenntniß der Natur, wie in einen Brennpunct zusam¬ menbrechen und Eins machen. Fast zu jeder Zeit wurde die Kenntniß der allgemeinen Phy¬ sik wenigstens als nothwendige Stufe und Zu¬ gang zu dem Heiligthum des organischen Le¬ bens betrachtet. Aber welches wissenschaftliche Vorbild konnte die organische Naturlehre von der Physik entlehnen, die selbst ohne die all¬ gemeine Idee der Natur, jene nur mit ih¬ ren eigenen Hypothesen beschweren und ver¬ unstalten konnte, wie es allgemein genug ge¬ schehen ist, seitdem die Schranken, wodurch man die allgemeine und die lebende Natur von einander getrennt glaubte, mehr oder weniger durchbrochen wurden. Der Enthusiasmus des Zeitalters fuͤr Che¬ mie hat diese auch zum Erkenntnißgrund aller organischen Erscheinungen und das Leben selbst zu einem chemischen Proceß gemacht. Die Erklaͤrungen der ersten Bildung des Lebendi¬ gen durch Wahlanziehung oder Krystallisation, der organischen Bewegungen und selbst der so¬ genannten Sinneswirkungen durch Mischungs¬ veraͤnderungen und Zersetzungen, gehen vor¬ trefflich von statten, nur daß diejenigen, die sie machen, vorerst noch zu erklaͤren haben, was denn Wahlanziehung und Mischungsver¬ aͤnderung selbst sey, eine Frage, welche be¬ antworten zu koͤnnen, sie sich ohne Zweifel bescheiden. Mit dem bloßen Uebertragen, Anwenden von dem einen Theil der Naturwissenschaft auf den andern ist es nicht gethan: jeder ist in sich absolut, keiner von dem andern abzu¬ leiten und alle koͤnnen nur dadurch wahrhaft Eins werden, daß in jedem fuͤr sich das Beson¬ dere aus dem Allgemeinen und aus einer ab¬ soluten Gesetzmaͤßigkeit begriffen wird. Daß nun erstens die Medicin allgemeine Wissenschaft der organischen Natur werden muͤsse, von welcher die sonst getrennten Thei¬ le derselben saͤmmtlich nur Zweige waͤren, und daß um ihr sowohl diesen Umfang und innere Einheit, als den Rang einer Wissenschaft zu ge¬ ben, die ersten Grundsaͤtze, auf denen sie ruht, nicht empirisch oder hypothetisch, sondern durch sich selbst gewiß und philosophisch seyn muͤssen: dieß ist zwar seit einiger Zeit allge¬ meiner gefuͤhlt und anerkannt worden, als es in Ansehung der uͤbrigen Theile der Natur¬ lehre der Fall ist. Aber auch hier sollte die Philosophie vorerst kein weiteres Geschaͤft ha¬ ben, als in die vorhandene und gegebene Mannichfaltigkeit die aͤußere formale Einheit zu bringen und den Aerzten, deren Wissen¬ schaft durch Dichter und Philosophen seit ge¬ raumer Zeit zweydeutig geworden war, wie¬ der einen guten Namen zu machen. Wenn Browns Lehre durch nichts ausgezeichnet waͤ¬ re, als durch die Reinheit von empiri¬ schen Erklaͤrungen und Hypothesen, die Aner¬ kennung und Durchfuͤhrung des großen Grund¬ satzes der bloß quantitativen Verschiedenheit aller Erscheinungen, und die Consequenz, mit der sie aus Einem ersten Princip folgert, oh¬ ne sich etwas anderes zugeben zu lassen, oder je von der Bahn der Wissenschaft abzuschwei¬ fen: so waͤre ihr Urheber schon dadurch ein¬ zig in der bisherigen Geschichte der Medicin und der Schoͤpfer einer neuen Welt auf die¬ sem Gebiet des Wissens. Es ist wahr, er bleibt bey dem Begriff der Erregbarkeit ste¬ hen und hat von diesem selbst keine wissen¬ schaftliche Erkenntniß, aber er verweigert zu¬ gleich alle empirische Erklaͤrung davon und warnt, sich nicht auf die ungewisse Untersu¬ chung der Ursachen, das Verderben der Phi¬ losophie, einzulassen. Ohne Zweifel hat er da¬ mit nicht gelaͤugnet, daß es eine hoͤhere Sphaͤ¬ re des Wissens gebe, in welcher jener Begriff selbst wieder als ein abzuleitender eintreten und aus hoͤheren eben so construirt werden koͤnne, wie er selbst aus ihm die abgeleiteten Formen der Krankheit hervorgehen laͤßt. Der Begriff der Erregbarkeit ist ein blo¬ ßer Verstandesbegriff, wodurch zwar das ein¬ zelne organische Ding, aber nicht das Wesen des Organismus bestimmt ist. Denn das Absolut-Ideale, welches in ihm ganz objec¬ tiv und subjectiv zugleich, als Leib und als Seele erscheint, ist an sich außer aller Be¬ stimmbarkeit; das einzelne Ding aber, der organische Leib, den es sich als Tempel er¬ baut, ist durch aͤußere Dinge bestimmbar und nothwendig bestimmt. Da nun jenes uͤber die Einheit der Form und des Wesens im Organismus wacht, als in welcher allein die¬ ser das Symbol von ihm ist, so wird es durch jede Bestimmung von außen, wodurch die erste veraͤndert wird, zur Wiederherstel¬ lung und demnach zum Handeln bestimmt. Es ist also immer nur indirect, naͤmlich durch Veraͤnderung der aͤußern Bedingungen des Lebens, niemals aber an sich selbst be¬ stimmbar. Das, wodurch der Organismus Aus¬ druck der ganzen Subject-Objectivirung ist, ist, daß die Materie, welche auf der tiefe¬ ren Stufe dem Licht entgegengesetzt und als Substanz erschien, in ihm dem Licht verbun¬ den (und weil beyde, vereinigt, sich nur als Attribute von Einem und demselbigen ver¬ halten koͤnnen) bloßes Accidens des An-sich des Organismus und demnach ganz Form wird. In dem ewigen Act der Umwandlung der Subjectivitaͤt in die Objectivitaͤt kann die Objektivitaͤt oder die Materie nur Accidens seyn, dem die Subjectivitaͤt als das Wesen oder die Substanz entgegensteht, welche aber in der Entgegensetzung selbst die Absolut¬ heit ablegt und als bloß relativ-Ideales (im Licht) erscheint. Der Organismus ist es also, welcher Substanz und Accidens als vollkom¬ men Eins und, wie in dem absoluten Act der Subject-Objectivirung, in Eins gebildet darstellt. Dieses Princip der Formwerdung der Materie bestimmt nicht allein die Erkenntniß des Wesens, sondern auch der einzelnen Fun¬ ctionen des Organismus, deren Typus mit dem allgemeinen der lebendigen Bewegungen derselbe seyn muß, nur daß die Formen, wie gesagt, mit der Materie selbst Eins sind und ganz in sie uͤbergehen. Wenn man alle Ver¬ suche der Empirie, diese Functionen sowohl uͤber¬ haupt, als ihren besondern Bestimmungen nach zu erklaͤren, durchgeht, so findet sich auch nicht in Einer derselben eine Spur des Gedankens, sie als allgemeine und nothwendige Formen zu fassen. Die zufaͤllige Existenz unwaͤgbarer Fluͤssigkeiten in der Natur, fuͤr welche eben so zufaͤlligerweise in der Conformation des Orga¬ nismus gewisse Bedingungen der Anziehung, der Zusammensetzung und Zerlegung gegeben sind, ist auch hier das letzte trostlose Asyl der Unwissenheit. Und dennoch ist selbst mit die¬ sen Annahmen noch keine Erklaͤrung dahin ge¬ langt, irgend eine organische Bewegung z. B. der Contraction auch nur von Seiten ihres Mechanismus begreiflich zu machen. Man fiel zwar sehr fruͤhzeitig auf die Analogie zwi¬ schen diesen Erscheinungen und denen der Elek¬ tricitaͤt: aber da man diese selbst nicht als all¬ 19 gemeine, sondern nur als besondere Form kannte und auch keinen Begriff von Potenzen in der Natur hatte, so wuͤrden die ersten, an¬ statt mit den andern auf die gleiche Stufe, wenn nicht auf die hoͤhere, gesetzt zu werden, vielmehr von ihnen abgeleitet und als bloße Wirkungen von ihnen begriffen: wobey, auch das elektrische Wesen als Thaͤtigkeitsprincip zugegeben, den eigenthuͤmlichen Typus der Zu¬ sammenziehung zu erklaͤren, noch neue Hypo¬ thesen erfodert wurden. Die Formen der Bewegung, welche in der anorgischen Natur schon durch Magnetis¬ mus, Elektricitat und chemischen Proceß aus¬ gedruͤckt sind, sind allgemeine Formen, die in den letzteren selbst bloß auf eine besondere Weise er¬ scheinen. In ihrer Gestalt als Magnetismus u. s. w., stellen sie sich als bloße von der Sub¬ stanz der Materie verschiedene Accidenzen dar. In der hoͤheren Gestalt, welche sie durch den Organismus erhalten, sind sie Formen, die zugleich das Wesen der Materie selbst sind. Fuͤr die koͤrperlichen Dinge, deren Be¬ griff bloß der unmittelbare Begriff von ihnen selbst ist, faͤllt die unendliche Moͤglichkeit aller als Licht außer ihnen: im Organismus, dessen Begriff unmittelbar zugleich der Begriff ande¬ rer Dinge ist, faͤllt das Licht in das Ding selbst und in gleichem Verhaͤltniß wird auch die zuvor als Substanz angeschaute Materie ganz als Accidens gesetzt. Entweder ist nun das ideelle Princip der Materie nur fuͤr die erste Dimension verbun¬ den: in diesem Fall ist jene auch nur fuͤr die letztere als Dimension des In-sich-selbst- Seyns von der Form durchdrungen und mit ihr Eins: das organische Wesen enthaͤlt bloß die unendliche Moͤglichkeit von sich selbst als Individuum oder als Gattung. Oder das Licht hat auch in der andern Dimension der Schwere sich vermaͤhlt: so ist die Materie zu¬ gleich fuͤr diese, welche die des Seyns in an¬ dern Dingen ist, als Accidens gesetzt, und das organische Wesen enthaͤlt die unendliche Moͤg¬ lichkeit anderer Dinge außer ihm. In dem er¬ sten Verhaͤltniß, welches das der Reproduction 19 * ist, waren Moͤglichkeit und Wirklichkeit beyde auf das Individuum beschraͤnkt und dadurch selbst eins: in dem andern, welches das der selbststaͤndigen Bewegung ist, geht das Indi¬ viduum uͤber seinen Kreis hinaus auf andere Dinge: Moͤglichkeit und Wirklichkeit koͤnnen hier also nicht in Ein und dasselbige fallen, weil die andern Dinge ausdruͤcklich als andere, als außer dem Individuum befindliche, gesetzt seyn sollen. Wenn aber die beyden vorherge¬ henden Verhaͤltnisse in dem hoͤhern verknuͤpft werden und die unendliche Moͤglichkeit anderer Dinge doch zugleich als Wirklichkeit in dassel¬ bige faͤllt, worein jene, so ist damit die hoͤchste Function des ganzen Organismus gesetzt; die Materie ist in jeder Beziehung und ganz Acci¬ dens des Wesens, des Idealen, welches an sich productiv, aber hier, in der Beziehung auf ein endliches Ding, als ideal zugleich sinn¬ lich-producirend, also anschauend ist. Wie auch die allgemeine Natur nur in der goͤttlichen Selbstbeschauung besteht und die Wirkung von ihr ist, so ist in den lebenden Wesen dieses ewige Produciren selbst erkennbar gemacht und objectiv geworden. Es bedarf kaum des Beweises, daß in diesem hoͤheren Ge¬ biet der organischen Natur, wo der ihr einge¬ bohrne Geist seine Schranken durchbricht, jede Erklaͤrung, die sich auf die gemeinen Vorstel¬ lungen von der Materie stuͤtzt, so wie alle Hy¬ pothesen, durch welche die untergeordnetern Er¬ scheinungen noch nothduͤrftig begreiflich gemacht werden, voͤllig unzureichend werden: weßhalb auch die Empirie dieses Gebiet allmaͤhlich ganz geraͤumt, und sich theils hinter die Vorstellun¬ gen des Dualismus, theils in die Teleologie zuruͤckgezogen hat. Nach Erkenntniß der organischen Functio¬ nen in der Allgemeinheit und Nothwendigkeit ihrer Formen, ist die der Gesetze, nach welchen ihr Verhaͤltniß unter einander, sowohl im In¬ dividuum als in der gesammten Welt der Or¬ ganisationen bestimmt ist, die erste und wich¬ tigste. Das Individuum ist in Ansehung dessel¬ ben auf eine gewisse Graͤnze eingeschraͤnkt, welche nicht uͤberschritten werden kann, ohne sein Bestehen als Product unmoͤglich zu ma¬ chen: es ist dadurch der Krankheit unterwor¬ fen. Die Constructi o n dieses Zustandes ist ein nothwendiger Theil der allgemeinen organischen Naturlehre, und von dem, was man Physiolo¬ gie genannt hat, nicht zu trennen. In der groͤ߬ ten Allgemeinheit kann sie vollkommen aus den hoͤchsten Gegensatzen der Moͤglichkeit und Wirk¬ lichkeit im Organismus und der Stoͤrung des Gleichgewichtes beyder gefuͤhrt werden: die be¬ sondern Formen und Erscheinungen der Krank¬ heit aber sind allein aus dem veraͤnderten Ver¬ haͤltniß der drey Grundformen der organischen Thaͤtigkeit erkennbar. Es giebt ein doppeltes Verhaͤltniß des Organismus, wovon ich das erste das natuͤrliche nennen moͤchte, weil es, als ein rein quantitatives der inneren Factoren des Lebens, zugleich ein Verhaͤltniß zu der Natur und den aͤußern Dingen ist. Das andere, wel¬ ches ein Verhaͤltniß der beyden Factoren in Be¬ zug auf die Dimensionen ist, und die Vollkom¬ menheit bezeichnet, in welcher der Organismus Bild des Universum, Ausdruck des Absolu¬ ten ist, nenne ich das goͤttliche Verhaͤltniß. Brown hat allein auf das erste als das vor¬ nehmste fuͤr die medicinische Kunst reflectirt, aber deshalb das andere nicht positiv ausge¬ schlossen, dessen Gesetze allein den Arzt die Gruͤnde der Formen, den ersten und hauptsaͤch¬ lichsten Sitz des Misverhaͤltnisses lehren, ihn in der Wahl der Mittel leiten, und uͤber das, was der Mangel an Abstraction das Specifische in der Wirkung der letztern sowohl als in den Er¬ scheinungen der Krankheit genannt hat, verstaͤn¬ digen. Daß nach dieser Ansicht auch die Lehre von den Arzneymitteln keine eigene Scienz, sondern nur ein Element der allgemeinen Wis¬ senschaft der organischen Natur sey, versteht sich von selbst. Ich muͤßte nur das, von wuͤrdigen Maͤn¬ nern, vielfach Gesagte wiederholen, wenn ich beweisen wollte, daß die Wissenschaft der Me¬ dicin in diesem Sinne nicht nur uͤberhaupt phi¬ losophische Bildung des Geistes, sondern auch Grundsaͤtze der Philosophie voraussetze: und, wenn es zur Ueberzeugung von dieser Wahr¬ heit fuͤr die Verstaͤndigen noch etwas außer den allgemeinen Gruͤnden beduͤrfte, waͤren es fol¬ gende Betrachtungen: daß in Ansehung dieses Gegenstandes das Experiment, die einzig moͤg¬ liche Art der Construction fuͤr die Empirie, an sich unmoͤglich ist, daß alle angebliche medici¬ nisch: Erfahrung ihrer Natur nach zweydeutig ist, und mittelst derselben uͤber Werth oder Un¬ werth einer Lehre niemals entschieden werden kann, weil in jedem Fall die Moͤglichkeit bleibt, daß sie falsch angewendet worden: daß in diesem Theile des Wissens, wenn in irgend einem andern, die Erfahrung erst durch die Theorie moͤglich gemacht werde, wie die durch die Erregungstheorie gaͤnzlich veraͤnderte An¬ sicht aller vergangenen Erfahrung hinlaͤnglich beurkundet. Zum Ueberfluß koͤnnte man sich auf die Werke und Hervorbringungen derjeni¬ gen berufen, die ohne den geringsten Begriff oder einige Wissenschaft erster Grundsaͤtze durch die Macht der Zeit getrieben die neue Lehre, obgleich sie ihnen unverstaͤndlich ist, dennoch in Schriften oder Lehrvortraͤgen behaupten wol¬ len, und selbst den Schuͤlern laͤcherlich werden, indem sie das Unvereinbare und Widersprechen¬ de damit zu vereinen suchen, auch das Wissen¬ schaftliche wie einen historischen Gegenstand behandeln, und da sie von Beweisen reden, doch immer nur zu erzaͤhlen vermoͤgen: auf die man anwenden moͤchte, was zu seiner Zeit Ga¬ lenus von dem großen Haufen der Aerzte ge¬ sagt hat: So ungeuͤbt und ungebildet und da¬ bey so frech und schnell im Beweisen, wenn sie schon nicht wissen, was ein Beweis ist — wie soll man mit diesen vernunftlosen Wesen noch laͤnger streiten und seine Zeit an ihren Erbaͤrm¬ lichkeiten verlieren! Dieselben Gesetze, welche die Metamor¬ phosen der Krankheit bestimmen, bestimmen auch die allgemeinen und bleibenden Verwand¬ lungen, welche die Natur in der Production der verschiedenen Gattungen uͤbt. Denn auch diese beruhen einzig auf der steten Wiederholung eines und desselben Grundtypus mit bestaͤndig veraͤn¬ derten Verhaͤltnissen, und es ist offenbar, daß die Medicin erst dann in die allgemeine orga¬ nische Naturlehre vollkommen sich aufloͤsen wird, wenn sie die Geschlechter der Krankhei¬ ten, dieser idealen Organismen, mit der glei¬ chen Bestimmtheit, wie die aͤchte Naturge¬ schichte die Geschlechter der realen Organismen construirt, wo denn beyde nothwendig als sich entsprechend erscheinen muͤssen. Aber was kann die historische Constru¬ ction der Organismen, welche den schaffenden Geist durch seine Labyrinthe verfolgt, anders leiten, als die Form der aͤußern Bildung, da kraft des ewigen Gesetzes der Subject-Objecti¬ virung das Aeußere in der ganzen Natur Aus¬ druck und Symbol des Inneren ist, und sich eben so regelmaͤßig und bestimmt wie dieses ver¬ aͤndert? Die Denkmaͤler einer wahren Geschichte der organisch-zeugenden Natur sind also die sichtbaren Formen lebendiger Bildungen, von der Pflanze bis zum Gipfel des Thiers, deren Kenntniß man bisher, in einseitigem Sinne, als vergleichende Anatomie bezeichnet hat. Zwar leidet es keinen Zweifel, daß in dieser Art des Wissens Vergleichung das erste leitende Princip ist: aber nicht Vergleichung mit irgend einem empirischen Vorbild, am wenigsten mit der menschlichen Bildung, welche als die vollen¬ detste nach Einer Richtung zugleich an der Graͤnze der Organisation steht. Die erste Be¬ schraͤnkung der Anatomie uͤberhaupt auf die des menschlichen Koͤrpers hatte zwar in dem Ge¬ brauch, der von derselben in der Arzneykunst beabsichtigt wurde, einen sehr einleuchtenden Grund, war aber der Wissenschaft selbst in kei¬ nem Betracht vortheilhaft. Nicht nur weil die menschliche Organisation so verborgen ist, daß um der Anatomie derselben auch nur diejenige Vollkommenheit zu geben, die sie jetzt hat, die Vergleichung mit andern Organisationen noth¬ wendig war, sondern auch, weil sie, durch ihre Potenzirtheit selbst, den Gesichtspunct fuͤr die uͤbrigen verruͤckt und die Erhebung zu einfachen und allgemeinen Ansichten erschwert. Die Un¬ moͤglichkeit, uͤber die Gruͤnde einer so verwickel¬ ten Bildung im Einzelnen die geringste Re¬ chenschaft abzulegen, nachdem man sich selbst den Weg dazu versperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬ nung der Anatomie und Physiologie, die sich beyde wie Aeußeres und Inneres entsprechen muͤßten, und jene ganz mechanische Art des Vortrags herbey, der in den meisten Lehrbuͤ¬ chern und auf Academieen der herrschende ist. Der Anatom, welcher seine Wissenschaft zugleich als Naturforscher und im allgemeinen Geiste behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderst erken¬ nen, daß es einer Abstraction, einer Erhebung uͤber die gemeine Ansicht bedarf, um die wirkli¬ chen Formen auch nur historisch wahr auszuspre¬ chen. Er begreife das Symbolische aller Gestal¬ ten und daß auch in dem Besondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬ nerer Typus ausgedruͤckt ist. Er frage nicht, wozu dient dieses oder jenes Organ? sondern, wie ist es entstanden? und zeige die reine Noth¬ wendigkeit seiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den besondern Fall eingerichtet die Ansichten sind, aus denen er die Genesis der Formen herleitet, desto eher wird er die unaussprechliche Naivetaͤt der Natur in so vielen ihrer Bildungen erreichen und fassen. Am we¬ nigsten wolle er, indem er die Weisheit und Vernunft Gottes zu bewundern meynt, seine eigene Unweisheit und Unvernunft zu bewun¬ dern geben. Bestaͤndig sey in ihm die Idee von der Einheit und inneren Verwandtschaft aller Or¬ ganisationen, der Abstammung von Einem Ur¬ bild, dessen Objectives allein veraͤnderlich, das Subjective aber unveraͤnderlich ist: und jene darzustellen, halte er fuͤr sein einziges wahres Geschaͤft. Er bemuͤhe sich vor allem um das Gesetz, nach welchem jene Veraͤnderlichkeit statt findet: er wird erkennen: daß weil das Urbild an sich immer dasselbige bleibt, auch das, wo¬ durch es ausgedruͤckt wird, nur der Form nach veraͤnderlich seyn koͤnne, daß also eine gleiche Summe von Realitaͤt in allen Organisationen verwendet und nur verschiedentlich genutzt wird: daß eine Ersetzung des Zuruͤckstehens der einen Form durch das Hervortreten der andern und des Uebergewichts von dieser durch das Zuruͤck¬ draͤngen von jener statt habe. Er wird sich aus Vernunft und Erfahrung einen Schematismus aller innern und aͤußern Dimensionen entwer¬ fen, in welche sich der productive Trieb werfen kann: wodurch er fuͤr die Einbildungskraft ein Prototyp aller Organisationen gewinnt, das in seinen aͤußersten Graͤnzen unbeweglich, innerhalb derselben aber der groͤßten Freyheit der Bewegung faͤhig ist. Die historische Construction der organi¬ schen Natur wuͤrde, in sich vollendet, die reale und objective Seite der allgemeinen Wissen¬ schaft derselben zum vollkommenen Ausdruck der Ideen in dieser, und dadurch mit ihr selbst wahrhaft Eins machen. Vierzehnte Vorlesung. Ueber Wissenschaft der Kunst, in Bezug auf das academi¬ sche Studium. W issenschaft der Kunst kann vorerst die histo¬ rische Construction derselben bedeuten. In die¬ sem Sinne fodert sie als aͤußere Bedingung nothwendig unmittelbare Anschauung der vor¬ handenen Denkmaͤler. Da diese in Ansehung der Werke der Dichtkunst allgemein moͤglich ist, wird auch jene in der angegebenen Beziehung, als Philologie, ausdruͤcklich unter die Gegen¬ staͤnde des academischen Vortrags gezaͤhlt. Demungeachtet wird auf Universitaͤten nichts seltener gelehrt als Philologie in dem zu¬ vor bestimmten Sinne, welches nicht zu ver¬ wundern, da jene eben so sehr Kunst ist, wie die Poesie und der Philologe nicht minder als der Dichter gebohren wird. Noch viel weniger also ist die Idee einer historischen Construction der Werke bildender Kunst auf Universitaͤten zu suchen, da sie der unmittelbaren Anschauung derselben beraubt sind, und wo etwa auch Ehrenhalber, mit Un¬ 20 terstuͤtzung einer reichen Bibliothek, solche Vor¬ traͤge versucht werden, schraͤnken sie sich von selbst auf die bloß gelehrte Kenntniß der Kunst¬ geschichte ein. Universitaͤten sind nicht Kunstschulen. Noch weniger also kann die Wissenschaft derselben in practischer oder technischer Absicht auf ihnen gelehrt werden. Es bleibt also nur die ganz speculative uͤbrig, welche nicht auf Ausbildung der empi¬ rischen, sondern der intellectuellen Anschauung der Kunst gerichtet waͤre. Aber eben hiemit wird die Voraussetzung einer philosophischen Construction der letztern gemacht, gegen welche sich von Seiten der Philosophie, wie der Kunst, bedeutende Zweifel erheben. Sollte zuvoͤrderst der Philosoph, dessen in¬ tellectuelle Anschauung allein auf die, sinnlichen Augen verborgene und unerreichbare, nur dem Geiste zugaͤngliche Wahrheit gerichtet seyn soll, sich mit der Wissenschaft der Kunst befassen, welche, nur die Hervorbringung des schoͤnen Scheins zur Absicht hat, und entweder bloß die taͤuschenden Nachbilder von jener zeigt oder ganz sinnlich ist, wie sie der groͤßte Theil der Menschen begreift, der sie als Sinnenreiz, als Erholung, Abspannung des durch ernstere Ge¬ schaͤfte ermuͤdeten Geistes ansieht, als ange¬ nehme Erregung, die vor jeder andern nur das voraus hat, daß sie durch ein zarteres Me¬ dium geschieht, wodurch sie aber fuͤr das Ur¬ theil des Philosophen, außer dem, daß er sie als eine Wirkung des sinnlichen Triebes betrachten muß, nur das noch verwerflichere Gepraͤge der Verderbniß und der Civilisation erhalten kann. Nach dieser Vorstellung derselben koͤnnte Philoso¬ phie sich von der schlaffen Sinnlichkeit, welche die Kunst sich wegen dieser Beziehung gefallen laͤßt, nur durch absolute Verdammung dersel¬ ben unterscheiden. Ich rede von einer heiligeren Kunst, der¬ jenigen, welche, nach den Ausdruͤcken der Al¬ ten, ein Werkzeug der Goͤtter, eine Verkuͤndi¬ gerin goͤttlicher Geheimnisse, die Enthuͤllerin der Ideen ist, von der ungebohrnen Schoͤn¬ heit, deren unentweihter Strahl nur reine 20 * Seelen inwohnend erleuchtet, und deren Ge¬ stalt dem sinnlichen Auge eben so verborgen und unzugaͤnglich ist, als die der gleichen Wahrheit. Nichts von dem, was der gemeinere Sinn Kunst nennt, kann den Philosophen beschaͤfti¬ gen: sie ist ihm eine nothwendige, aus dem Ab¬ soluten unmittelbar ausfließende Erscheinung, und nur so fern sie als solche dargethan und be¬ wiesen werden kann, hat sie Realitaͤt fuͤr ihn. „Aber hat nicht selbst der goͤttliche Plato in seiner Republik die nachahmende Kunst ver¬ dammt, die Poeten aus seinem Vernunftstaat verbannt, nicht nur als unnuͤtze, sondern als verderbliche Glieder, und kann irgend eine Au¬ toritaͤt beweisender fuͤr die Unvertraͤglichkeit der Poesie und Philosophie seyn, als dieses Urtheil des Koͤniges der Philosophen?“ Es ist wesentlich, den bestimmten Stand¬ punct zu erkennen, aus welchem Plato jenes Urtheil uͤber die Dichter spricht: denn wenn ir¬ gend ein Philosoph die Absonderung der Stand¬ puncte beobachtet hat, ist es dieser, und ohne jene Unterscheidung wuͤrde es, wie uͤberall, so hier insbesondere, unmoͤglich seyn, seinen bezie¬ hungsreichen Sinn zu fassen, oder die Wider¬ spruͤche seiner Werke uͤber denselbigen Gegen¬ stand zu vereinigen. Wir muͤssen uns vorerst entschließen, die hoͤhere Philosophie und die des Plato insbesondere als den entschiedenen Gegensatz in der griechischen Bildung, nicht nur in Beziehung auf die sinnlichen Vorstellun¬ gen der Religion, sondern auch auf die objecti¬ ven und durchaus realen Formen des Staates zu denken. Ob nun in einem ganz idealen und gleichsam innerlichen Staat, wie der Platoni¬ sche, von der Poesie auf andere Weise die Re¬ de seyn koͤnne und jene Beschraͤnkung, die er ihr auferlegt, nicht eine nothwendige sey? die Beantwortung dieser Frage wuͤrde uns hier zu weit fuͤhren. Jener Gegensatz aller oͤffentli¬ chen Formen gegen die Philosophie mußte noth¬ wendig eine gleiche Entgegensetzung der letztern gegen die erstere hervorbringen, wovon Plato weder das fruͤheste noch das einzige Beyspiel ist. Von Pythagoras an und noch weiter zu¬ ruͤck, bis auf Plato herab, erkennt sich die Philosophie selbst als eine exotische Pflanze im griechischen Boden, ein Gefuͤhl, das schon in dem allgemeinen Trieb sich ausdruͤckte, welcher diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬ herer Philosophen oder die Mysterien in hoͤhere Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬ land der Ideen, dem Orient fuͤhrte. Aber auch abgesehen von dieser bloß histo¬ rischen, nicht philosophischen, Entgegensetzung, die letztere vielmehr zugegeben, was ist Plato's Verwerfung der Dichtkunst, verglichen insbe¬ sondere mit dem, was er in andern Werken zum Lob der enthusiastischen Poesie sagt, an¬ ders, als Polemik gegen den poetischen Rea¬ lismus, eine Vorahndung der spaͤtern Rich¬ tung des Geistes uͤberhaupt und der Poesie ins¬ besondere? Am wenigsten koͤnnte jenes Urtheil gegen die christliche Poesie geltend gemacht werden, welche im Ganzen eben so bestimmt den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die antike im Ganzen den des Endlichen. Daß wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬ nauer bestimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬ ren Gegensatz nicht kannte, daß wir eben des¬ wegen uns zu einer umfassenderen Idee und Construction der Poesie als er erheben und das, was er als das Verwerfliche der Poesie seiner Zeit betrachtete, nur als die schoͤne Schranke derselben bezeichnen, verdanken wir der Erfahrung der spaͤteren Zeit und sehen als Erfuͤllung, was Plato weissagend vermißte. Die christliche Religion und mit ihr der aufs Intellectuelle gerichtete Sinn, der in der alten Poesie weder seine vollkommene Befriedigung, noch selbst die Mittel der Darstellung finden konnte, hat sich eine eigene Poesie und Kunst geschaffen, in der er sie findet: dadurch sind die Bedingungen der vollstaͤndigen und ganz obje¬ ctiven Ansicht der Kunst, auch der antiken, ge¬ geben. Es erhellt hieraus, daß die Construction derselben ein wuͤrdiger Gegenstand nicht nur uͤberhaupt des Philosophen, sondern auch ins¬ besondere des christlichen Philosophen sey, der sich ein eigenes Geschaͤft daraus zu machen hat, das Universum derselben zu ermessen und dar¬ zustellen. Aber ist, um die andere Seite dieses Ge¬ genstandes herauszukehren, seinerseits nun der Philosoph geeignet, das Wesen der Kunst zu durchdringen und mit Wahrheit darzustellen? „Wer kann, so hoͤre ich fragen, von je¬ nem goͤttlichen Princip, das den Kuͤnstler treibt, jenem geistigen Hauch, der seine Werke beseelt, wuͤrdig reden, als wer selbst von die¬ ser heiligen Flamme ergriffen ist? Kann man versuchen, dasjenige der Construction zu unter¬ werfen, was eben so unbegreiflich in seinem Ursprung, als wundervoll in seinen Wirkungen ist? Kann man das unter Gesetze bringen und bestimmen wollen, dessen Wesen es ist, kein Gesetz als sich selbst anzuerkennen? Oder ist nicht das Genie durch Begriffe so wenig zu fassen, als es durch Gesetze erschaffen werden kann? Wer wagt es, noch uͤber das hinaus einen Gedanken haben zu wollen, was offen¬ bar das Freyeste, das Absoluteste ist im gan¬ zen Universum, wer uͤber die letzten Graͤnzen hinaus seinen Gesichtskreis zu erweitern, um dort neue Graͤnzen zu stecken.“ So koͤnnte ein gewisser Enthusiasmus re¬ den, der die Kunst nur in ihren Wirkungen aufgefaßt haͤtte, und weder sie selbst wahrhaft noch die Stelle kennte, welche der Philosophie im Universum angewiesen ist. Denn auch an¬ genommen, daß die Kunst aus nichts hoͤherem begreiflich sey, so ist doch so durchgreifend, so allwaltend das Gesetz des Universum, daß al¬ les, was in ihm begriffen ist, in einem andern sein Vorbild oder Gegenbild habe, so absolut die Form der allgemeinen Entgegenstellung des Realen und Idealen, daß auch auf der letzten Graͤnze des Unendlichen und Endlichen, da wo die Gegensaͤtze der Erscheinung in die rein¬ ste Absolutheit verschwinden, dasselbe Verhaͤlt¬ niß seine Rechte behauptet und in der letzten Potenz wiederkehrt. Dieses Verhaͤltniß ist das der Philosophie und der Kunst. Die letztere, obgleich ganz absolut, voll¬ kommene In-Eins-Bildung des Realen und Idealen verhaͤlt sich doch selbst wieder zur Phi¬ losophie wie Reales zum Idealen. In dieser loͤst der letzte Gegensatz des Wissens sich in die reine Identitaͤt auf und nichts desto weniger bleibt auch sie im Gegensatz gegen die Kunst immer nur ideal. Beyde begegnen sich also auf dem letzten Gipfel und sind sich, eben kraft der gemeinschaftlichen Absolutheit, Vorbild und Gegenbild. Dieß ist der Grund, daß in das In¬ nere der Kunst wissenschaftlich kein Sinn tiefer eindringen kann, als der der Philosophie, ja daß der Philosoph in dem Wesen der Kunst so gar kla¬ rer, als der Kuͤnstler selbst zu sehen vermag. In so fern das Ideelle immer ein hoͤherer Re¬ flex des Reellen ist, in so fern ist in dem Phi¬ losophen nothwendig auch noch ein hoͤherer ide¬ eller Reflex von dem, was in dem Kuͤnstler reell ist. Hieraus erhellt nicht nur uͤberhaupt, daß in der Philosophie die Kunst Gegenstand eines Wissens werden koͤnne, sondern auch, daß außer der Philosophie und anders als durch Philosophie von der Kunst nichts auf absolute Art gewußt werden koͤnne. Der Kuͤnstler, da in ihm dasselbe Prin¬ cip objectiv ist, was sich in dem Philosophen subjectiv reflectirt, verhaͤlt sich darum auch zu jenem nicht subjectiv oder bewußt, nicht als ob er nicht gleichfalls durch einen hoͤheren Reflex sich desselben bewußt werden koͤnnte: aber dieß ist er nicht in der Qualitaͤt des Kuͤnstlers. Als solcher ist er von jenem Princip getrieben und besitzt es eben darum selbst nicht; wenn er es mit demselben zum idealen Reflex bringt, so erhebt er sich eben dadurch als Kuͤnstler zu ei¬ ner hoͤheren Potenz, verhaͤlt sich aber als sol¬ cher auch in dieser stets objectiv : das Sub¬ jective in ihm tritt wieder zum Objectiven, wie im Philosophen stets das Objective ins Sub¬ jective aufgenommen wird. Darum bleibt die Philosophie der innern Identitaͤt mit der Kunst ungeachtet doch immer und nothwendig Wissen¬ schaft d. h. ideal, die Kunst immer und noth¬ wendig Kunst d. h. real. Wie also der Philosoph die Kunst sogar bis zu der geheimen Urquelle und in die erste Werkstaͤtte ihrer Hervorbringungen selbst verfol¬ gen koͤnne, ist nur vom rein objectiven Stand¬ punct, oder von dem einer Philosophie aus, die nicht im Idealen zu der gleichen Hoͤhe mit der Kunst im Realen geht, unbegreiflich. Die¬ jenigen Regeln, die das Genie abwerfen kann, sind solche, welche ein bloß mechanischer Ver¬ stand vorschreibt; das Genie ist autonomisch, nur der fremden Gesetzgebung entzieht es sich, nicht der eigenen, denn es ist nur Genie, sofern es die hoͤchste Gesetzmaͤßigkeit ist; aber eben diese absolute Gesetzgebung erkennt die Philosophie in ihm, welche nicht allein selbst autonomisch ist, sondern auch zum Princip aller Autonomie vordringt. Zu jeder Zeit hat man daher ge¬ sehen, daß die wahren Kuͤnstler still, einfach, groß und nothwendig sind in ihrer Art, wie die Natur. Jener Enthusiasmus, der in ih¬ nen nichts erblickt, als das von Regeln freye Genie, entsteht selbst erst durch die Reflexion, die von dem Genie nur die negative Seite er¬ kennt: es ist ein Enthusiasmus der zweyten Hand, nicht der, welcher den Kuͤnstler beseelt und der in einer gottaͤhnlichen Freyheit zugleich die reinste und hoͤchste Nothwendigkeit ist. Allein wenn nun der Philosoph auch am ehesten das Unbegreifliche der Kunst darzustel¬ len, das Absolute in ihr zu erkennen faͤhig ist: wird er eben so geschickt seyn, das Begreifliche in ihr zu begreifen und durch Gesetze zu bestim¬ men? Ich meyne die technische Seite der Kunst: wird sich die Philosophie zu dem Em¬ pirischen der Ausfuͤhrung und der Mittel und Bedingungen derselben herablassen koͤnnen? Die Philosophie, die ganz allein mit Ideen sich beschaͤftigt, hat in Ansehung des Empirischen der Kunst nur die allgemeinen Ge¬ setze der Erscheinung, und auch diese nur in der Form der Ideen aufzuzeigen: denn die Formen der Kunst sind die Formen der Dinge an sich und wie sie in den Urbildern sind. So weit also jene allgemein und aus dem Univer¬ sum an und fuͤr sich eingesehen werden koͤnnen, ist ihre Darstellung ein nothwendiger Theil der Philosophie der Kunst, nicht aber in so fern sie Regeln der Ausfuͤhrung und Kunstausuͤbung enthaͤlt. Denn uͤberhaupt ist Philosophie der Kunst Darstellung der absoluten Welt in der Form der Kunst. Nur die Theorie bezieht sich unmittelbar auf das Besondere oder einen Zweck, und ist das, wornach eine Sache em¬ pirisch zu Stande gebracht werden kann. Die Philosophie dagegen ist durchaus unbedingt, ohne Zweck außer sich. Wenn man auch dar¬ auf sich berufen wollte, daß das Technische der Kunst dasjenige ist, wodurch sie den Schein der Wahrheit erhaͤlt, was also dem Philoso¬ phen anheim fallen koͤnnte, so ist diese Wahr¬ heit doch bloß empirisch: diejenige, welche der Philosoph in ihr erkennen und darstellen soll, ist hoͤherer Art, und mit der absoluten Schoͤn¬ heit Eins und dasselbe, die Wahrheit der Ideen. Der Zustand des Widerspruchs und der Entzweyung, auch uͤber die ersten Begriffe, worinn sich das Kunsturtheil nothwendig in ei¬ nem Zeitalter befindet, welches die versiegten Quellen derselben durch die Reflexion wieder oͤffnen will, macht es doppelt wuͤnschenswuͤrdig, daß die absolute Ansicht der Kunst auch in Be¬ zug auf die Formen, in denen diese sich aus¬ druͤckt, auf wissenschaftliche Art, von den er¬ sten Grundsaͤtzen aus, durchgefuͤhrt wuͤrde, da, so lange dieß nicht geschehen ist, im Urtheil wie in der Foderung, neben dem, was an sich gemein und platt ist, auch das Beschraͤnkte, das Einseitige, das Grillenhafte bestehen kann. Die Construction der Kunst in jeder ihrer bestimmten Formen bis ins Concrete herab fuͤhrt von selbst zur Bestimmung derselben durch Bedingungen der Zeit und geht also da¬ durch in die historische Construction uͤber. An der vollstaͤndigen Moͤglichkeit einer solchen und Ausdehnung auf die ganze Geschichte der Kunst ist um so weniger zu zweifeln, nachdem der allgemeine Dualismus des Universum, in dem Gegensatz der antiken und modernen Kunst, auch in diesem Gebiet dargestellt und auf die bedeutendste Weise, theils durch das Organ der Poesie selbst, theils durch die Kritik geltend ge¬ macht worden ist. Da Construction allgemein Aufhebung von Gegensaͤtzen ist, und die, wel¬ che in Ansehung der Kunst durch ihre Zeitab¬ haͤngigkeit gesetzt sind, wie die Zeit selbst, un¬ wesentlich und bloß formell seyn muͤssen, so wird die wissenschaftliche Construction in der Darstellung der gemeinschaftlichen Einheit be¬ stehen, aus der jene ausgeflossen sind und sich ebendadurch uͤber sie zum umfassenderen Standpunct erheben. Eine solche Construction der Kunst ist al¬ lerdings mit nichts von dem zu vergleichen, was bis auf die gegenwaͤrtige Zeit unter dem Namen von Aesthetik, Theorie der schoͤnen Kuͤnste und Wissenschaften, oder irgend einem andern existirt hat. In den allgemeinsten Grundsaͤtzen des ersten Urhebers jener Bezeich¬ nung lag wenigstens noch die Spur der Idee des Schoͤnen, als des in der concreten und abgebildeten Welt erscheinenden Urbildlichen. Seit der Zeit erhielt diese eine immer bestimm¬ tere Abhaͤngigkeit vom Sittlichen und Nuͤtzli¬ chen: so wie in den psychologischen Theorieen ihre Erscheinungen ohngefaͤhr gleich den Ge¬ spenster-Geschichten oder anderm Aberglauben wegerklaͤrt wurden, bis der hierauf folgende Kantische Formalismus zwar eine neue und hoͤ¬ here Ansicht, mit dieser aber eine Menge kunst¬ leerer Kunstlehren gebohren hat. Die Saamen einer aͤchten Wissenschaft der Kunst, welche treffliche Geister seitdem ausgestreut haben, sind noch nicht zum wissen¬ schaftlichen Ganzen gebildet, das sie jedoch er¬ warten lassen. Philosophie der Kunst ist noth¬ wendiges Ziel Philosophen, der in dieser das innere Wesen seiner Wissenschaft, wie in einem magischen und symbolischen Spiegel schaut; sie ist ihm als Wissenschaft an und fuͤr sich wichtig, wie es z. B. die Naturphilosophie ist, als Construction der merkwuͤrdigsten aller Producte und Erscheinungen, oder Construction einer eben so in sich geschlossenen und vollende¬ ten Welt, als es die Natur ist. Der begei¬ sterte Naturforscher lernt durch sie die wahren Urbilder der Formen, die in der Natur nur verworren ausgedruͤckt findet, in den Werken der Kunst und die Art, wie die sinnlichen Din¬ ge aus jenen hervorgehen, durch diese selbst sinnbildlich erkennen. Der innige Bund, welcher die Kunst und 21 Religion vereint, die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit, einerseits der ersten eine andere poetische Welt als innerhalb der Religion und durch Religion zu geben, die Unmoͤglichkeit auf der andern Seite, die letztere zu einer wahrhaft objectiven Erscheinung anders als durch die Kunst zu brin¬ gen, machen die wissenschaftliche Erkenntniß derselben dem aͤchten Religioͤsen auch schon in dieser Beziehung zur Nothwendigkeit. Endlich gereicht es demjenigen, der un¬ mittelbar oder mittelbar Antheil an der Staats¬ verwaltung hat, zu nicht geringer Schande, weder uͤberhaupt fuͤr die Kunst empfaͤnglich zu seyn, noch eine wahre Kenntniß von ihr zu haben. Denn wie Fuͤrsten und Gewalthaber nichts mehr ehrt, als die Kuͤnste zu schaͤtzen, ihre Werke zu achten und durch Aufmunterung hervorzurufen: so gewaͤhrt dagegen nichts einen traurigern und fuͤr sie schimpflichern Anblick, als wenn diejenigen, welche die Mittel haben, diese zu ihrem hoͤchsten Flor zu befoͤrdern, diesel¬ ben an Geschmacklosigkeit, Barbarey oder ein¬ schmeichelnde Niedrigkeit verschwenden. Wenn es auch nicht allgemein eingesehen werden koͤnn¬ te, daß die Kunst ein nothwendiger und inte¬ granter Theil einer nach Ideen entworfenen Staatsverfassung ist, so muͤßte wenigstens das Alterthum daran erinnern, dessen allgemeine Feste, verewigende Denkmaͤler, Schauspiele, so wie alle Handlungen des oͤffentlichen Lebens nur verschiedene Zweige Eines allgemeinen ob¬ jectiven und lebendigen Kunstwerks waren. Inhalt. Erste Vorlesung . Ueber den absoluten Begriff der Wissenschaft — — S. 1 Zweite Vorlesung . Ueber die wissen¬ schaftliche und sittliche Bestimmung der Academieen — — — — — 27 Dritte Vorlesung . Ueber die ersten Voraussetzungen des akademischen Stu¬ dium — — — — — — 59 Vierte Vorlesung . Ueber das Stu¬ dium der reinen Vernunftwissenschaf¬ ten: der Mathematik, und der Philo¬ sophie im Allgemeinen — — — 81 Fuͤnfte Vorlesung . Ueber die ge¬ woͤhnlichen Einwendungen gegen das Studium der Philosophie — — 101 Sechste Vorlesung . Ueber das Stu¬ dium der Philosophie insbesondre — 119 Siebente Vorlesung . Ueber einige aͤußre Gegensaͤtze der Philosophie, vor¬ naͤmlich den der positiven Wissenschaf¬ ten 143 Achte Vorlesung . Ueber die historische Construction des Christenthums 165 Neunte Vorlesung . Ueber das Stu¬ dium der Theologie 187 Zehnte Vorlesung . Ueber das Stu¬ dium der Historie und der Jurispru¬ denz 211 Eilfte Vorlesung . Ueber die Natur¬ wissenschaft im Allgemeinen 237 Zwoͤlfte Vorlesung . Ueber das Stu¬ dium der Physik und Chemie 261 Dreyzehnte Vorlesung . Ueber das Studium der Medicin und der organi¬ schen Naturlehre uͤberhaupt 281 Vierzehnte Vorlesung . Ueber Wis¬ senschaft der Kunst, in Bezug auf das academische Studium 303 Jena, gedruckt bei Frommann und Wesselhoͤft.