Ein Lehrgedicht von Friedrich Rückert . Die Weisheit des Brahmanen, ein Lehrgedicht in Bruchstücken. Von Friedrich Rückert . Viertes Bändchen. Leipzig , Weidmann'sche Buchhandlung . 1838. IX. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 1 1. D ie Sonne steigt, mit Gott! und golden ist der Osten; Sie tritt ihr Tagwerk an, und ich an meinen Posten. Sie will der Welt herauf neu fuͤhren einen Tag; Und Schoͤnes bring' ich euch, so viel ich noch vermag. O bring es schnell, mein Geist! der Tag ist kurz gemessen, Herbst ist nun, doch so klar, daß ich mich freue dessen. Kahl ist der Rosenstrauch, die Rosen sind vergessen, Doch sanft im Fruͤhglanz wankt der Wipfel der Zipressen. 1* 2. Wenn nur fuͤr fremde Lust dein Wirken ist bestrebt, Kein Frohgefuͤhl die Brust dabei dir selbst erhebt, Auch du nicht deine Lust am Thun der andern hast, So ist dir, was du thust und sie thun, eine Last. Komm, und mit Heiterkeit den Drang des Lebens wuͤrze! Nicht uͤber Hals und Kopf dumpf in den Wirbel stuͤrze! Es steht bei dir, daß aus der Welt Muͤhseligkeit In jedem Augenblick dir aufbluͤh' Seligkeit. 3. Am Ende, wann du nun dich an der Welt genung Gefreut hast, freuet dich noch die Erinnerung; Noch die Erinnerung, wie du dich sonst gefreut, Wann das die Welt dir bot, was sie noch immer beut; Wie du dich sonst gefreut, wann sich der Kranz erneut Des Fruͤhlings, wie sich heut sein voller Glanz erneut. Freut dich nicht mehr der Kranz? Noch immer! doch nur ganz, Wenn du dazu denkst, wie dich sonst gefreut der Glanz. 4. Ein nachgesprochenes Gebet kann etwa nuͤtzen, Als Zaubersegen, dich mit Wunderkraft beschuͤtzen. Ein nachgebetet Wort der Lehre nuͤtzet nicht, Wenn in dir selbst den vorgesprochnen nichts entspricht. Der eingepflanzte Stab mag wohl die Pflanze tragen, Die Pflanze doch muß, um zu wurzeln, Wurzel schlagen. 5. Kein Kampf und keine Noth, kein Leiden, keine Fahr, Die zu bestehn du hast, wird bleiben unfruchtbar, Wenn sie dir andre Frucht und Ausbeut' auch nicht gaben, Als die Beruhigung, bestanden sie zu haben. 6. Wenn du im Schmerz, den du empfindest, schon die Ruh Empfaͤndest die ihm folgt, nicht Schmerz empfaͤndest du. Doch kannst du nicht im Schmerz die Ruh schon mitempfinden; Sonst wuͤrde hier der Schmerz und dort die Ruhe schwinden. 7. Am groͤßten ist alsdann des Fleißigen Behagen, Wenn er des Tags zuvor hat doppelt eingetragen. Er freut sich daß er heut nun duͤrfte muͤßig seyn, Und in der Freude traͤgt er wieder doppelt ein. 8. Das Gaͤhnen, das, mein Sohn, beim Lernen dich beschleicht, Ein Zeichen ist es, daß Aufmerksamkeit entweicht. Es zu verbeißen hilft auch gar nicht mit den Zaͤhnen, Wenn du nicht innerlich bezwingen kannst das Gaͤhnen. Bei aufgesperrtem Mund ist selbst das Ohr geschlossen Das aͤußre, mehr noch ist das innre dann verdrossen. Noch einmal denn versuch' in muthiger Ermannung, Ob du erhalten kannst den Geist in rechter Spannung; Wo nicht, so lassen wir es lieber heute ruhn: Denn besser ist, als schlecht, die Arbeit gar nicht thun. 9. Verschweig ein Gluͤck, verbirg ein Ungluͤck, das du hast! Im Gluͤck und Ungluͤck sind die Menschen nur zur Last. Noch schlimmer als im Gluͤck der gift'ge Blick des Neiders, Im Ungluͤck ist das Wort das frost'ge des Mitleiders. 10. Kaum hast du dich gefreut fehlloser Jugendbluͤthe Des schoͤnsten, theuersten, mit dankbarem Gemuͤthe; So haucht ein Unheil, und der Lustglanz ist vorbei, Alsob gefallen drein ein boͤser Mehlthau sei. Darf man sich loben nichts, aus Furcht es zu berufen? An nichts sich freuen, was zur Freude Goͤtter schufen? Nein, danke Gott, daß dir nicht lastet aufs Genick Feindselige Goͤttermacht und neidisches Geschick. Nein, danke Gott, der dir die Freude goͤnnen wollte Am Schoͤnen eben noch als es verbluͤhen sollte. Nicht deine Freude hat den Schaden angebahnt, Du freutest dich nur so, vom droh'nden vorgemahnt. 11. Das rechte Maß, wie man den Lehrling vorwerts treibt, So daß er doch dabei in rechten Schranken bleibt, Ist, einen Fortschritt, den er that, ihn lassen merken, Um zu dem weitern, den er thun soll, ihn zu staͤrken, Nicht daß er glaube, schon ein Großes sei gethan, Doch fuͤhle, daß er thun das Groͤste soll und kan; Dazwischen unvermerkt, ihn nicht im Weiterschreiten Zu stoͤren, aus dem Weg zu raͤumen Schwierigkeiten, Doch ihm zu goͤnnen auch dabei von Zeit zu Zeit Das lohnende Gefuͤhl besiegter Schwierigkeit. 12. Nur ein Gedanken ists, an welchen du gewoͤhnen Dich mußt, um dein Geschick im Geiste zu versoͤhnen. Und an wie mangerlei Gedanken hast du dich Nicht schon gewoͤhnt! man denkt zuletzt in Alles sich. Das Unverhoffteste, wenn es getreten ein, Sieht endlich aus als koͤnnt' es gar nicht anders seyn. Und wenn gleichguͤltig uns durch die Gewohnheit werden Am Ende Freuden selbst, warum nicht auch Beschwerden? 13. So hilflos zu der Welt wird nie ein Thier geboren Alswie der Mensch, der sich so hoch fuͤhlt auserkoren. Warum? Es hat Natur dadurch uns sagen wollen, Daß wir uns selber und einander helfen sollen. Die Mutter hilft zuerst dem Kind, der Vater dann; Dann hilft es ihnen, und sich selber hilft der Mann. 14. Mein Sohn, erwarte nicht, daß dich die Leute warnen Vor Boͤsem, eh davon du laͤssest dich umgarnen. Sie werden zusehn bis um dich es schlug zusammen, Um zu beklagen dann dich oder zu verdammen, Und sich zu freuen, daß sie besser sind als du, Wo nicht, doch gluͤcklicher; drum sieh beizeiten zu, Mein Sohn, die Welt kann dich nur fuͤhren in Gefahren; Dich huͤten mußt du selbst, und Gott muß dich bewahren. Mein Sohn, ich lehre dich, was ich an mir erfuhr: Die Welt nimmt Theil mit Lust an unserm Schaden nur. 15. Soll tragen mit Geduld dein Lehrling Lernbeschwerden, So mußt du Lehrer selbst nicht ungeduldig werden. Denn Schweres hat zu thun der Lehrling wie der Lehrer, Das leichter durch Geduld, durch Ungeduld wird schwerer. 16. Du fragst, ob du zum Heil der Welt und Wissenschaft, An, was dir widersteht, sollst wenden deine Kraft?, Weil uͤberzeugt du seist, es sei nun an der Zeit, Und doch daran zu gehn kein andrer sei bereit. Mein Sohn, was irgend an der Zeit ist, das wird kommen; Der Welt und Wissenschaft mag gar Verschiednes frommen. Drum rath' ich dir, nur was dir selber taugt, zu treiben; Weil vielen vieles taugt, wird keines unterbleiben. So wird am sichersten zum Weltheil beigetragen, Und keinem braucht die Welt besonders Dank zu sagen. Ein jeder baue nur mit Lust sein eignes Zelt; Durch Gottes Segen wird daraus ein Bau der Welt. 17. Nur eine Waffe gab jedwedem Thier Natur, Nicht allen alle, dir, o Mensch, gar keine nur. Sie gab auch eine Kunst nur einem, und nicht allen Jedwede, wieder dir ist keine zugefallen. Warum? waͤr' eine Waff' und Kunst dir angeboren, So waͤre der Gebrauch der andern dir verloren. Doch brauchen solltest du so alle Kuͤnst' als Waffen, Dir selber schaffend, was dir nicht ist anerschaffen. 18. Das Leben ist ein solch unschaͤtzbar Gut, mein Kind, Weil alle Guͤter mit darin begriffen sind. Denn Theil an allen hat, wer Theil am Leben nimmt, Ob ihm ein groͤßrer Theil, ein kleinrer sei bestimmt. Des Ganzen Mitgefuͤhl ist ganz im kleinsten Theil, Und dein besondres Gluͤck das allgemeine Heil, Zu fuͤhlen rings um dich, stets aus sich selbst erneut, Ein Leben tausendfach, das sich des Lebens freut. Wer dieses lebhaft fuͤhlt in jedem Augenblick, Dankt fuͤr sein Leben Gott und segnet sein Geschick. 19. Hat die Unendlichkeit nicht Raͤume ungeheuer? Doch uͤberall ist Raum gespart, als sei er theuer. Der Drang des Lebens, wenn er sich waͤr' uͤberlassen, Selbst die Unendlichkeit vermoͤcht' ihn nicht zu fassen. Drum ist des Lebens Fuͤll' ins Engeste gezwaͤngt, Weil uͤberall ihr Trieb ins Weitere sie draͤngt. Zur Raumersparung hat Baumeisterin Natur Das Bienenvolk gelehrt sechseckig bauen nur, Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge Zur Noth bequem nur faßt die arbeitselige Menge. Verkruͤppelt zwitterhaft sind drin die fleiß'gen Horden, Von denen jeder frei sonst waͤr' ein Weisel worden. So wuͤrd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten Die Nachbarn zwaͤngten, sich als Patriarch ausbreiten. Mit rascher Fruchtbarkeit hat er ein Land besetzt, Bis die Bevoͤlkerung sich selber Schranken setzt. Alswie im dichten Wald von tausend Saamenkoͤrnern Nur eines sich empor arbeitet aus den Doͤrnern; Doch wird er ausgehaun, mag eine Tanne streun Die Saamen weit umher, und bald den Wald erneun. Der Baum des Lebens ist von Saamen ganz erfuͤllt, Und uͤberall ein Trieb im andern eingehuͤllt. Die Knospe wartet nur auf Platz hervorzudringen, Sobald die alte weicht, wird gleich die neu' entspringen. Wie an der Eidechs', ob du Fuß ihr oder Hand Abhiebest, Hand und Fuß am selben Ort entstand; Alsob die Glieder schon verborgen fertig lauern, Und koͤnnen nur nicht vor, so lang' die alten dauern. So uͤberquillend ist auch Menschenfaͤhigkeit; Gib Spielraum ihr, sie tritt hervor zu rechter Zeit. Drum fuͤge dich der Zeit, erfuͤlle deinen Platz, Und raͤum' ihn auch getrost, es fehlt nicht an Ersatz. 20. Dem der fuͤr Ungluͤck haͤlt, was ihn als solches gruͤßt, Wird bitter so die Welt, daß nichts sie wieder suͤßt. Du must, wenn du ihm willst den herben Stachel brechen, Durchaus das Ungluͤck nicht fuͤr eine Macht ansprechen. Ei Ungluͤck, besser sollst du als das Gluͤck nicht seyn; Wenn es ein Schein nur ist, bist du auch nur ein Schein. 21. Ein Irrthum abgethan ficht dich nicht weiter an, Du geh'st an ihm vorbei ohn' Anstoß deine Bahn. Und Wunder nimmt dichs fast, wie man in vorigen Tagen Sich mit so schwachem Feind ernsthaft herumgeschlagen. Doch haͤtten sie gescherzt, so waͤr' er nicht besiegt; Gut scherzen hast du nun, da er zu Boden liegt. 22. Wie manchen priesest du, was er nicht war, begluͤckt, Weil er mit falschem Schein den innern Fehl geschmuͤckt. Ob einer wirklich sei zu preisen, zu beklagen, Sagt er sich selber nur, dir braucht ers nicht zu sagen. Ich aber sag' es dir, wie du mich immerhin Bedauerst, wiß daß ich beneidenswerth noch bin. 23. Wer einem Freunde klagt, erleichtert sich das Herz, Und wer vor Gott ihn sagt, versoͤhnet seinen Schmerz. Doch wer mit sanftem Laut ihn dem Gesang vertraut, Ist auch davon zugleich getroͤstet und erbaut. O wunderbares Bild, o Kraft des Seelenlichts! Du siehest Herbes mild im Spiegel des Gedichts. Und wie sich in dem Schein erblickt die Schreckerscheinung, Wird selber sie zu Stein, die dir gedroht Versteinung. 24. Des Geistes Flitterstaat, mein Sohn, ist Neubegierde, Allein die Wißbegier ist seine wahre Zierde. Die Neubegier ist aufs Besondre gleich beflissen, Die Wißbegierde will erst das Gemeinste wissen. Die Neubegierde spielt, die Wißbegierde zielt; Die Wißbegierde schaut, die Neubegierde schielt. Des Strebens Unterschied, haupt- oder nebensaͤchlich, Macht gruͤndlich Wißbegier und Neugier oberflaͤchlich. 25. Zwei Einverstandene haben sich nichts zu sagen; Die Antwort wissen sie zum voraus eh' sie fragen. Wo aber zweie sich in keinem Punkt verstehn, Wird die Verstaͤndigung in leeren Streit ausgehn. Was also fordert und ermoͤglicht Menschenwort? Halb Misverstaͤndnis, halb Verstaͤndnis, hier und dort. 26. Das Angenehme thut, wenns keine Frucht auch trug, Durch augenblicklichen Genuß uns schon genug. Unangenehmem, dem wir koͤnnen nicht entrinnen, Wollen wir wenigstens Belehrung abgewinnen. 27. Deiner Beduͤrfnisse Befriedigung gereicht Dir zum Genusse wol, doch zur Beschwer auch leicht. Gebietrisch fordern sie einmal-Gewohntes immer: Gib oder weigre nun! was ist von beidem schlimmer? 28. Wo Ueberlieferung ununterbrochen waltet, Wird an der Bildung Stamm leicht Blatt aus Blatt entfaltet. Der Schuͤler nimmt getreu von seinem Lehrer an, Was der von seinem, der von seinem hat empfahn. So bis zum letzten laͤuft der Funken durch die Kette, Alsob unmittelbar er ihn vom ersten haͤtte. Ist nun der gliedernde Zusammenhang gesprengt, Weiß keiner mehr, von wem, was und wie ers empfaͤngt. Zu seinen Lehrern hat ein Schuͤler dieser Zeit Die ganze Gegenwart und die Vergangenheit. 29. Den alten Malerspruch erkoren hab' auch ich Zum Wahlspruch fuͤr mein Buch: Kein Tag ohn' einen Strich. So lass' ich ohne Strich nun keinen Tag verstreichen, Sei mangmal es auch nur ein Strich um auszustreichen. 30. Auswendig lernen sei, mein Sohn, dir eine Pflicht; Versaͤume nur dabei inwendig lernen nicht. Auswendig ist gelernt, was dir vom Munde fließt, Inwendig, was im Sinn lebendig sich erschließt. 31. Wenn an einander wir, o Freund, nicht oͤfter daͤchten Als schrieben, zweifelt' ich an unsrer Liebe Maͤchten. Ich aber zweifle nicht, ich weiß mit Zuversicht: Du gibst mir, wie ich dir, tagtaͤglichen Bericht. Und ich empfang' ihn auch, wie du empfaͤngst den meinen; Wir unterreden uns, wenn wir zu schweigen scheinen. Du weißt ja, wie ich war, drum weißt du, wie ich bin; Und wie ich kannte dich, kenn' ich dich immerhin. Doch wenn man ohne Schrift das Innre kann gewahren, Von Zeit zu Zeit will man was Aeußres auch erfahren. Denn unsre Freundschaft ist Gefuͤhl ins Ferne zwar, Jedoch kein Ferngesicht, wovor uns Gott bewahr! Drum geb' ich Nachricht dir, daß du mir Nachricht gebest, Nicht, ob du mich noch liebst, nur, ob du auch noch lebest. Ich leb' und freue mich noch jeder guten Stunde, Und von der boͤsen nehm' ich lieber keine Kunde. Noch minder gaͤb ich dir davon die Kunde gern, Nah bliebe dir nur, was derweil mir schon ist fern. Wie sollt' ich Dauer dem verleihn auf diesem Blatt, Was in der Wirklichkeit zum Gluͤck nicht Dauer hat! 32. Schon wieder hat der Baum der Hoffnung fehlgetragen, Und abermal das Reis des Wunsches fehlgeschlagen. Was ist zu thun? geschwind, bevor der Tag vergeht, Schlag auf das Tagebuch, worin soviel schon steht. Trag ein den Fehlertrag, er fehle nicht darin; Und schlag dir dann das Fehlgeschlagne aus dem Sinn. 33. Der Kaͤmpe wappne sich, eh er zum Kampfe geht; Es ist zu spaͤt, wann er in Feindes Mitten steht. So mit Grundsaͤtzen magst du wappnen dich und schirmen Vor Leidenschaften, eh sie selber dich bestuͤrmen. Oft leider wird auch so, was du bei kaltem Blut Dir nahmest vor als Schild, zerschmelzen in der Glut. 34. Vier Zeichen lehr' ich dich, sie sind wol lernenswerth, Wer dich liebt, oder scheut, verachtet oder ehrt. Dich fuͤrchtet, wer von dir schlimm hinterm Ruͤcken spricht, Und dich verachtet, wer dich lobt ins Angesicht. Dich ehrt, wer dich, wo du's verdienst, zu tadeln wagt, Und liebt, wer lieber Gut- als Boͤses von dir sagt. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 2 35. Lern zweierlei, mein Sohn, zu thun nach Ort und Zeiten: Stoff beizuschaffen und den Stoff zu verarbeiten. Bald wird das eine, bald das andre mehr gelingen, Doch beide suche stets ins Gleichgewicht zu bringen. Das rechte ist, wenn eins so gleich dem andern laͤuft, Daß fort die Arbeit geht, indeß der Stoff sich haͤuft. 36. Dich wundert, daß gesinnt ein jeder anders ist? Da du, der eine, selbst gesinnt stets anders bist. Nicht so viel Sinne nur, als Koͤpfe, sind gefunden, Da jedes Kopfes Sinn sich aͤndert alle Stunden. 37. Erwaͤg' an jeder Frucht, was dient zu deinem Male? Von einer ists der Kern, von anderer die Schale. Verstaͤndig ist, wer das genießet, was ihm taugt, Den markigen Kern aufknackt, das saftige Fleisch ansaugt. Ein Thor, wer dieses Fleisch und jenes Mark wegschmeißt, Dafuͤr hier harten Stein, dort herbe Rinde beißt. 38. Im eignen Hause kann man leichter ohne Licht Zurecht sich finden, doch im fremden geht es nicht. Da wo du blindlings dich zurecht zu finden weißt, Das ist ein Zeichen daß du recht zu Hause seist. 2* 39. Ein Feld ist das Gemuͤth, und du bist sein Besteller; Baust du es gut, so waͤchst darauf das Gute schneller. Doch nicht waͤchst Nichts darauf, weil du es nicht gebaut; Das Unkraut stellt von selbst sich ein, wo fehlt das Kraut. Und auszuraufen auch das Unkraut, hilft dir nimmer, Denn seine Wurzeln doch laͤßt es im Boden immer. Und willst du es im Grund entwurzeln ganz und gar, Zu untergraben mit das Kraut laͤufst du Gefahr. Was also bleibt zu thun? das Unkraut niederhalten, Daß oben finde Raum das Kraut, sich zu entfalten. Und hat das Kraut sein Netz dicht uͤbers Feld gestrickt, Darunter ist zuletzt das Unkraut selbst erstickt. 40. Ein Kindchen, das zuerst auf seinen Fuͤßchen steht, Erst zagend einen Schritt, dann wagend einen geht, Wie hat es mich gefreut, wie hat es mich geruͤhrt, Und die Vorstellungen mir weit hinaus gefuͤhrt, In seine Zukunft, wann der Mann die Kraft gewann, Die geistig stehn und gehn auf eignen Fuͤßen kann. 41. Laß gelten, lieber Sohn, was irgend gelten mag, Fuͤr diesen juͤngsten, wenn nicht bis zum juͤngsten Tag! Laß andre gelten, und dich lassen andre gelten; Das ist viel besser als einander niederschelten. Will dir nicht alles auch, was gilt, gleich guͤltig scheinen; Sieh's recht nur an! was gilts? dir wirds gleichguͤltig scheinen. Gleichguͤltigkeit derart ist goͤttlicher Natur; Gleichguͤltig nicht allein glaubt Goͤtter Epikur; Gleichguͤltig glaub' ich selbst auch Gott in diesem Sinn, Daß ich ihm guͤltig gleich wie alle Wesen bin. 42. Viel wichtiger als was du hast gelernt, mein Sohn, Ist was du hast gethan, und mehr hast du davon. Was du gelernet, mußt du fuͤrchten zu vergessen; Was du gethan, von selbst erinnerst du dich dessen. Es mag dich nun erfreun, es mag dich nun gereun, Von selber wird sich die Erinnrung dir erneun. Einmal geschrieben, ists nicht wieder auszustreichen, Und in des Lebens Buch steht es als ewiges Zeichen. Drum was du schreibest, denk, ob du es immer sehn Vor Augen moͤchtest, nie es wuͤnschen ungeschehn. Einmal geschrieben, ists nicht wieder umzuschreiben; Und streichest du's auch aus, so wird der Strich doch bleiben. Und kratzest du es aus, so bleibet doch der Kratz, Und Neues laͤßt sich nie rein schreiben an dem Platz. 43. Thust du dir was zu gut, so ist dir wohl zu Muth, Doch besser thust du, was auch wohl den andern thut. Das Leben ist nur dem an steten Wonnen reich, Der frohbewußt es sich und andern lebt zugleich. 44. Der Mond am Himmel ist der Sonne beigegeben, Damit sie beid' ein Bild vorhalten unserm Leben. Der Mond bedeutet, daß im Wechsel alles treibt; Die Sonne deutet, was im Wechsel gleich sich bleibt. Am Monde troͤste dich bei Gluͤckes Unbestand, Und um Bestaͤndigkeit blick auf zum Sonnenrand. Nimm ab und zu an Lust, dem Mond gleich, in Geduld; Und wie die Sonne sei unwandelbar voll Huld. 45. Nur selten oder nie begegnen auf der Fahrt Hienieden zweie sich von gleicher Sinnesart. Was jenem wichtig scheint, haͤlt dieser fuͤr entbehrlich, Und was der wichtig nennt, ist jenem nur beschwerlich. Daher ein Lehrender und Lernender sich nie Im Grunde ganz verstehn, doch lehren, lernen sie. Was aber wird von dem gelehrt, von dem gelernt? Ein Mittleres, was sich von keinem weit entfernt? Nein, Eignes gibt man nur, nur Eignes wird genommen; Die Anbequemung mag von keiner Seite frommen. Der Lehrer, der sich anbequemt, wirkt schwach und flach; Der Schuͤler, der es thut, spricht Unverstandnes nach. Der Lehrer strebe nur sich selber zu entfalten, Der Schuͤler lerne nur sein Eignes zu gestalten. Wenn jeder so sich nur bestaͤrkt in seinem Sinn, So bleibt fuͤr beide Theil' Erregung der Gewinn. Durch Lehren lernen wir; das Sprichwort bleib' in Ehren, Doch wahr ists auch, daß wir durch Lernen selbst uns lehren. 46. Wen unerwartet Gluͤck mit Unmaß uͤberschuͤttet, Gefoͤrdert wird dadurch sein Heil nicht, nur zerruͤttet; Wie uͤberstroͤmt mit Oel, statt maͤßig angefrischt, An ihrer Lebensfuͤll' oft eine Lamp' erlischt. 47. Hier geb' ich dir, mein Sohn, Gluͤck moͤge sie dir schlagen, Die dein Großvater einst, dein Vater dann getragen, Die Uhr, nun trag du sie, und moͤge sie dein eigen Noch schoͤnre Stunden dir als deinen Vaͤtern zeigen! Ob ernstbeschaͤftigte, ob heiter aufgeraͤumte, Sie zeige dir nur nie die Stunde, die versaͤumte! Denn niemals, ob die Uhr du stellen magst zuruͤck, Kehrt die versaͤumte Zeit und ein vertraͤumtes Gluͤck. Ein Bild des Lebens ists, was dir dein Vater gab: Das Leben wie die Uhr laͤuft unaufhaltsam ab. Die abgelaufne Uhr laͤßt wieder auf sich ziehn; Fuͤr die des Lebens ist kein Schluͤssel uns verliehn. 48. Wenn dir ein Schritt entschluͤpft ist ein unebener, So sorge daß auch der sei kein vergebener. Nachsichtiger mach' er dich fuͤr Unebenheiten In fremden Haus- und Stadt- und Weltbegebenheiten. Denn lerne, weil die Welt ist so uneben nun, Vorsichtiger den Schritt ein andermal zu thun. So bleibt der Fehltritt dir in jeder Hinsicht werth, Weil er so Vorsicht hat als Nachsicht dich gelehrt. 49. Den Kruͤppel schilt man nicht, daß er nicht wandeln kann; Und auch ein Kruͤppel ist der haltungslose Mann. Wer nun kann heißen gehn den Kruͤppel und den Lahmen, Der fordre Haltung auch von dem in Gottes Namen. Wer aber das nicht kann, der moͤge sich bedenken, Ob er dem armen Mann nicht muße Nachsicht schenken. 50. Du hast ein gleich Gefuͤhl nicht immer deiner Kraͤfte, Doch schaffen mußt du, was einmal ist dein Geschaͤfte. Wenn du bei deinem Werk nicht fuͤhlst die frische Lust, Doch denke darum nicht, daß du nichts rechtes thust. Vertrau dem guten Geist auch in der schlechten Stunde, Der, ohne daß du's weißt, doch ist mit dir im Bunde. 51. Statt vieler gebe Gott dir Einen Freund, getreuen, In jeder Lage dich, und sich mit dir, zu freuen; Der dein Gefaͤhrte sei zu Fahrt und zu Gefahr, Und dein Geselle, wo du siedelst, immerdar; Dann aber dein Genoß in jeglichem Genuß, Und niemals sei der Troß der Welt dir zum Verdruß. 52. Am Tag des Gluͤckes wird ein kuͤhner Sprung dir gluͤcken, Am Tag des Ungluͤcks stuͤrzt ein Fehltritt von der Bruͤcken. Drum meide jeder Frist den Fehltritt! denn du bist Nie sicher, ob dein Ungluͤcks- oder Gluͤckstag ist. Am Ungluͤckstage wirst du desto sichrer wallen, Und auch am Gluͤckstag macht Vorsichtigkeit nicht fallen. 53. Warum verehrst du den? Weil ihn soviel verehren. Das Beispiel ists wodurch einander Thoren lehren. Hier ehrt dich einer erst, und dort ein andrer dann, Und endlich bist du ein verehrungswuͤrdiger Mann. Warum? weiß keiner zwar, doch jeder glaubt gewis, Der andre wiss' es schon, und ihm genuͤge dis. 54. O schaͤme dich, zuruͤck von einem Wandelgang Zu kommen durch den Wald, die Fruͤhlingsflur entlang, Und nicht in deiner Brust ein Lied mit dir zu bringen, Mag es nun oder nicht hervor nach außen klingen. Das schoͤnste Lied ist ja nicht das man druckt und schreibt, Vielmehr das wie die Perl' in seiner Muschel bleibt. 55. Du freuest dich, mein Sohn, daß du in diesem Orden, In dem du stehst, nunmehr der erste bist geworden. Den Ehrgeiz lob' ich zwar, doch sein Bereich ist klein, Denn hier der erste nicht noch letzte sollst du seyn. Zu hoͤherm Orden soll dein Ehrgeiz dich befiedern, Des letzter hoͤher steht als du der erst' im niedern. 56. Du thust, da du dir sollst die Unart abgewoͤhnen, Als sollte dir entgehn das Schoͤnste von dem Schoͤnen. Wie schoͤn sie duͤnke dir, doch gib die Unart mir, Und zum Ersatze geb' ich meine Liebe dir. Bist du's zufrieden? Gut! geschlossen ist der Kauf, Die Unart ist nun mein, du hast die Liebe drauf. Der Handel freut mich sehr; moͤg' er dich auch erfreun! Bedenke dieses nur, und nie wird es dich reun: Einst naͤhme doch die Welt die Unart nach Gebuͤhr Dir ab und gaͤbe nichts als ihren Spott dafuͤr. 57. Nimm es dem Freunde nur nicht uͤbel, der ergrimmt Ein Freundeswort ein gutgemeintes uͤbel nimmt. Bedauer' ihn! gewis ist uͤbel ihm zu Muth, Recht uͤbel, weil so gar nichts Gutes gut ihm thut. 58. Der Uebersetzung Kunst, die hoͤchste, dahin geht, Zu uͤbersetzen recht, was man nicht recht versteht. Mit allem Lernen ist es ebenso bestellt; Denn was man ganz versteht, ist wenig auf der Welt. Drum lerne zeitig nur zu lernen, wo du gehst, Auch manches was du halb und auch nicht halb verstehst. 59. In was du bildend dich wirst ganzer Seele tauchen, Das kannst du fetzenweis am wenigsten verbrauchen. Was im Voruͤbergehn den Geist beruͤhrt und streift, Das ists wovon zum Schmuck er dis und das ergreift. Nicht wo du Einzelnes aufzaͤhlst das du gewannst, Das meiste lernst du da, wo du's nicht zaͤhlen kannst. 60. Du bist, mein Juͤngling, nun in den Erobrungsjahren, Wo man erwerben will, und noch nicht muß bewahren. Erwirb soviel du kannst, wend' an was du gewannst, Und freue dich, daß du stets weitern Kreis umspannst. Dann aber, um nicht ins Unendliche zu fließen, Wirst du genoͤthigt seyn dich endlich abzuschließen; Dann gluͤcklich, wenn du aus dem Weitern, das zerscheitert, Den heitern Geist gewannst, der Enges dir erweitert. 61. Nicht Neugier rath' ich dir, die giert nur nach dem Neuen, Doch Neulust, die sich wohl des Neuen mag erfreuen. Ohn' immer Neues kann die Neugier nicht erhalten Ihr Leben, Neulust lebt vergnuͤgt auch bei dem Alten. 62. Was giebt es hier, um was des Volks Gedraͤng sich haͤuft? Frag's oder warte bis es wieder sich verlaͤuft. Doch wenn du's dann erfaͤhrst, hast du vielleicht erfahren, Daß du dein Fragen und dein Warten konntest sparen. Drum lieber geh mit mir voruͤber dem Geschrei, Und denk im Stillen, was es wol gewesen sei? Wir koͤnnen mangerlei Anlaͤsse dem Geschrei Erdenken, keinen doch, der viel zu gut nicht sei. 63. Freigebig bist du nicht, wenn du, was du nicht brauchest, Gleichguͤltig gibst, und nicht zuvor in Lieb' es tauchest. Selbst brauchen koͤnntest du's, doch brauchst du so es eben Am besten, wenn du es dem, der es braucht, gegeben. 64. Auf einen muͤden Tag wie labt die stille Nacht, Wenn auch geendet nur du hast und nicht vollbracht. Vollbracht ist doch, was dir der Tag gebracht von Muͤhe, Und in der Nacht noch ruht, was bringen wird die Fruͤhe. 65. Villeicht, doch nur villeicht vollkommener vollendet Waͤr' eines, haͤttest du darauf mehr Zeit verwendet. Doch kuͤmmre dich nur nicht! was etwa diesem fehlt, Ersetzt ein andres, das dein Fleiß inzwischen waͤhlt. Der Dinge sind soviel zu thun in dieser Welt, Daß gar zuviel versaͤumt, wer lang beim einen haͤlt. Rath' ich dir Sudelei drum und Eilfertigkeit? Nein, aber Eilfahrt! denn mit Eilfahrt faͤhrt die Zeit. Eilfertiger als je die Eilfuhr mit den Gaͤsten, Faͤhrt meine Wolkenpost stets zwischen Ost und Westen. 66. Begriffen hast du, doch damit ists nicht gethan; Nun lern' es auch, dann erst gehoͤrt es ganz dir an. Es ist ein Unterschied, begriffen und gelernt; Beim ersten Schritt ist man noch weit vom Ziel entfernt. Doch, ist auf rechter Bahn der erste Schritt gethan, So kommt das Ziel von selbst, halt nur den Schritt nicht an! Das recht begriffene ist leicht zu lernen nun; Doch lernen mußt du es, sonst kannst du es nicht thun. 67. Du mußt nach oben schaun, zu sehn, wie viel noch Stufen Des Bessern uͤbrig sind, wozu du bist berufen. Du mußt nach unten schaun, um auch zu sehn zufrieden, Wieviel dir Bessres schon als Andern ist beschieden. 68. Ich rathe dir, wenn eng ist deines Gartens Raum, Zuerst zu pflanzen drin fruchttragend einen Baum; Dann aber, wenn noch Raum daneben ist, daneben Zu pflanzen einen Baum, der auch mag Schatten geben. Sei nur zufrieden, wenn der eine dir den Schatten, Der andre gibt die Frucht, so wirst du nie ermatten. Doch dann bist du begluͤckt, wenn dir den engen Raum Des Herzens fuͤllet ein Zugleich-Frucht-Schatten-Baum. 69. Du schoͤpf' aus deinem Brunn und laß auch andre schoͤpfen! Ihr schoͤpfet ihn nicht aus mit Eimern, Kannen, Toͤpfen. Doch miß nicht seine Tief', und laß auch andre nicht Ihn messen, weil dadurch ihm die Quellader bricht. Dein gottgegebnes Gut sei, dein mit Lust beseßnes, Ein dem Beduͤrfnis angemeßnes, ungemeßnes. 70. Wen man gern anerkennt, der wird gern anerkennen; Wem man das Seine goͤnnt, mag Andern Ihres goͤnnen. Wenn ihr dagegen mir mein Recht nicht wollt zugeben, So leugn' ich eures ab, und streit' euch ab das Leben. — Von diesem Sinne bin ich selber zwar entfernt, Doch ihn begreifen hab' ich leider wohl gelernt. 71. Die Hand, die dich begabt, sieh an, nicht nur die Gaben; Mehr als Erworbnes gilt wie wir's erworben haben. Wenn gute Goͤtter dir geschenkt und Geister hold Staub oder duͤrres Laub, wird dir's im Busen Gold. Und von Unholden wenn mit Silber oder Golde Du dich bereichert glaubst, wird's in der Hand zu Molde. 72. Man schlaͤgt die Kinder nicht mit schon gebrauchten Besen, Aus frischen Zweigen muß man dazu Ruthen lesen. Denn nicht aufs Ohngefaͤhr geuͤbt wird Kinderzucht, Das Werkzeug sei dazu mit Sorgfalt ausgesucht. Vom Kinde, das sie schlug, soll sie den Namen tragen, Und mit der Ruthe sollst du dann kein Thier mehr schlagen. 73. Druͤck manchmal zu ein Aug'! es ist nicht schwer, der Flor Der Wimper haͤngt daran, zieh ihn nur leise vor! Doch lerne schließen auch, was schwerer ist, das Ohr! Von innen schließ es! denn kein Schloß ist außen vor. Laß dich die Uebung in der Kunst nur nicht verdrießen, Zu rechter Zeit das Aug' als wie das Ohr zu schließen; Sonst hast du keine Ruh, weil, wie die Leute sprechen, All wissen Kopfweh macht, all hoͤren Ohrenstechen. 74. Wie uͤbel ihr vergleicht! des Einen Wirklichkeit, Des Andern Ideal, die Kluft ist freilich weit. Den Wuchs nicht wie er ist, doch sollt' und koͤnnte seyn, Bringt ihr in Anschlag hier, Auswuͤchse dort allein. Die Todtenaschen dort, und hier die Lebensflammen; Da koͤnnt ihr freilich leicht hier preisen, dort verdammen. Laßt sehn, ob nicht die Glut sich auch in Asche legt, Und ob die Asche nicht noch einen Funken hegt! 75. Ich lehre dich, mein Sohn! Nie uͤbe das, was uͤber Das Maß ist! Ueberall vom Uebel ist das Ueber. Ich uͤberliefr' es dir, wie's mir ist uͤbermacht: Nicht gut ist Ueberfluß, nicht gut ist Uebermacht. Denn hast du's uͤberdacht, wie oft die Uebermacht Und Ueberpracht der Welt vergangen uͤber Nacht? Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 3 Und wie den Ueberfluß Uebergenuß verschlingt, Und wie der Ueberdruß aus Ueberfluß entspringt? Wie Drang zu Ueberdrang, Schwung wird zu Ueberschwang, Und schnell zum Boͤsen ist des Besten Uebergang? Leicht stumpf wird uͤberfein, leicht thoͤricht uͤberklug, Weil stets ein Gegentheil ins andre uͤberschlug. Schoͤn sei nicht uͤberschoͤn, und hold nicht uͤberhold! Denn Uebergoldung ist im Werth nicht uͤber Gold. Um wirklich gut zu sein, sei selbst nicht uͤbergut; Und wenn der Muth ist dein, werd' er nicht Uebermuth. Denn jeder Trieb verdirbt, wann er wird uͤbertrieben: Auch uͤberschaͤtzen sollst du nichts noch uͤberlieben. Bei Ueberlegung nur darfst du was uͤber-legen; Denn Ueberlegenheit entspringt aus Ueberlegen. Die Ueberlegung doch ist unnuͤtz auch, woruͤber? Mein Soͤhnchen, uͤber das, was einmal ist voruͤber. 76. Zwei Bettler liefen rechts und links am Reisewagen, Und ein Almosen wollt' ich ihnen nicht versagen. Dem einen warf ichs zu im schnellen Vorwertseilen, Und rief: Ihr beiden theilt! Es war genug zum Theilen. Der aber nahm es ganz, dem's zugefallen war, Und leer vondannen gieng der andre ganz und gar. Der hat mir wol geflucht, und jener mich gesegnet; So ist mir denn geschehn, was oft dem Gluͤck begegnet, Das seine Gaben auch uns Bettlern im Enteilen Zuwirft, und denkt daß wir als Bruͤder sollen theilen. Zureichen wuͤrden auch getheilt die Gaben allen; Doch ganz steckt jeder ein, was ihm ist zugefallen. 3* 77. Dein Gegner hat gemach ein schoͤnes Ziel erreicht, Doch hoͤher liegt, das du erreichen wirst vielleicht. Schoͤn ist es, fertig seyn schnell ohne viel Beschwerden; Doch auch ein schoͤnes Gluͤck ists, niemals fertig werden. 78. Wenn dir ein weises Wort zu denken und zu schreiben Sich darbot heute, laß es nicht bis morgen bleiben. Noch minder aber wenn Gelegenheit zu thun Du hast ein gutes Werk, laß es auf morgen ruhn. Ein unterdruͤcktes Wort kommt wieder neugeboren, Die unterlassne That doch ist und bleibt verloren. Und geht verloren auch ein Wort, so ists nicht viel; Denn nur die That ist Ernst, und der Gedank' ein Spiel. Du aber, wenn dir Zeit und Ort und Kraft nicht bleiben Den Ernst zu thun, magst du mit Ernst dein Spielwerk treiben. 79. O wiege dich nicht ein in traͤumenden Gefuͤhlen, Fehlhoffend Sturm und Brand mit goldnem Duft zu kuͤhlen. Gerade wo den Feind du waͤhnest uͤberwunden, Im innersten Gemuͤth wirst du von ihm gebunden. Denn heimlich mit der Lust im Bund ist die Empfindung, Im Kampfe mit der Welt nur ist Weltuͤberwindung. Drum leb' aus dir hinaus, und steig in dich nur nieder Um auszuruhn und neu hinaus zu leben wieder. Wie selbst den Athem Gott dir dazu hat verliehn, Ihn auszuathmen auch, nicht nur ihn einzuziehn; So wechselweise mag in sich der Geist sich senken, Um desto ruͤstiger sich auf die Welt zu lenken. Nur wenn er gluͤcklich sich erhaͤlt in dieser Schwebe, Geht unbestrickt er durch ein doppelt Irrgewebe. 80. Verzage nicht, o Herz! die Lust entspringt aus Trauer; Dem Sonnenaufgang geht voraus ein Morgenschauer. In diesem Schauer wird, was gestern bluͤhte, sterben: Was heute soll erbluͤhn, wird davon Kraft erwerben. Verzage nicht, wenn ab die welke Hoffnung fiel; Die neue schon erhebt sich jung auf frischem Stiel. 81. Du bist zu schwach, der Welt Ungleichheit auszugleichen, Nicht machen kannst du rings die Armen all zu Reichen. Nicht jeden Thoren kannst du zu 'nem Weisen machen, Zum Guten jeden Wicht, zum Helden jeden Schwachen; Nicht decken jede Bloͤß' und jeden Fehl verhuͤllen, Nicht stillen jeden Durst und jeden Wunsch erfuͤllen. Doch laß soweit du kannst nur deine Liebe reichen, Nach allen Seiten, Ungleichheiten auszugleichen; Und in dir selber dann gleich' aus den großen Rest, Fest im Vertraun auf Gott, auf dem die Welt steht fest. 82. Du kanst, wenn etwa dir ein Großes ist gelungen, Die angestrengte Kraft ein Hohes hat erschwungen, Dir nicht deswegen nun nachgeben auszuruhn, Dir nachsehn gar dafuͤr was Schlechteres zu thun. Dir auf legt jede Pflichterfuͤllung neues Joch, Zu leisten immer das, und immer mehr nur noch. Nicht eigenmaͤchtig kanst du dir den Freibrief schreiben, O Gottes Knecht, du mußt in deiner Knechtschaft bleiben. 83. Gewinnen kan man nichts, ohn etwas zu verlieren; Man kan sich nicht zumal mit jedem Vorzug zieren. Wer fest das eine haͤlt, dem ist das andr' entgangen; Und gar nichts fangen wird, wer da will alles fangen. 84. Laß nur ein Staͤubchen Mehl beim Fegen im Mehlkasten, Im Beutel ein Stuͤck Geld auch beim Ausgeben rasten. Wo noch ein Rest ist, stellt die Fuͤlle bald sich her; Doch voͤllig ausgeleert, das fuͤllt sich nimmermehr. 85. Es ist ein Gluͤck ganz unverhofft dir zugefallen; Nun der zufriedenste wirst du wol seyn von allen. Doch nein, es hat in dir den Wunsch nur aufgeregt, Den Saamen der Begier dir in die Brust gelegt. Du haͤltst das Gluͤck nur fuͤr ein Gluͤckverheißungszeichen, Weil soviel sei erreicht, sei alles zu erreichen. Gib acht, daß uͤbernacht es dir nicht komm' abhanden, Weil unser Zeichen du hast schmaͤhlich misverstanden. 86. Man sagt: ein saͤugend Kind, wonach zuerst es streckt Die Haͤndchen, daran wird sein kuͤnft'ger Sinn entdeckt. Drum Gutes, Schoͤnes, soll man nur dem Kind vorhalten, Um schlechte Neigungen in ihm nicht zu entfalten. 87. Die Maske, die ein Thor zu eitlem Putz erkor, Nimmt zur Bequemlichkeit und Lust ein Weiser vor, Der sie nur leicht vorhaͤlt, solang es ihm gefaͤllt, Und fallen laͤßt, sobald sie ihm beschwerlich faͤllt. 88. Wenn du gefaͤllst der Welt, wird dir die Welt gefallen; Doch wer sich selbst gefaͤllt, das ist ein Gluͤck vor allen: Sich zu gefallen, nicht wie sich ein Thor gefaͤllt, Ein Eitler, der allein sich duͤnkt die ganze Welt. Der schwache Wahn geht wie ein Glas vom Stoß entzwei, Und merkt, indem er bricht, daß außer ihm was sei. Doch du gefalle dir, weil dir die Welt gefaͤllt, Weil du die Welt in dir und dich fuͤhlst in der Welt. 89. Vergleiche dich nur oft nach unten und nach oben, Daß du demuͤtig hier und dort dich fuͤhlst erhoben; Demuͤtig, wenn du fuͤhlst, den Schwaͤchsten gleichest du, Erhoben, weil du strebst mit Hoͤchsten Hoͤchstem zu. 90. Wenn dir ein Gluͤck will nahn, o nenne nicht das Gluͤck Bei seinem Namen! scheu vor'm Namen weicht's zuruͤck. Und droht ein Ungluͤck dir, so nenn' es nicht beim Namen, Sonst siehst du zwei, die auf des Einen Namen kamen. So uͤbel ists bestellt, mein Sohn, um diese Welt, Daß Boͤses bei dir zieht, was Gutes ab dir haͤlt. Doch dich nicht lehren will ich dieses, o mein Sohn; Ich selber lernt' es nur, du lerne nichts davon! Ich wuͤnsche, daß du nie so eingeschuͤchtert werdest, Frei immer, wie es dir ums Herz ist, dich geberdest. 91. Wer aus dem Hause geht bei fruͤher Morgenhelle Zu wichtigem Geschaͤft, und stoͤßt sich an die Schwelle, Verachten soll er nicht die Warnung, sondern lenken Zuruͤck, um noch einmal den Ausgang zu bedenken. Wenn du hast recht bedacht, schlag das Bedenken nieder, Geh aus und stoße dich an keinen Anstoß wieder. Nur dazu sind gesandt den Menschen uͤble Zeichen, Daß sie davor zuruͤck von uͤblen Pfaden weichen; Und guͤnstige dazu, daß sie den guten Mut Dir staͤrken, wenn der Weg, auf dem du gehst, ist gut. Mit Vogelfluge winkt und mahnt mit Vogelstimmen Selbst die Natur dich an zum Guten, ab vom Schlimmen. 92. Weltklugheit raͤth dir an: verachte keinen Mann! Du weißt nicht, wie er dir noch nuͤtzen, schaden kann. Die Liebe gibt dir ein: lieb' alles groß und klein! Der hoͤchsten Liebe werth wirst du dadurch allein. O sieh, den Streit der Welt versoͤhnt ein Gotteshauch! Wer Himmelsliebe hat, der hat Weltklugheit auch. 93. Am schoͤnen Tage nimmst du dir die Reise vor; Denn an dem haͤßlichen mag reisen nur ein Thor. Allein das Wechseln ist dem Wetter unerlaͤßlich; Dein Reisetag, weil schoͤn dein Ruͤsttag war, wird haͤßlich. 94. Du stehst am Strand, und siehst noch ringen mit den Wogen Sie, die ein gleicher Trieb nach diesem Strand gezogen. Erinnre dich, wie du einst selber deine Hand Getreckt aus Wogenkampf nach denen hoch am Strand; Und wie es dich verdroß, wenn jene dich verließen, Und, um allein zu stehn, dich in die Fluten stießen. Entgegen strecke der gestreckten deine Hand; Am Strande neben dir ist noch fuͤr viele Stand. Der ausgestreckten streck' entgegen deine; siehe Nur zu, daß keine selbst vom Strand dich niederziehe! Nein, diese Vorsicht laß der Vorsicht Hand ob dir! Du stehst durch sie und faͤllst, und faͤllst niemals aus ihr. 95. Der Rasen, gestern duͤrr, versengt von Sonnenglut, Wie ward er heute gruͤn, besprengt von Regenflut! Der Regen konnte nicht verdorrtes Gras erfrischen, Duͤrr ist es noch, es wuchs nur junges Gruͤn dazwischen. 96. Dein ist nicht, was du hast; das was du thuest, ist Mehr dein; am meisten dein scheint, was du selber bist. Doch bist du, was du bist, am wenigsten durch dich; Was, dich zu ruͤhmen, bleibt dir eignes also? sprich! 97. Ein Grund der Bildung ist dir an- und eingeboren, Zu dem du nichts gewannst, von dem du nichts verloren; Den aus- und durch- und umzubilden du versucht, Und deines Anbaus Fleiß vermehrt des Grundes Frucht. Ausgehest du von ihm und kehrst zu ihm zuruͤck; Und dis erkennen ist dein hoͤchstes letztes Gluͤck. 98. Wir alle sind getaͤuscht von einer Zauberbinde, Die waͤhnen, daß die Lieb' auf Erden Goͤttlich's finde. Was lachst du uͤber den, der minder schoͤn's erkor? Die Binde schwebet ihm nur etwas dichter vor. 99. Die gute That befreit, die boͤse That bestrickt; Weit fuͤhlt sein Herz, wer die, und eng, wer die beschickt. Ein jedes Band, in das du noch dich fuͤhlst geschlagen, Hast du gewirkt, und mußt es zu entwirken wagen. Hier ist des Wirkens Zeit, drum wirk' und sei befreit! Wer frei von hinnen geht, der ists in Ewigkeit. 100. Und saͤhest du auch Tod und Weh im Leben nie, Es ist in deiner Sprach', in deiner Fantasie. Du siehst es innerlich, und hoͤrst es geistig immer; Den Schatten uͤbertuͤncht kein Luft- und Lebensschimmer. Gewohnheit dumpfe nur macht dich vom Schreckbild frei, Du hoͤrest es und siehst, und denkest nichts dabei. 101. Sei wie die Biene nur zu keiner Stunde muͤßig! Sie sammelt Wachs, wann noch der Honig nicht ist fluͤssig. Doch wann der suͤße Duft im Sonnenbrande raucht, Sofreut sie sich daß sie nicht Wachs zu sammeln braucht. 102. Du fuͤhlst, durch Irrthum nur kannst du zum Ziele kommen; Doch nur ein Thor hat sich zu irren vorgenommen. Du fuͤhlst, erheben kannst du dich, wo du gefallen; Doch nur ein Toller wird dem Fall entgegen wallen. Mit Maͤngeln kommt man zwar, doch nicht durch sie zum Ziel, Nicht weil man fiel und irrt', obgleich man irrt' und fiel. 103. Ein Bruchstuͤck immer ist des einzlen Mannes Wissen, Das er als Ganzes darzustellen ist beflissen; Zu loben, wenn er es von innen will ergaͤnzen, Zu tadeln, wenn mit Schein der Ganzheit uͤberglaͤnzen. In diesem Fall ist doch, wer lehren will und soll, Eh alle Faͤcher noch des Wissens er weiß voll. Er darf dem Lernenden nicht zeigen seine Luͤcken, Mit mehr und minder Kunst muß er denn schlagen Bruͤcken, Daß alles scheine nur zusammen fein zu hangen, Vom einen End der Welt zum andern zu gelangen. Der arme Mann muß sich mit fremden Federn schmuͤcken, Weil er kein Lehrgedicht darf geben in Bruchstuͤcken. 104. O seliges Gefuͤhl, zu fuͤhlen daß du lebest, Empfangest Leben von der Welt und Leben gebest; Ein Glied des Leibs zu seyn, der tausendfach sich gliedert, Wo Herrschen nicht erhoͤht und Dienen nicht erniedert. Denn alles ist Gefaͤß, das immer feiner seigert, Wodurch sich Nahrungssaft zum Nervengeiste steigert. Die Stell', an die du bist gestellt, bestelle du, O Werkzeug im Gewerk des Lebens wirke zu! Und fuͤhle, daß du nicht entaͤußernd dich verlierst, Daß du die Welt aus dir, dich aus der Welt gebierst. Du ziehest sie in dich, um sie dir anzugleichen, Und gehst in sie um aufzudruͤcken ihr dein Zeichen. Ein Puͤnktchen und zugleich ein Mittelpunkt, ein Ich; So unterordne dir und unterordne dich! 105. Geldhunger nicht allein hat nie gestopft den Mund, Der Ruhmdurst noch vielmehr hat immer trocknen Schlund. Er schlinget Strom auf Strom, und fuͤhlt sich nicht geletzt; Das Troͤpflein brennet ihn, das fremde Gaumen netzt. 106. Aus Saadi 's Reisespruͤchen. Geh auf die Reise, Freund! Der dir das Reisen preist, Der hat es auch erprobt, der Saadi war gereist. Nicht Eine Rose gibts, nicht Einen gruͤnen Baum; Voll Baͤume steht die Welt, voll Rosen bluͤht der Raum. Was willst du wie ein Huhn im Hofe Koͤrner klauben, Wenn du dich schwingen kannst frei in die Luft wie Tauben? Die Schnecke reist bequem, sie reist mit ihrem Haus, Dafuͤr sieht sie nicht viel, und kommt nicht weit hinaus. Gefaͤhrten such' ich mir, die etwas mit mir wagen, Nicht einen Reisefreund, des Buͤndel ich soll tragen. Der Seele Kraft besteht im Trachten und Betrachten; Betrachten sollst du viel, doch nicht nach allem trachten. Durcheilst du alles schnell, so wirst du vieles sehn; Das Eine siehst du recht, bleibst du beim Einen stehn. Ein kluger Wandersmann ruht aus am Scheidewege; Da ruh' ich nicht umsonst, indes ich uͤberlege. Viel besser aber ists auf gut Gluͤck irre gehn, Als bis zum Untergang der Sonn' am Scheidweg stehn. Ich habe viel geirrt, ich hab' auch viel getroffen Beim Irren, was nicht war auf gradem Weg zu hoffen. Ich sehs, daß ich gefehlt; was hilft, daß es mich reute? Das Gestern fraß der Fehl, soll fressen Reu das Heute? Mach' es sogut du kannst; und hast du's schlecht gemacht, So preis' in Demuth Gott, der Alles recht gemacht. 107. Auf Reisen willst du gehn? was willst du sehn auf Reisen? Laß dir die Lust vergehn, die Lust zu gehn auf Reisen! Die Welt ist immer jung, du bist geworden alt, Das merkst du weniger am alten Aufenthalt. Das sagt im fremden Raum dir jeder frische Baum: Dein Lenz ist abgebluͤht, und ausgetraͤumt dein Traum. Drum rath' ich dir, wenn Rath du willst annehmen: Reise, Nicht gradaus wie der Wind, nur wie die Sonn im Kreise! Heb in Gedanken dich zu ihr empor, und schau Herab: die Erd' ist gruͤn, soweit der Himmel blau. 108. a. Von Ueberzeugungen ein fester Grund gelegt Muß erst seyn, der den Bau der ganzen Bildung traͤgt. Auf schwebendem Geruͤst mag dann der Zweifel schwanken Beim Hoͤherbaun, es wird davon der Grund nicht wanken. b. Wer selber zweifelt, kann nicht fremde Zweifel heben, Und Ueberzeugung nur kann Ueberzeugung geben. Wenn du der Lehre nicht willst allen Nachdruck rauben, Must du zum wenigsten solang du lehrst dran glauben. c. Das Roß am Wagen merkt des Fuhrmanns Unbestand, Reißt widerspenstig ihm das Lenkseil aus der Hand. Und sicher wird der Zucht dein Zoͤgling sich entziehn, Zuchtmeister, meisterst du mit Sicherheit nicht ihn. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 4 109. Komm nur, du bist ein Knecht, und sei ein fleißig treuer! Bestell den Acker, streu die Saat und fuͤll die Scheuer. Du thust es durch den Herrn, du thust es fuͤr den Herrn, Und dieses sei dein Lohn, daß du es thuest gern. 110. Die Locken, die du jung dir von der Stirn mußt streichen, Im Alter siehest du von selbst zuruͤck sie weichen. Der Sitz des Denkens dort, verhangen sonst vom Schleier, Die Stirne zeiget nun sich offener und freier, Der Wald gelichtet, der die Aussicht einst verschattet: Das Alter nimmt dir nichts, was es dir nicht erstattet. 111. Was ist das Licht, das hold des Daseyns Nacht erheitert? Der Athem, der die Brust zum Himmel dir erweitert? Die Freude, die dich gut und weise macht, vollkommen; Ihr Gegentheil allein macht eng und dumpf, beklommen. Solang du Freude fuͤhlst, fuͤhlst du dich in Zunahme, Und in Abnahme nur, wenn du erliegst dem Grame. Wem noch in Zunahm' ist das Leben, der ist jung; Und so ist alterlos der Freude Jugendschwung. Die ew'ge Jugend laß vom Kummer dir nicht rauben; Du mußt mit Freudigkeit nur an dich selber glauben. 4* 112. Der Seele Saiten, wann sie dir am feinsten sind Gestimmt, o huͤte sie vorm allerkleinsten Wind! Denn auch ein solcher kann verstimmen dann die Saiten, Der ohne Eindruck sonst daruͤber wuͤrde gleiten. Wenn der Begeisterung Erwachen schauernd spuͤrt Der Geist, fuͤhlt unsanft er von Ird'schem sich beruͤhrt; So daß der Andacht Glut oft, nebenaus vom Zug Der Luft gewendet, wild in Zornesflamm' ausschlug. Nicht nur dem Altar ist sein Opfer dann entzogen, Du selber fuͤhlest um die Stille dich betrogen. 113. Wer sich als Menschen fuͤhlt, und tief in sich empfindet, Daß mit der Menschheit ihn die Menschlichkeit verbindet, Der wird nicht wollen, wird nicht koͤnnen auch, die Leiden Und Freuden des Geschlechts von seinen eignen scheiden. Wes irgend einer vom Geschlecht sich freut' und litt, Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit. Doch Freud' ist Geistesthat, zur Freud' ist er berufen; Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Goͤtter schufen. Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hoͤrt, Raͤumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude stoͤrt, Raͤumt weg die Leidenschaft, und mit ihr seine Leiden; Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden? Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fuͤhlt, was er nicht sieht, Auch der Vorstellung mit dem Anblick sich entzieht. Viel lieber kaͤmpfen wird er mit des Geistes Waffen, Vom Leiden frei wie sich auch andere zu schaffen. Hat er in sich bekriegt das Leid und es besiegt, Daß uͤberwunden es zum Fuß der Freude liegt; So wird er ihren Krieg auch andern helfen kriegen, Daß sie, von seinem Sieg gestaͤrkt, sich selbst besiegen. Nicht weil er fuͤhlt, daß ers in sich allein vollbracht, Wird er die schwaͤcheren verlassen in der Schlacht. Wes er sich selb schaͤmt, wird er sich fuͤr sie nicht schaͤmen, Mit Freuden wird er Theil an fremden Leiden nehmen: Ob er den Gipfel auch der Goͤttlichkeit erstiegen, Wo Erdendunstgewoͤlk' in Aetherduft verfliegen; Um wie vielmehr wenn er sich sagen muß, er sei Noch selbst von Leiden nicht und Leidenschaften frei. 114. Der schlimmste Neider ist, der das sich laͤßt verdrießen, Wenn, was er nicht mehr kann, nun andere genießen. Kann einen hungrigen der satte wol beneiden, Und moͤchte lieber selbst noch einmal Hunger leiden? Begierde — schlimm genung, daß sie Befriedigung Begehrte, da sie war am Leben frisch und jung; Nun sie gestorben ist, so sei sie auch begraben! Wir freun uns, daß wir Ruh, die Unruh andre haben. 115. Ein tugendhafter Mann denkt nie, weil es vergebens Zu denken ist, des Tods, er denkt allein des Lebens. Des Todes nie, weil nie der Tod ihm schaden kann; Des Lebens nur, weil nur im Leben wirkt der Mann. So denkt ein Tapfrer nicht, weil er zuvor bedacht Ihn ein fuͤr allemal, des Todes in der Schlacht. Und also in der Schlacht des Lebens, die wir kaͤmpfen, Laß nie des Todes Furcht die Ruͤstigkeit dir daͤmpfen. Und wenn des dunklen du gedenken sollst, so thu Es so wie wer gedenkt am heißen Tag der Ruh; Den der Gedanke staͤrkt, daß er die Nacht soll ruhn, Und fruͤh erwachen, neu gestaͤrkt sein Werk zu thun. 116. Was dir mit Einem Mund bewundernd alle preisen, Woran sich dir nichts will Bewundernswerthes weisen; Es muß doch etwas seyn daran, wonach sie rennen, Du aber raste nicht dasselbe zu erkennen; Nicht, um es selber nun in gleichem Schein zu sehn, Nur die Bewundrung als vernuͤnftig einzusehn. 117. Was gibt Behaͤglichkeit dir in des Lebens Kreisen? Weise Vertraͤglichkeit mit Thoren und mit Weisen; Friede mit aller Welt, mit dir Zufriedenheit, In gottbeseligter Weltabgeschiedenheit. 118. Wer hat es nicht erlebt, daß etwas tief ihn kraͤnkt, Und sich den Augenblick sein Haupt in Unmut senkt? Doch oft nach einem Tag, oft schon nach einer Stunde, Belaͤchelst du den Schmerz, und fuͤhlst nicht mehr die Wunde. Darum, zur Stunde wo dich etwas kraͤnkt, o denke Der naͤchsten Stunde gleich, damit dichs gar nicht kraͤnke. Doch leichter ist gesagt dergleichen als gethan; Die Gegenwart ruͤhrt hart, die Zukunft leiser an. Da wo der Stoß dich trifft, wird ihn der Sinn empfinden, Doch die Erschuͤttrung hilft der Geist dir uͤberwinden. 119. Nichts sonderliches wird er lernen, der verstehn Will alles was er lernt, und auf den Grund ihm sehn. Nur wenig foͤrdert dich ein leicht Bezwingliches, Den Blick der Forschung schaͤrft nur Undurchdringliches. Dem Raͤthselhaften, das vielsinnig ist zu deuten, Wirst du mit Sinnigkeit den tiefsten Sinn entbeuten. 120. Unser Gedaͤchtniß ist wie eines Wirthes Zimmer, Das doch, wie weit es sei, beschraͤnkt von Raum ist immer. Von Gaͤsten gehn darein nicht zuviel auf einmal, Und von Vorstellungen nur immer eine Zahl. Doch nach einander gehn der Gaͤste viele drein, Und alle schreiben auch wol ihre Namen ein. Die in das Fremdenbuch, die auf die Fensterscheiben, Das sind Erinnrungen die von den Gaͤsten bleiben. Erneun kann sich der Wirth die Zuͤge nach Belieben, Wenn zu-unleserlich nicht einer hat geschrieben. Doch mancher lief auch durch auf fluͤchtigem Besuch, Der weder an die Wand sich einschrieb noch ins Buch. Das ist was du gelernt und schnell vergessen hast, Nicht im Gedaͤchtniß hat verewigt sich der Gast. 121. Von keinem fuͤhlst du mehr als einem dich beschwert, Der an dem Leben nur des Lebens Formen ehrt. Mit seiner Foͤrmlichkeit tritt er in deine Kreise, Und nichts drin geht ihm recht, weil nicht auf seine Weise. Die mangelhafte Form verdecket ihm den Sinn; Und endlich glaubst du selbst, es sei kein Takt darin. Weis' ihn aus deinem Kreis und laß ihn weiter wallen, Der nur an deinem Seyn dir stoͤrt dein Wohlgefallen. 122. In einem Irrthum bist du immer noch befangen, Alsob es gelte hier was eignes zu erlangen, Alsob es gelte durch Anstreben, Kaͤmpfen, Ringen, Zu einem hoͤhern Werth mit Macht empor zu dringen. Bescheide dich! hier ist nichts hoͤhers zu verlangen, Als am Gemeinsamen Gemeinschaft zu erlangen, An dem, was klein und groß den Menschen ist gemein, Ein Mensch zu seyn, das ist nicht groß und ist nicht klein. Nicht, weil du klommest, bist du auf zu hoͤherm Grade, Gestiegen bist du nur empor auf steilerm Pfade. Begluͤckt ist, der empor auf leichterem gekommen, Der oben ist und selbst nicht weiß, daß er geklommen. 123. Ich weiß es nicht, ob so sich allgemein verhaͤlt Das menschliche Gemuͤt, wie meines ist bestellt, Das in der Freude schon das Ende fuͤhlt der Lust, Und in der Trauer sich des Trostes ist bewust; Sodaß im Gegensatz von ungewisser Dauer Verschwimmen alswie Licht und Schatten Lust und Trauer. 124. Weißt du, was Liebe sei? Daß eine dir gefallen, Ists nicht, auch das nicht, daß sie dir gefiel vor allen. Doch andere zu sehn, und schoͤner sie zu finden, Geistreicher auch, und doch nicht Lust noch Neid empfinden, Und fuͤhlen, daß es nur zur Einen hin dich zieht; Die Lieb' ist das, die fuͤhlt, nicht denket oder sieht. 125. Die bessre Seel' ist nicht, die nur hat bessre Kraͤfte, Wie von Geburt ein Leib vorm andern bessre Saͤfte. Die bessre Seel' ist, die von den auf ihrer Flur Gewachsnen Kraͤften mehr gebraucht die bessern nur; Die mehr die bessern und sie besser braucht zum Siegen, Daß ihnen, nochso stark, die schlechteren erliegen: Wie von zwei Ringern, zwei gleichstarken, der danieder Den andern ringt, der am geschicktsten braucht die Glieder. 126. Erkennest du, wohin auf oder niederstrebt Der Zeitgang, gib nur nach, o Herz, das widerstrebt! Kein Widerstreben hilft; du mußt dich ihm bequemen, Wo nicht, mit deinem Thun vom Schauplatz Abschied nehmen. In jeder Jahreszeit kommt andres an die Reihe; Begehre nicht, daß man nur Wetter dir verleihe! Wenn du im Wetter, das nun kommt, nicht bluͤhen kannst, So freue dich daß du schon deine Frucht gewannst. Das worin du erstickst, ist andern Lebensluft; Der Zukunft Odem weht aus des Vergangnen Gruft. Was also bleibet dir? theilnehmende Betrachtung, Dem Werden zuzusehn ohn' Aerger und Verachtung. Gluͤckselig ein Gemuͤth, in dessen Heiligthumen Jedwede Jahreszeit hervorbringt Himmelsblumen. 127. Nur auf die Lebensfahrt nicht viel Gepaͤck-Geschleppe! Denn uͤber manchen Berg geht sie und manche Steppe. Nicht von Spielwaaren sei ein Wagen mitgefahren, Genug zu schaffen macht ein Wagen Essenswaaren. Auch von Andenken sei nicht mitgefuͤhrt ein Kasten, Die Bilder gnuͤgen dir, die schon im Hirne rasten, Und im Schreibtaͤfelchen besonders eingeschrieben Ein Abschiedsliebesgruß nur von besonders lieben. 128. Ich denke, daß auch dich zu Zeiten noch verwirret, Was in der Jugend mich so manichfach geirret; Wenn den Ausspruͤchen ich der Weisen aller Zeiten Gieng glaͤubig nach und mich von ihnen gern ließ leiten; Da stellt' ich jeden mir als einen Leitstern vor, Und jede Perle nahm ich freudig in mein Ohr. Wenn meine Spruͤche nun, die goldnen, ich verglich, Mit Staunen nahm ich wahr: sie widersprachen sich. Und weil ich konnte nun nicht alle mehr zusammen Annehmen, hatt' ich Lust sie alle zu verdammen. Denn welchen haͤtt' ich Recht dem andern vorzuziehn, Da mir an seinem Platz jeder der rechte schien? Bis mir die Einsicht kam, daß alle Weisheit bringt Bedingte Wahrheit nur, nicht Wahrheit unbedingt; Daß alles, was ist wahr in eigener Verbindung, Und wie hervor es gieng aus eigener Empfindung, Falsch wird, sobald man der Verbindung es entzieht, Und mit veraͤnderter Empfindung es besieht. Seitdem ließ ich gestellt, und so magst dus auch lassen, Jedes an seinem Ort, und sah ein jedes passen, Dankbar den Weisen all' fuͤr ihre Weisheitsspendung, Und vorbehaltend mir die eigne Nutzanwendung. Ich raͤume gleiches Recht dir ein auf dieses Buch; So widerspricht sich nicht der Spruͤche Widerspruch. 129. Ich preise laut die Stadt, die nicht zwar mich geboren, Und doch zum Buͤrger hat in Ehren mich erkoren, Nicht weil ich irgend mich verdient gemacht um sie Durch etwas anders als durch meine Poesie. Durch meine Poesie war mirs zuvor gelungen, Daß in derselben Stadt ich mir ein Weib errungen. Die Himmelspoesie hat eine ird'sche Kraft, Die zu Hauswirthschaft mir verhalf und Buͤrgerschaft. 130. Den hoͤchsten Menschensinn, das Augenlicht zu missen, Gefangen wohnend in bestaͤnd'gen Finsternissen, Ist doch, Erfahrung spricht, das hoͤchste Ungluͤck nicht, Weil inneres ersetzt das aͤußerliche Licht. Der blindgewordene sieht in Erinnerungen, Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen; Dolmetschen kannst du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt, Daß der ein geistig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt. Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weisen, Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preisen. Doch diesen andern Sinn zu missen, den im Ohr, Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor; Verlust, der schwerer schien, ersetzen kann auch ihn Theilnahme doch der anschaubaren Harmonien. Des Menschen Auge spricht dir und des Fruͤhlings Trift, Die Sprache spricht dir selbst in ihrem Bild, der Schrift. Dem taubgebornen auch, und darum stumm geboren, Ist alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren. Zum handeln kannst du ihn, zum denken auch erziehn; Gewiß zum Dichter nur erziehst du niemals ihn. Wer aber blind und taub zugleich ist uranfaͤnglich, Der hoͤhern Menschheit scheint er Menschen unempfaͤnglich. Gott, der ihn so gemacht, empfaͤnglich wird er machen Ihn aus der Doppelnacht hier oder dort erwachen. Wer blind und taub nur ward, kann fort das Feuer schuͤren Im Innern, mag man auch nach außen es nicht spuͤren, Der Muschel gleich im Schlamm, Licht saugen mit Begier, Das zu viel schoͤnrer Perl' in ihm wird als in ihr. So sah ich einen Greis, an Aug' und Ohr verwittert, Von Lustentzuͤckungen im Fruͤhlingshain durchzittert. Der Bluͤten Duftgeruch, der Abendluͤfte Wehn, Macht ihm den Mund voll Preis, das Aug' in Thraͤnen stehn. Er sog, was er nicht sah, und roch, was er nicht hoͤrte, Und fuͤhlte Vollgenuß und Andacht ungestoͤrte. So schoͤn ist Gottes Welt, daß auch ein leises Fluͤstern Von ihr der Blindheit kann und Taubheit Nacht entduͤstern. 131. Was man nicht aͤndern kann, soll man nicht aͤndern wollen; Gott hat es so gefuͤgt, wie wirs ertragen sollen. Den starren Dingen nicht allein bequeme dich, Den Menschen auch, wenn sie sind unverbesserlich. 132. Mit Staunen seh' ich, daß ihr zwei Gesichter macht, Ein grollendes und eins das nur gezwungen lacht. Wer schuldig, frag' ich nicht, und wer unschuldig sei; Zwei Liebende, entzweit, sind schuldig alle zwei. Hab' ich in gleichem Fall nicht auch gemacht Gesichter? Deswegen bin ich nur ein guͤltigerer Richter. Mein Richterspruch ist, daß ihr diesmal euch versoͤhnt, Und die Gesichter euch in Zukunft abgewoͤhnt. 133. Den Einzelheiten mußt du nie soviel erlauben, Den sichern Grundbegriff des Ganzen dir zu rauben. Im Ganzen nimm die Welt, die groß' und jede kleine, Im Ganzen das Gemuͤt des Freundes, wie das deine. Sowie du Launen hast, so hat die Welt sie auch, Und auch die Freundschaft schuͤrt kein Feuer ohne Rauch. Weh dir, wenn dich verstimmt, was auftaucht und verschwimmt, Und das Gefuͤhl von dem, was dableibt, dir benimmt. Du fuͤhlst die heilge Glut, halt ihr den Rauch zu gut, Werd' uͤber Freund und Welt und dich nicht ungemut! Du kannst durch Liebeskraft einmal die Beiden klaͤren, Daß sie ein andermal dir gleichen Dienst gewaͤhren. Die Welt ist gut, der Freund ist gut, und gut bist du; Und wenn ihr boͤse scheint, gib es dem Schein nicht zu. 134. In diesem Spiel des Gluͤcks, in welchem keiner kann Gewinnen, ohne daß verlor ein Gegenmann; In diesem Spiel des Gluͤcks, in dem auch keiner kann Verlieren, ohne was ein Gegenmann gewann; In diesem Spiel des Gluͤcks verliert an ruh'gen Sinnen Der Spieler, ob er mag verlieren, ob gewinnen; Und Lust gewinnt allein, wer als Zuschauer steht, Und siehet daß im Grund hier nichts verloren geht; Daß eines Lebens Tod des andern ist Belebung, Und jedes Sinken hier wird dort zu einer Hebung; Daß dieses Schwanken selbst sich haͤlt im Gleichgewicht: Wer sich im Ganzen fuͤhlt, der haͤngt am Einzlen nicht. Und will das Gluͤck dich selbst in seine Wirbel ziehn, Laß nur die ruhige Betrachtung nicht entfliehn: Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 5 Daß nur, was du verlierst, ein andrer hat einstweilen, Und das was du gewannst, du kannst mit andern theilen. Ungluͤcklich ist nur, wer sein Gluͤck mit keinem theilt, Und vor dem Ungluͤck bangt, noch ehr es ihn ereilt. 135. Du bist zu sehr geneigt, andre nach dir zu richten, Jedwedem dein Gefuͤhl im Busen anzudichten. Danach benennest du den einen hochbegluͤckt, Und einen andern tief in Noth hinabgedruͤckt. Du setzest nur voraus, daß sie in ihren Lagen Sich fuͤhlen muͤßten so wie du sie wuͤrdest tragen. Bedenke: jeder lebt in seinem Element, Ob dumpf ob licht es sei, wie wer kein andres kennt. Ihr Leben fuͤhlen sie in angemessner Lage Nicht als besondre Lust, noch als besondre Plage. In dem Gefuͤhle sollst du sie durch deins nicht stoͤren, Und nicht das deinige durch Traͤumerei bethoͤren. 136. Das Schlimme laͤßt nicht gut sich machen, aber immer Ertraͤglich durch Vernunft, und durch Unweisheit schlimmer. Der Weis' ist, wer, so gut es gieng, zurecht sich machte Die Lag', in die er sich, in die das Gluͤck ihn brachte. Bracht' ihn das Gluͤck hinein, so bring' er sich heraus; Und bracht' er selber sich hinein, so halt' er aus. 137. Wenn sich ein Lehrer muͤht, um etwas dir begreiflich Zu machen durch Beweis, erwaͤgst du alles reiflich; Auf der Gedankenfart suchst du ihm nachzuschiffen, Und endlich glaubest du, du habest es begriffen. Hast du die Sache dann begriffen? Nur die Art Hast du begriffen, wie der Lehrer sie gewahrt; Bis dir begreiflich wird, daß, um sie zu gewahren Auf deine Art, du selbst ganz anders mußt verfahren. 5* 138. Weißt du, was jedem frommt? Laß, was ihn mag ergoͤtzen, Dem Kind sein Steckenpferd, dem Poͤbel seine Goͤtzen. Der Goͤtz' ist auch ein Gott, der Stecken auch ein Roß; Er will nicht Wesenheit, Schein will der Thorentroß. 139. Halt ein Paar Freund' im Haus, das Wissen und den Glauben, Und laß von keinem dir des andern Freundschaft rauben. Vom einen sei genaͤhrt dein Geist und aufgeklaͤrt, Vom andern dir in Noth und Zweifel Trost gewaͤhrt. 140. O uͤberheb dich nicht wie jener Pharisaͤer, Als stehe Gottes Huld dir, als dem Suͤnder, naͤher! Wenn er dich besser schuf, hast du nicht dich erschaffen; Und kaͤmpfst du besser dich, so gibt er dir die Waffen. 141. Wo in Behaglichkeit sich darf die Seele wiegen, Verliert der Geist den Trieb zur Heimat aufzufliegen. Was dich zum Himmel spornt, daruͤber willst du klagen? Nimm an mit Dank auch gottgesandtes Unbehagen! 142. Die Lust der Welt ist durch das Christenthum verdorben; Wir alle sind am Kreuz, an dem Er hieng, gestorben. Und soll die Lust der Welt nie wieder sich gebaͤren? Ja, der sie uͤberwand, der wird sie auch verklaͤren. Neu wird die Rose bluͤhn am Ziel der Dornenbahn. Erfuͤllt das Christenthum! so ist es abgethan. Einsetzen werden dann das Fleisch in seine Rechte Des Geistes Freie, nicht, wie jetzt, der Suͤnde Knechte. 143. Wir sind in einem Streit, der nicht zu schlichten ist, Der neu erwacht, wann er geschlummert eine Frist. Die Wunde, bricht sie auf, ist schlimmer als gewesen; Dem Tode sind wir nah, und glaubten uns genesen. Sie eitert innen, wenn sie außen scheint geheilt, Die Wunde, die uns tief ins Mark des Lebens theilt, An der, o Vaterland, du krankest lang genug, Die nicht des Feindes Schwert, die dir der Glaube schlug. Laßt endlich, um den Streit ums Wahre zu versoͤhnen, O laßt zum Guten uns vereinigen im Schoͤnen! Ein friedliches Gebiet ist groß genug verliehn; Laßt aus dem streitigen dahin zuruͤck uns ziehn! Nicht was in Kirch' und Staat heillos die Menschheit spaltet, Wir lehren Menschliches, vom Goͤttlichen durchwaltet, Damit zum Himmlischen das Ird'sche sei entfaltet. 144. Ihr geht, und glaubet euch vollkommen Herr im Haus, Von eures christlichen Bewußtseyns Thatsach' aus. Urspruͤnglich glaubet ihr von Gott und von Natur Euch eingepflanzt, was ihr habt von der Mutter nur. Mit eurer Amme Milch habt ihr es eingesogen, Mit ihrem Wiegensang ist es euch angeflogen, Und mit dem Gaͤngelband ward es euch angezogen. Nicht sag' ich, daß ihr dem euch sollt und koͤnnt entziehn; Ein Maßstab sei es euch, gebraucht mit Maßen ihn! Und legt ihn nicht an dem, dem andrer ist verliehn. Gott, der in Haͤnden haͤlt das Richtmaß fuͤr die Welt, Hat jedem das ihm Angemeßne zugestellt. 145. Der schoͤpferische Geist fuͤhlt sich nicht in der Welt Befriedigt, wo er nicht sich schoͤpferisch verhaͤlt. Arbeiten muß er drum entweder alle Frist, Weil Arbeit eine Art von Schoͤpfung immer ist; Wo nicht, so traͤumen wird er, denken oder dichten, Schoͤpfungen aus sich selbst vorrufen und vernichten. Doch nur ein Zeitvertreib ist dieses und ein Spiel, Ein Wirken hoͤhrer Art ist sein gestecktes Ziel, Wo nicht die Wirklichkeit einengend mich umringt, Geschaffenheitsgefuͤhl die Schoͤpferkraft bedingt. Willst du der Schoͤpfer seyn? Nein, aber dem Verein Der Schoͤpfungsgeister mitbeseligt mich anreihn. Wo ist der Weg dazu? In Demut hin zu wallen, Bis aus der Pruͤfung dich ruft Gottes Wohlgefallen. Im Kleinen wirke recht und bilde treu das Schoͤne, Damit an Hoͤheres sich sanft der Trieb gewoͤhne. 146. Wenn du von Seel' und Leib dich fuͤhlst im Gleichgewicht, Und um dich siehst die Welt im reinen Sonnenlicht; Dann hoͤrst du einen Ruf, der aus dem Innern toͤnt: Der Zwiespalt von Natur und Geist ist ausgesoͤhnt. Doch nur ein Augenblick! er ist nicht fest zu halten. O halt ihn fest, und lern' ihn ewig zu entfalten! Bald hat die Sonnenruh der Schoͤpfung aufgehoͤrt, Und in dir selber fuͤhlst du wieder dich verstoͤrt. Du aber halt es fest: im Himmel und auf Erden, Und in dir selber soll einst ew'ger Sonnschein werden. 147. Dem Kinde magst du schwer den Mond am Himmel zeigen, Es ist als koͤnne nicht sein Blick die Hoͤh' ersteigen. Den Vater selber, der herab vom Fenster schaut, Entdeckt es nicht, wiewol es kennt der Stimme Laut. Vom Anfang ist der Blick der Erde zugekehrt, Und wird nur nach und nach emporzuschaun gelehrt. 148. Wer lehrt der jungen Schwalb' im Nest die Fliege kennen, Nach deren Raub sie soll beschwingt die Luft durchrennen? Die Mutter bringt dem Kind die Beute, die sie haschte, Und es sieht nicht, was es vom Mutterschnabel naschte. Die Schwalbe kann nicht so zum Futter ihre Brut Anfuͤhren, wie die Henn' im Huͤnerhofe thut. Sie muß dem Trieb vertraun, und laͤsset ihn gewaͤhren, Der einst ihr fluͤckes Kind wird treiben sich zu naͤhren. 149. Des Kindes Unart scheint dir artig im Beginn; Du nennst es sinnig, und am End' ists Eigensinn. Du kennst im zarten Keim das Unkraut nicht vom Kraut, Dann raufst du's zornig aus, warum hast du's gebaut? 150. Mit Kindern brauchst du nicht dich kindisch zu geberden; Wie sollen sie, wenn du ein Kind bist, Maͤnner werden? Alswie der Mann das Kind, liebt auch das Kind den Mann; Nur der erziehts wer es zu sich heraufziehn kann. 151. Ich saß am Busch und sah hervor ein Haͤslein schlupfen, Das fieng im Abendschein sein Graͤslein an zu rupfen. Die Loͤffel reckt' es hoch, und schob die Augen glaͤsern Umher, sobald ein Hauch sich regte in den Graͤsern. Mich ward es nicht gewahr, und sah nicht die Gefahr, Nicht weil ich ihm verdeckt, nur weil ich reglos war. Da dacht' ich: o Natur, was dachte dein Verstand, Als deiner Schoͤpferhand sich dies Geschoͤpf entwand? Begabt mit jedem Sinn, mit jedem blind und taub, Vorm Feinde rasch zur Flucht, doch stets des Feindes Raub. Es lockt der Abendschein aus dumpfem Wald hervor, Mit Zittern gras't's und blickt vom Futter nicht empor. Ich blick' empor zu Gott und dank' ihm diese Gabe, Daß ich nicht wie das Thier vorm Tod zu zittern habe. 152. Du wuͤnschtest wol ein Stuͤck der Erde dein zu nennen; Von deinem liebsten Wunsch, o Herz, mußt du dich trennen. Er war ein irdischer! und von der Erde gab Zum dauernden Besitz dein Loß dir nur ein Grab. 153. Im schoͤnsten Herbst, wo klar so Mond als Sonne war, Klar uͤber Sonn' und Mond sah ich ein Sternenpaar Von Bruderjuͤnglingen, die, wenn sie Fuͤrstensoͤhne Nicht waͤren, edel doch ich nennt' an Guͤt' und Schoͤne. Den Vater preis' ich nicht um seinen Fuͤrstenhut, Als Vater preis' ich ihn der Soͤhne schoͤn und gut. Ich will euch profezein, euch aber bitt' ich fein Es so zu machen, daß die Profezie treff' ein: Ihr werdet wuͤrdig seyn des Ranges, weil, entfernt Vom Fuͤrstlichen, ihr erst habt Menschliches gelernt. X. 1. M ir ist im Muͤßiggang ein Monat hingegangen, Mit neuer Arbeit sei ein neuer angefangen. September war ein Glanz an Himmel und Gefild; Oktober stuͤrme nun! dich macht die Arbeit mild. 2. Jahrpflanze, die du lebst und stirbst im Jahreskreise, Sei dir ein mildes Jahr beschert zu Trank und Speise, Ein langer lauer Lenz, ein linder langer Herbst, Daß fruͤherbluͤht du dich auslebend spaͤt entfaͤrbst. 3. Einst wird die Poesie zur Kinderkrankheit werden, Und nur Filosofie erwachsen sich geberden. Dann wird der Knab' abthun sein Lust- und Trauerspiel, Mit Mannesernst dann gehn lusttrauerlos zum Ziel. Dann wird die Menschheit sich zur hoͤchsten Wuͤrd' erheben, Du aber freue dich die Zeit nicht zu erleben. 4. In einem Irrthum seh' ich euch befangen alle, Alsob nichts fest mehr steh' und alles ruhlos walle. Wol unaufhaltsam geht voran das Weltgeschick, Und etwas Neues bringt auch jeder Augenblick. Doch was der eine bringt, das nimmt der andre wieder, Wie eine Blas' im Strom aufsteigt und sinket nieder. Ihr Blasen auf dem Strom des Tages, blaͤhet euch! Blaͤht euch und blas't nur auf die Backen mit Gekeuch! Blas't, Blasen, bis ihr platzt, und macht einander Platz! Denn noch von Blasen liegt im Strom ein ganzer Schatz. Doch eine Muschel ruht, gefuͤllt mit Weh und Lust, Und bildet wie ein Herz die Perl' in ihrer Brust; In welchem das Gefuͤhl von Erd' und Himmel schlaͤgt, In welchem Ewiges ist endlich-schoͤn gepraͤgt, Dis Herz, wann es schon laͤngst hat aufgehoͤrt zu schlagen, Gibt einst, ihr gebt es nicht, ein Zeugniß diesen Tagen. Ihr aber, lernt einmal, ihr Leute der Bewegung, Daß ewig niemals ist des Augenblicks Aufregung. 5. Willst du geheiliget, vergoͤttert seyn in Schriften, So mußt du neue Lehr' und neuen Glauben stiften. Doch Ehre voͤllig rein ist solchem nicht verliehn; Weil ihn sein Anhang lobt, schelten die Gegner ihn. Doch der, nach welchem Schul' und Sekte sich nicht nennt, Mag hoffen daß zuletzt ihn jede anerkennt. 6. In einem Stuͤcke sind mit euch wir einverstanden: Daß es nicht bleiben soll bei dem was ist vorhanden. Zu einem Neuen solls, und einem Bessern gehn; Gern rennen sehn wir euch, und bleiben auch nicht stehn. Doch was den Weg betrifft, sind wir nicht eurer Meinung, Daß durch Zerstoͤrung er nur gehn soll und Verneinung. Wir lieben nun einmal Erbauung und Bejahung, Und halten Gutes werth, das Besserm dient zur Nahung. 7. Was einen Dichter macht? das hohe Selbstgefuͤhl Und froͤliche Vertraun im bunten Weltgewuͤhl. O Freund, mir aber kam allbeides fast abhanden, Nicht durch Unbilden, die ich reichlich selbst bestanden; Was einem widerfuhr, der groͤßer ist als ich, Und ohne den ich selbst nicht waͤre, kraͤnket mich: Daß Goethe werden darf mishandelt ungerochen, Das hat mein Selbstgefuͤhl und Weltvertraun gebrochen. 8. „Der Lorberkranz ist, wo er dir erscheint, ein Zeichen Des Leidens mehr als Gluͤcks.“ Laß dir zum Troste reichen, Wenn es dich troͤsten kann, des alten Meisters Wort, Und strebe, wenn du mußt, nur nach dem Kranze dort! Ich moͤchte, waͤr' es auch in meine Hand gegeben, Des eignen Kampfes nicht, o Freund, dich uͤberheben. Geh nur, wie ich sie gieng, mit Gott die Dornenbahn, Wenn du zum Lohne willst die Dornenkron' empfahn. Doch von dem Martyrthum laß dir noch eines sagen: Nur Einer ward zum Heil der Welt ans Kreuz geschlagen; Du aber, wenn man nun ans kritische dich schlaͤgt, Sieh zu, ob es der Welt, ob dir ein Heil es traͤgt! 9. Im fuͤrstlichen Palast des Festes Schaugepraͤnge, Und auf dem Platz davor des Volkes Schaugedraͤnge; Bescheiden nehmen sie, und sind damit zufrieden, Den Abfall von der Lust, der ihnen ist beschieden, Den Glanz der Lichter, der durch Fenster bricht hervor, Der Instrumente Klang, berauschend Aug' und Ohr: Bescheiden, wie nur sonst die Glaͤubigen hienieden, Die mit dem Abglanz sind der Seligkeit zufrieden; Und viel bescheidner noch, weil diese wollen kommen Zum Himmel, jene nicht beim Fest seyn aufgenommen. 10. Was wirkte groß und wirkt, kann in sich seyn nicht nichtig: Solang es dis dir scheint, sahst du es noch nicht richtig. Doch richtig siehst du nie, wo du dich selbst verblendest, Und nichts erkennest du, wo du dich stolz abwendest. Komm, Sohn, und laß uns unbefangen, ohne voran Abzuurtheilen, auch urtheilen uͤbern Koran. Wol eine Zauberkraft muß seyn in dem, woran Bezaubert eine Welt so haͤngt wie am Koran. Laß naͤher treten uns und zusehn zauberfrei, Ob es in Wahrheit nur ein boͤser Zauber sei. Ob nicht in dieser Form auch eine Offenbarung Des ewigen Geistes sei, fuͤr unsern Geist zur Nahrung. 11. Wenn wir erwaͤgen Zeit und Ort, wo jeder steht, So darf uns gelten auch Mohammed als Profet. Fuͤr andre Statt und Zeit waͤr' er vielleicht ein schlechter, Doch fuͤr die eigene war er gerad' ein rechter. Du aber danke Gott, daß er an beßrem Ort (Ehr's und verdirb es nicht!) dir gab ein beßres Wort. 12. Der Raum wird in der Welt nach Eisenbahnanlegung In der Geschwindigkeit verschwinden der Bewegung. Dann wird uns in der Welt die Zeit nur uͤbrig bleiben, Die durch Umtreiben dann im Raum wir auch vertreiben. So laßt uns, uͤber Zeit und Raum durch Dampf und Eisen Erhoben, nun den Kreis der Ewigkeit durchkreisen. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 6 13. Die Jugend und die Macht berauschen schon allein; Ein jugendlicher Fuͤrst vermeide nur den Wein. Schwer ist Besonnenheit in jener beiden Mitte; Wie erst, wenn ihnen sich der Rausch gesellt, der Dritte? 14. Ein edler Koͤnig sprach: des Fuͤrsten Schaͤtze ruhen In seiner Buͤrger, nicht in seinen eignen Truhen. Er hat es so gemeint, der groͤste Reichthum sei Des Fuͤrsten, dessen Volk ist reich und sorgenfrei. Allein der Fuͤrstensohn hat so es ausgelegt: Mein von Rechtswegen ist, was jeder Kasten hegt. 15. Auch mir will oft das Haupt der Greisenwahn umduͤstern, Von alter beßrer Zeit und neuer schlechtren fluͤstern. Doch gleich danieder schlaͤgt den Wahn, und die Verachtung Der Gegenwart zerstreut die doppelte Betrachtung: Daß ich doch schlechter nicht geworden, als gewesen, Ja besser als es war zu hoffen, bin genesen; Und daß nun andre nicht sind schlechter als ich war, Und koͤnnen darum noch viel besser werden gar. 6* 16. In Mekka, floh er nicht, sie haͤtten ihn gesteinigt; Bald in Medina war die Schaar um ihn vereinigt: Bewiesen hat so gut wie der von Nazaret Mit seinem Beispiel der arabische Profet: Daß der Profet nicht gilt in seiner Vaterstadt, Noch der Poet in der, die ihn geboren hat. 17. Des Landes Grenz' ist nicht geschickt ein Fluß zu bilden, Der immer abnimmt hier, dort zusetzt den Gefilden. Es koͤnnte seyn zuletzt dem einen Volk genommen Das ganze Land, und ganz dem andern angeschwommen. Doch wenn dasselbe Volk an beiden Ufern wohnt, Trifft es kein Schaden hier, der dort nicht ist belohnt. Wie wenn in einem Haus der Haushalt wird geruͤckt; Hier wird ein Eckchen leer, ein andres dort geschmuͤckt. 18. Ein alt baufaͤllig Haus kann man durch Pfeiler stuͤtzen, Durch Balkenwerk, das wird noch eine Zeitlang nuͤtzen. Am Ende faͤllt es doch mit allen seinen Kruͤcken, Und diese helfen es zu Boden selber druͤcken. Und desto groͤßer wird der Truͤmmerfall dann seyn; Doch Niemand reißt, was er mit Muͤh gebaut, gern ein. Im Unbequemen hat man sichs gemacht bequem, Und haͤlt, solang man kann, ein unhaltbar System. 19. Die Zukunft steht verhuͤllt schon in der Gegenwart, Wo sie der stumpfe Blick des Menschen nicht gewahrt. Wir alle streben zwar zu heben ihren Flor, Doch staunen werden wir, wann sie nun tritt hervor. Sie hat, mein Ahnen spricht, ein ander Angesicht, Als mancher glaubt, der nun fuͤr seinen Abgott ficht. Sie laͤchelt und sie zuͤrnt, wie ihrs euch nicht laßt traͤumen, Ein Blick von ihr wird euch und euern Wahn wegraͤumen. Das sei euch profezeit: sie gleicht in nichts der Zeit, Am allerwenigsten doch der Vergangenheit. O weh, betrogner Gast, der du der Goͤttin Glast Mit solchem nebligen Gespenst verwechselt hast. Du bist des Lohnes baar, da sie im Reich erschienen, Weil du ihr dientest zwar, doch wolltest ihr nicht dienen. 20. Ihr Fuͤrsten, die ihr euch der Erde Goͤtter nennt, Was seid ihr, wenn ihr nicht der Menschheit Wuͤrd' erkennt? Ein blindes Ohngefaͤhr, gleich rauher Stuͤrme Wuͤthen. Weh den in eure Hand gegebnen zarten Bluͤten! 21. Die Hoͤlle Dante's hat mich weiland sehr empoͤrt, Und nun gefaͤllt mir die Mohammed's, unerhoͤrt! Ist minder graͤßlich ein Gebilde die als jene? Nein, aber weiter ist hinaus gelegt die Scene. Gewaltig heizt er sie, doch macht sie mir nicht heiß, Weil ich sie nicht bestimmt fuͤr meinesgleichen weiß. Zwar hat er grade fuͤr Unglaͤubige sie bestimmt, Doch muß ein Glaͤubiger schon seyn, wer sie annimmt. 22. Wo nicht, wie Mosis Stab die andern Staͤbe fraß, Womit sich gegen ihn die Gaukelei vermaß, Wo so nicht ein Profet jetzt auch die andern frißt, Damit ihr, welchem ihr zu glauben habet, wißt; So werdet ihr im Lerm erblinden und ertauben, Daß ihr am Ende nichts und alles werdet glauben. 23. Wie zu vereinigen ist all der Sekten Heer? Jeder Versuch dazu gibt eine neue mehr. Wie wenn verschiedene Hundarten sich vermischen; Die alten bleiben, und die neue waͤchst dazwischen. 24. Zwei Kampfparteien stehn im Feld der Gegenwart, Gewaffnet jede mit besondrer Waffenart. Wie heißen die Partein? und worum ist ihr Streit? Die Zukunft heißen sie und die Vergangenheit. Die kaͤmpfet fuͤrs Bestehn, und jene fuͤr das Werden; Wer profezeit, wie es mit ihnen wird auf Erden? In ihrem Namen ist der Ausgang profezeit: Nie vor der Zukunft haͤlt Stand die Vergangenheit. 25. Nichts Greuelvollres ist berichtet im Berichte Der zwar von Greueln ganz erfuͤllten Weltgeschichte, Als wenn ein fremdes Volk, an Glauben fremd' und Sitt', Eroberisch ein unbekanntes Land betritt. Der Sieger, sei er auch von Hausaus mild und guͤtig, Doch die Besiegten wuͤrgt er schonungslos kaltbluͤtig. Warum? es machet wild ihn ein wildfremd Gefild, Und nicht als seins erkennt er andrer Menschheit Bild. In fremdgekleideten, fremdblickend fremdgefaͤrbten, Fremdredenden vernimmt er nichts vom Angeerbten. Nicht die Bewegung fuͤhlt er seiner Eingeweide, Die jeder Bruder fuͤhlt bei seines Bruders Leide. Gottes Gepraͤge mit dem Stempel der Natur, In seiner Schrift und Form haͤlt er fuͤr echt sie nur. Und fragt er sich, ob sie sein Schoͤpfer auch erschaffen, Gibt ers nur zu im Grimm und sich zum Spott als Affen. Wie Tiger nicht und Wolf bei Rehes Mord und Lamms Gewissensbisse fuͤhlt, weil sie sind andern Stamms. Wie seit Jahrhunderten Mohammedaner hetzten Harmlose Indier, die kaum sich widersetzten. Die, wann sie erst im Kampf die Maͤnner uͤbermannten, Wehrlose Staͤdte drauf und Tempel niederbrannten; Und wo ein Haͤuflein sich entzog durch scheue Flucht, Auch diesem Wilde gab nicht Freistatt Wald und Schlucht: Gehalten ward auf sie ein ordentliches Jagen, Erlegtes Menschenwild gezaͤhlt mit Wohlbehagen. Wer hat der wilden Jagd gesetzet Ziel und Fristen? Gesegnet seien, die zuletzt es thaten, Christen; Zuletzt es thaten, als sie besser sich besonnen, Nachdem sie besser nicht, und schlechter fast begonnen. Gesegnet seien sie, nicht weil sie Christen sind, Doch Menschen, weniger fuͤr fremde Menschheit blind. Gesegnet aber sei, die langsam langsam schreitet, Bildung, doch durch die Welt sich weiter weiter breitet. Die Bildung, die dazu will alle Sprachen lernen, Und Voͤlkersitte sehn in allen Laͤnderfernen, Damit die Menschheit einst, von einem Band umschlungen, In allen Farben sich erkenn' und allen Zungen. 26. Mein Europaͤer, wenn du einen Weg dir bahnen Zur Achtung willst und Anerkennung beim Brahmanen; Mußt du von deinen Vorurteilen erst dich heilen, Und Anstoß nehmen nicht an seinen Vorurteilen. Nicht das ihm heil'ge Rind mußt du zur Malzeit schlachten, Wenn er nicht soll ein Thier ein reißendes dich achten. Nicht duften darf dein Mund von Rauschgetraͤnkes Duft, Damit nicht schon dein Hauch verunreint seine Luft. Wird dann Unmaͤßigkeit vom Himmelstrich gerochen, Von seinen Goͤttern glaubt er dir den Tod gesprochen. Und du, jemehr dir all die Goͤtter sind ein Spott, Je weniger bekehrst du ihn zum einen Gott. 27. Leicht waͤre christliche Religion zu gruͤnden Im Lande, wo sich frei darf jeder Gott verkuͤnden; Wo alle Herzen stehn und alle Tempel offen Fuͤr jedes Gottgebild aus Erd- und Himmelstoffen. Leicht waͤre Christenthum in Indien auch zu stiften, Wenn keine Christen nur es kaͤmen zu vergiften. Aus Glaubensbotenmund was wir mit Lust vernahmen Ward uns verleidet als die Glaubensbruͤder kamen; Beschmutzt mit jedem Schmutz, unschuldig keiner Schuldung, Eigen dem Eigennutz, ohne Geduld und Duldung. Belehr uns besser doch, bevor wir uns bekehren, Daß besser, als wir sind, euch machten eure Lehren! Und gebt dem Heidenthum bei uns noch ein'ge Fristen, Bis ihr bei euch bekehrt zum Christenthum die Christen. 28. Die Glaubenseiferer, gesendet aus dem Westen, Um zu erschuͤttern hier uralte Glaubensvesten; Gesegnet sei der Bau, der neue, den sie gruͤnden, Die Lehre, die sie auf den Straßen laut verkuͤnden! Nichts Neues sagen sie den eingeweihten Brahmen, Die aus der Vaͤter Mund ein Gleiches laͤngst vernahmen; Was jeder Vater sagt ins Ohr dem Sohne nur, Wann diesem umgethan wird der Einweihung Schnur: Mein Sohn, es ist ein Gott, ein einz'ger Gott allein, Und alle Goͤtter sind ein Bild nur und ein Schein. Denselben einen Gott sollst du im Stillen ehren, Doch das Geheimniß nie ans Licht des Tages kehren. Des Volkes Aug' ist fuͤr das reine Licht nicht reif, Und freut der Taͤuschung sich am bunten Farbenstreif. Das ist das Licht, das wir im Innern allzeit hatten, Das wirft nach außenhin die euch verhaßten Schatten. Licht und Geheimnis wollt ihr kehren nun heraus; Und geht nicht aus das Licht, geht das Geheimnis aus. 29. Die Mutter gibt zum Fest den lieben Kindern Gaben, Und alle danken ihr, was sie empfangen haben. Sie draͤngen sich mit Dank um sie, und sagen nichts Dem Vater, der dabei steht ernsten Angesichts. Den Vater wird es wol verdrießen, daß die Kinder Nur auf die Mutter schaun, und nicht auf ihn? Nichts minder. Ihn freut die kindische, die gluͤckliche Beschraͤnkung, Und was die Mutter ehrt, gereicht ihm nicht zur Kraͤnkung. Ihn freut die gluͤckliche, die kindische Beschraͤnkung, Die nach dem ersten Grund nicht fragt der Festbeschenkung, Nicht nachdenkt, daß dazu, was unter ihrem Titel Die Mutter gibt, ihr selbst der Vater gab die Mittel. Wer sind die Kinder? wer die Mutter? und wer ist Der Vater? rathe das, wenn du ein Rather bist. 30. Am Weihnachtabend sind die Kinder zu beneiden, Daß ihnen Baͤume sich in Gold und Zucker kleiden. Sie glauben kindlich, was ihr kindisch Herz begehrt, Das hab' unmittelbar das Himmelskind beschert. Die Mutter ist dabei, der Vater auch im Spiel, Sie ahnen es, allein es kuͤmmert sie nicht viel. Und in den Hintergrund tritt Vater und Mutter gerne, Und laͤßt aus Kindermund die Ehr dem Himmelsterne. Dem Himmelsterne, der das ganze Jahr beschert, Doch als Bescherer wird an Einem Tag geehrt. Ja, Kinder, glaubt euch nur beschenkt vom Himmelskind; Gluͤckselig, die wie ihr im Glauben Kinder sind! 31. Wikramaditia, Hindustans Oberkoͤnig, Dem sieben Koͤnige, die maͤchtigsten sind froͤhnig, Nicht darauf ist er stolz, stolz ist er darauf bloß; Daß sieben Dichter hat vereint sein Fuͤrstenschloß. An seiner Krone sind sie sieben Edelsteine, Die dadurch ewig stralt mit unverwelktem Scheine. In Truͤmmer hat die Zeit gelegt sein Koͤnigthum, Allein sein Name steht mit Kalidasas Ruhm; Des Kalidasa, der Sakuntala gedichtet, Von der im Abendland nun auch der Ruf berichtet; Im Abendlande, wo zu gleichem Preis und Lob, Wie Indiens groͤster Fuͤrst, ein kleinster sich erhob: Der soviel stralende Gestirn' um seinen Thron Versammelt, daß auch er auf ewig stralt davon; In dessen Fuͤrsten-Pfleg' ein Fuͤrst der Genien Eleonoren schuf und Ifigenien: Der Fuͤrst verdiente, daß gerechnet, gleich der Aere Wikramaditias, nach ihm auch eine waͤre; Der seine Stimme nicht ließ mit im Chor erschallen, Doch still der Mittelpunkt war der Begeistrung allen; Ihr Fuͤrst nicht, sondern Freund (den Ruhm soll ihm entreißen Kein andrer) stolz darauf, und wuͤrdig, es zu heißen. War etwa Fuͤrstenprunk und Eitelkeit der Hebel? Dagegen zeugen laut die Briefe gnug an Knebel. Seit ich die las, steht hier im Heiligthum der Brust Ein Bild der Andacht mir, von Weimar Karl August. 32. Das stille Volk, das sonst im Fruͤh- und Abendstral Aus seinen Bergen zu den Menschen kam ins Thal, Der stillen Feldarbeit zusah und half gewogen, Hat sich zuruͤck, wohin? man weiß es nicht, gezogen. Warum? wovon ward hier das Huldenvolk verscheucht, Von dem verlassen nun die Arbeit schwerer keucht? Einmal von wachsender Treulosigkeit der Boͤsen, Dann von zunehmenden Pochhammerwerkgetoͤsen. Ehr die Treulosigkeit ertruͤgen sie wol noch, Doch hielten sie nicht aus das taͤubende Gepoch. Es wird das stille Volk der Musen auch ausziehn, Waͤr' ihnen nur ein Schlupf wie Zwergen auch verliehn! Auch vor den Boͤsen waͤr' im Lande noch zu bleiben, Doch vor Getoͤsen nicht, die werden uns vertreiben, Wann erst durchs ganze Land sich Eisenbahnen kreuzen, Sich hoͤrbar stundenweit Dampfwagen rasselnd schneuzen. Dann wird die Himmelskunst mit Schmach am Boden liegen, Wann wolkenhoch der Dampf der irdischen gestiegen. 33. Zuerst erschaffen sind die Zwerg' im oͤden Grauen Der Schoͤpfung, um die Berg' und Grotten anzubauen. Doch sie bedraͤngten Wuͤrm' und Drachen, und um diesen Zu steuern, wurden dann im Sturm erschaffen Riesen. Die Riesen schlugen mit dem Ger die Drachen todt, Doch brachten sie vielmehr die Zwerge selbst in Noth. Zum Schutz der Zwerge sind die Menschen dann erschaffen, Die Zwerge schmiedeten geschwind den Helden Waffen. Sie schmieden Waffen, die sie selbst nicht koͤnnen brauchen, Daß Menschenhelden sie ins Blut der Riesen tauchen. Die Helden schlugen nun die Riesen todt, und blieben Der Zwerge Freunde, bis sie endlich sie vertrieben. Die Riesen starben und die Zwerge zogen aus, Nun ist im Erdenrund der Mensch allein zuhaus. Die Zwerge sind zu klein, die Riesen sind zu groß, Das rechte Maß der Welt ist Menschengroͤße bloß. 34. In Persisch und Sanskrit, in Griechisch und Latein, In Deutsch und Slavisch siehst du Eine Sprach' allein. Wie weit die Gegensaͤtz' auch auseinander wichen, Du hast sie innerlich zur Einheit ausgeglichen. Warum nicht auch, wie in den Sprachen offenbart, Willst du das gleiche sehn in Denk- und Glaubensart? Wieweit die Gegensaͤtz' auch auseinander weichen, Vermagst du nicht auch sie zur Einheit auszugleichen? In Wahrheit noch nicht kund ward dir der Menschheit Grund, Und Weisheit fuͤhrest du und Lieb' umsonst im Mund. 35. Du kannst in der Natur nicht ein Gebilde streichen, Und siehst Zusammenhang in allen ihren Reichen, Vom Stein zur Pflanze, von der Pflanze bis zum Thier, Und von dem Thier hinan, o stolzer Mensch, zu dir. Du siehst das Hoͤhere vom Niederen getragen; Nimm dis, und jenem ziehst du weg die Unterlagen. Warum denn irrt es dich, daß in des Geistes Reich Vorstellungsweisen auch nicht sind an Hoͤhe gleich? Du selber hast dich noch zur hoͤchsten nicht erhoben, Wenn du nicht einsiehst, daß Gott auch die niedern loben. 36. Entweder ist mein Blick nur gegen euern stumpf, Oder auch euer Ohr ist gegen meines dumpf. Ich seh' ein Ganzes, wo ihr sehet manchen Bruch, Und hoͤr' Einklingendes, wo ihr hoͤrt Widerspruch. Wenn mein die Taͤuschung ist, so goͤnn' ich euch die Wahrheit; Ist aber mein das Licht, so kommt in meine Klarheit! 37. Nicht eine Stimme nur in dir warnt dich vorm Boͤsen, Die du, wie leise, hoͤrst trotz lautesten Getoͤsen; Dieselbe Stimme mahnt dich auch zum Guten an, Die Zuͤgel ist zugleich und Sporn auf deiner Bahn. Nicht das Gesetz nur spricht in dir, das du gebrochen; Dasselbe hat in dem, der nie es brach, gesprochen. Du fuͤhlst, das dis Gesetz Gott selber in dir sei; Und daß du ihm gehorchst, das macht von ihm dich frei. Wie ein gelehrig Roß nicht Zuͤgel fuͤhlt noch Sporn; Das widerspenst'ge nur fuͤhlt seines Meisters Zorn. 38. Die Strenge sagt, der Grund des Irrthums sei die Suͤnde; Die Milde: daß die Suͤnd' auf Irrthum nur sich gruͤnde. Was nun von beiden auch Stamm oder Wurzel sei; Bet' und arbeite, mach dein Land vom Giftbaum frei! 39. Nun dieses fehlte dir allein, um froh zu werden; Nun hast du es, und bist nicht froher von Geberden. Du siehst, daß dieses nicht das, was dir fehlte, war, Das aber, was dir fehlt, dir nie wird ganz und gar. 40. Das Wissen ist ein Quell, der unversieglich quillt, Den nie der Durst erschoͤpft, und der den Durst nie stillt. Jemehr er Lust dir gab, jemehr du luͤstern bist; Ich weiß nicht, ob sein Lob dis oder Tadel ist. 41. Es gibt ein Jenseit, das herein ins Disseit reicht; Kein Herz ist, das davon nicht ein Gefuͤhl beschleicht. Umschlungen haͤlt es dich, umrungen und durchdrungen; Du fuͤhlst, es ist nicht dir, du selbst bist ihm entsprungen. Du weißt nicht, was es ist, doch hoͤrst du daß es spricht, Lieb' ist es und nicht Haß, nicht Finster, sondern Licht. Es ist das Wirkliche, das Wahrheit in dir wirkt, Das Unerklaͤrliche, des Klarheit dich umzirkt. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 7 Du kannst den Mittelpunkt der Seele dir nicht rauben, Und mußt dem innern Sinn, wie deinen aͤußern, glauben. Siehst du dafuͤr dich um nach Zeugnis der Erfahrung, So nennst du, was damit einstimmet, Offenbarung. Nichts wird dir offenbart, wo du nicht offen bist; Und außen siehst du nichts, was dir nicht innen ist. Das Aeußre dient dir nur, dein Innres zu entfalten, Dein Innres, weiter dann das Aeußre zu gestalten. Dann siehst du ausgemalt aus deinem Farbenschatze Dein Jenseit leibhaft als Verklaͤrung oder Fratze. 42. Ob Himmlische das Leid zu deinem Besten senden? Zu deinem Besten sollst du wenigstens es wenden. Zu deinem Besten hast du aber es gewandt, Wenn du es dazu glaubst von Himmlischen gesandt. 43. Wo warest du? Ich schlief. So wird an dir sich strafen, Was du verschlafen hast. Was hab' ich denn verschlafen? Viel große Dichter, die indes verklungen sind, Und Weise, die vom Urungrund verschlungen sind, Weltneurungsblasen die lautlos zersprungen sind, Und alte Groͤßen, die verhoͤhnt von Jungen sind. Bedauerst du es nicht? Ja wohl, ich armer Mann Bedaure, daß ich nicht noch laͤnger schlafen kann. 7* 44. Was ist unwandelbar als Wahrheit ausgemacht? Von Allem Nichts fuͤrwahr, was Menschenwitz erdacht. Die Wunder der Natur, die Thaten der Geschichte, Erscheinen jeden Tag dem Geist in neuem Lichte. Wie dort Erscheinungen und hier Eraͤugnisse, So wechseln Meinungen und Ueberzeugnisse. Glaubensbekenntnisse und Wissenschaftsgebaͤude, Des ewig wandelnden Weltgeistes Spiel und Freude. Du aber laß, was ihn erfreut, dich nicht betruͤben! Er spielt sein Spiel mit dir, um deine Kraft zu uͤben. Wo ihn dein Ringen hat mit geist'ger Form gebunden, Da hast du Wahrheit fuͤr den Augenblick gefunden. 45. Laß troͤsten dich, mein Sohn, fuͤr eines Augs Verlust! Bewahre doppelt rein den Sinn in deiner Brust! So wird der Himmel voll dir durch Ein Auge stralen, Und sanft auf Seelengrund das Bild der Welt sich malen. Das ist dir besser als wenn unversehrt vom Leide, Von Leidenschaft getruͤbt, du haͤttest alle beide. 46. Als die Erscheinungen dir allererst erschienen, Sahst du sie regellos, und kein Gesetz in ihnen. Mit Freude wurdest du dann ein Gesetz gewahr, Und unterordnen willst du ihm nun Alles gar. Warum bedenkst du nicht?: da wo du hast entdeckt Der Regeln eine, sind wol andre noch versteckt. 47. Im Allgemeinen wird der Geist mir schwindeldumpf, Und vorm Besondern gar ist jeder Sinn mir stumpf. Wo bleibt ein Spielraum mir, von hier und dort vertrieben? Ein artig Grenzgebiet in Mitten ist geblieben, Wo Allgemeines im Besondern Farben spielt, Und ein Besonderes auf's Allgemeine zielt. 48. Triumf! das Leben siegt; Triumf! der Tod erliegt, Ein Wolkenschatten, der vorbei der Sonne fliegt. Wie hell aus Wolkenflor die Sonne bricht hervor, So bricht aus Kummernacht mein Freudenlicht hervor. Ich preise dich, mein Gott, und will dich ewig preisen, Du ewiger Mittelpunkt in allen Lebenskreisen! Im Raume stehst du nicht, Raum steht und Zeit in dir; In allem was dich fuͤhlt, stehst du, und stehst in mir. Dich fuͤhlt das Menschenherz, das stolze, nicht allein, Dich fuͤhlt das Thier, dich fuͤhlt die Pflanze, fuͤhlt der Stein. Sie alle haben stumm ihr Loblied angestimmt, Das du nicht uͤberhoͤrst, da es mein Ohr vernimmt. Dich preisend kommen sie, und gehn dich preisend wieder; Die Schoͤpfung wacht in dir und legt in dir sich nieder. Ich bin in dir erwacht, und werd' in dir entschlafen; Ich schweb' in dir, mein Meer, und ruh' in dir, mein Hafen. Ich klage nicht, daß ich dahingehn werd' im Nu; Ich jauchze daß ich bin, und ewig bleibest du. Ich klage nicht, was ich durch fruͤhen Tod verloren; Ich jauchze, daß auch es zum Leben war geboren. Ich freue mich, daß es des Lebens sich gefreut, Und diese Freude mir im Herzen lebt noch heut. 49. Der Mensch ist nicht gemacht, zum Himmel aufzufliegen; Die Fluͤgel fehlen ihm, sich vogelgleich zu wiegen, Und haͤtt' er Fluͤgel auch, und fehlt' ihm nichts am Schwunge, Kein Vogel wuͤrd' er doch mit seiner Menschenlunge. Auf hohen Bergen schon geht ihm der Athem aus, Behaglich ist er nur auf mittlern Hoͤhn zuhaus. Und fuͤllt er seinen Ball mit Luͤften oder Feuern, Und lernt durchs Meer der Luft alswie durchs andre steuern; Was hilfts ihm, wenn er auch nicht fuͤllen zum Verbrauch Der Luftfart kann mit Luft zum Athmen einen Schlauch? Alswie ein Schiffer, eh er auf die bittern Bronnen Hinaus sich wagt, zuvor mit suͤßen fuͤllt die Tonnen, Bis er sein Schifflein legt an einem Eiland an, Wie jener an dem Rand des Mondes seinen Kahn! Drum lieber lasset uns von fern des Mondes Nachen Beschauen in der Nacht, wann wir gerade wachen, Und wann wir schlafen, uns, gefittiget vom Traum, Schwingen empor zu ihm und jedem hoͤhern Raum. 50. Anschauung, wo sie fehlt, mag etwa Geist ersetzen; Bei Geistes Mangel wird Anschauung nie dich letzen. Doch nur wo Geist sich haͤlt zusammen mit Anschauung, Entsteht vor dir die Welt in glaͤnzender Erbauung. 51. Sag': Ich bin Ich! Und wie du sagest, fuͤhl' es auch: In deinem kleinen Ich des großen Iches Hauch. Sag': Ich bin Ich! und dich in den Gedanken senke: Ich denke was ich bin, und bin das was ich denke. Ich von mir selber kann nicht unterschieden seyn, Mein Seyn vom Denken nicht, mein Denken nicht vom Seyn. Ich unterscheide mich, nicht mich von mir zu trennen, Ich unterscheide mich, als Eins mich zu erkennen. Dann wenn du eingesenkt dich hast in den Gedanken, Erheb dich auch daraus, und fleug ob allen Schranken. Sag': Ich bin Ich! und wer wie ich sagt Ich bin Ich, Ist Ich wie ich, von ihm wie unterscheid' ich mich? Ich unterscheide mich, nicht mich von ihm zu trennen, Ich unterscheide mich, als Eins uns zu erkennen. So ist geschieden ungeschieden Ich vom Ich: Alle zusammen Eins, und jedes Eins fuͤr sich. Ein Ganzes in sich selbst das Groͤste wie das Kleinste, Und das Besonderste zugleich das Allgemeinste. Gott ist das Große Ich, das selb sich seiend denkt, Sein Selbst in jeglichen Gedanken so versenkt, Daß der Gedanke, der geworden aͤußerlich, Nur wieder zu sich kommt, wenn er sagt Ich bin Ich; Wenn du dich selber denkst als ewigen Gedanken Des ewig Denkenden, um ewig ihm zu danken. Darum nur Ich bin Ich sag' ewig, o Brahman, Weil ewig Ich bin Ich dir Brahma sagt voran. Was sagt Bruwann Aham? Es saget: Sagend Ich Und davon, o Brahman, gekuͤrzt nennt Brahma sich. 52. Wer etwas weiß, der ist darum kein Weiser noch, Ein Wisser ist er nur; was ist ein Weiser doch? Der ist ein Weiser, wem sich Wesenheit gewiesen In allen Weisen, voll Gewisheit, unbewiesen. Der ist ein Weiser, wer der Weisheit hohen Geist An seinem Wesen selbst in eigner Weise weis't. 53. Ich wußte nichts, da glaubt' ich etwas doch zu wissen; Nun weiß ich etwas, und der Wahn ist mir entrissen. Konnt' ich um solchen Preiß nicht sparen meinen Fleiß? Das Wissen all weiß nichts, und nur der Glaube weiß. 54. Es gibt der Dinge viel, von denen, statt zu wissen, Die Weisen irgendwas zu meinen sind beflissen: Dem Meinen haͤnget zwar das Irren an gemeinlich, Und was dir halbwahr scheint, das ist halbfalsch wahrscheinlich. Doch ohn' ein hier und dort vorlaͤufig Ausgedachtes, Waͤr' endlich nirgendwo ein wirklich Ausgemachtes. Darum entschließe dich zu Schluͤssen kurz und gut, Und zu Vermuthungen verliere nicht den Muth. Seis nur ein mit Vernunft nicht Unvereinliches, Wo noch ein Wahres fehlt, steh' ein Wahrscheinliches! Du mußt nur immer fein bereit seyn und nicht saͤumen, Sobald das Wahre kommt, den Platz ihm einzuraͤumen. 55. Ihr wollt doch uͤberall etwas Apartes haben, Unsterblichkeit sogar soll vorzugsweis euch laben. Als denkenstarke bald und bald als glaubenfeste Sprecht ihr sie an fuͤr euch, und sprecht sie ab dem Reste. Gemeine Menschen sind mit Seelen nur begabt, Thierseelen gleich, indes ihr Geister Geist nur habt. Ich fuͤrchte, dieser Geist des Duͤnkels sprengt die Flasche, Verpufft, verdunstet so daß Nichts ihn wieder hasche; Und weder droben wird zum Lohn euch noch hienieden Unsterblichkeit dafuͤr von Gott und Welt beschieden. 56. Es nutzt nicht daß du rein und klar wie Wasser seist, Wenn dich dem Wasser gleich treibt ein unruhiger Geist. Du must von keinem Sturm auch lassen dich aufwiegeln Wenn du den Himmel willst in glatter Flaͤche spiegeln. Das Wasser hat nicht Kraft dem Sturm zu widerstreben, Du aber, wenn du willst, kanst ruhig seyn und eben. 57. Wie sich ein Hausherr freut zu sehn ein Kinderpaar Des Daseyns froh und froh auch die Gesindeschaar; Er freut sich, wenn sie treu ihr Tagwerk freudig thun, Und mehr noch, wenn vergnuͤgt sie vom gethanen ruhn: Wie muͤßte sich erst freun ein Fuͤrst, der ebenso, Im weitern Kreise nur, saͤh' all die Seinen froh; Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn goͤnnte, Daß jeden Wunsch er so zufrieden stellen koͤnnte! Darum ist selig nur der hoͤchste Herr im Himmel, Weil er beseligen kann alles Weltgewimmel. 58. Zwei, die sich lieben, sind einander so unaͤhnlich, Daß der Verstand nicht weiß, was sie bewegt so sehnlich, Und endlich meint, daß von Unaͤhnlichkeit getrieben Sie sey'n, einander zur Veraͤhnlichung zu lieben. Allein mit Kuͤnstlerblick, mit liebesfaͤhigem Auge, Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen sauge; So siehst du aus der Zuͤg' Unaͤhnlichkeiten steigen Geistige Aehnlichkeit, wie Bluͤtenduft sich zeigen; Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten Sich laͤßt, die Beiden wird zu Einem umgestalten. Wenn ich ein Maler waͤr', und haͤtt' ein Lieb ein feines, Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines. 59. Es ist ein schoͤner Traum, im Anfang der Natur Sei alles Lebende gewesen harmlos nur. Und mit der Geister erst, oder des Menschen Falle, Hab' auch hervorgekehrt die Schoͤpfung Klau' und Kralle. Erst friedlich wandelten Hirsch, Elefant und Stier, Kamel und anderes unschuldiges Gethier. Hervorgesprungen dann sei spaͤter Loͤw' und Tieger, Wie aus der Menschheit Schooß der Moͤrder und der Krieger; Die nun von Blut und Raub sich ihrer Bruͤder naͤhren, Da jene sich mit Laub und Gras begnuͤgt und Aehren. Die goldne Zeit wird neu, wann seinen Fraß vergißt Der Leu einmal und Heu alswie der Ochse frißt. War eine Unschuld das, zu essen Pflanzenspeise? Doch eine Unschuld war es nur vergleichungsweise. Alsob nur Leben sei, wo Athem ist und Hauch! Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch. Einst hatten desto mehr die armen aufzuschuͤsseln Den uranfaͤnglichen mit ungeheuern Ruͤsseln. Und wo ein Lebendes noch hat der Nahrung Noth, Da mit dem Leben ist gegeben auch der Tod. Der Schmetterling allein, der fraͤß'gen Raup' entstammt, Ißt Duft nur und beschaͤmt die andern allesammt. Ein Vorbild ist er drum des Menschen hoͤherm Streben, Wenn aus dem Raupenstand er einst sich wird erheben. Inzwischen steht er hier, wie er vom Anfang stand, Die Thiere beider Art zu recht- und linker Hand. Die edlen Raͤuber hier, und dort die Pflanzenfresser; Er thut es beiden gleich, und Niemand kann es besser. Dazu sind ihm verliehn die beiderart'gen Zaͤhne, Die einen von dem Lamm, die andern der Hyaͤne. Er kann, nach Zeit und Ort, mehr die, mehr jene brauchen, Ins irdisch schwere sich mehr oder minder tauchen. Unschuld'ger machet ihn unschuld'ge Pflanzenspeise, Doch diese Unschuld auch ist nur vergleichungsweise. 60. Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte Das Boͤse sehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte; Die Seele, Straͤfling-gleich, geschmiedet an den Karren, Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren; Im ungluͤckseligen verhaͤltnislosen Streite Das lichte Puͤnktchen mit der breiten Schattenseite: Wenn das die Weisen sind, so sind wir bloͤde Knaben, Die wir am heitern Schein von außen Lust noch haben; Daß wir nach Blumen gehn, von Kroͤtengift bespritzt, Und nach den Fruͤchten sehn, vom innern Wurm beschmitzt. Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben muͤßen, Am Schoͤnen uns zu freun, zu laben uns am Suͤßen; So droht es unserem Genusse doch Verstoͤrung, Zu sehn stets jener dort unselige Bethoͤrung. Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht schlagen Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen. Und wie ein Denkender im Denken wird gestoͤrt, Wenn er Wahnsinnige mit Ketten rasseln hoͤrt. Doch wie gesund zum Trotz dem Kranken der Gesunde Sich fuͤhlt, so fuͤhle dich mit Gott im Seelengrunde. Arbeitsam, liebevoll, bescheiden und enthaltsam; Nicht zuͤgel-schrankenlos, in keinem Ding gewaltsam; Vertrauend ihm, der dir den Himmelsfunken gab, Daß unverfinstert du ihn tragest uͤbers Grab; So beut dem Nachtspuk Trotz in lichter Zuversicht, Und fuͤrchte als Gespenst dich selbst und andre nicht. 61. Der Welt Anschauungen, der Dinge Sinnabdruͤcke, Sind schoͤn daß sich damit das Haus der Seele schmuͤcke. Je kuͤnstlerischer sie anordnet und verklaͤrt Die Seele, je mehr Wonn' ihr Wohnhaus ihr gewaͤhrt. Doch keins der Bilder dient zu gruͤndlicher Erbauung Wie das Altarbild nur geweihter Gottanschauung. Jeweiter seinen Glanz ergießt dis Mittelbild, Erfuͤllend immermehr das innere Gefild; Jeweiter tritt zuruͤck das zeitliche Gewuͤhl, Und geht beseligt auf in Ewigkeitsgefuͤhl. Gedaͤchtniswissenschaft, Dichtkunsteinbildungskraft, Sind vor der Seele Gottbewußtseyn kummerhaft. In ihm wird ihr, die sich gefuͤhlt nach außen endlich, Ihr eigenst-innerstes Unsterbliches verstaͤndlich. 62. Du ruͤstest dich umsonst mit allgemeinen Saͤtzen, Um ein Besondres draus mir folgernd anzuschwaͤtzen. Dir gieng der Vordersatz nur als unschuldig hin, Weil ich die Tuͤcke die sich barg nicht sah darin. Nun ziehst du Waffen vor aus seinem holen Bauch, Und brauchst sie gegen mich, ein schlechter Kriegsgebrauch. Doch hilft dir darum nicht dein Leeres voller Tuͤcke; Den Frieden, den ich schloß, nehm' ich mit Fug zuruͤcke. Ich schlage nur zuruͤck die wirkliche Gefahr, Und frage gar nicht nach dem Grund der sie gebar. Beweisen koͤnntest du, ich muͤßt' es dir erlauben, Der Tag sei Nacht; allein was zwingt mich es zu glauben? Du folgerst aus dem Grund die Wahrheit deines Fundes, Doch ich aus deinem Fund die Falschheit nur des Grundes. 63. Was jegliches Gemuͤt als klaren Kern enthaͤlt, Daß Gott die Wurzel und der Schluͤssel ist der Welt, Versucht Philosophie vielnamig zu benennen, Damit die Schulen nur sich an Merkzeichen kennen. Unendliche Substanz, bestimmte Harmonie, Realitaͤten-Inbegriff ersinnen sie; Gewisheit des Gefuͤhls, Bewußtseyns feste Grenzen, Das Ich im Ich, Indifferenz der Differenzen; Selbstwerdender Begriff, und wie von Frost zu Frost Die Namengebung steigt, ist alles ohne Trost. Es thut nicht noth daß du Sternwarten erst erbaust, Wenn du im Seelengrund den klaren Himmel schaust. 64. Gewis ist was der Mund der heil'gen Lieder spricht, Ob einstimmt fremde Kund' und ob sie widerspricht. Gewis, allein fuͤr wen? fuͤr den allein der glaubt; Denn durch Unglauben ist Gewisheit gleich geraubt. So ist denn dir gewis, was in den Wedas steht, Dem Moslem, was hervor ihm aus dem Koran geht, Dem Christen aber nur, was seine Bibel sagt; Nun seht, wie dreierlei Gewisheit ihr vertragt. Gewis ist fuͤr den Geist Gewisses nichts zu stiften, Wenn die Gewisheit ruht auf ungewissen Schriften. 65. Der Fruͤhling gruͤßt die Erd' und macht die Hoffnung gruͤn, Der Liebe Ruͤhrung thaut, und meine Graͤber bluͤhn. Das liebste was ich hab', ist Gottes Liebesgabe, Ob ich es nun im Grab', ob ichs im Herzen habe. Das beste was ich bin, wird immer Gottes bleiben, Und nur mein Boͤses muß ich ganz mir selbst zuschreiben. Versuch es nur und schreib es einem andern an, Du fuͤhlst in dir, dadurch ist dirs nicht ausgethan. Wer nicht das Rechte weiß, gut ists wenn ers nur thut; Doch wenn er recht es weiß, so ist es doppelt gut. Wer Boͤses weiß und thuts, der thut viel Boͤsres noch; Doch wer unwissend auch es thut, thut Boͤses doch. Gott ist was Gutes ist an jedem guten Triebe, Der Glanz am Mond, die Bluͤt' am Baum, in dir die Liebe. In jedem Geiste, der nicht zagt fuͤrs Licht zu kriegen, Ist sichtbar Gottes Geist zur Welt herabgestiegen. Wenn er im Kampf erliegt, kehrt er als Sieger heim, Hier lassend den mit Blut gepflanzten Friedenskeim. Den Geist mit der Natur sollst du zusammendichten, Die Erd' in Himmelsglanz verklaͤren, nicht vernichten. Kehr auf die Sinnenwelt so deine Thaͤtigkeit, Daß nicht die Lust an ihr dich mit dir selbst entzweit. An keinem niedern Stoff laß die Gedanken haften; Der Sinn vom Gegenstand nimmt an die Eigenschaften. Betrachte liebend Gott, willst du gottaͤhnlich werden; Denn das Gemuͤt nimmt an vom Liebsten die Geberden. Doch willst du an der Welt unschuldig dich erbaun, Mußt alles du in Gott und Gott in Allem schaun. Und das ist gar nicht schwer; der hoͤchsten Liebe Spur Im Niedersten zu schaun, hab' Liebesaugen nur! Die Liebe siehst du dann, wie dort im Reigen gehn Der Stern', in Blumen so hier auf den Gruͤften stehn. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 8 66. Du gehest ein in mich, und ich geh in dich ein; Dich athm' ich ein und aus, ein Hauch von dir mein Seyn. Ich hoͤre dich in mir, und in dir fuͤhl' ich mich, Und Alles sieht mein Aug' in dir, in Allem dich. Du bist das Licht von mir, ich bin von dir der Schatten; Ich moͤcht' in dir zergehn, die Welt will's nicht gestatten. Du bist das Licht in mir, und zehrest auf von innen Den Schatten, daß er muß der Welt zum Trotz zerrinnen. O zehr die Welt in mir nur auf mit deinem Glanz, Die mir nur halb genuͤgt, nur du genuͤgst mir ganz. 67. Du fuͤhlst, du bist aus Gott, doch hast du nicht vernommen, Wie, wenn, warum, wozu du bist aus ihm gekommen. Ob du von ihm verbannt, ob von ihm ausgesandt, Ob ausgewandert bist, es ist dir unbekannt. Bist du verbannt, so wird er die Verbannung wenden; Bist du gesandt, so wird er wieder dich besenden. Bist du gewandert, wird die Wanderlust vergehn, Und deine Heimat wirst du freudig wiedersehn. 68. Wie Bluͤten aus dem Baum, wir Stralen aus der Sonne, So tritt aus Gott hervor der Welten lichte Wonne. Die Bluͤten fallen ab, die Stralen sind verglommen, Und Niemand sieht, wie sie zuruͤck zur Wurzel kommen. Sie kommen ungesehn zur Wurzel doch zuruͤck, Und treten neu hervor, ein ew'ges Fruͤhlingsgluͤck. 8* 69. Die Sonne stralet Glanz, der sie als Wolk' umschwebt, In welche sie die Welt als Regenbogen webt. Die Sonne spiegelt sich mit Lust im farbigen Bogen, Sie hat ihn angeregt, sie hat ihn eingezogen. Im Regenbogen bin auch ich von dir ein Glanz; Denn Blumen jeder Art brauchst du zu deinem Kranz. Die Blumen freuen sich, fuͤr dich sich zu verhauchen, Die Tropfen zu verspruͤhn, die Welten zu verrauchen. Wenn sie verhauchen sich in dich, bist du ihr Hauch; Und tauchen sie in dich, in dir doch sind sie auch. Sie werden frei vom Rauch, wenn sie in dir verrauchen; So laß in dich nur auch mich tauchen und verhauchen. 70. Was ruͤhmst du dich, daß du nach Geld und Gut nicht trachtest, Wenn du nicht minder doch nach Ruhm und Ehre schmachtest? Zur vollen Seligkeit, o Seele, gieng nicht ein, Wer etwas auf der Welt noch sucht als Gott allein. 71. An Kindern hab' ich oft bewundert, wie in Bildern Sie gleich den Gegenstand erkennen, den sie schildern. Ein nur gemaltes Pferd, ja gar ein nur in Strichen Gezeichnetes, worin hats einem Pferd geglichen? So Groͤß' als Umfang fehlt, so Leben als Bewegung; Was ist im Bilde denn zu des Begriffs Anregung? Der Geist muß innerlich voll seyn von solchen Bildern, Die dann nach ihrer Kunst die Kuͤnstler außen schildern. Und solche Bilder sind dem Kind schon eingeboren, Sie werdem ihm nicht erst durch Bildung anerkoren. Ganz sinnlich scheint das Kind, und ist schon geistig ganz, Und die Entwicklung streift nur Huͤllen ab vom Glanz. 72. Die Goͤtter lieb' ich nicht, die uns die Sagen gaben, Die bald zuviel ein Aug' und bald zuwenig haben. Die Gottheit lieb' ich, die mich unsichtbar umfließt, Ein ew'ger Liebesblick der Schoͤpfung Bluͤt' erschließt. Die Gottheit lieb' ich, die allgegenwaͤrtig waltet, Gestaltenlos, der Welt Gestalten umgestaltet. Und nimt sie selbst Gestalt, und es soll mir nicht graun, So muß sie menschlich aus zwei Augen an mich schaun. 73. Die Goͤtter nahen gern dem Menschenaufenthalt, Und stellen uns sich dar in menschlicher Gestalt. Doch koͤnnen sie so ganz den Menschen niemals gleichen, Daß nicht von Goͤttlichkeit an ihnen blieb' ein Zeichen. Sie tragen eine Spur von goͤttlicher Natur, Doch dem geweihten Aug' erkennbar ist sie nur. Und wenn nicht sichtbar beim Erscheinen auch ihr Zeichen Dem Auge ward, so wird es sichtbar beim Entweichen. Und wer ihr Zeichen selbst nicht spuͤrt mit dumpfem Sinne, Wird doch die Goͤtternaͤh' an einem Schauder inne. 74. Voll Goͤtter ist die Welt, die alle sind zusammen Ein Goͤttliches, daraus, darein zuruͤck sie schwammen. Und wem die Sinne sind von ihrer Gunst erschlossen, Ist uͤberall umweht von ihnen und umflossen. Wer achtet ihren Wink, und auf ihr Zeichen merkt, Fuͤhlt sich auf jeder Bahn gefoͤrdert und gestaͤrkt. Und wer entgegen ihrem Willen seinen stemmt, Fuͤhlt sich in jedem Werk gehindert und gehemmt. 75. Was ist wahr oder falsch an innrer Offenbarung? Es ist damit alswie mit aͤußerer Gewahrung. Was deine Augen sehn, was deine Ohren hoͤren, Das glaubest du, daran wird dich kein Zweifel stoͤren. Und wozu dir versagt sind Augen oder Ohren, Sei es fuͤr andre da, fuͤr dich ist es verloren. So offenbart auch das der Geist dem Geiste nur, Wofuͤr empfaͤnglich ist die geistige Natur. Er glaubt daran und schwoͤrt, er hats gesehn, gehoͤrt; Warum nun glaubest du, daß ihn ein Wahn bethoͤrt? Gott hat nur anders ihn als dich es sehen lassen; Weißt du, auf wieviel Art sich Gott laͤßt sehn und fassen? Fass' ihn auf deine Art, fass' ihn auf deine recht! So gut als solchen Herrn kann fassen solch ein Knecht. Und dank' ihm, daß ins Aug' ihn jeder fassen darf, Ob scharf ob bloͤd' es sei, was ist hier bloͤd' und scharf? In wessen Auge sich ein Stral vom Herren spiegelt, Der dient dem Herrn, sein Dienst ist ihm vom Herrn besiegelt. 76. Ich hab' ein schlichtes Buch gelesen, unverziert, Unverschraubt, unverfaͤlscht, unverfilosofirt. Ansichten, Ruͤcksichten, Absichten waren nicht, Aus Umsicht aber ward Einsicht und Uebersicht. Man sah, der Sache war gesehen auf den Grund; Des Kenners Kunde gab sich dem Unkenner kund. Das ist Filosofie, doch andere als die So hoch nun steckt ihr Ziel, daß sie's erreichet nie. Filosofie, die man nicht fertig mit sich bringt, Die aus der Forschung selbst dem Forscher erst entspringt. Filosofie, die will nicht machen selbst die Sachen, Fein zusieht ernst und still, wie sich die Sachen machen. 77. O wende dich an das, mein liebendes Gedicht, Im Menschen, was vereint, an das, was trennet, nicht! An das nicht, was nur trennt, und ewige Trennung stiftet, Der beiden Welten Heil mit heiligem Gift vergiftet; Was als das einzige Heil fuͤr hier des Staates Norm Aufstellen und fuͤr dort will eines Glaubens Form; Daß vor dem heiligen unheiligen Kriege Frieden Und Gluͤck zu finden sei nicht droben noch hienieden. Von dieses Fiebers Frost, von dieses Fiebers Glut, Erstarrt der Menschheit Herz, versiegt ihr Lebensblut. In diesen Todesfrost blas' einen warmen Hauch, Und einen klaͤrenden in diesen dumpfen Rauch! Das reine Menschliche im Menschen wend' hervor, Der ewigen Sonne zu den Liebesfruͤhlingsflor! Daß sich die Menschheit einst fuͤhl' Eins, wie einst sie war, Und wie sie noch sich fuͤhlt in jedem jungen Paar. Dis liebende Gefuͤhl, aufs Leben ausgedehnt, Und auf die Welt erstreckt, ist was der Geist ersehnt. Hinweg, was zwaͤngt und engt! herbei, was Bande sprengt, Und nur mit Liebesband Geist und Natur umfaͤngt! 78. Die Welt ist Gottes unausdenklicher Gedanke, Und goͤttlich der Beruf zu denken ohne Schranke. Nichts in der Welt, das nicht Gedankenstoff enthaͤlt, Und kein Gedanke, der nicht mitbaut an der Welt. Drum liebt mein Geist die Welt, weil er das Denken liebt, Und sie ihm uͤberall soviel zu denken giebt. 79. Ungluͤcklich ist nicht, wer der Erde Gluͤck verlor, Und himmlisches dafuͤr im Glauben sich erkor, Ungluͤcklich auch nicht, wer zufrieden sich behagt An dieser Welt, und nicht nach einer andern fragt. Ungluͤcklich ist nur, wer die Lust sich sieht geraubt Am Irdischen, und nicht an Ueberird'sches glaubt. 80. Die Ewigkeit umfaßt die Ewigkeit allein; Was in dir Ew'ges denkt, das muß unsterblich seyn. Unsterblichkeitsgefuͤhl im Menschen war erwacht, Sobald nur seinen Gott unsterblich er gedacht. Mocht' er im Gegensatz zum Gott sich sterblich nennen, Sein eignes Goͤttliches konnt' er vom Gott nicht trennen. Doch als den Goͤttern er Gestalt und Leib gegeben, Zu Menschen sie gemacht, die nur viel laͤnger leben; Da war Unsterblichkeitsgefuͤhl ihm selbst entschwunden, Mit koͤrperlosem Gott erst wieder klar empfunden. 81. Was thut ihr denn alsob ihr neu die Welt gemacht, Weltweise, wenn ihr neu ins Fachwerk sie gebracht? Was ist, ist immer eins, eins auch was ihr erkennt, Der ganze Unterschied ist daß ihrs anders nennt. 82. Unendlich ist zugleich und endlich jedes Ding; Dort achtest du es groß, hier schaͤtzest du's gering. Das was du liebest, lern' als ewig fest zu halten, Gewurzelt im Gemuͤt, um niemals zu veralten. Doch was Unliebes dir macht Aerger und Verdruß, Das wirf entschlossen in der ird'schen Dinge Fluß. Dich troͤst' es, daß im Fluß es wird voruͤbertreiben, Im Meer der Ewigkeit wird deine Liebe bleiben. 83. Das Allgemeine schwebt dem Geist bestaͤndig vor, Nur wie ein Bild verhuͤllt von des Besondern Flor. Doch wenn der Geist einmal sich, durch den Flor zu dringen, Gewoͤhnt hat, sieht er klar das All in allen Dingen. Das ist die Aehnlichkeit, die Bild mit Bild verknuͤpft; Fest haͤlt die Dinge, wem der Faden nie entschluͤpft. Das was sie aͤhnlich macht, das macht sie auch verschieden; Wer dis Geheimniß kennt, ist selig und zufrieden. 84. Nur eine Liebe giebts auf Erden ohne Leid, Weil ohne Eifersucht, weil ohne Groll und Neid, Und ohne Eigennutz; weil, wer sie liebt auf Erden, Fuͤr seine Liebe nicht geliebt will wieder werden. Welch eine Lieb' ist das? zu welchem Liebesgut? Zu einem, das der Geiz nicht nehmen kann in Hut. Zu einem, das nicht wird durch kleinste Theilung kleiner, Das tausend in Besitz ganz haben, ganz wie einer. Die Lieb' ist es zu Gott, die keinen aus will schließen, Vielmehr sich vielfach in Mitliebenden genießen. Das ist die Liebe, die noch nicht das Volk gewann, Das einen eignen Gott zu seinem Hort ersann. Die hat auch nicht der Mann, der den zum allgemeinen Gewordnen Hort der Welt neu machen will zum seinen. Die Liebe hat nur, wer mit Liebesandacht sieht Jedweden Liebenden, der vorm Geliebten kniet. Auf welcher auch er kniet der tausend Tempelstufen; Ins Allerheiligste wird er mit Lieb' ihn rufen. Nur lieblos wird er nicht ihn noͤth'gen einzutreten, Noch minder wehren ihm auch draußen anzubeten. 85. Vier Kraͤfte nenn' ich dir am Menschen, mangelhaft Zu nennen sind die vier vor einer fuͤnften Kraft. Der Trieb im Menschen, wenn er einen Gegenstand Ergreifen will, streckt er zuerst danach die Hand. Und ist der Gegenstand der Hand nicht zu erlangen, So ist anstatt der Hand der Fuß danach gegangen. Wo auch das Flieh'nde dort will deinem Fuß entweichen, Da mag es noch dein Wort, dein Rufen es erreichen. Doch weiter als dein Wort, als deine Stimme, dringt Dein Auge, das dir nah heran das fernste bringt. In Fernen aber, die du mit des Blickes Schweifen Nicht kannst ermessen, kannst du mit Gedanken greifen. Drum uͤbe Hand und Fuß, und Red'- und Sehekraft, Vor allem uͤbe doch dich in Denkwissenschaft. 86. In allen Zonen liegt die Menschheit auf den Knien Vor einem Goͤttlichen, das sie empor soll ziehn. Verachte keinen Brauch und keine Flehgeberde, Womit ein armes Herz emporringt von der Erde. Ein Kind mit Laͤcheln kaͤmpft, ein andres mit Geschrei, Daß von der Mutter Arm es aufgenommen sei. 87. In einer Wuͤste fließt ein Quell durch Gottes Kraft, Der hat fuͤr Durstige des Wegs die Eigenschaft: Wer im Voruͤbergehn nur schoͤpfet mit der Hand, Der geht erquickt und kuͤhl hinweg im Sonnenbrand. Doch wer sich niederlaͤßt am Quell und trinkend ruht, Der trinkt sich durstig, und verdurstet an der Flut. Ihr Pilger dieses Wegs, laßt es gesagt euch seyn! Schoͤpft im Voruͤbergehn nur mit der Hand allein. 88. Den Menschen gnuͤget nie, was Menschen wissen koͤnnen, Kein Vorrecht wollen sie darin den Goͤttern goͤnnen. Doch hat solch Wissen nie sie goͤttergleich gemacht, Um ihren menschlichen Verstand nur oft gebracht. Laß uns, was vor uns steht, gewahren und erfahren, Und was daruͤber geht, auf dahinuͤber sparen. Es ist ja gut daß uns bleib' etwas vorbehalten, Das wir zu seiner Zeit mit neuer Lust entfalten. Ich sage dir auch nicht, du sollst dich gar nicht schwingen Hinan, hinuͤber nur mit Hals und Kopf nicht springen. Es ist ein Unterschied, ob man hinuͤber blicke, Ob man hinuͤberspring' und breche das Genicke. Schwing dich empor und hol' herab von dort die Ahnung, Die gnuͤgt zur Mahnung dir, die gnuͤget dir zur Bahnung, Zur Mahnung deines Wegs, daß du nicht sinkst in Ruh, Zur Bahnung eines Stegs dem hoͤhern Ziele zu. Inzwischen, wenn du weißt, du bist im Weg zum Ziel, Sieh rechts und links dich um! auf Reisen sieht man viel. Die dumpf verrannten sinds, die nur im Auge haben Das Ziel, und unbeschaut die schoͤne Welt durchtraben. Kurzsichtige, die sich als gar fernsichtige preisen; Denn nur aufs Ziel zu sehn, verdirbt die Lust am Reisen. 89. Du bist in Gottes Rathsversammlung nicht gesessen, Als er den Plan der Welt nach seinem Maß gemessen; Nun thust du doch als sei dir vorgelegt der Plan, Und deinen Maßstab legst du unbekuͤmmert an. Nur zu! Es ist darauf der Großplan angelegt, Daß jedes kleinste Maß paßt das man angelegt, Daß jeder deutet sich die Welt in seinem Sinn, Und jeder deutet recht; soviel ist Sinn darinn. 90. Wer immer auf der Hut, sich zu vertheidigen, Nicht reizen darf den Feind und nicht beleidigen; Der hat wohl schlimmen Stand und uͤblen Feldwachposten, Wobei er wenig Ruh und suͤßen Schlaf wird kosten. Er moͤchte wuͤnschen, wenn er duͤrfte, kurze Dauer Der Kampfentscheidung statt der langgespannten Lauer. So ist des Menschen Stand genuͤber dem Geschick, Vor dem er sicher ist nicht einen Augenblick. Angreifen darf er nicht, und nicht zuruͤck sich ziehn, Nur stets gewaͤrtig seyn, daß an der Feind greif' ihn. 91. Botaniker zugleich wer ist und Astronom, Betrachtet wechselweis Erdflur und Himmelsdom. Und eines wuͤrd' er oft beim andern gar versaͤumen, Bluͤhte zu gleicher Zeit sein Flor in beiden Raͤumen. Doch ihm zum Gluͤcke gehn die Stern' auf in der Nacht, Und zu am Morgen, wann der Blumen Aug' erwacht. Mir ist es nicht wie ihm geworden ganz so gut, Da wol mein Doppelkram einander Eintrag thut: Poetische Blumenles' und hohes Spekuliren, Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren. Das eine wuͤrd' ich denn verlieren uͤberm andern, Wenn ich von diesem weit zu jenem muͤßte wandern. Die Auskunft traf ich drum hier beides zu vereinen, Wo Stern' und Blumen durch einander bluͤhn im Kleinen. 92. Der Wahrheit treu zu seyn, die du in dir empfindest, Das ist der Schwur, von dem du nie dich selbst entbindest. Dem Irrthum feind zu seyn, das geht unmittelbar Daraus hervor, und bringt sogleich dich in Gefahr. Denn von dem Irrthum laͤßt sich diese Welt nicht scheiden; Wer ihn nicht leiden will, dem muß sie selbst verleiden. Die Wahrheit ist der Welt durchaus nicht aufzudringen, Ein Irrthum ist nur durch den andern zu bezwingen. Ein Aeußerstes wird stets ein Aeußerstes verdraͤngen, Und immer wird das Volk an andern Goͤtzen haͤngen. Doch aͤrgern soll sich nicht an diesem Dienst der Goͤtzen, Wer sich im stillen kann an seinem Gott ergoͤtzen. 93. Ob gut ob boͤse sei ein Geist, von dem du dich Getrieben fuͤhlest, weißt du nie so eigentlich. Daß Großes, Schoͤnes er, ja Gutes thun dich heißt, Damit ists nicht gethan, das thut auch boͤser Geist; Des Hochmuths boͤser Geist, des Scheins, der Heuchelei, Der selbst sich bildet ein, daß er ein guter sei. Nur wo der Geist dich treibt zu dulden und zu lieben, Da hat dich ganz gewiß ein guter Geist getrieben. 94. Wenn du Vertrauen hast, gereicht es dir zum Heile, Und sicher gehst du, wie der Taͤnzer auf dem Seile; Und sicherer, weil du was besseres begannst, Wobei mit besserm Recht du Gott vertrauen kannst. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 9 95. Such' alles, was du machst, aufs beste nur zu machen; Was aber, fragst du, ist die beste Art der Sachen? Ist etwas gut genug, so laß es fein dabei, Und frage nicht, ob es noch besser moͤglich sei. 96. Nie auf den Gegenstand wird ganz ein Urtheil passen, Drum lieber allgemein mag ich Urtheile fassen, Damit sich, was davon nicht zu dem Falle passe, Der hier zu Grunde liegt, beziehn auf andre lasse; Denn immer wahr wird seyn, was du als wahr erkannt, Wenn du es auch villeicht auf Falsches angewandt. 97. Beim Hauch des Morgens und der Mitternaͤchte Schauer Fuͤhlt' ich die Trauer, daß die Welt hat keine Dauer; Daß wir am Anfang schon dem End' entgegen gehn, Und doch am Ende noch beim Anfang immer stehn. Bald haben wir's verwacht, bald haben wir's vertraͤumt, Nie saͤumend Tag und Nacht, das Gluͤck ist stets versaͤumt. Wie uns zuschauerhaft vorbeigeht schauerlich Die Welt undauerhaft, ist wohl bedauerlich. Wohl zu bedauern sind leichtsinnige Vertrauer, Die hier ins Lustspiel gehn, und finden das der Trauer. Und zwei nur sind begluͤckt, der den kein Trug beruͤckt, Und der dem es genuͤgt, daß ihn ein Trug begluͤckt. 9* 98. Mit Andacht lis, und dich wird jedes Buch erbauen; Mit Andacht schau, und du wirst lauter Wunder schauen. Mit Andacht sprich nur, und man hoͤrt dir zu andaͤchtig; Mit Andacht bist du stark, und ohn' Andacht ohnmaͤchtig. 99. Statt dich zu zanken mit den eigenen Gedanken, Ist dirs zuweilen gut mit fremden dich zu zanken. Zwar kommt so wenig auch bei diesem Zank heraus Im fremden, als bei dem in deinem eignen Haus. Doch wenn mit fremden du dich recht herumgeschlagen, Wirst du villeicht dich mit den eignen ehr vertragen. Mit deinen eigenen Gedanken leb' in Frieden! Denn, ist er nicht in dir, wo ist der Fried' hienieden? 100. Der Mensch soll alles, nur sich selber nicht, aufgeben; Die Menschheit ist das Selbst, das soll im Menschen leben. Aufgeben sollst du nur das Selbst das du nicht bist, Nicht jenes das in dir die Menschheit selber ist. 101. Die Haltung fehlt; was hilfts ob ein Gehalt sich findet, Der, haͤlt er sich nicht fest an Haltung, haltlos schwindet! Der Toͤne Fuͤll' ist da, doch wenn der eine Ton Nicht wird gehalten, ist der Einklang auch entflohn. Des Tanzes Wirbel rauscht, der Takt wird nicht gehalten, Und nicht zur Anmuth kann das Chaos sich entfalten. Der rechte Weg wird falsch, wenn du nicht haͤltst die Richte; Und wenn du es nicht haͤltst, wird das Gesetz zunichte. Behalt und halte dis bei jeglichem Verhalten: Die Haltung haͤlt die Welt, such' Haltung zu erhalten! 102. Was du solang erhofft, wann es nun endlich kam, Wie schnell ist es vorbei, und ewig bleibt der Gram, Daß es nie wieder kommt, weil's da nun einmal war; Doch sterbend laͤßt es dir ein Kind, das es gebar: Ein neues Hoffen, das zu seiner Zeit gebiert Ein neues wieder und sein Leben dran verliert. Das sind die Hoffnungen, verloren wie geboren, Durch die uns unvermerkt das Leben geht verloren. Das sind die Hoffnungen, geboren wie verloren, Durch die das Menschenherz ist immer neugeboren. 103. In Allahs Paradies, wie sein Profet verhieß, Soll sproßen jede Frucht den Glaͤub'gen zum Ersprieß. Doch in zwiefacher Art ist jede Frucht vorhanden, Die eine, wie sie gern auf Erden hier sie fanden, Die andere, wie sie auf Erden niemal sahn; Mit beiden aber wird es also seyn gethan: Die eine welche sie als langbekannte finden, Laͤßt einen voͤllig unbekannten Schmack empfinden; Die andre aber, die sie als ganz neu entdecken, Wird ihnen ganz bekannt, nur etwas besser schmecken. Das heißt: sie werden sich im Alten stets des Neuen Und in dem Neuen dort des Alten ewig freuen. Der Fruͤchte denk' ich gern, so oft es mir behagt, Am liebsten, wenn die Welt dergleichen mir versagt. Wollt' auch bekannte Frucht nur immer Gott mir schenken, An Allahs Paradies wollt' ich bei Gott nicht denken. Der Datteln wollt' ich gern entbehren und der Pfirschen, Haͤtt' ich das ganze Jahr nur Trauben oder Kirschen. 104. So oft du wieder treibst, was du einmal getrieben, So oft du wieder schreibst, was du einmal geschrieben; Scheint ein Verstaͤndnis erst der Sache dir erstanden, Als haͤttest du sie gar vom Anfang nicht verstanden. Verstehst du wirklich sie nun erst, und damals nicht? Ich denke sie erscheint dir nur im neuen Licht. Thu denn nicht Unrecht dem, was du gewesen bist, Noch zuviel Ehre dem, was draus geworden ist! Und mache dann von dir auf andre die Anwendung: Steh auch das Licht, in dem sie sehn, nicht an fuͤr Blendung! 105. Leichtglaͤubigkeit ist nicht nur Mangel an Verstand, Auch von Einbildungskraft ist sie ein Unterpfand. Wer wenig faßt, wird schnell Unfaßliches verneinen; Wer viel sich denken kann, dem wird viel moͤglich scheinen. 106. Zu seinem Ebenbild seit Gott den Menschen schuf, Wie ungehorsam konnt er werden seinem Ruf? Weil er war Gottes Kind, und werden sollt' ein Mann, Ein freier Mann, der nur sich selbst gehorchen kann. Darum den Willen hat sein Vater ihm gegeben, Sich zu gehorchen und ihm selbst zu widerstreben; Kraft dessen an sich selbst verzieren und unzieren Er nun mag Gottes Bild, und nur nicht ganz verlieren; Kraft dessen er auch mag das Bild herstellen klar, Daß er durch sich nun sei, was er durch Gott nur war. 107. Wie wenig ist was die einander hier doch geben, Die in des aͤußern Weltverkehrs Beruͤhrung leben; Die sich erregen meist nur um sich zu verwirren, Und sich begegnen um sich gegenseits zu irren; Die selten oder nie einander weiter bringen In großen Dingen, und sich streiten in geringen; Wie wenig gegen das, was ein Gemuͤt durchbebt, Das mit der Menschheit eins in hoͤherm Chore lebt! Die Menschheit stellt sich klar nur in der Ganzheit dar, Und in der Einzelheit, doch niemals in der Schaar. Und von der Einzelheit ist Ganzheit nicht verschieden; Der Ganzheit Traͤger ist die Einzelheit hienieden. Das ist das Selbst, das selbsuchtlos der Weise sucht, Das Selbst, vor dem der Thor ist immer auf der Flucht. Er flieht zum Lerm der Welt, sich selbst zu uͤbertaͤuben, Ins Leer sein leeres Selbstbewustseyn zu zerstaͤuben. Du aber samml' in dir der Menschheit Bluͤtenstaub, Und gib die Bluͤte nicht dem Wind der Welt zum Raub. Aufreg' ein Liebeshauch in dir den Bluͤtenstaub, Daß deine Bluͤte nicht unfruchtbar sei und taub. 108. Nun nachgerade bin ich dieses Daseyns satt, Des engen, das den Geist solang umrungen hat. Und mich begeben moͤcht' ich auf Entdeckungsreisen, Doch in Welttheilen nicht, noch auch in Sternenkreisen. Denn Weltentheile sind nur Theile dieser Welt, Und auch nur Zeit und Raum umspannt das Sternenzelt. In einer Welt, o Geist, worin die Zeit zum Nu, Der Raum zum Punkte wird, zu kreisen luͤstest du. In Gottes Geisterwelt zu kreisen luͤstest du, In Gottes Geisterwelt zu reisen ruͤstest du. Was ist die Ruͤstung denn dahin und Vorbereitung? Erharren in Geduld Fahrwind und Segelspreitung. Wo ist die Himmelsluft, vor deren Hauch erbluͤht Das Segel, das gewelkt umflattert mein Gemuͤt? Derselben harre du, und sammle kein Gewicht Zur Reise, sammle dich! die Reis' entgeht dir nicht. Ganz sammle nur, mein Geist, dich in Vergeistigung! Die Reis' entgeht dir nicht, wann du bist Geist genung. 109. Schon oͤfter hab' ich dir in Raͤthseln vorgetragen Antworten, die sich gibt die Seel' auf Zweifelsfragen, Auf Fragen, die sie an sich selbst thut uͤber sich: Woher, woraus, wovon, wofuͤr, wozu bin ich? Wozu kam ich hieher? von welchem Trieb getrieben? Und warum bin ich nicht dort wo ich war, geblieben? Bin ich herabgesandt? bin ich herabgebannt? Hab' ich, und weiß nicht mehr, mich frei herabgewandt? Herabgeflogen wol? villeicht herabgestiegen? Herabgefallen gar? am besten waͤre Fliegen. Wenn ich herab einst flog, werd' ich hinauf einst fliegen; Wenn ich herunter fiel, wie lange soll ich liegen? Das, Seelchen, sag' ich dir: du bist gewis geflogen, Wenn als ein Vogel nicht, doch wie ein Pfeil vom Bogen. Vernimm den Ernst von mir: Zwei Schwingen dienten dir, Die eine Langeweil, die andre Neubegier. Langweile war es muͤd' im ew'gen Chor zu schweben, Neugierde fuͤhlte Lust was andres zu erleben. So trugen sie dich her, zu buͤßen ihre Lust, Und immer fuͤhlst du noch die beiden an der Brust. Ihr Nagen in der Brust fuͤhlst du mit Unbehagen, Und wuͤnschest daß sie dich nur immer weiter tragen. Ich rathe dir, wann du kommst einmal heim zu ruhn, Die beiden Schwingen ganz und gar dann abzuthun. Doch, bleibt noch Trieb in dir, wird er sie wieder treiben, Und wieder wirst du dort nicht lange koͤnnen bleiben. So fleug denn, weil du mußt! Ich aber, wenn Gefieder Mir sproßte, floͤg' ich auf, und nie herunter wieder. Denn, ob ich es zur Zier sag' oder Schande mir: Mit Langeweile fehlt mir auch die Neubegier. Ich bliebe fort und fort gar gern an einem Ort, Solang es seyn soll, hier, und wann es seyn kann, dort. 110. Aus zwei Verneinungen wird eine Wortbejahung, Aus zwei Entfernungen doch niemals eine Nahung, Aus zwei Abneigungen nie eine Liebumfahung. Aus zwei Bejahungen wird nie im Wort Verneinung, Doch in der Sache wol; wenn bringen in Vereinung Du willst zwei Meinungen, erhaͤltst du keine Meinung. 111. Nicht von Unwissenheit genuͤgt es frei zu sein; Wer selbst sich hat befreit, will andre auch befrein. Durch Mitbewustsein soll sich dein Bewustsein mehren; Darum, was du gelernt, willst du alsbald auch lehren. 112. Nun ward es dir, wonach du Jahrlang dich gegraͤmt; Es ward dir, und du bist, mehr als erfreut, beschaͤmt. Beschaͤmt, zu sehn, wie du so kindisch hast verlangt Nach Etwas, das nun ist so Nichts, da du's erlangt. 113. Zweifl' und verzweifle nicht an deines Gottes Huld; Er gab dir manches Gut, vergab dir manche Schuld. Und was er dir versagt, das war dir nicht zum Heil; Einst wirst du's einsehn ganz, und siehst es schon zum Theil. 114. Mein Sehnen strebet vor, und strebet nicht zuruͤck; Nicht die Vergangenheit, die Zukunft ist mein Gluͤck. Mein Sehnen strebet vor und eilet mir voraus, Es schwebet dort empor, und ist schon dort zuhaus. Es ist schon dort zuhaus, wann ich ihm komme nach, Dann zeigt es dort mir das, was hier es mir versprach. 115. Und meinest du daß dich die meisten hoͤren werden, Die ihres Weges gehn im Staube wie die Herden? Der Hirte dieser Welt fuͤhrt sie zu Lust und Leide, Zur Schlachtbank fuͤhrt er sie, zuvor zur Sinnenweide. Laß ihrer blinden Lust sie nachgehn, der zu schwach Sie sind zu widerstehn, und geh nicht ihnen nach. Nach geh du jeder Spur, die nur das Auge spuͤrt Des Geistes, wo der Geist je Geistige gefuͤhrt. Auf, ehr am Boden wo die leise Spur erlischt, Sei sie von deinem Tritt nacheifernd angefrischt. Das wird zu Statten nicht nur dir, auch jenen kommen, Die nach dir gleichen Wegs mit gleichem Sehnen kommen. 116. Beim Lichtanzuͤnden sprich: Willkommen sei die Nacht, Gesegnet der das Licht im Finstern hat gebracht! Gott ist das Licht des Tags, der ohn' ihn kann nicht leuchten, Und mit ihm wird die Nacht uns auch nicht finster deuchten. 117. Du bist der Naͤchte Licht und bist des Tages Schatten, Laß mich verzagen nicht, und laß mich nicht ermatten! O der du bist mein Licht und bist mein Schatten du, Ich fluͤchte meinem Licht und meinem Schatten zu. Der Mitternacht Ruhlicht, des Mittags Schattenruh, Ich fluͤchte dir, du Licht, dir, du mein Schatten, zu. 118. Mensch, ruͤhme dich nicht stolz, daß du ein Gut gewannst, Weil du nicht weißt wiebald du es verlieren kannst. Auch ruͤhme dich nur nicht, daß du ein Wissen hast; Wer's nicht zu brauchen weiß, dem ist es eine Last. Wie leiblicher Besitz kann auch dein geistiger schwinden; Dann, wenn du sonst nichts hast, wirst du dich arm empfinden. Doch wenn du gut bist, das allein wird nie geraubt; Des ruͤhme dich nicht, doch freu dich! das ist erlaubt. 119. Was Menschen Vorsicht heißt, ist schlecht von Menschen denken; Nie woll', o Vorsicht, mir die schlechte Vorsicht schenken! Die Vorsicht blickt herab, du schau zu ihr empor! Vorsichtig ohne sie, bist du ein bloͤder Thor. 120. O fuͤhle dich, du fuͤhlst, du bist von allen Seiten Abhaͤngig, wo du stehn magst, liegen oder schreiten. Vom Stoß der aͤußern Welt von jeder Seit' abhaͤngig, Der Kraft des Elements zugaͤngig, ja durchgaͤngig. Nicht einmal wie ein Erz dem Wasser undurchdringlich, Nicht einmal wie ein Stein dem Feuer unbezwinglich. Dich trinkt der Hauch der Luft, dich ißt der Wittrung Zahn, Dich wandelt Tag und Nacht, und wandelt deine Bahn. O fuͤhle dich, und sprich, in deiner Engigkeit Wie kommst du zum Gefuͤhl der Unabhaͤngigkeit? Du fuͤhlest, daß ein Hauch dich jenes Odems traͤgt, Von dem im Gleichgewicht die Schoͤpfung ist gewaͤgt; Von dem im Gleichgewicht die Schoͤpfung ist gewaͤgt, So daß nach keiner Seit' um eine Schale schlaͤgt. Wie dich die Wage waͤgt, wo dich die Schale traͤgt, Wohin dich Element ins Element verschlaͤgt; Sag ihnen: Was verschlaͤgt es mir, wie ihr mich waͤgt? Ich fuͤhle mich ein Geist, mit Geist vom Geist gepraͤgt. Wer dis Gepraͤge traͤgt, der weiß daß man ihn waͤgt, Pruͤft, laͤutert, umschmelzt, doch als unrecht nie verschlaͤgt. 121. Was feindlich ist der Welt, das magst du feindlich hassen; Was aber feindlich dir nur ist, ertrag gelassen. Das ist das Gegentheil von dem was viele thun, Die ihres mit dem Heil der Welt verwechseln nun. 122. Sprich, wie der Muselman im Ungluͤck und im Gluͤck Spricht: Wir sind Gottes und kehren zu ihm zuruͤck. Was ihn erfreut, ergetzt, was ihn betruͤbt, verletzt, Was ihn bedroht, erschreckt, verwundert und entsetzt; Was ihn ergreift, entzuͤckt, was ihn bethoͤrt, beruͤckt, Was ihn zum Himmel hebt und ihn zu Boden druͤckt; Er sprach und spricht noch jetzt sein Bannwort, und zuletzt Hat alles dieses Wort ins Gleichgewicht gesetzt. Drum, wie mit Gleichmut er im Ungluͤck und im Gluͤck, Sprich: Wir sind Gottes und kehren zu ihm zuruͤck. 123. Singvoͤgel sind es nicht, die lernen Woͤrter sprechen, Es sind die schreienden, die Rede radebrechen, Der Papagei, dem man vorhaͤngt die Spiegelwand, Die Elster, wenn man ihr geloͤst der Zunge Band. Doch die mit freier Kunst dichten die freien Strofen Im dichten freien Wald, sind nicht Schulfilosofen. 124. Ich weiß wol einiges und weiß es ganz gewis, Doch Niemand glaubt es mir, es ist ein Aergernis. Beweisen kann ichs nicht, mir hat sichs nur gewiesen, Villeicht nach meiner Zeit wird es einmal bewiesen. 125. Surat Alforkan v. 34. Und wenn ihr fragt, warum wir euch kein Ganzes geben? Wir geben euch es so wie wirs empfangen eben. Mir zur Erquickung gab in einzlen Augenblicken Es Gott, und also moͤg' es einzeln euch erquicken. b. v. 35. Auf alle Fragen die ich thun mag, hoͤrt ein Geist, Der bald mich deutlicher bald dunkler unterweist. Und auf die Fragen die nun ihr moͤgt thun hinwieder, Antworten deutlicher und dunkler diese Lieder. Und wenn die deutlichen Antworten euch erfreuten, Freun dunkle mehr noch euch, wenn ihr sie wißt zu deuten. 126. Es ist ein alter Spruch: das beste Leichentuch Ist Redlichkeit, sie wuͤrzt den Tod mit Wohlgeruch. Es ist ein alter Spruch: wenn sie mit dir nun schreiten Zu Grabe, werden sie verschieden dich begleiten. Dein einer Freund, dein Gut, bleibt hinter dir im Haus; Dein andrer Freund, dein Ruhm, fliegt in die Welt hinaus. Dein dritter Freund, dein Freund, begleitet dich ans Grab, Und kehret um, sobald er warf die Scholl' hinab. Die Liebe schickt villeicht dir ein Paar Thraͤnen nach, Doch auf der großen Reis' ist dis Geleite schwach. Ein gut Gewissen nur wird bei der Hand dich fassen, Nur der Geleitsmann wird dich nimmermehr verlassen. Und was du Gutes hast vorausgesandt mit Beten, Tritt dir entgegen dort, und wird dich dort vertreten. 127. Flieh hier Leichtglaͤubigkeit, und dort die Zweifelsucht! Doch von der einen schlimm zur andern ist die Flucht. Und doch, wer irgend naht der ersten oder letzten, Den sendet die zu der entgegen ihr gesetzten. Kanst du den Mittelweg nicht treffen zwischen beiden, So rath' ich diese mehr als jene dir zu meiden. Denn die Leichtglaͤubigkeit steht an des Glaubens Thuͤren, Der Zweifel aber kann nur zur Verzweiflung fuͤhren. 128. Gar viele Wege gehn zu Gott, auch deiner geht Zu Gott, geh ihn getrost mit Preisen und Gebet. Und laß dich nicht darin von denen irre machen, Die andre Wege gehn, und mach nicht irr die Schwachen. Wer mit auf meinem Weg will gehn, der sei willkommen; Und geh' ich auch allein, doch geh' ich unbeklommen. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 10 129. O fuͤhle dich, mein Geist, von Geistern stets umgeben, Von guten Geistern, die dich uͤberall umschweben; Von guten Geistern der Natur, die Rosenkronen Dem Fruͤhling weben und in Lilienzelten wohnen; Von guten Geistern, die in Himmeln Sterne leiten, Dem Morgenrothe vor und nach dem Spaͤtroth schreiten; Den guten Geistern, die der Menschen Sinne lenken Und alle Seelen hie, die dein in Liebe denken; Die du mit Lieb' hier sahst, die dort mit Lieb' hernieder Nun sehn auf dich, und die du dort wirst sehen wieder. Wo gute Geister so in Schaaren dich umfahen, Darfst du nicht fuͤrchten, daß zu nah die Boͤsen nahen, Die Geister der Begier, die dumpf in Raum und Zeit Befangnen, eitler Lust und eitler Traurigkeit. 130. Unbillig klagest du, zu wenig sei dir kund Der Dinge dieser Welt geheimnisreicher Grund. Die naͤchsten Gruͤnde nur der Dinge siehst du nicht, Den letzten hoͤchsten Grund fuͤhlst du mit Zuversicht. Du fuͤhlst, die Kette reicht von Gott zu dir hernieder, Nur in der Mitte siehst du nicht die Mittelglieder. Was brauchst du sie zu sehn? Du fuͤhlst der Kette Zug, An der dich durch die Welt Gott zieht, das ist genug. 10* 131. Die Weisheit lehr' ich dich, die mich das Leben lehrte; Denn Weisheit anderwerts gelernt ist nicht von Werthe. Deswegen also wird von Werth und von Gewicht Fuͤr dich besonders auch nicht seyn mein Unterricht. Allein ich will dir auch nicht mein Gelerntes geben, Dich lehren will ich nur, zu lernen selbst vom Leben. Denn, ob das Leben wol ist aller Lehre voll, Erst muß man lernen, wie von ihm man lernen soll. 132. Du thust, begluͤckter Freund, ein Buͤchlein leichter ab, Sobald sich dir der Gruͤnd' Unhaltbarkeit ergab. Ich habe laͤnger mich damit herumzuschlagen, Weil mich die Meinungen mehr als die Gruͤnde plagen. Die Meinungen, ob auf ob ohne Grund sie stehn, Ziehn oder stoßen mich, dem kann ich nicht entgehn. Ich frage nicht, warum, nur was und wie man's meint, Und wie dis Meinen dann mit meinem sich vereint. Und dieser Meinungstreit ist schwerer mir zu schlichten, Als siegreich dir ein Heer von Gruͤnden zu vernichten. 133. Um Neujahr hattest du, wie mir dein Buͤchlein sagt, Gedanken, die mich auch um jene Zeit geplagt; Nur mit dem Unterschied: du hast daraus ersonnen Ein Lehrgebaͤud' und ich nur Lieder draus gesponnen. Nun aber find' ich, daß bei dir gar wirr und kraus Das aussieht, was bei mir sich nimmt ganz menschlich aus. Warum? Du hast umsonst gesucht Zusammenhang Des Sinns, wo mir genuͤgt des Tons Zusammenklang. 134. Wenn du dich lebenslang beschaͤftigest mit Woͤrtern, Verachten dich mit Recht, die lieber Ding' eroͤrtern. Wenn du dich wenigstens beschaͤftigest mit Worten, Aus welchen aufgebaut sind der Begriffe Pforten! Doch wenn du wirklich dich beschaͤftigst mit dem Wort; Es ist nichts hoͤheres zu finden hier noch dort. 135. Mit Freuden greifest du nach allen neuen Bildern Der Welt und der Natur, was sie auch moͤgen schildern, Nicht, um mit Bilderkram dein Zimmer auszuschmuͤcken, Sondern um deinen Sinn mit ihnen auszudruͤcken. Ob ein Gedanke nun vom Bild sei angeregt, Ob in das Bild ein schon Gedachtes sich gelegt; Laß nur das schoͤne Spiel der Kunst dich nicht verdrießen, Dein eignes Innres dir in Bildern aufzuschließen! Denn, wie dein Auge selbst sich sieht im Spiegel nur, So dein Gemuͤt allein im Bilde der Natur. 136. Du kannst denselben Sinn in viele Bilder senken, Und kannst im selben Bild gar viele Sinne denken. Denn der Gedanke muß sich in viel Huͤllen kleiden, Daß er sich lerne von sich selber unterscheiden. Und viel Gedanken sind in Einem Glanz erbrannt, Wo die verschiedenen als Eines sich erkannt. 137. Dich irrt der ew'ge Krieg in Wasser, Luft und Erden, Das Fressen der Geschoͤpf' und ihr Gefressenwerden. Du fragst, ob keine Welt geschaffen konnte seyn, Ganz Leben, ohne Tod? mein Sohn, ich denke, nein! Ich frage: Fuͤhlest du dich selbst nicht wohlgemacht? Denk alles andre denn fuͤr dich hervorgebracht, Um dich und alle, die du liebest, zu ernaͤhren. Nun aber: kann der Tod das Leben wol gebaͤren? Drum lebt und naͤhret sich, was dir soll Nahrung geben; Du freue dich, wieviel' um deinetwillen leben! Und was nicht deinem Leib, gibt Nahrung deinem Geist; Du freu der Tafel dich, der reichen, die dich speist! 138. Du glaubst, was ich nicht glaub', und glaubst nicht, was ich glaube; Erlaub mein Glauben mir, wie ich dir deins erlaube. Wer noch nichts glaubt, ist leicht zum Glauben zu bekehren, Wie die Gefaͤße leicht zu fuͤllen sind, die leeren. Doch dem, der etwas glaubt, faͤllt andres glauben schwer; Gibt er es einmal auf, so glaubt er gar nichts mehr. 139. Das Jenseits kannst du in beliebigen Farben malen, Die doch den Widerschein von deinem Innern stralen. Wie dumm seid ihr, um nicht zu sagen: wie verrucht, Die ihr, zu malen es, so krasse Farben sucht. 140. Dein hoͤchstes Leben sei zu leben gottbewußt; Darin ist zweierlei: gottwissend, gottgewußt: Daß du dich wissest stets von Gott gewußt, gekannt, Gemahnt, gestraft, gepruͤft, geliebt und Kind genannt. 141. Nicht triftig schienen mir von Gottes Guͤt' und Macht Beweise nur aus Endursachen vorgebracht; Warum ein Angesicht der Augen habe zwei, Da alles doch zu sehn gnug eins der Sonne sei. Schoͤnheit und Ebenmaß ließ ich als Grund mir gnuͤgen, Sie aber wollten noch dazu den andern fuͤgen, Daß dieser edelste und himmelnaͤchste Sinn Sei doppelt angelegt dazu von Anbeginn, Damit ein Auge doch, wann eines ward gekraͤnkt, Noch blieb', in welches nun die ganze Kraft sich senkt. Des Grundes Richtigkeit vermocht' ich nicht zu fassen, Nun aber will ich ihn und muß ihn gelten lassen, Seitdem ein Auge, mir nicht minder lieb als meines, An einem theuern Haupt zu Schaden kam, nur eines. Nun dank' ich Gott, daß ihm noch eines blieb geschenkt, Und bete, daß darein sei Doppelkraft gesenkt, Gedoppelt Himmelslicht, gedoppelt Seelenlust, Daß innen zum Gewinn werd' außen der Verlust. Die Endursache mag im Dinge selbst nicht seyn, Mit Recht traͤgt sie der Mensch zu seinem Trost hinein. 142. Das Leben ist zu kurz, um alles zu erlernen, Was lernenswuͤrdig ist im Nahen und im Fernen. Allein die Ewigkeit ist lang genug dazu; Der Aussicht freue dich, Geist, ewig lernest du. Und ewig lernest du nicht aus, denn ewig streckt Das Ew'ge weiter sich, das Ziel um Ziel dir steckt. Nicht Ein Ziel, sondern eins ums andre zu gewinnen, Beginne muthig nur das endlose Beginnen! Lern' alles was du magst! nichts ist ganz unerheblich; Auch das Vergebliche gelernt ist nicht vergeblich. Du lerntest wenigstens die große Kunst daran, Zu lernen. Alles lernt, wer erst das Lernen kan. 143. Wie oft nicht hab' ich schon, von dunklem Drang getrieben, Das Gegentheil von dem, was ich gedacht, geschrieben. Aus Ungeschicklichkeit? aus Falschheit? nicht doch! weil Das Denken immer sucht sein eignes Gegentheil. 144. Du nimmst die Gruͤnde nach einander einzeln vor, Und freust dich wie so leicht jeder die Kraft verlor. Doch wenn ihr ganzes Heer dir in geschlossnen Gliedern Entgegenruͤckt, was kanst du ihrem Stoß erwidern? 145. Die Liebe, wie ein Kind, liebt art'ge Plauderei, Doch eine weiß ich von der Kinderunart frei, Zuneigung herzliche, die sich dir nicht zu zeigen Braucht, um erkannt zu seyn, weil du verstehst ihr Schweigen. 146. Such' etwas Schoͤnes dir nur immer aus vom Gang Zu denken der Natur und Weltzusammenhang, Was du ausdenken magst, es ist ein Traum allein; Laß wenigstens den Traum sinnreich und trostreich seyn! 147. Wenn du verachten willst, was andre vor dir dachten; Wie sollen, was du denkst, die nach dir denken, achten? Ja, deinem Denken selbst kanst du kein Zutraun schenken, Wenn du kein Zutraun hast zu andrer Denker Denken. 148. Zu eurer Finstrelei bekehret ihr mich nicht; Ich weiß, die Schoͤpfung sei ein heitres Gotteslicht. Dem Lichte ward gesellt ein Schatten zum Geleite, Und ihr habt euch gestellt auf diese Schattenseite. Nein, selbst von der Natur seid ihr die Schattenstelle; Verzehrt euch selber nur, so geht sie auf in Helle. 149. Dein Geist kann nicht umhin, aus allem was gelungen Zu sehn ihm ist, sofort zu ziehn Schlußfolgerungen, Und sie auf alles Ungesehne zu erstrecken, Um, wenn er dis dann sieht, den Fehlschluß zu entdecken. Laß dich den Schluß zuruͤck zu nehmen nicht verdrießen, Um, was du neu gesehn, nun auch mit einzuschließen! Nie falsch ist, was dein Geist sich bei den Dingen denkt; Es gilt nur nicht, wie du wol meinst, uneingeschrenkt. 150. Die Groͤßenlehre wol und Verskunst hat gleichlaͤufig Zeilen und Linien, doch die Natur nicht haͤufig. Nicht nur wird ein zuweit getriebnes Gleichnis fehlen, Mehr fehl gehn noch zu weit gefuͤhrte Parallelen. 151. Ich sehe klar genug, was ich zu sehen brauche: Die ganze Schoͤpfung lebt von Gottes Lebenshauche. Wie sie den Hauch empfing, das ist von Nacht umhangen, Wir aber preisen Gott, daß sie den Hauch empfangen. Hauchen wir, ich und du, uns unserm Urhauch zu! Zur Ruh der Seligkeit fuͤhrt ew'ger Lieb' Unruh. 152. Um Misverstaͤndnisse, ihr Freunde, zu vermeiden, Verstaͤndigt euch nur, wo sich eure Wege scheiden. Soweit ihr einig denkt, sucht ganz euch zu verstehn; Und wo die Grenz' angeht, da laßt einander gehn. 153. Der Mensch weiß mehr, als er von selber wissen koͤnnte; Wo haͤtt' er dieses her, wenn ihm nicht Gott es goͤnnte? Bedenk' einmal nur recht, wie wenig durch Erfahrung Sich laͤßt erfahren, und du glaubst an Offenbarung. 154. Du bist, mein Filosof, vollkommen uͤberzeugt, Daß jeder irrgeht, wer von deinem Pfad abbeugt. Und deine Zuversicht schlaͤgt das mitnichten nieder, Daß jener, was von ihm du glaubst, von dir glaubt wieder. Ich aber, ungewis, nach welchem Stern ich lenken Mein armes Schifflein soll, muß eins von beiden denken: Entweder daß ihr beid' irr seid auf eurer Fahrt, Oder jeder von euch Recht hat auf seine Art. Nun wuͤrd' es alle Lust am Wissen gar mir rauben, Glaubt' ich das erste, drum laß mich das andre glauben. 155. Der Dichter waͤr' ein Gott, und zu begluͤckt sein Loß, Der kleine Welten schafft, wie Gott schuf Welten groß; Zu gluͤcklich waͤr' er, wenn das was er schuf im Spiele, Ihm auf die Dauer so, wie Gott sein Werk, gefiele. Am Abend meint er zwar, daß wohlgemacht es sei, Doch die Zufriedenheit ist uͤber Nacht vorbei. Dann wendet er sich ab dem, was er abgethan; Gott aber sieht sein Werk mit neuer Lust stets an, Und Neues schaffend, will er Altes nicht vergessen, Nur seiner Liebesmacht Unmeßbarkeit ermessen. 156. Die Selbsthochachtung wird zur Selbstverachtung treiben, Wie endlich Asche wird vom Feuer uͤbrig bleiben. Ein Goͤttliches, o Mensch, mußt du in dir erkennen, Doch mußt du's nicht dein Selbst, du selbst mußt sein dich nennen. 157. Weltweisheit ist ein Wort, hat weder Sinn noch Kraft; Der Weisheit hoͤchster Hort ist Gotteswissenschaft. Weltweisheit aber soll, damit sie Sinn erhaͤlt, Die Weisheit Gottes nur im Spiegel schaun der Welt. 158. Die Lehre, wenn sie dir von Herzen widerstrebt, Wenn du nur fuͤhlest daß sie dem im Herzen lebt, Der diese Lehre lehrt, mußt du sie gelten lassen, Und suchen deinem Sinn sie irgend anzupassen. Belebend uͤberall ist der Begeistrung Hauch, Und mag begeistern dich, wenn zu was anderm auch. 159. Du sagst, und weißt nicht was du sagst: Vielgoͤtterei! Alsob nicht uͤberall ein Gott der Goͤtter sei. Ein Gott, der uͤberall ist schweigend anerkannt, Vorausgesetzt, wennauch mit Namen nicht benannt. Ein Gott, der still geahnt ruht hinter den Tapeten, Aus denen bunt hervor der Goͤtterchor getreten. Wie unabhaͤngig auf der Buͤhne vorn erscheine Der Chor, vom Hintergrund hervor lenkt ihn der Eine. Befangen sei der Sinn von sinnlichen Gestalten, Doch unbefangen fuͤhlt der Geist des Geistes Walten. Und selbst dem Geiste, der den hoͤchsten Geist nur ehrt, Erscheinen heilige Vermittler wuͤnschenswerth; Ob Goͤttliches herab ins Menschliche von oben Entstiegen, oder dis zu jenem sich erhoben: Es sei nur Goͤttliches und Menschliches vermittelt; Nicht darauf kommt es an, wie es nun sei betitelt. 160. Von allen Dingen der Natur der Mensch ist eines, Ein im unendlichen Großen unendlich kleines; Ein Theilchen Gotteskraft, das eng sich fuͤhlt umzirkt Vom Ganzen dieser Kraft, die durch das Ganze wirkt; Vielfaͤltig eingeschraͤnkt und tausendfach bedingt, Von uͤbermaͤchtigen Einwirkungen umringt. Allein nach Freiheit ringt er aus der Engigkeit, Der allabhaͤngige nach Unabhaͤngigkeit. Der Tropfen in dem Meer, gewaͤrtig der Verschwimmung, Macht unabweislichen Anspruch auf Selbstbestimmung; Der Mensch, der nur was ihm von Gott bestimmt ist, nimmt, Die Selbstbestimmung auch ist ihm von Gott bestimmt. 161. Ich wuͤnsche, daß dein Gluͤck sich jeden Tag erneue, Daß eine gute That dich jede Stund' erfreue! Und wenn nicht eine That, sodoch ein gutes Wort, Das selbst unsterblich wirkt zu guten Thaten fort. Und wenn kein Wort, doch ein Gedanke schoͤn und wahr, Der dir die Seele mach' und rings die Schoͤpfung klar. Nichts anders kann erfreun den Menschen und erheben, Wie diese Zeugnisse von eignem hoͤherm Leben. Und was das Gluͤck von Lohn ihm zu von außen spuͤlt, Erfreut ihn nur, wenn er sich dessen wuͤrdig fuͤhlt. 162. Wenn alles Menschenthuns ist Wurzel Eigennutz, Komm, laß uns reinigen die Wurzel von dem Schmutz! Auf diesem Grunde laß uns stehn nur und erklaͤren, Wie jene Wurzel selbst das Hoͤchste muß gebaͤren. Ein jedes Wesen eingepflanzt hat von Natur Den Grundtrieb: wie es ist, sich zu erhalten nur. Was dieser dunkle Trieb nun in der Thiere Zunft, Das ist im Menschen selbst erleuchtete Vernunft. So kann Vernunftmacht nie seyn mit Naturgewalten Im Widerspruch; ihr Trieb ist auch, sich zu erhalten. Wodurch sie sich erhaͤlt, ist Tugend, That und Kraft, Davon das Widerspiel ist Schwaͤch' und Leidenschaft. Nicht Leiden, sondern Thun, nicht Ohnmacht, sondern Staͤrke, Das sind des menschlichen Naturtriebs Tugendwerke. In diesem Streben nun, von innen frei durchgaͤngig Zu wirken, fuͤhlt der Trieb sich außen rings abhaͤngig. Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren, Und ihrer Uebermacht muß er sich stets erwehren. In diesem Daseynskampf, mit Kraft, dazu verliehn, Sucht er von außen her, was frommt, an sich zu ziehn. Zwei Kraͤfte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden, Vermoͤgen doppeltes, das haben sie empfunden. Drum menschliche Vernunft, zu Menschenselbsterhaltung Befand nichts nuͤtzlicher als Menschenbundgestaltung. Sie unterordnen selbst dem Leibe sich zu Gliedern, Nur um sich zu erhoͤhn, nicht um sich zu erniedern. Und also ist der Mensch von der Natur getrieben, Weil er sich selber liebt, den andern auch zu lieben. Getrieben ist er, gut zu seyn, mild und gerecht, Großmuͤthig selber sich zu opfern dem Geschlecht. Dem Grundtrieb Eigennutz ist alles dies entsprossen, Die dunkle Wurzel ist zum Himmel aufgeschossen. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 11 163. Was ist Verneinung wol im Denken und im Wort? Bejahung nur, die ruͤckt von dem zu jenem fort. Dies Weiterruͤcken selbst erscheinet dreierlei, Doch leicht erkennest du: im Grund ist eins das drei. Das Gehn wird zum Vergehn, das Schlagen zum Erschlagen; Aufhebt sich jede Kraft, zu ihrem Ziel getragen. Von dem du jetzo sagst: es ist, sagst du: es war, Im naͤchsten Nu; das Seyn stellt sich als Nichtseyn dar. Worauf du denkend siehst, das wird von dir empfunden Als etwas; siehst du weg, zum Nichts ist es geschwunden. Im Ruͤcken also durch die Zeit und durch den Ort, Und durch Gedanken, ruͤckt zum Tod das Leben fort. In dieser Ruͤcksicht nur wird dir zum Nein das Ja Nicht fuͤr sich selbst ists nicht, fuͤr dich nur ists nicht da. 164. Ob Gott verborgen dir erscheint in der Natur, Ob außer, uͤber ihr, ist eins im Grunde nur, Ein Wortspiel-Formelkram, vergebens drum zu zanken, Ein Kruͤckennothbehelf gebrechlicher Gedanken. Gott ist, was er will seyn, wo er will seyn und wie, Anders in jedem Ding und jeder Fantasie. Anders in jedem Nu, derselb' in Ewigkeit, Die Vielheit ewig eins, die Einheit stets entzweit. Ob du Weltschoͤpfer ihn, ob ihn Weltordnung nennest, In ihm ist ungetrennt, was im Begriff du trennest. Geordnet ist die Welt, du ordne dich ihr ein; Das wird am Goͤttlichen dein rechter Antheil seyn. 11* 165. Aus Einer Wurzel sprießt, aus Einer Quelle fließt, Was weit ins Leben sich erschließt und sich ergießt. Die Zweige wissen nicht, was unten sie verflicht, Sie schwanken wohlgemuth und tauchen auf ins Licht. Die Wellen merken kaum, was still sie haͤlt im Zaum, Sie schwanken auf und ab, und kroͤnen sich mit Schaum. Am Zaume haͤlt sie doch und unterm goldnen Joch Die Liebe, der nichts ist zu nieder noch zu hoch. Ihr seid nicht klein, noch groß, Kinder aus meinem Schoß, Seid nichts in euch, in mir seid ihr ein Etwas bloß. 166. Wie von der Sonne gehn viel Stralen erdenwerts, So geht von Gott ein Stral in jedes Dinges Herz. An diesem Strale haͤngt das Ding mit Gott zusammen, Und jedes fuͤhlet sich dadurch von Gott entstammen. Von Ding zu Dinge geht seitwerts kein solcher Stral, Nur viel verworrene Streiflichter alzumal. An diesen Lichtern kanst du nie das Ding erkennen, Die dunkle Scheidewand wird stets von ihm dich trennen. An deinem Stral vielmehr mußt du zu Gott aufsteigen, Und in das Ding hinab an seinem Stral dich neigen. Dann siehest du das Ding, wie's ist, nicht wie es scheint, Wenn du es siehest mit dir selbst in Gott vereint. 167. Die Wesen unter sich sind stets im Widerstreit, Das Leben, eins in Gott, ist außer ihm entzweit. In Gott sind wir geeint, und außer ihm geschieden; Ohn' ihn ist ew'ger Krieg, und durch ihn ew'ger Frieden. 168. Verzeiht, was ich gefehlt, ich hab' es gut gemeint, Daß ich euch nichts verhehlt, was meinem Geist erscheint. Ihr moͤgt es anders sehn, im eignen Licht erwacht; Ich freue mich, wenn ihr nur auf die Augen macht. 169. Sie sagen, werther Freund, du seist ein großer Heuchler; Das weiß ich nicht, doch das: du bist ein loser Schmeichler. Wie weit nun Heuchler sich und Schmeichler unterscheiden? Zusammen reimen doch, wenn unrein auch, die beiden. 170. Woher nimmst du den Muth, von neuem vorzutragen, Was laͤngst schon besser ward gesagt in alten Tagen? — Weil alles Alte neu und immer neu muß werden, So traͤgt die Dichtung auch stets ihrer Zeit Geberden. Verwandeln muß sie sich, beharren kann sie nimmer; Nicht besser wird sie stets, zuweilen wird sie schlimmer. Ein angestammtes Recht hat jedes Zeitgeschlecht, Der Zeiten Weisheit sich zu machen mundgerecht. Und jeder hat dies Recht fuͤr sich auch und sein Haus; Und er macht es nicht schlecht, wenn er damit kommt aus. Nur hat er nicht das Recht, es andern aufzudringen, Sein eigen Hausgemaͤcht auch auf den Markt zu bringen. Bring' ich das Meine doch, so bild' ich wol mir ein, Es sei fuͤr andre noch, und nicht fuͤr mich allein. 171. Ein Koͤnig moͤcht' ich seyn, ein Herr der Morgenlande, Der so zu geben als zu nehmen waͤr' im Stande. Der keinen vor sich ließ' erscheinen ohne Gaben, Und keinen von sich gehn, ohn' ihn beschenkt zu haben. Wer sein Geschenk empfaͤngt, den wird es nicht beschaͤmen, Und selber ohne Scham kann er Geschenk' annehmen; Weil alles ihm gehoͤrt, was Menschen freut und frommt, So einzig zu ihm geht, wie einzig von ihm kommt. Des Gabentausches wie sollt' er sich scheun und schaͤmen, Da Goͤtter Segen streun und Opferduft annehmen? Ein solcher moͤcht' ich seyn, um ohne Scheu und Bangen Geschenke selbst noch mehr zu geben als empfangen; Daß Reichempfangenes nicht muͤßte mich erniedern Durch das Gefuͤhl, ich sei zu arm es zu erwiedern. 172. Der Markwart Persiens, als er zum Omar kam, Wie staunt' er, als er nichts von Koͤnigspracht vernahm. Von aller Pracht, die scheint den Fuͤrsten zu gebuͤhren, War da beim Fuͤrsten nichts der Glaͤubigen zu spuͤren. Er klopft' an Omars Haus. „Grad' ist er ausgegangen.“ „„Wohin?““ Die Kunde war von Niemand zu erlangen. Die Gassen geht er durch, und fragt, wo Omar sei, Und uͤberall wird ihm gesagt: Er ging vorbei. Hier hat er das gemacht, hier hat er das befohlen; Hier hat er was gebracht, hier kam er was zu holen. Der Perser Markwart denkt in seinem stolzen Muth: Was ist das fuͤr ein Fuͤrst, der alles selber thut; Was fuͤr ein Fuͤrst, der sich bedienen selber muß, Der ohne Leibwach' aus dem Hause geht zu Fuß; Der uͤberall gehoͤrt, und nirgends wird gefunden, Und dessen Spuren so sind unterm Volk geschwunden? — Zuletzt umfragend nun kommt er zum Bethaus hin; Der Fuͤrst der Glaͤubigen, so hoͤrt er, schlaͤft darin. Und schlafen sieht er ihn am Boden in der Ecke, Und wundert sich, daß ihn kein goldner Himmel decke. Was ist das fuͤr ein Fuͤrst, spricht er in hehrem Muth, Der ohne Menschenhut im Gotteshause ruht? Doch Omar wachet auf, und zeigt in seinem Blicke Das seiner Macht von Gott vertraute Weltgeschicke. 173. In allen Zonen hat gebluͤht und bluͤht noch jetzt Ein Allgemeines, nur mit Oertlichem versetzt. Die Menschen sind getheilt in Volks- und Glaubenszunft, Doch ihr Gemeinsames ist menschliche Vernunft. Je mehr vom Zwang der Zunft sich die Vernunft befreit, Je weitres Feld gewinnt die reine Menschlichkeit. Zwei Wege aber sind zur Freiheit, gut und boͤse, Hier daß man Formen brech', und dort daß man sie loͤse. Nicht die Verschiedenheit soll ausgestrichen seyn, Doch des Verschiednen Streit soll ausgeglichen seyn. 174. Den Aberglauben auch, den ich durchaus nicht preise, Ehr' ich als einer Zeit und Stufe Glaubensweise. Wo er unschuldig galt, da will ich ihn nicht schelten; In der Erkenntnis Licht kann er nunmehr nicht gelten. Ein ahnungsreicher Traum aus unsrer Kindheit Nacht, Dem Mann unbrauchbar, der zum Denken ist erwacht. Der Vorzeit Maͤrchenstyl, der Phantasie zum Spiel Zu goͤnnen, doch fuͤr Geist und Herz kein wuͤrdig Ziel, Scherzhafte Dichtungsart, die wol zum Scherz gefaͤllt, Doch laͤcherlich sich macht, wenn sie sich ernsthaft stellt. 175. Was ungelesen ich zu lassen mir erlaube? Ein Buͤchlein, das mir will beweisen, was ich glaube. Wie sollt' ich, was ich glaub', erst mir beweisen lassen? Derweilen kann ich mich mit Nuͤtzlicherm befassen. Ich denke, solches Buch ist nicht fuͤr mich geschrieben, Es ist fuͤr andre, die bis jetzt unglaubig blieben. Allein auch diese wird es nicht zum Glauben treiben; Drum ohne Schaden konnt' es ungeschrieben bleiben. 176. Dein Streben sei, o Sohn, ein innres Gutes frei Zu machen so, daß es ein aͤußres Schoͤnes sei. Warum soll gleißnerisch ein Schlechter sich bestreben, Mit falschem Scheine sich des Guten zu umgeben, Ein Guter aber sich im Gegentheil befleißen, Zu scheinen schlechter als er ist, um nicht zu gleißen? Durch besser Scheinen wird kein Schlechter besser werden, Doch ungestraft kann sich kein Guter schlecht geberden. Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigensinnig In dir verschließen kannst, so ist es nicht recht innig. Denn, waͤre voll sein Drang, so braͤch' es aus der Huͤlle, Wie aus der Knospe bricht der Rose Liebesfuͤlle. Die Knospe aber, die sich dumpf verstockt, und wagt Nicht aufzugehn, ist wol im Kern vom Wurm genagt. Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Brust, So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Lust! Nur nichtig ist der Schein, doch wichtig die Erscheinung, Vollkommen ist allein des Seyns und Scheins Vereinung. Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur ist gelungen, Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgestalt entsprungen. 177. Es ist nicht immer noth, (der Meister hats gesprochen) Daß Wahres werd' ein Leib, ein Leib mit Fleisch und Knochen. Wenn geistig in der Luft es schwebt, genuͤgt es schon, Wie, Herzen stimmend, sanft und ernst, ein Glockenton. 178. Es ist ein wahres Wort: der Kuͤnstler wird geboren; Doch jede Wahrheit wird Irrthum im Mund der Thoren. Geboren wird mit ihm der Kunsttrieb, nicht die Kunst; Die Bildung ist sein Werk, die Anlag' Himmelsgunst. Geboren zur Vernunft, ist auch nicht gleich vernuͤnftig Der Mensch, doch wenn er fein dazu thut, wird ers kuͤnftig. 179. Befreie deinen Geist! Dies ist dein hoͤchster Hort, Doch wenn du ihn befreist, denk an des Meisters Wort, Dies Wort: Verderblich ist, was deinen Geist befreit, Und nicht zu gleicher Frist Selbstherrschaft dir verleiht. 180. Der alte Meister spricht: Die Schwaͤch' ist zu bedauern Der Menschen, die der Welt Vergaͤnglichkeit betrauern. Sind wir doch dazu da, mit Kraft begabt hinlaͤnglich, Um das Vergaͤngliche zu machen unvergaͤnglich. 181. O Wunder, oft schon stand hart an des Abgrunds Rand Ein Mensch, zum Sturz bereit, den er nicht vorempfand. Ihm gegenuͤber steht das drohende Geschick, Er wird es nicht gewahr mit unbefangnem Blick. Was schließest du daraus? das arme Menschenkind Sei gegen sein Geschick unmaͤchtig, schwach und blind? Wie oder schließest du, daß Gottes Gnad' ihm goͤnne Die Blindheit, da kein Schaun Verhaͤngnis wenden koͤnne? Ich schließe dies daraus: es muͤsse gar nicht ruͤhren Den Geist ein aͤußeres Geschick, sonst wuͤrd' ers spuͤren. Ich schließe dies daraus: daß unabhaͤngig frei Von aͤußerem Geschick des Geistes Leben sei. 182. Du trugest, daß der Freund verreist war, ohne Klagen; Nun er gestorben ist, scheint es dir nicht zu tragen. So denke doch, er sei verreiset immerfort, Und troͤste wieder dich des Wiedersehns wie dort. Und ist er nicht verreist? Zwar kommt er nie zuruͤck, Du aber kommst ihm nach, und findest ihn im Gluͤck. 183. Gelegenheitsgedicht ist zu verachten nicht, Das der Gelegenheit Bedeutung recht ausspricht. Genuͤgt es nur dem Tag, so ist es schon zu loben, Doch fuͤr die Ewigkeit wird es nicht aufgehoben. Nur wenn es Ewiges im Zeitlichen enthaͤlt, Ist heut es fuͤr das Fest, und morgen fuͤr die Welt. 184. Der Buͤcher sind zu viel, um noch so viel zu gelten; Denn wohlfeil ist die Meng', und theuer nur was selten. Mit ihnen ists wie mit den Menschen selbst gethan; Den, der mit vielen lebt, gehn wenig naͤher an. Man sieht sie an, allein wer kann sie alle nennen, Erkennen ihren Werth, wie sie voruͤber rennen? Ich leb' in kleiner Stadt, sie ist mir fast zu groß; All seine Nachbarn liebt man auf dem Dorfe bloß. Dort hat man keine Wahl, man braucht die ganze Zahl; Hier stellt zumal die Qual sich ein mit Zahl und Wahl. Ich aber ungequaͤlt hab' einen Freund gewaͤhlt, Der mir die Buͤcher waͤhlt, daß mich die Zahl nicht quaͤlt. 185. Den Nachbar halte werth, den Nachbar halt in Ehren! Was ein beim Nachbar kehrt, kann auch bei dir einkehren. Man wird nach deinem Werth nicht in der Fremde fragen; Dem wird man glauben, was von dir die Nachbarn sagen. Dein Boͤs' und Gutes kann die Ferne nicht beruͤhren, Dein Nachbar rechts und links wird dies und jenes spuͤren. Mit seiner Nachbarschaft wer friedlich sich vertraͤgt, Kommt aus mit aller Welt; dies sei dir eingepraͤgt: „Mit wem zwei Nachbarn hier bestaͤndig sind zufrieden, Dem ist Vergebung dort all seiner Schuld beschieden.“ 186. Zu guter Nachbarschaft gehoͤrt nicht das allein, Nicht weh zu thun, auch dem, der weh that, zu verzeihn. Ein boͤser Nachbar selbst mag nicht den guten plagen, Ein guter aber wird den boͤsen selbst ertragen. 187. Sonst da mich jeder schalt, und keiner fast mich lobte, Ich dachte Wunder welch ein Ungluͤck ich erprobte. Nun jeder fast mich lobt, und keiner mehr mich schilt; Nicht wenig kostet mich, was mir so wenig gilt. Denn wenn ich durfte sonst doch, die mich schalten, schelten, So muß ich jetzo, die mich loben, lassen gelten. 188. Demuͤtigung ist auch von Demut eine Art; Du uͤberbietest recht Hochfart mit Hoͤherfart, Wenn du (nur pruͤfe dich) nicht selbst dich willst erheben, Dem Ueberhobnen nur heilsame Lehre geben. 189. Wer stolz auf Vorzuͤg' ist, fuͤhlt irgend ein Gebrechen, Und wer sich bruͤsten mag, ist sich bewußt der Schwaͤchen. 190. Ein niedrer Sinn ist stolz im Gluͤck, im Leid bescheiden; Bescheiden ist im Gluͤck ein edler, stolz im Leiden. 191. Vollendet wird hier nichts, nichts aber kann gelangen Dort zur Vollendung, was nicht hier ward angefangen. 192. Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das sie lebt, Wo sie der Fruͤhling weckt, der Winter sie begraͤbt. Ihr Sproßen und ihr Bluͤhn, Vergehn und Neuentstammen Faͤllt mit des Jahres Kreis unwandelbar zusammen. Jung ist sie, wenn die Welt ist jung, und alt, wenn alt, Des Großen kleines Bild in wandelnder Gestalt. Des Menschen Leben ist nicht solch ein Kreis geschlossen, Mit dem Naturumlauf zusammen so geflossen. Es lenzet, sommert zwar, es herbstet, wintert auch, Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Luͤfte Hauch. Es setzt sich davon unabhaͤngig seine Grenzen, Vermag, ob wintern mag die Schoͤpfung, noch zu lenzen. Und legt es einmal sich zum Winterschlummer nieder, So weckt kein Fruͤhlingshauch auf dieser Welt es wieder. 193. Manch falsches Wissen auch sollt ihr bei mir nicht missen; Warum? damit ihr seht: es kommt nicht an aufs Wissen. Ein Irrthum irret nicht den wahren Drang des Strebens; So sei mit Gott dies Buch, und so das eures Lebens. 194. Im Steigen ist die Zeit, auch wo sie scheint im Sinken; Das Ziel, nach dem sie steigt, das hohe seh' ich winken. Anhoͤhn und Tiefen sind abwechselnd auf der Bahn, Doch jede Senkung ist Erhebung dort hinan: Zum Ziel geht jeder Schritt, der vorwaͤrts wird gethan. XI. 1. G ar manches sagt nicht rein brahman'sches der Brahman; Sei es rein menschlich nur, so nehmen wir es an. Doch dieses, was aus gar zu fremden Augen schaut, Hat ein europischer Bekannter ihm vertraut. 2. Erbauen laͤßt sich nicht, so daß sie steht und haͤlt, Aus epikurischen Atomen eine Welt. Aus Sonnenstaͤubchen ist die Sonne nicht entstanden; Die Staͤubchen sind nur, weil die Sonne scheint, vorhanden. Viel ehr gefallen mir Leibnitzische Monaden, Die eine Urmonad' unsichtbar haͤlt am Faden; Ein Sphaͤrenwirbel von beseelten Einzelheiten, Wie aus Bruchstuͤcken hier sich will ein Lied bereiten. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 12 3. In der Neujahrsnacht fuhr ich durch verschneite Flur, Vom Jahreswechsel war im Schnee da keine Spur. Die zwoͤlfte Stunde nur schlug meine Taschenuhr, Doch rings blieb theilnahmlos die schweigende Natur. Die Zeitabschnitte sind vom Menschen nur erdacht, Ununterbrochen geht die Weltuhr Tag und Nacht. Jahrstunden rufet Lerch' und Schwalb' und Kukuk aus, Und Perpendikelgang ist Sturm und Wogenbraus. Der Sommer macht dem Herbst, der Winter Platz dem Lenze, Doch nirgends abgesteckt ist sichtbar eine Grenze. Der Zeiten Wagen rollt gleich uͤber Au'n und Haiden, Ohn' Anstoß uͤber Jahr' auch und Jahrhundertscheiden. So rollet mein Gesang mit mir die Welt entlang, Den Zeitenwechsel durch, mit immer gleichem Klang. Von Lebensstation zu Station begleitend, Der Himmelssonne gleich, durch alle Zeichen schreitend. 4. Der Millionen, die nun auf der Erde wohnen, Und aller schon zuvor gegangnen Millionen, Wie viele sind es, die nachließen eine Spur? Viel Tausende sind im Verhaͤltnis wenig nur. Die allermeisten sind verschollen ohne Namen, Auch denen ungekannt, die hart nach ihnen kamen. Und jene Wenigen, die nicht sind namenlos, Sie leben auch im Buch und dem Gelehrten blos. Von tausend einer nur lebt in des Volkes Munde; Und diesem auch was hilft die undankbare Kunde? Gewohnheit nennet ihn, kein Wunsch doch kennet ihn; Schad' um die Todtenruh, von der man trennet ihn. 12* 5. Der Tod ein Schauder und Entsetzen der Natur, Dem Anblick fuͤrchterlich, hold dem Gedanken nur. Suͤß ist Gestorbensein, und bitter nicht ist Sterben, Doch Sterbensehen ist der Lebenslust Verderben. Und um wie hoͤher steht schon auf der Stufenleiter Ein Leben, um so mehr sind widerlich die Scheiter. Der Stein, lebendigtodt, ist drum sich immer gleich, Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich. Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepfluͤckt, Doch ist die welke noch mit Farb' und Duft geschmuͤckt. Und jene Bluͤthe, die an keinem Stiel darf rasten, Der Schmetterling ist schoͤn noch in des Sammlers Kasten. Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft, Und steif den Fittig haͤngt, ist artig ausgestopft. Die groͤßern Thiere, die naͤchst an den Menschen reichen, Sind widerwaͤrtiger, je groͤßer ihre Leichen. Doch nur den Menschen, weil er ist des Lebens Krone, Macht voͤllig schauderhaft das Leben, das entfloh'ne. Darum verhuͤllte, den der Freunde Dolch erstach, Sein Haupt vor'm Himmelsaug', eh' ihm das Auge brach. Wie auf Naturgeheiß die Thier' auch, wenn sie siechen Am letzten Weh, in Schluͤft' und Hoͤhlen sich verkriechen. Und ein mit Schoͤnheitsinn begabtes Volk bedeckt Den Sarg mit Blumen, daß sein Anblick minder schreckt, Nachahmend der Natur, die, uͤberall erfuͤllt Von Graͤbern, jedes Grab in Blumenteppich huͤllt. 6. Dem Lichte, daß es brenn', ist noͤthig Fett und Docht; Fehlt ihm von beiden eins, so hat es nichts vermocht. Und beide muͤssen rein auch aufgehn miteinander, Daß seines Elements froh sei der Salamander. Wo Docht zu kurz ist, da erstirbt im Fett der Klumpen; Und wo das Fett ausgeht, verlodert schnell der Stumpen. Die Schwindsucht ist es hier, und dort die Wassersucht, Des Mißverhaͤltnisses mißliche Doppelfrucht. Erfreulich leuchtet da allein des Lebens Licht, Wo Geist und Koͤrper ist im rechten Gleichgewicht. 7. Das Bischen Dichterruhm, die spaͤte Spaͤtherbstaster, Waͤr' ein unnuͤtzes Kraut und unwirksames Pflaster, Wenn eine eigne Kraft nicht selber wohnte bei Der Poesie, zu sein des Herzens Arzenei. In großer Truͤbsal hab' ich dies Hausmitt'l erprobt, Und wenig kuͤmmert mich, ob es ein Kritler lobt. 8. Groß ist die Aehnlichkeit von Seel' und Schmetterling. Doch die Verschiedenheit von beiden nicht gering. Die Puppenmaske zeigt ein Todtenangesicht, Aus dessen Ernst ein Strahl von hoͤherm Leben bricht; Das ist das Gold, wovon die Chrysalide traͤgt Den Namen, darin ist Verklaͤrung vorgepraͤgt; Nur daß der Schmetterling noch in dem Sarge liegt, Indeß vom Kerker frei die Psyche druͤber fliegt. Die Psyche, die, wie sie sich unsichtbar gestaltet Im Leben, so im Tod unsichtbar sich entfaltet. Der Schmetterling erhebt sein himmlisches Gefieder, Senkt nieder es, und heckt am Boden Raupen wieder. Ich aber hoffe, wenn mein Schmetterling sich hebt, Daß ewig erdenfrei er durch die Himmel schwebt. Denn keine Blume bluͤht hienieden, die aus Luͤften Mich locken koͤnnte gleich dem Schmetterling mit Duͤften. 9. Der Postbot' in ein Haus mit zweien Briefen rennt, Versiegelten, davon er nicht den Inhalt kennt. Er merkt auch nicht darauf, ob außen in den Siegeln Sich die Verschiedenheit des Inhalts moͤge spiegeln. Der eine freudenroth gesiegelt meldet Lust, Der andre trauerschwarz verkuͤndiget Verlust. Der Bote gibt sie ab, nimmt dafuͤr in Empfang Den Lohn, und setzet fort gleichguͤltig seinen Gang. Er fragt nicht, wie sie nun sich werden hier vertragen, Die ja vertraͤglich auch im Postfelleisen lagen. So bringt das Schicksal oft zusammen Lust und Schmerz, Und fragt nicht, wie sie sich vertragen um ein Herz. 10. Erhebe dich, mein Herz, mit Wogenschlag, und gleiche Dem Meere, das bei sich nicht leidet eine Leiche. Es wirft die Leichen aus; so du mit heil'gem Braus Erhebe dich und wirf fort allen Todesgraus. Wie Foͤbos Eiland, wo kein Todter ward begraben, So soll in dir der Tod auch keine Staͤtte haben. Und war's ein theuerstes, was todt ist das ist ab; Im Himmel fliegt der Geist, der Moder liegt im Grab. Du sei die Grube nicht, worin Verwesung liegt; Sei du der Himmel, drin der reine Geist sich wiegt. 11. Ich dachte nun erst warm im Alter dich zu pflegen, Und muß statt aller Pfleg' ins kalte Grab dich legen. Die Zinsen dacht' ich erst der Schuld dir abzutragen Der Sohnesdankbarkeit, statt dich ins Grab zu tragen. Gott nimmt den Willen fuͤr die That; nicht mir beschieden War's, dir zu schaffen Ruh; er schuf dir Ruh und Frieden. 12. Oft zu verspotten scheint das Schicksal unsern Plan, Doch wir verspotten es, es ist uns unterthan. Mit Liebe dacht' ich dein an einem stillen Abend, Den Lebensabend malt' ich dir so still und labend. Du solltest leben, bis ich meinen Sohn vermaͤhlte, Und ein Urenkel noch ein Maͤhrchen dir erzaͤhlte. Das sollte troͤsten dich fuͤr jeglichen Verlust, Und bluͤh'n seh'n solltest du noch einmal deine Lust. Am selben Abende, mir ungeahnet, fern, Bist du gegangen, abgerufen von dem Herrn. Ward von dem Schlage so der Lebensbaum vernichtet? So wenig nichtig ist, was Liebe je gedichtet. In einem Augenblick hab' ich ein langes Leben Mit dir gelebt, und kann der Gruft dich ruhig geben. 13. Die Mutter hast du mir, den Vater noch vorab, Die Schwester zwischenein, geleitet all' zu Grab. Den allen warest du nicht Arzt allein des Leibes, Ein Seelentrost und Freund; das sei auch mir und bleib' es. Nenn' ich dich Aeskulap? ich nenne ruͤstig heiter Dich Hermes mit dem Stab, den Seelenheimgeleiter. Du legest ja nicht auf, erhebest nur den Zoll, Und hilfst gewissenhaft sterben, was sterben soll. Ihr Aerzte seid einmal verordnet uns zu Moͤrdern; Heil denen, die geschickt und freundlich uns befoͤrdern. 14. Weil ich kein Weltkind bin, nicht habe Weltverstand, Der rechte Sinn mir fehlt fuͤr Weltbetrieb und Tand; Scheint jeder auf der Welt berufen mit Behagen Von Weltgut laͤstigem mir etwas abzujagen. Doch fuͤhlt kein Freund sich aufgelegt, von unbequemen Geschaͤften weltlichen mir auch was abzunehmen. 15. Soviel hab' ich gelernt: ich darf auf gar nichts zaͤhlen; Worauf ich zaͤhlte, das gerade wird mir fehlen. Gezaͤhltes wird nicht mehr, gezaͤhltes Gut wird minder; Ja Wolf und Loͤwe frißt gezaͤhlte Schaf' und Rinder. Gezaͤhltes wird nicht mehr; je mehr der Geiz'ge zaͤhlt Wie viel er hat, je mehr meint er, daß ihm noch fehlt. Drum zaͤhle nicht, die Gott gezaͤhlet hat, die Zahl Der Haare deines Haupts; wer sie erst zaͤhlt, wird kahl. Zaͤhl' deine Freuden nicht! es moͤchte dir hienieden Beduͤnken, wenige nur seien dir beschieden. Doch deine Leiden, wenn du sie willst zahllos meinen, Zaͤhle sie nur, damit sie dir gering erscheinen. Wie manchmal mit Bedacht die Rechnung wird gemacht, Die Rechnung ist am End' ohne den Wirth gemacht. Die Summe willst du ziehn, und machst schon deinen Strich, Da macht das Schicksal durch die Rechnung einen Strich. Mit goldnen Guͤlden glaubst du dich bezahlt, die blechnen Erkennest du zu spaͤt, die Pfennige bei'm Rechnen. 16. Kein Schaden kann dich je betreffen in der Nacht, Den nicht zu Nutzen sich gemeine Habgier macht. Wo sie nur eine Leich' erwittern in dem Hause, Da sammeln alsogleich die Raben sich zum Schmause. Erleichtern wollen sie dir recht die Weltentschlagung; Doch den Brahmanen ziemt gemaͤßigte Entsagung: Nur die Begierden, nicht die Kleider auszuziehn, Weil ich noch nicht gereift zum nackten Buͤßer bin. 17. Du mußt zuviel nur von den Freunden nicht verlangen, Sie moͤgen gerne Dank fuͤr Weniges erlangen. Nicht helfen wollen sie, doch wollen sie dir rathen; Lohn' ihnen Gott, was sie um Gotteswillen thaten. 18. Es ist ein wahres Wort: Wer glaubt, der wird betrogen; Wer aber Keinem glaubt, hat sich noch mehr entzogen. Wenn Niemand ihn betruͤgt, wenn Niemand ihn beraubt; Wie elend, wer sich stets beraubt betrogen glaubt! 19. Wie schwer entschlaͤgst du dich, ein gleiches andern an Zu thun, wie andere dir selber angethan. Wen man von oben druͤckt, der druͤckt nach unten weiter, Und Unterdruͤckung wird dadurch auf Erden breiter. Wer in der Jugend sich durch Muͤhsal mußte schlagen, Den ruͤhrts im Alter nicht, wenn sich die Jungen plagen. Und wen Gleichguͤltigkeit gekraͤnkt und Unbeachtung, Zieht fremdes Schicksal nicht in herzliche Betrachtung. Das alles ist gewiß natuͤrlich, doch das Heil Der Menschheit forderte das grade Gegentheil. 20. Ungleich gestellt sind Gluͤck und Ungluͤck in dem einen, Daß einen Gipfel jen's wohl hat, doch dieses keinen. So gluͤcklich kannst du schon geworden seyn, daß nun Ein Zuwachs kein Gewicht kann in die Wage thun. Doch so ungluͤcklich nie, daß nicht die Schale schwerer Noch werden kann, wodurch? vernimm's von deinem Lehrer: Dadurch, daß, wenn du schon verlorest jedes Gut, Du obendrein verlierst Fassung und Lebensmuth. 21. Ja, ja, du ließest gern dir jede Noth abnehmen Des Lebens, wollte sich dazu ein Freund bequemen. Sag an, ob jede Lust des Lebens auch? mitnichten. Nun, wenn du hier nicht willst, mußt du auch dort verzichten. Des Lebens Lust und Noth nimmt keiner keinem ab, Sie traͤgt ein jeder selbst und legt sie ab am Grab. 22. Auch in der boͤsen Zeit ist Gutes nicht verschwunden, Bei den Verfolgten wird es wenigstens gefunden. Die Zeit ist aber gut, wo herrschend sich bezeugt Das Gute, und verzagt sich ihm das Boͤse beugt. 23. Die hier am lautesten erschollen und erklungen, Wo sind die Namen hin? verschollen und verklungen! Wo sind, die sich so voll erschlossen und erbluͤht, Die Knospen unsres Ruhms? verschlossen und verbluͤht. Wo, die so freudenhell erglommen und erstrahlt, Die Sonnen unsrer Lust? Verglommen und verstrahlt. Wohin ist alles das, woruͤber und worbei Wir waren stolz und froh? voruͤber und vorbei. 24. Nein, nein! weil alles schlimm dir ist bisher ergangen, Vor'm allerschlimmsten darfst du nur nicht auch noch bangen. Vielmehr das Schlimmre wird einmal genug nun seyn, Wie auf die Regenzeit folgt endlich Sonnenschein. 25. Vergeblich alles, was du fuͤr die Welt gebildet, Hat es dich selber nicht geschmeidigt und entwildet. Erst muß dich das Gefuͤhl der eignen Bildung laben, Dann mag es dich erfreu'n, die Welt geschmuͤckt zu haben. 26. Wie unertraͤglich dir die leeren Tage waren, Die vollen hast du nun zur Uebergnuͤg' erfahren. O nie beklage mehr dich uͤber Tage leer, Sei froh, wenn, wie von Lust, sie sind von Plage leer. 27. Nicht der ist gluͤcklich, den ein Ungluͤck nie geschlagen; Wer weiß, wann es ihn trifft, wie er es wird ertragen. Nur der ist gluͤcklich, der mit Fassung eines trug, Und noch manch andres ist zu wagen stark genug. Denn mancher Sturmwind tobt, der unser Schifflein probt, Und wenn die Pruͤfung wir bestehn, sei Gott gelobt. 28. Das Sprichwort auch ist wahr: wer sitzet in dem Roͤhricht Und keine Pfeife da sich schneidet, der ist thoͤricht. Und wer die guͤnstige Gelegenheit verdaͤmmert, Der ist es, der das kaltgewordne Eisen haͤmmert. 29. Die Heerde weidet und der Hirte weidet sie; Wie eins ist Heerd' und Hirt, wer unterscheidet sie? Er blickt, alsob er sie mit seinen Augen weide, Und daß sie weiden, das ist seine Augenweide. Die stille Huͤrde dort steht am bekannten Ort, Da ist des Hirten Herd, und seiner Horden Hort. Dann wird er scheren sie im Sommer, wenn sie wollen; Und ihm bescheren sie die uͤberfluͤss'gen Wollen. Wie eines Wehr und Werth dem andern so gewaͤhrt, O wenn ihr, Herr und Heer, wie Hirt und Heerde waͤrt! 30. Den Ausspruch hat zuerst ein starr Gesetz gethan: Gleiches um Gleiches, Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Ein milderes Gesetz der Liebe sprach dagegen: Liebt euren Feind und gebt dem, der euch flucht, den Segen. Doch weil fast uͤber's Maaß der Menschheit dieses geht, Hielt so die Mitte der arabische Prophet: Vergeltet, wie man euch vergolten, aber treiben Daruͤber sollt ihr's nicht, darunter duͤrft ihr bleiben. Vergeltet! aber wenn ihr wollt euch vom Vergelt Enthalten, besser ist's fuͤr den, der sich enthaͤlt. 31. Was willst du mit der Welt? Du kannst sie nicht durchmessen, Und in dein enges Herz sie nicht zusammenpressen. Du loͤsest sie nicht auf, der Raͤthsel sind zu viele, Noch lenkest ihren Lauf, sie rennt nach eignem Ziele. Wohlauf, so viel du kannst, mit Lieb' und Geist zu fassen, Und was du nicht begreifst, dahin gestellt zu lassen. Wie Kraͤmer ihre Waar', auch deine sollst du tauschen, Versenden Liebesgruͤß', und der Erwidrung lauschen. Ich sende diesen Gruß, und sage nicht, wohin? Doch wissen moͤcht' ich, ob ich dort willkommen bin. 32. Das Eine, das du liebst, wird dir vom Tod entzogen, Und um das Andre hat die Ferne dich betrogen. Ein Drittes lebt, und ist dir nah, und doch getrennt; Das ist die Trennung, die ein Herz am meisten brennt. 33. Die Sterne moͤgen dir aus Winternaͤchten blinken, Und Blumen einen Gruß von Sommerhuͤgeln winken. So bleibt dir liebend nah von unten und von oben, Was dir der Tod in Erd' und Himmel aufgehoben. Doch wenn ein Lebender den Gruß mir schuldig bleibt; Schaͤmt er sich nicht vor dem, was Blum' und Strom mir schreibt? 34. Ich unterhalte mich so oft in meinen Liedern Mit Freunden, die darauf so wenig mir erwiedern. Als ob nicht jedes Lied, dem keinen Namen bei Ich schrieb, an jeden, dem's gefaͤllt, gerichtet sei. Doch mit dem Dank darauf will keiner sich befassen, Das bleibt dem Kritiker, wie billig, uͤberlassen; Der wie ein Sekretaͤr schreibt in des Goͤnners Namen, Daß deine Opfer zur Behoͤrde richtig kamen. 35. Gott theilet, wie er will, die Guͤter aus hienieden; Fragst du, warum er dem hat mehr als dem beschieden? Wenn du nur wenig hast, ein andrer hat noch minder; Du bist bei weitem nicht das aͤrmste seiner Kinder. Doch seiner Kinder auch das aͤrmste fuͤhlt sich reich, Das Gottes Kind ist, dies Gefuͤhl macht alles gleich. Du moͤchtest theilen mit den Reichen wohl auf Erden Die Fuͤlle, nicht auch mit den Armen die Beschwerden? Wenn Alles aber gleich getheilet Allen wuͤrde, Leicht kaͤm' auf dich von Gut noch minder, mehr noch Buͤrde. Drum laß, wie's ist getheilt, und nimm an Lust und Leid Der Bruͤder Antheil ohn' Hartherzigkeit und Neid. Den Reichen laß sein Gut, wenn er's allein will tragen, Und tragen hilf so viel du kannst des Armen Plagen. 36. Gott leitet, wen er will, und laͤsset irre gehn, Und selbst fuͤr seinen Weg muß jeder Rede stehn. Was also bleibt dir, als um Leitung ihn zu bitten: Herr, uͤberlaß mich nicht den eignen irren Tritten! Ja wohl! mein Rath allein kann irre gehn, nicht deiner; Drum soll dein Rath allein an mir ergehn, nicht meiner. 37. Nie sicher ist, wer um mit falschen Listen springt, Daß nicht der Boden gaͤhnt und ihn hinunterschlingt. Denn uͤberall Verrath muß der Verraͤther scheuen, Auftreten mit Vertrau'n kann nur der Fuß des Treuen. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 13 38. Seht, wann die Sonn' aufsteht, bis wann sie untergeht, Wie sich von Berg und Baum umher der Schatten dreht. Weil ihre Starrheit nicht will Niederfall gestatten, Anbetend werfen sie zur Erde doch den Schatten. Wenn nicht wie Berg und Baum ihr starr seid, werfet nieder, Wie ihren Schatten sie, anbetend, eure Glieder! 39. Laß deinen Arm nicht schlapp am Leibe niederhangen, Und laß ihn auch zu weit aus in die Luft nicht langen. Denn nichts erlangen wird, wer nicht den Arm ausstreckt, Und der verrenket ihn, wer ihn zu weit ausreckt. 40. O geh nicht stolz einher auf Erden! denn nicht birst Der Boden, wo du trittst, wie stark du treten wirst; Und zu der Berge Haupt wird dein's empor nicht reichen. Bei Gott und Menschen sind verhaßt des Hochmuths Zeichen. 41. Wir haben, spricht der Herr, der Erde Schmuck bereitet, Damit daran gepruͤft sei, wer durch's Leben schreitet. Wer nach dem Schmucke hascht und sich darin verfaͤngt, Gelangt zum Himmel nicht, weil er am Ird'schen haͤngt. Doch wer mit Fuͤßen tritt den Schmuck und ihn verachtet, Hat hoͤhern Sinn, nur daß er zu gewaltsam trachtet. Wer mit dem Schmuck sich schmuͤckt, und, wie er Blumen pfluͤckt, Sein Ziel haͤlt unverruͤckt, nur der ist ganz begluͤckt. 13* O freue dich, daß, wo du gehst, an deinen Pfaden Die kuͤhlen Schatten stehn, die dich zur Ruh einladen. Erquick' und staͤrke dich, doch nicht in traͤger Rast Vergiß des Weges, den du noch zu machen hast. 42. Die Welt ist oͤd' und leer, und grenzenlos der Raum, Wo nicht die Liebe wohnt mit einem Himmelstraum, — Wo nicht die Liebe wohnt, von der, zu der du gehst, Um deren Mittelpunkt du dich im Geiste drehst. Drum denke, wo du gehst, damit nicht oͤd' erscheine Die Welt, daß eine Lieb' auch dort wohnt, irgend eine, — Daß irgend einer dort traͤumt seinen Liebestraum; Den goͤnn' ihm, traͤume mit, und voll sei dir der Raum. 43. Was ist zu wissen werth, was ist nicht werth zu wissen? Des Wissenswuͤrdigsten haͤtt' ich mich gern beflissen. Gleichwerth ist alles wohl zu wissen, waͤre nur Das Leben lang genug, zu gehn auf jeder Spur. Darum verlier' nicht Zeit zu fragen, was nun frommt Zu lernen, sondern lern', was in den Wurf dir kommt. Am besten aber, was gleich frisch ist, zu verbrauchen; Denn was du lang' aufsparst, wird uͤber Nacht verrauchen. 44. In einem bist du mit dir uneins fort und fort, Daß bald die Sache mehr dir gilt und bald das Wort. Bald scheint das Wort dir leer, die Sache nur vorhanden, Und bald die Sache todt, das Wort allein verstanden. Und nur wo Poesie ihr schoͤnes Bild des Scheins Dir vorhaͤlt, fuͤhlest du, wie Wort und Sach' ist eins. So, wort- und sachgelehrt, ein Dichtersprachgelehrter, Sei du vielfach gelehrt, und nicht ein Fachgelehrter. 45. Gemeinverstaͤndlich sei ein Buch, das zur Erbauung Das Volk hat in der Hand, zu taͤglicher Beschauung. Doch etwas darf darin und soll seyn unverstaͤndlich, Damit die Andacht sich daran erbau' unendlich. Denn ein Verstaͤndliches ist endlich auszubeuten, Ein Unverstaͤndliches unendlich umzudeuten. 46. Wie oft verirrtest du, wie oft verirrst du noch, Und kommst zu einem Ziel mit allem Irren doch. Nicht sei entschuldiget dein Irregehn, gepriesen Sei einzig Gottes Macht, die dich zurecht gewiesen. 47. Leicht ist's, mit der Natur im Einklang dich empfinden, Wenn sie im wonn'gen Schooß dich wiegt mit weichen Winden. Doch anders, wenn sie an dich haucht mit eis'gem Sturm, Und schauernd du vor ihr dich kruͤmmest wie ein Wurm. Dann fuͤhlest du, daß sie das Leben nicht allein, Der Tod auch ist, und ihr gleichguͤltig Herz und Stein. Dann danke Gott, der dich nicht gab in ihre Macht, Und nimm dich kuͤnftig auch vor ihrer Huld in Acht. 48. Was haͤlt den Vogel, der in Luͤften schwebt, am Band, Daß er zur Erde nicht herabfaͤllt? Gottes Hand. Dieselbe Gottes Hand haͤlt auch am Band dein Leben, An welchem Abgrund auch es der Gefahr mag schweben. Mach', wie der Vogel, des Vertrauens Fittig fest! Vom Irrflug traͤgt er dich noch heut' in's sichre Nest. 49. Der Finke, der am Weg ein trocknes Koͤrnlein hascht, Hat Kirschen wohl im Lenz, Trauben im Herbst genascht. Er nimmt es wie es kommt, bleibt frisch an Leib und Seele, Nur singt er nicht, und blaß ward ihm das Roth der Kehle. Einst singt er wieder, und sein blasser Hals wird roth, Wann wieder Kirsch' und Traub' ihm gibt sein taͤglich Brod. Auf, schwinge dich, mein Geist, aus diesen Kummerschranken, Wie mit den Fluͤgeln er, mit muthigen Gedanken. 50. Das weiße Grabtuch, das der Schnee auf's Gruͤn gedeckt, Lockert im Lebenstrieb, darunter still erweckt. Und also schwellen mir im Herzen neue Keime, Und also quellen mir aus Schmerzen neue Reime. Das Herz will hoffnungsvoll versuchen noch ein Jahr, Ob es ihm besser sei, als das vergangne war. Das hat am laͤngsten Tag und um die laͤngste Nacht Ein Ungluͤck, jedes ohn' ein gleiches, mir gebracht. Nun bringe dieses mir in lang- und kurzen Tagen, Wenn nicht besondre Lust, doch Ruhe sonder Plagen. 51. Wer in dem Winter stirbt, warum sollt' er nicht sterben, Wo alle Blaͤtter von des Frostes Hauch verderben? Und wer im Sommer stirbt, wo alle Blumen bluͤhn, Wie waͤr' er todt? sein Grab macht Lebenshoffnung gruͤn. Drum wer im Sommer dir und wer im Winter starb, Natur hat einen Trost, Heil dem, der ihn erwarb. 52. Wieder ein Strebender, der hohes wol und vieles Erstrebte, ging dahin, und unerreichten Zieles; Und hat, indem er es verfehlt, erreicht das Ziel, Wie jeder, der mitspielt dies Weltlusttrauerspiel. 53. Ja such' in deines Volks Ruhmtempel nur zu prangen, Wo lebend nicht hinein, im Tod doch, zu gelangen. Daß, wann viel Namen, die nun klingen, sind verklungen, Noch deiner sei genannt von spaͤter Enkel Zungen. Nicht wecken wird dich das, noch stoͤren deine Ruh, Doch Trost und Lohn dir seyn: Noch ruhend wirkest du. Im Tode wirkst du, was du nicht gekonnt im Leben, Zu sittigen die Welt und Herzen zu erheben. 54. Schoͤn ist es uͤberall, ein Stellvertreter seyn, Zu gelten fuͤr die Welt, und nicht fuͤr sich allein. Die vielen gehn dahin, vom Drang des Tags getrieben, Und wo sie gingen, ist nicht ihre Spur geblieben. Stehn bleiben wenige, das Zeugniß nachzutragen Vom Streben ihrer Zeit, wann andre Zeiten tagen. Das sind die Geister auf der Menschheit hoͤchsten Stufen, Bei deren Namen sind die Zeiten aufgerufen. Doch wie ein weit Gebirg am Horizonte sinkt, Und endlich sichtbar nur der hoͤchste Gipfel blinkt; Die vielen Gipfel, die im Ferneduft verschwammen, Sind gleichsam unsichtbar im Einen nun beisammen; So von den Geistern auch wird Einem aufgetragen, Im Namen aller, die hinuntergehn, zu ragen; Und alles sammelt sich, was groß nur ist und schoͤn, Um die am Horizont geblieb'nen Menschheitshoͤhn. 55. Nun hab' ich erst gelernt, daß ich bin Staub und Erden, Da ich, die mich gebar, sah Staub und Erde werden. Da hat das greifliche Gefuͤhl mich erst durchdrungen, Daß ich nichts anders bin, als woraus ich entsprungen. 56. Wie eine lange Nacht die Feldwacht auf dem Posten Ausharret mit Geduld, bis roth es wird im Osten; So vierzehn Tage hab' ich harrend hingebracht, Die alle waren mir nur eine lange Nacht. Nun ist, ich danke Gott, auch diese Nacht voruͤber, Doch reicht ihr Schatten weit noch in den Tag heruͤber. Ach daß gemenget sind, wem sollen wir es klagen, So lange Naͤchte zu so kurzen Lebenstagen! 57. Ein Freund, um irdischen Gewinnstes Opferung Erkauft, ein solcher Kauf ist wohlfeil, scheint's, genung. Doch was man wohlfeil kauft, ist, sagt das Sprichwort, theuer; Was ist ein Freund, den feil muß machen Gab' und Steuer? Drum fein auf deinem Recht besteh', und sei nicht bang; Ein Freund, den das verdrießt, der ist nicht von Belang. 58. Wohl ist's ein suͤß Gefuͤhl, etwas gethan zu haben, Doch schon auch etwas nur gelitten, mag dich laben; Wenn du auch weiter nichts vollbracht, nur hast erfahren, Was deine Fasern auszuhalten faͤhig waren. 59. Dich ruͤhrt auch gar nichts an von all' den Herrlichkeiten, Um welche ruͤhmen sich Weltkinder oder streiten. So wenig aber sie dich ruͤhren, ruͤhrest du Sie wieder, ihr gehoͤrt einander gar nicht zu. Die unverstandne Welt durchirrst du unverstanden, Und bleibest stets allein, wo gleich und gleich sich fanden. Woran sie ihren Theil von Lebensfreude haben, Das ist dir abgethan, gestorben und begraben. Und was vor'm Auge dir steht als ein ernstes Ziel, Gilt ihnen Eitelkeit und muͤßig Thorenspiel. Drum laß sie gehn des Wegs, und aus dem Weg geh' ihnen; Warum zum Aergerniß wollt ihr einander dienen? 60. In meiner Einsamkeit da kann ich ohne Schaden, Wen ich am liebsten will, bei mir zu Gaste laden, — Nicht unvertraͤgliche Gesellschaft so gemischt, Wie streitende Gericht' auf einmal aufgetischt, — Nicht so unleidlicher Gesichter Schofel, Pafel, Womit die Eßlust mir benimmt die Gastwirthstafel, — Nicht Hof- und Staatslivreen, der Uniform Unformen, Von meinem Ideal enorm abnorme Normen; — Die Weisen alter Zeit, die mir vom Ruhm genannten, Und die in Laͤndern weit geahnten, unbekannten; Und alle Lieben mir und Abgeschiedenen; Wie labt das Mienenspiel mich der Zufriedenen! Die Unterhaltung kreis't, die nicht in Pausen stockt, Wie ew'ger Fruͤhlingshauch aus Bluͤthen Bluͤthen lockt. Sie reden nicht, was heut' der Tag zu reden beut, Sie reden, was das Herz der Ewigkeit erfreut, Nicht Spekulation und Aktien-Eisenbahn, Feuerversicherung, Stadtschuldentilgungsplan. Hoch uͤber Qualm und Koth, irdischem Drang und Noth, Am Himmel geht ein Weg durch Morgenabendroth. Und wann ich zugelauscht, und mit darein getauscht Ein Woͤrtchen, schweig' ich satt von Duft und wohlberauscht. Und wie ich winke, gehn beiseit die frommen Schaͤfchen, Und geben gerne Raum mir fuͤr ein Mittagschlaͤfchen. 61. Wie alt ist Gottes Welt? Die Rechnung magst du sparen; Ihr Lebensalter zaͤhlt sich nicht nach tausend Jahren. Wenn Gott ist ewig, muß die Welt auch ewig seyn; Denn Gott ist unser Licht, und Welten dessen Schein. Kein Licht kann seyn, ohn' auch mit Schein sich zu umzirken, Und kein Werkmeister, ohn' ein Meisterwerk zu wirken. Warum muß aber hier sich Gutem Boͤses gatten? Weil, wenn der Schein vom Licht sich trennt, er wird zum Schatten. Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten seyn willst du, So wende nicht dem Licht dich ab, dir selber zu. Dein schoͤnstes Streben sei, dem Lichte zuzuwenden Dich und die Welt, so daß euch nicht die Strahlen blenden. 62. Mag doch aus Neubegier und Lust am Wechsel reisen Die Jugend, treu bleibt gern das Alter seinen Kreisen. Nach fernem Schoͤnen laß dich locken nicht das Sehnen; Zieh es im Geist heran, und schmuͤcke deine Scenen. Dann aber, wann dich nah ein Unertraͤgliches Umdraͤngen will, ein wuͤst und truͤb Alltaͤgliches; Dann, eh' den hellen Sinn der Truͤbsinn dir umgraut, Der Wahnsinn, auf und fort, soweit der Himmel blaut! Und schaue dich nach dem nicht um, dem du entrennst, Du moͤchtest sonst dir nach beschwoͤren das Gespenst. Nicht stille steh, bis du bist weit genug davon, Dann steh, und athme nur, und fuͤhle dich entflohn. Blick um! wie hinter dir in blau Geduͤft die Berge Sich huͤllen, so verhuͤllt die Ferne Gruͤft' und Saͤrge. Und kehrst du wieder ein, so ist der Dunstkreis rein, Und uͤber'm Moder wird das Gras gewachsen seyn. 63. Juͤngst ruͤhrte zwischen Schlaf und Wachen mich ein Schimmer, Ich sah die Meinigen im kerzenhellen Zimmer. Sie trieben ihr Geschaͤft und trieben ihre Spiele, Mich freut' es, wie so froh sie waren und so viele. Doch nebenaus von dem Getriebe war ein Nischchen Gewoͤlbet in der Wand, darin gestellt ein Tischchen. Bei daͤmmerlichem Schein dort saßen zwo Gestalten, Die Jugendliche schlank mit vorgebuͤckter Alten. Die schienen ihr Gespraͤch und ihr Geschaͤft zu treiben Fuͤr sich, doch theilnahmlos umher auch nicht zu bleiben. Ich kannte sie gar wol, es war die schlichte Guͤte Der alten Mutter und der Schwester Jugendbluͤte. Auch wundert' ich mich nicht, wie sie hieher gekommen, Die nacheinander Beid' ein Grab hatt' aufgenommen. So habt ihr nun gemacht die vorgehabte Reise, Und seid, wo ihr gewollt, in meinem Lebenskreise. Dort sitzen sie und sehn still in den Kreis herein, Aus welchem Niemand sie gewahrt als ich allein. Nicht Miene machen sie noch Regung, herzuschreiten, Zufrieden, mit dem Blick von dort uns zu begleiten. Schutzgeistern aͤhnlich, die uns ungesehn umwalten, Und Bildern an der Wand, die ihren Platz behalten. So laͤcheln sie herein, begnuͤgt und unbeklommen, Froh, im Familienkreis zu seyn mitaufgenommen. 64. Johannis 1835. Fruͤhzeitig wardst du in die Schule dieses Lebens Gesandt, und durchgemacht hast du sie nicht vergebens. Jung, jede Pruͤfung hast du ruͤhmlich so bestanden, Daß sie dich wuͤrdig bald zum Weiterruͤcken fanden. Erhebung ohne Stolz, Ergebung ohne Beugniß: Der Schul' entlassen bist du mit dem besten Zeugniß. Du hast viel spaͤter als wir selbst den Gang begonnen, Und unerwartet uns den Vorsprung abgewonnen. Du hast die Hoͤh' erreicht, nach der dich's fruͤh getrieben; Wir sind hier unten auf der Schulbank sitzen blieben. Ein Zeichen, daß wir noch genug gelernt nicht haben, Fuͤr jene Klass', in die sie dir den Zutritt gaben. 65. Neujahr 1836. Und nur durch Eines hast du dich als Kind verrathen, Daß du dem Muͤtterlein nicht konntest lang' entrathen. Ein halbes Jahr ist's nur, daß du bist hingegangen, Und schon hast du sie nachgezogen mit Verlangen. Wie oder hat sie ihr Verlangen nachgezogen? Entgegen sind sich zwei Verlangen nur geflogen. Die deine Mutter war, war sie doch meine auch; Wie haben wir getheilt mit so ungleichem Brauch? Dein Theil ist dort mit ihr zu lachen im Vereine, Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine. Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwoͤhnen, Du jung und schoͤn, um dort mit Palmen sie zu kroͤnen. Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch buͤßest, Daß du den Vater auch und Bruder schoͤn mir gruͤßest. Denn Vater, Bruder auch, sie gingen dir voraus, Und wenig fehlt, so hast du dort dein ganzes Haus. 66. Der Mutter. Wol goͤnnen darf ich's dir, daß du vor mir gegangen, Nicht diesen Schmerz von mir, den ich von dir, empfangen; Daß du mich bleiben sah'st, und ich dich sah verscheiden; Denn seh'n Geliebter Tod ist mehr als eigne Leiden. 67. Gott, der dir manches Leid im langen Leben gab, Und endlich Ausruh dir von allen gab im Grab, Hab' ich gebeten oft, dich nur zu uͤberheben Des einen, daß du mich auch muͤssest uͤberleben. Mit Gott nun hab' ich dir die Augen zugethan, So daß ich, ohne dich zu kraͤnken, sterben kann. 68. O weg von deiner Stirn die Gramumduͤsterung, Von deiner Seel' hinweg die Wahnumfluͤsterung. Was woͤlkst du dich so zu? Wo bist du und wozu? Du bist auf rechtem Weg, geh' deinem Weg froh zu! 69. Was du noch nicht erschwangst, das kannst du noch erschwingen; Und was du schon errangst, laß dir nie mehr entringen. Von solchem Ehrgeiz wo sich laͤßt ein Schuͤler treiben, Der wird der erste bald geworden seyn und bleiben. 70. Das Opferfeuer brennt, das nie erloͤschen darf, Und wir sind's alle, die man drein als Brennstoff warf. Der eine, Weihrauchduft, hinlodernd, leicht und heiter, Und andre schwerere, der Kohle Nahrung, Scheiter. Befeuchtet von dem Gischt des gruͤnen Reisigs zischt Der Brand, der nicht erlischt, vom Windzug angefrischt. Die Flamme laͤuft im Nu von einem andern zu; Und wenn ich bin zur Ruh', kommst an die Reihe du. Laßt uns, wie man uns ruft, verlodern in die Luft, Zum Himmel Opferduft, und Aschen in die Gruft. Aus todter Asche stammt, was lebend wieder flammt. Und Gottes Wolkenzelt ist weben Rauches Amt. Ruͤckert , Lehrgedicht IV. 14 71. Wenn du fuͤr dich allein und deinen Frieden sorgtest; Wozu daß von der Welt du noch die Flitter borgtest? Du haͤttest andres nun und bess'res nicht zu thun Als abzuthun die Welt und still in Gott zu ruhn. Allein dein Streben ist nicht fuͤr dein enges Zelt, Dein Streben ist zugleich fuͤr Gottes weite Welt. Dein heilig Streben sei, das Sinnliche zum Schoͤnen Zu laͤutern, um Geschoͤpf und Schoͤpfung zu versoͤhnen. Loͤs' auf den Widerspruch, gleich' aus den Zahlenbruch, O Geist der Lieb', und wandl' in Segen nun den Fluch. In Zukunfts Furchen wird der Ernte Segen sprossen, Und in das Heil der Welt ist meins miteingeschlossen. 72. Sprich es nicht aus, noch mit Gedanken denk' es aus, Was dir die Seele fuͤllt mit dunkler Ahnung Graus. Genug, daß Todesschreck dem Sinn entgegentritt, Wenn auch die Phantasie ihn nicht zum Voraus litt. Den furchtbar'n Augenblick ertrag, und sei nicht schwach; Nicht bilde dir ihn vor, noch bilde dir ihn nach. Der Wirbel faßt das Schiff, es geht villeicht in Scheiter, Doch, kommt es gluͤcklich durch, so schwimmt es ruhig weiter. 14* 73. Wohl mag es dir Verdruß erwecken oder Bangen, Wenn Irrthum so sich gibt fuͤr Wahrheit unbefangen. Denn wie erkennst du, daß dich lauter Wahrheit saͤugt, Wenn auch der Irrthum von sich selbst ist uͤberzeugt? Gewiß wird euern Streit einmal die Zeit entscheiden; Allein zu jener Zeit, wo seid ihr dann, ihr Beiden? Doch wenn die Wahrheit dir mehr gilt, als Recht zu haben, So troͤste dich und stirb! denn sie wird nicht begraben. 74. Nicht minder als verstehn, will man verstanden seyn; Wie selten aber ist von beiden der Verein! Doch koͤnnen zwei sich schon vertragen, die sich fanden, Wenn von dem einen nur der andre wird verstanden. Der eine fuͤhlt sich klug, den andern zu verstehn; Dem andern ist's genug, verstanden sich zu sehn. 75. Die Welt ohn' Arbeit waͤr' ein Freudenaufenthalt, Und mit der Arbeit ist sie eine Strafanstalt. Wie mit dem Paradies die Freiheit ward verloren, So wird sie wieder mit dem Paradies geboren. Wann selbst die Element' erst dienstbar sich bequemen, Dem freien Menschen ganz die Arbeit abzunehmen, Dann ist, daß sie dem Wink des Zauberstabes dienen, Der Menschengeist nur noch der Lenker der Maschinen. Drum ringt nur muthig loszuloͤthen eure Fessel, Um aufzuklimmen zum verlornen Herrschaftsessel; Wenn erst der Arbeit ihr zum eignen Heil entbehren Lernt, und zu Lenkern taugt aus Sklaven der Galeeren. 76. Welch eine Sprach' ist schoͤn? Welch eine Sprach' ist reich? Verschieden an Getoͤn, im Sinn sind alle gleich. Nicht dies' und jene Sprach' entzuͤckt, erfreuet mich; Was mich erfreut, entzuͤckt, das ist die Sprach' an sich: Daß eine Sprach' es gibt, die, was du fuͤhlst und denkest, Dir deutlich macht, jemehr du dich in sie versenkest; Daß eine Sprach' es gibt, kraft deren du verkuͤndest Der Welt geheimen Sinn, so weit du sie ergruͤndest: Drum ist die schoͤnste Sprach' und beste, die du nennst Die Muttersprache, weil du sie am besten kennst. 77. In bessern Zeiten war die Poesie im Frieden Mit Prosa, weil Gebiet war von Gebiet geschieden. Mit Kunst und Weisheit wollt' in ihren eignen Grenzen Sich jede ruͤnden, und mit eigner Schoͤnheit glaͤnzen. Ohn' etwas von dem Gut der Nachbarin genommen Zu haben, jede hielt auf ihr's und war vollkommen. Was hat sie nun bethoͤrt, den Haushalt so verstoͤrt, Daß keine recht mehr weiß, was recht ihr angehoͤrt? Anmaßend haben sie begonnen auszuschweifen, Und jede will in's Reich der andern uͤbergreifen. Daraus entstanden ist Grenzstreitigkeit und Irrung, Und draußen uͤberhand und drinnen nimmt Verwirrung. Was eignes keine mehr will keiner mehr erlauben; Wie eine was erwarb, wird ihr's die andre rauben. Daraus entbluͤhn nun hie trostlose Zwitter, wie Poetische Prosa und prosaische Poesie. Und der sie ruͤgt, mein Ton, bist du nicht auch ein Zwitter? Aus zweien nicht gemischt, einst du die zwei als dritter. 78. Wie kommt es, da du doch gern hoͤrst das Wasser rauschen, Die Luͤfte fluͤstern und die Zweige Gruͤße tauschen; Wie kommt es, da du gern die unverstandnen Lieder Des Vogels hoͤrst, daß dir ist dieses Lied zuwider? Ist kein Verstand darin, betracht' als Klang es nur, Und nimm es eben auch als Stimme der Natur. — Gern hoͤr' ich die Natur in allen Stimmen reden, Und fuͤhle jeden Ton, versteh' ich auch nicht jeden. Doch das ist eine Pein, was klingt wie Voͤgelein, Flut, Luft und Zweig, und will doch Menschensprache seyn. 79. Das Allgemeine zum Besondern zu gestalten, Zum Allgemeinen auch Besondres zu entfalten; Das ist die Kunst, dein Ich weltguͤltig auszupraͤgen, Und den Gehalt der Welt dir richtig zuzuwaͤgen. 80. Wenn du ergreifen kannst des Augenblickes Stimmung, Die Woge des Gefuͤhls anhalten in der Schwimmung, Und uͤber alles was dich regt und uͤbermannt, Das zauberkraͤftige Wort aussprechen das es bannt; Dann magst du frohbewußt den Augenblick entlassen, Begluͤckt, in Schmerz und Lust dich selber zu erfassen. 81. Bewiesen hat ein Freund von Geisterseherei, Daß jeder Dichter auch ein Geisterseher sei. Fuͤr einen Dichter hab' ich mich bisher gehalten, Und wohl hab' ich geseh'n auch geistige Gestalten. Doch Geister, was die Herrn mit ihren Geistern meinen, Nie sah ich einen Geist, und will auch nie seh'n einen. Entweder bin ich denn kein Dichter, seh' ich ein, Oder ein Dichter muß kein Geisterseher seyn. 82. Umsonst ereiferst du dich gegen etwas heftig, Das todt fuͤr dich, doch fuͤr die Welt ist zauberkraͤftig. Ein Wirkliches ist da, das Wirkungen verkuͤnden, Nicht laͤugnen magst du es, nur suchen zu ergruͤnden. Ob es ein weißer nun, ob schwarzer Zauber sei, Begreifen mußt du ihn, so bist du zauberfrei. 83. Sieh, wie der Schieferstift auf Schiefertafeln geht, Sodaß die graue Schrift auf schwarzem Grunde steht; Die Tafel und der Stift, sind sie nicht gleichentstammt? Doch wie ist ihr Beruf verschieden und ihr Amt! Doch wirken beide, wie sie gleichem Grund entstammen, Verschieden wirkend, auch zu gleichem Werk zusammen. Und in der Schrift ist Stift und Tafel nicht zu scheiden; Das Lamm ist wie die Trift, und eins ist Thun und Leiden. Du trag, ob du der Stift, ob magst die Tafel seyn, Das Deine bei zur Schrift, daß sie sei schoͤn und fein.