Hesperus , oder 45 Hundsposttage . Eine Biographie von Jean Paul . Drittes Heftlein . Berlin 1795. In Karl Matzdorffs Buchhandlung. Druckfehler des 3ten Heftleins von Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Seite 4 Zeile 5 von oben muß und weg. — 5 — 1 von oben st. nicht l. nicht auf ; — 9 — 2 von unten st. Patner l. Platner — 10 — 1 von oben st. Das l. das — 42 — 9 von oben st. ihr l. Ihr — 43 — 6 von oben st. jede l. jedes — 46 — 8 von oben st. aufliegendem l. auffliegendem — 47 letzte Zeile st. falscher. Dies l. falscher Dieb — 48 — 3 von oben st. Vorstellungen l. Verstellungen — 62 — 10 von unten st. aneinandergedruͤckten l. aneinan¬ dergeruͤckten — 69 — 11 von unten st. jeden l. unter — 73 — 2 von oben st. mit. l. mir - - - — 82 — 8 von oben streiche an weg. — 87 — 5 von unten statt Wildprets-Fumel l. Wildprets¬ Fumet — 97 — 7 von unten st. Reichen l. Reiche — 98 — 12 von oben st. deutsche l. Deutsche — 100 — 8 von oben nach anstatt setze dazu: es — 105 — 5 von unten st. Weinstein l. Weidstein — 108 — 15 von oben st. sagt l. saͤgt — 109 — 12 von oben st. . . . . setze: . . — 113 — 7 von oben st. dreimaͤchtigen l. dreimahtigen — 145 — 13 von unten st. ein l. sein — 147 — 3 von oben st. ihr l. ihn — 167 — 4 von oben noch » Paradieses « fehlt » der Re¬ genbogen — 168 — 14 von oben st. spielend l. spielende — 177 — 6 von oben st. die schon I. schon die — 228 — 10 von oben st. diese l. die — 291 — 9 von oben streiche der Seele weg. — 306 — 15 von oben st. das l. dem — 318 — 7 von unten st. Gruͤn l. Grimm — 339 — 2 von unten st. Genius l. Genus — 349 — 4 von unten st. Freunde l. Freundin . — 350 — 7 von unten st. vergeht l. zergeht — 367 — 16 von oben st. Seite l. Seide — 398 — 9 von unten st. Fabrikant l. Febrikant — 424 — 5 von oben st. vergnuͤgen l. verjuͤngen — 425 — 1 von oben st. weisser l. weissen Dritter Theil. Hesperus . III Th . A Vorrede zum dritten Heftlein. D a jetzt auch der Schalttag in die Vorrede einfaͤllt und er noch dazu beim Anfangsbuchsta¬ ben V anfaͤngt; so koͤnnen ja beide ungemein gluͤcklich mit einander abgefertigt werden. Siebenter Schalttag. Ende des Registers der Extra-Schöslinge. U. V. U nempfindlichkeit der Le s er — Vorrede . Es gab gluͤckliche Zeiten, wo man von seinem Ne¬ benwilden und Naͤchsten nichts zu befahren hatte als todtgeschlagen zu werden — wo nur der Hagel der Knutenmeister der Haut war, anstatt daß jetzt der A 2 Passatwind des Visitenfaͤchers fuͤr uns eine Winds¬ braut ist und der kuͤhle Athem uͤber die Theetasse heruͤber ein Seewind — wo man weniger am Kum¬ mer des andern Antheil nahm als an seinem Fraße — wo die Damen und die Herren in Baͤrenhaͤuten mit nichts verwundeten (mit Blicken, Reizen, Locken am allerwenigsten) mit nichts als mit Keulen und wo sie sich zwar so gut wie heute und morgen des Herzens eines ehrlichen Mannes bemaͤchtigten, aber doch nur so, daß sie den Inhaber desselben vorher auf einen Altar hinstreckten und ordentlich abschlachte¬ ten, eh' sie ihm den Himmelsglobus aus dem Brust¬ gehaͤuse ausschnitten. — — Um diese Zeiten sind wir nun alle gebracht: in den jetzigen siehts schlecht aus. Beim Himmel, man hat ja nicht viel weniger als Alles vonnoͤthen, um gluͤcklich, und nicht viel mehr als Nichts, um un¬ gluͤcklich zu seyn — zu jenem braucht man eine Sonne, zu diesem ein Sonnenstaͤubgen! — Gut waͤ¬ ren wir daran und große Zimmer im Luftschloß mon répos am Rhein haͤtten wir innen, wenn es uns vom Schicksal bescheeret waͤre, daß wir etwan so viele Foltern erlitten wie die Juristen haben, naͤm¬ lich drei — nicht mehr Plagen als die Aegypter tru¬ gen, naͤmlich sieben — nicht mehr Verfolgungen als die ersten Christen ausstanden, naͤmlich zehn. Aber auf solche Gluͤcks-Ziehungen sieht ein Mann von Verstand gar nicht; wenigstens verspricht sich solche Treffer einer nicht, der sich wie ich hinsetzt und erwaͤgt unsre Kolibrimaͤgen — unsere weiche Raupenhaut — unser klingendes Gehoͤr — unsere Selbstzuͤnder von Augen — und unsere culs de Paris , die nicht von einem umgestuͤlpten Rosenblatt sondern schon vom Schatten eines Dornes gestochen werden — und unsern Teint, der ohne ein Paraluͤne schwarz wuͤrde im Mondenschein. . . . . . Und doch hab' ich in diese Rechnung unserer Leiden — weil ich mit Fleiß darauf ausbin, sie kleiner zu machen — noch mit keinem Worte ganz andere, ganz verdammte Po¬ sten gebracht, sondern z. B. den Reichthum voͤllig ausgelassen, dieses Schmerzengeld so vieler tausend Schrammen und Exfoliarionen der Brust, und uͤber¬ haupt Millionen Seelenwunden, die unser durchloͤ¬ chertes Ich ganz durchsichtig machen wuͤrden, waͤr' es nicht zum Gluͤck ganz bis auf den Fuß in engli¬ sches Taftpflaster gekleidet. . . . Aber ich ließ das weg, weil ich wußte, es waͤre doch so gut wie nichts, wenn ich's gegen ein ganz anderes Fegfeuer und Ge¬ witter hielte, in das vorzuͤglich wir Mannspersonen geworfen werden, wenn wir so ungluͤcklich sind, daß wir uns selber kielholen — naͤmlich uns verlieben, welches meines wenigen Erachtens ein geringer Vorschmack der Hoͤlle ist so wie des Himmels. Die beste Peereß in diesem Fache schreib' an mich und kouvertir' es postfrei an die Matzdorfsche Verlagshand¬ lung in Berlin und nenne sich mir‚ wenn sie faͤhig war‚ ihren armen Pastor fido nicht zu schinden und zu spiessen‚ noch mit Zwickelurtheln zu verfolgen‚ noch ihm mit den Kompressionsmaschinen der Haͤnde sein Herz voll komplizirter Frakturen‚ mit der Faͤcher-Bastonade seinen Kopf voll Fissuren mit den Augen die Brust voll Brandblasen zu machen und ihm wie dem Rauchtabak mit Thraͤnen eine Baize zu geben. . . . Wenigstens komm' ich selber gegenwaͤrtig gerade aus einem solchen Zucht- und Hazhaus heraus und seh' erbaͤrmlich aus in meiner Haut‚ als haͤtt' ich eine skalpirte um mich geschlagen. Wir wollen nichts weiter davon reden. Meine Absicht bei allem ist‚ den Leser standhaft zu machen‚ weil ein ganz neues Regengestirn‚ das ich gar nicht nahmhaft gemacht, fuͤr ihn herauf steigt, um ihn einzuschneien. Das tobet aͤrger als alles Vorige. Ich meine so, ein Reichsbuͤrger kann schon mit Allem zu Rande seyn — seine Kasse und seine Feinde koͤnnen schon gestuͤrzt und seine Arbeiten vom Publi¬ kum oder vom Kollegio recht gut aufgenommen — seine Fristgesuche bewilligt und die Quinquennels seiner Schuldner abgeschlagen worden seyn — seine juͤngste Tochter, die wie die aͤlteste des Bruders des franzoͤsischen Koͤnigs, Mademoiselle heisset, kann schon die Blattern uͤberstanden haben und die Ver¬ lobung nachher: es hilft ihm wenig, das Aergste, eine ganze Gehenna erwartet ihn noch — im Buͤ¬ cherbrett; denn dort koͤnnen die schoͤnen Geister, er habe immer schon alle bittere Salze des Geschicks hinunter geschluckt, unter dem Namen Romanen- Manna ein hartes Thraͤnenbrod ihm vorgeschnitten haben, das ich fuͤr meine Person weder backen noch kaͤuen moͤchte — warlich sie koͤnnen (in einer andern Metapher) Todtenmaͤrsche und Maestosen und Semi¬ tonien fuͤr ihn komponirt und bereit gelegt haben, die ihn ganz niederwerfen und ihm warm machen, daß ihm die Augen uͤbergehen. Und zum Ungluͤck zeichnen sich gerade warmbluͤ¬ tige und weichhaͤutige herrliche Maͤnner am wenig¬ sten durch standhaftes maͤßigendes Ertragen der poe¬ tischen Leiden aus, die ihnen Autoren zuschicken. Ich kann daher diesen dritten Heft, der zu leicht ruͤhret, unmoͤglich ohne alle Vorrede als eine Wider¬ lage lassen, wenn ich nicht selber Ursache seyn will, daß unschuldige Menschen bei den besten Szenen die¬ ses Hefts weinen und mit leiden. Solche zu weiche Menschen, denen die Natur die aͤsthetische Apathie gegen große Leidensfaͤlle in Tragoͤdien und Romanen versagt hat, sollten sich — sie muͤßten denn fett seyn; denn Fetten thut der Kummer gut wie Hun¬ gerkur und Hoͤllenstein — diese sollten sich durch Philosophie kalt machen und bewafnen gegen den tragischen Dichter; sie sollten sich unter dem Lesen eines großen Jammers troͤsten und sagen: »wie lange »dauert ein solches gedrucktes Ungluͤck? — Wie bald »ist ein Buch und Leben hinaus — Morgen denkst »du doch anders — Der ungluͤckliche Zustand, in »den ich durch Shakespear hier gebracht werde, »existirt ja nur in meiner Vorstellung und der »Schmerz daruͤber ist ja, nach den Stoikern, nur »Illusion — Man muß, sagt Epiktet im Handbuch, »das nicht bejammern, was nicht in unserem Willen »liegt und hier die traurige Szene von Klopstock ist »ja ein aͤusseres Ding, das du nicht aͤndern kannst »— Willst du dich von einem Nordamerikaner, »vom Halloren, vom Poͤbel, vom Cretin aus Gex »beschaͤmen lassen, der diese ganze Szene aus Goͤthe's »Tasso still und gelassen aushielte, ohne ein Auge »naß zu machen?« — Ich betheur' es den Lesern, daß ich hier nur ge¬ gen ihre Weiber und Schwestern zu Felde liege: denn unter den Lesern fehlten standhafte Zuschauer aͤsthetischer Leiden niemals ganz und noch weniger als selber unter dem Poͤbel und ich moͤchte am we¬ nigsten den Schein haben als stritt' ich dem groͤßern Theile der Geschaͤftsleute, der Rezensenten, Krimina¬ listen, und Hollaͤnder große Gelassenheit unter dem Lesen uͤberflorter truͤber Szenen ab, die ich und an¬ dere in die Presse geben. Ich berede mich vielmehr gern, daß — wenn jemals Hofnung dazu war — es gerade jetzt ist, wo der Deutsche jenen belgischen Stoizismus, jene edle Unempfindlichkeit anzunehmen verspricht, die ihn so ziert und durch die er gegen Melpomenens Dolch schuß- und stichfest wird und in Dante's Hoͤlle, wie Christus in der wahren, ohne Leiden ist. Wir hatten zwar nie die Empfindlichkeit der Franzosen und ihr Racine waͤre immer fuͤr uns ein kurzweiliger Rath gewesen; aber jetzt sind wir, wenn's ein Verfasser nicht gar zu kraus macht und nicht gar zu viele Schlachtfelder und Kelche mit Maͤusegift und Rabensteine vorschiebt — denn das greift uns an — sondern wenn er nur so halb auf¬ geraͤumt — ich seh' ihn ordentlich reiten — auf ei¬ nem Trauerpferde daher setzt und mit der einen Hand eine Todtenglocke schuͤttelt und mit der an¬ dern einen Leichenmarschals-Stab Wehe schwenkt; oder wenn er vollends nur die unsichtbaren zugequol¬ lenen Stichwunden der zaͤrtern feinern Seele vor¬ zeichnet: da sind wir jetzt schon im Stande, unsere lustige Lanne zu behaupten und zu zeigen, was der Deutsche ertraͤgt. Leute von geringerer Kraft schla¬ fen wenigstens, damit sie bei einer Goͤtheschen Iphigenie nicht leiden , weil der Schlaf Lei¬ dende aufrichtet: oder wir vergessen solche Elegien gar, weil wir nach Patner kein Gedaͤchtniß fuͤr Schmerzen haben und weil die Vergessenheit — wie ein Fuͤrst schrieb — Das einzige Heilmittel der Schmerzen ist, oder der Himmel schenkt uns, wie nach Leid, Freude, nach einer Messiade (wovon uns eine gute Travestirung anzuwuͤnschen waͤre) eine blu¬ mauerische Parodie, woruͤber wir die vorige Epopee leicht vergessen koͤnnen. W. Weiber. . Ihr holden weichen Fruͤhlingsblumen und Enge. Absenker neben uns harten Winterkohl¬ struͤnken, ich habe ja schon im vorigen Buchstaben eurer gedacht und eurer Weichheit im Gegensatz der deut¬ schen Strengfluͤßigkeit ! Was soll ich weiter sagen als daß ihr, sobald ihr gut seid, es im hoͤch¬ sten Grade seid und daß ihr und das englische Zinn einerlei Stempel habt — naͤmlich die Figur eines Engels? — X siehe IKS — Y siehe I — Z siehe T S. Tz. Spitz . Der arme Spitz will so gut in Vor¬ reden unter Extra-Schoͤslinge wie sein Herr und koͤmmt gerade recht mit dem 29ten Kapitel. Ich kann stundenlang mit Spitzhunden reden wie Yorik mit Eseln. Ich will jetzt den Goͤtterboten auf die Hinterfuͤße stellen und an den vordern halten, damit er mir aufgerichtet zuhoͤrt. — — »Steh, leichte »Bestie! — Ich rede nur mit dir uͤber etwas, da¬ »mit ich dich in die dritte Vorrede setzen kann. Es »verdient, Spitz, bemerkt zu werden, daß du ein »Schelm bist wie Menschen und gleich ihnen nicht » gerade , sondern gekruͤmmt und niedergebuͤckt »verbleiben willst, bloß um recht zu fressen: du und »sie wollen wie Pharokarten durch Beugen und » Kruͤmmen gewinnen, wie die gemeinen Englaͤn¬ »der ihre schlechten Silbermuͤnzen kruͤmmen , da¬ »mit sie nicht fuͤr weniger ausgegeben werden, naͤm¬ »lich zwei fuͤr eine. — Du hast falsche Augen, aber »du handelst doch gut. — Die Rezensenten, unge¬ »duldiges Vieh, sagen, wenn sie an deiner Stelle »waͤren, sie wuͤrden das biographische Bauzeug flei¬ »ßiger zutragen, damit die Biographie aus waͤre eh' »es schneiet — Setze ihnen nicht entgegen, daß ich's »wie Baronius machen koͤnnte, der seine Anna¬ »len ohne Bart angefangen und mit einem grauen »ausgemacht — Das koͤnnen ihm nur Rezensenten »(ich aber nicht) nachthun, die Zeit haben zu feilen »und die ein Werk unbaͤrtig anfangen koͤnnen am »Rasiertage und erst drei Tage darauf vollenden, »wenn sie eingeseift sind. — — Fall' nur nieder, »Hofmann, und friß: du bist wenigstens nicht ohne »allen Verstand und giebst doch mehr auf das Har¬ »anguiren Acht als ein Dauphin-Foͤtus und wedelst »doch, aber der Foͤtus nicht — Ich habe nun mit »ganz andern Leuten zu sprechen und die wenigsten »wedeln, Spitz!« Jean Paul. 29. Hundsposttag. Bekehrung — Villetdoux der Uhr — Florhut. D es Morgens ging Klotilde nach ihrer Pappelinsel ab, und Mittags Viktor nach seinem pontinischen Sumpf — beide mit einer Entfernung zufrieden, die sie wuͤrdig machte, eine Vereinigung zu genießen. Das erste was der Hofmedikus in Flachsenfingen vornahm, war — daß er nachsann oder vielmehr nachempfand. Der Mensch ist der Doppelspaht der Zeit, der alle Szenen zweimal neben einander zeigt. Die Erinnerung fing in ihrem Spiegel noch einmal den Mondschein der letzten Nacht und die Engel auf, die darin schwebten und kehrte den Spiegel mit diesem Schimmer, mit dieser Perspektive meinem Viktor zu. Er uͤberdachte jetzt Klotildens bisheri¬ ges Betragen, aus dem er — und ich hoffe, mein Leser — die Zuͤge der reinsten Liebe, die nur mit einem Auge aus dem Schleier blickt, neben den Zuͤ¬ gen einer entschiedenen Herrschaft der weiblichen Ge¬ fuͤhle uͤber die weiblichen Wuͤnsche entdeckte. Sie koͤmmt den ersten Mai aus Maienthal mit einem weinenden Herzen, das von einer Todten abgerissen offen noch fortblutet. — Der Schuͤler Emanuels be¬ gegnet ihr und sie eilet wieder zum Grabe zuruͤck, um dort mit den Thraͤnen der Trauer ihre erste Lie¬ be auszuloͤschen. — Aber Emanuel theilte dieser Lie¬ be sein heiliges Feuer mit durch die seinige, durch sein Lob des Geliebten, durch den schoͤnen Brief voll keimender Liebe, den dieser am Geburtsfeste des 4ten Maies an ihn geschrieben. — Sie kehrt unge¬ heilet gegen die Zeit seiner nahen Abreise zuruͤck. — Aber ihr guter Emanuel druͤckt freundschaftlich-grau¬ sam das Bild, das ihr das Herz zu enge macht, tie¬ fer in die Wunden desselben hinein, indem er ihr Viktors Leben in Maienthal und das Gestaͤndniß be¬ richtet, daß er sie liebe. — Vitor schweigt vor ihr, aber sie glaubt, er thu' es, weil er von seinem Vater keine Erlaubniß habe, mit ihr uͤber Flamins Verwandschaft zu reden. — Er geht an den Hof und scheint sie zu vergessen, ja er legt ihr die Ketten des Hofamts um, die doch wie er weis ihre Seele blutig druͤcken. — Ihre El¬ tern noͤthigten ihr, um sie auszuforschen oder um ihrem geheimen Werber Matthieu mit ihrer weibli¬ chen Verschleierung zu schmeicheln, durch eine ty¬ rannische Frage das ungluͤckliche Nein ab, das ihren Bruder taͤuscht und ihren Freund entfernt — Vik¬ tor weicht an ihrem Geburtstage aus dem Garten, ohne sie anzureden, besucht darauf ihre Eltern wie¬ der und ist ganz erkaltet. — Nun hoͤrt sie nichts mehr von ihm als hoͤchstens Berichte seiner hoͤfischen Freuden und seiner Besuche bei Joachimen — — — Ja, du Gute, da mußten ja im Kampfe mit Wuͤn¬ schen und mit Sorgen, im kranken Lechzen nach der geliebten Seele, da mußten ja alle deine Freuden ein¬ schlafen und deine Hoffnungen aussterben und deine unschuldigen Wangen erblassen. — — Da nun Vik¬ tor so diese truͤbe Vergangenheit durchdachte und sich erinnerte, wie ihr im Schauspielhause, wo er ihr seine Wissenschaft um ihre Verschwisterung zeig¬ te, die letzte Bluͤte der Wange, der letzte Zweig der Hoffnung wegbrach, weil sie sein bisheriges Schweigen fuͤr ein von seinem Vater befohlnes hal¬ ten konnte. — Und da alle diese Zuͤge in eine Him¬ melskoͤnigin zusammenliefen, vor welcher das Nie¬ derknien leichter als das Umarmen ist. — Und da er weiter bedachte, daß dieses edle von einem Emanuel verschoͤnerte, und eines Emanuels wuͤrdige Herz sich doch mit allen seinen Himmeln dem wankelmuͤthigen Herzen des Schuͤlers ergab — und daß der Guten nicht einmal dieser bescheidene Wunsch gelang — daß das Schicksal die Bluͤte ihrer Liebe wie die ei¬ ner Rosenstaude aufschob durch Verpflanzung, durch Setzen in Schatten, durch Beschneiden der Knospen im Fruͤhjahr und Herbst . — Und da er sah, daß gleichwol diese Edle mit dem Finger auf dem Mun¬ de, mit der Hand auf dem truͤben Herzen, ohne ei¬ nen Wink ihres Grams geschieden waͤre nach Maien¬ thal, und daß die moralische Kaͤlte diese Blume, wie die physische die andern, erhob aber ihr da¬ durch die Wurzeln des Lebens abriß — und da end¬ lich sein Traum am dritten Osterfeiertag, wo ihm vorkam als saͤh' er sie auf einem lichten Nebel sin¬ gend aus der Erde steigen, wie eine große Regen¬ wolke voruͤberging und da der Traum mit ihrem er¬ blaßten Kolorit vor seiner schmachtenden warmen Seele stille stand, und da eine Stimme aus dem Traum ihn fragte: »wirst du sie lange lieben, da »sich Engel nach ihr sehnen und sie aus dem Kum¬ »mer heben und dir nichts lassen als das Grab des »zu lang verkannten Herzens?» — — da alle diese Gedanken gluͤhend und aneinandergereihet wie Huͤ¬ gelketten von rothen Abendwolken um seine Seele zogen: So wurde sein Herz wie ein Altar durch ein vom Himmel fallendes Opferfeuer bedeckt und alle seine erdigten Luͤste, alle seine Fettflecken vergingen in diesem Feuer — kurz, er beschloß, sich zu bessern, um durch Tugend wuͤrdig zu seyn einer Tugend¬ haften. Er bekehrte sich den 3ten April 1793 gegen Abend als der Mond — und die Erde — unter seinem Fuͤßen im Nadir waren. — Der Leser kann uͤber diesen Chronometer gelacht haben; aber jeder Mensch, an dem die Tugend et¬ was hoͤheres ist als ein zufaͤlliger Wasserast und Holztrieb, muß die Stunde sagen koͤnnen, worin je¬ ne die Hamadryade seines Innern wurde — welches die Theologen Bekehrung und die Herrhuter Durch¬ bruch nennen. Wie soll die Zeit nicht unsre geisti¬ gen Empfindungen abmarken, da ja blos diese jene abstecken? Es giebt — oder koͤmmt' — in jedem mehr so¬ larischen als planetarischen Menschen eine hohe Stunde, wo sich sein Herz unter gewaltsamen Be¬ wegungen und schmerzlichen Losreißungen, endlich durch eine Erhebung ploͤtzlich umwendet gegen die Tugend, in jenem unbegreiflichen Uebergang, wie der ist, wenn sich der Mensch von einem Glaubens¬ system auf einmal zum andern, oder vom hoͤchsten Punkte des Grolls schnell zu einer zerschmelzenden Vergebung aller Fehler hinuͤberhebt — jene hohe Stunde, die Geburtsstunde des tugendhaften Lebens, ist auch die suͤsseste desselben, weil jetzt dem Men¬ schen ist als waͤre ihm der druͤckende Koͤrper abge¬ nommen, weil er die Wonne genießet, keine Wi¬ derspruͤche in sich zu fuͤhlen, weil alle seine Ket¬ ten ten fallen, weil er nichts mehr fuͤrchtet im schauerlich-erhabnen Universum. — Der Anblick ist groß, wenn der Engel im Menschen gebohren wird, wenn alsdann am Horizont der Erde die zweite Welt aufsteigt, und wenn die ganze Sonnenwaͤrme der Tugend durch keine Wolken mehr auf das Herz faͤllt. — Aber der arme Mensch, der gebundne in Blut versunkne, von Fleisch umfaßte Mensch empfindet bald den Unterschied zwischen seinen Entzuͤckungen und seinen Kraͤften; er, der das gelobte Land er¬ kaͤmpfen wollte, da ihm die Trauben desselben ent¬ gegen kamen, stockt, da er gegen dessen Riesen zie¬ hen soll (gegen die Leidenschaften.) Gleichwol ver¬ werf' ich nicht einmal die Uebertreibung jenes En¬ thusiasmus: der Mensch muß wie Gebaͤude in die Hoͤhe geschraubt werden um reparirt zu wer¬ den; ein Syllogismus graͤbt die Blutstroͤme unserer Begierden nicht ab. Es ist sonderbar, daß der Teufel in uns allein das Recht haben soll, das Blut, die Nerven, die Getraͤnke, die Leidenschaften zu seinen Kriegsoperazionen und fuͤr seine Reichs¬ kasse zu verwenden, der Engel aber soll's nicht. .. Indessen ist's so: die Menschen sind lasterhaft, weil sie die Tugend fuͤr zu schwer ansehen, und sie werden's wieder, weil sie sie fuͤr zu leicht hielten. Nicht die Vernunft (d. h. das Gewissen) macht uns Hesperus. III . Th. B gut, sie ist der ausgestreckte hoͤltzerne Arm am Wege der Tugend; aber dieser Arm kann uns weder hin¬ tragen noch hindraͤngen — die Vernunft hat die ge¬ setzgebende, nicht die ausuͤbende Gewalt. — Die Kraft, diese Befehle zu lieben, die noch groͤßere, sich ihnen zu ergeben, ist ein zweites Gewissen ne¬ ben dem ersten — wie Kant nicht das mit Dinte signiren kann, was den Menschen schlimm macht, so ist auch das nicht darzustellen, was sein Herz uͤber dem moralischen Kothe aufrecht erhaͤlt oder aus diesem erhebt. — Wer erklaͤrt es, wenn es Menschen giebt, die von Jugend aus ein gewisses Gefuͤhl von Ehre entweder besi¬ tzen oder entbehren — im weiblichen Geschlecht ist diese Abtheilung noch schroffer und wichtiger — wenn es Menschen giebt, die von Jugend auf eine gewisse Sehnsucht nach dem Ueberirdischen, nach der Reli¬ gion, nach dem Edleren im Menschen, (und nach Systemen, die dieses Edlere besiegeln, nicht bestrei¬ ten) entweder empfinden oder ewig entrathen? — — (Bei Kindern ist warmes Gefuͤhl fuͤr die Religion immer ein Zeichen des Genies). Der Mensch wird nicht gut (obwohl besser), weil er sich bekehrt, son¬ dern er bekehrt sich weil er gut ist. Waͤre die Tugend nichts wie Stoizismus: so waͤre sie ein bloßes Kind der Vernunft, deren Pfle¬ getochter sie hoͤchstens ist. Der Stoizismus stellt die Tugend so nuͤtzlich, so vernuͤnftig dar, daß sie nichts weiter ist als ein Schluß: man hat bei ihr nichts zu uͤberwinden als Irrthuͤmer. — Da sie (nach ihm) nicht das hoͤchste sondern das einzige Gut ist; da alle Begierden nach ihm auf ein leeres Nichts los¬ gehen: so ist Tugend kein Verdienst, sondern eine Nothwendigkeit. Z. B. wenn es nichts hassenswer¬ thes giebt: so ist der Sieg uͤber den Zorn und die Liebe gegen den Feind nicht schwerer oder verdienst¬ licher als die gegen den Freund, sondern einerlei. Was hat denn der Stoiker der Tugend nach sei¬ ner Meinung aufzuopfern als Vexirguͤter, Luft¬ schloͤßer und Fieberbilder? — Gleichwohl thut der Stoizismus der Tugend, wie die Kritik dem Genie, negative Dienste — die stoische Erkaͤltung treibt keinen Fruͤhling heraus, aber sie richtet die Insekten hin, die ihn zernagen — der stoische Winter nimmt wie der physische, die Pest hinweg eh' die waͤr¬ mern Monate kommen, die neues Leben rei¬ chen. . . . Obgleich Viktor sagte: »Du Theure, kein »Herz kann rein, still, zart und groß genug fuͤr dei¬ »nes seyn, aber das schwache, das du erduldest, wird »an deinem sich heiligen und koͤmmt gebessert zu »dir:» so war doch die bloße Liebe die Quelle seiner Tugend, sondern umgekehrt konnte nur Tu¬ gend sich durch eine solche Liebe offenbaren. Aber B2 auch ohne das wird eine halb eigennuͤtzige Sinnes¬ aͤnderung durch Handeln zur uneigennuͤtzigen, wie die Liebe, die von der Schoͤnheit des Gesichts an¬ faͤngt, sich zuletzt in Liebe fuͤr Schoͤnheit der Seele veredelt. Die Absonderung von Klotilden gab ihm jetzt durch den Gedanken Freude, daß er dadurch die ei¬ fersuͤchtigen Irrthuͤmer ihres Bruders schone. Die Simultanliebe ruͤckte jetzt der Freundschaft gegen die bessern Weiber zu, und der Toleranz gegen die schlimmern. Er hob seine satirische Intoleranz — die aber nicht halb so groß war wie die junger schriftstellerischer Spasvoͤgel — durch eigne Tole¬ ranzmandate auf. Er las Gullivers letzte Reise ins Pferdeland als Rezept gegen Luͤgen, wenn man an den Hof geht. Sein Kubach und Schatzkaͤstlein und sein collegium pietatis bestand aus drei unaͤhnlichen Baͤnden: Kant, Jakobi Verfasser des Woldemars. , und Epiktet. Ich wollt' aber, er machte sich nicht laͤcherlich. Von einem Manne, der neun Monate am Hofe ge¬ wesen, war man schon zu erwarten berechtigt, daß er sich anders benehmen und gegen jene Gleichheit der Staͤnde und der Laster nicht verstoßen werde, da die Menschen die Suͤnden am besten gemeinschaft¬ lich veruͤben, wie in den schweizerischen Kirchen die Zuhoͤrer gemeinschaftlich husten oder die Rekruten eines Transports zugleich pissen muͤssen. Wenig¬ stens verraͤth es den Mann von Lebensart nicht, seine Liebe gegen seine Ehefrau oder gegen seine Re¬ ligion andern zu zeigen. — Ich komme wieder zur Historie: Viktor beschloß, lauter Visiten zu machen, die ihn aͤrgerten. Der boͤse Geist der im Menschen all¬ zeit wie die juͤngsten Raͤthe zuerst votirt, machte die Mozion »er solle Joachimen den kleinen Irrwahn, »daß er sie lieb, lassen, » — als das nicht durch¬ ging, nahm der Filou eine andere Stimme an und schlug damit vor: »er sollte sie fuͤr ihre bisherige Zweideutigkeit durch die deutlichsten Zeichen seines Haßes strafen.» — Aber er ging willig dem guten Geiste nach, der ihn an der Hand fuͤhrte und unter¬ weges sagte: »gehe jetzt zu ihr — ziehe dich von »ihr ohne ihre Schmerzen loß — deine Hand gleite »allmaͤhlig aus ihrer und raͤume einen Finger nach »dem andern wie es Maͤdgen mit ihrer physischen »machen und stelle dich weder als ihren Feind noch »als ihren Liebhaber an.» Er ging ohne allen Ei¬ gennutz hin: denn der waͤre eher gewesen zu Hause zu bleiben und die Vergangenheit und Zukunft zu genießen und durchzublaͤttern, oder auch aus dem Hause zu gehen nach St. Luͤne, um sich zu Agathen neben den Florhut Klotildens, den sie stu¬ dirte, zu setzen. Um aber seinem Besuche nicht zu vieles Gewicht in den Augen Joachimens zu lassen, nahm er sich vor, sie um die Prospekte von Maienthal, die in ihrem Zimmer hingen, anzugehen auf einige Wochen. O Maienthal, wie viel hast du, wenn schon dein Schattenriß so gluͤcklich macht! — Aber seine Visite lief sonderbar ab. Er wuͤnschte unterweges, in ih¬ rem Toilettenzimmer waͤre der feine Narr, und der wohlriechende und mehr Zeug — es war nichts da, Sie nahm ihn mit einer sorglosen Lnstigkeit auf als waͤre sie die Kolombine und der Medikus der Pickel¬ haͤring. Er aber wollte blos das diminuendo seiner moralischen Dissonanzen ausfuͤhren; daher wurd' er durch das ewige Hinsehen auf sein Notenpult und auf die Partitur seiner innern Harmonie etwas steif und ungelenk in seinem Spiel. Weiber unterschei¬ den leicht Kaͤlte der Vernunft (schon am Mangel der Uebertreibung) von Kaͤlte der Laune. Jetzt verlang¬ te er die Prospekte. Joachime wurde nicht kaͤlter, sondern warm d. h. ernsthaft und hob in der holen Hand ihre Uhr empor und sagte, darauf blickend: »Ich geb' Ihnen so viele Minuten Frist, als Sie »Tage weggeblieben sind, um das Wegbleiben zu »entschuldigen.» — Viktor nahm ohne Verlegenheit — wie jeder, der nur nach Einem entweder guten oder boͤsen Prinzip handelt' — die peremtorische Frist an und hob die montre à regulateur unter dem Spiegel aus‚ um nicht von Joachimen betrogen zu werden. Diese verdammte Uhr der Fuͤrstin grinz¬ te ihn uͤberall an‚ wie eine Druckkugel und Mine unter seinen Fuͤßen. Er zog sie auf‚ um dieses nuͤrnbergische Ei (wie man sonst die Uhren nannte) aufzumachen und endlich einmal nachzusehen‚ ob die Liebeserkaͤrung d. h. das punctum saliens der Liebe oder der Amor — der nach Plato auch aus einem Ei auskam — noch darin waͤre. »Ich weiß schon‚ »sagt' er zu sich‚ es ist laͤngst heraus‚ aber ich pro¬ »bir's nur.» Es waͤre uͤberhaupt die Frage gewesen‚ ob's die¬ selbe Uhr war‚ da die in Tostatos Bude keine Bril¬ lanten hatte — wenn nicht aus dieser Pandorabuͤch¬ se‚ sobald er sie am Fenster aufgeschlossen hatte‚ her¬ vorgeflattert waͤre ein duͤnnes Blaͤttgen‚ halb so groß wie ein Schmetterlingsfluͤgel, so lang wie ein Tul¬ penstaubfaden. — — Die kleine Folie nahm vor je¬ dem Luͤftgen die Flucht. — — Joachime fing das Ding — las das Ding — fand die Liebeserklaͤrung noch darauf — hielt sie fuͤr eine‚ die er ihr selber eben mache‚ um seine Abwesenheit auszusoͤhnen und die er der Uhr Witzes halber (er konnte auf ihre Herz-Gestalt anspielen) einverleiben wollen. . . . Jeder kann denken, wie ihm bei der Sache war. — Recht wohl waͤr' ihm dabei gewesen, wenn er haͤtte entsetzlich luͤgen duͤrfen oder wenn er nur we¬ nigstens den wenigen Hof-Leuten haͤtte nachschlagen duͤrfen, die unter die 28 Pfund Blut, die ihren Koͤrper waͤssern, nicht 28 ehrliche Blutstropfen — ein einziger kann wie liquor probatorius verdammte Sedimente nachlassen — geschuͤttet haben. Aber seine Seele ekelte der neue Koͤder zur Luͤge. Der Leser kann gar noch nicht wissen, daß Viktor fehl¬ schoß, — daß er nemlich (wegen der Entlegenheit von Joachimens Argwohn) auf diesen gar nicht kam, sondern auf den naͤhern, Joachime habe jetzt seinen ganzen naͤrrischen Streich gegen die Fuͤrstin heraus. Er war niemals faͤhig, einen fremden Leichnam als Schild den Pfeilschuͤßen gegen seinen eignen vorzu¬ halten — eine Sitte aus dem Hof Moria, die nicht wie die alttestamentliche einen Isaak mit einem Widder loͤset, sondern einen Widder mit einem Isaak — er war heute am wenigsten faͤhig, die Fuͤr¬ stin Preis zu geben, um sich zu retten; aber auch nicht einmal das vermocht' er, Joachimen Preis zu geben, um jene zu retten, d. h. den Teufelszettel zu einem Miniatur- billet doux an Joachimen um¬ zumuͤnzen. Der Satan schrie sich in ihm heiser, um ihn nur so weit zu bringen, daß er wenigstens durch schweigende Pantomime loͤge und die ihrige rechtfertigte, worin der Schein immer mehr abnahm als glaubte sie es an eine fremde Dame gerichtet. Er sagte ihr frei heraus, was er waͤre — ein Narr. Er referirte den ganzen Handel in Kussewiz. Er schloß damit, es sey ein Gluͤck fuͤr ihn, daß die Fuͤrstin das tolle Einschiebsel der Uhr gar nicht auf¬ gestoͤbert habe. ... Da er nun dieses eintoͤnig vorsang ohne eine einzige Schmeichelei, aus der et¬ wan eine neue Auflage des Einschiebsels zu machen gewesen waͤre: so war er so gluͤcklich, bei seinem Abschiede die belehrte Joachime in einem Zustand zu hinterlassen, der sich nach solchen magnetischen Des¬ organisazionen bei gebildeten Weibern in einer schoͤ¬ nen stolzen Exaltazion und bei unbegebildeten in den Versuchen aͤussert; an den Mann die bildende letzte Hand gerade so zu legen wie sie die griechi¬ schen Kuͤnstler an ihre Modelle legten — — — naͤm¬ lich mit den Naͤgeln der letzten Hand. — Viktor zog mit zweierlei sehr verschiedenen Prospekten ab, mit denen der Zukunft und mit den Maienthali¬ schen. — Sie behielt das Blaͤttgen. Aber nicht die Furcht, sondern das herbe Gefuͤhl, daß seine bisherigen Thorheiten sich blos in einem fremden Herzen mit einer fehlgeschlagnen Hoffnung enden, floß mit eini¬ gen bittern Tropfen in die suͤße verjuͤngende Empfin¬ dung, daß er auf seine Kosten Recht gehandelt ha¬ be. Eine Ruͤhrung, eine Thraͤne ist ein Schwur vor dem Himmel, gut zu werden; — aber eine einzige Aufopferung staͤhlet dich mehr als fuͤnf Bu߬ thraͤnen und zehn Kasualpredigten. Ich habe nicht den Muth, es zu errathen, war¬ um die Fuͤrstin die Uhr mit dem erotischen Einschluße, den sie (schon nach dem Gespraͤch mit Tostato) ge¬ lesen haben muß, Joachimen in die Haͤnde gegeben; aber fuͤr die Spitzbuben, deren ich im Kapitel ihres Augenverbandes und Kusses gedacht, ist das ein Fund: das Geschenk der Uhr bestaͤtigt sie ganz in ihrer spitzbuͤbischen Thesis; denn sie koͤnnen — ich setze mich vergeblich dagegen — das Geschenk fuͤr ein Zeichen der italienischen Rache ausgeben, die Agnola an der Nebenbuhlerin Joachime, der sie Viktors Widerstand zuschreiben mußte, dadurch habe nehmen wollen, daß sie ihr seine anderweitigen Lie¬ beserklaͤrungen mitgetheilt. Viktor nahm sich, indem er zu Hause die groͤsten physischen Schritte machte, vor, aͤhnliche politische zu thun und geradezu dem Fuͤrsten zu bekennen: »es ist »nicht viel uͤber neun Monate, daß ich Hoͤchstdero¬ »selben Braut mit einer schmalen Liebeserklaͤrung »behelligt habe, die sie gar noch nicht kann gelesen »haben und die nun aus einer Hand in die andre »geht.» Aber jetzt war die Eroͤfnung der Uhrbrief¬ sache — Halsbandsache haͤtt' ich beinahe geschrie¬ ben — nicht thulich: Jenner war durch die Entfer¬ nung Klotildens ein wenig verdruͤßlich — Viktor war seit einiger Zeit auch weniger um ihn als sonst, wie doch ein rechtschaffener Guͤnstling nicht sollte, da z. B. der beruͤhmte Graf von Bruͤhl wie eine Mutter von Morgen bis Mitternacht seinen Herrn umwachte — Jenner schien in dieser Einsamkeit mehr an seine Kinder zu denken und Viktor konn¬ te ihm keine Nachrichten vom Lord ertheilen — die Hauptsache war vollends seine Fruͤhlingskraͤnklichkeit, die ihn wieder zum glaͤubigen Juͤnger des D. Kuhl¬ peppers und des Podogra machte. Dieser D.-Rumpf unter einem Doktorhute, dessen Gehirnfiebern zu Baßsaiten gezwirnt waren, versteigerte seine Betisen blos durch die ernsthafte Schwerfaͤlligkeit, wo¬ mit er ihrer loß wurde, uͤber den Preis: von ge¬ wissen Personen, z. B. von Aerzten, von Finanz- Arithmetikern, von oͤkonomischen chargés d'affaires fodern sogar Leute von feinen Sitten steife und hal¬ ten sich an eine Zipfelperuͤcke lieber als an einen Kompressions-Haarbeutel so groß wie eine Schuh¬ schnalle. Sebastian kam den Leuten viel zu spas¬ haft vor, als daß sie haͤtten denken koͤnnen, er habe was gelernt. Im Punkte der Aerzte — wie in je¬ dem Kardinalpunkte des Vermoͤgens oder des Lebens — denket der vornehmste Poͤbel wie der niedrigste und schaͤtzet Maͤnner und Schooßhunde nach aͤusserer zottiger Wildniß. Noch dazu hatte Viktor den Feh¬ ler, sich und die Aerzte in den Verdacht der Ruhm¬ sucht zu bringen, indem er sie geradezu lobte: z. B. »sie waͤren bei ihrem Matrosen- und Todten-Pres¬ »sen eine Art Seelenverkaͤufer fuͤr die andre Welt »und dienten den guten Engeln, die den Kern ohne »die Koͤrperschaale begehrten, um ihn weiter zu ste¬ »cken, zu Nußknackern — wie oft heben wir nicht »— (fuhr er fort) die gefaͤhrlichsten Krankheitsver¬ »setzungen durch eine leichte Krankenversetzung ? »Ich koͤnnte mich auf die refugiés aus dieser Welt »berufen, ob unser Streu- und Dintenfaß, (das »Geraͤthe unserer Rezepte) nicht die Saͤemaschine »und Gießkanne der menschlichen Wintersaat waren; »aber die Restanten sollen reden und antworten, ob »sie nicht die Pfruͤnden, die Regimenter, die Lehn¬ »guͤter, die Ordensbaͤnder, die ihnen zugefallen, un¬ »sern Rezepten und Uriasbriefen zu verdanken haben »und ob sie und sogar Koͤnige im Trocknen saͤßen »ohne unsere haͤufigen Abzugsgraͤben im Kirch¬ »hof? — Und doch duͤnkt mich ist unser Ruhm im »Heilen und Beleben eben so groß, wo nicht groͤs¬ »ser: dieser Ruhm — so wie die Mortalitaͤtslisten, »worauf er sich stuͤtzt — ist seit vielen Jahrhunder¬ »ten der naͤmliche geblieben , unsre Theorien, »Spezifika, Einsichten mochten sich aͤndern wie sie »wollten.» . . . Den Fuͤrsten machten solche Satiren recht lustig und — unglaͤubig. D . Kuhlpepper hingegen hielt auf seine Wuͤrde und wuͤrde gegen einen Satirikus der vom langsamen Dezimiren der Aerzte gesprochen haͤtte, seinen Degen gezogen und ihn durch ein schnel¬ leres vollstaͤndig widerlegt haben. Ich rathe jedem, der in der Welt etwas werden will, (naͤmlich etwas anders) bei den Maͤnnern auszusehen wie ein Lei¬ chenbitter — bei den Weibern wie ein Gevatterbit¬ ter. — Der Fuͤrst hielt sich im siechen Fruͤhjahr aus zwei Gruͤnden wieder vom Zipperlein besessen, erst¬ lich weil ich noch keinen Nerven-Schwaͤchling ge¬ kannt habe, der sich eine Krankheit, die ich ihm im Sommer ausgeredet hatte, nicht im naͤchsten kraͤnk¬ lichen Winter wieder in den Kopf gesetzt haͤtte — zweitens weil Jenner nachgerechnet, daß er oft genug vor Damen auf die Knie gefallen war, um das An¬ beten daran noch als Gonagra zu spuͤren. So stand's, als ein kleiner Zufall meinen Viktor wieder gluͤcklich machte. Ich muß nur vorher sagen, daß er ohnehin gar nicht ungluͤcklich war: denn ein Liebhaber bekuͤmmert sich um nichts, um einen Hof gar nicht; er hat Amors Binde um und verzeiht gern der Fortuna und der Justiz die ihrigen. Und das moralische Osterfeuer loͤsete — so wie Aberglaube dem physischen eine eigne Kraft beimisset — alles Eis, womit man Viktors Blut andaͤmmte, in Freu¬ den- Lpmpha auf; der Osterwind — der nach dem Wetterpropheten bis zu Pfingsten fortwehet — setzte seine alten Freudenblumen in Bewegung und saͤete aus ihnen den Samenstaub kuͤnftiger weiter; der Schnee zerging auf dem aus dem Winterschlafe er¬ wachenden heissen Fruͤhling und die ersten Blumen und die tausend Knospen gaben allen Herzen Kraͤfte und Hofnungen und Liebe. O wenn Viktor draussen dem gruͤnenden Steige nachsah, der ihn mit frischen Saftfarben mitten aus der Grummetsteppe (denn im Fruͤhling gruͤnen die Fußwege zuerst) in das Maien¬ thalische Eden locken und tragen wollte; und wenn er dann gluͤhend und duͤrstend umkehrte und in das gezeichnete Maienthal einlief, in die entlehnten Pro¬ spekte und da jeden Farbenberg erstieg und jeden punktirten Garten umzingelte mit seinen Fingern und Phantasien: so dachte er selber nicht, daß ein kleiner Zufall ihn noch froher machen koͤnnte. — Und doch machte er's ihn. Es ist nicht wohlgethan von mir, daß ich das — und das hab' ich mir in dieser Biographie so sehr angewoͤhnt — immer einen Zufall nenne, was ein naher Bluts-Urenkel voriger Kapitel ist und was ja kommen muß. Denn der Florhut — das war der Zufall — mußte ja kommen, weil er bestellt war. Es war aber das — Original selber. In so schmaler Zeit waͤre ohnehin von der flinkesten Putz¬ Bauherrin kein Hut zu machen gewesen; aber Seba¬ stian hatt' es doch nicht bedacht, wenn ihn nicht Pu¬ derspuren und aufgegangne Spitzen-Gitter gezwungen haͤtten, den alten Hut von einem neuen zu trennen. Kurz: Klotilde hatte ihn Agathen, die es ihr nicht verschweigen konnte, fuͤr wen sie die Kopie davon nehme, vor dem dritten Ostertage gegeben zum Abkopiren, und nach dem besagten Tage ihr ge¬ schrieben, ihr die Kopie zu schicken und dem Medi¬ kus das Original fuͤr das Nachbild (wie bei der Wachsstatue) anzuhaͤngen. — Und warum wohl? — O das fuͤhlte ihr Freund in schoͤner Ruͤhrung nach: es dauerte sie, daß sie einem scheuen zaͤrtlichen Her¬ zen nichts geben konnte, keinen Laut, keinen Blick, keine Freude, kein Andenken des schoͤnsten Abends, als bloß den herbstlichen Nachflor desselben, als nachgenaͤhte Seidenblumen dieser Freudenblume, den Taftschatten eines Taftschattens- . . . Nein, sie be¬ zwang sich, um dem stnmmen Liebling wenigstens mehr als die Kopie des Schattens zu geben. — O vor wem das liebevolle zugedruͤckte Herz eines guten Weibes aufginge; wie viel bekaͤmpfte Zaͤrtlichkeit, verhuͤllte Aufopferungen und stumme Tugenden wuͤrd' er darin ruhen sehen! — Man muß nur dem deutschen Reichstage und seinen Querbaͤnken kein Geheimniß daraus machen, daß Viktor den neunten Kurhut nicht annehmen will, wenn er dafuͤr den Florhut abstehen soll. .. Was koͤnnen die plumpesten dicksten Kronen, die man mir auf meinen Reisen vorgezeigt, in der einen Schaale wiegen — gesetzt man wuͤrfe auch noch ei¬ nige Tiaren und Dogemuͤtzen mit Buͤgeln und paͤbst¬ liche Huͤte zu den Kronen hinein — wenn auf der andern Klotildens Florhut zieht? Da der Leser eben so viel Verstand hat wie ich selber: so entscheid' er hierauf. — Dieser Hut gab ihm ein unaussprechli¬ ches Sehnen nach Maienthal und war fuͤr ihn ein Dedikationskupfer, das ihm (wie durch eine investi¬ tura per pileum ) Klotilden erst schenkte; er stand vor dieser Krone als Kronerbe — jede Minute zog seinen Kronwagen — mit zwei großen Freudentro¬ pfen, die das gluͤckliche Auge nicht faßte und sagte langsam den Kopf wiegend: »Nein, das guͤtige »Schicksal giebt mir zu viel — Ach wie kann ich »diese Seele vom Himmel verdienen? — Ach ich »werde bloß zu ihr sagen: »ich bin dein!« und spaͤt »einmal: du bist mein!« Und als gar seine Phan¬ tasie hinter der Flor-Jalousie die zwei großen Au¬ gen aufschloß, die sonst darunter die Thraͤnen eines zuruͤckgestoßenen Herzens verborgen halten und als er die entruͤckte Stimme wieder hinter diesem Sprach¬ gitter aus Schattenfaͤden reden ließ: so konnt' er sich nicht mehr halten, sondern er schrieb — damit er nach Maienthal duͤrfe — dem Hute gegenuͤber den den ersten Brief an sie, den ich Morgen Abends ge¬ wiß mit der Post erhalten werde vom Hunde. — Ich glaube, ich hab' es gar noch nicht gesagt, daß Agathe ihm den Hut auslieferte und daß sie ihn — es ist gegen das Ende des Aprils — auf den 4ten Mai zum Geburtstag des Vaters einlud. Viktor dachte an den melancholischen 4ten Mai vom Jahre 92 und wurde noch sehnsuͤchtiger nach der entrissenen Freundin. Eh' ich das Kapitel schließe, will ich nur den juͤngern Klotilden, den Vice–Klotilden, Kebs– Klotilden und den Anti-Klotilden, die mich und meine Kapitel auf dem Schoße haben, das noch sa¬ gen: seid kalt! Ihr koͤnnt die weibliche Tugend–Kaͤlte gar nicht zu weit treiben, ihr muͤßtet ihr denn gar keine Graͤnzen stecken. — — Ich will euretwegen diese Lehre in weise Spruͤche und witzige Sentenzen kleiden, damit sie besser auf Faͤcher und in Stamm¬ buͤcher geht. Die Liebe muß wie der Aurikelsaame auf Schnee gesaͤet werden, beide waͤrmen sich durch das Eis schon durch und gehen dann desto frischer auf — Ihr muͤsset euch nie zu einem Geschenke machen, sondern zu einem Frauenzimmerdank der Ritter — Ihr erhaltet und verdient gerade so viel Achtung, als ihr fodert, und ihr koͤnnt ihr moͤgt legirt seyn wie ihr wollt, euren Muͤnzstempel oder Praͤgstock Hesperus. III . Th. C aus der Tasche ziehen und euch damit praͤgen zu ei¬ nem Damend'or fuͤr den einen Herrn, und zu einem elenden Fettmaͤngen fuͤr den andern — Ein Libertin zeigt in einer Gesellschaft wie ein Luftreinigkeitsmes¬ ser durch die verschiedenen Grade seiner Kuͤhn¬ heit die verschiedenen Grade des weiblichen Verdien¬ stes an aber in umgekehrtem Verhaͤltniß. . . . Sogar wenn's nicht zum weiblichen Point d'hon¬ neur gehoͤrte, muͤßte man's doch begehren, um nur eine Muͤhe mehr zu haben — weil mein Geschlecht hieruͤber voͤllig so denkt wie ich, der ich aus keinem Eidams-Werbehaus eine Tochter mag, wo nicht wenigstens die Eltern etwas wider mich haben; — und es kann hiemit bekannt werden (es ist so viel als ließ' ichs in die Zeitung setzen,) daß ich mir von Eltern, die aus ihrem Auktionssaal voll Toͤch¬ ter, aus ihrem Liebes-Inokulationshospital eine oder die andre abstehen wollen, und denen ein Berghaupt¬ mann, Gerichtshalter, Musikmeister nnd Biograph — das moͤgen meine wenigen Chargen seyn — keine zu veraͤchtliche Partie ist, daß ich sag' ich von die¬ sen Eltern, erwarte, daß sie (wenn ihnen die Sache ein Ernst ist) mir wenigstens das Haus verbieten oder den haͤufigen Briefwechsel: — das frischet Schwiegersoͤhne an. . . . 30 . Hundsposttag . Briefe . H aͤtt' ich oder ein anderer hinter einen Busch oder in einem Chaussee Hohlwege aufgepasset und waͤren wir zu rechter Zeit vorgebrochen: so haͤtten wir die zwei in einander gesiegelten Briefe‚ die Viktor nach Maienthal schickte‚ dem Boten abnehmen koͤnnen‚ der kein deutsch verstand‚ naͤmlich seinem italienischen Bedienten. Der Brief an Emanuel war der Um¬ schlag des Briefes an Klotilde — die Freundschaft ist immer die Emballage der Liebe. Vom Umschlage will ich nur einen Auszug und einen Ausschnitt ge¬ ben, eh' ich den Brief an Klotilden ganz mittheile. Er bat den Emanuel, dieses nur fuͤr ein Couvert zu nehmen und die Inlage Klotilden allein zu uͤberge¬ ben — er sagt' es ihm ohne weitere Erklaͤrung, er haͤnge nicht von seinen Wuͤnschen sondern von Blu¬ menketten ab, die ihn zuruͤckzoͤgen von den andern Blumenketten in Maienthal und eine vielfache Um¬ schnuͤrung mit Guirlanden koͤnne man nicht durch¬ brechen, weil man nicht wolle — er war absicht¬ lich uͤber sein neues Verhaͤltniß mit Klotilden un¬ C2 deutlich, weil er ihre Erlaubniß zum Gegentheil nicht voraussetzen durfte — er bat scherzhaft seinen Freund, seine Freundin zu bitten, daß sie ihm be¬ fehlen solle, nach Flachsenfingen zu reisen, damit sie einander zu sehen bekaͤmen — (ich komm' aus den Perioden, wenn ich die Absicht dieser Wendung zeige) — er strich in seinem Kopfe die Frage wieder aus, ob Klotilde noch des Arztes beduͤrfe, bloß weil er einer fuͤr sie im doppelten Sinne war, und fragte nur, ob sie genesen sey — Endlich schloß er so: »Und so flatter' ich denn mit ziemlich abgestaͤub¬ ten Schmetterlingsschwingen im unabsehlichen Tem¬ pel, der fuͤr unser Phalaͤnen Auge in kleinere zer¬ faͤllt und dessen architektonisches Laubwerk an den Saͤulen wir fuͤr die Saͤulen selber halten und dessen Kolonnaden durch ihre Groͤße unsichtbar werden, da flattert der Menschenpapillon auf und nieder — zer¬ stoͤßet sich an Fenstern — rudert durch staͤubige Ge¬ spinnste — schlaͤgt seine Fluͤgel endlich um eine hole Blume — und der große Orgelton der ewigen Har¬ monie wirft ihn bloß mit einem stummen auf und niedergehenden Sturm umher. . . . Ach ich kenne jetzt das Leben! Waͤre nicht der Mensch sogar in seinen Begierden und Wuͤnschen so systematisch — ging' er nicht uͤberall auf Arrondisse¬ mens sowohl seiner Arkadien als des Reiches der Wahrheit aus: so koͤnnt' er gluͤcklich seyn und mu¬ thig genug zur Weisheit — Aber eine Spiegelwand seines Systems , ein lebendiger Zaun seines Pa¬ radises , die ihn beide nicht ins Unendliche se¬ hen oder laufen lassen, sprengen ihn sofort auf die entgegen gesetzte Seite zuruͤck, die ihn mit neuen Gelaͤndern empfaͤngt und neuen Schranken zuwirft. . . . Jetzt, da ich so verschiedene Zustaͤnde durchlau¬ fen, leidenschaftliche, weise, tolle, aͤsthetische, stoi¬ sche; — da ich sehe, daß der vollkommenste entwe¬ der meine irrdischen Wurzeln in der Erde oder meine Zweige im Aether verbiege und einklemme und daß er, wenn er's auch nicht thaͤte, doch uͤber keine Stunde dauern koͤnnte, geschweige ein Leben; — da ich also klar einsehe, daß wir ein Bruch, aber keine Einheit sind und daß alles Rechnen und Ver¬ kleinern am Bruche nur Approximiren zwischen Zaͤh¬ ler und Nenner ist, Verwandeln des \frac{1000}{1001} in \frac{10000}{10001} ; so sag' ich: »meinet wegen! die Weisheit sey also »fuͤr mich bloß Auffinden und Ertragen der » kleinsten Luͤcke im Wissen, Freuen und Thun.« Ich lasse mich daher nicht mehr irre machen — und meinen Nachbar auch nicht mehr — durch die ge¬ woͤhnlichste Taͤuschung, daß der Mensch jede Veraͤn¬ derung an sich, — jede Verbesserung ohnehin, aber auch sogar jede Verschlimmerung — fuͤr groͤßer an¬ sieht als sie hinterher ist. — — Genug! aber seit dieser Bemerkung — o noch mehr, seit daß das hohe Schicksal mir Freuden gab, damit ich sie verdiente — ist neues Morgenlicht auf meinen Schattensteig gefallen, und ich habe nun Muth, mich zu bessern. . . . . Der klare Strom der Zeit geht uͤber einen hinabgefallnen Blumenboden schoͤner Stunden, auf dem ich einmal stand und zu dem ich ganz hinunterschauen kann — o wenn sich diese Eden-Aue wieder aufwaͤrts hebt und ich kann an deiner Hand, darauf treten und neben dir nieder¬ knieen und dankend bald zum Morgenhimmel bald uͤber die wehenden Blumenfelder dieses Lebens blik¬ ken: dann sink' ich stumm an dich zuruͤck und um¬ fasse dankbar deine Brust und sage: »ach Emanuel, durch dich verdien' ich's ja erst.« — O ich sag' es heute, geliebter Lehrer, und bleibe du recht lange ne¬ ben deinem Schuͤler auf der Erde, so lange bis er wuͤrdig ist, dich zu begleiten aus ihr.« — So lang dieses Schreiben auch war, so liebte Viktor seinen Lehrer doch zu sehr — und haßte die monarchische Unart, Menschen zu Werkzeugen zu machen, zu sehr — als daß er's ihm nicht geradezu haͤtte sagen sollen, daß dieser Brief — nicht sowohl seine Existenz als — seinen Geburtstag dem Briefe an seine Geliebte verdanke. Mit folgenden leisen Worten traͤgt er darin seine Bitte, sie zu sehen vor: »Wenn ich wuͤßte, daß ich die schoͤne Seele, die jetzt neben dem erhabnen Emanuel, neben dem Fruͤhling und nnter ihren schoͤnen Gedanken gluͤcklich seyn wird, nur einen Augenblick durch dieses Blatt be¬ klemmte oder stoͤrte: o recht gerne opferte ich diese seelige Stunde auf, um sie vielleicht zu verdienen. Aber nein, ewige Freundin, Ihr weiches Herz be¬ gehrt mein Schweigen nicht! Ach der Mensch muß so oft Kaͤlte und Kummer verbergen, warum noch gar Liebe und Freude? — Und ich wuͤrd' es auch heute nicht koͤnnen. O wenn ein Erdenmensch in einem Traum durch das Elysium gegangen, wenn große unbekannte Blu¬ men uͤber ihn zusammengeschlagen waͤren, wenn ein Seeliger, ihm eine von diesen Blumen gereicht haͤtte mit den Worten: »diese erinnere dich, wenn du er¬ »wachst, daß du nicht getraͤumt hast!« wie wuͤrde er schmachten nach dem elysischen Lande so oft er die Blume ansaͤhe. — Unvergeßliche! Sie haben in der Schimmernacht, wo mein Herz zweimal erlag, aber nur einmal vor Schmerz, einem Menschen ein Eden gegeben, das hinausreicht uͤber sein leben; aber mir war bisher als wuͤrd' ich wacher aus der zuruͤckge¬ benden Traumnacht — Siehe! da behielt ich aus dem paradisischen Traum eine Blume Den Florhut. , die Sie mir gelassen haben, damit ich unaussprechlich gluͤck¬ lich bliebe — und damit meine Sehnsucht so groß wuͤrde wie meine Seeligkeit. Warum zieht dieser Flor alle heisse Thraͤnen tief aus meinem Herzen herauf, warum seh' ich hinter diesem gewebten Ge¬ gitter die Augen aufgehen, die so weit von mir sind und die mein Inneres so wehmuͤthig bewegen? O nichts befriedigt die liebende Seele als was sie mit der geliebten theilt — darum schau' ich den Fruͤh¬ ling mit so suͤßem Wallen an: denn sie genießet ihn auch, sag' ich — darum gefaͤllst du mir so, du lieber Mond und Abendstern: denn du uͤberspinnst mit dei¬ nen Silberfaͤden auch ihre Schatten und ihre Mai¬ blumen — darum vertief ich mich so gern in jedes schattirte Thal Ihres Eldorados Die Prospekte von Maienthal. ; denn ich denke: in den vergroͤßerten Schatten, in duftenden Bluͤten dieser Bilder wandelt sie jetzt und die Mondssichel wendet die Blitze der Sonne gemildert auf Ihr Auge zuruͤck. — Wenn ich dann zu freudig werde, wenn der Abendregen der Erinnerung auf die heissen Wangen faͤllt, wenn sich meine Entzuͤckung auf einem einzigen bebenden langen Dreiklang des Klaviers auf und niederwiegt: dann thut dem taumelnden Herzen das Zittern und Schweigen und die unendliche Liebe zu weh, dann sehn' ich mich nur nach dem kleinsten Laut, womit ich der Geliebten meines Herzens sagen darf, wie ich sie liebe , wie ich sie ehre, daß ich fuͤr sie leben will, daß ich fuͤr sie sterben will. — — O mein Traum, mein Traum tritt mir jetzt wie eine Thraͤne an's Herz! In der Nacht des dritten Ostertags traͤumte mir: ich und Emanuel staͤnden in einer dunkeln Nachtgegend — eine große Sense am westlichen Ho¬ rizont warf wiederscheinende laufende Blitze auf die hohen Fluren, die sogleich vertrockneten und erblichen — Wenn aber ein Blitz in unser Auge flatterte: so zog sich unser Herz suͤß zergehend empor in der Brust und unsere Koͤrper wurden leichter zum weg¬ schweben. »Es ist die Sense der Zeit, sagte Ema¬ »nuel, aber von was hat sie wohl den Wieder¬ »schein?« — Wir schaueten nach Morgen und dort hing tief in der Ferne und in der Luft ein weites dunkelgluͤhendes Land aus Duft, das zuweilen blitzte. »Ist das nicht die Ewigkeit?« sagte Emanuel. — Da sanken vor uns lichte Schneeperlen wie Funken nieder — wir blickten auf und drei goldgruͤne Para¬ diesvoͤgel wiegten sich oben und zogen ewig in einem kleinen Kreis hinter einander umher und die fallen¬ denden Perlen waren aus ihren Augen oder ihre Au¬ gen selber — Hoch uͤber ihnen stand der Vollmond im Blauen, aber auf der Erde war doch kein Licht, sondern ein blauer Schatten: denn das Himmelsblau war eine große blaue Wolke, bloß an einer Stelle vom Monde geoͤfnet, der nur auf die drei Paradies¬ voͤgel und unten auf eine helle von uns abgekehrte Gestalt Schimmer niedergoß — Sie waren diese Ge¬ stalt und wendeten ihr Angesicht bloß gegen Morgen, gegen die haͤngende Landschaft als ob sie etwas da sogleich erblicken wuͤrden. Die Paradiesvoͤgel saͤeten die Perlen haͤufiger in Ihre Augen: »es sind die »Thraͤnen, die unsere Freundin weinen muß« sagte Emanuel; auch fielen sie dann aus ihren Augen, aber lichter und blieben glimmend auf dem Blumenboden stehen. Das Blau auf der Erde wurde ploͤtzlich hel¬ ler als das Blau am Himmel und eine schiefe Hoͤle, deren Muͤndung gegen die Ewigkeit aufklafte, wuͤhlte sich ruͤckwaͤrts durch die Erde gegen Abend bis nach Amerika hinab, wo die Sonne in die Oefnung schien — und ein Strom von Abendroͤthe so breit wie ein Grab schoß aufwaͤrts aus der Erde und legte sich mit seinem Abendscheine an die neblichte Ewigkeit wie duͤnne Flammen an. — Da zitterten Ihre Arme ausgebreitet, da zitterten Ihre Lieder voll sehnsuͤchti¬ ger Wonne, — da konnten wir und Sie die erleuch¬ tete Ewigkeit ganz sehen. Aber sie wechselte schil¬ lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬ ken und behalten, was wir sahen, es waren unfa߬ liche Gestalten und Farbenspiele, sie schienen nahe, schienen fern, schienen mitten in unsern Gedanken zu seyn — Woͤlkgen aus der Erde aufziehend schwebten um die gluͤhende Ewigkeit und jede hob einen auf ihr stehenden singenden Menschen hinauf zu dieser Lichtinsel, die sich gegen die Erde spaltete bloß mit einer unabsehlichen Allee von weißen Baͤumen, aus Licht und Schnee gegossen und statt Bluͤten Purpur¬ blumen treibend — Und wir sahen unsere drei Schat¬ ten erhaben an den lichtweissen Hain hinuͤbergewor¬ fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die Purpurblumen wie Kraͤnze nieder — ein Engel um¬ flog den holden Schatten und laͤchelte ihn zaͤrtlich an und beruͤhrte an ihm die Stelle des Herzens — Da erbebtest du ploͤtzlich, Klotilde, wandtest dich um gegen uns, schoͤner als der Engel in der Ewigkeit, dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thraͤ¬ nen und wurde durchsichtig — Und als deine nieder¬ sinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende Wolke aufloͤseten: reichtest du uns eilig die Hand und sagtest: die Wolke hebt, wir sehen uns wieder — Ach mein zerflossenes Herz faßte sein Blut nicht mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts sagen, ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬ schmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen und ich starrte die aufsteigende Unsterbliche an mit unendlicher und trostloser Liebe — Ach, dacht' ich, das Leben ist ein Traum; aber ich koͤnnt' ihr's vielleicht sagen, wie ich sie liebe, waͤr' ich nur erwacht. Dann erwacht' ich — O Klotilde, kann es der Mensch sagen, wie sehr er liebe? H. Sein Karakter und der Inhalt dieses Traums schließen den Argwohn der Erdichtung aus — Uebri¬ gens wenn ihm auch Klotilde den eingehuͤllten Wunsch, sie in Maienthal zu sehen, versagt: so muß sie es doch auf einem Blaͤttgen und mit drei Zeilen thun, die er dann tausendmal lesen kann und die das Bilder- und Siegelkabinet, worin schon Hut und Prospekte liegen, um ein Ansehnliches bereichern. Inzwischen stand er in seinem schoͤnen Alpenthal zwischen zwei hohen Bergen, auf deren jedem sich der Stof zu einer Schneelauvine regte — vielleicht ist schon oben eine im erquetschenden Gange und er kann sie noch nicht sehen. — Die erste Lauvine, die sein geringster Laut uͤber ihn herunterwerfen kann, ist sein tolles Verhaͤltniß mit seiner hoͤfischen Be¬ kanntschaft. Er kann sich ruͤhmen, sie saͤmtlich auf¬ gebracht zu haben, die Fuͤrstin, Joachimen, Mat¬ thieu. Aber auch ohne das, muß schon irgend ein Konduktor — bloß weil er nicht auf dem gemein¬ schaftlichen Isolirschemel des Thrones mit steht — mit einem verjuͤngten Blitze in seine Finger oder Nase einschlagen: in Kollegien und an Hoͤfen bleibt ohne Verbindung keiner aufrecht, es ist da wie auf den Galeeren, wo alle Sklaven ihre Ruder zugleich bewegen muͤssen, wenn keiner die Schneide der Kette empfinden soll. Aber Viktor sagte zu sich: »sey kein »Kind! sey kein umgekehrter Fuchs, der saure »Trauben, bloß weil er sie nicht mehr erspringen »kann, fuͤr suͤß ausgiebt! Ich schmeichle mir, du »kannst Kurial-Herzen entrathen, die wie ihre Ge¬ »richte nur uͤber einem Waͤrmbecken voll flimmern¬ »den Weingeist erst aufgewaͤrmt werden muͤssen. — »Beim Himmel, ein Mensch wird doch essen koͤnnen, »wenn auch das was er anspiesset nicht von einem »Gardesoldaten aus der Kuͤche geholt, dann einem »Pagen eingehaͤndigt, dann von einem Kammerherrn »oder sonstigen Ordonanzkavalier servirt worden ist. »— Nur meinen Vater wenn's nichts verschlaͤgt!« Das wars eben: am Sohne war nichts zu faͤllen, sondern am Vater Weil die Hofleute auch hierin den ersten Christen gleichen, , fuͤr den man den Wald und Opferhammer wahrscheinlich so lang aufgehoben schwe¬ ben laͤsset, bis er mit seinem Kopfe darunter steht, der ohne seine Zuruͤckkunft nicht zu haben ist. Aber ein Pastorfido fragt den Henker nach der ersten Schneelauvine. Auf den Harmonikaglocken seiner Phantasie hoͤren die aͤussern Kakophonien des Schicksals wie das Wagen-Gerolle des Pflasters auf einem Saitenbezuge, in sanft aufliegendem Ertoͤnen auf. Bei ihm war, wie bei den Astrologen, der April gleich meinem Buche, dem Abendsterne d. h. der Venus geweihet. Hingegen die andere Schneelauvine lag schon im voraus auf seiner Brust — der moͤgliche Bruch mit Klotildens Bruder. Einen Eifersuͤchtigen bekeh¬ ren die zwoͤlf Apostel und die zwoͤlf kleinen Prophe¬ ten nicht; — wenn er am Sonntage kurirt ist: so wird er am Montage wieder krank, am Dienstage raset er und am Mitwoche koͤnnt ihr ihn wieder los¬ binden, er ist matt und klug und — — passet nur auf. Der eifersuͤchtige Krebs auf der Brust ist nie ganz zu schneiden, wenn ich großen Operateurs glau¬ ben soll. — Dasmal war noch dazu etwas Wahres dran; auch schaffet es der Eifersuͤchtige zeitig bei; die nur solche Statuen zerschlugen, die an Gotes statt Anbetung mpfangen hatten. Eifersucht erzwingt Untreue und das gequaͤlte Weib will so viel an ihr ist den Mann nicht in Irrthum lassen. Ich kann mir die Muͤhe nicht machen (son¬ dern der Leser,) in meiner Biographie meinem Hel¬ den alle kleine Fugen und Efloͤcher nachzuzaͤhlen, wodurch er bisher seinen Flamin in sein verliebtes Herz sehen und hoͤren lassen: diese Astloͤcher sind desto groͤßer, da er vor dem dritten Ostertag eben darum unvorsichtiger war weil er unschuldiger war oder vielmehr ungluͤcklicher. Dazu kam, daß Flamin — der den theuern Ev¬ angelisten Matthaͤus taͤglich aufrichtiger und ofner fand (wie ein ausgeschossenes Zuͤndloch ) — seinen treuen Bastian taͤglich fuͤr hinterlistiger und undurch¬ sichtiger ansah. Ich wollt' der Regierungsrath waͤre gescheuter; aber kompakte dichte Seelen, wie Viktors seine, die mehrere Kraͤfte und eben darum mehrere Seiten haben, scheinen freilich weniger po¬ roͤs zu seyn, so wie vollloͤthige Autores weniger deutlich — ein Mensch, der euch alle seine in einan¬ der schillernden Farben seines Herzens mit Offenheit aufdeckt, verliert dadurch den Ruhm der Offenheit — einer, der wie Viktor fremde Kniffe aus Laune sammelt und vormacht, scheint sie nachzumachen — ein veraͤnderlicher, ein ironischer, ein feiner Mensch ist in eingeschraͤnkten Augen ein falscher. Dies von Haus aus. — Auch sprang Viktor, wenn's ohne Laͤrm anging, langen Erwaͤhnungen Klotildens, d. h. langen Vorstellungen aus dem Wege; und eben diese Flucht, vor Hinterlist, eben seine jetzige groͤ¬ ßere Menschenfreundlichkeit gegen Flamin verschatte¬ ten gerade seine edle Gestalt; und uͤber den ver¬ drehenden Argwohn troͤstete ihn nichts als die suͤße Betrachtung, daß er dem Bruder seiner Geliebten und seines Herzens zu Gefallen den schoͤnsten Tagen in Maienthal den Ruͤcken kehre. 31. Hunds¬ 31. Hundsposttag . Klotildens Brief — Nachtbote — Risse und Schnitte im Bande der Freundschaft. I ch wollt' es in die Litteraturzeitung ruͤcken lassen, ich haͤtte Herrnschmidts osculologia zu meinen (gelehrten) Arbeiten vonnoͤthen — Naͤmlich zu die¬ sem Kapitel: ich wollte daraus sehen, wie man zu Herrenschmidts Zeiten mit den Weibern umging. Zu Jean Paul's Zeiten geht man schlecht mit ihnen um, in Romanen naͤmlich. Bloß der Englaͤnder kann vortrefliche Weiber portraitiren — Den mei¬ sten deutschen Roman-Formern schlagen die Weiber zu Maͤnnern um, die Koketten zu H., die Statuen zu Klumpen, die Blumenstuͤcke zu Kuͤchenstuͤcken. Daß die Schuld mehr an den Malern als den Ori¬ ginalen liege, wissen nicht nur die Originale selber, sondern auch der Berghauptmann schon daraus, weil die Romanenleserinnen alle noch romantischer sind als die Romanheldinnen, noch feiner und zuruͤckhal¬ tender. Der Berghauptmann thut hier, — ohne die Absicht zu haben, daß ihn acht vornehme Weiber in Mainz, wie den Weiber- und Meistersaͤnger Hein¬ Hesperus. III Th. D rich Frauenlob, zu Grabe tragen — einen gedruckten Eidschwur (d. h. Schwurschwur,) daß er die meisten seiner Zeitgenossinnen besser antraf als sie der gute ofne, aber leere rohe Kopf des Verf. des Alcibiades und Nordenschilds zeichnen kann. — In der That wenn die Weiber nicht den Maͤnnern alles verziehen, so¬ gar den Autoribus, (und zwar taͤglich siebenzigmal und sie reichen den andern Backen dar, wenn der eine durch Kuͤssen beleidigt worden:) so koͤnnt' es kein Buͤcherverleiher erklaͤren, wie Menschen, deren Kopf doch schwerer, deren Zirbeldruͤse kleiner ist, die sechs Knorpelringe der Luftroͤhre mehr haben — naͤmlich 20 uͤberhaupt, wahrscheinlich zum mehrern Reden — deren Brustbein kuͤrzer und deren Brust¬ knochen weicher sind als bei den Maͤnnern, wie doch solche Menschen weiblichen Geschlechts noch die Magd oder den Kerl in eine Lesebibliothek mit dem Auftrag schicken koͤnnen: »einen Ritterroman fuͤr meine Mademoiselle!« Meine Feder -Kollegen — in Ruͤcksicht der Weiber bin ich nach der Bergspra¬ che bloß von der Feder , nicht von Feuer noch von Leder — werden zur Erziehung der Leserinnen wie nach Lessing die Juden zur Erziehung der Voͤl¬ ker nur darum gewaͤhlt, weil sie roher sind als die Eleven . Jede Frau ist feiner als ihr Stand. Sie gewinnt mehr durch die Kultur als der Mann. Die weibli¬ chen Engel (aber auch die weiblichen Teufel) halten sich nur in den hoͤchsten feinsten Menschen-Schub¬ faͤchern auf; es sind Schmetterlinge, an denen der Samt–Fittich zwischen zwei rohen Mannsfingern zum nackten haͤutigen Lappen wird — es sind Tulpen, deren Farbenblaͤtter ein einziger Griff des Schicksals zu einem schmutzigen Leder ausdruͤckt. — — Ich bringe das alles vor, damit H. Kozebue und der Verfasser des Alcibiades und das ganze roman¬ tische Schifsvolk es meiner Klotilde nicht uͤbel neh¬ men, daß sie mehr ihr eignes Geschlecht als das be¬ sagte Volk nachahmt, um so mehr, da sie vorschuͤ¬ tzen kann, sie habe dieses noch nicht gelesen. Durch Agathen kam sehr bald eine von Emanuel kouvertirte Antwort Klotildens an, die innen lega¬ zions–maͤßig gesiegelt, geometrisch beschnitten und kallygraphisch geschrieben war, weil Frauenzimmer alle Dinge, die sinnliche Aufmerksamkeit verlan¬ gen, besser betreiben als wir und weil sie — denn kaum vier aus meiner Bekanntschaft brauch' ich aus¬ zunehmen — gerade im Gegensatz der Maͤnner desto schoͤner schreiben, je besser sie denken. Lavater sagt, der schoͤnste Maler gebiert die schoͤnsten Gemaͤlde; und ich sage, schoͤne Haͤnde schreiben eine schoͤne Hand. Klotildens Brief stellet sich mit einer Lusthecke und einem lebendigen Zaun voll Bluͤten unserem D 2 Doktor in den Steig und laͤsset ihn nicht nach Mai¬ enthal. Denn er heisset so: Wuͤrdigster Freund, »Kein Maͤdgen ist vielleicht so gluͤcklich als eine Dichterin; und ich glaube, hier in diesem aufge¬ schmuͤckten Thale wird man zuletzt beides. Sie sind uͤberall gluͤcklich, da Sie sogar an einem Hofe ein Dich¬ ter seyn koͤnnen, wie mir Ihre schoͤne poetische Epi¬ fiel beweiset. Aber die Phantasie malet gern aus Schminkdosen — das wahre Maienthal kann der Ihrigen nicht soviel geben als Sie in die drei Land¬ schafts-Blaͤtter desselben zu legen wissen. So oft ich und Sie einerlei durch Phantasie ersetzen muͤs¬ sen: so ist blos bei Ihnen der Ersatz groͤßer als das Opfer. Wenn ich Ihnen das Vergnuͤgen, H. Emanuel zu sehen, durch Ueberreden haͤtte verschaffen koͤnnen: so haͤtt' ichs gern gethan; aber ich war zuletzt aus Gewissenhaftigkeit nicht beredt genug, um ihn zu einer Reise zu Ihnen zu bringen, die seine sieche Brust der Gefahr des Verblutens aussetzte. Sehen Sie ihn fuͤr einen Fruͤhling an, den man alle Jah¬ re neun Monate lang erwarten muß. Ach die Besorgniß fuͤr meinen unvergeßlichen und unersetzlichen Lehrer wirft einen Schatten uͤber den jetzigen ganzen Fruͤhling wie ein Grabmal uͤber einen Blumengarten. Ich habe niemals einen Fruͤh¬ ling so gern und so freudig angesehen wie diesen — ich kann oft noch bei Mondschein an die Baͤche hin¬ ausgehen und eine Blume aufsuchen, die vor dem fließenden Spiegel zittert und um die ein Mond oben und einer unten schimmert und ich stelle mir das Blumenfest in Morgenland vor, bei dem man (wie man sagt) zu Nachts um jede Gartenblume ei¬ nen Spiegel und zwei Lichter setzt. Aber doch kann ich nicht zum Blumenflor meines Lehrers hinuͤber¬ blicken, ohne zu weich zu werden, da ich denken muß, wer weiß ob seine Tulpen nicht laͤnger stehen als seine geknickte Gestalt. Hat denn die ganze Ar¬ zeneikunst kein Mittel, das seine Hoffnung zu ster¬ ben vereitelt? — Ich glaube, er stimmt mich nach und nach in seinen melancholischen Ton, womit ich mich vor einem andern als dem Freunde Emanuels laͤcherlich machen wuͤrde; aber eine stille verborgene Freude bricht auch gern in Schwermuth aus; »nur »in der kalten, nicht in der schoͤnen Jahreszeit un¬ »sers Schicksals sagten Sie einmal, thun die war¬ »men Tropfen weh, die aus den Augen auf die »Seele fallen, so wie man blos im Winter die Blu¬ »men nicht warm begießen darf.» Und warum sollt' ich Ihrer offenherzigen Seele nicht alle Schwaͤ¬ chen der meinigen offenbaren? Dieses Zimmer, worin meine Giulia ihr schoͤnes Leben endigte, die¬ ser Spiegel sogar, der mir, als ich mich vor Schmerz von ihrem Sterben wegkehrte, meine erblassende Schwester noch einmal zeigte, die Fenster, aus de¬ nen mein Ange so oft des Tages auf einen trauri¬ gen dornenvollen Rosenstrauch und auf einen ewig geschloßenen Huͤgel kommen muß, alles das darf ja wohl meinem Herzen einige Seufzer mehr geben als eine Gluͤckliche sonst haben soll. Ich weiß nicht, sagten Sie oder Emanuel es: »der Gedanke des Todes muß nur unser Besserungsmittel aber nicht unser Endzweck seyn; wenn in das Herz wie in die Herzblaͤtter einer Blume die Grabeserde faͤllt, so zerstoͤret sie, anstatt zu befruchten.» — Aber auf mein Laub hat wohl das Schicksal und Guilia schon einige Erde geworfen. — Und ich trage sie gern, da ich seit Ihrer Freundschaft nun zu einem Herzen fluͤchten kann, vor dem ich meines oͤfnen darf, um ihm darin alle Kuͤmmerniße, alle Seufzer, alle Zwei¬ fel, alle Fragen einer gedruͤckten Seele zu zeigen. O ich danke dem Allguͤtigen, daß er mir soviel als er mir in meinem Lehrer zu entziehen drohet, schon voraus in seinem Freunde wieder giebt — meine Freundschaft wird unsern Emanuel nachreichen bis in die andre Welt und seinen Liebling begleiten durch diese; und sollte einmal auf uns beide der ge¬ meinschaftliche Schlag seines Todes fallen, so wuͤr¬ den wir unsere vereinigten Thraͤnen geduldiger ver¬ gießen und ich wuͤrde vielleicht sagen: ach, sein Freund hat mehr verlohren als seine Freundin! Klotilde . Das Schlagen meines fremden Herzens misset mir das Schlagen des gluͤcklichern ab. Aber eh' ich er¬ zaͤhle, was Viktors Freude uͤber diesen Brief anfangs stoͤrte und dann verdoppelte, sey es mir erlaubt, zwei gute Reflexionen zu machen. Die erste ist: die ver¬ groͤßerte Empfindsamkeit ist in einer stolzen Brust (wie Klotildens), die sonst die Seufzer zuruͤckholte und nur weibliche Satiren uͤber uns Herren aus¬ schickte, das schoͤnste Zeichen, daß ihr Herz im Sonnen¬ schein der Liebe zergehe. Denn diese kehret die Weiber um: sie macht aus einer Kolumbine eine Youngin, aus einer Ordentlichen eine Unordentliche, aus einer Feinen eine Offenherzige, aus einer Putz¬ macherin und Putztraͤgerin eine Philosophin und wie¬ der umgekehrt . — Und du, liebe Philippine, pruͤfe die zweite Reflexion, da du jetzt so gut bist wie dein eigner Bruder: ist nicht das Verhehlen der Liebe das schoͤnste Entdecken derselben? Zeigt nicht ein Schleier — ein moralischer, mein' ich — das ganze Gesicht und ist fuͤr nichts unzugaͤnglich als fuͤr den Wind — den moralischen, mein' ich —? De¬ cket nicht das glaͤserne Gehaͤuse der Damenuhr das ganze darauf gefirniste Uhrportrait am Boden auf und wendet blos das Beschmutzen‚ nicht das Be¬ schauen ab? — Und was wirst du fuͤr Reflexionen machen‚ wenn ich dir diese zwei vorlese! Dieser Brief staͤrkte zugleich seinen Wunsch‚ um Klotilde zu seyn‚ und seine Kraft‚ ihn aufzugeben — bis des andern Tags in der Toilette-Stunde ein Zufall alles aͤnderte. Matthieu‚ der fast mehr Be¬ suche bei Feinden als bei Freunden ablegte‚ kam vom Apotheker herauf. Er sah die Prospekte von Mai¬ enthal nnd den Florhut; und da er wußte, daß sei¬ ne Schwester Joachime beides habe: so sagte er scherzhaft: »ich glaube, Sie wollen sich verkleiden, oder man hat sich entkleidet.» Viktor flatterte mit einem leeren lustigen »Beides!» daruͤber. Er nahm nicht gern den Namen der Liebe oder eines Weibes vor einem Menschen in den Mund, der an keine Tugend glaubte, am wenigsten an weibliche, der zwar wie andre Spinnen auf andere Musik, sich an seinem Faden auf die Liebe niederließ, der aber wie Maͤuse aus Liebe zu den Toͤnen, uͤber die Saiten kroch und sie zersprengte. Viktor war ungern (vor seinem Hofleben) mit solchen philosophischen Ehren¬ raͤubern unter unbescholtenen Maͤdgen, weil es ihm schon wehe that, an den Gesichtspunkt der erstern erinnert zu werden. »Von meiner Tochter, sagt' er, muͤßten sie nicht einmal das Daseyn erfahren, weil sie einen schon dadurch beleidigen, daß sie sie denken.» — Matthieu sprach von dem naͤchsten patriotischen Klub (den 4 Mai am Geburtstag des Pfarrers) und fragte, ob er dabei waͤre. Agathe aber hatte ihn schon gestern (am vorletzten April) daran erinnert. Endlich fuͤhrte Maz seine Frage vor, »ob er nicht »auch zu Pfingsten von der Parthie sey — er habe »mit dem Regierungsrathe (Flamin), der dazu im¬ »mer Ferien brauche, eine kleine Lustreise abgekartet »nach Groskussewiz zum Grafen O — er habe da »zu thun, noch einige Logis des Hofstaats den Kus¬ »sewizern zu bezahlen, und den Grafen O. zu »einem guͤtlichen Vergleich uͤber das neuliche Mi߬ »verstaͤndniß zu disponiren, daher er den Juristen »mithaben muͤsse — vielleicht waͤren die Englaͤnder »bei diesem Kongresse — das Reisekorps koͤnne dann »so große Vergnuͤgungen haben wie ein corps diplo ¬ » matique , nachdem es vorher eben solche Geschaͤfte »gehabt.» — Mein Sebastian hatte seine lange stumme Aufmerksamkeit mit einem kalten »Nein» beschloßen, weil die Ausduͤnstung dieser falschen flie¬ genden Katze mit einem aͤtzenden Gift sein unbe¬ schirmtes Herz uͤberzog. »Was hab' ich (dacht' er »unter jener Einladung) diesem Menschen gethan, »daß er mich ewig verfolgt — daß er mit einem »Messer, dessen eine Seite vergiftet ist oder beide, »meinen Jugendfreund unter unsern doppelten »Schmerzen, von meiner Seele schneidet — daß er »seine Minier-Hoͤlen bis an fremde Orte fortfuͤhrt, » nm mich in allen Stellungen uͤber seinem Pulver »zu haben.» Viktor mußte naͤmlich nach allem be¬ sorgen, daß die Pfingst-Reise eine Entdeckungsreise sey, worauf Joachime dem Bruder wie Ritter Mi¬ chaelis den Morgenlandsfahrern, Fragen uͤber die Uhrbriefsache, uͤber Tostato u. s. w. mitgebe, um wohl gar beim Fuͤrsten eine Anklage daraus zu bil¬ den. Er hielt das Untere seiner Karte, d. h. seines tugendhaften Schmerzens so, daß es Matthieu nicht ganz sehen konnte, um diesem eine boßhafte Freude zu entziehen. Dieser, der nicht eine Spi¬ tzenmaske, sondern eine eiserne und noch dazu eine mit einem Halse trug, hatte oft eine solche Kaͤlte, daß man seinen wuͤthigen Zorn nicht begrif und umgekehrt — aber jene hatte er im Lager, diesen in der Akzion gegen den Feind. Wenn ihn jemand sogleich aufbrachte, war's ein gutes Zeichen und bedeutete, daß er nichts gegen ihn im Schilde fuͤhre. Aber nach dem Remarsch des Evangelisten — den er ungern den Florhut finden lassen, welchen er uͤberhaupt eingesperret haͤtte, waͤre Flamin oͤfter ge¬ kommen — war Viktor vergnuͤgt uͤber einen neuen Einfall. Denn am Hute schlugen Blumen aus und der war der Gluͤckstopf, aus dem er eine frohe Stunde zog, naͤmlich den Vorsatz, auf Pfingsten zu verreisen, aber nach — Maienthal. Er hielt sich ernstlich vor, daß ihm und Klotilden die zu weit getriebene Schonung eines eifersuͤchtigen Bruders, dessen irre Hoffnungen ja keine Schwester zu staͤrken verpflichtet sey, noch dazu durch die menschenfeindliche Inspirazion Matthieus erschweret und vereitelt werde — daß also ihr Absondern so wenig erleichtere als ihr Besuchen verschlage — daß es indessen schoͤn sey, den Bruder zu schonen und blos in seine Abwesen¬ heit einen verdaͤchtigen Ausflug zu verlegen, bis ihn einmal die heruntergezogne Binde in der Unge¬ treuen die Schwester entdecke und im Nebenbuhler den schonenden Freund — und daß es immer besser sey, sie in Maienthal als bei ihrer Zuruͤckkunft in seiner Naͤhe zu sprechen — und daß der uͤber seine Abstammung belehrte Bruder ihm einmal doch blos vorruͤcken koͤnne, er habe ihm keine Taͤuschungen ge¬ nommen als unangenehme. — O die Liebe und die Tugend haben ein nacktes Gewissen und entschuldi¬ gen ihre himmlischen Freuden laͤnger und mehr als andere ihre hoͤllischen! Als Viktor noch dazu daran dachte, daß den Tagen der Liebe sobald das Laub und die Bluͤthen abfallen und daß Emanuel und selber Klotilde zwei hart ans Ufer des Grabes geruͤckte Blumen sind, deren lose nackte Wurzeln schon erstorben hinunter¬ haͤngen: so war sein Entschluß befestigt und er schrieb an Emanuel die Nachricht seiner Ankunft zu Pfing¬ sten, um Klotilden durch keinen Ueberfall zu erzuͤr¬ nen und um ihr noch dazu die Gelegenheit eines Verbotes zu lassen. Seine Wendung war die: »Wenn es sein sokratischer Genius erlaube (d. h. »Klotilde), der ihm immer sage, was er nicht »thun solle: so komm' er zu Pfingsten, da ohnehin »die Stadt da veroͤde, da Flamin auf 4, 5 Tage »nach Kussewitz reise» ꝛc. Als er den Brief fertig hatte: fiel ihm ein, daß er gerade heute an diesem 29 April vor einem Jah¬ re die ganze Nacht gereiset sey, um mit dem ersten Mai am Morgen durch den Nebel ins Pfarrhaus zu treten. »Ich kann ja wieder diese schwuͤle Zephyr¬ »Nacht nicht unter dem Zudeck sondern unter den »Sternen verbringen. — Ich kann in Einem fort »ins Abendroth nach Maienthals Bergen schauen. »— Ich kann ja lieber den halben Weg darauf zu¬ »gehen — oder gar den ganzen. — Ich kann mich »auf einen Berg stellen und ins Doͤrfgen schauen — »Wahrlich ich kann dann mein Billet hier irgend »einem Maienthaler inkognito einhaͤndigen und wie¬ »der Reißaus nehmen noch vor Tags.» — Um sieben Uhr Nachts ging er wie das Meer von Osten nach Westen. Orion, Kastor und Andro¬ meda blinken in Westen nicht weit vom Abendroth uͤber den Gefilden der Geliebten und werden wie diese bald aus einem Himmel in den andern unter¬ gehen. Das von lauter Hoffnungen erschuͤtterte Herz, seine erhitzten Gehirnkammern, an denen das mit sympathetischer Dinte gezeichnete Mai¬ enthal immer lichter und farbiger vortrat, dieses innere halb schmerzliche Charivari und Schellenge¬ laͤute der Freude raubte ihm anfangs das Vermoͤgen, den in griechischer Schoͤnheit aufgebaueten Fruͤhlings¬ tempel in eine stille helle Seele aufzufassen. Die Natur und die Kunst werden nur mit einem reinen Auge aus dem die zwei Arten von Thraͤnen wegge¬ wischet sind, am besten genoßen. Aber endlich uͤberdeckte das ausgebreitete Nacht¬ stuͤck seine heissen Fieberbilder und der Himmel drang mit seinen Lichtern und die Erde mit ihren Schatten in sein erweitertes Herz. Die Nacht war ohne Mondlicht, aber ohne Wolken. Der Tempel der Natur war wie andere Tempel erhaben verdun¬ kelt. — — Er konnte sich aus den Laufgraͤben lan¬ ger Thaͤler, aus Waͤlder-Souterrains und aus dem schillernden Nebel seiner Traͤume und der Wiesen nicht eher erheben als in der Mitternachtsstunde, wo er einen Berg wie einen Thron bestieg und sich da auf den Ruͤcken legte, um die Augen in den Him¬ mel unterzutauchen und sich abzukuͤhlen vom Traͤu¬ men und Laufen. Das hereinhaͤngende Himmelsblau schien ihm eine duͤnne blaue Wolke, ein in blaue Duͤnste zerschlagnes Meer zu seyn und eine Sonne um die andere that mit ihren langen Strahlen diese blaue Fluth ein wenig auseinander. Der Arkturus, der dem liegenden Menschen gegenuͤber stand, stieg schon von der Zinne des Himmels herab und drei große Sternbilder, der Luchs, der Stier, der große Baͤr zogen weit voraus unter das Abendthor. — Diese naͤhern Sonnen wurden von entruͤckten Milch¬ straßen mit einem Hof umschwommen und tausend große in die Ewigkeit geworfne Himmel standen in unserem Himmel als weisse spannenlange Duͤfte, als lichte Schneeflocken aus der Unermeßlichkeit, als sil¬ berne Kreise aus Reif. — Und die Schichten anein¬ andergedruͤckter Sonnen, die erst vor dem tausend¬ aͤugigen Auge der Kunst den Nebelschleier fallen las¬ sen, spielten wie Streife unserer Sonnenstaͤubgen, im gluͤhenden durch das Unermeßliche brennenden Sonneustrahl des Ewigen. — Und der Wiederschein seines durchgluͤhten Thrones lag hell auf allen Son¬ nen — — — Ploͤtzlich stellen sich naͤhere zerschmolzene Licht¬ woͤlkgen, naͤhere Nebel aufgeflogen aus Thau unter der Versilberung, tief herab vor die Sonnen und der Silberblick des Himmels laͤuft mit zertragenen dunkeln Flocken an. — — Viktor begreifet die uͤber¬ irdische Entzuͤndung nicht und richtet sich bezaubert empor. ... und siehe, der gute verwandte nahe Mond, der sechste Welttheil unserer kleinen Erde, war still und ohne das Freudengeschrei des Morgens neben der Triumphpforte der Sonne hereingetre¬ ten in die Nacht seiner Mutter-Erde mit seinem halben Tage . Und als jetzt die Schatten von allen Bergen ran¬ nen und durch die aufgedeckten Landschaften nur in Baͤchen zwischen Baͤumen zogen und als der Mond dem ganzen dunkeln Fruͤhling in der Mitternacht ei¬ nen kleinen Morgen gab: so faßte Viktor nicht naͤchtlich-melancholisch, sondern morgendlich-verjuͤngt den großen runden Spielraum der jaͤhrlichen Schoͤ¬ pfung in sein erwachtes Auge, in seine erwachte Seele und er uͤberschauete den Fruͤhling unter dem innern Freudengeschrei mitten in der weiten Ver¬ stummung, unter dem Gefuͤhle der Unsterblichkeit im Kreise des Schlafes. — — Auch die Erde, nicht nur der Himmel, macht den Menschen groß! Ziehet in meine Seele und in meine Worte, ihr Mai-Gefuͤhle, die ihr in der Brust meines Viktors schluget, da er uͤber die knospende schwellende Erde sah, von Sonnen uͤber seinem Haupte bedeckt, von gruͤnenden Leben umstrickt, das von Gipfeln zu Wur¬ zeln, von Bergen zu Furchen reichte, und von einem zweiten Fruͤhling unter seinen Fuͤßen getragen, da er sich hinter der durchbrochenen Erdrinde die Sonne mit einem Glanztage unter Amerika stehend dachte. — Steige hoͤher, Mond, damit er den quellenden, geschwollenen, dunkel-gruͤnen Fruͤhling leichter sehe, der mit kleinen blaßen Spitzen aus der Erde dringt bis er sich herausgehoben voll gluͤhender Blumen, voll wogender Baͤume — damit er die Ebenen er¬ blicke, die unter fetten Blaͤttern liegen und auf de¬ ren gruͤnem Wege das Auge zu aufgerichteten Blu¬ men ruͤckt, an denen die zerspaltenen Reitze des Lich¬ tes wachsen und sich befestigen und zu den in Bluͤ¬ then zerspringenden Buͤschen und zu den langsamen Baͤumen, deren gleissende Knospen in den Fruͤhlings¬ winden auf und nieder schwanken — — Viktor war in Traͤumen gesunken, als auf einmal das kalte An¬ wehen der Fruͤhlingsluft, die jetzt mehr mit kleinen Wolken als mit Blumen spielen konnte, und das Rauschen der Fruͤhlingsbaͤche, die neben ihm von allen Bergen und uͤber jedes dunklere Gruͤne weg¬ schoßen, ihn erweckte und beruͤhrte. — — Da war der Mond ungesehen gestiegen und alle Quellen glimm¬ ten und die Maiblumen traten weißbluͤhend aus dem Gruͤn und um die regen Wasserpflanzen huͤpften Silberpunkte. — Da hob sich sein wonneschwerer Blick Blick, um zu Gott zu kommen, von der Erde auf und von den gruͤnenden Raͤndern der Baͤche und stieg auf die herumgebognen Waͤlder, aus denen die eisernen Funken und Dampf-Saͤulen Von den Eisen- und Kohlenhütten. uͤber die Gipfel sprangen, und zog auf die weissen Berge, wo der Winter in Wolken schlaͤft, — — aber als der heilige Blick in dem Sternen-Himmel war und zu Gott hinaufsehen wollte, der die Nacht und den Fruͤhling und die Seele geschaffen hat: so fiel er mit zuruͤcksinkendem Fluͤgel und weinend und fromm und demuͤthig und seelig zuruͤck. . . . Seine schwe¬ re Seele konnte nur sagen: Er ist! — Aber sein Herz sog sich voll Leben an der unend¬ lichen, quellenden, wehenden Welt um ihn, uͤber ihm, unter ihm, worin Kraft an Kraft, Bluͤthe an Bluͤthe reicht, und deren Lebensquellen von einer Erde in die andere spruͤtzen, und deren leere Raͤume nur die Steige der feinern Kraͤfte und der Aufent¬ halt der kleinern sind — die ganze unermeßliche Welt stand vor ihm, deren ausgespanter Wasserfall, in Duͤfte und Stroͤme, in Milchstraßen und Herzen zersprungen, zwischen den zwei Donnern des Gi¬ pfels und des Abgrunds, reissend, gestirnt, geflammt herabfaͤhrt aus einer vergangnen Ewigkeit und nie¬ Hesperus. III . Th. E derspringt in eine kuͤnftige — und wenn Gott auf den Wasserfall sieht, so mahlt sich der Zirkel der Ewigkeit als Regenbogen auf ihn und der Strom verruͤckt den schwebenden Zirkel nicht. ... Lasset uns wieder kleinere Gefuͤhle suchen. Er stand auf und wandelte im Gefuͤhle der Unsterblich¬ keit durch das um ihn pulsirende Fruͤhlingsleben weiter; und er dachte, daß der Mensch mitten unter den Beispielen der Unvergaͤnglichkeit den Unterschied zwischen seinem Schlaf und Wachen irrig zum Un¬ terschiede zwischen Sein und Nichtsein zerdehne. Jetzt war seinen kraͤftigen strotzenden Gefuͤhlen jedes Getoͤse willkommen, das Schlagen der Eisenhaͤmmer in den Waͤldern, das Rauschen der Fruͤhlingswasser und der Fruͤhlingswinde und das aufprasselnde Reb¬ huhn. — Um drei Uhr Morgens sah er Maienthal liegen. Er trat auf den von fuͤnf einzelnen Tannenbaͤumen gehobnen Berg, auf dem man durch's ganze Dorf und wieder hinuͤber zum andern Berge schauen kann, wo die Trauerbirke seinen Emanuel beschattet. Die uͤberwachsene Zelle des letztern konnt' er nicht er¬ blicken; aber am Stifte, wo seine Freundin traͤum¬ te, schimmerten alle Fenster im ausfunkelnden Mon¬ denlicht. In seiner Brust war noch der Rausch der Nacht und auf seinem Angesicht das Brennen der Traͤume — aber das Thal zog ihn in die Erde her¬ aus und gab seinen Freudenblumen bloß einen fe¬ stern Boden; und der Morgenwind kuͤhlte seinen Athem und der Thau seine Wangen ab. Die Thraͤ¬ nen stiegen in seine Augen, als sie auf die weiß ver¬ hangnen Fenster fielen, hinter denen eine schoͤne, eine weise, eine geliebte und eine liebende Seele ihre un¬ schuldigen Morgentraͤume vollendete. Ach, es traͤu¬ me dir, Klotilde, von deinem Freunde, daß er dir nahe ist, daß er seine uͤberstroͤmenden Augen auf deine Zelle wendet und daß er verschwindet wenn du erscheinst und daß er doch seeliger werde von Mi¬ nute zu Minute — ach er traͤumt ja auch und wenn die Sonne aufgeht, ist das geliebte Thal wie dein Traum mit dem Sternenhimmel versunken. — O die Berge, die Waͤlder, hinter denen eine geliebte Seele wohnt, die Mauern, die sie umschließen, schauen den Menschen mit einem ruͤhrenden Zauber an und haͤngen vor ihm wie holde Vorhaͤnge der Zu¬ kunft und Vergangenheit. — Mit jedem Sterne, der oben im Himmel zuruͤck¬ sank, wachte unten auf der Erde eine Blume auf — Der Weg von der Nacht zum Tage wurde schon mit Halbfarben belegt — kleine Nebel stiegen an der Kuͤste des Tages auf — und Viktor war noch auf dem Berge. Sein Besorgniß, daß sich die weisse Fensterhuͤlle rege und ihn zeige, war so groß wie sein Wunsch, daß die Besorgniß immer groͤßer wer¬ E2 de! — Zuweilen wankte ein Vorhang, aber keiner ging auf. — Auf einmal wecken die Vogelkehlen eine Zauberfloͤte an dem Fuße seines Berges und der stille Julius kam der Sonne, die ihm nicht mehr leuchte¬ te, mit seinen Morgentoͤnen entgegen. Da entschlei¬ erte sich ploͤtzlich Klotildens Fenster und ihre schoͤnen hellen Augen nahmen den erfrischten Morgen in die wache fromme Seele auf. Viktor trat, der Entfer¬ nung ungeachtet, von Gestraͤuch hinter Gestraͤuch; aber die Flucht vor den geliebten Augen fuͤhrte ihn der Floͤte naͤher: er wollte jedoch eben so wenig vor Emanuel, den er in der Nachbarschaft des Blinden glaubte, erscheinen als vor Klotilden. Da ihn nur noch einige Gebuͤsche von den Toͤnen schieden: sah er auf dem Berge seinen großen Freund unter der Trauerbirke. Nun eilt' er froh und zitternd zu sei¬ nem Julius herab und fand ihn mit dem Lilienange¬ sicht, schoͤn wie den juͤngern Bruder eines Engels, umflogen und umsungen von Voͤgeln, an einer Birke lehnen: »welche Gestalten, welche Herzen, dacht' er, schmuͤcken dieses Paradies.« Wie haͤtt' er sich an einem solchen großen Morgen, an einem so heiligen Orte, gegen einen so guten Juͤngling verstellen und ihm etwan mit der nachgemachten Stimme seines italienischen Bedienten den Brief an Emanuel uͤber¬ geben koͤnnen! — Nein, das konnt' er nicht; er sagte mit leiser Stimme, um ihn nicht zu erschrecken: lie¬ ber Julius! — Dann sank er langsam an den wei¬ chen Menschen voll Liebe und umarmte an Einer Brust — drei Herzen; und reichte ihm den Brief: »gieb ihn deinem Emanuel!« und floh mit dem waͤrmsten Druck der zartesten Hand, den Berg tiefer hinab und davon. — Gerade um diese Stunde an diesem Tage vor ei¬ nem Jahr verschwand auch Giulia aus Maienthal und nahm nichts von dem schoͤnen Blumenboden mit als einen — Grabeshuͤgel. Als er jetzt hinter einer Gestraͤuch'allee dem Orte der Seeligen entronnen war: machte seine naͤchtliche Erheiterung einer unbezwinglichen Wehmuth Platz. Die aufgehende Sonne zog alle hellen Farben aus seinem naͤchtlichen Traum — »hab' ich denn wirk¬ »lich Maienthal und Julius und alle Geliebte ge¬ »sehen oder ist nur auf einer jeden den Mond schil¬ »lernden Wolke ein zerflossenes Schattenspiel vor¬ »uͤber geronnen?« sagt' er — der Tag bruͤtete die frische Nachtluft seiner Seele zu einem schwuͤlen Flattern des Suͤdwinds an — Anstatt daß der Mensch sonst wie Raguel, in der Mitternacht Graͤ¬ ber aushauet und in der Morgensonne sie wieder verschuͤttet, kehrte heute Sebastian es um. — Eigentlich war es nicht ganz so: sondern das schnelle Vorspringen und Einsinken der geliebten Ge¬ stalten; die vergroͤßerte Sehnsucht darnach, der ruͤh¬ rende Kontrast des Morgen-Getuͤmmels mit der Nacht-Pause, des Sonnenfeuers mit der Monds- Epiktetslampe, und die mit der Ermuͤdung der Phan¬ tasie und des Koͤrpers verknuͤpfte traͤumende Ermat¬ tung der Schlaflosigkeit, alle diese Dinge druͤckten aus dem Herzen und Thraͤnendruͤsen unsers weichen Nachtwandlers unwillkuͤhrliche, suͤße, stroͤmende Thraͤ¬ nen aus, die keinen Gegenstand betrafen die weder vor Freude noch Kummer flossen, sondern vor Sehnsucht. Auf einmal ließ der schoͤne nebellose erste Maitag das Andenken an den vorjaͤhrigen, wo er wie ein Fruͤhling und homerischer Gott, im Nebel ankam, voruͤbergehen — und der gute Mensch schauete mit den Thautropfen in den Augen die Thautropfen in den Blumen an und sagte unaussprechlich geruͤhrt: »ach vor einem Jahre kam ich so gluͤcklich, wurde »so ungluͤcklich, und bin wieder so gluͤcklich — o »ihr fliehenden, spielenden, nachtoͤnenden, zitternden »Jahre des Menschen!« — und das Feiertags-Ge¬ laͤute aus allen Doͤrfern (es war Philippi Jakobi) setzte mit dem sanften Beben eines Echo alle seine Trauersaiten in ein weiteres Zittern. »O vor einem Jahre (toͤnten ihn die Glocken an) begleiteten wir Giulia wie dich, aus Maienthal her¬ aus.« Dann zog vor der Sonne, die am Himmel ihre weissen Bluͤten aufschlug, der warme Gedanke sein erweichtes Herz aus einander: »vor Einem Jahre, an diesem Morgen, ging dir dein Flamin entgegen und vergoß an deiner gluͤhenden Brust so viele Freudenthraͤnen — und am Ende des heutigen Tages zog er dich wieder an sein Herz und sagte gleichsam ahndend; vergiß mich nicht, verrath mich nicht und wenn du mich verlassen willst, so laß mich mit dir untergehen!« — »O du Treuer (sagten alle seine Gedanken,) wie »troͤstet es mich heute, daß ich einmal alle meine »Wuͤnsche gern den deinen aufgeopfert habe, um dir »getreu zu bleiben Es war, als er in der Laube mit seinem Vater für Klotil¬ dens Verbindung mit Flamin sprach — und als er sich vorsetzte, vor derselben sogar ihre Freundschaft zu ent¬ behren. — Nein, ich kann ihm nichts »verbergen, ich gehe jetzt zu ihm.« — Er ging ge¬ rade Flamin, um (wiewohl ohne Meineid gegen den Lord und mit Schonung der Eifersucht) es zu beken¬ nen, daß er auf Pfingsten nach Maienthal verreise. Sein auseinander gegangnes Herz bedurfte ein entge¬ gen weinendes Auge so sehr — sein feines Ehrgefuͤhl verschmaͤhte es so sehr, eine fremde Reise znr spani¬ schen Wand der eignen zu machen — seiner erneuer¬ ten Liebe that das kleinste Verhehlen vor seinem Freunde so weh — Matthieu war aus diesem him¬ melblauen Eden unter der Gehirnschaale so gaͤnzlich verstoßen — daß er, je laͤnger er dachte und lief, desto mehr aufschließen wollte. Er wollt es naͤmlich seinem Flamin sogar entdecken, daß er heute Nachts die Einladungskarte eigenhaͤndig an den Blinden abge¬ reicht: durch eine Taͤuschung wurde ihm die Pfingst¬ reise durch die heutige zulaͤßiger und diesen eignen Gesichtspunkt sah er fuͤr einen fremden an. Aber so weit trieb seine traͤumerische und nacht¬ trunkne Seele ihre gefaͤhrliche Ergießung nicht. Denn beim Eintritt zog ein Maifrost auf Flamins Gesicht den aufbrechenden Bluͤtenkelch seines Her¬ zens ein wenig zusammen. Er bat Flamin mit sei¬ ner kontrastirenden Waͤrme des Gesichts um einen Spaziergang an diesem hellen Tage. Draussen wurde der Abstich noch schneidender, da Flamin sei¬ nen Spazierstock bis zum Knicken einstieß, Blumen koͤpfte, Laub abschlug, mit dem Stiefelabsatz Fußsta¬ pfen aushieb, indeß Viktor in Einem fort zu reden suchte, um seine Seele in der mit gebrachten Waͤrme Waͤrme zu erhalten. Es freuet mich an ihm, daß er sein von den heu¬ tigen Entbehrungen mazerirtes uͤberrinnendes Herz gerade in eines ergießen wollte, dem er die Entbeh¬ rungen schuld zu gehen hatte. Endlich sagte er, um das erschwerte Gestaͤndniß nur von der Seele zu werfen, eilend: »auf Pfingsten geh' ich nach Maien¬ »thal« — und ging fliegend zu den Worten uͤber: »O gerade heute vor einem Jahre gingst du mit.« Flamin unterfuhr ihn und das Eisgesicht wurde wie ein Hekla, von Flammen zerspalten:« So so! — Zu Pfingsten? — »Nach Kusseviz gehst du nicht »mit uns ! — Laß mich doch einmal recht ausreden, »Viktor!« — Sie blieben also stehen. Flamin streifte die Bluͤten und Blaͤtter von einem Schlehen¬ ast mit blutiger Hand und blickte seinen sanften Freund nicht an, um nicht erweicht zu werden. »Heute vor einem Jahre, sagst du? Sieh da ging »ich eben Abends mit dir auf die Warte und wir »versprachen uns entweder Treue oder Mord — »Du schwurst mir, dich hinabzustuͤrzen mit mir, »wenn du mir alles genommen haͤttest, alles — Bin »ich denn blind? Seh' ich denn nicht, die Maschine¬ »rie mit ihrer und deiner Reise ist abgekartet? — »Was thust du mit den Maienthaler Landschaften »gerade jetzt? Wem gehoͤrt der Hut? — Und was »soll ich mir aus allem nehmen? — Wem, wem? »sag's sag's — O Gott! wenn's wahr waͤre! — Hilf »mir, Viktor!« — Dem gemißhandelten heute er¬ schoͤpften Vittor standen die bittersten Thraͤnen in den Augen, die aber Flamin, der sich durch sein ei¬ gnes Sprechen erzuͤrnte, jetzt ertragen konnte. Nie¬ mals nahm dieser in einer Ergrimmung Vorstellungen an: gleichwohl erwartete er sie und staunte uͤber sein Rechthaben und uͤber das fremde Verstummen und begehrte, daß man widerspraͤche. Er quetschte seine Hand in die Schlehenstacheln. Sein Auge brannte in das weinende hinein. Viktor bejammerte den festen Schwur vor seinem Vater und sah auf die zitternde Wage worauf der Eid und die scho¬ nende Freundschaft sich ausglichen. Er sammelte noch einmal alle Liebe in seiner Brust und breitete die Arme auseinander und wollte mit ihnen den Straͤubenden an sich ziehen und konnte doch nichts sagen als: »Ich und du sind unschuldig; aber bis »mein Vater koͤmmt, eher kann ich mich nicht recht¬ »fertigen.« — Flamin druͤckte ihn von sich ab: »Wozu das? — So wars im Gartenkonzert anch — »Sag' lieber geradezu, willst du sie heirathen? — »Schwoͤr' daß du nicht willst? — O, Gott zoͤger' »nicht — schwoͤr' schwoͤr! — Ja ja, Matthieu! — »Kannst du noch nicht? — Nu so luͤg wenigstens!« »Oh! — sagte Viktor und Blutstroͤme schossen »verfinsternd durch sein Gehirn und uͤber sein Ange¬ »sicht — beleidigen darfst du mich doch nicht gar »zu sehr, ich bin so gut wie du, ich bin so stolz wie »du — vor Gott ist meine Seele rein« — — Aber Flamins Blut an der Schlehenstaude druͤckte Viktors zuͤrnende Erhebung nieder und er hob bloß das un¬ bescholtene Auge voll Freundschafts-Thraͤnen in den hellern sanftern Himmel. — »Nur die Heirath ver¬ »schwoͤrst du doch nicht? — Gut, gut, du hast mich »erwuͤrgt — mein Herz hast du zerstampft, und »mein ganzes Gluͤck — ich hatte niemand wie dich »du warst mein einziger Freund, jetzt will ich ohne »einen zum Teufel fahren — Du schwoͤrst nicht? — »O ich reiss' mich von dir blutig und elend und als »dein Feind — wir scheiden uns — gehe nur — weg! es ist aus, ganz! — Adieu! — Er entfloh mit »dem in den Weg hauenden Stock und sein zerruͤt¬ »teter Freund zu Fuͤßen liegend der Wahrheit, die das Flammenschwerd gegen den Meineid aufhebt, und in Thraͤnen sterbend vor der Freundschaft, die auf das weiche Herz den schmelzenden Blick voll Bitten wirft, Viktor, sag' ich, rief dem fliehenden Geliebten im Sterben nach: »Lebe wohl, mein treuer »Flamin! mein unvergeßlicher Freund! ich war dir »wohl treu! — Aber ein Schwur liegt zwischen »uns — Hoͤrst du mich noch? — eile nicht! — Fla¬ »min, hoͤrst du mich? ich liebe dich noch, wir finden »uns wieder, und komm wenn du willst.« . . . Er rief staͤrker, obwohl mit erstickten gedaͤmpften Toͤnen nach: »redliche, theure theure Seele, ich habe dich »sehr geliebt und noch und noch — sey nur recht »gluͤcklich — Flamin Flamin, mein Herz bricht da »du mein Feind wirst.« — Flamin sah sich nicht mehr um, aber seine Hand war wie es schien an seinen Augen. — Der Jugendfreund schwand aus seinen Augen wie eine Jugend und Viktor sank un¬ gluͤcklich nieder unter dem schoͤnsten Himmel, mit dem Brwußtseyn der Unschuld, mit allen Gefuͤhlen der Freundschaft! — O die Tugend selber giebt kei¬ nen Trost, wenn du einen Freund verloren hast und das maͤnnliche Herz, das die Freundschaft durch¬ stochen hat, blutet toͤdtlich fort, nnd aller Wundbal¬ sam der Liebe stillet es nicht! — 32. Hundsposttag. Physiognomie Viktors und Flamins — Siedpunkt der Freund¬ schaft — prächtige Hofnungen für uns. W er haͤtt' es von Cicero gedacht, (wenn er's nicht gelesen haͤtte,) daß ein so bejahrter gescheuter Mann sich in seiner Johannis-Insel hinsetzen und An¬ faͤnge , Exordien, praͤexistirinde Keime im voraus auf den Kauf verfertigen wuͤrde? Inzwischen hatte der Mann den Vortheil, daß er wenn er einen Torso uͤber irgend etwas schrieb, die Wahl unter den Koͤ¬ pfen hatte, wovon er einen dem Rumpfe nach der Korpuskularphilosophie aufschrauben konnte. — Von mir, an dem nichts Gesetztes ist, kann's nicht Wun¬ der nehmen, daß ich auf meinem Moluckischen Fra¬ skati ganze Zaspeln von Anfaͤngen im voraus gewai¬ fet und gezwirnt habe. Wenn nachher der Spitz ei¬ nen Hundstag bringt: hab' ich ihn schon angefangen und stoße nur den historischen Rest gar an die Ein¬ leitung. — Gegenwaͤrtigen Anfang hab' ich fuͤr heute erlesen. Anfangs aber wollt' ich freilich diesen nehmen: Mich quaͤlet bei meinem ganzen Buche nichts als die Angst, wie es werde uͤbersetzt werden. Diese Angst ist keinem Autor zu verdenken, wenn man sieht, wie die Franzosen die Deutschen und die Deut¬ schen die Alten uͤbersetzen. Im Grunde ist's warlich so viel als wird man exponirt von den untern Klas¬ sen und den Lehrern derselben. Ich kann jene Leser und diese Klassen in Ruͤcksicht ihrer Seelenkost, die durch so vielen Medien vorher geht, mit nichts ver¬ gleichen als mit den armen Leuten in Lapland: wenn da die reichen sich in dem Trinkzimmmer mit einem Likoͤr, der aus einer theuren Wurzel gesotten wird, berauschen: so lauert an der Hausthuͤre das arme Volk, bis ein bemittelter Lappe heraus koͤmmt und p—ss—t: das vertirte Getraͤnk, die Vulgata von ge¬ branntem Wasser koͤmmt dann den armen Teufeln zu Gute. Aber diesen Anfang heb' ich mir auf fuͤr den Vorbericht zu einer Uebersetzung. Es gehoͤrt zu den schoͤnen Gaukeleien und Natur spielen des Zufalls, deren es recht viele giebt, daß ich dieses Buch gerade in der Philippi Jakobi Nacht 1793 anfing, wo Viktor die Hexen-Farth zum Maienthalischen Blocksberg unter die Zauberer und Zauberinnen vornahm und wo er 1792 aus Goͤttin¬ gen anlangte. Ich kann nicht schreiben, der Leser kann sich's leicht vorstellen, wie Viktor die ersten Maitage ver¬ lebte oder vertrauerte: denn er kann sich's nicht leicht vorstellen. Vielleicht wir alle hielten die Bande, die ihn mit Flamin verschlangen, fuͤr duͤnne wenige Fibern oder unempfindliche Gewohnheitsflechsen; es sind aber weiche Nerven und feste Muskeln das Bind¬ werk ihrer Seelen. Er selber wußte nicht, wie sehr er ihn liebe als da er damit aufhoͤren sollte. In diesen gemeinschaftlichen Irrthum fallen wir alle, Held, Leser und Schreiber, aus Einem Grunde: wenn man einem Freunde, den man schon lange liebte, lange Zeit keinen Beweis der Liebe geben konnte aus Mangel der Gelegenheit: so quaͤlet man sich mit dem Vorwurfe, man erkalte gegen ihn. Aber dieser Vorwurf selber ist der schoͤnste Beweis der Liebe. Bei Viktor trat noch mehr zusammen, ihn selber zu bereden, er werde ein kaͤlterer Freund. Die Vesperturnire um Klotilde, diese Disputationen pro loco thaten ohnehin das ihrige; aber immer kraͤnkte er sich mit der Selbstrezension, daß er zu¬ weilen seinem Freunde kleine Opfer abgeschlagen, z. B. seinetwegen Versaͤumung einer Lustpartie, das Wegbleiben aus gewissen Regierungsraths-Haͤusern, die Flamin haßte. Aber in der Freundschaft sind große Opfer leichter als kleine — man opfert ihr lieber das Leben als eine Stunde auf, lieber das Immobiliar-Vermoͤgen als eine kleine angenehme Unart, so wie euch manche Leute lieber einen Wech¬ sel schenken als ein so großes leeres Papier. Die Ursache ist, große Aufopferungen macht der Enthu¬ siasmus, kleine die Vernunft. Flamin, der selber niemals kleine machte, foderte sie vom andern mit Hitze, weil er sie fuͤr große nahm. Viktor hatte sich hieruͤber weniger vorzuruͤcken; aber Klotilde be¬ schaͤmte ihn, deren laͤngste und kuͤrzeste Tage wie bei den meisten ihres Geschlechts lauter Opfertage waren. — Auch wurde seine natuͤrliche Delikatesse, die jetzt durch sein Hofleben den Zusatz der kuͤnstli¬ chen gewonnen hatte, tiefer als sonst von seines Freundes Ecken verletzt. — Die feinen Leute geben ihrem innern Menschen (wie ihrem aͤussern) durch Mandelkleien und Nachthandschuhe weiche Haͤnde, blos um das Untere der Karten besser zu fuͤhlen, um niedliche halbe Damen-Ohrfeigen zu geben, aber nicht wie die Wundaͤrzte um damit Wunden hand¬ zuhaben. Zum Ungluͤck schrieb ihm dieser Wahn der Er¬ kaͤltung ein aͤusseres freundliches Bestreben vor, Waͤrme bei Flamin zu zeigen; — da nun der Regie¬ rungsrath nicht bedachte, daß auch das Gezwung¬ ne eben so oft von Aufrichtigkeit entstehen koͤnne als das Ungezwungne von Falschheit: so hatte der Teufel immer mehr sein Bestia-Spiel (wo eine Freund¬ Freundschaft der hohe Einsatz war) bis solcher am Hexentage es gewann. Aber am 4ten Mai soll er alles wieder verlieren denk' ich. Denn Viktor, dessen Herz bei der ge¬ ringsten Bewegung wieder den Verband durchblutete, nahm sich vor, nicht nur am 4ten Mai dem Ge¬ burtstag des Hofkaplans in St. Luͤne beizuwohnen, sondern auch einen Geburtstag der erneuerten Freund¬ schaft mit Flamin zu begehen. Er wollte gern den ersten, zweiten, zehnten Schritt thun, wenn nur je¬ ner stehen bliebe und keinen zuruͤck thaͤte. Denn er kann ihn nicht vergessen, er kann seine Entbehrung nicht verwinden, so leicht ihm sonst die freiwillige war. Er druͤckt alle Abende Flamins schoͤnes Bild, das gemacht war aus seiner Liebe fuͤr ihn, aus sei¬ ner unbestechlichen Rechtschaffenheit, seinem Felsen- Muth, seiner Liebe zum Staat, seinem Talent, so¬ gar aus seinem Aufbrausen, das aus dem doppelten Gefuͤhl des Unrechts und der eignen Unschuld kam, dieses erweichende Bild druͤckte er an das aufgeris¬ sene Herz und wenn er ihn am Morgen auf das Kollegium gehen sah, so liefen ihm die Augen uͤber und er pries den Bedienten gluͤcklich, der ihm die Akten nachtrug. Wenn der 4te Mai des großen Versoͤhnungstages mit dem Soͤhnopfer nicht so nahe waͤre: so wuͤrde er die kleine Julia an sich angewoͤh¬ nen muͤssen als einen dritten Stand zwischen den 2 Hesperus. III . Th. F andern, als einen Leitton zwischen Dissonanzen. Blos die Hoffnung des Maies setzte seinen Gedanken statt der Nesseln-Brennspitzen, Rosenstacheln an. — Der Jugendfreund, lieber Leser, der Schulfreund wird nie vergessen, denn er hat etwas von einem Bruder an sich — wenn du in den Schulhof des Le¬ bens tritst, das eine Schnepfenthaler Erziehungsan¬ stalt ist an eine berlinische Realschule, ein breslaui¬ sches Elisabethanum, ein Scherauisches Marianum: so begegnen dir die Freunde zuerst und eure Ju¬ gendfreundschaft ist der Fruͤhgottesdienst des Le¬ bens. — Viktor wuste Flamins Versoͤhnlichkeit gewiß vor¬ aus, er sah ihn sogar schon oͤfter am Fenster stehen, und zum Erker hinuͤber schielen, aus dem ein freundliches um alle Mißdeutungen des Point d'hon¬ neur unbekuͤmmertes Auge frei und gerade zum Se¬ nior schauete — aber das nahm doch seine Thraͤnen nicht weg, sondern sie wurden vermehrt durch die erste Wiedererblickung des so schoͤnen betrauerten ge¬ liebten Angesichts. Flamin hatte eine große maͤnnli¬ che Gestalt, seine ineinander und zuruͤckgedraͤngte schmale Stirn war der Horst des Muths, seine durchsichtigen blauen Augen — die seine Schwester Klotilde auch hatte und die sich recht gut mit einer feurigen Seele vertragen, wie ja auch die alten Deutschen und das Landvolk beides haben — waren von einem denkenden Geiste entzuͤndet‚ seine gepre¬ sten und eben darum dunkelroͤtheren uͤbervollen Lip¬ pen waren in die menschenfreundliche Erhebung zum Kuße befestigt; blos die Nase war nicht fein genug‚ sondern juristisch oder deutsch gebildet. Die Nase großer Juristen sieht meines Erachtens so elend aus‚ wie die Nase der Justiz‚ mit der sie aber nichts ge¬ mein hat als die — Form. Nicht zu erklaͤren ists beilaͤufig‚ warum die Gesichter großer Theologen — sie muͤsten denn noch etwas anderes Großes seyn — etwas von der typographischen Pracht der deut¬ schen Bibeln an sich haben. Viktors Gesicht hinge¬ gen hatte am wenigsten unter allen von juristischem Matgold und von theologischer Packpapier- und Kur¬ rent-Gemeinheit: seine Nase lief‚ die Schaͤrfe und den Stirn-Einschnitt abgezogen‚ griechisch-gerade gerade nieder‚ die spitzigen Mundwinkel betrugen (wenn er aber nicht lachte) vielleicht uͤber I ′′′′′ formirten mit einer solchen Nasen-Schneide das Ordens-kreutz‚ das satirische Leute tragen; — seine weite Stirne woͤlbte sich zu einem hellen und geraͤumigen Chor einer geistigen Rotunda‚ worin eine sokratisch ¬ gleichbeleuchtete Seele wohnt‚ aber weder diese Helle noch jene Stirne gatten sich mit angeborner wil¬ der Festigkeit obwohl mit erworbener ; — seine Phantasie‚ dieser große Gewinn‚ hatte wie mehr¬ mals gar keine Lotteriedevise auf seinem Gesicht; — F 2 seine Achataugen aus Neapel verkuͤndigten und such¬ ten ein liebendes Herz; sein blondes Mousselin-Ge¬ sicht kontrastirte wie Hof mit Krieg, gegen Flamins braunes elastisches den zwei Gluthwangen als Grund dienendes Angesicht. — Uebrigens war Flamins See¬ le ein Spiegel, der unter der Sonne nur mit einem einzigen Punkte flammte; an Viktors seiner aber waren mehrere Kraͤfte zu schimmernden Facetten aus¬ geschliffen. Klotilde hatte mit ihrem Bruder dieses ganze Feuerzeug und diese Schwefelminen des Tem¬ peraments gemein; aber ihre Vernunft deckte alles zu — der reissende Blutstrom, der sich bei ihm von Felsen zu Felsen schlug, zog bei ihr schon still und glatt durch Blumenwiesen. Ich saͤh' es gern, er erneuerte wieder mit dem Regierungsrath den Kontrakt der Freundschaft: ich wuͤrde dann seine Pfingst-Reise nach Maienthal zu beschreiben kriegen, die vielleicht das Septleva und das Beste wird, wozu es noch der menschliche Ver¬ stand gebracht hat. Aus diesem Septleva wird aber nichts, wenn sie nicht wieder Friede machen: neben jede Blume in Maienthal, neben jede Entzuͤckung wuͤrde sich dem Freunde die abgegraͤmte Gestalt des Freundes stellen und fragen: »kannst du so gluͤcklich »seyn da ich's so wenig bin?» — Gescheuter waͤr' es, es waͤren Moͤnche oder Hof¬ leute: dann waͤre beiden zuzumuthen, daß sie, da die Freundschaft die Ehe der Seelen ist, enthalt¬ sam im Zoͤlibate der Seelen verblieben. . . . Eben beim Schluße dieses Kapitels bringt der Hund das neue und ich flechte beide gar ineinander und fahre fort: Ohne sonderliche Aergerniß uͤber das Ausbleiben der Antwort aus Maienthal, ging Viktor den 4ten Mai einsam nach St. Luͤne und mit jedem Schritte, um den er naͤher kam, wurde seine Seele weicher und versoͤhnlicher. — Als er ankam — — — Es giebt in jedem Hause Tage, die in der Lita¬ nei vergessen wurden — verdammte, verteufelte, verhenkerte Tage — wo alles Diagonal geht und die Queere — wo alles keift und knurrt und mit dem Schwanze wedelt — wo die Kinder und der Hund nicht Muck! sagen duͤrfen und der Erb- Lehn- und Gerichtsherr des Hauses alle Thuͤren zuwirft und die Haus-Souverainin das Schnarrkorpus-Re¬ gister des Moralisirens Die meisten Weiber sind nicht eher Galgenpatres (eigent¬ lich-Galgenmatres) und Kasernenpredigerinnen als bis sie Teufelstoll sind, wie Sterne die meisten Einfälle hatte, wenn er nicht wohl war. zieht und den Silberton der Teller und Schluͤsselbunde anschlaͤgt — wo man lauter alte Schaͤden aufstoͤbert, alle Waldfrevel der Maͤuse und Motten, die zerknickten Parasol- und Faͤcherstaͤbe und daß das Schieß-Pulver und der wohlriechende Puder und das Kavalierpapier dum¬ pfig geworden und daß der Wurstschlitten ausgesessen ist zu einem hoͤlzernen Esel, und daß der Hund und das Kanapee im Haͤaͤren begriffen sind — wo alles zu spaͤt kommt, alles verbraͤt, alles uͤberkocht und die Kammerdonna die Stecknadeln ins Fleisch der Frau wie in eine Puppe treibt — und wo man, wenn man sich bei dieser hundsfoͤttischen Krankheit ohne Materie genugsam ereifert hat ohne Ursache, sich zufrieden giebt wieder ohne Ursache — — Als Viktor anlandete in der Pfarre: hoͤrt' er den Geburtshelden des Tages, den Pfarrer, in sei¬ nem Museo doziren und schreien. Er goß seinen h. Geist in die langen Ohren seiner Katechumenen aus, in die keine feurigen Zungen zu bringen wa¬ ren. Er handhabte eine Dunsin aus einer Einoͤde (einem einzigen Hause im Walde), vor der er den Unterschied des Loͤse- und des Bindeschluͤssels aufklaͤ¬ ren wollte. Es war aber nicht zu machen: der Ka¬ plan und Wiedergebohrne hatte schon 1½ Stunde uͤber die Schulzeit mit dem Aufklaͤren zugebracht; die Dunsin vergrif sich immer in den Schluͤsseln, als waͤre sie eine — Weltdame . Der Kaplan hatte seinen Kopf darauf gesetzt auf die Illuminazion des ihrigen — er stellte ihr alles vor, was Eisen¬ holz und Eisensteine geruͤhrt haͤtte, seinen heutigen Geburtstag, die allgemein–versalzene Luft, die an¬ derthalben Supernumerar-Stunden, um sie zu uͤber¬ reden, daß sie den Unterschied begriffe — sie thats nicht, sie sah' ihn nicht ein — er ließ sich zu Sup¬ pliken herab und sagte: »Schatz, Lamm, Bestie, »Beichttochter, fass' es, fleh' ich — mache deinem »Seelenhirten die Freude und repetir' ihm den aus¬ »serordentlichen Unterschied zwischen Bind- und Loͤ¬ »seschluͤssel — mein' ich's denn nicht redlich — mit »dir? — Aber mein Pfarramt fodert es von mir, »daß ich dich nicht wie ein Vieh ohne einen Schluͤs¬ »sel zu kennen weglasse. — Ermanne dich nur und »sprich' mir nur Wort fuͤr Wort nach, theuer–er¬ »kaufte Christen–Bestie.» — Das that sie endlich und da sie fertig war, sagt' er freudig: So gefaͤllst du deinem Lehrer und merk' ferner auf.» — Draus¬ sen rekapitulirte sie es wieder und sie hatte alles gut gefasset, ausgenommen, daß sie statt der Bind– und Loͤseschluͤssel allemal vernommen hatte Bind– und Loͤseschuͤsseln. — Die Drillinge wollten erbaͤrmlicher Weise erst nach dem Essen kommen — Die Seele der Appel dampfte eben darum ein Wildprets-Fumel aus und roch wie angebrannte Milchsuppe — der Regierungs¬ rath war angelangt, aber leider wieder auf die Fel¬ der hinausgelaufen bis zum Essen — Agathens Ge¬ sicht war wie ein Felsenkeller von der Kaͤlte ihres Bruders gegen Viktor ausgeschlagen: — Nur die Pfarrerin war die Pfarrerin, nicht blos Ein Vater¬ land sondern Ein Liebesathem reihete ihr Herz an sein Herz und es war ihr unmoͤglich, auf ihn zu zuͤrnen. Sie liebte ein Maͤdgen, wenn er's lobte; waͤre sie ohne Mann gewesen: so wuͤrde sie entweder billetdoux -Stellerin oder billetdoux -Traͤgerin fuͤr ihn gewesen. — So lieben Weiber: ohne Maaß! Oft hassen sie auch so. — Dazu setzet nun mein Korrespondent noch, daß er aus dem Baddorfe ei¬ nen ganzen Zeugenrotul zum Beweise extrahiren koͤnnte, daß die Pfarrerin nicht blos allemal sondern auch am heutigen Ventos- und Pluvios-Tage es mit ungeschminkter Fassung einer Christin auszuhal¬ ten und zu erleben vermochte, wenn eine etwas fal¬ len ließ, eine Tasse oder ein Wort. Zu so etwas — zur Apathie gegen einen gegenwaͤrtigen gaͤnzlichen Verlust einer Terrine, eines Spuͤhlnapfes, einer compotiére — ist vielleicht eben so viel Gesundheit als Vernunft von noͤthen. — Endlich trat abends der Hofjunker ein und sagte, Flamin sey noch im Garten. Viktor nahm es auf als waͤr' es ihm gesagt und ging hinaus und trug sein beklommenes Herz einer andern bangen entgegen. Flamin fand er in einer uͤberlaubten Ecke hinaufstarrend mit den Augen zum Wachsbilde des verstossenen Geliebten, Viktors Herz ging wie zwi¬ schen Thraͤnen schwer in der uͤbervollen Brust. Fla¬ mins Gesicht war nicht mit dem Panzer des Zorns, sondern mit dem Leichenschleier des Kummers bedeckt. Viktor bewillkomte ihn mit der sanften Stimme ei¬ nes gedruͤckten Herzens, aber dieser sagte alle Gedan¬ ken und Worte nur halb. Viktor schauete tief in die Seele, die um die Freundschaft trauerte: denn nur ein Herz sieht ein Herz, nur der große Mann sieht große Maͤnner, so wie man Berge nur auf Bergen erblickt. Er hielt es daher fuͤr kein Zeichen des Grolls, da Flamin langsam von ihm weg¬ ging; aber er mußte, so einsam da gelassen, seine Augen von der geweihten Erde des Gartens, wo ih¬ re Freundschaft sonst die Bluͤten geoͤfnet hatte, und von der Opferlaube, wo er bei seinem Vater fuͤr Klotildens und Flamins Verknuͤpfung gesprochen, und von der hohen Warte, dem Thabor der freund¬ schaftlichen Verklaͤrung, von allen diesen Begraͤbni߬ staͤtten einer schoͤnern Zeit mußt' er die Augen ab¬ wenden, um die aͤrmere zu ertragen. Allein das, was er nicht anschauen wollte, stellte er sich desto heller vor. Jetzt dehnte die Gebet- und Abendglocke ihre melancholischen Bebungen aus bis an die Herzen der Menschen — die vergangnen Zeiten schickten die Toͤ¬ ne und die Abendklagen sanken wie heisse Bitten, in die getrennten Freunde: O soͤhnet euch aus und »gehet zusammen! Ist denn das Leben so lang, daß »die Menschen zuͤrnen duͤrfen, sind denn der guten »Seelen so viele, daß sie einander fliehen koͤnnen? »O diese Toͤne zogen um viele Aschen-Leichen, um »manches erstarrte Herz voll Liebe, um manchen »geschlossenen Mund voll Grimm, o Vergaͤngliche, »liebet, liebet euch!» — Viktor ging willig (denn er weinte) dem Freunde nach und fand ihn am Bet¬ te stehen, worauf Eyman dessen Namens- F. in Kohlrabipflanzen gruͤnen ließ: er schwieg, weil er wußte, daß zu allen sympathetischen Kuren ge¬ schwiegen werden muß. O eine solche schweigende Stunde, wo Freunde wie Fremdlinge neben einan¬ der stehen und mit dem Verstummen das alte Er¬ gießen vergleichen, hat zu viele Herzensstiche und tausend erdruͤckte Thraͤnen und statt der Worte die Seufzer! Viktor so nahe am Freund wollte, da unter dem Gelaͤute seine schoͤnere Seele wie Nachtigallen unter Konzerten, immer lauter wurde, von Minute zu Minute an dieses schoͤne edle Gesicht, an diese zum Versoͤhnungskuß geruͤndeten Lippen fallen — aber er erschrack vor der neulichen Abstossung. Er sah jetzt, wie Flamin ins Bett immer weiter trat und die Herzblaͤtter der Kohlrabi langsam umtrat und auseinander quetschte: endlich merkte er, dieses Zerknirschen des gruͤnenden Namens sey blos die stumme Sprache der Trostlosigkeit, die sagen wollte: »ich hasse mein gequaͤltes Ich und ich moͤcht' es »zermalmen wie meinen Namen hier: fuͤr wen soll »er?» — Das riß Blut aus Viktors Herzen und weggekehrte Thraͤnen aus seinem Auge und er nahm sanft die lang entzogne Hand, um ihn wegzufuͤhren vom Selbstmorde des Namens. Aber Flamin drehte sein zuckendes Angesicht seitwaͤrts nach dem waͤchser¬ nen Schatten seines Freundes und sah, starr abge¬ kruͤmmt, hinauf. — »Bester Flamin!» — sagte Viktor mit dem schoͤnsten geruͤhrtesten Laute und druͤckte die brennende Hand. Da riß sie Flamin aus seiner heraus und stieß mit den zwei Handbal¬ len die Thraͤnentropfen in die Augen zuruͤck — und athmete laut — und sagte erstickt: Viktor! — und wandte sich mit großen Thraͤnen um und sagte noch dumpfer: liebe mich wieder! — Und sie stuͤrzten zusammen und Viktor antwortete: »ewig und ewig lieb' ich dich, du hast mich ja nie beleidigt» — und Flamin stammelte gluͤhend und sterbend: »nimm nur »meine Geliebte und bleibe mein Freund» — Und Viktor konnte lange nicht reden und ihre Wangen und ihre Thraͤnen brannten vereinigt aneinander bis er endlich sagen konnte: »o du! o du! du edler Mensch! Aber du irrest dich irgendwo! — Nun verlassen wir uns nicht mehr, nun wollen wir ewig so bleiben. — Ach wie unaussprechlich wer¬ den wir uns einmal lieben, wenn mein Vater koͤmmt!« Hier holte sie die vielleicht um beide besorgte Pfarrerin ab und Flamin ehrte sie, was er selten that, in seiner Erweichung mit einer kindlichen Um¬ armung; und aus vier verweinten Augen las sie ent¬ zuͤckt die Erneuerung ihres unvergaͤnglichen Bundes. Nichts beweget den Menschen mehr als der An¬ blick einer Versoͤhnung, unsere Schwaͤchen werden nicht zu kostbar durch die Stunden ihrer Vergebung erkauft, und der Engel, der keinen Zorn empfaͤnde, muͤßte den Menschen beneiden, der ihn uͤberwindet. — Wenn du vergiebst, so ist der Mensch, der in dein Herz Wunden macht, der Seewurm, der die Muschelschaale zerloͤchert, welche die Oefnungen mit Perlen verschließet. Diese Aussoͤhnung zog, gleichsam eine mit dem Gluͤck nach sich — der brumaire Abend wurde zu ei¬ nem floréal -Abend — die Drillinge aßen vom ge¬ bratnen Ruhm der Appel nach — Der Pfarrer hatte mit keinen Schluͤsseln weiter zu thun als mit Loͤse¬ schluͤsseln, den geistigen Musikschluͤsseln — und das Geburtsfest war zu einem Foͤderationsfeste aufgebluͤ¬ het, zu einem Oppositionsklub, wo sich alles, aber in einem hoͤhern Sinne als Quaͤker und Kaufleute Freund nannte. Die Drillinge hielten altbrittische Reden, die nur freie Menschen verstehen konnten. Viktor wunderte sich uͤber die allgemeine Freimuͤthig¬ keit vor einer so gestachelten Schmeiß-Mouche wie Matthieu war — aber die Englaͤnder fragten nach nichts. Der Pfarrer schickte Herzensgebete ab und sagte, er seines Orts nehme wenig Notiz davon und bitte nur leiser zu haranguiren, damit er nicht in den Ruf kaͤme, als ob er pietistische Konventikel in seiner Pfarre zuließe. »Inzwischen steif' er sich »ganz auf den Herrn Hofmedikus und H. Hofjun¬ »ker, die ihn gegen Fiskulate gewißlich decken wuͤr¬ »den: sonst wuͤrd' er Frau und Sohn nicht mit »drein sprechen lassen.» Die Pfarrerin zog die Erinnerungen an ihr freies Vaterland den besten Verlaͤumdungen und Moden vor. — Viktor mußte heute sein Versprechen halten, seine republikanische Orthodoxie außer Zweifel zu setzen; und da er's vor unsern Ohren gab, wollen wir auch mit sehen, wie er's haͤlt und ob er ein Alt-Britte ist. Er ahmte meistens den Styl nach, den er zu¬ letzt gelesen oder — wie heute — gehoͤrt hatte; da¬ her sprach er in Sentenzen wie der eine brennend- kalte Englaͤnder. »Kein Staat ist frei als der sich liebt; das »Maaß der Vaterlandsliebe ist das Maaß der »Freiheit. Was ist denn nun diese Freiheit! »Die Geschichte ist der La Morgue -Platz Ein vergitterter Platz in Paris, wo man die in der Nacht gefundnen Todten ausstellet, damit jeder Verwandter den seinigen aussuche. , wo »jeder die todten Verwandten seines Herzens sucht: »fragt die großen Todten aus Sparta, Athen und »Rom, was Freiheit ist? Ihre ewigen Festtage — »ihre Spiele — ihre ewigen Kriege — ihre steten »Opfer des Vermoͤgens und Lebens — ihre Verach¬ »tung des Reichthums, des Handels und der Hand¬ »werker koͤnnen den kameralistischen Landesflor nicht »zum Ziel der Freiheit machen. Aber der konse¬ quente Despot muß den sinnlichen Wohlstand seiner »Plantage betreiben. — Der Druck und die Milde, »die Ungerechtigkeit und die Tugend eines Einzelnen »machen so wenig den Unterschied zwischen sklavi¬ »scher und freier Regierungsform aus, daß Rom »eine Sklavin war unter den Antoninen, und eine »Freie unter dem Sylla Groß ist die Seele, die wie er unter lauter Feinden aller Gewalt entsagt — größer ist das Volk, vor dem mans thun durfte. Ein anderes wäre den Läusen Syllas zuvorge¬ kommen. . — Nicht jeder Bund, »sondern der Zweck des Bundes, nicht das Vereini¬ »gen unter gemeinschaftliche Gesetze, sondern der In¬ »halt derselben geben der Seele die Fluͤgel des Pa¬ »triotismus: denn sonst waͤre jede Hansa, jeder Han¬ »delsbund ein pythagoreischer und zeugte Spartaner. Das, wofuͤr der Mensch Blut und Guͤter giebt, muß etwas Hoͤheres als beides seyn; — das eigne Leben und Vermoͤgen zu beschuͤtzen, hat der Gute nicht so viel Tapferkeit als er hat wenn er fuͤr frem¬ des kaͤmpft; — die Mutter wagt nichts fuͤr sich und alles fuͤr das Kind — kurz nur fuͤr das Edlere in sich, fuͤr die Tugend oͤfnet der Mensch seine Adern und opfert seinen Geist, nur nennt der christliche Maͤrtyrer diese Tugend Glauben , der wilde Ehre , der republikanische Freiheit . — Nehmt zehn Men¬ schen, sperrt sie in zehn verschiedene Inseln: keiner wird den andern (ich habe keine Kosmopoliten ge¬ nommen) wenn er ihn auf seinem Kahn begegnet, lieben oder beschuͤtzen, sondern ihn bloß wie ein un¬ schuldiges gutgebildetes Thier unbeschaͤdigt voruͤber¬ fahren lassen. Werft sie aber saͤmtlich auf Eine In¬ sel Viktor nahm zu seinem Bunde zehn Personen, vielleicht weil gerade so viele zu einem Tumulte gehören, hommel rapsod . observat . CCXXV . : so werden sie gegenseitige Bedingungen des Beisammenlebens des Unterstuͤtzens u. s. w., d. h. Gesetze machen — jetzt haben sie oͤftern Genuß und Gebrauch des Rechts, folglich ihrer Persoͤnlichkeit, die sie von bloßen Mitteln unterscheidet, folglich ih¬ rer Freiheit. Vorher auf ihren zehn Inseln waren sie mehr ungebunden als frei . Je mehr die Ge¬ genstaͤnde ihrer Gesetze sich veredeln, desto mehr sehen sie, daß das Gesetz den innern Menschen mehr angehe als der Schuthaufen, den es beschirmt, das Recht mehr als das Eigenthum und daß der edle Mensch seine Guͤter, seine Gerechsame, sein Leben verfechte, nicht wegen ihrer Wichtigkeit, sondern we¬ gen seiner Wuͤrde. — Ich will die Sache von einer andern Seite beschauen, um den Satz zu vertheidi¬ gen, womit ich die Rede anfing. Wenn ein Volk seine Verfassung hasset: so geht der Zweck seiner Verfassung d. h. seiner Vereinigung verloren. Liebe der Verfassung und Liebe fuͤr seine Mitbuͤrger als Mitbuͤrger ist eins. Ich hole so aus: Waͤren alle Menschen weise und gut: so waͤrrn sie alle einander aͤhnlich, folglich gewogen. Da das nicht ist: so er¬ setzt die Natur diese Guͤte durch Surrogate der Aehnlichkeit, z. B. durch Gemeinschaft des Zwecks, durch Beisammenleben u. s. w. und haͤlt durch diese Baͤnder — der ehelichen, der Geschwister, und der Freundesliebe — unsere glatten schluͤpferigen Herzen zusammen in verschiedenen Entfernungen. So erzieht sie unser Herz zur hoͤheren Waͤrme. Der Staat giebt ihm eine noch groͤßere, denn der Buͤrger liebt schon mehr den Menschen im Buͤrger als der Bru¬ der im Bruder, der Vater im Sohn. Vaterlands¬ liebe ist nichts als ein eingeschraͤnkter Kosmopolitis¬ mus; mus; und die hoͤhere Menschenliebe ist des Weisen große Vaterlandsliebe fuͤr die ganze Erde. In mei¬ nen juͤngern Jahren war mir oft die Menge der Menschen schmerzlich, weil ich mich unvermoͤgend fuͤhlte, 1000 Millionen auf einmal zu lieben; aber das Herz des Menschen nimmt mehr in sich als sein Kopf und der bessere Mensch muͤßte sich verach¬ ten, dessen Arme nur um einen einzigen Planeten reichten. . . . — Jetzt setz' ich wie in einer Komoͤdie nur die Namen der Akteurs vor die Anmerkungen. Der kalt-philosophische Balthasar : »Daher muß die »ganze Erde einmal ein einziger Staat werden, eine »Universalrepublik: die Philosophie muß Kriege, »Menschenhaß, kurz alle moͤgliche Widerspruͤche mit »der Moral so lange gut heissen als es noch zwei »Staaten giebt. Es muß einmal einen National¬ »konvent der Menschheit geben, die Reichen sind die »Munizipalitaͤten.« Matthieu : »jetzt leben wir also erst im 11ten »Oktober und ein wenig im vierten August.« Viktor : »wir sehen gleich dem David, den sa¬ »lomonischen Tempel nur in Traͤumen und die »Stiftshuͤtten im Wachen; aber die Philosophie Hesperus. III Th. G »waͤre jaͤmmerlich, die von den Menschen nichts fo¬ »derte als was diese bisher ohne Philosophie leiste¬ »ten. Wir muͤssen die Wirklichkeit dem Ideal, aber »nicht dieses jener anpassen.« Der heiß–philosophische Melchior : die meisten »jetzigen Bewegungen sind nur Griffe die ein unter »dem Trepan Schlafender nach der blutigen Gehirn¬ »baut thut. — Aber die fallende Stalaktite der Re¬ »gentschaft tropfet endlich mit der steigenden Stal¬ »agmite des Volkes zur Saͤule zusammen.« Flamin : »setzen aber nicht Sparter Heloten »voraus und Roͤmer und deutsche Sklaven, und Eu¬ »ropaͤer Neger? — Muß sich nicht immer das Gluͤck »des Ganzen auf einzelne Opfer gruͤnden, so wie »ein Stand sich dem Ackerbau widmen muß, damit »ein anderer dem Wissen obliege?« Kato der aͤltere: »dann spei' ich auf's Ganze »wenn ich das Opfer bin, und verachte mich, wenn »ich das Ganze bin.« Balthasar : besser ist's, das Ganze leidet frei¬ »willig eines einzigen Gliedes wegen, als daß dieses »wider seine gerechte Stimme fuͤr das Ganze »leide.« Mathieu : » fiat justitia et pereat mundus .« Viktor : »Auf deutsch: das groͤßte physische Ue¬ »bel muß man vorziehen dem kleinsten moralischen, »der kleinsten Ungerechtigkeit.« — Melchior : durch die physische von der Natur »gemachte Ungleichheit der Menschen wird irgend »eine politische so wenig entschuldigt als durch Pest »der Mord, durch Mißwachs das Kornjudenthum. »Sondern umgekehrt muß eben die politische Gleich¬ »heit das Surrogat der physischen seyn. Im despo¬ »tischen Staat kann die Aufklaͤrung wie das Wohl¬ »leben an Intension groͤßer seyn, aber im freien ist »sie an Extension groͤßer und unter alle vertheilt. »Denn Freiheit und Aufklaͤrung erzeugen einander »wechselseitig.« Viktor : »Wie Unglaube und Despotie. Ihre »Behauptung zeigt den Voͤlkern zwei Wege, einen »langsamern aber gerechtern, und einen, der beides »nicht ist. — Die wilden Eingriffe in's Ziffer¬ » blattsrad der Zeit, das tausend kleine Raͤder »drehen, verruͤcken es mehr als sie es beschleunigen, »oft brechen sie ihm Zaͤhne ab Denn es giebt keine großen Begebenheiten aus kleinen Ur¬ sachen, sondern nur große aus 1000000 kleinen Ursachen, wovon man immer die letzte fuͤr die Mutter der großen Geburt ausgiebt. Ist denn das Zündpulver die Ladung des Geschosses? : haͤnge an's » Gewicht des Uhrwerks, das alle Raͤder treibt; d. »h. sey weise und tugendhaft, dann bist du groß und »unschuldig zugleich und bauest an der Stadt Got¬ G 2 »tes, ohne den Moͤrtel des Bluts und ohne die »Quader der Todtenkoͤpfe.« — — Hier wird diese politische Predigt ausgelaͤutet, unter der Viktor seiner sokratischen Mensur und Maͤßigung ungeachtet doch diese wilden Koͤpfe zu Freunden des seinigen machte. — Dem einzigen Matthieu war nur um Spott zu thun, auf den er jeden Ernst zuruͤckfuͤhrte, anstatt umzukehren. Er hatte in einem individuellen Grade jene Unverschaͤmt¬ heit von Stand, gewisse Thorheiten zugleich zu be¬ gehen und zu verspotten, gewisse Thoren zugleich zu suchen und zu verachten und gewisse Weise zugleich zu meiden und zu loben. Wo er nur konnte, be¬ warf er den gutmuͤthigen Fuͤrsten von Flachsenfingen mit satirischen Distelkoͤpfen und zeigte eine Feindse¬ ligkeit gegen den Ehemann, die sonst das Zeichen ei¬ ner zu großen Freundschaft gegen die Frau ist. — So sagte er heute in Beziehung auf Jenners oder Januars Neigungen, die mit seinem Monats- und Heiligen -Namen kontrastiren: »fuͤr den H. Ja¬ nuarius in Puzzolo Für diese Statue konnte nämlich kein Bildhauer eine zweite Nase machen, die paßte — denn die erste war abge¬ brochen — endlich nach 400 Jahren fand ein Kind in einem großen Fische die marmorne, die anlag. Labaths Reisen 5. Theil. war ein Fisch der D. Kuhl¬ pepper.« — Ich gesteh' es, ich habe unter dem ganzen Klub wieder den naͤrrischen Gedanken gehabt, den ich mir schon oft, so toll er ist, nicht aus dem Kopfe schla¬ gen konnte — denn er wird freilich ein wenig da¬ durch bestaͤtigt, daß ich wie ein Atheist nicht weiß, wo ich her bin und daß ich mit meinem franzoͤsischen Namen Jean Paul durch die wunderbarsten Zufaͤlle an ein deutsches Schreibepult getrieben wurde, auf dem ich einmal der Welt jene weitlaͤuftig berichten will — wie gesagt, ich halt' es selber fuͤr eine Narr¬ heit, wenn ich mir zuweilen einbilde, es waͤre moͤg¬ lich, daß ich etwan — da in der orientalischen Ge¬ schichte die Beispiele davon tausendweise da sind — gar ein anonymer Knaͤsensohn oder Schachssohn oder etwas aͤhnliches waͤre, das fuͤr den Thron gebildet werde und dem man nur seine edle Geburt verstecke, um es besser zu erziehen. So etwas nur zu uͤberle¬ gen, ist schon Tollheit; aber so viel ist doch richtig, daß aus der Universalhistorie die Beispiele nicht aus¬ zukrazen sind, wo mancher bis in sein 28tes Jahr — ich bin um zwei aͤlter — nicht ein Wort davon wußte, daß ein asiatischer oder anderer Thron auf ihn warte und wo er nachher, wenn er darauf kam, praͤchtig herunter regierte. Setze man aber, ich wuͤrde aus einem Jean ohne Land ein Johann mit Land, so ging' ich sofort auf's Billard und sagte je¬ dem, wen er vor sich haͤtte. Waͤre einer von mei¬ nen Landskindern mit da und stieße: so wuͤrd' ich ihn dort gleich regieren — und eine Landstochter ohne Bedenken — Ich wuͤrde mit Bedacht verfah¬ ren und nur mit Subjekten aus meiner Billard-Ge¬ spannschaft die wichtigern Aemter besetzen, weil der Regent den kennen muß, den er vozirt, welches er beim Spiel bekanntlich am ersten kann — Ich wuͤrde meinen Landsassen und allen durch ein Generalregle¬ ment auf alle Zeiten strenge befehlen, gluͤcklich und wohlhabend zu seyn und wer arm wuͤrde, den setzte ich zur Strafe auf halben Sold; und ich denke, wenn ich die Armuth so nachdruͤcklich untersagte, so wuͤrd' es zuletzt so viel seyn als regierten Saturn und ich mit einander — Ich wuͤrde in meinem Staate nicht wie ein Sultan in seinem Harem, phy¬ sische Stumme und Zwerge begehren sondern morali¬ sche — Ich gesteh' es, ich haͤtte eine eigne Vorliebe fuͤr Genies und stellte bei allen, sogar beim elende¬ sien Posten die groͤßten Koͤpfe an. — Ich wuͤrde mich vor nichts fuͤrchten (Feinde ausgenommen) als vor der Kopfwassersucht, vor der ein gekroͤntes Haupt oder ein infulirtes in Aengsten seyn muß, wenn es wie ich in dem D. Ludwig oder auch in Tissot von den Nerven gelesen hat, daß dergleichen durch starke Binden um den Kopf am ersten entstehe, welches ich noch mehr von meiner Krone befahre, zumal wenn der Kopf der hinein getrieben wird, dick ist und sie eng . . . . Wir kommen wieder zur Geschichte. Den an¬ andern Tag kehrten Viktor und Flamin, in den schoͤnen neu angezognen Schlingen des freundschaftli¬ chen Bundes, nach Flachsenfingen zuruͤck. Jetzt konnte Viktor durch Maienthals Himmelspforte ein¬ gehen, wenn Klotilde sie nicht verriegelte. Alles kam auf Emanuels Antwort an. Die Mailuͤfte wehten, die Maiblumen dufteten, die Maienbaͤume rauschten. O wie fachte dieses Wehen die Sehnsucht an, alle diese Seligkeiten in Maienthal zu genießen und das Entreebillet zum schoͤnsten Konzertsaal der Natur vom Freunde zu bekommen. Es kam keines: denn es war schon — gekommen durch den Zeidler Lind aus Kusseviz, der als Feudal-Postillon vom Grafen O an Matthieu gesendet worden und den Weg uͤber Maienthal genommen hatte. Es war von Emanuel: Horion ! Komm' eher, Geliebter! Eil' in unser Edenthal, das ein Gartensaal der Natur mit gruͤnenden Waͤn¬ den zwischen lauter Gaͤngen ist, die aus dem Him¬ mel in den Himmel laufen — Die blumigen lichten Stunden ruͤcken vor dem Auge des Menschen vor¬ uͤber wie die Sterne vor dem Sehrohre des Him¬ melsmessers — Bluͤtenschlingen aus Jelaͤngerjelieber sind dir gelegt und mit Duͤften zugedeckt: und wenn du darin gefangen bist, fassen die aufwallenden Duͤfte dich mit einer Wolke ein und unbekannte Arme drin¬ gen durch die Wolke und ziehen dich an drei Herzen voll Liebe! — Ich habe schon Maiblumen aus dem Walde ausgehoben und neben mich gepflanzt — deine Stadt ist ja auch ein Wald um dich stille Maiblu¬ me — Ich habe schon zwei Balsaminen und fuͤnf Sommerievkojen versetzt; — aber meine erste ver¬ setzte Balsamine war Klotilde. — Du siehst, der Fruͤhling streckt sich mit seinen uͤppigen treibenden Saͤften auch durch meine aufknospende Seele und der Mai spaltet an ihr wie ich jetzt an den Nelken, alle Knospen auf. — Erscheine, erscheine, eh ich wieder truͤbe werde und sage dann deinem Julius, wer den Engel war, der ihm den Brief an mich gereicht. Emanuel . Julius hatte wahrscheinlich dabei wieder an jenen andern Brief gedacht, den ihm ein bis jetzt unbekann¬ ter Engel zum Aufsiegeln auf diese Pfingsten gege¬ ben — Aber was gehen mich hier Engel und Briefe an? Kourir-schreiben will ich jetzt, damit ich das 32te Kapitel hinaus gemacht habe, eh der Hund mit seinem 33ten Pfingstkapitel auftritt, das nicht bloß weil es 32 Kapitel-Ahnen hat sondern wegen der wahrscheinlichen Ausgießuug eines freudigen H. Geistes darin oder wegen eines ganzen Tauben¬ flugs von H. Geistern und wegen den historischen Ge¬ maͤlden darin — und wegen meiner eignen Anstren¬ gung — ein Kapitel (glaubt man) werden muß, der¬ gleichen in jeder dyonisischen Periode kaum ein hal¬ bes und in jeder konstantinopolitanischen ein ganzes kann geschrieben werden — Der Pfingst-Hundstag kann lang ausfallen, aber gut und goͤttlich — Phi¬ lippine wird den Bruder ruͤtteln und sagen (sie schmeichelt gern:) Paul! Paul oder Paulus war auch im dritten Himmel, aber so hat er ihn nicht beschrieben in seinen Briefen an die Roͤmer!« — Ich wollte selber, ich koͤnnte meinen 33ten Hunds¬ tag lesen eh' ich ihn gemacht haͤtte. . . . Das Viele, was ich noch mit Wenigem und mit der bisherigen Eile herzuwerfen habe, ist laut den Kuͤrbis-Akten das: Viktor freuete sich eben so wie ich, auf die Pfingst-Evangelien. Sein Gewissen setzte seinem Genusse nicht das duͤnnste Speisegelaͤn¬ der, nicht den niedrigsten Weinstein weiter in den Weg und er konnte wie eine unschuldige Freude zur geliebten Klotilde gehen und sagen: nimm mich an. Er that jetzt die Kondolenz- und Krankenvisiten bei Hofe regelmaͤßig ab und schor sich um kein Wort voll Hoͤllenstein und um kein Auge voll Basiliskengift. Er verdoppelte die schoͤnern Besuche bei Flamin, um dessen edle Versoͤhnung mit einer waͤrmern Freund¬ schaft zu belohnen und er druͤckte auf die vergangne Geschichte und auf den Gegenstand der Eifersucht das Sekretsinsiegel des schonenden Schweigens. Seine Traͤume stellten zwar bei ihrem Theater voll Schat¬ tenspielen und Lufterscheinungen Klotildens Gestalt nicht an, (gerade die geliebtesten Gesichter versaget der Traum) aber indem sie ihn in die alten dun¬ keln Regenmonate fuͤhrten, wo er wieder ungluͤcklich und ohne Liebe und ohne die theuerste Seele war, so gaben sie ihm durch die nieder geregnete Nacht einen hellern Tag und die verdoppelte Wehmuth wurde zur verdoppelten Liebe — Und wenn er am Morgen nach solchen Traͤumen vom vergangnen Traum, durch den Maien-Reif neben den uͤppigen Freudentropfen der Weinreben und unter dem Morgenwind, der ihn mehr trug als kuͤhlte, hinaus¬ trat, um die festen westlichen Waͤlder, die mit ei¬ nem gruͤnen Vorhang die Opernbuͤhne seiner Hof¬ nung verhingen, wie theure Reliquien mit den seh¬ nenden Augen zu betasten — — Ein Rezensent der sich an meine Stelle setzt, kann mir unmoͤglich bei dieser Kuͤrze der Zeit und auf meiner Extrapostkut¬ sche des Phoͤbuswagen (jetzt in den kuͤrzern Tagen) zumuthen, einem Vorsatz seinen Nachsatz zu geben. Sogar der steilrechte Klimax des Barometers und das wagrechte Stroͤmen des Ostwindes faßten die Segel seiner Hofnung an und zogen ihn in das stille Meer der Pfingst-Zukunft und in den Kalen¬ der von 1793, um zu sehen, ob der Mond zu Pfingsten voll waͤre — Beim Himmel er wird's wenigstens halb, welches noch viel besser ist, weil man ihn so¬ gleich bei der Hand mitten am Himmel hat wenn man seinen Abend anfangen will . . . . Ich hab's doch durch ausserordentliches Rennen dahin gebracht, daß ich mit dem 32ten Hundsposttage fertig bin, eh Spizius mit seinem Freudenpokal am Halse uͤber das indische Meer gesetzt ist. — Und da ich ohnehin nach der capitulatio perpetua mit dem Leser (bei der bekanntlich die Fuͤrsten- und Staͤdte¬ bank in's Gras beisset) jetzt einen Schalttag machen muß: so will ich dazu die Hunds-Vakanz verwen¬ den; aber ich flehe alle meine Tagwaͤhler und Kunden, die bisher am Springstabe des Zeigefingers uͤber die Schalttage weggesetzt sind, ernsthaft an, es bei diesem nicht zu thun, erstlich weil ich erboͤtig bin, mich erschießen zu lassen, wenn ich in diesem Schalttage mein obwohl unter mehrern Regierungen bestaͤtigtes Schalttags-Privilegium, die witzigsten und tiefsinnigsten Sachen vortragen zu duͤrfen, nur im geringsten exerzire — und zweitens weil der Hund schon am Schalttage in den Hafen laufen und mir Fakta bringen kann, die ich nicht im 33ten Hunds¬ tage auftische sondern schon am — VIII . Schalt¬ tage oder an der VIII . Sansculotide . — Der Inhalt davon ist gleich der Gegenwart ein toller Vorbericht vor der Zukunft. — Ich muß sagen, wenn erstlich Bellarmin (der katholische Vorfechter und Kontradiktor) behauptet, jeder Mensch sey sein eigner Erloͤser — woraus mei¬ nes Erachtens folgt, daß er auch seine eigne Eva und Schlange fuͤr seinen antiken Adam ist — wenn zweitens die Feder eines ausserordentlich guten Au¬ tors eine Lichtputze der Wahrheit, so wie umgekehrt bei dem inhaftirten H. von Moser die Lichtputze die Feder war — wenn drittens der Despotismus statt der lebendigen Baumstaͤmme zuletzt (denn er sagt in die Welt hinein wie blind) den Thron-Saͤgebock sel¬ ber zersaͤgen kann — ferner muß ich sagen, wenn viertens jede Handlung (sogar die schlimmsten) wie Christus zwei unaͤhnliche Geschlechtsregister hat — wenn vollends fuͤnftens ein und der andere Rezen¬ sent sein kritisches Auge, womit er alles besieht, nicht auf dem Scheitel–Wirbel traͤgt (wie etwan Muhammeds Seelige, um die Schoͤnheiten nicht zu sehen) noch auf der Brust wie der Riese Poly¬ phem, noch wie Argus hinten und vornen sondern wirklich vornen gleich unter dem Magen uͤber dem Gedaͤrm mitten im Nabel, wenn dieser Mann noch dazu kein anderes Herz besitzt als das leinene, das die Naͤhterin unten im Winkel des Hemdjabots ein¬ flickt und das auf der Herzgrube aufliegt, die man gescheuter die Magengrube nennen sollte — endlich muß ich sagen (wenigstens kann ich's) wenn sechstens wahrer Zusammenhang, strenge Paragraphen- Ver¬ kettung vielleicht die groͤßte Zierde und Seele der ungebundnen Rede ist, die aber einem gebund¬ nen Klaviere gleicht und wenn daher der Verstand, wie eine epische Handlung, am Ende der (rhetori¬ schen und der Zeit-) Periode anfangen muß, weil sonst gar keiner da waͤre. . . . — Es wird aber auch keiner mehr kommen. — Aber jene vier Punkte sehen wie die Hasenfaͤrthe im Schnee aus. — Kurz: der Spitzhund unser bio¬ graphischer Handlanger und Kommissionaͤr, liegt schon unter dem Tische und hat einige elysische Fel¬ der und Himmelreiche abgeladen. — Da ich ohne¬ hin im obigen nicht wußte was ich haben wollte (ich will nicht gesund vor dem Publikum sitzen, wenn ich's gewust habe): so erwieß mir der Hund einen wahren Liebesdienst, daß er dem Perioden den Nach¬ satz-Schwanz so zu sagen gar abbiß. Es war ohne¬ hin mein Plan blos zu narriren und zu haseliren in einem ellenlangen Perioden bis der Hund mir die Angst uͤber die Zweifelhaftigkeit der Pfingstreise be¬ nommen haͤtte. — Ueberhaupt wollt' ich nie Worte und Gedanken mit einander aufwenden, sondern diese sparen, wenn ich jene verthat: Peuzer schrieb laͤngst an die Regenspurger und Wetzlaer: viele Gedanken brauchen einen kleinen Wortfluß, aber je groͤßer der Bach ist, desto kleiner kann das Muͤhl¬ rad seyn. — Einen rechtschaffenen Rezensenten kraͤnkt ein lakonisches Buch auch schon darum (nicht blos weil das Publikum es nicht versteht), weil ein Deut¬ scher ja an den Juristen und Theologen die besten Muster vor sich hat, weitschweifig zu schreiben und zwar mit einer Weitlaͤufigkeit, die vielleicht — denn der Gedanke ist die Seele, das Wort der Leib — unter den Worten jene hoͤhere Freundschaft der Menschen stiftet, die nach Aristoteles darin besteht, daß Eine Seele (Ein Gedanke) in mehrerern Koͤr¬ pern (Worten) zugleich wohnet. — — — Ich hebe Viktors Vigilie, den h. Abend vor Pfingsten jetzt an. Es war schon Sonnabend — der Wind ging (wie die Wissenschaften) von Morgen — das Quecksilber sprang in der Barometerroͤhre (wie heute in meinen Nervenroͤhren) fast oben hin¬ aus. — Flamin war friedlich von seinem Freunde am Freitag geschieden und kehrte vor fuͤnf Tagen nicht zuruͤck. — Viktor will morgen am ersten Pfingst¬ tag vor der Sonne aufbrechen, um am dritten wie¬ der zuruͤckzukommen, wenn sie in Amerika aussteigt. — (Ich wollt' er blieb' laͤnger) — Es ist ein schoͤ¬ ner blauer Montag in der Seele (jeder blaue Tag ist einer) und eine schoͤne Dispensation von der Trauerzeit des Lebens, wenn man (wie mein Held) das Gluͤck hat, an einem h. Abend, unter dem Ge¬ betlaͤuten, und wenn der Mond schon uͤber die Haͤu¬ ser herauf ist, vor den Prospekten in die schoͤnsten Pfingsttage und in die schoͤnsten Pfingstgesichter, ru¬ hig und schuldlos in Zeusels Erker zu sitzen, alle Voressen der Hoffnung anzuschneiden, alle Vorsteck¬ rosen und Anzeigen des schoͤnsten Morgens zu sam¬ meln und unter dem merkantilischen Gassen-Praͤlu¬ dien des Festes den zweiten Theil der Mumien gerade in den Freudensektoren zu lesen, wo ich mei¬ nen und Gustavs Einzug in das himmlische Jerusa¬ lem zu Lilienbad abzeichne. — — Alles das hatte wie gesagt der Held . . . . Aber als er, der zwischen seiner Pfingstreise und jener Badreise so viele Verwandschaft ausfand, endlich mit seiner bewegten Seele an die Zerstoͤrung jenes Jerusalems kam: so sagte er mit dem ersten traurigen Seufzer fuͤr heute: »O du gutes Schick¬ sal, ein solches Schlachtmesser, eine solche Beinsaͤge lege nie am Herzen meiner Klotilde an: ach ich stuͤrbe wenn sie so ungluͤcklich wuͤrde wie Beate.« — Und er dachte weiter nach, wie die rothen Mor¬ genwolken der Hoffnung nur schwebender erhoͤhter Regen sind und wie oft der Schmerz der bittere Kern der Entzuͤckung ist, gleich dem Reichsapfel des deutschen Kaisers, der zwar 3 Mark und 3 Loth schwer aber innen mit Erde ausgefuͤllet ist. . . . Beim Himmel! wir versalzen uns da alle mit Nachtgedanken den h. Abend ohne Noth und es weiß keiner von uns warum er so seufzet. — Ich habe ja das ganze Pfingfest schon kopeilich vor mir und es steht kein einziges Ungluͤck darin, es muͤßte denn Viktor noch einen vierten Pfingsttag als Nach¬ sommer anstoßen und in diesem muͤßte es etwas ab¬ setzen. — Ich gesteh' es, ich bin gern aͤsthetischer frère terrible und setze der Welt, die in meine un¬ sichtbare Mutter-Loge sich hineinlieset, gern den Degen auf die Brust und dergleichen Streiche mehr — das koͤmmt aber davon, weil man in der Jugend Werthers Leiden lieset und besitzt, von dem man wie ein Meßpriester, ein unblutiges Opfer veranstal¬ tet eh' man die Akademie bezieht. Ja wenn ich noch heute einen Romen verfaßte: so wuͤrd' ich — da der blauroͤckige Werther an jedem jungen Amoroso und Autor einen Quasichristus hat, der am Karfrei¬ tage eine aͤhnliche Dornenkrone aufsetzt und an ein Kreutz steigt — es auch wieder so machen. . . . — Aber es ist Zeit, daß ich mein Maienthal oͤfne und jeden einlasse. Ich will nur nicht laͤnger verheimlichen, daß ich gesonnen bin, dieses ganze Paphos und Rittergut an den Lesern gar zu ver¬ schenken, schenken, wie Ludwig der XI . die Grafschaft Bou¬ logne der h. Maria zuwarf. Ich gedenke dadurch vielleicht uͤber andre Autores, die ihren Lesern nur ihre Kiele bescheeren, eben so weit vorzustechen, als der Koͤnig uͤber den alten Lipsius, der der Maria nur seine silberne Feder testirte. Anfangs wollt' ich dieses Elysium mit seinen dreimaͤchtigen Wiesen und Nadelhoͤlzern selber behalten, weil ich im Grunde ein armer Teufel bin und wirklich nicht mehr einzu¬ nehmen habe als ein Prinz von Wuͤrtemberg sonst, naͤmlich 90 fl. rhn. Apanage und 10 fl. zu einem Ehrenkleide, und weil ich mir auf die mir von Gott und Rechtswegen zustaͤndige 2 Quadratmeilen Landes — denn soviel wirft die ganze Erde bei ihrer glei¬ chen Zerschlagung nach einem guten Partageplan auf den Mann aus — wahrlich so wenig Rechnung ma¬ che, daß ich die zwei Meilen an jeden gern um ei¬ nen elenden Schaf-Pferch abstehen will. — Und was mich am meisten zuruͤckzog, diese Schenkung unter den Lebendigen mit meinem Maienthal zu ma¬ chen, war die Sorge, daß ich ein Feudum Leuten, Lesern, Landboten, Knaͤsen zuwende, die tausendmal groͤßere Woiwodschaften und Chatoullguͤter innen ha¬ ben und die man aufbringt, wenn man sie der Ma¬ ria aͤhnlich macht, die aus einer Himmels- Koͤnigin eine Graͤfin von Boulogne wurde, oder dem roͤmi¬ Hesperus. III . Th. H schen Kaiser, der zugleich am Kroͤnungstage ein Mitglied des Marienstifts zu Aachen werden muß. — Aber was koͤnnen denn alle ihre Majorate — ih¬ re Deutschmeistereien — ihre Afterlehn — und ihre patrimonia Petri (eine Anspielung auf mein patri¬ monium Pauli ) — und ihre großvaͤterlichen Guͤter und alles ihr auf das Erdenschiff geladne Schiffs¬ guth, kurz ihre europaͤischen Besitzungen auf der Erde, was koͤnnen sag' ich diese Hollaͤndereien fuͤr Produkte liefern, die vor den Maienthalischen nur von weitem bestaͤnden? Und wachsen auf ihren Kronenguͤtern himmelblaue Tage, Abende voll seeli¬ ger Thraͤnen, Naͤchte voll großer Gedanken? — Nein, Maienthal traͤgt hoͤhere Blumen als die das Vieh abreisset, schoͤnere Hesperiden-Aepfel als die Obstkammern bewahren, uͤberirdische Schaͤtze auf un¬ terirdischen, Eden-Kompetenzstuͤcke wie Klotilde und Emanuel sind, und alles was unsre Traͤume malen und unsre Freudenthraͤnen begießen. — — — — Und eben das entschuldigt mich, wenn ich das Maienthalische Freuden-Tafelgut tausend Kom¬ petenten abschlage, wenn ich als dessen Lehnprobst mit diesem Schwaͤbischen Schupflehn nicht beleh¬ nen kann solche Leute, die auch zu keinem unfiguͤrlichen Feudum taugen, moralische Blinde, Lahme, Minoren¬ ne, Spadonen ꝛc. — und hier muß ich mir viele Feinde machen wenn ich aus den Vasallen und Mit¬ belehnten, denen man das Maienthal mit allen sei¬ nen poetischen Nutznießungen zu Lehn giebt, nament¬ lich alte Saalbader ausstoße, die den Rittersprung der Phantasie nicht mehr thun koͤnnen. — 47 Schee¬ rauer und 103 Flachsenfinger, deren Herzen so kalt sind wie ihre Kniescheiben oder wie Hundsschnautzen — die groͤsten Minister und andere Große, an de¬ nen wie an großen gebratnen Fleischklumpen blos die Mitte noch roh ist, naͤmlich das Herz — ½ Bil¬ lion Oekonomen, Juristen, Kammer- und Finanzraͤthe und Plus- d. h. Minusmacher, in denen die Seele wie an Adam der Leib aus einem Erdenkloße geknaͤ¬ tet worden, die einen Herzbeutel haben aber kein Herz, Gehirnhaͤute ohne Gehirn, Pfiffigkeit ohne Philosophie, die statt des Buchs der Natur nur ih¬ re Manualakten und Steuerbuͤcher lesen — endlich die, die nicht Feuer genug haben, um vor dem Feuer der Liebe, der Dichtkunst, der Religion zu entbrennen, die statt weinen, greinen sagen, statt dichten, reimen, statt empfinden, rasen. . . . Bin ich denn toll, daß ich mich hier so erboße, als wenn ich nicht auf der andern Seite das schoͤn¬ ste Leser-Kollegium, das ich zum primus adquirens des Maienthalischen Maͤnner- und Kunkellehns er¬ hebe, vor mir haͤtte; eine mystische moralische Per¬ son, die es einsieht, daß der Nutzen nur eine nie¬ drigere Schoͤnheit und die Schoͤnheit ein hoͤherer H 2 Nutzen ist? — Es ist allen Empfindungen eigen (aber nicht den Einsichten) daß man sie nur allein zu haben glaubt. So haͤlt jeder Juͤngling seine Lie¬ be fuͤr ein ausserordentliches Meteor, daß nur ein¬ mal in der Welt sey, wie der Stern der Liebe, der Abendstern oft mit einem Kometen gleichsieht. Aber es wird nicht lauter Flachsenfinger und Hollaͤnder geben, die auf die Alpen gehen, weniger um große Gedanken und Erhebungen als um Stuͤhle Nach Scheuchzer sind Alpen die beste Arznei gegen Ver¬ stopfung. zu haben, oder zu Schiffe gehen, nicht um auf das erhabne Meer den Blick des Artisten zu werfen, son¬ dern um die Hektik zu verfahren. ... Sondern es wird uͤberall in jedem Marktfleck, auf jeder In¬ sel schoͤne Seelen geben, die der Natur am Busen ruhen — die die Traͤume der Liebe achten, wenn auch sie selber aus ihren eignen wach geworden — die mit rauhen Menschen umpanzert sind, vor denen sie ihre Idyllenphantasien uͤber das zweite Leben und ihre Thraͤnen uͤber das erste verhuͤllen muͤssen — die schoͤnere Tage geben als sie empfangen — diesem ganzen schoͤnen Bunde mach' ich das ver¬ schenkte Feudum von Maienthal, wovon schon soviel Redens war, endlich auf und gehe als investirender Lehnhof mit einigen Freunden und Freundinnen und meiner Schwester vorn an der Spitze voran hinein. Postskript oder eigenhaͤndige Dispensazionsbul¬ le: der Berghauptmann kann nicht laͤugnen, daß der S . T . Verfasser dieser Biographie dadurch, daß der Hund faul ist, und daß diese Posttage voluminoͤser sind, und daß er in diesem Kapitel gar zwei in ei¬ nes zusammengeschmolzen hat, hinlaͤnglich bei denen entschuldigt ist, die das Recht haben ihn zu fragen, warum er erst in der Mitte des Septembers oder Fructidors den 32 Posttag hinausgebracht. Vier Monate weit sitzet er noch mit seiner Beschreibung von der Geschichte ab. 1793 . J. P. 1. Pfingsttag. (33. Hundsposttag.) Polizeiordnung der Freude — Kirche — der Abend — die Blütenhöle. V iktor war am Pfingstmorgen kaum aus seinem Schlafe, obwohl nicht aus seinen Traͤumen erwacht: so sagte ihm das Leisereden aller seiner Gedanken, die elysische Stille durch sein ganzes Herz, daß heute seine Sabbathswochen angehen. Ohne Vorwuͤrfe und Vorsaͤtze eines Fehltrittes, ohne einen Seufzer seines Gewissens ging er unschuldig der Freude und der Liebe entgegen. Je zaͤrter und weicher eine Blu¬ me der Freude ist, desto reiner muß die Hand seyn, die sie abbricht und blos thierische Weide vertraͤgt den Schmutz; so wie diejenigen, die den Kaiserthee abpfluͤcken, sich vorher alle grobe Kost versagen, um das aromatische Laub unbesudelt abzunehmen. — Viktor hatte draussen kaum Morgenroͤthe genug, um auf seiner breiten Stundenuhr vom Zeidler Lind die erste Stunde seines Sabbaths zu sehen; aber diese Uhr, der Schrittzaͤhler auf dem so schoͤnen Le¬ benswege des Bienenvaters, und der Fruͤhgottes¬ dienst der Natur, der in Stille besteht, machten seinen Vorsatz fester, sein jetziges Leben dem zwei¬ ten nach dem Tode als einen stillen, kuͤhlen, gestirn¬ ten Fruͤhlingsmorgen vorauszuschicken. »Bei euch schwoͤr' ich — sagt' er, als nach und »nach immer mehr Lerchen aus ihrem Thau mit »Singen in die kanonische Hora stiegen — ich will, »sogar in der Freude gelassen bleiben ganze dreißig »Jahre lang in einem fort, wenigstens drei ganze »Pfingsttage — ich will ein Universitaͤts– und Haus¬ »freund, aber nicht ein pastor fido der Freude seyn »— Handelt nicht der Mensch, als muͤßte sein Le¬ »benssteig eine Bruͤcke zusammengeschobener Honig¬ »waben seyn, durch die er Motten-artig sich durch¬ »zukaͤuen habe, als waͤren seine Haͤnde nur zwei Zu¬ »ckerzangen der Lust? — Ich will wieder meinen »Freuden und meinen Schmerzen den Scherz als ei¬ »nen Zaum anlegen. — Die warmen Thraͤnen der »Melancholie, besonders die der Entzuͤckung, eine »Art heisser Daͤmpfe die staͤrker treiben und zersetzen »als Schießpulver und papinianische Maschinen, will »ich wohl noch vergießen, aber vorher ein wenig »kuͤhlen. — Und wenn ich Klotilde nicht jeden Vor¬ »mittag ansichtig werde: so will ich blos sagen: ein »Mensch kann nicht immer im dritten Himmel seyn, »er muß auch manchmal im ersten uͤbernachten.» — — Er hat vielleicht mehr Recht als Kraft: aber es ist wahr, die Gesundheit des Herzens entfernet sich gleich weit von histerischen Zuckungen und von phleg¬ matischer Agonie und die Entzuͤckung graͤnzet naͤher an den Schmerz als die Ruhe. Aber keine Ruhe und Kaͤlte ist etwas werth als die erworbene — der Mensch muß der Leidenschaften zugleich faͤhig und maͤchtig seyn. Die Ueberstroͤmungen des Wil¬ lens gleichen denen der Fluͤße , die alle Brunnen eine Zeitlang verunreinigen: nehmet ihr aber die Fluͤße weg, so sind die Brunnen auch fort. — Das Morgenroth deckte eine ferne Sonne nach der andern zu; und als endlich die nahe aufgegangen war oder vielmehr die Natur: so konnte Viktor — sehen und lesen und mein Werk (die bekannten Mu¬ mien ) aus der Tasche ziehen. Ein Buch war fuͤr ihn in der treibenden freien Natur eine Garten¬ scheere seiner uͤppig aufschießenden Traͤume und Freuden. Dieser mit einem ganzen Fruͤhling pran¬ gende Morgen, dieses Schimmern auf allen Baͤchen, dieses Summen aus Bluͤten in Bluͤten, dieses haͤn¬ gende blaue Meer, woruͤber die Sonne wie ein Bu¬ centauro schiffte, um auf den Meeres-Grund der Erde den Vermaͤhlungsring zu werfen, eine solche Gegenwart wuͤrde neben einer solchen Zukunft schon in der dritten Stunde ihm die Kraft genommen ha¬ ben, seiner neuen Konstituzion zufolge uͤber seine Wonne zu regieren und immer soviel Ruhe zu be¬ wahren als zur Mitteltinte zwischen einem ent¬ zuͤckten und einem truͤben Tage noͤthig ist — ich sa¬ ge, er wuͤrde das nicht vermocht haben ohne seinen Biographen, ich meine, wenn er nicht mein Buch vorgenommen haͤtte, in dessen zweiten Theile er noch den Schulmeister Wuz zu lesen hatte. Aber dieses gelehrte Opus setzte — getrau' ich mir ohne Eigen¬ duͤnkel zu schmeicheln — seiner Entzuͤckung die or¬ dentlichen Graͤnzen. Denn so — indem er lesend ging — (wie andre, z. B. Rousseau und ich, lesend diniren und bald aus dem Teller bald aus dem Bu¬ che einen Bissen nehmen) — indem er dem Leben des Schulmeisters so lange zuschauete, bis ein neues Thal aufging oder ein neues Waͤldgen — indem er bald diesem abgedruckten Kantor bald einem leben¬ den zuhorchte, vor dessen Pfingstliedern er vorbei ging: so konnte er seine Ideen bei allen ihren Ron¬ dos und Roͤsselspruͤngen in einer solchen schoͤnen Ball¬ ordnung und Kirchenzucht erhalten, daß er so gluͤck¬ lich war als der gelesene Wuz. Ich schrie ihm noch dazu in Einem fort aus meinen Mumien zu, ge¬ scheut zu seyn und auf meinen Schulmeisterlein als einem Fluͤgelmann der Freuden-Handgriffe acht zu geben und jeden Tag, jede Stunde auszukernen . »Ich bin ohnehin verdammt (sagt' er) wenn ich's »nicht thue: ist denn nicht, du guter Gott, schon »das Gefuͤhl der Existenz ein stehendes Vergnuͤ¬ »gen, und der erste suͤße Imbis nach jedem Erwa¬ »chen?» — Er dachte zwar daran, daß die Kultur uns Brillen gebe und die Zungenwaͤrzgen nehme und uns die Freuden durch die bessere Definizionen der¬ selben verguͤte (so wie der Seidenwurm als Raupe Geschmack aber keine Augen , und als Schmetter¬ ling Augen ohne jenen hat) er gestand sich zwar zu, er habe zuviel Verstand, um soviel Vergnuͤgen zu haben wie der Auenthaler Schulman und er philoso¬ phire dazu zu tief; aber er bestand auch darauf: »ei¬ »ne hoͤhere Weisheit muͤsse doch (weil sonst der All¬ »weise der Allungluͤckliche seyn muͤßte) wieder aus »dem schwuͤlen Auditoriums–Parterre den Weg in »ein Blumenparterre finden. Hohe Menschen tra¬ »gen wie die Berge den suͤßesten Honig.» . . . Ob er gleich schon im letzten Dorfe, gleichsam der Vorstadt von Maienthal, auslaͤuten hoͤrte: so erzuͤrnte er sich doch nicht uͤber die Verspaͤtung des Eintritts. Ja um sich selber zu zeigen, er sey der Philosoph Sokrates, schritt er mit Fleiß traͤger fort und libirte nicht wie der Athener den Freudenbecher, sondern fuͤllte ihn gar noch nicht. »Werde immer, »sagt' er zu einem aus Lilien–Samenstaub zusam¬ »mengelaufenen Woͤlkgen, vor mir fruͤher uͤber die »G u ten geweht, du Wolkensaͤule vor dem gelobten »Land! — Und dein kleiner Schatten silhouettire »ihnen den festern, der traͤger nachkoͤmmt und den »das Himmelblau spaͤter einsaugt!» — Und eh' ihn der herumgekruͤmte Fußsteig vor das mit Blumen behangne Portal des Thales stellte, worin die ge¬ liebte Wiege und Baumschule seiner schoͤnen dreitaͤ¬ gigen Zukunft stand: so hielt ihn noch eine zuge¬ knoͤpfte Distel auf, um deren hermetisch versiegelte Honiggefaͤße ein weisser Schmetterling seine dritte Parallele zog — und die musivischen Disteln auf Le Bauts Diele traten vor ihm ins Leben und zeigten ihm alle Stacheln der Vergangenheit und er fand es jetzt unbegreiflich, wie er seine Schmerzen ertra¬ gen koͤnnen, und leichter, den Freudenhimmel zu tra¬ gen. . . . Er zog Linds Uhr heraus, um die Geburtsminu¬ te seiner Honig- und Flitterzeit zu wissen — gerade um 11 Uhr trat er vor das nette Dorf, vor das Treibhaus seines Himmels, vor die Pflanzstadt sei¬ ner Hoffnung, vor Eden . . . . Ach das saͤuselnde in Lauben verwachsene Doͤrfgen schien alle seine bluͤ¬ henden Zweige als Arme um ihn zu legen und ihn an sich zu stricken; es war gruͤn und weiß und roth — nicht angestrichen, sondern uͤberlaubt und uͤber¬ bluͤht. Und als er unter dem Auslaͤuten — um sich die Umarmung seines Emanuels geitzig aufzusparen und um den Maienthalischen Kirchengesang mit ei¬ nem von der Natur geoͤfneten Herzen zu beschleichen — in das lange saubere Doͤrfgen stahl und den Freundschafts-Zoll auf eine Minute bei Emanuels Hause umfuhr: so war ihm, als wenn sein unschul¬ diges menschenliebendes Herz sich in den stillen Gas¬ sen mit den Voͤgeln auf den die Fensterscheiben ver¬ gitternden Kirschenzweigen wiegte und mit den Bienen in den Kirschenbluͤten schwankte. »Komm nur her¬ ein, (schien alles zu sagen) du guter Mensch, wir sind alle gluͤcklich und du sollst es auch werden.» — Er trat an die blanke Kirche, deren blendende Ue¬ bertuͤnchung dem Himmelsblau durch den Kontrast ein erhabenes Dunkel zuwarf, und sein pochendes Herz zitterte gluͤcklich mit der wogenden Orgel darin und mit der vor dem Kirchthore raschelnden einge¬ ramten Birke und mit dem trocknen vom Morgen¬ wind gebognen Maienbaum mitten im Dorfe ... »Aber, sagt mein Leser, konnte denn sein Auge so lange die schoͤnern Prospekte und sein Herz die geliebtere Schoͤnheit entrathen und statt der Abtei nur die Kirche aufsuchen?» — O er sah zu allererst nach jener und sein bebendes Auge lief um alle Fen¬ ster seines Sonnentempels; aber da er daran alle Fenster offen und leer, und alle Gardinen aufgezogen antraf: so vermuthete er, daß die schoͤnen Konklavi¬ stinnen desselben und darunter die Konklavistin seiner Brust da waͤren, wo er sie suchte — — — — und fand: im Tempel. Er stieg unter dem Heruntertraben der Kirchgaͤnger ungehoͤrt hinauf in die aussen leer scheinende adeliche Frontloge, diese Konsole und diese Blumengestelle der Stifts-Non¬ nen. Es war heute nichts drinnen als entfalne Bir¬ kenblaͤtter: denn die saͤmtlichen Nonnen und die Aeb¬ tissin und die Ex-Nonne Klotilde standen — unten in der Kirche und faßten den Altar mit einem Chor von singenden Engeln ein und empfingen daran das Abendmal. — Mit einem Freudenschauer blickte er die Koͤnigin seines Himmels an, die so theuer Ge¬ liebte und so Unverdiente, diesen glaͤnzenden Engel, der seine Huͤlle aus Erdenschnee mit der himmlischen Waͤrme zu Thraͤnen zerschmilzt, um bald unsichtbar zu werden. — — Sein Geist bog sich als sie kniete: »Himmelsfrieden trinke (sagt' er) aus dem Ordens¬ »kelch des großen Menschen, unter dessen Gedanken »keine Wolke und kein Seufzer war — o der Ge¬ »danke, den du jetzt mit so fester Andacht anschau¬ »est, muͤsse immer leuchtender und unbeweglich wie »eine Sonne werden und immer ein warmes Abend¬ »licht uͤber die muͤde Seele werfen!» — Dieser En¬ gel im Trauerkleide zog jetzt in seinem Innern durch eine Todtenauferweckung alle Tugenden seines Lebens und alle Fehler desselben herauf und gab jenen einen Himmel und diesen ihre Hoͤlle: daher war er jetzt zu heilig, um eine Heilige zu stoͤren durch seine Er¬ scheinung, wenn anders ihr ruhendes nur in fromme Ruͤhrungen eingesenktes Auge, das nicht einmal auf die naͤhern frommen Schoͤnheiten zur Hoͤhenmessung der Taille fiel, sich bis zu ihm haͤtte versteigen koͤn¬ nen. Die Birke am ersten Fenster der Empor nahm er als belaubten Faͤcher vor: — dieser gruͤne an sei¬ nen Wangen spielende Schleier bedeckte seine Auf¬ merksamkeit und seine Freudenthraͤnen vor der gan¬ zen Kirche. Der Ort wo er so gluͤcklich war, schien, nach einer Glas–Inskripzion zu urtheilen, sonst der gewoͤhnliche Stand Klotildens gewesen zu seyn: denn Giulia's ihrer war darneben, wie ich gewiß weiß, weil auf dem Logenfenster ein von einem Kranz um¬ faßtes G und K eingeschnitten war mit den Worten von Giuilia: »So vereinen uns die Blumen des Lebens und der Zirkel der Ewigkeit». . . . Viktor schlich ungesehen und fruͤh und seelig sich aus dieser Bilderblinde weggestellter Goͤttinnen fort und trug das von der Liebe gefuͤllte Herz an die ofne erhabne Brust der Freundschaft — an Emanuel. Er sah schon dessen Stiftshuͤtte im Tempel der Natur — als seine Entzuͤckung aufgeschoben wurde durch eine fruͤhere. Julius lag im bluͤhenden Grase, von dessen Wellen bespuͤhlt, und hielt einen Kirschen¬ zweig voll ofner Honigkelche in der Hand, um die Bienen an sich zu ziehen und sich an ihrem summen¬ den Schweben uͤber den Bluͤten zu belustigen. Vik¬ tor umschlang ihn und vergaß in der Entzuͤckung seinen Namen zu nennen — »bist du mein Engel?» sagte er — »Ich bin nur dein Viktor!» — O komm, o komm!» sagte der entzuͤckte Blinde wie ein Wohl¬ laut bebend und zog den Freund zu Emanuels Haus; aber er fuͤhrte ihn, hinter der Wolke seiner Augen, den laͤngern Weg und drehte sich noch dazu bei je¬ dem vierten Schritte um, zu einer erneuerten Um¬ schlingung. Als sie an's Wasserrad kamen, das seine Gie߬ kannen laut auf die Blumensaaten ausschuͤttete und dessen zersplitterte Blitze an den Fenstern und an der Stubendecke Emanuels flatterten: so sagte der Blin¬ de: umfasse mich noch einmal recht sehr.» — Aber unter dem Getoͤse der Regenguͤße und unter der Be¬ taͤubung der Liebe wurden sie von andern Armen als den ihrigen zusammengedruͤckt und die zwei jungen stummen Herzen wurden an ein großes Drittes an¬ gereiht und der erhabne Indier schauete wie ein Gott der Liebe zwischen sie und sagte: »o ihr gu¬ »ten Juͤnglinge, bleibet immer so und weinet fort »in euerer seeligen Liebe! — Sei gesegnet, mein »Horion, sey willkommen im großen Fruͤhling um »uns her!» — und als Emanuel und Vikto an einander sanken, so war es als ob alle Blumenbeete sich vor Wonne niederboͤgen, als ob alle Wellen weisser flammten unter daruͤber fliegenden uͤberirdi¬ schen Blitzen, als ob die Zephyre von Seufzern der Liebe anschwoͤllen, als ob hoͤhere Wesen im freudi¬ gen Uebermaße fluͤstern muͤßten: ach, ihr guten Men¬ schen, liebet ja ganz wie wir! — Ein Arm aus einem Paradiesesfluße trug diese liebende Dreieinigkeit hebend in die uͤbergruͤnten Zimmer und hier sah erst Viktor, daß der Fruͤh¬ ling auf Dahores Wangen war und der Sommer in seinen Augen, so wie zwoͤlf Wonnemonate in sei¬ nem Herzen. Die weissen Trauerrosen auf seinen Wangen, die immer als Mauerkronen des Todes dem Johannistage entgegenzubluͤhen schie¬ nen, waren den rothen gewichen — kurz Ema¬ nuels Gestalt gab die Hoffnung, daß er uͤber seinen Tod ein falscher Prophet gewesen sey. — — In diesem wehenden Zimmer, dessen goldne Wand¬ leisten Lindenaͤste und dessen Hautelissen Lindenblaͤtter und uͤber dessen Thuͤr als dessus de porte der Wie¬ derschein und die Nebensonnen des schimmernden Wasser¬ rades zitterten, in diesem vom Wonnemeer der Natur umbrauseten Eiland von Zimmer, durch dessen ofne Fenster die Zephyre Schmetterlinge und Bienen uͤber die die Fensterblumen in die Linden warfen, gingen mei¬ nem Helden, dem noch dazu das Mittagsgelaͤute wie ein Gelaͤute zu einem Friedensfeste der Erde vorkam, die Blumen der Freude, worin er watete, bis an das Herz — Emanuels Poesie klang ihm in dieser epischen Berauschung wie Prose; er war eingesunken in ein Blumengebuͤsch und erblickte oben daruͤber ei¬ nen genesenen Unsterblichen, der die Bluͤten Ueber¬ huͤllung auseinander bog — und noch hoͤher eine ewige Pfingstsonne im endlosen Blau — und naͤher das Sprießen des Blumenlaubes und das Bienen¬ gewimmel daruͤber — und eine goldne Morgenroͤthe als Einfassungsgewaͤchs rund um die ganze bunte rauchende Waldung geschlungen. . . . . — Beim Himmel! nur in einer nnfiguͤrlichen solchen Blumen-Holzung zu liegen, waͤre schon et¬ was — geschweige gar in einer metaphorischen ! — Viktor war fromm aus Freude, aus Ueberfuͤllung still, aus Dankbarkeit genuͤgsam. Der Anblick des gemeinschaftlichen Lehrers gab zwar Klotildens Bilde waͤrmere Farben und seiner Seele hoͤhere Flammen, aber seinen Wuͤnschen keine Unersaͤttlichkeit und keine Ungeduld. Emanuel kam sogleich auf diese geliebte Schuͤle¬ rin: nicht, gar nicht als ob Klotilde ihm den drit¬ ten Osterfeiertag klar erzaͤhlt haͤtte oder als ob Hesperus. III . Th. I Emanuel ihn errathen haͤtte, sondern dieser unschul¬ dige-erhabne Mensch wußte nur den Unterschied zwi¬ schen Liebe und Freundschaft nicht und er haͤtte so gut von sich als von Viktor gesagt, er liebe sie. Und eben diese kindliche Unbefangenheit, die einer ofnen weiblichen Herzenskammer keine Durchgangs¬ gerechtigkeit, keine Breschen ablauerte, sondern die eignen entbloͤßte, und die keine Gestaͤndnisse erangel¬ te, keine verargte, keine benutzte, diese mußte mit dem gordischen Nervenknoten der Sympathie die scheueste weibliche Seele an eine so ofne maͤnnliche binden. Ja, ich glaube, Klotilde haͤtte ihre Liebe leichter ihrem Lehrer als ihrem Geliebten bekannt. — Da ihm dieser Emanuel nun erzaͤhlte, wie er ihr alle Szenen seines vorigen Hierseyns vorgemalet habe — und alle seine Entzuͤckungen — und sein Ge¬ staͤndniß der Freundschaft fuͤr sie — wie er ihr seine Briefe vorgelesen und wie der zweite (jener trostlose in der Nacht des Stamizischen Konzerts) so viele Thraͤnen in ihre Augen getrieben — und da Viktor sah, wie sehr sein Freund ihre Liebe wie einen zu¬ gehenden Tulpenkelch auseinander gehaucht habe: so fachte dieses seine Liebe fuͤr sie, seine Freundschaft fuͤr ihn bis zur Andacht an und er kuͤßte seelig ver¬ legen den Blinden. Aus dieser verdoppelten Liebe erklaͤrt' sich jetzt Klotildens leichte Einwilligung in seine Pfingstreise. Er haͤtt' es jetzt fuͤr einen Engels- und Petrus- Abfall von der Freundschaft gehalten, bei Emanuel nicht geradezu anzufragen, wenn er diese Geliebte — der Tugend sehen duͤrfe. »Jetzt!« sagte dieser, der ungeachtet seiner indischen achtenden Milde gegen die Weiber die Nasenringe, Bindeschluͤssel und Daͤm¬ pfer unserer Harams-Dezenz nicht kannte. Aber Viktor handelte anders und dachte doch eben so. Er hatte schon im Auslande gefragt: »Warum laͤßt »man die elende Reichspolizeiordnung fuͤr Maͤdgen »stehen, daß sie z. B. nicht einzeln, sondern immer »wie Nuͤrnberger Juden unter der Eskorte einer Al¬ »ten oder wie die Moͤnche Paarweise auswandeln »muͤssen? Nicht etwan als ob mich das genirte, »wenn ich einen Roman spielte, sondern nur wenn »ich einen schriebe, wo ich mich an das weibliche »Marschreglement auf Kosten des kunstrichterlichen »halten und ein Geleite von Auxiliar-Weibern Weibern »durchs ganze Buch mit mir zum Verhak meiner »Heldin herumschleppen wuͤrde. Muͤßt' ich nicht, »wenn ich sie nur uͤber die Hausthuͤre hinaus haben »wollte, mit einer Kronwache von Siegelbewahrerin¬ »nen neben ihr herziehen? Waͤr' ich nicht durch diese »verdammte Mitbelehnschaft und Kompagniehandlung »mit der Tugend — es fehlte an einer Proprehand¬ »lung — genoͤthigt, meiner Heldin wider alle Wahr¬ »scheinlichkeit Freundinnen aufzuheften? Ich wuͤrd¬ J 2 »es zwar einem spanischen Maͤdgen verdenken, wenn »sie mir ihren Fuß, und einem tuͤrkischen, wenn sie »ihr Gesicht vorwiese und einem Deutschen, wenn »es allein zum beßten Juͤngling ginge; aber eben »weil die tollsten blauen Gesetzte , die doch blauer »Dunst an blauen Montagen werden, zum wahren »Sittengesetze fuͤr sie werden; so aͤrger' ich mich »uͤber die jaͤmmerliche Kleinherzigkeit und wuͤnsche »nichts verboten zu sehen als das — Walzen und »Fallen.«. . . Er hat hier vielleicht Satire in pet ¬ to : denn ernsthaft davon zu sprechen, hat diese Heils-Ordnung, daß sich Maͤdgen bei uns allemal wie Memoriale, in Duplikaten einreichen muͤssen, offenbar die Absicht, sie alle an einander zu gewoͤh¬ nen weil sie ihre Freundschaft haben muͤssen zu Visiten — zweitens sollen Geschwister einander aus den Haaren kommen weil sie nicht wissen wenn sie einander beduͤrfen zu Ruͤckbuͤrgen ihrer Tu¬ gend und zu Liebes-Sekundawechseln — drittens ge¬ ben diese Menschensatzungen der weiblichen Tugend durch den kleinen Sitten- Dienst (weil große Versuchungen zu selten sind) taͤgliches Religionsexer¬ zizium und hoͤhere Wichtigkeit und verhalten sich wie die Talmudischen Artikel zur Bibel, wiewohl ein rechter Jude lieber gegen die Bibel als den Talmud verstoͤßt — viertens verdanken wir diesen symboli¬ schen Buͤchern des Wohlstandes die fruͤhere Bildung des weiblichen Scharfsinns, dem wir leider keine an¬ dern Gelegenheiten der Aufmerksamkeit verschaffen als die der Schwur auf jene Buͤcher giebt. . . . Aber zuruͤck oder weiter! Viktor tadelte und be¬ folgte zugleich, wie ein gutes Maͤdgen, die weibli¬ chen Ordensregeln: der Hof hatte ihn beherzter, aber auch feiner gemacht und unter den Weibern wurd' er wie jeder mit dem Linienblatt des Zeremoniels versoͤhnt. Daher wollt' er erst am zweiten Pfingst¬ tage eine ordentliche Ambassaden–Audiens bei der Aebtissin abthun, da heute alles zu spaͤt war und er uͤberdies in die schoͤnen frommen Bewegungen druͤ¬ ben nicht wie ein Haarstern fahren wollte. Und seine Zufriedenheit sagte ihm ja auch, wie wenig die Nachbarschaft eines geliebten Herzens verschieden ist von der Gegenwart desselben, die ohnehin nichts ist als eine naͤhere Nachbarschaft . Inzwischen uͤberwand er sich doch so weit, daß er mit seinen Zwillingsbruͤdern des Herzens — hin¬ ausging in's Kolosseum der Natur, ob er gleich sich nicht verbarg, draussen werd' er den Schrecken ha¬ ben, Klotilden zu begegnen. Und Emanuel verrin¬ gerte diese Sorge schlecht, da er ihm gestand, sie waͤre bisher alle Tage mit ihrem verwundeten Leben um die Teiche wie um baquets und durch die Flur wie durch Feldapotheken gegangen — Eilet end¬ lich hinaus, ihr drei guten Menschen, in's Jubi¬ leum des Fruͤhlings, das die Erde jaͤhrlich zum An¬ denken der Schoͤpfung begeht — Eilet, eh' die Mi¬ nuten auf eurem Leben wie die breiten Wellen auf den zwei Baͤchen, jetzt noch fliehend, und schillernd, und toͤnend, zerspringen und ausloͤschen an einer Trauerweide — eilet eh' die Blumen eurer Tage und die Blumen der Wiese von dem Abende uͤberzo¬ gen werden, wo sie statt der Lebens- und Feuerluft nur giftige verhauchen — und genießet den ersten Pfingsttag eh' er verrinnt! — Und er ist verronnen, und ein Sommer liegt heute schon wie ein Grab auf ihm; aber die drei guten Menschen haben geeilt und ihn genossen eh' er sich entfaͤrbte. . . . Sie wandelten unter die aus allen Gestraͤuchen fliegende Zephyre hinein, die die Saͤemaschinen der Blumen sind — sie traten vor die fuͤnf Taschenspiegel der Sonne, vor die Teiche, da die Fluͤsse Pfeilerspiegel sind und die bunten Ufer die Spiegeltische — sie sahen wie die Natur gleich Christus ihre Wunder verbirgt, aber sie sahen auch die Brautfackel des vermaͤhlenden Maies, die Sonne, und eine Hochzeitkammer in jedem singenden Gipfel und ein Brautbett in jedem Blumenkelch — sie, die Hochtzeitgaͤste der Erde schlugen die Biene nicht weg, die um sie honigtrunken taumelte, und trieben die aͤzende Mutter nicht auf, vor der der junge Vo¬ gel mit zitternden Fluͤgeln zerfloß — und als sie auf alle Erden-Stufen des ewigen Tempels, dessen Saͤu¬ len Milchstraßen sind, gestiegen waren: so sank die Sonne, wie die Gedanken des Menschen, einer an¬ dern Welt entgegen. ... Die Fontaine im Garten des Endes So hieß der Park der Abtei, den der Horion in sei¬ nem romantischen Geschmack anfangen aber nicht vollen¬ den lassen, weil er auf die Insel der Vereinigung fiel. Ich webe die Beschreibung davon nur stückweise in die Begeben¬ heiten ein. , die mitten auf dem Abhange des suͤdlichen Berges sich empor richtet und hoch uͤber den Berg wegschimmert, trug schon auf ihrer krystallnen duͤnnen Saͤule einen von der Abendsonne zu einem Rubin umgegossenen Schaft und diese glimmende aufgeblaͤtterte Rose zog sich wie andere entschlafende Blumen schon zu einer rothen Spitze ein — und die haͤngenden Marschsaͤu¬ len der Muͤcken im letzten Strale schienen zu sagen: morgen wird es wieder schoͤn, geht zuruͤck, ach ihr spielt doch laͤnger in der Sonne als wir. — Sie gingen zuruͤck; aber als Viktor im Abend die fuͤnf hohen weissen Saͤulen am westlichen Ende des geliebten Gartens blinken sah: wurde sein erhoͤh¬ tes Herz sehnsuͤchtig und beklommen und er wehrte ihm nicht zu seufzen: »gute Klotilde! ach ich moͤchte »wohl dich heute noch sehen, ach mein Herz ist voll »Freudenthraͤnen uͤber diesen heiligen Tag und ich »moͤchte es wohl ausschuͤtten vor dir.« — Und als der ganze Park der Abtei sich stolz neben den Abend¬ himmel stellte und in ihre Herzen trat: sagte auf einmal Emanuel — der sich immer gleich blieb, so¬ gar in seinen Entzuͤckungen: — »ich will es der Aebtissin schon heute sagen, damit unsere Klotilde sich auf morgen freut« und er trennte sich. . . . . Schoͤner Mensch! der du in vier Wochen aus diesem Blumenfruͤhling zu gehen hofft in die Sterne uͤber dir — du denkst mehr die Unsterblichkeit als den Tod, dich hat keine drohende Rechtglaͤubigkeit son¬ dern die indische Blumen-Lehre erzogen, darum bist du so seelig — du bist ohne Zorn wie jeder Ster¬ bende und ohne Gier und ohne Angst — in deiner Seele, wie am Pole wenn jeden Morgen die schwuͤle Sonnne ausbleibt, geht der Mond der zweiten Welt, den ganzen Tag, die ganze Nacht nicht unter! — Viktor fuͤhrte jetzt allein den Blinden nach Haus und beide schwiegen und umarmten sich mit Bruder- Thraͤnen hinter jeder Verhuͤllung und fragten einan¬ der weder nm die Ursachen der Umarmung noch der Thraͤnen. — Da sie durchs stille Dorf waren und dem Park der Abtei vorbei kamen: sah Viktor seinen Geliebten aus der letzten Laube in das blendende Kloster treten. Es war ihm als kennte ihn schon jede darin, als muͤßt' er sich verstecken. Der Gar¬ ten der Begeisterung sollte in dem Thale nur das Blumenbeet in einer Wiese seyn und nicht durch grelle Schranken an der Natur zuruͤckprallen, son¬ dern sanft wie ein Traum in's Wachen durch bluͤ¬ hende, belaubte Graͤnzen in sie uͤberhaͤngen und uͤber¬ fließen durch Hopfengaͤrten, durch gruͤne dicht zusam¬ mengeruͤckte Zaͤune um Fruchtfelder und durch ver¬ saͤete Kindergaͤrtgen. Eine weite Kastanien-Kolonna¬ de, von zwei Baͤchen in Silber gefasset, schloß sich frei und weit gegen die fuͤnf von Bluͤten durchbroch nen Teiche auf. Der noͤrdliche Berg richtete sich dem Parke gegenuͤber wie eine Terasse empor und fuͤhrte das Eden scheinbar uͤber ungesehene Thaͤler fort. Viktor wich jedem aufgehenden Fenster des Klo¬ sters durch die Kastanien aus, unter die er seinen Blinden fuͤhrte und hinter denen er naͤher und doch unbeobachtet beobachten konnte. Auf dem aus gruͤ¬ nenden Dachlatten verwachsenen Wetterdach der Allee lag der Abend wie ein Herbst, mit rothem durchfal¬ lenden Schimmer. Er ging trotz der Gefahr der Er¬ tappung bis in die Mitte, wo die Allee in zwe¬ Arme zerspringt; aber hier nahm er den rechten Arm der belaubten Halle, der sich mit ihm vom Kloster wegbog so wie von einer Nachtigal, die mit¬ ten im Garten aus einer geheiligten Dornhecke ihre Jungen und ihre Toͤne aussandte. Die Allee that ihm durch ihre sanften Entfernungen von den ra¬ vourarien der gefiederten Prima Donna die Dienste eines Daͤmpfers und Lautenzugs — leise wurd' er von den Kruͤmmungen, die die allmaͤhlige Verdunke¬ lung und Verengerung der Allee verbargen, fortgezo¬ gen zwischen den nachfliegenden Toͤnen der Nachti¬ gal, zwischen den duͤnner durch die Blaͤtter tropfen¬ den Abendstralen, zwischen den zwei Baͤchen, die jetzt innerhalb des Kastanien-Korridors dahin schluͤpf¬ ten — Die Baͤche gingen enger an einander und lie¬ ßen nur fuͤr die Liebe Raum — Der Portikus senkte sich tiefer herein — Die zerstreuten Blumen der zwei Ufer draͤngten sich zusammen und gingen in Ge¬ straͤuche uͤber — Die Gestraͤuche verwuchsen zur Gar¬ tenwand und beruͤhrten sich anfangs in lose und durchsichtig zuhaͤngenden Gipfeln und endlich in fin¬ ster zusammengestrickten — Und die Allee und der unter ihr aufgewachsene Laubengang gruͤnten in ein¬ ander hinein, um mit ihren zusammenfallenden Bluͤ¬ ten-Huͤllen nur eine einzige Nacht zu machen — Dann versperrte in der gruͤnen Daͤmmerung ein Je¬ laͤngerjelieber–Gespinst und Bluͤten–Geniste die Laube, aber fuͤnf aufsteigende Stufen lockten zum Zerreissen des bluͤhenden Vorhangs an — Und wenn man ihn zertheilte: sank man in ein Bluͤten-Gekluͤft in eine enge durchwachsene Gruft, gleichsam in einen vergroͤ¬ ßerten Blumenkelch — In dieser delphischen Hoͤle der Traͤume war der Polster aus hohem Grase ge¬ macht und die Arme des Sitzes aus Bluͤtenzweigen und die Ruͤcken-Lehne aus gedraͤngten Blumen und die Luft aus dem Hauche von staͤubendem Zwergobst — Dieses Blumen-Allerheiligste wurde nur von Bie¬ nen und Traͤumen bewohnt, nur von weissen Bluͤten erhellt, es hatte statt des Abendroths nur den Pur¬ pur der Nachtviole, statt des Himmelblaues nur den Azur der Hollunderbluͤte, und der Seelige darin wurde nur von Bienenfluͤgeln und von den um ihn versammelten fuͤnf Muͤndungen der Baͤche in den Schlummer eingesungen, in welchem die ferne Nach¬ tigal die Harmonika - und Abendglocken des Traumes anschlug. . . . — Und da heute Viktor die fuͤnf Stufen betrat und die aus Bluͤten gewobene Tapetenthuͤr des Him¬ mels auseinander that: siehe! da — o du Seeliger disseits des Todes! — ruhte darin eine Heilige mit weinenden Augen, in Philomelens verklungne Klagen untergesunken . . . Du, Klotilde warst es, und dach¬ test an Ihn mit weicherer Seele, und mit groͤßerer Liebe — und er an dich jetzt mit der erwiederten! — Ach wenn zwei liebende Menschen einander in der naͤmlichen Ruͤhrung begegnen: dann erst ach¬ ten sie das menschliche Herz und seine Liebe und sein Gluͤck! — Decke, Klotide, mit keiner Bluͤte die Thraͤnen zu, unter denen deine Wangen erroͤthen, weil jene nur vor der Einsamkeit niederfallen soll ten! Zittere, aber nur vor Freude, wie die Sonn zittert, wenn sie aus einer Wolke am Horizont her¬ ausruͤckt! — Schlage dein von Blumen verhangnes Auge noch nicht nieder, das zum erstenmal so ruhig geoͤfnet und mit einem solchen Strom der Liebe an den Menschen sinkt der dein schoͤnes Herz verdient und der alle deine Tugenden mit seinen belohnt! . . ..Viktor wurde vom Blitze der Freude getroffen und mußte im suͤßen Laͤcheln der Entzuͤckung erstarren, da die Himmlische hinter dem Blumengewoͤlk wie ein Mond hinter einem in voller Bluͤte stehenden Eden aufging und in der weiblichen Verklaͤrung der Liebe einen in ein Gebet zerfloßnen Engel glich. Der Blinde wußte noch nichts vom dritten Be¬ gluͤckten. — Sie bewegte suͤß-verwirrt die Hand nach einem zu duͤnnen Zweige, um sich von der tie¬ fen Grasbank aufzuheben; dem Geliebten war als reichte ihm aus den Wolken des zweiten Lebens diese Hand ein zweites Herz und er zog sie zu sich an und sank mit seinem stummen uͤberfließenden Angesicht durch die Bluͤten auf ihre schoͤnen klopfenden Adern nieder. — Aber kaum hatte Klotilde beide stam¬ melnd willkommen geheissen unter dem Heraustreten aus dem gruͤnen Kloset: so erschien ihnen der Engel — Emanuel, der aus dem Kloster geeilet war, um die Freundin aufzusuchen. . . . Er sagte nichts, aber er sah beide mit einer namenlosen Wonne an, um zu finden, ob sie sich recht freueten und gleichsam um zu fragen: »seid ihr denn jetzt nicht recht gluͤck¬ lich, ihr Guten, liebt ihr euch denn nicht unaus¬ sprechlich?« — — O, zum Mitleiden gehoͤrt nur ein Mensch, aber zur Mitfreude ein Engel; es giebt nichts schoͤneres als den glaͤnzenden Christuskopf, auf dem das Weglegen der erhabnen Mosisdecke den stil¬ len frohen Antheil an fremden unbescholltenen Freu¬ den, an fremder reiner Liebe zeigt; und es ist eben so goͤttlich (oder noch goͤttlicher) einer fremden Liebe mit einem stumm-gluͤckwuͤnschenden Herzen zuzu¬ schauen als sie selber zu haben. ... Emanuel, dein groͤßeres Lob wird in verwandten Seelen aufbehal¬ ten, aber auf keinem Papier! — Auf dem Kreuzwege der Allee theilte sich der schoͤne Bund auseinander und der linke Zweig der¬ selben fuͤhrte Klotilde neben der Nachtigal vorbei in die Wohnung der sanften Herzen zuruͤck. Viktor kam, von der vergroͤßerten Liebe fuͤr drei Menschen zugleich aufgeloͤset, in den dunkeln nur von unterge¬ henden Sternen erleuchteten Zimmern Emanuels an und fand da einen gedeckten Tisch, den die feine Aebtissin dem Gaste oder dem Wirthe gesendet hatte, (weil Emanuel Abends nur Obst genoß.) Man will alles mit der Geliebten theilen, sogar die Kuͤche. Emanuel zuͤndete nach Ostern kein animalisches Licht mehr an. Im Helldunkel, aus Mondes-Silber und Lindengruͤn zusammengegossen, bluͤhte das seelige Klee¬ blatt unter dem Abendstern. Viktor machte heute durch seine medizinische Schilderungen der Nachtkaͤlte den siechen Freund abtruͤnnig von den Nachtwand¬ lungen und ging nur allein mit dem Blinden noch hinaus an die Schlafstaͤtte der verstummten Natur. . . . . Seelig ist der Abend, der der Vorhof eines seeligen Morgens ist — Der Maifrost hatte die Sterne vom warmen Dunsthauch gereinigt und das Blau des Halb-Himmels vertieft, um eine schoͤne Nacht zum Buͤrgen eines schoͤnen Tages zu machen — Alles schwieg ums Doͤrfgen, ausgenommen die Nachtigal im Garten und die rauschenden Maikaͤfer, diese Herolde eines hellen Tages — Und als Viktor nach Hause ging mit einem empor geseufzeten Dank fuͤr diese Pfingststunden, von denen jede der andern die Zuckerstreubuͤchse gab, um die engen Minuten ei¬ nes stillen Menschen zu versuͤßen; als er vorbeiging vor den gedaͤmpften Beichtliedern, die hier ein zwoͤlf¬ jaͤhriger Mensch, der morgen zum Abendmal ging, dort einer neben seiner Mutter sang; und als end¬ lich ein verhauchtes Abendlied aus der Abtei, das gleichsam auf einem einzigen Lautenton fortschwamm, den schoͤnen Tag mit einer Kadence zu Ende fuͤhrte und da vom sanften Tage nichts mehr uͤbrig war als sein Nachhall im Herzen der Gluͤcklichen und im Abendliede des Klosters, als sein Wiederschein in der ziehenden Abendroͤthe am Himmel und in dem befrie¬ digten noch laͤchelnden Angesicht des schlafenden Ema¬ nuels: so sahen in Viktor die stummen Freuden wie Gebete aus, die ungestoͤrten Thraͤnen wie uͤberlau¬ fende Tropfen aus dem Freudenkelch, seine Stille wie eine gute That und sein ganzes Herz wie die warme Freudenzaͤhre eines hoͤhern Genius. . . . Viktor fuͤhrte den blinden Geliebten leise an seine Lagerstelle, wo der Traum seine zerritteten Augen operirte und ihnen die kleinen Landschaften seiner Kindheit mit Morgenfarben heller um sie stellte — Und Viktor legte sich unentkleidet, dem tief herabge¬ ruͤckten Monde gegenuͤber, auf die Baustelle unserer schoͤnern Luftschloͤsser, auf den Resonanzboden der Kindheit, wo der Morgentraum den geheiligten Men¬ schen aus der Wuͤste des Tages auf den Berg Mo¬ sis fuͤhrt und ihn schauen laͤßt in das dunkle gelobte Land der Ewigkeit. . . . Der erste Pfingsttag, lieber Leser, hat in diesem Wonne-Dreiklang verhallt; aber in diesen drei hohen Festen von Freude wird wie bei denen im Kalender das zweite noch schoͤner, und das dritte am schoͤnsten. Ich werde mit dem Steigen meiner Feder durch diese drei Himmel gar nicht eilen — ja wenn ich gewiß wissen koͤnnte, daß die Akteurs und Figuranten in dieser Geschichte mein Werk nie¬ mals zu sehen bekaͤmen, ich wuͤrde (zur Graͤnzen¬ verruͤckung dieses Edens) gar manches dazu machen, was nicht historisch wahr waͤre. — 2. Pfingst¬ 2. Pfingsttag. — 34. Hundsposttag. Der Morgen — Die Aebtissin — Der Wasserspiegel — stummer Injurienprozeß — Der Regen und der ofne Himmel. U m zwei Uhr zog der Morgenwind lauter und kuͤh¬ ler durch Viktors ofnes Zimmer und ruͤttelte schon Thautropfen von geglaͤttetem Laub — das nahe Blaͤtter-Gefluͤster wirbelte sich durch seine Ohren in seine Traͤume — Die Lerche fuhr als Ouvertuͤre des Tages hoch in's Himmels-Grau hinauf und laͤutete das Trommetenfest des Morgens ein — Dieser Wek¬ ker wurde durch ein Traͤumen zum herumfliegenden Nachhall, das sich mit dem Morgen vermischte und unter dem sanften Einfallen des nachbarlichen Getoͤ¬ nes schloß er langsam die Augen auf und traͤumte weiter, und that sie wieder zu und erwachte mehr und der Schlaf fuhr nicht wie ein dickes Leichentuch aus Nacht hinweg, sondern wallete wie ein Schleier aus Morgenduft empor und seine Seele schloß sich, ohne eine einzige Bewegung mit dem Koͤrper zu ma¬ chen, mit dem stillen Erwachen eines Blumenkelchs vor dem Morgen auseinander. . . . — Jetzt bin ich schon wieder im Sieden und Flammen — und doch nehm' ich mir, so oft ich ein¬ Hesperus. III Th. K tunke vor, die Kunstrichter zu gewinnen und mit meiner Feder zu schreiben wie mit einem Eiszapfen. Aber es ist mir unmoͤglich — erstlich weil ich in die Jahre komme. Bei den meisten Menschen hoͤrt zwar wie bei den Voͤgeln das Singen mit der Liebe auf; aber bei denen, die ihren Kopf zu einem Treibhaus ihrer Ideen machen, geben die Jahre d. h. die Exer¬ zirtage darin der Phantasie wie den Leidenschaf¬ ten einen hoͤhern Wuchs. Dichter gleichen dem Glase, das im Alter bei dem Zerfallen bunte Farben annimmt. — Aber zweitens, wenn ich auch erst in meinem zwanzigsten Jahre bluͤhete: so koͤnnt' ich doch jetzt nicht frostig schreiben, maßen der Winter vor der Thuͤr' ist. Rousseau sagt, im Stockhause braͤchte er das beste Gedicht auf die Freiheit heraus — da¬ her die staatsgefangnen Franzosen sonst bessere Prosa daruͤber edirten als die freiern Britten — daher dich¬ tete Milton im Winter. Ich nahm oft im Sommer meine Schreibtafel hinaus und wollte ihn an dieses Silhouettenbrett anpressen und dann abreissen; aber die Phantasie kann nur Vergangenheit und Zukunft unter ihr Kopierpapier legen und jede Gegenwart schraͤnkt ihre Schoͤpfung ein — so wie das von Ro¬ sen destillirte Wasser nach den alten Naturforschern gerade zur Zeit der Rosenbluͤte seine Kraft einbuͤßet. Daher mußt' ich allemal warten bis ich untreu wur¬ de, eh' ich mit meinem Reißzeug an die Liebe gehen konnte. ... Aber ein Mensch, der jetzt auf einer molukischen Insel gegen den Nachsommer hin den Fruͤhling grundirt und auszeichnet, muß ihr aus mehr als dem Grunde, weil der fliegende Sommer der sehnen-erregende Nachklang und die Silberhoch¬ zeit des Fruͤhlings ist, mit viel zu hellen Saftfarben den Gallerieinspektoren einhaͤndigen. — — Die bunt ausgenaͤhete Beschreibung von Viktors Aufenthalt in Maienthal kann so lang werden wie die von Voltairens seinem in Paris, mit deren Ho¬ norar der magere Spaßvogel den Miethzinß seiner chambres garnies haͤtte bestreiten koͤnnen. Denn eben hat der Hund gar einen vierten Pfingsttag ab¬ geliefert und die trinomische Wurzel der Freudenpo¬ tenz zu einer quadrinomischen ausgebreitet. Da in dieser Freuden-Quadruplick wiederum kein Jammer steht, kein Mord, keine Landplage, sondern nichts als Gutes: so fang' ich freudig die uͤbrigen Bilder dieses Fruͤhlings an meiner dunkeln Kammer auf und schwebe nicht in der Angst, daß ich meinen Helden (Knef hat mir alle Pfingsttage uͤbermacht und sendet nur ein kleines Supplement gar nach) wie etwan meinen Gustav , aus dem zusammen gestuͤrzten Schutt seines Lust- und Sommerhauses zu ziehen habe. — — Emanuel that Vormittags sein Schreibpensum in seinen astronomischen Tabellen ab, um den ganzen K 2 Nachmittag mit seinem Gaste bei der Aebtissin zu verbringen; auch trug er ihm eine kleine Kollabora¬ torstelle bei seinen Blumen an, naͤmlich die Rosma¬ rinbluͤten auszupfluͤcken und uͤber das Nelkenposta¬ ment den Sonnenschirm zu spannen. Bei Emanuel hingen auch in der prosaischen Ruhe des Tages, im¬ mer die Fluͤgel noch weit unter den Halbfluͤgeldecken hervor. Viktor hielt die Bitten seines Lehrers fuͤr Geschenke. Da er draussen am Rosmarin abblatte¬ te: so oͤfnete die aufgehende Sonne das Ventile des Windes und dann fingen, von ihm angeweht, alle Register der großen Wesen-Orgel zu gehen an und vor seinem Ohre wogte der Tremulant der Baͤche, schrie das Floͤtenwerk der Voͤgel und braußte das 32fuͤßige Pedalregister der Waldungen. Ein einge¬ pfarrter kleiner Kopf um den andern, der seine zwoͤlf Jahre samt eben soviel Herkules Arbeiten des Ge¬ daͤchtnißes zum h. Abendmal trug, schlich hinter dem Vater mit einem Kranz-Knauf und uͤberhaupt mit Goldflittern gestickt und aufgesteift vor ihm voruͤber. Welchen schoͤnen zweiten Pfingsttag, der sonst voll Regenwolken ist, habt ihr Kleinen jetzt! — Viktor goͤnnte recht gern der Grandetza des Dorfes, d. h. den Vollspaͤnnern und dem Schulmeisters Sohn den Haarformer und Zopfprediger Meuseler, der am zweiten Pfingsttag die benachbarten Doͤrfer frisirte und der mit seinem Puder-Weihwedel die letzte Pfingst-Ausgießung auf die kleinen Koͤpfe betrieb, die der Pfarrer schon sechs Wochen eingefeuchtet hatte. Viktors Herz schlug vor Freude als wenn er ein Kind mit darunter haͤtte oder eines waͤre, als die bunte gepuderte Wesenkette mit huͤpfenden Flit¬ tern, mit hochstaͤmmigen Blumenstraͤußern, mit schwarz-gleissenden geistlichen Musenalmanachs, vor dem Kommando- und Hirtenstab ihrer zwei Konsuln, singend und besungen und eingelaͤutet und angebla¬ sen durchs Kirchen-Triumphthor einzog. — Ach Kin¬ dern steht die Freude noch schoͤner wie uns, so wie ein ungluͤckliches, ein bettelndes, dem das Schicksal das erste Kindergaͤrtgen zertritt und vor dessen Au¬ gen beim ersten Aufschlagen ins Sein nichts haͤngt als schwarzes ungestaltes Morgengewoͤlke, unser Herz betruͤbter macht als der Vater desselben. . . . »Beeret jede Minute eures ersten Triumphtages »ab, ihr guten Kinder, und ich wollte, die Predigt »wuͤrde recht lang, damit ihr den schoͤnen Anzug »laͤnger anbehieltet!» sagte Viktor und sah sich nach dem Kloster um, dessen Fenster voll unkenntlicher Zuschauerinnen waren: er setzte sich vor, beim Re¬ marsche der Kinder-Prozession sich unter den Fen¬ stern das mit dem schoͤnsten Inhalt auszusuchen durch ein Taschenperspektiv. — Gehe nur, guter menschen¬ freundlicher Mensch, der die schoͤnen Seelen liebt wie die schoͤne Natur und die kalten ertraͤgt wie die Wintergegend, und der sich nie raͤchte, gehe nur an den Baͤchen auf und ab, weil da der Fußsteig der Fischer ist und weil du auf deinen dichterischen Ring¬ rennen keinem Bauern nur einen Zwieselwagen voll Heu wie ihn die Kinder aus Haselruthen flechten niedertreten willst! Fuͤlle den Zwischenraum zwi¬ schen dem ersten und dem dritten Himmel wo du zu Mittag nicht mit Abraham sondern mit deiner Klo¬ tilde am Tische der Aebtissin sitzest, mit einem zwei¬ ten, naͤmlich mit dem Umarmen der ganzen Natur, die nie holder in die Seele hineinschauet als wenn auf ihr nicht weit von der Seele eine — Geliebte wohnt! — Ein Wandelgang zwischen zwei zusammenblitzen¬ den Baͤchen und zwischen ihren lakirten von Schaum¬ wuͤrmern beschneieten Weiden uͤberzieht das ganze Innere bis auf jeden Winkel einer dunkeln Thraͤne mit Morgenglanz. — Noch dazu schauete Viktor immer uͤber die Wiese hinauf zu Emanuels ofnem Fenster und ließ sich ein Laͤcheln von ihm wie eine laufende Welle voll Licht herunterwehen. — Noch dazu blieb er nicht da, sondern ging zweimal hinauf und stoͤrte ihn mitten in seinem Schreiben durch ein kindliches Umfassen. — Noch dazu legt' er seinen Augen Meilenstiefel an und lief uͤber die ganze sich hier baͤumende, dort sich buͤckende, hier leuchtende, dort schattende Landschaft, um eine Postkarte und Reiseroute zu den schoͤnsten Stellen fuͤr die Nachmit¬ tagsspaziergaͤnge mit Klotilden schon hier voraus zu mappiren und zu skizziren, weil Nachmittags die Entzuͤckungen vielleicht die Wahl der Entzuͤckungen verfaͤlschen! — Und so schuf die Natur in seinem Geiste ihren Morgen und ihren Fruͤhling noch ein¬ mal aus dem Erdenklos des ersten Fruͤhlings, d. h. aus der heissen Sonne, aus dem kuͤhlen Bache, aus dem Schmetterling, den der Mai aus der Huͤlfe schaͤlte, aus den illuminirten Muͤcken, die die ge¬ baͤhrende Erde aus dem Larvensamen wie fliegende Bluͤmgen hervortrieb. — Da schloß er unter dem Spazen- und Schwalbengetobe im Dorfe und unter dem Feldgeschrei der Lerchen und vor den blendenden Wellen der Baͤche, da schloß er die Augen zu und ließ seine Seele in das klingende Meer und in das vom Augenlied gemalte Helldunkel untertauchen; aber dann waͤre sein Herz erdruͤckt worden von der Schoͤpfungsfluth, die uͤber dasselbe ging aus allen Roͤhren und Betten und Muͤndungen des Lebens um ihn, aus dem verstrickten Geaͤder des Lebensstroms, der zugleich durch Blumen-Rinnen, durch Baum- Gossen, durch weiße Muͤcken-Adern, durch rothe Blut-Roͤhren und durch Menschennerven schießt. . er waͤre Freuden-ohnmaͤchtig ertrunken im tiefen weiten Lebens-Ozean, den Lebensstroͤme durchkreutzen und nachfuͤllen, haͤtt' er nicht wie jener Ertrunkne ein Glockengelaͤute in die Wellen hinunterge¬ hoͤrt. . . Kurz — die Kirche war aus und er mußte hin¬ ter einen Blaͤtter-Jagdschirm gehen, um, wenn die kleinen Abendmals-Panisten aus der nachor¬ gelnden Kirche und unter den nachtrompetenden Thurm vorbei zoͤgen, dann mit dem Taschenperspek¬ tiv zuzuschauen, wer zuschaue aus dem Kloster. Klotildens Angesicht schwebte, wie durch Magie vor¬ gerufen aus der zweiten Welt, dicht am Glase und er konnte unvertrieben seine Schmetterlingsfluͤgel um diese Blume schlagen: er konnte frei in ihre großen Augenhoͤlen wie in zwei mit Thau-Glanz gefuͤllte Blumenkelche sinken. Er sah nie einen so reinen Schnee des Augapfels um die blaue Himmelsoͤfnung die weit in die schoͤnere Seele ging; und wenn sie das Auge in den Garten niederschlug, stand das große verhuͤllende Augenlied mit seinen zitternden Wimpern eben so schoͤn daruͤber wie eine Lilie uͤber einer Quelle. Die Liebe faͤngt sich wie das Zeich ¬ nen und der keimende Mensch beim Auge an. — Da die Kinder voruͤber waren: so wandte Klotilde ihr Angesicht langsam und frei gegen Emanuels Laub¬ huͤtte und schauete mit dem weiten sehnenden Blicke der Liebe heruͤber. . . . Und mit einer solchen Liebe, die wie ein Herz in seinem Ich pochte, kam Viktor samt seinen zwei Freunden droben im Kloster an. Die Aebtissin (ihr Name wird mir gar nicht berichtet, nicht einmal ein falscher) empfing ihn mit einem hohen Air, das ihr Stand nicht gegeben, sondern gemildert hatte. Ihre Seele wurde gekroͤnt geboren. Die * * Fuͤr¬ stin, deren Oberhofmeisterin sie war, spielte zuwei¬ len gern das Kind (Kinder erwiederns umgekehrt und repraͤsentiren ihre Repraͤsentanten); aber ob sie gleich einen dreißigjaͤhrigen Stolz besaß, so fiel sie doch ihrem Steckenpferd in den Zuͤgel, sobald die monar¬ chische Oberhofmeisterin erschien, die im ganzen Lan¬ de (die Schwanen ausgenommen) den Kopf am mei¬ sten zuruͤckbog. Eine Frau wie diese, deren Blicke Throninsignien und deren Worte mandata sacrae caesareae majestatis propria waren, hatte aus den Haͤnden der Natur selber die Huldigungsmuͤnze und das Throngeruͤste, um ihren Reichsapfel gegen die Schoͤnheitsaͤpfel junger Maͤdgen abzuwaͤgen — eine solche konnte die Klotilden beherrschen und formen. Ihre jetzige Seele war von drei Meistern gemalt: — der Hintergrund von der Welt — der Vorgrund von der Kirche — der Mittelgrund von der Tugend. Ihre aszetische Bestandtheile setzten sie auf eine son¬ derbare Weise in einige chymische Verwandschaft mit Emanuels indischen. — Ich kenne nichts ruͤhrenders und schoͤneres als die weibliche Verbeugung aus jener tiefen Achtung, mit der gute Maͤdgen ihre Liebe allein zu sagen wagen. — Gluͤcklicher Viktor! deine Klotilde empfing dich mit so vieler Achtung wie ihren Lehrer. Nur die Ko¬ kette wird durch die Liebe befehlshaberischer (ein kieselsteinernes Juristen–Wort!); aber die Stolze wird dadurch bescheiden und sanft. — Nie aß er froher als in diesem transparenten Luftschloß, vor dessen ofnen Fenstern ein blauer Horizont und naͤher brausende und mit Musik besetzte Alleen ruhten, als in dieser geputzten Orangerie aufbluͤhender Maͤdgen, anstatt daß ein Gymnasium eine Menagerie ist und ein Schwesternhaus eine Volerie. — Viktor, der Weiber noch besser zu lenken verstand als Maͤnner, war im arbeitenden Ameisenhaufen dieser lebhaften Maͤdgen so gesund wie in einem Ameisenbad und war ein zweiter Bienenvater Wildau, der sich aus diesem Immenschwarm bald einen Bart komponirte, bald einen Muff. Es gehoͤrt mehr maͤnnlicher Verstand zu einer gewissen feinen Galanterie als die haben, die sie in ihren Satiren mit der faden vermengen; so wie nur Gebirge den suͤßesten Honig darbieten. Der Ernst muß den Scherz grundiren, die Achtung und das Wohlwollen das Lob. Viktor konnte leichter vor zwei, als vor 32 weiblichen Augen in Verlegen¬ heit gerathen, die uͤbrigens der groͤbste Donatschnizer und Germanismus in der weiblichen Grammatik ist. Er hatt' es laͤngst gelernt, die fluͤchtigen Salze des weiblichen Witzes mit den fixen des maͤnnlichen zu binden, so wie das, in großen Zirkeln jede Seele, jede Raupe auf das rechte Nahrungsblatt zu setzen. Fuͤr ihn, der einmal gesagt: »ich wollte, ich »haͤtte wenigstens viermal des Jahrs mit Damen zu »konversiren, bei denen man so viel Tournure an¬ »bringen muͤßte, daß man gar nicht wuͤßte, was man »wollte und die fein bis zum Unsinn waͤren» — fuͤr ihn war eine hohe Dame wie die Aebtissin, die man seit dem Niederlegen ihres Oberhofmeister¬ thums ein klein, klein wenig mit einer Prezioͤsen verwechseln konnte, ein wahres Labsal: denn er konnte ihr doch die physiognomischen Fragmente vom Hofe mit tausend Wendungen, d. h. ein Voll¬ gesicht durch fuͤnf Punkte vorzeichnen. Aber er hatte dabei die noch edlere Absicht, seine anbetende Aufmerksamkeit, sein in Gestalt einer Thraͤne ins Auge tretende Herz von seiner geliebten Klotilde wegzurufen, um ihr eine ganz andere Aufmerksamkeit zu ersparen als die seinige. Auf eine sonderbare Weise zog immer gerade sein satirisches Gefuͤhl sei¬ nen ernsten Gefuͤhlen, seiner erweichten Seele die Mosis Decke ab — er schaͤmte sich naͤmlich keiner Thraͤne, blos weil er wußte, daß ihn seine Laune gegen den Verdacht der Uebertreibung und gegen den Spoͤtter beschuͤtzen koͤnnte; so wie wieder umgekehrt sein schillernder Witz unter Thraͤnen wie Phosphor unter Wasser, sein Licht aufbehielt und naͤhrte. — Zum Gluͤck machte jetzt Emanuel, der mitten unter dem Diner in den Garten gegangen war, da er wieder kam, die Petizion eines Spazierganges — Denn in seiner Seele standen nur große Ideen noch vom Leben uͤbrig wie in Aegypten nur Tempel, keine Haͤuser nachblieben; und seine Unwissenheit in kleinen Dingen muß kleinen Dingern laͤcherlich seyn. — Die Aebtissin hatte Klotilde als Unterkoͤnigin der feurigen Nonnen neben sich auf den Thron genom¬ men. Viktor stellte mit seiner einzigen Person das churmaͤrkische Pupillenkollegium unter diesen flattern¬ den Grazien vor. Klotilde uͤbergab den Blinden gerade einem ganzen Tauben-Fluge der lebhaftesten Wegweiserinnen, weil sie alle um das Bootmanns- und Zeigefinger–Amt beim Blinden warben: sie liebten ihn alle wegen seiner himmlischen Schoͤnheit und Fassade, aber (da er die ihrige nicht sah) nur so wie sie einen schoͤnen Knaben von fuͤnf Jahren herzen: . . Zu einer andern Zeit wuͤrde Viktor sich gewiß umgesehen und fein angespielet haben, daß die Schoͤnheit die Blindheit fuͤhre; aber heute sah er sich nur um aus andern Ursachen. — Endlich war die Insel der Seeligen, die schon durch den Nebel seiner Kindertraͤume weit, weit vor¬ geschimmert hatte, jetzt der Boden unter seinen Fuͤßen und er machte jetzt die Entdeckungsreisen durch seinen Himmel — er und Klotilde schwiegen einige Minuten, weil ihre Herzen sanft vor Freude zu wallen anfingen, daß sie endlich allein nebeneinander und vor der großen Esplanade des Fruͤhlings stan¬ den. Unter dem seeligen Laͤcheln, dem stummen Buchstaben der Wonne und unter zitternden Athem¬ zuͤgen, dieser h. Sankritsprache der Liebe, waren sie schon am ersten Teiche, uͤber dessen Krystallspie¬ gel sich eine Bruͤcke wie vergoldetes Laubwerk schlaͤn¬ gelt. — Sie stockten in der Mitte dieser glatten Mond- und Spiegelscheibe geblendet, weil der Son¬ nenschirm nicht gegen zwei Sonnen auf einmal, die im Wasser dazu gerechnet, decken konnte: sie kehrten sich halb um und suchten mit den Blicken im malen¬ den Wasser das tiefere Himmelsblau und zwei stille begluͤckte Gestalten auf, die einander mit ihren feuch¬ ten Augen anblickten. O sein Auge ruhte warm in ihren wiedergestralten wie die Sonne in der unter¬ irdischen Sonne und sein zitternder Blick wurde das lange Beben und Aushalten eines einzigen Tones: denn die im Wasser wohnende Goͤttin sank mit ihren Augen seiner Seele entgegen, weil sie die verdoppelte Entfernung seiner Gestalt benutzen wollte, die sich auf 10 Fuß belief. — Um endlich das uͤbermaͤchtige Entzuͤcken zu schließen , fuͤhrt' er seine Augen weg von dieser Glasmalerei und richtete sie (d. h. er verdoppelte es blos) an das Original selber; und das Ineinanderrinnen der Blicke, das Zusammenzit¬ tern der Seelen warf in den engen Augenblick die Gefilde eines langen Himmels. — Und sie sahen, daß sie sich gefunden hatten und daß sie sich geliebt hat¬ ten, und daß sie sich verdienten. Aber unter dem Weitergehen konnte Viktor nur das sagen: »o moͤch¬ »ten Sie so unaussprechlich gluͤcklich seyn wie ich »heute.» — Und sie antwortete leise, wie ein unter weiche blaͤtterlose Bluͤten verhauchter Zephyr so lei¬ se: »ich bin es wohl.» . . . . Ach ich habe mir oft es vorgemalt, wenn wir uns alle einander so liebten wie zwei Liebende, wenn die Bewegungen al¬ ler Seelen wie bei diesen, gebundne Noten waͤren, wenn die Natur uns allen zugleich den Nachklang ihres bis uͤber die Sterne reichenden Saitenbezuges ablockte, anstatt daß sie nur ein liebendes Paar wie ein Doppelklavier bewegt — dann wuͤrden wir sehen, daß ein Menschenherz voll Liebe ein unermeßliches Eden einschloͤße, und daß die Gottheit selber eine Welt erschuf, um eine zu lieben. — Aber ich will wieder so schreiben wie Klotilde sprach, die den dichterischen Geist nur durch Tha¬ ten, nicht durch Worte offenbarte, gleich Schauspie¬ lern, die den Reim und das Sylbenmaas ihres Dichters im Sprechen zu umgehen wissen. Das Dorf oder das Wirthshaus vielmehr gab ihrer Himmelsleiter eine vierte Sproße, den vierten Pfingsttag — Der Englaͤnder Kato der aͤltere fuhr heraus, der aus Kussewiz mit einem wandernden Orchester Prager Virtuosen von seiner Gesellschaft weggelaufen war, um das Maienthal auch zu sehen. Er konnte nie in seinem Leben auf etwas warten. Er sagte zu Viktor, morgen komm' er zu ihm, heu¬ te beschau' er die besaͤeten Prospekte und passe mit der Ouvertuͤre der Prager nur auf das Auslaͤuten der Vesperpredigt. Endlich sagt' er ihm, daß Fla¬ min und Matthieu uͤbermorgen verreiseten und wie¬ der zuruͤckgingen nach Kussewiz und folglich da laͤn¬ ger verweilten als sie gewollt. Diese Gegenwart des Englaͤnders und die spaͤtere Zuruͤckkehr des Ei¬ fersuͤchtigen machte auf einmal den letzten Willen in Viktor fest, auch den vierten Pfingstlag als die vier¬ te Saite auf dieses Freuden-Tetrachord aufzuziehen. Und da an diesem vierten Tage gerade das durch alle Heftlein dieses Buchs laufende Raͤthsel mit dem Engel in die Entzifferungskanzlei der Zeit getragen wird, weil Julius den Brief desselben Klotilden zum Vorlesen uͤbergiebt: so konnt' er sich weiß machen, er bliebe deswegen; und zu sich sagen: »Wunders¬ »halber sollte man's doch abwarten, was es mit »dem Engel fuͤr eine Bewandniß habe.» — Guter Held! du vermengst jeden Engel mit deinem und ich wuͤßte nicht, warum nicht! . . . Jetzt lief ein Wolkenschatten uͤber sie, gleichsam als Vorlaͤufer eines dunklern, der ihre Seelen suchte. Denn Viktor, der vor einem schoͤnen Herzen niemals seines versperren konnte, der in der Heiligung der Liebe alle Verstellung verschmaͤhte, erzaͤhlte Klotil¬ den mit jener Herzlichkeit, die sich so leicht mit Feinheit vermaͤhlen laͤßt, die Ursachen von Mat¬ thieus Reise, naͤmlich seine eigne kleine Thorheit in Kussewiz, wo er der Fuͤrstin das geschriebene billet¬ doux mitgab. Er haͤtt' ihr auch ohnedas diese Er¬ oͤfnung machen muͤssen, um der fremden eines An¬ klaͤgers vorzubauen. Aber er setzte bei Klotilde vor¬ eilig die Chronologie seiner kleinen Annalen voraus und merkte nicht an, daß er das Billet geschrieben, eh' er wußte, daß Klotilde noch frei und nur Fla¬ mins Schwester sey Denn erst als er Kussewiz zurück kam, erfuhr er auf der Insel von seinem Vater die Verwandschaft Klotildens. . Sie schwieg lange. Er be¬ fuͤrchtete diese Pantomime des Zuͤrnens; und wagt' es nicht, sich davon zu uͤberzeugen durch einen Blick in ihr Angesicht. Endlich bat sie ihn an ihrem Lieblings- bow¬ ling green , wo in der groͤßten Vertiefung des Thals gruͤner gruͤner Schatten seine gemalten Zweige im Sonnen und Wasserscheine wiegt, da bat sie ihn weder mit kalter noch stolzer Stimme, sondern mit einer fast geruͤhrten, sie ein wenig auf ihrer Lieblings Gras¬ bank, deren Seitenlehnen große Blumen waren, aus¬ ruhen zu lassen. Als er vor ihr stand: so erblickte er erschrocken in ihrem beseelten Angesicht — nicht einen mit der Hoͤflichkeit ringenden Groll, sondern — den ruͤhrenden Kampf gegen das Schicksal, das ihr den Liebling ihrer Seele verdunkelte, den unei¬ gennuͤtzigen Schmerz uͤber die geschloßene Narbe, die sie aus seiner Tugend wegwuͤnschte. Ihr war, ihm war als wenn das vorige Jahr sich wieder erhoͤbe von seinem Todtenkissen aus Freudenblumen, die es beiden ertreten hatte: sie waren recht traurig, Klotilde war kaum ihrer Augen maͤchtig und Viktor kaum seiner Zunge — bis diesem endlich das Mi߬ verstaͤndniß einleuchtete. Er sagte ihr daher leise und auf englisch: »haͤtte sein Vater ihm alle seine »Eroͤfnungen fruͤher gemacht, so haͤtt' er ihm mehr »als einen Kampf, mehr als eine truͤbe Stunde und »zuerst die vorige Thorheit erspart.» In der hoͤhern Liebe ist der Zorn nur Trauer uͤber den Gegenstand. Klotilde setzte gleichwol die Sonnenfinsterniß ihrer schoͤnen Minen fort — aber es kam nicht von Fortdauer des vorigen Seufzers, noch von dem gewoͤhnlichen Unvermoͤgen, eine aus¬ Hesperus. III . Th. L gesoͤhnte Seele sogleich in ein zuͤrnendes Gesicht zu uͤbertragen, sondern die Unzufriedenheit mit ihrer eignen Voreiligkeit sah allemal wie eine mit einer fremden aus. Daher stand sie auf, um ihm ihren Arm und gleichsam das nahe liegende Herz wieder zu geben. Viktor erlaubte sich den Bruch des dop¬ pelstimmigen Schweigens nicht — Emanuel kam nach und da sagte Klotilde bewegt als wenn sie erst aufs Vorige antwortete: »ach ich bin meinem Bruder »nur zu sehr verwandt von der Seite meiner Feh¬ »ler.» — Meinte sie Flamins Eifersucht, oder Arg¬ wohn, oder wahrscheinlicher sein Temperament? — Viktor wandte sich zu ihr, um sie gleichsam fuͤr das um Verzeihung zu bitten, was sie gesagt — und ihre Augen sagten: »o ich haͤtte dich nicht verkennen »sollen» — und seine sagten: »ich haͤtte dich, auch »ungekannt, nie verlaͤugnen sollen» — und ihre Herzen machten Friede und der Oelzweig wand zwi¬ schen den alten Blumen der Freude ihre Seelen an einander. Emanuel fuͤhrte sie, als ihr leitendes Gestirn, auf seine lieben Berge, diese Frontlogen der Erde — nur von seinem Berg mit der Trauerbirke wehrte er sie aus unbekannten Gruͤnden freundlich ab —; und sein leichtes Aufsteigen gab ihnen die Freude uͤber die Genesung seines Athems. Endlich kamen sie auf den Thron der Gegend, auf den Berg, wo Viktor am Morgen nach der durchreißten Nacht uͤber Maienthal geschauet hatte. O wie zog sich die le¬ bendige Ebene Gottes, der Vorgrund einer Sonne und eines Edens, in so unbaͤndigen, gruͤnenden, athmenden, wehenden Massen dahin! Wie hing der Himmel voll Berge aus Duft, voll Eißfelder aus Licht! Und ein sanfter Morgenwind schlich sich aus dem mit Wolkenflor verhangnen Morgenthor und spielte mit Himmel und Erde, mit dem gelben Bluͤm¬ gen und mit der breiten Wolke daruͤber, mit der Augenwimper unter einer Thraͤne und mit durch¬ wuͤhlten Kornfluren! — Wie wird das Auge so groß, wenn gejagte Nachtstuͤcke der Wolkenschatten dem hellen Sonnenschein der Erde durchschneiden, wie wird das Herz so groß, wenn der Morgenwind die gefluͤgelten Schatten bald uͤber Berge schleudert, bald in Glanzteiche, bald in gebuͤckte Saaten! — Aber rund auf die Waͤlder hatten sich stille Eißber¬ ge aus Wolken gelagert. — — Ach dieses mit Tag und Nacht gefleckte Gefilde, dieser Wall aus Nebel¬ gletschern stellte ja Viktors Herz in den alten Traum zuruͤck, wo er Klotilde auf einem Eißberg mit aus¬ gebreiteten Armen sah! — Ach auf dieser uͤber den suͤdlichen Berg reichenden Felsenspitze konnte er die Insel der Vereinigung dunkel mit ihren Gipfeln und mit ihren weissen Tempel liegen sehen, und das L 2 trinkende Herz taumelte voll vom gemischten Trank aus Sehnsucht und Wehmuth und Liebe. — Dann sagt' er es ihr gern, daß er an jenem Morgen sie hier gesehen habe, wo er dem Blinden das Blaͤttgen an Emanuel gegeben, und daß er sich doch ihren Besuch versaget — — gieb ihm nur, Klotilde, den großen warmen Blick voll Dank fuͤr sein Schonen deines Bruders, fuͤr sein edles Lieben und fuͤr sein Ueberschleiern dieses Liebens! — Sie sah ihn an und als ihr Auge warm von einer Thraͤ¬ ne wurde, neigte sich der Himmel auf einem Son¬ nenwoͤlkgen zu ihnen nieder und beruͤhrte die ver¬ wandten Menschen mit heissen herunterflatternden Tropfen. — O du gute Erde, du gute Natur! Du sympathisirst oͤfter (und allemal) mit guten Menschen als oft gute Menschen selber! — Vor ihn trat der Traum, Klotildens Thraͤnen den Fußboden in ein hebendes Woͤlkgen zertheilten . . . Aber der heranziehende Abend und die kleinen herunterrollenden zerrissenen Perlenschnuͤre von Re¬ gentropfen riefen die schoͤnen Menschen in die Zim¬ mer zuruͤck. Die Maͤdgen, die mit den Blinden nicht einmal den Berg ganz erklettert hatten, kehr¬ ten schon um und gingen voraus. Emanuel entfern¬ te sich auf seinen Trauerberg, um dort seine Blu¬ men dem Regen aufzudecken. Als unsere zwei lie¬ benden Menschen unten im rauchenden Thale anka¬ men: o wie himmlisch wurde der Abend und die Erde: — Am großen Abendhimmel uͤber ihnen be¬ wegten sich Tulpenbeete von rothem Gewoͤlke, zwi¬ schen denen blaue Streifen wie dunkle Baͤche liefen. — Hinter ihnen standen unter der Sonne Berge, wie Vesuve, in Flammen, und die Waldung, wie ein feuriger Busch und das uͤber die Blumen laufende Steppenfeuer ergrif die Wolkenschatten. — Und alle Lerchen hingen mit ihren Ripienstimmen der Natur nahe am rothen Deckenstuͤcke des Abends und jeder tiefere Sonnenstrahl hielt eine summende Wesenkette von Muͤcken. — Und in der Schaͤferei am Berge liefen rufend hundert Muͤtter an hundert Kinder zu¬ sammen und das stille Schaf eilte laͤrmend an sein durstiges niederknieendes Lamm — — Großer Abend! nur im Thal Tempe bluͤhest du noch und verwelkest nicht; aber in wenig Minuten, Leser, brechen erst alle seine Bluͤten praͤchtig auf! — Klotilde und Viktor gingen enger und waͤrmer aneinander gedruͤckt unter dem schmalen Sonnen¬ schirm, der beide gegen den fluͤchtigen Regen ein¬ bauete. — Und mit Herzen, die immer staͤrker schlu¬ gen und statt des Blutes gleichsam andaͤchtige Freu¬ den-Thraͤnen umtrieben, erreichten sie den Park; die warmen Toͤne der Nachtigal zogen ihnen daraus ent¬ gegen; die abgewehten Toͤne des musikalischen Ge¬ folges, womit der Englaͤnder jetzt uͤber die Berge ging, floßen ihnen wie Blumenduͤfte nach. — — Aber siehe, als die Erde noch die Vergoldung im Feuer der Sonne trug, als noch die Abendfontaine wie eine Fackel oben brannte, als in einem großen Eichenbaum des Gartens, in dem bunte Glaskugeln statt der Fruͤchte eingeimpfet waren, zwanzig rothe Sonnen aus den Blaͤttern funkelten — siehe da floß eine erwaͤrmte Wolke auseinander und tropfte ganz in das Abendfeuer und auf die glimmende Wasser¬ saͤule. . . . . Die den Baͤumen naͤhern Nonnen flogen unter das Laub; aber Klotilde, die den langsamen Gang schoͤner und tugendhafter fuͤr eine weibliche Seele fand, ging ohne Eile der nachbarlichen »Abendlaube» zu, die, uͤber den Garten erhoben, ihr dichtes Blaͤt¬ terwerk nirgends aufthut als vor der untergehenden Sonne. — Nein, es war ein Engel, es war Klo¬ tildens Schwester, Giulia, die auf der zarten Wol¬ ke ruhte und durch sie ihre Freudenthraͤnen fallen ließ, um ihre Freundin, deren Arm in des Gelieb¬ ten seinem wie in einem Verbande lag, in die glim¬ mende Laube zu draͤngen, wo zwei schoͤne Herzen vor Wonne sterben sollten. Klotilde verweilte noch un¬ ter dem Perlen- und Goldsand-Regen und glich den stillen Tauben um sie her, die auf allen Daͤchern ihre reinen Fluͤgel wie bunte Regenschirme ausein¬ anderschlugen und dem Bade unterhielten — und vor dem Eintritte zog sie Viktor zuruͤck, der Wonne¬ beklommen sagte: »o Gott!» und auf Emanuels Laube hinblickte, auf der das Portal des Paradieses aus musivischen Steinen aufgefuͤhrt sich anfing und sich durch den Himmel hinuͤberwoͤlbte uͤber die Abend¬ laube und mit dem himmlischen Zauberkreis die drei schoͤnen Seelen einfaßte — — Und als sie in die dunkle Laube traten, die nur eine kleine Oefnung gegen die durch den Regen her¬ einbrennende Sonne hatte: standen ihnen die Thraͤ¬ nen in den Augen. Und vor der Oefnung lag das Abendgefilde, mit den wankenden Feuersaͤulen, zwi¬ schen denen der goldne Fluß der zerschmolzenen Son¬ ne schlug, und mit den Auen, die bis an die Blu¬ men in einem Meer von Lichtkuͤgelgen standen. — Und herabgefallene Regenbogen lagen mit ihren Truͤmmern auf den Bluͤtenbaͤumen. — Und kleine Luͤftgen wehten das Lauffeuer in den Wiesenblumen an und warfen Funken aus den Bluͤten. — Und das Menschenherz wurde von den Wonnestroͤmen fortge¬ zogen und schwam brennend in seinen eignen Thraͤ¬ nen. — Wie eine Verklaͤrte schauete Klotilde in die Son¬ ne und ihr Angesicht wurde erhaben zugleich von der Sonne und von ihrer Seele. Und ihr Freund stoͤrte die schoͤne Seele nicht; aber er nahm das weisse Tuch aus ihrer Hand und trocknete die aus der Laube tropfenden Farbenkoͤrner mit Blumenstaub umzogen sanft hinweg, und sie gab ihm freiwillig ihre Hand. Als sie ihre Augen voll Thraͤnen auf ihn wandte: ließ er die Thraͤnen stehen; aber sie nahm sie selber und schauete ihn mit einer Liebe an, uͤber die bald die alte Thraͤne zog, und sagte mit einem Laͤcheln, das seetig weiter floß: »mein ganzes »Herz ist unaussprechlich geruͤhrt; vergeben Sie »ihm, theuerster Freund, heute alles worin es bis¬ »her dem Ihrigen nicht aͤhnlich war!» . . . — Siehe da wurde die warme Wolke in den Garten gleichsam wie ein ganzer Paradiesesfluß nie¬ dergeschuͤttet und auf den Stroͤmen floßen spielend Engel herab . . . . und als die Wonne nicht mehr weinen und die Liebe nicht mehr stammeln konnte, und als die Voͤgel jauchzeten und die Nachtigal durch den Regen schmetterte, und als der Himmel freudig¬ weinend mit Wolkenarmen an die Erde fiel: — ja, dann zitterten zwei begeisterte Seelen zusammen und ruheten ohne Athem aneinander mit den zuckenden Lippen fest auf den zuckenden Lippen und Wange an Wange gepresset im gluͤhenden zitternden Schauer — dann quollen endlich wie Lebensblut aus dem ge¬ schwollnen Herzen, große Wonnethraͤnen aus den liebenden Augen in die geliebten uͤber. — Das Herz maaß die Ewigkeit seines Himmels mit großen won¬ ne-schweren Schlaͤgen — die ganze Sichtbarkeit, die Sonne selber war dahingesunken und nur zwei See¬ len schlugen aneinander einsam in der ausgeleerten daͤmmernden Unermeßlichkeit, geblendet von Thraͤnen¬ schimmer und vom Sonnenglanz, uͤbertaͤubt vom Himmelsbrausen und vom Echo der Philomele, und erhalten von Gott im Ersterben aus Wonne. . . Klotilde bog sich ab, um die Augen abzutrock¬ nen; und ihr stummer Liebling sank um und kniete vor ihr und druͤckte sein Angesicht auf ihre Hand und stammelte: »o du Herz aus meinem Herzen, »o du ewig, ewig Geliebte, — ach koͤnnt' ich fuͤr »dich bluten, fuͤr dich untergehen — »Und ploͤtzlich stand er wie von einer unermeßlichen Begeisterung gehoben auf und sagte leiser, sie anschauend: Freun¬ din, dich, Gott und die Tugend lieb' ich ewig.» — — Ich will endigen: der Nachklang dieser großen Stunde loͤset mein Inneres auf. Sie traten aus der Laube — der Himmel hatte sich wie ihr Herz erschoͤpft in Freudenthraͤnen und war blos heiter — die Sonne war zugleich mit der großen Minute un¬ tergangen. — Viktor ging langsam als wenn er vor einem weiten Elysium vorbeiginge, das empfang¬ ne Eden auf seinem Herzen tragend, heim in Daho¬ re's stille Wohnung. — Dahore sank sitzend einge¬ schlummert sanft hinuͤber und heruͤber, und Viktor, ob er gleich gern sein Herz an einer zweiten aͤhnli¬ chen Brust auspochen lassen wollte, versagte sich es doch — und lehnte sich langsam an den wankenden Lehrer. Er hielt recht lange das schlummernde Haupt an seiner brausenden Brust. Sein Freuden¬ gewitter kuͤhlte sich ab zum heitern Himmel und die erquickten Freudenblumen schloßen die Duft-Kelche der Erinnerung auf. Dahore schlug die Arme um seinen Liebling und dann erst wurde er wach: denn es hatte ihm getraͤumt, er umarme ihn, und als er aufwachte, war er froh, daß es ihm nicht blos ge¬ traͤumet hatte. Genug! — und ihr, ihr Menschen, die ich lie¬ be, ruht' aus an der Erinnerung oder an der Hoff¬ nung; und leget zugleich mit mir diese kleinen Blaͤt¬ ter aus den Haͤnden! — 3. Pfingsttag oder 35. Hundsposttag oder Burgunder-Kapitel. Der Engländer — Wiesenball — seelige Nacht — die Blütenhöle. B ei den Menschen wie bei den Geitzigen schlaͤgt es immer nur Viertel zur frohen Stunde, aber gleich einer schlechten Uhr schlaͤgt es die Schaͤferstunde un¬ serer Hoffnung nie aus. Aber in Ruͤcksicht der Pfingsttage ist das grundfalsch — sie sind praͤchtig und wie man sonst die Ausgießung des h. Geistes in alten Kirchen durch das Herunterwerfen der Blumen vorstellte: so bilden wir sie in Maienthal durch das Auswerfen figuͤrlicher ab. Ich habe daher gar eine Flasche Burgunder aufgesiegelt und neben die Din¬ tenflasche gestellt, um erstlich durch mein groͤßeres Feuer in diesem Kapitel die Natur- und Kunstrich¬ ter auf meine Seite zu bringen, die leichter den Stab uͤber Autoren als eine Lanze mit Autoren bre¬ chen — und um zweitens uͤberhaupt den Wein zu trinken, welches schon an sich Endzwecks und Teleo¬ logie genug ist. Ein wahres Schlaraffenland und Himmelreich haͤtten wir, wenn auch der Leser bei solchen Kapiteln etwas Spirituoͤses zu sich naͤhme — Betrinkt sich der Autor allein, so geht der halbe Ef¬ fekt zum Henker; und es ist ein Ungluͤck, daß die Rezensenten nichts zu leben und zu trinken haben: sie koͤnnten mir als einem Stern zur Refrakzion durch ihren Dunstkreis dienen und mich hoͤher und breiter zeigen als ich staͤnde. Viktor war kaum in's nasse Gras des Morgens gelaufen, als er den Englaͤnder mit dem Kopfe un¬ ter den Gießkannen des Wasserrades aufjagte. Er vergab diesem Kato dem aͤltern gern alle seine Son¬ derbarkeiten und das Idiotikon seiner tollen Natur und seinen Kometen-Gang: denn er war in seinem achtzehnten Jahr selber ein solcher Schwanzstern ge¬ wesen und sah diesen fuͤr eine auf sich geschlagene Kometenmedaille an. Ob gleich der Britte Sonder¬ barkeit suchte : so wußte Viktor aus eigner Erfah¬ rung, daß er's nicht aus Eitelkeit (man kann wenn man will, aus allen Handlungen, sogar aus den un¬ schuldigsten, Eitelkeit extrahiren wie aus allen Koͤr¬ pern Luft ) sondern aus Laune geschah, fuͤr welche der Genuß einer exzentrischen Rolle, man mag sie lesen oder spielen eben so viele Reize hat wie fuͤr das Gefuͤhl der Freiheit und der innern Kraft. Eitle erliegen dem Laͤcherlichen, dem der Sonderling trotzt; und jene hassen, diese suchen ihre Ebenbil¬ der. Das einzige, was Viktor ihm veruͤbelte, war daß er andern kleine Schonungen bloß darum nicht erwies, weil er auch keine begehrte; und eben dieser vom Humor unzertrennliche Krieg mit allen kleinen Schwaͤchen und Erwartungen der Menschen hatte dem menschenliebenden Viktor diese exzentrische Bahn verleidet. Das Ungluͤck macht daher leichter Son¬ derlinge als das Gluͤck. Ihm gab die Freude uͤber die Schilderungen, die ihm Kato von Flamins aͤhnlichen Himmelfarthen und Freudenfeuern machte, den Gedanken ein, seine Qua¬ terne schoͤner Tage durch etwas anders zu verdienen als durch seine vorigen truͤben — naͤmlich dadurch, daß er auch fremde seinen aͤhnlich machte. Kurz er redete es mit dem aͤltern Kato ab — dem's recht lieb war, — die Prager zu etwas zu verwenden, naͤmlich Abends in der Kuͤhle, damit den Maientha¬ lischen Kindern einen Wiesen-Ball zu geben. Was hatten beide dazu noͤthig als — was sie sogleich tha¬ ten — in die Tasche und in die Boͤrse zu greifen und dem Nachtwaͤchter loci mehr zu geben als das Heu seiner großen Wiese zu Johannis werth seyn konnte, die heute zu einem Tanzsallon ausgemaͤhet werden mußte? Der Mann gab sie ohnehin mit tau¬ send Freuden her, weil sein Sohn heute — Hochtzeit hatte. Die zwanzig Maienbaͤume, die Kato in den Redoutensaal pflanzen wollte, standen schon als Ar¬ tochthonen inkorporirt darin. Und als sie noch bei den Eltern des saubern Dorfes — sonst aber gleicht der arme Ackerbauer dem Schweine, das nach Ae¬ lian hist . 1 . 2 . seine Profession erfand — die jun¬ gen Tanz-Moitisten mit der groͤßten Ernsthaftigkeit — Bauern und Damen finden sich nicht in Sonder¬ barkeiten — zusammen gebettelt und gepresset hat¬ ten: so war alles richtig. Das befreundete Trio fand am Mittagstische der Aebtissin den gestrigen Tag. Viktor war uͤberall so¬ gleich zu Hause, er blieb nicht Gast, damit der an¬ dre nicht Wirth bliebe. Man findet sonst Maͤdgen selten so wieder als man sie verließ, so wie ihr Em¬ pfang allemal waͤrmer oder kaͤlter ist als ihr Billet vorher; aber in Klotildens zergehenden Zuͤgen kuͤn¬ digte ein unendlicher Zauber die Erinnerung von ge¬ stern an, wo sie aus zwei Gruͤnden ihr Herz allen seinen auf dem Altar der Natur und der Tugend geheiligten Flammen uͤberlassen hatte. Erstlich war sie gestern waͤrmer, weil sie vorher kaͤlter gewesen im kleinen Zank, den bloß ihr Gesicht uͤber die Kusse¬ vizer Affaire gehabt: nichts macht die Liebe suͤßer und zaͤrter als ein kleines Keifen und Frieren vor¬ her, so wie die Weintrauben durch einen Frost vor der Lese duͤnnere Schaalen und essern Most gewin¬ nen. Zweitens betragen sich in einem hohen Grade der Ruͤhrung und Liebe die beßten Maͤdgen gerade so wie die — guten. Ich habe erst drei Kaffeetassen Burgunder zu mir genommen, weil ich zur Karnation und Roͤthelzeich¬ nung des Nachmittags vielleicht nicht mehr brauche — aber o Himmel, die Nacht! — Meine Schuld ist's nicht, wenn es der Nachwelt nicht zu Ohren koͤmmt, daß die meisten Nachmittags der Hitze we¬ gen aus dem Garten blieben. Aber sie sehen aus den Zimmern die Wiese, den Zimmerplatz eines schoͤ¬ nen Abends, wo die Kinder schon im voraus herum¬ liefen, das Gras hinaustrugen, und mit Virtuosen auf Bierhebern das Trommetenfest eroͤfneten. Es wuͤrde zu geringfuͤgig seyn, wenn ich's anmerken wollte, daß mehrere Jungen durch geschossene rothe Kappen oder Kronen todt hingestreckt wurden, weil sie Hasen vorstellten, der Muͤtzen-Schuͤtze Jaͤger, und die Restanten Windhunde; man kann's aber me¬ taphorisch nehmen und dann wird's satirisch und er¬ heblich genug. Die Freude zarter Menschen ist verschaͤmt , sie zeigen lieber ihre Wunden als ihre Entzuͤckungen, weil sie beide nicht zu verdienen glauben oder sie zei¬ gen beide hinter dem Schleier einer Thraͤne. Vik¬ tor war so und sah in jeder Freude seufzend nach Westen , ich weiß nicht ob er an den Untergang der Sterne und der Menschen dachte oder an die Schwarzen, deren Ketten bis in unsere Halbkugel heraufklirren, oder an naͤhere Weisse, fuͤr die man die zersprengten wieder loͤthet mit Blut — — Aber dieses Schauen nach seiner Keblah zwang ihn seine Entzuͤckung zu verdienen . Die gestrige und heu¬ tige war so groß, daß er geruͤhrt zum Genius der Erde sagte: »so groß kann meine schwache Tugend »nicht werden.« — Es half ihm nichts, daß er sich selber vor seinem Gewissen herauszustreichen suchte und diesem vorstellte, wie viel schoͤne Minuten und frohe Pulsschlaͤge er hier in diesem Seifersdor¬ fer Thal austheile an seine Freunde, und an seine Freundin, die durch ihn genese, und an die Kinder, die er jetzt schon springen sehe und Abends noch mehr — es fruchtete beim Gewissen etwas, aber doch nicht genug, als er es fragte, ob er denn vor der Sphaͤrenmusik dieser Tage die Ohren zuhalten sollte; ob er nicht seine Leidenschaften uͤberwunden habe und ob nicht der groͤßere Spielraum und die groͤßere Thaͤtigkeit eines Menschen bloß in der groͤ¬ ßern Zahl besiegter Leidenschaften bestehe, so daß also eine Hofdame, ja sogar ein Koͤnig keinen kleinern Wirkungskreis innen habe als der nuͤtzlichste Buͤrger; und ob nicht der Mensch wie sehr kleine Kin¬ der bloß in die Erdenschule gesendet worden, um stille seyn zu lernen — aber der evcharistische Re¬ ligionskrieg des alten und neuen Adams hoͤrte bloß durch eine Entzuͤckung auf, naͤmlich durch die Ent¬ schließung, sobald ihn sein Vater die Hand- und Bein¬ Beinschellen des Hofes abnehme, mehr zu kuriren als der Stadt- und Landphysikus und alles gratis und meistens bei Armen. — — Nur auf ein Wort, Leser! Tugend kann nicht der Gluͤckseligkeit wuͤrdig machen, sondern nur wuͤrdi¬ ger , weil die schon Existenz bei uns wie bei den nicht-moralischen Thieren ein Recht an Freude giebt — weil Tugend und Freude inkommensurable Groͤ¬ ßen sind, und man nicht weiß, wird ein seeliges Jahrhundert durch ein tugendhaftes Jahrzehend ver¬ dient oder umgekehrt — weil die Jahre der Freude vor den Jahren der Tugend laufen, so daß der Tu¬ gendhafte statt der Zukunft erst die Vergangenheit, statt des Himmels erst die Erde zu verdienen haͤtte. Der Nachmittag lief wie eine lichte Quelle uͤber bunte Kleinigkeiten wie uͤber Goldsand hinuͤber, uͤber kleine Freuden und uͤber große Hofnungen, uͤber zarte Aufmerksamkeiten und uͤber den Blumenstaub wohlwollender Feinheiten, der das beste Heftpulver der Herzen ist. Viktor fuͤhlte, daß eine Geliebte, die viel Verstand hat, der Liebe einen eignen pikanten Geschmack mittheile; sie selber fuͤhlte, daß das Herz, das man mit weichen bekleideten Haͤnden und nicht mit rohen Griffen abgepfluͤckt, sich besser konservire, so wie Borsdorferaͤpfel laͤnger sich halten, die man nur mit Handschuhen abgenommen. Ob gleich nach mei¬ Hesperus. III . Th. M nen Tabellen die Liebe gerade am Tage nach dem ersten Kusse am hoͤchsten, naͤmlich auf 112° Fahrenh. oder 10° de l'Isle steht: so war doch mit Viktors Liebe zugleich seine Ehrfurcht gestiegen — o die Liebe erhebt, worin die Gunstbezeugungen nicht kuͤhner sondern bloͤder machen! — Unser Freund fuͤhlte, wie gluͤcklich in der Freude das Ansichhalten mache und wie sehr der moussi¬ rende Freuden-Pokal durch einige Messerspitzen hin¬ eingeworfnes Temperirpulver sich aufhelle und ver¬ edle. Nach einem Nachmittag, wo die ganzen Stunden reizend waren, ohne daß man einzelne aus¬ serordentliche Minuten haͤtte herausheben koͤnnen — wie die Fasanenfedern nicht einzeln, sondern in gan¬ zen Buͤschen glaͤnzen — nach diesem Nachmittag zog alles in den Garten, aber Emanuel zuerst. Der In¬ dier vertrug wie Grasmuͤcken keine Zimmer und schwieg darin oder las nur und zwar bloß — was mich nicht wundert — den ernsthaften Shakespear. . . . . . Unter dem großen Abendhimmel, den keine Wolke einschraͤnkte, thaten sich die Seelen wie Nachtviolen auf. Emanuel war der Zizerone und Gallerieinspek¬ tor dieses malerischen Gartens. Er fuͤhrte seinen Freund und die andern zu seinem kleinen Blumen¬ gaͤrtgen, das am hoͤchsten im Park lag. Der Park lief naͤmlich den Berg hinab mit fuͤnf gleichsam aus diesem Schubladenweise herausgezognen Terrassen und Stockwerken. Diese fuͤnf Ebenen, diese einge¬ hauene gruͤnende Stufen, hielten eben so viel ver¬ schiedene Gaͤrten, Baum-Staudengaͤrten ꝛc. empor — daher wurde durch jeden neuen Standpunkt wie durch einen metamorphotischen Spiegel aus dem al¬ ten Garten ein neuer zusammengeruͤckt. Den ab¬ schuͤssigen Park faßten auf beiden Seiten zwei Schlangengaͤnge hoher, wankender, brennender Blumen wie zwei hinunter wehende Treppengelaͤnder ein und hinter jeder Blumen-Schlangenlinie ringelte sich oben vom Berge silbernes Geaͤder mit hellem duͤn¬ nem auf- und niederspringenden Gewaͤsser herab Man hielt den in Bogen auf- und niedergehenden Silber¬ faden für herunterrieselnde Quelle; aber die Bogen mehrerer schief-springender Fontainen waren in solche Ent¬ fernungen gestellt, daß der eine den andern fortsetze. , das in der Abendsonne eine in aufrechten Windungen daliegende Goldschlange oder Ichor Schlagader wur¬ de. Auf der obersten letzten Terrasse standen einan¬ der die Abend - und die Morgenlaube als die Pole des Gartens gegenuͤber und die Abendfon¬ taine glimmte uͤber jener und die Morgenson¬ taine uͤber dieser empor und beide sahen zu eiander wie Mond und Sonne heruͤber. Und gerade an der Abendfontaine hatte Emanuel seinen Zwischengarten. Denn er liebte als Indier M 2 physische Blumen wie poetische, und ihm war im December ein Blumenbuch eine gewiegte Blumenau und ein Nelkenblaͤtterkatalog war fuͤr ihn die Huͤlse und Chrysalide des Sommers. Er fuͤhrte seine Ge¬ liebten auf der blumigen Region des Berges durch die unschuldigen Blumen hindurch‚ die wie gute Maͤdgen weder Sonne noch Erdreich zum eignen Le¬ ben dem fremden nehmen — vor der Goldquaste der Tulpe vorbei — vor den Miniaturfarben des Ver¬ gißmeinnicht — vor den bunten Glocken‚ die auch wie die lauten in den Giesloͤchern der Erde gegos¬ sen werden — vor den Ohrrosen des Augusts, naͤm¬ lich den Rosen — vor dem Kato, der nicht der lu¬ stige Englaͤnder sondern eine ungeflammte Aurikel ist, die bei H. Klefeker in Hamburg zu haben — vor der geliebten Agathe, die an die andere in St. Luͤne erinnerte und die eine schoͤne Schluͤsselblume ist. .. Endlich kamen sie an die Adendlaube und an Da¬ hore's Blumen, naͤmlich an schneeweisse Hyazinthen in deren Verschattung die durchstrahlte Abendfontai¬ ne eine bleiche Roͤthe tuschte. O wie schoͤn, wie schoͤn wehte da die Waͤrme der Abendsonne heruͤber und die Kuͤhle des Abendwindes! — Aber warum sinket, Klotilde, dein Auge und dein Haupt hier so traurig gegen die Blumen zu? Ist's, weil die Fon¬ taine erlischt, weil die Sonne untergeht? — Nein, sondern weil die weissen Hyazinthen in der Blumi¬ stensprache Julia heissen — o weil der Gottesacker heruͤbersieht, dessen hohe wankende Grasblumen mit ihren Wurzeln uͤber zwei geliebten Augen stehen, uͤber den Augen der blassen Hyazinthe Giulia, die das heutige Fest nicht erlebte. — — Aber Klotilde verbarg sich, um nichts zu stoͤren. Das ausfunkelnde Gold der Wasser-Silberstange und die zuruͤckschlagende Abendlohe an allen Fenstern zogen die Augen zur Sonne, die unter ihre Buͤhne sank — Aber ein rollendes Feuerrad des Allegro, womit die Harmonisten auf der Wiese die weichende Sonne begleiteten, nahm die Augen zu den Ohren herab und unten auf der eingehuͤllten Wiese stieg ein neues Theater der Freude mit neuen Schauspielern empor. . . . Zwei Rosen waren in den Himmel ge¬ pflanzt, die rothe, die Sonne, die uͤber der zweiten Halbkugel ihre Bluͤten aufthat, und die weisse, der Mond, der in unsere niederhing; aber Sonnengold und Lunenssilber und Abendschlacken wurden noch von einem rauchenden Zauberdufte eingesogen und man konnte noch nicht die Schatten vom silbernen Grunde des Mondlichts absondern und niederflattern¬ de Bluͤten wurden noch mit Nacht-Schmetterlingen vermengt. — — Die Gluͤcklichen gingen durch die Kastanienallee hinab zu den juͤngern Gluͤcklichen, zu den Kindern, die, kuͤhner durch die Gegenwart ihrer Mutter, zwan¬ zig Freiheitsbaͤume in veraͤnderlichen Gruppen umzin¬ gelten und umkreiseten und nur auf tiefere Schatten warteten, um schneller zu tanzen. Der Englaͤnder wurde von Klotilde wie ein Freund ihrer zwei Freunde empfangen. Das Brautpaar, dem die Wiese als Erbschaft gehoͤrte, hatte die eigne Musik gegen diese vertauscht und das Bundesfest desselben ruͤckte in seinem Budesfeste unserem Helden den heitern Tag naͤher, wo er er auch seine Klotilde Braut nennen durfte; aber er hatte jetzt nicht den Muth, sein erroͤthendes Gesicht gegen diese zu wenden, weil er dachte, sie denke dasselbe und sey auch roth. Nur ein Liebender kann mit dem Enthusiasmus eines Brautpaars sympathisiren; und nie stiegen schoͤnere Wuͤnsche fuͤr eines auf als fuͤr dieses in zwei See¬ len voll Liebe. Eine vierjaͤhrige Schwester der Braut druͤckte sich an Klotilden an — jene war die kleine Luna dieser Venus bei ihren Spaziergaͤngen — und diese entlud gern ihre Liebe in die kleine Hand, die der ihrigen den Vorzug vor einem Moitisten ließ. Der Mond gab jetzt durch den Widerschein der Sonne, womit er dieses Kinderparadies versilberte, der Freude helleres Kolorit und unter dem vertieften Schatten der Maienbaͤume wuchs der kindliche Muth. Alles war begluͤckt — alles fesselnlos — alles fried¬ lich — kein giftiges Auge warf Blitze — keine ein¬ zige Haͤrte stoͤrte das metrische Leben — in melodi¬ scher Fortschreitung klangen dir Minuten im Silber¬ tone voruͤber und verfingen und hielten sich in dem ausschlagenden Rosendickigt der Abendroͤthe auf — Der laue flatternde Aether des Fruͤhlings sog an den Bluͤten sich voll Duͤfte und trug sie wie Honig in die Brust des Menschen — Und als die Pulse voller schlugen, spielten stumme kuͤhlende Blitze um die Nebel des Horizonts und der Mond zog Lebens¬ luft Im Mondschein sondern die Pflanzen Feuer- oder Lebens¬ luft ab. aus den Blaͤttern, um auf ihr den abgezognen Geist ihrer Kelche gesuͤnder zuzufuͤhren. — Viktor und der Englaͤnder und Emanuel und Klotilde nebst einigen von ihren Freundinnen standen unten wie gebende Goͤtter der Freude neben den Kin¬ dern und wurden durch den Genuß der fremden La¬ bung trunken. Unser Freund hatte eine zu heilige Liebe, um sie (zumal so vielen Fremden und dem Englaͤnder) zu zeigen und legte dem unbaͤndigen tan¬ zenden Herzen Zuͤgel an. In der edeln Liebe ist das Opfer — und waͤre sie es selber — so angenehm wie der Genuß; aber noch leichter wird es neben einem Emanuel, der — das ist das schimmernde Ordens¬ kreuz der hoͤhern Menschen — gerade in der Freude seine Augen zu dem hoͤhern Leben aufhebt und zur Wahrheit. Diesesmal verdoppelte noch dazu das Gefuͤhl seiner steigenden Gesundheit sein Schmachten nach dem geweissagten Verscheiden. Sein verherr¬ lichtes Angesicht, seine uͤberirrdischen Wuͤnsche und sein stilles Ergeben waren gleisam der zweite hoͤhere Mondenschein, der in den dunklern fiel; und er stoͤrte das wachsende Elysium gar nicht, da er z. B. sagte: »der Sterbliche haͤlt sich hier fuͤr ewig, weil »das Menschengeschlecht ewig ist; aber der fortgestoßene »Tropfe wird mit dem unversiegendem Strome ver¬ »wechselt; und keimten nicht immer neue Menschen »nach, so wuͤrde jeder die Fluͤchtigkeit seiner Lebens¬ »terzie tiefer empfinden« — oder da er sagte: »wenn der Mensch nicht unsterblich wird, so wird »es auch kein hoͤheres Wesen und die Schluͤsse sind »dieselben; dann brennte der stehende Gott aus dem »kaͤmpfenden und erloͤschenden Sinn einsam heraus, »gleich der Sonne, die, wenn es keinen Erdendunst¬ »kreis gaͤbe, aus einem schwarzen Himmel lodern und »die gewoͤlbte Nacht durchschneiden aber nicht erhel¬ »len wuͤrde« — oder da er sagte: der Gang des »Menschengeschlechts zur h. Stadt Gottes gleicht dem Gange einiger Pilgrimme, die nach Jerusalem wallfarthen und allemal nach drei Schritten vor¬ waͤrts wieder einen ruͤckwaͤrts thun« — Oder end¬ lich da er auf seines Viktors Bemerkung, daß die Besserung nur die groben Fehler, nicht die feinen Gewissensbisse aufhebe und daß ein Heiliger so viel Klagen von seinem Gewissen erhalte als der Schlim¬ me, da er darauf sagte: »unsere Entfernung von »der Tugend findet man wie die von der Sonne, durch »genauere Berechnungen bloß groͤßer : aber die »Sonne fließet, aller veraͤnderlichen Rechnungen un¬ »geachtet, immer mit derselben Waͤrme in unser »Angesicht.« — — Ploͤtzlich lief der Englaͤnder zu den Spielern und foderte — um die achromatischen Spruͤnge und Laͤu¬ fer seiner Ideen in Musik gesetzt zu sehen — von ihnen das beste Adagio und eilte in das » Florge¬ » zelt « oben hinauf, das der Lord Horion aus ei¬ sernen Boͤgen und daruͤber gespannten schwarzen Dop¬ pelflor erbauen ließ, um fuͤr seine damals erkranken¬ den Augen den Sonnenschein in Mondschein umzu¬ setzen. — — Da jedes Herz bei der ersten Beruͤh¬ rung vom Adagio in seelige Thraͤnen zerspringen mußte: so zerlegte die Wonne, die sich zu verhuͤllen suchte, den ruhenden Kreis und alle flossen auseinan¬ der, um, (jeder unter seinem eignen Ueberlaubung) ungesehen zu laͤcheln und ungehoͤrt zu seufzen — wie Kurgaͤste eines Gesundbrunnen zertheilte, begegnete, entfernte man sich in zufaͤlligen Richtungen. Der schoͤne Blinde ruhte oben nicht weit von der Nachtigal gleichsam an der Quelle der harmonischen Stroͤme und Klotilde blickt' ihn trauernd an, so oft sie an ihm voruͤber ging und dachte vielleicht: »arme verschattete Seele, die Seufzer der Musik »dehnen dein sehnsuͤchtiges Herz aus und du siehst »nie, wen du liebst, wer dich liebt.« — Emanuel ging einsam den langen Weg zu seinem Berge mit der Trauerbirke hinauf und zuruͤck. — Viktor irrte den ganzen Garten hindurch: er kam vor verhuͤllten Obelisken, Saͤulen und Wuͤrfeln voruͤber, die den Platz steinerner Faunen besser besetzten; er trat in die dunkle nur von der Abendroͤthe schattirte Abendlaube, wo er gestern zu gluͤcklich war fuͤr einen Sterblichen und zu weich fuͤr einen Unsterblichen; — er draͤngte sich durch einen Ring von Buͤschen, aus denen ein strahlendes Springwasser vorragte und schloß geblen¬ det die Augen zu als er darin in kuͤnstlich belaubten Pfeilerspiegeln einen mit Mondssilber gesaͤttigten Wasserbogen in zuruͤckweichenden Erbleichungen mil¬ lionenmal aufgewoͤlbt und aus weissen Regenboͤgen in Mondssicheln und endlich in Schatten zuruͤckge¬ fuͤhrt erblickte. — — O wie oft hatt' er nicht in seinen Kindertraͤu¬ men, in seinen Landschaftsgemaͤlden, die er sich von den Tagen des Paradieses entwarf, diese Nacht ge¬ sehen und kaum gewuͤnscht, weil er sie auf der rau¬ hen Erde nie zu erleben hofte; und jetzt stand diese Eden-Nacht mit allen um sie haͤngenden Bluͤten und Sternen ausgeschaffen vor ihm? — Und wer von uns hat nicht in irgend einer zauberisch beleuchteten Stelle seiner Phantasie und seiner Hofnung ein eben so großes Nachtstuͤck einer kuͤnftigen Fruͤhlingsnacht aufgestellt, wo er wie in dieser mit allen Freun¬ den auf einmal (nicht immer allein) gluͤcklich ist — wo wie in dieser die Nacht nur als ein Schleier durchsichtig uͤber den Tag geworfen ist, wo der ro¬ the Guͤrtel, den die Sonne beim Einsteigen in's Meer abgelegt, bis an den Morgen auf dem Rand der Erde schimmernd liegen bleibt — wo die langen Seelentoͤne der Nachtigal laut durch das auseinan¬ der rinnende Adagio ziehen und sich aus dem Echo erheben — wo wir lauter befreundeten Seelen be¬ gegnen und sie trunken anblicken und durch das Laͤ¬ cheln fragen: o du bist doch auch so gluͤcklich wie ich? und wo das fremde Laͤcheln es bejahet — eine Nacht, o Gott, wo du unser Herz voll und doch ruhig gemacht, wo wir weder zweifeln noch zuͤr¬ nen noch fuͤrchten , wo alle deine Kinder an dei¬ ner Brust in deinen Armen ruhen und die Haͤnde ihrer Geschwister halten und nur mit halb geschlosse¬ nen Augen schlummern um sich anzulaͤcheln? — — Ach da der Seufzer, womit ich dieses schreibe und ihr es leset, es uns daran erinnert, wie selten solche Fruͤhlingsnaͤchte auf unsere Erde fallen: so veruͤbelt es mir nicht, daß ich das schwelgerische Gemaͤlde die¬ ser Nacht nur langsam vollfuͤhre, damit ich einmal in meinen alten Tagen mich an der gemahlten Stunde der jetzigen Begeisterung erquicke und etwan sagen koͤnne: ach du wußtest es damals wohl, daß du niemals eine solche Nacht erleben wuͤrdest, dar¬ um warst du so weitlaͤuftig. Und was anders als versteinerte Bluͤten eines Klima, das auf dieser Erde nicht ist, graben wir aus unserer Phantasie aus so wie man in unsrem Norden versteinerte Palmbaͤume aus der Erde holt. . . . Viktor ging zum stillen Julius an der Nachtigal¬ lenhecke und legte ihm Nachtviolen in die Hand und kuͤßte ihn auf das verhangne Auge, das nicht sehen aber doch weinen konnte vor Freude — und die be nachbarte Nachtigal hielt nicht innen unter dem Kuß. — Viktor kam den Garten hinauf als Ema¬ nuel herunterkam, und neben der Morgenfontaine sahen sie einander an und Emanuels Angesicht leuch¬ tete im Wiederschein der Wellen als wenn er vor dem Engel des Todes staͤnde und zerfloͤsse, um zu sterben und er sagte: »Der Unendliche druͤckt uns »heute an sich — warum kann ich nicht weinen, da »ich so gluͤcklich bin.« — Und als sie wieder ausein¬ ander waren: rief er seinem Viktor zuruͤck und sag¬ te: »schau wie bluͤhendroth der Abend gegen Mor¬ gen zieht wie ein Sterbender, als wenn ihn die Toͤ¬ ne fortruͤckten — schau die Sterne haͤngen wie Bluͤ¬ ten aus der Ewigkeit in unsere Erde herein — schau die große Tiefe wieviel Fruͤhlinge gruͤnen heute auf so viel tausend darin ziehenden Erden.« — Als Viktor vor der Sonnenuhr voruͤberging, die mit einem Maasstabe aus Schatten uns andern Schatten ihre engen gluͤcklichen Inseln zuzaͤhlte und als ihm der Mond auf der Wage mit seiner innenstehen¬ den Schattenzunge die letzten Minuten dieser frohen Stunde vorwog, weil er nach Mitternach hin zeigte gleich sam als wenn er schriebe: es ist sogleich voruͤber: so trat der Englaͤnder allein langsam und niederblickend aus dem Florgewebe und ging unter die Toͤne, um sie wegzu¬ fuͤhren mit dem ganzen Himmel um sie. Viktor, der im stillen Meer der tiefsten Freude nicht mehr nach Gegenden steuerte sondern zufrieden darauf tau¬ melte und ruhte und in der Zukunft nichts begehrte als die Gegenwart, wandelte jetzt nur auf den lan¬ gen Terrassen hin und her, anstatt den Garten auf und abzusteigen — er stand gerade auf der obersten, auf der Blumenterasse, an der Morgenfontaine und sah den daͤmmernden Weg hinuͤber zur blinkenden Abendfontaine und der Schnee des Mondes lag tie¬ fer und weisser gefallen die gluͤckselige Ebene hinab und dieses bluͤhende Zuckerfeld kam seinem traͤumen¬ den Herzen wie eine in diese Erde hereinreichende Landspitze der Insel der Seeligen vor und er sah ja lauter seelige Menschen auf diesem Zaubergefilde gehen, ruhen, tanzen, hier einsam, dort in Paaren, dort in Gruppen und unschuldige Menschen, stille Kinder, sanfte tugendhafte Maͤdgen und er schauete zum ge¬ stirnten Himmel auf und sein Auge voll Thraͤnen sagte zum Allguͤtigen: o gieb auch meinem guten Vater und meinem guten Flamin eine solche Nacht — — als er ploͤtzlich die Toͤne wie abgewehet ver¬ nahm und den Britten mit den Kindern ziehen sah und das Schwanenlied eines Maͤstoso wurde voraus¬ getragen vor der entfliehenden Jugend. . . . Viktor ging oben mit den wegschwimmenden Toͤ¬ nen und die Sterne schienen mitzuschwimmen und die Gegend mitzugehen — auf einmal stockt er am Ende der Blumenterrasse, vor der Abendfontaine, vor den Ebenbildern Giulias, den weissen Hyazinthen, vor der Freundin Giulias, vor — Klotilde. . . Au¬ genblick! der nur in der Ewigkeit wiederholt wird, schimmere nicht zu stark, damit ich es ertragen kann, bewege mein Herz nicht zu sehr, damit es dich be¬ schreiben kann! — Ach beweg' es nur wie die zwei Herzen, denen du erschienst, du begegnest uns allen nicht mehr. . . . . Und Klotilde und Viktor standen unschuldig vor Gott und Gott sagte: weint und liebt wie in der zweiten Welt bei mir! — Und sie schaue¬ ten sich sprachlos an in der Verklaͤrung der Nacht, in der Verklaͤrung der Liebe, in der Verklaͤrung der Ruͤhrung und Wonnezaͤhren deckten die Augen zu und hinter den erleuchteten Thraͤnen stiegen um sie verklaͤrte Welten aus der dunkeln Erde auf und die Abendfontaine legte sich glimmend wie eine Milch¬ straße uͤber sie heruͤber und der Sternenhimmel schlug funkelnd uͤber sie zusammen und das entweichende Vertoͤnen spuͤhlte die aufgehobnen Seelen vom Er¬ denufer loß. ... Siehe! da trieb ein kleines We¬ hen die entfliegenden Laute heisser und naͤher an ihr Herz und sie nahmen ihre Thraͤnen von den Augen; und als sie umher schaueten in der Gegenwart: so bewegte das melodische Wehen alle Bluͤten im Gar¬ ten und die große Nacht, die mit Riesengliedern im Mondschein auf der Erde schlief, regte vor Wonne ihre Kraͤnze aus abgeschatteten Gipfeln und die zwei Menschen laͤchelten zitternd zugleich und schlugen mit ein¬ ander die Augen nieder und hoben sie mit einander auf und wußten's nicht. Und Viktor konnte endlich sagen: O! moͤge das edelste Herz, das ich kenne, so unaus¬ sprechlich seelig seyn wie ich und noch seeliger! So viel hab' ich nicht verdient. — Und Klotilde sagte in einem sanften Tone: ich bin den ganzen Abend allein geblieben bloß um vor Freude zu weinen, aber er ist zu schoͤn fuͤr mich und die Zukunft. ... Die umkehrenden Gespielinnen kamen den Garten herauf und beide mußten auseinander scheiden; und als Vik¬ tor noch mit erstickten Lauten sagte: »Ruhe wohl, du edle Seele — solche Freudenthraͤnen muͤssen im¬ mer in deinen Augen stehen, solches melodische Ge¬ toͤne muͤsse immer um deine Tage rinnen — Ruhe wohl du himmlische Seele« und als ein Blick voll neuer Liebe und ein Auge voll neuer Thraͤnen ihm dankte; und als er sich tief, tief buͤckte vor der Heiligen Stillen Bescheidnen, und aus Ehrfurcht nicht ein¬ mal ihre Hand kuͤßte: so umarmte in der Unsichtbar¬ keit ihr Genius seinen Genius vor Entzuͤcken, daß ihre zwei Kinder so gluͤcklich waren und so tugen¬ haft. — — O wie wohl that jetzt seiner uͤberschuͤtteten Seele sein geliebter Dahore, dem er unter den lauten Ka¬ stanien nachkam und an den er mit allen seinen Thraͤ¬ nen der Wonne, mit allen seinen Liebkosungen des trunknen Herzens fallen durfte: »mein Emanuel, »ruhe sanft! Ich bleibe heute Nacht unter diesem »guten warmen Himmel um uns her.« — »Bleibe »nur, Guter, (sagte Emanuel) eine solche Nacht »zieht durch keinen Fruͤhling mehr. .... Hoͤrst du »(fuhr er fort, als die in die Unermeßlichkeit ent¬ »ruͤckten Toͤne gleichsam wie Abendsterne des unter¬ »gegangnen Glanzes, wie Herbsstimmen des wegzie¬ »henden Sommergesangs in die sehnsuͤchtige Seele »hineinriefen) hoͤrst du das schoͤne Vertoͤnen? siehe, »eben so toͤne am laͤngsten Tage meine Seele aus, »eben so liege dein Herz an meinem und so sage wie »heute: ruhe wohl!« ... Dem Dem letzten Geliebten entsunken schwankte Viktor im gemischten Zwielicht der wehmuͤthigen Begeiste¬ rung zuruͤck durch die vom Mondlicht durchbrochne gleichsam von Stralen tropfende Allee, um in der Bluͤtenhoͤle, wo er zuerst Klotilde hier gefunden, das traͤumende Haupt an ein Kopfkissen von Bluͤtenkel¬ chen anzulehnen. . . . Und als er langsam und allein und mit elysischen Erinnerungen und Hofnungen durch den in die Allee gewachsenen Laubengang zwi¬ schen den einwiegenden Baͤchen hinwankte: so schwam¬ men noch niedrige Wogen des weggetragnen Getoͤnes in die Phantasie mehr als in die Ohren und nur die Nachtigal regierte laut uͤber die beseelte Nacht. O! da sank unnenbar begluͤckt und wonneschwer der letzte Mensch dieser Nacht von den fuͤnf Stufen seines himmlischen Bettes durch die Zweig–Vergitterung in das dunkle Bluͤten–Souterrain hinein — — Be¬ thauete Sprossen fielen kuͤhlend an seine entzuͤndete Stirne, er legte die zwei Arme ausgestreckt auf zwei Armlehnen von Zwergbaͤumen und schloß entzuͤckt die heissen Augenlieder zu und das Forttoͤnen der Nach¬ tigal und der fuͤnf Quellen um ihn wehten ihn ei¬ nige Strecken weit in den daͤmmernden Wahnsinn des Traumes hinuͤber — — aber die in Freuden Jubel hinausschreiende Nachtigal schlug durch seinen Traum und als er die Augen, in halbe Traͤume verschlagen, aufthat, schoß der Blitz des Mondes durch das weisse Hesperus. III . Th. N Gestraͤuch — — — dennoch, von den vorigen Sze¬ nen befriedigt, laͤchelte er nur halb ausser sich und uͤberhuͤllte das Auge wieder und ließ sich ganz in den harmonischen Schlummer hinunter . . . . nur ewige gebrochne Laute sang er noch in sich . . . nur eini¬ gemal regte er noch die liegenden Arme zu Umfassun¬ gen . . . . und nur im Ersterben des Schlummers und der Wonne stammelte er Einmal noch dunkel: Geliebte! . . . Und so schoͤn, großer Allguͤtiger, lass' uns andere Menschen in der letzten Nacht entschlafen wie Vik¬ tor in diesen und lass' es auch unser letztes Wort seyn: Geliebte! — 4. und letzter Pfingsttag. 36. Hundsposttag. Hyazinthe — Die Stimme vom Vater Emanuels — Brief vom Engel — Flöte auf dem Grab — Zweite Nachtigal — Ab¬ schied — Pistolen — Geistererscheinung. E ben ist der Anhang zum vierten Freudentage einge¬ laufen. — Ich komme nach dem Seufzer, womit man gewoͤhnlich am Tage nach den Festtagen sagt, daß man sie begrabe, wieder vor das bluͤhende Bette meines Freundes und oͤfne den gruͤnenden Vorhang; gegen neun Uhr erst zog ihn eine nah' an seinen Haͤnden schlagende Grasmuͤcke muͤhsam aus einem tiefen Traummeer. Aber die Schattenfiguren, die der Hohlspiegel des Traums in der Luft aufgerichtet hatte, waren alle vergessen; nur die Thraͤnen, die sie ihm ausgepresset, standen noch in seinen Augen und er entsann sich nicht mehr, warum er sie vergos¬ sen hatte. Es war hente Quatember, der wie an¬ dere Wetter- und Mondsveraͤnderungen unser Traum- Echo lauter und vielsylbiger macht. — In einer son¬ derbaren Erweichung schlug er die Augen auf vor der weissen Daͤmmerung des Apfelbluͤten Ueberhangs, vor dem Wirwar des gruͤnen Gespinstes — seine Hand jagte die Grasmuͤcke durch das Gebuͤsch — N2 es war schwuͤl um diesen Schatten, die Baumgipfel waren stumm und alle Blumen gerade — Bienen bogen sich von Sandkoͤrngen herab in die Quellen um ihn und schlurften Wasser — von den Weiden tropf¬ ten weisse Flocken und alle Riechflaͤschgen der Bluͤ¬ ten und die Rauchgefaͤße der Blumen uͤbergoßen sei¬ ne Schlafstaͤtte mit einem suͤßen schwuͤlen Dunst ... Er fuͤhrt seine rechte Hand ans nasse Auge und erblickt darin mit Erstaunen eine weisse Hyazinthe, die ihm jemand heute mußte hineingeleget haben .. Er verfiel auf Klotilde; und sie war's auch gewe¬ sen: vor einer halben Stunde trat sie an dieses Blu¬ men-Bette — ließ sogleich das Gestraͤuch leise wie¬ der zusammenschlagen — zog es aber doch wieder auseinander, weil sie die Thraͤnen des vergessenen Traums uͤber das Angesicht des gluͤhenden Schlaͤfers rinnen sah — ihre ganze Seele wurde nun ein wei¬ cher segnender Blick der Liebe und sie konnte sich nicht enthalten, das Denkmal ihres Morgenbesuchs, die Blume, in die Hand zu legen — und eilte dann leise in ihr Zimmer zuruͤck. Er trat eilig in den leuchtenden Tag, um die Geberin einzuholen, deren Morgengabe er leider aus Besorgniß der Zerstoͤrung so wenig wie sie ans Herz anpressen durfte. O wie that es ihm wehe, als er im Freien vor dem herrnhutischen Gottesacker der heimgegangnen Himmelsnacht, vor dem ruhen¬ den Garten stand und als er auf die kahlen ausge¬ maͤhten eingetretenen Tanztenne und auf die ver¬ stummte Nachtigallenstaude blickte und auf die Ber¬ ge, woran die Kinder schmutzig weideten vom gestri¬ gen Schmucke entkleidet! Da erschien der vergessene Traum wieder und sagte: weine noch einmal, denn das Rosenfest deines Lebens beschließet sich heute und der letzte von den vier Fluͤßen des Paradieses trock¬ net in wenig Stunden gaͤnzlich aus! — O ihr schoͤ¬ nen Tage, sagt' Viktor, ihr verdient es, daß ich euch verlasse mit einer Erweichung ohne Maaß und mit Thraͤnen ohne Zahl! — Er floh aus dem zu hartem Tageslicht in die Zelle aus Flor, damit sie den hellen Vorgrund des Tages zu einem daͤmmernden Hintergrund ummalte mit dem gestrigen Mondschein uͤberdeckt; und unter diesem Leichenschleier der erbli¬ chenen Nacht setzte er sich vor, dem verarmenden Herzen heute seine letzten Freuden ganz im Ueber¬ maaß zu goͤnnen, naͤmlich seine Thraͤnen. Er trat aus dem Flor, aber der naͤchtliche Mondschein wich nicht von der Flur; er schaute auf in den blauen Himmel, der uns mit Einer langen Flamme beta¬ stet, aber die zugehuͤllten Sterne der Winternacht schickten herausquellende kleine Stralen an die ver¬ dunkelte Seele; er sagte sich zwar: »der Eißberg, auf dem bisher meine Vernunft halbe Bergpredigten abgelegt, ist unter der Freudenglut zu einem Maul¬ wurfshuͤgel eingelaufen» aber er setzte hinzu: »heu¬ »te frag' ich nach nichts.» Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen. Dieser sagte ihm, daß sich das erste Glied der ge¬ strigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit seinen Leuten, schon in der Nacht abgeloͤset habe. Aber je laͤnger er Emanuel ansah und an morgen dachte — denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬ thuͤre dieses Paradieses leise hinter sich zu, heute Nachmittags nimmt er von der Aebtissin und Abends von der Geliebten Abschied, um diese nicht im Ab¬ lesen der bekannten Engels-Epistel zu hemmen — desto druͤckender waren seine Augen gespannt und er ging lieber mit einem sich selber vollblutenden Her¬ zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit, der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man ohnehin wie vor einem Kinde gern sein Innerstes entkleidete. Aber diesesmal war Julius in derselben Erwei¬ chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in seiner daͤmmernden Seele spielen und fliegen sehen. Die Sehnsucht nach dem Engel bruͤtete sein ruhen¬ des Herz zum Pochen an und er sagte mit einem ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur sehen koͤnn¬ »te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!» Die uͤberstaͤubten Erinnerungen an seine Kindheit wurden aufgeschuͤttelt; und aus dieser in Wolken stehenden Zeit trat besonders Ein Tag heraus vor ihn morgenhell, blau und voll Gesang, und trug drei Gestalten auf seinem Nebelboden, Julius eigne und die der zwei Kinder, von denen er sich vor ih¬ rer Einschiffung nach Deutschland geschieden hatte — es entfloßen ihm Tropfen, ohne daß er es merk¬ te, da er gerade diesem Viktor, der das Folgende gethan hatte, das Kuͤßen und Umhaͤngen und Nach¬ rufen des einen Kindes malte, das ihn am meisten liebte und immer trug. »und ich denke, fuhr er »fort, jeder, den ich gern hoͤre, habe das Gesicht »dieses guten Kindes und auch du . Oft wenn ich »einsam diese Gestalt in meinem Dunkeln anschaue »und warme Tropfen auf den Lippen spuͤre und in »eine schmachtende schlummernde Wonne falle: mein' »ich, es quelle Blut aus meinen Lippen und mein »Herz siedet — aber mein Vater sagt, wenn dann »meine Augen ploͤtzlich aufgethan wuͤrden und ich »saͤhe meinen Engel an oder das gute Kind oder »einen schoͤnen Menschen, dann wuͤrde ich sterben »muͤssen vor Liebe.» — — O Julius, Julius, (rief sein Viktor) wie edel ist dein Herz! Das gute Kind, das du so liebst, wird bald mein Vater an dich legen, es wird dich so kuͤssen, so lieben, so druͤcken wie ich jetzt. — Er fuͤhrte ihn zum Essen zuruͤck; er selber aber blieb bis Nachmittags unter dem Himmel und sein Herz legte stille Trauer an unter Baͤumen voll Bie¬ nen neben Gestraͤuchen voll aͤzenden Voͤgeln, auf al¬ len bisherigen Spaziergaͤngen und Sonnenwegen die¬ ses sterbenden Festes — und es standen alle Kinder¬ stunden aus dem Winterschlafe bei Gedaͤchtnißes auf und beruͤhrten sein Herz, aber es zerfloß. — — O wenn uns weit entlegne Minuten mit ihrem Glo¬ ckenspiel antoͤnen, so fallen große Tropfen aus der weichen Seele, wie das naͤhere Heruͤberklingen fer¬ ner Glocken Regen bedeutet. Ich verdenke dir nichts, Viktor, — du bist doch nur weich , aber nicht weichlich — so gut dir dein Biograph deine Erweichung nachzuschreiben und dein Leser sie nach¬ zufuͤhlen vermag, ohne die festen Muskeln des Her¬ zens abzuspannen, eben so gut vermagst du es auch und nur ein Mann, der bittere Thraͤnen erpressen kann, wird suͤße verhoͤhnen und keine selber ver¬ gießen. Endlich ging Viktor zur letzten Freude, in den Garten des Endes, um mit sanften Thraͤnen in der Abtei von allen Freundinnen abzuscheiden. Ein sonderbarer Vorfall verschob es ein wenig: denn in¬ dem er von Emanuel wegging, stieß ihm Julius auf, der aus dem Garten kam und ihm sagte, »wenn »er zu Emanuel wolle, er sei im Garten.» — Sie erhoben einen freundschaftlichen Streit, weil jeder ihn gerade jetzt gesprochen haben wollte. Viktor ging mit ihm zu Dahore zuruͤck und hier erzaͤhlte Julius seinem Lehrer jedes Wort des vorgeblichen Gartengespraͤchs mit ihm: »z. B. uͤber Viktor, uͤber Klotilde, uͤber seinen heutigen Abschied, uͤber die bisherigen frohen Tage.» Waͤhrend der Erzaͤhlung wurde Emanuels Ange¬ sicht glaͤnzend als wenn Mondsschimmer davon nie¬ derfloͤße — und anstatt dem geliebten Kinde die Un¬ moͤglichkeit seiner Erscheinung im Garten vorzustel¬ len, raͤumte er sie ihm ein und sagte entzuͤckt: »ich »werde sterben! — Es war mein abgeschiedener Va¬ »ter — seine Stimme klingt wie meine — er ver¬ »hieß mir in seinem Sterben, aus der zweiten Welt »in diese zu kommen eh' ich von hinnen ginge. — »Ach ihr Geliebten druͤben uͤber den Graͤbern, ihr »denkt also noch an mich — o! du guter Vater, »dringe jetzt mit deinem toͤdlichen Glanze vor mich »heran und loͤse mich an deinem Munde auf!» — Er wurde noch mehr darin befestigt, weil Julius dazu erzaͤhlte, die Gestalt habe sich von ihm den Brief des Engels reichen lassen, ihn aber nach einem kleinen Lispeln wieder zuruͤckgegeben. Das Siegel war unbeschaͤdigt. Emanuels freudiger Enthusias¬ mus uͤber diese Steganographie des Todes setzte un¬ zufriedene Schluͤße aus seiner bisherigen Gesundheit voraus. Viktor lehnte sich nie gegen die erhabnen Irrthuͤmer seines Lehrers auf; so stellte er z. B. niemals die Gruͤnde, die er hatte und die ich im naͤchsten Schalttage anzeigen will, dem unschuldigen Wahn entgegen: »aus dem Traume und aus der »Unabhaͤngigkeit des Ichs vom Koͤrper koͤnne man »auf die uͤnftige nach dem Tode schließen — im »Traume staͤube sich der innere Demant ab und sau¬ »ge Licht aus einer schoͤnern Sonne ein.» — Vik¬ tor erschrack daruͤber, aber aus andern Gruͤnden: Julius nahm beide an den Ort der Unterredung mit, der in der verfinsterten Allee neben der Bluͤtenhoͤle war. Niemand war da, nichts erschien, Blaͤtter li¬ spelten, aber keine Geister, es war der Ort der Seeligkeit, aber der irdischen. — Viktor ging in den andern, in die Abtei. Klo¬ tilde war nicht droben, sondern im verschlungnen Labyrinth des Parks, wahrscheinlich um dem Inha¬ ber vom Engels-Briefe, Julius, die Gelegenheit des Vorlesens zu erleichtern. Er nahm, als die Sonne gerade den Fensterscheiben gegenuͤber brannte, von der guten Aebtissin mit jener feinen geruͤhrten Hoͤflichkeit Abschied, auf die sich in ihrem Stande der hoͤchste Enthusiasmus einschraͤnkte. Die feine Aebtissin sagte ihm: »sein Besuch sey so kurz, daß »er unverzeihlich waͤre, wenn nicht Viktor es da¬ »durch gutmachte, daß er ihren zweiten Fruͤhlings¬ »Gast (Klotilden) uͤberredete, den ihrigen zu verlaͤn¬ »gern: denn auch diese verlasse sie bald.» — Er schied mit einer geruͤhrten Achtung von ihr: denn sein weiches Herz wußte eben so gut hinter der Spitzenmaske der Feinheit und Welt, als hinter der Leder-Kruste der Rohheit das fremde weiche aus¬ zufuͤhlen. Als er freilich in den Garten eilte: stiegen die Thraͤnen seines Herzens hoͤher und waͤrmer — und ihm war als muͤßte er den im Angesichte der Sonne aufgehenden Mond umschließen, als er dachte! »ach »wenn deine bleiche Flocke heute lichter droben »haͤngt, wenn du allein niederschauest, bin ich ge¬ »schieden von meiner Schaͤferwelt oder scheide noch.» — Und unten ruhte neben der Nachtigallenhecke sein Julius, der helle Thraͤnenstroͤme vergoß — denn die¬ ser ganze Abend wimmelt von immer groͤßern Meer¬ wundern des Zufalls — er eilt zu ihm herab, der Brief des sogenannten Engels ist geoͤfnet in seiner Hand, Viktor sagt leise: Julius, warum weinest du so?» — O Gott, sagte dieser gebrochen: »fuͤhre »mich unter eine Laube!» — Er leitete ihn zur uͤberflorten. Julius sagte darin: »recht! hier brennt »die Sonne nicht!» und schlug den rechten Arm um Viktor und gab ihm den Brief und legte den Arm herum bis an sein Herz und sagte: du guter Mensch! sage mir, wenn die Sonne nieder ist und lies mir noch einmal den Brief des Engels vor!» Viktor fing an: »Klotilde!» — »An wen ist »er?» sagt' er. — »An mich! (sagte Julius) und »Klotilde hat mir ihn schon vorgelesen; aber ich »konnte sie wegen ihrem Weinen nicht verstehen und »ich war auch zu betruͤbt. — Ich werde vor Kum¬ »mer sterben, du gute Giulia , warum hast du mir »es nicht vor deinem Tode gesagt. — Die Todte »hat ihn geschrieben, lies nur!» — Er las: Klotilde! »Ich huͤlle meine erroͤthenden Wangen in den Leichenschleier. Mein Geheimniß ruht in meinem Herzen verborgen und wird mit ihm unter den Lei¬ chenstein gelegt. Aber nach einem Jahre wird es aus dem zerfallenen Herzen dringen — o dann bleib' es ewig in deinem, Klotilde! — und ewig in deinem, Julius! — Julius, war nicht oft eine schweigende Gestalt um dich, die sich deinen Engel nannte? Legte sie nicht einmal als die Todtenglocke ein bluͤ¬ hendes Maͤdgen einlaͤutete, eine weisse Hyazinthe in die Hand und sagte: Engel pfluͤcken solche weisse Blumen? Nahm nicht einmal eine stumme Gestalt deine Hand und trocknete sich damit ihre Thraͤnen ab und konnt' es nicht sagen, warum sie weine? Sagte nicht einmal eine leise Stimme: lebe wohl, ich werde dir nicht mehr erscheinen, ich gehe in den Himmel zu¬ ruͤck? Diese Gestalt war ich, o Julius: denn ich habe dich geliebt und bis in den Tod. Siehe! hier steh' ich am Ufer der zweiten Welt, aber ich schaue nicht hinuͤber in ihre unendlichen Gefilde, sondern ich kehre mein Angesicht noch sinkend nach dir zu¬ ruͤck, nach dir und mein Auge bricht an deinem Bilde. — Jetzt hab' ich Dir alles gesagt. — Nun komm, stillender Tod, lege langsam die weisse Hya¬ zinthe um und theile bald das Herz auseinander, da¬ mit Julius darin die verschloßene Liebe sehe. — — Ach wirst denn du eine Todte in deine Seele neh¬ men? Wirst du weinen, wenn du dieses lesen hoͤ¬ rest? Ach wenn mein zugedeckter, zerdruͤckter Staub dich nicht mehr beruͤhren kann, wird mein entfern¬ ter Geist von deinem geliebt werden? — Aber ich beschwoͤre dich, o Unvergeßlicher, geh' an dem Ta¬ ge, wo dir dieses Thraͤnenblatt vorgelesen wird, da gehe wenn die Sonne untergeht, hinauf zu meinem Grabe und bringe dem bleichen Angesicht darunter, das der alte Huͤgel schon entzwei druͤckt, und dem zerronnenen Herzen, das fuͤr nichts mehr schlagen kann, da bringe der Armen, die dich so sehr geliebt und die deinetwegen sich unter die Erde gehuͤllet, dein Todtenopfer — bring' ihr auf deiner Floͤte die Toͤne meines geliebten Liedes: das Grab ist tief und stille. — Sing es leise nach, Klotilde und besuch' mich auch. — Ach arme Giulia, richte deine Seele auf und erliege jetzt nicht, da du deinen Julius dir an deinem Grabe denkest! — Wenn du das Todten¬ opfer bringst, so wird zwar mein Geist schon hoͤher stehen, ich werde ein Jahr jenseits der Erde gelebet haben, ich werde die Erde schon vergessen haben — aber doch, aber o Gott, nenn du die Toͤne uͤber meinem Grabe ins Elysium dringen liessest, dann wuͤrd' ich niedersinken und heiße Thraͤnen vergießen und die Arme ausbreiten und rufen: ja! hier in der Ewigkeit lieb' ich ihn noch — es geh' ihm wohl auf der Erde, sein weiches Herz ruhe weich und lange auf dem Leben drunten. — Nein, nicht lange! Komm herauf, Sterblicher, zu den Unsterblichen, damit dein Auge genese und die Freundin erblicke, die fuͤr dich gestorben ist! Giulia.» »Ich will gehen — sagte Julius stockend, aber »mit Zuckungen im Gesicht — wenn auch die Son¬ »ne nicht hinab ist: Mein Vater soll mich bis zum »Untergange troͤsten, damit mein Herz nicht so hef¬ »tig an die Brust anschlaͤgt, wenn ich am Grabe »stehe und das Todtenopfer bringe.» — — Laß mich nichts sagen, Leser, von der Beklemmung, womit ich weiter gehe, — noch von dieser zu weichen Giu¬ lia, die wie eine Morgensonnenuhr, vor dem Mit¬ tage im Schatten und Kuͤhlen war, die wie eine Taube die Fluͤgel dem Regen und Weinen ausein¬ ander faltete — noch von ihren Schwestern, die im zweiten Jahrzehend das Skelet des Todes ganz mit Blumen uͤberhaͤngen, daß sie seine Glieder nicht se¬ hen koͤnnen und die ihren weißen Arm blos auf ei¬ nen Myrthenzweig der Liebe stuͤtzen wie auf einen Aderlaßstock und ruhig dem Verbluten seiner zer¬ schnittenen Adern zuschauen! — Ich haͤtte nicht einmal dieses gesagt, wenn nicht Viktor es gedacht haͤtte, dessen Herz ein unendlicher Gram und eine unendliche Liebe toͤdtlich auseinander zogen: denn ach wie weit war nicht seine unersetzli¬ che Klotilde schon auf dem Wege, ihrer Freundin nachzukommen und das ungeliebte Herz in der Erde zu verbergen, wie man im Froste Nelken nieder¬ legt? Die Sonne stieg tiefer — der Mond stieg hoͤher — Viktor sah Klotilden wie eine Heilige, wie einen aͤtherisch verkoͤrperten Engel in einer gegen Abend geoͤfneten Nische ruhen — das kleine gestern ge¬ nannte Maͤdgen spielte auf ihrem Schoos mit einer neuen Puppe — ihm war als seh' er sie gen Himmel schweben — und als sie ihre großen Augenlieder aus den Thraͤnen fuͤr die geschiedne Freundin, deren Geheimniß sie laͤngst errathen und verborgen hatte, gegen den aufhob, der sie heute durch seinen Abschied vermehrte; und als sie auch sein Angesicht in Ruͤh¬ ung zerschmolzen sah: so erdruͤckten die gleichen Trauergedanken in beiden sogar die ersten Laute des Empfangs und beide wanten ihr Gesicht ab, weil sie uͤber die Trennung weinten. — — »Haben Sie (sagte Klotilde, wenigstens mit einer gefaßten Stim¬ me) eben mit Julius gesprochen?» — Viktor ant¬ wortete nicht, aber seine Augen sagten Ja, indem sie blos heftiger stroͤmmten und sie unverwandt an¬ schaueten. Sie schlug sie tief nieder, mit einem klei¬ nen Erroͤthen fuͤr Giulia. Das kleine Kind hielt die uͤber die großen Tropfen heruͤberfallenden Augenlie¬ der fuͤr schlaͤfrig und zog der Puppe das schmale mit Heu gepolsterte Kopfkissen weg, breitete es Klotilden hin und sagte unschuldig: »da leg' dich drauf und schlaf' ein!» Es schauerte ihren Freund, da sie ant¬ wortete: »Heute nicht, Liebe, auf Kissen mit Heu schlafen nur die Todten.» Es schauerte ihn, da er auf ihrem bewegten Herzen eine schneeweiße Feder¬ nelke, in deren Mitte ein großer dunkelrother Punkt wie ein blutiger Tropfen ist, erzittern sah. Die fuͤrchterliche Nelke schien ihm die Lilie zu seyn, die der Aberglaube sonst im Korstuhle des Priesters an¬ traf, dessen Sterben prophezeiet werden sollte. Sie Sie heftete schmerzlich ihren Blick auf die tiefe Sonne und den Gottesacker, hinter dem diese in den Maitagen wie ein Mensch unterging. »Verlassen »Sie diese Aussicht, Theuerste (sagt' er ohne Hoff¬ »nung des Gehorsams) — eine schoͤne zarte Huͤlle »wird von einer schoͤnen zarten Seele am leichtesten »zerstoͤrt. — Ihre Thraͤnen thun Ihnen zu wehe.» Aber als sie unbefangen erwiderte: »schon lange nicht »mehr — nur in fruͤhern Jahren brannten mir da¬ »von die Augenhoͤlen und der Kopf wurde betaͤubt» »und als der Gedanke an die bewoͤlkte Perspektive ihrer verweinten Tage ihm das Herz aus dem Bu¬ sen wand: so erstarb das Sonnenlicht auf ihren Wangen — Thraͤnenstroͤme brachen gewaltsam aus ihren Augen — er wandte sich um — druͤben auf dem Gottesacker sank der Verhuͤllte auf dem Huͤgel der Verhuͤllten nieder — die Sonne war schon un¬ ter die Erde, aber die Floͤte hatte noch keine Stim¬ me, der Schmerz hat nur Seufzer und keine Toͤ¬ ne. . . Endlich richtete der schoͤne Blinde sich un¬ ter zuckenden Schmerzen empor zum Todtenopfer und die Floͤtenklagen stiegen von dem festen Grabe auf in das Abenbroth — drei Herzen zergingen wie die Toͤne, wie das vierte eingesunkne. — Aber Klotilde riß sich gewaltsam aus dem stummen Jammer auf und sang zu dem Todtenopfer leise das himmlische Hesperus. III . Th. O Lied, um das die Verstorbne sie gebeten hatte und das ich mit unaussprechlicher Ruͤhrung gebe: Das Grab ist tief und stille, Und schauderhaft sein Rand; Es deckt mit schwarzer Huͤlle Ein unbekanntes Land. Das Lied der Nachtigallen Toͤnt nicht in seinen Schooß; Der Freundschaft Rosen fallen Nur auf des Huͤgels Mooß. Verlaßne Braͤute ringen Umsonst die Haͤnde wund; Der Waisen Klagen dringen Nicht in der Tiefe Grund. Doch sonst an keinem Orte Wohnt die ersehnte Ruh'; Nur durch die dunkle Pforte Geht man der Heimath zu. O Salis ! in diesem Doch sind alle unsere verweh¬ ten Seufzer, alle unsere vertrockneten Thraͤnen und heben das steigende Herz aus seinen Wurzeln und Adern und es will sterben! Die Stimme der edeln Saͤngerin unterlag der Wehmuth, aber sie sang doch die letzte der Strophen die¬ ses Sphaͤren-Liedes, obwohl leiser in der schmerz¬ haften Ueberwaͤltigung: Das arme Herz hienieden Von manchem Sturm bewegt, Erlangt den wahren Frieden Nur wo es nicht mehr schlaͤgt. Ihre Stimme brach, wie ein Auge bricht oder ein Herz. . . . Ihr Freund huͤllte sein Haupt in die Blaͤtter der Laube — das ganze Erdenleben zog wie eine Klage voruͤber. — Klotildens schwere Vergan¬ genheit, Klotildens duͤstere Zukunft ruͤckten zusam¬ men vor seinem Auge und warfen im dunkeln den Leichenschleier uͤber diesen Engel und zogen sie ver¬ huͤllet in das Grab zur Schwester. . . . Er hatte sogar den Abschied vergessen . . . er hatte nicht den Muth, die große Szene um sich anzuschauen und die Gebeugte neben sich . . . Er hoͤrte die Kleine gehen und sagen: ich hole dir ein groͤßeres Kissen unter den Kopf. Klotilde stand auf und faßte seine Hand — er kehrte sich wieder um in die Erde — und sie schaue¬ te ihn an mit einem verweinten aber zaͤrtlichen Auge, dessen Tropfen zu rein waren fuͤr diese schmutzige O2 Welt, aber in diesem großen Auge stand etwas gleichsam wie die fuͤrchterliche Frage: »lieben wir uns nicht vergeblich fuͤr diese Welt?» — Und ihr schlagendes Herz erschuͤtterte die blutige Nelke. — Der Mond und der Abendstern glimten einsam wie eine Vergangenheit im Himmel. — Julius ruhte stumm und niedergedruͤckt mit umschließenden Armen auf dem eingesunknen Huͤgel, der auf den Staub seines zersplitterten Paradises gewaͤlzet war. — Die Toͤne der Nachtigal schlugen jetzt gleich ho¬ hen Wellen an die Nacht — da ermannte er sich, um ihr Lebe wohl zu sagen . . . Leser! erhebe deinen Geist zu keiner Entzuͤckung, denn sie wird bald in einem Krampf erstarren — aber ich erhebe meine Seele dazu, weil sogar das toͤdtliche Niederstuͤrzen an der Pforte des Paradises schoͤn ist unter dem Weggehen daraus! Dem ersten Rufe der vertrauten Nachtigal ant¬ wortete ploͤtzlich noch hoͤher eine neue hergeflatterte von dicken Bluͤten gedaͤmpfte Nachtigal, die immer unter dem Singen flog und jetzt aus der Bluͤtenhoͤle ihr melodisches Schmachten ziehen ließ. Die zwei Menschen, die das Scheiden verschoben und fuͤrchte¬ ten, irrten betaͤubt der gehenden Nachtigal nach und waren auf dem Wege zur seeligen Bluͤtenhoͤle: sie wußten nicht, daß sie allein waren; denn in ihrem Herzen war Gott; vor ihrem Auge schimmerte die ganze zweite Welt voll auferstandner Seelen. End¬ lich erhohlte sich Klotilde, kehrte um vor der Nach¬ tigal und gab das traurige Zeichen der Trennung. — Viktor stand am Ufer seiner bisherigen gluͤckseli¬ gen Insel — alles, alles war nun voruͤber — er blieb stehen, nahm ihre zwei Haͤnde, konnte sie noch nicht anschauen vor Schmerz, bog sich mit Thraͤnen nieder gegen ihre Schulter, richtete sich auf als er leise reden konnte: »Lebe wohl — mehr kann mein »schweres Herz nicht — recht wohl lebe, viel besser »als ich — weine nicht so oft wie sonst, damit du »mich nicht etwan verlassen mußt. — Denn ich gin¬ »ge dann auch.» — Lauter und feierlicher fuhr er fort: »denn wir koͤnnen nicht mehr geschieden wer¬ »den — hier unter der Ewigkeit reich' ich dir mein »Herz — und wenn es dich vergisset: so zerquetsch' »es ein Schmerz, der uͤber die zwei Welten reicht ».... (Leiser und zaͤrtlicher) Weine morgen nicht, »Engel — und die Vorsehung gebe dir Ruhe.» — Wie ein Verklaͤrter an eine Verklaͤrte neigte er sich zuruͤckgezogen an ihren heiligen Mund und nahm in einem leisen andaͤchtigen Kusse, in dem die schwe¬ benden Seelen nur von Ferne mit aufgeschlagnen Fluͤgeln zitternd einander entgegen wehen, mit leiser Beruͤhrung von den zerflossenen weichenden Lippen die Versieglung ihrer reinen Liebe, die Wiederho¬ lung seines bisherigen Edens‚ und ihr Herz und sein Alles — — — — — Aber hier wende die sanftere Seele‚ die die Donnerschlaͤge des Schicksals zu sehr erschuͤttern‚ ihr Auge von dem gelben großen Blitze weg‚ der ploͤtz¬ lich durch das stille Eden faͤhrt! — »Schurke!» — schrie der herausstuͤrzende Fla¬ min mit spruͤhenden Blicken, mit schneeweissen Wan¬ gen, mit wie Maͤhnen herunterhaͤngenden Locken, mit zwei Taschenpistolen in den Haͤnden — »da »nimm, nimm, Blut will ich» und stieß ihm das Mordgewehr entgegen, Viktor draͤngte Klotilden weg und sagte: »o Unschuldige! vermehre deine Schmerzen nicht!» — Flamin rief in neuer Entflam¬ mung: »Blut! — Treuloser, nimm, schieß!» — Matthieu fiel ihm in den rechten Arm, aber der linke drang bebend dem Viktor das Geschoß auf. — Viktor riß es zu sich weil die Muͤndung um Klotil¬ den herumwankte. — »Du bist ja mein Bruder» rief die arme Gemarterte blos durch Todesangst vom Tode der Ohnmacht weggequaͤlt. — Flamin warf mit beiden Armen alles von sich und sagte graͤßlich¬ leise lang gedehnt in wuͤthiger Erschoͤpfung: »Blut! — Tod!» — Klotilde sank um — Viktor blickte auf sie und sprach gegen ihn: »feuer' nur, hier ist mein Leben!» — Flamin schrie laut »du zuerst!» — Viktor schoß, hob den Arm weit empor, um in die Luft zu schießen und der zersplitterte Gipfel wurde von seiner Kugel heruntergestuͤrzt. — Klotilde wachte auf, — Emanuel flog her, — warf sich an seines Schuͤlers Herz, — seiner seit Jahren zum erstenmale von Leidenschaft auseinandergerissenen Brust quoll das sieche Blut aus, — Flamin schleuderte stolz seine Pistole weg und sagte zu Matthieu: komm! es ist der Muͤhe nicht werth» und ging mit ihm davon. Als Klotilde Emanuels Blut auf ihres Geliebten Kleidern sah, hielt sie ihn fuͤr getroffen und legte ihr Tuch auf das Blut und sagte: »ach das haben Sie nicht um mich verdient.» — Emanuel athmete wieder durch sein Blut hindurch, niemand konnte weiter sprechen, niemand uͤberlegen, jeder fuͤrchtete sich, zu troͤsten, die toͤdtlich zermalmten Herzen schieden mit verbissenem Weh auseinander: blos Viktor, den das graͤßliche Wort »Schurke» bei jeder Erinnerung wie ein Dolch durchstieß, sagte noch zur Schwester: »ich lieb' ihn nicht mehr, aber »er ist ungluͤcklicher als wir, ach er hat alles verlo¬ »ren und nichts behalten als einen Teufel» — Naͤmlich Matthieu. Dieser hatte heute die Stimme Emanuels, die mit Julius gesprochen und die Dahore fuͤr des Vaters seine gehalten, und nachher die Stimme der Nachtigall, der Viktor nachgegangen, nachgemacht, um den Regierungsrath durch seine eigne Ohren und Augen von Viktors Liebe gegen Klotilden zu uͤberfuͤhren. Viktor fuͤhrte den schwachen Lehrer in die indi¬ sche Huͤtte. Er fuͤhlte jetzt nach so vielen aufloͤsenden Tagen seine Nerven durch dieses Ungewitter gekuͤhlt und gestaͤhlt; der Seelenschmerz und die Aufopferung hatten sein Blut, wie engere versperrende Wege die Stroͤme, schneller und heftiger gemacht und die Lie¬ be zu Klotilden war maͤnnlicher und kuͤhner durch den Gedanken geworden, daß er sie nun ganz ver¬ diene. — Nichts giebts ausser Groß-muth und Sanft-muth schoͤneres als das Buͤndniß derselben. Emanuel war nichts mehr als matt und setzte sich, da der Abend schwuͤl auf allen bruͤtete, mit Viktor auf die Grasbank seines Hauses, um mit der zuckenden Brust aufrecht zu bleiben und eine sanfte Freude glaͤnzte in seinen Minen uͤber jeden gefallnen Blutstropfen, weil jeder ein rothes Siegel auf seine Hoffnung zu sterben war. Aber als Viktor das muͤde Haupt des guten Mannes an seinen Bu¬ sen nahm und ihn darauf entschlummern ließ: so wurde ihm im stillen Abend wieder weh und sein Herz schmerzte ihn erst. Er dachte sich es einsam, wie sich druͤben heisse Schwerter durch die schuldlose blutende Seele zischend ziehen wuͤrden — er fuͤhlte, wie nun das zweisylbige, zweyschneidige Zornwort Flamins durch das ganze Band ihrer Freundschaft geschnitten — er stellte sich das neben ihm bluͤhende Theater der schoͤnen Tage veroͤdet vor und das Voruͤberwehen der Freuden, die uns nur wie Schmet¬ terlinge in weiten Kreisen umspielen, indeß der Ner¬ venwurm des Grams sich tief in unsere Nerven ein¬ beisset. — Ach endlich lehnt' er sich weinend an den schlummernden Vater und druͤckte ihn leise und sag¬ te: »ach ohne Freundschaft und Liebe koͤnnt' ich die Erde nicht ertragen» — Und endlich wurde auch seine zersetzte und versiegte Seele vom schweren Koͤr¬ per in den dicken Schlaf gedruͤckt und hinab gezogen. Leser! der letzte Augenblick in Maienthal ist der groͤßte — erhebe deine Seele durch Schauder und steige auf Graͤber wie auf hohe Gebirge, um hinuͤber zu sehen in die andere Welt! Um Mitternacht, wo die Phantasie die verhuͤll¬ ten Todten aus den Saͤrgen zieht und sie aufgerich¬ tet in die Nacht um sich stellt und aus der zweiten Welt unbekannte Gestalten zu uns verschlaͤgt — so wie unkenntliche Leichname aus Amerika an die Kuͤ¬ sten der alten Welt antrieben und ihr die neue ver¬ kuͤndigten — in der Geisterstunde schlug Viktor die Augen auf aber unaussprechlich heiter. Ein verges¬ sener Traum hatte die heutige Vergangenheit mit allem ihrem Getoͤse und Gewoͤlke weit hinabgesenkt — der lichte Mond stand oben in der blauen Ver¬ finsterung wie die silberne Spalte und quellen-helle Muͤndung, aus der der Lichtstrom der andern Welt in unsere bricht und in aͤtherischen Dufte nieder¬ sinkt. — Wie ist alles so still und so licht, sagte Viktor, ist diese daͤmmernde Gegend nicht aus mei¬ nem Traume uͤbrig geblieben, ist das nicht die ma¬ gische Vorstadt der uͤberirdischen Stadt Gottes — Eine voruͤbereilende Stimme sagte: Tod! ich bin schon begraben. Emanuel oͤfnete daruͤber die Augen, warf sie durch das Laubwerk in den uͤber das Doͤrfgen erhoͤh¬ ten Kirchhof und sagte mit einer Zuckung seines ganzen Wesens: »Horion wach' auf, Giulia hat die »Ewigkeit verlassen und steht auf ihrem Grabe.» — Viktor blickte fieberhaft hinauf; und in einem schneidenden Eisschauer wurden alle warmen Gedan¬ ken und Nerven des Lebens hart und starr, da er oben am Grabe eine weisse verschleierte Gestalt ru¬ hen sah. Emanuel riß sich und seinen Schuͤler auf und sagte: wir wollen hinauf auf das Theater der Geister; vielleicht ergreift die Todte meine Seele und nimmt sie mit.» . . . Fuͤrchterlich schwiegen die Gegenden um ihren Weg . . . die Menschen fahren aus dem Fußboden wie stumme Knechte, wie Maschinen zur Bedienung, und fallen wieder hinun¬ ter, wenn sie abgeleeret sind . . . Das Menschen¬ geschlecht zieht wie ein fliegender Sommer durch den Sonnenschein und das bethauete Gewebe haͤngt sich flatternd an zwei Welten an und in der Nacht ver¬ gehts . . . So dachten die zwei Menschen auf der Walfahrt zur Todten — sie wunderten sich uͤber ih¬ re eigne schwere Verkoͤrperung und uͤber das Ge¬ raͤusch ihrer Tritte. — Emanuel knuͤpfte seinen Blick auf die verschleierte Gestalt, die jetzt niederkniete — er dachte, sie hoͤre seine Gedanken und fliege zu sei¬ nem Herzen durch das Mondlicht heruͤber. . . Die Brust der zwei Menschen hob sich gleichsam unter zwei Leichensteinen auf und nieder, da sie die uͤbergraßten langen Stufen zum Kirchhof aufstiegen und das schwere Thor, das mit verwitterten, wegge¬ waschenen Auferstandenen angemalet war, beruͤhrten und aufdrehten. — Das warme Erdenblut friert ein und das weiche Gehirn gerint zu einem einzigen Schreckenbilde, wenn von der Ewigkeit und von der Pforte der Geisterwelt die große Wolke wegruͤckt: Emanuel rief auf der Buͤhne der Todten wie ausser sich: »schauderhafter Geist, ich bin ein Geist wie »du, du stehst auch unter Gott, willst du mich toͤd¬ »ten: so toͤdte mich durch keinen Schauer, durch »keine zermalmende Gestalt, sondern laͤchle wie die »Menschen und drehe still mein Herz ab.« — Da stand die verhuͤllte Gestalt auf und kam — Emanuel grif wild nach seinem Freund, huͤllte sich in das An¬ gesicht desselben und sagte angedruͤckt: »An dir sterb' »ich, an deinem warmen Herzen — o lebe gluͤcklich, »wenn du nicht mit mir erkaltest, ach! ziehe mit!« .. »Ach, Klotilde:« — sagte Viktor: denn sie war die Gestalt. Sie war stumm wie das Geisterreich, denn die besuchte Todte umklammerte noch ihr Herz; aber sie war groß wie ein Geist daraus: denn der aͤtherische Lichtnebel des Mondes, der Stand auf Todten, der Blick in die Ewigkeit, die hohe Nacht und die Trauer erhoben ihre Seele und man vergaß fast, daß sie weinte. — Emanuel hielt seine Fluͤgel noch ausgebreitet uͤber die Szene und schauete erha¬ ben uͤber die Graͤber: »Wie alles hier schlaͤft und »ruht auf dem großen gruͤnen Todtenbette! Ich »moͤchte darauf erliegen — Sprach jetzt nichts? — »Die Gedanken der Menschen sind Worte der Gei¬ »ster — Wir sind schleichende Nachtvoͤgel im daͤm¬ »mernden Dunstkreis, wir sind stumme Nachtwand¬ »ler, die in diese Hoͤlen fallen, wenn sie erwachen »— Ihr Todten! verstaͤubet nicht so stumm, ihr »Geister, die ihr aus euren begrabnen Herzen »zieht, flattert nicht so durchsichtig um uns! — — »O der Mensch waͤre auf der Erde eitel und Asche »und Spielwerk und Dunst, wenn er nicht fuͤhlte, »daß er's waͤre — — o Gott, dieses Gefuͤhl ist un¬ »sere Unsterblichkeit!« — — Klotilde, um ihn von dieser verheerenden Begei¬ sterung herabzuziehen, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Leben Sie wohl, Verehrungswuͤrdiger, ich »nehme heute noch Abschied, weil ich morgen aus »Maienthal gehe — leben Sie gluͤcklich, gluͤcklich, »bis wir uns wieder sehen; mein Herz vergisset Ihre »Groͤße nie aber ich sehe Sie bald wieder«. . . . . Ihre Wehmuth, uͤber den Gedanken an sein geweis¬ sagtes Sterben, ihre Furcht eines ewigen Abschieds erdruͤckten die andern Worte, denn sie wollte mehr sagen und waͤrmer danken. Emanuel sagte: »Wir »sehen uns nicht wieder, Klotilde: denn ich sterb' »in vier Wochen.« — O Gott! nein! sagte Klotilde mit dem innigsten heissesten Tone. — »Mein guter »Emanel, sagte Viktor, quaͤle diese Gequaͤlte nicht »— Fasse dich, Gemarterte, unser Freund bleibt ge¬ »wiß bei uns.« — Hier hob Emanuel groß sein Auge in den Himmel und sagte mit einem Blick, in dem eine Welt war: »Ewiger! koͤnntest du mich bis¬ »her so getaͤuscht haben? — Nein, nein, am laͤng¬ »sten Tage ziehen mich deine Sterne auf und deine »Erde kuͤhlt mein Herz — Und dich, du gute Klo¬ »tilde, du Seele vom Himmel, dich seh ich also »heute gewiß, bei Gott! zum letztenmal mit deinen »schoͤnen Wangen und in deiner Erbengestalt — ich »segne dich und sage dir Lebewol, aber schwer und »truͤbe, weil ich noch so viele Tage leben soll ohne »dich. Ziehe sanft umweht durch's Leben, halte »dein Herz hoch uͤber den bunten Dunst der Erde »und uͤber ihre Wetterwolken — du hoͤrst mich ja »nicht, du bitter-weinendes Angesicht, Gott gieße »Trost in deine Seele, scheide froher! — dein »Freund ist bei mir, wann ich von hinnen gehe.« — — Hier faßte Viktor die Haͤnde der wankenden ver¬ weinten Gestalt, die sich vergeblich die Thraͤnen ab¬ streifte, um den Lehrer noch einmal zu sehen und in die Seele zu druͤcken; und als Viktor ohne Besin¬ nung aber emporgehoben rief: »Giulia! Seelige! mil¬ »dere das Weh deiner Freundin in dieser Stunde, »halte dieses brechende Herz« so sagte Emanuel un¬ beschreiblich zaͤrtlich beide anblickend: »Ich segne »euch ein wie ein Vater, heiliges Seelen-Paar! »Nie verlasset, nie vergesset einander! — O ihr see¬ »ligen Geister hier uͤber dem glimmenden Moder der »zerstuͤckten Saͤrge, gebet diesen zwei Herzen Frieden »und Gluͤck und wenn ich einmal gestorben bin, »will ich um eure Seelen schweben und sie beruhi¬ »gen — Und du, Ewiger unter deinen Sternen, »mache diese zwei Menschen so gluͤcklich wie mich »— o nimm ihnen nichts, nichts auf der Erde als »das Leben — Gute Nacht, Klotilde!« . . . . — Die Pfingsttage sind voruͤber! — Und dir, gutes Schicksal, dank' ich, daß du mir die Gesundheit zur Freude gereicht, ein solches fluͤch¬ tiges goldnes Zeitalter abzuschatten, da mein schwa¬ ches so ungleich pulsirendes Herz nicht verdient, sol¬ che Entzuͤckungen nachzumalen — Und dir, mein lie¬ ber Leser, moͤge das Pfingstfest irgend einen Brand¬ sonntag oder eine Marterwoche deines Lebens ver¬ suͤßet haben! — Neunter Schalttag. Viktors Aufsatz über das Verhältniß des Ichs zu den Organen. V iktor war eben so sehr dem ausschließenden Ge¬ schmack in der Philosophie als in der Dichtkunst feind. In allen Systemen — selber der Ketzer des Epiphanias und Walchs — druͤckt sich die Gestalt der Wahrheit, wie im Thierreich die menschliche, wiewohl in immer kuͤhnern Zuͤgen ab. Kein Mensch kann eigentlichen Unsinn glauben, obwohl sagen. Sonderbar ist's, daß gerade die konsequenten Systeme, ohne das Atomen-Klinamen des Gefuͤhls, am weitesten auseinander laufen. Die Systeme wer¬ fen wie die Leidenschaften nur im Fokalabstande den hellsten Lichtpunkt auf den Gegenstand; — wie jaͤm¬ merlich laͤuft z. B. die große Theorie von der Selbst¬ beherrschung aus dem Christenthum in den Stoi¬ zismus — dann in den Mystizismus — dann in den Monachismus und der Strom sikert endlich ausgedehnt im Fohismus ein wie der Rhein im Sand! — Die kantische Theorie hat mit allen kon¬ sequenten Systemen diese Versandung , und mit den den unkonsequenten jenes Gefuͤhls-Klinamen Das Orientiren durch die praktische Vernunft. g¬ mein , das die vertrocknenden Arme wieder zur einer labenden Quelle zusammenfuͤhrt. Die zwei Haͤnde der reinen Vernunft, die einander in der Antinomie zerkratzten und schlugen, legt die praktische friedlich zusammen und druͤckt sie gefalltet an's Herz und sagt: hier ist ein Gott, ein Ich und eine Unsterblich¬ keit! — — Viktor befruchtete seine Seele vorher durch die große Natur oder durch Dichter und dann erst erwartete er das Aufgehen eines Systems. Er fand (nicht erfand) die Wahrheit durch Aufflug, Umher¬ schauen und Ueberschauen, nicht durch Eindringen, mikroskopisches Besichtigen und syllogistisches Herum¬ kriechen von einer Sylbe des Buchs der Natur zur andern, wodurch man zwar dessen Woͤrter aber nicht den Sinn derselben bekoͤmmt . Jenes Kriechen und Betasten gehoͤrt, sagt' er, nicht zum Finden , sondern zum Pruͤfen und Bestaͤtigen der Wahrheit; wozu er sich allezeit von Bayle Schul¬ stunden geben ließ: denn niemand lehrt die Wahrheit schlechter finden und besser pruͤfen als Scharfsinn oder Bayle, der ihr Muͤnzwardein aber nicht ihr Berg¬ mann ist. Hesperus. III . Th. P Der Aufsatz . Schrieb' ich ihn in Goͤttingen: so koͤnnt' ich ihn in Paragraphen und gruͤndlicher machen, weil mich die Flachsenfinger nicht stoͤrten. Indessen muß er doch hier geschrieben werden, damit ich an mir sel¬ ber einen Schirmherrn und Anwald gegen die Jun¬ ker habe, die meinen Geist in meinen Koͤrper verwan¬ deln wollen. Das Gehirn und die Nerven sind der wahre Leib unsers Ichs; die uͤbrige Einfassung ist nur der Leib jenes Leibes, die naͤhrende und schirmende Borke je¬ nes zarten Marks. — Und da alle Veraͤnderungen der Welt uns nur als Veraͤnderungen jenes Markes erscheinen: so ist der Mark- und Breiglobus mit sei¬ nen Streifen der eigentliche Weltglobus der Seele. Der umgekehrte Nervenbaum entsprießet aus dem geschwollnen Foͤtus-Gehirn wie aus einem Kerne, dem es auch aͤhnlich sieht und steigt mit Sinnen-Ae¬ sten als Ruͤckenmarksstamm empor bis zum zerglieder¬ ten Gipfel des Pferdeschweifs. Dieses markige Ge¬ waͤchs ist auf den Adernbaum wie eine zehrende para¬ sitische Pflanze geimpft. Und wie jeder Zweig ein kleinerer Baum ist, so sind — denn das alles ist nicht Aehnlichkeit des Witzes sondern der Natur — die Nervenknoten vierte Gehirnkammern im Kleinen. Die Nerven- Enden blaͤttern sich ausgebildet, auf der Retina, auf der Schneiderischen Haut, in der Geschmacksknospe ꝛc. zu Bluͤten auf. Daher wird z. B. nicht mit dem Fortsatze des Sehenervens ge¬ sehen, sondern mit seiner zarten Staubfaͤden-Zerfa¬ serung: denn die große wankende Gemaͤldegallerie auf der Netzhaut kann unmoͤglich durch eine Bewe¬ gung des Nervengeists (oder was man nehmen will: denn auf Bewegung laͤuft es doch hinaus) sich zuruͤck¬ schieben in's Gehirn, wobei noch dazu die zwei Gal¬ lerien der zwei Augen durch die zwei Zinken des Sehenervens durchruͤcken und in dessen Stiel zu Ei¬ nem Gemaͤlde zusammenfallen muͤßten. Folglich muß das Bild im Auge ꝛc. wenn es zu etwas dienen soll, vorn an der Spitze des Nervens empfunden werden — mit Einem Wort, es ist noch naͤrrischer die Seele in den Zwinger der vierten Gehirnkammer d. h. in einen Porus dieses Knollen¬ gewaͤchses zu sperren als es waͤre, wenn einer, der wie ich ein beseelendes Ich in die Blume setzt, das¬ selbe in's Souterrain des dumpfen Kerns heftete. Lieber wollt' ich die Seele doch in das feinste Honig¬ gefaͤß der Sinnen, in die Augen verlegen als in's unempfindlichere Gehirn, wenn ich nicht uͤberhaupt glaubte, daß sie wie eine Hamadryade jedes Nerven¬ aͤstgen dieser Thierpflanze bewohne und waͤrme und rege. Der unterbundne oder durchschnittne Nerve P 2 bringt zwar keine Empfindung mehr zu, aber nicht wegen unterbrochener Kommunikation mit der Seele und ihrer Wohn–Gehirnkammer, sondern weil ihr der naͤhrende Lebensgeist abgeschnitten ist: denn die Nerven brauchen wie alle feinere Organisationen so sehr fortdauernden Kost–Zuguß, daß der stok¬ kende Herz– und Arterienschlag in Einer Minute alle ihre Kraͤfte aufhebt. Ich gehe weiter und sage — um zwei Irrthuͤ¬ mern zu widersprechen — vorher heraus: diese Or¬ gane empfinden nicht, sondern werden empfunden; zweitens die Organe sind nicht die Bedingung aller Empfindung uͤberhaupt, sondern nur einer ge¬ wissen. Das letzte zuerst: da das Organ (d. h. seine Veraͤnderung,) das so gut ein Koͤrper ist als irgend ein grobes Objekt, dessen seine jenes an die Seele legt, dennoch von dem geistigen Wesen unmittelbar und ohne ein zweites Organ empfunden wird: so muͤssen alle koͤrperliche Wesen dem geistigen so gut Empfindungen geben als die Nerven, und eine un¬ verkoͤrperte Seele ist nur darum nicht moͤglich, weil sie im Falle des abgeloͤseten Koͤrpers alsdann das ganze materielle Universum als einen plumpern truͤge. Meine erste Behauptung war: man sollte nicht sagen, empfindende Organisation sondern em¬ pfundne . Die Nerven empfinden nicht den Gegen¬ stand, sondern veraͤndern nur den Ort wo er empfun¬ den wird, und ihre Veraͤnderungen und die des Ge¬ hirns sind nur Gegenstaͤnde des Empfindens, nicht Werkzeuge desselben oder gar es selber. Aber warum? — Ich habe mehr als ein Darum. Ein Koͤrper ist nur der Bewegung faͤhig, ob sie gleich freilich nur der Schein der gedachten Zusammensetzung und das Resultat der in einfache Theile verhuͤllten Kraͤfte ist. Die Saite, die Luft, die Gehoͤrknoͤchelchen, die Gehoͤr¬ nerven erzittern; aber die Erzitterung der letztern erklaͤ¬ ret so wenig das Empfinden eines Tons als das Erzittern der Saite es koͤnnte, wenn die Seele an diese gekettet waͤre. So ist trotz aller Bilder im Auge und Gehirn das Ersehen derselben doch noch ungethan und uner¬ klaͤrt; oder ist wohl darum, weil die Sinne Spiegel voll Bilder sind, etwan das geistige Auge entbehr¬ lich oder ersetzt? Und setzt die Veraͤnderung des Ner¬ vens (d. h. die Empfindung) nicht eine zweite in ei¬ nem zweiten Wesen voraus, wenn sie soll bemerkt werden? oder stellet sich in diesem Wesen wieder eine Bewegung die Bewegung vor? Dieses bringt mich aufs Gehirn. Dieser groͤßte und groͤbste Nerve — der Resonanzboden aller an¬ dern — haͤlt der Seele die Schattenrisse derer Bil¬ der vor, die von den andern zugefuͤhrt wurden. Im Ganzen glaub' ich dient das Gehirn mehr den Mu¬ skelnnerven, den Glieder Zuͤgeln, die da in der Hand der Seele zusammenlaufen, und mehr allen uͤberhaupt als naͤhrende Wurzel; aber weniger dient es als Reiszeug der mahlenden Seele. Da unsere meisten Vorstellungen auf grundirende Gesichtsbilder aufgetragen sind: so denken wir wahrscheinlich mehr mit dem Sehnerven als mit dem Gehirn. Warum bemerkte Bonnet, daß tiefes Denken die Augen und scharfes Sehen das Gehirn ermuͤde? Warum stum¬ pfen gewisse Ausschweifungen zugleich das Gedaͤcht¬ niß und die Augen ab? Die ausserhalb des Auges gaukelnden Fieberbilder der Kranken und der lebhaf¬ ten Menschen wie Kardan, der im dunkeln sah was er feurig dachte, erklaͤren sich aus meiner Ver¬ muthung. Ueber das Gehirn hat man zwei Irrthuͤmer; aber der Himmel bewahre meine Freunde nur vor dem einen. Denn vor dem andern kann sie Reimarus bewahren, der recht erwiesen hat, daß das Gehirn keine Aeolsharfe mit ziternden Fibern noch eine dunkle Kammer mit geschobnen Bildern ist, noch eine Spiel¬ welle mit Stiften fuͤr jede Idee, die der Geist um¬ dreht, um an sich seine Ideen ab und vorzuorgeln. Ist nun nicht einmal die vorher bestimmte Harmonie des Gehirns und des Geistes oder das Akkompagne¬ ment beider begreiflich: so ist die Identitaͤt der¬ selben gar unmoͤglich; und eben vor diesem Irrthum hat eben der oben gedachte Himmel meine Freunde zu bewahren. Der Materialist muß erstlich alles das aufstellen, was Reimarus umgestoßen hat; er muß im Gehirnbrei die Millionen Bilderkabinetter von 70 Jahren petrifiziren und doch wieder wie Ei¬ dophysika beweglich machen und die gemischten Kar¬ ten Bilder an jede Terzie austheilen; er muß dar¬ auf sehen, daß diese beseelten tanzenden Bilder in Reih und Glied gezwungen werden. Und dann geht doch seine Noth erst recht an: denn nun muß er — wenn wir ihm auch zugeben, daß die Bilder sich sel¬ ber sehen, die Gedanken sich selber denken, daß jede Vorstellung alle andere und sogar das Ich, wie eine Monade das All, dunkel nachspiegle, und daß sonach jede Idee eine ganze Seele sey — nun muß er (sa¬ gen wir,) erst einen Generalissimus herschaffen, der dieses unermeßliche fluͤchtige Ideenheer kommandire und stelle, einen Setzer, der das Ideen-Buch nach einem unbekannten Manuskript setze und, wenn Traͤu¬ me, Fieber, Leidenschaften alle Schriftkaͤsten in ein¬ ander geschuͤttet haben, alle Lettern wieder alphabe¬ tisch lege. Diese regelnde Einheit und Kraft — ohne welche die Symmetrie des Mikrokosmus so wenig als des Makrokosmus , der vorge¬ stellten Welt so wenig wie der wirklichen zu erklaͤren steht — nennen wir eben einen Geist. Freilich ist durch diese unbekannte Kraft weder die Entstehung noch die Folge der Ideen vermittelt und erklaͤrt; aber bei der bekannten der Materie, bei der Bewegungskraft, ist's nicht bloß unbegreiflich sondern gar unmoͤglich; und Leibniz kann leichter die Bewegung aus fremden dunkeln Vorstellungen erklaͤ¬ ren als der Materialist Vorstellungen aus Bewegun¬ gen. Dort ist die Bewegung nur Schein und existirt nur im zweiten betrachtenden Wesen, aber hier waͤre die Vorstellung Schein und existirte im zweiten — vorstellenden Wesen. Ich habe oft mit Weltleuten, die gut beobachten und elend schließen, mich gezankt, weil sie bei der kleinsten Abhaͤngigkeit der Seele vom Koͤrper — z. B. im Alter, Trunke ꝛc. — die eine zum bloßen Re¬ petirwerk des andern machten; ja ich habe sogar ge¬ sagt, kein Tanzmeister sey so dumm daß er so schloͤs¬ se: »weil ich in bleiernen Schuhen plump, in hoͤl¬ »zernen flinker, und in seidnen am besten tanze: so »seh’ ich wohl, daß die Schuhe mich mit besondern »Springfedern aufschnellen; und da ich kaum mit »bleiernen Schuhen aufkann, so braͤcht' ich's barfuß »nicht zu einem einzigen Pas.« Die Seele ist der Tanzmeister, der Koͤrper der Schuh. Wir fassen keine Einwirkung weder von Koͤrpern auf Koͤrper, noch von Monaden auf Monaden; mit¬ hin eine von Organen auf das Ich noch minder. Dieses wissen wir, daß die Kohaͤsion und Guͤterge¬ meinschaft zwischen Leib und Seele immer einerlei oder hoͤchstens in den Zeiten groͤßer ist, wo sie an¬ dere kleiner vermuthen; denn der groͤßte Tiefsinn, die heiligsten Empfindungen, der hoͤchste Aufschwung der Phantasie beduͤrfen gerade das waͤchserne Flug¬ werk des Koͤrpers am meisten, wie es auch seine dar¬ auf kommende Ermattung verbuͤrgt; je unkoͤrperlicher der Gegenstand der Ideen ist, desto mehr koͤrperliche Hand- und Spanndienste sind zu dessen Festhaltung vonnoͤthen und hoͤchstens in die Zeiten der dummen Sinnlichkeit, der geistigen Abspannung, des dunkeln Bloͤdsinns muͤßte man die Zeiten der Loskettung vom Koͤrper fallen lassen. Sogar die moralische Kraft, womit wir aufschießende uͤppige Triebe des Leibes niedertreten, arbeitet mit koͤrperlichem Brech- und Handwerkszeug; und die Seele bietet nur das Ge¬ hirn gegen den Magen auf. — Dazu koͤmmt, daß die Graͤnzen und die Hindernisse einer solchen Lo߬ fesselung und Ankettung eben so wenig anzugeben waͤren als die Ursachen derselben. Noch weniger koͤnnen, wie einige meinen, im Traume die Bande der Seele schlaffer und laͤnger werden. Der Schlaf ist die Ruhe der Nerven nicht des ganzen Koͤrpers. Die unwillkuͤrlichen Muskeln, der Magen, das Herz arbeiten darin fort, nicht viel weniger als im wa¬ chenden Liegen. Nur die Nerven und das Gehirn, d. h. das Denken und Empfinden stocken. Daher erquickt der Schlummer reitende und fahrende Men¬ schen, die also mit nichts als den Nerven ruhen. Daher werden Nervenschwache, die jede Ruhe abmat¬ tet, vom traumlosen Schlaf erfrischt. Beilaͤufig ohne die Theorie der Desorganisation, die negative und positive Nerven-Elektrizitaͤt annimmt, sind die Me¬ teore des Schlafes unerklaͤrlich — z. B. unerklaͤrlich ist dann, warum gerade Opium, Wein, Manipuliren, Thierheit, Kindheit, Plethora, nahrhafte Kost, Ge¬ ruͤche auf der einen Seite Schlaf befoͤrdern und Tortur, Ermattung, Alter, Maͤßigkeit, Gehirndruck, Winter, Blutverlust, Furcht, Gram, Phlegma, Fett, geistige Abspannung ihn auf der andern auch erre¬ gen. — — Hoͤchstens im tiefen Schlafe, wo der Nervenkoͤrper ruht, koͤnnte man die Seele vom Irr¬ dischen loßgekettet denken; im Traum hingegen eher enger angeschlossen, weil der Traum so gut wie das tiefe Denken, das wie er die fuͤnf Sinnenpforten ab¬ schließt, ja kein Schlafen ist. Daher zehren Traͤume die Nerven so sehr aus, zu deren innern Ueberspan¬ nungen jene noch aͤussere Eindruͤcke gesellen. Daher verleiht der Morgen dem Gehirn und dem Traum gleiche Belebung. Daher geht dem schlafenden Thiere — ausgenommen den weichlichen zahmen Hund — das ungesunde Traͤumen ab. Daher giebt schon Aristoteles ungewoͤhnliche Traͤume fuͤr Vorlaͤu¬ fer des Krankenwaͤrters aus. Daher hab' ich jetzt getraͤumt genug und der Leser geschlafen genug. — 37. Hundsposttag. Der Amaroso am Hofe — Präliminarrezesse der Hochzeit — Rettung des höflichen Krümmens. A m Morgen nach jener großen Nacht nahm Viktor von dieser geweihten Grabeserde seiner schoͤnsten Tage mit unverhuͤllten Thraͤnen Abschied. Er sah sich oft um nach diesen Ruinen seines Palmyra, bis nichts davon uͤbrig stand als der Bergruͤcken als Brandmauer. »Wenn du nach vier Wochen wieder »hieher gehest, dachte er, so ist's nur, um dem To¬ »desengel zuzusehen, wie er deinen Emanuel auf den »Altar und unter das Opfermesser legt.« Er sagte sich's, wie theuer er dieses Laubhuͤttenfest durch den Verlust eines Freundes bezahle; wie dieser ohne ei¬ nen solchen Ersatz einen eben so großen Verlust er¬ leide. Denn er fuͤhlte daß das fuͤrchterliche Wort »Schurke« als eine ewige Felsenwand zwischen ihre auseinander getheilten Seelen nun getreten sey — Er stellte sich zwar vor und recht gern, was den ver¬ gangnen Freund loßsprach, besonders die Verhetzung durch Matthieu, und Flamins Zuhorchen als er Klo¬ tilden ewige Liebe zuschwor; ja er verfiel sogar dar¬ auf, daß der Evangelist den armen Flamin vielleicht besondere (die vom Apotheker vorgeschlagnen) Moti¬ ven einer Liebe, durch deren Gegenstand die Gunst des Fuͤrsten festzumachen war, weit im Hintergrunde sehen lassen — aber sein Gefuͤhl sagte ihm unauf¬ hoͤrlich: »er haͤtte doch nicht glauben sollen! — Ach haͤttest du mich doch, (sagte er geruͤhrt bei der Erblickung der Stadt) mit Kugeln oder mit andern Schmaͤhungen durchbohrt, damit ich dir haͤtte leicht vergeben koͤnnen — aber gerade mit diesem fortfres¬ senden Giftlaute!« — Er hat Recht: die Beleidi¬ gung der Ehre wird darum nicht kleiner, weil sie der andere aus voller Ueberzeugung des Rechts be¬ geht. Denn die Ueberzeugung ist eben die Beleidi¬ gung; und die Ehre eines Freundes ist so etwas Großes, daß die Zweifel an ihr fast nur durch eignes Gestaͤndniß entstehen duͤrfen. Aber so werden aus kleinen Verhehlungen leicht Trennungen wie aus Ne¬ beln im Maͤrz Gewitter im Julius. Nur eine vollendete edle Seele vermag es, den gepruͤften Freund nicht mehr zu pruͤfen — zu glauben, wenn die Fein¬ de des Freundes laͤugnen — zu erroͤthen wie uͤber ei¬ nen unreinen Gedanken, wenn ein stummer verfliegen¬ der Argwohn das holde Bild beschmutzt — und wenn endlich die Zweifel nicht mehr zu bezwingen sind, sie noch lange aus den Handlungen fortzuwei¬ sen‚ um lieber in eine kameralistische Unvorsichtigkeit zu fallen als in die schwere Suͤnde gegen den heili¬ gen Geist im Menschen. Dieses feste Vertrauen ist leichter zu verdienen als zu haben. Im laͤrmenden Hammer- und Muͤhlenwerk der Stadt war ihm wie in einer oͤden Waldung. An zarte Seelen verwoͤhnt kamen ihm die staͤdtischen alle so stachlicht und ungeschliffen vor: denn die Liebe hatte wie die Tragoͤdie seine Leidenschaften gereinigt‚ indem sie solche erregte. — Alles hing so verfallen‚ so verraset zum Einbrechen heruͤber‚ indeß die glat¬ ten Spiegelwaͤnde in Maienthal massiv und leuchtend aufstiegen! denn die Liebe ist das einzige‚ was das Herz des Menschen bis an den Rand vollgießet wie¬ wohl mit einem bald einsinkenden Nektar Schaume; sie allein fasset ein Gedicht von etlichen tausend Mi¬ nuten ab ohne den klirrenden R-Buchstaben, wie der Dominikaner Carbone uͤber sie ein eben so großes Gedicht unter dem Namen L' R-sbandita ohne ein einziges R verfertigte — Daher ist sie wie die Krebse in den Monaten ohne R am schoͤnsten. Das erste‚ was er in Flachsenfingen zu machen hatte‚ war ein Brief an Klotilde- Denn da der Evangelist Maz um aller Wahrscheinlichkeit nach in alle Welt ausgehen und das Evangelium vom Schuß- Duel zwischen den zwei Freunden allen Voͤlkern pre¬ digen wird: so war nichts anders fuͤr den heiligen Ruf seiner Geliebten zu thun als sie in eine Braut zu verwandeln durch eine oͤffentlich erklaͤrte Verlo¬ bung. Flamins neues Ereifern konnte gegen Klotil¬ dens Rechtfertigung in keine Betrachtung kommen. Der Ausruf »du bist mein Bruder,« den die Kon¬ vulsionen der Angst Klotilden entrissen hatten, war natuͤrlich fuͤr Flamin unbegreiflich und ohne Wir¬ kung geblieben; — fuͤr den lauernden Maz aber war er ein herrlicher Kernspruch und ein dictum probans seines Lehrgebaͤudes von ihrer Verschwisterung geworden. — Im Briefe also ging Viktor seine Freundin um die stumme Erlaubniß zu seinem Werben an: er uͤberließ es ihr schweigend, die uneigennuͤtzigsten Mo¬ tiven seiner Bitte zu errathen. — Er erschien jetzt auf dem Kriegsschauplatz der Seelen, von dem man selten eine genaue Karte er¬ wischt, am Hofe: — seinem mit Paradiesen ange¬ fuͤllten Herzen kamen sogar die Zimmer vor wie Glaskaͤsten einer ausgebaͤlgten Volerie, die man mit Streuglanz, Konchylien und Blumen uͤbersaͤet, und die lebendigen Stuͤcke der Zimmer wie getrocknetes, mit Arsenik oder Holz ausgestopftes Gevoͤgel, durch die Schlangen war Drath gefuͤhrt, wie durch die Schwaͤnze der großen Thiere und die Baumlaͤufer am Thron standen auf Drath — — So sehr wurde er bloß durch das Pfingstfest der Gegenfuͤßler von uns, die wir bei kaͤlterem Blute das Erhabene und Edle eines Hofs leicht bemerken. — Das Neueste was er da hoͤrte war, daß der Fuͤrst in Gesellschaft der Fuͤrstin zum Gesundbrunnen in St. Luͤne abreise, um die gichtbruͤchigen Fuͤße wie diese die Augen heil zu baden. Viktor war wirklich nicht ganz tolerant, da er bei sich dachte: »wenn ihr's nicht besser haben wollt, so geht meinetwegen zum T —« Das Paulli¬ num war fuͤr ihn ein Hazhaus und jedes Vorzimmer eine Marterkammer: der Fuͤrst behandelte ihn nicht hoͤfisch-hoͤflich, sondern kalt, welches ihm desto weher that, da es bewies, er habe ihn geliebt — Die Fuͤr¬ stin stolzer — Bloß Matthieu der mit Leuten am liebsten sprach, die ihn toͤdtlich haßten, hatte ein Ge¬ sicht voll Sonnenschein — Von diesem und von sei¬ ner Schwester und einigen Ungenannten hatt' er leichtes Schlangengift der Persiflage uͤber sein Duel einzunehmen und zu verwinden, das wohl der Ma¬ gen wie anderes Schlangengift verdaut, das aber in Wunden gespruͤtzt das Lebensblut aufloͤset — — Ge¬ raͤth denn nicht sogar mein Korrespondent in Eifer und schickt mir seinen Eifer durch meinen capsarius So hieß der römische Sklave, der den Kindern die Schul¬ bücher nachtrug. ‚ den Hund zu und sagt: »Es bleibe doch einer ein¬ »mal kalt, der warm ist naͤmlich verliebt, und den »noch nicht der Tod kalt gemacht, er verbleib' es »sage ich vor dem stechenden Laͤcheln einer Hof¬ »Schwesterschaft uͤber seine empfindsame Liebe, zu¬ »mal vor solchen hoͤhern Damen, die Gottheiten »sind denen allemal (wie bei den Szythen) der » Fremde geopfert wird und denen (wie die Gallier »von ihren Goͤttern glaubten) Uebelthaͤter, roués , »Orleans die liebsten Opfer sind! — Oder er hoͤre »sich, wenn er auch das hinnimmt, gelassen von ei¬ »nem Evangelisten uͤber seine Liebe persifliren, der »darin folgende Grundsaͤtze erfindet und gesteht: La » décense ajoute aux plaisirs de l'indécense : la » vertu est le sel de l'amour ; mais n'en prénés » trop — l'aime dans les femmes les accés co¬ » lére , de douleur, de joie , de peur : il y a tou¬ » jours dans leur sang bouillant quelque chose » qui est favorable aux hommes — C'est la où la » finesse demeure courte, qu'il faut de l'enthusias¬ » me — Les femmes s'étonnent rarément d'etre » crues foibles ; c'est du contraire qu'ils s'etonnent » un peu . — L'amour pardonne toujours a l'amour , » rarément a la raison — Gluͤcklich sind, (seufzet Knef) Antagonisten, die einander pruͤgeln duͤrfen.« Der Evangelist warf einen baizenden Tropfen auf Viktors Herznerven, da er trotz seiner Wissen¬ schaft um Flamins adeliche Abstammung, ihn damit aufzog, »daß er wie ein franzoͤsischer Aequilibrist sich »mit Buͤrgerlichen — zwar nicht vermaͤhle, aber doch »doch — schiesse.« — Und es ging ihm durch die Seele, seinen ausgestohlnen Freund so sehr an Freun¬ den verarmt zu sehen, daß dieser Matthieu der letzte und der Stammhalter war, der sich nicht ein¬ mal vor Viktor die Muͤhe gab, in den hoͤhern Zir¬ keln die Rolle eines Freundes von Flamin zu neh¬ men und fortzuspielen. — Einem guten Menschen wird das weiche Herz gleichsam in eine Quetschform eingeschraubt, wenn er vor Leuten stehen muß (wie hier Viktor vor so vielen) die ihn hassen und belei¬ digen — anfangs ist er heiter und kalt und freuet sich, daß er sich nichts darum schiert — aber er ruͤ¬ stet sich unwissend mit immer mehr Verachtung, um der Beleidigung etwas entgegenzustellen — end¬ lich meldet sich der Anwachs der Verachtung durch das unbehagliche Gefuͤhl der entfliehenden Liebe an und des eindringenden Hasses und das bittere Schei¬ dewasser ergreift und zerfrißt sein eignes Gefaͤß, das Herz — Dann werden die Schmerzen so groß, daß er die alte Menschenliebe, die das warme Element seiner Seele war, wieder in Stroͤmen in den Busen rinnen laͤßt. Bei Viktor kam noch etwas zur Er¬ bitterung — seine Erweichung: man ist nie kaͤlter als nach großer Waͤrme, so wie Wasser nach dem Kochen eine groͤßere Kaͤlte annimmt als es vorher hatte. Liebe, Rausch und zuweilen die aus dem An¬ blick der Natur getrunkne Begeisterung machen uns Hesperus. III Th. Q gegen unsere Lieblinge zu gut und gegen unsere An¬ tipoden zu hart. Als nun Viktor in dieser bittern Laune neben einem Spieltisch zusah und uͤber die ganze Assemblee sich innerliche Vorlesungen hielt, lectures upon heads So nannte Steevens sein satirisches Kollegienlesen uͤber Köpfe aus Pappendeckel, dem halb London zulief. , wo er sich statt der Koͤpfe aus Pappendeckel bloß mit dickern behalf: so fiel durch die Erinnerung an die stille Menschenduldung, womit Klotilde sich in eben diese Menschen ihren Eltern zu Liebe bequemet hatte, der ganze Eispanzer, der sich um sein Herz wie um eine Blume gelegt hatte, zerflossen herab und sein erwaͤrmtes Herz sagte mit der ersten heutigen Freude: »Warum hass' ich »denn diese eben so gequaͤlten als quaͤlenden Gestal¬ »ten so hart? Sind sie nur meinetwegen, haben sie »nicht auch ihr Ich? Muͤssen sie sich mit diesem »mangelhaften, gepeinigten Selbst nicht durch die »ganze Ewigkeit schleppen? Wird nicht jeder von »irgend einer fremden Seele noch geliebt, warum »willst denn du nur Stof zum Abscheu an ihnen »sehen und aus jeder Mine, aus jedem Laute Saͤure »ziehen? — Nein, ich will die Menschen bloß » lieben , weil sie Menschen sind .« — Ja wohl! die Freundschaft kann Vorzuͤge begehren, aber die Menschenliebe bloß Menschengestalt. Da¬ her haben wir eben alle eine so kalte, eine so wech¬ selnde Menschenliebe, weil wir den Werth der Menschen mit ihrem Recht vermengen und nichts an ihnen lieben wollen als Tugenden. Unserem Viktor wurde so leicht wie nach einem Gewitter: das Bitterste, womit uns Beleidigungen angreifen, ist daß sie uns zu haßen noͤthigen. Auf der andern Seite fuͤhlte er jetzt, wie unrein unser fuͤr Tugend ausgegebene Widerstand gegen Schlimme sey und wie sauer es selber einer edeln Seele wer¬ de, Feinde zu bekaͤmpfen ohne sie anzufeinden — denn dieses ist noch schwerer als sie zu begluͤcken und zu beschuͤtzen ohne sie zu lieben. — — So strichen einige Wochen unter seinen erzwung¬ nen Landungen am feindlichen Hofe voruͤber — denn die Bitte seines Vaters beherrschte sein Herz — und unter vergeblichen Hoffnungen auf Klotildens Ent¬ scheidung und unter thraͤnenden Zuruͤcksehnen in die innehaltenden Tage der Liebe und in die verheer¬ ten Tage der Freundschaft. Klotildens Schweigen willigte aber eben in seine Ankunft ein; doch melde¬ te er ihr durch einen zweiten Brief noch zum Ueber¬ fluß das Datum derselben. Uebrigens wurde ihm, — so an den Thron wie an einen Baum gebunden, so aus allen Gegenstaͤnden seiner Liebe herausge¬ schleudert, so auf nichts geheftet als auf eine von weitem donnernende Zukunft, in der sein Emanuel nach 14 Tagen unter die Erde einsinkt und seine Q 2 Klotilde in tausend Schmerzen — die Gegenwart schwuͤl und eng. Um ihn ging ein unreifes Gewit¬ ter herum und wie an den Tag- und Nachtgleichen, ruhten die Wolken unbeweglich wie ein großer Ne¬ bel uͤber ihm und das verborgne Arbeiten im hohen Gewoͤlke des Schicksals hatte noch nicht das Zusam¬ menfließen in Thraͤnen entschieden oder das Zerthei¬ len in Blau. Endlich ging er nach St. Luͤne . . . Warlich nur wehmuͤthig-begluͤckt! O! konnt' er auf den Luͤner Fußsteig blicken oder auf das Pfarrhaus, das die Buͤhnen der begrabnen Freundschaft bedeckte, oh¬ ne das Auge uͤberfließend abzuwenden, ohne daran zu denken, wie viel eitler das Lieben als das Leben der Menschen sey, wie das Schicksal gerade die waͤrmsten Herzen zur Zerstoͤrung der besten anwende, (so wie man nur Brennspiegel zum Einaͤschern der Edelsteine gebraucht) und wie manche stille Brust nichts ist als der gesunkne Sarg eines erblaßten ge¬ liebten Bildes? — Es ist ein namenloses Gefuͤhl, einen Freund lieben zu wollen aus Erinnerung und ihn fliehen zu muͤssen aus Ehre: Viktor wuͤnschte , er duͤrfte seinem bethoͤrten Liebling vergeben; aber vergeblich: das arsenikalische Wort das mich in sei¬ nem Namen schmerzt, blieb trotz aller, aller versuͤs¬ senden Saͤfte, mit denen er's einwickelte, doch un¬ aufgeloͤset und fressend und toͤdlich in seiner Seele liegen. Guter Flamin! ein Fremder koͤnnte dich lie¬ ben, ich z. B. aber dein Jugendfreund nicht mehr! Viktor schritt zoͤgernd vor dem Bilder- und Musiksaal seiner nachgespiegelten und nachgetoͤnten Kindheit vorbei, vor dem Pfarrhaus, desgleichen vor der scheuernden Apollonia die er gern tiefer gruͤßte als sein Stand zuließ, und vor dem alten Mops, der sich in keinen Familienzwist einmengte, sondern ihn freimuͤthig mit dem Schwanz invitirte. — Nicht sein Stolz hielt ihn ab, die (vorgeblichen) Eltern seines Opponenten zu besuchen, sondern die Aengstlichkeit that's, die ihn besorgen ließ, die gu¬ ten Menschen wuͤrden sich vielleicht vor ihm im ver¬ legnen Kampfe zwischen Hoͤflichkeit, zwischen alter Liebe und neuem Groll abquaͤlen. Aber er beschloß, durch einen Brief an die edelmuͤthige Pfarrfrau sei¬ ne Liebe zu befriedigen nnd ihre Empfindlichkeit. Dann trat er vor seine Geliebte! — Ich hab' es vor-vorgestern unter dem Lesen der deutsch-fran¬ zoͤsischen Geschichte, wo bekanntlich auch der ge¬ kroͤnte Name Klotilde regiert, an den verdoppelten Schlaͤgen meines Herzens gemerkt, wie mir erst seyn wuͤrde, wenn ich diese Klotilde, die ich seit drei viertel Jahren gelobt habe, vollends gar saͤhe: denn daß Knef so wie der Hund keine Spitzbuben sind, und daß die ganze Historie nicht blos vorgefallen ist, sondern auch noch vorfaͤllt, erseh' ich aus hundert Zuͤgen, die wohl keine Phantasie erfinden kann. Wuͤrde der Biograph der Heldin ansichtig: dann entstaͤnde nichts als ein neues Heft und ein neuer — Held, welcher ich waͤre . . . . Sie war krank: jener Abend war wie ein Sto߬ vogel auf ihr Herz gefahren und hatte die blutigen Krallen noch nicht herausgezogen. Ihre Seele schien der Engel zu seyn, der die entseelte Huͤlle eines Frommen huͤtet. Der Kammerherr begegnete dem Hofmedikus als ob er von keinem Duelleriren wisse. Was sonst Muͤtter thun, that der Vater: er vergab jedem, der von Stande war und der die Tochter wollte. Der Antrag, den ihm Viktor endlich mach¬ te, frappirte ihn nur, weil er bisher gedacht hatte, dieser verschieb' ihn blos wegen der Ungewißheit uͤber Klotildens Erbschaft und Verwandschaft. Sei¬ ne Antwort bestand in unendlichen Vergnuͤgen, un¬ endlicher Ehre ꝛc. und andern Unendlichkeiten: denn bei ihm war alles eine; daher auch Platner mit Recht behauptet, der Mensch koͤnne im Grunde blos das Endliche nicht denken. Le Baut haͤtte die Toch¬ ter hergegeben, wenn er auch nicht gewollt haͤtte: er konnte ins Gesicht nichts abschlagen, nicht ein¬ mal eine Tochter. Auch konnte keiner kommen und um Klotilden ansuchen, der nicht in irgend eines feiner Projekte (seine vier Gehirnkammern lagen bis an die Decke davon voll) hineingepasset haͤtte. Na¬ tuͤrlicher Weise war ibm also ein Schwiegersohn jetzt am meisten erwuͤnscht, da ihm etwan die Tochter gar mit Tod abgehen koͤnnte, ohne daß er sie noch zu einem Springstab und Hebebaum seines Leibes gebraucht haͤtte — und da ihm zweitens das Duell- Gerede das Herz anfras; nicht als ob er nicht durch gesunde wurmfoͤrmige Bewegungen die haͤrtesten Dinge verdauet haͤtte, sondern weil er wie gebil¬ dete Menschen ohne Ehre, bei kleinen Beleidigun¬ gen gern mit Laͤrmkanonen und Feuertrommeln er¬ schien, um sich das Recht zu erschleichen, bei voll¬ staͤndigen, aber ergiebigen und mit Silberadern durch¬ zognen Entehrungen mausestill da zu liegen. Das einzige was der Kammerherr nicht gern sah, was er aber sogleich dadurch hob, daß er dem Hofmedikus das Wort (uͤber die Tochter) gab, das war, daß er vorher das naͤmliche Wort (in geheim) unserem Matz gegeben hatte. Da ihm der bald wiederkom¬ mende Lord mehr schaden und helfen konnte als der Minister: so brach er gern das alte Wort, um das neueste zu halten; denn nicht blos den letzten Willen, sondern auch jeden kann der Mensch aͤn¬ dern wie er will und wenn er ein Mann von Wort ist, so wird er gern ganz entgegengesetzte Verspre¬ chungen thun, um sich zum Halten zu noͤthigen. Was konnte die Schwiegermutter, die Kammerher¬ rin, die immer die Waffentraͤgerin und Liguistin des Evangelisten war, weiter dabei machen als ein freundliches Gesicht und die Bemerkung: niemand ist schwerer zu regieren als ein Ehemann, den jeder regiert. Die Formalien der Verlobung selber warteten auf die Zuruͤckkehr des Lords und auf andere Ver¬ haͤltnisse. — Lasset mich nichts sagen von der durch so viele Leiden veredelten Liebe dieses Paars: wenn mit der Liebe sich gar die Menschenliebe noch ver¬ maͤhlt (welches mancher gar nicht verstehen wird); — wenn im Athem der Liebe alle andere Reitze des Herzens schoͤner werden, alle feine Gefuͤhle noch feiner, jede Flamme fuͤr das Erhabne noch hoͤher, wie in der Feuer- und Lebensluft jeder Funke ein Blitz und jedes Johanniswuͤrmgen eine Flamme wird; — wenn beide Menschen einander selten mit den Augen, und oft mit den Gedanken begegnen; — wenn Viktor ein Herz fast zu behalten scheuet, dem er soviel kostet, so viel dunkle Tage, so viel Sorgen und fast einen Bruder; — und wenn Klotilde eben dieses zarte Scheuen erraͤth und ihn fuͤr ihre Lei¬ den belohnt: dann ist's unmoͤglich vielen Menschen den Umriß einer solchen Aetherflamme, geschweige die Farben derselben zu geben; — fuͤr wenige ist's unnoͤthig. Viktor blieb einige Tage, besuchte aber natuͤr¬ lich die Britten und ihren fortdauernden Klub nicht. Le Baut fand dieses vorsichtig, »denn man wisse von sicherer Hand, es seyen Jakobiner und verkapte Franzosen.« — Viktor nahm endlich — ehe die zwei gekroͤnten Badgaͤste mit einigem Gefolge anka¬ men — Abschied von seiner Verlobten, in deren Augen wie in seinen bei der Nachricht, daß er nach Maienthal abgehe des laͤngsten Tages wegen, Thraͤ¬ nen standen, die mehr als einen Schmerz bezeich¬ neten. Wir Leser wollen unterdessen uns vom Kammer¬ herrn beurlauben, der mit seinen diagonalen Augen¬ braunen — bei der Nasenwurzel konvergiren sie in Gestalt des mathematischen Wurzelzeichens — mit wahrer verbindlicher Hoͤflichkeit sich von uns trennt. Ich weiß, wenn wir fort sind, laͤßt er uns Gerech¬ tigkeit widerfahren und macht zuviel aus uns: denn er verlaͤumdet nie, weder aus Boßheit noch Leicht¬ sinn, und wen er verlaͤumdet, den hat er die ernst¬ hafte Absicht zu stuͤrzen, weil er lieber ungluͤcklich als schwarz macht. — Als ich ihn sich so buͤcken sah ge¬ gen uns: verfertigte ich in Gedanken halbe Satire auf ihn, wovon das Wahre und Ernsthafte das sein mag: daß die Menschen wirklich dazu erschaffen sind, sich so krum zu machen wie der spiritus asper ist. Ich baue eben nicht darauf viel, daß Geometer ge¬ schrieben haben, wenn die Goͤtter eine Gestalt an¬ naͤhmen, so muͤßt' es die vollkommenste, die eines Zirkels seyn: ich koͤnnte zwar daraus folgern, ein krummer Ruͤcken waͤre wenigstens eine Annaͤherung zur Goͤttergestalt, weil's ein Bogen und Segment aus einem Zirkel waͤre — aber ich mag nicht: denn das Physische ist Kinderei dabei und nur in so fern von Belang, als es das innere Kruͤmmen und Krie¬ chen der Seele theils anzeigt, theils (z. B. durch Verengerung der Brust) befoͤrdert. Sogar am Hofe wuͤrde man das aͤussere Kruͤmmen erlassen, wenn man gewiß wissen koͤnnte, daß das edlere, innere der Denkungsart da waͤre ohne das Zeichen, denn da nach Kant Unterwuͤrfigkeit und Niederschlagung un¬ sers Eigenduͤnkels die Foderung der reinern und der christlichen Moral ist: so muß einer, der gar keine moralischen Vorzuͤge hat, mit dem Selbstbewußtseyn davon noch tiefer nieder als zur Demuth, die schon der Tugendhafte hat, er muß zu dem sinken, was ich ein edles Kriechen nenne. Ich gestehe, ich ver¬ achte die Uebung nicht, die darin die kleinen Re¬ geln der Lebensart gewaͤhren, die ja ohnehin nichts seyn soll als die Tugend in Kleinigkeiten, die Re¬ geln naͤmlich, daß man sich buͤckt wenn man wider¬ spricht — wenn man lobt — wenn man eine Belei¬ digung erfaͤhrt — wenn man eine anthut — wenn man den andern buͤckt — wenn man gerade eben des Teufels werden moͤchte. Aber gut ist's, daß eine solche Tugend der Kruͤmmung ihre eigne Exer¬ zierplaͤtze hat und nicht vom Zufall abhaͤngt. Am Hofe wuͤrde ein Mensch mit geradem Leibe und Geiste als hoͤfisch-tod ausgeschossen werden wie ein Krebs mit einem geraden Schwanze, den nur krepirte Krebse fuͤhren. Wenn sonst die Einsiedler niedrige Zellen erwaͤhlten, um nicht aufrecht zu ste¬ hen: so braucht der Weltmann das nicht; ihn druͤ¬ cken die hohen Speisesaͤle, die Lusttempel, die Tanz¬ sallons desto tiefer nieder, je hoͤher sie sind. — Es waͤre schlimm, wenn diese so wichtige Tugend der Niederbuͤckung erst eine besondere geistige oder koͤr¬ perliche Staͤrke, die sich ja niemand geben kann, voraussetzte; aber gerade umgekehrt will sie nur Schwaͤche haben, welches bei Pferden nicht so ist, die den Schwanz nicht mehr niederbringen, wenn dessen Sehnen abgeschnitten sind. Wenn die Phari¬ saͤer Blei in den Muͤtzen fuͤhrten, um sich das Buͤ¬ cken zu erleichtern Die Pharisäer thaten es — wie gewisse Juden, die auch immer gekrümt einherzogen und darum Krümlinge hies¬ sen — um Gott, der die ganze Erde ausfüllt, ein wenig Platz zu machen. Altes und neues Judenthum. 2 B. S. 47. : so thut das Blei, das man auf die Welt bringt und das im Kopfe liegt, viel¬ leicht noch groͤßere Dienste. Daher ist's eine schoͤne Einrichtung, daß aus großen Seelen, denen wie langen Staturen das Buͤcken sauer faͤllt, zum Gluͤck (aber zu ihrer Strafe) nichts wird, anstatt, daß mittelmaͤßig, die sich nichts daraus machen, gedei¬ hen und eine schoͤne Krone treiben: so sah ich oft beim Brodbacken, daß jeder maͤßige Laib im Back¬ ofen sich schoͤn erhob und woͤlbte, der große aber blieb platt und miserabel sitzen. — Wir waͤren aber bedauernswuͤrdig, wenn eine Tugend, die den Werth des buͤrgerlichen Menschen ausmacht, diese Tugend, nicht blos wie Kinder zu werden, sondern wie Foͤ¬ tus, die sich im Mutterleibe zusammenstuͤlpen, wenn diese nur an den hoͤchsten Orte gediehe, wie man fast denken sollte, da der Hofmann nach dem Falle auf seinem Landgute schon wieder aufrecht geht — anstatt daß die Schlange vor dem Falle und unter dem Verfuͤhren nicht kroch. — Allein in allen buͤr¬ gerlichen Verhaͤltnißen sind Erziehungsanstalten zu Kruͤmlingen vorhanden; die Luft haͤngt voll vom geistlichen und weltlichen Arme und von andern Haͤn¬ den, die uns ordentlich einkrempen und noch hoͤher sind die allerlaͤngsten angebracht, die uͤber ganze Voͤlker reichen. Der Gelehrte selber buͤckt sich am Schreibepult unter der Geburt der Dedikazionen und Dedukzionen und Urthel. Durch das bloße graue Alter reift sowohl der Koͤrper zum verknoͤcherten Buͤcklinge als die Seele. Und die niedrige Geist¬ lichkeit arbeitet sich, weil sie immer niederwaͤrts ins Grab sieht, in die gekruͤmte Attituͤde hinein. — Ich schließe mit dem Troste, daß Buͤcken Aufgebla¬ senheit nicht ausschließe , sondern ein ; da eben der Zirkel, dessen Segment man wird, unzaͤhlig um die geschwollne Kugelflaͤche laͤuft. .... Ich wuͤrde wahrhaftig dieses Extrablatt eines uͤberschrieben haben — so daß es also der Leser haͤt¬ te uͤberspringen koͤnnen — wenn ich nicht gewollt haͤtte, daß er's laͤse, um sich zu zerstreuen, und die truͤben Stunden meines Viktors leichter mit ihm auszudauern. Denn jeder Glockenschlag ist der aus einer Todtenglocke gehende Todtenmarsch seiner schoͤ¬ nern gescheiterten Stunden. Viktor war kaum ei¬ nige Tage zu Hause: so ging das gekroͤnte Paar ins Bad. Ohne es zu wissen, that und beantworte er sich den ganzen Tag die Fragen: was werden bei¬ de, was Flamin, was Matthieu — der nicht sein Brautfuͤhrer, sondern sein sabinischer Raͤuber seyn will — zur Verlobung sagen? Noch am Morgen, wo er nach Maienthal ab¬ reißte, empfing er zwei neue Knochensplitterungen des Muths. Der Apotheker konnte sich das Ver¬ gnuͤgen nicht versagen, dem Hofmedikus seines zu nehmen, indem er die (wahrscheinlich falsche) Both¬ schaft brachte, der Hofjunker habe den Kammer¬ herrn gefordert wegen des uͤber Klotilden gebrochnen Versprechens. Wenig oder nichts ist an der Both¬ schaft schon darum, weil der Apotheker nur sein Eigenlob loßhusten und in das Lob Viktors verklei¬ den wollte, daß dieser mit so unendlicher Feinheit seine neulichen Winke, den Evangelisten zu unter¬ graben, zu vollfuͤhren gewußt. Die Winke waren wie man sich erinnert, die zwei Vorschlaͤge, der Liebhaber der Fuͤrstin und der Ehemann Klotildens zu werden, um den Fuͤrsten zu gewinnen und wie ein Schwein die Klapperschlange, Mazen, ohne Schaden zu verschlucken. Man muß der von einem Wurmstock von Schmerzen angenagten Seele Vik¬ tors vergeben, daß er aufbraußte und mit einem Auge voll tiefster Verachtung Zeuseln anfuhr: »ich weiß nicht, wer verdiente, solche Vorschlaͤge anzu¬ hoͤren — wenn's nicht einer ist, der sie machen kann.» Der Korrespondent hoͤrt traurig und kurz mit den Worten auf: »abends kam Viktor spaͤt und mit geschwollnen Augen in Maienthal an, um zu sehen, ob am andern Tage der schoͤnste Lehrer und der groͤßte Freund verwelke!» — — Wir koͤnnen uns alle denken wie die Umarmung eines Geliebten we¬ nige Schritte von seinem Grabe seyn mußte — Der Freund, der uns sein Sterben drohet, greift schmerz¬ haft unsere Seele an, auch wenn wir es bezweifeln — wir koͤnnen uns alle das nasse Auge denken, das Viktor uͤber die noch bluͤhende Staͤtte seines ver¬ welkten Rosenfest's geworfen. — Was ihn troͤstet, ist die Unwahrscheinlichkeit des prophezeyten Ster¬ bens, da Emanuel sich wie sonst befindet, und da der Selbstmord noch unmoͤglicher bei diesem from¬ men Geiste ist, der den Selbstmoͤrder schon laͤngst mit dem Hummer verglich, der die eine Scherre, die er selber mit der andern aus Stumpfsinn zer¬ knirscht und kneipt, nicht herauszieht sondern ab¬ sprengt. — Moͤge mir der Leser zur Beschreibung des laͤngsten Tages So nennte Emanuel immer den Johannistag, obwohl nicht ganz astronomisch-richtig. , die ich einsam unter der er¬ hebenden Stille der Nacht machen werde, ein Herz wie des Indiers mitbringen, das gleich alten Tem¬ peln stumm und dunkel, aber weit und voll heiliger Bilder ist! 38. Hundsposttag. Die erhabene Vormitternacht — Die seelige Nachmitternacht — Der sanfte Abend. H eute uͤbergeb' ich Emanuels laͤngsten Tag, der nun erloschen und abgekuͤhlt unter den Tagen der Ewig¬ keit liegt, mit bleichen Abrissen den Phantasien der Menschen. Meine Hand zittert und mein Auge brennt vor den Szenen, die jetzt in Leichenschleiern um mich treten und so nahe an mir die Schleier aufheben. — — Ich schließe mich heut Nacht ein — ich hoͤre nichts als meine Gedanken — ich sehe nichts als die Nachtsonnen, die uͤber den Himmel ziehen — ich vergesse die Schwaͤchen und die Fle¬ cken meines Herzens, damit ich den Muth erhalte, mich zu erheben als waͤr' ich gut, als wohnt' ich auf der Hoͤhe, wo um den großen Menschen wie Sternbilder nichts als Gott, Ewigkeit und Tugend liegen. Aber ich sage zu denen, die besser sind — zum stillen großen Herzen, das seine Pflichten ver¬ mehrt , indem es sie erfuͤllt und das sich beim Wachsthum seines Gewissens taͤglich blos mit groͤßern Verdiensten befriedigt — zu den hohen Menschen, Menschen, die die Hand des Todes warm gedruͤckt haben, die ihn, wenn er auf Morgenauen herum¬ geht, friedlich fragen koͤnnen: »suchest du mich heu¬ »te» — zur lechzenden Seele, die sich unter dem Zypressenbaum kuͤhlet — zu den Menschen mit Thraͤnen, mit Traͤumen, mit Fluͤgeln, zu allen die¬ sen sag' ich: »Verwandte meines Emanuels, euer »Bruder strecket nach euch seine Hand durch die »kuͤrzeste Nacht aus, ergreifet sie, er will von euch »Abschied nehmen!« Die erhabene Vormitternacht . Viktor stand aus seinen Traͤumen, in denen er nichts als Graͤber und Trauergeruͤste fuͤr seinen Freund gesehen hatte, wehmuͤthig auf; aber er faßte beim Morgengruß geheime Hoffnungen, da er ihn ohne Fieber, ohne Beklemmungen, ohne Aenderun¬ gen in seinen angeblichen Todesmorgen treten sah. Ihm war jetzt blos vor dem Eindruck bange, den die getaͤuschte Hoffnung des Scheidens auf das schon halb aus dem irdischen Boden gerissene und von Erde entbloͤßte Herz des Geliebten machen wuͤrde. Dieser hingegen hielt noch seine Traͤume fest, denen sogar seine naͤchtlichen Nahrung gaben; und er sah sehnend in das ungestirnte Blau und berechnete den langen Weg bis zur zwoͤlften Nachtstunde, wo aus dem Himmel die Sterne und der Tod mit seinem Hesperus. IIl . Th. R dunkeln unermeßlichen Mantel, in dem er uns durch sein kaltes Reich traͤgt, vordringen wuͤrden. Sein Herz lag in einer unbeschreiblichen Mittagsruhe, die zum Theil von koͤrperlichen Ermatten und vom schoͤnen Tag herkam. Eine innere Windstille, die nirgends so groß und so magisch ist als in Seelen, an denen Wirbelorkane hin und her gerissen haben, uͤberdeckte sein ganzes Wesen mit einer sehnsuͤchti¬ gen Wonne, die in andern Augen als seinen in Thraͤnentropfen zerflossen waͤre. O Ruhe, du sanftes Wort! — Herbstflor aus Eden! Mondschein des Geistes! Ruhe der Seele, wenn haͤltst du unser Haupt, daß es still liege, und unser Herz, daß es nicht klopfe? Ach eh' jenes bleich und dieses starr ist, so kommst du oft und geh'st du oft und nur unten bei dem Schlafe und bei dem Tode bleibest du, indeß oben die Stuͤrme die Menschen mit den groͤßten Fluͤgeln gleich Paradießvoͤgeln am meisten umherwerfen! Emanuels Ruhe, womit er die Gastrolle des Lebens bis aufs letzte Merkwort ausspielte, womit er alles einpackte — zurechtstellte — anbefahl — verabschiedete, trieb im gequaͤlten Freunde Thraͤnen und Stuͤrme zusammen — Viktors Herz war zwar vom Schicksal uͤber einem steinigten Weg wund ge¬ schleift, aber die Entzuͤndungen desselben kuͤhlte jetzt der Gedanke des Todes sanft ab; doch konnt' er es — beim groͤßten Unglauben an Emanuels Tod — nicht aushalten, es zu hoͤren, wie ihm Emanuel den blinden Julius, dem man diesen Tod verbarg, von weitem mit den leisen Worten uͤbergab: »hab' ihn »lieb wie ich, versorge, beschirme den Armen bis »du ihn dem Lord Horion uͤbergeben kannst.» Sei¬ ne bebenden Haͤnde konnten kaum ein Paket an die¬ sen Lord annehmen, das ihm der Liebling mit zaͤrt¬ lichen Augen und mit den Worten reichte: »wenn »diese Siegel geoͤfnet werden, so haben meine Eide »aufgehoͤrt und du erfaͤhr'st alles.» Denn sein zar¬ tes Gewissen verstattete ihm nur den Inhalt , nicht das Daseyn von Geheimnissen zu verbergen. — Es wird uns nicht wundern, da Viktors Adern eine Wunde um die andere empfingen, daß er, um nicht durch Wallungen ihr Bluten zu vermehren, den Floͤtenspieler bat, heute nicht zu spielen: Musik haͤtte an diesem Tag uͤber sein zerflossenes Herz zu¬ viele Gewalt gehabt. Den Morgen verbrachten sie in Abschiedsbesuchen bei alten Steigen, Lauben und Anhoͤhen; aber Ema¬ nuel machte hier nicht die grelle, tobende Forcerolle des fuͤnften Akts; er schlug auf einer Erde, wo der Tod graset, keinen unphilosophischen Laͤrmen daruͤber auf, daß er die Blumen und die Saaten nicht maͤ¬ hen und das gruͤne Obst nicht gelben werde sehen: R 2 sondern mit einem hoͤhern Entzuͤcken, das sich jen¬ seits des Erden-Lenzes noch schoͤnere versprach, machte er sich von jeder Blume loß, ging er durch jedes Laub Gewinde und Schatten Nachtstuͤck hin¬ durch, zog er seine in der Erde liegende verklaͤrte Gestalt aus jedem Spiegelteiche und eine liebevolle¬ re Aufmerksamkeit auf die Natur zeigte an, daß er heute Nachts dem naͤher zu komnen hoffte, der sie geschaffen. Er versuchte und Viktor vermied von allem diesen zu reden. »Nur nicht zum letztenma¬ »le!» sagte dieser. »Nicht? (sagte Emanuel) — »Geschieht nicht alles nur Einmal und zum letzten¬ »male? — Scheidet uns nicht der Herbst und die »Zeit so gut wie der Tod, von allem? — Trennt »sich nicht alles von uns, wenn wir uns auch nicht »von ihm trennen? — Die Zeit ist nichts als ein »Tod mit sanftern duͤnnern Sicheln; — jede Mi¬ »nute ist der Herbst der vergangnen und die zweite »Welt wird der Fruͤhling einer dritten seyn. — — »Ach wenn ich einmal wieder aus der Blumenflaͤche »einer zweiten weiche, und wenn ich am himmli¬ »schen Sterbetag das Zwielicht von der Erinnerung »zweier Leben sehe — — o in der Zukunft ruht »eine Anlage zur unendlichen Wonne so gut wie zur »Qual, warum schauert der Mensch nur vor die¬ »ser?» — Viktor bestritt die kuͤnftige Erinnerung. »Ohne Erinnerung (sagte Emanuel) giebt's kein Le¬ »ben, nur Daseyn, keine Jahre, nur Terzien — »kein Ich, nur Vorstellungen desselben — Ein »Wesen zerfaͤhrt in so viel Millionen Wesen als es »Gedanken hat — Erinnerung ist blos Bewußtseyn »der gegenwaͤrtigen Existenz» — Auch der Dichter philosophirt, wenigstens fuͤr Dichtung und gegen Philosophie. — Viktor dachte: »du Guter! mir, »nicht dir macht' ich diese Einwuͤrfe.» Es war gegen Mittag: der Himmel war rein aber schwuͤl; die Blumen meldeten das Zusammen¬ ziehen der Blitze durch ihr Verschließen an; alle Auen waren Rauchaltaͤre, und Duͤfte gingen als Pro¬ pheten der Gewitterwolken voraus. Mit der phy¬ sischen Gewittermaterie haͤufte sich in Viktor die moralische an — er dachte daran, daß oft ein heißer Tag den Schwindsuͤchtigen das Leben nehme; — er verwechselte zuweilen die Bitterkeit des Abschieds mit der Wahrscheinlichkeit desselben: denn der von der Luftperspektiv der Furcht be¬ trogne Mensch findet ein Schreckenbild desto naͤ¬ her , je groͤßer es ist; — er weinte, wenn er bloß daran dachte, daß er weinen koͤnnte —: aber gleich¬ wol wuͤrde die Vernunft die Oberhand uͤber die Gefuͤhle behalten haben, haͤtte nicht beide folgender Zufall betaͤubt. In Maienthal wohnte ein Wahnsinniger, den man blos das tolle Todtengebein hieß. Aus drei Gruͤnden wurd' er so genannt: erstlich weil er ein Kno¬ chenpraͤparat von Magerheit war — zweitens weil er die fixe Idee herum trug, der Tod setze ihm nach und woll' ihn an der linken Hand, die er deswegen immer verdeckte, ergreifen und wegziehen — drittens weil er vorgab, er seh' es denen die bald sterben wuͤrden, am Gesichte an, uͤber das sich alsdann schon die Einschnitte und Abszesse der Verwesung ausbreiteten. In Moritz Erfahrungsseelenkunde Im 2ten Stück des 2ten Bandes. ist ein aͤhnlicher Mensch beschrieben, der auch im Stande seyn soll, die Vorposten des Todes und sei¬ ne zerreibende Hand auf Gesichtern voraus zu sehen, die andern glatt und roth vorkommen, wenn er sie mit dem Hoͤllenstein der Verwesung ausgestrichen erblicket. — Dieses Todtengebein war's was in der Nacht des 4ten Pfingsttages, als Klotilde auf dem Kirch¬ hof war, ausrief: Tod! ich bin schon begraben. — Viktor und Emanuel gingen unter dem Gelaͤute der zwoͤlften Stunde nach Hause und vor einem Huͤgel voruͤber, woran das Todtengebein beklemmt saß: es bohrte sich die linke Hand, wornach der Tod grif, tief unter die Achsel: »brrrr! (sagt' es schuͤttelnd zu »Emanuel) Er hat dich, aber mich nicht! Lauter »Moder haͤngt an dir runter! Die Augen sind weg! »Brr!» Die Worte der Wahnsinnigen sind dem Men¬ schen, der an der Pforte der unsichtbaren Welt horcht, merkwuͤrdiger als die des Weisen, so wie er aufmerksamer den Schlafenden als den Wachenden, den Kranken als den Gesunden zuhoͤrt. Viktors Blut erstarrte unter dem eiskalten Grif in sein warmes Leben. Das tolle Gebein rannte fort, die linke Hand mit der rechten verbauend. Viktor nahm sei¬ nes Freundes linke , blickte zur warmen Sonne auf und suchte sich zu verbergen und zu erwaͤrmen und konnte nichts sagen. Unten am tiefblauen Him¬ mel tauchten kleine Nebel auf, die Keime eines Abendgewitters; und in der schwuͤlen Luft flog nichts als Gewuͤrm. Emanuel war stiller und fast aͤngstlich; aber es war nicht die Bangigkeit der Furcht, sondern jene Bangigkeit der Erwartung mit der wir allemal auf die Falten und Bewegungen des Vorhangs großer Szenen blicken. Die stechende Sonne erhielt das Paar zu Hause. Dem vom schwuͤlen Dunstkreiß ge¬ druͤckten Emanuel wurde fast der letzte Nachmittag zu lange. Aber sein Freund sah in diesem Dunst¬ gewoͤlbe immer ein moderndes Angesicht haͤngen, das sich in das geliebte frische einzuarbeiten schien und immer hoͤrt' er das tolle Todtengebein in seine Oh¬ ren sagen: »seine Augen sind raus!» In der schwuͤlen Stille‚ wo die Sonne die Mi¬ nirgaͤnge des Donners grub und lud, und wo die zwei Freunde vor den Ohren des blinden Julius nur mit Blicken von der heutigen Zukunft reden durften‚ stand gegen 4 Uhr ein faͤchelnder Abendwind auf‚ der alle haͤngende Fluͤgel und Haͤupter erfrischte. Ema¬ nuel ließ diese kuͤhlen Wogen herein‚ die — einwie¬ gend und beruhigend uͤber die gebuͤckten Blumen am Fenster liefen und an den schwankenden Falten der Vorhaͤnge niederflossen und verirrt durch das duften¬ de Laubwerk des Zimmers plaͤtscherten. Da kam ei¬ ne unendliche Stille‚ eine aufloͤsende Wonne, ein unaussprechliches Sehnen in Emanuels Herz. Seine Kindheitsfreuden — die Zuͤge seiner Mutter — die Bilder indischer Gefilde — alle geliebte verstaͤubte Gestalten — Der ganze gleitende Wiederschein des Jugendmorgens floß vor ihm glimmend voruͤber — Eine wehmuͤthige Sehnsucht nach seinem Vaterland, nach seinen gestorbnen Menschen dehnte seinen Bu¬ sen mit suͤßen Beklemmungen aus — Dieses immer¬ gruͤne Palmenlaub der Jugenderinnerung legte er als kuͤhlendes Kraut um seine und Horions Stirne und den ganzen ersten Kreiß seines Daseyns trug er aus dem indischen Eden in dieses enge Gehaͤuse vor sei¬ ne zwei letzten Geliebten heruͤber. Aber da er so die Asche der Freuden-Phoͤnixe auf dem Altar der Abendsonne aufhaͤufte — da er so am Ausgange uͤber alle hintereinander liegende elysische Felder seines Lebens hinuͤbersah — da vor ihm die ganze Erde und das Leben, mit Morgenthau und Morgenroth uͤberzogen, sich in den daͤmmernden Spielplatz des Menschen verwandelten: so war er seiner Ruͤhrung und seines zerschmolznen Herzens nicht mehr maͤch¬ tig, sondern im seeligen Zittern, im bebenden Dank gegen den Ewigen bat er den Blinden, die Floͤte zu nehmen und ihm das Lied der Entzuͤckung , das er sich allemal am Morgen des neuen Jahrs und seines Geburtstages spielen ließ, als Echo des aus¬ toͤnenden Lebens nachzusenden. Julius nahm die Floͤte. Horion ging hinaus unter einen laut rauschenden Baum und sah in die tiefere Abendsonne. Emanuel stellte sich am wehen¬ den Fenster dem Purpurstrom des Abendlichtes ent¬ gegen und das Lied der Entzuͤckung fing an und floß in Stroͤmen in sein Herz und um die eingesunkne Sonne. Und da die Sphaͤren-Laute von der Sonne aus¬ zuwallen schienen, die in der Abendroͤthe wie ein Schwan, in Melodien aufgeloͤset in Goldrauch und in Freudenthau vor Gott aus Entzuͤcken starb — und da vor Emanuel alle Blumen, womit die ewi¬ ge Guͤte unser Herz bedeckt, und alle Wonnegefilde, durch die ihre sanfte Hand den ungewissen Menschen fuͤhrt, wie Engel voruͤberflogen — und da er die kuͤnftigen Himmel naͤher ruͤcken sah, in die der Weg des Lebens geht — und da er sah diese unendlichen Arme alle wunde Herzen decken, uͤber alle Jahrtau¬ sende reichen, alle Welten tragen und ihn, ihn klei¬ nen Erdensohn doch auch: o da konnte er unmoͤglich das volle Herz mehr halten, es brach ihm vor Dank und aus seinen Augen fielen die ersten — Thraͤnen seines Daseyns. Diese heilige Tropfen verwischte er nicht: in ihnen zerlief die Abendroͤthe in ein lo¬ derndes Meer; die Floͤte verhallete; Horion fand die schimmernden Augen noch; Emanuel sagte: o sieh' ich weine vor Freude uͤber meinen Schoͤpfer.— — Dann gab es unter den erhabnen Menschen, an die¬ ser heiligen Staͤtte keine Worte mehr — der Tod hatte seine Gestalt verloren — eine erhabne Trauer betaͤubte die Schmerzen der Trennung — die Sonne, mit Erde bedeckt, beruͤhrte mit ihren aufgerichteten Stralen den Himmel und die Nacht und den Boden der Wolken — die Erde schimmerte magisch wie eine Traum-Landschaft, und doch war es leicht aus ihr zu weichen, denn den Himmel bedeckten die an¬ dern Traum-Landschaften. Die Erden der Nacht (die Planeten) traten schon auf, die Sonnen der Nacht (die Fixsterne) gingen schon nach ihnen hervor, der Mond hatte schon das suͤdoͤstliche Gewitter um sich gehuͤllt: als Emanuel sah, daß es Zeit sey, die Szenen des Thals zu endi¬ gen und auf sein Thabor zu gehen, um dem Tod das Fluͤgelkleid seiner Seele zu geben. Stockend bat er seinen Viktor, ein wenig voraus zugehen, damit er nicht das Trennen vom Blinden saͤhe und sich et¬ wan durch eine Theilnahme verriethe: denn bei dem Blinden hatte Viktor die Reise in die andre Welt nur fuͤr eine auf dieser ausgegeben. Er stellte sich ungluͤcklich hinaus vor die verstummten schwuͤlen Ge¬ filde, in denen einmal die Paradieses-Stroͤme seiner Liebe gegangen waren, auf denen er einmal an Klo¬ tildens Seite schoͤnere Abende gesehen hatte: auf der Erde war Todtenstille wie in einer Kirche zu Nachts, blos den Himmel umbrausete ein auf die Erde ge¬ kruͤmmtes Bleigewoͤlk und der Tod schien von Wolke zu Wolke zu gehen und sie zur Schlacht zu ordnen. Endlich hoͤrt' er Julius Weinen. Emanuel floh heraus, aber in seinen Augen hingen schwerere Tro¬ pfen als seine ersten waren. Und da der verlassene Blinde sein dunkles Haupt unter der Hausthuͤr von seinen Freunden wegdrehte, entweder weil er ihren Weg nicht wußte oder weil er horchen wollte, wel¬ chen sie naͤhmen, so konnte Viktor dem Gebeugten, der in einer doppelten Nacht wohnte, kaum vor in¬ niger Wehmuth zuruͤck rufen, er (Viktor) komme nach Zwoͤlfen wieder. In dem kahlen Abendgruß »gute Nacht, schlaft wohl« den Emanuel gab und bekam, war mehr Thraͤnenstof als in ganzen Elegien und Abschiedsre¬ den: so sehr sind die Worte nur die Inskriptionen auf unsern Stunden und die Ripienstimmen und die Bezifferung unserer Grundnoten. Sobald Emanuel vor den Nachthimmel, vor den daran angeketteten Orkan und vor seinen Todtenberg trat: so hoben Engel seine erweichte Seele wieder — er sah den Tod vom Himmel steigen und auf seinem Grabe den Freiheitsbaum aufrichten — er sah die freundlichen Sterne naͤher kommen und es waren die himmlischen Augen seiner Freunde und aller seeligen Wesen. Viktor durfte seine dichterischen Hofnungen durch keine Gruͤnde stoͤren: vielmehr wurd' er selber von Stunde zu Stunde tiefer in den Glauben an seinen Tod hineingezogen; wenigstens fuͤrchtete er, daß der heutige Entzuͤckungs-Sturm die muͤrbe Wohnung dieses schoͤnen Herzens und seiner Seufzer zertrennen und daß der Tod so lange um die edle Seele schlei¬ chen wuͤrde bis er sie an ihren Fluͤgel, wenn sie in Wonne sie aufrichtete, vom Leben pfluͤcken koͤnnte wie Kinder den Schmetterling so lang umgehen bis er auf seiner Blume die Schwingen an einander ge¬ falltet in die raͤuberischen Finger erhebt. Emanuel verschob durch Umwege das Ersteigen des Berges, um seinen gebrochnen Freund, dessen Augen nicht mehr trocken wurden, von einer Sonne in die andre zu heben, damit er in dieser hohen Stellung aus Lichtern herunterblickte auf diese Schat¬ tenerde und darauf den befreundeten Leichnam vor Kleinheit kaum bemerkte. »Darum (sagt' er) wird »ja diese Erde alle Tage verfinstert, wie Kaͤfiche der »Voͤgel, damit wir im Dunkeln leichter die hoͤheren »Melodieen fassen. — Gedanken, die der Tag zu ei¬ »nem dunkeln Rauch und Nebel macht, stehen in »der Nacht als Flammen und Lichter um uns, wie »die Saͤule, die uͤber dem Vesuv schwebt, am Tage »eine Wolkensaͤule scheint und zu Nachts eine Feuer¬ »saͤule ist.« Viktor merkte die Absicht, zu troͤsten und wurde desto untroͤstlicher und schwieg immer. Sie gingen nicht an der Seite des Berges zur Trauerbirke hinauf, sondern an seinem langsam auf¬ steigenden Ruͤcken. Sie uͤbersahen jetzt das Theater der Nacht, uͤber welches der Mond und das Gewit¬ ter verhuͤllet heraufruͤckten. Emanuel stand still und sagte: »o blick hinauf und sieh die ewig funkelnden »Morgenauen; die um den Thron des Ewigen lie¬ »gen — haͤtte aus dem Himmel nie ein Stern ge¬ »schienen, nur dann wuͤrde sich der Mensch aͤngstlich »in den letzten Schlaf, auf einer wie ein Leichenge¬ »woͤlbe uͤberbauten dunkeln Erde ohne Oefnung le¬ »gen.« — Vor den Augen, die' sich an Sonnen hefteten, schweiften blinkende Johanniswuͤrmgen und eine Fledermaus zischte nach einem grauen Nacht¬ schmetterling — drei Johannisfeuer, vom Aberglau¬ ben angeschuͤrt, zogen drei ferne Huͤgel aus der Nacht — alles Leben schlief unter seinem Blatt, un¬ ter seinem Zweig, naͤher an seiner Mutter und in den herumgestreueten Traͤumen waren Gewitter — Fische taumelten wie Leichen auf der Wasserflaͤche, als Vorboten des Donners. Ploͤtzlich fing Emanuel mit einer unpassenden nicht genug bezwungnen Stimme an: »wahrlich wir »wuͤrden gefaßter neben dem Genius stehen, der die »letzten Schlummerkoͤrner auf die Augen unsrer Lie¬ »ben fallen laͤßt, wenn sie nachher nicht in Kirchen¬ »gewoͤlben, in Kirchhoͤfen sondern auf Auen aus¬ »schliefen, unter dem Himmel oder als Mumien in »Zimmern. . . . Jetzt, mein Geliebter (sie hoͤrten »schon das Wehen der Trauerbirke) herrsche also »uͤber deine Phantasie: du wirst neben der Birke »meine Ruhehoͤle offen sehen — ich habe sie seit »vier Wochen mit Blumen ausgesaͤet und uͤberklei¬ »det, die jetzt meistens bluͤhen — du legst mich mor¬ »gen ohne alles andre so in meinem Schlafklei ¬ » de unter die Blumen — und deck' es morgen zu »— gieb aber nicht, du Guter, meinem kleinen Blu¬ »menstuͤck solche harte Namen wie andre Menschen »— morgen sag' ich; heute geh sogleich heim zu » deinem Julius, wenn ich . . . .« (gestorben bin, wollt' er sagen, konnt' aber die weiche Umschreibung vor Ruͤhrung nicht finden.) — Ach das gebrochne Auge riß Horion mit einem Seufzer heraus aus der kalten ofnen Grotte seines Geliebten und er konnte nicht hinabsehn zu dem Blu¬ menflor darin. Er schluchzete laut und sah aus Thraͤnen zergangen, in Emanuels Angesicht, um zu sehen ob er lebe oder sterbe. Zwei Johanniswuͤrm¬ gen durchkreuzten einander in glimmendem Bogen uͤber dem Grabe, sie senkten sich daneben hin und loͤschten aus, denn ihr Licht vergeht mit ihrer Be¬ wegung. — — In Viktors Wunden grif jetzt der Donner mit seinem ersten Schlag — den oͤstlichen Horizont deckte ein zerfließender Blitz und die Flamme lief uͤber die Alpengebirge — die Gewitterstange auf dem Pulver¬ thurm schimmerte, seine Gewitterstuͤrmer erklangen, die Irrwische spielten um den Thurm und mitten in der Luft ruͤckte ein schwebender Lichtpunkt fuͤrchter¬ lich auf ihn zu. — In Maienthal wurde elf Uhr ausgerufen — um zwoͤlf Uhr glaubte Emanuel dahin zu seyn. — End¬ lich fiel Dahore, selber vom fremden Kummer uͤber¬ mannt, an seinen Freund und sagte: »was hast du »mir noch zu sagen, mein Geliebter, mein unaus¬ »sprechlich theurer Freund? — Meine Stunden sind »dahin — unser Lebewohl koͤmmt — sage deins und »stoͤre dann mein Sterben nicht — Sey still wenn »der Tod den Berg herauf steigt und jammere nicht »nach wenn er mich erhebt — Was hast du mir »noch zu sagen, mein ewig Geliebter?« — »Nichts »mehr, du Engel des Himmels, ich kann auch nicht« sagte der verblutete Mensch und legte das gedruͤckte Haupt mit Thraͤnenstroͤmen auf Emanuels Schulter. »Nun so brich dein Herz von meinem ab und »lebe wohl — sey gluͤcklich, sey gut, sey groß — ich »habe dich sehr geliebt, ich werde dich noch einmal »lieben und dann unendlich — Guter! Treuer! »Sterblicher wie ich! Unsterblicher wie ich!« Die Gewitterstuͤrmer laͤuteten heftiger — der schwebende Lichtpunkt trat an den Pulverthurm — alle eingehuͤllte Wolken-Vulkane tobten neben ein¬ ander und warfen ihre Flammen zusammen und die Donner gingen wie Sturmglocken zwischen ihnen — die zwei Menschen lagen an einander dicht, stumm, keuchend, druͤckend, zitternd vor dem letzten Wort. »O sprich noch einmal, mein Horion, und nimm »Abschied von deinem Freund — sage nur zu mir: »Ruhe wohl! und lasse den Sterbenden.« Horion sagte: »Ruhe wohl!« und ließ ihn. Seine Thraͤnen hoͤrten auf und seine Seufzer ver¬ stummten. Der Donner schwieg fuͤrchterlich. Die Natur Natur ordnete stumm ihr Chaos im Gewitter. Kein Blitz schimmerte durch das Trauergeruͤste am Him¬ mel. Blos das Todtengelaͤute der Gewitterstuͤrmer sprach noch fort und der Lichtpunkt ruͤckte noch fort. Unter der weiten Stille lag der Schlaf, die Traͤu¬ me und eines Freundes trostloses Herz. In dieser Ewigkeits-Stille trat Emanuel ohne eine fremde Hand an die hohe Pforte, die schwarz hinaufsteigt uͤber die Zeit. — — Die Stille ist die Sprache der Geisterwelt, der Sternenhimmel ihr Sprachgitter — aber hinter dem Sternengitter erschien jetzt kein Geist, und Gott nicht. Es kam die Minute wo der Mensch seinen Koͤr¬ per ansieht und dann sein Ich und dann schaudert. — Das Ich steht allein neben seinem Schatten — ein Schaumglobus von Wesen zittert, knistert und wird niedriger und man hoͤrt die Blaͤsgen verschwin¬ den und ist eines. — Emanuel schauete hinein in die Ewigkeit, sie sah wie eine lange Nacht aus. Er sah um sich, ob er keinen Schatten werfe, — ein Schatten wirft keinen Schatten. — Ach ein Stummer legt den Menschen in die Wiege, ein Stummer druͤckt ihn in's Grab — Wenn er eine Freude hat, sieht es aus als lachte ein Schlafender — wenn er jammert und weint, sieht Hesperus. III . Th. S es wie das Weinen im Schlafe — Wir blicken alle zum Himmel auf und bitten um Trost; aber droben im unendlichen Blau ist keine Stimme fuͤr unser Herz — nichts erscheint, nichts troͤstet uns, nichts antwortet uns. — Und so sterben wir. . . . — O Allguͤtiger, wir sterben froher; aber der arme Emanuel kaͤmpfte in der stillen Finsterniß mit grimmigen Gedanken, die er so lange nicht gesehen hatte und die nach seinem erbleichenden Angesicht krallten. Aber diese Larven rennen davon, wenn ein freundliches Bruderangesicht vor dich tritt und dich umarmt. — Horion richtete sich auf und er¬ waͤrmte den Gebeugten durch einen stummen Abschied wieder. — Ein Sturmwind stuͤrzte sich aus dem klaren Westen in die stumme arbeitende Hoͤlle und jagte alle Blitze und alle Donner heraus — Siehe da flog aus dem zuruͤckgewehten Gewoͤlke der lichte Mond wie ein Engel des Friedens in das unbesu¬ delte Blaue heraus — Da unterschied sich im Lichte Emanuel von seinem Schatten — Da beschien der Mond einen Regenbogen aus blassen Farbenkoͤrnern, der in Suͤdosten (der Pforte nach Ostindien ) durch die dunkle Fluthsaͤulen drang und sich uͤber die Alpen bog — Da sah Emanuel die vorige Himmelsleiter wieder uͤber die Erdennacht ge¬ lehnt — Da kam die Entzuͤckung ohne Maas und er rief mit ausgebreiteten Armen: »ach dort in » Morgen , in Morgen, uͤber die Straße nach dem » Vaterland , nach Morgenland , da schimmert »der Triumphbogen, da oͤfnet sich die Ehrenpforte »— da ziehen die Sterbenden hindurch« ... Und da es jetzt zwoͤlf Uhr schlug: so breitete er seine Haͤnde verzuͤckt gegen den Himmel, der blau war uͤber dem Berge, und gegen den Mond, der hei¬ ter neben dem Gewitter ruhte, und rief brechend mit seeligen Thraͤnen: »Habe Dank, Ewiger, fuͤr »mein erstes Leben, fuͤr alle meine Freuden, fuͤr »diese schoͤne Erde.« — Um Maienthal zogen Julius Floͤtentoͤne und er sah auf die Erde nieder. »Und bleibe du gesegnet, du gute Erde, du gu¬ »tes Mutterland, bluͤhet ihr Gefilde Hindostans, »lebe wohl, du schimmerndes Maienthal mit deinen »Blumen und mit deinen Menschen — und ihr Bruͤ¬ »der alle kommt mir nach einem langen Laͤcheln see¬ »lig nach — — Jetzt, o Ewiger, nimm mich hinauf »und troͤste die zwei Bleibenden.« Die Todesengel standen auf allen Wolken und zogen ihre blitzenden Schwerter aus den Naͤchten — ein Donner schlug hinter dem andern wie wenn auf¬ geworfen wuͤrde eine Gefaͤngnißthuͤr des Erdenlebens nach der andern. Der schreckliche Lichtpunkt hatte sich verkrochen aus der Mitte der Luft in den Pulverthurm. S 2 Die Todesstunde war schon voruͤber und doch das Leben noch nicht. — Emanuel zitterte sehnend und bange, weil er noch kein Sterben fuͤhlte — bewegte die Haͤnde als wenn er sie jemand geben wollte — starrte in die Blitze als wenn er sie auf sich ziehen wollte. . . . »Tod! fasse mich, rief er ausser sich, — ihr ge¬ »storbnen Freunde! o Vater! o Mutter! brecht ab »mein Herz, nehmet mich — ich kann, ich kann »nicht mehr leben.« — — Da fuhr in's Gewitter eine lodernde rasselnde Weltkugel hinauf und der Pulverthurm zerschoß wie eine auseinander gesprengte Hoͤlle. — Der Knall warf den flammenden Emanuel erblaßt in sein Blumengrab; der ganze donnernde Osten zit¬ terte; der Mond und der Regenbogen wurden zuge¬ huͤllt. . . . Die seelige Nachmitternacht. Viktor regte, sinnlos darniedergeworfen, endlich den Arm und tastete damit an das kalte Angesicht, aus dem heute das tolle Todtengebein diese Nacht gelesen hatte und das aus dem Grabe ragte gen Himmel gekehrt. Er warf sich trostlos daruͤber und druͤckte seins an das bleiche. Eh noch seine Thraͤ¬ nen durch den harten Schmerz sich durchgerissen hat¬ ten: trugen die Wolken ihre Sturmfaͤsser und ihre Leichenfackeln zuruͤck und durchsichtige Schaumflocken uͤberflossen weichend den Mond und senkten sich end¬ lich uͤber das ganze Thal und uͤber das stille Paar in tausend warmen Tropfen nieder, die den Men¬ schen so leicht an seine erinnern. Der von Einem der drei Englaͤnder aufgesprengte Pulverthurm hatte das Seetreffen der brennenden Wolken zertrennt. Das zerstuͤckte Gewitter hatte sich in kleinen Wolken herumgezogen und stand uͤber der Mitter¬ nachtsroͤthe in Nordosten, als die kalte Betaͤubung die zwei Menschen noch zusammen heftete: endlich kam von oben herab eine heisse Hand zwischen ihre Angesichter und eine furchtsame Stimme fragte: »schlafet ihr?« »O Julius, (sagte Horion) komm in's Grab, »dein Emanuel ist gestorben.« ... Ich mag die grausamen Minuten nicht zaͤhlen, die zwei Ungluͤckliche liegen liessen mit dem Stachel¬ guͤrtel des Jammers an einen Erblaßten gebunden. Aber schoͤnere kamen, die vorher jedes Woͤlkgen aus dem Himmel druͤckten und den angelaufnen Mond abwischten und dann die heissen Augen oͤfneten vor der gereinigten abgekuͤhlten Silbernacht. »Ach ist er wohl nur ohnmaͤchtig« sagte Viktor sehr spaͤt. Sie richteten sich seufzend auf. Sie zo¬ gen muͤde den Geliebten aus dem Grabe. Sie woll¬ ten ihn in seine Wohnung hinuntertragen, um da die Sonnenwende dieser schoͤnen Seele wie der Jo¬ hannissonne wieder zu erzwingen. Mit den duͤnnen Kraͤften, die ihnen der Gram noch uͤbrig gelassen, und mit dem wenigen Licht, das noch in zwei nasse Augen kam, rangen sie sich mit dem zerknickten En¬ gel, indeß zwei arbeitende Schatten neben ihnen fuͤrchterlich einen dritten im Schimmer trugen, vom Berge in die Wiesen herunter: hier ging Viktor allein in's Dorf, um vielleicht einen troͤstlichern als einen Leichenwagen zu besorgen. Der Blinde hielt sich an einen Birkenbaum, Emanuel schlief wie die andern Blumen und auf ihnen, vor dem Monde. .. Aber Julius hoͤrte ploͤtzlich den Todten reden und ihn durch das Gras streifen; und er rannte von Ent¬ setzen verfolget, davon. . . . — Genius der Traͤume! der du durch den neblich¬ ten Schlaf der Sterblichen trittst und vor der ein¬ samen in einen Leichnam gesperrten Seele die gluͤck¬ lichen Inseln der Kindheit herauf ziehest, ach der du darin unsern verwes'ten Freunden wieder Wangen¬ bluͤte giebst und unserm armen wahnsinnigen Herzen vergangne Himmel zeigst und Eden-Wiederschein und rinnende Auen auf Wolken! — Magischer Genins! trete in diese heilige Nacht vor einen Menschen, der nicht schlaͤft und wende deinen uͤberflorten Spie¬ gel auf mein ofnes Auge, damit ich darin die elysi¬ sche Lichtwelt, die mit unserm Erdschatten kaͤm¬ pfet, in der doppelten Verfinsterung als eine blasse Luna sehe Die Sonne wird in ihrer Verfinsterung durch den Mond von uns in beflorten Spiegel angeschaut. und mahle! — — Die entzuͤckte Stimme des Todten rief: »sey ge¬ »gruͤßet, du stilles Elysium! o du schimmerndes Land »der Ruhe! nimm den neuen Schatten auf — ach »wie glimmst du sanft — wie wehest du sanft — »wie ruhest du sanft.« . . . Emanuels Augen waren aufgegangen; aber in sei¬ nem Gehirn brannte der elysische Wahnsinn, er sey gestorben und erwache in der zweiten Welt. O du Ueberseeliger! dich umfing ja auch ein blinkendes Eden — ach dieses Schimmern, dieses Wehen, die¬ ses Duften, dieses Ruhen war zu schoͤn fuͤr eine Erde — Der Mond uͤberwebte mit Silberfaͤden wie mit fliegendem Sommergespinnste das Nacht Gruͤn — von Blatt zu Blatt, von Baͤumen zu Baͤumen reichte die Funkendecke des uͤberstrahlten Regens — uͤber allen Wassern wankten flimmernde Nebelbaͤnke — ein leises Wehen warf tropfende Edelsteine von den Zweigen in die Silberfluͤsse — die Baͤume und Berge stiegen wie Riesen in die Nacht — der ewige Himmel stand uͤber den fallenden Funken, uͤber den eilenden Duͤften, uͤber den spielenden Blaͤttern, allein unveraͤnderlich mit festen Sonnen mit dem ewigen Welten-Bogen, groß, kuͤhl, licht und blau — So glimmte, so duftete, so lispelte, so zauberte niemals ein Thal. . . . Emanuel umarmte den funkelnden Boden und rief aus der brennenden, der Wonne erliegenden stok¬ kenden Brust: »ach ist es denn wahr? halt' ich dich »wirklich, mein Vaterland? — ach in solchen Ge¬ »filden der Ruhe werden die Wunden geheilt, die »Thraͤnen gestillt, keine Seufzer gefodert, keine »Suͤnden begangen, ach da zerfließet ja das kleine »Menschenherz vor zu voller Wonne und erschaft sich »wieder, um wieder zu zerfließen. . . .. So hab ich »dich laͤngst gedacht, seeliges, magisches, blendendes »Land, das an meine Erde graͤnzt. . . . O! liebe »Erde, wo bist du wohl?« Er hob das trunkne Auge in den mit Sternen bethaueten Himmel und sah den erniedrigten Mond gelb und matt in Suͤden haͤngen: diesen sah er fuͤr die Erde an, aus der ihn der Tod in dieses Elysium getragen habe. Hier zerging seine Stimme in Ruͤh¬ rung uͤber den geliebten ersten Garten seines Lebens und er redete die oben uͤber die Sterne fliehende Erde an: »Kugel der Thraͤnen! Wohnung der Traͤume! »Land voll Schatten und Flecken! — Ach auf dei¬ »nen breiten Schattenflecken Unsere Erdmeere sehen in der Ferne wie die Flecken des Mondes aus. werden jetzt die gu¬ »ten Menschen beben und untersinken! ... Ein »Ring aus Nebeln Der Mondhof. umkreiset dich und sie sehen »das Elysium nicht. .... Ach wie still traͤgst du »durch den seeligen stillen Himmel dein Schlachtge¬ »schrei — deine Stuͤrme — deine Graͤber: deine »Dunstkugel schließet wie ein Sarg alle deine Klag¬ »stimmen um dich ein und du rinnest mit uͤberdeck¬ »ten Gebeugten bloß als eine blasse stille Kugel uͤber »das Elysium hinuͤber! ... »— Ach ihr Theuern, mein Horion! mein Ju¬ »lius, ihr seid noch droben im Gewitter, ihr deckt »meinen Leichnam zu, ihr blickt weinend gen Him¬ »mel und koͤnnt das Elysium nicht sehen. ... O! »daß ihr durch das nasse Gewoͤlk des Lebens schon »durchwaͤret — aber vielleicht hab' ich schon lange »geschlafen und gewacht, vielleicht geht die Zeit auf »der Erde anders als in der Ewigkeit — ach daß »ihr hernieder kaͤmet in die stillen Gefilde!« Er sah im magischen vergroͤßernden Schimmer zwei Gestal¬ ten gehen. »O wer ists?« rief er entgegenfliegend. »O Vater! o Mutter! seid ihr hier?« — Aber da er naͤher kam: sauk er in vier andre Arme und stam¬ melte: »seelig, seelig sind wir jetzt, mein Horion, »mein Julius!« — Endlich sagt' er: »wo sind »meine Eltern und meine Bruͤder und die drei Bra¬ »minen? ach sie wissen nicht, daß ihr Dahore in »Elysium ist.« Viktor sah trostlos dem wahnsinnigen Entzuͤcken seines Geliebten zu und sagte weder Ja noch Nein. Dieser schauete himmlisch laͤchelnd und liebe-stroͤ¬ mend in Julius Angesicht und sagte: »blick mich an, »du hast mich auf der Erde nicht gesehen.« — »Du »weist ja, daß ich blind bin, mein Emanuel!« sagte der Blinde. Hier floh der Wahnsinnige mit wegzuk¬ kenden Angen und mit einem Seufzer gegen den Mond von den Freunden hinweg und sagte leise zu sich: »die zwei Gestalten sind nur Schattentraͤume »aus der Erde — ich will sie nicht ansehen, damit »sie zerfließen — So reichet also der Schatten- und »der Traumkummer der Erde bis in's Eden herun¬ »ter — — Ich bin wohl noch im Todtentraum, »denn die Gegend hier sieht wie die Gegenden in »meinen Lebenstraͤumen aus — oder ist dieses nur »der Vorhof des Himmels, weil ich meine Eltern »nicht finde.« . . . . Er sah gegen die hohen Ster¬ ne: »wo steh ich jetzt unter euch? Neue Himmel »liegen an neuen Himmeln — — Ach sehnet man »sich hier denn auch?« . . . Er seufzete, und wunderte sich, daß er seufzete. Er lehnte sich an den perlenden Blumeuhuͤgel, gekehrt mit dem Ruͤcken gegen die geliebten Schatten, und mit den Augen gegen das anglimmende Morgenroth und suchte und traͤumte — aber endlich deckte die Morgenkuͤhle die suchenden, geblendeten, brennenden Augen, die heute bald auf Schreckgestalten bald in Wonnemeere gefallen waren, mit leisem Schlummer und mit aͤhnlichen Traͤumen zu. ... » Ruhe sanft , »du muͤder Mensch!« sagte sein Freund; aber der Schlaͤfer ergluͤhte mit dem Horizont und der alte Wahnsinn spielte in ihm weiter. ... Ein Traum und der Morgen legten fuͤr ihn ein noch hoͤheres Elysium an. Ihm traͤumte, Gott werde von einem Sonnen- Throne steigen und in Gestalt eines unsichtbaren un¬ endlichen Zephyr-Wehens uͤber das Elysium gehen. Der erste Morgen des Sommers haͤufte um ihn den Brautschmuck der Erde — er durchzog die Ge¬ filde mit Perlenbaͤnken von Thau und warf uͤber die wuͤhlenden Baͤche das Zitter- und Glanzgold des herabgeschwommenen Morgenroths und legte den Buͤschen das Armgeschmeide von brennenden Tro¬ pfen an — Aber erst als er alle Blumen auseinan¬ der gespalten — alle freudig-zitternde Voͤgel in den Glanzhimmel gestreuet — in alle Gipfel Singstim¬ men gehuͤllt — als er den verwelkten Mond unter die Erde versenkt und die Sonne wie einen Goͤtter¬ thron uͤber aufgebluͤhte Wolkenguirlanden aufgerich¬ tet und uͤber alle Gaͤrten und um alle Waͤlder in einander gewundne Regenbogen von Thau gehangen hatte — und als der Seelige traͤumend stammelte: »Allguͤtiger, Allguͤtiger, erscheine im Elysium!« — Da weckte ihn der langsam fliessende Morgenwind und fuͤhrte ihn in die tausendstimmigen Jubelchoͤre der Schoͤpfung hinein und ließ ihn erblindend in's brausende flammende Elysium taumeln. — — — O siehe! da uͤberfloß ein unermeßliches Athmen kuͤhlend, regend, lispelnd das ganze entbrannte Pa¬ radies und die kleinen Blumen bogen sich schweigend nieder und die gruͤnen Aehren walleten saͤuselnd zu¬ sammen und die erhabnen Baͤume zitterten und brau¬ sten — aber nur die große Brust des Menschen trank den unendlichen Athem in Stroͤmen ein und Emanuels Herz zerfloß eh' es sagen konnte: »Das »bist du, Alliebender!« — — Du, der du mich hier liesest, laͤugne Gott nicht, wenn du in den Morgen trittst oder unter den Sternenhimmel, oder wenn du gut oder wenn du gluͤcklich bist! — — Aber, ungluͤcklicher Emanuel! Du sahest fuͤnf spielenden Trauermaͤnteln zu und hieltest die schoͤnen Schmetterlinge fuͤr seelige Psy¬ chen — Du hoͤrtest hinter deinem Huͤgel in die Erde hauen als mache man ein Grab — Du sahest deinen guten Blinden an und sagtest doch: »Schatte! wei¬ »che. . . . . . . . . . . Fuͤrchte dich vor Gott, der »voruͤberging, und verschwinde!« — Aber du sagtest vorher noch etwas, was ich heute nicht enthuͤlle — — Mein Herz zittert vor der kuͤnftigen Zeile! — Heulend vor Schmerz, grinzend vor freudiger Wuth sprang das tolle Todtengebein in die seelige Ebene hinter dem Huͤgel hervor und trug in seiner Rechten eine abgehauene blutige Hand und schuͤttelte aus dem linken Stumpfe, dem sein Wahnsinn sie ab¬ gehacket hatte, rieselnde Blutboͤgen und druͤckte mit dem rechten Arme ein Grabscheit an sich, um die Hand zu begraben und schrie jubelnd und greinend: »der Tod erschnapte mich daran, ich hab sie aber ab¬ »gezwickt — und wenn er das Grab der Faust sieht, »ist er so dumm und denkt, ich lieg' drinn. .. Ach! »Du da! Leg dich doch in den Sarg zu Bett'; er »hat dir die Augen ausgebohrt und das Maul mit »Moder beklebt. ... Brr!« »O Allguͤtigor, du hast mich verdammt!« stam¬ melte Emanuel: aus seiner zermalmten Lunge, riß sich das gejagte Blut und der Trostlose schwankte sterbend auf die vollgebluteten Blumen seines verlor¬ nen Himmels nieder. ... So nimmt ein Tag dem andern den Himmel und eh der beraubte Mensch dort in das letzte Paradies eintritt, hat er hier zu viele verloren! — Ach eine von Wunden geoͤfnete Brust tragen wir in jede Fruͤh¬ lingsluft dieses Lebens und in den Aether des zwei¬ ten; und sie muß erst zugeschlossen werden, eh' sie sich fuͤllen kann! ... Der sanfte Abend. Gegen Mittag macht' er die muͤden Augen auf, aber blos um sie in's Grab fallen zu lassen‚ das der Tod neben ihm unter seinem Schlafe aufgeschlossen hatte. Aber der eine Wahnsinnige war der Arznei¬ gott des andern gewesen: sein Traum vom Elysium war ausgetraͤumt‚ kurz vorher eh' er erfuͤllet zu werden schien und er war wieder vernuͤnftig. Vik¬ tor sah aus allen Zeichen‚ daß wenigstens gegen Sonnenuntergang der Tod mit seinem Obstpfluͤcker diese weisse Frucht von ihrem Gipfel brechen werde; aber er sah es ruhiger als gestern: da er schon die Pro¬ berolle der Trostlosigkeit gemacht hatte‚ so saͤgten die Instrumente des Grams keinen neuen Riß in's Herz sondern gingen nur im alten blutig hin und her. Wer einen im Sarg Erwachten nach Jahren zum zweitenmal hineintraͤgt‚ trauert schwerlich so heftig wie das erstemal. Mit welchen veraͤnderten Augen erwachte Ema¬ nuel in der Abendstube‚ wo er gestern die ersten Thraͤnen vor Freude vergossen hatte! Seine Seele hatte wie der traurige Baum von Goa‚ am Tage das naͤchtliche Gedraͤnge von Bluͤten fallen lassen; seinem erkalteten Haupte kehrte die Erde nicht mehr die Auen-Seite der Dichtkunst zu‚ sondern die lichte der kalten Vernunft. Er gestand jetzt‚ daß er die edlern Theile stines innern Menschen auf Kosten der unedlern vollbluͤtig gemacht — das seine Todes-Hof¬ nung zu groß gewesen wie seine dichterischen Fluͤgel¬ federn — daß er die Erde nicht aus der Erde, son¬ dern zu sehr aus dem Jupiter betrachtet, auf dessen Sternwarte sie zu einem Feuerfunken einkriechen mußte und daß er also die Erde verloren, ohne doch den Jupiter dafuͤr zu bekommen. — — Vergeblich widersprach ihm Viktor mit dem wahren Satze, daß der hoͤhere Mensch gleich den Mahlern mit Wasser¬ farben, allezeit sein Lebensstuͤck mit dem Hinter¬ grunde und mit dem Himmel anfangen, den Oelmahler und niedere Menschen zuletzt machen; seine Antwort war die Klage, daß er leider nicht fortgemahlet bis zum Vorgrunde. Endlich warf er sich auch vor, daß er zu viele Umstaͤnde bei einer so kleinen Trennung gemacht als der Tod wenigstens fuͤr den der gehe, sey, da die andern Trennungen auf der Erde doch laͤnger , herber und doppel¬ seitig waͤren. Sie kamen dadurch auf die Erkennungen jen¬ seits dieses Theaters. Viktor sagte, er koͤnne Ver¬ muthungen uͤber die Erde hinaus nicht so verschreien wie mancher Weise: denn wir muͤßten doch uͤber die Erde hinausvermuthen, und denken, wir moͤchten bejahen oder verneinen. »Ohne die Fortdauer der »Erinnerung (sagte er) ist mir die Fortdauer meines »Ichs so viel wie die eines fremden d. h. keine: so »bald ich mein jetziges Ich vergesse, so koͤnnte ja je¬ »des fremde statt meiner unsterblich seyn. Auch »folgt der Untergang meiner Erinnerung nicht aus »der irrdischen Abhaͤngigkeit von meinem Koͤrper; »denn diese Abhaͤngigkeit haben alle geistige Kraͤfte »mit ihr gemein und es muͤßte dann aus dieser Ab¬ »haͤngigkeit auch der Untergang der andern folgen; »und was bliebe denn noch zur Unsterblichkeit uͤbrig?« — Emanuel sagte: der Gedanke der Wiedererkennung, so viel er auch Sinnliches voraussetze, sey so suͤß und hinreissend, daß wenn sich die Menschen ge¬ wiß davon machen koͤnnten, keiner eine Stunde hier wuͤrde zoͤgern wollen, besonders wenn man den Him¬ mels-Gedanken ausmahlte, alle große und edle Men¬ schen auf einmal zu finden. »Ich habe mir oft »(sagt' er) die kuͤnftige Erinnerung nach Analogie »der jetzigen vorphantasirt, und mußte immer vor »Entzuͤckung aufhoͤren, wenn ich mir dachte, wie in »jener Erinnerung die Erde zu einer dunkeln Mor¬ »gen-Aue und unser Leben zu einem weit entruͤckten »mit Mondschein erhellten Tag eingehen werde — »O wenn wir schon vor dem Bilde einiger Kin¬ »derjahre zerfließen, wie sanft wird uns einmal »das Bild aller Kinderjahre anblicken.« — Viktor wehrte diese toͤdtlichen Entzuͤckungen ab und nach¬ dem er zum Uebergange gesagt, » eine Verbindung »muß in jedem Fall diese Erde mit der zweiten ha¬ »ben» »ben« kam er auf etwas anders, das ihm in dieser Nacht so aufgefallen war. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ich verhuͤll' es heute noch was Viktor fragte und was Emanuel entdeckte: die neue Perspektive wuͤrde unser Auge zu lange vom großen Kranken ab¬ ziehen. Der Blinde hielt aͤngstlich die heisse Hand dessel¬ selben in Einem fort, um den geliebten Vater nicht zu verlieren; und wenn ihm Emanuel lange sanften Trost uͤber seinen Tod, gleichsam kuͤhle Blaͤtter unt die entzuͤndeten Schlaͤfe herumgelegt hatte: so sagte er nichts als innigst flehend: »ach Vater, wenn ich dich nur gesehen haͤtte, nur Einmal!« — Emanuel schien gefaßt zu seyn; aber er taͤuschte sich: seine jetzige Gleichguͤltigkeit gegen die Erde war im Grunde schneidender als die naͤchtliche, die bloß ein anderer mit den Zaubertraͤnken der Phantasie ver¬ mischter Genuß des Lebens war. In seine Reue uͤber seinen dichterischen Selbstmord schien sich fast Freude uͤber die Folgen zu mengen. Daher sagte er mit einem ruͤhrend gewissen Blicke: »heute gegen »Abend werd' er gewiß gehen und seine zwei letzten »und besten Freunde nicht mehr mit diesen Verzoͤge¬ »rungen des Abschieds quaͤlen — Der Genius der »Welten werde ihm seinen letzten Fehler vergeben Hesperus. III . Th. »und auf die hiesige Entfernung von ihm, die »ihm zu lange wurde, dort keine zweite folgen las¬ »sen.» Je laͤnger er sprach, desto mehr ruͤckte das alte Bluͤten-Eden wieder in seine matte Seele ein. — Jetzt that er eine sonderbare Herz zerschneidende Bitte an seine Freunde. Da bekanntlich das Gehoͤr den Sterbenden am laͤngsten bleibt, indes schon alle andere Sinnen sich gegen die Erde zugeschlossen ha¬ ben: so sagte Emanuel zu Viktor »so bald du sie¬ »hest, daß es sich mit mir aͤndern will, so gieb dei¬ »nem Julius die Floͤte, und du! spiele mir dann »das alte Lied der Entzuͤckung , damit ich an »den Toͤnen sterbe, wie ich schon oft wuͤnschte, und »spiele es auch noch einige Minuten nach dem En¬ »de fort.» Er dachte jetzt daruͤber nach, wie schoͤn um sei¬ ne letzten Gedanken Toͤne ziehen wuͤrden, wie Vo¬ gelgesang um die untergehende Sonne; und in sei¬ nem erloschenen Geiste flogen wieder die alten Fun¬ ken auf: »ach ich werde seelig von hinnen ziehen. »— O meine Seele konnte in dieser Nacht schon »diesem Erdboden einen uͤberirdischen Schmuck an¬ »legen und ihn fuͤr Eden halten: ach erst, wenn der »Boden schoͤner und die Seele groͤßer ist . . .» Er wurde wieder ohnmaͤchtig, aber der Puls schlug noch leise. — Und hier in diesem Hinbruͤten war es, wo er von der Erde als letzte Gabe den schauderhaft-suͤßen Traum empfing, in welchen der Koͤrper die Gefuͤhle seiner Kraͤnklichkeit mischte und den er nach seiner Wiederbelebung mit einem neuen Nachtraͤumen erzaͤhlte. Es ist der letzte sanfte Drei¬ klang unsers Koͤrpers mit unserer weichenden Seele, daß er ihr noch in seiner Aufloͤsung (wie wir von Ohnmaͤchtigen, von Scheintodten unter dem Was¬ ser ꝛc. wissen) der Seele suͤße Spiele und Traͤume zufuͤhrt. — Traum Emanuels , daß alle Seelen Eine Wonne vernichte. Er ruhte verklaͤrt in einem durchsichtigen farbicht¬ dunkeln Tulpenkelch, der ihn hin und her wiegte, weil ein sanftes Erdbeben die Tulpenlaube auf der gebognen Stuͤtze zu taumeln zwang. Die Blume stand in einem magnetischen Meer, das den Seeli¬ gen immer staͤrker zog; endlich druͤckte er, hinausge¬ sogen, sie nieder und sank als eine Thauperle aus dem umgebognen Kelche heraus. . . Welch' eine Farben-Welt! Ein Flockengewimmel von Aethergestalten wie seine stand schwebend uͤber einer weiten Insel, um welche ein rundes Gelaͤnder von großen Blumen aufgeblaͤttert spielte — mitten uͤber den Himmel der Insel flogen Abendsonnen hin¬ ter Abendsonnen — tiefer neben ihnen liefen weiße T 2 Monde — nah am Horizont kreiseten Sterne — und so oft eine Sonne oder ein Mond hinunterflog, schaueten sie himmlisch wie Engels Augen durch die großen Blumen am Ufer hindurch. Die Sonnen wurden von den Monden durch Regenbogen geschie¬ den, und alle Sterne liefen zwischen zwei Regenboͤ¬ gen und stickten silbern die bunte Ringkugel des Him¬ mels. Ueber einander stiegen hinauf bunte Wolken, in denen ein Kern von Gold, von Silber, von Edelsteinen brannte — von Schmetterlingsfluͤgeln waren Staubwolken abgestreift, die wie fliegende Farben den Boden uͤberhuͤllten und aus dem Ge¬ woͤlke blitzten reißende Lichtfluͤsse, die sich alle in einander verschlangen. . ... Und in diesem Farben–Getuͤmmel ging eine suͤße Stimme umher und sagte uͤberall: vergehet suͤßer am Lichte . Aber die Seelen erblindeten nur und vergingen noch nicht. Da uͤberfielen Abendwinde und Morgenwinde und Mittagswinde mit einander die Aue und weh¬ ten die hell–blauen und gold–gruͤnen Wolken nieder, die aus Blumenduft entstanden waren, und falteten den Blumenring am Horizonte auf und trieben den suͤßen Rauch an die Herzen der Seeligen. — Der Bluͤtennebel schlang sie in sich ein, das Herz wurde in die dunkeln Duͤfte wie in ein Gefuͤhl aus der tiefsten Kindheit eingetaucht und wollte, vom heißen Blumendunste uͤberflossen, darin auseinander tropfen. — Jetzt kam die unbekannte Stimme naͤher und lispelte sanft: vergehet suͤßer am Duft . Aber die Seelen taumelten nur und vergingen noch nicht. Tief in der Ewigkeit aus der Mitternacht bog sich auf und nieder ein einziger Ton — ein zweiter stand in Morgen auf — ein dritter in Abend — endlich toͤnte aus der Ferne der ganze Himmel und die Toͤne uͤberstroͤmten die Insel und ergriffen die erweichten Seelen. . . Als die Toͤne auf der In¬ sel waren, weinten alle Menschen vor Wonne und Sehnsucht . . . Dann liefen ploͤtzlich die Sonnen noch schneller, dann stiegen die Toͤne noch hoͤher, und verloren sich wirbelnd in eine schneidende, un¬ endliche Hoͤhe — ach dann gingen alle Wunden der Menschen wieder auf und waͤrmten sanft mit dem rinnenden Blute jede Brust, die in ihrer Wehmuth erstarb — ach dann kam ja alles fliehend vor uns was wir hier geliebet haben, alles was wir hier verloren haben, jede theure Stunde, jedes beweinte Gefild', jeder geliebte Mensch, jede Thraͤne und je¬ der Wunsch — — Und als die hoͤchsten Toͤne ver¬ stummten und wieder einschnitten und laͤnger ver¬ stummten und tiefer einschnitten: so zitterten Har¬ monikaglocken unter den Menschen, die auf ihnen standen, damit das einschneidende Schwirren jeden Bebenden zerlegte. — Und eine hohe Gestalt, um die ein dunkles Woͤlkgen zog, trat auf in einem weißen Schleier und sagte melodisch: » vergehet » suͤßer an Toͤnen .» Ach! sie waͤren vergangen und gern vergangen an der Wehmuth der Melodie, wenn jedes Herz das Herz, nach dem es schmachtete, an seiner Brust ge¬ halten haͤtte; aber jeder weinte noch einsam ohne seinen Geliebten fort. Endlich schlug die Gestalt den weißen Schleier auf und der Engel des Endes stand vor den Menschen. Das Woͤlkgen, das um ihn ging, war die Zeit — so bald er das Woͤlkgen erreichte, so wuͤrd' er es zerdruͤcken und die Zeit und die Men¬ schen waͤren vernichtet. Als der Engel des Endes sich entschleiert hatte: laͤchelte er die Menschen unbeschreiblich lieblich an, um ihr Herz durch Wonne und durch das Laͤcheln zu zertreiben. Und ein sanftes Licht fiel aus seinen Augen auf alle Gestalten und jeder sah die Seele vor sich stehen, die er am meisten liebte — und als sie einander vor Liebe sterbend anschaueten und auf¬ geloͤset dem Engel nachlaͤchelten: grif er nach dem nahen Woͤlkgen — aber er erreichte es nicht. Ploͤtzlich sah jeder neben sich noch einmal Sich — das zweite Ich zitterte durchsichtig neben dem ersten und beide laͤchelten sich zerstoͤhrend an und wurden mit einander hoͤher — das Herz, das im Menschen bebte, hieng noch einmal bebend im zwei¬ ten Ich und sah sich darin sterben — — O da mußte jeder von seinem Ich zu seinem Ge¬ liebten wegfliehen und, ergriffen von Schauder und Liebe, die Arme um fremde theure Menschen winden — Und der Engel des Endes oͤfnete die Arme weit und druͤckte das ganze Menschengeschlecht in Eine Umarmung zusammen — Da glimmt, duftet, toͤnt die ganze Au — da stocken die Sonnen, aber die Insel wirbelt sich selber um die Sonnen — Die zwei gespaltnen Ichs rinnen in einander ein — die liebenden Seelen fallen an einander wie Schneeflo¬ cken — die Flocken werden zur Wolke — die Wolke schmilzt zur dunkeln Thraͤne — Die große Wonnethraͤne, aus uns allen gemacht, schwimmt durchsichtiger und durchsichtiger in der Ewigkeit — Endlich sagte leise der Engel des Endes: sie sind am suͤßesten vergangen an ihren Ge¬ liebten . — Und er zerdruͤckte weinend das Woͤlkgen der Zeit. — In Emanuels Augen glaͤnzten die Fieberbilder des Todes, mit denen sich jeder Schlaf, sogar der letzte anfaͤngt. Sein Geist hing wiegend in seinen schlaffen Nerven, von sanften Luͤften angeweht: denn er war schon in jener zersetzenden Nerven-Entzuͤ¬ ckung der Ohnmaͤchtigen, der Gebaͤhrenden, der Ver¬ bluteten, der Sterbenden. Aber seine ausgeleerte Brust stieg leichter auf, sein ziehender Geist dehnte den Lebensfaden duͤnner aus. Viktor wuͤrde den Trost der dumpfen Betaͤubung genossen haben, womit uͤber einander gehaͤufte Schmerzen uns zusammendruͤcken, wenn er nicht dem armen B nden jede Minute diese Schmerzen, d. h. alle Zuruͤstungen des Todes haͤtte sagen muͤssen. Ach der Blinde besorgte vielleicht, seinem Lehrer zu spaͤt mit dem Liede der Entzuͤckung nachzurufen. Es kam der Abend. Emanuel wurde stiller und sein Auge starrer und es schien die Phantasien seines arbeitenden Gehirns in der Stube zu sehen, bis der Goldstreif der vorgesunknen Abendsonne, den ein Spiegel auf ihn richtete, gleichsam wie ein Blitz durch seine Traumwelt fuhr. Leise, aber mit ande¬ rer Stimme sagte er: » in die Sonne !» — Sie verstanden ihn und ruͤckten sein Bette und sein Haupt dem schoͤnen Abendregen der Abendsonne, dem er sonst so oft sein weiches Herz aufgeschlossen hatte, entgegen. Viktor erschrack, da seine Augen der Sonne ungeblendet und unbeweglich offen standen. Es war erhaben-still um drei zerruͤttete Men¬ schen: blos ein Abendluͤftgen flatterte in den Linden¬ blaͤttern des Zimmers, und eine Biene zog um die Lindenbluͤten; aber draussen ausserhalb dem Theater der Beaͤngstigung ruhte ein seeliger Abend auf den roth uͤbersonnten Fluren unter freudigen, flatternden, singenden, trunknen Wesen. Emanuel schauete still in die Sonne, die tiefer in die Erde drang: er krallte nicht am Deckbette wie andre, sondern hob seine Arme empor wie zu einem Fluge oder zu einer Umarmung. Viktor nahm seine geliebten Haͤnde, aber sie hiengen ohne Druck in seine nieder. Und als die Sonne wie eine lo¬ dernde Welt am Gerichtstage, untersank in einer aufschießenden letzten Lohe: so blieb der Stille mit kalten Augen an der leeren Stelle der Sonne und merkte den Untergang nicht; und Viktor sah ploͤtzlich wechselnde Blitze der Todessense gelb uͤber das un¬ verruͤckte Antlitz gehen — Da gab er zerruͤttet dem Julius die Floͤte und sagte gebrochen: spiele das Lied der Entzuͤckung, jetzt stirbt er. — — Und Julius preßte mit stroͤmenden verfinsterten Augen den schluchzenden Athem in die Floͤte und er¬ hob seine Seufzer zu himmlischen Toͤnen, um die entrinnende Seele unter ihrer Auswurzelung mit dem Nachklange der ersten Welt, mit dem Verklan¬ ge der zweiten Welt zu verhuͤllen und zu betaͤu¬ ben — Und als unter dem Liede das Laͤcheln uͤber einen unbekannten Traum in dem letzten Schweiß ausfloß — und als eine bloße Zuckung der Hand die Hand des trostlosen Freundes druͤckte, und als die Zuckung mit dem Augenlied winkte und weiter hinab die blassen Lippen oͤfnete und verging, und als die Abend¬ roͤthe die bleiche Gestalt bedeckte — — Siehe da trat der Tod, kalt gegen die Erde und unsern Jam¬ mer, eisern, aufgerichtet und stumm, durch den schoͤnen Abend unter die Lindenbluͤte hin zur uͤber¬ deckten Seele im beruhigten Leichnam und reichte die verhuͤllte Seele mit unermeßlichem Arm von der Erde durch unbekannte Welten hindurch in Deine ewige warme vaͤterliche Hand, die uns geschaffen hat — in das Elysium, fuͤr das du uns gebildet hast — unter die Verwandten unsers Herzens — in das Land der Ruhe, der Tugend und des Lichts . . . . Julius stockte aus Schmerz und Horion sagte: spiele das Lied der Entzuͤckung fort, er ist erst ge¬ storben. — Unter den Toͤnen druͤckte Horion dem Geliebten die Augen zu und sagte mit einem Herzen uͤber der Erde: »Nun schließet euch zu — der Geist ist uͤber der Erde, dem ihr das Licht gegeben — du blasse geheiligte Gestalt, du geheiligtes Herz, der Engel in dir ist ausgezogen und du faͤllst in die Erde zuruͤck» — Und hier umschlang er doch einmal die leere kalte Huͤlle und druͤckte das Herz, das ja nicht mehr schlug, ihn nicht mehr kannte, an sein heißes an: denn die Floͤtentoͤne rissen seine bleichen Wunden zu weit auseinander — O es ist gut, daß bei dem Menschen, wenn er im grimmigen Weh zu festem Eiß erstarrt, keine Toͤne sind: die weichen Toͤne leckten aus der durchborten Brust alles trau¬ rige Blut und der Mensch wuͤrde an seinen Qualen sterben, weil er vermoͤchte, seine Qualen auszu¬ druͤcken. . . . — Hier falle mein Vorhang vor alle diese Sze¬ nen des Todes, vor Emanuels Grab und vor Ho¬ rions Schmerz! — Ich und du mein Leser wollen nun aus dem fremden Sterbezimmer gehen, um in naͤhere zu schauen, wo wir selber erliegen, oder wo unsere Theuersten erlagen. Wir wollen in jenen Zimmern unser Todtenbette erblicken, aber unser Auge falle nicht nieder; — die Flamme der Liebe und der Tugend lodert aufwaͤrts uͤber die Verwe¬ sungen — wir sehen um das Todtenbette eine Bah¬ re als Ruhebank, auf die alle Lasten abgelegt sind und das auseinandergedruͤckte Herz auch — wir sehen um das Todtenbette eine große unbekannte Gestalt, die vom Ebenbilde Gottes den Erden- Rahmen bricht — Aber wenn das Herz groß wird neben un¬ serem Ruheort, so wird es weich neben dem frem¬ den — Wenn du, mein Leser, und wenn ich jetzt mit dieser bewegten Seele in die Zimmer blicken, wo wir die ewigen Wunden der Erde empfingen, so werden uns die blassen Gestalten, die darin ihre Todtenaugen noch einmal gegen uns aufheben, zu sehr erschuͤttern und verwunden. — Ach, das duͤrft ihr auch, ihr geliebten Stummen — was haben wir euch denn noch zu geben als eine Thraͤne, die uns schmerzet, als einen Seufzer, der uns beklemmt — — Ach wenn der Trauerflor auf unserem Ange¬ sicht sobald zerreißet wie der Leichenschleier auf eurem — wenn der Grabesmarmor mit eurem Na¬ men sich auf eurer Leiche umkehren muß, um eine neue mit ihrem neuen Namen zu bedecken — o! wenn wir alle die ewige Liebe, das ewige Erinnern so leicht vergessen, das wir euch in eurer letzten Stunde versprochen haben: — ach so ist ja in die¬ sen brausenden Tagen des Lebens eine stille Stunde wie diese heilig und schoͤn, wo wir uns gleichsam an die eingefallnen Graͤber mit den Ohren niederle¬ gen und tief aus der Erde, obwol jeden Tag dunk¬ ler, die Stimmen, die wir kennen, rufen hoͤren: »vergesset uns nicht — vergiß mich nicht, mein »Sohn — mein Freund — meine Geliebte, vergiß »mich nicht!« — Nein wir wollen euch auch nicht vergessen. Und wenn es uns immmerhin zu wehe thut: so rufe doch jeder von uns in dieser Minute die theuersten Ge¬ stalten aus ihren Ruhestaͤtten vor sich und schaue die verweßten Zuͤge, die wieder geoͤfneten Augen voll Liebe, die so lange geschlossen waren, und das theure aufgedeckte Angesicht recht lange an, bis ihm die alten Erinnerungen an die schoͤnen Tage ihrer Liebe das Herz zerbrechen und er nicht mehr wei¬ nen kann. — 39. Hundsposttag. Große Entdeckung — neues Unglück und Trennungen I ch will jetzt enthuͤllen, was ich im vorigen Kapi¬ tel verbarg — Da Emanuel an jenem elysischen Morgen des Wahnsinns zu Julius gesagt hatte: »Schatten! weiche!» so fuhr er fort: »gaukle den blin¬ »den Sohn meines Horions (des Lords) nicht »nach, der mich noch fuͤr seinen Vater haͤlt — »fuͤrchte dich vor Gott, der voruͤberging, und ver¬ »schwinde!» — Und zu Viktor wandte er sich: »Schatten! wenn du nicht weißt, wer du bist und »deinen Vater Eyman nicht kennst: so falle wie¬ »der auf die Erde hinab und in den Schatten hin¬ »ein, den dort mein Viktor wirst.» — — Und da Viktor am andern Tag den Sterbenden auf diese Worte fuͤhrte: so fragte er beklommen: »ach hab' »ich's denn nicht im Wahnsinn gesagt, als ich waͤhn¬ »te, im Lande jenseits der Erden-Eide zu seyn?» und kehrte stumm das erschrockene Angesicht gegen die Wand. . . . Er hatt' es also im Wahnsinn des Todes her¬ ausgesagt, daß Julius der Sohn des Lords, und Viktor der Sohn des Pfarrers Eyman ist . . . . Aber welche helle weite Beleuchtung giebt nicht die¬ ser Vollmond unserer ganzen Geschichte, auf die bis¬ her nur eine Mondssichel schien? — Ich gesteh' es, schon beim ersten Kapitel fiel es mir auf, daß Viktor ein Arzt war: jetzt ist's er¬ klaͤrt; denn der medizinische Doktorhut war die be¬ ste Montgolfiere und das Wuͤnschhuͤtlein fuͤr einen buͤrgerlichen Legaten des Lords, um damit leichter um den Thron zu schweben und auf den muͤrben Jenner einzuwirken; auch konnte Sebastian nach seiner kuͤnftigen Devalvazion und nach dem Verlust des Federhuts am besten in den medizinschen sein taͤgliches buͤrgerliches Brod einsammeln — sah der Lord. Das war Ein Grund, warum dieser jenen fuͤr seinen Sohn ausgab. Ein anderer ist: Viktor war der Rolle beim Fuͤrsten durch seine Laune, Ge¬ wandheit, Gefaͤlligkeit u. s. w. am meisten gewach¬ sen, wozu noch die empfehlende Aehnlichkeit trat, die er mit dem fuͤnften bis jetzt noch verlornen Soh¬ ne, den Jenner so liebte, in allem, das Alter aus¬ genommen, besaß. Da nur ein Leibarzt der Guͤnst¬ ling seyn sollte: so konnte der Lord keinen von den fuͤrstlichen Soͤhnen dazu nehmen, weil diese Juristen werden mußten, um in die kuͤnftigen Aemter einzu¬ passen. — Seinen eignen Sohn Julius konnt' er nicht brauchen, weil er blind war — beilaͤufig! der Lord war auch einmal blind und vermehret also die Beispiele der von Vater auf Sohn forterbenden Blindheit durch seines —; aber auch ohne die Blindheit konnt' er wegen seiner uneigennuͤtzigen De¬ likatesse unmoͤglich seinen Sohn die Vortheile der fuͤrstlichen Gunst erbeuten lassen, indeß er die eignen Soͤhne Jenners von ihnen entfernte. — Du guter Mann ohne Hoffnung! wenn ich jetzt deine dichterische Erziehung des Blinden mit deinen kalten Grundsaͤtze vergleiche, wenn ich berechne, wie du — abgestorben den lyrischen Freuden — verhaͤr¬ tet fuͤr die Thraͤnen des Enthusiasmus — gleichwol die mit Augenliedern verhangne dunkle Seele deines Julius von seinem Lehrer fuͤllen laͤssest mit dichteri¬ schen Blumenstuͤcken — mit Thauwolken der Ruͤh¬ rung — und mit dem Nebelstern des zweiten Le¬ bens: so vermehret es eben so sehr meine Schmer¬ zen als meine Hochachtung, daß du nichts auf der Erde findest, was du an dein ausgehungertes Herz druͤcken kannst, und daß du dein auf leeren Thraͤ¬ nendruͤsen verwelktes Auge kalt aufhebst gegen den Himmel und auch da nichts siehest als ein wuͤstes oͤdes Blau! — Diese schmerzliche Betrachtung machte Viktor noch fruͤher als ich. — Aber zur Geschichte! Die vergangne zog tausend Stacheln durch sein Herz. Wir kennen jetzt unsern sonst frohen Sebastian nicht mehr mehr — er hat vier Menschen verloren, gleichsam um die vier Pfingsttage damit abzuzahlen: Emanuel ist verschwunden, Flamin ist ein Feind geworden, der Lord ein Fremder und Klotilde — eine Fremde. Denn er sagte zu sich: »Jetzt, da sie so weit uͤber »mich geruͤckt ist, will ich er Leidenden, der ich »schon so viel genommen, nicht gar alles kosten, »nicht gar die liebe ihres Vaters und ihren Stand »— ich will nicht auf ihre in der Unwissenheit »meiner Verhaͤltnisse geschenkte Liebe dringen. — »Nein, ich will gern meine Seele von der theuersten »abloͤsen unter tausend Wunden meiner Brust und »mich dann einsam hinlegen und zu Tod bluten.» — Jetzt wurd' ihm dieser Vorsatz leicht: denn nach dem Tode eines Freundes nehmen wir ein neues schweres Ungluͤck gern auf unsere Brust, es soll sie eindruͤcken, denn wir wollen sterben. Doch hatte das Schicksal in seinen zwei Armen noch zwei Geliebte gelassen: seinen Julius und seine Mutter. In jenem liebt er so viele schoͤne Bezie¬ hungen; sogar das war eine, die es macht, daß man allzeit den liebt, mit dem man verwechselt wuͤrde; und er wollte Vaterstelle bei jenem vertreten wie der Lord bei ihm, um diesem edeln Manne — Edel¬ manne — nicht sowol zu danken als nachzueifern. Und noch heißer umfing er mit seiner Seele die vor¬ trefliche Pfarrerin, der schon bisher sein Herz in Hesperus. III Th. U der sanften Waͤrme eines Sohnes entgegengeschlagen hatte. Ach wie wohl haͤtte es der kindlichen Brust, von der der bisherige Vater gestoßen war, in ihrem Sehnen gethan, ans muͤtterliche Herz gedruͤckt zu werden und von der Mutter die Worte zu hoͤren: »guter Sohn, warum koͤmmst du so ungluͤcklich und »so spaͤt zu mir?» Aber er durfte nicht, weil er sonst den Schwur, die Abkunft Flamins unter der Decke des Geheimnisses zu lassen, gebrochen haͤtte. Er sperrte sich vier Tage mit dem Blinden ins Sterbhaus ein — er sah niemand — besuchte das trauernde Kloster nicht, wo aus allen schoͤnen Augen aͤhnliche Thraͤnen flossen — that Verzicht auf den duftenden Park und auf den blauen Himmel — und ließ den Blumenflor des Verstorbenen nachwelken. — — Er troͤstete den verlassenen Blinden und den ganzen Tag ruhten sie aneinander geschlungen und malten sich weinend ihren Lehrer und seine Lehren und die lichten Stunden ihrer Kindheit vor. — Endlich am 4ten Tage fuͤhrte er den Blinden auf immer aus dem schoͤnen Maienthal — die Abend¬ glocke sandte ihnen weit das Todtengelaͤute eines ganzen eingesargten Lebens nach — Julius weinte laut — aber Viktor hatte, nur ein feuchtes Auge und troͤstete nicht sich, sondern den Blinden; denn seine Seele war jetzt anders als man errathen wird: seine Seele war erhoͤht uͤber dieses Abend-Leben, sein Verstorbner hielt sie wie ein Genius hoch em¬ por uͤber die Wolken und uͤber die Spiele einer klei¬ nen Zeit. — — Viktor stand auf dem hohen Ge¬ birg wo man am Begraͤbniß-Tage eines Freundes steht, unten am Gebirge ging das Todtenmeer des Abgrunds weit hin Anspielungen auf den mit abgebildeten Ländern und Inseln erfüllten Nebel, den man am Morgen vom Aetna herunter sieht. und sog an einem aus¬ gedehnten zitternden Nebel, der sich auf dem Meere aufrichtete — und auf dem Nebel wa¬ ren bunte Staͤdte gefaͤrbt und schwankende Land¬ schaften hingen in ihm und die kleinen Voͤlker mit rothen Wangen liefen auf den Landschaften aus Duft — und alles, Voͤlker und Staͤdte tropften wie Thraͤ¬ nen hinab ins saugende Meer — — blos am Hori¬ zont war unten im duͤstern Nebel ein angeglomme¬ ner Saum wie Morgenglut: denn eine Sonne steigt hinter der Daͤmmerung auf und dann ist der Nebel vergangen und eine neue gruͤne feste Welt liegt in die Unermeßlichkeit hinein. — — Er wollte die ganze Nacht gehen, aber er wurde durch etwas Fuͤrchterliches im naͤchsten Dorfe das Obermaienthal heisset, angehalten. Er erkannte in der Wagenremise des Gasthofs den Wagen des Kam¬ merherrn am Wappen. Er ließ den Blinden auf einer steinernen Bank an der Thuͤre nieder, wo die¬ ser dem Geraͤusche des Heu Abladens zuhorchte. Viktor bekam drinnen auf seine Frage die Nachricht: U 2 »es waͤren zwei Damen droben, die eine kenne man »nicht« (er entdeckte aber im ersten Abriß ihres An¬ zugs sogleich die Pfarrerin) — »die andere sey oft »hierdurch passirt, es sey die Tochter des Obrist¬ »kammerherrn und habe Ganz-Trauer an, weil ihr »Vater vor einigen Tagen todtgeschossen worden im »Duell mit dem Regierungsrath Flamin, und beide »reiseten, wie ihre Leute sagten, nach England.» Er schrie vergeblich, halb im Blut und Qual erstickend: es ist unmoͤglich, mit dem Hofjunker von Schleunes meint ihr.» Aber es war doch — Fla¬ min war im Gefaͤngniß — Matthieu ausser Landes — Le Baut schon unter der Erde . . . . Fodert aber die Geschichte dieses Mordes jetzt nicht! — Viktor zog langsam die Uhr des gluͤcklichen Zeidlers heraus und sah starr den Zeiger froher Stunden an, der schon einige Tage unaufgezogen stockte; in ihm rieth etwas der wilden Verzweiflung an, er sollte sie gegen den steinernen Boden schleudern und schmet¬ tern. — — Aber drei Lauten-Hauche der Floͤte, mit der der Blinde eine schoͤnere waͤrmere Vergan¬ genheit vor die erstarrte Seele zog, loͤseten sein gerinnendes Herz in ein nasses Auge auf und er hob es uͤberfließend empor und sagte blos: »Vergieb »mir's, Allguͤtiger — ach ich will gern nur wei¬ »nen!» — Wenn die Schmerzen in uns zu reissend werden: so knirscht etwas in uns gegen das Schick¬ sal und das Herz ballet sich gleichsam zur Wehre ergrimmt zusammen — aber diese Staͤrke ist Laͤ¬ sterung, o! es ist schoͤner gegen dich, Allguͤtiger, mit dem entzweigepreßten Herzen hinzurinnen und zur Thraͤne zu werden und so lange zu lieben und zu schweigen bis man stirbt! Die bekannten Floͤtentoͤne drangen in Klotildens dicke Regenwolke des Grams — sie zitterte ans Fen¬ ster — sie sah den Blinden — aber sie ging schnell zuruͤck und huͤllte ihr Herz tiefer in die kalte Wolke — denn jetzt wußte sie alles, der Blinde war der Todesbote, daß ihr großer Freund die Erde und die Trostlosen verlassen habe. »Mein Lehrer ist auch todt» sagte sie zur Begleiterin; und als Viktor um eine Unterredung bitten ließ: konnte sie nur sprach¬ loß mit dem Kopfe nicken — Dann bat sie die Pfar¬ rerin, in ein anderes Zimmer zu treten, weil ihr der Anblick Viktors aus vielen Gruͤnden druͤckend seyn mußte. Viktor stieg die Treppe gleichsam zu einem Blutgeruͤst hinauf, auf dem ihm das Schick¬ sal sein Herz herausnehmen werde, naͤmlich die gu¬ te Klotilde, von der er heute sowol durch ihre Reise als durch seinen Vorsatz sie zu entbehren abgeschie¬ den wurde. Als er aufmachte und die Bekuͤmmerte erblickte bleich und muͤde an die Wand gelehnt; und als beide einander mit niedergesunknen Haͤnden in die rothgeweinten Augen sahen und bebten in dem duͤstern Zwischenraum zwischen dem Anblick und dem ersten Wort wie in der schrecklichen Zeit zwischen dem Feuer eines großen Geschosses und zwischen der Ankunft der Kugel und da endlich Klotilde leise fragte: »es ist alles wahr?» und er sagte: alles! — so legte sie ihr schoͤnes Haupt langsam um gegen die Wand und wiederholte in einem fort, aber leise¬ klagend, mit den sanften gedaͤmpften Trauertoͤnen des ermuͤdeten Jammers die Worte: »ach! mein »guter Lehrer! mein unvergeßlicher Freund! — Ach »du großer Geist! du schoͤne Himmelsseele, warum »zogest du so bald meiner Giulia nach! — — O, »theuerster Freund, zuͤrnen Sie nicht, ich wuͤnschte »jetzt blos zu seyn, wo mein Vater ist, im stillen »Grabe.» — — Viktor fing bebend die Frage an: »hat ihn Flamin. . . . .» — aber er konnte nicht dazu setzen: »umgebracht»: denn sie richtete das Haupt empor und blickte ihn an mit einem schwel¬ lenden, mit einem arbeitenden unsaͤglichen Schmerz und dieser Schmerz war ihr Ja. — — Sie wollte, von der Thraͤnenverblutung erschlafft und zuckend unter den Erinnerungen, die wie Ge¬ hirnbohrer die Seele betasteten, endlich an der Wand zusammensinken; aber ihr Geliebter faßte sie mit unaussprechlichem Mitleid auf und erhielt sie aufgerichtet an seiner Brust und sagte: »komm', un¬ »schuldiger Engel, komm' an mein Herz und weine »dich aus daran — wir sind ungluͤcklich, aber un¬ »schuldig — o ruhe sanft aus, gequaͤltes Haupt, »ruhe sanft unter meinen Thraͤnen.» — — Aber im hoͤchsten Weh fing allzeit eine Bergluft um ihn zu flattern an, ihm war als richtete das Hebeisen die eingebrochne Hirnschale auf, als zoͤge Lebensluft durch die angebohrte, innen modernde Brust hinein; es war ihm darum so, weil ihm das Leben der Menschen klein wurde, der Tod groß und die Erde zu Staub. »Schlafe, Gequaͤlte — sagt' er zu Klo¬ »tilde, die welkend an ihm lehnte — verschlafe das »Weh — das Leben ist ein Schlaf, ein gedruͤckter »heisser Schlaf, Wampyren sitzen auf ihm, Regen »und Winde fallen auf uns Schlafende und wir »greifen vergeblich aus zum Erwachen — — o das »Leben ist ein langer, langer Seufzer vor dem »Ausgehen des Athems — O daß aber die elende »Lufterscheinung gerade diese gute Seele, gerade »dich, dich so quaͤlen darf!» — »Ach wenn doch »die zu traurige Floͤte aufhoͤrte! Mein Herz zer¬ »springt vor Quaal» sagte die beladene Seele; aber ihr Frennd riß grausam alle Quellen ihrer Thraͤnen weiter auf und goß seine in die ihrigen und malte ihr die Vergangenheit ab: »vor vier Wochen war »es anders, da gingen die Floͤtentoͤne uͤber ein schoͤ¬ »neres Land durch gluͤcklichere Klagen der Nachtigal »hindurch in unsere Herzen, die damals so froh »waren — am ersten Pfingsttage fand ich dich, als »die Nachtigal schlug — am zweiten sank ich vor »Wonne und Hochachtung vor dir nieder, als der »Regen um uns glaͤnzte — am dritten ging oben an »der Abendfontaine ein weiter Himmel auf und ich »sah einen einzigen Engel glaͤnzend und laͤchelnd dar¬ »innen stehen — — Unsere drei Tage waren Traͤu¬ »me von schoͤnen Blumen, denn Traͤume von Blu¬ »men bedeuten Jammer» — Er hatte bisher seine weiche Seele gegen dieses grausame Gemaͤlde verhaͤr¬ tet; aber als er gar mit gepreßter Stimme dazu ge¬ fuͤgt hatte: »Damals lebte unser Emanuel noch und »besuchte abends sein ofnes Grab. . . .»: so mußte sein Herz zerreißen und alle Thraͤnen quollen uͤber das tief hineingedruͤckte Schwert wie blutige Tro¬ pfen heraus und er sagte, sie heftiger an sich fas¬ send: »O komm', wir wollen weinen ohne Maaß: »wir wollen uns nicht troͤsten. Wir sind nicht »lange mehr beisammen: o ich moͤchte mich jetzt »zerruͤtten durch Kummer — Erhabner Dahore! »schau diese Sterbende an und ihre Thraͤnen um »dich und vergelt' ihre Trauer und gieb der muͤden »Seele einmal Ruhe und deinen Frieden und alles »was den Menschen fehlt!» Die zwei Seelen sanken, verschlungen, hin in ei¬ ne einzige Thraͤne und die Stille der Trauer heiligte den Augenblick — und mehr lasset mich mit meinem beklommenen Athem nicht davon sagen. — Wie erwachend zog sie ihr Haupt von seinem Herzen und nahm mit einem entkraͤfteten Laͤcheln seine Hand — denn sie liebte ihn aller Ungluͤcks- Zufaͤlle ungeachtet unaussprechlich und war eben auf dem Wege nach Maienthal, um ihn noch einmal zu erblicken — und sagte: »ich gehe nach England »zu meiner Mutter, um den Lord auszufinden und »zu erbitten, daß er fruͤher komme und sich ins »Mittel schlage, und fremde Schmerzen und meine »endige. —» Ihr Stocken, das ihr Blick ausfuͤll¬ te, entdeckte ihm soviel als es der ungluͤcklichen Pfarrfrau verschwieg, die im Nebenzimmer vieles hoͤren konnte — was sie verdeckte, war, daß sie bei dem Lord die Beschleunigung der Entdeckung, daß Flamin der Sohn des Fuͤrsten sey, betreiben wollte. Ausserdem ruͤckte dieser Weg ihre Augen von so vie¬ len Bildern des Grams, so wie ihre Ohren von so vielen Kakophonien des Gespoͤttes hinweg. Freilich war die Absicht, auf dem Kutschkissen und auf dem Schiffe die Mozion wie eine Eisentinktur einzuneh¬ men, nur ihr Vorwand bei Hofe gewesen, wo man ehrerbietige Unwahrheiten nicht blos vergiebt sondern auch verlangt. Viktor verhies ihr, in dunkler Ahndung seiner Kraft und Uneigennuͤtzigkeit — denn der Ungluͤckliche opfert leichter und freigebiger als der Gluͤckliche auf — »er wolle wie eine Schwe¬ ster fuͤr ihn sorgen.« — Ihre Augen trugen einan¬ der ihre Geheimnisse und eben darum ihre Liebe vor und Klotilde floß von weinender Liebe uͤber, erst¬ lich der Reise wegen, (weil fuͤr ihr Geschlecht eine Reise der Seltenheit wegen etwas Wichtiges ist) zweitens des Kummers wegen, da die Liebe ein weib¬ liches Herz in ganzer Trauer waͤrmer macht als eins in halber, wie Brennspiegel schwarz gefaͤrbte Dinge staͤrker erhitzen als weisse. — — Gerade heute, wo sie ihm mit so viel erneuter Liebe in die Augen blickte, sollt' er von ihr abgeris¬ sen werden. Er verschonte sie zwar mit der Entdek¬ kung seiner Geburt und seiner ewigen Trennung, um an ihr reissendes Herz nicht neue ziehende Qualen zu haͤngen; aber er wollte diese letzte Minute seiner schoͤnen Liebe‚ diese Nachlese und diesen Nachflor seines Lebens ganz abernten. Ach er wollte sie an¬ schauen wie nie — er wollte ihr die Hand druͤcken heftig wie nie — er wollte ihr ein Lebewol sagen wie ein Sterbender — — Denn es ist alles‚ rief unaufhoͤrlich sein Innerstes zum letzten letztenmale! — Nur kuͤssen wollt' er sie nicht: eine scheue Ehr¬ furcht, der Gedanke an die ausgespielte Liebhaber¬ rolle verbot es ihm, von ihrer Unwissenheit einen eigennuͤtzigen Gebrauch zu machen. Aber als er den letzten Blick der Liebe auf sie richten wollte: so schlug das Schicksal alle die geschlifnen Waffen, die bisher in seine Nerven gedrungen waren, noch einmal in die blutenden Oefnungen, wie man in die Wunden der Ermordeten die alten Instrumente wie¬ der haͤlt, um zu sehen, obs dieselben sind, — — ach es waren dieselben — das Zimmer benebelte gleich¬ sam ein Lichterdampf — die Floͤtentoͤne erstickten im innern Brausen — er mußte sie ansehen und konnte doch nicht vor Wasser — er mußte sie lange, fassend ansehen, weil er ihr schoͤnes Angesicht als ein Me¬ daillon, als ein Schattenbild des Schatten-Edens auf ewig niederlegen wollte in seiner Seele — — Endlich konnt' er's, mit tausend, tausend Schmerzen blickte er ihr bethraͤntes Angesicht, durch das die Tu¬ gend wie ein Herz schlug, ergreifend an und schattete es ab in seiner oͤden Seele bis auf jede Linie, bis auf jeden Tropfen — So viel nahm er mit von ihr, mehr nicht; ihr lies er alles, sein Herz und seine Freude — Ach weiche Klotilde! wenn du es errathen haͤttest! — Das Schluchzen seiner Mutter riß ihn ans Nebenzimmer, er stieß die Thuͤr' auf, rief zer¬ truͤmmert der weggekehrten Mutter zu: »Theuerste! »Beim Allmaͤchtigen, Ihr Sohn ist kein Moͤrder »und kein Verlorner« — und druͤckte die ihm hin¬ ter dem Ruͤcken gegebne Han sinnlos zusammen. Seht dem duͤstern Augenblicke, meine Freunde, jetzt nicht zu, wo er zum letztenmale Klotildens Hand nimmt und sein Herz von ihrem spaltet und doch nur sagt: »Reise gluͤcklich, Klotilde, lebe ruhig, Klo¬ tilde, werde froh, Klotilde!« — Und weit vom Dorfe fiel er neben dem Blin¬ den auf die Knie mit einem stummen Gebet fuͤr das trauernde Herz, das er nun zum letztenmal verloren hatte. — Erst Morgens um 4 Uhr kam er ohne Muͤdigkeit und ohne Thraͤnen und ohne Gedanken in Flachsen¬ fingen mit dem Blinden an. 40. Hundsposttag. Das mörderische Duel — Rettung der Duelle — Gefängnisse als Tempel betrachtet — Hiobsklagen des fa rers — Sa¬ gen meiner biographischen Vorzeit, Kartoffelnstecken. I ndem ich in den 40ten Tag mit der Anmerkung einschreiten will: »die Historie des Duels ist noch »voll Banal-Chiffern und ein wahrer unbezifferter »Generalbaß« — langt ein Stuͤck vom 43ten an und beziffert den Baß und punktirt die Konsonanten. Diesem jungen Vorlauf aus dem 43ten Kapitel hat man es zu danken, daß ich die Schuß–Historie mit froherem Muth erzaͤhlen kann. Man wird es nicht errathen, wer uͤber Klotildens Verlobung am meisten aufkochte — der Evangelist naͤmlich. Ihn verdroß die kuͤhne Treulosigkeit des Kammerherrn, uͤber dessen Hoͤflichkeit er bisher durch Grobheit regiert hatte, darum so sehr, weil ein menschliches Kompositum aus Kraftlosigkeit und Schmeichelei wie le Baut uns unsaͤglich erbittert, wenn es von Schmeicheleien zu Beleidigungen uͤbergeht. Noch mehr hetzte ihn, der Flamin auf¬ hetzte, die Witwe des Kammerherrn auf und schuͤrte in sein Elementarfeuer sanftes Oel und einige Zuͤn¬ deruthen nach: sie haßte Klotilden, weil diese geliebt wurde, und unsern Helden, weil er nicht wie der Evangelist die Stiefmutter uͤber die Stieftochter er¬ hob. Eine Frau, die fuͤr einen Mann in den Tod gegangen ist, d. h. in einen kurzen Schlaf (welches der Tod fuͤr Fromme ist,) naͤmlich in eine Ohnmacht — wie eben die Frau Wittwe im 8ten Posttage — darf schon diesen Mann hassen, wenn er sich nicht lieben laͤsset. Der Evangelist, der bisher Klotildens und Viktors Liebe nur fuͤr die zufaͤllige Galanterie einer Minute gehalten und der die fluͤchtige Verbin¬ dung mit seiner Schwester Joachime auch fuͤr keine laͤngere angesehen hatte, war teufelstoll uͤber den Fehlschuß im ersten Falle und uͤber den Koͤnigsschuß im zweiten: und beschloß, sich und seine Schwester, die er mehr als seinen Vater liebte, an jedem zu raͤchen. Er hinterbrachte dem Regierungsrath zuerst ob¬ wohl ohne 24 blasende Postillons den Sieg Viktors uͤber sie beide. Flamin haͤtte im eingesperrten Gruͤn gern den einen Welttheil am andern zersplittert; aber Maz faßte sich und waͤlzte alles auf den Kam¬ merherrn: »dieser sey ein kleiner Filou und ein gro¬ »ßer Hofmann — er habe vielleicht mehr als der »Liebhaber Klotildens Badreise nach Maienthal ver¬ »mittelt — er und nicht so sehr Viktor, suche aus »der Tochter ein Nachtgarn des fuͤrstlichen Herzens »und einen gradus ad Parnassum des Hofes zu ma¬ »chen.« Indessen verbarg er dem Rathe (um unpar¬ theiisch zu seyn,) doch nicht, daß der Apotheker uͤberall aus Erbitterung gegen Sebastian aussagte, dieser habe den Plan dieser Heirath als eines Erhoͤ¬ hungs-Mittels blos von ihm, von Zeuseln. Flamin grif bei solchen Knochen Zersplitterungen des Her¬ zens nur zur Stahlkur des Degens, zum Bleiwasser der Kugeln und zum Kauterisireisen des Saͤbels; und da ihn das Duel mit dem adelichen Viktor verwoͤhnt hatte, wollt' er's in der ersten Hitze dem Dreiknoͤ¬ pfler le Baut auch vorschlagen, als Maz den tournir¬ unfaͤhigen Roturier auslachte. Flamin vermaledeite in vergeblichem Grimm seinen Ahnen-Defekt, der ihn hinderte, sich erschießen zu lassen von einem Ah¬ nen-Beguͤterten; ja er waͤre — da er schnell an¬ gluͤhte und doch langsam erkaltete — faͤhig gewesen, blos einer adelichen Injurie wegen (wie schon ein¬ mal einer that) Soldat zu werden, dann Offizier und Edelmann, blos um nachher den stifts- und schußfaͤ¬ higen Injurianten vor seine Pistolenmuͤndung zu zitiren. Aber der treue Maz — dessen fleckige Seele sich vor jedem anders drehte, der Sonne gleich, die nach Ferguson sich ihrer Flecken wegen um sich wendet, um allen Planeten gleiches Licht zu schenken — wußte zu rathen: er sagte, er wolle in seinem eignen Namen den Kammerherrn fodern und zwar auf ein vermummtes Duel und dann koͤnne in der Verkap¬ pung Flamin seine Rolle nehmen, indeß er selber un¬ ter dem Namen des dritten Englaͤnders dabei waͤre und die zwei andern als Sekundanten. Flamin wurde durch Schnelligkeit uͤbermannt; aber nun fehlte es wieder an etwas das noch weni¬ ger als der Adel zu einem Fechterspiel zu entrathen ist — an einer guten ordentlichen Beleidigung. Maz war zwar mit Vergnuͤgen bereit, dem Manne eine anzuthun, die zu einem Duelle qualifizirte; aber der Mann mit dem kammerherrlichen Dieterich ließ be¬ fahren, er werde sie vergeben — und niemand kaͤme zum Schuß. — Recht gluͤcklicherweise entsann sich der Evangelist, daß er ja selber schon eine von ihm erhalten habe, die er nur nuͤtzlich und redlich zu ver¬ wenden brauche: » le Baut hab' ihm ja vor zwei »Jahren die Tochter so gut wie versprochen; und so »gleichguͤltig dieser Meineid an sich sey, so behalt' »er doch als Vorwand zur Zuͤchtigung fuͤr einen »groͤßern Fehler seinen guten Werth.« . . . So nimmt auf einer schmutzigen Zunge die Wahrheit die Gestalt der Luͤge an, sobald sich die Luͤge nicht in die der Wahrheit kleiden kann. Ich bin in Angst, man denke, daß Matthieu ei¬ nem Kammerherrn, zumal einem, bei dem Verspre¬ chen chen und Halten weitlaͤuftige Vettern waren, die Machtvollkommenheit zu luͤgen mehr abspreche als einem Hofjunker und daß er vergesse wie man uͤber¬ haupt uͤber den Strom des Hofs und Lebens wie uͤber jeden physischen nie gerade hinuͤber gelange son¬ dern die Quere und schief. Aber der Schlimme ver¬ achtet den Schlimmen noch mehr als er den Guten hasset . Noch dazu handelte er also nicht blos aus Leidenschaft sondern auch aus Vernunft: wurde Fla¬ min todgemacht, so mußte er von Agnola, die jetzt immer mehr die Fuͤrstin des Fuͤrsten wurde und fuͤr die natuͤrlicherweise ein Nachflor von Jenners und des Lords vorigen Saͤmereien ein Disteln Gehege war, das Schießgeld und Meßgeschenk empfangen und eine hoͤhere Stelle auf der Meritentafel des Hofs; — ferner konnte dann der Lord nicht mehr zum Thor hereinrollen und hinterbringen: »Ew. »Durchlaucht Sohn ist zu haben und am Leben.« — Wurde der Kammerherr erlegt, so wars auch nicht zu verachten: dieser vorige Elektrizitaͤts und Insultraͤger der fuͤrstlichen Krone war doch zum Teu¬ fel und der Lord mußte sich wenigstens schaͤmen, durch sein Schweigen den Regierungsrath in das moͤrderi¬ sche Verhaͤltniß mit einem Manne verflochten zu ha¬ ben, dem er in jedem Falle oͤffentlich die Vereh¬ rung eines Sohnes abzutragen hatte. Maz konn¬ te nicht verlieren — noch dazu konnte er seine Hesperus. III . Th. X Wissenschaft um Flamins Abkunft verstecken oder auf¬ decken wie es Noth war. Da gar die Englaͤnder die Sekundanten seyn konnten: so sagte Flamin Ja; aber le Baut sagte Nein als er das Manifest und Kriegsinstrument von Mazen erhielt: des Todes war er fast schon uͤber ein Todes-Rezept ohne das Ingredienz der Kugel. Ich werde einen Hofmann nie so verkleinern, daß ich vorgebe, er lehne einen solchen Kartoffelnkrieg aus Tugend ab oder aus Feigherzigkeit — solche Men¬ schen zittern gewiß nicht vor dem Tode, sondern blos vor einer Ungnade, — aber eben die letztere, die le Baut vom Minister und Fuͤrsten besorgte, schreckte ihn ab. Er hielt daher auf feinem Papier und mit feinen Wendungen, die den Streusand uͤber¬ schimmerten, Mazen die vorige Freundschaft vor und verbindliche Abmahnungen von diesem auffallen¬ den »Gozsurthel« und erklaͤrte sich uͤberhaupt bereit¬ willig, gern alles zu leisten, was seine Ehre — belei¬ digte, falls er nur nicht durch das Lusttreffen gegen das Duelmandat verstoßen muͤßte. Aber er mußte — Maz schrieb zuruͤck, er verbuͤrge sich fuͤr das Ge¬ heimniß so wie fuͤr das Schweigen der Sekundan¬ ten und er schlage ihm zum Ueberfluß vor, sich einander zu Nachts und in Masken die Drachen- Pechkugeln zu insinuiren; »uͤbrigens bleib' er auch »in Zukunft sein Freund und besuch' ihn, denn nur »die Ehre fodere ihm diesen ab.» . . . Und dem Kammerherrn auch: — denn diese Leute verschlucken wohl große, aber nicht kleine Beleidi¬ gungen, so wie die von tollen Hunden Gebissenen zwar feste Sachen aber keine fluͤßigen hinunterbrin¬ gen — und damit ist in meinen Augen ein Hofmann wie Le Baut genugsam entschuldigt, wenn er sich stellt als waͤr' er ein redlicher Mann oder als ginge er von denen sehr ab, die das ganze Jahr ihre Eh¬ re zum Pfand einsetzen und das Pfand — wie Reichs¬ pfandschaften oder wie vornehme lebendige Pfaͤnder der Liebe — nie einloͤsen. Auf den Abend, wo Viktor in Maienthal trau¬ ernd eintraf, war alles festgesetzt — das Kriegsthea¬ ter war zwischen St. Luͤne und der Stadt. Extrablatt zur Rettung der Duelle . Ich glaube, der Staat beguͤnstigt die Duelle, um der Vermehrung des Adels Graͤnzen zu stecken wie eben darum Titus die Juden einander fodern ließ. Da immerfort Edelleute gemacht werden, aber keine Buͤrgerliche — da noch dazu allemal ein Buͤr¬ gerlicher daran gewendet und eingerissen werden muß, eh' die Reichskanzlei einen Edelmann auf sei¬ ner Baustaͤtte auffuͤhren kann — da die stehenden Armeen und die Kroͤnungen zugleich zunehmen und folglich die Bauten Adelicher mit: so wuͤrde der X 2 Staat sicher eher zuviel als zu wenig Edelleute (wie doch nicht ist) besitzen, waͤre ihnen nicht gegenseiti¬ ges Erschießen oder Erstechen verstattet. In Ruͤck¬ sicht der kleinen Fuͤrsten, die in der Kanzlei-Baͤcke¬ rei gemacht werden, waͤre weiter nichts zu wuͤn¬ schen, als daß zugleich auch Unterthanen — ein oder ein Paar Rudel mit jedem Fuͤrsten — mit abfielen von der Drehscheibe; so wie ich uͤberhaupt auch nicht weiß, warum die Reichskanzlei nur Poeten machen will, da sie doch eben so gut Historiker, Biographen, Rezensenten von ihrer Salpeterwand abkratzen koͤnn¬ te. — Man wende mir nicht ein, am Hofe schieße man sich selten: hier hat die Natur selber auf eine andere Art wohlthaͤtige Graͤnzen der Hofleute gesteckt, etwan so wie bei den Hamstern, bei denen Bech¬ stein die weise Absicht ihrer Entvoͤlkerung darin fin¬ det, daß sie, so boshaft-bißig sie auch sonst das Ihrige verfechten, gleichwol ihre Brut nicht zum Ihrigen rechnen, sondern sie gern fahren lassen. Auch duͤrfte D . Fenk mehr Recht haben, der ihre Partei nimmt und sagt, er gebe zu, sie nuͤtzten nichts den wichtigern Gliedern des Staats dem Lehr- dem Bauernstande ꝛc., aber doch viel den klei¬ nern unnuͤtzen Gliedern, den Meßhelfern des Luxus, den Friseurs, der Lakaienschaft ꝛc. und ein Unpar¬ theiischer muͤsse sie mit den Brennesseln vergleichen, auf denen sich, da sie fuͤr Menschen und große Thiere wenig Nuzen haben, die meisten Insekten bekoͤstigen. Ende dieses rettenden Extrablattes. Flamins Seele arbeitete sich den ganzen Tag in Bildern der Rache ab. In einem solchen Sieden des Bluts wurden ihm moralische Leberflecken zu Bein¬ schwarz, die Druckfehler des Staats kamen ihm wie Donatschnitzer vor, die peccata splendida des Regie¬ rungskollegiums wie schwarze Laster. Heute sah er noch dazu den Fuͤrsten immer vor Augen, den er in den Clubs der Drillinge und noch mehr in Hinsicht auf Klotilden toͤdtlich haßte. Er verschmaͤhte das be¬ lastete Leben und in dieser Hitze, worin alle Mate¬ rien seines Innern in einem einzigen Fluß zerlassen waren, suchte die innere Lawa eine Erupzion in ir¬ gend einem Wagstuͤck. Seine heutige Ergrimmung war am Ende eine Tochter der Tugend, aber die Tochter wuchs der Mutter uͤber den Kopf. Die Drillinge, die obwohl nicht mit der Zunge, doch mit dem Kopfe so wild waren wie er, zuͤndeten gar den ganzen Schwaden seiner vollen Seele an. Endlich ritten zu Nachts die 2 Sekundanten, und Flamin und der in den 3ten Englaͤnder verlarvte Matthieu auf den Schießplatz hinaus. Flamin kaͤmpfte entflammt mit seinem aufsteigenden dampfen¬ den Hengst. Spaͤter trug in Kourbetten ein Schim¬ mel den Kammerherrn daher. Stumm misset man die Mord- und Schußweite und tauschet das Ge¬ schoß. Flamin als Beleidigter bricht zuerst wie ein Sturm gegen den andern loß; und auf dem schnau¬ benden Pferde und im Zittern des Grim m s schießet er seine Kugel uͤber das fremde — Leben hinaus. Der Kammerherr feuerte absichtlich und offenbar weit vor dem Gegner vorbei, weil die Niederlage des (vermeintlichen) Matthieu sein ganzes Hofgluͤck mit niedergeschlagen haͤtte. Matthieu, schon unter den Zuruͤstungen des Gefechtes schaͤumend, und noch mehr ergrimmt uͤber das Verfehlen seines Wechsel- Ziels, und zu stolz, um sich vor den Englaͤndern mit dem Geschenk seines Lebens unter einem frem¬ den Namen und von einem so veraͤchtlichen Wider¬ part beschaͤmen zu lassen, sties seine eigene Maske herab, und Flamins seine dazu und rit kalt auf den Kammerherrn zu und sagte: um ihn durch die Entdeckung seines ahnenlosen Gegners zu demuͤthi¬ gen: »Sie haben sich im Stande geirrt — aber »jetzt schießen wir uns« . . . Le Baut stotterte ver¬ wirrt und beleidigt — aber Matthieu draͤngte sein Pferd zuruͤck — stand — schrie — schoß mit verstei¬ nertem Arme und traf und zerstoͤhrte toͤdtlich das kahle Leben des armen Le Baut. . . Blitzschnell sag¬ te er allen: »zum Grafen O!« und trabte — mit dem Bewußtseyn der fruͤhen, leichten Vergebung von Seiten des Fuͤrstenpaars und der Wittwe — uͤber die Graͤnze hinuͤber nach Kusseviz. Flamin wurde ein Eisberg — dann ein Vulkan — dann eine wilde Flamme — dann ergrif er die Haͤnde der Britten und sagte: »ich, blos ich hab' » den hier getoͤdtet. Mein Freund haͤtte nichts mit »ihm gehabt. Aber da er fuͤr mich gesuͤndigt hat: »so ists Pflicht, daß ich fuͤr ihn buͤße — Ich will »sterben; ich gebe mich bei den Richtern fuͤr den »Moͤrder aus, damit ich hingerichtet werde — und »ihr muͤsset wie ich aussagen.» — Aber er ent¬ deckte ihnen jetzt einen viel hoͤhern Antrieb zu seiner kuͤhnen Luͤge: wenn ich sterbe, sagt' er immer gluͤ¬ hender, so muͤssen sie mich auf dem Richtplatz sa¬ gen lassen, was ich will. Da will ich Flammen un¬ ter das Volk werfen, die den Thron einaͤschern sol¬ len. Ich will sagen: »seht, hier neben dem Richt¬ »schwert bin ich so fest und froh wie ihr, und ich »habe doch nur Einen Nichtswuͤrdigen aus der Welt »geworfen. Ihr koͤnntet Blutigel, Woͤlfe, und »Schlangen und einen Laͤmmergeier zugleich fangen »und einsperren — ihr koͤnntet ein Leben voll Frei¬ »heit erbeuten, oder einen Tod voll Ruhm. Sind »denn die tausend aufgerissenen Augen um mich alle »starblind, die Arme alle gelaͤhmt, daß keiner den »langen Blutigel sehen und wegschleudern will, der »uͤber euch alle hinkriecht und dem der Schwanz »abgeschnitten ist, damit wieder der Hofstaat und »die Kollegien hinten daran saugen? Seht, ich »war sonst mit dabei und sah wie man euch schin¬ »det — und die Herren vom Hofe haben euere »Haͤute an. Seht einmal in die Stadt: gehoͤren »die Pallaͤste euch, oder die Hundshuͤtten? Die »langen Gaͤrten, in denen sie zur Luft herum gehen, »oder die steinigen Aecker, in denen ihr euch todt »buͤcken muͤsset? Ihr arbeitet wohl, aber ihr habt »nichts, ihr seid nichts, ihr werdet nichts — hin¬ »gegen der faullenzende todte Kammerherr da neben »mir». . . . Niemand laͤchelte; aber er kam zu sich. Die Drillinge, fuͤr die der Koͤrper und die Zeit und der Thron eine Brandmauer, oder ein Ofenschirm ihrer in sich selber zuruͤckbrennenden Freiheitslohe w , gelobten ihm gebundne Zungen, feste Herzen und thaͤtige Haͤnde; doch waren sie schweigend entschlossen, ihn nach der spruͤhenden Rede mit ihrem Blute zu retten und seine Unschuld zu enthuͤllen. Eine Folge dieses Freiheits-Dythram¬ ben war, daß Kats der aͤltere den Tag darauf den Pulverthurm bei Maienthal, der das einzige Pulver¬ magazin im Lande war, (Kornmagazine hatte man nicht so viele) ins Gewitter aufsprengte, als er nach Kusseviz zu Mathieu ritt. — Nun trugen sie die Luͤge ins Dorf, Flamin habe die Verkappung Matzens benutzet und in einer aͤhnli¬ chen dem Kammerherrn, den er wegen eigner Ah¬ nen Glaze nicht erschießen konnte, mit der Pistole das Lebenslicht ausgeputzt. Der Regierungsrath wurde auf einer kleinen scheinbaren Flucht inhaftiert und als eine goͤttliche Statue allein in jenen Tem¬ pel gesetzt, der wie die alten Tempel ohne Fenster und Geraͤthschaft war, und den die darin seßhaften Goͤtter wie Diogenes sein Faß mit Inskripzionen versehen, und den der gemeine Mann blos ein Ge¬ faͤngnis nennt. — — — Ich will aber vor allen Dingen diese und die folgenden Worte ein Extrablatt benennen. Die Kapelle oder das Filial eines sol¬ chen Tempels heisset man ferner ein Hundeloch. Die Priester und Sodalen dieser Pagoden sind die Stockmeister und Stadtknechte. Ueberhaupt sind die Zeiten nicht mehr, wo die Großen gleichguͤltig ge¬ gen Wahrheiten waren: jetzt suchen sie einen Mann, der wichtige gesagt hat, vielmehr auf und setzen ihm nach und machen ihn (mit mehr Recht als die Tyrier ihren Gott Herkules) in besagten Tempeln mit Ketgen und eisernen postillions d'amour fest, damit er da auf diesem Isolierschemel (Isolatorio) sein elektrisches Feuer und Licht besser beisammen behalte und an¬ haͤufe. Ist einmal ein solcher Merkur so fixiert und hat er mit den Fixsternen außer dem Lichte auch die Unbeweglichkeit lange genug gemein gehabt: so kann man ihm, wenn mehr aus ihm geworden ist, endlich gar an den Dreifuß — so heißt der Galgen — als ein haͤngendes Siegel der Wahrheit schaffen, wo er zur ordentlichen aufgetrockneten Naturalie aus¬ doͤrret, weil er sonst als kein taugliches Exemplar in das herbarium vivum des philosophischen Martyro¬ logiums geklebt werden kann. Ein solches Haͤngen ist eine wuͤrdigere und nuͤtzlichere Nachahmung der Kreuzigung Christi, als ich in so vielen katholi¬ schen Kirchen an Karfreitagen sah, und im Grunde um nichts schwaͤcher als die, so Michel Angelo ver¬ anstaltete, der den Menschen, der ihm zum Getreu¬ zigten saß, oder vielmehr hing, re vera kreuzigte. Daher sind in katholischen Laͤndern neben den un¬ blutigen Meßopfern mehrere blutige ; denn ein solcher Quasichristus, der nicht in den dritten Him¬ mel, aber doch in den Zitterungshimmel Die alten Astronomen schalteten zwischen den Fixsternen und den Planeten einen Zitterungshimmel ein, um ihm die kleinen Anomalien der letztern schuld zu geben. ( coelum trepidationis ) erhoͤht wird durch ein wenig Hanf, soll — deswegen erlegt man ihn — seinen Lehren durch seinen Tod die Dienste erweisen, den der hoͤ¬ here Kreuzestod einmal erwies. Und warlich die Todten predigen fort — fuͤr die Wahrheit sterben, ist ein Tod nicht fuͤr das Vaterland, sondern fuͤr die Welt — die Wahrheit wird wie die medi¬ zeische Venus in dreißig Truͤmmern der Nachwelt uͤbergeben, aber diese wird sie in eine Goͤttin zusam¬ menfuͤgen — und dein Tempel, ewige Wahrheit, der jetzt halb unter der Erde steht, ausgehoͤhlt von den Erbbegraͤbnissen deiner Maͤrtyrer, wird sich endlich uͤder die Erde heben, und eisern mit jedem Pfeiler in einem theuern Grabe stehen! Ende ! Kato ritt dem nach Kusseviz gefluͤchteten Mat¬ thieu nach und legte ihm mit franzoͤsischer Bered¬ samkeit den Plan Flamins, zu sterben, und ihren eignen, ihn zu retten vor. Maz genehmigte alles, aber er glaubte nichts: er blieb noch außer Landes. Doch erbat er sich, es ihm nicht uͤbel zu nehmen, wenn er Flamins edle Aufopferung mit etwas ver¬ gaͤlte, was wider ihren Plan, aber uͤber ihre Hof¬ nungen waͤre. Will er etwan dem Fuͤrsten es sagen, daß sein Sohn in der Haft sitzt? — In drei Minuten gehen die Leser und ich in die Apotheke zum Helden, wenn nur vorher berichtet worden ist, daß als der leere blutige Gaul des Kam¬ merherrn und die Drillinge mit der luͤgenhaften Hiobspost des Mordes ans Pfarrfenster kamen, der Hofcaplan eingeseift und halb rasiert war. Er mußte daher still sitzen und nur langsam unter dem Messer reden: »o Jammer uͤber allen Jammer — »scheer' Er doch fixer zu, mein H. Feldscheer — »Frau, heule nur wenigstens» — Er schwenkte in seiner verhaltenen Pein die Hand schlotternd, um den Arm und das Kinn nicht zu erschuͤttern: »Um »Gottes Willen, kann Er mich denn nicht hurtig »schinden? — Er hat einen armen Hiob unter »dem Messer — es ist mein letzter Bart — man »wird mich und mein Haushalten gefaͤnglich einzie¬ »hen — Du Rabenkind, dein Vater kann deinet¬ »wegen dekollirt werden, du Kain du!» Er lief an alle Fenster: »Daß Gott erbarm'! das wird »schon im ganzen Pfarrspiel ruchtbar — Siehst du »Frau, einen solchen Satanas haben wir mit einan¬ »der erzogen und geboren, du bist schuld — Was »lauscht Er denn da, scheer' Er sich einmal fort zu »seinen Kunden, H. Feldscheer, und schwaͤrz' er sei¬ »nen Seelenhirten nirgends an, und breit' ers nicht »aus» — — Jetzt kam die sanfte Klotilde, nieder¬ gesenkt und mit dem Schnupftuch in der Hand, weil sie errieth, was das Herz einer untroͤstlichen Mutter beduͤrfe, naͤmlich zwei liebende Arme, als ei¬ nen Verband um die zerschmetterte Brust, und tau¬ send Balsamtropfen fremder Thraͤnen auf das unter den Splittern schwellende Herz. Sie ging auf die Mutter mit ofnen Armen zu und schloß sie darin sprachlos weinend ein. Der naͤrrische Pfarrer fiel ihr zu Fuͤßen und schrie: »Gnade! Gnade! wir »saͤmtlich wusten um nichts. Ich hab' den Todt¬ »schlag erst unter dem Balbieren gehoͤrt. Ich be¬ »jammre nur Dero Herrn Vater und seine Relik¬ »ten. — Ich und meine Frau sind gestraft genug, »daß ich jetzt nicht Senior Consistorii werden kann; »und unsern Pathenbrief an Se . Durchlaucht un¬ »terschlag ich auch, und wenn meine Frau auf der »Stelle niederkaͤme.» — Die zwei Freundinnen zogen sich in ein Kabinet; und hier goß Klotilde das erste Wundwasser auf die blutende Seele, indem sie mit ihr die Reise nach London verabredete. — — Einige meiner Leser werden mir schon vorgeflo¬ gen seyn, und in den Erker Viktors hineingeschaut haben, um seinen von vier Waͤnden versteckten Gram zu finden — fuͤrchterlich steht die Einsamkeit vor ihm und faltet ihm ein großes schwarzes Gemaͤlde mit zwei weißen Graͤbern auf; in einem großen Grabe liegt die verlorne Freundschaft, im andern die verlorne Hofnung. Ach er wuͤnscht das dritte, worein auch er sich verloͤre. Er hatte die erhabne Stimmung Hamlets . Der verhuͤllte Julius kam ihm wie ein zuckender Todter vor. Er mied ganz den Hof: denn sein Selbstgefuͤhl war viel zu be¬ scheiden und stolz, um mit dem gestohlnen Adel und den erschlichenen Rechten eines Lords Sohnes ein fluͤchtiges Gepraͤnge zu treiben. Auch setzte sich an seinem Herzen eine kleine Frostbeule durch den Ge¬ danken an, daß der Lord, nach der Unart aller Staatsleute und Staatsmaschinenmeister, die Men¬ schen zu handhaben nur wie Koͤrper, nicht wie Gei¬ ster, nur wie Karyatiden, nicht wie Miethleute des Staatsgebaͤudes, kurz blos wie Taͤnzerinnen von Golkonda Neun Tänzerinnen verstricken sich zu einem Elephanten für den König, eine macht den Rüssel, viere die Beine, viere den Rumpf. Historie aller Reis . 10. Band. die sich zum Lastvieh eines einzigen Rei¬ ters mit ihren Gliedern zusammenschlingen und ver¬ schraͤnken — daß der Lord, sag' ich, diese sonst er¬ habene Seele, auch seinen Viktor zu sehr zum Ar¬ beitszeuge seiner Tugend verbrauchet hatte. Aber er vergabs dem Mann, dem er doch nichts vorzu¬ werfen hatte, als daß er nur die Guͤtigkeiten eines Vaters gehabt, ohne die Rechte desselben. Da Viktor niemand den Hof mehr machte: so wollte natuͤrlich der Apotheker ihm auch keinen mehr machen. Jener laͤchelte dazu und dachte: »so sollte »jeder gute Hofman handeln, und wie ein geschick¬ »ter Faͤhrmann in seinem Boote, allemal die Seite »verlassen, die sinkt , und auf die andere uͤbertre¬ »ten.» Zeusel trat uͤber zum beguͤnstigten Brunnen¬ doktor Kuhlpepper, dessen Einsichten man die Hei¬ lung Jenners zuschrieb, die vom Sommer herkam, und er legte sich hin, um mit seiner kleinen Schlangen¬ zunge die Fuͤße zu lecken‚ in deren Ferse er vorher mit seinem Giftgebiß gestochen hatte — aber Gro¬ biane vergeben nie: Kuhlpepper verachtete den »Neunundneunziger» und der Neunundneunziger wieder meinen Hofmedikus‚ wiewol er ihn aus Furcht — wie der Fuͤrst aus Gemaͤchlichkeit — we¬ der vor den Kopf noch aus dem Hause zu stoßen wagte. Armer Viktor! der Ungluͤckliche braucht Thaͤtig¬ keit wie der Gluͤckliche Ruhe; und doch mußtest du gebunden in die Zukunft wie in ein ausgedehntes her¬ antreibendes Gewitter schauen — Du konntest sie weder verdraͤngen noch lenken noch beschleunigen, und hattest nicht einmal den Trost, dem Schmerze die Waffen zu schmieden, und wie Simson den Krampf der Qual durch Erschuͤtterungen der Saͤu¬ len auszulassen und — auszuloͤschen! — Er konnte nicht einmal fuͤr den gefangenen Liebling etwas thun, den er in einen noch groͤßern Jammer getrie¬ ben: denn Flamins Leiden fuͤhrten wieder die Freundschaft fuͤr ihn in seinen Busen ein‚ obwol verkappt in den Domino der Menschenliebe . Er must' es erwarten‚ aber er konnt es nicht errathen‚ ob der Lord komme oder lebe — welches beides durch dessen Schweigen und durch die Unsichtbarkeit des fuͤnften Fuͤrstensohnes wenig fuͤr sich hatte. — — Zuletzt stand er in Furcht vor dem — Schlaf‚ zu¬ mal dem mittaͤglichen: denn der Schlummer legt zwar seine Sommernacht uͤber unsere Gegenwart wie uͤber eine Zukunft, er zieht zwei Augenlieder gleichsam wie den ersten Verband uͤber die Wunden des Menschen und deckt mit einem kleinen Traume ein Schlachtfeld zu; aber wenn er wieder weg geht mit seinem Mantel, so fallen die hungrigen Schmerzen desto heißer auf den nackten Menschen los, unter Stichen faͤhrt er aus dem ruhigern Trau¬ me empor, und die Vernunft muß die ausgesetzte Kur den vergeßnen Trost von vorn anfangen. — Und doch — du gutes Schicksal! — zeigtest du un¬ serem Viktor noch einen abendroͤthlichen Streif an seinem weiten Nachthimmel: es war die Hofnung, von Klotilden, die sein Herz nicht mehr die Seinige nennen durfte, vielleicht einen Brief aus London zu erhalten. . . . Ich wollte dieses Kapitel erstlich mit der Nach¬ richt schließen, daß die Kapitel in immer weiterm Zeitraume und in kleinerm Format einlaufen — welches das Ende der Historie bezeichnet, — und nachher mit der Bitte es nicht uͤbel zu nehmen, daß die Leute darin immer romantischer agieren und spekulieren: das Ungluͤck macht romantisch, nicht der Biograph. Aber ich schließe gar nicht — eben der letztern Bitte wegen —, sondern frische lieber im Kopf des Lesers Lesers das Bild des alten lustigen Viktors ein we¬ nig auf, den er sich kaum mehr wird denken koͤnnen. Es ist ein ungemein gluͤcklicher Zufall, daß mir der Hund am dritten Hundsposttage eines und das an¬ dre Faktum eingeliefert, das ich damals gar ausge¬ lassen habe. Deswegen kann ichs jetzt unvermuthet rapportieren. Es muß ordentlich mir und dem Le¬ ser das groͤste Vergnuͤgen machen, wenn meine Schilderei — sie war damals schon ganz fertig — hier auf diesem Blatte aufgehangen wird. Der Hiatus des dritten Kapitels, morin ich Vik¬ tors Ankunft aus Goͤttingen im Pfarrhaus male, lautet vollgemacht also: »Der Kaplan hatte das Eigne mancher Leute daß er mitten im Freuden- und Visiten-Choc an seine winzigsten Funkzionen dachte, z. B. am Hoch¬ zeittage an seine Maulwurfsfallen. Heute schnitt er in der Gesindestube — waͤhrend der Lord dem Hof¬ medikus die geheime Instrukzion ertheilte — die Saͤe-Kartoffeln entzwei. Er konnte die Sekzion dieser Fruͤchte wenigen anvertrauen, weil er wuste, wie selten ein Mensch Stereometrie des Auges ge¬ nug besas, um eine Kartoffel in zwei gleiche Kegel- oder Kugelschnitte zu zerfaͤllen. Er haͤtte lieber die Saͤezeit versessen, als einen Keimglobus in ungleiche Sektores zerlegt und sagte: »nur Ordnung will ich haben.» — Es kann meinen Helden verschatten, Hesperus. III . Th. D wenn es auskoͤmmt — und durch den Druck muß es ja — und wenn es zumal Nuͤrnberger Patriziern und Leuten in Aemtern und Reichsgerichtlichen membris zu Ohren koͤmmt, daß Viktor Nachmittags hinter dem Kaplan und Appeln einen Ehrenzug auf den Krautacker hielt, und daselbst das vollfuͤhrte, was man in einigen Provinzen Kartoffelnstecken nennt. Man ließ ihm das Lob, daß er in eben so symmetrischen Distanzen wie der Kaplan, die unter¬ irdische Brodfrucht dem Boden einverleibe; uͤber¬ haupt sannen beide der Kartoffelnallee scharf nach und ihre Augen waren die Linientheiler der Beete. Der Kaplan hatte schon vorher dem Ackerpflug hin¬ ter einem Diopterlineal nachgesehen und nachgehol¬ fen, damit das Feld, um das ich und die reichsge¬ richtlichen membra jetzt stehen, in gleiche Prismata oder Beete ausgeschnitten wurde. Als beide Abends nach Hause kamen mit großem Ernst und kleinen Waͤmsern: so hatt' ihn das ganze Haus lieb zum Fressen; und die Pfarrerin fragte ihn, was er in seinem Wams, wenn ihm die Kammerherrin begeg¬ net waͤre, gemacht haͤtte, eine Verbeugung, eine Entschuldigung oder nichts? »O du liebes Deutschland! (rief er und schlug »die Haͤnde zusammen) soll sich denn das ganze »Land keinen Spas machen als den der Hof dekre¬ »tiert?» (Viktor sah hier den alten tauben Kut¬ scher Zeusel an: denn jede humoristische Ergießung richtete er ordentlicher Weise an den, der sie am wenigsten verstand; ich wills aber hier an die Patri¬ zier und membra gerichtet wissen) »Giebts denn, »mein lieber Mann, hier zu Lande nichts als Gal¬ »gen und Zimmerleute und Justizbeamten, ich meine »so, daß also die erstern keine Axt anruͤhren, wenn »nicht die letztern damit den ersten Hieb gethan? »Will Er denn alle Narrheiten wie die Moden von »oben herabbekommen, wie ein Wind allemal in den »obern Luftregionen sauset eh' er unten an unsere »Fenster anpfeift? — Und wo ist denn ein Reichs¬ »abschied oder ein Vikariatskonklusum, das einem »Reichs-Deutschen verboͤte, naͤrrisch zu seyn? Ich »hoffe, Zeusel, es soll noch eine Zeit kommen, wo »Er und ich und jeder so viel Verstand hat, daß er »seinen eignen hat und seine eigne aus seinem »Fleisch und Blut gezeugte Privat-Narrheit, als »Autodidaktus in jeder Toll- und Weisheit. — »O ihr armen Menschen! fangt doch nach den Fluͤ¬ »gel- und Schwanzfedern der Freude unter den for¬ »cierten Maͤrschen euerer Tage! O ihr Armen! »Will denn kein guter Freund einen Imperialfo¬ »lianten zusammenschmieren und euch darthun, daß »ihr wenig Zeit habt gleich dem Teufel in der Apo¬ »kalypsis? Ach der Genius verspricht so wenig — »die Hofnung haͤlt so wenig — Der Saͤe- und Y 2 »Pflanztage der Freude stehen im berlinischen Ka¬ »lender so wenig — wenn ihr nun vollends so »dumm waͤret und ganze Stunden und Olympiaden »voll Luft als Eingemachtes wegsetztet und aufhoͤbet »im Keller, um, der Henker weiß wenn, daruͤber zu »gerathen uͤber ganze eingepoͤkelte marinierte 50, »60 Jahre — — ich sage, wenn ihr nicht an »jeder Stundentraube die Minuten-Beere auskelter¬ »tet wenigstens mit einigen Zitronendruͤckern —— — »was wuͤrde denn am Ende daraus werden? . . . »weiter nichts als die Moral zu meiner ersten und »letzten Fabel, die ich einmal vor einem Hanovera¬ »ner gemacht» . . . Ich wollt', der Leser wollte sie: denn sie lau¬ tet so: »Der dumme Hamster, heißt der Titel. Diesen »brachte einmal der volle Kropf einer Taube, den »er ausfraß, auf die Preisfrage, ob es nicht besser »waͤre, wenn er statt einzelner Koͤrngen lieber Tau¬ »ben mit ganzen Kornmagazinen am Halse eintruͤge. »Er thats. An einem langen Sommertag inhaf¬ »tierte er einen halben Taubenflug mit gefuͤllten »Kroͤpfen; aber er riß keinen Kropf entzwei, son¬ »dern sparte sich hungernd alles zusammen auf »Abend und Morgen, erstlich um recht viel Tauben »zu inkarzerieren, zweitens um den Koͤrner-Knaul »Abends durchgeweicht zu schmausen. Er schlizte »endlich Abends seinen Zehend-Offizianten die »Kroͤpfe auf, sechsen, neunen, allen — kein Koͤrngen »war mehr da, die Inhaftaten hatten alles schon »selber verdaut; und der Hamster war so dumm ge¬ »wesen wie ein — Geizhals.» So weit der dritte und der vierzigste Hundspost¬ tag. — Armer Viktor! Postskript : die Geschichte versieret jetzt im Monat August und der Geschichtschreiber vorn am Oktober — blos ein Monat liegt zwischen beiden. 41. Hundsposttag. Brief — zwei neue Inzisionen des Schicksals — des Lords Glaubensbekenntniß. M an schenke einem Menschen, der wie ein Pferd, in der Naͤhe der Nacht und der Heimath staͤrker laͤuft, den zehnten Schalttag: am Ende eines Lebens und eines Buchs macht der Mensch wenig Aus¬ schweifungen. Ich hab' es schon gesagt, daß nichts das Seelen- und Ruͤckenmark mehr aus einem Menschen presset, als wenn ihm sein Ungluͤck kein Handeln vergoͤnnt: das Schicksal hielt unsern Viktor noch fest mit der einen Hand, um ihn wund zu schlagen mit der an¬ dern, als in diesen Trauerwochen das Schoͤpfrad der Zeit zwei neue Thraͤnenkruͤge im Herzen der Men¬ schen einschoͤpfte und in die Ewigkeit hinausgoß. Erstlich kam die truͤbe Nachricht wie Trauergelaͤute an Viktors Ohr, daß sein ehemaliger Jugendfreund Flamin einen Schritt, zu dem es ohne das Ueber¬ werfen mit ihm nie gekommen waͤre, wol mit dem Tode buͤßen werde. Einige Tage nach den Kaniku¬ larferien — gerade als vor einem Jahre der arme Gefangne sein neues Amt mit so vielen menschen¬ freundlichen Hofnungen angetreten hatte — zog je¬ nes Geruͤcht wie eine Pestwolke aus den Sessions¬ zimmern heraus. Viktor fluͤchtete eilig und un¬ glaͤubig und doch zitternd zum Apotheker, um ihm die Widerlegung abzufragen. Dieser schlug vor ihm — eben weil er den Hofmedikus verachtete und be¬ schaͤmen wollte — aufrichtig alle Kurial-Rapport¬ zettel und Cercle- oder Kreisrelazionen aus einander und las ihm daraus so viel vor: es sei nicht an¬ ders. Viktor hoͤrte, was er schon voraussetzte, daß jetzt der Fuͤrst den Laufzaum oder das Stangengebiß seiner eignen Frau umhabe, und daß sie ihm durch Klotildens Entfernung naͤher komme und mit dem Ohr - und Ring finger den in den Nasen ring eingefaͤdelten Zuͤgel bewege, als waͤre sie in der That nichts geringeres als seine — Maitresse, wel¬ ches ein neues trauriges Beispiel ist, wie leicht in den jetzigen Zeiten eine feine Ehefrau sich die Rechte einer Kebsfrau erschleiche. Zeusel fand es natuͤrlich, »daß sie, als die Freundin des Ministers, »der so wie sein Sohn Matthieu der Freund des »Kammerherrn gewesen, den Tod des letztern an »Flamin zu raͤchen suche, und daß der Minister, um »seine Hand besser in die Griffe der Parzenscheere »zu bringen und dem Regierungsrath den Lebensfa¬ »den entzwei zu schneiden, selber die fortdauernde »Entfernung seines Sohns verhaͤnge und unterhalte, »damit dieser nicht etwan den ungluͤcklichen Liebling »decke.» — Nicht ein wahres Wort war daran, das wußte Viktor besser; aber desto schlimmer: ach verraͤth nicht alles, daß Matthieu die Fuͤrstin durch Winke uͤber Flamins Geburt in sein treuloses In¬ teresse gezogen, um wie Zauberer, in der Ferne und durch wenige Karaktere umzubringen? Wuͤrd' ihn wol blos die Furcht vor der Ruͤge der Ausfoderung so lange außer den Graͤnzsteinen des Landes festhal¬ ten? — Noch dazu bruͤtete die Fuͤrstensonne den ministerialischen Kroͤtenlaich immer lebendiger an. Es ist wahr — und Viktor laͤugnete es nicht —, man darf erwarten von der Fuͤrstin, daß sie die Matthaͤus« oder Jakobsleiter, auf der sie das fuͤrst¬ liche Herz erstieg, da sie vorher nur an Jenners Hand reichte —, mit der Zeit umschnellen wird mit dem Fuß, so wie der Marder sich vom schlaf¬ trunknen Adler in die Hoͤhe reißen laͤßt und ihn erst droben so lange zerhackt, bis der Traͤger faͤllt und stirbt: aber jetzt ist, glaub' ich, ihre fortdauernde Dankbarkeit gegen Schleunes schon genugsam fuͤr den Rechtschaffenen dadurch entschuldigt, daß noch mehr zu holen steht von der unvollendeten Gabe . Ein alter Gesetzmacher setzte auf jeden Undank Strafe; ich glaube, man verfaͤllt in den naͤmlichen Fehler wie er, wenn man jede Dank barkeit tadelt und bestraft, da oft der Eigennuͤtzigste am Hofe zu ihr seine guten Gruͤnde haben kann. Viktor ging truͤbe in sein Zimmer und sah das Portrait Flamins an und sagte: »o! das wolle der »Himmel nicht, daß du Armer nicht mehr zu retten »waͤrest.» Viktor konnte sich uͤberhaupt drei Tage nach einer Beleidigung nicht mehr raͤchen: »ich ver¬ »gebe jedem, sagt' er sonst, nur Freunden und Maͤd¬ »gen nicht, weil ich beide zu lieb habe.« Aber welche Hand, welchen Zweig konnt' er dem sinken¬ den Flamin hinunterreichen ins Gefaͤngniß? — Alles was er vermochte, war zum Fuͤrsten zu gehen mit einer nackten Bitte um dessen Begnadigung. Tausend Aufopferungen unterbleiben, weil man nicht ganz gewiß ist, daß sie ihre rechten Fruͤchte bringen. Aber Viktor gieng doch: er hatte sich die goldne Regel gemacht: fuͤr den Andern auch dann zu handeln , wenn der Erfolg nicht gewiß zu hoffen ist . Denn wollten wir erst diese Gewißheit abwarten: so wuͤrden Aufopferungen eben so selten als unverdienstlich werden. Er gieng zum Fuͤrsten nach langer Zeit zum er¬ stenmal — hatte den Nachtheil wider sich, eine lan¬ ge Abwesenheit mit einer Bitte zu endigen — sprach mit dem Feuer des Einsamen fuͤr seinen Flamin — flehte den Fuͤrsten um den Aufschub des Schicksals desselben an, bis der Lord wiederkehrte — erhielt die Resoluzion: »Ihr H. Vater und ich muͤssen es blos »der Justiz uͤberlassen» und wurde kalt und stolz verabschiedet. Jetzt gerade am 5. September dieses Jahres, wo eine große Sonnenfinsterniß die Seele wie die Erde truͤbe und bange machte, jetzt hatte das Wasserrad des Schicksals den ersten Thraͤnenkrug in seiner Brust gefuͤllt — es waͤlzte sich weiter und der zweite floß uͤber: Klotildens Brief kam den 22. Sep¬ tember zu Herbstes Anfang an. »Theurer Freund! »Ihr H. Vater war in London noch zu Anfang des Februars und hatte viel franzoͤsische Kor¬ respondenz; dann gieng er ab nach Deutschland, und seitdem weiß meine Mutter nichts von ihm. Das Schicksal wache uͤber sein wichtiges Leben. An drei Eiden Diese Eide der Verschwiegenheit hatte sich bekanntlich der Lord von Viktor, von Klotilde und von ihrer Mutter un¬ ter jenem tragischen Apparat, der besonders in weibliche Heezen so stark eingreift, ablegen lassen. , die seine Abwesenheit unaufloͤslich macht, haͤngen viele Thraͤnen, viele Herzen und o Gott! ein Menschenleben. — Ich lege ein Blatt von Ih¬ rem H. Vater bei, das er bei meiner Mutter ge¬ schrieben und worin eine Philosophie ist, die meinen Geist und meine Aussichten immer truͤber machen. Ach, ob sie gleich einmal sagten: weder die Furcht noch die Hofnungen des Menschen treffen ein, son¬ dern immer etwas anders; so hab' ich doch das traurige Recht, meiner Bangigkeit und allen Traͤu¬ men der Angst zu glauben, da ich mich bisher in nichts irrte als in der Hofnung. — Wie ungenuͤg¬ sam ist der Mensch — Ach wenn auch alles ein¬ traͤfe und ich zu ungluͤcklich wuͤrde: so wuͤrd' ich doch sagen: wie koͤnnt' ich jetzt zu ungluͤcklich seyn, wenn ich nicht einmal zu gluͤcklich gewesen waͤre? — — Sie werden mir es gern vergeben, daß ich uͤber London und uͤber den Eindruck schweige, den es auf ein so zerstreuetes Herz wie meines machen konnte: das thaͤtige Gewuͤhl der Freiheit und der Schimmer des Luxus und des Handels beklemmen eine kummer¬ hafte Seele blos und machen nicht froher, wenn man es nicht vorher ist. Sei gluͤcklich, geliebte Vaterstadt, sagte mein Herz, sei es lange und sehr, wie ichs in dir gewesen bin in meiner Jugend! — Aber dann eil' ich lieber mit meiner Mutter auf ihr Landhaus zu, wo einmal drei gute Kinder Viktor, Julius, Flamin. so froͤhlich gruͤnten und da werd' ich unaussprechlich erweicht und dann bild' ich mir ein, ich sei hier gluͤcklicher, als unter den Gluͤcklichen. Ich bilde mir es wol nur ein: denn wenn ich da das gesam¬ melte Spielzeug dieser guten Kinder, ihre Exerzi¬ zienbuͤcher und ihre engen Kleider anschaue; wenn ich mich unter drei an einander gesaͤete Kirschbaͤume setze, die sie scherzend in dem zu engen Kindergarten eingelegt hatten; und wenn ich dann denke, auf die¬ ser Buͤhne zogen sie ihre Herzen fuͤr ein gluͤcklicheres Leben groß als sie gewonnen, fuͤr eine hoͤhere Tu¬ gend als die Verhaͤltnisse zugelassen, und fuͤr bessere Menschen als sie gefunden haben: dann werd' ich sehr betruͤbt, und dann ist mir als muͤst' ich weinen und duͤrft' ich sagen: auch ich bin in England ge¬ boren und wurde in Maienthal erzogen. Ach ich kann mein Herz nicht verbergen, wenn ich den Namen dieser großen Seele schreibe — Er war hier oft auf einem Berge, wo eine auseinander¬ gefallene Kirche liegt, und wo er auf eine noch nicht umgeworfene Saͤule stieg, um sein Auge zu den Sternen zu erheben, wo er nun wohnt — Ich wollte Ihnen jetzt das schreiben, was mir meine Mutter von seinem Abschied erzaͤhlte: aber les thut mir zu wehe und ich werd es Ihnen muͤndlich sagen. Ich besuche diesen Berg sehr oft, weil man in die ganze Ebene nach Osten hinuntersehen kann: hier haͤngt noch der alte Baum mit seinen Wurzeln und Zweigen in den Steinbruch hinunter, der voll zer¬ stuͤckter Tempelsaͤulen liegt; Emanuel nahm oft Abends das Kind dahin, das er am meisten liebte Sie weiß es wol, daß es Viktor war. und das, wenn er auf der Saͤule betete, mit dem einen Arm um den Baum geschlungen, sehnsuͤchtig und singend uͤber die weite Gegend hinuͤber blickte und sich hinauslehnte und ohne es zu wissen in suͤ¬ ßer Beklommenheit uͤber die eignen Toͤne und die entlegnen Gefilde weinte und uͤber das blasse Mor¬ genroth, das von der Abendroͤthe zuruͤckglimmte. Einmal da der Lehrer das Kind fragte: warum bist du so still und singest nicht mehr? — gab es zur Antwort: »ach ich sehne mich in die Morgenroͤthe, ich »moͤchte darin liegen und dadurch gehen und in die »hellen Laͤnder dahinter hineinschauen.» — Ich setze mich oft unter jenen Baum und lehne den Kopf an ihn und verfolge stumm die Entfernung bis an den Horizont, der vor Deutschland steht, und niemand stoͤrt mein Weinen und mein stilles Beten. Ich war heute zum leztenmale dort, denn mor¬ gen gehen wir mit meiner Mutter, ohne die mein verwaistes Herz nicht mehr leben kann, nach Deutsch¬ land zuruͤck zum besten Freunde der treuesten Freunde. Cl. O du gute Seele! — — Hart klingt jetzt das sonderbare Blatt vom Lord, das kein Brief sondern eine kalte Schutzrede seines kuͤnftigen Betragens zu seyn scheint. »Das Leben ist ein leeres kleines Spiel. Wenn mich meine vielen Jahre nicht widerleget haben: so ist eine Widerlegung durch die wenigen uͤbrigen we¬ der noͤthig noch moͤglich. Ein einziger Ungluͤcklicher wiegt alle Trunkne auf. Fuͤr uns nichtige Dinge sind nichtige Dinge gut genug; fuͤr Schlaͤfer Traͤu¬ me. Darum giebt es weder in noch ausser uns et¬ was Bewundernswerthes. Die Sonne ist in der Naͤhe ein Erdball, ein Erdball ist bloß die oͤftere Wiederhohlung der Erdscholle. — Was nicht an und fuͤr sich erhaben ist, kanns durch die oͤftere Sez¬ zung so wenig werden, als der Floh durchs Mikro¬ skop, hoͤchstens kleiner. Warum soll das Gewitter erhabner sein als ein elektrischer Versuch, ein Re¬ genbogen groͤßer als eine Seifenblase? Loͤs' ich eine große Schweitzergegend in ihre Bestandtheile auf: so hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Graͤser, Tro¬ pfen und Gries. — Die Zeit vergeht in Augen¬ blicke, die Voͤlker in Individuen, das Genie in Gedanken, die Unermeßlichkeit in Punkte: es ist nichts groß. — Ein oft gedachter trigonometrischer Satz wird zum identischen, ein oft gelesener Ein¬ fall schaal, eine alte Wahrheit gleichguͤltig. — Ich behaupte wieder: was durch Stufen groß wird, bleibt klein. Wenn die Dichtungskraft, die entweder Bilder oder Leidenschaften mahlt, nicht in der Erfindung des alltaͤglichsten Bildes schon zu bewundern ist, so ist es nirgends. In die Stelle eines andern kann sich jeder in irgend einem Grade setzen. — Die Begeisterung ist mir verhaßt, weil sie eben so gut durch Likoͤre als durch Phantasien entsteht, und weil man in und nach ihr am meisten sich zum Haß und zur Wollust neigt. — Die Groͤ¬ ße einer erhabnen That besteht nicht in der Ausfuͤh¬ rung, die auf koͤrperliche Armseligkeiten, auf Bewe¬ gen, Stehen auslaͤuft, nicht im einfachen Ent¬ schluß, weil der entgegengesetzte, z. B. der zu mor¬ den eben so viel Kraft bedarf als der, zu sterben, nicht in der Seltenheit‚ weil wir alle uns diesel¬ be Tuͤchtigkeit dazu, nur aber nicht die Motiven dazu empfinden, nicht in allen diesem, sondern in unserer Prahlerei. — Wir halten unsern allerletz¬ ten Irrthum fuͤr Wahrheit, unser Heute fuͤr fromm, und jeden kuͤnftigen Augenblick fuͤr den Kranz und Himmel der vorigen. Im Alter hat der Geist nach so vielen Arbeiten, nach so vielen Stillungen den¬ selben Durst, dieselbe Quaal. — Da alles sich verkleinert in einem hoͤhern Auge: so muͤßte ein Geist oder eine Welt, um groß zu seyn, es sogar vor dem sogenannten goͤttlichen Auge seyn; aber dann muͤßt' er oder sie groͤßer seyn als Gott, weil man nie sein Ebenbild bewundert. — In meiner Jugend gab ich in einem Trauerspiel dem Helden alle jene Grundsaͤtze und ließ ihn kurz vorher, eh' er sich den Dolch ins Herz trieb, noch sagen: »aber »vielleicht ist der Tod erhaben: denn ich fass' ihn »nicht. Und so will ich denn die Blutboͤgen, die »aus dem Herzen aufspringen und so spielend das »Menschenhaupt und Menschen-Ich in der Hoͤhe er¬ »halten wie ein Springbrunnen die darauf gelegte »Hohlkugel schwebend traͤgt, diese Fontaine will ich »mit dem Dolche ableiten, damit das Ich nieder¬ »falle» — Ich schauderte damals uͤber diesen Karakter: aber ich dachte nachher uͤber ihn nach und es wurde mein eigner!» — Fuͤrchterlicher Mensch! Dein Blut-Strahl und das Ich daruͤber ist vielleicht schon umgefallen, oder bricht bald darnieder — Und eben diese schwarze Weissagung ist auch im Herzen Klotildens und Viktors. — — O moͤchtest du, anderer gebuͤck¬ ter Mann, den ich hier vor dem Publikum nicht nennen darf, es errathen, daß ich dich meine, daß du eben so wie der ungluͤckliche Lord dein eignes Ich abfrissest gleich blutsaugenden Leichen, und daß du in der Sternennacht des Lebens noch einen eignen toͤdtlichen Nebel um dich traͤgst! O der Anblick Anblick eines großmuͤthigen Herzens, das sich blos durch Ideen huͤlflos macht, und das unzugaͤnglich und betaͤubt in seiner Laube aus philosophischen Giftbaͤumen liegt, faͤrbt oft Tage schwarz! — Glau¬ be nicht, daß der Lord irgendwo Recht habe! Wie kann er etwas klein finden, ohn' es gegen etwas Großes zu halten? Ohne Achtung gaͤb' es keine Verachtung, ohne das Gefuͤhl der Uneigennuͤtzigkeit keine Bemerkung des Eigennutzes, ohne Groͤße keine Kleinheit. So wenig du aus dem Schwanken der Saiten die Thraͤnen des Adagio, oder aus den Blutkuͤgelgen und dreifachen Haͤuten eines schoͤnen Gesichts deine Achtung fuͤr dasselbe erklaͤrst: eben so wenig kannst du dein Entzuͤcken fuͤr das Geistige in der Natur mit den koͤrperlichen Fasern derselben rechtfertigen wollen, die nichts sind als die Floͤten- Ansaͤtze und Disklappen der ungespielten Harmonie. Das Erhabne wohnt nur in den Gedanken, es sei des Ewigen, der sie ausdruͤckt durch Buchstaben aus Welten, oder des Menschen, der sie nachlieset! — Ich verschiebe die Widerlegung des Lords auf ein anderes Buch, obwol dieses eine eben so gute ist. — Hesperus. III Th. Z 42. Hundsposttag. Aufopferung — Valetreden an die Erde — Memento - mori - Spatziergang — Herz von Wachs. — E s giebt einen Schmerz, der sich mit einem gro¬ ßen Saugestachel ans Herz legt und Thraͤnen durstig zieht — das ganze Herz rinnt und quillt und druͤckt zuckend die innersten Fasern zusammen, um zu einem Thraͤnenstrom zu werden und fuͤhlt den Zug des Schmerzens nicht unter der toͤdtlich-suͤßen Ergies¬ sung. ... So toͤdtlich suͤß schmerzte unsern Viktor Klotildens Brief. Aber toͤdtlich-bitter war der des Lords. »O die¬ »ser muͤd-gequaͤlte Geist — rief er aus — sehnte »sich ja schon auf der Insel der Vereinigung nach »Todten-Ruhe — ach er ist gewiß schon aus der »schwuͤlen Erde geflohen, die ihm so klein und druͤk¬ »kend vorkam.« War das: so waren alle Schwuͤre, an deren Erlassung Flamins Leben hieng, ewig ge¬ macht und dieser verloren. War's nicht, so war wenigstens keine Zuruͤckkehr zu hoffen, da Emanuels Tod und Gestaͤndniß, Flamins Gefangenschaft und alle bisherigen Zufaͤlle, die der Lord alle erfahren konnte, seinen ganzen schoͤn linierten Plan ausgestri¬ chen hatten. Jetzt rief's laut in Viktors Seele: »rette den Bruder deiner Geliebten!« — Ja, es war ein Mittel dazu da; — aber der Meineid war's — wenn er naͤmlich den begieng, daß er dem Fuͤrsten entdeckte, wer Flamin sei: so war er erloͤ¬ set. Aber sein Gewissen sagte: Nein! — »Der »Untergang einer Tugend ist ein groͤßeres Uebel als »der Untergang eines Menschen — nur Sterben, »aber nicht Suͤndigen muß seyn — ach soll es mich »noch mehr kosten, mein Wort zu brechen, als mich »bisher kostete, es zu halten?« Bekanntlich war am Tage der heurigen Tag- und Nachtgleiche, wo er die zwei Londner Blaͤtter empfangen hatte, ein kalter schneiender regnender Sturm, aus dem nachher der Sommer gleichsam zum zweitenmal aufbluͤhte. — Viktor gruͤbelte wei¬ ter nach. Er zog jenen großen Tag auf der Insel der Vereinigung noch einmal mit allen Minuten vor sich und fand, daß er dem Lord durchaus geschwo¬ ren hatte, immer still zu schweigen, ausgenommen eine Stunde vor seinem eignen Tode. Wir wer¬ den noch wissen, daß er sich diesen Separatartikel damals ausbedungen, weil er einmal Flamin zuge¬ schworen hatte, sich mit ihm von der Warte zu stuͤrzen, wenn sie sich feindlich trennen muͤßten und weil er jetzt, da ihm Klotildens Verschwisterung, be¬ Z 2 richtet wurde, voraus befuͤrchtete, es koͤnne zu je¬ nem Trennen und Stuͤrzen kommen: Dann wollte er sich wenigstens die Freiheit vorbehalten, nur ei¬ ne Stunde vor dem Sterben seinem Freunde zu sagen, daß er unschuldig und die Geliebte Flamins nur eine — Schwester sei. »Also eine Stunde vor meinem Tode darf ich al¬ »les offenbaren? — O Gott! — Ja! — — Ja! »— ich will sterben damit ich reden kann!« rief er entzuͤndet, pochend, aufgeweht, uͤber das Leben gehoben. — Der Sturmwind schlug die Giesbaͤche des Himmels und die zerstaͤubten Eisfelder an die Fenster und der Tag sank dunkel unter in der zu¬ sammenschlagenden Fluth. . . . »O (sagte unser »Freund) wie sehn' ich mich aus diesem schwarzen »Sturm des Lebens hinaus — in den stillen lichten »Aether — an die feste unbewegliche Brust des To¬ »des, die den Schlaf nicht stoͤrt. . . . Wenn er dem Fuͤrsten es entdeckte, daß Flamin sein eigner Sohn sei: so war dieser errettet und er brauchte nur eine Stunde darauf sich — umzu¬ bringen. Und das wollt' er gern: denn was hatt' er auf der Erde noch als — Erinnerungen? O, der Erin¬ nerungen zu viel, der Hoffnungen zu wenig! — Wen kuͤmmert sein Fall? — die Geliebte, die ihn doch entbehret, oder ihren Bruder, den er rettet und fliehet oder seinen guten Lord, der vielleicht schon im Erdball ruht, oder seinen Emanuel, des¬ sen liebende Arme schon zerfallen? — »Ja bloß die¬ »sen geht mein Sterben an, (sagt' er): denn Da¬ »hore wird sich sehnen nach seinem treuen Schuͤler, »er wird in einer Sonne die Arme oͤffnen und auf »den Weg zur Erde niederschauen und ich werde her¬ »aufkommen mit einer großen Wunde auf der Brust »und mein stroͤmendes Herz wird nackt auf der »Wunde liegen — o Emanuel, verschmaͤh' mich »nicht, werd' ich schreien, ich war ja ungluͤcklich, »seit du gestorben bist, nimm mich an und heile »die Wunde!« — »Siehst du meinen Vater?» sagte der blin¬ de Julius, und sein Angesicht nahte sich einer laͤ¬ chelnden Entzuͤckung. Viktor erschrack und sagte: ich rede mit ihm, aber ich sehe ihn nicht! — Aber das hielt sein Erheben an. Er war bisher der Paraklet und Krankenwaͤrter des armen blinden gewesen: er konnt' ihn nicht verlassen, er mußte den Retraiteschuß des Lebens verschieben auf Klotildens Ankunft, damit diese den Huͤlflosen be¬ schirme. Ach der gute Nachtwandler, und Nacht¬ sitzer (im eigentlichen Sinn) hatte anfangs jeden Tag seinen Viktor gebeten, ihm ins Auge zu ste¬ chen und das Licht wieder zu geben, eh' sein theue¬ re Vater auseinander gefallen waͤre, damit er das schoͤne von Wuͤrmern untergrabene Angesicht nur ein mal saͤhe, nur noch ein mal, ja er wollte wenig¬ stens die kalte Larve blind betasten — das hatt' er anfangs gebeten; aber in wenig Wochen hatt' er sei¬ ne Arme unter dem Todten weggezogen und sie ganz (wie ein wahres Kind) mit aller seiner liebkosenden Liebe um den immer bei ihm zu Hause bleibenden Viktor geschlungen. Sogar zu Nachts reichten sie sich aus ihren zwei nahen Betten die warmen Haͤnde zu und giengen, so verknuͤpft, in die Abendlaͤnder der Traͤume hinein. Den kindlichen Blinden hatte sogar das fortklingende Getoͤse des Stadtgetuͤm¬ mels, das seinem Dorfe abgegangen war, ge¬ troͤstet. . . . Viktor erwartete also vorher die Ankunft Klotil¬ dens — ach er haͤtt' es auch ohne den Blinden ge¬ than. — Mußt' er nicht seine gute Mutter noch einmal sehen, seine unvergeßliche Geliebte noch ein¬ mal hoͤren? — Ich kann es uͤbrigens nicht ver¬ heimlichen, daß ihm nicht bloß die Rettung Flamins, sondern eigentlicher Lebensekel die Hand bei seinem Todesurtheil fuͤhrten. Im Urtheil des moͤrderischen Ekels standen als Entscheidungsgruͤnde der erhabne Sonnenuntergang Emanuels. — Viktors gelaͤufige Nachtgedanken uͤber unser Lukubrieren des Lebens — seine gaͤnzliche Umstuͤrzung seiner buͤrgerlichen Verhaͤlt¬ nisse — das aͤhnliche vergangene oder kuͤnftige Muster des Lords — sein Lechzen nach einer That voll Staͤrke — und am meisten die Todeskaͤlte um seine nackt gelassene Brust, die sonst von so vielen warmen Herzen zugedeckt wurde. Man kann Liebe und Freundschaft nur so lange entbehren, als man sie noch nicht genossen hat — aber sie verlieren und ohne Hoffnung verlieren, das kann man nicht, ohne zu sterben. Seinem Gewissen macht' er den optischen Betrug und coups de théatre vor, daß er es fragte, ob er nicht seinen Freund aus dem Wasser mit Gefahr des Lebens holen, ob er nicht vom Brette, das nur Einen truͤge, in die Wellen stuͤrzen duͤrfe, um den Tod zum Kaufschilling eines andern Lebens zu machen? — Zwei sonderbare Vor¬ stellungen versuͤßeten ihm seinen Todes-Entschluß am meisten. Die erste war, daß er am Todestage (nach der Entdeckung beim Fuͤrsten) hingehen koͤnnte ins Ge¬ faͤngniß zu Flamin und seine Hand anfassen und sa¬ gen durfte: komm heraus — heute sterb' ich fuͤr dich, damit ich dir beweisen kann, daß Klotil¬ de deine Schwester war und ich dein Freund — ich loͤsche das schwarze Wort das erst am Todestage vergeben werden kann, mit meinem unschuldigen Blute aus, und der Tod druͤckt mich wieder in deinen Arm. — O ich thu' es gern, damit ich dich nur noch einmal recht lieben und zu dir sagen kann: mein guter, theuerer, unvergeßlicher Ju¬ gendfreund! — Dann wollt' er ihm mit tausend Thraͤnen um den Hals fallen und ihm alles verge¬ ben: denn neben dem Tode und nach einer großen That kann und darf der Mensch dem Menschen alles, alles verzeihen. Die weichere Seele erraͤth leicht die zweite Ver¬ suͤßung seines Todes. — Diese, daß er noch ein¬ mal zur Geliebten hingehen und es vor ihr denken ob wol nicht sagen konnte: ich falle fuͤr dich. Denn er fuͤhlte es jetzt doch, daß die beschlossene Scheidung durch das Leben zu schwer sei und nur eine durch Sterben leicht — o recht leicht und suͤß, empfand er, ists, vor der Geliebten das nasse Au¬ ge zu schliessen, dann nichts mehr weiter anzusehen auf der Erde, sondern mit den hohen Flammen des Herzens und mit dem an die Brust angedruͤckten theuren Bilde wie die eingesargte Mutter mit dem todten Liebling, blind an den Rand dieser Welt zu treten und sich hinabzustuͤrzen ins stille, tiefe, dun¬ kle, kalte Todtenmeer. ... »Du bist, sagt' er oft, in mein Ich gemalt und nichts macht dein Bild von meinem Herzen los; beide muͤssen, wie in Italien Mauer und Gemaͤlde darauf, mit ein¬ ander versetzet werden.» — Und da jetzt nichts mehr nach seinem Koͤrper zu fragen brauchte: so durft' er die Thraͤnen die ihn zerruͤtteten, ab¬ sichtlich vorreitzen — er wollte ordentlich etwas von seinem Leben Klotilden bringen, — daher macht' er einige Tage hinter einander die Proberolle der blutigsten Abschiedsszene bis zur Erschoͤpfung und zeichnete seinen Schmerz mit Dinte ab und sagte zu sich, wenn ihn daruͤber Kopfschmerzen und Herz¬ klopfen befielen: »so kann ich doch etwas fuͤr sie leiden, wenn sie es auch nicht weiß.« — Hier ist ein solches Trauerblatt. »O du Engel! Thaͤt' es dir nur nicht zu wehe, »so gieng' ich zu dir und fuͤllete vor deinen Augen »mein Herz so lange mit Thraͤnen an, mit Bildern »der schoͤnern Zeit, mit den bittersten Schmerzen, »bis es zersprengt waͤre und saͤnke — oder ich erleg¬ »te mich in deiner Gegenwart, ach es waͤre suͤß »wenn ich mein Herz mit Blei zerschlitzte, indem »es an deinem Busen lehnte und wenn ich dann »mein Blut und Leben an deiner Brust abrinnen »liesse. — Aber o Gott! nein, nein! Sondern, »Gute, laͤchelnd will ich zu dir gehen, wenn du wieder »koͤmmst — laͤchelnd will ich vor dir weinen, als waͤr' »es bloß vor Freude uͤber deine Wiederkehr — nur »die Federnelke mit dem rothen Tropfen werd' ich »von dir bitten, damit mein geschmuͤcktes Herz un¬ »ter der letzten Blume des Lebens verwese. — Ich wer¬ »de wol so nah vor dir bluten, himmlische Moͤrde¬ »rinn, wie die Leiche vor der Moͤrderinn, aber »doch nur innerlich, und jeder Blutstropfen wird »bloß von einem Gedanken auf den andern fallen. — »Dann endlich werd' ich lang' verstummen und gehen und »auf immer und nur sagen und mehr nicht: »Denk' an »mich, Geliebte, aber sey gluͤcklicher als bisher.« »— — Wo werd' ich dann gehen nach einer Stun¬ »de? Ich werde gehen auf dem oͤden stummen We¬ »ge zum giftigen Buhan Dieser Giftbaum steht in einer kahlen Wüste, weil er alles um sich tödtet und der Missethäter reiset einsam zu seinem Gift, aber er kehret selten zuruͤck. Upas-Baum, zum »einsam stehenden Tode und dort ganz allein sterben, »ganz allein. — — Die Todten sind Stumme, »sie haben Glocken und ein Stummer wird im »Blauen schweben und die Todtenglocke laͤuten. ... »O Klotilde Klotilde, dann ist unsere Liebe auf der »Erde voruͤber!« Kennst Du, Leser, noch die Stimme, die in sei¬ nem Innern allzeit unter dem Weineu der Musik im Tonfall der Verse erklang? Hier klingt sie wieder. — Aber sein Orkan des Entschlusses machte bald sanfteren Thaten und Stunden Platz, so wie der Ae¬ quinokziumssturm sich in stille Nachsommertage auf¬ loͤsete. Der Gedanke: »in einigen Wochen fluͤchtest »du unter die Erde« machte ihn zum Freigebor¬ nen und zum Engel. Er verzieh jedem, sogar dem Evangelisten. Er fuͤllte seine kleine Sphaͤre mit ei¬ nem Lebens-Nachflor von Tugenden; und widmete seine kurzen Stunden nicht suͤßen Phantasien, son¬ dern duͤrftigen Kranken. Er untersagte sich jeden Aufwand, um seinem Julius das vaͤterliche Vermoͤ¬ gen ungeschmaͤlert zu lassen. Er war weder eitel noch stolz. Er sprach freimuͤthig uͤber und gegen den Staat; — denn was ist so nahe neben dem Sturm- und Wetterdache des Sargdeckels wol zu fuͤrchten? — Aber eben weil er bloß die Liebe zum Guten, und keine Leidenschaften und keine Feigheit in seinem Innern spuͤrte: so widerstand er sanft und ruhig ; denn sobald nur der Mensch fuͤr sich selber uͤberfuͤhrt ist, daß er Muth fuͤr den Noth¬ fall verwahre: so sucht er nicht mehr, ihn vor an¬ dern auszukramen. Der Gedanke des Todes machte ihn sonst zu humoristischen Thorheiten geneigt; jetzt aber nur zu guten Handlungen. Ihm war jetzt so wohl, ihm erschienen die Menschen und die Sze¬ nen um ihn in dem milden stillenden Abendlichte, worin er beide allemal in den Krankheiten seiner Kindheit erblickte. Es schien als wollt' er (und es gelang ihm) durch diese Froͤmmigkeit sein Gewissen zur leserlichen Unterschrift seines eigenhaͤndigen To¬ desurtheils bestechen. Wie dem verewigten Emanuel kamen ihm die Menschen wie Kinder vor, das Er¬ denlicht wie Abendlicht, alles sanfter, alles ein we¬ nig kleiner, er hatte keine Angst und Gier; die Er¬ de war sein Mond: jetzt errieth er erst die Seele seines Dahore. . . . — Und du, mein Leser, fuͤhlest du nicht, du wuͤrdest dich so nahe vor der Klosterpforte des Todes eben so veredeln? Aber ich und du stehen ja schon davor: ist unser Tod nicht so gewiß als Viktors seiner, wiewol in einem laͤngern Zwischenraum? O wenn jeder nur gewiß glaubte, nach 50 Jahren an einem bestimmten Tage fuͤhrte ihn die Natur auf ihren Richtplatz: er waͤr' anders; aber wir alle wer¬ fen das Bild des Todes aus unserer Seele wie die Schlesier es am Laͤtare-Sonntag aus den Staͤdten werfen. Der Gedanke und die Erwartung des To¬ des bessern so sehr als die Gewißheit und Wahl des¬ selben. Jetzt zogen die schoͤnen blauen Nachsommertage des heurigen Oktobers auf zarten Phalaͤnenfluͤgeln von Spinnengeweben uͤber den Himmel. Viktor sagte zu sich: »schoͤner Erdenhimmel, ich will noch »einmal unter dir wandeln! gutes Mutterland, ich »will dich noch einmal mit deinen Bergen und Waͤl¬ »dern uͤberschauen und dein Bild in die unsterbliche »Seele heften, eh' dein gelbes Gruͤn mein Herz »uͤberwaͤchset und darin einwurzelt, — ich will dich »sehen, St. Luͤne meiner Kindheit, und meine schoͤn¬ »nen Pfingstwege, und dich du seeliges Maienthal, »und dich du guter alter Bienenvater Zeidler Lind in Kusseviz. und will dir »deine Freudenstunden Uhr zuruͤckgeben — — und »dann werd' ich genug gelebt haben.« Er fragte sich: »bin ich denn reif fuͤr die Obstkam¬ »mer des Kirchhofs? — Aber ist denn jeder Mensch »reif? ist er nicht im 90sten Jahr so unvollendet »wie im 20sten?» — Ja wol! der Tod nimmt Kinder ab und Feuerlaͤnder; der Mensch ist Som¬ merobst, das der Himmel brechen muß, eh' es ei¬ tigt. Die andere Welt ist keine gleichgeschnittene Allee und Orangerie, sondern die Baumschule un¬ serer hiesigen Saamenschule. Ehe Viktor mit Kuͤssen und Weinen vom Blin¬ den gieng: beschied er Abends vorher die arme Ma¬ rie ins Kabinett und empfahl ihr (wie dem italieni¬ schen Bedienten) die Pflege des Blinden. Aber sei¬ ne Absicht war, der zerbrochenen kraftlosen Seele die Hoffnung einiger 100 fl. — so viel durft' er schon als Erbschaft von seinem bemittelten Vater Eyman begehren — voraus zu geben und anzukuͤndi¬ gen. Der Eigennutz dieser Erniedrigten, der andere kalt gemacht haͤtte, ruͤhrte gerade sein Innerstes: schon laͤngst hatt' er gesagt: »man sollte mit keinem »Menschen Mitleid haben, der philosophisch oder »erhaben daͤchte, am wenigsten mit einem Gelehr¬ »ten — bei einem solchen giengen die Wespen-Stiche »des Schicksals kaum durch den Strumpf — hingegen »mit der armen Poͤbelseele leid' er und wein' er un¬ »endlich, die nichts groͤßeres kenne als die Guͤter »der Erde und die, ohne Grundsaͤtze, ohne Trost, »bleich, huͤflos , zuckend und erstarret niederfalle vor »den Ruinen ihrer Guͤter.» — Es verdoppelte da¬ her bloß sein Mitleiden, da diese Marie in sinnloser Dankbarkeit vor ihm mit abgerissenen Danksagungen — Ausrufungen — Freudenguͤssen — mit Rockkuß, einfaͤltigem Lachen und Niederknieen wechselte. Als er den andern Morgen gieng — zuerst auf St. Luͤne, — und vor dem Marienkloster voruͤber¬ kam, wo einmal die Adoptivtochter des Italieners Tostato einen sechsten Finger opfern wollte: so kam Marie aus einer Glieder-Bude Um mehrere Kapellen (S. Schlötzers Briefwechsel Th. III . Heft XVIII . 45.) stehen Waarenlager von wächsernen Glie¬ dern und Thieren, die man als Ohren– und Armgehenke für Heilige kauft, damit die Originale genesen. heraus und hatte zwei waͤchserne Herzen erhandelt. Viktor brachte durch langes und kuͤnstliches Fragen aus ihr heraus: sie wolle das eine, das ihres vorstelle, der h. Ma¬ rie umhenken, weil ihres ihr nicht mehr so wehe thue und nicht so eingepresset sei wie vorige Woche. — Ueber das zweite wollte sie lange nicht heraus; endlich gestand sie: es sei Viktor seines, das sie der h. Mutter Gottes opfern wollte, weil sie dachte, es thu' ihm auch recht weh', da er so bleich aussehe und so oft seufze. — — »Gieb mirs, Liebe, (sagt' er zu tief bewegt) ich will mein Herz selber » opfern .« »Ja, wiederholt' er unter dem stillen Himmel draussen, ich will das Herz da drinnen opfern — es ist auch von Wachs — und der Mutter Erde, will ichs, damit es heile — heile. . . .» Lasset ihn immer weinen, meine Freunde, jetzt da er laͤchelnd die stille blasse Erde anblickt, hinauf bis zu ihren Bergen voll Duft. — Denn Weichheit der Empfindung vertraͤgt sich gern mit Apathie und Pas¬ sauer Kunst gegen das verletzende Geschick — lasset ihn immer weinen, da er diese blumenlose gleichsam in die Seite des fliegenden Sommers sich einspin¬ nende Erde ansieht und ihm ist als muͤss' er nieder¬ fallen und die kalte Aue wie eine Mutter kuͤssen und sagen: bluͤhe fruͤher wieder auf als ich, du hast mir Freuden und Blumen genug gegeben! — Das stille Auseinandergehen der Natur, auf deren Leiche die vollbluͤhende Zeitlose gleichsam wie ein Todtenkranz stand, legte durch dieses aufloͤsende Reiben seine Kraͤfte sanft auseinander — er war ermuͤdet und ge¬ stillt — die Natur ruhte um ihn, er in ihr — die Erschoͤpfung stoß beinahe in eine suͤße kuͤtzelnde Ohn¬ macht uͤber — die Thraͤnendruͤse schwoll und druͤckte nicht mehr, eh' sie uͤbertrat, sondern ihr Wasser lief wie Thau aus Blumen leicht und ohne Stocken nieder wie das Blut durch seine Brust. Er sah jetzt St. Luͤne liegen, aber gleichsam ent¬ ruͤckt von ihm in einem Mondschein. Er gieng nicht hindurch, sondern aussen herum: »werde immer »breiter und lauter, schoͤner Ort, nie umzingle dich »ein Feind!« Mehr sagt' er nicht. Denn als er vor dem Kirchhof voruͤbergieng: dacht er: »haben »denn nicht diese auch alle von dem Orte Abschied »genommen; und thu' ichs allein?« — Blos der Zuruͤckblick nach dem Pfarr-Schieferdach entzuͤndete noch einen Blitz des Schmerzens durch den Gedan¬ ken an die muͤtterlichen Thraͤnen uͤber seinen Tod; aber er sagte sich bald den Trost, daß das an Flamin gewoͤhnte Mutterherz der Pfarrerin den Kum¬ mer uͤber das Opfer heilen werde durch die Freude uͤber den geretteten Liebling. Er gieng nun auf Maienthal zu und zog mit Fleiß seine traͤumenden Gedanken von dessen erhab¬ nen Stellen ab, um Abends bei der Ankunft) desto mehr — Schmerz zu geniessen. Aber nun spann sich sein Ich in ein neues Gedankengewebe ein: er uͤberdachte jetzt das Vergnuͤgen, ohne alle Kranken¬ naͤchte hell und gerade, nicht liegend sondern aufge¬ richtet richtet wie der Riese Caͤnaͤus Die Zentauern konnten ihn nicht mit Bäumen umschlagen, sondern mußten ihn stehend in die Erde drücken. Orph . Argonaut . 168. in die Erde einzu¬ sinken — er fuͤhlte sich geschirmet gegen alle Unfaͤlle des Lebens und gereinigt von der stets in jedem Her¬ zen fortnagenden Furcht — alles dieses und die Freude an erfuͤllten Pflichten und an bezwungnen Trieben und die Lichter des blauen gleichsam im Blumenstaube stehenden Tages klaͤrten seinen umge¬ ruͤttelten Lebensstrom so auf, daß er zuletzt laͤnger (wenns ihm nicht sein Beschluß verboͤte) im hellen Strome haͤtte spielen wollen. . . . So groß wird durch die Verachtung des Todes die Schoͤnheit des Lebens — so gewiß ist jeder, der mit kaltem Blut sich das Leben abspricht, vermoͤgend, es zu ertragen — so wahr raͤth Rousseau, vor dem Tode eine gute That zu unternehmen, weil man jenen dann entbehren kann. . . . — Als Viktor so dachte: trat das Schicksal vor ihn und fragte ihn zuͤrnend: willst du sterben? — Er antwortete »ja!» — da er vor Sonnenuntergang in Obermaienthal Klotildens Wagen, den er da bei der Abreise gesehen, jetzt wie¬ der erblickte. Jetzt fiel die Todeswolke uͤber die Ge¬ gend nieder. Er eilte voruͤber — am Fenster sah er seine Mutter und die Lady, die Mutter Flamins — Hesperus. III . Th. Aa sein Inneres brauste — sein Auge gluͤhte trocken — denn er waͤhlte unter den Waffen des Todes — Warum gieng er so spaͤt, im Dunkeln, mit einem stuͤrmenden Innern, das alle suͤßen Traͤume verfinster¬ te, noch nach Maienthal? — Er wollte zu Ema¬ nuels Grabe: nicht um da zu trauern, nicht um da zu traͤumen; sondern um sich da eine Hoͤhle zu sucheu , naͤmlich die letzte. Der reis¬ sende Gram hatte ein Gemaͤlde seines Sterbens entworfen und er hatte den Riß gebilligt: er wollte naͤmlich neben der Trauerbirke sein Grab aushoͤlen, sich hinlegen, sich darin toͤdten, und sich dann von dem blinden Julius, der nichts wissen und sehen kann, mit Erde uͤberschuͤtten lassen und so, verhuͤllt, un¬ bekannt, namenlos aus dem Leben fliehen an die modernde Seite seines Emanuels. . . . Schwarze Leichenzuͤge von Raben flogen langsam wie Gewoͤlke durch den sonnenlosen Himmel und senkten sich wie Gewoͤlke in die Waͤlder nieder. — Der halbe Mond hieng uͤber die Erde — ein klei¬ ner fremder Schatten so groß wie ein Herz lief fuͤrch¬ terlich neben ihm, er sah auf, es war der Schat¬ ten eines langsam schwebenden Geiers. — Er riß sich durch Maienthal, er sah nicht den entblaͤtterten Garten und Dahores verschlossenes Haus, sondern lief durch die Kastanienallee der entgegen. — — Aber unter den Kastanien am Orte, wo ihn Fla min toͤdten wollte, sah er Klotildens welke Feder¬ nelke mit dem blutigen Tropfen liegen. . . . Und da noch eine Lerche, die letzte Saͤngerin der Na¬ tur, uͤber dem Garten zitterte und allen Fruͤhlingen des Lebens mit zu heissen Toͤnen nachrief und das Herz mit einem unendlichen toͤdtlichen Sehnen durch¬ schnitt: so weinte mein Viktor laut hinauf und als er oben auf dem Grabe die großen duͤstern Thraͤnen abgewischt hatte, stand — Klotilde vor ihm. Er erzitterte einmal und verstummte. . . . Sie kannte kaum die abgebleichte Gestalt und fragte zitternd: » Sie sinds? Sehen wir uns wieder?» — Seine Seele war auseinandergetrieben und er sagte, aber in anderem Sinn: wir sehen uns wieder. — Sie bluͤhte, durch die Reise genesen. Aber Blut war in ihrem Schnupftuch — es war das Blut, das Emanuel unter dem Duell in der Allee aus seinem Busen vergossen. Er starrte fragend das Blut an — sie wies sanft auf das Grab und ver¬ huͤllte ihr weinendes Auge. — Mit der Frage: »Ist »Ihr H. Vater gekommen?« wollte die Gute sanft ablenken — aber sie lenkte ihn an sein Grab — sein Auge suchte wild den Raum zur letzten kuͤhlen Grot¬ te des Lebens — sie hatte ihren sanften Geliebten niemals so gesehen und wollte seine Seele mildern durch stilles Erinnern an Emanuel — sie fuͤllte die Aa 2 leere Stelle ihres Briefes aus und erzaͤhlte, wie ge¬ fast und still der Todte aus England gegangen und vorher beim Abschiede in eine ausserordentlich tiefe Hoͤhle des verfallnen Tempels alle seine ostindischen Blumen, drei Portraite, beschriebene Palmblaͤtter und geliebte Aschensammlungen hinabgesenkt habe. . . . Viktor war ausser sich — er stemmte seine Hand aufs thaukalte nasse gelbe Grab, — er weinte in Einem fort und konnte die Geliebte nicht mehr se¬ hen — er stuͤrzte an ihren bebenden Mund und gab ihr den Abschiedskuß des Todes. Er durfte sie kuͤssen, denn Todten haben keinen Rang. Er fuͤhlte ihre stroͤmenden Thraͤnen und eine fuͤrchterliche Sehn¬ sucht ergriff ihn, diese Thraͤnen hervorzureitzen; aber er konnte nur nicht reden. Er erstickte ihre Worte durch Kuͤsse und seine durch Quaal. Endlich konnte er sagen: lebe wohl! Sie wand sich erschrocken los und blickte ihn an mit groͤßern Thraͤnen und sagte: »wie ist Ihnen ? Sie brechen mir das Herz?» — Er sagte zuckend: »nur meines muß brechen!« und riß das Herz von Wachs heraus und quetschte es auf dem Grabe auseinander und sagte: »ich opfere »dir mein Herz, Emanuel, ich opfere dir mein »Herz.» Und als Klotilde fuͤrchtend entflohen war: konnt' er ihr nur mit erschoͤpften Toͤnen noch tau¬ sendmal nachrufen: lebe wohl, lebe wohl! 43. Hundsposttag. Matthieu's vier Pfingsttage und Jubileum. E s ist ein Kunstgrif, daß ich wahre Spitzbuben- Szenen in den hoͤhern Staͤnden vorher franzoͤsisch niederschreibe und dann vertiere, wie Boileau seine welken Verse vorher in Prose aufsetzte. — Da mir am 43. Hundstage gelegen ist — weil der edle Maz darin seinen Flamin sogar mit Aufopferung seiner Tugend und des Lords zu retten sucht —: so gedenk ich ihn aus dem Franzoͤsischen, worin ich ihn ge¬ schrieben, so getreu ins Deutsche zu uͤbersetzen, daß mein franzoͤsischer Autor selber mir seinen Beifall schenken soll. Kaum hoͤrte Matthieu, daß Klotildens und Fla¬ mins Mutter aus London gekommen: so marschierte dieser Reinecke aus seinem Fuchsbau nach Flachsen¬ fingen, weil er sich die Ehre, Flamin zu erloͤsen, von niemand nehmen lassen wollte. Er grif, seines Feuers ungeachtet, dem Zufall selten vor, sondern er paßte und schob nur da oder dort nach: — wie in einem Roman, so haͤkeln sich im Leben tausend leis' zusammengeruͤckte Geringfuͤgigkeiten endlich fest in einander und ein guter Maz zwirnet aus zertra¬ genen Spingeweben des Zufals zuletzt einen ordent¬ lichen — seidnen Strick fuͤr seinen Nebenmenschen. — Er ließ sich kuͤhn beim Fuͤrsten eine geheime Audienz auswirken, »weil er lieber der Strafe (wegen der »Foderung zum Duel) entgegenkommen, als uͤber »einige wichtige Dinge laͤnger schweigen wolle.» Wichtige und gefaͤhrliche waren laͤngst bei Jenner verwandt, jetzt aber gar identisch, weil ihn die Fuͤr¬ stin an jedem Morgen mit einigen Strophen aus dem Buß- und Eulenliede uͤber Aufruhr, Anker¬ stroͤme und Propagandisten ansang. Sie und Schleu¬ nes bliesen in Ein Horn, wenigstens Eine Me¬ lodie. Maz trat ein und langte das große Wichtige hervor — die kahle Bitte um Flamins Leben. Jen¬ ner sagte ein eben so kahles Nein; denn der Mensch ist eben so unwillig auf den, der ihn in eine unge¬ gruͤndete Furcht, als auf den, der ihn in eine ge¬ gruͤndete jagt. Matthieu repetierte kalt sein Gesuch: »ich bitte Ew. Durchlaucht blos, nicht zu glauben, »daß ich jemals die bloße Freundschaft fuͤr eine hin¬ »laͤngliche Entschuldigung einer solchen kuͤhnen Bitte »halten wuͤrde — die Pflicht eines Unterthanen ist »meine Entschuldigung.» — Jenner, den das un¬ hoͤfliche Zuruͤckziehen verdroß, brach es ab: »der »Schuldige kann nicht fuͤr den Schuldigen bitten.» — »Gnaͤdigster Herr — sagte Maz, der ihn in »Furcht und Harnisch zugleich zu jagen suchte — zu »jeder andern Zeit als in der unsrigen wuͤrd' es »eben so straͤflich seyn, gewisse Dinge zu errathen »oder zu weissagen als sie zu beschließen — in der »unsrigen sind diese drei Dinge leichter. Auf den »Tag, wo der Regierungsrath sein Leben verlieren »sollte, ist ein Plan berechnet, den einige zur Erhal¬ »tung des seinigen auf Kosten des ihrigen gemacht »haben.» — Der Fuͤrst — entruͤstet uͤber die Kuͤhnheit, die sonst nicht in der Bouger'schen Schneelinie der Hoͤfe, sondern nur in der demo¬ kratischen Aequatorlinie wohnt — sagte mit dem Todesurthel, das Maz laͤngst in sein Gesicht hinein haben wollte: »Ich werde Ihnen morgen die Nah¬ »men der Elenden abfodern lassen, die ihr Leben »Preis geben wollen, um die Gerechtigkeit zu stoͤ¬ »ren» . . . . . Hier fiel dieser vor ihm nieder und sagte schnell: »mein Name ist der erste — jetzt »ists meine Pflicht, ungluͤcklich zu werden — mein »Freund hat niemanden getoͤdtet, sondern ich — er »ist nicht der Sohn eines Priesters, sondern der »erstgeborne Sohn des getoͤdteten H. le Baut» . . . So lang' es noch Pfeilerspiegel gab, so sah nie ein so bestuͤrztes auseinandergefahrnes Gesicht aus ihnen als heute. Jenner ließ ihn abtreten, um sich wieder zusammenzulesen. Wir wollen jetzt in der Antichambre drei Worte uͤber den Abwesenden reden. Mir sagte einmal ein feiner Mann, er habe einmal zu einem großen Welt¬ kenner gesagt: »der Fehler der Großen waͤre, sich »selber nichts zuzutrauen, und daher wuͤrden sie »von jedem gelenkt;» und der Weltkenner habe geantwortet: er treff' es. — Jenner liebte Mazen nicht, und das blos seines satirischen und wolluͤsti¬ gen Gesichts wegen — aber nicht etwan seiner La¬ ster wegen. Ich setze voraus, der Leser wird doch Hoͤfe genug gesehen haben — auf dem Theater, wo die hoͤhern Staͤnde ihre Begriffe von Landleuten und wir unsere von ihnen abholen —, um zu wissen, was man da hasset — — keine Lasterhaften, nicht ein¬ mal Tugendhafte, sondern beide liebt man wirklich gerade wie dasige Bratschisten, Wezlaer Prokurato¬ ren, Intendanten, wenn man sie noͤthig hat. — — Der Junker kam wieder vor. Jenner hatte das suͤße vaͤterliche Wallen uͤber die Neuigkeit, da er bisher alle seine Kinder verloren gegeben, gestillt; aber er begehrte jetzt den Beweis, daß Flamin der (angebliche) Sohn des Kammerherrn sei. Ums Duel kuͤmmerte er sich gar nicht. Der Beweis war der aufrichtigen Seele leicht zu fuͤhren: die Seele berief sich geradezu auf die Mutter, die eben gerade aus London eingetroffen, um den Sohn zu retten und auf die Schwester selber — die Seele hatte wieder die Praͤmisse, das beide Kenntniß davon haͤt¬ ten, zu erweisen — Matthieu berief sich auf den Brief der Mutter, den er vor einigen Jahren dem blinden Lord mit der angenommenen Stimme Klo¬ tildens vorgelesen, und auf der Schwester Ausruf unter dem Duel im Maienthaler Park: »es ist mein »Bruder» — und zuletzt fuͤhrt' er noch einen Haus¬ zeugen in der Sache auf, den Nachsommer, der jetzt bald erscheinen und das Aepfel-Muttermal, das Le Bauts Sohn auf der Schulter trage, neu aufmalen werde. Matthieu hatte zu viel Hochachtung gegen seinen Fuͤrsten und Herrn, um den Herrn des Sohns den Vater des Sohns zu nennen. Jetzt hoͤrte er damit auf: »Er wisse nicht, aus welchen Gruͤnden der »Lord Horion bisher Flamins Abkunft verborgen »habe — welche es auch waͤren, alle Entschuldigun¬ »gen desselben waͤren auch seine, warum er selber »bisher geschwiegen — um so mehr, da ihm der »Beweis dieser Abstammung schwerer fallen muͤssen, »als dem Lord — Nur jetzt durch die Ankunft der »Mutter sei die Leichtigkeit des Beweises so »groß wie die Nothwendigkeit desselben — Al¬ »les was er thun koͤnnen als ein Hausfreund des »Kammerherrn, sei gewesen, Flamins Vertrauter zu »werden, um sein Waͤchter zu werden.» Dadurch wurde nothwendig der Fuͤrst auf die Materie des Duels zuruͤckgefuͤhrt, die jener anfangs nach wenigen Winken fallen lassen: es war seine Methode, von einer ihm wichtigen Angelegenheit bald abzubrechen, uͤber andere Dinge eben so lange zu sprechen, dann jene wieder vorzuholen und so das Wichtige unter eben so große Lagen von Unwichti¬ gem zu verpacken, wie die Buchhaͤndler konfiszierte Buͤcher bogenweise unter weißes oder anderes Pa¬ pier verschlichten. Auch war jetzt Flamins Unschuld am Mord fuͤr Jenner wichtiger: dieser fragte also natuͤrlicher Weise, warum er seinen Freund dem Scheine des Duels ausgesetzet habe? Matthieu sagte, es werde lange und es sei kuͤhn, Se. Durchlaucht um so viel Anfmerksamkeit zu fle¬ hen. Er hob an zu rapportieren, was — die Hunds¬ posttage bisher rapportiert hoben. Er log wenig. Er hinterbrachte, er habe, um Flamins Liebe fuͤr seine unbekannte Schwester Klotilde zu brechen , — wenigstens mehren wollt' er sie — ihn eifersuͤch¬ tig machen wollen, aber er habe ihn mit niemand entzweien koͤnnen als mit dem Liebhaber: ja, es habe nicht einmal etwas gefruchtet, daß er ihn sel¬ ber den Ohrenzeugen der sehr verzeihlichen Untreue Klotildens werden lassen, sondern jener habe noch zuletzt uͤber die Verlobung der Schwester eine Wuth geaͤußert, die er durch nichts als durch die Vorspie¬ gelung eines verkappten Duels mit dem Vater be¬ friedigen koͤnnen — denn um einen zweiten Kampf zwischen Vater und Sohn, den das Schweigen des Lords angezettelt, abzuwenden, hab' er ihn selber unternommen, aber leider zu ungluͤcklich. So weit der Edle: die uns bekannten wahren Einschiebsel unterschlag' ich. Jenner, der jetzt dem Evangelisten fuͤr die Wegnahme einer Furcht gewo¬ gen wurde, in die er ihn selber gesetzt hatte, that die natuͤrliche Frage: »warum Flamin den Mord auf sich nehme.» — Matthieu: »ich fluͤchtete so¬ »gleich, und es stand nicht bei mir, seine Unwahr¬ »heit, deren ich mich nicht versehen konnte, zu ver¬ »huͤten; aber es stand bei mir, sie zu widerlegen.» — Jenner: »Fahren Sie in Ihrer Freimuͤthigkeit fort, »sie ist Ihre Schutzschrift, weichen Sie nicht aus!» — Matthieu mit einer freiern Mine: »was ich zu sa¬ »gen wußte, hab' ich schon gesagt im Anfange, um »ihn zu retten; und jetzt ist er gerettet.» — Jen¬ ner sann zuruͤck, begrif nichts und bat: »noch deut¬ »licher!» — Matthieu mit der absichtlichen Mine eines Menschen, der Versilberungen seines Vortrags zurechtmacht: »aus Großmuth wuͤrd' er fuͤr den ge¬ »storben seyn, der fuͤr ihn gesuͤndigt hatte, (fuͤr Ma¬ »zen), wenn ihn nicht seine Freunde retteten.» Jen¬ ner schuͤttelte unglaͤubig den Kopf. »Denn, fuhr »jener fort, da er seinen hoͤhern Stand nicht »kennt, so nahm er einige franzoͤsische Grund¬ »saͤtze leichter an, die ihm seinen Tod eben so sehr » erleichtert haͤtten, als einige Englaͤnder sie wuͤr¬ »den beim Volke genutzt haben, um ihn zu verhuͤ¬ »ten.» Zum Beweis fuͤhrt' er den angezuͤndeten Pulverthurm nebenher an. Jenner sah staunend ein Licht uͤber eine dunkle Hoͤle gleiten und durchsah die Hoͤle. ... Man thut dem vortreflichen Evangelisten Unrecht, wenn man denkt, es thu' ihm genug, blos seinen Freund gerettet zu haben: sein gutes Herz war auch noch darauf aus, dem Lord eine Ehrensaͤule zu setzen und ihn unter die Saͤule als Grundstein zu legen. Er quartierte gern (wie in Hamlet) in dem Schau¬ spiel wieder eines ein und zog zwei Theatervorhaͤnge auf. Wir wollen uns in die Frontloge setzen. Sein bisheriges Betragen gegen den Regierungsrath zeigt genug, wie weit wahre Freundschaft zu treiben faͤhig war, ohne andere Freunde, z. B. die Fuͤrstin vor den Kopf zu stoßen: denn fuͤr die letztere war der Wiederfund des verlornen Sohns des Fuͤrsten ohne sonderlichen Nachtheil, da der Sohn als jako¬ binischer Logenmeister und als Rebell gegen den Stief- und den Vater zugleich praͤsentiert wurde, und da noch dazu der Lord so entsetzlich dabei ver¬ lor. Aber weil Maz sich nichts dabei vorzuwerfen hatte als sein Uebermaas an Menschenliebe: so suchte er diesem Uebermaaß durch ein entgegengesetz¬ tes in der Bosheit zu begegnen, weil Bako schreibt: Uebertreibungen werden am besten durch entgegen¬ gesetzte kuriert. Nach seinen zu feurigen Begriffen von der Freundschaft konnt' er auch kein aͤchter Freund des Lords seyn, da man nach Montaigne nur Einen aͤchten, wie Einen Liebhaber haben kann, und der Lord schon einen dergleichen an Jennern aufzeigte. Man vergoͤnne mir, mit drei Worten kurz zu seyn und angenehm: wenn die Araber 200 Nahmen fuͤr die Schlange haben, so sollten sie gar den 201ten dazu legen, den eines Hoͤflings — ferner erlaube man mir zu sagen, daß ein Mann von Einfluß und Ton durch sogenannte Blutschuld eben so gut bluͤhe, als ein ganzer Staat durch elendere metallische. — Jenner war jetzt vorbereitet, alles zu glauben, was die vorigen sonderbaren Dinge erklaͤrte. Eine Luͤge, die einen Knoten loͤset, ist uns glaublicher als eine, die einen knuͤpft. Matthieu fuhr fort: »er »habe allen republikanischen concerts spirituels bei¬ »gewohnt, um Maasregeln gegen Flamins Anstek¬ »kung zu nehmen; und er uͤbertreibe die Freund¬ »schaft gegen die drei Englaͤnder und den Lords¬ »Sohn (Viktor) nicht, wenn er jene und diesen »mehr fuͤr Arbeitszeug irgend einer andern verborg¬ »nen Hand ansehe, als fuͤr Arbeiter an einem Plane »selber. — Das bestaͤtige der bisher vom unschul¬ »digen Flamin gemachte Mißbrauch.» — Um Vik¬ tor zu entschuldigen, sagt' er — wobei er ihn im¬ mer den Hofmedikus benamsete, so daß Jenner in dieser Verfassung an einen Hofvergifter eher dachte, als an etwas anderes — um also ein vortheilhaftes Licht auf diesen zu werfen, sagt' er, selbiger liebe blos das Vergnuͤgen und fuͤhre nur gehorsam das aus, was sein Vater entworfen — Viktor habe sich in einen Italiener verkleidet, um die Prinzessin zu beobachten; und um es nachher dem Lord, auf des¬ sen Befehl ers vermuthlich gethan, in einer gehei¬ men Zusammenkunft auf einer Insel zu berichten — Als Italiener hab' er der Fuͤrstin eine Uhr uͤberreicht, in die er ein Blaͤtgen versteckt haͤtte, worin er den hoͤhern Rang vergessen, um dem seinigen zu schmei¬ cheln — — Der Fuͤrst, der seine Gemahlin mit groͤßerer Ei¬ fersucht liebte als seine Braut, fegte mit dem schla¬ genden Puterhahns-Fluͤgel den Boden und machte den Nasen-Zapfen lang und fragte stolz: wie er das wisse? — Matthieu versetzte ruhig: von Viktor »selber — denn die Fuͤrstin wiss' es selber »nicht« . . . . . . Mir verdankt es der Leser, daß er tausend Dinge besser weiß — Agnola wuste den Inhalt der Uhr gewiß recht gut; ja ich stelle mir sogar vor, sie ha¬ be, da ihr die erzuͤrnte Joachime Viktors gerades Gestaͤndniß seines concepit hinterbrachte, Mazen oder Joachimen erlaubt, den gegenwaͤrtigen Ge¬ brauchszettul zu entwerfen, nach welchem hier der Eheherr das Sebastiansche Billetdoux einzunehmen bekoͤmmt. — — »sie habe vielmehr (fuhr er fort) seiner »Schwester lange darauf die Uhr mit dem Blaͤtgen »geschenkt — Joachime hab' es in Viktors Gegenwart »herausgezogen und der hab' es fuͤr schicklich gehal¬ »ten, ihr eben dieses frei zu bekennen, was sie und »er selber aus Ehrfurcht noch nicht der Fuͤrstin ent¬ »deckt haͤtten — Inzwischen sei ihm seine Schwe¬ »ster darauf ausgewichen — worauf er sich Klo¬ »tilden genaͤhert, vielleicht nach einer vaͤterli¬ »chen Instrukzion, um den Bruder in naͤhern »Verhaͤltnissen zu haben — Aber allemal misch' er »in vaͤterliche Plane des Ehrgeizes eigne des Ver¬ »gnuͤgens und sei gutgesinnt, so wie die Englaͤnder, »die er fuͤr verkapte Franzosen halte» — Der Fuͤrst versteckte unter der ganzen Projekzion dieser Desseins seine Furcht unter Zorn; Matthieu, der die Maske und das Gesicht sah, schnitt bis¬ her alles nach jener zu und machte den scheinbaren Mangel an Furcht zum Deckmantel seiner Kuͤhnheit, sie zu erregen. — Und so gieng er vom Fuͤrsten weg in einen unbestimmten spaßhaften Arrest fuͤr den Mord: Jenner fieng aber an‚ die Sachen und Zeu¬ gen zu untersuchen. Vor dem Berichte des Erfolges lasset mich es gern gestehen‚ daß Maz‚ der Edle‚ schon luͤgen kann‚ um so mehr‚ da er die Wahrheit als Sparwerk sei¬ nes Luͤgen-Moͤrtels hinsetzt. Wie im polnischen Steinsalzbergwerk laͤsset der gute Luͤgner beim Un¬ tergraben immer so viele Wahrheiten zu Saͤulen ste¬ hen als gegen das Einbrechen des Gewoͤlbes noͤthig sind. Ueberhaupt ist jede Luͤge ein gluͤckliches Zei¬ chen‚ daß es noch Wahrheit in der Welt giebt: denn ohne diese wuͤrde keine geglaubt und also keine versucht. Bankeroute machen dem Rechtschaffenen Freude als neue Belege des unerschoͤpften Religions¬ fonds von fremder Ehrlichkeit‚ die vorhanden seyn muste‚ wenn sie sollte betrogen werden. So lange noch Kriegs- und Friedenstraktaten schaͤndlich gebro¬ chen werden‚ so lange ist noch Hofnung genug da‚ und so lange fehlet es Hoͤfen an aͤchter Redlichkeit nicht: denn jeder Bruch eines Vertrags setzet vor¬ aus‚ daß man einen gemacht hat — und gemacht koͤnnte keiner mehr werden‚ wenn kein einziger mehr gehalten wuͤrde. Es ist mit den Luͤgen wie mit den falschen Zaͤhnen‚ die der Goldfaden nur an ein Paar aͤchtr Restanten schließen kann. — Jenner fing die Muͤnzprobazionstage des Mat¬ thaͤischen Evangeliums an. 1) Der Pfarrer wurde zitirt, um in Gegenwart der landesherrlichen Hoheit zu bekennen, was er fuͤr Zusammenrottungen im Priesterhause geduldet. Der schlug in Oemlers Pastoraltheologie nach, um zu er¬ sehen, wie sich ein Pfarrer zu benehmen habe, der gehenkt werden soll. Ohne Murren legte er jetzt den Hals vor kleinern maͤßigen Ungluͤcksfaͤllen auf den Block und unter das Beil, vor dem Rattenkoͤ¬ nig, der durch seine Behausung sausete, vor dem Strumpfband, das unter dem Gehen langsam uͤber die Kniescheibe abglit und vertauschte die Aengst¬ lichkeit des Gluͤcklichen gegen die Angst des Un¬ gluͤcklichen. Im Verhoͤre sagt' er, er habe an heili¬ ger Staͤtte und an anderer auf die Klubs so gut als einer geschmaͤhlet und sich deswegen den Girtan¬ ner gekauft. Auf die Frage: ob Flamin sein Sohn sei? versetzte er traurig: er hoffe, seine Frau breche seine und ihre Ehe nicht. — Als er wieder nach Hause kam, nahm er, um nur nicht in der Angst der Verhaftung zu seyn, einen Buͤndel alter Predigt- Manuskripte in einen Steinbruch hinein und memo¬ rirte sie da auf drei, vier Sonntage voraus. 2) Klotilde und die Lady sagten alles schriftlich so aus, wie Maz versprochen: denn jetzt war durch die Entdeckung von Flamins Abkunft, — die sie Hesperus. III . Th. B b dem Hofmedikus zuschrieben — die eiserne Birn des Eides aus ihrem Munde genommen und sie waren freudig uͤber diese Bresche und ofne Jubeljahrsthuͤr des Gefaͤngnisses ihres Geliebten. 3) Viktor bekannte sich ruhig und gern zum Ver¬ fasser des Hirten- oder Schaͤferbriefes in der Uhr. 4) Alle Suͤnden-Kerbhoͤlzer in Kusseviz und uͤber¬ all griffen in einander ein; sogar aus Viktors vori¬ gem Mittleramt, das er sonst beim Fuͤrsten fuͤr Ag¬ nola versah, aus seinen kleinen Unbesonnenheiten, aus seinen Satiren, aus seiner Hosen-Einkleidung der Soldatenjungen, aus seiner Reise mit dem Fuͤr¬ sten wurde nun lauter Zugwerk und Grundstriche ei¬ ner gegen den Thron entworfnen Schlachtordnung zusammenbuchstabiert. Ueberhaupt war's nothwendig, Jenner muste, je mehrere Sehroͤhre er auf dieses Me¬ teor der Luͤge richtete, es nur desto groͤßer er¬ blicken. — Ich habe die Fuͤrstin vergessen, die sich bei Jen¬ ner sehr beleidigt und unwissend anstellte und kaum mit der Strafe zufrieden war, daß dem Helden der Hundsposttage der Hof verboten wurde — Der Hof, dir guter Viktor! der du bald die Erde dir verbie¬ ten willst! Jenner uͤbersah leicht vergangne Beleidigungen, aber er ruͤgte streng zukuͤnftige . Und da noch dazu Maz wie eine Klapperschlange so klapperte, nicht um zu warnen, sondern um, wie auch die Neuern an der andern fanden, den Raub steif und scheu zu machen: so war der Lord so uͤber alle Thronstufen aus Jenners Herzen herabgepurzelt, daß es ihm nicht einmal etwas helfen konnte, wenn er sogleich aus der Luft heraustraͤte — Flamin war ohne ihn gefunden. — Den drei Englaͤndern schickte man die Erlaubniß in das Haus, nach ihrer Insel (England) abzusegeln, wenn sie wollten. Sie ließen zuruͤcksagen, sie brauchten nur Einen Tag, um auf ihrer Insel anzukommen und warteten nur auf ihren Reisegefaͤhrten. Unter der Insel meinten sie aber die Insel der Vereinigung — und unter dem Reisegefaͤhrten den gefesselten Flamin, den sie mit bereden wollten. Es gefaͤllt mir, daß meinem Viktor der Hof verboten wurde. Das Hof-Verbot ist sonst eine Wohlthat — diesen Namen verdient nun wol eine Eximirung von den Hofdiensten —, die sonst nicht immer an den Wuͤrdigsten ertheilt wird, sondern oft einem Teufel wie Louvois, so gut als einem Apostel wie Tessin. Heisset aber das nicht einer vorzuͤglichen Gnade, einem Orden pour le mérite allen Werth benehmen, wenn man sie Filouen zu¬ wirft, da sie doch nur fuͤr den rechtschaffensten, frei¬ muͤthigsten, aͤltesten Mann am Hofe als die groͤßte Bb 2 und letzte Belohnung, als ein Tref- und Spies¬ folgedank, als eine Ovazion sollte aufgehoben blei¬ ben? — Im naͤchstrn Kapitel kann man sich auf einen Laͤrm gefaßt machen, dergleichen man in wenig deut¬ schen Kapiteln hoͤrt: die Laͤrmkanonen der Hofpar¬ thei, das Herabpoltern der Buͤhnen und das Um¬ schmeißen der Stuͤhle nach gehegtem peinlichen Ge¬ richt werd' ich bis in meine Insel heruͤber hoͤren koͤnnen. Der schwarzhaarige und schwarzherzige Hof¬ junker wird, wenn er aus dem Arrest los ist, mit seiner ironischen Miene und mit der eignen leisen Stimme — die Ripienstimme seines boshaftesten Hohns wie bei andern des erhabensten Enthusias¬ mus — uͤberal herumstreichen und sagen: er wuͤn¬ sche der Lord erschiene, er habe bisher in seinen Sachen nach Vermoͤgen gearbeitet. Am Hofe ist man zuweilen erhaben durch eine vorstechende Bos¬ heit, wie nach Burke kein Geruch erhaben ist als der allerstinkendste, und kein Geschmack als der bit¬ terste. Und eben so verbirgt da jeder die mitleidige Theilnahme am fallenden Guͤnstling leicht, aͤhnlich dem weisen Vater, der beim Fall eines Kindes das mitleidige Gesicht unter ein lustiges versteckt. Den 21. Oktober kommt Matthieu los und darf zu Flamin gehen — er hat sich's ausgebeten — und ihm die Freiheit und die Standeserhoͤhung mit ein¬ ander ansagen . . . . . In wenig Tagen koͤnnten die Begebenheiten und mein Protokol derselben aus einem Zeit-Stundenglase rinnen, wenn der Hund ordentlich kaͤme; aber der kommt wenn er will. 44. Hundsposttag. Die Bruderliebe — die Freundesliebe — die Mutterliebe — die Liebe. — — D er Hund ist da, aber der Lord nicht — der Laͤrm ist klein, aber die Freude nicht — alles ist vorbereitet, aber doch unerwartet — das Laster be¬ hauptet das Schlachtfeld, aber die Tugend die ely¬ sischen Felder. — Kurz es ist recht naͤrrisch, aber recht huͤbsch. — Ich denke, das ist das letzte Kapitel dieses Buchs. Ich schaue ordentlich den Posthund — mei¬ nen pommerischen Boten Auf der Unviersität Paris dauert noch der Bote von Pommern fort, der jährlich nach Pommern ꝛc. abgieng, um von den Eltern Briefe fuͤr die Pariser Studenten ab¬ zuholen. — der Schwanz sein Botenspies — mit Ruͤhrung an und mich aͤrgerts, daß er mit Adam gefallen und einen Knochen unter dem verbotenen Baum gefressen hat: denn im Para¬ dies leuchteten die ersten Hundseltern wie Diaman¬ ten und man konnte durch sie sehen, wie Boͤhme behauptet. — Eben darum, da der Berghauptmann bald ausgeschrieben hat, verzeih' man's ihm, daß er in diesem Kapitel der Liebe feuriger und angeneh¬ mer ist, als je und uͤberhaupt jetzt schreibt als waͤr' er besessen. Anfangs ziehen den Himmelswagen noch Trauer¬ pferde. . . . Sehr fruͤh, den 21 Oktober 1793 war's, wo der Hofjunker in's Stockhaus Flamins lief, aus dem eignen und diesem darin buͤßenden Bruder alles verkuͤndigte, seine Entlassung — seine Verschwisterung mit Klotilden — seine Einkindschaft in's fuͤrstliche Haus — seine aufsteigende Laufbahn und zugleich die Amnestie des moͤrderischen Boten, die eigne naͤmlich. O wie gluͤhte die Freude uͤber Matthieu's Lossprechung und Vorsprache und uͤber die eigne Standeserhoͤhung seine stockenden Adern an. Denn Flamin bestieg den hoͤhern Stand als eine Anhoͤhe, um seine Wohlthaten und Projekte weiter zu werfen; Viktor hingegen war uͤber seinen Standes Bankerut froh gewesen, weil er Stille be¬ gehrte wie jener Getoͤse. Viktor wollte mehr sich, jener mehr andere umbessern. Flamin stieß lebendi¬ ges Schiffsvolk uͤber den Bord ins Meer, und na¬ gelte den Staats-Bucentauro mit Rudersklaven voll, um ihn schneller gegen Winde anzutreiben. Viktor aber erlaubte sich, nur Eine Leiche zur Erleichterung des Kaperschiffs zu machen — seine eigne. Er sagte zu sich: »wenn ich nur den Muth allezeit heilig »aufbewahre, mich selber aufzuopfern : dann »brauch' ich keinen groͤßern ; denn der groͤßere »opfert doch gestohlne Guͤter — Das Schicksal »kann Jahrhunderte und Inseln opfern, um Jahr¬ »tausende und Welttheile zu begluͤcken; Und auch da nur in Beziehung auf Unsterblichkeit und Wi¬ derersatz. Wir fühlen keine Ungerechtigkeit, wenn ein We¬ sen ein Plantagenneger, ein anderes ein Sonnenengel wird; aber ihre Schöpfung beginnt ihre Rechte und der Ewige kann ohne Ungerechtigkeit nicht einmal mit den Schmerzen des winzigsten Wesens die Freuden aller bessern kaufen, wenn es nicht jenem wieder vergütet wird. der Mensch »aber nichts als sich.« Jubelnd lief Flamiu mit seinem Erloͤser nach St. Luͤne, um die treue Schwester in der untreuen Ge¬ liebten dankend und abbittend zu umfassen — ach als die hohe Warte in seine Augen aufstieg: so zog sich blutig und schmerzhaft wie ein Augenfell die Decke von ihnen herab, die bisher die Unschuld seines be߬ ten Freundes, Viktors, verfinstert hatte. »Ach »wie wird er mich hassen! O haͤtt' ich ihm »mehr getrauet!« seufzete er und nichts freuete ihn »mehr: denn den Schmerz eines guten Menschen, der ungerecht gewesen, auch in der Meinung der volle¬ sten Gerechtigkeit, kann nichts troͤsten, nichts als viele viele Aufopferungen. Er schlich sich seufzend nicht zur neuen Mutter, sondern sank den treuen Drillingen sanft an das unbeleidigte Herz. Die red¬ lichen Seelen bewillkommeten alle den Evangelisten als einen helfenden Freund; und diese bunte Spinne kroch mit ihren unreinen Spinnwarzen auf allen die¬ sen edeln Gewaͤchsen einer offnen Liebe herum: die Spinne hoͤrte alles, sogar die Abrede, daß die Eng¬ laͤnder den Befehl, nach der Insel abzugehen, nach dem Buchstaben nehmen und sich in die englische In sel des Lords so lange einsperren wollten, bis Fla¬ min und die Lady mit ihnen allen in ihre groͤßere Insel — ins Souterrain und Werkhaus der Freiheit — in den klassischen Boden aufgerichteter Menschen abzuschiffen im Stande waͤren. Denselben Morgen zog der Kaplan in seinen Steinbruch und legte sich da vor Anker, weil er noch nichts wußte. Draussen versaß er die Angst und Nachts zog er wieder ein. Er gieng da mit niemand um als seinem Koͤrper — wie manche sich mit ihrer Seele, so unterhalten sich andere mit ih¬ rem Koͤrper — und sah von Zeit zu Zeit nicht die Natur, sondern sein — Wasser an, um daraus — da dessen Farbenlosigkeit, nach der Physiologie Kum¬ mer bedeutet — die Kenntniß zu schoͤpfen, ob er sich sehr abhaͤrme oder nicht; wiewol kein Proto¬ medikus fuͤr ihn stehen wird, daß er nicht urinam chyli oder sanguinis fuͤr dito potus wird angesehen haben. Da die Aerzte behaupten, daß Seufzer nuͤ¬ tzen, den Puls schneller und die Lungenfluͤgel leich¬ ter machen — ein Regent kann also ganzen Laͤn¬ dern auf einmal nuͤtzen, wenn er sie zu seufzen noͤ¬ thigt: — so schrieb sich Eyman eine bestimmte An¬ zahl Seufzer vor, die er zum Besten seiner Lunge taͤglich zu holen hatte. Denselben Morgen gieng die Lady zur Pfarrerinn, um ihr zu sagen, daß Flamin ein Unschuldiger, aber ihr Sohn nicht mehr sei; und Klotilde gieng mit ihr, um die Haͤnde der zwei Toͤchter zu nehmen und ihnen zu sagen, ihr habt einen andern Bruder. Denn Viktor hatte seine Abkunft noch verhehlt. »O Gott! (sagte die verarmende Pfarrerinn und schloß Flamins Mutter und Schwester an die schmach¬ tende Mutterbrust, die mit heißen Seufzerzuͤgen ei¬ nen Sohn begehrte) — »wo ist denn mein Kind? »— Fuͤhren Sie mir meinen wahren Sohn zu! — »Ach ich ahndete es wohl, daß mich das Duell »doch ein Kind kosten wuͤrde! O! er findet alles »wieder, aber ich buͤße alles ein. — O Sie sind »eine Mutter und ich bin eine Mutter, helfen Sie »mir!« — Klotilde schauete sie mit dem weinen¬ den Wunsche des Trostes an; aber die Lady sagte: »Ihr Sohn lebt und ist auch gluͤcklich, aber mehr »kann ich nicht sagen.« Und denselben Morgen war dieser Sohn, unser Viktor, nicht gluͤcklich. Ihm war, bei dem Ge¬ ruͤchte von Flamins Loskettung, und von Mat¬ thieus Dienstfertigkeit, als wenn er das Zischen und den Kugelpfif des herabschiessenden Stoßvogels vernaͤhme, der bisher unverruͤckt gleichsam mit ange¬ nageltem Fittich hoch im Blauen uͤber dem Raub geruhet hatte. — Verarget es dem Doktor nicht gar zu sehr, daß ihn die verlorne Gelegenheit kraͤnk¬ te, seinen Freund aus dem engen Gefaͤngniß und sich aus dem weiten des Lebens los zu machen. Denn er hat zu viel verloren und ist zu einsam: die Men¬ schen kommen ihm wie die Leute in dem polnischen Steinsalzbergwerk vor, die herumtappen mit einem an dem Kopf gebundnen Licht , das sie ein Ich nennen, vom genußlosen Blinken des Salzes um¬ zingelt, weis gekleidet und mit rothen Binden, als waͤren es Aderlaßbinden — Die Sprache seiner Be¬ kannten ist wie die der Sineser, einsylbig — Er muß dem erniedrigenden Tag entgegen leben, wo Jenner und die Stadt die Niedrigkeit seines Stan¬ des ihm zum Betrug anrechnen. — Vor jedem Auge steht er in einem andern Lichte oder Schatten vielmehr, Matthieu haͤlt ihn fuͤr grob, Jenner fuͤr intriguant, die Weiber fuͤr taͤndelnd, so wie Ema¬ nuel fuͤr fromm und Klotilde fuͤr zu warm — denn jeder vernimmt an einem vollstimmig besetzten Menschen nur sein Echo. Welches Herz konnt' ihn uun noch bewegen — seines ohnehin nicht — das Ruder im Sklavenschiff des Lebens laͤnger zu halten? O Eines konnt' es, ein maͤchtiges warmes, das muͤtterliche: »stuͤrze dich nur aus der Erde — sagte »sein Gewissen — dann stirbt dir deine Mutter voll »Liebe nach und tritt in der zweiten Welt vor dich »mit so vielen Thraͤnen, mit allen heissen Wnnden »und sagt: Sohn, dieser Schmerz ist dein Werk!« — Er gehorchte und sah ein, wenn es edel ist, fuͤr eine Geliebte zu sterben, so sei es noch edler fuͤr eine Mutter zu leben. Daher beschloß er, noch heute Abends — Abends, damit die Nacht sich vor einige verwit¬ ternde Ruinen der bessern Zeit, vor einige voruͤber¬ ziehende Nachtleichen der Erinnerung stellte — nach St. Luͤne zu gehen, seine Mutter zu rufen und ihr muͤdes sieches Herz wenigstens mit Einer Freudenblume zu staͤrken und ihr — da ihn kein Eid mehr band — zu sagen: Du giebst mir jetzt zum zweitenmal das Leben. Wie wohl wurd' ihm! — Ein einziger guter Vorsatz bettet und luͤftet das scharfe Siechbette und Krankensopha eines zerrisse¬ nen Lebens. Aber am Abende, ihr guten Bedraͤngten, am Abende — nicht des Lebens sondern — des 21 Ok¬ tobers wird euch leichter und frischer werden und die Kugel euerer Fortuna wird sich aus der Wetter¬ s eite in die Sommerseite drehen! Abends kam Viktor in St. Luͤne an, und huͤllte sich in die Laube des Pfarrgartens ein: in der Lau¬ be hatt' er Klotilden die ersten Thraͤnen der Liebe gegeben. — Das Pfarrhaus, das Schloß, die Warte, die zwei Gaͤrten lagen wie verfallne Ritter¬ schloͤsser um ihn, aus denen alle Freuden und Be¬ wohner laͤngst gezogen sind! — Alles so still, so ste¬ hend um ihn — die Bienen saßen stumm auf dem Flugbrett neben hingerichteten Drohnen — sogar der Mond und ein Woͤlkgen standen fest neben einander — die Wachsmumie war mit dem starren Gesicht gegen das stille Zimmer gewandt! — Endlich kam die Pfarrerin durch den Garten, um ins Schloß zu gehen. Er wußte, wie sehr sie ihn wieder lieben mußte, da seine Treue gegen den eifersuͤchtigen Fla¬ min jetzt ans Licht gekommen war. O sie sah so muͤde und kraͤnklich aus, so rothgeweint und ver¬ blutet und veraltet! — Ihn dauerte es, daß er erst ein gleichguͤltiges Wort sagen mußte, um sie in die Laube zu rufen. Als sie hineintrat: erhob er sich, und buͤckte sich tief und legte sich ausloͤschend an die theuere Brust, hinter der eine Welt voll Seufzer und ein Herz voll Liebe war und sagte: »O Mutter ich bin Dein Sohn — nimm mich auf, »dein Sohn hat nichts, er liebt nichts mehr auf der »ganzen weiten Erde nichts mehr als dich — O »liebe Mutter, ich habe viel verloren bis ich dich »fand — Warum siehst du mich so an? — Wenn »du mich verschmaͤhest: so gieb mir deinen Segen »und laß mich entfliehen. ... O! ich wollte ohne¬ »hin nur deinetwegen leben bleiben.« — Sie schaue¬ te ihn, zuruͤckgebogen, mit einem nassen Blick voll unaussprechlicher Zaͤrtlichkeit und Trauer an: ist's denn wahr? »O Gott! wenn Sie mein Sohn waͤ¬ »ren — Ach, gutes Kind! — ich habe dich laͤngst »geliebt wie eine Mutter. — Aber taͤusche mich »nicht, mein Herz ist so wund!« — Der Sohn schwur. ... und hier sinke der Vorhang langsam an der muͤtterlichen Umarmung herab und wenn er Sohn und Mutter ganz bedeckt: so schaue ein gu¬ tes Kind in seine eigne Seele zuruͤck und sage: hier wohnet alles was du nicht beschreiben kannst! Jetzt Abends schlich der Kaplan vom Felde heim und durch den Garten hindurch und rief seinem neuen Sohne entgegen: Ach! Herr Hofmedikus, »ich schwinde laͤsterlich ein. Ich sehe ja offenbar »aus wie ein ecce homo und Fabrikant. Es wird »mir zugesetzt — ich soll eine persona miserabilis . »einen souffre douleurs , einen Patropassianer abge¬ »ben.« — Da Viktor ihm berichtet hatte: »es sei »alles voruͤber, der Regierungsrath sei los und un¬ »schuldig:« so blickte Eymann fest auf die Warte und sagte: »wahrlich droben sitzt der Rath und gukt' »ruͤber« und wollte hinauf zu ihm; aber Viktor hielt ihn sanft und sagte zaͤrtlich: »ich bin Ihr Sohn« und offenbarte ihm alles. — »Wie? — Sie? — »Du? — Der Sohn eines so vornehmen Lords »waͤre mein Sohn? — Meinen Herrn Gevatter »haͤtt' ich gezeugt? — Das ist unerhoͤrt, ein Bru¬ »der der Pathe des andern — zwei Sebastian hab' »ich auf einmal im Hause.» — Er wurde die Pfar¬ rerin ansichtig und fieng einen Hader an, — wel¬ ches allemal ein Zeichen seiner Freude war. »So, »Frau? Das weist du heute den ganzen Tag und »mich laͤssest du draussen im Steinbruch im Noth¬ »stall sitzen, mitten im Harm und ich laͤute bis »Nachts an der Armensuͤnderglocke? Haͤttest du nicht »den Kalkanten hinaus lassen koͤnnen zum Notifizieren? »Das war recht schlecht — die Frau steckt zu Hause »und trinkt Bitterwasser, in das ihr ganze Zucker¬ »faͤsser und Konfektteller hineingeworfen sind — und »der Mann haͤlt sich in Steinbruͤchen auf und saͤuft »seine bittern Extrakte aus einem Brechbecher fort.» — Sie antwortete nie darauf. Jetzt erfuhr erst Viktor von seiner Mutter, daß Flamin bloß fuͤr den Freund (Matthieu) und fuͤr das Vaterland habe sterben wollen — daß er seine eifersuͤchtige Ungerechtigkeit bereue und die verscherzte Freundschaft bejammere und daß sie ihn eben darum abhole, um ihn in die Haͤnde der wahren Mutter und vor das Angesicht der gekraͤnkten Schwester zu fuͤhren. Es war heute am Morgen menschliche Schwaͤche gewesen, daß das erfrorne Glied der Freundschaft, sein Herz, ein wenig kaͤlter und un¬ empfindlicher gegen Flamin geworden war, da er des¬ sen Rettung aus dem Gefaͤngniß vernahm — aber es war jetzt Abends menschliche Guͤte, daß Flamins großer Entschluß zu sterben, wie eine russische Frost¬ salbe seinem starren Herzen Waͤrme und Bewegung wiedergab. Sein Inneres regte sich gewaltsam, quoll auf, uͤberstroͤmte den erdruͤckten Groll und das Bild des Jugendfreundes stand auf und sagte: »Viktor, »gieb dem Schuldfreund wieder deine Hand — o er »hat so viel gelitten, und so edel gehandelt.« Thraͤ¬ nen schossen ihm aus den zuckenden Augen, als er sich jetzt entschloß, auf die Warte zu gehen und zum alten Liebling zu sagen: »es sei vergessen — »komm' wir wollen mit einander zu deiner Schwester »gehen.« Er gieng allein auf die Warte, um ihn nachher der Lady vorzustellen. Die Pfarrerin sprang einige Minuten von Viktor ab, um seine zwei Schwester zu benachrichtigen und zu bringen und den blinden Julius aus der Stadt fuͤhren zu lassen, da¬ mit in der goldnen Halskette der Liebe kein Gelenk abgienge. Welche Himmelsleiter, in der jede Minute eine hoͤhere Sprosse ist, steht in dieser Nacht auf der wan¬ wankenden Erde und gute Menschen steigen hinter einander hinauf! — Unten an der Treppe der casa santa der Versoͤh¬ nung arbeitete Viktors Herz gewaltsam im heissen durchwuͤhlten Blute. Flamin sah ihn langsam hin¬ aufsteigen; aber er kam ihm nicht entgegen, weil es ungewiß war, komme Viktor zuͤrnend oder ver¬ gebend. Als dieser endlich oben war: so stuͤzte Fla¬ min sein abgekehrtes Gesicht beschaͤmt in das Ge¬ zweig; denn er konnte dem so sehr gemißhandelten Geliebten nicht ins Auge blicken, bis er wußte, daß er ihm verziehen habe. Sie schwiegen schauerlich neben einander unter dem rieselnden Lindengipfel — sie erriethen einander nicht ganz und das machte das Schweigen fuͤrchterlicher und das Versoͤhnen zweifel¬ haft. Endlich reichte ihm Flamin, heftig athmend und mit dem ins Laub gelegten Gesicht die zuckende Hand entgegen. Da Viktor diese stumme um Ver¬ soͤhnung flehende Hand zittern sah: so tropften sie¬ dende Thraͤnen durch sein Herz und zertrennten es und nur aus Wehmuth und liebender Schonung verschob er es, die demuͤthige Hand zu nehmen. Aber hier kehrte sich Flamin (im falschen Argwohn) stolz, erroͤthend und voll Thraͤnen und voll alter Liebe um und sagte: »ich bitte dich recht gern um Verge¬ »bung, daß ich gegen dich Engel ein Teufel war; Hesperus. III . Th. Cc »aber dann wenn du mir keine ertheilst, so schleu¬ »dere ich mich hinunter, damit mich nur der Teufel »holt.« — Sonderbar! dieses Erpressen der Ver¬ zeihung zog Viktors offne Seele ein wenig zusam¬ men; aber er umfaßte doch den freundschaftlichen Wilden und sagte mit der milden Stimme der stil¬ len Liebe: »aus dem Grunde der Seele hab' ich dir »heute vergeben; aber geliebt hab' ich dich immer »und allezeit und in wenig Wochen wuͤrd' ich fuͤr dich »gestorben seyn, um dein Leben zu retten.« — Jetzt traten ihre Seelen nahe und unverhuͤllt vor einander und deckten ihr Leben auf — — und da sich beide alles erzaͤhlt hatten und als Viktor ihm eroͤffnet hat¬ te, daß er an seine Stelle eingeruͤckt und der Sohn der beraubten Mutter geworden sei: so wollte Fla¬ min vor Reue vergehen, und druͤckte verschaͤmt sein Angesicht tiefer nur an Viktors Brust — und ihre Seelen feierten neuvermaͤhlt auf dem Traualtar der Warte ihre Silberhochzeit unter der Brautfackel des Mondes und ihre Seligkeit wurde von nichts erreicht als von ihrer Freundschaft. Sie wandelten im zaͤrtlichen Taumel langsam in Le Bauts Garten und der Strom der Wonne wurde immer tiefer; aber eiskalte Wellen wie vom Flusse Styx erschreckten ploͤtzlich den sanft erwaͤrmten Vik¬ tor, da er in die Trauerlaube kam, wo er gerade heute vor einem Jahre am 21. Oktober — also ist heute Klotildens Geburtstag — aus seinem zerruͤtte¬ ten Herzen ihr Bild gerissen hatte, und wo er wie¬ der ankam, um es aus den alten Narben vielleicht wieder auszureissen Denn das Senken seines Stan¬ des hatt' ihn ein wenig — stolzer gemacht, und seine Liebe fuͤr Klotilden scheuer. Die Wahrheit zu sagen, so glaubt' er's selber nicht recht, daß ihr seine niedrige Abkunft unbekannt gewesen: er schloß vielmehr das Widerspiel aus dem Antheil, den sie der Lord an seinen Briefen und an allen Geheim¬ nissen nehmen lassen — aus ihrem anfaͤnglichen Kampf gegen ihre aufkeimende Liebe und aus dem kleinen Stolze gegen ihn am ersten Tage — aus ih¬ rem Lobe der Mesalliance — aus ihrer Beguͤnsti¬ gung der Liebe Giulia's gegen Julius, den sie als Lords Sohn kannte — aus ihrer leichten Einwilli¬ gung in die Verlobung, die ihr Vater ja nach der Erkennung nicht mehr zugelassen haͤtte — und aus andern Zuͤgen, die man bei der zweiten Lesung die¬ ses Werks leichter selber sammelt. Wie gesagt, diese Hoffnung, daß sie ihn allemal gekannt, wieder¬ legte einige Einwuͤrfe seiner Delikatesse und seiner Resignation; und bluͤhte heute noch hoͤher auf unter so vielen Freuden und schoͤnen Zufaͤllen. — Ach! wenn er ohne alle Hoffnung gewesen waͤre: so haͤtt' er ja mitten im Kreise so vieler Begluͤckten als die Cc 2 letzte Opferleiche todt niederfallen muͤssen! — Aber das etwas im Menschen, das ihm allemal einen gro¬ ßen Verlust so wahrscheinlich und einen großen Ge¬ winnst so unwahrscheinlich vormalt, quaͤlte, verei¬ nigt mit wehmuͤthigen Erinnerungen ihn jetzt. Er bat daher Flamin, ihn ein wenig in der Laube zu lassen und allein, da die Pfarrerin schon im Garten war — in die befreundeten Arme der gefun¬ denen Schwester und Mutter zu eilen: er komme bald nach. Als Flamin fort war: fieng Viktor im¬ mer vor Klotildens Erschuͤtterung zu zittern an, die sich ihrer vielleicht jetzt bei der Nachricht seiner Ab¬ stammung bemeistern werde; und es druͤckte ihn sehr, da er dachte, daß fuͤr alle im Garten die Trauer von dem schwarzausgeschlagnen Trauerzimmer der Erde abgenommen werde, nur fuͤr ihn wohl nicht. — — Aber da kam, von neuen Entzuͤckungen wieder¬ scheinend, seine Mutter und trocknete ihm eh' sie fragte, erst die Augen ab. Ihre neuen Entzuͤckun¬ gen kamen davon her, daß Klotilde, da ihr von der Pfarrerin seine Abkunft erzaͤhlet wurde, ihr um den Hals gefallen und sie um Verzeihung des so langen Verhehlens, des so lange fortgesetzten Raubes des Kindes gebeten — und daß die Lady sie ersucht, ih¬ ren Sohn schneller zu bringen. Viktor konnte vor weinendem Entzuͤcken nichts sagen, als: »ist denn meine gute Agathe und der Blinde noch nicht da?« — Und beide standen — hinter ihm; und er verbarg das Uebermaaß seiner Wonne unter Liebkosungen der Schwester und des Freundes: sein weiter Leidens¬ kelch war ja ganz mit Freudenthraͤnen vollgegossen. Als er den schoͤnen Weg zu den lieblichen Ver¬ buͤndeten antrat im gehenden Zirkel drei liebender Seelen: so kamen sie ihm alle entgegen mit glaͤnzen¬ den Zuͤgen — mit schwimmenden Blicken — mit verschmerzten Erinnerungen, oder vielmehr mit ge¬ nossenen, denn von den zertretenen Freudenblumen auf dem Lebenswege wehet Wohlgeruch auf die jetzi¬ ge Stunde heruͤber, wie ziehende Heere oft aus Steppen den Wohlgeruch zerquetschter Kraͤuter ausschicken. Die Lady wurde von ihren zwei Kin¬ dern gefuͤhrt und sagte verbindlich-laͤchelnd: »hier »stell ich Ihnen meine geliebten Kinder vor, setzen »Sie die Freundschaft gegen sie fort, die Sie ihnen »bisher gegeben haben.« — Ihr Sohn Flamin flog, »gleichguͤltig gegen Sitte, an seinen Hals. Klotilde buͤckte sich tiefer als sie vor einem Fuͤrsten gethan haͤtte und in ihrem Auge schwamm die Frage der wehmuͤthigen Liebe: »bist du noch ungluͤcklich? hab' »ich noch dein Herz? Warum ist dein Auge benetzt, »warum deine Stimme gebrochen?« — Viktor er¬ wiederte mit eben so viel Zaͤrtlichkeit als Anstand, indem er sich gegen die Lady wandte: »Sie konuten »an keinem schoͤnern Tage Ihren Sohn wieder fin¬ »den als am Geburtstage Ihrer Tochter.« .... Daran hatte in den bisherigen Wirbelwinden kei¬ ner gedacht. Welches frohe Chaos! Welch eine herzliche liebende Sprachverwirrung der Improvisa¬ tori von edlen Gratulanten! Welch ein geruͤhrter Augendank Klotildens fuͤr ein so verbindliches Ge¬ daͤchtniß! Man zog jetzt trunken durch den kuͤhlen Garten in das Schloß. O wenn Schwesterliebe, Kindes¬ liebe, Mutterliebe, Geliebten-Liebe und Freundschaft neben einander auf den Altaͤren brennen: so thut es dem guten Menschen wohl, daß das Menschenherz so edel ist und den Stoff zu so vielen Flammen ver¬ wahrt, und daß wir Liebe und Waͤrme nur fuͤhlen, wenn wir sie ausser uns vertheilen, so wie unser Blut uns nicht eher warm vorkoͤmmt, als bis es ausserhalb den Adern geflossen im Freien ist. — O Liebe! wie gluͤcklich sind wir, daß du von einer zweiten Seele angeschauet, dich wieder erzeugst und verdoppelst, daß warme Herzen warme ziehen und schaffen wie Sonnen Planeten, die groͤßern die klei¬ nern und Gott alle — und daß selber der dunkle Planet nur eine kleinere, uͤberzogene, eingehaͤusige Sonne ist. . . . Aber zuruͤck! Alle Seelen standen heute hoch auf ihrer Alpe und sahen — wie auf ei¬ ner physischen — den Regenbogen des Menschen¬ gluͤcks als einen großen vollendeten Zauberkreis zwischen der Erde und Sonne haͤngen. — Im Schlosse bat die Lady ihre Tochter, allein in das dunkle Zimmer der Mundharmonika zu gehen, sie woll' ihr das Angebinde des Geburtstags geben. Klotildens Auge nahm vom bleibenden Freund mit einem zweiten Dank fuͤr seine Seele einen zaͤrtlichen Abschied. — Nach ihrer Entfernung gab ihm die Lady einen Wink, mit ihr hinter den andern nachzubleiben — da sank er gern vor Klotildens Mutter, die um ihre Einwilligung in seine Liebe noch nicht gebeten war, mit den Worten auf das Knie: »wenn Sie »meine Bitte nicht errathen: so hab ich nicht den »Muth, sie anzufangen.« Sie hob ihn auf und sagte: »Bitten, die so stillschweigend geschehen, wer¬ »den eben so stille erfuͤllt — aber jetzt kommen Sie »lieber und sehen zu, womit ich meine Tochter be¬ »schenke.« — Aber er mußte erst lange die Hand benetzen und kuͤssen, die ihm den Lindenhonig eines ganzen Lebens reichen will. Beide giengen nun in diesem aus dem tausend¬ jaͤhrigen Reiche heruͤbergeschickten Abende ins dunkle Zimmer zur Tochter. Warum entflossen Klotilden Thraͤnen vor Wonne, noch eh' die Mutter sprach? — weil sie schon alles errathen konnte. Die Mut ter fuͤhrte den Geliebten an die Geliebte und sagte zur Braut: »nimm hin das Angebinde deines Ge¬ »burtstages. Wenige Muͤtter sind reich genug, ein »solches zu geben — aber auch wenige Toͤchter sind »gut genug, es zu erhalten.« — Das Brautpaar wurde vom Druck der schweren Wonne, des großen stummen Dankes vor ihr niedergedruͤckt auf die Knie und theilte sich in die zwei wohlthaͤtigen Haͤnde der Mutter; aber diese zog sie sanft aus fremden weg und legte den Liebenden die ihrigen in einander und schluͤpfte davon mit dem Laute: »hieher will ich »unsre Gaͤste bringen!« — — — O ihr zwei endlich begluͤckten, neben einan¬ der knieenden guten Seelen! wie ungluͤcklich muß ein Mensch sein, der ohne eine Thraͤne der Freude, — oder wie gluͤcklich einer, der ohne eine Thraͤne der Sehnsucht euch sehen kann jetzt stumm und wei¬ nend einander in die Arme fallen — nach so vielen Losreissungen endlich verknuͤpft — nach so vielen Verblutungen endlich geheilt — nach tausend tau¬ send Seufzern doch endlich begluͤckt — und unaus¬ sprechlich begluͤckt durch Herzensunschuld und durch Seelenfrieden und durch Gott! — Nein, ich kann heute meine nassen Augen nicht von euch wenden — ich kann heute die andern guten Menschen nicht an¬ schauen und abzeichnen — sondern ich lege meine Augen mit den zwei Thraͤnen, die der Gluͤckliche und der Ungluͤckliche hat, fest und sanft auf meine zwei stillen Geliebten im dunkeln Zimmer, wo ein¬ mal der Hauch der Harmonikatoͤne ihre zwei Seelen wie Gold- und Silberblaͤttgen an einander wehte — O da sich mein Buch jetzt endigt und meine Ge¬ liebten entweichen: so ziehe dich langsam weg, dunk¬ les Allerheiligstes mit deinen zwei Engeln — toͤne lange nach, wenn du auffliehest mit deinen melodi¬ schen Seelen, wie Schwanen zu Nachts mit Floͤten¬ toͤnen uͤber den Himmel ziehen — — Aber ach steht nicht schon hoch und weit von mir das Allerheiligste und haͤngt als Silberwoͤlkgen am Horizont des Traums? — O diese guten Menschen, dieser gu¬ te Viktor, dieser gute Emanuel, diese gute Klotil¬ de, alle diese Fruͤhlings-Traͤume sind aufgestiegen und mein Herz blickt schmerzlich auf und rufet ohne Hoffnung nach: Fruͤhlings-Traͤume, wann kommt »ihr wieder.?« — O warum wuͤrd' ichs thun, wenn nicht die Freunde, die wir so fest an den Haͤnden fassen, auch Traͤume waͤren, die aufsteigen? Aber diesen rufet das auf dem Grabstein zuckende zuruͤckgefallne jammernde Herz nicht nach: Fruͤhlingstraͤume, wann kommt ihr wieder? — — Nachtrag zum 44. Hundsposttag. Nichts — D a dieser Nachtrag zu einem Posttaͤglein zu klein war: so wartete ich immer auf den Hund und auf neuen biographischen Pfeifenthon und Teig — Da aber die poste aux chiens ausbleibt, so will ich nur die wenigen kakophonischen Toͤne, die ich aus dem liebenden Konzert des vorigen Kapitels herausge¬ than, hier auf meine Noten setzen. Es ist lauter verdruͤßliches Zeug, was ich hier noch nachzuholen habe, und eben jene Knartoͤne koͤnnen wieder eine neue Lauwine herabwerfen und neuen Unfug stifteu . Es ist nur dumm, daß so das Buch aus und doch nicht aus ist, da der Hund von einem — Hund ganz unerwartet weg ist wie Schnupftaback. Die stiefmuͤtterliche Kammerherrin, die vom bio¬ graphischen Geister- und Koͤrperbanner seit langem aus diesen Blaͤttern Landes verwiesen ist, war bei der Ankunft der Lady aus sehr natuͤrlicher Antipa¬ thie wegmarschiert auf ein kleines Landgut. Reise zu, du bist ohnehin meine Amancebada nicht! — Matthieu war im vorigen Kapitel nach seiner alten Kuͤhnheit unter lauter Widersachern seines dunkel¬ braunen Ichs ein wenig da geblieben; und saß im Schlosse, als die gluͤckliche Prozession aus dem Gar¬ ten einzog. Er wuste noch nicht, daß der Hofmann Viktor wahrhaftig nichts ist als ein bloßer platter Pfarrsohn. Anfangs setzte er den antiken Spas sei¬ ner Liebeserklaͤrung gegen Agathen fort und reizte den Pfarrer zu Komplimenten und Dankadressen fuͤr die Dienste an, die er allen heute erwiesen. Als er aber zu viel Gleichguͤltigkeit gegen seine kalte Bosheit vorfand, benahm er seiner Verachtung die Zweideutigkeit. Ueberhaupt war sein Herz aufrichtig und stellte sich lieber boshafter als tugendhafter an als es war: er haßte jene Verstellung, wodurch sich mancher Hoͤfling leicht jene Miene des Tugendhaft¬ ten giebt, die am besten durch Lavaters Bemerkung zu erklaͤren ist, daß der Zornige auf seinem Gesicht die Mienen dessen den er hasset, bekomme. Endlich errieth Matthieu die Geheimnisse und der Pfarrer bestaͤtigte sie ihm. Ein solches Wasser fuͤr seine Schneide- und Saͤgemuͤhle, auf der er Menschen fuͤr sein Throngeruͤste zurechtschnitt, war noch nie auf ihn zugeflossen — wenn er dieses neue Falsum, diesen neuen entsetzlichen abscheulichen Be¬ trug, den der Lord dem Fuͤrsten gespielt, dem Fuͤr¬ sten vortraͤgt: so muß, — schließet er — Jenner außer sich kommen vor Erstaunen uͤber Horions Luͤ¬ gen und uͤber Matthieu's Wahrheiten. — Jetzt hielt ers fuͤr Pflicht, zu laͤcheln zwar, aber nicht mehr schadenfroh wie Maz, sondern ordentlich ver¬ achtend wie ein Hof-Lehnman soll: auch fuͤhlte er, wie sehr es unter seiner Wuͤrde sei, sich laͤnger in dieses buͤrgerliche Quodlibet, ohne es doch zum Nar¬ ren zu haben, mit einquirlen zu lassen. Er gieng mithin — um die Nouvelle aus seinem Saͤetuch in gutes Land auszuwerfen — nach einem kurzen aber aufrichtigen Gluͤckwunsche zur Vermaͤhlung noch die¬ selbe Nacht an den Hof zuruͤck — — — und der Teufel folgte ihm als Kammermohr anstaͤndig hin¬ terdrein. Ich wollte, der Spitzbube thaͤte keinen Tritt mehr in meine biographische Schreibstube und casa santa : er ist sich so vieler unmoralischer Huͤlfsquellen be¬ wust, daß er ordentlich im Kraftgefuͤhl derselben mit den Suͤnden spielt und immer einige mehr wagt als er braucht; so wie er z. B. in der Maienthaler Allee mit der Stimme der Nachtigall aus bloßem Uebermuth Viktor und Klotilde in seine Naͤhe lockte, obgleich Flamin beide ohne jene Philomelenmaschi¬ nerie haͤtte belauschen koͤnnen. Von dieser Seite wuͤnsch' ich fast gar nicht mehr, daß der Posthund weiter koͤmmt: ich muß zu sehr besorgen, daß Mat¬ thieu neuen Kroͤtenlaich und eine neue Essigmutter des Elends an die Waͤrme Jenners bringt, damit sie neues giftiges scharfes Ungluͤck aushecke; denn er wird es gewiß hoͤchsten Orts berichten, daß die drei Englaͤnder sich in die Insel wie in eine Katakombe verstecken — daß Flamin sich ihnen zugeselle — daß Viktor bisher einen belogen, dessen Unterthan er sei — noch anderer Dinge zu geschweigen, die die ministerialische Spionin und Kammerherrin von le Baut mittheilt und sein so anti klubbistischer Vater anschwaͤrzt, die jene zeichnet und dieser kolo¬ riert. Und wenn ich bedenke, daß in dieser Bio¬ graphie ein kleines Ungluͤck immer die Eierschale und das Eiweis eines großen war; so bin ich sehr geneigt zu glauben, daß der Ausdruck des Pfarrers am 21. Oktober mehr Wiz als Wahrheit enthalte: »daß sie gegenwaͤrtig alle statt des Thraͤnenbrods »den Brautkuchen der Freude anschnitten.». . . . . . . Ihr guten Menschen! worin mag jetzt in dieser Mi¬ nute euer Busen auf und niedergehen, im weichen duͤnnen Aether der Freude, oder im Gewitter-Bro¬ dem der Angst? — 45stes oder letztes Kapitel. Knef — Stadthof — Schweisfuchs — Räuber — Schlaf — Schwur — Nachtreise — Gebüsch — Ende. . . . I ch sage nur so viel voraus, so lange man noch Dinte — und Johannisbeerwein — aus Federspuh¬ len verzapfte; so lange noch Kiele geschnitten wur¬ den, um Friedensinstrumente zu machen — oder ver¬ kohlet, um Kriegsinstrumente zu machen (denn die Kohle des Schießpulvers bereitet man aus Federn) — und noch laͤnger vorher, so lange ist der sonderbare Kasus gar noch nicht vorgefallen, den ich der Welt jetzt zu berichten habe. Wie gesagt, ich sage nur das voraus, der Kasus ist leiblich. Weil der Posthund seit dem 44. Kapitel von diesem gelehrten Werke die Hand oder Pfote abge¬ zogen: so wollt' ichs allein hinausmachen und nur noch ein letztes Kapitel — aber nicht dieses — als Schlußleisten und Schwanengesang gar anstoßen, da¬ mit das opus einmal auf die Post und auf die Welt kaͤme. Gute Rezensenten dacht' ich, laͤssest du uͤber den Mangel an einer Finalkadenz, sich mit dem Post¬ Hunde und biographischen Leithaͤmmel so lange herum¬ beißen als sie wollen. .... Es war schon gegen das Ende des Oktobers und meiner Robinso¬ nade auf der Johannisinsel, als der alte gute Frei¬ tag dieses Robinsons, mein D . Fenk von seiner langen botanischen Alpenreise, nach Scheerau heim¬ kehrte, aber sogleich wieder in die See stach und auf meinem Johannitermeisterthum ausstieg. Wir setzten uns nieder zu zwei oder drei Gaͤn¬ gen mit historischen Eingeschneizes (Ragout) von Reiseanekdoten. Zuletzt macht' ich ihn — wie alle Gelehrte thun — auf das aufmerksam, was ich schriebe, auf mein neuestes Opusculum , das so ver¬ dammt hoch vor uns aufgebettet stand wie ein Ster¬ nenkegel: »es ist ganz fluͤchtig, (sagt' ich) von mir »gefallen, oft zu Nachts, so wie Voltaire oder die »Pfauhennen im Schlafe Eier aufs Stroh herunter »— springen lassen. Ich habe die Welt mit die¬ »sem Legat von drei Heftlein gern bedacht; aber »das Legat wartet noch aufs letzte Kapitel — sonst »wird die Hundsarbeit im edeln Sinn eine im »schlechten. Er las das ganze Vermaͤchtniß vor meinen Augen durch — welches fuͤr einen Autor eine naͤrrische schwuͤle Empfindung ist — und schwepperte oft mit den zwei Armen auf und nieder und wollte den Verfasser roth machen durch uͤber¬ treibendes Lob; aber es war nichts, denn ein Ver¬ fasser hat sich jedes schon vorher tausendmal ertheilt und ist zugleich seine eigne Fleischwage, sein eignes Fleischgewicht und sein eignes Fleisch, weil er wie ein Tugendhafter mit seinem eignen Beifall zufrieden ist. — »Der Held deiner Posttage — sagt' er — ist »ein wenig nach dir selber gebosselt.» — Das, versetzte ich, entscheide die Welt und der Held, wenn mich beide kennen lernen; es thuns aber alle Autores, ihr Ich steht entweder abgezeichnet vor dem Titelblatt oder darhinter mitten im Werke, wie der Maler Markus Gerard in allen seinen Land¬ schaften eine Frau anbrachte, die p—ste. Nun aber denke man sich mein staunendes Haͤn¬ dezusammenschlagen, als der Doktor mir das Laͤnd¬ gen nannte, wo die ganze Geschichte vorgieng: *** heißet das Laͤndgen. «Ich duͤrfe nur hin, sagt' er, »so koͤnnt' ich das 45ste Schwanz-Kapitel aus der »Quelle schoͤpfen. Bei seinem Durchmarsch waͤre »man in Flachsenfingen erst uͤber dem 40. Hunds¬ »posttage her gewesen. Wenn ich eigne Pferde neh¬ »men wollte (das will ich, sagt' ich, ich kaufe mir »noch hente eigne): so koͤnnt' ich vielleicht einem »vornehmen Passagier nachkommen, der, wenn ihn »nicht alles troͤge, der Lord leibhaftig waͤre.» We¬ gen einiger Loth Teufelsdreck, die Fenk unterweges brauchte, war er sogar bei Zeuseln in der Apotheke gewe¬ gewesen, dem, sagt' er, die Zahl 99 so leserlich wie dem Nummernvogel ( Catalanta ) die Zahl 98 aner¬ schaffen sei. Verdenken kann man's warlich keinem Autor, der nach seinem 45ten Schwanz- und Schleppenkapitel krebset und fischet, daß er wie unsinnig weglief — aufpackte — anschirrte — einsaß — fortjagte und so wuͤthig zufuhr im Voruͤberschießen vor Hotels, vor Landhaͤusern, vor Prozessionen, vor Sternen und Naͤchten, daß ich nicht etwan in ** Tagen, sondern schon in *** Tagen (mancher wird gar denken, ich mache Wind) in den Gasthof zum goldnen Loͤwen — bestaͤubt aber ungepudert hineinsprang. Besagter Gasthof liegt naͤmlich in der Stadt Hof , die ihrer seits wieder in etwas groͤßerem liegt, naͤmlich im Voigtland. Ich nenne mit Fleiß weder die Tage meiner Reise noch das Thor, wodurch ich zu Hof einschoß, damit ich's nicht neugierigen Schelmen und mouchards durch die Marschroute verrathe, wie Flachsenfingen heisset. Hof konnt' ich ohne Scha¬ den herausnennen, weil man von da aus — sobald man uͤber die Thore hinaus ist — nach allen Punk¬ ten des Kompasses fahren kann; und so kann man da, (welches recht gut ist) auch aus allen Orten an¬ kommen, aus Moͤnchberg, Kotzau, Gattendorf, Sach¬ sen, Bamberg, Boͤheim und von der Siebenhitz und aus Amerika und aus den Spitzbubeninseln. Hesperus. III . Th. Dd Nicht weit vom goldnen Loͤwen (im Grunde im Habergaͤßchen) stand ein vornehmer Englaͤnder und sah zu, wie seine vier rauchende Pferde eine Medi¬ zin von ⅔ gemeinen Salpeter und ⅓ Roßschwefel ge¬ gen das Verschlagen einbekamen. Der Fremde — der ungefaͤhr so viel Jahre haben mochte als dieses Buch Tage — war schwarz gekleidet, lang, ehrwuͤr¬ dig, reich (nach der Equipage zu urtheilen) und schoͤn gebildet. Sein heller und fixirter Blick lag wie ein Fokus-Punkt zuͤndend auf den Menschen — sein Gesicht war glatt und kalt — auf seiner Stirne stand die lothrechte Sekante als der Taktstrich der Geschaͤfte, als Exklamazionszeichen uͤber die Muͤhen des Lebens — mit bleichen wagrechten Linien war dieser Taktstrich rastriert, beide Arten von Linien waren gleichsam wie Zeichen in die zu hohe Stirne eingeschnitten, wie hoch das Thraͤnenwasser der Truͤbsal schon an dieser Stirne, an dieser Seele auf¬ gestiegen sei. »Ich wollte den Lord Horion — »dacht' ich — anders geschildert haben, wenn mir »dieses Gesicht eher vorgekommen waͤre. Viel¬ leicht denkt der Leser, das war der Lord selber. Als der Englaͤnder mein Terzett von Schweis¬ fuͤchsen erblickt hatte: gieng er gerade auf mich zu und leitete ein Tauschprojekt ein und wollte meinen Fuchs mit einem Rappen einwechseln. Er hatte die Phantasie der vornehmen Russen, mit einem ordent¬ lichen Zento ungleichfaͤrbiger Pferde zu fahren — so wie er die schoͤnere Sitte der Neapolitaner hatte, ein freies lediges Pferd wie einen Hirsch neben dem Wagen hertanzen zu lassen — Daher des Roß- Quodlibets halber, wollt' er meinen elenden Fuchs erstehen, der, die Wahrheit zu sagen, nirgends sein eignes Haar trug als hinten auf dem Buͤrzel. Ich sagte es ihm geradezu — um ihm keinen Argwohn eines Eigennutzes und einer Absicht zu lassen —, »meine drei Fuͤchse saͤhen wie die drei Furien aus und stellten die drei Kavitaͤten der Anatomie ein wenig vor; blos der Schweisgaul, den er wolle, sei herr¬ lich gebauet, besonders um den Kopf herum, und ich verloͤr' ihn ungern gerade jetzt, da mir der Kopf erst recht einschlagen will.» — »So?» sagte der Britte. »Natuͤrlich, sagt' ich: denn ein Pferdekopf »ist das beste Mittel gegen Wanzen; und der muß »nun bald wie eine reife Pflaume vom Gaul abfal¬ »len — den Kopf kann ich in meiu Bettstroh »thun.» Der Englaͤnder laͤchelte nicht einmal; un¬ ter dem ganzen Handel regte er keinen Finger, keine Miene, keinen Muskel. Erst als ich selber gesagt hatte: »wenn nur die drei Parzen so lange auf den »Beinen bleiben, bis ich das 45te Kapitel abgeholt »habe auf der Achse»: so fiel es mir auf, daß er mich auf eine entfernte Art mehr zu studieren und auszufragen getrachtet als den Schweisfuchs — und Dd 2 ich gerieth auf die Hypothese, ob er nicht gar den ganzen Roßtausch nur zum Deckmantel seines ver¬ daͤchtigen Rekognoszieren-Fragens gemißbraucht habe. Der Leser lese nur weiter! — Der Englaͤnder fuhr mit meinem Fuchs-Muskelnpraͤparat davon — und ich spaͤter hintennach mit dem Rappen, der so schwarz und gleissend war wie der alte Adam des Menschen. Aber ich muß erst sagen was ich in Hof wollte, — dediziren wollt' ich. Anfangs sollte jedes dieser Heftlein einer Freundin zugeeignet werden; aber ich muste besorgen, es wuͤrde mich gereuen, weil ich mich jeden Monat mit einer andern — mit allen auf einmal nie — zu zanken pflege. Ich moͤchte wissen, unter welcher geographischen Breite der Mann laͤge, der nicht mit seiner Freundin tausend¬ mal oͤfter keifte als mit seinem Freund. Der Bio¬ graph muste also aus Noth, weil er zu veraͤnderlich ist — mit seinen drei Heftlein queer aus dem gold¬ nen Loͤwen uͤber die Gasse ziehen und zu dem einzi¬ gen ins Haus gehen, gegen den er sich nicht aͤndert und der's auch nicht thut und zu ihm sagen: »hier, »mein lieber guter Christian Otto dedizir' ich dir »wieder etwas — drei Heftlein auf einmal — huͤbsch »waͤr' es, wenn du jedes wieder an die Deinigen »dedizirtest, dreie langen gerade zu — Ich reite »nun dem 45ten Kapitel nach, und du, schneide und »raupe indeß an den 44 andern Rabatten so viel »ab als du willst. Und hier, mein Treuer, must du das letzte Kapi¬ tel auch gar haben und ich setze nur noch dazu: »diesen Hesperus , der als Morgenstern uͤber meinem frischen Lebensmorgen steht, kannst du noch anschauen, wenn mein Erdentag voruͤber ist; dann ist er ein stiller Abendstern fuͤr stille Menschen, bis auch er hinter seinem Huͤgel untergeht.« Ich bin ein wenig aus der Melodie heraus, ich singe mich aber wieder hinein, wenn ich erzaͤhle, daß mich in der Hauptkirche mein ehemaliger Stuben¬ kamerad, jetziger theologischer Kandidat J. P. Friede¬ rich Richter ungemein erbauete durch zwei gute Theile; im ersten Theile zeigte er seinen Hoͤfern aus der Epistel, daß sie einander in der fluͤchtigen Luft¬ erscheinung des Lebens nicht raufen, sondern recht lieben sollten, ohne Ruͤcksicht auf die Nummern der Haͤuser — und im zweiten Pars that er dar, sie sollten sich im kurzen abnehmenden Lichte des Lebens von Zeit zu Zeit einen und den andern Spas ma¬ chen . . . . . Als ich kaum einige Stunden — Tage — Wo¬ chen gefahren (denn die Wahrheit sag' ich nicht) und gegen Mitternacht in meinem Wagen bergauf in ei¬ nem dicken Forste eingeschlafen war: so stuͤrzten zwei Haͤnde, die von hinten durch das Ruͤckenfenster sich hereingearbeitet hatten eine Bienenkappe uͤber mei¬ nen Kopf, schnallten sie hurtig um den Hals mit ei¬ nem Vorlegschloß, verschraͤnkten und verdeckten meine Augen, und mich selber ergriffen, hielten und banden zehn bis zwoͤlf andere Haͤnde. Das Schlimste bei so etwas ist, daß man denkt, man wird todt¬ geschlagen und von seinen Juwelenkaͤftgen entbloͤst: nun kann man aber einen Antor, der sein Buch noch nicht hinaus gemacht hat, nicht aͤrgerlicher und ver¬ drießlicher machen, als wenn man ihn erschlaͤgt. Kein Mensch will in einem Plane sterben; und doch traͤgt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich auf¬ knospende, gruͤne, halb reife und ganz reife Plane. Ich suchte also mein Leben mit einer Tapferkeit zu verfechten — weil mir um's 45te Kapitel und dessen Kunstrichter zu thun war —, daß ich — ich kann es sagen — vier bis fuͤnf Prinzenraͤuber leicht uͤber¬ meistert haͤtte, waͤr' es nicht ein halb Dutzend ge¬ wesen. Ich streckte das Gewehr, behauptete aber das Schlachtfeld, naͤmlich das Kutsch-Kissen und merkte uͤberhaupt, daß man den Berghauptmann nicht sowol todt machen wollen als blind. Es wurde noch abentheuerlicher — mein eigner Kerl wurde nicht vom Throne seines Bocks gestuͤrzt — mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachsenfin¬ gen — zwei Herren setzten sich zu mir hinein, die nach ihren Maͤdgenhaͤnden zu urtheilen, von Stande waren — und noch sonderbarer, es boll ein Hund, der, dem Bellen nach, als Meshe!fer und Mit¬ meister an diesem gelehrten Werke gearbeitet hatte. Wir soupirten und goutirten unter freiem Himmel. Hier wurde mir ein chirurgisches Ordens¬ band auf bloßen Leib umgethan, weil ich unter den Viertelsschwenkungen und Hand-Evoluzionen meiner Gegenwehr ungluͤcklicherweise mein Schulterblatt in eine Spitze getrieben hatte. Essen konnt' ich recht gut, weil das blecherne Kanarienbauer-Thuͤrgen an meiner Bienenkappe weit aufgedrehet war. O lieber Himmel! wenn das Publikum den Verfasser der Hundsposttage haͤtte seine Viktualien in die aufhaͤn¬ genden Thorfluͤgel von Blech einschieben sehen: er waͤre vergangen! — Unter dem Essen lockte ich den Hund mit dem Namen: Hofmann! zu mir: er kam wirklich; ich fuͤhlte ihn aus, ob an seinem Halse kein 45tes Kapitel hinge — er war leer. Nach einem langen Wechsel von Fahren — Es¬ sen — Schweigen — Schlafen — Tagen — Naͤch¬ ten wurd' ich endlich in eine See gesetzt und so lan¬ ge herum gefahren (oder kam's von einem Schlaf¬ trunk) bis ich schlief wie eine Ratte. Was darauf geschah: mach' ich — so wunderbar es immer ist — erst bekannt, wenn ich die Bemerkung ausgeschrieben habe — daß zwar die große Freude und der große Schmerz die edlern Neigungen in uns beleben und vergnuͤgen, daß aber die Hoffnung , und noch weit mehr die Angst den ganzen Wurmstock elender Begierden, den Infusionslaich kleiner Gedanken an¬ bruͤten und auseinander ringeln und ins Nagen brin¬ gen — so, daß also der Teufel und der Engel in uns eine aͤrgere Paritaͤt ihrer zwei Religionen als selber in Augsburg bei zwei andern ist, zu er¬ halten wissen und daß jede von den zwei Religions¬ partheien im Menschen eben so gut ihren eignen Nachtwaͤchter, Zensor, Wirth, Zeitungsschreiber besoldet als wie gesagt in Augsburg. . . . — Ich hatte die Augen noch geschlossen, als ein Lispeln, von tausend Gipfeln weiter gewir¬ belt, mich umschwamm, das getriebene Luftmeer zog durch enge Aeolsharfen und schlug daran Wellen und die Wellen uͤberspuͤhlten mich mit Melodien — eine hohe Bergluft, von einer voruͤberschiessenden Wolke herzuschlagend, fuhr wie ein Wasserstrahl kuͤhl an meine Brust — ich oͤffnete die Augen und dachte, ich traͤumte, weil ich ohne die eiserne Maske war — ich war an die fuͤnfte Saͤule auf der obersten Stufe eines griechischen Tempels gelehnt, dessen weisser Fußboden die Gipfel taumelnder Pappeln umzingelten — und die Gipfel von Eichen und Ka¬ stanien liefen nur wie Fruchthecken und Gelaͤnder¬ baͤume wallend um den hohen Tempel und reichten dem Menschen darin nur bis an das Herz. — Ich muß ja diese wuͤhlende Gipfelsaat kennen, sagt' ich, — dort haͤngen Trauerbirken die Arme — da draussen knieen Staͤmme vor dem Donner, der sie getroffen — flattern nicht 9 Floͤre und zerstaͤubte Fontainen in gefleckten Zweigen durch einander — und die Gewitter haben hier ihre fuͤnf eisernen Szepter (Gewitterableiter) in die Erde gepflanzt. — Das ist doch gewiß ein Traum von der Insel der Vereinigung , die so oft bisher den Nebel des Schlafs mit Strahlen durchschnitten und himmlisch und ziehend meine Seele angeschimmert hat. — — Es war kein Traum. Ich stand von der Stufe auf und wollte in den griechischen durchhellten Tem¬ pel, der bloß aus einem griechischen Dache und fuͤnf Saͤulen und der ganzen um ihn gelagerten Erde be¬ stand, eintreten, als mich acht Arme umfaßten und vier Stimmen anredeten: »Bruder! — wir sind deine Bruͤder.« Eh' ich sie anschauete, eh' ich sie anredete: fiel ich gern mit ausgebreiteten Armen zwischen drei Herzen die ich nicht kannte, und ver¬ goß Thraͤnen an einem vierten, das ich nicht kannte und hob endlich, nicht fragend sondern begluͤckt, die Augen von den unbekannten Herzen auf in ihr An¬ gesicht und unter dem Anschauen sagte hinter mir mein geliebter D. Fenk! »Du bist der Bruder Fla¬ »mins und diese drei Englaͤnder sind deine leiblichen »Bruͤder.« . . . Die Freude zuckte durch mich wie ein Schmerz — ich druͤckte mich stumm an die Lip¬ pen der vier Umarmten und Umarmenden — aber ich stuͤrzte dann an den aͤltern Freund und sagte gebro¬ chen: »guter, lieber Fenk! sag' mir alles! Ich bin »zerruͤttet und bezaubert von Dingen, die ich doch »nicht fasse.» Fenk gieng laͤchelnd mit mir wieder zu den vier Bruͤdern und sagte zu ihnen: »seht, das ist euer »fuͤnfter auf den sieben Inseln verlorner Bruder und »euer Biograph dazu — nun hat er endlich sein »45stes Kapitel erwischt.« — Nun wandte er sich an mich: »Du siehst doch (sagt' er), daß das die »Insel der Vereinigung ist — daß die Drillinge da »die drei Soͤhne des Fuͤrsten sind, die unser Lord »bringen wollte. — Deinetwegen, weil du schon »lange von den sieben Inseln weg bist, ist er durch »alle Marktflecken und um alle Inseln von Europa »gefahren. Endlich schrieb ich ihm.« . . . . »Du bist gewiß auch (unterbrach ich ihn) mein »Korrespondent mit dem Hund gewesen.« — »Fahr nur fort, sagt' er.« »Und Knef ist der umgekehrte Fenk — und hast »dich bei Viktor fuͤr einen Italiener, der kein »Deutsch kann, ausgegeben — und ihm den ganzen »Tag seine eigne Konduitenliste fuͤr den Lord abge¬ »schrieben, und fuͤr mich im Grunde auch, um sein »und mein Spion zu seyn.« — »So ist's — und habe also (sagt' er) dem Lord »auch geschrieben, dein franzoͤsischer Name Jean Paul »mache dich verdaͤchtig und da du noch dazu selber »nicht weißt, wo du her bist, und dazu gerechnet »dein naͤrrisches Stuͤck Lebensweg, der wie in einem »englischen Garten nicht eine Meile lang gerade aus »geht« — — »Der Biograph, sagt' ich, sollte uͤberhaupt sein »eigner seyn.« — Und ich mache hier mit Vergnügen dem Publikum zu meiner eignen Lebensbeschreibung Hoffnung, womit ich es, wenn ich nur noch einige nöthige Kapitel daraus erlebt ha¬ be, unter dem Titel beschenken werde: Jean Pauls Apostel¬ geschichte, oder dessen Thaten, Begebenheiten und Meinun¬ gen. »Jetzt wird mir's unbegreiflich, wie ich nur »nicht gleich darauf fallen koͤnnen: denn deine Aehn¬ »lichkeit mit Sebastian, die der fuͤnfte Sohn des »Fuͤrsten haben sollte, merktest du laͤngst selber — »und dein Stettiner-Dosenstuͤck auf dem Schulter¬ »blatt, das die Herren da alle aufhoben, und das »der Lord vorgestern selber unter deinem Verbande »angesehen.« »So, so! (sagt' ich) Deswegen bekam also euer »Biograph die Falkenhaube, die Ruͤckenwunde, den »huͤbschen Rappen und der Fremde in Hof war der »Lord? — Kurz bei allem diesen hatte der Lord sich gar voͤl¬ lig uͤberzeugt, daß ich der waͤre, den er so lange ge¬ sucht; denn vorher hatte er schon lange das Schrei¬ ben von Fenk durch funfzehn Haͤnde erhalten, in¬ dem es von Hamburg oder auch aus dem Lande Ha¬ deln nach Ziegenhain in Niederhessen lief, dann in die Herrschaft Schwabek, dann in die Grafschaft Holzapfel, nach Schweinfurt, nach Scheer Scheer, und doch wieder zuruͤck nach ** und *** und endlich nach Flachsenfingen, wo er's erst erhielt: dort, in der Insel der Vereinigung, war er lange versteckt gewesen, bis ihn das Schreiben, der endi¬ gende Oktober, der die Muttermaͤhler gleichsam mit rother Dinte durchzog, und am meisten die drei aus St. Luͤne exilirten Britten, die auf der Insel ausstiegen, nach Scheerau oder vielmehr nach Hof im Voigtland abzureisen zwangen. Hier stieß ich ihm auf, und mein altes Gesicht, das er sofort mit ei¬ nem juͤngern Nachstich vom fuͤnften Fuͤrstensohne zu¬ sammenhielt, warf sogleich im »Habergaͤßgen« uͤber alles das reichlichste Licht. Sobald er das wußte, ließ er mich allein hinter meiner Bienen-Blechkappe uud Mosis Decke fahren, und eilte voraus zum Fuͤrsten gerade eine Minute fruͤher eh' es — zu spaͤt war. Denn Matthieu hat¬ te alles verrathen; und die Drillinge wollte man eben aus der Insel, worein sie geflohen waren, und unsern Viktor aus seiner Mutter Hause, worin er schon Hof und Adel uͤber Pazienten und Wissenschaf¬ ten und Braut vergessen hatte, abholen zum Ver¬ haft. Aber der Lord — dessen Seele eine petro¬ graphische Karte erhabener Ideen war — griff den Fuͤrsten mit seiner Allmacht an— zog die Schleier von der ganzen Vergangenheit ab — trotzte ihm — erschuͤtterte ihn — zerfaserte die Strick-Seele von Maz — legte ihm die h. Dokumente des großen alles mit dem Tode beschwoͤrenden Emanuels vor und die der Mutter und meiner Bruͤder — — berief sich auf die Festons von den fuͤnf in Blute stehenden Schultern — denn es war der 30 Oktober (heute ist der 31ste) — und sagte, den 31sten woll' er das al¬ les noch auf eine Weise besiegeln, wie noch kein Mensch es gethan — — Edler Mann! Du verzehrst nichts weiter auf der Erde als dich, und bist ein Sturmvogel, durch dessen Fett ein Docht (Philosophie) gefaͤdelt ist und den jetzt sein eignes Licht ausbrennt und verkohlt — mir ahndet, als wenn deine schoͤne Seele bald auf einer andern, auf einer hoͤhern Insel der Vereinigung seyn werde als auf dieser irrdischen! Ich schreibe dieses den 31. Oktober Vormittags um 10 Uhr auf der Insel. Abends um 6 Uhr in Maienthal. Womit wird dieses Buch noch enden? — mit einer Thraͤne oder mit einem Jauchzen? — Der D. Fenk warf bis um 2 Uhr (wo der Lord erst kommen wollte) den Koch- oder Lumpen-Zucker der Laune auf unsere Minuten und Schmerzen; sein naͤrrisches rothes Gesicht war das violette Zuckerpa¬ pier der Suͤßigkeit. Denn mein guter Sebastian war mit Klotilden in Maienthal. Jener lachte mich in Einem fort aus als einen Dauphin. Es ist mir aber aus der Geschichte recht gut bekannt, daß in Frankreich schon unter Ludwig XIV das jetzige Gleichheitssystem obwol erst fuͤr Prinzen da war, die der Koͤnig gleich machte, sie mochten als Mestitzen, oder Kreolen oder Quarteronen Quarteronen sind Kinder von Terzeronen, die wieder Kin¬ der von Mulatten und Weissen sind. oder Quinteronen oder Eingeborne des Throns ans Leben ausgestiegen seyn. Da man nun eben so gut in Deutschland neue Gesetze und Novellen der Reichsgesetze hervorzubrin¬ gen vermag als ausser den Graͤnzen desselben: so koͤnnt' es ja bei meinen Lebzeiten geschehen, daß le¬ gitimirte Prinzen fuͤr thronfaͤhig erklaͤrt wuͤrden — wodurch ich freilich zur Regierung kaͤme. Gut waͤrs fuͤr Flachsensingen, wenns geschaͤhe, weil ich mir vorher die beßten franzoͤsischen und lateinische Werke uͤber das Regieren kaufen und es darin so studiren will, daß ich nicht fehlen kann. Ich glaube, ich darf mir vorsetzen, das arme Menschengeschlecht, das ewig im ersten April lebt und das nie vom Gaͤngelwagen steigt — blos mehrere Raͤder werden dem Wagen angesetzt — ein wenig auf die Beine zu bringen durch meinen Szepter Sonst war ein Edelmann und das Pferd eines englischen Bereiters im Stande, den Hut abzuziehen, ein Pistol los zuschiessen, Taback zu rauchen, zu wissen, ob eine Jungfer in der Gesellschaft war u. s. w.; jetzt aber haben sich Pferd und Edelmann durch die Kultur so von einander getrennt, das es eine wahre Ehre ist, letzerer zu seyn, und daß es meinem Adel nichts schadet (ob ich's gleich anfangs besorgte), daß ich mehr als gemeine Kenntnisse habe. In unsern Ta¬ gen sind die adelichen Vorderpferde nicht mehr so weit wie vor hundert Jahren vor den buͤrgerlichen Deichselpferden am Staats-Wagen vorausgespannt; daher ist's Pflicht, wenigstens Klugheit, (auch fuͤr einen neuen Edelmann wie mich), daß er (oder ich) sich herablaͤsset und das Gefuͤhl seines Standes — warum soll mir das nicht so gut gelingen wie an¬ dern? — unter die Verzierung einer gefaͤlligen leich¬ ten Lebensart versteckt und sich uͤberhaupt auf keine Ahnen etwas einbildet als auf die kuͤnftigen , de¬ ren saͤmmtliche Verdienste ich mir nicht groß genug denken kann, weil die Erde noch blutjung und erst im Fluͤgelkleide und wie Pohlen, im polnischen Roͤck¬ gen ist. Ich komme zuruͤck. Um 2 Uhr kam der Lord mit seinem blinden Sohn, gleichsam die Philosophie mit der Dichtkunst. Schoͤner schoͤner Juͤngling! die Unschuld hat deine Wangen gezeichnet, die Liebe deine Lippen, die Schwaͤrmerei deine Stirne. Der Lord mit der Laudons Stirne und mit einem heute mehr als in Hof verdunkelten schattigem Gesicht, an das die Flitterwochen der Jugend und die Mar¬ terwochen des spaͤtern Alters vermischtes Helldunkel war¬ warfen, dieser trat heute fast waͤrmer zu uns, ob¬ wol mit lauter Zuͤgen des Gefuͤhls, daß das Leben ein Schalttag sei und daß er nur die Menschenliebe, nicht die Menschen liebe. Er sagte, wir sollten ihm und dem Hofmedikus den Gefallen thun, letztern noch heute in Maienthal zu besuchen und herzubrin¬ gen, weil er hier ohne Augenzeugen noch allerlei Anordnungen fuͤr die Ankunft des Fuͤrsten zu vollen¬ den habe; wir sollten aber zu Nachts mit Viktor niederkommen, weil unser H. Vater morgen sehr fruͤhe eintraͤfe. Der Blinde konnte als Blinder da bleiben. Es fiel mir nicht auf, daß er dem guten verhuͤllten Julius verbarg, daß er sein Vater war, denn er sagte zwei- und dreideutig: »da der Gute »schon einmal den Schmerz einen Vater zu verlieren »uͤberstanden hat, so muß man ihm diesem Schmer¬ »ze nicht zum zweitenmale aussetzen.« Aber das fiel mir auf, daß er uns bat, ihn fuͤr das, was er bis¬ her fuͤr Flachsenfingen thun wollen, dadurch zu be¬ lohnen, daß wir's thaͤten und ihm endlich zu ver¬ sichern, daß wir in den Staatsaͤmtern die wir be¬ kommen wuͤrden, seine kosmopolitischen Wuͤnsche, die er uns schriftlich uͤbergab, erfuͤllen wuͤrden, we¬ nigstens so lange bis er uns wiedersaͤhe . Der Fuͤrst hatt' ihm dieselbe feierliche Versicherung geben muͤssen. Wir sahen zu ihm hinauf wie zu ei¬ Hesperus. III . Th. Ee nem bewoͤlkten Kometen und schwuren mit Trauer. Wir traten den Weg nach Maienthal an. Ein Englaͤnder erzaͤhlte uns, daß er hinter dem Trauer¬ gebuͤsch — der Schlafkammer der Mutter des Blin¬ den, der Geliebten des Lords, die unter einer schwarzen Marmorplatte ausruht — einen zweiten Marmor habe aufgestellt gesehen, den die anflattern¬ den Flortuͤcher uͤberdecken sollten und doch nicht konnten. O da sah jeder von uns sich beklommen nach der Insel um, wie nach einer unterminirten Stadt, eh' sie zerrissen aufgeschleudert wird. — Aber meine Sehnsucht, Viktor und Maienthal, die¬ sen klassischen Boden meiner waͤrmsten Traͤume, zu erblicken, uͤbertaͤubte die Angst. Endlich erstiegen wir den suͤdlichen Berg und das bunte Eden wuchs mit seiner Blaͤtter-Fuͤlle und mit dem Gewimmel seiner pulsirenden Zweige rau¬ schend ins Thal hinab druͤben lag in Aesten wie ein Nachtigallennest Emanuels stille Huͤtte, in der jetzt mein Viktor war — naͤher an uns braußte die Kastanienallee und oben draussen ruhte der abgemaͤhte Kirchhoff — — Mir war, da ich alles dieses bis¬ her nur im Traum der Phantasie gesehen, jetzt wie¬ der als zoͤgen Traͤume heran und der undurchsichtige Boden wurde ein transparenter von Duft-Gebilden — und ich sank voll Wehmuth auf den Berg. . . . Ich gieng endlich hinab wie in ein gelobtes Land, aber meine ganze Seele wickelte ein weicher Leichenschleier ein. — Und mein Viktor riß den Schleier weg und druͤckte seine warme Seele an meine und wir schmol¬ zen ein zu einem gluͤhenden Punkt. — O ich will ihm nachher, wenn er wiederkoͤmmt aus der Abtei, noch einmal und noch waͤrmer an die Brust fallen uud ihm dann erst meine Liebe recht sagen . . . O Vik¬ tor, wie bist du so milde und so harmonisch, so ver¬ edelt und so erweicht, wie schoͤn in der Freuden¬ thraͤne, wie groß in der Begeisterung! — Ach Men¬ schenliebe, die du dem innern Menschen das griechi¬ sche Profil und seinen Bewegungen Schoͤnheitslinien und seinen Reizen Brautschmuck giebst, verdopple deine Wunder und Heilungskraͤfte in meiner hekti¬ schen Brust, wenn ich Thoren sehe, oder Suͤnder, oder unaͤhnliche Menschen, oder Feinde, oder Fremde! Viktor, dee nie die Angst eines Menschen noch groͤßer machte, gab uns einige Beruhigung uͤber den Lord. Er gieng zu Klotilden ins Stift, um uns bei ihr und der Aebtissin anzumelden — der spaͤte Besuch wird durch die Nothwendigkeit der naͤchtli¬ chen Zuruͤckkehr entschuldigt. Bis er wiederkoͤmmt, halt' ich mit meiner Geschichte still. Ich sah ihm nach auf seinem Wege zur Braut, und seine Hand, Ee 2 sein Auge und sein Mund waren voll Gruͤße fuͤr je¬ den, besonders fuͤr verschmaͤhte Menschen, fuͤr Greise, fuͤr alte Witwen. Die Freude meiues Helden wird die meinige: die Zeit arbeitet an dem schoͤnen Tage, wo sein Herz auf immer mit dem verlobten ver¬ schmilzt, wo er, ohne ein Gelenke der entzwei ge¬ schnittenen Floh- und Affenkette des Hofes, frei durch die Natur geht, nichts ist als ein Mensch, nichts macht als Kuren statt der Kour, nichts liebt als die ganze Welt, und zu gluͤcklich ist um beneidet zu werden. Dann will ich einmal, mein Bastian, Abends im Mondschein unter Linden-Dampf und Linden-Gesums bei dir essen, und mich auf den Bal¬ len gerade ausgepackter abgedruckter Hundsposttage setzen. Uebrigens bin ich — ob ich mir gleich mein eignes Ich sitzen ließ, um seines abzufaͤrben — nur ein elender zerflossener ausgewischter Schieferabdruck von ihm, nur eine sehr freie paraphrasirte Version von dieser Seele; und ich finde, daß ein gebildeter Pfarrsohn im Grunde besser ist als ein ganz ungebil¬ deter Prinz, und daß die Prinzen nicht wie die Poe¬ ten geboren, sondern gemacht werden. Ich hoffe, ich habe so lange Materie zum Schrei¬ ben bis er wiederkoͤmmt. Ich habe uͤberhaupt in meiner Biographie als Supernumerarkopist der Na¬ tur allzeit die Wirklchkeit abgeschrieben — z. B. bei Flamins Karakter hatt' ich einen Dragonerrittmei¬ ster im Kopf — bei Emanuels seinem dacht' ich an einen großen Todten, einen beruͤhmten Schriftsteller, der gerade am Tage, wo ich Emanuels Traum von der Vernichtung mit suͤßer schauernder Trunkenheit schrieb, aus der Erde gieng und halb unter sie — Die Goͤttin Klotilde fuͤgt' ich aus zwei weiblichen Engeln zusammen und ich werde in wenig Minuten selber sehen ob ich sie getroffen. Fatal ist's, daß ich aus Gewohnheit den Leuten dieses Buchs in der Konversazion die hundsposttaͤglichen Namen gebe, da doch Flamin eigentlich ** heißet, und Viktor **, und Klotilde gar ** . Es waͤre zu wuͤnschen, — ich hab' es nicht verschworen — ich machte die wah¬ ren Namen nach dem Tode einiger moralischer Ma¬ roden und Pestkranken dieser Hefte, oder nach meinem eignen der Welt bekannt. Thu' ich's, so wird das ge¬ lehrte Europa hinter alle die Gruͤnde kommen, die das politische schon weiß, welche den Berghauptmann ab¬ gehalten haben, in einige Partien seiner Historie (zumal uͤber den Hof) so viel Licht einfallen zu lassen als er wirkiich haͤtte geben koͤnnen; und ich erwarte, ob nach der Ausstellung dieser Gruͤnde der Zeitungsschreiber Y und der Gesandschaftsekretair Z, — die zwei groͤsten Feinde des Flachsenfingischen Hofes und meiner Person — noch behaupten werden, ich sei dumm. Ja ich bin so kuͤhn, mich hier oͤf¬ fentlich auf den ** Agenten in ** zu berufen, ob ich nicht manche Personen in der Geschichte ganz ausgelassen habe, die darin mit agiret hatten und in meiner biographischen Znckermuͤhle als unter¬ schlaͤchtige Raͤder mit im Gange gewesen waren; noch mehr, ich gebe meinem Widersacher-Paar so¬ gar die Erlaubniß, die weggelassenen Personnagen — sie haben einige Gewalt, zu schaden — der Welt zu nennen, wenn dieser doppelte Geier das Herz dazu hat. . . . Der gute Spizius Hofmann wedelt jetzt und springt vor mir in die Hoͤhe. Guter fleißiger Post¬ hund! biographische Egerie des Jean Pauls! ich werde dich zur Aufmunterung sobald ich Zeit habe, ausschinden und nett ausbaͤlgen und mit einer Heu- Wurstfuͤlle durchschießen, um dich in eine oͤffentliche Rathsbibliothek als dein eignes Brustbild neben an¬ dere Gelehrte von Rang einzustellen! — Meusel ist ein billiger Mann, den ich in einem eignen Privat¬ schreiben um einen Siz im gelehrten Deutschland fuͤr den Spiz ansprechen will; dieser Gelehrte wird so gut wie ich nicht einsehen, warum ein so fleißiger Handlanger und Kompilator und Spediteur der Ge¬ lehrsamkeit als mein Hund ist, blos darum ein elen¬ deres kaͤlteres Schicksal erleiden soll als audere ge¬ lehrte Handlanger, blos darum sag' ich, weil er ei¬ nen Schwanz traͤgt, der sein Steis-Toupee vorstellt. Blos der setzt das arme Vieh unter den Gelehrten herunter. — Ich seh jetzt Viktor durch die Lauben des Gartens von Lichtern begleitet: ich will nur noch eiligst herwerfen‚ daß ich in der mit entblaͤttertem Gestraͤuch vergitterten Sakristei Emanuels sitze. Eile nicht so‚ Sebastian‚ der du wegen deiner bisherigen Verwechslungen den drei oder vier Pseudo-Sebastia¬ nen in Portugal gleichst‚ eile nicht‚ damit ich nur noch zu meiner Schwester sagen kann: du geliebte Ex-Schwester, dein toller Bruder schreibt sich von , aber du hast nur seine Brust, nicht sein Herz verlo¬ ren. Wenn ich nach Scheerau komme, will ich mich um nichts scheeren und an dir unter dem Umarmen weinen und endlich sagen: es hat nichts auf sich. Mein Geist ist dein Bruder‚ deine Seele ist meine Schwester‚ und so veraͤndere dich nicht‚ verschwister¬ tes Herz. — Der gute Viktor geht hastig. Ach Menschen‚ die der Schmerz oft erkaͤltet hat, haben weder in den koͤrperlichen noch moralischen Bewegungen die langsame Symmetrie des Gluͤcks, so wie Leute, die im Wasser waten, große weite Schritte thun. — O armer Viktor! warum weinest du jetzt so und kannst dich gar nicht trocknen? . . . . Fruͤh um vier Uhr in der Insel der Vereinigung. Ach ist es lange, daß ich fragte: wird sich dieses Buch mit einer Thraͤne schließen? — Viktor kam heute Nachts um 8 Uhr mit zwei großen unbeweg¬ lichen Thraͤnen auf dem Augenrand zuruͤck und sagte: wir wollen nur ein wenig schnell auf die Insel zu¬ ruͤckeilen; Klotilde bittet uns selber darum, sie lie¬ ber ein anderesmal zu sehen. »Ein Ungluͤck — »(habe ihr getraͤumt) — richte sich jetzt groß und »hoch wie eine Meerschlange auf und werfe sich nie¬ »der auf Menschenherzen wie jene auf Schiffe und »druͤcke sie hinunter.» Sie war mit jeder Minute banger und enger geworden wie man an einer dum¬ pfen Stelle wird, uͤber der noch der Blitz zielet und zischt. Was setzte das anders voraus, als daß der Lord seiner treuen Freundin Dinge entdeckt hatte, die wir in dieser Nacht zu erleben besorgten? Und wir konnten uns alle die Sorge nicht mehr verheh¬ len, daß sein muͤder Geist vielleicht wie Lykurg das Siegel seiner Leiche auf seine Versicherung druͤk¬ ken wolle, daß wir Jenners Soͤhne sind, ferner auf unsern Schwur, gut zu seyn, und auf den fuͤrstlichen, meinen Bruͤdern zu folgen bis er wiederkomme. »Weine nicht so sehr, Viktor! (sagt' ich), es ist »doch noch nicht gewiß.» Er trocknete sich still und gern die Augen ab und sagte blos: »so wollen »wir denn auf die Insel jetzt gehen — es wird »schon neun Uhr.» Wir giengen fern, fern vor der fleckigen Trauer¬ birke voruͤber, die ihr abgerissenes Laub der welken Huͤlle des großen Menschen nachwarf. Viktor konnte vor Schmerz nicht hinuͤbersehen; aber ich blickte mit einem kalten Zittern nach ihrem Schwan¬ ken im heitern Nachthimmel. Erst seit einigen Ta¬ gen, wo Viktor gluͤcklicher geworden war, hatte sich der Staub Emanuels gleichsam wieder in eine blasse Gestalt zusammengezogen und sich auf das Todten¬ gruͤn herausgestellt und die Arme weit fuͤr seinen al¬ ten Liebling aufgethan — und Viktor jammerte und schmachtete und wollte vergeblich sich sterbend an den weißen Schatten pressen. Er laͤchelte schmerzlich, da er uns und sich durch die Worte zerstreuen wollte: »der naͤrrische Mensch »duckt (buͤckt) sich wie ein Vogel, wenn nur das »Ungluͤck von weitem auf ihn zugeht.» Seine Thraͤ¬ nen machten ihn zum Blinden und ich und Flamin waren seine Fuͤhrer, dennoch gruͤßte er in seinem Schmerze einen Nachtboten. Ich habe nichts gesagt (denn ich kann nicht) vom Garten des Endes, dem verbluͤhenden Boden abgebluͤhter abgelaubter Freudentage. Ueber die Stoppeln und uͤber die Puppen der Nachtschmetterlinge, der Gaukler in kuͤnftigen Fruͤh¬ lingsnaͤchten und uͤber den festen unterirdischen Win¬ terschlaf fuhren die einsamen Nachtwinde — ach der Mensch muste wol denken: »Luͤfte, kommt ihr nicht uͤber Graͤber her, uͤber theure, theure Graͤ¬ ber? — Ich sagte: wie schmal ist der blasgruͤne Zwischen¬ raum von Erde zwischen Menschenleibern und Men¬ schengerippen. — Viktor sagte: ach die Natur ruht so viel, und warum unser Herz so wenig? Es war gegen Mitternacht. Der Himmel blinkte naͤher an der Erde, der Schwan , die Leier , der Herkules Der Schwan ist die Giulia, die Leier des Apollo Ema¬ nuel u. s. w. schimmerten untergesunken durch ein anderes Himmelblau. Großer Himmel — sagte je¬ des Herz — gehoͤrest du fuͤr den Menschengeist, nimmst du ihn einmal auf, oder gleichst du nur dem Deckengemaͤlde eines Dohms, das die gemauerten Schranken verbirgt und mit Farben die Aussicht in einen Himmel aufthut, der nicht ist? — Ach jede Gegenwart macht uner Seele klein und eine Zu¬ kunft nur macht sie groß. Viktor war außer sich und sagte wieder: »Ruhe! »dich geben weder die Freude noch der Schmerz, »sondern uur die Hofnung. Warum ruht nicht alles »in uns wie um uns?» Da schlug der von allen Waͤldern nachgelallte Knall eines Schusses durch die stille Nacht — und die Insel der Vereinigung schwamm im Nachtblau auf und ihr weißer Tempel hieng uͤber ihr — und neben dem Trauergebuͤsch, das uͤber das Zerfallen eines jungen Herzens hinuͤberwuchs, schossen gen Himmel neun schmale Flammen, die an den neun Floͤren aufliefen, gleichsam Freudenfeuer zu einem Friedensfeste . Bleich, eilend, seufzend, schweigend beruͤhrten wir das erste Ufer der Insel. Das Wasser war vom Boden trocken eingesogen. Das schwarze Morgen¬ thor hatte sich weit aufgerissen und seine weiße Far¬ bensonne an Baͤume gelehnt und verdeckt. Viele Leichenfackeln auf weißen Gueridons knuͤpften sich ans Morgenthor an, giengen den langen gruͤnen Weg hinein, flimmerten uͤber Ruinen, Sphinxe und Marmortorso's und endigten sich dunkel im Trauer¬ gebuͤsch. Flatterndes Getoͤne der Aeolsharfen wurde am Eingang von langen Toͤnen durchzogen. Unter dem Morgenthor ruhte still der Blinde und spielte froh auf seiner Floͤte — so wie eine Taube in den Don¬ ner fliegt. Er fiel freudig an seinen Viktor und sagte: »es »ist gut, daß du koͤmmst; ein stiller langer Mann »hat sich eine halbe Viertelstunde an mein Herz ge¬ »legt und in meine Hand geweint und mir ein »Blatt an dich gegeben.» Viktor riß das Blatt zu sich, es hieß: »Ihr alle »habt geschworen, so lange meine Bitten zu erfuͤllen »bis Ihr mich wieder hoͤrt; aber decket den schwar¬ »zen Marmor nicht auf.» — Der Lord hatt' es dem blinden Sohne gegeben. Viktor rief: »o Va¬ »ter, o Vater, ich konnte dir also nichts belohnen!» und sank an die Brust des Sohns. Er wollte sich von ihr reißen, aber der Blinde umklammerte ihn und laͤchelte freudig unwissend in die Nacht. — Wir eilten ins Trauergebuͤsch — und indem darin die zwei Leichenfackeln ausbrannten, so sahen wir, daß ein zweites Grab darin ausgehoͤhlt war, dessen frische Erde daneben lag — daß ein schwarzer Marmor die Hoͤle zudeckte, und daß das schwarze Kleid des Lords ein wenig aus der Hoͤhle vorsah, und daß er sich darin getoͤdtet hatte. — Und auf seinem schwar¬ zen Marmor stand wie auf dem Marmor seiner Ge¬ liebten, ein blasses Aschenherz, und unter dem Her¬ zen stand mit weißen Buchstaben: Es ruht. Ende des Buchs .