Lebenslaͤufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C. Meines Lebenslaufs Dritter Theil. Zweyter Band . Beylage C. Beschluß . Berlin 1781 , bey Christian Friedrich Voß und Sohn. I n Berlin, das haben meine Leser, hoff’ ich, sehr deutlich eingesehen, gehoͤrte mein Feldkessel zu Hause, den meine Mutter zu kennen nicht die Ehre hatte, und woruͤber die Frau v. G — hohnlachte, der aber mei- nes Vaters Mitgabe war. — Nach Koͤnigsberg brachte uns ein Major und sein Schwestersohn, der als Junker beym Fuhrwerk stand, die uns beynahe zween Tage in Mitau ohne Noth verzoͤgerten, die Mittag und Abend in einsweg zu halten, weil eine Leichenpredigt vorfiel, sich nicht lange bedach- ten, und die, wenn gleich sie nicht erlaubten, sich an gruͤnen Plaͤtzen zu verweilen, doch alle Augenblick einen Platz hatten, wo sie entwe- der einen guten Labetrunk wußten, oder wo der Wirth eine gute Prise Toback hielte, die Wirthin etwa selbst huͤbsch war, oder eine huͤbsche Tochter im Vermoͤgen hatte. Jezt Extrapost, und wenn es meinen Lesern ge- A 2 faͤllig faͤllig ist, so bis ans Ende. — Ob wir einen Drosselpastor und sein Schein und Seyn kennen oder nicht, und den siebenmahl sie- ben besondren Grafen; die Lindenkran- ke Predigerin und ihren Mann mit der Suͤnde wider den heiligen Geist; Gret- chen, die mit mir Ostern auf Minchens Gra- be feyerte, und Pastors Trinchen, welche die heilige Geiststrasse dreymahl auf und ab- gieng, und so viel andere gruͤne Stellen mehr. Was thuts? Extrapost, nicht wahr? wenn sie gleich mehr kostet, als ein rigaischer Fuhr- mann; ich mache mir nichts draus. — Von Goͤttingen. Parnaß und Mu- sen, wie es faͤllt. Vortreflich fuͤr jeden, der Lust und Liebe zum Ding’ hat, und doch so ziemlich ohn Jammer und Schad’, fuͤr den, der es nicht hat. Diese Akademie hat bey der Leztgeburth den Segen, wie Jakob vom Isaak, ohne ihn durch rauch gemachte Haͤnde zu erlisten, ohne ihn durch ein schnoͤdes Linsengericht zu beschoͤ- nigen. — So viel ist gewis, Goͤttingen ist so wenig die Kleinste unter den teutschen Uni- versitaͤten, daß sie vielmehr auf dem Wege ist, die groͤßte zu werden, oder daß sie es schon wuͤrklich ist, den Grosvater in Koͤnigsberg in in Ehren; allein giebts in Goͤttingen nicht auch Grosvaͤter? und wenn gar zum Aelter- Vater Hofnung waͤre? Ich kann den Ge- danken nicht bergen, ohne mich zum compe- tenten Richter aufzuwerfen: ob und in wie weit, eben der Umstand, weil Goͤttingen jung von Jahren, vieles zu diesem Fortschritte bey- trage? Die Musen werden im ewigen Fruͤh- linge der Jahre dargestellt. — Zwischen Majoraten, Lehnen, Stiftern und Universi- taͤten ein Unterschied! Damit ich noch ein Kapfensterchen aufstosse; waͤr es nicht gut, wenn sich die Universitaͤten in Zuͤchten und Ehren einverstuͤnden, was sie eigentlich erzie- hen wollten? Da koͤnnt’ eine erkohren wer- den, Professores, academische Lehrer zu bil- den. Laßt uns Professores machen, Bilder, die uns gleich sind! Den andern Stief und rechten Schwestern waͤre zu uͤberlaßen, mit der uͤbrigen studirenden Jugend umzusprin- gen, oder zu thun und zu lassen, was jezt ge- than und gelassen wird. Kommen denn alle auf die Universitaͤt zu lernen, um wieder zu lehren? Da sind ihrer viel, die nur selbst wissen wollen. Zwischen einem Wißer schlecht- weg, zwischen einem Vielwißer, und zwischen einem Lehrer, welch ein Unterschied! und denn A 3 unter unter der Rubrik, Lehrer, was steht da nicht alles? Schullehrer, Kirchenlehrer, ist zwar der bekannteste Lehrunterschied; allein auch gewis der unbedeutendste. O der un- aussprechlichen Unterschiede! Wie wird ein Juͤngling seinen Weg unstraͤflich gehen? Die- se Welt ist eine Schule, wo Lehren und Ler- nen abwechselt, und fast bestaͤndig so, daß man zu gleicher Zeit lehrt und lernt, Docen- do discimus; sonst wuͤrd’ auch die edle Zeit verlohren gehn, die oft die besten Koͤpf’ aufs Lehren verwenden. Es ist indeßen, wahrlich, weit schwerer zu lehren, als zu lernen. Der Mensch hat sehr was gelehriges; allein wenn er unterrichten soll, zeigt er uͤberall, daß Gott sein Lehrer gewesen, und daß er, in Ruͤcksicht des Lehramts, das Bild Gottes verlohren. Wahrlich, daß es mit dem menschlichen Ge- schlechte so wenig fortwill, daß es nicht von einer Stelle kommt, liegt am Lehrstande. Das arme Menschengeschlecht, wie es da noch immer in seinem Blute liegt? und was thun unsere Gros- und Kleinsprecher? Sie bestel- len einen schoͤnen eichenen Sarg, mit im Feur vergoldeten Griffen, um fuͤr ein Standes- maͤßiges Begraͤbnis Sorge zu tragen. Die meisten Lehrer sind Curatores funeris, Leichen- besor- besorger. Gott, wann erschallt die Stimme; sie komme aus Osten, Suͤden, Westen, Nor- den, wenn sie nur erschallt: du solt leben! Ists also Gotteswerk zu unterrichten; so gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen uͤber eure Seele, so lange sie nicht Irlehrer sind! Ich glaube mit meinem Vater, daß der, welcher zur rechten Thuͤr in den Schafstall gekommen, fein methodisch seine Lektion gelernt, und kein Mietling ist, auch andern die rechte Thuͤr zeigen und ein guter Hirte seyn koͤnne, der bekannt ist den Seinen, und die Seinen kennet. Dies findet vorzuͤglich bey Universitaͤtslehrern statt, so wie sie jezt im Schwange gehen. Da hat je- der seine Lektion, die er ad unguem, bis auf den Nagel selbst, weiß, und also auch lehren kann; indessen sollte man es bey der Man- nigfaltigkeit der Lernenden und des Unter- richts nicht bey einem — Leisten, ja wohl Leisten, lassen. Wuͤrd’ es nicht Fruͤchte brin- gen in Geduld, wenn man die Saat nach der erwuͤnschten Erndte, den Unterricht nach der kuͤnftigen Anwendung, einrichten moͤchte? Jezt stehn die Studirende nicht viel ordentli- cher, als die Buͤcher in den meisten Bibliothe- ken, nach der Groͤße, nach den Baͤnden, nach A 4 dem dem Schnitt, nach der Anwerbung. Es fehlt nur noch, nach dem Verleger und dem Druck- orte. Das Druckjahr, worauf am wenig- sten gesehen wird, wuͤrde vielleicht ein Um- stand seyn, der nicht im mindesten zu verwer- fen waͤre. Der Professor haͤngt jezo den Brodkorb bald zu hoch, bald zu niedrig, und wie oft vergessen nicht die Speisemeister auf Universi- taͤten uͤber der Seele den Leib! Zanket nicht auf dem Wege, sagte Joseph zu seinen lieben Bruͤdern, da er ihnen den Zehrpfennig gab, und wahrlich dies sollte die Losung aller Uni- versitaͤten seyn. Durchs Zanken wird zwar die Schale polirt; der Kern aber trocknet ein in diesem fein geschlifnen Gehaͤuse! Kann ich doch auf keine Universitaͤt kom- men, ohne mir ihren Ton eigen zu machen. Ein guter Ton! wenn die Angeber weniger quid est fragen, und alle Wissenschaften zu Experimental-Wissenschaften zu bringen be- muͤhet sind, wie es jezt am Tage ist. — In einigen Dingen kann man Universi- taͤtsgebrauch lassen. Da man einsieht, wie wenig man weiß, will man lieber irren, als unthaͤtig seyn. Wir ehren einen paradoxen Mann und bloͤßen unser Haupt nicht vor ge- meiner meiner Erkenntniß. Wir kleiden uns praͤch- tig und sollen nur rein einhergehen. Ein Suͤnder, der Busse thut, ist besser, als neun und neunzig, die der Busse nicht beduͤrfen. Ein faͤhiger Unwissender, er sey wuͤrklich un- wissend, oder er koͤnne seine so genannte Ver- nunft gefangen nehmen, so oft sie die Fenster einwerfen will, ist ein so schoͤnes Naturstuͤck, als man nur, nachdem das Paradies einge- gangen, sehen kann. — Kein Examen in Goͤttingen. Wozu der Unrath, wenn gleich ein Grosvater dabey am Ruder war, wie erwuͤnscht fiel der Blitz durch die Ritze! — Gute Hausmuͤtze, du konntest nicht gelegener, wie ein Eyd, das Ende alles Haders machen! Den Fechtboden und das Reithaus nicht zu vergessen; wahrlich ein paar Vergiß- meinnicht in Goͤttingen! Wir sind hier ge- bohrne Fechter und Reiter, sagte mir der Koͤ- nigliche Rath beym Creyßrichter in Koͤnigs- berg, da der letzte eben eine denkwuͤrdige Schlaͤgerey mit allen ihren Punkten und Clau- seln referiret hatte. Kein Wunder, daß ich in Koͤnigsberg so schoͤne Vergißmeinnicht nicht fand! A 5 In In Goͤttingen spielt’ ich auf Fechtboden und Reithaus Alexander, wiewohl ohne an jene jugendliche Ritterspiele zu denken, deren vorgestecktes Kleinod Mine war. Berlin aber sah ich vor mir; den Paradeplatz nem- lich in Berlin und in Potsdam, wo der Koͤ- nig, wie die Sonn’ auf ein Gelaͤnder Pfir- schen, wirkt; dann schien es, daß sich ein Ge- danke in mir hob, der wollte und noch nicht konnte. Man muß ihm seine neun Monden Zeit lassen! — Getauft soll er werden, wenn er zur Welt kommt. — Ich studirte die Mathematik. Sie, dacht’ ich, ist zu allen Dingen nuͤtze. Sie ist das Lineal, und lehrt, sich bey allen Wissenschaf- ten gerade halten. Selbst Cicero maaß — — Doch hatt’ er nicht zu viel Mathematik in seinen Reden? Zu viel Mathematik im Felde taugt nicht. Was meynen meine Leser vom ciceroniani- schen Kriege? Mein Vater war mit dem ganzen Gange meiner Studien, den ich ihm getreulich und sonder Gefehrde vorlegte, zufrieden. Meine Mutter empfahl mir, große Maͤnner zu hoͤ- ren, die sich hoͤren ließen, um ihren Aus- druck beyzubehalten, und ich lernte hier einen kennen, kennen, der weder Hand noch Auge brauchte. Das Auge, pflegte mein Vater zu sagen, hat Christus selbst bey seiner Bergpredigt ange- wandt. Es gehoͤret dem Prediger; die Hand aber dem Handwerker. Dieser Redner ohne Aug’ und Hand fachte in mir keinen goͤttlichen Ruf zum Geistlichen auf, der sich voͤllig ge- legt hatte, da ich keine Mine mehr hatte. Bey meiner ersten Predigt galt mir ihr ver- stohlner Blick und Nummer 5 mehr, als alle uͤbrige klingende Muͤnze von großer Anlage, von unvergleichlichen Kanzelgaben, von Kir- chenvaͤterlichem Anstand. Minchen liebte mich nach der ersten Predigt mehr, als ehe- dem. Ich hatte mich zum Manne ihrer See- le gepredigt, und war vom Alexander bis zum lieben Jungen erniedrigt oder erhoͤht worden. — Vergeblich erinnerte ich mich, daß mein Vater, wiewohl nach dem Brande, mich ver- sichert hatte, daß ein Geistlicher der gluͤcklich- ste Mensch in der Welt waͤre, und daß seine Seele in bestaͤndigem Fruͤhling sey, wo es nicht zu kalt, noch zu warm ist. Fruͤhling ist das Clima des Himmels; in der Hoͤlle ist Winter und Sommer! — Herbst wuͤrde alsdenn das Fegfeuer seyn! Be- staͤndi- staͤndiger Fruͤhling, guter Vater? wenn es aber ein nordischer waͤre, wo man den Fruͤh- ling blos im Calender und in einer lebhaften Einbildung hat? Zwar in deinem Lande, wo man zeitig eine Pfeife in der freyen Luft raucht, den Wein bey der Quelle trinkt und lange Manschetten traͤgt — Aber wo gehoͤrst du zu Hause? — wo? Im Himmel! Guter Va- ter, da ist aller Menschen Vaterland. „Din- „ge der Zukunft sind der Geistlichen Be- „schaͤftigung.“ Das waͤre ja ein gefund- nes Essen fuͤr mich, der ich Jagdmuͤde bin, und wahrlich kein Linsengericht, das eine Erst- geburt zu stehen kommt! Wie aber, wenn der Geistliche uͤber der andern Welt diese ver- gaͤsse, nur an den Lohn daͤchte, ohne des Ta- ges Last und Hitze zu uͤbernehmen? Wenn er, den Purpur und die koͤstliche Leinwand selbst nicht abgerechnet, hier wie einer der sie- ben Bruͤder des reichen Mannes herrlich und in Freuden lebte; wenn ers mit der Ewigkeit so machte, wie geitzige Leute, die aus Furcht, in ihrem Lande das Ihrige durch Handel und Wandel zu verlieren, die uͤberfluͤßigen Capi- talien in auswaͤrtige Banquen senden, oder sie auf sichere Hypotheken eintabuliren laßen, um ein recht gemaͤchliches Zinsenleben fuͤhren zu zu koͤnnen? Man sehe sich doch um, laͤßt sich denn der Geistliche nicht weit lieber bey seinem Lehnspatron, als bey Abraham, Isaak und Jakob, zu Tische bitten? Sich zerstreu- en, heißt denn das leben? Es heißt, recht geflißentlich nicht leben, es heißt, das Leben fliehen, das ohne hin nicht leiden kann, daß man es sauer ansieht. Zwar giebts Maͤnner, die, wie mein Vater, ein Rad gebrochen und im Wirthshause weilen, die, wie der Pastor in — Drosselfaͤnger, und wie der in L — Ehemaͤnner von Weibern sind, die eine Lin- denkrankheit haben, aber — Ich will es meinen Lesern nicht laͤnger vorhalten. Soldat, dachte ich, um mein Leben in die Schanze zu schlagen, um so zu stehen, wie Urias, wiewohl wider Wissen und Willen, stand, als der Koͤnig David sein Weib zur Wittwe machen wollte. Welch ei- ne Kluft indeßen war zwischen diesem Gedan- ken, und der Ausfuͤhrung! welch eine Veste war einzunehmen! Ich versteckte mich, wie meine Leser es selbst wißen, mit diesem Ge- danken unter die Baͤume im Garten, und stellte mich geflißentlich so, damit meine Mut- ter mich am wenigsten sehen moͤchte, deren Lo- sung sung es war: wer seinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalbfell . — Ich studirte in Goͤttingen Kriegskunst. Kriegskunst? — Das war ein Wort fuͤr Mauchen. Die Kriegskunst und Urias? aber du guter Mancher! Lernt man denn die Kriegskunst fuͤr sich, oder fuͤr andere, und steh’ ich denn mit dem Urias eben in einem Gliede? Wagen kann der Mensch sich selbst; umbringen muß er sich nicht. — Die Hoch und wohlgeordnete und eben so auch verordnete Bibliothek in Goͤttingen ist nicht ein Schatz fuͤr Motten und Rost, wor- nach hoͤchstens die Diebe graben und stehlen. Sie ist ein oͤffentliches Haus, wo jeder einen Zutritt hat. Die Bemerkung meines Vaters wie wahr! Eine Universitaͤt und keine Bib- liothek, ist ein Weinhaus ohne Keller — da geh’ ich doch hundertmal lieber in einen Kel- ler, so finster es auch drinn aussieht, und so schwer herabzusteigen er auch ist, und trinke die Gabe Gottes frisch und kraͤftig, fast wie an der Quelle, lieber, sag’ ich, als daß ich in manchem praͤchtigen Auditorio lange gestan- denen warmgewordenen Wein aus einem be- griffenen Geschirr trinken sollte. Das Ge- schirr mag patriarchalisch, griechisch, gothisch, oder oder modisch gearbeitet seyn. Eine Universi- raͤt und eine Bibliothek sind sich so nahe ver- wandt, daß ich behaupten koͤnnte, eine Aca- demie sey nichts weiter, als eine Bibliothek, wo es oft genug ist, zu wißen, im Schranke linker Hand, da und da! Mit diesem Ent- schluße kam ich in Koͤnigsberg an, und gieng nach Goͤttingen. Ich that nichts weiter, als Register machen, welches ein ander Ding ist, als Calender, pflegte mein Vater zu sagen. — Das Motto uͤber eine Bibliothek dieses Man- nes, der meinen Lesern bey seiner Buͤchermu- sterung bekannt zu seyn die Ehre hat, wie richtig! Machet euch Freunde mit dein ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Huͤtten . — Ich kann nicht aufhoͤren zu sagen, was mein Vater gesagt hat. Mich wunderts, pflegte er vor dem Brande zu bemerken, daß man nicht das Vater unser und seinen Namen vergißt, und mancher Professor sein Colle- gium. — Außer der Mathematik studirt ich mich selbst. Wenn Newton entdeckt haͤtte, wie es mit der Welt von Anfang gewesen, und was es mit ihr, oder mit ihrem Ebenbilde, B dem dem Menschen, fuͤr ein Ende haben werde; so waͤr’ es doch noch ein Erfinder gewesen; allein so gehts! Wenn die Menschen sich zeigen, kehren sie wohl vor ihrer eigenen Thuͤr? Seht, wie die Natur es zur Menschen- kenntnis recht geflißentlich angelegt hat! Die Menschen sind gesellig, wie man sagt. Wenn wir nach Menschen auslaufen, wollen wir die meiste Zeit nicht den Menschen, sondern diese oder jene That. Nur wenn man was Großes von Jemanden gehoͤrt, ist man begie- rig, ihn zu sehen, und wenn man ihn sieht, sieht man denn wohl den Menschen? — Fast nicht, sondern seinen Geist, (sein Gespenst,) die That, die ihn vergroͤßerte. Es ist eine Erscheinung! Ein Gesicht! Schurken dren- gen sich vielleicht, große Leute zu sehen, weil sie sich nicht vorstellen koͤnnen, daß es solche Menschen gebe. Der Edle sieht im Spiegel. Auch den Boͤsartigsten will man sehen; vielleicht um seine Pfosten zu sichern, daß der Wuͤrgengel voruͤber gehe! Akademien sind selbst, um zu sehen. Das Gehoͤr ist ein Stuͤck vom Gesicht. Im Othem liegt die Liebe, in der Rede die Probe von Weisheit und Thor- heit. Rede und du bist, hab’ ich schon sonst wo wo behauptet; allein selten trauen wir der Rede, wenn wir Temperament und Gemuͤths- charakter kennen lernen wollen. Man haͤlt die Zunge fuͤr bestochen, fuͤr gedungen. Sie ist hoͤchstens ein Hauszeuge. Eben darum der natuͤrliche Hang zur Physiognomik. Man will in den Augen sehen, wie dem Menschen ums Herz ist. Freylich ists schwer, von dem auswendigen Menschen auf den inwendigen zu schluͤßen. Ich wuͤrde weit eher aus dem Kleide, aus dem Pferde, den Menschen beur- theilen, als aus seinen Gesichtszuͤgen, und andern Schilden, die er vielleicht mit gutem Vorbedacht aushaͤngt, und vom besten Stadt- mahler zeichnen laͤßt. Waͤre hier zur Gewis- heit zu kommen, wuͤrden die Folgen nicht eben so gefaͤhrlich seyn, als es die von der Gewis- heit unserer Todesstunde sind? Ich gebe selbst zu, Gottes Finger habe ins Gesicht dem Menschen sein Testimonium geschrieben; wer kann aber Gottes Hand lesen? Da sie auf Cains Stirn leserlich werden sollte, mußte sie verstaͤndlich gemacht und mit rother Tinte unterstrichen werden. In der nemlichen Ruͤck- sicht sind wir so fuͤr Handlungen, fuͤrs entste- hen sehen, vor unsern Augen, fuͤrs goͤttliche Sprechen, wo Donner und Blitz eins ist! — B 2 „Eher „Eher haͤtt’ ich das bedenken sollen?“ und wenn ichs bedacht haͤtte, gestrenger Herr, bin ich denn nicht auf der Akademie? und sollte man, so bald man der Sache naͤher tritt, nicht finden, daß ich auch hier handle, und nicht erzaͤhle! Hier ist Vivat und Pe- reat, hoch und tief! — eine Serenade und eine Stunde im Anditorio. Wollen Ew. Gestrengigkeit alles mit Ei- nem von hohen Schulen? Wir haben ihnen die Absonderung der Wissenschaften, die Be- voͤlkerung derselben zu danken, und ein ge- wißes Stellen in Reih und Glieder. Zwar weiß ich den Einwand dagegen; allein wird dieser Maurbrecher unserm System Schaden zufuͤgen? Freylich ist alles in der Welt in der Gemeinheit, und freylich ist noch die Fra- ge: ob es denn so gut sey, daß alles und je- des aus der Gemeinheit gesetzt werde? Frey- lich kann man auch seine Lieblingswißenschaft nicht ganz aus aller Gemeinheit bringen, da selbst Leib und Seele in einander wirken; in- deßen ist doch ein Tausendkuͤnstler gemeinhin ein schlechter Kuͤnstler! — Der Schuster kann dem Mahler nicht verbieten, einen Schuh zu treffen, und der Schneider nicht, wenn der Mahler ein Kleid fertiget; allein gemahlt ist nicht nicht gemacht! — Das Gemenge koͤnnte viel- leicht dem symbolischen Erkenntnis foͤrderlich und dienstlich seyn, wo man am Leitfaden der Aehnlichkeit zur Wahrheit kommt; allein bleibt denn auf dem gelehrten Marktplatz der Universitaͤt nicht noch eine Gelegenheit zu Symbolen uͤbrig, wenn gleich verschiedene Abtheilungen vorhanden sind? Muß ich denn gehen in den Garten, um ihn zu beurtheilen, und ist hier nicht ein Ueberblick oft nuͤtzlicher, als ein Gang? — Alles ist Symbol; Zahlen selbst, wer sollte das denken, sind Symbolen der Groͤße! — Der Mensch ists von Gott. Darum sind wir so große Bilder-Liebhaber! — Den Kindern bringt man alles durch Bil- der bey, weil Bilder kleiner als die Natur in Lebensgroͤße sind. Mit dem Bilde spielt man; allein wer kann es mit der Natur, ohne sich die Finger zu verbrennen? — Je mehr der Begrif in die Sinne faͤllt, oder in dem Sinne liegt, je weniger Muͤhe machen die Worte. Je abstrakter aber der Begrif, je schwieriger der Wortfang. Auf Universi- taͤten, wo auf allen Straßen abstrahirt wird, scheint diese Gewohnheit zur andern Natur zu werden! — Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Die Probe bey der Ab- B 3 strak- straktion ist geistisch. Zwar ist auch hier die Anschauung die Probe; allein sie bleibt so schwer, als das zu probirende Exempel selbst, und noch schwerer. Leichter ists, die Sphaͤ- ren-Musik zu hoͤren, oder ein Dichter zu seyn, als abstrakte Sachen anzuschauen und an- schauend zu machen! — Nur Sonntagskin- der koͤnnen Geister sehen, so wie Leibnitz, zum Beispiel, auf einem Baum das Principium indiscernibilium. Zwar geben sich auch et- liche mit Geisterbeschwoͤrungen ab; allein ich halte nichts von der Clavicula Salomonis, und wer weis es nicht, wie es dem D. Faust gegangen? Der Fuß schlaͤft zuweilen ein, und wer kann alsdenn von hinnen! Man nennt dies Besterben; wer sagt aber, daß der Kopf be- stirbt, und doch bestirbt er eben so, und aus eben der Ursache, wie der Fuß. Wir merken nicht so stark auf das, was den Organenbe- weger trift, als auf die Organe. Ungern laßen wir Etwas auf den Kopf kommen, den wir zur Schau tragen, fuͤr jeden, der Lust und Liebe zu sehen hat. Wir thun gegen alle Welt gros damit. Dem Mann der Hut, dem Weibe die Kinder. Den Hut koͤnnen wir mit leichter Muͤhe abnehmen; sonst wuͤr- den den wir ihm die Wuͤrde eines Ehrenzeichens nicht einraͤumen. Es giebt Voͤlker, die das Haupt bloͤßen, wenn sie mit Gott reden, und Voͤlker, die es decken. Die es bloͤßen, thun es bey Leibe nicht, um dem Kopf gegen Gott nichts zu vergeben; sie wollen vielmehr zei- gen, daß auch der Kopf ein armer großer Suͤnder sey. Voͤlker, die ihr Haupt decken, schoͤpfen aus der nemlichen Quelle. Sie schaͤmen sich, vor Gott ihr Licht leuchten zu laßen, und kriechen unter die Baͤume im Garten. — — — Sollte hie und da ein Kunstrichter von meinem Kopf zu behaupten fuͤr bequem fin- den, daß er zuweilen besterbe — so mag er wißen, wie man der Erde nicht ansehe, daß sie spornstreichs laufe. — Sieh da! — Ich reise Extrapost, und scheine nicht von der Stelle zu kommen! — Fuͤrs Kleinkauen bin ich nicht, guter Freund, so gesund es uͤbrigens deinem schwachen Magen seyn mag! Alles, was ist, hat Geist und Leib — Ich liebe von allem nur den Geist vom Buch, vom Trank, vom Eßen. Wie weit, sagte mir einstmals ein fei- ner Juͤngling vor der Stunde, wie weit sind noch unsere hohe Schulen vom Ziele! B 4 wie wie weit! — Alles ist noch zu tapfer, anstatt daß es verfeinert seyn sollte. Je roher die Nation, je tapferer der Buͤrger! — Je mehr Renomist, je weniger Fleiß! Aber, fieng ein andrer an, wissen sie auch, daß ein Knaͤbchen, Milch und Blut im Gesicht (schon wollt ich Angesicht sagen, das gebuͤhrt keinem Knaͤbchen) wissen sie auch, daß ein solches Buͤrschgen mit aller seiner Wissen- schaft kein Kerl ist? Ich nahm mich diesmal des andern an. Der Nutzen ist beym Ge- schmack nur nebenher, sagt’ ich. Sobald der Nutzendurst, eigentlich Hunger, zu merken ist, leb wohl, Geschmack! Fein ist der, der in der Anschauung Vergnuͤgen findet; fest, steif, klug, wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht zu den sichtbaren Geschoͤpfen gehoͤret, bedacht ist. Nutzen ist ein Gegenstand des Nachden- kens, Feinheit ist ein Dienst der Sinne. Wenn aber gleich eine silberne Dose weniger gefaͤllt, als eine von zerbrechlichem Porcellain, es sey berlinisch, oder aus Dresden; was meynen Sie, hat man denn immer Zeit, eine Dose zu warten? und ists nicht unangenehm, wenn sie bricht? Hat man denn nicht mehr in der Welt zu thun, als Geschmack und extra feinen Geschmack zu zeigen? Ein Bauer, der seine milch- milchgebende Kuh verkauft, um sich eine Alon- sche zu kaufen, oder eine brabanter Kante, oder einen Rubens, (ein Stuͤck von ihm) was mei- nen Sie? Wer recht viel vor sich gebracht hat, kann an Verfeinerungen denken. Wer sein Feld gebaut, an den Garten, und wer sein Haus in Dach und Fach berichtiget, an Verzierung in seinen Zimmern. Das Menschengeschlecht, in Wahr- heit, hat so wenig mehr zu verlieren, daß, wenn es noch lange mit zerbrechlichem Porcellain spielen wird, wenn es nicht bald anfaͤngt sich zu besinnen, und eine silberne Dose, die was aushaͤlt, zu kaufen, wenn es nicht wieder auf Dauer, Staͤrke des Leibes und der Seele zu sehen sich entschließt, nicht viel drum zu ge- ben ist. Waͤre das menschliche Geschlecht mehr renomist, mehr stark, mehr teutsch, man koͤnnte eher was mit anheben. Ja wohl, sagte Herr v. G —, der dies- mal in der Stunde war, wer nicht seine drey Tag und Nacht auf der Jagd seyn, und dem Hirsch den Faͤnger entgegensetzen kann, ist we- der zum Groben noch zum Subtilen aufgelegt. Mehr wollt’ er nicht anbringen, um es mit dem Juͤngling, der, so fein er war, doch wohl Herz haben koͤnnen, nicht zur Jagd anzulegen. B 5 Ein Ein Haus, pflegte mein Vater zu sagen, das lange Niemand bewohnt hat, verliert ein gewisses Leben! — Was nur bewohnt ist, lebt, oder ist belebt. Es ist ihm ein Leben einge- haucht. — So gehts mit den Wissenschaften, sagte Herr von G —, da ich bey einer Gelegen- heit die vaͤterliche Bemerkung mittheilte. Ich freue mich, daß ich auf ihn komme, um noch anfuͤhren zu koͤnnen, daß ich auch in Goͤttin- gen in seine Seele studirte. Unser Wirth hatte keinen Taubenschlag, am wenigsten ein geschmackreich gebautes Huͤnerhaͤuschen, kei- nen Garten; und wie konnte sich Herr v. G — anders helfen, als daß er sich drey Hunde zu- legte, die er Argos hieß? Sie hatten andere Namen; er aber firmelte sie. Ich will nichts vom christlichen Namen Satan sagen, fieng er an, wie kann aber ein Hund Packan heis- sen, wenn man in Koͤnigsberg vom Großva- ter examinirt ist? Homer! ich kann dich anre- den, denn du lebst, du bist unsterblich! — Wie ists moͤglich, dir ein beßres Opfer, selbst in christlichen Zeiten, zu bringen? Die dir an- grenzende Nachwelt schlug sich deines Ge- burtsorts halber; ein curscher Edelmann nennt seine Hunde Argos! Wer es empfinden kann, wie schoͤn es sey, daß ein Buch aufs Le- ben ben wirkt, was kehrt sich der an die Packans seiner Zeit! — In einem kleinen Garten kann fuͤglich nicht Natur seyn. Der Geschmack liebt Mi- niatur! — Er besteht in der Kunst, etwas aus dem Großen ins Kleine zu bringen, um es uͤber- sehbar zu machen. Er ist so etwas menschli- ches, als die Natur goͤttliches ist! — Und hiemit, loͤbliche Universitaͤten, lebet wohl, le- bet wohl! Wir scheiden so, wie in diesem Theil oft geschieden werden wird! — Ihr habt keine Authentica habita Cod. ne filius pro patre \&c. noͤthig, keinen Kranz, kein Gna- denzeichen — die ganze Fuͤlle der Gelehrsam- keit wohnt in euch leibhaftig! In seinem ganzen Leben hatte mein Vater keinen laͤngern Brief geschrieben, als den ich auf meinen berlinschen von ihm erhielt. Ein gros Compliment fuͤr Koͤnig Friedrich, wenn er teutsch koͤnnte. Mein Vater suchte Rin- nen um abzulaufen, so voll war er — Stellenweis . Ich habe zwar die Melodie noch behal- ten; allein den Text hab ich in diesem so ge- nannten freyem Lande, daß sich Gott erbarm! vergessen. Ein Hutmacher macht Cardinaͤle; allein kein Juvelier einen Koͤnig! — Ich will es es nicht sagen, daß es dir wie manchen Mah- lern gegangen, die das Pferd besser, als den Reiter treffen; allein wie ungern fand ich hie und da einen Abbruch zur Unzeit! Reden koͤmmt vom Reden. Thun vom Thun. Wei- ber essen sich trunken. Maͤnner muͤssen Po- kaͤle haben, wenn sie warm an der Stirn wer- den sollen! — Auszug aus einem Briefe nach Koͤ- nigsberg. Gern seh ich, daß du den Koͤnig sehen wirst! — Wenn er dich mit seinem Auge elec- trisirt, fuͤhl es, daß es ein koͤniglicher Funke sey. Gruͤß den Koͤnig von mir. Das heißt, sieh ihn fuͤr dich und fuͤr mich! Man glaubt gleich alles im Menschen zu finden, was der andre sagt. So kann man fuͤr gros und klein, klug und unklug gehalten werden, je nachdem man im Ruf ist. — Es ist gut, daß sich die Koͤnige nur selten, und dann zu Pferde zeigen. Sie sind gebohrne Reiter. Wandelten sie un- ter uns, wie oft wuͤrde der allerunterthaͤnigst treugehorsamste Knecht sein Uebergewicht em- pfinden! — Fortsetzung des vorigen Briefes auf meine Epistel von Berlin. Es giebt olympischen Reid oder Eifer- sucht! sucht! der steht einem Koͤnige nicht uͤbel, viel- leicht ist er uns allen nuͤtzlich. Dieser Neid schadet dem andern nicht, sondern ist nur be- muͤht, sich nicht vorkommen zu lassen. Wir sind alle faul von Natur, und brauchen Lei- denschaften-Vorspann, um weiter zu kom- men? — Koͤnig! wo kommts her? Von koͤnnen! Kung, wie du weißt, heißt im Lettischen Herr. Nicht, als ob meine Achtung fuͤr Koͤnige eine Folge von der Meinung waͤre, die ich fuͤr die Person selbst habe. Meine Achtung ist so rein nicht, als ein mathematisches Problem; du kannst es nicht vergessen haben, daß ich von je her des Dafuͤrhaltens gewesen, der monar- chische Staat wuͤrde uns in mancherley Hin- sicht zum Reiche Gottes fuͤhren. Wilde Baͤu- me haben Stacheln. Ungezaͤhmte Thiere fal- len den Menschen, ihren Herrn, an! Und lehrts nicht die taͤgliche Erfahrung, daß sich ein freyer Staat sehr bald in kleine Fingerlange Koͤnig- reiche zergliedert; hier und dort und da faͤngt sich ein Mensch zu verbreiten an! Da gehts ihm denn freylich wie dem menschlichen Koͤr- per, der, wenn er in gewisse Jahre kommt, an Groͤße in der Breite, mit dem Verlust der Kraͤfte und Wirksamkeit zunimmt. Das Gan- ze ze leidet bey solchen Kleinkoͤnigen; die Bey- lage hiezu ist Curland und Semgallen. Man lobsinget den Alten, weil man im Wahn ste- het: die Natur brauche sich ab, werde alt! — Nicht also; noch heute kann Eden werden, im Gedicht und im Original. — — Ich nehme dem Koͤnige Friedrich seine Schatzkammer nicht uͤbel. Wo eine Quali- taͤt ist, da laß ich auch eine Quantitaͤt gelten. Das Geld ist beym Privatmann ein schoͤnes Piedestal, und ein Koͤnig, der so wie er denkt, muß entweder alle Augenblick Schatzungen ausschreiben, oder es machen, wie Friedrich — was ist besser? — Die Farbe des Verdienstes ist die Far- be der Schaamroͤthe, so, daß auch alle rothe Farbe von ihr ein fast allgemeines Ansehn erhalten. Sie ist von ihr ins Geschrey ge- bracht. Purpur ist die Schaamroͤthe auf ei- ner braunen Wange! — Unser gute Herr- mann reißt beym letzten Vers des Liedes alle Zuͤge seines Positives auf, und die gewoͤhnli- chen Redner und Schreiber suchen mit einem epigrammatischen Gedanken zu schliessen. Mich schmerzt so was. Stich ist Stich — Dein Brief schließt V. R. W. mit dem alten Vale! Vale! — Ueber Ueber das Spiel haͤttest du mehr schreiben sollen. Es scheint mir wechselseitige Abma- chung, intereßirt seyn zu koͤnnen. Eigennutz und alles und jedes, wo das Wort eigen vor- kommt, ist aus dem Stammhause Eigenliebe. Wer kann indessen in einer guten Gesellschaft einen Menschen ausstehen, der ohne End und Ziel von sich selbst spricht; es waͤre denn, daß er sein uͤberstandnes Ungluͤck erzaͤhlt. Eben so ist ein Eigennuͤtziger ein Greuel im Umgan- ge. Das Spiel scheinet erfunden zu seyn, den menschlichen Neigungen, die man durch Lebensart zu unterdruͤcken verbunden ist, zu Huͤlfe zu kommen. Wir wuͤrden es sehr uͤbel nehmen, wenn der andre uns geflissentlich ge- winnen liesse. Der Gewinner muß indessen eben so viel Gluͤck, als Spielverstand zeigen, wenn wir ihm das Recht zu gewinnen zuer- kennen sollen; obgleich es auch gewiß ist, daß Spieler diesen gern, jenen hoͤchst ungern ge- winnen lassen, es besitze jener gleich Gluͤck und Verstand in der besten Proportion. Du ver- stehst mich von ferne. Unter dem Wort Spie- ler versteh ich keinen, der aufs Spiel ausgeht, oder vielmehr auslaͤuft. Keinen Virtuoso, sondern einen Dilettante, um es dir deutli- cher, (das heißt oft uneigentlicher) zu geben. Bey Bey Leuten, die keine Bewegung haben, er- setzt das Spiel diesen Mangel. Es ist See- lenbewegung, die noͤthiger ist, als die koͤrper- liche; es ist eine Abwechslung aller Leiden- schaften, aller Jahreszeiten haͤtt’ ich bald ge- sagt; und zur Gesundheit gehoͤrt diese Ab- wechslung. — Der Koͤnig spielt nicht; kein Koͤnig sollte spielen. Spiel ist Zeitvertreib, und wer kann des Morgens Karten mischen, ohne das Unschickliche zu fuͤhlen? Ich kenne noch kei- nen Violonisten, der nicht selbst einem treuen Kenner oder Liebhaber laͤstig geworden, wenn er vor Mittage gespielet! Koͤnig Friedrich hat gern Leute, die Gluͤck haben. Wo Verstand ist, muß auch Wille seyn. Ein Entwurf will Ausfuͤhrung, ein Anfang Vollendung. — — — Man glaubt selbst gluͤcklich zu werden, wenn man Gluͤck- lichen so nahe ist, und wer beschaͤftigt sich nicht am liebsten mit Dingen, wo Gluͤck da- bey ist. Drum spielt man Karten, drum setzt man in die Lotterie, drum geht man auf die Jagd, wenn man kein Koͤnig ist, drum fuͤhrt man Krieg, wenn man Koͤnig ist. — — Herr v. G. sagt, alle Koͤnige sind Spieler. — Leb Leb wohl, gib dem Kayser, was des Kay- sers, und Gotte, was Gottes ist. Fuͤrchte Gott, ehre den Koͤnig; Lebe wohl! — Aus einem andern vaͤterlichen Briefe. Deine Mutter schreibt dir viel und unfehl- bar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der ich war. Wenn man einmal in gewißen Jah- ren ist, hat man sich so ausprobirt, daß man lange vor Krankheit sicher ist. Da weis man den verstimmten Clavis uͤber zu springen, da haͤlt man eine Rede ohne R., wenn man das r nicht aussprechen kann. So giengs mir; aber die Jahre traten ein, von denen es heißt: sie gefallen uns nicht. Das erstemal, daß ich klage. Stoͤhnen erleichtert den Schmerz, so wie der Aufschrey das Schrecken. Was hilft es, daß du fruͤh aufstehst, und lange sitzest, und dein Brod ißest mit Sorgen? Seinen Freunden giebt ers im Schlafe, im Tode. — Wer nach einer frohen Stunde den Tod schoͤn finden kann, das ist ein Mann. Leben und Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im Tode? Wir legen blos das Kleid ab, das jedem zu enge ist. Wir glauben vom Tode, so wie die Juͤnger von ihrem Herrn und Mei- ster, er sey ein Gespenst. — Ueber vierzig C Jahre, Jahre, wer wird von denen seyn, die jezt sind! — Diesen Augenblick kann man deine Seel abfordern, und was wird es seyn, das du an Zeit gesammlet hast? — Ich habe mich lange umgesehen, um von hinnen zu ziehen ins Vaterland! — ανέχου και απέχου. Lebe wohl ! Das lezte Lebewohl! Der Herr setze ihn uͤber viel, diesen lieben Getreuen uͤber wenig! — Er ist eingegangen zu seines Herrn Freu- de! Amen! Amen! — Ich kann nicht mehr, als Amen schrei- ben, obgleich es schon so lange her ist, daß er mir dies lezte Lebewohl schrieb. — Um es au- thentisch meinen Lesern mitzutheilen, schrieb ich es aus dem Original aus, das noch da vor mir liegt. Ich weiß es, daß einige mei- ner Leser dem Herrn v. G. nachsagen werden, die Koͤnigin ist weg, das Spiel ist verlohren! Der Treflichste in diesem Buch ist gefallen! — Meine Leser haben ihn gehoͤrt und ich! ich hab ihn gesehen! — Noch seh ich diesen Mann. Jede Falte in seinem Antlitz zeigte, wie gut er war! Wahrlich, die beste Probe eines gu- ten Alten! — Ists nicht wahr, daß die Fal- ten sich nach den Lieblings Mienen des Men- schen formen, ists nicht wahr, daß sie da rei- fen, fen, wo jene bluͤheten? O koͤnnt’ ich ihn dar- stellen! — Ruhe sanft, seltener Mann! Dein Se- gen war die Wolken- und Feursaͤule, die mich gleitete auf meinen Wegen. Deinen Tod feyern heißt: deinem Beyspiel folgen! Er gieng mit der Sonn’ unter! Es blieb unentschieden, wer schoͤner untergegangen! — In Abendroth gekleidet war die Wolke, die ihn zum Himmel nahm, schrieb meine Mutter. Er starb den 24. Junius des Abends um 9 Uhr in seiner Lieblingsstunde. Jeder hat seine Zahl, die ihm am Herzen liegt, versichert meine Mutter. So war dem hochgebohrnen Todtengraͤber sieben ins Herz geritzt, die Zahl der Ruhe, die Sabbathszahl, die Zahl der Vollendung. Meines Vaters Liebling war die Zahl neun! Sie ist neun, pflegt’ er zu sa- gen und bleibt neun. Zweymahl neun ist achtzehn. Acht und eins ist neun, drey mahl neun ist sieben und zwanzig, sieben und zwey ist neun. Vier mahl neun ist sechs und dreys- sig, sechs und drey ist neun. Es ist die Zahl der Bestaͤndigkeit! Es kann seyn, daß die im ewigen Fruͤhlinge sich befindende neun Jung- fern den ersten Probirer auf diese Berechnung gebracht, oder die Berechnung auf die neun C 2 Mu- Musen. Wer kennt nicht, wie mein Vater, die liebe treue neunte Zahl! — Meine Mut- ter schreibt, diese selbstbestaͤndige Zahl blieb ihm auch treu bis in den Tod. Er starb um neun Uhr Abends, ward neun und funfzig Jahr alt, neun Monate und neun Tage! — Doch der Tod meines Vaters gehoͤrt zum Vierten Bande, der seinen Lebenslauf enthal- ten soll, den ich Bergab zu erzaͤhlen verspro- chen habe. So viel noch vorlaͤufig! Er starb, wie er ledte, sprach bis in den lezten Augenblick sei- nes Lebens, wie Sokrates, sein Freund! Meine Mutter beschloß ihren Brief: Cur- land war sein Zoar, wo dieser fromme Lot Gnade fand vor Gottes Augen. Sein Va- terland hab ich auch in seinem lezten Augen- blick nicht erfahren, so herzlich gern ich es auch, die fruͤhen Spargel und die Pfeife in der freyen Luft, und die langen Manschetten an seinen Ort gestellt, — in dieser Welt ge- wußt haͤtte. Er hat uͤberwunden so manchen Hohn, der aͤrger ist als andre Leiden dieser Zeit, bey welchen wir in die Haͤnde Gottes fallen! — Je mehr Pfand, je mehr Wucher! Seine Melchisedechs Predigt, wo Salz und Schmalz war, und so manche andere gewal- tig tige Predigten, zeigen, daß er nicht von sich selbst geredet, und so sang er auch nicht von sich selbst, da er bey der zweyten Strophe im zweyten Diskant einfiel: Laͤßt sie nicht lange weinen, in diesem Jammerthal! — Er wird nicht in dem himmlischen: heilig, heilig, heilig! einen falschen Ton angeben, oder den Takt verlieren, dafuͤr steh ich! — Er wird mir aber danken, daß ich ihm Sang und Klang empfahl, um dort bey der Probe zu bestehen. Das Wissen blaͤset auf, aber die Liebe bessert! — Auch sie singt schon, im hoͤhern Chor, ein himmlisches Halleluja! Ein heilig! heilig! heilig! desgleichen kein Ohr gehoͤret und in keines Menschen Herz kommen, und Gott be- reitet hat denen, die ihn lieben! — Hier war sie ein Lied, dort ist sie ein Psalm Davids; hier ein Sonnabend, dort ein Sonntag, ein Sabbath; hier ward sie gesaͤet in Schwach- heit, dort geht sie auf in Kraft! Wohl dem, der so stirbt, wie sie! Sie wartete auf ihren Tod, wie Simeon auf den Trost Israels. Sie starb wie Simeon: Herr! nun laͤßt du deine Magd in Frieden fahren ! C 3 Mein Mein Leib und Seel befehl ich dir, O Herr! ein selig End gib mir! Das war nach Minens Tod ihr immer- waͤhrender Seufzer! Ach wenn werd ich da- hin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue! Ich habe Lust abzuscheiden! Sie war getreu bis in den Tod, und wahrlich, wahrlich, sie hat das Ende des Glaubens, der Seelen See- ligkeit, die Krone des Lebens, davon getra- gen. — Solch ein Weib stirbt nicht alle Tage! Wenn der hochgraͤfliche Todtengraͤber sie haͤtt’ observiren koͤnnen, was haͤtte er drum gege- ben! Elias sprach zu Elisa: bitte, was ich dir thun soll, ehe ich von dir genommen wer- de. Elisa sprach: daß dein Geist bey mir sey zwiefaͤltig. — Sollt’ ich mich truͤgen, wenn ich behaupte, daß viele diesen Wunsch hinauf gethan? — Nun so moͤgen die Prophetenkin- der allen diesen guten sanften Biederseelen das Zeugnis geben, das sie Elisen gaben: Der Geist Eliaͤ ruhet auf Elisa, ruhet auf diesen Wuͤnschenden! Er ruhe wohl! — Meine Leser werden sich mit leichter Muͤ- he erinnern, daß mein Vater in seiner Bibel, beym Hauptmann zu Capernaum und bey drey Obersten Zeichen eingeleget, nicht min- der uͤberall, wo das Schwerd schlaͤgt, das Faͤhn- Faͤhnlein weht, Trompeten schallen, und wo Sold ausgetheilet wird. Eben so erinnerlich wird ihnen die Epistel am ein und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis seyn, die in der vaͤterlichen Bibel erschrecklich begriffen war, und die ich meinen Lesern im ersten Theil, so wie sie im Lutherischen altteutschen lautet, woͤrtlich vorgelesen. Sollte hie und da einem Capittellosen dies in Vergeßen gerathen seyn; so sey es mir erlaubt, ihn an meine Mutter zu erinnern, die, wenn sie meinen Vater, mit dieser Epistel angethan, zur Kanzel steigen sah, zu sagen die Gewohnheit hatte: heute geht er gestiefelt und gespornt, wie ein geist- licher Ritter, auf die Kanzel. Indessen war auch sie, das gute Weib, von einer Praͤdilek- tion wegen gewißer Spruchstellen nicht frey. Jeder Mensch hat nicht blos seine Lieblings- zahl, sondern auch seinen Spruch. Der Lieb- ling meiner Mutter war: der Herr hats ge- geben, der Herr hats genommen . Wenn der Kelch noch nicht da war, mochte sie viel- leicht gewuͤnscht haben, er gehe voruͤber; al- lein wahrlich, sie hat auch herzlich hinzugefuͤ- get: nicht wie ich will, sondern wie du willt! Meine Mutter fand im dießeitigen Leben zwar Dornen und Disteln; allein auch Veilchen, C 4 Him Himmelschluͤßelchen und Krausemuͤnze. Sie hatte mit Schmerzen ein Kind gebohren; al- lein dafuͤr hatte sie auch einen Sohn. Dieser hies zwar Alexander; allein er studirte Theo- logie. Ihr Ehemann sagte zwar nicht, wo fein Vaterland waͤre; indeßen war er doch rein und lauter in Lehr und Leben. Zwar konnte sie eine Zeitlang keinen Menschen aufs Kanapee noͤthigen, der Name Melchisedech ward nicht anders als bey gedeckten Thuͤren ausgesprochen, und selbst alsdenn noch nur ins Ohr; indeßen schlug mein Vater doch durch eine einzige Predigt so viele Blutgierige und Falsche, und befreyte das Kanapee, das, wie ein verfluchtes Schloß, wuͤste war, vom Fluch. — Ein Weib, wie meine Mutter, war mit allen Wegen Gottes kindlich zufrieden. — Wenn sie unter den Israeliten gewesen, so haͤtte sie nach keinen Wachteln verlangt, ob- gleich sie ein Priesterweib und aus dem Stamme Levi war. Mit Manna haͤtte sie sich begnuͤgt, so daß ihr nie ein Fleischtopf eingefallen waͤre. Sie war nicht wachtelluͤstern. Viel fuͤr eine Paftorin! Da ich in meinem vierzehnten Jahr ohne Hofnung krank danieder lag, und mein Vater Licht! Licht! Licht ! rief; sang sie mit einer Seelenfaßung: Gott Gott eilet mit den Seinen, daß sie so gar meinen ungestimmten unmusi- kalischen Vater dahin sang, daß er selbst bey der zwoten Strophe im zweyten Diskant ein- fiel, wie oben und unten erwehnt worden! — Da mein Vater nach dem Brande versi- cherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auf- trank, sie nicht mehr verzehrt haͤtte, als er, und daß kein Lucius Plancius die andre Perle gerettet; war meine Mutter so Gott ergeben, daß sie mitten in der Predigt sang, mitten im Gewitter sanft regnen ließ, und nur eins lag ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt haͤtte, eh ich stuͤrbe!! — Wie sehr ich meine Mutter geliebt , ist am Tage, und wenn selbst mein Tod sie nicht aus dem Lebensconcept bringen konnte; ich wuͤßte nicht, was sonst sie zu unterbrechen im Stande gewesen? — Nichts, nichts konnte sie scheiden von ihrer Fassung, nicht Truͤbsal, nicht Angst, nicht Tod, nicht Leben! Wahrlich sie kam nie aus der Melodie, sie hielte Takt, und konnte selbst ihre Hausgenossen, ihre Corinther, wie sie sie in ihrem Condolenzschreiben nannt, in Takt und Melodie setzen. — Minens Tod indessen brach- te sie so sehr vom Leben ab, daß sie gern ster- ben wollte. C 5 O O des schoͤnen Baums im Garten Gottes ! schreibt sie noch in ihrem vorletzten Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich keinen Schlag mehr der herrlichen Na- tur, wovon sonst meine Seele genas! Sie elektrisirt mich nicht weiter. Sie ist mir nicht greiflich. Sie sitzt mir nicht mehr, daß ich sie mahlen kann! Keine Tulpe oͤfnet mir ihren keuschen Busen, den sie zuschnuͤrt, wenn der Abend sich Freyheiten herausnehmen will. Die Rose lockt mich nicht wonniglich in die Abend- kuͤhle. Wenn ich sonst in den Wind sa- he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal- tem Wasser erfrischt, jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich ihn sehe! Er macht mir Hitze. Da seh ich die Saat, die sich kruͤmmet, wie das Alter, und sage nicht: sey gesegnet im Namen des Herrn! und dem Baume wuͤnsch ich nicht Gluͤck zur Erziehung seiner neugebohrnen Fruͤh- lings Sproͤslinge, die ich sonst so gern mit einer Hand voll Wasser zu taufen pflegte! — Ich verstehe die Linde nicht mehr, wenn sie in der Gegend den Prie- ster vorstellet, wenn sie sich ehrfurchts- voll neiget, das kleine Gestraͤuch segnet und und fuͤr selbiges betet. Es ruͤhret mich nicht mehr, wenn dieses kleine Gestraͤuch so rings um die priesterliche Linde steht, und mit deinem Geiste lispelt, oder wenn es vielmehr, nach rußischer Art, mit einem Gospodi pumilu sich buͤckt. Wie schwer athme ich den Balsam des schoͤnen Morgens ein! Ists mir doch nicht anders, als wenn ich Arzeney ein- naͤhme! Wie pflegte mich die Natur lieb zu haben! wie fest an sich zu druͤcken! — Lieb hatt’ ich sie wieder! ich weinte oft fuͤr Freuden in ihren muͤtterlichen Ar- men! O ich habe eine liebe gute Mutter verlohren! — Wenn ich jezt etwas seh, ists alles ungerathen! eitel! Da aͤrgert mich der Baum, der gerade wachsen koͤnnte, und aus Eitelkeit schief wird, um sich in dem kleinen Gewaͤsser zu be- spiegeln, das in einiger Entfernung blin- ket — und dort verdrießt mich das elen- de Kraut, das sich auf der stolz herausge- wachsenen Wurzel der Eiche niederlaͤßt, und diesen edlen Baum chikanirt, wie oft der Poͤbel große Maͤnner. Zwar lieb ich mich abzusondern; al- lein ich kann nicht ganz allein seyn! das heißt, heißt, im Finstern. Licht ist Gesellschaft, pflegte unser Seliger zu sagen, und ich brenne selbst Licht in der Nacht, als ob ichs besser wuͤßte, wie der liebe Gott, der gewiß mehr Licht am ersten Tage haͤtte schaffen koͤnnen, wenn es gut ge- wesen waͤre. Bey weitem bin ich nicht, was ich war. Eine Scheelsichtige bin ich! Das Kind muß einen Namen haben! Warum Winkelzuͤge? Freude an der Na- tur ist das Probatum est eines guten Gewissens. Eine feurige Kohlensamm- lerin, eine Aufhetzerin, ist die Natur dem, der es mit dem Gewissen verdorben hat. Den Zorn kann man besprechen; allein den Schmerz nicht. Das Thraͤnenschwere Veilchen gefaͤllt meinem Auge am meisten, weil sich gleich und gleich gern gesellen, und wenn uns beyden der Tropfen entblinkt, sehn wir gen Himmel, der am besten weiß, was uns nuͤtzet. Da zitterte gestern ein Tro- pfen auf einem Vergißmeinnicht, und der in meinem Auge bebte, eben so lange, bis mein Auge zugleich mit diesem blau- en Bluͤmchen entbunden war, und beyde Tropfen zusammenflossen zu den Fuͤßen des des schoͤnen Vergißmeinnicht. Mine, Mine, Mine ! Ich vergesse dich nicht, ich vergesse dich nicht ! — Welke gelbe Blaͤtter, das ist meine Wonne, wenn sie abfallen, ich lese und hoͤre Gottes Wort; allein ich lege keine Sylbe bey! und je mehr ich mich fassen will; je aͤrger ists. So gehts mit den Leidenschaften, sagte dein Vater, je mehr man druͤckt, je elastischer sind sie! — Ich, die ich keine Fliege auf dem Ruͤcken liegen sehen konnte, wenn sie ans Fenster prall- te, und sich den Kopf stieß! Ich, die ich ihr aufhalf, obschon sie mich oft aus der Melodie sumsete, habe unschuldig Blut verrathen. O Mine ! Ists Wun- der, daß mir der Bluͤtenschnee wie ein Leichentuch vorkommt! O wenn wird es von mir heissen: ich liege und schlafe ohne Kummer ! Wie lange soll ich noch fragen: Huͤter, ist die Nacht schier hin ? Wenn ruft Gott der Herr in mein Chaos: es werde Licht , und es wird Licht ? Wenn fing ich im hoͤhern Chor: der Tag ver- treibt die finstre Nacht ? Das Das war die anhaltende traurige Lage meiner Mutter, um Minens Willen! — Ge- schieht das am gruͤnen Holz — Die gute Bußfertige! In ihrem Trostschreiben, das ich in seiner Laͤnge und Breite mitgetheilt, so wie sie es in verschiedenen Absaͤtzen, die sonst ihre Weise nicht waren, an mich erlassen, war nichts in der ersten Hitze geschrieben. Sie blieb so, bis in ihren Tod! — Wer lebt so, wie er glaubt ? pflegte sie zu fragen, und da- rauf „ das thaten nur die Apostel „ zu ant- worten. Wahrlich! sie lebte, wie sie glaubte. Sie that, was sie sagte. Sie redete leben- dig, sie handelte, wenn sie sprach. Jezt war sie nicht mehr die Sanftfliessende! — All Au- genblick schlug sie Wellen. Sie lag nicht still auf einer Seite. Sie riß das Deckbette. Etwas uͤber das Gewissen. Man sey noch so fromm, noch so gut, wer hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche, wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters halber: Melchisedech. — Wer hat nicht eine Handlung, an die er ungern denkt, und wer kann auch bey der sorgfaͤltigsten Bemuͤhung, ein unbeflecktes Gewissen zu behalten, beydes vor vor Gott und den Menschen, fuͤr allen Scha- den stehen? Zwey Dinge sind uns noth, Ge- wissen und Ruf. Dieser des Naͤchsten, jenes unsertwegen. Das Gewissen aber verdient, nach der Meynung eines Weisen des Alter- thums, mehr Ruͤcksicht als der Ruf. Dieser kann truͤgen; jenes nie. Beym Ruf faͤllst du in der Menschen Haͤnde; beym Gewissen in die Hand Gottes. Ich halte dafuͤr, daß es zweyerley Gewissensarten gebe, ohne dem neu- en gewissen Geist, den wir als eine Frucht ei- nes guten Gewissens von Gott erwarten koͤn- nen, ohne dem goͤttlichen Diplom des Gewis- sens zu nahe zu treten, und auch ohne auf der andern Seite die Distinktionen von Vor- und Nachgewissen u. s. w. unguͤltig zu ma- chen. Es ist ein Lebens- und Sterbens-Ge- wissen. Auch der redlichste Richter findet, ehe er von seinem Obern untersucht werden soll, noch Maͤngel, ohne auf A B C-Schniz- zer, die nur ein Revisionsknaͤbchen ruͤgen kann, Ruͤcksicht zu nehmen. Auf die Frage, was ist die Freyheit? antwortete jener Weise: ein gut Gewissen. Wer ist aber, der sich nicht zuweilen, wie ich mit meinen Soldatengedan- ken, meiner Mutter halben, unter die Baͤume im Garten versteckt und von Feigenblaͤttern sich sich Schuͤrzen macht? Auch Julius Drusus , der in einem durchloͤcherten Hause wohnte, und welcher das Anerbieten eines Kuͤnstlers, vor fuͤnf Talente diesen Flickbau zu uͤberneh- men, mit den Worten ablehnte: daß er zehn geben wolle, um sein ganzes Haus aller Au- gen darzustellen; auch er wird doch, bey al- len guten Zeugnissen seines Lebensgewissens, ein dunkles Kaͤmmerchen gehabt haben, wo ihm ein hereingeschlagener Funke ein ungebe- tener Gast gewesen waͤre! Am Sonnabend uͤberdenkt jeder gute Haushalter die Woche; am letzten Tage im Jahr, das Jahr; im Sterben das Leben! Es ist gleichviel, ob ich es hier oder wo anders erzaͤhle. Ich habe einen Deserteur — in — — erschiessen sehen, der, seiner angebohrnen Frey- heit halber, sich nicht uͤberzeugen konnte, von Rechts wegen ein Mann des Todes zu seyn. Selbst die spitzfindigsten Rechtslehrer ent- schuldigen hiemit die Flucht aus dem Ge- faͤngnisse , und in einem gelehrten theologi- schen Werklein, das ich gelesen, wird von ei- nem Casuisten behauptet, daß ein Missethaͤter, der auf den Tod saͤße, mit gutem Gewissen, wenn er dazu Gelegenheit haͤtte, entfliehen koͤnnte. Es liegt wuͤrklich etwas menschliches drinn drinn, daß die Flucht aus dem Gefaͤngnisse die Strafe nicht vergroͤssert , die auf den Missethaͤter wartete, wenn er nicht geflohen waͤre. Mit der Desertion ists so eine Sache. Es koͤmmt alles auf den Contrakt an, den der Soldat eingehet. Unserm waren von den Capitulationspunkten nicht ein einziger gehal- ten, und doch sollt er des Todes sterben. Bit- ter und gesetzt, wie ein Maͤrtyrer, gieng er zum Richtplatz. Die Maͤrtyrer haben alle den Todesgang, als waͤre nichts, Welt auf, Welt ab, ihrer werth. — Die Geistlichen hat- ten sich muͤde und matt bemuͤht, unserm Ver- urtelten zu beweisen, daß er alle zehn Gebote, und des D. Luthers Auslegung oben ein, bis auf jedes Comma und Punkt, uͤbertreten haͤt- te; allein er blieb dabey, er sterbe unschuldig. Nun sagte einer der vornehmsten unter den Ehrwuͤrdigen Herren, so waͤre seine Behaup- tung, unschuldig zu seyn, eine Todsuͤnde: denn, setzte er hinzu, wenn wir alles und jedes ge- than haben, was wir zu thun schuldig sind, bleiben wir doch unnuͤtze Knechte, und des Galgens werth. Da der Deserteur aber die- sem Manne, der die Sache beym rechten En- de angegriffen zu haben glaubte, seinen Platz anbot, hieß es, daß sie so nicht gewettet haͤt- D ten. — ten. — Kurz, weder Kaiphas, noch Pilatus, weder das geistliche, noch das weltliche Ge- richt, konnte ihn von seiner Maͤrtyrer Den- kungsart abbringen. Der Tag des Todes er- schien, und auch der gieng ihm auf, wie alle andere, ausser daß er, der Luft wegen, die er, wie er sagte, lange nicht genossen, ein Glas Wein fruͤhstuͤckte. Es ward zum Todesgang getrommelt. Fuͤrchterlich! — er gieng ihn, da er sich blos wegen der boͤsen Luft praͤcavi- ren zu duͤrfen glaubte, getrost. Unterwegs fiel ihm ein Bettler ins Auge! halt! schrie er — ich habe gesuͤndiget! Gott erbarme sich mein, nach seiner grossen Barmherzigkeit! Sagt’ ich nicht, fieng der Geistliche an, der ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt Rath — Der Maͤrtyrer kam so aus der Fas- sung, daß er kaum weiter konnte. Der com- mandirende Officier, der an der armen Seele des Deserteurs wahren Theil nahm, bewilligte ihm Zeit und Raum zur Busse, und war eben im Begriff, ihm den Soldateneid vorlesen zu lassen, der Geistliche, die zehn Gebote mit ihm nochmahls kuͤrzlich durchzugehn, und, wo es die Zeit zuliesse, auch noch die uͤbrigen Hauptstuͤcke des christlichen Glaubens, als es sich ergab, daß der verstockte Suͤnder uͤber sein sein Capitalverbrechen noch eben so, wie zu- vor, dachte. Der Bettler hatt’ ihn an eine Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar, fieng er an, war ich in Noth; allein mußt’ ich darum dem armen alten Kerl das Brod nehmen? Er hatte vor fuͤnf Jahren einem al- ten Bettler ein Brod genommen. (Um mei- ne Leser nicht aufzuhalten) der Bettler, dem unser Laͤufer begegnete, mochte nun entwe- der eine Aehnlichkeit haben, mit dem, wel- chem er das Brod genommen, wie denn alle Bettler sich gleich sind, oder es mochte das Gewissen, welches, wie man sagt, auch seine fuͤnf Sinnen hat, bey dieser Gelegenheit auf die so alten schon reponirten und bestaͤubten Akta gefallen seyn; kurz, dieser kleine Vorfall brachte ihn zum Bekenntniß, ein armer gros- ser Suͤnder zu seyn, und das Leben verwuͤrkt zu haben. Nicht immer machen dem Men- schen die schaͤdlichsten gefaͤhrlichsten Dinge den groͤßten Schmerz. Wer ist am Zahnweh ge- storben, und wer kann diesen Schmerz ohne zu murren ertragen? Einer der Cameraden, den dieser Vorfall ruͤhrte, bot dem armen großen Suͤnder einen Theil von seinem Sol- de an, um das Gewissen zu stillen, er nannt’ es aus gutem Herzen, dem Gewissen was D 2 zu zu verbeissen geben; allein der Laͤufer ver- bats: gib es, wenn du, ohne selbst zu bet- teln, es missen kannst, in deinem eigenen Na- men. Ich will nicht prahlen! — Das Ge- wissen eines Sterbenden ist so leicht nicht be- friedigt — sagt’ er nach einiger Zeit. Der arme Camerad gab es, und hatte acht gan- zer Tage, Buß- und Bettage, das heißt: er konnte in acht Tagen keinen Tropfen Bier trinken. Es war von seinem Solde. Der Prediger hatte kein Geld bey sich. Der Stabs- officier hatte Familie, und die Subalternen waren noch Billardparthien schuldig. — Das Gebet des Bußfertigen war kurz! herzbrechend! Er hatte ein Weib und zwey Kinder in den Staaten eines andern Herrn, und hatte im besoffnen, oder welches gleich viel ist, im zu guten Muth, Handgeld genom- men. Seine Capitulationsjahre waren ab- gelaufen. Weib und Kind wollten seine Schwiegereltern nicht ziehen lassen, und also — Solch einen Schuß, der diesem Armen das Herz bohrte! Gott laß ihn mich nie mehr hoͤ- ren! — Seinem Weibe ließ er noch durch seinen Freund, der ihm den Becher kalten Wassers auf dem Richtplatz reichte, zur Pflicht ma- chen, allen alten Bettlern, die so aussaͤhen, wie wie der, der ihm begegnet, und dem der Cam- rad seinen Sold, sein taͤglich Brod gebrochen, ein ganzes Brod zu geben, auch wollte er, daß seine Kinder und Kindeskinder es thaͤten, immerdar. — — Das ist mein letzter Wille, sagte er, und hiemit gab er seinem Camera- den die Hand! der den Bettler, der Wittwe zur Regel, abzeichnete und ihn traf. — Leb wohl! Du warst ein ehrlicher Junge, und so stirbst du auch. — Der Camerad durfte des grausamen Herrn Faͤhnrichs wegen nicht wei- nen, desto mehr hielt er aus. Es war auch ein Auslaͤnder! — Die Nutzanwendung. Mine war das alles meiner Mutter, was der Bettler dem Laͤufer. Sie war aͤlter, als der Laͤufer. Es fiel ihr also so manches ge- nommene Brod ein! — Der Hauptdiebstal war Mine. Noth hin, Noth her. — Das Sterbensgewissen ist nicht so leicht zu befrie- digen. Bis auf die Curlaͤnderin lag alles schwer auf ihr. Eine verstimmte Pfeife, schreibt sie, verdirbt die ganze Orgel. Bey mir ist mehr, als eine, in Unordnung. Was bey manchem Rath ist, ist bey mir Unrath. Meine Mutter gieng in Gedanken in ein Cartheuserkloster, und sah’ es ein, daß der D 3 Mensch Mensch auch bey den besten Gesinnungen un- moͤglich mir nichts dir nichts sterben koͤnne. Wer kann wissen, wie oft er fehle? Der Stamm Levi vermehrte bey dieser Selbstpruͤfung ihre Seelenleiden. Es war die Kohle auf ihrem Haupte, welche die andern noch mehr aufgluͤhete. Wer viel empfieng, von dem wird viel gefordert. So viel Mund, so viel Pfund, sagte sie! — Zwar empfand sie leibhaftig, daß sie ihrem Naͤchsten nicht Was- ser und Luft verkauft, daß sie kein verirrtes Schaaf in ihren Stall getrieben, und dem Nabot keine Spanne Acker abgegraͤnzet, daß sie keine Taubenkraͤmerin, keine Kaͤuferin im Tempel, gewesen. Geben war ihr seliger, als nehmen; indessen heulte doch die ganze Or- gel! — Jacobs Ausruf: er lebt, ich will hin, ihn zu sehen , hatte ein großes Zeichen, und so auch alle Stellen, wo Tod und Todtenge- beine vorkamen. Die Lebenszeichen wurden zwar nicht verworfen, dazu war sie zu sanft; allein sie wurden so in die Bibel gesteckt, daß ihr Haupt nicht zu sehen war. Es hatte sich geneiget. — Mein Vater sagte, es sind alte verdiente Officier, die man zu Commandanten macht. Ein Ein dergleichen Commandantenpostchen hatte auch ihr ehemaliger Liebling: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen . Der Inhalt der liebsten, ja einzigen Gespraͤche, wa- ren die vier letzten Dinge: Tod, Auferste- hung der Todten, juͤngstes Gericht, En- de der Welt . Alle, die sie sonst gekannt hatten, fanden jetzt bey ihr eine so grosse Veraͤnderung, als zwischen Tod und Leben, zwischen Wachen und Schlafen, und sie ver- barg sie auch nicht, wie ehemals, den Na- men Melchisedech. Thuͤr und Thor stand of- fen bey ihm. Jeder sahe den Unterschied, wie Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zu- gegangen; allein alle Augenblick hatte sie ei- nen schweren Namen im Munde. Mein Va- ter wollt’ ihr aushelfen; allein sie verbats. Der Tod ist weit schwerer, als diese kauder- welsche Namen, sagte sie, und mein Vater schwieg bedenklich. — Tertullianus und Theophylactus in Eh- ren, fieng sie an, welche die Paradoxie gehabt, daß die Geschichte vom reichen Mann und ar- men Lazarus, eine bloße Parabel sey; die gu- ten Herren! haben gewiß keine Mine in ihrem Dorfe gehabt, und keinen Sohn, der Minen liebte und keinen Gewißensscrupel Minens D 4 Todes Todes halber, sonst waͤren sie gewis so ortho- dox gewesen, die Erzaͤhlung vom reichen Mann und armen Lazarus fuͤr das zu halten, was sie ist, fuͤr reine gediegene Wahrheit. Hat denn Adrichomius sich nicht anheischig ge- macht, des reichen Mannes Haus in Jerusa- lem zu zeigen jedem, wer es sehen will? Ich thue drum keinen Schritt, fuͤgte meine Mut- ter hinzu, und eben so wenig mag ich das Husten Christi sehen, das man irgendwo vorzeigt. — Das heilige Grab aber, das Grab Christi, v! wie gern haͤtte meine Mutter dies gesehen! Sie nannt’ es ein geistliches Bad, einen geist- lichen Gesundbrunnen, und wunderte sich nicht, daß so viele Seelenkranke, so viele Pil- grimme dahin wallfahrten! Mein Vater, der hiebey indessen seinen Ritterlichen Gesinnun- gen ihren Lauf lies, hatte so wenig wider die- se Reise etwas einzuwenden, daß meine Mut- ter wegen seiner Reisefertigkeit zuweilen fast auf den Gedanken gefallen waͤre, ob nicht im heiligen Lande sein Vaterland sey, wenn die langen Manschetten ihr nicht im Wege ge- standen. Vater und Mutter reiseten also die Woche ein bis zweymal aus heilige Grab, und legten sich, so oft sie sich auf diesen Weg machten, machten, so pilgermuͤde, so gottselig nieder, daß ich wetten wollte, kein frommer Grabes- wanderer hat eine beßere Nacht gehabt, als sie. Des Morgens waren sie zwar immer in — ohne daß sie einen Tuͤrken gesehen; was thut aber der Tuͤrke zur Sache? — Wie ich mich verirre, ohne daß ich diese Reise nach dem gelobten Lande mitmache! Da bin ich wieder bey den vier lezten Din- gen! — Wer meiner Mutter einen Liebesdienst er- weisen wollte, mußte von diesen vier lezten Dingen mit ihr sprechen. Wenn es auf sie angekommen waͤre, haͤtte sie noch gern wenig- stens ein leztes Ding daruͤber gewuͤnscht, um noch mehr druͤber reden zu koͤnnen, wenn nicht die fuͤnf , eine herzbrechende Zahl, drauf gefol- get. Mein Vater sagte ihr, von den vier Theilen Europens, von den vier Weltgegen- den, von den vier Jahreszeiten, von den vier Altern des Menschen, von den vier Tempera- menten und vier Elementen, laͤßt sich leichter reden, als von den vier lezten Dingen; allein meine Mutter lies sich nicht abwendig machen. Die vierte Zahl war ihr Liebling worden. Es hat zwar, sagte sie, kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤret, und ist in keines Menschen D 5 Herz Herz kommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; wenn es aber gleich schwer ist, von einer Sache zu sprechen, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤrt, und die in keines Menschen Herz kommen; so haben wir doch Mosen und die Propheten, und im neuen Te- stament die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus, wo man, des Tertullianus und des Theophylaktus unerachtet, mehr von den Hauptlezten Dingen hoͤrt, als uns Ver- nunft und alle fuͤnf Sinne zu lehren im Stan- de sind. Die Meynung der Psychopannychi- ten, als ob die Seelen noch in der Welt her- um wanken, und andere dergleichen Meynun- gen, wie abgeschnitten! Luc. 16. stand der Text meiner Mutter, der keinen Commandan- tenposten, sondern ein hervorstehendes Zeichen hatte; und sollt’ er nicht? — Eine Cocarde am Hut, sagte ein Einfaͤllist, ein neumodi- scher Candidat, den meine Mutter auf diese Zeichen aufmerksam machen wollte; allein dieses Buͤrschgen ward gerupft, obgleich er noch mit seiner theologischen Scherpe und Ringkragen, so wie er eben geprediget, oder auf der Wache gewesen war, da stand. Un- moͤglich haͤtt er uͤbler wegkommen koͤnnen, wenn er einer der fuͤnf Gemuͤths oder Ge- bluͤts bluͤts Bruͤder des reichen Mannes gewesen waͤre! Der Tod ist Prosa, sagte mein Mutter, der Himmel Poesie. Darf ich weiter in den Text? — Kuͤrzen heißt nicht veruntreuen. Ich will mit Fleiß bey der Extrapost bleiben, damit Niemand meiner Mutter den Vorwurf mache: sie haͤtte ins Gelach hineingeredet. Meine Leser kennen sie noch nicht in der To- deslaune, die auch prosaisch war, wie der Tod. Ueber Luc. 16. Es kommt, fieng sie zu ihren Corinthern an, alles von Gott, Gluͤck und Ungluͤck, Le- ben und Tod, wie Syrach im eilften Capitel und dessen vierzehnten Vers schreibt. Abra- ham war ein reicher Mann. Er wuͤrde ge- wis mit keinem curschen von Adel getauscht haben, und der Koͤnig Salomo, dem der Reichthum im Postscript zufiel, wie reich war er nicht! Was ist vom ehrbaren Rathsher- ren Joseph von Arimathia zu sagen, der, so reich er war, doch auf das Reich Gottes war- tete, und der vornehmste Todtengraͤber gewe- sen, der je gelebt hat! Wie leicht faͤllt aber beym Reichen die Frage vor: Wer ist der Herr? Wer laͤßt sich durch Gottes Guͤte zur Buße leiten? Wer sagt nicht zu seinem Pal- last last wie Nebucadnezar: dies ist die grosse Ba- bel, die ich erbauet habe, zum Koͤniglichen Hause, zu Ehren meiner Herrlichkeit; und bey Gelegenheit seiner vollen Scheuren: du hast nun einen guten Vorrath auf viele Jah- re, liebe Seele, habe nun Ruhe, iß, trink’ und habe guten Mut. — Wie leicht kleidet man sich in Purpur und koͤstlichen Leinwand. Des dreygliedrigen Candidaten — Man- schetten koͤnnten unter uns kleiner und fei- ner seyn. Was wird seyn, du Prasser, du Vielfraß, du Saufaus, was wird seyn, daß du alle Tage herrlich und in Freuden gelebt hast? O ihr, die ihr euch weit vom lezten Tage ach- tet, die ihr auf elfenbeinern Lagern schlaft, und Ueberfluß treibet mit euren Betten, die ihr die Laͤmmer aus der Heerde eßet, und die gemaͤsteten Kaͤlber, die ihr Wein aus den — Schaalen trinket und salbet euch mit Balsam, und bekuͤmmert euch nichts um den Schaden Josephs, was ists, was ihr gelebt habt? Wir wollen uns mit dem besten Wein und Salben fuͤllen, laßet uns die Mayen- blumen nicht versaͤumen! Weisheit im zwey- ten Capitel, der sechste und siebente Vers. Eur Morgensegen, Eur: das Walt , ist: Wohl her! her! lasset uns wohl leben, weil es da ist, und unsers Leibes brauchen, weil er jung ist! Eur Benedicite, Eur: Aller Augen : kommt her, laßt uns Wein hohlen und voll saufen, und soll morgen seyn, wie heute, und noch viel mehr. Wehe! wehe! Es wird nicht lange so seyn, der Reiche starb und ward begraben, und als er nun in der Hoͤlle und in der Quaal war, hob er seine Augen auf und sahe Abra- ham von ferne, und Lazarum in seinem Schoos — die Engel waren seine Seelentraͤ- ger! Seiner Seele war es nicht anzusehen, daß der Leib voll Schwaͤren, und daß die Hunde seine Wundaͤrzte gewesen. Gerades Weges, ohne allen Umweg, kam er an seinen Ort, so wie der reiche Mann an den Seini- gen! Was der Tod nicht machen kann! Welche Kluft ist zwischen beyden befestiget! Lange war der dißeitige Wall so gros nicht. — Die Sterbens-Geschichte meiner Mutter selbst. Das Ableben meines Vaters war Oehl fuͤr diese Lampe, die fuͤr die Ewigkeit brannte. Auch der Tod des Herrn v. G —, lieferte ei- nen Oehlbeytrag. Dieser starb ploͤzlich in unsrer Kirche und kann ich, wenn es verlangt wird, wird, noch Red und Antwort von seinem Hin- tritt ertheilen! — Der Hochgebohrne Todten- graͤber hat so viel Leichenbegaͤngnis in diese Lebenslaͤufe gebracht, daß ich fast vermuthe, mancher Kunstrichter werde sich auch eine Spruchstelle merken, und ihr kein Comman- dantenzeichen beylegen. Laßt die Todten die Todten begraben ! — Kann seyn, hab ich aber nicht Minens Tod zu feyren? — Nach meines Vaters Tode lagen meiner Mutter ein großer Theil Amtsgeschaͤfte auf, womit sie den benachbarten Herrn Confrater nicht beschweren wollte, welcher sich sonst der heiligen Nothdurft der verwayseten Gemeine annahm. Oeffentlicher Amtsverrichtungen konnte sie sich freylich nicht unterziehen; weil die Weiber, wie sie sich von selbst beschied, schweigen muͤßen in der Gemeine; dagegen war sie, wo ein Christ nur irgend ein geistli- cher Priester seyn kann, dieser Priester mit Leib und Seele. Sie setzte den Unterricht mit den Catechumenen fort, sie zeichnete die Beicht- kinder an, ermahnte und troͤstete sie, nachdem es der Seelenzustand wollte. Die vier lezten Dinge wußten die Kinder, wie das Vater un- ser. Vorzuͤglich besuchte meine Mutter die Kranken. Ehre den Arzt, sagte sie, da mein Vater Vater kein Wort auf ihr bestaͤndiges: der Brief gab, sondern wider die Aerzte decla- mirte; in Wahrheit, sie ehrte die Aerzte, es sind Leibessorger, pflegte sie zu sagen. Ob- gleich sie den Arzt, und unter ihnen, den D. Saft ehrte; spendete sie dennoch, wenn es die Gelegenheit gab, Hausmittel aus, denen sie indeßen wider die Meynung meines Va- ters bey weitem nicht so viel, als einem saft- schen Recept zutraute. Sie war sehr fuͤr al- les Geschriebene, und stand jedem saftschen schwarz auf weiß den Rang zu. Die Seelen- cur gieng bey ihr uͤber alles. Heyrathen rechnete sie in gewißer Hinsicht auch zu See- lenmitteln. In allen Seelenkuren war sie so gluͤcklich, daß das ganze Kirchspiel zu ihr ein so unumschraͤnktes Zutrauen hatte, daß die Gemeine (den Adel nehm’ ich aus, der zum Theil’ sein Gespoͤtte mit ihr trieb) sie sehr gern in die Stelle ihres Mannes zum Predigtamt berufen haͤtte, wenn nicht das Geschlecht ihr entgegen gewesen waͤre. Selbst von der Noth- taufe hatte sie ihre besondere Meinungen, wo- bey die Herren Diaconi, Pastores, Praͤpositi und Superintendenten, gewis nicht den Kuͤr- zern zogen. — Was Was jene weise Frau zum Feldhauptmann Joab sagte, da er Abel bestuͤrmte: Vor Zei- ten sprach man: wer fragen will, der frage zu Abel, und so giengs wohl aus , das galt von meiner Mutter und ihrem Ra- the, den sie keinem entzog, der ihn begehrte. Das Pastorat blieb wie gewoͤhnlich lange er- ledigt, und meine Mutter hatte also Gelegen- heit, ihre Gaben in mancherley Art unter die Kirchspielsleute zu bringen. Da zersprang ein Felsenherz, welches vieljaͤhrige Bosheit gehaͤrtet hatte; da taute der Frost, wie vom Maͤrzschein auf, wenn sie ermahnte, wenn sie lehrte. Zwar hatt’ ein benachbarter von Adel sich uͤber sie gar lustig ausgelaßen, daß sie ihm wie ein fluͤgellahmer Storch vorkaͤme, der den Winter zuruͤckgeblieben; allein dies war ihr kein Stein des Anstoßes, kein Fels der Aergernis. Rache war nie ihre Sache, wie sie sagte. Man fand das kunstlose Al- terthum, wenn man sie sahe. Ihre sehr treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie war keine Blendlaterne, die von allen Seiten zugezogen ist, sondern eine glaͤserne Lampe, die uͤberall Licht zeigt, wo man sieht. — Eine Fackel war sie nicht, und wollt’ es auch nicht seyn. Ein Dorfmaͤdchen, das eine Haupt- dichterin dichterin der Gegend war, sagte, daß ihre Worte die Herzen, wie die Morgensonne die Blumen, oͤfnete, daß sie da stuͤnden, wie die Blumenkelche. — Seht, so hat die Natur selbst ihre Kunst. Es ist ein sehr bekanntes Spruͤchwort: wie die Natur spielt! Einst traͤumte meiner Mutter, daß Min- chen sie auf ein himmlisches Vocal-Concert einladen lies, bey welchem mein Vater, der wahrlich dißeitig auch selbst nach dem Bran- de nicht sehr musikalisch war, und nur den zweyten Diskant versucht hatte, eine Haupt- stimme uͤbernehmen wuͤrde. Ehe sie antwor- ten konnte, war das Gesicht verschwunden. Diese Einladung blieb sehr lebhaft in ihrer Seele. Des Tages auf diesen Traum gieng meine Mutter, die Seelenbesorgerin! zu einer Kranken (es war die Mutter des armen klei- nen Jungen, der seinen Milchtopf zerbrochen hatte, und dem Minchen aus der Noth half, indem sie behauptete, daß sie schnell zugegan- gen, und da waͤre der Topf hin gewesen) Sie hatte eine hitzige Krankheit; ein laͤndlicher Universalnamen aller Krankheiten. O meine Lehrerin, schrie ihr die hitzig kranke zu, ich bin diese Nacht zu Gaste bey Minchen gebe- ten, auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abra- E ham, ham, Isaac und Jakob zu Tische sitzen wer- de. Gewis werd’ ich auch meinen Sieben- jaͤhrigen finden, der den Milchtopf zerbrach. Der liebe wird himmlisch gros geworden und schoͤn ausgewachsen seyn! Meynen sie nicht, liebe Frau Pastorin? Meine Mutter hatte die Einladung auf Manna so getroffen, daß sie nicht antworten konnte. Nach ihrer Er- hohlung entdeckte sie der Kranken ihre Einla- dung auf Gesang — ich habe aber nicht zuge- sagt, sagte meine Mutter, und warum, die Kranke? weil das Gesicht die Antwort nicht abwartete. Gut, fuhr die Kranke fort; so werd ich die Antwort mitnehmen. Amen! sagte meine Mutter, um ein himmlisches Wort zu gebrauchen. Halleluja! die Kranke, und nun ward eine Todesstille, als ob beyde sich zu dieser Einladung vorbereiteten. Nach ei- ner Weile kamen sie wieder, wo sie stehen ge- blieben, und die Kranke konnte sich nicht drein finden, daß meine Mutter auf Gesang, sie aber auf Manna geladen sey, wobey meine Mutter ihr ins Geleise half. Seht nur, gute Nachbarin! da kann ja waͤhrend dem Singen, sagte sie, auf Blaͤttern vom Baum des Er- kenntnißes Gutes und Boͤses, und vom Baum des Lebens, Manna herumgetragen werden. Wenn Wenn die Blaͤtter gros sind, sagte die Kran- ke — Messer und Gabel und Teller, fuhr die Kranke fort — Weg damit, versetzte meine Mutter. In der Auferstehung werden sie weder freyen, noch sich freyen lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Him- mel. Die Kranke reichte meiner Mutter die Hand, und mit ihr den Tod. Mit einem Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie wußt’ es, daß er eingetreten war und gieng heim. Die Nachbarin starb in wenigen Stun- den, um bey Minen Gesang und Manna nicht zu versaͤumen. Meine Mutter ward krank, ohne daß sie und D. Saft wußten, was ihr fehle. Sie starb an der Einbildung, wenn ich mich nicht irre, an der mehr Leute sterben, als man glauben sollte. Daß viele daran krank sind, ist eine ohnedem bekannte Sache. Sie hatte, wie der Graf — in Preußen, das himmlische Heimweh, nur mit dem Unter- schiede, daß es beym Grafen eine lange zeh- rende, bey meiner Mutter eine hitzige Krank- heit war. Ein Lied war ein Springwasser, das ihr zuweilen Kuͤhlung bot, und mit wel- cher Inbrunst sang sie! Ihr Trost war ohne allen Aufwand — Sie sah nicht in die Son- ne. Der Mond war ihr Planet, der Planet E 2 eines eines Planeten. Wer kann in die Sonne se- hen! sagte sie. Der Mond hat so was mensch- liches. Laß sie, die Hochweisen Herren, nur immerhin behaupten, fuhr sie fort, den Baum des Erkenntnisses gutes und boͤses schon in dieser Welt gefunden zu haben; es ist wahr- lich eine Schlange, die sie verleitete. Die Regeln koͤnnen zwar schlechte Dichter vom Parnaß, oder beßer vom Sinai, zuruͤck hal- ten, haben sie aber je einen gemacht? Die Weisheit dieser Welt, was ist sie beym Licht der reinen Wahrheit? Werdet wie die Kin- der. Wenn andere lehren: ziehet die Kinder- schue aus, lehrt uns wahre Weisheit: ziehet sie an — und noch bis jezt, fuhr meine Mut- ter fort, hab’ ich mich beym lieben Mond und bey den Kinderschuen wohl befunden. Was sie uͤber ihr Herz bringen konnte, das konnte sie auch mit der Vernunft raͤumen. Das Herz spielt auch wuͤrklich weniger Streiche, als die Vernunft. Die Vernunft ist eine Ge- meinuhr, jeder schiebt ihren Zeiger; das Herz trag ich bey mir. Je weniger der Mensch der Vernunft und dem Schicksal Bloͤßen uͤber sich giebt; je unuͤberwindlicher, je staͤrker ist er. Wenn ich schwach bin, bin ich stark, konnte meine Mutter sagen. Ihr Portrait war war weibliche Schwachheit, im Arm maͤnn- licher Staͤrke. Vater und Sohn koͤnnen an einem Tage taufen lassen. Ein Pomeranzen- baum hat Bluͤthe und Fruͤchte. In Betref ihrer Krankheit; so verstellte sie nicht ihre Geberde. Schon bey meines Vaters Leben hatte sie eine alte Priesterwitt- we, anstatt einer Diakonin zu sich genom- men, und von ihr hab ich empfangen, was ich meinen Lesern erzaͤhle, und zwar so, als waͤr ich Augenzeuge gewesen. Auf meine Suͤnde wider Mine steht Gewissensbiß in der vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft zu sagen, die lezte aber, setzte sie hinzu, wird heiter seyn. Es nagte und plagte sie noch heftig, wenn gleich sie bis auf die vorletzte Stunde uͤberwunden zu haben glaubte. Sie sagte in einer schweren Stunde der Anfech- tung, in Ruͤcksicht der schon erkaͤmpften und sie jetzt wieder fliehenden Ruhe auf eine schreck- liche Weise: wie gewonnen so zerronnen; in- dessen wurden ihre Haͤnde bald, bald, wieder gestaͤrkt, die strauchelnden Knie erquickt und der zerbrochene Rohrstab geleimt — ihre blut- rothe Schuld war dann wieder Schneeweiß. Geschieht das am gruͤnen Holz, geschieht das an Minen, die auch noch vor ihrem Ende E 3 man- manchen Gewissensknoten zu loͤsen hatte, ehe sie uͤberwand; geschieht das an meiner Mutter, die Gewissensaͤngste ergriffen; was will am Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie- derhohlen? Wer es lieset, der merke drauf! — Die Krankheit meiner Mutter behinderte sie, ausserhalb ihrem Hause Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam seit dem Handschla- ge nicht mehr aus dem Pastorat; indessen ließ sie ihre geistliche Priesterhaͤnde nicht voͤllig sin- ken. Freylich musten sie zuweilen gestuͤtzt werden, wie jenes Priesters, wenn er das Volk segnen sollte; indessen ward sie nicht laß zu strafen, zu lehren und zu troͤsten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das sich nicht finden konnte, suchte Rath, im Geistlichen und im Leiblichen. Eine Besondernheit, noch denkwuͤrdiger, als die schweren Worte, womit sie sich bela- stete! Sie hatte das Gluͤck, daß sie einige verborgene Dinge, als z. E Diebstaͤle, ans Licht brachte, die wie eine Pest im Verborge- nen schlichen. — Sie sagt’ es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo sie anklopfte, da ward aufgethan. — Ich weiß nicht, schreibt die Prie- sterwittwe, ob die verschiedene denkwuͤrdige Traͤume die Ursache waren, woher sie die ihr ver- verliehene Gabe der Prophezeihung inne ward? Nur das weiß ich, daß sie viel Auf- sehn gemacht haben wuͤrde, wenn sie diese Be- geisterung eher verspuͤrt haͤtte. Sie sagte der Frau v. —, sie wuͤrde einen Sohn zur Welt bringen, und doch gieng die Frau v. — nur im fuͤnften Monat. Sie wußte wer Pastor werden wuͤrde, und sagte diesem und jenem Dinge, woruͤber dieser und jener erstaunte. Selbst von den fetten und magern Kuͤhen der kuͤnftigen Jahre ließ sie Worte fallen, die man- chen Kornjuden haͤtten bereichern koͤnnen, wenn dergleichen ihren Worten getraut. Wenn sie sich eine Wuͤnschelruthe gebrochen, wuͤrde sie alles Metall in ganz Curland und Semgallen auspunktirt haben. — Zuweilen kam ich auf den Gedanken, daß es ein Erb- stuͤck von ihrer seligen Mutter gewesen. Eine Blitzfrau! Die verknuͤpftesten Raͤthsel, die intricatesten franzoͤsischen Schloͤsser, ohne Die- trich gleich offen. — Sie haͤtte einem Super- intendenten was zu rathen aufgeben koͤnnen, von Rahelsgesichtsfarbe, zum Beyspiel, und von der Seifkugel des Pontius Pilatus. Unten noch ein Raͤthsel, das ich loͤsen zu koͤnnen wuͤnschen wuͤrde. Hier noch die An- merkung, daß der Candidat mit den langen E 4 Man- Manschetten meines Vaters Platz erhalten — ich glaube meine Leser haben, unerachtet des dreygliedrigen Segens, und der langen Manschetten, die eherhin nicht von koͤstlicher Leinwand waren, nichts dagegen. Nicht eins aus dem Kirchspiele konnte sich behelfen, ohne von meiner Mutter Abschied zu nehmen, und keines gieng von ihr ohne Andachtsroͤthe (wie die Priesterwittwe sich ausdruͤckt) auf den Wangen. Man brachte die Kinder zu ihr, damit sie sie einsegnen moͤch- te, und gesegnete Weiber befragten sie, obs ein Sohn oder Tochter waͤre? Ueber mich, sagte sie, wollte sie nicht den prophetischen Zuͤgel schiessen lassen, so gern ich eine Probe ihrer Kunst aus der ersten Hand gehabt haͤtte. — — Ausser der Lehre von den vier letzten Din- gen, war sie jetzt uͤber die Lehre von den En- geln unerschoͤpflich worden. Der Spruch, erste Corinther im eilften Capitel der zehnte Vers: Das Weib soll eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen, war ein Text, woruͤber sie sich ausließ, wiewohl ohne ihn zu zeichnen. Sie zeichnete uͤberhaupt jetzt keine Spruchstellen mehr. Da sie indessen, auch selbst als Prophetin, orthodox blieb, und die Kinder, so man zu ihr brachte, nur zwey- gliedrig gliedrig segnete; so blieb es bey der gewoͤhnli- chen Erklaͤrung, nach welcher Haube das Gegentheil von Hut anzeiget. Dieser deutet Freiheit an, jene Unterwerfung unter den Willen des Mannes, und sollen also die Wei- ber Schleyerhauben tragen, um die Engel durch Gelegenheiten zur Untreue nicht zu be- truͤben. Die gute Predigerwittwe fand diese Erklaͤrung so uͤberschwenglich, daß ich ihr zum Andenken sie hier einruͤcke! Wie mag diese Spruchstelle doch ihr Ehegatte seliger erklaͤret haben? Vermuthlich legte er sie durch heidni- sche Aufpasser in den Versammlungen der Christen aus. Die Engel sind die treusten Geschoͤpfe, die Gott geschaffen hat, sie sind rein und selig — — Die Auslegung, daß die Weiber darum Hauben zu tragen angewiesen worden, damit sie die Engel nicht ansehen moͤchten, um sie zu begehren, war meiner Mutter ein Stein des Anstosses. — — Sie uͤberlegte alles mit ih- rem Schutzengel, und war so sehr der Mey- nung, daß jedem Menschen ein Gefehrter zu- geordnet waͤre, der ihn in der Jugend und im Alter begleite, daß sie nichts davon abwenden konnte. In den Jahren, sagte sie, wenn der Mensch im eigentlichen Sinn Mensch ist, wie E 5 selten selten ist er da eines Engels werth? Die En- gel sind nicht unsere Diener, wiewohl etliche des Dafuͤrhaltens gewesen, sondern unsere Vormuͤnder, unsere Curatores. Wie muß es sie verdrießen, daß eine Gestalt, die der erste Adam und der zweyte Adam getragen, so ver- nachlaͤßiget wird! Aus der goͤttlichen Uniform, o! was ist aus ihr worden! Die Engel lernen von uns die Auswickelung eines Geistes, den Einfluß des Geistes in den Koͤrper, und dieses in jenen! Sie sehen, was es mit einem sublu- narischen Koͤrper fuͤr eine Bewandtniß habe, und wie er einem Geiste stehet. Sie sehen die Ungemaͤchlichkeiten, die ein Eigenthum vor einer Miethe, ein eigenes Haus vor einem ge- heurten habe. — O was ist vom Menschen zu lernen! Vielleicht ist in ihm aus jedem Haupt- Weltstuͤck etwas! — Er ist die Welt im Regi- ster! Man kann sie bey ihm nachschlagen — und wenn er stirbt! welcher neue Unterricht! Die Trennung, das Ueberbleibsel ausser der Seele, das Hemde vom Menschen, von koͤst- licher Leinwand. — Wir sind also, ihrer Vor- mundschaft unbeschadet, ihre Lehrer! Hier sind wir Engel und Menschen in einer Person! Wer sagt, daß wir sterben, druͤckt sich unei- gentlich aus. Wir sind unsterblich — Kind- Kindlich große Mutter! du schlecht und rechtes Weib! selig bist du, selig, dreymahl selig ist dein Kind, das Christus unter seine Juͤnger zum Muster stellte. Jesus rief ein Kind, und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch, es sey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so wer- det ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun selbst erniedriget, wie dies Kind, der ist der groͤßte im Himmelreich! Selig ist, der ein Kind wird, um dieses Kinderfreundes willen! Gern haͤtt’ ich meinen Lesern ein Engelge- spraͤch meiner Mutter mitgetheilt, welches wir andere Leute ein Selbstgespraͤch zu nen- nen gewohnt sind, das auf dem Theater ein Staatsfehler ist — indessen besprach sie sich mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unsere Seele kennen wir nicht, und wollen die Engel- natur begruͤnden? sagte ein Schriftgelehrter in der Gegend. Wir wissen in unserm eignen Hause nicht, wer Koch und Kellner ist, und wollen alle Einwohner jener Sterne zu Ge- vattern bitten? Allein meine Mutter wider- legte ihn nicht. Oft brach sie, schreibt die Pastorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß, das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu ver- stehen, stehen, daß sie mit ihrem Schutzgeiste bekannt zu werden Gelegenheit gehabt. Sonst wuͤßt ich auch nicht, wo sie alles her haͤtte von den sieben fetten und sieben magern Kuͤhen kuͤnf- tiger Jahre? Ob Soͤhnchen oder Toͤchterchen? und wer Pastor werden wuͤrde? — Es war in der Gegend eine Frau v — B — von sehr bekannter Einsicht. Sie hatte nie Kinder gehabt. Man sagt, viele Kinder schwaͤchen die Weiber an Leib und Seele, und wenn man manche alte Jungfer daruͤber zu Rathe zieht, sie sey Durchlauchten, Hochge- bohrnen, Hochwohlgebohrnen, oder buͤrger- lichen Standes, findet man zu dieser Anmer- kung Bestaͤtigung. — Ihre Neider behaupte- ten, sie waͤre keine Frau, sondern ein Mann; obgleich ihr verstorbener Gemahl nie daruͤber Klage gefuͤhret. Diese Frau war eine Juͤn- gerin vom seligen Herrn v. G —, ohne daß er es dazu anlegte. Sie hatte wider manches Scrupel, und trat dem Herrn v. G — in al- len seinen Meynungen bey, ohne zu beden- ken, ob ihre Scrupel dadurch gehoben waͤren, oder nicht? Nach der Zeit fieng sie selbst an, aus Buͤchern zu schoͤpfen. Das sind nie Quel- len fuͤr Weiber! Bey ihnen kommt aller Glau- be durch die Predigt, und siehe da! Sie hatte von von der Existenz der Seele nach dem Tode sol- che Hirngespinste zur Welt gebracht, daß es ihr besser gewesen waͤre, wenn sie Kinder ge- habt haͤtte, wenn sie ihr gleich nicht gerathen waͤren. Hirngespinste sind oft schaͤdlicher, als ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß sie kei- nem diese Meynungen mittheilte, sondern al- les mit sich selbst berichtigte. Sie hatte eine grobe Stimme, sonst aber war sie fein; aus- genommen Nase und Augen, die ungewoͤhn- lich groß waren — und doch war etwas Fraͤu- liches in beyden Stuͤcken. Daß sie nicht zu unserm Kirchspiel gehoͤrte, muß ich noch be- merken. Der Prediger, der ihr angewiesener Seelenhirte war, schien keine Seelenweide zu verstehen, am wenigsten die Gabe zu haben, Scrupel zu heben, und alles wieder auf gut Weideland zu treiben. Diese Fr. v — hatte fuͤr meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er durch das zehnjaͤhrige Interregnum von der fuͤr ihn gefaßten guten Meynung viel verlohr. Wo sie nur von einem Zeichen hoͤrte, erschien sie, und immer im Amazonenhabit. Sie war eine gebohrne Amazonin. An Schwedenborg, den Geisterseher, hat sie oͤfters Briefe erlaßen, auch an einige — — Jezt hoͤrte sie vom be- nachbarten Phoenomen. Liebe Frau Pa- storin! storin! ich komme zu sehen, wie sie sich befinden, — beßer als je! Das hoͤr ich! und nun alles einsylbig: Je nun, mag, nun denn! Ach! Sieh doch! und dergleichen. Die Frau v — hatte meine Mutter fuͤr eine einfaͤltige gute Frau gehalten. Sie war we- gen ihres Singens weit und breit bekannt. Die Frau v — sang gar nicht. Sie war fuͤr keine Musik. Meine Mutter kannte die Frau v — wegen ihrer Heterodoxie, und merkte so- gleich, daß es auf ein Zeichen wuͤrde angese- hen seyn. Sie fertigte sie indeßen so kurz und gut, als Vater Abraham den reichen Mann, ab, da er seiner fuͤnf Bruͤder halber eine Erscheinung begehrte. Hoͤren sie Mo- sen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn Jemand von den Todten auferstuͤnde. Mit der Nachricht, wer Pastor werden wuͤrde, war der Frau v — am wenigsten gedient, und da sie aus zwey bekannten Dingen, ein drittes unbekanntes herauszubringen gar wohl ver- stand, nicht minder gar wohl wußte, daß das Gluͤck allem Außerordentlichen zur Seite gien- ge; so ward sie so wenig uͤberzeugt, als die Pharisaͤer und Sadducaͤer und Schriftgelehr- ten. Meine Mutter hatte indeßen etwas im Gesicht, Gesicht, was der Frau v — auffiel. Die Fe- stigkeit, mit der meine Mutter alles behan- delte, machte die Frau v — auch ohne erhal- tenes Zeichen aufmerksam. — Sie nahm die Aßignation auf Mosen und die Propheten an, und bat sich die Erlaubnis aus, kuͤnftigen Sonntag wieder zu kommen. Wenn man den Loͤwen vorgeworfen werden soll, stirbt der groͤ- ßer, und ist mehr als Maͤrtyrer, der sich ih- nen gelassen anbietet, als der sie reitzt. — Die Frau v — zog ihre Strasse, und da sie wohl einsahe, daß meine Mutter nicht lange mehr hier wallen wuͤrde, entschloß sie sich et- was auszufuͤhren, wofuͤr sie bis dahin zuruͤck- gebebet. — Sie kam. Noch ein klein Gelaͤute zuvor, wegen des Sonntags. Seit der Zeit, daß meine Mutter eine Prophetin worden, war sie des Sonntags mehr, als sonst, in die- sem Prophetenelement; obgleich sie sonst so sehr fuͤr den Sonnabend war. Sie kam, hab ich schon gesagt. Beyde sahen es sich an, daß sie heute ausserordentlich waͤren. Es war bey beyden Sonntag — ich will die Pastor- wittwe sich selbst uͤberlassen. — Ich wuͤnschte wohl mit ihnen ganz allein zu seyn, fieng die Frau v — an. „Kann nicht seyn„ antwortete meine Mutter. Gott ist bey uns, uns, und meinen Schutzengel kann ich nicht gehen heissen. — Bleib, Lieber! Dieses kurze: Bleib, Lieber! zu etwas, das die Frau v — nicht sahe, wuͤrde sie sonst zum Lachen gebracht haben; jetzt wandelte sie kein Lachen an. Auch diese meine Collegin, fuhr die Se- lige fort, darf nicht von mir. Sie hat mein Herz, und weiß meine ganze Sterbensge- schichte. Nach einigen Erhohlungsaugenblik- ken versicherte die Frau v —, daß sie eine Bitte an die Selige haͤtte, die sie wohl uͤber- dacht. — Im Namen Gottes, erwiederte die Selige. Ich glaube, fuhr die Frau v — fort, an Gott den Vater, allmaͤchtigen Schoͤ- pfer Himmels und der Erden, und ehre in tiefster Demuth alle die Wege, die er mit den armen Menschen, seinen Geschoͤpfen, einge- schlagen, um sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu bringen — ich glaube — doch unterbrach sie sich selbst, sie wissen was ich glaube. Ich weiß, sagte die Selige mit aller Ueberzeugung, und legte eben hiedurch ein Zeichen von ihrer Uebernatur ab: denn mir kam es vor, daß die Frau v — selbst nicht recht wußte, was sie glaubte. Gern, ich leugne es nicht, haͤtte ich sie den zweyten und dritten Artikel des christli- chen Glaubens beten gehoͤrt. — So beschwoͤr ich ich denn, rief die Frau v — b — mit einer Mark- und Beinstimme, so beschwoͤr ich dei- nen Geist bey dem ewigen Anschauen Gottes, und bey allen Hofnungen der Seligkeit, daß, wenn es zur Ehre des Geistes der Geister und mit Bewilligung deines Gleitengels seyn kann, der hier ist, ohne daß ich ihn sehe, daß du mir drey Tage nach deiner Aufloͤsung erscheinest — ich werde in meinem Hause rechter Hand im weissen Cabinet deiner warten. Alle gute Geister loben Gott den Herrn! — Die Selige antwortete auf so viel Kreutzblitze mit einer Gelassenheit, die man nicht beschreiben kann. Eure Rede sey: Ja, ja, nein, nein, was druͤ- ber ist, ist vom Uebel! Laßt mich! — Sie winkte uns abe! — ich „(das heißt die alte Pastor- wittwe) zitterte von dannen: denn ich fuͤhlte, daß ein unsichtbares Geschoͤpf in der Naͤhe sey, das mit der Seligen conferiren wollte; die Wahrheit zu sagen, ich hoͤrte ein Rauschen, als eines sanften Windes, als einer atlaße- nen Schleppe. Die Frau v — gieng mit der ehrfurchtsvollsten Gebehrde von dannen! Sa- muel konnte nicht ehrfurchtsvoller sagen: rede Herr, dein Knecht hoͤret! Wir kamen ins blaue Stuͤbchen, das ich tausendmahl gesehen, und jetzt war wir so, als ob ich es zum erstenmahl F saͤhe. saͤhe. Es kam mir vor, als saͤh’ ich uͤberall Kreutzer! Mich umgesehen haͤtt ich nicht um tausende. Die Frau v — sah mich mit ihren grossen Augen starr an! — und eigentlich be- merkt ich, wie sie eine Todesangst faßte. Die Aengsten hoben sie; was schweben heißt, konn- te man an ihr sehen. Dies nahm zusehends zu; auch sie konnte sich nicht mehr umsehen. Wie es zugieng, weiß ich nicht; allein ein ploͤtz- licher Sturm riß die Fensterladen von ihren Eisen; alles bebte im Zimmer. Alles, was einen Klang im Zimmer hatte, gab einen Laut. Schrecklich — Weh! war es nicht; allein nicht viel auseinander. — Die Haͤhne kraͤheten auf eine Art, als wenn eins verrathen und ver- kauft werden sollte! — Im Sturm waren Worte zu hoͤren. — Wer konnte sie verneh- men? Die hochgelahrte Frau v — b — rang die Haͤnde, und konnte sich auf den Knien nicht halten! Was! wie ist mir? — Da- mals, und auch nach der Zeit, glaubte die zeichenbegierige Frau v —, daß die Unterre- dung der Prophetin mit ihrem Schutzgeist auf den Geist der Frau v. gewuͤrkt haͤtte. Etwas gieng in Wahrheit vor, was es aber war, mag Gott wissen, und der Prophetin Schutz- geist. Die Prophetin klingelte! So was von Klin- Klingeln hab ich nie gehoͤrt. Die hochgelahr- te Frau v — b — hatte so wenig Herz herein zu gehen, daß sie mich bat, ich moͤchte hoͤren, was sie wollte; und da ich vorgieng, hielt sie mich zuruͤck, weil sie nicht bleiben, nicht gehen wollte. Da eben giengen die Glocken unserer Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach- ließ, brachte sie uns so nahe, daß sie uns recht ins Ohr schrien: Bedenke, Mensch, das Ende! Es war eben ein bluͤhendes junges Maͤdchen, die nur seit drey Tagen krank ge- wesen, verschieden. Gott habe sie selig! Die Frau v — b — that, ehe wir noch zu der Se- ligen giengen, eben so feyerlich, als ihre Be- schwoͤrung war, Verzicht auf die Erscheinung der Prophetin, als eines von den Todten, und da wir voll von diesem Verzicht zur Seligen kamen; so hab ich nie erfahren, wie die Con- ferenz abgelaufen, und wie sie sich mit dem Schutzgeist berathen? Gern wuͤßt’ ich es jetzo. Zu der Zeit haͤtt’ ich es nicht tragen koͤnnen. Das bin ich uͤberzeugt, haͤtte sie versprochen, sie waͤre gewiß gekommen, und wenn sie vom lieben Gott selbst Urlaub bitten sollen! — Es waͤre ja ohnedem nicht auf lange gewesen! Rechter Hand ins weisse Cabinet. Jam- mer und Schade! — F 2 Die Die Prophetin entdeckte uns bey so be- wandten Sachen nichts von ihrer Conferenz, und so blieb auch die Frage: ob es angeht, daß man erscheinen koͤnne? unentschieden. Nach einigen das Ableben der Dirne treffenden Umstaͤnden, erzaͤhlte die Prophetin uns eine zur Stiftung des Cartheuserordens gehoͤrige Geschichte, (die sie besser wissen wer- den, als ich). Es war ein von der ganzen Welt fromm geglaubter Mann; dieser starb, und sollte begraben werden. Ohnfehlbar hat- te man uͤber seinen ruͤhmlich gefuͤhrten Lebens- wandel und sein seliges Ende eine Standrede gehalten, und da richtete er sich auf und sagte: (Die Prophetin richtete sich im Bett’ in die Hoͤhe!) Ich bin vor das strenge Gericht Got- tes vorgeladen. Alles gieng der Neuheit der Sache wegen von dannen, wiewohl unbesorgt wegen des Urtels. — Des folgenden Tages, da man das Leichenbegaͤngniß fortsetzen woll- te, richtete sich der fromme Mann wieder auf, und rief: Das Verhoͤr ist vor dem Richter- stuhl geschlossen! — Die Leichenbegleiter und das Volk verliessen diesmahl baͤnger die Lei- che. — Ein Verhoͤr, dachte man; doch viel- leicht um dem frommen Mann desto gruͤndli- cher zu lohnen! — Den dritten Tag, wie be- gierig gierig war alles, den Spruch der Gnade zu hoͤren, das: Ey, du frommer ! allein weh! weh! rief die Prophetin, sie richtete sich so in die Hoͤhe, daß sie mir ungewoͤhnlich groß vor- kam, der fuͤr fromm gehaltene sprach mit ei- nem Tone! mit einem Tone: ich bin ver- dammt ! Die Amazonin fiel in Ohumacht — Ein Weib, auch im Amazonenkleide, ist doch nur ein unausgebackener Mann! — Die Pro- phetin ermunterte sie durch das schoͤne Lied: Du siehest, Mensch, wie fort und fort . Dies Lied half zusehends. — Sie druͤckte mei- ner Mutter die Hand. Nicht eher, als dort, wuͤnsch ich sie zu sehen, rief sie laut, recht als ob sie es dazu anlegte, daß auch die Unsichtba- ren es hoͤren moͤchten — Sie nahm noch aus- ser ihrer Kammerjungfer einen ihrer Bedien- ten in den Wagen, und hat keinen Scrupel mehr, und geht nicht weiter im Amazonen- kleide. — Den dritten Tag nach ihrer heiligen Mutter Hintritt fiel sie in heiler Haut in eine dreystuͤndige Ohnmacht — und erwachte wie- der so, als wenn man ausgeschlafen hat. Sie hat wuͤrklich etwas, man weiß nicht was, er- fahren, wovon sie aber bis in ihren Tod, der kurze Zeit darauf folgte, keine Sylbe entdeckt hat. Ich habe diesem Vorfall eine Pension F 3 von von 50 Reichsthaler Alb. zu danken, die sie mir mit der Bitte legirt hat: diesen Sonn- tag ihr zum Andenken nicht zu vergessen, und das will und werd ich erfuͤllen, bis auch ich wissen werde, wie es in der Geisterwelt stehet? Wie mir vorkommt, werd ich Sonntags ster- ben, am Pensionstage. Frau v — ist sehr sanft gestorben. Ich konnte wegen Selbst- krankheit bey ihrem Ende nicht seyn — Des alten Herrn muß ich bey dieser Gele- genheit auch denken, sowohl meiner Mut- ter, als der Frau v — b — wegen, die nach Geistern ausgieng, und am Ende doch zu den Seligen gehoͤrte, welche nicht sehen und doch glauben. Meine Mutter hatte ihn sogleich, nach- dem sie von Minens Geschichte unterrichtet war, citirt, und, nachdem sie ihm Himmel und Hoͤlle vorgestellet, seinem Herzen die Wahl uͤberlassen — ob Himmel? oder Hoͤlle? — Herr v. E — hatte, um sich aus der Schlinge zu ziehen, den Herrmann voͤllig ver- lassen. Magdalene aber schien, um einen Lit- teratus zu heyrathen, ihn nicht aufgeben zu wollen. Er schien wirklich Minens Andenken und der Zuruͤckerinnerung ihrer Mutter den Gedan- Gedanken dieser Heyrath voͤllig geopfert zu haben. Noth , sagte meine Mutter, haͤlt kein Gebot , wenn ich Ihnen aber Nahrung und Kleider verspreche; so lang ich lebe! versteht sich. Herrmann machte Busse und Glauben durch das gute Werk thaͤtig, Denen zu ent- sagen. — Nach der Zeit troͤstete sie den Herr- mann, darf ich mehr bemerken, um an den Tag zu legen, daß der Tochterlose Herrmann wuͤrklich Reu und Leid uͤber seine Suͤnden ge- tragen! Sie hatte ihm alles aufgedeckt, auch was er an der Curlaͤnderin verschuldet. Er gieng krumm und sehr gebuͤckt; den ganzen Tag war er traurig. — Der Tremulant war sein Hauptzug. Seine groͤßte Strafe, wie meine Mutter bemerkte, war die Furcht vor dem Tode; nicht weil es ihm in der Welt ge- fiel, sondern weil er sich furchte, seinem Wei- be und Tochter unter die Augen zu kommen. So war unser Bekannter voll Angst, seinen Sohn und Charlotten zu sehen. Eines Tages, da meine Mutter ihn in tiefster Schwermuth fand, welches sie zwi- schen eilf und zwoͤlf in der Nacht nannte, nahm sie ihn bey der Hand: getrost, sagte sie! Luther lies sich zu seiner Zeit gegen ei- nen traurigen Organisten so aus: Lieber Ma- F 4 thia, thia, wenn ihr traurig seyd, und es will Ue- berhand nehmen, so sprecht: Auf, ich muß ein Liedlein schlagen auf dem Regal, das Te Deum oder Benedictus. — Gehe hin, thue desgleichen! Herrmann, so betruͤbt er war, konnte nicht umhin anzumerken, daß er nie Organist gewesen, sondern nur ein Post und Praͤludium hier und da gehalten, wenn es vierzehn Tage zuvor bestellet worden, womit es meine Mutter bewenden lies, die um alles in der Welt willen ihm nichts vom kalten Brande gesagt haͤtte. Sie kraͤnkte seine Lit- teratusehre nach Minens Tode nicht weiter. Diese Welt, lieber Herrmann! sagte sie, ist ein Praͤludium; die kuͤnftige das Textlied! — Ja wohl, erwiedert’ er mit einem tiefen Seuf- zer. So lebte Hermann nicht viel anders, als ein Cartheuser, hatte nicht Lust und Liebe mehr, seitdem er den Kinderunterricht aufge- geben, seine Handwerke zu treiben; obgleich er noch vom Schneider die Gewohnheit bey- behalten, auf den Tisch zu klopfen, vom Schu- ster das weite Aushohlen mit den Haͤnden, und vom Toͤpfer das bestaͤndige Wackeln mit dem Fuße. — Die Frau v. — b — hatte außer der Pastorwittwe auch an ihn im Testa- mente gedacht. Sie hatte sich, nach ihrer Wallfart Wallfart zu meiner Mutter, um alle Umstaͤn- de, die Minen und mich betrafen, erkundiget. „Auch Herrmann jaͤhrlich funfzig Thaler Alb„ hieß es in ihrem mildthaͤtigen Testamente. Mir hatte sie ein schwarzes Kleid nebst Kra- gen und Mantel legiret, wenn ich Prediger werden wuͤrde, welches ich, so unbetraͤchtlich der Umstand ist, hier anzumerken nicht er- mangeln kann! — Meine Mutter ward von Tage zu Tage schwaͤcher, der Geist immer noch willig, thaͤ- tig, kraͤftig; das Fleisch schwach. Ihre Ein- bildungskrankheit nahm so zu, daß sie hier schon wie ein Geist aussahe. Aus der Ge- schichte mit der Frau v — b — ergiebt sich, daß sie zu Bette gewesen. Sie war wuͤrklich so, daß sie sich nicht auf den Fuͤßen halten konnte. Seht nur, meine Lieben, sagte sie, wie sehr ich beweise, daß mein Geist unsterb- lich ist! Da bin ich, durch den, der mich maͤchtig macht, staͤrker als Sokrates, von dem so viel gemacht wird, und der doch, wie man mir erzaͤhlt hat, einen Hahn opfern lies, um seine Religionsgrundsaͤtze zu laͤugnen. So muß ein Hahn immer bey der Verleugnung seyn! Ich lebe auf, indem ich sterbe. Mein Geist fliegt, indem mein Koͤrper sinkt! — F 5 Beson- Besonders war es, daß meine Mutter uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem lezten Briefe, den ich extraktsweise meinen Lesern mitgetheilt, war alles still uͤber mich. Zuweilen dachte sie meiner im Fluge; wer kann aber im Fluge treffen? Die Pastor- wittwe konnt’ es nicht. Sieben Tage vor ihrem Ende, wie diese Krankenwaͤrterin mit den funfzig Thaler Alb. Pension mir berich- tet, war der Geist, wie soll ichs nennen? noch staͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie war in einer wirklichen Extase, wo zuweilen Funken fielen; allein sie fielen auf kein gut Land, schreibt die Pastorwittwe, sie zuͤndeten nirgend. Es war alles so in die Luft. Die gute Frau hat mir davon eine Probe mitge- theilt, die ich so wiedergebe, als ich sie em- pfangen habe. Meine Leser wissen, wie sehr ich fuͤr eigene Worte bin! Alles, was Othem hat, liebt, und was keinen hat, moͤchte gern lieben. Es sehnet sich nach Liebe. Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch. Habt ihr nicht gemerkt, wie sich manches Gewaͤchs an ein- ander schlingt, so fest als ein junges Weib an ihren Gatten, und was sich nicht umschlin- gen gen kann, beruͤhrt sich, wenn ein sanfter Wind es bewegt. Wie es sich kuͤßt! Wonniglich ist der Kuß, den der Zephyr der Rose stiehlt. Ist er der Rose treu, ist er der Herr v. E — der barbarische Stutzer? ists ein Stutzer, der zerschmilzt, der wie ein Floͤtenton vergeht? Wie Zucker in der Taße! Was ist die Liebe? Der Athem Gottes — Faßt ihn doch auf, so warm er da kommt aus seinem Munde! Hei- lig! heilig! heilig! ist Gott der Herr Zebaoth und alle Lande sind seiner Ehre, seiner Liebe voll! Entweder wuͤrklich lieben oder lieben wollen, nach Liebe sich sehnen; sonst verlohnts nicht, daß ein Hund ein Stuͤck Brod von uns nimmt. Die Hunde nehmens auch nicht vom Lieblosen und Falschen. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und haͤtte der Liebe nicht; so waͤr ich ein toͤnend Erz und eine klingende Schelle. Wenn man dem Huhn nicht ein Nest bereitet, legt es in die Nessel. Auch Wasser wird Lauge, wenn es durch Asche geseuget wird. Seht! seine Einfalt erhebt den Witz, wie Schatten das Licht. Wenn die Natur ein Chorhemde anzieht, ist sie das Christenthum. Zergliedre, und du findest an der schoͤnsten That Flecken, oder Runzeln, oder des etwas. Sie hat Sommersproßen, eine Blat- Blatternnarbe; allein im Ganzen schoͤn! So gehts auch mit aller dißeitigen Heiligkeit! — Die Liebe ist kein Portraitmahler. Sie mahlt die Seele! Sie mahlt den ganzen Menschen! Das Gute ist zu hoͤren, das Schoͤne ist zu se- hen! Das Schoͤne erscheint von vorn, das Gute von hinten. Mine ist zu sehen und zu hoͤren; mein Schutzengel desgleichen, wie er da um mich wallt, unsichtbar dem Werktags- auge! Der Mond scheint hell, der Tod reit schnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch? — Singst du Holde? Apfelbluͤten vom Baum des Erkenntnißes Gutes und Boͤses waren auf ihrer Wange; jezt Bluͤthen vom Baum des Lebens. Mine, singst du? — Hoͤrt sie fingen, sie ist des alten Herrn Tochter nicht mehr, sie ist meines Mannes Tochter und ih- rer Mutter Tochter! Wie schoͤn sie singt! Es ist das Heyl uns kommen her ! — Wie eine Lerche woͤlbt sich ihr Gesang, wie eine Wachtel faͤllt er! Da steht sie! — Wie ein Stern uͤber meinem Haupte! O des schoͤ- nen Morgensterns! Also werd ich auch stehen, wenn mich wird heißen gehen mein Gott aus diesem Jammerthal! Nun Nun ruhen alle Waͤlder von Paul Ger- hard . Nun wachen alle Waͤlder von Feustel und Riedner , die beyde in Maskopie die Waͤlder aufgeweckt — Zur Unzeit wie ge- woͤhnlich! Sie haͤtten sie ruhen lassen koͤnnen! Seinen Freunden giebt ers im Schlafe! Gott laͤßt uns sinken, aber nicht ertrinken. Wenn der Kluͤgste beichten sollte, was er in seinem Leben fuͤr Einfaͤlle und Ausfaͤlle gehabt, waͤre er des Irhauses schuldig! Gruͤne Ostern, weiße Pfingsten. Viel koͤnnen zwar zusam- men singen, aber nicht zusammen reden. Der Gesang ist gesellig, die Prose ist Leutschen, einsiedlerisch, tuͤckisch — bey allem dem ernst- haft. Traͤume! ihr sollet nichts seyn? und wenn die Ursache vom Zukuͤnftigen schon in mir liegt, auch dann nichts; wenn das See- lenauge schon sieht, was das Koͤrperauge noch nicht zu sehen im Stand’ ist? Die Ka- lendermacher machen den Kalender; der liebe Gott das Wetter! Steck’ ein Licht an, wenn die Sonne scheint! Kannst du das Licht sehen? Greif auf der Laute, wenn die Glocken roͤnen. Kannst du hoͤren? Wenns gut schmeckt, ver- daut man auch gut! Jede Empfindung, die das Leben unterbricht, ist Schmerz; die Leben ins Leben bringt, ist Freude! der Tod ist Be- foͤrde foͤrderung des Lebens! Der Tod hat auch sein Sonntagskleid. Alte Leute in Doktor- haͤnden, waͤren sie auch des D. Saft seine, sind Mayen, die abgerißen sind von der Na- tur und im Wasser stehen! — Es geht eine Zeitlang; allein nicht lange. Viel Koͤche ver- derben den Brey. Bey sieben Kuͤnsten geht man betteln; bey einer kann man Altmeister werden. Gott der Herr hat in jedem Dichter sein Feuer und Heerd! O Jerusalem! Je- rusalem! die du toͤdtest die Propheten, und steinigest die zu dir gesandt sind, wie oft hab ich deine Kinder versammlen wollen, wie eine Henne versammlet ihre Kuͤchlein unter ihre Fluͤgel, und ihr habt nicht gewollt. Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Menschen bange seyn und werden zagen, und das Meer und die Wasserwogen werden brau- sen: und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Warten der Dinge, die kom- men sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kraͤfte sich bewegen werden. So seyd nun wacker allezeit, und betet, daß ihr wuͤrdig werden moͤget zu entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Men- schen Sohn. Sollte Gott nicht retten seine Auser- Auserwaͤhlten, die zu ihm Tag und Nacht ru- fen, und sollte Geduld daruͤber haben? Ich sage euch: er wird sie erretten in einer Kuͤrze! In der Welt verschlingen die sieben fette Kuͤhe die sieben magere; in des Traͤumers Pharao- nis Traum umgekehrt! — Wo ist deine Schoͤ- ne, du heilige Stadt, wo dein Glanz, du Gotteshaus, wo dein Allerheiligstes, die La- de des Bundes? Wehe! wehe! wehe! dei- nen Thoren! Wehe deiner Feste! Wehe dem Tempel! Weh uͤber dies Weh! dies lezte Weh! Weh auch mir! Mine traf mich! wie jenen Wehrufer auf Jerusalems Mauren ein roͤmischer Pfeil, in Schlangengift getaucht — Weh aus mir! — wie es zischt in meinem kochenden Busen! Labung! Labung! — Mei- ne Zunge verdorrt in dieser Quaal! Eßig und Galle! O Greul der Verwuͤstung! an heiliger Staͤte! Fliehe auf den Berg, der du im Thal bist! Stuͤrze in den Abgrund du, der du dich vor den Wolken buͤckst! Wer auf dem Felde ist, kehre nicht um, seine Kleider zu hohlen. Wer auf dem Dache ist, in bloßen Fuͤssen, stuͤrze nicht herab, um einer Verkaͤltung zu entweichen! Wehe! wehe der Schwangern, die eine Tochter traͤgt! Wehe der Saͤugen- den! Sie sterben dahin in fremden Landen! und und keine Milchschwester singt ihnen das Ge- habt euch wohl . Keine Gespielinn streut Blumen auf ihr Gebein. Minens Staͤte ist in Curland nicht mehr! Der Mond, seht ihr denn nicht! Scharlach! Zeter! Der Comet, Gottes angebrannter Wachsstock! Er kommt! er kommt uns anzuzuͤnden! ha! da brennt die Erde, und der sie anzuͤndet verbrennt sich den Finger, wie mein Seliger, da er Licht! Licht! Licht rief, und todt! todt! alles todt! — Was ist der Tod? Die Saite platzt an der Harfe, die ist leicht bezogen und gestimmt. Der Wuͤrgengel mit seinem lezten Weh! Ich bin vor dem gestrengen Richterstuhl verklagt, citirt vor — Nein! da kommt ein heiliger En- gel, der Gnade bringt, Gnade fuͤr Recht! Und Minens Mutter! Und sie singen eine Terz tiefer: Gnade! Gnade! — Drey Tage vor ihrer Aufloͤsung, oder ih- rem Aufloͤsungsanfang, verlies sie die Gabe der Weissagung, der Geist der Kraft und Macht — Die Fluͤgel der Morgenroͤthe san- ken — Sie kam auf die Beine. Der Sab- bath hatte sich geneiget, und sie war wieder ein anderer Tag in der Woche; indeßen doch kein Sonnabend mehr! — Diese Gemuͤths- fassung verlohr sich so allmaͤhlig, so weich — Merk- Merklich ward dieser Verlust durch den Um- stand, daß meine Mutter sehr gelassen an- stimmte: Was wilst du, armes Leben ! Ja wohl armes Leben, auch bey der Gabe der Prophezeyung, und bey dem Geiste der Kraft und Macht! Es war dieser Tag Minens Sterbetag. Auch an diesem Tage beobachtete meine Mutter ihre Fasten so streng, als ob sie den Tag vorher bey einer Hochzeit auf den Fasttag praͤnumeriret haͤtte. — Sie fuͤhlte, wie sie selbst sagte, daß sie zu weit gegangen — Wahrlich, es war mehr, als ein Gang. Ein Kind geht — Jetzt war sie wieder in diesem Kindergeleise — im Gange — Das erste, was sie in demselben that, war ein Brief an den Herrn Amtsbruder, der in der Vacanz ab und zureißte. Sie bat ihn, ihr die Commu- nion zu reichen, als welches sie in ihrer Exrase, wie sie selbst sagte, nicht gebeten haben wuͤrde. Sie wußte alles, was in dieser Entzuͤckungs- zeit vorgefallen war, aufs genaueste. Der Amtsbruder versprach zu kommen und kam. Kurz vor seiner Ankunft hatte meine Mutter Tint und Feder gefordert, und eine Viertel- stunde geschrieben. Sie versiegelte diese Schrift dreymahl! — G Von Von je her hatte meine Mutter die Ge- wohnheit gehabt, sich den Morgen vorher, ehe sie zur Communion gieng, die Fuͤße zu wa- schen. Das war ihr ein so nothwendiger Vorhergang, als ein Praͤludium vor dem Lie- de. Auch jetzo hatte sie zu diesem Ende ein Fußbad veranstaltet. Ohne alle Specerey! Sie ersuchte ihre Gesellschafterin, die Pastor- wittwe, dieses Fußwaschen zu uͤbernehmen, und bat sie, aus dem fuͤnften Capitel des ersten Briefes an den Timotheus, den neunten und zehnten Vers aufzuschlagen und laut zu lesen: Laß keine Wittwe erwaͤhlet werden unter sechzig Jahren, und die da gewesen sey Ei- nes Mannes Weib: und die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezo- gen hat, so sie gastfrey gewesen ist, so sie der Heiligen Fuͤße gewaschen hat, so sie den Truͤbseligen Handreichung gethan hat, so sie allem guten Werk nachkommen ist. Die Pastorwittwe, die nur einmahl geheyra- thet gewesen, freyte sich herzlich uͤber diese Worte, die wie auf sie zeigend waren, und war bereit, diese ehrwuͤrdige Ceremonie zu verrichten, da meine Mutter ihr die Ein- setzungsworte laut verlesen hieß. Sie fieng also, nachdem sie sich mit dem weißen Schurz, den den ihr meine Mutter in die Haͤnde gegeben, bekleidet, zu lesen an, wie folget: Stund er vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab, und nahm einen Schurz und umguͤrtete sich. Darnach goß er Wasser in ein Becken, hub an den Juͤngern die Fuͤße zu waschen: und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umguͤrtet war. Da kam er zu Simon Petro; und derselbige sprach zu ihm: Herr, soltest du mir meine Fuͤße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: was ich thue, das weißest du jezt nicht; du wirsts aber hernach erfahren. Da sprach Petrus zu ihm: nimmermehr solt du mir die Fuͤße waschen. Jesus ant- wortete ihm: werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Fuͤße allein, sondern auch die Haͤnde und das Haupt. Spricht Jesus zu ihm: wer ge- waschen ist, der darf nicht, denn die Fuͤße waschen, sondern er ist ganz rein, und ihr seyd rein, aber nicht alle. Denn er wußte seinen Verraͤther wohl; darum sprach er: ihr seyd nicht alle rein. Da er nun ihre Fuͤße gewaschen hatte, nahm er seine Klei- der und setzte sich wieder nieder, und sprach G 2 aber- abermal zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch gethan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr, und saget recht daran, denn ich bins auch. So nun ich, euer Herr und Mei- ster, euch die Fuͤße gewaschen habe; so sollt ihr auch euch unter einander die Fuͤße wa- schen. Ein Beyspiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut wie ich euch gethan habe. Wahrlich, wahrlich! ich sage euch: der Knecht ist nicht groͤßer, denn sein Herr, noch der Apostel groͤßer, denn der ihn ge- sandt hat. So ihr solches wisset, selig seyd ihr, so ihrs thut. Diese Ceremonie ward so ruͤhrend vollzo- gen, daß die Pastorwittwe mit Thraͤnen das Fußwasser verstaͤrkte, welches nach vollbrach- ter Ceremonie, ohnweit dem gruͤnen Tauf- wasserplatz ausgegossen ward. Es ist kein Taufwasser, sagte meine Mutter. Da dieses alles der Pastorwittwe als etwas sehr Neues schien, verhielt ihr meine Mutter nicht, daß die Wiedertaͤufer mehr heiliges Wasser in ih- rem Glauben haͤtten, als wir; indessen es spaͤter zu gebrauchen anfiengen. Behuͤte Gott, daß wir das Fußwaschen, nach Mey- nung mancher Irchristen, fuͤr etwas mehr, als einen Nachtmahlsvorklang, ein reines Hemde Hemde zum Fest erklaͤren wollen, als eine Sache, die seyn und nicht seyn kann, warum solten wir aber dieses Zeichen der Erniedri- gung weglassen, und nicht vielmehr, bey die- sem Fußbad, an die Reinigung der Seelen denken, ohne welche Niemand Gottes Ange- sicht schauen wird! — Meine Mutter, wie die Pastorwittwe, eines Mannes Weib be- merkt, war hier nachgebender, als sie es wohl in gesunden Tagen gewesen. Die Mennoni- sten kamen besser weg, als man denken sollen. Sie nannte sie sonst Fußwaͤscher und behaup- tete, daß sie wegen ihrer Agapen oder Liebes- maͤhler sich den christlichen Magen verdorben haͤtten. Jezt gar anders. Wenn gleich sie ihnen nicht den Beynamen der Honigbienen des Staats bewilligte, womit man sie wegen ihres Fleißes und ihrer Sparsamkeit zu beeh- ren pflegt, vielmehr es sich ziemlich deutlich merken ließ, daß sie ungelehrte, oder, wie sies nannte, plattdeutsche Socinianer waͤren; so richtete sie dennoch nicht, um auch nicht ge- richtet zu werden — Fasten und leiblich sich bereiten, sagte sie, bleibt beym Nachtmahl eine feine aͤußerliche Zucht, aber der ist recht wuͤrdig und wohlgeschickt, der die Worte fuͤr euch versteht! — Fuͤr Euch! Nach dem vol- G 3 len- lendetem Fußbade faltete die Gewaschene die Haͤnde und sprach: das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu dem le- bendigen Wasserbrunnen, und Gott wird ab- wischen alle Thraͤnen von ihren Augen. Of- fenbahrung Johannes das neunzehnte Capi- tel, vom siebenten bis zum neunten Vers. Lasset uns freuen und froͤhlich seyn, und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist kommen, und sein Weib hat sich bereitet, und es ward ihr gegeben sich anzuthun mit rei- ner und schoͤner Seiden (die Seide aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen). Und er sprach zu mir: schreibe: selig sind, die zum Abend- mahl der Hochzeit des Lammes berufen sind — In dieser Fußgereinigten geduldigen nach- gebenden Lage traf sie der Pastor, der sie noch in der vorigen Verfassung zu finden glaubte. Er mußte also seine Anrede, die er auf den entzuͤckten Zustand zugeschnitten, kurz und gut abaͤndern. Sein unstudirter Vortrag fiel indessen so erbaulich aus, daß alle, die ihn hoͤr- ten, geruͤhrt wurden. Seine Hauptworte wa- ren: Selig sind, die zum Abendmal der Hoch- zeit des Lammes berufen sind. Meine Mutter hielt eine Beichte, die sie aus dem Innersten des Herzens nahm. Mine war Anfang und Ende Ende — Nach mancherley Herzensnoͤthen schloß meine Mutter mit den Worten: Gott helfe meiner Schwachheit, Amen ! Alles andere war in Verhaͤltnis gegen Minen, wie Worte gegen Sachen, wie das Haupt gegen seine Glieder — Mine war oben drauf — Wenn ich diese Beichte, die meine Mutter nicht ins Ohr, sondern laut ablegte, mit-al- len ihren Punkten und Clauseln erhalten, wie gern gaͤb’ ich sie meinen Lesern! — Mit wel- cher Inbrunst empfieng sie die Communion! Sie aß und trank Trost und Beruhigung. Von der Minute, da sie das Nachtmahl em- pfangen, klagte sie nicht mehr uͤber Angst, als in den vorletzten Augenblicken ihres Lebens. Die Worte Christi beym Lukas im zwey und zwanzigsten Capitel, die er kurz vor dem Abendmahl sprach, wie ruͤhrend sagte sie ihm meine Mutter nach: Mich hat herzlich ver- langet, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide, denn ich sage euch, daß ich hin- fort nicht mehr davon essen werde — Man sah, daß sie mit der Seele aß — den Herr- mann hatte sie zu dieser heiligen Handlung bitten lassen, der aber nicht den Judas beym ersten Abendmahl machte, sondern den Pe- trus, welcher, nachdem er beym Caminfeuer G 4 in in Caiphas Hause, seinen Meister verrathen, herausgieng und weinte bitterlich. — Meine Mutter pflegte den Apostel Paulus einen No- tarius des letzten Testaments zu heißen. Ich habe es von dem Herrn empfangen, das ich euch gegeben habe, denn der Herr Jesus in der Nacht da er verrathen ward, nahm er das Brodt — — Kann was ruͤhrenderes seyn, als dieses Gedaͤchtnismahl! — Verachtet man doch eines Menschen Testament nicht, sagt Paulus den Galatern, pflegte meine Mutter zu bemerken und schuͤttelte sonst das Haupt, weil im Tredo nichts vom Sacrament des Altars steht. Jezt dachte sie zwar, da sie sich selbst mit den Mennonisten vertragen, hieran nicht; indessen konnte die Ruͤhrung nicht hoͤ- her seyn, als die meine Mutter zeigte. Jo- hannes der Juͤnger, den Christus liebte, com- municirte so an seinem Busen. Gott thut was uͤberschwengliches im Nachtmahl an sei- nen Gaͤsten, pflegte meine Mutter zu sagen, und wie sehr war es an ihr sichtbar, daß sie auf den Geist gesaͤet. Wer auf sein Fleisch saͤet, der wird von dem Fleische das Verder- ben erndten, wer auf den Geist saͤet, der wird von dem Geiste das ewige Leben erndten, und wie viel nach dieser Regel einhergehen, uͤber die die sey Friede und Barmherzigkeit und uͤber den Israel Gottes! Wahrlich, schreibt die Wittwe, das Weib eines Mannes: Sie hatte ein hochzeitliches Kleid an! Nach diesem Mahl sprach sie mit dem Pastor uͤber verschie- dene die Gemeine treffende Dinge. Sie trat ihm die letzten Sorgen uͤber die Gemeine, wel- che sie noch behalten, in ruͤhrender Form ab. Ich sterbe, fieng sie an, und Gott wird mit euch seyn! Obgleich sie angeordnet, daß nach dem Weißagungszufall niemand zu ihr gelassen werden sollte, als den sie selbst zu sehen verlangen wuͤrde; so konnte sie es doch nicht verhindern, daß jezt in ihrer wieder herge- stellten Fassung das Volk sich zudrang. Ich sterbe, sagte sie, und Gott wird mit euch seyn! — Ermahnet euch unter einander und bauet einer den andern; dem fehlt ein Fenster, dem eine Thuͤr, dem ein Stuͤck am Strohdach, helfet ihm, so wie ihr wolt, daß euch der Herr helfen soll, im Leben und im Sterben; und vor seinem Richterstuhl! So lieb einem jeden sein ewiges Wohl ist; vermahnet die Ungezogenen, troͤstet die Kleinmuͤthigen, tra- get den Schwachen, seyd geduldig gegen Je- dermann! Sehet zu, daß Niemand Boͤses G 5 mit mit Boͤsem vergelte, sondern allezeit jaget dem guten nach, beydes unter einander und gegen Jedermann. Seyd allezeit froͤhlich. Betet ohn Unterlaß. Seyd dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christo Jesu an Euch. Den Geist daͤmpfet nicht, die Weissagung verachtet nicht, pruͤfet aber alles, und das Gute behaltet. Meidet allen boͤsen Schein. Er aber, der Gott des Friedens, heilige Euch durch und durch, und Eur Geist ganz, samt Seel und Leib, muͤsse behalten werden unstraͤflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi. Getreu ist er, der euch rufet, welcher wirds auch thun. Lieben Freunde! betet fuͤr uns! Die Gnade sey mit euch! Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen uͤber eure See- len, als die da Rechenschast dafuͤr geben sol- len, auf daß sie das mit Freuden thun und nicht mit Seufzen, das ist euch nicht gut! nicht gut — Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an, und folget ihrem Glauben nach. Wir sind alle mit Fehlern versetzt, der aber ist der fehlerhafteste, der seinen Bruder, seine Schwester darben laͤßt. Bedenkt, daß diese Welt, Gottes Speise-Gottes Vorraths- kam- kammer sey. Sehr gros, werdet ihr sagen, aber bedenket auch, was der liebe Gott fuͤr Kostgaͤnger hat. Wer mehr nimmt, als er verzehren kann, thut seinem Naͤchsten unrecht. Wenn dieser zu klein war, zum Fach zu rei- chen, thut ihr es fuͤr ihn. Wer wird aber des Handgrifs wegen glauben, daß man an der genommenen Haabe und Gut allein ein Recht besitze? Seht, alle gute Menschen ge- ben von dem, was sie druͤber haben — Gott gebs wieder, sagte jener Arme, allein der Geber noch weit besser: Er hats schon ge- geben! Almosen geben armt nicht, Kirchengehen saͤumt nicht. Beneidet euch nicht unter einander, wie die wilden Thiere. Seht die Sternlein, wie still sie da des Abends bey Mondschein zusam- men sind. Keins kommt dem andern zu nahe, und doch sind ihrer mehr zusammen, als wenn die ganze Gemeine bey einander ist. Kannst du sie zaͤhlen? sagte Gott zu Abraham. — Ein Vogel singt, ein andrer faͤngt Fliegen. Jedes Ding nach seiner Art. Laßt euren kuͤnftigen Lehrer nicht von euch sagen, wenn er euch eine Bußpredigt gehalten, daß er in ein Wespennest gestochen, laßt es ihn nicht an seiner seiner Calende empfinden. Er traͤgt die Bi- bel nicht umsonst! — Es ist die Laterne zum Himmel! Die Manschetten wird er ablegen. Gott segne Euch! Herzoge gelten nicht viel nach dem Tode. Gelehrte nicht viel beym Leben, und hiemit dank ich euch, ihr meine Lieben! fuͤr alle Eure Liebe und Eur Zu- trauen, das ihr meinem seligen Mann! und mir! erwiesen. Dafuͤr kann kein Saͤemann, daß nicht jedes Korn aufgeht! und wenn hie und da ein Pulver, das ich fuͤr den Leib, und ein Trostwort, das ich euch fuͤr die Seele ein- gab, nicht anschlug — ich bin unschuldig an eurem Blute! — Liebt euch! das ist mein letztes allerletztes Wort. Hab ich euch belei- diget, es sey mit zu heftiger Ermahnung, oder mit unterlaßenem Trost, es sey That- oder Unterlaßungssuͤnde! Vergebt! Vergebt mir um Gottes Willen! Ich muß es Gott klagen und euch, ihr wißt, was mir auf dem Herzen gelegen. Wer waͤlzet diesen Stein von mir, war mein Gebet! Ich war trau- rig, wie Eßra und Nehemia. Ihr wisset, daß mich der gerechte Gott gezuͤchtiget hat, durch des alten Herrn Tochter, der ich hart begegnet. Ihr wißt, was in diesen Tagen geschehen ist. Alle Zuͤchtigung aber, wenn sie sie da ist, duͤnkt sie uns nicht Freude, son- dern Traurigkeit zu seyn; aber darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerech- tigkeit denen, die dadurch geuͤbet sind — Ich scheide und uͤbergebe eure Seelen diesem treuen Hirten seines Herrn, der so segnet, wie meine Vaͤter gesegnet haben; er leite und fuͤhre euch auf ebener Bahn, damit er euch dereinst dem Nachfolger meines Lebensgefaͤhr- ten als eine geschmuͤckte Braut dem Braͤuti- gam uͤbergeben koͤnne, den Gott lehren wolle, sein Volk zu segnen. Dich, o liebes Altar! wo ich so oft das Nachtmahl meines Herrn empfangen, o koͤnnt’ ich diesen rothbeschlage- nen Tisch noch einmal sehen! Der Herr mit Euch! wenn ihr dazu tretet, und wenn in Pfingsten Mayen bis zu den Hoͤrnern des Al- tars gesetzt sind, die gern ihren Geist im Tem- pel aufgeben und doppelt so angenehm wie im Walde duften, die in der Kirche begraben werden; so troͤste der grundguͤtige Gott den, der Trost bedarf, und erhoͤre das stille Ge- bet, das aus dem Innersten eures Herzens quillet, das Gott allein weiß, das! das! erhoͤre Gott! Ja! Amen! Ich will nicht in der Kirche begraben werden, wie die Pfingst- Mayen. Auch im Grabe will ich meinem Selig- Seligen die Hand geben! und da liegen wo Er, Minens Mutter und Charlotte liegt. Wenn ihr diese Graͤber vorbey gehet, denkt: selig sind die Todten, die im Herrn sterben! Auf die Kanzel, wo mein Lebens Geleits- mann und unser Sohn stand, trete nie ein Miethling, nicht einer, den Fleisch und Blut, sondern den Geist und Kraft zum Diener des Herrn erkohren! Zweygliedrig sey sein Se- gen, den er dem Zerknirschten giebt, und zweyschneidig das Schwert seines Mundes, wenn er dem Suͤnder das Ohr abhaut. Es wird sich das dritte Segensglied von selbst geben, wenn die Manschetten wegfallen wer- den. N. 5. Die Banke, wo Mine gesessen, sey euch mehr, als N. 1. Die fuͤnfte Zahl ist eine Wundenzahl. Ich kann nicht mehr — Sie hielt inne, sie hatte sich sehr ermuͤdet. Nach einer Weile sahe sie alle an! Lebt! sagte sie so, daß wir uns alle! alle! dort wieder zusammen finden, wie wir hier von einander schieden! damit ich sagen koͤnne: Herr! hier bin ich und die, so du mir gege- ben hast! — Lieb wird es mir seyn, herz- lich lieb, eur Angesicht zu sehen mit Freuden in der seligen Ewigkeit! — Gott aber des Friedens, der von den Todten ausgefuͤhrt hat, hat den großen Hirten der Schaafe, durch das Blut des ewigen Testaments, unsern Herrn Jesum, der mache euch fertig in allen guten Werken, zu thun seinen Willen, und schaffe in euch, was vor ihm gefaͤllig ist, durch Jesum Christ, welchem sey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen! — Es war ein gesegneter Einfall, daß meine Mutter dem Pastor, der selbst sehr geruͤhrt war, das Lied: Es woll uns Gott gnaͤ- dig seyn und seinen Segen geben, zu- winkte, um den Ausbruch der Ruͤhrung der Gemeine zu hemmen. Jetzt kam alles in sanfte Thraͤnen! und alles wuͤnschte, daß Gott meine Mutter gleiten moͤge, und an Ort und Stelle bringen, in den Himmel. Amen! Sie versprachen, die Graͤber in Eh- ren zu halten, und es ihren Kindern und Kindeskindern auf ihrem Sterbbette anzube- fehlen, so daß der juͤngste Tag sie noch fin- den sollte! — Die Wittwe bricht hier ab, und auch ich muß abbrechen — Dem Pastor gab meine Mutter die Schrift mit drey Siegeln, mit dem aus- druͤcklichen Beding, sie nicht eher, als sieben Tage nach ihrem Begraͤbniß, zu oͤfnen! Ja, sagte sagte sie, Er, Amen! Er legte sie in die Agende. Sie fieng ihm noch einmahl zu danken an! Es ist sehr ruͤhrend, wenn ein Sterbender dankt. Gemeinhin ist sonst der Dank eigennuͤtzig — Der Pastor lies sie nicht ausdanken, sondern druͤckte ihr die Hand, und gieng mit den Worten von dan- nen — In Ewigkeit — Sie noch ein Amen! — Man hat nie erfahren, was in dieser Schrift mit den dreyen Siegeln gewesen. So viel ist gewis, daß sie mehr enthalten, als die Zeitungsnachricht, wer Pastor wer- den wuͤrde. Der gute Vicar ist nach dem siebenten Tage von dem Begraͤbnisse meiner Mutter an gerechnet ein ganz anderer Mann in Gedanken, Gebehrden, Worten und Wer- ken worden. Es schien, als haͤtt’ er einen Praͤnumerationsschein auf einige kuͤnftige Faͤlle erhalten. An die Frau v — b — war in dieser Schrift gedacht. Warum denn nicht an mich? — Warum fuͤr mich nicht auch eine ανέχου και απέχου mit dreyen Sie- geln, sieben Tage nach dem muͤtterlichen Be- graͤbnisse zu eroͤfnen? — Meine Mutter hatte herzlich gewuͤnscht, daß das heilige Abendmahl ihre letzte Speise seyn moͤchte auf dieser dieser Welt, und ihr Wunsch ward erfuͤllt. Sie ward von Stunde zu Stunde schwaͤcher, und bat die Pastorin, ihr die Leidensgeschichte Christi und seinen Tod vorzulesen aus allen Evangelisten! Wir sollen, sagte sie, des Herrn Tod verkuͤndigen, bis daß er kommt. Waͤhrend dem Lesen sagte sie zuweilen Strophen aus Liedern. Beym Begraͤbnis Christi sang sie mit dumpfen Toͤnen. (Dies war ihr letzter Gesang. Sie selbst sagte: meine Stimme ist schon begraben! Sie wird wieder auferstehen im ewigen Leben! Man kann laͤnger reden, als singen.) Die Welt ist mir, ich ihr nicht gut, mir eckelt alles, was sie thut: was kann sie mehr als Fromme schmaͤhen? O! nimm mich! Nimm mich hin ins Grab; so sterb ich meinen Suͤnden ab, und werde sauber auferstehen! komm so mein Tod und sey gegruͤßt, der mehr als tausend Leben ist! D. Saft, der ohne, daß sie ihn ver- langt, zu ihr gekommen war, sagte der Pa- storin, daß eine Entzuͤndung da waͤre. Den Gang der Krankheit konnte er nicht bezeich- H nen. nen. Jetzt war freylich mehr als Einbildung. Aus dem Schein war das Seyn worden. Sie selbst sagte der Pastorin ins Ohr, daß sie des folgenden Tages sterben wuͤrde. Fruͤ- her als einen Tag zuvor schien sie ihren To- des Tag nicht zu wissen; vielleicht wußt’ es ihr Schutzgeist nur eine Stunde fruͤher. Auf Seelenkrankheiten verstehen sich die Engel, sagte sie, auf Leibeszufaͤlle wenig oder gar nicht. Gott weiß alles. Sie hatte verlangt, daß niemand zu ihr gelaßen werden sollte. Saft draͤngte sich noch den letzten Tag fruͤh Morgens vor. Ich weiß, sagte sie ihm — Sie verweigerte ihm die Hand, da er sie be- pruͤfen wollte, und zeigte mit vieler Muͤhe gen Himmel. Sie bluͤhete im Gesicht wie eine Rose. Den Tag wußte sie, die Stunde nicht. Sie war, wie wir wissen, aus Sonn- abend, Sonntag geworden. Starb den — — Sonntag — — Wie er von ihr gieng, neigte sie ihr Haupt und dankte ihm! — Die vorige Nacht hatte sie noch die entsetzlichsten Schmerzen. Um vier Nachmittag war alles vorbey! Zuwei- len fiel sie in eine Phantasie und sprach wie- der mit ihrem Engel. Da sie ihn zum erstenmal wieder inne ward, redete sie ihn mit mit einer Heftigkeit an, die durch die Seele gieng: „Alle gute Geister loben Gott den Herrn.“ Die Pastorin versicherte, daß sie bey ei- nem Geister-Rauschen eine holde Stimme vernommen „ich auch!“ Je naͤher zum Tode, je mehr sprach sie mit diesem guten Geiste, der sich ich auch genannt hatte, wie die Pastorin versichert. Sie sprach mit ihm, wie mit ihrem Seelentraͤger, mit ihrem Rei- segefehrten, und war so froh, an seiner Hand in Abrahams Schoos zu kommen und die Krone der Gerechtigkeit zu empfahen, daß sie den gluͤhenden Fegofen, die Loͤwengrube der Truͤbsale, nicht achtete. „Aber der En- „gel Gottes, sagte sie zur Pastorin, fuͤhrt „mich zu einem Wasserbrunnen, daß ich beym „Leben erhalten werde. Er lagert sich um „die her, so den Herrn fuͤrchten und hilft „ihnen aus.“ Der Schmerz ist weg, fieng sie zu der Pastorin nach einer Weile an, aber die Seele, die Seele! thut mir sehr sehr weh! Sie hat sich an der Melodie des Koͤrpers zu sehr gewoͤhnt. H 2 Die Die Wittwe mußte ihr verschiedenes aus der Bibel lesen und aus dem Gesangbuch sin- gen. Sie selbst sprach sehr unvernehmlich! Die Angst, die sie stoßweise ausstand, war groß! Das letzte Lied war: Herr Gott dich loben wir, Die letzte Strophe mußte die Pastorin vier- mahl singen nach Zahl der letzten Dinge — Behuͤt’ uns heut, o treuer Gott, Fuͤr aller Suͤnd und Missethat. Sey uns gnaͤdig, o Herre Gott! Sey uns gnaͤdig in aller Noth! Zeig uns deine Barmherzigkeit, Wie unsre Hofnung zu dir sieht. Auf dich hoffen wir, o lieber Herr, In Schanden laß uns nimmermehr! Amen! Auch im Grabe, sagte sie, nicht zu Schanden! Trinken koͤnnen die Kranken laͤnger, als essen. Die letzte Zeit konnte sie, wie wir wis- sen, keinen Ton angeben. Zuweilen schien es, sie wollte; allein sie sahe sich verbunden, ihre Seele in Geduld zu fassen und sich mit Prosa zu behelfen. Die Pastorin mußte den Vorhang am Fenster, wo sie lag, mitten entzwey reissen! So! So! so! sagte sie, So! reißts hier! hier! Licht! rief sie. Der Vorhang ward wegge- zogen, sie sahe Licht. Gruͤn, gruͤn, fieng sie an, Fruͤhling! so schoͤnes Gruͤn, als das Taufwassergruͤn, und noch schoͤner! Kein Fußwasserplatz daneben! alles gleich schoͤn! Oft reckte sie beyde Haͤnde aus. Paradies! — rief sie. Sie ward wieder stille, lies sich ein Krucifix dahinsetzen, wo der Vorhang zer- rissen war. Sie sah es starr an. Verlangte es naͤher, druͤckt’ es an ihr Herz, mit den Worten, die sie ungewoͤhnlich vernehmlich aussprach: Wenn ich einmahl soll scheiden, O scheide nicht von mir! Soll Todesangst ich leiden, O scheide nicht von mir! und wenn am allerbaͤngsten mir rings ums Herz wird seyn; reiß du mich aus den Aengsten, Kraft deiner Angst und Pein! Sie fiel wieder ohnmaͤchtig ein — Was ist die Uhr, fragte sie die Pastorin, und sie ver- sicherte, daß ihr keine Frage empfindlicher ge- wesen. Vier? Bald! — Sie hielt sich fest am Krucifix, das sie sich hatte reichen lassen — H 3 Ihre Ihre lezten Worte, nicht voͤllig vernehm- lich, waren: Komm so mein Tod und sey gegruͤßt, der mehr als tausend Leben ist. Ihre gewaschene Fuͤße lagen im Kreuz; so im Kreuz mit Haͤnden und Fuͤßen wollte sie auch begraben werden. Ihr Gesicht war nicht im mindesten im Tode entstellt. Kein Hund heulte, schreibt die Pastorin, weder vor, noch nach ihrem Ableben, der Storch nur, der in der Gegend des Pastorats sein Sommerhaus hatte, ist verzogen. Von ihrem Begraͤbnis will ich nur wenig anfuͤhren. Sie hatte nur bloß uͤber den Ort, wo sie ruhen wollte, uͤber ihre Begleiter und einige Austheilungen an die Armen der Gegend, Ein- richtungen getroffen; alles andere aber den Zuruͤckbleibenden uͤberlassen. Sie wolte nicht in der Kirche ruhen, sondern unter ihren lie- ben Todten; indessen hatte sie verfuͤgt, daß sie in die Kirche gebracht und rund herum ge- tragen werden solte. Bey N. 5. bitt ich an- zuhalten, sagte sie. Mein Gott, schreibt die Wittwe, wie bange war mir, sie wuͤrde sich aufrichten: ich bin vor dem strengen Richter- stuhl stuhl Gottes verklagt! — fuͤrs Urtel war mir nicht bange. Eine Selige ist sie wahrlich! Der Vikarius hielt ihr eine Rede uͤber die Worte, Matthaͤi im fuͤnften Capitel der achte Vers: Selig sind die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen! Eine Stelle aus dieser Rede: Unsere Glaubensschwester fuͤhrte ein ver- borgenes Leben in Gott. Man sahe an ihr die Worte erfuͤllt: Laß dir an meiner Gnade gnuͤgen: denn meine Kraft ist in den Schwa- chen maͤchtig. Die Truͤbsal hatte in ihr ge- wuͤrkt Geduld, die Geduld Erfahrung, die Erfahrung Hofnung, und diese laͤßt nicht zu Schanden werden. Ihre Seele war genesen, da sie aus meinen Haͤnden das Mahl des Herrn empfieng! Gott war mit ihr! — Wahrlich, Freunde! diese Gegend hat eine Beterin, eine himmlischgesinnte! eine Gott- verlobte! verlohren — — Vor der Rede ward gesungen: Wenn Gott von allem Boͤsen! Die Pastorin schreibt, daß sie den zweyten Vers dieses Liedes auch mit heiligem Schauer gesungen. Nicht mit Bangigkeit, wie beym Herumtragen bey N. 5. Sie wird den Sarg- H 4 deckel deckel heben, dacht ich (ihre eigene Worte) und mitsingen: Mein Mund wird nichts als Lachen, und meiner Zungenklang wird lauter Lieder machen, Gott unserm Heyl zu Dank! — Nach der Rede ward gesungen: Es ist gewiß ein’ große Gnad ꝛc. Bey der vierten Strophe, schreibt die Pastorin, empfand ich, wie wohl gewaͤhlt dies Lied war: Da wird Gott alls in Allem seyn; da wird dann recht erklingen der Sang der heilgen Engelein, die Gott ein Loblied singen von Ewigkeit zu Ewigkeit — Sie ward, wie sie angeordnet, in die Erde gelegt, bey meinem Vater. Hier werden sie Hand in Hand ihren schoͤnen Morgen erwar- ten, wenn das Verwesliche wird anziehen das Unverwesliche, und das Sterbliche die Un- sterblichkeit! Außer den Begleitern, die sie erbeten hatte, war die ganze Gemeine jung und alt gegenwaͤrtig. Man hatte keine Schaufel noͤthig sie zu bedecken. Jedes warf eine Hand voll Erde sanft auf ihren Sarg. Der Greis flehte um einen seligen Tod! Der Mann, um die gluͤckliche Entbindung seines Wei- Weibes; das Weib, daß ihr Erstgebohrner ihr wohl gedeye; der Juͤngling fuͤr seine Ge- liebte; die Braut um die treue Liebe ihres kuͤnftigen Gatten; das Kind um das Leben seiner Eltern! Was jedem das liebste und beste war, das erflehte er sich bey diesem Gra- be, und jedes warf eine Handvoll Erde! — Freunde! Schaudert ihr vor dem kalten Arm der Erde? Seyd getrost! Ihr werdet in ihm von der Last eurer Pilgrimschaft aus- ruhen, und auch der hier nicht viel schlafen konnte, wie sanft wird er hier sich legen! Was weiß ich, schreibt die Pastorin, ob das Laken gerissen, oder die Wehmuth derer, die einsenkten, daran Schuld gewesen? (die Weh- muth ist schwach wie ein Kind) — der Sarg riß sich loß, recht als ob er die Zeit nicht ab- warten konnte! Wie er nahe an meines Va- ters Sarg kam, wankte der Deckel. Dies vermochte die Traͤger um die Erlaubnis zu bitten, beyde Saͤrger noch zu oͤfnen, und beyde Haͤnde in einander zu legen. Diese ein- faͤltige fromme Bitte ward von den Leichenbe- gleitern bewilliget, und sie copulirten dieses Paar, weinten die bittersten Thraͤnen auf die Haͤnde, deckten jeden Sarg zu, und alles em- pfand bey diesem ungekuͤnstelten unbereiteten H 5 Vor- Vorgange, daß er ungekuͤnstelt, unvorberei- tet war. Noch einen dergleichen muß ich nachholen. Den Abend vor dem Begraͤbniß versammleten sich die besten Saͤnger und Saͤngerinnen im Dorfe, und sangen vor dem Trauerhause das Todtenlied, so ich meinen Lesern in einer Ue- bersetzung mitzutheilen nicht anstehen kann: Todtenglocken! Klaget, klaget laut, und wimmert nicht so dumpfig, so innerlich, daß es Mark und Bein durchtoͤnt! Ruft es aus, damit jedes, klein und groß, wisse, woran es sey: Vater todt, Mutter todt! Unsere Kirche eine Vater- und Mutterlose Wayse! Armes Weib! die noch gern gebaͤhren wolte, damit unsere Kirchenmutter ihre Hand auf das Knaͤbchen lege und es einsegne, du kamst zu spaͤt! Ihre Hand ist eiskalt! Nicht ein Tropfen warmer Segen ist drinn. Sie hat ihn keinem entzogen, der seinen Kopf darreichte! — Wir fuͤhlen noch alle die Stelle, wo ihre milde Hand lag! Wer wird nun unsern Kleinen Honigbrod geben, wenn sie den Glauben beten? Wer wird wird sie bey der Hand nehmen, und sie Abba mein Vater! an einem Nest voll jun- ger Voͤgel, die ihren Mund gen Himmel aufreissen, beten lehren? Wer nach dem Un- gewitter, wenn die Luft sich erholt hat, ein Loblied singen, mit dem Finken um die Wette! Kommt! laßt uns gehen, wo es wieder- halt, und Mutter rufen, Mutter! Vielleicht erfaͤhrt sie dadurch, daß wir ihrer denken. Uns spottet das Echo nach; mit Geistern spricht es, wie wir mit einander. Kommt in den Wald, wo es wiederhallt! Fast hoch- noth ist, daß wir Zweige brechen, den Weg zu bestreuen zu diesem Grabe. Ihr Grab wird von selbst gruͤnen und bluͤhen. Nicht von Aesten, die sich erst welcher Rei- sende brechen kann, um sich auf seinem Wagen eine Bude zu bauen, die ihn vor der Sonne schirmt — In die Hoͤhe wollen wir klimmen, und aus den Gipfeln Aeste nehmen und brechen Sie ists werth, daß man hoch steigt! und daß man bricht und nicht schneidet. Sie ist von der Seele gerissen, wie diese Aeste vom Stamm. Sie welkt, wie dieses Laub auf dem Wege zu ihrem Grabe — Wem Wem dienen die Tauben? die sie im Schla- ge zuruͤcklies. Auch sie sind arme Waysen, wie wir alle! Sie fressen nicht mit Wohl- gefallen, seit sie todt ist. Laßt uns Thei- lung halten! Jedes Haus ein Paar. Ihre Jungen und die Jungen ihrer Jungen, die sie bruͤten, sollen das Andenken eines Pa- storpaares erneuren, das wie ein Paar Tau- ben war, und wenn wir von diesen Tauben unsern Kindern ein Paar zuruͤcklassen, sey es mit der Ermahnung: an die Graͤber die- ser Frommen zu denken und ihnen kein Leid zu thun! Ist es Euch nicht so, als wenn die Tauben selbst drum baͤten? ohn unser Zuthun. Gar fromme Thiere! Unser Pa- storpaar wird sich der liebe Gott so halten, wie jeder von uns das Taubenpaar! — Seht ihr nichts im Monde? Seht! Sie ists! Im weißen Kleide, weißer, heller noch, als der Mond; sonst koͤnnten wir sie nicht sehen. Das Tuch um ihr Haupt, so wie sie da lag, ehe sie eingesargt ward. Wie sie uns zublickt! Seht! Seht! welch ein Abglanz auf uns! Nicht um das Auge zu blenden, nein um es zu staͤrken. Nicht Mittag; Abendkuͤhle liegt drinn! Heilige! Dank Dank fuͤr deinen Blick! Dank fuͤr alles! Sieh auf dein Grab; ist es nicht aus Er- kenntlichkeit gut aufgeklopft? Da soll dein Gebein ruhen, sicher vor jedem Sturm- wind, der sich mit unbedeckten Gebeinen neckt, als koͤnnt’ er sie lebendig machen! und die frommen Tauben moͤgen Habichte werden, und unsre junge Kuͤchlein aufhacken, wenn wir dein Gebein nicht ehren, du from- me Mutter! um deinetwillen! Am Begraͤbnistage, und noch zwey Tage nach- her, ward in der nemlichen Procession dies Lied abgesungen! und jedesmahl mit einer Ruͤhrung, die ihres gleichen nicht hatte. Im- mer als zum erstenmahl. Der nemliche lettisch gelehrte Saͤnger hat auch auf meinen Vater einen Sang heraus- gegeben; indessen find ich die gegenwaͤrtige fromme Sonnabends-Empfindung bey wei- tem nicht drin. Naive Taͤndeley ist dem Volke eigen; indessen ist, was druͤber ist, nicht im- mer vom Uebel. Eine Stelle verdient Mittheilung. Man merkt leicht, daß das Lied aus hoͤherm Chor ist, und daß uͤberhaupt unser Meistersaͤnger das Kunstlose des Volksliedes oͤfters verfehlt! Wie das zugeht, weiß ich nicht. Mein Va- ter ter pflegte zu behaupten: meine Mutter sey Schuld daran! Nicht doch, erwiederte meine Mutter, das kommt, weil er ein Christ ist. Das Christenthum ist goͤttliche, himmlische Kunst — Die Stelle: Er starb zu einer seligen Stunde, eben da wir den Waizen einstreuten. Sein Leib, dies Waizenkorn Gottes, wird so leicht verwesen, als eine Rose verbleicht, so sanft, als Leib und Seel von ander giengen und sich zum lez- tenmahl herzten. Die Erd ist nicht so kalt, als sie zu dieser Jahrszeit zu seyn pflegt! Schaudre nicht! Ehrwuͤrdige Pastorleiche! Die Sonne schlug so warm, rings um warm herum, als wenn sie es auswaͤrmen wolte, und was wars fuͤr ein Rauch, den ihre Strahlen herauszogen? Weyhrauch, den sein Engel, der auf dem Sonnenblick herabfuhr, anzuͤndete, um dies Grab zur Schlafkammer auszuluͤften — — Ist es erlaubt, zu der Standrede des Herrn Vicars, uͤber die Seligkeit der reinen Herzen, die Gott schauen werden, etwas zum Lebenslauf meiner Mutter zu liefern! Prose, wie ihr Tod war. Den Gesang hab’ ich dem Letten Letten uͤberlassen, dem der Vicar, ein großer Lette, nachgeholfen zu haben scheint — Sie war von mittelmaͤßiger Groͤße, hatte braunes Haar, eine sanftgebogene Nase und große Augen, die am Blitz jenem Grosmutter Auge durch die Ritze, wenig oder gar nichts gewichen haͤtten. Aus beyden Augen ließ sie dies Licht leuchten. Die Nase ist der Zeiger am Menschen. Sie sah gerade zu, und trug die Nase, wie sie selbst bemerkte, weder gen Himmel, noch hatte sie ein Schatzgraͤberaus- sehen. Sie war sehr verhaͤltnismaͤßig gebil- det. Man sahe ihren Haͤnden an, daß sie solche nur selten in Handschuen verschlossen gehalten, und doch waren ihnen die Priester- ahnen und eine gewisse bewaͤhrte Feinheit an- zusehen. Sie hatte die folgsamste Zunge, die je im Dienst des Herzens gestanden. Ihre Haͤnde lebten mit der Zunge in Gemeinschaft. Sie schrieben sich \& Compagnie. Aergert dich dein Auge, reiß es aus, aͤrgert dich deine Hand, haue sie ab, konnte keinem Zuhoͤrer meiner Mutter einfallen, wenn sie sich hoͤren lies! Alles war im besten Zusammenhange und lies auf ein gleich uͤbereinstimmendes Herz schluͤßen — Sie bezog nicht Leben und Thaten der Hochwohlgebohrnen Herren mit Firnis, Meßing, Meßing, Blech, Gold. Sie war selbst keine Freundin von englischem Lack. Papilloten konnte sie nicht leiden. Ich habe nie in mei- nem Haare Papilloten getragen. Vater und Mutter waren dagegen. Papier im Garten und in den Haaren war meinem Vater gleich unnatuͤrlich, und meine Mutter sagte, wenn sie einen falschen Menschen beschreiben wollte: Es ist ein Mensch, der sich in Papilloten zu legen versteht. Eine Ordnung war ihr eigen, die mein Vater ein Schnuͤrchen Perlen zu nennen pflegte. Sehr war sie fuͤr Leute, die von Natur lockigt Haar hatten. Gebohrne Pastores, pflegte sie zu sagen! Im Tanzen hatte sie nicht Unterricht genommen, das sahe man ihr an. Sie hielt sich nicht rohrgerade; allein sie fiel auch nicht zusammen. Ein Kunstloser voͤllig natuͤrlicher Anstand war ihr eigen. Sie schnuͤrte sich nie, gieng etwas schnell und ein wenig mit dem Kopf vorgebo- gen. Eine Lieblingsart von Andachtsbezeu- gung war es, die Schultern in die Hoͤhe zu ziehen. Die Haͤnde faltete sie auf eine so vortrefliche Weise, daß man Ausdruck drinn sahe. Sonst hemmt das Haͤndefalten alle Handaction; es scheint die tiefste Ehrfurcht zu verrathen, die immer unbeweglich ist. Man will will sich selbst halten, sich selbst binden. — Die Haͤnde meiner Mutter bewegten sich in- dessen auch gefaltet, und zwar der Ehrfurcht unbeschadet. Sie hatte keine Menschenfurcht; indessen war sie auch eben so weit entfernt, sich zu erdreisten. Ihr seyd ein Narr, sagte ein bekannter Landesvater zu einem seiner Hoͤflinge! Wer ists nicht, allergnaͤdigster Herr, erwiederte der Hoͤfling? Dies: wer ists nicht? sieht meiner Mutter aͤhnlich; obgleich sie gewis in einem andern Ton, als der Hofnarr, es ge- sagt haben wuͤrde. Da sie alles nahm, wie es kam, fiel nichts bey ihr vor, das wie ge- sucht anscheinen koͤnnte! Sie pflegte zu sa- gen: man muß keinem Gedanken die Thuͤr verschließen. — Sie war im hoͤchsten Grade gastfrey. Trau, schau wem! war ihr ein Spruͤch- wort, das sie nicht liebte; obgleich wider den Reim nichts zu sagen ist. Sie hielte keine Wirthschaftsbuͤcher, und liebte sehr, ohne Etat zu leben. Wenn der liebe Gott mit uns alles zu Buch bringen sollte, pflegte sie zu sagen: Ey denn! — Sie dachte uͤberhaupt alles ohne Zahlen. J Mein Mein Vater bemerkte: sie daͤchte alles poetisch. Ein neues Haus ohne Baukosten; indessen bot sie ihm die Spitze durch einen ho- hen Geistlichen, den Pabst Sixtus den fuͤnf- ten, welcher behauptet haͤtte, daß man auch einem Esel die Arithmetik beybringen koͤnnte. Der Mond war ihr Liebling. Das Pro- fil und das gerade zu, pflegte sie zu sagen, wie schoͤn! — Sieh einen Geizigen, sagte meine Mutter, Treppen steigen, wo er nur kann, nimmt er zwey Stuffen auf einmal! Man lasse doch dem Reichen seine volle Scheuren! Ihm, der gemeinhin arm an Leib’ und Seel ist! — Wer Worte aufmutzt, war ihr ein Hahn, der den Auskehrigt nachkehrt. Gern haͤtte sie gesehen, daß der Hahn die uͤble Gewohn- heit nicht haͤtte. Er war ihr ein bedeutendes Thier. Sie selbst war sehr grammaticalisch, und setzte ihren casum . Die Hoͤlle nannte sie oft brennende Kaͤlte! Ich meines Orts, pflegte sie zu sagen, habe nichts wider die Herren Philosophen; allein sie sind alle, wie mein Hausphilosoph, im Herzen fuͤr den monarchischen Staat. Freyheit ist Himmel! Der Der Dichter ist fuͤr gleich und recht aus der goldnen Zeit her. Er hebt alles Ansehn auf. Den Großen laͤßt er einen Kittel anzie- hen, den Unbedeutenden einen blanken Rock! Das beste ist, es kostet ihn nichts. Er ebenet und gleicht alles, und da sieht man sonnen- klar, daß kein Ansehn in der Welt ist! Er ahmet Gott nach: denn auch vom Dichter kann es heißen: Es ist dem Dichter alles gleich, Den Großen klein und arm zu machen; Den Armen aber groß und reich! Er ist der rechte Wundermann — Da liegt die Ursache, warum nur gewoͤhnlich arme Leute dichten? Das Pfingstfest nannte sie Geniefest, und hielt es fuͤr nothwendig, daß in diesen heili- gen Tagen Wein getrunken wuͤrde. Selbst Champagner, wenn nicht anders. In Ostern aß sie ein Lamm mit Brunnenkresse. Ueber- haupt verwahrte sie alle Erstgeburt, so die Mut- ter gebrochen, auf Festtage. Die Erstgeburt war ihr heilig. Auch selbst das erste Glas aus einer Flasche war ihr wie Erstgeburt werth. Sie gab es dem, den sie lieb hatte. Sehr war sie fuͤr ihr Geschlecht; indessen war Adam doch die Erstgeburt, das konnte sie J 2 nicht nicht leugnen, und sagte, daß ein Weib eine o sey, der eine 1. vorstehen muͤßte, wenn die Null was bedeuten solte. Die Maͤdchen, sagte sie zu mir, sind wie Hopfen, sie muͤssen sich von klein auf rankeln. Du nicht also, setzte sie hinzu. So laßt, ich bitte Euch, das Doch aus dem Vater unser — und wenn Bitte nicht helfen wolte, fraß sie ein heiliger Eifer. Ist denn, fuhr sie fort, das vollkommenste Gebet auch nicht vollkommen? O ihr Kleinglaͤubi- gen, daß ihrs mit einem Doch verstaͤrkt! Fuͤhr uns (doch) nicht in Versuchung. Erloͤs uns (doch) von allem Uebel. Mein Vater nahm sich des Flickwoͤrtchens doch weniger, als der armen Leut’ an, die, wenn sie beteten, nicht ans Vater unser, son- dern ans Doch und an meiner Mutter Schelt- wort dachten — Laß sie! Laͤßt Gott der Herr nicht manches Doch an uns? — Meine Mut- ter lies dem ungeachtet nicht nach, das Un- kraut aus dem Vaterunserwaizen, wie sie sagte, zu jaͤten — Das Gedaͤchtnis meiner Mutter war aus- serordentlich. Es war eisern. Kein Wunder, wenn sie zu Sprachen aufgelegt war. Sie behauptete, daß man bey der Poesie das Ge- Gedaͤchtnis beschone. Sie ist dem Gedaͤcht- nis eben das, pflegte sie zu sagen, was die gruͤne Farbe den Augen ist. Bey Sprachen hingegen, fuhr sie fort, greift man das Ge- daͤchtnis an — Was ich sagen wolte, be- traf eigentlich Sprachen. Meine Mutter war keine Freundin von Woͤrterbuͤchern. Wenn auch, sagte sie, dir das oder jenes Wort fehlt; die Sache verlaͤßt keinen, der sie nicht verlaͤßt. Sie hat nicht unrecht. Wer eine Sprache nicht ex professo weiß, kann sich doch drinn treflich ausdruͤcken, wenn er nur sonst ein Kopf ist. Wagen ge- winnt, wagen verliehrt, heißts hier! Was ich ein Genie gern eine Sprache reden hoͤre, deren es nicht voͤllig maͤchtig ist! und wo ist ein Genie, das seine Sprache puͤnktlich weiß? Da seh’ ich denn, wie dem vollen Ausbruch der Flamme nur ein Mund voll Luft ge- bricht — Ein Genie ist ein Kopf, der nicht aufs Wort merkt und doch, fehlts ihm nie an irgend einem Guten. Kraft und Macht sind hier verschieden; obgleich sie sonst ein Paar sind. Mein Vater las nie ohne Woͤrterbuch eine Sprache, in der er nicht Meister war. Er mußte alles aus dem Grund haben und J 3 jedes jedes Wort aus der Wurzel ziehen — Mein Vater war ein Prosaist; meine Mutter eine Dichterinn. — Wenn ein Hahn traͤhte, dachte meine Mutter an den Hochverrath des Petrus und an ihren eigenen, den sie sich wegen Minen zu Schulden kommen laßen. Der Praͤposi- tus unter ihren Haͤhnen, der alle andre uͤberschrie, war ihr ein ehrwuͤrdiges Thier! In den Denkzetteln that sie ihm sogar die Ehre, ihn Superintendent zu nennen. Schade, sagte sie, daß auch er den Auskehrigt noch einmahl auskehrt! — Nichts konnt es ihr naͤher legen: wer steht, mag wohl zusehen, daß er nicht falle, als ein Hahn. Sie konnte keine Uhr schlagen hoͤren, ohne daß sie auffuhr: Kaufet die Zeit aus! sagte sie. Wenn sie wo war, stand sie mit dem Schlage auf; wenn sie wo hingieng, geschah es mit dem Schlage, und dies nicht etwa der Puͤnktlichkeit wegen, sondern des Vollschla- gens halber. Sie that, als wuͤßte sie, daß sie mit dem Schlage sterben wuͤrde. Ich wollt’ auch nicht im ersten oder dritten Vier- tel, oder wenn es halb ist; kalt oder warm, sagte sie, da du aber lau bist, will ich dich ausspeyen. — Waͤr’ Waͤr’ es nicht gut, fragte sie, lieber Mann! wenn man lieber spraͤche, wie Mat- thaͤus, Marcus, Lucas sagt, und nicht, wie sie schreiben. Sagen ist lebendiger Glaube, schreiben todter. Jenes Geist, dies Leib. Mein Vater laͤchelte. — Meine Mutter, die gegen Jedermann gerecht war, und die mir in ihrer Textsamm- lung, in ihren Denkzetteln die Lehre gab, die u bey ihrem Strich und die i bey ihrem Punkt (privilegio reali) zu laßen, war eben so gerecht gegen alte Woͤrter und ihre wohl- hergebrachten Privilegia. Der Wurmstich thut zu ihrer Guͤltigkeit nichts ab, nichts zu. Luther war ihr Autor Classicus. Sie liebte sehr Realworte, solche, welche die Sache selbst waͤren wie sie sich ausdruͤckte. Donner! Blitz! — Sturm! — In dieser Hinsicht war sie mit einigen nicht zufrieden, z. E. mit Geschwind. Es wird kalt, ehe man das Wort zu Ende spricht. Schwind, wie der Wind, waͤre besser. Du sollt nicht stehlen, setzte sie hinzu, und wich dem Worte Geschwind aus, um ihren Grundsaͤtzen auf der einen und auf der andern Seite dem Worte keinen Schaden noch Leides zu thun, sondern J 4 allen, allen, waͤrs auch einer Sylbe, foͤrderlich und dienstlich zu seyn. Sie gab allen Baͤumen zu viel Wasser, die sie selbst pflanzte. Ueberaus gern sah und hoͤrte sie regnen. Ihren Unterricht pflegte sie eine Schoͤpfe zu nennen! wollte Gott, setzte sie hinzu, aus einem Gesundbrunnen, aus einem Brunnen des Lebens! Nicht jeder kann, so lang wie er ist, sich in den Bethesda stuͤrzen. Seht doch jenen Baum, dem die Aeste brechen. Er hat mehr Kinder, als er tragen kann! So fromm, wie jene Wittwe das Scherflein einlegte, so fromm stuͤtzte sie die- sen Baum! Ein Pastor aus der Gegend, dessen Geiz grenzenlos war, hatte einem duͤrftigen Ein- gepfarrten 10 Thaler Alb. geliehen. „ Wo sind denn die neune “ sagte er zu seinem Schuldner, da er ihm einen Reichsthaler zum Anfang abtrug? Das nenn ich, sagte meine Mutter, eine Spruchspoͤtterey, der- gleichen sich zehn Freygeister nicht zu Schul- den kommen lassen; wiewohl sie ob der Bie- belsprache hielt. Die Juden sahn meine Mutter wie Win- kelmann die Antiquitaͤten an. Von getauf- ten ten Juden war sie vielleicht blos darum keine Freundin. Nie hatte sie bey einer Juden- taufe Gevatter gestanden; obgleich sie gern bey Christenkindern dieses Pathenamt uͤber- nahm. Sie draͤngte sich recht zu Gevatter- staͤnden. Laßt die Kindlein zu mir kommen, sagte sie, und wehret ihnen nicht, denn sol- cher ist das Reich Gottes! Wer beym ersten Gericht von Religions- sachen spricht, ist ein Heuchler! — da denkt man an den Leib. Beym letzten Gericht, vorzuͤglich beym Kuchen, wird in allen Ge- sellschaften von Religion des Mittags, von Erscheinungen des Abends gesprochen. Das Gewissen, sagte sie, ist eine Sayte, die nie ausgespielt wird. — Sie schrieb Christ mit einem X und Chri- stenthum X thum, und war eine so große Verehrerin vom Kreutz, daß, wenn gleich sie nicht mehr ein Kreutz schlug, wenn sie jaͤhnte, sie doch alles und jedes ins X legte. Z. E. Messer und Gabel. Die Eckartschen Ca- mine waren ein Greuel in ihren Augen, weil das Holz hier nicht kreutzweise brannte. Sonst war Caminfeuer ihr Leben. Mein Vater war auch dafuͤr. J 5 Zu Zu fruͤh, sagte meine Mutter, ist eben so zur Unzeit, als zu spaͤt . Wer etwas zu geschwind sagt, weiß es, und weiß es auch nicht. Sie gieng zwar etwas schnell; allein sie sprach so, wie man muß, nicht zu fruͤh, nicht zu spaͤt. Sie hatte sehr was ver- nehmliches in der Sprache, eine klingende Stimme! — Sie war sehr fuͤr rasche Pferde, und da mein Vater gleicher Meynung war; so pflegte sie oft, wenn sie mit ihren vier braunen fuh- ren, zu sagen: Feurige Roß und Wagen . Es kann seyn, daß sie, blos weil sie Dichte- rin war, rasche Pferde geliebt; indessen er- wehnte sie nie des Pegasus . — Wer wird, sagte sie, einen Erzengel, Got- tes wuͤrklich geheimten Staats- und Kriegs- minister nennen? Kindliche Weisheit mit Scholastik verkaufen? Wisset ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig das ganze Gebaͤcke ver- saͤuret? Sie glaubte sich, als Pastorin, wuͤrklich im goͤttlichen Dienste. Die Schauspielerin arbeitet so gut, als er. Eine Saͤngerin er- haͤlt oft ihren Mann. Eine Pastorin besorgt den kleinen Dienst, sagte sie, um meinem Vater zum Munde zu reden! — Ein Ein Berg ist die eigentliche Kanzel Got- tes! Christus, der Herr, bestieg selbst eine dergleichen Kanzel, und predigte gewaltiglich. Vernunft nannte sie Unterfutter! Ober- zeug, sagte sie, muß Dichtkunst seyn, wenn es kleiden soll. Sie konnte nichts uͤbertriebenes leiden, und uͤbertrieb selbst, wenn sie dergleichen Leute auf den rechten Weg leiten wollte „thut sie doch so keusch, daß sie Bedenken traͤgt, ein Soͤhnlein christlicher Eltern uͤber der Taufe zu halten“ — Einen Unbestaͤndigen bezahlte sie mit glei- cher Muͤnze. In Mutterleibe, sagte sie, ist er am laͤngsten gewesen. Wer hat aber seine Mutter druͤber befragt, ob sie nicht Be- schwerde zu fuͤhren gehabt, daß er den Zaun brechen wollen, eh es Zeit war? Fuͤr die Augspurgsche Confeßion war sie uͤber alle Maaßen. Herzlich konnte sie sich uͤber einen curschen Candidaten freuen, der auf die Frage: woher sie Confessio Augu- stana hieße? antwortete, weil sie von Augu- stino herkaͤme; warum nicht gar vom Kay- ser Augusto, der eine Schatzung ausschrieb? Der Conversus war aus Augspurg, kein Wun- Wunder, daß, des Koͤnigs von Spanien un- erachtet, alles mit dem Hieronymo a sancta fide so gut beygelegt, und ein fuͤr den Con- versus so vortheilhafter Friede eingegangen ward. Wenn meine Mutter zuweilen im heili- gen Eifer war, sprach sie, wie sie selbst be- merkte, nach Prophetenart, die es auch, wie sie glaubte, so boͤse nicht gemeynt haͤtten. Den folgenden Fluch hatte sie aus den Pro- pheten ausgezogen; nie hat sie ein Glied da- von gebraucht — „In der Stadt soll keine Muͤhle mehr gehen. Keine Braut soll sich thres Lieblings freuen. Kein Richter soll ei- nen Mord ruͤgen, jede Erstgeburt verungluͤ- cken. Nie werde gesungen und gesprungen. Huͤlle und Fuͤlle sey nirgend, weder im Tem- pel, noch beym Schmause. Lang wer- de den Tischgaͤsten die Zeit, wie den Tage- loͤhnern, und kein Mark sey auf ihrem Tische; in ihren Haͤusern rieche es nach eitel todten Leichnamen, die den Weyhrauch nicht auf- kommen laßen, wenn gleich ihn Aarons Hand woͤlbt. Wenn es donnert, ergreife den Einwohner eine Angst, wie eine Gebaͤh- rerin, und niemand finde hier volle Gnuͤge. Keine Creatur freue sich hier ihres Seyns. Der Der Vogel sitze laͤnger um seine Jungen zu bruͤten, und verlaße das Nest, ehe seine Nach- welt einen Flug gethan. Ein Schwindelgeist sey unter ihre Jugend ausgegossen, daß sie wie Trunkenbolde laufen, wie aufgerafte Mittagsschlaͤfer. Ihr Alter sey wie Rohr, das der Wind hin und herbeugt! — Ver- zagtheit wohne in ihren Staͤdten, und bey dem kleinsten Uebel recke jeder seine Hand wie ein Ertrinkender, wenn er sie zum letzten- mahl reckt.“ — Die Propheten, behauptete sie, fluchten schoͤn und — wer lese nicht gern solche Fluͤche? — Eine feine Flucherin! Ich schreibe mir nichts hinters Ohr, sagte sie, und that auch also. Ich habe mit keinem Menschen ein Huͤhnchen zu pfluͤcken. Wahrlich! sie war ein schoͤner nordischer Maytag. Sie war nicht eine Flaͤche, die dem Auge nicht hinrei- chend Nahrung giebt! Ein Berg, eine Kan- zel Gottes, graͤnzte an ihr Thal. — Einen Plan machen konnte sie nicht. Sie schlug nicht Alleen im Walde, sondern, nach- dem es die Gelegenheit gab, hier und da einen Stamm. Zum ersten besten Bahn- bruch war sie nicht aufgelegt. Sie selbst aber wußte ein und aus. Mein Mein Vater war gleich mit einem Riß fertig. Meine Leser werden selbst so manche Abschnitzel von Entwuͤrfen bemerkt haben. Gern aber mochte meine Mutter Plane hoͤ- ren, z. B. die Disposition meines Vaters von der Sonntagspredigt schon Sonnabends zu wissen, war ihr Leben. Mein Vater nannt’ es den Kuͤchenzettel der Predigt. Meine Mutter war mit diesem Ausdruck hoͤchst unzufrieden. Sie sah sehr ungern, wenn irgend ein gemeiner Mensch ein Instrument spielte. Singen, sagte sie, muß jeder koͤnnen; allein spielen nur der, wer Geld und Zeit hat. Sie glaubte, ein Reicher haͤtte unendlich mehr Zeit, als ein Armer, und man koͤnne wuͤrk- lich Zeit kaufen. — Sehet die Voͤgel unterm Himmel, sie saͤen nicht, sie spinnen nicht, und darum sin- gen sie doch, pflegte sie zu sagen. Das Schreiben hielte sie in Absicht des gemeinen Haufens unnoͤthig, sogar schaͤdlich, dagegen behauptete sie, muͤsse jeder Mensch sein Augenmaas excoliren, das heißt: setzte sie hinzu, zeichnen lernen, wenn nicht anders, so mit den Augen allein. — Weder Weder Hefen, noch Schaum — Der alte Herr ist oft beydes — Sie goß alles ohne Schaͤumchen auf. Ein Becher war ihr liebstes Geschirr; ein Halbbruder vom Kelch, sagte sie. Mein Va- ter war fuͤr Glaͤser. Der Champagner war ein Stutzer unter den Weinen! Windbeutel nannte sie ihn — In Pfingsten hieß er Geniewein. Sie aß gern Honigseim, wie sie es nannte, zu teutsch Honigkuchen. Sie hatte eine Weise, der Mode nicht ungetreu zu seyn; indessen brachte sie dabey etwas an, wodurch sie ihre cursche Freyheit sich reservirte. Mein Vater, der Monar- chenfreund, versicherte, daß sie eben diese Abweichung am vortheilhaftesten gekleidet haͤtte, und in Wahrheit, eine blos modische Frau ist geputzt, eine die, wenns noͤthig, sich selbst etwas vorbehaͤlt, hat Geschmack. Sie gieng sehr reinlich. Wenn sie sich unge- woͤhnlich ankleidete, pflegte sie zu sagen: Wir brauchen Brod alle Tage; Geld aber nur alle Jahr. Walt ewiger Gott! wie viel Vorliebe hat der Mensch doch fuͤrs Sinnliche! Laͤßt er wohl das Kippen und Wippen? Und doch ist er er schon hier im Stande, verklaͤrt zu werden. Es giebt Seelen von Menschen! Geister von Menschen, sagt man nicht. Es giebt Ge- muͤther, von denen man behaupten koͤnnte, sie haͤtten keine Erbsuͤnde; allein den meisten Menschen ist nicht um Sachen, sondern um Worte zu thun! Welch eine Thorheit! singt dein Vater, und das mit Recht! Nach die- ser Fahr und Noth will ich dir lobsingen, Gott meine Zuversicht, in deinem Heilig- thum! als ob Gott, dem Herrn, mit einer Hand voll Worte, mit einem Panegyrikus gedient waͤre! Handlungen, das ist die ei- gentliche Art, mit Gott zu reden! das heißt, ihn im Geist und Wahrheit anbeten! Das sind mir die rechten Pastores, die boͤse Hunde halten! und die Leute blos ins Gebet einschliessen! Sie hielte die Hunde fuͤr eine Beleidigung der Gastfreyheit — Mein Sohn! schreibt sie mir gleich nach meiner Abreise, bald haͤtt ich mein Kind ge- schrieben, und das ist nicht Juͤngchen, nicht Maͤdchen. Dieser Ausdruck schickt sich fuͤr keinen, als den Johannes den Evangelisten, den Christus lieb hatte, mit dem er spielte — Das war ein Kind, ein liebes Kind, im erha- benen Sinne. Wie ich den Johannes lieb habe! habe! Was ich dir sagen wollte: Saul suchte die Eselin seines Vaters, und fand ein Koͤnigreich. Joseph traͤumte sich zum Herrn uͤber ganz Egyptenland, der nicht ein Kornjude, wie etliche wollen, sondern ein fei- ner Finanz-Minister ward. Es ist sehr gut, daß es dem Menschen nicht immer nach sei- nen Wuͤnschen geht. Gott behaͤlt sich ein Votum bey ihm vor, und anstatt, daß ein Mensch betruͤbt seyn sollte, daß ihm ein Po- sten abgeschlagen wird, sollt er sich freuen, daß Gott der Herr sich in die Sache einge- mischt. Wenn man die Zeit abwarten kann, wird Wasser in Wein verwandelt. Wer weiß, ob Horeb oder Gethsemane der beste Berg ist? Du willst in die Rathsstube, und weißt nicht, daß du in die Moͤrdergrube ge- rathen wuͤrdest; du willst Geld, und bedenkst nicht, daß Geitz die Wurzel alles Uebels ist? Du klagst uͤber oͤftern Anfall von Kolik, und weißt nicht, daß wenn der Stoͤhner nicht lange lebt, der Prahlhans gewiß nicht. Ich zittre vor einem großen Gluͤck, wie dein Grosvater seliger. Wenn es recht warm ge- wesen, donnert und blitzt es. Da erzaͤhlt mir juͤngst der Candidat mit den langen Manschetten, daß eine Glocke, die nicht fest K genug genug hieng, auf ein Maͤdchen von sieben Jahren gefallen, die unten spielte, und zwar so, daß sie sie bedeckte. Von solchem Gluͤcke konnte dein Grosvater nicht sagen. Das heißt Gluͤck. Da haͤtte auch der Himmel fallen koͤnnen, und nicht blos eine Glocke! Dies Maͤdchen waͤre keine Frau fuͤr dich ge- worden. Mag sie doch der Herzog heyra- then, wenn er Lust und Liebe zum Dinge hat! — — Buͤcher und Kinder kosten am meisten, und es ist unrecht, dem geistlichen Stande den Cre- dit druͤber zu benehmen. Die alten Predi- ger ließen etwas Bart zur Art stehen, und diese Weise gar eben, waͤre so etwas in mei- nen Kram. Vielen unserer Candidaten wuͤrde es Muͤhe kosten, diesen Aufwand zu machen. Der Bart wird sich zeitig bey dir einfinden! Es ist kein ungebetener Gast, er sey willkom- men! — So bald du den Kopf auf einer Seite, und nicht gerade zu trugst, merkt’ ich gleich, du waͤrst verliebt. So traͤgt ihn der Ver- liebte. Du fingest an, im Tenor zu fallen. Gut, dacht’ ich, er hat das Weltbuͤrger- Recht gewonnen. Ich wußte, mein Blick koͤnne nicht fehl schlagen, und du waͤrest nicht nicht gleichguͤltig gegen Minen. Mein Gott! aber wer konnte auch gleichguͤltig seyn! Wenn ich ihr kaum einen guten Morgen bot, da sie kam, mußt ich sie doch kuͤssen, wenn sie gieng. Viele Menschen lassen die Natur nicht zum Worte. Mine stand so mit der Kunst. Warlich die Natur hat Euch die Liebe gelehrt! — Laß sie nur Pfefferkraut sammlen, dacht’ ich! Was hats zu sagen, wenn es beym Pfefferkraut bleibt. Ich Thoͤ- rin! konnt ich denn nicht bedenken, zu die- ser meiner Zeit, daß du die erst und letzte Geburt einer Dichterin waͤrst, und daß deine Einbildungskraft kein Stuͤck Kleid bey dem, was es ist, lassen, sondern es in ein himm- lisches Gewand umschaffen wuͤrde! Ich, die ich deines Vaters halber hebraͤisch lernte, ich konnte dies alles nicht bedenken? — Meine Mutter, obgleich kein Wort ihr Kopfschmerzen machte, und sie Genie im Ausdruck war, trat doch der u und i Ge- rechtigkeits halber meinem Vater in Absicht der Stammworte bey. Diese waren ihr so ehrwuͤrdig, als ihre Ahnherren, die Supe- rintendenten und Praͤpositi. Sie rieth, sich dran zu halten, um jedem Worte seine Wuͤrde und Ehre zu geben. Ohne das ist K 2 alles alles nicht Fleisch, nicht Fisch, nicht gekocht, nicht gebraten. Soldat ist zusammengesetzt von Sold und That, sagte sie. Wer ums Lohn Dinge thut, thut sie der? fragte sie; denn sie hielte nicht viel auf Soldaten. Sie hies sie gewoͤhnlich mit der heiligen Schrift Kriegsknechte. Die Bauren nannte sie laͤch- lend Bauherren. Wenn gleich in Curland blos der Bauren- und Ritterstand obwaltet, und der Litterator der Rinnstein zwischen bey- den ist, doch so, daß er sich mehr zur baͤuer- lichen Seite wendet; so meynte sie doch, das Mittelstuͤck sey das beste. Wie heißt das vierte Gebot? Du sollt deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dirs wohl gehe und du lange lebst auf Erden! Was ist das? Ob denn nicht ein Autor auch ein Geist- licher Vater sey? Gern saͤh’ ich es, um den verlohrnen Sohn von Kunstrichter, bey Ge- legenheit, daß ich meiner Mutter die kind- liche Pflicht erstattet, zur aͤhnlichen Schul- digkeit anzuweisen — Mag er doch bey sei- nen Trebern bleiben! — Du aber, ruhe wohl! meine gute liebe Mutter! bis der liebe juͤngste Tag anbricht, bis bis zur Stunde, da es heißt: Steht auf! Du warst zur Wiedergeburt gewoͤhnt, wahr- lich, du wirst wiederkommen! Ey, du from- me und getreue! du bist uͤber wenig treu ge- wesen! Du wirst zu vielem kommen! Du warst reines Herzens, du wirst Gott schauen, du preisest Gott mit deinem Leibe und deinem Geiste, welche sind Gottes — Was gesaͤet war in Schwachheit, wird auferstehn in Kraft! — Eva aß, und gab ihrem Mann auch davon, und er aß, und doch war Eva das Weib aller Weiber, die Mutter aller Le- bendigen. Gute einfaͤltige fromme Seele! Gott gesegne dich! Vergeß ich dein; so ver- gesse mein Herz Meiner! Mein Vertrauter, der aus einem Becher mit mir trinkt, sey ein Judas, der Gift unter meinen Kuß mi- sche! In meiner Rechtssache spreche ein schielender kleiner Bube aus einem Oberge- richt! Der in der Curlaͤnderin Sache sprach, richte auch meine Sache, wenn von Ehr und gutem Namen die Red ist! Mit Thraͤnen will ich erndten, was ich mit Freuden saͤete! — Dein Mann, mein Vater, versplitterte oft das beste Stuͤck Bauholz, woraus ein andrer eine Kirchenstuͤtze gehauen haͤtte, wenn ers im gemeinen Leben brauchte. Er wechselte K 3 ein ein Schaustuͤck eines Duͤrftigen halber, und auch du gabst, was du unterm Herzen hat- test! — Wahrlich, du warst kein Gras, das unter Steinen waͤchst, das keinen ruͤhrt und wozu niemand sagt: Gott gruͤß dich! Eine gruͤne Taufwiese warst du, ein holdes Thal, das einen Berg zum Nachbar hat. Ein Lied im hoͤhern Chor, ein Sonnabend, auf den der Sonntag folgt. Eine Glorie von hellem Mondschein war hier dein Theil; dort bist du gekleidet in Sonne der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit war deine Aussaat, und wird deine Erndte seyn. Keinem Wort’ hast du einen Zahn ausgestoßen, keinem einen bleyernen oder silbernen eingesetzt! Jedem Buchstab, gros und klein, gabst du, was sein war. Suͤmpfe zu verurbaren, gemeine Seelen zu adeln! In den Schwachen maͤchtig zu seyn, so wie es Gott in dir war, das hieltest du fuͤr deinen Beruf. Du hattest richtige Laͤufe. Ruhe wohl! — du hast deine Quarantaine vor der Ewigkeit richtig gehalten! — Du bist ein- gegangen! Gott webe seine Hand uͤber dei- nen Staub! Lebe wohl! — Daß Herr v. G — der aͤltere noch vor meinem Vater den Weg gegangen, den wir alle gehen werden, hat meine selige Mutter anzu- anzuzeigen nicht ermangelt. Freylich gehoͤrt Herr v. G — nicht so unmittelbar in diese Ge- schichte, und waͤre es wohl Zeit, daß ich an mich selbst mehr daͤchte: soll man denn aber seinen Naͤchsten nicht lieben als sich selbst, und ist denn Herr v. G — der aͤltere nicht wahrlich unser aller Naͤchster? Je weniger man an- dere aus den Augen setzt, je mehr sagt man von sich selbst — und damit ich mein Schwert in die Scheide stecke und meinen Lesern reinen Wein einschenke; so verlangt der nemliche Freund, der mich schon mehrmals in dieser Geschichte besuchte, den Herrn v. G — in Le- bensgroͤße. So werd’ ich ihn nicht darstellen koͤnnen, weil ich Extrapost genommen; indes- sen doch hie und da ein Zug von diesem Na- turmanne, der auch die Kunst nicht zum Wort kommen lies, wie meine Mutter es Minen nachruͤhmt. Es aͤrgert mich jederzeit, wenn ich eine Vor- oder Nachrede vollbracht habe, und doch kann ichs nicht lassen! Wer kann sich ohne guten Morgen und gute Nacht behelfen? In allen Sprachen wird es der lernenden Jugend zuerst beygebracht, und wer sich uͤberhaupt ohne Vor- und Nachreden be- helfen, oder, wenn sie schon da sind, sie mir nichts dir nichts streichen kann, kann mehr K 4 als als ich! Es ist so etwas von Erst- und Letzt- geburt drinn. — Damit meine Leser indessen gleich wissen, woran sie sich zu halten; so sey mir erlaubt, den Text zu verlesen, woruͤber gepredigt wer- den soll. Wahrlich dies ist auch der einzige Gesichtspunkt, aus welchem Herr v. G — zu nehmen ist. Er und mein Vater hatten sich in zehn Jahren nicht besucht, wohl aber so oft sie sich nur reichen konnten, mit Gedanken, Gebehr- den, Worten und Werken (wiewohl alles in Ehren) gepfaͤndet. Sie empfiengen sich, da Junker Gotthard und ich zusammen gegeben werden solten, wie die beyderseitigen Schwie- gereltern gemeinhin am Hochzeitlager, so freundlich, daß nichts druͤber war. Aber Pastor! sagte Herr v. G — nachdem sie in der freyen Luft so manches gute Wort gewechselt, sind wir nicht ein Paar Verneinungen, ein Paar Nullen gewesen, daß wir uns, und so man- chen Realitaͤten, sieben Jahre, wenns nicht mehr ist (es waren, wie ich nicht anders weiß, zehn, die vollkommene Zahl,) den Ruͤcken ge- kehrt? — Aus Aus einem Briefe meiner Mutter. Ich habe, das weißt du, je und in alle Wege viel aus den Predigten deines Vaters gemacht; obgleich er nicht viel aus meinem Gesang, bis er mit Brand heimgesucht ward. Am liedsten hoͤr’ ich, ihn, wenn er eine Casual- predigt haͤlt. So ist mir die Predigt: Rich- tet nicht, noch immer in den Ohren ein suͤßer Schall, und haͤtt ers bey den Liedern nicht versehen, dieser Sonntag waͤre werth, in Gold gefaßt zu werden und Edelstein — Ueber den Herrn v. G — hielt er eine Predigt trotz der: Richtet nicht; indessen war sie nicht fuͤr jedermaun. Sein Text war aus dem ein- hundert neun und dreyßigsten Psalm und dessen drey und zwanzigsten und vier und zwanzigsten Vers; Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, pruͤfe mich und erfahre, wie ichs meyne, und siehe, ob ich auf boͤsem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege! Seine Predigt handelte vom Verstande und Herzen eines Chri- sten, nicht, wie alles ist, sondern wie mans glaubt, daß es so recht, daß es so gut, so recht gut ist — Auf den Glauben kommts allein an. Mancher der nicht Herr, Herr! gesagt hat, wird dort! die beschaͤmen, die K 5 Herr, Herr, Herr! des Morgens, des Abends und vor und nach Tische sangen und beteten; nicht die Vater unsers, nicht die das Walts ma- chens aus, sondern die den Willen thun des Vaters Jesu Christi im Himmel, sind hier auf gutem, auf ewigem Wege. Da bekamen in die Laͤnge und in die Quer, die sich uͤber den Herrn v. G — aufgehalten, weil er lange nicht communicirt, und kein Kirchengaͤnger gewesen. Es war deinem Vater nicht anzu- sehen, daß er sein ganzes hebraͤisch vom Con- versus hatte, und das heißt, eben nicht weit her. Er sagte uns Christenleuten so manches theure werthe Wort, und wahrlich, mein Sohn, er hatt’ nicht Unrecht. Die Ortodoxie des Herrn v. G — will ich an seinen Ort stel- len. Gott gebe, wenn es nicht zur Rechten ist, es wenigstens nicht ganz zur Linken, son- dern von der Seite sey. Der Herr von G — bekannte und leugnete nicht. Ich bin keiner, sagt er rein heraus, und ohne Spruͤchwort. Wenn man aber die jetzige neue Mode, Chri- sten zu seyn, erweget, die unsere junge Herrn (Gott nehm dich in seinen Schutz) von eini- gen Akademien mitbringen; (Heil mit Koͤ- nigsberg und Goͤttingen fuͤr und fuͤr!) so koͤnnt’ es wohl heißen: dein Silber, zu re- den den aus Jesaias dem ersten Capitel und dessen zwey und zwanzigsten Vers: O Christen- thum! dein Silber ist Schaum worden, und dein Getraͤnke mit Wasser gemischt, und aus dem dritten Capitel, der siebenzehn- te und vier und zwanzigste Vers: Der Herr wird den Scheitel der Toͤchter Zion kahl machen, und der Herr wird ihr Geschmei- de wegnehmen. Das heißt: er wird den Leuchter von der heiligen Staͤte stoßen, und statt der feyerlichen hellbrennenden Kerze, prasselt dann ein elendes Talglicht, zwar in einer glaͤsernen Form gegossen, schoͤn von aus- sen; allein doch Talglicht; dann wird Stank fuͤr Gutgeruch seyn, und ein loses Band fuͤr einen Guͤrtel, und eine Glatze fuͤr kraus Haar, und fuͤr einen weiten Mantel ein enger Sack. Fuͤr Bibel und Gesangbuch allerley Naschwerk und Marcipan, das suͤs auffaͤlt; allein den Magen verdirbt. In dieser Verstands- und Herzenspredigt dachte dein Vater an den Herrn v. G —. Es war wie vom Himmel gefallen. Ha! vermuthete man, da wird er die zehnjaͤhrige Entfernung aufdecken! Da wird man erfah- ren, ob Rahel weiß oder braun gewesen? Was fuͤr Federn Gabriel in seinen Fluͤgeln gehabt? gehabt? Ob Adam mit einem Nabel verse- hen gewesen? wenn gleich der Text darnach nicht war! — Es war eine Stille, wo man das Wort fast in der Seele hoͤren konnte. Die Frau v —, die so tief zu seufzen gewohnt ist, daß die Waͤnd’ es hoͤren und wiederhallen, als wunderten sie sich drob! — still! ganz still! O mein Sohn! dein Vater ist ein Feuer- schlagender geistreicher Mann! Schade! daß er sein hebraͤisch nicht aus der ersten Hand hat! und abermals schade! daß man nicht weiß, wo er her ist! Sein Text ist Stahl und Feuerstein. Er schlaͤgt, und es fallen Funken, des Kuͤchenzettels unerachtet, den er uͤber jede Predigt macht. Ich habe geweint bitterlich, und die ganze Kirchen- oder Trauer- versammlung weinte so. Er schalt nicht, er drohete nicht. Er stellte dem es heim, der da recht richtet. Wenn ich doch schreiben koͤnn- te, was er sagte. Es war alles, wie in Ver- sen, so leicht! so schoͤn! Laßt uns ungebeten an ein Mitglied einer benachbarten Gemeine denken, des- sen Erforschungs-dessen Pruͤfungsjahre selig zu Ende gegangen, und der den ewi- gen Weg der Wahrheit und des Lebens angetreten! — Er kam nicht zu mir, so wie wie ers seit einiger Zeit oͤfters zu thun die guͤtige Gewohnheit hatte, sondern zu unserm Gotteshaufe! Er wolte un- sern frommen Uebungen beywohnen, ohne daß ichs zuvor wußte. Ich sprach ihn nicht, ich begruͤßte ihn! allein von weiten und siehe da! noch ehe ich meine Predigt anfieng, hatte er seinen Lauf vollendet. Noch ehe ich Ja sagte, war er beym Amen. Er starb, wie ihr alle wisset, in den lezten Worten des christ- lichen Glaubens: nach diesem Elend ist uns bereit dort ein Leben in Ewigkeit. Unvergeßlich wird mir jedes Wort die- ses Umstandes seyn, so wie dieser Mann es einem jeden seyn muß, der ihn ge- kannt hat! — Er besuchte selten die Kir- chen und mußte in einer Kirche sterben! Ich sahe den Aufstand, der unsers Vol- lendeten halber entstand; allein ich hielt seinen Zufall fuͤr einen solchen, der bey weitem nicht der letzte waͤre. Welch eine Kluft zwischen Gottes und unsern Gedanken! Dein Wille, un- ser Vater! dein Wille ist geschehen — Er Er war — ich sage das Wort war, anstatt ist zum erstenmahl, und ich fuͤhl es, es ist das erstemahl. Er war mein Freund ! er war, ich will mich an dies Wort gewoͤhnen, er war ein Freund der Wahrheit, und ich kann hinzusetzen, ein Freund Gottes und der Menschen, nach seinem Bilde gemacht — Gemeynt hat er es gut, das wissen wir alle, mit Gott und Menschen. Was koͤnnen leichte Wolken der Sonne schaden? sie darf sich nicht vordrengen, sie leuchtet ohn- gesucht hervor, und jeder sagt: die liebe Sonne! Er dachte nicht, so wie wir, Freunde! Ihr wisset, daß er und ich uns darob wie Lot und Abraham trenn- ten, und fiel etwas vor, was nicht ganz wie Lot und Abraham war! Verzeih’ es Gott! bey dem viel Verzeihung ist. Ich bekenn’ es frey, ich war bey dieser Trennung der Eiferer, und der Eifer thut nicht jederzeit, was recht ist — Mein Trost ist, daß auch ich es gut meynte! O Gott, wie oft ringt meine Seele zu dir! Wie oft bet’ ich in mei- ner Einsamkeit, nur allein von dir ge- hoͤrt: Erforsche mich Gott, und erfahre mein mein Herz, pruͤfe mich und erfahre, wie ichs meyne, und siehe, ob ich auf boͤsen, auch nur auf Irwegen, bin, und leite mich auf ewigem Wege! Ich habe ge- than, was meines Amtes ist. Thut, Freunde, auch was das eurige ist. Ich wuͤnsche ihm die Ruhe der Gerechten! Ihr, desgleichen. Gedenk an mich, wie ich gestorben bin; so wirst auch du sterben. Gestern war es an mir, heut an dir, das sey unser Geleitsspruch, wenn wir dieses Gotteshaus verlas- sen! — Dieser Auszug bedarf keines Zusatzes. Kurz und gut war der Tod unsers theuren v. G —. Eben so kurz soll auch meine Leichen- rede seyn, ob so gut, kann ich nicht be- stimmen. Herr v. G — war ein sehr natuͤrlicher Mann; alles was er sagte war mit der Hand geschoͤpfte Natur. Diogenes sah einen Kna- ben Wasser mit der Hand schoͤpfen, so wie unsere es mit dem Hut zu thun gewohnt sind, und setzte sich aus dem Besitz seines Mobiliar- vermoͤgens, ohne solches publica legis auctio- ne dem Meistbietenden zu uͤberlassen. Wenn die Natur Lehrer und Propheten sendet, sind es es alle solche Wasserschoͤpfer! — Herr v. G — hatte eben da seine eigentlichen Collegia ge- hoͤrt. Er war aus Curland. Da, wo er ge- bohren, waren schon sieben Herren v. G — gebohren und gestorben; allein wahrlich kein v. G — seiner Art. Curland hat einen sol- chen Mann schwerlich aus seinen Mitteln ge- habt. Mein Vater konnte sich nicht uͤberzeu- gen, daß seine Vorfahren Curlaͤnder gewesen. Er ist, wie die Curlaͤnder seyn koͤnnten, und wo sind v. Gs —? Wie aber, wenn die Na- tur in einem Lande, wo Keckheit, Rauhigkeit, Trotz und Tyranney unter dem Namen von Freyheit gang und gaͤbe ist, einem Mann, der ihrem aͤdlen Bilde aͤhnlich waͤre, recht mit Fleiß schaffen wollen? Wenn sie gedacht, laßt mich einen Curlaͤnder machen, ein Ideal! Herr v. G — hatte, wie jeder Junker, sei- nen Hofmeister. Dieses war zum Ungluͤck ein so ausgelernter Kuͤnstler, daß er wider die Landesgewohnheit viel todte Kenntniß besaß, die in der curschen Dunkelheit hell schien; so wie faules Holz gewoͤhnlich im finstern. Un- ser Juͤngling war seinem Fuͤhrer am Verstan- de unendlich uͤberlegen; dieser aber jenem an Spruͤchen, und da der gute Goliath an dem Herrn Herrn Vater unsers kleinen Davids einen Verehrer gefunden; so war der junge Herr gezwungen, den kuͤrzern zu ziehen, seine Schleuder ungebraucht zu lassen, und sich hoͤchstens mit einem verstohlnen Blick des Beyfalls von seiner guten Mutter zu begnuͤ- gen. Dieses aͤdle Weib hatte die gerechte- sten Klagen wider ihren Mann, besonders in puncto puncti. Auch außer dem Puncto puncti nahm sich der alte Herr v. G — so manche schreyende Haͤrte nicht uͤbel, und befand sich dabey recht wohl. Fiel ja ein Gewissensbiß vor, so hatte der Hausarzt ein Recept von Spruͤchen, die ihn auf der Stelle beruhigten. Arzt und Patient waren gleich kurzsichtig. Aus seines Vaters Hause gieng unser selige Mitbruder in die academische Welt, lies seiner Denkungsart, die bishero Ziegel gestrichen, den freyen Lauf und ward — Dreistdenker. Anfaͤnglich war es nur, um das Grosmaul, den theologischen Goliath, zu Gottes Erd- boden zu bringen. Obgleich dieser Ausfor- derer in dem vaͤterlichen Hause zuruͤckgeblie- ben war, und mit keinem kleinen Stein er- reicht werden konnte; so war er doch unserm David so lebhaft, daß er mit einem kleinen Steinchen nach dem andern seine Stirn pro- L birte. birte. Dieser Steinwurf ward ihm eigen. Jung gewohnt, alt gethan. Die Gewohn- heit ist die andre Natur, haͤtt ich bald gesagt; allein in Wahrheit nicht die andre, sondern die erste, die eigentliche, die Natur selbst. Unser Selige studirte Leben- und nicht Schul- weisheit, von der er immer der Nachfrage halber eine Kiste erhandeln koͤnnen! Freylich, sagt’ er, haͤtt’ ich, und es thut mir oft leid, daß ichs nicht habe; allein wenn es mir wieder einfaͤllt, daß all die Raritaͤten so sehr der Mode unterworfen sind, als es kein Kopfputz meiner Frauen ist, warum solt’ ich? — Wahr- lich! Gelehrsamkeit ist Weiberkopfputz; der erste unter den Gelehrten geht frisirt! — Pfuy! da ehr mir Gott mein eigen Haar, wenns gleich nicht kraus ist, wie die gute Pa- storin es gerne sieht. Nicht war er in sich selbst verliebt; ist denn das die Natur? Laͤßt sie nicht die Kunst in ihre geheimsten Zimmer — Hilft ihr nicht die galante Kunst beym Anziehen, bald haͤtt’ ich gesagt, reicht sie ihr nicht oft das Hemde; allein ist sie darum eine Buhlschwester? Mit nichten. Alles, was Herr v. G — aus der zweyten und dritten Hand hatte, war ihm nur in so weit theur und werth, als ein gutes Stuͤck Natur Natur drunter war. So konnte er sich uͤber Naif und Laune nicht zufrieden geben, ob- gleich diese ganze Lehre viel Kopfputz enthaͤlt! Ich habe die Schule durchgelaufen, pflegt’ er zu sagen, spornstreichs, setzt’ er hinzu. Was thuts! Er hatte mehr beym Fensterein- werfen und beym Staͤndchen, bey einer Pro- fessor-Cour, und was weis ich wo mehr, ge- lernt, als hundert seiner Gesellen in den Col- legiis, die sich aͤrgerten, wennn jemand dem natuͤrlichen Wink seiner Nase folgte, und sie mit dem Schnupftuch in der Hand stoͤrte. Da seh’ ich noch so manchen Nachschreiber lebhaft, der gern dem guten Pastor nachge- fragt haͤtte: Wer grunzet in der Gemeine? wenn dies Milchknaͤbchen nicht befuͤrchten muͤs- sen, es wuͤrde ihn ein Spiesgeselle angewie- sen haben, seine weise Nase ins Heft zu stecken — Herr v. G — behauptete, Gelehrsamkeit sey nur um nachzuschlagen, und wenn man ein so gutes Lexicon in der Naͤhe haͤtte, wie mein Vater; so waͤre nichts uͤberfluͤßiger, als sich den Kopf mit Worten zu uͤberladen, oder mit der Schale zu schoͤpfen! Es giebt Schrift- und Redgelehrte, So- krate und Platone, so wie es gehende und L 2 sitzen- sitzende giebt. Ich mag deren keines. Zum Erfinden, sagt der Pastor, gehoͤrt Einfalt, kindische Einfalt! Selten ist ein Erfinder ein Gelehrter — Wenn ich doch ja was seyn solte, wolte ich ein Erfinder seyn. Da giebts frey- lich Professores, die sich auf ein Difinitionchen so viel einbilden, als auf eine eingenommene Festung mit Sturm oder List! die Thoren! Was hilfts in schoͤnem Porcellain jaͤmmer- liche Kost, ohne Geruch und ohne Geschmack? Was im crystallenen Pocal verschaalter Wein? — Ein Definitionskraͤmer wird wahrlich kein Newton werden, obgleich auch dieser uͤber die Offenbahrung Johannis schrieb. Herr v. G — las blutwenig! Wenn ich ein Buch lese, sagt’ er, lassen mich meine Gedanken nicht zum Wort kommen! Boͤse Gesellschaften verderben gute Sitten. Die Natur wolt ihn nicht verfuͤhren lassen! die gute Mutter Natur! Bald haͤtt ich geschrie- ben, die gute Frau v. W — ich habe mir im- mer eingebildet, so wuͤrde die Natur ausse- hen, wenn sie Menschenkindern zu Ehren sich in unsre Gestalt verlieben solte. Sie wird es nicht. Las Herr v. G — ja etwas, so mußt es leserlich geschrieben seyn. Der Autor mußte, wie wie er sagte, ihn nicht breitschlagen oder zum besten haben wollen. Mein Vater hatte ihm einige Stellen aus den Alten verdeutschet, und Herr v. G — war so guͤtig, sie ein Brennglas zu nennen, wodurch wir die Sonne an die Pfeife zoͤgen. Er liebte nicht, mit Schrift- stellern umzugehen. Die sich frisch und ge- sund lesen lassen, sagte er, sind, wie ich gehoͤrt habe, stockstill in Gesellschaft — Man sage ein Hephata nach dem andern, die Zunge wird nicht los. Herr v. G — selbst war, ehe er schrieb, noch schwieriger, wie mein Vater, hatt’ er indessen die Feder einmahl ergriffen; giengs, seinem eigenen Ausdruck zu folge, wie aus der Pistole. Er strich so wenig, wie meine Mutter, und nie hatt’ er ein Blatt zer- rissen, um es besser zu schreiben. Warum soll ich mich mit mir selbst schlagen? warum mich selbst herausfordern? Ich bin sehr fuͤr den Hausfrieden, das ist, fuͤr den mit mir selbst. Nie macht’ er ein Couvert. Am lieb- sten schrieb er auf unbeschnittenem Papier. Gemeinhin schrieb er mit umgekehrter Feder. Kehrt man denn nicht, sagt’ er, den Hut um, wenn die Sonne scheint? Die Ursache war, weil er nicht gern Federn schneiden mochte, und da meynt’ ers denn so ehrlich mit jeder L 3 neuen neuen Feder, daß sie bald unbrauchbar ward. Herrmann schnitt ihm zuweilen Federn; allein gemeinhin waren sie ihm zu spitzig. Plane, pflegte er zu sagen, kann man er- zaͤhlen. Ausfuͤhrungen reden von sich selbst. Nie zog er seine Stiefeln um, wie andere ehrliche Leute. Schue hat er so wenig getra- gen, wie der Koͤnig von Preußen. Das Brod schnitt er sehr gerade. Schade! pflegt er zu sagen, daß es geschnitten wer- den muß! Was nur moͤglich war, aß er ohne Gabel und Messer. Hatte er zuweilen eine Mahlzeit, die er durchweg ohne dergleichen Mordgewehr, wie ers nannte, vollbringen konnte, so war sein Gratias an Gott desto inbruͤnstiger. Er war hitzig! da moͤcht’ ich, sagte er selbst, gleich das Haus zum Fenster heraus- werfen; allein wenn ich naͤher komme, seh’ ich, daß das Fenster zu klein ist! Die Feder gilt nichts, wenn sie zertreten ist, war sein Spruͤchwort; warum er dies Spruͤchwort eben von der Feder entlehnt, weis ich selbst nicht. Jeden seiner Herren Bruͤder hielt er drey Schritte vom Leibe. Nie lies er sich zu nahe kommen; allein auch er kam keinem zu nahe. Mit Mit dem Kuͤnstler, Meister Herrmann, sprach er wie Naturmann. Er fragte sich nie: was werden andere Leute sagen; allein er leb- te wahrlich so, daß niemand von ihm auch nicht einst etwas Boͤses denken konnte, dar- auf, fuͤgte er hinzu, muß man es anlegen. Der Schmaͤhsucht entgeht niemand. Selten wird ein Mann seyn, der so gleichguͤltig gegen das Urtel anderer ist, als er war. Um von gewissen Leuten nicht gelobt zu werden, haͤtt’ er so gar etwas thun koͤnnen, das er sonst nicht wuͤrde gethan haben! Es giebt Krippenreiter in Curland, die es recht geflissentlich dazu anzulegen, ihre Bruͤ- der in Versuchung zu fuͤhren, ihnen auf die Zaͤhne zu fuͤhlen; indessen nur alsdann, wenn die Zaͤhne los sind, stoßen sie sie ihnen aus. Da hatte einer eine Ohrfeige erhalten und nichts dagegen vorgenommen, als gefragt: wie er diese Zweydeutigkeit verstehen sollte? Das war sehr natuͤrlich unserm v. G — ein Stachel im Auge! der Thor! sagt’ er. Sieh den andern, der dich ansieht, wieder an, und sein Auge sinkt. Ziele nur, der andre wird wanken, wenn er Herz hat, und sich zuruͤck- ziehen, wenn er keines hat. Umgekehrt, so wird ein Vers draus. Auf den Hohn: das L 4 Pul- Pulver scheint der Herr Bruder nicht erfun- den zu haben, gleich den Trumpf: aber zu ge- brauchen weiß ichs! Ich wette drauf, der Pulvererfinder wird sich in bester Ordnung zuruͤckziehen — Herr v. G —, der standhafte Mann, blieb indessen gefaͤllig. Seine Lieblings- thiere waren Huͤner, und nur nach ihnen folgten Hunde! Er uͤberrumpelte niemanden. Jeden lies er zum Wort und beym Worte — Keine Dissonanz in seinem Umgange. Er war immer gestimmt — immer heiter — In seinen Zimmern war ein eigener Ge- schmack, kein fournirter Tisch, keine Falsch- heit — Keine Weste, wo hinten Leinwand war, waͤre sie auch von Gold und Silber- stuͤck gewesen, ist je an seinen Leib kommen. Von allem, was ihm gefiel, sagt’ er, es schmecke ihm: So schmeckte ihm ein Zimmer, dieser oder jener Freund — Er behauptete, auch Ein Zimmer habe seine Physiognomie, und aus der Schlafstube, oder vielmehr aus einer solchen, wo kein Fremder so leicht einen Zutritt hat, muͤßte man den Hausherrn be- urtheilen. Vom Trinken machte er mehr, als vom Essen. Kalt aß und trank er am liebsten. Das Das natuͤrlichste, pflegt’ er zu sagen, ist, wie Diogenes zu essen, wenn man Hunger hat, ohne sich an Morgen und Abend zu binden. Gesuͤnder wuͤrde man dabey seyn, auch aͤlter werden; allein wir wuͤrden mehr einbuͤssen, als gewinnen. Das Essen und Trinken mit Wohlgefallen, weg waͤr’ es. Loͤffel sind im Hospital erfunden. Alle fluͤs- sige Sachen schwaͤchen — Fuͤr Kinder Milch, fuͤr Maͤnner Kaͤse — An seine Gemahlin war er gekommen, wie man an vieles kommt. Sie soll ausser der Weise schoͤn gewesen seyn — Wieder Natur am Herrn v. G — Des darf ich bitten wegen, hatt’ er sie geheyrathet, sagte Herr v. G —, da er in — zu Tische bat. Sie konnte, wenn sie wollte, allerliebst seyn, und gutherzig scheinen. Ist man es wuͤrk- lich, wenn man so stolz, wie die Frau v. G — ist? Unser Freund hatte die beste Ehe von der Welt. Wenns zu arg kam, sagt’ er Punk- tum, und die gnaͤdige Frau gieng sehr freund- lich ab, wovon wir alle einer Probe beyge- wohnt haben. Von Ihm, und nicht von Ihr, hieng es ab, ob man in seinem Hause, wie Herr oder Monsieur begegnet werden sollte? — Seine Liebkosungen waren immer L 5 mit mit Ungestuͤm. Frau v. G — befuͤrchtete zuweilen, daß es ihr wie den russischen Wei- bern, wiewohl ohn ihr Zuthun, gehen wuͤrde, die aus Liebe von ihren Maͤnnern geschlagen werden. Wo Herr v. G — gekuͤßt hatte, war gewiß ein rother Fleck. Sie pflegte von ihrem Mann, den sie im Herzen sehr hoch hielt, zu sagen: Er haͤtte Einfaͤlle, wie ein altes Haus, und wahrlich er hatte Einfaͤlle; nicht wie der lebendig todte Herrmann, an dem man immer den Boks- fuß sahe, sondern wie ein Mann, der alles gern beym rechten Namen nennet. Er hat zwar, sagt’ er, von einem alten Geist- lichen, der sich sehr viel zu gut that, ei- nen kahlen Kopf, wie Elisa; al- lein den Mantel hat er nicht von Elias geerbt . Pastor! sagte er zu ei- nem andern Seelsorger, sie schlagen mit Mo- ses um die Wette. Jener auf den Fels; sie auf die Kanzel. Hier und dort kommt Was- ser. Man hielt ihn fuͤr einen Feind der Geist- lichen, und die Wahrheit zu sagen, seine alten Hauseinfaͤlle trafen diese Her- ren am meisten. Dies war vielleicht eine geheime Ursache, warum mein Vater sich zehn Jahre von ihm entfernte. Mein Mein Vater hatte ihm seiner Hitze hal- ber im Scherze angerathen, ich, du, er, wir, ihr, sie, zu sagen, so wie er sich selbst vorgenommen hatte panis, piscis, crinis, ignis, finis, glis, in dergleichen Faͤllen zu brau- chen; allein Herr v. G — konnte sich nicht ohne den Teufel behelfen. Es luͤftet das Herz, so wie eine Prise aͤchter Curlaͤnder, die Nase. Sein Argos hies Satan. So wie meine Mutter kein i um seinen Punkt betrog, so sagte Herr v. G — nie daß dich! So was, fuͤgt er laͤchelnd hinzu, heißt den Teu- fel betruͤgen! — Er balbirte sich so, wie mein Vater, mit kaltem Wasser, oft mit Schnee, um etwas Seifaͤhnliches zu brauchen. Wer warmes Wasser an seinen Leib kommen laͤßt, ist aus Furcht des Todes ein elender Knecht seines Lebens. Herr v. G — war viel zu sehr ein freyer Curlaͤnder, um beym Leben in Dienst zu treten. Herr v. G — hatte sein Lebtage keine ge- wisse Eßstunde. Wenn gleich er leider! Mit- tag und Abend hielt; so wollt’ er wenigstens sich doch nicht auf Stunden einschraͤnken las- sen. Hierinn mindestens wollt’ er frey seyn, wenn wenn es nicht vollstaͤndiger angehen koͤnnte. Dergleichen Regeln, und fast alle, pflegt’ er zu sagen, sind der Gemaͤchlichkeit wegen da. Wer Verstand und Willen hat braucht keine dergleichen Kinder-Regel. Grundfalsch war nie etwas, das er behauptete. Er hatte ei- nen so treffenden Blick in Seel und Leib, daß man glauben mußte, es waͤre alles Regel- recht, was er sagte. Es war, wie wir wis- sen, ein Wurzelmann. Die Frau Gemah- linn, die bey ihrem hohen Sinn nicht alle- mahl einen hohen Ausdruck hatte, pflegte dies zu uͤbersetzen: er merke Maͤuse. Je- der Mensch hat seine Manier, seine Natur im Sprechen. Herr v. G — besaß, wenn gleich nicht den treffenden Ausdruck meines Vaters; so doch einen wohlgemennten, ei- nen verstaͤndlichen. Gnad dem Gott, wer ihm mit Punkten und Clauseln kam, die man so und anders nehmen konnte. So was mochte er versaͤufen im Meer, wo es am tiefsten ist. Auf die Juristen war er uͤbel zu sprechen. Die besten, behauptet’ er, bemuͤ- heten sich dem Kind einen Namen zu geben. Der Namen ist ein Zaun, ein Schranken, bis dahin und weiter nicht. Gott hat keinen Namen. Das Das natuͤrlichste, was noch in der Welt ist, sagte Herr v. G —, ist der Schlaf und Wasser. In Ruͤcksicht des Wachens und Es- sens sind so viel Verstuͤmlungen vorgefallen, daß die eigentliche Natur zu finden ein Raͤth- sel ist. Der Schlaf, in so weit die Traͤume von des Tages Last und Hitze abhaͤngen, ist auch schon verfaͤlscht, wenn mans genau nimmt. Wasser also, ist allein aus dem Pa- radiese uͤbrig geblieben. Wasser ist das ein- zige unter allem Fluͤssigen, was reinigt, setzt’ er hinzu. — Die vier Elemente, Feuer, Luft, Wasser, Erde, nannte er die vier Tenrperamente der Natur! — die fuͤnf Sinnen, die Poststraßen zur Seele; ein Liebhaber der fuͤnften Zahl hat darum fuͤnf angenommen. Mag seyn nach Anzahl der fuͤnf Finger — — Unsere Sinne sind nicht gleiches Ur- sprungs. Einige haben ihre Privilegia er- schlichen. Geruch und Geschmack sind ge- kaufte Titel. Kein Kind hat Geruch und Ge- schmack — Freylich lernt es auch sehen; al- lein diese Lehre bekommt es aus der ersten Hand. Durch wie viel Haͤnde erhalten wir dagegen Geruch und Geschmack! — — Kann Kann es je heissen: Gott hat den Menschen aufrichtig gemacht, aber sie suchen viele Kuͤnste; so hier — Das Herz war das Gesetz unseres theu- ren v. G — und wahrlich ein treflicher Gesetzgeber, wenn es wie das v. G — sche ist! Empfindsamkeit, pflegt’ er zu sagen, schuͤtzt vor Zuͤgellosigkeit; allein was ist bes- ser, zuͤgellos oder weibisch? — Er glaubte, daß es Hand, Mund und Herzensworte gebe. Die Augen sind filiale, pflegte er zu sagen, vom Herzen; die Fuͤße von den Haͤnden; der Mund hat keinen so nahen Bundesgenossen — So bald uͤber Natur die Rede gieng, war er unuͤberwindlich; in der Kunst war er gern Schuͤler! Selbst im Wortwechsel uͤber- rumpelte er keinen. Seinen Grundsaͤtzen war er treu, wie Gold. Er war kein Praͤ- varicator, kein zweer Herren Diener. Die Hauptsache, woruͤber mein Vater und der Herr v. G — uneins geworden, wa- ren freylich die drey Artikel des christlichen Glaubens; indessen stand der monarchische Staat Staat hiemit in Verbindung, ohne an man- che geheime Ursache zu denken, die nie aus- bleibt. Herr v. G — glaubte, die christliche Religion und die monarchische Regierungs- form arbeiteten sich in die Hand, und mochte ihn wohl der Umstand, daß mein Vater bey- des, Christ- und Monarchenfreund war, zu diesen Gedanken gebracht haben. Ueberhaupt paarte er zuweilen Dinge, die, wenn man es genau erwog, wuͤrklich ein Herz und eine Seele waren, wenn gleich niemand sie dafuͤr gehalten. Ob nun zwar die christliche Reli- gion dem Kayser was des Kaysers ist und Gotte was Gottes ist zu geben, anordnet; so ist sie doch so wenig fuͤr die Monarchie, daß sie vielmehr das Reich Gottes einfuͤhren will. — — Laßt euch mit den Menschen ein, sagte Herr v. G — Sie klagen immer; woher kommts? warum die Klagen uͤber schwere Zeiten? die, seitdem der Cherub mit dem gezo- genen Schwerte vor der Thuͤre des Paradie- ses auf die Wache gezogen, entstanden? Weil der Mensch sich frey fuͤhlt, und es nicht ist — Recht! sagte mein Vater! Gottes Reich ist noch nicht kommen. Der Monarch ist Einer! Er traͤgt Gottes Bild in diesem besondern Sinn, Sinn, und ist mehr, als in Einer Ruͤcksicht, wenn er will, im Stande, sein Volk dem Rei- che Gottes naͤher zu bringen. Wenn er will, sagte Herr v. G —, wird er aber wollen? wird er Gott dem Herrn seinen Stuhl abtre- ten und seyn wie Unser einer? — — — Wir sollten immer einfacher werden, und uns in den Stand setzen, wenig zu brauchen: dadurch wuͤrden wir der Haͤrte unserer Obern trotzen, gegen Mein und Dein gleichguͤltiger werden und allmaͤhlig zum Reiche Gottes kommen, welches nicht bestehet in Essen und Trinken, sondern in Liebe — In dem Gesetz: was du nicht wilst, daß dir andere thun, thu’ ihnen auch nicht, liegt das ganze Criminal- und der groͤßte Theil des buͤrgerlichen Rechts. Gott ehr mir un- sere curschen Gesetztafeln! Sie sind ziemlich im Kurzen! allein die Huͤlfsvoͤlker! daß sich Gott erbarm! wahrlich auch hier sollte das Reich Gottes naͤher kommen, und der Mensch sich aufs Einfache zuruͤckstimmen; denn in Wahrheit! uͤberall ist nur eins noth! — Wenns so fiel, war alles treflich. So bald aber Herr v. G — anfieng: er wuͤnsche, daß heute alle Koͤnige Herzoge von Curland wuͤr- wuͤrden, und daß alle Armeen, anstatt des Degens, eine Sichel, und statt der Flinte, einen Spaten zur Hand nehmen moͤchten; so fragte mein Vater heute? und wenn Herr v. G — beym heute blieb, und es sich nicht ausreden laßen wollte; so war Feur in den Daͤchern. Wer hat etwas groͤßeres gesagt, als jener Primas: Dem Koͤnige ist die Krone nicht an dem Kopf gewachsen, fieng der Herr v. G. an, und mein Vater bat den Herrn v. G — Pohlen in Augenschein zu nehmen, und zu bedenken, was Pohlen sey, und was es, aller Wahrscheinlichkeit nach, werden wuͤrde. Mag! ist doch Freyheit da. Kann doch hier jeder Edelmann dem Regen- ten ins Gesicht sagen, der Bucephalus lies zwar den Alexander aufsitzen; allein ohne Zaum, den litt Bucephalus nicht! Wenn ich Edelmann waͤre, erwiederte mein Vater, ich weiß nicht, ob ich gern Bucephalus heis- sen wuͤrde. Nicht? sagte Herr v. G —, und doch war Bucephalus ein Curlaͤnder — Bey weitem nicht, erwiederte mein Va- ter — — Mein Vater war ein Bienenfreund und Herr v. G — trieb seine Monarchenfeindse- ligkeit so weit, daß er so gar keine Bienen M hielt, hielt, weil sie einen monarchischen Staat machten; dagegen liebte er Ameisen, von de- nen er behauptete, daß sie in der Freyheit lebten. Ist denn der Honig nicht suͤß, sagte mein Vater? Kostet er denn nicht den besten Saft den Blumen, erwiederte Herr v. G —? Ist es nicht gesammleter Zoll und Arcise, und wird nicht Zoll und Accise noch oben ein mit einem widerlichen Gesumse genommen? Mich duͤnkt immer, ich hoͤre die Bienen sumsen: Wir von Gottes Gnaden. Freylich ist die Biene militaͤrisch, hat ihr Schwert bey sich, sticht — allein wenn sie gestochen, wenn sie Krieg gefuͤhrt hat, ist sie auch so matt und elend — Und wenn uns die Ameisen be- kriechen? fiel mein Vater ein, so schuͤttelt man sie ab — Die haͤßlichen Thiere — Sind Curlaͤnder, sagte Herr v. G — koͤnnte seyn, mein Vater. Staat ist ein so nothdringliches Mittel, den Menschen gluͤcklich zu machen, daß man ohne dies Mittel zu keinem Zweck kommen kann. Alles fuͤhrt zum Staate, untere und obere Seelenkraͤfte. Seele und Leib, Be- duͤrfnis und Leidenschaft, Hospital und Schauspielhaus. Die buͤrgerliche Gesellschaft ist auch eben darum so gar fuͤr Naturzweck von von etlichen gehalten. Staat ist freylich Kunst; allein diese Kunst bestehet aus zusam- gesetzter Natur — und muß denn der Staat eben Monarchie seyn? Ist nicht nur ein Gott? und wird nicht eher lieber Ein Gott der Erden dem Original weichen, so bald das Volk sich ans Unsichtba- re gewoͤhnen lernt, als an so viele Goͤtter! Doch! warum in spitzfindigen Reden und Antworten, ich will versuchen, meinen Vater in Eins zu bringen, und was Stuͤckweise uͤber den monarchischen Staat vorfiel, in ein Aus- bund vom Ganzen zu ziehen. In der Vernunft, womit der Mensch aus- gestattet ist, liegt Freyheit und Regel. Der Mensch ist frey, das heißt: der Mensch kann thun und lassen, kann wollen. Der Mensch ist an eine Regel gebunden, das heißt: seine Willkuͤhre haͤngen vom Gesetz ab. Er hat Verstand. Verstand und Willen zusammen- genommen koͤnnte man die Vernunft heißen. Alle die Unterschiede, welche die Philosophen und Juristen (ehemals Nachbarn, jetzt fast voͤllig aus der Gemeinschaft gesetzt) unter Ge- setzen machen, koͤnnen sehr einfach werden, wenn nur nicht das leichteste in der Welt dem Menschen so uͤberschwenglich schwer wuͤrde. M 2 Es Es giebt eigentlich nur Naturgesetze, oder solche, welche aus der menschlichen Natur faß- lich sind. Zwar haben auch Gesellschaften, Voͤlker, Staaten Gesetze, die außer dieser Grenze zu liegen scheinen; allein wenn diese Gesetze anders, als aus der Natur des Men- schen erklaͤret werden, so sind es nicht Gesetze, sondern Unmenschlichkeiten. Es sind Land- plagen, aͤrger als Froͤsche, Heuschrecken, und auch aͤrger als, wenn die menschliche Erstge- burt unter die Soldaten genommen wird, fiel Herr v. G — bey dieser Gelegenheit ein. Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr fort, ohne zu antworten: Der Mensch ist ein geselliges Thier, es ist nicht gut, daß er allein sey. Die Menschen werden nur Menschen, und koͤnnen sich als Menschen zeigen, wenn sie in Gesellschaft treten. „ Einer ist keiner. Ein Mensch ist kein Mensch “ wuͤrde meine Frau sagen; Ein Mensch aber ist kein guter Mensch. Nicht der Muͤßiggang, sondern die Einsamkeit ist die Mutter alles Boͤsen. Es ist indessen Grund und Folge; allein seyn und muͤßig seyn, ist ziemlich einerley. Große Er- findungen selbst sind in Gesellschaft gemacht; alle Kuͤnsteley in der Einsamkeit. Gott allein ist Einer. Hier gilt nicht, Eins ist keins. Der Der Verstand und der Wille eines einzelnen Menschen scheinen nicht zuzureichen, ein voll- staͤndiges menschliches Seyn auszudruͤcken. Der Pluralis vom Verstand und Willen ist er- forderlich, wenn der Mensch was auszurich- ten im Stande seyn soll. Der Staat ist der Mensch im Plurali. Im Plurali indessen gilt aber das, was im Singulari gilt. Der Staat ist der vollkommenste, der die meisten Menschen hat, die wie Einer scheinen. Je volkreicher Ein Land ist, je mehr scheint es sich dieser Probe eines wohleingerichteten Staats zu naͤhern. In Staaten, hab ich gesagt, muͤssen auch die Gesetze aus der Natur erklaͤrt werden, fals sie nicht egyptische Pla- gen seyn sollen, und wenn ich hinzufuͤge, daß es Natur aus der ersten, und Natur aus der zweyten Hand gebe; so hab ich mich naͤher bestimmt. Im Naturstande, wo sich der Mensch ganz allein denkt, im Paradiese, ist er zwar ein Gott der Erde; allein so lang er so denkt, wie Adam und die zeitigen Adamskin- der, wird er gewis vom verbotenen Baum essen, und bey der Muͤhe und Arbeit und dem Schweiß seines Angesichts, mit dem er sein Brod ißt, sich weniger bedauren, als in der Einsamkeit, wo der Muͤßiggang ihm eigen ist: M 3 wo wo er vielleicht laͤnger lebt, und ohne vielen Schmerz einschlummert, wo indessen gegen eine einzige Stunde jetziges Leben Tage und Wochen dieser Einsamkeit wie gar nichts sind. Was ist ihm solch ein Baum des Lebens? Er lebt hier auch im Singulari. Im Staate lebt der Mensch im Plurali. Zwar kann man sich einen Stand der Natur denken, und der erste bekannte Schriftsteller entwirft uns ein Bild im paradiesischen Adam von dem Natur- stande, so wie der Stifter der christlichen Re- ligion, der zweyte Adam, ein Urbild des voll- kommensten Menschen im Staat ist. Wenn Feinde seines Namens behaupten wollen, Christus habe ein weltliches Reich stiften wollen; so ists aus zwey Drittel Ur- sachen eher unglaublich, als glaublich; allein gesetzt er wolt’ es; so war es blos, um die Menschen auf diesem Wege zu dem Ende des Vater unsers, zu dem zu bringen, dessen al- lein das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit ist! dahin gieng er auf dieser Welt! und wenn die Menschen so stockblind waren, daß sie das Licht nicht sehen, das er ihnen anzuͤnden wol- te, wenn er in sein Eigenthum kam, und die Seinen ihn nicht aufnahmen; so lies er uns wenigstens ein Vorbild, nachzufolgen seinen Fuß- Fußstapfen. Es giebt eine doppelte Theokra- tie, die eine wuͤrde koͤrperlich, die andere gei- stisch zu nehmen seyn. Was ist glaublicher, als daß die Menschen uͤber kurz oder lang zu allgemeinen Weltgesetzen kommen werden, wo jedem Staat sein bescheiden Theil angewiesen ist, und wo, wenn der eine weiter gehen will, er alle uͤbrige vereinigte Staaten wider sich hat. Dies verbesserte Voͤlkerrecht, moͤcht’ es doch bald kommen! Wie weit naͤher waͤren wir alsdenn schon dem Ende des Vater un- sers, als jetzo! Man koͤnnte von dieser koͤr- perlichen Theokratie von dieser Welt Regie- rungsform sagen: es ist eine Heerde und ein Hirte; allein auch selbst alsdenn ist noch alles leiblich! Geistlich wird es seyn, wenn wir selbst diese allgemeine Weltgesetze nicht mehr brauchen, wenn der goͤttliche Codex eintritt, wenn der Glaube an Gott schon alles in al- lem ist! — Um sich die Sache noch begreifli- cher zu machen, kann man den Redegebrauch der Theologen beybehalten. So wie die Welt jezt ist, koͤnnte man sie das Reich der All- macht nennen. Das Reich der Gnaden waͤre die koͤrperliche Theokratie, wenn die Menschen anfiengen allgemeine Weltgesetze zu machen, wohin es gewiß kommen muͤßte, wenn der ge- M 4 meine meine Mann zu mehrern Kenntnissen kaͤme, als er jezt hat. Das Reich der Herrlichkeit waͤre jenes Reich der Moͤglichkeit, wo wir al- les um Gottes willen thaͤten! — wo! — War es Wunder, um wieder auf den er- sten Adam zu kommen, war es Wunder, daß die Natur ihm sowohl anstand? Adam kam aus den Haͤnden des Schoͤpfers. Er war die Bluͤthe des Naturstandes. Zu Fruͤchten kam es mit ihm nicht. Er fiel als Bluͤthe ab. Schade! Er war allein und durfte sich vor keinem fuͤrchten, und konnte jede Creatur durch Vernunft beherrschen. Man kann sich einzelne Menschen denken ohne Gesetze, ohne Zaͤune, wie Goͤtter auf Erden unter einander herumwandeln. Die Welt ist groß fuͤr alle. Niemand darf dem andern vorbauen, zu solch einem Stande hat Gott den Menschen angelegt; allein dem Menschen fiel das Mein und Dein ein, wovon er erst nicht wußte, jezt wird sein Stand ein wahrer Stand der Suͤnden, wissentlicher und unwissentlicher Schwachheits- und Bosheits- suͤnden. Diese Erde, diese Menschenwelt, das leugnet niemand, ist jezt noch in der Kind- heit, hie und da ein Kopf. Eine Schwalbe aber macht keinen Sommer. Ich kann mir aber aber denken, daß der Mensch wieder zuruͤck- kommen werde, und zwar aus Grundsaͤtzen zuruͤckkommen werde, wo er ausgieng, daß zuletzt wieder die Welt ein Paradies seyn und jeder Mann, Adam, und jedes Weib seine Ribbe seyn werde. Das tausendjaͤhrige Reich, wovon so viele traͤumen, liegt sehr verworren in diesem Gedanken, sehr verwor- ren! kein Stein auf dem andern. Meine Beruhigung ist, daß alles, was moͤglich ist, auch wuͤrklich sey oder werde. Warum waͤr’ es sonst moͤglich? Die Gelehrten haben sich oft gestritten, ob der Mensch gesellig, oder ungesellig sey? So oft die Gelehrten sich gleich vergebens gestritten; so ist doch diese Frage keine vergebliche. Jeder Mensch sucht selbst im Staat sich zu befreyen. Es ist seine Herzenslust, wenn er sich nur einigermaaßen in Freyheit setzen kann. Jeder kluge Gesetz- geber muß gewisse Faͤlle dem Menschen an- heimstellen, wo er frey seyn kann; sonst wuͤrde er zuverlaͤßig auch den menschenfreundlichsten Landesherrn Tyrann heißen, und sich sein Joch abschuͤtteln, so sanft, so wohlmeynend es ist. Dagegen wuͤrde der Mensch den groͤßten Ty- rannen ertragen, wenn er ihm nur hie und da im freyen ließe. Monarchen, die Religions- M 5 frey- freyheit einfuͤhren, koͤnnen immer Zoll und Accise hoͤher stellen. Der Geitz, der Samm- lungstrieb, gehoͤrt auf diese Rechnung. Man ist ein Sclave, um einst frey zu werden. Man dient als Soldat, um nicht als Buͤrger zu ge- horchen. Man ist Ehemann, man ist ein Sclave, um zu glauben, man sey frey. Selbst dieser so ausgeartete Trieb fuͤhrt, oder koͤnnte uns auf den Punkt fuͤhren, den Chri- stus angab. Er sey bey uns alle Tage bis an der Welt Ende! zu einer Theokratie, wo jeder dem andern laͤßt, was er hat, wo im erha- bensten Sinn jeder fuͤr sich und Gott fuͤr uns alle ist. Wo wir nicht messen und waͤgen, wo alles in den Tag hinein lebt — Diese guͤl- dene Zeit, dieses mannbare Weltalter, wenn wird es kommen? Wenn die leibliche Theo- kratie, wenn die Geistliche? das Reich der Gnaden und der Herrlichkeit? Amen! Komm, du schoͤne Freudenkrone! singt meine Frau! — Dies ist das Paradies aus Grundsaͤtzen, das sich der Mensch selbst bauen kann. Denkt man sich aber einen verwilderten Naturmenschen, der gewis in keinem Para- diese seyn wird, wenn es ihm nicht ein ande- rer gebauet hat; so kann er freylich Herr der Thiere seyn; allein wenn er seines gleichen sieht, sieht, denen er die nemliche Vernunft, die nemliche Quelle zu Zwangsmitteln ansieht; so flieht er. Hobbes hat dem ungeachtet Recht, wenn er behauptet, daß der natuͤrliche Mensch den Begrif von Bothmaͤßigkeit und Herrschsucht in sich traͤgt. Herrschsucht, Ty- ranney und Furcht, sind sich so nahe ver- wandt, als moͤglich. Ein Grad mehr Furcht am andern zu erblicken, macht den Wilden nachdenkend. Jener laͤuft, dieser verfolgt ihn. Jener verkriecht sich, dieser spuͤrt ihm nach. Freylich wenn sich jener umsehen, nur umsehen, nur hervorblicken moͤchte, wuͤrde dieser umkehren; allein da jener sich nicht um- sieht, da er nicht hervorblickt; so wird dieser sein Meister. Aus Furcht wird er ihn beherr- schen, damit er sich nicht mehr vor ihm fuͤrch- ten duͤrfe. Im wilden Naturstande muͤßte man also den Herrn blos als ganzen Men- schen, die Unterthanen aber als verstuͤmmelt, blind, krumm und lahm sehen. Mit der Zeit wuͤrde sich der Mensch besser kennen lernen; es wuͤrde dem herrschenden Scharfrichter leid thun, daß er diesem die Hand, jenem das Bein gelaͤhmt, und man wuͤrde sich in Ver- bindungen mit einander setzen. Wenn sich gleich beym Anfange ein Paar warmherzige begeg- begegnen, solte nicht, ohne den Weg durchs Hospital zu gehen, eine Gesellschaft zu Stan- de kommen? — — Der Stand der Natur ist ein Stand des Krieges; allein der polizirte Staat ist es auch, bis wir zum Stande der Gnaden, zu allgemeinen Weltgesetzen kom- men, welches der Vorhof zum Reiche Gottes im eigentlichsten Sinn ist. (Ich habe so man- ches Lobopfer ausgelassen, welches bey dieser Ge- legenheit dem monarchischen Staate gebracht ward; indessen fand auch Herr v. G —, der Freund und Feind meines Vaters, seine Rech- nung bey dieser Deduktion,) die Hauptfrage blieb mir: bringt die Monarchie oder die Freyheit am naͤchsten zum Reiche, oder wie Herr v. G — es wolte, zum Stande der Gnaden? — Im Naturstande denkt der Mensch darum nicht an Gesetze, weil er gar nichts denkt. Sich zu erhalten, sich fortzu- pflanzen, das wuͤrde das einzige seyn, was ihm auffallen, und was ihn beschaͤftigen koͤnnte. Es liegt alles in uns! Allein dieser Naͤhe un- erachtet, wer wuͤrde es finden, wer es nur suchen? Tausend und abermal tausend Men- schen im Naturstande wuͤrden auf keinen Buchstab von natuͤrlicher Religion und na- tuͤrlichem Rechte fallen, wenn nicht die Gott- heit heit es ihnen noch naͤher gelegt haͤtte. Die Gottheit kann sich Menschen nicht anders als durch Menschen offenbaren, und die bleiben Menschen, wenn gleich sie Gottes Menschen sind, getrieben vom heiligen Geist. Niemand hat Gott je gesehen; erhabene große Men- schen sendet Gott zu Menschen, um ihnen zu sagen, was sie gleich alle wissen, wenn es ih- nen nur gesagt wird. Wir sind alles und nichts. Das Licht der Vernunft, das in uns ist, muß angezuͤndet werden, sonst bleiben wir bestaͤndig Kinder der Finsternis. Das natuͤrliche Recht ist, so lange der Mensch nicht goͤttlich unterrichtet wird, das, was das roͤmische Recht sehr treffend von ihm sagt: was die Natur allen Thieren lehret. Die Kraͤfte, die der Mensch noch druͤber hat, un- terscheiden ihn vom Thier. Selbst die Ge- sellschaft, die Vereinigung, die die Natur dem Menschen so sichtlich beybringt, indem seine Jungen weit spaͤter zu sich selbst kommen, als andere Jungen, fordert ihn zur Gesell- schaft auf; allein wenn es auf einen Streit ankaͤme, wuͤrde ich denen eher beytreten, wel- che glauben, daß ein Ohngefehr die Menschen zusammengebracht, und nicht die Vernunft. Selbst jezt regieret wohl die Vernunft im Gro- Großen? Sie lebt so in bedruͤckter Kirche, daß man von ihr behaupten koͤnnte, sie woh- ne in Hoͤhlen, in Kluͤften, und doch darf man von ihr nicht fuͤrchten, daß sie so ausarten wuͤrde, als die christliche Kirche, da sie ins Große gieng, ausgeartet ist. Die Ausartung der Vernunft waͤre Unvernunft — Fast koͤnnte man behaupten, daß die Men- schen, nachdem sie vielleicht durch ein Unge- fehr zusammengebracht waren, auf die Ver- nunft gekommen, so wie man auf etwas kommt. Gott hat es ihnen offenbaret. Es waren vielleicht erst positive Gesetze, ehe man an natuͤrliche dachte. Der Grund der positi- ven Gesetze, wenn sie anders den Namen von Gesetzen verdienen sollen, ist so gut die Ver- nunft, als sie der Grund der natuͤrlichen ist. Die Rechtslehrer machen einen Unterschied, zwischen positiven, natuͤrlichen und gemisch- ten Gesetzen. Jedes Gesetz muß natuͤrlich, oder, welches fast dasselbe ist, vernuͤnftig seyn, so auch jede Offenbarung. Das Christenthum ist eine vernuͤnftige lautere Milch. Was ver- nuͤnftigen Menschen Regeln vorzeichnen will, muß, duͤnkt mich, selbst vernuͤnftig seyn. Es muß sie uͤberzeugen. Zwar leugne ich nicht, daß der Staat Anordnungen treffen koͤnne, die die sich nur aus dem Staat erklaͤren lassen, und alsdann ist die Vernunft, auf den Staat angewendet, der Grund des Gesetzes. Wenn man die positiven Gesetze aus diesem Gesichts- punkte nimmt, wie ehrwuͤrdig sind sie! Sind sie nicht der moralische Catechismus des Volks? Wo ist solch ein Codex? Ich habe noch keinen von dieser Art gesehen. Ich will mich nicht uͤber die positiven goͤttlichen Gesetze auslassen. Die Frage: ob es allgemeine goͤttliche positive Gesetze geben koͤnne? kann wohl keinem Streit unterwor- fen seyn, da es bey dieser Frage auf die Frage ankommt: ob es Gesetze giebt, die aus der Natur nicht zu erkennen, und die Gott, aus- ser dem dem menschlichen Geschlecht eroͤfnet hat? Giebts solche? Diese Frage ist streitig. Herr v. G — nahm das Wort: streitig? sagte er. Unstreitig ists, daß es keine dergleichen giebt, und gegeben hat und geben kann. Mein Vater fuhr fort: Jeder Staat ist eine Theokratie. Gott ist nicht fern von einem jeglichen unter uns. In ihm leben, weben und sind wir. Das juͤdische Volk behauptet, daß es im besondern Sinn Gottes Volk waͤre, obgleich es sich am wenigsten als ein Volk Gottes unter allen Voͤl- Voͤlkern aufgefuͤhrt hat, und doch ist aus ihm allen Voͤlkern Heil wiederfahren. Menschliche positive Gesetze heißen auch, und das mit Recht, buͤrgerliche. Das Volk selbst, oder der oder die, dem oder denen es das Volk uͤbertraͤgt, geben Gesetze. Hier giebts gemeine und provinzial Gesetze. Ich wuͤnschte, es waͤren keine Provinzial- Gesetze: was sollen sie, wenn sie nicht Poli- zey- und solche sind, wozu Boden und Sonne Gelegenheit giebt, und die aufs Mein und Dein wenig, oder gar keinen Einfluß haben. Wir sind alle Kinder Gottes. Alle Soͤhne der Mutter Erde. Wir haben Eine Sonne; wir sind alle Bruͤder. All Augenblick der Wunsch: o wenn doch Gottes Reich leiblich und geistlich, das Reich der Gnaden und der Herrlichkeit, kaͤme! Es giebt Provinzen, die einem Herrn un- terworfen sind, und in jeder Provinz sind an- dere Gesetztafeln. Ein Staat scheint kein Ganzes zu seyn, wenn er seine Gesetzbuͤcher nach Provinzen zaͤhlt. Man sieht ihm Nadel und Zwirn an, womit er zusammengenaͤhet worden. Er scheint nicht fuͤr sich zusammen- gebohren; die Vereinigung scheint nicht im Himmel geschlossen zu seyn. Wer liebt nicht selbst selbst in seinem eigenen Hause eine Ueberein- stimmung seiner fahrenden Haabe? Wer haͤlt nicht lieber Auction, wenn er erbt, als daß er fremdes Gut und das seinige unschicklich zusammenbringt? Excipe! Wenn es Sachen sind, auf die man einen Accent legt! die einen Lieblingswerth haben. Natuͤrlich sind in einem so unuͤbereinstim- menden, so zusammengeraften Staate die Buͤrger sich auch fremde. Sie machen einen Staat im Staate. Es koͤmmt unter ihnen zu Anfeindungen, und am Ende wird dieser Staat wuͤste. Keine Provinz, kein Stein bleibt bey einander. So gewonnen, so zer- ronnen! Aber! sagte Herr v. G — (das passende Wort zum Aber wird freylich schwer zu finden seyn, ich vor mein Theil mag es nicht suchen) Aber! sind denn die Fuͤrsten von der Art, daß man glauben kann, sie werden die Welt zum Gnadenreiche bringen? Noch scheint es nicht, erwiederte mein Vater. Je laͤnger, je weniger, Herr v. G, ich zweifle. Sie sind Tyrannen! Desto besser! Was zu hoch gezogen wird, reißt. N Nicht Nicht anders! Und wenn es reißt, sind wenigstens zwey Enden! die man verbinden kann, Durch einen Knoten! Mein Vater setzte diese Allegorie nicht weiter fort. Herr v. G — fiel auf die Bemer- kung meines Vaters. Freylich Pastor! fieng er an, wenn uns die Vernunft wieder ins Paradies bringt, werden wir solche Narren nicht seyn, als un- sere ersten Eltern! — Die Fuͤrsten, fuhr Herr v. G — fort, thaten ehemals alles mit Be- willigung der Staͤnde, darum Wir von Got- tes Gnaden. Jezt ist von allem dem nur der Pluralis uͤbrig, der so gar gebraucht wird, wenn sie sich vermaͤhlen. Wir haben uns ent- schlossen, unser Beylager auf den und den — geliebts Gott zu halten. Wir sind durch die Entbindung unserer Gemahlin eines Thron- erben wegen hoͤchlich erfreut — Als ob? fragte Herr v. G — so wie mein Vater bey ei- ner andern Gelegenheit; allein mein Vater antwortete nicht: Ja wohl! Vielmehr war mein Vater der Meynung, dies kaͤme daher, weil sie den Menschen im Plu- Plurali, den Staat vorstellten. Herr v. G — blieb bey seinem als ob? Theurer Naturmann, sagte mein Vater, die Wahrheit ist nackt. Wir anders? allein man giebt ihr ein Gewand. Die Fabel thuts. Niemand kann einen nackten Menschen aushalten. Das nackt seyn hat so etwas wil- des anstoͤßiges an sich, daß ich fast die Wahr- heit selbst nicht nackt sehen moͤchte — Zwar hatten die guten beyden Maͤnner, Herr v. G — und mein Vater, bey der feyer- lichen Aussoͤhnung den Friedenspunkt mit be- ruͤhrt, daß des monarchischen Staats weder im Guten noch im Boͤsen gedacht; sondern er vielmehr in seinen Wuͤrden und Unwuͤrden ge- lassen werden solte; indessen war Herr v. G —, dem zum Vortheil dieser Punkt verzeichnet war, der erste, so ihn brach. — Die drey Hauptartikel des christlichen Glaubens indessen waren die Hauptsteine des Anstoßes! — Mein Vater verkuͤndigte (wie meine Mut- ter versichert) das Wort Gottes rein und lau- ter, und ich muß noch hinzufuͤgen, (ich weiß nicht, ob es meinen Lesern von ihm gefallen N 2 wird?) wird?) daß er Lehrer und Prediger als Zunft- verwandte ansah, die alles zu thun und zu lassen verbunden sind, was die Innung mit sich bringt. Unser Schild, pflegte er zu sagen, ist die Bibel. Wenn wir ein ander Buch aus- haͤngen, eine andere Arbeit treiben, oder die uns angewiesene Geschaͤfte nicht nach dem Zunftprivilegio einrichten, sind wir Pfuscher, Betruͤger. Zwar gab mein Vater im Streite mit Herrn v. G — zu, daß wenn Jemand mit der Bibel eingeschlossen werden sollte, um daraus ein System herauszubringen, er nie das unsrige herausbringen wuͤrde, im Fall er nemlich nicht das mindeste von einem Cate- chismus gehoͤrt, und darin gegaͤngelt worden. Was aus dem System des alten Testaments werden wuͤrde, waͤr ich begierig zu sehen, sagte Herr v. G — und was das System aus dem neuen betrift, fuhr er fort, und mein Vater grif ein: so koͤnnte es natuͤrlicher, kindlicher, herzlicher ausfallen, ob aber in Hauptsachen von dem unsrigen abwei- chend, weiß ich nicht — Meines Vaters Losung war aut, aut; er war in keinem Stuͤcke lahm, und da Herr v. G — nicht aufhoͤren konnte zu spoͤtteln und zu laͤcheln, und da nicht beten, und dort nicht das Nachtmahl neh- nehmen wolte; da er die Beichte fuͤr eine Art von Tortur schalt, und die Geistlichen beschul- digte, sie waͤren Usurpateurs des Gewissens, und das Christenthum sey monarchischer Staat eingetheilt in drey Provinzen: Pabst- thum, Lutherthum und Calvinismus; so konnte unter diesen beiden Maͤnnern kein Reich der Gnaden vorerst zu Stande kommen! Zwar, fuhr Herr v. G — fort, haͤtte die selbst eigene Schwere dieser den obersten Gipfel er- stiegenen Monarchie und Tyranney sie wieder zur Erde gezogen, wovon sie genommen war; allein — Mein Vater lies ihn nicht ausre- den — Alle solche Zwars und Alleins, solche Ab- weichungen zur Rechten und Linken konnte mein Vater nicht ertragen. Hoͤren und Se- hen vergieng ihm. Ein einzelner Mann (sei- nen sehr gesunden natuͤrlich edlen Verstand und Willen bey Seite,) will sich wider die Kirche auflehnen, was wuͤrde man von mir denken, wenn ich fuͤnf gerade seyn ließe, und einen Mann nicht miede, den man sonst die Wahrheit zu sagen nicht fuͤglich meiden kann? Er ist Lot in Curland. Ein Gerechter. Seine Gemahlin sey was sie wolle, hier kommt sie nicht in Anrechnung; allein er sey Lot in Be- N 3 ziehung ziehung auf Curland, nur nicht in Ruͤcksicht auf mich, wenn ich den Abraham vorstelle. Willst du zur rechten, so will ich zur linken, willst du zur Linken, so ich zur Rechten, koͤn- ne zwischen dem Herrn v. G — und mir nicht statt finden, wenn von der lautern Milch un- serer Religion die Rede ist. Zwar will ich nicht richten! Allein man muß doch hier, wie uͤberall, auf einen Ausgang denken. Die Pluralitaͤt selbst, wenn ich dem Herrn v. G —, diesem Naturmanne, einen Gefallen thun wolte, es drauf auszusetzen, wuͤrde fuͤr mich entscheiden. Zwar ist die Religion nicht mehr so ganz die Religion Christi, sondern die christ- liche Religion; allein wenn gleich das Para- dies verlohren gegangen; so giebts doch noch ein Reich der Gnaden, und eines der Herr- lichkeit in der christlichen Kirche. Die Pfaͤndungen, welche testantibus actis Vol. 1. vorfielen, waren, wie aus allem die- sem zu ersehen, lauter Religionskriege. Der Brief, dem mein Vater zehn Jahre weniger einen Tag entgegen gesehen, was konnt’ er anders, als ein Glaubensbekenntnis in sich halten, das, wenn es gleich nicht aus Augs- purg, wie der Conversus, war, jedoch mit dem Versprechen begleitet ward, nicht von Reli- Religionssachen sprechen zu wollen, es sey denn der Belehrung halber, als wobey, wie es von selbst sich verstuͤnde, Herr v. G — Schuͤler und mein Vater Lehrer waͤre. Dies waren die Vortheile, die meinem Vater schon in den Praͤliminaͤrpunkten eingeraͤumet wa- ren, wogegen sich Herr v. G — alle Anzuͤg- lichkeiten gegen den freyen, und Lobreden auf den monarchischen Staat, verbat — Diese Punkte kosteten, bis die Sache ab- geschlossen war, noch so manchen Kopfstoß. Der Vergleich kam allerliebst zu Stande. Diesen Brief, dessen l. c. Erwehnung gesche- hen, will mein Freund — — Kein Wunder, weil er auf den Herrn v. G — in Lebensgroͤße bestehet. Gern, lieber Getreuer! Du weißt, dies ganze Buch ist ein langer Brief an dich; allein du findest hier Vorhaͤnge, die ich im Hause des Herrn v. G — nicht fand. Wer diese Vorhaͤnge zugeschnitten und angebracht, weiß ich nicht. Vermuthlich lies Herr v. G — nach der Zeit sich naͤher durch meinen Vater belehren, und strich, was er anders einsah — Die ganze Vorrede gestrichen. Gott allein die Ehre. Den historischen Wahrheiten geht es, wie den alten Leuten, je aͤlter, je schwaͤcher. Ich N 4 ver- verdamme keinen, wenn er daran zweifelt, was er nicht selbst gesehen; wenigstens kann ihm ein Zweifel dieser Art keinen Schaden noch Leides thun. Da es der Vernunft erlau- bet ist, jede historische Wahrheit durchzupro- biren; so ist nichts gewisser, als daß die Sache, wenn nicht vor meinen sichtlichen Augen, so doch vor dem Auge meiner Vernunft noch ein- mal vorgehen muß, wenn ich sie glaͤubig an- nehmen soll — Es giebt nothwendige Hypothesen, wahr- scheinliche Gewißheiten. Nichts ist ohne Praxis. Bey der Theorie kommt man nicht weit. Sie ist der Buchstab! Die Praxis ist das Leben! Wolte Gott! es waͤre ein Catechismus moͤglich, den ich sokratisch nennen wuͤrde, wo die Beantwortung und Frage, wenn man so sagen soll, in der Sache, nicht in der Person liegen, wo beyde, der Frager und der Ge- fragte, an der Quelle waͤren und selbst schoͤpf- ten! Solch ein Buch waͤre freylich nicht zum Lesen, zum Auswendig lernen; allein es muͤß- te ins Herz gebracht werden. Man frage nicht, wie? Sehen und reden ist schon eine halbe That. Ein Leser ist ein Tagdieb. Wir wollen den gemeinen Mann nicht an eine Stu- Studierstube gewoͤhnen; da kaͤme er aus dem Regen in die Traufe. Ich glaube an Gott den Vater, allmaͤch- tigen Schoͤpfer Himmels und der Erden. Zwar ist Gott der Herr mir unbegreiflich; allein er ist (damit ich mich kurz fasse, und doch so, daß ich mir wuͤrklich etwas denke und nicht blos einbilde, was gedacht zu haben) Er ist der Inbegrif aller Moral, mit der zu- gefuͤgten Gewalt, der Herr der Sonne und des Blitzes und Donners. Pastor! da kann kein Mensch was dawider sagen; dieses un- endlich moralische Wesen nehm ich an. Mein Herz sagt es mir: Er ist, ich seh ihn, ich hoͤr ihn in allem — Ich glaube an Gott, und glaube, daß man an einen Gott in drey Artikeln glauben koͤnne; ich glaube aber auch, daß ein einziger Artikel genug sey. Ich glaube, daß sich der Glaube aͤndern koͤnne. Der Mensch besteht, wie man sagt, aus Geist, Seele und Leib, und Gott den Herrn kann man sich als Vater, Sohn und heilger Geist vorstellen. Vielleicht ist der Geist die Vorstellung, die Gott sich von sich macht, vielleicht — — N 5 Ich Ich glaube an Gott, das heißt: ich bin ein Kind in Verhaͤltnis gegen ihn, ein Bru- der in Verhaͤltnis mit meines gleichen; ein Mensch in Verhaͤltnis alles dessen, was ich außer mir sehen oder nur empfinden kann, alles, was lebt und nicht lebt, im Großen und im Kleinen, was weniger schaͤtzbar ange- nommen wird, und was zur hoͤhern Schaͤtz- barkeit in der Welt, ich weiß nicht warum ge- kommen ist. Ich gebrauche was sichtbar und unsichtbar lebt (alles lebt) zur Speise, zum Getraͤnk und zum maͤßigen Vergnuͤgen. Was druͤber ist, halt ich strafbar. Ein Hauch Gottes, und so hat alles leblose eine lebendige Seele. Was weiß ich, was ich war, und was ich seyn werde. Die ganze Welt ist mit mir verwandt Erde bin ich und Erde werd’ ich, wovon ich genommen bin: denn der Mensch ist Erde, und soll wieder zur Erde werden. Ich bin in der Welt Kind, Bruder, Mensch, oder Herr; doch bin ich in meines Vaters Hause, wo viel Wohnungen sind, und wo mir nur das Muttertheil abgetreten ist, wo ich viele Bruͤder habe, und unter dem Auge des guͤtigsten, allein auch gerechtesten Vaters stehe, stehe, der mir das Vatertheil noch vorbehal- ten hat. Ich glaube, daß heißt: wenn tausend Schwarz- und Weißkuͤnstler und Klugheits- gaukler auch kaͤmen und spraͤchen: es ist kein Gott; so muͤßten und koͤnnten mich doch diese Spruͤnge durch den Reif aus diesen Verhaͤlt- nissen nicht herausluͤgen und truͤgen, da schon die Wahrscheinlichkeit, selbst die Moͤglichkeit, daß er sey, und der eben hieraus fließende Glaube an ihn hinreichend ist, mich in den Verhaͤltnissen, als Kind, als Bruder, als Herr, zu erhalten, und zur strengsten Erfuͤl- lung der hiemit verbundenen Pflichten zu bringen. So erklaͤr ich mir den Glauben, von wel- chem vielfaͤltig in der Bibel geredet wird. Eine vollstaͤndige demonstrirte Gewißheit von dem Daseyn des Allvollkommen wuͤrde mehr schaden als nuͤtzen, so wie die Gewisheit von meinem Tode; wenigstens ist mir die Demon- stration von der Existenz Gottes nicht noth- wendig, und ein lebendiger Glaube ist, die Sache genau genommen, mehr als eine De- monstration. Einen lebendigen Glauben nenn ich, der durchs Leben thaͤtig ist: denn der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er todt todt an ihm selbst, wie die meisten Buͤcher, die nicht Gottesmenschen geschrieben haben, todt an ihnen selbst sind. Die Menschen muͤs- sen nie von Gott reden, ohne daß sie an ihre Pflichten gegen ihre Mitmenschen denken. Gott ist in allem, und durch alles. In ihm leben, weben und sind wir. Er, der Origi- nalgeist, der Geist im Ganzen. Die Natur ist die Seele. Von Gott, dem unendlich moralischen Wesen, kommt aller her. Er ist, wie oben gemeldet, die Moral in Origine. Die Schoͤp- fung ist ein hingestellter goͤttlicher Gedanke! — ein Buch Gottes! Bey uns sind die Gedan- ken Wasserblasen; beym lieben Gott eine Welt! — Dies All verkuͤndiget das Daseyn Gottes, und es gehoͤrt nicht Schulweisheit dazu, sondern blos menschliches Gefuͤhl, die Macht und Guͤte Gottes wahrzunehmen, und dies: Er ist, zu verstehen. Wuͤrde der Verstand selbst den Kopf schuͤtteln; das Herz spraͤche doch Ja. Der Gedanke, es ist ein Gott, ist der Anfaͤnger aller bildlichen Poesie! Was schadet es also, ihr Herren Sophisten, daß man Fluͤgel der Morgenroͤthe nimmt, wenn man von Gott spricht? Alles Alles versteht sich in der Natur, und diese Uebereinstimmung, diese Mitwuͤrkung aller moralischen und physikalischen Kraͤfte dieses sichtbaren und unsichtbaren in der Natur, sind die ungescholtensten Zeugen der goͤttlichen Weisheit. Was schadet die anscheinende Un- regelmaͤßigkeit? Ist sie es? und wenn sie es in meinem Wirkungskreise ist, kann dieser Mislaut nicht ein feiner Triller im Ganzen seyn? — Der Pastor redet so von der Har- monie der Sphaͤren, als haͤtt’ er diese Geister- musik gelernt, die anders klingt, als das Waldhorn. Ich habe seinem feinen Gehoͤr viel zu danken; nichts lernt man leichter, als hoͤren. Ich haͤnge von Gott ab, und drenge mich recht, von ihm abzuhaͤngen. Mein Gefuͤhl uͤberzeugt mich, daß ich als ein Mitwesen in der Reihe der erschaffenen Dinge, und zwar unter Ihm, stehe. Da darf der Pastor nicht gleich kreischen, er haͤtte als Monarchen- freund die Schlacht gewonnen! Der liebe Gott laͤßt einem jeden so seine Freyheit, als man sie nur in Curland haben kann. Ich bleibe in diesem Abhange noch immer ein cur- scher Edelmann, kann thun und lassen was ich will; allein da Gott ein lieber guter Gott ist: ist: so ist mein Gefuͤhl der Abhaͤngigkeit die Mutter der Ehrfurcht, der Liebe fuͤr ihn dem Schoͤpfer, und des Gehorsams fuͤr seinen hei- ligen und allezeit guten Willen und dessen Ge- setze, dies heißt mit andern Worten, ich kann von Herzen sagen: Abba, mein Vater, dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel! — ich thue ihn gerne, dein Gesetz hab ich in mei- nem Herzen! Gottes Willen gern thun, heißt: Gott dienen! Ich schwoͤre nicht beym Himmel, daß dich der Donner erschluͤge! Nicht bey der Erde, daß du den Hals braͤchest! Der Him- mel ist Gottesstuhl; die Erde sein Fußschem- mel — Ich liebe Gott mit einer besondern Liebe, uͤber alles und in allem; meinen Naͤchsten lieb ich, wie meine ehrliche Haut. So denken hab ich gelernt. Nicht un- mittelbar von Gott, sondern mittelbar von Gottesmenschen, von solchen, die sein Bild an sich tragen, im besondern Sinn. Diese Gottesverkuͤndiger, getrieben vom heiligen Geist, doͤrfen nur den Wachsstock in mir an- zuͤn- zuͤnden, der schon da ist. Jeder hat seinen fertigen Wachsstock bey sich. Wie er gleich lichterloh brennt! Wenn ich nicht einmal weiß, wie ich in Mutterleibe zum Menschen geronnen, wie ich Ich geworden; wie kann ich wissen, wie die Welt, wie Himmel und Erde entstanden, und zum stehen und gehen gebracht sind? Vom Pastor — in — hab ich viel ge- lernt. Es ist zuweilen hoͤchst nothwendig, nicht uͤbereinstimmend zu denken. Die Wahr- heit hat keinen groͤßern Feind, und keinen groͤßern Freund, als die Uebereinstimmung. Es kommt nur auf Umstaͤnde an. Der aͤlte- ste von den Gottesmenschen, von den Gefuͤhl- anzuͤndern, hat uns die Erschaffung der Welt gemahlt. Ein schoͤnes Stuͤck! Die neuen Mahler sind Klecker gegen ihn. Es haͤngt vor meinen Augen zum ewigen Andenken das Bild eines Mannes, der außer goͤttlicher Kraft, viel Menschenkenntnis besaß, und sein Volk von Grund aus kannte. So wie aber die Mahler ihren Nahmen in einer Schatten- stelle gewoͤhnlich anbringen; so auch er bey dieser Schilderey! — Das kann man ihm lassen. Ich wenigstens stoße mich an dieser Schattenstelle nicht. Wissen, wie die Welt gemacht gemacht ist, heißt: Gott seyn. Wie kann ein Endlicher dies wissen? dies fassen? Und wuͤrd’ es ihm nuͤtzlich und selig seyn, zu wissen und zu fassen, wenn er es wissen und fassen koͤnn- te? Wir sehen dies so leicht an, und es scheint wuͤrklich so; allein alles was recht schwer ist, sieht leicht auch — Warum aber so weit hinaus? Gott weiß, ob der Mensch laͤnger als zehntausend Jahr in seinem Kopf, in sei- nen Buͤchern, tragen und beherbergen kann? Er wird schwerlich selbst mehr Geschaͤfte fas- sen koͤnnen. Wenn alsdann nicht ein seliger Kelch der Vergessenheit dem menschlichen Ge- schlechte gereicht wird, wie wird es aussehen? Die zehente Zahl ist die Zahl mit beyden Haͤn- den, die vollkommenste, sagt der Pastor! mit welchem Friede sey jezt und in Ewigkeit! Er ist ein guter Christ, und ein braver Mann, und wenn ich das erste weniger bin; so glaub ich doch ruhig und selig zu sterben, weil ich ihm im lezten keinen Tritt weiche — Jezt sind dem Menschen Zuruͤckgedanken allerdings noch zu gestatten; denn die Welt ist, nach Sethi Calvisii Calenderberechnung, eben aus ihren Juͤnglingsschuen. Daß sich der Mann verrechnet hat, ist durch mehr als eine eine Probe zu erweisen. Dem goͤttlichen Mahler Moses geht dabey nichts ab — der war klug genug, im Anfang zu setzen, und die Jahrzahl dem Setho Calvisio zu uͤber- lassen. In Moses Schoͤpfungsgeschichte leitet die- ser Fuͤhrer in einer schoͤnen Mahlerey gerades weges die Menschen uͤberhaupt zur Wahrheit, und nicht, wie sein Volk, aus weisen Absich- ten, durch Wuͤsteneyen bey der Nase herum; indessen ist nicht jeder Liebhaber von der Mah- lerey, und der versuche, wie weit er durchs Licht der Vernunft gelangen werde? Die Ge- schichte Moses von Entstehung der Welt ist so abgefaßt, als sie dem Menschen vorgekommen seyn wuͤrde, wenn Gott die Welt vor seinen Augen haͤtte schaffen wollen. Dem Moses fiel vielleicht an einem schoͤnen Morgen, da er fruͤher als sonst aufgestanden war, ein: so wuͤrd es dir geschienen haben, wenn dich Gott der Herr auf die Schoͤpfung zu Gaste geladen, und dein Auge das Licht haͤtte vertragen koͤn- nen, das die Sonne ansteckte! Dieser mo- saische Gedanke war goͤttlicher Funke, der schnell zuͤndete, goͤttliche Eingebung, die zum feurigen Busch ward! — Die ersten Capitel im ersten Buch Mose, wie schoͤn sie brennen! O Es Es ist ein allerliebster Bibelmorgen! — Ganz aufrichtig gefragt, ist nicht sehr viel vom Morgen in der Schoͤpfungsgeschichte? Das Licht ist das Schimmerlicht, ehe die Sonne aufgeht, und so fortan! — Pastor! Sie ha- ben mich immer damit ausgelacht; moͤgen sie! — Eben so denk ich, (und, Zweifler, faß in deinen Busen, du wirsts auch so finden,) daß jeder Mensch den Stand der Unschuld, der Suͤnde, der Gnade, selbst belebt. Gott helf uns zum Stande der ewigen Herrlichkeit! Nimmt man die Sache so; wie viel Weisheit, Staͤrke und Schoͤnheit in allem! Da sieht man eine Hieroglyphe die von allen Ecken und Seiten erklaͤrungsfaͤhig ist. Man findet nicht anstoͤßig, daß Fische im Meer, und Miriaden Welten paarweise wandeln. Mahlerey und Astronomie sind sich spinnenfeind! Beym Mo- ses sind sie verwandt. Noch bis auf den heu- tigen Tag ist keine Entdeckung gemacht wor- den, wobey Moses zu kurz gekommen waͤre — Wer kann ihm die Goͤttlichkeit absprechen? — Ist, damit ich die nemliche Hieroglyphe auf die andre Art nehme, ist denn nicht jedes Kind, wenn es auf die Welt kommt, im Stande der Unschuld? Weiß es vom Mein und Dein? Faͤlt es nicht in den Stand der Suͤn- Suͤnden? kann es indessen nicht erzogen, und der goͤttlichen Absicht, das heißt: dem goͤtt- lichen Ebenbilde, naͤher gebracht werden? Muß der Mensch gleich oft im Streite seyn und im Schweis des Angesichts uͤber seine Lei- denschaft kaͤmpfen, kann er nicht auch siegen? und was ist besser, die Haͤnde in den Schoos legen, und nicht wachen, nicht schlafen? oder beydes recht von Herzen thun? Ich komme wieder zum Anfange. Am Anfange, in einer neuen Weltperiode, oder auch am tiefern Anfange, am allerersten Anfange, war das menschliche Geschlecht so Eins, wie Einer. Das ganze Geschlecht war Adam, weniger eine Ribbe, oder, und eine seiner Ribben. Welche goͤttliche Weisheit in diesem Bilde! Mann und Weib sind eins, und verschieden. Es fehlt dem Manne, wenn er ein Weib hat, eine Ribbe; allein die- ser Verlust wie reichlich ersetzt, wie reichlich! eben weil er ein liebes Weib hat. Im Schlafe verlohr Adam eine Ribbe, und es ergiebt sich besonders im Schlaf, wo so viel Bilder um uns herumgaukeln, wie noͤ- thig dem Mann ein Weib sey. O 2 Vom Vom Garten fieng sich die Haushaltung an, nicht vom Ackerbau. Man aß eher Aep- fel, als Brod. Jeder Mensch bebauete sich einen Fleck mit Baͤumen und Kraut, und nie- mand beneidete dem andern sein Gartenland, und niemand kam dem andern ins Gehege. Das Hirtenleben, das Schaͤferleben wird dem Ackerbau im ersten Buch Mose vorgezogen, und das mit Recht. Die Schaͤfer waren Kin- der Gottes; die Ackerbauer Kinder der Men- schen. Cain brachte dem Herrn ein Opfer von Feldfruͤchten; Abel von den Erstlingen der Heerde. Cain gefiel dem Herrn nicht so wohl, der schon bey seinem Acker, bey seinem erarbeiteten Mein und Dein mit dem Gedan- ken umgieng, eine Stadt zu bauen, die er nach seinem Sohn Hanoch nannte, der Moͤr- der der! So giengs! Erst Ein Garten, dann zwey Wege, einer das Schaͤferleben, der an- dre Ackerbau. Beym Schaͤferleben war noch am wenigsten vom Mein und Dein; al- lein beym Ackerbau, wo der Mensch der Na- tur weniger uͤberlaͤßt, wo er selbst Hand ans Werk legt, wie viel Mein und Dein! Vom Ackerbau bis zur Stadt ist nur so weit, als von Vater und Sohn, vom Moͤrder Cain und vom vom Hanoch. Noch jezt thun wir uns etwas zu gut, wenn wir vom Schaͤferleben, von der guͤldenen Zeit, traͤumen. Wir sehen das Schaͤferleben als den naͤchsten Grenzort zum Paradise an. Der Fall Adams ist der Fall aus der Na- tur ins Mein und Dein, wodurch Arbeit, Muͤhe, Schweis des Angesichts, Uebermuth, Weichlichkeit in die Welt kam. Auch der Tod ist der Sold dieses Standes der Suͤnden, der aus Krankheiten besteht, welche aus einem unparadisischen Leben entstehen, und womit der Tod jezt gemeinhin verbunden ist. Vor diesem waͤre der Mensch lebendig gen Himmel gekommen; er waͤre in dieser Welt eingeschla- fen und im Himmel aufgewacht. Das laͤßt sich schoͤn hoͤren, lieben Freunde in dem Herrn! allein eingemachte Fruͤchte sind auch nicht zu verwerfen, und eine vorhergegangene Krankheit, hat sie denn nicht ihren großen Nutzen? Macht sie uns nicht das so liebe Le- ben ekel? Ich habe schon oben gesagt: es ist gut zu wissen, daß man wacht, und daß man schlaͤft, und so koͤnnt’ ich auch behaupten, eben so gut sey es auch zu wissen, daß man stirbt, und daß man lebt. Ist denn die Kuͤrze des Lebens so etwas schreckliches? Ja wenn O 3 das das Wohlgehen mit dem langen Leben ver- bunden ist; wem gehts aber in der jetzigen argen boͤsen Welt wohl? wo selbst in Curland ein Herzog ist. Oft lebt man darum so gern lange, damit man sich nicht den Vorwurf zu- ziehe, sein Leben verkuͤrzt zu haben. Ein lan- ges Leben scheint uns ein Testimonium des Wohlverhaltens gegen uns. — Der Fluch, der die Weiber traf, gehoͤrt er nicht auf die Rechnung der Weichlichkeit und Verzaͤrtelung? Weiber, die sich weni- ger verzaͤrteln, empfinden von dem Fluch: du solst mit Schmerzen Kinder gebaͤh- ren, noch bis diesen Augenblick wenig, oder gar nichts, und wenn sie selbst, wie im Na- turstande, arbeiten und sich nicht blos vom Herrn Gemahl ernaͤhren lassen, haben sie so gut ihren Willen, als die Maͤnner. Eignen sich nicht viele Weiber diesen Eigenwillen, be- sonders im adlichen Stande, schon wegen ih- res Eingebrachten zu? — daß sich Gott er- barme! In seinem eignen Hause ein Sclave seyn! — Der Stand der Unschuld, oder der Stand der ersten Natur, das Paradies, war ein Zustand, da der Mensch, so wie die Thiere, wan- wandelte, nur daß ihn seine Vernunft zum Herrn uͤber seine Schulcammeraden machte! Der Mensch saß in Prima. Keinem Men- schen fiel es ein, sich Grenzen abzuzeichnen. Eine Hoͤhle, das war alles, was er noͤthig hatte, und auf die war er so wenig neidisch, und hatt’ es auch so wenig Ursache zu seyn, daß niemand so leicht dem andern in den Weg kam. Er gieng nackt und brauchte keine Klei- der. Kleider sind eben das, so den meisten Zank unter den Menschen verursacht; denn sie sind bestaͤndig sichtbar: dagegen Speise und Trank, wenn es gleich Neid verursacht, ihn auch wieder daͤmpft, weil es nicht ins Auge faͤllt. Die Vernunft braucht Gesetze, so bald sie heranwaͤchst. Diese Zaͤune, diese Grenzen, brauchte auch das menschliche Ge- schlecht, da es mehr seine Staͤrke fuͤhlte. Die Herrschaft uͤber die Thiere bracht’ es zur Herr- schaft unter sich. Die ersten Grenzzeichen wa- ren Baͤume; wer sie nicht achtete, war der Mensch. Das Weib reizte den Mann, der Kinder halber, an, die mit dem zugewiesenen Platz nicht auskommen wuͤrden, und so brach der Mensch die Grenze, und von diesem Zeit- punkt an, lernte er aus der Suͤnde, aus der Grenzuͤbertretung, das Gute und Boͤse erken- O 4 nen, nen, was er erst nicht kannte, da er vor die- sem so in den Tag hinein lebte, Gott den Va- ter walten lies, das Maul aufsperrte, wenn es regnete, und den Apfel nicht eher aß, als bis er halb faul vom Baume sich herabschlich. Da lob ich mir ein Sprindt zu suchen und den Apfel herabzuhohlen, ehe er natuͤrlichen Todes so alt und schwach stirbt, daß er in- wendig faul und auswendig zusammengefal- len ist. Freylich haͤtten die grenzstreitige Par- theyen sehr leicht aus einander kommen koͤn- nen, wenn sie so klug gewesen, nur ein Paar Schritte weiter zu gehen, wo sie eine weit vortreflichere Gegend, eine Gegend voll Le- ben, kennen gelernet, und wo sie, ohne sich zu nahe zu kommen, hinreichend entschaͤdiget gewesen waͤren. Sie durften nicht nach Ame- rika! — Mit dem rohen Adamsnaturstande ists indessen so eine Sache! Zu ein paar Schritten weiter, waren sie nicht zu bringen. Der Stand der Suͤnde, der Stand, da aus Familien allmaͤhlig Staaten wurden, hat freylich sein vieles Boͤse an sich; indessen ist er doch auch auf der andern Seite nicht ohne sein vieles Gute. Der Staat ist wuͤrklich ein Baum des Erkenntnisses Gutes und Boͤses. Der Der Mensch ward feiner an Leib und Seele. Schand und Suͤnd ists freylich, daß die Seele nicht wachsen kann, wenn nicht zu- gleich auch der Koͤrper verzaͤrtelt wird, oder abnimmt. So gehts! Der Stand der Suͤnde bringt uns gerades Weges zum Stande der Gnaden. Durch den Pastor — bin ich zuerst auf diese Begriffe gekommen; indessen irrt er, wenn er des Glaubens ist, daß der monarchische Staat zum Stande der Gnaden eher, als der aristo- cratische und democratische fuͤhren werde. Mit nichten! Der monarchische Staat ist vielmehr der Stand der wuͤrklichen Suͤn- den; die andern Staatenarten sind Erbsuͤn- de. Wenn der monarchische Staat erst zum hoͤchsten Despotismus hinausgewachsen, kommt man wieder ins Freye! wogegen der freye Staat kaum den Namen des Standes der Suͤnde verdienet. Durch einen sanften Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten des Standes der Gnaden gedeyhen — Man weis nicht wie. Sie sehen, Pastor! wie weit ich in der Orthodoxie gekommen. Sie sind nur drey, ich gar viergliedrig. Wenn sie die O 5 theo- theologische Distinktion vom Reich der All- macht, Reich der Gnaden, und Reich der ewi- gen Herrlichkeit zum Grunde legen, thue ich ein Gleiches mit dem Stande der Unschuld, Stande der Suͤnden, Stande der Gnaden, und Stande der ewigen Herrlichkeit. Die Sache genau genommen, hebt sich der Bruch und eins geht mit dem andern auf. Ich bin fuͤr Staͤnde, Sie fuͤr Reiche. Ich wuͤnsche den Stand der Gnaden, Sie das Reich der Gnaden. Sie sind ein Koͤnigscher, ich ein Curlaͤnder! — Den Stand der Gnaden wuͤrd’ ich fast so bestimmen, daß es in der ganzen Welt wie in Curland stuͤnde — Außer die- sen Banden, sagt der Apostel Paulus, und freylich muß Curland noch von vielen Ungna- den gelaͤutert werden, eh’ es ein wahrer Stand der Gnaden ist. Auf dem Wege dazu ist es. Wie sind wir denn unterschieden, Pa- stor? Sie wissen mehr, als ich, und glau- ben mehr, als ich. Ich weiß wenig, und glaube wenig. Sie haben ein Perspektiv, ich mein leibliches Auge. Sie Schule, ich ge- meines Leben! — Man ist nur so gros, als man gewachsen ist! — Sie denken verfaͤnglich von Cnrland und Semgallen, und ich von der Schoͤpfung. Alles hebt sich. Wir sind beyd’ im im Jammerthal, und werden beyde gen Zion kommen. Wollen Sie noch mehr vom Stan- de der Gnaden? — Der Stand der Gnaden ist ein durch Ver- nunft gereinigter Naturstand, nach welchem die Vernunft den Menschen regiert, nach wel- chem er ihre ewigen Gesetze verehrt, ihnen folgt, und wenn Clima und Denkart sich ihr Votum vorbehalten; so haͤlt der Mensch auch dies Votum, so bald es die Vernunft an Kin- desstatt annimmt oder ihm beytritt, in Eh- ren — Kann man denn nicht bey leiblichen Kindern auch Kinder adoptiren! Auch noch eher, als der Mensch zu diesem Gluͤcke des Standes der Gnaden gelangt, kann er sich selbst in diesen Stand hinein denken, ihn sich so eigen machen, als waͤre er wuͤrklich schon da! und wenn das viele thaͤten, wie der Pa- stor und ich, ich wette drauf, Gottes Reich, wie der Pastor will, oder der Stand der Gna- den, wie ich will, kaͤme einige hundert Jahre eher, als jezt. Vor unserer Trennung war dieses Reich und respektive Stand der Gna- den in unsern beyden Wohnungen! Mein Weib bisweilen abgerechnet. Auch noch, Geliebte in dem Herrn! auch noch ist der Mensch, wenn er will, wie im Para- Paradiese. Er ist mehr drinn, wie vorhin. Er setzt sich jezt selbst herein, und erst kam er so dazu, mir nichts dir nichts. Erworbenes Brod schmeckt am besten, und bekommt auch so. Der Teppich der Erde ist mit den vor- treflichsten Kraͤutern angefuͤllt. Nur wir sind nicht mehr Schooskinder. Wir muͤssen Hand ans Werk legen. Wie die Natur nur ein Kind hatte, da hielte sies freylich auf dem Schoos; jezt aber — was solte sie mit so viel Tagdieben anfangen? — — — — Blos das gute kennen, Freund Pastor? Ists denn so herrlich, oder ists nicht besser, wie Gott wissen, was gut und boͤse ist, aus dem Para- diese in die Welt gehen? Aus der blos sim- plen Unschuld zur Vernunft? Die vernuͤnf- tige Unschuld ist was goͤttliches — allein jene rothbackigte gemeine Unschuld, was hat sie denn fuͤr Reiz? Wuͤßte denn wohl der Adam sich eine Talubbe (Schlafpelz) zu machen? Ich mag ihm keinen Namen beylegen, diesem Namengeber! denn wahrlich! er wuͤrde nicht sonderlich abkommen, wenn ich ihn taufen solte — Ist der Mensch denn nicht noch jezt der Herr der Erde? Er ruft alle Geschoͤpfe mit Namen und kann ihnen Namen geben, so bald bald er ihnen nur ins Auge sieht, fals sie nemlich noch nicht benahmt sind. Der Mensch vertraͤgt alle Gegenden, und hat er einen gu- ten Hund, das natuͤrlichste Hausgesinde, das Gott dem Menschen zugeordet hat, wie wir alle wissen, hetzt er Loͤwen, wie Hasen; ob- gleich der Loͤwe Herzog unter den Thuͤren ist; als welches ich ihm gar nicht streitig machen will. Koͤnig mag ich, mit des Herrn Pastors Erlaubnis, solch ein edles Thier nicht nennen. Wo ist denn Unkraut? Nirgend. Freunde, nur dann ist Etwas Unkraut, wenn es nicht an der rechten Stelle steht, wenn es nicht ge- braucht, sondern gemisbraucht wird. Dem Thoren ist alles Unkraut. Dem Weisen ist alles Kraut, alles ist ihm gut, was in der Welt ist, er machts, wie Gott der Herr, sie- het an, was Gott gemacht hat, und es ist alles sehr gut. Gott sahe an, alles was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr wohl! Was boͤse scheiner ist Gewinn; Der Tod selbst, ist mein Leben! singt ihre Frau! Der Schein truͤgt. Das, was boͤse aussieht, die Grundtriebe, womit der Mensch auf die Welt kommt, wie wickeln sie sie sich vortreflich aus! Laßt sie nur wachsen, ohne an einen Stock zu binden. Laßt sie wachsen, wie Gott und sie wollen, und siehe da! es ist alles sehr gut! Die Menschen- furcht, die das Mißtrauen, den Geiz und an- dere Schand und Laster erreget, auch sie ist aus der unversiegenden Quelle alles Guten! — Welch eine Fuͤlle der Weisheit liegt in allem verborgen! Eine Welt mit diesem Boͤsen ist besser, als Eine ohne solches. O welch eine Tiefe des Reichthums! beyde der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbe- greiflich, o Gott! mein Gott! sind deine Ge- richte und unerforschlich deine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Rathgeber gewesen, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? Denn von ihm, und durch ihn, und in ihm sind alle Dinge! Ihm sey Ehre in Ewigkeit, Amen! Was aus Gottes Haͤnden kommt, ist ei- tel gut! — Ich nehme, wie ers giebet, singt ihre Frau! die anders rechnet, als ich. In der Summe stimmen alle gute Menschen auf ein Haar! Thoren! — Ihr wolt Gott den Herrn meistern? Ihr wolt sticken und flicken, flicken, wie die Pastorin sagt. Es ist nicht voͤllig regelmaͤßig, glaubt ihr? und wißt ihr denn, daß sogar alles, was uͤber die Regel wegragt, was der Regel uͤber die Schulter sieht, goͤttlich ist! — Man nennt das Geniezuͤge, die groͤßer als die ge- meinen, bekannten Regeln sind, und sagt zu- weilen von einem Stuͤck, wo doch zuweilen nur ein einziger gewagter Strich vorfaͤllt: Ueberaus schoͤn! Unvergleichlich! — Ein Gesicht, ist es blos regelmaͤßig, kann es schoͤn seyn, aber nicht druͤber. So war das Gesicht der Jungfrau Maria schoͤn. Christus, der Herr! hatte einen Zug, der goͤttlich, der nicht regelgemaͤs war! — So, und nicht anders, seht die Welt an! und fin- det ihr dennoch boͤses? Was boͤse scheinet ist Gewinn; Der Tod selbst, ist mein Leben! Der Teufel selbst, ist Gottes Staatsminister. An die Vorsehung glauben, ist weit bes- ser, als lauter gute Schicksale haben! Wir wuͤrden sonst gleichguͤltig gegen alles seyn! — Du denkest nicht an Gott? Wer lange nicht an ihm gedacht hat, scheut sich, ihm nahe zu kommen! Er fuͤrchtet sich vor ihm. Ungluͤck! Ist denn wirklich Ungluͤck in der Welt? Die Kuͤnste- Kuͤnsteleyen, die Beduͤrfnisse, welche der Mensch so muͤhsam suchte, haben sein Ungluͤck gemacht. Reichthum ist nichts wesentliches. In der im Argen liegenden Welt siehet er zwar so aus; allein er ist es nicht. Gott der Herr wuͤrd’ ihn sonst so nicht vertheilt haben. Wer hat denn den Reichthum? Gemeinhin Leute, mit denen wir nicht tauschen wuͤrden. Chri- stus war ganz und gar nicht fuͤr den Reich- thum, und da er wirklich an sich etwas unna- tuͤrliches ist; wie schwer ist es, hier ein guter Amtmann Gottes zu seyn. Gott! wende den Reichthum, wend thn von mir, wenn ich die Buchhalterey nicht verstehe, die vor Dir gilt! So denken, und nach diesen Grundsaͤtzen handeln, heißt: das Salz der Erde seyn, wo- durch uns die Welt schmackhafter wird. Das Reich, oder den Stand der Gnaden beschleu- nigen, diesem Gnadenzeitpunkt Gewalt an- thun. Hab ich nicht viel von Ihnen behal- ten, Pastor? — Einen sehr großen Theil ist dieser Gnaden- punkt durch die Erscheinung Christi ins Fleisch herangeruͤckt! — Daher heißen auch die Ta- ge von den ersten Weyhnachten: dies ist die ange- angenehme Zeit, dies ist der Tag des Heils! — und es mag es gesungen haben, wer da will, wahr ists, daß durch Christi Herabkunft Frie- de auf Erden und den Menschen ein Wohlge- fallen, und eben dadurch Ehre Gott in der Hoͤhe, entstanden! Des sollen wir alle froh seyn, singt die Frau Pastorin, und ich sing es mit. Was wollen Ew. WohlEhrwuͤrden mehr? — Dies Singen und Sagen bringt mich zur Behauptung, daß das alte Testament Poesie, das neue Prosa sey: so wie die Poesie eher, als die Prosa gewesen. Garten, wie wir wis- sen, eher als Feld. Alles war im so genann- ten alten Bunde Bild! Opfern ist ein sehr natuͤrlicher Gottesdienst! Der Rauch geht hinauf, er traͤgt wirklich etwas ab, und zwar eben dahin, von wo so viele gute und voll- kommne Gaben herabkommen. Seht nur, wie im Junius die Natur opfert! Das Op- fer steigt hinauf, welches die Blumen dem himmlischen Vater bringen! die Erstlinge des Fruͤhlings! Wie natuͤrlich die ersten Men- schen aufs Opfern gekommen! Es ist viel Poesie beym Opfer, sagten sie, Pastor! Wahr! Weg mit dem Rauch aus der Schach- P tel tel des Apothekers! Laßt die Blumen opfern; wir wollen im heiligen Leben wandeln! — Das Alter ist nicht so empfindsam, als die Jugend. Es scheinet, dieses sey die Folge der Vernunft. Einer jungen Frucht druͤckt man alles ein. Wozu dienen aber junge unreife Fruͤchte? Freylich schmecken unreife Stachel- beeren mit jungen Huͤnern nicht uͤbel; — al- lein sie muͤssen versuͤßt werden, und reif bleibt doch reif — Christus brachte die Menschen auf die Aka- demie, nachdem sie vorher in der Schule ge- wesen und oft Schullaͤufer geworden. Nie legt’ er es darauf an, ein weltliches Reich zu stiften. Haͤtt’ ers gethan, sagt selbst, wer kann es oft genug fragen, waͤre es nicht ge- wesen, um das Reich Gottes naͤher zu brin- gen? Johannes und Jacobus ließen zwar durch ihre Frau Mutter ein Paar Plaͤtze zur Rechten und Linken bestellen; allein Christus gab ihnen zur Resolution, ihr wisset nicht, was ihr bittet. Er war ein Jude, weil die- ses Volk das einzige war, das mit so entsetz- licher Muͤhe zum einigen alleinigen Gott, der ein Geist ist und nicht abgebildet werden kann, vor- vorbereitet worden, sagen die Herren Theolo- gen. Mag seyn, auch nicht! Was geht mich das Warum an? Wer kann einen Geist mahlen? und wenn er nicht gemahlt wird, wie es ein juͤdisches Kirchengesetz war, wie schwer ist er von Men- schen zu glauben, die nur auf das Augsicht- bare zu sehen gewohnt sind? Man kann es sich kaum vorstellen, wie sehr das Menschen- geschlecht von je her zur Abgoͤtterey geneigt ist! Christus nannte Gott den Herrn, Va- ter, und wenn unsere Mahler ihn als einen alten Mann bilden, kann es bleiben? Ists verwerflich? Wie eifrig Christus bemuͤht gewesen, die reine Erkenntnis Gottes zu lehren, beweisen die Evangelisten, die, unter uns gesagt, auch mehr haͤtten von Christo aufschreiben koͤnnen. Es sind auch viel andere Dinge, die Je- sus gethan hat , sagt Johannes, welche , so sie solten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt wuͤrde die Buͤcher nicht begreifen, die zu beschreiben waͤren. Lieber Johannes! Der Pastor und ich haͤtten sie begriffen; denn wir sind nicht von der Welt. Moses kleidete die abstrakten Wahrheiten in Allegorien ein! So die Schoͤpfung in ein P 2 Fruͤh- Fruͤhstuͤck, so die Quelle des moralischen Boͤ- sen in die Erzaͤhlung vom verbotenen Baum. So den Ursprung der mancherley Sprachen in die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Christus, der Herr, war sehr entfernt von aller ruͤckhaltenden, aberglaͤubischen, spitzfin- digen Lehrart, welche, voll Verachtung gegen alles faßliche, gern in der Daͤmmerung ist. Er war das wahrhafte Licht, welches die Welt erleuchtete. Seine Lehre war eine Kinderlehre; allein man sieht es noch jezt, wie groß sie sey! Er war wahrlich ein Gesandter Gottes, der in Gottes Schoos war, und Gott verkuͤndiget hat, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann. Seine Offenbarung, seine Verkuͤndi- gung, that der Vernunft die treflichsten Dien- ste; so wie diese sie nach der Zeit und noch jezt erwiedert. Seit dem Christenthum ist noch kein Philosoph gewesen, dessen Vernunft nicht von der Offenbarung geleitet, oder be- stochen worden! — Die guten lieben Herren, den Pastor nicht ausgenommen! Man solte Wunder denken, wo sie es her haben? Lies das neue Testament, geneigter philosophischer Leser! und du wirst finden, daß die Philoso- phie nichts weiter als Formalitaͤt, als Lei- sten, als Woͤrterbuch sey. Suche, so wirst du du finden, klopfe an, so wird dir aufge- than! Christus forderte eine Reinigkeit des Her- zens, die noch nie jemand vor ihm gelehrt hat. Der Mensch soll, des Glaubens halber an Gott, und nicht aus Stolz, aus Gewinnsucht, seinen Obliegenheiten nachkommen. Es soll kein Wasser diesen Wein verderben, und ist sie denn nicht werth, die Tugend, daß man sie liebt? Hat sie denn nicht die gluͤcklichsten Folgen, die bis in Ewigkeit dauren? Nichts vergeht ganz. Alles, der Koͤrper selbst, ist ewig, und unsere Handlungen? Keine ist kinderlos. Jede pflanzt sich fort, und oft wird aus einem Adam von Handlung Eine ganze Welt! Lasset uns gutes thun, und nicht muͤde werden; denn zu seiner Zeit wer- den wir erndten ohne Aufhoͤren! Ueber die- sen Spruch hoͤrte ich Sie predigen, lieber Pa- stor, und noch hoͤr ich Sie, so wohl thut mir diese Predigt! Der Mensch ist auf der Stufe seiner goͤtt- lichen Natur nicht im Stande, so Herr seiner Handlungen zu seyn, daß er den moralischen P 3 Ge- Gesetzen voͤllig folgen koͤnnte. Die Welt hat eine Beziehung auf unsere Seele und Koͤrper, nachdem wir die Welt aus diesem oder einem andern Gesichtspunkte fassen. Bald so, bald so. Gehts uns schlecht, ist alles schlecht. Geht es uns wohl, so laͤchelt uns alles an. Zwar ist der Geist unabhaͤngig vom Koͤrper, und sagen wir also nicht: sein boͤser Geist, sein guter Geist; sondern sein boͤses Herz, sein gu- tes Herz. Wer kann den Geist indessen allen aͤußern Antrieben entziehen? Diesen Geist, wer kann ihn heiligen, so wie Gott heilig ist? — Wer kann ihn gewoͤhnen, blos nach Grundsaͤtzen der Vernunft zu handeln? Die- ser Kampf des Geistes und des Fleisches ist der gute Kampf, den wir alle kaͤmpfen — Um mich indessen in einer fuͤr mich so hoͤchst wichtigen Sache nicht in Ungewißheit zu las- sen, und mich von der Sentenz zu unterrich- ten, die Gott vor seinem Richterstuhl uͤber jede meiner Handlungen ausspricht, gab er mir ein moralisches Gefuͤhl. Vor Gott sind die Himmel nicht rein, und eine ganz absolute Vollkommenheit kann in keinem redlichen Wesen seyn. Etwas, das uͤber uͤber die Schranken der menschlichen Natur geht, kann der Schoͤpfer nicht fordern. Es giebt keinen allgemeinen guten, und keinen allgemeinen boͤsen Menschen. Erbsuͤnde ist vielleicht Bewußtseyn von natuͤrlicher Freyheit, mit der wir alle auf die Welt kommen, vorzuͤglich ein Curlaͤnder. Die Herren Theologen nehmen sie anders. Ich lasse sie bey ihrer Freyheit; allein ich be- stehe auch auf die meinige. In dem Sinn, wie die Herren Geistlichen es nehmen, hat die Frau v. W — keine Erbsuͤnde, und so kenn’ ich viel ohne Erbsuͤnde — Was ist die Erb- suͤnde nach der Meynung der Geistlichen? Ein Kind der Dogmatik. Der erste schlechte Erzieher, der sich entschuldigen wolte, erfand dies Namenspiel. Wie kann sich aber der Mensch bey dem Bewußtseyn, gesuͤndiget zu haben, beruhigen? Es giebt im eigentlichen Sinn nur Suͤnde wider seinen Naͤchsten. Wir suͤndigen wider Gott in so weit, als wir unsern Bruder belei- digen. Die Liebe zu Gott hat keinen andern P 4 Be- Beweiß, als die Liebe zum Bruder. Die meisten Menschen glauben, den lieben Gott so behandeln zu muͤssen, wie einen vornehmen Herrn; obgleich Christus ihn als Vater dar- gestellt hat. Er hat sich uns zum Vater hergegeben . Wer hat sich aber nicht von Jugend auf angewoͤhnt, Gott zu schmeichlen, dem Herzenskuͤndiger muͤndlich zu versichern, was uns nicht ums Herz ist? Ihn mit den Lippen zu ehren, und die Seele, sein Gnaden- werk, von ihm zu entfernen? Kurz, wer bemuͤht sich nicht, durch suͤße Reden Gott ums Herz zu betruͤgen? Solch eine Fuͤhrung halt ich gerades Weges fuͤr Menschengebot und Menschentand. Wenn es mich angreift, schreye ich aus. Ich bin zuweilen ordentlich boͤs’ auf den lieben Gott, und da wett ich, das muß ihm lieber seyn, als wenn ich den Widerwaͤrtigkeiten aͤußerlich begegne, wie einem Boten von ihm, und in- nerlich wuͤnsche, daß dieser Abgeordnete zum T — waͤre! — Ich bekenne es frey, daß ich nicht danken, nicht beten kann, wenn mich Ungluͤck trift. Wenns donnert, ist der lustig- ste Vogel hypochondrisch, und wenns ein schoͤ- ner Morgen ist, wie jubilirt die ganze Schoͤp- fung! Ueberhaupt denk ich vom Gebet an- ders, ders, als der Pastor; obgleich ich das meiste von seiner Meynung auf und angenommen, und wol eins mit bete, wenns so die Gelegen- heit giebt. Thor! was kann denn dem goͤtt- lichen Wesen damit gedient seyn, daß du sei- nethalben die Augen verkehrst, dich krampfar- tig stellest, die Haͤnde ins Kreuz haͤltst — des Sonntags so thust, als haͤttest du die Wache vor seinem Pallast — Mit diesen meinen Gesinnungen stimmt meine Hymne, die ich Gott dem Herrn beym Eingange dieses Aufsatzes angestimmt, und die mich zuweilen so anwandelt, daß ich mich kaum auf den Fuͤßen halten kann. Ich spring, als wolt’ ich gen Himmel springen, so ein alter steifer Kerl ich bin. Eine Ader hab ich mir dabey nicht verrenket. Da hab ich zuweilen eine Hymnestunde, wo mir das Herz die Brust durchstoßen will. Hinauf will es, und alles um mich her hat dann eine allerlieb- ste Stimme: alles singt melodisch, Gott al- lein die Ehre ! Lachen ist ein Kranz, der ge- meinhin sauren Wein anpreiset: Meine Freu- de braucht keinen Kranz — die Natur hat eine Wonnecirculation, die mich zu dieser Freude auffordert. P 5 Was Was kann es dem lieben Gott helfen, wenn ich, dem lieben Gott zu Ehren, meiner begangnen Suͤnden halber einen Trauerrock anlege, mit Kloͤtzen an den Fuͤßen gehe? das nenn ich, die edle Zeit toͤdten und Suͤnden mit Suͤnden haͤufen. Anstatt Leide zu tragen um meinen Todten, erzieh ich meine uͤbrigen Kinder und sage zum verstorbenen Sohne: ruhe wohl! Es besser machen, durch Scha- den klug, wie neu gebohren werden, ein ander Leben anfangen, das heißt: Buße thun, und dies fuͤhrt die Vergebung der Suͤnden mit sich. Das Bewußtseyn einer guten That, wodurch wir uns am Morgen des neuen Lebens aus- zeichnen, vertreibt die vorige finstre Nacht der Suͤnden! — Es ist so, als wenn man ein frisches Hemd anzieht! — Ist die Suͤnde zu ersetzen, gilt vor dem Ersatz keine andre gute Handlung? Mit zinsenreichem Ersatz faͤngt sich das Werk der Bekehrung an. Ist aber diese Genugthuung nicht moͤglich; so nehm ich die Einbildungskraft zu Huͤlfe und stelle mir jemand dar, dem ichs vergelte, dem ich in des beleidigten Namen Gutes thue! in eines Juͤngers Namen ein Glas Wasser reiche. Gott! denk ich, hat doch einmal ei- nen vollkommnen Menschen gesehen, Jesum Chri- Christum, der gerecht ist. Wenns auch mit dir fehlt hie und da, sey unverzagt! — und ich bins auch! — Bete du nur zehn Jahre und gib der Wittwe nicht das Stuͤck Waizenland wieder, um das du sie betrogest, wirst du Ru- he haben, wenn dich ein hitziges Fieber er- greift? oder es sich sonst uͤber deinem Haupte zusammenzieht? — Mit nichten. Die beste Cur ist eine gute Handlung, wodurch das Bewußtseyn in dir auflodert: dir sind deine Suͤnden vergeben. Dies war das Recept, das Christus verschrieb, und wahrlich es ist kein Kraut, kein Pflaster, was so heilet wie dies! — Viele Lente werden gesund, wenn sie ein Testament gemacht haben, und ich halte dies fuͤr ein gewisseres Nothmittel , als das versparte Aderlassen. So bald der Mensch ruhig ist, so bald er empfindet, seine Suͤnden sind ihm vergeben; so steht er bald auf und wandelt! — Pastor! Sie sagten einst, wie mich duͤnkt: man muß die Koͤrpercur mit der Seelencur anfangen! — Die Hypochondrie ist gemeinhin eine im Gemuͤth stecken geblie- bene Suͤnde, die ich an mir selbst veruͤbt. Giebts denn Suͤnden an mir selbst? Freylich! denn ich bin mir selbst der Naͤchste; allein sol- che Suͤnden haben mir noch keine schwere Lebens- Lebensstunde gemacht, ich leide ihrethalber die natuͤrlichen Strafen. Ich sterbe ihretwegen taͤglich und suche mir durch Bewegung und ein Glas Wein die Gedanken zu vertreiben, wenn sie mir ins Ohr raunen: du bist ein Selbstdieb! Gottlob, ein Selbstmoͤrder bin ich nicht! — Wer aber nie an sich selbst ge- suͤndiget, der hebe den ersten Stein wider mich! Ich bitte, den Herrn Generalsuperin- tendent nicht ausgeschlossen, ich bitte! — Gott sey mir Suͤnder gnaͤdig ! das war so herzlich, als: Gott allein die Ehre ! Es giebt Seelen, die sich immer gleich, und wie ein sanfter schoͤner Tag sind, wo es immer scheint, es wolle die Sonne hervor, es wolle regnen, und es regnet nicht und es scheint nicht die Sonne! Ich habe auch der- gleichen Tage gehabt. Man koͤnnte sie heilige Tage nennen, und den, der sie zu leben ver- steht, einen der geheiliget ist! da komm ei- nem, was da will, es regnet nicht, es scheint nicht die Sonne. Die Empfindung, daß uns alles, alles, zum besten dient, wuͤrkt so stark auf unser Herz, daß wir innerlich und aͤußer- lich ruhig sind! Da sieht man, so zu sagen, in allem Gott den Herrn. Jaget nach der Heiligung, sagt der Apostel, ohne welche wird wird niemand den Herrn sehen! Gott laß mich so leben, so sterben! Leidenschaften sind Engel und koͤnnen Teu- fel werden. Sie sind Befoͤrderer, Mitwuͤr- ker des Guten. Sie geben Spannkraft und Thaͤtigkeit den Muͤden! — Waͤrme und Leben dem Kaltgewordenen. Wohl dem, der sich der Leidenschaften zu seinem eigenen und zum Vortheil seines Naͤch- sten bedient, der alles zu edlen Absichten lenkt! Hat doch jemand gesagt, das Ungeziefer waͤre blos da, um die Faulen zur Arbeit zu trei- ben! — Daß dich doch die Muͤcke dafuͤr staͤche! — Noch nie hat sich ein Mensch seiner Suͤn- den als Suͤnden geruͤhmt. Er wolte viel- mehr durch diese seine Offenherzigkeit den an- dern auf das Gute aufmerksam machen, was in diesem Boͤsen lag. Wer Boͤses von sich sagt, ist oft der feinste Lobredner auf sich. Man denkt, er wolle sich was Leides thun; allein er thut sich was zu gut, so wie sich niemand ums Leben bringt, der in aller Welt Augen Augen die Pistole ladet und laut rufet: auf mich! Wen er lieb hat, den zuͤchtigt er, koͤnnte man vom Menschen sagen, der uͤbel von sich selbst spricht. Da Christus den großen Zweck seiner Sendung nicht erreichen konnte, sondern bey der evangelischen Lehre des Gnadenstandes, des Heilstandes, nichts anders, als Verach- tung und den Tod selbst erduldete; so war es kein Wunder, daß seine Juͤnger, die so weit von ihrem Meister abstanden, ob diesem Wer- ke verzweifelten, bis sie endlich, nach sehr ge- heimen Berathschlagungen, sich entschlossen, das Evangelium zu verkuͤndigen, bis daß Er kaͤme! bis daß sein Reich kaͤme, und wir ihn wieder im Geiste dargestellt saͤhen! — Ein ein- muͤthiger heiliger Geist beseelte die Juͤnger so, daß sie das Werk anfiengen mit Freuden, und fuͤr so eine gute Absicht Maͤrtyrer zu werden kein Bedenken trugen. Obgleich Menschensatzungen die Religion Jesu so sehr verdunkelt, daß, wenn Christus herabkaͤme, er die Christen nicht kennen wuͤr- de; de; sagt! ist sie nicht noch jetzt, so wie sie da liegt, vortreflich? Ist sie nicht die ein- zige, die den Menschen zum Gnadenreiche, zum Stande der Gnaden, zu bringen Kraft und Staͤrke hat? Ich hab es anfaͤnglich so nicht eingesehen; allein jetzt glaub ich, daß in dieser Lehre Leben fuͤr diese, und Selig- keit fuͤr die andre Welt liege. Die Juͤnger Christi waren ehrliche Kerls, bis auf den Judas, der ihn verrieth. Pe- trus war feurig, Jacobus strenge, Jo- hannes sanft. Keiner hat sich Schaͤtze er- worben. Wie lebten sie, wie starben sie? so lebt, so stirbt kein Leutbetruͤger! Vornehm werden wollen heißt, darauf ausgehen, daß man bewundert oder beneidet wird; beydes taugt nicht! Sich Gluͤck wuͤnschen heißt, andere kleiner verlangen, als man selbst ist. Andere auf seine Kosten un- gluͤcklich wissen! — Solche eigennuͤtzige strafbare Wuͤnsche sind geradesweges dem Gnadenreiche Christi entgegen, wo kein Kronprinz, kein Koͤnigsbruder ist. Der erste ist der letzte, der letzte der erste. Der Ge- ringste der Vornehmste, der Vornehmste der Ge- Geringste. — Gegenseitige Gesinnungen bey seinem Besten zu bemerken; mußte den Erretter, den Erloͤser des ganzen menschli- chen Geschlechts, ganz natuͤrlich zum Ruͤck- halt gegen diese seine sonst guten Freunde bringen, welche die zwoͤlf Staͤmme unter sich theilten, und durchaus etwas vorstellen wol- ten! — War es Wunder? Waͤren wir in allen ihren Umstaͤnden besser gewesen? Ich glaub es nicht. Christus nahm sie also wie Kinder, denen man durch Gleichnisse, durch Erzaͤhlungen, auf den rechten Weg hilft, und sagt, Freunde! wenn Christus in Cur- land gewandelt haͤtte, wo doch alles von Freyheit spricht, waͤr er nicht gekreuziget? Sie, Pastor, sind eins mit mir. Was wuͤrde nicht im despotischen, im monarchi- schen Staate werden! Noch jetzt kann man Christi Absicht, so klar sie gleich da liegt, weder errathen, noch ertragen. Man haͤlt sie unmoͤglich. Was aber bey Menschen un- moͤglich ist, ist es nicht bey Gott. Wie lang- sam gehts mit der wahren Erkenntniß Got- tes und mit der Tugenduͤbung! Wahrlich Christus leidet noch — wie seine Worte ge- kreuziget werden! Getrost! Getrost! — Johannes, der Schoosjuͤnger Christi, sahe, da er ein hohes Alter erreichet hatte, ein, daß die zwoͤlfe nicht im Stande gewe- sen, dieses große Werk auszufuͤhren; allein seine Hofnung war noch fest! — Die Re- ligion Christi war nicht Menschenwerk. Er half sich mit der Einbildungskraft, da wo er sich verlassen fuͤhlte. In seinem Gesichte sah er einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schluͤssel zum Abgrunde, und eine grosse Kette in der Hand. Doch warum diese Zuͤge von einem so ins Große gemahl- ten Bilde? — Er ergrif das Erdenelend und band es tausend Jahr. Johannes, der es empfand, wie Menschunmoͤglich es sey, Christi Reich auf Erden zu verbreiten, ohne daß Tyranney und Bosheit gefesselt wuͤrden, bildete sich ein: Es sey also. Er stelte sich, um sich nicht zu vergessen, vor, daß die Maͤr- tyrer, die Zeugen Jesu, welche die Mahlzei- chen an Stirn und Hand haͤtten, jetzt in die- sem Gnadenstand eingehen und tausend Jahr mit Christo regieren wuͤrden! — Selig ist der und heilig, der Theil hat an der ersten Auferstehung; uͤber solche hat der andre Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Q Got- Gottes und Christi seyn, und mit ihm regie- ren tausend Jahr. Der hat den Himmel auf Erden, dessen Lebenszeit in diese tausend Jahre faͤlt, wo man einsehen wird, was Christus und die Maͤrtyrer beabsichtiget. Nach dieser tausend- jaͤhrigen Regierung bildet sich Johannes wie- der Tyranney und Blutvergießen ein! Das Erdenelend wird wieder losgeschlossen; allein nach seiner Vorstellung soll es nicht lange dauren. Hallelujah! Es kommt ein neuer Himmel, eine andere Denkungsart von Gott, eine neue Erde, andere Menschen. Da ist er! Ein immerwaͤhrender Stand der Herrlichkeit! — Ich, sagte Johannes, sahe die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmuͤckte Braut ihrem Manne, und hoͤrte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da eine Huͤtte Gottes bey den Menschen, und er wird bey ihnen wohnen und sie werden sein Volk seyn, und er selbst, Gott, mit ihnen, wird ihr Gott seyn, und Gott wird abwischen alle Thraͤnen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr seyn, noch Leid, noch Geschrey, noch Schmerz wird mehr mehr seyn; denn das erste ist vergangen, und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe! ich mache alles neu und er spricht zu mir: schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß. Amen! Amen! Meditiren, wie die Gelehrten es nennen, nachdenken, wie der gemeine Mann sagt, heißt, in vielen Faͤllen, beten! — Wer das Gebet als einen Erzwang in Hinsicht der Sa- chen, die er bittet, ansieht, irrt sich; es ist nur die Connexion, in die man sich mit Gott setzt. Das Vater unser kann jeder Mensch beten; wenn wir indessen, wenn Gott will, in den Stand der Gnaden und in den Stand der ewigen Herrlichkeit eingetreten, muͤssen wir ein anderes Gebet haben, nicht wahr lie- ber Pastor? dazu uns Gott seine Gnade und seines Geistes Beystand, Staͤrke und Huͤlfe verleihen wolle! — Ja Gott, der in uns angefangen hat das gute Werk, wolle es durch seinen heiligen Geist in uns bestaͤtigen und vollfuͤhren bis auf den Introductions-Tag des Standes der ewigen Herrlichkeit, bis auf den Tag Jesu Christi. Getreu ist Gott, der euch ruft, wirds auch thun. Q 2 Ein Ein Atheist ist der, welcher seinen Bru- der nicht liebet, den er siehet! Selbstver- leugnung ist Ersparung an sich selbst, um ge- gen den Naͤchsten freygebig zu seyn. Freude ist Danksagung. Wolte Gott! daß ich alle Menschen dies zu uͤben bewegen koͤnnte! Das wuͤrde heissen: sie beten lehren! Vergib dei- nem Bruder, vergiß nicht, daß du erst von den mehrern Pfunden, die Gott dir verlieh, Rechnung abzulegen verbunden bist, ehe du vor Gott treten kannst! — Vor Johanni bestellen die Leute ein Gebet beym Prediger, nach Johanni, sagt Gevatter Hans, will ich schon mit meiner Grete beten. Warum ha- ben die gemeinsten Leute Neigung zu Spoͤtte- reyen? Man solte ihnen nicht mehr zu glau- ben aufgeben, als glaublich ist. Ein Tho- mas wirft alles uͤber und uͤber, und sein Nachbar glaubt, was das Zeug haͤlt, um mit Glauben dem Thun auszuhelfen! — Aufforderungen zu guten Handlungen, sind nicht Handlungen selbst; das Gelaͤute keine Predigt. Der Christ hat zwar seinen Stern am Himmel, wie die Weisen aus dem Mor- genlande; allein er muß auch seine Lampe in der Hand halten, wie die fuͤnf klugen Jungfrauen. Viele berufen, wenige aus- erwaͤhlet. Die Die Welt ist vor der Hand nicht im Stande der Gnaden. Man muß sie so ver- brauchen. Doch befinde ich mich unter We- sen, die mit mir zu einer Classe gehoͤren, de- nen Gott Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat. Was ist billiger, als daß ich in Ruͤcksicht dieser meiner geliebten Mitbruͤder genau nach den Vorschriften ver- fahre, die uns der Wille unseres gemein- schaftlichen Urhebers vorgeschrieben hat. Im Worte Bruder liegen alle diese Pflichten zu- sammen. Bruder ist ein großes Wort. Mich freut es recht von Herzen, daß dies Wort in Curland so gang und gaͤbe ist! — Zwar ist es in den meisten Faͤllen nur so da, der Mode halber, wie hohl dich — indessen ist Rom nicht an einem Tage erbaut. Durch die Geburt sehe ich mich in gewisse gesellschaftliche Verbindungen gesetzt, zu wel- chen ich zwar meine Einwilligung nicht mit- telst eines deutlichen und aufrichtigen Ja- worts beygetragen; hab ich aber nicht An- theil an den gemeinschaftlichen Vortheilen ge- nommen? Fordern mich also Gesetze des Staats, in dem ich lebe, auf, denen das Q 3 Ge- Gewissen seine Stimme nicht entzieht; so bin ich schuldig, treu, hold und gegenwaͤrtig zu seyn. Ich muß das Land das mir Brod und Wasser giebt, nicht als eine Herberge ansehen, wo man sich oft laͤnger, als man wuͤnscht, aufzuhalten verbunden ist, weil ein Rad gebrochen. Wessen Brod ich esse, des- sen Lied ich singe. Gott aber muß man mehr gehorchen als den Menschen. Die Religion im jetzigen Sinn ist der zweyte Theil der Staatsverfassung. Sie ist die Ehegattin der Staatsklugheit. Ich bin nicht berechtiget, wider die Religion, die der Staat entweder als Mitregentin nimmt, oder als Freundlingin schaͤtzet, mir eine Verraͤ- therey zu Schulden kommen zu laßen — In dieser Ruͤcksicht bekenne ich mich, als ein Mitglied eines christlichen Staats, zur christlichen Religion in so fern derselben Lehr- saͤtze meinen gepruͤften und als wahr aner- kanndten Grundsaͤtzen, bey denen mein Ge- wissen praͤsidiret, nicht entgegen sind. Von dieser Oberrathsstube gilt keine Appellation nach Warschau — Kei- Keinem will und werd ich meine Grund- saͤtze nahe legen. Nie wuͤrd ich mit dem gu- ten Pastor gestritten haben, wenn er nicht der Pastor in — und ich der waͤre, der ich bin! Warum wir uns aber zehn Jahre abgeson- dert, begreif ich nicht bis diesen Augenblick. Luthers Schne, pflegten Sie zu sagen, sind nicht allen Dorfpriestern gerecht — Ueber Vermoͤgen fordre ich von mei- nen Untergebenen, sie moͤgen undeutsch oder deutsch seyn, keinen Schritt. Wenn Gott es mit den Ungerechten machte, wie sie mit ihren Schuldnern — — — Milchhaar wird auch braun oder schwarz, und wo ist denn eine Lust, die ihren Gift nicht bey sich traͤgt? wo ist ein Mahl von reinen Wein voll Mark, darinn kein Hefen ist? wo eine Suͤnde ohne Strafe! — Wuͤ- steney ist in der Stadt. Das ist ein Text, wo er steht weis mein Hofmeister, den Gott troͤste! am besten. Was ist aber richtiger als Wuͤsteney ist in der Welt. Ein unver- faͤlschtes Lachen giebt es nicht in der Welt. Jeder leidet was seine Thaten werth sind. Der Weise ruͤhmt sich eines Seelenvergnuͤ- Q 4 gens, gens, und wirft seinem Weibe aus Verdruß einen Porcellain-Aufsatz nach dem Kopf. Ein lautes Vergnuͤgen haͤlt man fuͤr Rausch. Saur und suͤß essen Vornehme und Geringe, und wenn man ein rechtes Vergnuͤgen be- schreiben will, heißt es eine Thraͤnenwonne. Die goͤttliche Traurigkeit, die Reue, die niemand gereuet, ist ein Beweiß, daß Freude und Leid sich verhalten, wie Rosen und Dornen — Ich fuͤhle zwar mich und meine Kraͤfte in gewissen Graͤnzen eingeschlossen; allein ich weiß auch, daß das Ende dieses Lebens nicht auch das Ende meiner ganzen moralischen Existenz sey; vielmehr hoffe und glaub’ ich, daß wenn gleich mein Koͤrper durch die Ver- wesung in seine ersten Theile aufgeloͤset und mit der uͤbrigen Materie vermischt wird, ich dasselbe ich und kein Fremder, fortdau- ren werde. Die Vernunft ist ewig. Sie ist der Sitz des goͤttlichen Ebenbildes, und dies sein Bild solte Gott der Herr vernichten? Glau- Glauben, im gemeinen Leben, heißt, an- derer Meynungen annehmen. Thun, heißt nach seiner Ueberzeugung handeln. Verstand haben, heißt etwas verstehen. Leichtsinnig ist der, welcher alles leicht faßt; allein eben darum gehts hier herein, dort heraus. Der Pastor sagt: ich waͤre leichtsinnig; allein dieser Aufsatz selbst mag Richter seyn, zwischen mir und ihm. Ist denn die Saat, die der Pastor ausgestreut, auf einen Felsen gefallen, wo, wenn es reg- net, die Saat zwar keimen, ihr Haupt em- por heben, allein nicht Wurzel schlagen kann? wie solches alles der alte Herr in Music ge- setzt hat. Ist die Saat in Ruͤsicht meiner auf einen so harten Boden gefallen, daß sie keinen Eindruck gemacht, sondern dem Vo- gel zum gesunden Fraß und dem Wanderer zum Spiel gereichet? Wie der Wanderer sie da mit seinem Stabe aufsprenget! Gehoͤr ich denn nicht zu den Seligen, die Got- tes Wort hoͤren und bewahren? Ein Schwaͤr- mer bin ich nicht, der alles gierig und heiß ißt, und sich total den Magen verdirbt. Er kann die Zeit nicht abwarten — — Alles ist Geschichte in der Welt, und da kommts freylich viel drauf an; ob ich selbst Q 5 gese- gesehen, selbst gehoͤrt, oder mir von andern erzaͤhlen lassen, was diese andere gesehen und was sie gehoͤret. Der hat ein Auge fuͤrs Vergangene, der fuͤrs Gegenwaͤrtige. Man sagt: einige haͤtten es fuͤr die Zukunft. Ich meines Orts habe keinen von der letzten Art gekannt. Sie, Pastor, sehen das Gegen- waͤrtige, als stuͤnd alles vor ihnen — Wie lange kann es mit uns waͤhren? So alt, oder aͤlter. Wir sind nicht von dan- nen, sondern warten auf unseres Leibes Er- loͤsung. So lang ich hoffe, leb ich, so lang ich seufze, hoff ich. Ich bin der festen Zuver- sicht, daß mein Tod mich nicht aus der Fas- sung bringen werde. Jetzt, in diesem Stan- de der Suͤnden zu leben, wenn gleich Cur- land noch hie und da vermoͤge der herrschen- den Freyheit mehr Aussicht zum Gnadenrei- che hat, als ein ander Land, was ists mehr als Wuͤsteney? Man stirbt jetzt des Erden- leidens wegen gern, wenn gleich Krankheit und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im Stande der Gnaden wird man gern sterben, weil bey einer einfachern Lebensart die Krank- heiten heiten’ sich von selbst heben werden. Leicht ist der Tod immer. Alles ist leicht, nur das Leben nicht. Ein wahres Wort im Stande der Suͤnde — Nur im Grabe hat der Mensch alles unter seine Fuͤße gethan. Die sechs Seiten des Cubus sind nicht der ganze Inhalt unseres Seyns — Ob auf einem Berge mehr Kornaͤhren oder Baͤume stehen koͤnnen, als auf dem ebe- nen Grunde? war eine Frage, die jetzt so klar beantwortet ist, als: wie viel macht zwey mal zwey — — — — Ich bin vielleicht sehr oͤfters ein ich ge- wesen. Man hat drey Reiche, das Mine- ral, Pflanzen, und Thierreich, die koͤnnte man, duͤnkt mich, Reich der Allmacht, Reich der Gnaden, Reich der Herrlichkeit nennen, be- sonders wenn man den Menschen als das letzte Thier in Erwaͤgung zieht. Durch diese drey Reiche bin ich vielleicht schon durchge- wandert. So wie ich leblos als Erde war, so hatte ich Saft als Pflanze, bis ich als Thier Blut bekam. Jetzt bin ich Mensch, bin Thier Thier und Engel! — Die Seele ist Mittler zwischen Geist und Koͤrper. Mein Geist denkt vernuͤnftig, zusammenhaͤngend allge- meine Wahrheiten; indessen ist mein Geist ein ausgelernter Geist. Kinder zeigen so we- nig von allen diesen Menscheneigenschaften, daß einem jeden klugen Mann bange wird, wenn er sein Kind sieht. Kluger Mann, sag ich, das heißt ein solcher der die wenigste Af- fenliebe hat. Wer hat sie aber nicht? Gemein- hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis von sich auf den Kleinen: ob je aus dem Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar- um gerathen so selten die Kinder der Gelehr- ten. In der ersten Jugend wissen sie so viel, daß man gewis glaubt, sie wuͤrden eher Ma- gisters werden, als Leibnitz; allein sie blei- ben bald stockstill stehen — — Der Herr Vater giebt sie auf — Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl verwandelt, ehe ich das Bewußtseyn meines ganzen Gewesens erhalte und die Kette uͤber- sehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr- per steht auf. Nichts wird ganz vernichtet. Alles, das geringste Staͤubchen nicht ausge- schlossen, ist zu etwas gut! — Die Vernunft ist ewig! ewig! Sie ist der Sitz des goͤttli- chen chen Ebenbildes, und dies Bild solte Gott der Herr vernichten? — — Hiemit will ich diesen Aufsatz schließen, den man wohl schwerlich von einem curschen von Adel erwarten solte. Daß Herr v. G — in seinem Aufsatze mancherley von meinem rechtglaͤubigen Vater angebracht, ist nicht zu leugnen; allein mein Vater nahm sich dieser wuͤrklich ungerathenen Kinder nicht an, stellte alles Gott heim, der recht richtet und blieb bey seinem aut, aut — Obgleich er, wie wir wissen, zugeben mußte, daß wenn jemand mit der Bibel allein einge- schlossen wuͤrde, er gewis nie unser Kirchen- system herausbringen wuͤrde; so war er doch, wie wir auch wissen, fuͤr die Zunftregeln, und wolte durchaus nicht weiter gehen, als sein Schild es besagte — Dieser Aufsatz konnte also bey solchen Ge- sinnungen so wenig befriedigend fuͤr meinen Vater seyn, daß er ihn gewiß nicht ohne Be- klemmungen seines Herzens gelesen haben wird. Herr v. G — hatte ihm einstmahls in ei- ner großen Gesellschaft die Frage vorgelegt, was was er wohl lieber aufgeben wuͤrde: die Bi- bel, oder die natuͤrliche Religion? So et- was zu fragen — Herr v. G — konnte nicht aufhoͤren, sich uͤber die Unzulaͤnglichkeit der evangelischen Nachrichten zu beklagen. Mein Vater erwie- derte. Freylich sind es fuͤnf Gerstenbrodte und ein wenig Fischlein, so die Evangelisten zuruͤckgelassen; allein den Segen druͤber ge- sprochen; so ist es hinreichend, daß vier tau- send Mann davon gespeist werden koͤnnen, wenn sie auch noch so heißhungrig sind, und wie viel Koͤrbe blieben nicht noch fuͤr den Den- ker uͤbrig! — Herr v. G — war, wie meine Leser sichs leicht vorstellen koͤnnen, bey einer solchen Denkart ein Sokratiker. Ich bin ein Christ, sagte mein Vater, mache mir eine Ehre draus, und alle Rechtschafne erkennen mich dafuͤr? Hier konnte man wohl mit Recht als ob und ja wohl fragen und antworten. Wenn ich noch mit einem Pausch und Bogengespraͤch uͤber den Sokrates dienen kann, welches uͤber die zehnjaͤhrige Entfer- nung nung ebenfalls Licht zu verbreiten im Stande seyn duͤrfte, will ichs gerne. Gehalten am Pausch und Bogen Tage kurz vor der Tafel an dem schoͤnen Tage, da wir, mein Vater und ich, nach — zum Herrn v. G — kamen, und zwischen beyden streitfuͤhrenden Maͤchten ein Vergleich gesaͤet und be- gossen ward, wozu auch Gott das Ge- deyen gab. Wo wissen Sie denn, daß ein Sokrates in der Welt gewesen, fragte mein Vater, und zwar ein Sokrates eben so und nicht anders? Aus seinen Fruͤchten, antwortete Herr v. G — solt ihr ihn erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, und Feigen von den Disteln! — Plato — suchte Ideale, und fand den wuͤrklichen Sokrates! — Den Apostel der Heiden. Das war Paulus. Nach Christi Geburt. Das Orakel ver- sichert, Sokrates sey der weiseste unter allen Menschenkindern gewesen. Σωϰράτης ἀνδρῶν σοφώτατος, weil er nichts wußte. Ist Ist das verstaͤndlich? Ich verstehe kein griechisch. Und ich dies Orakel nicht. Zwar weiß ich den Unterscheid zwischen Weisheit und Wissenheit — — Wer aus diesem Zeugnis folgert, ergo ist der, der allerdummste, welcher viel oder alles weiß, Pastor! der verdient zur Strafe ewig mit einem umgewandten Kleide zugehen. Ich laße kein Kleid kehren. ich auch nicht. Sokrates — Was sagte der Physiognomist von ihm? Was Sokrates selbst sagte. Huͤte dich fuͤr den, den Gott gezeichnet hat, ist eine apocryphische Regel. Ist denn Pastor! ein Suͤnder, der Buße thut, ist er nicht besser, als neun und neunzig Gerechte die der Buße nicht beduͤrfen? — Wahr! ein Prophet aber muß nicht heß- lich, nicht schoͤn seyn; so wie Wasser und Brod muß er in seinem Aeussern nach nichts schmecken — Ὁ τόινυν τοιȣ´τω συνὼν σώματι, τίνα, ἡγȣ´μεϑα, ῏ειχε ψυχήν. Huͤte dich fuͤr den, den Gott gezeichnet hat, ist freylich eine apo- cryphische Regel; aber koͤnnen wir denn die Sinnlichkeit ablegen, und trauen wir wohl wohl einer Seele, die so schlecht wehnt, Ge- schmack zu —? Niemand hat uns Christi Gestalt rein und lauter beschrieben, weder Lueas, noch die heilige Veronica, und ich aͤrgre mich, wenn die Mahler und Zeichen- meister sich um die Wette bemuͤhen, einen Christus-Kopf darzustellen. Den werdet ihr nicht treffen, lieben Leutlein! Ein Marien- gesicht, das laß ich gelten, da wolt’ ich schwoͤren, daß mein Weib einen Zug von ihr hat. Mein Sohn lag in seinem vierzehnten Jahre ohne Hofnung danieder, und mein Weib, wie Maria des Herrn Mutter: ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast — ich ehre den Sokrates. nicht so wie ich! — kann seyn, weil ich ein Christ bin — Und wenn es Sokrates auch gewesen? Christus war er nicht; warum wollen Sie ihm aber den christlichen Glauben absprechen? weil sie ihm die Hand nicht auf seinen Mond- kalbskopf gelegt — Sie spoͤtteln, und sie predigen! Das that Sokrates auch, und schrieb nicht, so wie wir alle beyde R Da Da sind wir wieder zusammen, wie Mann und Weib! — Nur noch lange nicht Eine Seele! Frey- lich besaß Sokrates etwas, das die Weisen seiner Zeit nicht hatten, was man einen Daͤ- mon, einen sokratischen Schutzengel nannte, und was nichts weiter als ein philosophisches Genie war. Genie und Daͤmon ist nicht viel auseinander — Pastor! den Rabbat laß ich mir nicht ge- fallen; kann denn nicht wuͤrklich eine un- sichtbare Gestalt — Wußte denn nicht So- krates Zukuͤnftigkeiten? Wie Sie und ich — Zu Christo kam Nicodemus des Nachts; zu Sokrates der Euclides. Aber Nicodemus, ein ehrbarer Raths- herr, maskirte sich nicht in Weibertracht — Wie Sokrates starb! — ist die Frage. Gros! Pastor! kann seyn — Stehen Sie etwa des Hahns wegen an? Kommt denn nicht auch ein Hahn in der Paßionsgeschichte vor? Da Da Petrus Christum verleugnete — Eben kraͤhete auch jetzt ein Hahn, und Herr v. G — war still, kam aus dem Zu- sammenhang und machte ein Gesicht, als wolt’ er sagen: du haͤttest auch nicht kraͤhen duͤrfen — Mein Vater that, obgleich es schien, daß er wider den Sokrates war, ihm die buͤn- digste Ehrenerklaͤrnng , so bald Herr v. G — nur nicht auf Kosten des Christenthums dem Sokrates lobredete. Es war unmoͤglich, daß Sokrates und mein Vater nicht gute Freunde seyn solten. Cicero, sagte er, nannt’ ihn den Adam der Philosophie, den Vater der Weisen, und das mit Recht, weil er die Sophisten seiner Zeit, die mit einem Wortkram von Schola- lastik geziert waren, so treflich durch gemei- nes Leben, durch edle Einfalt in die Enge trieb. Gehts denn unsern Philosophen an- ders? Sind denn nicht die meisten, den Pro- fessor Grosvater nicht ausgenommen, in Wortsuͤnden empfangen und gebohren? Ha- ben sie nicht alle sophistische Erbsuͤnde? So- krates war ein Volksphilosoph, und so ist die Einfalt zu nehmen, die er frey von sich be- kannte. Er fieng nicht Fliegen in einem R 2 Spinn- Spinngewebe von Feinheit. Aus Haus- mannskost bestand seine Mahlzeit. Was nuͤtzen denn Definitionen, wenn man das Wort versteht, und was hat man denn, wenn man ein ganzes Geschlechtregister eines Worts gelernet hat? Thun die Philosophen vielmehr, als jener Landgeistliche, der seinen Bauern, bey Gelegenheit des Evangelii vom reichen Fischzuge, erklaͤrte, was ein Netz sey. Das Dorf hatte große Fischerey — Die Standrede, die Diogenes auf den Sokrates hielt, verhaͤlt sich freylich zu der des Hauptmanns unterm Kreuze wie beyde Erblaßte gegen einander. Er ist ein from- mer Mensch und Gottes Sohn gewesen! — Meine Frau sagt: da zog die Erde den Tre- mulanten, Sie bebte! — Da wurde das Haus des Entschlafenen, der Himmel, mit Trauertuch ausgeschlagen. Es ward eine Sonnenfinsternis! und hat meine Maria nicht recht? Diogenus sagt: Πρῶτος μετὰ τȣ̑ μαϑητȣ̑ Ἀσχίνȣ ῥητορεύειν ἐδίδαξε, καὶ πρῶτος περὶ βίȣ διελέχϑη, και πρῶτος φιλοσόφων καταδικασϑεὶς ἐτελεύτα. (Diogen. Laert. i. 2. sect. 20.) Herr Herr v. G — verstand freylich kein Grie- chisch; wie konnt’ er aber auch verlangen, daß Diogenes seinetwegen deutsch oder lettisch lernen solte! Beylaͤufig, sagte mein Vater, die drey Theile, in welche die Leichenrede des Diogenes gelegt sind. Sokrates war ein Herzensredner, ein Moralist und der erste philosophische Maͤr- tyrer. Der erste? fragte Herr v. G — der erste, antwortete mein Vater; denn wenn gleich in der Recension uͤber diese Standrede be- merkt worden, daß Zeno noch vor dem So- krates ums Leben gekommen; so starb doch Zeno nicht der Philosophie halber! — Die Schaͤcher litten, was ihre Thaten werth waren. Zeno, als General, in Sa- chen seines Vaterlandes wider den Tyrannen Nearchus. Sokrates starb und καταδικασϑεις durch ein Criminalurtel unschuldig ver- dammt — Theurer Sokrates, du woltest die Men- schen zur Erkenntnis Gottes und seines Willens bringen, du woltest die Menschen gehen lehren, die gen Himmel sahen und daruͤber das Bein brachen. War das dein Lohn? R 3 Socra- Socrates primus philosophiam devocauit c coelo, et in vrbibus collocauit et in domos etiam introduxit et coegit de vita et moribus rebusque bonis et malis quærere. Herr v. G — nahm meinen Vater bey der Hand, als wolt’ er sagen: ich versteh’ auch nicht lateinisch. Sokrates, fieng mein Vater an, lehrte nicht wie die Welt entstan- den, wie sie vergehen wuͤrde; er wußte nichts von der Elektricitaͤt und ihren Wuͤrkungen; er haͤtte Gott dem Herrn, wenn er ihn am ersten Weltmorgen zu sich geladen, keinen Rath gegeben, wiewohl etliche — Er wußte nichts von Zeit und Raum, von bester und nicht bester Welt! — Leben lehrte er, um froh zu sterben! — Er brachte die Philoso- phie in Stadt und Hauß — — Lieber Pastor! sagte Herr v. G —, So- krates lehrte den Stand der Gnaden, er brachte die Philosophie in Stadt und Hauß, das heißt: er wolte alle Gesetze heben, und die Menschen so gesittet machen, daß sie uͤber alle Gesetze waͤren. Er wolte nicht Recht spre- chen, sondern ohne Recht sich behelfen lehren. Nicht also? Mein Vater lies sich nicht aus dem Con- cept heraus fragen. Wie treflich, sagt’ er der der Pompadour seiner Zeit, der Theodora, da sie ihm vorruͤckte, daß sie ihm so manchem seiner Schuͤler weggeworben, er aber schwer- lich einen, der bey ihr Handgeld genommen, abwendig machen wuͤrde! Dein Weg ist breit, der meinige schmal. Dein Weg geht bergab, der meinige bergauf. Die Welt aber vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut, bleibt in Ewigkeit. Eine Frau haͤtt er nicht nehmen sollen, sagte mein Vater. Eine Xantippe nicht, erwiederte Herr v. G. Keine! mein Vater. Sind sie wo alle Xantippen? Die mei- nige hat, ihres schoͤnen darf ich bitten uner- achtet, etwas von ihr. Die meinige keinen Zug — Ein so heßlicher Mann, wie Sokrates, fuhr mein Vater fort, ohne dran zu denken, daß Herr v. G — kein Griechisch verstand, bey dem man fragen konnte: ἔι Σωκράτȣς ἐϛί τις σιμώτερος, band es mit zwey Frauen an, war das rathsam? Ein Mann, der zu den Fuͤßen der Diotima die Kunst zu lieben und zu den Fuͤßen der Aspasia die Kunst der arti- gen Beredsamkeit gelernt, mußte sehr leicht R 4 solche solche Ehefehler begehen! Wer hieß ihn denn hier Unterricht nehmen? Kein Weiser muß von einem Weibe lernen. Wer eine Mamsell gehabt, behaͤlt etwas mamsellaͤhnliches, wenn gleich er Feldmarschall wird. Das ganze schoͤne Geschlecht lehren, das kann der Weise! Sokrates hatte freylich das, was ihm am Koͤrper abgieng, durch Seele in Ruͤcksicht sei- ner Weiber ersetzen koͤnnen und sollen. That ers denn nicht? Wer weiß es. Ist es denn so unrecht, doß er gesagt hat: τȣ̀ς μὲν ἄνδρας, τοῖς πόλεως νόμοις δεῖ πείϑεσϑαι- τὰς δὲ γυναῖκας τοῖς τῶν συνοικȣ́ντων ἀνδρῶν ἤϑεσι. Ist denn nicht der Mann der Gesetzgeber sei- nes Weibes? Was kann ein Weib ohne Mann? Waͤre ich Sokrates gewesen, wuͤrd ich freylich meine Philosophie im eigenen Hause zu uͤben angefangen haben: wer singt indessen nicht den andern Diskant, wenn die Frau Zeit und Stunde trift, und das rechte Lied? Lies denn Sokrates sein Haus ohne Unterricht? Bracht’ er nicht Freunde ins Haus, ohn ein Dresdner Service, und ohne zu den ersten Leckerbissen seiner Frauen Geld gelassen zu haben? Ich Ich weiß, sagte Herr v. G —, da kam er einst mit dem Euthydemus vom Fechtboden, die Frau Professorin, anstatt den Tisch zu de- cken, kehrt’ ihn um und um. Euthydemus, ungewohnt gegen Weiber seine Staͤrke zu zei- gen, wuͤnschte vor Tisch eine gesegnete Mahl- zeit. Nicht also, sagte der Herr Professor. That denn nicht juͤngst eine Henne das nehm- liche, da ich das Vergnuͤgen hatte bey Ihnen zu essen? Mein Vater lies den Herrn v. G —, dem er ein fuͤr allemal nicht gestattete, sich des Sokrates anzunehmen, obgleich we- der die Henne, noch der um und um gewor- fene Tisch der christlichen Religion Schaden oder Leides thun konnte, so unangehalten nicht mit dieser Geschichte. Er zeigte sehr ge- lehrt, wie zwar Ὄρνις eine Henne bedeute; allein im gegenwaͤrtigen Verstande schwerlich, und heißt denn αναϛρέφειν τράπεζαν um und um kehren? Hier wuͤrde es um so weniger passen, da ich noch nie gesehen, daß eine Hen- ne den Tisch umgekehrt. Die Geschichte, fuhr mein Vater fort, ist aus dem Plutarch — allein der gute Herr v. G — nahm ihn bey der Hand, kehrte den Tisch nicht um und um, sondern wußte meinen Vater so vortreflich einzulenken, daß er fortfuhr, und die Wahr- R 5 heit heit zu sagen, Herr v. G — haͤtte ihn nicht unterbrechen sollen. Hatt’ er denn nicht schon gewonnen Spiel? Die Grille, sagte mein Vater, da er wieder an Stell und Ort war, schwirrt ein Abend- die Lerche ein Morgenlied. Leidet man nicht Kamine und Kachelofen im Sommer? Leibnitz starb bey Barklais Ar- genis; ein andrer stirbt bey der lezten Oeh- lung. So lange man der Seele nicht gesun- de Triebfedern und den Adern frisches Blut einfloͤßen kann, was ist zu machen? Lot blieb auch in Sodom gerecht. Herr v. G — wolte sagen, Abraham war aber auch sein Oheim; allein mein Vater lies ihn nicht zum Worte, und wenn es wahr ist, daß Xantippe bey seinem Tode die bittersten Thraͤnen vergos- fen; so ist sie mir lieber, als die Wittwe von Ephesus. Ihr Philosophen heutiger Zeit, lernt hier vom Sohne einer Hebamme und eines Bild- hauers Weisheit lehren, da Euch doch das neue Testament nicht kunstgerecht ist. Sokra- tes that zwey Feldzuͤge, ward noch im hohen Alter atheniensischer Rathmann, ein Feind der Tyranney und ein Freund seines Vaterlandes. Er lehrte auf den Strassen und an den Zaͤu- nen nen, und catechisirte alle, die nur hoͤren und antworten wollten, wogegen ihr nur Dispu- tationen haltet — — Da fiel es ihm ein, daß er mit den Akade- mien Friede gemacht, und daß Junker Gott- hard und ich reisefertig waͤren — Sokrates hatte an den Sophisten die groͤß- ten Feinde. Die Schriftgelehrten hetzten den Aristophanes wider ihn auf, der ihn in einem Lustspiel laͤcherlich machte. Sokrates sahe sich auf dem Theater; allein dieser große Selbstkenner kannte sich nicht, obgleich die Gallerie einmal uͤbers andre bravo! getrof- fen! rief, und dem Schauspieler klatschte. Wer im siebenzigsten Jahre durch Urtel und Recht stirbt, kann mit Wahrheit sagen, daß eben dies Urtel die Natur schon uͤber die ge- strenge Herren Richter selbst ausgesprochen haͤtte. Unser Leben waͤhret siebenzig Jahre. Ich wuͤrde, geliebter Leser! diese Unterre- dung gerne unberuͤhrt gelassen haben; allein eben jezt, da ich dieses schreibe, verfolgen mich ein Paar Sophisten Anytus und Melitus, die Gevattern von meinem Aristophanes sind. Ein Ein feines Triumvirat! — Gott wird ans Licht bringen, was im Verborgenen geschehen und den Rath der Herzen offenbaren und dann wird einem jeglichen von Gott Lob wiederfah- ren! Amen! Komm o schoͤne Freudenkrone! Amen! — Die Umstaͤnde des Todes unsers theuren v. G — will ich nicht wiederhohlen. Er wollte meinen Vater, seinen Freund, an einem Sonn- tage beschleichen und ihn predigen hoͤren. Er kam oͤfters nach der Aussoͤhnung zu ihm; noch nie war er einen Sonntag da gewesen. Man sagt, Herr v. G — habe in der letzten Zeit die Bibel sehr fleißig gelesen und zu sagen die Ge- wohnheit gehabt: wenn man etwas heraus- bringen will, muß man die Bibel selbst lesen. Minens Schicksal gieng dir zu Herzen, theu- rer Naturmann! und dein Tod! erschuͤttert meine Seele! Da mein Vater dem Herrn v. G — Minens Begraͤbnis, und bey dieser Ge- legenheit auch vom Hochgraͤflichen Todtengraͤ- ber erzaͤhlte, konnte er nicht aufhoͤren den Kopf zu schuͤtteln. Zum Todtengraͤber hatte Herr v. G — keine Anlage. Bey Gelegen- heit des Herrn v. E — sagte mein Vater in der Hitze: da haben wir Curland! Nicht also, Pastor, sondern die Welt! Herr Herr v. G — stieg im Pastorat ab, und waͤre bey einem Haar, meiner gastfreyen Mutter wegen der Mittagsmahlzeit zuvor gekommen. Sie bat eine Minute zuvor, als er sagen wollte, diesen Mittag bin ich ihr Gast, wenn sie so wollen! — Er gieng zur Kirche. Meine Mutter orderte das Mahl an, und um Maria und Martha in Einer Person zu seyn, gieng sie etwas spaͤt in die Kirche, und um der Gemeine kein Aergernis zu geben, wie der Zoͤllner, unterm Glockenthurm! — Sie kam im letzten Wir, das sie nicht umhin konnte laut mitzusingen, so daß wenn sie sich nicht besonnen haͤtte, wie sie unterm Glockenthurm waͤre, sie eben so gut, als durch die Thuͤr verrathen werden koͤnnen, da sie mei- nes Vaters Vaterland erschleichen wollte. Von diesem Wir lebte Herr v. G — nur noch wenige Reihen; denn bey den Worten: nach diesem Elend! schrie er auf, sank zur Erde, und ward todt aus dem Kirchenstuhl getragen. Er fiel vorwaͤrts. Mein Vater sah den Herrn v. G — in die Kirche kommen, und wie er aus der Kirche getragen ward. Sein Text war: Roͤmer im achten Capitel, der fuͤnf und dreyßigste Ver Wer will uns uns scheiden von der Liebe Gottes? Truͤbsal oder Angst? oder Verfolgung oder Hunger? oder Bloͤße, oder Faͤhrlich- keit, oder Schwert? wie geschrieben ste- het: Um deinetwillen werden wir ge- toͤdtet den ganzen Tag; wird sind geach- tet wie Schlachtschaafe. Aber in dem allen uͤberwinden wir weit, um des wil- len, der uns geliebet hat. Bey diesem Text dachte mein Vater so manches Wort dem Herrn v. G — ans Herz zu legen, und da er seit so geraumer Zeit nicht in seiner Gegenwart geprediget, es dahin zu bringen, daß Herr v. G — in seinem Glau- bensbekenntnisse noch so manche Reihe strei- chen moͤchte. Wer kann auf der Kanzel mit euch aufkommen, pflegte Herr v. G. zu sagen, ihr fragt und behauptet, und kein Mensch ist euch zu antworten und einzuwenden im Stan- de. Nichts ist unausstehlicher, als die Me- thode der Redner, zu fragen — Ists nicht also? Was koͤnnet ihr dagegen sagen, meine Freunde! Er nannte dies stumme Fragen, so wie es stumme Suͤn- den giebt. Der Der gute v. G — er ist aller Fragen ent- gangen. Er hat uͤberwunden. Mein Vater schlug sich diesmal im eigentlichen Sinn mit seinen eigenen Worten. Wie doch immer der liebe Gott das beste thut! so mußt er es vor- zuͤglich bey dieser Predigt thun, da mein Va- ter ganz zerstreut war, und nicht wußte, wie es mit seinem Freunde hinauswollte! — Meine Mutter bemerkt, daß Herr v. G — kein Wort von allen drey Wirs mitgesungen, bis die Worte gekommen: nach diesem Elend, da wollte er, wie sie ihren sichern Nachrich- ten zu Folge schreibt; allein er konnte nicht. Es kann ihm auch wohl, schreibt sie, den gan- zen Glauben uͤber uͤbel gewesen seyn. Wahr- lich! liebe Mutter! am Ende des Glaubens war ihm wohl, sehr wohl! Ende gut, alles gut! Auch berichtet sie, daß Herr v. G — ohne Klang und Sang, indessen wider seine oͤftere Aeußerung, nicht in die Erde gescharrt, son- dern nach der Anordnung seiuer Frau Gemah- lin, in dem Familiengewoͤlbe beygesetzt sey. Gott schenke ihm, so schluͤßt sie, eine froͤhliche Auferstehung! Amen! — Ich Ich weiß nichts hinzuzufuͤgen, als daß die Frau v. W — sehr gerne ihrem Gemahl zu Gefallen, des Herrn v. G — halber Trauer anlegte. Herr v. W — that so, als ob Jun- ker Gotthard schon wuͤrklich sein Schwieger- sohn waͤre. Beym Herrn v. W — blieb es bey der Trauer; allein seine Gemahlin war so betruͤbt, daß die Schmaͤhsucht zum Glimpf und Namenbruch, wie meine Mutter sich aus- druͤckte, Gelegenheit genommen haͤtte, wenn nicht vom seligen v. G — und von der v. W — die Rede gewesen. Herr v. G — hatte von je her viel Freundschaft fuͤr die Frau v. W — bewiesen. In seinem Glaubensbekenntniß stritt er ihr die Erbsuͤnde im theologischen Sinne glatt ab. Gott schuf ihr Herz, pflegte er zu sagen, im stillen sanften Mondenstrahle! Sein Finger ist kenntlich. Sie ist das Lieb- chen der Natur. Sie nascht ihr, wie ein frommes Laͤmmchen, aus der Hand! — Wie wahr! und wer war ein treuerer Natur- kenner als Herr v. G —? Meine Mutter versicherte, daß nie eine Trauer besser gestanden, als der Frau v. W — uͤber ihren Freund! — obgleich, fuͤgte sie hinzu, sie beyde fuͤr Gott noch keine Ver- wandte wandte sind. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Noch einen Ausdruck aus meiner Mutter Nachricht, den Tod des Herrn v. G — be- treffend. Sie bemerkte, Herr v. G — waͤre zwar ein braver, allein kein kreuzbraver Mann, jenes sey ein Sokratiker, dies ein Christ — Warum ist er doch nicht in die Erde gescharret, dieser brave Mann! dieser Naturmann? Genug vom Herrn v. G —, der blos aus Naͤchstenliebe in diese Geschichte gekommen, der keines andern als des Gastrechts sich zu erfreuen gehabt. Gott schenk’ ihm eine froͤh- liche Auferstehung! — und uns zu seiner Zeit eine selige Nachfolge! — Der Tod meiner Mutter bewog mich, mich wegen des Nachlasses meiner Eltern an einen Rechtsfreund zu wenden. Ich konnte und wollte nicht nach Curland. Meine Leser kennen meinen Gevollmaͤchtigten, es ist der Protokollist, dem der gelehrte α. — aufgab, nichts auf die Erde fallen zu lassen, was im Blutrathe uͤber Minen vorfiel. S Ich Ich statte dem Curator funeris hier oͤf- fentlich meinen Dank ab, ohne zu wissen, ob meine Leser diesem Danke in Ruͤcksicht der ih- nen mitgetheilten Nachrichten beytreten wer- den. Ich wuͤnscht’ es wohl — Unter den muͤtterlichen Papieren, welche er mir uͤbersandte, war ein Briefbuch, wel- ches unser Gottfried meiner Mutter zuge- schrieben. Dies war der geheime Auftrag, den man dem Gottfrieden, da wir auf dem Gute des Herrn v. G — in Koͤnigsberg schlie- fen, eben so ansah, als es ihm anzusehen war, daß er geweint hatte. Es sey dieses Brief- buch unter den A b c Beylagen die letzte. Mit welchem Herzen ich dies Wort lezte nie- dergeschrieben, weiß Gott und mein Freund — — es. Bey- Beylage C . S 2 Einen freundlichen Grus und alles Liebes und Gutes zum Voraus WohlEhrwuͤrdige, Veste, Hoch und wohl- gelahrte Frau Pastorin, Fuͤrsichtige Seelsorgerin und Mutter meines zweyten Herrn, N ebst dienstwilliger Bitte, mir durch die Finger zu sehen, daß ich so keck bin, schriftlich Ew. WohlEhrwuͤrden hinterm Stuhl zu ste- hen und auf diesem Teller ein Glas Waßer zu reichen. Wer durstig ist, steckt auch die Nase in ein Glas Waßer. Ein Schelm giebt mehr, als er hat. Mit der Zeit hof ich ein Spitz- glaͤschen Wein reichen zu koͤnnen. Ew. Wohl- Ehrwuͤrden duͤrfen nicht glauben, daß ich Ihr Kleid mit diesem Glas Waßer begießen wer- de, und wenn ich etwas vergoͤsse, ists doch blos Waßer! Wo das fleckt, ist die Farbe nicht aͤcht — Ew. WohlEhrwuͤrden haben alles aͤchte Farben. Ich lerne, was man nur kann. Ver- stand kommt nicht vor Jahren, wie ich sehe, S 3 weder weder in Kopf noch in Finger. Meine Her- ren machen sich den Spas zu sagen, daß ich viel Anlage zum Handwerk habe; aber blut- wenig zum Gelehrten, da das Schreiben mir wunderbarlich von statten geht, und da ich die schwersten Worte von der Faust weg aufs Papier setze. Das waͤchst alles wie Pilzen. Wenn ich nur die Herren und Bedienten un- ter den Worten unterscheiden koͤnnte; aber da liegt der Hund begraben, nicht der Argos meines adlichen Herrn, sondern der Hund im Spruͤchwort. Wuͤßt’ ich die großen und klei- nen Buchstaben zu brauchen, was wuͤrde mir dann fehlen! Im gemeinen Leben kennt man so was an der Lievrey; bey den Buchstaben ist all Eins, nur daß einer ein besser Gesicht als der andre hat. Die l gefaͤllt mir uͤber die Maaßen, ein schlanker Buchstab, und uͤber- haupt bin ich den Buchstaben gut, die gedruckt und geschrieben sich gleich sind, da weiß man doch woran man ist. Es wird mir herzinnig- lich lieb seyn zu vernehmen, wenn mein lieber Vater wohl auf waͤre, der keine i geschweige denn eine a machen kann. Fuͤr mich ist a der schwerste Buchstab im ganzen deutschen a b c. Schwester Trinchen, die so schrieb, wie ich, eh ich auf die Akademie gieng, wird wohl noch nicht nicht aufgeboten seyn. Meinetwegen danke dem lieben Gott fuͤr gute Gesundheit. Mir hat auf der Reise kein Finger vom Daumen bis zum kleinen weh gethan und meinen Her- ren auch nicht. Kein mahl umgeworfen, aber all Augenblick gedacht, es fiele schon. Einem der andern Herren Passagiers kam eine meer- schaumne Pfeife, die in Curland ihre zehn Bauren werth gewesen, unters Rad, und noch Einer verlohr seinen Hirschfaͤnger, den er auch zu Hause lassen koͤnnen. Er war noch dazu nicht von Adel und trug unterm Hut eine baumwollne Schlafmuͤtze. Meine Her- ren pflegten zu sagen, daß er in einem Zuge wache und schlafe. Haͤtt er den Hirschfaͤnger nicht mit gehabt, waͤr er nicht verlohren ge- gangen. Er hatte einen silbernen Grif. Das Gehenk schenkte er mir, weil ich ihm unterwe- gens beysprang. Sonst war er bis auf den Hirschfaͤnger und den Hut und Muͤtze in einem Stuͤck, bald haͤtt ich in einer Person geschrie- ben, nicht zu verwerfen. Schon haͤtte ich eher Ew. WohlEhrwuͤrden von allen diesen Dingen dies Glas Waßer voll Nachricht er- theilet, wenn ich nicht erst das Glas reinigen und laͤutern wollen. Wird sich von selbst ver- stehen, daß ich mich im Schreiben sichtlich S 4 gebes- gebessert habe, wofuͤr ich naͤchst Gott meinen Herren dienstlichst verbunden bin. Ein Apfel faͤllt nicht weit vom Stamm, und wer nur Lust hat, kann schon auf der Akademie was lernen, es sey großer oder kleiner Buchstab. Ew. WohlEhrwuͤrden danke ganz gehorsamst fuͤr alles gute und unter diesem Guten fuͤr die schoͤne Predigt, da ich Abschied nahm und den Segen empfieng, den Ew. WohlEhrwuͤrden an diese Predigt legten. Das gieng mir al- les durch Mark und Bein! So ein schoͤner Text, als wenn er auf mich gemacht waͤre. Niemand kann zween Herren dienen! Ew. WohlEhrwuͤrden Erklaͤrung vergeß ich nicht, so lang eine Handvoll Leben in mir ist, daß nemlich dieser Spruch so wie der, vom Kameel-Nadeloͤhr und dem Reichen zu verste- hen sey. Ich hab alles gefunden, wie Ew. WohlEhrwuͤrden es mir auf den Weg gege- ben. Meine beyde Herren sind wie Mann und Frau, und ich diene also nicht zween Her- ren. Sie sind so von einander unterschieden und wieder so zusammen, wie Mann und Weib. Ew. WohlEhrwuͤrden Herr Sohn wird einen starken schwarzen Bart bekommen. Der liebe Gott laß ihn dabey. Ist doch bes- ser, ser, als ein Judas Bart, den ich in drey Kir- chen am Altar abgemahlt gefunden. So ge- troffen! Mich wundert, daß ein Balbier nicht in Gedanken dem Judas zu Halse ge- gangen. Man konnt ihn recht beym Bart halten. Mit dem Herrn v. G — haͤlts we- gen des Barts schwer. Hie und da ein wei- ßes Haarchen. Sonst sind hier die Balbier nicht in sonderlichem Ansehen, und werden von den Herren Studenten Bartphilosophen genannt, welches ich Ew. WohlEhrwuͤrden nicht verhalten kann. Große Staͤdte, große Suͤnden, kam auch in Dero Abschiedsermah- nung vor, und das ist wahr und wahrhaftig. Prediger die schwere Menge, mit blauen und weißen Kragen. Blau haben die Feldpredi- ger, auch Manschetten und kleine seidene Maͤntel, die man Advocatenmaͤntel heißt. Die Advocaten gehen hier schwarz mit kleinen Maͤntelchen, die man Feldprediger Maͤntel heißt. Sie nennen sich Priester der Gerech- tigkeit; von andern ehrlichen Leuten werden sie Galgenprediger genannt. Ich konnte die- se Herren lange nicht auseinanderbringen, bis mich der blaue Kragen an Ort und Stelle brachte. Wie das alles hier durcheinander laͤuft und faͤhrt, wahrlich noch weit aͤrger, S 5 als in diesem Briefe. Prediger und Advoca- ten. Man kann vor Lerm kaum sein eigen Wort hoͤren. Die Pastortracht, die in Cur- land keiner anzulegen sich erkuͤhnen darf, er sey noch so Hochwohlgebohren und hochge- schoren, ist hier etwas so gemeines, daß alle Kuͤster sich in Kragen und Mantel stecken und kein Ansehen der Person zwischen Pastor und Gloͤckner ist. Greul ists anzusehen. Es giebt so gar Leute, die beym Wagen gehen, wenn vornehme begraben werden, ganz gemeine Kerls, Traͤger von den eigentlichen Leichen- traͤgern, und auch diese Untertraͤger gehen mit Kragen und Mantel. Anfaͤnglich war mein Hut mehr in der Hand, als auf dem Kopf, weil ich jeden Kragen und Mantel gruͤßte, jezt laß ichs bleiben, und so bleibt auch wider meine Schuld mancher Pastor un- gegruͤßt, welches Ew. WohlEhrwuͤrden nicht uͤbel auszulegen belieben wollen. Gott gruͤß den Herrn, wenn er es verdient, und Ew. WohlEhrwuͤrden gleich ist in Lehr und Le- ben! — Um zur Hauptsache zu kommen, die Ew. WohlEhrwuͤrden mir auf meine arme Seele gebunden; so hab ich mancherley von Ketzern auch in Curland gehoͤrt; allein wer den Teufel nicht nicht selbst gesehen, hat keine rechte Vorstellung vom boͤsem Feinde. Die Ketzer sehen, Gott seys geklagt! aus, wie wir andere Christen- menschen. Vom Kopf bis zu Fuͤßen, nicht einst lassen sie sich den Bart wachsen, wie Ju- das in den drey Kirchen. Man hat mir er- zaͤhlt, daß unter den Doktorn und Schrift- gelehrten so gar viele waͤren, die nicht reiner Lehre sind; allein hier ist jeder fuͤr sich, und Gott fuͤr uns alle. Ich habe mir einen Can- didaten zeigen lassen, der seine Stimme durch eine Erkaͤltung verlohren, aber darum geht ihm kein Dreyer ab. Er steht sich besser, als wenn er eine Gemeine und eine Stimme haͤtte. Er lebt von Predigtmachen so gut, als Einer, und wenn der Pastor unter den Mennonisten, den Reformirten, den Katoliken, selbst unter den Juden, eine Predigt noͤthig hat, husch! ist er mit fertig, und wer sie hoͤrt, merkt nicht auf tausend Meilen, daß ein lutherischer Can- didat ohne Stimme diese Predigt ausgeheckt. Der Herr Sohn sagt: der Mann sieht wie die Toleranz selbst aus, und da war ich noch uͤbler mit diesem Candidaten dran, wie zuvor; denn ich fand an ihm kein Abzeichen, ob ich ihm gleich zehn Straßen nachlief, wenn ich ihn gehen sah. Was er daruͤber gedacht hat, fahr fahr in die naͤchste Predigt, die er fuͤr den Rabbi macht, welches allhier ein feister Mann ist, der wie ein Wechsler aussieht und von Moses kein Haar hat. Die Toleranz sieht wie der Herr Candidat aus, und der Herr Candidat, wie ein andrer ehrlicher Mensch. Was ich mir druͤber den Kopf zerbrochen ha- be! Gestern bemuͤhte sich der Herrn Sohn dies Wort ins Licht zu stellen, wozu ich ihm Feurstein und Stahl reichte. Toleranz heißt: wenn man fuͤnf gerade seyn laͤßt, welches doch nicht ist, obgleich wir an jeder Hand fuͤnf Finger haben. Wo Dul- dung ist, da ist auch Fortpflanzung, sagt’ er, und was er sagt, ist wie Amen in der Kirche. Hier zu Land’ ist man fuͤr beydes, fuͤr Fort- pflanzung und fuͤr Toleranz. Die Leute sa- gen: je mehr Kinder, je mehr Brod. Das find ich nicht, und was die Toleranz betrift; so kann ich Ew. WohlEhrwuͤrden versichern, daß zur heiligen Advents- und Weyhnachts- zeit von den Chorknaben vor den Haͤusern der Juden so wie vor Christen Thuͤren gesungen wird „ Uns ist gebohren ein Rindelein “ das ist uͤber den Candidaten, den Predigtfa- brikanten. Ew. WohlEhrwuͤrden koͤnnen nicht glauben, wie sonderbar das Lied: „ Uns „ Uns ist gebobren ein Kindelein “ vor einer Judenthuͤr klingt! Es verlohnt der Muͤhe, drum nach Koͤnigsberg zu reisen und wenn Ew. WohlEhrwuͤrden einen so guten Major und Junker finden, wie wir, so wuͤrd ihnen kein Haar gekruͤmmt, daß Ew. Wohl- Ehrwuͤrden nicht selbst zu kruͤmmen Lust und Belieben finden. Bey uns essen die Juden und die Edel- leute freylich Kirschen zusammen; allein man weiß wohl wies geht, wenn paar und unpaar Kirschen essen! Ich versichre Ew. WohlEhr- wuͤrden, daß hier ein Katolik bey einem der ersten Prediger in Dienst steht. Er heißt Jo- hann und ist, bis auf den catholischen Glau- ben, ein guter Knabe, der mich neulich in sei- ne Kirche schlepte, wo ich eine Predigt gehoͤrt, die Gott sey bey uns! mir so vorkam, als waͤre sie lutherisch. Das soll mir eine War- nung seyn, nie mehr in unaͤchte Kirchen zu ge- hen. Die preußische Luft ist so tolerant, daß man wie behext da steht. Ew. WohlEhrwuͤr- den versichere auf Ehre, daß, Gott steh uns bey! wenn ich mir die Augen verbaͤnde, ich ein Vater unser in der catholischen Kirche be- ten koͤnnte, trotz dem Johann, der beym er- sten lutherischen Prediger dient. Wie sich das alles alles hier spricht und widerspricht! — Eine Waͤscherin heyrathet einen Kohlbrenner, eine Herrenhuͤterin, die selbst so schlecht und recht einhergeht, als koͤnnte sie nicht drey zaͤhlen, naͤhrt sich vom Putzmachen. Jedes geht sei- nen Weg. Keiner legt es an, den andern zu bekehren. Juden, daß versichre Ew. Wohl- Ehrwuͤrden auf meinen christlichen Glauben, kommen so gar in christliche Kirchen, nicht um sich zu bekehren und zu leben, sondern um eine wohlgesetzte Predigt zu hoͤren. In der Kirche bis auf die schoͤne Musik zu, ist es wie auf dem Tanzboden. Alles faßt sich an, hier mit der Hand, dort mit den Augen. Daß die Toleranz dem lieben Gott ein Greul sey, weiß ich wie Einer, daß aber die Leute hier just so dick und fett sind, wie anderswo, ist nicht zu leugnen. Mag aber wohl ungesun- des Fett seyn! Hexen glaubt hier kein Kind von acht Tagen, das doch so in seinen besten Glaubens Jahren ist. Mein adelicher Herr sagte gestern: wenn hier die alten Weiber, mit Ew. WohlEhrwuͤrden Erlaubnis, noch so heß- lich aussehen, es ist keine der Gefahr ausge- setzt, verbrannt zu werden, wiewohl auch zu meiner Zeit keine in Curland, Gott seys ge- klagt! in Rauch aufgegangen. Ich moͤchte gern gern eine praßlen hoͤren. Muß doch einen besondern Knall geben! Der Himmel weiß, wie es kommt, so heßlich sind die alten Wei- ber in Curland nicht, wie hier. Mag wohl kommen, weil sie hier nicht alt seyn wollen. Die Maͤdchen so frech, daß nur noch juͤngst eine Ehefrau (ich stand hinter ihrem Stuhl so behext, wie in der catholischen Kirche) die Frage aufbrachte, warum wir nicht alle nackt giengen, wie im Paradiese? Da bin ich gut da- fuͤr, daß Ew. WohlEhrwuͤrden das Wort nackt noch bis diesen Augenblick nicht ohne Roͤthe werden aussprechen koͤnnen, und diese — war nicht einmal roth. Sie forderte ein Glas kalt Waßer, daß dein Feur geloͤscht werde, dacht ich, allein es scheint, sie beduͤrfe des Loͤschens nicht. Laͤndlich, sittlich! Koͤnnte man wohl sa- gen, wenn bey dieser Sach’ auch nur das min- deste Sittliche waͤre. Man hat mich versichert, daß dergleichen Maͤdchen mit bloßen Busen, hinter deren Stuhl man behext wie in der catho- lischen Kirche ist, die Tugendhaftesten waͤren. Erbsuͤnde hat jedes, Ew. WohlEhrwuͤrden selbst nicht ausgeschlossen. Das gruͤne Holz, die Frommen, die Stillen, sollen hier zu Lande das duͤrre seyn, und davon kann Ew. Wohl- Ehrwuͤrden ein Proͤbchen geben. Gerad uͤber, wo wo wir einwohnen, war ein Maͤdchen, in ih- rer Art nicht uneben. Sie that so zuͤchtig, als kannte sie den alten Adam nicht anders, als im Kupferstich, wo ich ihn auch mit Hoͤr- nern gesehen! — Sie dient, ich diene. Mein adlicher Herr kann ihre Jungfer leiden, und was soll ich leugnen, ich sie! Wenn ich sie nur ein wenig hart zur Hand nahm, gleich ein Schrey! und denn wieder: bringen Sie mich nicht zum Ende! Sie werden Unheil anrichten! und so weiter. Kam ich Sonn- tags, laß sie: die in Gott andaͤchtige Jungfer mit ihren Morgends und Abends zu Gott erhabenen Haͤnden, an Sonn und Fest- tagen, sowohl durch auserlesene Spruͤ- che der heiligen Schrift, andaͤchtige Ge- bete und geistliche Lieder vorgestellet, als in beygefuͤgten saubern Kupferbil- dern entworfen von M. Nicolao Haas Pa- store Primario und Inspectore der evangeli- schen Kirchen und Schulen zu Budißin. Stade, druckts und verlegts Caspar Holwein. Im Jahr 1717. Was mir diese Andacht durchs Herz gieng, kann ich nicht sagen. Den Tittel abzuschrei- ben hat mir, wie Ew. Wohlehrwuͤrden leicht denken denken koͤnnen, viel Muͤhe gemacht; aber ich that es mit Freuden, um Ew. Wohlehrwuͤr- den diese Freude zu machen. Weiß nicht, ob Ew. Wohlehrwuͤrden diesen Haas, diesen Caspar Holwein und die in Gott andaͤch- tige Jungfer kennen? Solte mir herzlich lieb seyn, wenn es waͤre! Der Name Haas ist freylich etwas anstoͤssig; wer kann aber fuͤr den Namen. Die Kupferstiche sind sau- ber. Wo ich ein andaͤchtiges Weibsbild auf Knieen fand, dacht ich, Lieschen waͤr es auf ihrem Herzensknie. Das Buͤchelchen war mit Silber beschlagen. Koͤnnen sich Ew. Wohlehrwuͤrden von dieser in Gott andaͤchti- gen Jungfer mit ihrem Morgens und Abends zu Gott erhabenen Haͤnden an Sonn- und Festtagen vorstellen, daß sie vor vierzehn Ta- gen ein Soͤhnchen taufen laßen! Da waͤr ich angekommen, wenn ich es mit ihr zu Ende gebracht! Ich habe gar viel Spott daruͤber von Freund und Feind erlitten, weil man nichts anders glauben wolte, als daß ich Haͤhnchen im Korbe gewesen! — Der Thaͤ- ter soll ein liederlicher Bursch seyn, der durchs Gebetbuch gewiß nicht angelockt worden. Hab ich doch um das Maͤdel geweint, wie ihr kleines Kind. Da war sie in Angst und T Noth Noth wegen ihres Kindes und wolt ich wohl oder uͤbel, mußte schon in einen sauren Apfel beissen und das Kind ernaͤhren. Der Apfel ist eben so sauer nicht. Geht schon in den vierten Monat, daß ich das Kind erhalte. Ward mir indessen vom Johann, der sich auf so etwas versteht, angerathen, zum Rich- ter zu gehen, und uͤber das alles ein Proto- koll zu loͤsen, damit ich nicht zu Kind und Kegel kaͤme, wozu hier zu Lande die Unschul- digsten am ersten kommen. Ist ein braver Mann der Richter, nahm kein Geld vor die Schrift; wohl aber mußt ich den Stempel- bogen bezahlen! weiß nicht warum? Besser waͤre es gewesen, das Kind haͤtte das Geld dafuͤr aufgepappt. Was das wunderlichste dabey ist; so thut die in Gott andaͤchtige Jungfer als waͤre die ganze Sach’ eine Kleinigkeit! — Wie man es nimmt, freylich eine Kleinigkeit. Der Stempelbogen aͤrgert mich am meisten! — Wozu ist denn ein Stempelbogen noͤthig, wenn man ein Kind einer in Gott andaͤchti- gen Jungfer, Stade druckts und verlegts Caspar Hollwein, erziehen will! Johann sagt, ob Rose, oder Knoͤspchen. Weis nicht. Liese soll sich haben verlauten laßen: Wer Wer wieder aufstehen kann, was thut dem der Fall? Ich denke thut viel, und waͤr es auch nur, daß alle Leute drob lachten, wenn man faͤllt. Solte man glauben, Lieschen lieset wieder die in Gott andaͤchtige Jungfer, als waͤre nichts vorgewesen. Mit der Zeit, merk ich, ist man allen kleinen Kindern gut. Vater seyn oder nicht, macht nichts zur Sa- che. Ew. Wohlehrwuͤrden wuͤrden dem Knaͤbchen selbst gut seyn, wenn sie es sehen solten. Ist ein feines saubres Kind, wie die Kupferbilder! Zwar sagt die arge boͤse Welt, daß es mir aͤhnlich waͤre; allein was sagt die nicht? Ist nur gut, daß ich das Protokoll auf Stempelpapier habe, um der argen boͤsen Welt das Maul zu stopfen; zu so etwas ist ein Stempelbogen gut. Ew. Wohlehrwuͤrden Herr Sohn wird von allen Menschen geliebt. Ich wette, wenn er Geld lehnen wolte, Juden und Chri- sten wuͤrden ihm leihen auf sein blank Ange- sicht. Sonst giebt man den Studenten kein Geld, sie studiren weltlich oder geistlich! Warum denn nicht? — Sein gerader Weg macht ihm Credit uͤberall. Wenn was zu se- hen ist, und es ist Wache ausgestellt, Er kommt, gleich ist die Pforte offen, ich hinter- T 2 her her wie Ew. Wohlehrwuͤrden leicht denken koͤnnen. Jeder Vater, der ihn ansieht, moͤcht ihm seine Tochter geben, und jede Tochter, das wolt ich wetten, moͤcht’ ihn auch gerne, mit Herzen, Mund und Haͤn- den! Das laͤßt er aber bleiben. Er wuͤrd sich durch keine in Gott andaͤchtige Jungfer anstecken laßen, ob er aber ohne Protokoll abkommen wird, zweifle sehr! Wer hier ein gutes Herz hat, kann an ein Protokoll kommen, weiß nicht wie! Selten, glaub ich, ist jemand, der nur mit dem Stempelpapier abkommt, wie ich, wofuͤr ich Seiner Gestren- gigkeit großen Dank sage, und es zu ruͤhmen wissen werde. Lieschen ist ein und zwanzig Jahr alt und, bis auf das Soͤhnchen, ein vortrefliches Maͤdchen. Hoffe, daß das Kind ihr Gemuͤth haben werde, und nicht des liederlichen Burschen. Sonst solte mirs doch wohl um die Paar Groschen leid thun, die ich meinem Munde entziehe; der Magen ver- liert nichts dran. Ob Ew. Wohlehrwuͤrden Dero Abkoͤmmling kennen wuͤrden in seiner gelben West und Hosen? Koͤnnte wohl schwarz seyn, wird auch wills Gott werden. Gegen die Koͤnigsbergsche Jungfern, ist gleich viel ob gruͤnes oder duͤrres Holz, ist er wie Eisen Eisen und Stahl. Weiß nicht, wie es kommt! — Wuͤnschte, daß ich gegen Lies- chen auch so waͤre! bins nicht! Weiß nicht, wie er auf gelb gefallen, keine sonderliche Farbe. Hat aber seine Grillen! Hab ihn zuweilen mit sich selbst reden gefunden! und recht laut; sagt, daß es alle Leute thaͤten, die sich stark was einbilden koͤnnten. Mir wuͤrde grauen, wenn ich allein seyn und re- den solte. Denk, es koͤnnte sich doch was melden, und da waͤr ich uͤbel dran. Ob er zur Uebung mit Tisch und Stuͤhlen catechi- sirt, weiß nicht, moͤchte erfahren, was Ew. Wohlehrwuͤrden von diesem Gerede denken? Ob Roͤschen oder Knoͤspchen? sagt der Ka- tolik; allein grosser Unterschied! Ists denn gleich, fein zuͤchtig sich gehalten, oder Schaam und Schande verlohren, und sich weit und breit jedem darstellen, ders begaffen und be- riechen will? Ew. Wohlehrwuͤrden werden meiner Schwester Trinchen diese Rosenge- schichte nicht aufblaͤttern. Sie und Hann- chen liegen sich immer an den Ohren. Haͤtte zwar Hanchen halber die in Gott andaͤchtige Jungfer je eher je lieber ehelichen koͤnnen, da ich kein Buch und Tuch aufs Gewiß gegeben. Ein Hannchen aber ist mir mehr werth, als T 3 zehn zehn andaͤchtige Jungfern. Werde schwer- lich Hannchen zum ehelichen Gemahl neh- men. Von Wahrzeichen weiß Ew. Wohlehr- wuͤrden wenig oder nichts zu sagen, ausser die schoͤne Aufschrift an einem Hause, die meine Herren sich den Tag wohl zehnmahl abfragen, und abantworten. Der eine faͤngt an: Klimm, schlaͤfst du? Der andre antwortet, Treu, Glaub’, das Recht, und das rechte Recht Die haben sich alle vier schlafen gelegt; Nun komm, du lieber Herre, und erweck sie alle Viere. Zwar sind diese Worte im platten Deutsch, welches man so gut, wie das Cursche, un- deutsch heissen koͤnnte; hab indessen Ew. Wohlehrwuͤrden mit diesem platten Deutsch nicht schwer fallen wollen, wohl wissend, was Ew. Wohlehrwuͤrden schuldig bin. Mir ist in dieser Aufschrift so was vom lieben juͤng- sten Tage, daß ich das Haus bey Mond- schein nicht ohne Schauer vorbeylaufen kann, wo diese juͤngste Tagesschrift angeschrieben ist. ist. Gehen koͤnnt ich nicht vorbey, um tau- sende. Da duͤnkt mich immer, Klimm regt sich. — Wenn Ew. Wohlehrwuͤrden mir bey guter Gelegenheit zu erklaͤren die Guͤte haͤtten, wie das Recht und das rechte Recht von einander waͤren, wuͤrden Ew. Wohlehr- wuͤrden Ihrem Diener ein großes Licht an- zuͤnden. Mein zweyter Herr lies sich zwar verlauten, daß das Recht im Buche, das rechte Recht im Herzen, und im rechten Her- zensfleck, im Gewissen, angeschrieben stuͤnde, und daß, wo viel Recht waͤre, oft am wenig- sten rechtes Recht sey, das mag aber wohl er und Klimm verstehen; ich begreife da kein Wort. Der Koͤnig soll sich alle Muͤhe geben, Recht und rechtes Recht in sein Land zu zie- hen; so wie es alle Fremde bey ihm gut ha- ben; allein noch soll Klimm schlafen. An Recht soll es, wie man hoͤrt, nicht fehlen; mag wohl am rechten Recht! Hoffe wohl vor mein Theil ungeschlagen, auch selbst ohne blaues Auge davon zu kommen, da ich das Protokoll in Haͤnden habe. Solte glau- ben, daß vor dem lieben juͤngsten Tag Treu, Glaube, Recht und das rechte Recht schwer- lich aufwachen werden! Diesem seligen Tage T 4 sehe sehe mit allen frommen Christen entgegen. Wuͤnsche gar andaͤchtig, Ew. Wohlehrwuͤr- den desselben Tages fruͤh Morgens um drey Uhr einen schoͤnen guten Morgen sagen zu koͤnnen. Solte denken, daß ich den Klimm alsdenn ohne Schauer bey Mondschein sehen werde! — Mein erster Herr sagte gestern gar eben, die Hofnung sey der Steigbiegel, woran wir uns halten, und das gefiel mir nicht uͤbel. Bedaure nur, daß Ew. Wohlehrwuͤr- den nicht reiten, um dies Gleichniß probieren zu koͤnnen — Muß bekennen, daß sich mein erster Herr durch meinen zweyten Herrn sichtbarlich verklaͤret, wie aus dem Steigbie- gel zu sehen. Hat mir seine Antwort gefal- len, die er gestern gab. Sie muͤssen schon das Auge zumachen, sagt ihm jemand! Das thue ich nur, erwiedert’ er, wenn ich schlafe! Das uͤbrige was Freund Gottfried mei- ner Mutter zugeschrieben, stellenweis. Ue- berhaupt ist mir diese Beylage in die Hand gefallen, ehe ichs mir versah. Ich hatte meinen Lesern ein ganz anderes C. bestimmt, wo- womit es mir indessen freilich wie dem Gott- fried mit den großen und kleinen Buchstaben gehen koͤnnen. Ich wuͤnschte herzlich, daß ich dem Buchstaben C. durchs gegenwaͤrtige Briefbuch nichts vergeben haͤtte, dessen mein Vater sich als eines Unterdruͤckten und Nothleidenden angenommen. Er wars, der den Candidaten ohne C. widerlegte und die- sem Buchstab das deutsche Buͤrgerrecht ver- lieh, welches ihm meine Mutter zur Gerech- tigkeit rechnete, obgleich der lettische Dich- ter Paul Gerhard kein Lied mit C. angeho- ben, welches ihm meine Mutter nie ganz vergeben konnte. Daß ich Worten, denen respektive große und kleine Buchstaben ge- buͤhren, diese Gerechtigkeit wiederfahren las- sen und dieses Briefbuch mehr leserlich von dieser Seite gemacht, sey fuͤr die Buchstaben- helden gesagt. Koͤnigsberg den — — Der Koͤnig hat sich in den Kopf gesetzt, die Sperlinge zu vertilgen, und es ist ein Befehl ausgeschrieben, daß jedes Maͤnnlein eine gewisse Anzahl Sperlingskoͤpfe jaͤhrlich einzuliefern verbunden. Ohne den Willen T 5 des des himmlischen Vaters, der doch am besten wissen muß, wozu ein Sperling gut ist, faͤllt keiner. Waͤr ich wie der Koͤnig, lies ich kei- nem den Kopf abdrehen. Ew. Wohlehrwuͤr- den solten nicht glauben, wie viel Sperlinge dieser Verfolgung unerachtet in Preussen sind! besonders in den Kirchenmauren, wohin die armen Dinger sich retten und fliehen. Da sieht man doch, daß es nicht ganz gottlose Geschoͤpfe sind. Vor wenigen Tagen hielt mein zweyter Herr den Sperlingen eine Ver- theidigung, wobey er auch vom Morgen- und Abendsegen der Raben sprach, die andaͤchti- ger auswendig beten moͤgen, als Lieschen aus der in Gott andaͤchtigen Jungfer. Kann das Maͤdchen nicht aus den Gedanken brin- gen. Besonders des Nachts gaukelt sie mir vor den Seelenaugen! Hoffe indessen mit der Zeit, sie gar voͤllig los zu werden. Mein zweyter Herr behauptet, daß es gewisse Rau- pen gebe, von welchen die Sperlinge den Boden reinigen. Habe nie gewußt, was Eine Insel sagen wolle; bey dieser Sper- lingsgelegenheit auch erfahren. In Eng- land kann man Thiere ausrotten, als Baͤren, wilde Schweine, Woͤlfe; aber Voͤgel zu ver- tilgen muß man in England bleiben laßen. Moͤchte Moͤchte wissen, was Ew. Wohlehrwuͤrden von Preussen und den Sperlingen denken, von denen doch ein Paar im Kasten Noah gewesen —? Ha der Betruͤger! Lieschen ist so schul- dig nicht, als ich glaubte Er hat sich durch keinen Schrey abschrecken laßen, wie andere wohlgezogene Gemuͤther! — Hat ihr ein seines Briefchen von seiner Mutter gezeiget, die gar hoͤchlich froh uͤber solch eine Schwie- gertochter gethan! Mich hat der Boͤsewicht, mit Verlaub zu melden, einen Cosacken ge- nannt. Moͤchte wissen, ob so etwas nicht zu bestrafen? Fuͤrchte nur, daß nicht ohne Stempelpapier abkommen wuͤrde. Hat ei- nen Nickel verkleidet, der als seiner Mutter- schwester, Lieschen gar lieblich begruͤsset, und nun ist Mutter, und Mutterschwester nicht zu sehen, nicht zu hoͤren. Glaub auch, daß der Boͤsewicht, der still wie ein toller Hund hinschlendert, sich unsichtbar machen werde. Mich einen Cosacken? Moͤchte nicht einmal ein Katolik seyn, wenn Pabst werden koͤnnte, so doch ein gutes Stuͤck Brod ist — Hab es meinem zweyten Herrn erzaͤhlt, wundert sich darob, daß alles so wie aus einem Buch genommen waͤre. Hab es von Lieschen, die es es mir mit Thraͤnen erzaͤhlt hat, und konnt ich nicht umhin herzlich mitzuweinen. Was das Maͤdel den Tanz bedauret, wozu ich die Musik bezahle, ist nicht auszusprechen. Habe Lust, das Protokoll zu zerreissen, und dem Kinde meinen Namen zu geben. Ob ich das Protokoll zerrissen zuruͤckbehalten werde, weiß nicht! — Wolte das Kindlein Ew. Wohlehrwuͤrden gottesfuͤrchtig empfohlen haben, wenn ich unterwegs bleibe. Die Mutter ist seit gestern so voll Buße, daß wenn sie nicht etwa eine neue Unthat bereuet, welches Gott verhuͤten wolle, sich ein Stein uͤber sie erbarmen koͤnnte. Bittet Ew. Wohl- ehrwuͤrden auf allem Fall ihres Kindleins halber zu gruͤßen. Hoffe, daß Hannchen, wenn gleich sies erfaͤhrt, bedenken wird, daß Tanz und Musik zweyerley ist — — — Habe gestern eine Wallfarth mit meinen beyden Herren zu Fuß gehalten nach der alten Stadt und deren Kirche, wo der Sohn des seligen D. Martin Luther Johan- nes genannt, begraben liegt. Werden auch wohl in Ferien nach Muͤhlhausen, ein Paar Meilen von hier, reisen, wo seine Tochter schlaͤft. Man zeigt noch ihre Knochen in einem einem kleinen Sarge! — Soll gut fuͤr Kopfschmerzen seyn — Will Ew. Wohlehrwuͤrden ein Paar Ge- schichtlein nicht verhalten, die hier viel Re- dens gemacht in Lehr, Wehr und Naͤhrstand, wie Ew. Wohlehrwuͤrden die Christenwelt be- dachtsam eintheilen. Ein armes Weib, die in einem benach- barten Flecken mit Brod ausgesessen, ist allda vor Hunger gestorben. Will viel sagen, frisches Brod riechen und nicht begehren sei- nes Naͤchsten frisches Brod! — Ihr Brod- lohn hat sie ihren zween unerzogenen Kin- dern zugewendet, welche der selige Mann ihr zuruͤckgelaßen! — Wolte nicht in die- sem Flecken wohnen! Muß Hagelschaden kommen und Mißwachs! — Da geht ein bedruckter Mann in die Kir- che nach Trost — Findet ihn! Der Pastor predigt recht nach seinem Herzen; nun gehts an eine Collekte fuͤr eine abgebrannte Kirche. Die Kirche hat nicht Fleisch und Bein, wie ich habe, sondern Stein und Kalk, und ist nicht mein Naͤchster, wie ich glaube. Der arme Mann will zur Thuͤr hinaus, ehe die Kirchenaͤltesten die Sammlung anheben. Siehe Siehe da! die benachbarte Thuͤr ist verschlos- sen! und so muß er durch die ganze Kirche, und alles zeigt ihm mit Fingern nach. Er hatte nur einen Gulden in seinem ganzen Hause, und fuͤnf Kinder, die nach Brod den Mund aufsperrten. Mein zweyter Herr behauptet, dieser Trostlose haͤtte mehr gege- ben, wie sie alle, obgleich er nichts gab. Er lies sich schnoͤde mit Fingern nachweisen. Wenn es doch mit dem Gulden wie mit dem Oehlkruͤglein gienge. Gott gebs — Hab mir noch einige Knoten ins Schnupf- tuch gemacht. Ein armes Weib bekommt drey Kinder, und hat nur mit genauer Noth ein Hemd- chen vor ihrer Niederkunft zusammenge- bracht. Wie das dritte kommt ringt sie die Haͤnde. Das arme Weib will die beyden juͤngsten nackt taufen laßen! — Der Pre- diger gab nichts, als drey Segens und wolte auch fuͤr drey bezahlt seyn. Was aber die Leute, ohne daß sie Gevattern waren, dem armen Weibe zugewandt, ist nicht zu beschrei- ben! Muͤssen doch noch mehr Gerechte hier seyn, als in Sodom, wenn gleich man mit „ Uns ist gebohren ein Kindelein „ vor den den Judenthuͤren hausiren geht, eine Waͤ- scherin einen Kohlbrenner heyrathet, eine Herrenhuͤterin Putz macht, ein stimmloser Candidat fuͤr Juden und Heyden Predigten fabriciret! Ein großer Knoten — Meine Herren klagen all Morgen uͤber die schlechte Milch. Freylich sieht sie aus, als kaͤme sie von einer der sieben magern Kuͤhe. Doch liegts nicht an der Kuh und wird sie mit Waßer von den Maͤdchen verfaͤlscht, die sie ausschreyen! — da geht eines dieser Milchmaͤdlein, und der Wind reißt ihr ihr rothes Tuch vom Halse, und nimmt es mit ins Wasser! — Weg ists! Da steht sie mit blossen Busen, wie die junge Frau, die nackt gehen wolte. Vom Waßer kommts, zu Waßer gehts! So ge- wonnen, so zerronnen, sagten die Leute, und Ew. Wohlehrwuͤrden werden diesen großen Knoten verzeihen — Es ist eine extra fromme Schule, wo ein Knabe gefragt wird: wer ist dein Vater? Soll antworten: der Teufel, wie es geschrie- ben steht; der Junge ist so dumm und sagt: Erzpriester in — ist daruͤber hart angesehen, wie ers auch wohl verdient hat. Habe Habe so viel von einem großen Gelehr- ten erzaͤhlen gehoͤrt, der im großen Weinfaß seine Wohnung genommen, und sich uͤber al- les aufgehalten, was ihm zu nahe gekommen. Ein Mann desselben Schlages ist alhier befind- lich. Seiner Profeßion ein Jude. Sagt allen Leuten eine trockne Wahrheit, hat nur den Fehler, daß er betruͤgt, wie andere. Mag wohl der Faßgelehrte auch nicht ohne Ta- del gewesen seyn. Das Pflaster Einer der besten Straßen wird gebessert. Was wolt ihr, fraͤgt der Jude? da sie mit Spaten und Steinen kom- men. Die — — Gasse ausbessern! Das geht nicht mit Steinen, sondern mit Fried- richsdoren. Eine Muͤnze, die hier funfzehn Gulden gilt, und der der Koͤnig seinen Na- men gegeben hat. Ist doch nur ein Stuͤck- chen Gold, und Ew. Wohlehrwuͤrden solten Lieschens schoͤnen Jungen sehen! — ich denk, ich zerreiß das Protokoll und verwerfe die Stuͤcke — Der Jude ist Ein sonderbarer Kautz! Haͤngt ein Jude, sagt er, wem kommts wohl ein zu schreyen; da haͤngt ein Dieb! da haͤngt ein Jude, sagt jeder — Was Was habt ihr das Jahr, gestrenger Herr, fraͤgt’ er einen Richter? Bald viel, bald wenig, wie es faͤllt, erwiederte der ge- strenge Herr. Sporteln meynt ihr doch, fuͤgte der Richter hinzu. Nicht doch, be- schloß der Jude, Fluͤche und Segen. Der Reiche, hat er sich verlauten laßen, ist ein Kettenhund des lieben Gottes, den er an die Kisten und Kasten gestellt hat. Der Reiche bezahlt fuͤr den Armen, dieser genießt, jener traͤgt die Kosten. So gehts, sagt’ er, da jemand fuhr, der sich durch einen wohlthaͤtigen Banquerot be- reichert hatte, der Herr faͤhrt, weil er sich vergangen hat. Eine Hand waͤscht die andre. Gottfried hat fuͤr mich ein gut Bekenntnis gethan und ich kann ihm mit gutem Gewissen Gleiches mit Gleichem vergelten! Es war kein Au- gendiener, sondern einer von Herzensgrunde. Wißbegierig bey mittelmaͤßigen Faͤhigkeiten. Ein seltener Fall. Oft vergaß er aus Acht- samkeit dem Koͤniglichen Rath den Teller zu nehmen, und bald gab er ihm Salz fuͤr Pfef- U fer, fer, und Eßig fuͤr Zucker. Der Koͤnigliche Rath liebte alles sehr suͤß. Gottfried hoͤrte uͤberhaupt mehr, als er sahe; war nicht et- wa ordentlich, sondern peinlich. Es verdroß ihn nichts mehr am Junker Gotthard, als daß er die Groschen und Pfenninge oft unbe- rechnet lies. Herzlich freut’ er sich uͤber meine Bemerkung: Bruder! zum Kaufmann und tiefen Gelehrten hast du keinen Beruf; die berechnen Pfennige. Dichter aber koͤnn- test du werden — Nach Noten, erwiederte Junker Gotthard! Gottfried laͤchelte und dachte vielleicht innerlich, zum tiefen Gelehr- ten mehr Anlage zu haben, als der gnaͤdige Herr! — Zuweilen uͤbertrieb Gottfried diese An- lage. Wenn er Spielgeld wegtrug, bestand er auf eine Quittung, woruͤber er einmal bey einem Haare aus dem Regen in die Traufe gekommen waͤre. Einen gastfreyen Aus- druck nahm sich Gottfried nicht uͤbel, und kam immer mit heiler Haut davon, wenn gleich er zu weit gieng — Seine Recht- schaffenheit blickte uͤberall durch. Jeder nahm Parthey, so bald er ihm ins Gesicht sah. Da er sich im Schreiben zu uͤben Ge- legenheit hatte; glaubt’ er auch im Denken es es weit gebracht zu haben. So gehts mit solchen Leuten, und was schadet es, daß es so geht. Man kommt oft mit Erfahrungs- begriffen weiter, als mit Vernunftbegriffen. Bey jenem ist man unternehmend, nichts sicht uns an; bey diesen all Augenblick ein Querstrich, ein Seitensprung. Die Ver- nunft ist nicht jeder Sache gewachsen, und kann manches Gehege nicht durchbrechen, wo die Erfahrung sich Bahn macht! — Die Baarschaft seiner Seelenkraft ergiebt sich aus seinem Briefe. Ich habe den groͤßten Theil seines langweiligen Briefbuchs abgesichelt. Was hindert er das Land? Seine Bemer- kungen uͤber Danzig gehen all auf Glocken- spiel heraus! In Berlin hat er keine in Gott andaͤchtige Jungfer mit ihren Morgens und Abends zu Gott erhaben Haͤnden gefunden. Lieschen ist tod, ihr Kind hat Gottfried nach seinen Namen genannt, und das Pro- tokoll nicht etwa eingerissen, sondern ver- brant. Noch eine Stelle find ich in seinem Briefbuch die lesenswerth seyn doͤrfte. Es ist allhier Sitte, daß man die von Gottes Gnadens oder Ungnadens wie es die Leute nennen, in den Wirthshaͤusern U 2 zu zu jedermanns Achtung, sonderlich denen daran gelegen, aufknuͤpfet. Da hieng ein ganzer Codex (meine Herren nannten es so) am Nagel, und es gefiel meinen Herren die Art, den Codex an den Nagel zu haͤngen, woruͤber der Wirth selbst lachte, da man ihn darauf brachte. Sein Schwager, der das Bier zu versuchen gekommen war, hatte noch einen tuͤckischern Einfall, den ich Ew. Wohl- ehrwuͤrden mittheilen will. Mein adelicher Herr that die Frage: Nun ihr haltet doch diese heilsamen Verordnungen, oder von Gottes Gnadens, wie ihr sie nennt? Jun- ger Herr! Einer haͤlt sie im ganzen Dorf. Gott verzeih mir meine schwere Suͤnden! Da fiel mir der Juͤngling ein, der alle zehn Gebote gehalten hatte von seiner Jugend an. Ha! dacht’ ich, das wird wohl so ein Enkel- chen dieses Juͤnglings seyn und freute mich, daß beyde Herren fragten: wer? denn haͤt- ten sie nicht gefragt; so haͤtt ichs gethan. Wer? Der Nagel, antwortete der Bauer, und sah nach oben, als ob seine Antwort auch auch an den Nagel hienge. Aus dem nemlichen Faß des juͤdischen Diogenes. Nicht wahr? ein besondrer Ge- schmack drinn! Es schmeckt nach dem Faß — Hier Hier sagt man, schreibt Gottfried: Mut- ter selig allein, hab es in Curland nicht ge- hoͤrt. Mein zweyter Herr ist gleich mit einer Erklaͤrung da. Will es von den sechs Wo- chen verstanden haben, da der Mann sein Weib, wenn er sie gleich noch so liebt, allein laͤßt, und wo sie doch allein so selig in der Mutterfreude ist, daß sie nichts mehr be- gehrt — Liese, fuͤgt er hinzu, hat nur drey Wochen gehalten. Moͤchte wissen, wenn nach dem betruͤbten Suͤndenfall die Sechs Wochen aufgekommen? Meiner Mutter Lieblingswunsch war: Gott thue wohl den guten und frommen See- len! und so schlies ich auch diese Beylage C. U 3 Sol- S oldat! Ob mein Vater den rechten Weg einge- schlagen, mich zum Soldaten zu erziehen, moͤgen Feldherren und nicht Kunstrichter be- stimmen. Daß ich mich aber selbst nach die- ser Lebensart, nur erst da Mine todt war, herzlich gesehnt, ist ein Umstand, den ich zur Steuer der Wahrheit, sonder Arglist und Gefehrde, hie und da zu erkennen gegeben. Nie wuͤrd ich diese Sehnsucht befriedigt ha- ben, wenn es nicht dem Herrn uͤber Leben und Tod gefallen, meine liebe theure Mutter aus der streitenden Kirche dieser Welt in die triumphirende zu versetzen und zum ewigen Frieden in sein himmlisches Reich zu bringen, wo Ruhe ist. Sie warf zuweilen die gros- muͤtterliche Frag auf; ob es in der andern Welt zwey Geschlechter geben wuͤrde? und mein Vater, der sich in solche Fragen nie einlies, brachte sie auf die himmlischen Heer- schaaren und lies das gute Weib im Stich. Sie war wuͤrklich auf dem Wege zu glauben, daß dort nur maͤnnliches Geschlecht seyn wuͤrde! Indessen erklaͤrte sie die Spruchstel- len, welche die Engel als starke Helden , als edle Streiter , als Huͤlfsvoͤlker der Men- U 4 schen schen darstellten, in der Art, daß man in der andern Welt sich recht aͤmsig bemuͤhen wuͤrde, (dem Wort: exerciren wich sie gluͤcklich aus) Gott zu loben! — Der Engel aber, sagte mein Vater, der in einer Nacht einhundert fuͤnf und achtzig tausend Mann schlug? — „Das war durch eine Feldpredigt“ und der mit dem Schwerte vor dem Paradiese auf- zog? fiel ich ein. Stecke dein Schwert in die Scheide; denn wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen. Ohne daß man wußte, ob diese vortref- liche Worte auf den Cherub, oder mich, giengen — Noch nie bin ich uͤber etwas so stimmig gewesen, als uͤber die Ausfuͤhrung des Ent- schusses, Soldat zu werden. Es war goͤttli- cher Ruf. Ich hatte nicht noͤthig, die guͤldne Regel von zwey Loosen in Anwendung zu bringen und in eines flugs Ja und ins andre flugs Nein zu schreiben, sie einander gleich zu machen, eins zu greifen, und zu thun, was ich gegriffen. Es war alles Ja in mir, und Amen in mir, und wahrlich! ich em- pfand, daß ich eine Stimme zum Adler und Loͤwen hatte, die meine Mutter nur Baßpa- storen erlaubte, dagegen sie der guͤtigen Mey- nung nung war, daß auch ein Diskantist schon ein Thierchen fuͤr sein Stimmchen in der Bibel finden wuͤrde! — Der preußische Dienst hatte so viel An- zuͤgliches fuͤr mich, daß ich lange kaͤmpfen mußte, wo ich den Tod, den lieben Tod, su- chen solte? Da fiel mir noch zu rechter Zeit ein Gespraͤch ein, das der Professor und der Officier beym Koͤniglichen Rath uͤber diese Materie gehalten. Es ward von einem jun- gen Mann gesprochen, welcher durchaus und wider seiner Eltern Willen, wie es der Pro- fessor hies, dem Kalbfell und nicht den Pro- legomenen der Metaphysik folgen wollte. Der Kalbfell-Ausdruck fiel dem Officier auf. Er foderte den Professor; hier ist das Duell: Und wenn er will? Der Verstand ist frey! Der Wille nicht? Wer sich auf den Verstand verlaͤßt, was thut der. Alles! Mit der Feder? mit dem Kopf uͤberall der Soldat. Freund! ich laß ihrem Stande alle Gerechtigkeit wie- U 5 der- derfahren, ich laß ihm den Degen und, wenn Sie wollen, die Hand — Und Willen? Meinetwegen! wenn mein Stand den Verstand behaͤlt, hat er gewonnen Spiel. Den Verstand — — Bitte zu behalten. Gegoͤnt von ganzem Herzen. Mit Verstand ist nicht viel anzufan- gen; aber was koͤnnen sie denn meinem Stan- de nachsagen. Cain schlug seinen Bruder Abel todt, war der erste Atexander der Große, der erste com- mandirende General-Feldmarschall, ein Aller- durchlauchtigster Ueberwinder, Sieger aller Sieger! — Und das Zeichen, das ihm Gott an die Stirn hieng, gelt! Das war wohl, nach ihrer Meynung, ein Gnadenkreutz, ein Orden — — Wenn Sie wollen; wenigstens schuͤtzt manches Gnadenzeichen den Traͤger, daß man ihn nicht Moͤrder schilt — Gewonnen! Noch Noch nicht. Gott schuf Weiber und Maͤnner; allein viele Maͤnner sind Weiber, und viele Weiber, Maͤnner. Es giebt Leute, die den Baum fein hoͤflich wegbiegen, und Leute, die ihm gerad entgegen trotzen. Leute, die bitten, und die fordern. Fordern, Freund! Was haben wir denn Welt auf Welt abzufordern? Die ganze Welt! Oder nichts, als uns selbst. Ein jeder hat den Ort, wo er steht, den Platz, wo er seine Rieben pflanzt. Und wer ihm das nimmt? Ist sein Feind! Also Krieg und Soldat! Fuͤr den die steinerne Tafel sub B. die von der Liebe des Naͤchsten handelt, ihn schuͤtzt: Was du nicht willst, daß dir andere thun, thue andern auch nicht. Und wenn trotz der steinernen Tafel sub B. doch ein solcher Thaͤter waͤre? Dann alles wider ihn, bellum omnium contra vnum, solum, totum. So waͤre das menschliche Geschlecht eine Familie, wo der liebe Gott Hausvater waͤre. Staaten sind unserer Herzenshaͤrtigkeit we- gen, und Soldaten? — Traͤu- Traͤume! Freund! Wir wollen nicht im Schlaf reden. Ists Schlaf, ists Traum? Wie gern gaͤb ich, wie der Astronom, den Tag, um diese Nacht! Glauben Sie nicht, Freund! daß einmahl eine Heerde und ein Hirte seyn wird? daß die Boͤcke ausgestossen, und die Laͤmmer gesammlet werden koͤnnen? — Es gehen viel Laͤmmer in einen Stall! und in Wahrheit, die Erde ist so ein kleiner Stall eben nicht, daß nicht jedes Paar sein Koͤnig- reich, sein Haus und Hof, seinen Acker ha- ben und sich begnuͤgen solte mit dem, was da ist! Wir haben nichts in die Welt gebracht, und ist gewiß, daß wir auch nichts heraus- nehmen werden. Der Mensch, wenn er todt ist, hat mit wenig Spannen Erde genug, und wenn er lebt, schwebt und ist, braucht er ein Paar Spannen druͤber. Man solte nach Spannen messen. Die verdammten Meilen, sie moͤgen deutsche oder englische, oder — seyn, so sind es Wege, die den Menschen aus dem Menschen hinausfuͤhren. Die Solda- ten sind eigentlich die Meilenzeiger. Sie ha- ben alles Ungluͤck in die Welt gebracht, sie erhalten es und werden es so lang erhalten, bis die Menschen so klug werden, daß sie kein Herz Herz mehr haben; dann wird sich alles von selbst geben! — In den ersten fuͤnf tausend Jahren wohl nicht, und da unser Leben siebenzig waͤhret, wenns hoch kommt achtzig; lassen Sie uns die Welt nehmen, wie sie ist, und den Solda- ten, Soldaten seyn! Aber das Bewußtseyn, daß er uͤberfluͤßig ist, daß die Welt ohne ihn seyn koͤnnte; und, was noch mehr ist, gluͤcklicher seyn wuͤrde — ha! solch Bewußtseyn thut weh. Kann nicht sagen! Was wuͤrden denn die Herren Gelehrten in diesem Paradiese vor- stellen? Bewahrer der Lade des Bundes, wo ge- schrieben steht: Was ihr nicht wolt, daß die Leut euch thun, das thut ihnen auch nicht. Lieber Freund! Zu so einem kleinen Bun- deslaͤdchen hat jeder in seinem Hause Platz, ohne den Gelehrten Miete bezahlen zu duͤrfen. Nun! so mag alles dahin fahren! der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sey gelobet! Und gebenedeyet! Kurz und gut, lieber Professor! Gesetze ohne Vollstreckung sind Pro- fessores ohne Studenten! — Zur Zur Vollstreckung sind hundert Mann genug. Nachdem die Unterthanen sind, viel oder wenig, ruhig oder unruhig. Man weiß nicht, ob Julian die Christen, oder die Christen den Julian verfolgt? Die Sterbscene an seinen Ort gestellt, da Julian eine Handvoll Menschenblut mit den Worten gen Himmel warf: Endlich hast du, Galli- laͤer, doch uͤberwunden! Ich! Julian? — Die wenigsten Unterthanen lassen es bis zur Execution — Und die Nachbaren? Muͤssen denken wie wir! Muͤssen! und wenn nicht? Greift der Buͤrger nach seinen Waffen. Der Professor nach den Studentendegen. Hats denn nicht militiam civicam gegeben? Schneider zum Beyspiele. Fleischer, Schloͤsser, Schmiede, unsere Fuhrleute — Gaͤnse zur Leibwache fuͤrs Capitolium — Was ich bey dieser Unterredung fuͤr ver- nuͤnftige lautere Milch in Absicht meines Ent- schlusses eingesogen, wird jeder selbst einsehen. So lange die Welt so ist, wie sie ist, scheint der der Soldatenstand so etwas maͤnnliches, so etwas ruͤstiges an sich zu tragen, daß ich kei- nem jungen Menschen, fals er nicht eine Mi- ne hat, verarge, wenn er dem Kalbfell folgt, so wenig wie den Sokrates, daß er zwey Schlachten pro patria et gloria uͤbernommen. Der Gebrauch, daß man dem Kinde den Sem- mel erst mit einem Pfeile treffen lies, ehe man ihm solchen bewilligte, hat er nicht sein Gu- tes? und wer kann meinem Vater das Ale- xanderspiel vorruͤcken? Man sieht den Krieg als eine Staatsaderlasse an, und vielleicht nicht ohne Grund. Der Professor war der Meynung so wie es alle Schulmaͤnner sind, der Peditatus, das Fußvolk, sey der Kern, der Phalaux der Armee; weil die Alten davor gewesen, sagte der Officier, und weil die Schulofficiere selbst alle Peripathetiker, Spa- ziergaͤnger, sind. Der Officier war ein Reu- ter. Ein Pferd ist freylich ein gebohrner Soldat unter den Thieren, und kann es vom Reuter mit Recht heißen: doppelte Schnur reißt nicht; indessen war ich mit dem Professor sehr fuͤrs Fußvolk. Kein Wunder, da ich Student war. Ich blieb aber auch dieser Meynung, weil ich in der Jugend schon bey der Infanterie gedient und einen ruͤhmlichen Ab- Abschied als Alexander erfochten. Fußsolda- ten sind die Richter, die das Urtel ausspre- chen; die Reuter vollstrecken es nur. Daß doch der guͤtige Himmel dies Kraͤnz- chen beym koͤniglichen Rath in Frieden erhal- ten wolle! Nach meinem letzten Briefe aus Koͤnigsberg lebt er noch, der Praͤsident dessel- ben, dieser Mann mit einer ofnen, weit ofnen Stirn, schwarzem Haar und einem Aug, in dem man ihn im Kleinen, allein doch ganz sahe, dieser Mann, der in den Mond und auf ein Grab sehen und weinen konnte — Es gehoͤrt, sagte der koͤnigliche Rath, Mi- nister und General zum Kriege, einer der das Pulver erfindet, und ein andrer der es braucht; und dies kam dem Professor wie ge- rufen: Was will denn der Soldatenstand, fieng er an? Erfand nicht ein Geistlicher das Pulver? Und hat nicht Daniel einen Trak- tat von der Cavallerie geschrieben? Der Of- ficier haͤtte, das sah man ihm an, den guten Mann nicht ohne ein Wer da? gehen lassen; wenn nicht Daniel eben von der Cavallerie geschrieben. Das bracht ihn durch — Ueber die fremden Worte beym Exercieren, war der Officier am verlegensten. Die Her- ren, sagte der Professor, sind alle deutsche Briefe Briefe mit franzoͤsischen Aufschriften. Fuͤr aufbrechen, fortgehen, sagen sie marschieren, fuͤr Schlacht Bataille, fuͤr Rittmeister Capi- taine, fuͤr Rottmeister Corporal, fuͤr Feldwe- bel Sergeant — Warum denn nicht Feld- herr, sondern General? Von den Pohlen koͤnnen wir deutsch lernen; da giebts allein Groß- und Unterfeldherren. Zwar, fuhr der Professor fort, haben die Herren freylich auch ihre deutsche Kunstwoͤrter. So heißt z. B. der Teufel hat ihn geholt, in unserer Sprache: er ist sanft und selig im Herrn entschlafen! aber — Wer andre jagt, fiel der Officier ein, wird selbst muͤde, und der Professor wie ein Canonenschus: man muß sein Geld nicht in Einen Kasten werfen, wozu man den Schluͤssel nicht hat . Außer in den Gotteskasten, sagte der koͤ- nigliche Rath. Soldat ! aber wo! Eigentlich ist man Soldat fuͤrs Vaterland. Da Curland indes- sen kein Vaterland ist, oder da Curland keine Soldaten haͤlt; so war mir die ganze Welt offen. Wo, dacht’ ich? Der gute Officier, ohne zu wissen, was ich dachte, sprach ohn End und Ziel von der uͤberwiegenden Wuͤrde eines preußischen Soldaten. Ueberzeigt, X daß daß er mit drey Mann drey tausend schla- gen koͤnnte, so daß kein Gebein von ih- nen auf dem andern bleiben solte, war ihm Alexander nicht groß. Alexander nicht? Der Professor sagte: an einem tapfern Tage, ge- wiß hat ein preußischer Trompeter die Mau- ren in Jericho zu Schanden geblasen. Unser Reuter laͤchelte. Wissen Sie, Freund! fuhr er fort, die Unterredung des großen Alexan- ders mit dem Seeraͤuber, der sich so nahm, als waͤren sie Kriegscammeraden. Der Reu- ter laͤchelte. Als Alcibiades, sagte der Reu- ter, erfuhr, daß die Athenienser ein Todes- urtel uͤber ihn ausgesprochen, sagt’ er, laßt uns ein Lebensurtel eroͤfnen, und dies Urtel in Rechtskraft setzen. Alcibiades, lieber Pro- fessor, zeigte, daß er lebte. Der Professor schwieg, ohne zu laͤcheln. Ich wuͤrde unserm Reuter, der wahrlich ein deutscher Brief mit einer franzoͤsischen Auf- schrift war, die Verachtung des großen Ale- xanders verziehen haben, obgleich Alexander mein Verwandter war, und worden seyn, wie er Einer, wenn nicht zu allem dem noch ein Vademecum von Werbgeschichten gekommen waͤre, die der Reuter in Bereitschaft hatte, und die mehr interessiren, als die im Druck erschie- erschienenen List und lustige Begebenhei- ten der Herren Officiers auf Werbungen. Es ist bekannt, daß Preußen fuͤr seine Kriegs- macht zu wenig Vaterlaͤnder habe, und daß durchaus auf fremde Ruͤcksicht genommen wer- den muͤsse. Mein Herr, sagte ein Witzling, braucht nicht Kinder, sondern Maͤnner, als man von der Unzulaͤnglichkeit der preußischen Landeskinder sprach. Kann man aber vom Witze sagen, daß er seinen Mann halte? — Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, bemerkte der Professor uͤber diesen Ge- genstand. Es kommt viel drauf an, wie man ihn traͤgt, erwiederte der Reuter. Mag seyn! Was kann denn aber ein Fremder fuͤr inner- lichen Beruf fuͤhlen, fuͤr ein fremdes Land zu siegen, oder zu sterben? Solte man es nicht fuͤr eine Art von Blutschande halten, wenn Fremde fuͤr Geld und gute Worte Blut und Leben in die Schanze schlagen? Freylich ge- ben auch zwey kalte Steine Feuer; allein man muß sie lange reiben; mit einem eilfertigen: Fertig, Schlagt an, Feuer! ists hier nicht gethan. Zur Zeit der Anfechtung fallen die Miethlinge abe! — Gut! sagte der Reuter, daß der Spreu vom Kern stiebt! — allein noch besser, wenn kein Spreu mehr da ist. X 2 Der Der Professor! — Sollen Werbungen seyn, warum list und lustige Begebenheiten dabey? Ists denn so unrecht, wenn ein mit List und Lust geworbener sich mit List und Lust wieder aus dem Staube macht? Der List kann durchaus nichts anders als List entgegen ge- setzt werden. Verstand thut nichts dagegen. — Der Professor konnte nicht aufhoͤren uͤber den armen Tropf zu lachen, der als Regi- mentsglaser Handgeld genommen. Eine einzige von diesen interessanten Ge- schichten: Ein Officier, der aus List und Lust in ge- meiner Kleidung auf Menschencaperey aus- gieng, fand, wie sich unser Reuter ausdruͤck- te, seine Leute, die er mit Geld und guten Worten locken wolte, daß sie dran glauben solten, so gefaßt, daß er keine Menschenfe- stung einnehmen konnte. Er legte sein Ueber- kleid ab, fieng an zu drohen, und siehe da! man legte es ihm so nahe, daß er sich ins Waßer stuͤrzte, um sich zu retten. Ungewohnt zu Waßer Dienste zu thun, wuͤrde er sein Leben gewiß eingebuͤßt haben, wenn nicht ein jun- ger Mensch, der nur an die That, nicht an die Gefahr zu denken gewohnt war, mit seiner eignen Lebensgefahr das Leben dieses Werbers geret- gerettet haͤtte. Edler Mensch, sagt’ ihm der Gerettete, was bin ich schuldig? — Nichts, erwiederte er. Ein Tuch wenigstens zum Trocknen! Ich bin nie anders getrocknet, als von der Sonne; so sey mein Freund! — Hier lies sich der Retter bewegen, dem Ge- retteten die Hand zu geben und ihm zu folgen. Edler Mensch! wo gehst du hin? Bey großen Handlungen ist kein Stand merklich. Man sieht den Menschen nicht vor der That. Jezt, da beyde unter Dach waren, sah der Officier, daß die Seele seines Lebens- verehrers weit uͤber dessen Stand waͤre! — Der Gerettete lies auftragen, was das Haus vermochte. Macht den Versuch, es kommt nur auf euch an, wie ihr den gemeinen Mann haben wolt. Ihr habt den Stimmhammer zu seinen Gesinnungen in euren Haͤnden! — Der Officier so wenig zum Stimmen aufer- legt, daß er bis auf eine sehr kleine Cultur tief unter seinem Retter stand, verhielt sich herr- lich zu ihm. Man aß und trank, und ward, wie der Reuter sich ausdruͤckte, von innen so naß wie von außen. In diesem ausgelasse- nem Vergnuͤgen noͤthigte der Officier seinem Erretter ein Versprechen ab, das so gleich durch eine rothe Binde in Rechtskraft gesetzt X 3 ward. ward. Unser Reuter nannte diese Erzaͤhlung einen Waßerfall und that so listig und lustig dabey, daß es jedem von uns wie ein zwey- schneidiges Schwert durch die Seele gieng. Wenn das der Koͤnig wuͤßte, sagte der koͤ- nigliche Rath! Wenn? erwiederte der Reu- ter, was fuͤr ein Federleser wird es ihm denn melden? Da niemand das Wort nahm, fuhr der Reuter fort: nachdem es faͤlt, was fuͤr Collision ist denn hier, wenn man die Sa- che beym rechten Zipfel faßt? — Ich wuͤnschte diese zweyschneidige Ge- schichte so kalt erzaͤhlt zu haben, als sie der Neuter erzaͤhlte, der mir in diesem Augen- blick mit seiner List und Lust wie ein Menschen- haͤndler vorkam! Er glaubte, daß der Ret- ter nicht hoͤher, als durch eine rothe Binde, belohnt werden koͤnne, da er aus einem Scla- ven ein Gebieter worden! Wie man alles in der Welt nehmen kann! Das Copernikani- sche System scheint paradox und ist doch das wahrscheinlichste! Der Retter war freylich ein gemeiner Mann; muß man denn aber einen Degen tragen, um gluͤcklich zu seyn! — — Ich dachte nicht mehr wo ? Die Rußen koͤnnen von Riga aus den Curlaͤndern in die Fen- Fenster sehen! Unser Reuter selbst konnte den Rußen nicht ein gutes Zeugnis abschlagen. Er hatte sich mit ihnen gemessen, und sein Vater, der, waͤhrend dem dritten schlesischen Kriege, in Preußen den Rußen zu huldigen verbunden gewesen, hatte alles Liebes und Gutes von diesen guten Feinden genossen! — Alles, fuͤgt er hinzu: alles haben die Rußen von uns — Mag! Man sagt freylich, die Rußen ahmten nach. Besonders, daß eine Nachahmung der Natur, eine Beschleichung derselben, eine unmittelbare Befolgung der Vernunft, eine Erfindung heißt, und von niemanden, als wer es versteht, Nachah- mung gescholten wird. Nur wenn ein Mensch ein Menschnachahmer ist, heißt er Affe, Maͤn- chenmacher, oft Possenreisser, dann siehts aus, als wenn man im verbotenen Grad geheyra- thet haͤtte — Ists eine Blutschande, fuͤr ein anderes als das Vaterland den Degen bloͤßen; so ist hier die Blutschande noch ersichtlicher. Wahr! daß kein Menschnachahmer es weit bringt und die Nase (bey jeder Nachahmung ein Hauptstuͤck, das in Bewegung ist,) hoch heben kann. Warum aber wahr? Weil der Menschnachahmer vielleicht mehr vermochte, als sein Herr und Meister, weil der Nachah- X 4 mer mer kein Herz hatte; und weil uͤberhaupt es nicht viel Menschen giebt, deren Bild man tragen kann. Jeder Mensch ist Original, sagt Pope, und wie oft ist das uneigentuͤmliche nichts weiter, als Rost, der sich an eigenes Talent anklammert. Das erste Wort war Rußen! das zweyte Krieg, und das dritte Tuͤrken! So viel Worte, so viel Gewichte. Die Tuͤrken gaben den Ausschlag. Mein Vater konnte zwar als ein christli- cher Geistlicher nicht wie Aristander in dem Alexanderspiel dienen; allein wider die Tuͤr- ken waͤr er mit Freuden als Feldprobst ge- gangen. Ich fuͤrchte, er haͤtte seine Bibel sehr bald mit dem Degen verwechselt. Er hatte nach seiner angestammten Milde keinen Feind in der Welt, als die Tuͤrken. Auch diese waren Feinde der Einbildung. Waͤr es auf Liebes- dienste angekommen, er haͤtte nicht ermangelt. Selbst zog er keine erbauliche Kirchenglo- cke wider sie. Meine Mutter besaß eine Pre- digt mit dieser Aufschrift, die mein Vater in seinem Buͤcherheer litte — Das will schon viel sagen, was that er denn Curland und Sem- Semgallen? und was den Tuͤrken? — Wem faͤlt hier nicht seine Reise ein, die er mit mei- ner Mutter des Abends zum Grabe Christi anstellte. Des Morgens, wenn beyde zu Hause wieder eintrafen, hatte keines einen Tuͤrken gesehen. — — Junker Gotthard hatte, nach dem Tode seines Vaters, von seiner Mutter dringende Briefe zuruͤckzukommen. Schnell fiel ihm auf einmal seine unverkruͤmmte und unverkratzte, reif wie die Natur herausgegangene, wie eine Goͤttin ausgewachsene Trine ein, gegen die alles, was er in Koͤnigsberg schoͤnes erjaget, nur mangelhafte Kopien blieben. Was das fuͤr ein Geruch ist, sagt’ er mir einen Abend, wenn die Pomade auf den Kopf und die Rose am Busen im Wettstreit sind! Nun war Junker Gotthard fertig. Er sagte selbst, daß er wie aus der Pistole abgehen wolte. Un- vergeßlich ist mir der Abend, da die Nachricht von seines Vaters Befoͤrderung eingieng. Seine Mutter hatte mir uͤbertragen, ihm die- sen Todesfall gelegentlich im Saͤftchen beyzu- bringen. Er kam mir mehr, als halbes We- ges, entgegen. Meine Vorbereitung indes- X 5 sen sen verpfuschte mir eine Scene nicht, auf die ich es geflissentlich anlegte. Er ist geborgen, fieng er an! Was meynst du, Bruder, ich werde nicht alt werden? Mit diesen Worten stuͤtzte sich Junker Gotthard auf drey Finger seiner linken Hand, (Er hatte starke Finger,) und blieb so eine Viertelstunde. Jezt sprang er auf und murmelte die Melodie: Wenn mein Stuͤndlein vorhanden ist. Das En- de vom Liede, fieng er zu mir nach dem drit- ten Vers an, das Ende vom Liede, Bruder! ist sterben — Wir leben fuͤr nichts und wie- der nichts. Eins kommt zum andern, erwie- dert’ ich, es giebt auch schoͤne Tage in der Welt. er, Summa Summarum, was ist das Leben? ich, Freylich, der schoͤnste ist der Sterb- tag! er, Gelt! es war ein Mann, mein Vater! ich will nicht ruhmredig seyn. Ich werde nie werden, was er war! — Wahr! Bruder! ich vergesse nie ihn und den Alten mit dem einen Handschu! den er jezt mit Vor- und Zunamen kennt! Junker Gotthard hohlte sich den Calender und brachte ganz richtig heraus, daß sein Va- ter ter an dem nemlichen Tage gestorben, da der ehrwuͤrdige Alte zum leztenmal vom Gewaͤchs des Weinstocks bey ihm getrunken! — Eine Sttlle! — Junker Gotthard aß den Abend keinen Bissen. Er war ernst und feyerlich. Gott- fried außer sich! — Beyde konnten sich nicht anders nehmen, da sie herzlich betruͤb waren. Gottfried weinte laut, als wolt er seinem Herrn den Rang ablaufen. Junker Gotthard keine Thraͤne! Man entgeht mit eins, wenn man stirbt, allem, allem Elend, sagte Gottfried, und riß seinem Junker das Kleid herunter und band ihm das Kopftuch mit den Worten um: Ists mir doch, als waͤr es dem seligen Herrn! — Ich weis nicht, ob dies oder was anders der Drucker der Flint gewesen! — Junker Gotthard weinte heimlich. Er und ich hatten die Gewohnheit aus dem Bette gute Nacht auszuwechseln, diesmal hielt es lange an, eh sie seiner Seits zum Vorschein kam! Ich hoͤrt ihn weinen! — Spaͤt kam die gute Nacht, und so mit Thraͤnen versetzt, daß ich selbst be- wegt ward! ich kein Wort, wie gute Nacht! — Wer solte glauben, daß Junker Gotthard, dieser rauhe Juͤngling, auf diese Art gute Nacht Nacht sagen koͤnnte! Er schlief bald ein. Seine drey Argos, die er in Goͤttingen hatte, konnt’ er nicht freundlich ansehen. Der Se- lige hatte es ihm verboten. So wie sein Schmerz nachlies, so nahm die Liebe zu den Hunden zu. Sie heißen Argos, sagt er, ich nehme sie mit. Der Schmerz, sagt ich ihm, ist eine Seelenbewegung! Die Deinige hatte sie hoͤchstnothwendig. Ich gesteh’ es, sie war der Stockung nahe. Fast — ich kann mich nicht so geschwind auffreuen, als Mancher! Desto besser, daß du geweint hast! — Aber weinen! — Wuͤrden wir wohl weinen koͤnnen, wenn wir nicht weinen solten? Gern haͤtt’ er, wie er sagte, seinen Vater im Sarge gesehen! Du hast mir gesagt, es gaͤbe Gesichter, die sich da ausnehmen! Mein Vater war einer von denen, die im Tode ge- trost zu seyn verstanden. Es freute den Jun- ker Gotthard, daß sein lieber Vater, wie ers nannte, zu Kreuz gekrochen und sich mit der Bibel ausgesoͤhnt haͤtte. Seine Mutter hatt’ ihm von allem unter- richtet, und im Postscript, das fast eben so lang lang, als der Brief war, vorgezeichnet, wie der Trauer beschaffen seyn solte? Die Regel jenes Alten, die er gab, da man ein Mittel wider den Schmerz von ihm verlangte, brachte den Junker Gotthard wieder auf die drey Finger seiner linken Hand, denke an die Zukunft, als waͤre sie da! — Wahr- lich eine schoͤne Regel! Giebts Schmerz? koͤnnte man fragen, und: giebts Freude? darauf antworten. Bey Gott ist Finsternis Licht. Boͤses ist bey ihm Gutes. Er sieht wie Gott, und wir wie Men- schen! — Podagra ist Originalschmerz! Edles Salz, uns das Leben schmackhaft zu machen, das ist Schmerz! — — — Daß dem Junker Gotthard seine gute Trine einfiel, wer kann es ihm verdenken? Ich verdenke keinem, was die Natur ihm nicht verdenkt! Da ich ihn aber an die liebe Kleine, an Lorchen, erinnerte, schlug er den Kopf zuruͤck! Kinderspiel! Das war alles, was er sagte. Junker Gotthard ward, was er nie gewesen, krank, und konnte nicht rei- sen. Die Aerzte widerriethen ihm die Reise, und seine Mutter, da sie die Nachricht von seiner Krankheit eingezogen, verbot sie ihm. Sie verfuͤgt eine Zeit, damit er sich ja nicht uͤber- uͤbereilen moͤchte. Ihren muͤtterlichen Segen setzte sie darauf — Junker Gotthard blieb, wie er mir sagte, gern meinetwegen! und ich leugne es nicht, daß ich mich ihm und sei- nem Gottfried in dieser Vorbereitungszeit mehr widmete, als vor diesem! Einen Morgen traf ich ihn mit einer Tau- be beschaͤftigt. Er wolte ihr beybringen die Wicken aus den Erbsen zu lesen! — Bruder setze den Citronenbaum dem Fenster naͤher; siehst du nicht, wie er seine Aeste nach der Sonne reckt! — Natur, Bruder! Wie kannst du glauben, daß eine Taube sich so verleugnen solte? Dafuͤr ists eine Taube! erwiederte er. Ich wuͤrde sie verachten, wenn sie keine Erbst mit verschlaͤnge! — Zugegeben, sagt’ er einen guten Abend, da er sich durchaus noch eine viertel Pfeife laͤnger mit mir unterhalten wolte, alles zuge- geben, eine Flinte ist doch was Großes. Ju- piters Scepter! Donner und Blitz! Jupiter wuͤrde sich nicht schaͤmen, sie zu fuͤhren. Je aufgeklaͤrter die Nation, je weniger wilde Thiere, erwiederte ich. Wilde Thiere, wilde Menschen! er. er. Der Sohn des Achill gieng mit zwey Jagdhunden in die Versammlung der Achaͤer. ich. Wilde Thiere sind Straßenraͤuber. er. Darum Jagd. ich. ich wuͤnschte Ausrottung! — er. und wo denn Fleisch in der Wuͤsten? ich. Wachteln! Voͤgelwild! er. Voͤgelwild ist Weiberwild. Maͤnner solten so maͤnnlich seyn, und diesen Jagd- abschnitt den Weibern uͤberlassen! nicht wahr, auch Hausthiere? ich. Freylich wenn durchaus Fleisch seyn soll, wenn Manna nicht hinreichend ist. Man muß doch von je her Gewissensbisse uͤbers Fleisch gehabt haben; sonst wuͤrde nicht in den christlichen Kirchen die Fleisch- fasten ein Religionsstuͤck worden seyn. Der Mensch, duͤnkt mich, ist Souverain der Erde! kann essen und trinken, was er will. Was sein großes Haus, die Erde, nur ver- mag! — Was seiner Souveraͤnitaͤt in Weg kommt, begeht Hochverrath! Alle schaͤd- liche Thiere sind Verraͤther. Nimm Eng- land! — er. Haasen giebts da noch. ich. ich. Die sind zu keinem Hochverrath auf- gelegt. er. Der Hauptjagd Artikel! ich. Du sprichst dein Urtel selbst. Sieh da! den Beweis, daß die Jagd mehr ein Spiel, als eine Ausuͤbung der Majestaͤtsrechte uͤber die Thiere ist! — Freylich kommt der Jaͤger mit List, Hunden und Flinte, so wie jeder Despot; allein, der Sache nahe ge- treten, ist er Fiskal, Richter, Henker, der im kleinen den Monarchen spielt! — Aus- rottung, Bruder! Ausrottung! er. Du redst, wie Moses von den Canani- tern, Hethitern, Amaritern — ich. Mit dem Unterschiede, daß meine Ca- naniter Baͤren, wilde Schweine, Woͤlfe, und andere dergleichen Schadenfrohe Thie- re sind. er. und England? ich. Ich bitte. er. Dieser Wildfang von Staat ward, was die Thiere erst waren, ward wild. ich. Frey, willst du sagen, und Curland, dies Baͤrenland! — er. gute Nacht, Bruder! ich. gute Nacht! — er. er. Mein Vater pflegte zu sagen, der Mo- narchist reitet, der Aristokratist faͤhrt, der Demokratist geht zu Fuß, wie jeder kluge Mann. ich. Der Despot laͤßt sich in der Saͤnfte tragen. er. Der Monarch liebt die Jagd. ich. August der schoͤne, Koͤnig von Pohlen, liebte die Jagd rasend, und der Original- Koͤnig Friedrich liebt er sie? — — — Schon hab ich bemerkt, daß die Frau v. G — ihrem Sohne die Trauer sehr puͤnktlich vorgezeichnet. Herr v. W — haͤtte nicht ge- nauer seyn koͤnnen, wenn von ihm ein Trauer- gutachten auf Ehr und Reputation waͤre ab- gefordert worden. Wer aller dieser Trauer- gesetzgebung ungeachtet, nicht trauerte, war Junker Gotthard! — Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen, sagt’ er; dem Vater mehr, als der Mutter. Herr v. G —, der Selige, declamirte, nach der Relation des Junkers Gotthard, unaufhoͤrlich wider allen Trauer. Jedes, sagte dieser Naturmann, hat seine Tracht. Die Erde gruͤn, die Sonne Gold! Gruͤn und Gold ist Erd und Sonne! Y Bru- Bruder! sagt’ ich, man siehts dir nicht an. (Dies war seine Uniform, wie wir alle wissen.) Ihr Gelehrten, habt alle kein Aug’, er- wiedert’ er. Aber die Jagd, Bruder! verbot sie der Selige nicht? Er selbst war Jaͤger; bin ich denn noch Student? — An der Taube hast du den Erb und Ge- richtsherrn von — gesehen, nicht wahr? in Lebensgroͤße! Sey immer eine Taube, lie- ber Gotthard! — Der Zeitpunkt kam, den ihm die besorgte Mutter bezielt hatte, und nun schieden wir an einem regenigten Tage, nach Mittage, weil es eine weite Reise war, von einander. Es ist in diesem Buche schon so oft Ab- schied genommen worden, und begnuͤge ich mich also zu bemerken, daß der unsrige kurz und gut war, wie vieles in diesem Buch ist. Gienge ich zu Fuß; wuͤrd’ ich behaupten, ich gienge mit einem Springstock — Gottfried hatte etwas schriftliches aufgesetzt, das er mir mit einer Art behaͤndigte, die nicht zu be- schreiben ist. — Der Der Juͤngling, fieng Gotthard an, lehrt den Mann, der Mann den Greiß. Der Grund, die Folge, pflegtest du zu sagen, lie- ber Bruder! Du solst Freude an mir erle- ben! — Gott segne dich, lieber Gotthard, sagt ich. er. Du wirst dein Lebtag nicht Pastor werden. Nach einem kleinen Wortwechsel mit dem Postillon wegen der drey Hunde, brachte Jun- ker Gotthard es in einem Augenblick durch Geld und gute Worte dahin, daß der Postil- lon diesen dreyen Argos selbst ein Lager legte! und nun lies Junker Gotthard uͤber und uͤber blasen! Reise gluͤcklich! — Zum erstenmal empfand ich die Gluͤckse- ligkeit allein zu seyn! Daß Leute in gewissen Jahren zum Traualtar so schwer zu bringen sind, kommt wahrlich! daher, weil sie die Suͤßigkeiten des Einsiedlerstandes gekostet ha- ben! — Luther sagt, wo ich nicht irre: wo reiche Leute sind, ist Theurung; wo Menschen Huͤlfe aufhoͤrt, da faͤngt Gottes Huͤlfe an! und gewis keinen hat Gott und die Natur ver- lassen! — Wahrlich Freunde! es ist keine unrichtige Behauptung, daß der ehelose, der einsame Stand, nach der jezigen Eheweise Y 2 unend- unendlich viel zum goͤttlichen Leben beytraͤgt; daß eine gewisse Kirche die Ehelosen beguͤnsti- get, ist es Wunder? Rußen! Krieg! Tuͤrken! das waren die drey Worte, bey denen ich stehen blieb, und mich ausruhte. Auch ich war fertig, nach dem Ableben meiner Mutter, wie aus der Pistole. Preußen vermied ich wohlbe- daͤchtig, ich wolte stark seyn, und wahrlich! das heilige Grab hatte mich geschwaͤcht! Ich kam ins rußische Lager zu einer theuren Zeit. Die Tuͤrken hatten alle Lebens- mittel aus der Moldau aufgeraͤumt, um uns das Bahnmachen, das Vorruͤcken, zu behin- dern! — Solche Zaͤune sind im Kriege die gefaͤhrlichsten — Fuͤrst Gallizin! (Sein Name sey in der Geschichte ehrwuͤrdig!) lies zwo Bruͤcken uͤber die Niester schlagen, und brach auf mit uns — Die Hauptmaxime des Krieges ist freyer Kopf und freye Fuͤße. Sich den Feind vom Leibe halten, ist im Großen und Kleinen ein wich- tiges Stuͤck — Wer von mir Ulißeische Wanderungen erwartet, dem geb’ ich eine guͤltige Anweisung auf auf den Homer, und wenn er will, auf den Professor Grosvater, der dem Homer, neben der Bibel, ein Raͤumlein vergoͤnnt hatte! — Wer nach einer Abhandlung wider den Sol- datenstand duͤrstet, gehe zum Antagonisten des Reuters, dem Professor — Klein-Vater haͤtt’ ich bey einem Haar geschrieben — Freunde! um euch nicht ganz im Bloßen zu lassen: Es ist alles in der Welt nur ein Spiel! Der Soldatenstand, wie der academi- sche, der Feldherr, Professor, die Staabs und andere Officiere, Magistri, Baccalaurei, Li- centiaten, Candidaten, Fußvolk und Reute- rey, Studenten, in vollem Mond, im hal- ben, im Viertel; nur mit dem kleinen Unter- schiede, daß der Pedantismus mehr im Sol- daten, als im academischen Stande herrscht. Ich bitte, mein Herr Obrister, dies fuͤr keinen Druckfehler zu halten. Tausendmal hab ich gedacht, nur neue Dekoration, das Stuͤck ist das nemliche. Wenden sie ihre Zeit gut an, sagt der General und der Professor, und wenn sie Pietisten sind; setzen sie hinzu: Gott segne ihre Unternehmungen! Ich dachte so wenig, da ich Soldat ward, meinen Le- benslauf zu schreiben, als auf der Akademie. Dort wolt ich leben, hier wolt ich sterben. Y 3 Auch Auch nicht viel aus einander! Kein Wunder, daß ich bey aller Menschmoͤglichen Gelegen- heit Muth zeigte. Waͤr ich ein Katolik gewe- sen, vielleicht schrieb ich im Kloster Prodro- mum aeternitatis, Jacobs Himmelsleiter; als Protestant, sage selbst liebe Mutter, was konnt ich anders, als Soldat werden? Ich folgte nicht dem Kalbfell, sondern der Todes- fahne, in der ein Kreuz hieng, dein Lieblings- zeichen, das du dir aber meines Vaters hal- ber beym Gaͤhnen abgewoͤhntest. Es gehoͤrt auch fuͤr kein gros Maul! — So und nicht anders konnte mir der Sol- datenstand nur willkommen seyn; ich wolte nicht den Buͤrger kraͤnken, um mir von seinem Schweis und Blut einen Bauch des reichen Mannes anzumaͤsten! — ich wolte siegen, oder sterben. Mine selbst wuͤrd es mir nicht verzeihen, die vielleicht auf dieses Blatt blickt, wie Geister blicken, wenn ich eine Unwahr- heit schriebe. Ehre mischte sich in meinen Ent- fchluß , und wo sie nicht ist, was schmeckt? Ich war nicht verliebt in mein Leben; allein ich wollt es nicht um ein Linsengericht dahin- geben — Was kann meinen Lesern mit Scharmuͤzel- und Schlachtrissen gedient seyn! Haͤtte ich geglaubt, geglaubt, mich dadurch in bessern Ruf zu sez- zen, wuͤrd ich daraus, mit Gottfriedens Er- laubnis, die Beylage C. gemacht haben. Ich war bey dem Treffen, da es zwischen dem Vordertrab des Fuͤrsten Prosorowski und dem Ottomannischen Haufen, der vom Kara- man Baßa angefuͤhrt wurde, zum Angrif kam! Ich war bey der Belagerung von Cho- tzim. Ueberall stand ich wie Urias, ohne sein Empfehlungsschreiben zu haben. Mein Le- bensgleichguͤltiges Herz hatte mir diesen Urias- brief geschrieben, die Ehre hatte ihr großes Siegel mit einem Adler drauf gedruckt. Bey Chotzim gab mir der Tod, mit dem ich wie mit einem guten Freunde umgieng, die Hand. Ich ward durch den Arm geschossen! Ich kam dieser Armkugel nicht in den Weg, ich sagte nicht, du irrst dich, hier ist der Fleck! — aufs Herz zeigend. Es ist ein besonderes Ding, das Leben, auch wenn man eine Gemuͤthskrankheit hat, die das Leben schwarz, wie die mondlose Nacht, und den Tod weiß, wie einen schoͤnen Lenztag, poetisch verkuͤnstelt! Es ist doch das Leben, worauf es angesehen ist. Ein Armbruch ist im Kriege eine Ader- lasse; eh ich selbst dachte, war ich da, und Y 4 froh, froh, daß ich da war! Geschaͤfte sind dem Menschen nach unserm Weltlauf so noͤthig, als das taͤgliche Brod. Ich kann nicht sa- gen, daß ich Minen druͤber vergaß; allein Handlungen sind der Einbildung so entgegen, wie Waßer dem Feuer! — Gallizin, der mich bis zum Hauptmann gebracht, (Er war so gut zu sagen, ich allein haͤtt es gethan) uͤbergab das Commando dem Romanzow! Auch er verdient einen Undank- sichern Platz in der Geschichte. Ich stand unter dem braven General Elmpt bey der Einnahme von Jaßi. Was werth zu sehen war, hab ich gesehen. Was ist doch Paris und Rom, und die schoͤn- ste Schweizergegend gegen diesen Schauplatz? Ich sahe mehr, als was alle Kuͤnstler zeigen koͤnnen; ich sah den großen Sieg, da das tuͤr- kische Lager erobert ward! — Moͤchten sie doch das heilige Grab verlassen, wie ihre Zel- ter! Da sah ich den Prinzen Wilhelm von Braunschweig siegen! warum nicht sterben? Was will eine Civilkrankheit von Helden? — Wie mir sein Tod nahe gieng, blos weil es ein Betttod war! Kein Prinz solte einen Civiltod sterben! — Ich Ich sah Bender mit Sturm erobern. Es war ein Wirbelwind; ob es gleich nur Tuͤrken galt, wand ich doch mein Auge von der Pluͤnderung. Feinde laufen, Prinzen ihr Leben losschlagen sehen, ist ein Anblick, der seines gleichen nicht hat. Welch ein Abfall! die Pluͤnderung! Drey Auftritte giengen mir bey dieser Pluͤnderung durch die Seele. Mein Herz rief wehe ! uͤber sie. Sie sollen nicht meinen Lebenslauf verunreinigen! — Romanzow commandirte mich zum Panninschen Corps. Er schien mit mir zu- frieden zu seyn und begießen zu wollen, was Gallizin gepflanzt hatte. Romanzow band mir ein paar vornehme Rußen auf die Seele. Nicht sollen sie, sagt’ er, wie an der Schnur irgend eines Unterrichts einhergehen! — Sie sind schon vor solch einem Garn gewesen! Wir Rußen sind gewohnt, die Antwort aus der Frage zu nehmen! Reim dich oder ich freß dich, ist unsere Regel! Durch Umgang, ohne Uebergang und Curialien, wuͤnscht’ ich, daß sie dann und wann einen Funken ihres natuͤr- lichen Verstandes in ihr Herz und ihre Seele fallen ließen. Zuͤnden wird es, hof ich! Es waren ein Paar allerliebste junge Helden! Sie wußten vom Handwerk mehr, als ich; Y 5 indes- indessen schlossen sie sich so fest an mich an, als brauchten sie uͤber alles, was sie wußten, meine Bestaͤtigung. Die mathemathische Methode ist in der Philosophie abgekommen, und ist die Mathematik heut zu Tage, da alles, was nur einen halben Kopf hat, studirt, zum Soldaten noͤthiger, als Gesinnungen, als Grundsaͤtze? Wer kann denn den Franzosen ihre Kriegskunst abstreiten? — Buͤcher sind nur ein Beweis fuͤr das, was in uns ist. Ihr Geist giebt Zeugnis unserm Geist, daß wir richtig wandlen. Wie leicht wird uns manches durch Umgang, was im Buche so schwerfaͤllig war. Ueber den Fuß, auf den ich mit diesen jungen Helden umgieng, waren sie ausgelassen. Mich solt verlangen, fieng der Eine an, was Er von meinem Aufsatz sa- gen wird! — ich durfte nur uͤberall Natur hineinbringen! Alles war schwer von Kunst beschlagen. Ich brauchte nur den Kopf zu schuͤtteln und alles ward glatt ausgeloͤscht. Gnade dem Gott, der sich unterstand, mir den den Deutschen zu verargen! Die Rußen zie- hen selten aus dem Kern etwas gros. Alles wird mit der Wurzel verpflanzt! — All mein Lebtage denk ich an einen Vormittag, wo mei- nes Vaters Geist auf mich fiel, und wo meine beyden beyden Freunde ausnehmend zufrieden mit mir schienen. Wir sprachen vom obersten Commando, wozu wir die Gelegenheit nicht weit suchen durften. Nicht wahr, es solte nach der Staatsform geformt werden? Ist die mo- narchisch, aristocratisch, democratisch; so auch das Commando. Der hat sehr uͤber den Sol- daten gewonnen, der ihm einbilden kann, er waͤre zu Hause! — Die Maxime ist gar nicht unuͤberdacht, daß man den Soldaten das Hey- rathen verbietet. Da merken sie es gleich, daß sie nicht zu Hause sind, wenn sie ihre Wei- ber nicht bey sich haben! Ein Weib und ein Schlafrock scheint einen Soldaten gleich un- passend. Soll ein Prinz das Commando haben? Gustav Adolph und Carl der XII. scheinen fast auf ein Nein zu bringen. Peter der erste, Koͤnig Friedrich wuͤrden es bejahen. Zum Beschluß tranken wir dem Drossel- pastor zu Ehren: vivat Academia! Es lebe Romanzow! — Meine beyden Schuͤler waren jung und konnten nicht umhin, sehnlichst zu wuͤnschen, daß Lustbarkeiten, Baͤlle und Theater im Fel- de erlaubt waͤren! Ich schlug es ihnen rund ab. ab. Nicht eines? Der keines, lieben Freun- de! Der Kampf der Ehre und Liebe macht den fuͤnften Aktstod so schoͤn, daß man mit Geschmack sterben will! — Im Felde muß man den Tod nehmen, wie er kommt — da hilft keine Herz-Mutter! Dies brachte uns auf die lieben Franzosen, die ihren Feld-Tanz und Fechtboden, ihr Feldtheater und andere Feldplaisirs mehr haben! — Feldbibliotheken ja nicht zu vergessen! — Die guten Herren! Da sie zu sich selbst kein sonderliches Zutrauen fassen koͤnnen, haben sie Zutrauen zu Festun- gen! Ich bin fuͤr Soldaten von deutschem Schrot und Korn. Im Felde muß man Flin- ten blitzen sehen, und Soldaten Volks-Lieder singen hoͤren. Ein Marsch, ein Feldgeschrey, das ist alles, was von Instrumental- und Vocalmusik erlaubt ist. Laßt den Schaͤfer ins weiche Bett des Grases sich legen, laßt ihn beyher die Nachtigal aus einem Bluͤthen- baum schlagen hoͤren! Wir haben vom Stoi- cismus Handgeld genommen. Wahrlich die erhabenste philosophische Sekte! Laßt uns mit der koͤniglichen Frau Mutter so umgehen, wie Alexander mit Madam Darius, und ich mit der Babbe, welche zum Leidwesen meiner Mutter uͤber der koͤniglichen Wuͤrde die Gruͤtze ver- versalzte! Gute Mannzucht ist Empfehlung zur Huldigung! — Mannzucht ist Strenge! — wo die nicht ist, wie kann da Guͤte seyn? Lie- be ohne Gerechtigkeit ist ein Unding! — Wel- che Nation denn wohl die tapferste waͤre? — Die rußische, sagten meine beyden Juͤnger! — Leute aus bergigten Orten, fiel ich ein, sie sind allen Elementen ausgesetzt, und wer die aushalten kann, was hat der seines Gleichen zu fuͤrchten? Die Gallier jagten den Roͤmern wegen ihrer Groͤße Schrecken ein, und man sage was man will, Friedrich Wilhelm hatte mit seinen Potsdammern in der Regel so recht, als sein Sohn, diese Riesen in alle Welt gehen zu lassen! — Große Leute sind wie Mauern und Waͤlle. Zu ersteigen ist alles! Wie viel brechen aber druͤber den Hals, ehe sie oben sind? Ich war von Jugend an sehr fuͤr Berge. Große Men- schen sind Berge! Befehlshaber duͤrfen nicht nur nicht groß seyn, sondern hier wird oft die Groͤße schaͤdlich. Hoͤhere Wesen, wenn sie erscheinen solten, wuͤrden sich in ein mittel- maͤßiges Menschenkleid einkleiden. Kein großes Genie hat Riesenhoͤhe! — Starke aus- gewachsene Maͤnner sind die bescheidensten! — Ich wolte mit der guͤldnen Regel schließen: Ein Ein weiser Mann ist stark und ein vernuͤnfti- ger Mann ist maͤchtig an Kraͤften; allein man wolte noch mehr von der Furcht, dem Haupt- feinde des Soldaten. Ich hatte geaͤußert, daß man durchaus retiriren lernen muͤßte; bey diesem Einzigen muͤßte man im Kriege an strenge Regeln ge- bunden seyn. Den Feind zu weit verfolgen, heißt ihn zur Verzweiflung bringen, und denn kehrt sich auch der feigeste als Held um. Konnte nicht ein so unbekannter Mensch als Herostrat den Tempel zu Ephesus anstecken. Mich aͤrgert, wenn man seinen Namen aus- spricht. Das wolt’ Er. nur. Ein einziger Strahl, so macht der Fluͤchtling halt! ist feuer- fest — ist Mauerbrecher! — Man hat so viel, fieng ich an, von der Furcht gesagt, daß gewiß der kleinste Theil richtig seyn kann! Die Deutschen giengen nie zu Rath, nie zum Fest unbewafnet. Sie schlugen auf ihre Waffen, das hieß Ja! Die Waffen waren ihr Sprachrohr. Dies alles nicht aus Furcht, sondern um mit den Waf- fen bekannt zu werden. Ordnung treibt so sehr die Furcht aus, daß ich eben hier den weisen tiefweisen Grund des Exercirens ent- deckte, das ohne diese Ruͤcksicht Kinderspiel waͤre! waͤre! Eben weil es wie Kinderspiel aussieht, wird es auch von allen Kindern, so bald sie Soldaten sehen, nachgemacht! Man muß sich dicht halten, wie Ein Mann , ist eine Folge dieser Regel. Ein takthaltender Marsch ist Beweiß eines Phalanxs. Der Mensch braucht was unsichtbares, an das er sich haͤlt, und das ist die Ordnung . So bald etwas unre- gelmaͤßiges, eine Luͤcke, sich vorfindet, sieht der Feind, daß sein Gegner nicht mehr fuͤr ei- nen Mann steht. Sein Muth waͤchset — er wagt! Er siegt! Die Furcht siegt oͤfter, als Grundsaͤtze der Herzhaftigkeit. Die Furcht schuͤtzet Koͤnigreiche. Sie ist eine Kunst, wo- durch wir andere glauben machen, wir fuͤrch- teten uns fuͤr nichts. Daher so viele Thra- sonen, so viele Donner ohne Blitze! — Ent- halte dich von allem Gewissensvorwurf, wenn du wider deine Feinde ausziehst: das ist wahr- lich kein Feldpredigertext, sondern ein theures werthes Wort! Ists ein Gott, der uns ent- gegen ist; wir haben eine gerechte Sache. Ist es ein Mensch; wir sind das, was er ist. Was meynen Sie, meine Herren! wuͤrde sich Aristander bedenken, den Phalanx uͤber diese Worte in beliebter Kuͤrze und Einfalt von den Gesinnungen eines Helden zu unter- halten. halten. Ich wuͤnschte, er ließe die Predigt drucken! — Die Furcht ist wahrlich ein groͤßeres Ue- bel, als das, wofuͤr man sich fuͤrchtet! Was ist es denn, woruͤber dir die Zaͤhne klappern, als Stoͤrche, woruͤber dir die Sporen zittern, als wolten sie einen Ton angeben? Tritt ihm doch naͤher; es ist dein Schatten! Die Arze- ney ist aͤrger, als die Krankheit! Junker Gotthard (bey seiner Eheverbindung kann ihm dieser Umstand weder Schaden noch Lei- des thun,) fuͤrchtete sich in — — in einem Zimmer allein zu schlafen, wo Alexander der Große gemahlt war! Es waren doch noch andere Bilder da , sagt’ ich ihm, Bruder! die du, im Fall der Noth, zu Huͤlfe ru- fen koͤnnen . Er war getroffen, fuhr Gott- hard fort, als wolt’ er mit mir sprechen. Immer gerade zu auf mich! Da wandelte mir auf einmal die Vorstellung an: wie leicht kann er lebendig werden! Bruder! hast du ihm denn ins Gesicht gesehen? — Ein preu- ßischer Corporal mit einem Stutzbart gut ge- troffen, wuͤrde eher zu fuͤrchten seyn. Alex- ander hat so wie alle seines Gleichen etwas von einer Kinderwaͤrterin, von einer Amme, im Gesicht. Bey mir hieß es, in Ruͤcksicht auf auf meine Herzensgeschichte: die Liebe treibet die Furcht aus. In Wahrheit! ein wahres Wort! Der ist unschuldig, der keine Furcht hat, der ist nicht furchtsam, der gar nichts fuͤrchtet! Die Flamme, welche der Wind auf- facht, verfliegt bald! — Wer nach Grund- saͤtzen herzhaft ist, wer nicht schnoͤden Ge- winnstes, oder Zeitungsewigkeit halber, die Waffen ergreift, was kann den stoͤhren? Wi- drige Vorfaͤlle! Sind die nicht uͤberall? Mars und Venus halten es mit allen. Ist Mars zweifelhaft, so ist Venus wahrlich nicht sicher. Pack schlaͤgt sich, Pack vertraͤgt sich, wuͤrde meine Mutter sagen. In allen Sa- chen Herz zeigen, heißt ein großer Mann seyn. — Hand in Hand gieng ich mit meinen bey- den Kriegscammeraden! — Bialograd verglich sich — Desto besser fuͤr mein Auge. Ibrailof ward von den Tuͤrken verlassen! Bukarest! — Buka- rest ! — Mit welchem Herzen schreib ich diesen Namen! Einer meiner Juͤnger starb hier einen schoͤnen Tod vor meinen Augen. Gott! welch einen Blick er mir gab! — Du hast mir den Unterricht herrlich bezahlt. Ein unaus- Z sprech- sprechliches Honorarium. Kein Koͤnig kann so lohnen! — So nimmt ein wohlgerathener Sohn Abschied von seinem Vater. Seinem Milchbruder konnt’ er noch die Hand reichen; mir nicht. Wir waren zu weit auseinander. Soll ichs sagen? er wolte mir seine Liebe noch sterbend beweisen! Wird mein gebrochnes Auge hiezu Kraft haben? Er warf mir eine Handvoll Blut zu, mit einer Art, die gesehen werden muß! Den Abend vorher sprachen wir kein ander Wort, als vom Tode! Er war der frohste unter uns! Gern haͤtt ich den Hoch- gebohrnen Todtengraͤber hergewuͤnscht, um diese und so manche Sterbensscene zu besich- tigen. Lieber Graf! hier ist der Tod ganz ein ander Wesen. Wer ihn nicht anders, als aus der Kammer kennt (und waͤre da gleich ein Observatorium angelegt,) weiß hier nicht, daß man stirbt. So wie die große Welt von Provinzial Flecken, so Tod von Tod. Zwar sind Sie der Meynung, der Helden Tod, der Feldtod, wo der Mensch nicht Zeit und Raum hat, sich in Ordnung zu legen, eh er dahin faͤhrt, sey keiner Observation werth; allein Sie irren, lieber Graf — Hier ist die große Welt des Todes — — Ich Ich will dem Grafen nicht mit Bemer- kungen das Licht halten, wahrlich! ich koͤnnte sein Schatzkaͤstlein bereichern! — Warum aber Obst, eh’ es reif ist? war- um durchs Schwert eines Tuͤrken? Mir war es, als fielen unser trefliche Juͤngling und der , so ihn schlug! Freund und Feind. Der Tuͤrk, der ihm das Leben nahm, waͤre werth, bey dem Grabe Christi auf die Wache zu zie- hen, wie der Hauptmann unterm Kreuz. Was haben die Großen, die praͤdicirten Goͤt- ter der Erden, mehr als den Buͤndeschluͤssel! Der Loͤseschluͤssel ist ihnen nicht behaͤndiget. Weint um meinen Edlen, ihr Jungfrauen im Lande! — Leib und Seele haͤtten um den Vorzug streiten koͤnnen, wer schoͤner sey, waͤ- ren sie nicht so stimmige Freunde gewesen! — Wehe dem Feuranleger! Es muß Aergernis kommen, doch wehe! dem Menschen, durch welchen Aergernis kommt. Was trug sein Mund fuͤr mich, der endlich sank! wie unter einer Last, die ihm zu schwer ward. Blumen waren es nicht, die bald welken. Gesinnun- gen, die ewig sind, wie er! Ich habe dich verstanden! Edler! dein ganzes Gesicht war leserlich! Du haͤttest die Handvoll edles Blut nicht verschwenden duͤrfen. Es fiel auf kein Z 2 gutes, gutes, dir werthes Land. Was kann man sich im Kriege mehr wuͤnschen, als einen ed- len Feind. Mich duͤnkt, dies Ziel hast du erreicht! — Verzeih, Sterbender! daß ich nur ein halbes Auge auf dich verwenden konnte! ich hatte drey Viertel hochnoth fuͤr die Feinde! — Gott! wenn kommt dein Reich ? wenn wird Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen? Jeder Irthum hat seine Schule, sein Auditorium. Keiner kann so uͤbertuͤnchet werden, als die Idee vom Kriege. Wahrlich! ein uͤbertuͤnchtes Grab! Nicht meine Leser wuͤrden es mir vergeben, nicht ich selbst, wenn ich mich nicht selbst uͤber diesen Edlen vergessen haͤtte! — Bukarest ! schrecklicher Name! war der Ort, wo auch ich den Tod fand! — ich erhielt toͤdtliche Wunden! — Guter Tuͤrke! ich ver- zeih dir alles, auch den Stich, da ich nicht mehr den Arm bewegen konnte, der etwas tuͤrkisch war, und den du bleiben lassen koͤn- nen! — Sey gluͤcklich! — Alles gab mein Leben auf. Mein andrer Lehrling starb acht Tage darauf. Sein Sterbelager war vier Schritte von dem meinigen. Fuͤr mich Eine halbe Welt. Der Arzt verbot mir sogar allen Trost! Trost! Wie konnt’ ich ihn aber ohne den ster- ben lassen? Oft wenn er lechzte, wie gern haͤtt’ ich ihm ein Glas Wasser gereicht! konnt ich! — da lag ich noch aͤrger, als todt. So etwas, Freunde, wer kann es erzaͤhlen? Leset den Homer. Ich bitt Euch! — ich kann nicht mehr — — So viel sey euch noch unverhohlen, daß ich den Sterbenden mit dem Prinzen Will- helm von Braunschweig am meisten aufrich- tete, der ein Schwestersohn Koͤnig Friedrichs war! Auch Er, sagt ich, starb im Kriege. Eben so wenig unmittelbar. An den Neben- umstaͤnden des Krieges starb er, die so wie die Krankheiten aͤrger, als der Tod, sind. Ich werd’ auch als Held auferstehen, sagt er, in einer Nacht. Wie denn anders? antwortete ich, und hatt’ eine Thraͤne in den Augen. Er starb — Was konnt ich mehr verlieren? Meine beyden Freunde! Mich selbst! Ich lag vier Wochen ohne alle Hofnung! Ists Suͤnd und Schand, in solcher Lage die Lebensschnur selbst abreißen, die ein Arzt mit solchen un- aussprechlichen Schmerzen anknuͤpfen will? Haͤlt die Schnur da, wo sie angeknuͤpft ist am laͤngsten, und ein eisern Band, da wo es Z 3 brach, brach, und durch Feur und Schlag zusam- mengeschmiedet war? Keine dieser Fragen stellten in meiner Leidenszeit mich zur Rede. Ich hatte nicht Zeit, ins Allgemeine zu fragen. Der Civilsterbende wollte durchaus auf dem Schlachtfelde eingescharrt werden. Auch ich mußt’ ihm versprechen, eben da den Krieg ausschlafen zu wollen. Sein Testament ist erfuͤllt, was ihm selbst betraf! Ich zwar wache noch; allein Ein Theil meines Lebens ist auf dem Schlachtfelde bey Bukarest ver- scharrt! Ich liege in deiner Nachbarschaft, edler Juͤngling! — Deine Wuͤnsche sind er- fuͤllt! — Romanzow , wie er gehoͤrt, was vorge- fallen, soll hoͤchst zufrieden mit meinem Un- terricht gewesen seyn, und soll den Edlen und mir eine Leichenrede gehalten haben, die kuͤr- zer und dringender gewesen, als die ungebe- tene des Organisten in L — bey Minchens Grabe — kommt er auf, war der Schluß die- ser Leichenrede, ist er Brigadier. Ich war schon seit einiger Zeit Major worden! — Wahrlich Freunde! dies war ein Examen trotz dem, beym Professor Grosvater. Was ist ein Blitz einer Hausmuͤtze durchs Stuben- ritzchen ritzchen gegen Kriegsblitze? — Zwar lebt jeder seines Lebens, zwar stirbt jeder seines Todes, jedem ist sein Pfund Leben und sein Pfund Tod zugewogen, wie der hochgebohrne Todtengraͤ- ber sehr einsichtsvoll behauptet; doch glaub ich, daß mancher dies Pfund ins Schweistuch ver- graben, und mancher damit wuchern kann. Der Kriegswucher, was meynen Ew. Hochge- bohrnen, ist er nicht der reichlichste? Er traͤgt tausendfaͤltig und zwar Leben und Tod. Kaum lebt man, wenn man den Tod nicht in der Nachbarschaft hat. Die weisesten Leute ha- ben von je her Todesbetrachtungen fuͤr Lebens- regeln gehalten. Wo ist der Tod bey lebendi- gem Leibe dem Gesunden, dem Starken so nah, als im Kriege? — Wo kann man an ihn mit mehr Leibes- und Seelenkraft denken, als eben hier? Ihr Weisen des Alterthums, und ihr der neuern Zeit, warum habt ihr nicht uͤber Kriegstod geschrieben? — Sie, hochgebohrner Todten- graͤber, warum nicht uͤber den Kriegstod eine Reduͤbung angestelt? Weil der Krieg eine von den Kuͤnsten ist, welche die Menschen ge- sucht haben, die von Gott aufrichtig gemacht sind! Wahr! allein auch wahr, daß jeder Weise, im Privatkreise alles zum Guten lenkt, Z 4 so so wie Gott der Herr es pro Publico thut! — Prahle nicht, lieber Reuter! Herz haben, und im Kriege seyn, ist solch ein Unterschied, wie Grundsaͤtze haben, und nach Neigungen verfahren — handlen und sich mit einem Ge- webe von Empfindungen behelfen! — Jeder- mann, der ein gutes Gewissen hat, und sich bewußt ist, eins haben zu koͤnnen, kann von sich sagen, das that ich! — Auch ich, Freunde! wuͤrde es sagen, wenn ich wuͤrklich gethan und nicht blos gelitten haͤtte. Glaubt nicht, ihr Kleinglaͤubigen, jenen Schreyhaͤlsen, jenen Zahnaͤrzten, jenen Nachtwaͤchtern, die nicht aufhoͤren koͤnnen Schlachten zu mahlen, als waͤren es Thaten! Der commandirende General allein hat ge- than; alles, was nicht er selbst oder sein Rath ist, leidet! — Mit vielen kriegen, mit weni- gen zu Rath gehen! Wer kann mir sagen, daß ihn nicht Schauder ergriffen, wenn er zwey Heere auftreten gesehen? und sich mit unter? Ihr, die ihr bis jezt davor hieltet, daß es Todesfurcht sey, habt euch, wie mich duͤnkt, hintergangen, denn auch mich schau- derte! Es ist eher Menschenfurcht, Mangel der Lebensart, als Schrecken des Todes! Seht Seht einen Haufen Menschen bey einander, ist es nicht die nemliche Anwandlung? Sie ist so angreifend nicht; vorhanden ist sie. Wenn ich schwach bin, bin ich stark, koͤnnte man hier sagen. Wenn ich allein bin, fuͤrcht ich mich, falls ich gesund bin, vor keinem. Junker Gotthard, der sich vor dem Alexander dem Großen im Bilde fuͤrchtet, macht keinen Einwand. Frische und gesunde Leute sind so gar gebohrne Freydenker! — Ich wuͤrde sie Fleisch- und Biutphilosophen heißen, frische und gesunde Leute, sag ich; denn; wenn ich einen Spoͤtter sehe, dessen Koͤrper wie ein zer- rissenes Kleid aussieht, weiß ich, daß seine lezten Stunden zu seiner Zeit im Druck er- scheinen. Wie kommts, daß der Mensch, der doch die menschliche Schwaͤche kennt, sich vor nichts so sehr als Menschen fuͤrchtet? Der Mensch hat keine natuͤrliche Ruͤstung und Waffen, das was außer ihm ist, sich vom Halse zu halten. Nicht Element, nicht Thier, kann er allein zwingen, und doch ein Kronprinz der Ratur. Vereinigt aber steht alles fuͤr ei- nen Mann. Tausend Koͤpfe, tausend Arme, sind Ein Kopf Ein Arm! — Ists Wunder, daß er blaß wird, wenn er den Feind sieht? Zwar befindet er sich auch in guter Gesellschaft; Z 5 allein allein die Furcht sieht immer ins Weite; was nah ist, ist vor ihren Augen verborgen! Die Furcht hat ein Perspektiv, die Hofnung ein Vergroͤßerungsglas. Sonst sind sie Toͤchter Einer Mutter. Kommt man sich naͤher, wird man auf einander verbittert. Man schlaͤgt, weil man geschlagen wird. Gehoͤrt denn da- zu Herz? Der Lerm, der sehr wohlbedaͤchtig erregt wird, laͤßt die Vernunft zu keinem Ge- danken! — Man stirbt, man weiß nicht wie! Ist das ein schwerer Tod? Hunger, Durst, Hitze, Frost sind schwer; die Schlacht ists nicht, bis auf die Invalidenfurcht, an die kein braver Soldat denkt. Kommt es denn nicht in Anschlag, in Gesellschaft zu sterben? Beym Seetreffen thuts der Wind. Bey Landschlachten sind Berge, Thaͤler und, aus- ser diesen großen Dingen, oft die unbetraͤcht- lichsten Kleinigkeiten, die wie ein Irlicht den Feind verfuͤhren, daß er einen Schritt ruͤck- waͤrts thut. Dies seinem Volke nur einbil- den! dies ihm nur vortaschenspielen, heißt die Schlacht gewinnen. Der gemeine Soldat muß jung seyn; der Befehlshaber, sagt man, alt! Ich glaub es selbst. Nur nicht zu jung, nicht zu alt. Ziska commandirte und war blind. Ein Com- Commandeur braucht nichts, als Kopf! Ein Vorurtheil thut hier oft Wunder! Richelieu will zwar einen herzhaften General; allein Richelieu war ein Geistlicher. Wie kommts, daß kluge Leute so sehr viel auf herzhafte Leute halten? und daß sie untereinander sich nicht sonderlich ausstehen? Sie sehen zu sehr ein, daß man mit dem Verstande eben nicht weit kommen kann, und wollen doch wo, den Men- schen stark finden! O ihr kluge, liebe, gute Herren! Laßt euch sagen, auch das mensch- liche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergruͤnden? Es ist ein altes Spruͤchwort: Wer zum erstenmal nach Rom reiset, sucht den Schalk. Zum zweytenmal findet er ihn. Zum dritten mal bringt er ihn mit. Ey, wenn ich das auf den Krieg deuten wuͤrde! — Ich hoffe, große Kriege werden abkom- men; so wie man den dreyßigjaͤhrigen uͤber einige hundert Jahre nicht mehr Glauben bey- messen wird. Wozu sind auch Kriege, selbst noch ehe das Reich Gottes kommt, wozu? — So wenig durch Disputationen die Wahrheit ausgemacht wird, so wenig entscheiden Siege. Darf ich rathen? hohe Herren, denkt mehr eure eure Unterthanen zu mehren! So viel liebe getreue im Lande, so viel Festungen. Die Bevoͤlkerung ist wie die Gottseligkeit zu allen Dingen nuͤtze und hat die Verheißung dieses und des zukuͤnftigen Lebens! — Mit einem Statu morbi kann wohl keinem ein Dienst geschehen, sonst koͤnnt ich damit aufwarten. Die Herren α, β, γ, von welchen Herr α, der Kopfhalter war, wuͤrden mir die- sen Liebesdienst gern erweisen. Es war kriti- schen Sammlern kein alltaͤglicher Fall. Eine Quetschung an der Seite, eine Zerschmette- rung des rechten Armknochens! — — Die unaufhoͤrliche Versicherung der Wund- aͤrzte, nie mehr dienen zu koͤnnen, war mir mehr, als alles. Diesen Trost haͤtten die Kunsterfahrne Herren bey sich behalten koͤn- nen, da ich es selbst so sehr fuͤrchtete — Der Gedanke, obgleich er sehr natuͤrlich war: was wirst du eßen, was trinken, womit dich kleiden? beunruhigte mich keinen Augen- blick. Er hat mir wenig Kummer in dieser Welt gemacht. Als Mensch kann jeder leben, wenn gleich nicht jeder als Major — Romanzow lies mich bey aller Gelegenheit Proben seines Wohlwollens empfinden, und das war freylich Oel und Wein in meine Wun- Wunden! Der Gedanke in der Lehre bleiben zu sollen, schlug diesen Aufblick nieder! — Bey dem ersten Anklang der Sterbensglocke, die ich freylich nur in der Einbildung hoͤrte, war ich auch in der Einbildung bey meinem guten Pastor zu L — in Preussen! Mine hatte ihre Anspruͤche auf mich geltend gemacht! — Ich fand, daß die Liebe, solch eine Liebe, wie die unsrige, durchaus sich nur auf gewisse Le- bensperioden paßt, und doch ist, nach unserm Weltlauf, so zu lieben wie wir, Tugend! ho- he Aufopferung seiner selbst! Weite Ueber- windung der Natur! — Mein Leben war ein lebendiger Tod, und dies ist eben der Zustand des Menschen, wo eine dergleichen Liebe ihr Feur und Heerd hat. Man kann nicht an- ders sagen, als daß auch solch eine Liebe ihre schoͤnen Tage habe. Das Boͤse hat auch sein Gutes, sagte Herr v. G —, und es liegt goͤtt- liche Weisheit in diesem Ausspruch. — So war das Ende meiner kriegerischen Laufbahn. Folge, dacht ich, dem Wink dei- nes rechten Arms. Er hat Abschied genom- men, nimm du ihn auch! und so mußt ich denken. Meine Gesundheit war aͤußerst zu- ruͤckgesetzt. Du hast, dacht’ ich, was du woltest — Ein Paar große Schritte naͤher zu Mi- Minen; allein ich widerlegte mich selbst. Wohlgehen steht vor lang Leben im vierten Gebot, und krank seyn ist nicht leben, nicht sterben. Fast ists ein Mittelding, bey dem jedem einfallen muß: o daß du kalt, oder warm waͤrest! Es gab eine Zeit, wo ich den Tod schlechthin aufsuchte, und siehe da, ich hatte weder ihn funden, noch das Leben behalten — Ich erhielt meinen Abschied nicht, sondern einen Auftrag zu einer wichtigen Reise. Ich weiß keinem dies Geschaͤfte zu uͤbertra- gen, der es so, wie ihr, betreiben koͤnn- te, schrieb die Kayserin, und ihr Wunsch, daß die Veraͤnderung der Luft meine Gesundheit wieder herstellen moͤchte, war mir das, was jeder Rausch ist. Ich fuͤhlte keinen Schmerz und reisete nach Petersburg, und sodann — Wie bald ich von meinem Jesuiterraͤuschen wieder nuͤchtern worden, darf ich nicht be- merken! — Wer meinen Auftrag naͤher kennen lernen will, dem dient zur Antwort, daß er geheim war, wer wohin? fraͤgt, kann gruͤndlicher beschieden werden. Freund! da, wo man fruͤher, als in Rußland, eine Pfeife im Gruͤ- nen raucht, fruͤhe Spargel ißt, und den Wein aus der ersten Hand hat. Wegen der Man- schet- schetten muß ich, um die reine Wahrheit zu sagen, bemerken, daß ich sie nicht laͤnger, wie die hiesigen, funden! — Moden aͤndern sich! — Obs nicht gut waͤre, kraͤnkliche Leute zu Gesandschaften, und was ihnen anhaͤngt, zu brauchen? Eine Frage, die nebenher auffaͤlt. Ich richtete treulich und sonder Gefaͤhrde aus, wozu ich gesandt war; allein meine Gesund- heit hatte durch die Luftveraͤnderung noch mehr gelitten! Ich glaubte schon, ich wuͤrde lau zu seyn aufhoͤren, und kalt werden — Wohl dem, der es wird! Eine so geschwinde Ruͤckreise, als es die Geschaͤfte wolten, haͤtte mich wirklich zu Minen gebracht, da kam — — mein Freund, und entledigte mich mei- ner Buͤrde! So sey es dir wieder, mein Geliebter! wenn du lebenssatt und muͤde, suchest, wo du dein Haupt hinlegest. Er konnte sich nur eine einzige Nacht aufhalten, die wir durchwachten! — und wie es doch immer geht, wir dachten nicht an uns, sondern an andere. Er hatte meine beyden Anbefohlnen sehr genau gekannt! Warum Freund! nur eine Nacht? Er konnte nicht. Armer Freund! der Schlaf waͤre dir gesunder gewesen, als solch solch eine Todtenwache! — Gehe hin in Frie- den! in Frieden! Jezt Freunde! haͤtt ich zum Andreas-Or- den gesagt: Geh mir aus der Sonne! Der gnaͤdigste Brief der Kayserin selbst konnte mir in dieser Lage keine frohe Stunde verlei- hen! — Ich erlasse euch aller Dienste, und, da ihr durchaus nicht mehr als Major seyn wolt; so bleibt, was ibr seyd, mit der Versicherung, daß Mir eure seltene Be- scheidenheit zum Wohlgefallen gerei- chet — — Ich wuͤnschte, daß dieser Brief euch nicht aus dem Wege zu Baͤdern traͤfe, wenn sie anders eurer Gesundheitsverfassung dienlich sind. Ich schenke euch — — Gern wuͤrd ich es sehen, wenn ihr in Liefland — — Wenn ihr eures Adels wegen Anspruͤche befuͤrchtet; so ertheil ich euch hiemit den Adel mit allen seinen Vorzuͤgen, und soll euch das Diplom so bald ihr es verlangt — Lebt so gluͤcklich, als ihr es verdient, und als es wuͤnschet Eure gnaͤdige Kayserin Catharina. Wenn Wenn solch ein Brief keine frohe Stunde mehr verleihen kann, wie lebensmuͤde muß man seyn! Gott! was kann solch ein Brief! Allerdurchlauchtigste! — Nein Gute Kayserin, Mutter eines Staats, der nach einer strengen Vaterregierung Peters des Großen einer Mutter noͤthig hatte, um das zu werden, was er unvermerkt wird — — Wenn diese Monarchin mit dem Koͤnige von Preussen ein Paar worden: Welt! was meynst du? Ich folgte dem Winke, den mir der Gnadenbrief gab, und gieng nach Pirmont. Schon die Reise schlug bey mir an. Wie gar anders ists doch, reisen muͤssen, und rei- sen wollen. Jeder kann diese Erfahrung beym ersten besten Spaziergang anstellen! Auch selbst die Gesundheitssorge muß man dabey verlieren, sonst ist schon ein feiner Zwang dabey, den die frische Luft nicht ver- tragen kann! — Mit meiner Wiederauflebung meine un- intereßirte Leser, die Spaziergaͤnger, bey die- A a ser ser Schrift aufzuhalten, waͤre unverzeihlich. Gern erzaͤhlt ich sie, aber den Kunstrichtern, die von Amtswegen die Sonne auf und un- tergehen sehen, und die den gruͤnen Grund im Naturgewande nicht ohne den albernen Gedanken ansehen koͤnnen, ey wenn er weiß waͤre? — O ihr Thoren und traͤges Her- zens, zu glauben alle dem, was in der Na- tur geschrieben ist! — Ich blieb den Winter hindurch in Suͤden, lernte je laͤnger je mehr den Kayserlichen Brief empfinden, bis ich endlich so herge- stellt war, als ein Invalide es seyn kann, dessen Koͤrper ein immerwaͤhrendes Wetter- glas ist — Eben ein Stich im Arm, der mir den Wunsch abzwingt, daß meine Leser dergleichen Stiche nicht von selbst bemerkt haben moͤchten! Was gehts meinen Lesern an, daß ich im Felde gewesen? — Bey meiner Hinreise gieng ich durch Koͤ- nigsberg, wie Mine. Ich sah keinen, als Postbediente; allein was ich empfand weiß der, der Herzen und Nieren pruͤfet! — Ich muͤßte mich sehr irren, wenn es nicht Se. Spectabilitaͤt gewesen, die mir, da ich schon im Postwagen war, so heiter auffielen, als gien- giengen sie zu Weine! — Kann gewesen seyn; denn bey meiner Ruͤckreise erfuhr ich, daß die Hausmuͤtze Todes verblichen sey — und daß der gute Grosvater, da er keinen Blick durchs Ritzchen weiter zu befuͤrchten hatte, gar lustig zu jubiliren angefangen. Alles in Ehren, versteht sich. Jetzt wieder in Koͤnigsberg. Ich wiederholte hier meine Studia — Mein erster Gang war zu Sr. Spectabilitaͤt, nach dem Signo Depositionis. Ich fand den Grosvater auf dem Sprunge zu einer Clubbe, zu der er mich mitnahm. Wie man sich doch noch als Grosvater aͤn- dern kann, wenn man keinen Ritzenblick mehr zu fuͤrchten hat. Er war seiner Bande entle- digt und jetzt ungestoͤhrt so froh, als wenn seine Tochter den nemlichen Tag haͤtte taufen laßen, als wenn der Taͤufling ein Soͤhnlein sey, und noch oben ein nach dem Grosvater genannt waͤre. Setzen Sie sich an meine gruͤne Seite, sagte der Professor, (eine preußische Redensart, die zur Rechten be- deutet.) Ich setzte mich, und machte an dieser gruͤnen Seite eine Anmerkung, die ich meinen Lesern nicht verschweigen kann. Der gute Grosvater war kein Religionsfreund, obgleich die Bibel so wenig, wie Homer, be- A a 2 staͤubt staͤubt war. Selten ist ein Professor Gros- vater ein Religionsfreund. Woher Freunde? Weil er das Wahre in seiner Lehre aus Got- tes Wort geschoͤpft hat, und weil er einsie- het, daß wenn er seine Wissenschaft aufs Volk herabstimmen solle, man nicht anders lehren wuͤrde, als Christus, der Professor des ganzen menschlichen Geschlechts. Zu diesem Weil noch ein Paar: weil alle wahre Philosophie in Zweifel besteht, weil viel unphilosophisches in die Religion hinein- gekommen, zu der jeder vernuͤnftige lautere Christ zu sagen gewohnt ist: Freund, wie bist du hereinkommen und hast kein hochzeitliches Kleid an? Solch eines Gastes halber aber die ganze Hochzeitfreude aufzuheben ist suͤndlich! O ihr guten Philo- sophen! macht ihrs wohl wie die Engel, die das Unkraut vom Waizen trennen? Ihr reißt beym Jaͤten Unkraut und Waizen aus, so daß die Erde ohne Hemde nackt und blos da ist, als waͤrs Wintertag, wenn der Wind allen Schnee weggetrieben! — Mich friert! — Was wolt ihr Hochgelahrte Nichtswis- ser! von den Concilien und den jetzigen Winkelzwiespalten in der Kirche? Fasset doch doch in euren eignen Busen! Wie lang ists, daß in Deutschland alles demonstrirt ward? Man hat mir vom großen Wolf als eine sehr wahre Anekdote erzaͤhlt, daß, als ihn ei- ner seiner Zuhoͤrer um eine Demonstration- chen angetreten, das er keinen abzuschlagen gewohnt war, er gleich auch jetzt damit fer- tig gewesen. Da der Impetrant den Aufsatz beym Licht besah, fand er, daß sein Pytha- goras das Gegentheil von seinem erwuͤnsch- ten Satze demonstrirt, oder zu deutsch, son- nenklar gemacht hatte. Da stand der arme Juͤngling wie Butter in der Sonne! Der Lehrer nahm ihn bey der Hand, was mehr? fieng er an. Man kann alles demonstriren. Flugs demonstrirt er ihm was zu erweisen war. Man sagt, der Juͤngling sey nicht ge- rechtfertigt in sein Haus gegangen! Ich, waͤr ich Juͤngling gewesen, ich haͤtt es mit der ganzen Philosophie gebrochen. Die De- monstrirzeiten, haben Gott sey gelobt! auf- gehoͤrt. Jetzt observirt man. Man geht auf die Jagd — — — Pulver und Schrot wird verschossen; selten trift man. So geht alles im Zirkel! Lieben Herren, wenn die Glocke zwoͤlf geschlagen, gehts auf Eins, bis es wieder an zwoͤlf kommt — Bald A a 3 Ver- Vernunft bald Sinne! Die Philosophie ist ein Wortkram! Ich leugne es nicht, daß manches Wort abgebrannt ist, und die wuͤste Stelle wohl verlohnte, bebaut zu werden. Nur vergeßt nicht, Freunde Grosvaͤter, daß ihr keinen Fischzug Petri gehabt, wenn ihr hie und da Altflickereyen von Schuldefinitio- nen angebracht, ob so oder so — Was hab ich denn, wenn ich weiß, daß geschwind, behend, schnell, nur von leblosen Sachen z. E. Kugel; rasch, hurtig hingegen von le- bendigen gebraucht wird? Ihr legt dem Menschen Daumenschrauben an, und wenn man sich recht umsieht, ist man Tag und Nacht gefahren und immer in die Runde, und auf Einem Fleck geblieben. Schwindlicht oben ein. Unser Grosvater, der wahrlich die Bibel gelesen, die dem Homer zur Seite lag, glaubte vigore commissionis kein Wort in der Bibel; allein jedes Wort in den Reisebe- schreibungen war ihm heilig! Theater, Poe- sie mit allen At und Pertinentien waren ihm unausstehlich, wenn aber die Reisebeschrei- bung auch noch so poetisch, noch so schoͤn war, so daß man gleich beym ersten Blick sahe, die Beschreibung, und nicht die Reise, sey sey die Hauptsache bey dieser Arbeit; sie war ihm Ja und Amen! Aber, lieber Grosva- ter! — Aber, lieber Major! Mag es beym Aber bleiben, und jeder lebe seines Glaubens! — Ich kann mich irren; allein mich duͤnkt mein Vater besaß das, was die Griechen, ἀποφϑεγματικὴν βραχυλογίαν καὶ λακωνικὴν nannten. Herr v. G —, der Selige, pflegte um dem fruͤhen Spargel und der Pfeife im Freien meines Vaters nicht zu nahe zu kom- men, zu sagen, er sey aus Lacedaͤmon. Herr v. G — ehrte meines Vaters Wortgriffe. Schade, sagte mein Vater, daß ich nur auf Worte herabgesetzt bin — Zum Gluͤck auf Volksworte, wie ich zu Gott hoffe. Freund, sagte Herr v. G —, kommen Sie wenns Ge- legenheit giebt, auf die Baͤrenjagd! Mein Vater zeigte auf seine Reverende. Jagd, fuͤgt’ er hinzu, um kein Wort schuldig zu bleiben, ist nur Thatenspiel, Ballschlag! Zum Wort Funken selbst gehoͤrt Stahl und Feurstein! Pastor! beschloß Herr v. G — Sie Stahl! ich Kiesel! — Mein Vater war kein Freund von Spruͤchwoͤrtern, von faulen Knechten, von A a 4 stum- stummen Dienern, wie er zu sagen pflegte, wohl aber von Volksspruͤchen. Vox populi, sagte er, vox Dei. Ein Volksspruch ist die Unterlage zur Handlung, behauptete mein Vater. Bey Spruͤchwoͤrtern und Senten- zen guckt ein sauber gedrucktes Buch her- vor! — Ehrlicher Grosvater! du thust wohl, daß du zu Weine gehest; darf ich dir indessen des Herrn v. G — letzte Stunden empfehlen? Je mehr du Menschen sehen wirst, je mehr wirst du finden, daß es auf eine Definitions- spitze nicht ankommt. Lebe wohl! — Trink auf meine Gesundheit! Schreibst du, so ist dein Buch gewiß in meinem Buͤchervor- rath. Verzeih, daß ich unser Examen auf Mutwillen gezogen, und so manches, was du fuͤr ein Ehrenkleid hieltest, so lange noch die Ritze war! — Wer wird nicht gern mit zum Koͤniglichen Rath kommen mit der ofnen, weit ofnen Stirn, schwarzem Haar und einem Auge, in dem man ihn im Kleinen — allein doch ganz sieht. Ich uͤberfiel ihn, wie er sagte, und da er keiner Erschuͤtterungen gewohnt war, sondern immer seinen geraden Weg gieng, selbst wenn er auf dem Gottesacker wein- weinte — so kostete ihm, wie er mir den folgenden Tag versicherte, dieser Besuch eine Nacht. Niemand war von unserm Kraͤnz- chen mehr uͤbrig, als der Prediger, der aber, wie meine Leser es ziemlich deutlich gemerkt haben werden, nur zum Collektsingen und Segensprechen gebraucht werden konnte. Er war verwandt mit dem Koͤniglichen Rath, sonst haͤtt’ er nicht Sitz und Stimme erhal- ten! — Alles todt! Auch der Creyßrichter, wo ich den Koͤniglichen Rath kennen gelernt, und seine Frau, die schon bey meiner Ab- reise ihr Gehoͤr verlohren. Er, eher wie sie, an einer Brustkrankheit, so wie er sich selbst prophezeyt hatte! — Junker Gotthard hatte die Frau Creyßrichterin noch am Leben gefunden, und als gewesener Hausofficier seine Schuldigkeit bey der Durchreise beob- achtet. Sie hatte ihn vorgelaßen. Schade! auch der Reuter todt! Der Koͤnigliche Rath versicherte mich, daß dieser Officier so sehr mein Freund gewesen, daß er bey meinem Entschluß Soldat zu werden, so bald er er- schollen, nichts weiter zu tadeln gefunden, als daß ich nicht sein College geworden. Auch der Professor todt, der eine so vor- trefliche Deklamation selbst im gemeinen Le- A a 5 ben ben besaß, daß man seine Stimme eine pro- saische Melodie nennen konnte. Der letzte Zank, den er mit unserm Reuter gehabt, war uͤber die Zeitungen, die der Reuter in hohen Ehren hielt; er aber so wenig, daß er sich der veraͤchtlichen Bemerkung bediente: er brauche sie nicht anders, als wenn beym Rasiren ein Einschnitt sich etwa zugetragen. Sie wußten nicht, sagte der Koͤnigliche Rath, daß sie beyde in einer Woche in die Zeitung kommen wuͤrden! — Ich konnte den klein- sten von diesen Zuͤgen nicht ohne ganz beson- derer Aufmerksamkeit hoͤren. Alles nahm ich zu Herzen. Wir erinnerten uns so man- chen Streits. Der Reuter behauptete, daß nach dem neuen Testament die Zeitungen den ersten Platz verdienten, und daß eben sie die jetzige Welt fuͤr Barbarey schuͤtzen wuͤrden. Setzen Sie den Fall: man schriebe aus — es haͤtte sich da ein Gespenst hoͤren und sehen laßen, wuͤrde man nicht gleich aus Berlin antworten: kein wahres Wort — Die Avancements waren indessen unserm Reuter das Hauptstuͤck, die nun freylich weniger In- teresse fuͤr die Welt haben, als wenn ein Ge- spenst sich sehen und hoͤren laßen solte. Ich lies unverhohlen, daß eben der Zeitungs- Pane- Panegirist Schuld daran waͤre, daß ich in rußische Dienste gegangen. Der Koͤnigliche Rath hatte die abgegan- gene Stellen wieder besetzt; indessen hatt’ er, um mir die eingebuͤßte Nacht nicht schuldig zu bleiben, ausser dem Stammhalter, dem Prediger, die als ordentliche Mitglieder ein- gefuͤhrten Maͤnner, den Officier, den Koͤ- niglichen Rath, den Professor und noch einen verabschiedeten preußischen Officier gebeten, der als Zoͤllner versorgt war. Dieser Zoͤllner und ich sahen uns an, und wie aus einem Munde. Alexander! Darius! Wer haͤtte das gedacht! — Es war im ersten Augenblick alles du und du. Da aber Darius hoͤrte: ich waͤre Major gewesen, beschied er sich den Augen- blick, und ich hatte viel Muͤhe, ihn wieder an Ort und Stelle zu bringen! Benjamin? Ja er selbst! — Auch Benjamins Ge- schichte will ich Extrapost erzaͤhlen. Wir verließen Benjamin in einem schrecklichen Zu- stande. Mine, die ihm aufgetragen ihre Reise nach Mitau vorzubereiten, fand ihn selbst reisefertig zur andern Welt und gieng von sei- nem nem Bette, betruͤbt bis in den Tod. Ben- jamin erhohlte sich zwar; indessen konnt’ er in einem halben Jahre zu keiner Fassung kom- men. Man gab die Hofnung auf, daß er je ganz zu sich selbst ruͤckkehren wuͤrde. End- lich war er im Stande, die Scene mit seiner Schwester zu verstehen, die ihm aber wegen der so langen Zeit mit vielen Zusaͤtzen und Verstuͤmmlungen beygebracht ward. Mei- ster und Meisterin hatten keine Schuld an ihm. Der alte Herr hatte keine Taube sei- nes Sohns halber versandt und der Meister war so voller Beobachtung der Regel: was dich nicht angeht, davon laß deinen Fuͤrwitz, daß er, um den Dariusschen Ausdruck bey- zubehalten, seinen Pruͤgel viel zu lieb hatte, um ihn unter die Hunde zu werfen. Vorerst war es auf eine Heyrath mit des Meisters einzigen Tochter Christine angelegt. Es wird doch, sagte der Meister, keine Mißhey- rath seyn. Da aber Christinchen sich un- versehens so sehr verlaufen; wie Darius sagte, daß kein ehrlicher Mann sie aufzusu- chen im Stande war; so ließen die betruͤbten Eltern Benjamin ziehen in Frieden. Beym Abschiede, sagte Benjamin, lief es mir eis- kalt uͤbern Ruͤcken. Es waren sehr gute Leute. Leute. Benjamin zog nicht eher Nachricht von Minen ein, als bis sie todt war! — Ich aß eben, sagt’ er, Brod in frische Milch eingebrockt, da ich die erste sichere Nachricht von ihrem Tode erfuhr! und ich haͤtte, so hungrig ich war, den Loͤffel nicht an den Mund bringen koͤnnen, um wie vie- les! — Auf meiner Wanderschaft, sagt’ er, hat mich manch harter Sturm erschreckt, o! wie manche rabenschwarze Nacht hab ich be- lebt, und wie oft bin ich ganze Tage gegan- gen, ohne einen Huͤttenrauch zu entdecken! An einen Kirchenthurm war ohnedies nicht zu denken. Er kam in eine preußische Stadt, wo er dem Commandeur vorgefuͤhrt wurde! — Benjamin erschrack gewaltig, da er vom Soldaten hoͤrte, den ihm der Officier so suͤs vorpfif! — Es ward ihm indessen alles uͤberlaßen. Eben weil er nicht gezwungen, sondern sich selbst uͤberlassen ward, bot er sich nach vier Wochen von selbst an. Die Mei- sterinn des Orts, wo auf kein Christinchen Ruͤcksicht zu nehmen war, hatte ihn ohne Ursach chicanirt, und nun glaubt’ er, sie wieder chicaniren zu muͤssen. Ich warf den Plunder weg, sagt er, und ward Soldat! Das Das Dariusspiel hat viel dazu beygetragen. Benjamin zeigte keine kleine Geschicklichkeit im Schreiben, und da er im ganzen Staͤdt- chen privilegirter Briefsteller und Berechner war; so stand er sich so vortreflich, daß er auf Standeserhoͤhung dachte, die ihm auch nicht fehlschlug. Er ward namhafter Cor- poral. Wie wars, wenn es ans Feur! gieng? fragte ich ihn. Mußte gut seyn! ewiedert’ er. Freylich hatt’ ich noch keine Flinte, bis auf den Tag, da ich Menschenjaͤ- ger ward, losgedruͤckt, und ausser einem Ta- schenpuffer, kein Knall- und fallendes Ge- wehr in meiner Hand gehabt; indessen fand sich alles nach und nach. Vorerst ward mir dann und wann eins angehangen, und vor- zuͤglich hab ich meines Fußes halber manchen Spaß gehabt. Kommts nicht heute, kommts morgen, dacht ich, und es kam morgen! — Du pflegtest mir zu sagen, daß in jeder Sa- che, ausser dem, was ins Auge faͤllt, noch etwas Unsichtbares waͤre, ausser dem, was da ist, noch ein Geist, der webt. Beym Soldatenstand ist dergleichen Geist nicht, wohl aber, wie du selbst wissen wirst, so mancher blaue Dunst, den man machen kann. Was fehlt meinem Bein? — ich unter- unterrichtete beym Obristlieutenant die Kin- der. Du? meynst du Nein! Jeder Mensch hat im Regiment geglaubt, ich haͤtte studirt; da hab ich manchmal gedacht: ich waͤre schon so aus der Erblitteratenfamilie! — Der Prediger hielt mich fuͤr einen Juristen, der Auditeur fuͤr einen Theologen! — Die Herren Gelehrten muͤssen doch selbst nicht so recht wissen, woran sie sind. Darius ward auf Werbung vermoͤge ganz besonderer Empfehlung gesandt, und da er hier Gelegenheit hatte, sich ausnehmend hervorzuthun, vom Koͤnige unmittelbar zum Lieutenant ernannt. Meine Feinde sagen: es sey ein Mißverstaͤndnis im Namen vorge- fallen — und der Koͤnig soll sich auf einen Corporal gleiches Namens besonnen haben, der, vor seinen Augen, wie ein Baͤr im Kriege gethan. Auf einmahl erscholl ein Gericht, daß alle buͤrgerliche Officiere, die nicht zu dieser Ehrenstelle waͤhrend dem Kriege gekommen, in Gnaden erlaßen und nach Be- wandtnis der Umstaͤnde untergebracht wer- den sollten. Das Gluͤck gieng mir nach die- sem Ungluͤck bald wieder auf. Anfaͤnglich nur in Gestalt eines halben Mondes; ich hatte nur eine halbe Gluͤckswange. Dieses Halb- Halbgluͤck war ein Maͤdchen, das mir wohl- wolte. Es ward meine Frau. Bald dar- auf erschien der volle Mond. Ich bekam eine Stelle bey der Zoll- und Accise-Verwal- tung, wo ich außer einer Aergernis, die mir viel zusetzt, ehrlich und ordentlich lebe! Zur Aergernis gab ein ganz besondrer Vorfall Gelegenheit. Benjamins Hauptmann, der nicht so gut schrieb und rechnete, wie Benja- min Darius, ward als sein Subaltern ange- setzt. Der arme Mann hatte Feldzuͤge mit- gemacht, und Darius nichts weiter, als Werbdienste gethan. Natuͤrlich, daß dieser wunderliche Wechsel dem Herrn Hauptmann schmerzen mußte, und dies um so mehr, da er sich von Adel hielt, woran indessen auch gezweifelt ward. Bruder, fuͤgt er hinzu: es ist ein Litteratusadel, den ich mir auch zu- zueignen im Stande waͤre. Ich konnte mich nicht des Lachens enthalten. Benjamin unterhielt mich mit dem Fuͤr und Wider, den Adel des Herrn Haupt- manns betreffend, laͤnger als ich selbst wolte. Das aͤrgste ist, sagt’ er, daß unser Hauptmann von Capernaum aus einem gu- ten Hause geheyrathet und eben darum sich Anhang zusammengesprengt hat. Alles Haus- Hausarm; allein desto fester halten die Kletten. Da findet sich denn doch wo ein gnaͤdiger Onkel, der einen Einfluß hat — So viel kannst du glauben, fuhr Darius fort, ich vergebe mir nichts. Ehre verloh- ren, alles verlohren. Da ich der Sache naͤ- her trat, oder eigentlicher, treten mußte, war der anomalisch adliche Hauptmann so wenig ein Subaltern des Darius, daß er blos eine kleinere Stelle besaß — Meynst du, fragt er mich? Allerdings! und die Hitze des Subordi- nationsfiebers legte sich. Freylich fuͤrcht ich, es werde eine Pallia- tivcur seyn. Meine Frau — — „ gehey- rathet? “ Ja! Ein Sohn und eine Toch- ter — Benjamin lies nicht nach, mir das Ver- sprechen abzufordern, daß ich bey ihm Nacht- lager nehmen moͤchte — So sieht er doch, fuͤgt er hinzu, daß auch ein Major bey mir einkehren kann! Da haben wir das Sub- ordinationsrecidiv. Ich lernte eine recht artige gute Frau Lieutenantin oder, wie sie lieber hies, Inspektorin kennen. (Der Hauptmann war nur Einnehmer.) Sohn und Tochter! Ein Paar liebe Kinder! Ich B b er erschrack an der Tochter einen entfernten Zug von Minen zu treffen und da ich ihm nach- spuͤrte, fand ich ihn auch am Vater, und was noch mehr war, an der Mutter! Meine selige in Gott ruhende Mutter be- hauptete Stein und Bein, wie sie sprach, daß Mann und Weib ein Leib waͤren, das heißt, was aͤhnliches haͤtten, sonst setzte sie hinzu, wuͤrden sie sich nicht geheyrathet ha- ben. Das ist der Abdruck des Himmels, in dem bekanntlich Ehen geschlossen sind. Ich muß frey bekennen, daß ich diese Bemer- kung oft bestaͤtiget gefunden! Mag wohl immer seyn, wenn Neigungen Ehen bin- den! — Man liebt sich selbst in andern! — Desto angenehmer war mir der Abend! — Wir blieben spaͤt in die Nacht zusammen. Die beyden Kleinen, die von Schlaf umfie- len, mußten nicht von der Wache. Hab ich mir nicht, sagte der Herr Inspektor, mehr im Kriegesdienst gefallen laßen? und konnt ich denn davor, daß waͤhrend der Zeit kein Krieg war? Sprach man doch jede Revue vom Marsch! — Wir wollen doch sehen mein Kind! bemerkte die Frau Inspektorin, wer von den Kindern den Preis erhalten wird, ob unsere, oder des Einnehmers? Ich freute freute mich, daß Madam es auf diese Probe aussetzte, und sahe wohl ein, daß die Sub- ordinationsstreitigkeit eigentlich bey der Wei- berinstanz vorlag! — So nagt doch immer, sieng die Frau Inspektorin nach einer kleinen Weile an, etwas am Mark des Lebens! — Eine gute Frau bis auf die kleine Affektation, hie und da etwas, das gehen solte, tanzen zu laßen. Ein Capriolchen nahm sie sich nicht uͤbel. Sie las viel Romane, die alle von- treflich gebunden waren. Sie kleidete sich sehr mit Geschmack — Ich fand sie im al- lerliebsten Neglischee! Was sie spricht, (die Frau Einnehmerinn nemlich) sagte die Frau Inspektorin, ist mit welkgewordenen Blu- men einer Metapher bekraͤnzt! — Solch ein Kranz! Er ist nur auf wenige Stunden. Im Waßer halten sich die Blumen am schoͤn- sten! „Liebe Frau Inspektorin! muß aber kein Springwaßer seyn!„ — Meine Frau, sagte Darius, nicht wahr? geht rund herum; ich steige gleich aufs Dach! Sie stelts zur Schau aus; ich haͤng es gerade zu hin, wo es haͤngen soll — Mein Kind! sagte sie, bey einer andern Go- legenheit, wie er heyrathete, (der Haupt- mann nemlich) verschwand der letzte B b 2 Stern Stern von Hofnung — Aber! erwie- dert’ er, der Major sagt — — Mag im- mer, lieber Herr Major! Weibersehnen entstricken sich eher — Ohnfehlbar glaubte sie ihrem Stande durch einen dergleichen Ausdruck nachzuhel- fen. Mag wohl litteratadlich seyn; natuͤr- lich ist er nicht — Mir wenigstens kann kein Naturstuͤck aufstoßen, wo ich nicht et- was aͤhnliches entdecke, Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch — Sie erkundigte sich sehr herzlich nach ih- rem Schwiegervater, und wolte von mir eine Beschreibung von einem Litteratus, welche sie bis dahin noch nicht von ihrem Manne nach der Tablatur, wie sies nannte, erkuͤßen koͤnnen. Ich lies den Herrmann bey Ehren! Haͤtte der Hauptmann von Ca- pernaum, pro tempore Acciseeinnehmer, die Abkunft des Inspektors erfahren, Subordi- nation! — wo waͤrst du blieben? Wenn mein Mann wider seinen Vater was hat, was gehts mich an? Man sehe doch das galllose Schaͤfchen! Ernst! Ein gutes Weib! Man laß ihr doch die welkgeworde- nen Blumen einer Metapher! — Was thut thut es denn dem Manne, wenn seine Frau in so etwas unschuldiges verliebt ist — Zehnmal versicherte sie mich, wahre Freundschaft daure noch, wenn gleich alle Kronen Ur- nen worden! — und alle Worte Gedan- ken, wolt ich schon sagen! — Ihrem Manne machte das Tulpenbeet seiner Frau, in zierlichen Ausdruͤcken dergestalt, keine ge- ringe Freude, obgleich er selbst bey seiner Weise blieb, geradesweges aufs Dach zu steigen. Freylich mußte das Dach nicht zu hoch seyn — da Benjamin Darius origete- nus auf schwachen Fuͤßen stand. O der wunderbaren Vermischung der Denk- und Handlungsart der Menschen! und doch wieder so allzusammen eins, daß man weiter gehen koͤnnte, als meine Mutter. Nicht blos Mann und Weib, sondern alle Menschen haben einen gemeinschaftlichen Zug — Alle etwas vom Vater Adam und Mutter Eva, denen, sie moͤgen gewesen seyn, wie sie wollen, doch Kindespflicht eignet und gebuͤhret. Amalia war mit dem Kraͤmer ehelich verbunden, und gluͤcklich genug gewesen, fuͤnf Kinder mit ihm zu erzielen. Junker Gotthard hatte sie nicht besucht, woruͤber sie B b 3 sich sich beklagte, ohne daß der Kraͤmer ein Wort druͤber verlohr! — Ich erneuerte alle meine alte Bekannt- schaften, die heilige Geiststraße und den Roßgaͤrtschen Kirchhof nicht ausgeschlossen! Die Straße, die zu meiner Zeit beym Ab- zuge des Mahlers dessen Quartier wir bezo- gen, illuminirt war, soll, wie man sagt, nicht aus der Illumination herauskommen. Was die Muͤtter thaten, thun die Toͤchter nach ihnen. Schluͤßlich uͤbergab ich dem Darius und vorzuͤglich seiner Frau Minens Grab in L — Ich that es in Gegenwart ihrer Kinder, und so feyerlich, daß alles weinte, nur der gewe- sene Herr Lieutenant nicht, dem man in Ab- sicht der Thraͤnen nicht so leicht aufs Dach steigen konnte. Sie gab mir das feyerliche Versprechen, kuͤnftige Woche zum guten Pa- stor nach L — zu fahren, wo sie schon be- kannt war, um ihren Kindern das Grab zu zeigen! Gern waͤre sie jetzt gleich mitgekom- men; wenn ich es ihr nahe gelegt; ich wolte mir aber durch kein Gewuͤrz ein gesundes na- tuͤrliches Essen verderben! Auf diesen Aus- druck bringt mich die Frau Inspektorin selbst. Sie sprach von einem Ausdruck, den sie sie das vor Faͤulnis bewahrende Salz nannte. — Wenn die Speisen nur nicht persalzen werden, wie die Koͤnigliche Frau Mutter es schon drey Tage vor dem Koͤnig- lichen Auftritt zu thun gewohnt war! — Darius dankte mir, wiewohl insgeheim, (wer mag gern in Gegenwart seiner Frau in die Flucht geschlagen werden) fuͤr die schoͤnen Tage, die er bey einem Haare, wie die Dorf- jungen Talken genannt haͤtte, wenn ich ihn nicht in Zeiten ins Griechische gebracht. Ich habe diesen Kriegen, sagte der Herr Inspek- tor, viel zu danken. Nimmermehr wuͤrd ich seyn, was ich bin, wenn ich nicht Darius gewesen! — Freylich kann wohl von Da- rius nichts natuͤrlicher, als Accise-Inspektor werden! Alexander aber und Major! ist da Verhaͤltnis, Kunstrichterlicher Leser? nicht wahr, eine versalzte Frage! — Ich fand Fronspergers Kayserliches Kriegsrecht beym Darius, und Benja- min versicherte mich, daß ihm das Werkchen viele gute Dienste gethan. Freunde! Darf ichs wiederhohlen: beym Spiel eine ernst- hafte Miene gemacht, so ists Ernst; beym Ernst eine komische Miene, so ists Spiel! B b 4 Ent- Entweder ist alles Spiel, oder alles Ernst in der Welt! — Wie man es drauf anlegt! — Und nun, wenn anders meine Leser keine Tuͤcke auf Benjamin haben, wer haͤtte ge- dacht, daß diese linke Hand sich so herausar- beiten wuͤrde. Ist ihm die Nothtaufe anzu- sehen? Schneider, oder Litteratus, sagte seine liebe selige Mutter — Der Major, der uns nach Koͤnigsberg brachte, war todt. Schade! Eben, da ich sein College war! Der Junker war Lieute- nant worden, Benjamins Amtsbruder, nur mit dem Unterschiede, daß Benjamin ein ste- hendes, sein College aber ein fließendes Waßer war! Wie weit kann ers nicht noch bringen! — Der fließende Lieutenant, wie er sich daruͤber freute, daß ich Soldat ge- worden! Noch lieber haͤtt’ er und der ver- storbene Reuter, wuͤrkliches Mitglied des gelehrten Kraͤnzchens (wenn letzterer nemlich noch gelebt,) gesehen, daß ich bey der Ca- vallerie gestanden! — Beym Abschiede gab ich dem Herrn In- spektor den Brief der Kayserin, den ich, aus- ser dem Koͤniglichen Rath, keinem gezeigt hatte. Dem Professor Grosvater, waͤre, wie wie mich duͤnkt, am wenigsten damit gedient gewesen! Da war Benjamin wieder aus dem Dugeleise und bat um Verzeihung, so sehr die Subordination beleidiget zu haben. Ich hatte Muͤhe, ihn ins Du zuruͤck zu brin- gen. Stell dir vor, sagt’ er zu seiner Frau, ohne daß ich es behindern konnte, daß er diesmahl zu Dach stieg: unser Gast ist auch geadelt und ein Gutsbesitzer — Ihr Ge- sicht! wahrlich etwas zur Schau! — gut, daß es beym Schlus war! — Lebe wohl, Koͤnigsberg, auf ewig! Nach L — nach L — Ich zog durch einen andern Weg, und obgleich ich nichts that, als mich gierig nach dem heiligen Grabe umsehen, fand es doch mein Auge nicht. Der gute Pastor! Mich aͤrgern alle die Verzierungen, die man beym guten gemeinen Leben anbringt. Da will man seine vorige Bekannte rathen laßen, wer man ist! Da laͤßt die Frau, ohne daß der Herr Gemahl es weis, zu seinem Ge- burtstage ein Mahl anrichten. In der Jo- sephsgeschichte selbst, gefaͤlt mir der Zierrath nicht — Warum nicht gleich: ich bin Jo- seph, euer Bruder! — Gerade zu gab B b 5 ich ich mich dem Pastor zu erkennen, wie seinem Bruder, dem Koͤniglichen Rath, der es ei- nen Ueberfall nannte, und der druͤber um eine Nacht kam, ich weiß nicht wie. Wie es mit Minens Grabe stuͤnde, war meine erste Frage, in die sich unser Pastor nicht finden konnte. Ich umarmte ihn, und ohne ihn zur Antwort zu laßen, die er von der Ueber- legung borgen wolte, nahm ich ihn bey der Hand und da waren wir! — Nach der Zeit hat er mich versichert, daß ihm noch selbst auf dem Wege alles wie ein Traum gewesen! Da! sagt er, liegt mein Weib, Minens Nachbarin! Es war kurz vor Ostern und schon war Minens Grab so gruͤn! so schoͤn! — Der Pastor verlies mich, um, wie ich nach der Zeit sahe, von Haupt zu Fuß sich umzukleiden. Ich sah gen Himmel, warf mich auf die Erde, auf die heilige Minen ge- weihte Erde! Ich konnte nicht weinen! — Mine! Mine! war alles, was ich konnte. Ich warf mich mit einer Heftigkeit aufs Grab, die kein Wort aufkommen lies, die es erdruͤckt haben wuͤrde, wie ein Grausa- mer einen Wurm, der sich kruͤmmt — und siehe da! so wie ich hinstuͤrzte, fiel das Grab ein! ein! Ein andrer waͤre aufgesprungen; allein ich erschrack daruͤber so wenig, als ich mich uͤber den Kayserlichen Brief erfreute. Wer kann etwas in solchen Umstaͤnden! Nach einer kleinen Weile war es mir so, als der lebendige Odem aus ihrer Nase, woraus wir ihre Ruͤckkunft ins Leben erprobten! Gott! schrie ich und sah nun ein, daß der Sarg nachgelaßen, und die Erde ihm gefolgt war, als ob sie mir Platz machte! dachte ich. Ich komme bald! sagt ich so laut, daß ichs wiederhallen hoͤrte; wo es wiederhallte weis ich noch nicht: allein dies Bald im Wiederhall, wie es mich ergrif, das kann ich nicht sagen, nicht denken! Empfinden — kann ichs. In solchen Faͤllen laßt der Em- pfindung ihren Werth, ihr Empfindungsfluͤr- mer! Noch jetzt hat es mich erschuͤttert! bald! Amen! bald! Amen! — Nach einer Weile fiel es mir wie ein Blitz ein, das Ende meines ανεχου και κπεχου zu machen. Schnell riß ich die letzten Sie- gel auf und las: Du bist ein gebohrner Edelmann, ich heiße — — Einen einzigen Buchstab hab ich im Namen geaͤndert. Wirfst du du den weg, bist du was deine Vor- fahren seit undenklichen Jahren gewe- sen. Mein aͤltester Bruder, der mich verfolgte, ist Schuld an diesem allem. Wie wenig ist dieses alles . Ein geaͤnderter Buchstab, ein einziger, was will das sagen? Die Beylage ist die Asche von den Papieren, die im Brande drauf giengen, der sich zu- trug, da du krank warest. Sie muß gelten wenn du sie geltend machen willst. Gott segne und behuͤte mei- nen Bruder, und die Seinen fuͤr und fuͤr! Auch dich segne er mit und ohne den Buchstab — — Mehr konnt ich vorerst nicht lesen und auch meine Leser wissen gnug in meinem Le- benslauf. Das uͤbrige gehoͤrt zum Lebens- lauf meines Vaters, wovon der vierte Theil Berg auf handelt. Die Beylage Asche, hatte die Buchstaben so unleserlich gemacht, daß alles wie schwarze Kunst aussah. O Freunde! Die Scene, wie ich beyde Adelbriefe zusammen nahm und sie auf Mi- nens Grab legte zu ihren Fuͤßen! koͤnnt’ ich sie doch mittheilen. Ob sie gemahlt im Zim- mer sich ausnimmt, weiß ich nicht; aber fuͤrs fuͤrs Herz! — ich kann nicht! — je brachte mich zu Thraͤnen, zu sanften, suͤßen Thraͤnen. Mine war mir Welt, Leben, Alles! Sieh! Minens Schutzgeist, sieh! der du ihr das Bald so warm wiederbracht hast, als es das Echo, das Sprachrohr der Gei- ster, dir zubrachte! Sieh diese Treue! Sie war Minens werth! Was sollen mir diese Gnadenbriefe ohne sie? O du lieber selger Vater! Dank sey dir, daß du diesen Pomp in Asche verwandelt, und sie zur Beylage gemacht hast! Wir sind Staub und Asche! Der Pastor kam ganz herrlich verzieret, und wollte mich seiner Entfernung halber um Vergebung bitten. Da er aber sahe, was vorgieng, war er Willens zu bitten, daß ich ihm seinen Ueberfall verzeihen moͤchte. Herr Major, fieng er an, (dies hatt’ er schon von meinem Bedienten ercatechisiret,) das hat nie ein Major gethan, so lange die Welt steht! So hat er auch keine Mine gehabt, so lange die Welt steht! — erwiedert’ ich, nahm ihn wieder bey der Hand, und fuͤhrte ihn zu dem Grabe seines Lindenweibes. Hanna wolte durch- aus, sagt’ er, Minens Nachbarin seyn, und wir alle wollens seyn. Meine Tochter hat hat sich dieses von ihrem Manne schriftlich versprechen laßen, und er von ihr! — Hat Mine es doch dem Nathanael vergeben, lie- ber Major! Sie wuͤrden sich gewis vertra- gen — gut begehen haͤtt ich bald gesagt! Freund, antwortete ich (selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam,) da sind Tuͤrk und Ruße Bruͤder! — O lieber Herr Major! vom Tuͤrkenkriege zu reden! — Freylich hier nicht, aber doch! Ja! Ich druckt ihm die genommene Hand. Freund! das Grab ihrer Hanna ohne Linden! Eine wolt’ ich ihr geben, ausgegangen! drey Jahr nach einander gesetzt und ausgegangen! Wie todt geschlagen! ohne Leben und Odem! Mehr als eine mocht ich nicht! Warum solt ich ihrer Mine die Sonne entziehen! — Die Linden nehmen sich viel heraus, wenn sie ins wachsen kommen. Sie sind sehr Son- nengeizig, ungerecht gegen alles, was unter ihnen waͤchst. Nach dieser Scene giengen wir in die Kirche! Siehe! ich komme bald, halt was du hast, das Niemand deine Krone nehme, rief mir jede der vier Gegenden zu, Osten, Suͤden, Westen, Norden! Alles war mir so gegenwaͤrtig, als ob es vorgieng. Mi- nens nens Begraͤbnis, Gretchens Eheverbin- dung! Was Gott thut, das ist wohlgethan; es bleibt gerecht sein Wille. und Drum laß ich ihn nur walten! Warum denkt man so gern an gehabte frohe Stunden? Wahrlich, weil das Leben so kummervoll ist, und weil wir ihm durch dergleichen Kunstgriffe foͤrderlich und dienst- lich seyn wollen. Wahrlich die uͤberallguͤ- tige Natur hilft auch hier, so wie in allem, unserer Schwachheit aus. Wir erinnern uns froher Tage fast eben so froh, oft fro- her, als wir es waren, da wir sie lebten. Die Zuruͤckerinnerung an traurige Vorfaͤlle geht von langen zu kurzen Tagen uͤber und wird schwaͤcher. Alles war uns von Gretchens Hochzeit sichtbarlich: die Verschwendung des Puders von Seiten des Nathanaels, das Kleid mit den Goldbesponnenen Knoͤpfen des Amt- manns selbst, womit der Amtmann sich blos ausstaffiren wolte, und das nicht zum Vor- schein kam, war uns gegenwaͤrtig. Der gute Pastor haͤtte nicht die Frage aufwerfen doͤrfen: wie waͤr es, wenn wir Gret- Gretchen besuchten? haͤtt ich ihr so nahe seyn koͤnnen, ohne sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen? Muß ich denn nicht ihr und ih- rem Manne fuͤr die treue Pflege danken, die sie Minens Grabe angedeyen laßen? (die Zeit hatte meinen Schmerz uͤber Minen in Poesie gebracht, wie sie es immer thut, o! so sanft lyrisch!) Bin ich Gretchen denn nicht die Heimfuͤhrung schuldig? — Es ward verabredet, zuerst Gretchen und ihren gepuderten Mann, und nach die- sem den hochgebohrnen Todtengraͤber et Compagnie zu besuchen. Ich habe schon be- merkt, daß ich keine Maskeraden liebe. Warum auch die Mummerey? Da steig ich lieber den Leuten, wie der Herr Lieutenant, aufs Dach, als daß ich ihnen (auch ein Aus- druck des Herrn Inspektors,) was ins Maul schmieren sollte — Wie das absticht, der Herr Inspektor und die Frau Inspektorin! Mein Gott! wie sich Gretchen freute! auch Nathanael! — Sie kuͤßte mich wieder so herzlich, als wie ich zur Hochzeit kam, und den Justitzrath zur Frage: Wenn? brachte. Der arme Mann mußte jetzt viel dieser Eifersucht halber aus- ausstehen! — Jetzt war er so weit vom Wann, daß er selbst gern daruͤber lachen mochte. Er hatte sich ungemein auf die Po- litik gelegt, und wolte durchaus die Karte herbeyhohlen, da sich der Herr Schwiegerva- ter an den Tuͤrkenkrieg erinnerte. Der gute Nathanael war immer mit marschirt, hatte immer mitgekriegt und mitgesiegt. Er war so wie sein Schwiegervater wohlbedaͤchtig rußisch, obgleich sonst jeder Mensch eine Nei- gung hat, sich des Unterdruͤckten anzuneh- men. Ists Wunder? Es gieng ja gegen die Tuͤrken! Die Anlage zur Politik, welche der Prediger bey Gelegenheit der verlohrnen Schildwache zeigte, hatte freilich noch nicht ihren Geist aufgegeben; indessen uͤbertraf Nathanael seinen Schwiegervater in der Politik bey weitem. Gretchen war dagegen so unpolitisch, daß sie recht geflissentlich die- sem Blutvergiessen auswich. Ein politisches Weib ist wahrlich das unausstehlichste unter allen aus der siebenten Bitte. Fast solten sie das Wort Krieg nicht auszusprechen, nicht uͤber ihr Herz zu bringen vermoͤgen. Ein anderes! giengs um die schoͤne Helena! oder wenn sich ein Paar um das blaue Au- genpaar der Huldgoͤttin der Stadt schluͤgen! C c In In solchen schoͤnen Faͤllen erlaub ich ihnen anch ein Wort uͤber Krieg und Kriegsgeschrey zu sprechen! — Gretchen, du hast den besten Theil er- waͤhlt, das soll nicht von dir und deinen Toͤchtern genommen werden ewiglich! Wie du in Reisekleidern ausgiengst, liebenswuͤr- diges Geschoͤpf, und mit verweinten Augen zuruͤckkamst! — Gott lohne dich mit seinem reichlichen Segen! — Sein Antlitz heb Er auf dich, und sey dir gnaͤdig! Es war ein gutartiger allerliebster Fruͤh- lingstag. Wir kamen fruͤh an, und fruͤh- stuͤckten auf einem Haufen. Mir kommt das Fruͤhstuͤck als die natuͤrlichste Mahlzeit vor, das sich auch die Englische, die natuͤrlichste Nation, nicht nehmen laͤßt. Guten Mor- gen! lieber Englaͤnder! — Ich setzte mich ins Gras, und die fuͤnf Kleinen (so viel hatte Nathanael aufzuzeigen) um mich her. Dies brachte mir ein Vergiß- meinnicht, jenes nahm mir den Hut ab; die beyden kleinsten Maͤdchens ergoͤtzten sich an den blanken Knoͤpfen meiner Uniform! — Der gute Prediger sahe diese Gruppe und sagte: Simon Johanna, hast du mich lieb? Weide meine Laͤmmer! Ich hielt die- diesen Spruch an, und auch noch schallt er mir ins Herz! Weide meine Laͤmmer — Leopold, willst du ins Gruͤne? Eben wolt ich bitten. Komm! ohne Strohhut? Versteht sich — Gretchen sowohl, als Nathanael behaup- teten, der dritte von oben haͤtte viel Aehnlich- keit von mir! Ich fand es nicht. Vater und Mutter hatten ihn am liebsten. Schade, daß er nicht Alexander hies, sagten die El- tern, der aͤlteste hies so! Das erste Kind war eine Tochter und hies Mine! — Wie ich dies liebe Maͤdchen an mein Herz ge- druͤckt! Es war es, das mir Vergißmein- nicht brachte! Ich lies mir von Gretchen Das Ende ihrer Mutter erzaͤhlen! wo sehr starke Stellen drin vorkommen. Ich will meine Leser, denen ohnehin eine Todes- fahrt bevorsteht, mit den naͤhern Umstaͤnden nicht aufhalten! — Sie starb sehr heiter. Ihr Tod war kein Lindentod. Wer nicht von dieser ihrer Krankheit gewußt haͤtte, wuͤrde sie in Wahrheit aus den letzten vier Wochen ihres Lebens nicht ersehen haben. Ihre Ein- bildungskraft war wieder eingezaͤunt. Ihr C c 2 Auge Auge hatte jene Wildheit nicht mehr! — Es strahlte nicht, es schien nur! — In ihren Segnungen paarte sie mich noch mit Gret- chen. Das heißt: sie segnete mich so in- bruͤnstig, als sie, obgleich Nathanael und seine Kinder hiebey nicht zu kurz kamen! Auf den Enkel Alexander legte sie beyde Haͤnde, auf jedes andere ihrer Kinder nur eine! — Was sie froh war, sagte Gretchen, Minen zu sehen! — Gehe ein zu deines Herrn Freude! Kaum hatte Gretchen diese fuͤr mich so ruͤhrende Geschichte vollendet; so marschirte Nathanael schon wieder zum Tuͤrkenkriege, und wolte ich wohl oder uͤbel, ich mußte er- zaͤhlen — Gretchen bestellte waͤhrend des Tuͤrkenkrieges ein natuͤrlich schoͤnes Mahl! Bey Tische war der Justizrath nicht von Bu- karest zu bringen, bis ihn endlich Gretchen wie einen Tuͤrken schlug. Die kleine liebe Rußin! Sie vergoß uͤber meine zwey liebe Kriegscammeraden bittere Thraͤnen! und mehr, als die Geschichte dieser jungen Hel- den, wolte sie nicht. Der Prinz Wilhelm von Braunschweig war ihr zu vornehm, um an ihm Theil zu nehmen. Rech- Rechten und Fechten, fieng die Lose an, und zeigte mit Fingern auf Nathanael. Er gleich fertig: brummen, verstummen! und zeigte auf Gretchen! Ich gab dem Justizrath einen Blick, als wolt ich sagen: ich bitte meine Mutter ruhen zu laßen in Frieden! Was Gretchen wohl ansteht, gebuͤhrt eben einem so puderreichen Manne nicht. Nathanael fuͤhlte, daß er zu weit gegangen, und ward so still, daß ich ihn selbst mitleids- voll durch eine Tuͤrkengeschichte aufmunterte. Wer kann immer fechten; ich fieng also zu rechten an. Ich will mich selbst richten, schrieb Nathanael an seinen Schwiegervater, und den Krieg Rechtens mit mir selbst anfangen. Ein schoͤn Stuͤck Arbeit! Na- thanael hatte redlich Wort gehalten. Nie sprach er ein Urtel uͤber andern aus. Sich selbst hielt er in Ordnung. Vielleicht fiel er eben darum aufs politische. Durch eine Schadenfreude uͤber die Tuͤrken, konnt’ er freylich keinen Schaden thun — Wenn er ja noch mit einer Beurtheilung sich hoͤren lies, so war es wider die Gesetze selbst. Wi- der die Tuͤrken und wider die Gesetze sollte C c 3 wahr- wahrlich jedem Christenmenschen ein Wort zu seiner Zeit erlaubt seyn. Die Gesetze, sagte der Justizrath, scheeren alle Menschen uͤber einen Kamm! Ohnfehl- bar dacht’ er ans Promemoria. Wenigstens fiel es uns allen ein, obgleich wir es nicht sagten. Der Gerechte und Ungerechte wird nach einer Form behandelt, und ein Gelehrter Jurist ist der, welcher aus einer Tasche nimmt, und es in die andre legt. Aus der Ausgabe in die Hauptcasse! — und unsere Philosophen, sagt ich, was thun sie mehr? wenn es koͤst- lich gewesen, schlagen sie die Zinsen zum Ca- pital, und dann, fuhr der Prediger fort, ge- ben sie es an einen unsichern Ort, und dann, beschlos der Justizrath, hohlt der Teufel alles. Der gute Nathanael erschrack selbst uͤber den Teufel da er ihn citirt hatte, so wie uͤbers Brummen und Verstummen! Er hatte in diesen Tagen ein klein Capitaͤlchen verlohren, das er vielleicht auch wie die Philosophen von Zinsen gesammlet! Solch Geld soll uͤberhaupt nicht viel Segen haben. Warum Scheltwort wider die Gesetze, sagte der Prediger? Ihr Herren habt ein gewisses Phlegma, das ihr Diensteifer nennt. Alles Alles nur so nachdem es scheint, nichts, nach dem es ist. Ihr Bruder! fieng ich an ist nicht phlegmatisch von Natur — ein wahrer Menschentreffer. Mag! allein das beste Auge wird muͤ- de! — ich. und furchtsam, wenn es ein paarmal fehl- geschoßen. Justizrath. Man hat so viel Muͤhe, sich selbst zu treffen und hat sich doch immer vor der Nase! Prediger. Aber nicht vor den Augen. ich. Vielleicht trift man sich mehr, als es scheint — Man publicirt uns das Urtel nicht. Es bleibt uneroͤfnet. Jeder Schelm weiß, daß ers ist, der kleine schielende Re- visor so gut, wie ein anderer — Die Ju- stizform in England! — Justizr. Freylich die beste! Die lieben Di- casteria. Laßt den Nachbar uͤber den Nach- baren urtheilen. So wie bey uns Soldat uͤber Soldat, Unterofficier uͤber Unteroffi- cier, Officier uͤber Officier! Wenn nur das Desertionsedikt nicht waͤre! — Dicasteria sind gemeinhin Hospitaͤler, wo viel geredet und wenig gethan wird! — Kommt ein- C c 4 mal mal ein großer Kopf herein, sioͤßt er ihn sich wund. Das edle Geschoͤpf Gottes hatte nicht Naum in dieser Herberge! Solte man wohl nach diesen Datis glauben, der Justizrath habe keinen Dienstverstand! — Die Herren Rechtsgelehrten lernen die Gesetze; allein selten den Menschen. Es giebt Leiden- schaften, die jeder billiget, weil sie mit ihm selbst stimmig sind. Wer zuͤrnt uͤber den Zorn, wenn der Eifer uͤber eine Beleidigung kommt, die ins Allgemeine geht! Ein dergleichen Ei- ferer heißt ein Patriot! — Trift der Eifer ei- nen Lehrer, der ein falscher Muͤnzer ist, der Worte fuͤr Sachen verkauft, Schifszwie- backe fuͤr Manna ausgiebt, oder auch einen solchen, der seinem moralischen Vortrage durch seinen Lebenswandel widerspricht, dann ist die- ser Eifer, ein Eifer fuͤr des Herrn Haus. Bey dieser Gelegenheit, da wir dem, was ins Allgemeine schlaͤgt, Gerechtigkeit wiederfah- ren ließen, fieng der Prediger an: es ist so eine Sache mit dem lieben Allgemeinen! Wir wollen nur Thatsachen, die aufs Allge- meine gehen. Je allgemeiner die Be- nennung ist, womit man uns belegt, je weniger will man sich so benennen laßen. Mensch! kann zur Probe dienen. Ein all- gemei gemeiner Geist zieht in seinem Privathause gemeinhin den kuͤrzern. Nathanael versicherte, und auch dies war wahrlich nicht der kleinste Beweis von seinem Dienstverstande, daß er in seiner langen Praxi nie gefunden, daß ein gut denkender Mann auf einen Dieb boͤse gewesen, wenn er das Seinige wieder erhalten. Wir Menschen, denk ich, sehen es zu sehr ein, daß wir alle gleiche Rechte in der Welt haben, und danken Gott, wenn wir nur bey solchen Gelegenhei- ten ungeschlagen davon kommen. Der Prediger der noch kein Wort von sei- ner Suͤnde wider den heiligen Geist gesagt, vielmehr seinem Herrn Schwiegersohn, weil er Justizrath war, obgleich ein in Gnaden verabschiedeter, die Vorhand gelassen, hohlte jezt alles ein, schlug Zinsen zum Capital, und bemerkte jedes Wort, das er in der zweyten Ausgabe dazu und davon gethan. Er spreng- te, da es Nathanael ihm zu lang machte uͤbern Zaun, und der Schwiegersohn mußte ihm das Wort abtreten; obgleich er Justizrath war. Man kann sich um den Hals reden! — auch um den Gedanken! — Der gute Prediger fieng nicht zu seiner besten Stunde an! Gretchen kam, und ich lies den Justizrath (Gelehrsam- C c 5 keit keit gegen Gelehrsamkeit) bey der Frage: ob auch Jemand mit der linken Hand schwoͤ- ren, und ob, wenn er falsch geschworen, ihm die Finger abgehauen werden koͤnn- ten? und den Pastor bey der Antwort, daß er sehnlichst wuͤnschte einen Suͤnder wider den heiligen Geist seiner zwoten Ausga- be in Kupfer vorstechen zu lassen. Moͤ- gen sie rechten und fechten! Gretchen und ich giengen spatzieren. Ein Sohn und ein Toͤchterchen mit uns. Eins fuͤr mich, eins fuͤr sie, sagte die gute Haus- mutter! Wer Gretchen mit ihren Kindern sahe, und nicht Lust bekam zu heyrathen, hatte kein Gefuͤhl von Unschuld! — Sie zeigte mir dort eine neue Anlage zum Spatziergang, hier ein vortrefliches Grasstuͤck! — Den Acker rahden und der Gegend zur Ader lassen, wie Gretchen es nannte, oder einen Graben zie- hen, uͤberlies sie dem Herrn Gemahl! — Sie nannte das Milchdepartement ihr beschiedenes Theil, und noͤthigte mich in ein allerliebstes Buͤdchen, ihren Thron, wie sie sagte. Aller- liebst! So schoͤn sitzt kein Monarch, als Gret- chen in ihrer Milchbude. Hier ward oft fri- sche Milch gegessen, und die schoͤnste Wiese, die das Guͤtchen vermochte, lag vorm Au- ge! — Wer Wer fehlt mir, Freund, als Mine, sagte Gretchen und weinte so sanft, als man in ei- ner Milchbude weinen muß. Sie beklagte sehr, keine Freundin in ihrer Gegend zu ha- ben; allein ich habe einen lieben sehr lieben Mann! fuͤgte sie hinzu. Wer haͤtte das dem Nathanael, dem Justizrath, ansehen sollen? Wenns geregnet hat, sagte sie, wie schoͤn ist es hier! und gab mir die Hand. Das gute Gretchen! Warum nicht alle Kinder, fragt’ ich Gretchen? Gern moͤcht ich mich mit die- sen Kleinen ins Gras setzen! „Ich wolte mehr mit ihnen allein seyn!“ Wahr ists! Drey kleine Kinder zusammen ist wie eine große Gesellschaft. Gretchen hatte keine an- dere Gesellschaft, als ihre Kinder. Zuweilen kam der Graf, und sie waren noch oͤfter bey ihm. Gretchen war nicht ganz fuͤr diesen Ge- ruch des Todes zum Tode. Die Sache ge- nau genommen, ist auch der Geruch des Le- bens zum Leben, Leib und Seele gesuͤnder. Eine Person von ihrem Herzen konnte nicht anders, als toͤdtlich geruͤhrt vom Grafen heim- fahren. Nathanael lies sie vorzuͤglich, wenn sie gesegnet war, nicht zum Grafen. Alles gut! sagte Gretchen, das hiesige Leben ist doch auch nicht zu verachten und es ist Pflicht, zu genuͤßen genuͤßen und Trost zu hoffen. Was fehlt uns denn in dieser Milchbude? Die Milch! Gretchen, Wollen Sie? — Ich laͤchelte, nein. Der siebenmal sieben liebe Graf! — Ist denn nicht mein Stubenornat besser, hatte er juͤngst zu Gretchen gesagt, als wenn ich meine Zimmer mit geilen Bildern behangen haͤtte, deren jedes Feur streut, wodurch so viele junge liebe Herzen in Brand gerathen! Viele luͤ- gen, sagt’ ich, weil die Wahrheit was ge- woͤhnliches ist! Der Graf ist nicht besonders, weil er es seyn will, sondern weil er einen Le- bensconcurs gemacht hat — Ich wußte wohl, mit wem ich sprach; Gretchen hatte aufs Haar gelernt, was ein Concurs sey. Ich habe einen sehr lieben, lieben Mann, wiederhohlte Gretchen von freyen Stuͤcken. Der Concurs kann ihr unmoͤglich hiezu Gele- genheit gegeben haben. Mein Mann liebt mich, fuhr sie fort, und seine Kinder, ist ge- recht gegen jedermann, und verlangt vom Gluͤcke keinen Dreyer mehr, als es ihm zuge- wendet — Wir verlohren ein kleines Capitaͤl- chen und zweymal haben wir in der Lotterie gewon- gewonnen, so daß sich alles ziemlich heben wird. Es ward Gretchen zu kalt. Sie zeigte bey aller Gelegenheit eine schwache Brust. Wenn nur die Lindenkrankheit ihrer Mutter ihr nicht den Stof zur Hektik eingepflanzt! — Schonen Sie sich! Gretchen, hoͤren Sie? scho- nen sie sich — Ein großer Theil meiner Leser vereinigt seine Bitte mit der meinigen: Scho- nen Sie sich — Ich wendete mich zum Wege, auf dem wir gekommen waren; allein Gretchen zog mich seitwaͤrts, um mir einen Gang zu zeigen, der nach einem meiner Vornamen hieß. Auch Einen Minchenberg gab es, wo wir uns we- nige Augenblicke niedersetzten! — Daß wir doch nicht Geister sehen koͤnnen, sagte Gret- chen. Der Graf glaubt zwar drey Seelen bey ihrem Aufflug mit einem Blick erhascht zu haben! — Im Fluge, Gretchen, truͤgt das Gesicht am meisten — Zum Collationiren, sagte sie, gehoͤrt Original und Copie! Liebes Gretchen, erwiederte ich, reden sie doch wie eine wahre Justizraͤthin — Wir kamen zuruͤck und fanden den Herrn Schwiegervater und Sohn noch in gelehrten Streitigkeiten. Der Justizrath sprach uͤber die die Frage: ob jemand mit der Todesstrafe zu belegen, der einen Mißethaͤter eine halbe Stunde vor der Todesurtels Voll- streckung ermordet, und der gute Prediger: ob es nicht billig, daß der Verleger den Titelbogen vor voll bezahle, wenn gleich nur ein Blatt beschrieben ist. Ists doch der Titel! — Was meynen meine Leser, von einem Suͤnder wider den heiligen Geist in Kupfer? Solte nicht eine Silhouette mehr anzurathen seyn? — Keinen staͤrkern Beweis konnte wohl Na- thanael ablegen, nicht mehr eifersuͤchtig zu seyn, als eben den, daß er sein liebes treues Weib mir anvertraute. Hat der Herr Major alles gesehen? Ja, lieber Nathanael! Al- les! tausend Dank fuͤr Gang und Berg! Ich will Gleiches mit Gleichen vergelten, wenn mir Gott an Ort und Stelle hilft! Gretchen war mir lieb als Gretchen, und lieb ist sie mir als Frau Nathanael! — Herr Major, sagte Nathanael! Sie ist Minens Schuͤlerin! Wer kann wohl glauben, daß es nicht drey Minuten daurte, da wir von Gretchens Milchbuͤdchen bis Buka- Bukarest waren! — Diesmal waren Gretchens Bruͤder meine Retter. Sind sie noch, fragte ich, in Poesie- Compagnie? Vier Augen sehen mehr, als zwey, sagte Gretchen und laͤchelte. Wie sie doch so guͤtig sind, fiel der Prediger ein, sich selbst an diese Maskopie zu erinnern! Den- ken Sie noch daran, wie ich Ihnen meine Ab- handlung zum erstenmal anvertraute? Solt’ ich nicht! erwiedert’ ich und lenkte wieder auf die beyden Compagnions ein, wovon einer in Curland Hofmeister war, der andre stand in dem nehmlichen Ehrenamt in Preußen! — Der Prediger empfahl mir den Curlaͤnder, wenn er wo mit v. E — s in Collision kaͤme! — Ich antwortete mit einem Handdruck — Den folgenden Tag reiseten wir zum Gra- fen. Ich wuͤnschte, daß Gretchen mit kaͤme; allein ich bat sie nicht mitzukommen, da ich wußte, daß der Geruch des Lebens zum Leben ihr lieber war! — Ich glaube je laͤnger je mehr, weil sie die Folge der muͤtterlichen Lin- denkrankheit selbst fuͤhlte, und nicht fuͤhlen wolte! Das liebe Gretchen! — Sie kam von selbst, die gute Grete. Wir fuhren alle viere! — — Der Der Graf freute sich uͤber alle Maaßen. Ein Sterbender allein haͤtt ihn mehr erfreuen koͤnnen. Man schrieb mir aus Koͤnigsberg, sie waͤren da, sagte der Graf, und ich waͤre fast in die Verlegenheit gekommen, sie zu bit- ten, ihren alten Freund nicht zu vergessen — Desto besser, daß sie ohne das gekommen sind. Meinen Lesern ist es bekannt, wie viel der Graf von Kuͤnftigkeiten zu bestimmen gewohnt war. Es fiel ihm mancher Umstand wie aus dem Ermel. Wer wird denn wohl im drey- ßigsten oder vierzigsten Jahre wißen wollen, ob er es bis siebenzig oder achtzig bringen, oder eher sterben werde? Und wem ist uͤber- haupt damit gedient, da Vorhaͤnge aufzuzie- hen, wo die Hand der Vorsicht sie wohlbe- daͤchtig angebracht hat. Warum soll man die Kunst lernen, fast immer die Zeit und Stunde zu wißen, wenn es mit den Patien- ten aus seyn werde? Gut, keinen medicini- schen Tod zu sterben; indessen wuͤrd ich es eben so ungern sehen, wenn ich wuͤßte: ich sterbe und ein andrer observirt mich! — Wer laͤßt sich gern observiren? Eben darum trift der Mahler am besten, der die Gestalt stiehlt! — Die Welt ist ein Garten im Norden, wie der Graf sagt, wo wenig reif wird So wir das das wissen, selig sind wir, wenn wir darnach thun! — Wie kommt das, daß ich Gretchen unvermerkt in Ruͤcksicht ihres Geruchs bey- trat? Ich weiß keine andere Ursache, als weil ich auch vierzig Jahr trage. Der Graf schien es selbst zu merken, daß ich den Antheil an seinen Anstalten nicht nahm, den ich vor diesem genommen! Diesmal, sagt’ er sehr fein, werden Sie nicht in — krank werden! weil ich es bin, erwiedert’ ich, und, wie mich duͤnkt, war meine Antwort eben so richtig, als seine Frage. Sie haben ein groͤßeres Sterb- haus gesehen, Herr Major, sagt’ er, als das meinige! Der Justizrath und der Prediger waren froh, um vielleicht manches noch vom Tuͤrkenkriege zu hoͤren, woruͤber ich, wie sie waͤhnten, den Grafen nicht abschlaͤgig beschei- den wuͤrde; allein sie kamen wieder von Bu- karest zuruͤck, ohne mehr zu wißen. Ohn- moͤglich kann den lieben Herren solch eine schnelle Reise gut thun! Der Graf hielt sich blos uͤber die Frage auf: ob man wohl im Felde, ohne seiner Pflicht etwas abzukuͤrzen, observiren koͤnnte? — Ich hatte ihn schon uͤberzeugt, daß es viel Gelegenheit zu Ob- servationen im Felde gebe, und ihm eine ganz neue Aussicht eroͤfnet — D d Der Der Inspektor und seine Frau! — Sie waren zum Prediger nach L — gekommen, und von L — zum Grafen, ob sie es sich gleich erst die kuͤnftige Woche zu thun vorgesetzet. Ich war Major und von Adel, und freylich haͤtte die Subordination gelitten, wenn Ben- jamin, wie er sich ausdruckte, ermangelt haͤt- te — — Wie machst du es mit deiner Stelle? Er hatte den Einnehmer damit belehnt, lieber Major! erwiederte die Frau Inspektorin fuͤr den Herrn Inspektor. Das heißt wohl sein Amt an den Nagel haͤngen. Noch dasselbe Gesicht zur Schau, das die Frau Inspektorin beym Gutbesitzer und Edelmann aufschlug! — Er selbst auch noch die nemliche Subordina- tion. Bey ihm wuͤrkte der Edelmann, bey seiner Frau der Gutsbesitzer! — Er war aus Curland, sie aus Preußen. Bey diesen Schaugesichtern war es kein Wunder, daß die Sache weiter gieng! und an den Grafen kam, dem die Nachricht eben so, wie der Frau Inspektorin auffiel. Ihnen, lieber Graf! der Sie taͤglich sterben? — Gretchen allein war wie vorhin! — Der Justizrath reusperte sich ein wenig, da er zum erstenmal mit dem adlichen Major, dem Erbherrn auf — sprach! — Dem Prediger war nichts anzumerken! — Der Der Graf, den der Tuͤrkenkrieg blos des Ob- servationsstuͤbchens halber intreßirt hatte, wovon ich ihm einige Winke gegeben, nahnt an meinem Adel so viel Antheil, daß die Ob- servation jetzt auf meiner Seite war. Mein Gott! wie kann doch jemand, der taͤglich stirbt, an dergleichen Kleinigkeiten Theil neh- men! Vorurtheile, gegen die doch der Mann, der sich vom Haufen unterscheidet, angehen soll, koͤnnen die auch solch einen Mann — so beherrschen? — Es gieng mir nahe, diese Buͤhne aufgezogen zu sehen! — Sein erster Blick that gleich zehn Fragen an mich, und so lieb es mir war, den Herrn Inspektor noch zu sehen; so war ich doch im ersten Augenblick nahe dran, zu wuͤnschen, daß er lieber mit seiner Hausehre beym Herrn Hauptmann ge- blieben, als uns gestoͤhrt haͤtte! — Der Graf wolte die Lebenslaͤufe aller meiner Ahnen! Lieber Graf! ich weiß sie selbst noch nicht, und suche noch hie und da Luͤcken auszufuͤllen. Zeit bringt Rosen! Wenn Sie Geduld haben, die jedem Noth ist, und Gott ihnen das Leben fristet, so sollen Sie im drit- ten Theil meinen Vater und im vierten mei- nen Grosvater von oben ab sehen! Gleich ein Unterschied zwischen mir und der andern D d 2 Gesell- Gesellschast . Lieber! warum das? warum die weißen Federbuͤsche, und die Wapen und die graͤfliche Krone? Der gute Pastor in L — sagte, auf den Punkt versteht der Graf keine Bruͤderschaft. Da ist das Kroͤnchen leicht gebrochen. Der Graf kannte meine Familie. Solt er nicht? und nichts war ihm im Wege, als meine Mutter, die doch buͤrgerlichen Stan- des gewesen. Sie ist todt, lieber Graf! Freylich hebt der Tod viel, es ist nur der Ahnentafel und der Stiftsfaͤhigkeit we- gen. Ich versicherte die graͤfliche Krone, we- der an eine Ahnentafel zu denken, noch auf Stiftsfaͤhigkeit je Anspruch zu machen; allein er druckte mir die Hand mit einem sehr be- deutenden: Kommt Zeit, kommt Rath! — Da Gretchen alles sahe, was vorgieng, schien sie selbst einen Subordinationszug einfuͤhren zu wollen, den ich aber sogleich bey der Thuͤr abwies! — Die Frau Inspektorin fand voll- kommen ihre Rechnung. So bald sie bemerk- te, daß es hier auf Paar und Unpaar ankam, gieng sie bey sich selbst zu Rathe, ob und in wie weit ihr der Rang uͤber Gretchen zustuͤn- de? Sie uͤbertrug dem Herrn Inspektor hie- bey Sitz und Stimme; da sie aber zu ihrem Leidwesen erfahren mußte, daß ihm der Fall zu zu wichtig sey, nahm sie ihres Herrn Gemahls Verfahrungsart an, stieg Gretchen zu Dache, und drengte sich der lieben Unschuldigen vor, die indessen bey dem allerersten Blick des Vor- drangs so nachgebend war, daß die Frau Da- rius nur ein sehr kleines Dach zu steigen hatte! — Der Graf hatte die ganze Gesellschaft elek- trisirt. Alles war geschlagen, bis auf Gret- chen, ihren Vater und mich. Elektricitaͤt ist ein Naturblatt, auf dem viel steht, pflegte mein Vater zu sagen. Wenn wir den Altar kennten, von dem diese gluͤhende Kohle, die- ser goͤttliche Funke, genommen ist, waͤren wir weiter! — In der Naturlehre, lieber Vater! Wenn du aber hier in dieser geschlagenen Gesellschaft gewesen, was fuͤr ein Feld zu moralischen An- merkungen, waͤre dir da offen gewesen! Wie doch dem Menschen der Zwang so eigen wer- den kann! Ein kleiner Schlag, und alles ge- rade wie auf Drath gezogen! Gretchen gewann bey meiner Standeser- hoͤhung am meisten; denn der Todtengeruch war sehr zum Geruch des Lebens zum Leben uͤbergegangen! — D d 3 Der Der Graf bat es sich zur Freundschaft aus, sobald ich mich mit meiner Familie ins Ver- kehr gesetzt haben wuͤrde, ihm uͤber diesen und jenen Punkt, wo seine Familienkenntnisse nicht zureichten, Auskunft zu ertheilen. Dieser und jener Punkt waren Federbusch, Wapen und dergleichen Dinge mehr! — Hie und da eine Anekdote von dem und dem in der Fami- lie! Das war alles? wie ich sage, keinen Tritt weiter. Ists moͤglich, ein Mann, der einen Mann ohne Wapen zum Lebens-, alle Ster- bende zu Sterbens-Bruͤder und Schwestern annahm? — Was anders, wenns Leute thaͤten, die dem hiesigen Leben den Eyd der Treue geleistet — Ich konnte das Andenken an jene Grab- schrift nicht abwehren: Hier liegt der lebendig Todte! Bey diesen Umstaͤnden haͤtten Sie die Blaͤt- ter, die von der Reise zum Grafen handeln, nicht uͤberschlagen duͤrfen, meine gnaͤdige Frau! Zwar nahm ich mir die Freyheit, bey Gelegenheit der Sterbensumstaͤnde unserer guten Hanna, diese Reise eine Todesfahrt zu nennen; allein geruhen Ew. Gnaden die Fraͤulein Schwester zu fragen, der es gestern, als Vestalin, auf dem Ball recht gut stand, ob ob nicht diese Blaͤtter unbedenklich mitgenom- men werden koͤnnen? Hier oder dort waren die letzten Worte, die ich mit dem Grafen beym Abschiede wech- selte, da ich ihn beym Geruch des Todes be- suchte! — Wer haͤtte geglaubt, daß das hier eintreffen solte, und zwar ein recht ei- gentliches Hier! voll Geruch des Lebens. Wie sich die Luft erfrischt hatte, blos weil ich Edelmann war! — Da wir im heiligen roͤ- mischen Reiche meines Adels halber waren, kamen wir, ich weiß nicht wie, auf Carl den V , der sich bey lebendigem Leibe begraben lies, um zu sehen, wie es ihm laßen wuͤrde? Ich glaube, sagt’ ich, diese Probe hat sein Ende befoͤrdert. Ich nicht! erwiederte der Graf, der alle Vierteljahr eine Nacht in seinem Sarge schlief, Carl der V te starb aus Reue und Leid seiner niedergelegten Kronen halber, und ohne ein Comma zu machen, war der Graf bey der Frage: ob mein Adel aͤlter waͤre, als Kayser Karl der V te glorrei- chen Andenkens, der, eh’ er 1558 starb, sich Probe begraben lies. Daß ich nicht wuͤste, erwiedert’ ich. Wenn doch, dacht’ ich, was Sterbendes vorhanden gewesen, um den Grafen wieder D d 4 einzu- einzulenken — Wenn doch Eins eingelaͤu- tet wuͤrde! Jetzt Abschied auf ewig, so wie ich ihn auf ewig vom heiligen Grabe in dieser gelob- ten Gegend nehmen werde. Dort, lieber Graf! dort! — Laßt mich, lieben Leser, Abschied neh- men! Ich bitte, laßt! Gesundheit trinken ist, wie ihr wißt, ein Sinnbild des Lebens. Abschied nehmen ein Sinnbild des Todes. War es Wunder, daß der Graf beym Ab- schiede wieder in seinen ihm eignen Ton fiel? Darum soll ich boͤse werden, weil es Nacht und Tag in der Welt ist? Vielleicht schmeckt alles suͤß, was schlecht bekommt. Zucker schleimt, sagt mein Hauptarzt. Vielleicht schmeckt alles widerlich, was uns eigentlich wohl behagt! Zwischen Schein und Seyn, wie der Drosselpastor ganz recht hat, welch eine Kluft! Weil wider dieses Uebel die China nicht hilft, darum bist du boͤse? Giebt es nicht Hausmittel, warum China? Koͤn- nen denn nicht ausser der Hauptstraße viele Nebenwege seyn? Sind uͤberhaupt Uebel in der Welt? Ist es nicht alles, je nachdem man alles stellt? Genau genommen, sind bey allen Dingen die nemliche Ingredienzien! Muͤt- Muͤtterlich hat die Natur fuͤr uns gesorgt. Wahrlich! Muͤtterlich! — Die Hofnung ist was Geistisches, was Unsichtbares. Sie ist Geist vom Geist. Sie ist selbst ein Geist, der uns lehret, weise zu leben und froh zu sterben. Siehe! wenn der Koͤrper stirbt, faͤngt ihr Le- ben in Gott an! — Man nehme dem Genuß die Vorstellung, die Weise, alles was man gern hat, sich weit vorzuͤglicher zu denken, als es da ist, allem ein poetisches Kleid um- zuhaͤngen! — Was ist denn der Genus? Er ist nicht Aufhebens werth! — — Dies war unsere Unterredung beym Scheiden. Haͤtte mir der Graf nicht mit den Worten die Hand gedruͤckt: die bewuß- ten Nachrichten; wahrlich ich haͤtte glau- ben muͤssen, es waͤren zwey Grafen! — Was meint ihr, dem allem unerachtet, ein weiß Federbuͤschchen kann man ihm verzei- hen! — Der Herr Inspektor sowohl, als die Frau Inspektorin, schienen uͤber unsere letzte Unterredung sehr erbaut. Sie sahen die Kronen Urnen werden, und die Urnen wieder Kronen! Gretchen und den lieben Ih- rigen war nichts neu! — Minchens Ver- wandte in Mitau, vermied der Graf so sorgfaͤltig, daß kein Zweifel uͤbrig ist, er sey D d 5 der der Wohlthaͤter! — Doch ein Hochgebohr- ner lieber Mann! Nicht wahr? Das uͤbel angebrachte weiße Federbuͤschchen thut wenig, oder gar nichts zur Sache. Wir Menschen incliniren so zu zwey Principien, daß es mich nicht wundert, wenn man ein gutes und boͤses Wesen angenommen, die auf dem Weltthron Sitz und Stimme haben. Frey- lich wenn man erwaͤgt, daß eines das an- dere herunterstoßen muͤßte; so sieht man wohl, daß die Vernunft hiebey Anstoͤße fin- det, wo kann aber auch die Vernunft durch, ohne daß sie sich den Kopf stoͤßt? — Eine große Maschiene, sagt man von einem un- gewoͤhnlich großen Menschen! Warum Ma- schiene? Koͤnnte man diesen Ausdruck nicht weit eher von der Vernunft brauchen, wenn sie gleich uͤbrigens recht fein aussieht, und sich so rein gewaschen, wie moͤglich? — — Bey der rechtlichen Abstellung der beyden Principien, kann man freylich dem Aus- spruch der Vernunft nichts entgegen stellen; indessen haben wir doch Einen, Gott dem Herrn untergeordneten Boͤsen, noch bis jetzt in unsern Glaubensbuͤchern, woruͤber meine Mutter singt Fuͤr den Teufel uns bewahre! — Extra- Extrapost! — In L — leutschaͤndete ich ein wenig mit Gretchen uͤber die Frau In- spektorin, doch so, daß diese Krone und Urne es in hoher Person haͤtte anhoͤren koͤnnen! Gretchen versicherte, den Grafen von dieser Seite zwar vermuthet, noch nie aber so in Lebensgroͤße gekannt zu haben! — Wer hat nicht, liebes Gretchen, sein weißes Fe- derbuͤschchen? Die Frau Inspektorin so gut, wie der Graf, sagte Gretchen, und der Herr Inspektor, fragte sie? Der steigt zu Dach, erwiedert’ ich. Ganz boͤse ist der Teufel selbst nicht! Weiß Gott, ob er sich nicht noch einmahl erhohlt, wie mancher Baum, der, wenn er ganz weggehauen ist, frisch an der Wurzel ausschlaͤgt — Ich ermahnte den Inspektor, seinen Va- ter ja nicht zu nachlaͤßigen, wenn gleich Her- mann keine Taube nach ihm ausgesandt. Die Frau Inspektorin, die hiebey den Klingklang vom Litteratus vermißte, bereicherte meine Aufmunterung mit ein Paar schoͤnen Redens- arten, womit sie das Herz des Herrn Ge- mahls, wie sie sagte, zur Sanftmuth be- thauen wolte. Wenn wir am schoͤnen Abend, fieng sie an, Hand in Hand da hinschlendern und der Mond sich in mei- nen nen Thraͤnen bespiegelt, wenn ich an so manche heilige Schauer zuruͤckdenke, die ich in — — beym Grafen empfand, da er Abschied nahm — wenn — Sie wolte fortfahren; allein Darius fiel ihr ins Wenn. Man seh doch! sagt’ er, auch du bemuͤhest dich, mein Kerbholz zu vergroͤssern, und den Major aufzuwieglen? Noch blieb Madam in ihrer Fassung. Leute von gewis- sem Stande, fuhr sie fort, solten sich durch Zuthaͤtigkeit gegen ihre Verwandten heraus- zeichnen. Ein Ast, der den andern uͤber- wachsen will, setzt sich der Gefahr aus, daß der Bube ihn bricht, oder der Gaͤrtner ihn wegschneidet! — Bey den meisten Men- schen sind die Farben nicht recht angebracht, roth die Augen, schwarz die Zaͤhne! — (Ihre Augen und Zaͤhne waren, die Wahr- heit zu sagen, ohne Tadel) Jetzt stieg der Herr Inspektor der Frau Inspektorin wuͤrk- lich zu Dache, und Sie? die sich bey dieser Gelegenheit durch Sanftmuth herauszeichnen sollen, uͤberwuchs ihren Gemahl so zusehens, daß man sie nicht wieder kannte. Ein Sonntagskleid wird am Ende ein Alltags- kleid. Anstatt, daß sie ihren Mann sanft, wie der Zephyr die Rosen, kuͤssen sol- len, len, machte sie ein Geschrey, als wann die Huͤner auffliegen wollen. Wahrlich! die Farben waren auch nicht recht angebracht, roth die Augen, schwarz die Zaͤhne. Der Inspektor, wie behutsam er vom Dache stieg! Er bewies sich als einen wahren Darius, der auf der Werbung Lieutnant geworden, und war, wie er sich ausdruͤckte, in die Pfanne gehauen. Er versprach, seinen Vater nicht zu verlaßen, und ich bot mich als Mitler an, welches von beyden, vorzuͤglich von der Frau Inspektorin, dankbarlich aufgenom- men ward. — Was machen Sie da, Gretchen? Ich kann mit dem Tuche nicht zurechtkommen — Ich hatte Gretchen die Art gewiesen, wie sich das schoͤne Geschlecht in Rußland ein Tuch um den Kopf bindet. Allerliebst, sagte Gretchen! Ich wette, sie geht noch alle Morgen so, bis auf den heutigen Tag! Ueber die Sprache der Frau Inspektorin sagte mir Gretchen so was treffendes, daß ich es durchaus meinen Lesern mittheilen muß. Ein großer Unterschied, wenn der Himmel beguͤßt, und wenn es die Hand des Gaͤrtnierers thut! Die Blumen wissen gut, wo es herkommt! Ich Ich uͤbergab Minens Grab! Segnete die ganze gelobte Gegend und schied — Ich werd es nicht mehr wiedersehen, sagt’ ich zu Gretchen, und zeigt’ aufs Grab, nachdem die Ceremonie vorbey war! — Die Frau In- spektorinn hatte wie ein Kind geweint, und kein Gedanke war ihr angewandelt, ihren Rang mit dem Rang einer Justizraͤthin in die Schaale zu legen! — Am juͤngsten Tage, sagte Gretchen, wenn die ganze Erde, setzte die Frau Inspektorin hinzu, nur ein Grab ist! — Der Pastor umarmte mich und buͤckte sich tief! — Der Inspektor sah auf sein lahmes Bein, als wolt’ er sagen, dies Dach ist mir zu hoch — Der Drosselpastor war nicht mehr in — Ich wolte mein Pfand einloͤsen, und mich ihm aufdringen; allein er war weit wegge- zogen, und sein Nachfolger hielt keine Lei- chenpredigten, nach Art des vorigen! Er war seiner Esausstelle angemessen, und ein gewaltiger Drosselfaͤnger! — Meine Absicht war, so schleunig als moͤg- lich nach meiner Heimath zu gehen, das heißt, heißt, nach Liefland auf das Gut, so die Kay- serin mir verehret. Ich hatte meinen Rechts- freund nach Mitau citirt, um da mit ihm alles fein zu berichtigen. Mitau, nach Junker Gotthards Meynung, die Hauptstadt der Welt, nahm ich aus, sonst wolt’ ich Curland ansehen, wie eine Herberge, wo man durchs Fenster sieht, ob das zerbrochene Rad nicht wieder im Stande ist! War denn Lot nicht todt, Abrahams Verwandter? Und Jun- ker Gotthard? den hatt ich fein saͤuberlich gleichfals nach Mitau beschieden, um sich hier zu rechter fruͤher Tageszeit einzufin- den! — Die Graͤber der Eltern machen keine Gegend zur gelobten. Wenn ich ge- legnere Zeit habe, dacht’ ich! — Ihre See- len, die in Abrahams Schoos von den Engeln getragen sind, werden mir immer wie gegen- waͤrtig vor Augen schweben! — Gotthardten fand ich nicht — Der Rechtsfreund, der wohl wußte, was eine Citation war, hatte die Tagefarth eingehal- ten, ein junger Mann mit einer unbefange- nen Stirn. Meine Leser wuͤrden ihm ihre Rechtssachen ohne Bedenken uͤbertragen. Ich gab ihm eine Quittung fuͤr sich, seine Erben und Erbnehmer, wegen meiner wohlbesorgten Erb- Erbschaftsangelegenheit. Was es mir an- genehm ist, eine Quittung zu geben und eine zu nehmen! — Das ist der Abschied in Rechtsgeschaͤften. Eben wolt ich den — — der die rußi- sche Angelegenheiten in Mitau betreibt, be- suchen, da er selbst zu mir kam, und mir ein Cabinetsschreiben uͤbergab. Es enthielt einen Auftrag, den ich oͤffentlich bekannt ma- chen koͤnnte, wenn ich wolte. Warum solt ich? Dieser Auftrag erforderte eine Reise ins Land, die ich unverzuͤglich antrat. Ich wolte meinem lieben Gotthard von Liefland aus Vorwuͤrfe machen und ihm die Kosten zur Last legen, mich eben dort zu besuchen, und so wolt’ ich auch aus meiner Heimath mein Versprechen erfuͤllen, das ich der Frau In- spektorin in Ruͤcksicht ihres Herrn Schwie- gervaters gethan. Jetzt aͤnderten sich diese Vorsaͤtze, und ich hatte so wenig Ursach, die Hofnung aufzugeben, Gotthardten, den al- ten Herrn und wer weiß wen mehr zu spre- chen, daß ich ihnen vielmehr entgegen rei- sete. Ich hatte das Gluͤck gehabt, dem Ge- schenke der Kayserin durch den Ankauf eines kleinen benachbarten Guts, eine so betraͤcht- liche liche Verbesserung zuzuwenden, daß nach den Beschreibungen meines dortigen Geschaͤfts- traͤgers mich ein nicht voͤllig unangenehmer Aufenthalt erwartete. In dieser Ruͤcksicht war mir der Kayserliche Auftrag im Wege, in vielem andern Betracht aber, unaussprech- lich willkommen! — Ich gieng ohne Anstand von Mitau nach — und solte nach dem mir vorgezeichneten Reiseplan in — Nacht halten. Meine Sa- che war es nie, den Herrn des Guts zu uͤber- fallen, wo die oͤffentliche Anstalten fuͤr Dach und Fach gesorgt hatten, so sehr solch ein Ue- berfall auch Sitt’ in Curland ist. Ich ward bey einem Amtmann eingebracht, der nach vielen Complimenten meinen Schein ansahe und mein Seyn abfragen wolte. Natuͤrlich erfuhr der Ehrenmann so viel, als noͤthig war. Wie ich aber so wenig neugierig seyn konnte zu fragen, wer seine Hochwohlge- bohrne Herrschaft waͤre, weiß ich noch bis diesen Augenblick selbst nicht. Mein Vater war ein Fremdling in Curland und ich war so wenig zu Wurstreisen, zu Krippenritten angefuͤhrt, daß ich, wie er, in Curland gleichfals nicht zu Hause gehoͤrte. Auch selbst jetzt, haͤtt ich, wie ich schon bemerkt, E e nur nur einen Durchzug gehalten, wenn nicht der Auftrag mich auf andere Gedanken ge- bracht. So viel nahm sich mein lieber Herr Amtmann die Erlaubnis gleich zu bemer- ken, daß die einzige Baronesse Tochter seiner Hochwohlgebohrnen Herrschaft morgen prie- sterlich verlobt werden solte! — Da ich daran keinen Antheil nahm, vielmehr sehr zufrieden war, dieses Haus in seiner hoch- zeitlichen Freude nicht gestoͤhrt zu haben; so verschwand mein lieber Herr Amtmann, und kam mit einem Livereybedienten zuruͤck, der sich noch die eben angelegten Manschet- ten und Halsbinde zurecht zog. Beyde stimmten gegen einander ein Duett von Bitte an, von Sr. Hochwohlgebohrnen ein Nacht- lager anzunehmen. Diese Art haͤtte mich ohne Nachfrage darauf bringen koͤnnen, wo ich war. Soll ich es meinen Lesern noch be- sonders anzeigen, daß Herr v. W — hier sein Feur und Heerd hat? ha, dacht’ ich, nun weiß ich, warum mein guter Gotthard sich nicht in Mitau eingefunden. Er hat ein lie- bes Weib genommen, darum konnt’ er nicht kommen, und freute mich, daß Fraͤulein Tinchen (so ward sie seit einiger Zeit genannt, weil ein Lorchen in dieser Gegend, kein gutes Lor- Lorchen war. Lorchen v. W — hatte gar viele Namen, die der Herr Vater ihr blos aus Hoͤflichkeit beylegen laßen. Also Tin- chen) und Junker Gotthard ein Herz und eine Seele worden! Freylich haͤtt ich auf dies Duett eine Antwort auf Noten setzen sollen; allein sobald ich wußte, wo ich war, und mir Gotthards Verlobung mit dem lie- ben Tinchen dachte, war ich unverzuͤglich im Hofe! Ich wußte, wo ich die Ehre hatte zu seyn. Mein Herr Wirth und die lieben Sei- nigen, wußten nur, daß ihr Gast ein Ma- jor sey! — Ich kann sehr kurz seyn, wenn ich meinen Lesern die Gesellschaft praͤsentire, in die ich sie fuͤhre. Den Herrn v. W — und die liebenswuͤr- dige Frau v. W — kennen sie. Fraͤulein Tinchen sind wir auch im Hofe des seligen Herrn von G — inne geworden. Sie hatte einen Bruder, der Muͤcken mordete. Fraͤu- lein Tinchen lies sich Blut von Muͤcken ab- ziehen und wuͤnschte wohl zu bekommen. — Daß der ein und dreyßigste Julius, an wel- chem Benedictus der erste, der 6te roͤmische Pabst, nicht minder Ignatius Lojola, im 65 Jahr gestorben, in dieser Familie denk- E e 2 wuͤr- wuͤrdig waren, gehoͤrt so fuͤglich nicht hie- her, und kann es, wie mich duͤnkt, meinen Lesern sehr gleichguͤltig seyn, daß der verstor- bene Junker Casimir v. W — am nemlichen ein und dreyßigsten Julius die ersten Zahn- sprossen erhalten, und acht Tage drauf To- des verblichen. Auch zweifle ich, daß meine Leser, die nicht selbst etwa wo einen Bein- bruch erlitten, den Umstand so innigst beher- zigen werden, daß der Mutter Bruder des Herrn v. W. gleichfals am ein und dreyßig- sten Julius ein Bein gebrochen. Wer wird sich aber nicht freuen, daß ich ihn daran er- innere, wie Fraͤulein Tinchen den 18ten April (eben heute, da ich dieses schreibe,) gebohren ist, am Tage, da Alexander Magnus gestor- ben und Diogenes aus Sinope, der Alexan- der unter den Philosophen! — Kurz, ehe ich im Hofe war, befragte mich der Livreybediente, der jetzt mit Man- schetten und Halsbinde voͤllig in Ordnung war, nach einer tiefen Bitte, es nicht auf die Rechnung strafbarer Neugierde zu schreiben, ob ich wuͤrklich als Major gestanden, oder nur meinen Abschied als Major erhalten? Nach der Zeit erfuhr ich, daß dieser Umstand, so klein er auch anscheinen doͤrfte, in der Eti- kette kette des Herrn v. W — einen betraͤchtlichen Unterschied machte — Er lief mit der Ant- wort voraus, und Herr v. W — empfieng mich, einen Fuß uͤber die letzte Stufe zum Hause gesetzt! Haͤtt’ ich es weiter gebracht, wuͤrd’ er den andern Fuß gefaͤlligst nachgezo- gen haben; waͤr ich nicht wuͤrklich Major ge- wesen, wuͤrd auch der eine Fuß diese Vorbeu- gung nicht gemacht haben! — Ich freute mich wahrlich! Den guten Herrn v. W — so fern von allen Waldhoͤr- nern zu sehen. Man sahe ihm eine gewisse Zufriedenheit an, die nicht von ungefehr ent- standen, sondern durch eine froͤhliche Bege- benheit veranlaßet war. Herr v. W — war nicht gewohnt sich ungewoͤhnlich zu freuen! — Heute aber hatte sein Wohlseliger Herr Gros- vater ein vortrefliches Geschenk von des Her- zogs Durchlauchten erhalten, das noch bey der Familie aufbewahret wurde, und in ei- nem Portrait des Herzogs, in Gold gefaßt, bestand. Morgen war der frohe Tag, da eben dieser selige Herr Grosvater ruhmwuͤr- digen Andenkens sich mit der seligen Frau Grosmutter ehelich verbunden! — So sehr die gute Frau v. W — die Arten und Unar- ten ihres theuren Herrn Gemahls mit Still- E e 3 schwei- schweigen zu uͤbergehen pflegte, war sie doch, da ihr Herr v. W — eroͤfnete, wie seine Tochter an dem nemlichen Tage verlobt wer- den solte, ins alte Volkslied ausgebrochen: Als der Grosvater die Grosmutter nahm, war der Grosvater der Braͤutigam! — Woruͤber der Herr Gemahl gewiß aus der Melodie des damahligen Freudenfestes ge- kommen waͤre, wenn er nicht so Melodiefest gewesen. Er war eigentlich nur Melo- die! — — — Eben wie Herr v. W — den einen Fuß (ich laße ungesagt, ob es der rechte oder der linke gewesen) nach mir ausgesetzet, war die- ses herzogliche in Goldgefaßte Geschenk, wel- ches, wie Herr v. W — sich ausdruckte, als eine Sonne dieses Tages geleuchtet, unterge- gangen, und ins Freudennaturaliencabinet, wie Frau v. W — es auch in einer frohen Stunde genannt, gelegt, so daß ich auch diese Gnadengabe nicht zu Gesicht bekommen. Wer wird, fragte Herr v. G — am Pfingst- tage singen: Vom Himmel hoch, da komm ich her, und zu Weyhnachten: Wer recht die Pfingsten feyren will. Der heilige Abend des Verlobungsfestes war eingetreten und dem brachte brachte Herr v. W — als Brautsvater mir so sichtbarlich entgegen, daß ich mich nicht entbrechen konnte zu sagen: Man koͤnnte aus dem Untergange der heutigen Sonne sehen, was fuͤr ein schoͤner Tag uns morgen erwarte! Seine Kleidung ganz froͤhlich und guter Dinge. Herr v. G — sagte dem guten Herrn v. W — bey einem seiner Halbfeste: Bru- der! du bist wie ein Dambrett gekleidet! Gu- ter lieber G — heute haͤttest du den Braut- vater sehen sollen! — Ich ward ins Gastzimmer gebracht, wo ich die Hand der Frau v. W — nicht ver- kannte! Wie natuͤrlich schoͤn! — Da Herr v. W — kein Wort an Junker Gotthard dachte, den ich doch so gewiß als zwey mahl zwey vier den Tag vor seiner Verlobung in — erwarten konnte, gieng ich auch von meiner Regel ab. Zwar stieg ich nicht, wie der Herr Inspektor Darius zu Dach; allein es war mir nie moͤglich auch in gutem Sinn mich unter die Baͤume im Garten zu verstecken, und mir Schuͤrzen von Feigenblaͤttern zuzu- schneiden? Jetzt vergalt ich Gleiches mit Gleichem, that so zuruͤckhaltend, wie Herr v. W — es war. So gern ich also vom gu- ten Junker Gotthard und vom Fraͤulein Tin- E e 4 chen chen ein lebendiges Wort gesprochen; so zwang ich mich doch, dem Herrn v. W — gefaͤlligst nachzugeben, der mich unterrichtete, warum ohne weiße Struͤmpfe kein Gallakleid stuͤnde? Das that freylich mehr noth, als von meinem guten Gotthard reden zu hoͤren. Beym weißen Strumpf, sagte Herr v. W — ist der Fuß dicker, beym schwarzen schrumpft er vor ihren sichtlichen Augen ein. So wie beym langen Bart, fuhr er fort, das Auge immer truͤbe und klein ist, dagegen wie heiter, wenn der Bart abgenommen worden? Er stand bey dem Wort: abnehmen, lang an, ohnfehlbar um dem Barte nicht zu viel zu thun! Abnehmen ist ein so wohlgewaͤhltes Wort, daß kein Koͤniglicher Bart dagegen etwas sagen koͤnnte! — Daß mich Herr v. W — nicht kannte, war das groͤßte Feigen- blatt, so ich bey meinem Wiedervergeltungs- recht anwendbar fand! — Von einem Manne, der nie gegenwaͤrtig ist, sondern hin oder zuruͤckdenkt, wie kann man erwar- ten, daß er den Retter seiner Tochter, dem er bey der Abreise mit steifem Arm zu umar- men die Ehre erwies, da er vor ihm stand, kennen solte? Ich fand ihn in allem wieder, das grisgraͤmische Gesicht nicht ausgenom- men, men, auf das ich mich sehr lebhaft besann. Daß Sie nur ja nicht glauben, mein Herr Major! daß ich taͤglich in weißen Struͤm- pfen gehe! — Alle Einerleyheit beschwert, Wechsel erleichtert, sagte mir ein gewisser Pastor — (mein Vater) ein gelehrter Mann, der aber wie die meisten Gelehrten zu wenig Welt hatte, und wer hat sie hier zu Lande? Man hat hier Curland; allein nicht Welt! — Wenn immer Tag waͤre und immer Nacht, so wolt ich lieber kein Mensch seyn! — Freude und Traurigkeit! Sommer und Winter das ist das menschliche Leben! Heute Koͤnig, morgen todt! — Wer geht denn immer mit einem Hemde, damit ich mich dieses Worts mit ihrer Erlaubnis bediene? Wer wechselt denn nicht im Sommer taͤglich! Zwar, fuhr er fort, und zog sich eine Vier- telelle laͤnger, als vorhin, liegt freylich et- was Erhabenes, etwas Großes in einem ge- wissen Einerley! allein das ist nicht fuͤr jeder- mann! So ist Gott der Herr immer der- selbe! und was meynen der Herr Major von der schwarzen Farbe? Sie ist roͤmisch Kay- serlich! — Man nenne mir aber nach ihr eine einzige Farbe, die Stich haͤlt! — Got- tes Altagszimmer, wie oft veraͤndert es E e 5 sich! sich! — ich meyne diese Erde! All Au- genblick andere Mobilien! Freylich in sei- nem Hauptschlosse, im Himmel, wird sich alles nach ihm richten — — Der Herr Major werden verzeihen, fuhr Herr v. W — fort, daß ich Sie mit meinen Lieblingsideen unterhalte! — — — Nach einigen ausgewechselten Compli- menten, wobey ich die morgende Tagesfreude des Herrn v. W — sich lichterloh vermehren sah, konnt ich mich nicht laͤnger halten nach dem Braͤutigam der Fraͤulein Tochter zu fra- gen und ein Stuͤck von meiner Feigenblatt- schuͤrze einzureissen. Wissen Sie ihn hier, erwiederte der Brautsvater? Ich solte den- ken, antwortete ich. Sie kennen unsere Cur- laͤnder noch nicht, wie ich sehe. Die Herren wissen von keinem heiligen Abend und von keinem Fastnachttag. Brautnacht ist die Lo- sung! — In dieser Beschreibung verkannt’ ich meinen guten Gotthard so wenig, daß ich ihn vielmehr augendeutlich vor mir sah, obgleich er noch nicht da war — Ich hatte gar keine Neigung, die Braut zu sehen, und welch eine Mannsperson sieht eine Braut gern? Herr v. W — und ich waren aus der wohldecorirten Gaststube in ein Zimmer ge- gan- gangen, wo er mir eine allerliebste Aussicht zeigen wolte, und da kamen Mutter und Tochter, die uns noch im andern Zimmer glaubten. Man sah es ihnen an, daß sie uns hier nicht vermutheten. Tinchen in ei- nem weißen leichten Gewand, wo sie beynah wie ein Leibnitzsches Koͤrperchen aussah! — haͤtt ichs nicht gewußt, ich haͤtte sie nicht wieder gekannt! — Sie mich aber auf den ersten Blick! Die Mutter war fast unver- aͤndert! Sie aber fand mich sehr veraͤndert, wie sie sagte. Wer hatte nun Recht? Tin- chen und ich sahen einander, und die Fassung schien uns beyde im Stich zu laßen. Ob- gleich noch mehr da waren, kam es uns doch so vor, als waͤren wir unter vier Augen. Im Augenblick verlohren wir den Faden! Ich fand ihn zwar wieder in der andern Se- kunde; Tinchen aber schien ihn nicht fassen zu koͤnnen — Was fehlt der Braut, sagte Herr v. W — Etwa der Braͤutigam? kennst du denn nicht deinen Gast? Tinchens Retter, erwiederte Frau v. W — Herr Ma- jor! Herr v. W — O des frohen Tages! sagte der guͤtige Wirth, und bald darauf: Sind sie denn wuͤrklich Major? Wuͤrklich Herr v. W. Da ich schon aus dem Rufe in Ruͤcksicht meines Auf- Auftrags bekannt worden und hiernaͤchst dem Herolde meine Wuͤrklichkeit versichert; so war die Frage Fremde . Nebenher, was meynen meine Leser, ziemlich unhoͤflich! Ich be- gruͤßte die gute Frau v. W — mit so vieler Achtung, als Empfindung. Nahm Tinchen bey der Hand, die sie sehr nachlaͤßig wegge- worfen, und wolt ihr zum heutigen heili- gen Abend und morgenden Verlobungstage Gluͤck wuͤnschen, da ich bemerkte, daß Mut- ter und Tochter einen geheimen Kummer hat- ten, der tiefer lag, als Herr v. W — ihn kurz zuvor anzugeben fuͤr gut fand! — War doch Tinchen fast so ausser sich, als wie sie ins Waßer gefallen und als Louischen: Rett! Rett! rief. O wie gern haͤtt ich das arme Maͤdchen wieder aus diesem Waßer der An- fechtung gezogen, wenn es in meinen Kraͤf- ten gewesen waͤre! — Endlich erhohlte sie sich wieder, und Herr v. W — konnte nicht vor dem Bitten um Vergebung Luft und Kraft schoͤpfen. Fuͤrs erste, daß er mich ver- kannt, sodann daß seine Frau so unvorberei- tet erschien, hienaͤchst daß die Braut sich so wie ins Waßer gefallen, aufgefuͤhrt. An die Frage: ob ich denn auch wuͤrklich Major waͤre dacht’ er nicht, obgleich er billig dieser Frage Frage wegen, die erste Bitte um Vergebung anbringen sollen. Was hast denn du getrof- fen? fragte mich Junker Gotthard, da ich mit meiner Jagdprobe so schlecht in seinen Augen bestand. Dies edle Geschoͤpf, war meine Antwort, die ein Blick auf Tinchen geleitete. Diese unschuldige Frag und Ant- wort fiel mir jetzt so sehr auf, daß ich nahe war, laut dran zu denken! Nicht wahr? Sie hatten Tinchen nicht gekannt, Herr Major! fragte mich die gute Mutter? Nein, erwiedert’ ich sehr aufrichtig. Und woran wuͤrd es gelegen haben an Bild, oder Rah- men? An beyden, sagt ich, gnaͤdige Frau. Tinchen war nicht gegenwaͤrtig! — Herr v. W — hatte sich auf eine ganz kurze Zeit beurlaubt, und die liebe Fran v. W — ent- deckte mir, daß Tinchen schon von lang her etwas in ihrem Herzen getragen, in ihrem Gewissen, fuͤgte sie hinzu, wahrlich nicht. Sie ist so, so unschuldig, als wie sie ins Waßer fiel! wie sie ihnen den Abschiedskuß gab! Tinchen, fuhr sie fort, konnte anfaͤng- lich nicht aufhoͤren, ihr Lob zu verkuͤndigen, und die Geschichte mit Minen! wie viel Ehre haben sie damit eingelegt! — Seit einiger Zeit hat Tinchen sie und alles vergessen, mich duͤnkt, duͤnkt, auch sich selbst! — Sie ist still! — tief — was weis ich, wie sie ist, was weiß ich, was sie ist! — Natuͤrlich! nicht ganz! — Sie liebt ihre Mutter, die sie verlaͤßt — Die sie aber im Auge behaͤlt, wenn gleich nicht an der Hand! Gnaͤdigste! die Hand ist bey einer zaͤrt- lichen Liebe die Hauptsache! Unter Mutter und Tochter unentbehrlich! — Sie kann es mit so manchem Lebens- vorfall aufnehmen; ihre Entfernung ists nicht — Ihr Braͤutigam ist rauh; allein bieder und gut! Fast solt ichs auch glauben! — Gewiß! Gnaͤdige! Gewiß! und solch ein Mann ist behaͤglicher, als einer der vorerst kriecht, und nachher sein Weib verlaͤßt, wie es hier zu Lande zu meiner Zeit Sitte war — — und noch ist — Desto gluͤcklicher diese Wahl! Nicht Raupe, nicht Schmetterling ist fuͤr ein Herz wie Tinchen — Gnaͤdige Frau! — ich kenn es — Kaum Kaum in aller seiner Feinheit! Man weiß, wie junge Leute sind; allein er haͤtte wenigstens bedenken sollen, was Tinchen zu ertragen vermag, und was ihr zu schwer ist! — Jugendliebe — — Nichts als Jugend-Helden und Eulenspie- gelstreiche! — Trinchen und Amalichen thun nichts zur Sache! Jagd ist die Lo- sung! — Da kam der Herr v. W — der da an- fieng, wo ers gelassen hatte, mit einer Bitte um Vergebung! — Er nahm Antheil an unserer Unterredung und obgleich er wieder seinen Eidam allerdings so manche Bedenk- lichkeit hatte; so war er doch der Meynung, daß Guͤte des Herzens und Biedersinn uͤber eine gewisse Zaͤrtlichkeit giengen, woran in Curland blos darum so viel Miswachs waͤre, weil die Hoͤflichkeit nicht betrieben wuͤrde, die zu allen Dingen nuͤtze sey! — Gluͤcks genug, wenn man heut zu Tage einen Mann ohne Schulden findet, der zu seiner Zeit ein Mahl zu Ehren anrichten kann, einen Mann, ohn Eigensinn, der Arten begreifen will, ei- nen Mann, der Verstand hat und Arten zu fassen versteht! — Wieder eine Bitte um Vergebung, und warum? weil ich sie so lange von von meinem kuͤnftigen Schwiegersohn unter- halten habe! „ Er ist mein Freund! — Desto besser! sagte Frau v. W — Sie bleiben doch morgen? fuͤgte sie hinzu Ich bleibe — Herr v. W — kleidete sein Gesuch, daß ich morgen noch bleiben moͤchte, in ein so fei- nes Compliment, daß es zugleich fuͤr seine Gemahlin und mich Weisung enthielt, weil wir die Sache so kurz und gut berichtiget! — Man hats, sagt’ er, wiewohl bey einer an- dern Gelegenheit, fuͤr ein Geld! — War- um solte man nicht ein wenig Gewuͤrz dran legen! Es hebt, Macht aber Hitze! nachdem das Gewuͤrz ist! — Wir giengen zu Tische und Tinchen war sehr heiter. Vater und Mutter schienen aus- nehmend mit ihr zufrieden! Was mir vor- zuͤglich auffiel, war die guͤtige Art, mit der sie sich gegen mich nahm! — Sie erinnerte sich an die geringste Kleinigkeit, die zu der Zeit, da ich nach Koͤnigsberg gieng, vorge- fallen war. Herr v. W — hatte Muͤhe, uns von einander zu bringen, und wenn wir anstanden muͤndlich zu sprechen, waren unsere Augen Augen in einer immerwaͤhrenden Unterhal- tung; ich rettete Tinchen, und sie dankte mir! — Tinchen richtete den Sallat an, und ich nahm mir die Erlaubnis, sie an das examen rigorosum zu erinnern, daß sie in — — uͤberstand. Mir kam es vor, daß des strengsten Augeninnerstes und Haͤndege- wichts unerachtet, womit Tinchen sonst be- gabt war, diesesmahl die Sallatingredien- zien nicht nach richtigen Maas und Gewicht gemischt wurden. Zu viel Salz! — zu we- nig Eßig! — Die Deutschen Herr Major! hielten auf ehrliche Geburt; alle ihre hoͤhere Titel laufen auf Gebohren heraus! — Ehrenvest, Hochedel und Wohledel, Gestreng, sind noch mehr Originaldeutsche Titel, als das liebe gebohren? — Erlauben der Herr Major, sagte Herr v. W —. Der Franzos sagt Monsieur, wie gehts aber mit dem gebohren? Ich glaube, in Frankreich kennt selten der Sohn den Va- ter! — Sie haben etwas, die Franzosen, in der Sprache und in allem, was man ihnen nicht nehmen kann; nur das gebohren nicht! — Wie dreist ist ein Franzose bey aller seiner F f Sprach- Sprachfeinheit! — Ein dummdreister Mund und ein liebliches Wort! — Man seh nur, wie die Franzosen ihren Mesdames begeg- nen! Sie verstehen, in Feinheit grob zu seyn. Sie gehen, als wenn sie einen guten Freund auf der Schulter balancirten, oder wie der letzte Taschenspieler, der eine Pfeife auf der Nase tanzen lies. Zur Hoͤflichkeit, zur Festlichkeit, gehoͤrt auch ein Koͤrper, der etwas auf sich nehmen kann. Ein gewißer Wuchs ist schon an sich festlich, und wenn sich ein Zwerg buͤckt, ist das hoͤflich? — Da faͤllt mir immer der Bericht ein, den ein General dem verstorbenen Koͤnige von Preussen uͤber Paris erstattete: Alles Aus- schuß! Allergnaͤdigster Herr! Kein Hofcava- lier, der sieben mißt! — Was ich den Franzosen nicht goͤnne, ist das Wort Servante , Das deutsche Dienerin ist nicht hin nicht her, und Magd! Pfuy uͤbers Kopftuch! Wir hielten uͤber diese Materie ein Gespraͤch, an dem ich, wie der Inhalt es zeigen wird, we- nig Antheil nahm. Ich sah lieber Tinchen im Waßer, als daß ich das Fest der Deutschen wiederhohlte. Der Franzose ist auswendig gelernt, der Deutsche nimmt sich, wie er sich findet; der erste erste Blick ist immer der Beste, das sieht man beym Billiard. Was geben die Franzosen, wenn sie einen zu Gast noͤthigen? Die letztbeklatschte Come- die zu lesen, oder die heutige Zeitung; eine Limonade oben ein! — Sie sind geselliger, als die Deutschen; allein ihre Geselligkeit schrenkt sich aufs Reden ein. Ists Wunder, daß in ihren Worten mehr Geschmack, als bey uns ist, wenns aber auf Thaten an- kommt! heraus, ihr Herren! wenn ihr Herz habt! Mir gefaͤlt jener Deutsche, der, wie alle seine Landsleute, nie allein trank. Wenn dieser Biedermann keinen hatte, mit dem er Glaͤser anstossen konnte, nahm er sein Stammbuch und leerte Seite vor Seite aufs Wohl seiner Freunde sein Glas! — Daß es dir wohlbekomme, ehrlicher Deutscher! Der Englaͤnder vergraͤbt alles in sich; zuweilen graͤbt ers auf, um diesem oder je- nem Todten den Ring vom Finger zu ziehen. Man sieht aber fast immer noch am Ringe ein Stuͤck vom Finger! — Noch eine sehr feine Bemerkung, die Herr v. W — machte, ihm zum immerwaͤh- renden Andenken. F f 2 Man Man sagt: mein Roͤschen! Niemand mein Nelkchen, meine Lilie! meine Hyacin- the! Da sieht man doch, daß jedes Ding sein Hochwohl und Hochedelgebohren hat, wenn man es nur nimmt, wie es zu nehmen ist! — Moͤchten Sie doch, liebes Tinchen, gluͤck- lich in ihrer Ehe seyn! Wer sie nicht auf Haͤnden traͤgt, verdient keine Hand zu ha- ben! — Junker Gotthard hat zwey Haͤn- de. — Wir standen von der Tafel auf. Ich sprach mit Tinchen; allein ohne daß sie und ich an ihren morgenden Verlobungstag dachten! — Wie kam das? Um vieles haͤtt ich sie nicht daran erinnern koͤnnen! Herr v. W — hatte die Gewohnheit, alle Abend mit seinen Leuten eine Betstunde zu halten. Es war, wie ers nannte, ein schuldiger Gottesdienst! Die Frau v. W — sagte mir diese Gewohnheit mit einer so herz- lichen Art, daß ich diese Abendstunde um vie- les nicht verlieren wolte. Herr v. W — legt es, da die Betglocke geschlagen, so ge- flissentlich an, mich eben so gern herauszu- complimentiren, als ich bleiben wolte. End- lich lich kam es zum Wortwechsel. Warum wol- len Sie sich incommodiren? fieng er an, als ob das Gebet eine Beschwerde waͤre! als ob es den Herrn v. W — angienge. Ich lies nicht nach und fand, daß Herr v. W — durchs Gebet mit dem lieben Gott compli- mentirte, und offenbar bewies, daß er das Gespraͤch nicht angehoͤrt, welches zwischen meinem Vater und dem Herrn v. G — bey der Ankunft in — dem Hause des Herrn v. G — vorfiel. Wir giengen in das Betzimmer, wo auch, wenn das Wetter zu schlecht war, um in die Kirche zu fahren, eine Predigt gelesen ward, und Tinchen nahm mit einer Unschuld, die uͤber alles gieng, ein in schwarz Corduan ge- bundenes Buch, und las ein Gebet mit einer solchen Herzlichkeit, daß es mir durch die Seele gieng! — War es mir doch, als wenn sie Gott saͤhe! Meine in Andacht trun- kene Seele, fand in Tinchens Herzen, Mund und Haͤnden das ganze Ideal einer erhoͤhrten Beterin! Du weist, was uns bevorsteht, und wir wissen, daß du unser Vater bist! Vater, in deine Haͤnde befeh- len wir unsern Geist! — Dein F f 3 Geist, Geist, lieber Vater, giebt Zeugnis unserm Geist, daß wir deine Rin- der sind! — Geister sind so all zu- sammen verwandt, und unsere Lei- ber hast du durch deinen lieben Sohn an Kindesstatt angenommen. Ganz sind wir dein! Noch eine Stelle! — Lehre du uns mit deiner Welt zu- frieden seyn, die du gemacht hast sehr gut. Laß uns nie vergessen, daß es an uns liegt, wenn sie uns nicht sehr gut ist! Wenn sie uns nicht sehr gut vorkommt! — Dein Wille geschehe! Hier brach sich ein Thraͤnchen, das Tine so lange zuruͤckgehalten, hervor! Man hoͤrt’ es an ihrer Stimme! Sehen konnt’ es keiner. So weit lies Tinchen es nicht! — Wie ruͤh- rend! — Jedes von uns hatt’ eine Thraͤn’ im Auge. Herr v. W — allein ausgenom- men, der nur nach vorgeschriebenen Noten weinte! Dein Wille geschehe! Hundertmahl moͤcht ich diese Worte hersetzen, vielleicht traͤf Eine meiner Leserinnen Tinchens Ton! — Dein Wille geschehe! — Herr Herr v. G — der aͤltere, soll gesagt ha- ben, den Willen hat sich der liebe Gott vor- behalten, vom Verstand hat er uns ein gutes Stuͤck abgebrochen, und als er das sagte, brach er sich Brod ab, welches er, wie wir wissen, ungern schnitt! — Mein Vater ist dagegen der unvorgreifli- chen Meynung gewesen, daß dem Menschen viel Willen anheim gestellt waͤre, den Ver- stand aber haͤtte sich Gott der Herr vorbe- halten. Endlich haben sie sich auf den Satz verei- nigt. daß der Verstand eine herrliche Gabe Gottes sey, wenn nur nicht der Unverstand seine Lobrede uͤbernehme! — Liebhaber, hast du je deine Geliebte beten gehoͤrt? und gesehen? Lieber Gotthard! wie haͤttest du hier alles, alles vergessen, was nicht deine Tine ist, wenn du sie gesehen und gehoͤrt haͤttest? Wer verdenkt dem Gottfrie- den seine Liebe zur in Gott andaͤchtigen Jungfer? — Jener Arme, der einen reichen Mann um Geld ansprach, erwiederte, da ihn der Rei- che fragte, gegen was fuͤr Sicherheit? — Ingroßation auf den Himmel! — Der Reiche gab ihm nichts, weil auf diese Guͤter F f 4 schon schon zu viel intabulirt waͤre, wie der Reiche glaubte — Das Gebet, Freunde! ist wahrlich eine gerichtliche Verschreibung auf die unsichtbare Welt! — Dein Wille geschehe, sagte Tinchen und die letzten Worte? — Dann liegen wir in unserm Grabe und schlafen unbekuͤmmert den suͤßen Schlaf des Todes, und ein Bote des Herrn geht mit einem: Gesegnet seyst du dem Herrn voruͤber , bis wir eingehen zum ewigen himmlischen Reiche, das bereitet ist denen, die Gott lieben! — Wir schieden sehr still von einander! — Die versammlete Gemeine naͤherte sich (al- les in gewissen Tempos) zu den Knieen des Herrn v. W —; die Frau v. W — wuͤnschte blos eine gute Nacht. Das Fraͤulein Tin- chen sahen die Leute so an, als dachten sie, schoͤn gebetet! — Niemand ruͤhrte sie an! als waͤre sie ein Engel Gottes, den niemand tasten kann! — Was meynen der Herr Major, sagte Herr v. W — zu mir, das Fort e piano und pianißimo weiß meine Tochter zu hal- ten. ten. O des Erzcomplimentisten! mit seinem Fort e piano und pianißimo — Ich konnte die Nacht kein Auge schluͤßen. War es Wunder? Tinchen, wie ihre Mutter des andern Tages versicherte, hatte eine noch aͤrgere Nacht gehabt! Die Nacht vor der Verlo- bung, ist sie nicht wuͤrklich, wie meine Mut- ter bey Gelegenheit ihres Romans, den sie mit meinem Vater gespielt, sie nennet, eine arme Suͤndernacht? — in welcher Nacht ich lag so hart, mit Finsternis umfangen — Ich weis nicht, was mir war! Schla- fen konnt ich nicht, gewacht hab ich auch nicht! — Der Verlobungstag erschien, an wel- chem der Herr Grosvater des Herrn v. W — mit der Frau Grosmutter sich ehelich ver- bunden! und ward mit einer Feierlichkeit ein- gelaͤutet, die ihres gleichen nicht hatte. Daß Herr v. W — mit einem dicken Fuß wegen der frisch angelegten weißseidenen Struͤmpfe paradirte, bedarf keiner Anmerkung. Ich sahe zeitig aus meinem Fenster, das ich oͤfnete. Wahrlich! ich betete, so voll war ich! Bey aufgestoßenem Fenster versteht sich. F f 5 Ich Ich weiß nicht, ob meinen Lesern noch das Vater unser beywohnt, da mein Vater und ich im Hofe des Herrn v. G — ausgeschla- fen hatten. Wir sahen zum Fenster heraus, und da ich Abschied in diesem so seligen Hofe von ihm nahm; (es war das letztemal, daß ich meinen Vater sahe!) stieß Er ein Fenster mit einer Heftigkeit auf, die mir noch auf- faͤlt. Mein Vater! mein Vater! Wa- gen Israels und seine Reuter! — Ist sie es? Sie ists! Ich sahe durch mein Fenster Tinen an einem Teiche mit ei- nem Maͤdchen herumgehen, und immer in den Teich sehen! Solte Sie, dacht ich, an dem Tage, da ihr Herr Aeltervater mit der Frau Aeltermutter sich ehelich verbunden und auch sie Gotthardten auf ewig die Hand zu geben in dem Herrn entschlossen ist, solte sie da das Andenken des Waßerfalls feyerlich begehen! und gleich unterdruͤckt’ ich diesen stolzen Gedanken! — Wir thaten, als saͤ- hen wir uns beyde nicht, und doch sahen wir uns beyde! — und wuͤnschten es, daß wir uns saͤhen! — Sie verschwand! — Eine feyerliche Stille im ganzen Hause! Mehr als ein Pianißimo! Bald Bald haͤtt ich zu bemerken vergessen, daß Herr v. W — mir des Abends das Geleite gegeben und des Morgens fruͤh nach meinem Wohlseyn sich erkundigen laßen! — Fruͤh- stuͤck ward jedem in sein Zimmer gebracht, und es kann zehn gewesen seyn, da Herr v. W — zu mir kam in vollem Staat und mir die Visite gab. Es ward mir auf den Er- mel geheftet, daß ich sie ihm wiedergeben muͤßte, das that ich, und nun war bis zum Verlobungsmittag alles nach Ortsgebrauch berichtiget! — Man gab mir zu verstehen, ob ich nicht Lust und Liebe haͤtte das Verlobungszimmer anzusehen! Ich hatte nicht Lust und Liebe! — Da ich indessen merkte, daß diese Anregung hoͤheres Orts sich herschrieb gieng ich, und fand ein Zimmer, wo ein Sopha stand, car- moisinroth beschlagen, druͤber Grosvater und Grosmutter so unaufgeraͤumt gemahlt, daß es mir vorkam, als waͤre dies gute Paar unwillig, daß man sie aus dem Schlafe stoͤhre! — Man oͤfnete zwey Fluͤgelthuͤren und ich fand eine solche allerliebste Uebereinkunft, daß es schien, als freuten sich die Zimmer, daß sie einander saͤhen. Man sah es recht, daß eins eins ins andre kam! Wenn eine Sayte an- geschlagen wird, toͤnt die andere, falls die Instrumente gleich gestimmt sind. Ueber- all fand ich die liebe, liebe Frau v. W —. Schwerlich! dacht ich, wird es Junker Gotthard so empfinden, als ich! — Es war alles bereitet, und niemand fehlte, als der Braͤutigam. Freylich bey der Verlobung ein wichtiges Stuͤck! Da rasselte ein Wagen! und da lief alles, was nur von Domestiken laufen konnte, auf den Posten. Herr v. W — war nicht Willens seines Schwiegersohns halber die letzte Stuffe der Treppe zu beschreiten, um den Ankoͤmm- ling entgegen zu nehmen; denn vorerst war er der Schwiegersohn, sodann verstand er nicht, was heiliger Abend war, und selbst an seinem Ehrentage hatt’ er viel zu lange auf sich warten laßen. Wo sind denn die Damens schrie Herr v. W — der in seine Rolle gesehen hatte. Sie hatten sich noch nicht sehen laßen, ausser daß ich Tinchen am Waßer erblickt! — So erschrack Louise nicht uͤber den unzei- tigen Flintenschuß, als ich, da ich hoͤrte Tin- chen chen waͤre wie todt — Ich hoͤrte das wie nicht und doch hat ein dergleichen wie eine große Bedeutung! — Herr v. W — wolte nicht aus der Rolle weichen, und das war ihm in den Jahren nicht zu verdenken! Er hatte zu viel zu behalten, um sich voͤllig auf sein Gedaͤchtnis verlaßen zu koͤnnen! — Todt! Herr v. W — Todt? Was hilft der Braͤutigam, wenn die Braut fehlt? Dieser Gedanke muß ihm, wie ich vermuthe, einen Stoß gegeben haben! Er war wuͤrk- lich aus dem Concept, und gieng zu seiner Tochter, die, wie es bald darauf hies, immer schlechter wuͤrde . Soll denn, sagte Herr v. W —, da er aus Tinens Zimmer kam, aus dem Tag der Freude ein Tag des Traurens werden? Alles lief durcheinander! Die Mutter hoͤrt’ ich rufen, meine Tochter! meine Tochter! so klaͤglich, als die Retts und die Hiers von Louisen, schallten sie mir, und o! was ist in solchen Faͤllen der Wohlstand? Das schrecklichste, was ich weiß! Wird Gotthard, der eben gekommen es nicht so machen, wie ehemahls, und eher die Flinte abzuschießen bemuͤht seyn, als sei- ner Kranken die Hand zu reichen. Nach Nach einem langwierigen unverstaͤndli- chen Mischmasch, kam alles an Ort und Stelle. Der Herr Braͤutigam hatte sich ent- schuldigen laßen. Sein Fuͤrsprecher war Junker Peter, der Muͤckentodtdruͤcker, Tin- chens Bruder, der mit feurigen Roß und Wagen angekommen war. Man hoͤrt es den Pferden an, daß sie bey einem Braͤutigam im Dienst sind, sagte Herr v. W — und that sehr zufrieden, daß der Herr Schwie- gersohn in Ruͤcksicht der Pferde die Etikette als Braͤutigam nicht verfehlet; was aber Ihn selbst betraf, oh! das war ihm zu uner- traͤglich, als daß er uͤber diese cursche Denk- art seinen Unwillen nicht aͤussern sollen. Die Stimme ist Jacobs, die Haͤnde Esaus, sagte der gute Herr v. W — ohne zu bedenken, daß er dem Jacob, den er mit den kecken Braͤutigams-Pferden verglich, eben keine sonderliche Ehre erwies. Wie doch alles in der Welt durch Mißverstaͤndnisse geschlaͤngelt wird! Ich weiß nicht, ob meine Leser sich noch an den sonst unbetraͤchtlichen Umstand des vermeintlichen Todes des D. Safts erin- nern, welche meine betruͤbte Suͤndenfalls- Krankheit im vierzehnten Jahre veranlaßte und was fuͤr Kreutzwege giengen nicht aus dieser dieser meiner Krankheit aus, bis sie all zu- sammen in den zweyten Diskant meines Va- ters zusammentrafen: Gott eilet mit den Seinen, laͤßt sie nicht lange weinen! Du wirst dich so vergessen, sagte Frau v. W — zu ihrem bedruckten Manne, der wahr- lich seine Jacobsstimme eingebuͤßt hatte, daß du deinen Gast aus dem Gesicht zu verlieren im Begrif stehest! — Gleich ein Platzregen von Bitten um Vergebung, und doch hinter diesen, wieder Gloßen uͤber Curland und Semgallen , die mein Vater nicht unhoͤfli- cher machen koͤnnen! Freylich war es arg, daß die Sonne am Grosvaͤterlichen Verlo- bungstage so unverrichteter Arbeit unterge- hen solte, und ohne daß sie ein Enkelpaar be- gruͤßt hatte! — Ein Trost fiel mir ein, der noch am heilsamsten anschlug! Wer Thor- heit mit Klugheit verbessern will, gebe ja das ganze Geschaͤft’ auf. Thorheit muß Thorheit heilen! Gleich und gleich! — Grosvaͤterlicher Hochzeitstag, sagen sie? Ja doch ! Hoch- zeitstag, erwiederte Herr v. W — der, un- ter uns gesagt, sein unhoͤfliches Doch bespa- ren koͤnnen, dessen ich mich nicht gewaͤrtig war. Indessen gieng es nicht mich, sondern seine seine unbedachtsame Voreltern an, die zwar den Hochzeits- nicht aber den Verlobungstag in die Archive von — gelegt und in die Fa- milienakten verzeichnet hatten, welches Herr v. W — bey dieser Gelegenheit sehr empsind- lich ruͤgte! — Nun nahm ich mir die Er- laubnis zu bemerken: Ihr Herr Vater hat auch einen Hochzeitstag gehabt? Freylich, erwiederte Herr v. W — allein wie schoͤn waͤr alles zu stehen gekommen, wenn an diesem Tage — das Beylager, grif ich ein, und an jenem die Verlobung gehalten waͤre? Darf ich aber ihren selbst eigenen Hochzeitstag, weil doch die Verlobungstage in der Familie in etwas vernachlaͤßiget zu seyn scheinen, wenigstens nicht Ahnenreich sind, darf ich — Herr v. W — merkte auf und begrif, wo ich hinaus wolte. Er schien sich zu fassen, obschon er nicht umhin konnte, dem Worte Beylager Einen Brandmark zu geben, und, wie er sagte, mich hoͤchlich zu bitten, zu Ehre der Deutschen dies Wort bis aufs Blut zu verfolgen! — welches ich ihm, um seinen patriotischen Absichten nicht den Weg zu vertreten, versprach! — Tinchen genas, und die Familie versam- melte sich zu einem zwar etwas spaͤtern, allein desto desto eintraͤglichererem Mittagsmahl, aus welchem indessen zwey Schuͤsseln, nach An- ordnung des Herrn v. W —, ungegessen ab- getragen werden mußten, weil, wie er sagte, sie origetenus Verlobungsgerichte waͤren. Die eine war, duͤnkt mich, Kaͤlbermilch. Herr v. W —, um nicht die Regeln der Le- bensart zu uͤbertreten (er verzieh mir den harten Beylagerausdruck) verbiß seine Bit- terkeit. Die Frauenzimmer schienen so zu- frieden, daß selbst von Tinchens Krankheit nicht viel gesprochen wurde! Ein Waßerfall, sagte sie, da ich mich darnach erkundigte. Wenn man einmal aufm Trocknem ist, was ist mehr? So schien sie mir auch wuͤrklich! — Frisch, wie nach dem kalten Bade, und die Mutter? Auch sie brauchte so wenig, wie Louischen, meinen Hut voll Waßer. Die Zufriedenheit ihrer so liebenswuͤrdigen Toch- ter hatte sie hinreichend getroͤstet! — Von Tinchens Bruder, vom Muͤcken- helden , bin ich noch die Beschreibung schul- dig. Dieser junge Mann war auf eine so hoͤfliche Art von seinem Herrn Vater erzogen, daß nichts druͤber gieng. Wen er lieb hat, den zuͤchtigt er, scheint mir noch immer die Hauptregel der Erziehung zu seyn. Ich G g weiß, weiß, daß man es heut zu Tage dazu anlegt, durch gute Worte gute Plaͤtze zu suchen. Wenns nur ohne Nagelbohr gehen wird! Meine liebe selige Mutter schrieb meine Krankheit im vierzehnten Jahre auf die Rech- nung des betruͤbten Suͤndenfalls — — Extrapost ! Die Festlichkeit und Hoͤf- lichkeit, welche unser theurer Herr v. W — so bruͤderlich zu vereinigen wußte, floß, die reine Wahrheit zu sagen, aus der Quelle des Stolzes! — Hierin folgte der Herr Sohn dem Vater buchstaͤblich, und da es ihm nicht verborgen bleiben konnte, daß eben die Hoͤf- lichkeit das Wort Melchisedech war, wel- ches seinem Herrn Vater rings umher, in einem solchen Lande, wie Curland, uͤbel ausgelegt ward; so machte er sich noch eine gewisse Heucheley eigen, die weit unartiger hervorschoß, als wenn sie blos aus der Wur- zel der Fest- und Hoͤflichkeit entsprossen waͤre! — In seines Vaters Hause war er hoͤflich und festlich, und zwar gegen seinen Vater, ungezogen cursch in aller Ruͤcksicht, sobald er ins Freye kam. Alles von dieser Verfahrungsart konnte dem Vater unmoͤglich verborgen bleiben; indessen schrieb er dies flugs flugs der großen Kunst zu, sich in die Zeit zu schicken . Ueberhaupt glaubte der Herr Vater einen wohleingeschlagenen Sohn in Junker Petern vorzeigen zu koͤnnen, und hatte nie etwas dagegen, wenn es dem jun- gen Herrn einfiel, seinen Vergnuͤgungen Thuͤr und Thor zu oͤfnen. Die gute Mut- ter, die kein doppeltes Gesicht ausstehen konnte, weil das Gesicht das Patent des Herzens, des Gemuͤths ist, hoͤrte nicht auf einzulenken; allein da war der Herr Sohn, so wie es die Zeit mitbrachte, oft hoͤflich wie gegen seinen Vater, oft rauh und cursch, wie mit seinen Bruͤdern! Was ich einen sich immer gleichen Cha- rakter liebe! Und wahrlich, zu diesem Gleich- laut den Menschen zu bringen, kann nicht schwer halten, wenn man ihn von der Bahn der Ausdruͤcke, der Worte, zu Handlungen, zu Thaten, von dem Wege der Empfindun- gen auf den Weg der Grundsaͤtze und der Regeln leitet! Wer kann das zu offt sagen! Wahrlich! es waͤre gut, den Menschen von allen Neigungen abzuhalten, die sich nicht aus der Naturschule herschreiben! — Man laße das Kind, wie Herr v. G — der Se- lige, der Meynung war, essen, wenn ihm G g 2 hun- hungert, man laß es zu Bette gehen, wenn ihm schlaͤfert! — Man uͤberlaß es sich in solchen Dingen so sehr, daß man jeden Gaͤn- gelband verabscheue! Es hat gute Wege. Wenn der Finger verbrannt ist, wird man das Licht scheuen, und wenn sich das Kind den Kopf gestoßen, wird es dem Fall aus- weichen! — Die Erziehung geht nicht die- sen, sondern einen ganz andern Weg! Man sehe doch, wie Gott den Menschen zu er- ziehen sich bemuͤht, da der Mensch sich in die Unnatur stuͤrzte und in seinem Blute lag. — Neigungen, Angewohnheiten schraͤnken die Macht der vernuͤnftigen Bewegungsgruͤnde, der Grundsaͤtze ein, und uͤberhaupt, was ma- chet uns ungluͤcklich in der Welt? Wahrlich nicht der Mangel der Sache. Der Mensch kann sich ohn alles behelfen. Selbst ohne die Hof- nungen der andern Welt kann man gutes thun. Der Appetit, Freunde! die Neigung zu et- was, das entweder gar nicht da ist, oder schwer erhalten werden kann, macht uns un- gluͤcklich! — Mensch, du bist ein gebohr- ner Diogenes! Lerne dich selbst kennen! Ob und in wie weit der Muͤckenheld diese Lektion verdient habe, die ich ihm ge- lesen, lesen, sey meinen Lesern zu beurtheilen uͤber- laßen! Jetzt zur Geschichte, und damit ich mei- nen Lesern doppelt einbringe, was sie bey dieser Nutzanwendung eingebuͤßt, so sey mir gleich mit der Anzeige anzufangen erlaubt, daß Junker Gotthard nicht Tinens Braͤu- tigam war. Wie das moͤglich ist? und wie ich denn auf Trinchen und Amalchen in mei- ner Unterredung mit der lieben Frau v. W — fallen koͤnnen? Wohlgesprochen! aber ich frage wieder, wie man glauben koͤnnen, daß D. Saft todt sey? und ob nicht Jedes der Meynung seyn muͤßen, Junker Gotthard waͤre der Braͤutigam? Wer anderer Mey- nung ist, blaͤttre das grisgraͤmische Gesicht des Herrn v. W — auf, da er die heissesten Wuͤnsche seinem Schwiegersohne bey der aca- demischen Wanderschaft auf den Weg gab, daß der große Gott ihn auf seiner Reise be- gleiten, seine Studia zu seiner Ehre und des Vaterlandes Nutzen segnen, und ihn zu sei- ner Zeit in die Arme seiner kleinen Braut ge- sund zuruͤckbringen wolle! — und das war nur ein Theil, der kleinste, von seiner Schwie- gervaterempfindung — G g 3 Jun- Junker Gotthard wars nicht? Warum nicht? Daran wird weniger liegen, als an der Frage: wer es denn sonst gewesen? Ich will versuchen, beyde Antworten unter einen Hut zu bringen. Junker Gotthard hatte in Goͤttingen und Koͤnigsberg so wenig Aufmunterung zur heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr seine Trine je laͤnger je schmucker vorkam, und was ihm den Rest gab, kann wohl die Art gewesen seyn, wie Tine v. W. ihn bey seiner ersten Aufwartung begegnete! — Herr v. W — mit ofnen Armen. Frau v. W — reicht’ ihm die Hand! Tinchen nahm sich da- bey so, als wenn sie nur zum Zusehen da waͤ- ren! — Erbarmung, dies Mittelstuͤck der Liebe, wenn Erbarmung rechter Art ist, sieht aufs Ungluͤck, nicht auf die Person, und die Liebe? sagt ihr, die ihr geliebt habt, hat nicht jede Liebe einen Goͤtzen, den sie anbe- tet? Idol, oder Ideal, ist hier nicht weit auseinander. Alexander bringt das Bild seiner Mine auf die Welt, und Mine das Bild des Alexanders. Die Sinnen bringen nur auf etwas, das schon da ist. Sie de- cken nur den Tisch, um die fertigen Schuͤs- seln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich die die Eheangelegenheiten ihre sieben magere Jahre angetreten, giebts doch noch Adams- und Evas-Ehen! — — Junker Gotthard empfand, daß er ge- kommen, gesehen und nicht gesiegt hatte, und gieng gerechtfertigt in sein Haus! — Er sahe ein, daß hier keine Aussicht fuͤr ihn waͤre, wenn er mit gutem Gewissen verfahren solte, und es kostete ihm wenig Muͤhe umzusat- teln, um aus seiner Sprache ein Wort an- zubringen. Ich glaube, daß er nie mit dem ernsten Gedanken zu Tinchen gekommen, seine alte Rechte geltend zu machen, und da er fand, daß das Waßer im Teiche Betesda sichtbarlich nicht fuͤr ihn, sondern fuͤr einen andern bewegt ward, hofte er, nach der Liebe, daß, wenn ihm ja nach der Eheklause eine Sehnsucht anwandeln solte, ihm sein Kaͤmmerchen nicht fehl schlagen wuͤrde! — Tinchen und Gotthard fanden bey diesem Auftrit vollkommen ihre Rechnung; nur Tin- chens Vater und Mutter waren nicht sonder- lich erbaut, welches Gotthards mindester Kummer war — Ein Gluͤck fuͤr Junker Gotthardten war es, (denn sonst wuͤrd ihn Herr v. W — mit Hoͤflichkeit verfolgt ha- G g 4 ben) ben) daß er bey dieser Gelegenheit alle Re- geln der Hoͤflichkeit gegen den Herrn Schwie- gervater uͤbertreten. Kein Wunder, daß er diesem Ehrenmann, der mit seiner Tochter nicht verlegen war, in Harnisch jagte, und daß die sehlgeschlagene Hofnung dem Herrn v. W — keine Minute verdarb! — Fast haͤtte man glauben sollen, Tinchen und Gott- hard haͤtten sich aus bloßer Liebe verlassen, so schien es, da sie sich einander los waren. Tinchen legte indessen ein Jahr nach dem andern zuruͤck, und was noch mehr ist, so war sie so sehr in sich gekehrt, daß die Eltern ihrethalben fuͤrchteten. Es kann sich auch wohl ein D. Saft mit einem Heyrathsrecipe obenein gemeldet haben, worauf um so mehr Ruͤcksicht genommen ward, als ein Lor- chen , wie schon erwaͤhnt worden, in der Gegend sich so herabgesetzt, daß so gar Tin- chen nicht mehr Lorchen genannt wurde. In dieser Lage ward Tinchen von einem reichen Junker gesehen, der nicht aus dem Lande ge- kommen war. Aug auf, oder Beutel, sagte Herr v. W —, und intreßirte sich fast groͤb- lich fuͤr diese Heyrath. Herr v. W — be- wies, daß wenn gleich die Hoͤflichkeit zu allen Dingen nuͤtze waͤre, daß Geld ihr nur etwas weni- weniges nachgebe, und da er Festlichkeit mit der Hoͤflichkeit paarte, wie sie denn sich gegen einander wuͤrklich verhalten, wie Mann und Weib, so war es sehr natuͤrlich, daß er das Vermoͤgen des reichen Junkers in eine der Sache gemaͤße Erwaͤgung zog. Tinchens Freyer unterstuͤtzte den Muͤckenhel- den mit Vermoͤgen zu allerley Vergnuͤgun- gen, und dieser ihn mit Empfehlungen im vaͤ- terlichen Hause. So hoben sich die Bruͤche, und selbst die gute Frau v. W — war, wie wir gehoͤrt haben, eben nicht wider diese Heyrath — Tinchen allein sahe die Sache von einer ganz andern Seite an. Sie wolte nicht frem- des Feuer auf einen Altar bringen, der ei- nem unbekannten Liebhaber geweihet war, und eben in dieser Ruͤcksicht fielen ihr tausend Dinge an ihrem Liebhaber auf, die andere Leute nicht bemerkten. Selbst ihre feine Mut- ter nicht. Die Liebe entschuldigt, die Ab- neigung tadelt alles — und wahrlich Tin- chen hatte nicht Ursache, bey dieser Tadel- sucht sich anzustrengen. Tinchens Werber, Herr v. K —, damit ich den ersten Buch- staben gebe, hatte sich nicht blos auf eine schmucke Trine eingeschraͤnkt, sondern auf G g 5 jedem jedem seiner Doͤrfer und Vorwerker war eine dergleichen schmucke Person, die er be- gnadigte, (ein lettischer Ausdruck, den ich nur sehr unkraͤftig verdolmetschet habe.) Der Muͤckenheld war in Absicht dreyer dieser Trinchens in Compagnie getreten, wo aller Schade auf Herrn v. K —, der Vortheil aber zu wenigstens gleichen Theilen gieng. Ju- ristisch Loͤwengesellschaft genannt. v. K — war ein Verschwender, und geizig — er liebte und haßte auf eine so uncivile, ungesit- tete Art, daß freylich bey der Verbindung mit Tinchen keine sehr gluͤckliche Ehe abzuse- hen war. — Was solche Leute ekelhaft sind! — Ich trinke darum ungern Punsch, weil er, wie Herr v. E — und Herr v. K — sich widerspricht. Indessen ward Tinchen endlich eingeschlaͤfert, im Schlafe aufge- sprengt, und da hatte sie den Kopf nach vorn genickt, wie alle gute Leute, wenn sie schlafen, nach vorn den Kopf zu neigen pfle- gen. Dies Nicken hieß beym Herrn v. W — um so mehr Ja, als, nach seinen Regeln der Hoͤflichkeit, er keinem Maͤdchen in ein deutliches Ja! auszubrechen gestattete; hoͤch- stens konnte sie es verlieren. Eben darum haͤtte er das Trauungsformular, trotz den zwey- zweygliedrigen Segen gern reformirt, wenn es in seiner Macht gewesen waͤre. Die gute Mutter empfand desto mehr, daß Kopfnicken und deutlich Ja sagen verschieden waͤren. Sie sah ihre Tochter so oft ganz Gottergeben vor dem Altar dienen, wo freylich nur das Fest des unbekannten Liebhabers gefeyert wurde; indessen ist die Liebe der Einbildung die gefaͤhrlichste! — Kind! fing sie an, und Tinchen erwie- derte: Mutter! Liebes Kind! Liebe Mutter! einzige Tochter! einzige Mutter! — Das war alles, was verhandelt ward. Du hast gewolt! Ja, liebe Mutter! Un- gern? Ja, liebe Mutter! Gott wird hel- fen! Tinchen blickte gen Himmel! — Ihre Mutter fuͤhrte sie auf so manche Hoͤflichkeits- scene, durch welche sie sich durchdrengen muͤs- sen, auf die Abneigung, die sie fuͤr alles, was sich biegt, gehabt und noch haͤtte, und dann unterbrach diese Lieben der Muͤcken- held , oder sein Herr Vater, und Tine em- pfand die Unannehmlichkeit in ihrem ganzen Umfange, von diesem des Herrn v. K — halber halber geliebkoset, und von jenem aufgefor- dert zu werden! — Alle Zudringlichkeit ist, bey Gemuͤthern, die selbst zu wissen glauben, was zu thun ist, unausstehlich, es kleide sich diese Zudringlichkeit schwarz oder weiß — Herr v. K — der wohl wußte, daß Geld bey ihm die Losung sey, bot seiner Braut auf eine recht cursche Art ein Geschenk in baarem Geld’ an, um nach ihrem weltberuͤhmten Ge- schmack, wie er sagte, selbst davon Gebrauch zu machen. Wer kann das so, wie Sie, setzte der galante Herr v. K — dazu! — Welt bekannt, erwiederte Tinchen — kehrte den rothen Netzbeutel zuruͤck, und fuͤgte auf eine Art hinzu: wir sind beyde nicht aus Curland gewesen , daß Herr v. K — es selbst verstand! Das muß doch eine sehr deutliche Art gewesen seyn! — Herr v. W —, der hoͤfli- che Herr v. W — wußte selbst diese Geschenk- manier zu Gunsten des Herrn v. K — auszule- gen, obgleich Geschenke in Gelde so was wider- stehliches an sich haben, daß kein guter edler Mensch sie mit ofnen Augen nehmen kann. Ge- schenke machen die Weisen blind! — Herr v. W — hatte dem Junker v. K — den Hoch- zeitstag seines Herrn Großvaters verziehen; wie solt er ihm ein Geschenk in Geld uͤbel deuten? deuten? Geld war des Junkers v. K — Losung. Geschenke in Gelde, heißen Geschenke in Originali, fieng Herr v. W — an. Praͤ- sente, in Sachen bestehend, heißen Geschenke in authentischer Kopie. Alle Originale sind hart, oft widerlich, gestrichen und mit Faͤhn- chens versehen. Eine vidimirte Copie wird gemeinhin schoͤn geschrieben, faͤllt weicher ins Auge. Original ist indessen Original und bleibt Original. Tinchen war endlich wuͤrklich entschlossen, Ja in den Augen von ganz Curland und Semgallen zu nicken, bis sie den Tag vor meiner Ankunft solche Beklemmungen erhielt, daß ihre Mutter ihrenthalben besorgt war. Ihr Vater hielt es fuͤr ein Capitel aus der Weiberpolitik, und klatschte, daß sie ihre Rolle so schoͤn spielte; — Auf Schauspiele haͤtte sich doch Herr v. W — besser verste- hen sollen! — Auf diese Rechnung gehoͤrten die herzli- chen Worte: Dein Wille geschehe ! und das Pianissimo beym Schluß: dann liegen wir in unserm Grabe, und schlafen unbekuͤmmert den suͤßen Schlaf des Todes, und ein Bote des Herrn Herrn geht mit einem: Gesegnet seyst du dem Herrn , voruͤber ! — Meine Ankunft war ihr so etwas wunder- bares, daß sie voͤllig aus dem Zusammen- hang kam. Sie extemporirte. Wer denkt beym Extemporiren viel an das, was vor- hergeht, und was nachfolgt? Wer glaubt nicht Wunder wenn er liebt, und bald haͤtt’ ich gefragt, wo geschehen in diesen wunder- geitzigen Zeiten anders Wunder, als in der Liebe? Im alten Bunde versandte Gott En- gel; jetzt macht er gute Menschen zu Commis- sarien! Kommen sie mir doch wie ein Engel- sagt’ ich zu meinem J — — s, da er mich zum letztenmahl heimsuchte, und wahrlich! du warst mir ein Engel, guter J — — s! Da die Braͤutigams Pferde ansprengten, fiel Tinchen in Ohnmacht — warum? als ob man bey einer Ohnmacht warum fragen kann; Des Morgens, wie wir alle wis- sen, war sie heil und gesund ans Waßer ge- gangen — Die Braͤutgams Pferde brachten nur den Junker Peter, unbepackt mit Entschuldigun- gen, die freylich wenn gleich sie noch so schwer gewesen, an einem solchen Tage unbefriedi- gend geblieben waͤren. War es denn nicht der der Verlobungstag des Herrn Großvaters Hochwohlgebohrnen? Konnte denn aber Pe- ter nicht wenigstens vorgeben, Herr v. K — waͤre sterbend krank worden? und dem D. Saft einen Brief an der Braut uͤbertragen? Junker Peter schien nicht undeutlich zu ver- stehen zu geben, daß der Ton beym Praͤsent in Originali viel zu dieser Fuͤhrung beygetra- gen. Den folgenden Morgen kam ein Brief vom Herrn v. K —, worin er alle Unter- handlungen unterbrach. Herr v. W. — gab mir in der ersten Hitze diesen Brief zu lesen. Gewiß wuͤrd’ ers nicht gethan haben, waͤr es nicht in der ersten Hitze gewesen. Herr v. K — hatte seinem Freunde keinen unhoͤf- lichen Blick von seinem Vater zuziehen wol- len, der aber mit 300 Thaler Alb. heraus- ruͤcken solte! — Man bat mich zu bleiben, ich blieb. Der Ton schien uͤberhaupt in diesem Hause zu Hause zu gehoͤren. Ueberhaupt gehoͤrt er zum Weiberdepartement. Fast wuͤrd’ ich baupten, daß alle Declamation Weiberwerk sey. — Lieschen war bis jetzt Tinchens Ver- traute geblieben, und da ich mich ihrer so lebhaft und oft erinnerte, ward sie herbey geholt. geholt. Sie war an einen Amtmann verhey- rathet. Sie hatte keine Kinder. — Frau Louischen kam und freute sich so, mich zu sehen, daß nichts druͤber gieng. Sie fand, daß ich alt worden, und daß mein Arm schwerlich ein Fraͤulein Lorchen mehr aus dem Wasser hohlen wuͤrde. Ein Fraͤulein Tin- chen noch weniger, setzte sie hinzu. Frau v. W — und ihre Tochter fanden der keines — Die Frau Amtmannin besuchte mich oͤfters auf meinem Zimmer, wenn ich allein war, und unser einziger Text war Tinchen . In der Nutzanwendung kam Herr v. K — vor, und da ward er behandelt, wie man die Suͤnder in der Nutzanwendung zu behandeln pflegt — Noch vier schoͤne Tage lebte ich in — und da sich meine Commißion nicht laͤnger ver- schieben lies, gieng ich mit dem Versprechen ab, nach geendigtem Geschaͤfte wieder zu kommen! — Beym Abschiede wieder der Ton! Wie ich den Ton liebe, und alles Kopfnicken hasse, wenn der Kopf gleich nach vorn faͤlt! — Nur beym Tode nicht. Herr v. G — starb nach vorn! Nur beym Schlaf nicht; denn er ist des Todes leiblicher Bruder. Jun- Junker Peter hatte sich gegen mich ziem- lich fremd genommen, und ich bezahlte ihn mit gleicher Muͤnze; indessen muß ihm der Abschied, den Tine und ich nahmen aufge- fallen seyn, ohne daß eben der Ton der frey- lich ein zu gutherziges Kapitel fuͤr ihn war, dazu etwas beygetragen haben kann. Wenn? fragte Tine; o! wie anders als Nathanael, da er sein Gretchen sehen wolte — Auch die liebe Mutter dieses edlen Geschoͤpfs, fragte: wenn? Herr v. W — konnte sich nicht aus dem Strudel herausarbeiten. Oft kam er in die Complimente, die er seinem Schwiegersohne zugedacht hatte, und die er fuͤr nichts und wieder nichts gelernt — und nun verlernen mußte! — Wie er denn ab- brach, wenn er auf einmal merkte, es sey ein Wort des Schwiegervaters zum Sohne! — Wer sieht nicht gern schwimmen, wenn ein Kunstverstaͤndiger im Waßer ist? Die Frau Amtmaͤnnin konnte nicht um- hin, mich weit dringender, als das ganze Haus, zu bitten, wiederzukommen. Aber, liebe Frau Amtmannin, mein Arm ist nicht mehr in den Umstaͤnden, Lorchen aus dem Waßer zu ziehen! Kommen Sie doch, Herr Major! — H h Ob Ob Herr v. K — durch seine abschlaͤgige Antwort die Absicht gehabt, Tinchen weich- herziger zu machen, das Praͤsent in Origi- nali anzunehmen, um das Laͤmmchen anzu- gewoͤhnen aus seiner Hand zu essen, oder ob er ihren Vater zu einer andern Eheverschrei- bung auffordern wollen, oder ob er sich, was weiß ich, in der Gegend, wo man ihn mit Tinchens Sproͤdigkeit aufzuziehen anfieng, wieder in Credit zu bringen gedacht, oder ob er es seinem Herrn Schwager blos zu Gunsten gethan, um seinen Herrn Vater, bey dieser erwuͤnschten Angelegenheit des Hauses, so geschmeidig im Geben zu machen, als der Herr Sohn es im Reden war, das sind kitz- liche Fragen, die ich meiner Aeltermutter uͤberlassen wuͤrde, wenn sie noch am Leben waͤre. Junker Peter, ohne einen Auftrag selbst vom Vater zu haben, reisete von selbst wie- der, wo er gekommen, und erzaͤhlte dem Herrn v. K — was er gesehen und gehoͤret, und was er zu glauben Ursache haͤtte; erhielt auch sogleich von ihm Macht und Gewalt, sobald ich wieder eintraͤfe, mich zur Rede zu stellen, wie ich zu der Dreistigkeit kaͤme, in einem einem Hause mich aufzudrengen, wo er Re- gent waͤre! — Mein politischer Auftrag gieng so von statten, als noch kein Geschaͤfte mir je von statten gegangen! den Tuͤrkenkrieg nicht aus- genommen! Ich kam, fand Tinen so, wie ich sie gelaßen; ihre Mutter desgleichen. Ihr Vater hatte etwas Ruͤckhaltendes angenom- men, obgleich er nicht verfehlte, in Absicht der Treppe mich so zu empfangen, als zu- vor! Warum Nebenumstaͤnde? da ein einzi- ger alles entscheidet. Bis jetzt hatte ich an Tiene nicht anders als an ein liebes gutes Maͤdchen gedacht. Den Abend, da ich ruͤck- kam, gieng ich weiter. Was war es? was mich weiter brachte. Ein Ungefehr? O ihr Kleinglaͤubigen! Ich ehre jedes Ungefehr, als goͤttlichen Fingerzeug. Es ist etwas, das eine unsichtbare im Stillen wuͤrkende Hand thut, und was sie thut, ist wohlge- than! Was ists denn hier? Ich kam in mein Zimmer und da wars, wie eine Stim- me, die zu mir sprach Mine ! Schnell lief ich zu ihren Papieren und fand die Stelle! — Gros geschrieben: H h 2 Nun Nun meine feyerlichste Bitte, mein Be- schwur! Ich bitte dich vor Gott und nach Gott! Ich beschwoͤre dich bey allem, was heilig ist, im Himmel und auf Erden, und nach diesem hohen Schwur bey mei- nem letzten, letzten Seufzer, bey meinem letzten Todesstoß, bey meinem letzten war- men Hauch — dich zu seiner Zeit ehelich zu verbinden. Gott segne dein Weib und die Kinder, die er dir schenken wird! — Wie mir dabey war, weiß Gott! ich konnte kein Wort mehr lesen. Schnell legt ich mich nieder, um keine Zeit zu versaͤumen. Als ob ich nicht schon zum Voraus wußte, ich wuͤrde nach dieser Stelle keine Stunde schla- fen. Ich schlief wuͤrklich keine Stunde, und doch hatte ich ausgeschlafen! Mein Ent- schluß war, alles dem Ungefehr zu uͤberlas- sen, mich nicht um Tinen zu bewerben; allein ihrer Hand auch nicht auszuweichen. Daß mir Tine schon zuvor nicht gleichguͤltig gewe- sen, laͤugn’ ich nicht, mich aber so gegen sie zu nehmen, war das Werk dieses Abends, welches der in mir wuͤrkte, der Wollen und Vollbringen giebt, nach seinem Wohlge- fallen. Ein Ein Traum? wird der gelehrte Kunst- richter fragen, und wenn er bitter ist, bemer- ken, daß dies ein Hauptstuͤck eines regelmaͤs- sigen Trauerspiels sey! Mein Vater sagte an einem dunklen Tage: wenn ja Arzeneyen genommen werden sollen, ists gleich viel, was fuͤr welche? auf die Art, wie? Auf den Glauben kommts an, Solch einen Glauben konnte man wohl hinzufuͤgen, hab ich in Israel nicht funden — Mehr als einmal hat mich eine derglei- chen Stimme eines Unsichtbaren aufgefordert. Noch nie hat es mich gereuet, diesen Seelen- Appetit befriediget zu haben. Wie ich Tinen und das Haus ihrer El- tern gefunden, wissen meine Leser schon, und eben diese Aufnahme machte mich empfaͤng- lich, das Wort Mine zu fassen! — Ich gieng mit Tinen im Garten, und eben an der Stelle, wo sie am Waßer herumirrte, fragte ich sie, was sie zum Wechsel zwischen dem Herrn v. K — und mir sagen wuͤrde? Daß es kein Wechsel ist . Wie so? Fra- gen Sie das ? Mit einer Art, daß ich alles wußte. Ich nahm ihre Hand, und sie legte ihr Gesicht auf meine linke Schulter. Wir weinten beyde! — H h 3 Gott Gott ist die Liebe! Ist es denn Schande zu lieben? Alles, was nur diesen suͤßen Na- men fuͤhrt und mit ihm in Verbindung ist, stammt von ihm, ist seines Geschlechts! Gott ist die Liebe! — „Jenes korinthische Maͤdchen zog Stri- „che um den Schatten ihres schlafenden Lieb- „habers, in denen sie sein Bild sahe! Ihre „Einbildung fuͤllte mit einem wohlgeruͤttel- „ten und uͤberfliessenden Maas diesen Schat- „tenumriß aus! — So gieng es mir mit ih- „nen, nur daß meine Einbildungskraft auch „alle die Striche zog“ — Liebe Tine! — Was man auch immer von Silhouetten sagen mag! Personen, die man kennt und liebt, solte man nicht mahlen! Da hat die Einbildung zu viel Muße! Bey einer Sil- houette arbeitet sie mit, sie fuͤllt die Striche aus, bringt Colorit an — Um unsere Lie- ben der geehrten Nachwelt zuruͤckzulassen, ist ein Gemaͤhlde noͤthig! Wir waren so eins am Waßer, daß alles Er und Sie, Sie und Er war. Warum wir uns nicht dutzten, weis ich bis diesen Augenblick nicht — Ihre Mutter? weiß alles — Gott- Gottlob! An Herrn v. W — dacht ich nicht — Ich sprach die gute Mutter, die keinen Schatten von Bedenklichkeit fand; allein sie wuͤnschte, daß ich mich an ihren Mann, oder, wie sie sagte, an Herrn v. W — wenden moͤchte! — Ich thats, und merkte, daß er sich herz- lich freute, eine Gelegenheit zu haben, von seiner Complimenten-Sammlung Gebrauch zu machen. Nachdem ich aber alles sichtete, fand sich unendlich mehr Spreu als Koͤrner, und was noch Korn war, lief auf die wohl- hergebrachte Landesmanier heraus, daß man ein Vierteljahr seiner Geliebten die Aufwar- tung machen, und nach so mancherley Bey- urteln endlich die Definitivsentenz abwarten muͤße. Hiezu kam, daß Herr v. K — Doch! warum soll ich all die Umwege bemerken? In diesen Schattenriß kann jeder die Stri- che machen, ohne den Herrn v. K — gekannt zu haben. Da darf man nur den Menschen kennen, und dies Zutrauen hab ich zur Zeit- welt, und weit, weit zuversichtlicher zur Nachwelt — Wer will nicht das haben, wonach er ei- nen andern ringen sieht? Wer haͤtte nicht H h 4 ein ein Landgut, ein Haus gern, wenn es eben verkauft ist? Geht! auf die erste beste Auk- tion, um euch hievon zu uͤberzeugen — Das schlimste bey dem gegenwaͤrtigen Fall war, daß Herr v. W — fest entschlos- sen war, wenn Herr v. K — nur irgend ernstlich wolte, auch zu wollen. Seine Mey- nung war es zu machen, wie meine Gros- mutter, da mein Vater nach meiner Mutter gieng. Herr v. W — wolte seine Tochter auf keine Weise einem Major geben, dessen Vater Pastor in Curland gewesen; er mochte nun in seiner Jugend Alexander gespielt ha- ben, oder nicht! — Man muß, sagte Herr v. W —, freylich nicht Fleisch und Blut Maͤnnern von Verdienst vorziehen; allein Ehre und Geburt sind die Wurzeln alles Gu- tes! O des verfehlten Wurzelmanns! Wie kam dieser Blaͤtterliebhaber selbst aufs Wort Wurzel, das nur dem Herrn v. G — zu- stand, den ich bey dieser Gelegenheit ver- mißte. Ich hatte freylich mein Auskommen; allein Junker v. K — war reich — Das korinthische Maͤdchen, Tine, waͤre nun wohl bereit gewesen, mit ihrem Liebling zu ziehen, wie und wo ers verlangt; allein wer wolte das Licht mit dem Finger ausloͤ- schen, schen, wenn Putzscheeren vorhanden? wer wolt’ es ausblasen und Gestank zuruͤcklaßen? sagte Herr v. W — bey einer andern Gele- genheit, und hatte nicht unrecht, obgleich, wenn es eine reine schoͤne Wachskerze ist, der angebliche Gestank Geruch heissen koͤnnte. Wer weiß uͤberhaupt wie dies zum Geruch und jenes zum Gestank gekommen? Zwar muste Petrus sein Schwert einstecken, fuhr Herr v. W — bey dieser andern Gelegenheit fort, allein dem Adel gebuͤhrt es, sich zu guͤr- ten, wenn sich der Unadel was herausneh- men will. Ein Edelmann ist ein verstaͤrkter Mann, er presentirt sich und seine Vorfah- ren — Wer haͤtte wohl solchen Till und Kuͤmmel vom festlich hoͤflichen Herrn v. W — erwartet? — Da kam Junker Peter, im Harnisch ge- jagt! ja wohl gejagt, mit Entschluͤßen, die nicht Fleisch nicht Fisch waren. Er schni- tzelte am Rahmen, noch eh’ das Bild ange- fangen war. Stolz, daß er seinen Herrn Vater Hochwohlgebohren gesattelt fand, ver- zog er seinen Mund, als wolt er Hohn spre- chen, und empfieng mich so unartig, daß ich, weil er Tinens Bruder war, nichts anders thun konnte, als ihn grosmuͤthig uͤberse- H h 5 hen! hen! — Zum Muͤckenfaͤnger war ich me aufgelegt. War ich dazu zu kraͤftig, oder zu gut, das weiß ich nicht. Ich gab auf alle seine Reden, die er entweder vor sich oder gegen andere richtete, kein Wort. Da aber dies Muͤckchen eben hiedurch dreister ward, und sich gerad an meine Stirn klebte, sah ich mich gedrungen, es wegzuscheuchen. Un- fehlbar hatte unser Held einige Romane ge- lesen, wo der Zweykamf in einer Kinderlehre abgehandelt wird! — Ihr lieben Herren! wenn ihr den Menschen da bessern wolt; so habt ihr eben nicht das rechte End ergriffen. Vorwaͤrts, ihr Herren, zu allen Seiten stehe oder falle, was da will! Unser Muͤckenheld erwartete eine Catechismusantwort, und sah mich uͤber Hals und Kopf blank. Was wol- len Sie, junger Mensch! Ihre Schwester? Die werd ich nicht nehmen, wenn Tine nicht selbst will, und wenn Tinens Eltern nicht wollen, Vater und Mutter. Was haben Sie fuͤr Rechte auf ihre Schwester, so lange ihre Eltern leben, und so lange Tine selbst denken und handeln kann? Unser Held steckte sein Schwert so nothduͤrftig in die Scheide, daß er den Namen v. K — stammelte und sich eben nicht in der besten Ordnung zu- ruͤck- ruͤckzog! — Wie er sahe, daß auch ich nachlies, fieng er seine Vorbehaͤlte an! — Wollen Sie mehr, als ich versprochen? er- wiedert’ ich. Haben Sie denn versprochen, meine Schwester dem Herrn v. K —, dem sie eignet, ungestoͤrt zu belaßen? Nein. aber sie gehoͤrt’ ihm. Hat er sie nicht aufgegeben? hat er sie nicht wiedergenommen? Da sie nicht mehr frey war — Herr v. K — that, oder war wuͤrklich unertraͤglich verliebt. Er bereute seine Ue- bereilungen, wie es hies, und schrieb und sandte Boten ohn Ende. Herr v. W —, der schon an sich entschlossen war, dem Herrn v. K — zu verzeihen und, ausser dem Ver- soͤhnungsfest, noch auf so mancherley rech- nete, was diese Anwerbung beguͤnstigte, gieng ihm mit zuvorkommender Huld ent- gegen. Zu allem diesem wissen wir die Be- weggruͤnde. Der Vater Pastor! Lieber Mann! der Sohn Major. Aber, liebe Frau! beym Adel gilt der Vater immer mehr, als der Sohn. Will denn Tine den Vater? Wenn Wenn Sie aber auch Sohn, Vater, Grosvater und so weiter in der Person des Sohns heyrathen kann? Dann ists Blutschande! Herr v. W — ward uͤber die Blutschande boͤse, und fieng pathetisch an: Ein anderes ist ein Siegel mit dem Lindwurm am Ta- schenmesser, ein anderes ein wohlhergebrach- tes Wapen. Ein anderes die feinsten Spi- tzen, ein anderes Judenkanten. Ein ande- res Prinzmetall, ein anderes aͤchtes gediege- nes Gold; ein anderes ein Kratzfaß, ein an- deres eine Verbeugung. Wer wird sich denn die Finger verbrennen, wenn man kein Kind mehr ist? — Allgemach legte sich dieser Ahneneifer, an welchem Junker Peter vielen Antheil hatte! — Der Muͤckenheld hatte mich blank gesehen, und so mochte er seinen Schwager, wohl aus mehr als einer Ursach, nicht sehen! — Die Frau v. W — nahm Gelegenheit, ihrem Gemahl ans Herz zu legen, was sie gehoͤrt, daß ich nemlich von gutem alten Adel waͤre, und Tinchen also auch Vater, Gros- vater, Aelter-Vater, und so weiter, in mir vereinigt heyrathen wuͤrde. Warum, fuhr sie fort, ihm Luft und Othem abschneiden, eh man man noch die Graͤnzen seines Seyns kennt? Der Schein betruͤgt — Er stammt von Melchisedech — Der war ein Koͤnig und Priester! — — Warum diese Ahnentafelunterredung, die das Alltaͤgliche enthaͤlt? Sie hatte indessen die Folge, die ich meinen Lesern schuldig bin. Frau v. W — nahm mich bey der Hand, und zwar so, daß diese Art mir Buͤrge wurde: es sey wie es sey, sie sind Tinens, und Tine ist die ihre! — Sie wußte nicht, wie sie es recht anfangen solte, und fieng endlich, nach- dem sie mich lange bey der Hand gehalten, allein, wie mich duͤnkt , viel zu ent- fernt, an: der Schleier der Bescheidenheit giebt jedem Gesichte, jeder Tugend einen groͤs- sern Werth! Ja, Gnaͤdige! Der Belag ist Tine ! — Da war sie wieder weiter zuruͤck, wie zu- vor. Sie nahm mich aufs neue bey der Hand, und ohne daß sie blitzte, mein Schlag! Gnaͤdige! Sie wollen was sagen — fra- gen! erwiederte sie. Die Liebe, das einzige, was die Natur uns noch zuruͤckgelaßen, solte freylich uͤber alle alle Kunst hinaus seyn — bey einem Haar waͤre sie wieder vom Wege gekommen — Wer ist aber heut zu Tage natuͤrlich? Mein Mann? Sie kennen ihn! — Koͤnn- ten sie sich so viel von ihrer Denkart auf ei- nen Augenblick abmuͤßigen, und ihm in der Naͤhe zeigen, was so viele von weiten gese- hen? Jedes Auge traͤgt nicht gleich weit. Sind sie ein Edelmann? — Eine Chrie ist der andern werth. Um wie vieles haͤtt’ ich das Vergnuͤgen nicht gegeben, erst Tinen zu heyrathen und ihr sodann zu be- weisen, daß sie von dieser Seite keine Ungezo- genheit vom adlichen Poͤbel zu fuͤrchten haͤtte. Das Wort: ein Gewißer koͤnnt ich selbst von meinem Eidam nicht leiden, um wie vieles! Fuhr Frau v. W. fort. Das traf! Frau v. W — hatte Recht. Ein Gewißer, so vortreflich das Wort gewiß sonst ist, welch ein erniedrigendes Wort! Ein gewißer heißt, Einer, der wegen seiner Exi- stenz besorgt zu seyn Ursache hat, und eine Tafel aushaͤngen muß: hier wird Seife gesotten ! Es ist ein in einem kleinen Zir- kel blos Bekannter, ein Kleinstaͤdter, der will, und nicht kann! Fast scheint es, daß es mit dem Menschen nicht aufs Gewiße an- gelegt gelegt ist — Liebe gnaͤdige Frau! Ich will alles thun, um mich aus dem Gewißen ins Ungewiße zu setzen! Der vorliegende Fall ist von der Art, daß ichs kann. Ich wolte der Frau o. W — zeigen; allein wie doch die Weiber sind, das Siegel war ihr gnug! — Sie gieng zu ihrem Mann, der aber bey der ganzen Erzaͤhlung, das Siegel mit eingerech- net, so ungewiß als moͤglich blieb. Tine war mir so werth, daß ich selbst Gelegenheit nahm, dem Herrn v. W — zu zeigen, wo- von seine Gemahlin nur das Siegel gesehen, und da er weniger erfahren in Familienregi- stern, als der Hochgebohrne Todtengraͤber, war; so konnt’ ich ihm zwar von meinem ur- alten Adel nicht so uͤberzeugende Beweise ge- ben; indessen sah er eben darum die Sache groͤsser, als sie war! — Er fand in der Dunkelheit so etwas festliches, daß er den Pastor druͤber vergaß. Er sah uͤber die Huͤtte hinweg, und heftete sein Auge an die Kirchenmauren. Die rechte Sayte in seiner Seele war getroffen. Die Gluͤcksumstaͤnde des Herrn v. K — konnten mir nicht den Weg vertreten, da ich ihn vom Geschenk der Kayserin und dem dazu gekommenen gluͤckli- chen Kauf unterrichtete! — — Alle Alle Geschenke erniedrigen, nur Geschenke der Großen nicht; da gilt ein Band mehr, als man glauben solte. Wie doch alle Lei- denschaften Nachbarskinder sind! — Stolz und Furcht sind ausser der Nachbarschaft ver- wannt. Herr v. W — fuͤrchtete den Jun- ker v. K — und seinen leibeigenen Sohn, der es mit Junker v. K — hielt. Sie wissen, fieng er an, und suchte Kraft zum Othem- holen! — wie es in Curland geht! Die Wahrheit zu sagen, ich bin froh, daß eins von meinen Kindern aus diesem Waldhorn- staat, aus diesem Dulande, erloͤset wird! — Wer ist hier fuͤr ein Paar Pistolen sicher? Jeder, der Herz hat, erwiedert’ ich. Nicht immer! Herr Major! Es giebt unter den Krippenrittern Leute, die ihr Leben keinen Pfeifenkopf werth halten. Was haben sie denn in dieser Welt zu gewinnen und zu ver- lieren? und wenn Herr v. K — es dazu an- legt; so ist mein Haus belagert, und ich mit Mann und Maus verlohren. Junker von K — hat Geld, das will in Curland viel sa- geu . Freylich wers Gluͤck hat, fuͤhrt die Braut heim. Der verstorbene Herr v. G — hatte sie weit von sich entfernt. Sie kamen! Er begegnete ihnen nicht wie Hochwohlge- bohr- bohrnen Bruͤdern, sondern wie bettlenden Schneidergesellen! — Den Pferden und Waffentraͤgern dieser Donqvischotten noch uͤbler. Einer unter diesen Krippenrittern nahm das Ding unrecht und forderte den Schluͤssel zum Gastzimmer, und, weil sich der Gerechte auch seines Viehes erbarmet, zum Stall. Hier ist der Schluͤssel, sagte Herr v. G — und zeigte auf den Degen. Freylich haͤtte er, hier sind sie, sagen sollen, da zwey Schluͤssel gefordert worden, einer zum Stall und einer zum Gastzimmer, und alsdann haͤtt er auf die Pistolen weisen koͤn- nen, die verheyrathet sind und die man nicht anders als Paarweise hat — Mag! — Sein Haus ist von dieser Zeit an von der egyptischen Plage der curschen Heuschrecken verschont blieben. Das nenn ich aber toll- dreist. Zwar hab ich es, beschloß Herr von W —, mit meiner Hoͤflichkeit so weit nicht gebracht; indessen kann ich auch nicht bittre Klagen fuͤhren! Ich versicherte ihn, daß dieses mein gering- ster Kummer waͤre, und er schien wuͤrklich die Meynung von mir zu faßen, daß mir nicht leicht das Haar zu Berge stuͤnde! — J i Sie Sie versprechen, sagte er, mein Herr Major! bey allem, was Gott geben, die Seele denken, das Herz wollen, der Mund sprechen, die Hand greifen kann, meine Tochter zu lieben, bis der Tod sie scheidet? Ich verspreche! — Wohlan! so will ich den Verlobungstag festsetzen, an dem ich mich mit meiner Frau verlobte! — Nach dieser Feyerlichkeit fiel ihm, das sah ich, mein Vater ein; allein konnt er nach diesem festlichen Auftritt von diesem Einfall Gebrauch machen? Wenn ich nicht durchaus mir vorgesetzt, nicht in den alten Geschmack von Gefechten zu fallen, sondern der reinen klaren Liebe ge- treu zu bleiben; so koͤnnte ich wuͤrklich mit einigen Vorfaͤllen aufwarten, die niemanden, als dem Herrn v. W — schwer fielen! — Gott- hardt! wer solte das denken, legte alle diese Neckereyen bey, und alles war wie abgeschnit- ten oder abgehauen! — Gotthard? Er ganz al- lein! Ein Tauber haͤlt sich Voͤgel und freut sich, daß sie springen, wenn gleich er sie nicht sin- gen hoͤrt, und Gotthard war im Stande in Curland solche Strahlen zu spruͤhen, daß al- les wie vom Blitze geruͤhrt stand. — Gott- Gotthard, den mein Brief nicht getrof- fen, hatte durch viel Muͤhe erfahren, daß ich in — waͤre und flog in meine Arme. Ent- zuͤckt uͤber alles, was vorgieng, versichert’ er mich auf Ehre, daß er Tinen mir aufrichtig goͤnne! und nur dann, fuͤgt’ er hinzu, waͤre keine Schlacke unterm Golde, wenn ich mit meiner Frau in Curland bliebe! — Was sich Gotthard freute! — Aus lichterloher Freude war er gegen den Herrn v. W — hoͤflich, der ihm wegen der Befehdungen seine Noth klagte, worauf er ihm seinen kraͤftigsten Beystand versprach. „Bruder?„ Ich! er- wiedert’ er, da gehen viele auf der Heer- straße, andere uͤber Stock und Stiel, viele durch Blumenbeete, andere uͤber Felsen, durch Dornen und Disteln — Nicht auf den Weg, Bruder, sondern aufs Ziel kommts an! Bruder! Was ich dir sage! Junker Gotthard loͤsete diese Raͤthsel, und es ergab sich, daß er seine Helfershelfer hatte, die er besoldete, um andere Helfershelfer ab- zuhalten. Wer hier Geld hat, Bruder! fuͤgt er hinzu, ist schußsicher! Er haͤlt sich seine Leibwache, und Trotz dem geboten, der sich J i 2 er- erfrecht, ihm zu nahe zu kommen und nicht drey Schritt vom Leibe zu bleiben. Jezt macht mich nichts wild! — Herr v. W —, der zum Theil von diesen Haustruppen unterrichtet war, nahm dieses Anerbieten mit vielen Com- plimenten an, das ich aber kurz und gut ab- schlug! Bruder! fuhr Gotthard fort, die Kerls, so dich anfallen wollen, sind keine Tuͤrken, sind keines Tropfens Christenblut werth. Solchen Lumps auszuweichen ist Ehre. Herr v. W — trat dieser Behauptung bey; ich nicht voͤllig. Es sey indessen, daß Herr v. W — mit Junker Gotthard eine ge- heime Allianz geschlossen, oder daß seine An- wesenheit im Hause schon die gegenseitige Streitfuͤhrende Macht durch Furcht in die Flucht geschlagen; genug wir waren so ru- hig, wie moͤglich. — Der Muͤckenheld selbst, da Junker Gott- hard mit ihm allein gesprochen, und ihm vielleicht eine Buͤrgschaft wegen der naͤchst zu bezahlenden Schuld, und etwa eine schmucke Trine zugesagt, hatte andere Sayten aufge- zogen, und so waren wir dahin gediehen, daß wuͤrklich in der folgenden Woche das Verlo- bungs- bungsfest, ohne zu fuͤrchtende Belagerung, gefeyret werden konnte! — Junker Gotthard wich nicht von dannen, und war mir ein so angenehmer lieber Gast, daß Tine selbst so viel Vergnuͤgen in seinem Umgange fand, als sie zuvor Miswillen ge- aͤussert hatte. Ich weiß nicht, wie mir der einige Aus- druck Busenfreund entfuhr, den mir Herr v. W — entsetzlich uͤbel nahm. Das Wort Busenfreund, fieng Herr v. W — an, ist das zweydeutigste, was man brauchen kann, so bald man zur heiligen Ehe schreitet. Ist man Junggesell, wo ist ein besseres zu Freund, als Busen! — Junker Gotthard umarmte mich bren- nend, und zeigte mir, wie man auch bey der groͤßten Rauhigkeit bieder und gut seyn koͤnne. — Kein großer Mann, sagte er zum Herrn v. W —, hat sich in sein Haupt- werk allein verliebt. (Es war eine Anmer- kung seines lieben seligen Vaters, die er aber besonders lenkte, ohnfehlbar dacht’ er an seine schmucke Trine.) Er sucht ein Ne- benwerk und findet es. Er sieht die Beklom- menheit, die Eingeschraͤnktheit seines Haupt- werks ein, und will der schwachen Mensch- J i 3 heit heit durch Abaͤnderung aushelfen! Kein Mann, der sich von andern unterscheidet, ist daher gros in seiner Hauptkunst. Im Ne- benwerk bringt ers oft weiter — welches auf die Rechnung des Freyheitstriebes ge- hoͤrt, der uͤberall ausschlaͤgt und schoͤne Zweige zeigt. Bruder! sagt ich ihm, von Anbeginn ist es so nicht gewesen! — Vortreflich, fiel Herr v. W — ein, bis auf das Wort: Bruder , das ihm, wie er sagte, zu kahl, zu entblaͤttert da stuͤnde! — Wenn nur nicht unsaftig, erwiedert ich. Gern haͤtt es Herr Herr v. W — gesehen, wenn Gotthard und ich das du gestrichen; allein das gieng nicht, und da ich den Herrn v. W — versicherte, daß nur Gotthard und Darius meine Du’s waͤren, die ich in der Welt haͤtte, und daß ich selbst meine beyden Kriegscammeraden, die bey Bukarest im Herrn ruhen, nicht Du genannt; so begab er sich. Froh legt’ er unsere Haͤnde in einander und sprach: was Gott zusammen fuͤgt, soll der Mensch nicht scheiden — Und nun nahm er mich allein. Gelt, fieng er an, zum Eherath wuͤrd ich den Herrn v. G — nicht vorschlagen? und ich nicht nehmen, war meine Antwort. Er. Er. Sie lieben Tinen! ich. herzlich! — Er. einzig? ich. bis in den Tod. Griechen und Roͤmer, fieng er zu uns beyden an, (im Wiederhall des Festes der Deutschen.) Wo ist jene edle Einfalt, die, wenn gleich sie gerade zugieng und mit Gott und mit Menschen gleich sprach, doch so viel Feinheit anbrachte, daß man kein Du merkte, so wie es noch in keiner wohlgesetzten Poesie zu merken ist! Ist wohl eine neuere Spra- che ohne Erbsuͤnde? Was laͤstert ihr Nachba- ren uͤber unser Hoch- und Wohlgebohren Hoch- edelgebohren und Hochedlen, da doch auch ihr, Ew. Majestaͤt wird erlauben, Ew. Excellenz denkt zu gerecht, sprecht? Wie man da von hinten kommt! Wie ein Politikus! Wo ist eine Sprache, die nicht dergleichen Flecken, oder Runzeln, oder des etwas haͤtte? — (Mir fiel das Wort Monsieur aus dem Garten Eden des seligen v. G — ein.) Vtinam viveret! — Ich nahm das Wort und bemerkte, daß die Deutschen Ew. Durchlauchten, Hochge- bohren, Hochwohlgebohren, Hochgelahrten, Hochbenahmten, Hochweisen, Gestrengen, J i 4 viel- vielleicht als eine Satire uͤber die andern Sprachen auf- und angenommen! Wie! fiel mir Herr v. W — ein, so wuͤrden sie auch mich nicht fuͤr einen hoͤflichen Mann gelten laßen, sondern fuͤr einen Swift uͤber die Hoͤflichkeit halten — Ich buͤckte mich so, daß Herr v. W — voͤllig mit mir aus- gesoͤhnt ward, und da er nicht lange darauf anfieng: Lieber Major! ihre Meynung, als waͤre die deutsche Sprache eine Satyre uͤber andere Sprachen sties mir so auf ; so erschrack er selbst uͤber den harten Ausdruck: sties mir auf, daß Herr v. W — sich selbst aufsties — Es hob sich Credit und Debet und wir wa- ren eins — Die Verlobung kam dem Herrn v. W — sehr hoch zu stehen. Umstaͤnde veraͤndern die Sache. Ein anders uͤbers Evangelium, ein anders uͤber die Epistel! — Wir sahen ihn oft allein und mit sich selbst zu Rathe gehen, wobey wir, die Wahrheit zu sagen, nichts an Rath verlohren! — Unausstehlich wuͤrd es meinen Lesern seyn, wenn ich ihnen die ganze Proceßion die- ses Verlobungsfestes erzaͤhlen solte. Nur ungesuchte Zuͤge, wie sie fallen! Gern Gern wolte Herr v. W —, daß ich auf Knieen Ja sagen solte. Es war ihm so et- was ritterliches, so etwas altadeliches drin. Da ich ihm indessen das Ungewoͤhnliche zu Gemuͤth fuͤhrte, so mancher Misdeutungen erwehnte, welche hiedurch zum Verschein kommen wuͤrden, lies er mich auf den Fuͤs- sen, nachdem er von mir das Versprechen abgenommen, meiner Prinzeßin diese schul- dige Ehre inter privatos parietes zu erwei- sen. Bey so viel Natur, die bey der Verlo- bung herrschte, in so weit sie zum Departe- ment der Fran v. W — gehoͤrte, stach die Unnatur des Herrn v. W — so ab, daß man keine Abstuffung sah, sondern hier gleich uud eben gieng, und dort auf dem Sprung war! — — Unter andern war Herr v. W — so par- fuͤmirt, daß Jeder einen Schlagflus befuͤrch- ten muste, der ihm zu nahe kam. Zwar duf- tete er jederzeit; noch nie aber so, wie heu- te — Kurz vor der Ceremonie hatt’ er sich so wohlriechend gemacht. — Junker Gotthard konnte nicht umhin, druͤber ein Wort zu verlieren, allein Herr v. W — fuͤhrte ihn an Stell und Ort, indem J i 5 er er ihn belehrte, daß Christus der Herr selbst fuͤr wohlriechendes Wasser gewesen, indem er sich von einer Dame mit eau de Lavande be- sprengen laßen — Die Verlobung fieng mit einer Red’ an, die Herr v. W — uͤbernahm; indessen schoß er dabey, wie bey der Redeuͤbung am Fest der Deutschen zu kurz. Sein Aller- seits nach Stand und Wuͤrden Hoch- wohlgebohrne Versammlung verlor keine Sylbe, und eine Thraͤne, die ihm allemahl zu Diensten stand, wenn ihm ein Wort ver- sagte, bewegte mich so, als ob er zum ersten- mal geweint haͤtte. Wir sagten, ohne daß wir gefragt wurden, Ja, und kuͤßten einan- der so herzlich, daß Jedes glaubte, was uns ansahe, es haͤtte nichts von der Rede verloh- ren. Da Herr v. W — selbst nicht aus und ein gewußt, und daruͤber, wie mir vorkam, verlegen schien, so lies ers geschehen, daß alles uͤber und uͤber gieng, und eben dies uͤber und uͤber, wie schoͤn war es! — Wie der Lenz ist die Verlobung! Das Beylager ist ein schoͤner Sommertag; dieses die Sonne im Glanz, jene Aurora! Tine warf sich ihrer Mutter in die Arme, und bat um ihren Segen. Herr v. W — lenkte lenkte diesen zu natuͤrlichen Armwurf so kuͤnst- lich ein, daß die Frisur dabey nicht litte — Bey solchen Vorfaͤllen, bemerkte er, muß man schon zuweilen fuͤnfe gerade gehen las- sen! — Bey Tafel bemerkte Herr v. W —, daß man durchaus etwas auf dem Teller liegen laßen muͤße. Bin ich beym Vornehmern wie ich, sagt er, laß ich das beste zuruͤck, um zu zeigen, daß auch das schlechteste fuͤr mich das beste ist! — Selbst in meinem Hause mach ich meiner Frauen dies Compliment, welches auch diesmal beobachtet ward! — Mein lieber Gotthard blieb noch acht Tage bey uns und reisete mit der Versiche- rung ab, so lang er lebe unser Freund zu seyn! — Herr v. W —, der ihn bis dahin als einen Commendanten angesehen, nahm ihn beym Abschiede allein. Ohnfehlbar ga- ben sie sich die Parole; wenigstens koͤnnte man dies aus den Worten schluͤßen, womit Junker Gotthard aufbrach. Es ist besser, sein Roß an des Feindes Zaum binden, als daß der Feind es an unsern Baum anstricket! Gute Nachbarschaft, erwiederte Herr von W —, ist die beste Mauer, und ich! Muth der leichteste Harnisch! Peter und Gotthard spra- sprachen wieder geheim. Bald haͤtt ich ver- gessen zu bemerken, daß sich Peter bey dem uͤber und uͤber , an meinem Verlobungs- tage artig gnug nahm! — Ich blieb noch drey Tage in —. Tine und ich waren so seelenfroh, daß alles, was uns sah, Theil dran nahm! — Die Liebe ist wahrlich die Sonne des Lebens. Durch sie leben und sind wir! Du bist nicht werth, daß dich die Sonne der Liebe bescheint, ist eine Injurie, welche die groͤßte ist, die je aus- gesprochen worden! — Sinais Fluch ist da- gegen Segen! — Meine Uebernahme in — ward von ei- nem Tage zum andern ausgesetzt. Herr v. W — bat, aus Hoͤflichkeit, meine Tine und ihre Mutter herzlich! — herzlich! meiner Tine Leibwort! — Es war die hoͤchste Zeit, daß ich nach — — gieng. Manche kleine Einrichtung war- tete auf mein Auge. Tine sah selbst die Nothwendigkeit meines Hingangs, und doch lies sie mich ungern hingehen. Ich hatte die geringste Kleinigkeit mit ihr uͤberlegt. Die Liebe macht alles wichtig, was die Liebenden betrift — Ausserhalb ihrer Graͤnze ist eine Krone des Aufhebens nicht werth! — Da solte solte ein Sopha, dort ein Nehtischchen, hier ein Schraͤnkchen seyn — da eine blane, und wieder da eine rothe Tapete, zu stehen kom- men! Nur an die Schlafkammer ward nicht ge- gedacht. Die bleibt immer dem Geschmack des Braͤutigams und der Schwiegermutter anheim gestellt. Nachdem nun alles und je- des bis auf die letzten vier blinkenden Naͤgel, die meine Mutter, da sie am Kupferstiche ei- nes Eyerreformators angebracht wurden, fuͤr Sterne hielte, verabredet war, kam die Frage zur Eroͤrterung: ob ich Morgens oder Nachmittags reisen solte? — Was dar- uͤber fuͤr und wider verhandelt ward, ist un- aussprechlich. Wahrlich die Andacht und die Liebe sieht alles fuͤr Sterne an; wenn gleich sechs fuͤr einen Vierding zu haben sind. Ich lies nur fallen, daß wenn ich fruͤh in mein Land zoͤge, ich schwerlich mehr als zwey ganze Tage zur Reise noͤthig haben wuͤrde. Herr v. W — glaubte, so fruͤhe nicht mit allem fertig werden zu koͤnnen, was doch der Wohlstand bey dieser Gelegenheit mit sich braͤchte. Der Fall war eigen — Endlich kamen die Praͤliminarien in Richtigkeit: fruͤh des Morgens. So sehr ich darauf drang, drang, daß niemand sich sehen laßen moͤchte; so war doch Herr v. W — der Meynung, daß dieses auf keine Weise Styli werden koͤnnte. Um indessen eine Finte anzubrin- gen, lies er mich halb und halb in Ungewiß- heit. Er wolte dadurch der Sache einen An- strich von Unerwartung, und einen desto groͤßern Werth beylegen — Ich war um vier Uhr Morgens in Reisekleidern, und eben, da ich mich durch den Saal schleichen wolte, kam mir Herr v. W — entgegen, der, wie ein wachsamer Chef, eine Viertel- stunde vor der bestimmten Zeit auf dem Platze witterte — Meine Schuld ist es nicht, fieng er an — und was konnt ich wohl bey diesen Umstaͤnden anders, als Compliment uͤber Compliment machen — Tinchen kam am letzten, nicht weil sie am spaͤtsten aufgestan- den war, sondern weil ihr Vater es ihr vor- gezeichnet. Auch bey der zaͤrtlichsten herz- lichsten Liebe, muß der Wohlstand nicht aus den Augen gesetzt werden, sagte Herr v. W —, da er ihr ihre Rolle uͤbergab. O dieser Mor- gen! — Was ist alles im menschlichen Le- ben, wenn man es nur zu nehmen verstehet! Niemand, selbst Herr v. W — nicht, war voͤllig in pontificalibus (wie ers nannte). Der Mor- Morgen, bemerkt’ er, muß anzusehen seyn. Diese edle Nachlaͤßigkeit, die jedes Blad zeigt, eh es ausgeschlafen hat, wie schoͤn! — Mag wohl seyn, weil der Mensch wuͤrklich nicht da ist, um auf Drath gezogen zu wer- den, waͤr es selbst durch Arbeit — Wie es alles dahinschlenderte! — Die Milch, noch von keiner Sonne getroffen. Alles so frisch! — Tine kam zu mir, so bald in ih- rer Rolle der lange Monolog zum Ende war, und gab mir, obgleich es nicht vorgeschrie- ben stand, die Hand, die ich in die meinige einschloß! — Ein Handkuß wuͤrde die Sonne verdorben haben. Da kam ihre Mutter und legte sich auf meine Schulter. Selbst Junker Peter, dem der Morgen am meisten anzusehen war, fragte zweymal, wenn er mich wieder sehen wuͤrde! Solch eine Morgengruppe, ich kann sie nicht mahlen! — Tine verlangte aufs genaueste zu wissen, wo ich jeden Mittag essen und jede Nacht schla- fen wuͤrde — Alles trank Caffee, bis auf mich. Ich blieb bey Milch, die mir vorordnet war. Herr v. W — wuͤrde mich ohne diese Ruͤck- sichten nicht vom Caffee losgelassen haben. Er versicherte, daß der Caffe so etwas festliches haͤtte, haͤtte, daß selbst seine Farbe, wenn die Milch oder die Waͤsche, wie ers nannte, gut waͤre, gewiß keinen geringen Rang verdiene. Eines seiner Hauptstaatskleider war caffee- braun, doch so, daß die gute Milch durch- schien. Warum sind Baͤder so nutzbar? Warum ein Fruͤhstuͤck so wohlschmeckend? weil wir mit dem Morgenkleide den Men- schen angezogen, und den Staat nicht be- gruͤßt haben, dessen Sclavereyuniform un- ser Feyerkleid ist! — Versucht es einmal, ihr, die ihr so etwas zu versuchen versteht, des Morgens Abschied zu nehmen! Ists nicht ruͤhrender, wenn ein bluͤhender junger Mensch stirbt, als wenn dies Loos einen Greiß trift? Herr v. W — hatte sich auf einige Au- genblicke entfernt, unfehlbar auf die letzte Oehlung zu studiren, und da waren wir, Tine und ich, mit einem so herzlichen Kuß zusammen, daß kein Wort Platz fand! Es waͤre erstickt! Herr v. W — blieb wieder, wie Absolon, an einer Eiche hangen, nur mit dem Unterschiede, daß ich ihm zeitig zu Huͤlfe kam, und sein langes Haar losriß — Junker Peter wolte druͤber spoͤtteln; allein weder weder seine Schwester, noch ich, gaben ei- nen Blick, geschweige ein Wort darauf. Je weniger Sayten bey einem Instru- ment, je weniger Luxus! Mit diesem Plan kam ich nach — wo alles meine Erwar- tung uͤbertraf. Hier, dacht ich, wirst du Ruhe athmen, und wie Fabritius Ruͤ- ben erndten! Weisheit cum omni caufsa ist so kurz und gut, daß jeder Mensch sie fas- sen kann, wenn er will. In den meisten Faͤllen hat sie aber zwey Aeste, von denen ihr einer inoculirt ist! — Gott wird uns ins Paradies helfen, wo das Einaͤugen ver- boten ist — Das Wort: Stille! Stille! hat schon so etwas von Silberglockenton. Diese Glocke lautet zum Himmel! Ruhe ist hart gegen Stille! — Alles ist in uns, al- les thun wir aus uns, und je nachdem wir Sonnen, oder bloße Jupiters Trabanten sind, je nachdem machen wirs um uns helle, oder dunkel! — Was will man mehr, als sich? — das ist Eigenliebe, die Gott wohl- gefaͤllig ist. Sie ist die Liebe im ganzen Um- fange; denn wahrlich der Naͤchste kommt da- bey nicht im mindesten zu kurz. — Ich richtete alles nach dem mit Tine ver- abredeten Riße ein, wovon ich ihr auf der K k Stelle Stelle getreuen schriftlichen Bericht erstattete. Viel Anlage zum Garten; Baͤume, und Waßer, das die Baͤume unvermerkt belausch- te! Wie ich uͤber dies alles froͤlich und guter Dinge ward! Da stellt ich mir so lebhast vor, was da noch alles werden solte! und das ist immer schoͤner, als was schon da ist — Zwey meiner Nachbaren waren Leute, mit denen es der Muͤhe verlohnte umzuge- hen. In Ruͤcksicht der andern, die mich be- gruͤßten, war mein Entschluß gefaßt, daß es beym Begruͤßen verbleiben solte. Einer von den Auserwaͤhlten behauptete, noch nie ein Glas Wein allein getrunken zu haben! Ich weiß nicht, ob man ein besseres Zeugniß eines guten Herzens fuͤr sich haben kann. Der andere Auserwaͤhlte stritt sich mit einem der blos Grußnachbaren, wegen der schlechten Zeiten. Die Klagen uͤber die schlechten Zei- ten sind so alt, wie die Zeit, sagte der Aus- erwaͤhlte, und der Grußnachbar fand, daß dies nicht klapte, und fah es sogar als einen Anstoß an. Es wurde nun zwar alles auf eine Art beygelegt, daß niemand druͤber aus der Welt gieng. Wer solte aber denken, daß der Grußnachbar bey einer Sache etwas befrem- befremdendes finden solte, die bekannt, wie ein Kind im Hause ist? — Der Koch wird vom Geruche satt, sagte der Auserwaͤhlte in der Stille zu mir, schicket euch in die Zeit, erwiedert’ ich, denn es ist boͤse Zeit. Der Auserwaͤhlte hatte diesem haͤndelsuchenden Grußfreunde ein Anlehn, wie Rechtens ab- geschlagen, und dies war die Ursache, daß er ihm so unzeitig aufs Wort merkte. Den ersten Platz, den ich in meinem Hause aussuchte, war eine Altarstelle fuͤr Tinen, ein Betkaͤmmerlein, eine Zelle fuͤr diese Beterin! — — und von dieser Ein- richtung gieng ich zu der andern uͤber. In dieser Capelle solte Minens Bild haͤngen! — Einige meiner Leserinnen werden ganz un- fehlbar die Anmerkung in ihrem guten Her- zen haben aufkeimen lassen, wie ich uͤber der zweyten Ehe die erste so bald und so tief ver- gessen koͤnnen? Freylich dachte weder Tine noch ich, von der Zeit, da wir oͤffentlich eins waren, laut an Minen; allein in unserm Herzen ward ihr kein Schritt von der Graͤnze entzogen. Ich liebte Minen in Tinen! — Das menschliche Herz ist ein wunderliches Ding. Warum vermieden wir den Namen Mine? War es, weil Tine befuͤrchtete, ihre Vor- K k 2 gaͤn- gaͤngerin im Amte wuͤrd ihr Abbruch thun? War es, weil ich befuͤrchtete, daß Tine die- ses befuͤrchten koͤnnte, oder was war es? Oft weiß der Menschenkenner, der Men- schentreffer, ganz puͤnktlich, was der andere denkt, und laͤßt ihn dabey, ohne im aller- geringsten etwas dagegen zu haben, sobald dieser andere aber seine Gedanken in Worte auswechselt, weg ist die Fassung! Ich ver- gaß uͤber Minen nicht meine Tine, und uͤber Tinen nicht Minen. Sie waren mir eins. Wunderbar! Freylich wunderbar! Was ist aber die Liebe? (das natuͤrlichste, was in der Welt ist) was ist sie worden? Wenn sie koͤstlich gewesen, was ist sie anders, als Schwaͤrmerey? Wir sind so weit gediehen, daß diese Schwaͤrmerey allerliebst steht? nicht wahr? allerliebst! Die erste Nacht, die ich in — schlief, wars mir doch, als spraͤch’ ein Engel mit Minen uͤber meine Verbindung! Nicht wolt’ er Einspruch thun, sondern uͤber Dinge sprechen, die kommen solten. Da kamen Ruͤck- und Hin- und Seitensichten zum Vorschein. Mine trat mich so feyerlich ab, daß ich druͤ- ber Thraͤnen vergoß! — und endlich wur- den unsere beyden Geister, Tinens und der mei- meinige, zusammengegeben! Es soll eine Himmelehe werden, sprach ein Erzengel! — eine Himmelehe! Herr v. W — war ein solcher Tagewaͤh- ler, daß jeder Tag, wie wir wissen, seine eigene Plage, oder seine eigene Freude hatte; so ward der Hochzeittag nach der Anlage des Verlobungstages bestimmt — sehr natuͤrlich! Wer etwas fassen will, sieht es zuerst im Ganzen, und waͤhlt, sobald es zum Zerglie- dern kommt, nicht die groͤßern hervorra- genden, sondern die etwas versteckteren Stel- len! — So mit dem Menschen. Die guten Herren, die ihn so beschrieben, wie er aus des Modeschneiders, Modefriseurs, Haͤn- den kam, recht als gieng er zum Ball, ha- ben ihn wenig getroffen. Sie treffen den Puder und die Kleiderfalten. Wir sind die- selben, wenn wir in Gallakleidern sind, oder im Schlafrock — Sagt aufrichtig, haben wir nicht hoͤchst selten den Menschen im Buche gesehen? Einen Theatermenschen, schoͤn geschmuͤckt, als ging er zur Buͤhne, als wolt er sich zeigen, als wolt er populo esse specta- culo! Den Menschen mit einer gewissen Lebens- art so vorzuschieben, als ein Bild am opti- K k 3 schen schen Kasten — o, dergleichen Menschen ohne End und Ziel! — Jede Bibliothek hat Vor- setzbilder von Menschen dieser Art die schwere Menge! Die meisten Menschenmahler bil- den ihn in so fern er repraͤsentirt — Eben darum, wie froh ist man, wenn ein Autor nur so thut, als waͤhlte er die kleinern un- gesuchtern Stellen, als rief’ er: Adam, wo bist du? — als riß’ er ihm die Feigenblatts- schuͤrze ab — Ob ich bey dieser Tafel ins Schwarze ge- troffen, moͤgen die beurtheilen, die es wol- len, wenn sie koͤnnen. Herr v. W — bestand darauf, ohne daß er noͤthig hatte darauf zu bestehen, weil ihm niemand widersprach — Herrmann solte zur Hochzeit gebeten werden — und dies war die Tonangabe, daß Tine und ich wieder von Minen sprachen. Das pytago- rische Stillschweigen war groͤßtentheils ge- hoben, und Mine ward nicht mehr so, wie vorhin, geflissentlich vermieden. Herrmann ward einige Tage zuvor gehohlt, und ich fand ihn, so wie ich ihn gelassen! Sein Auge zeigte indessen eine gewisse Schaam uͤber seine begangene Suͤnden, eine gewisse Buße. Dem Buͤßenden muß man nicht mehr auf- auflegen, als er sich selbst aufgelegt hat. Da er sahe, wie gut ich ihn aufnahm, so kam er zwar mehr in sein voriges Geleise; indes- sen blieb etwas im Auge, das man ein Cainszeichen nennen konnte! O, dergleichen haben viele! Herr v. W —, der ihn zum Adjudanten so noͤthig hatte, gab ihm die erforderliche Instruktion, und hiebey fiel eine Geschichte mit dem Staatsringe vor, die nicht poßir- licher seyn konnte! Herr v. W — wolte dem Herrmann diesen Ring vorstrahlen. Schoͤn! schrie Hermann, indem Her v. W — die einem solchen Ringe zustehende Ueberzuͤge und Bemaͤntelungen abzog! — Tine (die dabey stand und schon wußte, wie winterlich der Ring bezogen war) ganz nach ihrer Art: Herr Herrman, es kommen noch zwey Futterale! — Mir fielen diese zwey Futterale, auf welche Herrmann bey seinem Schoͤn nicht gerechnet hatte, so auf, daß ich laut lachen mußte; allein Herr v. W — schien zu glauben, daß Herrmann der Sa- che nicht zuviel gethan, und schon im Geist etwas beklatscht haͤtte, so wie man ei- nen Schauspieler oft das Opfer bringt, so K k 4 bald bald er kommt, und ehe er noch den Mund geoͤfnet. Herrmann hatte einsehen gelernt, daß die Liebe zum Leben die ergiebigste Quelle sey, Complimente zu schoͤpfen! — Einem Ster- benden wuͤrde er gesagt haben: er sehe aus, wie ein Hochzeiter! Wer dem Kinde sagt, es saͤhe fuͤr seine Jahre, weit aͤlter aus, und dem Manne, er saͤhe weit juͤnger aus, ver- bindet sich beyde gar hoͤchlich. Beydes ist dem Lebensdurst zuzuschreiben; das Wort Lebenshunger kann man nur im Hospital brauchen — Herrmann versicherte, daß ich mich ver- juͤngt haͤtte, und da ich ihn versicherte, daß ich vom Gegentheil uͤberzeugt waͤre; so blieb er nicht nur bey seiner Meynung, sondern wußte sie so treflich zu beschoͤnigen, daß Tine ihm bey- zutreten Willens schien. Herr v. W — brachte die Sache ins Reine, und bemerkte, daß der Mensch erst in die Hoͤhe, dann in die Dicke wuͤchse und im dreyßigsten Jahre muͤndig wuͤrde. Dies ist das Jahr, da jeder redet, wenn gleich mancher noch schweigen solte — Herr v. W — hielt eine lange Unterre- dung vor der Hochzeit wegen der Kleidung mit mir, und da er wohl von selbst einsahe, daß daß ich meiner Uniform nicht untreu werden koͤnnte, so bemerkte er, daß die Einfoͤrmig- keit in der Kleidung zwar was gesetztes (ganz gehorsamster Diener!) anzeige; allein es waͤre nichts froͤliches nichts aufmunterndes, nichts schoͤnes dabey! — Immer hin! Mit den lieben Schoͤnleuten! Ich liebe sie nicht, sie moͤgen Schoͤndenker, Schoͤn- schreiber, Schoͤnfaͤrber seyn! — Tine hatte sich ganz rußisch gekleidet. Sie trug, wie sie sagte, meine Uniform. Ich zeigte ihr, wie Gretchen, die rußische Art, beym Neglische ein Tuch um den Kopf zu binden — Stchy, ein rußisches Original- gericht, kam oft auf die Tafel. Herr v. W — fand es den Umstaͤnden angemessen, da ich rußischer Major waͤre. Kiengis (Pelz- schue) verehrt’ ich meiner Braut, und sie zeigte solch eine Freude daruͤber, daß sie sol- che stehendes Fußes anzog. Sie schien sie anbehalten zu wollen. Fuͤr den Winter, fing ich an, liebe Tine! fuͤr den Winter? sagte Tine. Ja, liebe Tine! Herr v. W —, der auch diese und an- dere rußische Trachten meinethalber großmuͤ- thigst gestattet hatte, gab seiner Tochter den Wink, daß, da nun bald der tabelnoi prasz- K k 5 nick nick einfiele, sie auf ihren Brautschmuck denken solte. So sehr ich auch Gretchens Hochzeit empfahl, so fand ich doch kein Ge- hoͤr, und gab gern nach. Mit den lieben Ehepakten! Ich habe sie nie recht ausstehen koͤnnen; indessen war ich ihnen eben so wenig, als den Braut- schmuck, entgegen. Nachdem sie unterschrie- ben und besiegelt waren, bat ich eine Abaͤn- derung, welche darin bestand, daß ich mei- ner kuͤnftigen Frau Gemahlin die Herrschaft abtreten wolte, in bester Form Rechtens! Zwar, fuhr ich fort, nennt Doktor Martin Luther dergleichen Maͤnner verba anomala; al- lein den Herrn Doktor Martin Luther in Eh- ren, ich trat die Herrschaft ab, und wenn ich mir ja was ausbitte, ists, daß es nicht zu merk- lich sey! Ich sprach im Ernst! Tine kam nicht aus dem Lachen. Sie warf sich in mei- nen Arm, als ob sie mir gern huldigte. Herr v. W —, und sein Waffentraͤger, nahm diesen Verzicht so hoch, daß sie es fuͤr das feinste Compliment erklaͤrten, das ich meiner Braut haͤtte machen koͤnnen! Indessen hielt Herr v. W — nach gepflogenem Rath es doch fuͤrs beste, daß diese Abtretung nicht in Schrif- ten verfaßt wuͤrde. Ein ehrlicher Mann haͤlt Wort! Wort! Tine, hab ich Wort gehalten? Ich schreibe Ja oder Nein! was du wilst. Schreib Ja und Nein. Da stehts. Zur Hochzeit hatte Herr v. W — noch einen Adjudanten gebeten. Ein Gesellschaf- ter fuͤr Herrmann, ein Maͤrtyrer der deut- schen Sprache. Dieser Ehrenmann hatte als Privatsecretair gedient, und sein Ungluͤck ge- macht, weil er durchaus nicht Herr Capitain, sondern Hauptmann schreiben wollen. Wahr- lich! darum verdient’ er zur Hochzeit gebeten zu werden! Diese Maͤrtyrer Geschichte brachte den Herrn v. W — geradesweges auf das Wort Herr, womit er so ganz wegen der zwey erren nicht zufrieden schien, da ich ihm aber erwie- derte: daß ein deutscher Herr und ein fran- zoͤsischer Monsieur zwey sehr unterschiedene Leute waͤren; so gab er nach. Ein deutscher Herr ist ein Herr mit einem Zaͤhnenzusam- menbiß — Mein guter Gotthard brachte einen Hoch- zeitgast mit, auf den niemand gerechnet hatte; er commandirte sein Corps, und war ein so toller Hund, wie er ihn nannte, daß nichts druͤber war. — Stolz! barsch — Zum Gluͤck bekam dieser Barsche einen Auftrag, und und konnte nicht bleiben, so daß seine Gast- rolle eben nicht stark war — Vielleicht dien’ ich vielen meiner Leser, die solch ein cur- sches Original in meinem Buche gesucht und nicht gefunden. Der Commandeur ließ schießen, wenn es donnerte, nicht um die Duͤnste zu zertheilen. Ein Herr begruͤßt den andern, sagt’ er. Den lieben Gott hat er foͤrmlich zu Ge- vattern gebeten. Der Pastor Loci mußt ihm einen Insinuationsschein ausstellen, und den lieben Gott wuͤrklich als Taufzeugen auf- fuͤhren. Seinen Hund machte er zum Wacker! Die Bauren mußten den Hut vor ihm ab- ziehen — Bey der Taufe seiner Kinder, mußte der Pastor fragen: wollen Ew. Hochwohlgebohr- nen getaufet werden? und beym Abendmahl: befehlen Ew. Hochwohlgebohrnen auch vom andern? Seine Beichte fieng an: ich von Gottes Gnaden, Erbherr auf — — — die- sen Augenblick vor Gott allein, nicht aber vor dem Pastor ein armer Suͤnder! — Ich glaube, meine Leser werden es gerne sehen, daß dieser tolle Curlaͤnder abgerufen worden. Wie Oel und Waßer paßt’ er zu uns allen allen, am wenigsten aber zum armen Herrn v. W —, der wohl lieber ein Waldhorn vorn Willen genommen haͤtte, wenn ihm die Wahl waͤre uͤberlassen worden. Bruder! wie kommst du zu dem Menschen? — Es sind deren Etliche un- ter meinem Regiment; der ehrlichste Kerl, den du denken kanst! — Den lieben Gott zu Gevattern zu bitten? Sieh! Bruder! Er hat nicht viel, und will sich doch zeigen! — Der Herr Gevatter verzehrte einen Wild- braten, zwey Bouteillen Franzwein und eine Ungarisch, gab uns allen die Hand, und zog seine Straße, froͤlich, wie es schien! Starke, gesunde Kinder! sagt er zu mir. Ich: Eine gluͤckliche Reise! — Gottlob, daß ich in Liefland wohne! So etwas war mir in Curland noch nicht vorgekommen, obgleich kein Zug unrichtig, nicht einst verstellt ist — Alles wie es war! Herr v. W — kannte ihn, wie er sagte, par renommée , bemerkte indessen, daß er derglei- chen Schlag Menschen vorn Tod nicht aus- stehen koͤnnte! Ich auch nicht so ganz, sagte Junker Gotthard. Was muß man aber nicht, um Frieden zu haben? Nur daß ich ihn mitgebracht, haͤlt dir den Herrn v. K — und und seine Spießgesellen zehn Meilen vom Leibe — — Wie kann ihm aber, fragt’ ich, der Pastor einen Empfangsschein geben? Ey muͤssen! Bruder! du glaubst nicht, wie viel Pastors es giebt, die sich hier mit dem Edel- mann messen wollen. Solch ein Empfangs- schein schadet ihnen nicht! Herr v. W — war zwar gezwungen, dem Junker Gotthard fuͤr dieses Meteor den verbundensten Dank zu sagen; indessen dankt’ er ihm noch weit mehr dafuͤr, daß er die Hochzeit von diesem Feuerspeyenden Dra- chen auch wieder befreyet haͤtte. Er ist nuͤch- tern so unausstehlich nicht, als wenn er was im Kroͤnchen hat, sagte Junker Gotthard, und haͤtten Sie ihn durchaus nicht laͤnger ha- ben wollen, ich wuͤrd ihn schon zum Auf- bruch gebracht haben, ohne daß er abgeru- fen waͤre. Einigen gelingts in Curland, ohne dergleichen Helfershelfer, sich die Landpla- gen der Krippenritter vom Halse zu halten; indessen hat sich mein Vater doch fuͤnfmahl schießen muͤssen — und ihnen Herr v. W — kostet es gewiß manches Compliment. — Ich liebe nicht, mich herum zu schießen, war- um solt ichs, so lang ich so abkommen kann? Dieser Gottes Gevatter ist arm, hat eine maͤs- sige sige Pension von mir und von einigen Bruͤ- dern meines Gleichen, die sich nicht schießen moͤgen. Ein alter Edelmann ist er, und sein Vermoͤgen hat er mit guten Kerls aufgeges- sen und aufgetrunken — Den Tag vor der Hochzeit war ein er- schreckliches Regenwetter. Man konnte sa- gen, die Fenster des Himmels thaͤten sich auf. Dies brachte dem Herrn v. W — keine kleine Sorge zuwege. Er hatte durchaus schoͤnes Wetter auf die Hochzeit invitirt, und mancherley Vergnuͤgungen gar darnach ein- gerichtet. Die ganze Nacht, an keinen Stern, der Aufklaͤrung verkuͤndigte, zu den- ken! Den Morgen klaͤrte es sich auf, und wir hatten einen so heitern, einen so schoͤnen Tag, daß Herr v. W — diesen Umstand zum heutigen Feste verzeichnete. Er war es werth, daß er zum Protokoll genommen ward — Unter vielen Ceremonien nur einige: Die Trauung war in eine Rede einge- schaltet, welche der Pastor der Gegend uͤber die Worte hielt: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoff auf ihn, er wirds wohl machen, zu reden aus dem fuͤnften Vers des sieben und und dreyßigsten Psalms Koͤnigs und Prophe- ten Davids. Wahrlich kein Gedanke, der auch nur eine Pflanzengroͤße uͤbertraf; indessen traf so mancher mein Herz — Meine Tine gab mir mitten unter der Rede bey einer Stelle, die ihr auffiel, die Hand, und obgleich ihr Herr Vater diesen Vorfall so uͤbel vermerkte, daß er uns gern aus einander geschlagen haͤtte; so blieb es doch bey diesem Hand in Hand, bis wir sie von Trauungs wegen aus einander nahmen, damit sie der Herr Pastor zusammenlegen, und: was Gott zusammen fuͤgt, soll der Mensch nicht scheiden, druͤber sagen konnte — Wie solch eine Kleinigkeit, zum wahren Beweise, daß die Natur uͤber die Kunst geht, bis ins Innerste dringt! — Nach der Trauung warf sich Tine in meine Arme. Dein! sagte sie, ohne daß wir ein Du verabredet hatten, und von Stund an, war es du und du, dem Herrn v. W — nicht zur kleinen Aergernis, der dieses auch unter Eheleuten nicht so leicht erlaubte — Wir brachten ihm anderswo ein, was hier drauf gieng. Keine Keine von allen diesen Ceremonien ruͤhrte mich mehr, als die Wallfarth, die der Herr v. W — in Begleitung unserer und einiger ausgesuchten Hochzeitgaͤste, wozu auch Herr- mann und der Herr Hauptmann gehoͤrten, anstelte. Er allein, mit einem Theeschaͤlchen in der Hand, das mit gruͤnen Blaͤttern bedeckt war. Es ward so feyerlich getragen, und die ganze Ceremonie sah fast so aus, als wie meine Mutter und ich den Eyerheiligen verewig- ten. — In der Opferschaale lagen zwey Pome- ranzenkoͤrner, die er mit einer großen Feyer- lichkeit zur Hand nahm und in zwey dazu schon gemachte Toͤpfe setzte — Seyd frucht- bar! sagt’ er, und mehret euch! Jedem, meiner Tine sowohl, als mir, ward ein Glas Waßer gegeben, womit wir diese eingeackerte Pomeranzenkoͤrner begoßen — Gott! sagte er, gebe das Gedeyen! — Er hatte uͤber- haupt die Gewobnheit, die Koͤrner von Po- meranzen und Citronen, die er zu Pabst, Cardinal, Bischoff und Punsch, an festlichen Tagen verbraucht hatte, zum Andenken des festlichen Tages zu pflanzen. So hatte seine ganze cursche Orangerie festliche Geburtstage. L l Er Er glaubte der Frucht dadurch ein Andenken zu stiften, und ihr eine Art von Erkenntlich- keit zu beweisen. Mein Vater dachte in Ab- sicht der Pomeranzen und Citronenkoͤrner an- ders. Davor war er ein Kernmann; Herr v. W — aber ein Blaͤttermann — Bey Tafel war Herr v. W — der gefaͤl- ligste Wirth, den man sich nur denken kann. Er fieng eine Unterredung an, oder brach sie schnell ab, je nachdem es Zeit und Gele- genheit wolten. Den guten Pastor, der heute alles wohl- gemacht hatte, brachte er in die Enge, indem Herr v. W — den undeutschen Anfang des Vater unsers auf die Rechnung der Hoͤflich- keit schrieb. Das Substantivum solte uͤber- haupt vor dem Adjunctivo zu stehen kom- men — Eine Unterredung fiel mir sehr auf, die Herr v. W — so recht aus dem Innersten seines Herzens geschoͤpft zu haben anschien. Grobe Leute, sagt’ er, sind gluͤcklicher, als die Hoͤflichen. Fuͤr Grobe fuͤrchtet fich Je- dermann. Man freuet sich, wenn sie ein Laͤ- cheln wo leuchten laßen. — Ich habe Leute gekannt, die sich durch Grobheit als Ge- lehrte, lehrte, als Herzhafte, als — — alles was man will, ins Geschrey gebracht; indessen ist erspartes Geld, fuͤgte Herr v. W — wohl- bedaͤchtig hinzu, besser, als erworbenes, und kommt ein harter Stein zum andern, so steht der hinterste im Genitivo. Die selige Mut- ter meines Herrn Schwiegersohns wuͤrde gesagt haben: zwey harte Steine mahlen sel- ten reine. Unser Jupiter, unser Gottes Gevatter, haͤtte sich, wie mich duͤnkt, blos bey dieser Unterredung erhohlt, alles andere waͤren Schaubrodte fuͤr ihn gewesen, bey denen er nun freylich weit dreister, wie David, zu Werke gegangen. Selbst aber diese Dreistig- keit, wuͤrde sie nicht allen, die zu Tische saßen, unertraͤglich gewesen seyn? Der geschickteste Mann, sagte Junker Peter, um grob und fein zu seyn, bey den besten Kohlen und recht gesunden Funken, fehlt ihm Wind, das heißt, eine gewisse Art — Gefaͤlligkeit, Ge- lindigkeit — er wird in der Geburt ersti- cken — Gewuͤnscht haͤtt’ ich, daß den Jun- ker Peter ein Mahler gesehen haͤtte, wie seine Herzhaftigkeit in der Geburt erstickte, da der Commandeur an ihn kam, um ihm die Hand zu reichen, die er uns allen beym Abschiede L l 2 reichte. reichte. Jupiter lies es dabey nicht, son- dern drohte ihm mit den Vorderfingern der rechten Hand. Im Spas versteht sich. Wie fuhr aber Junker Peter im Ernst zusam- men. Meine Leser werden ohne meinen Finger- zeig bemerken, daß ich dem Herrn v. W — bey der Tafel das Heft in Haͤnden lies. Sein Refrain war, daß Festlichkeit die Freude leite und fuͤhre auf ebener Bahn, so wie sie auch die Betruͤbnis in Schranken setze! Wahrlich ein theures werthes Wort. Ich hatte mit Tinen Herzensangelegen- heiten, die uͤber alles giengen. Wir spra- chen von unserer Trauung, von der alle beyde nicht sonderlich erbaut waren. Ich freue mich, sagt ich, liebe Tine! daß sie pompreicher und weniger herzlich ablief, als Gretchens — Schwerlich wuͤrd ich sie sonst ausgehalten haben — Tine hatte, wie sie sagte, eine Bitte uͤber alle Bitten an mich — und diese war, daß ich sie nicht mehr Albertine sondern Mine nennen solte! — O Tine! das ist mehr, als die ganze Trauung. Es war mit mir gesche- hen! — Diese Firmelung brachte mein gan- zes Herz aus seiner Fassung! Mine! sagt ich, ich, und druͤckte sie an oͤffentlicher Tafel so fest an mein Herz, daß Herr v. W — auf- schrie, und mitten in der Hoͤflichkeit sich hart vergieng. Er faßte sich, und haͤtte eben so laut um Vergebung gebeten, als er aufge- schrien, wenn ich die Sache weiter treiben wollen — Sie selbst, als ob sie nun nichts weiter nach der priesterlichen Einsegnung zu fuͤrchten haͤtte, sprach ohn Ende von Minen. Nun war die Zunge voͤllig geloͤßt. Einmal hatte Tine sie gesehen — Ich habe sie ge- mahlt, setzte sie hinzu. Auswendig weiß ich sie. Du sollst ihr Bild sehen! — Ueber der Ruͤstkammer von ihren Sachen, die du ihr zum Andenken aufbewahrest, soll es haͤn- gen! — Heiß’ ich Mine? Du heißt Mine! — Junker Gotthard, dem die Geschichte von meiner seligen Mine nicht verborgen geblie- ben, und der diesen mir ewig suͤßen Namen jetzt nennen hoͤrte, warf sich, so wie er da ein Hochzeitsgast war, zur Rache wider v. E — auf, die er aber wohlbedaͤchtig durch seinen Jupiter uͤben laßen wolte — Friede! sagt’ ich ihm, Bruder! Ich hoͤre, fuhr er leise fort, und hielt die Serviette L l 3 vor, vor, als ob er die Frage mit der Serviette verhaͤngen wolte: ihr dutzet euch? Mine laͤchelte und Junker Gotthard konnte nicht umhin, ihr uͤberm Tisch die Hand zu reichen, und ein Glas Wein druͤber umzu- stuͤrzen — Nicht das Glas, sondern die Handgabe, war ein Greuel in den Augen des Herrn v. W — der aber nicht einst aufschrie wie oben, da ich Minen an mein Herz nahm! — Wie guͤtig! — Ich darf es wohl nicht bemerken, daß, ausser dem wohlgemachten Pastor, wenig Leute da waren, die einen Begrif vom Zu- sammenhange in Gesellschaft hatten! — Herr v. G — der Selige! was meynen meine Leser, war er nicht gebohren, in eine Gesell- schaft Geist und Ordnung zu bringen, — und selbst Waldhoͤrnern den Cammerton bey- zulegen? Ich wette, Jupiter waͤre unter seinem Vorsitz ein angenehmer Gesellschafter worden! und behaupte, daß in der Conver- sation, da wir auf seinem Gute waren, so viel Einheit, so viel Stimmung liege, daß es ein Concert heissen koͤnnte, wenn der Kunst- richter es so erlauben will. Wahrheiten, die jeder sieht und hoͤrt, wer kann sie aushalten? Es regnet, es hat gereg- geregnet, es wird regnen! — Wer einen Garten anlegt, muß fuͤr Schatten sorgen. Wagen gewinnt, wagen verliert. Wenn ich gehe, komm ich weiter. Solcher Augen- scheinlichkeiten drengten sich in schwerer Menge zum Vorschein, wer kann aber daran Theil nehmen? Wer uͤber Einfaͤlle der nem- lichen Art lachen? Ists Wunder, daß sich unsre Redner geflissentlich bemuͤhen, den ge- meinsten Hut nach der Mode zu stutzen! So waßerklar waren auch die Hochzeit-Tischre- den, und das Gedicht, welches Minens ge- wesener Informator zusammengewuͤrfelt hat- te. Das Gedicht lief allen an Waßerklarheit den Rang ab. Ein Reim nahm die Erklaͤ- rung des andern uͤber sich — Wie Herr und Knecht war einer gegen den andern — Ein alter Edelmann unterschied sich durch den Brauch, nach Noten zu gaͤhnen, und hielt dabey ordentlich Melodie. Anfaͤng- lich fiel uns diese Musikneigung auf; indes- sen nahm Herr v. W — in eigener Person seine Vertheidigung uͤber, und Herrman, der nur auf dies Commando gewartet hatte, be- hauptete, daß das Gaͤhnen die Erfindung der Cadanzen waͤre, die doch heut zu Tage so treflich beklatscht wuͤrden. Man bewunderte L l 4 sogar sogar die Euphonie unseres Gaͤhnenden. Ver- steht sich, daß er sich desto oͤfter sehen und hoͤren lies! — Herr v. W — haͤtte seinen zu freygebigen Beyfall, sobald unser Edel- mann es zur foͤrmlichen Tafelmusik anlegte, gar zu gern wiederrufen; wie konnte sich aber Herr v. W — widersprechen? Freylich war er sonst die leibhafte Catachresis, eine Figur in der andern. Er war ein Trauer- froͤhliger. Diese Figur lies sich indessen nicht bey dem vorliegenden Fall anbringen. Auf der Hochzeit zu Cana in Galilaea ge- brach es an Wein; hier gebrach es an mehr! An Etwas, das kein Wein geben kann; wenn gleich tausendmal jenes paulinische Recept: trinke ein wenig Weins, deines schwa- chen Magens halber, in Ausuͤbung ge- bracht wird. Darf ich noch bemerken, daß es bey der Mahlzeit, in so weit es uͤberhaupt das De- partement der Marta betraf, das sich Herr v. W — in hoher Person zugeeignet, nicht fehlte an irgend einem Guten! — Wohl aber war von allem etwas druͤber; ein Com- pliment stach uͤberall durch! — Ist das nicht etwas druͤber? Der Der Cadanzgaͤhner, brachte wiewohl in unmaasgeblichen Vorschlag, Hamburger Pulver zum Desert; indessen fand er keinen Beyfall; Herr v. W — selbst meynte, das wuͤrde heißen: zum Bußtage gratuliren — Unter einem Maͤrtyrer stelt man sich ei- nen thaͤtigen hervorragenden Mann vor, der einen Kopf zu viel hat, oder der einen Kopf groͤßer wie der Haufe ist. Was aber den Un- srigen betrift; so war er so leidend, wie moͤg- lich. Wo studirt, Herr Hauptmann? in Koͤnigsberg. Auch ein Collegium uͤbern deutschen Styl? beim Professor — — gehoͤrt. Das dacht ich wohl! beim Professor, Feld- herr anstatt General. Ein Maͤrtyrer also von Hoͤrensagen. Beyde, Herrmann und unser Haupt- mann, saßen an einem kleinen Tisch, der an unserer Tafel graͤnzte. Ich haͤtte sie zur Ta- fel gezogen, auch meine Mine haͤtt es, wenn es auf uns angekommen waͤre. Wegen einer aus dem Alter genommenen und auf curschen Grund und Boden ver- pflanzten Geschichte, waͤre der Herr Pastor, der sonst alles wohlmachte, bey einem Haar uͤbel angekommen. Auf die schriftliche An- L l 5 frage, frage, wie viel jaͤhrlich fuͤr einen einzigen Junker? haͤtte ein Hofmeister, nach der Er- zaͤhlung des Herrn Pastors, hundert Tha- ler Alb. gefordert. Wir werden nicht Han- delsleute, erwiederte der Edelmann, dafuͤr halt ich meinem Sohne Zeit Lebens zwey deutsche Bediente, und da hat er Verstand und Dienst oben ein. Facit, erwiederte der Hofmeister, drey Schlingel! — Dies un- schickliche Wort, welches eben, weil ein Jun- ker mit drinn begriffen war, desto haͤrter auf- fiel, brachte alles in Bewegung, obgleich es nicht auf die Rechnung des Pastors, sondern des Hofmeisters gehoͤrte. Wenn nicht Herr- mann die Sache ins Geleise gebracht, wer weiß, ob selbst nicht der Cadanzmacher aus der Weise gekommen waͤre. Richtig, sagte Herrmann, und der Cavalier beschloß: Eins zu dre thut vier. Schriftlich oder muͤnd- lich, fragt’ ein anderer? Schriftlich, erwie- derte der Pastor; der Hofmeister war noch zur Zeit in Preußen. Das war dem Schlin- gel zu rathen. Ich daͤchte, der Pastor haͤtte die Geschichte weglaßen, und der Maͤrty- rer haͤtte Capitain, statt Hauptmann, schrei- ben sollen! — Noch Noch hatte der gute Herr v. W — zwey Reden auf dem Herzen! Die Begleitungsrede ins Schlafgemach und die Strohkranzrede! Und wo war bey so vieler Verwirrung Zeit, auf diese Arbei- ten zu denken! — und sie anzuordnen! — Solche zehn Reden, wenn sie auch alle zehn so gegluͤckt waͤren, als die beym Schla- fengehen verungluͤckte, waren nicht den Se- gen werth, den unsere gute Mutter auf ihre Tochter legte. Sie verlies uns mit dem Lei- chentext meiner Mutter: Selig sind die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen! — Mehr, duͤnkt mich, war nicht noͤthig an- zufuͤhren, als daß diese Schlaftrunksrede verungluͤckt sey, um zugleich zu bemerken, daß Herr v. W — sie selbst uͤbernommen! Die Strohkranzrede ausgenommen, fiel nichts vor unserer Heimfuͤhrung vor, was bemerkungswuͤrdig gewesen waͤre. Ob nun Herr v. W — wieder befuͤrchtet, daß er seinen Mund an einen Stein stoßen wuͤrde, oder ob er in Erwaͤgung gezogen, daß eine Strohkranzrede sich fuͤr keinen Va- ter schickt, wenn gleich dieser Vater zum Complimentiren oder zum Redhalten (das ist sich sich wohl nicht viel aus dem Wege) gebohren ist, weiß ich nicht. Dieses Geschaͤfte war indessen einem jungen Edelmann uͤbertragen, dem der Herrmann suflirte! — Zu Herrmanns Ehre ein Wort, er weinte ungesehen, da ich mit Minen zu Bette gieng — ungesehen! — Und warum war die Frau v. G — nicht bey der Hochzeit? Ich bat die gute Seele der Frau v. W —, ausser dem Gewoͤhnlichen, noch ein Wort des Vertrauens an sie zu senden, ihres Seligen und Bruder Gotthardts wegen. Warum kam sie dieses Worts des Vertrauens uner- achtet nicht? Weil mein adliches Blut durch das poetische Blut meiner Mutter Schaden gelitten, und weil meines Vaters Adel da- durch, daß er die Kanzel bestiegen, einen un- ausloͤschlichen Fettfleck erhalten — Junker Gotthardt! Deine Mutter, warum? — — Waͤre sie meine Mutter nicht, wuͤrd ich mir die Freyheit nehmen, zu sagen: Warum? — guter Junge! Herr v. W — und Frau v. W — gleite- ten uns bis zu unserer Heimath. Besonders, daß keine Thraͤne bey allen diesen Abschieden vorfiel. Junker Peter blieb zu Hause; er hatte hatte sich zu einem Abschied vorbereitet, der zu lang war, um nur herzlich zu scheinen! Ohne Umstaͤnde, Peter! Darf ich — Sie sind der Bruder meines Weibes, wollen Sie auch mein Bruder seyn? Ernst? wahrer! Koͤnnen Sie vergeben? — Was denn? vergessen ist mehr, als vergeben! Bruder! — Junker Gotthard gab meinem Weibe und mir die Haͤnde. Jedes von uns erhielt eine. Wir kuͤßten ihn beyde. Desto besser! sagt er. Gott laß es euch wohlgehen! Meine Trine wird mir die ersten vierzehn Tage kein Leckerbissen seyn, da ich euch gesehen! Er gab uns sein Ehrenwort, uns alle Jahr einmal zu besuchen. Sind Jagden in — —? Versteht sich! Lebt wohl! Auch du, guter Gotthard! ich liebe dich herzlich! Ich halte, was ich versprochen, sagte Gotthard zum Bruder Peter! der sich ver- bindlichst verbeugte! — Noch wolte Peter mit Gotthardten in der Stille sprechen. Es bleibt! schrie ihm Gotthard zu — Ehe- Ehemann also! der Mann eines Weibes, das mich liebt, und das ich wie- der liebe! — Komm, liebes Weib! Tine! Mine genannt, komm! — schreib selbst! — damit meine Leser wissen, was an dir ist! — Was soll ich schreiben? Von der Zeit an, da ich ins Waßer fiel, bis diesen Augenblick — Ich liebte meinen Mann von dem Augen- blick, da die Retts und die Wo’s vorfielen, ohne daß ich wußte, was Liebe sey. Meine Liebe aͤusserte sich durch meinen Hang, von ihm ohne Aufhoͤren zu reden. Alle meine Kinderfragen auf die Manier wie: Sehen sie doch, gnaͤdige! wie hoch der Baum ist; der Babylonische Thurm war wohl weit hoͤher? — Meine liebe Mutter ward nicht muͤde, mir Mutterantworten zu geben. Ich weiß den Tag noch, da ich nicht mehr uͤber ihn Kinderfragte, und von dieser Zeit an ver- wandelte er sich in ein Ideal, das mit mir gieng und kam, und aß und trank, das mich zuweilen froh machte, wenn ich glaubte, ich koͤnnte sein werden, und zuweilen betruͤbte, wenn es mir einfiel: und wenn dies Ideal ein ander Ideal haͤtte? Dies Ideal ver- drengte drengte meinen Alexander, und doch war es mein Alexander, als wenn er geseßen haͤtte — Minens Andenken war mir nicht im min- desten im Wege. Nie kam der Gedanke in meine Seele: Ihr Tod ist dein Leben. Ihr Alexander war nicht der meinige. Der Ih- rige war da; der meinige war ein Seelen- alexander! — Es war alles, ich weiß nicht wie. Ich haͤtte einen andern, der diesem Bilde nicht aͤhnlich war, heyrathen koͤnnen; allein aus blindem Gehorsam gegen meine Eltern. Ein dergleichen Isaacs Opfertag er- schien, und ein Engel brachte mir den zu, den ich liebe und lieben werde bis in den Tod! Wenn ich jetzt an meinen Hirngespinsterpe- riod zuruͤckdenke, kommt es mir vor, ein Maͤdchen, das uͤber funfzehn ist, koͤnne nur zweyerley, entweder solch ein Ideal haben, oder — sich lieben laßen und sich verlieben, wie das arme Lorchen, derentwegen ich die- sen meinen Namen in Tine verwandelte, der jetzt in Mine veraͤndert ist! — Es thut mir recht leid um den Namen Lorchen, den ich verlohr! Tine hab ich gern verlohren. Es ist eine ganz andere Liebe vor, und eine ganz andere nach der Hochzeit. Bey dieser dieser ist mehr Seyn, bey jener mehr Schein, wie der Droßelpastor sich erklaͤren wuͤrde, den mein Alexander bey seinem Heimzuge nicht gesprochen hat — Was mir das leid thut! Von dem Augenblick, da ich den Namen Mine erhielt und ich meinen Alexander du nannte, trat die Vesper ein, das Nach der Hochzeit — — Ich bin ein so gluͤckliches Weib, als man es in einer Welt seyn kann, die ein Sonn- abend ist, und auf die der Sonntag folgt. Meine selige Mutter (das Schwieger kann ich nicht schreiben, es ist nicht kalt, nicht warm,) war nicht allein ein Sonnabend. Alles in der Welt ist es! alles! Unsre Liebe selbst, das Vollstaͤndigste, was ich kenne, ein Sonnabend! — Wolt ihr mehr von unserm Eheleben? Was ich mir nur merken laße, thut mein Alexander. Fast aber solte ich denken, seiner Herrschaftsabtretung unerachtet, wuͤrd er nicht thun, was ich will. Wie kann auch ein Weib wollen? — Unsere Trauungseinsegnung waͤre frey- lich anders ausgefallen, wenn sie der Pastor aus L — uͤbernommen. Wie sie mir aber noch noch lebhaft sind die Worte: (alle Fragen haben was feyerliches fuͤr mich). Wollen Sie mit diesem Manne ziehen, Gluͤck und Ungluͤck mit ihm theilen, und sich nicht eher von ihm trennen, als bis ein Gott gebe seli- ger Tod sie scheidet? — Mein Vater hatte mir Ja vorpraeludirt; allein mein Herz hielt so wenig Melodie, daß ich laut Ja sagte, und so laut, so herzlich sag ich es noch jetzo, bis der Tod uns scheidet. Ja, Ja! Amen! Amen! Hoͤrst du Alexander? Ja! Mein Mann kann mir keinen groͤßern Beweiß von seiner Liebe geben, als daß er mir eine Aehnlichkeit mit Minen zuschreibt. Zwar hab ich sie nur ein einziges mahl in ih- rem kummervollen Leben, zu sehen das Gluͤck gehabt, so wie auch vor diesem die froͤmm- sten Leute nicht alle Tage Engel sahen; allein auch dies einemal macht sie mir auf ewig wie gegenwaͤrtig. Da steht sie! Auch dort werd ich sie gleich kennen — Sie haͤngt in unserm Hause nicht blos uͤber den Kleinigkeiten, die sich mein Mann zum Andenken erkohren; uͤberall haͤngt sie, in Oel, in Pastell und Silhouetten ohn Ende — Sie lebt und schwebt mir vor Au- M m gen. gen. Dank, lieber Schutzgeist! daß du sie mir praͤsentirt hast, da ich mich auf die Paar Zuͤge nicht besinnen konnte! — Jetzt darf ich dich nicht mehr beschweren — Mein Alexander ist sehr gerade zu — Meine Mutter liebt ihn, wie eine Mutter ih- ren Sohn. Mein Bruder, faͤngt sich so sehr nach ihm zu bilden an, als es einem aͤusserst verdorbenen Menschen nur immer moͤglich ist — Mein Vater selbst ist mit diesem gerade zu so zufrieden, als ich es nie gedacht habe. Aeusserst zufrieden mit meinem Mann behauptete er juͤngst, daß ein gewisses edles gerade zu die allerfeinste Hoͤf- lichkeit waͤre — Aufs Einkleiden kommts an, setzte er hinzu, und eben das Einkleiden scheint meines Alexanders Sache eben nicht zu seyn. Mein Vater faͤngt mehr an uͤber die Hoͤflichkeit und Festlichkeit zu speculiren, als sie zu uͤben. Ganz wird er diesen Schmuck nicht ablegen, und warum solt’ er? Mein Mann steigt nicht zu Dache. Sein Gerade zu ist ein edles Gerade zu. Die Liebe ist kuͤhn und schuͤchtern im Großen und im Kleinen. — Mein Vater will nicht leiden, daß ich meinem Alexander un- unters Kinn greife — Warum nicht, lie- ber Vater? Ein Eheweib darf nichts enteh- rendes finden, als ein Schelmstuͤck, und da sey Gott fuͤr! — — Wahrlich eine gewisse unzeitige Schaam hat unser Geschlecht un- ter dem Vorwande, es zu heben, so herun- ter gebracht, daß die wenigsten wissen, was sie thun. Dem guten Vater faͤllt oft was auf die Nerven, was andere keinen Augenblick an- haͤlt — Ehrenthalber, sagt mein Mann, ist der unausstehlichste Ausdruck, den ich kenne, und beym Kratzfuß des alten Herrn pflegt’ er zu sagen: warum verstellst du deine Ge- berde? — Der alte Herr ist, so oft er kommt, ein mir sehr lieber Gast! Was mir das leid thut, daß er am Hochzeittage am kleinen Tisch saß! So oft er kommt, muß er mir: Ich hab mein Sach Gott heimge- stelt ꝛc. spielen und da sing ich es denn so herzlich, daß ich ihn noch jedesmahl wei- nen gesehen! Auch ich weine! Es ist ein Regenlied. Mein Mann beschuldigt mich, daß ich zu spitzig bin. Noch hab ich keinem, als mir M m 2 selbst, selbst, mit einer Nadel Schaden gethan! Wie Alexander da lacht! Solt ich wieder wo zu Nadelspitz gewesen seyn? — Fuͤrs Lachen eine Klage! Mir ist aͤusserst schwul zu Muthe, wenn ich die Zimmer kehren und aufputzen laße! Freylich sagt mein Mann kein Wort druͤber; allein wenn sein Blick diese meine Thaten be- streicht, ist mirs so, als sage er etwas — Seine Schreibstube wird fast gar nicht gelaͤu- tert. Weiß der Himmel, es ist wenig Staub drinn, aller der Buͤcher unerachtet, von de- nen sich manche recht nach Staub zu sehnen scheinen! — wie Er selbst sagt. Ehegestern sah Er sehr steif an einen Ort und war so tief in Gedanken, als man in kei- nen Schlaf sinken kann. Da hab ich dich ge- sehen, sagte Alexander, wie du einst alt und wohlbetagt seyn wirst! — Recht so! So bald die Mienen, wenn man so sagen soll, ohne steife Wuͤste zusammen fallen, sieht man alle die Ansaͤtze zu Runzeln, die man einst haben wird, wenn keine Ermunterung, keine Aufraffung diese Linien, diese Falten, mehr zu verloͤschen im Stande ist! Mein Mann ißt stark, lauter natuͤrliche Speisen, trinkt wenig Wein; allein immer aus aus der Quelle! — Ich lege vor — er gießt ein! — Alles, was bey Tische nur gebrauet und angerichtet werden kann, wird oͤffentlich gebrauet und angerichtet. Er macht Punsch und Bischoff, ich Sallat — oft ein Ragout aus freyer Faust! — Man gewinnt viel, sagt mein Mann, wenn man was werden sieht! Ich glaube selbst! Was muß es dem lieben Gott nicht angenehm ge- wesen seyn, so alles entstehen zu sehen! — Ich will schon gern nicht nach den Sternen sehen koͤnnen, aber Gras und Baͤume wach- sen, moͤcht ich gern sehen! — Wer kann es beschleichen! — Noch einen Beweis der zaͤrtlichsten Liebe meines Alexanders! Mein Leopold hat viele Zuͤge von mir. Er kuͤßt mich in ihm! O! das sind Kuͤße, sagt er selbst, wenn man sein Weib in seinem Sohne kuͤßen kann! Sage noch einmal, das sind Kuͤße! Ich fuͤhle je- den, den du deinem Sohne giebst! — Wie sehr hab ich mich gescheut, einen Vorfall anzuzeigen, welcher der wichtigste meines Lebens ist, kein Wunder, daß ich ihn bis auf die letzt gespart! M m 3 Ich Ich bin die Mutter nur von einem einzi- gen Sohne, Alexander Leopold genannt. Er heißt im gemeinen Leben Leopold, weil mein Mann da Alexander heißt. Dies waren meine ersten und letzten Wochen — Nach einem der vergnuͤgtesten Jahre, empfand ich alle Bitterkeiten des Ehestandes, und den Fluch, der auf unsre Allmutter Eva gelegt ward: Du solst mit Schmerzen Kin- der gebaͤhren — Verzeiht den Seufzer, den ich tief hohle! — und diese Thraͤnen, die auf dieses Blatt fallen — Mein Mann konnte die Scene nicht aushalten. Er gieng davon, da er sie nur anfangen sahe. In meiner Sterbensnoth gieng er nicht davon! — Nun bin ich allein! — Vielleicht dreister! Es kam bey der Geburth meines Einzigen auf die Frag’ an, ob das Kind oder ich ge- opfert werden solte. Mein Mann solte ent- scheiden; der Arzt und die Hebamme setzten es darauf aus. Mein Gott, was fuͤr Vor- faͤllen kann der Mensch ausgesetzt werden? Fuͤhr uns nicht in Versuchung, sondern er- loͤs uns von allem Uebel! Gott unser Va- ter — Ich kann nicht weiter — Nach einem sehr harten Kampfe blieben zwar Mutter und Kind, ich und Leopold, leben; leben; allein weh mir! — Ich kann nicht mehr Mutter werden! — Ich habe geendiget in dieser Welt! — Ich bin in ein Kloster eingegangen. Als Klo- ster, in ein sehr gluͤckliches! Mein Mann liebt mich, wie seine Freundin. Mein Leo- pold, der Lohn meines Kampfes, ist der beste Junge, der in der ganzen Welt ist — Was will ich mehr? Einen guten Kampf hab ich auf der Welt gekaͤmpfet — — — — — — — — — — daß ich meinen Lebenslauf seliglich vollendet, und mein arme Seel hinauf Gott dem Herrn gesendet — Daß ich meiner seligen Mutter nicht voͤl- lig im Gesang gleich komme, ergiebt sich, duͤnkt mich, aus meiner Erzaͤhlung. Wenn ich aber in meiner Lage ein Lied anstimme, wo mein Mann, seinem Vater gleich, im M m 4 zwey- zweyten Diskant einfaͤlt, wie wohl ist mir! — Ich bin der Welt im eigentlichsten Sinn abgestorben! und finde in der Hosnung der kuͤnftigen Welt, so viel Trost, daß es wohl der Muͤhe belohnt, hier nicht ganz gluͤcklich zu seyn! — Ich wolte um wie vieles nicht mein Theil in diesem Leben haben, um wie vieles nicht! — Wie du willst, Herr, wie du willst, schick es mit mir! — Wahrlich, wir sind zur Hofnung gebohren. Mit dem Genuß will es nicht recht fort — Ich weiß nicht, ich kann keinen Menschen so recht aus- stehen, der es sich geflissentlich angelegen seyn laͤßt, zu genuͤßen, dem man es anmerkt, daß es ihm so recht schmeckt! — Man sagt, daß es die Wehemutter bey meiner Niederkunft versehen haben soll. Ich verzeih es ihr herzlich — herzlich — Gott troͤste sie! Sie ist nach der Zeit oͤfters tief- sinnig — Mein Mann und ich, das weiß Gott, haben nichts dazu beygetragen, daß sie tiefsinnig worden — Gott troͤste sie und alle, die dies lesen, bey ihren Leiden, mit dem Troste des beßern Lebens, das Gott ge- ben wird denen, die ihn lieben! — Tine Tine genannt Mine. Damit ich dich abloͤse. Mine ist eine Dichterin. Hier ist eine Probe von ihr, die sie nicht lange nach nnserer Heyrath lieferte. Man wird noch immer das Fraͤulein Lorchen drinn finden, das spitzige Maͤdchen! obgleich sie es nicht haben will, und oͤffentlich behaup- tet, sie haͤtte noch keinem andern, als sich selbst, mit der Nadel Schaden gethan. Aus Lorchen ist Tine, und aus Tinen ist Mine worden! — Dies ist die letzte Verwande- lung, bis der Tod sie und mich verwandlen wird, und das Sterbliche anziehen wird, die Unsterblichkeit — Waͤr es doch auf Einen Tag, auf Eine Stunde! — Komm, mein Geliebter, hier ans Camin, damit ich den Unterschied desto mehr empfin- de, in deinem warmen Arm zu seyn und mich am Caminfeur zu waͤrmen. Welch ein Abstand zwischen Feur und Feur! gemein und Opferbrand! Deine Hand, deine bey- den Haͤnde, in allem schlaͤgt ein Schlag der Liebe, und wenn du deine Hand in meine legst, ists so, als wuͤrden unsere Nerven in einander gestrickt, unsere Adern zusammen M m 5 gebun- gebunden! Wir sind eins! Wie fremde es klingt, Er und Sie! Mine und Alexander! du und ich! Zwey Du’s sind wir, zwey ichs. Außer dir ist nichts, und außer mir ist nichts! — Welch ein Schauder! Noch einer! Was seh ich! Sieh, Geliebter, an die Fenster- scheibe, vor deinen sichtlichen Augen, mahlt sich ein Vergismeinnicht! Sieh! sieh! im Zuge M und A! Fuͤhlst du es so wie ich? Mine wars, der Engel Mine! der es mahlt! Mine, die mich an dich in der Welt abtrat, die dich im Himmel wieder fordern wird. Das war nicht die Hand der Natur, die diese Zuͤge heraufspielte! Dieses M und A im weißen Damast! Genaͤht ists nicht — Da ist kein Stich zu kennen! — Wie schoͤn, himmlisch schoͤn! wo auch kein Stich zu ken- nen ist! — O Geliebter, verzeih diesen Seufzer! Wenn ich dich im Himmel zu ver- lieren denke, wie ist mir? der Himmel und Verlust! — Wen willst du waͤhlen? wen? O der zwey Sieen! Sie, oder mich? Mich oder Sie? — Mine, die immer ein Engel war, oder Mine, die Fleisch und Bein hatte, und die werden wird, was Mine immer war! Engel Mine! Ists moͤglich, schreibs bey bey hellem Mondschein ans Fenster, wenn mich ein Herzbeben ergreift, das mir das Nahseyn eines Geistes verkuͤndigt. Du oder ich? — Verzeih, Himmlische! diese Erden- frage! Grosmuͤthige, verzeih! — Du bist mein Geliebter! — du bleibst mein Ge- liebter! — Mine, die Goͤttliche, wie sie mich Dir laͤßt! — Komm in meinen Arm, komm ans Caminfeur! Wir sind Ein Herz und Eine Seele, wir sind Eins fuͤr Himmel und Erde! — Hoͤre, wie das Feur im Camin in Jubel ausbricht! Das ist kein gemeines Geprassel! — und auch jene sanf- tere Stimme, wie harmonisch! — Kohlen vom Heiligthum geben dem stummen Waßer Leben und Sprache. So kocht kein schlech- tes Waßer, wie dies da, das sich mit dem Gepraßel des Caminbrandes in Melodie setzt! — Das sich vordrengt, um gehoͤrt zu werden. Alles spricht, du und ich! Wir beyde Dus, wir beyde ichs! Grosmuͤthiger Engel Mine! — Unaussprechliche Himmli- sche! — Wenn ich ein Engel werde, wie du es immer warst, will ich dir danken! — Tine, genannt Mine ist aͤusserst fromm! — Sie betet alle Abend, so wie sie es in ih- res res Vaters Hause zu thun gewohnt war! — Selbst hat sie Gebete aufgesetzt, die, wenn gleich sie auch nicht Bild und Ueberschrift: Volksgebete , verdienen, doch von einem Herzen zeigen, in dem Gott sein Werk ange- fangen hat. Er woll es in ihr durch seinen heiligen Geist bestaͤtigen und vollfuͤhren bis zu seinem Tage. Amen! Ich will das Gebet fuͤr den Sonnabend hersetzen: Dieser Tag, in Parenthesi, ist meines Weibes Liebling, so wie es der Tag meiner Mutter war; allein aus verschiedenen Ursa- chen. Mit mir, sagt mein liebes Weib, ists Sonnabend! — Gute Seele! — Unsere Wege sind nicht Gottes Wege. Unsere Ge- danken sind nicht Gottes Gedanken. So hoch der Himmel uͤber der Erde; so sind auch Gottes Wege hoͤher, denn unsere Wege, und Gottes Gedanken hoͤher, denn unsere Ge- danken. Am Sonnabend. Gottlob! wieder eine Woche! Wie sie war, und nun nicht mehr ist! Ich glaube, es wissen viele Leute nicht, wenn sie sterben, daß daß sie gelebt haben. O selige Kuͤrze der Zeit, einziger lebendiger Trost, bey allen Lei- den dieser Welt! die eben deretwegen zeitlich und leicht sind! und doch schaffen sie eine ewige und uͤber alle maaßen wichtige Herr- lichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare sondern auf das Unsichtbare, nicht auf den Leib, sondern auf die Seele, nicht auf die Welt, sondern auf Gott, den Anfaͤn- ger und Vollender! den Hoͤchsten! so wie der Menschen Geist vielleicht der niedrigste ist — — Es geht mit der Zeit so, wie mit allem, was gut ist. Wir schaͤtzen es nicht eher, als bis wir es nicht mehr haben! — Nichts ist weniger habhaft zu werden, als die Zeit. Ich stelle mir vor, sie verwandelt sich in Ewigkeit, so wie wir in Engel! Wer kann alles begreifen, wie es zugeht! Ich fuͤrchte mich nicht, wenn diese Woche auftritt, und mich einst vor jenem Richterstuhl zur Re- chenschaft fordert, wo wir alle werden offen- bar werden! an diesem Sonnabend der Welt! Wer kann aber, Richter der Welt, wer kann vor dir bestehen, du Herzenskuͤndi- ger! du Gedankenkenner! Barmherzigkeit komme uͤber mich, und uͤber alle, die sich be- muͤhen Barmherzigkeit zu uͤben und Gutes zu zu thun, und in guten Werken zu trachten nach dem ewigen Leben! Die Zeit vergeht; allein gute Thaten pflanzen sich fort, und ihre Geschlechter dau- ren bis zum Ende der Tage! — Jede gute That hat mehr als Einen Sohn, hat viel Er- ben! und diese Kinder, haben wieder Kin- der! — Wer wolte nicht gut seyn, um ein Vater, eine Mutter von so guten lieben Kin- dern zu werden, die sich selbst erziehen! — Der Schluß der Woche kann der Anfang zur Besserung seyn! Ich gelobe! und wills halten, mein Fleisch und Blut niederzuschla- gen, wenn der Eigenduͤnkel mir einbilden will, ich waͤre besser, als ein anderer, wenn die Haͤrte mir ins Ohr zischt: Verdient es auch der Arme? will ich antworten: Bey Gott gilt der gute Wille; Was wuͤrde sonst aus uns allen werden? So will ich leben, damit ich einst froh sterben kann. Wenn werd ich? das weiß Gott, der Herr des Le- bens! Wohl mir, daß er nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen ist! Wohl mir, daß er mir den Trieb zum Leben so tief eingepflanzt hat. Je aͤlter wir werden, je mehr Lust zum Leben wandelt uns an. Die- sen sen Trieb zum Leben solt ich haben, und doch sterblich seyn! Nein! wahrlich! wahrlich! Ich glaub es, nimmermehr werd ich sterben, es wird nur so scheinen, als stuͤrb ich! — Der liebe Gott wuͤrde sich geirrt haben, wenn er den Lebensplan in den Menschen gelegt haͤtte, falls der Mensch ihn auszufuͤhren aus- ser Stand waͤre. Gott begeht keinen Ir- thum! Ist der Tod nicht Ende? wie gluͤck- lich, daß wir sterben! Erwachen wir nicht nach einer Nacht voll Schlaf, frisch zu einem schoͤnen Morgen? Die Nacht ist ein Bild des Todes; der Morgen ein Bild der Wie- dergeburt, die uns allen bevorsteht! — Herr! lehre du mich bedenken, daß ich ster- ben muß, lehr es mich in jeder Daͤmmerung, lehr es mich am Sonnabend vor allen Din- gen! Mach es mit mir, wie du willst — und ist der Sonnabend meines Lebens vorhanden, helf mir Gott, der helfen kann, wenn alle menschliche Huͤlfe verzweifelt — Wenn kein Trunk mehr unsre gedorrte Lippen labt, er- quick uns der Trost der Unsterblichkeit! Wenn die Unsrigen unsern Segen fordern, und wir segnen wollen und nicht mehr koͤnnen! Vol- lende das Werk, Abba, lieber Vater, du hast mehr als Einen Segen. Laß unsere Lie- ben ben bedenken, daß wir sie alle wieder finden werden, an einem schoͤnen Sonntage mit Feyrkleidern angethan! — Hallelnja! — Vollbracht! sey unser letztes Wort, Gnade! unser letzter Seufzer! Da denk ich eben an die, so eben jetzt, da ich um ein sanftes seliges Ende bete, wenn mein Stuͤndlein vorhanden ist, ihr Haupt zum Tode zurecht legen! Moͤchte doch ihr Sterbkuͤßen ihnen leicht seyn! — so wie uns allen einst die Erde. Wir sind ja alle aus deinem Hause, lieber Vater! Kinder der To- desangst unseres sterbenden Bruders, unsrer entschlafenden Schwester. Laß den guten Geist, der sie in dieser Welt leitete, ihre Seele geleiten zu den Wohnungen der Ge- rechten! — Sie sterben an einem schoͤnen Tage! Erbarm dich ihrer und unsrer aller! — Kuͤrze die Noth eines jeden, die er auch sei- nem Vertrautesten nicht entdeckt, der Mann nicht seinem Weibe! — Erhoͤre jeden Wunsch, wenn es auch dein Wunsch ist! Amen! In deine Haͤnde befehl ich meinen Geist! Amen! — Ich Ich habe die Gewohnheit beybehalten, daß sie alle Abend in Gegenwart der Leute betet! und auch ein Lied nach dem Gebete an- stimmt, das wir alle singen. Ihr gebuͤhrt die Wahl, und ich habe oft die Freude durch diesen oder jenen Gedanken eines Liedes herz- inniglich uͤberrascht und selig erquickt zu wer- den! — Wuͤrde sich meine selige Mutter uͤber eine solche Tochter nicht freuen, wenn gleich sie nicht aus dem Stamme Levi ist, und ich nicht Superintendent worden. Aus dem Liede sehe ich, wie mein liebes Weib ge- stimmt ist. Gestern Abend sangen wir: Warum solt ich mich denn graͤmen? Gott! wie sang sie den Vers: Kann uns denn der Tod wohl toͤdten? Nein! er reißt meinen Geist, aus viel tausend Noͤthen; schließt das Thor der schweren Lei- den! — — und macht Bahn himmelan! zu dem Sitz der Freuden. Heute singen wir ein Loblied, das seh ich ihr an! Alle Sonnabend einen Sterbgesang, N n das das weiß ich schon! Meiner seligen Mine Regenlied! Ich hab mein Sach Gott heimgestellt, ist auch ihr Seelenlied! — Ich wuͤnschte, daß manche edle Seele von meinen Leserinnen den Herrmann spielen und mein Weib singen hoͤren koͤnnte! — O des guten Weibes! — Unserm Leopold hab ich in diesem Buche sein Kind-sein Pflichttheil berichtiget! Ich hab ihn beym Publiko eingeschrieben; mehr gebuͤhrt ihm nicht. So viel indessen zur Nachricht, daß er ein lieber, lieber Jung ist, der seinen Lebenslauf zu seiner Zeit schon ohne seines Vaters Beyhuͤlfe schreiben wird! — Es hat gute Wege mit ihm; Faͤhigkeiten sel- tener Art! — Junker Gotthard besucht uns alle Jahre! so wie er uns sein Wort gegeben. Noch ist er nicht Ehemann! — Seine Jagdliebha- berey nimmt taͤglich zu! — Sein Herz ist untadelhaft. Man mag sagen, was man will, er ist doch immer das beste Wild in al- len seinen schoͤnen Waͤldern. Seine Mutter kann es sich noch nicht vor- stellen, daß ich die Tochter eines benachbar- ten Edelinanns geheyrathet, und freuet sich herzlich, daß nicht die Sonne in Curland die- sen sen unerhoͤrten Fall bescheine! — Kaͤm es auf sie an, sie wuͤrde unsre Ehe noch bis die- sen Augenblick unguͤltig erklaͤren — Sie zaͤhlt zehn Ahnen mehr, als nach Sethi Calui- sii Berechnung (der doch auch sein Exempel zu rechnen wußte) die Welt gestanden. O der stifts und turnierfaͤhigen Frauen! — Doch! warum von ihr Auskunft, da mir noch Jemand weit naͤher ist — Der alte Herr hat jetzt seine Freystatt beym Herrn v. W —. Seine duͤrftige Um- staͤnde erforderten Beyhuͤlfe, und wer wird sich nicht freuen, daß Herrman, der, nach dem betruͤbten Suͤndenfall, den Apfelbaum aus seinem Garten rottete und der Tugendbelob- ten Jungfer Dene einen Scheidebrief er- theilte, nicht Noth leidet. Herr v. W — konnte aber auch sich selbst nicht besser rathen, als auf diese Weise. Herrmann gieng nach Minens Tode krumm und gebuͤckt, und meine Mutter fand sich verpflichtet, ihm Nahrung und Kleider zuzuwenden. Diese Sorgfalt, versprach sie, so lange sie lebte fuͤr ihn zu haben. Sie hielt mehr, als sie versprochen, und noch nach ih- rem Tode empfand er ihre milde kalte Hand. N n 2 In In die Stelle ihrer Gutherzigkeit trat das Le- gat der Frau v. — b — indessen war Herr- mann noch nicht voͤllig aus aller Leibesnoth, aus welcher ihn Herr v. W — voͤllig setzte. Der Herr Inspektor fand sich auch mit hun- dert Thaler preußl. ein, die Herrmann zum Bratenrock verwendete. Indessen hat De- rius so wenig Lust, seinen Vater, als der Vater den Herrn Inspektor zu sehen! — Diese Pension von hundert Thaler preuß. will Darius jaͤhrlich fortsetzen. Man sagt, Schulmeister werden darum so sehr alt, weil sie immer mit jungen Leu- ten umgehen. Diesen Kunstgrif haben viele Alte, um sich zu verjuͤngen, wie die Adler! — Freude steckt an! Man darf hier nicht blos auf die Ausduͤnstung Ruͤcksicht nehmen, auf die es vielleicht bey dem Kebsweibe des Koͤ- niges Davids angesehen war — Herrmann hatte nun wohl schon laͤngstens das Schul- handwerk aufgegeben; indessen hatte er ein Temperament, das hier mehr galt, als der Umgang mit der Jugend. Wenn er zur Treppe herunter geworfen wird, sagte Herr v. G — der Selige, kommt er zuverlaͤßig seinen Hut hohlen — — Hast Hast du, lieber Leser, je Einen observirt, der dem andern zu gefallen lacht oder weint? Beydes ist heßlich! Unendlich lieber aber will ich, Jemanden zu gefallen, weinen, als lachen sehen. Wie eckel, wenn man Jeman- den zu gefallen freundlich thut! — Herr- mann war ein dergleichen Klag- und Freu- denweib. Er giebt, wie Herr v. G — der Selige sagte, wie ein Teich, nasse und trockene Nutzung. Der Stolz ist zweyerley, innerlich und aͤußerlich. Leibes- und Seelenstolz! So kann man stolz seyn auf seine Nase, Augen, Ohren, aufs Zifferblatt; allein auch aufs Werk selbst, auf die Seele! Dieser innerliche Stolz, wenn er uͤbel angebracht ist, heißt Aufgeblasenheit. Dies war Herrmanns Feh- ler, den er beym Herrn v. W — abzulegen schwerlich Gelegenheit finden wird. Von sei- nem Schnupftuch haͤngt ein großer Theil aus der Tasche. Er schmuͤckt sich gern mit einem lateinischen Woͤrtchen, welches wie ein Schoͤn- fleckchen absticht — Herr v. G — selbst indessen, wenn er noch lebte, wuͤrde dem Herrmann, dieses Schoͤnfleckchens und des herausragenden Schnupftuchs unerachtet, das Zeugnis der N n 3 Besse- Besserung in sehr vielen Stuͤcken nicht ver- sagen! — Wir wollen uns nur der stillver- weinten Thraͤne zuruͤckerinnern, da ich mit Minen zu Bette gieng! — — Seine Einfaͤlle freylich hat er noch nicht gelaßen; wer laͤßt aber auch Busensuͤnden so leicht? Sie sind Parderflecken! — Herr v. G — der Selige nannte seinen Witz des Satansengel, der ihn mit Faͤusten schluͤge, und wahrlich mit Recht! Seine Einfaͤlle? Sind sie denn Einfaͤlle? Kaum! Es sind Gipsabguͤsse von Witz. War es Wunder, daß Herrmann wieder zu Kraͤften kam, da ihm Herr v. W — mit Rath und That so hoͤflich beystand? Der Tremulant ward zwar noch zuweilen gezogen; indessen ließ von Zeit zu Zeit der Trompeten- zug sich hoͤren. Lang hungern, ist nicht Brod sparen, sagte Junker Gotthard! der gute Junge! Er hatte eine gewisse Antipathie wider den Herr- mann von seinem Vater geerbt! — Juͤngst sah er mich an, und liebaͤugelte mir auf Rechnung meines Schwiegervaters und sei- nes Waffentraͤgers zu. Das Wetter, sagt’ er, kennt man am Winde. Als Herrmann von seinen ausgestandenen Ungluͤcksfaͤllen anfieng, anfieng, macht’ ihn Gotthard mit der Be- merkung still: was ein guter Haken werden will, kruͤmmt sich in Zeiten — Herrmann erzaͤhlte eine Beleidigung, die ihm ohne sein Verschulden zugefuͤgt worden — da hielten Sie wohl ein Schnupftuch vor, und sagten: mir blutet die Nase? fragte Junker Gotthard. Herrmann hatte die Art, wenn ihn Je- mand seines Gleichen was fragte, nicht zu antworten, sondern recht, als fuͤrchtete er etwas, anstatt der Antwort wieder zu fra- gen. Wie so? Er begegnete der Frage durch eine andere Frage, und so wie kluge Leute, wenn sie nach gothischer Weise examinirt wer- den, die schwere Pflicht zu antworten sehr weislich auf den Frager schieben; so macht’ es auch Herrmann und eben hiedurch gewann er Zeit, erhielt sich bey Ehren, und suchte sich, wie alle Leute seiner Art, zu praͤser- viren — Dem Junker Gotthard, der doch wahr- lich nicht seines Gleichen war, begegnete Herr- mann auf gleiche Weise; indessen gewoͤhnte er ihm sein wie so? auf eine so auffallende Art ab, daß Herrmann sich bey jeder Frage verscheute, wenn gleich sie nicht wie so? war. N n 4 Das Das ist so platt, daß es keine Nase hat, sagte Herrmann zum Herr v. W — uͤber ei- nen Ausdruck des Junkers Gotthard; allein er fand keinen Beystand, vielmehr ward er auch vom Herrn v. W — auf eine Art an- gelassen, daß, um seinen gewoͤhnlichen Aus- druck beyzubehalten, ihm die Ohren klangen. Da verdienen sie eine Nase, erwiederte Herr v. W — und freute sich, daß bey seinem Scheltwort wenigstens ein Wohllaut, wie er dafuͤr hielt, anzubringen gewesen! — Wohl- laut? Herr v. W? Die Gewohnheit, die Herrmann seit so lange ich ihn kenne, hatte, seine Weste mit Nadeln zu bestecken, daß sie wie mit golde- nem Rundschnur besetzt aussah, hat ihm Herr v. W — gluͤcklich abgewoͤhnt — Versteht sich, mit Hoͤflichkeit — Vor kurzen nahm mein Schwiegervater bey Gelegenheit der Nase, die Sache des Jun- kers Gotthard; jetzt rettete er Herrmanns Ehre, als Gotthard ihm den Schneider vorruͤckte. Federschneider wollen Sie sa- gen, fiel ihm Herr v. W — ein. Freylich haͤtte Gotthard bedenken sollen, daß Herr- mann ein Haͤusling des Herrn v. W — ist. Gotthard war gewohnt, dem Herrn v. W — nach- nachzugeben. Es blieb beym Federschneider. Viele nannten den Herrmann Secretair, und man ließ sie, ohne daß sie zurecht geholfen wurden, dabey. Um die Zeit, wenn der Inspektor seinem Vater das Jahrgeld sendet, ist Herrmann so tief in Gedanken, daß Herr v. W — alle Muͤhe hat, ihn zu zerstreuen! — Er koͤnne sich, sagt Herr v. W —, vor Unruhe nicht bergen! — Wie das kommen mag! Wenn es nur nicht mit Herrmann zum Ende geht! sagte Herr v. W —, da er mich zum letzten- mahl besuchte! — Jetzt faͤngt er an, so tief in Gedanken zu fallen, wenn er nur et- was anlegt, das von dieser Pension gekauft worden! Den Bratenrock zieht er gar nicht mehr an. Gott sey seiner Seele gnaͤdig! — Der Schwager Peter hat ein Weib ge- nommen, darum kann er nicht kommen, sagt Junker Gotthard, das heißt: der gute Jun- ker Peter hat die Herrschaft in seinem Hause nicht abgetreten; allein er ist so wenig Herr, daß seine Frau sogar den Stab Wehe uͤber ihn fuͤhrt! — Herr v. K — nahm ihn in Anspruch, und forderte alles Geld, das er ihm geschenket, oder mit ihm gemeinschaft- lich reichmaͤnnisch durchgebracht hatte. Es N n 5 war war nur, schreibt ihm Herr v. K —, auf die Hand gegeben. v. K — der ehemals ein Verschwender war, ist jetzt in einen sol- chen Geizsumpf gefallen, daß er sich ent- setzlich besudelt — Jeder Redliche im Lande flieht ihn. Wer hat aber nicht seinen An- hang in Curland? der auch mit v. Ks — vorn Willen nimmt. Junker Peter konnte sich in der Noth, da er vom v. K — in Anspruch genommen ward, und bey die- ser Gelegenhet so mancherley und man- ches ans Licht brach, nicht anders, als durch ein Eheverbindniß, helfen. Wie oft decken Ehen der Suͤnden Menge! — Fast immer sind sie heut zu Tage Suͤnden- diener — v. E — hat eine sehr liebenswuͤrdige Frau, und von ihr drey Soͤhne, die dem Bilde ih- rer Mutter aͤhnlich sind. Ich hab’ ihn seit der Zeit nicht gesehen, da er in Koͤnigsberg Koͤnig eines Freudenmahls war. Warum bracht ich die Nacht, da Herr v. E — mit Extrapost von Koͤnigsberg gieng, schlaflos zu? Seine Zuschrift, nachdem er von mei- ner Ankunft in Curland Nachricht eingezo- gen, will ich so wenig mittheilen, als meine Antwort. Wir wissen alle, daß er Franzos und und Curlaͤnder war, daß er Kriechen und sich ein Paar Zoll hoͤher heben konnte, als er ge- wachsen war. Ob seine Frau ihn nicht wenig- stens auf eins einschraͤnken, und entweder zum Curlaͤnder oder zum Franzosen bringen wird? muß die Zeit lehren. Wie es zugegangen, weiß ich nicht; allein v. E — hat den v. K — gefordert. Wie gewoͤhnlich, sie haben sich nichts gethan. Da hat jeder seinen heißhungrigen Jupiter, und dergleichen Gevatter wetzen die Scharten aus! — Diesen Augenblick erhalt ich vom Herrn v. W — die Nachricht, daß Herrmann in wirklichen Wahnsinn gefallen! welch ein Unterschied gegen eine Lindenkrankheit? — Die Hoͤflichkeit des Herrn v. W — erlaubt es nicht, ihn von sich zu entfernen, und auf der andern Seite, bemerkt er, bin ich aͤus- serst mit ihm geplagt! — Sich selbst kann Herrmann nicht uͤberlassen werden. Sein Sohn hat ihm dieses Jahr hundert und funfzig Thaler gesandt. Ob ihm diese Erhoͤhung voͤllig den Kopf verruͤckt, oder die Bitte, die Benjamin der Zulage beygefuͤgt, ihn in Preußen zu besuchen, weiß Herr v. W — nicht! Die Die Frau Inspektorin sey in gesegneten Umstaͤnden, und truͤge ein so großes Verlan- gen (schreibt Darius) ihren Schwiegervater zu sehen, daß er auf das dringendste bitten muͤßte — Muͤste, das glaub ich selbst! Einen andern Vater wuͤrde dies entzuͤckt ha- ben, und Herrmann — — Ist todt! — Ein Brief von meiner lie- ben Mutter! — Drey Tage vor seinem Ende ist er vernuͤnftig gewesen. In den An- faͤllen der Raserey hat er sehr laut Benja- min gerufen! Mine aber so hohl, als duͤrft er nicht. Inspektor! Inspektor! jetzt koͤnnt es dir leid thun, daß du deinen Vater nicht noch gesprochen hast! Gute Wochen deiner Frau! Eben meld’ ich ihm den vaͤterlichen Tod. In der Beylage dieses Briefes erfolg- ten 350 Reichsthaler preusch, die Herrmann unerbrochen weggelegt hat. Unerbrochen! Das Ehrenkleid, das er von der Pension des ersten Jahres berichtiget, ist ihm mit ins Grab gegeben, auf sein ausdruͤckliches Ver- langen! Ich will es anziehen, hat er ge- sagt, wenn ich Minen sehe! — Roth wird seinetwegen kein Tag im Ca- lender des Herrn v. W — gefaͤrbt werden! dafuͤr steh ich! So wie ich weiß, daß er sei- nen nen Tod herzlicher, als den Tod so vieler an- dern rothgefaͤrbten, bedauren wird! Junker Gotthard soll Braͤutigam seyn! das waͤre viel! — Alles, was ich sonst noch auf meinem Her- zen und Gewissen habe, in die Nutzanwen- dung! — Schluß Schluß! — Endlich! wird ein großer Theil meiner wohlmeynenden Leser, wie ich wuͤnsche und hoffe, sagen, und diesem Endlich sagen, setz ich aus dem Innersten meines Herzens Gott- lob! entgegen. — Gottlob! — Also haͤtten wir in den gegenwaͤrtigen drey Theilen abgehandelt, ob kuͤrzlich, weiß ich nicht, einfaͤltiglich aber gewiß, meinen Lebenslauf, bis auf eine saͤchsische Frist vor der Messe, nebst drey Beylagen, A. B. C. denen ich am Thor ein vielleicht zu stolzes Prognosticon gestellet habe. Nichts ist wah- rer, als jene Bemerkung: nulla tam odiosa narratio, quam sui ipsius laus, welches Junker Gotthard sehr schoͤn, Eigenlob stinkt, verdol- metschen wuͤrde. Darius wuͤrd es noch hand- greiflicher geben. Damit also nur ja nie- mand auf den unrichtigen Gedanken falle, als haͤtt’ ich mir selbst dieses Monument er- richtet; so sey es mir erlaubt zu bemerken, daß solches blos der lettischen Muse, dem Organisten in L — und dem guten Gott- frieden zu Ehren prangert, und daß der vierte und fuͤnfte Theil mehr durch meine Feder, Feder, als durch meinen Kopf gehen werde. Qui bene distinguit, bene docet. Dank dir, Deutschland, an das meines Schwiegervaters Hochwohlgebohrnen tausend Empfehlungen mitgeben, daß du mir nicht manum de tabula, die Hand vom Schreib- tisch zugerufen. Schuldig bin ich noch (da ich dieses Werk mit einer Hand verglichen, ob rechte oder linke? hab ich wohlbedaͤchtig un- bestimmt gelassen) den Goldfinger und Ohr- finger. Getreulich und sonder Gefehrde, hab ich die drey ersten oder die Schwurfinger dar- gereicht, den Daumen, oder den Kopf der Hand, den Zeige- und Mittelfinger — Zu Abtragung meiner Schuld nur eine kurze Frist. Frist! — Ich weiß so gut, wie Nathanael, ver- sprechen macht Schuld, und wer mehr ver- spricht, als er zu halten im Stande ist, kann zur Ersetzung des Schadens ex L. Aquili a angehalten werden. Schaden? Vortheil soll Euch mein Anstand zuziehen, und landuͤbliche Zinsen tragen. Es fehlen nur noch einige Nachrichten, meines Vaters Jugend, und meines Grosvaters Alter betreffend, um al- len len respektive Frag- und Verwunderungszek- chen zu entgehen. Ein Kind, wenn es sich die Finger verbrannt, pflegt das Licht zu scheuen, obgleich mein Leopold es noch lange erst versuchen wuͤrde, ob die Finger mit der Zeit nicht staͤrker, als das Licht, seyn wuͤr- den! — Kurze Ich habe nicht noͤthig zu fragen: meynst du, daß diese Gebeine wieder lebendig wer- den? Es liegt alles, bis auf einen Hauch da! — Es ringt nach Leben! — Da seht, meine Ehrlichkeit! — Haͤtt ich denn nicht meiner Laͤnge, wo nicht eine ganze Elle, so doch ein Viertel, und da ich Soldat gewesen, ein Paar Zoll zusetzen, und behaupten koͤnnen, daß mich ein anderes ge- lehrtes Werk abhielte. Ich habe aber nie auf den Zehen in diesem Buche gestanden, oder mich durch einen hohen Absatz vergroͤßert. Warum solt ichs? Warum solt ich sagen, daß mich eine andre gelehrte Arbeit beschaͤftige, und daß ich zweyen Herren diene? Blos bin ich im Dienst der Wissenschaften, und diese meine hochgebietende Herren sind so geneigt, wie Gott der Herr, ihren Dienst einzurichten. Wir Wir dienen nicht Gott, sondern uns, und so gehts auch mir mit den Wissenschaften! Ich glaube nicht, daß ein Speisemeister vom andern und dritten Theile zu sagen Ur- sache gefunden: Jedermann giebt zuerst den guten Wein, und wenn die Gaͤste trunken sind den geringern. Dies sey die Buͤrgschaft, die ich bey meinen Lesern in bester Rechtsform wegen der Fortsetzung einlege, und solte hie und da ein Speisemeister diese Klage wider mich rechtlich fuͤhren zu koͤnnen, des Dafuͤr- haltens seyn; so wisse er, daß ich nicht Je- dermann bin, und daß ich in Wahrheit es nicht zum Betrinken angelegt. Freyheit ist meine Losung bey Tisch, als Schriftsteller — uͤberall — Ein Jesuiterraͤuschchen hat bey den truͤben Tagen des Lebens nichts zu sagen! — Zwar hab ich mich bemuͤhet, al- len einschlaͤfrenden Erweiterungen auszuwei- chen. Was ist aber ganz vollendet? Alles, was vollendet ist, ist dem Menschen nicht auf seinen Leib, oder eigentlich auf seine Seele gemacht. Selbst ihr Unsterblichen! Du New- ton und du Copernikus! wißt ihr denn auch gewiß, daß alles so ist, wie es euch in ei- ner gluͤcklichen Nacht traͤumte? — das rechte Wort zu allen Erfindungen — Koͤnnt’ O o ihr ihr sagen, es ist vollendet? ihr, die ihr selbst nicht vollendet, sondern nur Numero sieben seyd. Maulwuͤrfe, koͤnnen die vollenden? Homer und Milton, Vater und Sohn, was meynt ihr? — Ach Gott! du allein, Unbegreiflicher, du allein bist vollstaͤndig, vollkommen. Alle Erfindungen, so hoch man auch kommt, lehren nur den Menschen, wie weit er noch vom Ziel sey. Die Hauptmen- schen in der Welt verdienen nur den Namen Propheten. Sie sagen, was kuͤnftig seyn wird. Es wuͤrde die vires haereditatis uͤberstei- gen heißen, wenn sich irgend ein Mensch ein- bilden wollte, etwas zu schreiben, wovon er behaupten koͤnnt’, es waͤre so ganz da, wie er! Ein andres Schoͤpfer! ein andres Ge- schoͤpfe! Niemand kann sagen, er sahe an, alles was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut. Ein Fragment ist mir aus diesem Ge- sichtspunkt ein angenehmes Wort! Es ist ein Menschenwerk! Der Mensch selbst kommt sich in dieser Welt nur als ein Fragment vor, so ganz er gleich da ist. Heil ihm! daß er eben von diesem Ganzen schließen kann, daß er selbst sich in allen Ruͤcksichten begreifen, von von allen Zipfeln einst fassen werde, in der Fortsetzung seines Lebens! — in der andern Welt! — Das, was meinem Herzen von meinem Leben am meisten aufgefallen, hab ich mit- getheilt — und was die Zukunft betrift — Was kann mir kuͤnftig (beym Licht die Sache genommen) viel mehr begegnen, als der Tod? — ûnd da hoff ich zu dem, der in mir angefangen hat das gute Werk, er werde es durch seinen heiligen Geist in mir bestaͤtigen und vollfuͤhren, bis an diesen meinen juͤng- sten Tag, auf dieser Welt und in der neuen — Ein doppelter juͤngster Tag! — Solten sich Umstaͤnde ereignen, wer weiß die Ge- schichte seines morgenden Tages, die eines Protocolls werth waͤren; so trag ich es hie- mit meinem beym Publico als Autor einge- schriebenen Sohne Alexander Leopold auf, getreulich alles zu geben, wie er es empfangen hat — Gott segne dich! lieber Leopold! und deine Mutter fuͤr und fuͤr! Amen! — Schone mich nicht, mein Sohn, ziehe vielmehr den Vorhang auf, wenn ich mich vor dem Publico geflissentlich in einem andern Lichte darstellte! Schreibe getrost. Schone O o 2 nicht nicht. So war mein Vater nicht, so war er! — Was soll ich von meinem Buche sagen? Wahrlich, es ist nicht ein olympischer Lauf nach einem Zeitungslob! — Ein unverwelk- tes Erbe war mein Ziel, zu trachten in gu- ten Werken nach dem ewigen Leben, meine Hofnung! — Ich schrieb den Menschen, oder bemuͤhte mich, ihn zu schreiben. Jeder hat noch ein Aestchen aus dem Paradiese mitgebracht, und jeder hat etwas vom Apfel gegessen! — Die Menschen sind alle auf einen Fuß. Man darf sie nur aus dem gehoͤrigen Gesichtspunkt nehmen, so sind sie als Einer, als Adam. Madam Eva war ja auch in ihm, in seiner Ribbe. Solch ein Gesichtspunkt ist vorhan- den; ob ich ihn getroffen, sey dem wachha- benden Officier, dem mit einem Achselbande zu Pferde, zu Fuß, von der Leibgarde, von der Garde der Gelehrten Republik, anheim gegeben! — Mit den Thorschreibern hab ich mich, wie erwecklich zu lesen, in dem Buche selbst, ein langes und breites abgegeben — Freylich ist zwischen Waͤchtern und Rich- tern ein Unterschied. Wie wenige verdienen aber aber den ehrwuͤrdigen Namen Richter? Ein Richteramt ist ein schweres Amt. Natha- nael waͤhlte das beste Theil, da ers nieder- legte, und wie wenig giebts Nathanaels und solche kunstrichterliche Justizraͤthe, wie er! Kleine schielende Revisionsknaben die Menge! — Die Herren α, β, γ, moͤcht ich auch un- gern daruͤber sprechen lassen. Wer in den Charakteren nicht Praͤcision findet, kann jeden in Person kennen lernen, bis auf die, welche in diesem Buche selig ent- schlafen sind, und wer meiner Grosmutter nachspottet, und mit geruͤmpfter Nase die Frage aufwirft: wie vielmal Amen in die- sem Buche vorkommt? wisse, daß ich ein Liebhaber dieses Worts bin. Ich liebe nicht Flittern, nicht Schminke, trage keinen Re- genschirm, keinen Herrmannschen Glanzkit- tel. Eine Jahreszeit ist mir so, wie die an- dere. Alles, was aus Naturhaͤnden kommt, ist Gottes Gabe! Geschmack? Ja frey- lich hat nicht jeder Lust zu lauter Milch und Kuchen, und zum Stuͤck vom zarten guten Kalbe, diesem verlohrnen Sohnsbraten, ob- gleich Abraham himmlische Herrschaften da- mit bewirthete — — O o 3 Wer Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in Eins gefuͤhlt hat, Seel und Leib in Einer Person — Wer nicht Muth gehabt, im di- cken Walde, die heiligen Schauer, aus sei- nem Grabe herausgestiegen, zu empfinden, und die Stimme der menschenfeindlichen Ei- che verstanden: aus mir wird einst dein Sarg geschnitten! muß freylich ganze Bogen dieses Buchs unausstehlich finden. Wer aber die- ses Gefuͤhl kennt, das sich nicht untersteht, einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein Bote Gottes ungewaͤhlt faͤnde! Mit dem geh’ ich zusammen. Hebt sich dein Herz, wird dein Busen entzuͤndet, komm in Charlottens Laube! und wo du sonst willst, hier ist meine Hand! — Ein Mensch, der zu empfinden weiß, daß er nicht mehr brauche, als zu leben, daß alle Reichthuͤmer Schaͤtze sind, die Motten und Rost fressen, und wornach Diebe gra- ben, um sie zu stehlen, erhaͤlt eine gewisse edle Art, ein wahres Geniegefuͤhl, das allen Hoch- und Hochwohlgebohrnen Zwang ver- schmaͤht, sich entsattelt, und den Reuter ver- achtet, der sich ihm aufbuͤrden will! — Das ist ein Genie! — Muttermaͤhler der Sinnlichkeit und Schoͤnpflaͤsterchen sind so unterschieden, als ein ein unschuldiges frommes Maͤdchen und eine Nonne. Wir verehren nicht gemeine Dinge und versuͤndigen uns oft schwer an ihnen. Was sel- ten ist, gefaͤllt! — Man haßt den, der im Klei- nen betruͤgt. Thut ers im Großen; so finden wir so viel nicht auszusetzen. Das Spiel ver- lohnt das Licht nicht! — Große Diebe lau- fen, kleine haͤngen! Der Beobachter wen- det sich nur an kleine Zuͤge, und uͤberlaͤßt gern die Hauptstuͤcke andern, blos weil sie mehr ins Auge fallen. Das Gemuͤth, das Herz, schlaͤgt im Winkel an seine Brust, wie der Zoͤllner, es will durchaus nicht gesehen seyn; allein jeder hat auch seinen Pharisaͤer bey sich, der geflissentlich bemuͤht ist, sich vorzudrengen, wenn man den Menschen mah- len will. — Gern! gern! verzeih ich allen, die mich truͤglich behandelt, mit Luͤgen und mit falschem Gedicht, durch notas selectas und variorum. Scire leges non est, verba earum tenere, sed vim et potestatem . Der, der aller Welt Richter ist und recht richtet, der das rechte Recht spricht, das sich schlafen gelegt hat, weiß den innersten Gedanken meiner Seele und den Rath mei- O o 4 nes nes Herzens. Er weiß, wie ich ringe, die Men- schen, die sich von ihm entfernet, zu ihm zu sammlen, und wie ich getrost ohne Menschen- furcht gerufen: trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, und nach seiner Gerechtig- keit; so wird euch das andere alles zu- fallen. Vor ihm ist all mein Begier, mein Seufzen ist ihm nicht verborgen, meine Thraͤ- nen nicht, fuͤr Jerusalem, ach! wenn es bedaͤchte zu dieser seiner Zeit, was zu seinem Frieden dienet, aber noch ist es fuͤr seinen Augen verborgen, und mein Gebet: dein Reich komme — — das al- les weiß der Herzenskuͤndiger! Und doch hielten viele mein Buch, weil ich mit Zoͤllnern zu Tische saß, fuͤr einen Ver- fuͤhrer des Volks — Ihr, die ihr nur aufs Sichtbare seht, und nicht aufs Unsichtbare, obgleich das Sichtbare zeitlich ist, und das Unsichtbare ewig! O ihr Gottes Augendie- ner! die ihr Splitter im Naͤchstenauge seht, und euren Balken nicht bemerket, was meynt ihr wohl von Tugend und Religion? die ich entweiht haben soll? Werdet wie die Kinder, das ist die goͤttliche Lehre, deren Geist mich trieb, und ihr Pharisaͤer, die ihr nicht seyd, wie andere Leute, Raͤuber, Abgoͤtter, oder dieses dieses Buch, dieser im Winkel stehende Zoͤll- ner, die ihr zwier in der Woche fastet, und ge- bet den Armen von allem, was ihr habt, und die ihr dies alles gerade vor dem Altar laut sagt, glaubt ihr gerechtfertiget in euer Haus zu gehen? — Glaubt ihr, daß der Pauken- schall allein gen Himmel reiche, und daß euer Oden-Wirbel dem ein suͤßer Geruch sey, der menschlich zu Menschen sprach, und allem, was gros ist, Einfalt beylegte? Was schlecht und recht ist, ist ihm angenehm; nicht das hohe, das sich baͤumt und schwillt, nachdem es respective sich baͤumen oder schwellen kann. Ich will euch nicht namentlich darstel- len, euch, die ihr Gottes Finger verkanntet, die ihr Steine wider mein Buch aufhobet, und ein Gesicht dabey schnittet, als thaͤtet ihr Gott einen Dienst daran. Unser Herr und Meister schalt nicht wieder, da er gescholten ward, draͤute nicht, da er litte, sondern stellte es dem heim, der da recht richtet; in- dessen konnt er nicht umhin, eine Geißel in die Hand zu nehmen und die Kaͤufer und Ver- kaͤufer aus dem Tempel zu treiben, und das seid ihr! Ihr, die ihr Gott zu lieben vor- gebt, den ihr nicht sehet, und euren Bruder O o 5 nicht nicht liebt, den ihr seht. Ihr, die ihr einen Menschen, schnoͤden Gewinnstes, gallsuͤchti- gen Neides halber, verfolgt, der die Le- benslaͤufe in aufsteigender Linie schreibt, und am Sonntage Aehren ißt, wenn ihn hun- gert, auch, wenn ihm Gelegenheit gegeben wuͤr- de, einen jeden Esel aus dem Brunnen ziehen wuͤrde am Sabbath — was hab ich euch ge- than? hab ich je einen Pharisaͤer und Saddu- caͤer namentlich genannt? Hab ich nicht vom Laster geredet, wenn ich den Lasterhaften meynte. Mit dem einzigen Voltaire hab ich namentlich ein Gespoͤtte getrieben und ich ver- sichr’ es Euch auf Ehre, daß es mir leid thut, obgleich er gewiß den ersten Theil meines Le- benslaufs nicht gelesen hat, und also unmoͤg- lich daran gestorben seyn kann — Fragt meine Eltern, Vater und Mutter, die all in der Erde liegen und schlafen, ob ich sie nicht geliebt habe bis in den Tod, fragt dies Buch, wenn gleich es die Wahrheit ge- schrieben, hat es darum nicht Vater und Mutter geehrt? — Wahrlich! des vierten Gebots halber wird es ihm wohl gehen, und es wird lange leben auf Erden, und selbst, wenn es gekreuziget wuͤrde, wird es auferste- hen! Ent- Entweder die Religion muß alles tingiren, oder es ist gar keine! Ist denn Gott nicht uͤberall? und glaubt ihr Leutbetruͤger, Gott sey wie ein Mensch, den ihr mit einem Ge- sichte voll Ergebenheit, wenn gleich das Herz fern von ihm ist, hinters Licht fuͤhren koͤnnt? Mit gutem Herzen zu sagen: es ist kein Gott — aus Tyrus und Sydon seyn, ist bes- ser, als Gott heucheln, wie des Hiobs Freunde! — — Wilst du erlauben, lieber Herr α, daß ich dich ganz deutlich ins Gesicht frage: ver- stehst du auch, was du liesest? Wenn meine Mutter nicht eine Originalchristin ist, moͤcht ich sagen, giebts kein Christenthum! Biblische Worte und Wendungen? Ist denn die Bibel nicht werth, daß man ihr nachspricht? Fehlt es ihr wo an Lebensart, daß man sie nicht in Gesellschaft nehmen darf? und die wohlgemeynte lutherische Ue- bersetzung, kommt sie nicht von Herzen und geht sie nicht zu Herzen? Wir haben schon anders den Grundtext, und wer steht uns da- fuͤr, daß man Luthers Bibeluͤbersetzung in der christlichen hochdeutschen Gemeine nicht verbietet; wird sie aber darum das Kindli- che verlieren? und haben nicht selbst einige dieser dieser neuen Uebersetzer Luthers Stern und Kern, wie meine Mutter sagen wuͤrde, im Segen benutzet? Von einigen Stellen solte man fast glauben, Christus der Herr wuͤrde solch Deutsch geredet haben, wenn er diese Sprache bey seiner Amtswanderschaft auf Erden gefunden. Ist die Bibelsprache zu erhaben? zu hei- lig? Sollen wir denn nicht heilig seyn, wie Gott der Herr? und sind wir nicht seine Kin- der? Nimmt denn Gott der Herr es uͤbel, wenn wir in Liebe und Einfalt uns ihm auf den Schoos setzen. Kann ich mit ihm um- gehen wie die lieben Kinder mit ihrem lie- ben Vater, warum denn die affektirte Ehrer- bietung gegen ein in schwarz Corduan mit goldnem Schnitt gebundenes Buch? Wo ist ein, selbst der Natur mehr nahkommendes Werk, das so sehr unter Menschen von aller- ley Art bekannt ist? Kennen denn alle den Homer, welche die Bibel kennen? und wo ist mehr wohlthaͤtige Volksphilosophie, kindlich groͤßere Natur, als in der Bibel? Pruͤft doch die Leute naͤher, welche die Bi- bel, und eigentlich nicht sie, sondern das Kleid der Bibel, wie Schaubrodte, wie Re- ligion, behandeln! Der Mann da mit der from- frommen Miene besitzt sieben Hufen Nabots- acker, und jene Betschwester hat jedwedes Mitglied ihres Hofstaats mit einer Narbe beehrt, welche freylich eine heilige Wunde zuruͤckgelaßen; indessen war es doch Wunde, und ist doch Narbe. Sie wirft jedem, was ihr zu nahe kommt, mit der Bibel am Kopf, der sie nachher das Blut abwaͤscht und der sie mit einem Kuß abbittet. Judas, ver- raͤthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß? — Was macht die Ungnaͤdige? fragt’ ich juͤngst, und der ehrwuͤrdige Beichtvater ant- wortete: Sie geht herum nach 1 Petri 5. v. 8. Und diesen silberhaͤrigen Greiß, die- sen Mann Gottes, solt ich seines 1 Petri 5. v. 8. wegen ansehen, wie Cain seinen Bru- der Abel? weil er nicht, wie seine Amtsbruͤ- der, am Wort und an der Lehre haͤlt, weil er nicht mit jedem von und jedem und Ab- goͤtterey treibet, das in der Bibel steht: An ihren Fruͤchten solt ihr sie erkennen! Du sollst nicht andre Goͤtter haben neben mir, spricht der Herr, und aus diesem Herrn ist unser Vater worden, nach dem Unterricht des, der gekommen ist, zu suchen und selig zu ma- chen, was durch Uebel-Verstand verlohren war. war. Ich habe nichts dagegen, wenn Na- thanael sich in den Pandekten den Titel de verborum significationibus bekannt macht; was ist aber Bild und Ueberschrift, wenn Barren da sind? Mein Name? Was thut denn der zur Sache? Muß man durchaus in Kupfer ge- stochen seyn, wenn man ein Autor ist? und muß der Herr Kunstrichter, um sein Muͤth- chen zu kuͤhlen, noch den von Angesicht zu Angesicht kennen, den er mit Lob oder Tadel mishandeln will? Du sollst keine Person an- sehen, noch Geschenke nehmen! Geschenke machen selbst die Weisen blind und verkeh- ren die Sachen der Gerechten. Was recht ist, dem solst du nachjagen. Kannst du denn nicht loben, Elender! als ins Gesicht? Der Name? bin ich denn anders, seit dem ich Alexander war und rußischer Major ward? seit dem mir mein Vater mit dem einen Buch- stab ein Geschenk machte? und da ich dies Geschenk noch nicht hatte? Alles auf Worte, auf Buchstaben! Kommts denn in dieser Welt auf etwas mehr, als Grundsaͤtze an? Giebts nicht eine unsichtbare Kirche, fuͤr welche ich allemal viel Achtung gehabt? Freunde? — Auch euch nenn ich so, die ihr ihr mir flucht und nachschmaͤht — es giebt sichtbare und unsichtbare Kirche, streitende, und heil mir! triumphirende Kirche! — — — Seht! ich hab es dazu nicht angelegt, daß diese Schrift per honore di lettera aufge- nommen werde! — Nur drey wissen meinen Namen, und Ei- ner ists, an den ich dieses Buch geschrieben habe! — Eine lange Epistel! Den andern beyden hab ich meinen Namen ins Ohr ge- sagt, einem ins rechte, einem ins linke. Was das angenehm ist, so manchen Schuster hinter dem Vorhange zu hoͤren, der uͤber sei- nen Leisten hinwegurtheilt, und den ein Schnei- der verbessert, und mit dem ein Hutmacher das Garaus macht, da der Dumkopf sich so gar bis an den Kopf gewagt — Hut, wolt ich sagen! Beym Leisten, Meister! beym Leisten! — Ich trinke lieber mit meiner lieben Mine und meinem Leopold frische Milch, als daß ich einem litterarischen Reisenden zu Anekdo- ten und zu einer Suͤnde mehr wider den heiligen Geist Gelegenheit geben solte! — Chri- Christus der Herr verbot seinen Juͤngern alles Studiren: es wird euch zu der Zeit schon alles gegeben werden! Dies ist eine Regel, die mit goldnen Buchstaben angezeich- net zu werden verdiente, uͤber alle Bibliothe- ken in der Welt! — Ueber alle Autor- tische! — Es ist sehr natuͤrlich, daß man sich wun- dern werde, wie ich selbst nicht an Stell und Ort bekannt worden, und bis jetzt allen feu- rigen Pfeilen der Boͤsewichter, auch der im Dunklen schleichenden Anekdotensucht, so rit- terlich entgangen! Obgleich ich nun eben nicht noͤthig haͤtte, eine Polemik, ehe mir dazu Gelegenheit ge- geben wird, diesem thetischen Werke anzu- haͤngen, und eher zu antworten, als ich so naseweise gefragt worden; so hab ich doch lieber so viel Anstoßsteine, als ich nur sehen konnte, wegzuraͤumen, als sie im Wege zu laßen mir in dem Herrn vorgesetzet. Wiße also, Opponens doctissime! daß Mitau zwar nur sieben Meilen von Riga liegt; allein diese sieben Meilen sind in Ab- sicht der Sitten und Gebraͤuche nicht sieben, sondern siebenzig mahl sieben. Es ist zwi- schen schen diesen beyden Staͤdten eine so große Kluft befestiget, daß die da wolten, konnten nicht — Wer ließt in Curland? Wahrlich wenig sind, die diesen schmalen Weg fin- den — Herr v. G — ist todt! — Also haͤtt’ ich mir Curland mit leichter Muͤhe vom Halse geschaft. An Ort und Stelle hab ich dreyen bra- ven Leuten, wie oben bereits gesagt worden (der Organist in L — wuͤrde sagen, dreyen getreuen Nachbaren und desgleichen) das Ge- heimnis entdecken muͤssen. Die guten Her- ren lasen, und schon beym dritten Blade des ersten Theils waren sie mir so zu Dache, wie der Inspektor es nur immer seyn konnte. Das sind sie ja mit Leib und Seele! Nun ja doch! Ich bins! allein fuͤr jeden nicht! — Was braucht ein vierter und fuͤnfter den Ringschluͤssel zu tragen, und warum soll ich jedem Gecken erlauben, in meinem Hause gemaͤchlich zu thun? Kann ich denn nicht auch, wie Herr v. G — der Selige, auf meinen Degen schlagen, wenn der Krippen- ritter nach dem Schluͤssel zum Gastzimmer und Stall fraͤgt? Behalt es bey dir! du mir liebes Trium- virat! bey dir! und wenn der — — mit P p dem dem rothen Bart, der immer Waßer auf seine Muͤhle sucht, seine Nase in euren theuren Rath (denn guter Rath ist theuer!) steckt, schlagt dem Bengel, der mir schon so oft gal- lenbittre Stunden gemacht, auf seine unbe- deutende herausgegorne Nase, damit er das Stecken in anderer Leute Haͤndel aufgebe und seine eigene Haustafel lerne, wo Re- chenmeister, nur er nicht, wie am Pasquin, mit duͤrren Worten gelesen haben: Land und Leutbetruͤger! O du Muͤckensauger! Cameel- verschlucker! Lederdieb, um ein Paar Pan- toffeln zu fertigen, das du dem Bettler giebst, wenn er nehmlich eine Rohrdommelstimme hat und in allen Straßen singen kann: Es ist das Heil uns kommen her! — Ich kenne dich — — Mit deinen Klauen kenn ich dich! Raubvogel! und koͤnnt’ ich diese Klauen einem klugen Physiognomisten in copia vidimata senden, er wuͤrde ex vngue nicht leonem, sondern — — kennen, und sie zur Warnungsanzeige drucken laßen, al- len, die Gottes Finger und Menschenfinger kennen — Du, ein aͤrgrer falscher Zeuge, als Johann Peter Beifuß und Martin Ja- cob Kegler, nur du! bist mein Alexander der der Schmidt , der dem ehrlichen Petrus viel Herzeleid zufuͤgte und seinen Werken und Worten oft widerstand! — Gott vergelte dir nicht nach deinen Werken, sondern schenke, wenns moͤglich ist, dir schwarzes Haar im Bart, und statt der Nebucadnezarnaͤgel menschliche — wenn es seinem heiligen und allezeit guten Willen nicht zuwider ist — Gott weiß am besten, mit welchem schwe- ren beklommenen Herzen ich dieses Buch ge- schrieben! Menschentreffer werden es ohne Wegweiser finden, und ich solte noch oben ein mir von diesem oder jenem Weibe, wenn ich in erlaubter Entfernung am Caminfeur stehe und mich waͤrme, ins Gesicht sagen las- sen: warest du nicht Einer! — — — — Deine Sprache verraͤth dich! Ich mag nicht klaͤtschern, am Caminfeur, Rede stehen und Gecken das Verstaͤndnis oͤfnen, daß sie die Schrift verstehen. Hoͤren sie Mo- sen und die Propheten nicht, so werden sie nicht glauben, wenn einer von den Todten auferstuͤnde und das Reich Gottes predigte, welches nicht bestehet in Eßen und Trinken, sondern in Liebe und Freude im heiligen P p 2 Geist! Geist! — Kann wohl auch der gedultigste die so boshafte Art, womit man Koͤpfen begegnet, er- tragen? Kann er, wenn sein Name in allen Landen bekannt ist, einem Melchisedechs- Spottwort in seinem Lebenszirkel auswei- chen? Gern seh ich Wahrheit sich mit Kri- tik herausfordern; allein nicht poͤbelhaft bal- gen! — Ein Burschenvivat oder Pereat ist nicht fuͤr mich. Ich verbitte beydes! und wer kann beyden entgehen, wenn man weiß, wo ich des Abends Licht brenne? Wenn nun auch jetzt ein verzogener ungenannter Bube, der auf der Landstraße die Vorbeygehenden mit Schneebaͤllen wirft, die er all in seiner Hand gedruͤckt und gedraͤngt hat, eins auf mich abfeurt, laßt ihn doch diesen Prophe- tenknaben, ohn’ ihm die Ruthe zu geben! Er ist zu petulant, um von ihm sagen zu koͤnnen: der Herr hats ihm geheißen! Ists doch auf der Landstraße, wo man mich auch nicht kennt. Ich solte! — Nein! das Buͤb- chen wird seinen Schulmeister schon finden; und das Birkenreiß, waͤr es auch ein Re- visor! Was Was willst denn du mit den kleinen Stei- nen? Koͤnntest du sie schleudern, wie David, und waͤr eine Goliath Stirn dir zu Diensten, so waͤrs eine Sache! — David hob anders seine kleine Steine, wie du, und all ihr! die ihr voll Wuth das Straßenpflaster zerstoͤrt und Steine nahmet, mich steinreich poͤbelhaft zu uͤberfallen, steinigt! Wißt! ich seh den Himmel offen! und einen, der meinen Geist aufnimmt — Grabt mir Gruben! Ich singe mit meiner Mutter: Wenn wir geschlafen haben, wird uns erwecken Gott — Und mit meinem Vater aus seinem Lieblings- liede, wo er zuerst den zweyten Diskant an- stimmte: So giengs den lieben Alten! — Ich werde nicht sterben, sondern leben blei- ben — — — Nur dann, wenn das Waßer geraͤdert wird, wenn man es aufhaͤlt, machts ein Ge- schrey. Was thu ich Euch? Roman? und wenn es denn einer waͤre! Freylich be- kam es dem guten Bischof Heliodorus nicht sonderlich, daß er in seiner Jugend einen Ro- man geschrieben, der noch, unter dem Na- P p 3 men men Aetiopica, wenn nicht bluͤhet, so doch vorhanden ist — Seine Herren Amtsbruͤ- der sahen, daß sich junge Leute diesen Ro- man kauften, und verlangten, daß der Bi- schof entweder diesen Roman oͤffentlich wie einen Sodomiten verbrennen, oder seine Muͤtze abnehmen solte. Der Schriftsteller lies die Muͤtze fahren — Gott sey gelobt! Ein Bischofthum hab ich nicht zu verlieren, und wer es genau nimmt, wird finden, daß alles in der Welt Roman sey. Hat je ein großer Herr das gemeine Leben, so wie es da gemein ist, gesehen? Wer kennt die Stadt, den Berg, das Thal aus der Beschreibung, wenn er an Stell und Ort kommt? Curtius hat es nur ein klein wenig zu grob gemacht; welch ein Geschichtschreiber indessen hat ihn nicht in der Schule uͤbersetzt. Man behaup- tete zu seiner Zeit, Philipp der III. Koͤnig von Spanien sey Autor des Don Qvichotte und Cervantes habe nur Hebammendienste verrichtet und den Druck besorgt — — Waͤre mein Buch also ein Roman: warum solt ich es zuruͤckhalten? Was Philipp dem III. Koͤnige von Spanien anstand, kann sich ja wohl ein Major mit einem abgeaͤnderten Buch- stab im Namen gefallen laßen! Seht Seht ihr aber, ihr Romanhelden! seht ihr nicht in meinem Buche das gemeine Leben? Ist der Geist wahr, wie er denn wahr und wahrhaftig ist, was kuͤmmert euch der Leib? Ein Koͤnig von England, sagte uͤber einen Betrunkenen, der sich Freyheiten gegen ihn herausnahm, die den uͤbrigen, die zu Tische saßen, nicht wohlgefielen: Laßt ihn! ein Be- trunkener ist mein College! Wer geizig ist, um zur rechten Zeit drauf gehen zu laßen, kann der geizig heissen? und wer seine Zinsen verzehrt, ohne den Hauptstuhl anzugreifen, ist das ein Verschwender? Wo Holz gehauen wird, fallen Spaͤhne! Spaarpfennige sind wie gute Feuranstalten, um gleich zu loͤschen, wenn es brennt! — Ich fuͤhl es, Freunde! Ich hab einen gu- ten Kampf gekaͤmpfet, ich habe den Lauf vol- lendet, forthin ist mir beygelegt die Krone der Gerechtigkeit, nicht allein aber mir, son- dern allen, welche die Erscheinung, welche den Advent des Reichs Gottes, lieb haben! — — Komm, du schoͤne Freudenkrone! — Der zeitlichen Ehr will ich gern ent- behren! — Du wollst mir nur die ewige gewaͤhren, und wenn ich mir noch etwas zur Gefaͤlligkeit erbitten darf, zeichnet mein P p 4 Buch Buch nicht durch Falten, koͤnnt ihr nicht ohne Merkmal finden, wo ihr geblieben; nehmt Denkzettel! Soltet ihr euch aber auch nicht ohne die behelfen koͤnnen? Ich habe keinen Sand auf das Manuscript gestreut, es ist durchweg durch die Sonne getrocknet! und ihr soltet nicht ohne Zeichen lesen koͤnnen? Gott gruͤß Euch! lieben Leser und Lese- rinnen! und laß es euch nie mangeln an ir- gend einem Gute, das heißt: er laß es euch selbst erkennen, wie wenig der Mensch braucht, um alles zu haben! — — Wenn ich zum vierten und fuͤnften Theil schreite, sehen wir uns wieder. Ists gleich nicht so nahe, sehen wir uns doch — Da kommts nur aufs Aug’ an. So wie ich mei- nen Tod wuͤnsche, so ploͤtzlich nehm ich Ab- schied! Lebt wohl! — Geschrieben zu — l — von Tr — — Daß dies die Anfangs-Buchstaben meines Namens sind, bekraͤftige ich hiemit mit Ja und Amen! — Aus! Aus! alles aus! Amen! Amen! Auf ewig lebt wohl, lieben Leser. Mein Leopold ist hin! — sanft und selig ehegestern, den sechs und zwanzigsten Merz, des Abends um sieben Uhr — — bis heute konnt ich kein Wort, und heute, was werd ich koͤnnen? Wenig oder gar nichts! Wie ruhig Polt starb! — Es war ein lieber, lieber Junge, einen Himmelszug um die Augen, welcher laut lehrte, Polt sey nicht von dieser Welt, sondern von jener! Faß dich, armes liebes Weib! Wir werden alle sterben! Gott gebe, sanft und selig! wie Polt uns vor- starb. Kinder, die den Eltern gar nicht aͤhn- lich sind, sind Gottes Bild, gehoͤren ihm! Polt glich weder meinem Weibe, noch mir! Er ruhe wohl! wohl! — — — Geschrieben den neun und zwan- zigsten, eben da es sieben schlaͤgt. Polts Sterbstunde! Mein Polt ist beerdiget und ich bin ge- faßter, als den neun und zwanzigsten um sie- ben Uhr Abends. Ich hoffe, daß ich Kraft haben werde, etwas von ihm zu schreiben? nur eine Handvoll! — Ich hab’ ihn in die- ses ses Historienbuch einschreiben laßen; laßt mich, lieben Leser! laßt mich ihn ausstrei- chen! Mit ihm ist mein Stamm hin! Er war uns ein sehr theurer Sohn, ihr wißt wie! Daß er wie Clodius Albinus zur Welt gekommen, hab ich gleich zu Anfange dieses Werks gesagt — Seine Geburt machte ihn aber zum Einzigen, zum Einzig moͤglichen. Das arme Weib! Ich waͤhlte die Mutter! Gott lies mir den Isaak und sie zugleich! Gott! er lieh mir den Isaak! Vollbracht! — Herr, wie du willst, dein Wille geschehe! — Ihr gutherzig rachsuͤchtige! ihr Edelge- strenge, die ihr im Herzen daruͤber aufwal- let, daß ich nach Minen, der ersten, Minen, die zweyte, lieben konte! habt ihr denn Mi- nens Testament vergessen? — Den Be- schwur vor und nach Gott, und das: so wahr dir mein Andenken lieb ist? Eben geht mir eine Stelle auf, in Minens Testament! — Da ist sie: Wenn dir ein Sohn stirbt, schreckli- che Ahndung! sey er mein in der andern Welt! Ich will mich mit ihm verbinden und deine himmli- sche Schwiegertochter werden, da kom- kommen dir dann, und deinem kuͤnftigen Weibe entgegen, ich, mei- ne Mutter, dein Sohn! und lehren dich in der Stadt Gottes die Haͤu- ser kennen. Halleluja! Hallelujah! Amen! — Erfuͤllt! Aber, Mine, ich habe nur den Einzigen! Kann nur einen Einzigen haben! Nimm ihn hin! Gott, dein Wille ist gesche- hen! — Ich habe geendiget! Mein schriftlicher Lebenslauf ist zum Ende! auch ich bin es! Ich bin auch zu Ende! mein Weib zu Ende! Alles! Amen! Amen! Ich kann nicht weiter! — So gern ich meinem Leopold parentirte. Es ist spaͤt! — Spaͤt oder fruͤh! ich schlafe keine Minute diese Nacht! — Des Abens um eilf — Da ich heute den Tag, des Morgens um sechs Uhr, lese, was ich ehegestern, des Abends um eilf Uhr, geschrieben, find ich schon der Parentation Anfang. Der liebe Junge! so gern wolt er ins Buch! Komm herein! du Gesegneter des Herrn, warum sie- stehest du draussen? Deine Wuͤnsche sollen erfuͤllt werden; die meinen bleiben unerfuͤllt. Ich wolte, daß du meinen Lebenslauf ergaͤn- zen und wenn zwischen jetzt und meiner Sterb- stunde sich noch ein Fall ereignete, der werth waͤre in einem Postscript aufbewahrt zu wer- den, daß du ihn verzeichnen moͤchtest. Ich trug dir eine Durchsicht auf, so wie du sie vor deinem Gewissen zu verantworten gedaͤch- test! — Du bist vollendet! du bist bey Mi- nen! — Da ruft deine Mutter, deren Schmerz lange stumm war, so, daß dies An- sichhalten meine Seele betruͤbte: „Suͤßer „Mondstral! Kommst du von Minen, „kommst du von Polt! O bringe mich, „bringe mich zu meinen Lieben! — hinauf, „hinauf leuchte mich, wenn diese Augen bre- „chen. Dort oben, wo Ruhe ist! — — Wie bald ists mit unsern Vergnuͤgungen geschehen! Schnell, wie der Schnee auf der Straße, schmelzen sie weg und ihre Staͤte ist nicht mehr! — Diese Welt ist erster Wurf! Man sieht den Meister; allein es bedarf Aus- arbeitung. Dies sind allgemein verlautbarte Klagen! die, nachdem das Blut aufschlaͤgt, oder wieder faͤllt, angestellt werden! Es giebt ein ein besonderes Licht, wenn die Nacht sich mit dem fernen Sternenlicht kreuzt. Das ist das treue Bild unseres Wissens, unseres Weissa- gens und unserer Hofnung! — welches die goͤttlichen Cabinetsbriefe, geschrieben auf Got- tes allergnaͤdigsten Specialbefehl, durch Maͤn- ner, getrieben vom heiligen Geist, uns er- theilen. Dies ist das Sehen durch einen Spiegel in einen dunklen Ort — Das Re- gale der Vernunft ist zu zweifeln; der geof- fenbarten Kinderlehre zu glauben! Gott helfe meiner Schwachheit. Amen! — Polt war nicht kindisch, sondern kindlich. Ein Paar Worte, bey denen meine Mutter einen himmelweiten Unterschied fand! Es war ein lieber, sehr lieber Junge. Weiß und roth, Lilien und Rosen! Oft in Gedanken, was hast du kleiner Mensch zu denken? Statt einer Antwort, laͤchelt er. Homer und Milton und all ihr Men- schenleser! — ihr seyd all zu fruͤh gestorben, denn ihr habt keine Fibel geschrieben! Wie sehr ich dies Werk bey meinem Polt vermißt, ist unaussprechlich. Welch ein großer Geist wird einst die Kindlein zu sich kommen laßen und und sie nicht zu klein finden! denn ihrer ist das Reich Gottes! — In solche Schulen zu gehen wuͤrde so viel heissen, als eine Pro- menade ins Paradies machen. Jetzt haben sich auch hier Staatsgrundsaͤtze eingeschlichen und jedes Kind wird jetzt schon an eine Kette gelegt, als ein beißiger Hund! Mensch, ist denn dies das Reich Gottes? Wahrlich! ich sage euch! wenn ihr nicht wer- det, wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Reich Gottes eingehen! — Etwas von Aehnlichkeit haben die Kin- der auch von unmittelbaren Eltern. Dieser Aehnlichkeitsflecken ist oft sehr versteckt. Mein Vater fand ihn sehr oͤfters in den Naͤ- geln an den Fingern — Die Probe doͤrfte meistentheils richtig seyn — — — Gottlob! daß ich Polten nicht ins Treib- haus gebracht! Was haͤtt es ihm geholfen, wenn er zu decliniren und zu conjugiren ge- wußt? Er ist zeitig reif worden, sagt meine Mine! er wird es werden, meine Liebe! Gedankenwerk ist Fachwerk — Bildung der Vernunft ist eigentliche Erziehung und Seelenbeschaͤftigung. Mein Vater hatte die Ge- Gewohnheit uͤber den, Kyrie eleyson! auszu- rufen, der nicht griechisch verstand, warum lieber Vater? Er gab, so klein ich war, alle Tage ein griechisch Wort zur Parole aus. Warum lieber Vater? Wenn Plato nichts anders als griechisch weiß, kann mein Polt kein Wort mit ihm wechseln! Gewiß wird er nicht beym Griechischen ge- blieben seyn! — Mein Vater sagte, die he- braͤische Sprache sey die metaphysische, die deutsche die philosophische im allgemeinen Sinn. Die franzoͤsische die witzige, die englische die dichterische! Die englische die Genie- die franzoͤsische die Geschmacks- Sprache! — Ich uͤberlies Polten wo ich nur wußt’ und konnte der Natur und entfernte ihn so wenig von den Kindern gemeiner Leute, daß ich ihn vielmehr in ihre Art kleidete. Sein Anzug war nur durch innern Werth, auf den kein Kind sieht, unterschieden — Warum wie ein Hollaͤnder, wie ein Englaͤnder, wenn man in Liefland wohnt? Q q Her- Heraus , schrie Polt einmal, da mein Schwiegervater kam, und alle Jungens tra- ten ins Gewehr! Wie hoch dies Herr v. W — aufnahm, kann ich nicht aussprechen! — Seine Mutter hatte ihm unfehlbar ge- lehrt, den Bohnen nachzuhelfen, und sie von den allerersten Blaͤttern, die so bald gelb werden, zu befreyen; das war sein Leben! — Meine Frau nannte dies, den Bohnen die Kinderschue ausziehen — Meine beide Mi- nen mochten so gern der Natur einen Lie- besdienst erweisen, und ihr huͤlfliche Hand lei- leisten — Sie konnten nicht einst eine Pflanze leiden sehen — — Besonders! Polt selbst pflanzte nicht, durch- aus nicht. Warum das, Polt? „Es koͤnnte „ja ausgehen!„ Guter Junge! du bist nicht ausgegangen — Ein Kind muß in seinem irdischen Vater den himmlischen Vater kennen lernen! in sei- ner Mutter seine kuͤnftige Geliebte, in andern Menschen sich selbst — Die Mutter hatte unserm Polt kein: das Walt, kein: aller Augen gelehrt! So wie er mit mir sprach, betete er auch! — Er war sehr geneigt, fuͤr sich zu seyn — Oft hab ich ihn laut redend mit sich selbst ge- funden. Alle fleißige Beter sind Selbstspre- cher! Hat dir der liebe Gott schon einen gu- ten Morgen gewuͤnscht? Hieß an einem schoͤ- nen Fruͤhlingsmorgen: hast du schon die Sonne scheinen gesehen? — Der liebe Kleine sprach des Morgens und des Abends vor Tisch und nach Tisch so einfaͤltig ruͤhrend mit dem lieben Gott, als ein liebes Kind mit dem lieben Vater! — Einen guten Mittag, da er noch juͤnget war, trat er hin nach Tisch und sprach: ich danke dir, lieber Gott, fuͤr die schoͤne Q q 2 Kraͤu- Kraͤutersuppe und den Braten und den Kuchen! Kuchen nicht! Gestern hatten wir Kuchen, und gestern hab ich auch dafuͤr gedankt! — Die Mutter wolte haben, daß er die Haͤnde unter die Decke beym Schlafen legen solte; allein er schlief nie anders, als die Haͤnde frey und uͤber der Decke. Aus Haͤndefalten war er schwer zu brin- gen! Er hatte einen Gefangenen an Haͤn- den geschlossen gesehen! Sind wir denn des lieben Gottes Gefangene, sagt er, daß ich die Haͤnde schließen soll? Wir sollen beten und arbeiten, sagt ihm die Mutter! drunt zeigen wir dem lieben Gott die Haͤnde. Das gute Weib hatte diese Erklaͤrung freylich nicht selbst erfunden. Sie war fuͤr Polten beruhi- gend; Er faltete die Haͤnde! — Im Schweis deines Angesichts solt du dein Brod essen, ist das beste Recept fuͤr alle Krankheiten! — Wie ich noch ein kleines Maͤdchen war, sagte der Kleine bey einer Erzaͤhlung, und meynte die Zeit, da er noch im langen Rocke gegangen! — Die Mutter lies ihn nur acht Stunden schlafen. So lange soll er schlafen, bis er acht Jahr ist, und nach der Zeit sieben Stun- den den. Sie hat recht, daß man eben sowohl zu viel essen, als zu viel schlafen kann! Einen Tag kam ich vom Felde und Polt hatte das Bild der seligen Mine mit den er- sten Blumen so bekraͤnzet, wie eine Braut, sagte der Kleine, und sprang herum! — Die Geselligkeit ist nicht die Folge einer aufgeklaͤrten Vernunft. Je kluͤger der Mensch, je weniger theilnehmend, je weniger gesellig ist er! Je mehr Cultur, je kleiner der Wir- kungskreis! Es scheint, ein vernuͤnftiger Mensch bilde sich ein, er sey so stark an Lei- beskraͤften, als an Verstandsvermoͤgen, und brauche keiner Gesellen! Das schwerste ist, den Kindern einen Ein- druck von Gott machen, ohne ihnen Gott zeigen zu koͤnnen. Mit Gott in Gemeinschaft treten, ohne ihn zu sehen, ist schwer, und doch stehen wir uns selbst im Licht, wenn wir ge- wisse Begriffe nicht in der Jugend gruͤnden, und allmaͤhlig einen Damm von dieser zur kuͤnftigen Welt schuͤtten, die unsichtbar ist, wie Gott der Herr! — Meine selige Mutter hielt viel auf eine Lade. Jedes im Hause hatte seine Lade. Ich auch die meinige. Mein Vater lachte druͤ- her. Sie hatte dabey die Bundeslade in Ge- Q q 3 dan- danken. Schon das Wort war ihr heilig. Polt mußte nichts verschließen. Was hat denn Gott der Herr verschloßen, das wir brauchen? — Mein Vater pflegte zu sagen: es waͤren fuͤnf Wuͤnsch-Perioden beym Menschen: erstlich, Beinkleider. zweytens, Taschenuhr. drittens, Maͤdchen. viertens, Vermoͤgen. fuͤnftens, Landgut! — Die fuͤnfte Zahl, setzt er hinzu, ist bey dem Menschen nicht zu verachten, es ist die Koͤrperzahl! — Meine liebe Mine, der das meiste auf diesem Blade zugehoͤrt, will noch etwas mehr angefuͤgt haben! Gern, liebes Weib! Wie er klein war, sagte sie, lies ich ihn so lange schreyen, bis er aufhoͤrte, ohn ihn zu herzen und zu kuͤssen. Nie hat er in einer Wiege gelegen. Da gieng ich mit ihm spazieren nach dem Berge, wo die Baͤume so stehen, als stiegen sie den Berg hinauf. Es war ein schoͤner Abend! Polt sagte: wie die Engel auf Ja- cobs Leiter! Polt aß nicht suͤße Fruͤchte; saure waren fuͤr ihn! Da Da sah er einen Ast an dem Birnbaum geknickt, und nahm seinen Strumpfband, und band ihn an. Liebes Weib! wen kann das alles behagen? Nur noch, wie er starb. Meinthalben! herzlich gern! ich (mein liebes Weib nemlich) erzaͤhlte ihm viel von der seligen Mine, an die ich ihm, wie an eine Verwandtin unseres Hauses, eine Em- pfehlung gab. Du wirst sie dort finden — sie wird dich aufsuchen. Auch sagt’ ich ihm, daß er kei- Q q 4 nen nen Bruder, keine Schwester mehr haben wuͤrde! Warum, liebe Mutter? Unser Nachbar, und seine Frau haben sieben Soͤhne. Wir keinen, mein Kind! wenn du todt bist, keinen! Sag es Minen in meinem Na- men, keinen! „Auch in Vaters Namen? fragte Polt — ich stand an uͤber diese Frage. Ja! erwiedert ich, auch in Vaters Namen! Hab ich zu viel gesagt? Nein! liebes Weib, auch in meinem Namen! — Meine Mut- ter hatte nur mich! — Gottlob! daß sie dich behielt! sagt und schreibt Mine. Mine wolte, daß ich Polten nach preußi- scher Manier begraben laßen solte; allein ich thats nicht, sondern lies ihn einen Morgen bey Sonnenaufgang begraben! Ich beglei- tete ihn mit einem meiner Freunde, den ich an diesen Ort bestimmt hatte. Sie weiß, wo er ruht, und noch heute hat sie Mutter- thraͤnen auf sein Grab geweint! — Weine nicht! Mine! — Weine nicht! — Gott was ist das Leben? — Eben Eben eine Antwort von unserer Mutter und ihrem Gemahl. Sehr verschiedenen Inhalts. Zwar auch er scheint den Fall zu Herzen zu nehmen, der ihm so viel Gelegenheiten zu Freudenfesten genommen. Da er ihm aber doch ein Trauerfest verleihet, scheint er sich zu finden. Complimente machen kalt. Man loͤßt sich ganz in Worten auf, und in abgemes- senen Verstummungen. Wer es zu Worten bringt, ist getroͤstet, so wie ich es jetzo unendlich mehr bin, als zuvor — — Ein Complimentist ist ein Klugredner! — Meine liebe Mutter, Gott, was hat sie gelitten! Das Wort Sohn! gilt sonst nicht um die Haͤlfte so viel, bey der Grosmutter, als der Mutter! Die Grosmutter rechnet auf seinen Schutz nicht! — Polt aber war das einzige Groskind, und seine Grosmutter war die Frau v. W — Soll ich aufhoͤren, Grosmutter zu seyn, schreibt sie und ringt die Haͤnde; schriftlich ringt sie die Haͤnde. Es ist ihrethalber zu fuͤrchten! — Isaac! der Eineinzige! — Ey du frommer und getreuer Knecht, schreibt die gewesene Grosmutter, du bist uͤber wenig treu gewe- sen, ich will dich uͤber viel setzen! Diese Worte, so anstoͤßig sie wegen des Knechts scheinen, beruhigten mich doch auf eine un- Q q 5 beschreib- beschreibliche Art, ich fand sie so treffend — Beym Trost muß man jede Gelegenheit benu- tzen, die ohnedem immer wie eine Sybille ihre Waare ausbietet. Wer nicht zugreift, verliert die Helfte davon und muß die andre Helfte doppelt bezahlen. Da der Mensch immer leidet; so hat auch Gott der Herr dafuͤr gesorgt, daß er auf trostergiebigem Boden wandelt! — Der Trost haͤlt Stich, wenn man alle zerstreute Zuͤge in einen Brennpunkt zu vereinigen sucht. Er ist wie die Schoͤnheit, die heßlich wird, so bald man sie zergliedert. Das dreßirteste Pferd stolpert unter einem schlech- ten Reuter, und auch den haͤrtesten Stein weiß der Kuͤnstler so weich darzustellen, so warm zu machen, daß man glaubt, es sey Blut in ihm! — Liebe Mutter! liebes Weib! faßt euch! wir werden zu ihm kommen! — Seht nicht auf die Person, sondern auf die Sache, und dann blickt Euch um! Gehts anders in der Welt? Sind wir die einzigen, die einen Polt verlohren haben? — Beym Sonnenlicht besehen, was hat die ganze weite Welt, so lange der Mensch noch nicht nicht auf seine eigene Hand lebet. Ohne durchs Schluͤsselloch Entdeckungen zu machen, fragt den bestirnten Hofmann, wenn er des Tages Last und Hitze getragen, und gekruͤmmt nach Hause kommt, ob alles Gold sey, was man fuͤr Gold ausgiebt? Der Wuͤrgengel geht keine Thuͤr vorbey. Er hat den Auf- trag, sich uͤberall an der Erstgeburt, am Mark des Lebens, zu halten! — Vielleicht ist es noch am besten, den Exorcismus ge- brauchen, den allgemeinen Klagen und allen Uebeln des Lebens durch eine Tollkuͤhnheit widerstehen, den lieben Gott zu Gevattern bitten und Krippenreiten? als ob die Specu- lation etwas anders waͤre, als ein Gevat- terstand, den man dem lieben Gott ansin- net! — Wahrlich ein Krippenritt! — L. 3. Inst. quibus ex caus. manum. non lic. sæpe de facultatibus suis amplius, quam in his est, sperant homines! — Laßt sie doch, die armen Menschen. Wenn sie sich durch Selbstbetrug weiter bringen koͤnnen — ob so, oder an- ders! — Ehemals wuͤrkte das Bewußtseyn der Muͤhseligkeiten dieses Lebens den Entschluß, der Welt zu entsagen, welcher noch bis jetzt in in einer Kirche, wiewohl nur in den meisten Faͤllen pro forma, Stich gehalten; bey mir wirkt’ er das Gegentheil. Nachdem ich mich anders bedacht, fand ich mein Zoar, meine Buͤcherstube, der Lage nicht angemessen, in die ich versetzt war. Giebt es denn nur Zo- ars und Sodoms und Gomorras in der Welt? — So wie die Welt jetzt ist, was meynt ihr? scheint sie uns nicht noch am allerertraͤglichsten, wenn wir naͤher auf sie zu- gehen, und durch Wandel ohne Kruͤmme ihr ein Beyspiel zeigen, nachzufolgen unsern Fuß- stapfen? Studium, wenn es Trost des Lebens seyn soll, kann nicht in einem platonischen opti- schen Kasten, oder in einer bessern Melodie auf den nemlichen alten Text, bestehen! und ist die Speculation etwas anders? Laßt euch doch nicht durch den Schall bethoͤren! Der Text ist immer derselbe. Die Stoiker ließen sich, ihrer Philosophie unbeschadet, zu Welt- geschaͤften brauchen. Christus war nur vierzig Tage und vier- zig Naͤchte in einer Wuͤste, und nie wagte sich der Satan an dem Heiligen, als eben hier! Fleisch und Blut ist in der Einsamkeit so so laut, als es die Thorheit in der Welt ist! — Wer kann mit Speculation und wer mit Weisheit zu Ende kommen? Mit Geschaͤften aber kommt man zum Ende. Und welch eine Freude, zum Ende zu kommen! Wer sich selbst Arbeiten auflegt, dispensirt sich auch selbst, faͤrbt eh man sichs versieht, einen gan- zen Monat roth im Calender, und hat alle Augenblick einen Heiligen, dem er nicht die Messe abschlagen kann! Geschaͤften ist bey dem Uebergewicht des Menschen zur Traͤgheit nichts besser, als ein Muß! — Wenn es schon auf Kunst ange- sehen ist, warum soll man nicht zu diesem kunstreichen Muß greifen? Wenn die Dienst- jahre nur nicht laͤnger, als sechs Jahre, dau- ren. Jacob diente sieben, und sein Lohn war eine Lea! — Wie man schlaͤft, wenn man was beendiget hat, ist unaussprechlich! Man ruht, man stirbt, man aufersteht, wie neu- gebohren! Dem Pastor schmeckts am Sonn- tag am besten, dem Junker am Erndteschluß, und dem Kaufmann am Posttage! — Ich uͤberlegte alles mit meinem Weibe und sie fand es wie ich. Was findet dies Mariengesicht nicht so? Sehet! Sehet! wir gehen hinauf gen Jeru- salem, sagten wir einander, und ich ent- schloß mich noch einmal, mich in Geschaͤfte einzulaßen, wozu ich mich so wenig gedraͤngt hatte, daß vielmehr die dringendesten An- traͤge mich zuerst auf den Gedanken brachten. Diese Stelle ist sechsjaͤhrig, sie ist wohlthaͤ- tig fuͤr andere, und ohne alle andere Ein- kuͤnfte, als Diaͤten, zu denen ich noch ein- mal so viel legen muß, um in — — zu le- ben, wo alles kostbar ist! — Mein Weib, wuͤnscht ich, moͤchte einen Victualien Zettel beylegen. Warum aber Beylage D. zu der ich mich nicht verbindlich gemacht? So muß man geschaͤftig seyn, wenn uns Geschaͤfte zerstreuen und huͤlfliche Hand leisten sollen! Wenn diese Capitula- tionsjahre geendiget sind, bin ich gegen funf- zig, und wer druͤber geschaͤftig ist, glaubt nicht, was Herr v. G — herzlich mitsingen wolte, und nicht mehr konnte! Was meine selige Mine mir noch zu guter letzt schrieb: Nach diesem Elend ist uns bereit dort ein Leben in Ewigkeit! — Ein Ein Versuch! werden viele meiner Leser sagen, und mein lieber — — s desgleichen. Freylich ein Versuch! allein ein mislunge- ner Proceß in der Chymie brachte das Por- cellain ans Tageslicht, welches zwar zer- brechlich ist, indessen doch schoͤn aussieht. Das Berliner hat eine schoͤnere Mahlerey, als Por- cellain anderer Orte! — Ein Baum ohne Zweige, ohne Kinder und Erben, schießt in die Hoͤhe! Das will und werd ich nicht. Mein Muth ist nicht zum Himmelstuͤrmen und das sechs Jahrziel, wie bald verlaufen! Schon jetzt freu ich mich auf die guͤtige milde Ausspannung aus dem Jahr der Standesruͤcksichten und gewis- ser Etiketten, ohne die kein Amt ist, und die mir schon seit der kurzen Zeit, da ich einge- spannt bin, so druͤckend sind! — Bey Ge- schaͤften, falls sie koͤstlich gewesen, ist alles eine authonianische Chrie, wenns noch so unpedantisch aussieht — Auch wenn ich von dem Legat der Amazonin, der Frau v. — b — Gebrauch gemacht, und Mantel, Rock und Kragen angelegt, waͤr ich ohne authoniani- sche Chrie abgekommen? Jener Jener Heyde hoͤrte: dein Sohn ist todt, da er den Goͤttern opferte, und raͤucherte! ich nicht also! — Meine Stunde ist kommen, um von mei- nen Lesern, vielleicht auf ewig vielleicht auf sechs Jahre, Abschied zu nehmen. Wer haͤtte das denken sollen, da ich uͤber die Worte: kurze Frist commentirte. Natuͤr- lich bringt mich dieses, nach einem Endlich, noch auf ein letztes Endlich! Ich weiß, was fuͤr eine herrliche Sache es ist, den Schlußstein des ganzen Gewoͤlbes zu entdecken, und bey dieser Gelegenheit sich zu uͤberzeugen, daß die Saͤulenbogen nicht nur schoͤn, sondern auch sicher sind! Weis- heit, Staͤrke und Schoͤnheit an einem derglei- chen Schwiebogen finden, ist so was er- wuͤnschtes, als etwas in dieser Welt, wo so selten der Schlußstein zu sehen ist, nur seyn kann! Ists aber meine Schuld? — dacht ich, Zoar je zu verlaßen? Legt ich es je zu einem Buchstab so oder anders, mehr oder weniger, in meinem Namen an? um diese Namensveraͤnderung mit mir sterben zu laßen? laßen? Kinderlos! bey einem so lieben edlen Weibe! — und was soll mir der Lebenslauf meiner Vorfahren in aufsteigender Linie, da keine absteigende vorhanden ist? — So hat es dem Herrn uͤber Leben und Tod ge- fallen, und er allein weiß es, ob ich noch mein Wort erfuͤllen, und die beyden fast fer- tig daliegenden Theile uͤbersehen und ergaͤn- zen werde! In meinen Amtsjahren ge- wiß nicht. Was da alles aufs Wort merkt! — gewiß nicht! in den sechs Dienst- jahren — Verzeiht, lieben Leser! diesen Umschlag, den ich zu machen gezwungen bin. Sehet! ich gehe hinauf! So wie ich einen Jeden, wes Standes, Al- ters und Ehren er ist, hiemit feyerlichst ersu- che, nichts zu diesem Werke hinzuzuthun, und, unter dem Schein des Rechts, meinen Vater und Grosvater durch magische Kuͤnste zu citiren; so sey es mir auch erlaubt zu bit- ten, nichts von diesen drey Theilen abthun zu doͤrfen, und das Bild und die projektirte Ue- berschrift zum ewigen Andenken so zu laßen, wie beydes da ist! — Hiemit lebet wohl! R r Nach Nach geendigtem Buche, lieber — — es! noch etwas hinzufuͤgen, heißet: die Ein- heit verletzen und der goͤttlichen Natur eines Buchs zu nahe kommen. Ich bin kein Freund, wenn schon letzte Worte da sind, noch mehr letzte Worte und allerletzte letzte Worte beyzufuͤgen. Meinethalben! Ein Paar Zuͤge koͤnnen freylich nicht helfen, nicht schaden. Herr v. G — war fuͤrs Einfache: Mein Vater hatte fuͤr Eins auch eine wahre Ach- tung: waͤre er sonst ein Monarchenfreund gewesen? Im Skelet, sagt’ er, scheinen Mann und Weib Einerley. Je naͤher man der Natur tritt, je mehr uͤberzeugt man sich, daß der liebe Gott alles vortreflich rubricirt hat. Sein Hausbuch der Welt hat weniger Artikel, als man glauben solte. Drey In- gredienzien konnte mein Vater leiden, nicht aber mehr. Vertraͤgt sich doch Oehl und Es- sig — Die neunte Zahl war meines Va- ters Liebling. Drey mahl drey ist neun. Eisen war ihm in vielen Ruͤcksichten bes- ser, als Gold! — Gold ist Wahn und Zu- fall, Eisen ist Wahrheit, und wirklicher Werth — Nur Nur neulich erinnerte mich mein Schwie- gervater, daß er wegen des Abschiednehmens mit meinem Vater ein Herz und eine Seele gewesen! So ganz nicht! Etwas kann seyn — Mein Vater haßte armselige Allgemein- heiten. Wer Abschied nimmt, singt die Me- lodie des Todes, mancher pfeift sie! — Herr v. W — nannte einen kurzen Ab- schied, der, wie mich duͤnkt, der beste ist, den man nehmen kann, einen Schlagflus, einen feyerlichen Abschied! die Hektik, die sich in die Zeit zu schicken versteht. Wer ohne Abschied aus der Gesellschaft scheidet, oder, wie man sich ausdruͤckt, sich unsichtbar macht, hat sich, wie mein Vater sagt, selbst umgebracht — Mein Vater war kein Tagwaͤhner, Tag- faͤrber! Auf Tagezeiten heilt er sehr! So hab ich ihn nie des Morgens lachen gesehen! Den Sommer hielt er fuͤr den Gelehrten we- niger zur Arbeit tauglich, als den Winter. So verkehrt ist die liebe Gelehrsamkeit! Man sagt, Milton, obschon er blind gewe- R r 2 sen, sen, soll im Winter beßre Verse gemacht haben — Mein Vater war ernsthaft, hager und hielt sich gerade — Ein gewisses Nachden- ken, das wie Schwermuth aussahe (so sieht das Nachdenken gemeinhin aus, vielleicht weil wir zu sehr wissen, daß wir nicht weit damit kommen) war in seinem ganzen Ge- sicht verbreitet. Er war sonst heiter und gu- ter Dinge. Selten grif ihn Etwas an. Die Augen hatten ein besonderes Feur — Die Lerche singt im Fluge, so auch aͤchte Dichter. Der Philosoph steht. Oft, wenn er spazie- ren gieng, blieb er stehen, die linke Hand auf seinen großen weißen Stock gelegt, und mit der rechten sich aufgestuͤtzt! Da sehen die meisten Leute diese Welt als eine Spielgesellschaft an, wo die Klugen nichts weiter thun, als Parthien machen. Einigen scheint sie, wie ein Schauspiel, wo sich der Zuschauer, blos weil er seinen Platz bezahlt hat, uͤber andre zu lachen berechtiget haͤlt. Der Weltpatriot sieht dies Leben als Zeit und Gelegenheit zu ernsthaften Dingen an, wenigstens haͤlt er sich verpflichtet, Vor- saͤtze hiezu zu faßen. Gott segne seine Studia. Mein Mein Vatee stritt, ohne eben darauf auszugehen, Recht zu behalten. Jeder wird seines Glaubens leben, war sein Glaube. Meine Mutter pflegte zu sagen, er sey von der streitenden, nicht aber von der triumphi- renden Kirche. Ich moͤchte wetten, er haͤtte gern einen Ring getragen, wenn er nicht Pastor gewe- sen. Herr v. G — seliger gewiß nicht, um wie viel nicht — Mein Vater setzte nichts ins Spiel, was er lieb hatte. Meine Mutter glaubte, man koͤnne seine Zuneigung zu allem Leblosen nicht anders an den Tag legen, als wenn man es an einen Ehrenort setzte. Selbst war sie fuͤr Gewoͤlbe, bis mein Vater sie davon, wie vom Kreutzschlage, abbrachte. Mein Va- ter brauchte alles, was er lieb hatte! Durchs Aufbewahren, bemerkt’ er, zerbricht alles leichter. Peinlichkeit schadet uͤberall. Wenn man mit der Dose im Umgange ist, wird sie zuletzt ganz dreist mit uns! und so bekannt, daß sich keines vor einander scheut, weder ich noch sie! Ist es nicht thoͤricht, sich Knoten ins Schnupftuch machen, um sich an dies und das zu erinnern? R r 3 Was Was er doch uͤber die Theilung von Poh- len gesagt haben wuͤrde, wenn er sie belebt haͤtte? Gern, lieber Freund! — — haͤtt ich gewuͤnscht, Sie haͤtten meinen Vater, wenn nicht gekannt, so doch einmal gesehen — Er gehoͤrte unter die sichtbaren und unsicht- baren Geschoͤpfe, und war in allen Ruͤcksich- ten ein verehrungswuͤrdiger Mann. Maͤnner seiner Art sieht man gern, Eine doppelte Persoͤnlichkeit am Kern und Schaale, Koͤrper und Geist! — Es giebt Leute, an denen es auffaͤllt, daß sie den Leib nur wie einen Schlafrock umge- worfen! — Er haͤngt so, wie ein Dieb am Galgen! — Meinem Vater war der Leib auf die Seele gemacht, so wie man vom Kleide sagt: es ist auf den Leib gemacht. Es war ihm Maas genommen. Ein feiner An- zug! — Keine steife Leinewand, alles so lo- cker und aͤdellose und doch anprobirt! Wie auf den Leib gegossen. Oft gieng er fuͤr die Seele! Es giebt wuͤrklich Seelenbewegung, wobey man ordentlich fuͤhlt, daß der Leib kei- nen Antheil hat. Den Magen nannt er die die Wurzel des Thieres; das Gehirn die Wurzel der Seele! Zu orthodox? Er war freylich den Grundsaͤtzen seiner Kirche treu; allein wahr- lich! er wuͤrde den kindlichen Communions- hunger des Johann Jacob Roußeau, wel- cher auch in meinem Buche Todes verblichen, gestillt haben! — Meine Mutter, die eine Schutzpatronin der leidigen Erbsuͤnde war, haͤtt ihn zwar ohn Gnad und Barmherzigkeit vom Tisch des Herrn gewiesen und wider sei- nen Zutritt in bester Rechtsform protestirt; allein mein Vater nicht. Wahrlich! wahr- lich! ich sag es euch, er haͤtt’ ihm diesen Tisch gedeckt, und einem so hungrigen und dursti- gen Manne das Brod gebrochen und diesen Kelch gegeben. Ihm, der Bruͤder und Schwestern suchte, und so viel Seelenmord- brenner und Gewissensvergifter fand, daß er zuletzt meinem vierschroͤtigen Freunde Hume nichts Gutes ansah, und ein solch wunderlicher Seelen und Leibes Phyfiogno- mist ward, daß sich Gott erbarm! Nie kann ich es vergessen, was mein Vater, der mit dem Apostel Johann Jacob nur nach mei- ner Zeit naͤher bekannt worden, meiner Mut- ter (aus dem Einhornschen Geschlecht) bey R r 4 Gele- Gelegenheit, daß sie den Stab uͤber den Herrn v. G — brach, dessen er sich in seiner Abwesenheit immer ritterlich annahm, zu- rief: Preußen! Holland! Toleranz hin, To- leranz her! Ein anderes ist Toleranz aus Commercium Absicht, ein anderes von Got- teswegen. Ein anderes Holland, ein ande- res (er nannte ein Land) — Glaub mir mein Kind! wer wuͤrd in Holland und — dem Herrn Christo die Communion versagen, wenn er da waͤre. Die Narren! ohne zu bedenken, daß er sie in der Nacht, da er ver- rathen ward, eingesetzet hat. Nenne mir ein Land, liebe orthodoxe Seele! wo man ihn nicht kreutzigen wuͤrde? wo er nicht noch in manchem seiner Juͤnger (Roußeau und —) gekreutziget wird? Lieber Roußeau! ich habe dich meinem Schwiegervater empfohlen, und er feyret deinen Sterbtag, obgleich du nicht von Adel bist! — Mehr vermag ich nicht. Meine Mutter haͤtte dir kein Monument in der Speisekammer errichtet! Ob mein Va- ter zum Eugen im Prunkzimmer zur rechten Hand unterm Spiegel gesagt: weiche die- sem, weiß ich nicht. Wenn ich erwaͤge, daß du, wie alle edle Menschen, nicht hattest, wo du dein Haupt hinlegtest, und da dich dur- durstete, dir nichts gegeben ward, als Eßig und Galle! so faͤllt mir der Spruch ein: was ihr gethan habt einem meiner geringsten Bruͤder, das habt ihr mir gethan! — Geburt, sagte mein Vater, klebt an bis ins Grab! Wahrlich! er hatte Recht! Die wahre Religion ist die, in der man gebohren und erzogen ist. Erziehung ist ein Stuͤck von Geburt! Seelengeburt! Seht selbst Ge- lehrte! wenn sie von schlechten Herkommen sind, wie sie sich nach ihres Geburtsgleichen sehnen! — Sie finden, daß der gemeine Mann eben so klug ist, wie der Hofmann, nur daß ihm der Ausdruck fehlt, zu dem ihn doch zuweilen ein Glaͤschen uͤbern Durst bringt, und dann ist dieser Ausdruck immer treffender und waͤrmer, als der Ausdruck des Hofpapagayen. Gelehrte von geringer Ab- kunft wollen nicht Engelaffen, sondern Men- schen seyn. Thun sie ja, als wuͤßten sie auch, wie es bey Hofe zugeht; so stehts ih- nen gewaltig uͤbel! — Selten ist Geschmack in ihrer Kleidung, am wenigsten bey Peruͤke und Schuen. Ein Schweinbraten kommt bey einer wirklichen Hofschuͤssel zu stehen! — Etwas wohlfeiles in ihrem Ausdruck, und R r 5 dann dann zuweilen ein Schwung, daß man fraͤgt: wo sind sie blieben? Sie nehmen sich des gemeinen Mannes an, und wollen es nicht seyn. Ich weiß nicht, ob es meinen Lesern nicht aufgefallen, wie sehr mein Vater, von je an, Zeichen einer guten Geburt schimmern laßen. Er hatte wahrlich! eine sehr feine Lebensart! Ein gewisses Gelbstgefuͤhl war ihm eigen, bey einer edlen Mittheilung auch immer ein gewisser Ruͤckhalt, der Leuten vom Stande eigen ist! — Aus diesem Gesichtspunkt wird man manches so nach und nach aufloͤ- sen, was in seinem Charakter sich zu wider- sprechen anscheint, und sich nicht wider- spricht. Nie wand sich das Licht in einem schwarzen Chaos, eh’ es herausspritzte. Es spritzte nicht, es floß — Er schrie nicht, er sprach, und es ward. Sein Ausdruck war nie gemein; allein auch nie schwer. Er war kein Tongeber; allein auch kein Ton- nehmer! — Die Italiener bitten aufs Ca- sini zu Gast! Sie wollens zu gut in ihrem Hause machen, und laßen es lieber gar blei- ben. Der ist geborgen, der schon bey ihnen im Saal ist! Licht ohne Ende! Allein auf der Treppe stoͤßt man sich den Kopf. Viel- Vielleicht haͤtten wir, ohne mensch- liche Seele, Anlage zu Hausthieren, sagte mein Vater und dann wieder, kaum! Meine Mutter hatte die beliebte Pastor- Erklaͤrungs-Wendung: als wolte er sagen, wenn er Pastorin in — gewesen, fiel mein Vater ein. Die Commentatores empfehlen, was jetzt getragen wird. Sie machen aus einem Kopf ein Kniestuͤck und flicken ein Stuͤck Leinwand an, das sie nach Gutduͤnken bemahlen! — Schade um den alten guten Rahmen, aus dem sie den Kopf gehoben. Meynst du? Jammer und Schad um das Bild! Ein junger Hohnsprechender Pastor, der von — kam, lies sich aus: er wuͤrde eine Vorsuͤndfluthswelt-Geschichte schreiben und der Bibel Vorfluth schaffen. Mein Vater vermied so sehr als moͤglich, mit ihm zusam- men zu seyn. Noch ist das Werk nicht her- aus! — Mein Vater war nie verlegen uͤber seine Predigten. Im gemeinen Leben schien er rednerisch; es war aber blos ein lebensarti- ger Ausdruck! Die Redekunst macht seichte Koͤpfe, pflegte er zu sagen, und wenn ei- nige seiner vernuͤnftig milchlautern Collegen sich sich unter sich beschwerten, daß sie nichts mehr zu predigen wuͤßten, und daß sie sich ausgepredigt haͤtten versicherten; so konnt er dies eben so wenig begreifen, als daß irgend jemanden die Zeit lang werden koͤnne. Oft nahm er eine Blume, einen Ast aus der Sonntagslektion, Evangelium oder Epistel, oft gieng er sie ohne meiner Mutter: als wolt er sagen, nach ihrer ganzen Laͤnge durch. Kopf blieb Kopf — Kniestuͤck, Knie- stuͤck! — Wenn Christus, sagte meine Mutter, eine Bibel vom Himmel gebracht, wie doch die gewesen waͤre! Darstellung, sagte mein Vater, ist der naͤchste Weg zum Menschen. Wer durch die Speculationsthuͤr kommt, ist ein Mieth- ling! — Die Feyerlichkeit, mit der mein Vater alles that, war so sehr von der Festlichkeit des Herrn v. W — unterschieden, daß ich behaupten kann, bey einem war der Leib, bey dem andern die Seele im Sonntags- gewand. Meine Meine Leser! (oder soll ich mich blos zu dir, mein guter — — es! wenden?) wer- den dieses Sonntagskleid oft gefunden haben; nie aber mehr, als wie er: Licht! rief. — Das Papier gluͤhte so feyerlich, sagte meine Mutter, als wenn einst Gott den Bogen Papier des Himmels am Licht anzuͤnden wird. Meine Mutter konnte ihm seine Kopfun- terlage im Bette nicht hoch genug machen! Es war ein Berg aus lauter Madratzen — Herr v. G — hatte fast nichts unterm Kopf — Salvey, ein Kraut, woraus die Alten viel machten, ward, meinem Vater zu Gun- sten, an die meisten Schuͤßeln gelegt, die meine Mutter anrichtete — Er schoͤpft die Natur so von oben, sagte meine Mutter, wie ich den Milchrahm: ob- gleich sie auch Raturfinderisch war. Gleich das erste Jahr nach unserer Hoch- zeit gieng ich mit ihm spazieren, wir sahen eine Eiche, die am Zaun stand. Sieh nur! sagt er, sie sieht auf den Zaun, dessen Kinder und Kindeskinder sie beleben wird. Von Von abgerissenen Blumen, die im Zim- mer ihr Leben aufgaben, war er kein Liebha- ber! — Man riecht den Todesschweiß, sagt’ er, und ihre Verwesung! Meine Mutter konnte nicht vergessen, daß er die Froͤsche einst Dorfmusicanten ge- nannt. Wie die Blumen und Baͤume da schlafen, sagt er einen schoͤnen Abend zu mir, (alles aus dem Munde meiner Mutter) da uns der Mond herausgelockt hatte. Sieh! einige Blaͤtter legen die Fuͤße zusammen, andere le- gen sich ganz zu! Alles anders, als wenn es wacht! Zweige beugen sich, als wenn du in dem Stuhl eingeschlafen bist. Wie schoͤn alles eingeschlummert ist! Gute Nacht! lie- ber Mond — Was meines Vaters theosophischen Aus- druck betrift; so hat uns Herr v. G — der Selige, auf so manche Spuren gebracht, die meinem Vater zur Phyllobolie dienen koͤn- nen! Waßer ist Mutter, Feur Vater! sagt’ er — — — Ueber Ueber die Liebe sprach er gern und gewal- tiglich! Sie hat, versichert’ er, wenn er menschlich druͤber sprach, die Adjectiva erfun- den. Kam er aber auf die Epistel am Sonn- tage Qvinquagesimaͤ: Erste Corinther das dreyzehnte Capitel; so wußt ich nicht, wo ich war, sagte meine Mutter, und ob er mit Menschen- oder Engelzungen redete? Meine Mutter hatte diese Liebessprache so zu Herzen genommen, daß auch sie in die Liebe verliebt war, wie die Priesterwittwe mit den funfzig Thalern Alb. sich ausdruͤckt. Wahrlich! die Liebe ist ein Hauch Gottes! ein elektrischer Funken! ein Geheimnis, so gemein sie da aussieht! — Es gehoͤrt Kraft und Macht dazu, zu lieben und geliebt zu werden! — Auch meine Mutter hatte Fluͤgel der Morgenroͤthe, welche das Lied: Was wilt du armes Leben niederdruͤck- ten. Sie sprach, wie mein Vater, gewaltig- lich uͤber die Liebe. Die Epistel am Sonntage Qvinqvagesimaͤ hebt sich an: Wenn ich mit Menschen und mit Engelzungen redete und haͤtte der Liebe Liebe nicht, so waͤr ich ein toͤnend Erz oder eine klingende Schelle, und schließt Nun aber bleibt Glaube! Hof- nung! Liebe! diese drey: die Liebe ist die groͤßte unter ihnen — Am ein und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis, gieng mein Vater, nach meiner Mutter Meynung, wie ein geistlicher Ritter, gestiefelt und gespornt auf die Kanzel! — Herr v. G — Seliger hatte bemerket, am Sonntage Qvinquagesimaͤ, wie ein Gold- macher — Liebe ist die Firmelung der Seele, sagte mein Vater u. s. w. Die heilige Eins meines Vaters ist uns bekannt, und seine heilige Drey desglei- chen. Man muß Gott, sagt’ er, nicht verkoͤr- pern und den Menschen nicht vergoͤttern. Statt Leib und Seele, sagte er oft: meine Physik und Metaphysik, und diese Ausdruͤcke sind noch in der dortigen Gegend gang und gaͤbe bis auf den heutigen Tag. Der Der Geitz sieht auf die Folge der Sache. Wenn andere spazieren fahren, denkt er, sie werden wieder zu Hause kommen, und dann sind sie eben so klug, als ich, der ich zu Hause geblieben. Ich koͤnnte, denkt er, wenn ich wolte, auch traktiren, und giebt keinem Salz und Brod! Mein Vater pflegte sehr artig die Chri- sten aus diesem Gesichtspunkte des Geitzes zu beschuldigen, die nur blos bey ihrem Gutseyn (doch wer ist das, als Gott?) bey ihrem Bestreben gut zu seyn, auf die andre Welt sehen! — Er war kein Feind dieses Lebens, obgleich er mit einer seligen Faßung starb, und wuͤrklich auch in der Hofnung se- lig war eines kuͤnftigen Lebens. Er gieng mit der Sonne unter, wie ich schon gemeldet habe — Er starb, sich vollstaͤndig bewußt, und nur in einer Stunde, in der er viel grie- chisch redete, schien die Einbildungskraft der Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu haben. Es waͤhrte indessen nicht lange, und alles war wieder an Stell und Ort. S s Er Er dachte an mich mit herzlichem vaͤter- lichen Segen! Meine Mutter fragt’ ihn, ob es ihn leid thaͤte, daß ich Alexander hies. Er laͤchelte. Gern, wie sie schreibt, haͤtte sie ihn wegen seines Vaterlandes, und nach einer schwe- ren Menge ihr unaufloͤslicher Dinge gefragt, wenn sie, wie sie anmerkt, Herz gehabt. Er sah so himmlisch aus, daß meine Liebe sich in Achtung verwandelte, schreibt sie. Liebe fraͤgt, fuhr sie fort; Achtung merkt auf. Mein Vater starb mit den Worten: nimm meinen Geist auf! — Er ver- stummte nicht, schreibt meine Mutter, die- ser treue Lehrer! Er blieb nicht im Worte. Der Geist vertrat ihn und half seiner Schwachheit aus. Man hoͤrte ganz ver- nemlich: nimm meinen Geist auf! So bald er kalt war, sang sie das Pfingstlied: Nun bitten wir den heiligen Geist, um den rechten Glauben allermeist, Daß Daß er uns behuͤte! an unserm Ende, wenn wir heimfahren aus diesem Elende! Kyrie Eleyson! Auch dies ist vollendet! Ein kleines Stuͤck aus dem vierten Theil! — Weit we- niger, als ein Fragment! Daß ich schon in Jerusalem bin, wo ich hinaufgieng, will ich noch kuͤrzlich bemerken. Ich will ausdauren, aber wahrlich! nie- manden rathen, ins Geschaͤftkloster zu gehen, um sich zu zerstreuen! — Lieber J — — es, laß dich nicht geluͤsten! Ein ehrbarer roͤmischer Rathsherr lies sich aufs Grab schreiben: Hier liegt Similis, ein alter Mann, der doch nur sieben Jahre gelebt hat. Sieben Jahre lebte er in Si- milis Hoͤfchen — das andere von seinem Leben gehoͤrte nicht ihm! — — Sechs Jahre! weniger fuͤnf Monat! Gott wird helfen Amen! — S s 2 Eben Eben hat Mine mir wieder ein Proͤbchen von ihrer Dichtungsgabe vorgelesen! Da ist es! — Es enthaͤlt eine treue Beschrei- bung meines Festungsgartens, den sie Spott- weise Alexandrien nennt. Meine Arbeits- stube geht in diesen Garten, so, daß ich ihn mir eigen mache — Alexan- Alexandrien. Ist die Welt denn etwas anders, als ein Vogelbauer, wo man sich herumdreht und, wenn es recht lustig hergeht, Sproß’ auf Sproß ab springet. Klage nicht uͤber dein Gaͤrtchen, das rings umher mit Haͤusern umgeben ist, so daß dir nur nach oben zu, freye Aussicht uͤbrig bleibt! Giebts eine andere freye Aussicht, als die nach oben gen Himmel? O die schoͤne Gipsdecke Gottes, so schoͤn kann kein Kuͤnstler sie nachmachen! Alles koͤnnen Mahler und Zeichner nachbil- den, nur den Himmel nicht. Wie kann man die Welt in eine Kammer bringen? den gros- sen Gott in ein Haus, wenns auch einen Thurm hat? Sieh dich um in deinem Gaͤrt- chen, sind die nachbarlichen Mauren nicht gruͤn behangen? und so schoͤn von der Na- S s 3 tur tur bewuͤrkt, daß man die Festungsmauer ringsum nicht wahrnimmt? Willst du mehr, als diese augenstaͤrkende herzerfrischende gruͤne Tapete? Die Grasstuͤck Wiese, und diese lebendige Wand, Wald! Was hat die Erde herrlicher? was war im Paradiese mehr, als Baͤum’ und Gras? und sieh nur jenen großen Baum! Er stammt geradeswe- ges vom Baum des Lebens im Paradiese. Wie herrlich er da steht! sich verbreitet! und sich einbildet, deinen ganzen Garten befassen zu koͤnnen! Laß ihn gros thun, diesen Baum aus so gutem Hause, laß ihn gros thun! Es kostet ihm am meisten. Das Gras braucht Schatten und die Hecke Aeste, die ihr zu Huͤlfe kommen. Sieh! wenn die- ser Lebensbaum ihr nicht unter die Arme griffe und aushuͤlfe, sie wuͤrde nicht bis oben zu die Mauer bedecken, die allem, was gruͤn ist, so spinnenfeind ist. Auch wuͤrde die Sonne sonst dieser nur frisch gepflanzten Hecke das Kleid beflecken, und es verderben, ehe der Herbst kommt und es Zeit ist. Klein ist dein Garten; allein merkst du nicht, wie alles sich bestrebt, sich darnach einzurichten. Die Biene sumset so laut nicht, um den Finken nicht zu stoͤren, der deinen kleinen Garten sich sich zur Capelle geheiligt hat, sein Morgen- lied abzusingen — und wenn die der Welt abgestorbene Philomele deine kleine Einsie- deley entdeckt, was solte sie abhalten, hier ihr Klagelied anzustimmen? und diese Ein- samkeit dem voͤgelreichen lermvollen Walde vorzuziehen? welcher ihrer nicht werth ist! — nicht werth! Sieh, wie der Sperling sich in der Stille paart, um durch sein galantes Zwit- schern keinem gesitteten Buͤrger deines Gar- tens durch Ueppigkeit ein boͤses Beyspiel zu geben! Gros ist dein Garten dem Weisen, dem Guten, dem nichts zu klein ist, wie unserm Herr Gott! Einen so großen Erdschollen, als der Mensch zum Grabe braucht, hat er auch nur noͤthig, froh zu seyn! — Wie weit mehr hast du! Du und dein Weib koͤn- nen in diesem Gaͤrtchen begraben werden und selig ruhen, und doch bleibt noch Raum fuͤr einen Menschenfreund, dem Philomele beystimmt, wenn er unsern Tod beweint! — S s 4 Eben Eben ein Brief, daß meine Schwieger- mutter ausser Hofnung sey! — So stirbt denn alles, was gut ist! — Vielleicht bes- sert sie sich! Gott geb’ es — Meine Mine will den aͤltesten Sohn des Nathanaels, Alexander genannt, erziehen. Mag sie sich wissen. Hiemit lebet wohl! das waren die Worte, in die mein Freund — — es grif. Jetzt, da ich auch ihn befriediget, kann ich mit voͤllig entledigtem Herzen lebt wohl! wiederhohlen! Wenigstens habt ihr doch etwas von der aufsteigenden Linie, so daß Bild und Ueberschrift dieses Buchs zum kleinen Theil erfuͤllt ist — Sterb ich in den sechs Jahren; goͤnnt mir die Ruhe! — Laßt, was ich euch gesagt habe, im Segen bey euch bleiben. Ich laße euch den Frie- den, ich gebe euch den Segen des Friedens Gottes, der hoͤher ist, denn alle Vernunft! Nicht geb ich euch den Frieden, wie die Welt giebt, die mit ihrer Lust vergehet. Eur Herz erschrecke nicht ob dem großen Gedanken vom Reiche Gottes, und fuͤrchte sich nicht. Weiter, lieben Bruͤder! was wahrhaftig ist, ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach! Der Gott des Friedens sey mit euch und meinem Geiste! Amen! — Legt es dazu an, Freunde! daß wir uns einst wieder finden, in der Versammlung der Guten, nach dieser Zeit Leiden, wo so man- cher seine Mine, seinen Polt, wieder finden wird, unter den Verklaͤrten des Herrn! — Liebes holdes Maͤdchen! schaͤme dich der Thraͤne nicht, die dir entfiel! Deine Liebe zu dem Vertrauten deiner Seele, war eine edle gute Liebe. Du wirst ihn wieder finden, deine Traurigkeit wird in Freude verkehrt werden. Du hast deinen Willen uͤberwunden, der Welt halber, du hast uͤber die Welt gesiegt, in welcher du Angst hattest! Sey getrost! — Auch du, Kinderloser Mann! der du Kraft fuͤhltest, dir Nachkoͤmmlinge zu erwe- cken, der du jene astronomische Prophezey- hung nicht zu hoch fandest: zaͤhle die Sterne, kannst du sie zaͤhlen, also soll auch deine S s 5 Nach- Nachkommenschaft seyn! — Du in deiner Kraft durch den Weltlauf erstickter edler Mann! nimm Trost aus meinem Beyspiel! Sieh! ich werde, ohne mich fortzupflanzen, versammelt zu meinen fruchtbaren Vaͤtern. Kein Sohn wird bey meinem Grabe gen Himmel sehen und sagen: mein Vater! — Keine Tochter wird ihre Haͤnde ringen und meine Gebeine begruͤßen mit einem: ruhet wohl! und sieh, Freund! Du bist weiblos, und ich habe eine Mine und sie hat mich! — Weib meiner Seele! Wende dein Auge, ich seh es brechen, wend es! Ich bitte, ich flehe! laß mich mit diesen Kinderlosen allein! Unser Polt siehet das Angesicht unsers Va- ters im Himmel, der heute nach einer so langen Duͤrre regnen lies. Blick her! wie sich der Baum vorm Fenster erhohlt hat. Unser Polt ist bey Gott. Die Gerechten wer- den weggeraft vor dem Ungluͤck, und die richtig vor sich gewandelt, kommen zum Frieden und ruhen in ihren Kammern — Freund! hast du sie gesehen? Hast du mich gehoͤrt? O danke Gott! daß du Kinder- und Weiblos bist, daß du nicht noͤthig hast, ein Weib zu troͤsten ihres einzigen Sohnes hal- ber! Wie weit gluͤcklicher bist du! — Die Die Freude an Gott und seinem Reiche sey unsere Staͤrke. Bis unser Ende kommt, wollen wir nicht weichen von unserer Froͤm- migkeit. Vergis, Lieber! was dahinten ist, und strecke dich nach dem, das da vorn ist, jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches verhaͤlt die himmlische Berufung — Wandle wuͤrdiglich, dem Herrn zu gefallen, und sey fruchtbar in allen guten Werken, bis uns der Herr erloͤset von allem Uebel und uns aushilft zu seinem himmlischen Reiche! Denk, Einsamer! wenn du Kinder haͤttest, die deine grauen Haare in die Grube braͤchten? Kinder, deretwe- wegen du wie Eli, der Priester, den Hals braͤchest, Halsbrechende Soͤhne! Absalons? die die gerechte Seele quaͤlen Tag und Nacht. Hat denn dein Bruder nicht einen Sohn? und ist sein paradies-natuͤrliches Weib nicht wieder gesegnet? Sey frohen Muths! Gott kann dir aus Steinen Kinder erwecken. Dein Leichenstein, wenn er gluͤcklich gelegt ist, kann deinen Namen einem Seher ins Gesicht bringen, der dich in sein ewiges Buch schreibt, da lebst du dann so gut, als durch deine Nachkommen! — — Soll Soll ich euch, geliebtesten Leser! uͤber sechs Jahre, wie ich hoffe, wiedersehen; so gaͤb’ es Gott, daß wir uns gutes Muths treffen! Er, der mein Innerstes sieht, weiß, mit welchem Herzen ich von euch scheide! Meine Seele ist betruͤbt bis in den Tod! — Gott schenke euch viel Freude! — Dank euch drey Maͤnnern, die ihr mich geleitet habt! Der Engel des Herrn gleite euch wie- der, und du mein lieber — — es! dem ich dies ganze Buch zu gefallen geschrieben, danke nicht: Es ist gern geschehen! Lebt alle, alle! wohl! fromm und gluͤcklich! Stehet auf und laßet uns von hinnen gehen!