Nachtstuͤcke herausgegeben von dem Verfasser der Fantasiestuͤcke in Callots Manier. Zweiter Theil . Berlin , 1817 . In der Realschulbuchhandlung . Das oͤde Haus . — M an war daruͤber einig, daß die wirklichen Erscheinungen im Leben oft viel wunderbarer sich gestalteten, als alles, was die regste Fantasie zu erfinden trachte. „Ich meine,“ sprach Lelio , „daß die Geschichte davon hinlaͤnglichen Beweis gibt und daß eben deshalb die sogenannten histori¬ schen Romane, worin der Verfasser, in seinem muͤßigen Gehirn bei aͤrmlichem Feuer ausgebruͤtete Kindereien, den Thaten der ewigen, im Universum waltenden Macht beizugesellen sich unterfaͤngt, so abgeschmackt und widerlich sind.“ „Es ist,“ nahm Franz das Wort, „die tiefe Wahrheit der uner¬ A forschlichen Geheimnisse, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den uͤber uns herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen.“ „Ach!“ fuhr Lelio fort, „die Erkenntniß, von der du sprichst! — Ach das ist ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem Suͤndenfall, daß diese Erkenntniß uns fehlt!“ „Viele,“ unterbrach Franz den Freund, „viele sind berufen und wenige auserwaͤhlt! Glaubst Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬ nahe noch schoͤnere Ahnen der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren koͤnnten, herauf zu springen in den heitren Augenblick, werf' ich Euch das skurrile Gleichniß hin, daß Menschen, denen die Seher¬ gabe, das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermaͤuse beduͤnken wollen, an denen der ge¬ lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stell¬ vertreter nicht allein alles, sondern viel mehr aus¬ richtet, als alle uͤbrige Sinne zusammengenommen.“ „Ho ho,“ rief Franz lachelnd, „so waͤren denn die Fledermaͤuse eigentlich recht die gebornen natuͤr¬ lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬ blick, dessen Du gedachtest, will ich Posto fassen und bemerken, daß jener sechste bewundrungswuͤr¬ dige Sinn vermag an jeder Erscheinung, sei es Person, That oder Begebenheit, sogleich dasjenige exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserm ge¬ woͤhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was ist denn aber ge¬ woͤhnliches Leben? — Ach das Drehen in dem engen Kreise, an den unsere Nase uͤberall stoͤßt, und doch will man wohl Courbetten versuchen im taktmaͤßigen Paßgang des Alltagsgeschaͤfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir sprechen, ganz vorzuͤglich eigen scheint. Daher kommt es, daß er oft unbekannten Menschen, die irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, Tagelang nachlaͤuft, daß er uͤber eine Gegebenheit, uͤber eine That, leicht hin A 2 erzaͤhlt, keiner Beachtung werth und von niemanden beachtet, tiefsinnig wird, daß er antipodische Dinge zusammen stellt und Beziehungen heraus fantasirt, an die niemand denkt.“ Lelio rief laut: „Halt, halt, das ist ja unser Theodor , der ganz was besonderes im Kopfe zu haben scheint, da er mit solch seltsamen Blicken in das Blaue heraus schaut.“ „In der That,“ fing Theodor an, der so lange geschwiegen, „in der That, waren meine Blicke seltsam, so lang darin der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im Geiste schaute. Die Erin¬ nerung eines unlaͤngst erlebten Abentheuers“ — O erzaͤhle, erzaͤhle, unterbrachen ihn die Freunde. „Erzaͤhlen,“ fuhr Theodor fort, „moͤcht' ich wohl, doch muß ich zufoͤrderst Dir, lieber Lelio , sagen, daß Du die Beispiele, die meine Sehergabe dar¬ thun sollten, ziemlich schlecht waͤhltest. Aus Eber ¬ hards Synonymik mußt Du wissen, daß wun ¬ derlich alle Aeußerungen der Erkenntniß und des Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernuͤnftigen Grund rechtfertigen lassen wunder ¬ bar aber dasjenige heißt, was man fuͤr unmoͤg¬ lich, fuͤr unbegreiflich haͤlt, was die bekannten Kraͤfte der Natur zu uͤbersteigen, oder wie ich hinzu fuͤge, ihrem gewoͤhnlichen Gange entgegen zu seyn scheint. Daraus wirst Du entnehmen, daß Du vorhin Ruͤcksichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwech¬ seltest. Aber gewiß ist es, daß das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sproßt, und daß wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blaͤt¬ tern und Bluͤthen hervor sprossen. In dem Aben¬ theuer, das ich Euch mittheilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich duͤnkt, recht schauerliche Weise. Mit diesen Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wußten, allerley Noti¬ zen von seiner Reise her eingetragen hatte, und erzaͤhlte, dann und wann in dies Buch hineinblik¬ kend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mit¬ theilung nicht unwerth scheint. Ihr wißt (so fing Theodor an), daß ich den ganzen vorigen Sommer in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vor¬ fand, das freie gemuͤthliche Leben, die mannig¬ fachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das Alles hielt mich fest. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen zu wandeln, und mich an jedem ausgehaͤngten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zu ergoͤtzen, oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichthum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebaͤude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebaͤuden jener Art einge¬ schlossene Allee, welche nach dem ***ger Thore fuͤhrt, ist der Sammelplatz des hoͤheren, durch Stand oder Reichthum zum uͤppigeren Lebensgenuß berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoß der hohen breiten Pallaͤste werden meistentheils Waaren des Luxus feil geboten, indeß in den obern Stock¬ werken Leute der beschriebenen Classe hausen. Die vornehmsten Gasthaͤuser liegen in dieser Straße, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so koͤnnt Ihr denken, daß hier ein besonderes Leben und Regen mehr als in irgend einem andern Theile der Residenz Statt finden muß, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudraͤngen nach diesem Orte macht es, daß man¬ cher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein Beduͤrfniß eigentlich erfordert, begnuͤgt, und so kommt es, daß manches von mehreren Familien be¬ wohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages ploͤtzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen uͤbrigen abstach. Denkt Euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schoͤnen Gebaͤuden einge¬ klemmtes Haus, dessen Stock uͤber dem Erdgeschoß nur wenig uͤber die Fenster im Erdgeschoß des nach¬ barlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht ver¬ wahrtes Dach, dessen zum Theil mit Papier ver¬ klebte Fenster, dessen farblose Mauern von gaͤnz¬ licher Verwahrlosung des Eigenthuͤmers zeugen. Denkt Euch, wie solch ein Haus zwischen mit ge¬ schmackvollem Luxus ausstaffirten Prachtgebaͤuden sich ausnehmen muß. Ich blieb stehen und be¬ merkte bey naͤherer Betrachtung, daß alle Fenster dicht verzogen waren, ja daß vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgefuͤhrt schien, daß die gewoͤhnliche Glocke an dem Thorwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Hausthuͤre dien¬ te, fehlte, und daß an dem Thorwege selbst nir¬ gends ein Schloß, ein Druͤcker zu entdecken war. Ich wurde uͤberzeugt, daß dieses Haus ganz unbe¬ wohnt seyn muͤsse, da ich niemahls, niemahls, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch voruͤbergehen mochte auch nur die Spur eines menschlichen We¬ sens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Er¬ scheinung und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natuͤrlichen einfachen Grund, daß der Be¬ sitzer auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen Guͤtern hausend, dies Grundstuͤck weder vermiethen noch veraͤußern mag, um, nach ***n zuruͤckkehrend, augenblicklich seine Wohnung dort aufschlagen zu koͤnnen. — So dacht' ich, und doch weiß ich selbst nicht wie es kam, daß bey dem oͤden Hause voruͤberschreitend ich jedesmahl wie fest¬ gebannt stehen bleiben und mich in ganz verwun¬ derliche Gedanken nicht sowohl vertiefen, als ver¬ stricken mußte. — Ihr wißt es ja alle, ihr wackern Kumpane meines froͤhlichen Jugendlebens, ihr wißt es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebehrdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt seltsame Erscheinungen ins Leben treten woll¬ ten, die ihr mit derbem Verstande wegzulaͤugnen wußtet! — Nun! zieht nur Eure schlauen spitz¬ fuͤndigen Gesichter, wie Ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, daß ich oft mich selbst recht arg mysti¬ fizirt habe, und daß mit dem oͤden Hause sich das¬ selbe ereignen zu wollen schien, aber — am Ende kommt die Moral, die Euch zu Boden schlaͤgt, horcht nur auf! — Zur Sache! — Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton ge¬ bietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewoͤhnlich, in tiefen Gedanken hinstarrend vor dem oͤden Hause. Ploͤtzlich bemerke ich, ohne ge¬ rade hinzusehen, daß jemand neben mir sich hinge¬ stellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hinsicht als mir geistesverwandt kund gethan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als daß auch ihm das Ge¬ heimnißvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr fiel es mir auf, daß, als ich von dem selt¬ samen Eindruck sprach, den dies veroͤdete Gebaͤude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch laͤchelte, bald war aber Alles erklaͤrt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Combinationen ꝛc. hatte er die Bewandtniß heraus¬ gefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtniß lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte heraus, die nur die lebendigste Fantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es waͤre wohl recht, daß ich Euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mittheilte, doch schon jetzt fuͤhle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, daß ich unaufhaltsam fortfahren muß. Wie war aber dem guten Grafen zu Muthe, als er mit der Geschichte fertig, erfuhr, daß das ver¬ oͤdete Haus nichts anders enthalte, als die Zucker¬ baͤckerei des Conditors, dessen prachtvoll eingerich¬ teter Laden dicht anstieß. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Oefen eingerichtet, ver¬ mauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im obern Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhaͤngen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mittheilte, so wie er, die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Daͤmon den Suͤßtraͤumenden empfindlich und schmerzhaft bey der Nase. — Unerachtet der pro¬ saischen Aufklaͤrung mußte ich doch noch immer voruͤbergehend nach dem oͤden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Froͤsteln, das mir durch die Glieder bebte, allerley seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zucker¬ baͤckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Tor¬ ten, der eingemachten Fruͤchte u. s. w. gewoͤhnen. Eine seltsame Ideen-Combination ließ mir das Alles erscheinen wie suͤßes beschwichtigendes Zureden. Ungefaͤhr: „Erschrecken Sie nicht, Bester! wir alle sind liebe suͤße Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bischen einschlagen.“ Dann dachte ich wieder: „Bist du nicht ein recht wahnsinniger Thor, daß du das Gewoͤhnlichste in das Wunder¬ bare zu ziehen trachtest, schelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen uͤberspannten Geisterseher?“ — Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Be¬ stimmung auch nicht anders seyn konnte, immer unveraͤndert, und so geschah es, daß mein Blick sich daran gewoͤhnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich aus den Mauern hervor zu schweben schienen, allmaͤhlig verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. — Daß, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltaͤgliche gefuͤgt hatte, ich doch nicht unterließ, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das koͤnnt Ihr Euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer ritterlicher Treue am Wunder¬ baren fest haͤlt, wohl denken. So geschah es, daß ich eines Tages, als ich wie gewoͤhnlich zur Mittagsstunde in der Allee lustwandelte, meinen Blick auf die verhaͤngten Fenster des oͤden Hauses richtete. Da bemerkte ich, daß die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Conditorladen sich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riß meinen Operngucker her¬ aus und gewahrte nun deutlich die blendend weiße, schoͤn geformte Hand eines Frauenzimmers, an de¬ ren kleinem Finger ein Brillant mit ungewoͤhn¬ lichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in uͤppiger Schoͤnheit geruͤndeten Arm. Die Hand setzte eine hohe seltsam geformte Krystallfla¬ sche hin auf die Fensterbank und verschwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein son¬ derbar baͤnglich wonniges Gefuͤhl durchstroͤmte mit elektrischer Waͤrme mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach dem verhaͤngnißvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust entflohen seyn. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen Gesichtern herauf guckten. Das verdroß mich, aber gleich fiel mir ein, daß jedes Hauptstadtvolk jenem glei¬ che, das zahllos vor dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich daruͤber zu verwundern aufhoͤren konnte, daß eine Schlafmuͤtze aus dem sechsten Stock herabgestuͤrzt, ohne eine Masche zu zer¬ reißen. — Ich schlich mich leise fort, und der pro¬ saische Daͤmon fluͤsterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, daß so eben die reiche, sonntaͤglich geschmuͤckte Conditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosen¬ wassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. — Seltner Fall! — mir kam urploͤtzlich ein sehr gescheuter Gedanke. — Ich kehrte um und gerade zu ein, in den leuchtenden Spiegelladen des dem oͤden Hause nachbarlichen Conditors. — Mit kuͤh¬ lendem Athem den heißen Schaum von der Choko¬ lade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: In der That, Sie haben da nebenbei ihre Anstalt sehr schoͤn erweitert. — Der Conditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die Viertel-Tuͤte, und diese dem lieblichen Maͤdchen, das darnach ver¬ langt, hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit uͤber den Ladentisch heruͤber und schaute mich mit solch' laͤchelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wieder¬ holte, daß er sehr zweckmaͤßig in dem benachbarten Hause seine Baͤckerei angelegt, wiewohl das da¬ durch veroͤdete Gebaͤude in der lebendigen Reihe der uͤbrigen duͤster und traurig absteche. „Ei mein Herr!“ fing nun der Conditor an, „wer hat Ih¬ nen denn gesagt, daß das Haus nebenan uns ge¬ hoͤrt? — Leider blieb jeder Versuch es zu acquiri¬ ren vergebens, und am Ende mag es auch gut seyn, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigne Bewandtniß.“ — Ihr, meine treuen Freunde, koͤnnt wohl denken, wie mich des Conditors Ant¬ wort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause zu sagen. „Ja, mein Herr!“ sprach er, „recht sonderliches weiß ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiß, daß das Haus der Graͤfin von S. gehoͤrt, die auf ihren Guͤtern lebt und seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keins der Prachtgebaͤude existirte, die jetzt unsere Straße zieren, stand dies Haus, wie man mir erzaͤhlt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der Zeit wurd' es nur gerade vor dem gaͤnz¬ lichen Verfall gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter menschenfeindlicher Hausverwalter und ein graͤmlicher lebenssatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in dem oͤden Gebaͤude haͤßlich spuken, und in der That, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzuͤglich zur zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschaͤft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an so haͤßlich zu scharren und zu rumoren, daß uns bei¬ den ganz graulich zu Muthe wurde. Auch ist es nicht lange her, daß sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hoͤren ließ, den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Toͤne waren so gellend klar, und liefen in bunten Cadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland so viel Saͤn¬ gerinnen gekannt, noch nie gehoͤrt habe. Mir war so, als wuͤrden franzoͤsische Worte gesungen, doch konnt' ich das nicht genau unterscheiden, und uͤber¬ haupt das tolle gespenstige Singen nicht lange an¬ hoͤren, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geraͤusch auf der Straße nachlaͤßt, hoͤren wir auch in der hintern Stube tiefe B Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervor zu droͤhnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, daß es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. — Bemerken Sie — (er fuͤhrte mich in das hintere Zimmer und zeigte durch's Fenster) bemerken Sie jene eiserne Roͤhre, die aus der Mauer hervor ragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, daß mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit entschuldigt, daß er sein Essen koche, was der aber essen mag, das weiß der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Roͤhre recht stark raucht, ein sonderbarer ganz eigenthuͤmlicher Ge¬ ruch.“ — Die Glasthuͤre des Ladens knarrte, der Conditor eilte hinein und warf mir, nach der hinein¬ getretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. — Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt jemand anders seyn als der Verwalter des geheimnißvollen Hauses? — Denkt Euch einen kleinen duͤrren Mann mit einem Mumienfarbnen Gesichte, spitzer Nase, zusammen¬ gekniffenen Lippen, gruͤn funkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigem Laͤcheln, altmodig mit aufge¬ thuͤrmtem Toupee und Klebeloͤckchen frisirtem stark gepudertem Haar, großem Haarbeutel, Postillion d'Amour, Kaffeebraunem altem verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebuͤrstetem Kleide, grauen Struͤmpfen, großen abgestumpften Schuhen mit Steinschnaͤllchen. Denkt Euch, daß diese kleine duͤrre Figur doch, vorzuͤglich was die uͤbergroßen Faͤuste mit langen starken Fingern betrift, robust geformt ist, und kraͤftig nach dem Ladentisch hin¬ schreitet, dann aber stets laͤchelnd und starr hin¬ schauend nach den in Krystallglaͤsern aufbewahrten Suͤßigkeiten mit ohnmaͤchtiger klagender Stimme herausweint: „Ein Paar eingemachte Pomeran¬ zen — ein Paar Makronen — ein Paar Zucker¬ kastanien ꝛc.“ Denkt Euch das und urtheilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Conditor suchte alles, was der Alte gefordert, B 2 zusammen. „Wiegen Sie, wiegen Sie, verehr¬ ter Herr Nachbar,“ jammerte der seltsame Mann, holte aͤchzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche, und suchte muͤhsam Geld hervor. Ich bemerkte, daß das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzaͤhlte, aus verschiedenen alten zum Theil schon ganz aus dem gewoͤhnlichen Cours gekommenen Muͤnzsorten bestand. Er that dabey sehr klaͤglich und murmelte: „Suͤß — suͤß — suͤß soll nun alles seyn — suͤß meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul — puren Honig.“ Der Conditor schaute mich lachend an, und sprach dann zu dem Alten: „Sie scheinen nicht recht wohl zu seyn, ja, ja das Alter, das Alter, die Kraͤfte nehmen ab immer mehr und mehr.“ Ohne die Miene zu aͤndern rief der Alte mit erhoͤhter Stimme: „Alter? — Alter? — Kraͤfte abneh¬ men? — Schwach — matt werden! Ho ho — ho ho — ho ho!“ Und damit schlug er die Faͤuste zusammen, daß die Gelenke knackten und sprang, in der Luft eben so gewaltig die Fuͤße zusammen, klappend, hoch auf, daß der ganze Laden droͤhnte und alle Glaͤser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein graͤßliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten, der hinter ihm her geschlichen dicht an seine Fuͤße ge¬ schmiegt auf dem Boden lag. „Verruchte Bestie! satanischer Hoͤllenhund,“ stoͤhnte leise im vorigen Ton der Alte, oͤffnete die Tuͤte und reichte dem Hunde eine große Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war so¬ gleich still, setzte sich auf die Hinterpfoten und knapperte an der Makrone wie ein Eichhoͤrnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschließen und Einstecken seiner Tuͤte. „Gute Nacht, ver¬ ehrter Herr Nachbar,“ sprach er jetzt, reichte dem Conditor die Hand, und druͤckte die des Conditors so, daß er laut aufschrie vor Schmerz. „Der alte schwaͤchliche Greis wuͤnscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Conditor,“ wiederholte er dann und schritt zum Laden heraus, hinter ihm der schwarze Hund mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. „Sehn Sie,“ fing der Conditor an, „sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwey, dreymahl, aber nichts ist aus ihm heraus zu brin¬ gen, als daß er ehemahls Kammerdiener des Gra¬ fen von S. war, daß er jetzt hier das Haus ver¬ waltet, und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die Graͤflich S — sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermiethet werden kann. Mein Bru¬ der ging ihm einmahl zu Leibe wegen des wunder¬ lichen Getoͤns zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: „Ja! — die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es thut nicht wahr seyn.“ — Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besu¬ chen, die Thuͤr oͤffnete sich, elegante Welt stroͤmte hinein und ich konnte nicht weiter fragen. — So viel stand nun fest, daß die Nachrichten des Grafen P. uͤber das Eigenthum und die Benutzung des Hauses falsch waren, daß der alte Verwalter dasselbe seines Laͤugnens unerachtet nicht allein be¬ wohnte, und daß ganz gewiß irgend ein Geheimniß vor der Welt dort verhuͤllt werden sollte. Mußte ich denn nicht die Erzaͤhlung von dem seltsamen, schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schoͤ¬ nen Arms am Fenster in Verbindung setzen? Der Arm saß nicht, konnte nicht sitzen an dem Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Conditors Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen bluͤhenden Maͤdchens kommen. Doch fuͤr das Merkzeichen des Arms entschieden, konnt' ich leicht mich selbst uͤberreden, daß vielleicht nur eine akustische Taͤuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und daß eben so vielleicht nur des, vom Graulichen befangenen, Conditors truͤgliches Ohr die Toͤne so vernommen. — Nun dacht' ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Krystallflasche, die ich sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geschoͤpfs mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zau¬ berkerl, der vielleicht ganz unabhaͤngig von der Graͤflich S — schen Familie geworden, nun auf seine eigne Hand in dem veroͤdeten Hause Unheil¬ bringendes Wesen trieb. Meine Fantasie war im Arbeiten und noch in selbiger Nacht nicht sowohl im Traum, als im Deliriren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glaͤnzenden Spange. Wie aus duͤnnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmuͤthig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines Maͤdchens, in voller anmuthiger Ju¬ gendbluͤthe hervor. Bald bemerkte ich, daß das, was ich fuͤr Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Krystallflasche, die die Gestalt in den Haͤn¬ den hielt, in sich kreiselndem Gewirbel emporstieg. „O du holdes Zauberbild,“ rief ich voll Entzuͤcken, „o du holdes Zauberbild, thu' es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen haͤlt? — O wie du mich so voll Wehmuth und Liebe anblickst! — Ich weiß es, die schwarze Kunst ist es, die dich befan¬ gen, du bist die ungluͤckselige Sklavin des boshaf¬ ten Teufels, der herumwandelt kaffeebraun und beharbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Spruͤngen alles zerschmeißen will und Hoͤllenhunde tritt, die er mit Makronen fuͤttert, nachdem sie den satanischen Murki im fuͤnfachtel Takt abgeheult. — O ich weiß ja Alles, du holdes, anmuthiges Wesen! — Der Diamant ist der Reflex innerer Gluth! — ach haͤtt'st du ihn nicht mit deinem Herzblut getraͤnkt, wie koͤnnt' er so funkeln, so tau¬ sendfarbig strahlen in den allerherrlichsten Liebes¬ toͤnen, die je ein Sterblicher vernommen. — Aber ich weiß es wohl, das Band, was deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sey magnetisch — Glaub' es nicht Herrliche! — ich sehe ja, wie sie herab¬ haͤngt in die, von blauem Feuer gluͤhende Retorte. — Die werf' ich um und du bist befreit! — Weiß ich denn nicht Alles — weiß ich denn nicht Alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! — nun oͤffne den Rosenmund, o sage“ — In dem Augenblick griff eine knotige Faust uͤber meine Schulter weg nach der Krystallflasche, die in tausend Stuͤcke zer¬ splittert in der Luft verstaͤubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die anmuthige Gestalt verschwunden in finstrer Nacht. — Ha! — ich merk es an Euerm Laͤcheln, daß Ihr schon wieder in mir den traͤumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich Euch, daß der ganze Traum, wollt Ihr nun einmahl nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im prosai¬ schen Unglauben anzulaͤcheln, so will ich lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weiter gehen. — Kaum war der Morgen angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief, und mich hinstellte vor das oͤde Haus! — Außer den innern Vorhaͤngen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Straße war noch voͤllig menschen¬ leer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut ließ sich hoͤren, still blieb es wie im tiefen Grabe. — Der Tag kam herauf, das Gewerbe ruͤhrte sich, ich mußte fort. Was soll ich Euch damit ermuͤden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner be¬ stimmten Notiz fuͤhrte, und wie endlich das schoͤne Bild meiner Vision zu verblassen begann. — End¬ lich, als ich einst am spaͤten Abend von einem Spa¬ ziergange heimkehrend bey dem oͤden Hause heran¬ gekommen, bemerkte ich, daß das Thor halb geoͤff¬ net war; ich schritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluß war gefaßt. „Wohnt nicht der Geheime Finanzrath Binder hier in die¬ sem Hause?“ So frug ich den Alten, indem ich ihn beinahe zuruͤckdraͤngend in den, von einer Lam¬ pe matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem stehenden Laͤcheln und sprach leise und gezogen: „Nein, der wohnt nicht hier, hat niemahls hier gewohnt, wird niemahls hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. — Aber die Leute sagen, es spuke hier in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, daß es nicht wahr ist, es ist ein ruhiges, huͤbsches Haus, und morgen zieht die gnaͤdige Graͤfin von S. ein und — Gute Nacht, mein lieber Herr!“ — Damit manoͤvrirte mich der Alte zum Hause hinaus, und verschloß hinter mir das Thor. Ich vernahm, wie er keu¬ chend und hustend mit dem klirrenden Schluͤssel¬ bunde uͤber den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, herab stieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, daß der Flur mit alten bunten Tapeten behaͤngt, und wie ein Saal mit großen, mit rothem Damast beschlagenen Lehnses¬ seln moͤblirt war, welches denn doch ganz verwun¬ derlich aussah. Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindrin¬ gen in das geheimnißvolle Haus, die Abenteuer auf! — Denkt Euch, denkt Euch, so wie ich den andern Tag in der Mittagsstunde die Allee durch¬ wandere und mein Blick schon in der Ferne sich unwillkuͤrlich nach dem oͤden Hause richtet, sehe ich an dem letzten Fenster des obern Stocks etwas schimmern. — Naͤher getreten bemerke ich, daß die aͤußere Jalousie ganz, der innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entge¬ gen. — O Himmel! gestuͤtzt auf den Arm blickt mich wehmuͤthig flehend jenes Antlitz meiner Vision an. — War es moͤglich in der auf und abwogen¬ den Masse stehen zu bleiben? — In dem Augen¬ blick fiel mir die Bank ins Auge, die fuͤr die Lust¬ wandler in der Allee in der Richtung des oͤden Hauses, wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Ruͤcken kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich uͤber die Lehne der Bank wegbeugend konnt' ich nun ungestoͤrt nach dem verhaͤngnißvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmuthige, holdselige Maͤdchen, Zug fuͤr Zug! — Nur schien ihr Blick ungewiß. — Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen etwas todtstarres, und die Taͤuschung eines lebhaft gemahlten Bildes waͤre moͤglich gewesen, haͤtten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens am Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quaͤkende Stimme des italienischen Tabuletkraͤmers gehoͤrt, der mir vielleicht schon lange unaufhoͤrlich seine Waaren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziem¬ lich hart und zornig ab. Er ließ aber nicht nach mit Bitten und Quaͤlen. Noch gar nichts habe ich heute verdient, nur ein Paar Bleifedern, ein Buͤndelchen Zahnstocher moͤge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Ueberlaͤstigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: „Auch hier hab' ich noch schoͤne Sachen!“ zog er den untern Schub seines Kastens heraus, und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter andern Glaͤsern lag, in kleiner Entfernung seitwaͤrts vor. — Ich erblickte das oͤde Haus hinter mir, das Fenster und in den schaͤrfsten deutlichsten Zuͤgen die holde Engelsgestalt meiner Vision — Schnell kauft' ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moͤg¬ lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬ barn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. — Doch, indem ich nun laͤnger und laͤnger das Ge¬ sicht im Fenster anblickte, wurd' ich von einem selt¬ samen, ganz unbeschreiblichen Gefuͤhl, das ich bei¬ nahe waches Traͤumen nennen moͤchte, befangen. Mir war es, als laͤhme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬ mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr wuͤrde abwenden koͤnnen von dem Spiegel. Mit Beschaͤmung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes Ammenmaͤhrchen einfiel, womit mich in fruͤher Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluͤsten ließ, Abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie sagte nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht her¬ aus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt' ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hin zu blinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmahl glaubt' ich ein paar graͤßliche gluͤhende Augen aus dem Spiegel fuͤrchterlich her¬ ausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stuͤrzte dann ohnmaͤchtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mir, als haͤtten jene Augen mich wirklich angefun¬ kelt. — Kurz alles dieses tolle Zeug aus meiner fruͤhen Kindheit fiel mir ein, Eiskaͤlte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir schleudern — ich vermocht' es nicht — nun blick¬ ten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an — ja ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. Jenes Grausen, das mich ploͤtzlich ergriffen, ließ von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz suͤßer Sehnsucht, die mich mit mit elektrischer Waͤrme durchgluͤht. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlaͤchelnde Gesichter er¬ blickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als daß ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsa¬ men Gesichtern, die ich in meinem exaltirtem Zu¬ stande schnitt, auf meine Kosten ein ergoͤtzliches Schauspiel gegeben. „Sie haben da einen nied¬ lichen Spiegel,“ wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufuͤgte: „Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihnen Geister“ ꝛc. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmuͤthiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen An¬ stand, ihm geradehin zu sagen, daß ich im Spie¬ C gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter mir im Fenster des oͤden Hauses gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. „Dort druͤben? — in dem alten Hause — in dem letzten Fenster?“ so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ sprach ich; da laͤchelte der Alte sehr und fing an: „Nun das ist doch eine wunderliche Taͤuschung — nun meine alten Augen — Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huͤbsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war ver¬ schwunden, die Jalousie herunter gelassen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun ist's zu spaͤt, sich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Castellan das Absteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestaͤubt, vom Fenster fort und ließ die Jalousie herunter.“ „War es denn gewiß ein Bild?“ fragte ich noch¬ mahls ganz bestuͤrzt. „Trauen Sie meinen Au¬ gen,“ erwiederte der Alte. „Daß Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiß sehr die optische Taͤuschung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, haͤtt' ich nicht auch das Bild eines schoͤnen Maͤdchens, kraft meiner Fantasie, ins Leben gerufen?“ „Aber Hand und Arm bewegten sich doch,“ fiel ich ein. „Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich,“ sprach der Alte, laͤchelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verließ mich, hoͤflich sich verbeugend, mit den Worten: „Nehmen Sie Sich doch vor Taschenspiegeln in Acht, die so haͤßlich luͤgen. — Ganz gehorsamster Diener.“ — Ihr koͤnnt denken, wie mir zu Muthe war, als ich mich so als einen thoͤrichten, bloͤdsichtigen Fantasten behandelt sah. Mir kam die Ueberzeugung, daß der Alte Recht hatte, und daß nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem oͤden C 2 Hause, zu meiner eignen Beschaͤmung, so garstig mystifizirte. Ganz voller Unmuth und Verdruß lief ich nach Hause, fest entschlossen, mich ganz los zu sagen von jedem Gedanken an die Mysterien des oͤden Hauses, und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, daß mich den Tag uͤber dringend ge¬ wordene Geschaͤfte am Schreibtisch, an den Abenden aber geistreiche froͤhliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so mußt' es wohl geschehen, daß ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, daß ich zuweilen aus dem Schlaf auffuhr, wie ploͤtzlich durch aͤußere Beruͤhrung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, daß nur der Gedanke an das geheimni߬ volle Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des oͤden Hauses erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst waͤhrend der Arbeit, waͤhrend der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden, durchfuhr mich oft ploͤtzlich, ohne weitern Anlaß, jener Gedanke, wie ein elektrischer Blitz. Doch waren dies nur schnell voruͤbergehende Momente. Den kleinen Taschenspiegel, der mir so taͤuschend das anmuthige Bildniß reflektirt, hatte ich zum pro¬ saischen Hausbedarf bestimmt. Ich pflegte mir vor demselben die Halsbinde fest zu knuͤpfen. So ge¬ schah es, daß er mir, als ich einst dies wichtige Geschaͤft abthun wollte, blind schien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu poliren. — Alle meine Pulse stockten, mein Innerstes bebte vor wonnigem Grauen! — ja so muß ich das Gefuͤhl nennen, das mich uͤbermannte, als ich, so wie mein Hauch den Spiegel uͤberlief, im blaͤulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich mit jenem wehmuͤthigem, das Herz durchbohrendem Blick anschaute! — Ihr lacht? — Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich fuͤr einen unheilbaren Traͤumer, aber sprecht, denkt was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber so wie der Hauch zerrann, verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. — Ich will Euch nicht ermuͤden, ich will Euch nicht herzaͤhlen alle Momente, die sich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich sagen, daß ich unaufhoͤrlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte, daß es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervor zu rufen, daß aber manchmahl die angestrengtesten Bemuͤhun¬ gen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem oͤden Hause und starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte sich zeigen. — Ich lebte nur in dem Gedan¬ ken an Sie, alles uͤbrige war abgestorben fuͤr mich, ich vernachlaͤssigte meine Freunde, meine Studien. — Dieser Zustand, wollte er in mildern Schmerz, in traͤumerische Sehnsucht uͤbergehen, ja schien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur hoͤchsten Spitze gesteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen denke. — Da ich von einem Seelen zustande rede, der mich haͤtte ins Verderben stuͤrzen koͤnnen, so ist fuͤr Euch, Ihr Unglaͤubigen, da nichts zu belaͤcheln und zu bespoͤtteln, hoͤrt und fuͤhlt mit mir, was ich ausgestanden. — Wie gesagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblaßt war, ergriff mich ein koͤrperliches Uebelbefinden, die Gestalt trat, wie sonst niemahls, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, daß ich sie zu erfassen waͤhnte. Aber dann kam es mir auf grauliche Weise vor, ich sey selbst die Gestalt, und von den Nebeln des Spiegels umhuͤllt und umschlossen. Ein empfindlicher Brustschmerz, und dann gaͤnzliche Apathie endigte den peinlichen Zustand, der immer eine, das innerste Mark wegzehrende Erschoͤpfung hinterließ. In diesen Momenten mißlang jeder Versuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber er¬ kraͤftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, so mag ich nicht leugnen, daß sich damit ein besonderer, mir sonst fremder physischer Reiz verband. — Diese ewige Span¬ nung wirkte gar verderblich auf mich ein, blaß wie der Tod und zerstoͤrt im ganzen Wesen schwankte ich umher, meine Freunde hielten mich fuͤr krank, und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, uͤber meinen Zustand, so wie ich es nur vermochte, ernstlich nachzusinnen. War es Ab¬ sicht oder Zufall, daß einer der Freunde, welcher Arzneikunde studirte, bei einem Besuch Reils Buch uͤber Geisteszerruͤttungen zuruͤckließ. Ich fing an zu lesen, das Werk zog mich unwiderstehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was uͤber fixen Wahnsinn gesagt wird, mich selbst wieder fand! — Das tiefe Entsetzen, das ich, mich selbst auf dem Wege zum Tollhause erblickend, empfand, brachte mich zur Besinnung und zum festen Ent¬ schluß, den ich rasch ausfuͤhrte. Ich steckte meinen Taschenspiegel ein und eilte schnell zu dem Doktor R., beruͤhmt durch seine Behandlung und Heilung der Wahnsinnigen, durch sein tieferes Eingehen in das psychische Prinzip, welches oft sogar koͤrperliche Krankheiten hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzaͤhlte ihm Alles, ich verschwieg ihm nicht den kleinsten Umstand und beschwor ihn mich zu retten, von dem ungeheuern Schicksal, von dem bedroht ich mich glaubte. Er hoͤrte mich sehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in seinem Blick tiefes Erstaunen. „Noch,“ fing er an, „noch ist die Gefahr keinesweges so nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewißheit behaupten, daß ich sie ganz abzuwenden vermag. Daß Sie auf unerhoͤrte Weise psychisch angegriffen sind, leidet gar keinen Zweifel, aber die voͤllige klare Erkenntniß dieses Angriffs irgend eines boͤsen Prinzips giebt Ihnen selbst die Waffen in die Hand, sich dagegen zu wehren. Lassen Sie mir Ihren Taschenspiegel, zwingen Sie sich zu irgend einer Arbeit, die Ihre Geisteskraͤfte in Anspruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten Sie von der Fruͤhe an, so lange Sie es nur auszuhalten vermoͤgen, dann aber, nach einem tuͤchtigen Spaziergange, fort in die Ge¬ sellschaft Ihrer Freunde, die Sie so lange vermißt. Essen Sie nahrhafte Speisen, trinken Sie starken kraͤftigen Wein. Sie sehen, daß ich blos die fixe Idee, das heißt, die Erscheinung des Sie bethoͤren¬ den Antlitzes im Fenster des oͤden Hauses und im Spiegel vertilgen, Ihren Geist auf andere Dinge leiten und Ihren Koͤrper staͤrken will. Stehen Sie selbst meiner Absicht redlich bei.“ — Es wur¬ de mir schwer, mich von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn schon genommen, schien es zu bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt: „Sehen Sie etwas?“ „Nicht das Mindeste,“ erwiederte ich, wie es sich auch in der That verhielt. „Hauchen Sie den Spiegel an,“ sprach dann der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich that es, das Wun¬ derbild trat deutlicher als je hervor. „Da ist sie,“ rief ich laut. Der Arzt schaute hinein und sprach dann: ich sehe nicht das Mindeste, aber nicht ver¬ heelen mag ich Ihnen, daß ich in dem Augenblick, als ich in Ihren Spiegel sahe, einen unheimlichen Schauer fuͤhlte, der aber gleich voruͤberging. Sie bemerken, daß ich ganz aufrichtig bin, und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. „Wiederholen sie doch den Versuch.“ Ich that es, der Arzt umfaßte mich, ich fuͤhlte seine Hand auf dem Ruͤckenwirbel. — Die Gestalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel schauend er¬ blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, schauete nochmals hinein, verschloß ihn in dem Pult, und kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn schweigend da gestanden, zu mir zuruͤck. „Befolgen Sie,“ fing er an, „befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in denen Sie außer sich selbst gesetzt Ihr eignes Ich in physischem Schmerz fuͤhlten, mir noch sehr ge¬ heimnißvoll sind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr daruͤber sagen zu koͤnnen.“ — Mit festem, unabaͤnderlichem Willen, so schwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemaͤß, und so sehr ich auch bald den wohl¬ thaͤtigen Einfluß anderer Geistesanstrengung und der uͤbrigen verordneten Diaͤt verspuͤrte, so blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags um zwoͤlf Uhr, viel staͤrker aber Nachts um zwoͤlf Uhr sich einzustellen pflegten. Selbst in munterer Gesellschaft bey Wein und Gesang war es oft, als durchfuͤhren ploͤtzlich mein Inneres spitzige gluͤhende Dolche, und alle Macht des Geistes reichte dann nicht hin zum Widerstande, ich mußte mich entfer¬ nen und durfte erst wiederkehren, wenn ich aus dem Ohnmachtaͤhnlichen Zustande erwacht. — Es begab sich, daß ich mich einst bey einer Abendgesell¬ schaft befand, in der uͤber psychische Einfluͤsse und Wirkungen, uͤber das dunkle unbekannte Gebiet des Magnetismus gesprochen wurde. Man kam vorzuͤglich auf die Moͤglichkeit der Einwirkung eines entfernten psychischen Princips, sie wurde aus vie¬ len Beispielen bewiesen, und vorzuͤglich fuͤhrte ein junger, dem Magnetismus ergebener, Arzt an, daß er, wie mehrere andere, oder vielmehr wie alle kraͤftige Magnetiseurs, es vermoͤge, aus der Ferne bloß durch den festfixirten Gedanken und Willen auf seine Somnambulen zu wirken. Alles was Kluge , Schubert , Bartels u. m. dar¬ uͤber gesagt haben, kam nach und nach zum Vor¬ schein. „Das Wichtigste,“ fing endlich einer der Anwesenden, ein als scharfsinniger Beobachter be¬ kannter Mediziner, an, „das Wichtigste von Allem bleibt mir immer, daß der Magnetismus manches Geheimniß, das wir als gemeine schlichte Lebens¬ erfahrung nun eben fuͤr kein Geheimniß erkennen wollen, zu erschließen scheint. Nur muͤssen wir frei¬ lich behutsam zu Werke gehn. — Wie kommt es denn, daß ohne allen aͤußern oder innern uns be¬ kannten Anlaß, ja unsere Ideenkette zerreißend, irgend eine Person, oder wohl gar das treue Bild irgend einer Begebenheit so lebendig, so sich unsers ganzen Ichs bemeisternd in den Sinn kommt, daß wir selbst daruͤber erstaunen. Am merkwuͤrdigsten ist es, daß wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild ist in den schwarzen Abgrund ver¬ sunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz un¬ abhaͤngigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegen¬ den versetzt und ploͤtzlich scheinbar uns ganz fremd gewordene Personen, an die wir seit Jahren nicht mehr dachten, uns entgegenfuͤhrt. Ja, noch mehr! oft schauen wir auf eben die Weise ganz fremde un¬ bekannte Personen, die wir vielleicht Jahre nach¬ her erst kennen lernen. Das Bekannte: Mein Gott, der Mann, die Frau, kommt mir so zum Erstaunen bekannt vor, ich daͤcht' ich haͤtt' ihn, sie, schon irgendwo gesehen, ist vielleicht, da dies oft schlechterdings unmoͤglich, die dunkle Erinnerung an ein solches Traumbild. Wie wenn dies ploͤtz¬ liche Hineinspringen fremder Bilder in unsere Ideenreihe, die uns gleich mit besonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes psychisches Prinzip veranlaßt wuͤrde? Wie wenn es dem frem¬ den Geiste unter gewissen Umstaͤnden moͤglich waͤre, den magnetischen Rapport auch ohne Vorbereitung so herbei zu fuͤhren, daß wir uns willenlos ihm fuͤgen muͤßten?“ „So kaͤmen wir,“ fiel ein An¬ derer lachend ein, „mit einem gar nicht zu großen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauber¬ bildern, Spiegeln und andern unsinnigen aberglaͤu¬ bischen Fantastereien laͤngst verjaͤhrter alberner Zeit.“ „Ei,“ unterbrach der Mediziner den Un¬ glaͤubigen, „keine Zeit kann verjaͤhren und noch viel weniger hat es jemahls eine alberne Zeit gege¬ ben, wenn wir nicht etwa jede Zeit, in der Men¬ schen zu denken sich unterfangen moͤgen, mithin auch die unsrige, fuͤr albern erkennen wollen. — Es ist ein eignes Ding, etwas geradezu weglaͤugnen zu wollen, was oft sogar durch streng juristisch gefuͤhr¬ ten Beweis festgestellt ist, und so wenig ich der Meinung bin, daß in dem dunklen geheimnißvollen Reiche, welches unseres Geistes Heimath ist, auch nur ein einziges, unserm bloͤdem Auge recht hell leuchtendes Laͤmpchen brennt, so ist doch so viel gewiß, daß uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwuͤrfe nicht versagt hat. Wir suchen, verblindet wie wir sind, uns weiter zu arbeiten auf finstern Wegen. Aber so wie der Blinde auf Erden an dem fluͤsternden Rauschen der Baͤume, an dem Murmeln und Plaͤtschern des Wassers, die Naͤhe des Waldes, der ihn in seinen kuͤhlenden Schatten aufnimmt, des Baches, der den Durstenden labt, erkennt, und so das Ziel sei¬ ner Sehnsucht erreicht, so ahnen wir an dem toͤnen¬ den Fluͤgelschlag unbekannter, uns mit Geisterathem beruͤhrender Wesen, daß der Pilgergang uns zur Quelle des Lichts fuͤhrt, vor dem unsere Augen sich aufthun!“ — Ich konnte mich nicht laͤnger halten, „Sie statuiren also,“ wandte ich mich zu dem Medi¬ ziner, „die Einwirkung eines fremden geistigen Prin¬ zips, dem man sich willenlos fuͤgen muß? „Ich halte,“ erwiederte der Mediziner, „ich halte, um nicht zu weit zu gehen, diese Einwirkung nicht allein fuͤr moͤglich, sondern auch andern, durch den magne¬ tischen Zustand deutlicher gewordenen Operationen des psychischen Prinzips fuͤr ganz homogen.“ „So koͤnnt' es auch,“ fuhr ich fort, „daͤmonischen Kraͤf¬ ten verstattet seyn, feindlich verderbend auf uns zu wirken?“ „Schnoͤde Kunststuͤcke gefallner Geister,“ erwiderte der Mediziner laͤchelnd. — „Nein, de¬ nen wollen wir nicht erliegen. Und uͤberhaupt bitt' ich, meine Andeutungen fuͤr nichts anders zu nehmen, als eben nur fuͤr Andeutungen, denen ich noch hinzufuͤge, daß ich keinesweges an unbe ¬ dingte dingte Herrschaft eines geistigen Prinzips uͤber das andere glauben, sondern vielmehr annehmen will, daß entweder irgend eine Abhaͤngigkeit, Schwaͤche des innern Willens, oder eine Wechsel¬ wirkung Statt finden muß, die jener Herrschaft Raum giebt.“ „Nun erst,“ fing ein aͤltlicher Mann an, der so lange geschwiegen und nur auf¬ merksam zugehoͤrt, „nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen Gedanken uͤber Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen, einigermaßen be¬ freunden. Gibt es geheimnißvolle thaͤtige Kraͤfte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen nur irgend eine Abnormitaͤt im geistigen Organism Kraft und Muth zum sieghaften Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur gei¬ stige Krankheit — die Suͤnde macht uns unter¬ than dem daͤmonischen Prinzip. Merkwuͤrdig ist es, daß von den aͤltesten Zeiten her die den Men¬ schen im Innersten verstoͤrendste Gemuͤthsbewegung es war, an der sich daͤmonische Kraͤfte uͤbten. Ich meine nichts anders als die Liebesverzauberungen, D von denen alle Chroniken voll sind. In tollen Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und selbst in dem Gesetzbuch eines sehr aufgeklaͤrten Staats wird von den Liebestruͤnken gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken bestimmt sind, als sie nicht Liebeslust im Allgemeinen erwecken, sondern unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich werde in diesen Gespraͤchen an eine tragische Begebenheit erinnert, die sich in mei¬ nem eignen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unser Land mit seinen Truppen uͤber¬ schwemmt hatte, wurde ein Obrister von der italie¬ nischen Nobelgarde bei mir einquartirt. Er war einer von den wenigen Offizieren der sogenannten großen Armee, die sich durch ein stilles bescheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein todtbleiches Gesicht, seine duͤstern Augen zeugten von Krank¬ heit oder tiefer Schwermuth. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der besondere Zufall kund that, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf seinem Zimmer, als er ploͤtzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf die Brust, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er toͤdtliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war genoͤthigt sich in den Sopha zu werfen, dann aber verloren ploͤtzlich seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewußtlosen Bild¬ saͤule. Mit einem Ruck wie aus dem Traume auf¬ fahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen mußte, da er selbst beim Magnetisiren des Kranken von einem unertraͤglichen Gefuͤhl des Uebelseyns ergriffen wurde. Er hatte uͤbrigens des Obristen Zutrauen gewonnen, und dieser sagte ihm, daß in jenen Momenten sich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann wuͤrde es ihm als wenn ihre gluͤhenden Blicke in sein Inneres fuͤhren, und er fuͤhle die unertraͤglichsten Schmer¬ D 2 zen, bis er in voͤllige Bewußtlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein dumpfer Kopf¬ schmerz, und eine Abspannung, als habe er ge¬ schwelgt im Liebesgenuß, zuruͤck. Nie ließ er sich uͤber die naͤheren Verhaͤltnisse aus, in denen er viel¬ leicht mit jenem Frauenzimmer stand. Die Trup¬ pen sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des Obristen vor der Thuͤre, er fruͤhstuͤckte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde fuͤhren wollte, stuͤrzte er mit einem dum¬ pfen Schrei vom Stuhle herab. Er war todt. Die Aerzte fanden ihn vom Nervenschlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obristen adressirter Brief bey mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken ihn zu oͤffnen, um vielleicht ein Naͤheres von den Verwandten des Obristen zu erfahren, und ihnen Nachricht von seinem ploͤtzlichen Tode geben zu koͤnnen. Der Brief kam von Pisa und enthielt ohne Unterschrift die wenigen Worte: Ungluͤckse¬ liger! Heute, am 7. — um zwoͤlf Uhr Mittag sank Antonia, dein truͤgerisches Abbild mit lieben¬ den Armen umschlingend, todt nieder! — Ich sah den Kalender nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte und fand, daß Antonia's Todes¬ stunde auch die seinige gewesen.“ — Ich hoͤrte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzu¬ setzte; denn in dem Entsetzen, das mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit wuͤthendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbe¬ kannten Bilde auf, daß ich davon uͤberwaͤltigt auf¬ springen und hineilen mußte nach dem verhaͤngni߬ vollen Hause. Es war mir in der Ferne, als saͤh' ich Lichter blitzen, durch die festverschlossenen Jalousien, aber der Schein verschwand, als ich naͤher kam. Rasend vor duͤrstendem Liebesverlangen stuͤrzte ich auf die Thuͤr; sie wich meinem Druck, ich stand auf dem matterleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, schwuͤlen Luft umfangen. Das Herz pochte mir vor seltsamer Angst und Ungeduld, da ging ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle stroͤmender Ton durch das Haus, und ich weiß selbst nicht, wie es geschah, daß ich mich ploͤtzlich in einem mit vielen Kerzen hell erleuchteten Saale befand, der in alterthuͤmlicher Pracht mit vergolde¬ ten Meublen und seltsamen japanischen Gefaͤßen verziert war. Starkduftendes Raͤucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. „Willkom¬ men — willkommen, suͤßer Braͤutigam — die Stunde ist da, die Hochzeit nah!“ — So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und eben so wenig, als ich weiß, wie ich ploͤtzlich in den Saal kam, eben so wenig vermag ich zu sagen, wie es sich begab, daß ploͤtzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuch¬ tete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: „Will¬ kommen suͤßer Braͤutigam,“ trat sie mit ausgebrei¬ teten Armen mir entgegen — und ein gelbes, von Alter und Wahnsinn graͤßlich verzerrtes Antlitz starrte mir in die Augen. Von tiefem Entsetzen durchbebt wankte ich zuruͤck; wie durch den gluͤhen¬ den, durchbohrenden Blick der Klapperschlange fest gezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem graͤulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat naͤher auf mich zu, da war es mir, als sei das scheußliche Ge¬ sicht nur eine Maske von duͤnnem Flor, durch den die Zuͤge jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fuͤhlt' ich mich von den Haͤnden des Weibes beruͤhrt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Bo¬ den sank und hinter mir eine Stimme rief: „Hu hu! — treibt schon wieder der Teufel sein Bocks¬ spiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnaͤdigste, sonst setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!“ — Ich wandte mich rasch um und erblickte den alten Hausverwalter im bloßen Hemde, eine tuͤch¬ tige Peitsche uͤber dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die Alte, die sich heulend am Boden kruͤmmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von sich schleudernd rief er: „Donner¬ wetter, Herr, der alte Satan haͤtte sie ermordet, kam ich nicht dazwischen — fort, fort, fort.“ — Ich stuͤrzte zum Saal heraus, vergebens sucht' ich in dicker Finsterniß die Thuͤr des Hauses. Nun hoͤrt' ich die zischenden Hiebe der Peitsche und das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Huͤlfe rufen, als der Boden unter meinen Fuͤßen schwand, ich fiel eine Teppe herab und traf auf eine Thuͤr so hart, daß sie aufsprang und ich der Laͤnge nach in ein kleines Zimmer stuͤrzte. An dem Bette, das jemand so eben verlassen zu haben schien, an dem kaffeebraunen, uͤber einen Stuhl gehaͤngten Rocke mußte ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augen¬ blicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter stuͤrzte herein und hin zu meinen Fuͤßen. „Um aller Seligkeit willen,“ flehte er mit aufgehobenen Haͤnden, „um aller Seligkeit willen, wer Sie auch seyn moͤgen, wie der alte gnaͤdige Hexensatan Sie auch hieher gelockt haben mag, verschweigen Sie, was hier geschehen, sonst kom¬ me ich um Amt und Brot! — Die wahnsinnige Excellenz ist abgestraft und liegt gebunden im Bette. O schlafen Sie doch, geehrtester Herr! recht sanft und suͤß. — Ja ja, das thun Sie doch fein — eine schoͤne warme Julius Nacht, zwar kein Mond¬ schein, aber begluͤckter Sternenschimmer. — Nun ruhige, gluͤckliche Nacht.“ — Unter diesen Reden war der Alte aufgesprungen, hatte ein Licht genom¬ men, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Thuͤre hinausgeschoben und diese fest ver¬ schlossen. Ganz verstoͤrt eilt' ich nach Hause, und Ihr koͤnnt wohl denken, daß ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimniß ergriffen, auch nicht den mindesten nur wahrscheinlichen Zusammenhang der Sache mir in den ersten Tagen denken konnte. Nur so viel war gewiß, daß, hielt mich so lange ein boͤser Zauber gefangen, dieser jetzt in der That von mir abgelassen hatte. Alle schmerzliche Sehn¬ sucht nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im oͤden Gebaͤude wie das unvermuthete Hinein¬ gerathen in ein Tollhaus. Daß der Hausverwalter zum tyrannischen Waͤchter einer wahnsinnigen Frau von vornehmer Geburt, deren Zustand vielleicht der Welt verborgen bleiben sollte, bestimmt worden, daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel — das tolle Zauberwesen uͤberhaupt — doch wei¬ ter — weiter! Spaͤter begab es sich, daß ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: „Wissen Sie wohl, daß sich die Geheimnisse unseres oͤden Hauses zu enthuͤllen anfangen?“ Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzaͤhlen wollte, oͤffneten sich die Fluͤgelthuͤren des Eßsaals, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechanisch der in steifem Zeremoniell sich langsam daherschrei¬ tenden Reihe gefolgt. Ich fuͤhre meine Dame zu dem offnen Platz, der sich uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und — erblicke mein Spiegelbild in den getreusten Zuͤgen, so daß gar keine Taͤu¬ schung moͤglich ist. Daß ich im Innersten erbebte, koͤnnt Ihr Euch wohl denken, aber eben so muß ich Euch versichern, daß sich auch nicht der leiseste An¬ klang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswuth in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervor rief. — Meine Befremdung, noch mehr, mein Erschrecken muß lesbar gewesen seyn in meinem Blick, denn das Maͤdchen sah mich ganz verwundert an, so daß ich fuͤr noͤthig hielt, mich so, wie ich nur konnte, zusammen zu nehmen, und so gelassen als moͤglich anzufuͤhren, daß eine leb¬ hafte Erinnerung mich gar nicht zweifeln lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze Ab¬ fertigung, daß dies wohl nicht gut der Fall seyn koͤnne, da sie gestern erst und zwar das erste Mal in ihrem Leben nach ***n gekommen, machte mich im eigentlichsten Sinn des Worts etwas verbluͤfft. Ich verstummte. Nur der Engelsblick, den die holdseligen Augen des Maͤdchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wißt, wie man bei derlei Gelegenheit die geistigen Fuͤhlhoͤrner aus¬ strecken und leise, leise tasten muß, bis man die Stelle findet, wo der angegebene Ton wieder klingt. So macht' ich es und fand bald, daß ich ein zartes, holdes, aber in irgend einem psychischen Ueberreiz verkraͤnkeltes Wesen neben mir hatte. Bey irgend einer heitern Wendung des Gespraͤchs, vorzuͤglich wenn ich zur Wuͤrze wie scharfen Cayenne Pfeffer irgend ein keckes bizarres Wort hineinstreute, laͤchelte sie zwar, aber seltsam schmerzlich, wie zu hart beruͤhrt. „Sie sind nicht heiter, meine Gnaͤdige, vielleicht der Besuch heute Morgen.“ — So redete ein nicht weit entfernt sitzender Officier meine Dame an, aber in dem Augenblick faßte ihn sein Nachbar schnell beim Arm und sagte ihm etwas ins Ohr, waͤhrend eine Frau an der andern Seite des Tisches Gluth auf den Wangen und im Blick laut der herr¬ lichen Oper erwaͤhnte, deren Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen vergleichen werde. — Meiner Nachbarin stuͤrzten die Thraͤnen aus den Augen: „Bin ich nicht ein albernes Kind,“ wandte sie sich zu mir. Schon erst hatte sie uͤber Migraine geklagt. „Die gewoͤhnliche Folge des nervoͤsen Kopfschmerzes,“ erwiderte ich daher mit unbefan¬ genem Ton, „wofuͤr nichts besser hilft, als der muntre kecke Geist, der in dem Schaum dieses Dichtergetraͤnks sprudelt.“ Mit diesen Worten schenkte ich Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem sie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Thraͤnen, die sie nicht zu bergen vermochte. Es schien heller gewor¬ den in ihrem Innern und alles waͤre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehends hart an das vor mir stehende englische Glas gestoßen, so daß es in gellender schneidender Hoͤhe ertoͤnte. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein ploͤtzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im oͤden Hause schien. — Waͤhrend daß man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen P. zu naͤhern; er merkte gut, warum. „Wissen Sie wohl, daß Ihre Nachbarin die Graͤfin Edwine von S. war? — Wissen Sie wohl, daß in dem oͤden Hause die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren unheil¬ bar wahnsinnig, eingesperrt gehalten wird? — Heute Morgen waren beide, Mutter und Tochter, bey der Ungluͤcklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltsamen Ausbruͤchen des Wahnsinns der Graͤfin zu steuern wußte, und dem daher die Aufsicht uͤber sie uͤbertragen wurde, liegt todtkrank, und man sagt, daß die Schwester end¬ lich dem Doktor K. das Geheimniß anvertraut, und daß dieser noch die letzten Mittel versuchen wird, die Kranke, wo nicht herzustellen, doch von der entsetzlichen Tobsucht, in die sie zuweilen ausbre¬ chen soll, zu retten. Mehr weiß ich vor der Hand nicht.“ — Andere traten hinzu, das Gespraͤch brach ab. — Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich, meines raͤthselhaften Zustandes halber, gewandt, und Ihr moͤget Euch wohl vor¬ stellen, daß ich, so bald es seyn konnte, zu ihm eilte, und alles, was mir seit der Zeit widerfahren, getreulich erzaͤhlte. Ich forderte ihn auf zu meiner Beruhigung, so viel als er von der wahnsinnigen Alten wisse, zu sagen, und er nahm keinen Anstand, mir, nachdem ich ihm strenge Verschwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen. Angelika, Graͤfin von Z. (so fing der Doktor an) unerachtet in die Dreyßig vorgeruͤckt, stand noch in der vollsten Bluͤthe wunderbarer Schoͤnheit, als der Graf von S., der viel juͤnger an Jahren, sie hier in ***n bey Hofe sah, und sich in ihren Reizen so verfing, daß er zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur Som¬ merszeit die Graͤfin auf die Guͤter ihres Vaters zuruͤck kehrte, ihr nachreiste, um seine Wuͤnsche, die nach Angelika's Benehmen durchaus nicht hoff¬ nungslos zu seyn schienen, dem alten Grafen zu eroͤffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekom¬ men, kaum sah er Angelika's juͤngere Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung er¬ wachte. In verbluͤhter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren Schoͤnheit und Anmuth den Grafen S. unwiderstehlich hinriß, und so kam es, daß er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabriele'ns Hand warb, die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele gleich die entschie¬ denste Neigung fuͤr den Grafen S. zeigte. Angelika aͤußerte nicht den mindesten Verdruß uͤber die Un¬ treue ihres Liebhabers. „Er glaubt mich verlassen zu haben. Der thoͤrichte Knabe! er merkt nicht, daß nicht ich , daß er mein Spielzeug war, das ich wegwarf!“ — So sprach sie in stolzem Hohn, und in der That, ihr ganzes Wesen zeigte, daß es wohl Ernst seyn mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Uebrigens sah man, sobald das Buͤndniß Gabriele'ns mit dem Grafen von S. aus¬ gesprochen war, Angelika sehr selten. Sie erschien nicht bey der Tafel und man sagte, sie schweife ein¬ sam im naͤchsten Walde umher, den sie laͤngst zum Ziel ihrer Spaziergaͤnge gewaͤhlt hatte. — Ein sonderbarer Vorfall stoͤrte die einfoͤrmige Ruhe, die im Schlosse herrschte. Es begab sich, daß die Jaͤger des Grafen von Z., unterstuͤtzt von den in großer Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeuner¬ bande eingefangen hatten, der man die Mordbren¬ nereien und Raͤubereien, welche seit kurzer Zeit so haͤufig haͤufig in der Gegend vorfielen, Schuld gab. An eine lange Kette geschlossen brachte man die Maͤn¬ ner, gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder aus den Schloßhof. Manche trotzige Gestalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien den ent¬ schlossenen Raͤuber und Moͤrder zu bezeichnen, vor¬ zuͤglich fiel aber ein langes, hageres, entsetzliches Weib, in einen blutrothen Shawl vom Kopf bis zu Fuß gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand, und mit gebietender Stimme rief: man solle sie herabsteigen lassen, welches auch geschah. Der Graf von Z. kam auf den Schloßhof und be¬ fahl eben, wie man die Bande abgesondert in den festen Schloßgefaͤngnissen vertheilen solle, als mit fliegenden Haaren, Entsetzen und Angst in bleichem Gesicht, Graͤfin Angelika aus der Thuͤr hinaus¬ stuͤrzte, und auf die Kniee geworfen mit schneidender Stimme rief: „Diese Leute los — diese Leute los — sie sind unschuldig, unschuldig — Vater: laß diese Leute los! — ein Tropfen Blut's vergossen E an einem von diesen und ich stoße mir dieses Messer in die Brust!“ — Damit schwang die Graͤfin ein spiegelblankes Messer in den Luͤften und sank ohn¬ maͤchtig nieder. „Ei mein schoͤnes Puͤppchen, mein trautes Goldkind, das wußt ich ja wohl, daß du es nicht leiden wuͤrdest!“ — So meckerte die rothe Alte. Dann kauerte sie nieder neben der Graͤfin und bedeckte Gesicht und Busen mit ekelhaften Kuͤs¬ sen, indem sie fortwaͤhrend murmelte: „Blanke Tochter, blanke Tochter — wach'auf, wach' auf, der Braͤutigam kommt — hei hei blanker Braͤuti¬ gam kommt.“ Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln schien. Diese Phiole hielt die Alte der Graͤfin an das Herz, augenblick¬ lich erwachte sie, aber kaum erblickte sie das Zigeu¬ nerweib, als sie aufsprang, das Weib heftig und bruͤnstig umarmte und dann mit ihr davon eilte in das Schloß hinein. Der Graf von Z. — Gabriele, ihr Braͤutigam, die unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von seltsamen Grauen ergriffen, das Alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichguͤl¬ tig und ruhig, sie wurden nun abgeloͤst von der Kette, und einzeln gefesselt in die Schloßgefaͤngnisse geworfen. Am andern Morgen ließ der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner wurden vorgefuͤhrt, der Graf erklaͤrte laut, daß sie ganz unschuldig waͤren an allen Raͤubereien, die in der Gegend veruͤbt, und daß er ihnen freien Durchzug durch sein Gebiet verstatte, worauf sie entfesselt und zum Erstaunen aller mit Paͤssen wohl versehen entlassen wurden. Das rothe Weib wurde ver¬ mißt. Man wollte wissen, daß der Zigeunerhaupt¬ mann, kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem rothen Federbusch an dem spanisch niedergekrempten Hut, Nachts auf dem Zimmer des Barons gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargethan, daß die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der That auch nicht den mindesten Antheil hatten. — Gabriele's Hochzeit ruͤckte heran, mit Erstau¬ nen bemerkte sie eines Tages, daß mehrere Ruͤst¬ E 2 wagen mit Meublen, Kleidungsstuͤcken, Waͤsche, kurz, mit einer ganz vollstaͤndigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr sie, daß Angelika begleitet von dem Kam¬ merdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten rothen Zigeunerin aͤhnlich ge¬ sehen, Nachts abgereiset sey. Graf Z. loͤste das Raͤthsel, indem er erklaͤrte, daß er sich aus gewis¬ sen Ursachen genoͤthiget gesehen, den freilich seltsa¬ men Wuͤnschen Angelik'as nachzugeben, und ihr nicht allein das in ***n belegne Haus in der Allee als Eigenthum zu schenken, sondern auch zu erlau¬ ben, daß sie dort einen eignen, ganz unabhaͤngigen Haushalt fuͤhre, wobei sie sich bedungen, daß kei¬ ner aus der Familie, ihn selbst nicht ausgenommen, ohne ihre ausdruͤckliche Erlaubniß das Haus betre¬ ten solle. Der Graf von S. fuͤgte hinzu, daß auf Angelikas dringenden Wunsch er seinen Kam¬ merdiener ihr uͤberlassen muͤssen, der mit gereiset sey nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit seiner Gemahlin nach D. und ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weise zu kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuͤhungen seiner Ge¬ mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das sein Innerstes verderblich zu verstoͤren schien. — Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand lebensge¬ faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Pisa. — Gabriele konnte nicht mit¬ reisen, da sie ihrer Niederkunft entgegen sah, die indessen erst nach mehrern Wochen erfolgte. — „Hier,“ sprach der Arzt, „werden die Mittheilun¬ gen der Graͤfin Gabriele von S. so rhapsodisch, daß nur ein tieferer Blick den naͤheren Zusammenhang auffassen kann.“ — Genug — ihr Kind, ein Maͤdgen, verschwindet auf unbegreifliche Weise aus der Wiege, alle Nachforschungen bleiben verge¬ bens — ihre Trostlosigkeit geht bis zur Verzweif¬ lung, als zur selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsetzliche Nachricht schreibt, daß er den Schwie¬ gersohn, den er auf dem Wege nach Pisa glaubte, in ***n und zwar in Angelika's Hause, vom Ner¬ venschlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬ gelika in furchtbaren Wahnsinn gerathen sey und daß er solchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. — So wie Gabriele von S. nur einige Kraͤfte gewonnen, eilt sie auf die Guͤter des Va¬ ters; in schlafloser Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt sie ein leises Wimmern vor der Thuͤre des Schlaf¬ zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zuͤndet sie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. — Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, starrt das Zigeunerweib mit stierem, leblosem Blick ihr in die Augen — in den Armen haͤlt sie ein kleines Kind, das so aͤngstlich wimmert, das Herz schlaͤgt der Graͤfin hoch auf in der Brust! — es ist ihr Kind! — es ist die verlorne Tochter! — Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in diesem Augenblick kugelt diese um, wie eine leblose Puppe. Auf das Angstgeschrei der Graͤfin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib todt auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf laͤßt sie einscharren. — Was bleibt uͤbrig, als nach ***n zur wahnsinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das Geheimniß mit dem Kinde zu erforschen. Alles hat sich veraͤndert. Angelika's wilde Raserei hat alle weibliche Dienstboten ent¬ fernt, nur der Kammerdiener ist geblieben. Ange¬ lika ist ruhig und vernuͤnftig geworden. Als der Graf die Geschichte von Gabriele'ns Kinde erzaͤhlt, schlaͤgt sie die Haͤnde zusammen, und ruft mit lau¬ tem Lachen: Ist's Puͤppgen angekommen? — rich¬ tig angekommen? — eingescharrt, eingescharrt? O Jemine, wie praͤchtig sich der Goldfasan schuͤt¬ telt! wißt ihr nichts vom gruͤnen Loͤwen mit den blauen Gluthaugen? — Mit Entsetzen bemerkt der Graf die Ruͤckkehr des Wahnsinns, indem ploͤtzlich Angelika's Gesicht die Zuͤge des Zigeunerweibes an¬ zunehmen scheint, und beschließt, die Arme mitzu¬ nehmen auf die Guͤter, welches der alte Kammer¬ diener widerraͤth. In der That bricht auch der Wahnsinn Angelika's in Wuth und Raserei aus, sobald man Anstalten macht, sie aus dem Hause zu entfernen. — In einem lichten Zwischenraum be¬ schwoͤrt Angelika mit heißen Thraͤnen den Vater, sie in dem Hause sterben zu lassen, und tiefgeruͤhrt bewil¬ ligt er dies, wiewohl er das Gestaͤndniß, das dabei ihren Lippen entflieht, nur fuͤr das Erzeugniß des aufs neue ausbrechenden Wahnsinns haͤlt. Sie bekennt, daß Graf S. in ihre Arme zuruͤckgekehrt, und daß das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieses Buͤndnisses sey. — In der Residenz glaubt man, daß der Graf von Z. die Ungluͤckliche mitgenommen hat auf die Guͤter, indessen sie hier tiefverborgen und der Aufsicht des Kammerdieners uͤbergeben in dem veroͤdeten Hause bleibt — Graf von Z. ist ge¬ storben vor einiger Zeit, und Graͤfin Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegen¬ heiten zu berichtigen. Sie durfte es sich nicht ver¬ sagen, die ungluͤckliche Schwester zu sehen. Bei diesem Besuch muß sich Wunderliches ereignet ha¬ ben, doch hat mir die Graͤfin nichts daruͤber ver¬ traut, sondern nur im Allgemeinen gesagt, daß es nun noͤthig geworden, dem alten Kammerdiener die Ungluͤckliche zu entreißen. Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grausame Mi߬ handlungen den Ausbruͤchen des Wahnsinns zu steu¬ ern gesucht, dann aber, durch Angelika's Vorspieg¬ lung, daß sie Gold zu machen verstehe, sich verlei¬ ten lassen, mit ihr allerlei sonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles Noͤthige dazu herbeizu¬ schaffen. — „Es wuͤrde wohl (so schloß der Arzt seine Erzaͤhlung) ganz uͤberfluͤssig seyn, Sie , gerade Sie auf den tiefern Zusammenhang aller dieser seltsamen Dinge aufmerksam zu machen. Es ist mir gewiß, daß Sie die Katastrophe herbeige¬ fuͤhrt haben, die der Alten Genesung oder baldigen Tod bringen wird. Uebrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, daß ich mich nicht wenig entsetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetischen Rapport gesetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel sah. Daß dies Bild Edmonde war, wissen wir nun beide.“ — Eben so, wie der Arzt glaubte, fuͤr mich nichts hinzufuͤgen zu duͤrfen, eben so halte ich es fuͤr ganz unnuͤtz, mich nun noch daruͤber etwa zu verbreiten, in welchem geheimen Verhaͤltniß Angelika, Ed¬ monde, ich und der alte Kammerdiener standen, und wie mystische Wechselwirkungen ein daͤmonisches Spiel trieben. Nur so viel sage ich noch, daß mich nach diesen Begebenheiten ein druͤckendes, un¬ heimliches Gefuͤhl aus der Residenz trieb, welches erst nach einiger Zeit mich ploͤtzlich verließ. Ich glaube, daß die Alte in dem Augenblick, als ein ganz besonderes Wohlseyn mein Innerstes durch¬ stroͤmte, gestorben ist. So endete Theodor seine Erzaͤhlung. Noch Manches sprachen die Freunde uͤber Theodors Abenteuer und gaben ihm Recht, daß sich darin das Wunderliche mit dem Wunderbaren auf seltsame grauliche Weise mische. — Als sie schie¬ den, nahm Franz Theodors Hand und sprach, sie leise schuͤttelnd, mit beinahe wehmuͤthigem Laͤcheln: Gute Nacht, du Spalanzanische Fledermaus! Das Majorat . D em Gestade der Ostsee unfern liegt das Stamm¬ schloß der Freiherrlich von R..schen Familie, R..sitten genannt. Die Gegend ist rauh und oͤde, kaum entsprießt hin und wieder ein Grashalm dem bodenlosen Triebsande, und statt des Gartens, wie er sonst das Herrenhaus zu zieren pflegt, schließt sich an die nackten Mauern nach der Landseite hin ein duͤrftiger Foͤhrenwald, dessen ewige, duͤstre Trauer den bunten Schmuck des Fruͤhlings ver¬ schmaͤht, und in dem, statt des froͤhlichen Jauch¬ zens der zu neuer Lust erwachten Voͤgelein nur das schaurige Gekraͤchze der Raben, das schwirrende Kreischen der Sturmverkuͤndenden Moͤven wieder¬ hallt. Eine Viertelstunde davon aͤndert sich ploͤtzlich die Natur. Wie durch einen Zauberschlag ist man in bluͤhende Felder, uͤppige Aecker und Wiesen ver¬ setzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem geraͤumigen Wohnhause des Wirthschaftsin¬ spektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬ busches sind die Fundamente eines großen Schlosses sichtbar, das einer der vormaligen Besitzer aufzu¬ bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Guͤtern in Curland hausend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬ derum seinen Wohnsitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem finstern, men¬ schenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten, einsam liegenden Schlosse zusagte. Er ließ das ver¬ fallene Gebaͤude, so gut es gehen wollte, herstellen, und sperrte sich darin ein, mit einem graͤmlichen Hausverwalter und geringer Dienerschaft. Nur selten sah' man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresstrande hin und her, und man wollte aus der Ferne bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinsprach und dem Brausen und Zischen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende Stimme des Meergeistes. Auf der hoͤchsten Spitze des Wartthurms hatte er ein Cabinett einrichten und mit Fernroͤhren — mit einem vollstaͤndigen astronomischen Apparat versehen lassen; da beobachtete er Tages, nach dem Meer hinausschauend, die Schiffe, die oft gleich weißbe¬ schwingten Meervoͤgeln am fernen Horizont vor¬ uͤberflogen. Sternenhelle Naͤchte brachte er hin mit astronomischer, oder, wie man wissen wollte, mit astrologischer Arbeit, worin ihm der alte Haus¬ verwalter beistand. Ueberhaupt ging zu seinen Lebzeiten die Sage, daß er geheimer Wissenschaft, der sogenannten schwarzen Kunst, ergeben sey, und daß eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fuͤr¬ stenhaus auf das empfindlichste gekraͤnkt wurde, ihn aus Curland vertrieben habe. Die leiseste Erinne¬ rung an seinen dortigen Aufenthalt erfuͤllte ihn mit Entsetzen, aber alles sein Leben verstoͤrende, was ihm dort geschehen, schrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boͤslich ver¬ ließen. Um fuͤr die Zukunft wenigstens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu fesseln, be¬ stimmte er es zu einem Majoratsbesitzthum. Der Landesherr bestaͤtigte die Stiftung um so lieber, als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬ milie, deren Zweige schon in das Ausland heruͤber¬ rankten, fuͤr das Vaterland gewonnen werden sollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie sein Großvater Roderich geheißen, mochte indessen in dem Stammschlosse hausen, beide blieben in Curland. Man mußte glauben, daß sie, heit'rer und lebenslustiger gesinnt, als der duͤstre Ahnherr, die schaurige Oede des Aufenthalts scheuten. Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheiratheten Schwestern seines Vaters, die mager ausgestattet in Duͤrftigkeit lebten, Woh¬ nung und Unterhalt auf dem Gute gestattet. Diese saßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluͤgels, und außer ihnen und dem Koch, der im Erdgeschoß ein großes Gemach neben der Kuͤche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Saͤlen des Hauptgebaͤudes nur noch ein abgelebter Jaͤger umher, der zugleich die Dienste des Castellans versah. Die uͤbrige Diener¬ schaft wohnte im Dorfe bei dem Wirthschaftsin¬ spektor. Nur in spaͤter Herbstzeit, wenn der erste Schnee zu fallen begann, und die Wolfs- die Schweinsjagden aufgingen, wurde das oͤde, ver¬ lassene Schloß lebendig. Dann kam Freiherr Ro¬ derich mit seiner Gemahlin, begleitet von Verwand¬ ten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge heruͤber aus Curland. Der benachbarte Adel, ja selbst jagdlustige Freunde aus der nahe liegenden Stadt fanden sich ein, kaum vermochten Hauptgebaͤude und Nebenfluͤgel die zustroͤmenden Gaͤste zu fassen, in allen Oefen und Kaminen knisterten reichlich zu¬ geschuͤrte Feuer, vom grauen Morgen bis in die Nacht hinein schnurrten die Bratenwender, Trepp' auf, Trepp' ab liefen hundert lustige Leute, Herren und Diener, dort erklangen angestoßene Pokale und froͤhliche Jaͤgerlieder, hier die Tritte der nach gellender Musik Tanzenden, uͤberall lautes Jauchzen und Gelaͤchter, und so glich vier bis sechs Wochen hindurch das Schloß mehr einer praͤchtigen, an vielbefahrner Landstraße liegenden Herberge, als der Wohnung des Gutsherrn. Freiherr Ro¬ derich widmete diese Zeit, so gut es sich nur thun ließ, ernstem Geschaͤfte, indem er, zuruͤckgezogen aus dem Strudel der Gaͤste, die Pflichten des Majoratsherrn erfuͤllte. Nicht allein, daß er sich vollstaͤndige Rechnung der Einkuͤnfte legen ließ, so hoͤrte er auch jeden Vorschlag irgend einer Verbesse¬ rung, so wie die kleinste Beschwerde seiner Unter¬ thanen an, und suchte alles zu ordnen, jedem Un¬ rechten oder Unbilligen zu steuern, wie er es nur vermochte. In diesen Geschaͤften stand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter Geschaͤftstraͤger des R..schen Hauses und Justi¬ tiarius der in P. liegenden Guͤter, redlich bei, und V. pflegte daher schon acht Tage vor der be¬ stimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majo¬ rats¬ ratsgute abzureisen. Im Jahr 179 — war die Zeit gekommen, daß der alte V. nach R..sitten reisen sollte. So lebenskraͤftig der Greis von sieb¬ zig Jahren sich auch fuͤhlte, mußte er doch glauben, daß eine huͤlfreiche Hand im Geschaͤft ihm wohlthun werde. Wie im Scherz sagte er daher eines Tages zu mir: „Vetter!“ (so nannte er mich, seinen Großneffen, da ich seine Vornamen erhielt) „Vet¬ ter! — ich daͤchte, du ließest dir einmal etwas Seewind um die Ohren sausen und kaͤm'st mit mir nach R..sitten. Außerdem, daß du mir wacker beistehen kannst in meinem manchmal boͤsen Ge¬ schaͤft, so magst du dich auch einmal im wilden Jaͤgerleben versuchen und zusehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geschrieben, du den andern solch trotzigem Thier, als da ist ein langbehaarter, graͤulicher Wolf, oder ein zahn¬ fletschender Eber, ins funkelnde Auge zu schauen, oder gar es mit einem tuͤchtigen Buͤchsenschuß zu er¬ legen verstehest.“ Nicht so viel Seltsames von der lustigen Jagdzeit in R.sitten haͤtte ich schon hoͤren, F nicht so mit ganzer Seele dem herrlichen alten Großonkel anhaͤngen muͤssen, um nicht hocherfreut zu seyn, daß er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geuͤbt in derlei Geschaͤften, wie er sie vorhatte, versprach ich mit tapferm Fleiß ihm alle Muͤhe und Sorge abzunehmen. Andern Tages saßen wir in tuͤchtige Pelze eingehuͤllt im Wagen und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkuͤndendes Schneegestoͤber nach R..sitten. — Unterwegs erzaͤhlte mir der Alte manches Wunder¬ liche von dem Freiherrn Roderich, der das Majorat stiftete und ihn seines Juͤnglingsalters ungeachtet zu seinem Justitiarius und Testamentsvollzieher er¬ nannte. Er sprach von dem rauhen, wilden We¬ sen, das der alte Herr gehabt, und das sich auf die ganze Familie zu vererben schiene, da selbst der jetzi¬ ge Majoratsherr, den er als sanftmuͤthigen, bei¬ nahe weichlichen Juͤngling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen werde. Er schrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen muͤßte, um in des Freiherrn Augen was werth zu seyn und kam endlich auf die Wohnung im Schlosse, die er ein fuͤr allemal gewaͤhlt, da sie warm, be¬ quem und so abgelegen sey, daß wir uns, wenn und wie wir wollten, dem tollen Getoͤse der jubili¬ renden Gesellschaft entziehen koͤnnten. In zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zim¬ mern, dicht neben dem großen Gerichtssaal im Seitenfluͤgel, dem gegenuͤber, wo die alten Fraͤu¬ leins wohnten, da waͤre ihm jedesmal seine Resi¬ denz bereitet. Endlich nach schneller, aber beschwer¬ licher Fahrt kamen wir in tiefer Nacht nach R..sit¬ ten. Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmusik und froͤhlicher Jubel, des Wirthschaftsinspektors Haus von unten bis oben erleuchtet, drinnen auch Musik und Ge¬ sang; desto schauerlicher wurde die Oede, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in schneidenden Jammertoͤnen heruͤber und, als habe er sie aus tiefem Zauberschlaf geweckt, stoͤhnten die duͤstern Foͤhren ihm nach in dumpfer Klage. Die nackten schwarzen Mauern des Schlosses stie¬ F 2 gen empor aus dem Schneegrunde, wir hielten an dem verschlossenen Thor. Aber da half kein Rufen, kein Peitschengeknalle, kein Hammern und Pochen, es war, als sey alles ausgestorben, in keinem Fen¬ ster ein Licht sichtbar. Der Alte ließ seine starke droͤhnende Stimme erschallen: „Franz — Franz! — Wo steckt ihr denn? — Zum Teufel, ruͤhrt Euch! — Wir erfrieren hier am Thor! Der Schnee schmeißt einem ja das Gesicht blutruͤnstig — ruͤhrt Euch, zum Teufel.“ Da fing ein Hof¬ hund zu winseln an, ein wandelndes Licht wurde im Erdgeschosse sichtbar, Schluͤssel klapperten und bald knarrten die gewichtigen Thorfluͤgel auf. „Ei schoͤn willkommen, schoͤn willkommen Herr Justi¬ tiarius, ei in dem unsaubern Wetter!“ So rief der alte Franz, indem er die Laterne hoch in die Hoͤhe hob, so daß das volle Licht auf sein ver¬ schrumpftes, zum freundlichen Lachen sonderbar verzogenes Gesicht fiel. Der Wagen fuhr in den Hof, wir stiegen aus und nun gewahrte ich erst ganz des alten Bedienten seltsame, in eine altmo¬ dische, weite, mit vielen Schnuͤren wunderlich aus¬ staffirte Jaͤgerlivrei gehuͤllte Gestalt. Ueber die breite weiße Stirn legten sich nur ein Paar graue Loͤckchen, der untere Theil des Gesichts hatte die robuste Jaͤgerfarbe, und unerachtet die verzogenen Muskeln das Gesicht zu einer beinahe abenteuerlichen Maske formten, soͤhnte doch die etwas duͤmmliche Gutmuͤthigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund spielte, alles wieder aus. „Nun, alter Franz,“ fing der Großonkel an, indem er sich im Vorsaal den Schnee vom Pelze abklopfte, „nun, alter Franz, ist alles bereitet, sind die Tapeten in meinen Stuben abgestaubt, sind die Betten hinein¬ getragen, ist gestern und heute tuͤchtig geheitzt wor¬ den?“ „Nein,“ erwiederte Franz sehr gelassen, „nein, mein werthester Herr Justitiarius, das ist alles nicht geschehen.“ „Herr Gott!“ fuhr der Großonkel auf, „ich habe ja zeitig genug geschrie¬ ben, ich komme ja stets nach dem richtigen Datum; das ist ja eine Toͤlpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hausen.“ „Ja, werthester Herr Justi¬ tiarius,“ sprach Franz weiter, indem er sehr sorg¬ lich mit der Lichtscheere vom dem Docht einen glim¬ menden Raͤuber abschnippte und ihn mit dem Fuße austrat, „ja sehn Sie, das alles, vorzuͤglich das Heizen haͤtte nicht viel geholfen, denn der Wind und der Schnee, die hausen gar zu sehr hinein, durch die zerbrochenen Fensterscheiben, und da“ — „Was,“ fiel der Großonkel ihm in die Rede, den Pelz weit auseinander schlagend und beide Arme in die Seiten stemmend, „was, die Fenster sind zerbrochen und Ihr, des Hauses Castellan, habt nichts machen lassen?“ „Ja, werthester Herr Ju¬ stitiarius,“ fuhr der Alte ruhig und gelassen fort, „man kann nur nicht recht hinzu, wegen des vielen Schutt's und der vielen Mauersteine, die in den Zimmern herum liegen.“ „Wo zum Tausend Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer,“ schrie der Großonkel. „Zum bestaͤndigen froͤhlichen Wohlseyn, mein junger Herr!“ rief der Alte, sich hoͤflich buͤckend, da ich eben nieste, setzte aber gleich hinzu: „es sind die Steine und der Kalk von der Mittelwand, die von der großen Erschuͤtterung einfiel.“ „Habt ihr ein Erdbeben gehabt,“ platzte der Großonkel zornig heraus.“ „Das nicht, werthester Herr Justitia¬ rius,“ erwiederte der Alte mit dem ganzen Gesicht laͤchelnd, „aber vor drei Tagen ist die schwere, ge¬ taͤfelte Decke des Gerichtssaal's mit gewaltigem Krachen eingestuͤrzt.“ „So soll doch das“ — Der Großonkel wollte, heftig und aufbrausend, wie er war, einen schweren Fluch ausstoßen; aber indem er mit der Rechten in die Hoͤhe fuhr und mit der Linken die Fuchsmuͤtze von der Stirn ruͤckte, hielt er ploͤtzlich inne, wandte sich nach mir um und sprach laut auflachend: „Wahrhaftig Vetter! wir muͤssen das Maul halten, wir duͤrfen nicht weiter fragen; sonst erfahren wir noch aͤrgeres Unheil, oder das ganze Schloß stuͤrzt uns uͤber den Koͤpfen zusammen.“ „Aber,“ fuhr er fort, sich nach dem Alten umdrehend, „aber, Franz, konntet Ihr denn nicht so gescheut seyn, mir ein anderes Zimmer rei¬ nigen und heitzen zu lassen? Konntet Ihr nicht irgend einen Saal im Hauptgebaͤude schnell einrich¬ ten zum Gerichtstage?“ „Dieses ist auch bereits Alles geschehen,“ sprach der Alte, indem er freund¬ lich nach der Treppe wies und sofort hinauf zu steigen begann. „Nun seht mir doch den wunderlichen Kauz,“ rief der Onkel, indem wir dem Alten nachschritten. Es ging fort durch lange hochgewoͤlbte Corridore, Franzens flackerndes Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finsterniß. Saͤu¬ len, Capitaͤler und bunte Bogen zeigten sich oft wie in den Luͤften schwebend, riesengroß schritten unsere Schatten neben uns her und die seltsamen Gebilde an den Waͤnden, uͤber die sie wegschluͤpften, schie¬ nen zu zittern und zu schwanken, und ihre Stim¬ men wisperten in den droͤhnenden Nachhall unserer Tritte hinein: Weckt uns nicht, weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Stei¬ nen schlaͤft! — Endlich oͤffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finstrer Gemaͤcher durchgan¬ gen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes Ka¬ minfeuer uns mit seinem lustigen Knistern wie mit heimathlichem Gruß empfing. Mir wurde gleich, so wie ich eintrat, ganz wohl zu Muthe, doch der Großonkel blieb mitten im Saal stehen, schaute rings umher und sprach mit sehr ernstem, beinahe feierlichem Ton: „Also hier, dies soll der Ge¬ richtssaal seyn?“ — Franz, in die Hoͤhe leuchtend, so daß an der breiten dunkeln Wand ein heller Fleck, wie eine Thuͤre groß, ins Auge fiel, sprach dumpf und schmerzhaft: „Hier ist ja wohl schon Gericht gehalten worden!“ „Was kommt Euch ein, Alter.“ rief der Onkel, indem er den Pelz schnell ab¬ warf und an das Kaminfeuer trat. „Es fuhr mir nur so heraus,“ sprach Franz, zuͤndete die Lichter an und oͤffnete das Nebenzimmer, welches zu unsrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war. Nicht lange dauerte es, so stand ein gedeckter Tisch vor dem Kamin, der Alte trug wohlzubereitete Schuͤsseln auf, denen, wie es uns beiden, dem Großonkel und mir, recht behaglich war, eine tuͤchtige Schale nach aͤcht nordischer Art gebrauten Punsches folgte. Ermuͤdet von der Reise, suchte der Großonkel, so wie er gegessen, das Bette; das Neue, Seltsame des Aufenthalts, ja selbst der Punsch, hatte aber meine Lebensgeister zu sehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz raͤumte den Tisch ab, schuͤrte das Kaminfeuer zu und verließ mich mit freundlichen Buͤcklingen. Nun saß ich allein in dem hohen, weiten Rit¬ tersaal. Das Schneegestoͤber hatte zu schlackern, der Sturm zu sausen aufgehoͤrt, heitrer Himmel war's geworden und der helle Vollmond strahl¬ te durch die breiten Bogenfenster, alle finstre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der duͤstre Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte, magisch erleuchtend. So wie man es wohl noch in alten Schloͤssern antrifft, waren auf seltsame alterthuͤmliche Weise Waͤnde und Decke des Saals verziert, diese mit schwerem Getaͤfel, jene mit fantastischer Bilderei und buntgemahltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den großen Ge¬ maͤhlden, mehrentheils das wilde Gewuͤhl blutiger Baͤren, und Wolfsjagden darstellend, sprangen in Holz geschnitzte Thier- und Menschenkoͤpfe hervor, den gemahlten Leibern angesetzt, so daß, zumal bei der flackernden, schimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das Ganze in graulicher Wahrheit lebte. Zwischen diesen Gemaͤhlden waren lebensgroße Bilder, in Jaͤgertracht daher schreiten¬ de Ritter, wahrscheinlich der jagdlustigen Ahn¬ herren, eingefugt. Alles, Mahlerei und Schnitz¬ werk, trug die dunkle Farbe langverjaͤhrter Zeit; um so mehr fiel der helle kahle Fleck an derselben Wand, durch die zwei Thuͤren in Nebengemaͤcher fuͤhrten, auf; bald erkannte ich, daß dort auch eine Thuͤr gewesen seyn muͤßte, die spaͤter zugemauert worden, und daß eben dies neue, nicht einmal der uͤbrigen Wand gleichgemahlte, oder mit Schnitzwerk ver¬ zierte Gemaͤuer auf jene Art absteche. — Wer weiß es nicht, wie ein ungewoͤhnlicher, abenteuer¬ licher Aufenthalt mit geheimnißvoller Macht den Geist zu erfassen vermag, selbst die traͤgste Fantasie wird wach in dem, von wunderlichen Felsen um¬ schlossenen Thal — in den duͤstern Mauern einer Kirche o. s., und will sonst nie Erfahrnes ahnen. Setze ich nun noch hinzu, daß ich zwanzig Jahr alt war und mehrere Glaͤser starken Punsch getrun¬ ken hatte so wird man es glauben, daß mir in meinem Rittersaal seltsamer zu Muthe wurde als jemals. Man denke sich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brausen des Meers, das seltsame Pfeifen des Nachtwindes wie die Toͤne eines maͤchtigen, von Geistern geruͤhrten Orgelwerks er¬ klangen — die voruͤberfliegenden Wolken, die oft, hell und glaͤnzend, wie vorbeistreifende Riesen durch die klirrenden Bogenfenster zu gucken schienen — in der That, ich mußt' es in dem leisen Schauer fuͤhlen, der mich durchbebte, daß ein fremdes Reich nun sichtbarlich und vernehmbar aufgehen koͤnne. Doch dies Gefuͤhl glich dem Froͤsteln, das man bei einer lebhaft dargestellten Gespenstergeschichte em¬ pfindet und das man so gern hat. Dabei fiel mir ein, daß in keiner guͤnstigeren Stimmung das Buch zu lesen sey, das ich, so wie damals jeder, der nur irgend dem Romantischen ergeben, in der Tasche trug. Es war Schillers Geisterseher. Ich las und las, und erhitzte meine Fantasie immer mehr und mehr. Ich kam zu der mit dem maͤchtigsten Zauber ergreifenden Erzaͤhlung von dem Hochzeit¬ fest bei dem Grafen von V. — Gerade wie Jero¬ nimo's blutige Gestalt eintritt, springt mit einem gewaltigen Schlage die Thuͤr auf, die in den Vorsaal fuͤhrt. — Entsetzt fahre ich in die Hoͤhe, das Buch faͤllt mir aus den Haͤnden — Aber in demselben Augenblick ist alles still und ich schaͤme mich uͤber mein kindisches Erschrecken! — Mag es seyn, daß durch die durchstroͤmende Zugluft, oder auf andere Weise die Thuͤr aufgesprengt wurde. — Es ist nichts — meine uͤberreizte Fantasie bil¬ det jede natuͤrliche Erscheinung gespenstisch! — So beschwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe mich wieder in den Lehnstuhl — da geht es leise und langsam mit abgemessenen Tritten quer uͤber den Saal hin, und dazwischen seufzt und aͤchzt es, und in diesem Seufzen, diesem Aechzen liegt der Ausdruck des tiefsten menschlichen Leidens, des trostlosesten Jammers — Ha! das ist irgend ein eingesperrtes krankes Thier im untern Stock. Man kennt ja die akustische Taͤuschung der Nacht, die alles entfernt toͤnende in die Naͤhe ruͤckt — wer wird sich nur durch so Etwas Grauen erregen lassen — So beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entsetzlichen Angst der Todesnoth ausgestoßen, sich hoͤren lassen, an jenem neuen Gemaͤuer. — „Ja, es ist ein armes eingesperrtes Thier — ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tuͤchtig auf den Boden stampfen, gleich wird alles schweigen, oder das Thier unten sich deutlicher in seinen natuͤr¬ lichen Toͤnen hoͤren lassen!“ — So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern — kalter Schweiß steht auf der Stirne, erstarrt bleib ich im Lehnstuhle sitzen, nicht vermoͤgend aufzustehen, viel weniger noch zu rufen. Das abscheuliche Kratzen hoͤrt endlich auf — die Tritte lassen sich aufs Neue vernehmen — Es ist, als wenn Leben und Re¬ gung in mir erwachte, ich springe auf und trete zwei Schritte vor, aber da streicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demselben Augen¬ blick wirft der Mond sein helles Licht auf das Bild¬ niß eines sehr ernsten, beinahe schauerlich anzuse¬ henden Mannes, und als saͤusle seine warnende Stimme durch das staͤrkere Brausen der Meeres¬ wellen, durch das gellendere Pfeifen des Nachtwin¬ des, hoͤre ich deutlich: — Nicht weiter — nicht weiter, sonst bist du verfallen dem entsetzlichen Graus der Geisterwelt! Nun faͤllt die Thuͤr zu mit demselben starken Schlage wie zuvor, ich hoͤre die Tritte deutlich auf dem Vorsaal — es geht die Treppe hinab — die Hauptthuͤr des Schlosses oͤffnet sich rasselnd und wird wieder verschlossen. Dann ist es, als wuͤrde ein Pferd aus dem Stalle gezogen, und nach einer Weile wieder in den Stall zuruͤckgefuͤhrt — dann ist alles still! — In dem¬ selben Augenblick vernahm ich, wie der alte Gro߬ onkel im Nebengemach aͤngstlich seufzte und stoͤhnte, dies gab mir alle Besinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte schien mit einem boͤsen, schweren Traume zu kaͤmpfen. „Er¬ wachen Sie — erwachen Sie,“ rief ich laut, indem ich ihn sanft bei der Hand faßte und den hellen Kerzenschein auf sein Gesicht fallen ließ. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann schaute er mich mit freundlichen Augen an und sprach: „Das hast du gut gemacht, Vetter! daß du mich wecktest. Ei, ich hatte einen sehr haͤßlichen Traum, und daran ist blos hier das Gemach und der Saal Schuld, denn ich mußte dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche denken, was hier sich begab. Aber nun wollen wir recht tuͤchtig ausschlafen!“ Damit huͤllte sich der Alte in die Decke und schien sofort einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgeloͤscht und mich auch ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leise betete. — Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirth¬ schaftsinspector kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich, die irgend einen Streit geschlichtet, irgend eine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Großonkel mit mir heruͤber in den den Seitenfluͤgel, um den beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein sechzigjaͤhriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muͤtterchen, die sich das Kam¬ merfraͤulein der gnaͤdigen Herrschaft nannte, in das Heiligthum gefuͤhrt. Da empfingen uns die alten, nach laͤngst verjaͤhrter Mode abenteuerlich geputz¬ ten Damen mit komischem Ceremoniell, und vor¬ zuͤglich war ich ein Gegenstand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beistehenden Justizmann vorstellte. In ihren Mienen lag es, daß sie bei meiner Jugend das Wohl des R..sittenschen Unterthanen gefaͤhr¬ det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte uͤberhaupt viel Laͤcherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froͤstelten aber noch in meinem Innern, ich fuͤhlte mich wie von einer unbekannten Macht beruͤhrt, oder es war mir viel¬ mehr, als habe ich schon an den Kreis gestreift, den zu uͤberschreiten und rettungslos unterzugehen es G nur noch eines Schritt's beduͤrfte, als koͤnne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schuͤtzen, das nur dem unheilba¬ ren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, daß selbst die alten Baronessen in ihren seltsamen hoch¬ aufgethuͤrmten Frisuren, in ihren wunderlichen stoff¬ nen, mit bunten Blumen und Baͤndern ausstaffirten Kleidern mir statt laͤcherlich, ganz graulich und ge¬ spenstisch erschienen. In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen wollt' ich es lesen, in dem schlechten Franzoͤsisch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen herausschnarrte, wollt' ich es hoͤren, wie sich die Alten mit den unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen, wenigstens auf guten Fuß gesetzt haͤtten, und auch wohl selbst Verstoͤrendes und Entsetzliches zu treiben vermoͤchten. Der Gro߬ onkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner Ironie die Alten in ein solches tolles Ge¬ waͤsche, daß ich in anderer Stimmung nicht gewußt haͤtte, wie das ausgelassenste Gelaͤchter in mich hineinschlucken, aber wie gesagt, die Baronessen sammt ihrem Geplapper waren und blieben gespen¬ stisch, und der Alte, der mir eine besondere Lust bereiten wollte, blickte mich einmal uͤbers andere ganz verwundert an. So wie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los: „Aber, Vetter, sag mir um des Himmelswillen, was ist dir? — Du lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht? — Bist du krank? oder fehlt es sonst woran?“ — Ich nahm jetzt gar kei¬ nen Anstand ihm alles Grauliche, Entsetzliche, was ich in voriger Nacht uͤberstanden, ganz ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen. Nichts verschwieg ich, vorzuͤglich auch nicht, das ich viel Punsch getrunken und in Schillers Geisterseher gelesen. „Bekennen muß ich dies,“ setzte ich hinzu, „denn so wird es glaub¬ lich, daß meine uͤberreizte arbeitende Fantasie all die Erscheinungen schuf, die nur innerhalb den Waͤnden meines Gehirns existirten“ Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zusetzen wuͤrde mit koͤrnigten Spaͤßen uͤber meine Geisterseherei, G 2 statt dessen wurde er sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf schnell in die Hoͤhe und sprach, mich mit dem brennenden Blick seiner Augen anschauend: „Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder seinem, noch dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu verdan¬ ken. Wisse, daß ich dasselbe, was dir widerfuhr, traͤumte. Ich saß, so wie du (so kam es mir vor), im Lehnstuhl bei dem Kamin, aber was sich dir nur in Toͤnen kund gethan, das sah ich, mit dem innern Auge es deutlich erfassend. Ja! ich erblickte den graulichen Unhold, wie er hereintrat, wie er kraft¬ los an die vermauerte Thuͤr schlich, wie er in trostloser Verzweiflung an der Wand kratzte, daß das Blut unter den zerrissenen Naͤgeln heraus¬ quoll, wie er dann hinabstieg, das Pferd aus dem Stalle zog und in den Stall zuruͤckbrachte. Hast du es gehoͤrt, wie der Hahn im fernen Gehoͤfte des Dorfes kraͤhte? — Da wecktest du mich und ich widerstand bald dem boͤsen Spuk des entsetzlichen Menschen, der noch vermag, das heitre Leben grauenhaft zu verstoͤren.“ Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, daß er mir alles aufklaͤren werde, wenn er es gerathen finden sollte. Nach einer Weile, in der er tief in sich gekehrt da gesessen, fuhr der Alte fort: „Vet¬ ter, hast du Muth genug, jetzt nachdem du weißt, wie sich alles begiebt, den Spuk noch einmal zu bestehen? und zwar mit mir zusammen?“ Es war natuͤrlich, daß ich erklaͤrte, wie ich mich jetzt dazu ganz erkraͤftigt fuͤhle. „So wollen wir,“ sprach der Alte weiter, „in kuͤnftiger Nacht zusammen wa¬ chen. Eine innere Stimme sagt mir, daß meiner geistigen Gewalt nicht sowohl, als meinem Muthe, der sich auf festes Vertrauen gruͤndet, der boͤse Spuk weichen muß, und daß es kein freveliches Beginnen, sondern ein frommes, tapferes Werk ist, wenn ich Leib und Leben daran wage, den boͤsen Unhold zu bannen, der hier die Soͤhne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. — Doch! von keiner Wagniß ist ja die Rede, denn in solch' festem redlichen Sinn, in solch' frommen Vertrauen, wie es in mir lebt, ist und bleibt man ein siegrei¬ cher Held. — Aber sollt' es dennoch Gottes Wille seyn, daß die boͤse Macht mich anzutasten vermag, so sollst du, Vetter! es verkuͤnden, daß ich im red¬ lichen christlichen Kampf mit dem Hoͤllengeist, der hier sein verstoͤrendes Wesen treibt, unterlag! — Du! — halt dich ferne! — dir wird dann nichts geschehen! — Unter mancherlei zerstreuenden Geschaͤften war der Abend herangekommen. Franz hatte, wie gestern, das Abendessen abgeraͤumt und uns Punsch gebracht, der Vollmond schien hell durch die glaͤn¬ zenden Wolken, die Meereswellen brausten und der Nachtwind heulte und schuͤttelte die klirrenden Scheiben der Bogenfenster. Wir zwangen uns, im Innern aufgeregt, zu gleichguͤltigen Gespraͤ¬ chen. Der Alte hatte seine Schlaguhr auf den Tisch gelegt. Sie schlug zwoͤlfe. Da sprang mit entsetzlichem Krachen die Thuͤr auf und wie gestern schwebten leise und langsam Tritte quer durch den Saal und das Aechzen und Seufzen ließ sich ver¬ nehmen. Der Alte war verblaßt, aber seine Augen erstrahlten in ungewoͤhnlichem Feuer, er erhob sich vom Lehnstuhl, und indem er in seiner großen Ge¬ stalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite gestemmt, den rechten weit vorstreckend nach der Mitte des Saals da stand, war er anzusehen, wie ein gebietender Held. Doch immer staͤrker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Aechzen, und nun fing es an abscheulicher als gestern an der Wand hin und her zu kratzen. Da schritt der Alte vorwaͤrts, gerade auf die zugemauerte Thuͤr los, mit festen Tritten, daß der Fußboden erdroͤhnte. Dicht vor der Stelle, wo es toller und toller kratz¬ te, stand er still und sprach mit starkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehoͤrt: „Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!“ Da kreischte es auf grauenvoll und entsetzlich, und ein dumpfer Schlag geschah, wie wenn eine Last zu Boden stuͤrzte. „Suche Gnade und Erbarmen vor dem Thron des Hoͤchsten, dort ist dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben, dem du niemals mehr angehoͤ¬ ren kannst!“ — So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war als ginge ein leises Gewimmer durch die Luͤfte und ersterbe im Sausen des Sturms, der sich zu erheben begann. Da schritt der Alte nach der Thuͤr und warf sie zu, daß es laut durch den oͤden Vorsaal wiederhallte. In seiner Sprache, in seinen Gebehrden lag etwas uͤbermenschliches, das mich mit tiefem Schauer erfuͤllte. Als er sich in den Lehnstuhl setzte, war sein Blick wie verklaͤrt, er faltete seine Haͤnde, er betete im Innern. So mochten einige Minuten vergangen seyn, da frug er mit der milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er so sehr in seiner Macht hatte: „Nun, Vetter?“ Von Schauer — Entsetzen — Angst — heiliger Ehrfurcht und Liebe durchbebt stuͤrzte ich auf die Kniee und benetzte die mir darge¬ botene Hand mit heißen Thraͤnen. Der Alte schloß mich in seine Arme, und indem er mich innig an sein Herz druͤckte, sprach er sehr weich: „Nun wollen wir auch recht sanft schlafen, lieber Vetter!“ — Es geschah auch so, und als sich in der folgenden Nacht durchaus nichts Unheimliches verspuͤren ließ, gewannen wir die alte Heiterkeit wieder, zum Nach¬ theil der alten Baronessen, die, blieben sie auch in der That ein wenig gespenstisch, mit ihrem aben¬ teuerlichen Wesen, doch nur ergoͤtzlichen Spuk trie¬ ben, den der Alte auf possierliche Weise anzuregen wußte. Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin und zahlreichem Jagdge¬ folge, die geladenen Gaͤste sammelten sich und nun ging in dem ploͤtzlich lebendig gewordenen Schlosse das laute wilde Treiben los, wie es vorhin beschrie¬ ben. Als der Baron gleich nach seiner Ankunft in unsern Saal trat, schien er uͤber unsern veraͤnder¬ ten Aufenthalt auf seltsame Weise befremdet, er warf einen duͤstern Blick auf die zugemauerte Thuͤr, und schnell sich abwendend, fuhr er mit der Hand uͤber die Stirn, als wolle er irgend eine boͤse Erinnerung verscheuchen. Der Groß-Onkel sprach von der Verwuͤstung des Gerichtssaals und der anstoßenden Gemaͤcher, der Baron tadelte es, daß Franz uns nicht besser einlogirt habe, und for¬ derte den Alten recht gemuͤthlich auf, doch nur zu gebieten, wenn ihm irgend etwas in dem neuen Gemach, das doch viel schlechter sey, als das, was er sonst bewohnt, an seiner Bequemlichkeit abginge. Ueberhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Großonkel nicht allein herzlich, sondern ihm mischte sich eine gewisse kindliche Ehrfurcht bei, als stehe der Baron mit dem Alten in verwandt¬ schaftlichem Respektsverhaͤltniß. Dies war aber auch das Einzige, was mich mit dem rauhen, ge¬ bieterischen Wesen des Barons, das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermaßen zu versoͤhnen vermochte. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in mir den gewoͤhnlichen Schrei¬ ber. Gleich das erste Mal, als ich eine Verhand¬ lung aufgenommen, wollte er etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf und ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu er¬ wiedern, als der Großonkel das Wort nehmend, versicherte, daß ich denn nun einmahl alles recht nach seinem Sinne mache und daß dieser doch nur hier in gerichtlicher Verhandlung walten koͤnne. Als wir allein waren, beschwerte ich mich bitter uͤber den Baron, der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. „Glaube mir, Vetter!“ erwiederte der Alte, „daß der Baron trotz seines unfreundlichen Wesens der vortrefflichste, gut¬ muͤthigste Mensch von der Welt ist. Dieses Wesen hat er auch, wie ich dir schon sagte, erst seit der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein sanfter, bescheidener Juͤngling. Ueberhaupt ist es denn doch aber nicht mit ihm so arg, wie du es machst, und ich moͤchte wohl wissen, warum er dir so gar sehr zuwider ist.“ Indem der Alte die letzten Worte sprach, laͤchelte er recht hoͤh¬ nisch, und das Blut stieg mir siedend heiß ins Ge¬ sicht. Mußte mir nun nicht mein Innres recht klar werden, mußte ich es nicht deutlich fuͤhlen, daß jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr aus dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste zu seyn schien, was jemahls auf Erden gewandelt? Dieses Wesen war niemand, als die Baronesse selbst. Schon gleich als sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloß an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt, durch die Gemaͤcher schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein maͤchtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja, selbst der Umstand, daß die alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre franzoͤsi¬ schen Bewillkommungen herschnatterten, waͤhrend sie, die Baronin, mit unbeschreiblich milden Blik¬ ken um sich her schaute, und bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein toͤnenden Cur¬ laͤndischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen stoͤtete , schon dieses gab ein wunderbar fremdarti¬ ges Bild, und unwillkuͤrlich reihte die Fantasie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baronesse wurde der Engel des Lichts, dem sich die boͤsen gespenstischen Maͤchte beugen. — Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Gei¬ stes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neun¬ zehn Jahre zaͤhlen, ihr Gesicht eben so zart, wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoͤchsten Engels¬ guͤte, vorzuͤglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine schwermuͤthige Sehn¬ sucht auf; so wie in ihrem holdseligen Laͤcheln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzuͤcken. Oft schien sie ganz in sich selbst verloren, und dann gin¬ gen duͤstre Wolkenschatten uͤber ihr holdes Antlitz. Man haͤtte glauben sollen, irgend ein verstoͤrender Schmerz muͤsse sie befangen, mir schien es aber, daß wohl die duͤstere Ahnung einer truͤben, Ungluͤcks¬ schwangeren Zukunft es sey, von der sie in solchen Augenblicken erfaßt werde, und auch damit setzte ich auf seltsame Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklaͤren wußte, den Spuk im Schlosse in Ver¬ bindung. — Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die Gesell¬ schaft zum Fruͤhstuͤck, der Alte stellte mich der Ba¬ ronesse vor, und wie es in solcher Stimmung, wie die meinige war, zu geschehen pflegt, ich nahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die ein¬ fachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle u. s., mich in die wunderlichsten sinnlosesten Reden verfing, so daß die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen zu muͤssen glaubten, und mich in franzoͤsischer Sprache als einen ganz artigen und geschickten jungen Menschen, als einen garçon très joli anpriesen. Das aͤrgerte mich, und ploͤtz¬ lich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein Witzwort heraus in besserem Franzoͤsisch, als die Alten es sprachen, worauf sie mich mit großen Augen an¬ guckten und die langen spitzen Nasen reichlich mit Tabak bedienten. An dem ernsteren Blick der Ba¬ ronesse, mit dem sie sich von mir ab zu einer andern Dame wandte, merkte ich, daß mein Witzwort hart an eine Narrheit streifte, das aͤrgerte mich noch mehr, und ich verwuͤnschte die Alten in den Ab¬ grund der Hoͤlle. Die Zeit des schaͤferischen Schmachtens, des Liebesungluͤcks in kindischer Selbstbethoͤrung hatte mir der alte Großonkel laͤngst weg ironirt, und wohl merkt' ich, daß die Baronin tiefer und maͤchtiger, als noch bis jetzt eine Frau, mich in meinem innersten Gemuͤth gefaßt hatte. Ich sah, ich hoͤrte nur sie, aber bewußt war ich mir deutlich und bestimmt, daß es abgeschmackt, ja wahnsinnig seyn wuͤrde, irgend eine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmoͤglichkeit einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen und anzubeten, dessen ich mich selbst haͤtte schaͤmen muͤs¬ sen. Der herrlichen Frau naͤher zu treten, ohne ihr nur mein inneres Gefuͤhl ahnen zu lassen, das suͤße Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen und dann fern von ihr, sie lange, vielleicht immer¬ dar im Herzen tragen, das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl ritterliche Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte mich dermaßen, daß ich kindisch genug war, mich selbst auf pathetische Weise zu haranguiren und zuletzt sehr klaͤglich zu seufzen: Seraphine, ach Seraphi¬ ne! so daß der Alte erwachte und mir zurief: „Vet¬ ter! — Vetter! ich glaube du fantasirst mit lauter Stimme! — Thu's bei Tage, wenn's moͤglich ist, aber zur Nachtzeit laß mich schlafen!“ Ich war nicht wenig besorgt, daß der Alte, der schon mein aufgeregtes Wesen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehoͤrt haben und mich mit seinem sarkastischen Spott uͤberschuͤtten werde, er sagte am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in den Gerichtssaal: „Gott gebe Je¬ dem gehoͤrigen Menschenverstand und Sorglichkeit ihn in gutem Verschluß zu halten. Es ist schlimm, mir nichts dir nichts sich in einen Hasenfuß umzu¬ setzen.“ Hierauf nahm er Platz an dem großen Tisch und sprach: „Schreibe fein deutlich, lieber Vetter! damit ich's ohne Anstoß zu lesen vermag. Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem alten Großonkel erzeigte, sprach sich in Allem aus. So mußte er auch bei Tische Tische den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baronesse einnehmen, mich warf der Zufall bald hier bald dorthin, doch pflegten gewoͤhnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptstadt mich in Beschlag zu nehmen, um sich uͤber alles Neue und Lustige, was dort geschehen, recht auszusprechen und dabei wacker zu trinken. So kam es, daß ich mehrere Tage hindurch, ganz fern von der Ba¬ ronesse, am untern Ende des Tisches saß, bis mich endlich ein Zufall in ihre Naͤhe brachte. Als der ver¬ sammelten Gesellschaft der Eßsaal geoͤffnet wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht mehr ganz junges Fraͤulein, aber sonst nicht haͤßlich und nicht ohne Geist, in ein Gespraͤch verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der Sitte gemaͤß mußte ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich zunickte. Man kann denken, daß nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der Nachbarin allein, sondern hauptsaͤch¬ lich der Baronin galten. Mag es seyn, daß meine H innere Spannung Allem, was ich sprach, einen besondern Schwung gab, genug, das Fraͤulein wurde aufmerksamer und aufmerksamer, ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte Welt stets wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen ließ. Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, daß unser Gespraͤch, ganz unab¬ haͤngig von den vielen Worten der Gaͤste, die hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin, wohin ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich nemlich, daß das Fraͤulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und daß diese sich muͤhte uns zu hoͤren. Vorzuͤglich war dies der Fall, als ich, da das Gespraͤch sich auf Musik gewandt, mit voller Begeisterung von der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt nicht verheelte, daß ich, trockner, langweiliger Ju¬ risterei, der ich mich ergeben, unerachtet, den Fluͤ¬ gel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe — Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und Liqueure zu nehmen, da stand ich unversehens, selbst wußte ich nicht wie, vor der Baronin, die mit dem Fraͤulein gesprochen. Sie redete mich sogleich an, indem sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse zusage u. s., wiederholte. Ich versicherte, daß in den ersten Tagen die schauerliche Oede der Umgebung, ja selbst das alterthuͤmliche Schloß mich seltsam gestimmt habe, daß aber eben in dieser Stimmung viel Herr¬ liches aufgegangen und daß ich nur wuͤnsche, der wilden Jagden, an die ich nicht gewoͤhnt, uͤberho¬ ben zu seyn. Die Baronin laͤchelte, indem sie sprach: „Wohl kann ich's mir denken, daß Ihnen das wuͤste Treiben in unsern Foͤhrenwaͤldern nicht eben behaglich seyn kann. — Sie sind Musiker, und taͤuscht mich nicht Alles, gewiß auch Dichter! — Mit Leidenschaft liebe ich beide Kuͤnste! — ich spiele selbst etwas die Harfe, das muß ich nun in R..sit¬ ten entbehren, denn mein Mann mag es nicht, daß ich das Instrument mitnehme, dessen sanftes Getoͤn H 2 schlecht sich schicken wuͤrde zu dem wilden Halloh, zu dem gellenden Hoͤrnergetoͤse der Jagd, das sich hier nur hoͤren lassen soll! — O mein Gott! wie wuͤrde mich hier Musik erfreun!“ Ich versicherte, daß ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren Wunsch zu erfuͤllen, da es doch im Schlosse unbe¬ zweifelt ein Instrument, sey es auch nur ein alter Fluͤgel, geben werde. Da lachte aber Fraͤulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und frug, ob ich denn nicht wisse, daß seit Men¬ schen Gedenken im Schlosse keine andern Instru¬ mente gehoͤrt worden, als kraͤchzende Trompeten, im Jubel lamentirende Hoͤrner der Jaͤger und hei¬ sere Geigen, verstimmte Baͤsse, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten. Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hoͤren, fest, und beide, sie und Adelheid, erschoͤpften sich in Vorschlaͤgen, wie ein leidliches Fortepiano her¬ beigeschafft werden koͤnne. In dem Augenblick schritt der alte Franz durch den Saal. „Da haben wir den, der fuͤr alles guten Rath weiß, der alles herbeischafft, selbst das Unerhoͤrte und Ungesehene!“ Mit diesen Worten rief ihn Fraͤulein Adelheid heran und indem sie ihm begreiflich machte, worauf es an¬ komme, horchte die Baronin mit gefalteten Haͤn¬ den, mit vorwaͤrts gebeugtem Haupt, dem Alten mit mildem Laͤcheln ins Auge blickend, zu. Gar anmuthig war sie anzusehen, wie ein holdes, lieb¬ liches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur gar zu gern schon in Haͤnden haͤtte. Franz, nachdem er in seiner weitlaͤufigen Manier mehrere Ursachen hergezaͤhlt hatte, warum es denn schier unmoͤglich sey, in der Geschwindigkeit solch ein rares Instru¬ ment herbeizuschaffen, strich sich endlich mit behag¬ lichem Schmunzeln den Bart und sprach: „Aber die Frau Wirthschaftsinspectorin druͤben im Dorfe schlaͤgt ganz ungemein geschickt das Clavizimbel, oder wie sie es jetzt nennen mit dem auslaͤndischen Namen, und singt dazu so fein und lamentabel, daß einem die Augen roth werden, wie von Zwie¬ beln und man huͤpfen moͤchte mit beiden Beinen — „Und besitzt ein Fortepiano!“ fiel Fraͤulein Adel¬ heid ihm in die Rede. „Ei freilich,“ fuhr der Alte fort, „direkt aus Dresden ist es gekommen — ein“ — „O das ist herrlich,“ unterbrach ihn die Baronin. — „ein schoͤnes Instrument,“ sprach der Alte weiter, „aber ein wenig schwaͤchlich, denn als der Organist neulich das Lied: In allen meinen Thaten, darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so daß“ — „O mein Gott,“ riefen beide, die Baronin und Fraͤulein Adelheid, „so daß,“ fuhr der Alte fort, „es mit schweren Kosten nach R — geschafft und dort reparirt wer¬ den mußte.“ „Ist es denn nun wieder hier,“ frug Fraͤulein Adelheid ungeduldig. „Ei freilich, gnaͤdiges Fraͤulein! und die Frau Wirthschaftsinspec¬ torin wird es sich zur Ehre rechnen“ — In diesem Au¬ genblick streifte der Baron voruͤber, er sah sich wie befremdet nach unserer Gruppe um und fluͤsterte spoͤttisch laͤchelnd der Baronin zu: „muß Franz wie¬ der guten Rath ertheilen?“ Die Baronin schlug er¬ roͤthend die Augen nieder, und der alte Franz stand erschrocken abbrechend, den Kopf gerade gerichtet, die herabhaͤngenden Arme dicht an den Leib gedruͤckt, in soldatischer Stellung da. — Die alten Tanten schwammen in ihren stoffnen Kleidern auf uns zu und entfuͤhrten die Baronin. Ihr folgte Fraͤu¬ lein Adelheid. Ich war wie bezaubert stehen geblieben. Entzuͤcken, daß ich nun ihr, der Angebeteten, die mein ganzes Wesen beherrschte, mich nahen werde, kaͤmpfte mit duͤsterm Mißmuth und Aerger uͤber den Baron, der mir als ein rauher Despot erschien. War er dies nicht, durfte dann wohl der alte eis¬ graue Diener so sklavisch sich benehmen? — „Hoͤrst du, sieh'st du endlich,“ rief der Großonkel mir auf die Schulter klopfend; wir gingen hinauf in unser Gemach. „Draͤnge dich nicht so an die Ba¬ ronin,“ sprach er, als wir angekommen, „wozu soll das, uͤberlaß es den jungen Gecken, die gern den Hof machen und an denen es ja nicht man¬ gelt.“ — Ich erzaͤhlte, wie alles gekommen und forderte ihn auf mir nun zu sagen: „ob ich seinen Vorwurf verdiene,“ er erwiederte aber darauf nichts als: „Hm hm“ — zog den Schlafrock an, setzte sich mit angezuͤndeter Pfeife in den Lehnstuhl und sprach von den Ereignissen der gestrigen Jagd, mich foppend uͤber meine Fehlschuͤsse. Im Schlosse war es still geworden, Herren und Damen beschaͤf¬ tigten sich in ihren Zimmern mit dem Putz fuͤr die Nacht. Jene Musikanten mit den heisern Geigen, mit den verstimmten Baͤssen und den meckernden Hoboen, von denen Fraͤulein Adelheid gesprochen, waren nemlich angekommen und es sollte fuͤr die Nacht nichts geringeres geben, als einen Ball in bestmoͤglichster Form. Der Alte, den ruhigen Schlaf solch faselndem Treiben vorziehend, blieb in seinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet, als es leise an unsere Thuͤr klopfte und Franz hineintrat, der mir mit behaglichem Laͤ¬ cheln verkuͤndete, daß so eben das Clavizimbel von der Frau Wirthschaftsinspektorin in einem Schlitten angekommen und zur gnaͤdigen Frau Baronin ge¬ tragen worden sey. Fraͤulein Adelheid ließe mich einladen nur gleich heruͤber zu kommen. Man kann denken, wie mir alle Pulse schlugen, mit welchem innern suͤßen Erbeben ich das Zimmer oͤff¬ nete, in dem ich sie fand. Fraͤulein Adelheid kam mir freudig entgegen. Die Baronin, schon zum Ball voͤllig geputzt, saß ganz nachdenklich vor dem geheimnißvollen Kasten, in dem die Toͤne schlum¬ mern sollten, die zu wecken ich berufen. Sie stand auf, so in vollem Glanz der Schoͤnheit strah¬ lend, daß ich keines Wortes maͤchtig sie anstarrte. „Nun Theodor (nach der gemuͤthlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Suͤden wiederfindet, nannte sie jeden bei seinem Vornamen), Nun, Theo¬ dor,“ sprach sie freundlich, „das Instrument ist ge¬ kommen, gebe der Himmel, daß es ihrer Kunst nicht ganz unwuͤrdig seyn moͤge.“ So wie ich den Deckel oͤffnete, rauschten mir eine Menge gesprungener Sai¬ ten entgegen, und so wie ich einen Akkord griff, klang es, da alle Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verstimmt waren, widrig und abscheulich. „Der Organist ist wieder mit seinen zarten Haͤnd¬ chen druͤber her gewesen,“ rief Fraͤulein Adelheid lachend, aber die Baronin sprach ganz mißmuthig: „das ist denn doch ein rechtes Ungluͤck! — ach, ich soll denn hier nun einmal keine Freude haben!“ — Ich suchte in dem Behaͤlter des Instruments und fand gluͤcklicher Weise einige Rollen Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! — Neue Kla¬ gen! — „Jeder Schluͤssel, dessen Bart in die Wir¬ bel passe, koͤnne gebraucht werden,“ erklaͤrte ich; da liefen beide, die Baronin und Fraͤulein Adel¬ heid, freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, so lag ein ganzes Magazin blanker Schluͤsselchen vor mir auf dem Resonanzboden. Nun machte ich mich emsig druͤber her — Fraͤulein Adelheid, die Baronin selbst muͤhte sich mir beizustehen, diesen — jenen Wirbel probirend — Da zieht einer den traͤgen Schluͤssel an, „es geht, es geht!“ riefen sie freudig — Da rauscht die Saite, die sich schier bis zur Reinheit herange¬ aͤchzt, gesprungen auf und erschrocken fahren sie zuruͤck! — Die Baronin handthiert mit den klei¬ nen zarten Haͤndchen in den sproͤden Drathsaiten, sie reicht mir die Nummern, die ich verlange, und haͤlt sorgsam die Rolle, die ich abwickle; ploͤtzlich schnurrt eine auf, so daß die Baronin ein ungedul¬ diges Ach! ausstoͤßt — Fraͤulein Adelheid lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knaͤuel bis in die Ecke des Zimmers, und wir alle suchen aus ihm noch eine gerade unzerknickte Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu unserm Leidwesen wieder springt — aber endlich — endlich sind gute Rollen gefunden, die Saiten fangen an zu stehen und aus dem mißtoͤnigen Sumsen gehen allmaͤhlig klare, reine Akkorde hervor! „Ach es gluͤckt, es gluͤckt — das Instrument stimmt sich!“ ruft die Baro¬ nin, indem sie mich mit holdem Laͤcheln anblickt! — Wie schnell vertrieb dies gemeinschaftliche Muͤ¬ hen alles Fremde, Nuͤchterne, das die Convenienz hinstellt; wie ging unter uns eine heimische Ver¬ traulichkeit auf, die, ein elektrischer Hauch mich durchgluͤhend, die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Brust lag, schnell wegzehrte. Jener seltsame Pathos, wie ihn solche Verliebtheit, wie die meinige, wohl erzeugt, hatte mich ganz verlassen und so kam es, daß, als nun endlich das Pianoforte leidlich gestimmt war, ich, statt, wie ich gewollt, meine innern Gefuͤhle in Fantasien recht laut werden zu lassen, in jene suͤße liebliche Canzo¬ netten verfiel, wie sie aus dem Suͤden zu uns her¬ uͤber geklungen. Waͤhrend dieser Senza di te — dieser: Sentimi idol mio , dieser Almen se non poss'io und hundert morir mi sento 's und Addio 's und Oh dio 's wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke. Sie hatte sich dicht neben mir an das Instrument gesetzt, ich fuͤhlte ihren Athem an meiner Wange spielen; indem sie ihren Arm hinter mir auf die Stuhllehne stuͤtzte, fiel ein weißes Band, das sich von dem zierlichen Ballkleide losgenesselt, uͤber meine Schulter und flatterte von meinen Toͤnen, von Seraphinens leisen Seufzern beruͤhrt hin und her, wie ein getreuer Liebesbote! — Es war zu verwundern, daß ich den Verstand behielt! — Als ich mich auf irgend ein neues Lied besinnend in den Akkorden herumfuhr, sprang Fraͤulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin, und bat, ihre beide Haͤnde erfassend und an die Brust druͤckend: „O liebe Baronin — Seraphinchen, nun mußt du auch singen!“ — Die Baronin erwiederte: „Wo denkst du aber auch hin, Adelheid! — wie mag ich mich denn vor unserm Virtuosen da mit mei¬ ner elenden Singerei hoͤren lassen!“ — Es war lieblich anzuschauen, wie sie, gleich einem fromm¬ verschaͤmten Kinde, die Augen niederschlagend und hocherroͤthend mit der Lust und mit der Scheu kaͤmpfte. — Man kann denken, wie ich sie anfleh¬ te, und, als sie kleine kurlaͤndische Volkslieder er¬ waͤhnte, nicht nachließ, bis sie mit der linken Hand heruͤberlangend einige Toͤne auf dem Instrument versuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Instrument, sie ließ es aber nicht zu, indem sie versicherte, daß sie nicht eines einzi¬ gen Akkordes maͤchtig sey, und daß eben deshalb ihr Gesang ohne Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde. Nun fing sie mit zarter, glocken¬ reiner, tief aus dem Herzen toͤnender Stimme ein Lied an, dessen einfache Melodie ganz den Charak¬ ter jener Volkslieder trug, die so klar aus dem In¬ nern herausleuchten, daß wir in dem hellen Schein, der uns umfließt, unsere hoͤhere poetische Natur erkennen muͤssen. Ein geheimnißvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des Textes, der zur Hieroglyphe des Unaussprechlichen wird, von dem unsere Brust erfuͤllt. Wer denkt nicht an jene spa¬ nische Canzonetta, deren Inhalt den Worten nach nicht viel mehr ist, als: Mit meinem Maͤdchen schifft' ich auf dem Meer, da wurd' es stuͤrmisch, und mein Maͤdchen wankte furchtsam hin und her. Nein! — nicht schiff' ich wieder mit meinem Maͤd¬ chen auf dem Meer! — So sagte der Baronin Liedlein nichts weiter: Juͤngst tanzt' ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da fiel mir eine Blume aus dem Haar, die hob er auf, und gab sie mir und sprach: Wenn, mein Maͤdchen, gehn wir wieder zur Hochzeit? — Als ich bei der zweiten Strophe dies Liedchen in harpeggirenden Akkorden begleitete, als ich in der Begeisterung, die mich erfaßt, die Melo¬ dien der folgenden Lieder gleich von den Lippen der Ba¬ ronin wegstahl, da erschien ich ihr und der Fraͤulein Adelheid wie der groͤßte Meister der Tonkunst, sie uͤberhaͤuften mich mit Lobspruͤchen. Die angezuͤndeten Lichter des Ballsaals im Seitenfluͤgel brannten hin¬ ein in das Gemach der Baronin, und ein mißtoͤni¬ ges Geschrei von Trompeten und Hoͤrnern verkuͤn¬ dete, daß es Zeit sey, sich zum Ball zu versam¬ meln. „Ach, nun muß ich fort,“ rief die Baro¬ nin, ich sprang auf vom Instrument. „Sie haben mir eine herrliche Stunde bereitet — es waren die heitersten Momente, die ich jemals hier in R..sit¬ ten verlebte.“ Mit diesen Worten reichte mir die Baronin die Hand; als ich sie im Rausch des hoͤch¬ sten Entzuͤckens an die Lippen druͤckte, fuͤhlte ich ihre Finger heftig pulsirend an meiner Hand an¬ schlagen! Ich weiß nicht, wie ich in des Großon¬ kels Zimmer, wie ich dann in den Ballsaal kam. — Jener Gaskogner fuͤrchtete die Schlacht, weil jede Wunde ihm toͤdtlich werden muͤsse, da er ganz Herz sey! — Ihm mochte ich, ihm mag jeder in meiner Stimmung gleichen! jede Beruͤhrung wird toͤdtlich. Der Baronin Hand, die pulsirenden Finger hatten mich getroffen wie vergiftete Pfeile, mein Blut brannte in den Adern! — Ohne mich gerade auszufragen, hatte der Alte am andern Morgen doch bald die Geschichte des mit der Ba¬ ronin verlebten Abends heraus, und ich war nicht wenig betreten, als er, der mit lachendem Munde und heitrem Tone gesprochen, ploͤtzlich sehr ernst wurde und anfing: „Ich bitte dich, Vetter, wi¬ derstehe der Narrheit, die dich mit aller Macht er¬ griffen! — Wisse, daß dein Beginnen, so harm¬ los wie es scheint, die entsetzlichsten Folgen haben kann, du stehst in achtlosem Wahnsinn auf duͤnner Eisdecke, die bricht unter dir ehe du dich es ver¬ siehst und du plumpst hinein. Ich werde mich huͤ¬ ten, dich am Rockschoß festzuhalten, denn ich weiß, du rappelst dich selbst wieder heraus und sprichst zum Tode erkrankt: das bischen Schnupfen bekam ich im Traume, aber ein boͤses Fieber wird zehren an an deinem Lebensmark, und Jahre werden hinge¬ hen, ehe du dich ermannst. — Hol der Teufel deine Musik, wenn du damit nichts besseres anzu¬ fangen weißt, als empfindelnde Weiber hinauszu¬ trompeten aus friedlicher Ruhe.“ „Aber,“ unter¬ brach ich den Alten, „kommt es mir denn in den Sinn, mich bei der Baronin einzuliebeln?“ „Affe!“ rief der Alte, „wuͤßt' ich das, so wuͤrfe ich dich hier durchs Fenster!“ — Der Baron unterbrach das peinliche Gespraͤch, und das beginnende Geschaͤft riß mich auf aus der Liebestraͤumerei, in der ich nur Seraphinen sah und dachte. In der Gesellschaft sprach die Baronin nur dann und wann mit mir ei¬ nige freundliche Worte, aber beinahe kein Abend verging, daß nicht heimliche Botschaft kam von Fraͤu¬ lein Adelheid, die mich hinrief zu Seraphinen. Bald geschah es, daß mannigfache Gespraͤche mit der Mu¬ sik wechselten. Fraͤulein Adelheid, die beinahe nicht jung genug war, um so naiv und drollig zu seyn, sprang mit allerley lustigem und etwas konfusem Zeuge dazwischen, wenn ich und Seraphine uns zu I vertiefen begannen in sentimentale Ahnungen und Traͤumereien. Aus mancher Andeutung mußt' ich bald erfahren, daß der Baronin wirklich irgend etwas Ver¬ stoͤrendes im Sinn liege, wie ich es gleich, als ich sie zum ersten Male sah, in ihrem Blick zu lesen glaubte, und die feindliche Wirkung des Hausge¬ spenstes ging mir ganz klar auf. Irgend etwas Entsetzliches war oder sollte geschehen. Wie oft draͤngte es mich, Seraphinen zu erzaͤhlen, wie mich der unsichtbare Feind beruͤhrt, und wie ihn der Alte, gewiß fuͤr immer, gebannt habe, aber eine mir selbst unerklaͤrliche Scheu fesselte mir die Zunge im Au¬ genblick als ich reden wollte. Eines Tages fehlte die Baronin bei der Mit¬ tagstafel; es hieß, sie kraͤnkle, und koͤnne das Zim¬ mer nicht verlassen. Theilnehmend frug man den Baron, ob das Uebel von Bedeutung sey. Er laͤ¬ chelte auf fatale Art, recht wie bitter hoͤhnend, und sprach: „Nichts als ein leichter Katarrh, den ihr die rauhe Seeluft zugeweht, die nun einmal hier kein suͤßes Stimmchen duldet, und keine andern Toͤne leidet, als das derbe Halloh der Jagd.“ — Bei diesen Worten warf der Baron mir, der ihm schraͤg uͤber saß, einen stechenden Blick zu. Nicht zu dem Nachbar, zu mir hatte er gesprochen. Fraͤulein Adelheid, die neben mir saß, wurde blutroth; vor sich hin auf den Teller starrend und mit der Gabel darauf herumkritzelnd lispelte sie: „Und noch heute siehst du Seraphinen, und noch heute werden deine suͤßen Liederchen beruhigend sich an das kranke Herz legen.“ — Auch Adelheid sprach diese Worte fuͤr mich, aber in dem Augenblick war es mir, als stehe ich mit der Baronin in unlauterm verbotenem Lie¬ besverhaͤltniß, das nur mit dem Entsetzlichen, mit einem Verbrechen, endigen koͤnne. — Die Warnun¬ gen des Alten fielen mir schwer aufs Herz. — Was sollte ich beginnen! — Sie nicht mehr sehen? — Das war, so lange ich im Schlosse blieb, unmoͤglich, und durfte ich auch das Schloß verlassen, und nach K. zuruͤckgehen, ich vermochte es nicht. Ach! nur zu sehr fuͤhlt' ich, daß ich nicht stark genug war, mich selbst aufzuruͤtteln aus dem Traum, der mich J 2 mit fantastischem Liebesgluͤck neckte. Adelheid er¬ schien mir beinahe als gemeine Kupplerin, ich wollte sie deshalb verachten — und doch, mich wieder be¬ sinnend, mußte ich mich meiner Albernheit schaͤmen. Was geschah in jenen seligen Abendstunden, das nur im mindesten ein naͤheres Verhaͤltniß mit Seraphi¬ nen, als Sitte und Anstand es erlaubten, herbei¬ fuͤhren konnte? Wie durfte es mir einfallen, daß die Baronin irgend etwas fuͤr mich fuͤhlen sollte, und doch war ich von der Gefahr meiner Lage uͤber¬ zeugt! — Die Tafel wurde zeitiger aufgehoben, weil es noch auf Woͤlfe gehen sollte, die sich in dem Foͤhrenwalde, ganz nahe dem Schlosse, hatten blicken lassen. Die Jagd war mir recht in meiner aufge¬ regten Stimmung, ich erklaͤrte dem Alten, mitziehn zu wollen, er laͤchelte mich zufrieden an, sprechend: „das ist brav, daß du auch einmal dich herausmachst, ich bleibe heim, du kannst meine Buͤchse nehmen, und schnalle auch meinen Hirschfaͤnger um, im Fall der Noth ist das eine gute sichre Waffe, wenn man nur gleichmuͤthig bleibt.“ Der Theil des Waldes, in dem die Woͤlfe lagern mußten, wurde von den Jaͤgern umstellt. Es war schneidend kalt, der Wind heulte durch die Foͤhren, und trieb mir die hellen Schneeflocken ins Gesicht, daß ich, als nun vollends die Daͤmmerung einbrach, kaum sechs Schritte vor mir hinschauen konnte. Ganz er¬ starrt verließ ich den mir angewiesenen Platz, und suchte Schutz tiefer im Walde. Da lehnte ich an einen Baum, die Buͤchse unterm Arm. Ich vergaß die Jagd, meine Gedanken trugen mich fort zu Seraphinen ins heimische Zimmer. Ganz entfernt fielen Schuͤsse, in demselben Moment rauschte es im Roͤhricht, und nicht zehn Schritte von mir erblickte ich einen starken Wolf, der voruͤ¬ ber rennen wollte. Ich legte an, druͤckte ab, — ich hatte gefehlt, das Thier sprang mit gluͤhen¬ den Augen auf mich zu, ich war verloren, hatte ich nicht Besonnenheit genug, das Jagdmesser herauszureißen, das ich dem Thier, als es mich packen wollte, tief in die Gurgel stieß, so daß das Blut mir uͤber Hand und Arm spritzte. Ei¬ ner von den Jaͤgern des Barons, der mir unfern gestanden, kam nun mit vollem Geschrey heran¬ gelaufen, und auf seinen wiederholten Jagdruf sammelten sich alle um uns. Der Baron eilte auf mich zu: „Um des Himmels willen. Sie bluten? — Sie bluten — Sie sind verwundet?“ Ich versicherte das Gegentheil; da fiel der Baron uͤber den Jaͤger her, der mir der naͤchste gestanden, und uͤberhaͤufte ihn mit Vorwuͤrfen, daß er nicht nachgeschossen, als ich gefehlt, und, unerachtet die¬ ser versicherte, daß das gar nicht moͤglich gewesen, weil in derselben Sekunde der Wolf auf mich zugestuͤrzt, so daß jeder Schuß mich haͤtte treffen koͤnnen, so blieb doch der Baron dabei, daß er mich, als einen minder erfahrnen Jaͤger, in be¬ sondere Obhut haͤtte nehmen sollen. Unterdessen hatten die Jaͤger das Thier aufgehoben, es war das groͤßte der Art, das sich seit langer Zeit hatte sehen lassen, und man bewunderte allgemein mei¬ nen Muth und meine Entschlossenheit, unerachtet mir mein Benehmen sehr natuͤrlich schien, und ich in der That an die Lebensgefahr, in der ich schwebte, gar nicht gedacht hatte. Vorzuͤglich be¬ wies sich der Baron theilnehmend, er konnte gar nicht aufhoͤren zu fragen, ob ich, sey ich auch nicht von der Bestie verwundet, doch nichts von den Folgen des Schrecks fuͤrchte. Es ging zuruͤck nach dem Schlosse, der Baron faßte mich, wie einen Freund, unter den Arm, die Buͤchse mußte ein Jaͤger tragen. Er sprach noch immer von meiner heroischen That, so daß ich am Ende selbst an meinen Heroismus glaubte, alle Befangenheit verlor, und mich selbst dem Baron gegenuͤber als ein Mann von Muth und seltener Entschlossenheit festgestellt fuͤhlte. Der Schulknabe hatte sein Exa¬ men gluͤcklich bestanden, war kein Schulknabe mehr, und alle demuͤthige Aengstlichkeit des Schul¬ knaben war von ihm gewichen. Erworben schien mir jetzt das Recht, mich um Seraphinens Gunst zu muͤhen. — Man weiß ja, welcher albernen Zu¬ sammenstellungen die Fantasie eines verliebten Juͤnglings faͤhig ist. — Im Schlosse, am Kamin bei dem rauchenden Punschnapf, blieb ich der Held des Tages; nur der Baron selbst hatte außer mir noch einen tuͤchtigen Wolf erlegt, die uͤbrigen mußten sich begnuͤgen, ihre Fehlschuͤsse dem Wet¬ ter — der Dunkelheit zuzuschreiben, und grau¬ liche Geschichten von sonst auf der Jagd erlebtem Gluͤck und uͤberstandener Gefahr zu erzaͤhlen. Von dem Alten glaubte ich nun gar sehr gelobt und bewundert zu werden; mit diesem Anspruch er¬ zaͤhlte ich ihm mein Abenteuer ziemlich breit, und vergaß nicht, das wilde, blutduͤrstige Ansehn der wilden Bestie mit recht grellen Farben auszu¬ malen. Der Alte lachte mir aber ins Gesicht, und sprach: „Gott ist maͤchtig in den Schwa¬ chen!“ — Als ich des Trinkens, der Gesellschaft uͤberdruͤs¬ sig, durch den Corridor nach dem Gerichtssaal schlich, sah ich vor mir eine Gestalt, mit dem Licht in der Hand, hineinschluͤpfen. In den Saal tretend erkannte ich Fraͤulein Adelheid. „Muß man nicht umher irren wie ein Gespenst, wie ein Nacht¬ wandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaͤger, auf¬ zufinden! —“ So lispelte sie mir zu, indem sie mich bei der Hand ergriff. Die Worte: „Nacht¬ wandler — Gespenst,“ fielen mir, hier an diesem Orte ausgesprochen, schwer aufs Herz; augenblick¬ lich brachten sie mir die gespenstischen Erscheinun¬ gen jener beiden graulichen Naͤchte in Sinn und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltoͤnen heruͤber, es knatterte und pfiff schauerlich durch die Bogenfenster, und der Mond warf sein bleiches Licht gerade auf die geheimni߬ volle Wand, an der sich das Kratzen vernehmen ließ. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen. Fraͤulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der Hand haltend, die Eiskaͤlte fuͤhlen, die mich durch¬ schauerte. „Was ist Ihnen, was ist Ihnen“ sprach sie leise, „Sie erstarren ja ganz? — Nun ich will Sie ins Leben rufen. Wissen Sie wohl, daß die Baronin es gar nicht erwarten kann. Sie zu se¬ hen? — Eher glaubt sie nicht, daß der boͤse Wolf Sie wirklich nicht zerbissen hat. Sie aͤngstigt sich unglaublich! — Ey, ey, mein Freund, was haben Sie mit Seraphinchen angefangen! Noch niemals habe ich sie so gesehen. — Hu! — wie jetzt der Puls anfaͤngt zu prickeln! — wie der todte Herr so ploͤtz¬ lich erwacht ist! — Nein, kommen Sie — fein leise — wir muͤssen zur kleinen Baronin!“ — Ich ließ mich schweigend fortziehen; die Art, wie Adel, heid von der Baronin sprach, schien mir unwuͤrdig, und vorzuͤglich die Andeutung des Verstaͤndnisses zwischen uns gemein. Als ich mit Adelheid ein¬ trat, kam Seraphine mir mit einem leisen Ach! drey — vier Schritte rasch entgegen, dann blieb sie, wie sich besinnend, mitten im Zimmer stehen, ich wagte, ihre Hand zu ergreifen, und sie an meine Lippen zu druͤcken. Die Baronin ließ ihre Hand in der meinigen ruhen, indem sie sprach: „Aber mein Gott, ist es denn ihres Berufs, es mit Woͤlfen aufzunehmen? Wissen Sie denn nicht, daß Orpheus, Amphions fabelhafte Zeit, laͤngst voruͤber ist, und daß die wilden Thiere allen Re¬ spekt vor den vortrefflichsten Saͤngern ganz ver¬ loren haben?“ — Diese anmuthige Wendung, mit der die Baronin ihrer lebhaften Theilnahme so¬ gleich alle Mißdeutung abschnitt, brachte mich au¬ genblicklich in richtigen Ton und Takt. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich nicht, wie ge¬ woͤhnlich, mich an das Instrument setzte, sondern neben der Baronin auf dem Kanapee Platz nahm. Mit dem Wort: „Und wie kamen Sie denn in Gefahr?“ erwies sich unser Einverstaͤndniß, daß es heute nicht auf Musik, sondern auf Gespraͤch ab¬ gesehen sey.“ Nachdem ich meine Abenteuer im Walde erzaͤhlt, und der lebhaften Theilnahme des Barons erwaͤhnt, mit der leisen Andeutung, daß ich ihn deren nicht fuͤr faͤhig gehalten, fing die Baronin mit sehr weicher, beinahe wehmuͤthiger Stimme an: „O wie muß Ihnen der Baron so stuͤrmisch, so rauh vorkommen, aber glauben Sie mir, nur waͤhrend des Aufenthalts in diesen fin¬ stern unheimlichen Mauern, nur waͤhrend des wilden Jagens in den oͤden Foͤhrenwaͤldern aͤndert er sein ganzes Wesen, wenigstens sein aͤußeres Be¬ tragen. Was ihn vorzuͤglich so ganz und gar ver¬ stimmt, ist der Gedanke, der ihn bestaͤndig ver¬ folgt, daß hier irgend etwas Entsetzliches gesche¬ hen werde: daher hat ihn Ihr Abenteuer, das zum Gluͤck ohne uͤble Folgen blieb, gewiß tief er¬ schuͤttert. Nicht den geringsten seiner Diener will er der mindesten Gefahr ausgesetzt wissen, viel weniger einen lieben neugewonnenen Freund, und ich weiß gewiß, daß Gottlieb, dem er Schuld gibt, Sie im Stiche gelassen zu haben, wo nicht mit Gefaͤngniß bestraft werden, doch die beschaͤmende Jaͤgerstrafe dulden wird, ohne Gewehr, mit einem Knittel in der Hand, sich dem Jagdgefolge an¬ schließen zu muͤssen. Schon, daß solche Jagden, wie hier, nie ohne Gefahr sind, und daß der Ba¬ ron, immer Ungluͤck befuͤrchtend, doch in der Freude und Lust daran, selbst den boͤsen Daͤmon neckt, bringt etwas Zerrissenes in sein Leben, das feind¬ lich selbst auf mich wirken muß. Man erzaͤhlt viel Seltsames von dem Ahnherrn, der das Ma¬ jorat stiftete, und ich weiß es wohl, daß ein duͤ¬ steres Familiengeheimniß, das in diesen Mauern verschlossen, wie ein entsetzlicher Spuk, die Besitzer wegtreibt, und es ihnen nur moͤglich macht, eine kurze Zeit hindurch im lauten wilden Gewuͤhl aus¬ zudauern. Aber ich! — wie einsam muß ich mich in diesem Gewuͤhl befinden, und wie muß mich das Un¬ heimliche, das aus allen Waͤnden weht, im Innersten aufregen! Sie, mein lieber Freund! haben mir die ersten heitern Augenblicke, die ich hier verlebte, durch ihre Kunst verschafft! — wie kann ich Ih¬ nen denn herzlich genug dafuͤr danken! —“ Ich kuͤßte die mir dargebotene Hand, indem ich erklaͤrte: daß auch ich gleich am ersten Tage, oder vielmehr in der ersten Nacht, das Unheimliche des Aufent¬ halts bis zum tiefsten Entsetzen gefuͤhlt habe. Die Baronin blickte mir starr ins Gesicht, als ich jenes Unheimliche der Bauart des ganzen Schlosses, vor¬ zuͤglich den Verzierungen im Gerichtssaal, dem sau¬ senden Seewinde u. s. w. zuschrieb. Es kann seyn, daß Ton und Ausdruck darauf hindeuteten, daß ich noch etwas anderes meine, genug, als ich schwieg, rief die Baronin heftig: „Nein, nein — es ist Ihnen irgend etwas Entsetzliches geschehen in jenem Saal, den ich nie ohne Schauer betrete! — ich be¬ schwoͤre Sie — sagen Sie mir Alles! — Zur Todtenblaͤsse war Seraphinens Gesicht ver¬ bleicht, ich sah wohl ein, daß es nun gerathener sey, alles, was mir widerfahren, getreulich zu erzaͤhlen, als Seraphinens aufgeregter Fantasie es zu uͤberlas¬ sen, vielleicht einen Spuk, der, in mir unbekannter Beziehung, noch schrecklicher seyn konnte, als der erlebte, sich auszubilden: Sie hoͤrte mich an, und immer mehr und mehr stieg ihre Beklommenheit und Angst. Als ich des Kratzens an der Wand er¬ waͤhnte, schrie sie auf: „das ist entsetzlich — ja, ja — in dieser Mauer ist jenes fuͤrchterliche Geheim¬ niß verborgen! —“ Als ich dann weiter erzaͤhlte, wie der Alte mit geistiger Gewalt und Uebermacht den Spuk gebannt, seufzte sie tief, als wuͤrde sie frey von einer schweren Last, die ihre Brust ge¬ druͤckt. Sich zuruͤcklehnend, hielt sie beide Haͤnde vor's Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, daß Adelheid uns verlassen. Laͤngst hatte ich geendet, und da Se¬ raphine noch immer schwieg, stand ich leise auf, ging an das Instrument, und muͤhte mich, in anschwel¬ lenden Akkorden troͤstende Geister heraufzurufen, die Seraphinen dem finstern Reiche, das sich ihr in mei¬ ner Erzaͤhlung erschlossen, entfuͤhren sollten. Bald intonirte ich so zart, als ich es vermochte, eine jener heiligen Canzonen des Abbate Steffani. In den wehmuthsvollen Klaͤngen des: O chi, perchè piangete — erwachte Seraphine aus duͤstern Traͤumen, und horchte mild laͤchelnd, glaͤnzende Perlen in den Augen, mir zu. — Wie geschah es denn, daß ich vor ihr hinkniete, daß sie sich zu mir herabbeugte, daß ich sie mit meinen Ar¬ men umschlang, daß ein langer gluͤhender Kuß auf meinen Lippen brannte? — Wie geschah es denn, daß ich nicht die Besinnung verlor, daß ich es fuͤhlte, wie sie sanft mich an sich druͤckte, daß ich sie aus meinen Armen ließ, und schnell mich emporrichtend an das Instrument trat? Von mir abgewendet ging die Baronin einige Schritte nach dem Fenster hin, dann kehrte sie um, und trat mit einem beinahe stolzen Anstande, der ihr sonst gar nicht eigen, auf mich zu. Mir fest ins Auge blickend, sprach sie: „Ihr Onkel ist der wuͤrdigste Greis, den ich kenne, er ist der Schutzengel un¬ serer Familie — moͤge er mich einschließen in sein frommes Gebet!“ — Ich war keines Wortes maͤchtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kusse eingesogen, gaͤhrte und flammte in allen Pulsen, in allen Nerven! — Fraͤulein Adelheid trat her¬ ein — die Wuth des innern Kampfes stroͤmte aus in heißen Thraͤnen, die ich nicht zuruͤck zu draͤngen vermochte! — Adelheid blickte mich ver¬ wundert und zweifelhaft laͤchelnd an — ich haͤtte sie ermorden koͤnnen. Die Baronin reichte mir die Hand und sprach mit unbeschreiblicher Milde: „Leben Sie wohl, mein lieber Freund! — Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht niemand besser, als ich, ihre Musik verstand. — Ach! diese Toͤne werden lange — lange in mei¬ nem Innern wiederklingen.“ — Ich zwang mir einige einige unzusammenhaͤngende alberne Worte ab, und lief nach unserm Gemach. Der Alte hatte sich schon zur Ruhe begeben. Ich blieb im Saal, ich stuͤrzte auf die Knie, ich weinte laut — ich rief den Na¬ men der Geliebten, kurz, ich uͤberließ mich den Thor¬ heiten des verliebten Wahnsinns trotz einem, und nur der laute Zuruf des uͤber mein Toben aufge¬ wachten Alten: „Vetter, ich glaube du bist verruͤckt geworden, oder balgst dich aufs neue mit einem Wolf? — Schier dich zu Bette, wenn es dir sonst gefaͤllig ist.“ — Nur dieser Zuruf trieb mich hinein ins Gemach, wo ich mich mit dem festen Vorsatz niederlegte, nur von Seraphinen zu traͤumen. Es mochte schon nach Mitternacht seyn, als ich, noch nicht eingeschlafen, entfernte Stimmen, ein Hin- und Herlaufen, und das Oeffnen und Zuschlagen von Thuͤren zu vernehmen glaubte. Ich horchte auf, da hoͤrte ich Tritte auf dem Corridor sich na¬ hen, die Thuͤr des Saals wurde geoͤffnet, und bald klopfte es an unser Gemach. „Wer ist da,“ rief ich laut; da sprach es draußen: „Herr Justitiarius — K Herr Justitiarius, wachen Sie auf — wachen Sie auf!“ — Ich erkannte Franzens Stimme, und indem ich frug: „Brennt es im Schlosse,“ wurde der Alte wach, und rief: „Wo brennt es? — wo ist schon wieder verdammter Teufelsspuk los ?“ „Ach, stehen Sie auf, Herr Justitiarius,“ sprach Franz, „stehen Sie auf, der Herr Baron verlangt nach Ih¬ nen!“ „Was will der Baron von mir,“ frug der Alte weiter, „was will er von mir zur Nachtzeit? — weiß er nicht, daß das Justitiariat mit dem Justi¬ tiarius zu Bette geht, und eben so gut schlaͤft, als er?“ „Ach,“ rief nun Franz aͤngstlich, „lieber Herr Justitiarius, stehen Sie doch nur auf — die gnaͤdige Frau Baronin liegt im Sterben!“ — Mit einem Schrey des Entsetzens fuhr ich auf. „Oeffne Franzen die Thuͤr,“ rief mir der Alte zu; besin¬ nungslos wankte ich im Zimmer herum, ohne Thuͤr und Schloß zu finden. Der Alte mußte mir beiste¬ hen, Franz trat bleich mit verstoͤrtem Gesicht herein, und zuͤndete die Lichter an. Als wir uns kaum in die Kleider geworfen, hoͤrten wir schon den Baron im Saal rufen: „Kann ich Sie sprechen, lieber V.?“ — „Warum hast du dich angezogen, Vetter, der Baron hat nur nach mir verlangt?“ frug der Alte, im Begriff herauszutre¬ ten. Ich muß hinab — ich muß sie sehen und dann sterben, sprach ich dumpf und wie vernichtet vom trostlosen Schmerz. „Ja so! da hast du Recht, Vetter!“ Dies sprechend warf mir der Alte die Thuͤr vor der Nase zu, daß die Angeln klirrten, und verschloß sie von draußen. Im ersten Augen¬ blick, uͤber diesen Zwang empoͤrt, wollt' ich die Thuͤr einrennen, aber mich schnell besinnend, daß dieses nur die verderblichen Folgen einer ungezuͤgelten Ra¬ serei haben koͤnne, beschloß ich, die Ruͤckkehr des Alten abzuwarten, dann aber, koste es was es wolle, seiner Aufsicht zu entschluͤpfen. Ich hoͤrte den Alten heftig mit dem Baron reden, ich hoͤrte mehrmals meinen Namen nennen, ohne weiteres verstehen zu koͤnnen — Mit jeder Sekunde wurde mir meine Lage toͤdtlicher. — Endlich vernahm ich, wie dem Baron eine Botschaft gebracht wurde, und wie er schnell davon rannte. Der Alte trat wieder in das K2 Zimmer — „Sie ist todt“ — mit diesem Schrey stuͤrzte ich dem Alten entgegen — „Und du bist naͤr¬ risch!“ fiel er gelassen ein, faßte mich, und druͤckte mich in einen Stuhl. Ich muß hinab, schrie ich, ich muß hinab, sie sehen, und sollt' es mir das Le¬ ben kosten! — „Thue das, lieber Vetter,“ sprach der Alte, indem er die Thuͤr verschloß, den Schluͤs¬ sel abzog und in die Tasche steckte. Nun flammte ich auf in toller Wuth, ich griff nach der geladenen Buͤchse, und schrie: „Hier vor Ihren Augen jage ich mir die Kugel durch den Kopf, wenn Sie nicht sogleich mir die Thuͤr oͤffnen.“ Da trat der Alte dicht vor mir hin, und sprach, indem er mich mit durch¬ bohrendem Blick ins Auge faßte: „Glaubst du, Knabe, daß du mich mit deiner armseligen Drohung erschrecken kannst? — Glaubst du, daß mir dein Leben was werth ist, wenn du vermagst, es in kin¬ discher Albernheit, wie ein abgenutztes Spielzeug, wegzuwerfen? — Was hast du mit dem Weibe des Barons zu schaffen? — wer gibt dir das Recht, dich, wie ein uͤberlaͤstiger Geck, da hinzudraͤngen, wo du nicht hin gehoͤrst, und wo man dich auch gar nicht mag? — Willst du den liebelnden Schaͤfer machen in ernster Todesstunde?“ — Ich sank ver¬ nichtet in den Lehnstuhl — Nach einer Weile fuhr der Alte mit milderer Stimme fort: „Und damit du es nur weißt, mit der angeblichen Todesgefahr der Baronin ist es wahrscheinlich ganz und gar nichts — Fraͤulein Adelheid ist denn nun gleich au¬ ßer sich uͤber alles; wenn ihr ein Regentropfen auf die Nase faͤllt, so schreit sie: Welch ein schreckli¬ ches Unwetter! — Zum Ungluͤck ist der Feuerlaͤrm bis zu den alten Tanten gedrungen, die sind unter unziemlichem Weinen mit einem ganzen Arsenal von staͤrkenden Tropfen — Lebenselixiren, und was weiß ich sonst, angeruͤckt — Eine starke Anwandlung von Ohnmacht“ — Der Alte hielt inne, er mochte be¬ merken, wie ich im Innern kaͤmpfte. Er ging ei¬ nige Mal die Stube auf und ab, stellte sich wieder vor mir hin, lachte recht herzlich, und sprach: „Vet¬ ter, Vetter! was treibst du fuͤr naͤrrisches Zeug? — Nun! — es ist einmal nicht anders, der Satan treibt hier seinen Spuk auf mancherlei Weise, du bist ihm ganz lustig in die Krallen gelaufen, und er macht jetzt sein Taͤnzchen mit dir“ — Er ging wie¬ der einige Schritte auf und ab, dann sprach er wei¬ ter: „Mit dem Schlaf ist's nun einmal vorbey, und da daͤcht' ich, man rauchte eine Pfeife, und braͤchte so noch die paar Stuͤndchen Nacht und Fin¬ sterniß hin!“ — Mit diesen Worten nahm der Alte eine thoͤnerne Pfeife vom Wandschrank herab, und stopfte sie, ein Liedchen brummend, langsam und sorgfaͤltig, dann suchte er unter vielen Papieren, bis er ein Blatt herausriß, es zum Fidibus zusammen¬ knetete und ansteckte. Die dicken Rauchwolken von sich blasend, sprach er zwischen den Zaͤhnen: „Nun Vetter, wie war es mit dem Wolf?“ — Ich weiß nicht, wie dies ruhige Treiben des Alten seltsam auf mich wirkte. — Es war, als sey ich gar nicht mehr in R. — sitten — die Baronin weit — weit von mir entfernt, so daß ich sie nur mit den gefluͤ¬ gelten Gedanken erreichen koͤnne! — Die letzte Frage des Alten verdroß mich. „Aber,“ fiel ich ein, „finden Sie mein Jagdabenteuer so lustig, so zum Bespoͤtteln geeignet? „Mit nichten,“ erwiderte der Alte, „mit nichten Herr Vetter, aber du glaubst nicht, welch' komisches Gesicht solch ein Kiek in die Welt, wie du, schneidet, und wie er sich uͤberhaupt so possierlich da¬ bei macht, wenn der liebe Gott ihn einmal wuͤrdigt, was besonderes ihm passiren zu lassen. — Ich hatte einen akademischen Freund, der ein stiller, besonne¬ ner, mit sich einiger Mensch war. Der Zufall ver¬ wickelte ihn, der nie Anlaß zu dergleichen gab, in eine Ehrensache, und er, den die mehresten Burschen fuͤr einen Schwaͤchling, fuͤr einen Pinsel hielten, benahm sich dabei mit solchem ernstem entschlossenem Muthe, daß alle ihn hoͤchlich bewunderten. Aber seit der Zeit war er auch umgewandelt. Aus dem fleißigen besonnenen Juͤnglinge wurde ein prahlhaf¬ ter, unausstehlicher, Raufbold. Er kommerschirte und jubelte, und schlug, dummer Kinderei halber, sich so lange, bis ihn der Senior einer Landsmann¬ schaft, die er auf poͤbelhafte Weise beleidigt, im Duell niederstieß. — Ich erzaͤhle dir das nur so, Vetter, du magst dir dabei denken, was du willst! — Um nun wieder auf die Baronin und ihre Krankheit zu kommen“ — Es ließen sich in dem Augenblick leise Tritte auf dem Saal hoͤren, und mir war es, als ginge ein schauerliches Aechzen durch die Luͤfte! — „Sie ist hin!“ — der Gedanke durchfuhr mich wie ein toͤdtender Blitz! — Der Alte stand rasch auf, und rief laut: „Franz — Franz!“ — „Ja, lie¬ ber Herr Justitiarius,“ antwortete es draußen! „Franz,“ fuhr der Alte fort, „schuͤre ein wenig das Feuer im Kamin zusammen, und ist es thunlich, so magst du fuͤr uns ein Paar Tassen guten Thee be¬ reiten!“ — „Es ist verteufelt kalt,“ wandte sich der Alte zu mir, „und da wollen wir uns lieber draußen am Kamine was erzaͤhlen.“ Der Alte schloß die Thuͤr auf, ich folgte ihm mechanisch. „Wie gehts unten,“ frug der Alte. „Ach,“ erwiderte Franz, „es hatte gar nicht viel zu bedeuten, die gnaͤdige Frau Baronin sind wieder ganz munter, und schieben das bischen Ohnmacht auf einen boͤsen Traum!“ — Ich wollte aufjauchzen vor Freude und Entzuͤcken, ein sehr ernster Blick des Alten wies mich zur Ruhe. — „Ja,“ sprach der Alte, „im Grunde genommen waͤr's doch besser, wir leg¬ ten uns noch ein paar Stuͤndchen aufs Ohr — Laß es nur gut seyn mit dem Thee, Franz!“ — „Wie Sie befehlen, Herr Justitiarius,“ erwiderte Franz, und verließ den Saal mit dem Wunsch einer geruhsamen Nacht, unerachtet schon die Haͤhne kraͤhten. „Hoͤre, Vetter!“ sprach der Alte, indem er die Pfeife im Kamin ausklopfte, „hoͤre, Vet¬ ter! gut ist's doch, daß dir kein Malheur passirt ist mit Woͤlfen und geladenen Buͤchsen!“ — Ich verstand jetzt alles und schaͤmte mich, daß ich dem Alten Anlaß gab, mich zu behandeln wie ein un¬ gezogenes Kind. „Sey so gut,“ sprach der Alte am andern Morgen, „sey so gut, lieber Vetter, steige herab und erkundige dich, wie es mit der Baronin steht. Du kannst nur immer nach Fraͤulein Adelheid fra¬ gen, die wird dich denn wohl mit einem tuͤchtigen Bulletin versehen.“ — Man kann denken, wie ich hinab eilte. Doch in dem Augenblick, als ich leise an das Vorgemach der Baronin pochen wollte, trat mir der Baron rasch aus demselben entgegen. Er blieb verwundert stehen und maß mich mit finsterm, durchbohrenden Blick. „Was wollen Sie hier!“ fuhr es ihm heraus. Unerachtet mir das Herz im Innersten schlug, nahm ich mich zusammen und er¬ wiederte mit festem Ton: „Mich im Auftrage des Onkels nach dem Befinden der gnaͤdigen Frau erkun¬ digen.“ „O es war ja gar nichts — ihr gewoͤhn¬ licher Nervenzufall. Sie schlaͤft sanft, und ich weiß, daß sie wohl und munter bei der Tafel er¬ scheinen wird! — Sagen Sie das — Sagen Sie das“ — Dies sprach der Baron mit einer gewissen leidenschaftlichen Heftigkeit, die mir anzudeuten schien, daß er um die Baronin besorgter sey, als er es wolle merken lassen. Ich wandte mich, um zuruͤckzukehren, da ergriff der Baron ploͤtzlich mei¬ nen Arm und rief mit flammendem Blick: „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger Mann!“ — Sah' ich nicht den schwerbeleidigten Gatten vor mir, und mußt ich nicht einen Auftritt befuͤrchten, der vielleicht schmachvoll fuͤr mich enden konnte? Ich war unbewaffnet, doch im Moment besann ich mich auf mein kuͤnstliches Jagdmesser, das mir der Alte erst in R..sitten geschenkt und das ich noch in der Tasche trug. Nun folgte ich dem mich rasch fortziehenden Baron mit dem Entschluß keines Le¬ ben zu schonen, wenn ich Gefahr laufen sollte, un¬ wuͤrdig behandelt zu werden. Wir waren in des Barons Zimmer eingetreten, dessen Thuͤr er hinter sich abschloß. Nun schritt er mit uͤbereinanderge¬ schlagenen Armen heftig auf und ab, dann blieb er vor mir stehen und wiederholte: „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger Mann!“ — Der ver¬ wegenste Muth war mir gekommen, und ich wie¬ derholte mit erhoͤhtem Ton: „Ich hoffe, daß es Worte seyn werden, die ich ungeahndet hoͤren darf!“ Der Baron schaute mich verwundert an, als verstehe er mich nicht. Dann blickte er finster zur Erde, schlug die Arme uͤber den Ruͤcken und fing wieder an im Zimmer auf und abzurennen. — Er nahm eine Buͤchse herab und stieß den Lade¬ stock hinein, als wolle er versuchen, ob sie geladen sey oder nicht! — Das Blut stieg mir in den Adern, ich faßte nach dem Messer und schritt dicht auf den Baron zu, um es ihm unmoͤglich zu ma¬ chen, auf mich anzulegen. „Ein schoͤnes Gewehr,“ sprach der Baron, die Buͤchse wieder in den Win¬ kel stellend. Ich trat einige Schritte zuruͤck und der Baron an mich heran; kraͤftiger auf meine Schulter schlagend, als gerade noͤthig, sprach er dann: „Ich muß Ihnen aufgeregt und verstoͤrt vorkommen, Theodor! ich bin es auch wirklich von der in tausend Aengsten durchwachten Nacht. Der Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht ge¬ faͤhrlich, das sehe ich jetzt ein, aber hier — hier in diesem Schloß, in das ein finst'rer Geist gebannt ist, fuͤrcht' ich das Entsetzliche, und dann ist es auch das erste Mal, daß sie hier erkrankte. Sie — Sie allein sind Schuld daran!“ — „Wie das moͤglich seyn koͤnne, davon haͤtte ich keine Ah¬ nung,“ erwiderte ich gelassen. „O,“ fuhr der Baron fort, „o waͤre der verdammte Ungluͤckskasten der Inspektorin auf blankem Eise zerbrochen in tau¬ send Stuͤcke, o waͤren Sie — doch nein! — nein! Es sollte, es mußte so seyn, und ich allein bin Schuld an Allem. An mir lag es, in dem Augen¬ blick, als Sie anfingen in dem Gemach meiner Frau Musik zu machen, Sie von der ganzen Lage der Sache, von der Gemuͤthsstimmung meiner Frau zu unterrichten“ — Ich machte Miene zu sprechen — „Lassen Sie mich reden,“ rief der Ba¬ ron, „ich muß im Voraus Ihnen alles voreilige Urtheil abschneiden. Sie werden mich fuͤr einen rauhen, der Kunst abholden Mann halten. Ich bin das keinesweges, aber eine, auf tiefe Ueberzeu¬ gung gebaute Ruͤcksicht noͤthigt mich, hier wo moͤglich solcher Musik, die jedes Gemuͤth, und auch gewiß das meinige ergreift, den Eingang zu versagen. Erfahren Sie, daß meine Frau an einer Erregbarkeit kraͤnkelt, die am Ende alle Lebens¬ freude wegzehren muß. In diesen wunderlichen Mauern kommt sie gar nicht heraus aus dem er¬ hoͤhten, uͤberreitzten Zustande, der sonst nur mo¬ mentan einzutreten pflegt, und zwar oft als Vor¬ bote einer ernsten Krankheit. Sie fragen mit Recht, warum ich der zarten Frau diesen schauerli¬ chen Aufenthalt, dieses wilde verwirrte Jaͤgerleben nicht erspare? Aber nennen Sie es immerhin Schwaͤche, genug, mir ist es nicht moͤglich sie allein zuruͤckzulassen. In tausend Aengsten und nicht faͤhig Ernstes zu unternehmen wuͤrde ich seyn, denn ich weiß es, die entsetzlichsten Bilder von aller¬ lei verstoͤrendem Ungemach, das ihr wiederfahren, verließen mich nicht im Walde, nicht im Gerichts¬ saal — Dann aber glaube ich auch, daß dem schwaͤch¬ lichen Weibe gerade diese Wirthschaft hier wie ein erkraͤftigendes Stahlbad anschlagen muß — Wahr¬ haftig, der Seewind, der nach seiner Art tuͤchtig durch die Foͤhren saust, das dumpfe Gebelle der Doggen, der keck und munter schmetternde Hoͤrner¬ klang muß hier siegen uͤber die verweichlenden, schmachtelnden Pinseleien am Clavier, das so kein Mann spielen sollte, aber Sie haben es darauf an¬ gelegt, meine Frau methodisch zu Tode zu quaͤ¬ len!“ — Der Baron sagte dies mit verstaͤrkter Stimme und wildfunkelnden Augen — das Blut stieg mir in den Kopf, ich machte eine heftige Be¬ wegung mit der Hand gegen den Baron, ich wollte sprechen, er ließ mich nicht zu Worte kommen. „Ich weiß, was Sie sagen wollen,“ fing er an, „ich weiß es und wiederhole es, daß Sie auf dem Wege waren meine Frau zu toͤdten, und daß ich Ihnen dies auch nicht im mindesten zurechnen kann, wiewohl Sie begreifen, daß ich dem Dinge Einhalt thun muß. — Kurz! — Sie exaltiren meine Frau durch Spiel und Gesang, und als sie in dem bodenlosen Meere traͤumerischer Visionen und Ah¬ nungen, die Ihre Musik wie ein boͤser Zauber her¬ aufbeschworen hat, ohne Halt und Steuer umher¬ schwimmt, druͤcken Sie sie hinunter in die Tiefe mit der Erzaͤhlung eines unheimlichen Spuks, der Sie oben im Gerichtssaal geneckt haben soll. Ihr Großonkel hat mir Alles erzaͤhlt, aber ich bitte Sie, wiederholen Sie mir Alles, was Sie sahen oder nicht sahen — hoͤrten — fuͤhlten — ahnten.“ Ich nahm mich zusammen und erzaͤhlte ruhig, wie es sich damit begeben, von Anfang bis zu Ende. Der Baron warf nur dann und wann einzelne Worte, die sein Erstaunen ausdruͤckten, dazwischen. Als ich darauf kam, wie der Alte sich mit frommen Muth dem Spuk entgegengestellt und ihn gebannt habe mit kraͤftigen Worten, schlug er die Haͤnde zu¬ sammen, hob sie gefaltet zum Himmel empor und rief begeistert: „Ja, er ist der Schutzgeist der Familie! — ruhen soll in der Gruft der Ahnen seine sterbliche Huͤlle!“ — Ich hatte geendet. „Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!“ murmelte der Baron in sich hinein, in¬ dem er mit uͤbereinander geschlagenen Armen im Zimmer auf und abschritt. „Weiter war es also nichts, Herr Baron?“ frug ich laut, indem ich Miene machte mich zu entfernen. Der Baron fuhr auf wie aus einem Traum, faßte freundlich mich bei der Hand und sprach: „Ja — lieber Freund! Freund! meine Frau, der sie so arg mitgespielt haben, ohne es zu wollen, die muͤssen Sie wie¬ der herstellen, — Sie allein koͤnnen das.“ Ich fuͤhlte mich erroͤthend, und stand ich dem Spiegel gegenuͤber, so erblickte ich gewiß in demselben ein sehr albernes verdutztes Gesicht. Der Baron schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden, er blickte mir unverwandt ins Auge mit einem recht fata¬ len ironischen Laͤcheln. „Wie in aller Welt sollte ich es anfangen,“ stotterte ich endlich muͤhsam her¬ aus. „Nun, nun,“ unterbrach mich der Baron, „Sie haben es mit keiner gefaͤhrlichen Patientin zu thun. Ich nehme jetzt ausdruͤcklich Ihre Kunst in Anspruch. Die Baronin ist nun einmal her¬ eingezogen in den Zauberkreis Ihrer Musik, und sie ploͤtzlich heraus zu reißen, wuͤrde thoͤrigt und grausam seyn. Setzen Sie die Musik fort. Sie werden zur Abendstunde in den Zimmern meiner Frau jedesmal willkommen seyn. Aber gehen Sie nach und nach uͤber zu kraͤftigerer Musik, verbin¬ den Sie geschickt das Heitere mit dem Ernsten — L und dann, vor allen Dingen, wiederholen Sie die Erzaͤhlung von dem unheimlichen Spuk recht oft. Die Baronin gewoͤhnt sich daran, sie vergißt, daß der Spuk hier in diesen Mauern hauset, und die Geschichte wirkt nicht staͤrker auf sie, als jedes an¬ dere Zaubermaͤrchen, das in irgend einem Roman, in irgend einem Gespensterbuch, ihr aufgetischt worden. Das thun Sie, lieber Freund!“ — Mit diesen Worten entließ mich der Baron — Ich ging — Ich war vernichtet in meinem eignen Innern, herabgesunken zum bedeutungslosen, thoͤ¬ rigten Kinde! — Ich Wahnsinniger, der ich glaubte, Eifersucht koͤnne sich in seiner Brust regen; Er selbst schickt mich zu Seraphinen, er selbst sieht in mir nur das willenlose Mittel, das er braucht und wegwirft, wie es ihm beliebt! — Vor wenig Minuten fuͤrchtete ich den Baron, es lag in mir tief im Hintergrunde verborgen das Bewußtseyn der Schuld, aber diese Schuld ließ mich das hoͤ¬ here, herrlichere Leben deutlich fuͤhlen, dem ich zu¬ gereift; nun war alles versunken in schwarze Nacht, und ich sah nur den albernen Knaben, der in kin¬ discher Verkehrtheit die papierne Krone, die er sich auf den heißen Kopf stuͤlpte, fuͤr aͤchtes Gold ge¬ halten. — Ich eilte zum Alten, der schon auf mich wartete. „Nun Vetter, wo bleibst du denn, wo bleibst du denn?“ rief er mir entgegen. „Ich habe mit dem Baron gesprochen,“ warf ich schnell und leise hin, ohne den Alten anschauen zu koͤn¬ nen. „Tausend Sapperlot!“ — sprach der Alte wie verwundert, „Tausend Sapperlot, dacht' ich's doch gleich! — der Baron hat dich gewiß her¬ ausgefordert, Vetter?“ — Das schallende Gelaͤch¬ ter, das der Alte gleich hinterher aufschlug, be¬ wies mir, daß er auch dieses Mal, wie immer, ganz und gar mich durchschaute — Ich biß die Zaͤhne zusammen — ich mochte kein Wort erwi¬ dern, denn wohl wußt' ich, daß es dessen nur be¬ durfte, um sogleich von den tausend Neckereien uͤberschuͤttet zu werden, die schon auf des Alten Lippen schwebten. L 2 Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend weiß, frisch gefalle¬ nen Schnee besiegte. Sie sah matt aus und ab¬ gespannt, doch als sie nun leise und melodisch sprechend die dunkeln Augen erhob, da blitzte suͤ¬ ßes, sehnsuͤchtiges Verlangen aus duͤsterer Glut, und ein fluͤchtiges Roth uͤberflog das lilienblasse Antlitz. Sie war schoͤner als jemals — Wer er¬ mißt die Thorheiten eines Juͤnglings mit zu hei¬ ßem Blut im Kopf und Herzen! — Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich uͤber auf die Baronin. Alles erschien mir wie eine heillose Mystifikation, und nun wollt' ich be¬ weisen, daß ich gar sehr bey vollem Verstande sey, und uͤber die Maßen scharfsichtig. — Wie ein schmollendes Kind vermied ich die Baronin, und entschluͤpfte der mich verfolgenden Adelheid, so daß ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Ta¬ fel zwischen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann. Beim Nachtisch stießen wir fleißig die Glaͤser zu¬ sammen, und, wie es in solcher Stimmung zu geschehen pflegt, ich war ungewoͤhnlich laut und lustig. Ein Bedienter hielt mir einen Teller hin, auf dem einige Bonbons lagen, mit den Worten: „von Fraͤulein Adelheid.“ Ich nahm, und bemerkte bald, daß auf einem der Bonbons mit Silberstift gekritzelt stand: „Und Seraphine?“ — Das Blut wallte mir auf in den Adern. Ich schaute hin nach Adelheid, die sah mich an mit uͤberaus schlauer, verschmitzter Miene, nahm das Glas und nickte mir zu mit leisem Kopfnicken. Beinahe willkuͤhrlos murmelte ich still: „Sera¬ phine,“ nahm mein Glas und leerte es mit einem Zuge. Mein Blick flog hin zu ihr, ich gewahrte, daß sie auch in dem Augenblick getrunken hatte, und ihr Glas eben hinsetzte — ihre Augen tra¬ fen die meinen, und ein schadenfroher Teufel raunte es mir in die Ohren: „Unseliger! — Sie liebt dich doch!“ — Einer der Gaͤste stand auf, und brachte, nordischer Sitte gemaͤß, die Gesund¬ heit der Frau vom Hause aus — Die Glaͤser er¬ klangen im lauten Jubel — Entzuͤcken und Verzweif¬ lung spalteten mir das Herz, — die Glut des Weins flammte in mir auf, alles drehte sich in Kreisen, es war, als muͤßte ich vor Aller Augen hinstuͤrzen zu ihren Fuͤßen, und mein Leben aushauchen! — „Was ist Ihnen, lieber Freund?“ Diese Frage meines Nachbars gab mir die Besinnung wieder, aber Se¬ raphine war verschwunden. — Die Tafel wurde aufgehoben. Ich wollte fort, Adelheid hielt mich fest, sie sprach allerley, ich hoͤrte, ich verstand kein Wort — sie faßte mich bei beiden Haͤnden, und rief mir laut lachend etwas in die Ohren — Wie von der Starrsucht gelaͤhmt, blieb ich stumm und re¬ gungslos. Ich weiß nur, daß ich endlich mecha¬ nisch ein Glas Likoͤr aus Adelheids Hand nahm, und es austrank, daß ich mich einsam in einem Fenster wiederfand, daß ich dann hinausstuͤrzte aus dem Saal, die Treppe hinab, und hinaus lief in den Wald. In dichten Flocken fiel der Schnee herab, die Foͤhren seufzten vom Sturm bewegt; wie ein Wahnsinniger sprang ich umher in weiten Kreisen, und lachte und schrie wild auf: Schaut zu, schaut zu! — Heisa! der Teufel macht sein Taͤnzchen mit dem Knaben, der zu speisen gedachte total verbotene Fruͤchte! — Wer weiß, wie mein tolles Spiel geen¬ det, wenn ich nicht meinen Namen laut in den Wald hinein rufen gehoͤrt. Das Wetter hatte nachgelas¬ sen, der Mond schien hell durch die zerrissenen Wol¬ ken, ich hoͤrte Doggen anschlagen, und gewahrte eine finstere Gestalt, die sich mir naͤherte. Es war der alte Jaͤger. „Ei, ei, lieber Herr Theodor!“ fing er an, „wie haben Sie sich denn verirrt in dem boͤ¬ sen Schneegestoͤber, der Herr Justitiarius warten auf Sie mit vieler Ungeduld!“ — Schweigend folgte ich dem Alten. Ich fand den Großonkel im Gerichtssaal arbeitend. „Das hast du gut gemacht,“ rief er mir entgegen, „das hast du sehr gut gemacht, daß du ein wenig ins Freie gingst, um dich gehoͤrig abzukuͤhlen. Trinke doch nicht so viel Wein, du bist noch viel zu jung dazu, das taugt nicht.“ — Ich brachte kein Wort hervor, schweigend setzte ich mich hin an den Schreibtisch. „Aber, sage mir nur, lie¬ ber Vetter, was wollte denn eigentlich der Baron von dir?“ — Ich erzaͤhlte alles, und schloß da¬ mit, daß ich mich nicht hergeben wollte zu der zweifelhaften Cur, die der Baron vorgeschlagen. „Wuͤrde auch gar nicht angehen,“ fiel der Alte mir in die Rede, „denn wir reisen morgen in al¬ ler Fruͤhe fort, lieber Vetter!“ — Es geschah so, ich sah Seraphinen nicht wieder! — Kaum angekommen in K. klagte der alte Großonkel, daß er mehr als jemals sich von der beschwerlichen Fahrt angegriffen fuͤhle. Sein muͤr¬ risches Schweigen, nur unterbrochen von heftigen Ausbruͤchen der uͤbelsten Laune, verkuͤndete die Ruͤckkehr seiner podagristischen Zufaͤlle. Eines Ta¬ ges wurd' ich schnell hingerufen, ich fand den Al¬ ten, vom Schlage getroffen, sprachlos auf dem Lager einen zerknitterten Brief in der krampfhaft geschlossenen Hand. Ich erkannte die Schriftzuͤge des Wirthschafts-Inspektors aus R — sitten, doch, von dem tiefsten Schmerz durchdrungen, wagte ich es nicht, den Brief dem Alten zu entreißen, ich zweifelte nicht an seinem baldigen Tod. Doch, noch ehe der Arzt kam, schlugen die Lebenspulse wieder, die wunderbar kraͤftige Natur des siebzig¬ jaͤhrigen Greises widerstand dem toͤdtlichen Anfall, noch desselben Tages erklaͤrte ihn der Arzt außer Gefahr. Der Winter war hartnaͤckiger als je¬ mals, ihm folgte ein rauher, duͤsterer Fruͤhling, und so kam es, daß nicht jener Zufall sowol, als das Podagra, von dem boͤsen Klima wohl gehegt, den Alten fuͤr lange Zeit auf das Krankenlager warf. In dieser Zeit beschloß er, sich von jedem Geschaͤft ganz zuruͤck zu ziehen. Er trat seine Ju¬ stitiariate an andere ab, und so war mir jede Hoffnung verschwunden, jemals wieder nach R — sit¬ ten zu kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur von mir verlangte er unterhalten, auf¬ geheitert zu werden. Aber wenn auch in schmerz¬ losen Stunden seine Heiterkeit wiedergekehrt war, wenn es an derben Spaͤßen nicht fehlte, wenn es selbst zu Jagdgeschichten kam, und ich jeden Augen¬ blick vermuthete, meine Heldenthat, wie ich den greulichen Wolf mit dem Jagdmesser erlegte, wuͤrde herhalten muͤssen; niemals — niemals erwaͤhnte er unseres Aufenthalts in R — sitten, und wer mag nicht einsehen, daß ich, aus natuͤrlicher Scheu, mich wohl huͤtete, ihn geradezu darauf zu brin¬ gen. — Meine bittere Sorge, meine stete Muͤhe um den Alten, hatte Seraphinens Bild in den Hintergrund gestellt. So wie des Alten Krank¬ heit nachließ, gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin, der mir wie ein leuchtender, auf ewig fuͤr mich untergegange¬ ner Stern erschien. Ein Ereigniß rief allen em¬ pfundenen Schmerz hervor, indem es mich zu¬ gleich, wie eine Erscheinung aus der Geisterwelt, mit eiskalten Schauern durchbebte! — Als ich naͤmlich eines Abends die Brieftasche, die ich in R — sitten getragen, oͤffne, faͤllt mir aus den auf¬ geblaͤtterten Papieren eine dunkle, mit einem wei¬ ßen Bande umschlungene Locke entgegen, die ich augenblicklich fuͤr Seraphinens Haar erkenne! Aber, als ich das Band naͤher betrachte, sehe ich deut¬ lich die Spur eines Blutstropfens! — Vielleicht wußte Adelheid in jenen Augenblicken des bewußt¬ losen Wahnsinns, der mich am letzten Tage er¬ griffen, mir dies Andenken geschickt zuzustellen, aber warum der Blutstropfe, der mich Entsetzli¬ ches ahnen ließ, und jenes beinahe zu schaͤfermaͤ¬ ßige Pfand zur schauervollen Mahnung an eine Leidenschaft, die theures Herzblut kosten konnte, hinaufsteigerte? — Das war jenes weiße Band, das mich, zum ersten Mal Seraphinen nahe, wie im leichten losen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Nacht das Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht spielen soll der Knabe mit der Waffe, deren Gefaͤhrlichkeit er nicht er¬ mißt! — Endlich hatten die Fruͤhlingsstuͤrme zu toben aufgehoͤrt, der Sommer behauptete sein Recht, und war erst die Kaͤlte unertraͤglich, so wurd' es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. Der Alte erkraͤftigte sich zusehends, und zog, wie er sonst zu thun pflegte, in einen Garten der Vor¬ stadt. An einem stillen lauen Abende saßen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬ gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich gestimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht, wie mir heute ist, ein ganz besonderes Wohlseyn, wie ich es seit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬ dringt mich mit gleichsam elektrischer Waͤrme. Ich glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“ Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤstern Gedanken abzubringen. „Laß es gut seyn, Vetter,“ sprach er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! — Denkst du noch an die Herbstzeit in R — sitten?“ — Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du dort auf ganz eigne Weise eintratst, und wider deinen Willen eingeflochten wurdest in die tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es an der Zeit, daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter! haben wir uͤber Dinge gesprochen, die du mehr ahntest, als verstandest. Die Natur stellt den Cy¬ klus des menschlichen Lebens in dem Wechsel der Jahreszeiten symbolisch dar, das sagen sie Alle, aber ich meine das auf andere Weise als Alle. Die Fruͤh¬ lingsnebel fallen, die Duͤnste des Sommers ver¬ dampfen, und erst des Herbstes reiner Aether zeigt deutlich die ferne Landschaft, bis das Hienieden ver¬ sinkt in die Nacht des Winters. — Ich meine, daß im Hellsehen des Alters sich deutlicher das Walten der unerforschlichen Macht zeigt. Es sind Blicke vergoͤnnt in das gelobte Land, zu dem die Pilger¬ fahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode. Wie wird mir in diesem Augenblick so klar das dunkle Ver¬ haͤngniß jenes Hauses, dem ich durch festere Bande, als Verwandtschaft sie zu schlingen vermag, ver¬ knuͤpft wurde. Wie liegt alles so erschlossen vor mei¬ nes Geistes Augen! — doch, wie ich nun alles so gestaltet vor mir sehe, das Eigentliche, das kann ich dir nicht mit Worten sagen, keines Menschen Zunge ist dessen faͤhig. Hoͤre mein Sohn das, was ich dir nur wie eine merkwuͤrdige Geschichte, die sich wohl zutragen konnte, zu erzaͤhlen vermag. Be¬ wahre tief in deiner Seele die Erkenntniß, daß die geheimnißvollen Beziehungen, in die du dich viel¬ leicht nicht unberufen wagtest, dich verderben konn¬ ten! — doch — das ist nun voruͤber!“ — Die Geschichte des R***schen Majorats, die der Alte jetzt erzaͤhlte, trage ich so treu im Gedaͤcht¬ niß, daß ich sie beinahe mit seinen Worten (er sprach von sich selbst in der dritten Person) zu wiederholen vermag. In einer stuͤrmischen Herbstnacht des Jahres 1760 weckte ein entsetzlicher Schlag, als falle das ganze weitlaͤuftige Schloß in tausend Truͤmmer zu¬ sammen, das Hausgesinde in R — sitten aus tiefem Schlafe. Im Nu war alles auf den Beinen, Lich¬ ter wurden angezuͤndet, Schrecken und Angst im leichenblassen Gesicht keuchte der Hausverwalter mit den Schluͤsseln herbei, aber nicht gering war jedes Erstaunen, als man in tiefer Todtenstille, in der das pfeifende Gerassel der muͤhsam geoͤffneten Schloͤs¬ ser, jeder Fußtritt, recht schauerlich wiederhallte, durch unversehrte Gaͤnge, Saͤle, Zimmer, fort und fort wandelte. Nirgends die mindeste Spur irgend einer Verwuͤstung. Eine finstere Ahnung erfaßte den alten Hausverwalter. Er schritt hinauf in den großen Rittersaal, in dessen Seitenkabinet der Frei¬ herr Roderich von R. zu ruhen pflegte, wenn er astronomische Beobachtungen angestellt. Eine zwi¬ schen der Thuͤr dieses und eines andern Kabinets an¬ gebrachte Pforte fuͤhrte durch einen engen Gang unmittelbar in den astronomischen Thurm. Aber so wie Daniel (so war der Hausverwalter geheißen) diese Pforte oͤffnete, warf ihm der Sturm, abscheu¬ lig heulend und sausend, Schutt und zerbroͤckelte Mauersteine entgegen, so daß er vor Entsetzen weit zuruͤckprallte, und, indem er den Leuchter, dessen Kerzen prasselnd verloͤschten, an die Erde fallen ließ, laut aufschrie: „O Herr des Himmels! der Ba¬ ron ist jaͤmmerlich zerschmettert!“ — In dem Au¬ genblick ließen sich Klagelaute vernehmen, die aus dem Schlafkabinet des Freiherrn kamen. Daniel fand die uͤbrigen Diener um den Leichnam ihres Herrn versammelt. Vollkommen und reicher geklei¬ det als jemals, ruhigen Ernst im unentstellten Ge¬ sichte, fanden sie ihn sitzend in dem großen reich ver¬ zierten Lehnstuhle, als ruhe er aus von gewichtiger Arbeit. Es war aber der Tod, in dem er aus¬ ruhte. Als es Tag geworden, gewahrte man, daß die Krone des Thurms in sich eingestuͤrzt. Die gro¬ ßen Quadersteine hatten Decke und Fußboden des astronomischen Zimmers eingeschlagen, nebst den nun voran stuͤrzenden maͤchtigen Balken, mit gedoppel¬ ter Kraft des Falles das untere Gewoͤlbe durchbro¬ chen, und einen Theil der Schloßmauer und des en¬ gen Ganges mit fort gerissen. Nicht einen Schritt durch die Pforte des Saals durfte man thun, ohne Gefahr wenigstens achtzig Fuß hinab zu stuͤrzen in tiefe Gruft. Der alte Freiherr hatte seinen Tod bis auf die Stunde vorausgesehen, und seine Soͤhne davon be¬ nachrichtigt. So geschah es, daß gleich folgenden Tages Wolfgang Freiherr von R., aͤltester Sohn des Verstorbenen, mithin Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten Vaters wohl bauend, hatte er, so wie er den verhaͤngnißvollen Brief erhalten, sogleich Wien, wo er auf der Reise sich gerade befand, verlassen, und war, so schnell es nur gehen wollte, nach R — sitten geeilt. Der Hausverwalter hatte den großen Saal schwarz ausschlagen, und den alten Freiherrn in den Klei¬ dern, wie man ihn gefunden, auf ein praͤchtiges Paradebette, das hohe silberne Leuchter mit bren¬ nenden Kerzen umgaben, legen lassen. Schwei¬ gend schritt Wolfgang die Treppe herauf, in den Saal hinein, und dicht hinan an die Leiche des Vaters. Da blieb er mit uͤber die Brust ver¬ schraͤnkten Armen stehen, und schaute starr und duͤster, mit zusammengezogenen Augenbrauen, dem Vater ins bleiche Antlitz. Er glich einer Bild¬ saͤule, keine Thraͤne kam in seine Augen. End¬ lich, mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, den rechten Arm hin nach der Leiche zuckend, M murmelte er dumpf: „Zwangen dich die Gestirne, den Sohn, den du liebtest, elend zu machen?“ — Die Haͤnde zuruͤckgeworfen, einen kleinen Schritt hinter sich getreten, warf nun der Baron den Blick in die Hoͤhe, und sprach mit gesenkter, bei¬ nahe weicher Stimme: „Armer, bethoͤrter Greis! — Das Fastnachtsspiel mit seinen laͤppischen Taͤu¬ schungen ist nun voruͤber! — Nun magst du er¬ kennen, daß das kaͤrglich zugemessene Besitzthum hienieden nichts gemein hat mit dem Jenseits uͤber den Sternen — Welcher Wille, welche Kraft reicht hinaus uͤber das Grab?“ — Wieder schwieg der Baron einige Sekunden — dann rief er hef¬ tig: „Nein, nicht ein Quentlein meines Erden¬ gluͤcks, das du zu vernichten trachtetest, soll mir dein Starrsinn rauben,“ und damit riß er ein zusammengelegtes Papier aus der Tasche, und hielt es zwischen zwey Fingern hoch empor an eine dicht bei der Leiche stehende brennende Kerze. Das Papier, von der Kerze ergriffen, flackerte hoch auf, und als der Wiederschein der Flamme auf dem Gesicht des Leichnams hin und her zuckte und spielte, war es, als ruͤhrten sich die Muskeln und der Alte spraͤche tonlose Worte, so daß, der entfernt stehenden Dienerschaft tiefes Grauen und Entsetzen ankam. Der Baron vollendete sein Ge¬ schaͤft mit Ruhe, indem er das letzte Stuͤckchen Papier, das er flammend zu Boden fallen lassen, mit dem Fuße sorglich austrat. Dann warf er noch einen duͤstern Blick auf den Vater, und eilte mit schnellen Schritten zum Saal hinaus. Andern Tages machte Daniel den Freiherrn mit der neuerlich geschehenen Verwuͤstung des Thurms bekannt, und schilderte mit vielen Wor¬ ten, wie sich uͤberhaupt alles in der Todesnacht des alten seligen Herrn zugetragen, indem er da¬ mit endete, daß es wohl gerathen seyn wuͤrde, so¬ gleich den Thurm herstellen zu lassen, da, stuͤrze er noch mehr zusammen, das ganze Schloß in Gefahr stehe, wo nicht zertruͤmmert, doch hart beschaͤdigt zu werden. M 2 „Den Thurm herstellen?“ fuhr der Freiherr den alten Diener, funkelnden Zorn in den Au¬ gen, an, „den Thurm herstellen? — Nimmer¬ mehr! — Merkst du denn nicht,“ fuhr er dann gelassener fort, „merkst du denn nicht Alter, daß der Thurm nicht so, ohne weitern Anlaß, einstuͤr¬ zen konnte? — Wie, wenn mein Vater selbst die Vernichtung des Orts, wo er seine unheimliche Sterndeuterey trieb, gewuͤnscht, wie, wenn er selbst gewisse Vorrichtungen getroffen haͤtte, die es ihm moͤglich machten, die Krone des Thurms, wenn er wollte, einstuͤrzen, und so das Innere des Thurms zerschmettern zu lassen? Doch dem sey wie ihm wolle, und mag auch das ganze Schloß zusammenstuͤrzen, mir ist es Recht. Glaubt ihr denn, daß ich in dem abenteuerlichen Eulenneste hier hausen werde? — Nein! jener kluge Ahn¬ herr, der in dem schoͤnen Thalgrunde die Funda¬ mente zu einem neuen Schloß legen ließ, der hat mir vorgearbeitet, dem will ich folgen.“ „Und so werden,“ sprach Daniel kleinlaut, „dann auch wohl die alten treuen Diener den Wanderstab zur Hand nehmen muͤssen.“ „Daß ich“ erwiderte der Freiherr, „mich nicht von unbehuͤlflichen schlotter¬ beinigten Greisen bedienen lassen werde, versteht sich von selbst, aber verstoßen werde ich keinen. Arbeitslos soll Euch das Gnadenbrod gut genug schmecken.“ „Mich,“ rief der Alte voller Schmerz, „mich, den Hausverwalter, so außer Aktivitaͤt — Da wandte der Freiherr, der dem Alten den Ruͤk¬ ken gekehrt, im Begriff stand, den Saal zu ver¬ lassen, sich ploͤtzlich um, blutroth im ganzen Ge¬ sichte vor Zorn, die geballte Faust vorgestreckt, schritt er auf den Alten zu, und schrie mit fuͤrch¬ terlicher Stimme: „Dich, du alter heuchlerischer Schurke, der du mit dem alten Vater das un¬ heimliche Wesen triebst dort oben, der du dich, wie ein Vampir, an sein Herz legtest, der viel¬ leicht des Alten Wahnsinn verbrecherisch nuͤtzte, um in ihm die hoͤllischen Entschluͤsse zu erzeugen, die mich an den Rand des Abgrunds brachten — Dich sollte ich hinausstoßen wie einen raͤudigen Hund!“ — Der Alte war vor Schreck uͤber diese entsetzlichen Reden, dicht neben dem Freiherrn, auf beide Knie gesunken, und so mochte es geschehen, daß dieser, indem er vielleicht unwillkuͤhrlich, wie denn im Zorn oft der Koͤrper dem Gedanken mechanisch folgt, und das Gedachte mimisch ausfuͤhrt, bei den letzten Worten den rechten Fuß vorschleuderte, den Alten so hart an der Brust traf, daß er mit einem dumpfen Schrey umstuͤrzte. Er raffte sich muͤhsam in die Hoͤhe, und indem er einen sonderbaren Laut, gleich dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Thieres, ausstieß, durchbohrte er den Frei¬ herrn mit einem Blick, in dem Wuth und Verzweif¬ lung gluͤhten. Den Beutel mit Geld, den ihm der Freiherr im Davonschreiten zugeworfen, ließ er un¬ beruͤhrt auf dem Fußboden liegen. — Unterdessen hatten sich die in der Gegend befind¬ lichen naͤchsten Verwandten des Hauses eingefunden, mit vielem Prunk wurde der alte Freiherr in der Familiengruft, die in der Kirche von R — sitten be¬ findlich, beigesetzt, und nun, da die geladenen Gaͤste sich wieder entfernt, schien der neue Majorats- Herr, von der duͤstern Stimmung verlassen, sich des erworbenen Besitzthums recht zu erfreuen. Mit R., dem Justitiarius des alten Freiherrn, dem er gleich, nachdem er ihn nur gesprochen, sein volles Vertrauen schenkte, und ihn in seinem Amt bestaͤ¬ tigte, hielt er genaue Rechnung uͤber die Einkuͤnfte des Majorats, und uͤberlegte, wie viel davon ver¬ wandt werden koͤnne zu Verbesserungen und zum Aufbau eines neuen Schlosses. V. meinte, daß der alte Freiherr unmoͤglich seine jaͤhrlichen Einkuͤnfte aufgezehrt haben koͤnne, und daß, da sich unter den Briefschaften nur ein paar unbedeutende Capitalien in Bankoscheinen befanden, und die in einem eiser¬ nen Kasten befindliche baare Summe tausend Thaler nur um weniges uͤberstiege, gewiß irgendwo noch Geld verborgen seyn muͤsse Wer anders konnte davon unterrichtet seyn, als Daniel, der, stoͤrrisch und eigensinnig wie er war, vielleicht nur darauf wartete, daß man ihn darum befrage. Der Baron war nicht wenig besorgt, daß Daniel, den er schwer beleidigt, nun nicht sowol aus Eigennutz, denn was konnte ihm, dem kinderlosen Greise, der im Stamm¬ schlosse R — sitten sein Leben zu enden wuͤnschte, die groͤßte Summe Geldes helfen, als vielmehr, um Rache zu nehmen fuͤr den erlittenen Schimpf, ir¬ gendwo versteckte Schaͤtze lieber vermodern lassen, als ihm entdecken werde. Er erzaͤhlte V. den gan¬ zen Vorfall mit Daniel umstaͤndlich, und schloß da¬ mit, daß nach mehreren Nachrichten, die ihm zuge¬ kommen, Daniel allein es gewesen sey, der in dem alten Freiherrn einen unerklaͤrlichen Abscheu, seine Soͤhne in R — sitten wiederzusehen, zu naͤhren ge¬ wußt habe. Der Justitiarius erklaͤrte diese Nach¬ richten durchaus fuͤr falsch, da kein menschliches We¬ sen auf der Welt im Stande gewesen sey, des alten Freiherrn Entschluͤsse nur einigermaßen zu lenken, viel weniger zu bestimmen, und uͤbernahm es uͤbri¬ gens, dem Daniel das Geheimniß, wegen irgend in einem verborgenen Winkel aufbewahrten Geldes, zu entlocken. Es bedurfte dessen gar nicht, denn kaum fing der Justitiarius an: „Aber wie kommt es denn, Daniel, daß der alte Herr so wenig baares Geld hinterlassen?“ so erwiderte Daniel mit widri¬ gem Laͤcheln: „Meinen Sie die lumpigten paar Thaler, Herr Justitiarius, die Sie in dem kleinen Kaͤstchen fanden? — das uͤbrige liegt ja im Gewoͤlbe neben dem Schlafkabinet des alten gnaͤdigen Herrn! — Aber das Beste,“ fuhr er dann fort, indem sein Laͤcheln sich zum abscheulichen Grinsen verzog, und blutrothes Feuer in seinen Augen funkelte, „aber das Beste, viele tausend Goldstuͤcke liegen da unten im Schutt vergraben!“ — Der Justitiarius rief sogleich den Freiherrn herbei, man begab sich in das Schlafkabinet, in einer Ecke desselben ruͤckte Daniel an dem Getaͤfel der Wand, und ein Schloß wurde sichtbar. Indem der Freiherr das Schloß mit gieri¬ gen Blicken anstarrte, dann aber Anstalt machte, die Schluͤssel, welche an dem großen Bunde hingen, den er mit vielem Geklapper muͤhsam aus der Tasche ge¬ zerrt, an dem glaͤnzenden Schlosse zu versuchen, stand Daniel da hoch aufgerichtet, und wie mit haͤmischem Stolz herabblickend auf den Freiherrn, der sich nie¬ dergebuͤckt hatte, um das Schloß besser in Augen¬ schein zu nehmen. Den Tod im Antlitz, mit be¬ bender Stimme, sprach er dann: „Bin ich ein Hund, hochgnaͤdiger Freiherr! — so bewahr' ich auch in mir des Hundes Treue.“ Damit reichte er dem Baron einen blanken staͤhlernen Schluͤssel hin, den ihm dieser mit hastiger Begier aus der Hand riß, und die Thuͤr mit leichter Muͤhe oͤff¬ nete. Man trat in ein kleines, niedriges Ge¬ woͤlbe, in welchem eine große eiserne Truhe mit geoͤffnetem Deckel stand. Auf den vielen Geldsaͤk¬ ken lag ein Zettel. Der alte Freiherr hatte mit seinen wohlbekannten großen altvaͤterischen Schrift¬ zuͤgen darauf geschrieben: Einmal hundert und funfzig tausend Reichs¬ thaler in alten Friedrichsd'or erspartes Geld von den Einkuͤnften des Majoratsgutes R — sit¬ ten, und ist diese Summe bestimmt zum Bau des Schlosses. Es soll ferner der Majorats¬ herr, der mir folgt, im Besitzthum von die¬ sem Gelde auf dem hoͤchsten Huͤgel oͤstlich gelegen, dem alten Schloßthurm, den er ein¬ gestuͤrzt finden wird, einen hohen Leuchtthurm, zum Besten der Seefahrer, auffuͤhren, und allnaͤchtlich feuern lassen. R — sitten in der Michaelisnacht des Jahres 1760. Roderich Freiherr von R. Erst als der Freiherr die Beutel, einen nach dem andern, gehoben, und wieder in den Ka¬ sten fallen lassen, sich ergoͤtzend an dem klirren¬ den Klingen des Goldes, wandte er sich rasch zu dem alten Hausverwalter, dankte ihm fuͤr die be¬ wiesene Treue, und versicherte, daß nur verlaͤum¬ derische Klaͤtschereien Schuld daran waͤren, daß er ihm Anfangs uͤbel begegnet. Nicht allein im Schlosse, sondern in vollem Dienst als Hausver¬ walter, mit verdoppeltem Gehalt, solle er bleiben. „Ich bin dir volle Entschaͤdigung schuldig, willst du Gold, so nimm dir einen von jenen Beuteln!“ — So schloß der Freiherr seine Rede, indem er mit niedergeschlagenen Augen, vor dem Alten ste¬ hend, mit der Hand nach dem Kasten hinzeigte, an den er nun aber noch einmal hintrat und die Beutel musterte. Dem Hausverwalter trat ploͤtz¬ lich gluͤhende Roͤthe ins Gesicht, und er sties je¬ nen entsetzlichen, dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Thiers aͤhnlichen, Laut aus, wie ihn der Freiherr dem Justitiarius beschrieben. Dieser erbebte, denn was der Alte nun zwischen den Zaͤhnen murmelte, klang, wie: Blut fuͤr Gold!“ — Der Freiherr, vertieft in dem Anblick des Schatzes, hatte von Allem nicht das mindeste be¬ merkt; Daniel, den es, wie im krampfigten Fie¬ berfrost, durch alle Glieder geschuͤttelt, nahte sich mit gebeugtem Haupt in demuͤthiger Stellung dem Freiherrn, kuͤßte ihm die Hand, und sprach mit weinerlicher Stimme, indem er mit dem Taschen¬ tuch sich uͤber die Augen fuhr, als ob er Thraͤ¬ nen wegwische: „Ach, mein lieber gnaͤdiger Herr, was soll ich armer, kinderloser Greis mit dem Golde? — aber das doppelte Gehalt, das nehme ich an mit Freuden, und will mein Amt verwal¬ ten ruͤstig und unverdrossen!“ Der Freiherr, der nicht sonderlich auf die Worte des Alten geachtet, ließ nun den schweren Deckel der Truhe zufallen, daß das ganze Gewoͤlbe krachte und droͤhnte, und sprach dann, indem er die Truhe ver¬ schloß, und die Schluͤssel sorgfaͤltig auszog, schnell hingeworfen: „Schon gut, schon gut Alter! — Aber du hast noch,“ fuhr er fort, nachdem sie schon in den Saal getreten waren, „aber du hast noch von vielen Goldstuͤcken gesprochen, die unten im zerstoͤr¬ ten Thurm liegen sollen?“ Der Alte trat schwei¬ gend an die Pforte, und schloß sie mit Muͤhe auf. Aber so wie er die Fluͤgel aufriß, trieb der Sturm dickes Schneegestoͤber in den Saal; aufgescheucht flatterte ein Rabe kreischend und kraͤchzend umher, schlug mit schwarzen Schwingen gegen die Fenster, und stuͤrzte sich, als er die offne Pforte wieder ge¬ wonnen, in den Abgrund. Der Freiherr trat hin¬ aus in den Corridor, bebte aber zuruͤck, als er kaum einen Blick in die Tiefe geworfen. „Abscheulicher Anblick — Schwindel,“ stotterte er, und sank, wie ohnmaͤchtig, dem Justitiarius in die Arme. Er raffte sich jedoch wieder gleich zusammen, und frug den Alten mit scharfen Blicken erfassend: „Und da unten?“ — Der Alte hatte indessen die Pforte wieder verschlossen, er druͤckte nun noch mit ganzer Leibeskraft dagegen, so daß er keuchte und aͤchzte, um nur die großen Schluͤssel aus den ganz verroste¬ ten Schloͤssern loswinden zu koͤnnen. Dies endlich zu Stande gebracht, wandte er sich um nach dem Baron, und sprach, die großen Schluͤssel in der Hand hin und her schiebend, mit seltsamen Laͤcheln: „Ja, da unten liegen tausend und tausend — alle schoͤnen Instrumente des seligen Herrn — Teleskope, Qua¬ dranten — Globen — Nachtspiegel — alles liegt zertruͤmmert im Schutt zwischen den Steinen und Balken!“ — „Aber, baares Geld, baares Geld,“ fiel der Freiherr ein, „du hast von Goldstuͤcken ge¬ sprochen, Alter?“ — „Ich meinte nur“ erwiderte der Alte, „Sachen, welche viele tausend Goldstuͤcke gekostet.“ — Mehr war aus dem Alten nicht heraus¬ zubringen. — Der Baron zeigte sich hoch erfreut, nun, mit einem Mal, zu allen Mitteln gelangt zu seyn, deren er bedurfte, seinen Lieblingsplan ausfuͤhren, naͤmlich ein neues praͤchtiges Schloß aufbauen zu koͤnnen. Zwar meinte der Justitiarius, daß, nach dem Wil¬ len des Verstorbenen, nur von der Reparatur, von dem voͤlligen Ausbau des alten Schlosses, die Rede seyn koͤnne, und daß in der That jeder neue Bau schwerlich die ehrwuͤrdige Groͤße, den ernsten einfa¬ chen Charakter des alten Stammhauses, erreichen werde, der Freiherr blieb aber bei seinem Vorsatz, und meinte, daß in solchen Verfuͤgungen, die nicht durch die Stiftungsurkunde sanktioniert worden, der todte des Dahingeschiedenen weichen muͤsse. Er gab dabei zu verstehen, daß es seine Pflicht sey, den Aufenthalt in R — sitten so zu verschoͤnern, als es nur Klima, Boden und Umgebung zulasse, da er ge¬ denke, in kurzer Zeit, als sein innig geliebtes Weib ein Wesen heimzufuͤhren, die in jeder Hinsicht der groͤßten Opfer wuͤrdig sey. Die geheimnißvolle Art, wie der Freiherr sich uͤber das vielleicht schon ins Geheim geschlossene Buͤndniß aͤußerte, schnitt dem Justitiarius jede weitere Frage ab, indessen fand er sich durch die Entschei¬ dung des Freiherrn in sofern beruhigt, als er wirk¬ lich in seinem Streben nach Reichthum mehr die Begier, eine geliebte Person, das schoͤnere Vater¬ land, dem sie entsagen mußte, ganz vergessen zu lassen, als eigentlichen Geiz, finden wollte. Fuͤr geizig, wenigstens fuͤr unausstehlich habsuͤchtig mußte er sonst den Baron halten, der, im Golde wuͤhlend, die alten Friedrichsd'or beaͤugelnd, sich nicht enthalten konnte, muͤrrisch aufzufahren: „Der alte Hallunke hat uns gewiß den reichsten Schatz verschwiegen, aber kuͤnftigen Fruͤhling laß' ich den Thurm ausraͤumen unter meinen Augen. — Baumeister kamen, mit denen der Freiherr weit¬ laͤuftig uͤberlegte, wie mit dem Bau am zweckmaͤßig¬ sten zu verfahren sey. Er verwarf Zeichnung auf Zeichnung, keine Architektur war ihm reich, gro߬ artig genug. Nun fing er an, selbst zu zeichnen, und, aufgeheitert durch diese Beschaͤftigungen, die ihm bestaͤndig das sonnenhelle Bild der gluͤcklich¬ sten Zukunft vor Augen stellten, erfaßte ihn eine frohe Laune, die oft an Ausgelassenheit anstreifte, und die er allen mitzutheilen wußte. Seine Frei¬ gebigkeit, die Opulenz seiner Bewirthung, wider¬ legte wenigstens jeden Verdacht des Geizes. Auch Daniel schien nun ganz jenen Tort, der ihm ge¬ schehen, vergessen zu haben. Er betrug sich still und demuͤthig gegen den Freiherrn, der ihn, des Schatzes in der Tiefe halber, oft mit mißtraui¬ schen Blicken verfolgte. Was aber allen wunder¬ bar vorkam, war, daß der Alte sich zu verjuͤngen schien von Tage zu Tage. Es mochte seyn, daß ihn der Schmerz um den alten Herrn tief ge¬ beugt hatte, und er nun den Verlust zu verschmer¬ zen begann, wohl aber auch, daß er nun nicht, wie sonst, kalte Naͤchte schlaflos auf dem Thurm N zubringen, und bessere Kost, guten Wein, wie es ihm gefiel, genießen durfte, genug, aus dem Greise schien ein ruͤstiger Mann werden zu wollen mit rothen Wangen und wohlgenaͤhrtem Koͤrper, der kraͤftig auftrat, und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spaß gab — Das lustige Leben in R — sitten wurde durch die Ankunft eines Man¬ nes unterbrochen, von dem man haͤtte denken sol¬ len, er gehoͤre nun gerade hin. Wolfgangs juͤn¬ gerer Bruder, Hubert, war dieser Mann, bei des¬ sen Anblick Wolfgang, im Antlitz den bleichen Tod, laut aufschrie: „Ungluͤcklicher, was willst du hier!“ — Hubert stuͤrzte dem Bruder in die Arme, die¬ ser faßte ihn aber, und zog ihn mit sich fort und hinauf in ein entferntes Zimmer, wo er sich mit ihm einschloß. Mehrere Stunden blieben beide zusammen, bis endlich Hubert herab kam mit ver¬ stoͤrtem Wesen, und nach seinen Pferden rief. Der Justitiarius trat ihm in den Weg, er wollte voruͤber; V., von der Ahnung ergriffen, daß viel¬ leicht gerade hier ein toͤdtlicher Bruderzwist enden koͤnne, bat ihn, wenigstens ein paar Stunden zu verweilen, und in dem Augenblick kam auch der Freiherr herab, laut rufend: „Bleibe hier, Hu¬ bert! — Du wirst dich besinnen!“ — Huberts Blicke heiterten sich auf, er gewann Fassung, und indem er den reichen Leibpelz, den er, schnell ab¬ gezogen, hinter sich dem Bedienten zuwarf, nahm er V — s Hand, und sprach mit ihm, in die Zim¬ mer schreitend, mit einem verhoͤhnenden Laͤcheln: „Der Majoratsherr will mich doch also hier lei¬ den.“ V. meinte, daß gewiß sich jetzt das un¬ gluͤckliche Mißverstaͤndniß loͤsen werde, welches nur bei getrenntem Leben habe gedeihen koͤnnen. Hubert nahm die staͤhlerne Zange, die beim Ka¬ min stand, zur Hand, und, indem er damit ein astiges, dampfendes Stuͤck Holz auseinander klopfte, und das Feuer besser aufschuͤrte, sprach er zu V.: „Sie merken, Herr Justitiarius, daß ich ein gut¬ muͤthiger Mensch bin, und geschickt zu allerlei haͤuslichen Diensten. Aber Wolfgang ist voll der wunderlichsten Vorurtheile, und — ein kleiner N 2 Geizhals.“ — V. fand es nicht gerathen, weiter in das Verhaͤltniß der Bruͤder einzudringen, zu¬ mal Wolfgangs Gesicht, sein Benehmen, sein Ton den durch Leidenschaften jeder Art im Innersten zerrissenen Menschen ganz deutlich zeigte. Um des Freiherrn Entschluͤsse in irgend einer das Majorat betreffenden Angelegenheit zu ver¬ nehmen, ging V. noch am spaͤten Abend hinauf in sein Gemach. Er fand ihn, wie er die Arme uͤber den Ruͤcken zusammengeschraͤnkt, ganz verstoͤrt mit großen Schritten das Zimmer maß. Er blieb stehen als er endlich den Justitiarius er¬ blickte, faßte seine beiden Haͤnde, und duͤster ihm ins Auge schauend, sprach er mit gebrochener Stimme: „Mein Bruder ist gekommen! — Ich weiß,“ fuhr er fort, als V. kaum den Mund zur Frage geoͤffnet, „Ich weiß, was Sie sagen wol¬ len.“ „Ach, Sie wissen nichts. Sie wissen nicht, daß mein ungluͤcklicher Bruder — ja ungluͤcklich nur will ich ihn nennen — daß er, wie ein boͤser Geist, mir uͤberall in den Weg tritt, und meinen Frieden stoͤrt. An ihm liegt es nicht, daß ich nicht unaussprechlich elend wurde, er that das Sei¬ nige dazu, doch der Himmel wollt' es nicht — Seit der Zeit, daß die Stiftung des Majorats bekannt wurde, verfolgt er mich mit toͤdtlichem Haß. Er beneidet mich um das Besitzthum, das in seinen Haͤnden wie Spreu verflogen waͤre. Er ist der wahnsinnigste Verschwender, den es gibt. Seine Schuldenlast uͤbersteigt bei weitem die Haͤlfte des freien Vermoͤgens in Curland, die ihm zu¬ faͤllt, und nun, verfolgt von Glaͤubigern, die ihn quaͤlen, eilt er her, und bettelt um Geld.“ — „Und Sie, der Bruder, verweigern“ — wollte ihm V. in die Rede fallen, doch der Freiherr rief, indem er V — s Haͤnde fahren ließ, und einen starken Schritt zuruͤcktrat, laut und heftig: „Hal¬ ten Sie ein! — ja! ich verweigere! Von den Einkuͤnften des Majorats kann und werde ich kei¬ nen Thaler verschenken! — Aber hoͤren Sie, wel¬ chen Vorschlag ich dem Unsinnigen vor wenigen Stunden vergebens machte, und dann richten Sie uͤber mein Pflichtgefuͤhl. Das freie Vermoͤgen in Curland ist, wie Sie wissen, bedeutend, auf die mir zufallende Haͤlfte wollt' ich verzichten, aber zu Gunsten seiner Familie. Hubert ist verheira¬ thet in Curland an ein schoͤnes armes Fraͤulein. Sie hat ihm Kinder erzeugt, und darbt mit ih¬ nen. Die Guͤter sollten administrirt, aus den Revenuͤen ihm die noͤthigen Gelder zum Unter¬ halt angewiesen, die Glaͤubiger, vermoͤge Abkom¬ mens, befriedigt werden. Aber was gilt ihm ein ruhiges, sorgenfreies Leben, was gilt ihm Frau und Kind! — Geld, baares Geld in großen Sum¬ men will er haben, damit er in verruchtem Leicht¬ sinn es verprassen koͤnne! — Welcher Daͤmon hat ihm das Geheimniß mit den einhundert und funf¬ zig tausend Thalern verrathen, davon verlangt er die Haͤlfte nach seiner wahnsinnigen Weise, be¬ hauptend, dies Geld sey, getrennt vom Majorat, als freies Vermoͤgen zu achten — Ich muß und werde ihm dies verweigern, aber mir ahnt es, mein Verderben bruͤtet er aus im Innern.“ — So sehr V. sich auch bemuͤhte, dem Freiherrn den Verdacht wider seinen Bruder auszureden, wobei er sich freilich, uneingeweiht in die naͤheren Verhaͤltnisse, mit ganz allgemeinen moralischen, ziemlich flachen Gruͤnden behelfen mußte, so ge¬ lang ihm dies doch ganz und gar nicht. Der Freiherr gab ihm den Auftrag, mit dem feindseli¬ gen geldgierigen Hubert zu unterhandeln. V. that dies mit so viel Vorsicht, als ihm nur moͤglich war, und freute sich nicht wenig, als Hubert end¬ lich erklaͤrte: „Mag es dann seyn, ich nehme die Vorschlaͤge des Majoratsherrn an, doch unter der Bedingung, daß er mir jetzt, da ich auf dem Punkt stehe, durch die Haͤrte meiner Glaͤubiger, Ehre und guten Namen auf immer zu verlieren, tausend Friedrichsd'or baar vorschieße, und erlaube, daß ich kuͤnftig, wenigstens einige Zeit hindurch, meinen Wohnsitz in dem schoͤnen R — sitten bei dem guͤtigen Bruder nehme.“ — „Nimmermehr!“ schrie der Freiherr auf, als ihm V. diese Vor¬ schlaͤge des Bruders hinterbrachte, „nimmermehr werde ich's zugeben, daß Hubert auch nur eine Minute in meinem Hause verweile, sobald ich mein Weib hergebracht! — Gehen Sie, mein theurer Freund, sagen Sie dem Friedenstoͤrer, daß er zweitausend Friedrichsd'or haben soll, nicht als Vorschuß, nein als Geschenk, nur fort — fort!“ V. wußte nun mit einem Mal, daß der Freiherr sich ohne Wissen des Vaters schon verheirathet hatte, und daß in dieser Heirath auch der Grund des Bruderzwistes liegen mußte. Hubert hoͤrte stolz und gelassen den Justitiarius an, und sprach, nachdem er geendet, dumpf und duͤster: „Ich werde mich besinnen, vor der Hand aber noch ei¬ nige Tage hier bleiben!“ — V. bemuͤhte sich, dem Unzufriedenen darzuthun, daß der Freiherr doch in der That alles thue, ihn, durch die Ab¬ tretung des freien Vermoͤgens, so viel als moͤg¬ lich, zu entschaͤdigen, und daß er uͤber ihn sich durchaus nicht zu beklagen habe, wenn er gleich bekennen muͤsse, daß jede Stiftung, die den Erst¬ gebornen so vorwiegend beguͤnstige, und die andern Kinder in den Hintergrund stelle, etwas Gehaͤssi¬ ges habe. Hubert riß, wie einer, der Luft machen will der beklemmten Brust, die Weste von oben bis unten auf; die eine Hand in die offne Busen¬ krause begraben, die andere in die Seite gestemmt, drehte er sich, mit einer raschen Taͤnzerbewegung, auf einem Fuße um, und rief mit schneidender Stimme: „Pah! — das Gehaͤssige wird geboren vom Haß“ — dann schlug er ein gellendes Gelaͤchter auf, und sprach: „Wie gnaͤdig doch der Majoratsherr dem armen Bettler seine Goldstuͤcke zuzuwerfen gedenkt.“ — V. sah nun wohl ein, daß von voͤlliger Aussoͤhnung der Bruͤder gar nicht die Rede seyn koͤnne. Hubert richtete sich in den Zimmern, die ihm in den Seitenfluͤgeln des Schlosses angewiesen worden, zu des Freiherrn Verdruß, auf recht langes Bleiben ein. Man bemerkte, daß er oft und lange mit dem Hausverwalter sprach, ja daß dieser sogar zuweilen mit ihm auf die Wolfsjagd zog. Sonst ließ er sich wenig sehen, und mied es ganz, mit dem Bruder allein zusammen zu kommen, welches diesem eben ganz recht war. V. fuͤhlte das Druͤckende dieses Verhaͤltnisses, ja er mußte sich es selbst gestehen, daß die ganz besondere unheimliche Manier Huberts in allem, was er sprach und that, alle Lust recht geflis¬ sentlich zerstoͤrend, eingriff. Jener Schreck des Frei¬ herrn, als er den Bruder eintreten sah, war ihm nun ganz erklaͤrlich. V. saß allein in der Gerichtsstube unter den Ak¬ ten, als Hubert eintrat, ernster, gelassener, als sonst, und mit beinahe wehmuͤthiger Stimme sprach: „ich nehme auch die letzten Vorschlaͤge des Bruders an, bewirken Sie, daß ich die zweitausend Fried¬ richsd'or noch heute erhalte, in der Nacht will ich fort — zu Pferde — ganz allein — „Mit dem Gelde?“ frug V. — „Sie haben Recht,“ erwi¬ derte Hubert, ich weiß, was Sie sagen wollen — die Last! — Stellen Sie es in Wechsel auf Isak Lazarus in K.!“ — Noch in dieser Nacht will ich hin nach K. Es treibt mich von hier fort, der Alte hat seine boͤsen Geister hier hinein ge¬ hext!“ — „Sprechen Sie von Ihrem Vater, Herr Baron?“ frug V. sehr ernst. Huberts Lippen bebten, er hielt sich an dem Stuhl fest, um nicht umzusinken, dann aber, sich ploͤtzlich er¬ mannend, rief er: „Also noch heute, Herr Justi¬ tiarius,“ und wankte, nicht ohne Anstrengung, zur Thuͤr hinaus. „Er sieht jetzt ein, daß keine Taͤu¬ schungen mehr moͤglich sind, daß er nichts vermag gegen meinen festen Willen,“ sprach der Freiherr, indem er den Wechsel auf Isak Lazarus in K. ausstellte. Eine Last wurde seiner Brust entnom¬ men durch die Abreise des feindlichen Bruders, lange war er nicht so froh gewesen, als bei der Abendtafel. Hubert hatte sich entschuldigen las¬ sen, alle vermißten ihn recht gern. — V. wohnte in einem etwas abgelegenen Zim¬ mer, dessen Fenster nach dem Schloßhofe heraus¬ gingen. In der Nacht fuhr er ploͤtzlich auf aus dem Schlafe, und es war ihm, als habe ein fer¬ nes, klaͤgliches Wimmern ihn aus dem Schlafe geweckt. Mochte er aber auch horchen, wie er wollte, es blieb alles todtenstill, und so mußte er jenen Ton, der ihm in die Ohren geklungen, fuͤr die Taͤuschung eines Traums halten. Ein ganz besonderes Gefuͤhl von Grauen und Angst bemaͤch¬ tigte sich seiner aber so ganz und gar, daß er nicht im Bette bleiben konnte. Er stand auf und trat ans Fenster. Nicht lange dauerte es, so wurde das Schloßthor geoͤffnet, und eine Gestalt, mit einer brennenden Kerze in der Hand, trat heraus und schritt uͤber den Schloßhof. V. erkannte in der Gestalt den alten Daniel, und sah, wie er die Stallthuͤr oͤffnete, in den Stall hinein ging, und bald darauf ein gesatteltes Pferd heraus brachte. Nun trat aus der Finsterniß eine zweite Gestalt hervor, wohl eingehuͤllt in einen Pelz, eine Fuchs¬ muͤtze auf dem Kopf. V. erkannte Hubert, der mit Daniel einige Minuten hindurch heftig sprach, dann aber sich zuruͤckzog. Daniel fuͤhrte das Pferd wieder in den Stall, verschloß diesen, und eben so die Thuͤr des Schlosses, nachdem er uͤber den Hof, wie er gekommen, zuruͤckgekehrt. — Hubert hatte wegreiten wollen, und sich in dem Augenblick ei¬ nes andern besonnen, das war nun klar. Eben so aber auch, daß Hubert gewiß mit dem alten Haus¬ verwalter in irgend einem gefaͤhrlichen Buͤndnisse stand. V. konnte kaum den Morgen erwarten, um den Freiherrn von den Ereignissen der Nacht zu un¬ terrichten. Es galt nun wirklich, sich gegen An¬ schlaͤge des boͤsartigen Hubert zu waffnen, die sich, wie V. jetzt uͤberzeugt war, schon gestern in seinem verstoͤrten Wesen kund gethan. Andern Morgens zur Stunde, wenn der Frei¬ herr aufzustehen pflegte, vernahm V. ein Hin- und Herrennen, Thuͤr auf, Thuͤr zu schlagen, ein ver¬ wirrtes Durcheinanderreden und Schreien. Er trat hinaus, und stieß uͤberall auf Bediente, die, ohne auf ihn zu achten, mit leichenblassen Gesichtern ihm vorbei — Trepp auf — Trepp ab — hinaus — hin¬ ein durch die Zimmer rannten. Endlich erfuhr er, daß der Freiherr vermißt, und schon Stunden lang vergebens gesucht werde. — In Gegenwart des Jaͤ¬ gers hatte er sich ins Bette gelegt, er mußte dann aufgestanden, und sich im Schlafrock und Pantof¬ feln, mit dem Armleuchter in der Hand, entfernt haben, denn eben diese Stuͤcke wurden vermißt. V. lief, von duͤsterer Ahnung getrieben, in den verhaͤng¬ nißvollen Saal, dessen Seitenkabinet gleich dem Vater Wolfgang zu seinem Schlafgemach gewaͤhlt hatte. Die Pforte zum Thurm stand weit offen, tief entsetzt schrie V. laut auf: „Dort in der Tiefe liegt er zerschmettert!“ — Es war dem so. Schnee war gefallen, so daß man von oben herab nur den zwischen den Steinen hervorragenden starren Arm des Ungluͤcklichen deutlich wahrnehmen konnte. Viele Stunden gingen hin, ehe es den Arbeitern gelang, mit Lebensgefahr, auf zusammengebundenen Leitern, herab zu steigen, und dann den Leichnam an Stricken heraufzuziehen. Im Krampf der Todesangst hatte der Baron den silbernen Armleuchter fest gepackt, die Hand, die ihn noch fest hielt, war der einzige un¬ versehrte Theil des ganzen Koͤrpers, der sonst durch das Anprallen an die spitzen Steine auf das graͤ߬ lichste zerschellt worden. Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz stuͤrzte Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen, und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen breiten Tisch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte Roderich lag. Niedergeschmettert von dem graͤßlichen Anblick heulte er: „Bruder — o mein armer Bruder — nein, das hab' ich nicht erfleht von den Teufeln, die uͤber mir waren!“ — V. er¬ bebte vor dieser verfaͤnglichen Rede, es war ihm so, als muͤsse er zufahren auf Hubert, als den Moͤrder seines Bruders — Hubert lag von Sinnen auf dem Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬ holte sich, nachdem er staͤrkende Mittel gebraucht, ziemlich bald. Sehr bleich, duͤstern Gram im halb erloschnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer, und sprach, indem er vor Mattigkeit, nicht faͤhig zu stehen, sich langsam in einen Lehnstuhl niederließ: „Ich habe meines Bruders Tod gewuͤnscht, weil der Vater ihm den besten Theil des Erbes zugewandt durch eine thoͤrigte Stiftung — jetzt hat er seinen Tod gefunden auf schreckliche Weise — ich bin Ma¬ joratsherr, aber mein Herz ist zermalmt, ich kann, ich werde niemals gluͤcklich seyn. Ich bestaͤtige Sie im Amte, Sie erhalten die ausgedehntesten Voll¬ machten, Ruͤcksichts der Verwaltung des Majorats, auf dem ich nicht zu hausen vermag!“ — Hubert verließ das Zimmer, und war in ein paar Stunden schon auf dem Wege nach K. Es schien, daß der ungluͤckliche Wolfgang in der Nacht aufgestanden war, und sich vielleicht in das andere Kabinet, wo eine Bibliothek aufgestellt, begeben wollen. In der Schlaftrunkenheit verfehlte er die Thuͤr, oͤffnete statt derselben die Pforte, schritt vor, und stuͤrzte hinab. Diese Erklaͤrung enthielt indessen immer viel Erzwun¬ genes. Konnte der Baron nicht schlafen, wollte er sich noch ein Buch aus der Bibliothek holen, um zu lesen, so schloß dieses alle Schlaftrunkenheit aus, aber nur so war es moͤglich, die Thuͤr des Kabinets zu verfehlen, und statt dieser die Pforte zu oͤffnen. Ueberdem war diese fest verschlossen und mußte erst mit vieler Muͤhe aufgeschlossen werden. „Ach,“ fing endlich, als V. diese Unwahrscheinlichkeiten vor ver¬ sammelter Dienerschaft entwickelte, des Freiherrn Jaͤger, Franz geheißen, an: „Ach, lieber Herr Justitiarius, so hat es wohl sich nicht zugetragen!“ — „Wie denn anders?“ fuhr ihn V. an. Franz, ein ehrlicher treuer Kerl, der seinem Herrn haͤtte ins Grab folgen moͤgen, wollte aber nicht vor den an¬ dern mit der Sprache heraus, sondern behielt sich vor, das, was er davon zu sagen wisse, dem Ju¬ stitiarius allein zu vertrauen. V. erfuhr nun, daß der Freiherr zu Franz sehr oft von den vielen Schaͤtzen sprach, die da unten in dem Schutt begraben laͤgen, und daß er oft, wie vom boͤsen Geist getrieben, zur Nachtzeit noch die Pforte, zu der den Schluͤssel ihm Daniel hatte geben muͤssen, oͤffnete und mit Sehnsucht hinabschaute in die Tiefe nach den ver¬ meintlichen Reichthuͤmern. Gewiß war es nun wohl also, daß in jener verhaͤngnißvollen Nacht der Freiherr, nachdem ihn der Jaͤger schon verlassen, noch einen Gang nach dem Thurm gemacht und ihn dort ein ploͤtzlicher Schwindel erfaßt und herabge¬ stuͤrzt hatte. Daniel, der von dem entsetzlichen O Tode des Freiherrn auch sehr erschuͤttert schien, meinte, daß es gut seyn wuͤrde, die gefaͤhrliche Pforte fest vermauern zu lassen, welches denn auch gleich geschah. Freiherr Hubert von R., jetziger Majoratsbesitzer, ging, ohne sich wieder in R — sitten sehen zu lassen, nach Curland zuruͤck. V. erhielt alle Vollmachten, die zur unumschraͤnkten Verwal¬ tung des Majorats noͤthig waren. Der Bau des neuen Schlosses unterblieb, wogegen so viel moͤglich das alte Gebaͤude in guten Stand gesetzt wurde. Schon waren mehrere Jahre verflossen, als Hubert zum erstenmal zur spaͤten Herbstzeit sich in R — sitten einfand, und nachdem er mehrere Tage mit V. in seinem Zimmer eingeschlossen zugebracht, wieder nach Curland zuruͤckging. Bei seiner Durchreise durch K. hatte er bei der dortigen Landesregierung sein Testament niedergelegt. Waͤhrend seines Aufenthalts in R — sitten sprach der Freiherr, der in seinem tiefsten Wesen ganz geaͤndert schien, viel von Ahnungen eines nahen Todes. Diese gingen wirklich in Erfuͤllung; denn er starb schon das Jahr darauf. Sein Sohn, wie er Hubert geheißen, kam schnell heruͤber von Cur¬ land, um das reiche Majorat in Besitz zu nehmen. Ihm folgten Mutter und Schwester. Der Juͤng¬ ling schien alle boͤsen Eigenschaften der Vorfahren in sich zu vereinen; er bewies sich als stolz, hochfah¬ rend, ungestuͤm, habsuͤchtig gleich in den ersten Augenblicken seines Aufenthalts in R — sitten. Er wollte auf der Stelle vieles aͤndern lassen, welches ihm nicht bequem, nicht gehoͤrig schien; den Koch warf er zum Hause hinaus; den Kutscher versuchte er zu pruͤgeln, welches aber nicht gelang, da der baumstarke Kerl die Frechheit hatte, es nicht leiden zu wollen; kurz, er war im besten Zuge, die Rolle des strengen Majoratsherrn zu beginnen, als V. ihm mit Ernst und Festigkeit entgegen trat, sehr bestimmt versichernd: Kein Stuhl solle hier geruͤckt werden, keine Katze das Haus verlassen, wenn es ihr noch sonst darin gefalle, vor Eroͤffnung des Testaments. „Sie unterstehen sich hier, dem Ma¬ joratsherrn“ — fing der Baron an. V. ließ den O 2 den vor Wuth schaͤumenden Juͤngling jedoch nicht ausreden, sondern sprach, indem er ihn mit durch¬ bohrenden Blicken maß: „Keine Uebereilung, Herr Baron! — Durchaus duͤrfen Sie hier nicht regie¬ ren wollen vor Eroͤffnung des Testaments; jetzt bin ich , ich allein hier Herr, und werde Gewalt mit Gewalt zu vertreiben wissen. — Erinnern Sie sich, daß ich kraft meiner Vollmacht als Vollzieher des vaͤterlichen Testaments, kraft der getroffenen Ver¬ fuͤgungen des Gerichts berechtigt bin, Ihnen den Aufenthalt hier in R — sitten zu versagen, und ich rathe Ihnen, um das Unangenehme zu verhuͤten, sich ruhig nach K. zu begeben.“ Der Ernst des Ge¬ richtshalters, der entschiedene Ton, mit dem er sprach, gab seinen Worten gehoͤrigen Nachdruck, und so kam es, daß der junge Baron, der mit gar zu spitzigen Hoͤrnern anlaufen wollte, wider den festen Bau die Schwaͤche seiner Waffen fuͤhlte, und fuͤr gut fand, im Ruͤckzuge seine Beschaͤmung mit einem hoͤhnischen Gelaͤchter auszugleichen. Drei Monate waren verflossen und der Tag ge¬ kommen, an dem, nach dem Willen des Verstorbe¬ nen, das Testament in R., wo es niedergelegt worden, eroͤffnet werden sollte. Außer den Ge¬ richtspersonen, dem Baron und V. befand sich noch ein junger Mensch von edlem Ansehn in dem Ge¬ richtssaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein eingeknoͤpftes Aktenstuͤck aus dem Busen hervorragte, fuͤr V..s Schreiber hielt. Der Baron sah ihn, wie er es beinahe mit allen uͤbrigen machte, uͤber die Achsel an, und verlangte stuͤrmisch, daß man die langweilige uͤberfluͤssige Ceremonie nur schnell und ohne viele Worte und Schreiberei ab¬ machen solle. Er begreife nicht, wie es uͤberhaupt in dieser Erbangelegenheit, wenigstens Hinsichts des Majorats, auf ein Testament ankommen koͤnne, und werde, in so fern hier irgend etwas verfuͤgt seyn solle, es lediglich von seinem Willen abhaͤngen, das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des verstorbenen Vaters erkannte der Baron an, nach¬ dem er einen fluͤchtigen muͤrrischen Blick darauf ge¬ worfen, dann, indem der Gerichtsschreiber sich zum lauten Ablesen des Testaments anschickte, schaute er gleichguͤltig nach dem Fenster hin, den rechten Arm nachlaͤssig uͤber die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt auf den Gerichtstisch, und auf dessen gruͤner Decke mit den Fingern trommelnd. Nach einem kurzen Eingange erklaͤrte der verstorbene Frei¬ herr Hubert von R., daß er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr besessen, sondern dasselbe nur Nahmens des einzigen Sohnes des verstorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach seinem Gro߬ vater Roderich geheißen, verwaltet habe; dieser sey derjenige, dem nach der Familien-Succession durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genauesten Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬ gabe, uͤber den vorzufindenden Bestand u. s. w. wuͤrde man in seinem Nachlaß finden. Wolfgang von R., so erzaͤhlte Hubert in dem Testament, lernte auf seinen Reisen in Genf das Fraͤulein Julie von St. Val kennen, und faßte eine solche heftige Neigung zu ihr, daß er sich nie mehr von ihr zu trennen beschloß. Sie war sehr arm, und ihre Familie, unerachtet von gutem Adel, gehoͤrte eben nicht zu den glaͤnzendsten. Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich, dessen ganzes Streben dahin ging, das Majorathaus auf alle nur moͤgliche Weise zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch, von Paris aus dem Vater seine Neigung zu entdecken; was aber voraus zu sehen, geschah wirklich, indem der Alte bestimmt erklaͤrte, daß er schon selbst die Braut fuͤr den Ma¬ joratsherrn erkohren, und von einer andern niemals die Rede seyn koͤnne. Wolfgang, statt, wie er sollte, nach England hinuͤberzuschiffen, kehrte unter dem Nahmen Born nach Genf zuruͤck, und vermaͤhlte sich mit Julien, die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebahr, der mit dem Tode Wolfgangs Majoratsherr wurde. Daruͤber, daß Hubert, von der ganzen Sache unterrichtet, so lange schwieg, und sich selbst als Majoratsherr gerirte, waren ver¬ schiedene Ursachen angefuͤhrt, die sich auf fruͤhere Verabredungen mit Wolfgang bezogen, indessen unzureichend und aus der Luft gegriffen schie¬ nen. — Wie vom Donner geruͤhrt starrte der Baron den Gerichtsschreiber an, der mit eintoͤniger schnar¬ render Stimme alles Unheil verkuͤndete. Als er geendet, stand V. auf, nahm den jungen Menschen, den er mitgebracht, bei der Hand, und sprach, in¬ dem er sich gegen die Anwesenden verbeugte: „Hier, meine Herren, habe ich die Ehre, Ihnen den Frei¬ herrn Roderich von R., Majoratsherrn von R — sitten vorzustellen!“ Baron Hubert blickte den Juͤng¬ ling, der, wie vom Himmel gefallen, ihn um das reiche Majorat, um die Haͤlfte des freien Vermoͤ¬ gens in Curland brachte, verhaltenen Grimm im gluͤhenden Auge, an, drohte dann mit geballter Faust, und rannte, ohne ein Wort hervorbringen zu koͤnnen, zum Gerichtssaal hinaus. Von den Gerichtspersonen dazu aufgefordert, holte jetzt Ba¬ ron Roderich die Urkunden hervor, die ihn als die Person, fuͤr die er sich ausgab, legitimiren sollten. Er uͤberreichte den beglaubigten Auszug aus den Registern der Kirche, wo sein Vater sich trauen lassen, worin bezeugt wurde, daß an dem und dem Tage der Kaufmann Wolfgang Born, gebuͤrtig aus K., mit dem Fraͤulein Julie von St. Val, in Ge¬ genwart der genannten Personen, durch priesterliche Einsegnung getraut worden. Eben so hatte er sei¬ nen Taufschein (er war in Genf als von dem Kauf¬ mann Born mit seiner Gemahlin Julie, geb. von St. Val, in guͤltiger Ehe erzeugtes Kind getauft worden), verschiedene Briefe seines Vaters an seine schon laͤngst verstorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet waren. V. sah alle diese Papiere mit finsterm Gesichte durch, und sprach, ziemlich bekuͤmmert, als er sie wieder zusammenschlug: „Nun, Gott wird hel¬ fen!“ — Schon andern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch einen Advokaten, den er zu seinem Rechtsfreunde erkohren, bei der Landesregierung in K. eine Vorstellung ein, worin er auf nichts weniger antrug, als sofort die Uebergabe des Majorats R — sitten an ihn zu veranlassen. Es verstehe sich von selbst, sagte der Advokat, daß weder testamen¬ tarisch, noch auf irgend eine andere Weise, der ver¬ storbene Freiherr Hubert von R. habe uͤber das Majorat verfuͤgen koͤnnen. Jenes Testament sey also nichts anders, als die aufgeschriebene und ge¬ richtlich uͤbergebene Aussage, nach welcher der Frei¬ herr Wolfgang von R. das Majorat an einen Sohn vererbt haben solle, der noch lebe, die keine hoͤhere Beweiskraft, als jede andere irgend eines Zeugen haben, und also unmoͤglich die Legitimation des angeblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken koͤnne. Vielmehr sey es die Sache dieses Praͤten¬ denten, sein vorgebliches Erbrecht, dem hiemit aus¬ druͤcklich widersprochen werde, im Wege des Pro¬ zesses darzuthun, und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht der Succession dem Baron Hubert von R. zugefallen, zu vindiziren. Durch den Tod des Vaters sey der Besitz unmittelbar auf den Sohn uͤbergegangen; es habe keiner Erklaͤrung uͤber den Erbschaftsantritt bedurft, da der Majoratsfolge nicht entsagt werden koͤnne, mithin duͤrfe der jetzige Majoratsherr in dem Besitze nicht durch ganz illi¬ quide Anspruͤche turbirt werden. Was der Verstor¬ bene fuͤr Grund gehabt habe, einen andern Ma¬ joratsherrn aufzustellen, sey ganz gleichguͤltig, nur werde bemerkt, daß er selbst, wie aus den nachge¬ lassenen Papieren erforderlichen Falls nachgewiesen werden koͤnne, eine Liebschaft in der Schweiz gehabt habe, und so sey vielleicht der angebliche Bruders¬ sohn der eigne, in einer verbotenen Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das reiche Ma¬ jorat zuwenden wollen. — So sehr auch die Wahrscheinlichkeit fuͤr die im Testament behaupteten Umstaͤnde sprach, so sehr auch die Richter hauptsaͤchlich die letzte Wendung, in der der Sohn sich nicht scheute, den Verstorbenen eines Verbrechens anzuklagen, empoͤrte, so blieb doch die Ansicht der Sache, wie sie aufgestellt wor¬ den, die richtige, und nur den rastlosen Bemuͤhun¬ gen V..s, der bestimmten Versicherung, daß der die Legitimation des Freiherrn Roderich von R. be¬ wirkende Beweis in kurzer Zeit auf das buͤndigste gefuͤhrt werden solle, konnte es gelingen, daß die Uebergabe des Majorats noch ausgesetzt und die Fortdauer der Administration bis nach entschiedener Sache verfuͤgt wurde. V. sah nur zu gut ein, wie schwer es ihm wer¬ den wuͤrde, sein Versprechen zu halten. Er hatte alle Briefschaften des alten Roderich durchstoͤbert, ohne die Spur eines Briefes oder sonst eines Auf¬ satzes zu finden, der Bezug auf jenes Verhaͤltniß Wolfgangs mit dem Fraͤulein von St. Val gehabt haͤtte. Gedankenvoll saß er in R — sitten in dem Schlafkabinett des alten Roderich, das er ganz durchsucht, und arbeitete an einem Aufsatze fuͤr den Notar in Genf, der ihm als ein scharfsinniger thaͤtiger Mann empfohlen worden, und der ihm einige Notizen schaffen sollte, die die Sache des jungen Freiherrn ins Klare bringen konnten. — Es war Mitternacht worden, der Vollmond schien hell hinein in den anstoßenden Saal, dessen Thuͤr offen stand. Da war es, als schritte jemand langsam und schwer die Treppe herauf, und klirre und klap¬ pere mit Schluͤsseln. V. wurde aufmerksam, er stand auf, ging in den Saal, und vernahm nun deutlich, daß jemand sich durch den Flur der Thuͤre des Saals nahte. Bald darauf wurde diese geoͤffnet, und ein Mensch mit leichenblassem entstellten Antlitz in Nachtkleidern, in der einen Hand den Armleuch¬ ter mit brennenden Kerzen, in der andern den großen Schluͤsselbund, trat langsam hinein. V. er¬ kannte augenblicklich den Hausverwalter, und war im Begriff, ihm zuzurufen, was er so spaͤt in der Nacht wolle, als ihn in dem ganzen Wesen des Alten, in dem zum Tode erstarrten Antlitz etwas unheimliches gespenstisches mit Eiskaͤlte anhauchte. Er erkannte, daß er einen Nachtwandler vor sich habe. Der Alte ging mit gemessenen Schritten queer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Thuͤr, die ehemals zum Thurm fuͤhrte. Dicht vor derselben blieb er stehen, und stieß aus tiefer Brust einen heulenden Laut aus, der so entsetzlich in dem ganzen Saale wiederhallte, daß V. erbebte vor Grausen. Dann, den Armleuchter auf den Fußboden gestellt, den Schluͤsselbund an den Guͤrtel gehaͤngt, fing Daniel an mit beiden Haͤnden an der Mauer zu kratzen, daß bald das Blut unter den Naͤgeln hervorquoll, und dabei stoͤhnte er und aͤchzte, wie gepeinigt von einer nahmenlosen Todesqual. Nun legte er das Ohr an die Mauer, als wolle er irgend etwas erlauschen, dann winkte er mit der Hand, wie jemanden beschwichtigend, buͤckte sich, den Armleuchter wieder vom Boden aufhebend, und schlich mit leisen gemessenen Schritten nach der Thuͤre zuruͤck. V. folgte ihm behutsam mit dem Leuchter in der Hand. Es ging die Treppe herab, der Alte schloß die große Hauptthuͤr des Schlosses auf, V. schluͤpfte geschickt hindurch; nun begab er sich nach dem Stall, und nachdem er zu V..s tiefem Erstaunen den Armleuchter so geschickt hin¬ gestellt hatte, daß das ganze Gebaͤude genugsam erhellt wurde, ohne irgend eine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei, und ruͤstete mit großer Sorglichkeit, den Gurt fest, die Steigbuͤgel hinauf¬ schnallend, ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe. Nachdem er noch ein Buͤschel Haare uͤber den Stirnriemen weg durch die Hand gezogen, nahm er, mit der Zunge schnalzend und mit der einen Hand ihm den Hals klopfend, das Pferd beim Zuͤgel und fuͤhrte es heraus. Draußen im Hofe blieb er einige Sekunden stehen in der Stellung, als erhalte er Befehle, die er kopfnickend auszu¬ fuͤhren versprach. Dann fuͤhrte er das Pferd zuruͤck in den Stall, sattelte es wieder ab, und band es an die Krippe. Nun nahm er den Armleuchter, ver¬ schloß den Stall, kehrte in das Schloß zuruͤck, und verschwand endlich in sein Zimmer, das er sorgfaͤltig verriegelte. V. fuͤhlte sich von diesem Auftritt im Innersten ergriffen, die Ahnung einer entsetzlichen That erhob sich vor ihm wie ein schwarzes hoͤllisches Gespenst, das ihn nicht mehr verließ. Ganz erfuͤllt von der bedrohlichen Lage seines Schuͤtzlings, glaubte er wenigstens das, was er gesehen, nuͤtzen zu muͤssen zu seinem Besten. Andern Tages, es wollte schon die Daͤmmerung einbrechen, kam Daniel in sein Zimmer, um irgend eine sich auf den Hausstand beziehende Anweisung einzuholen. Da faßte ihn V. bei beiden Aermen, und fing an, indem er ihn zutraulich in den Sessel niederdruͤckte: „Hoͤre, alter Freund Daniel! lange habe ich dich fragen wollen, was haͤltst du denn von dem verworrenen Kram, den uns Huberts sonderbares Testament uͤber den Hals gebracht hat? — Glaubst du denn wohl, daß der junge Mensch wirklich Wolfgangs in rechtsguͤltiger Ehe erzeugter Sohn ist?“ Der Alte, sich uͤber die Lehne des Stuhls wegbeugend und V..s starr auf gerichteten Blicken aus¬ weichend, rief muͤrrisch: „Pah! — er kann es seyn; er kann es auch nicht seyn. Was schiert's mich, mag nun hier Herr werden, wer da will.“ — „Aber ich meine,“ fuhr V. fort, indem er dem Alten naͤher ruͤckte, und die Hand auf seine Schul¬ ter legte, „aber ich meine, da du des alten Frei¬ herrn ganzes Vertrauen hattest, so verschwieg er dir gewiß nicht die Verhaͤltnisse seiner Soͤhne. Er er¬ zaͤhlte dir von dem Buͤndniß, das Wolfgang wider seinen Willen geschlossen?“ — „Ich kann mich auf dergleichen gar nicht besinnen,“ erwiederte der Alte, indem er auf ungezogene Art laut gaͤhnte. — „Du bist schlaͤfrig, Alter, sprach V., hast du vielleicht eine unruhige Nacht gehabt?“ — „Daß ich nicht wuͤßte,“ entgegnete der Alte frostig, „aber ich will nun gehen und das Abendessen bestellen“ Hiemit erhob er sich schwerfaͤllig vom Stuhl, indem er sich den gekruͤmmten Ruͤcken rieb und abermahls und zwar noch lauter gaͤhnte als zuvor. „Bleibe doch noch Alter,“ rief V. indem er ihn bey der Hand ergriff und zum Sitzen noͤthigen wollte, der Alte blieb aber vor dem Arbeitstisch stehen, auf den er sich mit beiden Haͤnden stemmte, den Leib uͤber¬ gebogen nach V. hin, und muͤrrisch fragend. „Nun was soll's denn, was schiert mich das Testa¬ ment, was schiert mich der Streit um das Majorat“ — Davon, fiel ihm V. in die Rede, wollen wir auch gar nicht mehr sprechen: von ganz etwas Anderm, lieber Daniel! — Du bist muͤrrisch, du gaͤhnst, das alles zeugt von besonderer P Abspannung und nun moͤcht' ich beinahe glauben, daß du es wirklich gewesen bist, in dieser Nacht. — „Was bin ich gewesen in dieser Nacht,“ frug der Alte, in seiner Stellung verharrend. „Als ich, sprach V. weiter, gestern Mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen Saal saß, kamst du zur Thuͤre herein, ganz starr und bleich, schrittest auf die zugemauerte Thuͤr los, kratztest mit beyden Haͤnden an der Mauer und stoͤhntest, als wenn du große Qualen empfaͤn¬ dest. Bist du denn ein Nachtwandler, Daniel?“ Der Alte sank zuruͤck in den Stuhl, den ihm V. schnell unterschob. Er gab keinen Laut von sich, die tiefe Daͤmmerung ließ sein Gesicht nicht erken¬ nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte und mit den Zaͤhnen klapperte. — „Ja,“ fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, „ja es ist ein eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern Tages wissen sie von diesem sonderbaren Zustande, von Allem, was sie wie in vollem Wachen begon¬ nen haben, nicht das allermindeste.“ — Daniel blieb still. — „Aehnliches“ sprach V. weiter, „wie gestern mit dir, habe ich schon erlebt. Ich hatte einen Freund, der stellte, so wie du, trat der Voll¬ mond ein, regelmaͤßig naͤchtliche Wanderungen an. Ja, manchmal setzte er sich hin und schrieb Briefe: Am merkwuͤrdigsten war es aber, daß, fing ich an ihm ganz leise in's Ohr zu fluͤstern, es mir bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er antwortete gehoͤrig auf alle Fragen und selbst das, was er im Wachen sorglich verschwiegen haben wuͤrde, floß nun unwillkuͤhrlich, als koͤnne er der Kraft nicht widerstehen, die auf ihn einwirkte, von seinen Lippen. — Der Teufel! ich glaube, verschwiege ein Mondsuͤchtiger irgend eine began¬ gene Unthat noch so lange, man koͤnnte sie ihm abfragen in dem seltsamen Zustande. — Wohl dem, der ein reines Gewissen hat, wie wir beide, guter Daniel, wir koͤnnen schon immer Nacht¬ wandler seyn, uns wird man kein Verbrechen abfragen. — Aber hoͤre Daniel, gewiß willst du herauf in den astronomischen Thurm, wenn du so abscheulich an der zugemauerten Thuͤre krat¬ P 2 zest? — Du willst gewiß laboriren wie der alte Roderich? — Nun, das werd' ich dir naͤchstens abfragen!“ — Der Alte hatte, waͤh¬ rend V. dieses sprach, immer staͤrker und staͤrker gezittert, jetzt flog sein ganzer Koͤrper von heillo¬ sem Krampf hin und hergeworfen, und er brach aus in ein gellendes, unverstaͤndiges Geplapper. V. schellte die Diener herauf. Man brachte Lich¬ ter, der Alte ließ nicht nach, wie ein willkuͤhrlos bewegtes Automat hob man ihn auf und brachte ihn in's Bette. Nachdem beinahe eine Stunde dieser heillose Zustand gedauert, verfiel er in tie¬ fer Ohnmacht aͤhnlichen Schlaf. Als er erwachte, verlangte er Wein zu trinken, und als man ihm diesen gereicht, trieb er den Diener, der bei ihm wachen wollte, fort und verschloß sich, wie ge¬ woͤhnlich, in sein Zimmer. V. hatte wirklich be¬ schlossen, den Versuch anzustellen, in dem Augen¬ blick als er davon gegen Daniel sprach, wiewohl er sich selbst gestehen mußte, einmal, daß Daniel, vielleicht erst jetzt von seiner Mondsucht unterrich¬ tet alles anwenden werde, ihm zu entgehen, dann aber, daß Gestaͤndnisse in diesem Zustande abge¬ legt eben nicht geeignet seyn wuͤrden, darauf wei¬ ter fortzubauen. Dem unerachtet begab er sich gegen Mitternacht in den Saal, hoffend, daß Da¬ niel, wie es in dieser Krankheit geschieht, gezwun¬ gen werden wuͤrde, willkuͤhrlos zu handeln. Um Mitternacht erhob sich ein großer Laͤrm auf dem Hofe. V. hoͤrte deutlich ein Fenster einschlagen, er eilte herab und als er die Gaͤnge durchschritt, wallte ihm ein stinkender Dampf entgegen, der, wie er bald gewahrte, aus dem geoͤffneten Zimmer des Hausverwalters herausquoll. Diesen brachte man eben todtstarr herausgetragen, um ihn in einem andern Zimmer ins Bette zu legen. Um Mitternacht wurde ein Knecht, so erzaͤhlten die Diener, durch ein seltsames, dumpfes Pochen ge¬ weckt, er glaubte dem Alten sei etwas zugestoßen und schickte sich an aufzustehen, um ihm zu Huͤlfe zu kommen als, der Waͤchter auf dem Hofe laut rief: Feuer, Feuer! in der Stube des Herrn Verwalters brennt's lichterloh! — Auf dies Geschrei waren gleich mehrere Diener bei der Hand, aber alles Muͤhen die Thuͤr des Zim¬ mers einzubrechen, blieb umsonst. Nun eilten sie heraus auf den Hof, aber der entschlossene Waͤchter hatte schon das Fenster des niedrigen, im Erdgeschosse befindlichen Zimmers eingeschlagen und die brennenden Gardinen herabgerissen, worauf ein paar hineingegossene Eimer Wasser den Brand augenblicklich loͤschten. Den Hausverwalter fand man mitten im Zimmer auf der Erde liegend in tiefer Ohnmacht. Er hielt noch fest den Armleuchter in der Hand, dessen brennende Ker¬ zen die Gardinen erfaßt, und so das Feuer veranlaßt hatten. Brennende herabfallende Lap¬ pen hatten dem Alten die Augenbraunen und ein gut Theil Kopfhaare weggesengt. Bemerkte der Waͤchter nicht das Feuer, so haͤtte der Alte huͤlf¬ los verbrennen muͤssen. Zu nicht geringer Ver¬ wunderung fanden die Diener, daß die Thuͤr des Zimmers von innen durch zwei ganz neu ange¬ schrobene Riegel, die noch den Abend vorher nicht da gewesen, verwahrt war. V. sah ein, daß der Alte sich hatte das Hinausschreiten aus dem Zim¬ mer unmoͤglich machen wollen; widerstehen konnte er dem blinden Triebe nicht. Der Alte verfiel in eine ernste Krankheit; er sprach nicht, er nahm nur wenig Nahrung zu sich und starrte, wie fest geklammert von einem entsetzlichen Gedanken, mit Blicken, in denen sich der Tod mahlte, vor sich hin. V. glaubte, daß der Alte von dem Lager nicht erstehen werde. Alles, was sich fuͤr seinen Schuͤtzling thun ließ, hatte V. gethan, er mußte ruhig den Erfolg abwarten, und wollte deshalb nach K. zuruͤck. Die Abreise war fuͤr den fol¬ genden Morgen bestimmt. V. packte spaͤt Abends seine Scripturen zusammen, da fiel ihm ein klei¬ nes Packet in die Haͤnde, welches ihm der Frei¬ herr Hubert von R. versiegelt und mit der Auf¬ schrift: Nach Eroͤffnung meines Testaments zu lesen, zugestellt und das er unbegreiflicher Weise noch nicht beobachtet hatte. Er war im Begriff dieses Packet zu entsiegeln, als die Thuͤr auf¬ ging und mit leisen gespenstischen Schritten Daniel hereintrat. Er legte eine schwarze Mappe, die er unter dem Arm trug, auf den Schreibtisch, dann mit einem tiefen Todesseufzer auf beide Knie sin¬ kend, V..s Haͤnde mit den seinen krampfhaft fassend, sprach er hohl und dumpf, wie aus tie¬ fem Grabe: Auf dem Schaffott stuͤrb' ich nicht gern! — der dort oben richtet! — dann richtete er sich unter angstvollem Keuchen muͤhsam auf und verließ das Zimmer, wie er gekommen. V. brachte die ganze Nacht hin, alles das zu lesen, was die schwarze Mappe und Huberts Paket enthielt. Beides hing genau zusammen, und be¬ stimmte von selbst die weitern Maßregeln, die nun zu ergreifen. So wie V. in K. angekommen, begab er sich zum Freiherrn Hubert von R., der ihn mit rauhem Stolz empfing. Die merkwuͤrdige Folge einer Unterredung, welche Mittags anfing und bis spaͤt in die Nacht hinein ununterbrochen fortdauerte, war aber, daß der Freiherr andern Tages vor Gericht erklaͤrte, daß er den Praͤten¬ denten des Majorats dem Testamente seines Va¬ ters gemaͤß fuͤr den in rechtsguͤltiger Ehe von dem aͤltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R. Wolffgang von R. mit dem Fraͤulein Julie von St. Val erzeugten Sohn, mithin fuͤr den rechts¬ guͤltig legitimirten Majorats-Erben anerkenne. Als er von dem Gerichtssaal herabstieg, stand sein Wa¬ gen mit Postpferden vor der Thuͤre, er reiste schnell ab und ließ Mutter und Schwester zuruͤck. Sie wuͤrden ihn vielleicht nie wieder sehen, hatte er ihnen mit andern raͤthselhaften Aeußerungen geschrieben. Roderich's Erstaunen uͤber diese Wen¬ dung, die die Sache nahm, war nicht gering, er drang in V. ihm doch nur zu erklaͤren, wie dies Wunder habe bewirkt werden koͤnnen, welche geheimnißvolle Macht im Spiele sey. V. ver¬ troͤstete ihn indessen auf kuͤnftige Zeiten, und zwar, wenn er Besitz genommen haben wuͤrde von dem Majorat. Die Uebergabe des Majorats konnte nehmlich deshalb nicht geschehen, weil nun die Gerichte, nicht befriedigt durch jene Erklaͤrung Hubert's, außerdem die vollstaͤndige Legitimation Roderich's verlangten. V. bot dem Freiherrn die Wohnung in R. — sitten an, und setzte hinzu: daß Hubert's Mutter und Schwester, durch seine schnelle Abreise in augenblickliche Verlegenheit ge¬ setzt, den stillen Aufenthalt auf dem Stammgute der geraͤuschvollen theuren Stadt vorziehen wuͤr¬ den. Das Entzuͤcken, womit Roderich den Ge¬ danken ergriff, mit der Baronin und ihrer Toch¬ ter wenigstens eine Zeitlang unter einem Dache zu wohnen, bewies, welchen tiefen Eindruck Se¬ raphine, das holde, anmuthige Kind, auf ihn ge¬ macht hatte. In der That wußte der Freiherr seinen Aufenthalt in R — sitten so gut zu benutzen, daß er, wenige Wochen waren vergangen, Sera¬ phinens innige Liebe und der Mutter beifaͤllig Wort zur Verbindung mit ihr gewonnen hatte. Dem V. war das Alles zu schnell, da bis jetzt Roderich's Legitimation als Majoratsherr von R — sitten noch immer zweifelhaft geblieben. Briefe aus Curland unterbrachen das Idyllenleben auf dem Schlosse. Hubert hatte sich gar nicht auf den Guͤtern sehen lassen, sondern war unmittelbar nach Petersburg gegangen, dort in Militaͤrdienste getreten, und stand jetzt im Felde gegen die Per¬ ser, mit denen Rußland gerade im Kriege begriffen. Dies machte die schnelle Abreise der Baronin mit ihrer Tochter nach den Guͤtern, wo Unordnung und Verwirrung herrschte, noͤthig. Roderich, der sich schon als den aufgenommenen Sohn betrach¬ tete, unterließ nicht die Geliebte zu begleiten und so wurde, da V. ebenfalls nach K. zuruͤckkehrte, das Schloß einsam, wie vorher. Des Hausver¬ walters boͤse Krankheit wurde schlimmer und schlim¬ mer, so daß er nicht mehr daraus zu erstehen glaubte, sein Amt wurde einem alten Jaͤger, Wolfgangs treuem Diener, Franz geheißen, uͤber¬ tragen. Endlich nach langem Harren erhielt V. die guͤnstigsten Nachrichten aus der Schweiz. Der Pfarrer, der Roderichs Trauung vollzogen, war laͤngst gestorben, indessen fand sich in dem Kir¬ chenbuche von seiner Hand notirt, daß derjenige, den er unter dem Namen Born mit dem Fraͤu¬ lein Julie St. Val ehelich verbunden, sich bei ihm als Freiherr Wolffgang von R., aͤltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R. auf R — sitten, vollstaͤndig legitimirt habe. Außerdem wurden noch zwei Trauzeugen, ein Kaufmann in Genf, und ein alter franzoͤsischer Kapitaͤn, der nach Lyon gezogen, ausgemittelt, denen Wolffgang ebenfalls sich entdeckt hatte, und ihre eidlichen Aussagen bekraͤftigten den Vermerk des Pfarrers im Kir¬ chenbuche. Mit den in rechtlicher Form ausge¬ fertigten Verhandlungen in der Hand fuͤhrte nun V. den vollstaͤndigen Nachweis der Rechte seines Machtgebers und nichts stand der Uebergabe des Majorats im Wege, die im kuͤnftigen Herbst er¬ folgen sollte. Hubert war gleich in der ersten Schlacht, der er beiwohnte, geblieben, ihn hatte das Schicksal seines juͤngern Bruders, der ein Jahr vor seines Vaters Tode ebenfalls im Felde blieb, getroffen; so fielen die Guͤter in Curland der Baronesse Seraphine von R. zu, und wurden eine schoͤne Mitgift fuͤr den uͤbergluͤcklichen Ro¬ derich. Der November war angebrochen, als die Ba¬ ronin, Roderich mit seiner Braut in R..sitten anlangte. Die Uebergabe des Majorats erfolgte und dann Roderichs Verbindung mit Seraphinen. Manche Woche verging im Taumel der Lust, bis endlich die uͤbersaͤttigten Gaͤste nach und nach das Schloß verließen zur großen Zufriedenheit V..s, der von R..sitten nicht scheiden wollte, ohne den jungen Majoratsherrn auf das genaueste einzu¬ weihen in alle Verhaͤltnisse des neuen Besitzthums. Mit der strengsten Genauigkeit hatte Roderichs Oheim die Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬ gabe gefuͤhrt, so daß, da Roderich nur eine gerin¬ ge Summe jaͤhrlich zu seinem Unterhalt bekam, durch die Ueberschuͤsse der Einnahme jenes baare Capital, das man in des alten Freiherrn Nachlaß vorfand, einen bedeutenden Zuschuß erhielt. Nur in den ersten drei Jahren hatte Hubert die Einkuͤnf¬ te des Majorats in seinen Nutzen verwandt, daruͤ¬ ber aber ein Schuldinstrument ausgestellt und es auf den ihm zustehenden Antheil der Guͤter in Curland versichern lassen. — V. hatte seit der Zeit, als ihm Daniel als Nachtwandler erschien, das Schlafgemach des alten Roderich zu seinem Wohn¬ zimmer gewaͤhlt, um desto sicherer das erlauschen zu koͤnnen, was ihm Daniel nachher freiwillig of¬ fenbarte. So kam es, daß dies Gemach und der anstoßende große Saal der Ort blieb, wo der Frei¬ herr mit V. im Geschaͤft zusammenkam. Da sa¬ ßen nun beide beim helllodernden Kaminfeuer an dem großen Tische, V. mit der Feder in der Hand, die Summen notirend und den Reichthum des Ma¬ joratsherrn berechnend, dieser mit aufgestemmtem Arm hineinblinzelnd in die aufgeschlagenen Rech¬ nungsbuͤcher, in die gewichtigen Dokumente. Kei¬ ner vernahm das dumpfe Brausen der See, das Angstgeschrei der Moͤven, die das Unwetter verkuͤn¬ dend im Hin- und Herflattern an die Fensterscheiben schlugen, keiner achtete des Sturms, der um Mit¬ ternacht heraufgekommen in wildem Tosen das Schloß durchsauste, so daß alle Unkenstimmen in den Caminen, in den engen Gaͤngen erwachten und wi¬ derlich durcheinander pfiffen und heulten. Als end¬ lich nach einem Windstoß, vor dem der ganze Bau erdroͤhnte, ploͤtzlich der ganze Saal im duͤstern Feuer des Vollmonds stand, rief V : „Ein boͤses Wetter!“ — Der Freiherr, ganz vertieft in die Aussicht des Reichthums, der ihm zugefallen, er¬ wiederte gleichguͤltig, indem er mit zufriedenem Laͤcheln ein Blatt des Einnahmebuchs umschlug: „In der That, sehr stuͤrmisch.“ Aber wie fuhr er von der eisigen Faust des Schreckens beruͤhrt in die Hoͤhe, als die Thuͤr des Saals aufsprang und eine bleiche, gespenstische Gestalt sichtbar wurde, die den Tod im Antlitz hineinschritt. Daniel, den V. so wie Jedermann in tiefer Krankheit ohnmaͤchtig da¬ liegend, nicht fuͤr faͤhig hielt ein Glied zu ruͤhren, war es, der abermals von der Mondsucht befallen seine naͤchtliche Wanderung begonnen. Lautlos starrte der Freiherr den Alten an, als dieser nun aber unter angstvollen Seufzern der Todesqual an der Wand kratzte, da faßte den Freiherrn tiefes Entsetzen. Bleich im Gesicht wie der Tod, mit emporgestraͤubtem Haar sprang er auf, schritt in be¬ drohlicher Stellung zu auf den Alten und rief mit starker Stimme, daß der Saal erdroͤhnte: „Da¬ niel! — Daniel! — was machst du hier zu dieser Stunde!“ Da stieß der Alte jenes grauenvolle heulende Gewimmer aus, gleich dem Todeslaut des getroffenen Thiers, wie damals, als ihm Wolffgang Gold fuͤr seine Treue bot und sank zusammen. V. rief die Bedienten herbei, man hob den Alten auf, alle Versuche ihn zu beleben blieben vergebens. Da schrie der Freiherr wie außer sich: „Herr Gott! — Herr Gott! habe ich denn nicht gehoͤrt, daß Nacht¬ wandler auf der Stelle des Todes seyn koͤnnen, wenn man sie beim Namen ruft? — Ich! — Ich Ungluͤckseligster — ich habe den armen Greis er¬ schlagen! — Zeit meines Lebens habe ich keine ru¬ hige Stunde mehr!“ — V., als die Bedienten den Leichnam fortgetragen und der Saal leer gewor¬ den, den, nahm den immerfort sich anklagenden Frei¬ herrn bei der Hand, fuͤhrte ihn in tiefem Schwei¬ gen vor die zugemauerte Thuͤr und sprach: „Der hier todt zu Ihren Fuͤßen niedersank, Freiherr Ro¬ derich, war der verruchte Moͤrder Ihres Vaters!“ — Als saͤh' er Geister der Hoͤlle, starrte der Frei¬ herr den V. an. Dieser fuhr fort: „Es ist nun wohl an der Zeit, Ihnen das graͤßliche Geheimniß zu enthuͤllen, das auf diesem Unhold lastete und ihn, den Fluchbeladenen, in den Stunden des Schlafs umhertrieb. Die ewige Macht ließ den Sohn Rache nehmen an dem Moͤrder des Vaters — Die Worte, die Sie dem entsetzlichen Nacht¬ wandler in die Ohren donnerten, waren die letzten, die Ihr ungluͤcklicher Vater sprach!“ — Bebend, unfaͤhig ein Wort zu sprechen, hatte der Freiherr neben V., der sich vor den Camin setzte, Platz ge¬ nommen. V. fing mit dem Inhalt des Aufsatzes an, den Hubert fuͤr V. zuruͤckgelassen und den er erst nach Eroͤffnung des Testaments entsiegeln sollte. Hubert klagte sich mit Ausdruͤcken, die von der Q tiefsten Reue zeigten, des unversoͤhnlichen Hasses an, der in ihm gegen den aͤltern Bruder Wurzel faßte von dem Augenblick, als der alte Roderich das Majorat gestiftet hatte. Jede Waffe war ihm entrissen, denn waͤr' es ihm auch gelungen auf haͤ¬ mische Weise, den Sohn mit dem Vater zu ent¬ zweien, so blieb dies ohne Wirkung, da Roderich selbst nicht ermaͤchtigt war, dem aͤltesten Sohn die Rechte der Erstgeburt zu entreißen, und es, wandte sich auch sein Herz und Sinn ganz ab von ihm, doch nach seinen Grundsaͤtzen nimmermehr gethan haͤtte. Erst als Wolffgang in Genf das Liebesver¬ haͤltniß mit Julien von St. Val begonnen, glaubte Hubert den Bruder verderben zu koͤnnen. Da fing die Zeit an, in der er im Einverstaͤndniße mit Da¬ niel auf buͤbische Weise den Alten zu Entschluͤssen noͤthigen wollte, die den Sohn zur Verzweiflung bringen mußten. Er wußte, daß nur die Verbindung mit einer der aͤltesten Familien des Vaterlandes nach dem Sinn des alten Roderich den Glanz des Majorats auf ewige Zeiten begruͤnden konnte. Der Alte hatte diese Verbindung in den Gestirnen gelesen und jedes freveliche Zerstoͤren der Constellation konnte nur Verderben bringen uͤber die Stiftung. Wolffgangs Verbindung mit Julien erschien in dieser Art dem Alten ein verbrecherisches Attentat, wider Beschluͤsse der Macht gerichtet, die ihm beigestanden im irdi¬ schen Beginnen, und jeder Anschlag. Julien, die wie ein daͤmonisches Princip sich ihm entgegenge¬ worfen, zu verderben, gerechtfertigt. Hubert kann¬ te des Bruders an Wahnsinn streifende Liebe zu Ju¬ lien, ihr Verlust mußte ihn elend machen, vielleicht toͤdten, und um so lieber wurde er thaͤtiger Hel¬ fershelfer bei den Plaͤnen des Alten, als er selbst straͤfliche Neigung zu Julien gefaßt und sie fuͤr sich zu gewinnen hoffte. Eine besondere Schickung des Himmels wollt' es, daß die giftigsten Anschlaͤge an Wolffgangs Entschlossenheit scheiterten, ja daß es ihm gelang den Bruder zu taͤuschen. Fuͤr Hubert blieb Wolffgangs wirklich vollzogene Ehe, so wie die Q 2 Geburt eines Sohnes ein Geheimniß. Mit der Vorahnung des nahen Todes kam dem alten Rode¬ rich zugleich der Gedanke, daß Wolffgang jene ihm feindliche Julie geheirathet habe; in dem Briefe, der dem Sohn befahl, am bestimmten Tage nach R..sitten zu kommen, um das Majorat anzu¬ treten, fluchte er ihm, wenn er nicht jene Verbin¬ dung zerreissen werde. Diesen Brief verbrannte Wolffgang bei der Leiche des Vaters. An Hubert schrieb der Alte, daß Wolffgang Julien geheirathet habe, er werde aber diese Ver¬ bindung zerreissen. Hubert hielt dies fuͤr die Ein¬ bildung des traͤumerischen Vaters, erschrack aber nicht wenig, als Wolffgang in R..sitten selbst mit vieler Freimuͤthigkeit die Ahnung des Alten nicht allein bestaͤtigte, sondern auch hinzufuͤgte, daß Julie ihm einen Sohn geboren, und daß er nun in kurzer Zeit Julien, die ihn bis jetzt fuͤr den Kaufmann Born aus M. gehalten, mit der Nach¬ richt seines Standes und seines reichen Besitzthums hoch erfreuen werde. Selbst wolle er hin nach Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe er diesen Entschluß ausfuͤhren konnte, ereilte ihn der Tod. Hubert verschwieg sorglich was ihm von dem Daseyn eines in der Ehe mit Julien erzeugten Sohnes bekannt und riß so das Majorat an sich, das diesem gebuͤhrte. Doch nur wenige Jahre wa¬ ren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das Schicksal mahnte ihn an seine Schuld auf fuͤrchter¬ liche Weise durch den Haß, der zwischen seinen bei¬ den Soͤhnen mehr und mehr emporkeimte. „Du bist ein armer duͤrftiger Schlucker,“ sagte der aͤlte¬ ste, ein zwoͤlfjaͤhriger Knabe zu dem juͤngsten, „aber ich werde, wenn der Vater stirbt, Majorats¬ herr von R..sitten, und da mußt du demuͤthig seyn und mir die Hand kuͤssen, wenn ich dir Geld geben soll zum neuen Rock“ — Der juͤngste, in volle Wuth gerathen uͤber des Bruders hoͤhnenden Stolz, warf das Messer, das er gerade in der Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe zum Tode. Hubert, großes Ungluͤck fuͤrchtend, schickte den juͤngsten fort nach Petersburg, wo er spaͤter als Officier unter Suwarow wider die Fran¬ zosen focht und blieb. Vor der Welt das Geheimniß seines unredlichen betruͤgerischen Besitzes kund zu thun, davon hielt ihn die Scham, die Schande, die uͤber ihn gekommen, zuruͤck, aber entziehen wollte er dem rechtmaͤßigen Besitzer keinen Groschen mehr. Er zog Erkundigungen ein in Genf, und erfuhr, daß die Frau Born, trostlos uͤber das unbegreifliche Verschwinden ihres Mannes, gestor¬ ben, daß aber der junge Roderich Born von einem wackern Mann, der ihn aufgenommen, erzogen werde. Da kuͤndigte sich Hubert unter fremden Namen als Verwandter des auf der See umgekom¬ menen Kaufmann Born an und schickte Summen ein, die hinreichten, den jungen Majoratsherrn sorglich und anstaͤndig zu erziehn. Wie er die Ueberschuͤsse der Einkuͤnfte des Majorats sorgfaͤltig sammelte; wie er dann testamentarisch verfuͤgte, ist bekannt. Ue¬ ber den Tod seines Bruders sprach Hubert in son¬ derbaren raͤthselhaften Ausdruͤcken, die so viel erra¬ then ließen, daß es damit eine geheimnißvolle Be¬ wandtniß haben mußte, und daß Hubert wenigstens mittelbar Theil nahm an einer graͤßlichen That. Der Inhalt der schwarzen Mappe klaͤrte alles auf. Der verraͤtherischen Correspondenz Huberts mit Da¬ niel lag ein Blatt bei, das Daniel beschrieben und unterschrieben hatte. V. las ein Gestaͤndniß, vor dem sein Innerstes erbebte. Auf Daniels Veran¬ lassung war Hubert nach R...sitten gekommen, Daniel war es, der ihm von den gefundenen Ein¬ hundert und funfzigtausend Reichsthalern geschrie¬ ben. Man weiß, wie Hubert von dem Bruder aufgenommen wurde, wie er getaͤuscht in allen sei¬ nen Wuͤnschen und Hoffnungen fort wollte, wie ihn V. zuruͤckhielt. In Daniels Innerm kochte blutige Rache, die er zu nehmen hatte an dem jun¬ gen Menschen, der ihn ausstoßen wollen, wie einen raͤudigen Hund. Der schuͤrte und schuͤrte an dem Brande, von dem der verzweifelnde Hubert ver¬ zehrt wurde. Im Foͤhrenwalde auf der Wolfsjagd, im Sturm und Schneegestoͤber wurden sie einig uͤber Wolffgangs Verderben. „Wegschaffen“ — murmelte Hubert, indem er seitwaͤrts wegblickte und die Buͤchse anlegte. „Ja, wegschaffen,“ grinzte Daniel, „aber nicht so , nicht so “ — Nun vermaß er sich hoch und theuer, er werde den Freiherrn ermorden und kein Hahn solle darnach kraͤhen. Hubert, als er endlich Geld erhalten, that der Anschlag leid, er wollte fort, um jeder weitern Versuchung zu widerstehen. Daniel selbst sattelte in der Nacht das Pferd und fuͤhrte es aus dem Stalle, als aber der Baron sich aufschwingen wollte, sprach Daniel mit schneidender Stimme: „Ich daͤchte, Freiherr Hubert, du bliebst auf dem Majorat, das dir in diesem Augenblick zugefallen, denn der stolze Majoratsherr liegt zerschmettert in der Gruft des Thurms!“ — Daniel hatte beobach¬ tet, daß, von Golddurst geplagt, Wolffgang oft in der Nacht aufstand, vor die Thuͤr trat, die sonst zum Thurme fuͤhrte und mit sehnsuͤchtigen Blicken hinabschaute in die Tiefe, die nach Daniels Versi¬ cherung noch bedeutende Schaͤtze bergen sollte. Darauf gefaßt stand in jener verhaͤngnißvollen N acht Daniel vor der Thuͤre des Saals. So wie er den Freiherrn die zum Thurm fuͤhrende Thuͤr oͤffnen hoͤrte, trat er hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem Abgrunde stand. Der Freiherr drehte sich um und rief, als er den ver¬ ruchten Diener, dem der Mord schon aus den Au¬ gen blitzte, gewahrte, entsetzt: „Daniel, Daniel, was machst du hier zu dieser Stunde!“ Aber da kreischte Daniel wild auf: „Hinab mit dir, du raͤudiger Hund,“ und schleuderte mit einem kraͤf¬ tigen Fußstoß den Ungluͤcklichen hinunter in die Tiefe! — Ganz erschuͤttert von der graͤßlichen Un¬ that fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schlos¬ se, wo sein Vater ermordet. Er ging auf seine Guͤter nach Curland und kam nur jedes Jahr zur Herbstzeit nach R..sitten. Franz, der alte Franz, behauptete, daß Daniel, dessen Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds spuke und beschrieb den Spuk gerade so, wie ihn V. spaͤ¬ ter erfuhr und bannte. — Die Entdeckung dieser Umstaͤnde, welche das Andenken des Vaters schaͤn¬ deten, trieben auch den jungen Freiherrn Hubert fort in die Welt. So hatte der Großonkel Alles erzaͤhlt, nun nahm er meine Hand und sprach, in¬ dem ihm volle Thraͤnen in die Augen traten, mit sehr weicher Stimme: „Vetter — Vetter — auch sie , die holde Frau, hat das boͤse Verhaͤng¬ niß, die unheimliche Macht, die dort auf dem Stammschlosse hauset, ereilt! Zwei Tage nachdem wir R..sitten verlassen, veranstaltete der Frei¬ herr zum Beschluß eine Schlittenfarth. Er selbst faͤhrt seine Gemahlin, doch, als es Thalabwaͤrts geht, reißen die Pferde ploͤtzlich auf unbegreifliche Weise scheu geworden aus in vollem wuͤthenden Schnauben und Toben. „Der Alte — der Alte ist hinter uns her,“ schreit die Baronin auf mit schneidender Stimme! In dem Augenblick wird sie durch den Stoß, der den Schlitten umwirft, weit fortgeschleudert. — Man findet sie leblos — sie ist hin! — Der Freiherr kann sich nimmer troͤsten, seine Ruhe ist die eines Sterbenden! — Nimmer kommen wir wieder nach R..sitten, Vetter! — Der alte Großonkel schwieg, ich schied von ihm mit zerrissenem Herzen, und nur die Alles beschwich¬ tigende Zeit konnte den tiefen Schmerz lindern, in dem ich vergehen zu muͤssen glaubte. Jahre waren vergangen. V. ruhte laͤngst im Grabe, ich hatte mein Vaterland verlassen. Da trieb mich der Sturm des Krieges, der verwuͤstend uͤber ganz Deutschland hinbrauste, in den Norden hinein, fort nach Petersburg. Auf der Ruͤckreise, nicht mehr weit von K., fuhr ich in einer finstern Sommer¬ nacht dem Gestade der Ostsee entlang, als ich vor mir am Himmel einen großen funkelnden Stern er¬ blickte. Naͤher gekommen gewahrte ich wohl an der rothen flackernden Flamme, daß das, was ich fuͤr einen Stern gehalten, ein starkes Feuer seyn muͤsse, ohne zu begreifen, wie es so hoch in den Luͤften schweben koͤnne. „Schwager! was ist das fuͤr ein Feuer, dort vor uns?“ frug ich den Po¬ stillion. „Ei,“ erwiederte dieser, „ei, das ist kein Feuer, das ist der Leuchtthurm von R..sitten.“ R..sitten! — so wie der Postillion den Na¬ men nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener verhaͤngnißvollen Herbsttage hervor, die ich dort verlebte. Ich sah den Baron — Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich selbst mit blankem Milchgesicht, schoͤn frisirt und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja mich den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt, mit Jammerlied auf seiner Liebsten Braue! — In der tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am fruͤhen Morgen in R..sitten aus dem Wagen, der vor der Postexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinspektors, ich frug nach ihm. „Mit Verlaub,“ sprach der Postschreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier ist kein Oekonomieinspektor, es ist ein koͤnigliches Amt und der Herr Amtsrath belieben noch zu schlafen.“ Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß schon vor sechszehn Jahren der Freiherr Roderich von R., der letzte Majoratsbesitzer, ohne Deszendenten gestorben und das Majorat der Stiftungsurkunde gemaͤß dem Staate anheimgefallen sey. — Ich ging hinauf nach dem Schlosse, es lag in Ruinen zusammenge¬ stuͤrzt. Man hatte einen großen Theil der Steine zu dem Leuchtthurm benutzt, so versicherte ein alter Bauer, der aus dem Foͤhrenwalde kam und mit dem ich mich ins Gespraͤch einließ. Der wußte auch noch von dem Spuk zu erzaͤhlen, wie er auf dem Schlosse gehaust haben sollte und versicherte, daß noch jetzt sich oft, zumal beim Vollmonde, grauenvolle Klagelaute in dem Gestein hoͤren ließen. Armer alter, kurzsichtiger Roderich! welche boͤse Macht beschworst du herauf, die den Stamm, den du mit fester Wurzel fuͤr die Ewigkeit zu pflanzen gedachtest, im ersten Aufkeimen zum Tode ver¬ giftete. Das Geluͤbde. A m Michaelistage, eben als bei den Carmelitern die Abendhora eingelaͤutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter stattlicher Reisewagen, donnernd und rasselnd durch die Gassen des klei¬ nen polnischen Graͤnzstaͤdtchens L., und hielt end¬ lich still vor der Hausthuͤr des alten teutschen Buͤrgermeisters. Neugierig steckten die Kinder die Koͤpfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf von ihrem Sitze und rief: indem sie ganz unmuthig ihr Naͤhzeug auf den Tisch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat, entgegen: „Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus fuͤr eine Gastwirthschaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. War¬ um hast du auch die steinerne Taube uͤber der Thuͤr auf's neue vergolden lassen?“ Der Alte laͤchelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu er¬ wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebuͤrstet uͤber der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den Mund zur Frage oͤffnen konnte, stand er schon, sein Sammtmuͤtzchen unterm Arm, so daß sein silberweißes Haupt in der Daͤmmerung hell auf¬ schimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen ein Diener geoͤffnet. Eine aͤltliche Frau im grauen Reisemantel stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhuͤlltem Antlitz die auf des Buͤrgermeisters Arm gestuͤtzt, in das Haus hinein mehr wankte als schritt, und kaum in's Zimmer getreten, wie halb entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten Wink schnell herangeruͤckt. Die aͤltere Frau sprach leise und sehr wehmuͤthig zu dem Buͤrgermeister: „Das arme Kind!“ — „ich muß wohl noch einige Augenblicke bei ihr verweilen,“ damit machte sie Anstalt ihren Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Buͤrgermeisters aͤltere Tochter beistand, so daß bald ihr Nonnengewand, so wie ein auf der Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, wel¬ ches sie als Aebtissin eines Cisterzienser Nonnen¬ klosters darstellte. Die verhuͤllte Dame hatte un¬ terdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Aechzen kund gethan, daß sie noch lebe und end¬ lich die Hausfrau um ein Glas Wasser gebeten. Die brachte aber allerley staͤrkende Tropfen und Essenzen herbei, und pries ihre Wunderkraft, in¬ dem sie die Dame bat, doch nur die dicken, schwe¬ ren Schleier, die ihr alles freie Athmen verhin¬ dern muͤßten, abzulegen. Mit der Hand jede Annaͤherung der Hausfrau abwehrend, mit allen Zeichen des Abscheues den Kopf zuruͤckbeugend, ver¬ warf aber die Kranke den Vorschlag, und selbst, als sie endlich es sich gefallen ließ, den Duft einer starken Lebensessenz einzuziehen, als sie etwas von dem verlangten Wasser, in das die besorgte Haus¬ frau einige Tropfen eines bewaͤhrten Elixirs hin¬ eingethan, genoß, that sie alles dies unter den Schleiern, ohne sie nur im mindesten zu luͤpfen. „Ihr habt doch, mein lieber, alter Herr!“ wandte sich die Aebtissin zum Buͤrgermeister, „ihr habt doch Alles so bereitet, wie es gewuͤnscht worden?“ „Ja wohl,“ erwiederte der Alte, „ja wohl! ich hoffe, mein durchlauchtigster Fuͤrst soll mit mir zufrieden seyn, so wie die Dame, fuͤr die ich Alles zu thun bereit bin, was nur in meinen Kraͤften steht.“ „So laßt mich,“ fuhr die Aebtissin fort, „mit meinem armen Kinde noch einige Augenblicke allein.“ Die Familie mußte das Zimmer verlassen. Man hoͤrte, wie die Aebtissin eifrig und salbungs¬ voll der Dame zusprach, und wie diese endlich auch zu reden begann mit einem Ton, der tief bis in's Herz drang. Ohne gerade zu horchen, blieb denn doch die Hausfrau an der Thuͤre des Zimmers ste¬ hen, indessen wurde italiaͤnisch gesprochen, und selbst dies machte fuͤr sie den ganzen Auftritt geheim¬ nißvoller und vermehrte die Beklommenheit, welche R ihr den Mund verschloß. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um fuͤr Wein und andere Erfri¬ schungen zu sorgen, er selbst ging in das Zimmer zuruͤck. Getroͤsteter, gefaßter schien die verschlei¬ erte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und ge¬ falteten Haͤnden vor der Aebtissin stand. Diese verschmaͤhte es nicht, etwas von den Erfrischungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief sie: „Nun ist es Zeit!“ Die verschleierte Dame sank nieder auf die Knie, die Aebtissin legte die Haͤnde auf ihr Haupt und sprach leise Gebete. Als diese geendet, schloß sie, indem haͤufige Thraͤ¬ nen ihr uͤber die Wangen rollten, die Verschleierte in die Arme und druͤckte sie heftig wie im Ueber¬ maß des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefaßt und wuͤrdevoll der Familie die Bene¬ diktion und eilte, vom Alten geleitet, rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch die Gassen zum Thore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß die verschleierte Dame, fuͤr die man ein paar schwere Koffer vom Wagen abgepackt und hinein¬ getragen, da blieb, wohl gar auf lange Zeit ein¬ gezogen sey, konnte sie sich gar nicht lassen vor peinlicher Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten, der eben in das Zimmer wollte, in den Weg. „Um Christus willen,“ fluͤsterte sie leise und aͤngstlich. „um Christus willen, welch' einen Gast bringst du mir ins Haus, denn du weißt doch ja von Allem und hast es mir nur verschwiegen.“ „Alles was ich weiß, sollst du auch erfahren,“ erwiederte der Alte ganz ruhig. „Ach ach!“ fuhr die Frau noch aͤngstlicher fort, „du weißt aber vielleicht nicht Alles; waͤr'st du nur jetzt im Zimmer gewesen. So wie die Frau Aeb¬ tissin abgefahren, mochte es der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken Schleiern. Sie nahm den großen schwarzen Kreppflor, der ihr bis an die Knie reichte, herab, und da sah ich“ — „Nun was sahst du denn,“ fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Ge¬ R 2 spenster, in die Rede. „Nein,“ sprach die Frau weiter, „die Gesichtszuͤge konnte ich unter den duͤnnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Todtenfarbe, ach die grauliche Todten¬ farbe. Aber nun Alter, nun merk' auf: deutlich, nur zu deutlich, ganz sonnenklar liegts am Tage, daß die Dame guter Hoffnung ist. In wenigen Wochen kommt sie in's Kindbett.“ „Das weiß ich ja, Frau,“ sprach der Alte ganz muͤrrisch, „und damit du nur nicht umkommen moͤgest vor Neugier und Unruhe, will ich dir mit zwei Wor¬ ten alles erklaͤren. Wisse also, daß Fuͤrst Z. un¬ ser hoher Goͤnner mir vor einigen Wochen schrieb, die Aebtissin des Cisterzienserklosters in O. werde mir eine Dame bringen, die ich bei mir in meinem Hause aufnehmen solle, in aller Stille, jedes Aufsehen sorglich vermeidend. Die Dame, welche nicht anders genannt seyn wolle, als schlecht¬ weg Coͤlestine, werde bei mir ihre nahe Entbin¬ dung abwarten, und dann nebst dem Kinde, das sie geboren, wieder abgeholt werden. Fuͤge ich nun noch hinzu, daß der Fuͤrst mir mit den eindring¬ lichsten Worten die sorgsamste Pflege der Dame empfohlen und fuͤr die ersten Auslagen und Be¬ muͤhungen einen tuͤchtigen Beutel mit Dukaten, den du in meiner Commode finden und beaͤugeln kannst, beigefuͤgt hat, so werden wohl alle Be¬ denken aufhoͤren.“ „So muͤssen wir,“ sprach die Hausfrau, „vielleicht arger Suͤnde, wie sie die Vornehmen treiben, die Hand bieten.“ Noch ehe der Alte darauf etwas erwiedern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus, und rief ihn zur Dame, welche sich nach Ruhe sehne und in das fuͤr sie bestimmte Gemach gefuͤhrt zu werden wuͤnsche. Der Alte hatte die beiden Zimmerchen des obern Stocks so gut ausschmuͤcken lassen, als er es nur vermochte, und war nicht wenig betreten, als Coͤlestine frug, ob er außer diesen Gemaͤchern nicht noch eins, dessen Fenster hinten heraus gin¬ gen, besitze. Er verneinte das und fuͤgte nur, um ganz gewissenhaft zu seyn, hinzu, daß zwar noch ein einziges Gemach mit einem Fenster nach dem Garten heraus, vorhanden, dies duͤrfte aber gar kein Zimmer, sondern nur eine schlechte Kammer genannt werden; kaum so geraͤumig, um ein Bette, einen Tisch und einen Stuhl hinein zu stellen, ganz einer elenden Klosterzelle gleich. Coͤlestine verlangte augenblicklich diese Kammer zu sehen, und erklaͤrte, kaum hineingekommen, daß eben die¬ ses Gemach ihren Wuͤnschen und Beduͤrfnissen angemessen sey, daß sie nur in diesem und keinem andern wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zu¬ stand durchaus groͤßeren Raum und eine Kran¬ kenwaͤrterin erfordern solle, mit einem groͤßern vertauschen werde. Verglich der Alte schon jetzt dieses enge Gemach mit einer Klosterzelle, so war es andern Tages ganz dazu geworden. Coͤlestine hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf den alten hoͤlzernen Tisch, der unter dem Bilde stand, ein Cruzifix hingestellt. Das Bette bestand in einem Strohsack und einer wollenen Decke und außer einem hoͤlzernen Schemmel und noch einem kleinen Tisch, litt Coͤlestine kein ande¬ res Geraͤth. Die Hausfrau, ausgesoͤhnt mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte, glaubte nach gewoͤhnlicher Weise sie aufheitern, unterhal¬ ten zu muͤssen, die Fremde bat aber mit den ruͤh¬ rendsten Worten, eine Einsamkeit nicht zu verstoͤ¬ ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn sie Troͤstung finde. Jedes Tages, so wie der Morgen graute, begab sich Coͤlestine zu den Carmelitern, um die Fruͤhmesse zu hoͤren; den uͤbrigen Tag schien sie unausgesetzt Andachtsuͤbungen gewidmet zu haben, denn so oft es auch noͤthig wurde sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder betend oder in frommen Buͤchern lesend. Sie verschmaͤhte andere Speise als Gemuͤse, anderes Getraͤnk als Wasser, und nur die dringendsten Vorstellungen des Alten, daß ihr Zustand, das Wesen, das in ihr lebe, bessere Kost fordere, konnten sie endlich vermoͤgen zuweilen Fleischbruͤhe und etwas Wein zu genießen. Dieses strenge kloͤsterliche Leben hielt es auch jeder im Hause fuͤr die Buße be¬ gangener Suͤnde, erweckte doch zu gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht, wozu denn auch der Adel ihrer Gestalt, die siegende Anmuth jeder ihrer Bewegungen nicht wenig beitrug. Was aber diesen Gefuͤhlen fuͤr die fremde Heilige etwas schauerliches beimischte, war der Umstand, daß sie die Schleier durchaus nicht ablegte, so daß keiner ihr Gesicht zu erschauen vermochte. Nie¬ mand kam in ihre Naͤhe, als der Alte und der weibliche Theil seiner Familie, und diese, niemals aus dem Staͤdtchen gekommen, konnten unmoͤglich durch das Wiedererkennen eines Gesichts, das sie vorher nicht gesehen, dem Geheimniß auf die Spur kommen. Wozu also die Verhuͤllung? — Die geschaͤftige Fantasie der Weiber erfand bald ein grauliches Maͤhrchen. Ein fuͤrchterliches Ab¬ zeichen (so lautete die Fabel), die Spur der Teu¬ felskralle, hatte das Gesicht der Fremden graͤßlich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte Muͤhe dem Gewaͤsche zu steuern und zu verhindern, daß wenigstens vor der Thuͤre seines Hauses nicht abenteuerliches von der Frem¬ den geschwatzt wurde, deren Aufenthalt in des Buͤr¬ germeisters Hause freilich in der Stadt bekannt geworden. Ihre Gaͤnge nach dem Carmeliterklo¬ ster blieben auch nicht unbemerkt und bald nannte man sie des Buͤrgermeisters schwarze Frau, wo¬ mit freilich sich von selbst die Idee einer spukhaf¬ ten Erscheinung verband. Der Zufall wollte, daß eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom den Schleier erfaßte und aufhob; mit Blitzes¬ schnelle wandte sich die Fremde, so daß sie sich in demselben Moment dem Blick des Maͤdchens entzog. Diese kam aber erblaßt und an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein todtenbleiches, hatte sie ein marmorweißes Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhoͤhlen es seltsam hervorblitzte. Der Alte schob mit Recht vieles auf des Maͤdchens Einbil¬ dung, aber auch ihm war es, im Grunde genom¬ men, so zu Muthe wie allen; er wuͤnschte das verstoͤrende Wesen, trotz aller Froͤmmigkeit, die es bewies, fort aus seinem Hause. Bald darauf weckte in einer Nacht der Alte die Hausfrau und sagte ihr, daß er schon seit einigen Minuten ein leises Wimmern und Aechzen, ein Klopfen ver¬ nehme, das von Coͤlestinens Zimmer zu kommen scheine. Die Frau, von der Ahnung ergriffen, was das seyn koͤnne, eilte hinauf. Sie fand Coͤ¬ lestinen angezogen und in ihre Schleier gewickelt, auf dem Bette halb ohnmaͤchtig liegen und uͤber¬ zeugte sich bald, daß die Niederkunft nahe sey. Schnell traf man die laͤngst vorbereiteten Anstal¬ ten, und in weniger Zeit war ein gesundes hol¬ des Knaͤblein geboren. Dies Ereigniß, hatte man es auch laͤngst vorausgesehen, trat doch wie uner¬ wartet ein, und vernichtete in seinen Folgen das druͤckende unheimliche Verhaͤltniß mit der Frem¬ den, welches auf der Familie schwer gelastet hatte. Der Knabe schien, wie ein suͤhnender Mittler, Coͤlestinen dem Menschlichen wieder naͤher zu brin¬ gen. Ihr Zustand litt keine strenge ascetische Uebungen, und indem ihre Huͤlflosigkeit ihr die Menschen, welche sie mit liebender Sorgfalt pfleg¬ ten, aufnoͤthigte, gewoͤhnte sie sich mehr und mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten, ihr selbst die nahr¬ hafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß in dieser haͤuslichen Sorge alles Boͤse, was ihr sonst uͤber die raͤthselhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen sollte. Der Alte jubelte ganz verjuͤngt und haͤtschelte den Knaben, als sey ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie Alle uͤbrige, hatten sich daran gewoͤhnt, daß Coͤlestine ver¬ schleiert blieb, ja selbst waͤhrend der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr schwoͤren muͤssen, daß, trete ja ein Zustand der Bewußtlosigkeit ein, doch die Schleier nicht geluͤpft werden sollten, außer von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todes¬ gefahr. Es war gewiß, daß die Alte Coͤlestinen unverschleiert gesehen, sie sagte aber daruͤber nichts, als: Die arme junge Dame muß sich ja wohl so verhuͤllen! — Nach einigen Tagen erschien der Carmelitermoͤnch, der den Knaben getauft hatte. Seine Unterredung mit Coͤlestinen, niemand durfte zugegen seyn, dauerte laͤnger als zwei Stunden. Man hoͤrte ihn eifrig sprechen und beten. Als er fortgegangen, fand man Coͤlestinen im Lehn¬ stuhl sitzend, auf dem Schooße den Knaben, um dessen kleine Schultern ein Skapulier gelegt war, und der ein Agnusdei auf der Brust trug. Wo¬ chen und Monate vergingen, ohne daß, wie der Buͤrgermeister geglaubt hatte, und wie es ihm auch vom Fuͤrsten Z. gesagt worden, Coͤlestine mit dem Kinde abgeholt wurde. Sie haͤtte ganz eintreten koͤnnen in den friedlichen Kreis der Fa¬ milie, waͤren die fatalen Schleier nicht gewesen, die immer den letzten Schritt zur freundlichen Annaͤherung hemmten. Der Alte nahm es sich heraus, dies der Fremden selbst freimuͤthig zu aͤußern, doch als sie mit dumpfem feierlichen Ton erwiederte: Nur im Tode fallen diese Schleier, schwieg er davon und wuͤnschte aufs Neue, daß der Wagen mit der Aebtissin erscheinen moͤge. Der Fruͤhling war herangekommen, von einem Spatzier¬ gange kehrte die Familie des Buͤrgermeisters heim, Blumenstraͤuße in den Haͤnden tragend, deren schoͤnste der frommen Coͤlestine bestimmt waren. Eben als sie ins Haus treten wollten, sprengte ein Reiter heran, eifrig nach dem Buͤrgermeister fragend. Der Alte sprach, er sei selbst der Buͤr¬ germeister und stehe vor seinem Hause. Da sprang der Reiter herab vom Pferde, das er festband an den Pfosten und stuͤrzte mit dem gellenden Ruf: „Sie ist hier, sie ist hier,“ ins Haus und die Treppe herauf. Man hoͤrte eine Thuͤr ein¬ schlagen und Coͤlestinens Angstgeschrei. Der Alte, von Entsetzen erfaßt, eilte nach. Der Reiter — wie nun sichtlich, war ein Offizier von der fran¬ zoͤsischen Jaͤgergarde mit vielen Orden geschmuͤckt, hatte den Knaben aus der Wiege gerissen und in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm genommen; den Rechten hatte Coͤlestine erfaßt, alle Kraft aufbietend, den Raͤuber des Kindes zuruͤckzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den Schleier herab — ein todtstarres marmorweißes Antlitz, von schwarzen Locken umschattet, blickte ihn an, gluͤhende Strahlen aus den tiefen Augen¬ hoͤhlen schießend, waͤhrend schneidende Jammertoͤne aus den halbgeoͤffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, daß Coͤlestine eine weiße, dicht anschließende Maske trug. „Entsetzliches Weib! willst du, daß auch mich deine Raserei ergreife?“ schrie der Offizier, indem er sich mit Gewalt losriß, so daß Coͤlestine zu Boden stuͤrzte. Nun umfaßte sie aber seine Knie, indem sie mit dem Ausdruck des unsaͤglichsten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchschnitt, flehte: „Laß mir das Kind! — o laß mir das Kind! — nicht um die ewige Seligkeit sollst du mich brin¬ gen. — Um Christus — um der heiligen Jung¬ frau willen — laß mir das Kind — laß mir das Kind.“ — Und bei diesen Jammertoͤnen regte sich keine Muskel, regten sich nicht die Lippen des Todtenantlitzes, so daß dem Alten, der Haus¬ frau — Allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut in den Adern stockte! „Nein,“ schrie der Offizier wie in heller Verzweiflung, „nein, un¬ menschliches, unerbittliches Weib, das Herz konn¬ test du aus dieser Brust reißen, aber verderben sollst du nicht im heillosen Wahnsinn das Wesen, das sich troͤstend an die blutende Wunde legt!“ — Fester druͤckte der Offizier das Kind an sich, so daß es laut zu weinen begann — da brach Coͤle¬ stine aus in ein dumpfes Heulen: „Rache — des Himmels Rache uͤber dich — du Moͤrder“ — „Laß ab! — laß ab — fort mit dir, du Hoͤl¬ lenspuk“ — kreischte der Offizier, und schleuderte mit einer konvulsivischen Bewegung des Fußes Coͤlesti¬ nen weit von sich, und wollte zur Thuͤre heraus. Der Alte trat ihm in den Weg, er riß aber schnell ein Terzerol hervor, rief, die Muͤndung gegen den Alten gekehrt: „die Kugel durch den Kopf dem, der dem Vater sein Kind zu entreißen gedenkt,“ stuͤrzte die Treppe herab, schwang sich auf's Pferd ohne das Kind zu lassen, und sprengte in vollem Galopp davon. — Die Hausfrau voll Herzens¬ angst, wie es nun um Coͤlestinen stehen, und was nun mit ihr anzufangen seyn wuͤrde, uͤber¬ wand ihr Grauen vor der entsetzlichen Todten¬ maske, und eilte herauf ihr beizustehen. Wie er¬ staunte sie, als sie Coͤlestinen mitten im Zimmer gleich einer Statue mit herabhaͤngenden Armen lautlos stehend fand. — Sie redete sie an, keine Antwort. Nicht vermoͤgend den Anblick der Maske zu tragen, hing sie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen, kein Regen und Bewegen. Coͤlestine war in einen automataͤhnlichen Zustand gesunken, der die Hausfrau mit neuer Angst und Pein erfuͤllte, so daß sie ganz inbruͤnstig zu Gott flehte, sie nur von dieser unheimlichen Fremden zu befreien. Ihre Bitte wurde zur Stelle erhoͤrt, denn eben hielt derselbe Wagen, der Coͤlestinen ge¬ bracht, vor der Thuͤre. Die Aebtissin kam, mit ihr Fuͤrst Z. des alten Buͤrgermeisters hoher Goͤnner. Als der erfahren, was sich so oben zugetragen, sprach er sehr mild und ruhig: „So kamen wir zu spaͤt, und muͤssen uns wohl in Gottes Fuͤgung schicken.“ Man brachte Coͤlestinen herab, die sich starr und lautlos, ohne Zeichen eignen Willens und eigner Willkuͤhr, fortfuͤhren und in den Wagen setzen ließ, der schnell fortrollte. Dem Alten, der ganzen Familie war so zu Muthe, als erwachten sie nun erst aus einem boͤsen spukhaften Traum, der sie sehr geaͤngstet. — Bald darauf, als sich dies in dem Hause des Buͤrgermeisters von L. begeben, wurde in dem Cisterzienser Nonnenkloster zu O. eine Logenschwester mit ungewoͤhnlicher Feierlichkeit begraben und ein dumpfes Geruͤcht ging, daß diese Logenschwester die Graͤfin Hermenegilda von C. gewesen, von der man glaubte, sie sey mit ihres Vaters Schwester, der Fuͤr¬ stin von Z., nach Italien gegangen. Zur selbigen Zeit erschien Graf Nepomuk von C., Hermenegilda's Vater, in Warschau und trat, sich nur ein kleines Guͤtchen in der Ukraine vorbehaltend, seine saͤmmt¬ S lichen uͤbrigen betraͤchtlichen Besitzungen den beiden Soͤhnen des Fuͤrsten Z., seinen Neffen, vermoͤge eines gerichtlichen Akts ohne Einschraͤnkung ab. Man fragte nach der Ausstattung seiner Tochter, da hob er den duͤstern thraͤnenschweren Blick gen Himmel und sagte mit dumpfer Stimme: „Sie ist ausgestattet!“ — Er nahm gar keinen Anstand, nicht allein jenes Geruͤcht von Hermenegilda's Tode im Kloster zu O. zu bestaͤtigen, sondern auch das besondere Verhaͤngniß zu offenbaren, das uͤber Her¬ menegilda gewaltet und sie einer duldenden Maͤrty¬ rin gleich fruͤhzeitig in das Grab gezogen. Man¬ che Patrioten, gebeugt, aber nicht zerknickt durch den Fall des Vaterlandes, gedachten den Grafen aufs neue in geheime Verbindungen zu ziehen, die die Herstellung des polnischen Staats bezweckten, aber nicht mehr den feurigen, fuͤr Freiheit und Va¬ terland beseelten Mann, der sonst zu jeder gewag¬ ten Unternehmung mit unerschuͤtterlichem Muthe die Hand bot, fanden sie, sondern einen ohnmaͤchtigen, von wildem Schmerz zerrissenen Greis, der allen Welthaͤndeln entfremdet im Begriff stand, sich in tiefer Einsamkeit zu vergraben. Sonst, zu jener Zeit, als nach der ersten Theilung Polens die In¬ surrection vorbereitet wurde, war des Grafen Ne¬ pomuk von C. Stammgut der geheime Sammel¬ platz der Patrioten. Dort entzuͤndeten sich die Ge¬ muͤther bei feierlichen Mahlen zum Kampf fuͤr das gefallene Vaterland. Dort erschien wie ein Engels¬ bild vom Himmel gesendet zur heiligen Weihe Her¬ menegilda in dem Kreise der jungen Helden. Wie es den Frauen ihrer Nation eigen, nahm sie Theil an allen, selbst an politischen Verhandlungen und aͤußerte, die Lage der Dinge wohl beachtend und erwaͤgend, in einem Alter von noch nicht siebzehn Jahren, oft manchmal allen uͤbrigen entgegen, eine Meinung, die von dem außerordentlichsten Scharf¬ sinn, von der klarsten Umsicht zeigte und die meh¬ rentheils den Ausschlag gab. Naͤchst ihr war nie¬ manden das Talent des schnellen Ueberblicks, des Auffassens und scharfgeruͤndeten Darstellens der La¬ ge der Dinge mehr eigen, als dem Grafen Stanis¬ S 2 laus von R., einem feurigen, hochbegabten Juͤng¬ linge von zwanzig Jahren. So geschah es, daß Hermenegilda und Stanislaus oft allein in ra¬ schen Discussionen die zur Sprache gebrachten Ge¬ genstaͤnde verhandelten, Vorschlaͤge pruͤften — an¬ nahmen — verwarfen, andere aufstellten, und daß die Resultate des Zweigespraͤchs zwischen dem Maͤd¬ chen und dem Juͤnglinge oft selbst von den alten staatsklugen Maͤnnern, die zu Rathe saßen, als das Kluͤgste und Beste, was zu beginnen, anerkannt werden mußten. Was war natuͤrlicher, als an die Verbindung dieser beiden zu denken, in deren wunderbaren Talenten das Heil des Vaterlandes em¬ porzukeimen schien. Außerdem war aber auch die naͤhere Verzweigung beider Familien schon deshalb in dem Augenblick politisch wichtig, weil man sie von verschiedenem Interesse beseelt glaubte, wie der Fall bey manchen andern Familien in Polen zutraf. Hermenegilda, ganz durchdrungen von diesen An¬ sichten, nahm den ihr bestimmten Gatten als ein Geschenk des Vaterlandes auf, und so wurden mit ihrer feierlichen Verlobung die patriotischen Zusam¬ menkuͤnfte auf dem Gute des Vaters beschlossen. Es ist bekannt, daß die Polen unterlagen, daß mit Kosziusko's Fall eine zu sehr auf Selbstvertrauen und falsch vorausgesetzte Rittertreue basirte Unter¬ nehmung scheiterte. Graf Stanislaus, dem seine fruͤhere militaͤrische Laufbahn, seine Jugend und Kraft eine Stelle im Heer anwies, hatte mit Loͤ¬ wenmuth gefochten. Mit Noth schmaͤhlicher Ge¬ fangenschaft entgangen, auf den Tod verwundet, kam er zuruͤck. Nur Hermenegilda fesselte ihn noch ans Leben, in ihren Armen glaubte er Trost, verlorne Hoffnung wiederzufinden. So wie er nur leidlich von seinen Wunden genesen, eilte er auf die Guͤter des Grafen Nepomuk, um dort aufs neue, aufs schmerzlichste verwundet zu werden. Herme¬ negilda empfing ihn mit beinahe hoͤhnender Verach¬ tung. „Seh' ich den Helden, der in den Tod ge¬ hen wollte fuͤr das Vaterland?“ — So rief sie ihm entgegen; es war, als wenn sie in thoͤrichtem Wahnsinn den Braͤutigam fuͤr einen jener Paladine der fabelhaften Ritterzeit gehalten, dessen Schwert allein Armeen vernichten konnte. Was halfen alle Betheurungen, daß keine menschliche Kraft zu wi¬ derstehen vermochte dem brausenden, alles verschlin¬ genden Strom, der sich uͤber das Vaterland hin¬ waͤlzte, was half alles Flehen der inbruͤnstigen Lie¬ be, Hermenegilda, als koͤnne sich ihr todtkaltes Herz nur im wilden Treiben der Welthaͤndel ent¬ zuͤnden, blieb bei dem Entschluß, ihre Hand nur dann dem Grafen Stanislaus geben zu wollen, wenn die Fremden aus dem Vaterlande vertrieben seyn wuͤrden. Der Graf sah' zu spaͤt ein, daß Hermenegilda ihn nie liebte, so wie er sich uͤberzeu¬ gen mußte, daß die Bedingniß, die Hermenegilda aufstellte, vielleicht niemals, wenigstens erst in ge¬ raumer Zeit erfuͤllt werden konnte. Mit dem Schwur der Treue bis in den Tod verließ er die Geliebte und nahm franzoͤsische Dienste, die ihn in den Krieg nach Italien fuͤhrten. — Man sagt den polnischen Frauen nach, daß ein eignes lau¬ nisches Wesen sie auszeichne. Tiefes Gefuͤhl, sich hingebender Leichtsinn, stoische Selbstverlaͤugnung, gluͤhende Leidenschaft, todtstarre Kaͤlte, alles das, wie es bunt gemischt in ihrem Gemuͤthe liegt, er¬ zeugt das wunderliche unstete Treiben auf der Oberflaͤche, das dem Spiel gleicht der in stetem Wechsel fortplaͤtschernden Wellen des im tiefsten Grunde bewegten Bachs. — Gleichguͤltig sah Her¬ menegilda den Braͤutigam scheiden, aber kaum wa¬ ren einige Tage vergangen, als sie sich von solch' un¬ aussprechlicher Sehnsucht befangen fuͤhlte, wie sie nur die gluͤhendste Liebe erzeugen kann. Der Sturm des Krieges war verrauscht, die Amnestie wurde proklamirt, man entließ die polnischen Offiziere aus der Gefangenschaft. So geschah es, daß meh¬ rere von Stanislaus Waffenbruͤdern sich nach und nach auf des Grafen Gute einfanden. Mit tiefem Schmerz gedachte man jener ungluͤcklichen Tage, aber auch mit hoher Begeisterung des Loͤwenmuths, womit alle, aber keiner mehr als Stanislaus ge¬ fochten. Er hatte die zuruͤckweichenden Bataillo¬ ne, da, wo schon alles verloren schien, aufs neue ins Feuer gefuͤhrt, es war ihm gegluͤckt, die feind¬ lichen Reihen mit seiner Reuterei zu durchbrechen. Das Schicksal des Tages wankte, da traf ihn eine Kugel und mit dem Ausruf: Vaterland — Her¬ menegilda! stuͤrzte er in Blut gebadet vom Pferde herab. Jedes Wort dieser Erzaͤhlung war ein Dolchstich, der tief in Hermenegilda's Herz fuhr. „Nein! ich wußt' es nicht, daß ich ihn unaus¬ sprechlich liebte seit dem ersten Augenblick, als ich ihn sah! — Welch ein hoͤllisches Blendwerk konnte mich Aermste verfuͤhren, daß ich zu leben gedachte ohne ihn, der mein einziges Leben ist! — Ich habe ihn in den Tod geschickt — er kehrt nicht wieder!“ — So brach Hermenegilda aus in stuͤrmische Klagen, die allen in die Seele drangen. Schlaflos, von steter Unruhe gefoltert, durchirrte sie zur Nachtzeit den Park, und, als vermoͤge der Nachtwind ihre Worte hinzutragen zu dem fernen Geliebten, rief sie in die Luͤfte hinein: „Stanislaus — Stanis¬ laus — kehre zuruͤck — ich bin es — Hermene¬ gilda ist es, die dich ruft — hoͤrst du mich denn nicht — kehre zuruͤck, sonst muß ich vergehen in banger Sehnsucht, in trostloser Verzweiflung!“ — Hermenegilda's uͤberreizter Zustand schien uͤber¬ gehen zu wollen in wirklichen hellen Wahnsinn, der sie zu tausend Thorheiten trieb. Graf Nepo¬ muk, voll Kummer und Angst um das geliebte Kind, glaubte, daß aͤrztliche Huͤlfe hier vielleicht wirksam seyn koͤnnte, und es gelang ihm in der That, einen Arzt zu finden, der es sich gefallen ließ einige Zeit auf dem Gute zu bleiben und sich der Leidenden anzunehmen. So richtig berechnet seine mehr psychische als physische Curmethode aber auch seyn mochte, so wenig sich ihre Wirkung auch ganz ableugnen ließ, so blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Genesen jemals die Rede wuͤrde seyn koͤnnen, da nach langer Stille sich ganz uner¬ wartet wieder die seltsamsten Paroxismen einstellten. Ein eignes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben dem klei¬ nen Uhlanen, einem Puͤppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz gedruͤckt, dem sie die suͤßesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte : Podrosz twoia nam ńiemiła, milsza przyiaszń w Kraiwbyła etc . Im Begriff, von dieser Expedition in ihr Zimmer zuruͤck zu kehren, befand sie sich auf dem Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her schritt. Sie schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der franzoͤsischen Jaͤgergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und stuͤrzte mit dem lauten Ruf: „Stanislaus, mein Stanislaus!“ ihm ohn¬ maͤchtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor Erstaunen und Ueberraschung, hatte nicht wenig Muͤhe Hermenegilda, die groß und uͤppig gebaut, eben keine geringe Last war, mit einem Arm, dessen er nur maͤchtig, aufrecht zu erhalten. Er druͤckte sie fest und fester an sich, und indem er Hermenegilda's Herz an seiner Brust schlagen fuͤhlte, mußte er sich gestehen, daß dies eins der entzuͤckendsten Abenteuer sey, das er je erlebt. Sekunde auf Sekunde verging, der Offizier ganz entzuͤndet vom Liebesfeuer, das in tausend elektrischen Funken der holden Gestalt, die er in seinen Armen hielt, entstroͤmte, druͤckte gluͤhende Kuͤsse auf die suͤßen Lippen. So fand ihn Graf Nepomuk, der aus seinen Zimmern trat. Auch er rief aufjauchzend vor Freude: „Graf Stanislaus!“ — In dem Augenblick er¬ wachte Hermenegilda, und umschlang ihn inbruͤn¬ stig, indem sie ganz außer sich von neuem rief: „Stanislaus! — mein Geliebter! mein Gatte!“ — Der Offizier im ganzen Gesicht gluͤhend, zit¬ ternd — außer aller Fassung, trat einen Schritt zuruͤck, indem er sich sanft Hermenegilda's stuͤr¬ mischer Umarmung entzog. „Es ist der suͤßeste Augenblick meines Lebens — aber nicht schwelgen will ich in der Seligkeit, die mir nur ein Irr¬ thum bereitet — ich bin ja nicht Stanislaus — ach ich bin es ja nicht.“ — So sprach der Offi¬ zier stotternd und zagend; entsetzt prallte Herme¬ negilda zuruͤck, und als sie sich, den Offizier schaͤrfer ins Auge fassend, uͤberzeugt, daß die freilich ganz wunderbare Aehnlichkeit des Offiziers mit dem Geliebten sie getaͤuscht, eilte sie fort laut jammernd und klagend. Graf Nepomuk konnte, da der Offizier sich nun als den juͤngern Vetter des Gra¬ fen Stanislaus, als den Grafen Xaver von R. kund that, es kaum fuͤr moͤglich halten, daß der Knabe in so kurzer Zeit zum kraͤftigen Juͤnglinge herangewachsen. Freilich kam hinzu, daß die Stra¬ pazen des Kriegs dem Gesicht, der ganzen Hal¬ tung, einen maͤnnlichern Charakter gaben, als es sonst der Fall gewesen seyn wuͤrde. Graf Xaver hatte nehmlich mit seinem aͤltern Vetter Stanis¬ laus zugleich das Vaterland verlassen, wie er, fran¬ zoͤsische Kriegsdienste genommen und in Italien ge¬ fochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt, zeich¬ nete er sich doch bald, als besonnener und loͤwen¬ kuͤhner Kriegsheld auf solche Weise aus, daß ihn der Feldherr zu seinem Adjutanten erhob, und jetzt war er, ein zwanzigjaͤhriger Juͤngling, schon zum Obristen heraufgestiegen. Erhaltene Wunden, noͤthigten ihn einige Zeit auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zuruͤck, und Auftraͤge von Sta¬ nislaus an die Geliebte fuͤhrten ihn auf den Landsitz des Grafen Nepomuk, wo er empfangen wurde, als sey er der Geliebte selbst. Graf Nepomuk und der Arzt, beide gaben sich alle nur ersinnliche Muͤhe, Hermenegilda, die ganz ver¬ nichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr Zimmer nicht verlassen wollte, so lange Xaver im Hause, zu beruhigen, aber umsonst. Xaver war außer sich, daß er Hermenegilda nicht wieder sehen sollte. Er schrieb ihr, daß er unverschuldet eine fuͤr ihn ungluͤckliche Aehnlichkeit zu hart buͤße. Aber nicht ihn allein, sondern den Geliebten Sta¬ nislaus selbst traͤfe das von jenem verhaͤngni߬ vollen Moment erzeugte Mißgeschick, da ihm, dem Ueberbringer suͤßer Liebesbotschaft, jetzt alle Ge¬ legenheit geraubt worden, ihr selbst, wie er ge¬ sollt, den Brief, den er von Stanislaus bei sich trage, einzuhaͤndigen, und noch alles von Mund zu Mund hinzuzufuͤgen, was Stanislaus in der Hast des Augenblicks nicht mehr schreiben konnte. Hermenegilda's Kammerfrau, die Xaver in sein Interesse gezogen, uͤbernahm die Bestellung zur guͤnstigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch sein Schreiben. Hermenegilda entschloß sich ihn zu sehen. In tiefem Schweigen, mit niedergesenktem Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte sich mit leisem schwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sopha, auf dem sie saß, aber indem er sich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er saß, und so flehte er in den ruͤhrendsten Ausdruͤcken, mit einem Ton, als habe er sich des unverzeih¬ lichsten Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein Haupt moͤge sie die Schuld des Irrthums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes em¬ pfinden lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus selbst habe sie in der Wonne des Wiedersehens umarmt. Er uͤbergab den Brief, und fing an von Stanis¬ laus zu erzaͤhlen, wie er mit aͤchtritterlicher Treue selbst im blutigen Kampf seiner Dame gedenke, wie nur sein Herz gluͤhe fuͤr Freiheit und Vater¬ land u. s. w. Xaver erzaͤhlte mit lebendigem Feuer, er riß Hermenegilden hin, die alle Scheu bald uͤberwunden, den zauberischen Blick ihrer Him¬ melsaugen unverwandt auf ihn richtete, so daß er, ein neuer, von Turandot's Blick getroffener, Calaf, durchbebt von suͤßer Wonne, nur muͤhsam die Erzaͤhlung fortspann. Ohne es selbst zu wissen, bedraͤngt von dem innern Kampf gegen die Lei¬ denschaft, die in hellen Flammen auflodern wollte, verlor er sich in die weitlaͤuftige Beschreibung ein¬ zelner Gefechte. Er sprach von Cavallerieangrif¬ fen — gesprengten Massen — eroberten Batte¬ rien. — Ungeduldig unterbrach ihn Hermene¬ gilda, indem sie rief: „O, weg mit diesen bluti¬ gen Szenen eines Schauspiels der Hoͤlle — sage! — sage mir nur, daß er mich liebt, daß Stanislaus mich liebt!“ — Da ergriff Xaver, ganz ermuthigt, Hermenegilda's Hand, die er heftig an seine Brust druͤckte. „Hoͤre ihn selbst, deinen Stanis¬ laus!“ so rief er, und nun stroͤmten die Betheu¬ rungen der gluͤhendsten Liebe, wie sie nur dem Wahnsinn der verzehrendsten Leidenschaft eigen, von seinen Lippen. Er war zu Hermenegilda's Fuͤßen gesunken, sie hatte ihn mit beiden Armen umschlungen, aber indem er schnell aufgesprungen sie an seine Brust druͤcken wollte, fuͤhlte er sich heftig zuruͤckgestoßen. Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an, und sprach mit dum¬ pfer Stimme: „Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwaͤrme an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!“ — Hierauf verließ sie das Zimmer mit leisen langsamen Schritten. Xaver sah' zu spaͤt seine Unbesonnenheit ein. Daß er bis zum Wahnsinn in Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes verliebt sey, fuͤhlte er nur zu lebhaft, eben so aber auch, daß er bei jedem Schritt, den er zu Gunsten seiner thoͤrich¬ ten Leidenschaft zu thun gesonnen, sich wuͤrde treulosen Freundschaftsbruch vorwerfen muͤssen. Schnell abreisen, ohne Hermenegilda wieder zu sehen, das war der heroische Entschluß, den er wirklich auf der Stelle so weit ausfuͤhrte, daß er zu packen und seinen Wagen anzuspannen befahl. Graf Nepomuk war hoch verwundert, als Xaver von ihm Abschied nahm; er bot alles auf ihn festzu¬ halten, doch mit einer Festigkeit, mehr von einer Art Krampf, als von wahrer Geistesstaͤrke erzeugt, blieb Xaver dabei, daß besondere Ursachen ihn forttrieben. Den Saͤbel umgeschnallt, die Feldmuͤtze in der Hand, stand er in der Mitte des Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem Vorsaal — Unten vor der Thuͤre wieherten ungeduldig die Pferde. — Da ging die Thuͤr auf, Hermene¬ gilda trat herein, mit unbeschreiblicher Anmuth schritt sie auf den Grafen zu, und sprach hold¬ laͤchelnd: „Sie wollen fort, lieber Xaver?“ — und noch so vieles dacht' ich von meinem gelieb¬ ten Stanislaus zu hoͤren! — Wissen Sie wohl, daß mich Ihre Erzaͤhlungen wunderbar troͤsten? — Xaver schlug hocherroͤthend die Augen nieder, T man nahm Platz, Graf Nepomuk versicherte ein¬ mal uͤber das andere, seit vielen Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieser heitern unbefan¬ genen Stimmung gesehen. Auf seinen Wink wurde, da die Zeit herangekommen, die Abendtafel in demselben Zimmer bereitet. Der edelste Ungar¬ wein perlte in den Glaͤsern, und volle Gluth auf den Wangen nippte Hermenegilda aus dem ge¬ fuͤllten Pokal hochfeiernd das Andenken des Ge¬ liebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reise ich fort, dachte Xaver im Innern, und frug in der That, als die Tafel aufgehoben, den Be¬ dienten, ob der Wagen warte; der , erwiederte der Bediente, sey laͤngst, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgespannt in die Remise geschoben, die Pferde fraͤßen im Stall und Woyciech schnarche unten auf dem Strohsack. Xaver ließ es dabei bewenden. Hermenegilda's unvermuthete Erscheinung hatte den Grafen uͤber¬ zeugt, daß es nicht allein moͤglich, sondern auch raͤthlich und angenehm sey zu bleiben, und von dieser Ueberzeugung kam er zu der andern, daß es nur darauf ankomme sich zu besiegen, das heißt, Ausbruͤchen der innern Leidenschaft zu wehren, die, den geisteskranken Zustand Hermenegilda's aufrei¬ zend, nur ihm in jeder Hinsicht verderblich werden koͤnnten. Wie dann nun alles sich weiter fuͤgen wuͤrde, so beschloß Xaver seine Betrachtung, sollte selbst Her¬ menegilda aus ihren Traͤumen erwacht, die heitere Gegenwart der duͤstern Zukunft vorziehen, das liege denn alles in der Constellation zusammen¬ wirkender Umstaͤnde und an Treulosigkeit, an Freundschaftsbruch sey nicht zu denken. So wie Xaver andern Tages Hermenegilden wieder sah, gelang es ihm in der That, indem er sorglich auch das Kleinste vermied, was sein zu heißes Blut haͤtte in Wallung setzen koͤnnen, seine Lei¬ denschaft niederzukaͤmpfen. In den Schranken der strengsten Sitte bleibend, ja selbst ein frostig Ceremoniell beachtend, gab er nur dem Gespraͤch die Schwingen jener Galanterie, die den Weibern mit suͤßem Zucker verderbliches Gift beibringt. T 2 Xaver, ein zwanzigjaͤhriger Juͤngling, in eigent¬ lichen Liebeshaͤndeln unerfahren, entfaltete, von dem sichern Takt fuͤrs Boͤse im Innern geleitet, die Kunst des erfahrnen Meisters. Nur von Stanislaus, von seiner unaussprechlichen Liebe zur suͤßen Braut, sprach er, aber durch die volle Gluth, die er dann entzuͤndet, wußte er geschickt sein eignes Bild durchschimmern zu lassen, so daß Hermenegilda in arger Verwirrung selbst nicht wußte, wie beide Bilder, das des abwesenden Stanislaus und das des gegenwaͤrtigen Xaver, tren¬ nen. Xavers Gesellschaft wurde bald der aufge¬ regten Hermenegilda zum Beduͤrfniß, und so geschah es, daß man sie beinahe bestaͤndig, und oft wie im traulichen Liebesgespraͤch zusammensah. Die Gewohnheit uͤberwand mehr und mehr Her¬ menegilda's Scheu und in eben dem Grade uͤber¬ schritt Xaver jene Schranken des frostigen Cere¬ moniells, in die er sich Anfangs mit klugem Vor¬ bedacht gebannt hatte. Arm in Arm gingen Her¬ menegilda und Xaver in dem Park umher, und sorglos ließ sie ihre Hand in der seinigen, wenn er im Zimmer neben ihr sitzend von dem gluͤck¬ lichen Stanislaus erzaͤhlte. Kam es nicht auf Staatshaͤndel, auf die Sache des Vaterlandes an, so war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe faͤhig, er begnuͤgte sich mit dem, was er auf der Oberflaͤche wahrzunehmen im Stande, sein fuͤr alles uͤbrige todtes Gemuͤth vermochte die voruͤberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektiren, spurlos schwanden sie dahin. Ohne Hermenegilda's inne¬ res Wesen zu ahnen, hielt er es fuͤr gut, daß sie endlich die Puͤppchen, die bei ihrem thoͤrigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten vorstellen mußten, mit einem lebendigen Juͤngling vertauscht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszusehen, daß Xaver, der ihm als Schwiegersohn eben so lieb, bald ganz in Stanislaus Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieses ebenfalls, da nun, nachdem ein Paar Monate vergangen, Hermenegilda, so sehr ihr ganzes Wesen auch von dem Andenken an Stanislaus erfuͤllt schien, es sich doch gefallen ließ, daß Xaver mehr und mehr sich ihr annaͤ¬ herte mit eigner Bewerbung. Eines Morgens hieß es, daß Hermenegilda sich in ihre Gemaͤcher mit der Kammerfrau eingeschlossen habe, und durchaus niemanden sehen wolle. Graf Nepomuk glaubte nicht anders, als daß ein neuer Paroxis¬ mus eingetreten sey, der sich bald legen werde. Er bat den Grafen Xaver, die Gewalt, die er uͤber Hermenegilda gewonnen, jetzt zu ihrem Heil zu uͤben, wie erstaunte er aber, als Xaver es nicht allein durchaus verweigerte, sich Hermene¬ gilden auf irgend eine Weise zu naͤhern, sondern sich auch in seinem ganzen Wesen auf eigne Art veraͤndert zeigte. Statt wie sonst beinahe zu keck aufzutreten, war er verschuͤchtert, als habe er Ge¬ spenster gesehen, der Ton seiner Stimme schwan¬ kend — der Ausdruck matt und unzusammenhaͤn¬ gend. — Er sprach davon, daß er nun durchaus nach Warschau muͤßte, daß er Hermenegilden wohl niemals wieder sehen werde — daß in der letzten Zeit ihr verstoͤrtes Wesen ihm Grauen und Ent¬ setzen erregt — daß er Verzicht geleistet auf alles Gluͤck der Liebe, daß er nun erst in der an Wahnsinn graͤnzenden Treue Hermenegilda's, die Treulosigkeit, die er an dem Freunde begehen wollen, zu seiner tiefsten Beschaͤmung fuͤhle, daß schleunige Flucht sein einziges Rettungsmittel sey. Graf Nepomuk begriff alles nicht, nur schien es ihm endlich klar zu werden, daß Hermenegilda's wahnsinnige Schwaͤrmerei den Juͤngling angesteckt. Er suchte ihm dies zu beweisen, doch umsonst. Xaver widerstrebte um so heftiger als dringender Nepomuk ihm die Nothwendigkeit bewies, daß er Hermenegilda von allen Bizarrerien heilen, folglich sie wieder sehen muͤsse. Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von unsichtbarer unwiderstehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, sich in den Wagen warf und davon fuhr. Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn uͤber Hermenegilda's Betragen, bekuͤmmerte sich nicht mehr um sie, und so geschah es, daß mehrere Tage ver¬ gingen, die sie ungestoͤrt, auf ihrem Zimmer einge¬ schlossen, von niemanden als ihrer Kammerfrau ge¬ sehen, zubrachte. In tiefen Gedanken, ganz erfuͤllt von den Hel¬ denthaten jenes Mannes, den die Polen damahls anbeteten wie ein falsches Goͤtzenbild, saß Nepomuk eines Tages in seinem Zimmer, als die Thuͤr auf¬ ging und Hermenegilda in voller Trauer mit lang herabhaͤngendem Witwenschleier eintrat. Langsa¬ men feierlichen Schrittes nahte sie sich dem Grafen, ließ sich dann auf die Knie nieder und sprach mit bebender Stimme: „O mein Vater — Graf Sta¬ nislaus, mein geliebter Gatte, ist hinuͤber — er fiel als Held im blutigen Kampf: — vor dir kniet sei¬ ne bejammernswerthe Witwe!“ — Graf Nepo¬ muk mußte dies um so mehr fuͤr einen neuen Aus¬ bruch der zerruͤtteten Gemuͤthsstimmung Hermene¬ gilda's halten, als noch Tages zuvor Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen Stanislaus ein¬ gelaufen waren. Er hob Hermenegilden sanft auf, indem er sprach: „Beruhige dich liebe Tochter, Stanislaus ist wohl, bald eilt er in deine Arme.“ — Da athmete Hermenegilda auf wie im schweren Todesseufzer und sank von wildem Schmerz zerrissen neben dem Grafen hin in die Polster des Sophas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu sich selbst gekommen, sprach sie mit wunderbarer Ruhe und Fassung: „Laß es mich dir sagen, lieber Vater! wie sich alles begeben, denn du mußt es wissen, da¬ mit du in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von R..erkennest. — Wisse, daß ich vor sechs Tagen in der Abenddaͤmmerung mich in dem Pavil¬ lon an der Suͤdseite unseres Parks befand. Alle meine Gedanken, mein ganzes Wesen dem Geliebten zugewendet, fuͤhlt' ich meine Augen sich unwillkuͤhr¬ lich schließen, nicht in Schlaf, nein, in einen seltsa¬ men Zustand versank ich, den ich nicht anders nen¬ nen kann, als waches Traͤumen. Aber bald schwirr¬ te und droͤhnte es um mich her, ich vernahm ein wildes Getuͤmmel, es fiel ganz in der Naͤhe Schuß auf Schuß. Ich fuhr auf, und war nicht wenig er¬ staunt mich in einer Feldhuͤtte zu befinden. Vor mir kniete er selbst — mein Stanislaus. — Ich umschlang ihn mit meinen Armen, ich druͤckte ihn an meine Brust — Gelobt sey Gott, rief er, du lebst, du bist mein! — Er sagte mir, ich sey gleich nach der Trauung in tiefe Ohnmacht gesunken, und ich thoͤrigt Ding erinnerte mich jetzt erst, daß ja Pa¬ ter Cyprianus, den ich in diesem Augenblick erst zur Feldhuͤtte hinausschreiten sah, uns ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner des Geschuͤtzes, unter dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut hatte. Der goldne Trauring blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit, mit der ich nun aufs neue den Gatten umarmte, war unbeschreiblich; nie ge¬ fuͤhltes nahmenloses Entzuͤcken des begluͤckten Wei¬ bes durchbebte mein Inneres — mir schwanden die Sinne — da wehte es mich an mit eiskaltem Frost — Ich schlug die Augen auf — entsetzlich! mitten im Gewuͤhl der wilden Schlacht — vor mir die brennende Feldhuͤtte, aus der man mich wahrschein¬ lich gerettet! — Stanislaus bedraͤngt von feindli¬ chen Reitern — Freunde sprengen heran ihn zu retten — zu spaͤt, von hinten haut ihn ein Reiter herab vom Pferde.“ — Aufs neue sank Hermene¬ gilda uͤberwaͤltigt von dem entsetzlichen Schmerz ohn¬ maͤchtig zusammen. Nepomuk eilte nach staͤrkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht, mit wunder¬ barer Kraft faßte sich Hermenegilda zusammen. „Der Wille des Himmels ist erfuͤllt,“ sprach sie dumpf und feierlich, „nicht zu klagen ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, soll kein irdisches Buͤnd¬ niß mich von ihm trennen. Um ihn trauern, fuͤr ihn, fuͤr unser Heil beten, das ist jetzt meine Be¬ stimmung, und nichts soll diese mir verstoͤren.“ Graf Nepomuk mußte mit vollem Recht glauben, daß der innerlich bruͤtende Wahnsinn Hermenegil¬ da's sich durch jene Vision Luft gemacht habe und da die ruhige kloͤsterliche Trauer Hermenegilda's um den Gatten kein ausschweifendes beunruhigendes Treiben zuließ, so war dem Grafen Nepomuk dieser Zustand, den die Ankunft des Grafen Stanislaus schnell enden mußte, ganz recht. Ließ Nepomuk zuweilen etwas von Traͤumereien und Visionen fal¬ len, so laͤchelte Hermenegilda schmerzlich, dann druͤck¬ te sie aber den goldnen Ring, den sie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Thraͤnen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erstaunen, daß dieser Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei seiner Tochter gesehen, da es indessen tausend Faͤlle gab, wie sie dazu gekommen seyn konnte, so gab er sich nicht einmahl die Muͤhe weiter nachzuforschen. Wichtiger war ihm die boͤse Nachricht, daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenschaft gerathen sey. Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu kraͤnkeln, sie klagte oft uͤber eine seltsame Empfin¬ dung, die sie eben nicht Krankheit nennen koͤnne, die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame Art durchbebe. Um diese Zeit kam Fuͤrst Z. mit seiner Gemahlin. Die Fuͤrstin hatte, als Hermenegildas Mutter fruͤh¬ zeitig starb, ihre Stelle vertreten und schon deshalb wurde sie von ihr mit kindlicher Hingebung empfan¬ gen. Hermenegilda erschloß der wuͤrdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bittersten Wehmuth, daß, unerachtet sie fuͤr die Wahrheit aller Umstaͤnde Ruͤcksichts der wirklich vollzogenen Trauung mit Stanislaus, die uͤberzeugendsten Beweise habe, man sie doch eine wahnsinnige Traͤumerin schelte. Die Fuͤrstin, von allem unterrichtet und von Hermene¬ gilda's zerruͤttetem Gemuͤthszustande uͤberzeugt, huͤ¬ tete sich wohl ihr zu widersprechen; sie begnuͤgte sich damit, ihr zu versichern, daß die Zeit alles aufklaͤren werde und daß es wohlgethan sey, sich in frommer Demuth dem Willen des Himmels ganz zu ergeben. Aufmerksamer wurde die Fuͤrstin, als Hermenegilda von ihrem koͤrperlichen Zustande sprach und die son¬ derbaren Anfaͤlle beschrieb, die ihr Inneres zu ver¬ stoͤren schienen. Man sah, wie die Fuͤrstin mit der aͤngstlichsten Sorgfalt uͤber Hermenegilda wachte und wie ihre Bekuͤmmerniß in dem Grade stieg, als Hermenegilda sich ganz zu erholen schien. Die todtblaßen Wangen und Lippen roͤtheten sich wieder, die Augen verloren das duͤstre unheimliche Feuer, der Blick wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen rundeten sich mehr und mehr, kurz Herme¬ negilda bluͤhte ganz auf in voller Jugend und Schoͤn¬ heit. Und doch schien die Fuͤrstin sie fuͤr kraͤnker als jemahls zu halten, denn: „Wie ist dir, was hast du mein Kind? — was fuͤhlst du?“ so frug sie, quaͤ¬ lende Besorgniß im Gesicht, so bald Hermenegilda nur seufzte oder im mindesten erblaßte. Graf Nepomuk, der Fuͤrst, die Fuͤrstin beratheten sich, was es denn nun werden solle mit Hermenegilda und ihrer fixen Idee, Stanislaus Witwe zu seyn. „Ich glaube leider,“ sprach der Fuͤrst, „daß ihr Wahnsinn unheilbar bleiben wird, denn sie ist koͤr¬ perlich kerngesund und naͤhrt den zerruͤtteten Zu¬ stand ihrer Seele mit voller Kraft — Ja,“ fuhr er fort, als die Fuͤrstin schmerzlich vor sich hin¬ blickte, „ja sie ist kerngesund, unerachtet sie zur Ungebuͤhr und zu ihrem offenbaren Nachtheil wie eine Kranke gepflegt, gehaͤtschelt und geaͤngstet wird.“ Die Fuͤrstin, welche diese Worte trafen, faßte den Grafen Nepomuk ins Auge und sprach rasch und entschieden: „Nein! — Hermenegilda ist nicht krank, aber, laͤge es nicht im Reich der Unmoͤglichkeit, daß sie sich vergangen haben koͤnn¬ te, so wuͤrde ich uͤberzeugt seyn, daß sie sich in guter Hoffnung befinde.“ Damit stand sie auf und verließ das Zimmer. Wie vom Blitz getrof¬ fen starrten sich Graf Nepomuk und der Fuͤrst an. Dieser, zuerst das Wort aufnehmend, mein¬ te, „daß seine Frau auch zuweilen von den son¬ derbarsten Visionen heimgesucht werde.“ Graf Ne¬ pomuk sprach aber sehr ernst: „Die Fuͤrstin hat darin recht, daß ein Vergehen der Art von Seiten Hermenegildas durchaus im Reich der Unmoͤglichkeit liegt, wenn ich dir aber sage, daß, als Hermene¬ gilda gestern vor mir herging, mir es selbst wie ein naͤrrischer Gedanke durch den Sinn fuhr: nun seht einmahl, die junge Witwe ist ja guter Hoff¬ nung; daß dieser Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer Gestalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles sage, so wirst du es na¬ tuͤrlich finden, wie die Worte der Fuͤrstin mich mit truͤber Besorgniß, ja mit der peinlichsten Angst erfuͤllen.“ „So muß,“ erwiederte der Fuͤrst, „der Arzt oder die weise Frau entscheiden und entweder das vielleicht voreilige Urtheil der Fuͤr¬ stin vernichtet oder unsere Schande bestaͤtiget wer¬ de.“ Mehrere Tage schwankten Beide von Ent¬ schluß zu Entschluß. Beiden wurden Hermenegil¬ da's Formen verdaͤchtig, die Fuͤrstin sollte entschei¬ den was jetzt zu thun. Sie verwarf die Ein¬ mischung eines vielleicht plauderhaften Arztes und meinte, daß andere Huͤlfe wohl erst in fuͤnf Mo¬ nathen noͤthig seyn wuͤrde. „Welche Huͤlfe?“ schrie Graf Nepomuk entsetzt. „Ja,“ fuhr die Fuͤrstin mit erhoͤhter Stimme fort, „es ist nun gar kein Zweifel mehr, Hermenegilda ist entweder die verruchteste Heuchlerin, die jemahls gebohren, oder es waltet ein unerforschliches Geheimniß — genug, sie ist guter Hoffnung!“ — Ganz erstarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine Worte; end¬ lich sich muͤhsam ermannend beschwor er die Fuͤrstin, koste es was es wolle, von Hermenegilda selbst zu erforschen, wer der Ungluͤckselige sey, der die unaus¬ loͤschliche Schmach uͤber sein Haus gebracht. „Noch,“ sprach die Fuͤrstin, „noch ahnet Hermene¬ gilda nicht, daß ich um ihren Zustand weiß. Von dem Moment, wenn ich es ihr sagen werde, wie es um sie steht, verspreche ich mir Alles. Ueberrascht wird sie die Larve der Heuchlerin fallen lassen oder es muß sich sonst ihre Unschuld auf eine wunderbare Weise offenbaren, unerachtet ich es auch nicht zu traͤumen vermag, wie dies sollte geschehen koͤnnen.“ — Noch denselben Abend war die Fuͤrstin mit Her¬ menegilda, deren muͤtterliches Ansehn mit jeder Stunde zuzunehmen schien, allein auf ihrem Zim¬ mer. Da ergriff die Fuͤrstin das arme Kind bey beiden Armen, blickte ihr scharf ins Auge und sagte mit schneidendem Ton: „Liebe, du bist guter Hoff¬ nung!“ Da schlug Hermenegilda den wie von himmlischer Wonne verklaͤrten Blick in die Hoͤhe und rief mit dem Ton des hoͤchsten Entzuͤckens: „O Mutter, Mutter, ich weiß es ja! — Lange fuͤhlt' ich es, daß ich, fiel auch der theure Gatte unter den moͤrderischen Streichen der wilden Feinde, dennoch unaussprechlich gluͤcklich seyn sollte. Ja! — jener U Moment meines hoͤchsten irdischen Gluͤcks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz wieder haben den ge¬ liebten Gatten in dem theuern Pfande des suͤßen Bundes.“ Der Fuͤrstin war es, als finge sich alles an um sie zu drehen, als wollten ihr die Sinne schwinden. Die Wahrheit in Hermenegilda's Aus¬ druck — ihr Entzuͤcken, ihre wahrhafte Verklaͤrung ließ keinen Gedanken an erheucheltes Wesen, an Trug aufkommen und doch konnte nur toller Wahn¬ sinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten Gedanken ganz erfaßt, stieß die Fuͤrstin Her¬ menegilda von sich, indem sie heftig rief: „Unsin¬ nige! Ein Traum hatte dich in den Zustand versetzt, der Schmach und Schande uͤber uns alle bringt! — glaubst du, daß du mich mit albernen Maͤhrchen zu hintergehen vermagst? — Besinne dich — laß alle Ereignisse der vorigen Tage dir voruͤbergehen. Ein reuiges Bekenntniß kann uns vielleicht versoͤh¬ nen.“ In Thraͤnen gebadet, ganz aufgeloͤst von herbem Schmerz sank Hermenegilda vor der Fuͤr¬ stin auf die Knie und jammerte: „Mutter, auch du schiltst mich eine Traͤumerin, auch du glaubst nicht daran, daß die Kirche mich mit Stanislaus verband, daß ich sein Weib bin? — Aber sieh' doch nur hier den Ring an meinem Finger — was sage ich! — Du , du kennst ja meinen Zustand, ist denn das nicht genug dich zu uͤberzeugen, daß ich nicht traͤumte?“ Die Fuͤrstin nahm mit dem tief¬ sten Erstaunen wahr, daß Hermenegilden der Gedan¬ ke eines Vergehens gar nicht einkam, daß sie die Hindeutung darauf gar nicht aufgefaßt, gar nicht verstanden. Der Fuͤrstin ihre Haͤnde heftig an die Brust druͤckend, flehte Hermenegilda immer fort, sie moͤge doch nur jetzt, da es ihr Zustand außer Zweifel setze, an ihren Gatten glauben, und die ganz bestuͤrzte, ganz außer sich gesetzte Frau wußte in der That selbst nicht mehr, was sie der Armen sagen, welchen Weg sie uͤberhaupt einschla¬ gen sollte, dem Geheimniß, das hier walten mu߬ te, auf die Spur zu kommen. Erst nach mehre¬ ren Tagen erklaͤrte die Fuͤrstin dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk, daß es unmoͤglich sey von U 2 Hermenegilda, die sich von dem Gatten schwan¬ ger glaube, mehr heraus zu bringen, als wovon sie selbst im Innersten der Seele uͤberzeugt sey. Die Maͤnner voller Zorn schalten Hermenegilda eine Heuchlerin und insonderheit schwur Graf Nepomuk, daß, wenn gelinde Mittel sie nicht von dem wahn¬ sinnigen Gedanken, ihm ein abgeschmacktes Maͤhrchen aufzuheften, zuruͤckbringen wuͤrden, er es mit stren¬ gen Maßregeln versuchen werde. Die Fuͤrstin meinte dagegen, daß jede Strenge eine zwecklose Grausamkeit seyn wuͤrde. Ueberzeugt sey sie nehm¬ lich, wie gesagt, daß Hermenegilda keinesweges heuchle, sondern daran, was sie sage, mit voller See¬ le glaube. „Es giebt,“ fuhr sie fort, „noch man¬ ches Geheimniß in der Welt, das zu begreifen wir gaͤnzlich außer Stande sind. Wie, wenn das leb¬ hafte Zusammenwirken des Gedankens auch eine physische Wirkung haben koͤnnte, wie wenn eine gei¬ stige! Zusammenkunft zwischen Stanislaus und Her¬ menegilda sie in den uns unerklaͤrlichen Zustand ver¬ setzte?“ Unerachtet alles Zorns, aller Bedraͤngniß des fatalen Augenblicks konnten sich der Fuͤrst und Graf Nepomuk doch des lauten Lachens nicht ent¬ halten, als die Fuͤrstin diesen Gedanken aͤußerte, den die Maͤnner den sublimsten nannten, der je das Menschliche aͤtherisirt habe. Die Fuͤrstin blut¬ roth im ganzen Gesicht meinte, daß den rohen Maͤnnern der Sinn fuͤr dergleichen abginge, daß sie das ganze Verhaͤltniß, in das ihr armes Kind, an dessen Unschuld sie unbedingt glaube, gerathen, anstoͤßig und abscheulich finde, und daß eine Reise, die sie mit ihr zu unternehmen gedenke, das einzige und beste Mittel sey, sie der Arglist, dem Hohne ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit diesem Vorschlage sehr zufrieden, denn da Hermene¬ gilda selbst gar kein Geheimniß aus ihrem Zustande machte, so mußte sie, sollte ihr Ruf verschont blei¬ ben, freilich aus dem Kreise der Bekannten entfernt werden. Dies ausgemacht, fuͤhlten sich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte kaum mehr an das beaͤngsti¬ gende Geheimniß selbst, als er nur die Moͤglichkeit sah, es der Welt, deren Hohn ihm das Bitterste war, zu verbergen, und der Fuͤrst urtheilte sehr richtig, daß bei der seltsamen Lage der Dinge, bei Hermenegilda's unerheucheltem Gemuͤthszustande freilich gar nichts anders zu thun sey, als die Auf¬ loͤsung des wunderbaren Raͤthsels der Zeit zu uͤber¬ lassen. Eben wollte man nach geschlossener Bera¬ thung auseinander gehen, als die ploͤtzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. uͤber alle neue Verle¬ genheit neue Kuͤmmerniß brachte. Erhitzt von dem scharfen Ritt, uͤber und uͤber mit Staub be¬ deckt, mit der Hast eines von wilder Leidenschaft getriebenen stuͤrzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruß, alle Sitte nicht beachtend, mit starker Stim¬ me: „Er ist todt, Graf Stanislaus! — nicht in Gefangenschaft gerieth er — nein — er wurde niedergehauen von den Feinden — hier sind die Beweise!“ — Damit steckte er mehrere Briefe, die er schnell hervorgerissen, dem Grafen Nepomuk in die Haͤnde. Dieser fing ganz bestuͤrzt an zu lesen. Die Fuͤrstin sah in die Blaͤtter hinein, kaum hatte sie wenige Zeilen erhascht, als sie mit zum Himmel emporgerichteten Blick die Haͤnde zusam¬ menschlug und schmerzlich ausrief: „Hermenegil¬ da! — armes Kind! — welches unerforschliche Geheimniß!“ — Sie hatte gefunden, daß Sta¬ nislaus Todestag gerade mit Hermenegilda's An¬ gabe zusammentraf, daß sich alles so begeben, wie sie es in dem verhaͤngnißvollen Augenblick geschaut hatte. „Er ist todt,“ sprach nun Xaver rasch und feurig, „Hermenegilda ist frei, mir, der ich sie liebe wie mein Leben, steht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand!“ — Graf Nepomuk ver¬ mochte nicht zu antworten, der Fuͤrst nahm das Wort und erklaͤrte, daß gewisse Umstaͤnde es ganz unmoͤglich machten, jetzt auf seinen Antrag einzuge¬ hen, daß er in diesem Augenblick nicht einmal Her¬ menegilda sehen koͤnne, daß es also das Beste sey, sich wieder schnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, daß er Hermenegilda's zerruͤtte¬ ten Gemuͤthszustand, von dem wahrscheinlich die Rede sey, recht gut kenne, daß er dies aber um so weniger fuͤr ein Hinderniß halte, als gerade seine Verbindung mit Hermenegilda jenen Zustand enden wuͤrde. Die Fuͤrstin versicherte ihm, daß Herme¬ negilda ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geschworen, jede andere Verbindung daher ver¬ werfen wuͤrde, uͤbrigens befinde sie sich gar nicht mehr auf dem Schlosse. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur des Vaters Einwilligung beduͤrfe er; Hermenegilda's Herz ruͤhren, das solle man nur ihm uͤberlassen. Ganz erzuͤrnt uͤber des Juͤng¬ lings ungestuͤme Zudringlichkeit erklaͤrte Graf Ne¬ pomuk, daß er in diesem Augenblick vergebens auf seine Einwilligung hoffe und nur sogleich das Schloß verlassen moͤge. Graf Xaver sah ihn starr an, oͤff¬ nete die Thuͤr des Vorsaals und rief hinaus, Woy¬ ciech solle den Mantelsack hereinbringen, die Pferde absatteln und in den Stall fuͤhren. Dann kam er ins Zimmer zuruͤck, warf sich in den Lehnstuhl, der dicht am Fenster stand, und erklaͤrte ruhig und ernst: Ehe er Hermenegilda gesehen und gesprochen, werde ihn nur off'ne Gewalt vom Schlosse weg¬ treiben. Graf Nepomuk meinte, daß er dann auf einen recht langen Aufenthalt rechnen koͤnne, uͤbri¬ gens aber erlauben muͤsse, daß er seiner Seits das Schloß verlasse. Alle, Graf Nepomuk, der Fuͤrst und seine Gemahlin giengen hierauf aus dem Zimmer, um so schnell als moͤglich Hermenegilda fortzuschaffen. Der Zufall wollte indessen, daß sie gerade in dieser Stunde, ganz wider ihre sonstige Gewohnheit, in den Park gegangen war. Xaver, durch das Fenster blickend, an dem er saß, gewahrte sie ganz in der Ferne wandelnd. Er rannte hinun¬ ter in den Park und erreichte endlich Hermenegilda, als sie eben in jenen verhaͤngnißvollen Pavillon an der Suͤdseite des Parks trat. Ihr Zustand war nun schon beinahe jedem Auge sichtlich. „O all' ihr Maͤchte des Himmels,“ rief Xaver, als er vor Hermenegilda stand, dann stuͤrzte er aber zu ihren Fuͤßen und beschwor sie, unter den heiligsten Be¬ theurungen seiner gluͤhendsten Liebe, ihn zum gluͤck¬ lichsten Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz außer sich vor Schreck und Ueberraschung, sagte ihm: „Ein boͤses Geschick habe ihn hergefuͤhrt, ihre Ruhe zu stoͤren — niemals, niemals wuͤrde sie, dem geliebten Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die Gattin eines andern werden.“ Als nun aber Xaver nicht aufhoͤrte mit Bitten und Betheurungen, als er endlich in toller Leidenschaft ihr vorhielt, daß sie sich selbst taͤusche, daß sie ihm ja schon die suͤßesten Liebesaugenblicke geschenkt, als er, aufgesprungen vom Boden, sie in seine Arme schließen wollte, da stieß sie ihn, den Tod im Antlitz, mit Abscheu und Verachtung zuruͤck, in¬ dem sie rief: „Elender, selbstsuͤchtiger Thor, eben so wenig, wie du das suͤße Pfand meines Bundes mit Stanislaus vernichten kannst, eben so wenig vermagst du mich zum verbrecherischen Bruch der Treue zu verfuͤhren — Fort aus meinen Augen!“ Da streckte Xaver die geballte Faust ihr entgegen, lachte laut auf in wildem Hohn und schrie: „Wahn¬ sinnige, brachst du denn nicht selbst jenen albernen Schwur? — Das Kind, das du unter dem Her¬ zen traͤgst, mein Kind ist es, mich umarmtest du hier an dieser Stelle — meine Buhlschaft warst du und bleibst du, wenn ich dich nicht erhebe zu meiner Gattin.“ — Hermenegilda blickte ihn an, die Gluth der Hoͤlle in den Augen, dann kreischte sie auf: „Ungeheuer!“ und sank wie zum Tode getroffen nieder auf den Boden. Wie von allen Furien verfolgt rannte Xaver in das Schloß zuruͤck, er traf auf die Fuͤrstin, die er mit Ungestuͤm bei der Hand ergriff und hineinzog in die Zimmer. „Sie hat mich verworfen mit Ab¬ scheu — mich, den Vater ihres Kindes!“ — „Um aller Heiligen willen! Du? — Xaver! — mein Gott! — sprich, wie war es moͤglich?“ — so rief von Entsetzen ergriffen die Fuͤrstin. „Mag mich verdammen,“ fuhr Xaver gefaßter fort, „mag mich verdammen wer da will, aber gluͤht ihm gleich mir das Blut in den Adern, gleich mir wird er in solchem Moment suͤndigen. — In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem seltsamen Zustande, den ich nicht zu beschreiben vermag. Sie lag wie festschlafend und traͤumend auf dem Kana¬ pee. Kaum war ich eingetreten, als sie sich erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und fei¬ erlichen Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete sie nieder, ich that ein gleiches, sie betete und ich bemerkte bald, daß sie im Geiste einen Priester vor uns sah. Sie zog einen Ring vom Finger, den sie dem Priester darreichte, ich nahm ihn und steckte ihr einen goldnen Ring an, den ich von mei¬ nem Finger zog, dann sank sie mit der inbruͤnstig¬ sten Liebe in meine Arme — Als ich entfloh, lag sie in tiefem bewußtlosen Schlaf.“ — „Entsetzlicher Mensch! — ungeheurer Frevel!“ schrie die Fuͤrstin ganz außer sich. — Graf Nepomuk und der Fuͤrst traten hinein, in wenigen Worten erfuhren sie Xa¬ vers Bekenntnisse, und wie tief wurde der Fuͤrstin zartes Gemuͤth verwundet, als die Maͤnner Xavers freveliche That sehr verzeihlich und durch seine Ver¬ bindung mit Hermenegilda gesuͤhnt fanden. „Nein,“ sprach die Fuͤrstin, „nimmer wird Hermenegilda dem die Hand als Gattin reichen, der es wagte, wie der haͤmischte Geist der Hoͤlle, den hoͤchsten Moment ihres Lebens mit dem ungeheuersten Fre¬ vel zu vergiften.“ „Sie wird,“ sprach Graf Xa¬ ver mit kaltem hoͤhnenden Stolz, „sie wird mir die Hand reichen muͤssen, um ihre Ehre zu retten — ich bleibe hier und alles fuͤgt sich“ — In diesem Augen¬ blick entstand ein dumpfes Geraͤusch, man brachte Hermenegilda, die der Gaͤrtner im Pavillon leblos gefunden, in das Schloß zuruͤck. Man legte sie auf das Sopha; ehe es die Fuͤrstin verhindern konnte, trat Xaver hinan und faßte ihre Hand. Da fuhr sie mit einem entsetzlichen Schrei, nicht menschlicher Ton, nein, dem schneidenden Jam¬ merlaut eines wilden Thiers aͤhnlich, in die Hoͤhe und starrte in graͤßlicher Verzuckung den Grafen mit funkenspruͤhenden Augen an. Der taumelte wie vom toͤdtenden Blitz getroffen zuruͤck und lallte kaum verstaͤndlich: „Pferde!“ — Auf den Wink der Fuͤrstin brachte man ihn herab — „Wein! — Wein!“ schrie er, stuͤrzte einige Glaͤser hinunter, warf sich dann erkraͤftigt aufs Pferd und jug da¬ von. — Hermenegilda's Zustand, der aus dum¬ pfen Wahnsinn in wilde Raserei uͤbergehen zu wol¬ len schien, aͤnderte auch Nepomuks und des Fuͤrsten Gesinnungen, die nun erst das Entsetzliche, Un¬ suͤhnbare von Xavers That einsahen. Man wollte nach dem Arzt senden, aber die Fuͤrstin verwarf alle aͤrztliche Huͤlfe, wo nur geistlicher Trost viel¬ leicht wirken koͤnne. Statt des Arztes erschien also der Carmelitermoͤnch Cyprianus, Beichtvater des Hauses. Auf wunderbare Weise gelang es ihm, Hermenegilda aus der Bewußtlosigkeit des stieren Wahnsinns zu erwecken. Noch mehr! — bald wurde sie ruhig und gefaßt; sie sprach ganz zusam¬ menhaͤngend mit der Fuͤrstin, der sie den Wunsch aͤußerte, nach ihrer Niederkunft ihr Leben im Ci¬ sterzienser Kloster zu O. in steter Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern hatte sie Schleier hinzugefuͤgt, die ihr Gesicht undurchdring¬ lich verhuͤllten und die sie niemals luͤpfte. Pater Cyprianus verließ das Schloß, kam aber nach eini¬ gen Tagen wieder. Unterdessen hatte der Fuͤrst Z. an den Buͤrgermeister zu L. geschrieben, dort sollte Hermenegilda ihre Niederkunft abwarten und von der Aebtissin des Cisterzienser Klosters, einer Ver¬ wandten des Hauses, dahingebracht werden, waͤh¬ rend die Fuͤrstin nach Italien reiste, und angeblich Hermenegilda mitnahm. — Es war Mitternacht, der Wagen, der Hermenegilda nach dem Kloster bringen sollte, stand vor der Thuͤre. Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der Fuͤrst, die Fuͤr¬ stin, das ungluͤckliche Kind, um von ihr Abschied zu nehmen. Da trat sie in Schleier gehuͤllt, an der Hand des Moͤnchs, in das von Kerzen hell er¬ leuchtete Zimmer. Cyprianus sprach mit feierlicher Stimme: „Die Layenschwester Coͤlestina suͤndigte schwer, als sie sich noch in der Welt befand, denn der Frevel des Teufels befleckte ihr reines Gemuͤth, doch ein unaufloͤsliches Geluͤbde bringt ihr Trost — Ruhe und ewige Seligkeit! — Nie wird die Welt mehr das Antlitz schauen, dessen Schoͤnheit den Teufel anlockte — Schaut her! — so beginnt und vollendet Coͤlestina ihre Buße!“ Damit hob der Moͤnch Hermenegilda's Schleier auf, und schnei¬ dendes Weh durchfuhr alle, da sie die blasse Todten¬ larve erblickten, in die Hermenegilda's engelschoͤnes Antlitz auf immer verschlossen! — Sie schied, kei¬ nes Wortes maͤchtig, von dem Vater, der ganz aufgeloͤst von verzehrendem Schmerz nicht mehr le¬ ben zu koͤnnen dachte. Der Fuͤrst, sonst ein gefa߬ ter Mann, badete sich in Thraͤnen, nur der Fuͤr¬ stin gelang es, mit aller Macht den Schrecken jenes grauenvollen Geluͤbdes niederkaͤmpfend, sich auf¬ recht zu erhalten in milder Fassung — Wie Graf Xaver Hermenegilda's Aufenthalt und sogar den Umstand, daß das geborne Kind der Kirche geweiht seyn sollte, erfahren, ist unerklaͤrlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach P. gekommen, und es in die Haͤnde einer vertrauten Frau zur Pflege geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kaͤlte ohnmaͤchtig geworden, sondern todt. Darauf verschwand Graf Xaver spurlos, und man glaubte, er habe sich den den Tod gegeben: Mehrere Jahre waren vergan¬ gen, als der junge Fuͤrst Boleslaw von Z. auf sei¬ nen Reisen nach Neapel in die Naͤhe des Posilippo kam. Dort in der anmuthigsten Gegend liegt ein Kamaldulenserkloster, zu dem der Fuͤrst heraufstieg, um eine Aussicht zu genießen, die ihm als die rei¬ zendste in ganz Neapel geschildert worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im Garten zu treten, die ihm als der schoͤnste Punkt beschrieben, bemerkte er einen Moͤnch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schooß, in die Ferne hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzuͤgen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fuͤrsten kam, als er den Moͤnch naͤher und naͤher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er schlich naͤher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebet¬ buch in polnischer Sprache abgefaßt war. Dar¬ auf redete er den Moͤnch polnisch an, dieser wandte sich voller Schreck um, kaum hatte er X aber den Fuͤrsten erblickt, als er sein Gesicht ver¬ huͤllte und schnell, wie vom boͤsen Geist getrie¬ ben, durch die Gebuͤsche entfloh. Fuͤrst Boles¬ law versicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer erzaͤhlte, dieser Moͤnch sey nie¬ mand anders gewesen, als der Graf Xaver von R. Das steinerne Herz . J edem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Staͤdtchen G. von der suͤdlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genaͤhert, faͤllt der Landstraße rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches mit seinen wunderlichen bunten Zinnen aus finsterm Gebuͤsch blickend, emporsteigt. Dieses Gebuͤsch umkraͤnzte den weitlaͤuftigen Gar¬ ten, der sich in weiter Strecke Thal abwaͤrts hin¬ zieht. Kommst du einmal, vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt deiner Reise, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gaͤrtner geben duͤrftest, sondern steige fein aus dem Wagen, und laß dir Haus und Garten aufschließen, vorgebend, du haͤttest den X 2 verstorbenen Eigenthuͤmer des anmuthigen Land¬ sitzes, den Hofrath Reutlinger in G., recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies als¬ dann mit gutem Fug thun, wenn es dir gefal¬ len sollte, alles, was ich dir zu erzaͤhlen eben im Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der Hofrath Reutlinger soll dir alsdann mit all' seinem sonderbaren Thun und Treiben so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt haͤttest. Schon von außen findest du das Landhaus auf alterthuͤmliche groteske Weise mit bun¬ ten gemahlten Zierathen verschmuͤckt, du klagst mit Recht uͤber die Geschmacklosigkeit dieser zum Theil widersinnigen Wandgemaͤhlde, aber bei naͤherer Betrachtung weht dich ein besonderer wunderbarer Geist aus diesen bemahlten Steinen an und mit einem leisen Schauer, der dich uͤberlaͤuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder abgetheilten, mit weißem Gipsmarmor bekleideten Waͤnden erblickest du mit grellen Farben gemahlte Arabesken, die in den wunderlichsten Verschlingun¬ gen, Menschen- und Thiergestalten, Blumen, Fruͤchte, Gesteine, darstellen, und deren Bedeu¬ tung du ohne weitere Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der Breite einnimmt und bis uͤber den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgefuͤhrt, was erst durch Gemaͤhlde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden, du wirst weidlich schmaͤh¬ len uͤber das Barocke, Ueberladene, Grelle, Ge¬ schmacklose dieses Styls, aber bist du nur was weniges meines Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantasie, welches ich allemal bei dir, mein guͤtiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der That gegruͤndeten Tadel vergessen. Es wird dir so zu Muthe werden, als sey die regel¬ lose Willkuͤhr nur das kecke Spiel des Meisters mit Gestaltungen, uͤber die er unumschraͤnkt zu herrschen wußte, dann aber, als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen Treibens, die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kraͤn¬ kelnden Gemuͤth eigen. Ich rathe Dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks, die wie eine Gallerie den Saal umgeben, und aus deren Fenstern man hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind die Verzierungen sehr einfach, aber hin und wieder stoͤßest du auf teut¬ sche, arabische und tuͤrkische Inschriften, die sich wunderlich genug ausnehmen. Du eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach altfranzoͤsischer Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswaͤnden um¬ schlossenen Gaͤngen, mit geraͤumigen Casketts an¬ gelegt, und mit Statuen, mit Fontainen geschmuͤckt. Ich weiß nicht, ob du, geliebter Leser, nicht auch den ernsten feierlichen Eindruck, den solch' ein alt¬ franzoͤsischer Garten macht, mit mir fuͤhlst, und ob du solch' ein Gartenkunstwerk nicht der alber¬ nen Kleinigkeitskraͤmerei vorziehst, die in unsern sogenannten englischen Gaͤrten mit Bruͤckchen und Fluͤßlein, und Tempelchen und Groͤttchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittst du in einen finstern Hain von Trauerweiden, Haͤngebirken und Weymoutskiefern. Der Gaͤrtner sagt dir, daß dies Waͤldchen, wie man es von der Hoͤhe des Hauses hinabschauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin ist ein Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in der Form eines Herzens erbaut. Du trittst hin¬ ein, der Boden ist mit weißen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz in gewoͤhnlicher Groͤße. Es ist ein dunkelrother in den weißen Marmor eingefugter Stein. Du buͤckst dich herab, und entdeckest die in den Stein ein¬ gegrabenen Worte: Es ruht ! In diesem Pa¬ villon, bei diesem dunkelrothen steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht trug, stan¬ den am Tage Mariaͤ Geburt, das heißt am achten September des Jahres 180 — ein großer stattli¬ cher alter Herr und eine alte Dame, beide sehr reich und schoͤn nach der Mode der sechsziger Jahre gekleidet. „Aber,“ sprach die alte Dame, „aber wie kam Ihnen, lieber Hofrath, denn wieder die bizarre, ich moͤchte lieber sagen, die schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal ihres Her¬ zens, das unter dem rothen Stein ruhen soll, bauen zu lassen?“ „Lassen Sie Uns,“ erwiederte der alte Herr, „lassen Sie Uns, liebe Geheime- Raͤthin, von diesen Dingen schweigen! — Nen¬ nen Sie es das krankhafte Spiel eines wunden Gemuͤths, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, daß, wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das haͤmische Gluͤck wie ein Spiel¬ zeug dem einfaͤltigen Kinde, das daruͤber die To¬ deswunden vergißt, mir zuwarf, der bitterste Un¬ muth ergreift, wenn alles erfahrne Leid von neuem auf mich zutritt, daß ich dann hier in diesen Mauern Trost und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein so roth gefaͤrbt, aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Her¬ zen und kuͤhlt die verderbliche Gluth, welche darin loderte.“ Die alte Dame sah mit einem Blick der tiefsten Wehmuth herab zum steinernen Herzen, und indem sie sich etwas herabbuͤckte, fielen ein paar große perlenglaͤnzende Thraͤnen auf den rothen Stein. Da faßte der alte Herr schnell heruͤber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im ju¬ gendlichen Feuer; wie ein fernes mit Bluͤthen und Blumen reich geschmuͤcktes herrliches Land im schim¬ mernden Abendroth lag eine laͤngst vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in seinen gluͤhenden Blicken. „Julie! — Julie! und auch Sie konnten dieses arme Herz so auf den Tod verwunden.“ — So rief der alte Herr mit von der schmerzlichsten Weh¬ muth halberstickter Stimme: „Nicht mich,“ erwie¬ derte die alte Dame sehr weich und zaͤrtlich, „nicht mich, klagen Sie an, Maximilian! — War es denn nicht ihr starrer unversoͤhnlicher Sinn, ihr traͤumerischer Glaube an Ahnungen, an seltsame, Unheil verkuͤndende Visionen, der Sie forttrieb von mir, und der mich zuletzt bestimmen mußte, dem sanfteren, beugsameren Mann, der mit Ihnen zu¬ gleich sich um mich bewarb, den Vorzug zu geben. Ach! Maximilian, Sie mußten es ja wohl fuͤhlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todes¬ ermattung?“ Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: „O Sie haben Recht, Frau Geheime Raͤthin, ich muß allein stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen.“ „Wie bitter“ fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, „wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und an¬ dere sind Sie, Maximilian! — Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten Wohlthaͤter der Beduͤrftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches boͤse Ge¬ schick warf jenes entsetzliche Mißtrauen in ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkuͤhr unabhaͤngigen Ereigniß Verderben und Unheil ahnet?“ „Hege ich denn nicht alles,“ sprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Thraͤnen in den Augen, „hege ich denn nicht alles, was sich mir naͤhert, mit der vollsten Liebe. Aber diese Liebe zerreißt mir das Herz, statt es zu naͤhren.“ — „Ha!“ fuhr er mit erhoͤhter Stimme fort, „dem unerforschlichen Geist der Welten gefiel es mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode entreißend, mich hundertmal toͤdtet! — Gleich dem ewigen Juden, sehe ich das unsichtbare Cainszeichen auf der Stirne des gleißnerischen Meu¬ ters! — Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende Raͤthsel der geheimnißvolle Koͤnig der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren Isisaugen an, aber wer ihre Raͤth¬ sel nicht loͤst, den ergreift sie mit kraͤftigen Loͤwen¬ tatzen, und schleudert ihn in den Abgrund.“ „Noch immer,“ sprach die alte Dame, noch immer diese verderblichen Traͤume. Wo blieb der schoͤne, artige Knabe, ihres juͤngern Bruders Sohn, den Sie vor einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel Liebe und Trost fuͤr Sie aufzukeimen schien?“ „Den,“ erwiederte der alte Herr mit rauher Stim¬ me, „den habe ich verstoßen, es war ein Boͤsewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Bu¬ sen naͤhrte.“ „Ein Boͤsewicht! — der Knabe von sechs Jahren?“ — fragte die Dame ganz bestuͤrzt. „Sie wissen,“ fuhr der alte Herr fort, „die Geschichte meines juͤngern Bruders; Sie wissen, daß er mich mehrmals auf buͤbische Weise taͤuschte, daß, alles bruͤderliche Gefuͤhl in seiner Brust ertoͤdtend, ihm jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine buͤrgerliche Existenz verloren ging. Sie wissen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend ver¬ sunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung seiner verworrenen Lebensweise, wieder erwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse Dokumente — doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als der Schaͤndliche, nachdem seine Raͤnke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬ wickeln sollten, entdeckt worden, fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich von dem Boͤsewicht.“ „Und dieser Wink des Schick¬ sals war gewiß einer ihrer boͤsen Traͤume.“ So sprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: „Hoͤren Sie, urtheilen Sie Julie! — Sie wissen, daß meines Bruders Teufelei mir den haͤrtesten Stoß gab, den ich erlitten — es sey denn, daß — doch still davon. Mag es seyn, daß ich der Seelen¬ krankheit, die mich befallen, den Gedanken zuschrei¬ ben muß, mir in diesem Waͤldchen eine Grabstaͤtte fuͤr mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es ge¬ schah! — Das Waͤldchen war in Herzform ange¬ pflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter beschaͤf¬ tigten sich mit der Marmortaͤfelung des Fußbodens. Ich trete hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, daß in einiger Entfernung der Knabe, so wie ich, Max geheißen, etwas hin und herkugelt unter allerlei tollen Bocksspruͤngen und lautem Ge¬ laͤchter. Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! — Ich gehe los auf den Knaben und er¬ starre, als ich sehe, daß es der rothe herzfoͤrmig aus¬ gearbeite Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavil¬ lon bereit lag, den er mit Muͤhe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! — Bube! Du spielst mit meinem Herzen, wie dein Vater! — Mit diesen Worten stieß ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. — Mein Verwalter erhielt die noͤthigen Befehle ihn fortzu¬ schaffen, ich habe den Knaben nicht wieder gesehen!“ „Entsetzlicher Mann!“ rief die alte Dame, die aber der alte Herr sich hoͤflich verbeugend, und mit den Worten: „des Schicksals große Grundstriche fuͤ¬ gen sich nicht dem feinen Nonpareil der Damen,“ unter dem Arm faßte, und aus dem Pavillon hin¬ ausfuͤhrte durch das Waͤldchen in den Garten. — Der alte Herr war der Hofrath Reutlinger, die alte Dame aber die Geheimeraͤthin Foerd. — — Der Garten bot das allermerkwuͤrdigste Schauspiel dar, was man nur sehen konnte. Eine große Ge¬ sellschaft alter Herren, Geheime Raͤthe, Hofraͤthe u. a. nebst ihren Familien aus den benachbarten Staͤdt¬ chen hatte sich versammelt. Alle, selbst die jungen Leute und Maͤdchen waren ganz streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit großen Peruͤk¬ ken, gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifroͤk¬ ken u. s. w., welches denn um so mehr einen wun¬ derlichen Eindruck machte, als die Anlagen des Gar¬ tens ganz zu jenem Costum paßten. Jeder glaubte sich, wie durch einen Zauberschlag, in eine laͤngst verflossene Zeit zuruͤckversetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariaͤ Geburt auf seinem Landsitz das Fest der alten Zeit zu feiern, wozu er alles aus dem Staͤdtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es uner¬ laͤßliche Bedingung, daß jeder Gast sich in das Costum des Jahres 1760 werfen mußte. Jungen Leuten, denen es laͤstig gewesen seyn wuͤrde, der¬ gleichen Kleider herbei zu schaffen, half der Hofrath aus mit seiner eigenen reichen Garderobe. — Offenbar wollte der Hofrath diese Zeit hindurch (das Fest dauerte zwei bis drei Tage) in Ruͤckerinnerungen der alten Jugendzeit recht schwelgen. In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide sahen sich eine Weile schwei¬ gend an und brachen dann in ein helles Gelaͤch¬ ter aus. „Du kommst mir vor,“ rief Willibald, „wie der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Cavalier.“ — „Und mich duͤnkt,“ erwiederte Ernst, „ich haͤtte dich schon in der asiatischen Banise er¬ blickt.“ — „Aber in der That,“ fuhr Willibald fort, „des alten Hofraths Einfall ist so uͤbel nicht. Er will nun einmahl sich selbst mystifiziren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt ein munterer starker Greis mit unverwuͤstlicher Lebenskraft und herrlicher Frisch¬ heit des Geistes, an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es manchem vor der Zeit abgestumpften Juͤng¬ linge zuvorthut. Er darf nicht dafuͤr sorgen, daß jemand in Wort und Gebehrde aus dem Costum falle, denn dafuͤr steckt jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz unmoͤglich machen. Sieh' nur wie juͤngferlich und zunferlich unsere jungen Damen in ihren Reifroͤcken einhertrippeln, wie sie sich des Faͤ¬ chers zu bedienen wissen — Wahrhaftig mich selbst ergreift unter der Peruͤcke, die ich auf meinen Titus gestuͤlpt, ein ganz besonderer Geist alterthuͤmlicher Courtoisie, da ich eben das allerliebste Kind des geh. Rathes Foerd juͤngste Tochter, die holde Julia er¬ blicke, so weiß ich gar nicht was mich abhaͤlt, mich ihr in demuͤthiger Stellung zu nahen und mich also zu appliziren und expliziren: „Allerschoͤnste Julia! „wenn wird mir doch die laͤngst gewuͤnschte Ruhe „durch deine Gegenliebe gewaͤhrt werden! Es ist ja „unmoͤglich, daß den Tempel dieser Schoͤnheit ein „steinerner Abgott bewohnen koͤnne. Den Mar¬ „mor bezwingt der Regen und der Diamant wird „durch schlechtes Blut erweichet; dein Herz will „aber einem Amboße gleichen, welches sich nur durch „Schlaͤge verhaͤrtet; je mehr nun mein Herze klo¬ „pfet, je unempfindlicher wirst du. Laß mich doch „das Ziel deines Blicks seyn, schaue doch wie mein „Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung „lechzet, welche aus deiner Anmuth quillt. Ach! „— willst du mich durch Schweigen betruͤben, un¬ „empfindliche Seele? Die todten Felsen antworten „ja den Fragenden durch ein Echo und du willst Y „mich Trostlosen keiner Antwort wuͤrdigen? — „O Allerschoͤnste“ — „Ich bitte dich,“ unterbrach hier Ernst den Freund, der mit dem wunderlichsten Gebehrdenspiel das alles gesprochen, „ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmahl wieder in deiner tollen Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns freundlich naͤhernd, mit einem Mahl ganz scheu aus¬ bog. Ohne dich zu verstehen, glaubt sie gewiß so wie alle in gleichem Fall, schonungslos von dir be¬ spoͤttelt zu seyn, und so bewaͤhrst du deinen Ruf als eingefleischten ironischen Satan und ziehst mich neu¬ en Ankoͤmmling ins Ungluͤck, denn schon sprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bittersuͤßem Laͤcheln: es ist Wilibalds Freund.“ „Laß es gut seyn,“ sprach Wilibald, „ich weiß es ja, daß viele Leute, zumahl junge hoffnungsvolle Maͤdchen von sechszehn, siebzehn Jahren mir sorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle Wege fuͤhren, und weiß auch, daß sie dort mir begegnend oder viel¬ mehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend, recht mit vollem freundlichen Gemuͤth mir die Hand reichen werden.“ „Du meinst,“ sprach Ernst, „ei¬ ne Versoͤhnung, wie im ewgen Leben, wenn der Drang des Irdischen abgeschuͤttelt.“ „O ich bitte dich,“ unterbrach ihn Wilibald, „laß uns doch ge¬ scheut seyn und nicht alte laͤngst besprochene Dinge aufs neue und gerade zur unguͤnstigsten Stunde aufruͤhren. Unguͤnstig fuͤr derley Gespraͤche nenne ich nehmlich deshalb eben diese Stunden, weil wir gar nichts besseres thun koͤnnen, als uns dem seltsa¬ men Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehst du wohl jenen Baum, dessen ungeheure weiße Bluͤthen der Wind hin und her¬ schuͤttelt? — Cactus grandiflorus kann es nicht seyn, denn der bluͤht nur Mitternachts und ich spuͤre auch nicht das Aroma, welches sich bis hieher ver¬ breiten muͤßte — Weiß der Himmel, welchen Wun¬ derbaum der Hofrath wieder in sein Tusculum verpflanzt hat.“ — Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der That nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunder¬ busch trafen, dessen Bluͤthen nichts anders waren, als hineingehaͤngte weißgepuderte Peruͤcken, die mit Y 2 ihren daran gehaͤngten Haarbeuteln und Zoͤpfchen, ein kurioses Spielzeug des launigten Suͤdwinds, auf und niederschaukelten. Lautes Lachen verkuͤn¬ dete was hinter den Buͤschen verborgen. Eine gan¬ ze Gesellschaft alter gemuͤthlicher lebenskraͤftiger Herren hatte sich auf einem breiten von buntem Buschwerk umgebenen Rasenplatz versammelt. Die Roͤcke ausgezogen, die laͤstigen Peruͤcken in den Ho¬ lunder gehaͤngt, schlugen sie Ballon. Aber niemand uͤbertraf den Hofrath Reutlinger, der den Ballon bis zu einer unglaublichen Hoͤhe und so geschickt zu treiben wußte, daß er jedesmahl dem Gegenspieler schlaggerecht niederfiel. In dem Augenblick ließ sich eine abscheuliche Musik von kleinen Pfeifen und dumpfen Trommeln hoͤren. Die Herren endeten schnell ihr Spiel und griffen nach ihren Roͤcken und Peruͤcken. „Was ist denn das nun wieder?“ sprach Ernst. „Ich wette,“ erwiederte Wilibald, „der tuͤrkische Gesandte zieht ein.“ „Der tuͤrkische Ge¬ sandte?“ frug Ernst ganz erstaunt. „So nenne ich,“ fuhr Wilibald fort, „den Baron von Exter, der sich in G. aufhaͤlt und den Du noch viel zu we¬ nig gesehn hast, um in ihm nicht eins der wunder¬ lichsten Originale zu erkennen, die es geben mag. Er ist ehemahls Gesandter unseres Hofes in Con¬ stantinopel gewesen und noch immer sonnt er sich in dem Reflex dieser wahrscheinlich genußreichsten Fruͤh¬ lingszeit seines Lebens. Seine Beschreibung des Pallastes, den er in Pera bewohnte, erinnert an die diamantnen Feen-Pallaͤste in Tausend und einer Nacht, und seine Lebensweise an den weisen Koͤnig Salomo, dem er auch darin gleichen will, daß er sich wirklich der Herrschaft uͤber unbekannte Natur¬ kraͤfte ruͤhmt. In der That hat dieser Baron Ex¬ ter seiner luͤgnerischen Prahlerey, seiner Charlatane¬ rie unerachtet, doch etwas mystisches, das mich wenigstens in drolligem Abstich mit seiner aͤußern etwas skurrilen Erscheinung oft wirklich mystifizirt. Davon, ich meine von seinem wirklich mystischen Treiben geheimer Wissenschaften, ruͤhrt auch seine enge Verbindung mit Reutlingern her, der diesem We¬ sen ganz ergeben ist mit Leib und Seele — Bei¬ de sind wunderliche Traͤumer, aber jeder auf seine Weise, uͤbrigens aber entschiedene Mesmerianer. — Unter diesem Gespraͤch waren die Freunde bis an des Gartens großes Gatterthor gelangt, durch welches so eben der tuͤrkische Gesandte einzog. Ein kleiner rundlicher Mann mit einem schoͤnen tuͤrkischen Pelz und hohem aus farbigten Shawls aufgewickel¬ tem Turban angethan. Aus Gewohnheit hatte er sich aber nicht von der eng anschließenden Zopfperuͤ¬ cke mit kleinen Loͤckchen, aus Beduͤrfniß nicht von den filznen Podagristenstiefeln trennen koͤnnen, wo¬ durch freilich das tuͤrkische Costuͤm schwer verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abscheuliche musi¬ kalische Geraͤusch machten und in denen Wilibald trotz der Vermummung Exters Koch und anderes Hausgesinde erkannten, waren zu Mohren angerußt und trugen spitze gemahlte Papiermuͤtzen, den San¬ benitos nicht unaͤhnlich, welches drollig genug aus¬ sah. Den tuͤrkischen Gesandten fuͤhrte am Arm ein alter Offizier, nach seiner Tracht von irgend einem Schlachtfelde des siebenjaͤhrigen Krieges erwacht und erstanden. Es war der General Rixendorf, Com¬ mandant von G., der dem Hofrath zu Gefallen sammt seinen Offizieren sich in das alte Costuͤme ge¬ worfen hatte. „ Salama milek !“ sprach der Hof¬ rath den Baron Exter umarmend, der sofort den Turban abnahm, und ihn wieder auf die Peruͤcke stuͤlpte, nachdem er sich den Schweiß von der Stirne mit einem ostindischen Tuch weggetrocknet. In dem Augenblick bewegte sich auch in den Zweigen eines Spaͤtkirschenbaums der goldstrahlende Fleck, den Ernst schon lange betrachtet hatte, ohne entraͤthseln zu koͤnnen, was da oben sitze. Es war blos der ge¬ heime Commerzien Rath Harscher in einem gold¬ stoffnen Ehrenkleide, eben solchen Beinkleidern und silberstoffner mit blauen Rosenbouquets bestreuter Weste, der nun sich aus den Blaͤttern des Kirschbaums entwickelte, und fuͤr sein Alter behende genug auf der angelehnten Leiter herab stieg und mit ganz fei¬ ner etwas quaͤckender Stimme singend oder vielmehr kreischend: „ Ah! che vedo — o dio che sen¬ to! “ dem tuͤrkischen Gesandten in die Arme eilte. Der Commerzien-Rath hatte seine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein großer Musikus und wollte noch immer mittelst eines lang geuͤbten Fal¬ setts singen wie Farinelli. „Ich weiß,“ sprach Wi¬ libald, „daß Harscher sich die Taschen mit Spaͤtkir¬ schen vollgestopft hat, die er, irgend ein Madrigal suͤß lamentirend, den Damen praͤsentiren wird. Da er aber wie Friedrich der zweite den Spaniol ohne Dose in der Tasche ausgeschuͤttet traͤgt, wird er mit seiner Galanterie nur widerwilliges Ab¬ lehnen und finstre Gesichter einaͤrndten.“ — Ueberall war nun der tuͤrkische Gesandte so wie der Held des siebenjaͤhrigen Krieges mit Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd mit kindlicher Demuth be¬ gruͤßt, tief beugte sie sich vor dem alten Herrn und wollte ihm die Hand kuͤßen, da sprang aber der tuͤrkische Gesandte wild dazwischen, rief: „Narr¬ heiten, tolles Zeug!“ umarmte Julchen mit Hef¬ tigkeit, wobey er dem Commerzien-Rath Harscher sehr hart auf die Fuͤße trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig miaute und rannte dann mit Julien, die er unter den Arm gefaßt, davon. — Man sah, daß er sehr eifrig mit den Haͤnden focht, den Turban auf und abstuͤlpte u. s. w. „Was hat der Alte mit dem Maͤdchen vor?“ sprach Ernst. „In der That,“ erwiederte Wili¬ bald, „es scheint Wichtiges, denn, ist Exter gleich des Maͤdchens Pathe und ganz vernarrt in sie, so pflegt er doch nicht sogleich aus der Gesellschaft mit ihr davon zu laufen.“ — In dem Augenblick blieb der tuͤrkische Gesandte stehen, streckte den rech¬ ten Arm weit von sich und rief mit starker Stimme, daß es im ganzen Garten wiederhallte: „ Appor ¬ te !“ — Wilibald brach in ein lautes Gelaͤchter aus, „Wahrhaftig,“ sprach er dann, „es ist weiter nichts, als daß Exter Julien zum tausendstenmahl die merk¬ wuͤrdige Geschichte vom Seehunde erzaͤhlt.“ Ernst wollte diese merkwuͤrdige Geschichte durchaus wissen. „Erfahre denn,“ sprach Wilibald, „daß Exters Pallast dicht am Bosphorus lag, so daß Stufen von dem feinsten kararischen Marmor hinabfuͤhrten ins Meer. Eines Tages steht Exter auf der Gal¬ lerie in die tiefsinnigsten Betrachtungen versunken, aus denen ihn ein durchdringender gellender Schrey hinausreißt. Er schaut hinab und siehe, ein unge¬ heurer Seehund ist aus dem Meer hinaufgetaucht und hat einem armen tuͤrkischen Weibe, die auf den Marmorstufen saß, den Knaben von dem Arm hin¬ abgerissen, mit dem er eben abfaͤhrt in die Mee¬ reswellen. Exter eilt hinab, das Weib faͤllt ihm trostlos weinend und heulend zu Fuͤßen, Exter be¬ sinnt sich nicht lange, er tritt dicht ans Meer auf die letzte Stufe, streckt den Arm aus und ruft mit starker Stimme: „ Apporte !“ — Sogleich steigt der Seehund aus der Tiefe des Meers, im weiten Maule den Knaben, den er zierlich und geschickt, wie auch ganz unversehrt dem Magier uͤberreicht und sodann jedem Dank ausweichend, sich wieder ent¬ fernt in das Meer niedertaucht.“ „Das ist stark — das ist stark,“ rief Ernst. „Siehst du wohl,“ fuhr Wilibald fort, „siehst du wohl wie Exter jetzt einen kleinen Ring vom Finger zieht und ihn Juli¬ en zeigt? Keine Tugend bleibt unbelohnt! — Außer dem, daß Exter dem tuͤrkischen Weibe den Kna¬ ben gerettet hatte, so beschenkte er sie noch, als er vernahm, daß ihr Mann ein armer Lasttraͤger, kaum das taͤgliche Brod zu verdienen vermochte, mit eini¬ gen Juwelen und Goldstuͤcken, freilich nur eine Lum¬ perei, hoͤchstens zwanzig bis dreißigtausend Thaler an Werth; darauf zog das Weib einen kleinen Sapphir vom Finger und drang ihn Extern auf mit der Versicherung, es sey ein theures ererbtes Fami¬ lienstuͤck, das nur durch Exters That gewonnen werden koͤnne. Exter nahm den Ring, der ihm von geringem Werthe schien und erstaunte nicht we¬ nig, als er spaͤter durch eine kaum sichtbare arabi¬ sche Inschrift an des Ringes Reif belehrt wurde, daß er des großen Alis Siegelring am Finger trage, mit dem er jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heran¬ lockt und mit ihnen konversirt. „Das sind ganz er¬ staunliche Dinge,“ rief Ernst lachend, „doch laß' uns sehen, was dort in dem geschlossenen Kreise vor¬ geht, in dessen Mitte ein klein Ding, wie ein kar¬ tesianisches Teufelchen, auf- und niedergaukelt und quinkelirt“ — Die Freunde traten auf einen run¬ den Rasenplatz, rings umher saßen alte und junge Herren und Damen, in der Mitte sprang ein sehr bunt gekleidetes, kaum vier Fuß hohes Daͤmchen, mit einem etwas zu großen Apfelkoͤpfchen umher, und schnippte mit den Fingerchen und sang mit einem ganz kleinen, duͤnnen Stimmchen: „ Amenez vos troupeaux bergeres !“ — „Solltest du wohl glauben,“ sprach Wilibald, „daß dies putzige Figurchen, die so uͤberaus naiv und schar¬ mant thut, Juliens aͤltere Schwester ist? Du merkst, daß sie leider zu den Weibern gehoͤrt, die die Natur mit recht bittrer Ironie mystifizirt, in¬ dem sie trotz alles Straͤubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermoͤge ihrer Figur und ihres ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen Naivitaͤt koquettirend sich und andern herzlich zur Last werden muͤssen, wobei es denn oft an gehoͤriger Verhoͤh¬ nung nicht mangelt.“ — Beiden Freunden wurde das Daͤmchen mit ihrer franzoͤsischen Faselei recht fatal, sie schlichen daher fort wie sie gekommen und schlossen sich lieber an den tuͤrkischen Gesandten an, der sie fortfuͤhrte in den Saal, wo eben, da die Sonne schon niedersank, alles zu der Musik vorbe¬ reitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Oesterleinische Fluͤgel wurde geoͤffnet und jedes Pult fuͤr die Kuͤnstler an seinen Ort ge¬ stellt. Die Gesellschaft sammelte sich nach und nach, Erfrischungen wurden herumgereicht in altem reichen Porzellan; dann ergriff Reutlinger eine Geige und fuͤhrte mit Geschicklichkeit und Kraft eine Sonate von Corelli aus, wozu ihn der General Rixendorf auf dem Fluͤgel begleitete, dann bewaͤhr¬ te sich der goldstoffne Harscher als Meister auf der Theorbe. Hierauf begann die geheime Raͤthin Foerd eine große italienische Szene von Anfossi mit seltenem Ausdruck. Die Stimme war alt, tremu¬ lirend und ungleich, aber noch wurde alles dieses durch die ihr eigne Meisterschaft des Gesanges be¬ siegt. In Reutlingers verklaͤrtem Blick glaͤnzte das Entzuͤcken laͤngst vergangener Jugend. Das Adagio war geendet, Rixendorf begann das Alle¬ gro, als ploͤtzlich die Thuͤr des Saals aufgerissen wurde und ein junger wohlgekleideter Mensch, von huͤbschem Ansehen, ganz erhitzt und athemlos hin¬ ein und zu Rixendorfs Fuͤßen stuͤrzte. „O Herr General! — Sie haben mich gerettet — Sie al¬ lein — Es ist alles gut — Alles gut! O mein Gott, wie soll ich Ihnen denn danken.“ So schrie der junge Mensch wie außer sich, der General schien verlegen, er hob den jungen Menschen sanft auf, und fuͤhrte ihn mit beschwichtigenden Worten heraus in den Garten. Die Gesellschaft war von dem Auf¬ tritt uͤberrascht worden, jeder hatte in dem Juͤng¬ ling den Schreiber des geheimen Rathes Foerd er¬ kannt und schaute diesen mit neugierigen Blicken an. Der nahm aber eine Prise nach der andern und sprach mit seiner Frau franzoͤsisch, bis er end¬ lich, da ihm der tuͤrkische Gesandte naͤher auf den Leib ruͤckte, rund heraus erklaͤrte: „Ich weiß, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht zu erklaͤren, welcher boͤse Geist meinen Max hier so ploͤtzlich mit exaltirten Danksagungen hineingeschleudert hat, werde aber sogleich die Ehre haben“ — Damit schluͤpfte er zur Thuͤre heraus und Wilibald folgte ihn auf dem Fuße. Das dreiblaͤttrige Kleeblatt der Foerdschen Familie, nemlich die drei Schwestern, Nannette, Clementine und Julie, aͤußerten sich auf ganz verschiedene Weise. Nannette ließ den Faͤcher auf- und niederrauschen, sprach von Etourderie und woll¬ te endlich wieder singen: Amenez vos troupeaux , worauf aber niemand achtete. Julie war abseits in den Winkel getreten und der Gesellschaft den Ruͤcken zugewendet, war es, als wolle sie nicht allein ihr gluͤhendes Gesicht, sondern auch einige Thraͤnen verbergen, die ihr, wie man schon bemerkt, in die Augen getreten. „Freude und Schmerz verwun¬ den, mit gleichem Weh die Brust des armen Men¬ schen, aber faͤrbt der, dem verletzenden Dorn nach¬ quillende Blutstropfe nicht mit hoͤherem Roth die verbleichende Rose?“ So sprach mit vielem Pa¬ thos die jeanpaulisirende Clementine, indem sie ver¬ stohlen die Hand eines huͤbschen jungen, blonden Men¬ schen faßte, der gar zu gern sich aus den Rosenban¬ den, womit ihn Clementine bedrohlich umstrickt und in denen er etwas zu spitze Dornen verspuͤrt hatte, losgewickelt. Der laͤchelte aber etwas fade und sprach nur: „O ja, Beste!“ — Dabei schielte er nach einem seitwaͤrts stehenden Glase Wein, wel¬ ches er gern auf Clementinens sentimentalen Spruch geleert. Das ging aber nicht, da Clementine seine linke Hand festhielt, er aber mit der Rechten so eben das Besitzthum eines Stuͤcks Kuchen ergrif¬ fen. In dem Augenblick trat Willibald zur Saal¬ thuͤr herein und alles stuͤrzte auf ihn zu mit tausend Fragen, wie, was, warum und woher? Er wollte durchaus nichts wissen, zog aber ein verschmitzteres Gesicht als jemals. Man ließ nicht ab von ihm, weil man deutlich bemerkt, daß er im Garten sich mit dem geheimen Rath Foerd zum General Rixen¬ dorf und zum Schreiber Max gesellt, und heftig mitgesprochen hatte. „Soll ich denn,“ fing er end¬ lich an, „soll ich denn in der That die wichtigste aller Begebenheiten vor der Zeit ausplaudern, so muß es mir vergoͤnnt werden, zuvoͤrderst an Sie, meine hochzuverehrenden Damen und Herren, einige Fragen zu richten.“ — Man erlaubte das gern. „Ist Ihnen,“ fuhr Willibald nun pathetisch fort, „ist Ihnen nicht allen der Schreiber des Herrn ge¬ heimen Rath Foerd, Max geheißen, als ein wohlge¬ bildeter, von der Natur reichlich ausgestatteter Juͤng¬ ling bekannt?“ „Ja, ja, ja!“ rief der Chor der Damen. „Ist Ihnen,“ frug Willibald weiter, „ist Ihnen nicht sein Fleiß, seine wissenschaftliche Bildung, seine Geschicklichkeit im Geschaͤft be¬ kannt?“ „Ja — ja!“ rief der Chor der Herren und wieder „Ja, ja, ja!“ der vereinigte Chor der Herren und Damen, als Willibald noch frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteste Kopf, vol¬ ler Possen und Schnurren, so wie endlich als solch geschickter Zeichner bekannt sey, daß Rixendorf, der als Dilettant in der Mahlerei Ungewoͤhnliches lei¬ ste, es nicht verschmaͤht habe, selbst ihm zweckmaͤ¬ ßigen Unterricht zu ertheilen. „Es begab sich,“ erzaͤhlte nun Willibald, „daß vor einiger Zeit ein junges Meisterlein von der ehrsamen Schneider¬ zunft seine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch her, Baͤsse schnurrten, Trompeten schmetterten durch die Gasse. Mit rechter Wehmuth sah des Herrn geheimen Raths Bedienter, Johann, zu den erleuchteten Fenstern herauf, das Herz wollte ihm springen, wenn er unter den Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie er wußte, auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum Fenster herausguckte, da konnte er es nicht laͤnger aushalten, er lief nach Hause, warf sich in seinen besten Staat und ging keck herauf in den Hochzeitsaal. Er wurde wirklich zugelassen, freilich unter der schmerzlichen Bedingung, daß im Tanz jeder Schneider vor ihm den Vorzug haben sollte, wodurch er freilich auf die Maͤdchen angewie¬ sen wurde, mit denen, ob ihrer Haͤßlichkeit oder Z sonstigen Untugenden, niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Taͤnze versagt, aber so wie sie den Geliebten sah, vergaß sie alles, was sie ver¬ sprochen, und der beherzte Johann stieß das duͤnn¬ leibige Schneiderlein, das ihm Jettchen abtrotzen wollte, zu Boden, daß es uͤber und uͤber purzelte. Dies gab das Signal zum allgemeinen Aufstande. Johann wehrte sich wie ein Loͤwe, Rippenstoͤße und Ohrfeigen nach allen Seiten austheilend, doch er mußte der Menge seiner Feinde erliegen und wurde auf schmaͤhliche Weise von Schneidergesellen die Treppe herabgeworfen. Voll Wuth und Ver¬ zweiflung wollte er die Fenster einwerfen, er schimpfte und fluchte, da kam Max, der nach Hause ging, des Weges und befreite den ungluͤckli¬ chen Johann aus den Haͤnden der Schaarwacht, die eben uͤber ihn herzufallen im Begriff stand. Nun klagte Johann sein Ungluͤck und wollte durch¬ aus nicht abstehen von tumultuarischer Rache, doch gelang es endlich dem kluͤgern Max ihn zu beruhi¬ gen, wiewohl nur unter dem Versprechen, daß er sich seiner annehmen und die ihm geschehene Unbill so raͤchen wolle, daß er ganz gewiß zufrieden seyn werde“ — Willibald hielt ploͤtzlich ein. — „Nun? — nun? Und weiter? — Eine Schneiderhoch¬ zeit — ein Liebespaar — Pruͤgel — was soll das dann werden?“ — So rief es von allen Sei¬ ten. „Erlauben Sie,“ fuhr Willibald fort, „er¬ lauben Sie, Hochzuverehrende! zu bemerken, daß, um mit dem beruͤhmten Weber Zettel zu reden, in dieser Komoͤdie von Johann und Jettchen Dinge vorkommen, die nimmermehr gefallen werden. — Es koͤnnte sogar wider den feinsten Anstand gesuͤn¬ digt werden.“ „Sie werden's schon einzurichten wissen, lieber Herr Willibald,“ sprach die alte Stiftsraͤthin von Krain, indem sie ihn auf die Schulter klopfte, „ich fuͤr meinen Theil kann einen Puff vertragen.“ — „Der Schreiber Max,“ er¬ zaͤhlte Willibald weiter, „setzte sich andern Tages hin, nahm ein großes schoͤnes Blatt Velinpapier, Bleifeder und Tusche, und zeichnete mit der vollen¬ detsten Wahrheit einen großen stattlichen Ziegen¬ bock hin. Die Physiognomie dieses wunderbaren Thiers gab jedem Physiognomen reichlichen Stoff zum Studium. In dem Blick der geistreichen Au¬ gen lag etwas Ueberschwengliches, wiewohl um das Maul und um den Bart herum einige Convul¬ sionen zitternd zu spielen schienen. Das Ganze zeugte von innerer unaussprechlicher Qual. In der That war auch der gute Bock beschaͤftigt, auf Z 2 eine sehr natuͤrliche, wiewohl schmerzliche Weise ganz kleine allerliebste, mit Scheere und Buͤgeleisen bewaffnete Schneiderlein zur Welt zu befoͤrdern, die in den wunderlichsten Gruppen ihre Lebensthaͤ¬ tigkeit bewiesen. Unter dem Bilde stand ein Vers, den ich leider vergessen, doch irr' ich nicht, so hieß die erste Zeile: Ei was hat der Bock — gegessen. Ich kann uͤbrigens versichern, daß dieser wunder¬ bare Bock“ — „Genug — genug,“ riefen die Damen, „genug von dem garstigen Thier — von Max, von Max wollen wir hoͤren.“ — „Besagter Max,“ nahm Willibald das Wort wieder auf, „besagter Max gab das wohlausgefuͤhrte und voll¬ kommen gerathene Tableau dem gekraͤnkten Johann, der es so geschickt an die Schneiderherberge anzu¬ heften wußte, daß einen ganzen Tag hindurch das muͤßige Volk nicht von dem Bildniß wegkam. Die Straßenjungen schwenkten jubelnd die Muͤtzen und tanzten jedem Schneiderlein, das sich sehen ließ, hinterher, und sangen und kreischten gewaltig: Ei was hat der Bock gegessen. — Niemand anders hat das Blatt gezeichnet, als des geheimen Raths Max, sagten die Mahler, niemand hat die Worte geschrie¬ ben, als des geheimen Raths Max, riefen die Schreibmeister, als die ehrsame Schneiderzunft die noͤthigen Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und sah, da er nicht wohl leugnen konnte, einer empfindlichen Gefaͤngnißstrafe entgegen. Da rannte er voll Verzweiflung zu seinem Goͤnner, dem General Rixendorf; bei allen Advokaten war er schon gewesen. Die runzelten die Stirn, schuͤttel¬ ten die Koͤpfe und sprachen von hartnaͤckigem Ab¬ leugnen u. s. w., was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General sprach dagegen, du hast einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten werden dich nicht retten, aber ich, und blos darum, weil in deinem Bilde, das ich bereits gesehen, korrekte Zeichnung und verstaͤndige Anord¬ nung ist. Der Bock, als Hauptfigur, hat Aus¬ druck und Haltung, so wie die bereits auf dem Bo¬ den liegenden Schneider eine gute Pyramidalgrup¬ pe bilden, die reich ist, ohne das Auge zu verwir¬ ren. Sehr weise hast du den im Schmerz der Quetschung sich hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe behandelt, in seinem Gesicht liegt laokoontisches Weh! Eben so ruͤhmlich ist es, daß die fallenden Schneider nicht etwa schweben, sondern wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu gewagte Ver¬ kuͤrzungen sind recht huͤbsch durch die Buͤgeleisen maskirt, auch hast du mit reger Fantasie die Hoff¬ nung neuer Geburten angedeutet.“ — Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der Gold¬ stoffne lispelte: „Aber Maxens Prozeß, Ver¬ ehrter?“ — „Indessen nimm mirs nicht uͤbel, sprach der General, (so fuhr Willibald fort) die Idee des Bildes ist nicht die Deinige, sondern uralt; doch das ist es eben, was dich rettet. Mit diesen Worten kramte der General in seinem alten Schreibschranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem sich Maxens Gedanke sauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weise ausgefuͤhrt befand, uͤberließ denselben seinem Liebling zum Gebrauch und nun war alles gut.“ „Wie das, wie das?“ rief alles durch einander, aber die Juristen, die sich in der Gesellschaft befanden, lachten laut, und der geheime Rath Foerd, der unterdessen auch hineingetreten war, sprach laͤchelnd: „Er leugnete den animum inju¬ riandi , die Absicht zu beleidigen, und wurde freige¬ sprochen.“ „Will so viel heißen,“ fiel Willibald ihm im die Rede, „als daß Max sprach: Ich kann nicht leugnen, daß das Bild von meiner Hand ist; absichtslos und ohne irgend die von mir so hochver¬ ehrte Schneiderzunft kraͤnken zu wollen, kopirte ich das Blatt nach dem Original, das ich hier mit die¬ sem Tabaksbeutel, der dem General Rixendorf, meinem Lehrer in der Zeichenkunst, gehoͤrt, uͤber¬ reiche. Einige Variationen habe ich meiner schaf¬ fenden Fantasie zu danken. Das Bild ist mir aus den Haͤnden gekommen, ich habe es weder Jemanden sonst gezeigt, noch gar etwa angeheftet. Ueber diesen Umstand, in dem allein die Injurie liegt, erwarte ich den Nachweis. — Diesen Nach¬ weis ist die ehrsame Schneiderzunft schuldig geblie¬ ben und Max heute freigesprochen worden. Daher sein Dank, seine unmaͤßige Freude.“ — Man fand allgemein, daß doch die halb wahnsinnige Art und Weise, wie Max seinen Dank geaͤußert, durch die erzaͤhlten Umstaͤnde nicht ganz motivirt werde, nur die geheime Raͤthin Foerd sprach mit bewegter Stimme: „Der Juͤngling hat ein leicht verwund¬ bares Gemuͤth und ein zarteres Ehrgefuͤhl, als je ein anderer. Koͤrperliche Strafe erdulden zu muͤs¬ sen haͤtte ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben.“ „Vielleicht,“ fiel Willibald ein, „liegt hier noch etwas ganz Besonderes im Hinter¬ grunde.“ „So ist es, lieber Willibald,“ sprach Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der geheimen Raͤthin vernommen hatte, „so ist es, und will es Gott, so soll sich bald alles recht hell und froͤhlich aufklaͤren.“ — Clementine fand die ganze Geschichte sehr unzart. Nannette dachte gar nichts, aber Julie war sehr heiter geworden. Jetzt ermunterte Reutlinger die Gesellschaft zum Tanze. Sogleich spielten vier Theorbisten, unter¬ stuͤtzt von ein paar Zinken, Violinen und Baͤssen, eine pathetische Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen schauten zu. Der Goldstoffne zeichnete sich aus durch zierliche und gewagte Spruͤnge. Der Abend ging ganz heiter hin, so auch der andere Morgen. Wie gestern sollte auch heute Concert und Ball den festlichen Tag beschließen. Der Ge¬ neral Rixendorf saß schon am Fluͤgel, der Gold¬ stoffne hatte die Theorbe im Arm, die geheime Raͤ¬ thin Foerd die Partie in der Hand. Man war¬ tete nur auf die Ruͤckkehr des Hofraths Reutlinger. Da hoͤrte man im Garten aͤngstlich rufen und sah die Bedienten herausrennen. Bald trugen sie den Hofrath mit geisterbleichem entstelltem Gesicht herein, der Gaͤrtner hatte ihn unweit des Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. — Mit einem Schrei des Entsetzens sprang Rixendorf auf vom Fluͤgel. Man eilte herbei mit spirituoͤsen Mitteln, man fing an, dem Hofrath, der auf einem Kanape lag, die Stirne mit koͤlni¬ schem Wasser zu reiben, der tuͤrkische Gesandte stieß aber alle zuruͤck, indem er unaufhoͤrlich rief: „Zu¬ ruͤck, zuruͤck, ihr unwissenden ungeschickten Leute! — ihr macht mir den kerngesunden, muntern Hofrath nur matt und elend! — Damit schleuderte er seinen Turban uͤber alle Koͤpfe weg in den Garten hinein, den Pelz hinterher. Nun beschrieb er mit der fla¬ chen Hand seltsame Kreise um den Hofrath, die enger und enger werdend, zuletzt beinahe Schlaͤfe und Herzgrube beruͤhrten. Dann hauchte er den Hofrath an, der sogleich die Augen aufschlug und mit matter Stimme sprach: „Exter! Du hast nicht gut gethan mich zu wecken! — Die dunkle Macht hat mir den nahen Tod verkuͤndet, und vielleicht war es mir vergoͤnnt in dieser tiefen Ohnmacht hin¬ ein zu schlummern in den Tod“ — „Possen, Traͤumer,“ rief Exter, deine Zeit ist noch nicht ge¬ kommen. Schau dich nur um, Herr Bruder, wo du bist, und sey fein munter wie es sich schickt.“ — Der Hofrath wurde nun gewahr, daß er sich im Saal in voller Gesellschaft befand. Er erhob sich ruͤstig vom Kanape, trat in die Mitte des Saals, und sprach mit anmuthigem Laͤcheln: „Ich gab Ih¬ nen ein boͤses Schauspiel, Verehrte! aber an mir lag es nicht, daß das ungeschickte Volk mich gerade in den Saal trug. Lassen sie uns uͤber das stoͤrende Intermezzo schnell hinweggehen, lassen sie uns tan¬ zen!“ — Die Musik begann sofort, aber als sich alles in der ersten Menuett pathetisch wandte und drehte, verschwand der Hofrath mit Exter und Rixendorf aus dem Saal. Als sie in ein entfern¬ tes Zimmer gekommen, warf sich Reutlinger er¬ schoͤpft in einen Lehnsessel, hielt beide Haͤnde vor's Gesicht und sprach mit von Schmerz gepreßter Stimme: „O, meine Freunde! meine Freunde!“ Exter und Rixendorf vermutheten mit Recht, daß irgend etwas Entsetzliches den Hofrath erfaßt haben muͤsse, und daß er sich jetzt daruͤber erklaͤren werde. „Sag's nur heraus, alter Freund,“ sprach Rixen¬ dorf, „sag's nur heraus, dir ist, Gott weiß auf welche Weise, Schlimmes im Garten begegnet.“ „Aber,“ fiel letzter ein, „ich begreife gar nicht, wie dem Hofrath heute, und uͤberhaupt in diesen Tagen Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt sein side¬ risches Prinzip reiner und herrlicher sich gestaltet als jemals.“ „Doch, doch!“ fing der Hofrath mit dumpfer Stimme an, „Exter! es ist bald aus mit uns, der kecke Geisterseher klopfte nicht ungestraft an die dunklen Pforten. Ich wiederhole es dir, daß die geheimnißvolle Macht mich hinter den Schleier schauen ließ — der nahe, vielleicht graͤ߬ liche Tod ist mir verkuͤndet.“ „So erzaͤhle nur was dir geschah,“ fiel Rixendorf ihm ungeduldig in die Rede, „ich wette, daß alles auf eine wunderliche Einbildung hinauslaͤuft, ihr verderbt Euch beide das Leben mit Euern Fantastereien, Du und Exter.“ „So vernehmt es denn,“ fuhr der Hofrath fort, indem er aufstand von dem Lehnstuhl, und zwischen beide Freunde trat, „so vernehmt es denn, was mich vor Entsetzen und Graus in tiefe Ohn¬ macht warf. Ihr hattet Euch schon alle in dem Saal versammelt, als ich, selbst weiß ich nicht wo¬ durch, angetrieben wurde noch einsam einen Gang durch den Garten zu machen. Unwillkuͤhrlich lenkten sich meine Schritte nach dem Waͤldchen. Es war mir, als hoͤre ich ein leises, hohles Pochen und eine leise klagende Stimme. — Die Toͤne schienen aus dem Pavillon zu kommen — ich trete naͤher, die Thuͤr des Pavillons steht offen — ich erblicke — mich selbst! — mich selbst! — aber so wie ich war vor dreißig Jahren, in demselben Kleide, das ich trug an jenem verhaͤngnißvollen Tage, als ich in trostloser Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als Julie wie ein Engel des Lichts mir erschien im braͤutlichen Schmuck — es war ihr Hochzeitstag — die Gestalt — ich — ich lag auf dem Boden vor dem Herzen, und darauf klo¬ pfend, daß es hohl wiederhallte, murmelte ich: Nie — nie kannst du dich erweichen, du stei¬ nernes Herz! — Regungslos starrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es durch meine Adern. Da trat Julie braͤutlich geschmuͤckt, in voller Pracht der bluͤhendsten Jugend, aus den Gebuͤschen hervor, und streckte voll suͤßen Verlangens die Arme aus nach der Gestalt, nach mir — nach mir dem Juͤng¬ linge! Bewußtlos stuͤrzte ich zu Boden!“ Der Hofrath sank halb ohnmaͤchtig in den Lehn¬ stuhl zuruͤck, aber Rixendorf faßte seine beiden Haͤnde, ruͤttelte sie, und rief mit starker Stimme: „Das sahst Du, das sahst Du, Bruder, weiter nichts? — Viktoria laß ich schießen aus deinen ja¬ panischen Kanonen! — mit Deinem nahen Tode, mit der Erscheinung ist es nichts, gar nichts! Ich ruͤttle dich auf aus deinen boͤsen Traͤumen, damit du genesen, und noch lange leben moͤgest auf Er¬ den.“ — Damit sprang Rixendorf schneller, als es sein Alter zuzulassen schien, zum Zimmer heraus. Der Hofrath hatte wohl wenig von Rixendorfs Worten vernommen, er saß da mit geschlossenen Augen. Exter ging mit großen Schritten auf und ab, runzelte mißmuͤthig die Stirn und sprach: „Ich wette, der Mensch will wieder alles auf gewoͤhnli¬ che Manier erklaͤren, aber das soll ihm schwer werden, nicht wahr, Hofraͤthchen? — wir verste¬ hen uns auf Erscheinungen! — Ich wollt' nur, ich haͤtte meinen Turban und meinen Pelz!“ — Dies wuͤnschend pfiff er sehr stark auf einer kleinen silbernen Pfeife, die er bestaͤndig bei sich trug, und sogleich brachte auch ein Mohr aus seinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf trat die Geheime Raͤthin Foerd hinein, ihr folgte der Ge¬ heime Rath mit Julien. Der Hofrath raffte sich auf, und in den Versicherungen, daß ihm wieder ganz wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen Vorfalls zu vergessen, und eben wollten alle bis auf Exter, der sich in seiner tuͤrkischen Klei¬ dung auf's Sopha gestreckt, und aus einer uͤbermaͤßig langen Pfeife, deren Kopf, auf Ruͤder gestellt, am Bo¬ den hin und herschurrte, Tabak schmauchte und Kaffee trank, in den Saal zuruͤckkehren, als die Thuͤr aufging, und Rixendorf hastig hereintrat. An der Hand hielt er einen jungen Menschen in alttatarischer Kleidung. Es war Max, bei dessen Anblick der Hofrath er¬ starrte. „Sieh hier dein Ich, dein Traumbild,“ hub Rixendorf an: „es ist mein Werk, daß mein treflicher Max hier blieb, und von deinem Kammer¬ diener aus deiner Garderobe Kleider empfing, um gehoͤrig kostumirt erscheinen zu koͤnnen. Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. — Ja, an deinem steinernen Herzen, du harter unempfind¬ licher Oheim! kniete der Neffe, den du unbarm¬ herzig verstießest, einer traͤumerischen Einbildung halber! Verging sich der Bruder schwer gegen den Bruder, so hat er es laͤngst gebuͤßt mit dem Tode im tiefsten Elend — da steht die vaterlose Waise, dein Neffe — Max, wie du, geheißen, dir aͤhnlich an Leib und Seele, wie der Sohn dem Vater — tapfer hielt sich der Knabe, der Juͤngling auf den Wellen des brausenden Lebensstroms empor — da — nimm ihn auf — erweiche dein Herz! — reiche ihm die wohlthaͤtige Hand, daß er eine Stuͤtze habe, wenn zu sehr der Sturm auf ihn einbricht.“ — In demuͤthiger gebeugter Stellung, heiße Thraͤnen in den Augen, hatte sich der Juͤngling dem Hofrath genaͤhert. Der stand da geisterbleich, mit blitzenden Augen, den Kopf stolz in die Hoͤhe geworfen, stumm und starr, aber so wie der Juͤngling seine Hand erfassen wollte, wich er, ihn mit beiden Haͤnden von sich abwehrend, zwei Schritte zuruͤck, und rief mit fuͤrchterlicher Stimme: Verruchter — willst du mich mor¬ den? — „Fort — aus meinen Augen, ja du spielst mit meinem Herzen, mit mir! — Und auch du Rixendorf verschworen zum laͤppischen Puppen¬ spiel, das ihr mir auftischt? — fort — fort aus meinen Augen — du — du , der du zu meinem Untergange geboren — du Sohn des schaͤndlichsten Ver —“ „Halt ein, brach Max ploͤtzlich los, indem Zorn und Verzweiflung gluͤhende Blitze aus seinen Augen schossen, halt ein, unnatuͤrlicher Oheim — herzloser, unnatuͤrlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und Schmach hast du auf meines armen ungluͤcklichen Vaters Haupt gehaͤuft, der verderbli¬ chen Leichtsinn, aber nie Verbrechen in sich hegen konnte! — Ich wahnsinniger Thor, daß ich glaubte, jemals dein steinernes Herz ruͤhren, jemals, mit Liebe dich umfangend; meines Vaters Vergehen suͤhnen zu koͤnnen! — Elend — verlassen von aller Welt, aber an der Brust eines Sohnes hauchte mein Vater sein muͤhseliges Leben aus — „Max! — sey brav! — suͤhne den unversoͤhnlichen Bruder — werde sein Sohn,“ das war das Letzte, was er sprach — Aber du verwirfst mich, so wie du alles verwirfst, was sich dir naht mit Liebe und Ergebung, waͤhrend der Teufel selbst dich mit truͤgerischen Traͤumen um¬ gaukelt. — Nun, so stirb denn einsam und verlas¬ A a sen! — Moͤgen habsuͤchtige Diener auf deinen Tod lauern und sich in die Beute theilen, wenn du kaum die lebensmuͤden Augen geschlossen — statt der Seufzer, statt der trostlosen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in den Tod anhaͤngen woll¬ ten, magst du sterbend das Hohngelaͤchter, die frechen Scherze der Unwuͤrdigen hoͤren, die dich pflegten, weil du sie bezahltest mit schnoͤdem Gol¬ de! — Niemals, niemals siehst du mich wieder!“ — Der Juͤngling wollte zur Thuͤre hinausstuͤrzen, da sank Julie laut schluchzend nieder, schnell sprang Max zuruͤck, fing sie in seinen Armen auf, und hef¬ tig sie an seine Brust druͤckend, rief er mit dem herz¬ zerreißenden Ton des trostlosesten Jammers: „O Ju¬ lie, Julie, alle Hoffnung ist verloren!“ — Der Hof¬ rath hatte da gestanden, zitternd an allen Gliedern, sprachlos — kein Wort konnte sich entwinden den bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Ar¬ men sah, schrie er laut auf, wie ein Wahnsinniger. Er ging mit starkem kraͤftigen Schritt auf sie los, er riß sie von Maxens Brust hinweg, hob sie hoch in die Hoͤhe und frug kaum vernehmbar: „Liebst du diesen Max, Julie?“ — „Wie mein Leben“ erwie¬ derte Julie voll tiefen Schmerzes, „wie mein Leben. Der Dolch, den sie in sein Herz stoßen, trift auch das meine!“ — Da ließ sie der Hofrath langsam her¬ ab, und setzte sie behutsam nieder in einen Lehnstuhl. Dann blieb er stehen, die gefaltenen Haͤnde an die Stirn gedruͤckt. — Es war todtenstill rings um¬ her. — Kein Laut — keine Bewegung der Anwe¬ senden! — Dann sank der Hofrath auf beide Knie. Lebensroͤthe im Gesicht, helle Thraͤnen in den Au¬ gen hob er das Haupt empor, beide Arme hoch aus¬ gestreckt zum Himmel, sprach er leise und feierlich: „Ewig waltende unerforschliche Macht dort oben, das war dein Wille, — Mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schooß der Erde ruhend, den frischen Baum emportreibt mit herrlichen Bluͤthen und Fruͤchten? — O Julie, Julie! — o ich armer verblendeter Thor“ — Der Hofrath verhuͤllte sein Gesicht, man vernahm sein Weinen. — So dauerte es einige Sekunden, dann sprang der Hofrath ploͤtz¬ lich auf, stuͤrzte auf Max, der wie betaͤubt da stand, los, riß ihn an seine Brust, und schrie, wie außer sich: „Du liebst Julien, du bist mein Sohn — nein mehr als das, du bist ich ich selbst — Alles gehoͤrt dir — du bist reich, sehr reich — du hast ein Land¬ gut — Haͤuser, baares Geld — laß mich bei dir bleiben, du sollst mir das Gnadenbrot geben in mei¬ nen alten Tagen — nicht wahr, du thust das? — Aa 2 Du liebst mich ja! — nicht wahr, du mußt mich ja lieben, du bist ja ich selbst — scheue dich nicht vor meinem steinernen Herzen, druͤcke mich nur fest an deine Brust, deine Lebenspulse erweichen es ja! — Max — Max mein Sohn — mein Freund, mein Wohlthaͤter!“ — So ging es fort, daß allen vor diesen Ausbruͤchen des uͤberreizten Gefuͤhls bange wurde. Rixendorf, dem besonnenen Freunde, ge¬ lang es endlich, den Hofrath zu beschwichtigen, der, ruhiger geworden, nun erst ganz einsah, was er an dem herrlichen Juͤnglinge gewonnen, und mit tiefer Ruͤhrung gewahrte, wie auch die Geheime-Raͤthin Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit Reutlingers Neffen das neue Aufkeimen einer alten verlornen Zeit erblickte. Großes Wohlgefallen aͤußerte der Geheime-Rath, der viel Tabak schnupfte und sich in wohlgestelltem nationell ausgesprochenem Franzoͤsisch daruͤber ausließ. Zu¬ foͤrderst sollten nun Juliens Schwestern von dem Ereigniß benachrichtigt werden, die waren aber nir¬ gends aufzufinden. Nannettens halber hatte man schon in allen großen japanischen Vasen, die in dem Vestibule herumstanden, nachgesehen, ob sie, zu sehr sich uͤber den Rand beugend, vielleicht hineingefallen, aber vergebens, endlich fand man die Kleine unter einem Rosenbuͤschchen eingeschlafen, wo man sie nur nicht gleich bemerkt, und eben so holte man Clemen¬ tinen in einer entfernteren Allee ein, wo sie dem ent¬ fliehenden blonden Juͤngling, dem sie vergebens nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief: „O der Mensch sieht es oft spaͤt ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz!“ — Beide Schwe¬ stern waren etwas mißmuͤthig uͤber die Heirath der juͤngern, wiewohl viel schoͤneren und reizenderen Schwester, und vorzuͤglich ruͤmpfte die schmaͤhsuͤchti¬ ge Nannette das kleine Stuͤlpnaͤschen; Rixendorf nahm sie aber auf den Arm und meinte, sie koͤnnte wohl einmahl einen viel vornehmeren Mann mit einem noch schoͤneren Gute bekommen. Da wurde sie vergnuͤgt und sang wieder: „ Amenez vos troupeaux bergeres !“ Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: „In der haͤuslichen Gluͤck¬ seligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaͤlligste Bestandtheil: ihr Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphtaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen in einander springen.“ — Die Gesellschaft im Saal, die schon Kunde bekom¬ men von den wunderlichen aber froͤhlichen Ereig¬ nissen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit den gehoͤrigen Gluͤckwuͤnschen losfahren zu koͤn¬ nen. Der Goldstoffne, der am Fenster alles angehoͤrt und angeschaut, bemerkte schlau: „Nun weiß ich, warum der Ziegenbock dem armen Max so wichtig war. Haͤtte er einmahl im Gefaͤngniß ge¬ steckt, so war durchaus an keine Aussoͤhnung zu den¬ ken.“ Alles applaudirte dieser Meinung, wozu Wil¬ libald die Losung gab. Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als der tuͤrkische Gesandte, der so lange auf dem Sopha geblieben, nichts gesprochen‚ sondern nur durch Hin und Her¬ rutschen und durch die seltsamsten Grimassen seine Theilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie toll auf¬ sprang und zwischen die Brautleute fuhr: „Was — was,“ rief er, „nun gleich heirathen, gleich hei¬ rathen? — Deine Geschicklichkeit, deinen Fleiß in Ehren, Max! aber du bist ein Kiek-in-die-Welt, oh¬ ne Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du setzest deine Fuͤße einwaͤrts und bist grob in dei¬ nen Redensarten wie ich vorhin vernommen, als du deinen Oheim den Hofrath Reutlinger Du nann¬ test. Fort in die Welt! — nach Constantinopel! — da lernst du alles was du brauchst fuͤr's Leben — dann kehre wieder und heirathe getrost mein liebes holdes Kind, das schoͤne Julchen.“ Alle waren ganz erstaunt uͤber Exters seltsames Begehren. Der nahm aber den Hofrath auf die Seite; beide stell¬ ten sich gegen uͤber, legten einander die Haͤnde auf die Achseln und wechselten einige arabische Worte. Darauf kam Reutlinger zuruͤck, nahm Maxens Hand und sprach sehr mild und freundlich: „Mein lieber guter Sohn, mein theurer Max, thue mir den Gefallen und reise nach Constantinopel, es kann hoͤchstens sechs Monate dauern, dann richte ich hier die Hochzeit aus!“ — Aller Protestatio¬ nen der Braut unerachtet mußte Max fort nach Constantinopel. Nun koͤnnte ich, sehr geliebter Leser! wohl fuͤglich meine Erzaͤhlung schließen, denn du magst es dir vorstellen, daß Max, nachdem er aus Con¬ stantinopel, wo er die Marmorstufe, wohin der Seehund Extern das Kind apportirt, nebst vielem andern Merkwuͤrdigen geschaut hatte, zuruͤckgekehrt war, wirklich Julien heirathete, und verlangst wohl nicht noch zu wissen, wie die Braut geputzt war und wie viel Kinder das Paar bis jetzt erzeugt hat. Hinzusetzen will ich nur noch, daß am Ta¬ ge Mariaͤ Geburt des Jahres 18— Max und Julie einander gegenuͤber im Pavillon bei dem rothen Herzen knieten. Haͤufige Thraͤnen fielen auf den kalten Stein, denn unter ihm lag das Ach! nur zu oft blutende Herz des wohlthaͤtigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen, sondern weil er des armen Onkels ganze Lebens- und Leidensgeschichte darin ange¬ deutet fand, hatte Max mit eigner Hand die Wor¬ te in den Stein gegraben: Es ruht !