Die Verwaltungslehre. Von Dr. Lorenz Stein. Erster Theil . Stuttgart. Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung. 1865 . Die Lehre von der vollziehenden Gewalt , ihr Recht und ihr Organismus. Mit Vergleichung der Rechtszustände von England, Frankreich und Deutschland. Von Dr. Lorenz Stein. Stuttgart. Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung. 1865 . Buchdruckerei der J. G. Cottaschen Buchhandlung in Stuttgart. Dem Herrn Professor Dr. Rudolph Gneist in Berlin. Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, so weiß ich nicht, ob Sie es so ganz von Herzen hinnehmen werden, wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab, den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten schuldig sind; denn Sie haben uns wissenschaftlich das englische Leben und sein Recht erobert, und wenn es früher schwer war, darüber zu reden, so ist es jetzt noch schwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen, wie man England verstehen muß. Aber indem ich danke, möchte ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszusprechen, eine Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das denke, was, wie ich innig überzeugt bin, schon die nächste Generation zu leisten bestimmt ist. Als zum ersten Mal die mächtige Gestaltung des römischen Rechts die Alpen überschritt und auch bei uns heimisch wurde, da war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß eine Quelle des römischen Rechts, eine unerschöpfliche Fundgrube für die Bausteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die sich mühevoll aus der stän- dischen herausarbeitete, der juristische Träger eines neuen socialen Lebens — es war zugleich ein geistiges Band für die Rechts- gelehrten in Europa, ein gemeinschaftlicher Mittelpunkt für alle, die an jenem Werke mit oder ohne sociales Bewußtsein mitarbeiteten; es war eine Macht, welche in allen Ländern gleichmäßig wirkte; wer ihr angehörte, hatte mit seinen Lehrern und Schülern, mit seinen Bestrebungen und Erfolgen die ganze europäische Welt vor sich; gelang ihm etwas, so war er gewiß, jenseits wie diesseits des Rheins, jenseits wie diesseits der Alpen gehört zu werden; und wohl mußte es ein erhebendes Bewußtsein genannt werden, an dieser gewaltigen, das ganze Leben Europa’s umfassenden Arbeit Theil zu nehmen. Diese Zeit ist hin. Die französische Codifikation hat die ge- sammte romanische Welt von dieser römischen Rechtsbildung getrennt, leider nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich, der Mutter fast vergessend, der sie im Grunde alles verdankt. Die französischen Codes haben einen siegreichen Kampf begonnen mit dem Corpus Juris. In Frankreich, Spanien, Italien, Belgien haben sie es überwunden; selbst das alte, seiner Klassizität so stolze Holland ist der neuen Codifikation verfallen; dem englischen und skandinavischen Rechtsleben ist jenes Erbtheil des alten römischen Reiches ferner gerückt als je, und die Frage tritt uns nahe genug, wenn es ein- mal ein europäisches Rechtsleben wieder geben soll, wie es dasselbe einst gab, worin wird es bestehen? Nur Deutschland blieb die feste Burg des Corpus Juris, der Institutionen und Pandekten. Aber auch das deutsche Rechtsleben vermochten sie nicht mehr ganz zu erfüllen. Die französische Re- volution hatte nicht bloß das römische Recht in Deutschland, es hatte die deutsche Volksthümlichkeit selbst in Frage gestellt. Da griff das deutsche Volksbewußtsein, das unter allen Völkern das am meisten organische ist, in seine Vergangenheit zurück, um aus seinen Wurzeln einen neuen Keim zu treiben. Das deutsche Privatrecht, bisher ein Nebengebiet der Rechtswissenschaft und kaum sich des rein lokalen Charakters erwehrend, gestaltete sich nun zur deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte. Die deutsche Reichs- und Rechts- geschichte ward ein lebendiger Theil der deutschen Jurisprudenz; sie war nicht eine Formel-Wissenschaft; sie hatte nicht mit dem bloß Vergangenen zu thun; sie wollte nicht alte Dokumente vor dem Verderben bewahren, und die römische Casuistik auf die unklaren Worte der leges barbarorum oder den Sachsen- und Schwaben- spiegel anwenden, um ein trefflicher Advokat auch vor dem lange verschwundenen Schöppenstuhl und Oberhof zu sein; sie wollte den Volksgeist in seiner mächtigsten und faßbarsten Sphäre, dem Rechts- leben ergreifen; sie wollte ihm Gestalt und Kraft für die Gegenwart durch das geben, wodurch er Gestalt und Kraft in der Vergangen- heit gehabt; sie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu einem mächtigen, nie zu hoch anzuschlagenden Element der deutschen Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge- waltigen Glauben an ein deutsches Volksleben und nicht aus bloßer Gelehrsamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit- gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeisterung ent- standen, erweckte sie Begeisterung; sie war keine Wissenschaft mehr, sie ward zur staatlichen, zur nationalen Macht; sie verstand es, ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger sie war, über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen und lebendigen Verständniß des Ganzen die warme Liebe für das Einzelne, das Festhalten an dem Werth des Besonderen, den Lohn für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der deutschen, schwerwandelnden, vom übrigen Europa vergessenen Rechtswissenschaft die Frische und Jugendlichkeit des lebendigen Geistes zurückgab; sie war es, welche es Deutschland möglich machte, neben dem Glanze der französischen Rechtsbildung noch frei und tapfer an der eigenen festzuhalten; und wenn unter den Einzelnen die der Geschichte der Wissenschaft zieren, ein Name auch in der Ge- schichte des deutschen Staatslebens in erster Reihe genannt werden darf, so sollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige haben so viel, sehr wenige mehr für Deutschland geleistet, als er. Ist diese schöne, an Glauben und Begeisterung, an geistigem Schwung und frischer Lust so reiche Zeit noch für uns vorhanden? Als das römische Recht seine Weltstellung verlor, gab uns der Geist unseres edlen Volkes die deutsche Rechtsgeschichte, sie wurde für das deutsche wissenschaftliche Leben, was der Corpus Juris für die ganze romanisch-germanische Welt gewesen, der Mittelpunkt und die Quelle des Bewußtseins, daß jeder Einzelne an einem großen Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutschen Rechtsbewußtseins; sie war unser Eigenthum, denn kein Volk konnte sich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer- fahrenheit des praktischen Rechts in Deutschland beklagte, mußte er die Einheit und Größe desjenigen bewundern, was wir in unserer Rechtsgeschichte besaßen. Ist dem noch so? Fordern Sie an dieser Stelle keinen Beweis, keine Gründe, keine Erwägungen und Erörterungen. Aber den Ausdruck der Ueberzeugung lassen Sie mir — ich glaube, nein. Die deutsche Rechtsgeschichte ist nicht mehr, was sie gewesen. Wir sind im Ein- zelnen, nicht aber im Ganzen weiter, als der Meister. Die deutsche Rechtsgeschichte wendet sich. Sie wird ein Gebiet der Gelehrsamkeit. Ihre Zeit ist vorüber; sie hat ihre große Funktion erfüllt. Vergeblich ringt die Mühe ihrer Vertreter dar- nach, ihr das alte Gewicht zurückzugeben; vergeblich nennt man sie mit dem alten Namen. Niemals ist es der Sonne eines Tages gegeben, zweimal zu scheinen. Und dennoch war sie es, an welcher sich die Individualität, die Kraft der Selbständigkeit unseres Volkes erhielt. Mit ihr sinkt nicht bloß eine vergangene Zeit, sondern auch eine lebendige Potenz. Wer und was wird sie ersetzen? Wir sind ein gelehrtes, ein fleißiges Volk. Wir vermögen zu leisten, was kein anderes auf dem Felde der wissenschaftlichen Mühe zu leisten vermag. Aber über uns hinweg geht der mächtige Strom des wirklichen, des europäischen Lebens. In tausend Richtungen, mit tausend Gewalten ergreift es uns; die Völker vermischen sich; die Unternehmungen reichen sich über Land und Meer die Hände; es ist eine neue Zeit, die uns kommt; was ist unsere Aufgabe in derselben? Es gibt, und deß bin ich innig überzeugt, nur Eins, was wir zu thun haben, und was auch nur wir zu leisten im Stande sind. Diese europäische Welt ist eine wunderbare. Allen Ländern derselben leuchtet der gleiche Tag, allen keimt dieselbe Epoche der Geschichte; alle erfaßt stets die gleiche Bewegung. Aber mit Bergen und Meeren hat sie der Herr geschieden; innerhalb ihrer Gränzen wächst und wird ein selbständiges, eigenthümliches Dasein; eine eigenthümliche Kraft erfaßt gleichsam die großen europäischen That- sachen, hält sie fest an ihrem Ort, nährt und bewacht sie, bis sie in der Mitte der Gleichartigkeit des Gesammtlebens ein individuelles Dasein, einen in sich ruhenden Geist empfangen. Europa ist der Welttheil, in welchem alle menschlichen Dinge dieselben und doch wieder andere sind; und in dieser Selbständigkeit ruht der innere Reichthum Europas, die unerschöpfliche Quelle seiner Macht; denn in ihm ist die Nothwendigkeit gegeben, in dem Verschiedenen an das Gleiche, in dem Gleichen an das Verschiedene zu denken. So zieht es die Arbeit des Geistes groß, so macht es aus jedem Volke und aus jedem Einzelnen in jedem Volke ein selbständiges Leben, eine selbständige schöpferische Kraft, und das ist es, was Europa zur Herrin der Welt gemacht hat und machen wird. Und wenn ich mich jetzt frage, worin die Zukunft der Rechts- wissenschaft, die Aufgabe der neuen Zeit für uns liegt, so ant- wortet mir das Verständniß jener Thatsache. Es ist, wollen wir anders nicht zu den untern Reihen herabsinken, in unserer Wissen- schaft, die Auffassung des europäischen Rechtslebens als eines Ganzen, und das Begreifen des einzelnen Volkes und seiner Rechts- bildung als eines organischen Theiles dieses Ganzen, das wir zu leisten haben. Wir, denen die Philosophie die Erkenntniß der absoluten Principien, das römische Recht die geschichtliche Grund- lage der europäischen Rechtsbildung, die deutsche Rechtsgeschichte das innige Verständniß des individuellen Volksgeistes gelehrt haben, wir sind berufen, durch ein Jahrhundert ernster und schwerer Arbeit den Gedanken, das hohe Bild einer europäischen Rechts- bildung zu erfassen und zu verwirklichen, in der jedes einzelne Volk wieder seine eigene große Funktionen erfüllt. Wir, das Welt- volk, wo es sich um Gedanken handelt, wie die Engländer das Weltvolk der Arbeit und die Franzosen das Weltvolk des Waffen- ruhmes sind, wir müssen uns über den engen, absterbenden Kreis unserer bisherigen Auffassung auch in der Rechtswissenschaft er- heben. Indem wir bisher verstanden, was wir für uns selbst sind oder sein mochten, so müssen wir jetzt denken und sagen lernen, was wir neben den andern, für die andern sind. Die wahren Institutionen unserer deutschen Rechtswissenschaft müssen künftig in dem Bilde des europäischen Rechtslebens bestehen, und Niemand sollte an deutsches Recht gehen, ohne, wenn auch nur in seinen Grundzügen, das wunderbar große und schöne Bild des europäischen Rechts, aus der Einheit seiner Volksrechte, ihrer Ge- schichte, ihrer Gestalt, ihrer Elemente und ihrer wirkenden Indi- vidualität sich zu einem machtvollen organischen Leben entfaltend, vor seinen geistigen Augen zu haben. Deßhalb aber sollen wir uns wissen und erkennen lernen als das was wir sind — als einen lebendigen Theil des Ganzen, dem wir dienen, in dem wir die tieferen Wurzeln unseres Daseins haben, mit dem wir, zugleich arbeitend und leidend, das Leben Europas bilden. Da liegt die Zukunft und die Größe der deutschen Rechtswissenschaft. Ihnen nun, verehrter Freund, übergebe ich zunächst dieß Werk, das in einem kleinen Theil des Rechts einen kleinen Theil dieser Aufgaben mit noch immer sehr enger Beschränkung auf Eng- land, Frankreich und Deutschland zu lösen versucht hat. Wenn ich über England nichts anders zu sagen wußte, als was Sie ge- geben, so mögen Sie darin einen Vorwurf erblicken, den Ihr Werk selbst verschuldet. Es wird lange dauern, bevor wir hier über das Benützen hinauskommen. Mein mag vielleicht das andere Licht gehören, das mit meiner Arbeit auf einige der großen Er- gebnisse der Ihrigen fällt; Niemand wird besser als Sie zu beur- theilen verstehen, wie weit es richtig ist. Aber das Ideal der deutschen Rechtswissenschaft, das mir lebendig vorschwebt, wird nie erreicht werden, bis wir solche Werke wie das Ihrige über jeden Theil Europas besitzen, und lernen, sie zu bewältigen. Das ist nicht die Arbeit eines Menschen; das ist die Arbeit eines Jahr- hunderts. Mein Glaube ist, daß wir an der Schwelle einer solchen neuen Epoche für unsere Wissenschaft stehen, die uns über die steigende Gefahr der bloßen Casuistik und der Unbekanntschaft mit dem Fremden, das uns durch die Entwicklung des Gesammt- lebens von Europa in Wahrheit nicht länger fremd bleiben darf, erheben wird. Ich sehe die kommende Gestaltung ihre Schatten schon in unsere Welt werfen; unser ist die Arbeit; unsere Lieben mögen’s erben. Und in diesem Geiste lassen Sie mich Ihnen aus der Ferne die Hand reichen. Zum Schlusse gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie werden im nachfolgenden Werke sehen, daß ich von Oesterreich wenig oder gar nicht gesprochen habe. Den Grund würden Sie wissen, wenn Sie dieß Reich kennten. Es ist eine Welt für sich, ein eigenthümlicher Organismus, mit gar keinem andern Europas, ja der Welt vergleichbar. Es ist eine wunderbare Einheit der ver- schiedensten Elemente; alles was Europa im Ganzen bietet, ist hier in großen Theilen vertreten; oft feindlich, oft friedlich, oft in starrer Ruhe neben einander liegend, oft in gewaltiger Bewegung einander begegnend, immer aber mächtig auf einander wirkend, sich durchdringend, bestimmend, fördernd, bekämpfend; ein Reich, das man mit dem gewöhnlichen Maße nun einmal nicht messen kann, und das immer aufs neue mißverstanden wird, weil man eben das gewöhnliche Maß an dasselbe anlegen will. Es ist ein Europa im Kleinen. Es enthält alle Völker, alle Kirchen, alle volkswirthschaftlichen Zustände, alle Rechtsbildungen des ganzen Welttheiles in wunderbarer Nähe und Mischung. In keinem Theile Europas ist so viel neues zu thun und so viel zu arbeiten als hier; aber in keinem Theile ist auch ein so reiches Feld. Die ge- waltige Bewegung des Fortschrittes, in der sich dieß mächtige Reich befindet, ist jung; sie hat nicht bloß zum Theil ein altes Geschlecht, alte Auffassungen, alte Gedanken, sondern auch tiefe Verschieden- heiten des geistigen und wirthschaftlichen, des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens vorgefunden; sie hat den kühnen Versuch ge- macht, mit der Achtung vor dem Ueberlieferten und Gegebenen die frische und freie Anerkennung des Neuen zu verbinden. Sie ist mitten in ihrer schweren Aufgabe; es ist ein großartiges Werden, das uns hier entgegentritt, und für das die bekannten Formen und Formeln, die auf streng ausgeprägter nationaler Individualität ruhen, nicht ausreichen. Es will daher für sich betrachtet, für sich erkannt werden. Es läßt sich nicht einfach einreihen in die Ver- gleichung, denn jeder Punkt würde wieder seine eigene Geschichte fordern. Darum hat Oesterreich zwar die Geschichte einer Groß- macht, aber es hat keine Geschichtschreiber. Denn die Geschicht- schreibung hat hier eine ganz andere Voraussetzung als in Eng- land, Frankreich, Deutschland, andern Ländern. Sie kann nicht von einer einfachen gegebenen Thatsache ausgehen und uns in lebendigem Bilde den Wechsel ihrer Gestaltungen vorführen, wie in Glück und Unglück, in Sieg und Niederlage immer dasselbe Element als fester Boden in Volk und Land uns auf eine leicht- verständliche, der Anschauung immer gegenwärtige Grundlage stellt. Oesterreichs wahres Lebenselement ist keine solche Thatsache; es ist eine lebendige Kraft, die seine Völker und Länder umschlingt. Was nützt es, diese Kraft mit Einem Namen zu nennen? Aber die Geschichte Oesterreichs ist nicht denkbar, ohne die Anschauung dieser Kraft und ihrer Arbeit, die in Wesen und Thätigkeit nur Eine innerlich gleichartige, wenn auch äußerlich viel größere Er- scheinung neben sich hat, die alte römische Welt, die Einheit des Völkerlebens in Einer gewaltigen Staatsbildung. Und bevor nicht dieß Wesen Oesterreichs seine Geschichtschreibung gefunden, kann man es auch in der Rechtslehre nicht einfach an die drei übrigen Völker anreihen, deren Namen und Natur dem Leser vertraut sind; am wenigsten aber in diesem Augenblick, wo dieß Reich mitten in einer so tiefgreifenden, seine ganze Zukunft beherrschenden Umge- staltung begriffen ist. Und darum habe ich es nicht gewagt, die Rechtsverhältnisse Oesterreichs in einfacher Anführung neben die drei übrigen Völkerschaften hinzustellen. Vielleicht daß auch so die Arbeit einen Theil ihrer Aufgabe erfüllt. Denn immer ist mir das Wort meines hochverehrten Lehrers, des alten Feuerbachs gegenwärtig: „Das beste, was der Mensch zu leisten vermag, be- steht nicht in dem, was er thut, sondern in dem, was er in edlen und tüchtigen Geistern anregt.“ Leben Sie wohl. Wien , im Mai 1864. L. Stein. Inhalt . Einleitung. Der allgemeine organische Staatsbegriff . Seite Das Leben des Staats und seine Wissenschaft 2 Die organischen Elemente der Persönlichkeit des Staats 4 Die beiden Begriffe der Vollziehung und der Verwaltung 8 Der Begriff der Regierungslehre. Die drei Gebiete der Verwaltung 13 Begriff und Gebiete des öffentlichen Rechts 20 Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung des Ausdrucks „Verwaltungsrecht“ 22 Die Lehre von der vollziehenden Gewalt. Wesen der vollziehenden Gewalt 31 Begriff und historische Gestaltung derselben 33 Erster Theil. Das Recht der vollziehenden Gewalt . A. System der vollziehenden Gewalt 39 I. Die einzelnen Gewalten in der vollziehenden Gewalt 40 Die Staatsgewalt im Allgemeinen. Das Heer 40 Die Regierungsgewalt und ihre drei Formen 43 Organisches Verhältniß der drei Gewalten 46 II. Das Recht der vollziehenden Gewalt 50 Begriff desselben. Begriff von Gesetz und Verordnung und ihr Recht 50 Die Elemente der Geschichte des Gesetzes- und Verordnungsrechts bis zum neunzehnten Jahrhundert 55 Die verfassungsmäßigen Begriffe von Gesetz und Verordnung. Neun- zehntes Jahrhundert 62 England. Nordamerika. Frankreich. Deutschland 67—73 Seite B. System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts 77 Princip und Wesen dieses Rechts 77 Erstes Gebiet . Das persönliche Vollziehungsrecht des Staatsober- haupts 86 Zweites Gebiet . Die Regierungsgewalt und das Regierungsrecht 91 Erste Abtheilung. Das verfassungsmäßige Verordnungsrecht 93 I. Verhältniß zur Gesetzgebung. Die Verantwortlichkeit 94 1) Die politische Verantwortlichkeit 95 2) Die juristische Verantwortlichkeit der Regierung 99 II. Verhältniß zum staatsbürgerlichen Recht. Das Klage- und Be- schwerderecht 105 1) Das Recht des verfassungsmäßigen Gehorsams 106 2) Das administrative Klagrecht und der administrative Proceß 113 3) Das Beschwerderecht und das Gesuchsrecht 121 Vergleichung des Systems des Klag- und Beschwerderechts in England, Frankreich und Deutschland 128 Das Verordnungsrecht in England 129 Das Verordnungsrecht in Frankreich. ( La jurisdiction admini- strative et le contentieux. ) 133 Das Verordnungsrecht in Deutschland. Die sogenannten Justiz- und Administrativsachen 140 III. Das Petitionsrecht 148 Das Verhältniß der obigen Rechte zu einander 152 Zweite Abtheilung. Das Recht der Organisation 153 I. Das verfassungsmäßige Organisationsrecht 155 1) Das Recht der amtlichen Organisation 156 2) Das Organisationsrecht in der Selbstverwaltung 158 II. Das Competenzrecht 161 1) Begriff der Competenz 161 2) Das Competenzrecht und der Competenzproceß 163 a) Begriff, Inhalt und Recht des Competenzstreites 165 b) Begriff, Inhalt und Recht des sogenannten Competenzconfliktes 169 1) Der Competenzconflikt in England 171 2) Der Competenzconflikt in Frankreich 173 3) Competenzstreit und Competenzconflikt im deutsch-französischen Rechte Deutschlands 179 4) Der deutsche Begriff und Inhalt des sogen. Competenzconfliktes 184 a) Das Competenzurtheil 185 b) Das richterliche Competenzrecht über die Gesetzesqualität 187 Dritte Abtheilung. Das Polizeirecht. (Das Zwangsrecht) 196 I. Begriff und Natur des Zwangsrechts 196 II. Das Princip des Zwangsrechts 201 III. Die Form des Zwanges 205 IV. Das Maß des Zwanges. Polizeistrafen 209 Seite Drittes Gebiet . Das bürgerliche Verwaltungsrecht 212 Uebergang zur innern Verwaltungslehre. Das innere Verwaltungsrecht 219 Zweiter Theil. Der Organismus der vollziehenden Gewalt . Allgemeine Grundlagen 223 I. Der Organismus als Gegenstand der Wissenschaft. Aufgabe der letztern 224 II. Die drei Grundformen des Organismus der vollziehenden Gewalt: Staatsverwaltung, Selbstverwaltung und Vereinswesen 226 III. Die wirkenden Elemente der organischen Gestaltung der vollziehenden Gewalt oder der Verwaltung im weitern Sinn 232 a) Wesen und Gegensätze derselben 232 b) Die beiden Principien der verfassungsmäßigen Harmonie zwischen der staatlichen und der freien Verwaltung 235 c) Die Individualität des staatlichen Organismus 238 IV. Die geschichtlichen Grundlagen der Entwicklung des Verwaltungssystems 245 V. England, Frankreich und Deutschland 253 Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt 258 Erstes Gebiet . Die persönliche Staatsgewalt und ihre Organe 259 I. Organischer Inhalt der persönlichen Staatsgewalt in der Verwaltung 259 II. Erstes organisches Element der persönlichen Staatsgewalt. Die Staats- würden. Die Krone. Die Hofämter 260 III. Zweites organisches Element der Staatsgewalt. Der Staatsrath 269 England. Frankreich. Deutschland 273—279 Zweites Gebiet . Der Organismus der Regierung oder das Amtswesen 281 I. Das Amt an sich 281 1) Der organische Begriff des Amts 281 2) Elemente der historischen Entwicklung und Vergleichung des Amts- wesens in England, Frankreich und Deutschland 284 a) Das ethische Wesen des Amts 284 b) Die Elemente seiner Geschichte 287 c) Das staatsrechtliche Wesen des Amts in England, Frankreich und Deutschland 292 II. Das System des amtlichen Organismus. Wesen und Princip des- selben. Die beiden Kategorien 298 1) Das Ministerialsystem. Organische Bedeutung desselben 304 a) Das einzelne Ministerium. Das alte Collegialsystem. Wesen des Ministeriums. Elemente seiner Organisation. Ministerrecht 306 b) Eintheilung in die einzelnen Ministerien 311 c) Das Gesammtministerium und seine Organisation 318 England, Frankreich und Deutschland 321—323 Seite 2) Das Behördensystem 325 a) Organisches Wesen desselben 325 b) Die Elemente der innern Organisation des Behördensystems 331 c) Die Elemente der äußern Gestalt des Behördensystems. Land und Volk 337 III. Das Staatsdienerrecht 342 1) Begriff und Wesen 342 2) Das Princip des Staatsdienerrechts 343 3) Das System des Staatsdienerrechts 351 a) Die Anstellung der Beamteten 351 b) Die Amtspflicht 354 c) Das Recht des Beamteten 358 Drittes Gebiet . Die Selbstverwaltung und ihr Organismus 363 I. Der allgemeine Begriff der Selbstverwaltung 363 II. Das organische Wesen der Selbstverwaltung 365 III. Die beiden Grundbegriffe der Selbstverwaltung, die Vertretungen und die Selbstverwaltungskörper, ihre Rechtsprincipien und ihre Grund- formen 368 a) Die allgemeinen Rechtsprincipien der Selbstverwaltung 368 b) Die Vertretungen. Die Principien ihres Rechts und die Grund- formen derselben. Die Räthe und die Kammern 370 c) Die Selbstverwaltungskörper. Die Principien ihres Rechts und ihre Grundformen: Landschaft, Gemeinde und Körperschaft 375 IV. Elemente der allgemeinen Geschichte der Selbstverwaltung. Wesen und Bedeutung des historischen Rechts derselben 379 V. Die drei großen Culturstaaten 385 a) Die Selbstverwaltung Englands 385 b) Die Selbstverwaltung Frankreichs 391 c) Die Selbstverwaltung Deutschlands 399 VI. Die Selbstverwaltungskörper 405 A. Die Landschaft 406 1) England. Die alte County, der Sheriff und die Coroners, die neue County und die Quarterly Sessions 414 2) Frankreich. Das Département, das Conseil de préfecture und das Conseil général 420 3) Deutschland. Die deutsche Landschaft, die ständischen Verfassungen und die Provincialstände 425 B. Das Gemeindewesen 431 1) Der Begriff der örtlichen Selbstverwaltung. Ihr System. Die Ortsgemeinde. Die Verwaltungsgemeinde. Der Kreis 431 2) Der amtliche Organismus und die gesellschaftliche Ordnung in der örtlichen Selbstverwaltung 437 a) Verhältniß zur Staatsverwaltung 438 b) Verhältniß zu den gesellschaftlichen Grundlagen 440 Seite 3) Die Elemente der socialen Geschichte der örtlichen Selbstverwaltung 445 4) Princip, System und Recht der Selbstverwaltung und des Gemeinde- wesens im neunzehnten Jahrhundert 459 5) Die Grundformen der europäischen örtlichen Selbstverwaltung 463 a) Englands Communalwesen 464 b) Frankreichs Municipalwesen 476 c) Deutschlands Gemeindewesen 487 C. Corporationen und Stiftungen 509 1) Allgemeiner Charakter beider 509 2) Corporationen und ihre Verwaltung 511 3) Die Stiftungen und ihre Verwaltung 517 Viertes Gebiet . Das Vereinswesen 520 I. Die Begriffe von Verein und Verbindung 520 II. Historische Entwicklung des Vereinswesens und des Vereinsrechts 527 Zur Geschichte des Vereinsrechts 539 III. System des Vereinswesens 544 IV. Das Vereinsrecht 566 Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht 567 1) Begriff des Vereins. Unterschied von Gesellschaft und Verein 567 2) Die juristische Persönlichkeit 575 a) Begriff der juristischen Persönlichkeit 576 b) Die Form der juristischen Persönlichkeit. Die wirthschaftliche, die verwaltungsrechtliche und die staatliche Persönlichkeit 577 c) Inhalt der juristischen Persönlichkeit 580 3) Begriff des Vereinsrechts und Inhalt desselben 583 System des Vereinsrechts. Begriff und Inhalt desselben 586 Erster Theil. Das innere Vereinsrecht. System desselben 587 1) Das allgemeine Verfassungsrecht des Vereinswesens. Mitgliedschaft und Generalversammlung 589 a) Die Mitgliedschaft 589 b) Die Generalversammlung 591 2) Die allgemeinen Elemente des Vereinsorganismus 593 a) Die Vertretungsorgane. Der Vorstand. Der Verwaltungsrath. Der Revisionsausschuß 593 b) Die Vollziehungsorgane. Die Direktion. Die Bediensteten 605 α) Die Direktion 606 β) Die Bediensteten 610 3) Das allgemeine Verwaltungsrecht des Vereinswesens. Die Bei- tragsvereine. Die Gegenseitigkeitsvereine. Die Erwerbsvereine 611 Zweiter Theil. Das öffentliche Vereinsrecht. Begriff 616 1) Das öffentliche Verfassungsrecht der Vereine 617 a) Begriff der Genehmigung des Vereins 617 b) Das Recht der Genehmigung. England, Frankreich, Deutschland 621 c) Die juristische Persönlichkeit als Moment des Vereinswesens 629 Stein , die Verwaltungslehre. I. II Seite 2) Das öffentliche Verwaltungsrecht des Vereinswesens. Begriff und Princip 631 a) Die Organe 634 1) Das Vereinscommissariat 635 2) Die administrativen Organe 636 b) Das Oberaufsichtsrecht 637 1) Die Ueberwachung der Vereine 638 2) Das Princip der Oeffentlichkeit 640 3) Suspendirung, Schließung und Verbot des Vereins 642 Das besondere Vereinsrecht 646 Einleitung. Der allgemeine organische Staatsbegriff. Wenn Begriff und Definition den Anforderungen der Wissenschaft entsprechen sollen, so müssen beide sich als ein Entwicklungsmoment eines höheren, allgemeineren Begriffes ergeben. Das gilt für alle wissenschaftliche Begriffsbestimmung, und so auch für den Begriff der Verwaltung. Dieß zu leisten ist die Aufgabe unsrer Einleitung. Wenn Begriff und Definition dem praktischen Bedürfniß entsprechen sollen, so müssen beide für jeden einzelnen Theil des Ganzen zutreffend erscheinen. Dieß nachzuweisen, ist die Aufgabe des eigentlichen Inhalts unsrer Darstellung. Es ist daher bei dem Begriffe der Verwaltung nothwendig, ihn auf den allgemeineren Begriff des Staats zurückzuführen, ihn aus dem- selben organisch zu entwickeln, und ihm daraus seine Stellung, seinen Umfang und seine ethische, rechtliche und wirthschaftliche Bedeutung zu bestimmen. Die Verwaltung ist ihrem Inhalt und ihrer Aufgabe nach so unendlich wichtig, daß wir dem Einzelnen eine Arbeit und Mühe nicht ersparen können, ohne welche die Wissenschaft niemals zu einem festen Resultat gelangen kann. Und das großartige Leben, welches sich dabei vor unsern Blicken entfaltet, wird die Mühe lohnen, welche die unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen auf wenige einfache und herrschende Elemente zurückführt, deren Verständniß wir als die Bedin- gung des Verständnisses des Ganzen betrachten müssen. Wir werden daher in dieser Einleitung zuerst den Begriff der Ver- waltung für sich, dann seine organische Stellung im Staate, und end- lich seinen organischen Inhalt entwickeln. Und es wird das nicht schwierig sein, wenn man sich nur dessen enthalten kann, hergebrachte Ausdrücke in hergebrachter Unklarheit beizubehalten. Wir werden zum Schlusse versuchen, die Unfertigkeit der ganzen bisherigen Behandlungsweise dieses Gebietes auf ihre historischen Grundlagen zurückzuführen. Stein , die Verwaltungslehre. I. 1 Das Leben des Staats und seine Wissenschaft. Wir sind gezwungen, einen fertigen Begriff des Staats hier an die Spitze zu stellen, ohne seine tiefere philosophische Begründung unter- nehmen zu dürfen. Der entscheidende Beweis für seine Richtigkeit muß dann in seiner Fähigkeit gesucht werden, von ihm aus jede den theo- retischen sowie den praktischen Inhalt des Staats betreffende Frage zu beantworten. Die Gemeinschaft der Menschen erscheint in der That nicht bloß als eine Thatsache, sondern als eine absolute Bedingung für das höchste Princip alles Lebens der Persönlichkeit, der vollen und freien Entwick- lung derselben. Als eine absolute, das ist, in der Natur der Persön- lichkeit selbst liegende Bedingung für diese Erfüllung des Wesens und der Bestimmung des letztern ist sie selbst nicht eine Folge eines Beschlusses oder Vertrages der Einzelnen zu betrachten, sondern sie ist, wie die einzelne Persönlichkeit, durch sich selbst vorhanden. Sie hat daher ihren Grund in sich, unabhängig von dem Einzelwillen und selbst von der äußern Natur: sie ist vielmehr ein Ausfluß desselben Wesens, aus dem die einzelne Persönlichkeit entsprungen ist. Sie kann nie aufgehoben werden, so lange es Einzelne gibt; sie ist, wie man es anders aus- drücken kann, dem Begriffe der Persönlichkeit immanent; es ist nicht möglich, ohne sie den letztern auszudrücken. Das ist es, was schon Aristoteles mit seinem ζωον πολιτικον bezeichnen wollte, und was am Ende auch allen Vertragstheorien zum Grunde liegt. Denn die Unmöglichkeit, die Nothwendigkeit eines solchen Vertrages zu läug- nen oder auch nur zu bezweifeln, — und nie hat das jemand versucht — ist selbst allein der Beweis für das nicht mehr vertragsmäßige, son- dern selbstbedingte Dasein der menschlichen Gemeinschaft. Ist sie aber ein solches selbstbedingtes Wesen, so ist sie eben nicht mehr bloß Thatsache und Bedingung für die Einzelnen, sondern sie ist, das höchste Wesen der letztern selbst besitzend, dasselbe was diese selber sind, eine Persönlichkeit . Und diese zur Persönlichkeit, zum per- sönlichen Bewußtsein, zum persönlichen Wollen und Handeln erhobene Gemeinschaft der Menschen ist der Staat . Indem nun der Staat die zum individuellen, persönlichen Leben erhobene Gemeinschaft der Einzelnen, eine selbständige, höhere und un- endlich großartigere Gestalt der Persönlichkeit ist, als der Einzelnen, so folgt, daß die Grundbegriffe und Grundverhältnisse der einzelnen Per- sönlichkeit bei ihm nicht bloß im Allgemeinen wieder erscheinen, sondern daß sie vielmehr in höherer und größerer Form in ihm da sein müssen Nun sehen wir in der Gesammtheit der Verhältnisse, welche das einzelne Individuum umfassen und enthalten, zwei sich ewig wieder- holende Faktoren erscheinen und thätig sein. Der erste dieser Faktoren — und wir müssen hier so kurz als möglich sein — ist die freie Selbst- bestimmung der Persönlichkeit, der unendliche Keim ihrer Entwicklung. Der zweite dieser Faktoren ist dagegen die äußere Welt, die ihr eigenes Dasein hat, und die den Einzelnen auf allen Punkten umgibt und be- schränkt. Sie ist die ewig neue Quelle der Unfreiheit, des Bestimmt- werdens, der Unterwerfung der an sich freien Persönlichkeit unter das ihr gegenständliche Dasein. Aus diesen beiden einander entgegengesetzten Faktoren geht nun ein Proceß hervor, den wir als den Proceß der Unterwerfung des zweiten unter den ersten, der äußern Welt in all ihren Formen unter die freie Selbstbestimmung des Individuums bezeichnen. Er beginnt bei der rein natürlichen Form des Daseins der Persönlichkeit, bei der Befriedigung des materiellen Bedürfens, und erhebt sich bis zu der Berührung desselben mit der Gottheit zum Glauben, Lieben und Ahnen. In allen tausend verschiedenen Formen, Bewegungen und Erfolgen ist dennoch dieser Proceß immer derselbe. Wir nennen ihn mit Einem Worte: er ist das Leben der Persönlichkeit. Wie es daher ein Leben der einzelnen Persönlichkeit gibt, so gibt es auch ein Leben des Staats . Dieß Leben der Persönlichkeit erscheint nun dem Wesen derselben gemäß, nicht etwa aus einer Reihe von zufälligen oder willkürlichen Erscheinungen und Thatsachen. Es hat auf der einen Seite ein hohes Ziel; es zeigt uns die höchste, vollendetste Form der irdischen Persön- lichkeit mit der Gesammtheit aller äußern natürlichen Dinge im Kampfe; es ist gleichsam die höchste Anstrengung des persönlichen Daseins, einer mit seiner ganzen gesammelten, auf Einen Punkt vereinten Kraft der Menschen, um sich diese äußere Welt zu unterwerfen; es ist ander- seits eben dadurch bedingt durch den gegebenen Inhalt des Wesens der Persönlichkeit wie der natürlichen Welt. Das Leben des Staats ent- faltet sich daher als ein großartiges Bild, aber als ein Bild, dessen Grundzüge fest und klar in dem Wesen seiner beiden Elemente gegeben sind, und das daher in allen seinen einzelnen Erscheinungen als eine organische Bethätigung dieser Elemente erscheint. Und darum gibt es nicht bloß eine Kenntniß dieses Lebens des Staates, sondern es gibt eine Wissenschaft desselben. Denn das ist der Unterschied zwischen der bloßen Kunde der Thatsachen und der Wissenschaft, daß diese das Daseiende, welches sie weiß, als einen in seinen Grundlagen erkennbaren, und darum für sie nothwendigen Proceß begreift, und erst da befriedigt ist, wo sie jede einzelne Erscheinung in ihre tiefer wirkenden Ursachen aufgelöst hat. In diesem Sinne reden wir von der Wissenschaft des Staats als von der Wissenschaft seines organischen Lebens. Sie ist die höchste Form der Wissenschaft des Lebendigen, und umfaßt das ganze, in der äußern Welt thätige Dasein der Persönlichkeit. Sie hat zu ihrer Voraussetzung die Kunde, und in ihrem höhern Stadium die Wissenschaft des natürlichen Daseins, zu ihrem Inhalt die Wissenschaft des Processes, mit welchem der Staat sich das erstere unterwirft. Ihr gehört alles Folgende an. Aber eben um dieser ihrer Natur willen muß — und die weitere Darstellung wird zeigen, daß das auch seine große unmittelbar praktische Bedeutung hat — der besondere Theil über sein organisches Verhalten zum Ganzen klar sein. Und wir sind daher ge- zwungen, die Gebiete der Wissenschaft vom Staate darzulegen, um die- jenigen beiden großen Gebiete desselben, die unsere eigentliche Aufgabe bilden, die Vollziehung und die Verwaltung, in ihrem Wesen und selbst in ihrem Rechte hinreichend bestimmen zu können. Die organischen Elemente der Persönlichkeit des Staats. Die erste Aufgabe der Wissenschaft des Staats besteht demnach darin, den Begriff des Staats als jener höchsten Form der Persönlichkeit in die Elemente aufzulösen, deren Zusammenwirken das Leben des Staats erzeugt und ordnet. Es ist kein Zweifel, daß diese Elemente, da wir den Staat als die vollendete Form der Persönlichkeit, wenn auch als eine werdende setzen, im Wesen der Persönlichkeit überhaupt gegeben seyn müssen, die im Staate nur eine höhere Gestaltung empfangen. Diese Elemente nun sind die folgenden: Jede Persönlichkeit ist zuerst ein selbstbedingtes Wesen, das seiner Natur nach alles auf sich bezieht und zum Inhalt seiner selbst macht. Wir nennen diese Funktion, die im innersten Wesen der Persönlichkeit vor sich geht, die Selbstbestimmung, und zwar in sofern jene Funktion überhaupt Objekte aus der äußern Welt hat. In sofern aber diese Gegenständlichkeit hinweggedacht wird, erscheint das reine Sich auf Sich beziehen, das reine durch und in sich selbst seyn, oder wie man es sonst bezeichnen will; und dieß reine für sich seyn ist das Ich der Persön- lichkeit. Im einzelnen Menschen verschwindet dasselbe; es hat keine eigene selbständige Erscheinung. Im Staate dagegen erscheint es selbständig als das Staatsoberhaupt , das im Königthum seine vollendetste Form empfängt. Diese, mit dem Begriff des Ich gegebene, und das eigentliche Wesen der Persönlichkeit bildende Selbstbestimmung der letzteren, in sofern sie es mit den Thatsachen, Erscheinungen und Kräften der äußern Welt zu thun hat, und diese in das innere Leben der Persönlichkeit aufnimmt, ist der Wille. Die große Funktion des persönlichen Willens in der äußern Welt besteht darin, dem Natürlichen und dem Gegen- ständlichen einen neuen, durch die Persönlichkeit gesetzten Zweck zu geben. Es gibt daher kein abstraktes Wollen; das Etwas, was das Wollen will, ist eben der Zweck, den die äußern Dinge durch die Per- sönlichkeit empfangen sollen. Der Wille gibt daher vermöge des Zweckes den Dingen ein neues Leben, das persönliche. Und dies Moment des Wollens ist nun gerade wie bei der Persönlichkeit in ihrer abstraktesten Gestalt, im Staate nicht bloß ganz selbständig vorhanden, sondern es hat in ihm ein eigenes, nur für das Wollen bestimmtes Organ. Dieses Organ nennen wir schon hier die gesetzgebende Gewalt , und die selbständige reine Thätigkeit des Wollens die Gesetzgebung . Der einzelne bestimmte Wille dieser Gewalt ist das Gesetz . In der einzelnen Persönlichkeit nun wie im Staate hat dieser für sich gedachte selbstbestimmte Wille zu seinem Inhalt nur noch diejenige Gestalt des äußern Daseyns, welche der Wille will; noch nicht die wirklichen Verhältnisse, auf welche er sich bezieht. Es muß daher ein zweiter Proceß entstehen, durch welchen die Persönlichkeit diesen Inhalt ihres Willens in der äußern wirklichen Welt zu verwirklichen trachtet. Diesen Proceß nennen wir die That . Die That, indem sie die Ge- sammtheit der Momente und Gestaltungen des äußern Lebens in sich aufnimmt und sie dem Willen unterwirft, ist eine unendlich vielgestal- tige und wechselnde. Sie ist es, welche dem abstrakten Begriffe der Persönlichkeit erst seinen concreten Inhalt gibt; in ihr ist das wirkliche Leben der letztern enthalten; sie ist aber zugleich das Gebiet, in wel- chem die selbständigen Kräfte des äußern Daseyns gegenüber dem Willen der Persönlichkeit sich zur Geltung bringen, und die reine und unbe- dingte Verwirklichung dieses Willens modificiren. Die That nimmt daher diese Gewalt der Dinge in den Willen der Persönlichkeit auf; sie ist dadurch wieder nicht bloß die einfache Erscheinung dieses Willens, sondern sie hat, die Verschmelzung der Wirklichkeit mit dem Willen vollziehend, ein selbständiges Leben, eine selbständige Funktion, die nie- mals ganz von dem rein selbstbestimmten Willen der Persönlichkeit er- füllt und erschöpft, ja nicht einmal immer von ihm beherrscht wird. In ihr zeigt es sich erst, daß das was wir das Leben nennen, eine doppelte Bewegung enthält, die einen ganz verschiedenen Charakter hat, und die wohl getrennt werden muß, will man überhaupt das wirkliche Daseyn der Persönlichkeit verstehen. Der erste Theil dieser Bewegung ist derjenige Proceß, durch welchen die Persönlichkeit den Eindruck der Dinge in sich aufnimmt, und sie in sich durch ihren Willen bestimmt; der zweite Theil ist der Proceß, der diesen Willen in die Außenwelt trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie- der mannigfach bedingt wird. Das ist für jede Persönlichkeit gültig, und mithin auch für den Staat. Und es versteht sich, daß dieser Selb- ständigkeit der That im Wesen des Staates nun auch bestimmte Organe entsprechen und bestimmte Gesetze und Regeln, nach welchen dieselbe vollbracht wird. Diese letzteren aber zerfallen wieder in die beiden großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung ; und bei ihnen beginnt unsere eigentliche Aufgabe. Allerdings ist hier nicht der Ort, weder eine historische, noch eine kritische Beurtheilung der Staatsphilosophie und der Begriffe vom Staate zu geben. Allein es ist dennoch unumgänglich unsere Grundauffassung neben der bisherigen scharf zu bestimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verständlich werden dürfte. Der gemeinsame Charakter aller Staatsbegriffe seit Plato beruht darauf, den Staat als die organische Consequenz irgend eines andern Begriffes zu entwickeln; sei es des Rechts, sei es der sociabilitas, sei es des Gemeinwohls, sei es des Wesens der sittlichen Gesetze, sei es des sich selbst setzenden Begriffes. So heftig auch der Streit unter diesen verschiedenen Ansichten sein mag, so sind sie doch niemals sehr verschieden gewesen, wenigstens in ihrem Princip. Fast alle haben zwar den Irrthum gemein — wenigstens kenne ich keinen, der ihn nicht theilte — daß jeder von allen diesen Philosophen bloß dadurch, daß er auf einem andern Wege zu seinem Begriffe kam, auch einen wesentlich andern Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber sehr leicht zu zeigen, daß am Ende der in allen diesen Philosophien so entstandene Staat bei allen Philosophen stets fast ganz genau derselbe ist. Wir müssen dem unsere Anschauung entgegensetzen. Wir thun es, weil es gewiß bleibt, daß alle Wissenschaft zuletzt ihre höchste Ordnung und Klarheit doch nur durch die Philosophie erhält. Vielleicht am meisten in der Staats- wissenschaft; gewiß innerhalb derselben am meisten auf unserm Felde. Der Staat ist weder eine Anstalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine ethische Gestaltung, noch ein logischer Begriff, so wenig wie das Ich des Men- schen. Der Staat ist eine — die höchste materielle — Form der Persön- lichkeit . Es ist sein Wesen, seinen Grund in sich selbst zu haben. Es kann so wenig bewiesen werden, und so wenig „begründet“ werden, als das Ich. Er ist er selber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln. Er ist die gewaltige Thatsache , daß die Gemeinschaft der Menschen, außerhalb und über dem Willen der Gemeinschaft selbst, ein eigenes, selb- ständiges und selbstthätiges Dasein hat. Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philosophie sagt, nur eine „Bestimmung,“ und ist mit ihr erschöpft, sondern er hat ein Leben . Dieß Leben liegt in seiner freien Selbstbestimmung. Er kann sogar Unrecht thun , wenn auch nur der Idee der Persönlichkeit, nicht sich selber oder den Dingen. Er wird erzeugt und stirbt. Ihn richtet Gott in der Geschichte. Das unbedingt und klar auszusprechen, ist hier deßhalb nothwendig, weil zunächst aus dieser Anschauung der durchgreifende Unterschied zwischen der fol- genden und der gewöhnlichen Behandlung der Lehre von Vollziehung und Ver- waltung des Staats folgt. Dieser wieder liegt nicht etwa in der formalen An- erkennung der Persönlichkeit im Staat. Diese ist alt, und hat sich in der letzten Philosophien, namentlich des jüngern Fichte (System der Ethik II. 21. Abth. z. B. S. 329 „der Staat ist das umfassendste sittliche Individuum“ und Röß- lers (Allgem. Staatslehre, z. B. S. XXIII ) wieder Bahn gebrochen. Mit dieser formalen Idee ist nichts gewonnen; sie erscheint selbst nur als Moment einer dialektischen Consequenz. Und zwar darum ist nichts damit gewonnen, weil sie nicht zu demjenigen gelangen kann, was eigentlich das Wesen der Persön- lichkeit ausmacht, der That derselben. Die That mit ihrem Wesen und In- halt ist der Grundbegriff für Vollziehung und Verwaltung. Sie kann nicht aus Prämissen entwickelt werden; sie ist das, was in der Persönlichkeit das schaffende Element, die lebendige Ahnung der Gottheit ist. Sie ist das Werden nicht durch das Gesetz des Denkens, sondern durch den absolut freien Inhalt des Ich. Wir wissen recht wohl, daß es in der ganzen Philosophie keinen Begriff und keine Lehre von der That gibt; hat doch nicht einmal die Statistik zu sagen vermocht, was eine Thatsache sei. Der Grund der That ist das unendliche Ich; das Daseiende und Begriffene ist erst der Inhalt der That. Die alte vorkantische Philosophie hat sie einfach als thatsächliches Corollarium der Pflicht verstanden; die Identitätsphilosophie hat sie dialektisch aufgehoben; merkwürdig genug, daß selbst Hegel nicht zu der Frage kam, ob neben dem was wirklich ist, auch das was wirklich wird , vernünftig ist. Die neueren Philosophen, Herbart, Kraus, Schopenhauer, von andern zu schweigen, kennen sie überhaupt nicht. Aber die That ist die Wirklichkeit der Persönlichkeit. Erst in ihr ist diese das was ihr Wesen ist, Selbstbestimmung; in der That ist sie ihr eigener Grund. Die Philosophie hat diesen Begriff nicht. Daher hat die ganze Staats- philosophie keinen Begriff der Verwaltung ; höchstens daß die Verwal- tung wie bei Fichte dem älteren (Naturrecht 2. Thl.) als Pflicht, bei Fichte dem jüngeren als Aufgabe des Staats erscheint. Die Philosophie ist daher in ihrer bisherigen Gestalt ganz unfähig, der Staatslehre über die Verfassung hinaus den Weg zu zeigen. Wir werden sie darum künftig in unserer Arbeit nicht gebrauchen. und nicht mit ihr zu rechten haben. Denn ohne den Begriff und Inhalt der That zu entwickeln, kann man weder Vollziehung noch Ver- waltung begreifen. Daher ist nirgends im Gebiete der Verwaltung ein Einfluß der Philosophie vorhanden, während er im Gebiete der Verfassung um so größer ist, und dieser Einfluß ist unmöglich , so lange man Wesen und Inhalt des Staats nur als Consequenz eines andern Begriffes setzt. Denn ist er nichts als das, so kann er auch nichts als diese Consequenz vollziehen; er kann „Zwecke“ und „Aufgaben“ und „organischen Inhalt“ haben, aber er kann in seiner That nicht mit seinem Wesen in Gegensatz gerathen, das Thun desselben kann nicht selbständig gegenüber dem Wollen auftreten; es kann zwar formell eine Verwaltung und Vollziehung, aber kein Verwaltungs recht erscheinen. Die Möglichkeit des Verständnisses des letzteren hört da auf, wo ich den Staat aus dem Begriff des Rechts entwickele; sie beginnt da, wo ich ihn als eine selbstthätige Form der Persönlichkeit erfasse. Es gibt keinen andern Weg. Der aber leitet noch zu vielen andern Dingen, welche als hohe, erhabene Ziele der Wissenschaft künftiger Geschlechter vorbehalten bleiben. Wir können hier nur die ersten, rohen Grundlagen finden. Eine größere Zeit wird Größeres leisten. Möge sie bald kommen. In ihr werden wir die goldenen Tafeln im Grase wiederfinden. — Denen aber, die diese Grundgedanken für „mystisch“ erklären möchten, wollen wir zum Schlusse zurufen, daß die gewaltigsten Wahrheiten des geistigen Lebens in der Geschichte und im Einzelnen stets diejenigen gewesen sind und bleiben werden, die man nicht bewiesen hat und nicht beweisen kann. Den Gründen folgen wir, indem wir neue Gründe aus ihnen erzeugen; aber das göttliche Leben der höchsten Religion, Kunst und Wissenschaft ruht nicht auf Beweisen und Ursachen. Die beiden Begriffe der Vollziehung und der Verwaltung . Indem wir nunmehr den Begriff der Vollziehung von dem der Verwaltung trennen, und diese Trennung der ganzen folgenden Arbeit zum Grunde legen, wird es wohl nothwendig werden, diesen Unter- schied so tief und so klar als möglich zu begründen. Offenbar ist jener erste von uns bezeichnete Proceß, die Selbstbe- stimmung des Willens der Persönlichkeit, weder im Wesen der letztern, und noch weniger im Staate ein einfacher. Wir unterscheiden hier vielmehr eine ganze Reihe von Stadien und Verhältnissen, welche erst zusammen genommen die Bildung des Willens oder die Gesetzgebung enthalten. Diese einzelnen Momente in der Bildung des Staatswillens kann man jedoch in zwei Hauptgruppen theilen; jede dieser Gruppen enthält zwar wieder eine Menge von Momenten, jedoch werden dieselben von gemeinschaftlichen Grundlagen beherrscht. Wir nennen sie die Be- rathung und die Beschlußfassung. Verhältnisse und Rechte beider ge- hören in die Verfassungslehre. Ebenso nun wie sich in der Willensbestimmung des Staats solche Grundverhältnisse scheiden, so ist es auch in der Thätigkeit desselben der Fall. Diese Thätigkeit des Staats, wie wir sie als selbständiges Moment im persönlichen Leben desselben so eben vorgelegt, und welche seinen Willen im wirklichen Leben vollbringt, zeigt bei genauer Betrachtung einen doppelten Charakter. Einerseits hat sie den Willen der einheitlichen Persönlichkeit des Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Gestaltun- gen, die sie annehmen mag, immer dieselbe sein. Sie muß von diesem Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen des Staats, wo ein solcher Wille bestimmt und gegeben vorliegt; wo aber ein solcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß sie aus dem Wesen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit schöpfen, und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen ersetzen. Sie erscheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, seinen Willen vollziehenden oder durch seine Thätigkeit sein Wesen verwirk- lichenden Staats, noch ohne Rücksicht auf die Objekte desselben; und in diesem Sinne nennen wir sie die vollziehende Gewalt , und diese abstrakt, und noch ohne bestimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieser Gewalt die Vollziehung . Andrerseits ist diese vollziehende Gewalt für sich gedacht, nur der Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für sich . Die wirkliche Thätigkeit entsteht, sowie diese Vollziehung nun die wirk- lichen Verhältnisse und Gegenstände des Staatslebens ergreift, und in ihnen den Willen oder das Wesen des Staats concret zur Verwirklichung bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an ihrem Objekte; sie muß wie schon gesagt, dasselbe innerlich und äußer- lich verarbeiten; die Gesetze des Lebens dieser Objekte bringen sich zur Geltung und geben der Vollziehung Gestalt und Maß, Mittel und Ziel; die großen Gebiete desselben theilen die letzten selbst wieder in große, ihnen entsprechende Funktionen, und die Vollziehung, insofern sie auf diese Weise Gestalt, Eintheilung und Namen durch Natur und Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung . Man kann daher sagen, daß das thätige Leben des Staats sich in diesen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darstellt; jene die Kraft an sich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, diese die wirk- liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in diesem Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats steht. Die Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum Willen und Wesen zu Gesetz und Natur des Staats, die Verwaltung das Verhältniß desselben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt, und zu der Macht der Thatsachen in seinem materiellen Dasein. Da- her lassen sich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll- ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll- ziehung; sie sind stets verbunden wie zwei Seiten derselben Fläche, aber dennoch stets verschieden wie jene. Allerdings können wir in der Psycho- logie des Einzelnen jenen Unterschied thatsächlich nicht verfolgen; die Gränzen beider Funktionen gehen so innig in einander, daß die Scheidung als Abstraktion erscheint. Allein im Staate sind sie sehr bestimmt trenn- bar, und ihre Trennung wird sogar zu einer der wichtigsten Voraussetzun- gen des Verständnisses des Staatslebens. Denn das ist ja das Wesen der höhern Persönlichkeit, daß in ihr die unklaren Elemente der niedern sich selbständig zur Geltung bringen. Und es wird sogar nicht einmal schwierig sein, jenen Unterschied schon hier so unzweifelhaft darzulegen, daß er so- gleich als Grundlage der ganzen folgenden Darstellung dienen könne. Die Lehre von den „Staatsgewalten .“ — Der Begriff der Staats- gewalten, ihre Benennung, Scheidung und Begränzung gehört zwar eigentlich der Verfassungslehre an, ist aber so durchgreifend wichtig, und so sehr beinahe vergessen, daß wir sie zum Verständniß unserer Auffassung hier in ihren Grund- zügen bezeichnen müssen. Unter den „Staatsgewalten“ versteht man eigentlich (unklar) die großen organischen Funktionen des Staats. Das Auftreten des Begriffes setzt daher die entstehende Herrschaft des Staats über die territoriale Zersplitterung seiner Macht im Lehnswesen voraus; er muß angesehen werden als der Anfang des organischen Verständnisses des Staatslebens. Er ist daher die höhere Form derselben Vorstellung, welche die „Hoheitsrechte“ (Regalien) bezeichnen. Die Hoheitsrechte des Staats sind die Rechte auf die im Wesen des Staats liegenden Funktionen, aber in ihrer lehns rechtlichen Entstehung gedacht, gegenüber den Rechten der Grundherrlichkeit; sie enthalten daher beständig eine unverkennbare Verschmelzung privatrechtlicher und öffentlich rechtlicher Rechtstitel. Erst in der Vorstellung von „Staatsgewalten“ tritt die Idee des Staats selbstständig her- vor; Hoheitsrechte kann der Staat haben, zum Theil aber auch nicht haben, oder verlieren, wie es seine geschichtliche Entwicklung mit sich brachte; die Staats- gewalten dagegen sind mit seinem organischen Wesen selbst, von ihm untrennbar, gegeben. Man muß in dieser Beziehung die französische und die deutsche Auf- fassung unterscheiden. Die erstere legt den Begriff der Staatsgewalten, die letztere den Begriff der Hoheitsrechte zum Grunde, um zu einer organischen Auffassung des neueren Staatslebens zu gelangen. Die erste will damit ein System der organischen Freiheit, die letztere ein System des organischen Rechts setzen. Die französische Auffassung beginnt schon mit Montesquieu. Bei ihm treten die „trois sortes de pouvoir: la puissance législative, la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens (die Militärmacht) et la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit civil“ L. XI. ch. VI. auf. Die letztere ist die puissance de juger, also eigentlich gar keine vollziehende, sondern eine richterliche Gewalt. Die pouvoirs intermédiaires, von denen er 1—4 redet, sind vielmehr die ständischen Ordnungen der Gesell- schaft. Der wichtigste Satz im ganzen Esprit des lois ist ohne Zweifel der, daß die Freiheit nur in der „Trennung jener drei Gewalten“ gesichert werden könne. Was er sich unter dieser Trennung dachte, läßt er ungesagt. Allein das Streben nach Freiheit, das die ganze Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ersaßt, läßt die Vorstellung entstehen, daß auf dem richtigen Verständniß der pouvoirs des Staats die Organisation jeder freien Verfassung beruhe. So schon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Représentant, Pouvoir und a. a. O. Sieyes , die personificirte Reflexion der Revolutionen, scheidet dann die drei Gewalten etwas anders: die gesetzgebende, die aktive oder exekutive, welche die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und die coercitive; ( Oeuvres I. 360) welche Auffassung zu den vier Gewalten der Constitution von 1791 wurde. Damit ist dann diese theoretische Scheidung in die Verfassungsurkunden aufgenommen und erhält sich bis auf die neueste Zeit, ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; so in den von Klüber §. 100 bereits angeführten Chartes von Brasilien 1823 und Portugal 1826, dann in der Verfassung von Neapel 1848, Toscana und Piemont ( eod. ); Benj. Constant bringt dann unter der Restauration ein neues Moment hinein. Er fühlt, daß wenn man mit dem System der Pouvoirs den Staat umfassen will, auch das Königthum als eine eigenthümliche „Gewalt“ erscheinen müsse, und bezeichnet es als das Pouvoir régulateur; dadurch entstand das wunderliche Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir exécutif und régulateur begriffen ward; der erste Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs den Staat nicht organisch erfassen kann. Demnach fehlte die einzige wahre Grundlage dieses Verständnisses, der Begriff der Persönlichkeit. Man mußte daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, schuf nun jeder wieder andere Pouvoirs , und zwar für jedes Gebiet, das als ein selbständiges in der Verwaltung erschien; so entstand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir électif, ein Pouvoir administratif, und bei den Deutschen sogar eine Kameral- Gewalt. Bentham ( Traité de législ. III. 342) brachte es zu sieben Gewalten, ohne zu sehen, daß er das Thätige aus seiner Thätigkeit, die Natur des Staats aus seinen Funktionen, statt umgekehrt, construire. Es war offenbar, daß man auf diesem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne sich daher über das Wesen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man sie allmählig fallen; sie sind, nachdem sie bis zum Ende der Restauration in Frankreich ge- herrscht, ziemlich vollständig aus der Literatur verschwunden, und erhalten sich nur noch in dem hergebrachten Satze, daß „der König das Haupt der voll- ziehenden Gewalt“ sey. Auf diesen Punkt kommen wir unten zurück. Was nun die deutsche Literatur betrifft, so ist hier die Verwirrung be- deutend größer. Allerdings geht die deutsche Staatslehre, wie schon gesagt, von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, statt von dem der Gewalten aus, und da keine Revolution an die Stelle dieses rechtlichen Begriffes den organischen setzte, so blieb derselbe bis auf unsere Tage bestehen. Hoheitsrecht bedeutet aber den deutschen Staatsrechtslehrern zweierlei; erstlich die Rechte, welche das König- thum von dem Lehnsherrn historisch wirklich erworben hat, und zweitens die Rechte, welche dem Staate seinem Wesen nach zukommen. Da keine Philosophie dieselben über das wahre Verhältniß aufklärte, so verwechselten sie beide Seiten der Sache beständig, und nahmen daher auch willig den Begriff der französischen Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Dadurch entsteht eine solche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es fast eben so nutzlos als unmöglich ist, nach irgend einer klaren Vorstellung über den Inhalt des Staats zu suchen. Doch kann man zwei Richtungen unter- scheiden. Die eine kann man als die construirende bezeichnen; sie folgt dem französischen Vorgange, und versucht so viel als möglich ohne Beziehung auf die Hoheitsrechte den Staatsorganismus in seine Gewalten zu zerlegen; in größerem Maße Schlözer (Allgem. Staatsrecht und Staatsverfassungslehre 1793 S. 100, potestas, legislativa, coercitiva, punitiva, judiciaria, inspectiva, reprae- sentativa, cameralis, also das französische Vorbild schon damals übertroffen. Aehnlich Mayer System der Staatsregierung und Umrisse 1803 mit sieben Gewalten). Dann kommen Versuche, die alte trias politica herzustellen, die legislativa, judiciaria, executiva, wie bei Heidenreich, Hufeland u. A. Das Suchen gewinnt feste Gestalt in der Epoche der constitutionellen Epoche des Staatsrechts; namentlich wird Benj. Constant das Muster. Der be- deutendste Vertreter dieser Richtung war Ancillon (Staatswissenschaft 1820), der übrigens noch eine „verwaltende Gewalt“ setzt, bis endlich das Hauptwerk in dieser Richtung, Aretins Staatsrecht der constitutionellen Monarchie B. I. S. 170 in Verzweiflung über den Wirrwarr trocken erklärt „die meisten Staats- rechtsschriftsteller sind nun darüber einverstanden, daß die bisherigen Einthei- lungen nichts taugen, und daß man „der Trennung der Gewalten nicht bedarf, vielmehr dieselbe mit zahllosen Collisionen und gefährlichen Kämpfen verbunden ist.“ Das wäre nun ganz gut gewesen; allein unterdessen hatte sich die zweite Richtung der Sache bemächtigt, nämlich die des positiven Staatsrechts. Diese bedurfte der Eintheilungsgründe für ihre Darstellung, und nahm daher, weil die alten „Regalia“ für das junge Staatsleben nicht mehr ausreichten, jetzt die „Gewalten“ neben den Hoheitsrechten auf. Diese Hoheitsrechte hatte man schon vorher in wesentliche und unwesentliche, in innere und äußere getheilt. Nun kamen die Gewalten hinzu, und die Verwirrung ward vollständig. Gönner war in seinem deutschen Staatsrechte 1803 vielleicht der erste, der aus diesen Begriffen ein System zu machen trachtete. Man sieht seiner Mühe (§. 274 ff.) es an, wie schwer es ihm wird, nur überhaupt zu irgend einem Resultate zu gelangen. Das Ergebniß ist zuletzt, daß er alle Hoheitsrechte zugleich Staats- gewalten nennt und dann alle Funktionen des Staats als Gewalten be- zeichnet, die er dann gemeinsam unter dem Ausdruck „Regierungsrecht“ (Erster Theil, zweites Buch) verarbeitet. Bei dem Stammvater des deutschen Bundes- rechts, dem deutschen Sieyes, Klüber , bleibt dieselbe Auffassung; Hoheitsrecht und Gewalten sind ihm in einer gewissen Weise gleichbedeutend, aber dennoch fühlt er, daß sie verschieden sind, und kommt daher zu gar keinem Resultat. Er ist der Hauptvertreter der Literatur des deutschen Staatsrechts, welche von da an es sich zur Aufgabe stellt, die Klarheit über den Staat im Ganzen vollständig aufzugeben, dagegen jedes einzelne Verhältniß auf das Gründ- lichste zu untersuchen. Bei der hohen praktischen Wichtigkeit dieser einzelnen Rechte riß die Richtung die ganze Literatur mit sich fort, um so mehr als die Philosophie vollständig unfertig daneben stand. (Vergl. z. B. Klüber §. 99 ff.) Jeder deutsche Publicist wählte von jetzt an ganz nach seiner Convenienz die Ausdrücke: Staatsgewalt, Regierungsrecht oder Regierungsgewalt, Hoheit, Hoheitsrecht. Man vergl. z. B. Maurenbrecher II. Thl. Kap. 2., der überdieß eine trias politica aufstellt, welche die oberaufsehende mit enthält §. 41. Zachariä , deutsches bürgerliches Recht a. a. O. und andre. Dennoch ist ein gewisser Drang da, aus all diesen Unklarheiten herauszukommen. Dieser erscheint in der Reducirung aller jener Vorstellungen auf die einfache Vorstellung von der „Staatsgewalt“ wie bei Zöpfl Staatsrecht Abschnitt IV. Mohl , Encyclopädie der Staatswissenschaften §. 11 und 15 (der sogar von „Eigenschaften“ der Staatsgewalt — vier hat sie, mehr nicht — redet). Der Begriff dieser Staatsgewalt hat sich aber historisch gebildet, wie wir unten in der Geschichte der vollziehenden Gewalt zeigen werden, und konnte daher in seiner eigenen Unbestimmtheit, mit der er das ganze Staatsleben umfaßte, den Unterschied der einzelnen Gewalten nicht weiter erklären. Wir dürfen hoffen, daß das nun anders wird. Wesentlich wird dazu der Gedanke beitragen, den wir Mohls Württemb. Staatsrecht verdanken, den er aber nicht festzuhalten vermochte, daß Verfassung und Verwaltung zwei selbständige Gebiete des Staatslebens seyen. Es ergibt sich aus allem, daß der Begriff der „Gewalt“ an sich ein ganz richtiger ist; daß der Fehler nur darin lag, daß man das Wesen des Staats aus der Gewalt, statt die Gewalt aus dem Wesen des Staats ent- wickeln wollte; hat man die organischen Grundgedanken des Staatslebens, so ordnen sich diese Begriffe von selber. Und da es uns hier nur auf das Erstere ankam, so dürfen wir die Erläuterungen der Begriffe von Staatsgewalt, Re- gierung, vollziehender Gewalt u. s. w. jetzt an ihre besondere Stellen verweisen. Der Begriff der Regierungslehre. Die drei Gebiete der Verwaltung . Jede vollziehende Gewalt nämlich ist zwar ein selbständiges Moment in der organisch gegliederten Persönlichkeit des Staats; allein sie steht nicht für sich da. Ihre Quelle ist eben der, in seinem wirklichen Leben sich verwirklichende Staat; ihr Inhalt kann daher auch kein anderer, als die Verwirklichung der Staatsidee sein. Sie wird diesen Inhalt stets zunächst in dem bestimmt formulirten Willen des Staats, dem Gesetze suchen; allein sie kann und darf nicht bloß mit dem formellen Gesetze sich begnügen. Sie muß vielmehr von den Forde- rungen, welche die Idee des Staats stellt, durchdrungen sein; sie muß nichts wollen, als was sie selbst als Inhalt des letzteren erkennt; sie widerspricht ihrem eigenen Wesen, wenn sie etwas anderes will; sie muß daher die gesammte Aufgabe, welche diese Idee verwirklichen will, sich selber zum Bewußtsein erheben; und das Durchdrungensein von dieser Idee, von diesem Bewußtsein ist eben dasjenige, was sie zu einem lebendigen Gliede des Staatsorganismus macht. Dieß Bewußtsein gestaltet sich nun für die wirkliche Thätigkeit zu gewissen, dieselben im Einzelnen leitenden, für jede derselben zur gleichmäßigen Gültigkeit gelangenden Principien, in welchen eben das geistige Band zwischen dem inneren Leben des Staats und dieser seiner selbständigen vollziehenden Kraft gegeben ist: und insofern nun die vollziehende Gewalt auf diese Weise von den, aus dem sittlichen und rechtlichen Organismus des Staats sich ergebenden Principien durchdrungen und beseelt ist, nennen wir die Vollziehung die Regierung des Staats . Die Lehre, welche diese Principien finden und ergründen lehrt, ist dann die Regie- rungslehre ; die Kunst, das richtige Verhältniß der allgemeinen Prin- cipien zu dem gegebenen Zustande eines Staates zu jeder Zeit zu fin- den, heißt die Regierungskunst oder Politik . Der Unterschied zwischen vollziehender Gewalt und Regierung, den man nie gehörig beachtet, ist daher eben so wenig ein äußerlicher, als der zwischen Vollziehung und Verwaltung. Die Regierung ist eben nichts als die principielle Vollziehung. Es ist aber kein Zweifel, daß dieser Unterschied, wie der Unterschied zwischen Form und Inhalt überhaupt, ein hochwichtiger ist. Die Folge wird zeigen, daß derselbe fast auf jedem Punkte seine Consequenzen erzeugt. Ohne die scharfe Innehaltung aller dieser Unterscheidungen aber ist eine systematische Wissenschaft überhaupt nicht möglich. Wo selbst die Sprache aller Nationen die Unterscheidung zwischen Vollziehung, Regierung und Ver- waltung klar und unbedingt festhält, darf da die Wissenschaft weniger in Bestimmtheit der Auffassung leisten, als das Wort, dessen sie sich bedienen muß? — Während auf diese Weise Vollziehung und Regierung, jene das organische, diese das principielle Verhalten der wirklichen Thätigkeit zur innern Selbstbestimmung der Staatspersönlichkeit enthalten, eröffnet sich uns mit der Verwaltung das Gebiet des wirklichen Staatslebens und der concreten Gestalt, welche in ihm die Aufgaben der Vollziehung empfangen; das heißt, die Vollziehung wird Verwaltung, indem sie mit den gegebenen äußeren Verhältnissen zu thun hat, welche in ihrer Berührung mit dem Staate sich als die Staatsaufgaben darstellen. Diese Staatsaufgaben, welche auf diese Weise den Inhalt der Verwaltung bilden, scheiden sich nun in drei Gruppen, und diese Schei- dung erzeugt dann die drei großen Gebiete der Verwaltung, deren selbständige Behandlung so alt ist wie die Staatswissenschaft, wenn auch über die Art und Weise der ersteren keine Gleichheit erzielt ist. Das erste Gebiet der Verwaltung entsteht dadurch, daß der Staat so gut wie der Einzelne ein wirthschaftliches Leben hat. Er bedarf der Güter; er muß sie finden, erzeugen, erwerben, wie der Einzelne; er muß die erworbenen wieder verwenden; er hat Einnahmen und Ausgaben. Einnahmen und Ausgaben bilden daher den ersten und wesentlichsten Gegenstand der concreten Thätigkeit des Staats, und die Gesammtheit derjenigen Thätigkeiten, welche in dieser Weise auf die wirthschaftliche Existenz des Staates verwendet werden, nennen wir die Finanzverwaltung . Die Entwicklung und Darstellung der Begriffe und Regeln, nach welchen diese Finanzverwaltung zu Werke zu gehen hat, ist die Finanzwissenschaft . Zugleich aber besteht der Staat aus einzelnen selbständigen Indi- viduen. Die erste äußerliche Bedingung des Lebens dieser selbständigen Individuen in ihrem Zusammenleben ist ohne Zweifel die Unverletzlich- keit des Einen durch die Handlungen des Andern. Diese Unverletzlich- keit der einen Lebenssphäre durch die — gleichviel ob willkürliche oder unwillkürliche — Bewegung der anderen nennen wir das Recht. Die Erhaltung des Rechts kann aber nicht durch den Einzelnen geleistet werden, weil dasselbe eben nicht von seiner individuellen Willkür ab- hängen kann. Die Gewißheit für die Geltung meines Rechts kann nicht in demjenigen gesucht werden, der nach meiner Ansicht eben dies Recht verletzt hat. Es muß daher durch eine Thätigkeit hergestellt werden, welche, indem sie alle Rechtsindividuen umfaßt, allein das für alle gültige Recht setzen und vollziehen kann. Diese Thätigkeit vermag nun nur der Staat als die allgemeine Persönlichkeit zu leisten. Sie fordert, da ihre Aufgabe das gesammte Leben aller Einzelnen umfaßt, einen Organismus, der gleichfalls sich über das ganze Leben des Staats er- streckt; sie ist daher, ebenso wie die wirthschaftliche Welt des Staats, ein selbständiger Theil der Verwaltung des Staats; und diesen Theil der Verwaltung des Staats nennen wir kurz die Rechtspflege . Während auf diese Weise die Verwaltung der Staatswirthschaft es mit den wirthschaftlichen Bedingungen des Staats, die Verwaltung des Rechts aber mit der Selbständigkeit der einzelnen Staatsbürger zu thun hat, bleibt ein drittes großes Gebiet der Thätigkeit des Staats zurück. Der wirkliche Staat nämlich besteht aus der Gesammtheit aller seiner Staatsbürger. Er hat als wirklicher Staat kein Dasein außer ihnen; er ist eben vorhanden als die persönliche Einheit aller Einzelnen, welche ihm gehören. Ist nun das der Fall, so ergibt sich, daß er selbst in seinem Fortschritt wie in seinem Rückschritt nicht bloß abhängt von der persönlichen wirthschaftlichen oder gesellschaftlichen Entwicklung dieser seiner Angehörigen, sondern daß geradezu der Gesammtzustand des Staates mit dem Zustande und der Entwicklung der Einzelnen, die ihm angehören, identisch ist ; oder daß das Maß der Entwicklung aller Staasbürger die Bedingung und das Maß der Entwicklung des Staats selbst ist . Es ergibt sich daraus, daß diese Entwicklung aller einzelnen Persönlichkeiten im Staate eine in der Natur des Staats liegende Aufgabe des Staats selbst ist; er sorgt für sich selbst, indem er für das Wohl und den Fortschritt der Einzelnen sorgt, die ihm angehören; diese Thä- tigkeit ist ihm daher eine nothwendige und organische, wenn sie auch erst in den höhern Entwicklungsstufen des Staatslebens zur Geltung gelangt. Sie umfaßt, indem sie das ganze Leben der Einzelnen um- faßt, eine Reihe der verschiedensten und wichtigsten Aufgaben nach allen Seiten des Gesammtlebens; aber alle diese Aufgaben haben das mit einander gemein, daß sie Verwendungen der Macht und der Mittel des Staats für die Förderung des Einzelnen in seinen individuellen Lebens- verhältnissen enthalten. Und die Gesammtheit der diesen Aufgaben zu- gewendeten Thätigkeit des Staats nennen wir die Verwaltung des Innern . Die Begriffe und Regeln aber, auf welchen diese Thätig- keiten beruhen und nach welchen sie ihr Ziel erreichen, bilden die Innere Verwaltungslehre . Aus diesen Grundbegriffen ergeben sich nun gewisse Folgerungen, welche für die Klarheit des Verständnisses unseres ganzen Gebietes und namentlich für den Sinn der Worte, die man hier gewöhnlich gebraucht, von höchster Wichtigkeit sind, da vielleicht nirgends in der ganzen Staats- wissenschaft und in der Lehre vom öffentlichen Rechte, die sich an dieselbe anschließt, eine gleich große Verwirrung herrscht. Der Ausdruck „ Verwaltung “ im Allgemeinen, wie man ihn gewöhnlich gebraucht, hat nämlich mit dem Obigen seinen Sinn ver- loren. Er bezeichnet den meisten die Vollziehung, die Regierung, und unbestimmt auch die einzelnen Verwaltungsgebiete zugleich, aber in un- klarer Weise ist er der Gesammtausdruck für das ganze thätige Leben des Staats, und zwar im Gegensatz zur Funktion der Willensbestim- mung oder der Gesetzgebung. Diese letztere nennt man ferner, insofern sie selbst nach bestimmten Ordnungen des gesetzlich anerkannten öffent- lichen Rechts vor sich geht, wohl auch die Verfassung. Man setzt da- her die Gesetzgebung oder die Verfassung der Verwaltung gegenüber, dem Willen die That. Und indem man den Rechtsbegriff auf beide Gebiete anwendet, spricht man vom Verfassungs- oder Gesetzgebungs- recht gegenüber dem Verwaltungsrecht. Diese Unterscheidung ist an sich richtig, wenn man sich nur über den Ausdruck vollkommen klar bleibt. Denn nach ihm umfaßt die Ver- waltung sowohl die Vollziehung als die einzelnen Verwaltungsgebiete, die wir bezeichnet haben, die Finanz-, die Rechts- und die Innere Ver- waltung. Indem man daher den einmal hergebrachten Ausdruck bei- behält, würde das dritte große Gebiet des Staatslebens, das thätige Leben, sich in folgenden Grundbegriffen darstellen. Die Verwaltung im weitesten Sinne begreift darnach die Ge- sammtheit des thätigen Staatslebens, ohne Rücksicht auf seinen beson- dern Inhalt. Es ist die abstrakte That des Staats. Eben deßhalb bezeichnet dieser Ausdruck auch nur den Gedanken der Scheidung von Wille und That im Staate; er hat an sich keinen Inhalt, als den des abstrakten Begriffes der That; es gibt keine Verwaltungslehre im weitesten Sinne, sondern der Inhalt derselben erscheint erst in den folgenden beiden Begriffen. Diese sind die Vollziehung oder vollziehende Gewalt, und die eigentliche Verwaltung. Die Vollziehung ist die Kraft und die Organisation der Thätigkeit des Staats an sich, noch ohne Rücksicht auf ihren Gegenstand. Sie erscheint daher als dasjenige, was in allen Gebieten der eigentlichen Verwaltung das Gemeinsame und Gleichartige ist. Sie ist daher der allgemeine Theil der Verwaltung, und die Lehre von der vollziehen- den Gewalt als allgemeine Grundlage jeder besondern Vollziehung in den einzelnen Gebieten der Verwaltung ist der allgemeine Theil der Verwaltungslehre . Die drei Gebiete der Verwaltung zusammengenommen bilden nun die Thätigkeit des Staats, insofern sie bestimmte Aufgaben hat, und daher durch die Natur und Gewalt derselben bedingt erscheint. Wir nennen die Gesammtheit derselben die eigentliche Verwaltung . Die eigentliche Verwaltung, ist daher der besondere Theil der Verwal- tung im weitesten Sinn; aber sie erscheint nur in den drei großen Grundformen der Verwaltung, der Finanz-, Rechts- und innern Ver- hältnisse des Staats. Sie hat daher wieder keinen Inhalt für sich; ihr Inhalt sind diese drei Gebiete. Es gibt daher auch keine eigentliche Verwaltungslehre, sondern nur eine Verwaltungslehre der Staatswirth- schaft, der Rechtspflege und der innern Verwaltung. Allen diesen drei Gebieten liegt nun wieder die vollziehende Gewalt zum Grunde; sie enthalten diejenige Gestalt und Anwendung der vollziehenden Ge- walt, welche sie vermöge der Besonderheit ihrer Aufgaben fordern und erzeugen. Vielleicht ist es dienlich, namentlich auch um die fast ganz all- gemeine Unklarheit über den Begriff der innern Verwaltung und die beständige Verwechslung derselben bald mit der Verwaltung im weitesten Sinne, bald mit der eigentlichen Verwaltung zu beseitigen, und endlich eine feste Grundlage auch für die Grundbegriffe und Kategorien des öffentlichen Rechts zu gewinnen, diesen Organismus der Begriffe hier zu schematisiren. Derselbe stellt sich in folgender Weise dar. Stein , die Verwaltungslehre. I. 2 Die Aufgabe des folgenden Systems ist es nun, den allgemeinen Theil der Verwaltung im weitesten Sinne oder die Lehre der vollziehen- den Gewalt nach all ihren Seiten und Ordnungen darzustellen. Und, da die Finanzverwaltung in der Finanzwissenschaft, die Rechtspflege in Rechtslehre und Proceß ohnehin dargelegt wird, so bleibt als zweites Gebiet unserer Aufgabe die innere Verwaltungslehre übrig. Wir geben demnach zuerst den ersten Theil der Verwaltungslehre im wei- testen Sinn, und dann den letzten Theil, es dem Leser überlassend, die beiden mittleren Gebiete durch die bestehenden Bearbeitungen aus- zufüllen. Dies nun wird seine definitive Gestalt empfangen, indem wir den Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts damit verbinden. Verfassung, Regierung und Verwaltung . — Vielleicht auf keinem Punkte der ganzen Staatswissenschaft zeigt sich das, was wir das, der deutschen Theorie überhaupt eigenthümliche Widerstreben gegen Annahme fester Begriffe und Ausdrücke nennen müssen, so sehr, als in dem Ausdruck Verwaltung und Regierung . Die Grundlage der ganzen obigen Auffassung, einerseits der Unterschied zwischen Verfassung und Verwaltung, im weiteren Sinn, und andererseits zwischen Regierung (als allgemeiner) und eigentlicher Verwaltung (als besonderer) Thätigkeit des Staats ist keineswegs neu; allein so klar diese Unterschiede auch ausgesprochen werden, so hat man sie doch nicht festhalten können. Vielleicht daß die Bezeichnung der Gründe, welche die Unsicherheit der Ausdrücke erzeugten, dazu beitragen werden, sie endlich selbst mit all ihren Uebelständen zu erkennen. Während wir den Unterschied und die ganze Lehre von den Gewalten den Franzosen verdanken, gehört die im Grunde weit wich- tigere Unterscheidung von Verfassung, Regierung und Verwaltung der deutschen Wissenschaft, welche sie leider nicht gehörig entwickelt hat. So viel wir sehen, hat sie Schlözer zuerst sehr klar aufgestellt ( Staatsgelahrtheit 1793, §. 3): „aus den Zwecken des Staats ergeben sich sowohl die Geschäfte des Staats ( Staatsverwaltung ), als die zu deren Betreibung nothwendigen Rechte und Pflichten der Regierenden und Gehorchenden ( Staatsrecht )“ (eigentlich das Verwaltungsrecht im weitern Sinn; siehe unten) „sammt der unter vielen möglichen Arten beliebten besondern Einrichtung (Staatsverfassung),“ eine Unterscheidung, die er dann in seiner Theorie der Statistik (1804) weiter verfolgt. — „Hiezu haben wir eine eigene Wissenschaft, praktische Politik, Staatsverwaltungslehre oder Regierungswissenschaft — Lehre von der Staatsverwaltung, geordnete Anzeige aller Geschäfte, welche zu besorgen die Regierung Pflicht, Macht und Recht hat, und auf die Natur dieser Geschäfte oder auf Erfahrung gegründete Angabe der Mittel , wie solche Geschäfte am zweckmäßigsten besorgt werden können.“ Auf dieser Grundlage ward schon im Anfange des Jahrhunderts auch das organische Verhältniß zwischen Verfassung und Verwaltung sehr klar ausgesprochen, zuerst wohl von Gönner in seinem Unterschiede vom Constitutionsrecht (Verfassung) und Regierungsrecht (Verwaltung), in welche Theile er sein ganzes deutsches Staatsrecht theilt, während das wahre Princip ihres gegenseitigen Verhaltens vielleicht zuerst auf- gestellt wird von dem trefflichen Malchus (Organismus der Behörden für die Staatsverwaltung , 1821, 2 Bände), der den so einfachen und klaren Satz aufstellt, „daß kein Staat ohne Verfassung seyn kann, die Ver- fassung aber die Richtschnur der Verwaltung, diese letztere die Ausführung der ersteren sey“ (s. unten). Damit war die eigentliche Grundlage der organischen Staatswissenschaft gewonnen; allein noch fehlte die allerdings nothwendige Unter- scheidung zwischen Regierung und Verwaltung. Diese stellte zuerst Zachariä in seinen 40 Büchern vom Staate auf (Thl. 3, S. 72) und zwar ganz wesent- lich so wie wir; und diese Unterscheidung ward dann von Pölitz aufgenommen (Thl. I. S. 216): „Der Begriff der vollziehenden Gewalt zerfällt in zwei Haupt- theile, in das Regieren und das Verwalten , in wiefern unter dem Re- gieren der Oberbefehl über die Vollziehung der bestehenden Gesetze und die Oberaufsicht über alle Zweige der Verwaltung, unter der Verwaltung da- gegen die Vollziehung der Gesetze in den einzelnen Kreisen und Verhältnissen des inneren Staatslebens verstanden wird. Bei dieser Unterscheidung zwischen Regieren und Verwalten bezieht sich das erste auf das gesammte Gebiet des Staats, das zweite auf die örtlichen Verhältnisse.“ Allerdings sieht man in der letzten Bestimmung den Einfluß der französischen Unterscheidung zwischen Gouvernement und Administration, welche freilich, so viel uns bekannt, nirgends genauer untersucht ist; im Gegentheil hat man in neuester Zeit das Gouverne- ment so ziemlich in dem höhern Begriff der Administration aufgehen lassen, s. namentlich Block , Dict. de l’administration v. Administration und Gou- vernement, und Block , Dict. de Politique v. Gouvernement. Demnach war mit den obigen Begriffen eine ganz feste Grundlage gewonnen. Allein nun entstand die Schwierigkeit, dieselben für das deutsche positive Staatsrecht zu gebrauchen. Hier nun erscheint zuerst die deutsche Unklarheit über Wesen des Unterschieds zwischen Verfassung und Verwaltung, die Mohl , Encyclopädie der Staatswissenschaft S. 136 gut charakterisirt, wenn sie auch nicht gerade, wie er meint, durch den Einfluß nordamerikanischer Auffassung entstanden ist. Der eigentliche Grund war vielmehr der auch noch jetzt nicht behobene Mangel eines Begriffes von Gesetz und Verordnung (s. unten). Dann zeigen sich mit einer fast pedantischen Hartnäckigkeit die alten Begriffe der Hoheitsrechte, und er- scheinen den Staatsrechtslehrern, namentlich Gönner , als der Inhalt der „Regierungsgewalt,“ während von einer eigentlichen Verwaltung gar keine Rede war. Andererseits verfiel die Hauptthätigkeit auf das Bundesrecht, das wunderlicher Weise als Haupttheil „des deutschen allgemeinen Staatsrechts“ be- trachtet ward. Der Bund aber hatte weder zu verwalten noch zu regieren. Der Gründer des deutschen Bundesrechts, Klüber , wußte daher mit beiden Begriffen gar nichts anzufangen, und warf Hoheitsrecht, Regierung, Verwaltung und die einzelnen Gebiete der letztern so gründlich durcheinander, daß es nicht möglich war, weder seine Meinung zu erkennen, noch sich eine eigene zu bilden. Von da an sehen wir daher die Verwirrung aller Begriffe und das gänzliche Verschwinden der obigen klaren Unterschiede entschieden, um so mehr als in den Hauptstaaten überhaupt keine Verfassung bestand. Die Nachfolger, Maurenbrecher, Za- chariä (Göttingen), Leist , haben sich von dieser Verwirrung nicht frei zu machen gewußt, weil auch ihnen die erste Basis, Gegensatz von Verfassung und Verwaltung, fehlte. Nur Zöpfl (Staatsrecht II. ) unterscheidet sehr gut Regierung und Verwaltung, aber ohne für die Darstellung seines Staatsrechts irgend eine Consequenz daraus zu ziehen, §. 344, wogegen wieder Held in seiner Verfassungslehre II. 450 kämpft. (S. übrigens über beide Begriffe unten.) Die Bearbeitungen der einzelnen Staatsrechte, zuerst Mohl , Württemb. Staats- recht, dann Moy und Pötzl , Bayr. Staatsrecht, kamen allerdings wieder zu jenem Unterschied, aber sie verloren dabei den Begriff der Regierung , da dieser nicht in objektiv geltende Bestimmungen zu fassen war. So sind wir jetzt gezwungen, gleichsam von vorne anzufangen. Und allerdings kann es nicht genügen, dieß bloß mit Definitionen zu thun. Wir haben zu versuchen, diese bisher abstrakten Begriffe mit einem concreten und praktischen Inhalt zu er- füllen. Das kann aber nur durch das Recht und seine Darstellung geschehen. Begriff und Gebiete des öffentlichen Rechts. In der bisherigen Darstellung haben wir nun den Begriff des Staats in den Grundformen seiner organischen Gestaltung dargelegt. Wenn wir jetzt vom Leben des Staats reden, so bezeichnet uns dieser Ausdruck nicht länger jenes unbestimmte Etwas, das wir die Unter- werfung des gegenständlichen Daseins unter die persönliche Bestimmung des Staats nennen. Das Leben des Staats ist jetzt ein Proceß, den wir in seinen organischen Elementen verfolgen können. Der Staat, in der Mitte der wirklichen Dinge stehend, bestimmt die Ordnung und das Ziel seines wirklichen Daseins durch seinen Willen, indem er vermöge der Berathung zum Schluß kommt, und dieser bestimmte Wille, indem er sich auf den wirklichen Inhalt des Staatslebens bezieht, oder das Gesetz des Staats, bestimmt die Thätigkeit der Vollziehung, die wieder in der wirthschaftlichen, der rechtlichen oder der innern Aufgabe als Verwaltung erscheint. Das sind die absoluten Formen des Staatslebens. Kein Theil dieses Lebens ist für sich denkbar; es gibt keine Gesetzgebung ohne Vollziehung, keine Vollziehung ohne Verwaltung, keine Verwaltung ohne Vollziehung und Gesetzgebung; es gibt kein Gesetz , das nicht zuletzt in den einzelnen Zweigen der Verwaltung erschiene. Alle jene Begriffe sind daher nur selbständige Momente in dem großartigsten aller Lebensprocesse, die es gibt, im Staatsleben. Demnach mangelt hier ein Begriff, und das ist der des Rechts für das Verhältniß dieser Momente unter einander. Das nämlich ist das höhere Wesen des Staats, daß er nicht bloß selbst eine Persönlichkeit ist, sondern daß auch seine Organe, indem sie selbständig wirksam sein müssen, und daher eines selbständigen und selbstthätigen Willens bedürfen, den Charakter eines persönlichen Da- seins empfangen. Neben dem innern geistigen Zusammenhang mit dem Ganzen muß jeder selbständige Theil die Fähigkeit besitzen, auch selb- ständig zu wirken, um durch sich selbst in seinem Kreise die Idee des Staats zu verwirklichen. Indem er das thut, fordert er für das Maß seiner Thätigkeit eine geltende Gränze. Die Bestimmung dieser Gränze enthält das organische Verhältniß, in welchem die letztere zu dem Leben des Ganzen steht. Es ist wahr, daß diese Gränze an sich in dem speziellen Wesen des besondern Organes liegt; allein sie muß, da das letztere äußerlich thätig erscheint, auch eine äußerlich feststehende, objektiv gültige sein. Diese Gränze der Thätigkeit jeder der oben erwähnten Organe, innerlich bedingt durch das Wesen seiner besondern Funktion im Gesammtorganismus und äußerlich als objektiv von der Einheit des Staats anerkannt, ist nun das öffentliche Recht des Staats. Das öffentliche Recht des Staats, durch und für die Selbständig- keit jener organischen Funktionen des Staats gesetzt, enthält daher kein System für sich, sondern es schließt sich einfach an das organische Sy- stem des Staates selbst an, und seine Gebiete sind dieselben mit denen des Staatslebens. Dieß System des öffentlichen Rechts ist daher ein- fach und leicht verständlich in seiner formellen Gestalt. Das erste Gebiet ist das Recht des Staatsoberhaupts, welches die im Wesen desselben liegenden Funktionen zur rechtlichen Bedingung jedes Aktes der Staatspersönlichkeit macht. Das zweite Gebiet ist das Recht der Gesetzgebung, welches die Formen der Bildung des Staatswillens rechtlich zur Bedingung der An- erkennung desselben als Staatswille erhebt. Das dritte Gebiet kann man nach den Obigen das Verwaltungsrecht im weitesten Sinne nennen, das wieder als seinen allgemeinen Theil das Recht der Vollziehung oder wie man gewöhnlich sagt, das Recht der voll- ziehenden Gewalt, und als seinen besondern Theil das Recht der Finanz- verwaltung, der Rechtspflege und der innern Verwaltung enthält, die man zusammengenommen als das Verwaltungsrecht im engeren Sinne bezeichnet. Diese Begriffe sind nun wohl sehr einfach und bedürfen keiner Er- klärung. Dennoch herrscht hier eine große Unklarheit; und um diese zu erläutern, müssen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge- bildet hat. Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung des Ausdrucks „Verwaltungsrecht.“ Wie nun dieß öffentliche Recht an sich nothwendig ist, so gibt es für den Staat und sein Leben auch verschiedene Grundformen, in denen es sich bildet. Es muß hier genügen sie kurz zu bezeichnen. Die erste dieser Grundformen entsteht durch die Erkenntniß des Wesens des Staats und seiner Elemente. Wie das Recht selbst die Consequenz des Wirkens und des Wesens dieser Elemente ist, so ent- steht aus der wissenschaftlichen Entwicklung derselben im Bild des öffent- lichen Rechts, in allen seinen Theilen, das seine Wahrheit nicht in der thatsächlichen Geltung desselben, und seinen Einfluß nicht in der un- mittelbaren Anwendung sucht, sondern vielmehr in der Wirkung, welche es auf Verständniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel- tung und Anwendung geben sollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht an sich erzeugt, nennen wir die Wissenschaft oder Philosophie des öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenstande das gesammte Ge- biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben- dige Wesen des Staats an sich, ohne Berücksichtigung der Verhältnisse des für sie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens. Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Basis. Das Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abstrakten Begriffe der Wissenschaft warten, und auch nicht dieselben unbedingt annehmen. Es bildet sich dasselbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige, zunächst von selbst. Es entsteht gleichsam durch Druck und Gegendruck der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieselbe, die dann mit diesen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate so ver- schmilzt, daß sie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen zu einem Geltenden wird. Das ist der Proceß, den man als die historische Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente, welche diese historische Bildung des öffentlichen Rechts beherrschen, sind, wie alles Daseiende, zweifacher Natur: ein persönliches, und ein natür- liches. Das große Element des persönlichen Lebens, das die historische Bildung des öffentlichen Rechts beherrscht, ist das, was wir die mensch- liche Gesellschaft nennen. Aus ihm ergibt sich der Satz, den wir als das entscheidende Gesetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an einem andern Orte entwickelt haben (Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Gesellschaftsordnung ihr eigenes öffentliches Recht erzeugt, und auch nur das ihr entsprechende öffentliche Recht erträgt. Diesem großen Gesetz der innern Staaten- bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geschichtlichen Darstellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es ist mächtig genug, das zweite Element, das natürliche Dasein des Staats, die Landes- und Volksgestaltung, zu beherrschen; dennoch wirkt auch dieses in seiner Weise, und so entsteht durch das Ineinandergreifen beider Faktoren das historisch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes Staats; und das Verständniß dieses Zusammenwirkens erzeugt die Wissenschaft der Geschichte desselben, die nicht bloß zu erzählen, son- dern die Erscheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem sie jeden bestimmten Zustand des öffentlichen Rechts als die nothwendige, und in den Hauptfragen sogar sehr einfache Consequenz des Wirkens jener beiden Faktoren zeigt. Diese Wissenschaft ist bis jetzt, mit Aus- nahme dessen was Aristoteles in seiner Politik gesagt, noch in ihrem ersten Anfange. Sie ist bestimmt, die ganze Geschichte umzugestalten. Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entsteht dagegen, indem dasselbe, als das wesentlichste Element des Gesammtlebens der Menschheit, nicht mehr bloß der Wirksamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele- mente überlassen, sondern selbst zum Gegenstande der Selbstbestimmung der staatlichen Persönlichkeit, das ist der Gesetzgebung , gemacht wird. Hier nun beginnt ein wesentlich verschiedenes Gebiet von Erschei- nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß- liche Bedingung für das richtige formelle Verständniß aller bisherigen, wie der folgenden Begriffe angesehen werden muß. Es kann nämlich zuerst die Willensbestimmung des Staats oder das Gesetz — noch ganz gleichgültig gegen die besondere Bedeutung dieses Wortes — eben jenes organische Verhältniß der Hauptelemente des Staats selbst, also des Staatsoberhaupts, der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, zum Gegenstande des Staatswillens machen, und damit die im Gesetze ausdrücklich enthaltene und vorgeschriebene Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen Rechte erheben. Ein solches, den Organismus des Staatslebens in seinen Grundlagen rechtlich feststellendes Gesetz nennen wir die Ver- fassung . Diese Verfassung wird ihrerseits stets theils auf den Ele- menten beruhen, welche die Wissenschaft bietet, theils auf den Rechts- bildungen des historischen Rechts. Immer aber fordert die Verfassung, daß sie, so weit sie mit ihren Bestimmungen reicht, als ausschließliche Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig sei. Während auf diese Weise der Ausdruck „Verfassung“ im Allge- meinen alle Gebiete des öffentlichen Rechts umfaßt, liegt es dennoch im Wesen der Sache, daß er sich hauptsächlich auf das öffentliche Recht der Bildung des Staatswillens oder der gesetzgebenden Gewalt beziehe. In diesem Sinne nennen wir die gesetzlich bestimmte Ordnung für die Bildung des Staatswillens die Verfassung im eigentlichen Sinn . Sie umfaßt alsdann wesentlich zwei Gebiete: erstens die Be- stimmung des organischen Processes, durch welchen sich aus der Ge- sammtheit der Staatsbürger der Staatswille bildet, namentlich die Ordnung der Volksvertretung ; zweitens das Verhalten des Willens oder der Thätigkeit dieser Volksvertretung zum Staatsoberhaupt . Diese beiden Theile muß jede Verfassung bestimmen. Ein weiteres braucht sie nicht zu enthalten. In der That liegt es schon im Begriffe des Staatswillens, daß das dritte Gebiet des Staatslebens, die Ver- waltung im weitesten Sinne, den Inhalt des Staatswillens zur Ver- wirklichung bringen muß. Dazu bedarf es keines eigenen Gesetzes und keiner besondern Bestimmung der Verfassung. Es ist selbstverständlich, und sein Recht ist mit seiner Natur gegeben. Dieß organische Verhält- niß beider Potenzen bezeichnen wir nun als die Identität der Voll- ziehung mit der Gesetzgebung, als das Princip der verfassungs- mäßigen Verwaltung . Allein die speziellen Verhältnisse der Verwaltung sind natürlich dadurch nicht nur nicht von der Bestimmung des Staatswillens ausge- schlossen, sondern vielmehr demselben im Allgemeinen, und speziell in dem Verfassungsgesetze unterworfen. Das letztere kann daher mehr ent- halten als die beiden obigen Punkte, und zwar sind hier die Verfassungen sehr verschieden. Sie entscheiden theils über bestimmte Gebiete des Rechts der vollziehenden Gewalt, theils auch über bestimmte Ge- biete aus den drei Theilen des Verwaltungsrechts im engern Sinne, also aus dem Finanzrecht, der Rechtspflege, der innern Verwaltung. Insofern dieß der Fall ist — was weder nothwendig, noch wo es ist, immer gleich ausgedehnt ist — ist das Vollziehungs- und Verwal- tungsrecht ein Theil der Verfassung, oder wie wir sagen, ein verfas- sungsmäßig bestimmtes Verwaltungsrecht . Die einzelnen Verfassungen sind hier sehr abweichend in Form und Umfang ihrer Be- stimmungen. Wo nun aber dieß nicht der Fall, und dennoch die Gesetzgebung des Staats selbständig thätig ist, da kann sie, sowohl wenn gar kein verfassungsmäßiges Verwaltungsrecht in dem obigen Sinne existirt, als auch wenn es zwar als Theil der Verfassung aber nicht ausgebildet, oder gar nur unbestimmt angedeutet ist, wiederum die einzelnen Thätigkeiten und Aufgaben der Verwaltung im engern Sinne in allen ihren drei Gebieten zum Gegenstand der Gesetzgebung machen. Wo das geschieht, da ist eigentlich formell genommen kein verfassungsmäßiges — einen Theil der Verfassungsurkunde bildendes — Verwaltungsrecht vorhanden, sondern vielmehr nur Verwaltung sgesetze ; und das auf diese Weise durch einzelne Gesetze gebildete Verwaltungsrecht können wir im Unterschiede vom obigen das gesetzliche Verwaltungsrecht nennen. Ferner aber wird weder das verfassungsmäßige noch auch das ge- setzliche Verwaltungsrecht immer alle Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, geschweige denn die Thätigkeiten derselben im engern Sinne bestimmen. Theils sind die letzteren zu vielfältig, theils sind sie zu sehr wechselnder, und endlich örtlich bedingter Natur. Dem- nach bedürfen diese Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, also sowohl die der Vollziehung als die der einzelnen Gebiete, eines Willens, der sie ordnet. Da nun für sie kein Gesetz im engern Sinne, als von dem gesammten organischen Staatswillen bestimmt, vorhanden ist, so muß sich die vollziehende Gewalt im Namen des Staats ihren Willen für den einzelnen Fall selber bestimmen. Ein solcher Willens- akt der letzteren heißt die Verordnung . Die Verordnungen der voll- ziehenden Gewalt erzeugen daher gleichfalls ein Recht für die einzelnen Gebiete der Verwaltung im engern Sinne, also für die Finanzen, des Rechts und des Innern. Und das aus solchen Verordnungen entstehende und die Thätigkeit der gesammten Verwaltung überhaupt erst ausfüllende Recht der letzteren nennen wir mit einem Worte das verordnungs- mäßige Verwaltungsrecht . Auch diese Begriffe dürfen wohl sehr einfache genannt werden. Dennoch reichen auch sie nicht aus. Denn in manchem Falle ist für ein Verhältniß der Vollziehung oder Verwaltung weder ein verfassungs- mäßiges, noch ein gesetzmäßiges, noch selbst ein verordnungsmäßiges Verwaltungsrecht im weitern Sinne vorhanden. Hier tritt daher zu- erst die historische Rechtsbildung ein, und erzeugt ein gegebenes Recht, und wo ein solches nicht vorhanden, muß endlich die Wissenschaft der Verwaltung das mangelnde geltende Recht durch die von ihr zu ent- wickelnde Natur der Sache ersetzen. Diese Wissenschaft des Rechts, für das geltende Recht stets die letzte Quelle, bildet nun allerdings für das Werden dieses geltenden Rechts oder für die Gesetzgebung die erste Quelle; denn das wahre Recht aller Lebensverhältnisse, und so auch das des Staatslebens, ist zuletzt immer die wahre Natur derselben, deren Erkenntniß das Wesen und den Inhalt der Staatswissenschaft bildet. — Und dieß ist somit das System der rechtsbildenden Kräfte für das geltende Recht der Vollziehung und Verwaltung. Es wird nun daraus einleuchten, weßhalb der Ausdruck „Verwal- tungsrecht“ ein so äußerst vieldeutiger und unklarer ist. Einerseits ver- wechselt man ihn mit dem Verfassungsrecht, oder schiebt ganze Theile des Verwaltungsrechts in das Verfassungsrecht hinein, weil sie von verfassungsmäßig zu Stande gebrachten Gesetzen geordnet sind, wie z. B. das Gemeinde- und Vereinsrecht, das Zwangsrecht u. A., oder gar unmittelbar in die Verfassungsurkunde aufgenommen sind, wie zum Theil das Recht der Verantwortlichkeit. Andererseits verwechselt man Verwaltung und Vollziehung, indem man unter Verwaltungsrecht nur das Vollziehungsrecht versteht. — Dann versteht man wieder unter Verwaltungsrecht eben gar nicht mehr das Recht, sondern die Ordnung der Anstalten der Verwaltung, die aus ihrem Zwecke hervorgeht, und daher der Verwaltungslehre gehört. — Endlich begreift man unter Verwaltungsrecht nur das innere Verwaltungsrecht, indem man nicht bloß die ganze Vollziehung in die Verfassung stellt, sondern das Finanz- recht und das Recht der Rechtsverwaltung als ganz selbständig betrachtet. In dieser Verwirrung sowohl der Begriffe als der Terminologie ist keine andere Hülfe möglich, als daß man sich über den Sinn der einzelnen Ausdrücke einmal für allemal verständige. Hat man das gethan, dann ist es wieder nicht von Bedeutung, ob man z. B. einen Theil des Voll- ziehungsrechts in der Verfassung abhandelt, oder die innere Verwal- tung hier oder dahin stellt. Wir müssen aber strenge darauf bestehen, daß man in der Sache selbst die obigen Unterscheidungen festhalte. Soll es jemals eine Wissenschaft der Verwaltung und demgemäß des Verwaltungsrechts geben, so muß der Organismus der obigen Funktio- nen und des ihnen entsprechenden Rechts zum Grunde gelegt werden. Und in der That ist das sehr leicht bei etwas gutem Willen; denn alle obigen Begriffe und Unterscheidungen sind bereits vorhanden , und nur ihr gegenseitiges Verhältniß ist dasjenige, warum es sich handeln kann. Faßt man nun die ganze bisherige Darstellung zusammen, so scheint es, als lasse sich nunmehr das Gebiet der Aufgaben, welche eine Lehre vom Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat, ziemlich leicht und durchgreifend bestimmen. Das Verwaltungsrecht im weitern Sinne umfaßt das gesammte öffentliche Recht der Thätigkeit des Staats, und beginnt so- mit auf dem Punkte, wo der Wille des Staats zur That werden soll, oder wo das Wesen oder der gegebene Zustand des Staats Wille und That gleichzeitig erfordert, ohne daß ein eigentliches Gesetz vorhanden ist. Dieß Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat an und für sich, das heißt noch ohne in seine einzelnen Elemente aufgelöst zu sein, nur einen principiellen Inhalt, für den es sogar ganz gleichgültig ist, ob er zur gesetzlichen Gültigkeit erhoben oder in der Verfassung ausgespro- chen ist oder nicht. Die Verwaltung soll mit Wesen und Willen des Staats in Harmonie stehen, und zwar soll sie das sowohl mit ihrem Willen — der Verordnung — als mit ihrer wirklichen Thätigkeit. Dieses Princip umfaßt alle einzelnen folgenden Gebiete; dasselbe gilt unbedingt für sie, ob es ausgesprochen ist oder nicht; es ist die Seele der That des Staats in all ihren Formen. Die Verwaltung im wei- testen Sinn zerfällt in die Vollziehung und in die eigentliche Verwaltung. Jedes dieser Gebiete hat dann wieder nicht bloß sein Recht, sondern diese Rechte empfangen ihrerseits alle oben bezeichneten Kategorien. Es gibt daher zuerst ein Recht der Vollziehung oder der vollziehen- den Gewalt; und dieß Recht wird wieder ein verfassungsmäßiges, ein gesetzliches, ein verordnungsmäßiges, ein historisches, und endlich ein wissenschaftliches sein. Es ist dasselbe ein Leben für sich, und die Auf- gabe des folgenden Werkes ist es, dasselbe nach all diesen Seiten hin zu entwickeln. Es ist das Recht der Vollziehung, insoweit sie nur noch Wille und Organ ist, noch nicht das Recht der einzelnen concreten Thätigkeit. Es gibt dann ein Recht der Verwaltung im eigentlichen Sinn, in- sofern dieselbe jene drei Gebiete umfaßt. Da dieselbe aber nur in diesen drei Gebieten besteht, so hat jenes Recht der Verwaltung im engern Sinn, insofern man von einer solchen neben den drei Theilen reden will, die ihren Inhalt bilden, ebenso wenig einen positiven In- halt, als das Recht der Verwaltung im weitern Sinne. Es besteht dasselbe alsdann nur in dem für alle drei Gebiete gemeinschaftlichen Princip , daß das Recht der letzteren so weit gehen muß, als die Be- dingungen für die Funktionen der Verwaltung es im Einzelnen fordern, und durch welche sie selbst erst möglich werden. Dieses Princip steht jedoch unter dem höheren der verfassungsmäßigen Verwaltung, d. h. das Recht aller eigentlichen Verwaltung hört da auf, wo ein bestimm- tes Gesetz ihm eine Gränze zeichnet, selbst dann, wenn sie dadurch un- möglich werden sollte. Dieß allgemeine Princip wird nun zur Grund- lage für die drei Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts. Es gibt nämlich darnach ein Finanzrecht, ein Recht der Gerichte, und ein inneres Verwaltungsrecht; und zwar ist jedes dieser Rechte wieder entweder unmittelbar in der Verfassung, oder durch eigene Ge- setze, oder durch Verordnungen bestimmt, oder ein historisches, oder ein theoretisches; fast immer haben alle diese Rechtsquellen Theil an jedem Theil dieser Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts. Jedes dieser Rechtsgebiete bildet daher eine Wissenschaft für sich . Allein da diese Rechtsbestimmungen wenigstens zum Theil in vielen Verfassungen vor- kommen, so geschieht es auch, daß man sie in der Verfassungslehre dar- stellt. In diesem Falle kann man von einer legalen Darstellung des Verwaltungsrechts im weitern wie im engern Sinne reden. Stellt man sie dagegen auf Grundlage ihrer inneren Natur als selbständige Er- scheinungen dar, so kann man von einer systematischen Darstellung sprechen. Jede hat ihre Eigenthümlichkeit und ihren Werth; nur wird die legale ohne die systematische nie ein Bild des organischen Ganzen, die systematische ohne die legale nie eine vollständige Erkenntniß des Einzelnen geben. Das wahre Verhältniß ist, daß stets beide, aber niemals die eine ohne ein lebendiges Bewußtsein vom Wesen und Werth des andern bearbeitet werden. — Die Aufgabe des Folgenden besteht nun darin, den ersten und allgemeinen Theil der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts, die Vollziehung und das Recht der vollziehenden Gewalt in systemati- scher Methode darzustellen. Es wird nun wohl schon durch das Obige klar sein, weßhalb es uns an einem irgendwie ausreichenden Begriff des Verwaltungsrechts mangelt. Die erste Voraussetzung desselben wäre offenbar eine Bestimmung des Begriffes der Verwaltung, und diese fehlt entweder gänzlich, wie bei den Lehren des allge- gemeinen Staatsrechts, oder hat nur eine örtliche Bearbeitung, wie bei den Darstellungen der einzelnen Staatsrechte. Doch ließen sich am Ende ziemlich ausreichende Definitionen des Verwaltungsrechts aufstellen, so lange man nicht ein näheres Eingehen fordert. Die beste ist unzweifelhaft die von Pötzl , Baye- risches Verwaltungsrecht, §. 1; in ganz ähnlicher Weise fassen die Franzosen den Begriff des droit administratif auf, am einfachsten und zutreffendsten bei Block , Dict. de l’Acad., „le droit administratif est cette partie du droit qui règle les rapports des citoyens avec les services publics et des ser- vices publics entre eux.“ Allein bei beiden Begriffen liegt der Gedanke zum Grunde, daß es sich nicht um die Verwaltung im weitern Sinn, auch nicht um die im engern Sinn, sondern nur um die innere Verwaltung handelt. Vollziehung, Finanzen und Rechtspflege fallen daher nicht hinein. Die ältere, in dem Gefühle, daß die Verwaltung die gesammte Thätigkeit des Staats um- faßt, bestimmen den Begriff derselben als Regierungsrecht; später ist (s. unten) an die Stelle der vagen Vorstellung von der Regierung eine eben so vage von der „Staatsgewalt“ getreten, bei welcher dann wieder die einzelnen Gebiete der Verwaltung gänzlich verschwinden. Dagegen hat Mohl in seinem Württemb. Privatrecht das entschiedene Verdienst, in diesen allgemeinen Begriff der Ver- waltung alle Ministerien, also das ganze Gebiet der praktischen Staatsthätigkeit hinein genommen zu haben; er hat damit der Verwaltung im engeren Sinn ihren wahren Inhalt gegeben. Dafür hat er dann wieder die ganze Vollziehung hinausgedrängt und in die Verfassung gesetzt, während er den Organismus richtig in die Verwaltung und das Verwaltungsrecht aufnimmt. In seiner Encyclopädie ist dann der Begriff des Verwaltungs rechts wieder in dem der Verwaltungs- thätigkeit untergegangen (§. 33). Bei den constitutionellen Staatsrechtslehrern, Ancillon und Aretin , verschwindet das Verwaltungsrecht, weil das damalige Princip des Constitutionalismus darauf hinauslief, der vollziehenden Thätigkeit jede Selbständigkeit gegenüber der Gesetzgebung zu bestreiten. Bei Pölitz bleibt die Verwaltung, aber es gibt kein Verwaltungsrecht. Bei Zachariä ist eine vollständige Lücke; Zöpfl , befangen in der Meinung, daß das Detail die Haupt- sache sei, zählt das Regierungsrecht zur Verfassung, und bestimmt das Verwal- tungsrecht als „den Inbegriff der Rechtsnormen, welche sich auf die Ausübung der Staatsgewalt, respektive der einzelnen Hoheitsrechte beziehen“ — ohne irgendwie die Sache weiter zu untersuchen. Gerstner vergißt geradezu den Begriff des Rechts der Verwaltung über den Inhalt und die Aufgabe derselben, gerade wie die sogenannten Polizeiwissenschaften von Mohl und Beer ; die ältern, wie Berg, verwechseln wieder Polizeirecht und Verwaltungsrecht. Man darf das nicht so hoch anschlagen, denn auch die beiden Arbeiten, welche speziell mit dem „Verwaltungsrechte“ zu thun haben, Hoffmann (über den Begriff des Verwaltungsrechts, Tüb. Zeitschr. I, 90 ff.) und Mayer (Grundsätze des Verwaltungsrechts, 1862) kommen zu keinem Resultate. Hoffmann läßt uns sogleich jede Hoffnung auf ein Verwaltungs recht aufgeben; ihm ist dasselbe ge- radezu nur die Verwaltungs lehre , das ist, „diejenigen Normen und Einrich- tungen des Staats, welche sich auf die Realisirung der in der Verfassung und der übrigen Entwicklung des Staats begründeten Zwecke im Einzelnen beziehen“ — im engern Sinn ist ihm das Verwaltungs recht die Finanzlehre und die innere Verwaltung (Polizei), wie er sagt, S. 191. Zum Begriffe des Rechts , der doch Lebensverhältnisse selbständiger Persönlichkeiten voraussetzt, kommt er gar nicht. Er ist der Ausdruck der unklaren Vorstellung, welche Verwaltung und Recht als ziemlich gleichbedeutend ansehen. Mayer hat einen ganz rich- tigen Ausgangspunkt, indem er Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung mit Zöpfl scheidet (§. 1); zuerst glauben wir in der ganzen Literatur die Schei- dung von Verwaltung und Recht als nothwendig erkennt, dann aber das ganze Verwaltungsrecht auf „die zwischen der Staatsgewalt und den Einzelnen als ihren Untergebenen in Bezug auf die verschiedenen Staatszwecke“ sich bildenden rechtlichen Verhältnisse beschränkt, womit dann die großen Fragen nach den rechtlichen Principien des Verhaltens zwischen Verfassung und Ver- waltung gänzlich beseitigt sind, und ein durchaus system- und einheitsloses Zusammenstellen einzelner Sätze entsteht. Lüders hat dann eine Broschüre geschrieben: „das Gewohnheitsrecht in der Verwaltung,“ ein schöner Titel, ohne entsprechenden Inhalt. — Es scheint nutzlos, noch mehr subjektive Auffassungen aufzuführen. Es fehlt dem Verwaltungsrecht der Begriff der Verwaltungs- lehre im Allgemeinen, und in demselben die entscheidende Trennung zwischen Vollziehung und eigentlicher Verwaltung; es fehlt ihm zweitens der Begriff des Rechts , der nur durch den Unterschied von Gesetz und Verordnung ent- stehen kann, und der höchst unentwickelt ist; es fehlt endlich drittens ein klares Bild der Gebiete der Verwaltung, welche erst die Grundlage des Systems des Verwaltungsrechts bildet, namentlich die durchgeführte Bestimmung des specifischen Begriffes der innern Verwaltung. Oder, nachdem die deutsche Wissenschaft den Begriff des Staatswillens in ihrer Verfassungslehre vor- trefflich und als Muster für andre Nationen ausgearbeitet, hat sie bisher für den Begriff der That des Staats nichts, wie die Philosophie, oder nur Beiläufiges, wie das allgemeine Staatsrecht, oder Unzusammenhängendes, wie die einzelnen Untersuchungen über Verantwortlichkeit, Finanzen, Proceßrecht, Polizei und Inneres u. s. w. gethan. Hier , in der Darlegung des organischen Ganzen, liegt die Zukunft der Staatswissenschaft. — Zum Schluß möge hier die Auf- fassung Laferri è re’s in seinem Droit administratif , Livre prélim. p. 378 (5. edit.) Platz finden, die im Wesentlichen auf ganz gleicher Grundlage mit der den Franzosen eigenen einfachen, um die tiefere Begründung unbekümmerten Weise den Begriff des Vollziehungs- und Verwaltungsrechts scheidet. Er sagt: Le droit administratif a deux objets . L’un concerne le droit et le mécanisme des services publics (vollziehende Gewalt), une organisation in- térieure et détaillée; l’autre concerne les rapports de l’administration avec les citoyens pour l’exécution des lois et des décrets. Le premier objet forme la partie organique règlementaire et technique de l’administration, la deuxième constitue à proprement parler le droit administratif (die Ver- waltung im engern Sinn und das eigentliche Verwaltungsrecht). Die Lehre von der vollziehenden Gewalt. Wesen der vollziehenden Gewalt. Die Lehre von der vollziehenden Gewalt ist nur dann ihrem ganzen Inhalte nach darzustellen, wenn man dieselbe nunmehr von dem höhern von uns aufgestellten Standpunkte betrachtet. Das was wir die vollziehende Gewalt nennen, erscheint jetzt näm- lich nicht etwa bloß als diejenige Thätigkeit, welche nur die Funktion hat, den Willen des Staats äußerlich zu verwirklichen; sie ist im Gegentheil die That des Staats in höchster und weitester Bedeutung. Sie soll daher das Wesen des Staats zur Verwirklichung bringen, und zwar innerhalb der Welt der äußern Thatsachen. Sie ist daher nicht nur kein isolirtes, und noch weniger ein untergeordnetes Glied. Sie umfaßt nicht bloß äußerlich das Staatsleben auf allen Punkten mit ihren materiellen Wirkungen, sie ist nicht bloß allgegenwärtig in dem- selben, allgegenwärtiger sogar als der bestimmte Wille des Staats, das Gesetz; sie reicht nicht bloß vom Staatsoberhaupt bis zum untersten Staatsdiener wie eine große organische und doch einheitliche Macht, sondern sie ist zuletzt das Organ der gesammten positiven Verwirklichung der Staatsidee. Sie kann darum ihrer wahren Aufgabe nicht durch einen mechanischen Dienst gegenüber dem Gesetze genügen; sie muß viel- mehr von dem Wesen, von den Forderungen, von den Zielen der Staats- idee innerlich durchdrungen sein, immer eben so sehr, oft noch lebendi- ger als die Gesetzgebung, weil sie die Staatsidee mitten unter den Verschiedenheiten örtlicher und zeitlicher Zustände festhalten soll; ja sie muß beständig das Gesetz ersetzen, über dasselbe hinausgehen, es im Grunde noch breiter auffassen als die Gesetzgebung selbst, denn wo das Gesetz mangelt, da ist sie selbst die höchste Gewalt. Es ist daher nichts unverständiger, als von einer Unterordnung der Vollziehung unter das Gesetz zu reden, denn das Gesetz ist ja selbst nur ein formeller Ausdruck dieser Staatsidee in einem einzelnen Gebiete, eine Seele, welcher erst die Vollziehung mit ihrem Verständniß der wirklichen Dinge und ihrer Postulate den Körper gibt. Die halbe Mißachtung und das Mißtrauen gegen die Vollziehung sind daher nur historisch zu erklären; in Wahr- heit ist die Funktion derselben eine jedenfalls nicht leichtere, und eben so ernste, als die der Gesetzgebung. Wer das Staatsleben begreifen will, sollte sich als erste Aufgabe diese Anschauung des hohen Berufes der Vollziehung in diesem Sinne eigen machen. Nur dieß Verständniß kann aller Thätigkeit, welche dazu gehört, die geistige Spannkraft und Trag- weite geben, deren sie gerade in unserer Zeit bedarf, wo der historische Standpunkt, auf welchem wir stehen, es mit sich gebracht hat, daß man stets geneigt ist, alles Gute was geschieht, der Gesetzgebung, und alles Ueble der Vollziehung zuzuschreiben. Die folgende Darstellung wird zeigen, daß diese allgemeinen Sätze auch im Einzelnen ihre volle Berechtigung finden. Die ganze Lehre von der Vollziehung muß nämlich in zwei Theile zerfallen, die im Wesen der That liegen. Jede That erscheint nämlich zuerst als Kraft , und dann als Mittel der Ausführung. Beide, Kraft und Mittel, sind aber in der Persönlichkeit des Staats nicht wie bei dem einzelnen Menschen ununterscheidbar verschmolzen; das höhere Wesen der Persönlichkeit des Staats zeigt sich auch hier darin, daß beide Momente der That nicht bloß abstrakt in der Theorie geschieden werden, sondern in der Wirklichkeit geschieden sind. Und jedes dieser Momente zeigt sich bei näherer Betrachtung wieder als ein System von Begriffen, deren Darlegung einen reichen Inhalt bietet, und die wiederum für das ganze Gebiet der eigentlichen Verwaltung gültig sind . Die Darstellung dieser, als selbständig gedachten Kraft des Staats, oder der vollziehenden Gewalt , in allen ihren einzelnen Momenten nennen wir kurz das Recht der vollziehenden Gewalt, weil sich diese Selbständigkeit sowohl des Ganzen als der einzelnen Momente, die es bilden, erst am Rechte bestimmt und äußerlich scheidet, und das Verständniß des Rechts zum Verständniß der Natur derselben führen muß. Das Mittel aber, dessen sich diese Kraft bedient und in welchem sie lebt, ist das Organ der Vollziehung. An sich bedarf die Voll- ziehung des Staats wie jede Kraft eines Organes, und es ist nicht schwer, es von der Kraft äußerlich zu trennen. Allein in dem groß- artigen persönlichen Leben des Staats tritt diese vollziehende Gewalt nicht als ein einzelnes Organ, sondern vielmehr als ein System von Organen , darin jedes wieder in Gestalt und Umfang bedingt ist durch das Objekt, welche die Vollziehung ihm übergeben hat, um den Staats- willen in ihm zu vollziehen. Die Bildung dieses Organismus der voll- ziehenden Gewalt hat wieder ihre besondere Gesetze; immer aber ist der Organismus der Träger des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren einzelnen Gebieten. Der Organismus derselben ist daher ein selbstän- diges Gebiet, und bildet neben dem Rechte der vollziehenden Gewalt den zweiten Theil der allgemeinen Verwaltungslehre. Man kann nun als dritten Theil der letztern die Darstellung des positiven Rechts und des positiven Verwaltungsorganismus hinstellen. Es wird aber zweckmäßig sein, diesen Theil mit den beiden andern so zu verschmelzen, daß sie zugleich eine vergleichende Darstellung des Gel- tenden bilden. Darnach nun ist in dem Folgenden zu Werke gegangen. Auf diese Weise werden wir nun, indem wir die Lehre von der Vollziehung in das Recht der vollziehenden Gewalt und in den Orga- nismus derselben theilen, diese ganze Lehre als ein künftig selbstän- diges Gebiet der Wissenschaft, und als die allgemeine Grundlage der Lehre von der Verwaltung im eigentlichen Sinne und ihrer drei Ge- biete betrachten dürfen. Dieß im Einzelnen auszuführen ist der Zweck des Folgenden. Begriff und historische Gestaltung der vollziehenden Gewalt . Begriff und Bedeutung der vollziehenden Gewalt sind für das ganze Staats- leben aller Völker so wichtig, daß wir gezwungen sind, denselben eine eigene Betrachtung zu widmen, obwohl dieselbe eigentlich in die Verfassung gehört. Um aus der großen Verwirrung hinauszukommen, die in dieser Beziehung herrscht, muß man über gewisse Punkte erst einig sein. Erstlich , daß es sich bei der vollziehenden Gewalt im Sinne des verfassungsmäßigen Staatsrechts und seiner Geschichte nicht um die trias politica des Aristoteles, sondern um etwas ganz anderes handelt, wie es sich gleich zeigen wird. Zweitens , daß es nicht möglich ist, zu einem klaren Begriffe zu gelangen, so lange man die Vollziehung mit der ganzen Verwaltung verschmilzt, wie das so oft geschieht, oder gar so lange man sie nur als die Zwangsgewalt betrachtet. Drittens endlich, daß die deutsche Literatur durch das Aufnehmen des Begriffs und des Inhalts der einzelnen Hoheitsrechte und der Verschmelzung mit den im abstrakten Wesen des Staats liegenden Gewalten nur Verwirrung erzeugte. Dazu kommt, daß auch hier die deutsche Staatsrechtslehre in dem von ihr nicht einmal klar erkannten Widerspruch lebt, ein deutsches Staatsrecht zu bilden, welches eben nicht existirt. Diesen verschiedenen Standpunkten gegenüber muß in der histo- rischen Entwicklung die einzig wahre Basis für dieß ganze Gebiet gefunden werden. Es ist bekannt, und das Folgende wird es im Genaueren zeigen, daß die Unfreiheit der Zustände im achtzehnten Jahrhundert darin lag, daß die könig- liche Gewalt zugleich die Gesetzgebung und die Vollziehung enthielt, und daher jeder Akt der letzteren als ein gesetzlich gültiger erschien. Die unabweisbare Voraussetzung aller Freiheit ward dadurch die Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt. Diese aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß man sie erstlich von der verwaltenden und vollziehenden trennte, und zweitens den Grundsatz Stein , die Verwaltungslehre. I. 3 aussprach, daß die letztere, in dieser Trennung, nun auch der ersteren unter- geordnet sein müsse, wie die äußere Thätigkeit dem Willen der Persönlichkeit. So entstand nicht so sehr ein neues System als vielmehr ein neues Princip für die Staatsgewalten, das Princip der Herrschaft der Gesetzgebung über die Verwaltung , und dieß Princip erschien als die Basis der Frei- heit der Völker . So wie daher die Idee der Umgestaltung des öffentlichen Rechts praktisch lebendig war, ward diese Unterwerfung der vollziehenden Gewalt unter die gesetzgebende eine ihrer ersten Grundlagen, und die Formel, unter der dieß Princip zur Geltung kam, war die „Theilung der Gewalten,“ welche in der äußeren Scheidung die innere Unterordnung zum Inhalt hatte. Allein andererseits ließ es sich nicht verkennen, daß eine solche reine Unterwerfung des einen Elements unter das andere mit dem organischen Wesen des Staats, und auch mit den praktischen Bedürfnissen desselben in offenem Widerspruch stehe. Man mußte diese Unterwerfung und mit ihr die „Theilung der Gewalten“ im Begriff der Staatsgewalt wieder aufheben, die letztere als eine persönliche Ein- heit wieder herstellen, und das Staatsoberhaupt als persönlichen Träger dieser Einheit anerkennen. Das hob die Vollziehung nicht etwa auf, sondern machte sie nur zu einer bestimmten, organischen Funktion des Staatsoberhaupts. Der Begriff der vollziehenden Gewalt verschwindet daher nicht, aber dieselbe erscheint als das, was sie wirklich ist, als ein Moment in einer höhern Gewalt; und das richtige Verständniß dieses Verhältnisses läßt daher auch für dasselbe einen neuen Namen entstehen; statt der vollziehenden Gewalt tritt jetzt die Staats- gewalt auf. Damit war der Widerspruch der Theilung der Gewalten beseitigt; aber die Vollziehung war dafür als selbständiges Moment mit eigenem Rechte verloren gegangen, theils in dem unentwickelten Begriff der „Staatsverwaltung,“ theils in dem der polizeilichen Gewalt. Und auf diesem Standpunkt steht die heutige Doctrin. Die Darstellung des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung wird das im Einzelnen zeigen. Hier soll nun jener historische Proceß mit den Beweisen aus den wichtigsten Documenten, den Verfassungsurkunden, dargelegt werden. Man kann im Allgemeinen sagen, daß das Princip der wirklichen Unter- werfung der Vollziehung unter die Gesetzgebung, und damit die Uebertragung der ganzen Staatsgewalt in den gesetzgebenden Körper während des achtzehnten, die Wiederherstellung der Staatsgewalt und die Selbständigkeit der vollziehenden Gewalt während des neunzehnten Jahrhunderts gegolten hat. Das erstere ist in den französischen, das zweite in den deutschen Verfassungen zum Ausdruck gebracht. Die erste Verfassung, welche die Auflösung der Vollziehung in die Gesetz- gebung enthält, ist die Verfassung der Vereinigten Staaten vom 17. September 1787. Hier ist die gesammte Gesetzgebungs- und Verordnungsgewalt (s. unten) dem Congreß übergeben; von ihr ist die executive power geschieden Art. II, S. 1): the executive power shall be vested in a President of the United States of America. Die Verfassung läßt ihm nichts als das Heer und die Vertretung nach Außen. Was die vollziehende Gewalt desselben im Innern enthielt, wird nicht gesagt. Man meinte, daß sich das von selbst verstände. Derselbe Gedanke beherrscht die französischen Constitutionen; der Satz der ersten Constitution von 1791: le pouvoir exécutif est délégué au Roi pour être exercé sous son autorité par des ministres; T. III, Art. 4 stellt die Unterordnung der vollziehenden Gewalt unter die souveraineté de la nation; das Ch. II, Sec. 1. 3 sagt ausdrücklich: le Roi ne règne que par la loi; et ce n’est qu’au nom de la loi qu’il peut exiger l’obéissance . Die voll- ziehende Gewalt ist nur noch Mandatar der gesetzgebenden. Die Constitution von 1793, die den Conseil exécutif errichtet, drückt das noch schärfer aus, indem sie ausdrücklich auch die Verordnungen der gesetzgebenden Gewalt über- gibt: „il (le Conseil exécutif) ne peut agir qu’en exécution des lois et des décrets du corps législatif.“ (Art. 65.) Aber schon die Constitution von 1795 ist nicht mehr so bestimmt; der Art. 144 bringt schon den viel- deutigen Satz: „le directoire pourvoit, d’après le lois , à la surété extérieure ou intérieure de la république.“ Die Constitution von 1799 scheidet end- lich bestimmt Gesetz und Verordnung; der Begriff eines pouvoir exécutif ist verschwunden , um in den Verfassungen Frankreichs nicht wieder zu er- scheinen. An seiner Stelle steht T. IV. „le gouvernement.“ Die späteren Constitutionen halten, wie wir sehen werden, kaum noch den Unterschied von Gesetz und Verordnung, geschweige denn die Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt fest, eben so ist der Unterschied der pouvoirs in den Charten von 1814 und 1830 formell nicht wieder aufgetreten. Wohl aber entsteht jetzt in der Theorie die Frage, welches denn die Stellung des Königthums sei. Frankreich entschied sie theoretisch, Deutschland gesetzlich. In Frankreich ging aus dem Bewußtsein, daß man den Begriff der vollziehenden Gewalt neben dem des Königthums festhalten müsse, das richtige Verständniß hervor, daß das König- thum das Haupt aller Gewalten sei, was Benj. Constant durch die Aufstellung des pouvoir royal als pouvoir régulateur ausdrückte. Während aber aus der französischen Charte der Ausdruck pouvoir exécutif verschwindet, sehen wir ihn ganz nackt in der norwegischen Verfassung, 1814, §. 3: „die ausübende Macht ist beim Könige“ — und in der belgischen vom 25. Febr. 1831, Art. 29, wieder auftreten, um mit dem Jahre 1848 wieder seine Rolle zu spielen. Da- gegen brach sich in den deutschen Verfassungen, die den theoretisirenden Charakter nirgends verläugnen, der Gedanke der persönlichen Einheit Bahn in dem Be- griff der Staatsgewalt . Das deutsche Staatsleben war gleich anfangs von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Einheit der Staatsgewalt die Grund- lage des Staats sei. Der Begriff einer Identificirung des Königthums und der Vollziehung hat daher nie Platz gegriffen, sondern die Vollziehung ist stets als eine Funktion des ersteren aufgefaßt, die nur die Pflicht habe, sich da, wo Gesetze bestehen , an denselben conform zu halten. Man kann die Auf- stellung der Verfassungsurkunden in vier große Epochen theilen. Die erste fällt unter die Herrschaft Napoleons. In den drei Verfassungen, die dahin gehören, Verfassung von Westphalen , 15. Nov. 1807, Großherzogthum Frankfurt , 16. Aug. 1810, Königreich Bayern , 1. Mai 1808, ist noch von dem Begriff und Recht, von Gesetzgebung und Vollziehung überhaupt keine Rede. Auch erscheint Begriff und Wort noch nicht in dem Sachsen-Weimar-Eisenacher Grundgesetz von 1816. Die zweite umfaßt die Verfassungen seit 1817—1821. Hier bildet sich die Formel aus, welche Begriff und Verhältniß der Staatsgewalt und der Vollziehung so bestimmt und klar feststellt, daß dieselbe auch später fast wörtlich beibehalten ist. Sie lautet nach der bayerischen Verfassung von 1818: „der König ist Oberhaupt des Staats , vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den in der Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus (Thl. II. §. 1). Wörtlich gleichlautend ist die Verfassung von Württemberg, Kap. II. §. 1 (1819); ebenso die von Baden (22. Aug. 1818), I. §. 5, die von Coburg von 1821 (§. 3), und vom Groß- herzogthum Hessen (1820) Art. 4. — Die dritte Epoche, die Zeit der Ver- fassungen der dreißiger Jahre (1831—1834), im Uebrigen wesentlich verschieden von der früheren, hat doch in diesem Punkte den Boden, ja sogar die Aus- drücke derselben nicht verlassen. Das Princip, daß die vollziehende Gewalt nicht ein Mandatar der gesetzgebenden sei, war allerdings schon durch die württemb. Landesverfassung, Art. 57, als deutscher staatsrechtlicher Begriff festgestellt; der Ausdruck dieses Artikels ist in der That der deutsche Grundgedanke gegenüber dem französischen, wie er bereits in den oben erwähnten Verfassungen aus- gesprochen ward: „Die gesammte Staatsgewalt muß in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.“ Das Staatsoberhaupt ist hier klar genug von der Gesetzgebung und Vollziehung, ihrem beiderseitigen Begriffe nach geschieden, wenn auch die Rechte, in denen es beschränkt werden kann , nicht bestimmt waren; andererseits bestand bis 1830 überhaupt in der Hälfte Deutschlands noch gar keine Verfassung; der Souverän war Gesetzgeber und Vollzieher zugleich. Das Jahr 1830 erschuf hier daher nichts Neues, sondern fügte den bisherigen Verfassungen nur noch einige neue hinzu, in welcher fast wörtlich der Stand- punkt der süddeutschen Verfassungen über die vollziehende Gewalt aufrecht ge- halten ward. So in der kurhess . Verfassung 1831, Art. 4; Sachsen- Altenburg 1831, Art. 4; Braunschweig 1832, §. 3; Hannover 1833, §. 8, ist etwas differirend, „vom König geht alle Regierungs gewalt aus“ und „die Behörden üben sie aus im Namen des Königs“ — wobei die Voll- ziehung etwas den Charakter einer polizeilichen Gewalt annimmt; Königreich Sachsen ( I. §. 4 des Entwurfs: wie die süddeutschen); die angenommene Ver- fassung §. 4 hat dann auch dieselben Ausdrücke acceptirt. Preußen, Mecklen- burg, Oldenburg, Schleswig-Holstein blieben dagegen noch auf dem Standpunkt der Provinzialstände; der Begriff der vollziehenden Gewalt erscheint hier über- haupt nicht, sondern in dem landständischen Recht nur der Anfang des Begriffes von selbständiger Gesetzgebung; in Oesterreich bestand auch das nicht, der klei- neren Staaten geschweigen wir. Man kann daher sagen, daß so weit es Verfassungen gab, die Persönlichkeit des Staats in dem Begriffe der Staats- gewalt, das monarchische Princip in der Identität derselben mit der Persönlichkeit des Monarchen, die Vollziehung aber als ein übrigens verschieden bestimmtes Moment in der Staatsgewalt wirklich anerkannt war, während in einigen Staaten die Vollziehung noch mit der Gesetzgebung ganz (Oesterreich) in andern zum Theil verschmolzen blieb. Unter diesen Umständen konnte man von einer deutschen geltenden Macht der vollziehenden Gewalt und ihres Rechts nicht wohl reden und die Theorie hatte dann auch keine aufzuweisen. Dennoch ist es schon aus dem Obigen klar, daß damit die beiden Grund- formen der Auffassung der vollziehenden Gewalt sich ziemlich bestimmt charak- terisirt haben; die französische , welche den Grundgedanken in der Scheidung der vollziehenden Gewalt von der gesetzgebenden und damit der Auflösung der selbständigen Staatsgewalt in die Herrschaft der Volksvertretung über das ganze Staatsleben sieht, und die deutsche , welche die Ausübung oder Vollziehung nur als ein organisches Moment der Staatsgewalt betrachtet, damit den Begriff des Gesetzes, und mit ihm erst das Recht der Vollziehung und Verwaltung möglich macht. Es kann kein Zweifel sein, daß die erste in einem unlösbaren Widerspruch mit dem Wesen des Staats steht, indem sie ihn im letzten Grunde immer auf einen mehr oder weniger nützlichen Vertrag, und seine Thätigkeit auf ein Mandatsverhältniß zurückführt, was eben so logisch unrichtig als prak- tisch unwahr ist. Man kann die französische Auffassung die republikanische, die deutsche die monarchische nennen, und mit gutem Recht sagen, daß beide gerade in der Bestimmung des Wesens und der Stellung der vollziehenden Gewalt ihren entscheidenden Ausdruck finden. Das Jahr 1848 und seine Verfassungen haben diesen Unterschied aufs neue bestätigt, und man wird diese Verfassungen eben darum in die französische und die deutsche Verfassungsgruppe theilen müssen. Die französischen Verfassungen beginnen natürlich mit der französischen Republik, und diese stellt sofort den alten Unterschied zwischen Vollziehung und Gesetzgebung her, Art. 43. „Die französische Republik überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel Präsident führt.“ Dieser französischen Definition folgten dann die italienischen Verfassungen; Neapel , Art 5: „die vollziehende Gewalt steht ausschließlich dem Könige zu,“ fast gleichlautend Tos- cana , Art. 13, und Piemont , Art. 18. Auch die Schweiz setzte mit ihrer Bundesverfassung von 1848 den Bundesrath als „die oberste vollziehende und leitende Behörde“ ein. Die deutschen Verfassungen, mit wenig Ausnahmen (schleswig-holsteinische Verfassung, erste österreichische Verfassung) halten dagegen den in ihrer bisherigen Geschichte gewonnenen Boden fest. Für sie ist die Staatsgewalt das Haupt aller Funktionen des Staats, auch der Gesetzgebung, und die vollziehende Gewalt erscheint nach wie vor als eine besondere , und nur durch die Verfassung beschränkte Funktion des Staatsoberhaupts. Der monarchische Charakter erhält sich mitten in der Revolution. Die Formen, in welchen die verschiedenen Verfassungen fast wörtlich gleichlautend Staatsgewalt und Vollziehung bestimmen, sind die der ersten deutschen Verfassungen von 1818: der Fürst ist Oberhaupt des Staats, Inhaber der Staatsgewalt, und „übt dieselbe“ „in verfassungsmäßiger Weise aus.“ So lauten die Verfassungen von Hannover (3. Sept.), Oldenburg , Art. 4, Gotha , §. 49, Mecklen- burg-Schwerin , §. 58, Anhalt-Dessau , §. 60, vergl. Bremen , §. 4. Nur der Form nach verschieden, den Gegensatz zwischen Gesetzgebung und Voll- ziehung auch hier vermeidend, sind die Verfassungen von Oesterreich 1849, II. §. 9—23, und die preußische Verfassung. So war eigentlich die Sache ihrem Wesen nach entschieden. Aber für die Theorie war sie um so weniger klar, als dieselbe theils noch immer nicht den Begriff der Hoheitsrechte abstreifen konnte, theils keinen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung zu Stande brachte, und nun gar noch einen neuen Begriff, den der Staatsgewalt, zu bewältigen hatte, während ein positiv gemein- gültiges Recht für Deutschland fehlte. Dazu kam die traditionell gewordene Neigung, alle Hauptfragen, also auch die der vollziehenden Gewalt, vielmehr in die Verfassung als in die Verwaltung zu verlegen, da man eben weder einen anerkannten allgemeinen Begriff der Verwaltung im weitern Sinn, noch im engern Sinn, noch der innern Verwaltung hatte, und außerdem den Be- griff einer „Regierung“ und den einer „Polizei“ unterbringen mußte. Man verfiel daher darauf, die Aufzählung der Momente, welche im Begriff der Thätigkeit des Staats liegen, als die Aufzählung der Rechte derselben hinzu- stellen, wie Zöpfl I. §. 276, oder sie ganz verschwinden zu lassen, wie Mohl, natürlich ohne damit weiter zu kommen. Aber jedenfalls steht jetzt der Stand- punkt fest, von dem man ausgehen muß. Da nämlich die Staatsgewalt auch nach positivem Recht Gesetzgebung und Vollziehung umfaßt, so kann der Be- griff, Inhalt und Recht der Vollziehung künftig weder mit der Staatsgewalt verwechselt, noch auch an derselben bestimmt werden, sondern sie erscheint nur als das Verhältniß und das Recht der That des Staats gegenüber seinem Willen. Man kann die Vollziehung und ihr Recht künftig nur an der Gesetzgebung und ihrem Rechte bestimmen und zwar als eine zweite selbständige Form des Willens der Staatsgewalt . In diesem Sinne nehmen wir gerne den Satz auf, den Pötzl neulich ausgesprochen (Krit. Vierteljahrsschrift für Gesetz und Rechtswissenschaft V. 2. Heft, S. 263): „Wenn man die Verwaltung (im weitern Sinn) die vollziehende Gewalt genannt hat, so ist diese Bezeichnung nur in sofern richtig, als man sich als Gegenstand und Ziel derselben den Staatszweck (natürlich abstrakt, sonst wird es eben eigentliche Verwaltung) denkt. Dagegen wäre sie irrig, wenn man sie darauf beschränken wollte, bloß die Gesetze zu vollziehen.“ Das ist vollkommen richtig. Es kommt jetzt nur darauf an, eben diese, noch nicht als eigentliche Verwaltung erscheinende, wichtige Funktion der vollziehenden Gewalt nun auch in allen ihren einzelnen Momenten darzulegen; und das ist die Aufgabe des Nächstfolgenden. Aus dem bisher Dargestellten geht aber hervor, daß wir diese Aufgabe nur dann zu lösen im Stande sind, wenn wir den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung, der eigentlich in die Verfassung gehört, hier genau bestimmen; denn dieser Unterschied wird sich als die Quelle alles Rechts der vollziehenden Gewalt ergeben. Erster Theil. Das Recht der vollziehenden Gewalt. A . System der vollziehenden Gewalt. Wenn nunmehr nach dem Obigen der Begriff der vollziehenden Gewalt feststeht, so ist der einfache Begriff des Rechts derselben nicht schwierig. Es ist das Recht der, als selbständig gedachten Kraft und Thätigkeit des Staats innerhalb der Staatsorganismus, also sowohl dem Gebiete der gesetzgebenden Organe, als der einzelnen selbständigen Persönlichkeit gegenüber, oder mit einem Worte der Staatsgewalt im weitesten Sinne . Allein dieser einfache Begriff reicht nicht aus; und zwar darum nicht, weil zwar im einzelnen Menschen die Kraft etwas Einfaches ist, nicht aber im Staate. Im Staate zeigt sich vielmehr, daß diese Kraft selbst wieder ganz bestimmt geschiedene Momente hat, die zwar zusam- men ein Ganzes bilden, aber dennoch als selbständige erscheinen, und auch von jedermann als solche anerkannt werden. Das Recht der Kraft des Staats hat daher seinen Inhalt erst an diesen selbständigen Mo- menten derselben, und zwar in der Weise, daß die Natur dieser Mo- mente so viel Recht sich selber schafft, als sie fordern müssen, um ihre organische Funktion vollziehen zu können. Das Recht der vollziehenden Gewalt wird daher zur Consequenz dieser organischen Natur jener Ele- mente, und in der That ergibt sich wie wir sehen werden, nur auf dieser Grundlage ein wirkliches Rechtssystem für die vollziehende Ge- walt, das seinerseits sich als eines der Hauptgebiete des öffentlichen Rechts betrachten darf. Nur muß man dabei festhalten, daß auch diese Momente nicht etwa eine für sich daseiende, abstrakte Erscheinung haben, sondern nur in der eigentlichen, wirklichen Verwaltung zur concreten Geltung kommen. Alle folgenden Begriffe sind daher Grundsätze und Rechtsbestimmungen für die vollziehende Gewalt in der praktischen Thä- tigkeit der wirklichen Verwaltung, also in Finanzen, Rechtspflege und Innerem. Und daher werden wir zweckmäßig den Inhalt der reinen vollziehenden Gewalt, oder die Darlegung der besondern Momente derselben, dem Rechte derselben, oder der festen Gränzbestimmung zwischen ihnen und den selbständigen persönlichen Lebensverhältnissen des Staats und des Staatsbürgers voraufsenden. I. Die einzelnen Gewalten in der vollziehenden Gewalt. Die Staatsgewalt im Allgemeinen. Das Heer. Es wird nunmehr in Hinweisung auf die historische Entstehung des eigenthümlich deutschen Begriffes der Staatsgewalt wohl nicht so schwierig sein, das Wesen desselben und damit den Unterschied von dem- jenigen zu bestimmen, was wir die vollziehende Staatsgewalt nennen müssen. Die Staatsgewalt in dem Sinne, in welchem sie dem Begriffe des Staats und namentlich der deutschen Staatsrechtsbildung zum Grunde liegt, ist keine besondere Gewalt, kein Moment an einer andern Gewalt im Staate. Sie bezeichnet uns eben das ganze persönliche Leben des Staats als eine einheitliche Gewalt, als die ganz allgemeine persönliche Kraft der Selbstbestimmung ohne irgend eine Unterscheidung des Ob- jekts. Sie ist überhaupt der Besitz des Rechts und der Mittel, sich zu äußern, und zwar als höchste Form der Persönlichkeit sowohl insofern der Staat ist, als insofern er will und handelt. Alles was durch den Staat geschieht, geschieht für den Staat. Alle Funktionen des Staats sind daher Funktionen dieser Staatsgewalt, und ich gelange nunmehr leicht zu dem Begriffe der sogenannten Staatsgewalten, indem ich mir diese Funktionen selbständig, und in jeder derselben die Staatsgewalt thätig denke. Ich kann daher, ohne irgend einen Irrthum, freilich aber auch ohne irgend einen Nutzen, mir so viel Staatsgewalten construiren als ich will, wenn ich nur festhalte, daß eine dauernde und regelmäßige Thätigkeit des Staats zum Grunde liegen muß. Daher haben die Theorien über die verschiedenen Staatsgewalten alle Recht, und daher haben auch das deutsche Bundesrecht und die neueste Staatsrechtslehre Recht, jene indem sie drei, fünf, sieben Staatsgewalten, dieses indem es nur Eine Staatsgewalt annimmt. Verkehrt ist nur das, daß man den organischen Begriff des Staats aus den Gewalten hat construiren wollen, während man umgekehrt diese Gewalten als Aeußerungen der organischen Eintheilung hatte erkennen müssen. Nur das Eine ist festzuhalten, daß die Staatsgewalt in dem Sinne nicht bloß an sich, son- dern auch organisch untheilbar ist und sein muß, in welchem das deutsche Recht es annimmt, daß alle einzelnen Gewalten niemals absolut selb- ständig, sondern nur Momente an der einheitlichen Persönlichkeit des Staats — die Staatsgewalten Momente der Staatsgewalt sind. Und damit ergibt sich jetzt auch das Verhältniß der vollziehenden Gewalt. Die Staatsgewalt erscheint nämlich zuerst als die Kraft, vermöge deren die Persönlichkeit des Staats als solche sich zur Erscheinung und Geltung bringt, noch ohne eine Beziehung auf den Willen und die Thätigkeiten, welche das Leben des Staats erfüllen. Diese reine Staats- gewalt ist daher weder ein Moment in der Gesetzgebung noch in der Verwaltung; sie ist die Erscheinung des Staats an und für sich. Man muß nicht glauben, daß das eine Abstraktion ist. Die Verfassungen der verschiedenen Staaten haben diese reine Staatsgewalt nicht bloß sehr klar erkannt, sondern auch zum Theil mit großer Schärfe diejeni- gen einzelnen Funktionen nachgewiesen und anerkannt, welche in der- selben liegen, indem sie diese Funktionen als Rechte des Königthums feststellen. Man kann sie mit dem Begriffe der Vertretung des Staats umfassen; nach Innen als Inhaber der höchsten Würden, nach Außen als Inhaber des Rechts, Krieg, Frieden und Verträge zu schließen. Die Staatsgewalt erscheint zweitens als höchste Spitze der gesetz- gebenden Gewalt. Die Funktion des Staatsoberhaupts ist hier die, durch seine Zustimmung das Wollen der Vertretung des Volkes zum individuellen Willen des Staats zu machen, und durch seine Erklärung demselben die Geltung dieses persönlichen Willens zu geben. Das drücken die meisten Verfassungen dadurch aus, daß sie dem Fürsten die Sanktion und die Verkündigung der Gesetze zuerkennen. Die Staatsgewalt erscheint aber auch drittens als das Haupt der Verwaltung im weitern Sinn; das heißt, jede That des Staats muß unbedingt als eine That der Staatsgewalt, das ist des Staats- oberhaupts erscheinen. Dieß Princip wird so ausgedrückt, daß alle Vollziehung und Verwaltung nur im Namen des Staatsober- haupts geschehen kann — (oder „der König vereinigt in sich alle Gewalt, und übt sie in verfassungsmäßiger Weise aus“). Dieß Princip ist mithin kein Princip der vollziehenden, sondern vielmehr ein Princip der Staatsgewalt; durch dasselbe ist die vollziehende Gewalt das was sie sein soll, ein Moment an der Staatsgewalt. In diesem richtigen Verständniß aber liegt nun auch der Begriff des Rechts dieser voll- ziehenden Gewalt; denn sie steht damit in einem organischen Verhältniß zu der gesetzgebenden in dem Willen, in dem Begriff der Staatsgewalt selbst, welche ja zugleich das Haupt der Gesetzgebung ist, und so entwickelt sich aus dem Begriff der Staatsgewalt nicht bloß der Begriff, sondern auch das Rechtssystem der vollziehenden Staatsgewalt . Aber auch hier ist die Staatsgewalt in ihrer vollziehenden Thätig- keit nicht bloß ein Moment am Leben des Staats, sondern sie erscheint auch selbständig in einem nur ihr gehörigen Organismus, der seiner ganzen Natur und seiner äußern Aufgabe nach eben das Organ dieser reinen, allgemeinen Gewalt der Persönlichkeit des Staats ist. Das ist das Heer , die Waffenmacht des Staats. Das Heer des Staats hat keine besondere Aufgabe, als die, die Kraft des Staats an und für sich objektiv darzustellen und zur Geltung zu bringen. Man wird uns, glauben wir, unmöglich mißverstehen, wenn wir demgemäß sagen, das Heer ist die Erscheinung und das Organ der abstrakten voll- ziehenden Gewalt des Staats. In der That folgen daraus die beiden großen Grundsätze in einfachster Weise, welche, so lange es Menschen und Staaten geben wird, das Heerwesen beherrschen müssen und be- herrscht haben. Zuerst folgt, daß das Heer als Haupt nothwendig und ausschließlich das Staatsoberhaupt anerkenne; es ist auch wissenschaftlich ein Unding, das Heer zum Organe der gesetzgebenden Gewalt machen zu wollen. Zweitens folgt, daß das Heer, eben weil es organisch keine wie immer geartete spezielle Aufgabe hat und haben kann, auch keinen selbständigen Willen zu haben bestimmt ist; es ist das Organ des persönlichen Willens des Staatsoberhaupts. Von diesen beiden obersten Grundsätzen kann sich das Heerwesen keiner Zeit, keines Volkes und keines öffentlichen Rechtszustandes trennen; geschieht es dennoch, so ist die Folge eine Zerstörung des ganzen Staatsorganismus. Die Geschichte liefert die entscheidendsten Beispiele für diese Wahrheit, und es ist nur Schwäche des Staatsbürgerthums, auch nur einen Augen- blick die absolute Gültigkeit jener beiden Principien im Namen der staatsbürgerlichen Freiheit bestreiten zu wollen. Jeder Kampf dagegen hat statt der Freiheit naturgemäß nur Schwäche des Staats erzeugt, und nur die, welche der Schwäche des Ganzen froh sind, haben andere Ge- sichtspunkte vertreten. Nicht in der Bestreitung jener Principien liegt die Sicherung der Freiheit; gibt das übrige organische Leben des Staats dieselbe nicht durch sich selbst, so wird man sie gewiß niemals dadurch erreichen und hat sie niemals dadurch erreicht, daß man jene Grund- gewalt des Staatsorganismus zu vernichten trachtet. Jene Principien sind vielmehr in so hohem Sinne organischer Natur, daß sie sich unbe- dingt, ja gegen den direkten Willen der Gesetzgebung, durch ihre eigene innere Macht wieder herstellen, wenn sie einmal angegriffen werden; es lebt in dem Heere aller Zeiten und Völker das lebendige Gefühl, daß das Dasein des Staats an und für sich auf ihm beruhe, daß es dasselbe gegen Außen, und daß es dasselbe auch nach Innen, am letzten Orte allein mit dem höchsten Opfer zu vertreten habe; jede gesunde Armee wird durch das mehr oder weniger klare Bewußtsein dieser seiner oft so ernsten Aufgabe gehoben und getragen. Das Verständniß dieser organischen Stellung erscheint in dem einzelnen Gliede des Heeres als die militärische Ehre , die eben deßhalb ein unbedingtes Element des Heerwesens ist; und in den großen Aktionen des Heeres ist es dieß Bewußtsein, das, bis zur Begeisterung gesteigert, die Heere zu Tod und Sieg führt. Wie wenige von denen, welche seit Plato über das Staats- wesen und seinen Begriff schreiben und denken, kennen das Heer und sein eigenthümliches Leben — und wie viele mögen wohl ernsthaft und vorurtheilsfrei jemals darüber nachgedacht haben. Es ist nicht gut, daß dem so ist. Verbannt ein so mächtiges und wichtiges Element des Ganzen aus der systematischen Wissenschaft oder aus der ethischen An- schauung des Staatslebens, und ihr werdet nichts anders erzielen, als daß diejenigen euch und eure Lehre nicht verstehen, die ihr selbst nicht verstanden habt! — Die Staatsgewalt, das Staatsoberhaupt ist aber nicht durch das Heerwesen erschöpft; sie enthält ein zweites organisches Element, das erst in der zweiten Form der vollziehenden Gewalt zur Erscheinung gelangt. In der That nämlich gehört dem Obigen nach das ganze Heer- wesen überhaupt weder der Gesetzgebung noch der Verwaltung . Es ist ein Leben für sich, innig und organisch mit dem Staatsoberhaupt und seiner Gewalt verbunden; aber mit der Verwaltung hat seine voll- ziehende Kraft nichts zu thun, dieser gehört erst das zweite Element derselben. Diese zweite Form der vollziehenden Gewalt bildet sich nun, indem für die Staatsgewalt die einzelnen besonderen Staatsaufgaben entstehen, welche den Inhalt des Begriffes der Verwaltung bilden. Die Regierungsgewalt und ihre drei Formen. Wir haben bereits oben den Begriff der Regierung festgestellt. Wenn wir nun von einer eigenen Regierungsgewalt als Form und Inhalt der vollziehenden Gewalt reden, so geschieht das in folgendem Sinne. Wenn nämlich die Vollziehung die That des Staats, für sich be- trachtet, ist, so muß sie einen Willen enthalten, welcher dieß ihr Thun, oder die Thätigkeit als solche zum Inhalt hat. In der wirklichen Thätigkeit aber greifen äußere Momente in den Willen der Persönlich- keit hinein, insofern dieser nur einen Zweck und eine Aufgabe setzte, und nicht schon selbst die Verwirklichung enthält. Dieser auf die Thätig- keit als solche gerichtete Wille muß daher die Fähigkeit haben, jene in das abstrakte Wollen hineingreifenden Elemente zu verarbeiten und mit dem erstern in Harmonie zu bringen; das ist eben der Punkt, auf welchem die Selbstthätigkeit der Verwaltung im weitern Sinne beruht. Die Kraft, diese Harmonie in festen, für alle einzelnen Thätigkeiten (der Verwaltung im engern Sinne) gültige Principien zu formuliren und zur wirklichen Gültigkeit zu bringen, ist nun gleichfalls eine Ge- walt; sie ist die allgemeine Form für die besondere Ausübung der einzelnen Thätigkeiten der Verwaltung, und diese Gewalt ist die Re- gierungsgewalt . Man kann daher sagen, daß die Regierungsgewalt der selbständig gedachte thätige Wille der Staatsgewalt ist. Ihre Selbständigkeit ist stets gleich der Selbständigkeit der Thatsachen , mit denen der Staat zu thun hat. Sie wächst und nimmt ab mit der Kraft und der Vielheit der gegebenen Lebensverhältnisse im gegebenen Staate. Sie selbst aber erscheint, wie jeder thätige Wille, in drei Formen, dem Willen für sich , der Verordnungsgewalt, der Bildung der Mittel seiner Verwirklichung, der Organisationsgewalt, und der äußern Thä- tigkeit, der polizeilichen oder Zwangsgewalt. Die erste Grundform, oder der erste Inhalt der Regierungsgewalt entsteht mithin durch ihr Verhältniß zu dem Staatswillen oder dem Gesetze . Allerdings ist das Gesetz die höchste, und darum, wo es vorhanden ist und ausreicht, die den Willen der vollziehenden Gewalt beherrschende Form des Staatswillens. Allein kein Gesetz ist fähig, alle Seiten desjenigen Lebensverhältnisses wirklich und vollständig zu umfassen, für welches es gegeben wird. Ja keine Gesetzgebung ist je im Stande gewesen noch wird sie es sein, jemals auch nur die Lebens- verhältnisse vollständig gesetzlich zu bestimmen, für welche ein Gesetz er- forderlich erscheint. Dennoch wird ein Staatswille auch da unabweis- bar nothwendig, wo ein Gesetz entweder nicht ausreicht, oder geradezu mangelt. Die Vollziehung, die nicht entbehrt werden kann, muß daher durch ihren eigenen Willen, obwohl sie keine Gesetzgebung und von der- selben organisch getrennt ist, dennoch den Mangel des Gesetzes ersetzen. Diese Forderung ist eine unbedingte Voraussetzung für die, dem Staate entsprechende Thätigkeit seiner Regierung. Sie liegt daher in dem Wesen der vollziehenden Gewalt, und erscheint als ein immanentes Recht der Regierungsgewalt. Nur hat sie keinen dauernden Zustand herzustellen, sondern sie hat die gegebenen Verhältnisse im Namen der vollziehenden Gewalt so zu ordnen, wie es der Staatszweck erfordert. Und die mit diesem Inhalt gegebene Gewalt der Regierung, das Gesetz durch ihren eigenen Willen zu erfüllen oder zu ersetzen, nennen wir die Verord- nungsgewalt . Sie ist das erste und wichtigste Element der Regie- rungsgewalt. Es versteht sich von selbst, daß sie, als immanenter Be- griff der letzteren, das ganze Gebiet der Verwaltung durchdringt, und in allen drei Hauptgebieten derselben, in Finanz-, Justiz- und innerer Verwaltung gleichmäßig erscheint. Es gibt daher eine Verordnungs- gewalt für die Verwaltung der Staatswirthschaft, der Rechtspflege und des Innern, und diese ist bei aller Verschiedenheit in ihren Objekten doch gleichartig in ihrem Wesen. Daher ist auch das Recht derselben ein gleiches, für alle Theile gemeinsames. Allein es gibt auch eine Ver- ordnungsgewalt, welche über die Verwaltung hinausgeht, und die rechtlichen Zustände betrifft, welche Inhalt der Verfassung bilden. Das Verhältniß dieser Elemente wird sich nun unten zeigen. Die zweite Grundform, oder der zweite Inhalt der Regierungs- gewalt entsteht daraus, daß eine Vollziehung nicht denkbar ist, ohne daß die vollziehende Gewalt die einzelnen Momente ihrer Thätigkeit einzelnen Organen zutheile. Das Bild der Aufgabe des Staats ent- hält schon in sich ein Bild der Vertheilung derselben an solche bestimmte Organe; die Regierung muß daher in dem letztern eine wesentliche Vor- aussetzung der praktischen Erfüllung ihrer Aufgaben erkennen. Die Regierungsgewalt enthält daher ihrem eigenen Wesen nach die Gewalt, die Organe für die einzelnen Momente der wirklichen Vollziehung zu bestimmen, und jedem dieser Organe das Maß und die Gränze des Antheils festzusetzen, welche ihm bei der Thätigkeit der Vollziehung eines Staatswillens zukommen sollen. Diese Seite der Regierungsge- walt nennen wir die Organisationsgewalt ; die wirklich geschehene Vertheilung nennen wir die Organisation ; das Maß, welches jedem einzelnen Organe von der vollziehenden Gewalt zufällt, nennen wir die Zuständigkeit oder Competenz . In der positiven Organisation einer Regierung sehen wir daher die vollziehende Gewalt gleichsam in ihrer äußern Gestalt vorhanden; die Bestimmung der Zuständigkeiten oder Competenzen ist ihrerseits keine willkürliche oder zufällige, sondern wird nach Zweckmäßigkeitsgründen vor sich gehen, und zwar in der Weise, daß die Gränze der Competenz des einen Organs jedesmal durch die eines andern gegeben ist, und jedes einzelne Organ dazu bestimmt sein muß, das andre zu ersetzen oder zu erfüllen. Die Grundsätze, nach welchen dies geschieht, werden in dem zwelten Theile, der Lehre vom Organismus der vollziehenden Gewalt, dargelegt werden. Es gibt da- her eine Organisationsgewalt für das Ganze, und eine solche wieder für jedes der einzelnen Gebiete der Verwaltung; alle Formen aber unterliegen demselben Grundsatze. Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt entsteht nun daraus, daß der einzelne persönliche Wille des Individuums sich der Vollziehung als dem persönlichen Willen des Staats ent- gegensetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß diesen Willen des Individuums sich unterwerfen, wenn es sein muß nicht bloß auf geistigem Wege, sondern durch Anwendung bestimmter Mittel. Die Fähigkeit, diese Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinstimmend zu machen, ist daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt, welche als Regierung das äußerlich erscheinende Leben der Gemeinschaft in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des persönlichen Staats in Uebereinstimmung bringen soll; und diese Gewalt in bestimmter Be- ziehung auf die einzelne Persönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben nennen wir die Polizeigewalt . Es versteht sich auch dabei von selbst, daß diese Polizeigewalt eben so wie die Verordnungs- und Or- ganisationsgewalt sowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erscheinung gelangt. Das sind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächst nun muß man dieselben allerdings als einfach neben einander stehend betrachten, um ihr eigenthümliches Wesen bestimmen zu können. In der Wirklichkeit aber können sie weder äußerlich getrennt sein, noch sind sie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt nämlich ihr organisches Leben erst dadurch, daß diese drei Formen der Regierungsgewalt mit einander in beständiger organischer Verbindung stehen und einander gegenseitig erfüllen. So nothwendig das ist für das wirkliche Leben, so sehr hat es anderseits zur Unklarheit in der Auffassung über Begriff und Wesen der Regierungsgewalt selbst bei- getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieses gegenseitige Ver- halten auf seine möglichst einfachen Elemente zurückzuführen. Diese aber sind folgende. Organisches Verhältniß der drei Gewalten. Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derselben über- haupt erst zur Erscheinung gebracht worden, so ergibt sich der Grund- satz, daß jede dieser drei Gewalten immer nur die Vollziehung der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt . Darnach entscheiden sich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten. Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht sich stets entweder auf die Organisation im weitern Sinne, oder auf die Polizeigewalt und ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält stets die Bestimmung der Aufgabe bestimmter Organe in der Vollziehung des Staats- willens; sie setzt daher stets den Staatswillen als einen bereits fertigen voraus , sei es daß sie ihn in der Form des Gesetzes als ausdrücklich bestimmten Staatswillen anerkennt und daher als Ausführungsverord- nung auftritt, sei es daß sie das Gesetz ersetzt, wo es mangelt, und dadurch entweder eine Erklärung des Gesetzes enthält, oder eine förm- liche staatliche Vorschrift für Lebensverhältnisse, welche der gesetzlichen Anordnung entbehren. Immer aber bleibt es das Wesen der Verord- nung, kein objektives Recht zu schaffen, sondern nur den Organen der Vollziehung in ihrer Thätigkeit bestimmte Vorschriften zu geben. Insofern diese Verordnungen die allgemeine organische Thätigkeit der Organe der Regierung, und mithin ihre Zuständigkeit und die in der- selben enthaltenen Pflichten und Aufgaben bestimmen, nennen wir sie Verordnungen im eigentlichen Sinn ; man würde am besten die- selben Regierungsverordnungen nennen, um sie von den folgen- den zu unterscheiden. Diese Verordnungen haben allerdings sehr ver- schiedene Namen, die jedoch das Wesen derselben nicht ändern, und meistens aus nachweisbaren Gründen entstanden sind. So nennt man sie Patente , welcher Name auch aus der Zeit stammt, in der Gesetz und Verordnung nicht getrennt waren; Rescripte , meistens Verord- nungen, die auf Anfragen der Organe über zweifelhafte Gesetze oder Competenzen entstanden; Circuläre , als Vorschriften über die Aus- führung der organischen Thätigkeiten in der Regierung; Erlasse , inso- fern sie einzelne Vorschriften aller Art enthalten; zuweilen auch gebraucht man ohne weitere Unterscheidung den Ausdruck „Verordnung.“ Inso- fern es sich dabei um die rein ordnungsmäßige Thätigkeit der vollzie- henden Organe handelt, heißen die Verordnungen Instruktionen ; es ergibt sich, daß der Instruktion stets eine scharf bestimmte Compe- tenz zum Grunde liegt. — Die Regierungen der verschiedenen Staaten haben wohl nirgends feste Regeln für den Gebrauch dieser Bezeichnun- gen aufgestellt oder anerkannt: selbst der Begriff der Verordnung ist begränzt worden durch den Begriff des Gesetzes, und auch diese Gränze ist keinesweges eine ganz klare. Erst das Vollziehungs recht hat sie bestimmt, und wir werden sie daher unten erledigen. Hier nun kann man aber schon den Satz aufstellen, daß eine Verordnung niemals etwas anders enthalten kann, als den Ausspruch über die Anwendung eines (vorhandenen oder angenommenen) Staatswillens auf den Kreis der Rechte und Aufgaben in der Competenz eines vollziehen- den Organes . Jede Verordnung enthält daher einen Befehl, und einen bestimmten Gegenstand; jedes Gesetz dagegen eine Ordnung eines bestimmten Lebensverhältnisses. Das ist die innere organische Gränze beider, und erst daran schließt sich das Recht der Verordnungs- gewalt. Insofern die Verordnung dagegen die Mittel bestimmt, durch welche die Vollziehung den Willen des Einzelnen dem allgemeinen Willen conform erscheinen läßt, ist ihr Inhalt die Bestimmung der Polizei- gewalt, und diese Verordnungen sind Polizeiverordnungen . Das Objekt derselben ist stets das Verhalten der einzelnen Staatsbürger , während das Objekt der Regierungsverordnungen stets das Verhalten eines Regierungsorganes ist. Auch diese Polizeiverordnungen haben ihre Formen; sie erscheinen entweder in den öffentlichen Organen der Regierung, oder als Plakate (Anschläge). Der Inhalt derselben ist, ihrem Wesen nach, ein Gebot oder Verbot an alle Einzelnen, und da- neben meistens als Mittel der Erzwingung der Folgsamkeit eine Straf- androhung. Die Organisationsgewalt erscheint ihrerseits entweder in Beziehung auf die Verordnungen, oder in Beziehung auf die Polizeigewalt. Sie hat im ersten Falle zu ihrem Inhalt die Zuständigkeit eines Regierungs- organes in Beziehung auf den gesammten Organismus der Regierungs- gewalt, und hier bestimmt sie die Gränzen, innerhalb deren jedes ein- zelne Organ die Aufgabe hat, die Verordnungen der Regierung zur Ausübung zu bringen; im zweiten Falle hat sie zu ihrem Inhalt die materiellen, geographischen oder sachlichen Gränzen, welche die Voll- ziehungsgewalt der einzelnen Organe bestimmen, die sich in ihrer Thä- tigkeit gleich stehen. Sie organisirt daher im ersten Theile die Regie- rung, im zweiten Land und Volk. Der erste vertheilt die Aufgaben, der zweite die materielle Ausführung. Die Organisationsgewalt erscheint daher in der Form von Verordnungen, und zwar theils über die systematische Vertheilung der Competenzen, theils über die Eintheilungen von Land und Volk. Durch sie wird die Regierungsgewalt in ihren einzelnen Organen mit den einzelnen Verhältnissen des Lebens in concrete Verbindung gebracht; sie kann daher ihrerseits wieder nur als Conse- quenz eines bereits bestimmten Staatswillens erscheinen, der durch den Organismus der Zuständigkeiten in dieß Leben eingeführt werden soll; aber mit dem Staatswillen, dem Gesetze an sich, hat sie ihrem Begriff nach nichts zu thun, sondern nur mit seiner Vollziehung. Die Polizeigewalt endlich bezieht sich entweder auf die so herge- stellte Organisation, indem sie den Thätigkeiten der Organe, welche die Gesetze in Gemäßheit der Verordnungen vollziehen, die Verwirklichung verschafft, oder auf die Einzelnen, indem sie dieselben zwingt, sich selbst zum Gehorsam gegen die Organe zu bestimmen. Daher hat die Polizei- gewalt stets zwei Grundformen. Einerseits ist sie selbst ein selbständiges Organ, welches nichts als die Vollziehung gegenüber dem Einzelnen zur Aufgabe hat, ohne Beschränkung auf bestimmte einzelne Verordnun- gen; anderseits ist sie mit dem einzelnen Organe der Vollziehung un- mittelbar verbunden, ein Recht derselben innerhalb ihrer Competenz und zwar keineswegs bloß in der innern Verwaltung, sondern eben so sehr in der Finanz- und Justizverwaltung. Jedes Organ hat innerhalb seiner Zuständigkeit seine Polizeigewalt, und die Organisation ordnet die Art und die Organe, durch welche dieselbe zur Vollziehung gelangt. Faßt man nun das hier Dargelegte zusammen, so sieht man, wie sich der an sich einfache Begriff der Gewalt zu einem völligen Or- ganismus entwickelt hat. Es ist von entscheidender Bedeutung, wo möglich einmal alle im gewöhnlichen Leben gebrauchten Ausdrücke auf die angegebenen Grundbegriffe zu reduciren. Wir sehen den abstrakten Begriff der vollziehenden Gewalt sich zuerst scheiden in die Staatsge- walt und die Regierungsgewalt, jene als Vertreterin der allgemeinen Staatspersönlichkeit, diese als Trägerin der Vollziehung in den einzelnen Erscheinungen des Staatslebens; jene daher allgemein und allgegen- wärtig, die Regierungsgewalt umfassend und enthaltend, diese bestimmt und geordnet, und deßhalb nur in festen Formen erscheinend. Diese Formen sind die Verordnungsgewalt, die Organisationsgewalt, die Po- lizeigewalt. Jede dieser Formen der Regierungsgewalt gehört natürlich zuerst allen drei Gebieten der Verwaltung, wenn sie gleich in Finanzen, Gericht und Innerem sehr verschiedene Objekte haben; doch sind sie immer die drei Momente aller Vollziehung in der wirklichen Welt. Alle drei Formen sind aber nicht schematisch verschieden, sondern als Aeußerungen derselben Kraft ergänzen und bestimmen sie sich wechselseitig, und so erscheint uns die Vollziehung schon an und für sich als ein Stück des lebendigen Staatslebens, ein Beweis, daß der Staat auch hier nur als organische Persönlichkeit aufgefaßt werden kann. Das Einzige, was hierbei in Beziehung auf die formelle Unterscheidung, die später genauer dargelegt wird, noch hervorgehoben werden muß, ist die Erklärung, wie sich diese Begriffe zu dem Satze verhalten, daß das Staats- oberhaupt in der Staatsgewalt alle diese Momente der Regierungsgewalt in sich enthalte. Dieß Enthaltensein bedeutet, daß alle Funktionen der Regierungs- gewalten stets im Namen des Staatsoberhaupts geschehen, und dadurch ihrem Wesen und ihrem Rechte nach als Thätigkeiten des Staats selbst erscheinen. Daraus folgt der wichtige Satz, daß jeder Akt der Regierungsgewalt durch die gesammte Staatsgewalt, eventuell also auch durch die bewaffnete Macht ver- treten wird, weil derselbe eben stets als Akt des einheitlichen Staats erscheint. Dagegen ist die Frage eine ganz andere, ob und in wie weit die einzelnen Gewalten der Regierung unmittelbar durch den individuellen Willen des Staats- oberhaupts, oder unter Zuziehung der eigenthümlichen Organe, die ihn persönlich Stein , die Verwaltungslehre. I. 4 umgeben (Staatsrath, s. unten), oder durch die Minister im Wege der Ueber- tragung, oder nach bestimmten Vorschriften der Verfassung auszuüben sind Dieß ist je nach den einzelnen Verfassungen, namentlich in der Heimath der theoretischen Verfassungsurkunden, verschieden bestimmt, und bildet ein Gebiet des positiven Vollziehungsrechts. Der Gedanke, daß keine Theilung der Gewalten stattfinden dürfe, bedeutet daher nicht, daß keine Uebertragung und keine Be- schränkung dieser Regierungsgewalten, sondern nur daß die Ausübung derselben nur unter Zustimmung und im Namen der Staatsgewalt stattfinden dürfe. Alle diese allgemeinen Sätze gewinnen aber erst ihren festen Inhalt in der Lehre von dem Systeme ihrer Rechte , zu dem wir jetzt übergehen. II. Das Recht der vollziehenden Gewalt. Begriff desselben. Begriff von Gesetz und Verordnung und ihr Recht. Das Recht dieser, in der obigen Weise in seine Elemente aufge- lösten vollziehenden Gewalt hat nun für das ganze Staatsleben eine so hohe Bedeutung, daß es von jeher, seit es eine Wissenschaft des öffent- lichen Rechts gibt, die größte Aufmerksamkeit gefordert und gefun- den hat. In der That entspringt dasselbe aus dem innersten Wesen des or- ganischen Staatsbegriffes, und begleitet die historische Entwicklung des- selben auf allen Punkten. Es ist in seinem Princip einfach, in seiner Anwendung vielgestaltig. Es ist das wichtigste Recht für die ganze innere Ordnung des Staats, und zugleich Ausdruck und Basis der staatsbürgerlichen Freiheit gegenüber der Allgewalt des Staats und seiner Organe. Es enthält, indem es für die vollziehende Gewalt gilt, die maßgebenden Grundsätze für die einzelnen Gebiete der Verwaltung im engern Sinne, also für Finanzen, Rechtspflege und innere Ver- waltung. Wie wir der Verordnungs-, der Organisations- und der Polizeigewalt allenthalben begegnen, so finden wir gleichfalls auf allen Punkten dieß Recht derselben wieder; — und es ist, wenn die bisherige Darstellung klar geworden ist, nunmehr auch wohl einleuchtend, daß und warum auch in diesem Rechte eine ungemeine Verwirrung herrscht. Um so mehr dürfen wir um die Aufmerksamkeit derer bitten, denen es um die Sache zu thun ist. Offenbar hat das Recht der vollziehenden Gewalten zu seiner Vor- aussetzung die äußere und innere Selbständigkeit der vollziehenden Ge- walt selbst gegenüber den andern Organen, welche die Persönlichkeit des Staats bilden. Die Grundlage dieses ganzen Rechts ist daher das Verständniß eben dieser Selbständigkeit, der Selbständigkeit eines orga- nischen Theiles im Ganzen, die, um nicht bloß eine Ordnung, sondern eben ein Recht zu sein, nicht bloß eine äußerliche und formale, sondern die Selbständigkeit eines Willens sein muß. Die Voraussetzung des Rechts der vollziehenden Gewalt ist daher das Setzen eines, in ihr selbst liegenden Willens, und der damit gegebenen Möglichkeit, daß dieser Wille der vollziehenden Gewalt, ent- weder als bloße Willensäußerung (Verordnung) oder als wirkliche That (polizeiliche Gewalt), mit dem Willen des Staats nicht übereinstimme. Denn es ist offenbar, daß wenn die vollziehende Gewalt entweder faktisch oder rechtlich keinen eigenen Willen hätte, sondern nichts wäre als die formelle Thätigkeit, welche den außerhalb ihrer selbst liegenden Willen des Staats vollbringt, dieselbe auch eben so wenig ein Recht haben könnte, wie jedes andre willenlose Werkzeug. Es ist auch nutzlos, dem entgegen zu behaupten, daß sie eben einen eigenen Willen haben solle . Denn sie kann sich diesen eigenen Willen nicht einseitig durch sich selbst verschaffen, sondern sie kann ihn nur durch die gesammte organische Entwicklung des Staats empfangen. Es mag daher sehr unrecht sein, daß sie den eigenen Willen nicht hat, aber das ist nicht ihr Unrecht, und darum ist es auch nicht ihr Unrecht, wenn sie in diesem Falle un- bedingt als eine gehorchende Gewalt erscheint. Ihr Recht entsteht da- her erst mit dem organischen Grundsatze des Staatslebens, daß sie in sich selbst einen Willen setzen und äußern könne. Um das nun zu können, muß es neben ihr im Staate eine zweite, gleichfalls selbständige Form des Staatswillens geben, dem dieser Wille der vollziehenden Gewalt gegenüber treten kann. Dieser zweite Wille ist nicht der des Staatsoberhaupts, und zwar darum nicht, weil die in ihm liegende Staatsgewalt ja selbst das Haupt der Vollziehung ist; sondern jene zweite Form ist die des Staatswillens in seiner gesetz- gebenden Funktion, getragen durch den gesetzgebenden Körper, oder kurz der Wille der gesetzgebenden Gewalt. Diese Form des sich selbst be- stimmenden Staatswillens nennen wir das Gesetz . Den Willen der vollziehenden Gewalt haben wir die Verordnung genannt. Die Selbständigkeit des Willens der letztern entsteht daher erst da, und mit ihr das Recht derselben, wo es neben den Verordnungen Gesetze gibt; und das Recht der vollziehenden Gewalt ist demnach die durch das Wesen des Gesetzes für Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt gesetzte rechtliche Gränze der vollziehenden Gewalt oder das Recht der Verordnung im Verhältniß zum Gesetze . Es ergibt sich daraus das erste wichtige Princip dieses Rechts- gebietes. So lange es nämlich kein selbständiges Organ der gesetzgeben- den Gewalt, und mithin einen von dem Willen der vollziehenden Ge- walt unterscheidbaren, selbständigen Willen der ersteren gibt, gibt es auch keine Rechtsgränze der vollziehenden Gewalt als in dem Willen ihres eigenen höchsten Organs. Denn wo jenes selbständige Organ fehlt, da ist der Wille des Staatsoberhaupts allein das Organ der Bildung eines Staatswillens; und da nun die Staatsgewalt zugleich im Staatsoberhaupt gegeben ist, und in und mit ihr die gesammte vollziehende Gewalt der Regierung, so folgt, daß jede Thätigkeit der letzteren, so lange sie mit dem Willen des ersteren übereinstimmt, nicht bloß die Gewalt des Staats enthält, sondern auch das wirkliche, orga- nische öffentliche Recht verwirklicht. Es ergibt sich daraus, daß sie, so lange die Gesetzgebung nicht selbständig vorhanden ist, überhaupt kein Unrecht thun kann . Denn der persönliche Wille des Staats- oberhaupts ist dann wirklich der Wille des Staats, und hat rechtlich eben so wenig Gränzen, als der letztere. Der Begriff des Rechts ver- schwindet alsdann für die vollziehende Gewalt, da jede Selbständigkeit der letzteren hier nicht eine Selbständigkeit innerhalb des Staatsorga- nismus, sondern gegen denselben, und damit nichts anders als ein Verbrechen gegen den Staat wäre. Wir nennen einen solchen Zustand eine Despotie. Das Wesen der Despotie besteht demnach darin, daß der subjektive Wille des Oberhaupts unbedingt und ohne Gränze der objektive Staatswille ist, und das Recht desselben, also das Recht des Gesetzes hat. Der formelle Charakter dieses Zustandes ist darin gegeben, daß jeder Unterschied zwischen Verordnung und Gesetz ver- schwindet , und alles Befohlene ein Gesetz ist. In ihm gibt es daher überhaupt kein Recht der vollziehenden Gewalt, ja eigentlich auch keine vollziehende Gewalt, sondern nur eine mechanische Vollziehung. Es ergibt sich aber zweitens aus dem obigen Begriffe der Satz, daß das Recht der vollziehenden Gewalt entsteht mit dem Rechte und der Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt, oder mit dem Entstehen des Gesetzes . Und die wesentlichste Frage ist daher für das ganze öffentliche Recht, und speziell für das Recht der vollziehenden Gewalt, was denn ein Gesetz sey. Denn erst wenn man weiß was ein Gesetz ist, kann man von einem Rechte des Willens der vollziehenden Gewalt oder der Verordnung gegenüber dem Gesetz, und damit von einem Rechte der ersteren überhaupt reden. Es ist nun nothwendig, sich dabei zu sagen, daß sowohl in der Philosophie des Staats als im allgemeinen Staatsrecht der Begriff des Gesetzes nicht feststeht. Und das ist auch der Grund, weßhalb wir vom Rechte der vollziehenden Gewalt so wenig wissen. In der That nämlich sind die gewöhnlichen Definitionen ganz nichtig. Der „allgemeine Wille,“ der „auf ordnungsmäßigem Wege“ ja sogar der auf „verfassungsmäßigem Wege“ zu Stande gekommene Staatswille ist noch kein Gesetz, sondern kann eben so gut Verordnung als Gesetz seyn. Eben so wenig scheidet der Gegenstand Gesetz und Verordnung; denn im Nothfalle verfügt auch die vollziehende Gewalt über Gebiete, welche der Gesetzgebung angehören. Demnach ist nun wissenschaftlich der Begriff des Gesetzes sehr leicht zu bestimmen und auch schon oben angegeben. Es ist derjenige Staatswille, der von dem Organ der Gesetzgebung aufgestellt und durch die Zustimmung des Staatsoberhaupts zum Willen des persönlichen Staats erhoben ist. Es gibt daher kein Gesetz ohne Volksvertretung , und mithin auch im Gegensatz dazu keine Verordnung und mithin auch kein Recht der vollziehenden Gewalt ohne dieselbe; aber so wie jene da ist, ent- stehen diese von selbst. Der Begriff von Gesetz ist ein Correlat des Begriffes der Volksvertretung; aber das Gesetz ist eben darum nicht die einzige Form des Staatswillens, sondern die zweite Form des Staatswillens ist die der vollziehenden Gewalt, welchen das Staats- oberhaupt gleichfalls zum Willen des persönlichen Staats erhebt; und diese Form ist die Verordnung. In der That scheidet sich daher auch die Verordnung eigentlich erst durch die Volksvertretung; sie ist der Staatswille ohne dieselbe, das Gesetz der Staatswille mit derselben. Und jetzt erst ist der Begriff des Rechts der vollziehenden Gewalt möglich. Dieses Recht entsteht nämlich nunmehr nicht dadurch, daß Gesetz und Verordnung verschieden sind, sondern vielmehr erst dadurch, daß sie gleich sind. Denn bis da sind sie Akte der Selbstbestimmung des Staats. Es ist nicht der Mühe werth, die Meinung nochmals zu widerlegen, als könne es jemals einen Zustand geben, in welchem es nur Gesetze und gar keine Verordnungen gäbe. Da sie beide zugleich vorhanden und beide zugleich organisch entstandene Staatswillen sind, so fordern sie beide die gleiche Gültigkeit. An sich hat die Ver- ordnungsgewalt gerade so viel und gerade so wenig Gränzen des Ge- horsams, wie die gesetzgebende Gewalt. An sich befiehlt sie mit dem- selben Recht über alles, wie das Gesetz. Der Staatsbürger für sich stehend kann daher zwischen Gesetz und Verordnung in Beziehung auf seinen Gehorsam gar keinen Unterschied machen . Das Recht der vollziehenden Gewalt oder der Verordnung besteht daher nicht in einer Begränzung dieser Gewalt an sich, sondern es entsteht, erst wo der Verordnung ein Gesetz entgegensteht . Hier ist die Verordnung dem Gesetze untergeordnet. Ein anderes Recht der vollziehenden Gewalt als diese Unterordnung gibt es nicht . So weit sie nicht durch ein Gesetz begränzt ist, ist sie selbst der herrschende Staatswille, ist sie Gesetz im weiteren Sinn, und was sie bestimmt, ist geltendes öffentliches Recht, so gut wie das des eigentlichen Gesetzes. Das ist das fundamentale Princip des Rechts der vollziehenden Gewalt. Es folgt daraus, daß alle Rechtsfragen auf diesem Gebiete keinen andern Inhalt haben als den, in welchem Verhältniß der Inhalt des Willens der vollziehenden Gewalt mit dem bestehenden Gesetze in Harmonie stehe? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen erst Maß und Form des Antheils des gesetzgebenden Körpers an der Bil- dung des Staatswillens selbst feststehen. Das aber, in der Theorie vielleicht sehr einfach, ist in der Wirklichkeit erst durch einen Jahrhunderte langen Kampf der verschiedenen Elemente des Staatslebens endgültig geregelt, und zum Theil auch jetzt noch nicht ganz entschieden. Der positiv rechtliche Begriff des Gesetzes hat damit seine Geschichte, und mit ihm alle seine obigen rechtlichen Folgerungen. Noch immer sind wir in dieser Geschichte; sie ist keinesweges abgeschlossen. Noch immer gibt es keinen in ganz Europa, und eben so wenig in Deutschland ge- meinschaftlich gültigen Begriff des Gesetzes, geschweige denn der Ver- ordnung. Ja dieser Begriff des rechtlich gültigen Gesetzes ist nicht bloß verschieden in den verschiedenen Staaten, und von der gesammten Staats- wissenschaft ganz und gar vernachlässigt, sondern es ist in einigen Staaten überhaupt gar nicht scharf zu bestimmen, theils weil Verordnungen als Gesetze erlassen werden, wie in England und Nordamerika, während anderseits wieder selbständige Verordnungsgewalten anerkannt sind, theils weil das Recht der Volksvertretung auf Theilnahme an der Be- stimmung des Staatswillens so unbestimmt ausgedrückt ist, daß die Gränze zwischen Gesetz und Verordnung geradezu verschwindet. Wir müssen daher, ehe wir weiter gehen, wenigstens den großen historischen Proceß in seinen Umrissen darlegen, an dessen Ende die definitive Lösung dieser Frage liegt, obgleich diese Aufgabe eigentlich der Ver- fassungslehre angehörte. Nicht bloß in dem Moment eines anerkannten Begriffes von Gesetz und Verordnung, sondern eben so sehr in dem eines bestimmten Begriffes vom öffentlichen Rechte liegt die Schwierigkeit unserer Aufgabe. Wir müssen fest- halten, daß so lange unsere Wissenschaft sich nicht dazu versteht, mit den ge- gebenen Ausdrücken einen ganz bestimmten Sinn zu verbinden, wir im Ein- zelnen nach wie vor Treffliches leisten, aber im Ganzen nicht weiter kommen werden. Freilich ist es leicht erklärt, weßhalb der Begriff Gesetz noch so schwankend und wir möchten sagen örtlich ist; aber es ist keine Hoffnung, zu einem gemeingültigen Resultat zu kommen, wenn wir nicht feste Definitionen anerkennen. Die exakten Wissenschaften in der ganzen Welt sind uns voraus, weil sie eben auf solcher Grundlage weiter gehen, und sich mit Einzelnem be- schäftigen können, ohne an die Erarbeitung des systematischen Zusammenhanges ihre beste Kraft zu verlieren; die Franzosen sind uns namentlich im Verwal- tungsrecht weit voraus, weil sie sich um diesen Zusammenhang nicht viel küm- mern; wir müssen ihn haben; aber werden wir auch hier in Deutschland nie einig werden? Die Elemente der Geschichte des Gesetzes- und Verordnungsrechts bis zum neunzehnten Jahrhundert. Von einer Geschichte des Gesetzes läßt sich überhaupt, und speziell in Beziehung auf das öffentliche Recht der vollziehenden Gewalt nur dann reden, wenn man im oben aufgestellten Sinn Gesetz und Ver- ordnung scheidet, und das Gesetz auf die Entstehung und Ausbildung des selbständigen gesetzgebenden Organes der Vertretung des Volkes zurückführt. Allerdings gehört von diesem Standpunkt die ganze Lehre vom Gesetze dem Verfassungsrecht, und das Verwaltungsrecht müßte sie und den gültigen Begriff des Gesetzes voraussetzen. Wir können das nicht, weil die Behandlung beider nicht genügen kann. Wir müssen daher versuchen, die Grundlagen derselben hier aufzustellen. Die Geschichte des Gesetzes ist die Geschichte des Rechts der Volks- vertretung, als selbständiger gesetzgebender Körper aufzutreten. Dieß Recht, seiner Natur nach einfach, entwickelt sich langsam, und langsam wird daher auch der Begriff und das Recht des Gesetzes im öffentlichen Rechte bestimmt. Die Stadien dieser Entwicklung sind folgende. In der ursprünglichen Gestalt des germanischen Staatslebens steht allerdings der Grundsatz fest, daß das geltende Recht nur durch das ganze Volk festgestellt werden könne. Allein der Gegenstand der Be- schlüsse dieser noch ganz rohen, vom Volksleben nicht organisch geschie- denen gesetzgebenden Gewalt war doch nur die Rechtspflege. Es gab nur noch Rechtsgesetze. Der König hatte daneben sein Recht; es war das Recht, das sich auf das Heerwesen bezog. In den militärischen Verordnungen beginnt das Verordnungswesen, natürlich höchst unent- wickelt, wie in den Volksrechten die Gesetzgebung. Schon in der Carolingischen Zeit verschwindet dieß zweite Element. Die Völker haben, über die ganze Welt zerstreut, viel zu verschiedene Lebensverhältnisse, um ferner noch einheitliche Rechtsgesetze bilden zu können. Das Königthum dagegen fügt seiner militärischen Verordnungs- gewalt schon damals die polizeiliche Verordnungsgewalt hinzu, ja greift ferner in die Rechtsgesetzgebung durch einzelne Interpretationen und spezielle, meist processualische Verfügungen hinein. Die Nothwendig- keit ein gleiches Recht zu haben und die Unmöglichkeit, Rechtsgesetzliches durch das ganze Volk berathen und beschließen zu lassen, machen diese Gesetzgebung durch das Königthum auch auf dem Gebiete des Rechts in der Form von Verordnungen nothwendig. Da von einer vollziehen- den Gewalt außerhalb des richterlichen Urtheils noch nicht die Rede ist, so wird auch das Bedürfniß nicht empfunden, ein Recht der Gesetze dem Recht der Verordnung entgegenzustellen. Die Vorstellung von dem Recht des römischen Kaisers, Verordnungen zu erlassen mit voller Gül- tigkeit ( constitutiones quae legis habent vigorem ) geht in dieser Weise auf die Carolinger über. Alle Unterschiede verwischen sich daher in dem Begriff des „geltenden Rechts,“ das aus den Volksrechten und den königlichen Verordnungen zugleich besteht, ohne daß man von einer Verschiedenheit ihres Rechts reden konnte. Das ist die Zeit der Capi- tularien und der ihnen mit gleichem Recht zur Seite stehenden leges barbarorum . Ganz anders gestaltet sich das Verhältniß zur Zeit des Lehens- wesens. Das Lehenswesen beruht auf dem Begriff des Eigenthums an den staatlichen Rechten, welche mit dem Grundbesitz verschmolzen sind. Dieser Begriff schließt jede andere Form der Verwaltung als die der Rechtspflege aus. Es gibt daher hier gar keine allgemeine Gesetz- gebung, gar kein gemeingültiges Gesetz mehr; denn das Volk ist in zwei Stände aufgelöst, und jedes Mitglied des herrschenden Standes ist auf seinem Grund und Boden souverain. Jeder Lehensherr hat daher jetzt für seinen Besitz das Recht der Staatsgewalt auf Gesetzgebung und Verordnung zugleich; der König aber ist ein oberster Lehensherr. Er hat daher keine andere vollziehende Gewalt als jeder Lehensherr, d. h. für seinen eigenen Besitz. Der Staat hat seinen Inhalt verloren; er ist in örtliche Selbstherrlichkeiten aufgelöst; Gesetz und Verordnung sind nicht eben vermischt, sondern sie sind eigentlich geradezu verloren. Aus diesem Verhältniß tritt der Staat nun zuerst hinaus durch die Hoheitsrechte . Die Hoheitsrechte, Regalien, bilden sich als das Gebiet der Rechte und Pflichten des Staats gegenüber der Sou- veränetät der Grundherrlichkeit; da aber der Staat in der Person des Königs noch getrennt vom Volksleben dasteht, so erscheinen die Regalien gleichfalls unter dem Grundbegriffe des öffentlichen Rechts im Lehen- wesen, dem lehensherrlichen Eigenthum des Königs. Es folgt, daß diese Regalien sich der Bestimmung durch den Volkswillen — der Ge- setzgebung — gleich bei ihrem Entstehen entziehen; sie sind Rechte des Königthums, und damit ist auch der Satz unbezweifelt, daß sie und ihre Ordnung nur der Verordnungsgewalt unterliegen. Diese Thatsache wird nun von großer Wichtigkeit für die folgende Zeit. Denn die Dehnbarkeit des Begriffs der Hoheitsrechte wird da- durch identisch mit der Ausdehnung des königlichen Rechts, die allmählig entstehenden öffentlichen Angelegenheiten überhaupt auf einfachem Ver- ordnungswege zu verwalten. Was irgend als Regal sich darstellen läßt, erscheint an und für sich der Gesetzgebung im ursprünglichen Be- griffe entzogen, und dem persönlichen Willen des Königthums eben so gut unterworfen, wie die Domänen und der Privatbesitz desselben. In der That aber ist schon damals die ganze entstehende Verwaltung in der Regalität enthalten. Das natürliche Verständniß ergab den Satz selbst in jener wenig philosophisch gebildeten Zeit, daß alle Anstalten welche dem allgemeinen Interesse dienen, Anstalten des Staats sein müssen; daß nur der Staat die Fähigkeit habe, sie einzurichten und zu betreiben; sie sind es daher, welche den bis dahin abstrakten Begriff des Staats mit einem concreten Inhalt erfüllen; sie sind die Ver- waltung der ständischen Epoche. Und auf diese Weise begründet sich nun der, mit seinen Consequenzen bis zur heutigen Zeit reichende Satz, daß überhaupt die Verwaltung keinen Gegenstand der Gesetzgebung, sondern nur der Verordnungsgewalt und mithin des Verordnungsrechts bilde. Auf diesem Punkte ist es daher auch, wo sich der Kampf zwi- schen den beiden Rechten später am lebhaftesten entwickelt und am mei- sten verwirrt. Denn in der That ist gerade die Verwaltung sowohl im weitern als im engern Sinn das Gebiet der Gesetzgebung; hat sie hier keine Aufgaben, so hat sie überhaupt nur wenig zu thun; diese Aufgaben aber betrachtete das Verordnungsrecht als seine Domäne, und nicht ohne den hartnäckigsten Widerstand hat es dasselbe so weit hergegeben, als es das thun mußte. Nur ein Gebiet aus der Verwaltung erhielt sich selbst in dieser Zeit die eigentliche Gesetzgebung, und das war das Recht und die Rechtspflege. Es war allerdings klar, daß bei der zunehmenden Ent- wicklung der Verordnungsgewalt nur in dem Recht und der Rechtspflege ein Schutz der bürgerlichen Freiheit zu finden war, und eben so gewiß waren es Recht und Gericht, welche die erste Grundlage der Entwicklung des Volkslebens, die Sicherung und Ordnung von Gewerbe und Ver- kehr über die verwirrten Zustände der Epoche des Faustrechts erhoben. Recht und Gericht erscheinen daher als das bei weitem wichtigste Ge- biet der öffentlichen Thätigkeit; es war undenkbar, dasselbe wie die übrige Verwaltung der Verordnungsgewalt zu überlassen. Dazu kam, was nicht minder wesentlich war, daß das Recht zugleich den Schutz der Grundlage der ständischen Ordnung, die Vertheilung und die Vorrechte des Besitzes enthielt und schützte; eine Ueberlassung der Rechtsbildung an die Verordnungsgewalt war daher auch von dieser Seite nicht möglich. So hielt das germanische Leben an dem Grundsatze fest, daß das Rechtsleben nur durch Zustimmung des Volkes und unter seiner Mitwirkung gesetzlich geregelt werden könne, während die übrige Verwaltung ganz der Verordnungsgewalt anheim fiel. An den Rechts- gesetzgebungen hielten sich daher auch die Körper der Volksvertretung fest; ja sie griffen in die übrige Verwaltung so weit hinein, als dieselbe es mit dem bürgerlichen und gesellschaftlichen Recht zu thun hatte. Und daraus entstand nun die Grundlage der Vorstellungen, die wir später wissenschaftlich formulirt sehen, und die noch gegenwärtig so vielen gilt, daß nämlich die Gewalt, welche das Recht bildet und verwaltet, etwas specifisch Verschiedenes von den übrigen Gewalten sei, oder daß man die richterliche und die vollziehende Gewalt vollkommen und wesentlich scheiden müsse . Eine solche einseitige Auffassung kann natürlich nur geschichtlich erklärt werden; es wäre sonst ganz unver- ständlich, wie man die richterliche Gewalt mit dem Exekutionsrecht ihrer Urtheile nicht als einen Theil der vollziehenden, oder sie mit ihrer organischen, rechtsprechenden Thätigkeit nicht als einen Theil der Ver- waltung hätte betrachten sollen. Trotz dieser Selbständigkeit der Rechtspflege fand die Bewegung auf demselben dennoch aus einer Reihe von Gründen nicht in dem Körper der Volksvertretung, sondern vielmehr auf dem Gebiete der Theorie und der Praxis statt; wir dürfen das alles als bekannt voraussetzen. Ebenso bekannt wird es jedem Rechtshistoriker sein, daß dieß geltende Recht auch da, wo es gesammelt und als gültig anerkannt ward, nicht durch eine förmliche Gesetzgebung, sondern entweder durch Privatfleiß, oder durch Regierungsmaßregeln, wie die coutumes in Frankreich, auf- gestellt ward. Da nun die Gesetzgebung gegenüber der Verordnung fast ausschließlich auf das Rechtsleben angewiesen war, so ergab sich, daß die erstere gegenüber der letztern faktisch verschwand . Während seit dem vierzehnten Jahrhundert die Gesammtinteressen mehr und mehr zur Entwicklung gediehen und daher der Verordnungsgewalt mehr und mehr durch die Natur der Dinge das Recht eingeräumt ward, das öffentliche Recht zu bilden, sehen wir die alte Gesetzgebung sich fast vollständig auflösen; es ward eine allgemeine europäische Thatsache, daß die Könige das Recht des Staats zu bilden haben; von ihnen ward, und mit Recht, alles erwartet, was als Grundlage des Wohlstandes angesehen ward; die Vorstellung von einem Gegensatz des Verordnungsrechts und des Gesetzesrechts ward um so vager, als einerseits die gesetzgebenden Körper sich aufgelöst hatten, und anderseits das römische Recht die Tradition des fürstlichen Rechts auf den Erlaß gültiger Verordnungen lebendig erhielt. Und daraus entstand nun, wenn auch nicht klar for- mulirt, so doch im allgemeinen Gange der Dinge begründet, eine Um- gestaltung der Auffassung des öffentlichen Rechts in Beziehung auf die Gesetzgebung. Die königliche Gewalt nahm den Satz auf, daß die Theilnahme des Volkes an der Bildung des Staatswillens mehr eine Sache der Zweckmäßigkeit als des Rechts sei, und daß der Wille der Vertretungen daher für das Königthum nicht als Beschluß, sondern nur als Berathung gelte , deren sich das letztere auch entschlagen könne. Das Wesen und Recht des Staatswillens, also des Gesetzes, beruhe nicht auf der Zustimmung des Volkes in seiner Vertretung, son- dern in der höchsten Gewalt des Staats, dem von Gott eingesetzten Königthum; sein Wille sei der Staatswille. Oder wie wir es jetzt aus- drücken können, nachdem die Thätigkeit der Gesetzgebung verschwunden, verschwand jetzt auch Begriff und Recht des Gesetzes, und damit der Unterschied desselben von der Verordnung. Die Verordnungsgewalt nahm das Recht der gesetzgebenden Gewalt für sich in Anspruch; sie machte zum obersten Grundsatz alles öffentlichen Rechts, daß der persön- liche Wille des Königs die Quelle der Gültigkeit jedes Rechts, oder daß jede Verordnung ein Gesetz sei . Das ist das Princip welches im sechzehnten Jahrhundert den Kern der staatsrechtlichen Auffassung bildet, und das ihm siebenzehnten Jahrhundert seinen Kampf zu bestehen hat, um im achtzehnten definitiv zu siegen, und im neunzehnten dem freieren Rechte unsrer Gegenwart Raum zu geben. Es ist daher charakteristisch, daß wir auch in dieser Zeit die Aus- drücke von Gesetz und Verordnung theils gar nicht, theils nur in sehr ungenauer Anwendung finden. Es wird die Aufgabe der künftigen Geschichtschreibung sein, die Bedeutung und das Recht des „Landes- rechts,“ der „Ordnungen,“ der „ordonnance,“ des „law“ genauer zu be- stimmen. Sie sind von großer Wichtigkeit für diesen Theil der neuern Geschichte. Denn schon mit dem Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts tritt ein neuer Faktor auf, der ganz entscheidend zu wirken bestimmt ist. Das ist die Nothwendigkeit für das Königthum, Steuern zu ver- langen. Die Steuer ist damals nicht bloß das was sie jetzt ist, sie ist mehr. Sie ist ein Eingriff in das Recht des ständischen Besitzes. Die Steuerforderung erscheint daher als ein Widerspruch mit dem Privat- recht, dem Recht auf das Eigenthum. Das Privatrecht aber, das ständische wie das bürgerliche, hatte sich, wie erwähnt, wenigstens prin- cipiell noch immer dem Verordnungsrecht entzogen. Die Pflicht zur Steuer konnte nicht auf dem einseitigen Willen der höchsten Gewalt beruhen, so wenig wie das Eigenthumsrecht. Dennoch mußten Steuern sein. Es blieb daher nichts übrig, als sie auf den Willen der Volks- vertretung zurückzuführen, oder ihnen eine Gesetzgebung zum Grunde zu legen. Diese neu entstehende, erst allmählig zur rechten Gestaltung gelangende Steuergesetzgebung ist bekanntlich das landständische Recht der Steuerbewilligung. Allerdings hat dieselbe einen viel engern Kreis als man gewöhnlich annimmt; alles was als Regal eine Steuer ent- hält, fällt nicht darunter, sondern fast ausschließlich die Grundsteuer; aber das ändert ihre historische Bedeutung nicht. Diese besteht einfach in dem bekannten Satze, daß, während Gesetzgebung und Gesetz auf allen andern Punkten in der Verordnung untergegangen sind, in der Steuer das selbständige Recht des Gesetzes wieder auflebt, und das Verordnungsrecht hier seine erste, entschiedene Gränze findet. So wie dieß geschieht, entsteht nun der Kampf zwischen Königthum und Landesvertretung. Das erste will auch diese staatswirthschaftliche Verwaltung bloß durch Verordnungen regieren, die zweite will ihr Recht, hier nur Gesetze gelten zu lassen, dazu benützen, um das ganze Gebiet der Verordnungen der Beschlußfassung der Stände zu unter- werfen. Man kennt die Geschichte Englands, Frankreichs, Deutschlands in dieser Beziehung. In England siegen die Stände — denn das Parlament ist doch nur eine große Ständeversammlung — auf dem Continent siegt das Königthum. In England geht daher auch die ganze Verordnungsgewalt wenigstens principiell an die Stände über, auf dem Continent entscheidet der dreißigjährige Krieg für das König- thum und die Stände verschwinden mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Damit ist die Frage für den ganzen Zeitraum endgültig entschieden und der Charakter des öffentlichen Rechts definitiv festgestellt. Es gibt gar keinen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung mehr; es gibt nur noch ein gültiges Recht durch den Willen der Staatsgewalt. Es gibt daher auch keine Frage mehr nach den Gränzen der Verord- nungsgewalt, oder nach einem Rechte derselben, denn jede Verordnung ist Staatswille, ist Gesetz. Das geht so weit, daß jetzt auch das bür- gerliche Recht nicht mehr grundsätzlich als Gegenstand der Gesetzgebung betrachtet wird; es ist gerade so gut als die Finanzgesetzgebung und die innere Verwaltung der Verordnungsgewalt unterworfen, und die großen Gesetzbücher dieser Epoche, zuerst das dänische von 1683, dann die ver- schiedenen französischen, spanischen, sardinischen Codificationen, endlich das österreichische bürgerliche und das preußische Landrecht werden ein- fach auf dem Wege der Verordnung mit unbezweifelter Gesetzeskraft erlassen. Die Worte Gesetz und Verordnung haben nur noch eine historische, höchstens eine formelle Bedeutung; jeder Erlaß der Staats- gewalt ist jetzt das, was wir gegenwärtig Gesetz nennen. Das ist das Princip des öffentlichen Rechts im achtzehnten Jahrhundert. Man soll nur nicht glauben, daß der tiefe Widerspruch, der in diesem Princip zu dem Wesen der germanischen Staatenbildung liegt, ganz unbeachtet vorübergegangen sei. Wir sehen im Gegentheil viel- fache Versuche, das Recht des Gesetzes gegenüber dem Rechte der Ver- ordnung aufrecht zu halten. Aber sie blieben bis zu den siebziger Jahren im Gebiete der Theorie; diese Theorien sind aber nur verständlich auf Grundlage der obigen historischen Auffassung. Wir müssen uns be- gnügen, hier ihre Richtung zu charakterisiren. Den ersten Versuch macht Montesquieu mit seiner Scheidung der Gewalten; indem er die gesetz- gebende Gewalt der richterlichen gegenüberstellt, will er eigentlich dem Organismus des Staats Begriff und Recht des Gesetzes im Namen der Politik vindiciren. Die zweite Richtung, von Moser vertreten, will das Recht auf die Scheidung von Gesetz und Verordnung auf die historischen Bildungen des öffentlichen Rechts zurückführen, während die rein philo- sophische der französischen Encyclopädisten, vor allen Rousseau, jeden Staatswillen zum Gesetze machen. Daneben sucht die eigentliche Juris- prudenz in der casuistischen Unterscheidung von Justiz- und Admini- strativsachen die Gränze für die rechtsbildende Kraft und Gültigkeit der Verordnung, gelangt aber auch ihrerseits nur zu Abstraktionen, weil eben das Substrat der Unterscheidung, die rechtlich anerkannte Natur des Gesetzes gegenüber der Verordnung fehlt, und diese Jurisprudenz sich eigentlich gar nicht zur Aufgabe macht, sie herzustellen, so ist mit dem achtzehnten Jahrhundert das Gebiet des Verordnungsrechts eigent- lich verschwunden; auch die unklaren Versuche, in einer Notabelnver- sammlung ein Organ der Gesetzgebung selbständig herzustellen, scheitern. Grundsatz ist, daß Recht ist, was der König will, und nichts anderes; in ihm besteht das öffentliche Recht, und in diesem Zustande konnte daher auch keine Theorie, sondern nur die organische Neugestaltung des Staats Hülfe bringen. Es ist natürlich vollkommen unmöglich, an diesem Orte auf diesen durch- aus vernachlässigten Theil der Geschichte einzugehen. Wir bemerken nur Eins, um vielleicht zu weiteren Fragen anzuregen. Selbst das römische Recht hat sich diesen Untersuchungen nicht etwa bloß entzogen, sondern sogar ein neues Moment hinzugefügt, ohne es zu erklären, das Moment der Reception . Es ist bisher nicht im Stande gewesen, die Frage zu beantworten, ob das römische Recht selbst Gesetz sei oder nicht; selbst der Ausdruck „geltendes Recht“ genügt nicht, da eben nicht alles im römischen Recht gilt, und nirgends auch nur der Versuch existirt, einen leitenden Grundsatz für die Scheidung des Gelten- den und Nichtgeltenden aufzustellen. Wir müssen daher die weitere Bearbeitung der oben angedeuteten Gesichtspunkte für die Aufgabe selbständiger, freilich eben so schwieriger als wichtiger Arbeiten halten. Erst das Folgende kann genauer betrachtet werden. Die verfassungsmäßigen Begriffe von Gesetz und Verordnung. Neunzehntes Jahrhundert. Wir können nun, der obigen Darstellung gegenüber, den Begriff des Gesetzes und der Verordnung, wie sie in unserem Jahrhundert zur Geltung gelangt sind, den Begriff und das Recht der verfassungs- mäßigen Gesetze und Verordnungen nennen. Es wird nicht schwer sein, das Wesen derselben nunmehr zu bestimmen. Nur muß man dabei sich weder mit dem specifisch-deutschen Begriffe begnügen, noch auch Frank- reich und England bloß als interessante Beispiele hinzufügen, wie es gewöhnlich geschieht. Im Gegentheil muß man davon ausgehen, daß das Recht der Gesetze und der Verordnungen sich durch einen jener Processe gebildet hat, welche der europäischen Rechtsgeschichte gemein- sam angehören, daß dieß Recht zugleich in jedem Lande ein indivi- duell gestaltetes ist und mit dem selbsteigenen Charakter seines öffent- lichen Rechtslebens auf das Innigste verbunden, und daß wir endlich, namentlich in Deutschland, noch in der Mitte dieses Processes stehen. Das deutsche Staatsleben wird noch ein ganzes Menschenalter brauchen, um über dieß Recht klar und einig zu sein. Um so wichtiger ist der Versuch, die Sache auf ihre einfachste Grundlage zurückzuführen. Mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft nämlich und dem Principe des freien Staatsbürgerthums ist die Identität des Staats- willens und des individuellen Willens der Fürsten, oder die Identität von Gesetz und Verordnung unmöglich. Der Staatswille erscheint als der organisch gebildete Gesammtwille des Volkes; das Recht an dieser Bildung Theil zu nehmen, ist das eigentliche Wesen des Staatsbürger- thums; das Recht des so gebildeten Staatswillens ist die staatsbürger- liche Freiheit. Die Voraussetzung beider ist demnach die Bildung eines Organes, welches der Träger dieses Willens ist; das ist die Volksver- tretung. Und so entsteht nun der erste und eigentliche Begriff des Ge- setzes; das Gesetz ist der, durch den Volkswillen in seinem verfassungsmäßigen Organe anerkannte Staatswille . Es bedarf nun keiner Erinnerung an die furchtbaren Kämpfe, welche dieser so einfache Gedanke hervorrief. Wohl aber muß man nunmehr darauf hinweisen, daß derselbe in jener einfachen Form eben noch keineswegs fertig war. Es war ein Princip. Die organische Har- monie dieses Princips mit den übrigen Gesetzen des Staatslebens, oder die spezielle Gestaltung des Begriffes und Rechts des Gesetzes sollte erst gefunden werden. Man wird in dieser Beziehung drei Epochen scheiden können. Die erste dieser Epochen bezeichnet uns gleichsam die Jugend jenes Princips. Der Wille überhaupt soll herrschen, der Staatswille soll im Staate herrschen, das Gesetz ist der Staatswille, es kann nichts über dem Gesetze geben; die Volksvertretung ist das herrschende Organ des Staatslebens. Alle Thätigkeiten müssen daher dem Gesetz unterthan sein; sie können keine Selbständigkeit gegenüber dem Gesetze haben; sie sind Diener des Gesetzes. Die Vollziehung ist daher nichts als eine Aeußerung des Gesetzes; nur insofern ist sie selbständig; sie soll keinen Willen für sich haben; höchstens darf sie die Unmöglichkeit des Staats- willens im Veto erklären. Damit hat das Staatsoberhaupt seinen wahren Charakter verloren. Er ist nicht mehr Staatsoberhaupt, son- dern der ganze Staat hat sich in die zwei Gewalten, die gesetzgebende und die vollziehende geschieden; das Staatsoberhaupt ist nichts, als das Haupt der vollziehenden Gewalt . Er darf eben so wenig mehr sein, als die That mehr sein darf, als der Wille; er steht unbe- dingt unter dem Willen, und diese Unterordnung formulirt sich zum Recht der Verantwortlichkeit. Die vollziehende Gewalt kann diesen Ge- horsam fordern, aber nicht im Namen des Staats, sondern im Namen des Gesetzes . An und für sich ist sie rechtlos . Es gibt daher dem öffentlich-rechtlichen Begriff nach nur noch reine Vollzugsverordnungen; keine Verordnung kann das Recht des Gesetzes für sich in Anspruch nehmen. Das ist das Princip des französischen Contrat social, zuerst zum geltenden Recht erhoben in Nordamerika, dann in der französischen Revolution, und im Jahre 1848 wieder in einigen romanischen Ver- fassungen anerkannt. Offenbar enthält diese Auffassung den Widerspruch, daß der Ver- ordnungsgewalt damit das Recht genommen ist, die Stelle des Gesetzes da zu vertreten, wo das Gesetz nothwendig ist, aber fehlt. Sie lähmt den Staat, indem sie jede Thätigkeit desselben von der Volksvertretung abhängig macht; sie ist unerfüllbar, weil die Gesetzgebung den Auf- gaben der Verwaltung nie ganz genügt. Sie ist daher auch nur erklär- bar als Gegensatz gegen das umgekehrte Verhältniß, welches das Recht des achtzehnten Jahrhunderts bildete, und alle Gesetze in das Verord- nungsrecht aufgehen ließ. Ihre Verantwortlichkeit ist nicht die lebendige der Verfassung, sondern die privatrechtliche eines Mandatars. So ward sie aufgefaßt, und auch benannt; aber es war ein leeres Wort. Die Unmöglichkeit der Sache war nicht geringer als die des entgegengesetzten Zustandes im achtzehnten Jahrhundert. Kein Gesetz kann das Wesen der an sich selbstthätigen Vollziehung vernichten. Bald genug macht sich diese geltend. Gesetzgebung und Vollziehung gerathen in Kampf; es entsteht die wunderbare Erscheinung eines tiefen, fast instinktmäßigen Hasses beider gegeneinander. Dieser Haß wird zur offenen Verfolgung; erst siegt die Gesetzgebung, unterwirft die Vollziehung, und wir sehen den organischen Widerspruch zur Geltung gelangen, daß die Gesetzgebung vorwalten will. Dann siegt die Vollziehung, und zwar wie es immer gewesen ist und ewig bleiben wird , durch das Heer, und jetzt wird aus der beschließenden Gewalt der ersteren eine bloß berathende. Das ist der Punkt, wo sich die neue Gesetzgebung mit ihrem Recht am meisten der alten Gestalt der Dinge nähert. Das Gesetz ist jetzt der, unter der Mitberathung der Vertretungsorgane zu Stande gekommene Wille des Staatsoberhaupts; nicht mehr der Beschluß jener Organe. Der Wille der Gesetzgebung ist aus dem alleinherrschenden Element zu einem organischen, thatsächlich untergeordneten Faktor des Staatslebens geworden. Das ist die Epoche, welche mit dem Direktorium beginnt, und ihren Höhepunkt unter Napoleon findet. Die Epoche, welche der Herrschaft Napoleons folgt, hat einen andern Charakter. Es ist die Zeit, in welcher die zur Selbständigkeit gelangende staatsbürgerliche Gesellschaft darin ihren Ausdruck findet, daß sie für ihre Vertretung das Recht des Beschlusses gewinnt, und daneben das Königthum als selbständig anerkennt. Es ist die Zeit, in der die eigentlichen Verfassungen entstehen. Mit ihnen formulirt sich endlich der Begriff des Gesetzes. Erst mit der Charte Ludwigs XVIII . haben wir das, was wir im strengen Sinne des Wortes ein Gesetz nennen; der Staatswille, gesetzt durch den Beschluß einer organischen Volksver- tretung und als Wille des Staats durch die Sanktion des Königs aner- kannt. Das Königthum ist jetzt nicht mehr bloß die vollziehende Ge- walt, sondern das selbständige Oberhaupt des Staats. Der Grund- gedanke der eigentlich sogenannten Verfassung ist gefunden. Damit aber entsteht zugleich die Frage nach dem Inhalt und Recht der Vollziehung und Verwaltung. In dem Rechte der Gesetzgebung ist die Idee leben- dig, daß das Gesetz die Quelle alles öffentlichen Rechts sein solle, allein eben die Selbständigkeit des Königthums erhält den Gedanken, daß die Persönlichkeit des Staats ein Leben hat, das nicht bloß von dem Ge- setze abhängig sein darf. Der König muß das Recht haben, da wo die Gesetze schweigen, Verordnungen zu erlassen, welche das Recht des Gesetzes besitzen. Dieser Satz tritt anfangs mit einer gewissen Schüch- ternheit auf, gleichsam in dem Bewußtsein der Gefahren, die er bringen sollte. Aber selbst trotz dieser Gefahren bleibt er noch in der Charte von 1830 bestehen und mit Recht; er ist der Grundgedanke des ver- fassungsmäßigen Verordnungsrechts , das Recht der vollziehenden Gewalt, durch Verordnungen das Gesetz nicht bloß zu vollziehen, son- dern auch zu ersetzen, beschränkt durch das zweite Princip, daß keine Verordnung ein einmal gegebenes Gesetz aufzuheben vermag. Die — wir müssen sagen ziemlich unklare Vorstellung von diesem Recht wird nun schon seit der Herrschaft Napoleons auf die deutschen Verfassungsbildungen übertragen, und hätte hier vielleicht gleich anfangs, seine volle wissenschaftliche Entwicklung empfangend, die Basis des öffent- lichen Rechts gebildet, wenn nicht zwei Gegengewichte vorhanden ge- wesen wären. Das erste bestand darin, daß man in der Aufstellung des offen anerkannten Rechts der selbständigen, in der Volksvertretung repräsen- tirten gesetzgebenden Gewalt dasjenige gesehen hatte, was man die Theilung der Gewalten nannte. Man ging bei dieser Vorstellung auf den revolutionären Begriff der gesetzgebenden Gewalt zurück, und verstand unter der Forderung nach einer Gesetzgebung im constitutio- nellen Sinne ein Verhältniß, in welchem Königthum und Executive identisch , und das erstere daher nicht nur seiner Stellung als freies Oberhaupt beraubt, sondern direkt und rechtlich zu demjenigen Gehor- sam gegen die Gesetzgebung verpflichtet wurde, der überhaupt der bloßen Vollziehung gegenüber dem Willen zukommt. Die höhere Natur des Königthums, gestützt auf die Erfahrungen der Revolution, bekämpfte diese Auffassung und mit vollem Recht, und so entstand das, was man in jener Zeit als das monarchische Princip in Verfassung und Verwal- tung bezeichnete: die Negation „der Trennung der Gewalten.“ Sie bedeutete nicht , daß nicht Gesetzgebung und Verwaltung getrennt sein sollten, sondern sie bedeutete, daß das Recht des Königthums in voll- kommen gleichem Maße über den beiden Gewalten stehe. Das zweite wichtigere Moment aber bestand darin, daß das Recht des Körpers der Volksvertretung, in der Gesetzbildung mitzuwirken, theils nicht klar gedacht, theils sehr verschieden begränzt, theils für ganze Jahrzehnte in manchen Staaten gar nicht anerkannt ward. Es gab daher Staaten, namentlich die drei süddeutschen, welche den Begriff und das Recht des Gesetzes vollständig ausgebildet hatten; es gab andere, in denen das Recht der Theilnahme der Vertretung an der Bildung des Staatswillens auf gewisse allgemeine Gränzen (z. B. Gesetze über Freiheit und Eigenthum) beschränkt war; es gab andere, in denen die Vertretung nur das Recht der Berathung, und zwar in ganz unbe- stimmter Ausdehnung besaß; es gab andere, wie gesagt, in denen es gar keine Vertretung gab. Deutschlands öffentliches Recht bot daher alle Variationen des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung dar, Länder mit ausgebildetem, mit unklarem Verordnungsrecht, und Länder in denen Gesetz und Verordnung wie im achtzehnten Jahrhundert voll- kommen identisch waren. In dieser Verwirrung des Rechts und der Begriffe lebte nun das Gefühl, und zum Theil auch das klare Bewußt- Stein , die Verwaltungslehre. I. 5 sein von dem wesentlichen Unterschied von Gesetz und Verordnung, namentlich in der Wissenschaft des öffentlichen Rechtes fort, und diese Wissenschaft stellte sich jetzt wie seit zwei Jahrhunderten die ewig erneute Aufgabe, das gemeinsame öffentliche Recht Deutschlands, das soge- nannte deutsche Staatsrecht, wissenschaftlich formuliren zu wollen, und thut es noch gegenwärtig; die Folge mußte eine ungeheure Verwirrung der Begriffe sein. Denn in der That gab es für das deutsche Staats- recht weder einen Begriff und ein Recht von Gesetz und Verordnung, noch mangelte er. Was für den einen Staat richtig und gültig war, war für den andern schon zu fordern ein Verbrechen. Jede klare Er- kenntniß verschwand, und damit sogar das Verständniß der so nahe liegenden französischen und englischen Zustände. Es gibt vielleicht in der ganzen Geschichte der Wissenschaft Deutschlands kein trostloseres Bild, als das dieser Zeit, in der man alle feste Grundlage verloren, und die ungeregeltste Willkür in Ausdrücken und Rechtsvorstellungen herrschen sieht. Man kann nun im Allgemeinen sagen, daß diese Epoche eine ziem- lich überwundene ist. Die Anerkennung der organischen Stellung der Volksvertretung für die Gesetzgebung ist fast ausnahmslos gewonnen. Das Leben selbst vollbringt, was der Wortlaut der Verfassungen unbe- stimmt gelassen. Ob auch vieles zu thun ist, vieles ist schon gethan. Und wir können sagen, daß sich nach langen Mühen und Kämpfen Be- griff und Recht der Gesetze neben dem der Verordnung festgestellt haben. Aber auf diesem Punkte nun ist es, wo eine neue Arbeit beginnt. Und dieser Arbeit gehört das Folgende. Das Gute hat nämlich die oben bezeichnete Verwirrung gehabt, daß sie die Vorstellung beseitigt hat, als könne jemals die Vollziehung und Verwaltung nur die Dienerin der Gesetzgebung werden. Man hat offen und ehrlich anerkannt, daß die Verwaltung eine Funktion hat, welche durch die Gesetzgebung niemals ganz erschöpft werden kann; sie ist als ein selbstwirkender Faktor des Lebens im Staate anerkannt. Man ist sich einig, daß sie nicht bloß das Recht hat, bei der Gesetz- gebung die Initiative zu haben, sondern daß die Verordnungsgewalt auch an die Stelle der Gesetzgebung treten muß, wo diese mangelt. Dadurch nun ist die Frage nach dem wahren Verhältniß beider Faktoren zu einander entstanden, und die gerechte Anerkennung ihrer Selbständigkeit innerhalb des Staats wird es möglich machen, dieß Verhältniß nunmehr über die Sphäre der juristischen Casuistik zu er- heben, und es als ein lebendiges und organisches darzustellen. Die Unterscheidung von Gesetz und Verordnung . — Je gewisser es ist, daß sich Gesetz und Verordnung erst allmählig und zwar erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts geschieden und zu selbständigem Rechte entwickelt haben, und daß andererseits in diesem Unterschied ein wesentliches Moment des gesammten öffentlichen Rechts beruht, um so mehr fordert diese Entwicklung eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerst den Gang derselben in der Gesetzgebung des öffentlichen Rechts selbst von dem Gange der Theorie, in jener aber wieder die großen Völker und ihr Verfassungsleben trennen. Geschichte des öffentlichen Rechts der Gesetze und Verord- nungen . — Da, wie schon gesagt, ein bestimmter Unterschied von Gesetz und Verordnung gar nicht möglich ist, ohne das Auftreten eines gesetzgebenden Körpers, dieser letztere aber nicht bloß der Zeit, sondern auch dem Inhalt nach in den verschiedenen Staaten so sehr verschieden ist, so haben auch Begriff und Recht beider in jedem Volke ihre eigene Geschichte . England. Was zuerst England betrifft, so ist in England der Sieg des König- thums über die Volksvertretung niemals ein so entschiedener gewesen, als auf dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent- lichen, theoretischen Verfassung das Recht der Gesetzgebung und der Verwaltung gegen einander formell abzugränzen. Andererseits hat sich England immer das lebendige Bewußtsein, sowohl der königlichen, als der selbständig vollziehenden Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel- mehr in seinem staatlichen Bewußtsein verarbeitet, als gesetzlich formulirt, und die Darstellung muß daher sich hier mehr an die Natur der Sache anschließen, als an positive Rechtsbestimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens ist eben das Recht der natürlichen, organisches Gleichgewicht erzielenden Ge- staltung der Dinge. Die letztere ist nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt ist „the King in Parliament;“ sie hat das Recht, jedes Gesetz zu erlassen, was sie will; alles ist ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs kann daher nicht bloß förmliche Gesetzgebung, sondern auch jede einzelne Verordnung beschließen. Es existirt daher hier kein Unterschied von Gesetz und Verordnung nach dem Gegenstand und daher auch kein Ausdruck, der genau das Wort Gesetz wieder gäbe, denn „law“ ist nicht Gesetz als solches, sondern bedeutet nichts anderes als das geltende Recht , gleichviel, woher es stammt, ob common law oder statute law. Der specifische Ausdruck für den sanktio- nirten Beschluß der Gesetzgebung ist dagegen „bill.“ Eine bill kann daher jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; sie ist kein Theil der Verfassung, wohl aber ist ihr Recht das höchste geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs- maßregel nur durch irgend eine Beschränkung des bürgerlichen Rechts durch- geführt werden kann, da bedarf die erstere einer bill of Parliament; gibt sie einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, so heißt sie private bill. Sie ist alsdann eine durch die Gesetzgebung beschlossene Verordnung. Diesem Recht gegenüber steht allerdings ein Verordnungsrecht, ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem King in Council. Dieser vollziehenden Staatsgewalt steht die höchste Authority zu, das Recht, Gehorsam zu fordern; es gibt für sie an sich keine Gränzen, weder in den Thatsachen, noch im Recht, als die , daß sie weder ein „geltendes Recht“ ( law ) ändern, noch seine Ausübung hindern kann. Das bestehende geltende Recht ist also die Gränze des Verordnungsrechts des King in Council. Und unzweifelhaft muß ange- nommen werden, daß die Verleihung des Verordnungsrechts namentlich an die Selbstverwaltung, oder das Recht auf bye laws, auch dann, wenn es durch eine bill geschieht, dieselbe Gränze hat. Aus diesem einfachen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung folgt dann das Recht der letzteren (s. unten). Dieß Recht ist, so viel wir wissen, niemals eigentlich eingeführt, sondern hat als natürliche Consequenz die Entwicklung der Staatsverfassung Englands be- gleitet, und bildet den Grundstein derselben. Die förmliche Anerkennung der- selben existirt, so viel wir sehen, nur in der Bill of Rights. Sie ist selbst wesentlich zweierlei. Erstlich eine Erbfolgeordnung; und zweitens wesentlich die erste europäische Begränzung des Verordnungsrechts durch das Recht des Gesetzes . Die beiden entscheidenden Sätze sind folgende: „That the pretended power of suspending Laws or the execution of Lawes by Royal Authority without consent of Parlyament is illegal.“ „That the pretended power of dispensing with Laws or the execution of Lawes by Royal Authority, as it has been assumed and exercised of late, is illegal.“ Damit ist der Grund für das ganze Gesetz- und Verordnungsrecht gegeben; die Aufstellung des Steuerbewilligungsrechts, die gleich folgt, ist nur Consequenz. Die weiteren Folgen für das Verordnungsrecht werden wir weiter unten sehen. Es ist keine Bestimmung des Verordnungsrechts aus der höheren Idee des Staatslebens, sondern eine reine negative Feststellung desselben. Als solche ist sie mustergültig, aber wesentlich verschieden von dem Standpunkt, der mit dem achtzehnten Jahrhundert in Frankreich zur Geltung kommt. Nordamerika. Die französische Grundidee ist die, daß alles für alle Staatsbürger Gültige nur durch den Willen aller Staatsbürger gesetzt werden, und daher nie aus dem Willen eines Theiles des Staats, der vollziehenden Gewalt, hervorgehen könne. Das Gesetz, die Loi, ist daher nur der Ausspruch der volonté générale. Die Vollziehung darf daher nie etwas anderes wollen, als die Ausführung des Gesetzes. Das ist der Grundgedanke, den man nun in den Verfassungs- urkunden zum Ausdruck bringen wollte. Und hier ist es nun höchst interessant, zu sehen, wie sich trotz der streng theoretischen Härte desselben dennoch all- mählig das eigentliche Wesen der Verordnungsgewalt aus dieser abstrakten Unter- werfung unter die Gesetzgebung frei macht, wie aber das Princip der volonté générale, fortlebend, eine klare Anerkennung jenes Verhältnisses verhindert, weil man in demselben den Keim der alten Unfreiheit fürchtete. Die erste Verfassung, die aus jenem Princip hervorging, war die Consti- tution der Vereinigten Staaten von Nordamerika von 1787. Sie ist auch die erste, welche ganz klar Gesetz und Verordnung scheidet, aber beide ausschließ- lich der Gesetzgebung vindicirt. Die Sect. 8 gibt dem Congreß nicht allein alle Funktionen der Gesetzgebung, nicht allein alle wichtigen Funktionen der Verwaltung im weitern Sinn, sondern auch ausdrücklich das Recht der Ver- ordnung: der Congreß hat das Recht: „to make all laws which shall be neces- sary and proper for carrying into execution the foregoing powers, and all other powers vested by this constitution in the gouvernement of the United States, or in ony departement or office thereof.“ Die executive power des Präsidenten hatte dabei natürlich nicht viel zu bedeuten. Die Hülfe gegen diesen Widersinn lag allerdings in zwei Dingen: in dem Frieden und in der Selbstverwaltung. Der Begriff der Ordres kommt gar nicht vor. Frankreich. Von besonderem Interesse ist in der Entwicklung von Gesetz und Verord- nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm sagen, daß alle Formen und Auffassungen der Verhältnisse beider hier in der Gestalt förmlicher verfassungs- mäßiger Bestimmungen erscheinen. Dieser historische Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der Déclaration des droits de l’homme. Sie ist eigentlich das Lehrbuch für den ursprünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 sagt: „La loi est l’expression de la volonté générale. Tous les citoyens ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa formation.“ Die Eintheilung der Souveraineté du peuple III. Art. 3, 4, 5 delegirt die Gesetzgebung an die assemblée nationale, die Vollziehung an den König, das Gericht an die Richter. Diese gesetzgebende Gewalt empfängt ihre speziellen Aufgaben Ch. III. Sect. 1. Dabei ist der schon ganz bestimmte Begriff der Verordnung förmlich anerkannt Ch. II. Sect. IV. Art. 4. „Aucun ordre du Roi ne peut être exécuté , s’il n’est signé par lui, et contresigné par le ministre ou l’ordonnateur du departement.“ Es ist, als ob man in dieser Verfassung und der nordamerikanischen das alte Europa neben dem jungen Amerika in seiner selbsteigensten Gestalt hin- treten sieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwischen beiden Auffassungen. Die folgenden Constitutionen haben umsonst versucht, das unverlöschliche monar- chische Princip auch nur für einen Augenblick zu verwischen, und die trans- atlantische Idee selbst auf den Boden der wildesten europäischen Republik zu verpflanzen! Die Constitution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In ihr ist der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung formell klar, obwohl beide der Sache nach identisch sind, indem beide von der gesetzgebenden Gewalt gegeben werden, aber beide sowohl verschieden sind in ihren Gegenständen als in der Form. Art. 53. „Le Corps législatif propose les lois, et rend les décrets. Art. 55. Les décrets — concernent: les mesures de sûreté et de tran- quillité générale etc.“ In der Constitution von 1795 ist dieser Standpunkt dahin entwickelt, daß aus motifs d’urgence die Formen der Gesetzgebung von dem Conseil des Cinq Cents übergangen werden können; es ist der Anfang der in Deutschland sogenannten provisorischen Gesetze Art. 81. 94. — In der Constitution von 1799 ist die vollziehende Gewalt bereits ein selbständiges Glied des Ganzen; im T. IV erscheint das „Gouvernement“ zum erstenmale. Die Gesetzgebung hat allerdings noch in Gemeinschaft mit dem tribunat die Gesetze zu machen; das Corps législatif dagegen erläßt die décrets 9. 37; daneben treten dann „les autres actes du Gouvernement“ auf (42), und die „règlements“ sind demselben aus- drücklich überlassen (44). Die Verfassungsgesetze von 1802 und 1804 vollenden was hier begonnen ist. Mit Napoleon wird das Princip gültig, das in Deutsch- land die Basis des Staatsrechts bildet, daß der Fürst das Oberhaupt des Staats, und sein Wille nur durch die Mitwirkung des Volkes beschränkt ist. Aber dieß Princip ist gleichfalls eine Form; denn diese Mitwirkung, auf keinem historischen Rechte, sondern bloß auf dem Gesetze beruhend, verschwindet, und die Alleinherrschaft des Kaisers tritt an ihre Stelle. Dieß nun wäre wohl niemals möglich gewesen, wenn die Constitutionen das öffentliche Recht der Verwaltung mehr als an der Oberfläche berührt hätten. Man darf sich darüber nicht täuschen, daß dieß nie der Fall war. Toqueville ( l’ancien régime ) und früher schon die Organisation civile 1821 haben uns gezeigt, wie während des ganzen Ganges seiner inneren Geschichte das französische Leben seit Jahrhunderten daran gewöhnt war, die Vollziehung und Verwaltung ganz als eine selbständige auf eigenen Grundlagen beruhende, nach eigenen Gesetzen und Rechten verfahrende Funktion zu betrachten. Der Gedanke, daß jeder Staatswille nur als Gesetz auftreten könne, und daß die Vollziehung nichts sein dürfe, als Mandatar der Gesetzgebung, war daher dem Volksbewußtsein und im Grunde sogar der Gesetzgebung selber durchaus fremd. Die obigen Bestimmungen waren daher in der That gar nicht gegen die Voll- ziehung oder Verwaltung, sondern nur gegen das Königthum gerichtet. So wie dieß gebrochen war, brach sich die Selbständigkeit der letzteren sofort Bahn, und zwar so, daß in demselben Augenblick, wo die Constitutionen die Verordnungen zu Gesetzen machten, die Verwaltungsgesetzgebung ihnen diesen Charakter wieder nahm, und sie ganz formell dem bürgerlichen Richter entzog , die doch über alle Gesetze zu entscheiden hatten. Schon 1790 war ein Ausschuß niedergesetzt, um die gerichtliche Organisation zu entwerfen. Dieser Ausschuß forderte sofort in jedem Departement ein eigenes Verwaltungsgericht . Obgleich das nicht angenommen ward, weil man es nicht auszuführen wußte, so wurde doch im Gesetz vom 16—24. Aug. 1790 der Grundsatz ausgesprochen: „Les juges ne pourront, à peine de forfaiture, troubler de quelque manière que ce soit les opérations des corps administratifs , ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions.“ Das hieß mit andern Worten, der Verwaltung eine Gewalt geben, welche mindestens der der Gesetze gleich war. Wir kommen später darauf zurück. In der That ward durch diesen, dann weiter im Einzelnen durchgeführten Grund- satz die ganze Definition der Gesetzgebung praktisch zu einer leeren Phrase; das Verwaltungsgericht ward zu einem mächtigen Organismus und das einzige Band, das unter solchen Umständen die Verwaltung noch mit der Gesetzgebung zusammenhielt, war nur noch die Verantwortlichkeit, die eben darum sich in Frankreich zuerst in so detaillirten Bestimmungen entwickelt hat (s. unten). So erklärt es sich nun, weßhalb gerade die Zeit der Republik die Arten der Ver- ordnung so scharf unterscheiden lehrte. So lange die Verordnungen noch von der gesetzgebenden Gewalt erlassen werden, hießen sie „décrets.“ Unter dem Direktorium und dem Consulat verschwindet dieser Ausdruck; sie nehmen den Namen der lois an, und die Verordnungen heißen jetzt arrêtés; unter Napoleon tritt der einfache Satz auf, daß alle décrets und arrêtés gleiche gesetzliche Gültigkeit haben. Das Königthum hebt wieder diesen Grundsatz auf; der wich- tigste Artikel der Charte von 1814 war ohne Zweifel der, welcher zuerst ein festes Verhältniß zwischen Gesetz und Verordnung herzustellen suchte. Be- kanntlich lautet dieser durch die Revolution von 1830 so berühmt gewordene Art. 14: „Le Roi est le chef suprême de l’État — et fait les règlements et ordonnances nécessaires pour l’exécution des lois et la sûreté de l’État.“ Es war in dem Artikel gar nichts Neues, und das war die Gefahr desselben. Denn er setzte die Gesetzgebung der Verordnung gegenüber, ohne eine Gränze zu bestimmen. Die Folge war, daß die Regierung Karls X. in Anwendung dieses Artikels das Gesetz durch eine Verordnung suspendirte. Das ward eigent- lich nur denkbar eben durch jene furchtbare Selbständigkeit, welche die ganze Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung im Einzelnen hatte. Der Irrthum bestand nur darin, diese Selbständigkeit formell zu weit auszudehnen. Die Re- volution folgte; sie war wesentlich eine Revolution gegen den Inhalt dieses Artikels. Die kleine Aenderung desselben in der Charte von 1830 hat daher eine große Bedeutung, sie ist eben die Herstellung der Gränze für das Ver- hältniß zwischen Verordnung und Gesetz. Der Art. 13 heißt: „Le Roi est le chef suprême de l’État — et fait les règlements et ordonnances nécessaires pour l’exécution des lois, sans pouvoir jamais ni suspendre les lois elles-mêmes ni dispenser de leur exécution .“ Allerdings war damit ein fester Standpunkt gewonnen. Die Verordnung kann nur ausführend seyn. Allein dieser Standpunkt war eben ein falscher. Denn die Verordnung muß oft selbstständig werden. Wenn daher auch feststeht, daß die Verordnung nie das wirkliche Gesetz aufheben oder aufhalten kann, so frägt sich doch, welches Recht sie hat, es zu ersetzen — oder welches Recht die vollziehende Gewalt auch ohne Mitwirkung der gesetzgebenden hat. Man hatte endlich in Frankreich erkannt, daß es nicht möglich sei, dieser Frage zu entgehen. Daher ward denn nun in der Verfassung der Republik von 1848 zum erstenmale diese Gewalt einer selbständigen Verordnung nicht bloß an- erkannt, sondern förmlich geregelt. Solche Verordnungen nämlich sollen vom Staatsrath berathen, und diejenigen Verordnungen selbständig von ihm erlassen werden, zu welchen er „besondere Vollmacht“ bekommt. Damit war im Grunde der Schwerpunkt selbst in den Conseil d’État gelegt, und jetzt wird man verstehen, warum das neue Kaiserthum gerade auf diesen Staats- rath so viel Gewicht gelegt hat. Er ist die Schule nicht etwa bloß der Ver- waltungsbehörden, sondern er ist die Quelle des Bewußtseins und der Kraft, mit welcher die Vollziehung sich der Gesetzgebung rechtlich unterwirft. Die Verfassungsurkunde von 1852 unterscheidet daher jetzt strenge zwischen Gesetz, Dekret und Reglement . Das „ Gesetz “ wird unter Mitwirkung aller Faktoren gemacht. La Puissance législative s’exerce collectivement par l’Empereur, le sénat et le corps législative. Const. 1852. a. 4. — Der Kaiser aber „ fait les règlements et décrets nécessaires pour leurs exécu- tion.“ Dieser Satz ist eine Unwahrheit, und der Tradition der alten Ver- fassungen zulieb aufgenommen. In Wahrheit sind die Dekrete eine zweite selbst- ständige Gesetzgebung. Am besten charakterisirt die Auffassung Block , Dict. v. Décret: „Au 2 Déc. 1851 les décrets prirent un caractère dictatorial et constituant pour établir les institutions actuelles, et cette mission accompli ils sont rentrés dans le cercle des attributions du pouvoir exé- cutif.“ Dabei ist, wie gesagt, nur das erstere wahr; denn ein Dekret vom 2. December 1852 stellte das Kaiserthum her, ein Dekret vom 18. December 1852 ordnete die Thronfolge. Sie werden daher nur so weit sich dem Gesetze unterordnen, als die vollziehende Gewalt es nöthig erachtet; sie sind auch jetzt noch je nach dem Willen des Staatsoberhauptes Gesetze oder nicht , und das Staatsoberhaupt kann daher den Staatswillen entweder als Gesetz oder als Verordnung nach Belieben erlassen. Es leuchtet ein, daß dieß nur ein Uebergangszustand ist; aber er ist der Zustand Frankreichs. Aber Eines geht aus dieser Entwicklung hervor. Es ist der grundsätz- liche Unterschied zwischen den beiden großen Funktionen und Körpern des Staats, der Gesetzgebung und der Verwaltung, ein Unterschied, der das ganze Leben des öffentlichen Rechts durchzieht. Die Gesetzgebung ist eine Welt für sich, die Verwaltung eine zweite. Es ist eine leere Phrase, wenn die zweite der ersten untergeordnet sein soll. In der That steht die Verwaltung da als ein vollkommen selbständiges, in jeder Beziehung der Gesetz- gebung gleichberechtigtes Ganze , das nur die einzige Pflicht hat, durch ihren Willen, décret, arrêté und règlement die wirklich gegebenen Gesetze nicht zu verletzen, und auch diese Pflicht hat das Kaiserthum zum zweitenmale durch die décrets organiques aufgehoben. Nur so läßt sich die Eigenthümlichkeit der französischen Institutionen und Begriffe des droit administratif erklären; es ist dasselbe eine Rechtswelt für sich , dessen Rechtsquellen die Verordnungen, dessen Competenzen auf das Strengste von denen der Gerichte geschieden, deren Eifersüchteleien den letzteren gegenüber beständig und sehr lebhaft sind. Man darf sich nicht durch die Redensarten der Constitutions irre machen lassen; sie haben nicht die Verordnungen den Gesetzen unterordnen, sondern in der That nur das Gesetz gegenüber den Verordnungen selbständig machen sollen . Und nur dadurch ist auch die Leichtigkeit zu erklären, mit welcher der erste und der zweite Kaiser ihren Verordnungen selbst gegenüber den Gesetzen völlige Geltung verschafft haben. In der französischen Freiheit ist von jeher das Bedürfniß und die Fähigkeit zum Gehorsam stärker gewesen, als die der per- sönlichen Selbständigkeit. Daher bietet uns Deutschlands Recht ein der Form nach sehr ähnliches, dem Geiste nach wesentlich verschiedenes Bild dar. Deutschland. In Deutschland muß man für jene Begriffe davon ausgehen, daß die Vor- stellung von dem wohlbegründeten historischen Rechte auf irgend eine, wenn auch nicht klar gedachte Theilnahme der Volksvertretung an der Bildung des Staatswillens eigentlich nie ganz untergegangen war. Die neuen Verfassungen hatten daher nicht, wie die französischen, ein ganz neues Princip erst zu schaffen, sondern ein historisch berechtigtes Princip auf neue Zustände anzuwenden. Das gibt den Begriffen von Gesetz und Verordnung einen ganz andern Charakter. Diese Begriffe beruhen nämlich darauf, daß der persönliche Wille des Staats in dem persönlichen, wenn auch organisch gebildeten Willen des Fürsten beruhe; daß daher dieser Wille das Gesetz sei , und daß der Organismus der Volksvertretung daher nur die Funktion habe, in bestimmten Fällen bei der Bildung dieses Willens mitzuwirken, und sogar dieselbe von ihrer Zustim- mung abhängig zu machen, während in den übrigen Fällen der König auch ohne diese Mitwirkung den Staatswillen bilde. Dadurch entstand die noch gegenwärtig herrschende Vorstellung, daß das „Gesetz“ jeder vom Könige sank- tionirte Staatswille sei, ohne daß man dieß Gesetz von der Verordnung in der obigen Weise geschieden hatte. Die Aufgabe der Constitutionen bestand daher nicht wie in Frankreich darin, den Begriff des Gesetzes als Grundlage der Verfassung aufzustellen, sondern nur diejenigen Punkte genau zu be- wachen , in welchen jene — berathende oder beschließende — Mitwirkung der Volksvertretung nothwendig sei, nicht nur ein „Gesetz“ zu machen, denn das konnte der Fürst allein, sondern nur — wir können uns nicht anders aus- drücken — dem Staatswillen gesetzliche Gültigkeit zu geben. Dadurch entstand das eigenthümliche, etwas unklare Verhältniß, daß das „Gesetz“ in unserem Sinn nur als eine Form des königlichen oder Staatswillens erschien, und die das ganze deutsche Staatsrecht durchziehende gründliche Unklarheit sowohl über Begriff als Recht einerseits des Gesetzes, andererseits der Verordnung. Denn da bis auf die neueste Zeit alle Verfassungen den Fehler begingen, der freilich tief in der historischen Entwicklung begründet war, jenes Recht der Volksvertretung auf Berathung oder Beschluß dem Gegenstand nach bestimmen zu wollen, die Gränze dieser Gegenstände aber ganz unmöglich festzustellen war, so war und ist es auch unmöglich, zu bestimmen, welcher Staatswillen als Gesetz, und welcher als Verordnung festgestellt werden muß. Der tiefe Unterschied zwischen dieser und der französischen Auffassung beruht dabei darauf, daß das Recht des Staatsoberhaupts, Verordnungen zu erlassen, nicht principiell auf die Vollziehung der Gesetze beschränkt ist , und daß deßhalb hier zuerst die Verordnung theils allerdings als ein auf diese Vollziehung gerichteter Wille, theils aber als wirkliche, selbständige, neben der eigentlichen Gesetzgebung bestehende zweite Grundform der Gesetzgebung gedacht ist. Das ist nun nicht bloß historisch und positiv rechtlich das Verhältniß, sondern das ist auch ganz richtig . Dabei hat sich das deutsche Leben, das an der natürlichen Gleichheit beider Funktionen festhielt, einen neuen Begriff geschaffen; das ist der der provisorischen Gesetze . Während daher Frankreich nur zwischen Gesetz und Verordnung scheidet, hat ein Theil des deutschen Staatsrechts Gesetz, pro- visorisches Gesetz, und eigentliche (vollziehende) Verordnung. Wir werden Grund und Sinn dieses Begriffes, der seinerseits zur Unklarheit nicht wenig beigetragen hat, unten darlegen. Der Gang der Entwicklung eines selbständigen Begriffes von Gesetz ist aber im Wesentlichen folgender. Es versteht sich wohl von selbst, daß die eigentlich Napoleonischen Ver- fassungen vor 1816 von dem Recht, von Gesetz und Verordnung nicht reden. Der verfassungsmäßige Begriff der Gesetze beginnt erst mit dem Grundgesetz für Sachsen-Weimar-Eisenach vom 5. Mai 1816. Abschn. II. §. 5. Es ist be- merkenswerth, daß sich hier die Mitwirkung der Stände nur auf die Steuern bezieht, und daher die ganze übrige gesetzgebende Gewalt nach der Verordnung vom 1. December 1815 nur in Verordnungen erscheint (Grundgesetz §. 111). Ein Begriff des Gesetzes ist noch gar nicht vorhanden. Die bayerische Ver- fassung vom 26. Mai 1818 stellt dagegen zuerst die Formel auf, welche man als die Grundlage des historischen deutschen Begriffes von Gesetz be- trachten kann: T. VII. §. 2. „Ohne den Beirath und die Zustimmung der Stände des Königreiches kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freiheit der Personen oder das Eigenthum der Staatsangehörigen betrifft, er- lassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, anthentisch erläutert oder auf- gehoben werden.“ Im Wesentlichen ganz gleichlautend, im Geist gewiß ganz gleich verstanden sind die entsprechenden Bestimmungen der Verf. von Baden , 22. Aug. 1818, §. 65, Coburg , 8. Aug. 1821, §. 64. 65. Weiter geht eine zweite Kategorie, an deren Spitze Württemberg steht. Verf. vom 25. Sept. 1819. Kap. VII. §. 88: „Ohne Beistimmung der Stände kann kein Gesetz aufgehoben, abgeän- dert oder authentisch erläutert werden.“ Man kann diese Bezeichnung als diejenige betrachten, welche in der Periode seit 1831 durchgreift. Wörtlich erscheint sie wieder in der Verf. von Kurhessen , 5. Jan. 1831, §. 45, Großh. Hessen , §. 72; wesentlich gleich in Braun- schweig , 12. Oct. 1832, §. 97. 3; etwas modificirt Hannover , 26. Sept. 1833, §. 85. Bekanntlich brachte aber auch diese Periode noch nicht allen Staaten Verfassungen. Es war daher bis 1848 absolut unmöglich, von einem deutschrechtlichen Begriff des Gesetzes zu reden; im Grunde sogar bestand nicht einmal für die Staaten mit Verfassung ein solcher Begriff, denn in der ersten Gruppe war die Gränze nicht zu bestimmen, in welcher die Volksvertretung zu- stimmen müßte; in der zweiten war es zwar richtig, daß kein Gesetz ohne Beistimmung der Stände gegeben oder geändert werden könne, wohl aber blieb es offen, eine Verordnung zu geben. Das einzige entschiedene Princip war hier nur der für beide Gruppen gewonnene Satz, daß wenn einmal ein Gesetz gegeben war, dasselbe nicht mehr geändert werden könne. In dieser Auffassung haben auch die Verfassungen seit 1848 nichts geändert und den Begriff nicht klarer gemacht. Hannover , Verf. §. 113 ff. Oldenburg versucht sogar durch Aufführung von fünfzehn Haupt- und vier Nebenpunkten, welche als Gegen- stand der Gesetzgebung der Zustimmung der Stände bedürfen, die Sache zu entscheiden (Art. 153), fügt aber gleich hinzu (Art. 154), daß auch andere Gegen- stände für gemeinsam erklärt werden können. Dennoch ist ein wesentlicher Fort- schritt angebahnt, indem einige von diesen neuen Vecfassungen jene Scheidung von Gesetz und Verordnung nach dem Gegenstande fallen lassen, und das Wesen des Gesetzes ohne Beschränkung in der gemeinschaftlichen Bildung des Staatswillens durch Staatsoberhaupt und Volksvertretung setzen. Diesen allein richtigen Standpunkt sehen wir in der preußischen Verfassung von 1848 vertreten ( T. V. Art. 60.): „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt.“ Wörtlich gleichlautend sind die Verfassungen von Gotha §. 41, und Mecklen- burg-Schwerin §. 108. Es ist kein Zweifel, daß erst mit dieser Formel die feste Basis für den Begriff des Gesetzes gefunden ist. Freilich, da die obigen Verfassungen fortbestanden, war dieser Begriff kein allgemein gültiger, und einen positiv gültigen Begriff haben wir daher noch immer nicht . Man vergleiche z. B. über die gegenwärtige Unbestimmtheit, in der selbst die Staatsrechtslehrer an einem Resultate verzweifeln, Zachariä deutsches Staats- und Bundesrecht, §. 158, der ganz richtig, und wir möchten fast sagen naiv bekennt: „bei der Unbestimmtheit dieser Ausdrücke, ist hier ein Streit zwischen Regierung und Ständen leicht möglich “ — und nach welchen Grundsätzen soll — abgesehen von praktischer Entscheidung — dabei auch nun die Theorie sich richten? — Die Unfertigkeit der Sache liegt klar genug vor. Am klarsten scheint uns Stu- benrauch (Verhandlungen des vierten deutschen Juristentages S. 202); warum hat er die Frage nach den Verordnungen ganz weggelassen? Daneben entwickelte sich nun der Begriff eines provisorischen Gesetzes. Ein provisorisches Gesetz ist eine Verordnung über einen Gegenstand , welcher der verfassungsmäßigen Beschlußnahme durch die Volksvertretung unterworfen ist. Es leuchtet sofort ein, daß dieser Begriff wieder kein deutscher, staatsrecht- licher Begriff ist, sondern nur für diejenigen Verfassungen gilt, welche die Theilnahme der Volksvertretung eben auf bestimmte Gebiete beschränkt haben. Denn wenn das Wesen des Gesetzes in der Gemeinschaftlichkeit der Willens- bestimmung von Fürst und Volk liegt, so hat kein besonderer Gegenstand, weder Freiheit, noch Eigenthum, noch die achtzehn Gegenstände Oldenburgs ein Recht darauf, gerade durch ein Gesetz geregelt zu werden, während andrerseits auch kein Gegenstand der Gesetzgebung entzogen ist. Der Begriff des provisorischen Gesetzes ist daher — man erlaube uns den Ausdruck — ein ganz lokaler, nur bestimmten Verfassungen angehöriger Begriff, der selbst nur als einer von jenen unklaren Uebergangszuständen betrachtet werden kann, wie sie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in Deutschland gang und gäbe sind. Dagegen muß man ihn in allen Verfassungen, die jenen klaren Begriff des Gesetzes nicht haben, allerdings anerkennen; und für diese lokalen Rechtsverhältnisse hat daher auch das, was Zöpfl in seinem deutschen Staatsrechte II. 441, Zachariä im deutschen Staats- und Bundesrecht II. §. 160, Mohl im württembergischen Staatsrecht I. 199. sagen, auch einen Werth. Nur soll man es mit den beiden erstern nicht für ein deutsches Recht, oder gar für einen wissenschaftlichen Begriff halten. Es ist eben ein rechtlich unfertiger Zustand. Wo einmal der einfache Begriff des Gesetzes feststeht, und für irgend welche Fragen ein Gesetz mangelt, da hat die Verordnung als Gesetz zu fungiren, und es ist Sache der Gesetzgebung, eigentliche Gesetze zu machen , wenn sie es für nöthig hält. Thut sie es nicht, so ist kein Zweifel, daß das Staatsoberhaupt unbedingt be- rechtigt ist, die Verordnung als Gesetz zu erlassen, so lange sie eben nicht mit dem bereits bestehenden Gesetz in Widerspruch tritt. Dieß ist der — auch hier gänzlich einheitslose — Zustand des deutschen Staatsrechts. Die genauere Untersuchung der vorliegenden Fragen gehört nun dem Princip nach der Verfassungslehre, der Anwendung nach den folgenden Abschnitten an. Faßt man aber das Obige zusammen, so ergeben sich folgende Resultate: Erstlich : es gibt keinen für ganz Deutschland gültigen Begriff von Gesetz und Verordnung; jede rechtliche Definition hat nur eine örtliche Gültigkeit. Zweitens : alle Untersuchungen über das positiv und objektiv gültige Rechtsverhältniß zwischen Gesetz und Verordnung haben daher nur für die ört- liche Staatenbildung und die einzelnen positiven Verfassungen Werth, und können, ohne gegen die ausdrücklichen Bestimmungen der einzelnen Verfassungen zu verstoßen, auch nicht den Anspruch machen, ein deutsches Staatsrecht zu enthalten. Drittens : der natürliche Entwicklungsgang der einheitlichen Bildung des deutschen Staatsrechts führt dahin, das Gesetz nur als einen formalen Begriff zu erklären, dessen Wesen in dem formellen, verfassungsmäßigen Zusam- menwirken von Staatsoberhaupt und Volksvertretung liegt, während die Ver- ordnung gleichfalls nur ein formaler Begriff ist, dessen Wesen durch das Zusammenwirken von Staatsoberhaupt und Verwaltungsorganismus gesetzt ist. Seit Montesquien herrscht die Ungewißheit der Ausdrücke I. 1. Es darf uns wenig wundern, wenn die alten Staatsrechtslehrer, Gönner, Ritter u. a., gar keinen Begriff von Gesetz und Verordnung haben, eben so wenig wie die neueren, Klüber, Maurenbrecher, Leist, und daß endlich die Neuesten beständig in der wunderlichen Vorstellung leben, als sei ein scharf bestimmtes Resultat nur in einzelnen Verfassungsurkunden, wie Wachter, Linde, Mohl (württem- bergisches Staatsrecht), oder ein Durchschnittsbegriff aus allen, wie Zöpfl und Zachariä, ein deutsches Staatsrecht, während andere gar wie Mohl (Ency- klopädie §. 20) wieder ganz ins Unbestimmte zurückfallen, jeden Unterschied über- sehend. Das Klarste und Beste, was über die ganze Frage gesagt ist, scheint uns noch immer das zu seyn, was Malchus , Politik der inneren Staatswissen- schaft I. p. XXI. sagt. Wir wollen dabei den gründlichen Untersuchungen, namentlich von Zöpfl und Zachariä, ihren großen Werth durchaus nicht be- streiten; aber die eigentliche Hauptsache erfassen sie nicht. Wir müssen dabei stehen bleiben, daß es erst mit der obigen formalen Differenz möglich ist, zu demjenigen zu gelangen, was im Grunde die Hauptsache ist, nämlich zu einem Begriff und Inhalt des Rechts der Verordnungen gegenüber den Gesetzen . B. Das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts. Princip und Wesen dieses Rechts. Auf diesem Unterschied von Gesetz und Verordnung beruht nun der Begriff des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts, der wichtigste aller Begriffe für die ganze Lehre von der Verwaltung im weitern Sinn und speziell für die vollziehende Gewalt. Nur ist die formelle Definition von dem lebendigen Inhalt wohl zu unterscheiden. I. Formell ist derselbe nun sehr leicht zu definiren. Das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht kann überhaupt erst da entstehen, wo durch die Theilnahme der Volksvertretung ein Gesetz im Sinne einer eigentlichen Verfassung entsteht. So wie das geschehen ist, so scheiden sich sofort zwei große Gebiete der Rechtsbildung im öffent- lichen Recht. Das erste ist das des gesetzlichen Rechts im eigent- lichen Sinne. Das gesetzliche Recht umfaßt die Gesammtheit aller Be- stimmungen, welche durch das Zusammenwirken der drei Faktoren, des Staatsoberhaupts, der Volksvertretung und der Verwaltung im weitern Sinn als Staatswille anerkannt sind, und zwar grundsätzlich ganz gleich- gültig, welche Gegenstände dieses Recht betreffen mag. Das zweite ist dasjenige Rechtsgebiet, welches wir jetzt am besten das Verordnungs- recht nennen können. Das Verordnungsrecht umfaßt seinerseits die Gesammtheit aller derjenigen Bestimmungen des Staatswillens, welche nur durch das Zusammenwirken des Staatsoberhaupts mit dem Orga- nismus der Verwaltung im weitesten Sinn, unmittelbar, oder in über- tragener Gewalt entstanden sind, ebenfalls an sich ganz gleichgültig gegen das Objekt dieser Bestimmungen. Es ist schon gesagt, daß dieser ganze Unterschied, und mithin der ganze Begriff und Inhalt der verfassungsmäßigen Verwaltung über- haupt nicht existire, so lange es kein eigentliches Gesetz gibt. Das Recht der verfassungsmäßigen Verwaltung ist nun dasjenige Recht, welches für das organische Verhältniß des Verord- nungsrechts zum gesetzlichen Rechte gilt . Dieser, zunächst ganz formelle Begriff des verfassungsmäßigen Rechts der Verwaltung im Allgemeinen, und der vollziehenden Gewalt im be- sondern, hat nun gleichfalls zunächst seine sehr einfache formelle An- wendungen. Da das Gesetz von allen Faktoren des Staatswillens gebildet ist, die Verordnung dagegen nur von einem Theil derselben, so ist da, wo ein Gesetz vorhanden ist, die Verordnung demselben unbedingt untergeordnet. Die Verordnung kann daher im Gegensatz zum Gesetze kein Recht bilden. Wo sie dem Gesetze widerspricht, ist sie nichtig. Sie kann das Gesetz weder aufheben, noch kann sie es sistiren. Wo dagegen kein Gesetz vorhanden, oder so weit es nicht vor- handen ist, da ist die Verordnung der geltende Staatswille, und hat das Recht des Gesetzes. Und zwar theilen sich die Fälle, in denen dieß der Fall ist, in zwei Gruppen. Zuerst in diejenige, in welcher die Verordnung das mangelnde Gesetz selbst ersetzt, dann in dasjenige, in welcher die Verordnung die Vollziehung des vorhandenen Gesetzes enthält. Es ist kein Zweifel, daß alle diejenigen Punkte, über welche es Verordnungen gibt oder geben soll, ihrerseits wieder durch Gesetze be- stimmt werden können . Es gibt an sich gar kein Verhältniß, das nur durch Verordnungen sein Recht zu empfangen berechtigt wäre, selbst die speziellsten Formen der wirklichen Verwaltung nicht. Es ist eine andere Frage, in wie weit es zweckmäßig ist, daß die Gesetzgebung in das natürliche Gebiet der Verordnung hineingreife. Aber ausge- schlossen ist kein Theil des letztern von der Gesetzgebung. Ebenso ist es kein Zweifel, daß alle diejenigen Gebiete, über welche kein Gesetz existirt, den Verordnungen der vollziehenden Gewalt unter- liegen. Sind dieß Gebiete, welche nach der Verfassung der gesetzgeben- den Gewalt unterworfen sind, so nennt man solche Verordnungen wohl provisorische Gesetze; das ändert weder ihren Charakter noch ihr Recht. Sie bleiben Verordnungen. Wie und unter welchen Forderungen sie zu Gesetzen erhoben werden sollen, bestimmt die Verfassung. Das sind die Punkte, welche das formelle verfassungsmäßige Verwaltungs- oder Verordnungsrecht enthält. Ließe sich daher stets diese formelle Gränze auffinden, so hätte die Frage nach dem Inhalte weiter keine Schwierigkeit. In der That aber ist dieselbe nicht so einfach. Die Verordnung erscheint nämlich keineswegs bloß auf dem Gebiete wo das Gesetz mangelt, sondern begegnet dem Gesetz auf seinem eignen Gebiete. Sie thut das nicht willkürlich oder als Verletzung des letzteren, sondern sie gelangt dazu vermöge ihrer eignen innern Natur. Und es ist noth- wendig diese vor Augen zu haben. II. Das Gesetz geht, seinem höhern Wesen nach, stets aus dem Ge- sammtbewußtsein des Staatslebens hervor, und will daher auch stets zwei Ziele erreichen. Es will einerseits das in allen thatsächlichen Ver- hältnissen Gleichartige erfassen, und den Willen des Staats eben für dieß Gleichartige in allem Verschiednen feststellen. Es muß sich daher stets an das Wesen der Dinge statt an ihre zufällige und vor- übergehende Erscheinung wenden. Es hat mit den Kräften zu thun, welche das Lebensverhältniß erzeugen, nicht mit denen, welche ihm diese oder jene Gestalt geben. Es muß daher andererseits alle seine Objekte einheitlich und gleichartig bestimmen. Es muß stets mit sich selber übereinstimmen; es darf das äußerlich Verschiedene nicht als innerlich Verschiedenes setzen, sondern es muß für alle Erscheinungen stets dasselbe sein. Das gesetzliche Recht ist daher seinem organischen Wesen nach ein gleichartiges und einheitliches Ganzes. Die Verordnung dagegen geht vor allen Dingen von der That- sache , und mit ihr von den Besonderheiten und dem Wechsel derselben aus. Sie erfaßt die Dinge und die Lebensverhältnisse nicht wie sie an sich sind, sondern in dem Moment und in der Gestalt, wo sie zur Er- scheinung kommen. Sie ist daher nicht bloß verschieden für Dinge, die an sich ganz gleich sein können, sondern sie muß es sein . Sie soll nicht das Wahre, sondern das Zweckmäßige suchen und bestimmen. Sie wechselt daher beständig, sie ist der Wille für die äußere That, und trägt auf allen Punkten den Charakter der äußern Welt an sich. Gesetzgebung und Verordnung sind daher nicht etwa zwei formell geschiedene, sondern wesentlich verschiedene Funktionen des Staatswillens. Ihr Gegensatz liegt nicht etwa bloß in jenen formellen Bestimmungen, sondern er liegt in ihrem tieferen Wesen selbst. Und eben diese ihre Natur stellt sie auch nicht etwa einfach wie zwei äußerlich selbständige Gebiete neben einander, die man durch gewisse Rechtssätze äußerlich immer von einander trennen könnte, sondern da jedes Lebendige, und mithin auch alle Dinge und Lebensverhältnisse die dem Staatswillen angehören, zugleich ihr inneres und äußeres Dasein haben, so sind auch alle diese Objekte stets beiden Funktionen zugleich, der Gesetzgebung und der Verordnung unterworfen. Alle Thätigkeiten des Staats werden unabänderlich zugleich durch Gesetze und Verordnungen bestimmt. Und wie man nun in keinem Dinge die Elemente des innern Wesens immer scharf von der zufälligen äußern Erscheinung trennen kann, so kann man auch niemals äußerlich das Gebiet der Gesetze und der Verordnungen endgültig scheiden . Sie vermischen sich auf allen Punkten, sie setzen sich gegenseitig beständig voraus; sie erfüllen sich beständig; sie sind in der That erst zusammen der wahre Staats- wille . Es ist daher nichts einseitiger, als sie im natürlichen Gegen- satz betrachten zu wollen, und es ist ebenso falsch, die Verordnung nur als die Ausführung des Gesetzes anzusehen. Es ist daher ein großer, nur auf dem Nichtverständniß des wirklichen Lebens beruhender Irr- thum, zu meinen, daß man das Verhältniß zwischen Gesetz und Ver- ordnung selbst wieder durch einzelne rechtliche Bestimmungen regeln kann. Eine solche Auffassung gehört den niedern Stadien der staatlichen Entwicklung an. Sie endet stets mit dem Verschwimmen solcher Be- stimmungen in unklare Vorstellungen oder unpraktische Casuistik. Man muß, will man ein Ergebniß das für das Leben des Staats gelten soll, das Verhältniß jener beiden Funktionen selbst als ein lebendiges auffassen. Offenbar nun liegt in diesem Wesen beider der Grund des Strebens, sich von einander zu entfernen und eben darum sich einander zu unter- werfen. Denn die abstrakte Natur der Dinge wird nur durch die wirk- liche Erscheinung erschöpft, und ewig wird man bald das eine, bald das andere für das herrschende halten. Andererseits gehören sie dennoch gemeinsam dem Begriffe des Staats, sie sind eben ja nur Funktionen seiner Persönlichkeit. Die höhere Entwicklung der letzteren hat daher zu ihrem Inhalt nicht so sehr die Verschiedenheit oder gar den Gegensatz beider, sondern vielmehr ihre höhere Einheit; aber die Aufgabe des Staatslebens ist ohne allen Zweifel die, die Harmonie zwischen Gesetz und Verordnung, oder zwischen Willen und That herzustellen. Das bedarf keines Beweises. Da nun aber in jedem Falle, bei jeder That und Aktion des Staats beide Elemente der Lebensverhältnisse sich beständig geltend machen, so muß auch jene Harmonie beständig aufs Neue hergestellt werden. Oder es muß die Herstellung dieser Harmonie ein bestän- diger Proceß sein. Oder: das was wir die verfassungsmäßige Ver- waltung nennen, ist ein beständig thätiger, das gesammte Leben des Staats durchdringender, mächtiger Proceß, der in jeder Thätigkeit des Staats die Harmonie der Verordnung mit der Gesetzgebung aus ihrem Gegensatze auf allen Punkten zu erzeugen und zu erhalten hat. Ihn erschöpft nicht diese oder jene Bestimmung, sondern er ist etwas Eigenthümliches und Ganzes für sich. Aber indem er in dieser Weise wirkt, erzeugt er für beide Gewalten feste Normen, durch welche er sich verwirklicht. Diese nennen wir auch hier das Recht. Und so kann man sagen: das verfassungsmäßige Recht der vollziehenden Gewalt bildet die Gesammtheit der rechtlichen Grundsätze, welche die Harmonie zwischen Gesetz und Verordnung in allen Aeußerungen und Erscheinungen des Staatslebens herzustellen berufen ist. III. Steht nun dieser lebendige Begriff fest, so leuchtet es ein, daß die Verwirklichung dieses Rechts nicht mehr eine formell einfache sein kann. Indem dieselbe sich an die einzelnen Elemente anschließt, welche eben zu- sammen genommen erst den organischen Begriff der vollziehenden Gewalt bilden, muß jenes Recht vielmehr sich wieder an die besondere Natur jener Elemente anschließen, und für jedes derselben in der ihm ent- sprechenden Weise jene Harmonie herstellen. Oder: es gibt überhaupt kein einfaches Recht der vollziehenden Gewalt im Ganzen, sondern nur ein allgemeines Princip für dieselbe. Das Recht der vollziehenden Ge- walt oder der Proceß der Herstellung der Harmonie der concreten That mit dem abstrakten Willen, der Vollziehung mit der Gesetzgebung, ist vielmehr ein besonderes für jedes Element derselben. Es gibt daher ein besonderes Recht der vollziehenden Staatsgewalt, ein besonderes Recht der eigentlichen Verordnungsgewalt, ein besonderes Recht der Organisationsgewalt, und endlich ein besonderes Recht der Polizeige- walt. Alle diese Rechte sind aber wieder Ausflüsse desselben Princips, sie bilden daher trotz ihrer Verschiedenheit ein inneres Ganze, und in diesem Sinne sagen wir nunmehr, daß das Recht der verfassungsmäßigen Verwaltung und Vollziehung ein System von Rechten sei, dessen In- halt nunmehr im Einzelnen dargelegt werden soll. Aber indem es auf diese Weise ein solches innere Ganze ist, trägt es auch den Charakter der Individualität je nach den Völkern an sich, bei denen es sich ausgebildet hat. Die einzelnen Verschiedenheiten, denen wir dort begegnen, sind Ausflüsse dieser Individualität, und ehe die Wissenschaft jenes Verhalten der Elemente ihrer innern Natur nach darlegt, werden wir einen Blick auf die Grundformen werfen, in denen jenes Recht zur individuellen Erscheinung bei den großen Culturvölkern gelangt ist. Es liegt in dem formellen Wesen des Unterschiedes zwischen Gesetz und Verordnung, daß die positive und formelle Entwicklung des verfassungsmäßigen Verordnungsrechts erst mit dem Auftreten bestimmter Verfassungsurkunden vor sich geht. Dem Inhalte nach aber wird das positive Recht für das Verhältniß zwischen Gesetz und Verordnung um so genauer, ja um so ängstlicher aus- gebildet seyn, je länger sich die Tradition erhält, daß Gesetzgebung und Ver- waltung mit einander im Gegensatze stehen. Man kann daher das positive Recht gerade hier am sichersten als den Ausdruck des Stadiums betrachten, in welchem das Verständniß der Harmonie zwischen beiden großen Funktionen des Staats getreten ist. Je weniger sich beide im Bewußtsein des Volkes berühren und bedingen, je mehr verschwinden die Formeln, welche jenes Recht bilden, und je einfacher wird der Proceß, der die Harmonie herstellt. Nur indem man dieß zum Grunde legt, kann man den Unterschied in dem principiell ganz gleichen Rechte Englands, Frankreichs und Deutschlands verstehen, und den noch sehr niedrigen und unklaren Standpunkt beurtheilen, auf welchem auch in diesem Punkte das deutsche Leben steht. In England hat niemals eine völlige Trennung der Gesetzgebung und Vollziehung stattgefunden. Die Volksvertretung hat, soweit die germanische Geschichte zurückgeht, immer ihre Stellung behauptet. Namentlich hat der glücklich vertheidigte Grundsatz, daß die Bewilligung der Steuer von dem gesetzgebenden Körper abhange, die vollziehende Gewalt stets gezwungen, im Stein , die Verwaltungslehre. I. 6 Geist der gesetzgebenden zu wirken. Dazu aber kommt allerdings ein zweites, höchst bedeutsames Element, das man meistens übersieht. Das lebendige Princip der Selbstverwaltung hat der vollziehenden und verwaltenden Gewalt des Staats den größten Theil der Objekte ihrer selbständigen Thätigkeit ge- nommen, und sie demselben Kreise von Organen übertragen, welche das Gesetz machen. Während dadurch auf der einen Seite die Verordnungen niemals zu einem ausgebildeten System und mithin auch nicht zu einem Gegensatz zur Gesetz- gebung gelangen konnten, war die Selbstverwaltung derjenige Organismus, der die örtliche Verwaltung des Staats von selbst in Harmonie mit der aus ihr selber ja hervorgehenden Gesetzgebung erhielt. Ein Gegensatz beider, welcher die formelle Entwicklung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts zum Inhalt gehabt hätte, konnte sich deßhalb gar nicht recht ausbilden; und hier ist der Punkt, wo eigentlich die Selbstverwaltung ihren so mächtigen Einfluß ausgeübt hat. Während im übrigen Europa die Gesetze, hat in England die Selbstver- waltung die unerschütterliche Grundlage der Harmonie zwischen beiden Funk- tionen abgegeben. Demgemäß finden wir nur eine sehr geringe Entwicklung des Verord- nungsrechts, und entsprechend eine sehr geringe formelle Ausbildung des ver- fassungsmäßigen Verwaltungsrechts, während dem Inhalt nach England gerade in letzter Beziehung mit Recht allen Völkern als Muster vorschwebte, so lange dieselben noch an dem harten Gegensatze zwischen Gesetzgebung und Vollziehung zu leiden hatten. Eben darauf beruht auch das praktische Princip jenes Rechts; es besteht in dem Rechte der Klage der Einzelnen gegen die vollziehende Ge- walt, durch welche jede einzelne Aktion der letzteren auf das geltende Recht zurückgeführt wird. In der strengen Ausbildung und Gültigkeit dieses Grund- satzes liegt der Charakter des englischen öffentlichen Verwaltungsrechts im wei- tern Sinne (s. unter Klagrecht). In Frankreich sehen wir eine wesentlich verschiedene Ordnung der Dinge. Hier hat das Königthum schon seit Ludwig IX. gearbeitet, um jeden Akt der Verwaltung der vollziehenden Gewalt zu unterwerfen. Die Selbstverwaltung er- scheint dem centralen Königthum als ein Feind der innersten Natur der fran- zösischen Staatsbildung. Die vollziehende Gewalt und mit und in ihr die Verordnung ist das eigentlich schöpferische Element dieses in seiner Art so eigen- thümlichen Staats; sie ist allgegenwärtig, allenthalben gleichartig, stark, thätig, tüchtig; sie fühlt sich als den eigentlichen Träger des französischen Gesammt- lebens. Sie ist daher schon Jahrhunderte vor der französischen Revolution nicht bloß vorhanden, sondern tritt auch als ein starker und vom Königthum und Volk gleich sehr anerkannter Organismus auf; es fällt beiden gar nicht ein, an ihm und seiner Funktion ernsthaft zu rütteln; beide sind vielmehr von dem Bewußtseyn durchdrungen, daß auf ihm die staatliche Individualität, die äußere Kraft und der Glanz Frankreichs beruhe. Niemand hat das besser verstanden, als Toqueyille; sein „Regime“ ist eben die vollziehende, thätige Staatsgewalt in ihrer Selbstständigkeit gegenüber der Gesetzgebung. Dieser Grundsatz hat sich nun als ein ganz unbezweifelter erhalten und zwar mitten unter allen Phasen, welche die gesetzgebende Gewalt durchzumachen hat. Die Vollziehung und ihr Recht, das thätige Beamtenthum, ist eine Welt für sich , und weist jedes Hineingreifen von Seiten der übrigen Rechtsbildungen von sich ab. Das Be- wußtsein dieser eigenthümlichen Selbständigkeit ist schon in Montesquien lebendig. wenn er in seinem Esprit des Lois XXVI. 24. sagt: „Dans l’exercice de la police (die eigentlich vollziehende Gewalt, der die Verordnung zum Grunde liegt) c’est plutôt le magistrat qui punit que la loi; dans les jugements (denen das Gesetz zu Grunde liegt) c’est plutôt la loi qui punit que le magis- trat.“ Das Verhältniß, in welchem jeder einzelne Akt dieser Administration wieder auf das Gesetz in irgend einer Weise zurückgeführt werden soll, existirt daher gar nicht in der Vorstellung Frankreichs. Die Verwaltung als organi- scher Körper hat vielmehr in sich selbst die Aufgabe, diese Harmonie zwischen Vollziehung und Gesetzgebung herzustellen. Sie empfängt daher nicht ihr Recht, sondern sie bildet es sich selber; auf dem Punkte, wo die Fragen nach der Aus- führung des Gesetzes beginnen, hört jede andere Funktion, als die des Ver- waltungsorganismus, auf, und er selber ist das entscheidende Organ über die Verfassungs- und Rechtmäßigkeit der Thätigkeiten, mit welcher er das Gesetz verwirklicht. Es gibt daher in Frankreich zu keiner Zeit eine eigentlich orga- nische Unterordnung der Vollziehung unter die Gesetzgebung; jene wacht eifer- süchtig auf diese Gränze ihrer Gewalt; sie erkennt deßhalb auch nirgends eine wahre Selbstverwaltung; sie hat kein Gemeindewesen; die Gemeinde ist ein Organ der Administration. So hat sich diese eigenthümliche, nirgends in der Welt wieder vorkommende Scheidung der Verwaltung und der Gesetzgebung auf das Innigste mit dem ganzen französischen Leben verwebt, und die fran- zösische Literatur hat dieß Verhältniß in ganz bestimmte Formeln gebracht. Einerseits sind es gerade die Franzosen, welche eben durch die bestimmte Schei- dung beider Gewalten gezwungen werden, die Harmonie derselben als ein noth- wendiges Element des Staatslebens anzuerkennen. Sehr schön sagt Benjamin Constant ( Réflexions sur les constitutions, 1814): „Wollen ist immer möglich, nicht aber die Vollziehung. Eine Gewalt, gezwungen, einem Gesetze, das sie mißbilligt, Beistand zu leisten, ist bald ohne Kraft und Ansehen. Keine Gewalt vollzieht ein Gesetz, das sie nicht billigt, mit Eifer. Jedes Hinderniß ist natür- lich ein Triumph für sie. Es ist schon schwer, einen Menschen am Handeln zu hindern; unmöglich ist es, ihn zum Handeln zu zwingen.“ So verstand man die höhere Nothwendigkeit der Harmonie beider Gewalten, und niemandem fiel es ein, diese eigentliche Vollziehung dem Rechte und dem Willen der Gesetzgebung unbedingt unterwerfen zu wollen; die Administration blieb, was sie gewesen, die souveräne Aktion der Vollziehung; der König ist der Chef de l’Adminis- tration, und wir haben schon das merkwürdige Gesetz vom 16. bis 24. August 1790. citirt, welches den Richtern — und damit dem, was sie vertreten, dem Gesetze — das Recht geradezu abspricht — „de citer devant eux les admi- nistrateurs pour raison de leurs fonctions.“ Der Proceß, den wir als die Herstellung der Verfassungsmäßigkeit in der Verwaltung bezeichnet haben, muß sich daher in Frankreich innerhalb dieser Verwaltung selbst vollzie- hen ; das ist das Princip des französischen Verwaltungsrechts; es gilt jetzt wie vor hundert Jahren; und wir glauben es nicht besser als mit den Worten des Dictionnaire de l’administration, v. Administration, wieder geben zu können: „les Codes règlent des intérêts privés, qui varient d’un individu à l’autre — le droit administratif est également réglé par des principes généraux; mais leur application peut varier avec les circonstances sociales. La pensée du législateur se trouve ainsi commentée, d’un côté par la jurisprudence, et de l’autre par la tradition des bureaux .“ Die Entscheidung selbst aber heißt hier wie bei dem Gericht eine Jurisdiktion; und schon Macarel sagt (Eléments de jurispr. adm. I. 5.): „La jurisdiction contentieuse comprend tout ce qui fait légalement obstacle à l’administration lorsqu’en marchant elle froisse sur la route les intérêts des particuliers.“ Daher denn hat in Frankreich sowohl die Verantwortlichkeit als das eigentliche Verordnungsrecht eine ganz andere Gestalt, als in England und Deutschland; und darum ist und war es so falsch und so ergebnißlos, das deutsche Recht durch das französische erklären und fördern zu wollen. Das letztere ist eine Welt für sich und will für sich verstanden werden. Die folgende Darstellung wird dieß im Einzelnen beim Klagrecht zeigen. In Deutschland tritt nun mit dem vorigen Jahrhundert an die Stelle der principiellen Klarheit Englands und der formellen Klarheit Frankreichs sofort eine gründliche, bis zum heutigen Tage nicht gehobene, und nur durch die historische Entwicklung erklärliche Verwirrung der Ausdrücke und Begriffe. Wir glauben, daß wir am besten den Charakter der deutschen Auffassung bezeichnen, indem wir sie mit dem Namen nennen, um den sich noch heute die Frage dreht, und der denn doch endlich einmal einem richtigeren Verständniß Platz machen sollte. Das ist der Unterschied zwischen den sogenannten Justiz - und Administrativsachen . Die Grundlage dieses Unterschiedes ist die historische Entwicklung der Staatsgewalt gegenüber dem Princip des feudalen Rechts. Allerdings war der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung im vorigen Jahrhundert verschwunden; allein die öffentlichen Rechte der Grundherren und Körperschaften erschienen als Privatrechte , und indem man im Allgemeinen der Obrigkeit, als vollziehender Gewalt, das Recht zur Gesetzgebung auf dem Wege der Verordnung unbedingt einräumte, mußte man jede Verordnung über öffentliche Verhältnisse, welche dem Grundherrn unter dem Titel seiner Grund- herrlichkeit angehörten, als einen Eingriff in das bürgerliche Recht, als eine Beein- trächtigung eines jus quaesitum ansehen, die mithin vom bürgerlichen Ge- richte zu entscheiden, d. i. eine Justizsache sei. Die Gränze der Verordnungs- gewalt lag daher gleich anfangs in Deutschland weder in dem Begriff des Gesetzes, noch in dem der Verantwortlichkeit, sondern in dem historisch ent- standenen Privatrechte auf einen Antheil an der vollziehenden Gewalt , den die Staatsgewalt nicht nehmen konnte, ohne das Princip des Eigenthums anzugreifen. Dieser Antheil war nun einerseits höchst verschieden nach den verschiedenen Ländern, oder die Sachen , welche die bürgerlichen Gerichte gegenüber der Verordnungsgewalt zu erledigen hatten, erschienen in jedem Lande anders; nichts war daher gemeinsam in Deutschland, als der Grundsatz, daß jede Handlung der vollziehenden Gewalt und jede Verordnung, so wie sie ein solches historisches Recht angriffen, Justizsachen seien, während alle übrigen Funktionen derselben der Verwaltung als Administrativsachen angehörten. Nun aber enthielten jene Rechte auf selbständige Verwaltung eine, wenn auch lehensrechtlich ausgebildete, so doch ihrem Wesen und oft auch ihrer frü- hern Ordnung nach unzweifelhafte Gestalt der Selbstverwaltung , namentlich im alten Gemeinderecht. Die neu entstehende Staatsverwaltung strebte nun, diese Selb- ständigkeit sich zu unterwerfen; die selbständigen Körper vertheidigten sie, und um sie mit Nachdruck vertheidigen zu können, hielten sie das Princip des bürger- lichen Rechts und der gerichtlichen Klage gegen jene Bestrebungen der centralen Staatsgewalt aufrecht. So geschah es, daß die Justizsachen wesentlich die recht- liche Gränze der Selbstverwaltung bezeichneten, während die Administrativsachen die staatliche Verwaltung bedeuteten. Diese Gränze aber konnte, da sie nicht im Begriff von Gesetz und Verordnung wurzelte, auch nicht im Wesen des Rechts, sondern mußte nunmehr in dem Gegenstande gesucht werden; und so entstand jene wunderliche Richtung, welche in dem absolut nutzlosen Versuche nicht müde wurde, das Recht von Gesetz und Verordnung und damit die Gränze beider in den Sachen zu bestimmen, für welche das erste oder die zweite gelten sollten. Die Unmöglichkeit, hier zu einem Resultat zu gelangen, war absolut, denn jeder Gegenstand ist ja seiner Natur nach Gegenstand des Gesetzes und der Vollziehung , und mithin der Justiz und der Administration zugleich . Dennoch wäre man vielleicht weiter gekommen, wenn man in Deutschland nur eine klare Vorstellung oder einen gültigen Begriff von Gesetz und Verordnung gehabt hätte. Allein wir haben gesehen, daß dieser fehlte und noch fehlt . Unterdessen ward die Selbstverwaltung für die Gemeinden und Körperschaften verfassungsmäßig festgestellt, und jetzt war jener Unterschied vollständig unentwirrbar, weil er jetzt den Unterschied zwischen Gegenständen, die nur Gesetzgebung, und solchen, die nur Vollziehung zulassen, bedeuten müßte, was wahrlich keinen Sinn hat. Dazu kam ein fast vollständiger Mangel an einem klaren Begriff von Verwaltung und Verwaltungsrecht, der den letzten Halt wegnahm, und so sehen wir denn theoretisch den Begriff des verfassungs- mäßigen Verwaltungsrechts eigentlich gar nicht entstehen, während er praktisch, namentlich in den einzelnen Momenten und Theilen desselben, sich sehr erkennbar Bahn bricht. Und zwar ist dieß, wie wir gleich hier bemerken wollen, in durchgreifender Nachahmung des französischen Begriffes des contentieux geschehen, indem die neue Organisation auch in Deutschland gesetzlich der Verwaltung gewisse Funktionen der gerichtlichen Thätigkeit übertrug, und damit dem deutschen Unterschied zwischen Justiz- und Administrativsachen einen französischen Inhalt gab, ohne ihm die französische Klarheit zu geben. Wir müssen darauf unten zurückkommen. Im Allgemeinen ist indeß kein Zweifel, daß wir in dieser Be- ziehung in einem Uebergangsstadium uns befinden, und daß die Richtung der Entwicklung dahin geht, das Princip des englischen Rechts mit den durchsichtigen Formen des französischen zu vereinigen . Dazu aber ist allerdings nothwendig, daß man jede allgemeine Phrase fallen läßt, und auf das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts im Ganzen wie im Einzelnen eingeht. Wir wollen nun dabei versuchen, auch bei den einzelnen Gebieten desselben durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen allgemeinen Charakter dieses Rechts so viel als möglich beizutragen. Erstes Gebiet. Das persönliche Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts . Die Grundlage dieses sowie des folgenden Begriffes des Regie- rungsrechts ist die Auflösung der allgemeinen und unklaren Vorstellung von der „Staatsgewalt“ in ihre einzelnen Funktionen. Ein Recht der- selben kann nur dann gedacht werden, wenn man diese Funktionen als selbständig innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt denkt; in diesem Sinne ist dann dieß Recht die verfassungsmäßige Gränze der einen Funktion gegenüber der andern, und erst dadurch entsteht ein organischer Begriff des Staatsrechts. Das Staatsoberhaupt vertritt die Persönlichkeit des Staats an sich; er vertritt sie in ihrem Verhalten zur Gesetzgebung; er vertritt sie in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die „einzelnen Rechte“ des Staatsoberhaupts sind daher die rechtlichen Bestimmungen des Antheils, den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organischen Leben des Staats hat. Damit erscheint das Recht der vollziehenden Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwischen den zwei großen Fak- toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als persönlichem Haupt der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organischer Gestalt derselben. Das Staatsoberhaupt ist nämlich zuerst das Haupt jeder That des Staats; indem es der Träger der Persönlichkeit des Staats ist, muß jede Aktion des Staats in seinem Namen geschehen. Allein es kann dasselbe diese Funktion entweder als eine individuelle , als einen Akt des persönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder es kann die Vollziehung durch den Organismus der Regierungsge- walt , also als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide Funktionen sind wesentlich verschieden. Aus dieser Verschiedenheit entsteht die Frage, nach welchen Grundsätzen sich die Gränze für das Gebiet jeder persönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab- hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; diese Gränze kann keine willkürliche sein; sie muß auf einem Recht beruhen, welches einen Theil des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden vollziehenden Gewalt nennen wir das Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts . Das Princip, welches dieß Recht erzeugt und bestimmt, liegt selbst im Wesen des Staats. Es ist nämlich ein absoluter Widerspruch, daß das Haupt des Staats, welches zugleich Haupt des ganzen, persönlichen Staatswillens ist, mit diesem in ihm lebendigen Staatswillen durch seine Handlungen, die ja gleichfalls Handlungen der Persönlichkeit des Staats sind, in Gegensatz treten, d. i. Unrecht thun könne. Sowie aber mit dem Auftreten des Begriffes von Gesetz und Verordnung ein Widerspruch zwischen beiden als möglich gesetzt ist, so kann derselbe auch für das Staatsoberhaupt als Haupt der vollziehenden Gewalt erscheinen. Der Widerspruch mit dem Wesen des Staatsoberhaupts, der wiederum in dieser Möglichkeit liegt, kann nur dadurch gelöst werden, daß die- jenige Form gefunden und zur Geltung erhoben wird, durch welche alle die Handlungen des Staatsoberhaupts, welche mit der Verfassung in Widerspruch treten können , die Natur seiner individuellen Handlung verlieren, während diejenigen, welche das Staatsoberhaupt individuell vollziehen kann , immer als unbedingt gültig anerkannt werden. Da- durch entsteht mit jeder Verfassung der Unterschied der freien Aktion der vollziehenden Staatsgewalt und der Regierungsakte des Staatsoberhaupts. Der freien Aktion desselben entspricht das Recht, daß der bloß persönliche Wille des Regenten ihnen das Recht des Ge- setzes beilegt; den Regierungsakten das Recht, daß sie durch formelle Zustimmung der Organe der Regierungsgewalt — meist durch Unter- zeichnung der Minister — nicht mehr als persönliche Thätigkeit des Staatsoberhaupts, sondern als Handlungen jener Organe gelten, welchen das Staatsoberhaupt seine Zustimmung gibt, unter der Voraussetzung, daß der betreffende Wille der Regierung, die Verordnung, mit dem des gesammten Staats, dem Gesetze, nicht im Widerspruch stehe. Beide Grundsätze ergeben den Satz, daß „das Staatsoberhaupt kein Unrecht thun kann“ oder „unverantwortlich“ ist; der erste dadurch, daß hier der persönliche Wille des Fürsten wirklich Gesetz ist , der zweite dadurch, daß der Regierungsakt eben keinen persönlichen Akt des Fürsten, sondern nur seine (bedingte) Zustimmung zu einem Akte der Regierung enthält. Damit ist jener im Wesen der verfassungsmäßigen Vollziehung liegende Widerspruch gelöst; ohne die Anerkennung dieser Grundsätze muß ent- weder das Fürstenthum der Verfassung, oder die Verfassung dem Für- stenthum gegenüber in Widersprüche gerathen. Steht dieß nun fest, so muß die zweite Frage entstehen, welche Akte demnach diejenigen sind, die dem, von Gesetz und Regierung un- abhängigen, individuellen Willen des Staatsoberhaupts nicht im Allge- meinen, sondern eben innerhalb des Gebietes der Vollziehung überlassen bleiben. Sind diese bestimmt, so folgt von selbst, daß alle übrigen Akte der Vollziehung allerdings nur im Namen des Staatsoberhaupts und mithin unter seiner Zustimmung, oder doch nur unter Zuziehung der Organe der Regierung geschehen können. Die Bestimmung jener Akte nun, welche auf diese Weise der un- mittelbaren allerhöchsten Entscheidung überlassen sind, und auf welche daher weder der Begriff des Gesetzes, noch der der Verordnung An- wendung finden, sondern welche man dann als allerhöchste Entschlie- ßungen, Befehle, Erlässe bezeichnen kann, ist formell so lange von großer Wichtigkeit, als noch ein nicht ausgetragener Gegensatz zwischen dem Begriff der fürstlichen Souveränetät und dem Rechte der Volks- vertretung existirt. Denn da auf sie die Verantwortlichkeit keine An- wendung findet, während sie mit der vollen Kraft des Gesetzes Gehor- sam fordern, so ist hier allerdings ein Keim des innern Gegensatzes zwischen Fürst und Volk vorhanden. Ist dagegen das innere harmo- nische Verhältniß ein gesichertes, so wird auch jene formelle Bestimmung ziemlich überflüssig, da eine Anwendung jener souveränen Vollziehungs- gewalt im Gegensatze zum gesetzlichen Zustande von selbst verschwindet. Daher sehen wir denn auch hier eine nicht unwesentliche Verschiedenheit der positiven Verfassungen, von denen einige jene Gränze bestimmen, einige sie einfach übergehen. Das tiefere Verständniß des Staatslebens hat dagegen die Ueberzeugung festgestellt, „daß es nicht bloß thöricht und kurzsichtig, sondern geradezu unrechtlich ist, wenn einer gesetzlichen Aufzählung der Rechte des Staatsoberhaupts insbesondere ausdrücklich die Bestimmung beigefügt ist, daß ihm weitere Befugnisse nicht zustehen“ (Mohl, Encyclopädie der Staatswissenschaft, S. 216), so daß „Nothwen- diges aus formellen Gründen unterbleiben müßte.“ Allerdings folgt aber daraus, daß jede formelle Aufzählung auch der, im vollziehen- den Rechte des Staatsoberhaupts liegenden souveränen Akte im Grunde falsch ist. Die Untersuchung des Inhalts dieses Rechts soll daher auch nicht das Ziel haben, eine solche verfassungsmäßige Beschränkung zu begründen, sondern nur das Recht auf dieselben auf das Wesen der königlichen Gewalt zurückzuführen. Diese aber, als die höchste persönliche Form des Staatslebens, fordert als Gebiet ihres von Volksvertretung und Regierungsorganen vollkommen unabhängigen freien Willens fol- gende Kategorien: den Oberbefehl über alles, was das Heerwesen be- trifft, als das Organ der selbständigen Kraft des Staats; die Gna- denverleihungen und Begnadigungen , als freie Bethätigung der Individualität des Staats; die Anstellungen und Berufungen , welche die persönliche Seite des Organismus enthalten, und endlich die Kategorie, welche niemals fehlen kann, und welche, indem man trotz- dem nicht im Stande ist, sie scharf zu begränzen, eben wieder die letzte Herrschaft des persönlichen Lebens des Staats über alle einzelnen Erscheinungen und Ordnungen desselben bethätigt, die Kategorie des Nothrechts des Staats. Das Nothrecht des Staats ist das Recht der Staatsgewalt, an die Stelle der Gesetze den Willen der Vollziehung zu setzen: der Zustand, der daraus hervorgeht, wird gewöhnlich der Belagerungszustand genannt. Der Belagerungszustand kann nicht durch die gesetzgebende Gewalt beschlossen werden, denn das Ge- setz kann die Gesetzmäßigkeit nicht aufheben. Der Belagerungszustand kann auch nicht an Bedingungen geknüpft werden, denn es ist unmöglich, diese zu messen. Es ist kaum zweckmäßig vorzuschreiben, daß das Ministerium oder der Staatsrath gehört werden solle, ehe die vollziehende Staats- gewalt im Namen der Noth dieß Recht der Gesetze suspendirt; denn zuweilen ist das nicht möglich — bei wirklicher Belagerung — gewöhn- lich nutzlos, weil es ohnehin selbstverständlich ist. Es gibt nur Einen Rechtssatz, der für die Belagerungszustände gelten sollte, das ist der, daß derselbe die verfassungsmäßige Thätigkeit der gesetzgebenden Körper nicht aufheben darf. Schützt eine solche Bestimmung nicht gegen falsche Anwendung desselben, so wird eine andere gewiß nichts schützen. Die Schwierigkeit, in Gesetzgebung und Literatur die, dem aufgestellten Begriffe der vollziehenden Rechte des Staatsoberhaupts entsprechenden Sätze zu finden, liegt darin, daß man in der „Staatsgewalt“ höchstens das Verhältniß derselben zu Gesetzgebung und Vollziehung im Allgemeinen, nicht aber innerhalb der letzteren wieder die persönliche Staatsgewalt von der Regierungsgewalt geschieden hat (siehe oben). Der Grund dieser Erscheinung in den Verfassungs- urkunden lag darin, daß es dem Staatsrecht wesentlich darauf ankam, die Einheit aller Gewalten als verfassungsmäßiges Princip festzuhalten, und daher eine Scheidung jener beiden Funktionen in der Vollziehung und mit der- selben ihr Recht nicht hervortreten ließ. Die fast ganz allgemeine Formel der deutschen Verfassungen zeigt dieß deutlich genug: „Der König vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie in verfassungsmäßiger Weise aus“ (Bayern, Württemberg, Baden, Coburg, Nassau, Sachsen). Auch die in einigen Verfassungen gegebene Aufzeichnung der Rechte des Königs auf Abschluß von Verträgen, Oberbefehl über das Heer u. s. w. enthalten eigentlich nicht die Aufstellung jenes Begriffs der persönlichen Vollziehungsgewalt, weil derselbe Ausdruck für den Erlaß aller zur Vollziehung nothwendigen Verordnungen gebraucht wird, für welche doch die Verantwortlichkeit gewiß ist. Eben so wenig genügt die abstrakte Anerkennung der Unverantwortlichkeit des Staatsoberhaupts; denn es ist ja eben die Frage, was dasselbe zu thun berechtigt ist, obgleich er unverantwortlich seyn muß. Formell wäre daher nothwendig gewesen, eine Bezeichnung für diese Akte der persönlichen Souveränetät hinzuzusetzen, durch welche die Gültigkeit ohne Theilnahme der Regierung (Unterzeichnung und Verantwortlichkeit) ausgesprochen würde. In den deutschen Verfassungen ist formell eine solche Unterscheidung nicht zu finden. Im Grunde bewegt sich die Verfassung Englands in ganz gleicher Unbestimmtheit: „Die Königliche Autorität bildet die exekutive Gewalt im Staat; sie ist in eine Hand gelegt zum Zweck der Einheit, Kraft und Schnelligkeit. Der König von England ist daher nicht bloß der oberste, sondern der einzige Magistrat des Volkes, während alle andern durch Commission in gebührender Unterordnung unter ihm agiren.“ Blackstone Comm. I. 250. Die einzelnen Punkte stellt Gneist I. S. 274. 275. auf. Ob und welche Rechte darnach die persönliche Souveränetät gegenüber der Regierung habe, bleibt ungesagt, weil sie eben so gut als keine hat; die wirkliche Thätigkeit auch des Souveräns fällt stets mit dem Council zu- sammen, und erscheint als Verordnungsgewalt und mithin nicht als könig- liche Gewalt. Die Versuche der deutschen Verfassungen seit 1848 bleiben gleich unklar. Nur die französische Constitution von 1852 tritt bestimmt auf, Art. 3. 7. 8. 9—12.; aber die Uebertragung jener Rechte erscheint hier formell nicht als königliche souveräne, von Gesetz und Verwaltung unabhängige Gewalt; die Unterzeichnung der Minister ist im Gegentheil auch bei diesen Akten beibehalten; sie versteckt sich vielmehr hinter dem Princip, daß jeder Minister nur für sein Ressort verantwortlich ist (siehe unten). Daß unter diesen Umständen von einer Klarheit in der deutschen Staats- rechtslehre keine Rede sein kann, versteht sich von selbst. Sie begnügt sich mit einer Aufzählung der Rechte — oder Hoheitsrechte — oder einzelnen Gewalten — der Staatsgewalt oder Souveränetät. Vgl. Klüber Oeffentliches Recht §. 238; Maurenbrecher §. 29. 30. 40. 42. Völlige Verwirrung bei Zacha- riä durch gänzliches Mißverständniß des Regierungsrechts. Zöpfl faßt dagegen wieder „die persönliche, mit voller Unverantwortlichkeit auszuübende freie Selbstthätigkeit des Souveräns in der obersten (?) Leitung des Staats- wesens,“ also den obigen Begriff als Regierung , die „beamtenmäßige Thätigkeit unter persönlicher Verantwortlichkeit“ als Verwaltung auf, was bis auf die höchst unglückliche Wahl der Ausdrücke ganz correct ist; nur ge- langt er nicht zu einem rechtlichen Inhalt seiner „Regierung,“ und verliert später gänzlich seine richtigen Gedanken in der Verwirrung, die ihm die sog. Hoheitsrechte bringen. Unter den Darstellungen der örtlichen Staatsrechte ver- sinkt bei Rönne (Preußisches Staatsrecht I. §. 52) die einheitliche Auffassung in lauter Details, welche in allen Akten der Vollziehung nur den Zusammen- hang mit dem Königthum, nicht sein souveränes Recht erkennen; Mohl (Würt- tembergisches Verfassungsrecht I. §. 30. ff.), der wohl zuerst (1829) die könig- lichen Rechte genau analysirte, ohne sie von der Regierung zu trennen, bleibt auch bei dem allgemeinen Satze stehen, daß „nur dem Könige die Vollziehung der Gesetze gebühre,“ §. 35. Ebenso Milhauser (Sächsisches Verfassungs- recht §. 26). Selbst Pötzl (Bayerisches Verfassungsrecht) hat trotz der Klarheit seiner Darstellung die Frage nicht erledigt; wie Moy (Bayerisches Verfassungs- recht I. II. §. 44. ff.) sie trotz seiner Weitläuftigkeit nicht aufgenommen hat. — Ueber das Nothrecht siehe Klüber (Oeffentliches Recht §. 551), der es als dominium eminens der Expropriation zu Grunde legt und den Belagerungs- zustand noch gar nicht kennt; Zachariä , der in II. §. 153 noch auf dem- selben Standpunkt steht, während er im Belagerungszustand nur einen polizei- lichen Akt sieht, I. S. 142. Mohl (Encyklopädie §. 29) und Bluntschli (Allgemeines Staatsrecht II. 108) fassen das Nothrecht höher auf; sehr gut sagt Mohl: „Man hat sich nicht selten bemüht, wenigstens den Eintritt des Falles durch bestimmte Formen festzustellen; es ist aber einleuchtend, daß dieß eine Folgewidrigkeit und entweder ein schädliches Hemmniß oder eine leere Warnung ist. Wenn die Noth die Beschränkung zu durchbrechen gebietet, so muß es ge- schehen, und ist gerechtfertigt“ (S. 217). Das Recht des Belagerungszu- standes in Preußen ist durch das Gesetz vom 4. Juni 1851 bestimmt, das an die Stelle der octroyirten Verordnung vom 10. Mai 1849 getreten ist. Siehe Rönne Preußisches Staatsrecht II. §. 52. S. 217. In Frankreich versprach der Art. 12 der Constitution von 1852 ein Gesetz über den Belagerungszustand; es ist aber keines erschienen, und gilt daher noch immer das Gesetz vom 9. August 1849, nur mit dem Unterschiede, daß nach diesem Gesetz sofort bei Erklärung des Belagerungszustandes die Assemblée nationale sich versammeln mußte, während nach Art. 12 der Kaiser nur darüber an den Senat „berichtet.“ Zweites Gebiet. Die Regierungsgewalt und das Regierungsrecht . Während die vollziehende Staatsgewalt, der eigentlichen Regierungs- gewalt gegenüber selbständig gedacht, demnach es mit den allgemeinsten Formen der Staatsthätigkeit zu thun hat, erscheint die Regierungs- gewalt in den wirklichen Aufgaben der Verwaltung. Hier treten sich daher die beiden Elemente, der gesetzliche und der verwaltende Wille des Staats, concret gegenüber; in der Regierung berühren sie sich im wirk- lichen Leben; und hier wird daher auch das Recht eine bestimmtere und faßbare Gestalt gewinnen. Denn während bei der selbständigen Aktion der vollziehenden Staatsgewalt ein Gegensatz zwischen Wille und That des Staats schwer denkbar ist und fast nur gewaltthätig hervor- gerufen werden kann, greifen bei der Regierungsthätigkeit die wirklichen Lebensverhältnisse so tief in die Gesetze hinein, sie sind so mächtig und zugleich so wechselnd, daß man nicht daran denken darf, die Harmonie zwischen beiden Faktoren durch ein paar einfache Sätze herzustellen. Und dieß um so weniger, als die Regierung selbst nicht als einfache Gewalt erscheint, sondern als ein System von Gewalten, deren jede ihre eigene Funktion hat. Indem wir daher das Rechtsleben der ver- fassungsmäßigen Verwaltung als einen lebendigen Proceß bezeichnen, der in bestimmten rechtlich gültigen Formen jene Harmonie herstellt, wird dieser Proceß zu einem System von Rechtssätzen und zwar in der Weise, daß wieder die Verordnungsgewalt, die Organisations- gewalt und die Polizeigewalt jede ihr eigenes Recht besitzen; d. i. daß für jede dieser Gewalten ein ihr eigenthümlicher, auf ihrer Natur beruhender rechtlich gültiger Proceß existirt, der für sie jene Harmonie mit der Gesetzgebung herstellt. In der That wird erst dadurch der Begriff eines organischen Rechtslebens im Staate begründet und die Vergleichung des betreffenden Rechtszustandes in den verschiedenen Staaten möglich. Hier wie immer ist der Boden der Individualität die Gleichartigkeit des Organismus. Allerdings erscheint nun die Regierung als die Einheit der ein- zelnen Zweige der Verwaltung. — Sie hat als solche ihr eigenthümliches Organ, das Gesammtministerium , ihre eigenthümliche Funktion, und mit derselben ihr eigenthümliches Recht , das eben der Ausdruck jenes Wesens der Regierung gegenüber sowohl der gesetzgebenden Gewalt als den einzelnen Regierungsgewalten ist. Dieß ist das Recht der Ein- bringung der Gesetze , welches eben nur der Gesammtheit der höchsten Regierungsorgane in Verbindung mit dem Staatsoberhaupt zusteht. Es kann diese Einbringung ausschließlich der Regierungsgewalt einge- räumt, und sie kann mit dem gesetzgebenden Körper getheilt werden. Immer aber hat sie dieß Recht, und sie hat es, weil sie es ist, welche die Principien der wirklichen Verwaltung festzustellen hat. Das ist jedoch der Punkt, wo die Verwaltungslehre in die Lehre von der Gesetzgebung übergeht, und wo unser Gebiet aufhört. Wir haben da- gegen die einzelnen Elemente des Regierungsrechts darzulegen. Bei der vollständigen Unbestimmtheit des Begriffs der Regierung in der bisherigen Literatur wird man wohl keinen Begriff des Regierung srechts in derselben erwarten. Stellt doch Zachariä (Deutsches Staatsrecht II. ) die ganze Gesetzgebung als einen Theil des „Regierungsrechts“ hin. Hätte nur Zöpfl seine richtige Auffassung, statt sie als Bemerkung in seine verkehrte hineinzu- schieben (siehe oben), sie seiner sonst so gründlichen Arbeit zum Grunde gelegt, so wären wir vielleicht weiter; er nennt wahrhaftig die Initiative ein „Hoheits- recht!“ II. 372. In §. 391 wird dann dasselbe Hoheitsrecht ein „ständisches Recht,“ und doch kommt es nur in der hannöverischen Verfassung Art. 88 vor. Das deutsche Recht mit seinen verschiedenen Bestimmungen ist hier übrigens gut zusammengestellt, immer aber mit der vagen Vorstellung, daß ein deutsches Staatsrecht, das nicht ist, seyn sollte. Den Ausdruck selbst erfand Napoleon, Constitution von 1802, Art. 56. Murhard (die Initiative bei der Gesetz- gebung, 1833) hat alle Raisonnements und Bestimmungen genau gesammelt, ohne selbst zu einem Resultat zu kommen. In Frankreich, wo der Kaiser doch mancherlei aus Deutschland gelernt hat, hat er sich diese Initiative ausschließlich vorbehalten. Constitution 1832, Art. 8. Erste Abtheilung. Das verfassungsmäßige Verordnungsrecht. Das Recht der Verordnung ist nun dasjenige Gebiet des Regierungsrechts, welches das Verhältniß des selbständigen, durch das Zusammenwirken des Staatsoberhaupts und des Regierungsorganismus gesetzten Willens der vollziehenden Gewalt zu dem organischen im Ge- setze ausgedrückten Gesammtwillen des Staats bestimmt. Nachdem wir oben sowohl das formale als das organische Verhältniß von Gesetz und Verordnung, oder von Wille und That im Staate dargelegt, ihre Selbständigkeit und zugleich ihr natürliches Ineinandergreifen bezeichnet haben, wird es nun klar sein, was den Inhalt dieses Rechts der Verordnung zu bilden hat. Da nämlich das Recht auf Erlaß von Verordnungen mit dem Staatsbegriff selbst gegeben ist, eine äußerliche Begränzung zwischen der Thätigkeit von Gesetzgebung und Vollziehung aber dem Wesen beider widerspricht, so kann das Recht der Verordnung auch nur in denjenigen Formen und Rechtssätzen enthalten sein, welche die beständige Zurückführung des Inhalts des Willens der Regie- rung, oder der Verordnungen auf den Inhalt des Willens des gesamm- ten Staats oder des Gesetzes enthalten. Diese dadurch hergestellte Har- monie zwischen der Verordnung und dem Gesetze oder der Regierung und der Gesetzgebung ist die Verfassungsmäßigkeit der ersteren, und das Recht der Verordnung ist daher kein anderes als die Her- stellung dieser Verfassungsmäßigkeit, oder das verfassungsmäßige Verordnungsrecht . Darin nun liegt zugleich das, was wir das System dieses Ver- ordnungsrechts nennen möchten. Jene Rechtssätze ergeben sich nämlich demgemäß nicht aus dem Begriff des Gesetzes und der Verordnung an sich, sondern sie entstehen vielmehr aus den Formen der Störung der Harmonie zwischen beiden, oder aus den Kategorien, in welchen die Verordnung mit dem Gesetze in Widerspruch treten kann. Diese nun sind zweifach. Die Regierung kann nämlich erstens vermöge ihrer Verordnungs- gewalt mit der Gesetzgebung als solcher in Widerspruch treten, und damit das Princip des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts angreifen, nach welchem sie selbst die organische Verpflichtung hat, die Harmonie der Gewalten aufrecht zu halten. Daraus entsteht das Recht der Verantwortlichkeit der Regierung. Sie kann aber auch zweitens mit ihrer Verordnung ein von dem Gesetze bereits anerkanntes Recht eines Einzelnen angreifen, und damit statt des Princips die einzelne Geltung des verfassungsmäßigen Rechts aufheben. Daraus entsteht der zweite Theil des Verordnungs- rechts, den wir als das Klag- und Beschwerderecht bezeichnen. In beiden Grundbegriffen ist nun natürlich nicht bloß der Proceß der Herstellung der Harmonie, oder das Recht selbst verschieden, sondern auch die Organe welche es herstellen, können nicht dieselben sein. Bei der Verantwortlichkeit kann nur das Organ der Gesetzgebung das Gesetz vertheidigen, bei dem Klag- und Beschwerderecht nur das richter- liche Organ. Es greift daher hier schon die Organisation mit ihrem Rechte hinein, wie es denn ja überhaupt unmöglich ist, das lebendig zusammengehörige äußerlich vollständig zu trennen. Indeß wird das wohl für das Verständniß keine Schwierigkeit bereiten. Entscheidend ist eben nur, daß man sich beide Funktionen als gleichzeitig und gleich- berechtigt, mithin als gemeinschaftlich denselben Gedanken verwirk- lichend vorstelle. Daß unsres Wissens die deutsche staatsrechtliche Literatur die Verantwort- lichkeit als etwas ganz allein Dastehendes, und das gesammte Klag-, Petitions- und Beschwerderecht der vollziehenden Thätigkeit als gar nicht dazu gehörig be- trachtet, wodurch dann die Klarheit im Systeme unerreichbar ist, beruht im Allgemeinen auf der Abhängigkeit unsrer staatsrechtlichen Begriffe von der ge- schichtlichen Entwicklung des Staatslebens, dann aber auf dem Mangel eines einheit- lichen deutschen Staatsrechts, und endlich auf dem Mangel der klaren Erkenntniß darüber, daß das sogenannte deutsche Staatsrecht nichts ist , als eine theo- retische Vergleichung örtlicher, oft wesentlich verschiedener Staatsrechte, bei denen man noch dazu die Vergleichung mit England und Frankreich aus- geschlossen hat. Daß jene beiden Rechtsgebiete aber Ausflüsse desselben euro- päischen Princips sind, wird sich gewiß leicht darlegen lassen. I. Verhältniß zur Gesetzgebung. Die Verantwortlichkeit. Die Verordnungsgewalt, indem sie durch ihre Verordnungen einer- seits die Mängel und Unklarheiten der Gesetzgebung erfüllt, und anderer- seits die Vollziehung des Gesetzes in der Wirklichkeit in ihren Formen und Arten bestimmt, ist offenbar selbst ein organischer Theil der Willens- bestimmung des Staats. Sie ist zwar kein Gesetz, sobald die Gesetz- gebung ihren selbständigen Körper verfassungsmäßig empfangen hat, allein sie ist darum nicht weniger ein Staatswille; selbst die Form der- selben bezeugt dieß, da sie ihrer Anerkennung durch die Staatsgewalt bedarf, sei es direkt, sei es im Wege der Uebertragung für die unter- geordneten Fälle, um als Verordnung zu gelten. Sie bildet daher ebenso gut wie die Gesetzgebung einen Theil des öffentlichen Rechts ; es ist ganz unmöglich, das System oder den positiven Inhalt des letz- tern nur auf den Inhalt der Gesetze zu begründen. Es ist im Gegen- theil unumgänglich, und auch von allen anerkannt, daß dasjenige öffent- liche Recht, welches durch Verordnungen gesetzt ist, unbedingt neben dem gesetzlichen Recht als Verordnungsrecht bestehe, mit der gleichen Gel- tung, und fast allenthalben sogar mit größerem Umfang als das gesetz- liche Recht. Eben darum nun, weil beide Formen des öffentlichen Rechtes in ihrer Geltung zusammengehören und ein Ganzes bilden, müssen sie auch in ihrem Inhalte in Harmonie sein. Diese Harmonie hat aber eine doppelte Gestalt. Sie bezieht sich zuerst auf die gesammte Auf- fassung der Aufgabe der Regierung gegenüber der Gesetzgebung, und zweitens auf das Verhältniß der einzelnen Verordnung zum allge- meinen verfassungsmäßigen Recht des Staats. Der Unterschied ist an sich ein wesentlicher, und erzeugt auch zwei Grundformen der Verant- wortlichkeit. Wir nennen die erste die politische , die zweite die juristische Verantwortlichkeit . 1) Die politische Verantwortlichkeit . Da die gesetzgebende Gewalt, von der vollziehenden geschieden, in ihrer Funktion die höchste und allgemeinste Bestimmung des Willens der Persönlichkeit des Staats enthält, so ergibt sich, daß es die organische Aufgabe der vollziehenden Gewalt ist, in ihren Willensbestimmungen, den Verordnungen, ihrerseits diese Harmonie mit dem Gesetze als ihre erste Pflicht im Auge zu haben. Sie ist es, welche in der Ausübung ihrer Gewalt im Wege der Verordnung das Gesetz nicht zu ändern, sondern zu erfüllen hat. Sie muß daher dafür sorgen, daß diese Har- monie durch keinen einzelnen Akt der Verordnungsgewalt gebrochen werde. Oder, die vollziehende Gewalt der Regierung ist für die Har- monie zwischen Gesetz und Verordnung im Namen der höheren Idee des Staatslebens verantwortlich . Dieses Verhältniß, welches auf diese Weise die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Vollziehung zu einem Lebensprincip des Staats macht, und welches als die erste Bedingung der Selbständigkeit von gesetzgeben- der und vollziehender Gewalt erscheint, nennen wir demnach die politische Verantwortlichkeit der Regierungsgewalt , oder da die letztere in den Ministern ihre persönlichen Vertreter hat, die Ministerver- antwortlichkeit . In diesem Sinne aufgefaßt, erscheint die Verantwortlichkeit nicht als etwas einfaches. Sie ist vielmehr einerseits von einer Reihe von öffentlich-rechtlichen Bedingungen getragen, und kommt andererseits mit bestimmten öffentlich-rechtlichen Grundsätzen zur Erscheinung, welche erst zusammen genommen den Begriff der politischen Verantwortlichkeit mit seinem Inhalt erfüllen. Die politische Verantwortlichkeit der Verwaltung hat nämlich zu- erst in der Verfassung drei Bedingungen, ohne welche dieselbe gegen- über der Gesetzgebung undenkbar ist. Die erste Bedingung ist die, daß die Regierung das unbeschränkte Recht hat, die Entwürfe der Ge- setze selbst einzubringen . Die zweite besteht darin, daß die Ver- treter der Regierung in den Debatten der gesetzgebenden Gewalt beständig das Recht haben, das Wort zu ergreifen. Die dritte Bedingung ist, daß wenn die Auffassung der vollziehenden Regierungsgewalt über die Be- dürfnisse der Verwaltung wesentlich verschieden sind, die Minister ihre Stelle niederlegen. Das Niederlegen der Portefeuilles ist die Erklärung, daß nach der Auffassung der Regierung die wirklichen Lebensverhältnisse des Staats mit der Auffassung der gesetzgebenden Gewalt in solchem Widerspruche stehen, daß die Verordnungen der ersteren mit den Ge- setzen der letzteren unbedingt in Gegensatz gerathen müßten. Durch diese Principien ist die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Regierung als Grundlage der Verordnung bereits im Allgemeinen gesichert, und die persönliche Verantwortlichkeit der Regierung für dieselbe erst möglich gemacht. Dadurch aber tritt die Forderung, daß sie stets vorhanden sei, auch ohne bestimmte Beziehung auf die einzelnen Regierungsakte in den Vordergrund. Sie wendet sich auf das ganz allgemeine geistige Element der Verordnungsgewalt überhaupt; sie will geradezu, daß nicht etwa bloß die einzelne Verordnung der Regierung, sondern daß die ganze Auffassung der Staatsverhältnisse als einer lebendigen Gesammt- heit in dem Staatswillen, der ja doch auch zuletzt eine persönliche, individuelle Einheit ist, eine gleichartige und harmonische sei. Sie will daher das allgemeine, schwer zu definirende und doch in seinem Wesen ganz unzweifelhaft klare Gefühl im Staatsleben erzeugen, daß inner- halb der höchsten persönlichen Form des Staatswillens, von dem ja Gesetzgebung und Verordnung nur zwei gleichberechtigte Seiten sind, kein Gegensatz herrsche. In diesem höchsten harmonischen Bedürf- niß des verfassungsmäßigen Staats ist das wahre Wesen der höhern Verwaltung gegeben, und der unschätzbare Werth, den ein solcher Zu- stand hat, erzeugt daher Erscheinungen, die formell mit den obigen Principien in Widerspruch zu stehen scheinen, und sie dennoch im Wesen bestätigen; namentlich die Thatsache, daß in einzelnen Fragen die Ge- setzgebung der Regierung nachgibt, obgleich sie anderer Ansicht ist, weil ihr die allgemeine Harmonie zwischen beiden Elementen höher steht als eine einzelne Ansicht; das ist stets der Fall bei den sogenannten Kabinets- fragen; oder aber, daß die Regierung bleibt, obgleich ihre Anträge, sei es in Form der Entwürfe oder der bereits erlassenen Verordnungen von der Gesetzgebung verworfen werden, weil es sich um einzelne Fälle und nicht um die gesammte Auffassung derselben handelt. So ist das, was wir die Verantwortlichkeit nennen, allerdings ein beständig , aber nur im ganzen geistigen Leben des Staats wirksamer Proceß; der ver- fassungsmäßige Staat erzeugt jene Harmonie durch seine eigene Kraft in sich selber, und die wahre Bedeutung der Verantwortlichkeit liegt demgemäß nicht mehr darin, verantwortlich zu sein für die einzelnen Akte der Verordnungsgewalt, sondern vielmehr darin, daß der Minister überhaupt regiert ; denn die Thatsache seiner Regierung ist eben ihrem Wesen nach die Thatsache der Identität in den wesentlichen Auf- fassungen der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und die Auf- gabe des verfassungsmäßigen organischen Staatslebens ist es, zu ver- hindern, daß diese Thatsachen nicht im Widerspruche stehen. Die Mittel, welche die gesetzgebende Gewalt ihrerseits hat, diesen Wider- spruch zu lösen, wenn er eintritt, sind zweifach. Das erste ist die Aufstellung der Majorität gegen die Auffassung der Regierung bei jeder Theilnahme der letzteren an der Funktion der Gesetzgebung. Die antiministerielle Majorität gibt in diesem Falle kein Urtheil über die einzelnen Akte der Regierung; dieselben können viel- mehr an sich vollkommen gut sein, und daher von einer folgenden Re- gierung ohne Bedenken wieder eingebracht werden; jene Majorität tritt im Gegentheil nur auf als allgemeine Erklärung, daß die Harmonie zwischen den beiden Gewalten gestört, und daß damit eine Aenderung in der beiderseitigen Auffassung nothwendig sei. Das zweite, ernstere Mittel ist die Steuerverweigerung . Es bedarf in unserer Zeit wohl kaum einer weitern Darlegung, daß eine Steuerverweigerung als Verweigerung der Steuer an sich ein vollkom- menes Unding ist. Die Steuern sind absolute Bedingungen des Staats- lebens, sie an sich verweigern, hieße den ebenso absoluten Widerspruch aufstellen, daß derselbe Staat selbst nicht mehr existiren solle, in welchem und durch welchen eben die Gesetzgebung, welche die Steuern verweigert, ihr Recht empfängt, überhaupt einen Beschluß zu fassen, also auch den der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung an sich wäre daher in der That die Aufhebung des Mandats die Steuer zu verweigern — ein unlösbarer Widerspruch. Die verfassungsmäßige Steuerverweigerung kann daher nie die Verweigerung der Einnahmen der Steuern sein, sondern nur als Verweigerung der Ausgaben des Staats erscheinen. Denn die Ausgaben des Staats enthalten die materiellen Mittel eben Stein , die Verwaltungslehre. I. 7 für die Vollziehung der Gesetze. Harmonieren nun Verwaltung und Gesetzgebung nicht, so ist es ganz naturgemäß, daß die Gesetzgebung der ersteren, um ihre einzelnen Thätigkeiten unmöglich zu machen, die Mittel für dieselben verweigert, und dadurch jeden Akt, der diese Mittel dennoch gebraucht, zu einem direkt ungesetzlichen macht. Es ergibt sich daraus, daß der Akt der Gesetzgebung, welcher die Erhebung der Steuern verweigerte, eine allgemeine Auflösung des organischen Staatsverbandes wäre; es ist nicht möglich, dieß anders zu denken. Die Folge davon ist daher von jeher die gewesen, daß, da der Staat eine an und für sich nothwendige, absolute Form des höchsten individuellen Lebens ist, die durch ein einzelnes ihrer Organe nicht aufgelöst werden kann, diese Steuerverweigerung als Verweigerung der Erhebung der Steuern ein- fach zur Selbsthülfe der Staatsgewalt geführt hat und ewig führen muß , was dann am Ende den innern Krieg zur Folge hat. Jeder innere Krieg aber erzeugt unbedingt die Despotie der siegenden Ele- mente. Es gibt daher keine größere Gefahr der wahren Freiheit, als das Heraufbeschwören der Staatsselbsthülfe durch ein solches Verweigern der Steuererhebung. Die Verweigerung der Ausgaben erzeugt dagegen die individuelle Verantwortlichkeit, welche mit der Disposition über frem- des Eigenthum verbunden ist. Es folgt daraus ferner, daß eine ganz allgemeine Verweigerung der Ausgaben ganz denselben Widerspruch ent- hält, wie eine Verweigerung der Einnahmen. Sie ist gleichfalls un- möglich , und eine solche Unmöglichkeit vernichtet ebenso sehr das ganze Staatsleben. Jede wahre, dem organischen Wesen des verfassungs- mäßigen Staates entsprechende Steuerverweigerung sollte zu ihrem gesetz- lichen Inhalte nur das Recht der Gesetzgebung haben, diejenige Gruppe von bestimmten Ausgaben zu entziehen , welche nicht dem Staate, sondern dem bestimmten Chef des einzelnen Zweiges der Verwaltung die Verfügung oder die Mittel zur Vollziehung derjenigen Regierungsthätigkeit bieten, die mit der Gesetzgebung in Disharmonie steht. Nur auf diesem Wege kann in einem verfassungsmäßigen Staat das Unheil vermieden werden, das unbedingt entsteht, wenn man das Wesen des Staats an sich in den Kampf der beiden Gewalten hineinzieht. Und in der That, das wenigstens wird man uns glauben, daß wenn die Verweigerung dieser Ausgaben nichts hilft, die Ver- weigerung der Ausgaben überhaupt, oder gar der Einnahmen ebenso wenig nützt, gewiß aber entweder Revolution oder den Untergang der gesetzgebenden Organe zur Folge hat. — Ein ganz anderes Gebiet tritt uns nun bei der zweiten Form der Verantwortlichkeit, der juristischen , entgegen. 2) Die juristische Verantwortlichkeit der Regierung . Bei der juristischen Verantwortlichkeit der Regierung denkt man sich nun in der Regel, wenn man sie überhaupt von der politischen zu scheiden versteht — was keinesweges auch nur häufig der Fall ist — die Verpflichtung der Regierung und ihrer Organe, für ihre einzelnen Verordnungen und ihre Folgen zu haften, so weit sie mit den bestehen- den Gesetzen in Widerspruch stehen. Die Wichtigkeit dieses Begriffes hat darin bestanden, daß an ihm der abstrakte Begriff der politischen Verantwortlichkeit überhaupt erst einen faßbaren Inhalt zu bekommen schien. Man glaubte ohne den ersteren an dem zweiten nichts Concretes zu besitzen, und durch eine Menge juristischer Cautelen und Bestimmungen die organische Kraft des Staatslebens, die in der politischen Verantwortlichkeit liegt, ersetzen zu können. Die Unmöglichkeit, dieß Ziel zu erreichen, liegt nun freilich auf der Hand, und es ist wohl klar, daß die juristische Verantwortlich- keit stets um so ängstlicher formulirt wird, je weniger eben die poli- tische zur lebendigen Geltung gelangt. Die Ausbildung der ersteren gehört deßhalb stets den unentwickelten Stadien des Verfassungslebens an, und daraus erklärt es sich denn auch, daß man sich eben darum so wenig klar war über das, was auch nur dieser juristischen Verant- wortlichkeit der Minister angehören kann, was nicht. Offenbar liegen hier nämlich zwei Verhältnisse vor. Zuerst, und im weiteren Sinne genommen, umfaßt die juristische Verantwortlichkeit der Regierung jede Verordnung und Vollziehung, und mithin auch alle die Fälle, in welchen ein Einzelrecht durch die letzteren verletzt wird. Offenbar nun kann dieselbe diese weiteste Gränze nicht umfassen. Es wird daher nothwendig, die Ministerverantwortlichkeit auf ein Gebiet zu beschränken, welches seinem Inhalt nach der höheren Idee der Verantwortlichkeit entspricht. Denn es ist gar kein Grund vorhanden, weßhalb, wenn ein Klage- oder Beschwerderecht vorliegt, die Regierung als Ganzes anders behandelt werden soll, wie der einzelne Beamtete; im Gegentheil würde dabei, da der letztere im Auftrag der Verordnung der ersteren handelt, entweder die persönliche Haftung des Beamteten verschwinden, oder es würden zwei Arten der Haftung für dieselbe Thatsache eintreten, eine als Klagerecht für den Beamteten, die andere als Verantwortlichkeit für die Regierung. Die juristische Verantwortlichkeit muß daher auf ein spezielles Gebiet von Regierungs- handlungen eingeschränkt werden, wenn sie einen Sinn haben soll. Die juristische Verantwortlichkeit kann demgemäß nur für diejenigen Akte oder Ueberlassungen der Regierung eintreten, welche sich auf Rechte oder Ordnungen beziehen, durch welche das verfassungsmäßige Verhalten der großen Organe und Funktionen des Staats selbst begründet wird. Dieselbe ist dagegen ausgeschlossen , so wie es sich um das Verhält- niß der Verordnungsgewalt zu dem einzelnen, durch Gesetze erworbene Rechte handelt. Diese Fälle gehören stets unter das Klag- und Be- schwerderecht. Man kann nun auf dieser Grundlage einzelne Fälle ver- fassungsmäßig aufstellen, bei denen die juristische Verantwortlichkeit ein- treten soll; man kann sich auch begnügen, das Princip auszusprechen; immer wird das erstere das letztere nicht erschöpfen, das letztere die ersteren erzeugen. Je unsicherer eine Verfassung sich fühlt, desto mehr wird sie das erstere thun; je gewisser sie ihrer selbst ist, desto mehr wird man sich mit dem zweiten begnügen. Nothwendig ist immer nur Eins: daß nämlich einerseits das Verfahren, andererseits das richtende Organ klar festgestellt sei. Die Individualität des öffentlichen Rechts der einzelnen Staaten aber beruht demgemäß auf Form und Inhalt des ersten Punktes, und hier ist die Verschiedenheit ebenso groß als bezeichnend, obwohl das Wesen der Sache stets dasselbe bleibt. Daß die Regierungsgewalt an und für sich eine verantwortliche sei, ist so natürlich, daß sowohl der fast endlose Streit über diese Verantwortlichkeit, als die Verschiedenheit der Gesetzgebung einen tieferen Grund im Wesen des Staats haben müssen, der uns dann zugleich am besten jene Verschiedenheiten erklären wird. So wie sich nämlich Gesetzgebung und Vollziehung selbständig neben ein- ander hinstellen, so muß das öffentliche Leben mit der Erkenntniß der freien Selbständigkeit des letzteren das Bedürfniß anerkennen, die Harmonie zwischen beiden auf eine objektiv sichere Grundlage zurückzuführen, statt auf die zufällige Individualität der höchsten Organe der Verwaltung. So lange die Scheidung noch in ihren ersten Stadien ist, begleitet sie naturgemäß das Gefühl einer gewissen Entfernung beider, das sich bis zur Sorge vor der positiven Gefähr- dung der Gesetzgebung durch die Vollziehung steigert. Die Verantwortlichkeit ist dann die Form, in welcher dieß Gefühl seinen juristischen Ausdruck findet; sie muß deßhalb stets im Anfange darnach trachten, diejenigen Handlungen be- stimmt zu bezeichnen, welche der Verantwortlichkeit unterliegen; sie muß aber eben darum die letzteren auch nur auf die Organe der Regierung als solche (Minister oder höchste Staatsbehörden) beziehen; sie muß ihr endlich nur die- jenigen Fälle unterwerfen, welche zur Verfassung in Beziehung stehen. Jedes Hinausschreiten über diese Punkte ist ein Mißverständniß des Regierungsrechts, sowohl in Betreff der Subjekte, als der Objekte der Verantwortlichkeit. Man kann im Allgemeinen nun das Recht der letzteren in folgender Weise charak- terisiren. In England ist die juristische Verantwortlichkeit gegenwärtig nur noch der Form nach vorhanden, weil die politische ihren Einfluß in so entschei- dender Weise über die Gesammtheit aller Akte der Regierung erstreckt, daß sie eine juristische Verletzung der Verfassung unmöglich macht. Dieß ist jedoch nur seiner Form nach die höchste Vollendung der Ideen der Verantwortlichkeit. In Wahrheit ist sie dagegen untergegangen in der Herrschaft der, die formelle Majorität besitzenden Partei, und ist dadurch zu einem Scheinleben geworden, zu einer Formel, die für die höheren Ideen des Staats nur einen sehr zweifel- haften Werth hat. Denn da die Häupter der Vollziehung die Häupter ihrer eigenen gesetzgebenden Partei sind, so ist damit der Fall eines Widerspruchs zwischen ihrer Regierungsthätigkeit und der Auffassung derselben von Seiten des Parlaments grundsätzlich beseitigt. Es ist damit im Gegentheil der Grundsatz zum formellen Princip der Verantwortlichkeit erhoben, daß jeder Minister nur für das verantwortlich ist, was er ohnehin gar nicht thun kann — für einen Akt, der gegen das Interesse seiner Partei und seiner selbst geht. So lange er im Interesse der Majorität handelt, kann dieselbe Majorität ihn ja nicht dafür zur Verantwortung ziehen; thut er es nicht , so würde ihn, da die Majorität ja das Gesetz macht, dieselbe unbedingt verantwortlich machen. Dar- aus folgt, daß selbst formell die Vollziehung ihre Selbständigkeit verloren hat; sie ist in ihrem innersten Wesen die Dienerin der herrschenden Partei. Es ist vielleicht das größte Verdienst von Gneist , uns diesen Charakter des englischen Verfassungslebens zuerst klar dargelegt, und die traditionelle un- bedingte Verehrung vor diesem Zustande erschüttert zu haben. Denn in der That kann hier nur dasjenige durch die Verwaltung im Namen der Ideen des Staats geschehen, was den Interessen der herrschenden Partei entspricht, wenn jene nicht „verantwortlich“ werden — d. i. gegen ihr eigenes Interesse handeln will. Das ist ein Zustand, in welchem der Geist des Staates untergehen muß, wenn er nicht in dem einzelnen Staatsorgan lebendig bleibt. Denn Parlament und Minister können ihn nicht mehr lebendig erhalten. Uebrigens hat es lange gedauert, bis England so weit gekommen ist. Mohl , Ministerverant- wortlichkeit (1837), hat alle bekannten Fälle der Anklage gegen englische Minister zusammengestellt (S. 597—696). Man sieht deutlich, wie diese Anklagen noch im Anfange des 18. Jahrhunderts auf politischer und juristischer Verantwort- lichkeit beruhen; die Anklagen des 18. Jahrhunderts dagegen sind eigentlich nur noch strafrechtliches Verfahren ohne Beziehung auf die Verfassung, und gehören daher schon nicht mehr dem Principe der Verantwortlichkeit an. Ihre gegenwärtige Gestalt empfängt die letztere erst mit der französischen Revolution. Die Verfassung von 1791 bestimmt sie einfach und richtig ( Chap. II. S. IV. ): Art. 5. Les Ministres sont responsables de tous les délits par eux commis contre la sûreté nationale et la constitution; de tout attentat à la propriété et la liberté individuelle; de toute dissipation des déniers destinés aux dépenses de leur département. Art. 6. En aucun cas, l’ordre du Roi, verbal ou par écrit, ne peut soustraire un ministre à la responsabilité. Es war natürlich, daß diese Sätze unter Napoleon verschwanden; sowie aber das verfassungsmäßige Königthum wiederkehrt, kehrt auch die Verantwort lichkeit zurück, und wenn auch die Charte von 1814, sowie die von 1830 sich auf das einfache Princip derselben beschränken, so ist es doch gewiß, daß Frank- reich die Sache selbst mit tiefem Verständniß auffaßte. Hier sehen wir dem Rechte der Verantwortlichkeit eine Anschauung des organischen Verhältnisses von Gesetzgebung und Vollziehung zum Grunde liegen, die den Deutschen nur zu sehr abgeht. Es ist nicht umsonst, daß Benjamin Constants Réflexions sur les Constitutions als die Grundlage der Lehre vom verfassungsmäßigen Königthum angesehen wird; kürzer, klarer und tiefer sind die Wahrheiten, auf denen dasselbe beruht, nie ausgesprochen, schlagender ist nie die organische Verschiedenheit von Verfassung und Verwaltung, Gesetzgebung und Vollziehung bezeichnet. Wie Wenige lesen jetzt diese Schrift, die so viele Phrasen überflüssig machen würde! Ihm verdankt man die Versöhnung des Be- griffes des Königthums mit der Verantwortlichkeit der Minister, indem er die letztere als unabweisbare Bedingung der Unverantwortlichkeit der Krone dar- stellte. „Ich habe schon früher,“ sagt er, „die Bemerkung gemacht, daß die Verantwortlichkeit die unauflöslichste aller constitutionellen Fragen sei, wenn man die königliche Gewalt nicht sorgfältig von der vollziehenden scheidet. — In der Erbmonarchie aber führt die Verantwortlichkeit keine Unbequemlichkeit mit sich. Die Elemente der Ehrfurcht, mit welcher der Monarch umgeben ist, ver- hindern, daß man ihn mit seinen Ministern vergleicht, und die Dauer seiner Würde verursacht, daß die Anhänger derselben ihre Anstrengungen gegen das Ministerium wenden können, ohne gegen den Monarchen aufzutreten. — Indem man aber die höchste Gewalt unverletzlich macht, bestimmt man die Minister zu Richtern des Gehorsams, den sie ihr schuldig sind .“ ( Chap. III. 4.) Ihm ist daher die wahre Aufgabe der Verantwortlichkeit, nicht das Recht, einen Minister zu verfolgen, sondern die, die vollziehenden Gewalten zum Bewußtsein über die Gränzen zwischen Gesetz und Verordnung zu bringen. Sie erscheint ihm daher nicht als eine Criminaluntersuchung; sie ist ein organi- sches Element des Staatslebens; es ist nicht ihre Aufgabe, ein Verbrechen zu bestrafen, oder durch die Strafe zu hindern; sie soll vielmehr nur das lebendige Bewußtsein der Harmonie der Gewalten erzeugen, und dem Königthum damit seine wahre Stellung geben. Spezieller hat er seine Gedanken in seiner Schrift: De la responsabilité des ministres, dargelegt (1814), die freilich Mohl nicht casuistisch genug ist (a. a. O. S. 89). Sein Irrthum besteht nur darin, die Verantwortlichkeit mit dem Klagrecht zu verschmelzen. Dieß hat Ferrier ( De la resp. min. relat. à l’administration des Finances 1832, übers. v. Buddeus) vermieden; seine Schrift ist das Vorbild des Werkes von Mohl . Es ist die praktische Auffassung und Durchführung, mit Vergleichung der bestehenden Rechte. Das französische Staatsrecht hat sich auf diesem Standpunkt bis zum neuen Kaiserthum erhalten. Das letztere hat die wahre Verantwortlichkeit auf- gehoben, und eine Scheinverantwortlichkeit an ihre Stelle gesetzt. Jeder Minister ist nach der Constitution von 1852, Art. 12, nur noch für das verantwortlich, was seinem speziellen Ressort gehört; d. h. er hat nur die Verantwort- lichkeit des Beamteten, nicht die der vollziehenden Gewalt; oder es gibt nur noch ein Klagrecht gegen den Minister, nicht aber eine juristische oder gar poli- tische Verantwortlichkeit desselben; denn für alles, was über die spezielle Com- petenz des einzelnen Ministers hinausgeht, ist nur die unverantwortliche Staats- gewalt — der Kaiser — verantwortlich. Laferri è re ( Cours de droit publ. admin. I. Chap. II. ) hat sich dazu hergegeben, diese Unwahrheit theoretisch zu formuliren, und auf Grundlage der préambule der Constitution von 1852: „La Constitution actuelle proclame que le Chef que vous avez élu est responsable derant rous — étant responsable, il faut que son action soit libre et sans entraves“ d. h. ohne Verantwortlichkeit — die Behauptung auszusprechen, daß der Art. 5 der Constitution: „Le chef d’État est respon- sable devant le peuple français , auquel il a toujours le droit de faire appel“ eine Verantwortlichkeit höherer Ordnung, als die unter dem Königthum ent- halte. Eine Tyrannei ist ein Uebel; aber eine Tyrannei, welche nicht den Muth hat, aufrichtig zu sein, ist mehr als ein Unglück. Das Recht, welches das Dekret vom 25. Januar 1852 dem Conseil d’État in seiner Assemblée générale gibt — autorisation des poursuites intentées contre les agens du Gouvernement“ ist offenbar nichts weniger als eine verfassungsmäßige Verant- wortlichkeit, da der Conseil d’État selbst nur ein Glied im Amtsorganismus ist. Laferri è re a. a. O. T. II. S. 145 (siehe unten). — Was nun die deutsche Auffassung vom Recht der Verantwortlichkeit betrifft, so müssen wir gestehen, daß sie durchweg von einem sehr beschränkten, in juristischer und cri- minalistischer Casuistik befangenen Standpunkt ausgeht, und sich bisher nicht darüber hat erheben können. Sie hat gleich anfangs die Verantwortlichkeit nur negativ begriffen; charakteristisch ist es, daß sie in ihr nichts sucht, als eine „Garantie der Verfassung.“ Die Vorstellung von einer beständigen, zum Theil bis ins Kleinliche gehenden Feindseligkeit zwischen Vollziehung und Gesetzgebung beherrscht sie von Anfang an bis zu unsrer Gegenwart. Man hat das Gefühl, als haben die Verfassungen und die einzelnen, zum Theil sehr ausführlichen Gesetze über die Verantwortlichkeit die Aufgabe, das Recht der Volksvertretung, wie das eines Clienten gegenüber einem wachsamen und thätigen Gegner und seine einzelnen Schritte sicher zu stellen. Die Verantwortlichkeit wird ein Stück des Strafrechts, nicht ein Theil des Staatsrechts; man fühlt sich im Gebiete der Rechtswissenschaft und nicht in dem des staatlichen Lebens, wenn man Ge- setzgebung und Literatur der Verantwortlichkeit durchgeht; es ist, als wäre es die Hauptsache, nur ja keinen einzelnen Fall unerwogen zu lassen, und dem Gegner — der vollziehenden Gewalt — gleich anfangs die Ueberzeugung bei- zubringen, daß er sich wohl hüten und jeden Schritt als tüchtiger Advokat vor- her überlegen müsse, ehe er zu einer Handlung schreitet. Die Verfassungen der ersten Periode haben sich allerdings im Allgemeinen auf dem Standpunkt der Constitution von 1791 gehalten; sie machen die Minister nur verantwortlich „wegen (vorsätzlicher) Verletzung der Verfassung.“ Bayern, Baden, Württem- berg, Sachsen, Kurhessen u. s. w. Allein damit war eben der casuistischen Jurisprudenz Thür und Thor geöffnet. Denn wie wir schon bemerkt, gab und gibt es keinen gültigen deutschen Begriff von Gesetz und Verordnung, und daher war und ist es auch ganz unmöglich , ein deutsches Recht der Verantwortlichkeit aufzustellen; es gab und gibt nur ein örtliches Verantwort- lichkeitsrecht. Die Unfähigkeit, zu einem einheitlichen Staatsleben zu gelangen, und durch die geistige Gewalt des Volksbewußtseins den Mißbrauch der voll- ziehenden Gewalt zu hindern, ließ diese örtlichen Staatenbildungen sich um so hartnäckiger an die Theorie von den einzelnen Fällen anklammern, in denen man eine Anklage aufstellen kann, und darin die Sicherheit der Freiheit suchen. Der Drang, diese Fälle so viel als möglich zu vermindern, erzeugte aber natur- gemäß den Gegendruck der vollziehenden Gewalten; die Regierungen reagirten gegen ein Recht, das in seiner letzten Consequenz die Vollziehung zur bloßen Dienerin der Gesetzgebung gemacht hätte, und das Princip der Verantwort- lichkeit, das dazu bestimmt war, das Vertrauen durch die Bestrafung des Mißbrauchs zu befestigen, ward zu einer systematischen Entwicklung des Miß- trauens gegen das Regieren an und für sich, die unglückliche Entfremdung zwischen Volksvertretung und Regierung förmlich und gesetzlich organisirend, das Selbstvertrauen der thätigen Elemente des Staatslebens mit der bestän- digen Drohung strafrechtlicher Anklage lähmend — ein unerfreulicher Zustand! Am weitesten ging das deutsche Bewußtsein da, wo es einmal ganz sein eigener Herr war, in dem Entwurf des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Reichs- minister vom 18. August 1848 — außer der „ allgemeinen Verantwortlichkeit für jede Handlung und Unterlassung, welche die Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates beeinträchtigt“ — noch zehn Anklagegebiete! Und das in einem Augenblick, wo das Schicksal Deutschlands in der frischen, selbst- bewußten That seiner leitenden Organe lag! Da darf man sich dann freilich kaum wundern, wenn die Regierungen der großen Staaten sich sträubten, durch solche Auffassungen sich zu bloßen Beamten machen zu lassen, die noch dazu bei größeren Verpflichtungen zu geringerer Selbstthätigkeit verurtheilt werden sollten. Auf dieser Basis konnte freilich weder ein Reichsministerium, noch ein anderes bestehen. Das war auch der Grund, weßhalb Preußen den Art. 61 seiner Verfassung von 1850 noch immer nicht ausgeführt hat, Rönne (Preu- ßisches Staatsrecht I. §. 188. S. 630), und vielleicht auch der Grund, weßhalb seit Mohl (Verantwortlichkeit der Minister, 1837) dem auch kein anderes, als das juristische Verständniß der Sache geworden ist, die ganze deutsche Literatur über dieses Gebiet schweigt, während die sogenannten deutschen Staatsrechte, namentlich Zöpfl ( II. §. 402 ff.) mit der ganzen lebendigen Frage in die geist- und principlose Methode paragraphenweiser Sammlung des Materials zurückgefallen sind. — Eben darum hoffen wir, daß diese ganze Kindheitsepoche in der Auffassung der Verantwortlichkeit überwunden sein wird. Eine Ver- fassung bedarf nicht mehr , als des einfachen Satzes der Constitutionen von 1818—1820, daß der Verletzung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts das Anklagerecht gegenübersteht, daß das Unterhaus die Anklage zu erheben und das Oberhaus zu richten hat, während jede Verletzung einzelner Rechte dem Klagr echt zugewiesen werden muß. Nimmt man der Regierung in unserer Gegenwart das Recht, selbstthätig aufzutreten, und soll ihr die Formel des Verantwortlichkeitsgesetzes zum höheren, staatlichen Gewissen werden, so wird niemals ein kräftiges und gesundes Leben des Staats entstehen können. Wenn der Zweifel Princip ist, wird der Widerspruch Regel. Liegt die Verantwort- lichkeit nicht in der lebendigen Kraft der Verfassung, aus den Artikeln ihres Gesetzes wird sie schwerlich lebendig werden. II. Verhältniß zum staatsbürgerlichen Recht. Das Klag- und Beschwerderecht. Während nun die Verantwortlichkeit uns die Gesammtheit der- jenigen Regeln und Grundsätze bezeichnet, durch welche die Harmonie zwischen dem Geiste der Gesetzgebung und Verwaltung, oder zwischen dem gesetzgebenden und dem vollziehenden Körper und ihrer gegenseitigen Organe hingestellt wird, tritt ein zweites Verhältniß da ein, wo es sich um das Verhältniß der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnung zu einem bestehenden Rechte eines einzelnen Staatsbürgers handelt. Offenbar kann die Harmonie zwischen Gesetz und Verordnung hier nicht in dem allgemeinen Gebiete der principiellen Uebereinstimmung gefunden, und die Herstellung derselben auch nicht aus den Grundsätzen oder den Regeln der Verantwortlichkeit erzielt werden. Die Rechtsord- nung, welcher hier die Verwaltung gegenüber tritt, ist die der indivi- duellen Lebenssphäre, und das Objekt der Verordnung ist daher nicht mehr der Staat im Ganzen, sondern das Individuum. Das Recht des Individuums ist der Schutz gegenüber jeder Gewalt, die nicht im Namen des Gesetzes kommt. Das Gesetz schützt daher das Individuum vor der Verordnung, wenn diese das gesetzliche Recht des letzteren an- greift. Die Sicherung dieses Rechts ist daher eine der wesentlichen Be- dingungen des Staatslebens. Die Möglichkeit seiner Verletzung erzeugt daher neben der Verantwortlichkeit und ganz gleichgültig gegen sie einen zweiten Proceß, dessen Grundlagen und Formen selbständig und eigen- thümlich sind. Die erste Bedingung, daß derselbe überhaupt eintreten kann, muß die Thatsache einer wirklichen Bedrohung oder Verletzung des Einzelrechts sein. Diese wird durch den Gehorsam des Staatsbürgers erzielt. Der Gehorsam ist daher das erste Rechtsgebiet des Verordnungsrechts gegenüber dem Einzelnen. Die zweite Bedingung ist die, daß der Widerspruch zwischen Ver- ordnung und Gesetz durch dasjenige Organ wirklich constatirt sei, das über das Gesetz und seine Anwendung zu entscheiden hat, das Gericht. So entsteht das Klagrecht gegen Verordnungen. Die dritte Frage ist dabei die, ob die betreffende Verordnung, im Falle sie mit keinem Gesetz in Widerspruch tritt, nicht vielleicht mit dem Willen der Regierung im Widerspruche stehe. Aus der Behauptung, daß dieß der Fall sei, entsteht die Beschwerde und das Beschwerde- recht . Dieses nun kann allerdings zunächst von dem Einzelnen ausgeübt werden. Es kann aber auch von einer, unter den Verordnungen ge- meinsam und gleichmäßig leidenden Gemeinschaft ausgeübt werden, und wird dann zur Petition , oder zur öffentlichen Beschwerde . Alle diese verschiedenen Formen haben es nun miteinander gemein, daß sie niemals das Verhältniß der Regierung zur Gesetzgebung, son- dern immer nur zu den durch die Gesetze begründeten Einzelnrechten zum Gegenstande haben, und die Aufgabe erfüllen, die Harmonie zwi- schen den Verordnungen und dem gesetzlichen Einzelrechte herzustellen. Erst mit ihnen ist das Rechtssystem vollständig, welches das verfassungs- mäßige Verwaltungsrecht in allen denkbaren Thätigkeiten der Voll- ziehung verwirklicht. Es ist nun dabei zu bemerken, daß die Frage, welche Organe diesen Proceß vollziehen, im positiven Rechte verschieden beantwortet sind. Die Betrachtung derselben gehört offenbar erst dem folgenden Hauptabschnitt, dem Organisationsrecht. Wir werden sie dort verfolgen. Hier kommt es zunächst darauf an, die Grundbegriffe der obigen Ver- hältnisse festzustellen. 1) Das Recht des verfassungsmäßigen Gehorsams . Das Recht des bürgerlichen Gehorsams entsteht da, wo die Re- gierungsgewalt mit ihrem, in der Verordnung (im weitesten Sinne) erscheinenden Willen der selbständigen Persönlichkeit der Einzelnen ent- gegentritt. Da das Wesen des Staatsbürgerthums den Gehorsam des Staats- bürgers vor dem Gesetze fordert, so kann von einem Rechte des Ge- horsams dem Gesetze gegenüber keine Rede sein, sondern nur von einer Pflicht desselben. Es folgt daraus, daß in allen denjenigen Zuständen des öffentlichen Rechts, in welchem es noch keinen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung gibt, sondern die gesetzgebende Gewalt noch vollkommen identisch ist mit der vollziehenden, indem beide ungeschieden in dem persönlichen Willen des Staatsoberhaupts liegen, die Pflicht zum Gehorsam gegen jede Aeußerung dieses Willens eben so unbedingt ist, wie gegen das förmliche Gesetz. Hier gibt es daher noch kein Recht des Gehorsams. Es bedarf keiner eingehenden Bemerkung, daß allerdings diese Pflicht zum Gehorsam in diesen Staatsordnungen als eine im höchsten Grade ernste erscheint, da Freiheit und Wohlsein hier einer Gewalt untergeordnet sind, welche ganz außerhalb der Selbstbestimmung des Einzelnen steht. Allein alle die Gründe, welche eine Aenderung eines solchen Zustandes wünschenswerth machen, und welche sogar, um diese Aenderung herbeizuführen, gewaltige Revolutionen erzeugt haben, können doch das Recht nicht ändern. Ist einmal keine selbständige gesetzgebende Gewalt da, so gibt es auch gar kein Recht, irgend eine Willensäußerung der Staatsgewalt nicht als Gesetz, und mithin als bindend zu be- trachten, sondern nur eine Pflicht des Gehorsams. In diesem gewiß unumstößlichen Satze liegt am letzten Orte eben der hohe Werth einer eigentlichen Verfassung, wie in ihm die einzige Gewähr der Ordnung liegt. Alles das sind jedoch Punkte, welche der Verfassungslehre an- gehören. Begriff und Gültigkeit des Rechts des Gehorsams treten dagegen erst dann ein, wenn Gesetz und Verordnung geschieden sind. Der In- halt dieses Rechts beruht alsdann auf folgenden an sich einfachen Sätzen. Gesetz und Verordnung sind ihrem gemeinsamen Wesen nach Bestimmungen des Staatswillens an sich. Beide haben daher Gehor- sam von dem Einzelnen zu fordern. Allein es ist möglich, daß der Wille der vollziehenden Gewalt — der Regierung — mit dem der ge- setzgebenden in Widerspruch stehe, oder daß die Verordnung einem Ge- setze widerspreche. Hier ist es, wo die Frage entsteht, ob der Einzelne dem Gesetze oder der Verordnung zu gehorchen habe, und welche Rechts- verhältnisse aus seinem Gehorsam gegen die Verordnung gegenüber dem Gehorsam gegen das Gesetz entstehen? Und die Gesammtheit dieser Ver- hältnisse bezeichnen wir als den bürgerlichen Gehorsam und sein Recht . Die Grundsätze nun, welche sich für diesen bürgerlichen Gehorsam ergeben — der demnach stets das Dasein einer selbständigen gesetzgeben- den Gewalt und mithin den Unterschied von Verordnung und Gesetz zu seiner Voraussetzung hat — sind nach dem Wesen des Staats die folgenden. a) Da die Pflicht zum Gehorsam gegen die Verordnung, oder zum bürgerlichen Gehorsam unzweifelhaft ist, wenn Verordnung und Gesetz übereinstimmen, so kann der Zweifel nur dann entstehen, wenn diese Uebereinstimmung bestritten wird. Die Verweigerung des bürgerlichen Gehorsams gegen eine Verordnung erscheint demnach als die Erklärung des einzelnen Individuums, daß es jene Uebereinstimmung läugne, und im Namen des Gehorsams gegen das Gesetz den Gehorsam gegen die Verordnung verweigert. Dagegen enthält eben die Aufforderung zum Gehorsam gegen die Verordnung die Erklärung von Seiten der voll- ziehenden Gewalt, daß ein solcher Widerspruch ihres Willens mit dem Gesetze nicht vorhanden sei. Indem daher das Individuum den Ge- horsam verweigert, setzt es sich als Richter über den Inhalt und Um- fang des Gesetzes und stellt sich selbst über die Regierungsgewalt; es substituirt seinen individuellen Willen dem des Staats. Das ist ein unlösbarer Widerspruch mit dem organischen Wesen des Staatsbürger- thums und damit die Auflösung des Staats selber. Es folgt daraus, daß der Einzelne, indem er nicht zu entscheiden hat über das Verhältniß von Gesetz und Verordnung, auch nicht entscheiden kann über Inhalt und Gränze der Verpflichtung, welche ihm die Verordnung auferlegt. Der bürgerliche Gehorsam gegen die Verordnungen der vollziehenden Gewalt muß daher als absolute Grundlage des Staatslebens erkannt werden. b) Es folgt daraus, daß der Widerstand gegen die Anordnun- gen der vollziehenden Gewalt an und für sich ein Vergehen ist, und daß das Unrecht desselben dadurch nicht aufgehoben wird, daß die er- folgende Entscheidung des zuständigen Organes die Verordnung später als nicht gültig erklärt. Denn nicht darin liegt das Unrecht, daß der Einzelne einer nicht zu Recht bestehenden Verordnung, sondern darin, daß er als Einzelner dem Organe der Vollziehung Widerstand leistet, und damit seinen subjektiven Willen an die Stelle des organischen Staatswillens setzt, d. i. den organischen Staat selbst aufhebt. c) Es folgt daraus, daß bei wirklichem Widerstande gegen den Willen der Regierung, und zwar ohne alle Rücksicht auf Objekt oder Gesetz, das Recht der Unverletzlichkeit des Einzelnen aufgehoben wird, und die Berechtigung der vollziehenden Gewalt so weit geht, als ihre Macht reicht. Das ist der Punkt, auf welchem das Recht des Gehorsams in das des Zwanges (s. unten) übergeht. d) Dagegen hat allerdings der Gehorchende nicht die Pflicht, da Gehorsam zu leisten, wo eine Thätigkeit von ihm gefordert wird, welcher die Rechte Dritter verletzt. Und zwar darum nicht, weil die Auf- hebung dieser Rechte im Namen eines Staatswillens eben die Funktion der vollziehenden Gewalt ist, und die Anordnung der letztern, daß der Einzelne vollziehen solle, was sie selbst zu vollziehen berufen ist, sie mit sich selber in Widerspruch bringt. In diesem Falle ist der Widerstand allerdings berechtigt; jedoch darf er nur so weit gehen, als er sich auf die bestimmte, die Rechte Dritter verletzende Handlung bezieht. Wenn daher der Einzelne in diesem Falle den Gehorsam leistet, so ist es kein Zweifel, daß er persönlich haftet, eventuell der Strafe für seine Handlung unterworfen werden muß. Läßt er sich zwingen, so treten für ihn die Grundsätze der vis major und des metus qui in virum constantem cadit, ein; die bloße Erklärung, daß er die Ver- antwortlichkeit von sich abweise, macht ihn von der Haftung nicht frei. Und zwar darum nicht, weil das Organ der vollziehenden Gewalt bei einem solchen, auf die Verletzung der Rechte Dritter gerichteten Befehle eben als Individuum und nicht mehr als Staatsorgan erscheint, und daher für jede Verletzung nicht als Obrigkeit, sondern nur strafrechtlich als Ur- heber betrachtet werden kann. Die genaue Gränze der persönlichen Verantwortlichkeit muß dann nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts in jedem einzelnen Falle bestimmt werden. e) Jener Pflicht des bürgerlichen Gehorsams steht nun das Recht desselben gegenüber. Dieses Recht besteht darin, daß der Einzelne auf Grund seiner Auffassung das Recht der vollziehenden Gewalt zu der betreffenden Verordnung läugnet , und dieselbe daher als eine für sich unverbindliche erklärt. Hat er das gethan, so folgt, daß die Unter- lassung derjenigen von der Verordnung vorgeschriebenen Handlungen, die er für ungerecht erklärt hat, nicht als ein Unrecht angesehen werden kann; denn diese Unterlassung erscheint von seiner Seite ja als eine Befolgung eines von ihm als vorhanden angenommenen, wenn auch viel- leicht nicht vorhandenen gesetzlichen Rechts, das eben das Recht der Verordnung aufhebt. Den Ungehorsam gegen eine solche Verordnung im Namen eines Gesetzes nennt man den passiven Widerstand . Das Recht zum passiven Widerstand ist daher ein verfassungsmäßiges, aber nur unter der Voraussetzung der Berufung auf ein Gesetz . Diesem Rechte entspricht eben so unzweifelhaft das Recht der Exekution und zwar auf Kosten des Ungehorsamen. Sowie dagegen dieser passive Widerstand zur wirklichen Widersetzlichkeit durch die That übergeht, so entsteht ein sogenannter aktiver Widerstand, und es kann vernünftiger Weise gar kein Zweifel sein, daß der aktive Widerstand auch gegen eine scheinbar unzweifelhaft gesetzwidrige Verordnung an und für sich straf- bar ist, weil das Urtheil des Widersetzlichen über diese Gesetzwidrigkeit immer als ein subjektives erscheint, und die Zulassung einer Geltung der subjektiven Mei ung den gesammten öffentlichen Rechtszustand zuletzt auf lauter individuelle Ansichten zurückführen und damit auflösen würde. Das Wesen der verfassungsmäßigen Verwaltung fordert daher, daß der Einzelne seinen Streit mit der Verordnungsgewalt durch den vom Staate selbst zur Lösung desselben organisirten Proceß, das Klag- oder Beschwerderecht, löse, wenn er nicht mit der Exekution gegen seinen passiven Widerstand zufrieden ist; eine Widersetzlichkeit von Seiten des Einzelnen gegen die Verordnung oder der aktive Ungehorsam ist eben derselbe Widerspruch, der in den Privatverhältnissen in der Selbsthülfe liegt. Und dieser Grundsatz, den Zweifel an der Verpflichtung zum Ge- horsam durch den verfassungsmäßigen Proceß der Klage oder Beschwerde zur Entscheidung zu bringen, statt durch aktiven Widerstand, ist der eigent- liche verfassungsmäßige Gehorsam . Soll aber derselbe nicht ein leeres Wort bleiben, oder zu tiefern Spaltungen im Staatsleben führen, so muß nun auch Klag- und Beschwerderecht desto klarer feststehen. Der ganze, Jahrhunderte alte Streit über die Gränzen des Gehorsams und die gegenwärtige Gestalt in der deutschen Literatur kann nur geklärt werden, indem man den Gehorsam gegen die Gesetze von dem Gehorsam gegen die Verordnungen scheidet, was man nicht gethan hat, weil eben beide Begriffe eben so wenig klar waren, wie der der Verwaltung selbst. Im Allgemeinen ist die Frage bis zum Anfange des gegenwärtigen Jahr- hunderts in der That die Frage, wie weit der Gehorsam gegen das Ge- setz reiche; in unserem Jahrhundert handelt es sich nicht mehr um die anerkannte Pflicht zum Gehorsam gegen das Gesetz, der unbestritten ist, sondern um den Gehorsam gegen die Verordnung . Der Grund dieses Entwicklungsganges liegt eben in der Geschichte der gesetzgebenden und verordnenden Gewalt selbst. So wie mit dem 17. Jahrhundert die Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung verschwindet, und der persönliche Wille des Königs und seiner Vertreter, der Obrigkeit, die gesetzgebende Gewalt wird, so entsteht nun die Frage, ob die Staatsangehörigen dem Willen dieser persönlichen Gewalt den- selben Gehorsam zu leisten haben, den sie dem Gesammtwillen des Volkes allerdings schuldig sind. Das erste Gebiet, auf welchem dieser Zweifel entsteht, ist das kirchliche . Zweifelhaft schon erschien es, ob ein durch den allgemeinen Willen gebildetes kirchliches Gebot Gehorsam fordern könne; zweifelhafter ward die Sache, als die Landesherren mit ihrem subjektiven Willen das Recht der Gesetze vertraten, und für ihre Gebote den Gehorsam auch in religiösen Fragen forderten. In diesem Widerspruche trennte sich zuerst der Gehorsam in zwei Gebiete; der kirchliche weigerte den weltlichen Gehorsam, und machte aus dem staatlichen Ungehorsam eine sittliche Pflicht. Es war die erste Gränze, welche der formell gültige Staatswille fand. Die Frage nach dem Recht des Gehor- sams und des Widerstandes entsteht fast gleichzeitig in Deutschland und Frank- reich, und führt endlich in England zur Revolution gegen das Königthum. — Das zweite Gebiet entsteht durch das Verhältniß der königlichen Gewalt zu den Rechten der Landstände. Das Recht des Königthums, daß sein Wille als Gesetz gelten solle, ward eigentlich an sich nicht bestritten; dagegen hielt man das Recht der Stände als ein selbständiges dem königlichen gegenüber aufrecht, und so entstand die Frage nach der Gränze des königlichen Rechts gegenüber dem „verbrieften“ Landesrecht. Die Frage war im Grunde unlösbar, da beide Rechte Gesetzeskraft hatten, beide dieselben Formeln für ihre Rechte gebrauchten (Hoheitsrecht), beide sich daher wie zwei gleichberechtigte Körper bekämpften, während der Begriff des Gesetzes, nirgends erscheinend, auch die Lösung nicht geben konnte. Es ist das die Zeit des 18. Jahrhunderts, die sowohl in Eng- land, namentlich unter Walpole, als in Frankreich in dem Kampf des Königs mit den Parlamenten, als endlich in Deutschland in dem Streit zwischen Landes- fürsten und Landständen von diesem Gegensatz allenthalben durchdrungen ist. Es war offenbar unmöglich, hier zu einem festen Begriffe von Gehorsam zu gelangen; das lag nicht an diesem Begriffe, sondern an dem gleichen Recht der verschiedenen Elemente, welche den Gehorsam forderten. Der Hauptname in diesem Streite Deutschlands ist und bleibt J. J. Moser ; das Hauptgebiet des- selben war Süddeutschland. Am besten charakterisirt den ganzen damaligen Zustand der Frage der Satz Moser’s (Landesfreiheit der Unterthanen, S. 71): „Besonders aber kann ein Herr von den Unterthanen keinen Gehorsam ver- langen, wenn er ihnen etwas anbefiehlt, welches offenbar und unstreitig den Landesfreiheiten und Verträgen zuwider ist.“ Von einem Gegensatz zwischen Gesetz und Verordnung war dabei natürlich keine Rede; es lag viel- mehr der Gegensatz noch innerhalb der gesetzgebenden Gewalt. Ehe dieser nicht beseitigt und nicht mit dem Begriffe des Gesetzes die Pflicht des Ge- horsams festgestellt war, konnte kein Abschluß in jenem Streite gefunden werden. Diesen nun brachte der Gedanke Rousseau’s , daß die Quelle des Ge- setzes nicht wie bei Hobbes und Pufendorf der Wille eines vertragsmäßig ein- gesetzten Gesetzgebers, sondern eben dieser stets lebendige Wille Aller selbst, die volonté générale sei. Die Bestimmung dieser volonté générale ist das Gesetz; es ist selbstverständlich, daß der Gesammtwille auch der Wille des Einzelnen sei, oder daß er Gehorsam fordern müsse. So war der Grundsatz im Princip festgestellt, daß nur dieses eigentliche Gesetz unbedingten Gehorsam zu fordern habe, und daß, was nicht weniger wichtig war, jede andere Willensäußerung des Staats (also die Verordnung, wie wir sagen würden, gegenüber dem Gesetz) nur durch ihre Uebereinstimmung mit dem Gesetz zu gleichem Gehorsam berech- tigt sei. Diese Auffassung geht nun in das gesammte öffentliche Recht Frank- reichs während der Revolution über, und hier gilt er noch gegenwärtig. Es gibt keinen berechtigten Ungehorsam gegen die „loi“; mit ihm verschwindet auch die ganze Lehre vom Gehorsam aus Frankreich, so wie die Gesetzgebung durch die Volksvertretung vollzogen wird. Zugleich besteht neben der Gesetzgebung die Verwaltung. Sie funktionirt auf Grundlage ihres eigenen Willens; dieser Wille ist zwar kein Gesetz, wohl aber bildet er Recht, so weit das Gesetz ihm nicht entgegentritt; hier entsteht daher die Möglichkeit eines ungesetzlichen Willens der Staatsgewalt; mit ihr die Frage nach der Verpflichtung zum Gehorsam, nicht gegen das Gesetz, sondern gegen die Verordnung im Namen des Ge- setzes. Und so gewinnt jetzt der Gehorsam eine neue Gestalt. Er ist unbedingt gegenüber dem Gesetz, und damit ist der alte Streit des 18. Jahrhunderts entschieden; er ist aber bedingt gegen die Verordnung, und erzeugt daher jetzt neben der Pflicht auch ein Recht durch den Unterschied derselben vom Gesetz. Dieß Recht erscheint nun als das Recht auf den Widerspruch des Einzelnen, den er gegen die Verordnung haben kann, d. i. die Erklärung, daß er ver- möge eines bestimmten Gesetzes sich nicht zum Gehorsam gegen eine bestimmte Verordnung verpflichtet glaubt. Diese Erklärung heißt Opposition ; „former opposition“ ist der formelle Widerspruch gegen die Verordnung; sie ist zum Theil Klage, zum Theil Beschwerderecht; jedenfalls aber erzeugt sie die entweder gerichtlichen oder administrativen Verhandlungen über die Gültigkeit der Verord- nung und damit über die Pflicht des Gehorsams; die Formen der Opposition werden dann endgültig in dem Arrêté vom 23. Nov. 1832 speziell für die opposition aux contraintes administratives geregelt, und das Recht des Gehorsams ist verfassungsmäßig festgestellt. In Deutschland dagegen kam man zu keinem Abschluß, und ist noch jetzt nicht dazu gekommen. Man nahm allerdings aus dem Wesen des Gesetzes das Princip auf, daß man dem Gesetze gehorchen müsse, aber man hatte eben keinen festen Begriff vom Gesetz, und die entscheidende Frage blieb daher offen, wie weit der landesherrliche Wille in der Form des Befehles das Recht habe, Gesetzeskraft und damit unbedingten Gehorsam zu fordern. Das positive Recht beantwortete diese Frage nicht, wie wir gesehen haben, und bei aller Hoch- achtung vor dem eigentlichen Gesetze mußte man sich doch gestehen, daß eben jene landesherrlichen Verordnungen an sich einen ganz gleichen Anspruch auf Gehorsam zu fordern berechtigt seien. In diesem Zweifel, wem man zu ge- horchen habe, erstand daher der alte Zweifel über die Natur und die Gränze des Gehorsams überhaupt; und die deutsche staatsrechtliche Theorie zeigt uns das wunderliche Bild, daß die ganze Geschichte des Begriffs des Gehorsams von Hobbes, Rousseau, Moser und allen Theoretikern der vergangenen Jahr- hunderte herbeigezogen wird, um den gegenwärtigen Begriff zu erklären. Nur so begreift es sich, daß noch gegen den „abstrakt unbedingten Gehorsam“ (obedientia mera) gekämpft, und als die Gränze desselben „der Zweck und Begriff des Staats“ gesetzt wird — über welche bis dahin noch niemand einig gewesen — vergessend, daß es keinen Gehorsam für Ueberzeugungen, sondern nur immer für Thätigkeiten gibt, und daß die gezwungene Befolgung des Staatswillens eben kein Gehorsam mehr ist. Diesem Grundsatz, daß es da keine Pflicht zum Gehorsam gibt, wo im Grunde eben der Gehorsam aufhört — denn das ist ein Befolgen der unsittlichen Befehle — stellt das deutsche Staatsrecht noch immer den zweiten Begriff des „verfassungsmäßigen Gehorsams“ (obedientia civilis) zur Seite, obgleich jeder Staat seine Verfassung hat, und daher der Begriff eines deutschen staatsrechtlichen Gehorsams ein Unding ist. Es hat vielmehr jeder einzelne Staat sein eigenes positives Recht des Gehor- sams, zum Theil in eigenen Gesetzen genau, und zum Theil recht verschieden bestimmt. Vergleiche namentlich die treffliche Darstellung des württembergischen Gehorsams Mohl (Württembergisches Staatsrecht I. 320 ff.); die des preußi- schen bei Rönne I. §. 103. Eben darum sucht man auch vergeblich nach demjenigen, was eigentlich unter diesem „verfassungsmäßigen“ Gehorsam ver- standen wird. Denn mit dem Satz, daß es der Gehorsam gegen die Verfassung sein solle, ist nichts erklärt, da die Verordnung ja auch der Verfassung ge- hört; ein Gehorsam gegen das Gesetz beruht nicht erst auf der Verfassung, sondern auf dem Begriff des Staats; ein Gehorsam gegen etwas, das kein Gesetz ist, hat keinen Sinn; ein nicht verfassungsmäßiges Gesetz gibt es nicht; was heißt also jene traditionelle Unklarheit? Man kann sich nur Eines dabei denken: den Gehorsam in dem Falle , wo eine Verordnung mit dem Gesetze in Widerspruch tritt, und die Pflicht , in diesem Falle das Gesetz und nicht die Verordnung zu befolgen. Die Beurtheilung dieser Pflicht kann man nun aber nicht dem subjektiven Ermessen überlassen; und so bleibt in der That als Inhalt des verfassungsmäßigen Gehorsams nichts als der passive Widerstand, die Klage und die Beschwerde. Einen andern concreten Inhalt kann man sich dabei nicht denken. Einig ist die deutsche Literatur nur in zwei Punkten: daß es eigentlich keine unvernünftigen Gesetze geben müsse, damit jedes Gesetz in seiner Vernünftigkeit die Quelle des Gehorsams finde, was sehr richtig, aber kein Staatsrecht ist; und zweitens, daß der aktive Widerstand an sich strafbar sei. Vgl. Maurenbrecher §. 56. Klüber §. 4 und 550. Zacha- riä I. 67. Namentlich Zöpfl II. §. 982. Die sehr fleißige Arbeit Mohls (Literatur der Staatswissenschaften I. 333) hat sich viele nutzlose Mühe gegeben, die unklaren Vorstellungen in der früheren deutschen Literatur als klar hin- zustellen. 2) Das administrative Klagrecht und der administrative Proceß . Will man nun nach den obigen Voraussetzungen über den wich- tigen Begriff des administrativen Klagrechts ins Klare kommen, so müssen folgende Punkte feststehen, die auch wohl an sich kaum be- zweifelt werden dürften. Eine Klage in dem allgemein anerkannten Sinne, den wir natür- lich festhalten, kann nur da entstehen, wo ein durch ein Gesetz aner- kanntes Recht durch eine Handlung eines Dritten angegriffen wird. Wo ein Gesetz ein solches gesetzlich bestehendes Recht aufhebt, kann natürlich von einer Klage keine Rede sein; hier bleibt dem seiner Meinung nach Ver- letzten nur übrig, etwa eine Aenderung des Gesetzes zu bewirken. Da aber das Gesetz der höchste Staatswille ist, so kann auch kein anderer als eben dieser höchste Staatswille das gesetzliche Recht ändern. Mit- hin kann dieß auch nicht durch die Verordnung und durch die Regie- rungsgewalt geschehen. Es ergibt sich, daß eine Klage in allen den Fällen in strenger Bedeutung des Wortes möglich ist, wo durch eine Verordnung ein vermöge des Gesetzes bestehendes Recht eines Einzelnen angegriffen wird. Allerdings wird diese Klage durch die Natur des Beklagten in ihrer ganzen Gestalt etwas verschieden, und das auf eine solche Klage entstehende Verfahren niemals ganz mit dem der bürger- lichen Klage identisch sein können. Wir nennen sie daher auch am besten mit einem eigenen Namen; es ist die administrative Klage, und das Recht des Einzelnen sie anzustellen ist das administrative Klagrecht . Dieß administrative Klagrecht tritt nun nicht in den Fällen ein, wo der Staat als einzelne bürgerliche Persönlichkeit mit einer andern bürgerlichen Persönlichkeit einen Rechtsakt abschließt, oder wie wir sagen, wo er als Fiscus auftritt. Hier ist vielmehr für ihn und seine Handlungen das gewöhnliche bürgerliche Verfahren das gültige. Ein administratives Klagrecht entsteht nur da, wo das Recht des Einzelnen gegenüber einer Stein , die Verwaltungslehre. I. 8 Verordnung , also einem Akte der Regierungsgewalt, zweifelhaft er- scheint. Und darum hat das administrative Klagrecht auch eine wesentlich andere Funktion, und muß von einem allgemeinen Standpunkt auf- gefaßt werden. Es ist die Aufgabe aller Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung, die Verhältnisse des wirklichen Lebens in der Vollziehung der Gesetze anzuerkennen und zur Geltung zu bringen. Zu diesem gehören auch die gesetzlichen Rechte der Einzelnen. Diese sind oft zwar sehr klar, oft aber auch nicht. Es ist daher schwer, eine Collision zu vermeiden; aber es ist immer ein Unglück, wenn in einer solchen Collision das Recht des Einzel- nen leidet. Denn in der That leidet dabei nicht etwa bloß das Wohl und das Recht des Einzelnen, sondern es ist das in diesen Recht leben- dige Gesetz, das der Verordnung unterworfen und von ihr aufgehoben wird. Die Regierung wird sich daher in diesem Falle selbst als Ge- setzgebung setzen, und das ist das Wesen des tiefen Widerspruchs, den wir fühlen, wenn das Recht des Einzelnen der verordnenden Gewalt preisgegeben wird, selbst da wo Absicht und selbst Erfolg der Thätig- keit der letztern die günstigsten sind. Denn in einem solchen Falle kehrt eben der kaum überwundene Standpunkt der Identität von Gesetz und Verordnung zurück, und die Wahrheit der Verfassung verliert ihren festen Boden, indem sie in jedem concreten Streit zwischen beiden Po- tenzen zur Niederlage des gesetzlichen Rechts gegenüber dem Verwal- tungsrechte führt. In der Heiligkeit des Privatrechts auch gegenüber der Verordnung ist daher im Grunde die Herrschaft des Gesetzes über das Staatsleben, und damit das Princip der organischen Freiheit gesichert. Diese Sicherung aber kann nun die Staatsgewalt sich nicht durch ein Gesetz geben, und zwar darum nicht, weil jeder Einzelne nicht ge- zwungen werden kann, sein durch eine Verordnung etwa verletztes ge- setzliches Recht aufrecht zu halten. Es kann daher immer nur der Einzelne selbst die Verordnung angreifen, und sie dadurch auf allen den Punkten, in denen die verordnende und vollziehende Gewalt mit dem gesetzlichen Einzelrecht in Gegensatz kommt, nöthigen, dieß gesetz- liche Recht als unantastbare Grundlage ihrer Thätigkeit anzuerkennen. Das Mittel dazu ist das administrative Klagrecht; und die Funktion desselben können wir mithin so bestimmen, daß es die Aufgabe hat, die Harmonie der Verordnung mit dem im Rechte des Einzelnen erscheinenden Gesetze herzustellen und zu sichern. Es folgt daraus, daß das administrative Klagrecht ein wesent- liches Recht im Organismus des Staats ist. Es ist die Grundlage einer ganzen Seite des Lebens derselben, und eins der großen Princi- pien, auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen. Um so wichtiger ist die möglichst scharfe Bestimmung seiner Elemente und Bedingungen. Zuerst nun ist es unzweifelhaft, daß ein solches administratives Klagrecht die klare und anerkannte Scheidung von Gesetz und Verordnung zur Voraussetzung hat. So lange nämlich beide noch nichts anderes sind als Willensformen derselben öffentlichen Gewalt, so ist zwischen beiden kein rechtlicher Streit möglich, da am Ende stets die neueste Bestimmung die ältere aufhebt. Es gibt daher kein admini- stratives Klagrecht überhaupt, so lange der Grundsatz nicht feststeht, daß ein Gesetz nur derjenige öffentliche Wille ist, der unter Mitwirkung der Volksvertretung zu Stande kommt. Oder, es gibt kein administratives Klagrecht ohne Verfassung . Ja, es wäre ein ganz unlösbarer Widerspruch, wenn man dasselbe ohne eine Verfassung für gewisse Verordnungen der vollziehenden Gewalt einräumen wollte; denn da dieselben ebenso gut Gesetze sind wie alle andern Akte, so folgt, daß man dabei dem Gerichte eine über ein Gesetz entscheidende Gewalt bei- legen würde. Wo dieß daher geschieht, liegt gewöhnlich etwas anderes zum Grunde, nämlich die Vorstellung, daß nicht die Verordnung, son- dern die Handlung der vollziehenden Behörde Gegenstand der gericht- lichen Verfolgung sein solle. Indeß bleibt auch dieß ein Widerspruch. Denn entweder handelt die Behörde im Namen der Verordnung, und dann kann consequent kein Unrecht geschehen; oder sie thut es nicht , und dann entsteht kein administratives Klagrecht, sondern es tritt ein- fach die persönliche Haftung des Beamteten ein. Ohne verfassungs- mäßige Scheidung von Gesetz und Verordnung kann daher jenes Klag- recht — das Klagrecht der Verletzung des ersten durch die zweite — überhaupt nicht entstehen. Zweitens folgt, daß auch da, wo Gesetz und Verordnung ver- fassungsmäßig geschieden sind, ein solches Klagrecht nur dann möglich ist, wo ein ausdrückliches Gesetz wirklich vorliegt . Es kann dasselbe nicht entstehen, wo eine Verordnung Verhältnisse regelt, über die kein Gesetz existirt, selbst wenn nach der Verfassung ein Gesetz darüber exi- stiren sollte. Denn es ist Sache der Gesetzgebung, die Lücke durch förmliche Gesetze auszufüllen; so lange sie es nicht gethan, hat die Verordnung das Recht, an ihre Stelle zu treten. Es folgt daraus, daß in den Fällen, in welchen das Gesetz für seine Ausführung gewisse Beschränkungen des Einzelrechts nothwendig fordern würde, wäh- rend es selbst noch nicht existirt, die Verordnung das Recht hat, diese Beschränkungen mit dem Rechte des Gesetzes zur Geltung zu brin- gen, da sie selbst ja das fehlende Recht des Gesetzes ersetzt; so z. B. da, wo ein mangelndes Preßgesetz oder ein mangelndes Expropriations- gesetz durch Preß- oder Expropriationsverordnungen vertreten werden. Es ist kein Zweifel, daß in einem solchen Falle die Verordnungen auch die gesetzlich bestehenden Einzelrechte zum Zwecke ihrer Vollziehung ge- rade so gut beschränken, wie das Gesetz selbst. Eben darum heißen sie ja provisorische Gesetze. Ohne dieses Recht ist aber die Voll- ziehung im Staate nicht möglich. Ist die Verordnung nicht angemessen, so soll die eigentliche Gesetzgebung sie aufheben; so lange sie aber be- steht, ist sie Gesetz, und gegen ein Gesetz und seine Consequenzen gibt es kein administratives Klagrecht. Daraus folgt noch immer nicht die völlige Rechtlosigkeit der Einzelnen bei solchen provisorischen Gesetzen. Hier ist der Punkt, wo das Beschwerderecht an seine Stelle tritt, von dem wir sogleich handeln werden. Zu diesen beiden Voraussetzungen kommt nun die dritte, daß näm- lich entweder durch Gehorsam oder durch Vollziehung die Verletzung des Einzelrechts vermöge der Verordnung wirklich erfolgt sei. Der sogenannte passive Widerstand ist mit keinem administrativen Klagrechte verbunden. Gegen die Verordnung als solche hilft nur die Verantwortlichkeit; das administrative Klagrecht tritt erst mit dem Momente ein, wo die Vollziehung verwirklicht ist. So lange die Verordnung nur als Ver- ordnung besteht, kann der Einzelne sein bedrohtes Recht auch nur durch die Beschwerde schützen. Wo nun diese Voraussetzungen vorhanden sind, da tritt das admini- strative Klagrecht ein. Dasselbe erzeugt nun allerdings einen förmlichen bürgerlichen Proceß . Allein die Natur des Objekts und Subjekts bringen dennoch gewisse sehr tiefgreifende Unterschiede in diesem, gegen die Vollziehung eines Urtheils geführten Proceß hervor, und wir glauben daher, daß das Recht der vollziehenden Gewalt uns nöthigen wird, neben den bisher anerkannten Formen des Processes eine neue aufzu- stellen, die Form des administrativen Processes . Wir wollen versuchen, die Punkte zu bezeichnen, in denen derselbe sich wesentlich von dem bürgerlichen Proceß unterscheidet. 1) Das Klagfundament ist bei dem administrativen Proceß der Satz, daß die bestimmte Handlung des vollziehenden Organes als eine Vollziehung einer Verordnung und nicht als eine Ueberschreitung der- selben anerkannt wird, in welchem letzteren Falle ja überhaupt kein Streit zwischen Gesetz und Verordnung denkbar ist, sondern einfach die persönliche Haftung des Beamteten eintritt. Die Klage muß daher auf dem Widerspruche der durch die Thätigkeit des beklagten Organes voll- zogenen Verordnung mit einem bestimmt anzuführenden Gesetze be- ruhen. Wo ein solcher Widerspruch nicht als Grundlage der Klage aufgestellt, und das betreffende Gesetz nicht angeführt wird, muß sie angebrachtermaßen abgewiesen werden. Es ist nicht richtig, dem Gerichte zuzugestehen, daß es selbst suche, ob die Verordnung viel- leicht mit einem andern Gesetze in Widerspruch stehe, und zwar ist dieser Satz darum festzuhalten, weil das Gesetz, welches der Kläger anführt, seinen Titel bildet und daher den Charakter des allgemeinen Rechts verliert. Es ist nie Sache des Gerichts, einen Titel für den Kläger zu suchen; auf diesem Punkte muß im Namen einer guten Voll- ziehung dieß strenge interpretirt werden. 2) Das Petitum der Klage kann nicht auf die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Gültigkeit einer Verordnung als solche gehen. Die Verordnung erscheint dem Gerichte als eine Thatsache, die es über- haupt nur so weit zu untersuchen hat, als ihre Vollziehung mit einem Gesetze in Widerspruch steht, und dieser Widerspruch nicht bloß in der Absicht liegt — was bei einer Verordnung ohne Vollziehung ja der Fall ist — sondern zur wirklichen, das Recht des Einzelnen verfolgenden Erscheinung kommt. Der Widerspruch der Verordnung mit dem Gesetze ist daher nie Gegenstand oder Inhalt des Petitums, sondern nur die rechtliche Begründung desselben. Das Petitum muß vielmehr auf die Handlung der Vollziehung selbst, beziehungsweise ihre privatrecht- lichen Folgen gehen, und kann eben darum auch nur die Nichtigkeit der vollzogenen Handlung oder die Forderung auf einen Schadenersatz aus derselben enthalten. 3) Daraus ergibt sich weiter, daß der administrative Proceß der Regel nach ein summarischer sein muß, da in den meisten Fällen das Objekt desselben nur einen sehr geringen nachweisbaren Werth haben wird, und die Natur der vollziehenden Thätigkeit keinen langen Proceßgang zuläßt. Dieser Grundsatz würde die Bedenken über das Verhältniß jenes Processes zur praktischen Verwaltung in hohem Grade vermindern. Ein ordentlicher Proceß müßte einen nachgewiesenen wirth- schaftlichen Werth von Bedeutung betreffen. 4) Die Natur der Verwaltung fordert aber ferner, daß die Litis- pendenz im administrativen Proceß eine andere Natur habe, als im bürgerlichen. Sie kann dort nicht das Recht haben, den Einzelnen von der Leistung — dem Gehorsam gegen die verordnende Gewalt — zu befreien, bis das Gericht seine Entscheidung gesprochen hat. Im Gegentheil muß die Leistung ohne Rücksicht auf die Anhängigkeit der Klage in Gemäßheit der Verordnung vollzogen werden. Eben so wenig kann eine Leistung, die verordnungsmäßig eine dauernde ist, vermöge der Anhängigkeit unterbrochen werden, denn sie muß stets als ein Ganzes betrachtet werden. Der Einzelne kann sich nur seine Ansprüche wahren, aber sie durch Widerstand vertheidigen kann er nicht, so wenig wie das Gericht ihm gegen eine Gewalt helfen kann, über deren Ge- setzmäßigkeit eben noch der Streit anhängig ist. Es folgt daraus, daß eine Besitzstörungsklage gegen die Vollziehung einer Verordnung überhaupt nicht zulässig ist, wogegen anderseits der Gehorsam, der der Klage vorausgeht, gleichfalls nicht als Aufgeben des Besitzes im bürgerlichen Rechte zu betrachten ist, und die processualen Folgen desselben nicht eintreten können. Es muß vielmehr der Besitz als solcher durch den Gehorsam als gar nicht unterbrochen angesehen werden, da die Grundlage des Besitzesrechts in seiner Unterscheidung vom Eigenthum auf dem Wesen der Einzelpersönlichkeit beruht, die administrative Klage dagegen nicht mit dem Einzelnen, sondern mit der Regierungsgewalt zu thun hat. Wo dagegen in Folge der Ausübung einer Verordnung das Eigen- thum übergeht, während die Verordnung einem Gesetze positiv wider- spricht, da muß das Petitum nicht auf Herstellung des Eigenthums, sondern auf Schadenersatz gehen, während das erworbene Eigenthum dem dritten Erwerber bleibt. Und zwar darum, weil gesetzlich das Eigenthum dem Dritten durch die Beobachtung der Formen der Ueber- tragung gewonnen wird, wenn auch der Grund der Uebertragung — die Verordnung — mit dem Gesetze im Widerspruche stände. 5) Diese große Wichtigkeit der Folgen des administrativen Processes macht es nun fast nothwendig, daß die Gesetzgebung fordere, es solle dem Beginnen des Processes stets eine Opposition von Seiten des Klägers an die vollziehende Behörde voraufgehen , und zwar mit Angabe der Berufung auf das der Verordnung widersprechende Gesetz, und daß die Klage erst dann eingereicht werden dürfe, wenn dieser Opposition keine Folge gegeben wird. Der Sicherheit halber könnte man dabei einen Termin bestimmen, in dem die Erklärung der Behörde erfolgen soll. Dieß aus dem französischen Rechte entnommene Princip hat außerdem den großen Vorzug, daß die untere Behörde die eigent- lich verordnende jedesmal von einer solchen Opposition verständigen und die Maßnahmen derselben erwarten kann. Darnach läßt sich auch ein zweckmäßiger Termin bestimmen. Nur müßte dabei festgehalten werden, was das französische Recht nicht unterscheidet, daß eine Opposition bei Verordnungen und Vollziehungen, die keine dauernde , sondern nur eine einmalige Leistung oder Ueberlassung des Einzelnen oder einen sehr geringen Werth haben, mit der Klage zusammenfallen kann. Man würde durch das erstere erzielen, daß eine motivirte Erklärung der verordnenden Stelle schon an und für sich den Proceß wohl in den meisten Fällen beseitigen würde. 6) Was nun das Urtheil im administrativen Proceß betrifft, so sind folgende Punkte durch die Natur der Sache als maßgebend zu erkennen. Zuerst kann das Urtheil, wie schon erwähnt, niemals über die Ver- ordnung oder das Gesetz selbst gefällt, sondern das Verhältniß beider kann nur als Entscheidungsgrund aufgeführt werden. Auf diesen höchst wichtigen Satz kommen wir später zurück. Zweitens kann das Urtheil des Gerichts niemals über das Ver- hältniß der Vollziehung zur Verordnung gefällt werden, oder eine Entscheidung darüber enthalten, ob die Behörde in Gemäßheit der Verordnung gehandelt habe. Es ist das ein Satz, auf welchem die Möglichkeit des administrativen Processes neben einer tüchtigen Ver- waltung überhaupt beruht. Die Frage, ob die wirkliche Thätigkeit der Behörde mit den Absichten und dem Willen — der Verordnung — der Regierung übereinstimmt oder nicht, kann nie Gegenstand der Be- urtheilung eines Gerichts, sondern nur der höhern Behörde selbst sein. Jede Klage ist daher an und für sich abzuweisen, die sich nur auf die möglichen oder zweckmäßigen Ansichten der verordnenden Gewalt beruft; hier beginnt das Gebiet des Beschwerderechts. Das liegt im Grunde schon in der allerersten Forderung alles administrativen Processes, daß die Klage sich auf ein bestimmtes, und zwar speziell anzuführendes Ge- setz und nicht etwa auf eine Verordnung irgend einer Art berufen muß, um nicht ohne weiteres abgewiesen zu werden. Jedes Urtheil eines Gerichts daher, das dieß Verhalten des Beamten zu seinen Verord- nungen betrifft, ist an und für sich nichtig. Den Grund dieses hoch- wichtigen Princips werden wir sogleich darlegen. Allerdings entsteht damit die Frage, ob dem Gerichte das Recht zustehe, über die Natur eines öffentlichen Aktes zu entscheiden, ob der- selbe ein Gesetz oder eine Verordnung sei. Diese Frage aber gehört nicht hierher, sondern in das Competenzrecht, und es verwirrt alle Be- griffe, wenn man sie in die Frage nach dem administrativen Proceß hineinzieht. Hier muß vor der Hand vorausgesetzt werden, daß über Gesetz und Verordnung kein Zweifel bestehe. Was zu geschehen hat, wo dieser Zweifel entsteht, muß an seinem Orte untersucht werden. Aus diesen Sätzen ergeben sich nun die folgenden Grundsätze für das Urtheil und sein Recht im administrativen Processe. 7) Wenn unter den obigen Voraussetzungen nun ein Urtheil ge- fällt ist, daß in Erwägung, daß die angezogene Verordnung mit dem gleichfalls angezogenen Gesetze in Widerspruch stehe, die Handlung der Behörde, welche in Vollziehung der angezogenen Verordnung geschehen, als eine zu Recht nicht bestehende erkannt werde, so folgt daraus, daß das Urtheil, eben weil es nur auf die bestimmte einzelne Handlung lautet, auch für Dritte kein Recht macht . Dasselbe greift daher das Recht der vollziehenden Behörde, gegen Dritte dieselbe Handlung zu vollziehen und Gehorsam von ihr zu fordern, nicht an, um so weni- ger, als ja über den Rechtsgrund ihrer Forderungen, die Verordnung selbst, überhaupt kein Urtheil gefällt ist und gefällt werden konnte; denn diese erscheint ja nur in den Erwägungen als Entscheidungsgrund. Ebenso wenig kann man ein consortium litis bei dem admini- strativen Klagrecht einräumen, da jeder Einzelne als solcher Gegenstand der Rechtsverletzung ist. Daß übrigens eine juristische Persönlichkeit gerade so gut als Kläger auftreten kann als der Einzelne, versteht sich von selbst; wo aber eine vollziehende Handlung gegen eine juristische Persönlichkeit geht, kann den einzelnen Mitgliedern weder ein Klag- recht zugestanden, noch ein besonderes Urtheil für sie gefällt werden. 8) Schwieriger ist die Frage, ob der Kläger, der ein günstiges Urtheil über die Ungesetzlichkeit der Verordnung und mithin gegen die aus derselben fließenden Vollzugshandlung erzielt hat, verpflichtet ist, zum zweiten Male derselben Verordnung Gehorsam zu leisten. Wir müssen diese Frage entschieden bejahen. Denn das Urtheil hat ja über- haupt nicht die Gültigkeit der Verordnung zum Inhalt; bleibt sie da- her gültig, so muß die Behörde sie auch zum zweitenmal vollziehen, und die Pflicht des Gehorsams ist damit klar, wobei natürlich der passive Widerstand nicht ausgeschlossen ist. 9) Der letzte und ernsteste Fall ist endlich der, wo die Ausführung einer, einem Gesetze entgegenstehenden Verordnung einen dauernden Zustand herbeiführt, gegen den das öffentliche Klagrecht gebraucht wird, und wo daher das Petitum nicht mehr bloß auf Ersatz eines Schadens, sondern auf die Aufhebung dieses Zustandes, beziehungsweise auf die Einstellung der zwar verordnungsmäßigen, aber gesetzwidrigen Voll- ziehung leiten muß. Hier muß das Gericht mit einem, auf gerichtliches Verbot dieser administrativen Thätigkeit gerichteten Urtheil einschreiten. Gibt nun ein solches Urtheil dem Einzelnen das Recht des Wider- standes gegen die, vom Gericht als gesetzwidrig erkannte dauernde Voll- ziehung, oder, ist die Pflicht zum Gehorsam in diesem Falle durch das Urtheil aufgehoben? Wir müssen das entschieden verneinen . Ein Widerstand des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt wäre eben nichts andres als eine eigenmächtige Execution von Seiten des siegreichen Klägers gegen den Verurtheilten, die niemals berechtigt ist; denn die Execution kann nur das Gericht führen. Vermag dasselbe diese Execution nicht durch- zuführen, so ist das allerdings ein Bruch des Rechts; das gibt aber noch dem Einzelnen nicht die Berechtigung, einen zweiten Rechtsbruch dem ersten hinzuzufügen. Hat derselbe das Recht nicht einmal bei der querela denegatae justitiae, so hat er es gewiß noch weniger hier. Ihm bleibt nichts übrig, als eine Klage zu führen, und es ist dann Sache der Gewalten, welche die Verantwortlichkeit verwirklichen, das Recht gegen die Verwaltung zu schützen. Vermag die es auch nicht, so ist das eben ein öffentliches Unglück, das aber dadurch nicht besser wird, wenn das Individuum ein zweites hinzufügt, indem es sich durch Weigerung des Gehorsams selbst Recht verschafft. Die Entwicklung der Grundsätze des öffentlichen Rechts setzen ja eben einen Rechtszustand voraus; der Grundsatz der Verweigerung des Gehorsams durch den Einzelnen würde ihn auch hier vernichten. Nicht in ihm, sondern im organischen Zusammenwirken der Gewalten muß hier daher Abhülfe ge- sucht werden. Dieß sind nun die Grundsätze für das öffentliche Klagrecht. Andere Regeln treten für das Beschwerderecht ein. Wir müssen in Betreff der bisherigen Auffassung aller dieser Fragen, namentlich in Betreff der Administrativ- und Justizsachen, auf die Darstellung am Ende des Beschwerderechts verweisen, die sich beide nicht trennen lassen. Ebenso muß die ganze Frage nach den Competenzverhältnissen definitiv hier fern gehalten werden; wir müssen nothwendig voraussetzen, daß eben Gesetz und Verordnung schon klar geschieden vorliegen. Ohne das ist das Klag- und Beschwerderecht durchaus nicht klar darzustellen. 3) Das Beschwerderecht und das Gesuchsrecht . Ein von dem administrativen Klagrecht ganz wesentlich verschiedenes Gebiet betreten wir nun mit dem Begriff und Inhalt der Beschwerde . Eine Darstellung des Wesens und Rechts der Beschwerde ist uns außer- halb der bürgerlichen Rechtspflege nicht bekannt. Wir müssen daher auf die Sache genauer eingehen. Während nämlich die Klage dadurch, und nur dadurch entsteht, daß ein Willensakt der vollziehenden Gewalt mit einem positiven Ge- setze in Widerspruch tritt und in seiner Vollziehung das Recht des Ein- zelnen, welches von diesem Gesetze geschützt ist, verletzt, kann ein zweites Verhältniß innerhalb der Vollziehung auftreten, welches gleichfalls zu einem Widerspruch in der wirklichen Verwaltung führt. An sich ist der Wille der vollziehenden Gewalt ein in sich einheit- licher, wie der Staatswille überhaupt. So gut aber in dem letztern vermöge der Selbständigkeit des vollziehenden Willens ein Gegensatz zwischen Gesetz und Verordnung entstehen und zum Klagrecht führen kann, so gut erscheint auch der Wille der erstern in der Wirklichkeit als ein vielfacher, indem die einzelnen Organe ihn in sich reproduciren, und ihren selbständigen Willen als den der vollziehenden Gewalt setzen müssen. In dieser unabweisbaren Selbständigkeit dieser unendlich ver- schiedenen individuellen Formen des allgemeinen Willens der vollziehen- den Gewalt liegt nun die beständige Möglichkeit einer Differenz. Diese Differenz ist ein Widerspruch. Die Regierungsgewalt hat das Recht und die Pflicht, diesen Widerspruch zu beseitigen. So lange derselbe aber nur innerhalb des Organismus dieser Gewalt erscheint, gehört er dem Leben und dem innern Rechte desselben, das wir als das Staats- dienerrecht und das Recht der Oberaufsicht beim Selbstverwaltungs- und Vereinswesen unten betrachten werden. Wenn aber der Wille der Re- gierung als Vollziehung einzelner Handlungen gegen Einzelne er- scheint, wird es Sache des Einzelnen, sich gegen diese Differenz zu schützen und diejenigen Schritte zu thun, welche die Harmonie des be- sondern Willens der Verordnungsgewalt in ihrer Beziehung zum Ein- zelnen mit dem allgemeinen Willen derselben in Beziehung zum Ganzen herstellen. Die Gesammtheit dieser Akte nennen wir die Beschwer- den , und das Recht, diese Beschwerden zu erheben, das Beschwerde- recht . Das Beschwerderecht ist demnach wesentlich verschieden vom Klag- recht, und das Festhalten dieser Verschiedenheit ist die Voraussetzung alles klaren Verständnisses der einzelnen Punkte, welche den Inhalt dieses Rechtes bilden. Da nämlich die administrative Klage stets auf einem angenomme- nen Widerspruch zwischen Verordnung und Gesetz, die Beschwerde da- gegen auf einem Widerspruch einer einzelnen Verordnung gegen die allgemeine, oder einer Verfügung gegen eine Verordnung, oder einer vollziehenden einzelnen Handlung gegen Verfügungen oder Verordnungen beruht, so ergibt sich, daß die ganze rechtliche Grundlage beider Pro- cesse eine durchaus andere ist, und daher eine Verschmelzung von Klag- und Beschwerderecht als vollkommen unzulässig und verwirrend aner- kannt werden muß. Die rechtliche Natur der Beschwerde ist aber folgende. So lange die Verordnung nicht mit einem Gesetze in Widerspruch tritt, so ist dieselbe unzweifelhaft allgemeiner Staatswille und hat da- her für sich, ihre Natur und ihren Inhalt das Recht des Gesetzes zu fordern. Aus diesem Princip des Rechts für alle Akte der voll- ziehenden Gewalt folgt nun, daß dieselbe, so weit kein Widerspruch mit einem formell gültigen Gesetze nachweisbar ist, ihren Willen in jedem Augenblicke frei bestimmen kann, und daß diese Bestimmung für den Einzelnen das volle Recht des Gesetzes hat. Sie ist daher an keinem Punkte und in keiner Zeit an ihren eigenen Willen gebunden; aber sie hat das volle Recht, nicht bloß die allgemeine Verordnung durch ein- zelne Verordnungen, die einzelnen Verordnungen durch Verfügungen und Instruktionen jeden Augenblick zu ändern; sie hat auch das Recht, den Willen und einzelne Handlung ihrer einzelnen Organe als ihren Willen anzuerkennen, ohne Rücksicht darauf, ob die letztere mit der Verordnung im offensten Widerspruche stehen. Es ist kein Zweifel, daß der gesetzgebenden Gewalt dasselbe Recht in Beziehung auf das gesetzliche Recht zusteht; es kann und soll aber auch kein Zweifel sein, daß der vollziehenden Gewalt für ihre Verordnungen, Verfügungen und ein- zelnen Aktionen genau dasselbe Recht zugesprochen werden muß. Und zwar ist diese Forderung nicht etwa die Heiligung der Willkür. Sie ist vielmehr ein organisches, und darum unbedingt nothwendiges Prin- cip des Staatslebens. Denn die Vollziehung soll das Gesetz nicht etwa in abstracto verwirklichen, sondern sie soll es in den unendlichen Wechsel und die Vielgestaltigkeit des Lebens einführen. Sie soll nicht starr die Lebendigkeit dieser äußern Welt brechen, sondern das Princip des Gesetzes mit den gegebenen Thatsachen und Lebensverhältnissen zur Harmonie bringen. Sie muß daher fähig sein, wie dieses Leben selbst, das niemals still steht und sich nirgends vollkommen gleich ist, in un- endlich vielen und verschiedenen Gestalten aufzutreten, zu wechseln und zu modificiren, wo sie es für nöthig hält, und dadurch die Grundlage allen Erfolges, die innere Gleichartigkeit der handelnden Kraft mit der äußern lebendigen Welt ihrer Objekte hervorzubringen. Jene Rechte der vollziehenden Gewalt sind daher durch das Wesen des Staatslebens selbst bedingt; es ist unmöglich, sowohl sie ihr zu nehmen als sie zu beschränken; daß die Vollziehung mitten in diesem Wechsel den einheit- lichen Gedanken der Gesetzgebung festhalte, dafür sorgt das Princip der Verantwortlichkeit; so lange aber kein positives Gesetz jener lebendigen Thätigkeit entgegentritt, ist die Verordnungsgewalt absolut frei und selbstbestimmt für alles, was als eine Aeußerung ihrer selbst be- trachtet werden muß. Daraus nun folgt der oberste Grundsatz für das ganze Be- schwerderecht. Kein ausgesprochener Wille der Regierung, keine Ver- ordnung , gibt einem Einzelnen ein Recht darauf, daß die Regierung diese Verordnung ihm gegenüber als wirklichen Inhalt ihres Willens anerkenne . Wenn daher eine Differenz zwischen Verordnung, Verfügung und Handlung ihrer Organe besteht, so kann sie nach eigenem Ermessen, gleich der gesetzgebenden Gewalt, die Ab- weichung der letztern von der erstern unbedingt zu ihrem eigenen Willen machen. Es kann daher von einem, durch eine Verordnung erwor- benen Rechte des Einzelnen auf eine bestimmte Gestalt der wirklichen Vollziehung keine Rede sein. Es ist mithin ganz undenkbar, wegen einer solchen Differenz zwischen Verordnungen, Ver- fügungen und Handlungen eine Klage erheben zu können, welche ja unbedingt ein erworbenes Recht voraussetzt. Sondern vermöge jener Freiheit der vollziehenden Gewalt kann, wenn der Einzelne durch eine solche Differenz sich beeinträchtigt glaubt, nur ein Proceß eintreten, welcher die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der den Einzelnen treffenden Handlung mit dem Willen der vollziehen- den Gewalt constatirt . Und dieser Proceß ist eben die Beschwerde. Diese Beschwerde kann daher, ihrem eigensten Wesen nach, gar nicht von einem Gerichte entschieden werden. Der unauflösbare Wider- spruch, der hier in einer Thätigkeit des Gerichts läge, liegt auf der Hand. Das Gericht müßte dadurch das Recht bekommen, der Voll- ziehung das Festhalten an dem, in ihrer Verordnung ausgesprochenen Willen zur Pflicht zu machen, und für das Nichtfesthalten — die Ab- weichung von demselben — derselben die Haftung zuzuschreiben. Es leuchtet ein, daß ein solcher Satz das innerste Wesen der Vollziehung vernichten und das ganze lebendige Staatswesen gerade in dem Punkt tödten würde, wo es der Wirklichkeit angehört. Nur der entschiedene Mangel an Verständniß des Staatslebens könnte eine solche Vorstellung entstehen lassen. Dennoch müssen wir nicht bloß von einer Beschwerde, sondern von einem Beschwerderecht reden, und dieses sogar als einen wesentlichen Theil des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts anerkennen. Das Leben des Einzelnen, Grundlage und Ziel der Verwaltung im weitesten Sinne, kommt nämlich mit der vollziehenden Gewalt als solcher nicht in Berührung, sondern nur mit den Handlungen, durch welche sie vermöge ihres Willens ihre Organe vollzieht. Jede solche Berührung beschränkt immer die volle Freiheit der einzelnen Persönlich- keit. Diese Beschränkung ist nur dann im Wesen des allgemeinen Rechts begründet, wenn sie vom Staate und nicht vom Einzelnen ausgeht. Indem nun die Verantwortlichkeit die Identität des Geistes der Gesetze und der Vollziehung, das Klagrecht die Unverletzlichkeit der Gesetze gegenüber der Vollziehung, beide also die Harmonie zwischen Gesetz- gebung und Verwaltung sichern, bleibt nur das Gebiet der Verschieden- heit innerhalb des letztern; und die Sicherung daher, daß die in jeder vollziehenden Handlung liegende individuelle Beschränkung ein wirk- licher Ausfluß der Vollziehung ist, erscheint damit als die letzte Gewähr für das Leben der Harmonie im Staate selbst, und andererseits des Einzelrechts gegenüber dem Einzelorgane der Verwaltung. Es steht da- her selbständig da, und fordert seine selbständige Darlegung. Die Grundsätze nun, welche aus diesem Wesen der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnungen, Verfügungen und Handlungen für die Beschwerde und ihr Recht entstehen, sind im Wesentlichen folgende. 1) Beschwerde und Gesuch . Jede einzelne Aktion der Voll- ziehung kann offenbar zu der Verordnung, oder vielmehr allgemeiner zum Willen der vollziehenden Gewalt in einem doppelten Verhältniß stehen. Es ist möglich, daß sie diesen Willen überhaupt mißversteht, und daher nicht die wahre Absicht der vollziehenden Gewalt im Allge- meinen ausführt; es ist aber auch möglich, daß sie dieselbe wirklich voll- zieht, daß aber diese Vollziehung durch bestimmte Verhältnisse Folgen erzeugt, welche die Regierung entweder nicht vorausgesehen hat, oder deren Nachtheil für den Einzelnen größer scheinen als der Vortheil für das Ganze, oder die endlich in einer, die gegebenen Zustände mehr schonenden Weise anders hätten vollzogen werden können. Das erste ist meistens dann der Fall, wenn die besondern Verordnungen, Ver- fügungen oder Handlungen der vollziehenden Organe mit dem Wortlaute oder auch mit dem Sinn einer allgemeinen Verordnung im Wider- spruch stehen; das zweite dann, wenn zwar ein solcher Widerspruch nicht vorhanden, aber das Einzelinteresse in der Vollziehung nicht hinreichend berücksichtigt erscheint. Im ersten Fall liegt die Möglichkeit eines un- richtigen Verfahrens von Seiten der einzelnen Organe, im zweiten die Möglichkeit einer größeren Berücksichtigung der Einzelinteressen von Seiten der verordnenden Gewalt selbst vor. Den Akt nun, durch den das Verfahren der einzelnen Organe in Harmonie mit dem Willen der verordnenden Gewalt gebracht werden soll, nennen wir die eigent- liche Beschwerde ; ihre Voraussetzung ist eine angenommene falsche Benützung der vollziehenden Gewalt; der Akt, der im zweiten Falle eintritt, ist ein Gesuch ; seine Voraussetzung ist eine nicht hinreichende Kenntniß oder Würdigung der Einzelinteressen. Daß im zweiten Falle kein Schritt bei dem Gerichte stattfinden, sondern daß ein Gesuch unbedingt nur bei der Behörde eingebracht werden kann, ist klar genug. Aber auch eine Beschwerde kann nicht bei einem Gericht vorgebracht werden. Denn da selbst bei formellem Widerspruch zwischen den Vollzugsmaßregeln und der Verordnung die verordnende Gewalt ihren Willen geändert und gerade diejenige Voll- zugsform vorgeschrieben haben kann , über welche die Beschwerde geführt wird, so fehlt jeder Rechtsgrund für ein Urtheil des Gerichts, und nur die verordnende Gewalt kann über den Inhalt der Beschwerde entscheiden. Aber auch in dem Fall, wo die letztere der Beschwerde zu- stimmt, und mithin einen Widerspruch zwischen der Verfügung oder Handlung und der Verordnung als vorhanden erklärt, kann dennoch das Gericht nicht auftreten. Und zwar darum nicht, weil es immer ausschließliche Sache der verordnenden Gewalt bleibt, den Grad zu bestimmen, bis zu welchem jener Widerspruch stattgefunden, und mithin eine Aufhebung des Vollzugsakts im Namen der Verordnung einzutreten, respektive eine Herstellung des frühern Zustandes Platz zu greifen hat. Ein Urtheil des Gerichts wäre hier nur möglich, wenn sich dieser Grad objektiv bestimmen ließe. Die Natur der Vollziehung selbst schließt diese Bestimmung aus, und mit ihr Klagrecht und gerichtliches Urtheil, und die Entscheidung auf die Beschwerde kann auch in demselben Falle nur von der höhern verordneten Behörde gefällt werden. Nur wenn ein positives Gesetz hier eine Gränze bestimmt, kann letzteres Platz greifen; bei Verordnungen gibt es eben kein Klagrecht. 2) Aus diesem Wesen von Beschwerde und Gesuch folgt nun zuerst, daß bei beiden weder von einem Rechtstitel, noch auch von processualen Formen, Terminen, Beweisen u. s. w. die Rede sein kann. Bei Be- schwerden und Gesuchen handelt es sich überhaupt nicht um Rechte , sondern um Interessen , ein Satz, den wir dem französischen Ver- waltungsrecht verdanken, und über welchen man sich in Frankreich voll- kommen klar ist. Es gibt auch für die betreffende Behörde hier keine andere Pflicht, als die der Erwägung der Interessen , sowohl des Einzelnen als des Staats. Die Entscheidung selbst ist daher bei Be- schwerde und Gesuch an gar nichts gebunden, weder an die Ver- ordnung, noch an eine Thatsache, als eben an das, was im wahren Gesammtinteresse gefordert wird. Es folgt daraus, daß derartige Ent- scheidungen nicht bloß bei äußerlich ähnlichen Fällen ganz widersprechend lauten, sondern daß sie unbedenklich auch den Wortlaut früher erlassener Verordnungen aufheben, ja bei noch bestehenden Verordnungen mit demselben in direktem Widerspruch stehen können. Es ist nicht möglich, sich diesen strengen Consequenzen aus dem Wesen der vollziehenden Ge- walt zu entziehen. Es bedarf eben deßhalb kaum der Bemerkung, daß eine Entscheidung auf eine Beschwerde oder ein Gesuch nicht nur nicht den Gehorsam des Betreffenden aufhebt, wenn der gleiche Fall noch einmal eintritt, sondern auch nicht für einen Dritten gilt. Die einzige Frage ist die, ob eine solche wirklich gegebene Entscheidung auf die Beschwerde für den bestimmten einzelnen , in demselben bezeichneten Fall ein erworbenes, also ein vor Gericht mit dem Klagrecht zu ver- folgendes Recht bildet? Und dieß muß allerdings angenommen werden; denn die Verordnungsgewalt kann für den einzelnen Fall nicht mit sich selbst in Widerspruch treten, und wird mit ihrer Entscheidung ver- pflichtet, den Einzelnen gegen ihre eigenen einzelnen Organe zu schützen. Sie kann aber sich auch nur für diesen Fall binden. Ist das Verhältniß eine sich wiederholende Leistung, auf welche sich Beschwerde oder Gesuch bezogen, so kann wieder nicht das Gericht, sondern nur die obere Behörde auf Grundlage einer neuen Eingabe im zweifelhaften Falle diesen Punkt entscheiden. 3) Die große Macht, welche auf diese Weise der vollziehenden Ge- walt gegenüber dem Einzelnen eingeräumt ist, hat nun den Satz er- zeugt, daß eine solche Entscheidung über die Interessen der Einzelnen im Verhältniß zur Vollziehung auch so fern als möglich von diesen Interessen stehen, also nicht von den, der vollziehenden Handlung nahe stehenden Behörde endgültig gefällt werden dürfe. Man hat daher zwar kein eigenes Verfahren, wohl aber ein eigenes System von Organen aufgestellt, welche über jene Streitigkeiten zwischen Einzelnen und Be- hörden entscheiden, und es ist natürlich, daß sich für die Behandlung solcher Fragen eine allgemeine und ziemlich feste Uebung bildet, die man innehält, ohne jedoch an dieselbe gebunden zu sein. Mögen nun diese Organe und Uebungen sein, welche sie wollen, so gelten doch zwei formell unbedingte Grundsätze für dieselben. Erstlich gibt es im Be- schwerde- und Gesuchswege überhaupt keine Litispendenz, und mithin keine Sistirung der Vollziehung, so wenig wie bei der Klage; zweitens ist nicht einmal, wenn nicht eine besondre Vorschrift darüber besteht, eine Pflicht zu einer formellen Entscheidung auf dieselbe nachweisbar — obwohl dieselbe natürlich üblich sein wird. — Daß von einer Frist bei Eingabe einer Beschwerde an sich keine Rede sein kann, ist klar; zweckmäßig ist es jedoch, eine solche vorzuschreiben. Dennoch ist die Be- hörde nicht an die Versäumniß derselben gebunden. — Ebenso ist es zweckmäßig, für gewisse Einzelne die Anlagen vorher zu bestimmen. Gebunden an das Vorhandensein derselben ist wiederum die Be- hörde nicht. 4) Von allen diesen Grundsätzen sind jedoch diejenigen Eingaben ausgeschlossen, zu welchen in Folge einer Aufforderung zur Contrahirung eines privatrechtlichen Vertrages, Lieferung ꝛc. von Seiten der Behörde die Einzelnen aufgefordert werden. Hier beginnt das Gebiet des Privat- rechts, gleichviel ob der Zweck des Vertrages in die Aufgaben der Verwaltung hineingehört oder nicht. 5) Da sich nun auf der obigen Grundlage nicht bloß ein System von Entscheidungsorganen und der Grundsatz gebildet hat, daß der Einzelne seine Beschwerde oder sein Gesuch in einer, der Appellation entsprechenden Stufenfolge von der niedern verordnenden Behörde bis zur höchsten Regierungsgewalt vorbringen kann, sondern sich auch durch die fortwährende Uebung und die innere Gleichartigkeit der Fülle eine Gleichartigkeit der Entscheidungen von selbst erzeugt, welche schwer zu übersehen ist, so hat man den durch Beschwerde und Gesuch entstehenden Proceß gleichfalls als einen Zweig der Justiz, oder als ein Analogon derselben betrachtet, und dieß Verfahren im Beschwerdewege die Admi- nistrativjustiz genannt. Es ist das ein höchst unglücklicher Aus- druck, den man — will man anders Klarheit in das bisher so ver- worrene Gebiet bringen — um jeden Preis endgültig beseitigen müßte. Denn es ist von einem Rechte oder gar von einer Justiz dabei gar keine Rede, und das Wort erweckt dennoch die Vorstellung, als müsse doch hier ein Justizverfahren eintreten. Wir werden schwerlich mit dem Ganzen eher zu einem Abschluß gelangen, als bis wir diesen Ausdruck mit dem der „Justizsachen“ und „Administrativsachen“ definitiv aus dem Sprachgebrauch tilgen. Man soll daher künftig nur von dem Gegensatze des administrativen Klagrechts zu Beschwerde- und Gesuchs- recht reden. Freilich gehört dazu eine feste Bestimmung von Gesetz und Verordnung, die wir ja wohl einmal bekommen, und das richtige Ver- ständniß des französischen contentieux, das wir unten zu geben ver- suchen werden. Vergleichung des Systems des Klag- und Beschwerderechts in England, Frankreich und Deutschland . Wenn aus unsrer Darstellung hervorgegangen ist, daß das ganze Verhältniß der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt auf dem formellen, und diese wieder auf dem tiefern organischen Unterschiede von Gesetz und Verordnung, gesetz- geberischer und verwaltender Thätigkeit beruht, und daß zuletzt dieser Unterschied in dem durchgreifenden Unterschiede des Klag- und des Beschwerderechts zur Erscheinung gelangt, so wird nun damit auch die Grundlage einer Vergleichung der Auffassung gegeben sein, von welcher die drei großen Kulturvölker bei der Ordnung jener Fragen ausgegangen sind. Diese Ordnung, wenn auch im Ein- zelnen vielfach unklar, hat dennoch eine Grundauffassung über das Verhältniß der vollziehenden Thätigkeit zu Recht und Verordnung zur Basis. Eine Ver- gleichung ist dann selbst nur möglich, indem man die letzte auf die für alle gültigen, wenn auch mehr oder weniger entwickelten und so oder anders formell erscheinenden von uns aufgestellten Kategorien zurückführt. Da dieß hier zum erstenmale versucht wird, so mag mancher Irrthum und manche Unvollständigkeit entschuldigt bleiben. Im Allgemeinen ist aber für alle drei Völker festzuhalten, daß sich sowohl das Bewußtsein als die positive Gesetzgebung über Klage und Beschwerde, oder über das Verhältniß der Verordnung und der Vollziehung zum Gesetz einerseits, und zu den einzelnen vollziehenden Akten anderseits allenthalben nur lang- sam entwickelt hat, und daß, wie es in der Natur der Sache selbst liegt, diese Entwicklung im Wesentlichen bedingt ist durch die formell gültige Unterscheidung von Gesetz und Verordnung. Wir dürfen daher unsre Andeutung über die Ge- schichte des letzteren hier als bekannt voraussetzen. Das Verordnungsrecht in England . Das englische Staatsleben hat, da in ihm das Königthum nie so weit kam, die Berechtigung der ständischen Selbständigkeit zu vernichten, auch immer das Princip festgehalten, daß nur dasjenige für das Volk Gültigkeit habe, was durch ein Gesetz im eigentlichen Sinne befohlen sei. Das englische Volk kennt daher ursprünglich den continentalen Begriff der Verordnungsgewalt überhaupt nicht, noch weniger den Begriff der sog. provisorischen Gesetze. Das englische Rechts- bewußtsein stellt sich daher auf den scheinbar sehr einfachen Standpunkt, daß jeder Akt eines Organs der Regierungsgewalt nichts anderes sein kann und dürfe, als die bestimmte Vollziehung eines Gesetzes . Der Rechtsgrund, vermöge dessen dem Befehl des Beamteten Gehorsam geleistet wird, ist immer ein Gesetz, das zu seiner Vollziehung eines solchen Befehles bedarf; es gibt über- haupt formell keinen Gehorsam gegen Beamtete, sondern nur gegen Gesetze. Der Begriff der Verwaltung in unserm Sinne existirt für diesen gar nicht, im Grunde auch nicht der Begriff der „Obrigkeit“; das Organ der Regierung ist nicht be- rechtigt, einen selbständigen aus dem Wesen und Leben des Staats hervorgehen- den Willen, eine Verordnung zu setzen; es ist nur Richter , und seine Thätig- keit, der Inhalt der ganzen (amtlichen) Verwaltung ist nur die richterliche Voll- ziehung der bestehenden Gesetze. Damit ist nun eine Grundlage gewonnen, die von der continentalen wesentlich verschieden erscheint, und die zuerst wohl Montesquieu verstand, als er als dritte Gewalt nicht etwa die Vollziehung im Allgemeinen, sondern neben dem pouvoir législatif und judiciaire die „puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit civil “ aufstellte (L. XI. Ch. VI.) und dabei zugleich England als Muster vorführt. Das System, welches sich daraus ergeben hat, ist nun leicht verständlich; dennoch ist es kein Zweifel, daß wir dieß Verständniß erst Gneist verdanken, der zuerst in die Rechtsgeschichte überhaupt die Geschichte der Verwaltung hineingebracht hat, und damit der Schöpfer einer neuen und unmeßbar wichtigen Richtung geworden ist. Uns bleibt nichts übrig, als uns hier wie im Folgenden an ihn anzuschließen, wenn wir auch manches ein wenig anders zu ordnen gezwungen sein werden, um das Ver- hältniß zu unsrer Auffassung klar hervortreten zu lassen. Was Gneist schon in seinem Engl. Verfassungs- und Verwaltungsrecht ( II, §. 73 ff.) dargestellt hat, ist in seiner kleinen Broschüre: „Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zu Stande gekommen ist?“ (1863, S. 8 f.) zum Theil noch prägnanter zusammengefaßt. Das Ergebniß ist Folgendes. Das Organ, welches Recht spricht, ist der Friedensrichter; der Friedensrichter ist aber nicht bloß Richter, sondern er ist der örtliche Inhaber der gesammten königlichen Gewalt für seinen Bezirk. Er hat daher im Namen des Königs alle Funktionen dieser königlichen Gewalt zu vollziehen, mithin auch die Akte der Verwaltung. Allein da der König selbst doch nur im Namen der Gesetze verwalten kann, so erscheint jeder Verwaltungsakt des Friedensrichters als ein Richterspruch . Daraus folgen zwei große Grundsätze. Erstlich, daß der Friedensrichter auch in seiner ganzen administrativen Thätigkeit gegenüber dem Einzelnen als Richter dasteht, und mithin jeder Akt seiner Verwaltung genau wie ein Richterspruch Stein , die Verwaltungslehre. I. 9 appellabel erscheint; zweitens, daß er, da er selbst seinen Willen ausführt, auch dem Einzelnen nach bürgerlichem Rechte haftet für jeden Befehl, dessen Befolgung er erzwingt; und diese Haftung bedeutet ihrerseits nichts als die Uebereinstimmung dieses Befehls mit dem geltenden Recht, dem Law of England. Aus diesen beiden einfachen Grundlagen entwickelt sich nun das System des richterlichen Verwaltungsrechts, von dem manche geglaubt haben, es sei eigentlich das allein herrschende in England. Dasselbe ist mit wenig Worten zu bezeichnen. Die erste Folge jenes Princips ist, daß jedem Einzelnen gegen jeden Ausspruch des Justice of peace die Appellation zunächst an die Quarterly session der Friedensrichter zusteht; die zweite Folge ist aber die, daß da das Recht des Friedensrichters überhaupt von der Krone ausgeht, die letztere auch das Recht behält, den Akt des Friedensrichters in jedem Augenblick demselben ab- zunehmen, und durch ein höheres Gericht vollziehen zu lassen. Ganz offenbar enthält dieser zweite Punkt schon etwas, das über das eigentlich gerichtliche Verfahren hinausgeht; man sieht ihm an, daß in ihm etwas anders lebendig ist, als das bloße Urtheil, und daß dieses Andere sich allmählig zu einer selb- ständigen Potenz entwickeln muß. Dieses Abberufungsrecht des Königs gegenüber dem Friedensrichter geschieht durch das writ of certiorari. Es kann dieß writ of certiorari erlassen werden in Folge einer Berufung eines Einzelnen; es kann aber auch, und zwar ganz ohne besondere gesetzliche Vorschrift, erlassen werden von der Krone selbst und ihrem Attorney general. Es erscheint daher hier die obere Instanz in der Funktion einer oberaufsehenden Behörde über die Rechtspflege des Friedensrichters; die höhere Behörde tritt schon an die Stelle der höhern Instanz. Die zweite Form der Abberufung zeigt dieß jedoch noch deutlicher. Wenn der Friedensrichter diejenigen Akte nicht vornimmt , welche in seine Zuständigkeit fallen, so kann diese höhere Behörde oder Instanz, die Kings-Bench einen Befehl erlassen, durch welchen dem Friedensrichter oder den entsprechenden Behörden anbefohlen wird, „Recht zu ertheilen nach ihren Amtsgewalten, wo solches verzögert ist“ (Blackstone III, 110). Allerdings ist die Voraussetzung dabei immer, daß einem Gesetze nicht Genüge geschieht; allein da der Friedensrichter zugleich die polizeiliche, also die Verwaltungsgewalt übt, so enthält das Mandamus seinem Wesen nach auch den Befehl, die durch die Er- fordernisse der Verwaltung nöthig gewordenen Amtsthätigkeiten vorzu- nehmen, wobei er freilich nicht gegen das Law anstoßen darf. Hier sehen wir daher jenes zweite Element schon deutlicher eintreten. Die friedensrichterliche Gewalt ist nur formell eine rein richterliche, in Wahrheit ist sie die Ver- schmelzung der Administration mit der Justiz , die zum förmlichen System erhoben ist, und deren weitere Bethätigung wir sogleich sehen werden. Nur liegt das eigentlich Charakteristische dieser, in ganz Europa bis zur neuesten Zeit geltenden Verschmelzung beider Funktionen in England in dem- jenigen, was die meisten davon abhält, sie selbst als vorhanden anzuerkennen: daß während im übrigen Europa durch diese Verschmelzung die Justiz den Charakter der Administration annimmt , und damit ihren wahren Cha- rakter verliert, in England im Gegentheil die Administration den Cha- rakter der Justiz empfängt , und dadurch ihrerseits ein wesentlich anderes Bild darbietet als auf dem Continent. Oder, um schon hier diese unglückliche Benützung jener Ausdrücke, die so unendlich viel Unklarheit in Wissenschaft und Praxis hineingebracht haben, definitiv zu beseitigen, daß während auf dem Con- tinent die Aussprüche der Behörde auch dann, wenn sie Urtheile über gesetz- liche Rechte enthalten, behandelt werden wie Verfügungen einer Verwaltungs- behörde, in England auch die Verfügungen der Verwaltungsbehörde behandelt werden wie gerichtliche Urtheile; und zwar darum weil hier wie dort dieselben Organe zugleich Recht sprechen und Verfügungen erlassen. Wo daher eine Be- schwerde hätte eintreten sollen, da tritt in England eine Appellation ein, weil von jeder Verordnung angenommen wird, daß sie nur der Vollzug eines Gesetzes ist, während auf dem Continent, wo ein Klagrecht hätte eintreten sollen, nur eine Beschwerde zulässig wird, weil der Ausspruch der Behörden nicht als Gesetz sondern als Verordnung betrachtet wird. Man sieht daher, daß das englische Recht zwar im Princip, nicht aber in der Ausführung dem continen- talen ganz gleichartig ist; und das ist es nun, was der zweiten Gestaltung des englischen Rechts in diesem Punkte seinen Inhalt gibt. Offenbar nämlich mußte die Aufgabe des Friedensrichters, als Verwaltungs- behörde dennoch nur Justizbehörde zu sein, zunächst die erste, schon oben be- zeichnete Folge haben. Der Friedensrichter mußte für jeden Erlaß demjenigen bürgerlich haften , den er zum Gehorsam zwang. Dieser Grundsatz wird ganz offen anerkannt, und so entsteht das, was Gneist so schön als die straf- rechtliche und die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter darstellt (§. 74. 75). Das wäre nun vollständig consequent gewesen, wenn die Thätigkeit dieses Organs auch wirklich nur eine judicielle, oder dasselbe nur die reine, zu keiner selbständigen Willensaktion in einer Verordnung berechtigte Be- hörde für die Vollziehung gewesen wäre. Allein der Friedensrichter sollte zu- gleich die Verordnungsgewalt handhaben. Dadurch entstand nun natürlich der Widerspruch, daß das Klagrecht auch auf denjenigen Punkten berechtigt erschien, auf welchem der Natur der Sache nach nur die Beschwerde zulässig sein kann . Um dieser Klage zu entgehen, mußte der Friedensrichter daher für jede Verordnung ein positives Recht anführen können, dessen strenge Ausführung diese Verordnung enthalten sollte. Konnte er das nicht, so war er natürlich sachfällig, mochte sonst die Verordnung auch noch so nothwendig erscheinen. Das nun machte selbstverständlich den ganzen Theil der Verwaltung, der nun einmal auf den Verordnungen beruht, im höchsten Grade gefährlich für die Friedens- richter als Verwaltungsbehörde, und setzte ihn jedenfalls namentlich da, wo er mit reichen und mächtigen Männern zu thun hatte, weitläuftigen und schwierigen Processen aus. Der Widerspruch, das Beschwerderecht nur als Klagrecht zur Geltung bringen zu wollen, erzeugte somit eine große Unsicherheit in der Voll- ziehung überhaupt. Das englische Leben ward dadurch gezwungen, einen Weg zu finden, der, ohne das Princip der richterlichen Thätigkeit und das der strengen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu brechen, dennoch jenem Bedürfniß Rechnung tragen konnte. Wie dieß geschehen ist, hat Gneist theils in seinem großen Werke, theils in dem angeführten Gutachten sehr schön dargestellt, obgleich wir durch- aus nicht mit ihm darin übereinstimmen können, daß dieß eine „Jurisdiction über das öffentliche Recht“ geworden sei, sondern es ist vielmehr gar nichts anders als die gesetzliche Uebertragung der Verordnungsgewalt an die richterliche Behörde , allerdings „grundsätzlich immer mit einer concurrirenden Gewalt der Reichsgerichte“ (Bd. II. §. 73 und Gutachten S. 9), nur daß diese Gewalt auf diesem Gebiete in der That keine richterliche , sondern eine Verwaltungsgewalt der höhern Gerichte, d. i. unsere „Administrativ- justiz“ ist. Es entsteht nämlich, sobald man empfindet, daß die Friedensrichter eine das wörtliche Gesetz ersetzende und erfüllende Verordnungsgewalt haben müssen, allmählig das, was Gneist „ eine Deklaration der Weise und der Schranken für die Ausübung der Polizei-, Finanz-, Militärhoheit“ nennt, und deren einzelne Fälle in II. 17. 19. 35. 64. 73. 91. 93. aufführt. Nur ward den Friedensrichtern diese Gewalt als solche nicht gegeben, sondern man nahm sie als ihnen zustehend an , bestimmte aber, und das ist der Kern der Sache, daß auch da, wo kein ausdrückliches Gesetz den Friedensrichter in seinen ordres schützt, derselbe dennoch nur dann verurtheilt werden soll, wenn er einen Akt erlassen hat, der „maliciously“ und ohne „reasonable and probable cause“ vorgenommen ist; das muß der Kläger in seiner Klagschrift ausdrücklich an- führen und auch beweisen; schon im Falle eines unvollständigen Beweises er- folgt Freisprechung. Die hieher gehörigen Grundsätze haben sich im Laufe der Jahrhunderte langsam durch die Praxis ausgebildet, und sind in neuester Zeit durch die Act. 11. 12. Vict. c. 44 (An act to protect Justices of the Peace from vexatious actions for acts done by them in execution of their office) 11. Aug. 1848 zu einem ausführlichen Gesetz formulirt. Es ist gar kein Zweifel, daß hier die Form eines bürgerlichen Processes mit gewöhnlicher Klage, aber das Wesen einer Beschwerde vorliegt, und daß das Urtheil der höhern Instanz, welches mithin hier nicht mehr auf dem Verhältniß der Ordre des Justice of the Peace zu einem positiven Gesetz, sondern auf der administrativen Zweck- mäßigkeit der Verordnung an sich — die reasonable cause — geradezu ein administratives Urtheil über eine Beschwerde ist. Faßt man nun das bisher Gesagte zusammen, so ergibt sich für englisches Klag- und Beschwerderecht folgendes System, das jetzt, wie wir glauben, leicht verständlich sein wird. Es gibt der Form nach gar keinen Unterschied zwischen Klagrecht und Beschwerderecht, und in dem Geiste des Volkes besteht auch ma- teriell ein solcher nicht. Denn jeder Akt der verwaltenden Gewalt steht unter dem, für alle gleichmäßig gültigen Klagrecht, und für jeden Akt tritt die straf- rechtliche und bürgerliche Haftung des vollziehenden Organs in Folge des rich- terlichen Spruches ein. Aber das Gericht entscheidet selbst theils als Gericht, wo es sich um die Uebertretung eines Gesetzes durch die Verordnung handelt, auf Grundlage des bestimmt anzuführenden law of England im weitesten Sinne — theils ist es nicht Gericht, sondern höhere Verwaltungsbehörde, wo nämlich der Grund der Vollziehung nicht mehr ein geltendes Recht, sondern eben eine Forderung des öffentlichen Interesses ist — die reasonable cause. Die Ver- schmelzung der Justiz und Administration ist hier daher nicht etwa aufgehoben, sondern grundsätzlich und systematisch durchgeführt, und wird nur darum weniger gefühlt, weil die Gesetzgebung, und zwar namentlich die gesetzliche Verordnungsgewalt der Selbstverwaltung, eine so ausführliche und thätige ist, was eben seinerseits wieder den Grund dafür abgibt, daß der Verwaltungs- organismus des Staats eine verhältnißmäßig so höchst unvollkommene Aus- bildung erfahren hat. Man kann daher auf Englands Zustände weder den fran- zösischen Begriff des Contentieux anwenden, noch den deutschen der Admini- strativ- und Justizsachen, und daß man das nicht kann, ist auch der Grund, weßhalb man Englands Verordnungsrecht weder in Frankreich noch in Deutsch- land bis auf Gneist verstanden hat. Nur der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung und der Unterschied von Klage und Beschwerde, strenge und im Princip durchgeführt, zeigt uns das wahre Wesen der englischen Zustände, die wiederum alle bürgerliche Freiheit ertödtet hätten, namentlich in den untern Sphären des bürgerlichen Lebens, wenn nicht die Thätigkeit und die gesetzliche Verordnungsgewalt der Selbstverwaltung in allen Gebieten der öffentlichen Zustände jener Verordnungsgewalt der Friedensrichter nur einen so engen Raum übrig gelassen hätte. Eben das ist auch die, nirgends in dem Maße so ent- scheidend hervortretende Bedeutung des selfgovernment in England, von dem wir später zu reden haben. Es ist gerade darum die Basis der englischen Freiheit, weil das Verordnungsrecht Englands noch immer — und wohl für immer — auf der Verschmelzung der Justiz und der Administration beruht . Ein wesentlich verschiedenes Bild — aber dennoch auf derselben festen Grundlage des Klag- und Beschwerderechts — bietet uns nun Frankreich dar. Das Verordnungsrecht in Frankreich . (La jurisdiction administrative et le contentieux.) Wenn wir oben gesagt haben, daß Englands Verordnungsrecht und die ganze Stellung des Friedensrichters gar nicht zu verstehen ist ohne die englische, beständig thätige Selbstverwaltung, so ist andererseits die französische jurisdiction administrative nur als der wir möchten sagen bürgerlich rechtliche Ausdruck der französischen Staatsidee zu begreifen. Frankreichs ganze Geschichte zeigt uns so weit wir blicken einen beständigen und zum Theil verzweifelten Kampf des neutralen Königthums mit der ur- sprünglich in Frankreich so gut als in Deutschland geltenden lehensherrlichen Selbständigkeit. In diesem Kampfe handelt es sich eigentlich keineswegs um gewisse allgemeine Principien und abstrakte Rechtsgrundsätze. Wir sehen viel- mehr gleich von Anfang an das Königthum sich mit seinen Beamteten umgeben, und die Monarchie mit einem Systeme von Organen umfassen, die im Namen der souveraineté das höchste Recht im Reiche zu verwalten hatten. Ich darf dabei wohl auf meine französische Rechtsgeschichte verweisen, in der dieser Ent- wicklungsgang seit dem 13. Jahrhundert, wie ich glaube, so weit es innerhalb beschränkten Raumes möglich war, an den baillis, sénéchaux etc. nachge- wiesen, und zugleich gezeigt ist, wie sich dieser königlichen Gewalt naturgemäß die Communes anschloßen, die im Königthum ihre wesentliche Stütze gegen die Lehensherrn fanden. Die königliche Gewalt und mithin namentlich die allgegen- wärtige und einheitliche Funktion der großen königlichen Beamteten war daher die Quelle der Einheit; in ihr war die wahrhaft staat- und rechtbildende Potenz gegeben, sie war das eigentliche Frankreich. Sie hatte daher in Frankreich eine ganz andere Funktion als in England. Sie sollte nicht bloß Ruhe und Ordnung erhalten und schaffen, sondern sie sollte in der That die Staatsidee selbst, gegenüber dem gegebenen Lehenrecht zur Verwirklichung bringen. Sie trat damit nicht etwa mit ihren einzelnen Thätigkeiten, sondern sie trat mit ihrem ganzen Lebensprincip der Lehens- und Grundherrlichkeit entgegen; sie konnte grundsätzlich die Rechtsanschauungen, welche aus diesen hervorgingen, für sich gar nicht anerkennen; sie bildete eine Welt für sich, getragen in der Thätigkeit und dem Rechte aller einzelnen königlichen Organe. Die natürliche Folge davon war, daß sie die Gerichtsbarkeit der aus dem Lehensrecht und der feudalen Selb- ständigkeit der einzelnen Provinzen hervorgegangenen Gerichte für diese ihre Thätigkeit unmöglich anerkennen konnte; sie durfte in dem Widerspruch der letzteren mit dem bestehenden Recht kein Unrecht anerkennen, ohne mit sich und ihrer ganzen Mission selbst in Widerspruch zu gerathen; sie mußte daher eine Rechtswelt für sich bilden und diese Rechtswelt für sich auch verwalten, ohne sich dem bürgerlichen Gerichte zu unterwerfen. Schon sehr frühe nun mußte sich allerdings für diese, der königlichen centralen Gewalt eigenen, in ihren Beam- teten vertretenen Rechtsordnung ein gewisses Rechtsprincip, ein höherer gemein- samer Rechtstitel bilden, der dieselben von dem bürgerlichen Rechte schied und das Maß der Unterordnung des historischen Rechts unter das königliche abgab. Dieses Princip ward, wie es in solchen Fällen immer geschieht, Jahrhunderte lang mehr gefühlt als formulirt; es war der Gedanke, daß die Bedingungen und Interessen der Einheit und Gemeinsamkeit, wo sie mit dem geltenden Recht in Collision kamen, sich das letztere im Namen Frankreichs unterordneten. Die tiefe Wahrheit, die in diesem Gedanken lag, ward nun aber zum Untergang der Freiheit dadurch, daß das französische Volk als Ganzes seine Gesetzgebung schon mit dem 15. Jahrhundert verlor, und die Unfreiheit der landesherrlichen Selbst- verwaltung eine selbständige Thätigkeit der Gemeinden so gut als ganz un- thunlich machte. Die königliche Gewalt mußte daher — und gerne genug that sie es — die gesetzgebende Funktion des Parlaments und des selfgovernment Englands übernehmen und sich mithin ihr eigenes Recht bilden. Diesem Princip gegenüber erhielt sich nun die feudale Selbständigkeit wesentlich in dem System der französischen Parlamente . In sie flüchtete sich gleichsam der Grundsatz, daß die Gesammtheit des Volkes ein Recht auf Theilnahme an der gesetzgebenden Gewalt habe, und daß daher auch gegenüber der Verordnungsgewalt des könig- lichen Organismus das bestehende Recht durch die bürgerlichen Gerichte ver- mittelst des Klagrechts noch eine Vertretung finde. Auf diesem Grunde beruht die neuere Verfassungsgeschichte seit der Mitte der 17. Jahrhunderts. Unter Ludwig XIV. geht die ständische Theilnahme — das Recht der États provinciaux und États de France an der gesetzgebenden Gewalt zu Grunde, und das Wort: l’État c’est moi ! bedeutete daher in Wahrheit durchaus nicht, daß der König der Staat , sondern daß er der Herr der Stände sei. Unter Ludwig XV. versuchen die Parlamente den Kampf aufzunehmen, indem sie das gerichtliche Verfahren auf Grundlage einer Verordnung verweigern, und den Grundsatz aufstellen, daß, wie wir jetzt wissenschaftlich sagen müssen, eine Verordnung nur dann ein Gesetz wird, wenn das Parlament sie als Gesetz anerkennt . Diese Anerkennung geschah dann förmlich durch die Eintragung in die Bücher der Parlamente, oder durch das Enregistrement. Das Recht der Parlamente ward nun zwar vom Könige anerkannt, aber derselbe behielt sich das Recht vor, die Enregistrement auch gegen den Willen des Parlaments zu befehlen, und damit seiner Verordnung die Kraft eines Gesetzes zu geben. Das geschah durch das sogenannte Lit de justice. So ward die Selbstherrlichkeit des Königthums hergestellt; aber eben in den Parlamenten blieb die Idee des Gesetzes im Gegen- satz zu der Verordnung lebendig, und von diesem Gesichtspunkte müssen die Er- scheinungen unter Ludwig XVI., die Ereignisse unter Meaupou und Maurepas erklärt werden, was uns hier zu weit führen würde. Jedenfalls aber leuchtet es ein, daß in diesem zum Theil sehr scharfen Gegensatze die verordnende und vollziehende Gewalt des königlichen Organismus, wenigstens so weit sich dieselbe auf staatliche Rechte und Interessen bezog , sich dem System jener bürgerlichen Gerichte unmöglich unterwerfen konnte, wenn sie nicht der unzweifel- haften Verurtheilung gewiß sein wollte. Sie mußte daher, indem sie dem letztern das rein bürgerliche Recht als ihre Domäne überließ, das öffentliche Recht, als ganz in ihrer ausschließlichen Competenz liegend, aufstellen, und dieß mit ihren eigenen Organen verwalten. So entstanden schon lange vor der Revolution zwei große, selbständige, principiell von einander geschiedene Rechts- gebiete; und nun muß man die Thatsache festhalten, daß die Revolution dieses Frankreich eigenthümliche Verhältniß weder geschaffen noch geändert , son- dern es nur scharf und gesetzlich formulirt hat , und daß noch gegen- wärtig der gesammte öffentliche Rechtszustand der Verwaltung nichts anderes ist, als eine organische Ausbildung des obigen Verhältnisses. Wir müssen daher die Idee des französischen Verordnungsrechts und des Contentieux weder mit England noch mit Deutschland vergleichen; wir müssen sie vielmehr aus der Staatsidee Frankreichs — in der That eben das, was wir die Individualität dieser staatlichen Persönlichkeit nennen müssen — entwickeln. Ihr innerer Zusammen- hang mit den Grundsätzen des revolutionären Rechtslebens ist folgender. Die Revolution, indem sie die Idee der staatlichen Einheit Frankreichs unbedingt annimmt, stellt den Grundsatz auf, daß diese Einheit nicht mehr im Königthum, sondern in der „Nation“ ruhe; „la souveraineté appartient à la nation, elle est une et indivisible.“ Alles pouvoir exécutif geht von dieser, das Königthum vertretenden Nation aus, die Folgen dieses Princips greifen sofort auf das Tiefste ins Verwaltungsrecht hinein. Die Nation macht aller- dings das Gesetz, die loi. Allein das kann auch eben nur die Nation als volonté générale ; ihr Recht darauf ist un, indivisible; mithin ist grundsätzlich jeder selbständige Wille eines Theiles oder Gliedes des Ganzen, und mit- hin auch die selbstthätige Willensbestimmung der Selbstverwaltung ausge- schlossen ; es gibt nicht bloß keine Selbstverwaltung in Frankreich, es kann keine geben; sie ist ihrem innersten Wesen nach im Widerspruch mit der fran- zösischen Staatsbildung; die weitere Folge davon ist, daß allerdings das pouvoir exécutif dem Gesetze zu gehorchen hat; wo aber ein Gesetz eben nicht existirt, oder wo die sonveraineté der Einheit mit der Auslegung des Gesetzes in Col- lision kommt, da muß die vollziehende Gewalt sich selbst ihre Rechtsordnung bilden und verwalten . Die Gesammtheit dieser, die Verordnung und Voll- ziehung umfassenden Thätigkeiten ist nun der ächt französische Begriff der administration. Dieselbe bedeutet demnach keineswegs bloß die Vollziehung des Gesetzes, sondern sie ist die Verwirklichung der souveraineté une et indivisible, der Staatsidee, des Staatsinteresses gegenüber auch dem bürgerlichen Rechte . Wo beide in Conflict mit einander gerathen, da muß mithin das Einzelrecht dem öffentlichen Recht, das Einzelinteresse sich dem öffentlichen In- teresse unterordnen, und da nun der Organismus der Administration der Träger und Vertreter dieses öffentlichen Rechts und Interesses gegenüber eben dem Einzelnen ist, so muß derselbe auch das Recht haben, das Maß dieses öffent- lichen Rechts und Interesses zu bestimmen, d. h. die Verordnungsgewalt geht demnach so weit , wie das öffentliche Interesse es fordert. Damit erhält die Administration ein, auf ihrer Auffassung des öffentlichen Interesses beruhendes Recht; und da nun die Gerichte nur über das positive Gesetz entscheiden, so folgt, daß es jetzt nach der Revolution eben so unmöglich ist, ihnen eine Juris- diction über die obige Verordnungsgewalt der Verwaltung ein- zuräumen, als es das vorher war . Das droit administratif bildet daher einen Körper für sich; es ist das, durch die Verordnungsgewalt bestimmte, in den Verordnungen enthaltene Recht des öffentlichen Interesses gegenüber dem Einzelnen, oder, wie Block es in seinem Dictionnaire kurz und klar definirt: „Le droit administratif est cette partie du droit qui règle les rapports des citoyens avec les services publics et des services publics entre eux“ und (v. administration) „l’administration est chargée des intérêts généraux tandis que la jusctice a pour mission la solution des difficultés qui s’élèvent entre des intérêts privés “ (s. auch oben unter Verwaltungsrecht). Die Folge dieses Grundsatzes war zuerst , daß eine objektive Gränze zwischen Gesetz und Verordnung für die Verhältnisse, in welchen intérêts publics und privés einander berühren, nicht gefunden werden konnte. Denn eine Menge der letzteren, selbst wo sie vom Gesetz geordnet sind, fiel natürlich unter die ersteren; hätte man daher das Princip durchführen und für jede Aktion der Administration ein Klagrecht einräumen wollen, wo ein gesetzlich anerkanntes Privatrecht existirte, so würde man die Funktion der einheitlichen Administration damit im Geiste der französischen Staatsbildung eigentlich vernichtet haben. Die französische Gesetzgebung kam daher schon unter der Revolution zu dem strenge formulirten, im Gesetze vom 17—22. August 1790 ausgesprochenen Grundsatz, daß das Gericht niemals über Handlungen der Administration urtheilen könne und dürfe (s. oben). Dieser Grundsatz wird nun ganz entschieden festgehalten; das Princip des französischen Verwaltungsrechts ist daher: es gibt kein bür- gerliches Klagrecht gegen die Verordnungen . Natürlich folgte nun aus diesem Satze, daß, da man die Verordnungen denn doch nicht ohne Recht lassen wollte und konnte, nun ein eigenes und selbständiges Gebiet des Verordnungsrechts neben dem Gebiete des bürger- lichen Rechts entstehen mußte. Und zwar enthielt dieß Gebiet nicht bloß das Verhältniß der Verfügungen zu den Verordnungen, sondern auch alle diejenigen Fälle, in welchen die Verordnungen des Amts das gesetzliche Recht des Ein- zelnen im öffentlichen Interesse berühren. Dieß Verhältniß nun wird auf die klarste Weise seit dem Anfange dieses Jahrhunderts anerkannt. Die Thätigkeit der Amtsgewalt ist dem Gerichte entzogen und der Entscheidung der höhern Stellen ausschließlich übergeben (s. oben). Schon die Const. de l’an VIII sagt im Art. 75: les agents du Gouvernement ne peuvent être poursuivis pour les faits rélatifs à leur fonctions qu’en vertu d’une décision du Con- seil d’État (s. unten das Wesen des Conseil d’État ). Allerdings sagt Laferri è re ( Droit administratif I. Ch. II.): „Cet article n’est pas réproduit dans la Consti- tution de l’an 1830, mais il est dans nos moeurs publiques .“ Uebrigens hat das Decret vom 25. Januar 1852 unter dem Conseil d’État ihn doch anerkannt. Innerhalb dieses Gebietes entstand dann, da man es als einen selbständigen Rechtskörper anerkannte, nun auch die Nothwendigkeit, ein selbständiges System des Verfahrens für die Einzelnen aufzustellen und zwar mit einer dem pro- cessualen Verfahren nachgebildeten Ordnung der einzelnen Akte, sowie mit einer förmlichen Organisation des Conseil d’État als entscheidender Behörde. Die Ge- sammtheit dieser Organisation bildet nun das, was die Franzosen die jurisdiction administrative nennen. Die Gesammtheit der Fälle , welche unter die juris- diction administrative gehören, bilden das Gebiet des contentieux . Das Contentieux unterscheidet sich nun von dem Klagrechte dadurch, daß es eine ganze Menge von Fällen enthält, die unzweifelhaft dem bürgerlichen Rechte gehören, die aber durch den oben bezeichneten Entwicklungsgang des droit ad- ministratif der Verwaltung überwiesen sind; obgleich sie also ihrem Wesen nach ein Klagrecht enthalten, sind sie dennoch in Frankreich gesetzlich oder durch Gebrauch auf den Weg der Beschwerde angewiesen; oder, gegen die Ver- ordnungen gibt es in Frankeich , soweit sie im intérêt public erlassen sind, überhaupt statt des Klagrechts nur das Beschwerderecht des Contentieux . Daraus folgt dann zuerst eine vollkommene, von allen französischen Rechts- lehrern anerkannte Ungewißheit über die Gränze des droit administratif und des contentieux. Denn es ist natürlich vollständig unmöglich, die Scheide- wand zwischen dem intérêt privé und général, welche die Gränze des droit ad- ministratif enthält, objektiv festzustellen. Der erste Blick in jedes Lehrbuch be- weist dieß. Es folgt zweitens daraus, daß in Frankreich der Streit zwischen Verwaltung und Gericht ein stehender Zustand ist, und daß der Conflit de compétence (s. unten) nicht mehr als Ausnahme, sondern als ein organisches Element der Administration aufgenommen und sehr scharf ausgebildet ist; denn in der That ist der Begriff des intérêt public so unbestimmt, daß sich nirgends eine Gränze für dasselbe ziehen läßt. „Le contentieux administratif“ sagt Vivien (Etudes adm. I. 125) „se compose de toutes les réclamations fondées sur les violations des obligations imposées à l’administration par les lois et règlements qui la régissent, ou par le contrat qu’elle souscrit.“ Man kann die Unbestimmtheit nicht bestimmter ausdrücken. Auf demselben Stand- punkt steht Frankreich auch gegenwärtig, wie Laferri è re (Droit adm. L. III. Ch. III.) zeigt. Es hilft nicht viel, wenn man mit ihm sagt: Le contentieux administratif a sa nature propre, il est sui generis . Es folgt aber drittens, daß damit auch das Beschwerderecht selbst, da es nunmehr eine Menge von gesetzlichen Ansprüchen zu vertreten hat, sehr genau ausgebildet und zu einem förmlichen Verfahren mit einer eignen sogenannten Jurisprudence ge- worden ist. Man kann, wie man sieht, dieß weite Gebiet nicht kurz abthun; es muß genügen, den Geist des französischen Beschwerderechts bezeichnet zu haben. Es erklärt sich aber eben aus dieser Stellung des letztern, daß sich allmählig eine Reihe von Grundsätzen festgestellt haben, welche als Basis der Scheidung des droit administratif von dem droit civil betrachtet werden, und daher die Principien für die Entscheidung der Frage abgeben, wann eine Beschwerde auch bei verletztem bürgerlichem Recht statt einer Klage einzubringen ist. Diese ziemlich allgemein anerkannten Grundsätze, die Gränze des Beschwerderechts ent- haltend, sind folgende: eine Beschwerde ist zulässig und geboten: 1) quand il y a un act spécial ou un fait particulier d’administration; 2) quand la réclamation est fondée sur un droit acquis; 3) quand la réclamation se rapporte à un intérêt de l’ordre administratif (s. u. A. Laferri è re Vol. II, L. III. Ch. III.) Fügt man indeß hinzu, daß Laferri è re allein sechs Classen von intérêts de l’ordre administratif entwickelt, so begreift sich, daß die Zu- ständigkeit des bürgerlichen Gerichts faktisch, wie gesagt, vollständig ausge- schlossen ist, so wie es sich um irgend eine Verordnung der Administration auch bei dem unbezweifeltsten gesetzlichen Rechte handelt oder, nach Laferri è re , „ne sont point soumis au recours par la voie contentieuse — les ordon- nances ou arrêtés règlementaires qui préscrivent des mesures d’administration publique, de police, et d’organisation ou division administrative; les rè- glements qui concernent les intérêts collectifs (?) de l’agriculture, du commerce, de l’industrie; les actes du pouvoir discrétionnaire de l’administration, qui peuvent blesser des intérêts sans lésir des droits acquis.“ In allen diesen Fällen gibt es also überhaupt kein Beschwerderecht, geschweige denn ein Beschwerde- recht der voie contentieuse; es gibt nur noch die voie gracieuse, das Recht des Gesuchs. Natürlich machen diese Bestimmungen den ganzen Werth der in der strengen Ordnung des französischen Beschwerderechts am Ende liegt, wieder illusorisch, und die Juristen haben daher von jeher versucht, jenem droit de la voie contentieuse, die am Ende mehr im Rechte als im Verfahren mit dem Klagrecht im Widerspruch steht, gegenüber der voie gracieuse Boden ab- zugewinnen. Dieß Streben, das solche Forderungen auf Rechtsgründe zurück- führen wollte, ist es dann wieder, welches die Lehre vom droit administratif in Frankreich viel weiter ausgebildet hat, als in irgend einem Lande der Welt, und welches bei der theoretischen Auffassung der Verwaltung gerade in Frank- reich den Gesichtspunkt des Rechts dem des öffentlichen Nutzens stets voran- stellt, obgleich dieß Recht im Grunde nur ein Verordnungs- und kein Gesetzes- recht ist. Endlich erklärt sich daraus zwar einerseits die Ueberzeugung in der französischen Theorie, daß es bei allem Streben nach Codification dennoch nie- mals einen Code du droit administratif geben kann, andererseits die Klarheit, die über das innere Wesen der Verordnungsgewalt durch die juristische Beschäf- tigung mit demselben gewonnen ist, und die wir namentlich in der deutschen Literatur so schmerzlich vermissen. Die Grundlagen für die daraus entstandene Theorie, die wir daher als Grundlage für die Formen des Beschwerderechts an- erkennen dürfen, sind sehr einfach. Die Verordnungsgewalt selbst ist entweder da, wo sie allgemeine Bestimmungen erläßt, die mithin unserem Begriffe der Verordnungen entsprechen, das pouvoir règlementaire; wo sie dagegen sich nur auf die Verhältnisse Einzelner bezieht, erscheint sie als pouvoir discrétionnaire . Gegen die Bestimmungen des pouvoir règlementaire hat die betreffende Partei zuerst die opposition zu bilden, eine Eingabe, deren Grundlage eine geforderte Leistung ist, oder eine pétition, welche beim Sekretariat der Präfektur abgegeben wird. Darauf entsteht ein förmliches Verfahren , genau wie bei dem bürgerlichen Gerichte; das Conseil de Préfecture als erste Instanz (in den meisten Fällen) kann Zwischenurtheile ( arrêtés préparatoires und selbst interlocutoires ) zur Instruktion der Sache erlassen; die Einreden werden gehört bis zum Schluß- urtheil, dem arrêté définitif. Auf dieß arrêté définitif folgt die Appellations- frist, die bis zur begonnenen Exekution läuft; gegen die Zwischenurtheile gibt es keine Appellation. Diese letztere heißt der Rekurs; er geht meistens direkt an den Conseil d’État. Vor diesem findet dann ein förmliches gerichtliches Verfahren statt. Dieß gerichtliche Verfahren ist in seinen Grundzügen bereits als Règlement pour le Conseil d’État im Jahr 1738 von d’Aguesseau bestimmt, das Reglement vom 22. Juli 1806 hat es nur weiter ausgebildet und klarer gemacht; im Jahr 1832 wurde den Sitzungen der Abtheilungen des Conseil d’État en matière contentieuse die Oeffentlichkeit verliehen; das Reglement vom 30. Januar 1852 fügte noch einige weitere Bestimmungen hinzu, und damit ist jetzt diese Abtheilung des Conseil d’État zum förmlich anerkannten obersten Gerichtshofe für das Verordnungsrecht geworden, soweit das droit administratif reicht, während eine andere Abtheilung desselben Conseil d’Etat den Conflikt zwischen der Administration und dem droit civil entscheidet. Das genauere Verfahren ist für die Gegenwart am besten bei Laferri è re (C. de droit adm. L. III. Ch. II.) dargestellt. Insofern es sich jedoch um das pouvoir discrétionnaire handelt, kann von einem solchen Proceß natürlich keine Rede sein. Dieser letztere heißt daher auch die voie contentieuse; sie tritt ein, quand un acte blesse un droit , résultant d’une loi, d’une ordonnance ou d’un contrat; gegen das pouvoir discrétionnaire dagegen gibt es nur die voie gracieuse , und diese greift Platz, quand un acte blesse ou froisse un intérêt . Dieß sind die Grundlagen des französischen Rechts für Klage und Beschwerde. Vergleicht man nun diesen Rechtszustand mit dem oben dargestellten eng- lischen, so muß man sagen, daß während in England das Beschwerderecht in dem Klagrecht untergegangen ist, in Frankreich umgekehrt das Klagrecht nur noch als Beschwerderecht erscheint. So weit das französische Recht endlich in seiner jurisdiction administrative mit dem natürlichen Gebiete des Beschwerde- rechts zu thun hat, ist es ohne Zweifel das bei weitem ausgezeichnetste in Eu- ropa; sein Mangel und seine Gefahr liegt nur darin, daß das Beschwerderecht und die Administrativjustiz auch über die gesetzlichen Rechte urtheilt, sowie sie durch eine Verordnung verletzt werden. Die Souveränetät der Verwaltung, die hier ganz klar ausgesprochen ist, wird indeß wesentlich gemildert erstens durch die Verantwortlichkeit der höchsten verordnenden Gewalt, zweitens aber und weit sicherer durch das streng gesetzliche und zum Theil öffentliche Verfahren der höchsten entscheidenden Behörde bei jeder Beschwerde. Frankreichs Jurisdiction administrative muß daher als ein Muster für das ganze europäische System des Beschwerdesystems aufgestellt werden, sowie man derselben grundsätzlich das Gebiet des Klagrechts — also den Fall des Widerspruches zwischen Ge- setz und Verordnung — entzieht, und es auf das eigentliche Ge- biet des Verordnungsrechts zurückführt . Das Verordnungsrecht in Deutschland. Die sogenannten Justiz- und Administrativsachen . Nachdem die Frage nach dem Rechte der Verordnung und der Verwaltung gegenüber dem gesetzlichen Recht, namentlich unter dem bekannten Gegensatz der Justiz- und Administrativsachen; eine vollständige Bibliothek von Schriften her- vorgerufen hat, ohne doch zur Klarheit und zum Abschluß zu gelangen, müssen wir es für eine ziemlich nutzlose Mühe halten, auf die Ansichten der Theorie hier weiter einzugehen, und vielmehr uns zur Aufgabe machen, auf Grundlage des Unterschiedes von Gesetz und Verordnung einerseits, und Klage und Be- schwerde andererseits eben nur den gegenwärtigen Zustand der beinahe hoff- nungslosen Verwirrung zu erklären, in dem sich die deutsche Theorie, und den der großen Verschiedenheit und Unklarheit, in dem sich die deutsche Gesetzgebung befindet. Zum Grunde legen muß man dabei den obigen Unterschied zwischen Justiz- und Administrativsachen. Unter Justizsachen versteht man nämlich bekanntlich jeden Streit, der vor das Gericht gehört, also in welchem nach unserm Begriff das Klagrecht Platz greift; unter Administrativsachen jeden Fall, in welchem die Zuständigkeit der Gerichte ausgeschlossen ist, und die Entscheidung von der Verwaltungsbehörde abhängt, d. i. wo ein Beschwerderecht eintritt. Diese Unterscheidung, an sich schon wichtig genug, wird es nun doppelt, sobald der Proceß der innern Staatsbildung lebendig wird und die gesetz- gebende Gewalt gegenüber der vollziehenden sich zur Geltung zu bringen trachtet. Die Gränze zwischen beiden bezeichnet alsdann offenbar die Linie, innerhalb welcher die Vollziehung sich frei bewegt, und jenseits derer das geltende Recht ihrem Eingreifen eine feste Schranke setzt. Daß bei einer Entwicklung des Staatslebens, in der wie in Frankreich nicht eben die gesetzgebende Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung selbst herstellt, sondern wie in Deutschland diese Verfassung eigentlich von dem Haupte der vollziehenden Gewalt ge- geben wird, in der also, wie wir gesehen, der Begriff des Gesetzes nicht feststeht , sondern beständig mit dem der Verordnung verschmolzen ist, eben jene Gränze doppelt wichtig, und demnach doppelt schwer zu ziehen sein wird, ist einleuchtend. Die deutsche Theorie, der ein so großer Theil an der Bildung des öffentlichen Rechtes zugefallen ist, hat die Wichtigkeit und Schwierig- keit der Sache gefühlt. Da ihr aber der Begriff des Gesetzes und der Ver- ordnung fehlte, so gelangte sie nicht dazu, die Begriffe von Klagrecht und Be- schwerderecht festzustellen. Sie verstand daher eben so wenig das englische Recht, als das französische. In der Nothwendigkeit sich zu helfen, kam sie aber dazu, unter dem mächtigen Eindrucke, den ihr die Klarheit des eben dargestellten fran- zösischen Systems machte, dasselbe in ihrer etwas beengten Weise zu formuliren, indem sie den — allerdings hoffnungslosen — Versuch machte, die Gränze des gesetzlichen und des Verordnungsrechts nicht in einem allgemeinen Princip oder Begriff, sondern in der Bezeichnung der einzelnen Sachen zu setzen, deren Entscheidung den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zufallen solle. So entstanden die beiden Kategorien der Justizsachen und der Verwaltungssachen. Und diese Unterscheidung ist das Unheil der ganzen Theorie gewesen, so sehr, daß Theoretiker ersten Ranges wie Zachariä geradezu an einer Klarheit über das Resultat verzweifelt sind. Und mit Recht, denn es ist absolut falsch , einen solchen Unterschied als Grundlage des Rechts durchführen zu wollen. Es ist im Gegentheil, denken wir, vollkommen einleuchtend, daß es gar keinen Akt der Verwaltung gibt — mit Ausnahme des Belagerungszustandes — in welchem nicht die Organe der vollziehenden Gewalt ein bestehendes Gesetz verletzen könnten. Ist das der Fall, und kann man eben nicht bestreiten, daß solche Verletzungen des Gesetzes immer von einem Gericht zu entscheiden sind, so ist es gleichfalls unmöglich, einen Theil der Thätigkeit der Vollzugsorgane den Gerichten principiell zu entziehen, und die Entscheidung über dieselbe unter allen Umständen den Verwaltungs- behörden ihrer Natur nach zuzuweisen; das ist eben, Justiz sachen und Ad- ministrati vsachen als theoretisch feste Kategorien aufzustellen. Man muß im Gegentheil sagen, daß für die Wissenschaft eine solche Scheidung ein ganz unlösbarer Widerspruch mit dem Wesen des Gerichtes selbst ist; jeder Versuch, sie auf die natürliche Funktion von Gericht und Vollziehung zurückzuführen, hebt eben das Wesen des Gerichts selber auf, und gelangt daher zu absoluter Verwirrung. Im Gegentheil ist aus der Natur der Sache wohl das nun- mehr klar, daß jede Thätigkeit der vollziehenden Organe, wenn sie mit dem bestehenden Gesetze in Widerspruch tritt, dem Gerichte oder dem Klagrecht, wenn sie dagegen bloß mit der Verordnung in Widerspruch tritt, der höhern Behörde und damit dem Beschwerderecht anheimfällt, das letztere selbst dann, wenn die Verordnung das Gesetz ersetzt , weil streng logisch und juristisch die verordnende Gewalt, wie schon oben dargelegt, das Recht hat, ihren Willen jeden Augenblick zu ändern, so gut wie die gesetzgebende. Wo dieß Uebel- stände erzeugt, ist es Sache der Gesetzgebung, das zu ändern; so lange das Gesetz mangelt, ist jeder Streit über den Inhalt einer Verordnung — selbst bei den sogenannten provisorischen Gesetzen — Angelegenheit der vollziehenden Gewalt. Es folgt aber daraus, daß es dem Wesen der Sache nach gar keine Justiz- und Administrativsachen gibt , sondern daß jede „Sache“ je nach dem Verhältniß zu Gesetz oder Verordnung sowohl Justiz- als Ad- ministrativsache sein, d. h. wissenschaftlich ausgedrückt, Gegenstand einer Klage oder einer Beschwerde werden kann. Daneben nun, und das ist die Quelle so vieler Mißverständnisse, kann allerdings die positive Gesetzgebung eine Reihe von Thatsachen der Ver- waltung, obgleich sie ihrer Natur nach dem Klagrechte unterworfen sind, der Entscheidung der Verwaltung unterwerfen. In diesem Falle gibt es innerhalb der gerichtlichen Competenz eine zweite administrative; aber ein Theil des Klag- rechts ist dann gesetzlich dem Beschwerderecht unterworfen; oder es gibt Justiz- sachen, welche gesetzlich Administrativsachen sind. Das aber kann nur durch be- sondere Gesetze geschehen, und daher auch in jedem Staate verschieden sein, während das positive Recht des einen Staates keine Consequenz für den andern bildet . Es ist klar, daß damit keine wissenschaftliche Begriffsbestim- mung gefunden werden kann; die ganze Bestimmung ist historisch aus den deut- schen Rechtsverhältnissen und der französischen justice administrative entstanden, und erscheint zuletzt als eine Sache der Zweckmäßigkeit. Geht man nun gar so weit wie die deutsche Theorie, aus diesen verschiedenen gesetzlichen Ausnahmen von dem Principe selbst ein Princip für die Entscheidung einzelner Fälle be- stimmen, und daraus ein geltendes deutsches Verordnungsrecht bilden zu wollen, so wird man in unabsehbare Widersprüche verfallen. Um nun aber den Zustand der deutschen Auffassung erklären zu können, muß man zwei Perioden derselben, und mit ihnen zwei Tendenzen unter- scheiden. Die erste dieser Perioden reicht bis zur Bildung der neuen Verfassungen. Ihre Grundlage ist der früher schon geschilderte Zustand der Gesetzgebung. Die Theilnahme der Landesvertretung war bei der Gesetzgebung faktisch aufgehoben; die Verordnung war Gesetz und der Landesherr daher mit der vollen Kraft der Gesetzgebung ausgerüstet. Eine Gränze für Klag- und Beschwerderecht war mithin unauffindbar; im Grunde war das Klagrecht überhaupt gegenüber dem Inhalt der landesherrlichen Verordnung verschwunden. Die auf’s höchste ge- fährdete Selbständigkeit des Staatsbürgerthums flüchtete sich daher gegenüber dieser Allgewalt der Verwaltung — oder wie sie damals hieß, der Polizei — in das Gebiet des Privatrechts, indem sie den Besitz öffentlicher Rechte zugleich als Privatrecht erklärte. So entstand die Theorie, daß jede Verordnung alsdann Gegenstand der Klage , also Justizsache sei, wenn sie einen Privatrechts- titel angreife, während die Verhältnisse des öffentlichen Interesses nur Gegen- stand der Beschwerde werden. Wir verweisen in dieser Beziehung namentlich auf Berg , Polizeirecht, I. 144 ff. Seine Hauptgrundsätze, die auf den histo- rischen Verhältnissen beruhen und nur durch sie erklärt werden können, sind: die Vermuthung ist stets für Justizsache (und also für das Klagrecht), die Prävention entscheidet; bei Eigenthumsfragen ist unbedingtes Klagrecht gestattet (schon bei Pütter , im Jus publ. ); die Ueberschreitung der Po- lizeigewalt gehört vor den Richter, und gibt daher ein Klagrecht; das Ver- fahren ist dabei das des bürgerlichen Processes; das Beschwerderecht ist neben diesem Klagrecht ganz selbständig. Läßt man nun die unglückliche Aufthei- lung in Justiz- und Administrativsache weg, so liegt hier schon ein System vor, das auch unsrer Zeit vollkommen genügen könnte. Die Staatsgewalt ihrerseits verhielt sich gegen diese Theorie ziemlich gleichgültig; sie hielt einfach daran fest, daß sie das Recht habe , zu bestimmen, welche Thatsachen sie ihren Behörden zur Entscheidung vorbehalte. Natürlich entstand auf diese Weise für die Wissen- schaft kein Princip und für die Praxis keine Gleichartigkeit; das deutsche Recht bestand schon amals nur in der Hoffnung, daß es einmal entstehen werde. Den Ausdruck dieses Zustandes bilden namentlich die Lehre von Moser und Struben. An eine objektive Gültigkeit derselben dachte Niemand. Die zweite Periode hat allerdings einen wesentlich verschiedenen Charakter. Mit dem Auftreten der Verfassungen entsteht der Gedanke, daß Gesetz und Verordnung verschieden seien. Mit dem aufkeimenden Begriff vom Gesetz entwickelt sich der weitere Satz, daß die Entscheidung über das Gesetz nur den Gerichten zustehe. Die alte Vorstellung, daß eine Justizsache sich auf das geltende Privat- recht beziehe, wird wankend. Man begreift, daß auch ein Akt der Verwal- tungsbehörde dem Gesetze entgegentreten, und daher Gegenstand der Gerichte sein könne. Die Grundlagen des richtigen Systems vom Klagrecht und Be- schwerderecht sind daher gelegt. Allein sie kommen nicht zum Durchbruche, und zwar wesentlich aus zwei Gründen. Erstlich ist der Begriff des Gesetzes nur noch höchst unklar und unbestimmt vorhanden, und daher eine scharfe Begränzung jener beiden Begriffe fast unthunlich. War das geltende Verordnungsrecht aus früherer Zeit Gesetz? Waren die constituirenden Verordnungen Gesetze? Wo war die Gränze für die Begriffe von „Freiheit und Eigenthum,“ für welche die landständische Zustimmung nothwendig war? Konnte man unter irgend einem Rechtstitel das Recht des Einen Staats zur Interpretation des Rechts des andern brauchen? Und wie war es daher möglich, von einem festen Begriff der „Justizsachen“ zu reden? Andererseits war es nicht minder klar, daß es höchst bedenklich erscheinen mußte, mitten in dem gewaltigen Proceß der recht- lichen Bildung der öffentlichen Zustände, die Möglichkeit aufzustellen, jede Aktion der Verwaltung mit einem förmlichen bürgerlichen Proceß zu bedrohen, während man sich sagen mußte, daß gewisse Funktionen niemals dem Klagrecht, sondern immer dem Beschwerderecht unterworfen bleiben. Unter diesen Umständen war es nun sehr natürlich, daß man sich an das glänzende Beispiel Frankreichs an- schloß, und grundsätzlich eine Menge von Thätigkeiten der Verwaltungen auch dann vom Klagrecht ausschloß, wenn sie ihrem Wesen nach unzweifelhaft dem- selben unterworfen gewesen wären. Aber diese Scheidung erwies sich, abgesehen von allem andern, bald als höchst unvollständig. Allerdings versuchte man, und versucht man noch, die Idee einer materiellen Trennung von Justiz- und Administrativ sachen durchzuführen, und das dadurch zu erreichen, daß man eine Reihe von Merkmalen oder Definitionen aufstellt, mit welchen man sie scheiden will. Es liegt auf der Hand, daß jeder solcher Versuch ganz nutzlos sein muß; und zwar um so mehr, als man dabei immer ein deutsches Staats- recht im Auge hat, das ja eben nicht existirt, während man sich hätte sagen sollen, daß man statt desselben nur eine Zusammenstellung der deutschen Staats- rechte zu geben hatte. Andererseits hatte man — wir können es unbedenklich sagen — weder den Muth, die gerichtliche Berechtigung der französischen Juris- diction administrative anzuerkennen, noch auch den, das englische Klagrecht anzunehmen. Das erste schien der staatsbürgerlichen Freiheit gefährlich, das andere mit der kräftigen Aktion der Staatsverwaltung zu sehr im Widerspruch. Dazu kam die gänzlich verwirrende Tendenz, den Unterschied der beiden Kate- gorien nach der Competenz der gerichtlichen und der Verwaltungsorgane feststellen zu wollen. Es ist kein Zweifel, daß hier gerade das Umgekehrte ein- treten muß. Die Competenz selbst nämlich kann ja doch nur die Consequenz entweder der Natur der Sache, oder eines bestimmten Gesetzes sein. Die Bestimmung des Unterschiedes zwischen Administrativ- und Justizsachen aus der Competenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden selbst, setzt daher das zu Entscheidende als bereits entschieden voraus , und hebt damit sich selber auf. Alle diese Gründe, zusammenwirkend, haben daher einen unglaublich verwirrten Zu- stand hervorgebracht. Man wird ihn auch niemals auf der Grundlage der Justiz- und Administrati vsachen klären können. Aber die erste Bedingung des Verständnisses wäre denn doch gewesen, die Theorie vom positiven Rechte zu unterscheiden; und hier müssen wir gestehen, daß das positive Recht viel klarer ist, als die, welche sich mit demselben beschäftigt haben. Wir wollen das Bild beider neben einander stellen. Unter der Theorie verstehen wir hier diejenigen, welche aus der Verschmel- zung der Betrachtungen über die Natur der Sache und der bestehenden Gesetze versucht haben, ein Ganzes zu schaffen. In ihren Ausdrücken sieht man deut- lich das Bestreben, Worte und Begriffsbestimmungen zu finden, die zugleich den französischen und den englischen Standpunkt anerkennen und vermeiden wollen, und daher im höchsten Grade unsicher herumgreifen. Wir heben uur einige Koryphäen heraus, da die Masse viel zu groß ist, um sie zu bewältigen. Klüber erklärt, die „Einmischung (?) des Richters in eigentlichen (?) Po- lizeisachen sei unzulässig“ (Bürgerl. Recht §. 389); „Angelegenheiten, welche die Staatsregierung (?) unmittelbar (?) betreffen, sind kein Gegenstand gerichtlicher Entscheidung, Justizsache ist, wenn die Rede ist von wohlerworbenen Privat- rechten namentlich von streitiger Ausübung verleihbarer Regalien“ — (die also die Staatsregierung nicht unmittelbar betreffen sollen?). Aretin (Con- stitutionelles Staatsrecht II. S. 227 ff.) sagt: Privatrechtsstreitigkeiten — gehören allernächst und eigentlich (?) der Justiz an; die übrigen Sachen des öffentlichen Rechts — folglich auch diejenigen wo zwar allernächst (?) nur Privatpersonen sich streiten, aber aus Titeln, welche im öffentlichen Rechte sich gründen (?), gehören vor die Staatsgewalt selbst (wer ist das?) als entscheidende Behörde.“ Maurenbrecher §. 185 erkennt als Administrativsachen „solche, 1) welche nicht streitig sind, 2) welche nicht Streitigkeiten unter Privaten sind, 3) welche nicht Streitigkeiten zwischen Privaten und der Regierung sind, über Rechte, die auf Privattiteln beruhen“ — also vollkommen das droit administratif; wer aber darüber entscheidet, ob ein Recht auf Privattiteln beruht, und nach welchem Grund- satz, das fehlt. Zachariä (Deutsches Staatsrecht, §. 149) erklärt sich überhaupt gegen das Dasein der Administrativjustizsache; in seiner Verzweiflung sagt er: „es dürfe wohl nie gelingen , einen das innere Wesen der Sache treffenden Unterschied zu finden“; „widersinnig“ sei es, „nach Rechtsgrundsätzen verwalten zu wollen.“ Hätte er dazu einen Begriff der Verwaltung gehabt, so hätte er gesehen, daß es denn doch so übel mit dem Rechte in der Verwaltung nicht steht. Puchta (Beiträge 1, 204) bestimmt den Begriff der Administrativjustiz- sache dahin, daß es diejenigen Angelegenheiten seien, „in welchen nach Grund- sätzen der öffentlichen Verwaltung Recht gesprochen wird.“ Die Frage ist ja aber eben, ob eine solche Entscheidung nach Grundsätzen der Verwaltung ein Recht bilden; denn wenn sie Recht enthält, muß eben das Gericht dieselbe treffen, und das ist ja gerade der Zweifel. Mohl in seiner Polizeiwissenschaft ( I. §. 7. 8), dem sowohl der Begriff der Verordnung als der der Verwaltung abgeht, nennt die Frage mit Recht eine „berüchtigte,“ hat aber selbst gar keine Antwort darauf; nur das wird ihm klar „daß die Ansicht gerechtfertigt sei, daß wenigstens (?) die bedeutenderen Straffälle wegen Uebertretung von Polizei- gesetzen den Gerichten zu überlassen seien“ — womit man im Grunde gar nichts weiß. Planitz in einer neueren kleinen Schrift (Justiz und Verwal- tung. Ein Beitrag zur Feststellung beider Gewalten. 1860), fühlt richtig, daß man das Wesen beider Organe der Entscheidung zum Grunde legen müsse; aber freilich muß man dann bei dem Begriffe des Staats anfangen, und nicht damit beginnen, den Staat „zunächst“ als einen Gerichtshof, und die Verwaltung als etwas zu betrachten, was sich „neben der Justiz regt .“ Ohne die Bestimmung des Begriffes der Verordnung wird die Sache nicht abgethan sein, noch weniger durch Illustration einzelner Fälle. Mayer in seinem Verwaltungsrecht ist noch übler daran; S. 39. 40 will er ganz allgemein, daß die Verwaltung „Recht sprechen soll,“ S. 453 findet er, daß „gewisse Akte der Verwaltung nicht Gegen- stand rechtlicher Beschwerde sein können;“ S. 456 steht die „Erlassung allge- meiner Anordnungen — in der Mitte zwischen Aufstellung allgemeiner Ver- ordnungen und der Anwendung derselben auf bestimmte Fälle“ — also wo? — Und wer hat zu entscheiden, ob sie diese „richtige Mitte“ zwischen Justiz und Administration verloren haben? — Es wäre leicht, diese Specifikation weiter zu führen; es ist aber nutzlos. Im Allgemeinen läßt sich nun nicht läugnen, daß man sich in Deutschland unendlich viel Mühe gegeben hat, diese Frage zu einem klaren Abschluß zu bringen. Ein Hauptgrund, woran man scheiterte, ist es, daß man nicht einig werden konnte, ob man die jedenfalls gültigen Entscheidungen der höheren Ver- waltungen als „Recht“ anerkennen solle oder nicht, da man bei dem Ausdruck „Recht“ sich immer ein Gericht dachte, und den Begriff des französischen droit administratif nicht annahm, weil man der „Polizei“ eine recht bildende Gewalt nicht zuerkennen wollte. So ganz Unrecht hat Mayer wohl auch nicht, wenn er dabei von einem „feindseligen Geiste der Gerichte gegen den Staat“ (er meint die finanzielle und die innere Verwaltung) „bei Ansprüchen der Einzelnen an den Tresor“ spricht. Würde man sich aber den Begriff des Verwaltungsrechts an- eignen, so wäre die Frage im Wesentlichen entschieden. Aus demselben Grunde ist die Lehre und das Recht der Competenzconflikte in der deutschen Theorie höchst unklar; darauf kommen wir unten zurück. Merkwürdig, daß Pötzl (bayerisches Verfassungsrecht §. 155) seine höchst richtige Bemerkung: „es ist nicht ausgeschlossen, daß die nämliche Sache in ihrer rechtlichen Beziehung Justiz- sache sei, welche in ihrer polizeilichen Richtung von der Polizeibehörde behandelt wird“ (also doch auch gewiß die Beschwerde zuläßt) „Beispiele: Heimath-, Ge- werbesachen u. s. w.“ — nicht weiter verfolgt hat. Er wäre genau zu unserem Resultat gelangt. Uebrigens spricht auch Klüber (Off. R. §. 396) ganz den- selben Satz aus: „Es kann dieselbe Sache in verschiedener Beziehung Justiz- Stein , die Verwaltungslehre. I. 10 und Polizeisache sein, auch aus einer Polizeisache in eine Justizsache sich ver- wandeln“ — der richtige Gedanke geht dann in der Unklarheit über Justiz- und Polizeihoheit zu Grunde. Während so die Theorie für die ganze Frage ziemlich unfruchtbar geblieben ist, müssen wir dagegen anerkennen, daß die positive Gesetzgebung viel weiter gediehen, und zum Theil den Unterschied zwischen Klag- und Beschwerderecht sehr klar und bestimmt durchgeführt hat. Es ist sehr zu bedauern, daß Zöpfl , der hier am meisten leistet, seine Sammlung von einzelnen Bestimmungen nicht geordnet hat, weil auch er sich nicht von der Vorstellung losmachen kann, daß der Unterschied in den „Gegenständen“ liegt; er gelangt daher zu einem voll- ständigen Widerspruch, indem er alle „ Gegenstände , bezüglich deren die Staatsgewalt in der Form der Gesetzgebung (?), Verordnung oder Vollziehung thätig wird, Regierungs- oder Administrativsachen nennt“ — also das ge- sammte Rechtsleben, da dasselbe unter die Gesetzgebung fällt ( II. §. 450). Dennoch ist er noch der brauchbarste, wenn man von scharfer wissenschaftlicher Bestimmung absieht. Er sagt — „den Gerichten stehen in Bezug (?) auf jene Verordnungen, welche von Behörden ausgehen (was heißt das?), das Recht der Prüfung zu — wenn deren Rechtlichkeit und rechtliche Verbindlichkeit in Frage kommt.“ Wahrscheinlich denkt er sich dabei das Verhältniß der Ver- ordnungen zum Gesetze, denn sonst hätte es keinen Sinn, ihre verbindliche Kraft überhaupt in Frage zu stellen. Indeß kann die deutsche Staatsrechtswissen- schaft nur auf dem von ihm betretenen Wege weiter gelangen. Die deutschen Verfassungen fast ohne Ausnahme stehen, und zwar schon von Anfang an, auf dem Standpunkt, zuerst das Beschwerderecht der Unterthanen ausdrücklich anzuerkennen, zum Theil, was höchst bezeichnend ist, ohne sich über das Klagrecht überhaupt zu äußern. Nur muß man sich dasselbe etwas anders denken. Der Begriff des deutschen Beschwerderechts ist nämlich ursprünglich nicht der, den die Wissenschaft aufstellt, sondern ist ursprünglich vielmehr der der landständischen Beschwerde, der Gravamina, und zum Theil mit dem Petitionsrechte verbunden. Daher wird in den meisten Verfassungen ausdrücklich gesagt, daß die Landstände und neben denselben auch der Einzelne das Recht auf „Vorstellungen und Beschwerden“ habe. Das Nassauische Patent von 1814 steht sogar noch auf dem Standpunkt, die Beschwerden der Einzelnen nur durch die Mitglieder der Landstände vorbringen zu lassen. Sachsen- Weimar von 1816, §. 5, spricht allgemein. Baden , Verfassung §. 67, scheidet zwischen Einzelnen und Ständen; so auch Kurhessische Verfassung §. 99, Großherzogthum Hessen §. 80. 81, Coburg von 1821, §. 78. 79, Braun- schweig §. 38, Hannover von 1840, §. 47. Daher wird auch noch in der Deutschen Reichsverfassung von 1849 das Recht auf Bitte, Beschwerde und Petition zusammengeworfen §. 159, §. 160. Die ersten formellen Aussprüche, welche das Recht der Beschwerde anerkannten, sehen daher in denselben keine Beschwerde gegen Verordnungen, die an die höhere Instanz der Behörden ge- bracht werden müssen, sondern „Beschwerden über Verletzung der constitutionellen Rechte an die Ständeversammlung,“ jedoch umfaßt der Gedanke unzweifelhaft auch die eigentliche Beschwerde und ihr Recht, indem die Verfassungen fast ausnahmslos bestimmen, daß „die Stände nur dann auf eine Prüfung derselben eingehen dürfen, wenn in der Eingabe nachgewiesen ist, daß der Beschwerde- führer bereits den „ gesetzlichen Instanzenzug der Staatsbehörden“ er- schöpft, und vergeblich selbst bei der obersten Regierungsbehörde Abhülfe nach- gesucht hat,“ Zöpfl II. §. 412. Das ist im Sinne der einzelnen Verfassungs- urkunden, nur ist der „gesetzliche Instanzenzug “ keineswegs immer ausge- drückt, sondern einige lassen die Bezeichnung ganz weg, Baiern §. 21, Baden §. 67 „geeignete Landesstellen,“ Württemberg §. 36 „unmittelbar vorgesetzte Behörde,“ Großherzogthum Hessen §. 81 „gesetzliche und verfassungsmäßige Wege bei den Staatsbehörden,“ Sachsen-Altenburg §. 216 wie Baden, Braunschweig §. 114 „bei der Landesregierung,“ und ähnlich Oldenburg revidirte Verfassungs-Urkunde 134, Coburg Gesetz 1852, §. 133. Die Sache ist wichtig, weil gerade ein solcher gesetzlicher Instanzenzug erst der Beschwerde ihre Bedeutung gibt; es scheint, daß hier die deutschen Verfassungen wenigstens formell noch hinter dem französischen Verfahren der jurisdiction contentieuse zurück sind, indem die Annahme und Feststellung der Instanzen, vorzüglich aber eine Feststellung eines wie in Frankreich beim Conseil d’État geltenden öffent- lichen Verfahrens ein ganz wesentlicher Fortschritt sein würde, den die deutschen Staaten noch zu thun haben. Einen schlagenden Beweis des man- gelnden Verständnisses liefert hier der sonst so gründliche Rönne (Preußisches Staatsrecht I. §. 99), der das Beschwerderecht noch immer mit dem Peti- tionsrechte verschmelzt, wodurch natürlich die Strenge des Verfahrens gänzlich in den Hintergrund tritt. In Preußen ist das Beschwerderecht allerdings in abstracto anerkannt und den Behörden zur Pflicht gemacht, wie schon das All- gemeine Landrecht ( II. 20, §. 180) bestimmt: „auf schleunige Untersuchung und Abhelfung gegründeter Beschwerden bedacht zu sein;“ aber zu einem objektiv gültigen Beschwerd erecht , welches doch nur in einem gesetzlich aufgestellten Verfahren nach Muster des französischen gedacht werden kann, hat man es auch dort nicht gebracht. Siehe die einzelnen Citate bei Rönne II. §. 66. Uebrigens ist für den Grundgedanken des Klag- und Beschwerderechts in Preußen die Reichsverordnung vom 8. Mai 1842 höchst bezeichnend; hier finden wir ganz und gar den streng französischen Standpunkt der justice administrative §. 1: „Beschwerden über polizeiliche Verfügungen , sie mögen die Gesetzmäßig- keit , Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit derselben betreffen, gehören vor die vor- gesetzte Dienstbehörde . Der Rechtsweg ist nur dann zulässig, wenn die Ver- letzung eines zum Privateigenthum gehörenden Rechts behauptet wird.“ Und auch dieß nur unter gewissen nähern Bestimmungen. Neben diesem allgemeinen gültigen Princip des Beschwerderechts, das mithin noch der Entwicklung bedarf, haben einige Verfassungen ausdrücklich das Klagrecht anerkannt, wenn gleich hier die meisten schweigen , und die- jenigen, die da reden, den Eindruck einer gewissen Aengstlichkeit machen. So sagt Württembergische Verfassungsurkunde §. 95: „Keinem Bürger, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen Titel (?) be- ruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen werden.“ Viel offener sagt die K. Sächsische Verfassungsurkunde §. 49: „Jedem, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem Rechte verletzt glaubt , steht der Rechtsweg offen .“ Fast wörtlich übereinstimmen Kurhessen §. 35, Schwarzburg-Sondershausen §. 176, Oldenburg Art. 48. Unbe- stimmter wieder Hannover Gesetz vom 3. September 1848, §. 10. Dagegen stellt Preußen den Satz auf: „Was nicht in den Privatrechtsk reis des Staats fällt, ist Regierungssache und der Zuständigkeit der Gerichte völlig ent- zogen ,“ Rönne I. §. 56, S. 201. Gibt es neben solchen Widersprüchen in den bestehenden Gesetzen noch ein deutsches Staatsrecht? Und was bedeutet das, was Zöpfl II. §. 453 lehrt, mehr als ein pium desiderium? — Faßt man aber das bisher Gesagte zusammen, so muß man erkennen, daß das deutsche Rechtsleben in einem offenbaren Uebergangsstadium sich befindet, aus welchem sich mit der Zeit das wahre Recht entwickeln wird: die Gültigkeit des englischen Grundsatzes für das Gebiet der Verhältnisse zwischen Gesetz und Verordnung und des französischen für das Verhältniß zwischen Verordnung und Ver- fügung. Nur müssen wir unsre Aengstlichkeit ablegen, um das erste, und unsere historische Unklarheit, um das zweite zur richtigen Durchführung zu bringen. III. Das Petitionsrecht. Das Petitionsrecht, als ein allgemeines staatsbürgerliches Recht, darf hier seinem allgemeinen Wesen nach als bekannt vorausgesetzt werden. Dasselbe gehört aber nicht bloß in das Gebiet der Verfassung, sondern es bildet gleichfalls ein wesentliches Element in dem Proceß, der die verfassungsmäßige Verwaltung herstellt. Und zwar erscheint dasselbe hier als diejenige Form des Beschwerde- und Gesuchsrechts, welche, indem sie die Harmonie der Vollziehung mit der Gesetzgebung voraussetzt , Uebelstände, die in der letzteren liegen, aber erst in der ersteren zur Erscheinung kommen, durch einen gesetzgeberischen Akt be- seitigt zu wissen wünscht, und sich deßhalb an das Staatsoberhaupt, oder an die gesetzgebenden Organe wendet. Wir würden am besten dieß die administrativen Petitionen nennen, die sich von den legislativen in sofern unterscheiden, als die letzteren nicht wegen des Mißverhältnisses der Gesetze zu den bestehenden Lebensverhält- nissen, sondern zu den allgemeinen Lebensprincipien eine Thätigkeit der Gesetzgebung sollicitiren. Der Unterschied scheint ein abstrakter; in der That ist er aber sehr concret, und hat höchst positive Folgen, die man bei der auch über das Petitionswesen herrschenden Unklarheit fast immer gänzlich übersieht. In der That nämlich hat das Petitionsrecht den wesentlichsten Theil seiner Bedeutung darin gehabt, daß entweder der Grundsatz der Verantwortlichkeit, oder der des Klag- und Beschwerderechts nicht ge- hörig zur Geltung gelangt und anerkannt worden sind. Betrachtet man die bisherige Darstellung beider genau, so ist es wohl kaum zweifel- haft, daß das gewöhnlich sogenannte und zum Theil sogar in den Ver- fassungen aufgeführte Petitionsrecht nichts anderes war, als eine höchst unklare und deßhalb für gewöhnlich ganz effektlose, unter Umständen aber für den organischen Bildungsgang des Staats höchst störende und selbst gefährliche Verschmelzung der Verantwortlichkeit und des Klag- rechts. Die Geschichte zeigt daher auch, daß das administrative Petitions- recht in dem Grade sich auf seine wahre Basis zurückzieht, in welchem jene Rechte sich ihrerseits entwickeln, während das legislative Petitions- recht seine natürliche Funktion ohne Störung beibehält. Geht man mithin davon aus, daß Verantwortlichkeit, Klagrecht und Beschwerde- recht in der Weise funktioniren, wie ihre organische Natur es fordert, so ergibt sich das enge Gebiet, auf welches das administrative Petitions- recht zurückgeführt werden muß, wenn es nicht statt eines fördernden ein hemmendes Glied im Staatsorganismus sein soll, in folgenden Sätzen, mit denen es dann als die natürliche Erfüllung und nicht mehr als der unnatürliche Stellvertreter jener beiden Rechte erscheint. 1) Keine Petition kann zuerst die Verantwortung der vollziehenden Organe zum Inhalt haben, weder die politische noch die juristische. Die Ordnung des Staatslebens ist aufgelöst, wenn die ungeschiedene Masse eine Funktion übernehmen will, für welche das in der Verfassung selbst geordnete Staatsbürgerthum sein Organ in der Volksvertretung bereits niedergesetzt hat. Das Anklagerecht ist das Recht der letzteren und kann nie Gegenstand einer Eingabe an sie sein, ohne seine Würde und seinen wahren Erfolg zu verlieren, und die Volksvertretung selbst in ihrer Funktion herabzuwürdigen. 2) Eine Petition kann eben so wenig eine Klage, als eine Anklage im obigen Sinn enthalten. Eine, durch Petition bei dem Staatsoberhaupt oder gar bei der Volksvertretung erhobene admini- strative Klage enthält den Widerspruch, daß sie nicht da angestellt wird, wo dieselben Staatsgewalten, an die sich die Petition wendet, sie anzustellen gesetzlich angeordnet haben, bei dem ordentlichen Gericht, und erzeugt daher den zweiten Widerspruch, das gesetzgebende Organ zum richterlichen machen zu wollen. Eine administrative Petition mit dem Inhalte einer administrativen Klage der Verletzung eines Gesetzes durch eine Verordnung sollte daher unbedingt abgewiesen, und der Petent auf den ordentlichen Weg des Gerichts verwiesen werden. Selbst eine Erörterung über eine solche Petition muß schon das Gericht in seiner hohen Stellung verletzen, oder als ein grobes Mißverständniß der Volksvertretung von ihrer eigenen Funktion erscheinen. Nur in Einem Falle ließe sich eine solche Petition mit dem Fundamente einer administrativen Klage denken — das ist da, wo die Voll- ziehung die Exekution des gerichtlichen Urtheils gegen sie inhibirte. Nur ist hier nicht das Klagrecht, sondern die Exekution Gegenstand der Petition, und diese daher nicht eine Klage, sondern eben eine Beschwerde. Die gerichtliche Thätigkeit, und auch die Abweisung der Klage, kann nie Gegenstand einer Petition sein, denn die Volksvertretung hat dem Gericht nicht zu befehlen wie , sondern nur worüber es zu entscheiden hat. Wo daher, selbst in Verfassungen, Ausdrücke vorkommen, welche dahin gedeutet werden könnten, daß Einzelne oder Gemeinschaften das Petitionsrecht als Form der Klage wegen Verletzung von Rechten bei der Volksvertretung gebrauchen dürfen, da sind solche Ausdrücke nur Beweise unvollkommener Zustände des öffentlichen Rechts; meistens beweisen sie, daß die Gerichte ihre Funktion des Rechtsprechens bei administrativen Klagen nicht übernehmen, oder das Volk nicht versteht, sie zu benützen. Derartige Petitionen sollten daher keinen weitern Er- folg haben als den, zu untersuchen, ob dem administrativen Klagrecht in der Gesetzgebung ein Hemmniß entgegen stehe, und dieses durch Gesetze zu beseitigen. 3) Was endlich Petitionen betrifft, welche Beschwerden ent- halten, so leuchtet es ein, daß das Recht, solche Beschwerden bei der Volksvertretung einzubringen, darum ein naturgemäßes und allgemeines ist, weil am Ende das ganze innere verfassungsmäßige Staatsleben auf der Harmonie zwischen Verfassung und Verwaltung beruht, und eine jede Beschwerde eine Störung dieser Harmonie bedeutet, die nicht mehr durch gerichtliche Handhabung der Gesetze hergestellt werden kann. Das- selbe gilt von den Gesuchspetitionen . Die Volksvertretung hat zwar nicht das Recht, wohl aber die Interessen Aller in sofern zu vertreten, als sie aus ihnen und für sie die Verwaltungsgesetze zu machen hat. Daher können die Beschwerde- und die Gesuchspetitionen unzweifelhaft den Volksvertretungen übergeben werden. Nur muß man das Recht der letzteren in dieser Beziehung scharf bestimmen. Und zwar müssen hier zwei Grundsätze durchgreifend zur Geltung gelangen. Erstlich darf keine Petition von der Volksvertretung angenommen werden, welche nicht bereits alle gesetzlich zuständigen Instanzen der Behörden durchlaufen hat, insofern sie sich auf bestimmte exekutive Thätigkeiten der Vollzugsorgane bezieht. Sind solche Instanzen nicht vorgeschrieben, so bleibt es der Volksvertretung überlassen, zu entscheiden, ob der Petent das Nöthige gethan hat. Zweitens kann keine Volksvertretung über eine Peti- tion als solche überhaupt irgend etwas entscheiden , ohne die Ordnung des Staats umzukehren. In der That nämlich enthält die Beschwerde- oder Gesuchspetition entweder den Nachweis, daß die Vollziehung ein gesetzliches Recht verletzt hat, und dann gehört sie vor die Gerichte; oder sie weist nach, daß die Vollziehung nur die In- teressen nicht gehörig gewahrt, aber sich dabei an das Gesetz gehalten hat, und dann hat die Volksvertretung ein neues Gesetz zu machen, welches jene Verletzung der Interessen künftig unmöglich macht. Das ist die formell gezogene, strenge Gränzlinie für die Thätigkeit der Volks- vertretung in Beziehung auf diese Art der administrativen Petitionen. Allerdings aber ist es gut, wenn dieselbe nicht gerade in dieser strengen Weise eingehalten wird. Es ist gut, wenn solche Petitionen den Anlaß geben zwischen den beiden höchsten Organen der Gesetzgebung und Voll- ziehung, sich über die Gestalt zu verständigen , welche ein bestehen- des Gesetz in der wirklichen Ausführung entweder annimmt oder an- nehmen sollte. Wann und wie weit das der Fall sein kann, muß stets von dem Gegenstande, den Petenten, und endlich von Takt und Stim- mung der beiden Organe selbst abhängen. Niemals aber kann man der Volksvertretung das Recht zugestehen, selbständig eine Erledigung der Petition zu beschließen ; sie kann höchstens, da die Regierung vollkommen das Recht hat, einem solchen Beschluß, der kein Gesetz ist, geradezu den Gehorsam zu verweigern, ihre Ansicht als maßgebend bei der Erledigung der Petition empfehlen. Faßt man nun alle diese Punkte zusammen, so wird man wohl zu dem Resultat kommen, daß erst dann, wenn Gesetz und Verordnung scharf geschieden, und das Klagrecht in anerkannter Wirksamkeit steht, das Petitionsrecht seine rechte Funktion zu erfüllen und Gesetzgebung und Verwaltung auf dem Gebiete zur Verständigung zu bringen bestimmt ist, wohin die erste zu selten gelangt, und das die zweite zu selten verläßt, dem weiten Felde der praktischen Interessen des Volkslebens. Während in England das Recht auf Petitionen gar keiner gesetzlichen Anerkennung bedurfte, sprachen in Frankreich alle Constitutionen das droit de pétition als ein „droit naturel“ aus; selbst die Charte von 1814 enthält dasselbe (Art. 53), sowie die Charte von 1830 (Art. 45). Von ihnen ging das Princip der Sache nach Deutschland über, wo es in den Verfassungen meist als Anerkennung des Rechts auf Vorstellung und Beschwerde erscheint. Frank- reich aber hat nicht verstanden, sich dieß Recht zu bewahren. Die Constitution von 1852 hat es im Grunde dem französischen Volke genommen. Der Art. 45 erlaubt nur noch Petitionen an den Sénat, keine an den Corps législatif . Das Dekret vom 31. Dec. 1852 hat das Verfahren des Senats bei den Peti- tionen geregelt. Gewöhnliche Petitionen werden in den Petitionscomit é ’s be- rathen und vorgelegt; bei Petitionen, welche sich auf Verletzungen verfassungs- mäßiger Rechte beziehen, wird erst die question préalable gestellt, und sie nur dann zur Berathung gezogen, wenn der Senat sie anerkennt ( le sénat maintient, ou annulle ). — Die gesetzlichen Bestimmungen über das Petitions- recht Deutschlands leiden daran, daß man dieselben meistens nur als legis- lative betrachtet, und deßhalb ihre Einwirkung bekämpft hat. Daher das Verbot von Petitionen von Körperschaften u. s. w. Auf diesem Standpunkt stehen fast alle Verfassungen vor 1848. Erst nach 1848 sieht man ein rich- tigeres Verständniß eintreten, wenn gleich auch jetzt noch bei den meisten Be- schwerde und Petition als wesentlich gleichbedeutend betrachtet wird. Siehe Rönne I. 99. Am richtigsten hat die Verfassungsurkunde von Luxemburg die Sache aufgefaßt: „L’Assemblée des États a le droit de renvoyer aux membres du gouvernement les pétitions qui lui sont adressées.“ (§. 67.) In den deutschen Verfassungsurkunden ist hier meistens eine große Unbestimmt- heit über das Verhältniß zur Verwaltung. Man wird hier wohl nur weiter kommen durch die Unterscheidung von legislativen und administrativen Peti- tionen. Vgl. Zöpfl II. §. 412. Das Verhältniß der obigen Rechte zu einander . Die gegenwärtige, bereits bezeichnete Lage der Theorie veranlaßt uns nun, dem Obigen einige Schlußsätze hinzuzufügen, die im Grunde ganz selbstverständlich, dennoch von großer Wichtigkeit gegenüber der bisherigen Lehre sind. 1) Das ganze verfassungsmäßige Verwaltungsrecht empfängt näm- lich nunmehr seine Verwirklichung durch die Verantwortlichkeit einer- seits, und das eigentliche Verordnungsrecht andererseits. Beide sind nur Ausdrücke desselben Gedankens, Erscheinungen desselben Princips. Jenes bezieht sich auf das Verhalten der vollziehenden Gewalt in der Regierung zum gesammten organischen Staatsleben, als Einheit be- trachtet; dieses auf das Verhalten desselben zum gesetzlichen Rechte des einzelnen Staatsbürgers. 2) Während nun für die Verantwortlichkeit das natürliche Organ die Volksvertretung ist, ist das Organ für das Klagrecht das Gericht, und für Beschwerde und Gesuch die höhere Regierungsbehörde selbst. Jede Vermischung dieser ganz klar vorliegenden Funktionen in diesen Fragen wird zu einem unlösbaren Widerspruch. 3) Während aber diese Funktionen in Beziehung auf die Voll- ziehung geschieden sind, gibt es keine äußerliche Scheidung in den Thätigkeiten der Regierung selbst, durch welche dieselben der einen oder andern Funktion ausschließlich zugewiesen wer- den könnten . Oder, es gibt keine Scheidung zwischen Regierungs- thätigkeiten, seien es Verordnungen, Verfügungen oder Handlungen, wornach dieselben entweder nur Gegenstand von Petitions-, oder nur Gegenstand von Klage- oder von Beschwerderecht sein könnten; — oder, es ist falsch, von einem in irgend einem objektiven Momente liegenden Unterschied von Justizsachen, Administrativsachen oder gar Petitionssachen zu reden, sondern es ist unbedingt fest- zuhalten, daß dieser Unterschied definitiv als ein historischer betrachtet und damit beseitigt werden muß. Es gilt im Gegentheil der Satz, daß jede wie immergeartete Regierungsthätigkeit an sich eben sowohl dem Klagrecht , als dem Beschwerde- oder endlich dem Petitionsrecht angehören kann; daß eine und dieselbe Regierungs- handlung je nach der bestehenden Gesetzgebung in einem Lande Gegen- stand der Klage, in einem andern der Beschwerde und Petition sein kann; daß mithin darüber nicht der Inhalt der Sache , sondern lediglich die Frage entscheidet, ob der betreffende Regierungsakt mit einem Gesetze in Widerspruch erscheint oder nicht; oder, daß um den bisherigen Ausdruck zu brauchen, jede Regierungshandlung ebenso gut Justiz- als Administrativsache sein kann, je nachdem sie mit einem Ge- setze, oder mit einer Verordnung in Collision kommt, oder daß, wenn überhaupt die Ausdrücke Justiz- und Administrativsachen noch einen Sinn haben sollen, Justizsachen die Regierungsakte in ihrem Verhältniß zum Gesetz, Administrativsachen dieselben in ihrem Verhältniß zur allge- meinen Verordnung bedeuten, und, da das eine höchst unklare Be- zeichnung ist, man wahrlich viel besser thut, sie ganz zu beseitigen. Hält man nun aber das Klagrecht, das Beschwerde- und Gesuchs- recht, und endlich das Petitionsrecht, jedes mit seiner specifischen Funk- tion in der Zurückführung der Vollziehung auf die Gesetzgebung vor Augen, und sieht man, wie sie sich gegenseitig bedingen und erfüllen, so darf man jetzt wohl sagen, daß die verfassungsmäßige Verwaltung ein lebendiger Begriff im Staatsleben sei. Zweite Abtheilung. Das Recht der Organisation. Die Organisationsgewalt bildet neben der Verordnungsgewalt den zweiten großen Inhalt der Regierungsgewalt. Es ist kein Zweifel, daß sie der vollziehenden Gewalt ihrem Wesen nach angehört; die Grund- lagen der positiv gültigen Organisation werden wir unten darstellen. Es muß daher zunächst feststehen, in welchem Sinn wir überhaupt von einem Rechte der Organisationsgewalt hier als einem selbständigen Gebiete des Rechts der vollziehenden Gewalt zu reden haben. Der Gedanke, der hier zu Grunde liegen muß, und den die wirk- liche Organisation als einen bereits entschiedenen vorauszusetzen hat, ergibt sich aus Folgendem: Die Organisation hat im Leben des Staats wie in jedem andern Leben die Aufgabe, die lebendige Kraft des Staats mit ihrem eigenen Körper zu versehen, und die Vermittlung zwischen dem abstrakten Wollen und den wirklichen einzelnen Thatsachen zu bieten. Sie ist daher gleich- sam der formelle, individualisirte Ausdruck der Staatsgewalt. Sie umgibt dieselbe auf allen einzelnen Punkten; sie ist es, welche die einzelnen Organe zu selbständigen Gliedern des Ganzen macht; sie erzeugt daher die eigentlich concrete Gestalt der vollziehenden Gewalt, indem sie zugleich mit der Selbständigkeit jedes Organes sein Ver- hältniß zum Ganzen festsetzt, und dadurch nicht bloß eine selbstän- dige Funktion des ersteren in seiner Sphäre, sondern andererseits auch die Gemeinschaft und innere Einheit der staatlichen Gewalt in diesen einzelnen Funktionen möglich macht. Sie ist daher einerseits die concret gewordene Vertheilung der vollziehenden Gewalt an die einzelnen Organe, andererseits die eben so concret dastehende Einheit in dieser Selbständigkeit der letzteren. Sie ist daher nicht bloß im Allgemeinen von hoher Wichtigkeit, sondern es leuchtet ein, daß sie selbst nicht bloß vom einfachen Standpunkt des Rechts, sondern eben so sehr von dem der harmonischen Anschauung des Staatslebens betrachtet werden muß. Ist das nun das Wesen der Organisation, so folgt zuerst, daß sie auch von dieser höchsten Staatsgewalt ausgehen muß, welche sie als die einheitliche und gleiche im ganzen Staatsleben zu vertreten hat; oder daß das Staatsoberhaupt für den ganzen Staat das Recht der Organisation in seinem Willen besitze. Dieß Recht empfängt nun seinen Inhalt durch folgende Sätze: Allerdings ist das Staatsoberhaupt das Haupt der Organisations- gewalt; allein da diese Organisation die vollziehende Gewalt enthält, so kann auch sie Gegenstand der gesetzgebenden Gewalt werden, wie alle Verhältnisse der letzteren. Das Recht des Organismus wird da- durch zu einem verfassungsmäßigen Organisationsrecht , gegenüber der souveränen Organisationsgewalt des Staatsoberhaupts. Andererseits entsteht das Recht innerhalb des Organismus dadurch, daß die einzelnen Organe einander selbständig gegenüber treten. Diese ihre Selbständigkeit nennen wir ihre Competenz . Die Competenz ergibt daher das zweite große Gebiet des Organisationsrechts, das wir kurz als das Competenzrecht bezeichnen. Die Lehre von der Organisation wird dann das Gebiet bilden, auf welchem diese beiden allgemeinen Begriffe ihre spezielle Anordnung finden. I. Das verfassungsmäßige Organisationsrecht. Der Begriff des verfassungsmäßigen Organisationsrechts kann natür- lich erst da entstehen, wo sich die gesetzgebende Gewalt mit einem selbstän- digen Körper aus der Verschmelzung mit der vollziehenden entwickelt. So lange das Königthum noch beide Gewalten ungeschieden enthält, ist von einem Rechte der Organisation noch keine Rede. Der innige Zu- sammenhang nun zwischen der Organisation und der wirklichen Voll- ziehung, welche durch jene bedingt wird, erzeugt sofort ein System von Rechtsgrundsätzen für die Organisation an sich, ganz abgesehen von der Gestalt derselben, welche ihrerseits den Ausdruck der verfassungsmäßigen Verwaltung in dem Gebiete der Organisation bilden. Das System von Rechtsgrundsätzen beruht nun zunächst auf dem obersten Satz, daß jede Organisation nicht etwa für und durch eine einzelne selbständige Funktion innerhalb des Staats geschieht, sondern daß sie stets der Ausdruck der persönlichen Einheit desselben in der Verschiedenheit seiner Lebensverhältnisse sein muß. Ist sie das, so kann die Gewalt, von der sie im gesammten Gebiete des Staats ausgeht, auch nur Eine sein; und das ist die des Staatsoberhaupts. Das erste Princip alles Organisationsrechts ist deßhalb in allen Ordnungen des öffentlichen Rechts das, daß alle Organisation vom persönlichen Willen des Staatsoberhaupts ausgehen muß; das Staatsoberhaupt ist die Quelle aller Organisationsgewalt. Aus diesem Grundprincip der Organisation entsteht nun das Recht derselben, indem das Staatsoberhaupt in seinem Willen durch die Natur und durch die Forderungen des innern Staatslebens bestimmt wird, und diese Bestimmungen selbst vermöge der Gesetzgebung zu Rechtssätzen werden. Die Organisationsgewalt des Staatsoberhaupts daher, insofern sie durch die verfassungsmäßige Gesetzgebung bestimmt ist, nennen wir das verfassungsmäßige Organisationsrecht . Dieß verfassungsmäßige Organisationsrecht hat nun zwei Gebiete, in denen es als eine der wesentlichen Bedingungen des harmonischen Staatslebens erscheint. Das erste dieser Gebiete betrifft die amtliche Organisation , das zweite die Selbstverwaltung . Die folgende Darstellung muß nun beide Begriffe und ihren Inhalt als bekannt voraussetzen. Wir dürfen für alles Einzelne auf den zweiten Theil verweisen. An diesem Orte kommt es nur darauf an, das allgemeine Verhältniß des Staatsoberhaupts und seine Organi- sationsgewalt zu beiden Gebieten festzustellen, so weit dieß nicht schon in dem Satze liegt, daß die persönliche Vollzugsgewalt des Staats- oberhaupts immer das Recht der persönlichen Anstellung behält (s. oben). 1) Das Recht der amtlichen Organisation . Es ist vielleicht einige Schwierigkeit, den obigen Begriff zu be- stimmen. In der That sind die Ministerien als Grundlage der ganzen Organisation des Staats gegenüber derjenigen der Selbstverwaltung gleichsam von selbst entstanden. Sie sind so sehr die natürliche Folge der innern Entwicklung des Staatslebens, daß, so viel wir wissen, zwar sehr häufig und ernsthaft die Frage ventilirt worden ist, wie sie am zweckmäßigsten eingerichtet werden sollen (s. unten), niemals aber die, ob das Staatsoberhaupt gezwungen sei, Ministerien überhaupt, oder bestimmte Ministerien zu haben, das ist, ob es ein Recht der Ministerialorganisation gebe. Die Grundsätze, die dafür gelten, ergeben sich nun wohl ziemlich ein- fach aus dem allgemeinen Princip der verfassungsmäßigen Verwaltung. Keine verfassungsmäßige Verwaltung ist möglich, ohne eine Ver- antwortlichkeit der obersten Staatsbehörden. Die verfassungsmäßige Verwaltung ist aber gegeben mit dem Auftreten der selbständigen Volks- vertretung. Die Verantwortlichkeit der obersten Staatsbehörden ihrer- seits hat zu ihrer Voraussetzung, daß die vollziehende Gewalt eines bestimmten Theiles der Regierung nur einzelnen Persönlichkeiten vom Staatsoberhaupt übertragen werde. Ob diese oberste Staatsbehörde Minister heißt oder nicht, ist natürlich ganz gleichgültig. Nothwendig ist aber und durch das Princip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ge- fordert, daß die vom Staatsoberhaupt getroffene Organisation so ein- gerichtet sei, daß sie die persönliche Verantwortlichkeit der Voll- ziehung gegenüber der Gesetzgebung möglich mache . Dieses einfache, und in allen Verfassungen anerkannte Princip wird nun zum Recht durch zwei Grundsätze, welche als Rechtsgrund der Verpflichtung des Staatsoberhaupts, Ministerien zu bilden, betrachtet werden kann; ent- weder durch die Aufnahme der einzelnen Ministerien in die Verfassung, oder durch den ausdrücklichen Satz, daß die Akte der vollziehenden Gewalt durch Minister unterzeichnet sein müssen. Eine Verpflichtung des Staatsoberhaupts, bestimmte Ministerien zu haben, kann streng genommen nur da anerkannt werden, wo sie ausdrücklich im Wege eines Gesetzes aufgestellt werden, was nur selten geschehen ist. Aber selbst aus dieser Verpflichtung geht eigentlich nicht die zweite hervor, jedes Ministerium unbedingt mit einer einzelnen Person zu besetzen. Es liegt im Organisationsrecht des Staatsoberhaupts, sowohl mehrere Ministerien durch Eine Person, als ein Ministerium durch einen Stell- vertreter verwalten zu lassen. So weit nicht das Princip der poli- tischen Verantwortlichkeit durch solche Beschlüsse des Staatsoberhaupts beeinträchtigt wird, kann auch eine verfassungsmäßige Bestimmung über die Ministerien dieselben nicht beschränken, da die administrative Verant- wortlichkeit überhaupt nicht dadurch aufgehoben wird. Auf derselben Grundlage beruht dann das zweite Princip für die innere Organisation der Ministerien. Es ist kein Zweifel, daß die- selbe grundsätzlich dem freien Beschlusse des Staatsoberhaupts unterliegt. Allein da diese innere Organisation endlich die vollziehende Thätigkeit des Ministers zur Verwirklichung bringt und mithin mit der Verant- wortlichkeit derselben auf das Engste zusammenhängt, zum Theil die letztere geradezu bedingt, so folgt, daß die Ministerien das Recht einer zwar formell sehr unmächtigen, materiell aber entscheidenden Einwirkung auf den Souverän haben müssen, indem sie demselben sowohl die Organisation selbst, als auch die Personen, vorschlagen . Es wird nun sehr schwer für einen Souverän sein, einem solchen Vorschlage sich zu entziehen, da die Ordnungen und Ernennungen außerhalb oder gar gegen die Minister dieselben natürlich von jeder Verantwortlichkeit be- freien. Die untern Organe kann der Minister natürlich im Namen des Staatsoberhaupts selbst besetzen. Auf diese Weise enthält das Princip der verfassungsmäßigen Ver- waltung die Organisationsgewalt zwischen König und Verfassung inner- halb des Staatsorganismus; eine andere Gestalt empfängt es für die Selbstverwaltung. Das Recht des Königthums in Beziehung auf die Ministerialorganisation ist, wie alle großen Bestimmungen des öffentlichen Rechts, wesentlich verschieden bei den drei Kulturvölkern. In England ist die Verantwortlichkeit praktisch eine Abhängigkeit des Ministeriums von der Partei, und daher hat das König- thum kein Recht, Ministerien einseitig zu creiren, noch weniger sie innerlich zu organisiren. Sie entwickeln sich von selbst aus dem Privy Council (Gneist I. §. 46. 47. und unten). In Frankreich war das Recht des Königs, ganz nach Belieben Ministerien zu schaffen, bis zur Revolution unbezweifelt. Erst der durchgreifende Grundsatz der Verantwortlichkeit erzeugte den zweiten, daß auch die Zahl und Eintheilung der Ministerien durch Gesetze bestimmt werden müsse. Die erste gesetzliche Organisirung der Ministerien geschah durch das Gesetz vom 25. Mai 1791; das Princip erhielt sich bis unter Napoleon; mit ihm verschwindet das Recht der Volksvertretung, die Ministerien zu organisiren, und fällt an das Königthum zurück; nur die Nothwendigkeit der Minister selbst bleibt als Voraussetzung der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit bestehen, und so ist es noch gegenwärtig. — In Deutschland ist es sehr verschieden. Einige Staaten haben die Ministerien ausdrücklich in die Verfassung auf- genommen, namentlich Bayern Thl. V. §. 1, Königreich Sachsen §. 41, Württemberg Kap. IV. §. 54, Kurhessen 1831, §. 106. Die meisten setzen das Dasein von Ministerien stillschweigend voraus, und es kann nicht bezweifelt werden, daß der Grundsatz: „der König habe alle Anstalten zur Ausführung der Gesetze zu treffen,“ oder ähnliche Ausdrücke, dem Staats- oberhaupt die volle Freiheit in der Ministerialorganisation gibt. Bayern ist mit seiner Verfassung, sowie mit seinem wirklichen Staatsleben dabei ein Muster. Wir finden die oben ausgesprochenen Gedanken in spezieller Anwendung auf Bayern sehr klar und erschöpfend dargestellt bei Pötzl Bayerisches Verfassungs- recht §. 175, Bayerisches Verwaltungsrecht §. 9 ff. Es ist auch unpraktisch, die Organisation der Ministerien durch Gesetze festzustellen; in der Bewilligung des Verwaltungsbüdgets liegt an sich schon das richtige Maß des Einflusses der Gesetzgebung auf das Gebiet der vollziehenden Gewalt. 2) Das Organisationsrecht in der Selbstverwaltung . Auch die Ordnung des Organisationsrechtes in der Selbstverwaltung hat zur Voraussetzung ihres richtigen Verständnisses im Grunde schon den Ueberblick dieses Organismus selbst, und die Darstellung des Princips wird daher erst in dem zweiten Theil ihre vollständige Erfüllung erhalten. Dennoch ist die Grundlage schon hier aufzustellen. Wir gehen nämlich davon aus, daß die Selbstverwaltung, wie es schon in ihrem Namen liegt, einen Theil der Verwaltung, und ihre Thätigkeit damit einen Theil der vollziehenden Gewalt bildet. Es folgt daraus von diesem Standpunkt, daß die Organisation der Selbstver- waltung als ein Recht des Staatsoberhauptes erscheint, wie die gesammte übrige Organisation. Andererseits schließt der Begriff der Selbstverwal- tung eine solche Organisation von Seiten der höchsten Staatsgewalt wieder aus. Wie die Selbstverwaltung an sich, ihrem eigensten Begriff nach, nicht durch die einheitliche Gewalt des Staats erzeugt wird, son- dern auf Grundlage der freien Individualität als ein Organismus des Staats entsteht, so muß sie sich auch selbst ihre Organe und die Ordnung ihrer Thätigkeit setzen. Auf diese Weise treten für das Or- ganisationsrecht der Selbstverwaltung zwei Principien einander gegen- über, und die feste und klare Bestimmung des Verhältnisses beider zu einander wird dadurch zu einer der wesentlichsten Bestimmungen des öffentlichen Rechtes. Offenbar nun kann dieß erst genau und einigermaßen erschöpfend erst dann dargelegt werden, wenn wir den Organismus und die Haupt- formen der Selbstverwaltung selbst darstellen. Allein die Grundlage dieser Ordnung, das entscheidende Princip für das Verhältniß zwischen der Organisationsgewalt des Staatsoberhaupts gegenüber der Selbst- verwaltung bildet dennoch einen so wesentlichen Inhalt des Regierungs- rechts, daß wir sie hier schon aufnehmen müssen. Auch in diesem Gebiete zeigt sich nun der große und gleichartige Gang der historischen Entwicklung Europas, der über diese Frage wie über alle andern zuletzt die Grundlage der Staatsrechtsbildung abgegeben hat. Wir werden ihn am besten in seinen Hauptepochen charakterisiren. In der ersten Epoche ist nicht bloß das Recht der Organisirung in allen Formen der Selbstverwaltung, Land-, Gemeinde- und Körper- schaft, unzweifelhaft, sondern das Königthum macht gar keinen un- mittelbaren Anspruch, in dieselbe hineinzugreifen, so wenig wie die feu- dale Vertretung des Volkes auf die Organisirung der eigentlich könig- lichen Verwaltung einen Einfluß nimmt. Es sind eben zwei staatliche, ganz selbständig neben einander stehende Gebiete der Verwaltung, die nur in der Person des Königs und der unbestimmten Idee des Staats zusammenhängen. Der Organismus der Selbstverwaltung bildet sich auf dem Boden der gegebenen gesellschaftlichen Zustände, der Organis- mus des Königthums auf dem Boden des selbständigen staatlichen Be- dürfnisses. Das Recht auf völlige Selbständigkeit in der beiderseitigen Organisirung erscheint als unantastbar; es sind zwei gleichberechtigt funktionirende Körper. In der zweiten Epoche dagegen beginnt das Königthum seinen Kampf mit dieser Selbständigkeit. Dieser Kampf erstreckt sich nun eigent- lich nirgends direkt auf die Organisation der selbständigen Verwaltungs- körper, sondern nur auf ihre Thätigkeit. Allein schon in dieser Epoche gelingt es dem Königthum, das Recht der Bestätigung für die ganze Ordnung dieser Körper wenigstens zum Theil zu gewinnen, die dann unter der Form von Privilegien erscheint, der Regel nach jedoch die historische Organisation bestehen läßt. Die Theilnahme der höchsten Staatsgewalt erscheint in dieser Epoche vielmehr in dem Auftreten neuer königlicher Organe, der Landschafts- und Gemeindebeamteten, und so entsteht ein Zustand, in welchem die natürliche Selbständigkeit der Orga- nisation der Selbstverwaltung als eine freie Bewilligung von Seiten der Staatsgewalt erscheint, ohne daß eine objektiv gültige Gränze für dasjenige bestünde, wozu die letztere berechtigt ist, wozu nicht. Diese Unbestimmtheit ist allerdings nicht bloß für die Organisation vorhanden; sie erstreckt sich über das ganze Leben der Selbstverwaltung und beruht, wie wir schon gesagt, auf der allgemeinen Verschmelzung der Gewalten im Staat, in welcher damit der Begriff des Gesetzes in dem der Ver- ordnung unterging. Dadurch wurde formell die persönliche Staats- gewalt wirklich zur allein berechtigten Gewalt auch für die Organisation der Selbstverwaltung, und übte sie im Grunde nur darum nicht aus, weil überhaupt die Selbstverwaltung fast keine Bedeutung mehr hatte. In diesem Zustande lag der Widerspruch, der überhaupt jede vollständige Vernichtung der Selbständigkeit und Selbstthätigkeit des Besondern gegenüber der Einheit des Staats begleitet. Die Verschmelzung der Gesetzgebung und Vollziehung in dem individuellen Willen des Königs hatte das staatsbürgerliche Recht vernichtet; der Uebergang der Zuständigkeiten in allen Gebieten der Verwaltung von den Organen der Selbstverwaltungskörper auf die Organe der centralen Staatsgewalt vernichtete die Bildungen des historischen Rechts. Die Neugestaltung der Staatsidee mußte in beiden Gebieten zu neuen Rechtsordnungen führen. Diese Neugestaltung erscheint in der dritten Epoche für das ge- sammte öffentliche Recht mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Ge- sellschaftsordnung. Die Form, in welcher sie sich in der Gesetzgebung vollzieht, ist bekanntlich die Herstellung des selbständigen Organes für die Gesetzgebung, das wir die Volksvertretung nennen. In dem Ge- biete der Organisation stellt sich das Element des selbständigen öffent- lichen Rechts dadurch her, daß die neue Gesetzgebung den Antheil, den die Selbstverwaltung an der Vollziehung der Gesetze haben soll, grund- sätzlich anerkennt, und diesen Antheil zum Gegenstande einer selbstän- digen, denselben genau und im Sinne der staatsbürgerlichen Gesellschaft ordnenden Gesetzgebung macht. Diese Gesetze über die Organisation der örtlich vollziehenden Gewalt der Selbstverwaltungskörper und ihre Zuständigkeiten nach allen Theilen ihrer öffentlichen Aufgaben sind eben die Landschafts - und Gemeindeordnungen . Es leuchtet daher ein, daß die Landschafts- und Gemeindeordnun- gen nicht ihrem Begriffe nach einen Theil der eigentlichen Ver- fassung , d. i. desjenigen Organismus, der den Willen des Staats zum Gesetze macht, bilden; denn weder die Landschaften noch die Ge- meinden können Gesetze machen. Allein die hohe Wichtigkeit der Selbst- verwaltung hat dennoch auch den gesetzlichen Organisationen jener Körper eine Stellung gegeben, nach welcher dieselbe als ein verfassungsmäßiges Recht erscheinen; theils indem eigene, sehr genaue Gesetze darüber er- lassen werden, theils indem man die Grundsätze derselben unmittelbar in die Verfassung aufnahm. Dadurch nun entstand ein zweites Gebiet, welches auch in Beziehung auf den Organismus der selbstherrlichen Be- stimmung der höchsten Staatsgewalt entzogen ward; es ist das Gebiet der verfassungsmäßigen Organisation und der Competenzen der Selbst- verwaltung. An diese Grundsätze nun mußte sich natürlich die Frage anschließen, wie weit denn nun das Recht dieser Körper gegenüber der einheitlichen Staatsgewalt gehe. Es ist nicht möglich, dieß zu erörtern, ohne die Organisation jener Körper selbständig darzulegen. Es darf daher hier als Uebergang nur bemerkt werden, daß das Princip des organischen Verhaltens hier ein negatives ist. Die höchste Staatsgewalt soll nur hindern , daß etwas Gesetzliches unterbleibe oder etwas Ungesetz- liches geschehe. Die Formen, in welchen dieß Princip ausgeübt wird, sind, wie wir später sehen werden, die Genehmigung und die Ober- aufsicht . Sie sind es, welche die Selbständigkeit des verfassungs- mäßigen Organismus der Selbstverwaltungskörper mit der Nothwendig- keit der Uebereinstimmung ihrer verwaltenden Thätigkeit mit dem ganzen Staate in Harmonie bringen, und bilden daher die zwei großen ver- fassungsmäßigen Grundlagen für das organische Verhalten der Staats- und der Selbstverwaltung. Ihre weitere Darstellung muß sich an die Darstellung der Selbstverwaltung überhaupt anschließen. Siehe unten die Landschaft , das Gemeindewesen und die Körper- schaften . Es sei hier nur bemerkt, daß der Gedanke, die Gemeindeordnungen in die Verfassung selbst aufzunehmen, ein französischer ist, und daß die deutschen Verfassungen eben daher, wie das immer erscheint, wo ein französischer Gedanke in das deutsche Leben verwebt ward, sie nicht einig darüber werden konnten, ob sie dieselben als „Theil der Verfassung“ betrachten sollen, oder nicht. Hier ist daher die größte Verschiedenheit. In einigen ist die Gesetzgebung über die Selbstverwaltung gar nicht berührt, sondern nur die Volksvertretung; in einigen ist sie kurz berührt, z. B. Braunschweig Kap. III, Hannover Kap. IV, Württemberg Kap. V, Kurhessen §. 102; in andern ist sie sehr weitläufig behandelt; iu noch andern ist sie beinahe die Verfassung selbst, wie in der alten Oldenburger von 1831. Erst die neueste Zeit ist im Begriff, hier zum Ab- schluß zu gelangen. II. Das Competenzrecht . 1) Begriff der Competenz . Aus der Organisationsgewalt in ihrer Thätigkeit entsteht nun ein zweiter Begriff und mit ihm ein zweites Rechtsverhältniß, das eigent- lich die praktische Seite des Organisationsrechts enthält. Das ist die Competenz oder Zuständigkeit . Wir sind gezwungen, auch diesen Begriff und sei Recht genauer zu bestimmen, als dieß gewöhnlich geschieht, um ihn über die ganze voll- ziehende Gewalt auszudehnen, während die einseitig juristische Bildung in Deutschland sie fast immer nur bei der Verwaltung des Rechts an- wendet. Zu dem Ende muß man Inhalt und Umfang der Com- petenz wohl unterscheiden. Die Competenz entsteht, indem die höchste Staatsgewalt in einem bestimmten Lebensverhältniß sich und ihre Aufgaben durch ein bestimm- tes Organ vertreten läßt. Sie enthält daher dasjenige Maß der Stein , die Verwaltungslehre. I. 11 allgemeinen Regierungsgewalt , welches für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe nothwendig ist. Da nun diese Regierungsgewalt wieder die verordnende, organisirende und polizeiliche Gewalt enthält, so besteht der Inhalt der Competenz in demjenigen Antheil an jenen drei Gewalten, welcher jedem einzelnen Organe durch die staatliche Organi- sationsgewalt zugewiesen ist. Man muß daher als allgemeinsten Grund- satz der Competenz setzen, daß jedes Organ stets alle drei Gewalten bis zu einem gewissen Maße in sich vereinigt. Es gibt weder eine ausschließende Competenz nur für Entscheidungen, Organisirungen oder Exekutionen, sondern in jedem Organe sind alle Momente vorhanden: ja es kann gar kein Organ gedacht werden ohne dieselben; denn jedes Or- gan ist am Ende das Ganze innerhalb eines beschränkten Kreises. Und das Maß jener drei Gewalten, welches dem einzelnen Organ auf diese Weise zusteht, ist der Inhalt der Competenz. Der Umfang der Competenz dagegen entsteht, indem das einzelne Lebensverhältniß objektiv bestimmt wird, für welches das Organ mit jenen drei Gewalten nie thätig sein soll. Während daher der Inhalt die Gränze der letztern gegenüber der allgemeinen Regierungsgewalt feststellt, setzt der Umfang diese Gränze für die wirklichen Dinge. Diese letztere kann nun wieder eine theils sachliche , theils örtliche sein. Es können dabei innerhalb derselben örtlichen Gränze viele sach- liche Competenzen zugleich gültig sein; die örtlichen Competenzen dagegen schließen sich nothwendig aus. Daher aber entsteht, wie die Lehre vom Organismus weiter zeigen wird, ein neuer Begriff durch die Momente des Allgemeinen und des Besondern auch für die Competenzen, indem auch hier das erste das zweite sich unterordnet; diese Unterordnung er- scheint dann als die Hierarchie der Competenzen oder der Organe, denen dieselbe zusteht. Auf diese Weise ist die Gesammtheit der einzelnen Competenzen die wirkliche Gestalt des Organismus der Regierung. Und diese letztere nun, obwohl sie im Wesen der vollziehenden Gewalt liegt, und das Princip der verfassungsmäßigen Verwaltung das zweite Princip erzeugt, daß die vollziehende Gewalt allein Inhalt und Umfang der Competenzen zu bestimmen hat, da sie die Träger ihrer concreten Thätigkeit sind, wird nun dadurch zu einem Gegenstande der Wissenschaft, daß die wirk- liche Competenz und mithin der wirkliche Organismus seinerseits be- dingt erscheint durch die Natur der Aufgaben, für welche er wirken soll. In dem Systeme der Organe finden wir daher das organische System des Gesammtlebens, in dem Systeme der einzelnen Competenzen die concrete Gestalt seiner einzelnen Aufgaben wieder, und die Defini- tion eines Gebietes der Verwaltungslehre ist daher die eigentlich allein richtige Bestimmung der Competenz des, für dieses Gebiet gültigen Organes . Von diesem Standpunkt aus kann nun allerdings die Lehre von der Competenz Ausgang und Schlußpunkt der Betrachtung des concreten Staatslebens werden. Es ist klar, daß zunächst die wirkliche Geschichte des Organismus der Regierung im Einzelnen innerlich dadurch verbun- den ist mit der Geschichte des gesammten Staatslebens, und in diesem Sinne werden wir darauf zurückkommen. Allein an den Begriff der Competenz an sich schließt sich nun zunächst der Begriff des Compe- tenzrechts , der dem folgenden zum Grunde liegt. 2) Das Competenzrecht und der Competenzproceß . Der Begriff des Competen zrechts entsteht nämlich, indem die Organisation eben vermöge jener Competenz jedes einzelne Organ dem andern gegenüber als ein selbständiges hinstellt. Diese Selbständigkeit der Competenz ist nun eine doppelte. Sie ist zuerst eine Pflicht, die Aufgaben, die in der Competenz liegen, zu lösen; eine Pflicht, deren Er- füllung zugleich die Verantwortlichkeit möglich macht. Sie ist aber zweitens ein Recht; sie schließt die Zuständigkeit der andern Organe aus; sie muß sie ausschließen, weil durch diese Ausschließung erst das einzelne Organ eine rechtliche Haftung für die gesetzliche Vollziehung des Willens, sowohl der gesetzgebenden als der vollziehenden Gewalt für das competente Organ denkbar ist. Das Recht der Competenz erscheint daher von diesem Standpunkt als ein doppeltes; erstlich als eine natür- liche Consequenz der Aufgabe des Organes, zweitens aber als die Be- dingung der Verantwortlichkeit der Vollziehung und ihrer Thätigkeit im Einzelnen gegenüber der Gesetzgebung. Auf diesem Grunde beruht nun der Satz, den wir als das Gesetz für die Entwicklung der Organisation und speziell für die Bestimmung des Competenzrechts der einzelnen Organe aufstellen können: die Aus- bildung der Organisation und die scharfe Bestimmung des Competenz- rechts halten stets gleichen Schritt mit der Verantwortlichkeit der voll- ziehenden Gewalt gegenüber der Gesetzgebung; die Verantwortlichkeit selbst wird ihrerseits illusorisch, wenn dieß Competenzrecht nicht feststeht. Die Folge dieses allgemeinen Gesetzes ist es nun, daß mit dem Auftreten der Verfassung überhaupt die Gesetzgebung beginnt, die Competenzen festzustellen, und daß andererseits die organisatorischen Ver- ordnungen, indem sie zwar formell nur unter dem Verordnungsrecht stehen, dennoch materiell den Charakter von Gesetzen annehmen. Der ganze Organismus erscheint dadurch als eine Gesammtheit von Rechts- körpern, und die Unverletzlichkeit der Competenz erhält dadurch dieselbe Bedeutung für die verfassungsmäßige Verwaltung, welche die Unver- letzlichkeit des Eigenthums für das Privatleben hat. Und das ist nun der Punkt, auf welchem die verfassungsmäßigen Grundsätze für das Competenzrecht begründet sind. So nothwendig auch die Bestimmung der Competenz im Einzelnen ist, so ist es dennoch unmöglich, für die organisirende Gewalt alle Gränzen jedes Organes genau zu bestimmen. Dennoch ist eine solche Bestimmung, für die beständigen Berührungen mit dem wirklichen Leben nothwendig. Sie muß daher auf einem andern Wege als von oben herab geschehen. Das einzelne Organ muß sich auf Grundlage seiner allgemeinen organischen Aufgabe seine Competenz in den einzelnen Fällen selbst setzen . Ein solches Recht jedes Organes ist nun nicht bloß ein nothwen- diges, sondern es muß auch von jedem Einzelnen anerkannt werden. Der Einzelne hat nicht das Recht, dem betreffenden Organe den Ge- horsam unter der Behauptung zu verweigern, das es nicht competent sei. Das Competenzrecht erscheint gerade hier als ein Analogon des Verordnungsrechts; die Consequenzen sind deßhalb auch hier dieselben. Offenbar nämlich kann das einzelne Organ, indem es in seiner Berührung mit dem Einzelnen sich die Gränze seiner Consequenz selbst setzt und sich Gehorsam erzwingt, sich irren . Es muß daher auch einen Proceß geben, durch welchen diese Consequenz auf ihre wirkliche, organisch gültige Gränze zurückgeführt wird. Dieser Proceß muß, in- dem er bei jedem Organ beständig eintreten kann, ein allgemein gül- tiger und gleichartiger sein. Und indem er es somit ist, welcher den Einzelnen gegen die unorganische Thätigkeit der einzelnen Organe schützt, so bildet er eben einen wesentlichen Theil des verfassungsmäßigen Ver- waltungsrechts. Dieser Begriff des Competenzrechts hat nun zwei Grundformen, die man zu unterscheiden hat, um das vielfach bestrittene Gebiet der hierher gehörigen Fragen übersehen zu können. Es ist offenbar, daß die Competenz des einzelnen Organes, die es sich selber im einzelnen Falle zuschreibt, nichts anderes ist, als eine Verfügung desselben über seine Zuständigkeit. So lange nun der Begriff und das Recht des Gesetzes nicht feststehen, und mithin die gesetzgebende und verordnende Gewalt noch identisch sind, ist auch eine solche bloß verordnungsmäßige Compe- tenz jedes Organes eine gesetzliche, und der Zweifel über dieselbe im einzelnen Falle kann niemals durch Herbeiziehung eines Gesetzes, son- dern nur durch den verordnungsmäßigen Willen der zugleich gesetzgeben- den und vollziehenden Gewalt gelöst werden. Erst dann, wenn die erstere von der letztern geschieden ist, kann auch die Frage entstehen, in welchem Verhältniß die Beilegung der Competenz von Seiten des ein- zelnen Organes — etwas, wozu wie gesagt jedes Organ beständig gegenüber dem Einzelnen das Recht haben muß — entweder zu der als Verordnung erscheinenden organisirenden Gewalt der Regierung, oder zu dem im Gesetze erscheinenden Gesammtwillen des Staats steht. Ohne allen Zweifel sind nun das, wie es wohl hier schon aus dem Früheren hervorgeht, zwei sehr wesentlich verschiedene Fälle, und er- zeugen daher auch wesentlich verschiedene Grundsätze. Und indem wir daher den aus dem Zweifel an der Competenz des einzelnen Organes entstehenden Streit im Allgemeinen den Competenzproceß nennen, würden wir sagen, daß der Competenzstreit die Art dieses Processes enthält, der sich auf die verordnungsmäßige Competenz des Organes bezieht, während der Competenzconflikt diejenige Art bedeutet, die auf dem Verhältniß der Competenz zum gesetzlichen Rechte beruht. Diese Unterscheidung ist einfach; aber sie hat wie gesagt zur Vor- aussetzung, daß überhaupt Gesetz und Verordnung klar und bestimmt geschieden sind, und daß daher auch hier der Begriff des verfassungs- mäßigen Rechts feststehe. Es wird nun, da dieß in Deutschland, wie wir oben gesehen, keineswegs der Fall ist, damit auch die große Verwirrung sich erklären, welche in Deutschland in dieser Beziehung existirt. Wir haben zu versuchen, dieselbe zugleich historisch zu begründen und aufzulösen. Fast in allen deutschen Ländern ist wohl der Grundsatz angenommen, daß bei einem eigentlichen Competenzstreit, bei welchem es sich um die gegenseitige Competenz der obersten Verwaltungsstellen handelt, erst eine gegenseitige Rück- sprache des Chefs dieser Stellen stattfindet, und erst nach dem vergeblichen Versuch derselben, sich zu einigen, die Sache entweder im Staatsrathe , wie es nach der Verordnung vom 27. October 1810 in Preußen der Fall war, oder im Gesammtministerium , wie es dort seit der Verordnung vom 3. November 1817 gilt, zur Entscheidung gelangt. Rönne II. §. 225. Ebenso in Bayern , Instruktion von 1825; Pötzl , Verfassungsrecht §. 52. Das Gesetz vom 28. Mai 1850 bezieht sich auf das, was wir als Competenz- conflikt begreifen (siehe unten). Das obige Princip ist offenbar nichts als die Anwendung der französischen Principien über den Conseil d’État, allerdings nur innerhalb dieser bestimmten Frage. Das Recht des Ministeriums, die Competenzstreitigkeiten zwischen den ihm untergeordneten Behörden zu ent- scheiden, ist der einfache Ausfluß der ministeriellen Organisationsgewalt ( Pötzl Bayerisches Verfassungsrecht §. 19). a ) Begriff, Inhalt und Recht des Competenzstreites . Der Begriff des Competenzstreites geht nun, wie erwähnt, davon aus, daß jede Competenz zunächst als ein Akt der vollziehenden Gewalt erscheint, und daß daher jedes Organ, welches sich im bestimm- ten Falle eine bestimmte Competenz beilegt und im Namen derselben einen Gehorsam erzwingt, damit eine organisatorische Verfügung heißt. Eine solche Verfügung hat nun immer zur Voraussetzung eine allgemeinere Verordnung der höhern organisirenden Organe, im letzten Falle des Staatsoberhaupts als persönlichen Inhabers der Or- ganisationsgewalt. Daraus folgt, daß, so weit diese höchste Organi- sationsgewalt nicht durch Gesetze beschränkt ist, für das Recht auf die Feststellung der Competenz auch nur das Verordnungsrecht eintreten und gültig sein kann. Und die Gesammtheit aller derjenigen Fälle, in welchen das Recht eines Organes auf die von ihm selbst gesetzte Com- petenz auf diese Weise auf den organisatorischen Willen der höchsten Staatsgewalt zurückgeführt wird, fassen wir als den Competenzstreit zusammen. Die Grundlage jedes Competenzstreites schließt daher principiell die Frage aus, ob die fragliche Competenz mit irgend einem Gesetze in Widerspruch stehe. Sie besteht immer nur in dem Zweifel, ob der Wille des einzelnen Organes, welches sich eine bestimmte Competenz beigelegt hat, übereinstimmt mit dem Willen des höhern Organes, welches das Recht hatte, demselben nach seinem Ermessen, kraft seiner organisatorischen Verordnungsgewalt, diese Competenz auch wirklich bei- zulegen oder nicht. Und das Verfahren , welches sich daher ergibt, wo ein Widerspruch in der aufgestellten Competenz mit einem Gesetze weder vorhanden ist noch behauptet wird, ist daher auch kein anderes, als das, welches bei jedem Zweifel über das Verhältniß einer einzelnen Verfügung zu einer Verordnung eintritt. Oder, es kann in diesem Falle gar kein Klagrecht eintreten, sondern der Competenzstreit kann nur im Wege der Beschwerde erhoben und gelöst werden. Damit ist zunächst das Fundament dieser Beschwerde, oder der Erhebung des Competenzstreites gegeben. Dasselbe muß die Behauptung — wo möglich natürlich die nachgewiesene — enthalten, daß die Gränze der Competenz, welche das einzelne Organ in dem einzelnen Falle sich selbst gesetzt hat, mit dem Willen und der Absicht der Organisations- gewalt in Widerspruch stehe, oder daß dem einzelnen Organe das Recht auf die bezweifelte Competenz vermöge der geltenden Organisation der Behörden nicht zustehe . Kann sich der Beschwerdeführer dabei auf ausdrückliche, die Competenz enthaltende Verordnungen berufen, so ist es desto besser; nothwendig ist das hier so wenig, wie bei jeder andern Beschwerde, und zwar aus den Gründen, die im Folgenden liegen. Da nämlich die verordnende Gewalt das unzweifelhafte Recht hat, ihren Willen jeden Augenblick frei zu bestimmen, so weit er nicht in Widerspruch mit dem Gesetze steht, so gibt der Nachweis, daß die an- genommene Competenz mit einer Verordnung wirklich im Widerspruch stehe, noch der Partei keineswegs ein formelles Recht darauf, daß die höhere Gewalt auch in dem gegebenen Falle ihre Verordnung für ihren eignen Beschluß als objektiv gültig anerkenne . Sie hat im Gegen- theil gewiß die volle Freiheit, selbst gegen ihre allgemeine Verordnung im einzelnen Falle zu entscheiden und der Competenz des Organes auch dann die geltende Kraft zu verleihen, wenn sie mit ihren allgemeinen Beschlüssen in Widerspruch tritt. Die tiefern Gründe dieses Rechts liegen in dem Wesen der lebendigen Vollziehung selbst. Erscheint diese völlige Freiheit der Bewegung als bedenklich für den öffentlichen Rechts- zustand, so ist es Sache der Gesetzgebung, hier eben gesetzliche Compe- tenzen aufzustellen. So lange das nicht geschehen ist, ist ein objektives Recht des Einzelnen auf eine Competenz nicht denkbar; die Regierung ist vollkommen frei, auch die größte Ueberschreitung der Competenz anzuerkennen. Die Anwendung eines Klagerechts ist hier gänzlich ausgeschlossen. Nur in dem Falle kann eine solche Freiheit nicht anerkannt werden, wenn ein bürgerliches Rechtsverhältniß in Folge einer bestehenden Competenz erzeugt ist. Alsdann kann die Negierung nachträglich nicht erklären, daß dasselbe ungültig sei, da die Competenz zugleich das Mandat für die Abschließung des bürgerlichen Rechtsverhältnisses ent- hält, und dieß durch Aenderung der Competenz nicht nachträglich geändert werden kann. Eben so wenig wird ein bürgerlicher Rechtsakt, der mit Ueberschreitung der bestehenden Competenz eingegangen ward, durch nachträgliche Anerkennung dieser Ueberschreitung ohne Zustimmung — ausdrückliche oder stillschweigende — des Contrahenten ohne weiteres gültig. Hier tritt eben darum das Klagrecht statt des Beschwerderechts ein, weil es sich um das Verhalten der Competenz zu einem Gesetze — dem bürgerlichen — handelt. (Ueber das französische Recht s. unten.) Es folgt aus diesen Grundsätzen, daß ein Competenzstreit im weitern oder uneigentlichen Sinne auch da erhoben ist, wo die Partei zwar nicht eine Ueberschreitung der verordnungsmäßen Competenz behauptet, oder um die Aenderung der letztern im Gesuchswege bittet. Das Verfahren ist dabei natürlich das gleiche. Dieß Verfahren liegt nun offenbar im Wesen des Competenz- streites selbst so tief begründet, daß es sich von selbst ergibt, und höchst einfach erscheint. Die Grundsätze sind folgende. a ) Kein Organ kann über seine eigene Competenz entscheiden. Es muß daher die Beschwerde oder das Gesuch stets bei der höhern Stelle angebracht werden. Es ist durchaus kein Grund, in dieser Beziehung irgend welche Abweichung von den Grundsätzen des Verfahrens bei dem allgemeinen Beschwerderecht anzunehmen. b ) Keine Beschwerde wegen Competenzstreites kann Suspensiveffekt haben; derselbe tritt nicht einmal im Competenzconflikt ein, wo es sich um Gehorsam und nicht um bürgerliches Recht handelt. c ) Jede solche Beschwerde muß bei der höhern Behörde desselben Organismus angebracht werden; denn diese ist die organisirende Gewalt für die niedere. Gegen den Entscheid kann dann wieder Rekurs ergriffen werden bei der höchsten Behörde. Es ist klar, daß eine Beschwerde bei einem andern Ministerium ebenso wohl wie eine Entscheidung des letztern ipso jure ungültig wäre. d ) Der Competenzstreit kann jedoch nicht bloß von den einzelnen Privaten, sondern er kann auch von Seiten der Behörde gegen die Be- hörde erhoben werden. In diesem Falle tritt ein anderes Vorverfahren ein. Die untere Behörde kann nicht unmittelbar den Competenzstreit gegen die des andern Verwaltungszweiges erheben, weil sie selbst ja kein objektives Recht auf ihre eigene Competenz hat. Sie muß daher die vermeintliche Verletzung ihrer Competenz bei ihrer eigenen höheren Behörde anzeigen , und es dieser überlassen, die weitern Schritte zu thun. Zweckmäßig wäre die Verpflichtung für dieselbe, auch der andern, entgegenstehenden Behörde diesen Schritt mit seiner Begründung mit- zutheilen; da die letztere diese Mittheilung ihrerseits anzuzeigen hätte, würde viel Zeit erspart werden. Nimmt die höhere Behörde den Zweifel auf, so entsteht das Ver- fahren vor dem Competenzgerichtshof (s. unten). e ) Die Beschwerde des Einzelnen kann nur bei der höhern Behörde entweder auf Grundlage der Thatsache geschehen, daß die vermeintlich nicht competente Behörde den betreffenden Verwaltungsakt wirklich vor- genommen hat, oder auf Grundlage der Thatsache, daß die ver- meintlich wirklich competente Behörde den betreffenden Verwaltungsakt nicht vornehmen will. In beiden Fällen entsteht der Competenzstreit; wir pflegen den ersten mit französischem Namen den positiven , den zweiten den negativen Competenzstreit zu nennen. In Verfahren und Recht macht beides keinen Unterschied. Beide Arten des Competenz- streites, der negative sowohl als der positive, können ebenso wohl von Behörde gegen Behörde, als von Privaten gegen Behörde erhoben werden. f ) So lange die Behörden, über deren Competenz ein Streit ent- steht, demselben Ministerium oder derselben höchsten Behörde angehören, hat natürlich diese höchste Behörde einseitig zu entscheiden. So wie aber die Behauptung aufgestellt wird, daß der fragliche Verwaltungsakt von einem andern Zweige des Verwaltungsorganismus hätte ausgehen sollen, kann natürlich das betreffende Ministerium nicht mehr selbst entscheiden. Hier entsteht daher ein neues Verfahren und ein neues entscheidendes Organ. Dieß Verfahren beruht darauf, daß die Competenzbeschwerde als- dann bei beiden Behörden eingegeben werden muß. Bei der bestritte- nen wird sie die Opposition gegen die Competenz enthalten, bei der an- gerufenen die Bitte, den Gegenstand für ihre Competenz vindiciren zu wollen. Gegen die Entscheidung beider ist selbst dann, wenn sie übereinstimmen, ein Recurs zulässig. Das Organ aber, welches zu entscheiden hat, wenn sich die beiden höchsten Stellen nicht vereinigen, muß nun offenbar ein solches sein, welches hier nicht etwa gerichtlich verfährt, sondern welches im Auftrage der höchsten organisirenden Gewalt die fragliche Competenz im Ver- ordnungswege bestimmt. Diese höchste organisirende Gewalt ist nun das Staatsoberhaupt. Es ist daher vollkommen richtig, daß demselben eine solche Entscheidung in jeder Verfassung beigelegt wird. Es muß ferner dem Willen des Staatsoberhaupts ganz überlassen sein, in welcher Form er diese Entscheidung treffen will, so lange kein Gesetz über dem Competenzstreit vorhanden ist. Es ist aber zweckmäßig, daß dafür ein eigenes Organ aufgestellt werde. Und hier nun hat die Uebertragung der französischen Idee des Competenzconfliktes und seine Verschmelzung mit dem Competenzstreit in den deutschen Verfassungen den Grundsatz erzeugt, daß man dieß höchste Organ zum Theil aus gerichtlichen Beamteten besetzen müsse, während, wie wir sehen werden, der wahre Begriff des Competenzconflikts dieß als durchaus überflüssig erscheinen läßt. Das natürliche Organ ist daher dasselbe, welches überhaupt als das berathende Organ für die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts auftritt, der Staatsrath; denn die Entscheidung über den Competenz- streit ist eine Verordnung und kein Richterspruch. Die Schwierigkeit, die bestehenden deutschen Gesetze auf die obigen Begriffe zurückzuführen, besteht aber nicht in den Gesetzen, sondern eben, wie schon gesagt, in der Unklarheit über den durchgreifenden Unterschied von Competenzstreit und Competenzconflikt. Und zu diesem müssen wir daher jetzt zuerst über- gehen. b ) Begriff, Inhalt und Recht des sogen. Competenzconfliktes . Wir müssen nochmals darauf hinweisen, daß wir den Ausdruck „Competenzconflikt“ keineswegs für einen richtigen halten, sondern daß wir die Hoffnung haben, derselbe werde mit der Sache, die er bedeutet, verschwinden. Das kann und wird aber erst dann geschehen, wenn wir den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung durch das gesammte öffentliche Recht durchzuführen, und damit den Begriff und das Wesen der wahren verfassungsmäßigen Verwaltung zur systematischen Geltung zu bringen gelernt haben werden. Bis dahin behalten wir ihn, als das Uebergangsstadium am besten bezeichnend, auch in der Wissen- schaft bei. Während nämlich der Competenzstreit und der Competenzproceß mit der Beschwerde da entsteht, wo die Behauptung aufgestellt wird, daß eine Behörde auf einen Verwaltungsakt kein Competenzrecht habe, weil dem eine organisatorische Verordnung entgegen steht, tritt der Competenzconflikt da ein, wo behauptet wird, daß das von einer Be- hörde in Anspruch genommene Recht auf einen Verwaltungsakt mit einem Gesetze in Widerspruch tritt. Es ist natürlich an sich ganz gleichgültig, welches das betreffende Gesetz ist; es kann sowohl ein organisatorisches Gesetz über die verfassungsmäßige Organisation, als ein anderes sein. Der Unterschied ist jedoch für die Competenz der ent- scheidenden Behörde ein wesentlicher, wie sich sofort unten ergeben wird. So wie dieser Begriff des Competenzconflikts feststeht, so ergibt sich, in Gemäßheit des früher aufgestellten Unterschiedes von Klagrecht und Beschwerderecht, daß während bei dem Competenzstreit nur das Beschwerderecht eintritt, bei dem Competenzconflikt das Beschwerderecht grundsätzlich ausgeschlossen ist, und zwar darum, weil die Organe der vollziehenden Gewalt über den zweifelhaften Inhalt eines Gesetzes überhaupt, und also auch über das Verhältniß der Verordnung zum Gesetze nicht entscheiden kann. Der Competenzconflikt kann daher seinem Wesen nach nur auf dem Wege des Klagrechts , und mithin nur vor dem Gerichte zur Entscheidung gelangen. Das Verfahren, wie die Entscheidung selbst, sind daher bei dem Competenzconflikt wesentlich andere, als bei dem Competenzstreite; man kann sagen, daß jedes ad- ministrative Klagverfahren einen Competenzconflikt, jedes administrative Beschwerdeverfahren einen Competenzstreit enthält. Bei der Einfachheit dieser Grundsätze wird es nun unsere Haupt- aufgabe sein, nachzuweisen, wie es gekommen ist, daß dieselben nicht zur Geltung gelangt, sondern in unsern öffentlichen Rechtszuständen nur noch im Keime vorhanden sind. Der Grund dieser Erscheinung gibt uns zugleich die Gewißheit, daß dieser Keim sich entwickeln und mit der Zeit zur Herrschaft gelangen wird, die ihm gebührt. Offenbar nämlich hat jener Unterschied zur Voraussetzung, daß eben Gesetz und Verordnung selbst strenge und formell geschieden sind. Jeder Mangel an Klarheit über diese Unterscheidung muß sofort im positiven Recht, wie in der Wissenschaft, Competenzstreit und Competenz- conflikt vermischen, wie er Klagrecht und Beschwerderecht vermischt. Und consequent muß daher auch das positive Recht der ersteren seine Erklärung in dem Verhältniß finden, welches positiv für Gesetz und Verordnung in den einzelnen Staaten besteht. Es wird daher hier nothwendig sein, den Inhalt und Charakter des öffentlichen Rechts der großen Culturvölker darzulegen, denn in der That stehen wir auch hier vor der Hauptfrage unseres ganzen staat- lichen Lebens, dem Rechte der verfassungsmäßigen Verwaltung. Wir werden demnach England, Frankreich und Deutschland, jedes für sich darstellen. 1) Der Competenzconflikt in England. Wenn die frühere Darstellung des Klag- und Beschwerderechts in England hinreichend klar geworden ist, so glauben wir, daß das Recht der Competenzconflikte hier als ein sehr einfaches erscheinen dürfte. In England ist der persönliche Staat niemals auf die Dauer dem Rechte des Volkes gegenüber getreten. Es ist vielmehr die Grundlage der ganzen Verwaltung nicht die centrale Aufgabe des Staats, sondern die örtliche der Selbstverwaltung gewesen und geblieben. Es ist daher auch ein Bedürfniß in der Weise, wie auf dem Continent, nie ent- standen, eine scharfe Gränze für die Zuständigkeit des staatlichen Organis- mus gegenüber dem Organismus der Selbstverwaltung zu ziehen. Die Competenz ist daher niemals Gegenstand weder einer eigenen Gesetz- gebung, noch umfassender Verordnungen geworden. Sie erscheint viel- mehr hier von Anfang an als die natürliche Consequenz der Gesetze; jedes Organ hat entweder das bestehende Recht überhaupt, oder das für dasselbe gegebene bestimmte Einzelgesetz auszuführen; das Bedürfniß nach organisatorischen Verordnungen tritt überhaupt nicht ein, sondern die Competenz des einzelnen Organes geht so weit als die Anwen- dung des Gesetzes fordert, auf welches sich dasselbe beruft . Daraus folgt dann der tiefe Unterschied zwischen dem ganzen Compe- tenzrecht Englands und dem des Continents. Es kann für den Ein- zelnen keinen Competenzstreit im obigen Sinn in England geben , und daher auch der Begriff des Competenzconflikts in seiner Unterscheidung vom Competenzstreit gar nicht entstehen, sondern das Verhältniß ist einfach folgendes. Wenn der Einzelne glaubt, daß der Akt der einzelnen Behörde die Competenz derselben überschritten hat, so klagt sie einfach bei dem Gerichte und zwar auf Grundlage der Behauptung, daß die Behörde einen Akt vorgenommen, zu welchem sie durch kein Gesetz berechtigt gewesen. Es ist dann formell Sache der Behörde, durch die Anführung des gesetzlichen oder des gemein gül- tigen Rechts den Beweis zu führen, daß sie wirklich nur ein geltendes Recht vollzogen, das zuständig gewesen sei, und das Gericht ent- scheidet . Es gibt scheinbar kein einfacheres System. Es enthält dasselbe, um die obigen Ausdrücke zu gebrauchen, die völlige Auflösung alles Competenzstreites in Competenzconflikte. Nirgends scheint das verfassungs- mäßige Recht besser gewahrt; eine höhere Garantie als die des Gesetzes und der das Gesetz anwendenden Gerichte kann es scheinbar nicht geben. Vielen erscheint daher das englische System als das Ideal des Compe- tenzrechts. Dennoch ist das nicht der Fall. In der That ist es häufig näm- lich faktisch unmöglich, daß die Gesetzgebung die Competenz der Behör- den in allen Fallen wirklich bestimme. Es liegt, wie wir gesehen, vielmehr im Wesen des Organismus, daß dieß organisch gar nicht geschehen soll; denn die Bestimmung der Zuständigkeit muß gegen- über den wechselnden Lebensverhältnissen eine wechselnde, und die Organisationsgewalt muß daher eine freie sein, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Keine Gesetzgebung vermag dieß Verhältniß zu ändern; es kann zwar durch eine andere Form verdeckt, nicht aber im Wesen geändert werden, und das hat sich auch in England bestätigt. Da nämlich die Funktionen der vollziehenden Organe nicht unter- bleiben können, auch wenn das Gesetz keine Competenz feststellt, so hat das englische öffentliche Recht den Gerichten die Entscheidung über die Com- petenz auch da übergeben müssen, wo es sich nicht mehr um Gesetze, sondern um die administrative Zweckmäßigkeit handelt. Das ist ge- schehen durch die schon früher erwähnte S. Jervis-Akte über das Klag- recht gegen die Friedensrichter. Der Satz, daß „any probable and reasonable cause“ den Friedensrichter für seine Handlungen vor Gericht entlasten soll, enthält das Recht der Gerichte, über die Competenz der Behörden auch da zu entscheiden, wo es sich gar nicht mehr um Gesetze, sondern geradezu um Verordnungen handelt. Die Gerichte haben dadurch die ganz unorganische Stellung, die Funktion der höheren verwaltenden Behörden in der Entscheidung über Competenzstreite zu beurtheilen; die probable and reasonable cause enthalten eben gar nichts anderes als die Gesammtheit der Fälle des Competenzstreits in unserem Sinn, und das Klagrecht gegen den Friedensrichter ist daher ein Be- schwerderecht in der Form des Klagrechts . Eine solche Ver- schmelzung wäre nun selbst nicht möglich, wenn nicht die Quarterly Session selbst wieder aus Friedensrichtern bestände, also aus Behörden, welche eben zugleich Justiz- und Administrativbehörden sind. Eben dadurch ist nun die Sicherung des verfassungsmäßigen Rechts der Ein- zelnen gegenüber der Competenz der Organe zwar formell gewährt; da aber ein förmlicher Proceß sehr viel Geld kostet, und das Gesetz zum Schutze der Friedensrichter die Handlungen derselben und ihre Compe- tenz sehr dehnbar macht, so darf man unbedenklich behaupten, daß materiell das System der Scheidung von Competenzstreit und Conflikt auch für England weit besser sein würde, als sein gegenwärtiges System. Die action of trespass ist die Competenzklage bei Verhaftungen. Das writ of certiorari und das mandamus, insofern sie alle anhängigen Sachen umfassen, beziehen sich daher auch auf diejenigen Competenz- Entscheidungen der Quarterly Sessions, welche unter den Competenzstreit fallen. Die Kings Bench erscheint daher als der Competenzgerichts- hof Englands, obgleich man Begriff und Recht weder für Competenz- streit und Conflikt, noch für Competenzgerichtshof hat; nicht einmal der Name kommt vor. Wir verweisen für die weitere Ausführung theils auf das Obige, theils auf Gneist II. §. 75. Sollen wir demgemäß den Charakter des englischen öffentlichen Rechts auf diesem Punkte bezeichnen, so müssen wir sagen: das Princip der Auflösung aller Beschwerden in die Klage, und aller Competenzstreite in die Competenzconflikte, und damit des Verschwindens des eigentlichen organischen Rechts der Com- petenz in England beruht auch hier auf dem grundsätzlichen Mangel der Selbständigkeit des Verordnungsrechts gegenüber der Gesetzgebung und der daraus hervorgehenden Verschmelzung von Justiz und Ad- ministration. — Ein ganz anderes Bild bietet Frankreich dar. 2) Der Competenzconflikt in Frankreich. Wie in England, so ist auch in Frankreich das Competenzrecht der Ausdruck und zum Theil die Grundlage der ganzen innern Bil- dung des Staats und seines öffentlichen Rechts gewesen; es ist nicht möglich, jenes Recht zu verstehen, ohne sich den Geist des letzteren gegenwärtig zu halten. Frankreichs neuere Geschichte ist der Sieg der einheitlichen Staats- idee über die rechtliche Selbständigkeit seiner Theile. Dieser Charakter Frankreichs ist weder anders unter dem Königthum noch unter der Republik, noch unter dem Kaiserthum. Der Sieg der Staatsgewalt im engeren Sinn des Wortes wird aber errungen eben durch die nie rastende Thätigkeit ihrer vollziehenden Organe. Nirgends ist daher das Bedürf- niß, ihnen die möglichst große Freiheit zu lassen, größer und herrschen- der, als in Frankreich selbst; ja es ist erklärlich, daß sich dieser den eigentlichen Charakter dieser merkwürdigen Staatsbildung erst recht ver- wirklichenden Forderung alle übrigen Grundsätze des öffentlichen Rechts untergeordnet haben und noch unterordnen. Jene Freiheit der Be- wegung der vollziehenden Organe aber ist, rechtlich ausgedrückt, eben ihre Competenz. Das Recht der Competenz wird sich daher hier ganz anders gestalten müssen, als in England, und hat es auch wirklich gethan. Ohne uns bei den früheren Verhältnissen aufzuhalten, über welche wir auf das Répertoire de jurisprudence (1784, 17 Bände, 4.) v. Compétence verwiesen, so wie auf mehrere Andeutungen bei To- queville L’ancien régime (1856) und l’Organisation civile (1822) beginnen wir bei der Zeit der Revolution, in welcher der früher histo- risch begründete Rechtszustand sich zu einer formell gültigen Gesetz- gebung zusammenfaßt. Als die französische Revolution begann, blieben bekanntlich eine Zeitlang die alten Gerichte, länger noch die alten Richter in Funktion. Diesen nun war ein Rechtszustand nicht klar, in welchem die Fluth der Gesetze alles bestehende, und namentlich in Beziehung auf das Privat- eigenthum das bisher unbezweifelte Recht der großen Grundherrn ver- nichtete. Sie verhielten sich daher vorzüglich im Innern Frankreichs gegen die neuen Gesetze so weit möglich sehr negativ, und versuchten vielfach die Vollziehung derselben durch richterliche Sprüche zu hindern. Die Assemblée constituante fühlte das sehr deutlich hieraus. Sie empfand daher das Bedürfniß, einerseits die Gerichte neu zu organisiren, andererseits die Vollziehung der Gesetze auch gegenüber den neuen Ge- richten zu sichern. Beide Aufgaben zugleich sollte das Gesetz vom 16—24. August 1790 ( T. II. ) über die neue Organisation der Gerichte lösen. Dieses Gesetz ist eines der merkwürdigsten in der ganzen Revo- lution. Es stellte nämlich die Organisation der Gerichte auf; es stellte aber daneben den Grundsatz hin: „que les tribunaux ne peuvent prendre indirectement ou directement aucune part à l’exercice du pouvoir législatif, ni empêcher ou suspendre l’exécution des lois“ (a. 10) — „que les fonctions judiciaires seraient distinctes et demeu- reraient toujours separées des fonctions administratives“ und nament- lich, „que les juges ne pourraient, à peine de forfaiture, troubler de quelque manière que ce soit les opérations des corps administratifs, ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions “ (a. 12). Dieser Grundsatz ward nun mehrfach und ausdrücklich wieder- holt; so im Gesetz vom 2. September 1795 — „itératives défenses aux tribunaux de connaître des actes administratifs, de quelque espèce qu’ils fussent“ und öfter. Eine solche Bestimmung war nur historisch zu erklären, aber ihr Inhalt war allerdings unzweifelhaft genug. Jede Competenzfrage über die Verwaltungsakte einer voll- ziehenden Behörde ist definitiv den Gerichten entzogen, und den Verwaltungsbehörden übergeben . Mit diesem Princip beginnt in Frankreich die Lehre vom Conflit de compétence; darnach gibt es, im geraden Gegensatze zu England, keinen Competenz con- flikt , sondern nur einen Competen zstreit ; die Klage ist definitiv aus- geschlossen, und nur die Beschwerde zulässig. So wenig nun wie in England die Verschmelzung beider in das einseitige Klagrecht sich strenge erhalten konnte, so wenig konnte sich natürlich in Frankreich jene Verschmelzung in das einseitige Beschwerde- recht auf die Dauer durchführen lassen. Schon im selben Jahre, wo das Gesetz vom 16—24. August erlassen ward, sehen wir den Compe- tenzstreit zwischen Justiz und Administration entstehen; und schon das Gesetz vom 7—14. Oktober 1790 entschied: des réclamations d’incom- pétence à l’égard des corps administratifs ne sont, en aucun cas, du ressort des tribunaux; elles seront portées au Roi, chef de l’administration générale, et dans le cas où l’on prétendrait que les Ministres de Sa Majesté auraient fait rendre une décision con- traire aux lois, les plaintes seront adressées au corps législatif. “ Hier ist also bereits der Conflikt neben der réclamation als plainte, Klage, hingestellt; aber auch hier bleibt derselbe den Gerichten entzogen, und ist zum Gegenstand der gesetzgeberischen Thätigkeit gemacht. Einen eigentlichen Conflikt gibt es daher nicht, denn es gibt noch keine Klage vor Gericht . Dieser Zustand erhielt sich unter dem Kaiserreich. Die neue Gewalt des Kaiserthums kann die Frage, ob ein Verwaltungsakt gegen ein Gesetz laufe, den Gerichten nicht überlassen; es hält sie fest für seine Verwaltungsbehörden. Zugleich aber werden nun die Codes erlassen. Es ist kein Zweifel, daß diese ein gesetzliches Recht enthalten. Kann die Verwaltungsbehörde auch das Recht der Codes angreifen und darüber außerhalb der Gerichte entscheiden, so sind die bürgerlichen Rechte fast direkt illusorisch. Dennoch ist eine beständige Berührung der Verwaltung mit dem Rechte der Codes unvermeidlich. Die Unter- werfung der Verwaltungsakte unter die jurisdiction des tribunaux will man trotzdem nicht zugeben; die Unabhängigkeit der Gerichte darf man nicht angreifen. Der Widerspruch zwischen beiden Principien ist klar; das französische Recht muß ihn lösen, soll es nicht das eine Rechts- gebiet direkt dem andern opfern. Aus diesen Elementen nun entspringt das eigenthümliche System des französischen Rechts, das man so selten richtig beurtheilt hat, und in welchem selbst die Franzosen nicht ganz klar sehen. Dasselbe beruht auf der Aufstellung dreier Gruppen von Verhältnissen, von denen die zweite in den gewöhnlichen französischen Darstellungen nicht zur Erscheinung kommt: die jurisprudence du contentieux administratif, der jurisprudence de la compétence, und der jurisprudence du conflit . Das contentieux administratif umfaßt nämlich die Gesammtheit derjenigen Rechtsverhältnisse, in welchen die Verwaltung mit dem „Privatinteresse“ in Streit geräth, und welche deßhalb der Ent- scheidung der Gerichte entzogen und der Entscheidung der Verwaltungs- behörden übergeben sind. Eine scharfe Bestimmung dieser Rechtsverhält- nisse gibt es nicht ; die ganze französische Literatur ist sich darüber einig, daß es vergeblich ist, sie objektiv begränzen zu wollen. Doch sind gewisse Gebiete unzweifelhaft als Gebiete der Verwaltung an- erkannt (s. oben). In diesem contentieux administratif, so weit es als solches anerkannt ist , ist nun auch das Privatrecht der Ent- scheidung der Administrativbehörden unterworfen und damit bei Ver- letzungen desselben nur das Beschwerderecht zugelassen, was dadurch gemildert ist, daß dieß Beschwerderecht hier vollständig Form und Norm einer Klage , und der Proceß den ganzen Instanzenzug der Gerichte bis zum Conseil d’État angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel- haften contentieux administratif ist daher der Competen zconflikt durchaus ausgeschlossen, selbst da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten geradezu gegen ein Gesetz und selbst gegen die Codes gehen. Hier gibt es nun einen Competen zstreit , obgleich es dem Princip nach auch einen Competen zconflikt geben sollte . Die eigentliche compétence dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen das einzelne Amt seine Zuständigkeit auch außerhalb der contentieux überschreitet. Wo dieß behauptet wird, ist natürlich auch in Frankreich von einer Competen zklage gar keine Rede, sondern einfach von einer Opposition gegen dieselbe Ueberschreitung, welche durch einen recours bis an den Conseil d’État gehen kann. Die Grundlage ist hier aber nicht die Scheidung des contentieux vom droit civil (oder die Admini- strativ- von den Justizsachen (s. unten), sondern die Natur der Com- petenz selbst; es ist vielmehr die Beschwerde hier wie sie sein soll: le moyen général de maintenir en toutes manières, entre toutes autori- tés, l’ordre constitutionnel des compétences et des jurisdictions “ Natür- lich ist dabei die Form und der Instanzenzug ganz derselbe wie bei dem contentieux, und das ist der Grund, weßhalb die französische jurisprudence administrative dieses eigentliche und wahre Gebiet des Competen zstreites gar nicht zu unterscheiden vermag; es fällt ihm mit dem contentieux zusammen, das auf diese Weise den wahren Com- petenzstreit mit dem Competenzconflikt in den sogenannten Administrativ- sachen verschmolzen hat. Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen zweifelhaft sein und ist es auch, ob der Akt der Verwaltung dem contentieux angehört oder nicht, und dieser Zweifel kann sowohl von dem Einzelnen als von den Behörden selbst angeregt werden. Da sich nun der alte Grundsatz erhielt, daß die Verwaltungsakte „unter keiner Bedingung“ der gerichtlichen Entscheidung zu unterziehen seien, so hielten es die Verwaltungsbehörden für ihre Pflicht , gegen jeden Akt der Gerichte, der irgendwie Verwaltungsthätigkeiten beurtheilen wollte, sich zu opponiren. Andererseits bestanden die Gerichte darauf, über das- jenige zu entscheiden, was ein gesetzliches Recht enthielt und nicht aus- drücklich ihrer Entscheidung als Gegenstand des contentieux entzogen war. Da man nun vergeblich versuchte, diese Gränze äußerlich fest- zustellen, so ward der Streit zwischen Gericht und Verwaltung über ihre Competenz in jedem einzelnen Falle möglich, wo diese Gränze zwischen contentieux und droit civil et criminel fraglich ward, oder in welchem es sich um das Verhältniß des Verwaltungsaktes zum positiven Gesetze handelte , so weit das contentieux nicht unbestritten die Sache der Verwaltung übergab. Und die Gesammtheit dieser Fälle bildet den conflit. So einfach nun dieser Begriff an sich ist, so unmöglich ist es, seine Gränze zu bestimmen; denn die Voraussetzung wäre, daß man entweder jeden Fall, in welchem ein Widerspruch eines Verwaltungs- akts mit einem Gesetze behauptet wird, den Gerichten zur Annahme oder zur Abweisung überließe, und das verstattet der historische Grund- satz des französischen Verwaltungsrechts wie gesagt nicht; oder daß man die Gränzen des contentieux, der Administrativsachen, hinreichend bestimmte, und das verbietet die Natur derselben. Es ist daher von jeher unmöglich gewesen, die Fälle des conflit zu bestimmen, und die französische jurisprudence du conflit liefert daher durch eine mehr als sechzigjährige, fruchtlose Arbeit den Beweis, daß jeder Versuch, die Gränze zwischen Competenzstreit und Competenzconflikt auf die Unterscheidung zwischen Administrativ- und Justiz- sachen zurückzuführen, eine hoffnungslose ist. Daher sehen wir denn auch in Frankreich sofort mit Beginn dieses Jahrhunderts das Bestreben eintreten, statt der Unterscheidung des conflit vom con- tentieux vielmehr das Organ zu constituiren , welches in jedem einzelnen Falle über die Competenz von Gericht und Verwaltung zu entscheiden hat. Bei diesem Streben, verbunden mit einer höchst scharf- sinnigen Theorie, der wir in Deutschland auch nichts entfernt Aehnliches zur Seite zu stellen haben, sind zwei gleichsam herrschende Gesichts- punkte hervorgetreten. Erstlich haben sich unter jenen Fällen, in denen die Competenz von Gericht und Verwaltung zweifelhaft ist, gewisse Fälle anerkannter Weise ausgeschieden, in denen die Competenz des Gerichts entschieden zugestanden wird; dahin gehören namentlich die Stein , die Verwaltungslehre. I. 12 Fälle, in welchen es sich um Verbrechen der Beamteten handelt, zum Theil diejenigen, in welchen es sich um Vergehen handelt ( conflits en matière criminelle und en matière correctionnelle ). — Zweitens hat man den tiefen Unterschied zwischen contentieux und conflit darin aner- kannt, daß die höchste entscheidende Behörde, der Conseil d’État, eine eigene Sektion pour le contentieux, und eine zweite Sektion pour les conflits hat. Die erste Sektion entscheidet daher die Competenz- streitigkeiten, die zweite entscheidet über den conflit, indem sie die Zu- ständigkeit entweder der administration oder der tribunaux formell ausspricht. Die große Wichtigkeit der Sache und die hohe, in Deutsch- land nur zum Theil nachgeahmte Vortrefflichkeit des Beschwerde- verfahrens haben nun über das ganze Verfahren beim conflit eine selbständige jurisprudence geschaffen, welche hier natürlich nicht mit- getheilt werden kann. Es möge nur zum Schlusse bemerkt werden, daß das Hauptgesetz über den conflit die Ordonnanz vom 1. Juni 1828 ist, dem ein Bericht von Cormenin zu Grunde liegt. Es ward später ein eigener Gesetzentwurf darüber ausgearbeitet (1835), aber den Kammern nicht vorgelegt. Man fühlte vollkommen das höchst Unvollständige in dem bestehenden Rechte; aber man glaubte und glaubt noch immer, daß es gelingen werde, durch eine scharfe gesetzliche Trennung der contentieux zu einer Regelung des conflit zu gelangen. Man hat daher wieder in der Constitution von 1848 den Satz aufgenommen, daß die conflits d’attributions entre l’autorité administrative et l’au- torité judiciaire definitiv geregelt werden sollen ( a. 89). Ein Reglement vom 26. Oktober 1848 hat ein Tribunal dafür eingesetzt; ein Gesetz vom 4. Februar 1850 hat die Ordnung und das Verfahren desselben geregelt; aber das décret organique de Conseil d’État vom 25. Januar 1852 hat demselben in Art. 17, die Entscheidung des conflit zurückgegeben und diesen Conseil d’État in seinen zwei eben erwähnten Sektionen wieder zum Competenzgerichtshof von Frankreich gemacht. Aber im höchsten Grade für den Begriff der französischen Verwaltung bezeichnend ist dabei der Grundsatz: „le Conseil d’État n’admet pas que les tribunaux puissent éléver le conflit contre l’administration. “ „La vérité est,“ sagt Bou- latignier, „qu’en instituant le conflit, on a eu surtout en vue de protéger l’autorité administrative contre les empiètements de l’autorité judiciaire. “ — Das heißt also, wenn einmal ein gesetzliches Recht durch einen Verwaltungsakt verletzt, aber trotzdem aus irgend einem Grunde nur eine Beschwerde erhoben ist, wo eine Klage unbedingt hätte statt- finden sollen, so hat dennoch nur die Verwaltungsbehörde zu ent- scheiden ; es wird Gericht durch das Erheben der Beschwerde. Es ist natürlich vollkommen unmöglich, in diesem Zustande noch ein auf dem Begriff des Gesetzes und der Verordnung beruhendes Competenz- recht durchzuführen. Es ist nicht einmal der Grundsatz festgehalten, daß man es nach den äußern Merkmalen der Sache bestimme; es ist die Sanction der Herrschaft der Verwaltung über das Recht , der Unfreiheit des bürgerlichen Rechts gegenüber dem Ver- waltungskörper. Frankreichs Competenzrecht ist seinem Wesen nach einer der großen Faktoren seiner innern Unterwerfung unter die all- gewaltige Staatsgewalt; seiner äußern Form nach der entscheidende Be- weis, daß man auf Grundlage der Unterscheidung von Justiz- und Administrativsachen nicht zu einem verfassungsmäßigen Competenzrecht gelangen kann. Dennoch hat das französische Recht wenigstens zum Theil in Deutschland Platz gegriffen. 3) Competenzstreit und Competenzconflikt im deutsch-französischen Rechte Deutschlands. Wenn es uns gelungen ist, uns über den Unterschied von Gesetz und Verordnung einerseits, und über Administrativ- und Justizsachen, sowie über Klag- und Beschwerderecht andererseits klar auszusprechen, so wird es jetzt kaum mehr schwierig sein, die Behauptung durchzuführen, daß auch im Competenzrecht die einzelnen deutschen Rechte sich in durch- greifender Unklarheit befinden, während es ein gemeinsames deutsches Recht eben nicht gibt. Grund und Inhalt dieses Verhältnisses sind in der inneren Geschichte des deutschen Rechts gegeben. Wir dürfen uns dabei auf früher Gesagtes beziehen. Mit dem vorigen Jahrhundert geht in Deutschland die Theilnahme der Vertretung an dem Staatswillen und damit der Begriff und das Recht des Gesetzes unter; Verordnung und Gesetz sind identisch. Es ist für die richtige Beurtheilung des deutschen öffentlichen Rechts wohl festzuhalten, daß es in ganz Deutschland nicht einmal ein Recht gibt, welches dem Enregistrement der Parlemente in Frankreich oder dem Lit de justice zur Seite gestanden hätte. Der Wille des Souverains ist hier auch formell allein herrschend. Dabei erhielt sich jedoch der, durch das eifrige und höchst einseitige Studium des Römischen Rechts getragene Gedanke, daß die Gerichte das Gesetz zu handhaben befugt sind. Da es nun aber keinen bestimmten Begriff des Gesetzes gibt, so ist die Competenz der Gerichte, wo immer sie mit dem Willen des Souve- rains zu thun hat, an und für sich zweifelhaft, und im Grunde nur durch die Zustimmung des letzteren denkbar. Das ganze Gebiet der Regierungsthätigkeit schied sich daher von der richterlichen Zuständigkeit von selbst aus; es ward Princip, daß nur da, wo der Einzelne mit dem Einzelnen Streit hatte, das Gericht zuständig sei. Der Gedanke des französischen droit administratif tritt daher in Deutschland, aber in noch roherer Form auf. Nur auf einem Punkte erhielt sich die ge- richtliche Competenz, wenigstens als theoretischer Anspruch der Gerichte; das ist da, wo die öffentlichen Rechte auf Grund eines Privatrechts- titels besessen werden. Der Unterschied der Auffassung des vorigen und des gegenwärtigen Jahrhunderts besteht darin, daß nicht die einzelnen Akte der Regierungsgewalt, sondern diese Gewalt an sich, der Besitz derselben titulo dominii, das „Hoheitsrecht“ und seine Ausdehnung gegenüber der Grundherrlichkeit Gegenstand des Streits über die Com- petenz ward. Die Gerichte forderten es für sich, die Landesherrn ver- weigerten es. Auf dieser Grundlage bleibt aber der Gedanke leben- dig, daß die Gerichte auch gegenüber der Thätigkeit der Regierung irgend eine Competenz haben müssen. Und da nun diese Gränze der Competenz an dem Unterschied zwischen gesetzlichem und verordnungs- mäßigem Recht keinen Anhaltspunkt fand, da dieser Unterschied eben nicht existirte, so kam man dazu, dieselbe an einzelnen Sachen bestimmen zu wollen. Das hatte den guten Sinn, daß allerdings die Ausdehnung der Hoheitsrechte in den verschiedenen Staaten sehr ver- schieden war, und daher überhaupt die Competenz selbst kaum principiell, sondern nur der örtlichen Gestalt des öffentlichen Rechts nach verschieden war. So war der Gedanke des Unterschiedes zwischen Justiz- und Administrativsachen Grundlage für die Gränze des Klag- und Beschwerde- rechts, und für die Competenz der Gerichte und der Verwaltungsbehör- den. Und man kann im Allgemeinen sagen, daß der Streit zwischen beiden bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts weder theoretisch noch praktisch entschieden war. Mit dem Beginne dieses Jahrhunderts treten nun die Verfassungen, mit ihnen der Begriff des Gesetzes gegenüber dem der Verordnung auf. Jetzt war scheinbar die Frage nach der Competenz zwischen Gericht und Administration erledigt. Allein die Verfassungen selbst hatten einen ganz andern Charakter als in Frankreich. Nicht die volonté générale oder die souveraineté de la nation, sondern die Landesherren gaben die Verfassungen. Der Wille der höchsten Regierungsgewalt war daher die eigentlich rechtbildende Kraft im öffentlichen Recht; das ganze öffentliche Recht ging — bis auf die neuesie Zeit — sowohl in Verfassung als in Verwaltung aus derselben Quelle hervor, aus der die Verordnungen erflossen. Das Gefühl dieses Verhältnisses ist allenthalben lebendig; der Proceß und die Kraft der innern Staatsbildung ruht nach wie vor im Königthum und die Volksvertretung bildet nur ein Moment an derselben. Die Folge ist, daß ein Hineingreifen der Gerichte in diesen Proceß — abgesehen von der formellen Frage — als im Widerspruch mit dem Leben jener Zeit erscheint. Die Regierung muß sich frei bewegen können ; die Gesetze sind theils nicht fertig, theils steht ihr Begriff nicht einmal fest; jeder Akt der Regierung kann daher, so weit es sich eben um das Verhältniß der einzelnen Lebenssphäre zum öffent- lichen Recht handelt, auch nur von der verordnenden Gewalt richtig beurtheilt werden, oder, die Competenz der Gerichte ist für Regierungshandlungen ausgeschlossen . Das ist der Grund- zug des öffentlichen Rechts im Beginne der Verfassungsbildung. Dieses Princip gewinnt nun eine doppelte Gestalt. Die erste Form desselben besteht einfach in der Annahme der französischen Idee des contentieux. Sie war den deutschen Juristen sehr verständlich, weil sie die Möglichkeit fanden, ihren früheren Begriff der Justiz- und Administrativsachen darauf anzuwenden, den Regierun- gen aber, weil sie dadurch grundsätzlich ihre Verwaltungsthätigkeit den Gerichten entzogen. So wurde der Begriff und das Recht der französi- schen Administrativjustiz von einigen Verfassungen unmittelbar aus Frankreich recipirt, und zu einem systematischen Theile des öffentlichen Rechts in der Gesetzgebung verarbeitet. An der Spitze dieser Richtung stand und steht bekanntlich Bayern , das Form und Inhalt der juris- diction administrative zu einer selbständigen Gesetzgebung erhob und ganz nach französischem Muster die Fälle der Verwaltungsgerichtbarkeit aus- drücklich bezeichnete und von der gerichtlichen Competenz ausschied. (Siehe Pötzl , Bayerisches Verfassungsrecht §. 153, Verwaltungsrecht §. 16—18, höchst klar und einfach zusammengefaßt in §. 55, weitläufiger bei Moy , Bayerisches Verfassungsrecht I. ) Das Gesetz vom 28. Mai 1850 behält dieselbe Basis; es sind die Begriffe des bejahenden und verneinenden Conflikts aufgeführt und ein Competenzgerichtshof eingesetzt, der sich vom französischen Conseil d’État wesentlich dadurch unterscheidet, daß Mitglieder des obersten Gerichtshofes hinzugezogen werden. Die freiere Auffassung des deutschen Rechts zeigt sich darin, daß der conflit négatif von jeder Partei, also auch gegen die Administration, erhoben werden kann; zweitens aber in dem wichtigen Satz, daß die, am Ende doch nie ganz vermeidliche Frage nach der Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen zwar den Gerichten genommen, aber dafür der Volks- vertretung übergeben wird , wie in der preußischen Verfassung §. 106 (freilich nur in Beziehung auf Verordnungen) und spezieller in dem hannöverischen Gesetze vom 1. August 1855, III. §. 4, wo den Kammern, ganz richtig, keine einseitige Entscheidung, sondern nur „Anträge“ gestattet sind, wenn die verfassungsmäßige Mitwirkung der Stände in Zweifel kommt. Stubenrauch , Gutachten (Verhandlungen des vierten deutschen Juristentages S. 210) erklärt sich, unter Berufung auf die constante Praxis der belgischen Gerichte, gleichfalls für diese Auffassung; es ist aber nicht ab- zusehen, wie damit in den Fällen geholfen werden soll, wo ein Rechtsstreit zwischen Privaten vorliegt; die allgemeine Rechtsgültigkeit der öffent- lichen Akte soll ja überhaupt nicht vom Gerichte entschieden werden, sondern nur ihre Anwendung auf den bestimmten Fall (siehe unten.) Die zweite, viel einfachere Form ist nun die, welche nicht die einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des französischen Rechts aufnimmt, und ganz einfach ausspricht, daß alle Streitigkeiten, welche sich auf das öffentliche Recht beziehen , Administrativsachen, und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen sind; nur mit dem Unterschiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten, welche aus den verfassungsmäßigen Rechten entstehen, einem eigenen Staatsgerichtshofe überwiesen werden; das ist namentlich in Württemberg , der Heimath der streng juristischen Verantwortlichkeits- doctrin, scharf durchgeführt (s. Mohl , Württemb. Staatsrecht I, Kap. IV ). In andern Staaten wird jener Satz in seiner nackten Schärfe hingestellt, namentlich in Preußen , wo ihn die beiden Cabinetsordres vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 sehr klar definirten, so daß derselbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund- satz des gemeinen deutschen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern aufgestellt ward ( Maurenbrecher §. 185, während schon Klüber §. 366 sich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterschied von Gesetz und Verordnung oder von Klage und Beschwerde vor Augen zu haben). Die constitutionelle Richtung, Aretin, Pölitz u. A. kommen auch zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht ein Urtheil über Verordnungen zuzugestehen, die Nothwendigkeit, das Gericht bei gesetzlichem Recht walten zu lassen, doch einleuchtet. Auf diesem Standpunkt erhält sich die spätere und auch noch die gegenwär- tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit der Vorstellungen nur Zöpfl , Deutsches Staatsrecht II. §. 454 an: „Da die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent sein können, wo die Beurtheilung einer Sache nach rechtlichen Gesichtspunkten (?) in Frage und möglich ist, so erhellet, daß die Competenz derselben in allen eigent- lichen (?) Regierungs- und Administrativsachen ausgeschlossen ist “ — d. h. wo „nicht die Rechtlichkeit, sondern die Zweckmäßigkeit dieser Verfügungen in Frage steht.“ In den Fällen aber, wo diese Gränze zweifelhaft wird, soll „nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe- tenz, über ihre Competenz zu entscheiden, zustehen.“ Es leuchtet ein, daß der erste Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite die Regierung mit allen ihren Thätigkeiten, also auch mit ihrer ganzen Verfügungsgewalt unter das Gericht stellt, obgleich der erste einen Theil derselben ausschließt. Man sieht deutlich das Ringen nach einem andern als dem auch hier noch zum Grunde liegenden Standpunkt der Unterscheidung von Justiz- und Administrativsachen; dieselben Grundsätze treten mit all ihren verworrenen Consequenzen in einer Reihe von Ver- fassungen ein. Princip ist: „Die Verfügungen aller Verwaltungsbehörden und Beamteten innerhalb des demselben angewiesenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreises gehören nicht zur Compe- tenz der Gerichte .“ ( Braunschweiger Landesordnung 1832, §. 195; hannövr . Gesetz vom 5. September 1850.) Da natürlich damit nichts gewonnen war, weil eben die Frage offen blieb, was denn innerhalb des verwaltungsmäßigen Wirkungskreises liege, so griff man zu dem französischen Auskunftsmittel, einen eigenen Competenzconfliktshof einzu- setzen (Sachsen, Altenburg, Braunschweig, Waldeck, Preußen, Olden- burg, Reuß, Coburg-Gotha; siehe auch Zöpfl , Staatsrecht §. 454). Die Organisation dieses Gerichtshofes ist durchschnittlich auf eine Beizie- hung von Gerichtsbehörden gebaut, und unterscheidet sich dadurch aller- dings wesentlich von dem französischen Princip. Allein die Hauptfrage ist damit nicht erledigt, und deßhalb blüht in der Literatur auch jetzt noch wie vor hundert Jahren die alte Frage, was denn Justiz und Administration sei. Denn es handelt sich jetzt natürlich darum, nach welchen Grundsätzen eben dieser Competenzgerichtshof zu entscheiden habe, ob etwas den Gerichten oder den Verwaltungs- behörden angehöre oder nicht; und auf diese Frage hat weder das Ge- setz noch die Theorie eine Antwort, wenn man nicht die verzweifelten Versuche, Justiz- und Administrativsachen objektiv zu scheiden, als eine solche betrachten will. Es ist daher kaum zweifelhaft, daß die deutsche Rechtsbildung durch ihren, allerdings durch den Gang der Verfassungsbildung wohl begründeten Anschluß an die französische Auffassung des contentieux und des conflit nicht zu einem Abschluß gediehen ist und auch nicht gedeihen kann . Der französische Grundgedanke paßt für Frankreich, aber nicht für Deutschland. Wir müssen in unserer Weise unser Recht bilden. Wir müssen die bisherige Richtung aufgeben, und die uns eigenthümliche einschlagen, und wir können das um so mehr, als bereits die Grundlinien derselben sogar in mehreren Verfassungen ausgesprochen, die dann freilich — wir müssen hinzufügen ohne klares Bewußtsein — in direktem Widerspruche mit dem obigen Rechte des französischen Com- petenzstreites stehen. Mitten unter jener französischen Gestaltung der Scheidung von Justiz- und Administrativsachen, und ganz friedlich neben dem Satze, daß die „eigentlichen“ Verwaltungsakte der Competenz der Gerichte ent- zogen sind und sein müssen, und daß im streitigen Falle der Competenz- gerichtshof zu entscheiden habe, wer competent sei, erhält sich nämlich im deutschen Rechtsleben der englische Grundsatz, daß der Einzelne sein Recht immer bei Gericht müsse verfolgen können, wenn überhaupt von einer rechtlichen Freiheit die Rede sein solle. Diesen Grundsatz erkennen nicht bloß einzelne Verfassungen ausdrücklich an ( Württemb . Verfassungs- recht §. 95; Königreich Sachsen §. 99; Schwarzburg-Rudolstadt 1849, §. 175; Kurhessen §. 35; Oldenburg 1852, Art. 48: „Jedem, der sich durch einen Akt der Verwaltung in seinem Recht verletzt glaubt, steht der Rechtsweg offen “), sondern die deutsche Theorie sagt: „In andern Staaten wird dieß als nach gemeinem Recht selbstverständlich betrachtet.“ ( Zöpfl §. 453.) Nur darf der Gang der Verwaltung nicht gestört werden; d. h. jeder ist zunächst zum Gehorsam verpflichtet. ( Sachsen §. 49, Schwarzburg-Sonderhausen 1849, §. 176, u. a. m.; siehe oben vom verfassungsmäßigen Gehorsam.) Hier nun liegt der Widerspruch klar genug zu Tage. Der Rechtsweg ist unbedingt und principiell offen erklärt im Verhältniß des Einzelnen zu den „Akten der Verwaltung,“ während er dennoch für die „Akte der eigentlichen Ver- waltung“ ebenso unbedingt und principiell ausgeschlossen ist. Es kann kein Zweifel sein, daß dieser Widerspruch, der sonst ganz unlösbar wäre, einen tiefern Grund hat, der beide Sätze zugleich als voll- kommen richtig und „selbstverständlich“ erscheinen läßt. Und hier nun ist es, wo wir das Gebiet des wahren Competenzconflikts, der Grund- lage unseres deutschen Rechts begegnen, indem wir weder mit dem eng- lischen Recht die Frage durch Confundirung der Gerichts- und Verwal- tungsbehörden, noch mit dem französischen und französisch-deutschen Recht durch die äußerliche Scheidung von Justiz- und Administrativsachen lösen, sondern durch die Unterscheidung von Gesetz und Verordnung, und die Beziehung der gerichtlichen Competenz auf das erste, der amtlichen auf das zweite zum Grunde legen. Die zuletzt angeführten Sätze zeigen uns, daß dieser Begriff der gerichtlichen und administrativen Competenz im deutschen Recht vorhanden ist und nur nach seinem Ausdruck sucht. Wir wollen versuchen, denselben zu formuliren. 4) Der deutsche Begriff und Inhalt des sogen. Competenzconfliktes. Indem wir nunmehr auf die Darstellung der beiden Grundbegriffe von Competenzstreit und Competenzconflikt verweisen, fassen wir dieselbe noch einmal kurz zusammen, um dann den Inhalt und die Form des Competenzconfliktes in seiner wahren Bedeutung anzuschließen, und wie wir hoffen, denselben für Deutschland zu beseitigen, wie ihn auch Eng- land nicht anerkennt. Nur müssen wir aufs neue darauf hinweisen, daß alle derartige Be- strebungen fruchtlos sind, so lange man nicht über den formellen Unter- schied von Gesetz und Verordnung theoretisch und juristisch einig ist. Darnach nun ergeben sich folgende einfache Grundsätze: a ) Der Inhalt einer Verordnung an sich, sowie das Verhält- niß einer Verfügung zu einer Verordnung kann niemals zur Competenz eines Gerichtes gehören. Es gibt kein Klagrecht gegen Ver- ordnungen und Verfügungen, sondern nur ein Beschwerderecht. Das ist auch als der Sinn der Bestimmungen der oben angeführten Ver- fassungen anzusehen, nach welchen die „eigentlichen“ Verwaltungsakte der gerichtlichen Competenz entzogen sind. So wie man unter den eigentlichen Verwaltungsakten die Verordnungen außerhalb ihrer Beziehung zu den Gesetzen denkt, ist jene Bestimmung klar und richtig. Im deutschen Rechte mangelt hier nur, wie gesagt, eine aus- reichende gesetzliche Bestimmung über das Verfahren bei der Beschwerde. Das sollen wir von den Franzosen lernen. b ) So wie dagegen das Verhältniß der Verordnung oder Verfügung zu einem Gesetze in Frage kommt, ist das Gericht competent, und nicht mehr die Verwaltungsbehörde. Das bedeuten jene Stellen aus dem öffentlichen Recht, welche das „Klagrecht gegen jeden Verwaltungs- akt“ verfassungsmäßig zugestehen. Es folgt daraus, daß es, wie schon gesagt, überhaupt keinen Unter- schied zwischen Justiz- und Administrativsachen gibt noch geben kann, sondern daß jede wie immer geartete Verfügung und Verordnung so- wohl Gegenstand der Beschwerde, als der Klage sein kann. — Damit ist aber die Cumulirung beider natürlich ausgeschlossen, da ich das, wo- mit die betreffende Verfügung in Widerspruch stehen soll, nicht zugleich als Gesetz und als Verordnung betrachten kann. Das sind nun die einfachen Grundsätze, an welche sich der eigent- liche Competenzconflikt anschließt. Und zwar besteht derselbe zuerst im Competenzurtheil , und zweitens im Competenzrecht . a ) Das Competenzurtheil. Das Competenzurtheil beruht darauf, daß bei Klage oder Beschwerde der Fall als möglich gesetzt werden muß, daß sich sowohl der Einzelne Klag- oder Beschwerdeführer über die Natur des öffentlichen Willens- aktes irrt, und zweitens daß sich auch das betreffende Organ darüber irren kann. Beide Fälle sind wohl zu unterscheiden. a ) Der Einzelne kann nämlich eine gerichtliche Klage erheben, wo er nur zu einer Beschwerde berechtigt war, indem er als Klaggrund überhaupt kein durch die Verordnung verletztes Gesetz anführt. Hier ist die Abweisung klar. Er kann aber auch eine Beschwerde vor der Behörde einbringen, wo eine Klage begründet gewesen wäre, indem er sich in der Beschwerde nicht auf den Widerspruch der Verordnung mit einer andern Verordnung, sondern direkt mit einem Gesetze beruft, oder beide Berufungen cumulirt. Hier muß die Competenz als prorogirt angesehen und die Behörde als competent an der Stelle des Gerichts anerkannt werden. Die wesentliche Frage ist dabei indeß die, ob das Erkenntniß der Verwaltungsbehörde das Recht einer res judicata hat, so daß eine Appellation von dem Ausspruch der höchsten Verwaltungs- instanz an die Gerichte damit ausgeschlossen ist. Es wird nun fast allenthalben angenommen, daß eine solche Appellation (von dem Urtheil in einer Administrativsache, wie man sagt) an das Gericht (also der Uebergang zu einem Justizverfahren selbst bei Justizsachen, in denen ein administratives Urtheil erflossen ist) nicht zulässig ist. Strenge genommen müßte man sagen, daß wenn der Akt des Einzelnen die Form eines Gesuches hatte, kein Bescheid der Administrativbehörde eine Rechtskraft haben könne , während bei förmlicher Beschwerde- führung der Beschwerdeführer als compromittirend angesehen werden kann. Da aber Gesuch und Beschwerde äußerlich nicht gut zu trennen sind, so muß im öffentlichen Interesse gefordert werden, daß die ange- brachte Beschwerde die Competenz der Verwaltungsbehörde feststellt, wenn nicht der Beschwerdeführer sich den gerichtlichen Weg wegen der Verletzung des Gesetzes ausdrücklich vorbehält . In diesem Falle kann der Erlaß der Behörde keine Rechtskraft gewinnen, und der ge- richtliche Weg kann auf den Bescheid derselben stets ergriffen werden. Diese Grundsätze gelten sowohl bei dem sogenannten positiven als dem negativen Competenzconflikt; je nachdem der Akt oder die Unter- lassung desselben Gegenstand der Klage — bei Widerspruch mit einem Gesetz — oder der Beschwerde — bei Widerspruch mit einer Verordnung — wird. Hier ist keine weitere Schwierigkeit denkbar. b ) Es kann aber auch das Gericht sich irren, und eine Verord- nung als ein Gesetz behandeln, nachdem auf Grundlage derselben eine Klage eingereicht ist, während die Verwaltungsbehörde dem öffentlichen Akte die Natur einer Verordnung vindicirt, und daher das Verordnungs- recht darauf anwenden, das ist, die Freiheit für sich in Anspruch nehmen will, die bestehende Verordnung nach ihrem Ermessen zu ändern. (Siehe oben.) Hier sind zwei Fälle möglich, von denen der letzte dem Folgen- den gehört. Ist nämlich im Sinne der Verordnung durch den Akt einer Behörde dem Einzelnen ein Privatrecht wirklich erworben , so kann dieß nicht mehr durch eine ändernde Verfügung aufgehoben werden, weil hier das Mandatsrecht eintritt, und mithin die Verordnung dem bürger- lichen Gesetze gegenüber tritt, wobei das Klagrecht unzweifelhaft ist. Das nun ist der Punkt, wo sich eben die französischen Grundsätze des contentieux und des conflit deutlich herausstellen. Im französischen Recht nämlich hat in den Fällen des contentieux die Verwaltungsbehörde auch die Competenz über den privatrechtlichen Inhalt ihrer Verwaltungs- akte, wie z. B. bei Lieferungsverträgen u. s. w., und der conflit entsteht eben dann, wenn das Gericht über diese bürgerlichen Consequenzen eine Klage annimmt, während über das öffentliche Recht und Gesetz gar keine Klage angenommen werden darf. (Siehe oben.) Die Auf- stellung der Administrativsachen verewigt diesen Widerspruch. Das deutsche Recht ist sich, wie wir oben gesehen, hier nicht klar. Dennoch ist kein anderer Grundsatz als der obige denkbar. Man muß daher sagen, daß insoweit auf Grundlage des Eigenthums-, Verkehrs- und Erbrechts im bürgerlichen (gemeinen) Recht das Gericht Recht spricht über den Inhalt einer Verordnung, dasselbe auch über Verordnungen competent ist, was im Grunde nur eine Anwendung des allgemeinen Begriffes des Klagrechts ist. Wesentlich anders ist der zweite Fall, der der Frage nach richter- licher Competenz im weitern Sinn angehört. b) Das richterliche Competenzrecht über die Gesetzesqualität. Alle obigen Punkte sind nämlich einfach, so lange Gesetz und Ver- ordnung objektiv und klar geschieden sind. Allein es kann der Fall ein- treten, daß wo der Einzelne bei Gerichte klagt, die Gesetzesqualität des betreffenden Willensaktes von der Staatsgewalt geläugnet, und auf diese Negation das Recht zur Vornahme der beklagten Verordnung oder Verfügung begründet wird. Und hier tritt daher die Frage ein, ob ein Gericht über die gesetzliche Natur des öffentlichen Willens eine Entscheidung zu treffen competent, und welches das Recht dieser Ent- scheidung sei. Dieß ist nun der Fall, den wir den eigentlichen Competenz- conflikt nennen möchten. Denn in der That handelt es sich hier um die Zuständigkeit nicht etwa der Gerichte gegenüber der Verwaltung, sondern der Gerichte gegenüber der Gesetzgebung . Die Competenz gegenüber der ersteren ist dann selbstverständlich gegeben, wenn sie gegenüber der zweiten feststeht. Die Frage ist eine ernste, und eben darum kann sie auch in einfacher und klarer Weise erledigt werden. Nur ist man gezwungen, hier auf die eigenthümlichen Verhältnisse Deutschlands einzugehen und die Aufgabe zu lösen, feste und klare Begriffe auf unfertige Uebergangszustände anzuwenden. Zu dem Ende müssen die in Frage kommenden Punkte einzeln betrachtet werden. I. Das Objekt der Entscheidung des Gerichts. a) Da es ganz unzweifelhaft die Aufgabe des Gerichts ist, das Gesetz in seiner Anwendung auf den einzelnen Fall zur Anwendung zu bringen, so kann es vernünftiger Weise kein Zweifel sein, daß das Gericht einen Akt als Gesetz anerkennen muß, um ihn eben anwenden zu können. Das ist daher im Grunde auch gar nicht die Frage. Die Frage ist vielmehr die, ob diese Anerkennung nur auf Grundlage seiner eigenen Ueberzeugung geschehen darf, oder ob das Gericht einen öffent- lichen Akt auf Grundlage des Befehles irgend einer außergerichtlichen Gewalt anzuerkennen verpflichtet ist. Ganz offenbar würde die letzte Behauptung einen ganz unlösbaren Widerspruch mit dem Begriffe des Gesetzes enthalten. Denn das Gesetz kommt eben nur zu Stande durch das Zusammenwirken aller drei Faktoren: Staatsoberhaupt, Gesetzgebung und Verwaltung im weitern Sinn; eine Verpflichtung, einen öffentlichen Willen als Gesetz anzuerkennen, weil einer dieser Faktoren es befiehlt, ist absolut widersprechend. Darüber kann kein Zweifel sein. b) Ist das der Fall, so muß auch das Gericht competent sein zu beurtheilen, ob die Formen in denen der öffentliche Akt erscheint, den Beweis enthalten, daß alle drei Faktoren wirklich in der verfassungs- mäßigen Weise gewirkt haben. Sind nun verfassungsmäßige Formen von einem Gesetze vorgeschrieben, welche diesen formellen Beweis geben, so läßt es sich ferner gar nicht denken, wie ein Gericht sollte funktioniren können, ohne zu beurtheilen, ob die vorliegenden Formen eines öffentlichen Willensaktes mit den gesetzlichen Formen übereinstimmen; z. B. ob der Mitunterzeichner wirklich Minister gewesen oder nicht. Man muß dabei nur einfach festhalten, daß jener Zweifel an diesem Recht des Gerichts gar nicht gedacht werden kann, ohne eben den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung aufzuheben; und daß derselbe eben deßhalb, wie wir sogleich sehen werden, auch nur da entstehen konnte , wo dieser Unterschied selbst nicht klar war, in Deutschland. Weder Eng- land noch Frankreich ahnen , möchten wir sagen, daß es darüber einen Streit geben kann. c) Allerdings aber kann nun durch ein Gesetz wieder dem Ge- richte das ihm vermöge seiner natürlichen Competenz zustehende Recht abgesprochen werden. Das kann aber nur geschehen, indem gewisse Fälle der Competenz des Gerichts überhaupt entzogen sind, und das sind eben die französischen Fälle der Administrativsachen. Da in diesen Fällen das Gericht überhaupt keine Competenz hat, so kann es auch nicht zuständig sein zu untersuchen, ob in ihnen ein Verwaltungsakt mit einem Gesetz in Widerspruch tritt. Und da nun die Frage, ob der einzelne bei dem Gericht als Klage angebrachte Fall zu diesen Fällen gehört oder nicht, gesetzlich dem Competenzgerichtshofe zu überweisen ist, so gehört überhaupt die Untersuchung über ein in Frage stehendes Gesetz, so lange es eine Administrativjustiz gibt, erst dann dem Gericht, wenn der Competenzgerichtshof die Competenz des Gerichts ausgesprochen, oder den Fall für eine Justizsache erklärt hat. d) Es folgt aus diesen Sätzen der tiefe Widerspruch, der überhaupt in der Aufstellung einer gesetzlichen Unterscheidung zwischen Administrativ- und Justizsachen, und der Competenz eines Competenzgerichtshofes liegt, und der schon an sich beides auf immer beseitigen müßte. Wenn näm- lich bei formell gültiger Unterscheidung von Gesetz und Verordnung in einer Administrativsache die Frage entsteht, ob der öffentliche Akt, mit welchem der betreffende Akt der Behörde nach der Behauptung des Be- schwerdeführers in Widerspruch steht, ein Gesetz sei oder nur eine Ver- ordnung, so hat die administrative Behörde offenbar das Recht, welches man dem Gerichte absprechen will , nämlich über die Gesetzes- qualität jenes öffentlichen Aktes zu entscheiden; oder, es hat die admini- strative Behörde die Competenz, die man dem Gerichte verweigert. Es leuchtet ein, daß dieß der ganzen Natur des Staatsorganismus ent- schieden widerspricht. Ginge man aber gar so weit zu sagen, daß die administrative Behörde über diese Frage ihrerseits nicht zu entscheiden hätte, so würde der Widerspruch ein noch viel größerer sein. Denn in diesem Falle müßte man sagen, daß auch da, wo die Handlung eines Organes mit einem Gesetze in Widerspruch steht, die höhere Behörde sich nicht an die Gesetze sondern nur an die administrative Zweck- mäßigkeit, oder an den Inhalt der Verordnung zu binden, d. h. also, das Gesetz der Verordnung zu unterwerfen hätte. Damit ist in allen Administrativsachen die Gesetzlichkeit grundsätzlich aufgehoben, und das Umgekehrte des verfassungsmäßigen Rechts, die rechtliche Herrschaft der Verwaltung über die Gesetzgebung sanktionirt. Denn, sagt man in Erwiederung dessen, daß sich auch die Administrativbehörde in ihren Entscheidungen an das Gesetz zu binden hat, soweit ein solches existirt, so muß man wiederum die Consequenz für unabweisbar erklären, daß sie da, wo die Gesetzesqualität ihrer Meinung nach zweifelhaft ist, auch über dieselbe ihrerseits zu entscheiden hat, und dann erhält sie ja eben die Competenz, welche man dem Gerichte verweigert; das ist eben der Fall des obigen Widerspruches. Wollte man endlich sagen, daß in denjenigen Fällen der gesetzlich anerkannten Administrativjustiz, in welchen es sich um das Verhältniß eines Aktes der Verwaltung zu einem Gesetze handelt, die Sache von der Administrativbehörde eben darum den Ge- richten zugewiesen werden sollte, so ist gerade dadurch der Begriff der Administrativjustiz selbst aufgehoben . Denn auch wir fordern ja nicht, daß die Gerichte entscheiden sollen, wo eine Verfügung mit einer Verordnung in Widerspruch tritt, wie das in England der Fall ist, sondern hier sollen eben die Behörden entscheiden und der Gang und das Recht der Beschwerde inne gehalten werden; nur da, wo ein Verwaltungsakt mit einem Gesetz in Widerspruch tritt, entsteht die Competenz des Gerichts. Will man nun das Recht der Behörden, über Verordnungen und Verfügungen zu entscheiden, Administrati vjustiz nennen, so soll man sich nur vergegenwärtigen, daß das keine Justiz ist. Will man die Sachen , welche Gegenstand dieser sogenannten Justiz sein können, als Administrativsachen bezeichnen, so soll man sich erinnern, daß alle Sachen in das Gebiet der Verordnungen und Ver- fügungen fallen können, und es daher keine Administrati vsachen gibt. Jede wie immer geartete Unterscheidung auf diesem Gebiet erzeugt daher unlösbare Widersprüche, die man zwar gewaltsam, aber niemals orga- nisch zur Lösung bringen kann. e) Sagt man nun endlich, es solle der Competenzgerichtshof ent scheiden, ob im vorliegenden Falle der Akt, auf welchen sich die Klage beruft, ein Gesetz sei oder nicht, so entsteht der Widerspruch, daß man dem Competenzgerichtshofe ein Recht gibt, welches dem Gerichte zusteht, aber in der Weise, daß das Organ, gegen welches die Klage erhoben wird — der amtliche Organismus — entweder wie in Frankreich im Conseil d’État allein, oder wie in Deutschland in Verbindung mit dem Gerichte über sein eigenes Recht entscheidet, und nicht wie das Gericht über das Recht eines Dritten. — Jedenfalls indem man es thut, hebt man immer den Unterschied von Administrativ- und Justiz- sachen auf, um dessentwillen man gerade den Competenzgerichtshof ein- gesetzt hat; denn wenn der letztere sich für das Dasein eines Gesetzes entscheidet, wird eben dadurch das Gericht competent, bei der Verordnung die Behörde. Man mag daher die Frage stellen wie man will, nie kann jener Unterschied aufrecht gehalten werden. Dieß alles gilt nun, wo der Unterschied von Gesetz und Verordnung formell feststeht. Eine andere Gestalt scheint die Frage zu gewinnen, wenn diese formelle Unterscheidung nicht bestimmt ist. Das ist bekannt- lich im deutschen Rechte der Fall, wo die Grundlage des Begriffes vom Gesetz auf dem Rechte der Volksvertretung beruht, an gewissen Akten des Staatswillens Theil zu nehmen, oder gar, um die Verwirrung voll- ständig zu machen, so lautet: „die Gesetze welche Freiheit und Eigenthum betreffen, dürfen nur unter Zustimmung der Stände erlassen werden“ — so daß es auch „Gesetze“ gibt, die ohne diese Zustimmung zu Stande kommen. Hier muß man daher fragen, ob ein Urtheil des Gerichts auch in diesem Falle Gesetz und Verordnung zu unterscheiden das Recht hat. Wir müssen nun unsererseits gestehen, daß wir gar keinen Grund sehen, dem Gericht die Entscheidung in diesem Falle abzusprechen. Allerdings aber ist die Frage selbst in diesem Uebergangsstadium eine viel ernstere, denn sie ist eine doppelte. Erstlich handelt es sich darum, ob das Gericht über die Gränze zu entscheiden habe, innerhalb deren die gesetzgebende Gewalt vom Staatsoberhaupt ohne Zuziehung der Vertretung ausgeübt werden kann. Hält man fest, daß das Gericht nicht überhaupt über diese Gränze in seinem Urtheil zu entscheiden hat (siehe unten), so ist kein Grund vor- handen, die Competenz des Gerichts, die Gesetzesqualität als Ent- scheidungsgrund anzunehmen oder zu verwerfen, zu bezweifeln. Denn eine Thätigkeit des Gerichts ohne Gesetz ist undenkbar; soll nun ein öffentlicher Akt ein Gesetz dadurch werden, daß das Staatsoberhaupt ihn einseitig dafür erklärt, so ist damit ausgesprochen, daß die Gränze zwischen Gesetz und Verordnung eben nicht mehr in der Verfassung, sondern in dem Willen desjenigen liegt, der, indem er die Verfassung gab, eben der Gültigkeit seines Willens jene objektiven verfassungs- mäßigen Bedingungen vorschrieb: ein Widerspruch, der am letzten Orte in der Aufhebung der Competenz des Gerichts nichts anders ist, als die Auflösung der Verfassung selbst. Es ist daher eine Ausschließung der Competenz des Gerichtes auch hier gar nicht denkbar. Allerdings hat das eine Reihe von großen Uebelständen und Verwicklungen zur Folge, die selbst durch die folgenden Grundsätze nicht beseitigt werden können. Allein es ist durchaus falsch, den Grund derselben in der Competenz der Gerichte suchen, und ihre Folgen durch Beschränkung der letztern heben zu wollen. Die Ursache ist keine andere als der Mangel im verfassungsmäßigen Begriff des Gesetzes selbst ; diesen zu beseitigen, ist niemandem gegeben als der Verfassung selbst, und die leere Klage, daß ein Uebergangsstadium etwas Unvollständiges enthalte und darum Uebelstände erzeuge, ist im Grunde unverständig; sie hat nur Werth, wenn sie den Weg und das Mittel der Abhülfe bietet. II. Der Inhalt der Entscheidung des Gerichts. Steht es demnach fest, daß das Gericht unbedingt competent ist, bei jeder Klage über einen Privat- wie über einen Verwaltungsakt sich darüber zu entscheiden, ob der angezogene öffentliche Akt ein Gesetz oder eine bloße Verordnung ist, so müssen wir jetzt eine zweite Seite der Sache betrachten. Man hat nämlich den ganzen Standpunkt dieser Competenz aus weiter gehenden Gründen bestritten, und zwar nicht so sehr aus dem begrifflichen Wesen des Gerichts, als vielmehr aus der Natur seiner organischen Funktion im Gesammtleben des Staats. Es ist nothwendig die Zweifel genau zu erwägen. Man hat nämlich gesagt, daß ein solches Recht des Gerichts nicht bloß die Verwaltung, sondern den gesammten rechtlichen Zustand unsicher mache. Und zwar darum, weil das Gericht selbst einerseits an seine Urtheile nicht gebunden ist, und daher der Fall eintreten könne, daß dasselbe Gesetz einmal als solches anerkannt, das anderemal als solches nicht anerkannt werde. Diese Möglichkeit, die theils im Wesen des Instanzenzuges liege, theils auch in der vollen Unabhängigkeit der Ge- richte gleicher Instanzen neben einander, müsse zur völligen Auflösung des gesetzlichen Rechts führen. Die Entscheidung über das Vorhanden- sein eines Gesetzes sei daher im Widerspruch mit der organischen Funktion des Gerichts, und seine Competenz müsse daher da aufhören, wo diese Gesetzesqualität bestritten wird. Man hat ferner gesagt, daß durch eine solche Competenz des Ge- richts nicht bloß die Qualität und das Recht der ganzen Gesetzgebung, sondern auch das Verordnungsrecht, und damit die gesammte Thätigkeit der Verwaltung gefährdet erscheine. Denn die Möglichkeit, daß das Gericht eine Verordnung im Namen eines Gesetzes für ungültig erkläre, bedrohe den Gehorsam, und damit den Staat selber. Diese Erwägungen nun beruhen auf einem durchgreifenden Miß- verständniß über den Inhalt desjenigen, worüber das Gericht zu entscheiden hat . Und es ist von ganz entscheidender Bedeutung, sich dieß so klar und bestimmt zu formuliren als möglich. Denn vielleicht sind es gerade die Befürchtungen, welche dem einfachen von uns auf- gestellten Klagrecht seinen Eingang in die Praxis verwehren. In der That nämlich hat das Gericht niemals weder die Ge- setzesqualität noch die Gültigkeit eines öffentlichen Aktes als solchen zum Gegenstand und Inhalt seiner Entscheidung zu machen; das Urtheil eines Gerichts kann niemals das Gesetz und die Ver- ordnung als solche betreffen . Daher kann auch das Gericht niemals auf den Gehorsam der Staatsbürger gegenüber der voll- ziehenden Gewalt einen unmittelbaren Einfluß haben; das Gericht ist im Gegentheil verpflichtet, den Ungehorsam selbst gegen ungesetzliche Verordnungen zu bestrafen, sobald derselbe den passiven Widerstand überschreitet. Die Nichtanerkennung der Gesetzlichkeit einer Verordnung oder der Gesetzesqualität eines öffentlichen Akts, indem dieselbe nicht einmal für den einzelnen fraglichen Fall die Verpflichtung zum Gehorsam aufhebt, thut dieß noch weniger im Allgemeinen; es kann daher die Competenz des Gerichts, die Gesetzesqualität zum Zwecke seines richterlichen Urtheils über das Klagobjekt zu bestimmen, niemals den Gang der Verwaltung stören, und es ist daher nur ganz consequent, wenn die Verfassungen, welche das Klagrecht gegen jeden Verwaltungs- akt zulassen, hinzufügen, daß dadurch der „freie Gang der Verwaltung nicht gehindert werden dürfe.“ (Königreich Sachsen §. 49. Braun- schweig §. 195 u. a. m. Zöpfl §. 453.) Es ist mithin auch durchaus falsch, wenn man meint, die Gerichte hätten das Recht ein Urtheil darüber zu fällen, ob eine Behörde zum Erlaß einer Verordnung berechtigt sei oder nicht. Das gehört eben so wenig zu ihrer Competenz, als die Frage, ob eine Verfügung eine zweckmäßige Ausführung des Gesetzes enthalte; Englands Grundsätze sind in dieser Beziehung durchaus falsch (siehe oben) und nur durch die dort noch bestehende Verschmelzung von Justiz und Administration erklärlich. Allerdings wäre jede Selbstthätigkeit und Tüchtigkeit der Verwaltung geradezu unmöglich, wenn die Gerichte ein solches, dem organischen Leben des Staats direkt widersprechendes Recht haben sollten. Es folgt mithin der wichtige Satz, daß jeder Ausspruch eines Gerichts über die Gesetzesqualität eines öffentlichen Akts überhaupt und über das Verhältniß einer Verordnung zum Gesetz niemals eine weitere Gültigkeit hat, als für den einzelnen Fall , in welchem derselbe erlassen wird. Der entscheidende Ausspruch, daß eine Verordnung ge- setzwidrig sei, macht sie weder objektiv und allgemein gesetzwidrig, noch bindet derselbe das Gericht für den nächsten Fall einer Klage gegen die- selbe Verordnung, in welchem sogar dasselbe Gericht die Gesetzmäßigkeit derselben anerkennen kann. Es folgt schon aus dieser Möglichkeit, daß niemals über das Recht des Gesetzes oder der Verordnung an sich vom Gericht geurtheilt werden kann und darf, da allerdings damit alle Ordnung untergraben wäre. Es folgt aber ebenfalls aus dem Obigen, daß die geforderte Competenz des Gerichts niemals etwas Bedenkliches weder für das gesetzliche Recht noch für die Thätigkeit der Verwaltung hat noch haben kann, und daß alle Darstellungen geradezu falsch sind, welche behaupten, daß durch eine solche Competenz das Gericht über Gesetzgebung und Verwaltung gestellt werden, sondern das wahre Verhältniß ist folgendes. Das Gericht hat nämlich zum Inhalt seines Urtheils niemals etwas anderes zu machen, als den betreffenden Streitfall. Es kann daher seinen Ausspruch sowohl über die Gesetzesqualität eines öffentlichen Aktes als über das Verhältniß zwischen Verordnung und Gesetz zwar Stein , die Verwaltungslehre. I. 13 als Entscheidungsgrund , aber nie als Urtheil publiciren. Jedes Urtheil eines Gerichts, das die Gültigkeit oder Gesetzmäßigkeit eines öffentlichen Akts als solchen zum Inhalt hat, muß an und für sich als nichtig anerkannt werden , weil das Gericht hier seine Com- petenz überschritten hat. Und diese Ueberschreitung der Competenz kann das Staatsoberhaupt als Inhaber der Organisationsgewalt aussprechen. So lange dagegen das Gericht mit seinem Ausspruch über jene Punkte innerhalb der Entscheidungsgründe bleibt, ist es in seiner organischen Competenz, und in solcher unantastbar. Diese Competenz erscheint eben deßhalb schon dann überschritten, wenn das Gericht eine Klage an- nimmt, deren Petitum auf die Ungültigkeitserklärung eines öffent- lichen Aktes lautet. Es hat eine solche Klage angebrachtermaßen ab- zuweisen, wogegen jede öffentlich rechtliche Darlegung, aus welcher diese Ungültigkeit als Klagfundament erfolgt, ganz die Natur eines civilprocessualischen Beweises hat. Das Urtheil des Gerichts kann daher nur auf die rechtliche Unverbindlichkeit des Einzelnen in dem einzel- nen beklagten Falle, beziehungsweise auf die Haftung des vollziehenden Organes für den angerichteten Schaden gegen den Kläger lauten; der Ausspruch des Gerichts über die Gesetzesqualität kann nie etwas anderes sein, als die Motivirung seines Urtheils auf die eingereichte Klage. Faßt man nun dieß zusammen, so ergibt sich auch die Harmonie der aufgestellten Grundsätze mit dem Princip der verfassungsmäßigen Verwaltung, aus welchem das ganze Competenzrecht nach allen Seiten hin sich entwickelt hat. Die Funktion des Gerichtes im bürgerlichen Leben besteht in der Bestimmung des gesetzlichen Rechts für den einzelnen Streitfall; die Funktion des Gerichts im Staatsleben kann keine größere sein , aber sie darf auch keine geringere sein . Das Gericht hat auch für den Fall, in welchem die Vollziehung mit dem Einzelnen in Conflikt kommt, das gesetzliche Recht für diesen einzelnen Fall auszusprechen, und sich im Uebrigen weder um die Principien der Verwaltung, noch um die Folgen des Gehorsams zu kümmern. Die Gewalt, mit welcher diese Competenz des Gerichts daher die Aktion der Vollziehung auf die bestehenden Gesetze zurückführt und die Harmonie beider sichert, liegt daher niemals in dem einzelnen Urtheil , sondern in der Wahr- scheinlichkeit, daß in einem gleichen Falle ein gleiches Urtheil zu gewärtigen ist, und die Vollziehung daher in jedem gleichen Falle einer gleichen, wenn auch immer nur einzelnen Verurtheilung gewärtig sein muß. Während daher die Verantwortlichkeit die Harmonie zwischen dem Geiste der Gesetze und der Verordnungen im Ganzen herstellt, erzeugt die gerichtliche Competenz diese Harmonie für alle einzelnen Fälle . Und die wahre Verfassungsmäßigkeit der Verwaltung muß daher, unter völliger Beseitigung des Unterschiedes zwischen Administra- tiv- und Justizsachen, auf dem grundsätzlich durchgeführten Unterschiede zwischen Klag- und Beschwerderecht, und der entschiedenen Competenz des Gerichtes über die Gesetzesqualität öffentlicher Akte beruhen. Das kann aber wiederum nur dann ohne Streit- und Competenzconflikt durchgeführt werden, wenn der formelle Begriff des Gesetzes ver- fassungsmäßig anerkannt ist. Mit dieser Anerkennung ist dann auch der Competenzconflikt aufgehoben, und das harmonische Zusammenwirken aller Organe dauernd gesichert. Wir glauben, daß der Werth der obigen Darstellung gegenüber den be- kannten Theorien von Bischof, Stahl u. A. wesentlich darin liegt, den In- halt des richterlichen Urtheils auf den positiven Inhalt des einzelnen Rechts- falles zurückgeführt und das Urtheil über Gesetz und Verordnung an sich definitiv ausgeschlossen zu haben; denn die ganze entgegenstehende Theorie beruht eigentlich auf diesem Punkte, während ebenso die der gerichtlichen Competenz günstige Meinung ihrerseits immer die allgemeine Competenz statt der einzelnen fordert. Wir stimmen daher vollkommen mit Gneist : „Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zu Stande gekommen?“ (Gutachten für den vierten deutschen Juristentag, 1863) überein; nur antworten wir nicht einfach mit Ja, sondern wir sagen „in seinen Entscheidungs- gründen ja , in seinem Urtheil nein .“ Es würde unsere Aufgabe über- schreiten, hier die Kritik der einzelnen Literatur durchzugehen. Man vergleiche im Allgemeinen Gneist a. a. O.; Verhandlungen des vierten deutschen Juristentages (Gutachten von Stubenrauch und von Jacques ), wo die eigentliche Frage dadurch unklar wird, daß man sie auf das Recht der „Prüfung“ von Gesetz und Verordnung bezieht, ein Recht, welches natürlich gar nicht zweifelhaft sein kann, während das, worauf es ankommt, die Frage ist, welche Bedeutung das von Gneist ausgesprochene Resultat der Prüfung für die Gültigkeit beider hat — ein Punkt, der nicht zur Erledigung gelangt ist. Namentlich Jacques ist darüber gänzlich unklar; doch sieht man, daß er viel Gefühl für die Verfassungsmäßigkeit des Verwaltungsrechts besitzt. S. 256. Zachariä (Deutsches Staatsrecht II. §. 177), Zöpfl (Deutsches Staatsrecht II. §. 451. und a. m. O. — So viel, glauben wir, wird indessen einleuchtend sein, daß die entscheidende Beantwortung dieser Frage nur in einer allgemein organischen Auffassung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts gegeben werden kann, und daß endlich der Grund der Unklarheit in der deutschen Literatur in der Unfertigkeit des deutschen geltenden Staatsrechts liegt. Nur hier kann die rechte Lösung, die Erhebung über den englischen und die Befreiung von dem französischen Standpunkt gefunden werden. Dritte Abtheilung. Das Polizeirecht. (Das Zwangsrecht.) I. Begriff und Natur des Zwangsrechts. Die dritte Form der Regierungsgewalt ist die Polizeigewalt. Wir haben sie bezeichnet als diejenige Gewalt, vermöge deren die einzelne Persönlichkeit gezwungen ist, dem Willen des Staats sich im einzelnen Falle gemäß zu verhalten. Die Polizei erscheint daher in ihren einzelnen Thätigkeiten als Zwang gegen den Einzelnen. Der Zwang ist aber ein äußerliches Bestimmen der Sphäre einer persönlichen Selbständigkeit. Er tritt daher in Gegensatz zur freien Selbstbestimmung, und dieß Ver- hältniß, als ein auf den höheren organischen Gründen des Gesammt- lebens beruhendes, erscheint als ein Recht der Regierungsgewalt; dieß Recht ist das Zwangsrecht . Es ist nun durchaus nicht nothwendig, ein eigenes Organ für die Ausübung der Polizeigewalt, Polizeiministerium oder Polizeidiener zu denken, um zum Begriffe der Polizeigewalt und des Polizeirechts zu gelangen. Jedes Organ der Regierung hat eine gewisse Polizeigewalt und ein gewisses Zwangsrecht. Um so nothwendiger ist es, das letztere als einen wesentlichen Theil der vollziehenden Gewalt überhaupt seinem allgemeinen Inhalt nach zu bestimmen. Der Zwang ist zunächst ein Akt, der äußerlich in das Leben des Einzelnen eingreift. Er erscheint daher auf den ersten Blick als die einfache und rohe Negation des Rechts. Es ist deßhalb ferner natürlich, daß man ihn nicht bloß fürchtet, sondern auch geneigt ist, in ihm den Gegner der freien Selbstbestimmung überhaupt zu sehen. Die Polizei als Trägerin des Zwangsrechts ist daher, namentlich in den unent- wickelten und unklaren Zuständen des deutschen öffentlichen Rechts, fast immer als Feind der öffentlichen Freiheit erschienen. Der historische Grund dafür ist leicht erkennbar. In der Zeit, wo es keine verfassungs- mäßige Gesetzgebung gab, sondern gesetzgebende und vollziehende Gewalt in Einem individuellen Willen vereint waren, mußte jedes Recht dem einfachen Akte der vollziehenden Gewalt sich unterwerfen, womit der Wille derselben eben durch jene Verschmelzung zugleich Gesetz und Recht war. Es genügte daher für jede Gewalt und jeden Zwang, nachzu- weisen, daß sie im Namen der Staatsgewalt auftraten, um vollkommen berechtigt zu sein, jedes Rechtsverhältniß zu vernichten. Die Polizei- gewalt erschien daher nicht bloß als über jedes gesetzliche Recht erhaben und ohne innere und äußere Gränzen, sondern sie war es auch rechtlich in der That; daher denn jene geheime und offene Abneigung gegen die Polizeigewalt, gegen welche weder Recht noch Gesetz schützten, und daher denn auch jener Zustand, in welchem man in dem Kampfe gegen die Polizei einen Kampf für die staatsbürgerliche Freiheit zu bestehen glaubte und zum Theil wirklich bestand. Daß dabei ein richtiges Verständniß der Polizei nicht entstehen konnte, ist einleuchtend. Erst mit dem Auftreten der selbständigen Gesetzgebung in der Ver- fassung tritt das gesetzliche und erworbene Recht dem Rechte der Re- gierungsgewalten überhaupt und mithin auch dem Recht der Polizei selbständig gegenüber; es gibt eine rechtliche Gränze, welche der Zwang nicht überschreiten darf, und diese Gränze ist das Zwangsrecht . Den- noch ist bei aller Einfachheit des Grundbegriffes der Inhalt desselben keinesweges so einfach. Wir müssen dabei bemerken, daß bei einem fast vollständigen Mangel an eingehender Literatur und bei nur theilweise ausgebildeter Gesetz- gebung über das Zwangsrecht die Natur der Sache die Hauptquelle der folgenden Darstellung sein muß. Das Zwangsrecht ist demnach seinem Begriffe nach das Recht, welches die Gränze der äußerlichen Anwendung der Gewalt gegenüber dem Einzelwillen bestimmt, wo es sich um die Unterwerfung des letzteren unter den Staatswillen handelt. Und da nun das Organ, welches diesen Zwang ausübt, die Polizei heißt, so nennen wir dieß Zwangsrecht im eigentlichsten und strengsten Sinne des Wortes das eigentliche Polizeirecht . Der Zwang er- scheint daher als die letzte Aktion der vollziehenden Gewalt, und zwar da, wo dieselbe als Staatswille dem Einzelwillen in wirklicher That entgegentritt, und das Zeichen der hohen Gesittung im Staatsleben ist es, daß auch hier, wo die materielle Gewalt in Bewegung kommt, von einem Rechte geredet werden kann und muß. In der That ist die Erscheinung des Rechts selbst auf diesem Punkte die Erscheinung der geistigen Herrschaft über die äußere Gewalt; das Recht des Zwanges ist der Prüfstein der bürgerlichen Freiheit im Staatsleben, und in diesem Sinne verdient dasselbe höchste Beachtung. Wir haben bisher vermieden, uns über den Begriff der Polizei auszu- sprechen, und werden auch hier nicht näher in denselben eingehen. Gerade weil er so vollständig unklar ist, bedarf es einer genauen Darlegung des Ver- hältnisses desjenigen Gebietes, wohin derselbe gehört, nämlich der inneren Verwaltung. Dennoch ist es nothwendig, wenigstens die elementare Begriffs- bestimmung schon hier zu geben. Das Wort Polizei hat drei Bedeutungen. Im allgemeinsten Sinne ist die Polizei gleichbedeutend genommen mit der ganzen inneren Verwaltung überhaupt, so daß Polizeirecht und Polizeiwissen- schaft identisch werden mit Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre — eine Verwirrung, welche zu den größten Unklarheiten führt, und ohne deren Be- seitigung an ein Verständniß des Staatslebens nicht gedacht werden kann. Geht doch die Unsicherheit in diesem Gebiete so weit, um nur zwei schlagende Bei- spiele anzuführen, daß Mohl , der drei Bände über Polizeiwissenschaft geschrieben, dieselben Gegenstände in seinem Württembergischen Staatsrecht wieder als Verwaltungsrecht gegenüber dem Verfassungsrecht aufführt, während Mayer ein Buch über Verwaltungsrecht schreibt, in welchem selbst der Ausdruck Polizei sorgfältig vermieden ist, als ob man ohne Polizei verwalten könne. Wir schweigen hier von der vollkommenen Unmöglichkeit, sich Rechenschaft davon ab- zulegen, was seit hundert Jahren die deutsche Staatsrechtslehre unter der „Polizeihoheit“ gedacht hat. Es ist klar, daß die Erledigung der ganzen Frage erst in der Lehre von der inneren Verwaltung gegeben werden kann, auf die wir hier verweisen. Natürlich denken wir nicht daran, den Ausdruck Polizei und Polizeirecht im obigen Sinne zu gebrauchen. Im engeren Sinne bedeutet das Wort Polizei einen Theil der Theorie und, wie wir ausdrücklich hinzufügen, auch einen großen Theil der Gesetz- gebung, dasjenige Gebiet der inneren Verwaltung, welches wir die Sicher- heitspolizei nennen. Die Theorie unterscheidet dann die Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei, und umfaßt mit beiden Begriffen eigentlich die Verwaltungs- lehre, wodurch dann z. B. die Bildungsanstalten als polizeiliche Wohlfahrts- anstalten zu Tage kommen. Es ist nutzlos, hier auf diese Vorstellungen ein- zugehen, und kaum nöthig, zu bemerken, daß der Sinn, in welchem wir den Ausdruck Polizei und Polizeigewalt gebrauchen, sich keineswegs bloß auf die Sicherheitspolizei erstreckt, sondern das ganze Staatsleben umfaßt, aber in demselben nur Ein Moment zum Inhalt hat, nämlich den Zwang, den jedes Gesetz und jede Verordnung fordert, möge sie nun zur Sicherheitspolizei oder zu irgend etwas anderem gehören. Für uns ist daher die Polizei nichts als die zwingende Gewalt für sich gedacht , mag sie erscheinen, wo sie will. Sie ist ein Moment der Voll- ziehung, aber ein selbständiges, und durchdringt den ganzen Staat und sein Leben wie die letztere, erscheint jedoch nur dann, wo der thätige Wille des Einzelnen mit dem thätigen Willen des Staats in Widerspruch tritt. Der organische Zusammenhang dieses Moments mit dem Ganzen, denken wir, ist klar. Und in diesem Sinn ist das Polizeirecht eben nichts anderes, als das Zwangsrecht der Organe, welche den Zwang ausüben. Das ist der Inhalt des Folgenden. Von den Philosophen hat wohl nur Fichte in seinem Naturrecht die Frage nach dem Zwangsrecht ernstlich behandelt, nachdem Hobbes in seinem Cives und Leviathan das imperium und jus gladii als Grundlage des Staatsbegriffes selbst anerkannt. ( Naturrecht I. S. 141 ff.) Ihm ist der Zwang aber eigentlich nicht das, was wir den Zwang nennen, sondern viel- mehr die Anwendung jeder äußeren Gewalt zum Schutze des Urrechts, also auch von Seiten der Einzelnen gegen Einzelne. (Dessen Begriff der Polizei II. 140.) Wir werden in der Verwaltungslehre darauf zurückkommen. Doch dürfen wir schon hier zur Aufklärung über die Geschichte dieses Begriffes und sein Verhältniß zur Verwaltungslehre einige Bemerkungen hinzufügen. Ohne Zweifel besteht nämlich der Gang der theoretischen Entwicklung darin, daß die „Polizei“ ursprünglich nicht bloß das materielle Gebiet, sondern sogar die höhere Idee der Verwaltung ausdrückte, wovon sich dann allmählig die eigentliche Polizei als Sicherheitspolizei ablöst, in unsrer Zeit jedoch noch immer beides zugleich bedeutet, was auch nicht eher besser werden wird, als bis wir den Begriff einer selbständigen Verwaltungslehre anerkannt haben werden. Natürlich ist unter diesen Umständen von einem klaren Verständniß des Polizeirechts keine Rede, da es bald Zwangsrecht, bald Verwaltungs- recht, bald beides zugleich bedeutet. Die ursprüngliche Auffassung, wie wir sie bei Seckendorf finden, kommt eigentlich weder zu der bestimmten Frage nach dem Princip der Verwaltung, noch zu der Gränze ihres Rechts, sondern setzt einfach, daß die „Mittel der Handhabung hauptsächlich und insgemein in dem obrigkeitlichen Zwang und rechtmäßiger Gewalt, welche nach göttlicher und aller Völker Ordnung und Recht, derselben zukommen, und zu Vollstreckung ihres Amts unabänderlich gehört,“ bestehen (Thl. II. Kap. X. ). Die Gränze des Rechts bleibt dabei natürlich unentwickelt, und der Regent, beziehungsweise die Obrigkeit , be- stimmt allein, was zur Handhabung ihrer Aufgabe „unabsonderlich“ gehört. Es ist das der Standpunkt der Vermischung des göttlichen und des fürstlichen Rechts, den uns der Ausdruck „Obrigkeit“ bezeichnet, der dem 16. und 17. Jahrhundert eigenthümlich ist, und der den Begriff der Polizei noch gar nicht kennt. Dieser erscheint erst im folgenden Jahrhundert. Der Kampf der ständischen Autonomie gegen die staatliche Gewalt des Fürstenthums erzeugt nun den Versuch, jene unabsonderlichen Handhabungs- mittel der Regierung auf einen festen Rechtsboden zurückzuführen, und damit in dem Begriff der Polizei die erste Frage nach der Polizeigewalt. Die Polizei selbst erschien als ein selbständiges Hoheitsrecht des Staats neben den andern Hoheitsrechten, und jetzt strebte man, die rechtlichen Gränzen dieser Hoheit, wie die der andern, zu finden. Die natur der Sache machte das natürlich unmöglich. Die Lehrer des allgemeinen, wie namentlich die des deutschen Staatsrechts, denen beide Principien, das der Verwaltung und das der indi- viduellen Selbständigkeit, gleichmäßig klar waren, ohne daß sie sie in Harmonie zu bringen wußten, umgingen die eigentliche Frage, indem sie beide zugleich aufstellten, den Begriff und die Aufgabe der Polizeigewalt ganz allgemein definirten, und es nun jedem überließen, sich in Betreff der praktischen Gränze selbst zurecht zu finden. So Pütter a. a. O. Gönner §. 328 und 363. Klüber §. 383 ff. Zachariä Kap. II. §. 161 („die rechtlichen Gränzen der Polizeigewalt sind im Allgemeinen die nämlichen, welche für die Staatsgewalt überhaupt aufgestellt wurden“). Maurenbrecher §. 188 und 195 („in den Zwecken der Polizei liegt die natürliche Gränze der Polizeigewalt“), wörtlich wie Berg , Polizeirecht I. 88 („die Polizei darf nie weiter gehen, als ihr eigen- thümlicher Zweck erfordert“). — Eine ganz andere Gestalt bekam die Frage, als die neue organische Gestalt des Staats den Begriff eines besonderen Hoheits- rechts verwischte, und die Staatslehre als Staat srecht das Recht der Polizei auf die Verfassung zurückführte. Jetzt schied sich die Frage nach dem Recht des einzelnen Falles der Anwendung der Polizeigewalt, die man schon als Admini- strativgewalt aufzufassen begann, von der Frage nach dem Princip für jene Gewalt. Jene nun erschien gegenüber der immer bestimmteren Ordnung der Verwaltungsorgane und des damit entstehenden objektiven Rechts für ihre Com- petenz als ganz bestimmtes Rechtsgebiet des Competenzrechts , bei welcher dann freilich auf das abstrakte Princip wenig Rücksicht genommen wurde. Diese dagegen trat zunächst auf als ein fast allgemeiner Versuch, die bürgerliche Frei- heit gegen die Polizeigewalt zu schützen . Dieser Versuch beginnt schon im vorigen Jahrhundert namentlich in dem Streben, das Gebiet der Rechtspflege von dem der Polizeigewalt unabhängig zu machen; namentlich Hohenthals Liber de politia, 1776 (8.); besser, gründlicher und ausführlicher Fischers Lehrbegriff sämmtlicher Cameral- und Polizeirechte (1785), und Moser , Grund- sätze von der Polizei. Mit Berg fängt dagegen der Versuch an, das Recht der Polizei nicht bloß zu beschreiben, sondern es auf das Princip der Verwal- tung zurückzuführen, und dabei zugleich auf die in der Natur der Sache liegenden Gefahren aufmerksam zu machen. Wir können nicht umhin, auf die schöne Stelle S. 87. 88. hinzuweisen; besseres ist eigentlich von keinem folgenden gesagt worden: „Das Recht der Polizei ist allein auf der Beförderung des Staatszweckes gegründet. Wenn Plane der Herrschsucht oder des Eigennutzes unter dem Vorwande der Polizei durchgesetzt, wenn allein zum Vortheile oder zur Bequemlichkeit der Regenten Rechte der Unterthanen gekränkt, Eingriffe in ihr Eigenthum unternommen, Lasten auferlegt, Dienste erzwungen werden sollen, so ist das wohlthätigste Hoheitsrecht in das drückendste Unrecht offenbar ausgeartet. Hier, wo der Reize und Gelegenheiten zu willkürlicher Aus- dehnung dieser Gränze so viele sind, ist doppelte Vorsicht nothwendig“ (1799). — Diese Gedanken sind in den vielfachsten Variationen später theils mit mög- lichster rationeller Begründung aus dem Wesen der Aufgabe der Staatsverwal- tung, wie von Lotz (über den Begriff der Polizei und den Umfang der Staats- polizeigewalt, 1807), Emmermann (über Polizei, ihren Begriff und ihr eigenthümliches Verfahren, 1811), und in neuerer Zeit wieder von Mohl (Polizeiwissenschaft I. §. 5 ff. u. a. m.) durchgeführt, während eine zweite Rich- tung, an deren Spitze Rotteck stand, es für ihre Aufgabe hielt, die Polizei- gewalt als solche als eine Gegnerin der staatsbürgerlichen Freiheit zu bekämpfen, die falsche Anwendung derselben mit der richtigen verschmelzend. Ein Haupt- grund war dabei, daß man nach dem Vorgange des vorigen Jahrhunderts noch immer die ganze Verwaltung als Polizei bezeichnete, was leider durch Mohls Verwechslungen nur befestigt ward; oder gar wie v. Moy die Polizei allein auf das „gesellige Leben“ bezog (Bayerisches Verwaltungsrecht I. 120), oder wie Zimmermann (Deutsche Polizei im 19. Jahrhundert) die unbequeme Beobachtung des bürgerlichen Lebens zu sehr in den Vordergrund drängte. — Man muß nun hoffen, daß die Versuche, eine durchgreifende, objektiv rechtliche Gränze zu ziehen, wo sich eben keine ziehen läßt, zu Ende sind, und daß die Angst der Freiheit vor der Polizei dem tiefern Verständniß der Verwaltung weichen wird. II. Das Princip des Zwangsrechts. Das Princip des Zwangsrechts entsteht nun, indem die beiden Elemente desselben ihr durch das Wesen der staatsbürgerlichen Frei- heit gefordertes Verhältniß empfangen. Und indem dieß Verhältniß zum Gegenstand der Gesetzgebung wird, entsteht das verfassungsmäßige Zwangsrecht. Jene beiden Elemente sind, wie schon erwähnt, die Nothwendigkeit, den selbstherrlichen Willen des Staats auch gegen den Willen des Ein- zelnen zur Verwirklichung zu bringen, und die Forderung, diesem Willen seine Selbständigkeit so weit zu erhalten, als es der Wille des Staats zuläßt. Das erste, der Wille des Staats, indem er durch einzelne Per- sönlichkeiten ausgeübt wird, empfängt eben dadurch das Element der sub- jektiven Willkür, und die Selbständigkeit und Freiheit des Einzelnen ist gerade, gegenüber einer solchen Ausübung des Zwangsrechts des Staats, in Gefahr, nicht mehr dem Willen des letzteren, sondern dem des ob- jektiven zwingenden Organs sich unterwerfen zu müssen. Es ist nun die Aufgabe des Rechts für die vollziehende Gewalt, die Freiheit des Einzelnen gegen diese Möglichkeit zu schützen, und die Gesammtheit der Bestimmungen, welche auf diese Weise die zwingende That der einzelnen vollziehenden Organe auf den wirklichen Inhalt des Staatswillens zurück- führen, und damit den Einzelnen gegen die Willkür und den Zufall des Zwanges schützen, bilden das verfassungsmäßige Zwangs- oder Polizeirecht , als dritten Theil des verfassungsmäßigen Rechts der vollziehenden Gewalt. Dieß verfassungsmäßige Zwangsrecht ist nun zwar in keinem Staate Gegenstand einer systematischen Gesetzgebung geworden. Allein dennoch beruht es auf einigen sehr einfachen Grundsätzen, welche, wenn auch oft zum Theil verkannt, niemals ganz verschwunden sind, und die jetzt in manchen einzelnen Punkten Gegenstand eingehender Gesetze geworden, und auch da, wo dieß nicht geschehen, im Wesentlichen als geltendes Zwangsrecht als anerkannt zu betrachten sind. Nur haben diese Grund- sätze in den einzelnen Staaten eine verschiedene Gestalt, welche wieder mit den Principien des Klag- und Competenzrechts innig zusammen- hängt. Sie lassen sich auf folgende Punkte zurückführen. 1) Jede Ausübung des polizeilichen Zwanges hat zu ihrer ersten Voraussetzung, daß in demselben die Gewalt des Staates und nicht die eines Einzelnen gegen den Einzelnen auftritt. Es ist daher das erste Recht des Einzelnen, im Falle des Zwanges sich diese Gewißheit schaffen zu können. Diese nun kann nur in den Formen bestehen, in welchen die Personen, die den Zwang ausüben, entweder einen all- gemeinen Auftrag nachweisen, und zwar durch ein Symbol ihrer Gewalt, oder einen speziellen durch ein Dokument . Die Natur der Sache hat beide Punkte mehr als die Gesetzgebung bestimmt. Diesem Principe entsprechen zwei Verpflichtungen. Die erste besteht darin, daß die Organe der Polizei das Symbol ihrer polizeilichen Ge- walt auch wirklich bei sich führen und vorzeigen müssen, wobei es zweck- mäßig ist, die Bestimmung dieses Symbols gesetzlich vorzuschreiben. Es ist nicht möglich, dem Einzelnen eine Verpflichtung zum Gehorsam gegen ein Individuum aufzuerlegen, das ohne dieß Symbol einen Zwang ausüben will; man muß im Gegentheil das Recht des materiellen Wider- standes so lange einräumen, als dasselbe nicht vorgezeigt wird. Dagegen würde das Recht der Verificirung des Symbols von Seiten des Einzelnen jeden Zwang illusorisch machen. Der Staat hat kein Mittel, den Be- trug auf diesem Punkte gänzlich zu beseitigen; der Einzelne muß die Gefahr des möglichen Falsums tragen, da sie geringer ist als die Gefahr der Auflösung der vollziehenden Thätigkeit durch das Recht des Einzelnen, einen Beweis für die Richtigkeit des Symbols zu fordern, ehe er gehorcht. Die zweite Verpflichtung der vollziehenden Gewalt besteht darin, da wo es sich um die Vollziehung eines, bis dahin in irgend einer amtlichen Verhandlung begriffenen Ausspruches eines öffent- lichen Organs handelt, diese Vollziehung durch ein amtliches Doku- ment zu befehlen, und in diesem amtlichen Dokumente die Gründe, die Art und das Maß des vollziehenden Zwanges aufzuzeichnen. Diese Verpflichtung ist im Gebiete der Verwaltung der Finanzen und der Rechtspflege wohl in allen Staaten ausdrücklich anerkannt. Sie kann nur zweifelhaft werden im Gebiete der innern Verwaltung, da hier nicht immer eine förmliche Verhandlung vorausgehen kann, z. B. wenn der Einzelne in Gefahrsfällen eine Leistung zu machen oder etwas zu bieten hat, oder in den Fällen der Sicherheitspolizei, wo es sich um Verhaftungen handelt. Man muß daher bei dem Satze stehen bleiben, daß ein Vollziehungsdokument von der betreffenden Behörde nur da nothwendig ist, wo sich der Zwang auf eine bereits vorhandene und dem Einzelnen bekannte Verhandlung bezieht, während in allen andern Fällen der Beweis durch das amtliche Polizeisymbol ausreicht. In diesen Fällen nun, wo ein solches Dokument den Zwang nicht bestimmt und bestimmen kann, muß mithin ein anderes Princip ein- treten, welches das Recht des Einzelnen gegen die Willkür des Organs schützt. Dieß nun ist in folgender Weise zu denken und auch in den meisten Gesetzgebungen in den einzelnen Punkten bereits aufgestellt. 2) So lange der Befehl des vollziehenden Organs oder der Zwang desselben sich nur auf wirthschaftliche Verhältnisse bezieht, läßt sich die Sicherung des Rechts des Individuums gegenüber jenem Organ nur denken in der Form einer Klage , welche nach geleistetem Gehorsam auf Schadensersatz geführt wird, da in keinem Falle der Gehorsam durch die Meinung, daß der Zwang ein unrechtlicher sei, beseitigt werden kann. So wie dagegen der Zwang gegen die Freiheit der Person selbst geht, so tritt das höchste Element der persönlichen Selbständig- keit mit dem Willen des Staats in Widerspruch. Hier ist es die Auf- gabe, diese Beschränkung der persönlichen Freiheit in derjenigen Form zu bestimmen, welche, indem sie die wirkliche Vollziehung sichert, zugleich die rechtliche Selbständigkeit des Individuums so wenig als möglich beschränkt. Dazu nun gibt es zwei Wege. Der erste Weg ist die Annahme der Bürgschaft statt der Verhaftung oder kurz das Cautionsrecht . Das Cautions- oder Bürgschaftsrecht beruht darauf, daß es bei der Vollziehung eines Gesetzes sich nicht grund- sätzlich um die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen des Staats handelt, sondern nur um die Gewißheit, daß dieser Wille überhaupt vollzogen werde, und daß die Freiheit der Person als das höchste Gut des Einzelnen eben darum so lange unangetastet bleiben müsse, als es ein anderes Mittel gibt, jene Vollziehung zu sichern. Dieß Mittel besteht nun in der Sicherung der Vollziehung durch die Hingabe eines wirthschaftlichen Gutes an die vollziehende Gewalt, dessen Verlust durch seinen Werth dem Maße der Strafe, welche möglicher Weise ausgesprochen werden könnte, entspricht. Die Caution ist der Akt, durch welchen ein solcher Werth als Objekt der Vollziehung der polizeilichen Gewalt ge- sichert wird. Das Recht, an der Stelle der persönlichen Verhaftung eine Caution stellen zu dürfen, ist daher die Anerkennung der staats- bürgerlichen Freiheit gegenüber der Zwangsgewalt des Staats; allein so natürlich sie in geringern Fällen ist, so unmöglich ist sie in andern Fällen. Es muß daher gesetzlich die Grundlage feststehen, auf der sie zugelassen oder abgewiesen werden soll. Der zweite Weg besteht darin, daß die Polizeigewalt, wo die Ver- haftung wirklich eintreten muß, den Einzelnen sofort dem Organe des Staats, welches das Recht verwaltet, dem Gerichte , übergeben muß. Mit dem richterlichen Urtheil und Verfahren tritt der Einzelne in den gesetzlichen Proceß, und der Moment der subjektiven Willkür verschwindet. Wesentlich ist natürlich die gesetzliche Bestimmung der Zeit , welche zwischen der Verhaftung und der Uebergabe an den Richter liegen muß; denn Zeit und Form bilden hier den Inhalt des Rechts der staats- bürgerlichen Freiheit und ihrer Gränze gegenüber dem Zwange und seinem Recht. Dieß sind nun die allgemeinen Grundsätze, auf denen das Zwangs- recht beruht. Es ist einleuchtend, daß ihre größere oder geringere Aus- bildung auf dem Grade beruht, in welchem die staatsbürgerliche Per- sönlichkeit gegenüber dem Staatswillen als selbständig erscheint. Und darum ist, abgesehen von Art und Maß des Zwanges, das Princip des Zwangsrechts ein so bezeichnendes Element des öffentlichen Rechts der verschiedenen Staaten, und so verschieden geartet. So schwierig es auch ist, bei dem Mangel an positiver Gesetzgebung oder Literatur hier ein vollständiges oder auch nur richtiges Bild des Princips für das Zwangsrecht in den einzelnen Staaten zu geben, so wollen wir es doch versuchen, in der Hoffnung, daß der Versuch bald tüchtigere Ausführungen finden möge. Es muß dabei festgehalten werden, daß das ganze Zwangsrecht nur als eine Consequenz des Rechts der Klage gegen Verwaltungsakte betrachtet werden kann, und daher von ihm seine Gestalt empfängt. — Wir bemerken ferner, daß wir an diesem Orte das Recht der persönlichen Verhaftung bei Wechsel- recht und bei strafrechtlichem Verfahren nicht genauer untersuchen, weil das den betreffenden Darstellungen überlassen bleiben muß. Es handelt sich daher für uns nur darum, das Princip des verfassungsmäßigen Zwangsrechts in seiner gegenwärtigen Gestalt im Allgemeinen zu charakterisiren. Man kann in dieser Beziehung, abgesehen von dem Rechte der Verhaf- tung, zwei Systeme unterscheiden, das englische und das continentale. Das englische System ist am besten in folgenden Worten bezeichnet: „Der Grundzug der englischen Verwaltung ist, daß die administrative Gewalt die Gesetze in Beziehung auf Privatpersonen nur ausführen kann nach vor- hergegangenem richterlichen Spruch , außer in dem Falle, wenn sie sich bei der Entscheidung der Verwaltung beruhigen“ ( Cod. 351; bei Gneist I. S. 305). Indessen ist dieser Satz natürlich nur da zulässig, wo eine Verhand- lung stattgefunden (siehe oben). Wo aber die Polizeigewalt auf eigene Ver- antwortung eintreten muß, da dreht sich das Princip um, und der Einzelne muß gehorchen, aber er hat die Regreßklage gegen die vollziehenden Organe, und diese müssen ihr Recht zur Anwendung des Zwanges vor dem Gerichte beweisen (siehe oben Gneist II. §. 34). — Das englische System der Cau- tionen ist genau dargestellt bei Gneist II. S. 211 ff.: „Die Abwägung — der Höhe der Caution, die Zahl und Gültigkeit der Bürgen wird dem Er- messen des Friedensrichters überlassen.“ Es ist dann Sache des letzteren, die Art und das Maß des von ihm angewendeten Zwanges bei vorkommender Klage vor Gericht zu rechtfertigen, wenn der Gezwungene sich bei dem angewen- deten Zwange nicht beruhigt. ( Gneist II. §. 73, und über die Constables §. 76.) Das französische System beruht darauf, daß bei jedem Akte der voll- ziehenden Gewalt, in welchem eine Verhandlung vorausgeht mit procès verbal, die Exekution nur auf Grundlage eines Dokuments stattfinden kann, das bei Gericht ein jugement, bei der Jurisdiktion ein arrêt ist. Das ganze System der Cautionen ist unbekannt. Wo dagegen eine Verhandlung nicht voraus- gegangen ist, tritt das Princip der jurisdiction administrative ein. Das Organ der Verwaltung erzwingt den Gehorsam, und ist daher nicht, wie in England, dem Gericht, sondern nur den Administrativbehörden verantwortlich. Die ganze Frage nach dem Zwangsrechte ist grundsätzlich den Gerichten ent- gegen, selbst da, wo der Zwang ein Recht verletzt. Es muß dabei bemerkt werden, daß der französische Begriff der „Police“ eben so unklar ist, wie der deutsche, indem er theoretisch eben so gut eine ganz unbestimmte Menge aus der Verwaltung im Allgemeinen, als die bloße Sicherheitspolizei enthält. Die contrainte par corps gehört nur der gerichtlichen zwangsmäßigen Vollziehung. Was endlich Deutschland betrifft, so ist es schwer, hier von einem System zu sprechen, da fast alle Theorien und alle Gesetze bei den Punkten, wo sie vom Zwange sprechen, nicht die Polizeigewalt als solche, sondern die Sicherheitspolizei im Auge haben. So viel uns bekannt, gibt es daher gar keine Bestimmung darüber, wenn der Zwang nur auf Grundlage eines Dokuments, und mithin nur soweit dieß Dokument reicht, eintreten darf. Im Allgemeinen ist bei den älteren Staatsrechtslehrern von dem Zwangsrechte gar keine Rede, wie bei Klüber und Maurenbrecher; die neueren, wie Zachariä II. §. 161 („bei entstandenen oder zu besorgenden Gefahren ist die Anwendung von Zwangsmitteln gerechtfertigt (?“); Mayer , Verwaltungsrecht S. 456 („das Recht auf Polizeiverordnungen steht in der Mitte (?) des Gesetzes in der Aus- führung“) sprechen entweder höchst unbestimmt, oder wie Zöpfl , gar nicht darüber. Die Gesetzgebungen sind sehr peremtorisch: Württembergisches Polizeistrafgesetzbuch Art. 1 gestattet ausdrücklich „die Anwendung weiterer, zur Erreichung des Zweckes geeigneter Zwangsmaßregeln.“ ( Mohl , Württember- gisches Staatsrecht II. 211.) Das preußische Gesetz vom 11. Mai 1850 sagt: „Jede Polizeibehörde ist berechtigt, ihre polizeilichen Verfügungen durch Anwendung der gesetzlichen Zwangsmittel durchzusetzen.“ Rönne II. §. 52. In diesem Sinne hat sich der Grundgedanke ausgebildet, der im Princip ganz richtig ist, dessen Ausführung aber freilich von einer bestimmten Auffassung über das Wesen von Klag- und Beschwerderecht abhängt, daß das Zwangsrecht der vollziehenden Gewalt ein unbedingtes sei, soweit die Anwendung desselben nicht mit den Gesetzen in Widerspruch tritt. In diesem Falle wird die Er- satzklage wenigstens von einigen Verfassern eingeräumt; so Bayern ( Pötzl , Verfassungsrecht §. 151—153). Dabei entsteht dann wieder die Frage nach der Competenz, und dadurch, daß diese so unentschieden ist, wird das Zwangsrecht selbst so unbestimmt (siehe oben namentlich Preußen). Diese Uebelstände werden jedoch in vieler Beziehung wieder ausgeglichen durch gute Bestimmungen über die folgenden Punkte. III. Die Form des Zwanges. Das was wir die Form des Zwanges nennen, wird dadurch ein Gegenstand des Rechts der vollziehenden Gewalt, daß dieselbe in drei verschiedene Momente zerfällt, welche selbständig dastehen, und deren jeder wieder sein eigenes Recht hat. Wir meinen den Befehl , die Drohung und die wirkliche Ausführung . Was den Befehl betrifft, so muß man festhalten, daß jedem Organe das Recht zum Befehle zusteht, wie jeder Einzelne zum Ge- horsam verpflichtet ist; die Incompetenz zum ersten gibt kein Recht zum aktiven Ungehorsam, sondern hier hilft das Klag- und Ersatzrecht aus. Nur ist ein Befehl alsdann als Dokument abzufassen, wenn der- selbe sich auf bereits in Verhandlung begriffene Gegenstände bezieht. Die Befehle der vollziehenden Gewalt in Beziehung auf die reine Voll- ziehung erscheinen aber meistens als Verwaltungsverordnungen, und fallen damit unter das Recht derselben. Das Recht zur Drohung mit den bestimmten Folgen liegt un- zweifelhaft im Recht des Befehls; jedoch kann dieß Recht, so lange es nur aus der Natur des Organs und nicht aus einem bestimmten Gesetze folgt, nicht weiter gehen, als bis zur Bezeichnung der Folgen, welche der Vollzug des Befehls an sich mit sich bringen wird. Da nun ein solcher Befehl entweder eine Leistung oder eine Handlung oder Unter- lassung des Einzelnen enthalten muß, so kann auch eine Drohung nur die Erklärung enthalten, daß man die Leistung entweder unmittelbar durch Exekution, oder mittelbar, indem die Behörde die Leistung auf Kosten des Betreffenden machen werde, erzielen werde; oder daß man die Handlung durch Gewalt erzwingen müsse. Die Androhung einer Strafe neben jenen Drohungen kann nicht in der Competenz der befehlenden Gewalt liegen, wenn dieselbe nicht vermöge eines eigenen Gesetzes das Recht zum Erlaß von Strafandrohungen als gesetzliche Erweiterung ihrer Competenz empfangen hat. Man muß daher über das Recht zur Drohung nicht im Allgemeinen reden. Die Competenz zur Drohung polizeilicher Folgen steht jeder Behörde zu, innerhalb ihrer Aufgaben; das Recht zur Strafandrohung im Gegentheil nur dann, wenn dasselbe ausdrücklich der Behörde verliehen ist. Entsteht ein Streit, ob der Behörde das Recht zu einer von ihr ausgesprochenen Strafandrohung zusteht oder nicht, so hat auch hier der Einzelne ganz nach seinem Ermessen den Weg der Klage oder den der Beschwerde, und das Verfahren ist eben so in den früher aufgestellten Sätzen geregelt. Das Recht des Vollzugs endlich steht natürlich derselben Behörde zu, welche das Recht zum Befehl hatte. Nur in dem Falle entsteht eine Frage, wo mit der polizeilichen Drohung zugleich die Strafandrohung ausgesprochen, und die Behörde zur letzteren competent war. Offenbar müßte grundsätzlich über die Anwendung der Strafe das Gericht allein competent sein, während die polizeiliche Drohung durch die Behörde selbst ausgeführt wird. Es leuchtet aber ein, daß die praktische Durch- führung dieses Grundsatzes auf die größten Schwierigkeiten stößt, die in gar keinem Verhältniß zu dem erreichten Resultate stehen. Daher muß man aus Zweckmäßigkeitsgründen demselben Organe, welches die Competenz zur Strafandrohung hat, auch die Competenz zur Fällung und Vollziehung des polizeilichen Strafurtheils geben, und in den meisten Staaten hat sich dieß auch von selbst gemacht, und zwar um so nothwendiger, als die Vollziehung der polizeilichen Drohung die Thatsache der Uebertretung, auf welche die polizeiliche Bestrafung folgen soll, ohnehin amtlich feststellt. Um sich über die große Masse von Ansichten, die auf diesem Gebiete theils aufgestellt, theils nicht zu einem definitiven Resultate gelangt sind, klar zu werden, muß man die Hauptpunkte wohl unterscheiden. Denn in der That ist hier der Punkt, wo die persönliche Selbständigkeit mit dem persönlichen Willen des vollziehenden Organs in Gegensatz geräth, und wo daher die Schärfe der Gränzbestimmung doppelten Werth hat. Erstlich sollte jedes Polizeigesetz — was, so viel wir sehen, nirgends der Fall ist — den Grundsatz festhalten, daß allenthalben, wo eine Vollziehung auf einen in Verhandlung gewesenen Fall folgt, niemals ein bloßer Befehl des vollziehenden Organs, sondern nur ein Vollziehungsdokument der Voll- ziehung durch Zwang zum Grunde gelegt werden müßte. Das Dokument müßte alsdann Art und Maß des Zwangs seinerseits enthalten, so daß hier jede Möglichkeit der Willkür beseitigt, und eben durch den Inhalt des Dokuments die Grundlage für die Frage gegeben werde, ob der Zwang seine Gränzen überschritten habe oder nicht. Es ist dabei zu bemerken, daß dieß allein richtige Verfahren in Finanz- und Gerichtsverwaltung bereits wirklich besteht; es ist gar kein Grund vor- handen, es nicht auch für die innere Verwaltung grundsätzlich durchzuführen. Wo dagegen ein Befehl eines Verwaltungsorganes ohne solche Verhand- lung erscheint, da muß allerdings das Recht der Strafandrohung auf der ge- setzlichen Competenz zur Erlassung derselben beruhen, und darüber sind alle einig. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen das Gesetz den Behörden diese Competenz verleihen soll. Mohl , der in seiner Polizei- wissenschaft I. 40 ff. sich in einer höchst verständigen Weise über die ganze Frage ausspricht, und namentlich von der, wir möchten sagen, üblich gewor- denen Angst, „daß die Bestrafung wegen Uebertretung eines Polizeigesetzes nur von den Gerichten sollte ausgesprochen werden können, wegen der schützenden Formen der Gerichte und der größeren Unparteilichkeit derselben“ frei ist — „denn warum sollte die richtende Polizeibehörde parteiisch und ungerecht gestimmt sein, da es sich ja nicht von Privatangelegenheiten — sondern von Erfüllung einer Amtspflicht handelt?“ — hat doch diese Frage nicht untersucht. Wir meinen, daß das Recht der Strafandrohung allenthalben eintreten müsse, wo der Schaden, den der Ungehorsam erzeugt, nicht nach Geld schätzbar, und eine amtliche Ausführung auf Kosten des Betreffenden nicht thunlich ist. Aehnlich denkt sich wohl das preußische Gesetz vom 11. Mai 1850 die Sache (§. 20): „Wer es unterläßt, dasjenige zu thun, was ihm von der Polizeibehörde in Ausübung ihrer Befugniß geboten ist, hat zu gewärtigen, daß es auf seine Kosten zur Ausführung gebracht werde, vorbehältlich der etwa verwirkten Strafen und der Verpflichtung zum Schadensersatze.“ Siehe bei Rönne II. §. 52 die daran sich schließenden Verordnungen. Ebenso das neue Bayerische Polizeistrafgesetzbuch I. §. 28, wo noch der Anspruch auf Schadensersatz dem Betreffenden vorbehalten ist (§. 20). Wo endlich ein förmliches Polizeistrafgesetzbuch besteht, da ist ohnehin ein förmliches Gesetz vorhanden, welches ein Maximum und Minimum der Strafe setzt, die durch die Polizei angedroht werden kann. Hier kann daher das Recht zur Strafandrohung nicht zweifelhaft sein; dagegen muß man fest- halten, daß eben mit einem solchen Gesetzbuche das ganze Zwangsverfahren auch dem Rechte der reinen Vollziehung entzogen, und zu einem Gegenstande der Rechtspflege geworden ist, und mithin nicht mehr hierher gehört. Das Verhältniß, das daraus entsteht, muß nun in folgender Weise betrachtet werden. Sowie ein Polizeirecht einer Behörde das Recht der Strafandrohung gibt, so ist die wirklich ausgesprochene Strafandrohung ein gesetzliches Recht, und keine Verordnung, und es ist daher consequent, daß ein förmliches Ver- fahren über den betreffenden Fall eingeleitet wird. Damit entsteht eine selb- ständige Kategorie des Unrechts, die Polizeiübertretungen , deren Ge- setzbuch eben das Polizeistrafgesetz ist. Auf diesem Standpunkt steht die ganze Police correctionnelle in Frankreich, dem unsere deutschen Polizeirechte nach- gebildet sind. Etwas wunderlich klingt dabei im Bayerischen Polizeistraf- gesetzbuch der Art. 39: „Keine Verordnung darf mit Gesetzen, keine orts-, distrikts- oder oberpolizeiliche Vorschrift mit Gesetzen, mit den über denselben Gegenstand zulässigen Verordnungen oder mit competenzmäßigen Vorschriften einer höheren Behörde im Widerspruch stehen“ — natürlich nicht; die Frage ist nur, ob Klage oder Beschwerde in beiden Fällen eintreten, und welche Be- hörde daher competent ist oder sein sollte? Einfacher wäre die Sache gewesen, wenn das Gesetzbuch gesagt hätte: „Nicht bloß die Entschädigung wegen Ueber- schreitung des Polizeirechts ( Pötzl , Verwaltungsrecht §. 138), sondern jeder Akt der Polizeigewalt kann vor dem ordentlichen Gericht belangt werden, wenn die Partei meint, daß er mit einem Gesetze in Widerspruch steht; wo dagegen ein Widerspruch mit einer Verordnung angenommen wird, tritt der Weg der Beschwerde ein; bei der Frage dagegen, ob ein Akt der Polizei in die Bestim- mungen des Polizeistrafgesetzbuches falle, ist eben die Polizeibehörde selbst die erste gerichtliche Instanz. Die Competenz für die Anwendung des Zwanges ist übrigens namentlich in der Finanzverwaltung in den meisten Staaten ohnehin sehr genau bestimmt, und hier muß angenommen werden, daß der Befehl durch einfache Hinweisung auf die ordnungsmäßig erlassenen Vollzugsverordnungen den Charakter und Inhalt eines Vollzugsdokumentes erhält. IV. Das Maß des Zwanges. Polizeistrafen. Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entsteht dadurch, daß an sich der Wille des Staates absolut ist, und daher keinem Einzelwillen das Recht zugestehen kann, sich ihm zu widersetzen. An sich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit ist grundsätzlich der Satz festgestellt, daß das Organ, welches den Zwang ausübt, auch einseitig über sein Maß zu urtheilen berechtigt ist, sobald der Zwang als solcher einmal als begründet erscheint. Es ist klar, daß dieser Grundsatz wieder die höchste Gefährdung des Einzelrechts enthält, die man sich denken kann. Sobald daher die individuelle Rechtssphäre des Einzelnen einmal anerkannt ist, so tritt eine Bewegung ein, welche jenem absoluten Zwangsrecht der vollziehen- den Organe eine gesetzliche Gränze zu setzen bestrebt ist. Da nun aber der Zwang selbst doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck ist, so ändert sich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit jenes Zweckes; und so entstehen eine Reihe von Gesetzgebungen oder Ver- ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges namentlich das Maß desselben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu bestimmen. Diese nun gruppiren sich selbstverständlich nach den drei großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern Verwaltung. Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollständig zu sein, in diese Gebiete speziell eingehen müssen. Unsere Aufgabe kann es nur sein, dieselben ihrem Charakter nach zu bestimmen. Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung ist in den Ver- ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll- und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben, und gehört in die Finanzwissenschaft. Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren ist die Exe- kutionsordnung und was dahin gehört; beim strafrechtlichen Verfahren im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das Genauere. In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern Charakter an. Hier erscheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die Verordnung der zuständigen Behörde bestimmt, und das Recht auf den Erlaß dieser Verordnung ist eben das Regierungsrecht, das man Polizei- recht nennt. Der Gehorsam des Einzelnen gegen diese Verordnungen wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derselben als Ueber- tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht ist. Das ist die so- genannte Polizeistrafe. Die Polizeistrafe ist daher nichts anderes als Stein , die Verwaltungslehre. I. 14 ein Zwangsmittel , und die Höhe der Polizeistrafe enthält das Maß des Zwanges , zu welchem die verordnende Behörde gesetzlich competent ist. Das Polizeistrafgesetzbuch ist daher im Grunde kein Strafrecht, sondern ein Zwangsrecht , für welches ein gesetzliches Maß und ein gerichtliches Verfahren bestimmt ist. Ein Polizeigesetzbuch enthält daher stets zwei Theile; den allgemeinen, der Zwangsmaß und Zwangsver- fahren an sich bestimmt, und den besonderen, der die Fälle bestimmt, in welchen die innere Verwaltung den Gehorsam fordert und den Zwang vorschreibt, der die Form und den Namen, aber nicht das Wesen einer „Strafe“ enthält. Der Inhalt eines Polizei(straf)gesetzes umfaßt eben darum alle Gebiete der Verwaltung; es ist die, durch die ganze Ver- waltung hindurch gehende Polizei , der Schutz gegen die Verletzung jedes Verwaltungsgebietes durch den Einzelnen, der die Strafe nur als Zwangsmittel auffaßt. Wir werden daher diesem Polizeirecht in der innern Verwaltung auf jedem Punkte wieder begegnen. Ganz anders dagegen ist das Verhältniß, wo die Thätigkeit des Einzelnen, der sich dem Willen der Vollziehung entgegenstellt, nicht mehr eine äußerlich definirbare, sondern als eine ganz freie betrachtet werden muß. Hier steigt mit der Möglichkeit und dem Maße des Wider- standes des Einzelnen gegen den Staatswillen auch das Recht des Staats, seinen Willen zur Geltung zu bringen. Es ist das ein Verhalten, in welchem die an sich unendliche That und Kraft der einzelnen Persön- lichkeit gegen die des Staats auftritt, und hier gibt es daher gar kein Maß des Zwanges mehr. Der Staat muß bei offener Wider- setzlichkeit das Aeußerste thun, um den Einzelnen sich zu unterwerfen. Darüber ist kein Zweifel. Allein auch hier tritt nicht der Staat, son- dern das einzelne Organ auf, und dieß kann sich irren. Daher muß es, wenn es auch kein Maß gibt für den einzelnen Fall, doch ein Princip geben, nach welchem die wirkliche Anwendung des Zwanges beurtheilt werden kann. Und dieß Princip ist so einfach, daß es nicht einmal einer gesetzlichen Regelung bedarf. Jedes Organ hat nämlich nicht bloß das Recht, sondern es hat die Pflicht , den Willen des Staats gegen jeden äußern Widerstand zu verwirklichen. In dieser Pflicht liegt das Recht auf jeden Zwang und jede Gewalt, welche als unabweisbare Bedingung der Erfüllung des Staatswillens erscheint. Das Gesetz kann daher in solchem Falle allerdings die Mittel vorschreiben, welcher sich die Gewalt zu bedienen hat, und die Verwaltung kann dem Organ diese Mittel selbst in Händen geben; namentlich die Waffen . Allein sie kann nie vorher genau oder gar gesetzlich bestimmen, wie weit die Anwendung der Mittel gehen soll. Hier kann statt der Form nur das Princip entscheiden. Die Anwendung dieser Mittel erscheint nämlich gebunden und bedingt durch die Natur und das Maß des Widerstandes , den die Vollziehung findet. Sie darf daher niemals weiter gehen gegenüber dem Einzelnen, als daß sie ihren Zweck, den Gehorsam des Einzelnen erreicht; jede Ge- walt, welche nach erzieltem Gehorsam ausgeübt wird, ist an und für sich eine Rechtsverletzung. Aber sie darf auch nie kleiner sein, als der Widerstand, den sie findet; denn am Ende erscheint doch in ihr der Wille des Staats, der unbedingt als der herrschende gegenüber dem Einzelnen gelten muß. Je nach dem Maße des Widerstandes muß da- her das Maß der rein polizeilichen Zwangsmittel in jedem einzelnen Falle bemessen werden. Es ist daher Sache des Einzelnen, diese Gränze der polizeilichen Gewalt durch sein eigenes Verhalten selbst zu be- stimmen . Das aber leuchtet ein, daß das Recht auf Anwendung der Gewaltmittel von Seite der Polizei an sich ganz unabhängig ist von dem Gegenstande, um den es sich handelt; bei dem alleruntergeordnetsten Gegenstande kann die Polizei bei offener Widersetzlichkeit des Einzelnen bis zur äußersten Gewalt vorgehen, ja selbst bis zur Tödtung. Denn indem der Einzelne durch Gewalt sich dem allgemeinen Willen wider- setzt, hebt er selber das Recht für sich auf, und die Gewalt wird Recht. Die aber ist ihrem eigenen Wesen nach maßlos. Die deutschen Polizeistrafgesetze, wie namentlich das neueste bayerische vom 10. Nov. 1861, hatten im Grunde nur die Aufgabe gehabt, für das an sich als nothwendig erkannte Zwangsrecht ein Maß zu setzen, und enthalten daher wesentlich in ihren Paragraphen die Feststellung der Größe der Strafgewalt, mit welcher die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Fällen die Befolgung ihrer Vorschriften erzwingen, während die bye laws in England dasselbe Recht geben, zum Theil ohne es zu beschränken. — Die Anwendung von Waffengewalt ist nur in einzelnen Staaten genauer erörtert. Das englische Princip ist, daß das Gericht darüber entscheidet; offenbar ist das Entscheidungsfundament die Frage, ob bei einem an sich gesetzlichen Zwange die Anwendung der Waffe als unabweisbare Bedingung der Vollziehung erscheint; ist der Zwang ungesetzlich, so ist sie ohnehin ein Verbrechen. In Deutschland hat die Gesetz- gebung dieß den Gerichten nicht überlassen, sondern das Recht der Waffe zu einem Theile der Instruktionen für die mit Waffen versehenen Organe gemacht; namentlich in Preußen zum Theil sehr genau, Rönne I. §. 52. — Ueber den Belagerungszustand siehe oben. Faßt man nun das bisher Gesagte zusammen, so ergibt sich, wie wir es anfangs bezeichneten, daß das Recht der vollziehenden Gewalt nicht etwa ein einfaches Recht, sondern vielmehr ein großartiges, oft verfassungsmäßig bestimmtes, immer aber hochwichtiges System von Rechtsverhältnissen ist, das selbständig neben dem Rechte der Gesetzgebung dasteht, und das auf allen seinen Punkten von einem und demselben höheren Princip durchdrungen und belebt ist, nicht etwa einen Gegensatz zwischen Gesetzgebung und Vollziehung zu sanktioniren, sondern vielmehr durch alle seine Grundsätze und Bestimmungen das harmonische Verhalten beider zu einander in ihrer gemein- samen Thätigkeit zu erzwingen und zu sichern . Drittes Gebiet. Das bürgerliche Verwaltungsrecht . Nachdem wir somit das ganze System des Rechts der vollziehenden Gewalt und sein organisches Verhältniß zur Gesetzgebung dargestellt, bleibt nun ein großes Gebiet übrig, das einer eingehenden und genauen Darstellung bedürfte, um in seiner ganzen Bedeutung erkannt zu werden. Es ist nicht möglich, diese hier zu geben. Dennoch kann jenes System von öffentlichen Rechten niemals als ein vollständiges gelten, so lange dieß letztere Gebiet nicht von demselben geschieden und selbständig hin- gestellt ist. Wir sind auch hier in der Lage, alte und wohlbekannte Thatsachen in einer andern als der gewöhnlichen Form darstellen zu müssen. Aber es ist nicht zu vermeiden, wenn wir für die Verwaltungslehre den Boden ebnen wollen. Das bürgerliche Verwaltungsrecht knüpft sich in leicht verständlicher Weise an alles Frühere, das wir hier zur Unterscheidung als das staatliche Verwaltungsrecht bezeichnen. Nur muß man Wesen und Inhalt desselben etwas genauer bestimmen. Auf allen Punkten des Lebens erscheint immer der Grundsatz, daß jeder Einzelne einen Theil seiner freien Selbstbestimmung opfern muß, um das Leben und die Wirksamkeit des Ganzen möglich zu machen. Denn diese Wirksamkeit des Ganzen ist auch für das Individuum die erste und unabweisbare Bedingung seiner eigenen Entwicklung. Das Opfer an Selbstbestimmung bringt der Einzelne daher am letzten Orte sich selbst . Das ist die tiefere Grundlage der Harmonie zwischen öffentlicher Ordnung und Freiheit, zwischen Staatsrecht und Bürgerrecht. Ueber Maß und Art dieses Opfers — über die Beschränkung der individuellen Freiheit als Lebensbedingung des Staats — entscheidet nun der Staat selbst; denn nur die Gemeinschaft vermag es, ihre eige- nen Aufgaben und Mittel zu bestimmen. Allein die Lebensverhältnisse, auf welche sich diese Unterordnung des Einzelnen und seiner an sich absoluten Freiheit unter das Leben und den Willen des Staats bezieht, sind doppelter Natur. Einerseits ist der Einzelne ein Glied des Ganzen; und es ist kein Zweifel, daß dadurch die Selbständigkeit desselben beschränkt wird. Die Gesammtheit der dadurch entstehenden Rechtsverhältnisse nennt man das öffentliche Recht. Andererseits ist er eine selbständige Persönlichkeit, und tritt als solche in Verkehr mit der andern einzelnen Persönlichkeit. In diesem Verkehre nun erscheint grundsätzlich der freie Wille der beiden Persön- lichkeiten als allein bestimmend für ihr gegenseitiges Verhältniß. Diese Selbstbestimmung erzeugt das gegenseitig für sie geltende Recht; und dieß Recht, indem er seinen Inhalt eben aus diesem Willen der freien Staatsbürger empfängt, nennen wir das bürgerliche Recht. Nun aber sind diese beiden Lebensgebiete nicht streng geschieden. Sie greifen vielmehr auf allen Punkten in einander. Das Leben des Staats hat an und für sich den Verkehr und die Verträge der Einzelnen zu seinem Inhalt. Das kommt dadurch zur Erscheinung, daß diese an sich freien Akte des Einzelverkehrs wieder in mannigfachster Weise in die Lebensverhältnisse Dritter hineingreifen, die an demselben keinen Theil genommen. Diese Dritten können daher durch die Handlungen der Einzelnen in ihren Verhältnissen bestimmt und gefährdet werden, ohne ihre Zustimmung, ja ohne ihr Wissen. Die Gränzen dieser Ein- wirkung lassen sich nicht einfach bemessen. Sie sind vielmehr Thatsachen des Gesammtlebens; und die an sich ganz freie und selbständige Hand- lung der Einzelnen innerhalb des rein bürgerlichen Rechts empfängt dadurch ein zweites inwohnendes Element, durch welches sie selbst in einer, näher zu bestimmenden Vollziehung als Glied und Theil des Lebens der menschlichen Einheit der ersten Forderung unterliegen, welche dem Einzelnen überhaupt entgegentritt — der Modifikation der individuellen Selbstbestimmung und Freiheit nach den Anforderungen des Lebens der Gemeinschaft. So entstehen wiederum auch innerhalb der an sich ganz freien Lebenssphäre des Individuums in seinem Verkehre mit dem andern zwei wesentlich verschiedene Grundverhältnisse. Das eine behält jenen Cha- rakter der vollen und unbeschränkten persönlichen Selbstbestimmung; das andere dagegen erscheint, obwohl es ebenfalls aus derselben hervorgeht, dennoch auf allen Punkten bestimmt und begränzt durch die in ihm liegende Möglichkeit, auf die Lebensverhältnisse Dritter unmittelbar ein- zuwirken. Dem entsprechend zeigt nun auch das bürgerliche Recht zwei große Gebiete. Einerseits ist es das Recht, dessen Inhalt nur von dem Willen des Einzelnen im Einzelverkehr gesetzt ist; andererseits ist es das Recht, welches aus jener Berührung des letztern mit dem Leben der Gesammtheit und aus den Beschränkungen erzeugt wird, welche das letztere dem erstern im Interesse des Gemeinrechts auferlegt. Das erste Recht verdient den Namen des reinen bürgerlichen Rechts. Da aber nun im Allgemeinen die Gesammtheit der concreten Thätigkeiten des Staats, durch welche derselbe mit seinen Gesetzen oder mit ihrer Voll- ziehung dieß Gemeinwohl fördert oder schützt, die Verwaltung genannt wird, so nennen wir die letztere Gruppe von Rechtsbestimmungen, weil sie die Gesammtheit der Modifikationen des reinen bürgerlichen Rechts durch die Anwendung des höchsten Princips der Verwaltung enthalten, am besten das bürgerliche Verwaltungsrecht . Diese beiden Seiten des bürgerlichen Rechts sind nun nicht bloß in ihrer Definition, sondern auch in ihrem Principe sehr wesentlich von einander verschieden. Das reine bürgerliche Recht nämlich beruht auf dem Wesen der vollkommenen freien Selbstbestimmung der Einzelnen. Es ist daher in allen seinen Punkten nichts als die Consequenz des Begriffes der selbst- thätigen und unverletzlichen Persönlichkeit in ihrer Berührung mit der äußern Lebenssphäre der andern Persönlichkeit; und zwar so, daß diese Consequenz durch die Gesammtheit aller Lebensverhältnisse der Einzelnen durchgeführt wird. Eben darum, weil diese Grundlage, die selbständige Thätigkeit der Einzelnen eine unveränderlich im Wesen der Persönlichkeit selbst liegende ist, haben alle diese daraus folgenden Rechtssätze, oder das rein bürgerliche Recht, das Princip der Unveränderlichkeit zu allen Zeiten und bei allen Völkern gehabt. Alle Grundsätze, welche diesen Charakter tragen, bilden eben das rein bürgerliche Recht in allen Gesetzgebungen. Und wegen ihrer an sich so einfachen Grund- lage lassen sie sich auch auf zwei sehr einfache, oberste Rechtssätze zurück- führen, so daß alle Bestimmungen, welcher Art sie auch im rein bürger- lichen Rechte sein mögen, immer nur als Folgerungen und spezielle Anwendung jener unveränderlichen Rechtssätze erscheinen. Diese nun sind die Unverletzlichkeit der gesammten äußern Lebenssphäre der einen Persönlichkeit durch den andern Einzelnen, die man auch einfach als das Princip des Eigenthumsrechts bezeichnen kann, und zweitens die Unverletzlichkeit des gültig abgeschlossenen Vertrages durch den Einzel- willen, das Princip des Verkehrsrechts. Es ist Aufgabe der Rechts- wissenschaft, diese einfachen obersten Rechtsprincipien zu einem System von Rechtssätzen zu entwickeln; hier muß es genügen, sie in ihrem selbst- bedingten Inhalt hingestellt zu haben. Wesentlich anders ist dagegen das höchste Princip desjenigen Rechts, welches wir als das bürgerliche Verwaltungsrecht bezeichnet haben. Die Beschränkungen der freien Individualität nicht bloß in ihrem Verhält- niß zum Staate, sondern auch in ihrem Verhältniß zur andern freien einzelnen Persönlichkeit gehen wie gesagt, aus dem Gesammtleben hervor. Dieß Gesammtleben aber ist ein sowohl innerlich als äußerlich bedingtes, und daher auch in seinen Forderungen an das Einzelleben wechselndes. Es ist nicht nothwendig, das genauer zu begründen. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß diese Verschiedenheit unter den Staaten theils auf den Landesverhältnissen, theils auf der Volksbildung, theils endlich auf den Berührungen mit andern Staaten in Krieg und Frieden beruhen. Je nachdem diese verschieden sind, oder in der Zeitfolge der historischen Entwicklung eines Volkes wechseln, werden natürlich auch die Forderungen wechseln oder verschieden sein, welche das Staatsleben an den an sich freien Verkehr der Einzelnen unter einander stellen muß. Oder, da diese Forderungen als aus der gegebenen Natur des Staats hervor- gehend, zum geltenden Rechte für die einzelnen Staatsangehörigen wer- den, so wird dieß Recht, das ja eben das bürgerliche Verwaltungsrecht ist, principiell als ein in Zeit und Land veränderliches erscheinen. Es ist dann Sache der Wissenschaft der Rechtsgeschichte, die historischen Gründe der Veränderung dieses Rechts nachzuweisen, während die Kunde der Rechtsgeschichte bloß die Thatsache dieser Veränderungen constatirt. Das sind die beiden großen Seiten desjenigen Rechtsgebietes, das wir als das bürgerliche Recht bezeichnen. Es läßt sich aber auch schon hier angeben, welches der wesentliche Inhalt des bürgerlichen Verwal- tungsrechts gegenüber dem reinen bürgerlichen Rechte sein muß. Das erstere will das letztere keinesweges aufheben; es tritt erst da ein, wo die Beziehungen zwischen Einzelnen ihren Einfluß auf Dritte, und zwar als bedingend und bestimmend für den Willen und die Lebensverhält- nisse derselben äußern. Denn eben indem dieselben den Kreis des Einzellebens verlassen, werden sie zu Thatsachen des Gesammtlebens und fallen unter das Recht des Staats. Das bürgerliche Verwaltungs- recht hat daher keine andern Gebiete als das reine bürgerliche Recht; es bezieht sich auch nur auf die Selbständigkeit der Persönlichkeit in ihrem Verkehr mit andern. Aber es bestimmt zuerst, wann eine Per- sönlichkeit selbständig ist, und wie weit die Einheit der Familie diese Selbständigkeit modificirt; und zweitens bestimmt es, unter welchen Formen ein Verkehrsakt für Dritte Gültigkeit hat — d. i. wenn ein Rechtsverhältniß der Einzelnen unter einander für jeden Dritten als Recht gelten soll. Alle Bestimmungen des bürgerlichen Verwaltungs- rechts lassen sich auf diese beiden Gebiete leicht zurückführen; und so bildet das bürgerliche Verwaltungsrecht schon seinem Principe nach nicht ein von dem reinen bürgerlichen Rechte geschiedenes Ganze, sondern es ist vielmehr als die im Interesse des Gemeinwohls gesetzte Form als Bedingung der einzelnen Verkehrsakte mit dem letztern aufs Innigste und fast auf allen Punkten verschmolzen. Wie sollte auch eine äußere Scheidung hier möglich sein, wo die innere Ver- schmelzung der Principien, des Einzellebens und des Gesammtlebens, eine innere, organische Einheit in Idee und Wirklichkeit bilden? Indessen zeigen nun die Gesetzgebungen des bürgerlichen Rechts, daß jene Unterscheidung zwar dem Gefühle der Gesetzgebung sehr klar war, daß aber ein wissenschaftlich erkannter Unterschied niemals existirt hat. Das bürgerliche Recht hat beide Principien zu einer untrennbaren Einheit in der bürgerlichen Gesetzgebung verflochten, und selbst die Theorie aller Zeiten hat den Unterschied nicht hervorgehoben. Und dennoch ergibt sich aus dem Obigen eine Consequenz, welche wir hier nur andeuten können, welche aber bestimmt ist, namentlich der Rechts- geschichte und ihrem Studium eine ganz andere als die bisherige Richtung zu geben. Das reine bürgerliche Recht hat gar keine Geschichte und kann keine haben, sondern alle Rechtsgeschichte, so fern sie nicht eine Geschichte der Rechtsgesetzgebung als solche, d. i. die Akte ist, durch welche die Gesetze zu Stande kommen, kann überhaupt nur den Wechsel und die Entwicklung des bürgerlichen Verwaltungsrechts im bürgerlichen Rechte zum Inhalt haben . Nur das, was im Namen des gegebenen staatlichen Zustandes an dem absoluten Recht der Persönlichkeit modificirt wird, wechselt, nicht dieß Recht selbst. Der Grundsatz, daß die Persönlichkeit unverletzlich und selbstbestimmt, daß das Eigenthum heilig ist; der Grundsatz, daß ein Vertrag gültig ist, hat keine Geschichte, wohl aber die Grundsätze darüber, was eine Per- sönlichkeit, was ein Eigenthum sein kann und unter welchen Bedingungen ein Vertrag gültig wird. Und die Begründung dieses Wechsels, die Zurückführung desselben auf die in Volk, Land und Staat liegenden wirkenden Kräfte, die ihn erzeugen, werden aus der Geschichtskunde des Rechts die Wissenschaft der Rechtsgeschichte machen. Dieses bürgerliche Verwaltungsrecht nun durchzieht allerdings als immanenter Theil das ganze bürgerliche Recht; aber dennoch erscheint es in zwei wesentlich verschiedenen Formen, die wir hier hervorheben müssen, weil sie den Uebergang zur Lehre von der innern Verwaltung bilden. Einerseits nämlich ist dasselbe mit dem reinen bürgerlichen Rechte zu einem untrenn- baren Ganzen verschmolzen, wie z. B. bei den Bestimmungen über die Mündigkeit, über die Dauer der Verjährung, über das Besitzrecht u. s. w. Andererseits dagegen wird es, wo seine Wichtigkeit stärker hervortritt, zu einem Gegenstand eines eignen Verwaltungsorganes , und dann faßt man wohl alle auf das letztere bezüglichen Rechtssätze als ein selbständiges Ganze, als ein eigenes Rechtsgebiet zusammen, ohne sich recht klar zu sein, wohin dasselbe denn nun eben als Ganzes gehören soll. Dahin gehören namentlich das Vormundschaftswesen, das Grundbuchswesen und das Handels- und Wechselrecht. Es möge hier nur bemerkt werden, daß hier im Grunde kein neues Verhältniß in der Sache selbst auftritt, sondern daß das Ueberwiegen der Bestimmungen des bürgerlichen Verwaltungsrechts zwar eine selbständige Verwaltung desselben motivirt, aber keinesweges die Geltung des reinen bürgerlichen Rechtes hier ausschließt. Daher die Erscheinung, daß diese Gebiete immer eine doppelte Darstellung erfahren, was zur Unklarheit über die Sache selbst nicht wenig beiträgt; einmal erscheinen sie in der Lehre von den Pandekten und dem bürgerlichen Recht, zum zweitenmale als sogenannte Lehre von der nicht streitigen Gerichtsbarkeit. Es ist nun einleuchtend, daß dieß nicht eigentlich falsch, sondern unklar gedacht ist. Wir müssen jedoch für unsre Arbeit hier auf den folgenden Theil verweisen. Denn dieses ganze Gebiet gehört nicht mehr dem allgemeinen Begriffe der Verwaltung und ihrem Recht, sondern vielmehr dem innern Verwaltungs- recht an, von welchem demgemäß nur bei der letztern die Rede sein kann. Dagegen haben wir schon hier den Begriff und das Wesen des bürgerlichen Verwaltungsrechts als Theil des allgemeinen Verwaltungs- rechts neben Verordnungs-, Competenz- und Polizeirecht darum hinstellen müssen, weil eine Reihe der wichtigsten Bestimmungen desselben nicht aus der innern Verwaltung, sondern aus der Finanzverwaltung einer- seits, und aus der Justizverwaltung andererseits fließen. Was die ersten betrifft, so gehören dahin namentlich diejenigen Bestimmungen über das Eigenthum, welche sich auf den Fiscus beziehen, und theils das dominium, theils die jura fisci, namentlich im Gebiete der Regalien und der Monopole betreffen. Schon auf diesem Gebiete hat die strengere deutsche Wissenschaft diesen Theil des bürgerlichen Rechts aus dem letztern aus der Verschmelzung ausgeschieden, in welcher derselbe noch in den Pandekten und der spätern Legalmethode vorkommt, um sie der Finanzwissenschaft zu überweisen, und zwar als das bürgerliche Ver- waltungsrecht der Finanzen. Noch klarer ist die Summe von Modi- fikationen des reinen bürgerlichen Rechts durch die Bedürfnisse der Rechtspflege. Der ganze bürgerliche Proceß, der ja nichts anderes ist als eine geordnete Verwaltungsmaßregel für die Verwaltung der Rechts- pflege, ist durchdrungen von lauter Bestimmungen, nach denen das reine an sich unzweifelhafte bürgerliche Recht des Einzelnen im Namen des Gesammtinteresses aufgehoben und für verfallen erklärt wird, wenn er nicht in der Form der Vertretung eines gewissen Rechts sich den Vor- schriften der Verwaltung des Rechts fügt, und zweitens von Bestimmun- gen, welche im Namen desselben öffentlichen Interesses eine Verschiedenheit in diesen Formen einführen, die nur durch die Verschiedenheit des Objekts und nicht durch die des Rechts bedingt ist. Wir heben als die schlagendsten Beispiele des ersten Punktes nur die Contumacialurtheile, als die des zweiten nur die summarischen und die Wechselprocesse hervor. Die Auffassung dieses Rechts von dem obigen Gesichtspunkte wird zwar nicht den Inhalt desselben ändern, aber sie wird die unabweisbare Be- dingung dafür sein, alle diese Erscheinungen des Rechtslebens in ihrem wahren organischen Zusammenhange zu verstehen. Und in diesem Sinne sagen wir, daß der Begriff des bürgerlichen Verwaltungsrechts ein nicht bloß der innern, sondern der gesammten Verwaltung angehöriger ist; daß er in jedem Gebiete der Verwaltung wieder erscheint; daß er daher an sich ein selbständiges Ganzes in der Rechtswelt bezeichnet, und als solcher dem Rechte der vollziehenden Gewalt als selbständiger Begriff coordinirt ist. Die Lehre von der innern Verwaltung hat daher bei dem innern Verwaltungsrecht denselben wieder aufzunehmen, und im Ein- zelnen weiter zu verfolgen. Wenn nun auf diese Weise der Begriff des bürgerlichen Ver- waltungsrechts an sich feststeht, so kann man zum Schlusse fragen, worin denn das Moment der Vollziehung besteht, das diesem Rechte eigen ist. Dieß Moment ist einfach, aber von einer um so größern Wichtigkeit, als es zugleich das äußerliche Merkmal der Unterscheidung des bürgerlichen Verwaltungsrechts im weitesten Sinne von dem reinen Verwaltungsrecht enthält. Die Verwirklichung desselben besteht nämlich einfach in dem negativen Satze, daß es durch den Willen der einzelnen Betheiligten für die zwischen ihnen obwaltenden Verhältnisse nicht geändert werden kann , obwohl diese Verhält- nisse an sich ihrem eigenen bürgerlichen Leben angehören. Alles das- jenige daher, was im Verkehrsakte zwischen den Einzelnen von den Ein- zelnen durch gemeinsame Willensbestimmung geändert werden kann, ist reines bürgerliches Recht; was nicht geändert werden kann, ist bürgerliches Verwaltungsrecht — wie z. B. der Vertrag; daß ein im Grundbuch eingetragener Posten durch einfachen mutuus consensus seine Priorität verlieren solle — oder daß ein Akt eines Minorennen als der eines Majorennen gelten oder daß ein Contumazurtheil nicht gelten solle u. s. w. Das bürgerliche Verwaltungsrecht vollzieht sich hier durch den Rechtssatz, daß ein solcher Vertrag ipso jure nullus ist; der Wille der Einzelnen, der die Aufhebung des bürgerlichen Ver- waltungsrechts für ein Verkehrsverhältniß zum Inhalt hat, ist recht- lich überhaupt kein Wille, sondern nur psychologisch. Und diese Vollziehung ist für ein Rechtsgebiet, das einen immanenten Theil des ganzen Rechtslebens bildet, in der That die einzig mögliche; sie entspricht dem Verhältniß zwischen Einzelnen und Staat, und schließt dadurch, daß sie den Gegensatz des Einzelwillens gegen das Gesammtinteresse dadurch aufhebt, daß sie den erstern überhaupt nicht als solchen aner- kennt, jeden besondern Vollziehungsakt aus. Sie enthält daher nicht, wie das Recht der vollziehenden Gewalt, die Gränze für die Thätig- keit des Staats gegenüber der freien einzelnen Persönlichkeit und damit die schwierige Aufgabe, die Harmonie zwischen Vollziehung und Gesetz auf jedem Punkte wieder herzustellen, sondern sie enthält umgekehrt die Gränze für den Einzelwillen gegenüber den Bedingungen und Forderungen des Gesammtlebens, jenseits deren es nicht eine Voll- streckung des Staatswillens an dem Einzelwillen, also keine eigentliche Vollziehung, sondern vielmehr überhaupt rechtlich keinen Einzel- willen mehr gibt . Und damit schließt in naturgemäßer Weise die Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, als auf dem Punkte, wo mit dem Recht auch die Vollziehung selbst aufhört. Wir haben dem Obigen hier nichts hinzuzufügen, als daß der gänzliche Mangel an einer Unterscheidung desjenigen, was im bürgerlichen Rechte der Verwaltung gehört, von dem eigentlich bürgerlichen Rechte nicht eher gehoben werden wird, als bis unsere Rechtsphilosophie auch den Inhalt des Rechts kennt, und unsere Juristen den Sinn für das öffentliche Recht bekommen, der die Engländer und Franzosen so hoch stellt. Hat doch der römische Satz: jus publicum est, quod pactis privatorum mutari non potest, niemals zu der Bemerkung Anlaß gegeben, daß ja doch auch im bürgerlichen Rechte sehr viele und große Dinge vorhanden sind, die nach dieser von den Juristen einstimmig anerkannten Definition ein jus publicum sind. — Doch ist es nutzlos, hier mit wenig Worten so viele Fragen erledigen zu wollen. Wenn aber die deutsche Rechtswissenschaft sie zu bearbeiten beginnt, dann wird eine neue Epoche für sie anfangen! Uebergang zur innern Verwaltungslehre. Das innere Verwaltungsrecht. Nachdem wir so die Elemente des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren verschiedenen Seiten dargelegt, wird es nunmehr möglich sein, Inhalt und Bedeutung des von uns im obigen schon mehrfach bezeich- neten Begriffes zu bestimmen, der gerade durch beständige Verschmelzung mit den bisherigen Begriffen höchst unklar geworden, und der dadurch die Aufstellung und Begränzung eines Begriffes des Verwaltungsrechts überhaupt beinahe unmöglich gemacht hat. Wir meinen den, vom Ver- waltungsrecht wohl zu scheidenden Begriff des innern Verwaltungs- rechts . Eine kleine Wiederholung ist hier schwer zu vermeiden; aber das Folgende muß zugleich als Basis der Unterscheidung dieses ganzen Theiles von dem Inhalte der eigentlichen Verwaltungslehre betrachtet werden. Wir haben innerhalb der vollziehenden Gewalt die Regierung als die vollziehende Gewalt bezeichnet, insofern man die letztere als mit positiven und bestimmten Aufgaben der Thätigkeit der Staatsgewalt beschäftigt denkt. Dem Begriffe der Regierung entsprach der Begriff der Verwaltung im Allgemeinen in dem Sinn, daß wir diese Regierung Verwaltung nennen, sobald wir jene Aufgaben in die Gebiete der Staatswirthschaft, der Rechtspflege und des Innern theilen. Das Recht der Regierung entstand, indem wir uns diese praktische Thätig- keit im Allgemeinen dem selbständigen Rechte anderer Elemente gegenüber in ihre drei Grundformen, die Verordnungs-, Organisations- und Zwangs- gewalt auflösten, ohne eine Unterscheidung durch das Objekt , auf welche diese drei Gewalten angewendet werden, hinzuzusetzen. Das Regierungsrecht oder das Verwaltungsrecht im allgemeinen Sinne, wie wir es dargelegt, ist daher das in allen Formen und Gebieten des Staatslebens gültige Recht der vollziehenden Gewalt, oder das Recht der letztern, insofern es allen Theilen der Vollziehung gemeinsam und gleich ist. Hier ist daher von demjenigen Rechte, welches man das Verwaltungsrecht im eigentlichen Sinne nennen kann, noch keine Rede. Nun haben wir als die drei großen Gebiete der Verwaltung im Allgemeinen die Staatswirthschaft, die Rechtspflege und das Innere anerkannt. Außer diesen drei Gebieten gibt es kein viertes. Alle drei haben nun die obigen allgemeinen Grundsätze des Regierungsrechts mit einander gemein. Alle drei haben ihre Verordnungs-, ihre Organisations- und ihre Polizeigewalt, und alle Rechtssätze, die aus der Natur dieser drei Gewalten folgten, gelten daher für alle drei Gebiete. Das bisher Dargestellte bildet daher den allgemeinen Theil der drei besondern Gebiete und Gestaltungen des Verwaltungsrechts. Offenbar nämlich hat jedes dieser Gebiete wieder sein besonderes Leben. Jedes derselben besteht aus einer Reihe von großen, systematisch zusammenhängenden, und doch von einem eigenthümlichen Princip be- herrschten Aufgaben. In jedem dieser Gebiete entwickelt sich daher eben an diesen Aufgaben zuerst ein eigenes System von Verordnungen und Verfügungen einerseits, von Gesetzen andererseits eine eigene Organisation mit eigenen Anstalten und Zuständigkeiten von Behörden, Verwaltungs- körpern und Vereinen, ein eigenes Polizei- und Exekutionsrecht; oder, jedes jener drei Gebiete hat sein eigenes Verwaltungsrecht . Dieses Verwaltungsrecht jener Gebiete entsteht nun, indem die Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt die spezielle Aufgabe eines jeden jener Gebiete in Berührung mit dem selbständigen Rechte einzelner Persönlichkeiten bringt und sie vollzieht. Es ergibt sich daraus der für das richtige Verständniß jenes Ausdrucks wichtige Satz, daß das Verwaltungs recht keinesweges identisch ist mit der Verwaltung der einzelnen Gebiete, sondern vielmehr nur diejenigen Theile der letztern umfaßt, welche durch Beziehung zu andern Rechtssubjekten ein Recht der drei vollziehenden Gewalten innerhalb jener Gebiete erzeugen, wäh- rend daneben ein zweiter nicht minder wichtiger Theil steht, der mit dem Rechte formell gar nichts zu schaffen hat, sondern nur die Be- stimmungen über die Thätigkeit der Verwaltung in Beziehung auf ihre Objekte enthält. Man kann die Sache vielleicht am besten klar machen, wenn man dieß letztere die Ordnung der Verwaltung nennt, die wieder für dauernde Thätigkeiten in den Anstalten, für einzelne in den Maß- regeln derselben erscheint. Die Ordnung der Verwaltung erzeugt daher das Recht derselben, sobald und insofern sie mit einem selbständigen Rechtssubjekt zu thun hat; aber sie enthält nicht immer ein Recht, weil Anstalten und Maßregeln eben so oft nur den Ausdruck des Willens der vollziehenden Gewalt für sich bilden, ohne mit dem Rechte der Persönlichkeit in Berührung zu treten. Das Recht der Verwaltung muß daher als immanenter Theil der Verwaltung angesehen werden; es kann in der That gar kein, von der Ordnung der Verwaltung getrenntes Recht der Verwaltung gedacht werden; es gibt kein Verwaltungsrecht im engern Sinn für sich , sondern es ist ein Theil der Verwaltungs- lehre , und verhält sich zu der letztern, wie das Recht der vollziehenden Gewalt zum organischen Wesen des letztern. In diesem Sinne reden wir nun von einer Staatswirthschaftslehre und dem Rechte der Staatswirthschaft in Ausgaben und Einnahmen; von Verordnungen und Organisationen, von Gesetzen, Anstalten und Maßregeln der Staatswirthschaft, welche bei den organischen Theilen der Staatswirthschaft erscheinen und von ihr bedingt sind. Man nennt das Recht insofern es innerhalb der Staatswirthschaft als erstem Ge- biete der Verwaltung selbständig gedacht wird — obgleich es nicht wohl selbständig dargestellt werden kann — das Recht des Fiskus, des Aerars, das Steuerrecht, das Staatsschuldenrecht u. s. w. Das Recht der Verwaltung des Rechts oder der Rechtspflege ist dagegen zu einem, im Rechte selbständig dastehenden Ganzen geworden; es ist kein anderes als das Recht des Processes. Man muß sich daran gewöhnen, die Processe aller Zeiten und Formen als Verwaltungs- ordnungen, und das Proceßrecht als einen Theil des Verwaltungsrechts anzusehen, in welchem wieder die Verordnung neben dem Gesetz, die Organisation neben der Competenz und die Polizei neben der Exekution erscheint. Damit nun, glauben wir, sind die Begriffe von Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht für das letzte Gebiet der Verwaltung des Innern, nunmehr leicht und scharf zu bezeichnen. Die Lehre von der innern Verwaltung enthält die Principien, die großen Gebiete und die Ord- nungen, mit welchen der Staat die Bedingungen der individuellen Ent- wicklung herstellt; das innere Verwaltungsrecht ist die Gesammtheit der Rechtsverhältnisse, insofern dieselben aus der Gesammtheit jener Thätig- keit der innern Verwaltung hervorgehen. Oder: die innere Verwaltungs- lehre zeigt uns, wie die drei Gewalten der Regierung im Namen jenes Princips auf das gesammte Leben des einzelnen Staatsbürgers und seine individuelle Entwicklung angewendet werden sollen; das innere Verwaltungsrecht zeigt uns, welche Rechtsverhältnisse aus dieser An- wendung jener drei Gewalten in jedem einzelnen Gebiete der innern Verwaltung entstehen. Es ergibt sich damit, daß wir mit der Lehre vom Recht und vom Organismus der vollziehenden Gewalt über die innere Verwaltung und das innere Verwaltungsrecht noch gar nichts wissen, als das Wesen der Rechte und Kräfte, welche in dem letztern erst ihre Anwendung finden sollen. Es sind das vielmehr zwei große Gebiete für sich, die niemals verwechselt werden dürfen, und die mit einander nur in dem Zusammenhange des Allgemeinen mit dem Besondern stehen. Natürlich wird dieser Gedanke erst mit der Durchführung der Ver- waltungslehre des Innern seine vollständige Klarheit empfangen. Aber schon das Angeführte wird, wie wir glauben, genügen, um nicht bloß die Scheidung selbst zu vollziehen, sondern auch die Beurtheilung der bisherigen Verwirrung möglich zu machen. — Zweiter Theil. Der Organismus der vollziehenden Gewalt. Allgemeine Grundlagen. Es war die Aufgabe der Einleitung, das Wesen der vollziehenden Gewalt im Staate darzustellen. Der erste Theil der Lehre von dieser vollziehenden Gewalt sollte dann unter dem Titel des Rechts der voll- ziehenden Gewalt das Verhältniß derselben zu den übrigen Organen des Staats darlegen. Der folgende zweite Theil hat nun zur Aufgabe, dieses innerhalb seines Rechts selbständige Gebiet in seiner eigenen innern Gestaltung und Ordnung darzustellen. Während daher das Recht auf dem Geiste der vollziehenden Ge- walt begründet war, bildet der Organismus den Körper dieser Gewalt. In ihm stellt sich derselbe auch äußerlich als ein Ganzes dar. Dadurch allerdings fordert und empfängt er auch in diesen seinen innern Ver- hältnissen seine Gränzen, und in ihnen sein Recht. Organismus und Recht müssen daher weder als ein Gegensatz, noch als ein Getrenntes gedacht werden; wir haben den Ausdruck Recht nur für den ersten Theil gebraucht, weil hier das Recht das Verhalten der vollziehenden Gewalt zum Ganzen bestimmt und enthält, während im folgenden Theil das Recht nur noch das Verhalten der einzelnen Organe innerhalb des Organismus zu einander bezeichnet. Diese Lehre vom Organismus nun wird zuerst das Wesen desselben bestimmen, und zwar indem aus dem Begriff und Wesen des einzelnen Organes sich die großen Arten und Gruppen, und aus diesen wieder ihr organisches Verhältniß als ein Ganzes herausbildet. Dann werden, wenn auf diese Weise das Ganze dieses Organismus dargelegt ist, die ein- zelnen Gebiete desselben wieder für sich in ihrem Inhalt entwickelt werden. Auch hier nun müssen wir auf den Grundgedanken zurückkommen, der dieß ganze Werk beherrscht. Ist einmal der Staat die höchste Form des per- sönlichen Lebens, so muß man denselben auch nicht mehr als einen zufälligen, je nach den Verhältnissen auch in seinen organischen Grundlagen wechselnden betrachten. Wir müssen die Ueberzeugung aussprechen, daß Wesen und Gestalt jenes ganzen Organismus, wie die der einzelnen Hauptorgane unabänder- lich für den Staat sind, wie Knochenbau und Nervensystem, Muskeln und Gefäßsystem für den Körper des Menschen. Die unendlichen Verschiedenheiten der Staatenbildung bestehen auch hier nicht darin, daß jene Grundformen vor- handen sind oder nicht, sondern nur darin, daß sie sich je nach der Individua- lität des Staats anders gestalten. Liegt doch auch die Tiefe der Individualität des Menschen nicht in dem Mangel oder dem Mehr der Grundorgane; und doch ist sie wahrlich reich und mächtig genug innerhalb des unabänderlich Gleichen! Gewiß aber wird die Wissenschaft nicht wesentlich weiter kommen, wenn sie sich nicht endlich einigt über das wesentlich Gleiche! I. Der Organismus als Gegenstand der Wissenschaft. Aufgabe der letztern . Das einzelne Organ der vollziehenden Gewalt, dieser Grundbegriff des Folgenden entsteht nun, indem dieselbe sich den gegebenen, wirk- lichen Lebensverhältnissen zuwendet, und in ihnen den Willen des Staats verwirklichen will. Diese Lebensverhältnisse sind nun äußerlich und innerlich unendlich verschieden. Sie sind theils reine persönliche Ver- hältnisse, theils rein natürliche Zustände, theils Thatsachen, welche aus dem Zusammenwirken beider hervorgehen. Immer aber bilden sie ein Gebiet, welches dem persönlichen Begriffe des Staates selbständig gegenüber steht; sie sind, als Ganzes zusammengefaßt, das natürliche Dasein des Staates. Der Begriff des Lebens ist auch hier der große, aus dem Wesen der Staatspersönlichkeit hervorgehende Proceß, durch welchen er dieß natürliche Dasein seinem geistigen Leben unterwirft. Die Besonderheiten des erstern fordern eine selbständige, für diese Be- sonderheiten bestimmte Erscheinung des letztern; und diejenige Erscheinung, welche der persönliche Staat selbständig für die Bewältigung des ein- zelnen Lebensverhältnisses seines äußern Daseins bestimmt, ist das einzelne Organ der vollziehenden Gewalt. Dieß einzelne Organ bezeichnet uns daher einen doppelten Inhalt. Zuerst enthält es, und ist es der Träger des allgemeinen Staatswillens; dann enthält es die Gesammtheit der wirklichen, äußern Lebensverhält- nisse, in denen es erscheint und für deren Beherrschung im Sinne des Staats es bestimmt ist. Daraus entstehen die beiden Verhältnisse, welche den Inhalt des einzelnen Organes bilden, seine Selbständigkeit, und seine Einheit mit einem ganzen Organismus. Beide Gesichtspunkte sind für das Leben des Organismus entscheidend. Aus dem erstern nämlich ergibt sich, daß jedes Organ der voll- ziehenden Gewalt irgend ein Maß jener drei Gewalten besitzen muß; und dieß Maß bildet nun sein Recht , welches Recht in Beziehung auf seine Begränzung sowohl gegenüber andern Organen als gegenüber sachlicher Verhältnisse die Competenz desselben heißt. Der Inhalt der Competenz eines jeden Organes ist daher das Maß der drei Ge- walten, welches demselben zukommt. Dieses Maß kann nun natürlich kein willkürliches oder zufälliges sein. Mag jenes Organ sein, welches es will, so wird dasselbe stets als durch die äußerliche Aufgabe desselben bedingt erscheinen; es muß in Art und Umfang den Verhältnissen entsprechen, in denen es thätig sein soll; oder, das Recht des Organes muß mit den Aufgaben desselben in Harmonie stehen; oder, es muß ein so großes Maß von jeder jener drei Gewalten als sein Recht besitzen, als für die praktische Erfüllung derselben nothwendig ist. Das heißt, Gestalt, Umfang und Recht jedes Organes sind durch seine Aufgabe gegeben; die Aufgabe selbst ist die wahre Quelle der Zuständigkeit des Organes . Diese Aufgabe und ihr Inhalt ist es nun, welche das zweite Lebenselement jedes Organs, seine Selbständigkeit erzeugt. Offenbar kann der Staat niemals die Gränze des Rechts der Organe genau und vollkommen erschöpfend bestimmen; es muß vielmehr jedes Organ, sei es welches es wolle, selbst mitarbeitend jene Gränze sich setzen, und für jene Gewalten sich selbst bis zu einem gewissen Grade seine Compe- tenz schaffen. Um das zu können, ohne gegen die Ordnung des Staats und den Geist seiner Gesetze zu verstoßen, muß es in seiner Wirksam- keit sich eben des Ganzen und der allgemeinern Aufgabe des Staats stets bewußt sein; es muß, indem es sich selbst sein Gebiet zum Theil ordnet, zum Theil schafft, sich in seiner organischen Verbindung mit dem innern und äußern Leben wissen und fühlen, und in diesem Sinne die Eigenthümlichkeiten der äußern Welt dem Willen des Staats auch da unterwerfen und harmonisch einordnen, wo der letztere sie nicht besonders beachtet oder verstanden hat. Das Recht und die Competenz des ein- zelnen Organes erscheinen daher zwar immer als äußere Gränzen des letztern, aber es muß in sich dennoch ein selbständiges eigenthümliches Leben durch seine eigne Thätigkeit, die geistige wie die materielle, ent- wickeln; es muß statt eines mechanischen, ein lebendiges Glied des großen Ganzen sein, ein selbständiger Körper, mit eigenem Geiste begabt; und erst dieß höhere, individuelle Wesen jedes Organes ist es, welches ein wissenschaftliches Verständniß möglich macht und uns von einer Wissenschaft des Verwaltungsorganismus reden läßt. Denn die Aufgabe dieser Wissenschaft besteht nunmehr nicht bloß darin, die durch Stein , die Verwaltungslehre. I. 15 Recht und Competenz gegebene äußere Ordnung, die Vertheilung der drei großen Gewalten an die einzelnen Organe oder den schematischer. Organismus der Verwaltung darzustellen, sondern vielmehr die Grund- lagen und Kräfte zu erkennen, welche eben jenes innere Leben jedes Organes bestimmen und beherrschen. Und daß es solche große, auch in dem untersten Organe der vollziehenden Gewalt lebendige harmonische Kräfte gibt, das nun wird sich sofort in der Entwicklung des Wesens dieses Gesammforganismus im Allgemeinen, und dann in den einzelnen Hauptformen desselben zeigen. Wir werden für unsere Gesammtauffassung auch in der Lehre vom Organismus nicht viel benützen können von demjenigen, was bisher darüber gesagt worden ist. Die Philosophie des Staats läßt uns vollkommen im Stich, und sinkt zur bloßen Wohlmeinung herab, weil sie den Gedanken nirgends erfaßt hat, daß die gegebene natürliche Welt durch ihre Aufgaben die Basis der Organisation des Staats ist, und die abstrakte Idee der Freiheit es nicht weiter bringt, als bis zur freien Gesetzgebung, nicht aber zur freien Verwaltung. Die Lehren vom positiven Staatsrecht schließen sich natürlich an die gegebene praktische Ordnung, und bringen, während sie das Einzelne genau erörtern, schon von vorhinein eine Gleichgültigkeit gegen den Organismus des Staats an sich mit, der jeden Versuch, durch sie zur allgemein gültigen Auffassung und Grundlage der Vergleichung zu gelangen, als total nutzlos erscheinen läßt. Das, was man die „Politik“ genannt hat, ist entweder, wie bei Dahlmann , ein Streben, die Grundzüge der Verfassung zu finden, oder wie bei Pölitz , ein Streben, die Zweckmäßigkeit der Verwaltung aufzusuchen, oder wie bei Mal- chus nur der Versuch, den Organismus des Amts festzustellen. Die Ency- clopädien der Staatswissenschaft, wie die von Zachariä (Vierzig Bücher), Schön, Mohl, bringen es nicht dahin, den Organismus der Verwaltung zu entwickeln, weil sie eben keinen einfachen Begriff der That des Staats haben. Es bleibt daher nichts übrig, als auf eigenem Wege und soweit es sich um allgemeine Begriffe handelt, mit beständigem Kampfe gegen die bisherige Theorie nach unserem Ziele zu streben. Möge man im Namen der Wissenschaft entschuldigen, wenn wir auch künftig nicht im Stande sind, Gelehrsamkeit für Wissenschaft, und die Gleichgültigkeit gegen Begriffe für ein Recht der letzteren zu halten. II. Die drei Grundformen des Organismus der vollziehenden Gewalt: Staatsverwaltung, Selbstverwaltung und Vereinswesen. Es ist kein Zweifel, daß da der Organismus der vollziehenden Gewalt ein Organismus des Staats ist, zunächst und vor allem das Wesen des Staats über die Grundlagen dieses Organismus entscheiden wird. Wenn nun die zur individuellen Persönlichkeit erhobene Gemein- schaft des menschlichen Lebens, die wir den Staat nennen, an sich eine einfache wäre, so würde auch jener Organismus selbst ein einfacher sein. Er könnte allerdings, wie jeder Organismus, sehr verschiedene Glieder haben, da diese durch die gegebene Natur der äußern Aufgaben bestimmt sind. Allein es könnte für diese Glieder keine wesentlich ver- schiedene Grundformen geben. Das aber ist eben das höhere Wesen der Staatspersönlichkeit, daß sie die persönliche Einheit aller Formen des persönlichen Lebens ist. Jede dieser Formen bildet zwar einen Theil derselben; jede dieser Formen aber ist dennoch zugleich wieder selbständig: denn allen kommt das Wesen der Persönlichkeit, die Selbstbestimmung, zu. Der Staat kann daher nie diese Selbständigkeit der in ihm enthaltenen Formen des per- sönlichen Lebens aufheben; er kann es nicht in seinem Willen, der Ge- setzgebung; er kann es auch nicht in seiner That, der vollziehenden Ge- walt. Die vollziehende Gewalt, in welcher Form sie auch im Einzelnen erscheinen und entwickelt sein mag, hat daher als Grundlage ihres Organismus nicht etwa bloß, wie man gewöhnlich annimmt, nur die einheitliche Staatspersönlichkeit, sondern sie hat selbst so viele Grund- formen, als es Grundformen des persönlichen Lebens im Staate selbst gibt. Und erst dadurch wird die höhere Natur und das organische Wesen dieses Organismus klar werden. Offenbar ist nämlich der Staat zunächst ein rein persönliches an sich selbständiges Individuum, dessen reine und absolut persönliche Selbst- bestimmung in der Staatsgewalt funktionirt und ihr eigenes Recht hat. Die erste Grundform des Staatsorganismus ist daher diejenige, welche wir als den vollziehenden Organismus dieser reinen Staatsgewalt bezeichnen. Die Entwicklung dieses Organismus entsteht, wie wir sehen werden, durch die organischen Berührungen desselben mit den andern Grundformen, und erscheint in den Staatswürden und dem Staats- rathe, welche eben nur jenes rein persönliche Element des Staats erfüllen und vertreten. Zweitens erscheint der Staat dann als die persönliche Einheit aller seiner Lebensverhältnisse, insofern sie die Verschiedenheit und Besonder- heit des wirklichen Lebens, des persönlichen wie des natürlichen, in sich aufnimmt und als Einheit zusammenfaßt. Wir nennen den Staat in diesem Sinne die Regierung, und in Beziehung auf die praktischen einzelnen Aufgaben die daraus entstehen, die Verwaltung. Der persön- liche Organismus der vollziehenden Gewalt, der den Willen des Staats in Regierung und Verwaltung auf allen jenen Punkten des wirklichen Lebens zu verwirklichen hat, ist der Amtsorganismus , der wieder in der Regierung als Ministerialsystem, in der eigentlichen Verwaltung als Behördensystem erscheint, und als großer und selbständiger Organismus sich wesentlich an den wirklichen Lebensverhältnissen entwickelt. Drittens aber enthält der Staat die einzelne selbständige Per- sönlichkeit des Staatsbürgers. Das Recht des Staatsbürgers, das den Ausdruck seiner Selbstbestimmung enthält, an dem Willen des Staats Theil zu nehmen, ist in der Verfassung organisirt. Allein der Wille des Staats erscheint, wie die Lehre von der Vollziehung gezeigt hat, nicht bloß im Gesetze, sondern er wird, wenn auch nur innerhalb der Gesetze, selbstthätig in der Vollziehung. Es muß daher auch ein Orga- nismus dieser selbstthätigen Vollziehung erscheinen, insofern dieselbe als Aufgabe des Staatsbürgerthums innerhalb des Staats auftritt. Dieser Organismus, aus demselben dauernden Princip hervorgehend, welches die Verfassung geschaffen, muß daher auch ein dauernder sein. Er muß mithin auch seinerseits an dauernde Aufgaben anschließen, muß dauernde Formen haben, und dauernd die Einzelnen in die Verwaltung als mitwirkende Organe aufnehmen. Diese dauernden Formen, welche den selbständigen Organismus der Einzelpersönlichkeiten in der Verwaltung enthalten, nennen wir die Verwaltungskörper , und den Organis- mus selbst mit seiner Ordnung und seinem Rechte die Selbstver- waltung , deren wichtigste Grundform wieder die Gemeinde ist. Das ist die dritte Form des Vollzugsorganismus. Die Selbstthätigkeit der Einzelpersönlichkeit als Glied der Staats- persönlichkeit ist aber damit nicht erschöpft. In der Selbstverwaltung ist der Einzelne noch immer ein Organ eines ihm gegebenen Zweckes. Die höchste Form der Theilnahme an der Thätigkeit des Staates ist aber die, wo die Einzelnen die im Staate und seinem Wesen liegenden Aufgaben sich durch freien Beschluß selber setzen, und mit frei geschaffener Organisation selber verwirklichen. Diese letzte Form ist der Verein . Der Verein ist, obwohl er sich seine Zwecke selber setzt, dennoch nur ein organisches Glied des Verwaltungsorganismus; denn die Zwecke müssen Zwecke des Staats sein, und werden sogar regelmäßig schon durch die Gesetzgebung festgesetzt, und die Organisation selbst muß sich grund- sätzlich der Regierung und Verwaltung unterordnen. Das Vereins- wesen bildet auf diese Weise das letzte, freieste, aber auch zufälligste Glied der vollziehenden Gewalt, ein selbständiger eigenthümlicher Orga- nismus, dessen hohe Bedeutung in dem Grade für die Verwaltung steigt, in welchem die freie selbständige Einzelpersönlichkeit von der Staatsgewalt auch in der Verfassung anerkannt wird. Auf diese Weise entstehen vier Grundformen des Verwaltungs- organismus, deren jede der zum Organismus erhobene Ausdruck einer selbständigen Lebensform der Persönlichkeit ist. Andere gibt es nicht; alle Organe der Verwaltung und alle Thätigkeiten derselben lassen sich nur auf diese Grundformen zurückführen. Eben deßhalb aber hat jede dieser Grundformen auch ihr eigenes Recht und ihre eigene Geschichte. Denn der Kern, aus welchem heraus sie sich entwickeln, ist eben ein selbständiger. Er hat sein eigenes Leben und wirkt für sich selber und durch sich selber. Und die nächste Aufgabe des Folgen- den ist es nun allerdings, jeden dieser selbständigen Organismen mit seinen Eigenthümlichkeiten und den Elementen seiner Entwicklung darzu- stellen. Das ist ein ebenso reiches als wichtiges Gebiet; des Stoffes ist, wie der Vorarbeiten, dafür genug vorhanden; aber mit dieser Auf- gabe ist ein wesentlicher Punkt — im Grunde der entscheidende — nicht gelöst. Trotz ihrer Selbständigkeit und Besonderheit sind sie dennoch immer nur Organe Einer und derselben Gewalt, und Glieder des Staats. Sie bilden eben zusammen erst die Verwaltung im weitesten Sinne. Sie sind nothwendig, denn sie beruhen auf dauernden Grundlagen, und jeder Staat und jede Zeit hat daher sowohl Organe des Staats als der Regierungsgewalt, sowohl Körperschaften als Vereine. Nichts wäre, auch historisch, verkehrter, als zu glauben, daß etwa nur in unserer Zeit alle diese Organismen vorhanden sind; sie sind eben abso- lute Organe des Staats und seiner Verwaltung. Nur sind sie in den verschiedenen Zeiten einerseits in sehr verschiedenem Grade entwickelt, und auch in einem sehr verschiedenen Verhältniß zu einander gewesen. Es ist kein Zweifel, daß das organische Gesetz, welches sie in einander greifen und in harmonischer Einheit für die allgemeine Idee des Staats wirken läßt, erst langsam zur vollen Geltung gediehen ist. Es genügt daher nicht jene Organe einseitig für sich darzustellen. Wir bedürfen daneben der klaren Einsicht in das System derselben, und in das Princip, welches dieß System und seine Entwicklung beherrscht, und wenigstens einer Anleitung über die Geschichte der Bildung ihres gemeinsamen und gegenseitigen Verhaltens. Die obige Auffassung, welche den Organismus der vollziehenden Gewalt in Amtswesen, Selbstverwaltung und Vereinswesen setzt, darf fordern, daß man, ehe man über sie urtheilt, wenigstens den gegenwärtigen Zustand des hierher gehörigen Theiles des Staatsrechts ins Auge fasse, und sich die Frage beantworte, ob es möglich sei, auf der Grundlage desselben auch nur entfernt sich ein Bild vom wirklichen organischen Zustande des Staats im Ganzen zu machen, wobei der Werth der Bearbeitung jedes einzelnen Theiles nicht in Abrede gestellt werden soll, obwohl natürlich bei dem Mangel alles Verständnisses der organischen Einheit auch das Bild jedes Gliedes derselben ernstlichst leiden muß. Es ist dabei unsere Pflicht, statt einer Kritik vielmehr den Zustand gänz- licher Verworrenheit auf diesem Gebiete historisch zu erklären. Denn das deutsche wissenschaftliche Staatsrecht steht auch hier hinter der Gegenwart, und unser Trost muß sein, daß die übrigen Völker der Welt gar keines, oder das, was sie haben, nur durch Deutsche besitzen. In der That gibt es weder eine englische, noch eine französische Behand- lung des Staatsrechts, in welchem der Organismus der vollziehenden Gewalt auch nur annähernd als eine Einheit betrachtet wäre. Wir können daher die Zustände, aber nicht die Wissenschaft im Ganzen vergleichen, so werthvoll auch das Einzelne namentlich in der französischen Literatur gegenüber der deut- schen ist. Was dagegen die letztere betrifft, so zeigt sie allerdings auch kaum einen Versuch, ein vollständiges System des Organismus aufzustellen, soweit es sich um das sogenannte deutsche Staatsrecht handelt. Erst in den Landesrechten tritt dasselbe, wenn auch nicht als System, so doch als richtig empfundene Anordnung der Gebiete auf. Der Grund ist der historische Gang der Dinge. Mit dem Anfang dieses Jahrhunderts löst sich die neue Anschauung des Staatsrechts von der alten ab. Wir können als Repräsentanten der letzteren unzweifelhaft Pütter betrachten, als die der ersteren Häberlin und Gönner . Das alte Jus publicum Imp. R. v. Pütter hatte nur zur Aufgabe, die Trümmer des Rechts des alten Kaiserthums gegenüber den deutschen Reichsständen juristisch zu formuliren. Dabei konnte natürlich von der Idee eines Verwaltungs- organismus gar keine Rede sein; der Ausdruck des Verhältnisses beider zu einander war der bekannte Begriff der lehensherrlichen „Hoheitsrechte“, welche die Gränzen der Staatsgewalt juristisch bestimmen sollten. Mit Häberlin er- scheint zum erstenmale die Vorstellung von einem verfassungsmäßigen Organismus als Grundlage des Staatsrechts, und es ist sehr zu bedauern, daß man diesen, in seiner Zeit so hochstehenden Mann später so wenig beachtet hat, während man jede französische Broschüre sorgfältigst erwog und citirte. Gönner ist dagegen in seinem deutschen Staatsrecht derjenige, der zum erstenmale (1805) Verfassung und Verwaltung schied (Constitutionsrecht und Regierungsrecht), und dadurch zu dem Widerspruch den Grund legte, an dem alle seine Nachfolger kranken, auf Deutschland den Begriff eines Staates anwenden, und das öffent- liche Recht Deutschlands nach der Kategorie des Staatsbegriffes auffassen und darstellen zu wollen. Damit war eigentlich jede positive Staatsrechtslehre unmöglich. Denn die Grundverhältnisse des Staats erschienen gar nicht im sogenannten deutschen Staate, namentlich nicht der ganze Staatsorganismus; Deutschland hatte weder Beamtete, noch Gemeinden, und wenn man daher die Organisation, wie Gönner, im Namen des Mangels alles positiven Rechts ganz wegließ, so nahmen andere sie im Namen des Staatsbegriffs wieder auf, jeder wie und so viel es ihm gutdünkte, ohne zu sehen, daß es eben keine deutsche Verwaltungsorganisation gibt. Dadurch war nun jedwede Einheit der Auffassung geradezu unmöglich, denn das direkt Entgegengesetzte war ganz gleichberechtigt. Und so ist es gekommen, daß es vollständig unmöglich ist, zu sagen, was sich die deutsche Staatslehre unter dem Organismus des Staats denkt, vor allem aber die durchgreifende Zufälligkeit auch in der andern An- ordnung des dahin gehörigen Stoffes. Das „deutsche“ Staatsrecht hatte nämlich weder Beamtete, noch Gemeinden, noch Vereine, da diese alle dem Territorial- staatsrechte angehörten. Dennoch ließ sich nicht füglich von einer Staatslehre ohne diese Kategorien reden. Nun hätte man noch zur Noth aus der Verglei- chung der territorialen Rechte eine Art von deutschem gemeinem Staatsrecht machen können; allein namentlich bei der Selbstverwaltung war gerade hier der Unterschied so groß, daß ein Resultat schwer oder gar nicht zu erzielen war. Mit den Staatsdienern und ihren Rechten ging es noch eher, weil die ganze Auffassung doch zuletzt auf dem einseitigen Gegensatz zwischen Fürsten und Volk beruhte; allein da der deutsche Bund kein Staat, die deutschen Bundesstaaten aber in ihrer Verfassung und Verwaltung so tief verschieden waren, so ließ sich die völligste Freiheit — oder Zufälligkeit — in der orga- nischen Auffassung um so leichter erklären, als die junge Staatswissenschaft auch keinen Begriff für die Verwaltung hatte, und sie vielmehr nur als ein Conglomerat aus den einzelnen „Hoheitsrechten“ auffaßte. Für den Gedanken vollends, den Organismus des Staats als die Einheit von Amt, Selbstver- waltung und Vereinswesen zu betrachten, war gar kein Raum. Das Streben ging vielmehr dahin, Fürstenthum und Freiheit als Gegensätze zu erfassen; während man sich daher über die Stellung des Beamtenthums ziemlich leicht verständigte, wußte man mit dem Gemeindewesen nirgends hin; dagegen traten die „Landschaften“ ziemlich unbedingt in die Verfassung, die Körperschaften in die Verwaltung, und das Vereinswesen fällt, wenn es vorkommt, einfach unter die Sicherheitspolizei. Aber auch das war durchaus nicht gleichartig anerkannt. Daß Klüber dem deutschen inneren Staatsrecht den Begriff der aus dem vorigen Jahrhundert ihm noch vorschwebenden verschiedenen „Hoheits- rechte“ zum Grunde legte, ist bekannt. Von einem System ist bei ihm keine Rede; das ganze Gemeindewesen hat bei ihm, bei dem überhaupt das Territorialstaatsrecht noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist, auch noch gar keinen Platz; es geschieht desselben nur beiläufig Erwähnung, wie §. 259 u. m. a. O. Vom Vereinswesen spricht er gar nicht; er kennt nur ver- botene Verbindungen. Maurenbrecher , der gleichfalls im Staatsrecht noch den Begriff der Verwaltung nicht kennt, führt zwar zuerst das Territorial- staatsrecht selbständig auf, und stellt in Bd. V. die Beamten (Kap. III. ) neben die Gemeinde (Kap. IV. ). Körperschaften und Vereine fehlen. Zachariä (Deut- sches Staats- und Bundesrecht), der gar die Gesetzgebung als Theil der Regie- rung hinstellt, hat das Amtswesen unter Regierung, das Gemeindewesen und Vereinsrecht unter Verfassung; Zöpfl dagegen theilt alles, ohne System, in Abschnitte; der 18. Abschnitt ist das Gemeindewesen, der 19. die innere Verwaltung; diese hat wieder eine Reihe von Hoheiten, und es gelingt ihm, innerhalb derselben eine „Amtshoheit“ ausfindig zu machen, unter welche er das Amtswesen stellt! — In der constitutionellen Staatsrechtslehre, wie bei Aretin , gibt es noch keine Vereine; die Gemeinden dagegen erscheinen als eine „Gewähr der Verfassung.“ Bülau (Die Behörden im Staats- und Ge- meindewesen), und Zachariä (Vierzig Bücher) haben bekanntlich überhaupt kein System, sondern eben so viel Abschnitte, als sie gerade haben. Malchus (Politik der innern Verwaltung) beschäftigt sich nur mit dem Amtsorganismus. Bei Mohl (Württembergisches Staatsrecht) finden wir die erste systematische Grundlage; er hat den Gönner’schen Gedanken zu einer organischen Trennung von Verfassung und Verwaltung ausgebildet, und richtig unter Verwaltung die Ministerien und die Gemeinden zuerst als „Organismus“ zusammengefaßt. Es ist zu bedauern, daß er seine Gedanken nicht festgehalten, denn in seiner Encyclopädie ist wieder die alte Unklarheit; die Gemeinde ist hier ganz ver- schwunden. Pötzl (Die Gemeinden in der Verfassung unter der Kategorie juri- stische Personen, die Beamten dagegen in der Verwaltung), Weiß (Hessisches Staatsrecht), und Milhauser (Sächsisches Staatsrecht), Pfister (Badisches Staatsrecht) stellen sich mit Klüber und Bülau auf den alten Standpunkt, gar keine allgemeinen Kategorien anzunehmen, sondern einfach Beamten und Ge- meinden neben einander zu stellen. Vom Vereinswesen ist bei den meisten gar nicht, bei einigen nur ganz beiläufig die Rede. Es wäre leicht, aber nutzlos, die Aufzählung zu vermehren. Das Obige wird genügen, um den Beweis zu liefern, daß wir ohne alles System sind. Doch läßt sich dabei eine nicht unwichtige Bemerkung nicht unterdrücken. Während das Gemeindewesen früher gar nicht berücksichtigt ward, hat es, namentlich durch die Entwicklung des Territorialstaatsrechts, das dasselbe in den größten Theil seiner Verfassungen aufgenommen, eine bedeutende Anerkennung gefunden. Das Vereinswesen hat dagegen noch so gut als gar keine öffentlich rechtliche Natur. In dem ersten liegt jedenfalls ein Fortschritt; aber er ist ein halber, so lange nicht das letzte hinzu kommt. Und es ist nicht möglich, den Staatsbegriff organisch zu ent- wickeln, ehe man alle drei Seiten des vollziehenden Organismus als Einheit neben den beschließenden gestellt haben wird. III. Die wirkenden Elemente der organischen Gestaltung der voll- ziehenden Gewalt oder der Verwaltung im weitern Sinn. a) Wesen und Gegensätze derselben. Das, was wir das System des Organismus nennen, ist nun seinem allgemeinsten Begriffe nach diejenige Ordnung aller einzelnen Organe unter einander, vermöge deren sie als Gemeinschaft ihre große Aufgabe erfüllen, und den einheitlichen, als Ganzes zusammenwirkenden Körper des Staats in seiner vollziehenden Gewalt bilden. Diese Einheit ist nun zuerst eine rein mechanische. Sie erscheint in demjenigen Verhalten der einzelnen Theile zu einander, vermöge welcher die Aktion jedes Organs stets als Aktion des Staats selbst auftritt. Das subjektive Moment, das in der Thätigkeit der einzelnen Organe dadurch gegeben ist, daß sie eben von einzelnen Menschen ge- leitet werden, muß so viel als möglich verschwinden; denn es ist der Staat selbst, der vollzieht. Diesem Ziele dient nun das erste Princip des Organismus, das wir als die Hierarchie der Vollzugsorgane ganz entsprechend zu bezeichnen pflegen. Dieß Princip drückt dasjenige Verhältniß aus, vermöge dessen jedes einzelne Organ wieder unter einem andern steht, und in seiner Thätigkeit theils von diesem über- wacht wird, theils von ihm unmittelbar abhängig ist, so daß die Com- petenz keines einzelnen Organes jemals als eine getrennte, sondern viel- mehr stets als in der eines höheren Organes enthaltene erscheint. Es kann diese Hierarchie theils in der sachlichen, theils in der örtlichen Gränze der Competenz erscheinen; sie vollzieht sich andererseits theils darin, daß das niedere Organ dem höheren gegenüber verantwortlich ist, indem das letztere mit Revisionen und Inspektionen innerhalb des Amtswesens, und mit dem Rechte der Bestätigung der Akte bei den Verwaltungskörpern im Verein die Aktion der Glieder des Ganzen auf die einheitliche Thätigkeit des letzteren zurückführt — theils darin, daß bei dem von uns früher dargestellten Weg der Beschwerdeführung die höheren Organe das Recht haben, darüber zu entscheiden, ob sie die Aktion des untern Organes durch ihre Bestätigung und Abweisung der Beschwerden als die ihrigen, und mithin als die des Staatsorganismus im Ganzen erklären können. Es ist wahr, daß der Mechanismus, der hier zum System der Hierarchie wird, wesentlich noch in der Form liegt, und daß zuletzt der tiefere Grund das Princip der persönlichen Einheit der Staatsthätigkeit ist. Allein dennoch muß man festhalten, daß hier das äußerliche, mechanische Moment vorwaltet. Es ist unent- behrlich, aber es gewinnt seinen rechten Inhalt für den gesammten Organismus dennoch erst dann, wenn das zweite, höhere Princip zur Entwicklung gelangt. Dieß zweite Princip des Organismus entsteht dann, wenn man die vier oben gesetzten Grundformen des Organismus auf die beiden einfachen Faktoren reducirt, aus welchen sie entsprungen sind. Offenbar nämlich sind die Organisation der Staatsgewalt und die der Regierungs- gewalt, das Amtswesen, nur zwei Formen derselben Potenz, nämlich der individuellen Persönlichkeit des Staats; die Organismen der Selbst- verwaltung und der Vereine beruhen dagegen gemeinsam auf der, inner- halb des Staats wieder als selbstbestimmt und frei gesetzten einzelnen Persönlichkeit. Für beide Grundlagen, den Staat wie den Einzelnen, gilt nur das Wesen aller Persönlichkeit, die Selbstbestimmung; es folgt, daß auch beide großen Organismen, welche aus ihnen entstehen, diese Selbstbestimmung als ihr eigenstes Lebensprincip festhalten. Nun aber fordert das Wesen des Staats, daß sich der Einzelne überhaupt, und daß sich mithin auch die Organismen, welche die Theilnahme des Ein- zelnen an der Staatsthätigkeit enthalten, die Verwaltungskörper und die Vereine, dem Staate unterordnen. Den Staat als solchen aber vertritt der Regierungsorganismus, das Amtswesen, auf allen Gebieten der praktischen Thätigkeit. Damit treten sich nun die beiden großen Formen alles persönlichen Lebens, die allgemeine und die Einzelpersön- lichkeit entgegen, und während es kein Zweifel ist, daß jede derselben ihren eigenen Organismus in der Verwaltung hat und haben soll, ent- steht dagegen die Frage, ob und in wie weit eine Unterordnung der einen Klasse von Organisationen unter die andere stattfinden kann und muß. Der naturgemäße Gang, der in solchen Gegensätzen stets erscheint, ist auch hier aufgetreten. Die erste Bewegung, welche bei jeder Er- scheinung wesentlich verschiedener Kräfte stattfindet, ist die Scheidung beider, und die Entwicklung des Gegensatzes. Und dieß ist auch hier ein- getreten, und nicht etwa bloß als ein vorübergehender historischer Zustand. Es ist vielmehr die Grundlage selbst schon ein Gegensatz, und so lange es daher jene Organismen geben wird, so lange wird auch dieser Gegen- satz lebendig bleiben. Immer haben Selbstverwaltung und Vereine die Aktion des Regierungsorganismus so weit als möglich von sich ge- wiesen, immer hat die Regierungsgewalt andererseits getrachtet, sich dieselben entweder unmittelbar einzuverleiben oder doch sie direkt sich unterordnen, und immer wird das bis zu einem gewissen Grade ge- schehen. Und es ist nicht bloß unvermeidlich, daß das geschehe, sondern dieser Gegensatz in abstrakter Form gedacht, ist vielmehr selbst ein noth- wendiges und organisches Element des Gesammtlebens, und jeder Staat muß als gefährdet erscheinen, wo derselbe vollkommen verschwunden ist. Denn in der That vertreten beide Grundformen des Organismus nicht etwa bloß ihren eigenen Antheil an der vollziehenden Gewalt, indem sie sich selbst gegenüber dem andern vertheidigen; und eben so wenig handelt es sich bloß um den Werth der Maßregeln oder die Wichtigkeit der Interessen, welche beide einander gegenüber zur Geltung bringen, und die in der Selbständigkeit der Organe, durch welche sie vertreten werden, ihre eigene Selbständigkeit erkennen. Sie sind vielmehr beide, wie wir schon gesagt, Ausdrücke der beiden großen Elemente des mensch- lichen Lebens überhaupt, des Ganzen und des Einzelnen, und das Recht, welches jene Organe fordern und vertheidigen, ist damit identisch mit der Existenz dieser ihrer eigenen Grundlage. Nicht daher daß jener Gegensatz da ist, ist ein Uebelstand, und nicht ihn als solchen zu ver- nichten, ist die wahre Aufgabe, sondern es kommt vielmehr darauf an, jene Elemente in ihr harmonisches Verhältniß zu einander zu stellen. Und dasjenige Princip nun, nach welchem jene beiden Grundformen in ihrer Selbständigkeit zur Einheit gebracht werden, nennen wir nun das Princip der verfassungsmäßigen Hierarchie . b) Die beiden Principien der verfassungsmäßigen Harmonie zwischen der staatlichen und der freien Verwaltung. Die verfassungsmäßige Hierarchie hat daher zu ihrer Voraussetzung die bereits gegebene Organisation sowohl des Amtswesens als der Körper- schaften und Vereine; ihre Aufgabe ist es nun, das Verhältniß zu bestimmen, in welchem diese Organe als Einheit zu einander stehen, um den Staat selbst als einheitliche Persönlichkeit erscheinen zu lassen. Die erste Bedingung dieser Forderung ist nun die, daß die Ge- sammtheit aller Organe in ihren wirklichen Thätigkeiten dem höchsten Willen in der Regierungsgewalt, also dem Ministerium untergeordnet sein müssen. In der That nämlich steht die vollziehende Gewalt als solche, und mithin alle jene Organe derselben, als Vollziehung der Ge- setzgebung da. Sie haben daher nirgends eine ihnen eigene gesetz- gebende Gewalt; eine solche würde sie dem Organe der Gesetzgebung coordiniren, und damit die persönliche Einheit des Staatslebens selber aufheben. Man muß daher davon ausgehen, daß sowohl die Regierung als die Selbstverwaltung nur eine Verordnungsgewalt besitzen, deren Wesen es ist, das bereits bestehende Gesetz für die wirklichen Lebensverhältnisse in seiner Ausführung weiter zu entwickeln, unter Umständen auch zu ersetzen; niemals aber kann das Recht weder der Regierung noch der Verwaltungskörper so weit gehen, ihren Willen dem Willen der Gesetzgebung zu coordiniren, geschweige denn entgegen zu setzen. Das, was wir die Verfassung der Verwaltungskörper nennen, ist daher nur im uneigentlichen Sinn eine Verfassung; es ist nur eine verfassungsmäßige Organisation der örtlichen Regierungsgewalt, nament- lich des Rechts der Verordnungsgewalt. Es folgt aus diesem, unten weiter zu entwickelnden Satze, daß die Thätigkeit auch dieser Körper dem Verordnungsrecht, und mithin der Verantwortlichkeit gegenüber der gesetzgebenden Gewalt unterliegt, denn auch für sie hat dieß organische Princip der Verantwortlichkeit die Aufgabe, die Harmonie zwischen der Gesetzgebung und der Vollziehung herzustellen. Ist das aber der Fall, so muß, wie die Gesetzgebung eine Einheit ist, auch die Vollziehung als Einheit erscheinen; und so entsteht die erste Forderung der ver- fassungsmäßigen Organisation, daß auch die Thätigkeit dieser an sich selbständigen Körper, und natürlich auch die des Vereinswesens, dem Willen der höchsten vollziehenden Gewalt untergeordnet sein muß. Diese Forderung ist die unbedingte Voraussetzung für die Verwirklichung des Grundsatzes, auf welchem die Harmonie eines jeden Staates beruht, in welchem Gesetzgebung und Vollziehung selbständig neben einander stehen. Diejenige organische Thätigkeit des Staats nun, welche diese Funk- tion vollzieht, nennen wir die Oberaufsicht . Es gibt daher keine Oberaufsicht innerhalb des eigentlichen Staatsorganismus, sondern nur eine Oberaufsicht der höchsten Behörden über die Selbstverwaltung. Und in diesem Sinn bildet sie das erste große Element der organischen Ein- heit beider Organismen. Die zweite Forderung, die Selbständigkeit der Organe der Selbst- verwaltung, ist damit nicht aufgehoben, sondern findet an jener ersten nur ihre Gränze , und zwar in einer principiell sehr einfachen Weise. Diejenigen Gesetze, welche die für ein ganzes Reich gleichartigen Lebensverhältnisse regeln, können der örtlichen Selbstthätigkeit der Selbstverwaltung, also der Vollziehung durch die Verwaltungskörper nicht übergeben werden, sondern sind ihrer Natur gemäß Aufgabe der Regierungsgewalt; was allerdings nicht eine Vollziehung durch die Organe der erstern als Mandatare der letztern, wohl aber als selb- ständige, mit Verordnungs-, Organisations- und Polizeirecht ausgerüstete Organe ausschließt. Bei denjenigen Lebensverhältnissen dagegen, welche ein selbständiges örtliches Leben erzeugen, ist das Vollziehungsrecht jener Körper demjenigen der höchsten Regierungsgewalt nur negativ unter- geordnet, d. i. in der Form der Bestätigung derjenigen Akte, welche allgemeine Grundsätze oder Gesetze örtlich zur Vollziehung bringen. Die Form, in welcher dieser Grundsatz zur äußern Geltung kommt, besteht darin, daß die Verantwortlichkeit — die Herstellung der Harmonie zwischen Gesetzgebung und Verwaltung — niemals auf diese Verwal- tungskörper als solche, sondern immer auf die höchste Regierungsgewalt, das Ministerium fällt; ohne dieses Princip ist eine Verantwortlichkeit überhaupt nicht ausführbar, und damit würde die Scheidung der Ver- waltungskörper vom Staate zu selbständigen Staaten ausgesprochen, die Verordnungsgewalt dieser Körper würde zur Gesetzgebung, die Auflösung des Staatsverbandes wäre grundsätzlich vorhanden, und die Einheit desselben nur noch eine formelle. Auf keinem Punkte des orga- nischen Staatslebens ist daher das Princip der ministeriellen Verant- wortlichkeit wichtiger als hier; denn hier ist es nicht bloß das Princip der abstrakten Harmonie zwischen Gesetzgebung und Vollziehung, sondern es ist zugleich die Verwirklichung der organischen Einheit zwischen Staat und Staatstheilen, zwischen Regierung und Verwaltungskörpern, zwischen der allgemeinen und der einzelnen Persönlichkeit. Jeder Zweifel an dieser Forderung wird daher nothwendig in seiner letzten Consequenz zum Zweisel an der wahren Existenz des Staats selbst, und jede Un- klarheit über die Sache selbst führt unbedingt zu der Frage, ob die Einheit des Staats eines Bestandes auf die Dauer fähig ist oder nicht. Je kräftiger sich daher die bürgerliche Freiheit entwickelt, und in der Selbstverwaltung und den Vereinen auch in der Verwaltung ihre Organe findet, um so bestimmter muß der Staat für dieß Ver- hältniß die an sich einfachen Grundsätze festhalten: jede Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt der Verwaltungskörper und Vereine steht unter der Gewalt der staatlichen Regierung, und kann daher von dieser negativ beschränkt werden; jeder Verwaltungskörper und Verein hat die organische Verpflichtung, die Gesetze des Staats zu vollziehen, und kann dazu von der vollziehenden Gewalt angehalten werden; dafür aber hat die Regierungsgewalt die Verantwortung gegenüber der Gesetz- gebung, daß diese Körper und Vereine die Gesetze ebenso gut vollziehen, als die Regierungsorgane selbst. Das sind die Basen der Harmonie zwischen Regierung und Selbstverwaltung. Und hier nun entsteht die schwierigste Seite der Frage. Es ist die Frage nach der Gränze, innerhalb welcher diese selbständigen Körper das Verordnungs-, Organisations- und Zwangsrecht in der Weise be- sitzen, daß die Staatsregierung dasselbe nur negativ beschränken kann — oder wie man gewöhnlich sagt, nach der Gränze der Selbstverwaltung gegenüber der Staatsverwaltung. Wenn auch das obige Princip feststeht, daß es in einem organi- schen Staate eine absolute, d. i. von der Gesetzgebung und mithin von der Regierung ganz unabhängige Verwaltung für gar keinen Theil der letzteren geben kann, weil die Verantwortlichkeit und damit die Ge- setzgebung selbst da aufhören würde, wo diese volle Unabhängigkeit be- gänne, so wird dennoch jene Gränze im Einzelnen stets eine zweifelhafte bleiben. In einem formellen Streite würde die Entscheidung zuletzt auf lauter einzelne Fälle hinauslaufen, und damit die einheitliche Regierung selbst allmählich in Verwirrung gerathen. So lange nun die Gesetz- gebung und Vollziehung nicht geschieden, und also von einem selb- ständigen Recht der letzteren nicht die Rede ist, wird jene Frage stets und nothwendig einseitig von dem Staatsoberhaupt als persönlichem Inhaber der beiden Gewalten entschieden werden müssen. Es gibt hier kein anderes Mittel. In diesem Processe der Entscheidung wird dann stets die Selbständigkeit der Verwaltungskörper dem Willen der centralen Gewalt unbedingt unterliegen, und die freie Verwaltung der Einheit derselben geopfert werden. So wie die Gesetzgebung dagegen selbständig wird, wird es zugleich nothwendig, daß jene Gränze durch diese gesetz- gebende Gewalt selbst gezogen werde. Eine solche Gesetzgebung nun, welche Inhalt und Form der, den Verwaltungskörpern überlassenen freien Verwaltung und mithin auch die Linie bestimmt, innerhalb welcher die letztere selbstthätig wirkt, pflegt man eine neue Verfassung dieser Selbstverwaltungskörper zu nennen, weil sie naturgemäß zugleich die Formen der Theilnahme der Staatsbürger an der, jenen Körpern über- lassenen Vollziehungsgewalt enthält. In diesem Sinne spricht man von einer Landes - und Gemeindeverfassung . Den Landes- und Ge- meindeverfassungen entspricht das Vereinsrecht . Diese Verfassungen und Rechte enthalten daher die Gränze der Gesetzgebung gegenüber den Verwaltungskörpern, und bilden in diesem Sinne einen formellen Theil der Staatsverfassung, obwohl sie in Wahrheit nur das verfassungs- mäßige Princip für die Einheit im Organismus der vollziehenden Gewalt sind. Sie sind daher in der That organisatorische Gesetze, und bilden das wesentlichste Gebiet für die unmittelbare Anwendung der Organisationsgewalt der gesetzgebenden Körper. Sie sind an sich so nothwendige Elemente für das freie Staatsbürgerthum, daß sie, wo die Verfassung noch nicht gegeben ist, in der Form des historischen Rechts entstehen und sich erhalten; aber so lange das Recht der Selbstverwal- tung nur auf der historischen Entwicklung beruht, muß es stets im Gegensatz zur Staatsgewalt erscheinen, denn der Rechtsgrund der Selb- ständigkeit ist hier zunächst immer nur die Thatsache dieses Rechts; erst mit der verfassungsmäßigen Ordnung des Staats tritt die Nothwendig- keit desselben als rechtbildend auf, und macht einen organischen Theil der Verfassung aus demselben. Niemals aber kann der Inhalt dieses Rechts eine völlige Unabhängigkeit jener Körper vom Organismus der vollziehenden Gewalt enthalten. c) Die Individualität des staatlichen Organismus. Auf diese Weise formuliren sich nun die großen Principien für den Organismus der vollziehenden Gewalt mit besonderer Beziehung auf den Unterschied zwischen der im obigen Sinne geschiedenen staatlichen und freien Verwaltung in den folgenden Sätzen: Die Organismen der freien Verwaltung haben eben sowohl wie die der Staatsverwaltung nur den im Gesetze gegebenen Willen des Staats zu vollziehen; sie haben deßhalb niemals eine gesetzgebende, sondern nur eine verordnende Gewalt. Sie bilden daher mit den Organismen der Staatsverwaltung eine Einheit, damit vermöge dieser Einheit durch die Anwendung der Rechts- sätze des Regierungsrechts auch für ihre vollziehenden Thätigkeiten die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Vollziehung erhalten werden können. Die Form in der das geschieht, besteht theils darin, daß sie selbst als vollziehende Organe der Verordnungsgewalt der Regierung auftreten und damit dem Amtswesen gehören, theils darin, daß das ihnen zu- stehende eigene Verordnungsrecht die Genehmigung der höchsten voll- ziehenden Gewalt fordert, theils darin, daß auch da, wo dieß nicht der Fall ist, die letztere das Recht des Verbotes gegen ihre Thätig- keit besitzt. Die somit gesetzte Selbständigkeit der freien Verwaltung gegenüber der staatlichen wird durch die von der Gesetzgebung gegebene Anerken- nung zu einem Theile der Verfassung. Die Rechte der höchsten voll- ziehenden Gewalt aber über die Organe der freien Verwaltung erscheinen ihrerseits als organisch nothwendig, weil sie selbst wieder die Voraus- setzung der Verantwortlichkeit bilden, diese aber die unbedingte Voraus- setzung des harmonischen Staatslebens ist. Denkt man sich nun diese Principien ausgebildet und ausgesprochen für die Gesammtheit der wirklichen Verwaltungsorgane eines Staats, und mithin speziell entwickelt für das praktische Verhalten zwischen den Organen des Amtswesens in der Selbstverwaltung und im Vereine, so entsteht das, was wir das System des Organismus in einem Staate nennen. Die concrete Gestalt eines solchen Systems hängt nun einerseits von den concreten, meist historisch gebildeten Zuständen und Verhält- nissen der Selbstverwaltungskörper ab, theils auch von der Auffassung, welche bei der verfassungsmäßigen Ordnung der Rechte der letzteren im Einzelnen obwaltete. So gleichmäßig daher auch die Principien sind, welche für den Organismus gelten, so höchst verschieden ist die wirkliche Gestalt desselben in den verschiedenen Ländern. Diese Verschiedenheit gilt nicht etwa bloß für die einzelnen Sätze und Rechte in dieser Organi- sation, sondern sie beruht vielmehr auf der Gesammtauffassung des Ver- haltens zwischen der Regierungsgewalt und den Formen der freien Ver- waltung. Und in dieser Gesammtauffassung besteht dasjenige, was man den Charakter des Verwaltungsorganismus eines Reiches nennen kann. Dieser Charakter besteht nicht in einzelnen für den Organismus selbst gültigen Sätzen und Gesetzen, sondern vielmehr in derjenigen all- gemeinen Richtung, welche entweder die Organe der freien, oder die der staatlichen Verwaltung als die Hauptsache betrachtet, und mithin das Maß der selbständigen Thätigkeit der einen oder der andern so weit als möglich zu erweitern und in dieser Erweiterung den Kern der Entwick- lung des Staatslebens anzuerkennen trachtet. Man kann schon hier im Allgemeinen sagen, daß Englands Charakter in dieser Beziehung den Schwerpunkt in die freie Verwaltung, Frankreich dagegen ihn in die staatliche Verwaltung legt, während die deutsche Staatenbildung den großartigen Versuch enthält, das Verhältniß beider Elemente syste- matisch zu einer, beide in ihrem Wesen anerkennenden Harmonie zu bringen. Der Werth einer solchen sehr allgemeinen Redensart besteht nun wiederum darin, daß sie uns den innern Zusammenhang aller der ein- zelnen Grundsätze und Bestimmungen, welche über Amtswesen, Selbst- verwaltung und Verein in den verschiedenen Staaten gelten, zu erklären trachtet. Geht man nämlich alle diese einzelnen Gesetzgebungen und Ordnungen durch, so findet man eine sehr große Verschiedenheit, nicht bloß in den einzelnen Bestimmungen, sondern eben so sehr in dem ganzen Geiste, welcher die Gesammtordnung der einzelnen Organismen beherrscht. Das Amtswesen ist anders, indem man es für sich betrachtet, das Gemeindewesen ist anders, und das Vereinswesen ist anders. Man kann nun jedes dieser Organe recht wohl für sich darstellen, und jedes für sich verstehen. Allein man kann sie durchaus nicht vergleichen , so lange man nicht den Gedanken festhält, das das Recht und die Ordnung aller einzelnen Organe unter einander dadurch in Verbindung stehen, daß sie gegenseitig von dem allgemeinen Princip des Organis- mus bedingt werden. Indem wir daher die Eigenthümlichkeit jener Organisationen in Folgendem hervorheben, werden wir stets auf das Gemeinsame zurückblicken, und so auch im Einzelnen dasjenige zu finden trachten, was eben das Wesen dieser Erscheinungen in ihrer Gemein- schaft bildet, die in der Gesammtheit der Organisation erscheinende In- dividualität der Staatspersönlichkeit . Diese Individualität nun gewinnt eine neue und tiefere Grund- lage, indem man sie selbst als das Ergebniß einer andern, im tiefsten Wesen des Staatslebens wirkende Kraft erkennt. Auch hier kann das Letztere gar nicht verstanden werden, ohne die Einwirkungen der ver- schiedenen gesellschaftlichen Ordnungen auf den Staat zu erkennen. In der That ist jene Individualität selber nichts anderes, als die gesell- schaftliche Gestalt des Vollziehungsorganismus. Das Wesen derselben wird daher durch den Ueberblick über die Geschichte dieses Verhältnisses vielleicht am besten verständlich werden. Es ist hier der Ort, einen Ausdruck festzustellen, dessen große Wichtigkeit schon aus dem Obigen klar sein wird, und dessen Unbestimmtheit wiederum nur historisch, und zum Theil durch Vergleichung mit andern Staaten überwunden werden kann. Das ist die oberaufsehende Gewalt . Es gibt nämlich keine oberaufsehende Gewalt und keine Oberaufsicht inner- halb des amtlichen Staatsorganismus . Es ist nicht bloß gegen allen Sprachgebrauch, daß die höhere Behörde gegen die niedere eine Oberaufsicht übt; es ist im Gegentheil kein Zweifel, daß eine Oberaufsicht eine Selb- ständigkeit des Willens und der Thätigkeit desjenigen zur Voraussetzung hat, über den sie geübt wird. So lange das untere Organ von dem oberen durchaus in Willen und That abhängig ist, und nur dasjenige thun darf, was das letztere befiehlt, kann man von Beobachtung, Untersuchung, Inspektion, aber nicht von Oberaufsicht reden. Die Oberaufsicht kann daher nur im Staate vorkommen, wo Gebiete der Verwaltung mit freiem und selbständigem Willen ihrer eigenen Organe verwaltet werden, und wo demnach die innere Einheit der Thätigkeit dieser Theile mit dem Ganzen als nothwendig gesetzt ist. Das nun ist nur der Fall mit den beiden Formen der freien Verwaltung gegenüber der staatlichen, oder in dem Verhältniß von Selbstverwaltung und Vereinswesen gegenüber dem Regierungsorganismus des Staats. Und es ist daher die Oberaufsicht mit ihren beiden Seiten, dem Verbote und der Genehmigung, das organische Princip und Recht, durch welches die Freiheit der Formen der freien Verwaltung in verfassungsmäßige Harmonie mit dem einheitlichen Leben des ganzen Staats gebracht wird. Die Oberaufsicht ist daher nicht bloß eine zweckmäßige und nütz- liche und noch weniger eine statistische oder sicherheitspolizeiliche Thätigkeit, sondern sie muß als eine organische , durch den Begriff des Staats selbst, als ihm inwohnend gegebene, dauernde Funktion betrachtet werden. Ihr Wesen ist dabei nicht ein positiv verordnendes, sondern es ist rein negativ . Sie hat nur zu hindern, daß die Organe der freien Verwaltung nicht die, in ihrem Rechte gegebene Gränze ihres Antheils an den drei Regierungsgewalten über- schreiten, oder die Erfüllung der Gesetze innerhalb derselben unterlassen. Man kann dabei alsdann von einer eigenen „Gewalt“ reden, wenn man eben jede Funktion des Staates eine „Gewalt“ nennen will, was gewiß höchst unzweck- mäßig ist und nur zur weiteren Verwirrung Anlaß gibt. Man kann sogar von einem „Hoheitsrecht der Oberaufsicht“ reden, wenn man sich nicht ent- schließen kann, einen organischen Staatsbegriff anzuerkennen. Will man aber wissenschaftlich von der Oberaufsicht reden, so kann man unter ihr nur den verfassungsmäßigen Proceß verstehen, durch welchen die höchste Regierungs- gewalt die Harmonie zwischen der Funktion der freien Verwaltung und dem Gesammtleben des Staats herstellt; und die Rechte der Oberaufsicht sind dann die gesetzlichen Bestimmungen über die Mittel , vermöge deren diese Oberaufsicht ausgeübt wird. Diese Mittel bilden dann einen Theil der Ver- fassung der Selbstverwaltungskörper, und können somit als Theil der Staats- verfassung betrachtet werden. Im Allgemeinen aber correspondiren sie dem Begriffe des Gehorsams, und bilden, um die Sache nunmehr mit einem Worte in ihrem Verhältniß zu der bisherigen Darstellung hinzustellen, das Recht und die Form des verfassungsmäßigen Gehorsams der Selbst- verwaltung . Daraus ergibt sich, daß die Oberaufsicht in ihrer Anerkennung als selb- ständiger Theil des öffentlichen Rechts und in ihrer juristischen Ausbildung von der Selbständigkeit der Selbstverwaltung abhängt . Und damit wird es klar, weßhalb man eigentlich nur in Deutschland von einer ober- aufsehenden Gewalt geredet hat und redet, während Begriff und Wort sowohl Stein , die Verwaltungslehre. I. 16 England als Frankreich gänzlich unbekannt sind, während die Sache selbst als eine an sich nothwendige eben sowohl in England als in Frankreich vor- handen ist, nur daß sich jene Funktion des Staatslebens, die wir mit diesem Namen bezeichnen, dort in ganz andern Formen und Rechtsverhältnissen äußert. Es ist das wieder einer von den Punkten, auf welchen das, was man die Vergleichung nennt, sich auf einen allerdings höheren als den ge- wöhnlichen Standpunkt stellen, und die Individualität des einzelnen Staates erfassen muß. In England macht nämlich das System des Klagrechts die (deutsche) Oberaufsicht ganz unmöglich. Da nämlich, wie wir gezeigt haben, jeder Akt einer Behörde, also auch das Einschreiten gegen die Selbstverwaltung und das Vereinswesen stets als auf einem gerichtlichen Urtheil beruhend angesehen wird, so kann jene Funktion der Herstellung der Harmonie zwischen dem bestehenden Recht und der Thätigkeit der Gemeinden und Vereine nur vermöge einer Klage eines Verletzten gegen die Organe der letzteren und eines gerichtlichen Urtheils erfolgen. Ohne ein solches hat die höhere Behörde gegenüber der Selbstverwaltung gar kein Recht. Die spontane Aktion der Oberaufsicht in Verbot und Genehmigung gibt es nicht; es ist Sache der Organe der freien Verwaltung, so zu handeln, daß sie nicht gerichtlich verurtheilt werden kann; es ist Sache der Einzelnen, sich ein ungerechtes Verfahren gefallen zu lassen oder nicht. Das writ of certiorari sowie das Mandamus sind Akte nicht der Oberaufsicht, sondern der Inspektion gegen den amtlichen Friedensrichter. — Dieß System hat zwar gewisse Vorzüge, namentlich den, daß die Gesetzlichkeit in den Handlungen der freien Verwaltungsorgane nicht von der höheren Be- hörde sondern von dem Einzelnen abhängig gemacht wird; allein es ist klar, daß seine Mängel bei weitem überwiegen. Denn die Begründung jener Gesetz- lichkeit nur auf den Einzelnen hat mehr Geld, Zeit und Verständniß des letzteren zur Voraussetzung, als derselbe jemals haben kann. Es sichert das Individuum, aber nicht das Ganze, und bildet den Kern in der Mangelhaftig- keit des englischen Selfgovernment. In Frankreich macht umgekehrt die Aufhebung des Klagerechts und die an seine Stelle tretende Justice administrative das ausschließliche System des administrativen Beschwerderechts auch gegen Ungesetzlichkeiten der Organe der freien Verwaltung die deutsche Oberaufsicht unmöglich. Denn diese Organe sind eben wie wir sehen werden, wesentlich nur amtliche Organe; die Con- sequenz ist, daß sie derjenigen Selbständigkeit entbehren, welche die Voraussetzung der Oberaufsicht bilden. Die gesammte Thätigkeit des Organismus vom Staats- oberhaupt bis zum Maire bildet ein Ganzes, und daher entsteht hier kein verfassungsmäßiger Gehorsam, sondern einfach ein amtlicher , der eben die Oberaufsicht ausschließt und an seine Stelle das Staatsdienerrecht setzt. Die Un- gesetzlichkeit in der Thätigkeit der (amtlichen) Organe der Selbstverwaltung kann daher von dem verletzten Einzelnen nur auf dem Wege der Jurisdiction ad- ministrative gerügt, und vom Conseil d’État am letzten Orte entschieden werden; der Körper des amtlichen Organismus ist zugleich das herrschende Element in der freien Verwaltung. Es gibt daher nur in Deutschland eine Oberaufsicht im wahren Sinn des Wortes: aber auch hier hat sie ihre Geschichte; denn sie hat faktisch ganz anders funktionirt im vorigen Jahrhundert als im gegenwärtigen, und da das deutsche Staatsrecht diesen Unterschied nicht begriffen hat, so sind wir auch zu keinem organischen Verständniß derselben gelangt. Der Charakter des öffentlichen Rechtszustandes im vorigen Jahrhundert war die Selbständigkeit der Körper der Selbstverwaltung auf Grundlage des historischen Rechts. Die Entwicklung der Staatsidee forderte eine neue Unter- werfung dieser Körper und ihrer Aktion unter die höchste Staatsgewalt. Für diese Unterwerfung bedurfte man eines Rechtstitels. Da derselbe im positiven Recht nicht vorhanden war, so mußte man auch hier in die Idee des Staats zurückgehen, und so entstand der Begriff der, mit dem Wesen des Staats ge- gebenen oberaufsehenden Gewalt, vermöge deren die höchste Staatsgewalt die Thätigkeit der Selbstverwaltung sich unterwarf. Die innere Nothwendigkeit der organischen Einheit des Staatslebens erzeugte somit jenen Begriff und jenes Recht; aber die Verschmelzung von Gesetzgebung und Regierung machte es un- möglich, eine Gränze dafür zu finden. Daher sehen wir jene „Gewalt“ in Deutschland als einen immanenten Begriff der Staatsgewalt erscheinen, aber ohne daß man hätte sagen können, was er eigentlich enthalte. Nur das stand fest, daß vermöge desselben die höchste Staatsgewalt nicht etwa bloß die einzelnen Akte der Selbstverwaltung, sondern das Recht auf Selbstverwaltung selbst ihrer Genehmigung unterzog, und zwar als Bestätigung der Privilegien, Stadtrechte, Zunftrechte u. s. w., wobei sie unbedenklich auch Aenderungen in diesen Bestimmungen vornahm, wenn es ihr gutdünkte. Das alte Recht der Oberaufsicht ist daher im Grunde zugleich ein Theil der Gesetzgebung für das öffentliche Recht, namentlich aber ein Ausfluß der Organisationsgewalt; und es wird einleuchten, weßhalb die Regierungen damit so fest an diesem so- genannten jus supremae inspectionis festhielten, während die Gränzen des- selben Gegenstand beständiger Discussion waren. Pütter hat in seiner Literatur des Deutschen Staatsrechts ( III, 300 ff.) die betreffende Literatur gesammelt; sie verdiente wohl eine eingehende Darstellung vom obigen Standpunkt, denn es lag nur zu nahe, dieß Recht mit der Aufgabe der Sicherheitspolizei zu verbinden und vermöge desselben sich in alle Verhältnisse nicht bloß der Selbst- verwaltung sondern auch des Privatlebens zu mischen. Das Oberaufsichtsrecht ward dadurch ein Recht der Polizei; und damit begann dann jener Widerwille gegen dasselbe, der eine wissenschaftliche Auffassung beinahe unmöglich gemacht hat. Schon Berg (Polizeirecht IV, 391) sagt: „die Polizei darf bei Aus- übung ihres wichtigen Aufsichtsamtes nie das Thun und Lassen im In- nern der Familie ausforschen, nie den Hausfrieden brechen und das Haus- recht verletzen.“ Als nun mit unserem Jahrhundert die Selbstverwaltungskörper — vom Vereinswesen ist noch keine Rede — eine verfassungsmäßige Selbst- verwaltung erhalten, entsteht die Frage, was eigentlich jetzt die Oberaufsicht ist. Und hier sieht man gleich anfangs die richtige Auffassung durchbrechen; aber sie ist unfähig Stand zu halten, weil die Voraussetzung aller Oberaufsicht, das Verständniß der Gemeinden als ein Theil des Organismus fehlt. Bei Klüber (§. 358 ff.) erscheint sie als Correlat der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und ist in der That nichts anderes, als die Präventivjustiz der Sicherheits- polizei, indem sie nur im Verhältniß zur Thätigkeit der Einzelnen gedacht wird, noch ganz im Sinne des vorigen Jahrhunderts. Merkwürdig, daß er doch schon die Bestätigung und Genehmigung von Privatgesellschaften und Anstalten hineinbringt. Von Selbstverwaltung ist hier noch keine Rede. Gönner hat sie als eine Art der Hoheitsrechte aufgefaßt (§. 284 ff.), ist aber wohl der erste, der sie als eine Art Statistik definirt; daneben gibt er zu, daß sie dem Landesherrn auch über die Landstände und ihre Administration zusteht, ohne das weiter auszuführen. Damit war ein Grund gelegt; aber er kam nicht zur Entwicklung. Maurenbrecher (§. 177 ff.) sieht allerdings in derselben die „Obervormundschaft der Gemeinden“ und die „Beaufsichtigung aller Korporationen und Stiftungen“ allein nur vom polizeilichen Standpunkte; Zachariä (Staats- und Bundes- recht, §. 165) hat wieder die Gemeinden und Korporationen ganz weggelassen, und findet nichts anderes darin, als die einfache „Befugniß resp. Verpflichtung des Regenten, von allem was im Bereiche des Staats vorgeht, Kenntniß zu nehmen,“ womit der wahre Inhalt verschwindet, so daß Schmitthenner mit Recht zu der Consequenz kam, es gebe „gar keine besondere Staatsgewalt der Oberaufsicht,“ theils weil hier von keiner Gewalt die Rede sein könne, theils weil alles was dahin gezählt werde, der Gesetzgebung oder der Executive an- gehöre. Zöpfl hält sich trotzdem auf dem Standpunkt der statistischen Auf- fassung, verschmolzen mit der sicherheitspolizeilichen ( I. §. 276). Man sieht deutlich beiden an, daß sie eigentlich nicht recht wissen, was sie mit dieser „Gewalt“ anfangen sollen; sie können sie weder entbehren noch begreifen. Dazu kam, daß einige Territorialstaatslehrer, Weiß, Milhauser u. andere, von dieser Gewalt gar nicht reden, andere wie Mohl ( I, 206) in höchst unbestimmter Weise, andere wie Rönne ( I, §. 52) in so inniger Verschmelzung mit dem amtlichen Disciplinar- recht der Inspektion und der Aufgabe der Sicherheitspolizei, daß der Kern der Sache vollständig verloren geht; von einem harmonischen, die Verfassungsmäßig- keit der Selbstverwaltung gestaltenden Verhältniß ist keine Rede; der Begriff hat sich mit seinem wahren Gegenstande aufgelöst, und so wird es erklärlich, daß er in neuern Staatslehren, sowohl dem philosophischen (wie in Fichte’s Ethik) als in den positiven Staatswissenschaften (wie Schön und Mohl’s Encyclopädie) unbemerkt verschwunden ist, während andererseits natürlich die Auffassung, welche in der Selbstverwaltung nicht etwa ein Organ der Verwaltung sondern eine Garantie der Verfassung sucht, wie Aretin , sie geradezu verneinen muß. — Dieß ist der gegenwärtige Zustand der Theorie. Es ist vollkommen unklar und unsicher, und nicht besser dadurch geworden, daß Gneists Meisterwerk für Eng- land nicht zu der Frage gelangte, welche Organe die Funktion der Oberaufsicht da vollziehen, wo sie, dem Wesen des Staats an sich immanent, unter diesem Namen nicht erscheinen kann. Wir glauben nun, daß Wesen und Stellung des deutschen Begriffs der Oberaufsicht mit dem organischen Begriffe der Selbstverwaltung in der obigen Weise ihre dauernde Bedeutung im Staatsrecht behalten werden. IV. Die geschichtlichen Grundlagen der Entwicklung des Verwaltungssystems. Es versteht sich von selbst, daß, nachdem wir jene Formen der Organisation geschieden haben, jede derselben für sich ihre eigenthümliche Geschichte hat. Wir werden diese Sondergeschichte bei der Darstellung jedes Theiles darlegen. Allein alle diese Seiten der historischen Ent- wicklung haben eine gemeinschaftliche Basis, wie sie im Grunde einen gemeinschaftlichen Verlauf haben. Und es ist nothwendig, dieselbe vorauszusenden. Das Verhältniß der Gesellschaftsordnungen zum Staate besteht darin, daß jede Ordnung ihrer Natur nach die Staatsgewalt für sich zu gewinnen und ihren Häuptern zu übertragen trachtet, um vermöge der Staatsgewalt ihre gesellschaftliche Herrschaft theils zu heiligen, theils zu sichern. Das erste Gebiet, in der dieß erscheint, ist natürlich die Ver- fassung; jede Verfassung ist die organische Form der Theilnahme der Gesellschaft an der Bildung des Staatswillens oder der Gesetzgebung. Das zweite ist die Verwaltung. Jede gesellschaftliche Ordnung hat ihre Verwaltung; und zwar erscheint sie hier zweifach wirkend, weil sie einer- seits das Objekt der Staatsthätigkeit ist, und andererseits auch des in den Regierungsgewalten liegenden Staatswillens sich zu bemächtigen trachtet. Der Staat aber als individuelle Persönlichkeit steht diesem Einflusse der Gesellschaftsordnungen gegenüber, er selbst als der stets gleiche und einheitliche in dem Wechsel der socialen Umgestaltungen. Die Bewegung dieser beiden großen Elemente bildet den Kampf, der das innere Leben der Staaten ausfüllt; er ist ganz identisch mit dem Gegensatz zwischen Staat und Einzelnen, denn es gibt keinen abstrakten Staatsbürger, sondern jeder ist Glied seiner gesellschaftlichen Ordnung. Das Princip und System des Organismus der Staatsgewalt findet daher seinen Ausdruck gleichfalls nicht in einem abstrakten Verhalten beider, sondern in dem Gepräge, welches die geltende gesellschaftliche Ordnung der Ordnung und dem Recht der Selbstverwaltung und dem Vereinswesen gibt. Und dieß nun stellt sich als Grundlage der Ent- wicklung jenes Charakters dar, den wir oben bezeichnet haben. Im Anfange der Staatsbildung erscheint die Geschlechtsordnung gegenüber dem Königthum. In der Geschlechtsordnung ist das König- thum noch ohne eigene Rechte, der noch inhaltslose Staat. Das Leben des Staats liegt ganz in den Geschlechtern; die Häupter der Geschlechter sind Priester und Richter; der Staat hat weder ein Objekt, noch einen Organismus der Verwaltung. Dennoch steht schon damals das König- thum selbständig da; es hat schon damals die höchste Würde des Staats zu vertreten, und an diese höchsten Ehrenrechte des Königs schließt sich später das organische Königthum an. Die ständische Gesellschaftsordnung beginnt mit der Zeit, wo nach der Auflösung der Geschlechtsverbände als Grundlage der Gemein- schaft sich die Lebensberufe sondern, und Waffen und Gottesdienst als die höhern Berufe sich von der Arbeit als dem niedern scheiden. Sie gewinnt ihre feste Gestalt, indem auch sie sich mit dem Grundbesitze verbindet. Sie erzeugt damit den Grundsatz, daß die Aufgaben des öffentlichen Lebens und seine Rechte an den Grundbesitz geknüpft sind, und daher den Charakter eines Privatrechts annehmen. Die Aufgabe der Verwaltung und die Gewalten derselben erscheinen daher als Eigen- thum des Besitzers. Damit schließen sie das staatliche Element, das sich im Königthum allmählig entwickelt, nicht bloß thasächlich, sondern auf Grundlage eines bestimmten Rechtstitels aus. Das Königthum seinerseits beginnt auf seinem Grundbesitz und für seine Regalien ein System von Organen einzusetzen, welche in dem Könige persönlich ihren Herrn finden; sie sind zwar „Amtleute“ im alten Sinn des Wortes, aber weder Beamtete noch Obrigkeiten. Sie sind die Verwalter des Königs und seiner Rechte. So sehen wir jetzt zwei formell ganz gleiche Or- ganisationen entstehen; das eine die auf dem Rechte des souveränen Grundbesitzes beruhende Ordnung der verwaltenden Gewalten, das zweite die Ordnung der königlichen Verwaltung. Es ist noch von einer Selbstverwaltung keine Rede, und zwar darum nicht, weil die könig- liche Verwaltung noch gar nicht den Anspruch macht, die grundherrliche Verwaltung sich unterzuordnen. Es ist eigentlich auch noch von einer staatlichen Verwaltung nicht die Rede, weil die königliche Verwaltung sich anfänglich nur auf die königlichen Besitzungen bezieht, und ihr Recht nicht aus der Idee des Staats, sondern aus demselben Rechtstitel wie die grundherrliche, dem Eigenthumsrecht des Landesherrn herleitet. Es ist daher noch gar kein Gesammtorganismus vorhanden, sondern ein vielfach verschiedenes, verwirrtes und streitiges Nebeneinander beider Grundformen, deren Verhältniß noch unklarer dadurch wird, daß die Könige die wahren Verwaltungsaufgaben, Gericht, Regalien und andere, verlehnen, das ist, ihnen den Charakter des Eigenthumsrechts geben. Dennoch ist in beiden Elementen ein wesentlich verschiedener Kern vorhanden, der schon mit dem 13. Jahrhundert zur Geltung kommt, und in den ersten Bestrebungen der königlichen Macht, ihre Amtleute über das ganze Land auszubreiten, ihre erste Erscheinung findet. Zu einem bestimmten Inhalt kommt jedoch dieser Unterschied erst durch die staatliche Gestaltung der Einheit der ständischen Grundherrlichkeit in den Landständen . Die Landstände ihrerseits sind keine ursprüngliche Erscheinung. Sie entstehen vielmehr aus dem Bewußtsein, daß das sich entwickelnde gemeinschaftliche Leben eigenthümliche Aufgaben habe, welche durch die grundherrliche Verwaltung der örtlichen Souveränetät nicht mehr voll- zogen werden kann, weil sie gleichmäßig das ganze Land umfassen. Das Organ für die Vollziehung dieser gemeinschaftlichen und gleich- artigen Aufgaben ist naturgemäß das Königthum; der Organismus derselben naturgemäß der Organismus, den das Königthum um sich sammelt und bildet. Jetzt entstehen daher zwei , und zwar auch dem Rechtstitel nach wesentlich verschiedene Organisationen. Die eine ist die der Grundherrlichkeit, die unter den verschiedensten Namen stets dieselbe ist. Sie beruht auf dem lehensrechtlichen Titel des Eigenthums an den Verwaltungsgewalten; aber sie besteht aus eben so vielen selbständigen Körpern, als es selbstherrliche Grundherrlichkeiten gibt. Jeder dieser örtlichen Verwaltungsorganismen, die fast immer nicht bloß alle Ge- walten, sondern auch alle Gebiete der Verwaltung enthalten, Steuer, Gericht und Polizei, ist durch die örtliche Gränze der Lehensherrschaft begränzt; alle Aufgaben, welche über diese Gränze hinausgehen, sind rechtlich außerhalb der Competenz derselben. Die andere Organisation ist die Organisation der jungen königlichen Gewalt. Sie umfaßt, ohne daß das gesetzlich ausgesprochen wäre, das ganze Reich. Sie beruht nicht auf einem speziellen Rechtstitel, sondern auf der Natur der sich entwickelnden Staatsidee. Sie hat daher grundsätzlich keine Gränzen nach außen; sie kann aber im Grunde auch keine inneren, rechtlichen, anerkennen. Denn die Idee des Staats in ihrer Einfachheit umfaßt und enthält alle Theile und Gebiete gleichmäßig. Sie ist eben deßhalb der grundherrlichen Verwaltung ganz fremd; sie hängt nur vom Könige ab; sie ist sein organisirter persönlicher Wille; und indem die Gesammt- heit als solche nur vom Könige vertreten ist, ist sie schon jetzt der Organismus der vollziehenden Gewalt des Staates . Zwischen diesen beiden Organisationen existirt nun keine rechtlich bestimmte Gränze, wohl aber ein tiefer Gegensatz des Rechtsprincips. Der Staat selbst scheint in zwei Gestalten zugleich da zu sein; wer soll entscheiden, wo die eine aufhört, die andere beginnt? Die Entscheidung wäre bald gegeben, wenn der Begriff von Gesetz und Verordnung klar gewesen wäre. Allein die Gesetzgebung war nur zum Theil in den Händen der Landtage; das Königthum vollzog nicht bloß die Beschlüsse derselben, sondern es gab seinen eigenen Verordnungen Gesetzeskraft, und in den meisten Fällen war es nothwendig, in vielen gut, daß es das that. Es gab daher keine Scheidung der gesetzgebenden und voll- ziehenden Gewalt. Das königliche Amtswesen begann daher natur- gemäß, für seine Verordnungen das Recht des Gesetzes in Anspruch zu nehmen und Gehorsam im Namen des Staats zu fordern, auch da, wo die örtliche Verwaltung ihr den Rechtstitel des lehenherrlichen Be- sitzesrechts entgegenstellte. Die öffentliche Gewalt der letzteren wird mehr und mehr als ein bloßes Privatrecht aufgefaßt, das sich dem Rechte des Staats unterordnen müsse. Das Recht der Staatsgewalt aber findet seine formalen Quellen theils in dem biblischen Begriffe der von Gott verordneten Obrigkeit, theils in dem römischen Recht und der römischen Idee des Imperium. Im Namen dieser Ideen beginnt sie den Kampf mit der örtlichen Verwaltung; und in diesem Kampfe siegt sie. Nur ist die Form ihres Sieges und ihrer Herrschaft eine eigen- thümliche. Sie läßt fast allenthalben der örtlichen Verwaltung ihre alten Formen und Namen, aber sie nimmt den Inhalt der Verwaltung in sich auf, so weit sie mit der letztern in Berührung kommt. So weit dagegen eine solche Berührung nicht stattfindet, namentlich in den Ver- hältnissen der einzelnen Angelegenheiten jener Grundherrlichkeiten zum Grundherrn, da besteht das alte Verhältniß fort. So erscheint der alte, doppelte Zustand in einer neuen Form. Alle Gesammtaufgaben hat der königliche Organismus zu den seinigen gemacht, und daher die Organe der Regierung nicht mehr neben, sondern über die Organe der Grundherrlichkeit gestellt; dennoch ist das Rechtsprincip der letzteren ge- wahrt; das Recht auf die grundherrliche Verwaltung besteht fort, aber nur so weit es nicht in Widerstreit kommt mit dem der königlichen. Der Staat wird nur noch durch das königliche Amt verwaltet; die Ver- waltung der Grundherrn ist zu einer Verwaltung der grundherrlichen Lasten geworden und die Verwaltungsorgane derselben nehmen den Charakter der staatlichen Beamteten für alles dasjenige an, was nicht die bürgerlichen Berechtigungen des Grundherrn betrifft. Der Sieg der Staatsgewalt ist entschieden. Die Ständeordnung hat auf diese Weise im 18. Jahrhundert alle ihre staatlichen Rechte sowohl in Gesetzgebung als Verwaltung verloren. Sie besteht nur noch in ihren alten Formen. Darin lag ihre Schwäche und ihr innerer Widerspruch. Neben und in ihr entwickelte sich die neue Gestalt der Gesellschaft, die auf dem Grundsatz der gleichen Be- rechtigung aller Staatsbürger beruht. Sie setzt das Princip der freien Persönlichkeit dem Principe des Standesrechts, den gewerblichen Besitz dem Grundbesitz gegenüber. Sie betrachtet den Staat als eine auf dem Willen aller Einzelnen ruhende Einheit. Sie fordert daher, daß der Wille aller Einzelnen in allen Formen des Staatslebens zur Geltung komme. Sie fordert es zuerst in der Gesetzgebung und begründet die Idee der Verfassung; sie fordert es aber auch in der Verwaltung. Und hier entsteht nun eine Entwicklung, welche wir zu beachten haben. Sie erklärt uns einerseits den Unterschied zwischen den verschiedenen Völkern Europas, andererseits die Gleichartigkeit in ihrem Organismus. Indem die neue Gesellschaftsordnung den Staatswillen als das herrschende Element und die Gleichheit der Staatsbürger als seine Basis setzt, fordert sie das Aufgehen jeder Form der vollziehenden Gewalt in die Staatsgewalt. Sie negirt daher definitiv den Rechtstitel , auf welchem die örtliche Verwaltung der alten Grundherrlichkeit bestan- den. Es gibt für sie überhaupt kein Einzelrecht, keinen privatrechtlichen Anspruch auf ein öffentliches Recht. Jede öffentliche Gewalt ist nur Staatsgewalt. Das gesammte System der grundherrlichen Verwaltungs- organe ist damit principiell aufgehoben; aber mit ihm auch die prin- cipielle Berechtigung der Theile des Staats auf die Besonderheit ihrer Verwaltung. Der ganze Staat ist nichts als das Gesetz; es gibt keine Selbständigkeit der Vollziehung auch für die Staatsgewalt, geschweige denn für die örtliche Verwaltung; es gibt nur noch einen mechanischen Organismus, der den Willen des Gesetzes gleichförmig allenthalben vollzieht. Das Recht des freien Staatsbürgers ist daher für die Voll- ziehung ausgeschlossen; es gibt nur noch Freiheit in der Gesetzgebung und Gehorsam in der Verwaltung. Das ist der erste noch einseitige Standpunkt der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Sein Organismus ist klar und einfach. Es ist das Aufgehen jedes Organs der Verwaltung in dem centralen Ministerialsystem . Das Entstehen des Ministerialsystems mit dem Anfange unseres Jahrhunderts ist daher die logische Consequenz des definitiven Sieges der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die ständische Welt. Es folgt der verfassungsmäßigen Ordnung der gesetzgebenden Gewalt mit fast mathematischer Gewißheit und verbreitet sich mit ihr über ganz Europa. Sein Wesen besteht nicht in der Gewalt, welche die Minister haben, sondern in der Unterordnung derselben unter die Gesetzgebung und in der Verrichtung der örtlich selbständigen Verwaltung. Das ist seine organische Berechtigung; aber damit ist es auch erschöpft. Denn jene Gleichheit der Staatsbürger ist in Wahrheit nur das eine Moment im Staatsbürgerthum. Die Besonderheit der Lebens- verhältnisse ist das zweite. Es ist von dem Einzelnen ganz untrennbar. Mit der Anerkennung des freien Staatsbürgerthums ist daher die Aner- kennung seiner besonderen Lebensverhältnisse gegeben. Wie daher das Gleiche in Allem durch die Organe des Staats zur Geltung gelangt in Gesetzgebung und Verwaltung, so will auch das Besondere un- bedingt eine solche Geltung und mit der Geltung einen selbständigen Organismus. Es ist natürlich, daß sich dieser an dasjenige anschließt, was jene Besonderheit begründet und immer aufs neue erzeugt. Das ist das örtliche Leben. Die Verhältnisse desselben fordern daher einen Organismus, der es auch in der Verwaltung vertritt. Das sind die Verwaltungskörper. Sie müssen aber ihr Recht vom Staatswillen empfangen; sie müssen ein Organ des letztern und darum durch ihn geschaffen sein in Verfassung und Verwaltung. So entstehen die neuen Verwaltungskörper, die Verwaltungskörper der administrativen Reflexion, als organischer Theil der vollziehenden Gewalt. Es ist die erste, höchst unklare Idee der verfassungsmäßigen Selbstverwaltung. In der That aber sind sie doch nicht selbständig; ihre Selbständig- keit ist ein Schein. Ihre Aufgaben sind ihnen gesetzlich gegeben; ihre Existenz beruht daher nicht in ihnen selber, sondern in der organisiren- den Verordnung; sie sind im Grunde nur Amtskörper in anderer Form. Sind nun diese Aufgaben in der Wirklichkeit nur durch eine solche Ver- ordnung vorhanden? Nein, sie sind vielmehr durch die, über jeder Gesetzgebung stehenden natürlichen Verhältnisse gesetzt. Wann werden daher jene Organe der örtlichen Verwaltung dem Wesen und dem höhern Bedürfniß derselben entsprechen? Wenn ihr Rechtstitel selbst ein ge- gebener ist. Das aber war der Fall bei den alten, aus der ständischen Zeit überkommenen Organismen der Selbstverwaltung. Und so geschah nun das, was wir als die zweite Richtung in dieser Epoche bezeichnen können. Die alten Verwaltungskörper stellten ihren historischen An- spruch auf eigene Verwaltung, ihr geschichtliches Recht, dem Ministerial- system entgegen, und forderten im Namen dieses Rechts, was man im Namen der höhern Natur der Sache ihnen hätte geben müssen, ein Recht auf Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten nicht bloß als Organe der centralen Gewalt, sondern als selbständige Organe. Und an diese Forderung lehnte sich nun eine zweite, die gleichzeitig entstand. Allerdings war die gesetzgebende Gewalt von der vollziehenden getrennt, aber sie hatte noch keinesweges allenthalben die ihr gebührende Stellung eingenommen. Der Kampf mit dem absoluten Königthum war durch- aus nicht beendet. Das Volk suchte daher nach Anhaltspunkten, um ein Gegengewicht gegen die Macht desselben zu finden. Das konnte nur geschehen, indem es dem Ministerialsystem ein System freier und selbstän- diger Verwaltungskörper gegenüber stellte. Es griff daher ohne Weiteres nach den historischen Verwaltungskörpern; es nahm sie in seine Ver- fassungen auf; es betrachtete die Rechte derselben als Schutzmauern gegen die Macht der Staatsgewalt, und so entstand der Begriff, den wir eigentlich suchen, die Umgestaltung der ständischen, unverantwort- lichen Verwaltungskörper, der Landschaften und Gemeinden, in die neuen Körper der verfassungsmäßigen Selbstverwaltung . Auf diese Weise sehen wir die Scheidung der beiden großen, durch die ständische Epoche gesetzten Verwaltungsorganismen einerseits sanktio- nirt, andererseits aber in die Gemeinschaft des öffentlichen Lebens ver- schmolzen. Erst jetzt kann man von einem einheitlichen Organismus der vollziehenden Gewalt reden, denn erst jetzt ist das Princip der selbstthätigen individuellen Persönlichkeit in die Ordnung des thätigen Staatslebens aufgenommen. An diesen wichtigen Proceß, den wir unten genauer darzustellen haben, schließt sich nun das letzte Glied des Organismus, das Vereinswesen. Indem wir auf die Darstellung des Vereinswesens weiter unten verweisen, wollen wir hier nur den Zusammenhang hervorheben. Die Grundlage des Vereinswesens ist nicht so sehr das abstrakte Princip der Selbstverwaltung, sondern vielmehr diejenige Erscheinung in der nunmehr zur Herrschaft gelangten staatsbürgerlichen Gesellschaft, welche die Wissenschaft der Gesellschaft als den Gegensatz der Classen bezeich- net. Die gewaltige Aufgabe, welche durch diesen Gegensatz in das öffentliche Leben hinein tritt, entzieht sich der staatlichen Organisation fast gänzlich. Hier kann nur die Selbstthätigkeit der Gesellschaft selber helfen. Und so kann man schon hier sagen, daß das eigentliche Ver- einswesen sich als letzter und jüngster Organismus an die Entstehung der Selbstverwaltung anschließt, ein Organismus, dem die ebenso große als schwere Aufgabe überwiesen ist, durch das selbstthätige Eingreifen des Volkes in die Gegensätze und Gefahren der staatsbürgerlichen Classen- unterschiede die hohe Idee des Staats auch in der Gesellschaft zu ver- wirklichen. Das sind die Grundzüge der Geschichte des Organismus. Die Epochen derselben sind aber nicht etwa bloß Zeiträume, welche spurlos vorüber gegangen sind. Im Gegentheil hat jede dieser Epochen der Folgezeit ihr eigenthümliches Moment dauernd hinterlassen. Und zur Gesammtanschauung des durch die Arbeit der Geschichte entstandenen Organismus, wie er jetzt vorliegt, wird es beitragen, wenn wir diese Ergebnisse noch einmal kurz zusammenfassen. Aus der Geschlechtsordnung stammt das Königthum mit seinen Würden und den Attributen seiner Vertretung der höchsten Staats- persönlichkeit, wie aus ihm das Princip der Erblichkeit der Krone und das Privatfürstenrecht in der Verfassung stammt. Aus der Lehensepoche der ständischen Gesellschaftsordnung stammt das historische Recht der Selbstverwaltungskörper und meistens auch die Bestimmung des Umfangs und selbst der Individualität dieser Körper. Aus der eigentlich ständischen Zeit, der Zeit der Landtage und ihres ersten Kampfes mit der einen Staatsgewalt stammt die Grundlage der Trennung von Gesetzgebung und Verwaltung und das doppelte System des Verwaltungsorganismus, das der örtlichen und das der königlichen Verwaltung. Aus der Zeit des Sieges des Königthums über die ständische Ord- nung stammt die Einheit der Verwaltung und ihr Recht gegenüber jeder nur historischen Bildung, ein Recht das zum Theil auf der Ver- schmelzung von Gesetzgebung und Verwaltung im Könige ruht, das aber die organische Einheit der letzteren vorbereitet und bedingt hat. Zugleich begründet sich in dieser Epoche die höhere Idee des Amts, aus welcher später der Staatsdienst entspringt. Aus der Zeit der staatsbürgerlichen Gesellschaft stammt einerseits die vollständige Organisirung der Einheit der Verwaltung im Ministerial- system, andererseits die Entwicklung des eigentlichen Begriffes der Selbst- verwaltung und ihrer Aufnahme in die Staatsverfassung. Aus der Zeit der Entwicklung der Classenunterschiede in dieser staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung endlich stammt das Vereins- wesen als letztes Glied des Organismus der freien Verwaltung. Jedes Land Europas hat diese Epochen durchgemacht. Jedes Land hat daher alle jene Elemente nicht bloß im allgemeinen in seinen Organismus aufgenommen, sondern ihnen allen ihre Stellung und ihren Einfluß angewiesen. Die Individualität der Länder in Beziehung auf ihre Verwaltung beruht deßhalb nur in dem ver- schiedenen Grade, in welchem die verschiedenen Gesellschaftsordnungen noch in ihnen enthalten sind, und diese Individualität findet ihren Aus- druck dem entsprechend in der rechtlichen Stellung, welche in jedem Lande das Amt, die Selbstverwaltung und das Vereinswesen haben. Jeder Unterschied läßt sich, soweit er nicht auf ganz natürlichen Gründen be- ruht, auf die nationale Geltung dieser Gesellschaftsordnungen zurück- führen. Die Wissenschaft des Verwaltungsorganismus, nachdem sie das an sich gesetzte Wesen der einzelnen Organe festgestellt, hat daher zu ihrer zweiten ebenso wesentlichen Aufgabe, diese Verbindung zwischen Gesellschaft und Verwaltung als Basis der Individualität der Staaten darzulegen. Und dafür soll das Folgende ein erster Versuch sein. Es ist das zugleich sein Werth und die Entschuldigung für das Maß, in welchem er hinter seinem Ziele zurückbleiben wird. V. England, Frankreich und Deutschland. Und jetzt möge es uns gestattet sein, auf Grundlage der obigen Bemerkungen eine Charakteristik eben jener Individualität des Organis- mus für England, Frankreich und Deutschland zu versuchen. Englands Eigenthümlichkeit beruht auf der Thatsache, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft zwar gesiegt, aber es keinesweges zur Allein- herrschaft gebracht hat. Im Gegentheil ist England bekanntlich das Land, in welchem die ständische Gesellschaftsordnung noch in voller An- erkennung neben der freien steht. So ist eine Grundlage des Volks- rechts entstanden, wie sie nirgends besteht. Das Königthum ist zwar principiell das Haupt des Staats; allein der Wille des Staats ist ge- geben von dem harmonischen Zusammenwirken der beiden Gesellschafts- ordnungen, die im Oberhaus und im Unterhaus vertreten sind. Die Abwesenheit des Streites zwischen beiden ist es, welche sie dem König- thum gegenüber allmächtig macht; die freie Entwicklung der staatsbürger- lichen Gesellschaft legt den Schwerpunkt der innern Thätigkeit in die Selbstverwaltung, und durch das Zusammenwirken beider Momente entsteht der Zustand, der Englands Organismus charakterisirt. Der persönliche Staat ist nicht wie auf dem Continent, zur Entwicklung ge- diehen; er regiert nicht und hat daher auch keinen Amtsorganismus wie hier. Der Amtsorganismus vertritt nicht ein selbständiges Etwas außerhalb der Volksvertretung und ihrem Willen, es gibt keine, durch die höhere Idee des Staats begründete, in der Natur der Sache liegende Verwaltung; es kann sich der Amtsorganismus weder zu seinem höheren ethischen Bewußtsein erheben, noch auch an das Königthum anschließen, sondern die Organe der vollziehenden Staatsgewalt sind materiell die Mandatare der Volksvertretung und ihres Willens, wenn sie auch formell im Namen des Königs handeln; eine selbständige Funktion des Staats als solchen gibt es diesem Willen gegenüber nicht; es gibt eigentlich kein rechtes Amt und keinen rechten Amtsorganismus. Die vollständige Herrschaft der Volksvertretung, beruhend auf der Einigkeit der ständischen und staatsbürgerlichen Gesellschaft, hat hier vielmehr jenes merkwürdige System geschaffen, das wir mit so vieler Mühe ver- stehen, weil auch wir so viel Mühe haben, uns in andere Gestaltungen zu versetzen. Der Lebensproceß des englischen Staats beruht auf drei Momenten. Das erste ist die Gesetzgebung, das zweite ist die Selbst- verwaltung, das dritte ist die richterliche Funktion. Die Bewegung zwischen ihnen, und damit das Wesen des englischen Organismus, durch welchen sie sich vollzieht, ist folgende. Die Gesammtheit der Thätig- keiten der Regierung ist, da ihr selbst grundsätzlich keine selbständige Funktion gestattet ist, nur die Vollziehung der Gesetze. Wo kein Ge- setz ist, da ist auch keine Regierung. Wo daher Interessen sind, welche durch kein Gesetz geordnet werden, da muß sich das Volk selbst helfen; jedes Eingreifen auch im höchsten Interesse des Ganzen von Seiten eines Organes der Regierung ist ungesetzlich. Die Selbstverwaltung hat daher im Grunde den Charakter einer Erfüllung der Funktion der Ge- setzgebung durch die freie Thätigkeit der Einzelnen. Die Aufgabe dieses Staatslebens besteht daher darin, wo möglich für alles was seinem Wesen nach der Regierung gehört, Gesetze zu geben, und dann vermöge des Gerichts die Organe der vollziehenden Gewalt dazu anzuhalten, daß sie diese Gesetze auch wirklich vollziehen und sie nie überschreiten. Was nicht durch ein Gesetz befohlen ist, geht die Regierung nichts an; die Selbstverwaltung kann sich nicht bloß selbst helfen, sondern es wäre ungesetzlich, wenn die Regierung selbstthätig eingriffe. Was aber gegen das Gesetz geschieht, geht die Regierung eben so wenig an; denn es ist Sache dessen, der sich verletzt fühlt, das Organ der vollziehenden Gewalt zu verklagen und sich Recht zu schaffen. So ist das, was wir die Regierung nennen, in England eigentlich gar nicht vorhanden; Geist und Form derselben sind, wie wir es unten im Einzelnen sehen werden, so wesentlich von denen des Continents verschieden, daß wir uns in einen ganz andern, von fremden Gesetzen beherrschten Organis- mus versetzt fühlen; selbst unsere Namen passen nicht; es gibt keine Ministerien und keine Behörden, kein Staatsdienerrecht und keine Oberaufsicht dort, sondern nur gerichtlich geschützte Ausführung der Gesetze und Selbsthülfe für die Interessen durch die Selbstverwaltung. Wir müssen hier mit wahrer Hochachtung Gneists Werk nennen; er ist es, der den innern Zusammenhang dieses Zustandes, die Unselbst- ständigkeit der Regierung gegenüber dem gesetzgebenden Körper und die Funktion der Selbstverwaltung und des Gerichts, mit den großen Faktoren der Rechtsbildung im ganzen Staatsleben der gesellschaft- lichen Ordnungen, zuerst und in erschöpfender Weise verstanden hat. Ohne ihn wird man künftig England schwerlich kennen lernen, niemals zu beschreiben und zu verstehen im Stande sein. Es ist schwer ihn zu benützen, denn man kann fast nur ihn benützen. Wenn solche Arbeiten für alle Länder Europas dereinst vorliegen, wird man sehen, wie weit wir jetzt noch von der höchsten Lösung unserer Aufgaben ent- fernt sind. Ob nun dieser Zustand bei allen großen Vorzügen, die er hat, ein wirklich guter ist, ist eine andere Frage. Wir müssen behaupten, daß sein Mangel auf dem Mangel der selbständigen Funktion der Regierung beruht. Dieselbe aber ist ein organisches Element, und kann daher auf die Dauer nicht ohne Nachtheil unterdrückt werden. Die Zukunft Englands liegt in der Beschränkung der Herrschaft, welche die Gesetz- gebung über die Verwaltung ausübt, formell in der Herstellung eines Beamtenstandes, nicht über , sondern neben der Gesetzgebung und Selbstverwaltung. Und das was wir in Gneists Werk am höchsten schätzen, ist das richtige Verständniß dieses Punktes in Englands staat- licher Individualität. Frankreich zeigt uns dagegen ein ganz anderes Bild. In Frankreich ist die Thatsache und das Verständniß der ständischen Gesell- schaftsordnung vollkommen unterdrückt; es leidet daran, daß die Reste dieser Ordnung grundsätzlich rechtlos sind. Die staatsbürgerliche Gesell- schaftsordnung herrscht allein; sie muß daher auch das Princip, von welchem sie ausgeht, zum alleinherrschenden nicht bloß für die Gesell- schaft, sondern auch für den Organismus des Staats machen. Dieß Princip nun ist die Gleichheit . Die Gleichheit aber ist eine Abstraktion; das wirkliche Leben erscheint vielmehr in beständig ungleichen Bildungen, gesellschaftlich und wirthschaftlich. Der Staat und seine Regierung, als Vertreter der Gleichheit, haben daher die erste und große, niemals ruhende Funktion, diese Gleichheit auf allen Punkten zu erhalten und herzustellen. Der Organismus des Staats, als Ausdruck dieser Funktion, wird dadurch von zwei großen Grundsätzen in seiner ganzen Gestaltung beherrscht. Er darf keine wahre Selbstverwaltung zulassen, denn sie würde nicht bloß die Besonderheit in allen Gebieten des Lebens er- zeugen und consolidiren, sondern das Recht der Selbstverwaltung wäre eben der Rechtstitel der Verschiedenheiten; mit ihr würde die letztere ein anerkanntes Element des öffentlichen Rechts sein; an sie würden sich die gesellschaftlichen Unterschiede wieder zur Selbstthätigkeit heraus- arbeiten; sie wäre die Grundlage einer zweiten Welt in der französischen; sie ist, wie einmal der Charakter des französischen Staats ist, in Frank- reich unmöglich. Die Folge für den Organismus ist die ausschließende Herrschaft des Amtswesens im Ganzen wie im Einzelnen der Regierung; die Funktion der letzteren ist hier im Gegensatz zu England nicht bloß selbständig, sondern auch ganz allgemein; sie ist allein die Trägerin des öffentlichen Interesses; sie ist die Verwaltung. Daher kann sie sich auch in diesen Aktionen nicht dem Gerichte unterwerfen; sie läugnet dem Gerichte sein Recht, ihre Aktion selbst dann zu beurtheilen, wenn sie gegen das Gesetz verstößt; sie unterwirft sich zwar dem Gesetze, aber sie interpretirt es allein für sich selbst . Frankreichs ganzer Orga- nismus ist daher ein Organismus des Amtswesens; aber in diesem Amtswesen ist das Amt wieder kein ethischer, sondern nur ein organischer Faktor, und der Mangel des Staatsdienerrechts zeigt uns auf dem entscheidenden Punkte die Herrschaft des Ganzen oder des Einzelnen, der Einheit oder des Besondern. Es ist der Sieg der persönlichen Staatsidee auf Grundlage des Princips der gesellschaftlichen Gleichheit; eine gewaltige Macht, aber auch eine gewaltige Gefahr, wie jede große Einseitigkeit. Dennoch haben wir unendlich viel gelernt und zu lernen von Frank- reich; unser Fehler bestand nur darin, daß wir zu viel von ihm an- nahmen. Freilich forderten das die Dinge bisher; jetzt scheint sich die Gestalt und der Gang derselben zu ändern. Betrachten wir nun Deutschland , so ist es nicht zu verkennen, daß es in der That beide Gestaltungen zu vereinen trachtet. Es hat nicht bloß eine Regierung, es erkennt sie auch als solche an; d. i. es will, daß sie selbstthätig wirke und neben der Gesetzgebung eine selbständige Stellung sich erhalte. Es hat aber auch eine Selbstverwaltung und jetzt sogar ein Vereinswesen, und nicht als ein dem Leben der Ge- meinschaft fremdes, sondern als einen organischen Theil derselben. Es hat die Selbstverwaltung in seine Verfassungen aufge- nommen ; das ist das Bezeichnende für die Individualität Deutsch- lands im Allgemeinen. Aber, und das ist wieder charakteristisch, sein unmittelbares Gefühl und selbst seine Gesetzgebungen sind viel weiter als seine Wissenschaft. Es ist das natürlich, wenn man will; aber es ist schwer dadurch zum rechten Verständniß zu gelangen. Dazu kommt, daß die beiden großen Faktoren, die einheitliche Regierung oder das Element des persönlichen Staats, und die freie Verwaltung gerade so wie die Gesetzgebung, das ist also die ganze Staatenbildung, in so eigenthümlicher Weise vertheilt sind. Das ganze Deutschland hat zwar ein Streben zur Einheit, das aber nicht so mächtig ist, als das Streben seiner Theile nach Selbständigkeit, so daß es im Ganzen die völligste Auflösung der einheitlichen Staatsidee in die Selbstver- waltung der einzelnen Staaten zeigt, während in dem letzteren gerade das Umgekehrte erscheint, die Herrschaft der örtlichen Staatsgewalt über die Formen und Rechte der freien Verwaltung, jedoch ohne zum eigentlichen Siege zu gelangen. Daher ist dieß Deutschland so schwer zu verstehen; freilich, da es der Sitz des höheren Verständnisses über- haupt ist, wäre die ganze Welt leicht verständlich, wenn Deutschland es wäre. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Individualität in den Formationen und der Stellung der einzelnen Organe, die dem Begriff des Staats inwohnen und daher auch die Grundlage aller Individualität bilden, zu verfolgen. Es ist schwer, das überhaupt zu versuchen, unmöglich, es mit einem ersten Versuche zu erreichen. Die Frage, welche wir hier aufgestellt, ist weder eine philosophische, noch eine staatsrechtliche. Sie ist in erster Linie eine gesellschaftliche. Es scheint, daß wir viele Jahre, vielleicht ein paar Generationen gebrauchen werden, um den Satz gehörig zu würdigen und in unserer Wissenschaft zum Durchbruch zu bringen, daß nicht bloß die Verfassung, sondern auch die Verwaltung wesentlich durch die gesellschaftliche Ordnung bedingt und zum Theil beherrscht werden. Es ist eine bekannte Sache, daß die Deutschen auch in der Wissenschaft das Neue nur dann rasch und gerne annehmen, wenn es von Fremden kommt. Gegen das Deutsche verhält sich jeder Deutsche fast grundsätzlich negativ, und es ist ein Charakterzug, der uns von den Engländern und Franzosen unterscheidet, daß wir das Unserige entweder zu klein oder zu groß machen. Dennoch wird die Zeit kommen, wo wir endlich unsere bisherige Behandlungsweise des Staats- rechts und seiner Geschichte als eine sehr untergeordnete, eine bloße Sammlung von Thatsachen betrachten, und zu der Erkenntniß gelangen werden, daß diese Thatsachen selbst Ergebnisse organisch wirkender Kräfte sind, und daß die Wissenschaft darin bestehen muß, in den Thatsachen, die wir sammeln, die in ihnen wirkenden organischen Gesetze zu begreifen. Wollen wir überhaupt den Rang im geistigen Leben behaupten, den wir noch besitzen, so müssen wir diesem Ziele zustreben; aber es ist Zeit, denn schon jetzt sind uns namentlich die Franzosen darin voraus, und jener gewisse Hochmuth, mit dem manche auf ihren Mangel an „Gründlichkeit“ herabsehen, dürfte vor einer höheren Betrach- tung keinen Stand halten. Die neueren Staatsrechtslehrer, namentlich Zacha- riä und Zöpfl , haben keine Ahnung davon, daß man die Staatswissenschaft organisch begreifen müsse; auch R. Mohl hat sich offenbar unfähig bewiesen, zu erkennen, warum es sich eigentlich handelt, und etwas zu verstehen, das nicht in dem bekannten breitgetretenen, hergebrachten Wege der Behandlung liegt. Es wird aber nicht auf die Dauer nützen, einfach zu ignoriren, daß die Verbin- dung der gesellschaftlichen Kräfte und der Verfassung und Verwaltung bereits in meiner Geschichte der socialen Bewegung dargelegt, und in meiner fran- zösischen Rechtsgeschichte bis in die erste Rechtsbildung Frankreichs zurück ver- folgt ist. Gneist hat seinerseits gezeigt, welche großartigen Dinge man leisten kann, wenn man — abgesehen von jedem schulmeisterlichen Kleben an einer be- stimmte Ausdrucksweise — das innere Leben eines Volkes gleichsam mitten in seinem Herzen, in den gewaltigen Kräften erfaßt, die es beherrschen. Auf diesem Wege werden wir weiter kommen, oder wir laufen Gefahr, ernstlichst zurückzugehen. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß wir im Grunde zwar breiter geworden, aber geistig in Staatsrecht und Rechtsgeschichte nicht einen Schritt weiter gekommen sind, als zu Klübers und Eich- horns Zeit . Das ist eine sehr ernste Sache! Möge man es dem Verfasser verzeihen, daß er hier einmal auf diesen, auch ihn persönlich berührenden Punkt gekommen ist. Es gehört in Deutschland viel Muth dazu, etwas wirklich Neues zur Geltung bringen zu wollen. Stein , die Verwaltungslehre. I. 17 Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt. Die Aufgabe des Folgenden ist es nun, die einzelnen großen Orga- nismen der vollziehenden Gewalt für sich darzustellen, wie sie in dem Bisherigen angedeutet sind. Wir müssen dabei von dem Satze aus- gehen, daß diese Organismen durch den Begriff und das Wesen des Staats absolut gegeben sind, und daher in jedem Staate vorkommen. Der Unterschied der Staaten beruht nun auf dem Maße ihrer Ent- wicklung und dem öffentlich rechtlichen Verhältniß derselben zu einander. Sie sind daher die unabweisbaren Grundlagen jeder Vergleichung; die Richtigkeit derselben hat ihr Kriterium äußerlich darin, daß es gar kein Verhältniß des praktischen Lebens der Vollziehung gibt, das sich nicht in einfacher und natürlicher Weise in die folgenden Grundbegriffe — den Knochenbau der Verwaltung — gleichsam von selbst einreiht. Wir müssen immer darauf zurückkommen, daß jedermann es für etwas sehr Unverständiges halten würde, eine willkürliche oder zufällig wechselnde Eintheilung etwa in den Naturwissenschaften zu setzen; wie ist es dann denkbar, daß während man doch von Begriff und Natur der Staaten redet, bei diesen nicht eine eben so feste Grundlage ihres Lebens vor- handen sein sollte? Und so stellen wir die folgenden Kategorien als die allgemein gültigen auf, und werden versuchen, ihnen durch Hinweisung auf die socialen Entwicklungen ihren Inhalt zu geben. Der erste Organismus entsteht, indem ich die höchste persönliche Form des Staates, das Staatsoberhaupt, als selbständiges Haupt der vollziehenden Gewalt denke, und enthält die beiden Organismen der Staatswürden und des Staatsrathes neben dem Staatsoberhaupt. Der zweite Organismus ist der der Regierungsgewalt, und er- scheint im Amtswesen, welches wieder die beiden Grundformen des Ministerial - und des Behördensystems zeigt. Der dritte Organismus ist der, den wir als den der Selbstver- waltung bezeichnen, und der in drei Grundformen zerfällt, die Land- schaft , die Gemeinden und die Körperschaften . Der vierte Organismus ist endlich der des Vereinswesens mit seinem eigenthümlichen Systeme, das unten dargestellt wird. Alle diese Organismen sind nun beständig thätig. Sie wirken zwar jeder zunächst in seiner Weise, aber dennoch immer im innigsten Zusammenhange mit einander. So bilden sie in ihrer eigenthümlichen Thätigkeit das Leben des Staats. Aber sie sind hier, in der Lehre von der Vollziehung noch ohne ihr bestimmtes Objekt gedacht; sie sind die Organismen der Kraft des Staats , die Organe seiner That an sich. Erst die Lehre von der eigentlichen Verwaltung zeigt sie uns in derjenigen Form und unter denjenigen Namen, in denen sie wirk- lich , d. h. in den concreten Gebieten der Verwaltung im engern Sinn auftreten. Die Lehre vom Organismus der vollziehenden Gewalt ent- hält daher nur dasjenige, was alle diese Organe unter allen Formen und Namen mit einander gemein haben. Und wir dürfen daher noch- mals darauf hinweisen, daß das Folgende den allgemeinen Theil so- wohl für die Finanzverwaltung als für die Rechtspflege, als endlich für die innere Verwaltung darbietet. Erstes Gebiet. Die persönliche Staatsgewalt und ihre Organe . I. Organischer Inhalt der persönlichen Staatsgewalt in der Verwaltung. Um die Staatsgewalt und den ihr eigenthümlichen Organismus im Gesammtorganismus der vollziehenden Gewalt scheiden und selb- ständig behandeln zu können, muß man das Wesen der Persönlichkeit als Grundlage des Staatsbegriffes anerkennen. Das Staatsoberhaupt hat jedem Akte des Staats, sowohl in der Gesetzgebung als in der Verwaltung, durch seine persönliche Zustimmung die Natur und das Recht eines Aktes des persönlichen Staats beizu- legen. Man kann diese Funktion als eine bloß formelle betrachten. Es ist klar, daß das einseitig und darum falsch ist. Was in dem psycho- logisch gesetzten Wesen aller Persönlichkeit nur noch an sich gegeben ist, erscheint als eine, mit einem selbständigen Organe versehene Funktion im Staatsbegriff: denn das ist eben die Natur dieser höchsten Form des persönlichen Lebens. Der höchste und endliche Beschluß eines Menschen, etwas zu wollen und zu thun, faßt immer noch einmal die Gesammt- heit aller Verhältnisse und Gründe als ein Ganzes ins Auge; es erhebt sich der Mensch in seinem letzten Beschließen über alle Einzelheiten und Gegensätze der Erwägung; er bestimmt sich selbst durch sich selbst; in diesem letzten Beschlusse muß er eben darum aus sich selbst heraus seine Selbstbestimmung finden. Das Organ, welches dieß im Staate vollzieht, ist das Staatsoberhaupt. In dem mächtigen Organismus der Staatspersönlichkeit aber fordern die beiden Momente, welche in jenem Akte liegen, wieder selbständige Organe. Der Staat erscheint zuerst als die höchste Form der Persön- lichkeit, die organisirte Würde des Staats; dann erscheint er in seiner organischen Beziehung zum Staatswillen, indem er bei seinem höchsten Beschlusse denselben in sich aufnimmt und seiner höchstpersönlichen Ent- scheidung zum Grunde legt. Derjenige Organismus, der das erste Mo- ment selbständig vertritt, wird durch die Reichswürden und Hofämter gebildet; das Organ, durch welches der Staat seiner selbständigen höchst- persönlichen Entscheidung seine eigene Erwägung zum Grund legt, ist der Staatsrath. Im Systeme der höchsten Würden und in der Auf- gabe des Staatsrathes sehen wir daher den Staat als solchen auf- treten und thätig. Und beide zusammen bilden daher den Organismus der persönlichen Staatsgewalt in ihrer Scheidung und Selbständigkeit gegenüber der Gesetzgebung und der Regierung. Es leuchtet nun ein, daß allerdings beide Momente zwar im Be- griffe der Persönlichkeit an sich liegen, und daß daher auch beide im Organismus jedes Staats vorhanden sind. Eine äußere Selbständig- keit und eine klar bestimmte Stellung derselben ist indessen erst dann denkbar, wenn die gesetzgebende Gewalt von der Verwaltung sich ge- trennt hat und der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung feststeht. So lange Gesetzgebung und Vollziehung in der Person des Monarchen vereint sind, haben sowohl die Würden als der Staatsrath den Charakter des Amtes, und namentlich der letztere ist dann von dem, dem Mini- sterium entsprechenden, höchsten Verwaltungsorgane gar nicht zu trennen. Eben weil diese Selbständigkeit der Gesetzgebung noch keineswegs allent- halben ganz durchgeführt, ist auch die organische Stellung beider noch sowohl in Theorie als in Praxis namentlich in Deutschland vielfach unklar. Es ist aber kein Zweifel, daß nach der Natur der Sache die ganze Entwicklung bald dahin kommen wird, sie in ihren leicht verständ- lichen organischen Funktionen als natürliche Glieder des Organismus der höchsten Gewalt anzuerkennen. Jedes von ihnen hat nun aber allerdings sowohl seine eigene Be- deutung als seine eigene Geschichte. II. Erstes organisches Element der persönlichen Staatsgewalt. Die Staats- würden. Die Krone. Die Hofämter. Es ist nicht richtig, daß man das Wesen und das System der höchsten Würden in Staatsrecht und Staatswissenschaft so sehr vernach- lässigt, als man es bisher gethan. In der That muß man, um die Bedeutung desselben richtig zu schätzen, ihre eigentliche und wahre Natur zum Grunde legen. Ihrem rechten Wesen nach erscheinen sie nämlich nur dann und da, wo der Staat in der Person seines Staatsoberhaupts nicht als eine thätige Persönlichkeit, sondern selbst nur als die höchste individuelle Form des persönlichen Lebens, als die höchste Würde auftritt. Alles was öffent- liche Ehre heißt, ist dann in der Staatspersönlichkeit vereinigt. Oeffent- liche Ehre aber ist theils mit den öffentlichen Funktionen verbunden, theils ein selbständiges Gut. In sofern dieß selbständige Gut im Be- sitze einer Persönlichkeit ist, heißt es Würde . Die Würde des Staats kann daher so gut wie die Funktionen desselben an einzelne Persönlich- keiten vertheilt sein. Diese Vertheilung bildet dann das System der höchsten Würden. Das Wesen dieser Würden besteht dann darin, daß sie nicht etwas bedeuten durch das was sie thun, sondern durch das was sie sind. Das unmittelbare Gefühl versteht den Unterschied sogleich; die Abstraktion schwerer, weil der Gedanke nie das Seiende, sondern stets nur den Lebensproceß desselben erfaßt. Das gilt auch von jenem eigenthümlichen und doch so einfachen Organismus. Höchste Staatswürden hat es gegeben, so lange es Staaten gab. Allein ihre Bedeutung und Stellung war eine sehr verschiedene. Doch läßt sich diese Verschiedenheit leicht auf einige einfache Sätze zurückführen. Sie bilden mit der Grundlage der Geschichte der Würden zugleich das Verständniß ihrer gegenwärtigen Stellung. Da wo die Persönlichkeit des Staats ganz in die Persönlichkeit des Staatsoberhauptes aufgeht, ist die Würde unbedingt von dem Willen des Herrn abhängig und daher auch mit diesem Willen verbunden. Sie ist daher keine wahre Würde, denn diese enthält stets das selb- ständige Recht auf dieselbe; sie ist nur eine Ehre. Jeder Dienst des Fürsten ist eine Ehre, und es gibt keine Ehre außer dem Dienste. Das System der Ehren erscheint hier daher identisch mit dem Systeme des königlichen Dienstes. Unser Begriff der Würden ist hier nicht anwend- bar. Die Despotie kann große Ehren haben und verleihen, aber keine Würden. Eben so wenig gibt es Würden, wo die ganze Staatsgewalt statt in dem Individuum des Monarchen, in der Gemeinschaft des Volkes beruht. Auch hier gibt es nichts, was außerhalb des Willens des Volkes, der gesetzgebenden Gewalt, stände. Auch hier hat niemand an und für sich ein Recht auf eine öffentliche Ehre; dieselbe kommt nur da zur Er- scheinung, wo die Republik den Einzelnen mit einer Funktion beauf- tragt, dauert nur für die Funktion und bezeichnet nichts als dieselbe. Auch die Republik hat Ehren, aber keine Würden. Die Würde entsteht daher erst da, wo ein Recht auf eine öffent- liche Ehre als ein selbständiges erscheint, das sowohl unabhängig von einem persönlichen Dienste wie unter der Despotie, also unabhängig von der rein vollziehenden Gewalt, als auch unabhängig von einer gesetzlich übertragenen öffentlichen Funktion, also unabhängig von der Gesetz- gebung, vorhanden ist. Die Würde kann daher in ihrem wahren Sinn erst da stattfinden, wo die Staatsgewalt selbst sich über die gesetzgebende und vollziehende Gewalt selbständig erhebt. Das ist erst der Fall im Königthum. Erst das Königthum hat daher neben dem System der Ehren, die es verleiht, ein System der Würden, die mit selbständigem Rechte dastehen. Wo das der Fall ist, nehmen beide gegenseitig etwas von ihrem Charakter an. Die Ehre wird eine Würde, indem die einmal verliehene wenigstens in gewissen Formen von der Willkür des Verleihenden nicht wieder genommen werden darf, die Würde wird zur Ehre, indem mit ihr eine Funktion verbunden erscheint. Das entwickelt sich langsam und in verschiedenen Ländern verschieden, dennoch aber stets mit dem- selben Grundcharakter. Und hier ist es nun, wo Würden und Ehren mit dem Staats- organismus und namentlich auch mit der vollziehenden Gewalt zu- sammenhängen. In der reinen Geschlechtsordnung ist sowenig die Ehre als die Würde im Staate schon bestimmt ausgebildet. Die rein individuelle Beziehung zum Könige gibt noch beides zugleich. Das Gefolge des Königs ist der Träger beider. Aber die Würde neben dem Könige zu stehen, kann nicht ohne die Ehre der Tapferkeit gedacht werden. Der Dienst des Königs an sich ist noch ehrenlos, weil er eben nur ein per- sönlicher Dienst ist. Der Staat hat noch keinen Inhalt, und darum noch keine Würde oder Ehre zu vergeben. Erst die ständische Ordnung ist die Quelle der Würde und der Ehre, und zwar der staatlichen. Das Staatsleben erscheint hier in der doppelten Gestalt, welche den ständischen Staat eben charakterisirt. Es bilden sich einerseits auf Grundlage der Grundherrlichkeit die örtlichen Landeseinheiten als örtliche Staatenbildungen, andererseits die könig- liche Staatsgewalt, welche die Einheit des Staats und seines Lebens vertritt. Beide gehen eine Zeit lang neben einander; beide entwickeln daher auch bekanntlich ganz analoge Organisationen, in denen die großen Staatsfunktionen einzelnen Persönlichkeiten übertragen werden, die dann der höchsten Ehre genießen, ohne daß man schon den Begriff der Würde darauf anwenden könnte. Diese Funktionen mit ihrer Ehre werden nun zuerst in den ständischen Körperschaften zu selbständigen Rechten, indem sie sich mit dem Grundbesitz verbinden. Die Funktion und die Ehre ist mit der bestimmten Grundherrschaft gegeben, und wird mit ihr verlehnt und verliehen. Die Funktionen und Ehren im Dienst des Königthums dagegen sind noch immer rein persönliche; es ist der Beginn der Amts- ehre, die im Königsdienste den Staatsdienst entstehen läßt. Das eine empfängt seinen Charakter erst da, wo es dem Königthum gelingt, die Stände und die Grundherrlichkeiten allmählig ihrer staatlichen Funktion zu berauben und die königlichen Organe an die Stelle oder doch an die Spitze der ständischen zu stellen. Die staatliche Verwaltung beseitigt somit allmählig die ständische, der königliche Wille allmählig die stän- dische Gesetzgebung. Aber während der staatliche Organismus dem stän- dischen seinen Inhalt nimmt, denkt er eigentlich nicht daran, ihm auch das formelle Recht zu nehmen. Die Funktionen der ständischen Organe gehen daher auf den königlichen Organismus über, und die staatliche Ehre des Amts mit ihnen; aber das Recht auf die Funktionen, freilich nur als abstraktes, bleibt denen, welche es besitzen, mit dem Besitze, durch welches sie das Recht hatten. So ist nun eine neue Gestaltung da; ein dauerndes, selbst vom Könige unabhängiges Recht auf eine solche Ehre, ohne eigentlich staatliche Funktion und doch mit einer staat- lichen Stellung; ein Angehören an den König, und doch kein Recht des letzteren über jene ständisch begründete Stellung; ein Verhältniß, das man in der Wirklichkeit leicht versteht, das aber in der reinen Theorie schwer zu bezeichnen ist. Und diese Stellung, welche vermöge des Restes einer geschichtlichen Ordnung ein Recht auf Ehre ohne Funktion, eine Vertretung des Staats ohne Thätigkeit gibt, ist die Würde . Alle Würden sind daher aus der ständischen Ordnung entstanden. Allein das Königthum hat sie nicht bloß als Thatsachen angenommen, sondern zugleich den organischen Werth derselben wohl erkannt. Es begriff, daß die Würden es sind, welche das an sich abstrakte Wesen des Königthums mit einem Inhalt erfüllen. Es begann daher nicht bloß die geschichtlichen Würden mit sich organisch zu verbinden, sondern auch ein neues System dieser Würden in den Orden und Titeln zu schaffen. Der Proceß, der beide mit einander verschmilzt, ist von großem Interesse; doch muß seine Darstellung selbständig geschehen. Es gehört dem innersten Leben des Staats an. Natürlich nun waren diese Systeme sehr verschieden in den ver- schiedenen Ländern. Der Grund dieser Verschiedenheit lag theils in dem Unterschiede, der zwischen der Bildung der ständischen Ordnungen und ihren Grundherrlichkeiten bestand, theils auch in der sehr verschie- denen Entwicklung der königlichen Macht, theils auch zuweilen in ganz subjektiven Auffassungen der Fürsten. Immer aber war im Grunde das Verhältniß zum Staate nicht klar. Denn so lange der König gleich- zeitig Inhaber der Gesetzgebung und Vollziehung war, und das was wir die Staatsgewalt genannt, daher noch einen an sich ganz unbe- gränzten Inhalt hatte, mußte die Würde auch noch immer einen un- bestimmten Antheil an dieser Staatsgewalt bedeuten. Es blieb daher noch ein Proceß in der Geschichte der Würden übrig, derjenige, der sie principiell von jeder eigentlichen Funktion trennt, und sie eben als dasjenige hinstellt, was sie jetzt sind, als die reinen Würden des Staats. Dieser Proceß entsteht nun da, wo die Gesetzgebung sich vom König- thum trennt und selbständig organisirt dasteht, während die Vollziehung gleichfalls ihren Organismus findet. In dieser neuen, verfassungs- mäßigen Ordnung steht das Königthum allerdings über beiden, aber es steht allein. Es ist daher jetzt naturgemäß, daß es seine Stellung mit allen den Würden umgibt, die eben der Erhabenheit der Staatsidee zukommen, während andererseits diese Würden als solche jedes Recht auf Antheil an der Gesetzgebung und Verwaltung verlieren. So ergänzt sich jetzt das verfassungsmäßige Königthum in dieser Ordnung der Dinge. Es ist der Kriegsherr, als Inhaber der Heeresgewalt; es ist die sank- tionirende gesetzgebende und vollziehende Gewalt im Staatsrath, und es ist in der Mitte der höchsten Würden die Krone . Es ist nun demgemäß ziemlich einerlei, ob man die Würden zur Verfassung oder zur Vollziehung rechnet; sie sind eben mit dem König- thum innigst verschmolzen, und erscheinen allenthalben, wo dasselbe auftritt. Sie sind gleichsam der organisirte Körper der höchsten Ehre des Staats. Sie sind das Königthum als „Krone.“ Allein dieser Körper hat dennoch je nach den Ländern eine verschiedene Individualität. Die obigen Andeutungen über die historische Entwicklung der Würden und ihres Verhältnisses zur königlichen Macht lassen uns nämlich einen allgemeinen Grundsatz aufstellen, der uns diese verschiedene Bedeutung der Würden in einfacher Weise erklärt. Je mehr nämlich die ständischen Elemente verschwunden sind, um so mehr ist zwar nicht das System der Würden an sich, wohl aber das Princip des selbständigen Rechts auf diese Würden oder die Erblichkeit derselben verschwunden, und alle Würden werden, wie unter der Herrschaft des absoluten Königthums, verleihbar und verliehen. Wo dagegen die ständischen Unterschiede und das Recht und die Stellung des großen Grundbesitzes als Grundherr- lichkeit einerseits, das Recht der Landschaften als selbständiger Verwal- tungskörper andererseits sich noch erhalten, da sehen wir noch die erb- lichen Würden als System gelten, und zwar theils als Reichswürden, theils als Landeswürden; neben den erblichen dagegen, welche die alte Selbständigkeit der Landestheile repräsentiren, das System der ver- liehenen Würden, welche das Königthum gibt. Es ist dabei nicht zu übersehen, daß die Titel und Namen dieser Würden für dieselben von Bedeutung sind und oft für das unmittelbare Gefühl des Volkes einen großen Werth erlangen, indem sie den formalen Ausdruck gewisser alter Rechte und zum Theil bloß historischer Erinnerungen enthalten, welche meistens nur den allgemeinen Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit, zuweilen aber auch ganz bestimmte Richtungen und Rechtsansprüche bedeuten, an denen selbst die Masse unter Umständen hängen kann. Demgemäß kann man das Würdensystem bei den drei großen Kultur- völkern in folgender Weise charakterisiren. In England organisiren sich nach langem Kampfe die Elemente der ständischen und der staatsbürgerlichen Gesellschaft so, daß beide in zwei selbständigen Körpern — Oberhaus und Unterhaus — Gesetzgebung und Verwaltung theilen, und dem Königthum wie in der Geschlechter- ordnung nur die abstrakte Idee des Staats übrig lassen. Die Selb- ständigkeit der Länder verschwindet in dieser Einheit aller ständischen und staatsbürgerlichen Elemente, da mit ihr jeder Gegensatz zwischen Königthum und Gesellschaft aufgehoben ist in der völligen Herrschaft der letzteren über das ganze Staatsleben, und so gibt es hier mit dem Mangel der Länder und Landstände auch keine Landeswürden. Die gänzliche Aufhebung jeder eigentlichen Funktion des selbständigen König- thums, welche die gesellschaftlichen Körper an sich genommen, läßt da- mit auch das Auftreten selbständiger, von dieser gesellschaftlichen Herr- schaft unabhängiger, nur vom Königthum gesetzter Hof- und Staats- würden nicht zu; auch diese fallen der gesellschaftlichen Herrschaft, die das Parlament ausübt, unbedingt zu, und so entsteht das Princip, das diese Verhältnisse in England charakterisirt und sie für den Continent so oft unverständlich macht. Die höchsten Würden sind zugleich die höchsten Aemter , wie im Geschlechterkönigthum. Diese höchsten Aemter behalten aber den Namen der Würden; sie nehmen den Namen der Minister nicht an, wodurch das höchste Amtssystem in England von dem des Continents so verschieden zu sein scheint. Sie dürfen eben deßhalb auch das Princip der Erblichkeit dieser Würden nicht anerkennen, weil die Aemter mit den Parteien wechseln. Das Königthum ist daher stets mit seinen höchsten Aemtern als System seiner Hof- und Staats- würden umgeben, so daß es hier kein System selbständiger Würden- träger gibt. Das englische Staatsleben hat für diesen Mangel sich einen Ersatz gesucht, und ihn gefunden in den königlichen Orden , namentlich dem Hosenbandorden. Die ganze Stellung dieses Ordens ist in England eben darum so wesentlich — wir möchten sagen seinem Inhalt nach — verschieden von allen übrigen Orden der Welt; denn die Organisation des Hosenbandordens ist ein, wenn auch sehr unvoll- kommener und ohne die obigen Voraussetzungen unverständlicher Ersatz für das Bedürfniß nach dem Reichs- und Hofwürdensystem. Wir können hiefür nur im Allgemeinen auf Gneists meisterhafte historische Ent- wicklung in seinem ersten Bande verweisen. Wesentlich anders ist der Gang der Dinge in Frankreich. Vor der Revolution hatte das Königthum wie auf dem ganzen Continent Reichs- und Hofwürden, die aber namentlich seit Ludwig XIV. ganz verschmolzen erscheinen, und erbliche Landeswürden. Namentlich die erstern waren zu einem höchst ausgebreiteten System entwickelt, und die Bedürfnisse der Finanzen erzeugten eine Uebertragung dieser Würden auf die gewerbliche Welt in den sogenannten Offices du Roi, welche in nichts andrem bestanden als in dem Recht eines Gewerbes, sich den Namen eines Hofgewerbes beizulegen, die dann vom übrigen Conti- nent bald nachgeahmt wurden. Die Revolution, indem sie das König- thum stürzte, vernichtete natürlich das ganze System der Würden, und ließ alles was dahin gehörte, in das Aemtersystem aufgehen. Der wieder auftretende persönliche Staat mit Napoleon erkannte, daß er als solcher der Würden bedürfe. Der Kaiser schuf durch Gesetze, was die Geschichte durch den natürlichen Entwicklungsgang erzeugt hatte. Er errichtete das System der Reichswürden, das im Wesentlichen beibe- halten ist. Aber die völlige Vernichtung der ständischen Bildungen und der landständischen Selbständigkeit prägte diesem System der dignitaires de l’Empire ihren Charakter auf, der sie von dem englischen wie von dem deutschen unterscheidet. Sie waren nicht erblich, sondern ernannt, wenn auch auf Lebenszeit, und sie waren nur Reichs- oder Hofwürden; Landeswürden gab es nicht und konnte es nicht geben. Das unterschied sie von dem deutschen System. Dabei waren sie ohne alle amtliche Competenz, nur Ausdruck der Würde der Krone gegenüber dem thätigen Beamtenthum, und jeder Einfluß einer Volksvertretung von ihnen da- mit grundsätzlich ausgeschlossen; das unterschied sie vom englischen System. Das ganze Würdensystem trägt hier den Charakter des Ver- suchs über die Art und Weise, wie man die Reichswürden dazu be- nutzen kann, die Krone wieder aus der rein gesellschaftlichen Herrschaft, der Volkssouveränetät, herauszuheben und selbständig hinzustellen. Da- her haben auch die Besetzungen dieser Würdenstellen einen andern Cha- rakter. Ihnen liegt — eben weil sie Erblichkeit ausschließen, der An- spruch eines Verdienstes zum Grunde, ohne daß sie doch selbst für eine Leistung bestimmt wären. Daher erscheinen sie auch nicht im öffentlichen Recht, sondern nur im Staatshandbuche. Das Würdensystem Deutschlands hat sich nach dem Untergange des deutschen Reiches auf der Grundlage der eigentlichen öffentlichen Würde erhalten. Die deutschen Staaten, welche die Selbständigkeit der Länder mehr oder weniger, das Princip des adelichen Standesthums aber unbedingt anerkannten, haben theils ihr früheres System einfach beibehalten, wie Oesterreich, und die Reichswürden und Landeswürden förmlich anerkannt, theils sie gesetzlich eingerichtet oder Bestehendes durch förmliche Gesetze sanktionirt. Die Würden sind daher theils erblich, und dann müssen sie als Reichswürden betrachtet werden, theils sind sie verleihbar, und dann soll man sie als Hofwürden betrachten, wozu namentlich das System der Kammerherren gehört, theils sind sie erbliche Landeswürden . Der oft gebrauchte Ausdruck Kron- würden ist an sich ganz richtig, da er eben den wesentlichen Unterschied zwischen Krone und Hof festhält; nur muß man dabei nie übersehen, daß die Kronwürden selbst wieder theils Reichs- theils Hofwürden sind, bei denen die Erblichkeit den Grund der Geltung des Princips der ständischen Gesellschaft bedeutet, die sich dasselbe auch in den Verfassungen hat erhalten können. Manche dieser früheren Landeswürden sind all- mählig zu hohen Amtsfunktionen erhoben, und bilden dann eigentlich keine Würden mehr, sondern es tritt hier die alte Würde an die Stelle des amtlichen Ranges, und nur der Name erinnert noch an die frühere Bedeutung. Jedes einzelne Land hat dabei wieder sein System; doch ist der Unterschied hier stets mehr ein formeller, während das Wesen der Sache gleich ist. Gemeinsam ist allen der Mangel jeder Competenz für staatliche Funktionen, und das Recht auf die Symbole dieser Wür- den, so wie darauf, sie als Umgebung der Krone mit dem ihnen ge- bührenden Platz und Rang zu tragen. An dieß System der Würden schließt sich nun das System der Stellen für den Hofdienst , die man uneigentlich auch wohl die Hof- ämter nennt. Das Wesen des Hofdienstes besteht darin, daß durch ihn die Funktionen vollzogen werden, welche nicht mehr für die Krone, sondern für den Hof nothwendig sind. Durch die darin liegende un- mittelbare Beziehung zur Person des Souverains reicht der Hofdienst mit seiner Spitze in die Hofwürden hinein, während die untersten Stufen zu rein wirthschaftlichen Dienstverhältnissen werden. Die Ordnung des Hofdienstes ist daher eine rein persönliche Angelegenheit des Fürsten, das Element der fürstlichen Würde ist aber auch hier nicht ganz aus- geschlossen, sondern erscheint in dem besondern Gerichtsstande für die- jenigen Verhältnisse, welche den Hofdienst selber betreffen. Es leuchtet ein, daß auch hier von einer amtlichen Stellung keine Rede ist. In dieser Weise bilden Würden und Hofdienst gleichsam den selb- ständigen, von seiner Thätigkeit getrennt gedachten Staat, der in Krone und Hof für sich dasteht und in diesen seinen Organen einen selbstän- digen Theil des Staatsorganismus ausmacht. — Für unsre spezielle Aufgabe wäre nun alles erreicht, wenn durch die obige Darstellung die selbständige Behandlung dieses Gebietes und seine definitive Scheidung vom Amtswesen festgestellt wäre. Daß der Gegenstand übrigens an sich ein, tief in die Elemente der organischen Staatsbildung eingreifen- des Interesse hat, wird wohl keiner Nachweisung bedürfen. Das System Englands bei Gneist (im ganzen ersten Bande, ersten Theil). Wir machen namentlich auf §. 42 aufmerksam. Nur hat Gneist, wie es aller- dings durch die Geschichte Englands begründet war, die Würde und das Amt nicht durchgreifend geschieden. Ueber Frankreichs System kennen wir kein eigenes Werk, und müssen einfach auf die Almanacs royaux und impériaux ver- weisen. Der innere Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Bewegung, die Errichtung des Ordens der Ehrenlegion 19. Mai 1802 (comme récompense militaire elle fit merveille, comme organisation de la nation elle ne pro- duisit rien), die Herstellung der donations, der erblichen Titel, die vollständige Adelsordnung der loi organique vom 1. März 1808 ( „J’ai créé différents titres impériaux pour mettre les institutions de la France en harmonie avec celles de l’Europe“ Nap. ) ist entwickelt in Stein , Geschichte der socialen Bewegung I. S. 280 ff. Für das deutsche System sind die Angaben der be- treffenden Werke vor unserem Jahrhundert in Pütters Literatur III. 120. 129, und Klübers Literatur §. 911 und 997 gesammelt. Eine spezielle Darstellung der Reichswürden und Erbämter der einzelnen deutschen Staaten hat Bisinger (vgl. Darstellung der Staatsreform der europäischen Monarchien und Republiken 1818) gegeben. Die österreichischen Erbämter §. 56 und S. 187. Die preußischen ib. S. 191, und in Rönne (Preußisches Staatsrecht §. 39), wo die Unterscheidung von Ho fchargen und Hof- und Erbämtern bezeichnend ist; jene enthalten in den obersten Hofchargen die Reichswürden der Krone, die Ober-Hofchargen, die höchsten Kronwürden; die sogenannten Hof- und Erbämter sind ständische Würden. In Bayern errichtete die Constitution von 1808 vier besondere Reichsk ronämter, deren besondere Rechte in der Verfassungsurkunde von 1818 genauer bestimmt wurden. Ganz ähnlich in Württemberg (Juni 1808), und in Hannover und Braun- schweig. Siehe Bisinger a. a. O. und Klüber , Bundesrecht §. 495. — Die neueren Bearbeitungen des Staatsrechts haben sich mit dem Gegenstand theils gar nicht, theils in höchst ungenügender Weise beschäftigt. Zachariä (Staatsrecht II. 134) mißversteht die ganze Institution, und hält die Würden wirklich für Erbämter, die erblich sind. Maurenbrecher entgeht der Frage, indem er nur vom alten Reich spricht (§. 77). Pözl (Bayerisches Verfassungsrecht 137) nimmt das Institut als bloße Aemter des Hofstabes, also ganz als Hof- würden. Ebenso Mohl (Württembergisches Staatsrecht I. §. 46—48). Mil- hauser (Sächsisches Staatsrecht) spricht gar nicht davon. Weiß (Hessisches Staatsrecht §. 52) faßt gleichfalls nur den Standpunkt des Hofstaats und der Hoferbämter auf. Die constitutionelle Richtung des Staatsrechts, an der Spitze Aretin , hat sich mit dem ganzen Gegenstand überhaupt nicht beschäf- tigt, da er mit der eigentlichen Verfassung nichts zu thun hatte. So ist hier noch das meiste, und nicht bloß historische, zu thun. III. Zweites organisches Element der Staatsgewalt. Der Staatsrath. Man kann im Allgemeinen die Behauptung aufstellen, daß das richtige Verständniß des Staatsrathes und seiner Aufgabe das Kriterium für das Verständniß derjenigen Organisation des Staats ist, welche aus dem verfassungsmäßigen Leben desselben hervorgeht. Bei gar keinem Organe des Staats ist die klare Unterscheidung der Begriffe und Ge- walten wichtiger, als beim Staatsrath. Und gerade die Unklarheit, die darüber namentlich in Deutschland herrscht, muß uns zu möglichst genauer Bestimmung desselben veranlassen. Die Grundlage des Verständnisses ist die Unterscheidung zwischen Gesetzgebung, Vollziehung und Staatsoberhaupt. In der ständischen Epoche, wo Gesetzgebung und Vollziehung in zwei großen, rechtlich und faktisch getrennten Organismen vor sich gehen, dem Organismus der ständischen Selbstverwaltung und der königlichen Staatsverwaltung, bildet das Königthum aus den Häuptern seiner Verwaltung sich einen Rath, der naturgemäß aus den Spitzen der höchsten königlichen Verwaltung besteht, der sein Recht und seine Auf- gabe nur aus dem persönlichen Willen des Monarchen empfängt, der keine gesetzliche Stellung hat, und daher auch nur insoweit und nur dann dem Könige seinen Rath gibt, wenn und wie dieser es persönlich wünscht. Es ist ein rein königlicher Rath. Der Begriff des Staats- raths ist auf diese ganze Zeit nicht anwendbar. Das gleiche gilt von der folgenden Epoche, in der das Königthum allmählig die großen ständischen Körper und ihre Rechte in sich aufnimmt und die Einheit des Staats über die Selbständigkeit der Theile siegt. Hier war es wieder ebenso naturgemäß, daß das Königthum die Häupter dieser ständischen Selbständigkeit, das was wir oben die Haupt-, Reichs- und Landeswürden genannt haben, mit in jenen Rath aufnahm, der all- mählig allein über alle Reichsangelegenheiten zu entscheiden hatte. Natürlich aber war es gleichfalls, daß bei dem Streben der letztern nach Selbständigkeit die wirkliche Theilnahme von Seiten der Landes- würdenträger nur eine unbequeme sein konnte und daher mehr und mehr zu einer bloßen Form ward, die oft nur in dem Titel bestand. Regel ward es daher, daß die Fürsten diese Würdenträger nur bei be- sonderen Gelegenheiten beriefen, sich die Berufung persönlich vorbe- hielten und die Berathung wirklich entscheidender Maßregeln nur mit den Spitzen ihrer amtlichen Organe, den Häuptern der Vollziehung, vornahmen. Als nun endlich mit dem achtzehnten Jahrhundert auch die letzten Spuren einer Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung verschwinden, und damit jeder Unterschied zwischen Gesetzgebung und Vollziehung in dem subjektiven, souveränen Willen der Fürsten unter- geht, da wird dieser Rath der ursprünglich nur vollziehenden Spitzen der königlichen Organe, indem er dem Könige als der Quelle aller Ge- setzesbildung beständig zur Seite steht, auch das naturgemäß berathende Organ für die Gesetzgebung überhaupt. Es ist die einzige Form, in welcher der königliche Wille die eigne subjektive, als Staatswille geltende Selstbestimmung mit einem fremden Rathe umgibt. Dieser Rath hat verschiedene Namen, aber bedeutet immer dasselbe; es ist der Privy Council in England, Conseil d’État in Frankreich, Geheimerrath in Deutschland. Auch ist dieser Rath natürlich sehr verschieden zusammen- gesetzt; namentlich erscheint die Verschiedenheit darin, daß bald das fürstliche Haus in demselben aufgenommen ist, bald nicht. Das Wesent- liche aber besteht darin, daß seine Funktion zugleich die des Minister- raths und die des heutigen Staatsrathes umfaßt, und das ist es was in so vielen Beziehungen die gegenwärtige Stellung des letztern unklar gemacht hat, und zum Theil darum unklar machen mußte, weil nament- lich in Deutschland durch die unfertige Trennung von Gesetzgebung und Verordnung einerseits und durch die Kleinheit der Reichsstaaten anderer- seits nicht einmal eine formelle Unterscheidung möglich war. Wir müssen die genauere Darstellung dieser Verhältnisse der Rechtsgeschichte über- weisen. Uns darf es nur darauf ankommen, Wesen und organische Stellung des Staatsraths in der neueren Zeit zu bestimmen. Wir be- zeichnen dieselbe kurz als den verfassungsmäßigen Staatsrath , und wollen versuchen, die naturgemäße Funktion desselben aus dem organischen Staatsbegriff zu entwickeln; das wird auch der einzige Weg sein, zur Klarheit über die bestehenden Einrichtungen und ihre gesetzliche Ordnung zu gelangen. So wie nämlich durch die Anerkennung des selbständigen gesetz- gebenden Körpers der Volksvertretung die gesetzgebende Gewalt von der vollziehenden sich trennt, löst sich auch die Vollziehung, insofern sie mit den einzelnen Aufgaben des Staatslebens zu thun hat, als Regierung vom Staatsoberhaupt los und empfängt ihren Organismus im Mi- nisterialsystem. Damit entstehen zwei neue und eigenthümliche Ver- hältnisse. Zuerst tritt das Staatsoberhaupt selbständig als gleichzeitiges Haupt beider Funktionen über beide. Es hat zuletzt immer dem Gesetze und der Verordnung seine höchste Sanktion zu geben. Es hat daher, und das ist seine große organische Funktion, gerade in seiner Sanktion am letzten Orte die Harmonie beider auszusprechen; es muß in der letztern das volle Bewußtsein nicht etwa bloß des Bedürfnisses der Verwaltung oder des Willens der Volksvertretung, sondern des höchsten Verhaltens beider zu einander haben. Seine Sanktion ist daher der Akt, in welchem Gesetzgebung und Verwaltung mit einander in untrennbarer Einheit verschmolzen sind. Es ist daher naturgemäß, daß auch dieser höchste Akt des persönlichen Staatslebens ein wohlerwogener sei; es ist sogar nothwendig, daß er unter Umständen von fachkundigen Männern berathen werde; es ist endlich natürlich, daß eine solche Berathung weder von den Organen der Gesetzgebung, noch von denen der Ver- waltung, sondern von einem von beiden ganz unabhängigen Körper dem persönlichen Beschluß des Staatsoberhaupts voraufgehe. Das ist nothwendig, bevor ein Gesetz der gesetzgebenden Gewalt vorgelegt wird; es ist aber auch nothwendig, bevor eine die ganze Verwaltung berührende Verordnung erlassen wird; es ist am meisten nothwendig, wo bei un- vollständiger Ausbildung der Gesetzgebung Verordnungen erlassen werden, welche die Stelle der Gesetze vertreten. Und das Organ nun, welches zur Aufgabe hat, eben jene höchst persönlichen und doch wieder das ge- sammte Staatsleben umfassenden Funktionen des Staatsoberhaupts, die Bildung der Gesetzesentwürfe, die Sanktionirung der beschlossenen Ge- setze, und den Erlaß allgemeiner Verordnungen nach bestimmten Grund- sätzen zu berathen und dem Staatsoberhaupt einen bestimmten persön- lichen Beschluß anzuempfehlen, ist eben der Staatsrath . Die Stellung des Staatsraths ist daher, wie sich aus dem Obigen ergibt, eine durchaus organische, so wie die verfassungsmäßige Ordnung des Staates und mit ihr die wahre Stellung des Monarchen feststehen. Es kann ein verfassungsmäßiger Staat eines Staatsrathes gar nicht entbehren, und kann ihn im Grunde auch keinesweges mit der Funktion des Gesammtministeriums ersetzen. Denn die Minister sind doch nur die Organe der einzelnen Verwaltungsgebiete, und treten eben wegen ihrer individuellen Verantwortlichkeit auch nur als solche auf. Wo es sich um die höchste Einheit der Staatsaktionen handelt, können sie zwar mit entscheiden, aber nicht allein entscheiden. Und daraus ergibt sich denn auch der Werth des Staatsraths, und mit ihm die Grundlage seiner geschichtlichen Gestaltung in den verschiedenen Ländern. Da näm- lich, wo die gesetzgebende Gewalt die Herrschaft über die vollziehende übt, wie in England, ist der Staatsrath ohne Selbständigkeit wie die Krone selbst, und vollständig vom Ministerrath verdrängt; nur äußere Gründe der Zweckmäßigkeit erhalten ihn als administrative Behörde. Da, wo die vollziehende Gewalt mächtiger ist als die gesetzgebende, wird er naturgemäß das Hauptorgan der ganzen Verwaltung, und er- scheint vorzugsweise als der berathende und richtende Körper über das Verordnungswesen, wie in Frankreich. Da endlich, wo Gesetzgebung und Vollziehung beide gleichberechtigt sind, empfängt er erst seine wahre Stellung als Rath des Staatsoberhaupts in allen, der Sanktion desselben unterliegenden Angelegenheiten sowohl der Gesetzgebung als der Verwaltung; und das ist in der That das Wesen seiner Stellung, soweit sie in Deutschland sich auszubilden im Begriff ist. Auf dieser Grundlage nun ist auch dasjenige leicht verständlich, was man wohl als die einzelnen Attributionen des Staatsraths bezeichnet hat; d. i. seine Funktionen im organischen Leben der Ver- fassung. Man hat dabei die berathende von der entscheidenden unter- schieden, und die letztere nach dem Vorgange Frankreichs namentlich in der Administrativjustiz als Competenzconfliktshof gefunden. Die Unter- scheidung ist in gewissem Sinne ganz richtig. Der Umfang der Berathung ist schon in dem Wesen des Staatsraths gegeben; was aber die ent- scheidende Gewalt des Staatsrathes, wie sie in seiner Natur liegt, an- betrifft, so muß man wohl folgende Gesichtspunkte unterscheiden. Die Entscheidung über eine streitige Competenz ist, soweit es sich um das durch die Thätigkeit eines Verwaltungsorganes verletzte Recht eines Einzelnen handelt, überhaupt Sache der Klage oder des Gerichts; wenn dagegen die Competenz zweier Ministerien ohne Beziehung auf ein Einzelrecht fraglich wird, ist die Vorlage an den Staatsrath und das Recht der Entscheidung durch denselben nichts anderes, als die Uebertragung der Organisationsgewalt des Regenten an den Staatsrath. Es ist aber gewiß zweckmäßig, daß dieß Recht dem Staatsrathe, der ja die Organisationsverordnungen zu berathen hat, übertragen werde. Ebenso ist es naturgemäß, daß die Verordnungen über den Belagerungs- zustand nur nach Anhörung des Staatsraths erlassen werden. Das Recht des Staatsraths dagegen, zu entscheiden, ob ein Staatsdiener ge- richtlich verfolgt werden dürfe oder nicht, steht mit dem Principe des Klagrechts in unlösbarem Widerspruch. Fraglich kann dagegen erscheinen, ob jede Beschwerde den Staatsrath als dritte und letzte Instanz fordern solle. Wir müssen uns entschieden dafür aussprechen; denn hier liegt im Grunde immer die Frage vor, in welchem Verhältniß eine Verfügung zu einer Verordnung stehe, und diese Frage muß an letzter Stelle stets die höchste verordnende Gewalt, das Staatsoberhaupt, entscheiden können, und das Organ, auf dessen Rath diese Entscheidung erfolgt, sollte eben nie zuletzt dasselbe sein, gegen dessen Verfahren die Beschwerde erhoben ward, das einzelne Ministerium. In der That hat das Recht des französischen Conseil d’État dieß vollkommen richtig und scharf bestimmt, nur mit dem Unterschiede, daß derselbe zugleich über Klagrecht entscheidet. Im Wesentlichen kann man nun sagen, daß die Organisationen des Staatsrathes auf dem Continent fast alle auf diesem Boden stehen; die Abweichungen im Einzelnen sind nicht von großer Bedeutung, und je länger und je fester das Princip der verfassungs- mäßigen Verwaltung sich herausarbeitet, um so klarer wird dieß richtige Institut seine Stellung finden. Was nun schließlich die Zusammensetzung und Organisation des Staatsrathes betrifft, so gelten für die erstere zwei Grundsätze: erstlich, daß der König die Mitglieder desselben frei wählt; zweitens daß die Minister in den Berathungen zugegen sein können. Die Form und das Recht dieses letztern Punktes ist wieder verschieden; jedenfalls müssen sie eine entscheidende und nicht bloß berathende Stimme haben. Die Organisation des Staatsrathes dagegen ist durchaus davon abhängig, ob man ihn als das Haupt der verordnenden Gewalt, oder bloß als Rath des Monarchen betrachtet. Im ersten Falle muß er die ganze Verwaltung umfassen, und die Eintheilung in Sektionen, welche dem Gebiete der letztern entsprechen, ist nach französischem Muster die Folge dieses Grundsatzes; im zweiten Falle wird er stets ein ein- heitliches Collegium bilden. Die positiven Gesetze über die Bildung, Competenz und Organisation des Staatsrathes müssen von diesen Stand- punkten aus betrachtet werden; es ist ein eigenes Studium, jeden Staatsrath aus den obigen Gesichtspunkten in seiner Entstehung und seiner Geschichte zu verfolgen. Schließlich ist das sogenannte Geheime Cabinet gar nicht als ein verfassungsmäßiges, sondern rein als ein zum persönlichen Dienste des Monarchen bestimmtes Hofamt zu betrachten, soweit es nicht, wie in einigen Staaten, gewissermaßen der Staatsrath in Militärsachen ist. Der Charakter des Staatsraths, wie er sich auf dieser Grundlage in den Hauptstaaten ausgebildet hat, ist nun im Wesentlichen folgender. England. In England ist der Sieg der gesellschaftlichen Elemente über die Krone formell schon seit Wilhelm III., materiell eigentlich erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts definitiv entschieden. Die Vertreter der gesellschaftlichen Herrschaft über die Staatsgewalt, die herrschende Partei in den Häusern, läßt daher eine von ihr unabhängige vollziehende Gewalt nicht zu, und es entsteht dort daher das Verhältniß, welches den englischen Staatsrath, das Council, so wesentlich vom Staatsrath auf dem Continent unterscheidet. Die Krone hat nämlich hier materiell gar nicht jene Selbständigkeit gegenüber der Gesetzgebung oder Verwaltung, welche ihre Sanktion noch als einen freien persönlichen Ent- schluß erscheinen läßt. In England ist die vollziehende Gewalt vollständig von der gesetzgebenden beherrscht, und ein von der letztern und ihrer Parteiregierung unabhängiger, die Krone in ihrer Selbständigkeit unterstützender Staatsrath außerhalb der Ministerien ist hier daher gar nicht denkbar. Es erscheint dieser Stein , die Verwaltungslehre. I. 18 englische Staatsrath daher nur noch als ein rein formeller, und das englische Council besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Elementen. Das erste ist ge- bildet auf Grundlage des formellen Rechts der höheren ständischen Klasse, an den Berathungen der Krone Theil zu nehmen, und umfaßt daher eine Menge von Personen; allein diese sind ohne Einfluß, und haben wie die „Geheimen Räthe“ nur den Titel ohne Funktion. Der zweite, der eigentliche Staatsrath, besteht dagegen aus der Krone selbst und nur aus den Ministern, und ist das Haupt der Organisations-, Verordnungs- und Polizeigewalt. So ist derselbe nicht ein für sich bestehendes, mit eigener Zuständigkeit versehenes Organ, son- dern eigentlich der Ministerrath, nur daß die Krone grundsätzlich selbst, und nicht durch eine Vertretung eines Ministerpräsidenten in ihm erscheint; der Ministerrath hat hier keine eigentliche Organisation, indem er mit dem Privy Council zusammenfällt. Diese Stellung ist das, was das englische Staatsrecht den „King in Council“ gegenüber dem „King in Parliament“ nennt — die vollziehende Gewalt mit allen ihren Attributen gegenüber der gesetzgebenden, aber freilich so, daß die Organe der vollziehenden Gewalt, die Minister, doch im Grunde nur Organe der herrschenden Partei in der gesetzgebenden sind. Dennoch hat auch hier die höhere Natur der Sache gewirkt und wirkt noch immer. Die Nothwendigkeit einer selbständigen Berathung der Verhältnisse der Verwaltung vor ihrer unmittelbaren Vollziehung kann nämlich auch durch das strengste Princip der Parteiherrschaft und durch die entschiedenste Abhängigkeit der Exekutive von der Legislative nicht beseitigt werden. Da nun das englische Staatsleben es einerseits nicht zu einem Ministerialsystem gebracht hat, sondern noch immer an der Bildung desselben arbeitet und wohl noch lange arbeiten wird, andererseits aber der Krone nicht das Recht gegeben ist, sich mit einem selbständigen Staatsrathe außerhalb des Ministerrathes zu umgeben, so mußte man ein wunderliches Zwitterding machen. Man mußte den Ministerrath mit höchsten berathenden Organen über diejenigen Gebiete der Verwaltung ver- mehren, für welche kein eigentliches Ministerium vorhanden war, und die deß- halb im Grunde die Funktion des Staatsraths übernahmen, nur daß sie nicht einen Staatsrath der Krone, sondern einen Staatsrath des Ministerrathes bilden. Vielfach hat hier neben der Natur der Sache auch wohl das Beispiel Frankreichs eingewirkt. Das Council hat sich dadurch zu einem Körper erwei- tert, der das Haupt nicht bloß der vollziehenden Gewalt im Allgemeinen, son- dern auch der einzelnen Verwaltungszweige ist, indem es die in den historischen Staatssekretariaten nicht vertretenen Gebiete der Verwaltung als eigene Abthei- lungen in sich aufnahm. So finden wir drei permanente Committees des Privy Council : das Committee for trade and foreign plantations, aus welchem sich das Handelsministerium gebildet hat, das judicial Committee, das noch eine höchst unklare Bildung ist, und die Elemente eines Competenzgerichtes enthält, sowie die eines Justizministeriums, und das Committee for education, das sich gleichfalls zum Unterrichtsministerium herauszubilden bestimmt ist. Es leuchtet zwar ein, daß dieß mehr die Vorbildung des Ministerialsystems, als die eines eigentlichen Staatsrathes ist; aber auch in England muß aus dem ersteren allmählig der letztere hervorgehen. Jedenfalls ist dieser ganze Zustand ein, organisch betrachtet, höchst unvollkommener; die Herrschaft der legislativen Parteien über die Verwaltung würde schon lange das Reich verderbt haben, wenn überhaupt die Verwaltung in demselben Maße unter dem Amtswesen stünde, wie auf dem Continent. Allein da die Selbstverwaltung den beinahe wichtigsten und größten Theil der Vollziehung der Gesetze den Organen des Selfgovernment überlassen hat, so wird jene Gefahr damit paralysirt, und nur damit . Und in diesem Sinne ist das Selfgovernment Englands die Aegide gegen die Mißverwaltung, sein köstlichster Schatz, und von so wesentlich anderer Bedeutung, als auf dem Continent. Wir werden diese Gedanken unten bei dem Ministerialsystem und der Selbstverwaltung wieder aufzunehmen haben. Zu dem, was Gneist gerade über das Privy Council und seine Verhältnisse gesagt hat, dürfte sich wenig hinzusetzen lassen. Frankreich. Ein ganz anderes Bild zeigt uns Frankreich mit seinem Conseil d’État. Derselbe ist mit seiner ganzen Auffassung und Funktion um so wichtiger, als er den Bildungen des übrigen Europa’s zum Muster gedient hat, und auch werth ist, das Muster zu sein. Wir haben schon früher bemerkt, daß der Charakter der französischen Verfassungsmäßigkeit seine Verwaltung in dem Conseil d’État gipfelt. Es ist nur merkwürdig, daß bei der fast allgemeinen Nachahmung des Conseil d’État in den deutschen Staatsräthen die ganze deutsche Literatur sich nirgends die Mühe gegeben hat, das Wesen desselben zu untersuchen, mit Ausnahme von Mohl (Literaturgeschichte II. ), der aber die Sache von einem ganz untergeordneten, referirenden Gesichtspunkt betrachtet, und namentlich nicht dahin gelangt, zu erkennen, daß der Conseil d’État des vorigen Jahrhunderts einen so wesentlich verschiedenen Charakter von dem gegenwärtigen hat, geschweige daß er die historischen Gründe seiner Geschichte erkannt hätte. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß der französische Staat sich vorzugsweise vermöge der Centralisation seiner Verwaltung gebildet hat. So absolutistisch auch das Königthum sein mochte, dieß Bewußtsein von der großen — in Frankreich geradezu staatbildenden Funktion der Verwaltung hat dasselbe nie verlassen, und man kann mit Recht Heinrich IV. als den Begründer dieser Idee, und Sully als ihren ersten Vertreter ansehen. Die Gewalt der Thatsache, daß die Verwaltung ganz auf dem Königthum ruhe, und das mit dem 17. Jahrhundert rückhaltslos hervortretende Streben, die Gesetzgebung von derselben auszuschließen, erzeugte die Nothwendigkeit, ein Centralorgan dieser Verwaltung unmittelbar unter dem Könige zu schaffen, dessen Aufgabe es sein sollte, nicht mehr die einzelnen Gebiete der Verwaltung, sondern die Verwaltung als Ganzes zu leiten. So entstand der alte Conseil d’État, der seine eigene Geschichte hat, noch ehe die Revolution ihn so gründlich modificirte, ohne ihn jemals dauernd beseitigen zu können. (Siehe Répertoire de Juris- prudence von 1784, v. Conseil d’État. ) Er bildete einen Körper unmittelbar unter dem König, und war das höchste Organ für die ganze, in der Person des Monarchen vereinigte gesetzgebende und verordnende Gewalt. Das organisirende Geschick der Franzosen gab ihm schon im 17. Jahrhundert seine Gestalt; die definitive Ordnung gab ihm das Edikt vom 3. Januar 1673 . Darnach hatte er schon damals vier Sektionen, den eigentlichen Conseil d’État, der das Ministerium des königlichen Hauses, des Kriegs und des Aeußern vertrat, das Conseil des dépêches , als Ministerium der Finanzen, wenigstens zum Theil, und Ministerium des Innern, das Conseil des finances als Verwaltung der Domänen, und das Conseil des parties , das im Grunde das Justizministerium war, und schon damals die jurisdiction administrative in höchster Instanz entschied. Zugleich wurde der Garde des sceaux als Präsident erklärt, 21 ordentliche und 12 außerordentliche Räthe ernannt. Der König behielt sich den Vorsitz vor. Die mächtige und rücksichtslose Entwicklung der Administration brachte dieselbe nun alsbald in Conflikt mit den ordentlichen Gerichten. Sie waren es, zu denen das bestehende Recht seine Zuflucht suchte; und die Berechtigten waren im Allgemeinen gewiß, durch die Gerichte geschützt zu werden. Die Verwaltung dagegen, oft mit Recht, oft mit Unrecht, mußte dieß Recht brechen; ihr Organ war der Conseil d’État, aber in der letzten Abtheilung, dem Conseil des parties. Diese Abtheilung fing daher schon im vorigen Jahrhundert an, den Grundsatz durchzuführen, daß in Streitigkeiten zwischen Staat und Einzelnen — oder über das eigentliche droit administratif — nicht die Gerichte, sondern nur der Conseil d’État Recht sprechen, ja daß derselbe sogar die urtheilende Thätigkeit der Gerichte seiner Oberaufsicht unterziehen könne und solle. Dem traten die Gerichte allerdings entschieden entgegen, vor allen die Parlamente, und dieß Verhältniß ist es auch, gegen das Montesqieu in seinem Esprit des Lois VI. Ch. 6 kämpft: „C’est encore un grand inconvénient dans la monarchie, que les ministres du prince jugent eux-mêmes les affaires contentieuses“ u. s. w., wozu Helvetius die, die ganze französische Auf- fassung schon vor der Revolution so bezeichnende Note machte: „Les ministres sont faits pour décider les affaires quand il y a embarras , et non pour les juger quand il y a contestation.“ Daß diese Opposition nicht viel nützen konnte, lag allerdings auf der Hand; um aber diesem Verwaltungsgerichtshofe zugleich die Form der Gerichte zu geben, erschienen die berühmten Ordonnanzen von d’Aguesseau , welche zuerst den administrativen Proceß ordneten, und damit eigentlich erst dem Conseil d’État den Charakter der Willkür nahmen, unter dem er bis dahin gelitten. Seit dieser Zeit ist derselbe ein förmliches Organ der Verwaltung, und bleibt es bis zur Revolution. Mit der Revolution tritt nun die Scheidung zwischen Gesetz und Voll- ziehung ein, und das Königthum empfängt als Chef de l’administration seine Stellung über beide. Daß die Revolution an nichts weniger dachte, als an die Aufhebung der Macht der Verwaltung, haben wir schon gesagt. So lange daher das Königthum anerkannt blieb, blieb auch der unter diesen Verhältnissen ganz natürliche Grundsatz, daß der Conseil d’État der eigentliche Rath des Königs, der selbständigen Verwaltung sein müsse. Nur war vorauszusehen, daß seine Existenz als eigenes Organ von der Existenz des Königthums abhängig sein werde; seine Bedeutung hing von jetzt an einfach von dem Verhältniß ab, in welchem der König noch gegenüber dem, der Legislative unterworfenen Ministerrath eine Selbständigkeit erhalten könne. Mit dieser geht er, als eigentlicher Ausdruck derselben, rasch zu Grunde, und der Ministerrath, als das Organ der Herrschaft der Gesetz- gebung über die Verwaltung, tritt an seine Stelle. Das Dekret vom 19. Aug. 1790, und die Gesetze vom 11. September, 4. Oktober und 1. December 1790 nahmen ihm stückweise seine Rechte, und das Gesetz vom 25. Mai 1791 hob ihn einfach auf und verschmolz ihn mit dem Conseil des Ministres. Das war ganz consequent; das Gesetz vom 21. Fruct. III. gab dem Ministerconseil sogar die Competenzconflikte; die selbständige, persönliche Staatsgewalt war vollständig untergegangen. Der 18. Brumaire brach die Herrschaft der Legislative, nunmehr umgekehrt, um die Exekutive zur Herrschaft zu bringen. Das Regiment Napoleons be- ginnt; mit ihm wird sofort der Conseil d’État wieder in’s Leben gerufen. Und jetzt beginnt für denselben eine neue Epoche. Sie beginnt sogleich mit dem Recht des Conseil d’État: „De rédiger les projets des lois et les règle- ments d’administration politique, et de résoudre les difficultés qui s’élèvent en matière administrative.“ ( Constitution an VIII. Art. 52.) Er ist damit das Organ des Staatsoberhaupts und der Regierung zugleich; er steht prin- cipiell an der Spitze derselben; er umfaßt das ganze Gebiet der Verwaltung, während die Ministerien nur die einzelnen Theile derselben enthalten. Er ist aber zugleich das über das ganze Verwaltungsrecht entscheidende Organ; nach dem Arrêté constituant vom 5. Niv. VIII. werden ihm alle Fälle der Inter- pretation der Verwaltungsgesetze, alle Verwaltungsrechtspflege und alle Conflikte übertragen; das Sénatus-consulte vom 18. Fruct. X. theilt ihn in Sektionen: eine Ordonnanz vom 9. April 1803 fügte das Institut der Auditeurs hinzu; eine andere vom 11. Juni 1806 überwies ihm die affaires de haute police administrative (das oberste Verordnungsrecht), kurz, er ist das Organ der höchsten Verwaltung und zugleich eine école pratique du gouvernement et de l’administration. Seine Bedeutung verdunkelt ganz die Reste der gesetz- gebenden Körper; er ist der eigentliche Rath des Herrschers. Diese höchste Stufe verliert er freilich mit der Restauration. Das Wesen derselben war doch am Ende der Wiedererwerb der gesetzgebenden Rechte für die Volksvertretung; aber eben deßhalb überdauert der Conseil d’État den neuen Zustand. Man hatte das klare Bewußtsein, daß man ihn selbst nicht entbehren könne; man nahm ihm nur den Theil der Rechte, der zu weit in die Gesetzgebung eingriff; aber im Grunde fand er jetzt an dem Königthum seinen Halt und seine wahre Stellung. Von jetzt an ist er das Organ der Berathung für alle Aktionen des Königthums, und zugleich das Haupt der Verwaltung. Die Julirevolution änderte an dieser Position nichts; sie war dem französischen Volke vollkommen verständlich. Nur die gerichtliche Thätigkeit mußte man mit den Forderungen der neuen Zeit etwas mehr in Harmonie bringen, obwohl es Niemandem einfiel, die Competenz desselben auch in wirklichen Rechtssachen zu bestreiten. In diesem Sinne gaben die Ordonnanz vom 2. Februar 1831 die Oeffentlichkeit der Sitzungen, die Ordonnanz vom 12. März 1831 errichtete die Plaidoirie, das mündliche Verfahren mit der Staatsanwaltschaft. Die folgenden Ordonnanzen vom 18. Sept. 1839 und 19. Juni 1840 entwickelten die Institution weiter; im Wesen ward auch später nichts geändert. Und diese Basis ist im Grunde auch gegenwärtig noch dieselbe; nur ist der Geist der Stellung ein anderer. Nachdem nämlich das Gesetz vom 3. März 1849 mitten unter der Republik den Conseil d’État erhalten, gab das Dekret vom 25. Januar 1852 demselben seine gegenwärtige Organisation. Sie ist nicht neu; sie ist nur die vollstän- dige Entwicklung der bisherigen Grundlagen; aber freilich ist der ganze Conseil d’État jetzt so eingerichtet, daß er im Grunde zugleich das Hauptorgan für die Berathung der ganzen eigentlichen Gesetzgebung ist . Er ist darauf angelegt, die Volksvertretung so viel als möglich für die Gesetzgebung wenigstens materiell überflüssig zu machen , indem er die Körperschaft seiner Mitglieder sehr vermehrt, und die Verhandlungen über die Gesetzentwürfe zu einem formell höchst ausgebildeten Akte erhebt. Es ist das nicht der letzte Punkt, durch welchen die verfassungsmäßige Freiheit untergraben wird; denn der Conseil d’État ist zugleich die höchste administrative Behörde, der Richter über das administrative Recht, und der vorberathende Körper über alle Gesetze. Der Conseil d’État gehört daher zum System der scheinbaren Freiheit, welche das neue Kaiserthum gebracht hat; und es läßt sich schon jetzt sagen, daß er bei einer neuen Ordnung der Dinge diese Stellung nicht in dem Umfange be- halten, sondern wieder zur bloßen höchsten administrativen Behörde werden wird. In Beziehung auf die Verwaltung aber ist seine Aufgabe ganz die der früheren Zeit; er ist der große Verwaltungsrath der vollziehenden Gewalt in allen Gebieten der Regierung, unabhängig von den Ministern, die nur be- rathende Stimme in ihm haben, und als das Organ der höchsten selbständigen Staatsgewalt aus dem Contakt mit der Volksvertretung gerückt, während er der Initiative in der Gesetzgebung den ganzen Nachdruck seiner Berathung gibt. Seine sechs Abtheilungen sind: 1) législation, justice et affaires étrangères; 2) contentieux; 3) intérieur, instruction publique et cultes; 4) travaux publics, commerce et agriculture; 5) guerre et marine; 6) finances. Jede dieser Sektionen hat ihre besonderen Aufgaben; die wichtigeren Angelegenheiten der Verwaltung werden aber vor die assemblée générale gebracht; jede Sektion entscheidet in ihrem Ressort alle Fälle der justice administrative oder der Be- schwerden; ein Reglement vom 30. Januar 1852 hat das Verfahren dabei genau geordnet, das übrigens im Wesentlichen das alte ist. Die Zahl der Räthe beträgt 40—50 ordentliche, 15 allgemeine Mitglieder, und 20 außer- ordentliche; außerdem für die Revisionen 40 Maîtres des requêtes und 40 Auditeurs. Der Kaiser und die Mitglieder seiner Familie, die derselbe be- stimmt, gehören ihm an. Die Gesetzentwürfe, die in ihm ausgearbeitet sind, werden von drei Räthen des Conseil d’État in den beiden gesetzgebenden Körpern vertreten. So ist er selber eine gewaltige Macht, und in der That ist er der Träger der Regierungsgewalt . Der durchgreifende Unter- schied zwischen ihm und den Staatsräthen des übrigen Europa’s besteht darin, daß durch die mächtige Thätigkeit dieses ganz in der Hand des Souveräns befindlichen Körpers das ganze übrige Beamtenthum seiner geistigen Selbst- thätigkeit beraubt wird . Durch den Conseil d’État ist der untere Beamtete nur noch Maschine; er bedarf einer höheren Bildung nicht; der Conseil d’État beräth, entscheidet, urtheilt für ihn; er ist die Centralisation des amtlichen Be- wußtseins und Geistes. Dieß geht so weit, daß er sich das Conseil des Ministres ganz untergeordnet hat; die Minister haben in ihm eine berathende Stimme, und nicht einmal die Aufgabe, die Gesetzesentwürfe vor den Kammern zu vertreten. Daher konnte Napoleon den Ministern ihre Verantwortlichkeit nehmen — denn sie sind in der That nur noch die Exekutive; das Element des selbständigen Willens ist von ihnen getrennt und ruht in dem unverant- wortlichen Conseil d’État. Er ist damit die organische Durchführung der Unabhängigkeit der Vollziehung von der Gesetzgebung, und die Spitze des napoleonischen Systems, die unmöglich wäre, wenn sie nicht den Ausdruck der administrativen Individualität Frankreichs bildete. Deutschland. Was nun die Stellung des Staatsraths in Deutschland betrifft, so ist sie darum so schwierig zu bezeichnen, weil sie theils sehr verschieden, und theils noch in der Entwicklung begriffen ist. Im Allgemeinen aber hängt diese Ent- wicklung auf das Engste einerseits mit dem französischen Vorbilde, und anderer- seits mit der verfassungsmäßigen Ordnung des öffentlichen Rechts überhaupt zusammen, und in diesem Sinne müssen wir sagen, daß eigentlich jeder Staat mit seiner Verfassung zugleich seine eigene Geschichte des Staatsrathes hat. So lange nämlich noch kein eigentlich gesetzgebender Körper vorhanden, und der Monarch zugleich die Quelle der Gesetzgebung und Vollziehung ist, ist der Staatsrath eigentlich das berathende Organ für Gesetzgebung und Verordnung zugleich, und erscheint daher nur als eine Erweiterung des Ministerrathes, der übrigens auf die eigentliche Verwaltung keinen Einfluß nimmt. So wie die Verfassungen entstehen, scheiden sich naturgemäß Staatsrath und Ministerrath, und der erstere wird das berathende Organ für den persönlichen Willen des Monarchen, wobei ihm aber nach dem Vorbilde des Conseil d’État auch die höchsten Entscheidungen der, von Frankreich nach Deutschland übertragenen Verwaltungsstreitigkeiten überlassen werden. Damit wird er denn nun auch ein Theil der Verfassung , und empfängt seine verfassungsmäßige Wirksam- keit; die Formen desselben sind jedoch meist verschieden, was zum großen Theil von dem Umfange der Staaten abhängt. Dagegen beruht der tiefere Unterschied zwischen dem deutschen Staatsrath und dem französischen darauf, daß er mit seinen Funktionen nirgends darauf berechnet ist, weder die Selbstthätigkeit und damit die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der Minister zu beseitigen, noch auch die geistige Selbständigkeit des Beamtenthums zu vernichten und in sich das höhere administrative Bewußtsein ausschließlich zu centralisiren. Während der französische Conseil d’État die wissenschaftliche Bildung des Beamteten über- flüssig, und den letzteren nur zum Werkzeug des centralen Körpers macht, er- hält der deutsche Staatsrath dieselbe vielmehr lebendig; und das Kriterium dieses so tief verschiedenen Geistes beider, im äußerlichen Organismus oft so sehr ähnlichen Bildungen — namentlich Bayern und Preußen — besteht darin, daß die Minister entscheidende Stimme behalten, und daher auch die Gesetzes- entwürfe in den Kammern selbst vertreten, weßhalb sie auch als Gesammt- ministerium eine Funktion haben, was in Frankreich seit Napoleon III. nicht mehr möglich ist. Auf dieser Grundlage müssen die einzelnen Staatsräthe dar- gestellt werden. Wir können sie nur kurz charakterisiren. Der Staatsrath entwickelt sich zuerst mit den französischen Verfassungen in Süddeutschland. Bayern schied ihn zuerst als selbständige, berathende und richterliche Behörde in Administrativsachen vom Ministerium als Geheimen Rath (Organisches Edikt vom 4. Juli 1808), der nachher zum eigentlichen Staatsrath ward (Verordnung vom 2. Juli und Edikt vom 3. Mai 1817). Seine Organisation und Attributionen sind dann genauer geregelt durch In- struktion vom 9. Januar 1821 und Verordnung vom 18. Nov. 1825. Das Charakteristische für den bayerischen Staatsrath ist, daß er nicht eigentlich die französischen Sektionen, sondern den Unterschied zwischen der berathenden und erkennenden Thätigkeit hervorhob, jene als Rath der Krone, diese als höchster Verwaltungshof. (Siehe Pötzl , Bayerisches Verwaltungsrecht §. 51 bis 54.) Im Wesentlichen gleichartig ist der Geheime Rath in Württem- berg mit der Verfassung von 1819, Kap. IV, §. 54 ff., wo es für die Sache bezeichnend ist, daß der §. 54 ihn „seiner Hauptbestimmung nach als bloß be- rathende Behörde“ setzt, was seiner constitutionellen Idee entspricht, während §. 60 ihm auch die entscheidenden Funktionen gibt. (Mohl, württ. Staatsrecht II. 51.) Neben diesen streng constitutionellen Staatsräthen sehen wir nun gleichzeitig den Ministerrath ausschließlich funktioniren, wie in Kurhessen (Organ. Verwaltungs- recht, 1821, §. 10), oder aber dem Könige das unbestimmte Recht gegeben, einen Staatsrath zu bilden, wie im Königreich Sachsen 1831, §. 41: „Es kann ein Staatsrath gebildet werden, zu welchem außer den Ministerien diejenigen Personen gezogen werden, welche der König geeignet findet“ — was zwar nur die Beibehal- tung des früheren Rechts war ( Malchus , Pol. der innern Verwaltung I. S. 91; Weiß spricht gar nicht davon), aber jedenfalls die Unsicherheit über die eigent- liche Natur des Staatsrathes deutlich zeigt. In anderen Staaten sprechen die Verfassungen gar nicht vom Staatsrath, wie in Baden, Nassau, Weimar u. a. Hier ist die Stellung desselben offenbar als ein Recht der Organisationsgewalt der Krone unberührt angenommen, womit zusammenhängt, daß in mancher Verfassung ja auch von den Ministern keine Rede ist (s. unten), wie im Groß- herzogthum Hessen durch Verordnung vom 28. Mai 1821. In den verfassungs- losen Staaten, Preußen und Oesterreich, war der Staatsrath eben das vom Monarchen ausschließlich eingesetzte Organ seiner persönlichen Berathung, doch hatte namentlich Preußen schon den Staatsrath mit sieben Abtheilungen, je aus fünf Mitgliedern und unter dem Präsidium des Königs oder des Staats- kanzlers ganz nach dem Muster des Conseil d’État eingerichtet — natürlich ohne alle Oeffentlichkeit und ohne ein objektiv gültiges Verfahren (Verordnung vom 20. Mai 1817). Mit der Entwicklung der Verfassungen in beiden Ländern tritt dann dieser Staatsrath als selbständiges Organ in seine natürliche Funk- tion, während in den kleineren Staaten theils das Ministerium als Staatsrath fungirt, wie in Oldenburg , Verfassung von 1849, Abschnitt II.; Braun- schweig , Gesetz vom 1. Mai 1851, oder eigene Verordnungen ihn herstellen, wie in Hannover , Verordnung vom 26. Januar 1856; Nassau , Gesetz vom 24. Juli 1854. In Preußen ist derselbe auf Grundlage des früheren Rechts namentlich durch die Verordnung vom 6. Januar 1848 in seiner berathenden Stellung schärfer begränzt, und nach französischem Muster der Competenz- Gerichtshof aus ihm durch Gesetz vom 8. April 1857 gebildet worden. Rönne I. §. 56. — In Oesterreich schließt sich der Staatsrath als das, was er sein soll, als berathendes Organ des Kaisers an die ganze Reichs- verfassung. Statut vom 26. Februar 1861. Ueber den Staatsrath in andern Ländern hat Malchus (Politik der in- nern Verwaltung I. §. 18 ff.) eine sehr gute Darstellung gegeben, die das Wesen des Staatsraths zwar im Allgemeinen richtig erfaßt, jedoch mehr den Charakter einer controlirenden Stelle über den Ministerien, eine Art Kabinet darin sieht. Neuere Bestimmungen in Brachelli , Verwaltungsbehörden in Europa (Jahrbuch für Gesetzkunde und Statistik S. 170 ff.). Unbedeutend ist Bülau (Behörden S. 153). So gut wie gar nichts enthalten Zöpfl und Zachariä . Zweites Gebiet. Der Organismus der Regierung oder das Amtswesen . I. Das Amt an sich. 1) Der organische Begriff des Amts . Es ist eine gewöhnliche Vorstellung, das Amtswesen und seinen Organismus als identisch mit dem Organismus des thätigen Staats, oder wie man zu sagen pflegt, mit der Staatsgewalt selbst aufzufassen. Indem wir ihn aber von den andern drei Grundformen des staatlichen Organismus, der persönlichen Staatsgewalt, der Selbstverwaltung und dem Vereinswesen ganz bestimmt unterscheiden, müssen wir das Wesen desselben im Voraus genauer bezeichnen. Die Regierung ist die Staatsgewalt, insofern dieselbe die praktischen Aufgaben der vollziehenden Gewalt zur Verwirklichung bringt. Der Ausdruck „Verwaltung“ bezeichnet uns ganz dasselbe, nur mit der Neben- bedeutung, daß hier die Regierung in ihrer einzelnen praktischen Thätig- keit gedacht wird. Regieren heißt Grundsätze, Verwalten heißt Vorschriften ausführen. Eben darum ist es zweckmäßig, wenn man vom Regieren redet, wo es sich um das Gemeinschaftliche in allen einzelnen Theilen der Verwaltung handelt. Bei dem Organismus im Allgemeinen legen wir daher den Begriff der Regierung, bei dem Organismus im Ein- zelnen den Begriff der Verwaltung zum Grunde. Indem auf diese Weise die Staatsgewalt in der Regierung den einzelnen Lebensaufgaben der Gemeinschaft gegenüber tritt, die als selb- ständige aus dem Leben der Gemeinschaft hervorgehen, bedarf sie eines bestimmten Organs, das dieser Aufgabe entsprechen muß, um sie lösen zu können. Die Vielheit und Besonderheit dieser Organe liegt daher nicht im Begriffe der Regierung, sondern im Begriffe und dem Wesen dieser Aufgaben. Dennoch sind alle auf diese Weise entstehenden Organe der Regierung wieder gleichartig; sie haben in aller Verschieden- heit und Besonderheit immer den einheitlichen Willen des Staats zu vertreten. Und aus dem Zusammenwirken dieser beiden Elemente ergibt sich nun das, was wir als das einzelne Organ der Regierung bezeichneten. Da, wo die Aufgabe des Staats eine einzelne und der Sache nach vorübergehende ist, kann die Regierung die Vollziehung ihres Willens durch einen Auftrag an einen Einzelnen oder an Mehrere erwirken (Commission). Mit der Erfüllung des Auftrages ist dann das Verhält- niß zwischen dem Staat und seinem Mandatar zu Ende. Die Rechte, welche den Inhalt dieses Mandats bilden, sind alsdann durch die Natur des Objekts bedingt, eben so die Dauer des Mandats. Die Thätigkeit des Mandators ist in solchem Falle durch genaue Vorschriften (In- struktionen) bestimmt. Es ist die privatrechtliche Form eines öffentlich- rechtlichen Verhältnisses. Der Auftrag gehört daher nicht in den Orga- nismus der Regierung, sondern nur in ihre wirkliche Thätigkeit. Da, wo diese Aufgabe eine dauernde ist, kann sie wiederum der- artig beschaffen sein, daß sie nur der mechanischen Thätigkeit des per- sönlichen Staatslebens angehört, und nicht die Vollziehung des Staats- willens, sondern nur die Herstellung der rein äußerlichen Bedingungen dieser Vollziehung betrifft. Dieß Verhältniß nennen wir den Dienst — nicht des Staates, sondern den Dienst im Staate oder genauer in der Regierung , und die betreffenden Personen begreifen wir als das Dienst- oder Hülfspersonal . Ein solcher Dienst beginnt schon an der höchsten Stelle des Staatslebens bei dem Staatsoberhaupt, und erscheint dann auf allen Stufen des Staatsorganismus bis zum untersten Hülfspersonal der Regierung. Der höchste Dienst nimmt dabei die For- men des Amts und oft die Ehren und Rechte der Staatswürden an; aber in allen Gestalten unterscheidet er sich vom Amtswesen dadurch, daß er nie eine selbständige Bethätigung des Staatswillens, sondern nur den persönlichen Dienst eines Organes des letzteren enthält. Er beruht nicht auf den inneren Forderungen, sondern auf den äußeren Bedürfnissen, und keine äußere Ehre und keine Höhe des Entgeltes kann diesen Charakter ändern. Daraus geht auch das Rechtsprincip dieses Dienstwesens hervor. Es erzeugt dasselbe nie ein Verhalten zur Regie- rungsgewalt als solcher, sondern nur zu derjenigen Person in der Re- gierung, welche den Dienst fordert und bestellt. Einen Antheil an den Gewalten der Regierung kann der Dienst niemals erzeugen; daher ent- steht aus ihm auch niemals ein Amtsrecht. Da aber, wo die dauernde und gleichartige Aufgabe der Regierung durch ein dauerndes, seinem Wesen nach gleichartiges Lebensverhältniß in der menschlichen Gemeinschaft gegeben ist, bedarf die Regierung eines dauernden Organes, welches den an sich stets gleichartigen Willen des Staats in dem Wechsel der äußeren Zustände vollzieht. Sie muß dieses Organ als einen Theil ihrer selbst erkennen; sie besteht eben selbst nur aus solchen Organen, da sie ja für diese Lebensverhältnisse vorhanden ist. Indem sie dieses Organ als einen Theil ihrer selbst setzt, muß sie ihm natürlich auch die drei Gewalten übertragen, die sie enthält; ein solches Organ ist undenkbar ohne eine Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt. Wie aber das Organ selbst, so ist selbstverständlich Maß und Art dieser drei Gewalten eben durch die Natur jenes Lebens- verhältnisses bedingt, in welchem es den Willen des Staats zu voll- ziehen hat. Und da das erstere niemals ganz gleich ist, sondern wechselt, so muß ein solches Organ kraft seiner innern, organischen Verbindung mit der Regierung sich beständig die Gränzen jener Gewalten in so weit selbst setzen, und sich somit sein eigenes Recht durch eigene Ver- antwortlichkeit erzeugen und nehmen. Um das zu können, muß es das Bewußtsein von dem Willen der Regierung im Ganzen haben, und andererseits die Fähigkeit besitzen, die Anwendung des allgemeinen Willens auf den einzelnen Fall richtig zu bemessen. Ein solches Organ ist das Amt . Es ergibt sich daraus, daß die Regierung oder Verwaltung über- haupt nur aus Aemtern besteht, und daß der Amtsorganismus zugleich in der organischen Gesammtheit der Staatsaufgaben, und dem wirklichen, für dieselben bestimmten und in ihnen praktisch-thätigen Körper der Regierung oder staatlichen Verwaltung gegeben ist. In diesem Sinne sagen wir, daß der Regierungsorganismus uns als Amtsorganis- mus erscheint; und die Gesammtheit der Grundsätze und Rechte, welche für diesen Amtsorganismus der Regierung gelten, nennen wir mit einem Worte das Amtswesen . Die Lehre vom Amtswesen hat demnach einen doppelten Inhalt, den wir hier als das System des Amtswesens oder als die Darstel- lung des Amtsorganismus , und als das Recht desselben oder das Staatsdienstrecht bezeichnen. Beide Theile haben eine wesentlich verschiedene Grundlage. Das erste beruht auf dem Gegensatz zwischen dem einheitlichen Leben des Staats und der Besonderheit der einzelnen Lebensverhältnisse; das zweite auf dem Gegensatz zwischen der organischen Natur des einzelnen Amts und der Selbständigkeit der Persönlichkeit, welche es vertritt, oder dem Beamteten. So verschieden auch beide Theile sind, so beruhen sie doch auf dem gemeinschaftlichen Wesen des Amts, und obwohl daher jeder Theil seine Geschichte hat, so ist es dennoch wesentlich, den Entwicklungsgang für beide gemeinschaftlich bis zu dem Punkte zu verfolgen, auf welchem sie erst ihre rechte Eigenthüm- lichkeit entfalten, der Gegenwart mit ihrer staatsbürgerlichen Gesell- schaftsordnung. 2) Elemente der historischen Entwicklung und Vergleichung des Amtswesens in England, Frankreich und Deutschland . a ) Das ethische Wesen des Amts. Die historische Entwicklung des Amtswesens muß als ein selb- ständiges Gebiet in der Geschichte des innern Staatslebens betrachtet werden. In der That hat es seine eigenthümlichen Grundlagen und Ausgangspunkte. Das Amtswesen als die organische Verkörperung der Regierung hat zu seiner Voraussetzung die Selbständigkeit der persönlichen Staats- idee, zu seinem Inhalte das Aufnehmen des gesammten praktischen Lebens in dieselbe und ihre Thätigkeit. Es kann daher nicht gedacht werden, ohne daß sich der persönliche Staat selbständig von der Gemeinschaft trennt, und sich mit dem Bewußtsein seines persönlichen Wesens und seiner, ihm eigenthümlichen hohen Funktion erfüllt. Denn das Amts- wesen hat zuletzt in diesem organisch ausgebildeten Bewußtsein Form und Quelle seines Rechts und seiner Kraft. Darum muß die große staatliche und in höherem Sinne ethische Funktion des Amtswesens in der Gemeinschaft voraufgesendet werden. Es ist das um so wichtiger, als es sich hier eben nicht bloß um eine theoretische Erklärung des Amtsbegriffes handelt, sondern vielmehr um die Feststellung einer großen sittlichen Thatsache. Es ist nicht der letzte Mangel in unsern Staatswissenschaften, daß dieselbe fehlt. Vielleicht hat kein Theil des gesammten Staatslebens eine so ernste und schwierige Aufgabe, als gerade das Amt unserer Zeit. Daß es dieselbe erfülle, dafür kann ihm keineswegs bloß das Recht oder der Entgelt der Amts- führung genügen. Es bedarf das Amt einer höheren Erhebung. Nicht wenig wäre gewonnen, wenn es uns gelänge, dafür einen Beitrag zu liefern, und neben dem rein objektiven und juristischen Standpunkt einen edleren, sittlichen, das Amt wahrhaft belebenden und erwärmenden zur Geltung zu bringen. Denn es wird dessen bedürfen, und durch ihn erst seine große Mission im Gesammtleben erfüllen. Dazu aber muß man einen Schritt mit uns in das Wesen des Staatslebens hineingehen. Es ist unmöglich, das Amt in seiner Be- deutung darzulegen, wenn man nicht die bestimmt formulirten Elemente aufstellt, in denen es sich bewegt. Das Leben des Staats ist nicht das Leben der Gesellschaft, und eben so wenig ist es das Leben der Volkswirthschaft. Es ist selbst nur ein wesentliches Element der Menschheit. Es enthält vielmehr nur Gesellschaft und Volkswirthschaft, aber es beherrscht sie nicht ganz mit seinem Willen. Die Gesellschaftsordnungen und die Volkswirthschaft haben Gesetze, welche nicht weniger unabänderlich sind, wie die der Natur. Beide leben zunächst für sich; aber sie greifen auf allen Punkten in einander. Das Moment, welches sie verbindet, ist der Besitz, und die lebendige Bewegung, welche der Besitz erzeugt, nennen wir das Interesse . Ohne den Begriff und die Macht des Interesses ist das Wesen und die organische Funktion des Amtes nicht zu verstehen. Die Gesellschaftslehre zeigt uns nämlich, daß die Verfassung eines Staates die Form ist, in welcher die gegebene Gesellschaftsordnung den Willen des Staats sich unterordnet. Das ist das naturgemäße und darum unwandelbare Gesetz der Verfassungsbildung. Allein an diese Herrschaft der Gesellschaft über die Staatsordnung knüpft sich sofort das zweite Gesetz, das die Gesellschaftslehre darlegt, das natürliche Streben nämlich, vermöge der Herrschaft über den Staat das Interesse der herrschenden Klasse durch die Staatsgewalt zur Verwirklichung zu bringen. Nun ist es das innerste Wesen des Staats, als die höchste Form des persönlichen Lebens, seine eigene Vollendung niemals in der höchsten Entwicklung eines Theiles der Gemeinschaft, also auch nicht in der einer herrschenden Gesellschaftsklasse zu finden. Der Staat muß vielmehr be- ständig die Entwicklung der Gemeinschaft als eines Ganzen vertreten. Auch die niedere und beherrschte Klasse aber gehört nun diesem Ganzen, ja sie bildet die größere Masse dieses Ganzen. Und es ergibt sich da- her, daß er die Interessen der niederen beherrschten Gesellschaftsklasse in dem Maße mehr vertritt, in welchem sie durch die herrschende Klasse mehr unterworfen und gefährdet sind. Das ist in der Theorie nun zwar leicht aufgestellt, aber im wirklichen Leben ist das eine höchst ernste und schwierige Sache. Denn es enthalten jene Sätze nicht allein einen furchtbaren Kampf um die Interessen, in welchen der Staat stets auf der Seite des schwächeren Theiles steht, sondern sie zeigen uns eben auf Grundlage des Obigen ein zweites Verhältniß, welches eben erst recht das Wesen des Amts bestimmt. Der Staat ist nämlich wie ge- sagt, in seiner Verfassung von der Gesellschaftsordnung abhängig; anderer- seits ist das Amtswesen desselben Staats wieder von der auf diese Weise organisirten Staatsgewalt bedingt. Das Amtswesen hat daher die ernste Aufgabe, die wahre und reine Staatsidee innerhalb des Staats gegen diejenigen Elemente zu vertreten, welche gleichfalls innerhalb des Staats die Gewalt und das Recht desselben für ihre Interessen ausbeuten wollen. Das ist das schwerste von allem, und hier ist es, wo sich die eigentlich sittliche Kraft des Amtes zu entwickeln hat, und wo zugleich der Kern der Geschichte des Amtswesens liegt. Offenbar ist nämlich die erste Bedingung für diese Stellung und Funktion des Amtswesens die, daß jene Staatsidee nicht in der Ord- nung der Gesellschaft aufgehe, sondern einen selbständigen Ausdruck finde, ein Dasein, in welchem der Staat unabhängig und selbständig über dieser Gesellschaft stehe, und daher auch von ihren Interessen nicht beherrscht werde. Das kann nun nur geschehen, indem der Staat durch das erbliche Königthum vertreten ist. Das erbliche Königthum erscheint daher als ein absolutes Moment des Staats, und wird es sein, so lange bis einmal die Sonderinteressen in der Welt sich freiwillig und allgemein dem Gesammtinteresse unterordnen. Das ist das organische Wesen des Königthums und seiner Unabhängigkeit von jeder andern Gewalt. Und daraus folgt dann der erste Satz für die Geschichte des Amtswesens, daß es erst mit dem Königthum entsteht , und daß seine Bildung und sein Recht mit dem Königthum stets auf das Engste ver- bunden sind. Diese Verbindung mit dem Königthum ist eben deßhalb nicht bloß eine formale, sondern sie ist eine höchst innige. Denn beide haben dieselbe Aufgabe; das Königthum vertritt das Princip, das Amtswesen vertritt die Ausführung im Einzelnen: sie bilden zusammen Einen großen Körper, dessen Seele das Bewußtsein ist, daß beide als Eins die großen Bedingungen der Gesammtentwicklung gegenüber den besonderen Rechten und Interessen der herrschenden Klassen im Allge- meinen und spezieller Verhältnisse im Besondern zu vertreten haben. Das Königthum ist dem Amtswesen daher noch mehr, als es dem Heer- wesen ist. Es ist nicht bloß das persönliche Haupt des großen Orga- nismus, sondern ist der personificirte Ausdruck der Staatsidee, des Ge- meinwohls selber, im Namen dessen jedes Amt in seiner Weise funktionirt. Das Amt bedarf des Königthums nicht bloß organisch, sondern es bedarf desselben ethisch; es bedarf desselben, um an ihm die Macht zu haben, welche es in seinem Kampfe gegen die Sonderinteressen hält und trägt, und indem das Amt im Namen des Königs handelt, will es damit keineswegs bloß sagen, daß es im Namen der Staatsgewalt, sondern daß es zugleich im Namen des Gemeinwohls, im Namen der sittlichen Idee des Staates das thut, was seines Amts ist. Und daher darf sich niemand wundern, daß bei keinem Theile eines Volkes die monarchische Gesinnung so tief wurzelt, als im Beamtenstande. Kein Beamteter kann sich damit genügen lassen, bloß den trockenen Buch- staben des Gesetzes zu vollziehen. Wäre er nichts als das, so wäre er eben nur Mandatar der Gewalt, welche das Gesetz gibt; diese Gewalt aber ist einerseits vorwiegend der Ausdruck der herrschenden Interessen, andererseits hat sie selbst keineswegs alles mit wörtlichem Gesetze belegt. Das Amt muß daher in vielen Dingen, und fast immer in den kleinen Fragen, welche am innigsten mit dem Leben des Volks in Berührung stehen, im Geiste des Staats handeln. Dazu bedarf es eines Namens, eines Organes, eines Rechts, das diesen Geist des Staats ihm und dem Volke verkörpert; und das ist der König. Und es ist daher ein tiefes Mißverständniß der organischen Idee des Staates, jene innige Beziehung des Amtswesens zum Königthum nicht zu wollen oder gar anzugreifen. Wo das Amtswesen sich innerlich vom Königthum trennt, da ist nicht bloß Desorganisation, da ist eine tiefe, oft unheilbare Krank- heit im innersten Wesen des Staats vorhanden, und die Herrschaft der Sonderinteressen nahe bevorstehend. b) Die Elemente seiner Geschichte. Auf dieser Grundlage beruht nun auch die Geschichte des Amts- wesens im Ganzen, und indem wir jedem Theile des Amtswesens wieder seine Geschichte vindiciren, können wir eben für das Ganze nunmehr jene Grundzüge auch leicht bezeichnen. Das Amtswesen entwickelt sich aus dem königlichen Dienste in der Zeit, in welcher das Königthum sich an die Spitze der Gesammt- interessen des Volkslebens stellt, und der königliche Dienst scheidet damit zwei Elemente, den eigentlichen Dienst des Königthums und das Amt. Nur muß man diese Gränze eben so wenig scharf ziehen wollen, als man das Gesammtinteresse von dem Sonderinteresse scharf trennen kann. Dennoch hat diese Sache ein festes Kriterium. So wie in der ständischen Ordnung der dritte Stand als der noch recht- und machtlose auftritt, schließt er sich als das Bürgerthum sofort an das Königthum. Damit zuerst erhält das letztere gleichsam eine Substanz für seine allgemeine Stellung, und die königlichen Dienste, welche Recht und Interesse des dritten Standes im Namen des Königs vertreten, bilden den Kern des ursprünglichen Beamtenstandes. Dieser Anfang ist noch sehr unklar und ungleichmäßig. Er gewinnt erst Gestalt, wo mit den Landständen die königliche Aufgabe eine bestimmtere wird. Der königliche Dienst hat jetzt diesen Ständen gegenüber schon die Idee des Staats zu vertreten; die Scheidung zwischen den Organen der Gesellschaftsordnung und der Regierung bildet sich aus; es sind mit den Ständen und den königlichen Räthen oder Abgeordneten schon zwei Systeme der Staatsgewalt vor- handen; jedes derselben hat seinen Boden und sein Recht und Ziel, und der Kampf zwischen beiden beginnt. In diesem Kampfe wird nun das Königthum gezwungen, seine ihm eigenthümliche Macht, das Amtswesen, allmählig zu einem ein- heitlichen Ganzen zu organisiren. Es breitet sich durch dasselbe nach allen Seiten hin aus und nimmt das ganze Leben des Volkes in sich auf. Je weiter es aber geht, um so hartnäckiger wird der Widerstand der herrschenden Klasse. In dem Gefühle, daß es sich hier nicht um einzelne Rechte, sondern um die ganze ständische Herrschaft handelt, wird jeder Punkt dieses Rechtes von der letzteren auf das Aeußerste vertheidigt. Und hier zeigt es sich nun, daß es sich dabei nicht etwa um Macht gegen Macht, sondern um Princip gegen Princip handelt. In der That nämlich treten die Diener des Königthums zunächst nur als Vertreter des persönlichen Willens gegen das historische Recht der Stände auf. Das aber kann nicht genügen; sie bedürfen eines eigenen Rechtstitels, um dem an sich unzweifelhaften Rechtstitel der ständischen Herren ein Gegengewicht zu geben. Das Aufstellen dieses Rechtstitels ist eine der wichtigsten Erscheinungen im Staatsleben Europa’s. Er ist nicht plötzlich entstanden, und auch nicht objektiv formulirt; aber er hat dem Theile der königlichen Gewalt, welche eben mit dem allgemeinen Interesse zu thun hat, erst das Wesen des Amts gegeben. Die nun entstehende Beamtenwelt nahm ihn theils aus dem römischen Recht, das dem Königthum das jus imperii gab, theils aus der Bibel, welche die Obrigkeit als eine göttliche Ordnung anerkennt. Das erste gab dem Rechtstitel die Form, das zweite gab ihm den ethischen Inhalt. Der Diener des Königs erhob sich dadurch über das Stadium des bloßen Dienstes; er trat gleichsam in den Dienst einer Idee; das Königthum war ihm das personificirte Haupt derselben, das Recht des Königthums nicht so sehr ein persönliches Recht des Königs, als ein Recht der Staats- idee; beide, Königthum und Amtswesen, schöpfen ihr Recht aus der- selben Quelle; und das ist es, wodurch allmählig aus dem Diener des Königs ein Beamteter wird. Den Wendepunkt aber bezeichnet das Auf- treten des Wortes: „Obrigkeit.“ Der Begriff der Obrigkeit ist mit dem des bloßen Dienstes unvereinbar: es ist kein organischer, sondern ein ethischer Begriff. Das Fundament des Amtswesens ist gelegt. Wir können sagen, daß die erste Epoche vollendet ist. Es ist das Ende des sechzehnten, der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. In der That ist aber diese Epoche nur der Anfang der Entwicklung. Zwar ist das Rechtsprincip des Beamtenwesens klar, aber es ist weder faktisch noch rechtlich anerkannt. Die Idee des Staats, die in ihm lebendig ist, strebt nach allgemeiner Geltung. Den Ausdruck derselben bildet das Königthum. Das Königthum als solches nimmt also, nach- dem es jetzt das organische Haupt des Staates ist, die Staatsgewalt in die Hand, und beginnt den Kampf mit dem Ständethum. Bei dem tiefen Gegensatze des Rechtstitels, dem gesellschaftlichen und dem staat- lichen, ist eine Vereinbarung nicht möglich. Es handelt sich einfach um Unterwerfung. Die Frage nach dem Königthum wird zur Machtfrage des Königs. Und hier ist es nun, wo das junge und kräftige Amts- wesen dem Königthum mit seiner ganzen Kraft zur Seite steht. Es ist durchdrungen von dem Bewußtsein, daß nur die Einheit aller Organe des Königthums zum Siege führen kann. Es unterwirft sich daher selbst dem persönlichen Willen des Königs; es läßt sich organisiren; es lernt gehorchen . Der Gehorsam des Amts gegen das höhere Amt, der Gehorsam, aller Aemter gegen den Willen des Königs wird als erste und absolute Bedingung in dem Kampfe der Staatsidee mit dem gesellschaftlichen Recht anerkannt. Dabei freilich beginnt der Keim der Selbständigkeit, welcher in der Idee der Obrigkeit liegt, zu verschwinden; die theoretischen Fragen, wie weit der Gehorsam gehe, wenn das König- thum befiehlt, und die ursprünglich so viele Gemüther beschäftigt, werden unmerklich zur Seite geschoben und als eine, das Wesen der Sache nicht mehr berührende Casuistik angesehen; die Hauptsache ist Gehorsam gegen das Königthum, um Gehorsam vom ganzen Volke fordern zu können. Mit diesem Princip und der aus ihm entstehenden Disciplin siegt das Königthum. Es verdrängt zuerst die gesellschaftlichen Körper aus der Gesetzgebung, indem die Landtage seit dem Beginne des acht- zehnten Jahrhunderts verschwinden; es verdrängt dieselbe weiter aus allen Gebieten der Verwaltung und setzt die Herrschaft der Diener des Königs an die Stelle der körperschaftlichen Organe. Jede Opposition dagegen ist Opposition nicht bloß gegen den König, sondern gegen das göttliche Recht, gegen die Staatsidee und ihre Mission; sie ist es im Ganzen, sie ist es im Einzelnen. Der persönliche individuelle Gehorsam gegen den König, die Auflösung der Rechtstitel gegenüber dem König- thum durchdringt allmählig vom Beamtenthum aus die ganze Nation; Individuen sowohl als Körperschaften nehmen ihn zuerst als Thatsache, dann als eine Pflicht an, und gipfeln diesen Proceß in der Idee des Ruhmes des Gehorsams; der Staat ist allmächtig, die Gesellschafts- ordnung ist willen- und rechtlos, und der König ist wirklich der Staat . Nie war ein Wort wahrer, als dieses. Es gibt nichts , das nicht dem persönlichen Staate persönlich angehörte. Die Machtfrage ist entschieden, die Rechtsfrage ist nicht mehr Gegenstand des Zweifels, es ist die Epoche der souveränen königlichen Gewalt. Stein , die Verwaltungslehre. I. 19 In dieser Epoche nimmt auch Recht und Thätigkeit des Amtswesens eine andere Gestalt an. Schon im siebenzehnten Jahrhundert hat die entstehende Rechtsphilosophie die vage Vorstellung von einem göttlichen Rechte überwunden, und nach Gründen des Rechts und nach Zwecken des Staats gesucht. Die Anschauungen, die sich um dieß Streben krystallisiren, legen schon jetzt die Idee des Gemeinwohls, die salus publica zum Grunde; die Regeln, nach welchen es erzielt werden soll, empfangen in ihrer Gesammtheit ihre Namen nach der Staatskunst der Alten; die Politik soll die Aufgabe der königlichen Organe sein. An diesen Namen schließt sich der der Polizei. Bei der Polizei fängt die innere Thätigkeit der Monarchie an; die Polizei ist kein juristischer, auch kein ethischer Begriff, sondern er ist ein staatswissenschaftlicher. Er bezeichnet die Aufgabe des Königthums im Innern; er ist die Thätigkeit des Staats in seinen Organen. Und wie der Staat selbst, so hat auch er die Allgewalt, weil er die allgemeine Aufgabe ausspricht; er ist das Kriterium dieser Epoche, und in der Polizeiherrschaft besteht die erste Form einer wirklichen, das Ganze umfassenden und im indi- viduellen Willen des Königs concentrirten Regierung. In dieser Epoche nun hat sich während der Vernichtung der gesell- schaftlichen Gewalten nur Eins erhalten. Das ist das Bewußtsein der einzelnen freien Persönlichkeit. Sie ist als solche von dem Principe des polizeilichen Gehorsams zwar unterdrückt, aber nicht zerstört. Sie beginnt sich Bahn zu brechen, und zwar zuerst in den Philosophien des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Revolution gewinnt sie festen Boden und Gestalt; in der Industrie gewinnt sie die ihr entsprechende Form des Besitzes; und so tritt die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung ins Leben, welche das gegenwärtige Jahrhundert beherrscht. Sie erzeugt sofort auch eine neue Gestaltung des Amtsbegriffes mit der neuen Idee des Staates, die aus ihr hervorgeht. Die Grundlage dieser Epoche, die freie Persönlichkeit, fordert zuerst und vor allem die Gleichheit Aller gegenüber dem Staate, aber auch das Recht jedes Einzelnen, den Willen des Staates seinerseits mit zu be- stimmen. Das philosophische Princip der Gleichheit aller Staatsbürger wird zum juristisch-administrativen Princip der Gleichheit ihrer Interessen. Die Gleichheit der Interessen fordert aber, daß der Träger dieser Gleich- heit, der Staat, auch auf jedem Punkte berechtigt und verpflichtet sei, diese Gleichheit zu wahren. Damit geht der entscheidende Proceß vor sich, durch welchen die Organe des Staats das ausschließliche Recht empfangen, die Regierung und Verwaltung als ein Ganzes in die Hand zu nehmen. Es gibt keine andere Quelle eines öffentlichen Rechts und einer öffentlichen Funktion mehr, als den Staat; jede Verbindung einer solchen Funktion mit dem bloßen Besitze ist beseitigt; das gesammte Leben des Staats ist Ein großes, organisches Ganze, und jedes Organ ist jetzt ein Amt des Staats; der alte Gegensatz zwischen dem ständischen Recht und dem Amte ist daher verschwunden; an die Stelle des Begriffes der Hoheitsrechte tritt der Begriff und das Recht der Regierung . Allein diese Regierung hat zu ihrem Gegengewicht jetzt zwar nicht mehr die ständischen Körperschaften, wohl aber die Gesammtheit des Volkes in der Volksvertretung. Die Volksvertretung ist jetzt die gesetz- gebende Gewalt, und an den Unterschied beider knüpft sich eine Orga- nisation von Rechtsverhältnissen, welche wir unter dem Ausdruck der Verantwortlichkeit zusammenfaßten. Die verantwortliche Regierung ihrerseits ist vorhanden im Amtswesen. Die Verantwortlichkeit, als die ethische und juristische Verpflichtung, in den einzelnen Funktionen der Staatsorgane den Geist der Gesetze zu verwirklichen, gibt den einzelnen Organen ein neues Element. Sie dienen jetzt, da die Staatsgewalt die gesellschaftlichen Körper bewältigt hat, nicht mehr dem Bedürfnisse der ersteren nach Macht, und sind daher auch nicht mehr unbedingt an den individuellen Willen ihres Hauptes gebunden. Sie stehen jetzt gegenüber einem organisch gebildeten Staatswillen; sie sind Organe desselben und ihm verantwortlich. Und diese Verantwortlichkeit ist es, welche jedem dieser Organe eine gewisse Selbständigkeit verleiht; denn der Staat, dem sie dienen, erschöpft sich nicht mehr wie einst in Einer Person und ihrem Willen. Dieß Verhältniß bezeichnen wir mit einem Worte: es ist die Verfassungsmäßigkeit. Und das Staatsorgan, auf der Verfassungsmäßigkeit ruhend, ist jetzt erst das Amt im gegen- wärtigen Sinn des Wortes. So stehen jetzt der Begriff und das Recht des Amts auf der Grundlage des Staatsbegriffes; mit der Entwicklung des Staatslebens aber entwickelt sich auch der äußere Organismus des Amtes, frei von den Hemmnissen der ständischen Rechte. Erst jetzt erscheint diese Orga- nisation als eine auf der dauernden Natur des Staates beruhende, und daher einerseits selbst dauernde, andererseits eben darum auch allenthalben gleichartige. Nicht mehr die Bedürfnisse und Bestrebungen des Königthums nach seinem speziellen Rechte gegenüber den ständischen Rechten bestimmen die Eintheilungen und den Zusammenhang jenes Organismus, sondern die Ordnung der wirklichen großen Lebensverhält- nisse; das Amtswesen erscheint daher jetzt als ein System , und will als solches betrachtet werden. Das Systematische ist charakteristisch für diese Epoche, denn es geht aus der an sich ewig organischen Einheit des wirklichen Lebens hervor, an das es sich anschließt. Andererseits schließt das Amt die freie Selbstthätigkeit des Staatsbürgerthums auch in der Regierung nicht aus. Es nimmt im Gegentheil die Selbst- verwaltung und das Vereinswesen als gleichberechtigte Organismen an, und so reiht es sich in das Gefüge des Ganzen als ein selbständiges Gebiet, das nicht mehr mit der Staatsidee gleich und ausschließlich be- rechtigt ist, sich für den Körper derselben zu erklären, wohl aber be- rufen, auf allen Punkten im Namen der Staatsidee das Gesammt- interesse gegenüber dem Sonderinteresse zu vertreten. Das nun hat hier eine andere Bedeutung als in früherer Zeit. Die gesetzgebende Gewalt ihrerseits ist eben so wenig der ganze Staat, als es die vollziehende ist. Gebildet aus dem Volke, vertritt sie naturgemäß den Willen, aber auch die Interessen und Auffassungen der Parteien und Richtungen im Volksleben. Eben darum hat sie das Recht , verschiedene Ansichten zu haben und zur Geltung zu bringen; es entspricht ihrer Natur, daß sie in ihrer Arbeit nur formell zur Einheit gelangt, und daß das Princip dieser Einheit nicht die Ueberzeugung, sondern das mechanische Moment der Zahl ist. Das Recht der Majorität muß nothwendig und unter allen Umständen das Recht der Ueberzeugung ersetzen. Die Re- gierung dagegen, indem sie jetzt den Staat als persönliche Einheit ver- tritt, darf ihre eigene Thätigkeit nicht als eine bloß formelle Einheit setzen. Sie muß innerlich eins sein, um in dem Kampfe individueller Ansichten der Volksvertretung das wirkliche Leben des Staats als ein wesentliches und persönliches vertreten zu können. Das ist der Punkt, auf welchem sie in die Verfassung hineintritt, und auf dem die Macht der- selben beruht. Und darum sehen wir nun in dem gesammten Organismus des Staatsamtes diese Forderung eine der großen Grundlagen des ganzen Rechtes des Amtswesens bilden, während andererseits das Recht der freien Persönlichkeit auch im Beamteten sich Geltung verschafft. Das Amtswesen ist daher jetzt kein einfaches Ganze mehr; es ist aus dem Zusammenwirken der verschiedenen obigen Elemente entstanden, und seine Betrachtung bildet daher jetzt ein selbständiges, hochwichtiges Gebiet der Staatswissenschaft. Dieß sind nun die allgemeinen ethischen und historischen Grund- lagen des Amtswesens; aus ihnen ist dasjenige hervorgegangen, was wir das staatsrechtliche Wesen des Amts nennen müssen, und das wir um so mehr hier zu bezeichnen haben, als es zu denjenigen Theilen gehört, in welchen sich die Individualität der großen Staatsbildungen in erster Reihe charakterisirt. c) Das staatsrechtliche Wesen des Amts. Das Amt in England, Frankreich und Deutschland. Ist nun auf diese Weise das Amt nicht bloß formell und mecha- nisch, sondern seinem inneren Wesen nach ein lebendiges und selbständiges Glied des Staats, so muß es auch diesen Staat innerhalb seines Kreises vertreten. Es muß zu dem Ende das Recht der Regierungs- gewalt für sein bestimmtes Lebensgebiet ausüben, d. i. es muß die Ver- ordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt für seine spezielle Aufgabe besitzen; und dieß Recht auf diese, durch die Aufgabe des Amtes selbst gegebene Maß jener Gewalten nennen wir die Competenz des Amtes. Diese Competenz wird aber aus einer bloß formalen zu einer organischen, wie wir schon bei der Darstellung der Competenz gesagt haben, daß es der Organisation nicht möglich ist, alle Fälle und Ver- hältnisse der Competenz im Vorhinein zu bestimmen; das Amt hat das Recht, sich seine Competenz selbst zu setzen, unter amtlicher und privater Verantwortlichkeit für die Ueberschreitung derselben. Gerade darin be- steht die Theilnahme an der vollziehenden Gewalt und die Erhebung über Mandat und Dienst; es gibt kein Staatsrecht eines Amtes ohne dieses Recht desselben. Aus demselben Grunde ist das Amt ein dauern- des . Es ist mit dem Satze gegeben, daß die Lösung einer Aufgabe nicht von der Willkür der Organisationsgewalt abhängt, sondern vom Staatsbegriff selbst gesetzt ist. Die Organisation kann Namen und Competenz, aber nicht die Nothwendigkeit des Amtes ändern; es ist ein organischer Theil des Staats. Und wie daraus wieder die Nothwendig- keit des Berufes für den Dienst des Staats hervorgeht, so erzeugt dasselbe andererseits das Recht der Staatsdiener, das eben dadurch nicht mehr ein bürgerliches, sondern ein öffentliches Recht ist. Deßhalb kann es keinen wahren Staatsdienst geben, ohne daß das Recht der Staatsdiener den Charakter und die Stellung eines Theiles des öffent- lichen Rechts habe. Gerade darin, daß diese Rechtsverhältnisse jeder Privatwillkür entrückt sind, erscheint die staatliche Funktion des Amts, durch welche es den ganzen Staat innerhalb seiner Competenz vertritt; durch dieß öffentliche Recht erst empfängt es das charakteristische Moment der Regierung, die Selbständigkeit, welche die Vollziehung gegenüber der Gesetzgebung fordern muß, und die sich in der äußerlich begränzten, innerlich freien Benutzung der drei Gewalten zeigt. Das Kriterium des Verständnisses des Amts liegt daher darin, daß das Recht desselben einen selbständigen Theil der Verfassung bilde. Denn eben diese Selb- ständigkeit des Amtsrechts drückt in der That diejenige der Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung aus, die das Wesen jeder Verfassung und den Inhalt des Staatslebens bildet. Und so kann man jetzt sagen, daß das staatsrechtliche Wesen des Amtes die Aufnahme desselben in das verfassungsmäßige Staatsrecht bilde. Gerade auf diesem Punkte sind nun die drei großen Culturvölker wesentlich verschieden geartet. Es leuchtet ein aus dem Obigen, daß die allgemeine Voraussetzung des wahren Amtes in der Selbständigkeit der Vollziehung und Regierung gegenüber der Gesetzgebung, aber andererseits auch in dem organischen Proceß liegt, der beide Elemente wieder in Harmonie bringt. Nirgends erscheinen diese Grundlagen des verfassungsmäßigen Staatslebens so greifbar, als im Amt. Sein Recht ist in Wahrheit das Maß des letztern. Daraus ergibt sich, weßhalb es in England eigentlich kein Amt im wahren Sinne des Wortes gibt noch geben kann. Denn in Eng- land hat die Verwaltung, vor allem die des Innern, gar keine Selbst- thätigkeit gegenüber der Gesetzgebung. Sie hat grundsätzlich kein Recht als das, die gegebenen Gesetze zu vollziehen; ja ihre einzelne Vollziehung ist selbst immer nur die Exekution eines Richterspruches, und die Ver- antwortlichkeit des Beamteten ist nur eine juristische; sie ist keine ethische, und kann es nicht sein. Es gibt daher in England keinen Beamten- stand; es gibt keinen Beruf für das Amt; es gibt nicht einmal ein Richter amt , sondern die Geschwornengerichte sind in der That die Aufhebung des selbständigen ethischen Beamtenstandes im Richterthum. Es gibt daher auch kein Amtsrecht; es gibt zwar Herkommen, das man hält, aber kein Gesetz, das man halten muß. Wesentlich wirkt dazu die Selbstverwaltung. Sie hat ihrerseits die Gesetzgebung zwar über sich, aber nichts anderes . Sie gehorcht nur dem Gesetz, niemals dem Gesammtinteresse als solchen, soweit es nicht ihr eigenes ist. Das Ge- sammtinteresse hat eben kein Organ für sich; es ist niemanden außerhalb den Volksvertretern die sittliche Pflicht auferlegt, dasselbe zu verstehen und zu vertreten. Daher ist der Beamtenstand, wenn man von ihm überhaupt reden will, ein höchst unvollkommener in England; vielleicht der unvollkommenste in ganz Europa, und nur die Tüchtigkeit des In- dividuums ist der Schutz gegen all das Uebel, das daraus entsteht. England beginnt das zu begreifen; man sieht deutlich das Ringen nach der Herstellung des wahren Beamtenthums; aber es wird noch viel sich mühen und viel im Einzelnen leiden, ehe es dahin gelangt. Und wieder ist Frankreich das Gegentheil. In Frankreich ist die Verwaltung nicht bloß eine große, sondern sie ist eine zu große Macht. Sie ist ein innerlich festgeschlossenes Ganze; sie läßt nicht ein- mal das Gesetz in ihre Thätigkeiten hineingreifen; sie entscheidet mit grundsätzlicher Ausschließung des Gerichts nur selbst, und ganz einseitig über den Beamteten. Der Einfluß der Gesetzgebung auf das Einzelne in der Verwaltung existirt daher nicht; da wo die Ausführung beginnt, beginnt auch der Grundsatz, daß der einzelne Beamte nur dem höheren Organe verantwortlich ist. Die Folge ist, daß zwar für die Regierung als Totalität, nicht aber für den Beamteten das verfassungsmäßige Recht gilt. Er ist nichts , als das einfach ausführende Organ der höhern Stellen. Er hat daher keine Selbständigkeit und keine Selbst- thätigkeit, und er kann keine haben; seine höchste Gewalt ist nicht mehr das Gesetz, sondern der Ausspruch des Conseil d’État . Daher kennt er auch keinen Beruf und keine individuelle ethische Aufgabe; er ist ein nur gehorchendes Organ, und braucht nichts zu verstehen, als eben den Gehorsam. Eine öffentlich rechtliche Selbständigkeit desselben gegenüber der höheren Behörde ist daher hier undenkbar; er kann gar kein staatliches Recht haben; er ist nur ein dienendes Glied des Ganzen. Und das liegt so tief im Wesen der ganzen französischen Staatsbildung, daß, wie wir gesehen, selbst die Revolution es nicht zu ändern ver- mocht hat. Auf diesem Punkt nun ist es, wo Deutschland entschieden über England wie über Frankreich steht. Es hat, wir möchten sagen, von jeher das lebendige Bewußtsein von dem wahren Wesen des Amts ge- habt, und hat in gleicher Weise dieß Bewußtsein zum Recht ausge- bildet. Nur in Deutschland fordert das Volk, daß der Beamtete mehr vertrete, als den bloß dienenden Gehorsam, wie in Frankreich, und daß er mehr verstehe, als ein Urtheil zu fällen, wie in England. Er soll die wahren, höchsten Interessen des Lebens in sich tragen; er soll sie verwirklichen, selbst gegenüber der höheren Behörde. Er ist in Deutsch- land der örtlich erscheinende, örtlich thätige Staat; er ist nicht bloß eine Macht, er ist eine sittliche, er wird dadurch eine sittigende Potenz. Er ist im wahren, noch unverfälschten Volksbewußtsein der natürliche Vertreter des gemeinsam Guten und Nothwendigen, er ist sittlich den Untergebenen verantwortlich, daß das Wahre und das Beste geschehe. Daher ist er auch der Träger der Bildung, und muß selbst gebildet sein; es widerspricht dem deutschen Volksbewußtsein, daß der Beamtete nichts anderes sei und nichts anderes verstehe und zu würdigen wisse, als der Bürger. Seine Ehre besteht darin, daß er den Muth einer Meinung auf die Gefahr seiner Stellung habe; sein Lohn zum großen Theil in dem Bewußtsein, das eine solche Ehre gibt. Es ist darum der Mühe werth, in Deutschland ein Beamter zu sein; es ist dadurch erklärlich, daß das Beamtenthum einen Beruf hat und einen Stand bildet; es ist nothwendig, daß es zu dem Ende ein selbständiges öffent- liches Recht besitze. Das Amtswesen ist dadurch in Deutschland nicht bloß ein fester Organismus, sondern auch ein selbständiges Gebiet des öffentlichen Rechts. Es ist das schon früher gewesen; keine Umgestaltung des Staatsorganismus hat das je ändern können und wollen; im Gegentheil hat sich aus allen Umwälzungen nur der Gedanke heraus- gebildet, daß das Amt in Organismus und Recht ein Theil der Verfassung sein, und daß die Gesetzgebung diese Standespflichten und Standesrechte der Beamteten nach allen Seiten hin aufrecht zu halten habe. Die Theorie hat das nicht geschaffen; aber man muß ihr zur Ehre nachsagen, daß sie es verstanden, gefördert und gefestigt hat. Und einen großen Schatz besitzt Deutschland in dieser seiner, ihm eigen- thümlichen und hoffentlich unverlierbaren Idee des Beamtenthums. Dasjenige nun, was wir den Inhalt des Amtswesens nennen, wird erst auf der Grundlage dieser großen, wenn auch allgemeinen Thatsachen recht klar werden. Denn in der That sind alle einzelnen Sätze des Folgenden doch nur die Consequenzen jener Elemente; aus ihnen haben sie sich gebildet, und auf sie müssen sie zurückgeführt werden. Unsere Darstellung kann natürlich daher nur einen ersten Versuch bilden. Das englische Amtswesen hat in der That noch niemand verstanden als Gneist ; selbst Vincke in seiner Darstellung der inneren Verfassung Großbrit- tanniens hat kaum Andeutungen. Die übrigen Deutschen, die mehr beiläufig auf die Sache kommen, sehen eigentlich nicht viel mehr darin, als entweder das Recht der gerichtlichen Verantwortlichkeit des Beamteten, oder die Selbstwahl desselben, wobei noch in der Regel der Friedensrichter ganz mißverstanden und als ein Beamteter der Selbstverwaltung angesehen wird. Erst Gneist hat das wahre Wesen der Sache erfaßt, denn er ist der Erste, der es mit deutschem Leben in Vergleichung zu bringen die Kraft hatte. Es bleibt uns nichts übrig, als auf sein Werk und namentlich den Schluß des ersten Bandes hinzuweisen. Es ist sehr bezeichnend für Frankreich, daß es trotz der großen Ausbildung des droit administratif keine Darstellung des Amtswesens und des Amtsrechts hat. Die französische Sprache hat eigentlich auch kein Wort für Amt und Be- amteten, denn es entspricht weder der Ausdruck Magistrature, das dem Wort Obrigkeit am nächsten kommt, noch fonctionnaire, noch employé. Es gibt daher auch keine Gesetzgebung über das Staatsdienerrecht; die betreffenden übrigens sehr reichhaltigen Gesetze beziehen sich nur auf die Organisation und die Com- petenz. Frankreichs Amtswesen kann überhaupt nur in inniger Verbindung mit dem ganzen Verwaltungsrecht verstanden werden. Einen Versuch, den Geist des Amtswesens in Frankreich und seine Geschichte darzustellen, enthält die schöne Abhandlung von Barante , Questions constitutionnelles (1849) Ch. IV. des emplois publics. Das gegenwärtige Recht ist mit großer Klarheit aufgestellt in Block , Dictionnaire de l’Administration v. fonctionnaires . Daß dagegen in Deutschland das Amt Gegenstand einer großen und ein- gehenden Literatur geworden, liegt schon in dem deutschen Wesen desselben. Und es ist selbst bei untergeordneten Arbeiten auf diesem Gebiete merkwürdig, wie groß die Uebereinstimmung in der Grundauffassung, in Philosophie und Staatsrecht ist, so lange und so weit beide sich überhaupt mit dem Gegenstande beschäftigen. Schon im siebzehnten Jahrhundert, und zwar gerade zu der Zeit, wo das Recht des Volkes auf Theilnahme an der Gesetzgebung untergeht, sehen wir neben dem allgemeinen Begriff der „Obrigkeit“ auch das klare Bewußtsein von der ganzen Stellung in dem Rechte des Amts entstehen. Es löst sich vom bloßen königlichen Dienste los, nicht aber vom Königthum; es trägt das Be- wußtsein in sich, die Aufgabe und damit das Recht des Staats zu vertreten. Es erzeugt daher schon damals eine selbständige Literatur im Staatsrecht und diese nimmt gleich anfangs dieselbe Grundlage wie die gegenwärtige. Im Grunde genommen haben wir noch immer keine bessere Definition, und brauchen eigentlich auch keine, als die, welche Myler ab Ehrenbach , Hyparchaeologia 1678, gibt (I, 5.): Magistratus sive officialis etc. Praefectus societatis cui a Maje- state, aut ab eo qui publica regendi potestate pollet, sub certo salario concesso est potestas de negotiis Reipublicae cognoscendi, judicandi etc. — ad utilitatem regendae Reipublicae , ut ipsum imperantem in oneribus rei- publicae sublevet“ — da ist der ganze Begriff des Amts, und wesentlich seine Vertretung der Funktion des Staats deutlich ausgesprochen. Moser hatte die schwierigere Aufgabe, in dem „Landesdiener“ das Amt seinem Wesen nach durch „seine Pflichten gegen das Land“ vom fürstlichen Diener zu unterscheiden; aber der Gedanke war derselbe. Das Bewußtsein von der Sache stand so fest, daß das Preußische Allgemeine Landrecht ( II, 10) ihm zuerst gesetzlichen Ausdruck gab. Die folgenden Zeiten haben am Wesen der Sache nichts geändert, im Grunde nur gebessert. Zwar begriff die Rechtsphilosophie nichts von der Sache; die einen, wie Kant, Herbart und neuestens Rößler , kamen gar nicht in den Staat hinein, die andern wie Hegel kamen nicht aus ihm heraus, so daß namentlich der letztere vom Amt nichts begreift, als daß es eine Arbeitstheilung sei (Rechts- philosophie §. 290 ff.). Dagegen haben Stahl (Rechtsphilosophie Bd. II, 11. Abtheil. Staatsämter) und in neuester Zeit Fichte (System der Ethik, II, 11. Abtheil. §. 139) das höhere ethische Element in der Philosophie wieder zur Gel- tung gebracht, indem sie den Begriff von Beruf und Stand auf das Amtswesen anwenden. Nur war ihnen die deutsche Gesetzgebung lange voraufgegangen. Wie tief und richtig namentlich die preußische Gesetzgebung unter Stein die Sache erfaßt, zeigt vor allem der Eingang zur Verordnung vom 16. Dec . 1808. Nach ihm sollen „die Beamten nicht wie bisher todte Werkzeuge in der Hand der Fürsten sein, welche ohne eignen Willen die Befehle derselben ausführen, sondern selbstthätig und selbständig mit voller Verantwortlichkeit die Geschäfte besorgen;“ ihr eigentlichstes Wesen beruht darnach in der Verpflich- tung „zur Arbeit für den Staat im Sinne des Königs.“ Man muß ge- stehen, daß diese Gesetze die Theorie weit überholten; sie haben ihr aber eine geistige Auffassung über das Wesen des Beamtenstandes beigebracht, welche namentlich in Preußen dauernd geltend geblieben ist. Siehe Perthes , Staats- dienst in Preußen, S. 30 ff. Dieser Erscheinung entspricht im süddeutschen Staats- leben die Thatsache, daß gleich mit dem Entstehen der Verfassungen das Staats- dienerrecht und Amtswesen in die Verfassungsurkunden unmittelbar aufgenommen werden. Das Staatsdienerrecht ist förmlich ein immanenter Theil der Ver- fassungen, und neben den Bestimmungen der Verfassung bestehen fast in allen Ländern noch eigene Gesetze über den gesammten Staatsdienst und seine Rechte, die mit einer Uebereinstimmung abgefaßt sind, welche bei der tiefgreifenden Ver- schiedenheit des Verfassungsrechts und namentlich bei der Unklarheit über die Verwaltungsjustiz nur aus dem von uns bezeichneten Grundzug in der ganzen deutschen Auffassung erklärt werden können. Es ist auch dem entsprechend der Begriff und seine Geschichte so genau untersucht und so festgestellt, daß wir wohl auf diesen Theil des Staatsrechts vorzugsweise stolz sein dürfen, wenn gleich die obenbezeichnete Unbestimmtheit über Klag- und Beschwerderecht in dem einzigen Punkt der Haftung der Beamteten noch etwas unentschieden läßt. Der alte Grundgedanke aber, daß das Amt ein Beruf , und das Amtsrecht daher ein öffentliches Recht eines Berufes und nicht ein einfaches Befehlsrecht eines Organs gegenüber dem andern sei, zieht sich mit großer Bestimmtheit herrschend durch alle Darstellungen hindurch. Wir wollen daher nicht damit rechten, daß namentlich in den deutschen Staatsrechten das ganze Gebiet keine systematische Stellung gefunden hat, und trotz Mohl und Pötzl , die es allein richtig unter den Organismus stellen, auch noch in den Territorialrechten nicht; die Bearbeitungen selbst sind unabhängig davon. Schon Bülau (Behörden S. 85 ff.) bringt die Staatsbeamten unter die Behörden, gibt übrigens eine sehr gute Darstellung des ganzen Wesens und des Rechts des Amts, auf die Begriffe von Beruf und Amt gestützt; die constitutionellen Staatslehrer lassen sie ganz weg, wie Aretin ; andere wie Mohl (Encyklopädie S. 244) sehen nur das Staatsdienerrecht, wie denn überhaupt das letztere den Hauptausdruck der Auffassung aus historischen Gründen bildete; aber eine irgendwie wesentliche Ver- schiedenheit der Auffassung kommt nicht vor; der einzige Haller (Restauration des Staatswesens I. 513, und II. 241) fällt in die rohe Vorstellung des un- freien Dienstes zurück — eine Richtung, die auch nicht einmal die Romantik zu acceptiren wagte. Wir dürfen daher hier verweisen auf Zöpfl (Deutsches Staatsrecht II. §. 514 ff.) der sehr klar in den Begriffen und sehr juristisch gründlich in der Ausführung ist, neben ihm auf Zachariä (Deutsches Staatsrecht II. 133 f.), der mit freiem Blick die Frage auffaßt. Der letztere hat speziell die Zusammenstellung der Gesetze , welche theils in der Verfassungs- urkunde, theils in einzelnen Gesetzen über den Staatsdienst erlassen sind (S. 22. 23.), genau aufgeführt. Wir möchten hier nicht abschreiben. II. Das System des amtlichen Organismus. Wesen und Princip desselben. Die beiden Kategorien. Das System des amtlichen Organismus entsteht, wenn das Wesen des Amts an sich feststeht, dadurch, daß die Summe der einzelnen an sich unendlich verschiedenen Aufgaben, welche die Regierung durch ihre amtlichen Organe löst, wieder als eine Einheit erscheint und die Organe als solche funktioniren. Es enthält daher in seiner Entwicklung die beiden Sätze, daß einerseits keine wahre Staatsaufgabe ohne ihr eigenthümliches Amt mit der ihm entsprechenden Competenz bleiben darf, und daß andererseits dennoch in allen diesen Aemtern derselbe Wille thätig sein muß. Das System in diesem Organismus ist daher an sich ein nothwendiges Element des Staats. Allein das wirkliche, geltende System, die wirkliche Vertheilung der Aemter, sowie ihr Zusammenhang unter einander, scheinen den- noch etwas zu sein, für welches man keine allgemeinen, durchgreifend geltenden Grundsätze aufstellen kann. Denn einerseits geht dasselbe aus der freien Organisationsgewalt des Staatsoberhaupts hervor, anderer- seits wird es auf allen Punkten durch die Zweckmäßigkeit beherrscht, und diese wird in jedem Staate etwas anderes fordern. Das System des amtlichen Organismus erscheint daher überhaupt nicht als ein Gegenstand der Wissenschaft, sondern nur der Statistik, oder aber der Darstellung des einzelnen positiven Staatsrechts. Und so ist es gekommen, daß bisher — mit der Ausnahme einer kurzen Epoche, die wir unten charakterisiren — die ganze Frage nach dem amtlichen Organismus überhaupt aus den Lehren des Staats und des Staatsrechts verbannt geblieben ist. Dennoch wäre es wohl wunderbar, wenn in einem so strenge ge- gliederten organischen Leben, wie dem des Staats, ein so unendlich wichtiges Gebiet, wie das des Staatsorganismus, nicht auf bestimmten und erkennbaren Gesetzen und Gründen beruhen sollte. Denn dasselbe enthält ja doch die Ordnung des Staatslebens und die Vertheilung seiner Kräfte, und damit eine der wesentlichsten Bedingungen seiner gesammten Wirksamkeit. Ist es denkbar, daß hier Willkür und Zufall walten sollte? In der That nun auch ist das nicht der Fall. Die Aufgabe des Folgenden ist es, auch den Amtsorganismus als Gegenstand wissen- schaftlichen Verständnisses zu erfassen, und ihn damit der allgemeinen Staatslehre als einen keinesweges unwichtigen Theil zu vindiciren. Freilich muß man auch dabei die gegebenen Thatsachen einen Augenblick von dem Standpunkt der Ursachen betrachten, welche sie erzeugt haben. Der Amtsorganismus hat den Staat zu verwalten; der Staat muß denselben für diesen Zweck erzeugen. Es wird daher im Allge- meinen kein Zweifel sein können, daß der geltende Amtsorganismus im Ganzen — in der inneren und äußeren Gestaltung, die er uns zeigt — von der concreten Gestaltung des Staatslebens selbst abhängt. Nun ist dieses letztere ein ganz anderes unter der Gesellschaftsordnung der Geschlechter, der Stände und der freien Staatsbürger. Und es ist natürlich, daß demgemäß auch das System des geltenden Organismus erstlich für jene drei Grundverhältnisse verschieden, zweitens aber für jedes einzelne derselben in den einzelnen Staaten gleich sein wird. Und dem ist so, und es ist die Entwicklung dieses organisirenden Principes, welches den wissenschaftlichen Inhalt des Systems des Regierungs- organismus bildet. Von ihm aus ist der Charakter jedes Staates und jeder Zeit zu bestimmen. Offenbar nun hat die Staatsform der Geschlechtsordnung keinen Regierungsorganismus, und kann keinen haben. In der ständischen Epoche dagegen ist das Objekt der Verwaltung in der Wirklichkeit die Summe der Besitzthümer und der Rechte, welche das Königthum als Vertreter des Staats besitzt. Der Organismus seiner öffentlichen Thätig- keit ist daher durch die Zahl und den Umfang, der Name der Organe durch die wirthschaftliche oder administrative Natur der Objekte gegeben. Man kann mit einem Worte sagen, daß das System der Regalien die Grundlage des Systems des Regierungsorganismus bildet; die vor- liegenden Verhältnisse des einzelnen Landes haben das dann im Einzelnen gestaltet; aber es ist kein Zweifel, daß das Studium der Verwaltungs- organe einen wesentlichen Beitrag zum Studium dieses Rechtsgebietes abgebe. Als dann mit dem Siege des Königthums die Selbständigkeit der Grundherrschaft und die Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung verschwindet, nimmt der Organismus einen höchst centralen Charakter an, und gipfelt in einem geheimen Cabinet und ersten Minister, ohne daß eine andere Regel als der Wille des Fürsten maßgebend wäre, während die Gebiete der eigentlichen Verwaltung ganz ihre frühere Ordnung behalten. Erst mit der staatsbürgerlichen Gesellschaft und der Verfassung wird das anders. Das innere Staatsleben unter der Verfassung nämlich wird von zwei einfachen Grundsätzen beherrscht, die auch in dem Organismus durchgreifen. Das sind die Gleichartigkeit und Einheit der Verwaltung einerseits, und die Verantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung andererseits. Die große Aufgabe der neuen Staatenbildung, wie sie mit der Epoche der Verfassungen entstanden sind, war es nun, einen Organismus zu bestimmen, der beiden Aufgaben zugleich zu ent- sprechen im Stande war. Es war klar, daß der frühere Organismus diese Fähigkeit nicht besaß; er geht deßhalb unter, sowie die Ver- fassungen auftreten, und an seine Stelle tritt mit dem letztern ein System, das in zwei großen Grundformen jene zwei Grundforderungen der neuen Ordnung verwirklicht. Diese beiden Grundformen sind das Ministerialsystem und das Behördensystem . Der Charakter des Ministerialsystems ist auf allen Punkten bedingt durch das Princip, daß die Ordnung der Regierung die Verantwortlichkeit möglich machen müsse; das Behördensystem dagegen hat die Aufgabe, unter dem Ministerialsystem die Gleichartigkeit und Einheit der eigentlichen Verwaltung in den örtlich und sachlich verschiedensten Verhältnissen herzustellen. Wir müssen daher sagen, daß Ministerial- und Behörden- system die nothwendigen Grundformen für die verfassungsmäßige Re- gierung sind; denn nur sie entsprechen den Forderungen derselben. Aber freilich konnte sich dabei keine Gleichförmigkeit des Organismus in allen Ländern herstellen. War die Verfassungsmäßigkeit eine verschiedene, so ward es natürlich auch der Organismus. Der innere causale Zu- sammenhang zwischen beiden hat nun wieder die Individualität der ersteren in den Grundzügen des letzteren bedingt, und so sehen wir bei wesentlicher Gleichartigkeit dennoch tiefgehende Verschiedenheiten, die am letztern Orte doch erst in der gemeinen Betrachtung der beiden einzelnen Organe auftreten. Es muß uns verstattet sein, ehe wir weiter gehen, den Charakter des Regie- rungsorganismus der drei großen Kulturstaaten hier zu bezeichnen. Es gehört nicht bloß zum Verständniß derselben, und man muß gestehen, daß man ohne diesen Knochenbau der ganzen Verwaltung im Grunde gar kein klares Bild von dem inneren Leben dieser Staaten hat, sondern es fehlt auch unseres Wissens bisher jeder Versuch, eine Vergleichung aufzustellen. In der That ist sie aller- dings unmöglich, ohne daß man den Organismus in seinem inneren Zusammen- hange mit den wirkenden Kräften des Staatslebens auffaßt. Wir haben aus- gezeichnete Arbeiten für einzelne Länder, aber das Verhältniß derselben zu ein- ander und die Möglichkeit, ihren Charakter einfach zu formuliren, fehlt uns. England . Der streng durchgeführte Unterschied des ständischen Lebens einerseits und die mächtige Thätigkeit der Selbstverwaltung andererseits haben, wie schon öfter bemerkt, weder den völligen Sieg der staatsbürgerlichen Gesell- schaft, noch die allgemeine Macht der Regierung entstehen lassen. England hat daher weder ein eigentliches Ministerial- und Behördensystem, noch kann es ein solches haben; beide sind auf englischem Boden undenkbar. Die englischen Minister sind in der That Minister der Hoheitsrechte ; zum Theil sind sie noch im Stadium des Collegialsystems (s. unten). Eben so wenig hat Eng- land Behörden im eigentlichen Sinne, sondern nur Obrigkeiten. Es ist daher auch in England der Organismus niemals Gegenstand einer selbständigen Gesetzgebung geworden, sondern nur stückweise entstanden, und die Organe sind nur aus dem Bedürfniß, nicht aus dem Princip hervorgegangen. Dem ent- spricht die Thatsache, daß England auch keine Verwaltungseintheilung, sondern nur eine Gerichtseintheilung hat, da die Funktion des Staates nur in der Vollziehung gerichtlicher Urtheile besteht, während die innere Verwaltung der Selbstverwaltung angehört. Der ganze englische Organismus ist der Ausdruck des Satzes, daß in England statt des Staates die gesellschaftliche Klasse herrscht. Dennoch sind die Elemente des Ministerialsystems, sowie der Behörden da, wenn auch höchst unklar entwickelt (s. unten), und es läßt sich nicht läugnen, daß sich allmählig der Regierungsorganismus mit Selbstthätigkeit aus dem bis- herigen Zustande zu entwickeln im Begriffe ist. Aber so lange die „Amtsgentry“ und das unbesoldete Friedensrichteramt bestehen, ist an einen Organismus mit Ministerial- und Behördensystem nicht zu denken. Frankreich . Der ganze Organismus Frankreichs ist seinerseits die höchst einseitige, aber in ihrer Art gewaltige Consequenz des Satzes, daß die Ver- waltung der Gesetzgebung zu gehorchen, und für diesen Gehorsam ihr Verant- wortlichkeit zu leisten schuldig ist. Daraus ergeben sich zwei Grundsätze, welche den ganzen französischen Organismus beherrschen, und die von den Bildungen im ganzen übrigen Europa zum Theil als Muster angenommen sind. Der erste ist der, daß die Verwaltung in all’ ihren wirklichen Thätigkeiten in dem Willen einer einzelnen Persönlichkeit zusammengefaßt sein muß, damit eine Verantwortlichkeit möglich sei; das ist der Minister . Der zweite ist, daß, um diese Verant- wortlichkeit nicht zu umgehen, alle andern Regierungsorgane demselben un- bedingt gehorchen müssen; und so entsteht das streng gegliederte, rein auf die Vollziehung berechnete Behördensystem in Frankreich, dessen Kategorien Préfet, Sous-Préfet und Maire im ganzen Reich unbedingt gleichartig in Form und Recht sind. Die Strenge des Gesetzes hat hier die Selbständigkeit aller Objekte desselben definitiv aufgehoben; wie der Wille Eins ist, so ist auch die That Eins; es gibt keine Macht neben beiden, und jede Autonomie ist ein un- lösbarer Widerspruch mit der französischen Staatsidee. Allerdings haben dadurch die französischen Minister, wie die Behörden, einen ganz andern Charakter, als in England und Deutschland; sie sind eben nur Vollzugsorgane. Die Folgen im Einzelnen werden sich zeigen, wenn wir zu denselben gelangen. Deutschland mit seinen eigenthümlichen Lebensverhältnissen zeigt uns ein ganz anderes, vielverwirrtes Bild; hier hat der Organismus der Regierung nicht bloß im Ganzen, sondern in jedem Staate wieder seine eigene Geschichte. Wir können hier nur dieselbe mit wenig Worten charakterisiren; vielleicht, daß wir den Anstoß zu tiefer gehenden Studien damit geben. Diese Geschichte wird nun auf allen Punkten beherrscht durch das Gesetz des innigen Zusammenhanges zwischen Verfassung und Verwaltungsorganismus einerseits, andererseits aber durch die neu entstehende Frage nach der Möglich- keit und der Gestalt der Selbstverwaltung gegenüber der Staatsgewalt. Aus dem ersten Elemente geht eine neue Reihe von Erscheinungen hervor, die wir sehr kurz charakterisiren können. Allenthalben nämlich, wo Verfassungen entstehen, entstehen auch eigentliche Ministerien; und zwar theils mit der Ver- fassung als Theil derselben, theils neben ihr als Ausfluß der Organisations- gewalt des Staatsoberhaupts. Diese Ministerien finden ihre Heimath zunächst in den verfassungsfreundlichen Staaten des Südens, Bayern, Württemberg, Baden, und treten endlich auch in Preußen, zuletzt definitiv seit 1848 in Oester- reich auf. Allein hergenommen aus französischem Vorbild, begleitet den Namen und das Institut desselben eine gewisse Atmosphäre der allgewaltigen Regie- rungsgewalt, gegen welche sich die staatsbürgerliche Freiheit sträubt. Man will allerdings einen verantwortlichen Minister, aber man will ihm doch nicht die ganze Verwaltung in die Hände geben. Man fühlt, daß die französischen Ideen eine völlige Unselbständigkeit aller öffentlich rechtlichen Besonderheiten erzeugen, und kann sie dennoch weder entbehren, noch auch gegenüber dem historischen Rechte ihre Gränze finden. So entsteht aus diesem zweiten Elemente die Frage, welche Deutschland ganz eigenthümlich ist, und welche weder in England, noch in Frankreich jemals hat aufgeworfen werden können, obgleich die deutsche Literatur sie als eine absolut organische auffaßte, die Frage nach dem sogenannten Real- und Provinzialsystem , die wir noch immer nicht ganz überwunden haben. Als nämlich mit dem Entstehen der Verfassungen zugleich der Kampf gegen dieselben, und die Nothwendigkeit für die Regierungen in allen Staaten, sich eine den Bedürfnissen entsprechende Organisation zu geben, allgemein ward, bemächtigte sich nach dem Pariser Frieden die Theorie der Frage, und es ent- stand eine Menge von Schriften, welche speziell die Politik der Organisation zum Gegenstande hatte. Die Zeit, der diese Literatur angehört, dauerte nicht lange. Zachariäs vierzig Bücher (1820), und Ancillons Staatswissenschaft (1820) nahmen sie zwar auf, allein da sie vorwiegend eine Frage der Zweck- mäßigkeit zu enthalten schien, behandelten sie sie mehr beiläufig; Pölitz und die Folgenden lassen sie schon ganz fallen. Dagegen entstand eine Reihe von speziell für dieses Gebiet bestimmten Fachschriften, in deren Reihe Butte in seinem Buche: „Ueber das organisirende Princip im Staate und der Standpunkt der Kunst des Organisirens im heutigen Europa“ (Berlin 1822) wohl den ersten Rang einnahm, bis ihn Malchus in seiner „Politik der innern Staatsverwaltung oder Darstellung des Organismus der Behörden für dieselbe“ (zwei Bände, 1823) bei weitem an Fachkunde und Gelehrsamkeit übertraf. Zu derselben Gruppe gehören noch namentlich v. Koch-Sternfeld (Historisch staatsökonomische Ansichten von den Elementen des deutschen Staats- organismus, 1822), und A. Kurz (Versuch einer Entwicklung der Grundsätze, nach welchen die Zweckmäßigkeit des Staatsorganismus in constitutionellen Ländern zu beurtheilen ist, 1821), und die ganz praktische Darstellung von v. Kronberg (Encyklopädie und Methodologie der praktischen Staatslehre). Später verschwindet diese Richtung, da unterdessen die Regierungen mit ihren Organisationen ziemlich fertig wurden. Aber Eins blieb übrig, und das war der Satz, den Malchus in folgenden Worten formulirt, die wir aufnehmen, weil sie eben zugleich den tiefen Unterschied zwischen Deutschland, Frankreich und England, und die Gestalt der Dinge in jener Zeit und zum Theil ja auch in der unsrigen bezeichnen. „Es sind,“ sagt der Verfasser, „vorzüglich zwei Systeme, die bei einer jeden Organisation zur Grundlage dienen, nämlich das Provin- zialsystem , in welchem eine jede Provinz mit besonderen Einrichtungen und Behörden , nicht selten mit einer besonderen Verfassung und be- sonderen Gesetzen ein für sich abgeschlossenes Ganzes bildet — sodann das Realsystem , in welchem für den ganzen Staat eine gleiche Verfassung stattfindet, die Verwaltung aber nach Normen, die für den ganzen Staat die nämlichen sind , und durch Behörden, deren organische Einrichtungen in allen Theilen eine vollkommen uniforme Bildung haben, geführt wird.“ Ganz offenbar ist das Provinzialsystem im obigen Sinne das System des früheren Jahrhunderts, und macht jede Verantwortlichkeit und damit jede Verfassung fast unmöglich, während das Realsystem gar nichts anderes ist, als eben das französische Universalsystem. Aber da nun die neuen verfassungsmäßigen Eintheilungen der deutschen Staaten die Gebietstheile derselben „Provinzen“ nannten, während andererseits der Ausdruck „Länder“ in jener Definition gar nicht untergebracht werden konnte, so war schon durch die Ausdrücke selbst sofort die Confusion fertig, die bereits Malchus selbst beklagt (S. 6, Anm. 1). Dazu kam, daß alle Gründe für das Provinzialsystem in der obigen Bezeich- nung zugleich Angriffe auf die verfassungsmäßige Ministerordnungen waren, und dadurch schon unmöglich wurden, während man doch andererseits auch nicht verkennen konnte, daß die in jenem Provinzialsystem angedeutete Selbständig- keit wirklich höheren Bedürfnissen entsprach; man ahnte, daß in ihm die Selbst- verwaltung verdeckt sei, und fürchtete sich, die letztere durch principielle An- erkennung des Realsystems principiell zu verurtheilen. So kam man auch später zu keinem Resultat, und ließ lieber die Sache ganz liegen. Dennoch haben sich diese Ausdrücke erhalten, und das hat zur Unklarheit nicht wenig beigetragen; denn wenn auch die neueren Staatslehrer, wie Zachariä, Zöpfl, Bluntschli u. A. schweigend darüber weggehen, so haben sie doch nichts anderes an die Stelle gesetzt, und jede Beschäftigung mit der Frage fällt, wie wir neuerdings in Gerstners „Grundlehren der Staatsverwaltung“ sehen, wieder in jene Bezeichnungen zurück. Es wird nun aber klar sein, weßhalb eine Menge Gründe für und wider beide Formen zu gar keinem Resultate führten, da man sich dabei auf einem ganz falschen Boden bewegte. Man wollte die Selbstverwaltung vertheidigen, ohne das Ministerialsystem aufzuheben, und indem man dafür den obigen Begriff des Provinzialsystems beibehielt, kam man mit sich selbst in Widerspruch, und mehr noch mit den Verfassungen, welche mit dem Ministerialsystem das Provinzialsystem unbedingt vernichteten, wäh- rend sie zugleich in den Landschafts- und noch weit mehr in den Gemeinde- ordnungen die Selbstverwaltung anerkannten. In dieser Verwirrung ist nur dadurch zu helfen, daß man eben jene Begriffe als Ausdruck nicht etwa zweier entgegengesetzter Systeme, sondern zweier Epochen der Organisation anerkennt, was sie auch wirklich sind, und einfach den staatlichen Organismus und die Selbstverwaltung neben einander stellt. In der That ist der durchgreifende Charakter der deutschen Verwaltungsorganisation gegenüber Frankreich und England eben diese Coordinirung beider Grundformen, während Frankreich die Selbstverwaltung der staatlichen, England die staatliche Verwaltung der Selbst- verwaltung unterordnet. Und daher ist denn auch nur in Deutschland ein wahres Behördensystem innerhalb des staatlichen Organismus als zweites Glied des- selben neben dem Ministerialsystem vorhanden, während es in England gar nicht, und in Frankreich nur als eine Ausdehnung des Ministerialsystems existirt. Das dürfte im Wesentlichen der Charakter des Organismus dieser drei Länder sein, und von ihm aus eine Vergleichung mit den übrigen nicht schwierig werden. 1) Das Ministerialsystem . Organische Bedeutung desselben. Wenn wir nun dem Obigen zufolge das Ministerialsystem von dem Behördensystem unterscheiden als die erste Form des amtlichen Organismus, so müssen wir nunmehr diese Unterscheidung durch die Natur der speziellen Funktion begründen, welches dieser Theil des großen staatlichen Organismus hat, und welche selbst wieder der weiteren Ein- theilung und dem Rechte derselben zum Grunde liegt. Wenn die staatsbürgerliche Gesellschaft die Selbständigkeit der ständischen Rechte dem einheitlichen Willen des Staats unterordnet und die Gleichheit der Thätigkeit des letztern auf allen Punkten durchführt, so muß es einen Organismus geben, welcher allen Hauptgebieten der Verwaltung im weitesten Sinne dieselbe persönliche und einheitliche Form gibt, die der Staat in seiner Verwaltung als Ganzes hat, während ein zweiter Organismus diese Verwaltung mit den wechselnden Besonder- heiten in Harmonie bringt. Jener erste Organismus hat daher zur Aufgabe, die möglichst einfachen und gleichförmigen Grundsätze und Regeln festzustellen, welche in der örtlichen und besondern Thätigkeit der Verwaltung durchzuführen sind, er wird diese Aufgabe durch zwei Thätigkeiten lösen, erstens durch maßgebende Bestimmung jener Regeln und Grundsätze für die besondere Verwaltung in der Form allgemein gültiger Verordnungen, zweitens durch die Entscheidungen der einzelnen Fragen, welche durch die wirklichen Lebensverhältnisse an den Mittel- punkt der ganzen Verwaltung herankommen. Während daher der zweite Organismus, das Behördensystem, den wesentlichen Willen des Staats beständig in seinen Verschiedenheiten und Besonderheiten auflöst, muß der erste beständig die Einheit wieder herstellen. Und da nun diese Ein- heit stets der Wille des Staats in der Form des Gesetzes ist, so ist dieser erste Organismus derjenige, dessen Aufgabe es ist, beständig das Gesetz mit seinen feststehenden einheitlichen Bestimmungen, und wo diese mangeln, den Geist des Gesetzes zu verwirklichen. Das Ministerialsystem ist daher derjenige Organismus, der der Träger des selbständigen Willens des Gesetzes im Leben des Staats ist, während das Behörden- system vielmehr die gegebenen Verhältnisse des wirklichen Lebens seiner- seits zur Geltung bringt und die möglichen Modifikationen des objektiven Gesetzes zu vertreten hat. Eben dadurch ist auch der ganze Organis- mus, den wir als Ministerialsystem bezeichnen, wie in seiner Funktion so auch in den äußeren Formen seiner Thätigkeit wesentlich verschieden von dem Behördensystem. Denn das Ministerialsystem ist niemals eine ausführende, sondern stets nur eine befehlende und entscheidende Gewalt; seine Thätigkeit besteht in den Beschlüssen, mit welchen es die Thätig- keit des Behördensystems leitet ; und eben dadurch ist nur durch das Ministerialsystem die Verantwortlichkeit und der Inhalt derselben im verfassungsmäßigen Verwaltungsrecht möglich. Denn es ist offenbar, daß durch die Unterscheidung der Leitung und der materiellen Ausführung, Stein , die Verwaltungslehre. I. 20 welche in Ministerial- und Behördensystem gegeben sind, das wahre Objekt der Verantwortlichkeit nicht auf dem Akt der Ausführung als solchem, sondern auf dem Befehl als der Verordnung beruht; denn diese soll den Geist der Gesetze enthalten, während jene das was wir die Natur der Dinge nennen möchten, vertreten soll. Auf diesen Punkten beruht die organische Stellung des Ministerialsystems als eines selbständigen Theiles des Amtsorganismus. In gleicher Weise aber gehen aus dieser Stellung diejenigen Elemente hervor, welche ihrerseits den inneren Organismus des Ministerialsystems charakterisiren. Man muß davon ausgehen, daß die- selben nicht etwa willkürlich gemacht sind, sondern daß sie wirklichen Anforderungen der Aufgaben entsprechen, die jener Organismus durch seine Stellung zu lösen hat. Eben deßhalb ist es auch ganz natürlich, daß die Grundzüge des Ministerialsystems in allen Ländern mit Aus- nahme Englands wesentlich gleichartig sind; es ist in der That nicht so sehr die Reflektion als die einfache Wirkung der Natur des organischen Staatslebens in der staatsbürgerlichen Gesellschaft, welche dieß Resultat durch sich selbst hervorgebracht hat und stets unter gleichen Umständen in gleicher Weise hervorbringen wird. Jene Grundlagen des Ministerial- systems aber sind erstlich das einzelne Ministerium mit seinem Orga- nismus, zweitens die Eintheilung der Verwaltung in Ministerien, welche die Besonderheit der Verwaltungsaufgaben vertritt, und drittens die Einheit unter den Ministern, welche wir in der Form des Gesammt- ministeriums bezeichnen. Allerdings erscheinen auch hier charakteristische Verschiedenheiten; aber überblickt man die europäischen Zustände, so ist es kein Zweifel, daß wir hier mit den großen Grundformen einer ganzen Epoche der Geschichte der Verwaltung zu thun haben, mit derjenigen Epoche, welche eben auf dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die ständische Herrschaft beruht. a) Das einzelne Ministerium. Das alte Collegialsystem. Wesen des Ministeriums. Elemente seiner Organisation. Ministerrecht. Derjenige Organismus im Staate, den wir das einzelne Mini- sterium nennen, ist am meisten das charakteristische Kennzeichen der ver- fassungsmäßigen Verwaltung, und eben deßhalb im Großen und Ganzen ebenso leicht von den früheren Grundformen zu unterscheiden. als es leicht in seiner Funktion, seiner daraus entstehenden Organisation und seinem Rechte zu charakterisiren ist. Die Vollziehung an sich fordert allerdings für jedes einzelne Lebensgebiet stets einen eigenen Organismus und hat einen solchen stets gehabt. Allein diese Lebensgebiete sind für den Staat eben nicht bloß in Umfang und Inhalt, sondern ihrem ganzen Charakter nach so tief verschieden, daß wir den entsprechenden Unterschied auch in der Formation der Spitze der Verwaltungsorgane wieder finden. Fast in ganz Europa war dieser, für ein einzelnes Verwaltungsgebiet bestimmte Organismus früher ein Körper von Räthen mit einem Präsidenten an der Spitze, eine Ordnung, welche wir mit einem Worte als das Collegialsystem bezeichnen, während er gegenwärtig als ein eigent- liches Ministerium erscheint. Das Wesentliche des Unterschiedes beider liegt nicht in ihrer Form, sondern in dem Principe der Verwaltung selber, und ihres Verhältnisses zur gesetzgebenden Gewalt. 1) So lange nämlich die gesetzgebende Gewalt nicht selbständig neben der vollziehenden steht, ist allerdings dem Principe nach die Person des Fürsten als Inhaber der Staatsgewalt zugleich der Träger der Gesetzgebung, und der Unterschied zwischen Verordnung und Gesetz ist ein rein formeller, da jede Verordnung als Ausfluß des Willens des Gesetzgebers erscheint. Allein in Wirklichkeit wird, namentlich für die einzelnen Verwaltungsgebiete, die Gesetzgebung doch durch die höchsten Organe der Verwaltung ausgeübt, welche Vorschlag und Durch- führung des Gesetzes in Händen haben. Jeder höchste Verwaltungs- organismus erscheint daher damals zugleich als ein Organ für die Ge- setzgebung innerhalb seiner Competenz, und seine Entscheidungen haben dadurch zugleich den Charakter eines richterlichen Ausspruches. Dadurch nun wird es nothwendig, aus diesen Verwaltungsorganen berathende Organe für die zu erlassenden Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen für den persönlichen Willen des Fürsten zu machen. Ein solches Organ aber ist ohne Werth und Wirkung, wenn jedes Glied desselben nichts ist als ein Organ der Ausführung. Es muß vielmehr eine gewisse Selbständigkeit besitzen; es geht ein Theil des Rechts der Volksver- tretung auf die Aufrechthaltung einer freien subjektiven Anschauung auf dasselbe über; jedes Glied ist dem andern ganz gleichberechtigt, und trägt, weil es die besondern Verhältnisse seines speziellen Gebietes per- sönlich bei dem Fürsten als Gesetzgeber vertritt, auch einen Theil der persönlichen Verantwortlichkeit für seine Meinung. Daß es diese Ver- antwortlichkeit nur dem Fürsten gegenüber hat, ändert das Wesen der- selben nicht. Dazu kommt, daß in der ständischen Epoche die ständischen Rechte als solche eine Vertretung fordern, welche damit zu der Aufgabe des einzelnen Mitglieds der höchsten Verwaltungsorgane wird; durch alles dieß gewinnt das letztere einen ganz specifischen Charakter. Jedes Mitglied ist neben seiner rein vollziehenden Funktion zugleich ein Rath des Fürsten, und zwar für die gesetzgeberische Thätigkeit; diese Räthe sind, jeder für sich, selbständig; zusammengefaßt durch die Gemeinschaft des Gegenstandes ihrer zugleich gesetzgeberischen, richterlichen und voll- ziehenden Thätigkeit bilden sie ein Collegium ; die Ordnung des Collegiums beruht auf der Selbständigkeit seiner Räthe; das Votum jedes Rathes ist gleich dem eines andern, und hat das Recht, als solches gehört zu werden; die Leitung des Collegiums ist eben deßhalb nur eine formelle; es hat daher einen Präsidenten , aber dieser Präsident ist nur der erste unter den gleichen, und das auf diese Weise entstehende System der Verwaltungsthätigkeit, in der eben Gesetzgebung und Verwaltung ununterscheidbar gemischt sind, nennen wir das Collegialsystem . 2) Das Collegialsystem mit der Selbständigkeit der Räthe und ihrem eigenen Votum, dem Präsidenten und der Präsidialleitung ist daher die charakteristische Form der Epoche, welche noch Gesetzgebung und Verwaltung verschmolzen hat und nur die individuelle Verant- wortung gegenüber der Person des Fürsten kennt. Es ist klar, daß die Nützlichkeitsgründe hier gar keinen Raum haben. Naturgemäß hat es sich entwickelt; es herrscht in Gemäßheit der ganzen Organisation der Staatsgewalt im vorigen Jahrhundert, und ist ebenso naturgemäß mit dem Auftreten der verfassungsmäßigen Verwaltung trotz vieler Aehnlichkeit in den Formen in das wesentlich verschiedene Ministerial- system übergegangen. 3) So wie nämlich durch die Scheidung der Gesetzgebung von der Verwaltung Gesetz und Verordnung sich trennen, und die Verwaltung als Ganzes vermöge der Verantwortlichkeit in Harmonie mit der Gesetz- gebung gebracht wird, so muß auch das bestimmte, einzelne Verwaltungs- gebiet als ein Ganzes dastehen, und die Thätigkeit der Organe als eine, einem persönlichen Willen unterworfene Einheit erscheinen. Ohne eine solche Einheit ist die Idee einer Verantwortlichkeit ein leeres Nichts. Sie erzeugt daher ein ganz neues Verhalten der höchsten Organe für jedes Verwaltungsgebiet. Sie faßt zuerst das letztere in Einer Persön- lichkeit zusammen, welche die Funktion hat, den einheitlichen Willen des Gesetzes in allen einzelnen Theilen des an sich als gleichartig gesetzten Gebietes zur Geltung zu bringen, und der eben für diese Gesetzmäßig- keit der letzteren die persönliche Verantwortung trägt; diese Persönlich- keit ist der Minister . Der Minister muß daher nothwendig erstens die wirkliche Thätigkeit seiner Verwaltung kennen, zweitens muß er darüber entscheiden. Es muß daher das Verwaltungsgebiet des Ministers formell eben so getheilt sein wie unter dem Collegialsystem; aber die einzelnen Abtheilungen stehen nicht mehr unter den früheren Räthen, sondern unter Referenten . Es ist natürlich gleichgültig, welchen Namen sie haben. Das Wesentliche liegt in der qualitativ verschiedenen Thätigkeit. Der Rath hat sich eine individuelle Ueberzeugung nicht bloß zu bilden, sondern sie auch selbständig zu vertreten, da im Grunde nur der Fürst persönlich entscheidet; der Referent hat keine Entscheidung, sondern nur eine Ansicht aufzustellen, und die Entscheidung gehört dem Minister. Er muß ihm daher die Elemente der Entscheidung vorlegen; diese sind erstlich die Thatsachen, und zweitens ein Antrag. Der Vortrag des Referenten wird daher stets den Charakter eines Berichtes haben, während der Vortrag des Rathes ein begründetes Urtheil ist. Die Selbstthätig- keit des Rathes ist daher größer; aber die Einheit der Aktion kann nur auf dem Referate beruhen. Die Gesammtheit der Referenten für den Minister und unter ihm bildet das Ministerium . Daß jeder Referent wieder ein eigenes Organ für seine Thätigkeit, sein Bureau , hat, versteht sich. Wie es genannt wird, ist einerlei. Die Sektion ist eine Gesammtheit von Referenten oder Bureaus mit gleichartigem Ge- biet. Sie ist eigentlich die Form, in welcher sich das Collegialsystem im Ministerialsystem wiederholt, denn der Sektionschef hat nichts zu entscheiden, sondern die Referate berathen zu lassen. Hier sind in der Ausführung verschiedene Modalitäten möglich und vorhanden. Sie ändern das Wesen der Sache nicht. Das Ministerium ist in allen Staaten Europas grundsätzlich gleichgestaltet. 4) Das Recht des Ministeriums, vertreten in dem Rechte des Ministers, ist nun demgemäß nichts anderes als der Ausdruck seiner organischen Funktion im gesammten Organismus. Es erscheint daher in zwei Grundformen. Zuerst beruht die organische Stellung des Ministeriums darauf, das entscheidende Organ für die Vollziehung überhaupt zu sein. Es muß daher das Recht in Anspruch nehmen, daß jeder Akt der Voll- ziehung als von ihm ausgehend gesetzt werde. Es kann daher im Ministerialsystem gar kein Gebiet des wirklichen Staatslebens geben, das nicht in irgend einer Weise unter irgend einem Ministerium stünde, nur mit Ausnahme der Organe der Staatsgewalt. Ohne die strenge Durchführung dieses Grundsatzes ist keine Durchführung der Verant- wortlichkeit denkbar. So einfach dieser Grundsatz für den Regierungsorganismus oder das Amtswesen ist, so schwierig und bedeutungsvoll wird derselbe für die Thätigkeit der Selbstverwaltung und der Vereine. Beiden steht, wie wir sehen werden, ein Recht der selbständigen vollziehenden Thätig- keit zu. Dieselbe greift auf allen Punkten gleichsam mitten in die Funktion der Regierung hinein. Es sind verhältnißmäßig nur sehr wenige Ge- biete der letzteren, die nicht durch Landschaft, Gemeinde und Vereine bestimmt werden. Das Princip der freien Persönlichkeit fordert diese Selbständigkeit; das Princip der Verantwortlichkeit dagegen fordert die Abhängigkeit; die volle Selbständigkeit derselben auch innerhalb der gesetzlich bestimmten Gränzen würde jede Verantwortlichkeit in sehr wichtigen Fällen aufheben; sie würde dieselbe grundsätzlich auf das Amtswesen beschränken, und statt einer wahren Verantwortlichkeit im Sinne der Verfassung nur eine streng administrative , nur auf eigentliche Amtshandlungen bezügliche erzeugen. Die Selbstverwaltung und das Vereinswesen aber wären damit für den auf sie entfallenden Theil der Vollziehung ganz unverantwortlich . Die verfassungsmäßige Entwicklung des neueren Staates hat dieß gefühlt. Es ward nothwendig, beide Principien zur gemeinschaft- lichen Geltung zu bringen. Das geschah, indem man einerseits das Recht dieser Körper der Genehmigung unterwarf, andererseits es unter die Oberaufsicht stellte. So entstand dasjenige, was wir als das Princip des öffentlichen Rechts der Selbstverwaltung und des Vereinswesens erkennen, die Regelung ihrer selbständigen Thätigkeit innerhalb der Gesammtthätigkeit des Staatsorganismus. Die Dar- stellung dieses Rechts bildet eben den Inhalt der folgenden Abschnitte. Klar ist aber schon hier, daß das Ministerialsystem ohne die Anerkennung der beiden Rechte der Genehmigung und der Oberaufsicht gegenüber den Formen der freien Verwaltung kein System der Regierung, sondern nur ein System des Amtsorganismus in der Regierung eines Staates ist, und daß ohne sie dem Lebensprincip der verfassungsmäßigen Ver- waltung die Spitze genommen wird. Wie nun diese Gränze des Rechts der Ministerien im Einzelnen zu bestimmen ist, gehört wie gesagt den folgenden Darstellungen. Zweitens besteht die organische Funktion des Ministeriums darin, in die Thätigkeit der Vollziehung die Einheit des Staatswillens hin- einzubringen. Daraus geht die eigentliche Stellung desselben im Amts- organismus hervor. Das Ministerium hat nichts auszuführen , sondern es hat nur zu verordnen . Die ausführenden Organe bilden ein System für sich, das wir das Behördensystem nennen. Die Be- hörden sind ihrer Natur nach in der Lage, in dem allgemeinen Staats- willen die, durch die concreten Verhältnisse motivirten Modifikationen zur Geltung zu bringen. Das Ministerium ist dasjenige Organ, welches in dieser Verschiedenheit der behördlichen Thätigkeit die Einheit der Verwaltung herzustellen und zu erhalten hat. Dieß geschieht wesentlich durch die Ausübung der Verordnungsgewalt in allen ihren Formen. Das Ministerium ist daher der eigentliche Träger der Verordnungs- gewalt, während die Organisationsgewalt meist durch das Staatsober- haupt, die Polizeigewalt meist durch die Behörden ausgeübt wird. Daher ist es das zweite organische Recht des Ministeriums, daß keine Verordnung ohne Zustimmung des Ministeriums erlassen werden darf. Dieses Recht erscheint gegenüber der Staatsgewalt und ihrem Recht auf Verordnung in der Form der Gegenzeichnung , gegenüber den freien Verwaltungskörpern in der Form der Genehmigung . Inner- halb des eigenen ministeriellen Verwaltungskörpers kann man die Ver- ordnungen , welche an die Gesammtheit der Staatsbürger gerichtet sind, von den Erlässen , welche an die Regierungsorgane über ihre Thätigkeiten und Anfragen ergehen, unterscheiden. Alle diese Formen der verordnenden Gewalt bezeichnen zugleich die Thätigkeiten des Mini- steriums im organischen Leben der Vollziehung. Seine Stellung in der Gesetzgebung gehört der Verfassung, und beruht einerseits auf dem Rechte der Einbringung von Gesetzen, andererseits auf der ethischen Verpflichtung, die bei höherem verfassungsmäßigen Leben zu einer politischen Nothwendigkeit wird, die Stellung des Ministers aufzugeben, wenn zwischen Gesetzgebung und Vollziehung ein unausgleichbarer Unterschied der Auffassung besteht. Hier beginnt ein anderes Gebiet von Grundsätzen und Erscheinungen. b ) Eintheilung in die einzelnen Ministerien. Die Eintheilung des gesammten Gebietes der Verwaltung in ein- zelne Ministerien erscheint auf den ersten Blick als eine theils zufällige, theils von reinen Nützlichkeitsgründen beherrschte. Dennoch ist auch sie auf das Engste mit der organischen Gestaltung der vollziehenden Ge- walt verwebt und von großer Bedeutung. Da das Wesen der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit es fordert, daß in der Vollziehung gar kein Theil gänzlich außerhalb irgend eines Ministeriums stehe, so bildet die Gesammtheit der Ministerien zugleich die Gesammtheit des wirklich thätigen Organismus des Staatslebens, und die Eintheilung in die einzelnen Ministerien muß daher als die Gestalt der Vollziehung betrachtet werden. Demnach leuchtet es ein, daß diese erst dann zu einer systema- tischen, von höheren Bedeutungen bestimmten Ordnung gelangen kann, wenn die vollziehende Gewalt sich von der gesetzgebenden getrennt hat und selbständig dasteht. Erst dann können die in ihr liegenden Ele- mente zu ihrer Geltung gelangen. Und so ist es auch historisch gewesen. So lange nämlich in der ständischen Verwaltung sich Königthum und ständisches Recht gegenüber stehen, und der Staat in Gesetzgebung und Verwaltung zwischen beiden getheilt ist, wird überhaupt die ver- waltende Thätigkeit des Königthums theils eine sehr verschiedene sein, theils wird die Ordnung derselben wesentlich, wie schon erwähnt, auf dem System der Collegien und der Räthe beruhen, die zwar zusammen einen Körper bilden, aber von denen jeder persönlich unter dem Landes- herrn steht. Hier ist eine organische Eintheilung schon an und für sich nicht möglich. Andererseits hängt die Vertheilung der wirklichen Ge- schäfte vom Landesherrn selbst ab; er wird sie nach den gegebenen An- lässen oder nach seiner Willkür einrichten. Sie wird daher stets zu- fällig oder willkürlich sein. Eben so wenig wird hier eine feste Ordnung entstehen, wo die Epoche des souveränen Fürstenthums eintritt. Dasselbe kennt keine Ministerien, sondern nur Diener der Krone. Die absolute Natur dieser Epoche drängt vielmehr zur Aufstellung eines obersten, eines Premier- ministers, der alle Geschäfte in seiner Hand vereinigt. Die historische Eintheilung der Länder greift dann ihrerseits auch in der Verwaltung durch, und statt einer Ordnung nach den Aufgaben wird die Ordnung nach den Provinzen die Grundlage der Vertheilung der Geschäfte wer- den, so daß auch hier nur von einer historischen Gestalt und nicht von einem systematischen Ganzen die Rede sein kann. Erst mit der verfassungsmäßigen Verwaltung tritt die organische Eintheilung der vollziehenden Gewalt als ein nothwendiges Correlat derselben auf. Die Nothwendigkeit, für alles was im Namen des Staats geschieht, persönlich einstehen zu müssen, erzwingt den Grundsatz, das Gleichartige, das von einem und demselben Willen beherrscht werden kann, als ein selbständiges Ganze zusammen zu fassen. Hier muß da- her das gesammte Gebiet des wirklichen Lebens in seine gleichartigen Grundverhältnisse aufgelöst und jedes derselben als ein selbständiger Zweig des Staatslebens hingestellt werden. Diese Eintheilung hat hier daher einen wesentlich andern Charakter als in den früheren Epochen. Sie ist nicht mehr eine Sache der Zweckmäßigkeit; sie ist eine noth- wendige Bedingung der verfassungsmäßigen Verwaltung; sie ist zur unabweisbaren Consequenz des Princips der Verantwortlichkeit geworden, und die systematische Eintheilung der Ministerien wird dadurch zu einem Grundsatz für die Verwirklichung einer jeden Verfassung. Es folgt daraus, daß sie sich mit derselben auch in gleichem Schritte verwirklicht; und auf diesem Grundsatz beruht die Geschichte derselben. Das erklärt, warum in England, wo die Verfassung und die gesetzgebende Gewalt nur erst sehr langsam gegenüber der Selbstverwaltung zur Gel- tung gelangt ist, das Ministerialsystem noch in so vielen wesentlichen Punkten höchst unklar erscheint; es erklärt, weßhalb in Frankreich mit der Revolution die fertige Eintheilung der Ministerien in ihren, für das übrige Europa gültigen Grundformen gleichzeitig auftritt. Es erklärt endlich auch die besonderen Verhältnisse der deutschen Staaten und ihre Unklarheit, welche von der Unklarheit der Theorie über diese Frage begleitet ist. Von ihm aus lassen sich dann ferner die Elemente der wirklichen Eintheilung bestimmen. Und hier erst gewinnt die letztere ihre Bedeutung. Zuerst nämlich zeigt sie uns in ihren Grundformen die wesent- lichsten Lebensverhältnisse des Staats; es ist das Leben desselben selbst, in der Eintheilung in Ministerien wieder gegeben. Sie führt uns ferner darauf, wie und weßhalb neue Ministerien entstehen, und welches die Berechtigung und Bedeutung der Herstellung eines neuen Ministeriums sein muß. Sie zeigt uns endlich die Grundsätze, welche über die im Einzelnen schwierigste Frage, die Frage nach den natürlichen Gränzen der einzelnen Ministerien gegen einander, zu entscheiden haben. Was nun den ersten Punkt, die nothwendigen Ministerien betrifft, so erscheinen als die Grundverhältnisse des staatlichen Lebens und demnach als die nothwendigen Ministerien fünf Gebiete: das Ver- hältniß des einzelnen Staates zu dem Gesammtleben der Staaten, die Waffenmacht, die Staatswirthschaft, die Rechtspflege, und endlich die innere Verwaltung. Diesen fünf Gebieten entsprechen die fünf Haupt- ministerien, ohne welche ein Ministerialsystem nicht gedacht werden kann. Ja man kann so weit gehen, zu sagen, daß ein Staat, dessen Größe nicht einmal die Aufstellung dieser fünf Ministerien gestattet, gar kein Staat im Sinne unserer Zeit genannt werden kann. In der That sind jene Verhältnisse so spezifisch verschieden, daß es nicht möglich ist, eine parlamentarische Verantwortlichkeit für mehr als eines derselben zu übernehmen. Dagegen ist mit diesen fünf Gebieten — zu denen ein sechstes durch die Scheidung der militärischen Macht in Land- und Seemacht hinzu- kommen kann, was aber nur die Zahl und nicht das System ändert — die Entwicklung nicht abgeschlossen. Zunächst entsteht für die Reiche, welche Colonien haben, ein Mini- sterium der Colonien. Ein solches Ministerium ist vielmehr eine Ver- waltungsbehörde im höchsten Style, als ein wahres Ministerium. Die Volksvertretung der Colonien kann aus örtlichen Gründen niemals mit der eigenen Volksvertretung zusammengefaßt werden; eine wahre Ver- antwortlichkeit ist daher hier schwer möglich, weil ein Urtheil über die Verhältnisse so entfernter Länder schwer denkbar ist. Die Verwaltung der Colonien wird daher ihr Haupt in den Colonien selbst haben, und entweder sich zu einem parlamentarischen System entwickeln oder in die Kategorie einer behördlichen Verwaltung hinabsinken. Jeder dritte Zustand muß als Uebergangszustand betrachtet werden. In der Reihe der parla- mentarischen Minister wird ein Colonialminister niemals dauernd auftreten. Dagegen ist das Gebiet der innern Verwaltung allerdings der Ent- wicklung fähig, und zwar ist es das Einzige, aus welchem sich unsere Ministerien entwickeln können. In der That nämlich ist zwar das Princip der innern Verwaltung immer dasselbe, und deßhalb kann dieselbe als Ein Gebiet betrachtet werden; aber die Lebensverhältnisse, auf welche es Anwendung findet, sind so verschieden, daß bei großen Staaten jedes der- selben durch Ein Ministerium vertreten werden kann. Und hier zeigt es sich vielleicht am deutlichsten, wie die organische Natur der Sache — die wir in der Wissenschaft ja nur als System darstellen — wirksam wird. Das Gebiet der innern Verwaltung umfaßt das persönliche, das geistige, das volkswirthschaftliche und das gesellschaftliche Leben des Volkes. Jedes dieser Gebiete ist fähig, ein eigenes Ministerium zu empfangen. Die Verwaltung der persönlichen Lebensverhältnisse hat das Polizeiministerium, das Mini- sterium der Sicherheit oder der Ordnung , die der geistigen das Ministerium für Kultus und Unterricht, das wir daher das Ministerium der Berufe nennen möchten, die der Volkswirthschaft das sogenannte Handelsministerium oder das Ministerium der Volkswirthschaft , das was wir zunächst als das Uebrige bezeichnen, das eigentliche Mini- sterium des Innern, das Ministerium der Verwaltung im engsten Sinne oder das Ministerium der Gesellschaftsordnung . Diese vier Ministerien sind innerhalb der innern Verwaltung möglich ; aber sie sind nicht nothwendig. Ob sie entstehen und wie viele von ihnen, hängt meistens von der innern Entwicklung des Staates ab, und daher finden wir dem entsprechend in diesen Ministerien einen beständigen Wechsel, während die übrigen Ministerien sich unverändert erhalten. Ohne allen Zweifel beruht nun das Theilen des allgemeinen Mini- steriums des Innern in jene Ministerien nicht darauf, daß man die Geschäfte als solche ihres Umfanges wegen theilen will, sondern viel- mehr auf dem Bewußtsein von demjenigen, was zu ihrer Vollziehung erforderlich ist. Die wahre Bedingung der Lösung dieser verschiedenen Verwaltungsaufgaben beruht aber darauf, daß man erkennt, wie jedes jener Lebensgebiete wieder eigene Gesetze seiner Entwicklung und Be- wegung hat, welche zu kennen nicht bloß im Allgemeinen gut ist, sondern deren tiefes Verständniß als nothwendige Bedingung der guten Ver- waltung überhaupt erscheint. So wie dieß klar ist, wird man es noth- wendig finden, jeder dieser Gruppen von Lebensverhältnissen und Auf- gaben der Verwaltung als einem von eigenthümlichen Gesetzen beherrsch- ten Ganzen, einen eigenen Verwaltungskörper mit eigenem Ministerium zu geben. Und so kann man sagen, daß jene Eintheilung der innern Verwaltung mit der Entwicklung der Staatswissenschaften gleichen Schritt hält, von ihr bedingt wird, und gleichsam den praktischen Ausdruck des theoretischen Verständnisses des Staatslebens bildet. — Es ist gar nicht nöthig, daß dazu gerade eine bestimmte Theorie angenommen zu werden brauchte. Die Sache an sich, auch nur zum allgemeinen Bewußtsein gebracht, erzeugt durch ihre eigene inwohnende Kraft schon ihre ent- sprechenden Organismen. Es wird demnach eine der Aufgaben der Darstellung der wirklichen innern Verwaltung sein, dieses bei den Hauptzweigen weiter nachzu- weisen. Wir finden aber in demselben Satze den Grundgedanken für die Erledigung der letztern Frage, welche die Eintheilung der Ministerien betrifft, nämlich der Bestimmung der Competenz der einzelnen Mini- sterien gegen einander. Diese Bestimmung des Umfanges der einzelnen Ministerien muß aus zwei Gesichtspunkten betrachtet werden, dem historischen und dem rationellen. Und die Geschichte zeigt auch hier die allmählige Entwick- lung des letzteren aus dem ersteren, während andererseits die thatsäch- lichen Verschiedenheiten die in dieser Beziehung unter den einzelnen Staaten bestehen, nichts sind, als der Ausdruck des Stadiums, in welchem der Kampf zwischen dem historischen und dem rationellen Princip sich für den Augenblick befindet. Historisch ist der Umfang der einzelnen Ministerien ziemlich zufällig, indem die Geschäfte vom Fürsten der einen oder andern Abtheilung zu- gewiesen worden sind. Im Allgemeinen gilt jedoch der Satz, daß ur- sprünglich nur drei große Funktionen bestanden, Aeußeres, Krieg und Finanzen, während Rechtspflege und Inneres der ständischen Selbst- verwaltung überlassen blieb. Der allgemeine Gang der Entwicklung besteht nun darin, daß die neuentstehenden Ministerien in der Lage sind, den alten Ministerien ihre Gebiete allmählig zu entreißen, und so sich ihr Gebiet zu schaffen. Die Rechtspflege und das Innere haben dabei sehr leicht sich abgesondert; die Schwierigkeit entstand erst, als aus dem Ministerium des Innern neue Ministerien sich bildeten. Durch das Auftreten derselben kamen natürlich einerseits unter diesen Verwal- tungsministerien die Gebiete der Verwaltung des Innern, andererseits auch die Gebiete des Finanzministeriums in Frage. Im Einzelnen ist die Organisation daher eine ziemlich verschiedene. Indem wir hier kurz die Punkte bezeichnen, auf die es ankommt, soll damit nur der Aus- gangspunkt zur Vergleichung für das Folgende gegeben werden. Man wird zu dem Ende praktisch am besten die Ministerien, welche sich in das Gebiet der innern Verwaltung theilen, mit dem Gesammt- ausdruck „ Verwaltungsministerien “ bezeichnen, und sie so den obigen Ministerien entgegen stellen. Die erste Frage ist dabei die, ob das Gebiet der alten Regalien , sofern sie in neuerer Zeit noch diesen Namen verdienen, dem Finanz- ministerium oder dem Verwaltungsministerium zufallen soll. Zu diesen Regalien ist in neuerer Zeit noch das Eisenbahn- und Telegraphen- wesen hinzugekommen. Es ist kein Zweifel, daß mit dem Wegfallen der Ursache, das sie in die Finanzverwaltung hinüberschob, und vermöge dessen sie als Quelle der Einnahme betrachtet wurden, jeder haltbare Grund, sie als Gebiete der Staatswirthschaft zu betrachten, wegfallen muß. Alle diese Regalien gehören jetzt ihrem Wesen nach dem Mini- sterium der Verwaltung, und innerhalb desselben dem volkswirthschaft- lichen Ministerium, da sie sich auf die Bedingungen der volkswirth- schaftlichen Entwicklung beziehen. Dazu gehören daher nicht bloß das Post-, Münz-, Eisenbahn- und Telegraphenwesen, sondern auch die Verwaltung der Zettelbanken . Die Verbindung der Verwaltung der letzteren mit dem Finanzministerium hat nur einen historischen Grund, und ist jetzt viel mehr eine Gefahr für den Kredit der Noten, als ein Vortheil für das Bankwesen. Die zweite Frage betrifft das Verhältniß der Verwaltungsmini- sterien, der Polizei, der geistigen Angelegenheiten, der Volkswirthschaft und des Innern im engern Sinne. Erster Grundsatz ist hier, daß die Trennung dieser Ministerien überhaupt nur von dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit beurtheilt werden muß; je nach den gegebenen Ver- hältnissen kann jeder Staat sie trennen oder verbinden, wie es ihm angemessen ist. Sind sie aber getrennt, so handelt es sich darum, was ihnen nach der Natur der Sache zukommt; denn die richtige Be- stimmung ihres Umfanges wird dann eine der Bedingungen ihrer guten Verwaltung. Zuerst muß man sagen, daß ein eigenes Polizeiministerium nur in großen Staaten zweckmäßig ist. Die Aufgabe des Polizeiministeriums, der öffentliche Schutz, erscheint in zwei Gebieten. Einerseits soll es die Sicherung der Bevölkerung herstellen, und das kann allerdings wesent- lich durch die Körper der Selbstverwaltung erzielt werden; andererseits soll es den Staat gegen den Einzelnen sichern, und das ist da, wo es nöthig ist, allerdings eine selbständige Aufgabe. Nöthig aber erscheint dieß immer da, wo die gegebene Verfassung mit Neubildungen in der Gesellschaft in Gegensatz tritt; denn die letzteren pflegen sich in der Regel zuerst als Versuche Einzelner zum Umsturz des Bestehenden zu äußern. Ein eigenes Polizeiministerium wird daher der Regel nach in dem Grade zweckmäßiger, in welchem die Verfassung durch sociale oder nationale Bewegungen gefährdet erscheint, während es um so über- flüssiger ist, je gleichartiger die Verhältnisse eines Staates in dieser Beziehung erscheinen. In diesem Falle gehört sein Gebiet unter das Ministerium des Innern, und zwar theils als Aufgabe der Staats- verwaltung, theils als Aufgabe der Selbstverwaltung. Das Ministerium der geistigen Angelegenheiten wird wieder in das des Kultus und das des Unterrichts getheilt werden können. Es ist besser, beide zusammen zu fassen, weil es zu große Uebelstände hat, namentlich die Volksschule den Geistlichen unterzuordnen, was bis zu einem gewissen Grade nie vermieden werden kann noch soll, während man das Ministerium der Schule dem Ministerium der Kirche gleich- stellt. Ohne eine Verbindung beider in Einem Ministerium wird man hier schwerlich je zu einem harmonischen Abschluß gelangen. Am unbestimmtesten weil am weitgreifendsten ist ohne Zweifel das Ministerium der Volkswirthschaft. Dasselbe hat nicht bloß Handel, Ge- werbe und Schifffahrt, sondern auch die Bedingungen derselben zu ver- walten. Zu diesen gehört ein Theil des Unterrichtswesens und ein Theil der Selbstverwaltung. Und hier läßt sich daher im Einzelnen gar keine allgemein gültige Gränze ziehen. Nur das muß feststehen, daß da, wo der Unterricht als Mittel für einen volkswirthschaftlichen Zweck offen ausgesprochen wird, dieß Gebiet dem Ministerium der Volkswirthschaft angehört, und ebenso daß die spezielle volkswirthschaft- liche Thätigkeit der Selbstverwaltung und des Vereinswesens gleichfalls demselben Ministerium unterstehen muß. Das Einzelne kann erst bei der Volkswirthschaftspflege dargelegt werden. Bei dieser Eintheilung nun entsteht die Frage, welche Gebiete dem Ministerium des Innern übrig bleiben, wenn man nicht, wie es zum Theil geschieht, einen Theil der volkswirthschaftlichen Verwaltung eigent- lich nur darum diesem Ministerium vorbehält, weil man dem volks- wirthschaftlichen Ministerium eben nicht sein ganzes naturgemäßes Ge- biet einräumt? Was ist ein Ministerium des Innern, wenn es nicht eben ein Ministerium der Volkswirthschaft bleibt, gleichviel ob es so heißt oder nicht? Es ist kaum ein Zweifel, daß durch die Entwicklung der Stellung und Aufgaben des volkswirthschaftlichen Ministeriums, dem naturgemäß das ganze Gebiet der Volkswirthschaft angehört und mit der Zeit über- wiesen werden wird und muß, dem speziell sogenannten Ministerium des Innern nur ein, und freilich das höchste Gebiet der Verwaltung zustehen kann, und das ist das Gebiet der gesellschaftlichen Ver- waltung. Wir scheiden dieß große Gebiet in zwei Haupttheile. Der erste Theil umfaßt die Gesammtheit aller Formen der freien Verwaltung, die Körper der Selbstverwaltung sowohl als das ganze Vereinswesen, so weit dasselbe nicht dem volkswirthschaftlichen Leben angehört. Alle diese Formen sind im höhern Sinne des Wortes Organe des gesellschaftlichen Lebens des Staates, und stehen daher unter demjenigen Ministerium, welches die organische Aufgabe des Staats gegenüber dei gesellschaftlichen Ordnung durchzuführen hat, dem Mini- sterium des Innern. Der zweite Theil bezieht sich dagegen auf die, im Volksleben selbst erscheinenden Ordnungen und Gegensätze der Gesellschaft. Das Mini- sterium des Innern ist das Ministerium der socialen Fragen und Aufgaben , die nach dem Charakter unserer Zeit schon in den nächsten fünfzig Jahren alle volkswirthschaftlichen und geistigen Ver- waltungsangelegenheiten in sich aufzunehmen und nach ihren eigenthüm- lichen Principien zu verarbeiten bestimmt sind. Wie diese Fragen selbst, so steht auch dieß Ministerium über den beiden andern, insofern es jeder einzelnen Thätigkeit derselben ihre sociale Richtung geben wird. Daß dieß bisher nicht formell anerkannt und ausgesprochen ist, liegt eben darin, daß die sociale Gesellschaftsordnung sich in unserer Zeit erst langsam und noch sehr unsicher aus der staatsbürgerlichen entwickelt; und dennoch trägt die entstehende Scheidung zwischen dem Ministerium der Volkswirthschaft und des Innern schon den Charakter dieser Stellung des letzteren an sich. Während nämlich vom ersteren in der Volkswirth- schaft alle einzelnen und selbständigen Interessen und die Bedingungen ihrer Entwicklung übergeben werden, behält man als selbstverständlich dem Innern die Verwaltung der Formen der Selbstverwaltung, der Körperschaften mit ihrem ständischen Element und der Vereine mit ihrer socialen Richtung vor; ihm gehört das ganze Bevölkerungswesen als natürliche Basis der persönlichen Entwicklung, das Armen- und Hülfs- wesen, die Agrarverfassung mit ihren Beziehungen zur Klassenbildung, und die ständischen Gesellschaftsformen des Adels und der Rangver- hältnisse nebst ihren Besitzverhältnissen, den Majoraten und Fideicom- missen, als Verwaltung der höchsten Klasse. Ihm gehört aus demselben Grunde principiell die Verwaltung der Polizei, da in unserer Zeit die Gefahren der öffentlichen Ordnung nicht mehr in dem Gegensatz der Gesellschaft zur Verfassung, sondern in dem Gegensatz der gesellschaft- lichen Elemente zu einander bestehen. Und so wird sich das Ministerium des Innern, das schon jetzt seinem Inhalte nach das sociale Gebiet ausschließlich beherrscht, allmählig neben dem volkswirthschaftlichen Mini- sterium zum gesellschaftlichen Ministerium durch sich selbst entwickeln. c ) Das Gesammtministerium und seine Organisation. Das Gesammtministerium, seine Funktion und seine Organisation beruht nun darauf, daß die Verwaltung ihrem Wesen nach ein Ganzes bleibt, obgleich die einzelnen Hauptgebiete derselben in den Ministerien als selbständige persönliche Organismen auftreten. Diese Einheit der Verwaltung hat nun die Beziehungen jedes Zweiges derselben zu allen übrigen zu ihrem Inhalte; und das Gesammtministerium ist dasjenige Organ, welches eben diese Gemeinsamkeit der Verwaltung in allen ihren Zweigen zum Ausdruck bringt. Das Gesammtministerium ist daher dem Staatsrathe in seiner organischen Stellung so nahe verwandt, daß es erklärlich erscheint, wenn der Staatsrath wie in England im Ministerrath untergeht, oder mit ihm denselben Namen hat, wie in Schweden und Norwegen, oder neben ihm eigentlich ganz verschwindet, wie in Württemberg und andern Staaten. In der That gehört die ganze Schärfe des administrativen Bewußtseins der französischen Organisation dazu, um den trotzdem so tiefgehenden Unterschied beider Organe nicht bloß zu fühlen, sondern auch ganz bestimmt gesetzlich zu formuliren. Es ist kein Zweifel, daß ein solcher besteht, und es ist nicht so gar schwer, ihn zu bestimmen. Das Gesammtministerium ist dasjenige Organ, in welchem die Bedürfnisse und Forderungen jedes einzelnen Ministeriums mit den gegebenen Verhältnissen der übrigen Ministerien sich ausgleichen. Im Ministerrathe wird zunächst immer nur die Ansicht oder Auffassung Eines Ministeriums im Verhältniß zu den Bedingungen und Folgen erwogen, welche dieselbe in den übrigen Ministerien finden; die An- nahme der Anträge Eines Ministeriums bedeutet daher, daß die Ge- sammtheit der Regierung dieselben zu den ihrigen macht, und sie als solche der selbständigen Staatsgewalt vorlegt. Diese hat noch immer die persönliche Entscheidung; damit die letztere aber nicht als subjektiver Wille, sondern als wohlerwogener Beschluß erscheine, wird sie vom Staatsrathe motivirt. Der Regel nach wird daher der Ministerrath als Gesammtministerium vorzugsweise auf dem Boden der praktischen, der Staatsrath auf dem der theoretischen Wahrheit stehen. Der Minister- rath wird der Vertreter des gegenwärtigen Zustandes, der Staatsrath der Vertreter derjenigen Principien sein, welche auch die ferne Zukunft umfassen. Der Ministerrath wird dem Leben des Volkes, der Staats- rath der Idee des Staates mehr Rechnung tragen. Es ist nichts nutz- loser, als die Frage, welches von beiden wichtiger ist; das wahrhaft Wichtige ist, daß man sie beide in ihrer Nothwendigkeit anerkenne, und ein glücklicher Zustand ist der, wo beide in Harmonie handeln. Aus allem diesem aber wird es nun begreiflich sein, wie es zugeht, daß man über Begriff und Competenz des Gesammtministeriums sich selten klar ist, und eben deßwegen eine Reihe von Competenzbestimmungen getroffen hat, welche in den verschiedenen Staaten mannigfach verschieden sind. Lehrreich für die innere Entwicklung dieser Staaten wird die Darstellung dieser Verschiedenheit jedoch erst dann, wenn man eben die historische Entwicklung des Gesammtministeriums und des Staats- rathes den gegebenen Gesetzen zum Grunde legt. Namentlich ist ohne eine Vergleichung mit England und Frankreich hier nur wenig zu ge- winnen. Wir haben die bisherige Darstellung nicht mit einzelnen Noten unterbrechen wollen, weil auch hier der wahre Werth derselben in dem allgemeinen Gesichts- punkte liegt, an den sie sich anschließen, und weil das geltende Recht und die wirkliche Organisation der obigen drei Hauptfragen doch zuletzt von dem Ge- sammtcharakter der ministeriellen Organisation und des ganzen Verfassungs- lebens jedes Staates wieder bestimmt wird. Wir fassen daher im Folgen- den als Ganzes zusammen, was als Einzelnes jenen einzelnen Theilen zugleich angehört. Was zunächst die Literatur betrifft, so läßt es sich kaum verkennen, daß die Staatsrechtslehrer keinen allgemeinen Gesichtspunkt für das Verständniß des Ministerial- und Behördensystems gefunden, und die ganze Organisation daher als eine Sache der Staatsstatistik betrachtet haben. Das ist durch die immer größere und für ihre Zwecke höchst wichtige Ausbildung der Staatshand- bücher namentlich in neuerer Zeit noch mehr gefördert, vorzüglich da, wo die letzteren nach französischem Systeme neben den Behörden auch die Competenz derselben mit aufführen, was als ein wesentlicher Fortschritt betrachtet werden muß. In den zwanziger Jahren, wo dieselben zum Theil gar nicht, zum Theil höchst unvollständig und als bloße Nomenclatur existirten, und wo die deutschen Staaten selbst in der Organisirung begriffen waren, sehen wir dagegen noch die Frage ernsthaft und von höheren Gesichtspunkten aufgefaßt. Namentlich bleibt das Werk von Malchus ein dauerndes Denkmal deutschen Fleißes. Das was er im großen Maßstab gegeben, hat Brachelli in der angeführten Abhand- lung für die neueste Zeit verfolgt. Aus dem statistischen Standpunkt ist dabei nur die Frage nach dem Provinzial- und Realsysteme als das allgemeine Mo- ment herausgetreten, was selbst von Malchus (Politik der innern Ver- waltung I. S. 5 und 7) nur auf einzelne Gründe der Zweckmäßigkeit zurück- geführt wird, statt tiefer auf das organische Wesen der Sache einzugehen; ein Standpunkt, den in neuester Zeit, wenn auch mit viel geistreicherer Behandlung, Gerstner (Grundlehren der Staatsverwaltung , Kap. XI. ) einnimmt, und der noch neuerdings wieder von Bluntschli in seinem Allgemeinen Staatsrecht ( I. 68 ff.) gründlich mißverstanden worden, der auch nicht das Wesen der Selbstverwaltung gegenüber dem Ministerialsystem begriffen hat, während wie schon erwähnt die allgemeinen Staatsrechtslehrer lieber die ganze Frage fallen lassen. Pölitz ging eigentlich vorauf in jener stillen Beseitigung mit seiner Abhandlung „Grundriß für encyclopädische Vorträge“ (S. 188), froh, hier wie immer eine einleuchtende Kategorie statt eines organischen Begriffes ge- wonnen zu haben. Bülau (Behörden S. 39 ff.) ist geistreich in seinen einzelnen Bemerkungen, während Zachariä (40 Bücher, Bd. II. ) geistreich über das Ganze redet, und Mohl (Encyclopädie, S. 664 ff.) so kurz ist, daß man nichts zu fordern berechtigt ist. Der Ernst, mit welchem daneben schon Klüber §. 345 statt allgemeiner Phrasen die einzelnen Gesetze nach Malchus Vorgange über die Organisation in die deutsche Staatsrechtslehre aufnimmt, was Zachariä (Deutsches Staats- und Bundesrecht II, S. 5 ff.) noch vollständiger fortsetzt, und der alsdann in den Territorialstaatsrechten, wie bei Mohl, Weiß, Milhauser, Pötzl, Moy und zuletzt Rönne die Frage zu einer concret staatsrechtlichen macht, läßt für dieses Gebiet nur nach einer allgemeinen Seite der Betrachtung einen Werth, und das ist die Vergleichung des Ministerialsystems der großen Staaten; denn in der That muß dasselbe auf seinem innersten Zusammenhang mit dem ganzen Organismus zurückgeführt werden. England zuerst zeigt uns, daß das Ministerialsystem dem Gesetze unter- liegt, daß es im Ganzen wie im Einzelnen seine Ausbildung nur durch die völlige Gültigkeit der Herrschaft der staatsbürgerlichen Gesellschaft empfangen kann. England hat zunächst kein eigentliches Ministerialsystem, und eben so ist das Recht der Minister als einzelner keineswegs dasselbe wie auf dem Continent. Gneist hat uns dabei wieder nichts übrig gelassen, als auf ihn zu verweisen. England hat nicht einmal den Namen des Ministers. Der König ist allerdings das Haupt der ganzen Verwaltung, aber die letzte ist nicht selbständig gegen- über der Gesetzgebung, und die Thätigkeit derselben als bloße Ausführung ist eben daher auch grundsätzlich entweder nur eine Verwaltung der Hoheits- rechte oder ein Collegialsystem . Das was wir ein Gesammtministerium nennen, besteht daher im continentalen Sinn nicht. Die eigentlichen Minister als Verwalter der Hoheitsrechte sind der Lord Privy Seal, der First Lord of the Exchequer, der Chancellor of the Treasury, und der Lord Kanzler. Höchste Verwaltungsbehörden, eigentliche Verwaltungsminister sind die soge- nannten Staatssecretäre des Innern, des Aeußern, der Colonien und des Krieges. Als Collegialverwaltungen bestehen dann theils als Theile des Privy Council das Judicial Committee, das unser Justizministerium, und das Com- mittee for Education, das unser Unterrichtsministerium in der Form des alten Collegialsystems vertritt, theils aber selbständig namentlich für alle die volks- wirthschaftlichen Interessen betreffenden Gebiete in dem Board of trade nebst sechs andern Commissions, und der Ecclesiastical Commission. Von einem System der Ministerien und der Behörden ist dabei offenbar keine Rede. Eben so wenig kann ein, dem continentalen Leben entsprechendes Verordnungsrecht der Chefs dieser Behörden vorhanden sein; das Verhältniß derselben besteht viel mehr darin, daß diese Verordnungen Sache der Privy Council sind. Es ist offenbar, daß dieser Zustand ein geradezu unerträglicher wäre, wenn nicht die Selbstverwaltung und die individuelle Tüchtigkeit des Volksstammes das Ganze wieder ausgliche. Schon das obige zeigt ferner, daß von einem eigentlichen Be- amtenstande gleichfalls keine Rede sein kann. England ist daher eine ganz ex- ceptionelle Bildung, und zeigt uns einen Zustand, in welchem gute Principien beständig mit schlechten Einrichtungen zu kämpfen, und die Uebelstände derselben zu überwinden haben. Man soll daher nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel von England annehmen. Was Frankreich betrifft, so ist sein Organismus so einfach und durch- Stein , die Verwaltungslehre. I. 21 sichtig, und das Bedingtsein durch den ganzen Gang des Staatslebens so klar, daß es schon allein dadurch wenigstens für die Formen desselben zum Vorbild der deutschen Zustände geworden ist. Frankreich hat schon vor der Revolution Minister; aber sie sind nur noch Einrichtungen der Zweckmäßigkeit, nicht orga- nische Gestaltungen, und wechseln daher beständig. Erst mit der Revolution werden sie nicht bloß zur Grundform des Verwaltungsorganismus, sondern jede andere höchste Spitze wird definitiv neben ihnen ausgeschlossen. Zugleich wird ihr organisches Verhältniß festgestellt. Sie sind die höchsten vollziehenden Or- gane, die ganze Verwaltung wird in sechs Ministerien eingetheilt, sie bilden den Ministerrath und sind dem gesetzgebenden Körper verantwortlich, werden aber vom Könige ernannt. Das sind die einfachen Principien des Gesetzes vom 25. Mai 1791, welches das Organisationsgesetz für das Ministerialsystem ist. Im Grunde sind die Elemente desselben bis auf den heutigen Tag geblieben. Zwar nahm die Assemblée législative nach dem 10. August 1791 dem Könige das Recht der Ernennung, und die Convention nationale hob sie ganz auf, um jeden Widerstand und jede Selbständigkeit der Vollziehung und Verordnung gegenüber der Gesetzgebung zu vernichten; allein schon die Constitution von 1795 stellte die Minister wieder her, und von jetzt an bleiben sie. Aber schon unter dem ersten Kaiserreich verlieren sie die innige Verbindung mit dem Leben der Gesetzgebung, und es stellen sich die Grundsätze fest, welche auch gegenwärtig gelten. Sie verlieren die selbständige Verordnungsgewalt , und mit ihr die Verantwortlichkeit; die erstere geht von dem Minister auf den Souverain zurück, und die berathende Behörde dafür wird der Conseil d’État; der Minister ist jetzt nur noch die rein ausführende Behörde und Napoleon I. setzte daher auch statt der alten sechs Minister zwölfe ein. Von jetzt an ist die Stellung der Minister bedingt durch das Maß der Rechte, welche der gesetzgebende Körper ausübt. Es war ganz consequent, daß mit der Herstellung der Kammern unter der Restauration auch die alten sieben Ministerien hergestellt, und vermöge des Princips der Verantwortlichkeit auch das Verordnungsrecht wieder über- nommen ward; die Julirevolution brach die Bewegung, welche ihnen zu viel Rechte geben wollte, und das System der verfassungsmäßigen Ministerien gilt unbe- stritten. Bezeichnend für die innere Entwicklung ist nur, daß das Ministerium des Innern aus sich in den dreißiger Jahren das Ministère du commerce (1831) und das Ministère des travaux publics (1839) entwickelt. So bleibt es bis zum Jahr 1848. Die Constitution vom 4. November 1848 gab zwar dem Präsidenten das Recht die Minister zu ernennen, behielt aber der gesetzgebenden Gewalt das Recht vor, die Zahl und die Competenz derselben zu bestimmen. Es ist, als hätten die Franzosen dieß aus den deutschen Constitutionen ent- nommen. Natürlich ward dieser ganze Organismus mit dem zweiten Kaiserreich wieder auf den Standpunkt des ersten zurückgeworfen, dessen Grundsätze sich hier wiederholen: erstlich Vermehrung der Zahl auf nenn, und Freiheit des Kaisers mehrere zu errichten; zweitens Unterordnung der Verordnungsgewalt unter den Conseil d’État; drittens dem entsprechend Aufhebung der ministe- riellen Verantwortlichkeit. Wesen und Stellung der Minister unter dem gegen- wärtigen Regime drückt mit kurzen Worten Laferri è re in seinem Droit administratif am bezeichnendsten aus I. 2. (Ministres) — les Ministres ne réfléchissent pas auprès du président une majorité politique, ils ne forment point son conseil nécessaire , ils ne sont que les chefs des départements administratiß“ — und da sie zugleich keine Verantwortlichkeit haben, so sind sie in der That gar keine Minister im verfassungsmäßigen Sinne mehr. Es ist mit vollständiger Gewißheit vorherzusagen, daß die freiere Gestaltung der fran- zösischen Verfassung den Ministern ihre Selbständigkeit und damit auch ihre Verantwortlichkeit wieder geben wird. Nirgend sind die Wirkungen der allge- meinen Gesetze, welche das Staatsleben beherrschen, stärker, aber auch klarer erkennbar, als eben in Frankreich. In Deutschland sehen wir dagegen eine Vielgestaltigkeit dieses Organis- mus, die man, um sie zu verstehen, allerdings auf zwei Gründe zurückführen muß. Der erste ist die sehr verschiedene Größe der Staaten, welche für den größten Theil der deutschen Bundesstaaten vielleicht das Princip, gewiß aber nicht die organische Eintheilung des Ministeralsystems möglich macht, und man muß sagen, daß eine Gemeinschaft, welche nicht einmal die fünf Hauptministerien erzeugen und beschäftigen kann, vor der Wissenschaft nicht den Charakter eines Staats, sondern nur den einer sonverainen Landschaft haben kann. Alle dahin gehörigen Besonderheiten und unklaren Organismen der kleineren Territorien übergehen wir daher als Uebergangsbildungen. Der zweite Grund aber ist das Verhalten der verfassungsmäßigen Verwaltung; und hier wird die Geschichte der Verfassungen zur Geschichte der Ministerialsysteme. Offenbar muß man nämlich in Deutschland zwischen zwei Principien, die in der Organisation geltend geworden und namentlich im Ministerialsystem zum Ausdruck gekommen sind, wohl unterscheiden, und dieselben zeichnen sich auch äußerlich sehr bestimmt neben einander ab. Wir möchten das erste das rein administrative , das zweite das verfassungsmäßige nennen. Das erste stammt aus der Napoleonischen Zeit, das zweite ist Deutschland eigenthümlich, wenn es auch in vieler Beziehung ein Reflex der Auffassungen der französischen Revolution war. Das erste beginnt schon mit dem Anfange dieses Jahrhunderts, und geht seinen Weg unbekümmert um Verfassung oder Verfassungslosigkeit; das zweite dagegen schließt sich an das Entstehen der Verfassungen, und bildet die Form, in welcher die Verfassungsmäßigkeit ihre Anerkennung auch in der Verwaltung findet. Der Charakter des ersten besteht darin, daß es das ganze Beamtensystem, namentlich aber die höchsten Stellen nach den Forde- rungen der centralen Bureaukratie ordnet, wozu die Ministerialordnung eine höchst passende Organisation darbot; das zweite dagegen legt die Möglichkeit der Verantwortlichkeit zum Grunde und macht dadurch die Elemente der Orga- nisation zu einem Theile der Verfassung selbst. Das erste entsteht daher rein durch Verordnungen, das zweite durch Gesetze. Beide Grundformen laufen nun eine Zeit lang parallel neben einander, dem eigenthümlich deutschen Verhältniß entsprechend, nach welchem ein Theil Deutschlands, namentlich der Süden verfassungsmäßig gebildet ist, ein Theil dagegen nicht. Allmählig aber siegt das verfassungsmäßige Princip und damit wird die Organisation auch in die Gesetzgebungen unmittelbar aufgenommen, um mit der verfassungsmäßigen Festigkeit der Organe auch die Verfassungsmäßigkeit der Verwaltung sichern zu können, bis mit dem Jahre 1848 dieß Princip definitiv in Oesterreich und Preußen siegt, und damit die Grundlagen allenthalben bei übrigens wechselnden Formen gleichartig geworden sind. Das ist der Gang der Geschichte in diesem Gebiete seit den letzten fünfzig Jahren. Die Literatur hat den Wechsel der Organisation wesentlich nur als Zweckmäßigkeitsfrage aufgefaßt. Der Gegenstand bedarf noch einer wahrhaft historischen Erforschung. Wir können nur wenige Andeutungen geben. Die große Organisationsperiode beginnt im Süden und im Norden aller- dings gleichzeitig, aber freilich aus beiden obigen Gesichtspunkten zugleich. Im Jahre 1808 schließt im Süden Bayern an seine erste, noch ganz französische Constitution von 1808 (Protocoll 3.) das organische Edikt vom 24. Juli 1808, während im Norden Preußen mit der Verordnung vom 16. und 26. December 1808 eine Reihe von Verordnungen eröffnet, welche den Organismus seines ganzen Systemes feststellen: Verordnung vom 27. Oktober und 1. November 1810, 24. April 1812, 30. Juni 1814, 30. April und 16. December 1815, Staatsrath durch Verordnung vom 20. März 1817, Staats- ministerium vom 3. November 1817. Trotz des Mangels einer Volksvertretung war dennoch in Preußen wenigstens im Anfange der Geist ein sehr freisinniger, in welchem diese Organisation unternommen wurde (vgl. Rönne II. 48); später ändert sich freilich der Gang der Dinge. Oesterreich änderte unterdessen gar nichts. Baden war mit seiner Organisation eigentlich schon voraufgegangen, allein sie betraf mehr das Behördensystem 1803. Sein Ministerialsystem schließt sich gerade wie in Bayern erst an die Verfassung; die Verordnung von 1821 organisirte das Staatsministerium, und erst das Gesetz vom 23. December 1844 den Staatsrath. Württemberg nahm dagegen, nachdem es mit Bayern und Baden gleichzeitig im ersten Jahrzehent sein Behördensystem umorganisirt (Mohl Staatsrecht I. 13 ff.) und der König den Geheimen Rath 1816, die höchsten Gerichte 1817 und an demselben Tage 18. November die obersten Staats- behörden organisirt, den ganzen Organismus in seine Verfassung auf (§. 54 ff.). Die nördlichen Staaten folgen dann successive je nach Maßgabe des Eintretens in das Verfassungsleben. Kurhessen (Verordnung 29. Juni 1821), Groß- herzogthum Hessen namentlich seit 1820 (siehe Weiß §. 20. 21 f.), König- reich Sachsen (Ministerialdepartement eingesetzt durch Verordnung 7. Nov. 1831), Hannover , wo nach den Organisationen der Behörden in den zwanziger Jahren die höchsten Staatsbehörden (Departementsministerien 14. November 1837, Staatsrath den 21. Januar 1839) auf Grundlage der Verfassungsurkunde von 1833, Kap. VIII, organisirt wurden. Endlich folgten auch Oesterreich und Preußen, in jenen seit 1848, in diesem seit der Verfassung vom 31. Januar 1850 (Protocoll IV, VI, VII, IX, siehe Rönne II. Abtheilung II ). Im Großen und Ganzen liegen dabei immer die fünf Ministerien zu Grunde; nur das Ministerium des Innern ist in mehrere Theile getheilt, und hier ist man noch zu keinem gemeinschaftlichen Resultat gelangt. — Wir glauben hier auf das Einzelne nicht weiter eingehen zu sollen, um so weniger als wir der eigentlichen Verwaltungslehre den Organismus der Verwaltung des Innern, auf den es uns ankommt, werden zu Grunde legen müssen. Es schien uns hier nur unsere Aufgabe, die leitenden Gesichtspunkte anzudeuten, welche der Betrachtung des Organismus erst ihre Bedeutung geben können. 2) Das Behördensystem . a ) Organisches Wesen desselben. Gegenüber dem Ministerialsystem im engeren Sinne verstehen wir unter Behörden die Gesammtheit aller derjenigen amtlichen Organe, welche die Aufgabe eines Ministeriums örtlich als dauernde Organe desselben zu vollziehen haben. Es ergibt sich daraus, daß die Gesammtheit der Behörden erst den eigentlichen Körper der vollziehenden oder Verwaltungsgewalt bildet. In ihnen berührt der Wille des Staats das wirkliche Leben des Volkes; sie sind die eigentlichen Träger seiner Thätigkeit, und die großen Prin- cipien der Verwaltung verkörpern sich in ihren Händen zu wirklichen Verwaltungsakten. So unwichtig daher auch die einzelne Behörde sein mag, so unendlich wichtig ist dagegen das System derselben. Es leuchtet ein, daß der Charakter, den dieß System hat, auf das Innigste mit dem ganzen Gange der staatlichen Entwicklung verbunden sein muß. Die Entwicklung dieses Charakters des Behördenthums hängt daher einerseits mit dem Volkscharakter, andererseits mit der gesellschaft- lichen Bewegung unzertrennlich zusammen. Derselbe ist ein anderer in der ständischen Epoche, und ein anderer in unserer Zeit der staats- bürgerlichen Gesellschaft. Das Verhältniß des Behördenthums zum Begriff und zum Zustand der vollziehenden Gewalt ist in seinen Grund- zügen folgendes. In der ständischen Epoche ist nämlich die Verwaltung und mit ihr die ganze vollziehende Gewalt nur in den Behörden da. Die höchsten Organe, welche die Stelle der Minister vertreten, sind nur die Räthe der Krone, welche die Befehle derselben an die Behörden erlassen. Sie bilden mit ihnen zusammen kein organisches Ganzes, kein Mini- sterium. Jede Behörde wird dadurch zu einer unmittelbaren wenn auch örtlichen Vertretung des Staatsoberhaupts; durch sie ist der König auf jedem Punkte des Reiches gegenwärtig und als König thätig. Das ist es, was den Behörden jene ideale Stellung gibt, die nirgends besser als mit dem Worte der „Obrigkeit“ bezeichnet ist, und deren staatliches Recht auf dem Satze beruht, daß diese Obrigkeit als Stellvertreter des Königthums selbst die „von Gott verordnete Obrigkeit“ ist. In diesem Sinne sind in der ständischen Epoche alle Obrigkeiten gleich , und der Begriff des Amts bezeichnet nur noch dasjenige, was die Obrigkeit zu thun hat, ihre Funktion im Namen des Landesherrn. Consequent er- scheinen dabei die Beamteten als Diener des Königs, der die Quelle ihrer Gewalt ist. Aus demselben Verhältniß geht dann auch die Com- petenz des Amts hervor. Als Vertreter des Königs hat die örtliche obrigkeitliche Behörde naturgemäß ursprünglich alle Funktionen und Rechte des Königthums zu vertreten; der Amtmann ( bailli, sénéchal, justice of peace ) umfaßt mit seiner Competenz nicht bloß alle auf Finanzen, Gericht und Inneres bezüglichen königlichen Rechte und Auf- gaben, sondern meistens auch noch das Militärwesen, Rekrutirung u. s. w. Die Gränze dieses Rechts der Behörde liegt hier daher nicht in dem Begriff der einzelnen Verwaltungszweige, sondern in demjenigen Recht, welches sich die ständischen Körperschaften gegenüber dem Königthum und seiner Obrigkeit noch als Selbstverwaltung erhalten haben. Ein System der obrigkeitlichen Behörden gibt es daher nicht, sondern nur eine Vertheilung derselben nach den historisch gebildeten Landesgebieten; und natürlich ist dann wieder je nach den Formen und Rechten der ständischen Selbstverwaltung die ganze Stellung, Name, Symbol und Recht der einzelnen Obrigkeiten in Land und Gemeinde höchst ver- schieden; nur der Charakter ist allenthalben gleich, im Uebrigen bieten die Behörden ein buntes und fast regelloses Bild, das in jedem Reiche, und meist wieder in den einzelnen Theilen des Reiches höchst verschieden erscheint. Das ganze Verhältniß nun wird wesentlich anders, sowie die ständische Gesellschaftsordnung ihre Stellung in Verfassung und Ver- waltung verliert, und es ist klar, daß demgemäß auch das wahre Wesen der Behörde eben in dem Grade zur Geltung gelangt, in welchem dieß der Fall ist. Die Verschiedenheit der Staaten Europas in Beziehung auf das Behördenthum beruht wesentlich auf diesem Punkte; erst mit der neuen Gesellschaft tritt dasselbe in seine neue organische Stellung. Sowie nämlich die staatsbürgerliche Gesellschaft mit ihrem Princip der allgemeinen und unbegränzten Gültigkeit des Staatswillens er- scheint, wird auch die Vollziehung des letzteren eine allgemeine und durch kein ständisches Recht mehr begränzte. Daraus ergibt sich die Nothwendigkeit, mit dem Systeme der Behörden als dem Organismus dieser Vollziehung zunächst örtlich den ganzen Staat zu umfassen. Der Gegensatz zwischen den ständischen und den Staatsbehörden ver- schwindet, und das amtliche Behördenthum ist jetzt auf allen Punkten das Organ des Gesetzes. Die Trennung der Verwaltung von der Gesetzgebung hat aber zur weitern Folge, daß den Behörden das selb- ständige Verordnungsrecht, das bei der Verschmelzung beider Funktionen auch bei ihnen den Charakter des Rechts auf Gesetzgebung hatte, verloren geht; sie haben es von jetzt an nur noch im Namen eines Gesetzes, und werden dafür verantwortlich. Die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Verwaltung endlich, welche in dem Wesen der ministeriellen Verantwortlichkeit ausgesprochen ist, erzeugt ein drittes Verhältniß des Behördenwesens, welches wir das organische nennen können. Dasselbe fordert erstlich einen unbedingten amtlichen Gehor- sam der Behörden gegen die Weisungen der höchsten vollziehenden Organe, des Ministeriums, weil nur durch einen solchen Gehor- sam das letztere die Verantwortlichkeit auf sich nehmen kann; und zweitens eine Organisation derselben, welche diesen Gehorsam auch möglich macht. Diese letztere nun ist es, welche das eigentliche Kennzeichen des Behördensystems der verfassungsmäßigen Verwaltung bildet. Die Funktion des Ministerialsystems in dem von uns ange- gebenen Sinn ist, wie wir gesehen, die Aufstellung und Durch- führung der leitenden Principien der Gesetzesvollziehung im Allge- meinen; die Funktion der einzelnen Behörde ist die ganz spezielle örtliche Durchführung derselben. Die absolute Gleichmäßigkeit der letzteren ist natürlich auf allen Punkten unmöglich; ebenso unmöglich ist eine ausreichende Beurtheilung des nothwendigen Maßes der Modifikation in der Ausführung durch die örtlichen Verhältnisse von Seiten des Ministeriums. Die Forderung der verfassungsmäßigen Verwaltung erzeugt daher jenes charakteristische Merkmal in der Organisation der Behörden, welches wir die Mittelbehörden nennen. In der stän- dischen Epoche gibt es keine Mittelbehörden; und diese sind auch nicht aus Gründen bloß äußerlicher Zweckmäßigkeit entstanden. Sie sind vielmehr dasjenige Organ, welches — es läßt sich das eben nicht schärfer definiren — die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Ge- setze dadurch zu erhalten haben, daß sie ein gewisses Gebiet gleich- artiger örtlicher Verhältnisse zusammenfassen, und in die örtlich ver- schiedene Thätigkeit der Behörden diese Gleichartigkeit hineinbringen. Die Behörde ist dadurch im engeren Sinne jetzt die untere als Lokal- ortsbehörde; die Mittelbehörde unter verschiedenen Namen umfaßt größere Landesgebiete. Auf dem Verhältniß dieser beiden Elemente des Behördenwesens beruht dann das, was wir das System der Behörden nennen. Dieß System der Behörden muß demnach von zwei Gesichtspunkten betrachtet werden, von denen man sagen kann, daß die bisherige Theorie den ersten nicht untersucht hat, weil er zu einfach, und den zweiten, weil er zu mannigfaltig und scheinbar zu zufällig erschien. Dennoch gelten auch hier durchgreifende Grundsätze. Wir können den ersten als das Gebiet der organischen, den zweiten als das Gebiet der natürlichen Faktoren des Behördensystems bezeichnen. Wenn es gelänge, die Betrachtung und das Studium des Behördenthums über den gewöhnlichen statistischen Standpunkt zu erheben, in welchem gerade hier jede wissenschaftliche Untersuchung zu Grunde geht, so würde für das Ver- ständniß des Lebens der Staaten nicht bloß im Ganzen, sondern auch im Ein- zelnen wohl sehr viel gewonnen sein. Daß sich die deutsche Literatur seit Bülau (1836) mit der ganzen Frage gar nicht mehr beschäftigt hat, und sich, wo sie daran herankommt, fast direkt feindselig zu dem Behördenthum ver- hält, hat zwar einen sehr guten Grund, aber nicht immer sehr gute Folgen. Jedenfalls ist es nothwendig, sich darüber Rechenschaft abzulegen. Erst dann kann dieß historisch recht wohl erklärliche, aber an sich ganz verkehrte Verhältniß besser werden. Und es möge uns hier gestattet sein, dazu durch Erklärung jenes Verhältnisses, und dann durch Charakterisirung des Behördenwesens in den großen Staaten das Unsrige beizutragen. Offenbar sind die Behörden diejenigen Organe, welche nicht bloß im Allgemeinen in das wirkliche Leben am tiefsten eingreifen, sondern welche gerade dadurch das, was alles sich entwickelnde Staatsleben am meisten charakterisirt, den Gegensatz zwischen Staat und Einzelnen, zwischen Herrschaft des ersteren, und Freiheit des letzteren, auch am schärfsten zum Bewußtsein bringen. Der Kampf der staatsbürgerlichen Entwicklung findet daher an den Behörden sein eigentlich concretes Gegengewicht; hier ist die Reibung am stärksten, und hier daher auch gegenseitiges Verständniß am seltensten. Ist das schon zwischen Einzelnen und Behörden der Fall, so wird es noch weit mehr ausgeprägt, wo die bürgerliche Freiheit sich zur Selbstverwaltung erhebt, und damit ein dem Behördenwesen analoges, aber dennoch auf einer ganz andern Grundlage stehendes Organ der Vollziehung erschafft. Hier beginnt das eigentliche Gebiet des Streites; beide, Behörde und Selbstverwaltung, haben dieselbe Aufgabe, die örtliche Verwirklichung der Staatsidee; beide haben an sich dasselbe Recht; beide streben, beständig sich gegenseitig einander unterzuordnen, und nicht etwa aus Herrschsucht oder Haß, sondern weil beide auf demselben Gebiete direkt entgegengesetzte Lebensprincipien — oder doch Formen derselben — zu vertreten haben, die Behörde, indem sie die allgemeinen Bedingungen des Gesammtlebens, sei es als Gesetz, sei es als Forderung der Verwaltung gegenüber dem örtlichen Leben — die Selbstverwaltung, indem sie umgekehrt die örtlichen Lebensgestal- tungen und ihre Interessen gegenüber dem Gesammtleben vertritt. Und daher können wir unbedenklich sagen, daß sich das Behördenthum zur Selbst- verwaltung verhält, wie das Ministerialsystem zur Volksver- tretung . Beide ergänzen sich und bedingen sich gegenseitig. Man kann, ja man muß das Eine aus dem Andern kennen lernen, man wird nie den Charakter eines Staates verstehen, so lange man nicht neben der höchsten Ver- waltung auch das Behördenthum als Ganzes aufgefaßt hat. Der einzig mög- liche Maßstab für das Letztere aber ist das Verhältniß der Behörde zur Selbstverwaltung , also namentlich zur Gemeinde . Und wir wollen ver- suchen, das Behördenthum von diesem Gesichtspunkt aus zu charakterisiren. Wir haben schon gesagt, daß England gar kein Behördensystem im Sinne des Continents hat ; die englische Behörde, die Justice of peace, ist formell nur ein Gericht, materiell dagegen zugleich Polizeibeamter, aber keine Verwaltungsbehörde, und kaum ein Amt. — Das ist es, weßhalb das innere Leben Englands dem Deutschen so schwer verständlich ist. Die örtliche Verwaltung ist in der That ganz der Selbstverwaltung überlassen; die Staats- verwaltung hat weder das Recht, noch die Zeit, sich mit derselben abzugeben; es ist Sache des Einzelnen, sich durch ihre Gemeinde selber zu helfen. Es existirt daher allerdings kein Gegensatz gegen das Behördenthum; aber es existirt auch der spezifische Einfluß desselben nicht. Der Mangel des Behörden- thums bringt in der örtlichen Verwaltung dasselbe zu Wege, was der Mangel einer selbständigen höchsten Verwaltung im ganzen Staatsleben zeigt — die Rechtlosigkeit der Minorität . In ihr besteht die Gefahr für England. Das, was in England als Behörde erscheint, ist daher nur der örtliche Organismus des Gerichts , welches das Gesetz zugleich vollzieht, ohne jedoch etwas thun zu dürfen, was über das Gesetz hinausgeht. Dieser örtliche Organismus ist der Friedensrichter , der mit seinem Sheriff, seinen Clercs und seinen Constablers die richterliche und vollziehende Behörde bildet; einen andern gibt es nicht . Jede wirkliche örtliche Verwaltung liegt ganz in den Händen der Selbstverwaltungskörper. Das ist der Charakter Englands in dieser Beziehung. Er erhält sich auch in den Mittelbehörden (s. unten). Auf ihm beruht auch die ganze, so höchst untergeordnete Stellung des Beamten- standes; auf ihm im Grunde jenes instinktmäßige Streben nach dem „Friedens- richter,“ welcher eine Zeit lang in Deutschland so stark war. Nur mißverstand man die Sache, als Feuerbach dafür kämpfte; denn nach dem englischen Frie- densrichter, den nicht einmal Vincke verstand, suchend, war man dem fran- zösischen in die Hände gefallen, und Feuerbach und mit ihm alles Für und Wider mühten sich ab, durch Nachweisung des processualischen Werthes das Institut zu beurtheilen, während der Instinkt dem deutschen Volke sagte, daß der Friedensrichter, den man haben wollte, in der That nicht ein billiger und bequemer Schiedsrichter von jedenfalls zweifelhaftem processualischem Werthe, sondern vielmehr der Ausdruck der Selbständigkeit der Selbstverwaltung gegen- über dem damals örtlich noch allein herrschenden Behördenthum sei. Wir können nach dem, was Gneist über England gesagt, nichts mehr hinzufügen. Unser Standpunkt ist jetzt ein höherer. Nur die Vergleichung des Behörden- thums auf dem Continent kann uns weiter bringen. In der That muß man sagen, daß, während England kein Behördenthum hat, weil die Selbstverwaltung es überflüssig macht, Frankreich darum keines besitzt, weil es seinerseits die Selbstverwaltung überflüssig gemacht hat. Es läßt sich denn doch im Grunde keine Behörde denken ohne eine gewisse Selb- ständigkeit, ohne ein Element der alten Obrigkeit, ohne den Nebengedanken, daß man in ihr nicht bloß den Diener eines andern Willens, sondern dem Staate selbst gegenüberstehe. Das nun ist in Frankreich unmöglich, weil die Administration nur noch von den Behörden „vollzogen“ wird, und zwar dadurch, daß diesem Willen der Administration nirgends ein dritter, selbst- thätiger Körper entgegentritt, mit welchem sich die Behörde auf gleichem Gebiete abzufinden hat. Da die Selbstverwaltung keine Rechte besitzt, kann natürlich auch der Maire keine besitzen. Er hat nirgends zu fürchten, daß er in seiner Funktion vor einem andern Forum belangt wird, als demjenigen, welcher ihm eben diese Funktion bestimmt hat; er ist daher an jedem Orte allerdings die Verwaltung, aber er ist nicht der Staat. Er ist keine magistrature, sondern nur ein fonctionnaire. Eben darum gibt es auch keine Varietät des Behörden- wesens in Frankreich; es ist nur der Ausdruck eines und desselben Gedankens, des amtlichen Gehorsams, nicht des amtlichen Rechts. Und obwohl wir vielfach die Formen dieser Sache in Deutschland aufgenommen haben, so verstehen wir sie Gottlob doch nie so recht; denn wir haben den Geist derselben nicht recipirt. Das deutsche Behördenwesen ist ein wesentlich anderes, als das englische, aber es ist noch tiefer verschieden von dem französischen. Das deutsche Behördenwesen ist nämlich historisch zunächst die staatliche Gestaltung der ständischen Selbstverwaltung, die gutsherrliche Behörde, auf- genommen und veredelt durch die staatliche Verwaltung. Die deutsche Behörde hat niemals ganz das Gefühl verloren, daß die Selbstverwaltung selbständige Rechte habe, wie die französische; aber sie ist auch nie auf die bloß richterliche und schutzpolizeiliche Funktion beschränkt geworden, wie die englische. Sie ist durch die Entwicklung des Verfassungslebens unseres Jahrhunderts das ge- worden, was sie sein soll, das örtliche Staatsamt . Vortrefflich sagt Pötzl (Bayerisches Verwaltungsrecht I. S. 7): „Bei der Bezeichnung „Behörde“ ist die Rücksicht auf die Gegenstände und Befugnisse, die einem Organe an- gehören, bei der Bezeichnung „Amt“ dagegen die auf die Pflichten entscheidend.“ Sie ist Träger der Autorität des Staats auch gegenüber der Majorität; sie hat das Recht, es in allen Gebieten des Staatslebens zu sein. Sie ist das noch immer nicht in dem Grade und in der Klarheit, wie sie es sein sollte; aber sie ist es ihrem Wesen nach. Sie hat in den deutschen Staaten sehr verschiedene Namen und Formen; sie ist theils direkt vom Staate eingesetzt, theils ist sie nur eine Umwandlung der gutsherrlichen Verwalter; aber nirgends ist sie zu- gelassen, ohne diejenigen Bedingungen erfüllt zu haben, welche das deutsche Recht mit dem deutschen Beamtenthum verbindet. Sie ist daher nicht die Be- herrscherin der Selbstverwaltung, wie in Frankreich, und auch nicht ein für die Thätigkeit desselben indifferenter Organismus, wie in England, der nur dann funktionirt, wenn Gesetz und Sicherheit in Gefahr kommen, sondern sie ist die Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft. Sie schließt sich daher viel freier an die besonderen Verhältnisse der letzteren an; sie läßt, ohne daß ihrem Wesen Eintrag geschähe, Verschiedenheiten in Namen und selbst in der Competenz zu, die weder in Frankreich, noch in England denkbar sind. Sie zwingt daher die Darstellung allerdings, wenn sie genau sein will, stets sich an die statistische Ordnung jedes einzelnen Staates anzuschließen; aber sie hat dennoch ein wesentliches Kriterium, das sie von Frankreich und England definitiv unterscheidet. Die deutsche unterste Behörde ist nämlich niemals eine Gemeindebehörde, wie der Maire, sondern hat stets eine örtliche Competenz der Verwaltung für eine Anzahl von Gemeinden ; und das ist es, was ihr ihre natürliche Stellung als Vertreterin der inneren Verwaltung erhält, denn dadurch erst wird die freiere Selbstthätigkeit des Gemeindewesens möglich. Es ist vom höchsten Interesse, von diesem Standpunkt aus die Geschichte der Behördenorganisation zu verfolgen, die mit dem Anfange dieses Jahrhunderts in Süddeutschland, mit dem Jahre 1808 in Preußen, mit den Jahren 1816 bis 1820 in den übrigen Staaten, und mit dem Jahre 1848 in Oesterreich in die gegenwärtige Cpoche tritt. Wir müssen das genaueren Untersuchungen überlassen. Wohl aber werden wir auf ein zweites Moment eingehen müssen, das wesentlich zum obigen Bilde gehört, und das ist das System der Mittel- behörden . b ) Die Elemente der inneren Organisation des Behördensystems. Derselbe Proceß, der durch die Herstellung der Einheit in der ganzen Verwaltung den Behörden der früheren Zeit ihre Selbständigkeit genommen, hat nun auch das Princip aufgestellt, welches ihre innere Organisation in jeder verfassungsmäßigen Verwaltung bestimmen muß. Da die Behörde die örtliche Ausführung der vollziehenden Thätigkeit hat, so muß sie so eingerichtet sein, daß sie diese einzelne Ausführung in vollster Harmonie mit der Absicht der vollziehenden Gewalt voll- bringt, und dadurch dem Principe der Verantwortlichkeit gleichsam seinen materiellen Boden gibt. Aus dieser allgemeinen Forderung er- geben sich die folgenden Grundsätze. Zuerst entsteht daraus die Nothwendigkeit, daß jedes Ministerium sein Behördensystem habe. Dieser einfache Satz hat eine Reihe hochwichtiger Folgen, in denen eigentlich der Kern für die Bildung des Behördensystems besteht. Es folgt nämlich daraus zuerst , daß jedes Ministerium auch seine administrative Landeseintheilung habe; das Zusammentreffen derselben mit einem andern ist zwar wünschenswerth, aber nicht nothwendig. Namentlich werden diese Landeseintheilungen oft wesentlich differiren für das Ministerium des Krieges, der Finanzen und des Innern, während dieß mit dem Justizministerium sehr oft die- selbe Eintheilung annimmt. Das wird fast in allen Geographien gänz- lich übersehen, und das staatliche Bild, welches sie geben, ist dadurch stets ein unvollkommenes. Zweitens folgt, daß die Behörden des einen Ministeriums nicht die Funktionen des andern vollziehen dürfen, ohne das Princip der Verantwortlichkeit aufzuheben. Sehr einfach ist dieser Satz in dem Verhältniß aller übrigen Ministerien; schwierig er- scheint er nur zwischen dem Innern und der Justizpflege. Die Forderung der „Trennung von Justiz und Administration,“ deren Bedeutung wir bereits früher für den Begriff der verfassungsmäßigen Verwaltung dargelegt haben, findet hier auch seinen formellen Ausdruck, als Voraussetzung für die Uebernahme der Verantwortlichkeit von Seiten des Ministeriums für die einzelnen Thätigkeiten der beiderseitigen Behörden. Am wichtigsten aber ist die dritte Folge, daß das Ministerium sich das System seiner Mittelbehörden entwickeln, und sich über die Funktion desselben klar sein muß. Es ist sehr leicht die Nothwendigkeit von Mittelbehörden anzuerkennen, aber sehr schwer zu sagen, was sie eigentlich zu thun haben. Daher besteht gerade auf diesem Gebiet die größte Verschiedenheit und der größte Wechsel. Es ist eine eigene Arbeit, in dieser Beziehung eine Vergleichung durchzuführen. Wir be- merken dabei, daß hier verschiedene Gesichtspunkte in Frage kommen. Der erste ist der, daß jedes Ministerium sein System von Mittel- behörden mit der ihm entsprechenden Landeseintheilung haben wird. Dieß ist sehr einfach, so lange man die fünf Hauptministerien aufstellt. So wie man aber wieder aus dem Innern die vier Verwaltungsministerien Polizei, Unterricht, Volkswirthschaft und Inneres macht, wird die Sache sehr verwickelt. Hier erscheint in den meisten Fällen als Grund- lage des Systems der Mittelbehörden die Combination wenigstens der drei letzten Verwaltungsbehörden in Einem Körper, jedoch in der Weise, daß dieser Körper durch Beiziehung eigends dazu bestimmter Organe und Herstellung einer eigenen Abtheilung eine Mittelbehörde für jedes jener Verwaltungsgebiete des Innern bildet, so daß hier die politische Landeseintheilung für alle zusammenfällt, und der Zusammenhang jener vier Funktionen in dem Zusammenhange der betreffenden Ab- theilungen ausgedrückt ist. — Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Competenz dieser Mittelbehörden. Sie ist grundsätzlich und für alle Behörden eine oberaufsehende, und eine in zweiter Instanz entscheidende. Die Grundlage dafür bildet das Gerichtswesen, das bekanntlich über- haupt das Behördensystem unter dem Titel des Instanzenzuges zuerst bei sich ausgebildet hat. Der Begriff der Instanz kann nicht den Sinn der höheren Bildung oder des richtigeren Verständnisses des Gesetzes haben, denn sie wäre sonst ein unlösbarer Widerspruch mit der Funktion der Ortsgerichte. Sie bedeutet vielmehr, daß auch im Recht die Rechtsbildung wie das ganze übrige menschliche Leben theils örtlich, theils staatlich vor sich geht, und daß daher die Verwaltung des Rechts von einem, dem rechtsbildenden Körper entsprechenden Systeme von Organen vertreten werden muß. Die zweite Instanz ist das Organ für das Landesrecht, während die erste die für das Orts- recht, die dritte die für das Reichsrecht ist. In der That ist das auch historisch der Gang der Instanzenbildung. Dem haben sich die übrigen Behördensysteme angeschlossen, und die Forderung, daß es auch in der Verwaltung wie in der Justiz drei „Instanzen“ geben müsse, ist demnach nichts anderes, als die Anerkennung des organischen Satzes, daß auch im Staatsleben Ort, Land und Reich das öffentliche Recht bilden. Man muß daher als Princip der Competenz jeder wahren Mittelbehörde sowohl für die Oberaufsicht als für die Entscheidung die Ausdehnung über ein Land setzen; jede weitere Mittelbehörde erscheint als überflüssig, weil sie keinem wirklich besondern Verhältniß des Lebens entspricht. Wie daneben im Einzelnen nun Name und Zuständigkeit der einzelnen Mittelbehörde bestimmt werden soll, muß als Sache der Organisations- gewalt erscheinen. Diese aber wird nun, indem gerade die Mittelbehörde auf diesen gegebenen Verhältnissen beruht, sich an die großen Thatsachen des wirk- lichen Lebens anschließen. Und hier erscheint nun der zweite organische Faktor, das natürliche Element, das in dem Organismus des Behörden- systems mit seiner Macht hineingreift. Wir können im Allgemeinen sagen, daß die deutsche Literatur die Frage nach der eigentlich organischen Bedeutung, und damit nach dem richtigen Organismus der Mittelbehörden und dem sich an dieselben anschließenden Instanzenzug seit den 30ger Jahren fallen gelassen hat. Es beruht das zum Theil auf einer gewissen Hoffnungslosigkeit, in der Frage nach dem Beschwerde- recht und der Administrativjustiz weiter zu kommen, welche natürlich wesentlich von den Mittelbehörden abhängt, theils wohl auch darauf, daß der Organismus derselben ziemlich allgemein feststeht, und man formell an ihm nichts mehr zu ändern hat. Dennoch ist und bleibt dieselbe eine dauernd wichtige, und wird sofort ein neues Leben bekommen, wenn man erst über Selbstverwaltung und Klagerecht einigermaßen einig sein wird. Es möge daher hier gestattet sein, dieselbe etwas genauer zu betrachten. Man muß die Mittelbehörden überhaupt von zwei Standpunkten auf- fassen. Den ersten können wir den administrativen und damit formellen nennen; der zweite schließt sich an Wesen und Thätigkeit der Selbstverwaltung. Der erste gehört Frankreich, der zweite ist Deutschland eigenthümlich. England hat keine Mittelbehörde im continentalen Sinne. Das was die Stelle derselben dort vertritt, sind die Petty und die Quarterly Sessions der Friedensrichter, jene etwa mit der Kreis-, diese mit der Provinz- oder Departemental-Organi- sation äußerlich vergleichbar. Nur sind beide keine Behörden, mit dem amtlichen Rechte eines Verwaltungsorganes ausgerüstet, sondern sie sind Gerichtsinstanzen, bei denen freilich auch jene Administration und Justiz innig verschmolzen sind. Die Thätigkeit der inneren Verwaltung und selbst die der Finanzverwaltung beruht auf der Selbstverwaltung und ihren Körpern, und die Friedensrichter haben die letzteren nur gerichtlich zu verurtheilen, wenn sie ein Verwaltungs- gesetz nicht ausführen. Die Mittelbehörden stammen formell aus Frankreich und sind bekannt genug. Was sie sind und sollen, kann allerdings nur durch die Auffassung der ganzen französischen Administration richtig verstanden werden. Wir haben als den Charakter der letzteren bereits früher die Alleinherrschaft der amtlichen Verwaltungsbehörden bezeichnet, welche die Selbständigkeit der örtlichen Verwaltung ganz in sich aufnimmt, und die völlige Gleichheit der gesammten Verwaltung herstellen will. Dennoch läßt sich eine gewisse Gleich- artigkeit örtlich gegebener Verhältnisse nicht wegläugnen, welche wieder eine be- sondere Gestalt der Vollziehung bedingt. Sie machte eine Auflösung des ganzen Reiches in lauter einzelne Gemeinden nicht möglich; aus ihr ging die Einthei- lung in Departements hervor, welche dann wieder in Arrondissements, und diese in Cantons zerfielen. Dieser Eintheilung entspricht das System der Behörden, des Préfet, des Souspréfet und des Maire. Das organische System ihrer Thätigkeit war damit klar genug. Ueber alles das, was das Departement im Ganzen, also als gleichartig für alle Theile betrifft, hat die Préfecture, über das, was für das Arrondissement gilt, die Souspréfecture, und für die Commune die Mairie zu entscheiden. Es ist das eine formell ganz richtiger und durchsichtiger Organismus für den Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen; aber Thätigkeit, Aufgabe und Stellung aller dieser drei Organe ist innerlich die gleiche; denn es hat jener Organismus doch nur die alleinige Herrschaft des Willens der amtlichen Verwaltung zu vollziehen, die, wenn sie auch die örtliche Berathung in dem Systeme der Conseils hinzuzieht (s. unten), doch dem örtlichen Leben keine selbständige Berechtigung einräumt. Das Objekt der Thätigkeit dieses Systems der Behörden ist daher nie die Funktion der Selbstverwaltungskörper, sondern eben nur die streng amtliche Vollziehung des höheren Befehls, über den am Ende nie das Gericht, sondern zuletzt der Conseil d’État entscheidet. Für den amtlichen Organismus, so weit man ihn für sich betrachtet, gibt es daher in der That keine bessere Form, und der Franzose würde daher unsere deutsche Auffassung gar nicht recht verstehen. Es erklärt sich daraus die Erscheinung, daß die deutschen Staaten dieselbe Grundform für ihr Behördensystem seit Beginn dieses Jahrhunderts so gut als ausnahmslos annahmen. Wir sehen nur auf einem wesentlichen Punkte einen Unterschied, und dieser gibt dem ganzen deutschen Systeme einen durchaus andern Charakter bei äußerlich formeller Gleichheit. Die deutschen Staaten haben nämlich niemals das Gemeindehaupt als bloßen Beamteten betrachtet. Deutschland kennt keinen Maire . Die unterste Behörde ist daher schon selbst eine Art Mittelbehörde ; der unterste Verwaltungskreis, der Bezirk oder Distrikt, ist eine Einheit von selbständigen Verwaltungskörpern, und das unterste Organ, der Bezirkshauptmann als Amt- mann, wird dadurch nicht bloß ein einfaches Vollzugsorgan, sondern er regiert schon, indem er eine Mehrzahl von Verwaltungskörpern verwaltet. Diese unterste örtliche Behörde, gleichviel unter welchem Namen, gewinnt dadurch einerseits eine Gewalt, welche viel größer ist, als die des Maire, und eine Selbständig- keit in seinen Funktionen, welche in Frankreich unmöglich ist. Die Folge davon war das, was die deutsche Verwaltung gegenüber der französischen so charak- teristisch kennzeichnet, und was man doch nie recht verstanden hat. Einer- seits griff die unterste Behörde, der Amtmann, Landrath oder Bezirkshaupt- mann beständig in die freie Bewegung der Selbstverwaltung der Gemeinden hinein, und so entstanden beständige Reibungen, die natürlich noch größer wurden, wo diese Selbstverwaltung noch immer, wie in Bayern und Preußen, mit der alten Grundherrlichkeit so enge zusammenhängt, und deßhalb nach dem Muster des vorigen Jahrhunderts sich jeder amtlichen Verwaltung principiell und thatsächlich opponirt — etwas, was in der Mairie undenkbar ist. An- dererseits aber hatte man dadurch in Deutschland faktisch in den drei Kate- gorien: Provinz, Kreis und Bezirk ( Département, Arrondissement und Canton ) nicht drei Stufen, sondern drei Mittelbehörden , da die Ge- meinde im Grunde die unterste Stufe war. Daraus folgte, daß der praktische Gang der geschäftlichen Erledigungen ein unnöthig schleppender ward, und daß die Fragen, und mehr noch die Beschwerden über die unterste Mittelbehörde, den Amtmann, oder Landrath, oder Bezirkshauptmann, drei Instanzen durch- laufen mußten, ehe sie zum Ministerium kommen, wodurch im Grunde jedesmal vier Instanzen herauskommen. Diese beiden Gründe zusammenwirkend sind es, welche einen gewissen Antagonismus gegen das deutsche Behördensystem er- zeugt haben, der sich als die bekannte spezifische Klage der Vielregiererei , der Vielschreiberei und selbst der Büreaukratie erzeugt haben. Dazu kam der Grundsatz, daß die ganze Competenz und Thätigkeit dieser Mittel- behörden, wie namentlich in Preußen , nur durch die Instruktionen der Mini- sterien bestimmt ward; schon seit der großen Instruktion für die Regie- rungen von 1817 beginnt die Strenge der Büreaukratie sich ernsthaft fühlbar zu machen, und sich von ihnen auf die Thätigkeit der Landräthe auszudehnen. ( Rönne , Preußisches Staatsrecht II. S. 167 ff. und 174.) Man wird jetzt begreifen, weßhalb diese Klage nur in Deutschland entstehen konnte, während Frankreich sie nicht kennt; denn in der That regiert der Verwaltungsorganismus Frankreichs nicht zu viel, sondern allein, aber in einfacherer Weise, und namentlich nicht im Gegensatze zur Selbstverwaltung, die sich in Deutschland durch das obige System mehr geengt und gedrückt, als wirklich beinträchtigt fühlte. Diesem Gefühle hat vielleicht niemand besseren Ausdruck gegeben, als Bülau (Be- hörden 1836), dessen Abschnitt „Mittelbehörden“ S. 202 vielleicht der bedeu- tendste Theil des ganzen Werkes ist. Man wird von dem obigen Gesichtspunkte aus auch nunmehr verstehen, wenn Bülau sich im Allgemeinen so entschieden gegen das System der Mittelbehörden erklärt, und dieß mit dem Satze be- gründet: „Es ist die Summe alles Staatsrechts, aller Staatsweisheit, aller Staatswirthschaft und aller Finanzkunst, daß der Staat nichts thun soll, was er nicht seiner Bestimmung nach thun muß — und überall lieber zu wenig, als zu viel“ S. 205. „Diese Behörden,“ sagt er weiter, „werden immer nur Durchgangsposten sein. Das alte Sprichwort von dem Kaiser gilt auch vom Staate. Es ist für das Volk besser, wenn seine Behörden zu wenig, als wenn sie zu viel Zeit haben — denn die Geschäfte werden vermehrt, aber es wird dadurch kein Geschäft weniger, sondern viele werden verdoppelt, werden von zwei Behörden betrieben“ S. 211. Es ist kein Zweifel, daß er im Grunde ganz Recht hat, wenn er auch zu weit geht, und bis zur Verurtheilung aller Unterbehörden gelangt. „Die Endentscheidung wird immer vom Ministerium erfolgen. Entweder ist dieß geeignet, eine solche zu fällen; wozu bedarf es denn da einer Unterbehörde? Oder es ist es nicht. Damit wäre zu viel (?), folglich nichts bewiesen.“ Jedenfalls drückt er den Geist des Kampfes aus, den die in dem Gemeindeleben entstehende Selbstverwaltung mit dem Behördenthum begonnen hatte. Malchus (Politik der innern Verwaltung I. §. 32—35) hält sich viel objektiver und gibt eine sehr lichtvolle Darstellung des positiven Organismus in mehreren Staaten. Die spätere Literatur faßt die Sache auf Grundlage der Justizverwaltung auf, um so mehr, als fast allenthalben die französische Administrativjustiz gesetzlich fortbestand; sie will drei Instanzen; sie formulirt dabei auch die besonderen Funktionen derselben, und zwar theo- retisch sehr richtig, ohne jedoch das eigenthümliche Verhältniß zur Selbstver- waltung hervorzuheben. Als Ausdruck dieser Auffassung führen wir Pötzl (Bayerisches Verwaltungsrecht §. 4) an; er drückt mit den kürzesten Worten den ganzen Standpunkt unserer Gegenwart aus: „Die Behörden eines und desselben Zweiges sind in der Regel in drei Abstufungen über und unter einander gestellt, einerseits, damit ein Instanzenzug für die Unterthanen gesichert sei, und andererseits, weil erst auf diese Weise die genauere Sonderung der verschie- denen Thätigkeiten , die bei der Verwaltung wirklich in Betracht kommen, Leitung, Controle und wirklicher Vollzug zu ermöglichen ist. Die unteren Be- hörden (Distrikts-, Bezirks-, resp. Lokalbehörden) sind die eigentlichen Vollzugs- organe; die mittleren controliren und überwachen den Vollzug, die obersten ordnen an und leiten.“ Das ist mehr schön, als klar; denn eine Leitung ist ohne Controle oder Ueberwachung nicht zu denken; wird die Leitung daher durch die oberste Behörde erzielt, wozu die mittlere? Wird sie es nicht, wozu die oberste? — In der That gibt es hier kein anderes organisches Princip, als den Unterschied zwischen Staat, Land und Ort; das sind drei praktisch erfaßbare Dinge, und fordern ihre eigenen Organe; ihr Recht auf die letzteren besteht in der Thatsache der Besonderheit ihrer natürlichen Verhältnisse. Jedes Mehr ist ein Uebel; denn jedes Organ, das man schafft, will etwas thun , und da das Thun des untersten Organs schon die Leitung der Selbstverwaltung betrifft, so muß jedes überflüssige Mittelorgan nur eine Belastung des letzteren werden. Daher dürfen wir als Charakterzug unserer Zeit und als den praktischen Erfolg des theoretischen Kampfes den Satz hinstellen, daß man die Mittelbehörden so viel als möglich verringert , und namentlich zwischen der Landes- oder Provinzialregierung und der Ortsbehörde im obigen Sinne — als Einheit von Gemeinden — jede Mittelbehörde beseitigt oder beseitigen sollte . In diesem Sinne hat man in Oesterreich mit großem Rechte und ohne den geringsten Nachtheil die Kreishauptmannschaften definitiv aufgehoben, und den Bezirk unmittelbar unter die Landesregierung gestellt; in Preußen hat man dagegen trotz alles Kampfes die ganz nutzlose, nur die Büreaukratie vermeh- rende Institution des Oberpräsidenten beibehalten (siehe Rönne II. §. 239 bis 241), deren Funktion neben den Regierungen gar nicht zu definiren ist. Die schließliche Gestaltung dieses für das innere Leben der Staaten so wichtigen Punktes aber kann erst dann kommen, wenn man die unterste Behörde als das Regierungsorgan für die Selbstverwaltungskörper der untersten Verwaltungsgebiete (der Bezirke, oder Distrikte, oder Amtmannschaften, oder wie man sie sonst nennen will) anerkennt , und ihnen ihre amtliche Funktion in diesem Sinne und Geiste bestimmen wird. Jedenfalls ist das, glauben wir, damit einleuchtend, daß man in Deutsch- land sich den Behördenorganismus gar nicht mehr ohne das Verhältniß zur Selbstverwaltung denken kann und soll, während er in Frankreich allein auf den Momenten der Vollziehung beruht. Darin liegt der Charakter beider Länder in dieser Beziehung. c ) Die Elemente der äußern Gestalt des Behördensystems. Land und Volk. Das was wir die äußere Gestalt des Behördensystems nennen, entsteht nun, indem das Behördensystem durch seine Aufgabe, die Voll- ziehung örtlich und sachlich zur Ausführung zu bringen, über das ganze Gebiet eines Reiches vertheilt wird. Es ist natürlich, daß diese Ver- theilung zunächst als eine rein geographische erscheine. Diese Landes- eintheilung zum Zwecke der Ordnung des Behördensystems und seiner Competenz nennen wir nun gewöhnlich die politische Landeseintheilung, und ihre Darstellung die politische Geographie . Gewöhnlich nun bleibt die Darstellung des Behördensystems bei dieser einfachen Thatsache stehen, und für viele Zwecke genügt das auch. Allein es ist keine Frage, daß die Wissenschaft hier weiter gehen kann und soll. Offenbar ist es nicht das Land als solches, welches die Verwaltung und mit ihr das Behördensystem nothwendig macht. Es ist vielmehr das Leben der Menschheit in diesem Lande. Die Gesetze, welche dieses Leben beherrschen, haben aber zunächst eine faktische gemeinsame Grund- lage. Die Mannigfaltigkeit und Größe dieses Lebens steigt naturgemäß mit der Zahl der Menschen, mit ihr daher auch die Aufgabe und Thätigkeit der Verwaltung. Die erste Regel für dieß natürliche Element in der Entwicklung des Behördensystems, auf die obigen Sätze zurück- geführt, heißt daher: die Entwicklung des Behördensystems steht immer im gleichen Verhältniß zu der örtlichen Dichtigkeit der Be- völkerung . Da nun diese Dichtigkeit der Bevölkerung wieder auf das Engste mit der Formation des Landes zusammenhängt, und wenigstens zum großen Theile von Ebene, Flüssen, Meer und Gebirge bedingt wird, so erscheint äußerlich das Behördensystem im innigen Anschlusse an die geographische Gestalt des Landes. Der Charakter des einen erzeugt da- mit den Charakter des andern, und in diesem Sinn kann man sagen, daß jedes Land sein individuelles System von Behörden habe. Um dieß genauer zu verfolgen, müßte die Wissenschaft für jedes Land die folgenden Gesichtspunkte nicht bloß nach ihrem allgemeinen Stein , die Verwaltungslehre. I. 22 Werthe, sondern in ihren thatsächlichen Verhältnissen untersuchen, denn in der That würde eine eingehende Statistik hier ganz neue Ordnungen der Lebensverhältnisse klar machen. Zuerst ist es gewiß, daß sich nicht bloß die Zahl , sondern auch die Arten und die Eintheilungen der Behörden vermehren, je dichter die Bevölkerung ist, während andererseits die Trennung der Funktionen in demselben Grade wächst, in welchem die Zahl zunimmt. Das Umgekehrte ist der Fall bei der Abnahme der Dichtigkeit der Be- völkerung. Daher hat namentlich die große Frage nach der Trennung der Justiz von der Administration die größte Schwierigkeit der Lösung nicht so sehr in der Sache selbst, als vielmehr in dem Mangel dieser Dichtigkeit der Bevölkerung; was an sich ganz richtig ist, kann durch dieses Element so unzweckmäßig in der Ausführung werden, daß es dadurch unrichtig wird. Man hat daher bei der Verschmelzung der beiden Gebiete der Verwaltung wohl zu unterscheiden zwischen der- jenigen, welche auf den Grundlagen der ständischen Ordnung, und derjenigen, welche auf den Bedingungen einer billigen und guten Ver- waltung beruht. Zweitens empfängt das System der Behörden durch die Ver- theilung jener Bevölkerung auch seine äußere Gestalt. Die Grundlage bildet hier den Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Stadt ist im Sinne der Verwaltung vor allen Dingen die stärkste Anhäufung der Bevölkerung und damit die Concentrirung aller ihrer Lebensver- hältnisse auf einem bestimmten Punkte, der zugleich das ganze wirth- schaftliche und geistige Leben des Landes von sich abhängig macht. Es folgt daraus zuerst, daß in den herrschenden Städten die Mittelpunkte des Verwaltungsorganismus sich festsetzen, und damit den Begriff der Hauptstadt bilden, ein Begriff, der nur einen administrativen Sinn hat. Dann erzeugt die Stadt an und für sich ganz andere allgemeine Lebensverhältnisse wie das flache Land, und damit auch Verwaltungs- aufgaben und Organe, welche das Land nicht fordert; ein Verhältniß, auf welchem der wesentliche Unterschied zwischen Stadt- und Land- gemeindeordnung beruht. Daher die Regel, daß in einem Lande über- haupt die Verwaltung und ihr Organismus — im weitesten Sinne genommen — in dem Grade mehr ausgebildet sind, in welchem das städtische Leben mehr vorherrscht. Daraus ergibt sich drittens , daß die Stadt die Heimath der Bildung des eigentlichen Verwaltungs- rechts und der administrativen Theorie ist; denn das städtische Leben zwingt die Verwaltung, die unendliche Verschiedenheit der einzelnen Lebensbeziehungen zu combiniren und allgemeine Grundsätze aufzu- stellen, die sich dann allmählig zur Wissenschaft der Verwaltung gestalten. Die Städte erzeugen daher mit der Verwaltungslehre ferner auch die gesetzlichen Bedingungen für den Eintritt in die Staatsämter; von ihnen geht geographisch mit der centralen administrativen Organi- sation die theoretische Bildung aus, und zwar ist es naturgemäß, daß beide zunächst den Handelsstraßen als den Verbindungswegen zwischen den Städten folgen; die geschichtliche Ausbreitung der Stadtrechte liefert dafür den unzweifelhaften Beweis. Dabei bilden die Flüsse keine Gränze, sondern sie haben durchaus den Charakter und damit den Einfluß von Handelsstraßen, soweit sie eben schiffbar sind. Die Organisation der Verwaltung gestaltet sich durch diesen Einfluß inner- halb der Schiffbarkeit allmählig immer gleichartiger, und in diesem Sinne kann man den Grundsatz aufstellen, daß ein Flußgebiet die ursprüngliche Grundlage des Verwaltungsgebietes ist. Dann aber entwickelt sich mit dem zunehmenden Handel das Wegewesen, zuletzt die Eisenbahnen; der Einfluß des Flusses verschwindet, und an seine Stelle tritt die Concentrirung des Verkehrs überhaupt, der weil er selbst seinem Wesen nach immer der gleiche ist, auch immer eine wesent- lich gleiche Ordnung des Verwaltungslebens erzeugt, die Unterschiede mehr und mehr verschwinden macht und nur noch die ganz allgemeinen Einflüsse von Ebene und Gebirge dadurch bestehen läßt, daß das eigentliche Element aller Verwaltungsthätigkeit und ihrer organischen Entwicklung, die Dichtigkeit der Bevölkerung, welche auf der Frucht- barkeit beruht, in seiner Verschiedenheit bestehen bleibt. Einen eigen- thümlichen Platz nehmen dabei die Seestädte ein. Die Lebens- und Verkehrsverhältnisse der Seestädte entwickeln immer zwei wesentlich ver- schiedene Seiten in ihrer Stellung zum Gesammtleben. Einerseits bilden sie den Knotenpunkt für das Zusammenlaufen der Handelslinien, welche aus dem Innern kommen; andererseits bilden ihre Beziehungen zum Seeleben und zu fremden Staaten wesentlich andere Verhältnisse aus, die eine eigene Verwaltungsthätigkeit und damit eigene Organe fordern. Jede Seestadt strebt deßhalb darnach, soviel als möglich einen selbständigen Verwaltungskörper zu bilden, und sich wenigstens in Bezug auf Handels- und Schifffahrtsverhältnisse vom übrigen Lande zu scheiden, während sie selbst naturgemäß den Sitz der Verwaltungs- organe für die Seeverwaltung in allen ihren Zweigen abgeben. Wenn es daher verkehrt ist, sie in allen Beziehungen der Verwaltung abzu- scheiden, so ist es allerdings auch verkehrt, ihnen in ihrem selbständigen Lebensgebiet nicht ihre nothwendige Selbständigkeit zu geben. Immer aber wird bei Seestaaten der Mittelpunkt der ganzen Verwaltung stets nach dem Haupthafenplatz fallen, und damit der Regel nach das Interesse des Seehandels oft genug das der andern volkswirthschaftlichen Gebiete sich unterordnen. Wie und bis zu welchem Grade dieß alles geschieht, darüber entscheidet die geographische Gestalt des Landes; Natur und persönliches Leben gehen auch hier Hand in Hand. Anders gestaltet sich das alles in gebirgigen Ländern. Hier ist die Dichtigkeit der Bevölkerung niemals eine große, und daher die Ausbildung der Verwaltungsaufgaben, mithin auch die des Verwaltungs- organismus, eine einfachere. Wie das Leben selbst, hat hier die Ver- waltung den Charakter des Oertlichen. Sie muß ihre Aufgabe nach den enger begränzten Verhältnissen richten; viele derselben fallen ohnehin fort; die Forderungen, welche sie stellt, werden durch die natürlichen Hindernisse des Bodens modificirt, und im Allgemeinen hat der Orga- nismus der Verwaltung hier daher viel weniger Organe nöthig, während zugleich in denselben viel mehr Aufgaben verbunden sind. Das letztere ist wieder dadurch möglich, daß der einzelne Bewohner, selbst örtlich auf sich angewiesen, theils weniger vom Gesammtleben berührt wird, theils sich selber zu helfen versteht. Und eben darum wieder ist auch das Maß, in welchem der Organismus der Verwaltung eingreift, hier weit geringer; das Amt verliert selbst da, wo es zu vollziehen hat, einen Theil seiner exekutiven Gewalt, und wie das Verständniß des Gesammtlebens bei dem Einzelnen geringer ist, so bedarf es bei dem Organe der Verwaltung hier auch nicht so sehr der theoretischen Bildung, als der Fähigkeit, die Individuen richtig zu behandeln; wie denn auch dort die letztere weit höher geschätzt wird, und der Einfluß des Organes weit mehr mit dieser als mit jener steigt. Dabei sind die Arten der Gebirge je nach ihrem Verhältniß zur Produktion wieder sehr verschieden, und zwar je nachdem sie sich zur Urproduktion (Bergbau) oder zu den einzelnen Arten der landwirthschaftlichen Produktion mehr eignen. Die Produktionskarte ist neben der Höhenkarte die Basis der Vertheilung der Verwaltungsorgane. Daß nun endlich, wenn Gebirge und Ebene zusammentreffen, im Allgemeinen die Ebene das Gebirge beherrscht, bedarf keiner weiteren Entwicklung. Es möge nur noch bemerkt werden, daß die Funktion eines Verwaltungsorganes naturgemäß selten einen Bergrücken über- steigt, während sie in auslaufenden Thälern bis zum Ende derselben sich zu erstrecken pflegt. Während auf diese Weise der Begriff des Lebens mit den an sich gegebenen Aufgaben der Verwaltung den Organismus in seiner innern Eintheilung, das Land mit seinen örtlichen Verhältnissen denselben in seiner äußern Vertheilung bedingt, ist der Einfluß des Volkes nur sehr allgemein zu fassen. Wenn wir unter dem Begriffe der Gesittung in Beziehung auf die Verwaltung etwas Bestimmtes verstehen wollen, so kann es nur das sein, daß dieselbe das Maß bezeichnet, in welchem die organische Wechselwirkung zwischen dem Gesammtleben und dem Einzelleben, und das harmonische Bedingtsein des einen durch das andere zum allgemeinen Bewußtsein gelangt ist. Es ergibt sich daraus der eben so allgemeine Satz, daß mit dem Fortschritte der Gesittung nothwendig einerseits die Ausbildung der Verwaltung und ihres Organis- mus an sich, andererseits die Willigkeit der Einzelnen wächst, der Ver- waltung theils zu folgen, theils aber ihr selbstthätig zu Hülfe zu kommen. Daraus ergibt sich dann, daß bei freigebornen Völkern die Entwicklung der freien Formen der Selbstverwaltung — der Vereine — und ihre Ausdehnung in dem Grade steigen, in welchem die allgemeine Gesittung steigt; naturgemäß wieder in demselben Verhältniß, in welchem die Dichtigkeit der Bevölkerung zunimmt. Dieß nun in einzelnen Ländern genauer zu verfolgen, ist eine eben so wichtige als anziehende Aufgabe, bei deren Lösung nur zu beachten ist, daß jede Darstellung um so werthloser wird, je allgemeiner die Redensarten sind, und je unbe- stimmter die Beziehung auf die ganz concreten Verhältnisse gerade der Verwaltung und ihrer Zweige und Aufgaben gelassen wird. Dieß nun sind die objektiven Potenzen, welche auf die Bildung des Verwaltungsorganismus Einfluß nehmen. Aus ihrem Zusammen- wirken mit den persönlichen Elementen der staatlichen und der Selbst- verwaltung geht nun das positive System des Verwaltungsorganismus hervor. Es ist als ein großer Fortschritt festzustellen, daß in neuester Zeit dem natürlichen Elemente, namentlich dem Lande , sein ungemeiner Einfluß auf die Staatsbildung überhaupt und wenigstens beziehungsweise auch auf die Ver- waltung vindicirt worden ist. Hier hat Riehl in seiner geschmackvollen Art der Behandlung eigentlich seinen rechten Nutzen gehabt; die Theorie hat ihm dafür dauernd dankbar zu sein; wenn er auch nicht zu strengen Resultaten gelangt, so hat er doch gezeigt, wie der natürliche Sinn für die Formulirung derselben geachtet werden muß. Während Mohl, Mayer, Zachariä, selbst der ängstlich positive Baumstark es noch nicht verstanden, dem Lande sein Recht einzuräumen, hat Gerstner in seinen „Grundlehren der Staatsverwaltung“ den „Staat in seinen Naturbeziehungen“ (Kap. VII. ) aufgenommen, und in eben so umsichtiger als geschmackvoller Weise die letzteren in ihren organischen Verhältnissen zur Verwaltung dargestellt; entschieden der Glanzpunkt des gründ- lich und doch anziehend gearbeiteten Werkes. Nur ist auch hier das spezifische Eingreifen in die einzelnen Verhältnisse der Verwaltung zu sehr überragt von dem allgemeinen Verhältniß zur Staatenbildung. Wie sehr wäre es zu wün- schen, daß künftig jede positive Verwaltungskunde zugleich in diesem Sinn eine Verwaltungsgeographie und Kulturstatistik mit in sich aufnähme! III. Das Staatsdieuerrecht. 1) Begriff und Wesen . Das Staatsdienerrecht bildet den zweiten Theil in dem Gebiete des staatlichen Verwaltungsorganismus. Es entsteht, indem das ein- zelne Amt mit seinem Amtsrecht und seiner Amtsgewalt durch eine einzelne Persönlichkeit selbständig vertreten wird. Dadurch empfängt dieß einzelne Amt erst ein individuelles, persönliches Leben; es tritt aus dem abstrakten Begriffe heraus und verkörpert sich in der Person des Beamteten . Amt und Beamteter verhalten sich daher wie Be- griff und Wirklichkeit, wie Seele und Körper; es kann keines ohne das andere als thätig gedacht werden; jedes setzt das andere voraus, und bei allen obigen Darstellungen ist daher auch jedes Amt als durch seine Beamteten vertreten angenommen. Dennoch ist der Beamtete auch im Amt eine selbständige Persön- lichkeit. Die bisherige Entwicklung des Begriffes des Organismus der vollziehenden oder Verwaltungsgewalt hat nun zwar das organische Verhältniß des Amts an sich, seinem abstrakten Wesen und Begriffe nach, zum Organismus des Staats dargelegt, allein es bleibt dieß zweite Moment, die individuelle Persönlichkeit des Beamteten, daneben bestehen. Und nun nennen wir die Gesammtheit der Rechtsverhältnisse, welche für die individuelle Persönlichkeit des Beamteten durch die Ueber- nahme des Amts entstehen, das Staatsdienerrecht . Das Staatsdienerrecht ist daher ein Rechtsverhältniß nicht zwischen Amt und Staat, sondern zwischen dem Beamteten und dem Staate. Der Inhalt des Staatsdienerrechts entsteht aus denjenigen Verhält- nissen, welche die Verwaltung des einzelnen Amts durch die einzelne Persönlichkeit erzeugt. Diese Verwaltung des einzelnen Amts durch die einzelne Persönlichkeit nennen wir den Staatsdienst . Das Staats- dienerrecht ist daher die Summe von Rechtsverhältnissen, welche für den Staatsdiener durch den Staatsdienst entstehen. Das Staatsdienerrecht ist daher nicht bloß ein wichtiger Theil der organischen Verwaltung, sondern in gewisser Weise die Spitze derselben. Denn dasselbe bezeichnet die Art und das Maß, in welcher die Ver- waltung die individuelle Persönlichkeit des Beamteten in sich aufnimmt, und seine persönliche Selbständigkeit dem Willen des Staats unterwirft; andererseits die Gränze und den Inhalt der persönlichen Selbständigkeit des Beamteten dem Staatswillen gegenüber. Nun ist aber eben diese persönliche Hingabe des Beamteten an die Funktion des Amts die erste und wesentliche Bedingung der Ausführung des Staatswillens, oder der wirklichen Verwaltung im Einzelnen. Das Staatsdienerrecht ent- hält daher diese Bedingung als ein System von Rechten , das damit über der individuellen Willkür erhaben ist und der Vollziehung selbst, dem Staatsdienst im Ganzen wie im Einzelnen seine objektive, recht- liche Sicherung gibt. Das Staatsdienerrecht bildet somit gleichsam den Schlußstein des Organismus und zugleich das letzte Merkmal der Auf- fassung des Wesens des Amts. Und es ergibt sich damit, daß wie dieß letztere auch das erstere seine tiefgehende Geschichte hat, die voll von Ein- seitigkeiten in der Auffassung im Einzelnen ist, während sie im Ganzen nur den allgemeinen Gang der Entwicklung der Staatsidee repräsentirt. 2) Das Princip des Staatsdienerrechts . Das Princip des Staatsdienerrechts enthält den Grundgedanken der Auffassung des Staatsdienerverhältnisses, insofern aus ihm das rechtliche Verhalten des persönlichen Staatsdieners zum Staate in seinen einzelnen Punkten hervorgeht. Es ist daher innig mit der Entwicklung der Staatsidee verflochten. Diese aber ist wesentlich in dem Verhalten des Staats zur Gesellschaftsordnung gegeben. Und das herrschende Princip des Staatsdienerrechts kann daher auch nur in dem letzteren gefunden werden. In der That ist der durchgreifende Unterschied des Staatsdiener- rechts unseres Jahrhunderts von dem der verflossenen Epoche nur der Ausdruck der beiden großen Gesellschaftsordnungen, welche sich mit dem Anfange unseres Jahrhunderts auch äußerlich von einander trennen, das Recht des Staats und die Idee desselben auf allen Punkten be- herrschend. In der ständischen Gesellschaft sehen wir, wie gesagt, zwei große Gestaltungen der Verwaltung einander theils scharf getrennt, theils feindlich gegenüber stehen, die ständische und die königliche. Die Idee des Staats hat sich noch nicht als die allgemeine über die Sonderrechte der ersteren erhoben. Die Verwaltung der königlichen Rechte und An- gelegenheiten ist Sache des Königs; sie erscheint als sein persönliches Recht, und er ist darüber consequent niemandem Rechenschaft schuldig. Es ist daher natürlich, daß die Verwalter dieser Rechte die Stellung persönlicher Diener oder Beauftragter des Königs haben; es gibt durch- aus keine andere Formel, welche im Sinne eines Privatrechts dieß Ver- hältniß anders als durch den Begriff des Mandats bezeichnen könnte. Allerdings liegt gleich Anfangs, vom Beginne des Amts an, ein höheres ethisches Element in diesem Verhältniß. Das Entstehen des Amts ist, wir möchten sagen, von dem Gefühle begleitet, daß Begriff und Inhalt des Privatrechts, namentlich des Mandats, mit der durch das Wesen desselben gegebenen und berechtigten individuellen Willkür denn doch in einem tiefen Widerspruche stehen. Man mühte sich ab, in jenem prin- cipiell privatrechtlichen Verhältniß ein Moment zu finden, welches jener Willkür des Mandanten, des Königs, eine Gränze setzt; aber da man nach der streng juristischen Bildung in allen innern Staatsangelegen- heiten bei der juristischen Formulirung stehen blieb, so behielt das Recht des Beamteten immer den Charakter eines Dienstvertrages zwischen Königthum und Beamten, der alle Rechtsfragen beherrscht. Der Be- amtete ist und bleibt ein persönlicher Diener des Königs, der ihn wie jeden andern Mandatar, beliebig anstellen und entlassen kann, und der dem persönlichen, individuellen Willen des Königs unbedingt ge- horchen muß. Erst mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft und ihres staatsrechtlichen Princips ändert sich auch principiell das Wesen des Amts und damit der Grundgedanke für das Staatsdienerrecht. Der Gegensatz zwischen dem Rechte der königlichen und der ständischen Ver- waltung verschwindet; es gibt nur noch eine Verwaltung des Staats, und der Beamtete ist damit Diener des Staats . In diesem Ver- hältniß wird das Recht dieses Staatsdieners seinen Inhalt nicht mehr aus dem individuellen und willkürlichen Willen des Staatsoberhaupts, sondern vielmehr aus dem Wesen des Amts empfangen. Und dieß wird dadurch die wahre Quelle desjenigen Rechts, welches wir das Staatsdienerrecht nennen. Ja man kann sagen, daß das Streben, dieß Staatsdienerrecht so genau und klar als möglich darzustellen, der wich- tigste Anlaß zum Verständniß des Wesens des Amts werden mußte; denn in der That müssen selbst die positiven Gesetze über das erstere ihren Grund und ja zum großen Theil auch ihre Interpretation in diesem Wesen des Amts finden. Wirklich wendet sich auch mit dem Auftreten des obigen Grundsatzes die Theorie dem Staatsdienerrechte zu. Allein eine Reihe von Gründen haben es bewirkt, daß die Theorie noch vorwaltend bei dem Standpunkte des positiven Rechtes stehen blieb; zum Theil weil man dem Wesen des Amts nicht die Kraft zutraute, eine Grundlage des positiven Rechtes zu bilden; dennoch ist das Verhält- niß klar, und wir werden es auf seine einfachsten Elemente zurückführen. Die staatsbürgerliche Gesellschaft ist die Schöpferin des eigentlichen Amts, indem sie das allgemeine Interesse selbständig neben und über das Einzelinteresse stellt, und das Amt zum selbständigen und dauernden Organ des ersteren macht. Soll das Amt diese Stellung erfüllen, so muß es zwei Dinge leisten. Es muß erstlich die genaue Kunde und das richtige Verständniß der allgemeinen Interessen enthalten, und es muß zweitens fähig sein, den Sonderinteressen unabhängig gegenüber zu treten. Das erste fordert, daß der Beamtete sich mit seiner ganzen sittlichen und geistigen Kraft dauernd den Aufgaben des Amts widme; er muß persönlich auf das verzichten, was er als Beamteter zu be- kämpfen hat, das eigene Interesse; er muß sich ganz mit seiner ganzen geistigen und physischen Arbeitskraft dieser Idee des Gesammtinteresses, dem Principe der staatsbürgerlichen Gesellschaft, hingeben; und so wird aus diesem Hingeben statt eines Dienstes, der einem höhern Willen folgt, ein Beruf , der einer höhern Idee dient. In der That hat daher die staatsbürgerliche Gesellschaft erst das Amt geadelt, indem es aus ihm einen sittlichen Beruf gemacht hat; erst in ihr gibt es wahre Beamtete; sie hat das ethische Element in das Amt gelegt, und aus demselben sind nun alle diejenigen Folgen entstanden und zu einem förmlichen System von Rechten geworden, welche wir das Staatsdiener- recht nennen, und das die ständische Ordnung nicht nur nicht kannte, sondern gar nicht kennen konnte. Dadurch nun ist das Staatsdienerrecht aus einem bloßen Gebiete der Rechtskunde zu einem Gegenstand der Rechtswissenschaft geworden. Das Princip dieses Rechts ist der Grundsatz, daß der Beamtete die in jenem Wesen des Amts liegende Selbständigkeit als sein persönliches Recht haben muß, und daß der Inhalt dieses Rechts daher einerseits in dem Rechte auf diejenigen Bedingungen der Selbständigkeit besteht, ohne welche dieselben für ein persönliches Leben nicht denkbar ist, anderer- seits aber in dem Rechte des Staats, von dem Beamteten dasjenige zu fordern, was dieser ethische Beruf selbst an persönlichen Fähigkeiten und Leistungen voraussetzt, um durch den Beamteten in der Führung seines Amtes erfüllt zu werden. Denn der Staat, und mithin sein Vertreter, das Staatsoberhaupt, ist für das Amt seinem Begriffe nach der Träger eben jener ethischen Idee, welche den Inhalt des amtlichen Berufes bildet. Und indem nun die wirthschaftliche Bedingung dieser unabhängigen Berufserfüllung eine von dem Einzelnen unabhängige, selbständige, wirthschaftliche Stellung des Amts — ein berufsmäßiges, festes Einkommen, das nicht mehr durch einzelne Erwerbsakte, sondern durch die Erfüllung des Berufes selber gewonnen wird (der Gehalt) — ist, empfängt der Beruf des Amts den Charakter des Standes . Das Beamtenthum ist daher ein Stand , und zwar im höheren, ausge- prägten Sinne des Wortes, und die natürlichen Rechte des Beamten erscheinen daher als Standesrechte , d. h. als Rechte, welche nicht mehr auf individuellem Verhalten und persönlicher Anschauung, sondern auf dem organischen und dauernden Wesen des Amts beruhen. In der That liegt die nothwendige Selbständigkeit des Beamteten wesentlich darin, daß seine individuellen Rechte den Charakter von Standesrechten haben; sie sind ein Gemeingut aller Beamteten, und obwohl dem Grade und Umfang nach, doch dem Wesen nach nicht verschieden; jede Siche- rung derselben ist eine Sicherung des ganzen Beamtenstandes, jede Bedrohung des Rechts eines Einzelnen ist eine Bedrohung des Rechts aller Beamteten, eine Gefährdung des für alle gültigen Rechtsprincips, und damit im Grunde eine Erschütterung des Princips der Verwaltung der staatsbürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Daher ist es gekommen, daß mit der verfassungsmäßigen Verwaltung die Frage nach dem Rechte der Beamteten zu einer so wichtigen und allgemeinen, und daß die Bestimmung dieses Rechts ein Theil der Verfassungen geworden ist, während das frühere Jahrhundert weder daran dachte noch daran denken konnte. Daher ferner hat die staatsbürgerliche Gesellschaft auch jenem ethischen Element im Staatsdienerthum seinen Ausdruck in einem ge- meinsamen Standesbewußtsein gegeben, das wiederum die Forderung an den einzelnen Beamteten erzeugt, sein individuelles Leben der Würde des Standes, dem er angehört, gemäß zu erhalten, und diese For- derung, in dem Wesen der Sache liegend, hat sich selbst zu einem eigenen Rechtsverhältniß (dem Disciplinarrechte) gestaltet. Daher ist die natür- liche Forderung, daß der Staatsdiener als Vertreter der höheren In- teressen eine höhere Bildung haben müsse, welche ihm eben Verständniß und Vertretung derselben möglich macht, zu einer gesetzlich ausgesprochenen Bedingung geworden, und daher ist die Frage nach der Entlassung der Beamteten eine so ernste, weil sie in dem Rechte der Entlassung die Frage enthält, wer über das Dasein und den Mangel der berufs- mäßigen , von jeder persönlichen Willkür unabhängigen Amtsführung zu entscheiden habe. In diesem Sinne ist es, daß wir von einem System des Staatsdienerrechts gesprochen haben, das sich innerlich consequent aus Einem Grundgedanken entwickelt; und in diesem Sinne muß auch dieß System als ein organischer Theil der Verwaltung und des Verwaltungsrechts betrachtet werden. Demgemäß zerfällt die Darstellung dieses Rechts in drei Theile. Die Anstellung der Staatsdiener enthält die berufsmäßigen Bedingungen der Uebernahme des Amts; die Pflichten enthalten das Verhältniß des Staatsdieners als Theil des Staats und als Glied eines Standes; die Rechte endlich enthalten die Bedingungen der persönlichen und wirth- schaftlichen Selbständigkeit des Beamteten in seinem Amte und vermöge desselben. In diesem innigen Zusammenhang der Staatsidee und des Staats- dienerthums ist es nun klar, daß dieß Recht des letzteren nicht bloß ein sehr verschiedenes in den verschiedenen Ländern Europas ist, sodnern daß diese Verschiedenheit selber wieder ihren tiefern Grund in der orga- nischen Stellung der Staatsidee selber hat. Die Vergleichung des Staats- dienerrechts ist gerade darum so belehrend, weil sie eben gar nicht ohne ein Zurückgehen auf die tieferen Unterschiede des Staatslebens möglich ist. Wir können hier nur bemerken, daß auf diesem Gebiete nur noch ein erster großer Versuch von Gneist vorliegt. Im Uebrigen ist noch alles zu schaffen. Vielleicht gibt es gar keinen Theil des öffentlichen Rechts, in welchem der Unterschied zwischen den drei großen Kulturvölkern, den wir auch hier als Aus- gangspunkt weiterer Vergleichung zum Grunde legen, so schlagend hervortritt, als gerade im Gebiete des Staatsdienerrechts. England hat eigentlich gar kein Staatsdienerrecht, Frankreich hat nur Staatsdienerverpflichtungen, und erst Deutschland ist die Heimath eines organisch gestalteten und ethisch so hoch stehenden Beamtenthums, daß dasselbe, wie wir unbedenklich zur Ehre dieses so vielfach angegriffenen Standes behaupten, mit keinem andern der Welt zu vergleichen ist. In England ist der Beamtete unter der Herrschaft des Gegensatzes zwischen der königlichen und Selbstverwaltung, der als Rest der ständischen Epoche übrig geblieben ist, der Form nach Diener nicht des Staats, sondern des Königs , dem Inhalte nach Diener der herrschenden Partei. Es gibt daher keine Staats- diener im deutschen Sinne des Worts, und selbst die englische Sprache ist unfähig, das Wort „Beamteter“ zu übersetzen. Es gibt daher in England auch keinen Beruf zum Amt, keine Vorbildung, kein Staatsdienerrecht. Den tiefen organischen Mangel des englischen Staatslebens, der darin liegt, hat das englische Volk allerdings durch die Entwicklung der Selbstverwaltung und der edlen Eigenschaften, auf welchen dieselbe beruht, ausgeglichen; aber es hat die üblen Folgen desselben innerhalb der Gebiete, in welchem die organische Natur des Staatslebens ein Amt nothwendig fordert, natürlich nicht ausgleichen können. Die eigentliche Amtsverwaltung ist daher hier eben so schlecht, als die Selbstverwaltung gut ist; und das hat für das übrige Europa die Meinung erzeugt, als könne man überhaupt das Amt durch die Selbstverwaltung er- setzen. Dennoch macht sich auch in England das Bedürfniß nach einem organi- schen Staatsdienerrecht geltend, und es wird die Zeit kommen, wo selbst die Interessen der Parteiherrschaft sich dieser Forderung beugen werden (s. unten). In Frankreich ist der Beamtete theils durch den Charakter des Volkes, theils aber auch durch das Princip der strengen, individuellen, administrativen Verantwortlichkeit der Minister nichts als der Diener der Verwaltung. Die letztere stellt die Forderung des unbedingten amtlichen Gehorsams, welcher dem Amt seine Selbständigkeit gegenüber der höheren Gewalt principiell abspricht, und die Natur des Volkscharakters macht die Erfüllung dieser Forderung in allen einzelnen Aemtern möglich. Nirgends ist daher die Befolgung der Be- fehle, die spezielle Amtsführung, besser und verständiger, als in Frankreich; aber nirgends ist auch die Abhängigkeit der einzelnen Beamteten von einem solchen Befehle, ohne Rücksicht auf seinen administrativen Werth, größer, als hier. Daraus entsteht das Verhältniß, welches das französische Beamtenthum charak- terisirt. Die Gesammtheit der Staatsdiener ist eine viel größere Macht und hat eine viel größere Selbständigkeit, als irgendwo in der Welt; aber der ein- zelne Staatsdiener hat gar kein Recht und keine Selbständigkeit. Das ethische Element ist hier aus jedem einzelnen Amt in das des bloßen intelligenten Ge- horsams aufgegangen, und mit ihm das Staatsdienerrecht. Nur die Verwal- tung als Ganzes, die Administration als solche hat sich dasselbe erhalten. Der Beamtete ist daher auch in Frankreich nicht das, was er in Deutschland ist, sondern nur ein „Angestellter“, ein „employé“, oder ein „Ausübender“, ein „fonctionnaire“, und die geltenden Bestimmungen sind eben darum auch viel- mehr Ausflüsse der Bedingungen einer zweckmäßigen Amtsführung, als der Selbständigkeit der amtlichen Stellung. Der Mangel an Selbstverwaltung hat dieß System zum allgemein geltenden gemacht, und die meisten Uebelstände und Vorzüge des französischen Lebens beruhen auf diesem Punkte. Nur in den deutschen Staaten gibt es Beamtete, und daher gibt es auch hier allein ein Staatsdienerrecht, das keineswegs bloß in den Gesetzen über die Verhältnisse der Staatsdiener erschöpft ist. Das deutsche Volk hat aus sich selbst den Gedanken gebildet, daß die von „Gott eingesetzte Obrigkeit“ einen ethischen Beruf habe. Es hat daher dem Staatsdiener von jeher nicht bloß eine gewisse Selbständigkeit vindicirt, sondern auch von ihm eine berufsmäßige Bil- dung gefordert. Es hat ihn wesentlich für seine Amtsführung verantwortlich gemacht, und ihm daher auch ein Recht gegenüber der höchsten Gewalt ge- geben. Dadurch gibt es nur in den deutschen Ländern einen Beamten stand , und mit ihm eine persönliche Ehre des Beamten, die ein Ausfluß der alleinigen Anschauung von der Bedeutung des Amts ist. Dieß allgemeine Princip ist erst in unserem Jahrhundert zu einem förmlichen Rechtssystem geworden, dem, ob- wohl es noch nicht in allen Staaten bis zu einem objektiv gültigen Staats- dienstgesetze gediehen ist, dennoch eine allgemeine und ziemlich gleichartige Gel- tung in der Praxis nicht abzusprechen ist. Dieß Rechtssystem bildet den Inhalt einer großen und trefflichen Literatur, wie weder England, noch Frankreich etwas Aehnliches aufzuweisen haben, und welche sich theils an eine treffliche Gesetzgebung anschließt, theils dieselbe erzeugt hat und erzeugt. Es ist in Deutschland nicht mehr möglich, mit wenig Worten dieß wichtige Gebiet er- schöpfen zu wollen. Wir haben unsere Aufgabe deßhalb im Folgenden dahin beschränkt, nicht etwa eine vollständige Lehre des Staatsdienerrechts, sondern nur die leitenden Gesichtspunkte aufstellen zu wollen, von welchen dieß Gebiet beherrscht wird. Zu dem Ende dürfen wir uns gestatten, einige Andeutungen über diese Arbeiten, deren Inhalt jedem Juristen ohnehin geläufig ist, auszu- sprechen. Während man einerseits vollkommen anerkennen muß, daß die Idee eines Berufes und des auf demselben ruhenden Rechts schon seit Jahrhunderten von der deutschen Literatur theils direkt, theils mittelbar anerkannt wird, wie es die bei Pütter (Literatur des deutschen Staatsrechts III. S. 316 ff.) und in der Fortsetzung von Klüber (S. 295) aufgezeichneten Schriften genugsam be- weisen, und wie es die nicht minder reichhaltige Literatur unseres Jahrhunderts, die eigentlich mit Gönners Schrift: „Der Staatsdienst, aus dem Gesichts- punkte des Rechts und der Nationalökonomie betrachtet“ (1808) beginnt, auf’s Neue darthut — man vergleiche namentlich Malchus (Politik der innern Ver- waltung I. 14 ff.), wo jene Idee sehr bestimmt in den Vordergrund tritt, und die Ansichten über das Recht der Beamten den höheren Stellen gegenüber und selbst schon in der Auffassung des Gehaltes bestimmt; Perthes (der Staatsdienst in Preußen, ein Beitrag zum deutschen Staatsrecht, 1836), und unter den deutschen Staatsrechtslehrern neben Klüber das, was Zachariä und Zöpfl sagen a. a. O. — hat andererseits die innere Entwicklung des öffentlichen Rechts der Frage im neuesten Jahrhundert doch eine gewisse, ein- seitig juristische Richtung gegeben, die zu eng mit dem ganzen Staatsleben zu- sammenhängt, als daß wir sie nicht hervorheben sollten. Man kann nämlich recht wohl in Literatur, wie in Gesetzgebung unter- scheiden zwischen dem verfassungsmäßigen und dem administrativen Staatsrecht. Das letztere enthält eigentlich wesentlich die neue Organisation des Staats- dienstes, wie dieselbe mit dem Beginne unseres Jahrhunderts nothwendig wird. Sie beginnt systematisch erst in Bayern mit der Landeshauptpragmatik vom 1. Januar 1805, und wird fortgesetzt in Preußen seit 1808 (vergl. oben). Diese Organisationen unterscheiden sich wesentlich von denen der französischen Revolution dadurch, daß auch bei ihnen immer ein Recht des Staatsdieners in Beziehung auf Amt und Gehalt anerkannt wird — Verhältnisse, die für sich in den meisten Staaten schon während des 18. Jahrhunderts auf dem Wege der Gesetzgebung geordnet waren. Allein ein Recht des Staatsdieners gegenüber dem höheren Befehle ward in ihnen natürlich nicht aufgestellt, während doch die ganze Literatur eine solche Gränze des Gehorsams anerkannte, obwohl man sich über dieselbe nicht einigte. Als aber die Verfassungen auf- traten, und der Begriff der verfassungsmäßigen Verwaltung mehr oder weniger klar zur Geltung kam, da stellte sich heraus, daß der Beamtete jetzt eine neue Stellung bekommen hatte. War er früher nur das Organ der Vollziehung ge- wesen, so war er jetzt, wie die Vollziehung selbst, dem verfassungsmäßigen Gesetze unterworfen; hatte er früher in der abstrakten Idee seiner ethischen, berufsmäßigen Stellung die Gränze seines Gehorsams gegenüber der höheren vollziehenden Gewalt gefunden, so fand er sie jetzt formell in dem Wortlaute der Verfassung, und es konnte daher jetzt der Fall vorkommen, daß er, dem höheren Befehle nach, seiner formellen Pflicht gehorsam, dem Gesetze ungehorsam werden konnte, und umgekehrt. Theoretisch war dabei die Antwort bald fertig; der Beamtete soll dem Gesetze und der Verfassung gehorchen, sonst wird er per- sönlich verantwortlich. Allein das Organ der höheren Vollziehung war dabei zugleich dasselbe, welches ihn absetzen oder suspendiren konnte; der Gehorsam gegen die Verfassung bedrohte daher principiell seine berufsmäßige Existenz, und dennoch konnte man wieder nicht läugnen, daß die Unabsetzbarkeit der Beamteten nicht allein manche rein administrative Bedenken habe, sondern auch geradezu das höchste Princip der verfassungsmäßigen Verwaltung, die Verant- wortlichkeit der Regierungsorgane, unmöglich mache. Die Schwierigkeit, die in dieser Frage liegt, ist wohl klar genug. Sie ist es eben deßhalb, welche die meiste Kraft und die schärfsten juristischen Untersuchungen an sich gezogen hat, und das ist es, was der Staatsdienerliteratur unseres Jahrhunderts einen vorwiegend juristischen Charakter gegeben hat, indem man das Recht auf das Amt mit möglichster juristischer Genauigkeit bestimmen wollte. Das Ge- fühl jenes Widerspruches, der noch unausgetragen in den Verhältnissen lag, zeigte in der That, daß die Absetzbarkeit der Beamteten die Verfassung, die Unabsetzbarkeit die Verwaltung ernstlich bedrohe, und daß daher eine bestimmte Rechtsordnung gerade auf diesem Gebiete einen wesentlichen Theil des ver- fassungsmäßigen Verwaltungsrechts ausmache. Daher denn die Erscheinung, daß in den deutschen Staaten das Staatsdienerrecht als ein Theil der Ver- fassungen anerkannt und mit seinen Hauptgränzen in dieselben aufgenommen wird, während die genauere Ausführung dieses Rechts entweder als selbständige Beilage zur Verfassung, wie in Bayern (Edikt vom 28. Mai 1818); Gotha (Beilage V. zum Staatsgrundgesetz); oder auf Grundlage der Verfassung an ein eigenes Gesetz verwiesen wird — wie in Baden (Verfassung §. 24 und Dienstpragmatik vom 22. August 1818); Sachsen (Verfassung §. 44, Staats- dienergesetz vom 7. März 1835); Hannover (Verfassung von 1848, §. 105 und 108, Staatsdienergesetz vom 8. Mai 1852); Preußen (Verfassung von 1850, Art. 117) — ohne daß das Staatsdienergesetz bis jetzt erschienen wäre ( Rönne II. §. 290) — oder unmittelbar in der Verfassung selbst bestimmt wird, wie in Württemberg (Verf. §. 43), Kurhessen (§. 54 ff.) und andern. Vergl. Zachariä , Deutsches Staatsrecht §. 133. Andere Staaten dagegen haben ein solches Recht noch inmer nicht gesetzlich formulirt und halten sich an den hergebrachten Usus. Offenbar nun ist es, daß man mit juristischen Definitionen hier nicht auslangt. Viel weiter als Malchus in seiner Politik der innern Verwaltung ( I. 15) ist die Theorie noch jetzt kaum, wenn er sagt: „Die Frage über das rechtliche Verhältniß der Staatsdiener zum Staat hat eben so häufig theoretische Erörterungen veranlaßt, als auch, besonders in neueren Zeiten, in den meisten Staaten die Gesetzgebung in Anspruch genommen, jedoch ohne daß aus den ersteren übereinstimmende Grundsätze hervorgegangen sind, oder daß in den letzteren die Fragen, die sich herausstellen, nach gleichen Ansichten ent- schieden wären.“ Er selbst sagt merkwürdigerweise gar nichts darüber; Klüber dagegen führt als Quelle des „Rechts zwischen Staat und Staatsbeamten“ Dienstvertrag, Staatsdienergesetz , und drittens die Natur des gegen- seitigen Verhältnisses auf, ohne diese Natur zu bestimmen (§. 482). Erst in der neuesten Zeit kommt man, wie Zachariä und Zöpfl zeigen, der Wahrheit näher, indem man das Recht des Staatsdienstes auf das Wesen des Berufes zurückführt; und in der That gibt es, wo nicht ganz positive Bestimmungen vorliegen, keinen andern Standpunkt. Unter der zum Theil in’s Casuistische gehenden Untersuchung der obigen Rechtsfrage ist nun die Auffassung des Staats- dienerrechts in seiner Totalität fast verloren gegangen, und die übrigen Seiten desselben viel zu wenig beachtet. In der That aber muß man festhalten, daß sie innerlich zusammengehören und sich gegenseitig erklären; der Standpunkt des reinen Gegensatzes zwischen den beiden Rechtssubjekten, Staat und Diener, ist nicht mehr ausreichend; er ist ein nothwendiger, aber er ist nur ein Moment an dem Ganzen, und es ist der Fortschritt in dieser Frage nur dann gesichert, wenn man die Summe der Rechtsverhältnisse als ein organisches, sich auf allen Punkten bedingendes Ganze auffaßt. 3) Das System des Staatsdienerrechts . a) Die Anstellung der Beamteten. Die Grundsätze welche für die Anstellung der Beamteten gelten, sind höchst bezeichnend für die ganze Stellung der Verwaltung und zu- gleich für die Auffassung des Amts, und schon hier zeigt sich der durch- greifende Unterschied in dem öffentlichen Recht der Staatsbildung in den drei großen Kulturvölkern. Der erste und einfachste Grundsatz, den natürlich schon die Stände- ordnung anerkennt, ist der, daß die Anstellung eines jeden Beamteten vom Staatsoberhaupt erfolgt. Dieser an sich einfache Grundsatz wird nun zwar nicht der Form, wohl aber dem Inhalte nach wesentlich im Ministerialsysteme modificirt. Indem dasselbe nämlich in der verfassungs- mäßigen Verwaltung der Persönlichkeit des Ministers die Verantwort- lichkeit für die Vollziehung des Gesetzes in den einzelnen Funktionen der Beamteten zuschreibt, diese Vollziehung aber natürlich vorzüglich von der Persönlichkeit des Beamteten abhängt, erscheint die Anstellung des letzteren als eine Uebernahme der Verantwortlichkeit für die per- sönliche Befähigung des Angestellten, und kann daher nicht ohne Mit- wirkung, muß vielmehr in den meisten Fällen direkt auf Vorschlag des Ministers geschehen. Dieß Princip muß als erste Grundlage des An- stellungsrechts in der verfassungsmäßigen Verwaltung anerkannt werden, und gilt daher auch gleichmäßig in Frankreich, England und Deutschland. Nur sind die Modalitäten seiner Anwendung wesentlich verschieden. Das Princip der allgemeinen, auf jeden Akt der Verwaltung ausgedehnten Verantwortlichkeit des Ministers erzeugt in Frankreich den Grundsatz, daß derselbe bei seinem Vorschlage an gar keine gesetzlichen Bedingungen der Fähigkeit zur Führung des Amtes gebunden ist. Die Ordnung der Universitäten und ihre Examina sind daher vorhanden, aber sie geben kein Recht darauf, daß für die Anstellung nur diejenigen in Betracht kommen können, welche diese Studien gemacht haben. Nur in dem einen Gebiete der Rechtspflege ist dafür eine Ausnahme, die ihrerseits auf dem Vorhandensein der Gesetzbücher beruht. Im Gebiete der übrigen Verwaltung gibt es keine. Vom Heerwesen ist hier natür- lich keine Rede. In England dagegen hat die Verantwortlichkeit der Minister und mit ihr die Anstellung der Staatsdiener wieder einen ganz andern Charakter. Die Verwaltung ist hier wie die Gesetzgebung nichts als eine Parteiherrschaft. Es folgt daraus, daß die Bedingungen der Anstellung gleichfalls nicht in persönlichen Fähigkeiten, sondern in dem Angehören an die Partei liegen müssen. Die Uebernahme der Verwaltung enthält die Verpflichtung, dieselbe im Geiste der Partei zu leiten, und damit die weitere, auch nur solche anzustellen, welche mit der Partei gehen. Aus diesem an sich einfachen Grundsatz ist aber die Frage entstanden, welche in der verfassungsmäßigen Verwaltung in vieler Beziehung die schwierigste ist. Ein völliger Wechsel aller Beamteten würde die Ver- waltung vernichten. Es muß daher jene Verpflichtung des Ministers gegen die Partei ihre Gränze haben, d. h. es muß nur ein bestimmter Theil der Beamteten als Organe der Partetregierung betrachtet werden, und mithin mit dem Ministerium wechseln. In England hat man diese Frage nicht grundsätzlich, wie in Deutschland, sondern durch die gege- benen Verhältnisse entscheiden lassen. Da nämlich das ganze System der Mittelbehörden faktisch der Selbstverwaltung angehört, so ist das- selbe von diesem Wechsel der Parteiregierung ausgeschlossen. Innerhalb des eigentlichen Beamtensystems aber hat sich eine Gruppe von Amts- stellen gebildet, welche unbedingt in ihrer Besetzung der Parteiver- waltung angehören, die Gruppe der sogenannten Patronage, welche ungefähr sechzig Stellen umfaßt. Die übrigen Aemter fallen nur so weit unter die persönliche Anstellung und Entlassung der Minister, als sie in ihrer Amtsführung überhaupt in die Lage kommen, die Grundsätze einer Parteiverwaltung anzuerkennen und zur Ausführung zu bringen. Aber auch bei denen, die von diesem Falle ausgeschlossen sind, bestimmt die Partei durch ihren Führer die Besetzung. Es ist hier also von irgend welchen objektiven Bedingungen gar keine Rede, und die amtliche Verwaltung ist daher so schlecht als möglich. Ohne das System der Selbstverwaltung wäre Englands Administration schlechter als die ab- solut willkürliche Rußlands. Das System der Anstellung in Deutschland dagegen beruht vor allen Dingen auf dem großen Principe der berufsmäßigen Bildung, welches tief im Wesen des deutschen Beamtenstandes liegt. Der erste und durchgreifende Grundsatz für alle Anstellung ist daher die Forderung einer Nachweisung dieser Bildung durch das System der Universitäts- lehre und der Staatsprüfung. Das Bestehen der letzteren gibt das Anrecht vor jedem, der es nicht bestanden; die Gränze für die wirkliche Anstellung liegt in dieser Anstellungsfähigkeit. Allerdings ist dieser Grund- satz entstanden bei der Rechtspflege; von ihr ist derselbe aber allmählig auf alle Gebiete der Verwaltung übergegangen, und darf als ein orga- nisches Element der Staatsverwaltung betrachtet werden, an dem für alle Zeiten festgehalten werden wird. Aus ihm geht dann auch der Charakter des Rechts hervor, das der Beamtete durch die Anstellung erwirbt, und das eben damit ein ganz anderes ist, als in Frankreich und England. Es hat dasselbe aber auch die Basis für die Entscheidung der Frage abgegeben, welchen Einfluß die administrative verfassungs- mäßige Verantwortlichkeit auf die Anstellung haben kann. Zuerst verbietet es natürlich, über die Gränze der berufsmäßigen Bildung in der Wahl des Anzustellenden hinauszugehen; dann aber, indem es das Amt eben zum Berufe macht, setzt es der individuellen wie der Partei- auffassung die rechte Gränze, indem es die berufsmäßige Fähigkeit zur Grundlage der Anstellung, und aus der Innehaltung dieses Grund- satzes eine gemeinsame Angelegenheit des ganzen Beamtenstandes macht. Obwohl diese Principien weder allenthalben gesetzlich normirt, noch auch vollkommen ausnahmslos innegehalten werden, so kann man sie doch als geltendes deutsches Anstellungsrecht ansehen, und wir dürfen hoffen, daß dasselbe niemals in seiner heilsamen Geltung erschüttert werden möge! Die Preußische Gesetzgebung ist die erste, welche die obigen Grundsätze im Allgemeinen Landrecht ( II. 5. 10. §. 70. 71.) zu einem öffentlich rechtlichen und allgemein gültigen Grundsatz erhoben und die Staatsprüfung als Bedingung der Anstellung principiell gefordert hat. Die übrigen Staaten sind diesem Vorgange allmählig nachgefolgt; in den meisten deutschen Verwaltungen ist derselbe durch eigene Gesetze strenge geregelt, und zum Theil in ganz einzelne Fragen hinübergeführt. (S. Rönne , Preußisches Staatsrecht §. 293 ff.) Der Streit, ob die Prüfung an sich gut oder vom Uebel sei, ist übrigens schon im vorigen Jahrhundert von Moser (Landeshoheit in Regierungssachen S. 158) angeregt, und dürfte jetzt wohl als ein entschiedener anzusehen sein. In Würt- temberg hat sogar die Verfassungsurkunde §. 74 ausdrücklich gesagt: „Niemand kann ein Staatsamt erhalten, ohne zuvor gesetzmäßig geprüft und für tüchtig erkannt zu sein.“ Merkwürdig, daß Zöpfl die ganze so wichtige Frage über- haupt nicht berührt, während Zachariä in II. §. 136 sich mit Recht mit Seuffert (Verhältniß des Staates und der Diener des Staates §. 56) für den „vollen Nutzen“ der Examina erklärt, deren nähere Bestimmungen in den territorialen Prüfungsordnungen enthalten sind. Die Verhältnisse Englands sind von Gneist ( I. 382 und 589) genau dargelegt. Sie haben endlich dahin geführt, daß man die unabweisbare Nothwendigkeit der berufsmäßigen Bildung anerkennt, und es beginnt sich dort ein System zu bilden, das dem Deutschen in Betreff der Prüfungen entspricht, während es allerdings durch den Mangel einer organischen Universitätsbildung ein höchst unvollkommenes bleibt, und daher selbst wieder als praktisch nutzlos in Frage gestellt wird. Schon im Jahre 1861 sagte ein englischer Minister im Parlament wörtlich: „That the numbers of „employés“ in the various departments of civil service were utterly incompetent to discharge the service of their poste, that they were often grossly ignorant, some times absolutely stupid, occasionally Stein , die Verwaltungslehre. I. 23 thoroughly worthless,“ und in diese Klage stimmte das ganze Volk ein. Es wurden darauf Commissionen mit dem Auftrage zu einer Untersuchung und Examen mit dem Recht auf Ausweisung der Unfähigen ernannt (die sog. pass examination ). Zugleich aber führte man förmliche Anstellungsexamina ( com- petitive examination ) ein und zwar für jede Stelle. Da aber keine geordnete Universitätsbildung vorherging, so verwirrten sich die Urtheile, namentlich, da durch die Prüfung die Neuangestellten den früheren Beamten gewissermaßen voranstanden ( the unused acquirements became a source of discontent for the possessor ). Mit Recht trat daher die Ansicht auf, daß es falsch sei, für alle Stellen jene competitive examination mit dem Recht einzuführen, daß jeder dieselbe machen könne of whatever ranks and whatever antecedents; aber zu der Erkenntniß, daß die Bedingung eines vernünftigen Princips für das Examen und seine Berechtigung eben in den wohlorganisirten Universitätsstudien liege, ist man noch nicht gekommen. Dennoch wird man dahin gelangen müssen. Wir dürfen die übrigen Bedingungen der Anstellung, Ehrenhaftigkeit, Volljährigkeit u. s. w. der speziellen Darstellung des Staatsdienerrechts über- lassen. Die Unterscheidung zwischen den Stellen, deren Besetzung dem Staats- oberhaupt vorbehalten ist, und die der Minister persönlich ernennen kann, ist im Grunde eine Sache der Zweckmäßigkeit, allerdings unter der Voraussetzung, daß jede Stelle, welche ein berathendes Votum in irgend einem Zweige der Verwaltung hat, unbedingt dem Staatsoberhaupt vorbehalten sein muß. b) Die Amtspflicht. Die Amtspflicht entsteht, indem die Anstellung den Einzelnen mit seinem Willen und seiner Thätigkeit zu einem Organ der Verwaltung und mithin das Aufgeben der persönlichen Selbständigkeit zur Pflicht des Beamteten macht. Die höhere Auffassung des Staatsdienstes fordert, daß man diese Pflicht in zwei große Gruppen theile, die standes- mäßige und die amtsmäßige . Die standesmäßige Amtspflicht beruht eben darauf, daß das Amt ein Beruf und die Gesammtheit der Beamteten daher ein Stand ist, der eine selbständige hohe ethische Aufgabe als Ganzes zu vertreten hat. Das Eintreten in diesen Stand fordert, daß der einzelne Beamtete sein individuelles Leben der Ehre und Würde seines Standes gemäß führe; das Angehören an den Stand macht diese Pflicht aus einer bloß sub- jektiven zu einer öffentlichen, und ihre Erfüllung zu einer Bedingung der Bekleidung des Amts. — Es wird aus dem Frühern klar sein, daß diese standesmäßige Amtspflicht nur in Deutschland sich zu einem positiven Recht entwickeln konnte, gemäß welchem der unehrenhafte und unsittliche Lebenswandel des Beamteten ihn zur Amtsführung unwürdig macht, abgesehen von den wirklichen Vergehen und Verbrechen, die zur Entsetzung führen. Die amtsmäßige Pflicht des Beamteten dagegen erscheint zuerst einfach als die Pflicht des amtlichen Gehorsams . Betrachtet man diesen indeß näher, so entwickeln sich drei Verhältnisse, die mit einander in sehr ernste Conflikte treten können. Das erste ist die Pflicht, das Amt nach der Aufgabe desselben und den Instruktionen wirklich zu ver- walten; das zweite ist die Pflicht, den Anordnungen der höheren Stellen Folge zu leisten; das dritte ist die Pflicht, das Princip der Verfassungs- mäßigkeit der Verwaltung in der Amtsführung und den eigentlich amt- lichen Gehorsam festzuhalten. Darüber kann kein Zweifel sein, daß die Amtspflicht alle diese drei Momente umfaßt. Die Frage über In- halt und Wesen der Amtspflicht entsteht erst da, wo diese drei Momente derselben unter einander in Widerspruch treten. Dieß geschieht in zwei Hauptfällen. Erstlich da, wo der Befehl der höheren Stelle einen Ge- horsam für Funktionen verlangt, welche über die Competenz des Amts hinausgehen; zweitens da, wo dieser Befehl einen Gehorsam verlangt, der mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Verwaltung in Wider- spruch tritt. Der dritte Fall, daß der Befehl etwas fordert, was gegen das bürgerliche Recht überhaupt streitet, erscheint dagegen als ein durch sich selbst erledigter; denn da ein solcher Befehl seinem Inhalt nach überhaupt kein amtlicher ist, sondern nur der Ausdruck des rein per- sönlichen Willens des höheren Beamteten, so fällt damit die Pflicht zum Gehorsam ohnehin weg; und das ist es, was z. B. die Regierungs- instruktion vom 23. Oktober 1817 (Preußen) sagen will, wenn es darin ausdrücklich heißt: „Niemals können die Regierungen etwas verfügen, was einem ausdrücklichen Gesetze zuwiderläuft;“ d. h. wenn sie es thun, so ist es eben keine Verfügung einer Regierung, sondern der subjektive Wille der Person des höheren Beamteten. Was nun den ersten Fall betrifft, so enthält die eigentliche Amts- pflicht keine Verpflichtung zum Gehorsam außerhalb der unzweifelhaften Zuständigkeit des Amts, wohl aber erscheint der Beamtete mehr als irgend ein anderer Staatsbürger verpflichtet, einen Auftrag der höheren Behörde zu übernehmen, sofern derselbe nicht mit der eigentlichen Amts- pflicht collidirt. Natürlich findet dazu kein Zwang statt, und vorkom- menden Falles muß die Erlaubniß der höheren Stelle eingeholt werden; aber wo auch das Amt nicht zur Uebernahme eines solchen Auftrages nöthigt, da erscheint die Nöthigung eine berufsmäßige, und die Ab- weisung ein Verstoß gegen den Beruf. Etwas anderes ist es, wenn ein solcher Auftrag eine dauernde Funktion werden soll. Hier muß sie organisch mit dem Amt als Erweiterung seiner Competenz verbunden werden. Wo jedoch der Auftrag nur eine spezielle Verwendung des Beamteten für ein bestimmtes Gebiet seiner amtlichen Funktion ist, beginnt wieder der amtliche Gehorsam. Sollte darüber zwischen der niederen und höheren Stelle ein Streit entstehen, so kann eben nur das höchste Organ der Organisationsgewalt, der Staatsrath, entscheiden; denn in der That ist auch das nur eine andere Form des Competenz- confliktes. Während diese beiden Fälle in jeder Ordnung der Verwaltung vor- kommen können, kann der zweite Fall nur bei der Entwicklung der verfassungsmäßigen Verwaltung eintreten. Die Entscheidung desselben ist verschieden, je nachdem es sich um die Form des Befehls, oder um den Inhalt desselben handelt. Ist eine gesetzmäßige Form vorge- schrieben, so ist der amtliche Gehorsam an das Vorhandensein dieser Form gebunden, selbst da wo der Inhalt ein ganz verfassungsmäßiger ist. Jedoch hat der Beamtete sofort der höheren Stelle Veranlassung zu geben, die nothwendige Aenderung dieser Form vorzunehmen. Be- folgt er den formell unrichtigen Befehl, so thut er es auf eigene Ver- antwortlichkeit, die übrigens der Regel nach nur gegenüber dem Ein- zelnen, der sich auf den Mangel an der Gültigkeit der Vorschrift berufen kann, in Frage kommen wird. Was den Widerspruch im Inhalt der Verordnung und den Bestimmungen der verfassungsmäßigen Verwal- tung betrifft, so ist das Recht des Gehorsams nach dem ganzen Cha- rakter der letzteren wesentlich verschieden. In England ist eine solche unverfassungsmäßige Verordnung überhaupt keine Verordnung, und der Beamtete, der sie vollzieht, thut es daher ganz auf seine persönliche Verantwortlichkeit. In Frankreich tritt, wo die Form gewahrt ist, die Pflicht des Gehorsams ein, da der Minister die Verantwortlichkeit für die einzelnen Handlungen, die in Folge seiner Verordnung geschehen, persönlich zu tragen hat, und im streitigen Falle der Conseil d’État entscheidet, selbst wo es sich um Gesetze handelt. Das erste schützt die Verfassung gegen die Verwaltung auf die Gefahr der letzteren, das zweite die Verwaltung auf die Gefahr der Verfassung. In Deutschland ist man eben deßhalb unsicher geworden; doch ist die Meinung die rich- tige, daß der einzelne Beamtete durch einfachen Ungehorsam seine Einzel- ansicht nicht zur Geltung bringen darf. Seine erste Pflicht ist die, die höhere Stelle auf den Widerspruch der Verordnung mit der Ver- fassung hinzuweisen, eventuell die höchste Stelle davon in Kenntniß zu setzen. Beharrt diese auf dem Befehl, so bleibt dem Beamteten nichts übrig, als seine augenblickliche Stelle seinem Lebensberufe zu opfern, und das Amt niederzulegen. Es ist klar, daß da, wo er gegen die Rechtlichkeit der Verordnung zwar remonstrirt, aber dennoch dieselbe amtlich befolgt, einen Theil der Verantwortlichkeit mit übernimmt, und sich durch seine bloßen Remonstrationen nicht ganz befreit. Das liegt eben im höheren ethischen Wesen des Amtes. Die völlige Ent- lastung von derselben würde in der That das Amt wieder auf den Standpunkt eines bloßen Auftrages zurückwerfen. Ohne die Anerken- nung der standesmäßigen Selbständigkeit des amtlichen Lebensberufes und seiner ethischen Consequenzen, die eben in der theilweisen Ueber- nahme der Verantwortlichkeit erscheinen, wird man hier nie zu einem rechten Abschlusse gelangen. Die Amtspflicht enthält nun noch eine dritte Verpflichtung, welche aber im Allgemeinen schwer oder gar nicht zu definiren ist, während sie in jedem einzelnen Falle sehr deutlich erscheint. Sie besteht darin, sich das Verständniß der Gesetze und Verordnungen zu erwerben, und zwar in dem Sinne, daß der einzelne Beamtete in den einzelnen Funk- tionen auch dann, wenn sie nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind, den Geist der Vorschrift mit den gegebenen Verhältnissen in Harmonie zu bringen verstehe. Man nennt diese Fähigkeit in ihrem Erscheinen als persönliches Verhalten die Conduite , als Beurtheilung der Verhält- nisse und der richtigen Maßregeln den Takt . Beide sind natürlich für eine gute Verwaltung von hoher Wichtigkeit; aber man kann sie nur mittelbar hervorrufen. Die beiden Wege sind einerseits die möglichste Oeffentlichkeit der Funktionen der Verwaltung, und die geheimen Conduitenlisten . Die letzteren entstehen da, wo die erstere fehlt, und entwickeln sich in dem Grade, in welchem die persönliche Verant- wortlichkeit des Ministers die Form und berufsmäßige Verantwortlich- keit des einzelnen Beamteten absorbirt. Es leuchtet ein, daß dieselben um so nachtheiliger wirken müssen, je weniger es zu vermeiden ist, daß ihre Angaben neben den Thatsachen auch ein individuelles Urtheil ent- halten, und daß über sie der Betreffende nicht gehört werden könne. Sie verschwinden daher von selbst mit der Oeffentlichkeit. Damit ist natürlich ein amtliches Urtheil über die Amtsführung durchaus nicht ausgeschlossen. Der amtliche Gehorsam hat seine Geschichte, und jedenfalls bildet er ein wesentliches Moment in der Geschichte der Staatsbildung. Die Gränze zwischen ihm und dem absoluten Gehorsam beginnt bei dem Kampf zwischen der einheit- lichen Staatsidee und dem ständischen Rechte der Verwaltung, und empfängt ihren ersten ethischen Inhalt durch die Anwendung der amtlichen Gewalt auf kirchliche Fragen, ihren theoretischen durch die Anwendung der Vertragstheorie auf die Entwicklung des Staatsrechts und die Idee der königlichen Gewalt. Die Formel: „daß man Gott mehr gehorchen solle, als den Menschen,“ be- zeichnet den Punkt, wo der kirchliche und der staatliche Gehorsam auch im Amt sich berühren. Mit dem Siege der staatlichen Einheit verschwindet jene Gränze; das 18. Jahrhundert, namentlich auf dem Continent, zum Theil aber auch in England (Walpole), ist die Epoche des unbedingten Gehorfams gegen das Königthum, in welcher nur einzelne theoretische Bestrebungen die Selbständigkeit des Amts zu erhalten trachten, namentlich in Deutschland, wie Moser (Landes- hoheit), während andere, wie Gönner (Staatsdienst S. 209), und Haller wieder den unbedingten Gehorsam predigen. Das 19. Jahrhundert macht dagegen aus der Frage die des verfassungsmäßigen Gehorsams, in welchem die Entscheidung über jene, tief im sittlichen Wesen der Staats- und Einzel- persönlichkeit liegenden Gränze den Formen der Verfassung und den juristischen Grundsätzen der Verantwortlichkeit zugeschoben wird, ohne daß man doch wenigstens in Deutschland zu dem Bewußtsein gelangte, die Sache auf diesem Wege bis auf den Grund erledigt zu haben, geschweige denn, daß man ge- setzlich zum formellen Abschluß gekommen wäre. Hier wird nur die höhere sitt- liche Idee des Amtes ausreichen. Unter den einzelnen Darstellungen ist sehr gut die von Könne ( II. §. 295) und Zachariä (Staats- und Bundesrecht II. §. 137); Zöpfl hat ( II. §. 518. 519) namentlich die Straf- und Disciplinar- gewalt über die Staatsdiener sehr genau behandelt. Die beste Darstellung der ganzen Literatur, sowohl der deutschen als nichtdeutschen, über die Frage, und zugleich die einzige, welche das historische Moment in derselben festgehalten hat, ist ohne Zweifel die von R. v. Mohl in seiner Geschichte der Staatswissen- schaften I. S. 320—334 (Literatur über den bloß verfassungsmäßigen Gehorsam). c) Das Recht des Beamteten. Das Recht des Beamteten, oft das Staatsdienerrecht im eigent- lichen Sinne genannt, entsteht, indem innerhalb des Amts die Persön- lichkeit des Beamteten gegenüber der Persönlichkeit des Staats als selb- ständige erscheint, und umfaßt daher das Recht aller aus der Uebernahme des Amts entstehenden persönlichen Lebensverhältnisse des Beamteten. Auf den ersten Blick erscheint dieß Recht als ein vertragsmäßiges, das durch die Anstellung begründet wird. Allein diese Auffassung reicht nicht nur praktisch nicht aus, da die wichtigsten Punkte des Staats- dienerrechts, die gesellschaftlichen und Disciplinarrechte, in dem Vertrage gar nicht enthalten sind, und die Frage nach dem Recht auf das Amt nicht von ihr entschieden werden kann, sondern sie ist an und für sich einseitig. Denn nicht der speziell auf die einzelnen Punkte des Staats- dienerrechts gerichtete Wille des Contrahenten, sondern das organische Wesen des Amts bedingt und setzt den Inhalt des Staatsdienerrechts, so zwar, daß einzelne Theile desselben auch formell durch einen solchen Vertrag gar nicht geändert werden könnten, selbst wenn die Contra- henten darüber einig wären, wie das Recht des Staatsdieners auf die gesellschaftliche Ehre des Amts oder das Recht des Staats auf Aus- übung der Disciplinargewalt. Es muß daher das Recht des Staats- dieners und die ihm entsprechende Verpflichtung des Staats als ein organischer Theil des öffentlichen Rechts , der unbedingt durch die Thatsache der Anstellung für den Beamteten persönlich erworben wird, wie das Wahlrecht durch die Staatsangehörigkeit, oder etwa die körper- liche Unverletzlichkeit durch die Geburt, erkannt werden. Der Staat kann diese wesentlichen Verpflichtungen, die die Natur des Amts als ein Recht des Beamteten fordert, gar nicht ändern . Er kann ihnen höchstens ein besonderes Maß im einzelnen Falle geben, und nur wo dieß der Fall ist, nimmt das Recht des Staatsdieners den Charakter eines bürgerlichen Rechts an, und kann daher auch nur in dieser Be- ziehung wie ein bürgerliches Recht vor dem bürgerlichen Gericht verfolgt werden. In diesem Sinne muß man nun nicht, wie es gewöhnlich geschieht, das gesammte Staatsdienerrecht als ein gleichartiges betrachten, sondern man muß unterscheiden zwischen dem Recht auf das Amt im Ganzen , dem Rechte auf die einzelnen aus dem Amt entspringenden persönlichen Lebensverhältnisse , und dem Rechte, welche aus den einzelnen Handlungen des Staatsdieners entstehen. Da zuerst der Staatsdienst ein Lebensberuf und kein Geschäft ist, so ist die Anstellung auch kein Vertrag, sondern eine Berufung , und kann mithin auch weder als ein einseitig vom Staate oder dem Staatsdiener lösbares, noch auch als ein unbedingt privatrechtlich gültiges Verhältniß betrachtet werden. Das Wesen des Amts schließt daher sowohl die einseitige Entlassung von Seiten des Staats, als den einseitigen Austritt des Staatsdieners aus. Jede Anstellung auf Kündigung begründet deßhalb keine amtliche Stellung; jede amtliche Stellung ist ihrer Natur nach eine Anstellung für das ganze Leben. In diesem Sinne hat der Beamtete ein Recht auf das Amt . Die Entfernung vom Amte hat mithin das Wegfallen derjenigen Bedingungen zur Voraussetzung, welche die Anstellung selbst voraussetzte, der persön- lichen Fähigkeit zur berufsmäßigen Amtsführung. Die Entscheidung dar- über ob diese Fähigkeit da ist oder nicht, kann eben darum, weil das Amt als Beruf zum Stande geworden ist, nur durch ein standesmäßiges , d. h. für den ganzen Stand gleichmäßig berufenes Organ entschieden werden, und nie durch eine einzelne Persönlichkeit. Als solches ist die Spitze der selbständigen Organisationsgewalt, der Staatsrath , das natürlich bestimmte Organ, vor welchem die Entlassung zu verhandeln ist; und welche sie ebenso wohl dem Beamteten verweigern, als sie aus- sprechen kann; denn wenn der Beamtete ein Recht auf sein Amt hat, so hat consequent auch das Amt ein Recht auf den Beamteten. Das ist durch das Wesen des standesmäßigen Berufes gegeben. — Dieses sind die Grundsätze welche das Princip der Unabsetzbarkeit des Be- amteten bilden. Neben diesem Princip hat nun die Verantwortlichkeit im Ministerial- system, welche aus der verfassungsmäßigen Verwaltung hervorgeht, das Recht der höchsten Verwaltungsbehörde erzeugt, einseitig die wirkliche Amtsführung des Beamteten zu sistiren, und zwar als Versetzung ( Verfügbarkeit , Disponibilität) aus allgemeinen organisatorischen, oder als Suspension aus persönlichen Gründen. Es ist ohne dieß Recht keine Verantwortlichkeit möglich; dagegen ist kein Grund vor- handen, weßhalb nicht gegen solche Maßregeln ein Recurs der betreffenden Beamteten an den Staatsrath zugelassen werden sollte. Ebenso muß eine Versetzung vollkommen frei stehen, jedoch unter der Voraus- setzung, daß sie weder die amtliche noch die wirthschaftliche Stellung des Beamteten beeinträchtigt. Endlich hebt die Verantwortlichkeit den Grundsatz der Beförderung nach dem Dienstalter als objektiv gültigen auf; seine natürliche Geltung wird ihm ohnehin durch die Natur der Sache werden. Das zweite Gebiet des Staatsdienerrechts umfaßt die persönlichen Lebensverhältnisse des Staatsdieners, und zerfällt daher in die zwei Gruppen des gesellschaftlichen und des wirthschaftlichen Staatsdienerrechts. Das gesellschaftliche Staatsdienerrecht enthält das persönliche Recht des Beamteten auf die standesmäßige Ehre des Amts über- haupt, die dem Einzelnen gegenüber zur Geltung kommt, und zweitens auf den Rang des Amts oder das Maß und die Form der Ehre, welche dem einzelnen Amt in der Hierarchie der Aemter zusteht, sowie auf die Symbole desselben. Das Gesetz, welches dieß letztere normirt, ist die Rangordnung . Sie hat ihre Geschichte. Erst in der staats- bürgerlichen Gesellschaft waren alle Elemente derselben als Modalitäten derselben Grundlage der bürgerlichen Gleichheit statt der ständischen und der amtlichen Ordnungen der Gesellschaft in eine und dieselbe Rangordnung hineinzufügen, was natürlich nur auf einer gemein- schaftlichen Basis geschehen konnte. Als diese nahm man nun in einigen Ländern die mechanische Hierarchie des Militärwesens, indem alle gesellschaftlichen Unterschiede auf militärische Grade reducirt wur- den, in anderen die wirthschaftlichen Unterschiede der Diäten (Diäten- klassen). Der letzte Theil der Verwaltungslehre hat zu seiner Aufgabe, dieß genauer darzulegen. Das gesellschaftliche Recht des Staatsdieners ist in diesem Sinne ein unbestrittenes. Das wirthschaftliche Staatsdienerrecht beruht darauf, daß die Erfüllung des Lebensberufes ohne Rücksicht auf die einzelnen Thätig- keiten des Beamteten demselben eine, seiner gesellschaftlichen Stellung entsprechende wirthschaftliche Existenz sichern muß. Diese Existenz wird ihm geboten durch das Gehalt . Die Geschichte des Gehalts geht gleichen Schritt mit der Geschichte des Amts; der wirthschaftliche Körper folgt gleichsam der Entwicklung der staatlichen Seele. In der ständi- schen Epoche gibt es kein Gehalt; dasselbe beginnt erst da, wo der Beamtete sich der einheitlichen Staatsgewalt unterordnet, hält mit dieser Unterordnung gleichen Schritt, und tritt mit der verschiedenen Ent- wicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft und der organischen Ver- waltung ganz in die Verpflichtung des Staats über. Das Wesen der selbständigen Persönlichkeit des Staats gegenüber den einzelnen Per- sönlichkeiten der Staatsangehörigen nimmt jeder einzelnen Leistung der Beamteten den Charakter einer wirthschaftlichen Leistung, deren Werth ihm persönlich in der Gebühr gezahlt ward. Alle Thätigkeiten aller Beamteten sind jetzt Eins , und der wirthschaftliche Unterhalt der Beamte- ten erscheint daher seinerseits als Eine große, organisch nach der Bedeutung des Amts vertheilte — systematisirte — Leistung des Staats für seinen eignen Organismus, das System der Gehalte. Die verfassungsmäßige Verwaltung enthält damit in der Bewilligung dieser Ausgabe den Antheil, den die Volksvertretung an der Organisationsgewalt der Verwaltung hat; und so greifen jetzt diese Elemente in einander. An das Gehalt schließt sich das Ruhegehalt , das Recht und das System der Pensionen . Das Ruhegehalt ist seinem Wesen nach der Ueberschuß des wirthschaftlichen Lebens des Beamteten, den der Staat ihm sichert für die Zeit, wo die persönlichen Kräfte der Amts- führung nicht mehr entsprechen. Das Princip des Ruhegehaltes beruht darauf, daß die Erfüllung des Lebensberufes die Fähigkeit haben muß, einen solchen Ueberschuß zu erzeugen, während die Standesmäßigkeit denselben nicht von der zufälligen wirthschaftlichen Berechnung und Sparsamkeit des einzelnen Beamteten abhängig bleiben läßt. Die Auf- fassung der Anstellung des Beamteten als eines Vertrages kann nur schwer das Gehalt, niemals das Ruhegehalt als eine principiell dem Staate obliegende Verpflichtung erklären. In ihm erscheint das höhere Wesen des Amts in seiner concretesten wirthschaftlichen Form. Es ist eben deßhalb ein immanenter Theil des organischen wirthschaftlichen Staatsdienerrechts in allen Staaten Europas geworden. Das dritte Gebiet des Staatsdienerrechts, das sich auf die ein- zelnen Handlungen des Beamteten bezieht, zerfällt wieder in drei Theile. Jede Handlung des Beamteten, die nicht im Wirkungskreis des Amts liegt, ist keine amtliche, sondern eine Privathandlung, und fällt daher unter das Privat- oder bürgerliche Strafrecht. Es ist durchaus kein Grund, hier wieder ein besonderes Recht, oder einen besondern Gerichtsstand einzuführen oder festzuhalten. Der letztere gehörte den Principien der ständischen Verwaltungsepoche, und ist mit dieser beseitigt. Die Frage, ob ein Strafrechtsfall unter das Disciplinar- oder das bürgerliche Strafrecht gehört, muß einfach nach dem Inhalte des Straf- gesetzes entschieden werden. Die weiteren Folgen liegen in der Natur des amtlichen Berufes. Diejenigen Handlungen des Beamteten, welche, obwohl sie kein Recht verletzen, dennoch die Frage entstehen lassen, ob die Voraus- setzungen der berufsmäßigen Amtsführung bei dem Beamteten vor- handen sind, erzeugen das Disciplinarverfahren ; und die Maß- regeln, welche den Beamteten dahin bringen sollen, die Harmonie seines persönlichen Lebens mit der berufsmäßigen Würde und der amtsmäßigen Geschäftsthätigkeit herzustellen, bilden das Disciplinar- recht . Die Einrichtung des ersteren ist stets eine Frage der Zweck- mäßigkeit; nur muß die Möglichkeit gewahrt werden, daß der Beschuldigte gehört werden kann. Die Gränze des zweiten gegenüber dem eigentlich gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Staatsdienerrecht beginnt da, wo ein erworbenes Recht in Frage kommt; das Disciplinarrecht hat seine höchste Spitze in der Suspension ; es kann keinen Theil des eigent- lichen Amtsrechts umfassen. Das Verhältniß des Beamteten zum Staate begründet in Be- ziehung auf die einzelnen Handlungen des ersteren endlich das Haf- tungsrecht des Staats für die Thätigkeiten des Beamteten. Es ist einleuchtend, daß der Staat für alle diejenigen Handlungen haften muß, welche der Beamtete vermöge seiner Competenz vollzieht. Es ist eben so klar, daß er nicht zu haften hat, wenn der Beamtete seine Competenz überschreitet, selbst dann nicht, wenn er im Namen des Staats verfährt, als es klar ist, daß der Staat haftet für dasjenige, was der Beamtete im Namen seiner Competenz vollbringt. Der ein- fache, hier durchgreifende Satz lautet demnach dahin, daß in den Fällen, wo der Beamtete seine Competenz überschreitet, der Einzelne durch eine solche Ueberschreitung gegen den Beamten ein Privatklagrecht gewinnt, und daß im streitigen Falle der Staatsrath zu entscheiden hat, ob die fragliche Handlung zur Competenz gerechnet werden soll oder nicht, — daß aber die Haftung des Staats durch zuständige Handlungen des Beamteten wieder den Regreß des Staats gegen den letzteren offen stellt, sobald die Form oder das Maß der Handlung mit der Absicht des Staats im Widerspruch standen. Die Gränze liegt im letzteren Falle in der Unterscheidung zwischen der rechtlichen Natur einerseits, und der Form und dem Maße andererseits; denn der Begriff der Zuständigkeit hebt zwischen Beamteten und Staat die Haftung für die erstern eben auf, und läßt sie nur für die letztern beginnen. Dieß nun sind die Grundlagen für den ersten großen Organismus der verwaltenden That, das Amtswesen und den Staatsdienst. Ein zweites nicht minder wichtiges Gebiet eröffnet sich uns in der Selbst- verwaltung. Das neuere deutsche Staatsrecht ist in Beziehung auf die obigen Fragen zu dem Satze gekommen, den wir nach Zöpfl (§. 521) aufnehmen: „Allgemein ist in deutschen Verfassungsurkunden als Grundsatz anerkannt, daß kein Staats- diener seines Amtes willkürlich entsetzt werden kann.“ Die Erklärung des Ausdrucks „willkürlich“ ist „nicht ohne Urtheil und Recht.“ Sehr genau und auf historischer Grundlage Zachariä , Deutsches Staatsrecht II. §. 143 ff. Man vergleiche dazu Malchus , Innere Politik I. S. 19. Das Haftungsrecht siehe Zöpfl §. 520; Zachariä §. 137 ff. Ueber Preußen speziell Rönne II. §. 303 ff. Das französische Haftungsrecht bezeichnet Laferri è re (Droit administratif I. Ch. II.): „Dans les fonctions publiques la responsabilité du supérieur n’absorbe pas celle de l’inférieur; chacun répond de ses faits; chaque fonctionnaire est responsable en ce qui concerne des actes de l’administration — ils ne pourront se couvrir des ordres inconstitutionnels ou des instructions illégales de leur supérieurs .“ Das wäre sehr schön; nur urtheilt darüber in Frankreich nicht das Gericht, sondern der Conseil d’État, der selbst ein amtliches Organ ist (s. oben unter Klagrecht und Conseil d’État ). In der That kann man nicht verkennen, daß gerade auf diesem Gebiete die Theorie höchst entscheidend und günstig gewirkt hat. Das öffentliche Recht hat durch sie vielleicht auf keinem Punkte so sehr den Charakter des Territorialen verloren und den des gemeingültigen Rechts dafür gewonnen; ein Ergebniß, das wir nur mit Freuden begrüßen können. Drittes Gebiet. Die Selbstverwaltung und ihr Organismus . I. Der allgemeine Begriff der Selbstverwaltung. Neben dem ersten großen Organismus der Verwaltung, dem amt- lichen, steht nun, denselben fast allenthalben berührend, bestimmend und zum Theil ersetzend und verdrängend, der zweite Organismus der Selbstverwaltung . Die Neuheit des Ausdrucks in eigenthümlicher Verbindung mit dem Alter der Sache hat es bisher nicht zu einem rechten Verständniß des ersteren kommen lassen. Die meisten Menschen dürften sich unter der Selbstverwaltung nicht einen Organismus, sondern vielmehr ein unklar vorgestelltes Princip denken, und zwar dasjenige, was wir als das Princip der freien Verwaltung bezeichnet haben, nach welchem dem Staatsbürgerthum ein Antheil an der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt gegeben ist. Eben so liegt die Verwechslung mit dem Begriff und Inhalt der verfassungsmäßigen Verwaltung nahe. Es ist kein Zweifel, daß die Selbstverwaltung beiden Begriffen angehört. Aber man muß sich gewöhnen die Vorstellung der Identität derselben zu beseitigen. Die Selbstverwaltung ist nicht das praktisch durchgeführte Princip der freien Verwaltung, das weit über sie hinausgeht, sondern sie ist vielmehr ein ganz selbständiger Organismus der voll- ziehenden Gewalt . Und das Princip, auf welchem sie beruht, ist folgendes. Das wirkliche Leben hat in jedem Staate einen doppelten Inhalt. Es erscheint einerseits als ein ganz gleichartiges und allgemeines, andererseits in einer ganz örtlichen , äußerlich begränzten Gestalt. Innerhalb dieser örtlichen Gränzen liegen eine Reihe von Momenten, welche für die Aufgabe des Staats an sich und für die Möglichkeit ihrer Vollziehung entscheidend werden, so daß die letztere nur dann ihrem Zwecke ganz entsprechen kann, wenn sie diese örtlichen Momente zu ihrer vollen Geltung innerhalb des allgemeinen Princips gelangen läßt, wie dieß schon oben hervorgehoben wurde. Indem nun der Organismus der einheitlichen und auf allen Punkten gleichen Staatsverwaltung diese örtlichen Besonderheiten in sich aufnimmt und anerkennt, entsteht das, was wir das örtliche System des Amtsorganismus, oder das Behördensystem genannt haben. Indem aber die freie Verwaltung das Princip der thätigen Theilnahme der einzelnen Staatsbürger an dieser örtlichen Gestalt der Verwaltung zur Geltung bringt, entsteht das, was wir die Selbstverwaltung nennen. Die Selbstverwaltung ist daher die Theilnahme des Staatsbürgerthums an der örtlichen Verwaltung , die als ein selbständiger Ver- waltungsorganismus mit eigenem Inhalt, eigener Funktion und eigenem Rechte ausgerüstet auftritt. Die Selbstverwaltung beruht daher auf zwei wesentlich verschiedenen Momenten. Einmal auf dem immer gleichen Princip des freien Staats- bürgerthums, aus welchem das Recht auf selbstthätige Theilnahme des Einzelnen an der Verwaltung hervorgeht; dann auf der Thatsache der örtlichen, unendlich verschiedenen Lebensverhältnisse, welche jenes Princip erst zu einem Organismus entfalten. Die Selbstverwaltung aller Zeiten und Länder ist daher ihrem Wesen nach gleich, ihrer Gestalt nach unendlich verschieden — so verschieden, daß man lieber diese positive Gestalt derselben ganz weggelassen, und sie nur noch in ihrem abstrakten Wesen, dem der freien Verwaltung, gesucht hat, womit freilich jeder eigene Begriff derselben verschwand. Diese Unbestimmtheit des Wesens der Selbstverwaltung hat es wieder verursacht, daß man eine ganz bestimmte, wenn auch eine höchst großartige Form derselben, die englische, als die eigentliche Selbstverwaltung betrachtet und be- zeichnet hat, und dadurch zu der Vorstellung gekommen ist, als ob einerseits kein anderes Volk eine Selbstverwaltung habe, andererseits die höchste Entwicklung der letzteren nur in der Form Englands bestehen könne. Geht man aber einen Schritt weiter, so erkennt man leicht, daß jener Begriff nicht bloß ein viel allgemeinerer, sondern vielmehr ein organischer ist. Es ist vielmehr wahr, daß jedes Land und jede Zeit seine Art und sein Recht dieser Selbstverwaltung hat. Aber alle diese höchst verschiedenen Formen haben dennoch zunächst ganz gleichartige Grundlagen, auf welche man alle jene Besonderheiten zurückführen muß, um sie verstehen zu können. Diese nun aufzustellen ist unsere erste Aufgabe. Und erst daran können wir dann das Bild desjenigen an- schließen, was wir die Individualität in der Selbstverwaltung nennen. Diese aber gehört zu den reichsten und interessantesten Gebieten der Staatswissenschaft. Vielleicht, daß es dem Folgenden Gelingt, ihr ihren Platz in der letztern dauernd zu gewinnen. II. Das organische Wesen der Selbstverwaltung. Will man die Selbstverwaltung in dem oben aufgestellten Sinne und in ihrer Individualität verstehen, so muß man allerdings sich wieder das gesammte Bild des organischen Staatslebens vergegenwärti- gen. Denn das Wesen derselben und ihre allgemein gültigen Grund- lagen gehören eben nicht einer einzelnen Institution, sondern dem Begriffe des Staats selber an. Wir haben im Staate den Willen desselben von seiner That geschieden, und diejenige Organisation, durch welche der erstere unter Mitwirkung der Staatsbürger zum Gesetze wird, die Verfassung genannt. Wir haben aber in dem Begriffe der That wieder den auf die äußere Vollziehung gerichteten Willen von dieser wirklichen thatsächlichen Aus- führung unterscheiden müssen. Wir haben diesen Willen der That als die Verordnung bezeichnet, gegenüber dem Gesetze, als dem reinen Willen. Wir haben das Wesen der Verordnung darin gesetzt, daß sie die gegebenen Verhältnisse des wirklichen Lebens in den Willen des Gesetzes aufnimmt und sie mit dem letzten vermittelt. Die Verordnung ist die vollziehende Gewalt als Wille; und eben dieser Wille, der das individuelle Leben der Staatsbürger erfaßt und bestimmt, erscheint zu- nächst als selbständig persönlicher in der Organisation der Regierung, dem Amtsorganismus, wie auch die wirkliche Vollziehung zunächst von ihr ausgeht. So wie aber das Princip des Staatsbürgerthums in der Verfassung den Staatsbürger zur Theilnahme am Willen des Staats zuläßt, so wird eine solche Theilnahme auch an der wirklichen Thätigkeit des Staats als die einfache Folgerung desselben Princips erscheinen. Diese Theilnahme an der Verwaltung macht aus derselben die freie Verwaltung; insofern sie sich aber auf örtlich oder sachlich begränzte und damit dauernde , in der Natur des Staats selbst liegende Auf- gaben der letzteren bezieht, heißt sie Selbstverwaltung. Und da nun die That des Staats selbst wieder theils als Wille, theils als wirkliche Ausführung erscheint, so zerfällt diese Selbstverwaltung in zwei Grund- formen. Sie kann erstlich sich bloß auf die Bildung des, der Voll- ziehung zu Grunde liegenden Willens beziehen, und sie kann zugleich die Ausführung mit umfassen. Denjenigen Organismus nun, vermöge dessen das Staatsbürgerthum an jener Bildung des vollziehenden Willens Theil nimmt, nennen wir die Vertretung ; denjenigen da- gegen, vermöge dessen zugleich die wirkliche Ausführung der Theilnahme des Staatsbürgerthums örtlich zusteht, nennen wir die (eigentliche) Selbstverwaltung . Das Wesen aller Vertretung besteht daher in der Theilnahme an der Verordnungsgewalt , das Wesen aller eigentlichen Selbstverwaltung in der Theilnahme an der Ausführung, also speziell an der Organisations - und Polizeigewalt . Beide zugleich erfüllen den Begriff der Selbstverwaltung mit seinem concreten Inhalt. Wir können daher von einer Selbstverwaltung im weitesten Sinne reden, welche die Vertretungen mit umfaßt, und von der eigent- lichen Selbstverwaltung, die nur in den Selbstverwaltungskörpern erscheint. Es ist die Aufgabe des Folgenden, dieß genauer zu ent- wickeln. Mit diesen Grundformen aber und mit allen aus ihnen sich ergebenden weiteren Bildungen erscheint die Selbstverwaltung stets als ein organischer Theil des Staatslebens. Und als solcher fordert sie eine vorläufige Beachtung. Das Obige ist, wie jede reine wissenschaftliche Definition, allerdings sehr einfach. Allein schon in ihm selber liegen die Elemente der unend- lichen Vielfältigkeit, die das wirkliche Leben gerade in diesem Gebiete weit mehr noch als in der amtlichen Organisation entwickelt. Wir haben gezeigt, daß die Verordnungsgewalt die Organisation und die Polizei umfaßt; die Ausführung beider enthält daher umgekehrt auch eine gewisse Verordnungsgewalt. Es ist daher schon dem Wesen der Sache nach denkbar, daß die Vertretungen neben ihrer eigentlichen Aufgabe auch einen Theil der beiden andern enthalten können. Es ist auch möglich, daß einige Vertretungsformen es enthalten, andere nicht. Es ist möglich, daß jede Vertretungsform zugleich Selbstver- waltung ist. Es ist möglich, daß eine höchst verschiedene Gränze für das Maß gesteckt ist, in welchem beide ihre verschiedene Gewalten ausüben. So einfach daher die Grundformen der Selbstverwaltung sind, so unendlich mannigfach können ihre concreten Gestalten sein. Die obigen beiden Grundbegriffe haben daher vor der Hand nur den Werth, die allgemeinste Grundlage für das wahre Verständniß jener verschiedenen Gestaltungen der Selbstverwaltung zu bieten. So wenig aber nun, wie sie selbst zufällig und willkürlich sind, so wenig werden wohl auch rein zufällige und willkürliche Motive jene concrete Mannigfaltigkeit des wirklichen Lebens der Selbstverwaltung beherrschen. Die hohe Wichtigkeit der letzteren, die ja doch am Ende die Idee und das Recht des freien Staatsbürgerthums erst verwirklicht, zwingt uns anzunehmen, daß auch jene Mannigfaltigkeit von bestimmten Gesetzen beherrscht, und daß daher die wirkliche Gestalt der Selbst- verwaltung das organische Ergebniß der Einwirkung bestimmter, nach- weisbarer und mit dem Wesen des Staats und des persönlichen Lebens innig zusammenhängender Faktoren ist. Und in der That gewinnt auch hier die reine Wissenschaft ihren faßbaren Inhalt erst an diesen Be- obachtungen. Offenbar nämlich enthält jede Form der Selbstverwaltung eine Beschränkung der Gewalt des persönlichen Staats, des Amtswesens und der Regierung. Sie ist daher die Anerkennung des freien Staats- bürgerthums durch die letztere; aber sie ist es gerade auf dem Punkte, wo jene Beschränkung am lebhaftesten gefühlt werden muß. Denn in ihr gibt sie einen Theil ihrer Gewalt denjenigen, über welche sie die- selbe auszuüben bestimmt ist, und mit diesem Theil verleiht sie dem Staatsbürgerthum erst das, was wir seinen concreten Inhalt nennen möchten, einen Antheil am wirklichen Leben des Staats. Das Maß und die Art, in welcher demgemäß Vertretungen und Selbstverwaltungen stattfinden, sind daher nichts anderes, als das Maß und der Inhalt des freien Staatsbürgerthums; und es ergibt sich daher, daß die ganze Gestalt der Selbstverwaltung der Ausdruck des Staatsbürger- thums ist, und mithin von der fortschreitenden Entwicklung desselben abhängt. Die Selbstverwaltung ist daher nicht ein nothwendiges In- stitut, wie das Amt, sondern ein freies Organ in der Persönlichkeit des Staats; sie ist ihrem Princip nach die Consequenz der staats- bürgerlichen Freiheit, während sie in ihrer Form den Ausdruck des Verständnisses der Aufgaben bildet, die der Staat zu vollziehen hat, und die Fähigkeit der Selbstthätigkeit seiner Bürger, sie wirklich zu vollziehen. Eben daraus ergibt sich nun der allgemeine Standpunkt für die Betrachtung der wirklichen Formen der Selbstverwaltung. Während nämlich der Amtsorganismus durch die im Begriffe des Gesammtlebens liegenden, unabänderlichen Aufgaben des Staats als ein festgeschlossenes, im Wesentlichen immer gleiches Ganze gegeben ist, wird die Selbst- verwaltung nicht bloß im Princip, sondern auch in ihren Formen je nach der Zeit wie nach den verschiedenen Völkern eine beständig wech- selnde und verschiedene sein. Während daher ferner in dem Amts- organismus die Individualität der einzelnen großen Völker sich in den Formen zeigt, welche die festen Elemente des Amtsorganismus durch Natur und Menschen annehmen, bewegt sich im Gebiete der Selbst- verwaltung die Individualität ganz frei ; die Selbstverwaltung ist eben das wahre Gebiet der Individualität des Staats- lebens . Die Vergleichung auf dem Felde der Selbstverwaltung versetzt uns daher auch bei den verschiedenen Völkern gleichsam in eine neue Welt; es ist ein ganz anderes Leben das sich uns öffnet, wenn wir von Deutschland nach Frankreich, von Frankreich nach England gehen, und wieder anders in andern Ländern. Hier ist es, wo sich der wahre Reichthum der staatlichen Schöpfung aufschließt; hier ist es aber auch, wo man jedes staatliche Dasein erst recht zu verstehen hat, denn hier ist es, wo sich die beiden großen Potenzen desselben, die Persönlichkeit des Staats und die der Einzelnen, fördern, beschränken, gegenseitig bekämpfen oder verstehen. Eine unmittelbare Vergleichung ist hier nicht ausführbar, wie bei dem Amt; sie ist nur möglich durch das Festhalten der im Wesen der Selbstverwaltung liegenden Grundbegriffe, der Vertretung und der Selbstverwaltung, und durch die festen Grundformen, in denen beide erscheinen. Die Frage, die wir daher mit dem Folgenden zu stellen haben, ist keine geringere als die, ob man das folgende System der Selbstverwaltung und ihrer principiellen Rechte als Basis für die ganze Lehre und jede dahin gehörende Vergleichung annehmen kann oder nicht. Es ist für die Wissenschaft wenigstens das gewiß, daß man sich einmal über diese Grundbegriffe einigen muß , soll nicht im endlosen Reden über unklare Vorstellungen oder im Anhäufen unverarbeiteten Materials der wissenschaftlichen Arbeit die wahre An- schauung des Lebens verloren gehen. Wir wollen versuchen, dabei so bestimmt zu sein als es möglich ist. III. Die beiden Grundbegriffe der Selbstverwaltung, die Vertretungen und die Selbstverwaltungskörper, ihre Rechtsprincipien und ihre Grundformen. a ) Die allgemeinen Rechtsprincipien der Selbstverwaltung. Das Recht der Selbstverwaltung entsteht, sowie dieselbe in einem bestimmten Organe auftritt; es enthält das Maß des Antheils, den dieß Organ an den drei Gewalten der Regierung besitzt. Die Aufgabe dieses Rechts ist es, die Funktion der Selbstverwaltung und ihrer Organe im Staate als eine selbständige hinzustellen, und damit der- selben erst statt eines abstrakten Princips einen festen, ihr angehörigen Körper zu geben. Die Lehre von diesem Rechte muß daher, wenn die Selbstverwaltung ein für alle staatlichen Individualitäten gültiger Be- griff sein soll, auf Kategorien beruhen, welche ihrerseits für alle Formen der Selbstverwaltung Gültigkeit haben. Und in sofern sprechen wir von einem Recht der Selbstverwaltung im Allgemeinen, welches für Vertretungen und Selbstverwaltungskörper zugleich gilt. Dieß Recht nun kann nur durch die Natur der Sache gegeben werden; es erscheint daher auch nur als ein Princip; seine Anwendung und Ausführung findet es erst in den beiden großen concreten Formen. Dennoch ist dieß Princip von höchster Wichtigkeit, weil es eben jene Natur der Selbstverwaltung erst klar erscheinen läßt. Die Selbstverwaltung ist nämlich, wie schon ihr Name zeigt, nur eine Form der Verwaltung. Sie kann daher niemals Gesetze geben . Sie ist nichts als eine besondere Gestaltung der vollziehenden Gewalt. Es folgt daher, daß die Freiheit der Selbstverwaltung nicht etwa eine Freiheit oder Selbständigkeit gegenüber dem Gesetze sein kann; im Gegentheil ist jede Selbstverwaltung dem Gesetze Gehorsam schuldig , wie die Einzelnen, aus denen sie selbst besteht. Es folgt ferner, daß sie auch für die Gesetzmäßigkeit ihrer Thätigkeit, sei dieß nun eine Berathung oder eine wirkliche Vollziehung, haftet , und zwar der vollziehenden Gewalt im Allgemeinen so gut als dem Einzelnen. Sie ist daher, als Organ dieser vollziehenden Gewalt, so gut wie das Amt, eben sowohl dem Klagrecht als dem Beschwerderecht unterworfen, so gut in ihren Beschlüssen als in ihrer Thätigkeit. Es folgt aber ferner, daß sie aus demselben Grunde auch dem amtlichen Befehle der höheren Stelle Gehorsam zu leisten hat, so gut wie der Einzelne; es versteht sich, daß auch auf ihren Gehorsam der Begriff und das Recht der Verfassungsmäßigkeit in vollem Maße Anwendung findet, und daß jedes Organ der Selbstverwaltung daher das Recht des passiven Widerstandes hat, während das eigene Klag- und Beschwerderecht nur von der eigentlichen Selbstverwaltung und ihren Körpern ausgeübt werden können. Während sie auf diese Weise allerdings ganz wie die vollziehende Gewalt selbst dem verfassungsmäßigen Rechte des Gesetzes unterworfen ist, besitzt sie andererseits das Recht der erstern, also namentlich einen Antheil an der Verordnungsgewalt. Dieser Antheil scheint auf den ersten Blick ganz unbestimmt zu sein; es scheint sogar, er könne so Stein , die Verwaltungslehre. I. 24 weit gehen, daß dieselbe wenigstens für gewisse Gebiete diese Verord- nungsgewalt allein , also mit Ausschließung der Regierung besitzen könne. Das ist nicht der Fall. Das Wesen des verfassungsmäßigen Staates fordert die Verantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung. Der ganz unabhängige Besitz irgend einer Verordnungs- gewalt von Seiten irgend einer Form der Selbstverwaltung würde diese Verantwortlichkeit aufheben, und damit die Verfassung selbst un- möglich machen. Da, wo Gesetz und Verordnung noch nicht getrennt sind, würde ein solches Recht die Selbstverwaltung geradezu souverän machen; und es hat sie gerade in Deutschland bei den Landschaften, Gemeinden und Körperschaften bekanntlich wirklich souverän gemacht. Die Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt der Selbstver- waltungskörper muß daher stets der Regierung untergeordnet sein; die Form, in welcher diese Unterordnung zur Erscheinung kommt, ist eben die oberaufsehende Gewalt (s. unten) und diese Gewalt ist daher eine organische Nothwendigkeit für jeden Staat, der sie als Genehmigung, Verbot und Controle ausübt. Daher wird es noth- wendig, daß Form und Maß dieses Antheils an der Regierungsgewalt für die Selbstverwaltung möglichst genau bestimmt werde, und die- jenigen gesetzlichen Bestimmungen nun, welche diese Gränze für ihre Verordnungsgewalt festsetzen, nennen wir das staatliche Recht der Selbstverwaltungsorgane, das wiederum nicht bloß bei den Vertretungen und Selbstverwaltungskörpern, sondern auch in den verschiedenen Län- dern sehr verschieden ist. Endlich ist es klar, daß eine Selbstverwaltung ohne eine geordnete Theilnahme der einzelnen Staatsbürger nicht denkbar ist. Auch diese muß rechtlich bestimmt werden, und ist es in der That. Und diejenige rechtliche Ordnung nun, nach welcher die Bildung der Organe der Selbstverwaltung aus den Staatskörpern geschieht, nennen wir das innere Recht oder die Verfassung der Selbstverwaltungsorgane. Das sind die Grundbegriffe des allgemeinen Rechts der Selbst- verwaltung; dieselben nehmen nun ihren bestimmten Inhalt erst an, wenn man Vertretung und Selbstverwaltungskörper und ihre so wesent- lich verschiedenen Funktionen scheidet. b ) Die Vertretungen. Die Principien ihres Rechts und die Grundformen derselben. Die Räthe und die Kammern. 1) Die Grundlage aller Vertretung ist zunächst das Verhältniß, in welchem die Regierung in Bezug auf eine Verordnung den Rath und die Ansichten derjenigen hören will, auf welche die betreffenden Verordnungen Bezug haben. Es ist, wie bei dem Amte, nothwendig, hier zu unterscheiden. Wenn eine solche Ansicht bloß von Einzelnen ausgeht, welche zu dem Zwecke ohne Aufforderung der Regierung zu- sammentreten, so entsteht eine Versammlung , welche ein Gesuch, oder eine Petition einreichen könne, ohne in irgend einer direkten Be- ziehung weder zu Gesetzgebung noch zu Verwaltung zu stehen. Das Recht auf solche, den Charakter subjektiver Meinungen enthaltenden Kundgebungen ist das Versammlungs- und Petitionsrecht , und gehört ins Verfassungsrecht. Wenn dagegen die Regierung, um einen Beschluß zu fassen, sich mit den Sachkundigen in Verbindung setzt, so entsteht ein Gutachten , oder wenn das Objekt ein allgemeiner Zu- stand ist, eine Enquete , die beide nur Mittel der Verwaltung sind, und daher kein Recht haben und keines erzeugen. — Wenn die Regierung für einzelne Zweige der Verwaltung einzelne Personen zur regel- mäßigen Begutachtung ihrer Pläne und Entwürfe bei ihren einzelnen Organen anstellt, so entsteht ein neues Organ mit bestimmten amt- lichen Rechten und Pflichten, und daher auch gewöhnlich mit Gehalt und Bestallung. Alles das ist keine Selbstverwaltung oder Vertretung. Die Vertretung entsteht dagegen erst da, wo zum Zwecke der Begutachtung der Verordnungen für ein bestimmtes und dauerndes Gebiet der Verwaltung ein Organ aus der Zahl derjenigen Personen gebildet wird, welche vermöge ihrer Fähigkeiten oder Interessen die Objekte der Verwaltung und die aus der Natur derselben entstehenden Aufgaben der letzteren zu beurtheilen im Stande sind. So wie ein solches dauerndes Organ geschaffen wird, so muß es mit einem Rechte versehen sein, das ihm sowohl seine Funktion inner- halb der Regierungsthätigkeit sichert, als es seine Bildung ordnet und feststellt. Oder es muß ein staatliches und ein inneres Recht haben. Die einfachen und allgemein gültigen Principien dieses Rechts sind folgende. 2) Das staatliche Recht aller Vertretung beruht auf zwei Punkten. Erstlich muß eine jede Vertretung das Recht haben, in allen auf ihr Objekt bezüglichen Regierungsthätigkeiten gehört zu werden. Dabei können gewisse Punkte zwar ausgeschlossen sein, allein es ist das weder weise, noch auf die Dauer aufrecht zu halten, wenn diese Punkte von entscheidender Wichtigkeit sind. Denn entweder wird die Vertretung an dem Bewußtsein zu Grunde gehen, daß ihr die Hauptsachen entzogen sind, während sie doch die moralische Verantwortlichkeit für dieselben theilt; oder sie wird vermöge desselben Bewußtseins mehr fordern, als ihrem eigenen Wesen entspricht. Es ist aber im absoluten Widerspruch mit der Natur einer Vertretung, über eine Vorlage einen Beschluß zu fassen; denn sie würde dadurch aus einem Organe der Verwaltung zu einem Organe der Gesetzgebung werden. Ob sie dagegen selbständige Anträge einbringen darf, sei es auf Verwaltung, sei es auf Gesetz- gebung bezüglich, kann verschieden bestimmt sein; natürlich ist es, dieselben zu gestatten, aber nur in Beziehung auf die besondern Auf- gaben, für welche die Vertretungen bestimmt sind. Das Recht der Anträge ist derjenige Theil des staatlichen Rechts der Vertretungen, mit welchem sie der Gesetzgebung angehören können, wenn es sich um zu erlassende Gesetze handelt; handelt es sich dagegen um Verordnungen, welche für bestimmte Zustände und Interessen erforderlich scheinen, so fällt dieselbe Thätigkeit wieder unter die Verwaltung im wirklichen Sinne. Man sieht, daß auch hier das wirkliche Leben die strengen Unterscheidungen der Wissenschaft allerdings kennt, aber nicht äußerlich durchführt; hier wie allenthalben besteht der Reichthum desselben nicht darin, daß es mehr enthält, als die letztere, sondern nur darin, daß es die in dieser geschiedenen Elemente in unendlicher Vielfältigkeit verbindet. Das zweite nothwendige Element des staatlichen Rechts der Ver- tretungen besteht darin, daß dieselben einem bestimmten Amt zu geord- net, oder unter geordnet sein müssen. Es ist im Allegemeinen festzuhal- ten, daß eine Ordnung solcher Vertretungsorgane ohne eine gesetzliche Verbindung mit einem amtlichen Organe nicht denkbar ist. In der That geht die Thätigkeit jeder Vertretung immer auf den Einfluß der Betheiligten auf die Ausübung der Verordnungsgewalt, und daher muß dieselbe mit dem Organe verbunden sein, welches eben diese Ge- walt ausübt. Dieß Verhältniß selbst ist aber, wie schon angedeutet, ein zweifaches, und daraus ergeben sich die beiden Grundformen der Vertretung überhaupt. Man möge mir auch hier verstatten, zwei be- kannte Ausdrücke an bestimmte Definitionen zu fixiren; die Klarheit kann nur dadurch gewinnen, daß man sich auf diese Weise über den Sinn der Worte einigt. Jene beiden Grundformen nun nennen wir die Räthe und die Kammern . 3) Räthe . Unter Rath (Handelsrath, Sanitätsrath, Unterrichtsrath ꝛc.) ver- stehen wir eine Vertretung, welche als berathender Organismus nicht amtlicher Personen einem Amte beigegeben ist, und daher ihre Ansicht über alle Verordnungen, welche dasselbe erläßt, oder über die Zustände, welche diese Verordnungen nöthig machen, gesetzlich abzugeben hat. Ein „Rath“ kann daher nur auf Aufforderung, oder in direkter Beziehung auf die Thätigkeit einer amtlichen Stelle funktioniren; die Räthe fügen sich naturgemäß in den Organismus des Amts, und haben die Gränze ihrer Competenz an der Competenz des letzteren. Immer aber muß der Rath, soll er seinen Charakter als Vertretung nicht verlieren, aus Personen bestehen, welche nicht dem Amte gehören, dem er beigeordnet ist; niemals kann er selbst eine vollziehende Gewalt haben. Es kann daher so viele Räthe geben als es amtliche Stellen gibt und sie werden in der Regel um so heilsamer wirken, je unabhängiger sie sind. Es ist ein reines Vorurtheil, in ihnen eine Begränzung der vollziehenden und verordnenden Gewalt zu sehen; im Gegentheil werden sie die Ver- antwortlichkeit der letzteren erleichtern und ihre einzelne positive Thätig- keit mit den praktischen Ansichten des wirklichen Lebens erfüllen. Da- gegen werden solche Räthe in dem Grade überflüssiger und sogar unrichtig, in welchem es sich um die Ausführung handelt, wie z. B. bei der Sicherheitspolizei. Der Regel nach werden die Räthe unmit- telbar von der Regierung ernannt. Man muß dieß Princip entschie- den als das Richtige erkennen. Denn jede Wahl der Rathe würde, wie es natürlich ist, doch immer nur die Majorität und in den meisten Fällen die gezählte statt der gewogenen in den Rath bringen; die Regierung aber soll auch die Minorität hören, und das einzige Mittel dafür ist ihre Ernennung. Dagegen ist es zweckmäßig, eine solche Ernennung stets nur auf eine gewisse Zeit vorzunehmen. Auf diese Weise bilden die Räthe ein höchst wichtiges Complement des freien Organismus der Verwaltung. Die Möglichkeit nun, den Räthen neben ihrer rein berathenden Aufgabe auch noch eine beschließende und gar eine exekutive zu geben, bildet aus denselben zugleich eigentliche Selbstverwaltungskörper und zeigt den Uebergang zu der zweiten Grundform an. Wir werden unten sehen, wie höchst verschieden das System der Räthe in den verschiedenen Ländern sich gestaltet hat. 4) Kammern . Mit dem an sich höchst unbestimmten Ausdruck „ Kammern “ be- zeichnen wir nunmehr diejenige Form der Vertretung, welcher nicht etwa wie die Räthe einem Amte beigegeben, sondern nur einem Amte untergeordnet sind, und daher eine freie , selbständige Thätigkeit besitzen. Ihr Objekt ist eben deßhalb auch nicht wie bei den Räthen die verordnende Thätigkeit eines bestimmten Amtes an sich, sondern es ist dasselbe vielmehr, wie sie selber, gleichfalls ein selbständiges. Damit aber ist es auch ein beschränktes. Und das ist der Grund, weßhalb die Kammern zu ihrem Gebiete immer die bestimmten und begränzteren volkswirthschaftlichen Interessen haben. Sie sind das wahre Organ der Interessenvertretung . Es ist nichts verkehrter, als die Volksvertretung mit der Interessenvertretung zu verwechseln, und so die natürlichen und unauslöschbaren Gegensätze der Interessen, welche eben in dem Begriffe des Staats in harmonischer Ein- heit aufgehoben sind, in der Volksvertretung wieder herzustellen. Eine Interessenvertretung ist nur da kein Widerspruch, wo durch die Thä- tigkeit des Staats nicht mehr das Ganze, sondern eben die bestimmten Interessen berührt werden, und das ist der Fall gerade in dem Gebiete der Verordnungen. Nur für die Verwaltung gibt es daher eine Interessen- vertretung, nicht für die Gesetzgebung, und diese wieder findet statt in den Kammern . Es ist daher ganz naturgemäß, daß während es Räthe für alle Theile der Verwaltung gibt, Kammern nur für die Volks- wirthschaft vorkommen können. Damit ist denn auch die naturgemäße Stellung derselben gegeben. Sie sind niemanden beigeordnet, sondern dem Ministerium für Volkswirthschaft untergeordnet. Sie müssen aus der Wahl der Betheiligten hervorgehen, nicht aus der Ernennung. Sie müssen sich ihre Thätigkeit im Wesentlichen selbst bestimmen. Sie müssen Ein Hauptrecht und Eine Hauptpflicht haben. Sie müssen über die Verordnungen gehört werden, welche über die von ihnen vertretenen Interessen entscheiden, und sie müssen die Interessen und Zustände kennen , die sie vertreten. In dem ersten Falle haben sie der betreffenden Anforderung Folge zu leisten, im zweiten Falle aber haben sie sich durch eigene Thätigkeit, Organe und Mittel diese Kenntnisse zu verschaffen. Im ersten Falle gleichen sie daher den Räthen, und sind rein berathende Körper, im zweiten Falle gleichen sie den Selbstverwaltungskörpern und sind verwaltende Organe. Auf diesen Punkten beruht das, was wir das staatliche Recht — die Grundsätze für ihr Verhalten zum Amt und zu den von ihnen vertre- tenen Interessen, und das innere Recht, — die Grundsätze, nach welchen ihre Wahl geschieht und ihre Geschäftsordnung sich bestimmt, nennen. Sie bezeichnen daher im Allgemeinen die Epoche, in welcher das ständische Leben seine Vertretung in den Volksvertretungen verliert, und die volkswirthschaftlichen Besonderheiten dennoch das Bedürfniß einer besonderen körperschaftlichen Bildung beibehalten. Sie sind die Reduci- rung der alten Innungen auf das Princip der Gleichheit des volks- wirthschaftlichen Lebens und stellen demnach die Trennung desselben vom allgemeinen Staatsleben vor. Sie erscheinen daher auch nicht bloß in der Hauptform der Handelskammern , sondern es kommen fast allenthalben noch einige andere Formen derselben daneben vor, was zum Theil ein sehr lebendiges Bild gibt. Auch sind ihre Funk- tionen keineswegs immer gleich. Am leichtesten verständlich sind sie natürlich im Gebiete der inneren Verwaltung. Geht man aber einen Schritt weiter, so findet man genau dieselbe Selbstverwaltungsform mit ganz entsprechenden Funktionen auch in der Finanzwirthschaft und der Rechtspflege. In der Finanzwirthschaft haben wir zum Theil (bei den Einkommensteuern) und werden wir dereinst haben (namentlich bei den direkten Steuern in ihrer Vertheilung) Steuerkammern , die jetzt nur Commissionen heißen, aber wahre Kammern sind. In der Rechtspflege sind die Handelsgerichte Gerichtskammern, und die Ge- schwornen sind in der That nichts anderes als Kammern für die Selbstverwaltung der Rechtspflege. Im Innern sind z. B. die Armen- verwaltungen dem Wesen nach Armenkammern; andere Beispiele ließen sich leicht aufführen. Nur muß man statt der gewöhnlichen Bezeichnung und Auffassung der Kammern eben die allgemeinere, durch das Wesen der freien Verwaltung gegebene Grundform setzen, und alle diese in sich gleichartigen Erscheinungen auf die Natur und das allgemeine Recht derselben reduciren. Offenbar nun bilden diese Kammern wieder den Uebergang zu der zweiten großen Grundform der Selbstverwaltung, den Selbstver- waltungskörpern . c ) Die Selbstverwaltungskörper. Die Principien ihres Rechts und ihre Grund- formen: Landschaft, Gemeinde und Körperschaft . 1) Eine ganz andere Reihe von Verhältnissen entsteht nun da, wo der Inhalt des Rechts der Selbstverwaltung nicht mehr die Theilnahme an der Verordnungsgewalt der Regierung, sondern zugleich an der Organisations- und Polizeigewalt, also an der Ausführung der Verord- nungen, oder eben an der Regierungsgewalt überhaupt ist. Mit Recht wird man erst hier, wo alle Elemente der Regierung zum Inhalt der Selbstthätigkeit der Staatsangehörigen werden, von einer Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne reden, und es ist daher leicht erklärlich, daß man das, was wir die Vertretungen und ihre Grundformen genannt haben, gar nicht als Selbstverwaltung zu be- trachten pflegt, da in dem Begriffe der Verwaltung schon eine wirkliche Thätigkeit zu liegen scheint. Dennoch wird man in der hier aufgestell- ten eigentlichen Selbstverwaltung nicht die einzige, sondern nur die höchste Form derselben erkennen müssen; denn die Theilnahme an der Verordnungsgewalt als solche bleibt immer eine Form der Selbstver- verwaltung, und nur das Zusammenfassen aller dieser Elemente gibt ein vollkommenes Bild des neueren staatlichen Lebens; das zeigt sich nun genauer im Begriffe der Selbstverwaltungskörper. Während nämlich die Räthe an der verordnenden Thätigkeit über- haupt, also ohne eine örtliche Begränzung Theil nehmen, die Kammern dagegen nur die speziellen Interessen und innern Aufgaben vertreten, erscheint die örtliche Einheit des wirklichen Lebens, welche alle Lebensverhältnisse aber örtlich begränzt und daher auch örtlich gestaltet, wieder als ein selbständiges Element der verwaltenden Thätigkeit und damit als ein Gegenstand der Selbstverwaltung. Die letztere ist daher die örtliche Regierung, insofern die allgemeine Regierung durch die Orts- und Landesverhältnisse Modifikationen empfängt; vermöge dieser örtlichen Einheit ist sie ein äußerlich bestimmtes, vermöge der innern staatlichen Natur ein innerlich organisirtes Ganzes, und in diesem Sinne nennen wir das Ganze einen Selbstverwaltungskörper . Diese Selbstverwaltungskörper haben nun, wie es sich schon aus dem Obigen ergibt, eine viel selbständigere Natur wie die Vertretungen. Mit der äußeren Gränze, welche sie besitzen, kommt ihre Gestalt, mit dem Theil des Regierungsrechts, welches sie ausüben, ihr organisches Verhältniß zum Staatsorganismus nothwendig in weit bestimmterer Weise zur Erscheinung. Daher sind auch diese Selbstverwaltungskörper die Träger des eigentlichen Rechts der Selbstverwaltung; sie haben ihr eigenes Recht, und hängen nicht mehr von dem Ermessen und der Zweckmäßigkeit ab, sondern sind mit der örtlichen Lebensgestaltung selbst gegeben. Wir werden daher hier mit dem Unterscheiden des staatlichen und des innern Rechts eigentlich erst ganz concrete Rechts- gebiete scheiden können. 2) Das staatliche Recht der Selbstverwaltungskörper ergibt sich in seinen, für alle drei Grundformen desselben gemeinsam gültigen Princpien aus der obigen Natur derselben. Das erste dieser Principien folgt aus dem Satze, daß diese Körper, indem sie die Organisation und Polizei auf Grundlage ihrer eigenen Verordnungsgewalt wirklich ausüben, auch die erste Bedin- gung jeder wirklichen That besitzen müssen; das ist, um wirklich han- deln zu können, müssen sie als Persönlichkeiten anerkannt sein. So entsteht hier bei ihnen juristisch und historisch zuerst der Begriff der sogenannten juristischen Persönlichkeit ; die Selbstverwaltungs- körper sind daher die höchste Form dieser juristischen Persönlichkeit. Wir werden unten bei dem Vereinswesen diesen Begriff in seiner weitern Entwicklung zu verfolgen haben, der gewöhnlich so höchst einseitig und unorganisch aufgefaßt wird. Hier dürfen wir uns mit dem allgemeinen Grundsatze begnügen, daß jeder Selbstverwaltungskörper sich am ersten und wesentlichsten dadurch von den Vertretungen unterscheidet, daß er eine juristische Persönlichkeit mit allen daraus folgenden Rechten und Funktionen ist, was die Vertretungen weder sind noch sein können; sie sind eben nur Organismen des Wollens und Wissens, aber nicht der That. Das ist so nothwendig, daß die Anerkennung der einzelnen Rechte der juristischen Persönlichkeit mit der Anerkennung als Selbst- verwaltungskörper bereits gegeben sind. Ob nun aber diese juristische Persönlichkeit neben ihrer wirthschaftlichen und administrativen Natur auch die staatlichen Rechte der individuellen Theilnahme an der Gesetz- gebung hat, ist wieder nach der Verfassung verschieden. Schon hier beginnt die Mannichfaltigkeit der Rechtsbildungen in diesem Gebiete. Das zweite Princip ist, daß diese Selbstverwaltungskörper, indem sie einen Theil der Regierungsgewalt durch ihren eigenen Willen und That verwalten, auch damit einen Theil des Organismus der ganzen Regierung bilden; das ist, daß weder ihre Verordnungs-, noch ihre Organisations-, noch ihre Polizeigewalt selbstherrlich sind, sondern stets unter dem Rechte des Verbots und der Genehmigung, das ist unter der oberaufsehenden Gewalt stehen, die aber erst durch sie ihren Inhalt empfängt. Hier nun sind wieder die verschiedensten Formen und Bildungen möglich, theils in dem Punkte, wo diese Oberaufsicht beginnt, theils in dem Punkte, wo der Selbstverwaltungskörper den Charakter der selbstän- digen Verwaltung verliert und zu einem bloßen Organ der Regierungs- gewalt wird. Wir werden unten sehen, wie sich grade dadurch nament- lich das Gemeindewesen der großen Länder Europas unterscheidet — so tief, daß das eine Land das andere nicht mehr versteht, und dennoch nur Unterschiede innerhalb desselben Princips. So viel aber leuchtet ein, daß es gar keine Thätigkeit dieser Körper geben kann, welche nicht dem verfassungsmäßigen Verwaltungsrechte, damit also nicht bloß dem höch- sten, wenn auch verantwortlichen Willen der Regierung, sondern auch dem Klag- und Beschwerderecht unterworfen wäre. In der That muß die Regierung, wenn auch nicht verantwortlich sein für das, was diese Körper thun , so doch für das, was sie nicht hätten thun oder lassen sollen, so weit es das öffentliche Interesse betrifft, und dafür steht ihr immer das Recht des Verbots zu; dem Einzelnen gegenüber ist es das Klagrecht, das die Gesetzmäßigkeit herstellt. Sie sind dem Staat gegenüber Unterthanen, dem Einzelnen gegenüber amt- liche Organe . 3) Das innere Recht dieser Körper nun ist insofern der Ausdruck des Wesens der Selbstverwaltung, als dasselbe die Gesammtheit der Ordnungen bestimmt, nach welchen die Einzelnen an diesem persönlichen Leben derselben Theil nehmen. Die Persönlichkeit dieser Körper erzeugt dabei zuerst den Satz, daß dieselben dem Staate analoge Bildungen entwickeln, und daher eine Verfassung mit Gesetzgebung, eine Verwal- tung mit Regierung und Amt, und endlich ein persönliches Oberhaupt haben. Diese Grundformen der allgemeinen Persönlichkeit, das Ich, der Wille und die That sind daher unbedingt in dem Selbstverwal- tungskörper vorhanden; aber sie sind, wie wir sehen werden, sehr ver- schieden entwickelt, und müssen unter den verschiedensten Namen auf- gesucht werden. Dennoch ist ihre Funktion stets im Wesentlichen gleich. Dieser Organismus nun ist dadurch ein freier , daß die Mitglieder der Selbstverwaltungskörper sich jene Organe selbst wählen , und daher auch dieselben von sich selbst abhängig und sich selber verant- wortlich machen. Nur ist hier der Unterschied noch weit größer wie in den organischen Grundformen, was bei der Aufzählung der Haupt- formen dieser Körper von selbst verständlich wird. 4) Die drei Grundformen dieser Selbstverwaltungskörper sind nun bekannt genug, und sollen in ihrer Besonderheit unten genauer ent- wickelt werden. Es muß uns daher genügen sie hier mit wenig Worten zu charakterisiren, um nur die Vergleichung der Hauptländer einerseits, und den Unterschied von den Vertretungen andererseits recht verständ- lich zu machen. Die erste Grundform ist das Land und die Landschaft . Wir gebrauchen zunächst diesen allgemeinen Namen, weil er den Gegenstand am besten bezeichnet. Es ist dieselbe, die auf der theils historischen, theils natürlichen Gleichartigkeit der Bedingungen und Ordnungen des gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Lebens entstandene Gemeinschaft gewisser theils socialer, theils volkswirthschaftlicher Thatsachen, Interessen und Aufgaben, welche als Objekt der Thätigkeit der Selbstverwaltung den Organismus der Landschaft oder der Landstände erzeugen. Die zweite Grundform ist dagegen die Gemeinde , welche eben auf der örtlichen Gestalt und Gemeinschaft aller Interessen ihrer An- gehörigen beruht, und durch die Verwaltung derselben den Hauptkörper der Selbstverwaltung bildet. Die dritte Grundform endlich ist das was wir die Corporation nennen; sie entsteht, wo für einen bestimmten öffentlichen Zweck ein bestimmtes Vermögen gesetzt und verwaltet wird. Alle diese Formen haben nun allerdings wieder in den verschiedenen Ländern Nebenformen, Uebergangsbildungen, Unterarten; das staatliche wie das innere Recht derselben ist sehr verschieden, sowohl in Princip als in Ausdehnung; die Stellung, welche sie einnehmen, ist deßhalb zum Theil kaum vergleichbar; dennoch ist es kein Zweifel, daß wir alle dahin gehörigen Erscheinungen auf jene drei Grundformen zurück zu führen haben. Der Gegenstand wird es nun wohl auch hier verzeihlich machen, wenn wir die bisher dargelegten Elemente in einem Schema dar- stellen, an welches sich dann wie an ein festes Knochensystem die reiche Lebendigkeit der wirklichen Gestaltungen anschließen wird. Dieß Schema ist folgendes: Auf dieser Grundlage nun werden wir sogleich zur Vergleichung übergehen. Allein es wird dennoch die Fragen, die hier entstehen, er- klären, wenn wir die historische allgemeine Entwicklung Europas vor- aussenden, um daran den Charakter der einzelnen Länder anzuschließen. Es ist bekannt, daß es, abgesehen von allgemeinen Phrasen, wissenschaftlich gar keinen Begriff der Selbstverwaltung gegeben hat, weder in der Rechts- philosophie, noch in der Geschichte, noch in der constitutionellen Staatslehre, noch in dem positiven Staatsrecht, noch in der Politik, bis ihm Gneist seinen Boden gewonnen hat. Es wird nun darauf ankommen, nachdem über England nach diesem so hochbedeutenden Manne wenig mehr zu sagen bleibt, ob es möglich sein wird, einen allgemeineren organischen Begriff, der zugleich der Vergleichung dienen kann, durchzuführen. Ob wir ihn richtig hinstellen, mag immerhin bezweifelt werden; ganz gewiß ist nur, daß ohne ihn künftig keine, den Anforderungen unserer Zeit entsprechende Staatslehre möglich sein wird. IV. Elemente der allgemeinen Geschichte der Selbstverwaltung. Wesen und Bedeutung des historischen Rechts derselben. Allerdings beruht die Selbstverwaltung wie die staatliche Verwal- tung auf dem Wesen der Persönlichkeit und des Staatslebens. Allein wie jene hat sie selbst doch nur wie schon erwähnt eine bestimmte orga- nische Funktion im Staate zu erfüllen. Sie ist in diesem Sinne ein ethisches Element in demselben. Ihr positives Recht, ihre Gestalt und ihre Geschichte hängen daher von dieser Funktion ab; wir dürfen sie daher wiederholen. Die Idee der freien Verwaltung fordert eine Theilnahme des Staats- bürgerthums an der Vollziehung des Staatswillens. Dem abstrakten Principe gemäß soll der freie Staat diese Theilnahme gesetzlich auf der Grundlage der obigen organischen Elemente ausbilden und herstellen, so daß die Selbstverwaltung ein gesetzlicher, verfassungsmäßig bestehender Organismus wäre. Allein die innere persönliche Einheit der Staats- gewalt ist zu mächtig, um aus sich heraus dem Besonderen eine dauernde Berechtigung auch in der Verwaltung zuzuerkennen, oder sie nicht faktisch zu beseitigen, auch wo sie formell besteht. Die Selbstverwaltung und das in ihr enthaltene Element des freien Staatsbürgerthums wird daher, der Natur des ganzen Staatsorganismus nach, zu einem bloßen Schein, der freien Verwaltung, wenn sie durch nichts anderes gesetzt ist als durch den gesetzlich formulirten Willen des Staats. Sie ist nichts, wenn sie auf nichts anderem beruht, als auf ihrer verfassungsmäßigen Formulirung. Das entscheidende Beispiel dafür ist Frankreichs Selbst- verwaltung. Das Princip derselben beruht auf den obigen Sätzen. Und hier ist es nun, wo der von uns aufgestellte Unterschied in dem allgemeinen Begriffe der Selbstverwaltung der Unterschied von Ver- tretungen und Selbstverwaltungskörpern, gleich anfangs von großer Bedeutung, und die Grundlage der Geschichte wird. Alle Vertretungen haben nämlich das mit einander gemein, daß das Bedürfniß nach ihnen und ihrer Thätigkeit sowohl in der Form der Räthe, als in der der Kammern, immer wesentlich vom Staate und seiner Regierung selbst ausgeht. Sie entstehen daher nur da, wo die Regierung selbst sie wünscht, um eine Basis für ihre verordnende Ge- walt zu haben. Sie empfangen damit ihr Recht und ihre Aufgabe auch von der Regierung selbst, welche den Punkt bezeichnet, auf welchen sie wirken sollen. Dazu kommt, daß dieselben keine Theilnahme an der wirklichen ausführenden Thätigkeit haben. Der Regierung bleibt damit das Recht und die Möglichkeit, die Funktion dieser Organe so zu be- stimmen, daß ein Widerspruch mit ihrem Willen und ihrer Thätigkeit nicht eintreten kann. Außerdem erscheinen diese Organe der Selbstver- waltung doch nur als Mittel für die Aufgaben der Regierung, und ihre ganze Existenz fällt, wenn kein Gesetz da ist, das sie hervorgerufen, unter die Organisationsgewalt; existirt dagegen auch ein Gesetz, so wird es doch immer von der Regierung abhangen, wie weit sie die Meinungen jener Organe für ihre wirkliche Thätigkeit gebrauchen will oder nicht, denn nur sie, und nicht jene sind verantwortlich. Es ergibt sich daraus, daß in dem Gebiete der Vertretungen ein Kampf zwischen dem Staate und der Selbstverwaltung nicht stattfinden kann, und daß daher auch die geschichtliche Entwicklung der ersteren sich unmittelbar an die Entwicklung des Regierungssystems anschließt. Sie stehen, ob auch anderer Natur, doch auf demselben Rechtsboden mit dem amtlichen Organismus; sie sind dann, wie schon bemerkt, nur im weiten Sinne Theile der Selbstverwaltung, insofern sie eben nicht selbst verwalten, sondern nur eine Form der Theilnahme des Staatsbürger- thums an der wirklichen Verwaltung des Staats enthalten. In ihnen kommt, wie man sagen kann, zwar der administrative Werth, aber nicht das politische Wesen der Selbstverwaltung zur Geltung. Dieß geschieht erst in den Selbstverwaltungskörpern, und mit gutem Recht hat man daher auch in ihnen eigentlich die Selbstverwaltung gefunden; in ihnen liegt der Schwerpunkt der Geschichte und der Individualität des Staats. Und zwar deßhalb, weil sie nicht auf der Zweckmäßigkeit oder Intelligenz, sondern auf einem selbständigen Fundamente im Or- ganismus des Staats stehen. Soll nämlich die Selbstverwaltung eine Wirklichkeit sein, so muß sie auf einem Grunde beruhen, der weder für die Regierung, noch selbst für die Verfassung als ein willkürlich antastbarer dasteht. Dieser Grund ist weder die Idee der Verwaltung, die bestritten, noch die Zweckmäßig- keit, die verschieden verstanden werden kann. Es ist kein anderer als der des geschichtlich gewordenen Rechts auf die Selbstverwaltung, mit welchem die historischen Verwaltungskörper als selbständige der selbstän- digen einheitlichen Persönlichkeit des Staats in seiner einheitlichen Ver- waltung zur Seite treten. Es kann daher keine wahre Selbstverwaltung geben und gibt keine ohne historisch gebildete und anerkannte Rechte der örtlichen Verwaltungskörper. Diese Rechte sind dann die feste Gränze, hinter der sich die Einzelnen gleichsam sammeln, um ihre Theil- nahme an der Verwaltung des Staats im Namen jenes Rechts und für ihre besondern Verhältnisse zu bethätigen. Man kann solche Körper nicht schaffen, sondern nur die gewordenen anerkennen. Die gesetzlich geschaffenen behalten nothwendig den Charakter der Gewalt, die sie erzeugt; sie sind nur dem Namen nach Körper der Selbstverwaltung, in der Wirklichkeit sind sie Amtsgebiete. Das historische Recht der Selbstverwaltungskörper, der Länder, Gemeinden und Corporationen erscheint daher nicht bloß als eine That- sache, sondern es erscheint als ein ethisches Element des Staatslebens, welches die objektiv gesicherte Stellung der Selbstverwaltung erzeugt und erhält, die ohne sie auf die Dauer machtlos wäre. Daher stammt eigentlich der Name des historischen Rechts; überhaupt nur die Selbst- verwaltung läßt den Begriff des historischen Rechts zu; es ist mit dem- selben, als einem Recht auf einen Rechtszustand auf Grundlage geschicht- lich gegebener Thatsachen, für alle andern Rechtsgebiete gar keine Vor- stellung zu verbinden. Und darum fordert und besitzt das auf diese Weise gegebene historische Recht an und für sich eine Macht, welche keineswegs bloß auf der Macht des Gesetzes beruht. Es fordert mit gutem Sinne eine Achtung, die nicht bloß durch seinen Inhalt, sondern vielmehr durch diese seine höhere ethische Bedeutung und Funktion be- dingt ist. Es hat die Fähigkeit in sich, selbst der Verfassungsbildung als gleichberechtigter Faktor zur Seite zu treten, und darf von sich sagen, daß die Achtung vor ihm eine selbstbedingte Grundlage der gesunden Staatsordnung ist. Denn es hat seinen Grund in den höhern Forderungen des geistigen Lebens und ist damit der Ausdruck des auf sich selbst ruhenden Rechts auf die Selbstverwaltung. Allein dennoch sind diese Körper organische Theile des Staats. Sie werden daher in das allgemeine Leben desselben, und insbesondere in die Verwaltung mit hineingezogen. Das persönlich einheitliche Leben des Staats findet an ihnen einen Widerstand, den es zu negiren strebt. So entsteht ein Kampf zwischen beiden Elementen. Dieser Kampf hat seinen besondern Verlauf wieder nach den drei Grundformen, Land, Gemeinde und Corporation. Jede derselben hat ihre eigene Geschichte. Aber sie behalten dennoch etwas Gemeinsames; sie haben eine gemein- same Geschichte, in welche sich die Verhältnisse der besonderen Geschichte hineinfügen. Und in dieser tritt wieder die Geschichte der Gesellschaft mit entscheidender Bedeutung auf. Die ganze Epoche der Geschlechter- ordnung erscheint gar nicht in dieser Geschichte. In ihr sind Staat und Gesellschaft noch in keinem Gegensatz, und eine Selbstverwaltung existirt nicht, weil es noch keine eigentliche Verwaltung gibt. Erst mit der ständischen Bildung beginnt jene Geschichte; dennoch hat die Ge- schlechterordnung das Bewußtsein hinterlassen, daß die Selbständigkeit der Verwaltung aller eigenen Angelegenheiten nicht etwa ein beson- deres Recht, sondern der natürliche Zustand der Verwaltung sei. Durch sie war daher der Satz festgestellt, daß ein Unterschied zwischen Selbst- verwaltung und Staatsverwaltung niemals aus der Gesellschaft, son- dern nur aus dem Auftreten der persönlichen Idee des Staats hervor- gehen könne. Und darauf beruht die ganze Geschichte der Verwaltungs- organisation, speziell aber die der Selbstverwaltung. Das Lehenswesen, als die staatliche Form der ständischen Ordnung beginnt mit dem Satze, daß jeder freie Besitz das Recht habe, sich selbst zu verwalten, so weit es eine Verwaltung gab. Alle Reiche bestanden daher aus lauter selbständigen Verwaltungskörpern; jeder derselben hatte das unzweifelhafte, vom Königthume anerkannte Recht, innerhalb seiner Gränzen alle Aufgaben der Verwaltung, so weit sie da waren, durch sich selbst zu vollziehen. Das ward nicht geändert durch das Auftreten der (städtischen) Gemeinden; auch diese waren freie Verwaltungskörper, und ihre Privilegien waren eben Anerkennung dieser Selbständigkeit, keine Schöpfung derselben. Dieselbe Selbständigkeit erscheint da, wo der Beruf der gesellschaftlichen Stände, des Wehrstandes, des geistlichen Standes, des bürgerlichen Standes sich innerlich ordnet. Obwohl diese Stände die Funktionen der Staatsverwaltung vollziehen, bestimmen sie dennoch ihre eigene Organisationen und Rechte. Der Staat steht, im Königthume ausgedrückt, nicht bloß selbständig und geschieden neben ihnen; er hat seine eigenen Aufgaben, welche aber noch in die Sphäre jener Selbstverwaltung nicht hineingreifen. Es ist die Periode der Herrschaft der Selbstverwaltung. Die zweite Periode beginnt, wo diese selbständigen einzelnen Körper sich allmählig zu einem gemeinsamen Leben vereinigen. In dieser Ver- einigung liegt einerseits der Keim der staatlichen Entwicklung, dann aber auch der Grund der Bildung eines neuen Organs der Selbstver- waltung, der Landschaft . Während das Königthum allmählig die Beziehungen und den Streit jener selbständigen Körper seiner einheit- lichen Thätigkeit in Finanzen, Gericht und Polizei unterwirft, entsteht in der Landschaft der Begriff der Landesangelegenheiten . Diese Landesangelegenheiten, verwaltet durch die Landtage, sind ihrem Um- fange nach wesentlich unbestimmt; denn am Ende besteht jedes Reich aus lauter Ländern, und die Gränze zwischen Reichs- und Landessachen ist nirgends zu ziehen. Damit aber verschwindet auch die Gränze zwischen dem Gebiete der Selbstverwaltung und der staatlichen Verwaltung, und hier wie immer entsteht der Kampf zwischen den Organen, wo die prin- cipiellen Gränzen ihres Rechts unsicher werden. Jetzt beginnt nun eine Zeit, die bei aller Verschiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa denselben Charakter hat. Die Organe der staatlichen Verwaltung be- kämpfen, untergraben und vernichten zuerst die Selbstverwaltung der Landtage im Namen des Königthums und des Reiches, dann greifen sie entscheidend auch in die innere Verwaltung der einzelnen Körper hinein, indem sie die oberaufsehende Gewalt zu einer wirklichen Ver- waltungsgewalt machen, die Gränze zwischen Gesetzgebung und Verord- nung aufheben, und so die gesammte Verwaltung der Reiche sich unter- werfen. Die oberaufsehende Gewalt nämlich wird zu demjenigen Rechts- titel, vermöge dessen die Organe der letzteren erst die einzelnen Thätigkeiten der ersteren sich unterordnen, und die Berechtigung fordern, sie zu ver- bieten oder zuzulassen, dann aber das Recht der körperschaftlichen Selbst- verwaltung überhaupt in Frage ziehen, dasselbe von der landesherrlichen Bewilligung abhängig machen, und so im Ganzen wie im Einzelnen sich an die Stelle der letzteren setzen. Es wird durch diesen Proceß eigentlich die Form der Selbstverwaltung und das äußerliche Neben- einanderstehen der beiden Organisationen nicht viel geändert; im Gegen- theil bleiben für die Organe der Selbstverwaltung sogar die Namen und die nominellen Rechte und Ordnungen bestehen, wie dieselben auch ihre Würde und ihre Symbole behalten; allein wesentlich geändert ist das System des Verwaltungs rechts , indem die Competenz jener Organe entweder geradezu vernichtet, oder doch derjenigen der landesherrlichen Behörden ganz unterworfen wird. Bei alledem wird das Princip der Selbstverwaltung, das historische Recht, nicht angegriffen. Die Achtung vor demselben bleibt und die edleren Grundsätze der Reformen halten daran fest, dieß historische Recht mit dem unabweisbar gewordenen Be- dürfniß der wahren Verwaltung zu vereinigen. Allein die Träger dieser historischen Rechte widersetzen sich dieser, bei aller Verderbtheit der Hof- wirthschaft dennoch vom Königthum im ganzen achtzehnten Jahrhundert ernstlichst vertretenen Richtung. Sie gebrauchen das große Princip des historischen Rechts, nicht mehr um das ethische Princip der Selbstver- waltung gegen die amtliche Verwaltung zur Geltung zu bringen, son- dern um ihre gesellschaftlichen Vorrechte gegen die Entwicklung der neuen socialen Forderungen, ja gegen die unbedingten administrativen Bedürf- nisse des Staats selbst rücksichtslos zu vertheidigen. Da ist es, als ob die Staatsidee im Zorn ihre Gewalt zusammenfaßte; in Preußen, in Oesterreich, in Rußland, ja in Skandinavien und sogar in einem schwachen Versuch in Frankreich tritt das Königthum jener Verderbniß der Selbstverwaltung entgegen, und zertritt sie offen, aber zugleich das Recht der Selbstverwaltung selbst brechend. Das geschieht im achtzehnten Jahrhundert. Nur in England unterliegt das Königthum, und erscheint die Thatsache, welche eben England auszeichnet, daß hier die Gesetz- gebung selbst zur Verwaltung wird. Im übrigen Europa verschwindet mit der Selbständigkeit des ersteren das Recht des Bürgerthums auf die letztere. Die Länder, Gemeinden und Corporationen müssen sich beugen; das Königthum greift auf allen Punkten in ihr historisches Recht, ja in den Grundsatz desselben ein; die Idee der Selbstverwal- tung wird den einen ein Spott, den andern ein Gegenstand der Ver- folgung; sie selbst, da sie ihre edlere Natur an die Sonderinteressen ihrer Vertreter verloren hat, ist machtlos, und die staatliche Verwaltung steht als Sieger auf den Trümmern der historischen Ordnung der Selbst- verwaltung im Namen der Entwicklung der höchsten Gesammtinteressen, die Rechte der Sonderinteressen rücksichtlos vernichtend. Das ist die Zeit, die wir als den aufgeklärten Despotismus bezeichnen; nicht wegen seiner Zwecke und Mittel, sondern wegen der grundsätzlichen Negation des historischen Rechts der Selbstverwaltung. Die höchste und gränzenloseste Form desselben entsteht aber in der französischen Revo- lution. Der wesentliche Unterschied derselben von den königlichen Re- formen im übrigen Europa des achtzehnten Jahrhunderts besteht darin, daß sie die Selbstverwaltung und mit ihr die Selbständigkeit des Indi- viduums nicht thatsächlich, sondern principiell und in der Wurzel ver- nichtete, indem sie das Princip der historisch berechtigten Verwaltungs- körper selbst aufhob, und an die Stelle derselben Amtskörper setzte. Einen Augenblick lang war es die Frage in Europa, ob dieß französische Princip das europäische werden solle. Und ob man es nun aner- kennen mag oder nicht — es war Deutschland , das damals durch ein wunderbares und doch so einfach natürliches Zusammenwirken von Staat, Poesie, Wissenschaft und Volksgeist die Idee des histori- schen Rechts und mit ihr das große Princip der Selbstverwaltung ge- rettet hat. Noch immer hat man diese Epoche der Romantik und der historischen Rechtsschule nicht ganz verstanden. Sie kann erst klar werden mit dem Inhalt der Lehre von der Selbstverwaltung, die in Deutschland für Europa erhalten wurde. Durch Deutschland überdauerte ihr Princip die napoleonische Zeit, und ist jetzt ein Grundstein der orga- nischen Gestaltung des Verwaltungsorganismus geworden, der nicht wieder verloren gehen wird. Mit dem gegenwärtigen Jahrhundert hat nun die Selbstverwaltung auf dieser Basis eine feste Gestalt gewonnen. Allein wie die großen bewegenden Elemente der Selbstverwaltung, die gesellschaftliche Ordnung und die Entwicklung der Staatsidee, ihrerseits tief verschieden sind auf gleicher Grundlage in den verschiedenen Landen Europas, so ist nun auch die Selbstverwaltung eine wesentlich verschiedene. Wir haben schon gesagt, daß die Individualität der Staaten sich vielmehr gerade in der Selbstverwaltung, als in irgend einem andern Theile des Lebens zeigt. Wir wollen den Versuch machen, sie hier darzulegen. Allerdings beruht der Kern derselben dabei in dem Selbstverwaltungskörper; aber wir dürfen Umfang und Thätigkeit der ersteren niemals durch die letzteren erschöpfen wollen. Sie bildet ein Ganzes , zu welchem das Verhältniß der Vertretungen nothwendig hinzugehört, denn es ist aus denselben Elementen mit dem Verwaltungskörper entstanden, und man wird daher niemals ein Bild von diesem hochwichtigen Theile des europäischen Lebens haben, ohne die Vertretungen und die Körper in ihrem orga- nischen Ineinandergreifen zu erfassen. Das ist die Aufgabe des Fol- genden; an sie schließt sich dann die Charakteristik der einzelnen Selbstverwaltungskörper. Beide aber müssen auf die oben aufgestellten allgemeinen, und daher für alle Formationen gültigen Kategorien zurück- geführt werden. V. Die drei großen Culturstaaten. a ) Die Selbstverwaltung Englands. Wir sind gewohnt, England als die eigentliche Heimath der Selbst- verwaltung anzusehen, und mit Recht. Auch der Name stammt aus England. An England lernen wir gerade in der Selbstverwaltung, was ein großes Volk vermag, indem es sich selber für seine eigene Stein , die Verwaltungslehre. I. 25 Verwaltung verantwortlich macht. Wir lernen aber auch an ihm, wo die Gränze desjenigen ist, was diese Selbstverwaltung leisten kann. Wir bewundern es vielleicht nach der einen Seite hin noch immer nicht ge- nug, denn wir vermögen es noch immer nicht ihm in der staatlichen Energie der Einzelnen gleich zu thun; wir bewundern es aber gewiß nach einer andern Seite hin zu viel, denn wir sind auch hier geneigt, das Eigene, Große und Gute neben dem Fremden gering zu achten. Wir müssen daher, von der Selbstverwaltung redend, den Versuch machen, nicht bloß ein vollständiges Bild derselben zu entwerfen, son- dern auch die große Mannigfaltigkeit seiner Theile auf einfache und für ganz Europa gemeingültige Grundlagen zurückzuführen, und so England nicht mehr bloß durch England, sondern durch die Staatenbildungs- gesetze zu verstehen, welche die menschliche Welt ewig beherrschen werden. Die innere Geschichte Englands setzen wir als bekannt voraus. Der innere Entwicklungsgang dieser Geschichte hat nun dem König- thum niemals dieselbe Macht verliehen, die es auf dem Continent hatte. Gesetz und Verordnung sind niemals verschmolzen, sondern das Volk hat sich selbst seine Gesetze gegeben. Es möge uns dabei die Thatsache genügen, daß dem so ist. Aus dieser Thatsache geht nun das erste große Princip des englischen Staatslebens hervor, das früher oft ge- trübt, doch seit hundert Jahren in ganz unzweifelhafter Geltung besteht, daß nämlich die Staatsgewalt nur zu denjenigen Thätigkeiten ein Recht hat, welche auf einem formellen Gesetze, oder dem common law be- ruhen. Die staatliche Verwaltung hat nur die Ausführung der Gesetze zu vollbringen und zu verantworten. Daraus folgt, daß dieselbe im Namen der abstrakten Staatsidee, ihrer Lebensbedingungen und Forde- rungen, niemanden zu etwas auf dem Verwaltungswege zwingen kann, wozu derselbe nicht auf dem Wege der Gesetzgebung gezwungen ist. Die Verwaltung existirt daher nur so weit, als sie Gesetzgebung ist , und die Ausführung jedes Verwaltungsaktes gegen den Einzelnen ist daher im Grunde die Execution eines, auf ein solches Gesetz gestützten richterlichen Urtheils. Daraus nun folgt, daß wo immer sich allgemeine Bedürfnisse zeigen, dieselben niemals durch Regierungsbehörden erfüllt werden können und dürfen , wenn nicht die Gesetzgebung darüber gesprochen hat. Sollen sie daher dennoch erfüllt werden, so müssen die Einzelnen selbstthätig die Funktionen übernehmen, welche im Begriffe der Regierung liegen, wenn sie nicht wollen, daß sie ganz unterbleiben. Sie müssen die ge- sammte Regierungsgewalt örtlich übernehmen, damit sie überhaupt aus- geübt werde. Sie sind daher nicht ein Complement der Regierung und ihres Amtsorganismus, sondern sie sind diese örtliche Regierung selbst . Sie sind es aber auch nicht etwa aus ganz freien Stücken. Sondern wenn das Parlament ein Gesetz über die inneren Angelegen- heiten erlassen hat, so muß es auch befolgt werden; das ist, es kann jeder Einzelne gegen jeden Selbstverwaltungskörper eine civilrechtliche Klage anstellen wegen Nichtbefolgung des Verwaltungsgesetzes. Die Einzelnen müssen daher die örtliche Regierung übernehmen; sie können mit dem gewöhnlichen Klagrecht dazu gezwungen werden, die örtliche Regierung zu sein . Und die Gesammtheit der daraus entstehenden Funktionen und Organismen nennen wir das Selfgovernment, die eigentliche Selbstverwaltung Englands. Wie daher die englische Selbstverwaltung von dieser Seite kein Princip, sondern eine Consequenz ist, so ist sie es auch von der anderen. Da die Gesetzgebung in England zugleich die ganze Verwaltung be- stimmt, und sich auch das Verordnungsrecht vorbehält, sie selbst aber wieder aus den Wahlen der Einzelnen hervorgeht, so ist es natürlich, daß diese Einzelnen streben, auf diese Willensbestimmungen des Parla- ments auch in Beziehung auf die Verwaltung einen unmittelbaren Ein- fluß zu gewinnen. Der Weg dazu ist die Versammlung und die Petition . Das Versammlungs- und Petitionsrecht in seiner voll- kommen freien und großartigen Anwendung in England ist eben daher im Grunde ein organischer Theil der Selbstverwaltung. Die Gesetz- gebung ist nicht gezwungen, nicht einmal verpflichtet, auf die Bedürfnisse des Lebens der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, wenn sie nicht will. Dennoch hat sie allein das Recht, durch ihre Gesetze den Bedürfnissen abzuhelfen. Eine Regierung, welche das lebendige und verantwortliche Haupt der inneren Verwaltung wäre, und welche daher ihrerseits die Verpflichtung fühlte, jene Bedürfnisse zum Ausdrucke und zur Geltung zu bringen, gibt es nicht. Die Regierung hat eben wie schon früher gesagt, keine Behörden im continentalen Sinne; dafür aber kann auch niemand sie verantwortlich machen, wenn die Dinge schlecht gehen, und niemand thut es. Wenn daher den Anforderungen der Verwaltung Genüge geschehen soll, soweit dieselben über den Kreis der örtlichen Selbstverwaltungskörper hinausgehen, so müssen sich wieder die Ein- zelnen selbst darum kümmern, und als Ganzes solche Bedürfnisse aus- sprechen; sie sind eben sich selber verantwortlich. Die Form, in der das geschieht, ist eben die Versammlung und die Petition. Versamm- lungen, Vereine, Petitionen sind daher in England ganz etwas anderes als auf dem Continent. Sie sind organische Faktoren der Ver- waltung . Sie sind die Organe, welche auf dem Continent theils durch Räthe und Kammern, theils durch die Behörden ersetzt sind; sie sind das Mittel, die Gesetzgebung — nicht wie auf dem Continent die Regierung — über die Zustände und Bedürfnisse aufzuklären, und die Initiative in der Bildung der Verwaltungsgesetzgebung zu ergreifen, da es für diese Dinge kein anderes berechtigtes Organ gibt , als den Einzelnen. Der Gedanke, daß Versammlungen, Vereine und Petitionen einer Regierung Opposition machen und eine Art von administrativer Anklage enthalten — ein Gedanke aus dem die eigentliche Opposition gegen jenes Recht hervorgeht — existirt in England nicht . Sie sind nur im Verhältniß zum Parlament als höchster Verwaltungskörper für das Verwaltungsrecht zu denken. Sie sind daher die Formen der „Vertretung“ in England; ohne sie ist eine große und gefährliche Lücke im System des englischen Lebens; sie sind nicht etwa bloß ein Recht des freien Staatsbürgers, sondern eine Nothwendigkeit des Staats- lebens; ohne sie ist die Verwaltung in England gar nicht denkbar, da die Regierung sowohl als die Selbstverwaltungen nur das thun, was die Gesetzgebung vorschreibt, diese aber aus dem Einzelnen hervorgeht. Während der Continent sie durch die Thätigkeit der Behörden und durch die Verantwortlichkeit derselben ersetzt, daß nichts Nothwendiges unter- bleibe, sind sie in England geradezu unersetzlich, und müssen daher mit dem Parlamente zugleich als ein organisches Glied der Selbstverwaltung im weitesten Sinne betrachtet werden. So erscheint auch die Selbstverwaltung Englands in denselben zwei großen Funktionen und Organen, welche durch das Wesen der Selbst- verwaltung überhaupt gegeben sind, den Vertretungen und den Selbst- verwaltungskörpern. Allein die ersteren sind dennoch mit dem Ver- sammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht der Einzelnen und dem Ver- waltungs- oder eigentlich Verordnungsrecht des Parlaments, die der Gesetzgebung, nicht ganz erschöpft. Wir haben schon bemerkt, daß die Räthe und die Kammern ein amtliches Element in sich haben, obgleich sie vermöge ihrer Zusammen- setzung der Selbstverwaltung angehören; denn sie sind beide aus unab- hängigen Mitgliedern zusammengesetzt. Wo daher das englische Staats- leben mit seiner unselbständigen Staatsverwaltung dennoch allmählig gewisse große Gesammtaufgaben der Verwaltung nicht mehr bloß den Selbstverwaltungskörpern überlassen konnte, da griff es, um das Amt und mit dem Amte die Selbständigkeit der Verwaltung zu vermeiden, zu dem System, die höchste Administration der Reichsangelegenheiten des Inneren statt wie auf dem Continent einem Ministerium, vielmehr einem Rathe anzuvertrauen. So entstand das, für England eigen- thümliche, und dennoch seiner ganzen Individualität entsprechende Ver- hältniß, nach welchem wir eine Reihe höchster Räthe an der Stelle der Ministerien entstehen sehen, welche die Form der Selbstverwaltung, den Inhalt der amtlichen Verwaltung haben. Sie unterscheiden sich wesent- lich von den Räthen des Continents dadurch, daß sie nicht etwa einem amtlichen Organe untergeordnet, sondern eigentlich selbst das amtliche Organ sind, und daher selbst für gewisse Gebiete die höchsten Stellen bilden. Es ist das Ganze im Grunde nichts anderes, als das Collegial- wesen, das den verfassungsmäßigen Ministern auf dem Continent vor- aufging (s. oben). Sie sind selbst wieder theils Unterabtheilungen des Staatsrathes, theils selbständige Räthe. Gneist hat uns zuerst ein klares Bild von diesen Verhältnissen gegeben. Wir werden sie sogleich aufführen. Während nun auf diese Weise das erste Element der Selbstver- waltung, die Vertretungen, eine höchst eigenthümliche Gestalt haben, ist dieß nicht weniger der Fall mit dem zweiten Element, den Selbst- verwaltungskörpern . Allerdings sehen wir auch hier die drei Grundformen herrschend hervortreten. Allein nicht bloß daß das, was wir die Landschaft nennen, in der County Englands und in dem Friedensgericht als Bezirk der Selbstverwaltung eine ganz andere Gestalt haben, auch die Gemeinde ist eine andere, während endlich die Körperschaft eine weit größere Selbständigkeit hat als auf dem Continent. Wir haben das spezielle Verhältniß derselben unten darzustellen. Es wird aber von nicht geringem Interesse sein, den allgemeinen Charakter dieser Körper schon hier als einen wesentlichen Beitrag zur Individualität Englands zu bezeichnen. Die Selbstverwaltungskörper in England sind nämlich nicht wie in Frankreich aus dem Gedanken einer zweckmäßigen Organisation für die Zwecke der staatlichen Verwaltung entsprungen, und beruhen auch nicht wie in Deutschland in ihrem Umfang und Inhalt auf dem histo- rischen Recht auf Selbstverwaltung. Sondern, da die Staatsverwaltung für die innere Verwaltung nichts thut und rechtlich nichts thun darf, dennoch aber die Verwaltungsgesetze einerseits befolgt werden müssen, andererseits die Bedürfnisse nicht abzuweisen sind, so haben sich diese Selbstverwaltungskörper wesentlich an die Aufgaben der örtlichen Ver- waltung selbst angeschlossen, und bestehen daher nicht so sehr als örtlich, sondern vielmehr als sachlich berechtigte Organe; d. h. es sind lauter selbständige Selbstverwaltungsorgane entstanden, die nicht zusammen eine organische Einheit bilden, wie die Gemeinde in Deutsch- land, sondern für jede Aufgabe hat sich innerhalb der rein örtlichen, territorialen Gränzen von Landschaft und Gemeinde ein eigenes Organ durch Wahlen gebildet, welches aber deßhalb auch nicht an eine Gemeinde, oder an die County gebunden ist, sondern vielmehr seinen Wirkungskreis nach dem Bedarf der Verhältnisse entweder bei diesen stehen bleibt, oder die ganze Landschaft umfaßt, ohne daß diese Organe wieder unter einem gemeinschaftlichen Haupt ständen, und als Vollzugsorgane einer Gesammtberathung erschienen, wie etwa die Magistrate unserer Städte. Das Recht zur Bildung dieser Organe beruht ferner nicht etwa auf einem Gesetze oder auf einer historischen Thatsache, wie bei Stadt und Land des Continents, sondern auf dem historisch gültigen Princip, daß die Mittel für die Erfüllung jener Thätigkeit durch Selbstbesteurung aufgebracht werden. Daraus entsteht der, für die ganze Selbstverwal- tung Englands gültige Grundsatz, daß jeder Verwaltungsaufgabe eine eigene Steuer entspricht, und daß jeder Selbstverwaltungs- körper wieder als ein eigener Steuerkörper erscheint . Steuer und Selbstverwaltung sind daher in England gar nicht zu trennen; das Steuersystem ist zugleich das innere Verwaltungssystem, und das Recht zur Theilnahme an der Wahl der Verwaltungskörper beruht auf der Verpflichtung, für ihre Thätigkeit beizutragen. Es ist klar, daß dadurch die innere Selbstverwaltung ein viel größeres Maaß von Selb- ständigkeit hat, als auf dem Continent: allein es ist keine andere Ge- währ für die tüchtige Verwaltung selbst vorhanden, als die lebendige Theilnahme und Tüchtigkeit der Wähler selbst. Darin beruht ihr Werth und darin auch ihre Gefahr. Faßt man nun dieß zusammen, so sieht man wie die Selbstver- waltung in England nicht bloß eine eigenthümliche Gestalt darbietet, sondern auch einen ganz anderen Proceß zeigt wie auf dem Continent. Vortrefflich hat dieß Toqueville in seiner Démocratie de l’Amérique dargestellt, indem er das Wesen der nordamerikanischen Selbstverwaltung an die englische anschließt I. 93 ff. Die Thätigkeit der Selbstverwaltung beruht hier nicht auf Befehl, Gebot und Genehmigung, sondern sie ist eine Vollziehung eines Gesetzes, und steht unter dem Klagrecht ; sie ist keine amtliche, sondern eine persönliche; sie geschieht ohne Behörden, aber sie ist dafür auch nur vom örtlichen Interesse beherrscht. Die schemati- schen Grundzüge dieser Selbstverwaltung wären demnach etwa folgende: b ) Die Selbstverwaltung Frankreichs. Wenn unsere allgemeine Bemerkung richtig war, daß die Indivi- dualität der Staatenbildung gerade in der Selbstverwaltung am deut- lichsten hervortritt, so muß der Unterschied zwischen der Selbstverwaltung Frankreichs und Englands in Form wie in Charakter ein ungemeiner sein. Denn mit Recht nimmt man an, daß keine zwei Staaten der Welt tiefer von einander verschieden sind als diese beiden. Und dieß nun ist in der That der Fall. Indem wir die frühere Geschichte Frankreichs dabei zur Seite lassen, und nur im Allgemeinen erinnern, daß dieselbe in Beziehung auf den Charakter der Verwaltung von der gegenwärtigen gar nicht so wesentlich abweicht, wollen wir diesen Charakter der Verwaltung nach der Revolution und speziell ihr Verhältniß zur Selbstverwaltung kurz ins Gedächtniß rufen. Die Revolution, wie bekannt, brach in Paris aus, nicht in Frankreich. Sie war der Ausdruck eines großen, aber abstrakten Princips. Sie brachte daher seit ihrer Geburt jenen Haß gegen die Thatsachen und ihre Besonderheiten mit sich, den der Gedanke um so schwerer überwindet, je größer er ist. Der Kampf mit diesen That- sachen aber sollte dem revolutionären Princip nicht erspart werden. Es ist aber sehr nothwendig, sich über das klar zu sein, was wir hier als die Thatsachen bezeichnen, welche der Revolution entgegentraten. Diese Thatsachen waren nichts anderes, als die Macht und die Interessen der historischen Zustände im Innern Frankreichs, die recht- liche und faktische Herrschaft des Adels auf dem flachen Lande, und der Zünfte und Innungen in den Städten. Die letzteren hatten unter Turgots Ministerium ihren ersten Kampf zu bestehen, und siegten; sie vernichteten mit dem Edikt von 1776 über die Gewerbefreiheit auch den Minister, der sie im Namen der physiokratischen Theorie durchführen wollte. Die ersteren waren bis zur Revolution gar nicht angegriffen. Das Princip der Freiheit und Gleichheit hob nun beide allerdings grundsätzlich auf, und die Nacht des vierten Augusts 1789 sprach diese grundsätzliche Aufhebung aus. Allein daß damit erst der Anfang der gesellschaftlichen Umgestaltung gegeben sei, darüber war sich alles klar. Bei aller Anerkennung der Freiheit blieb die materielle und zum Theil auch traditionelle Macht in den ständischen Elementen, dem Adel, der Geistlichkeit, den städtischen Patriziern. Hätte das Princip der Freiheit die Selbstverwaltung in Frankreich erzeugt, wie sie in England bestand, so wäre es eben selbst vor der Hand ein Princip geblieben . Das fühlte man schon mit vollkommener Deutlichkeit im Jahre 1789, mehr noch im Jahre 1790. Man wußte in Paris sehr gut, daß wenn man die Ausführung der Gesetze in die Hände der Communen und Departemente legte, diese Ausführung durch die Interessen und die Macht der Theilnehmer an der Selbstverwaltung niemals mit den Gesetzen in Harmonie sein würden. Es ließ sich sogar mit aller Bestimmtheit vorher berechnen, daß in einzelnen Theilen Frankreichs diese Selbstverwaltung, wenn man ihr eine entscheidende Stimme gab, gerade das Gegentheil von den erlassenen Gesetzen hervorbringen werde. Und diese Auffassung gewann nur zu sehr ihre volle Bestätigung, als die Erhebungen im Süden Frankreichs, in der Vend é e, und namentlich als die Versuche der Gironde, Frankreich gegen Paris ins Feld zu führen, mit Schwert und Feuer unterdrückt werden mußten. Die Selbstverwaltung wäre eine Organisirung und Legalisirung des Vernichtungskampfes des histo- rischen Rechtes gegen das gesetzliche geworden; die Aufstellung beschließen- der Selbstverwaltungskörper hätte eben so viel Festungen der dem Untergange geweihten gesellschaftlichen Ordnungen der früheren Jahr- hunderte geschaffen; die Gesetze der Pariser Volksvertretung wären durch die örtlichen Volksvertretungen in ihrer ganzen Verwirklichung vernichtet worden, denn der Charakter der letzteren und namentlich der Landschaft, den Ausdruck und die Geltung der socialen Elemente zu bilden, ist ein unabänderlicher. Es blieb daher nur Eins übrig, und dieß Eine große Princip ist es, das uns die ganze innere Verwaltung Frankreichs, ihr System und ihr Recht im Einzelnen wie im Ganzen erklärt: die gesetzgebende Ge- walt mußte die Ausführung ihrer Gesetze selbst in die Hand nehmen . Sie mußte aus sich selbst eine Verwaltung erzeugen, die nicht einmal verpflichtet war, dem örtlichen Gerichte Rede zu stehen, sondern die auch im Einzelnen, auch für die einzelnen Handlungen der ausführenden Organe nur dem gesetzgebenden Körper verantwortlich war. Nur durch diese grundsätzliche Beseitigung jeder praktischen Be- rechtigung der örtlichen Selbstverwaltung war eine Sicherheit für die wirkliche und rücksichtslose Ausführung der neuen Gesetze zu gewinnen. Wie das Gesetz, so mußte auch die Verwaltung rücksichtslos gegen jede Selbständigkeit vorgehen; wie jenes, so mußte diese vom Mittelpunkt aus alleinherrschend Frankreich ordnen, und das verfassungsmäßige Leben mußte seine Sicherung allein in der Unterwerfung der obersten Spitzen der Verwaltung unter die Gesetzgebung finden, die wieder ohne eine Unterwerfung aller Verwaltungsorgane unter die ersteren nicht denkbar war. Auf diese Weise erzeugte die Despotie des abstrakten Princips eine gleiche Despotie der Vollziehung. Die Selbstverwaltung war in unserem Sinne geradezu unmöglich; ja, schon im Jahre 1790 führten die Gesetze vom 16 — 20. August, wie schon oben erwähnt, den Ge- danken durch, daß die vollziehende Gewalt nicht einmal bei Verletzun- gen des bürgerlichen Rechts auf dem Wege der Klage vor den Gerich- ten, sondern nur auf dem Wege der Beschwerde vor ihren eigenen höheren Stellen, dem Minister und dem Conseil d’État belangt werden konnten. In der That, wohin wäre die Revolution gelangt, hätte man bei den Confiskationen und Hinrichtungen durch die Commissäre erst vor dem Gerichte einen Proceß führen müssen — was hätten die Assignaten bedeutet, wenn die Titel des Besitzes der Nationalgüter ge- richtlich hätten konstatirt werden sollen? Dennoch ließ sich andererseits die zweite Anwendung des Princips der Freiheit, die grundsätzliche Theilnahme des Staatsbürgers auch an der vollziehenden Gewalt nicht bestreiten. Es wäre ein zu schreiender Widerspruch gewesen, jedem Staatsbürger durch freie Wahl volle Be- theiligung an der Gesetzgebung zu verleihen, und daneben die Verwal- tung als eine, von jeder solchen Betheiligung ausgeschlossene Potenz hinzustellen. Auch dieß Gefühl war lebendig genug, um seine volle und grundsätzliche Anerkennung zu finden. Es kam daher jetzt nur darauf an, einen Mittelweg zu finden, einen Weg, auf welchem man die volle und freie Selbstthätigkeit der Verwaltung erhalten und dennoch dem Staatsbürgerthum einen Antheil an derselben geben könne. Dieser Mittelweg mußte der ganzen Selbstverwaltung Frankreichs ihren Cha- rakter geben. Und man hat ihn gefunden, indem man an die Stelle der eigentlichen Selbstverwaltung das ächt französische System der Conseils gestellt hat. Es ist ganz nothwendig, sich über das Wesen dieser, das ganze Verwaltungssystem Frankreichs durchdringenden Conseils klar zu sein; denn in ihnen beruht eigentlich die Individualität des französischen Verwaltungsorganismus, sie sind das Beispiel für viele ähnliche Insti- tute, das Muster für viel Gutes auf dem übrigen Continent geworden, während derselbe neben ihnen noch seine eigenthümliche Selbstverwal- tung beibehalten hat. Sie bilden die zweite große Grundformation der Selbstverwaltung überhaupt, und werden es thun für alle Zeiten. Der Begriff der französischen Conseils enthält nämlich zuerst eine, auf ganz oder doch theilweise freier Wahl beruhende Organisation eines vorzugsweise berathenden Körpers an der Seite eines voll- ziehenden amtlichen Organes . Das Conseil kann auch in ge- wissen Punkten eine beschließende Gewalt haben; allein erstlich sind diese Punkte stets sehr untergeordneter Natur, andererseits steht jeder Beschluß wieder unter Verbot und Genehmigung der höheren Behörde . Der Begriff der französischen Conseils ist daher der eigentlich organische Ausdruck der Selbstverwaltung in Frankreich; indem er die freie Be- theiligung des Einzelnen durch Wahl und Wählbarkeit an der Voll- ziehung zuläßt, hemmt er dennoch diese Vollziehung durch das Verwal- tungsorgan nicht, da er nur den Rath zu geben hat. Auf diesen Rath aber hat er ein gesetzliches Recht; in diesem gesetzlichen Rechte ruht seine Selbständigkeit; aber mit dem Rathe ist auch das Recht fast immer erschöpft; die Differenz, welche zwischen der bloß berathenden und vollziehenden Gewalt liegt, füllt, müssen wir sagen, der Gedanke aus, daß ein vernünftiger Rath von der betreffenden Behörde gewiß gehört werden wird, während andererseits da, wo die wirkliche Voll- ziehung diesem Organe verliehen wurde, auch die Verantwortlichkeit der Vollziehung gegenüber der Gesetzgebung aufhören müßte. Von diesen Sätzen aus liegt nun die Consequenz nahe, daß ein solcher Nath, eben weil er nirgends stört, auch allenthalben sehr heilsam wirken und das Gefühl der Selbstverwaltung auf allen Punkten anerkennen muß. Es ist daher leicht verständlich, daß man allerdings zuerst das System der Conseils an die Stelle der Selbstverwaltungskörper setzte und statt der Landschaften, Kreise und Gemeinden drei Arten von Conseils aufstellte, welche neben den Behörden, dem Préfet, sous-préfet und Maire hingestellt, den Organismus der eigentlichen Selbstverwal- tung in innigster Verschmelzung mit der Behörde bilden; daß man dann den Gedanken festhielt, auch die Verwaltung als Ganzes unter einen solchen Rath zu stellen und so den Conseil d’État schuf; und daß man endlich auch den Funktionen der einzelnen Verwaltungs- zweige gleichartige Conseils zur Seite gab, gleichsam ein Collegial- system neben dem Ministerialsystem. So ist allmählig — denn diese letzte Gruppe der Conseils hat sich erst langsam ausgebildet und ist zum Theil noch immer in weiterer Fortbildung begriffen — ein, die ganze Administration umfassendes und durchdringendes organisches System von Conseils entstanden; und dieses System von Conseils ist die französische Selbstverwaltung . Es ist daraus nun zuerst klar, daß neben einem solchen Princip und System das Versammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht als Element der Selbstverwaltung fast verschwinden muß, obwohl sie for- mell in allen Constitutionen und zuletzt noch in der Constitution von 1852 Art. 43 aufrecht gehalten sind (s. oben). Die formelle Selbstän- digkeit der französischen Administration, die sich nicht einmal den Ge- richten unterwirft, kann sich noch viel weniger den Volksversammlungen unterwerfen. Die Verantwortlichkeit der Minister aber ist ja ohnehin durch ihre Gewalt über die ganze Verwaltung begründet und durch die Volksvertretung möglich gemacht; und die Interessen aller Einzelnen sind in den, alle bureaux begleitenden Conseils ja ausreichend ver- treten. Eine Versammlungs- und Petitionsgewalt in administrativen Dingen, in England natürlich und sogar nothwendig, erscheint in Frankreich unorganisch und gefährlich; es ist dasselbe an und für sich ein Widerspruch mit dem ganzen System der Verwaltung; es kann daher faktisch auch nie mit einem Anklageakt gegen das Ministerium auf- treten, und da dieser der Volksvertretung vorbehalten ist, so ist in der That kein Raum da für dasselbe. An diese Auffassung muß man sich gewöhnen; Versammlungen und Petitionen sind in Frankreich nicht in englischer und deutscher Weise denkbar; sie sind im Widerspruch nicht gerade mit dem Rechte der Regierung, sondern mit dem System und Princip der Verwaltung, und ihre wirkliche Ausübung erscheint daher immer nur als ein Gesuch im bestimmten Interesse einzelner Angele- genheiten und wird auch als solches behandelt. Dagegen mußte bei dieser Identificirung des Systems der Conseils mit der Selbstverwaltung allerdings die Frage beantwortet werden, in welchem Verhältniß denn nun das Recht dieser Conseils zu dem der Staatsbeamteten stehe. Und hier nun zeigt sich der Unterschied der Vertretungen von den Selbstverwaltungskörpern schlagend in einer Form, in der man ihn vielleicht am wenigsten erwartet. Das klare und praktische Verständniß der Franzosen hat sie nämlich gleich bei der Begründung des Systems der Conseils dahin geführt, das Recht der- jenigen Conseils, welche an der Stelle der Selbstverwaltungskörper fun- giren, wesentlich anders zu formuliren als das Recht derjenigen, welche nur Vertretungen sind. Die letzteren haben überhaupt nur Gutachten zu geben, und zwar, wie es natürlich ist, in den in ihrer Organisation ihnen vorgeschriebenen Fällen; ils sont appellés à donner avis . Die- jenigen Conseils dagegen, welche der örtlichen Verwaltung bei- gegeben sind, nehmen gleich anfangs den Charakter von Selbstverwal- tungskörpern an; es ist unmöglich, sie als bloß berathende Organe hinzustellen; sie müssen, um ihrer Idee zu entsprechen, irgend eine freie Selbstthätigkeit besitzen; demnach dürfen sie dieselbe weder über die ganze örtliche Verwaltung ausdehnen, noch dürfen sie die Vollzie- hung in Händen haben, die dem amtlichen Organe ausschließlich bleiben soll. Und so entsteht jenes eigenthümliche System für das Recht aller derjenigen Conseils, welche nicht mehr Räthe, sondern eigentlich Selbst- verwaltungskörper sind. Dieß Recht ist nämlich für alle diese Con- seils vom Conseil d’État bis zum Conseil municipal herab in drei feste Kategorien zusammengefaßt. Jeder dieser Conseils hat das Recht, in einzelnen, möglichst scharf bestimmten Fällen zu entscheiden — il décide, arrête; er hat in einer zweiten Gruppe von Fällen das Recht, zu berathen , il delibère; er hat in einer dritten Gruppe nur das Recht zu begutachten , il donne avis. Das sind die drei Kategorien, welche das Verhältniß dieser Klasse von Conseils zum Amt bestimmen. Der Unterschied derselben von der ersten Klasse ist, denken wir, klar genug. Erst dieser Unterschied wird es recht verständlich machen, wenn wir die französischen Conseils als Formen der Selbstverwaltung be- zeichneten; und dieser Grundgedanke der ganzen französischen Verwaltung des Innern, die demnach kaum den Namen der Selbstverwaltung ver- dient, ist wohl nirgends so einfach und rückhaltslos, und von allen subjektiven Wünschen und Bestrebungen ausgesprochen, als von Lafer- ri è re in seiner C. d. Droit public et administratif , P. II. Dr. adm. L. II. Ch. I. Er faßt ganz richtig die gesammte örtliche Verwaltung als eine „administration départementale“ auf, wie sie durch das Dekret vom 22. Dec. 1789 begründet ward, und im Wesentlichen sich bis jetzt er- halten hat. Département, Arrondissement und Commune sind ihm ein „être collectif, qui renferme un directoire et un conseil, et c’est là que réside toute la valeur de l’institution; il y a séparation de l’action et de la délibération; il y a deux autorités qui la représen- tent — et le principe constitutionnel de l’administration était posé par la division naturelle entre l’action et la délibération ,“ das ist der wahre Geist der französischen Selbstverwaltung. Das Dekret von 1789 hatte in freierer Auffassung auch die Action einem gewählten Körper gegeben; die Constitution von 1795 verschmolz beide in Eins; erst die Constitution von 1799 „repousse le vicieux dans ces deux organisa- tions,“ macht die Action zum Staatsamt und organisirt die délibéra- tion selbständig. Daraus entsteht dann jenes System der Conseils, und mit ihm hat die Selbstverwaltung Frankreichs ihre definitive Grundlage empfangen. Da wir nun diese zweite Gruppe der Conseils unter beiden Selbst- verwaltungskörpern genauer bezeichnen müssen, so mag uns hier ver- stattet sein, das System der Conseils der ersten Gruppe, welche wir als Vertretungen bezeichnen, im Einzelnen aufzuführen. Man kann dabei drei Klassen unterscheiden. Die Conseils, welche der militärischen Verwaltung angehören, dürften wohl als rein amtliche Räthe bezeichnet werden; wir glauben sie hier übergehen zu können. Es sind die Conseils de guerre (Kriegs- gericht), dann die Conseils d’amirauté (seit 1824) und Conseil de travaux (seit 1831 für die Flottenlieferungen), sowie das Conseil d’administration für die Militärlieferungen. Die zweite Klasse besteht aus den festen , regelmäßig fungirenden Räthen, die den bestimmten amtlichen Organen in der Verwaltung zur Seite stehen. Dahin gehören: Das Conseil impérial de l’instruction publique, welches an die Stelle des alten Conseil de l’Université als Unterrichtsrath getreten ist und seine Organisation durch das Gesetz vom 15. März 1850 empfan- gen hat; das Dekret vom 5. Decbr. 1850 hat seine Competenz noch genauer bestimmt. Conseil d’hygiène publique, reorganisirt durch Dekret vom 15. Decbr. 1851; das frühere Conseil de salubrité, eingesetzt 1802. Conseil général des Mines seit an II aus der agence des Mines entstanden, seit 30. Vendemiaire an IV unter dem obigen Namen, Or- ganisation durch Dekret vom 18. Novbr. 1810. Conseil général des Ponts et chaussées seit Dekret vom 7. Fructi- dor an XII. (Art. 15.) Conseil supérieur du Commerce, de l’Agriculture et de l’Industrie statt des früheren Conseil supérieur du Commerce, welches seine Or- ganisation durch die Ordonnanz vom 20. April 1831 empfangen hatte, nunmehr durch Dekret vom 2. Febr. 1853 geregelt — Reichshandelsrath. Conseil des haras als permanente Commission neben dem Ministère de l’agriculture für die Pferdezucht, Décr. org. 7 Juin 1852. Conseil des bâtiments civils seit 1791 eingeführt, manchem Wechsel in seiner Organisation unterworfen, und in zwei Theile getheilt für geistliche und weltliche Bauten; letzte definitive Organisation seit 1838; seit 1852 ist es für weltliche Bauten dem Ministère d’État, für geist- liche dem Ministère des cultes zugetheilt. Die dritte Klasse besteht aus denjenigen Conseils, welche theils nur für örtliche Verwaltungszwecke gebildet werden, theils vorüber- gehend sind. Sie erscheinen deßhalb auch oft als Commissions, Räthe, welche nur für eine bestimmte Frage gebildet werden; sie vertheilen sich zum Theil über ganz Frankreich, und bilden gleichsam die Erfüllung des ganzen Systems. Dahin gehören namentlich: Die Conseils généraux du Commerce et des Manufactures, die in ihrem Ursprung bis zur Zeit Colberts zurückgehen, örtliche Handels- räthe, die erste Form der Handelskammern. Man hat sie, obwohl sie wenig benützt werden, doch bestehen lassen; sie sind neu organisirt durch Ordonnanz vom 29. April 1831 und durch die Dekrete vom 1. Februar 1850 und 9. April 1851, bis man sie in dem Conseil su- périeur du Commerce centralisirte. Chambres consultatives d’agriculture, eingerichtet durch Dekret vom 25. März 1852 in jedem Arrondissement. Chambres consultatives des arts et manufactures, errichtet schon durch Gesetz vom 22. Germinal an XI für die Fabrikstädte; ihre Er- richtung hat manche Modifikationen erlebt; die rechtliche Basis ist Art. 618 und 619 des Code du Com. Die letzten Organisationen sind vom Jahre 1848 und 1852. Chambres de Commerce, entstanden aus Handelsvereinen und Corporationen; schon 1650 organisch eingerichtet, verschieden in den verschiedenen Landestheilen geordnet, verschwanden sie mit der ganzen ständischen Selbstverwaltung, 13 an der Zahl, im Jahr 1789. Erst im Jahr XI werden sie durch Arrêté vom 3. Nivose hergestellt, und nach einigen Umgestaltungen definitiv in ihrer gegenwärtigen Gestalt durch Dekret vom 3. September 1851 und 30. August 1852 geregelt. Conseils de Prud’hommes, das bekannte Organ für die Streitig- keiten zwischen Arbeitern und Herren, neugeordnet seit Gesetz vom 14. Mai 1851. Conseil de fabrique, ein Gemeinderath für die Kirchenangelegen- heiten (fabrica ecclesiae), sehr alt, und durch eine Reihe neuer Dekrete in einzelnen Punkten bestimmt; — und die Commissions des hôpitaux, Hospitalräthe, unter Vorsitz des Maire für die Verwaltung der Hospitäler. Conseil départemental de l’instruction publique neben dem Préfet, statt der alten conseils académiques (Gesetz vom 15. März 1850). Conseils sanitaires, örtliche Gesundheitsräthe, theils aus Behörden, theils aus Aerzten bestehend. Es ist möglich, daß uns dabei ein oder anderes Conseil entgan- gen ist, allein im Wesentlichen dürfte das Obige das System der Conseils darlegen. Wir werden dieß System ohnehin bei der eigent- lichen Verwaltung genauer untersuchen müssen. Das Angeführte dürfte aber genügen, um das System der französischen Selbstverwaltung zu zeigen. Das schematische Bild derselben würde daher unter Festhaltung des Begriffs der Conseils folgendes sein: c ) Die Selbstverwaltung Deutschlands. Vielleicht in keinem Lande wird so viel von Selbstverwaltung ge- sprochen, und die Verwirklichung derselben so sehr als ein Ziel der Bestrebungen hingestellt, als in Deutschland. Und dennoch ist gerade in Deutschland die Selbstverwaltung keinesweges so unvollkommen und so unfrei, wie man darnach meinen sollte. Der Grund jener Erschei- nung aber liegt allerdings tiefer. Während Englands Selbstverwaltung von jeder Staatsverwaltung frei ist und als sich selber verantwortlich dasteht, während Frankreichs Selbstverwaltung zum eigentlichen Ver- walten gar nicht gelangt, sondern bei dem bloßen Rathe stehen bleibt, ist Deutschlands Selbstverwaltung diejenige, welche mit der staatlichen Verwaltung auf allen Punkten in beständiger Berührung steht, und daher auf allen Punkten ihr eigenthümliches Princip mit dem der letzteren in Berührung und Gegensatz bringt. Deutschland ist daher die Heimath eben dieses Gefühles der tiefen Verschiedenheit beider Arten der Verwaltung, das andererseits wieder eben so sehr durchdrungen ist von dem Bewußtsein, daß beide ihrem höhern Wesen nach eine har- monische Einheit bilden sollen und zuletzt auch bilden. Daher die Un- klarheit darüber, die so weit geht, daß man in der Philosophie so wenig als im Staatsrecht auch nur den Begriff und Namen der Selbstver- waltung findet, während in der Wirklichkeit die Selbstverwaltung nir- gends organischer entwickelt ist als in Deutschland. Wir haben alles von der wahren Selbstverwaltung, nur nicht das Bewußtsein derselben. Dieser Zustand hängt nun einerseits mit der Geschichte, anderer- seits mit den gegebenen Zuständen aufs Engste zusammen. Man muß nie vergessen, daß die letzteren in Beziehung auf den Organismus der Verwaltung überhaupt, also auch in Beziehung auf die Selbstverwaltung, durch die so höchst verschiedene Größe der einzelnen Staaten ein Bild darbieten, wie es nie da gewesen ist. Schon diese räumliche Verschie- denheit zwingt die Organisationen, sehr verschieden zu sein; die Beson- derheiten liegen aber auch in der großen Verschiedenheit des Bildungs- processes der Staaten selbst; und so müssen wir uns darauf gefaßt machen; bei großer, durchgreifender Gleichheit in allen Grundlagen eine eben so große Unähnlichkeit in Formen und Rechten zu finden. Dadurch wird es ungemein schwer, ein klares Bild herzustellen; ja es wäre das geradezu unmöglich, wenn nicht im Großen und Ganzen der Charakter aller dieser Staatenbildungen dennoch derselbe bliebe. Diesen Charakter setzen wir nun in spezieller Beziehung zur Selbst- verwaltung, in der Anerkennung des historischen Rechts als Grundlage der Selbstverwaltung . So weit das historische Recht Geltung hat oder fordert, sehen wir auf allen Punkten ein Streben, das englische Princip der Selbstverwaltung zur Geltung zu bringen. Da wo die Forderungen dieses Rechts ihre Gränze finden, tritt dagegen das französische Princip auf. Und so bildet die Selbst- verwaltung Deutschlands eine äußere und innere Verschmelzung dieser beiden großen Principien, welche am Ende die höchste und vollendetste Gestalt des inneren Staatslebens erzeugen wird, wenn das deutsche Individuum, staatlich noch sehr unfertig, dereinst sich vollständig ent- wickelt haben wird. Wir wollen mit kurzen Zügen diese Grundlage des deutschen Charakters der Selbstverwaltung bezeichnen. Den Gang der Geschichte setzen wir dabei als bekannt voraus. Aus der allmähligen Auflösung des Kaiserthums ging Deutschland als eine Unzahl von kleinen, höchst zerrissenen und verschieden gearteten staatlichen Formationen hervor. Jeder dieser kleinen Körper hatte sich während des Mittelalters allmählig zu einem selbständigen Ganzen gebildet, und ein eigenes staatliches Leben mit einer Art von Ver- fassung, Verwaltung und Oberhaupt entwickelt. Die ganz kleinen unmittelbaren Reichsstände waren zwar in der That nur souveräne Gemeinden, und die Besitzungen der reichsunmittelbaren Grafen und Ritter waren nicht einmal Gemeinden, sondern schon zu Gutsherr- schaften herabgesunken; allein das Princip der Selbständigkeit galt für sie eben so unbezweifelt, wie für die großen Staaten. Als nun mit dem Anfang dieses Jahrhunderts die neuen Staaten- bildungen begannen, mußten sich diese kleinen Körper den großen unter- werfen. Der Proceß der Aufhebung ihrer Selbständigkeit beruhte aber nicht, wie in Frankreich die Vernichtung der provinziellen Selbständigkeit, auf einer höheren Rechtsanschauung, welche mit oder ohne Grund für sich die Berechtigung in Anspruch nahm, das bestehende Recht im Namen einer höheren Idee zu vernichten, sondern sie war einfach eine äußere Unterwerfung zum Zwecke der Machtbildung. Es war daher auch ganz natürlich, daß man von dem gegebenen Rechte nur so viel aufhob, als nöthig war, um diese Machtbildung zu verwirklichen. Und da nun die Formen und der Inhalt der inneren Verwaltung der letzteren nicht widersprachen, so erkannte man das historische Recht auf die bisherigen Verwaltungsformen in allem Wesentlichen als fort- bestehend an und nahm daher diese Körper zugleich mit dem Recht auf die eigene Verwaltung in die neueren Staatenbildungen auf. Es war das um so verständlicher, als derselbe Grundsatz eigentlich von jeher in Deutschland bei den Staatenbildungen aller Jahrhunderte gegolten hatte. Sie waren in den bei weiten meisten Fällen nur auf Erbrecht der regierenden Häuser begründet gewesen. Der neue Landesherr suc- cedirte daher einfach in das Recht des alten, und die Lande, indem sie sich unterwarfen, stellten daher stets die ganz selbstverständliche, von keinem Successor jemals bezweifelte Forderung auf, daß er die alten Landesrechte und Verfassungen unangetastet lassen solle. Schon vor den napoleonischen Kriegen zeigten daher die einzelnen Staaten ein buntes Bild der inneren Verwaltung; man fand deßhalb nichts beson- ders darin, bei der neuen Ordnung der Dinge wenigstens das Princip anzuerkennen, daß jeder Theil sich auch künftig nach seinem eigenen Rechte verwalten dürfe. Nur war diese bis dahin souveräne Verwaltung der Landschaften, Städte, Herrschaften, Bisthümer u. s. w. jetzt eine Ver- waltung innerhalb einer Staatsverwaltung; sie war aus einer Staatsverwaltung formell zu einer Selbstverwaltung geworden , während sie ihrer inneren Ordnung nach sich ganz gleich blieb. Offenbar nun war das ein tiefer Widerspruch mit den Ideen, welche denn doch der neuen Staatsbildung, oft geradezu gegen den Willen der Landesherren, zu Grunde lagen. Jene historischen Formen der Selbstverwaltung der Landestheile beruhten ganz und gar auf dem ständischen Princip, und waren eben dadurch theils unendlich verschieden, so daß eine Gleichartigkeit nicht zu erzielen war, theils waren sie unzweck- mäßig gegenüber den Anforderungen der neueren Zeit, theils erzeugten sie offenbare Ungerechtigkeiten. Es konnte daher nicht fehlen, daß in der Verwirrung, welche durch starres Aufrechthalten der alten örtlichen Lebensformen in jede Staatsverwaltung gekommen wäre, der Gedanke und die Nothwendigkeit einer wirklich staatlichen Verwaltung sich un- widerstehlich Bahn brachen. Frankreichs Macht und Herrlichkeit in seiner gewaltigen, centralisirten Verwaltung zeigte, von welcher ent- scheidenden Bedeutung gerade eine solche Einheit und Gleichheit in der Verwaltung sein müsse. Es war dem glänzenden Beispiel sowenig zu widerstehen als dem steigenden inneren Bedürfniß. Wir haben gesehen, wie das letztere sich Luft schaffte in der bereits im ersten Jahrzehent beginnenden gründlichen Umgestaltung der Staatsverwaltung. So wie sie auftritt, entsteht nun die zweite Frage, wie sich dieselbe mit ihrem einheitlichen Princip zu jenem historischen Rechte der örtlichen Selbst- verwaltung zu verhalten habe. Und hier bildete sich nun der Grundsatz aus, der auch gegenwärtig noch das ganze Gebiet dieser Erscheinungen beherrscht. Man griff wieder dazu, die Form zu ändern , aber das Princip stehen zu lassen . Man ließ daher den örtlichen, histo- risch gebildeten Einheiten und Körpern, den Gemeinden, Landestheilen und selbst den Corporationen das Recht, eine Selbstverwaltung zu be- sitzen, aber man ordnete diese Selbstverwaltung nach ziemlich einheitlichen Stein , die Verwaltungslehre. I. 26 und gleichartigen Grundsätzen. Und hier nun zeigt sich, indem man die drei Grundformen der Selbstverwaltungskörper neben einander stellt, eine im höchsten Grade merkwürdige und Deutschland ganz eigen- thümliche Erscheinung, die unter allen Dingen vielleicht ihm am meisten seine Individualität erhalten hat, und es für Fremde so schwer ver- ständlich macht, während dieselbe dennoch nur die einfache Folge der gesellschaftlichen Ordnungen ist, die in ihrem Verhalten zu einander noch zu keinem Abschlusse gediehen sind. Die Landschaften bekamen ihre Selbstverwaltung auf Grundlage der ständischen Gliederung der Gesellschaft, und hießen daher Stände ; die städtischen Gemeinden bekamen die Ordnung ihrer Selbstverwaltung auf Grundlage der staats- bürgerlichen Gleichheit als Heimath des freien Besitzes, und so entstan- den die Gemeindeverfassungen , die in der That nur Städtever- fassungen waren; die ländlichen Gemeinden, die zum großen Theil noch Herrschaften, und sogar ohne einen freien Bauernstand waren, konn- ten gar keine solche Gemeindeverfassungen bekommen, und wurden daher nach wie vor durch ein in den verschiedenen Ländern höchst ver- schieden gestaltetes Zusammenwirken von Gutsherrlichkeit und Amt ver- waltet; die Corporationen aber nahm der Staat meist in sich auf, und machte sie aus selbständigen Körperschaften zu Staatsanstalten, indem er entweder ihr Vermögen einzog oder sie unter die ausgedehn- teste Oberaufsicht stellte. So war jetzt die Selbstverwaltung in ver- änderter, höchst verwickelter Weise gestaltet. Es war der unfertigste Zustand den man sich denken konnte. Denn nicht nur, daß diese Selbst- verwaltung in jedem Lande ganz anders war, es war zugleich klar, daß die sogenannten „Stände“ eigentlich gar keine Selbstverwaltungs- körper mehr waren, sondern vielmehr die Funktionen der Volksver- tretung, die Theilnahme an der Gesetzgebung, vollziehen mußten, wäh- rend der Glanz, der die städtischen Gemeindeordnungen umgab, den Widerspruch des Mangels einer Landgemeindeordnung nur um so greller hervortreten ließ. Es war auf allen Punkten ein Stadium des Ueber- ganges. Aber in diesem Stadium stand dennoch der Grundsatz fest, daß Landschaft, Gemeinde und Corporation ein — wie immer zu for- mulirendes, aber ihnen unentziehbares — Recht auf Theilnahme an der Verwaltung hätten, also die Körper der Selbstverwaltung sein müßten. Auf der andern Seite bildete sich nun zugleich die Staatsidee weiter aus. Die französischen, organisirenden Principien der Ver- waltung gelangten leicht zu Anerkennung, die amtliche Verwaltung entwickelte ihr Ministerial- und ihr Behördesystem. Beide Systeme standen in beständiger Berührung mit jenen Organen der Selbstverwaltung. Die Frage nach der Gränze des Rechts beider trat auf jedem Punkte des Organismus auf. Beide werden durch höhere Anschauungen ge- tragen; jene berufen sich auf die Idee des Rechts, diese auf die Idee der freien Persönlichkeit. Der Kampf beginnt. Sein Ende war leicht vorherzusehen, wenn auch schwer zu berechnen. Die neue Zeit machte aus den Ständen eine Reichsverfassung; sie erhob den abhängigen Bauer zum freien Grundbesitzer durch die Ablösung, und gab damit dem flachen Lande die erste Bedingung der Gemeindeordnung; aber sie vernichtete keinesweges die Idee des organischen Staates. Sie hielt dieselbe nicht bloß aufrecht; sie bildete sie vielmehr noch weiter aus. Sie schritt daher auf beiden Gebieten ziemlich gleichmäßig vorwärts; und so gelangte sie dahin, durch Ausgleichung der historischen Besonder- heiten in den Selbstverwaltungskörpern ein System der Selbst- verwaltung zu schaffen, welches auf dem Grundsatz beruht, daß auf jedem Punkte der ganzen Verwaltung sich das amtliche System und das Selbstverwaltungssystem berühren und so weit möglich in Gemein- schaft wirken sollen. Natürlich entstanden daraus eine Reihe von neuen und eigen- thümlichen Verhältnissen, welche in der Art weder in England noch in Frankreich vorkommen, und die man nothwendig klar hervorheben muß, um einerseits die Individualität des deutschen Staatslebens zu verstehen, und andererseits eine Vorstellung zu beseitigen, als ob die Grundformen des deutschen Lebens auch die der Begriffe von staatlicher und von Selbstverwaltung überhaupt seien. Mit der Beseitigung dieser Vorstellung wird erst die deutsche Staatslehre ihre volle Entwicklung erreichen. Die erste große, uns eigenthümliche Thatsache ist die, daß die Volksvertretungen, meistens auf Grundlage der alten Landschaften gebildet und daher an ein gewisses Maß der Verwaltung gewöhnt, auch nach englischem Princip als gesetzgebender Körper in die Ver- waltung einzugreifen strebten, während das Ministerialsystem sie davon so weit als möglich nach französischem Muster abhielt. In gleicher Weise begann auch in den Gemeinden ein solcher Kampf zwischen Behörden und Gemeindeorganen. Daraus entstand die Vorstellung, die Deutschland eigenthümlich ist, als seien überhaupt Gesetzgebung und Staatsverwaltung einerseits, Behördenthum und Selbstverwaltung andererseits zwei feindliche Potenzen, und als müsse man es als einen Fortschritt zur Freiheit ansehen, wenn die staatliche Verwaltung der Selbstverwaltung so viel als möglich untergeordnet werde. Andere Elemente wirkten daneben in gleichem Sinne thätig mit. Man formu- lirte sogar die Gegensätze als Autonomie und Bureaukratie, ohne natürlich damit weiter zu kommen, da man im Grunde weder das englische noch das französische Princip in seiner Reinheit anerkennen wollte, ja es sogar meistens nicht einmal konnte. Es ist eine nutzlose Frage, wie viel Schuld an der gegenseitigen Entfremdung von beiden Seiten getragen ward. Auch ist es nicht unsere Sache, hier weitere Untersuchungen anzustellen. Gewiß ist nur, daß dieser Gegensatz nicht ausgetragen ist, und auch nicht ausgetragen werden wird, bis die wahre Idee der staatlichen Verwaltung und ihrer großen, nur durch sie zu vollziehenden Funktion vollständig anerkannt sein wird. Die zweite Thatsache ist die, daß die staatliche Verwaltung neben den Verwaltungskörpern das System der Räthe nach französischem Vorgang aufnahm. Aber freilich konnte dasselbe hier um so weniger entwickelt werden, als die Beamteten selbst in Deutschland eine all- gemeine und tüchtige Bildung genießen, und daher nur für ganz bestimmte, fachmännische Fragen wirklich eines eigenen Rathes be- durften. Wir sehen daher auch in Deutschland solche Räthe, aber nur für ganz spezielle Verhältnisse, namentlich für das Gesundheits- wesen und das Unterrichtswesen entstehen, jedoch ohne Gleichartigkeit in den verschiedenen Staaten. Dagegen ist das System der Handels- kammern ziemlich allgemein ausgebildet, während die Vertretung der Agrikultur meist auf dem Vereinswesen beruht. Die dritte Thatsache endlich ist das fast vollständige faktische Ver- schwinden des Versammlungs- und Petitionsrechts, auch da wo es anerkannt und unbestritten feststeht. In der That ist für dasselbe bei der großen Ausbildung der Selbstverwaltung gar kein rechter Raum übrig, da alle Fragen durch die Organe der letztern ohnehin auf ord- nungsmäßigem Wege erledigt werden können. Daher werden jene Rechte auch wesentlich als politische angesehen, und als solche theils gefordert, theils bekämpft. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß dieselben auch künftig in allen administrativen Angelegenheiten nur eine höchst untergeordnete Rolle spielen werden. Dagegen erklärt sich viertens durch dieß, auf allen Punkten vor- handene Zusammenwirken des amtlichen Systems mit der Selbstver- waltung das Princip, daß die letztere dem ersteren Gehorsam zu leisten und sich seiner Oberaufsicht unterzuordnen hat, während anderer- seits der Mangel an der Ausbildung des Klagerechts und die Ueber- tragung der französischen justice administrative als die eigentliche Ge- fährdung des Princips der Selbstverwaltung in Deutschland angesehen werden muß. Andererseits wird aber hier nie das englische Princip in seiner Reinheit mit seiner vollen Indifferenz der Minister gegen die Verwaltungszustände dieser Körper durchgreifen, da der Grundsatz der administrativen Verantwortlichkeit des Ministerialsystems nicht auf- gegeben werden wird. Endlich muß zum Schluß hervorgehoben werden, daß alle diese Grundsätze wieder in jedem Staate eine andere Gestalt angenommen haben; das ganze System ist in den kleinen Staaten gar nicht anwend- bar, in den mittleren sehr verschieden, und in Preußen und Oesterreich noch unfertig. Das wird sich bei den einzelnen Verwaltungskörpern unten zeigen. Das schematische Bild für Deutschland ist daher im Wesentlichen folgendes: VI. Die Selbstverwaltungskörper. Indem wir die Darstellung der verschiedenen Vertretungsformen der Darstellung des Verwaltungsorganismus der einzelnen Länder füg- lich überlassen, da dieselben dem größten Theil nach auf der Organi- sationsgewalt und ihren Ansichten über Zweckmäßigkeit und Bedürfniß bestimmter Verhältnisse beruhen, wenden wir uns nunmehr auf Grund- lage der obigen Sätze den eigentlichen Körpern der Selbstverwaltung zu, nicht bloß weil sie, wenn auch in verschiedenen Formen dennoch immer die festen Elemente derselben sind, sondern zugleich aus einem anderen, tiefer liegenden Grunde. Wir sind bei unserem ganzen Werke von der Ueberzeugung aus- gegangen, daß wenn Begriff und Inhalt des Staats das erste große Element der organischen Verwaltungsbildung sind, die gesellschaftlichen Faktoren unbedingt das zweite bilden. Wir werden zwar immer Defi- nition und System der Verwaltung, niemals aber die wirkliche Gestalt und die lebendige Wirksamkeit derselben in der wirklichen Welt erfassen, so lange wir nicht jenen Faktor gehörig würdigen. Fast nirgends aber erscheint derselbe so entscheidend und tiefgreifend, als gerade in den Selbstverwaltungskörpern. In ihnen berührt sich in wunderbarer Mannichfaltigkeit das Princip des Staatslebens und das Interesse und die Gewalt der gesellschaftlichen Mächte; sie sind, wie sie oben da- stehen, das Resultat beider zugleich; alles Unbestimmte was Namen und Funktion derselben mit sich bringt, verwandelt sich in klare faßbare Faktoren, wenn man die socialen Elemente gehörig zu beachten ver- steht, und namentlich die große Verwirrung der Begriffe und die noch größere Verschiedenheit der wirklichen Zustände und Rechtsordnungen in Deutschland werden klar, indem man gerade bei den Selbstverwal- tungskörpern die Grundformen der Gesellschaft und ihre Wirkungen betrachtet. Wie wir das nun schon im Allgemeinen bei den einzelnen Ländern betrachtet haben, so werden wir es bei den folgenden einzelnen Formen ihrer Selbstverwaltung genauer bestätigt finden. Dabei kann das Folgende keinen Anspruch darauf machen, eine materielle Voll- ständigkeit zu bieten. Es kann hier eben nur der Grundgedanke ausge- sprochen und in den Haupterscheinungen durchgeführt werden. Wir haben dabei allerdings mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß wir diese großen Thatsachen nur erst zur Anerkennung bringen, ja daß wir den orga- nischen Begriff der Selbstverwaltung überhaupt erst in den Begriff der Verwaltung einbürgern müssen. Wir wissen auch recht wohl, daß die ganze geschichtliche Auffassung damit am Ende ein neues Element auf- nehmen muß, ohne daß wir doch das Recht hätten weiter zu gehen als bis zur Feststellung der allgemeinen Grundlagen. Aber vielleicht, daß dennoch die Einfachheit der herrschenden Thatsachen sich Geltung ver- schaffen wird. Eben wegen jenes inneren Zusammenhanges mit dem Gange der gesellschaftlichen Entwicklung wird auch die Darstellung der Selbstver- waltungskörper ihre gegenwärtigen Grundformen als historische, aus dem Staats- und Volksleben sich herausbildende Erscheinungen zu er- fassen haben. Sie sind ein wichtiges Stück der inneren pragmatischen Geschichte des Lebens Europas. A. Die Landschaft . Das was wir die Landschaft nennen, ist der umfangreichste aber auch der unbestimmteste und dem Wechsel der Organisation am stärksten unterworfene Körper der Staatsverwaltung. Der Gang seiner Geschichte beruht auf der Natur der beiden Faktoren, welche sie selbst erzeugt haben, und die wir auch hier als das natürliche und das persönliche (sociale) Element bezeichnen. Die gegebene Grundlage der Landschaft ist einerseits das natür- liche Element das Land , insofern es ein natürlich begränztes, mit den wirthschaftlichen Verhältnissen in allen seinen Theilen sich bedingendes Ganze ist; andererseits das persönliche Element der Stämme , die Gleichartigkeit und Gemeinschaft, welche sich durch Sprache, Sitte und Gebräuche erzeugt, an die sich dann auch die Bildung des Gewohn- heitsrechts anschließt. Allein so einfach und klar der Begriff beider Elemente ist, so wenig ist es möglich, eine bestimmte Gränze für beide festzustellen. Die Be- wegung des Volkslebens, welche den Einzelnen in das Ganze hinein- zieht, verallgemeinert die Bedingungen und Grundverhältnisse des Ge- sammtlebens, und verschmilzt Land und Stamm zwar langsam aber unwiderstehlich mit Reich und Volk. Und es ist daher einleuchtend, daß die Selbständigkeit von Land und Stamm so wie alles was sich an dieselbe anschließt, ihrerseits in dem Maaße verschwindet, in welchem die Bewegung des gesammten Volkslebens eine größere Gemeinschaft und Einheit des Ganzen hervorbringt. Andererseits läßt es sich nicht läugnen, daß unter gewissen Ver- hältnissen jene Selbständigkeit wieder niemals ganz verschwinden kann. Denn die Staatenbildung in Europa hat vielfach Landesverhältnisse zusammengefaßt, welche durch ihre Natur eine Berechtigung dauernder Selbständigkeit haben. Das aber hängt dann nicht vom Begriffe der Sache, sondern von den gegebenen Verhältnissen ab; und so ergibt sich, daß hier eine große und zum Theil sehr zufällige Verschiedenheit ob- waltet, indem auch die auf jener Selbständigkeit von Land und Stamm beruhende Verschiedenheit in einigen Reichen, freilich unter Mitwirkung geschichtlicher Entwicklung, ganz verwischt ist, während sie in anderen sich klar und fest erhalten hat. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß in dieser Beziehung jedes Land seine eigene Gestalt und Entwick- lung hat; dennoch ist auch wieder ein Gemeinsames vorhanden, das freilich, wenn man es für ganz Europa darstellen will, nur langsam seine feste Form für die neueste Zeit annimmt. Die entscheidenden Punkte aber sind folgende. Wir können auch hier die zwei Epochen scheiden, welche uns die Zeit der Herrschaft der zwei große Gesellschaftsformen, der ständischen und der staatsbürgerlichen, bezeichnen. In jeder derselben hat die Land- schaft einen anderen Charakter. Aus Land und Stämmen nämlich entwickelt sich zunächst ein gleich- artiges und gemeinsames Leben, aus dem dann zuerst ein gemeinsames Rechtsleben hervorgeht, das die gemeinsame Rechtspflege, das Landes- recht und die Landesgerichte erzeugt, deren weitere Entwicklung die Rechtsgeschichte verfolgt. Dieß Landesrecht ist stets der erste positive Inhalt der Selbständigkeit der Verwaltung; aber der Begriff der Selbst- verwaltung beginnt doch erst da, wo die einheitliche Staatsgewalt in der Gestalt des Königthums diesen Gemeinschaften Lasten auferlegt, namentlich zuerst Kriegslasten. Die Nothwendigkeit der gerechten Ver- theilung derselben erzeugt die Bildung eines Körpers, der indem er diese Vertheilung übernimmt, aus der Gesammtheit der Verpflichteten besteht. Das aber sind nur die Grundherren. Und so entsteht ein Organ, das aus der Gesammtheit der Grundherren gebildet, zunächst die Selbstverwaltung der Landeslasten enthält. An die Bewilligung dieser Landesbeiträge für das Königthum schließen sich dann zwei Dinge. Zuerst das Recht, Beschwerden und Vorschläge bei der entstehenden Staasverwaltung über den ganzen Inhalt der Regierung zu machen; dann die natürliche Folge, daß gewisse gemeinschaftliche Angelegenheiten des Landes, welche das Reich noch gar nicht in seine Verwaltung ein- gezogen hat, oder sie ohne Zustimmung der Grundherren gar nicht hineinziehen kann, weil sie zunächst die Privatrechte der Grundherren betreffen, von jenem Landesorgan selbständig in die Hand genommen werden. So wird durch die regelmäßige Wiederkehr jener Forderungen des Staats und dieser Landesangelegenheiten die Thätigkeit jenes Or- ganes eine dauernde. Es selbst empfängt den Namen des Landtages ; insofern es für jene Aufgaben ein verwaltendes Organ bildet, heißt es Landschaft ; insofern es aber aus der ständischen Geschäftsordnung hervorgeht, nennt man es die Landstände . Auf diese Weise nun bildet, um den allgemeinen Ausdruck bei- zubehalten die Landschaft aus dem Lehenswesen hervorgehend, ein selbständiges Ganze, das wenn auch mit manchen nicht unwesentlichen Verschiedenheiten dennoch in ganz Europa denselben Charakter hat. Und wir müssen dieselbe formuliren, um die gegenwärtige eigenthümliche Gestalt der Landschaft richtig zu würdigen. Allenthalben nämlich war diese Landschaft nicht bloß ein Körper, sondern sie war in der That neben dem Königthum der einzige Körper des öffentlichen Rechts. Sie ist das zweite große staatenbildende Ele- ment in Europa. Aber während das Königthum mit seiner Idee, seinen Ansprüchen und seinen Organen den selbständigen und persönlichen Staat vertritt, ist die Landschaft die natürliche Vertreterin des Volkes und seiner Selbständigkeit, wenn auch auf Grundlage der damaligen gesellschaftlichen Zustände. Sie erscheint daher als ein in seinen Grund- lagen vollständig angelegter Organismus der Selbstverwaltung, und diese Grundlagen sind um so wichtiger, weil sich an sie eigentlich die übrigen Selbstverwaltungskörper und das ganze gegenwärtige Recht der Landschaften in ihrer so verschiedenen Gestalt in Europa anschließt. Die Landschaft der Lehensepoche erscheint nämlich zuerst als ein Verfassungs- und dann als ein Verwaltungsorganismus im weiteren Sinne des Wortes. In beiden Organismen ist sie aber nicht der Staat, und will es auch nicht sein, sondern sie ist nur die große Form, in der sich die Theilnahme des Staatsbürgerthums in seiner damaligen Gestalt am Staatsleben Geltung verschafft. Und damit ist auch schon das Element ihrer Umgestaltung angedeutet. Dasselbe liegt neben der Ent- wicklung der persönlichen Staatsidee eben in dem Staatsbürgerthum und seiner neuen Ordnung. Als Organismus der Verfassung im Lehenswesen beruht die Landschaft wie gesagt auf dem lehensrechtlichen Grundsatz, daß die Staatsrechte zum Eigenthum des Grundherren geworden sind, und daß daher der Wille des Staats nur dann Gesetze geben kann, welche jene Rechte berühren, wenn die Grundherren als Inhaber derselben ihre Zustimmung dazu gegeben haben. Das Princip des Privatrechtstitels an den öffentlichen Rechten macht eine einseitige Verfügung des Landes- herrn über die letzteren unmöglich; es ist eine Rechtsforderung der Be- sitzer, bei allen darauf bezüglichen Gesetzen gehört zu werden; diese Rechtsforderung gibt der Landschaft ihre natürliche Stellung als Ver- tretung des Volkes; und so ist auf Basis jenes historisch erworbenen Rechtstitels das große Princip gerettet, daß die für das ganze Volk gültigen Gesetze nur unter Zustimmung des ganzen Volkes gegeben werden können. In den Landschaften liegt daher zu allernächst der Grundstein der Verfassung . Eben so allerdings der der Verwaltung . Das Königthum konnte so wenig seine wirkliche Thätigkeit über die grundherrlichen Gränzen ausdehnen, als seinen gesetzgeberischen Willen. Das Zusammenleben aber erzeugte innerhalb des Landes denn doch gewisse allgemeine, gemein- same Lebensverhältnisse, welche einer gemeinsamen Ordnung bedurften. Für diese gab es nur ein Organ, das hier eingreifen konnte, und das war eben die Gemeinschaft der Grundherren selbst. Eine neue, und höchst beachtenswerthe Bildung schließt sich daher an jene Forderungen. Zuerst muß die Landschaft, da sie jetzt nicht bloß berathen und be- schließen, sondern in ihrer Verwaltung auch handeln soll, ein selb- ständiger persönlicher Organismus werden. Sie muß eine Executive aufstellen, und dieselbe organisiren. Sie bedarf eines Hauptes , sie bedarf der Organe und Aemter . So entstehen die Stellen und Funk- tionen der Vorsteher der Landschaft, die zugleich die Vorsitzenden der Landtage sind, die Landmarschälle, oder wie sie sonst heißen, mit den ständischen Aemtern , die ihm neben- und untergeordnet sind, und dem staatlichen Amtsorganismus in Ordnung und Recht entsprechen. Dann entwickelt sich die eigentliche Verwaltung der Landschaft, welche theils vom Landmarschall, theils vom Ausschuß, theils vom ganzen Landtag besorgt wird. Und zwar ist es gar kein Zweifel, daß wir hier die drei großen Gebiete der Verwaltung wieder zu unterscheiden haben. Zuerst sehen wir das Finanzwesen auftreten. Es bedarf keiner Erklärung, daß die Landschaft zwei finanzielle Funktionen zugleich hat. Zuerst muß sie die, für die etwaigen Zwecke der inneren Verwaltung nothwendigen Gelder innerhalb ihrer eigenen Stände aufbringen, und bildet so den ersten großen Körper der finanziellen Selbstverwaltung. Dann aber muß sie auch die vom Königthum im Namen des Ganzen, des Staats geforderten Lasten geben. So entwickelt sie das große Princip der Steuerbewilligung. Es gibt daher ursprünglich nur eine Steuerbewilligung der Landschaft, niemals eine des Reiches. Es ist kein größerer Widerspruch, als wenn man sich in jenen Zeiten eine Reichs- steuerbewilligung denkt. Niemand hatte das Recht, für einen anderen Gelder zu bewilligen; eben so wenig war es denkbar, daß ein Landtag für den anderen Gelder geben, oder sie für den Landesherrn beschließen könne. Das was das Land gab, war Gabe der Landschaft, nicht des Reiches. Es war dann Sache des Landtages, diese Gabe zu vertheilen, und Sache des Vorstandes, sie einzuholen; aber die Landschaft war und blieb dabei selbständig. Das alles beruhte seinerseits nicht auf einem staatlichen, sondern auf dem Privatrechtstitel des Eigenthums- rechts; aber er erzeugte den Grundsatz, der dann in edlerer Form auf- tritt, daß jede Steuer an den Staat der Zustimmung dessen bedarf, der sie zu zahlen hat. Das Steuerbewilligungsrecht unserer Zeit ist daher ein wesentlich anderes als das der ständischen Epoche; aber dieses hat jenem seine rechtliche Basis gegeben, wenn auch die principielle eine viel höhere ist. Eben darum ist auch die innere Gestalt des provinziellen Steuerbewilligungsrechts eine so wesentlich verschiedene von der früheren. Aehnlich verhält es sich mit dem zweiten Gebiete. Die Landschaft ist nämlich zweitens der erste große Körper der Rechtspflege . Wir haben den Unterschied zwischen Landes- und Reichsrecht bereits früher bezeichnet. Nur muß man sich unter dem Landesrecht etwas anderes für die Zeit der ständischen Gesellschaft denken als für die gegenwärtige, und wir dürfen darauf aufmerksam machen, wie leicht man den specifischen Begriff des ständischen Landrechts mißversteht. Das ständische Landrecht ist nämlich dasjenige, dessen Sub- jekte die ständischen, also nach ständischem Rechte gleichen Persön- lichkeiten ( pares ) sind. Es gibt daher ursprünglich kein Landrecht für die Landesangehörigen als solche, sondern nur für Landstände . Jedes Landrecht ist eben deßhalb ursprünglich nur denkbar als ein judicium parium, und über das Recht dieser ständisch-selbständigen Per- sönlichkeiten. Für die abhängigen Personen, die Unfreien im weitesten Sinn des Wortes, gibt es kein Landrecht in jener Zeit; sie haben ihr Ortsrecht, und werden nach diesem gerichtet. Die Begriffe und Rechte von höherer und niederer Instanz sind daher auf Ortsvorstand und Landtag ursprünglich gar nicht anwendbar, sondern wie Freiheit und Unfreiheit zwei specifisch verschiedene Ordnungen des Lebens sind, so sind auch die Rechte beider specifisch verschieden. Es ist daher festzu- halten, daß Begriff und Recht der Appellation erst durch das Auf- treten des persönlichen Staatsorganismus entstehen; das Landrecht ist ein abgeschlossenes Ganzes, und hat daher auch sein selbständiges Organ, das Gericht der Gleichen, und dieses Gericht ist eben der Landtag. Dennoch lag der Keim der Einschaltung dieses Organes schon im Keim des letzteren; wir werden sehen wie er zur Entwicklung kommt. Endlich ist die Landschaft auch der Körper der innern Verwal- tung . Nur muß man hier unterscheiden, denn hier ist zugleich der Punkt, wo auf Grundlage des geltenden Rechts die persönliche Staats- gewalt die Selbständigkeit jenes Organes allmählig untergräbt. Das Gebiet der Verwaltung enthält eigentlich das ganze Gesammtleben des Volkes. Der persönliche, im Landesherrn vertretene Staat ist doch im Grunde die persönliche Einheit desselben. Der Landesherr nahm daher auch gleich anfangs innerhalb dieses weiten Gebietes gewisse Aufgaben und Rechte, als dem Staate angehörig, in Anspruch. So entstanden die Hoheitsrechte . Kein Begriff war unklarer als dieser. Der Zweifel, wie weit die Hoheitsrechte gegenüber der innern Verwaltung der Landtage gehen, begann daher sofort und entschied sich in den ver- schiedenen Ländern verschieden. Dennoch zeigten sich allgemein drei Grundsätze durchgreifend. Der erste ist, daß der Landfrieden (die Sicherheitspolizei) unter allen Umständen eine Sache und seine Herstellung mithin ein Recht des Landesherrn sei. Diesen Grundsatz hat namentlich das Karolingische Comitat zur Geltung gebracht, und er ist einer der wichtigsten Faktoren in der ganzen Organisation der innern Verwaltung Europas geworden. Der zweite Grundsatz ist, daß alle landschaftliche Verwaltungsaufgaben, welche mit Ausgaben verbunden sind, als Sache der Selbstverwaltung der Landschaft anerkannt werden, weil nur diese die Aufgaben bewilligen und decken kann, während drittens der Landesherr alles für ein Hoheitsrecht erklärt, was auf eine oder die andere Weise dem Fiscus eine Einnahme bringen kann . Dieser letzte Grundsatz greift dann bekanntlich auch in der Selbstverwaltung der Finanzen und des Gerichts durch, indem der Landesherr die indirekten Besteuerungsformen einführt, und die Gerichtsbußen für sich in Anspruch nimmt. Es ist klar, daß hier sehr wichtige Fragen unentschieden bleiben, allein im Wesen ist dennoch die Sache schon bestimmt organisirt. Der allgemeine Satz, daß die ständische Welt neben dem Königthum als eine selbständige Ordnung dasteht, erscheint daher in den beiden großen Bildungen des landesherrlichen Organismus und der Landschaft. Sie ist eigentlich noch keine Selbstverwaltung, denn diese setzt eine Unter- ordnung unter die Staatsregierung; sie ist vielmehr eine zweite selb- ständige Verwaltung neben den Anfängen des letzteren in allen Ge- bieten des Gesammtlebens. Dieß nun sind die Grundlagen der ersten großen Epoche. Und jetzt beginnt der Kampf beider Elemente, den wir schon früher beschrie- ben haben. In spezieller Anwendung auf die obigen Grundverhältnisse der Landschaft besteht er darin, daß zuerst das Verfassungsrecht der- selben aufgehoben wird, und der landesherrliche Wille ohne landschaft- liche Zustimmung Gesetz ist. Dann schiebt die landesherrliche Regie- rung das landschaftliche Steuerbewilligungsrecht zur Seite; dann macht es das Landgericht zu einer zweiten Instanz und stellt es so weit es möglich ist unter sein — das Reichsgericht — als höchste Instanz, was aber nur sehr unvollkommen gelingt, da die ständischen Unterschiede und mit ihnen der Grund eines selbständigen Landesgerichts sich noch immer erhalten. Endlich nimmt die landesherrliche Regierung, ohne- hin Inhaberin der Polizei, unter dem Titel derselben alle Aufgaben der innern Verwaltung an sich, und daher stammt dann die für alle Klar- heit in der Verwaltungslehre so verderbliche Verwechslung von Polizei und Verwaltung, von der wir später genug zu reden haben werden. Mit allen diesen Thatsachen ist nun die alte Landschaft nur noch ein leeres Schema ihrer früheren Aufgabe. Ihre Formen bleiben, aber ihre Rechte gehören schon alle dem Staate. Noch gibt es Landtage, Landmarschälle, Landesgerichte, Landesbeamten, Landeswürden; aber sie enthalten nur noch eine Erinnerung an das alte Recht. Aber frei- lich ist es gerade diese Erinnerung, welche, namentlich in Deutschland, von sehr hoher Bedeutung geworden ist. Denn in ihr lebt das Recht auf Theilnahme der Völker an der Gesetzgebung und Verwaltung fort, in der Form des historischen Rechts; und in diesem Sinne werden wir ihm wieder begegnen. In diesen Zustand tritt nun mit dem 18. Jahrhundert der Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft ein. Die wahre Bedeutung dieses Sieges, dem alten Zustande gegenüber, liegt nun darin, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft das Recht auf die historische Theilnahme an Gesetzgebung und Verwaltung zu einem principiellen , mit dem Wesen der Persönlichkeit gegebenen erhebt. Die Staaten erkennen dieß Recht an, und es entstehen die Verfassungen und die neuen Organi- sationen der Staatsgewalt. Auch für die Regierung greift jenes Princip der Theilnahme des Volkes durch; es entsteht die Vorstellung von der Selbstverwaltung. Und jetzt ist die Frage gegeben, welche Bedeutung die alte Landschaft in dieser neuen Ordnung der Dinge hat und haben könne? Wie weit und in welcher Form sie fähig ist, auch in der staatsbürgerlichen Gesellschaft fortzuleben? Hier nun muß man auf Grundlage der bisherigen Funktionen der Landschaft wesentlich unterscheiden. Das Princip der verfassungsmäßigen Gesetzgebung ist, daß ein Gesetz als Gesammtwillen auch nur durch den Willen der Gesammtheit gebildet werden kann, ohne Rücksicht auf seinen Inhalt und die Verpflichtungen, die es auferlegt. Daraus folgt der organische Grundsatz, daß keine Landschaft mehr ein Recht auf selbständige Theilnahme an der Gesetzgebung haben kann . Die Gesetzgebung geht von ihr über auf den gesetzgebenden Körper der Volksvertretung. Die Landschaft daher, mag sie nun be- stehen wie sie will, existirt damit nur noch als ein Verwaltungs- körper , und mit diesem Satze reiht sie sich ein in denjenigen Staats- organismus, den die staatsbürgerliche Gesellschaft erzeugt. Das ist ihre organische Stellung in der neuen Zeit. Sie besteht, insofern wir von ganz Europa sprechen, nur noch als Selbstverwaltungskörper . In dieser Beziehung nun erscheint allerdings ein Moment, welches gleichfalls als ein europäisches betrachtet werden kann. Die Aufgaben der Staatsverwaltung fangen an, so wichtig und umfangreich zu wer- den, daß sie eines kleinen Gebietes bedürfen, um übersehen und aus- geführt zu werden. Der Schwerpunkt der Verwaltung beginnt daher von den größern Körpern sich den etwas kleineren zuzuneigen; es wird dadurch unthunlich, die Landschaft für sich allein darzustellen. Man kann dieß Verhältniß nicht besser bezeichnen, als indem man die eine Landschaft in ihrer administrativen Seite als eine Einheit des Systems der Gemeinden bezeichnet. Sie ist aus ihrer Selbständigkeit heraus- getreten und ein Glied eines Ganzen geworden, und gewisse Wieder- holungen sind daher in der Darstellung unvermeidlich. Namentlich aber ist dieß bei den einzelnen Ländern nothwendig. Diese aber sind gerade in demjenigen, was wir die Landschaft nennen, so gründlich und wesentlich verschieden, daß es wohl kein Gebiet gibt, in welchem die Individualität der Staatsbildung so prägnant erschiene als hier. Wir werden uns aber wieder auf England, Frankreich und Deutschland, als die Träger der drei Grundformen dieses Organismus, zu beschränken haben. 1) England. Die alte County, der Sheriff und die Coroners, die neue County und die Quarterly Sessions. England ist mit wenigen Ausnahmen ein gleichmäßig ebenes Land. Jeder seiner Theile ist auf allen Punkten zugänglich. Die Flüsse im Innern, das Meer an der Küste verbinden alle Gebiete desselben. Es hat daher keine Länder. Aus demselben Grunde hat auch jeder sieg- reiche Stoß, der es von außen her getroffen, stets das ganze Land gleichmäßig unterworfen. Die Stammesverschiedenheit ist für den bei weitem größten und wichtigsten Theil, das eigentliche England, niemals dauernd gewesen, und hat sich daher auch in den kleinern Theilen, selbst in Schottland und Irland, geschweige denn in Wales, nicht zu einer selb- ständigen Gesellschaftsordnung entwickeln, und deßhalb sich namentlich in den herrschenden Classen nicht erhalten können. England erscheint uns daher, in tiefer Verschiedenheit von allen Staaten des Continents, als ein Ganzes, vom Anfange seiner Geschichte bis auf den heutigen Tag. Und das, für andere Dinge entscheidend, ist es nicht weniger für die Gestaltung der Selbstverwaltung im Allgemeinen, so wie der Landschaft insbesondere geworden. England besitzt daher niemals Landschaften im continentalen Sinn; so wenig in der ständischen als in der staatsbürgerlichen Epoche. Gleich von Anfang an ist das ganze, einheitliche Reich in seinem Könige ver- treten; die dänischen Landschaften (Königreiche) verschwinden, ohne andere Spuren als die Namen zurückzulassen, und die Eroberung Wilhelms vollendet die Nivellirung jeder staatlichen Bildung in den einzelnen Landestheilen. Es gibt daher nirgends selbständige Landtage, nirgends eine eigene, von dem Ganzen streng abgeschiedene Rechtsbildung, nir- gends ein Privateigenthum der Stände, nirgends die Frage, in welchem Verhältniß diese Stände mit ihren Beschlüssen zum herrschenden Körper des ganzen Reiches stehen. Es ist von Anfang gar kein Zweifel, daß das Recht, die Steuergewalt und die Reichsverwaltung nur vom Mittel- punkte des Staats ausgehen. Diese selbst besteht gleich anfangs aus dem Könige, aber nicht in der Mitte dieser oder jener Herren, welche ihm lehnstreu sind, sondern der gesammten Ritterschaft. Die Curie ist der Reichshof , in dem alle Barone sitzen; sie sind nicht in hundert landschaftliche Körper getheilt, sondern die Stände bilden ein ungetrenntes Ganze wie das Reich, und diese Stände sind eben das Parlament. Das ist es, worauf der tiefe Unterschied Englands vom Continente beruht. Es folgt daraus zuerst, daß diese Gesammtheit der Stände dem Königthum gegenüber natürlich dieselben Rechte in Anspruch nimmt, dieselben Principien vertheidigt, welche auf dem Continent die ein- zelnen Landschaften vertreten. Das Princip der parlamentarischen Gesetz- gebung in England ist daher bis auf den heutigen Tag ein so wesent- lich verschiedenes von dem continentalen, daß man sie nie ohne weiteres verschmelzen sollte. Englands parlamentarische Rechte sind ständische Rechte. Ihre Basis ist die privatrechtliche Unmöglichkeit, über das Eigenthum des Einzelnen ohne seine Zustimmung zu verfügen, nicht die abstrakte Idee der freien Persönlichkeit. In England beruht die Verfassung und ihr Recht nicht auf der idealen Auffassung des Staats- begriffes, sondern auf dem concreten, mit Recht begabten Individuum. Daraus nun folgt wieder, daß das Parlament zwar ein Gesetz erlassen, daß es aber selbst so wenig als der König die Steuern ausschreiben kann, die für die Vollziehung des Gesetzes nothwendig sind, wenn diese eine örtliche ist. Es ist Sache des örtlichen Ganzen , das zu thun. Daß es geschehe, dafür haftet eben das örtliche Ganze; das Mittel, die Haftung herzustellen, ist die Privatklage. Einen Verwaltungsorga- nismus, der dafür sorgt und dafür verantwortlich ist, gibt es eben nicht. Von diesem Gesichtspunkt muß das ganze innere Leben des Reichs betrachtet werden. Offenbar nämlich ist die erste Bedingung für alles, was in diesem Sinne Verwaltung heißt, daß es solche örtliche, für die wirkliche Voll- ziehung der Parlamentsbeschlüsse verantwortliche und klagbare Körper gebe . Diese Körper enstehen auf dem Continent meist auf Grund der Grundherrlichkeit. Eine Grundherrlichkeit in England gibt es wieder nicht. Es gibt zwar Grundherren, welche ihre Hintersassen auf ihren großen Gütern haben, allein die letztern sind bei aller wirthschaftlichen Abhängigkeit staatlich frei; der Grundherr besitzt vermöge seines Be- sitzes kein einziges staatliches Hoheitsrecht als Eigenthum; d. i. es exi- stirt keine Grundherrlichkeit. Der freie Bauernstand steht fest im ganzen Reich. Jene Körper, die verantwortlichen Organe für die Voll- ziehung der Gesetze, sind daher keine Landschaften, sondern sie sind von Anfang an Verwaltungsbezirke . In diesem Verwaltungsbezirk hat das Königthum nur Eine Aufgabe, die ihm ausschließlich zukommt; das ist die Innehaltung des Friedens. Im Uebrigen hat es keine Gewalt. Aber es muß fordern, daß durch ein Gericht die wirkliche Voll- ziehung der Gesetze möglich gemacht werde; es muß sogar unter Um- ständen selbst klagen; es muß das Gesetz durch Klage zur Verwirklichung bringen. Dazu bedarf es gleichfalls eines Organes. Endlich muß, da eben die Gesetze für diese Körper gelten sollen, dieser Körper selbst das Organ für die Herstellung des Parlaments sein; er ist der natürliche Wahlkörper. Es ist dieser Verwaltungskörper daher die Grundlage der ganzen innern Gesetzgebung und Verwaltung. Er ist es daher auch, der durch Steuern die Mittel zur wirklichen Vollziehung der Gesetze herzustellen hat; er ist daher der erste Körper der Selbstbesteuerung. Zugleich hat er innerhalb seiner Sphäre keine besonderen Rechte der ständischen Gliederung anzuerkennen; das Ständewesen ist bereits im Parlamente vorhanden; das Parlament ist in Wahrheit die Landschaft, so weit es sich um ständische Unterschiede handelt; da wo die Verwal- tung beginnt, und mit ihr die Gleichheit, verschwindet in England die Landschaft, und ein staatlicher Körper tritt ein. Dieser staatliche Körper ist nun die alte germanische Grafschaft, die Shire, die dann County heißt; der Vertreter des Königthums und das Haupt des Friedens, der Comes Stellvertreter, ist der Shyre-grefa, der Sheriff; der Anwalt des Gesetzes ist der Coroner. Das ist die Grundlage der Organisation, die der continentalen Landschaft entspricht, wesentlich von ihr verschieden, dennoch gleichartig. Die Angehörigen der Shires oder Counties aber, verpflichtet und eventuell angehalten von Sheriff und Coroners, die Ge- setze des Parlaments auch in den Dingen zu vollziehen, wo dieselben mit Auflagen verbunden sind, müssen sich, um der Klage zu entgehen, selbst besteuern. So entstehen die Grafschaftssteuern , die County rates, die materielle, ursprünglich alleinige Basis der wirklichen örtlichen Verwaltung. Sie sind wie die Verwaltung selbst, ungemein einfach. Aber da sie ein privatrechtliches Objekt des Einzelvermögens haben, so müssen sie beschlossen und vertheilt werden von denen, welche sie zu zahlen haben. So entsteht der Grundsatz, daß diese Selbstverwaltung ihre Rechtsordnung an den Besitz und die Steuerfähigkeit knüpft; nicht wie auf dem Continent an ständische Unterschiede. Auf diese Weise bildet die Gesammtheit der Steuerzahler innerhalb der County die County Court, die Selbstverwaltungskörper der Justiz- und Finanz- verwaltung, aus dem sich zugleich die Vollziehung der administrativen Gesetze ergibt. Das sind die ursprünglichen Grundlagen der Selbstver- waltung in den größern Körpern in England; das staatliche und das freie Element sind hier klar geschieden und klar vertreten. Die persön- liche Freiheit dieser Landschaft ist dabei vertreten durch das alte könig- liche Organ, den Sheriff; seine Rechte sind eigentlich die der Landschaft als County. Dieß Verhältniß nun ändert sich allmählig in dem Maße, in welchem die Aufgaben der Verwaltung des Innern bestimmter heraus- treten. Für diese ist auch in England die County ein zu großer Bezirk. Sie hätte nur als höchstes verordnendes oder oberaufsehendes Organ wirken können; allein beide Rechte besaß nur die Volksvertretung im Parlament. Für die wirkliche Vollziehung mußte sowohl die Staats- gewalt als das Volk sich einen kleineren Körper suchen. Dagegen mußte andererseits das Rechtsleben sich einheitlicher gestalten, und die Wehr- verfassung, die bisher nur auf der County beruhte, gleichfalls der eigent- lichen Staatsverwaltung überwiesen werden. Dieser Proceß, welcher der englischen Landschaft eigentlich ihre ganze alte Bedeutung in der Selbstverwaltung bis auf Einen Punkt nimmt, zeigt sich am klarsten eben in den Rechten des Sheriffs. „Er hat seine ordentliche Strafgerichts- barkeit schon durch die Magna Charta, seine Civilgerichtsbarkeit durch die Entfaltung der Reichsgerichte, seine Militärgewalten durch die Lord- lieutenants, und seine Polizeigewalten durch die Friedensrichter verloren“ (Gneist II, 25.) — und mit ihm die Grafschaft. Der Schwerpunkt der Selbstverwaltung fällt von da an aus der County in das System der Gemeinden, das an der Armensteuer sogar das entscheidende Princip für die Selbstbesteuerung aufstellt, und die alte County rate sich unter- ordnet. Auch die, in Deutschland so wichtig gewordene sociale Funktion der Landschaft hat die County nicht, weil die ständischen Unterschiede ihre volle Vertretung im Parlament finden; eben so wenig kann das Organ der Grafschaft in dem Sinne eines französischen Conseils fun- giren, da sie nicht einem Amte wie der Präfektur untersteht. Die Schwierigkeit, darnach die Stellung der County im Organismus der Selbstverwaltung noch zu bestimmen, und das ganz entschiedene Ueber- gewicht, welche das Friedensrichterthum über den alten Sheriff — dem zum Landmarschall nur ein Landtag von wirklichen Ständen fehlte — gewinnt, hat auch Gneist bestimmt, das ganze englische Selfgovern- ment nur als Communalverfassung aufzufassen. Dennoch behält die County auch in der Selbstverwaltung der neuern Zeit ihre specifische Funktion. Sie ist ein wesentlicher Körper in der Selbstver- waltung der Rechtspflege geblieben, und das ist nur dann zu übersehen, wenn man die Rechtspflege nicht eben so gut als Finanzen und Inneres als Gegenstand der Selbstverwaltung auffaßt. Von diesem Standpunkt aus aber gewinnt die County nicht bloß eine klare, sondern auch eine den continentalen Landschaften analoge Stellung. Sie ist das Landesgericht der Selbstverwaltung . Durch diese ihre Aufgabe wird nun die ganze Organisation der County, ihre Bestim- mung und ihre Funktion leicht verständlich. Wir müssen für alles Einzelne hier auf Gneist verweisen; es wird wohl für lange Zeit nie- mand etwas dem hinzuzubringen vermögen, was er uns gewonnen. Stein , die Verwaltungslehre. I. 27 Im Ganzen aber ist das Bild der County, für sich gedacht und ge- schieden in Organismus und Funktion von dem Gemeindesystem, dem die innere Verwaltung unter der örtlichen Rechtspflege zufällt, folgendes. Die Aufgabe der County als Landesgericht ist eine doppelte. „Die heutige Grafschaft ist ein aus zwei Systemen zusammengesetztes Com- munalwesen, in welchem die incorporirten Städte eine zusammengesetzte Bildung von Kreispolizei- und Ortsgemeindeverfassung (s. unten) dar- stellen.“ Die County ist nämlich zuerst der Selbstverwaltungskörper des Landesrechts , und zwar nach dem Untergang der alten County Court (des historischen Landesgerichts) und der Bedeutung des Sheriffs (Gneist Cap. III. ) für das bürgerliche Recht in den Quarterly sessions der Friedensrichter, welche wieder eine original jurisdiction (Landes- gericht als erste Instanz) und eine appellate jurisdiction (Landesgericht als zweite Instanz) enthält. Die Petty und die Special sessions der Friedensrichter gehören schon dem Gemeindesystem an. Für das Straf- recht treten die Grundsätze der Geschworenenverfassung ein, die sowohl für die Assisen als für die Quarter sessions gelten, und für welche die alte County die Grundlage bildet. (Gneist Cap. V. ) Die County ist aber zweitens der Selbstverwaltungskörper des Verwaltungsrechts in zweiter Instanz. Das heißt, da die Ver- waltungsakte der Behörde — der Friedensrichter — nur Vollziehungen des geltenden Rechts sind, so kann die Verwirklichung des Verwaltungs- rechts überhaupt nur in dem Wege eines Recurses geschehen, und das Organ, welches über diese Akte bei solchen Verwaltungsklagen ent- scheidet, ist dann eben die County. Nur muß man dabei eben den Satz festhalten, daß es sich im Verwaltungsrecht jedesmal nur um das Klagrecht handelt, welches in England das Recht und die Thätigkeit der oberaufsehenden Behörde vertritt. Die Unterscheidung zwischen bür- gerlichem und Verwaltungsrecht, und mithin die zwischen jenen beiden Funktionen existirt formell nicht, sondern muß in der Sache selbst ge- sucht werden. Diese landesgerichtliche Aufgabe der englischen Landschaft, der County gegenüber dem Systeme der Gemeinde, ist nun bei weitem überwiegend. Dennoch hat dieselbe auch einen Theil der wirklichen Ver- waltung, und hier ist es, wo sie sich den continentalen und namentlich den deutschen Landständen in ihrer Thätigkeit nähert, wenn auch das sociale Element fast ganz verschwunden ist. Es ist bei der englischen County sogar dieselbe Unbestimmtheit der Gränze für die Punkte vor- handen, in denen sie noch eigentliche Verwaltungsrechte ausübt. Sie sind hier wie dort im Grunde Reste des frühern Rechts, und schließen sich zum Theil an den Besitz des Landeseigenthums an. Wir müssen, um nicht in neue Wiederholungen zu verfallen, für alles Einzelne auf Gneist II, §. 60. verweisen und führen nur die Hauptkategorien an, unter welchen das Recht der Verwaltung der County, so weit es er- halten ist, aufzufassen ist. Das Organ der County zunächst besteht in der Versammlung der Friedensrichter, den Quarter sessions, und das ist der Grund, weßhalb man allerdings formell die County in das Communalsystem mit Gneist hineinrechnen kann, obwohl sie in Ursprung und Bedeutung ein selb- ständiges Glied der Selbstverwaltung ist. Das ursprüngliche Organ war der Sheriff und der Coroner. Jetzt besitzt die Quarter session ihren Kreissekretär, den Clerk of the Rules, ihren County Treasurer nebst einer Anzahl untergeordneter Landschaftsbeamten für die Land- schaftsfinanzen, und einige eigentliche Verwaltungsbeamten, nament- lich die Inspektoren für Wege, Irrenhäuser u. s. w. Das Recht der Quarterly sessions und der County geht zunächst dahin, eigene Verordnungen zu erlassen, die ursprünglich der ganzen Thätigkeit der County gehörten, später aber zum Theil in das System der Gemeinden gefallen, und damit den Special sessions überwiesen sind. In diesem Sinne nennt Gneist sie „die ordentliche Kreispolizei- behörde in allen Angelegenheiten der Strafjustiz und Polizei.“ Sie haben endlich sogar ganz bestimmte wirkliche Verwaltungsaufgaben, und diese sind denen der deutschen Landtage sehr analog. Sie haben die Verwaltung des Landschaftsvermögens, der County stocks, deren Handhabung dem Clerk of the peace übertragen ist; sie haben nament- lich einen wesentlichen Theil des Wege- und Brückenwesens, so weit sie auf der County rate beruhen, die ganze Verwaltung des Gefängniß- wesens, so wie der Irrenhäuser, und eine Mitwirkung bei den Insti- tutionen des Hülfswesens, der Sparkassen und Alterskassen und ähnlicher Anstalten. Endlich greift die Landschaft durch ihre Quarter sessions ein in die Thätigkeit des ganzen Systems der Gemeinden; nur ist hier die Trennung eigentlich auf kein Princip zurückzuführen, sondern hat sich historisch gebildet, und auch das Steuersystem zeigt uns dasselbe Verhältniß zwischen County rate, poor rate u. s. w. Gneist hat die einzelnen Punkte in §. 60 genauer bezeichnet. Es scheint nicht als ob hier wesentliche Veränderungen wahrscheinlich wären, auch dann nicht, wenn die amtliche Seite des Systems der Gemeinden sich noch viel mehr ausbilden sollte. Nur läßt sich keine rechte sociale Selbständigkeit der County auffinden, die den Landschaften in Deutschland entspräche, wenn es gleich kein Zweifel scheint, daß die County der Hauptkörper der angelsächsischen Selbstverwaltung ist, während der Friedensrichter der normannisch-staatlichen Formation angehört. Die wahre Bedeu- tung der englischen Selbstverwaltung liegt daher auch hier in dem System der Gemeinden, an deren Spitze der Friedensrichter steht, und zu denen wir unten gelangen. Ganz anders, und kaum noch eine Landschaft zu nennen, ist das, was in Frankreich dieselbe seit der Revolution vertritt. 2) Frankreich. Das Département, das Conseil de préfecture und das Conseil général. Wir dürfen hier die alte Landschaft Frankreichs als eine historisch gänzlich verschwundene Erscheinung übergehen. Es genügt wohl, zu bemerken, daß diese allerdings im vollen Sinne des Wortes eine Land- schaft war. Sie hatte nicht bloß eine selbständige Gesetzgebung für ihre eigenen Angelegenheiten in ihren Ständen, den États, sondern sie verwaltete auch das ganze Finanzwesen, so weit es nicht auf Hoheits- rechten beruhte, und war namentlich in jenen États das Organ der Steuerbewilligung der ständischen Epoche, die sich bekanntlich nur auf die direkten Steuern bezog. Sie hatte außerdem ihre eigene Organi- sation, ihre eigenen Beamteten, ihre eigene Rechtsbildung in dem droit coutumier, unter dem man bekanntlich nicht etwa ein Gewohnheitsrecht, sondern eben das Landesrecht gegenüber dem Reichsrecht zu verstehen hat, ihre eigene Rechtsverwaltung, zwar nicht in Jury’s, wohl aber in den Landesparlamenten, die einander gegenüber ganz selbständig waren, und einen sehr wesentlichen Theil der innern Verwaltung. Sie waren daher bei der fast unbedingten Abhängigkeit der übrigen Lebensverhältnisse des Staats vom Centrum des letztern der Sitz der Selbständigkeit; in ihnen stellte sich das historische Recht dem königlichen entgegen; an sie wagte sich das sonst allmächtige Königthum nicht; durch sie lebte die Vorstellung der staatsbürgerlichen Selbständigkeit fort, die sich in dem Rechte der Parlamente, einer königlichen Verordnung die Gültigkeit der Gesetze durch Eintragung in die Parlamentsbücher zu verleihen, oft dem königlichen Willen gegenüber sehr bestimmt äußerte; sie waren im Ganzen der Ausdruck des germanischen Princips im französischen Staatsleben, das erst die Revolution dem romanischen einer centralen Despotie geopfert hat. So haben die Landschaften selbst unter Ludwig dem XIV. und XV. bestanden, und noch unter Ludwig XVI. kurz vor der Revolution einen Kampf mit dem König- thum gekämpft, in dem sie zuletzt Sieger blieben. Das war die Zeit Meaupou’s und der Verbannung des Pariser Parlaments nach Orleans. In diesem Sinne forderte auch Necker , und in Deutschland Benzenberg (Preußens Geldhaushalt S. 51) solche landschaftliche oder kreisähnliche Selbstverwaltungskörper, allerdings auf Grundlage der États. Aber die französische Revolution hat alle germanischen Elemente Frankreichs vielleicht für immer vernichtet, jede Selbständigkeit eines Theils unter die Herrschaft des Ganzen begraben, und jeder socialen Verschieden- heit ihre objektiven Berechtigungen genommen. Seit 1790 gibt es in Frankreich keine Landschaften mehr. Die Länder verschwinden, und an ihre Stelle treten die administrativen Eintheilungen; die États hören auf mit dem Adel, selbst der tiers état ist nur noch eine historische Erscheinung, und die Assemblée nationale tritt an ihre Stelle. Vor allem aber verschwindet die alte Selbstverwaltung. Wir haben schon oben die hohe Bedeutung der Staatsverwaltung und ihre admini- strative Souveränetät bezeichnet. Die letztere ist allerdings begründet durch die Geschichte des Königthums; aber sie empfängt doch erst ihre volle Entwicklung durch die Herrschaft des volonté générale. Sie läßt keine zweite Verwaltung neben sich zu, und kann es nicht, soll anders die neue Ordnung der Dinge im innern Leben Frankreichs siegen, und dennoch eine Verantwortlichkeit möglich sein. Wo ist da Raum für das, was wir eine Landschaft nennen? Dennoch ist das Princip der Theilnahme des Einzelnen im öffent- lichen Willen so bestimmt in der ganzen französischen Revolution aus- gesprochen, daß es auch in der Verwaltung seine Geltung verlangt. Nur kann man die letztere um dieser Theilnahme willen, nicht die Ge- walt der Verwaltung in die Hände der Einzelnen geben. Es bleibt daher nichts übrig, als diese Theilnahme, oder die Selbstverwaltung überhaupt und speziell die der Landschaft, an das Behördensystem als System von Räthen anzuschließen. Und so ist die ganze Selbstverwal- tung und speziell das französische Departement entstanden. Nur kann man es in seiner Organisation von dem Gemeindesystem gar nicht trennen. Wir haben diesen Grundsatz schon oben in seinem Verhältniß zum ganzen Charakter der französischen innern Verwaltung bezeichnet; wir verweisen hier nochmals auf Laferri è re , Droit administr. L. II. 1. Ch. 3. Schon das Dekret vom 22. Dec. 1789 sagt: L’État est un; les départements ne sont que des sections du même tout; une administration uniforme doit les embrasser tous dans un régime commun.“ — Das ging so weit, daß das Departement im Anfang nicht einmal ein eigenes Budget hatte; die Convention centralisirte auch die Departementalabgaben „et le principe d’unité et d’indivisi- bilité se formulait en cette manière par ces mots: „Un État, un budget.“ Bis dann die unabweisbare Gewalt der Dinge wenigstens die délibération von der action trennt und so auf zwei Organismen die Ordnung auch des Departements erbaut. Das Gesetz, welches diese Organisation aus diesen Principien heraus bestimmte, und daher bis auf den heutigen Tag keine wesentlichen Aenderungen erfahren hat, ist das Gesetz vom 28. Pluviose an VIII. Nirgends ist die Idee dieses Gesetzes und jener ganzen Organisation klarer ausgesprochen, als in dem Bericht des Staatsraths Röderer . Wir fügen die betreffende Stelle hier an. Er sagt: Dans l’administration locale, qu’il faut distinguer de l’admi- nistration générale, comme on distingue les administrateurs des ministres, on reconnait trois services distincts: 1) l’administration proprement dite, 2) les jugemens qui se rendent d’office en matière de contributions, et qui consistent dans les différentes réparti- tions qui se font entre les masses et les individues, 3) le jugement du contentieux dans toutes les parties de l’administration. Le projet sépare ces trois fonctions. Il remet la première à un seul magistrat dans chaque degré du pouvoir administratif, savoir: au Préfet, au Sous-Préfet, et au Maire. Il remet la seconde à des Conseils de département, à des Conseils d’arrondissement com- munaux et aux répartiteurs municipaux dont l’existence est con- servée. Il remet la troisième à un Conseil de préfecture. Ces dispositions sont fondées sur deux principes: qu’administrer est le fait d’une seul homme, et juger le fait de plusieurs.“ Obwohl nun bei der Annahme des Gesetzes einige nicht unwesent- liche Modifikationen durchgingen, so blieb doch das Ganze bestehen. Das Departement hat damit seine eigene Selbständigkeit so gut als ganz verloren. Es hat nur noch eine Existenz der organischen Zweck- mäßigkeit, es ist ein administrativer Begriff und bietet uns nur eine spezielle Anwendung der ganzen Organisation Frankreichs. Wir können sie sehr kurz bezeichnen, denn klar und durchsichtig ist, was die franzö- sische Gesetzgebung seit jener Zeit geschaffen hat. Das Département, für sich als selbständiges Organ betrachtet, besteht aus drei Elementen, dem Préfet, dem Conseil de préfecture und dem Conseil général. Das Arrondissement gehört bereits dem Systeme der Gemeinden. Der Préfet ist im Behördensysteme Frankreichs das eigentliche Haupt desselben. Seine Funktion ist der Ausdruck der Funktionen, welche dem Amtswesen in Frankreich gegeben sind, und die Stellung, welche die Räthe zu ihm einnehmen, bezeichnet daher auch die Stellung der Selbstverwaltung überhaupt. Er besitzt die verwaltende — die oberaufsehende — und die richterliche Gewalt. Als verwaltendes Organ hat er das Recht der Verordnung und zwar für alle drei Gebiete der Verwaltung. Als oberaufsehende Gewalt hat er die Genehmigung für die Beschlüsse der Gemeinden und die Controle ihrer Thätigkeit. Als richterliche Gewalt endlich ist er die erste Instanz in der Jurisdiction administrative und contentieuse. Bis 1852 war er in allen diesen Beziehungen vornehmlich das Organ der Minister; das Dekret vom 27. März 1852 hat ihn von den Ministern etwas unabhängiger, dafür aber ihn persönlich mächtiger und verantwortlicher gegenüber dem Staats- oberhaupt gemacht; die Decentralisation ist in der That nichts als eine schärfere Unterwerfung des Préfet unter den persönlichen Willen des Monarchen, die weitere Ausführung des Grundsatzes, der schon in der Aufhebung der persönlichen Verantwortlichkeit der Minister und der Uebertragung derselben an den Kaiser ausgedrückt ist. Neben dem Préfet stehen nur zwei Rathskörper mit wesentlich verschiedenen Aufgaben. Das Conseil de préfecture war ursprünglich als Verwaltungs- gericht aufgefaßt, und bildete damit den Ausdruck der selbständigen Departemental- oder Landschaftsverwaltung. (S. oben.) Es hat diesen Charakter nie ganz verloren; man hat 1841, 1846 und endlich wieder 1848 daran ändern wollen, ohne etwas Wesentliches zu erzielen. Auch jetzt ist man im Grunde noch über das Gesetz vom 28. Pluviose an VIII nicht hinaus. Der Kern der Frage über das Conseil liegt in Frank- reich nicht in dem Streben, demselben eine neue Stellung zu geben, sondern vielmehr in der Competenzbestimmung, in der jurisdiction ad- ministrative, gegenüber dem Conseil d’État. Die Frage hat, obwohl sie für Frankreich von großer Wichtigkeit ist, keine allgemeinere Bedeu- tung. Das Verhältniß aber, in welchem der Conseil de préfecture zum Préfet steht, beruht auf folgenden Punkten. Jeder Präfektur ist ein solches Conseil beigegeben; seit dem Dekret vom 28. März 1852 in vier Mitgliedern. Diese haben theils als Be- amtete, theils aber als Räthe zu fungiren; dennoch sind sie, obwohl sie vom Staatsoberhaupt schon gleich anfangs ernannt worden sind (Gesetz vom 28. Pluviose an VIII, Art. 18), doch keine wahren Beamteten, denn sie dürfen alle Nebengeschäfte betreiben, die ihnen nicht ausdrücklich untersagt sind. Als Beamtete sind sie wesentlich die erste Instanz der justice administrative und zwar in sieben ziemlich bestimmten Fällen. Diese Funktion ist dadurch von denen der eigentlichen Behörden verschieden, daß sie nicht dem Präfekten referiren, sondern hier selbst entscheiden. Dagegen stehen sie als eigentliche Räthe neben dem Préfet gleichfalls in einer Reihe von Fällen, wo das Conseil seinen Avis gibt, ohne daß der Préfet daran gebunden wäre. Man findet schon hier die Unter- scheidung zwischen délibérer und donner avis; denn in manchen Fällen ist der Préfet verpflichtet , das Gutachten des Conseil einzuholen, in manchen steht es ihm bloß frei. Im ersten Fall heißt es: der „Préfet statue en Conseil de préfecture.“ Dahin gehören namentlich gewisse Steuerfragen und Verhältnisse der Gemeinden. Doch sind auch hier diese Fälle sehr schwer zu bestimmen, da eigentlich ein Princip fehlt, und die Zweckmäßigkeit der Organisation maßgebend geworden ist. Neben diesem Conseil, das demnach mehr den Vertretungen angehört, steht nun das zweite, das den Ausdruck der eigentlichen Selbstverwal- tung bildet, so weit es eine solche in Frankreich gibt. Das ist das Conseil général. Das Conseil général ist eigent- lich das Organ der Selbstverwaltung in der Steuerverfassung Frankreichs, und zwar für die Departements. Die gegenwärtige Ord- nung und Aufgabe derselben beruht auf den Gesetzen vom 22. Juni 1833, vom 10. Mai 1838 und endlich auf dem Dekret vom 2. Febr. 1852. Das Conseil général wird nicht wie das Conseil de Préfecture vom Staatsoberhaupt ernannt, sondern auf derselben Grundlage wie das Corps législatif von dem Departement kantonsweise gewählt; doch dürfen nicht mehr als 30 Mitglieder darin sein. Ihre Wahl gilt auf neun Jahre. Das Conseil wird vom Préfet berufen und geschlossen. Seine Aufgaben zeigen uns, da hier das Vertretungsverhältniß zum Be- amtenthum wegfällt, die darin früher erwähnten Kategorien; er hat das Recht zu beschließen , aber nur über die Contributions directes entre les arrondissements; er hat das Recht zu berathen , und zwar ist der Gegenstand dieser Berathung das budget du département, welches der Préfet vorlegt, das Conseil beräth und der Kaiser sanktionirt. Hier ist die Selbstverwaltung der Aufgaben der innern Verwaltung enthalten; denn natürlich ist jenes Budget eben nichts als der Aus- druck der Ausgaben, welcher durch die spezielle Departementsverwaltung gefordert werden. Aber das Verhältniß dieser landschaftlich berathenden Rechte zum Staatsorganismus ist wieder verschieden, indem die Bestä- tigung keineswegs immer von demselben Organ gegeben werden kann. Der Kaiser bestätigt das Budget; die Minister bestätigen die Be- schlüsse über Wegewesen des Departements, Gefängnißwesen, öffent- liche Bauten, sowohl des Departements als der Communes. Der Préfet endlich kann einseitig eine Reihe von kleinen Anträgen bestätigen, welche aus der Berathung des Conseil hervorgehen. Das Conseil hat endlich zu begutachten über gewisse einzelne Punkte der innern Departementsverwaltung, welche ihm vom Préfet vorgelegt werden. Faßt man nun das Gesagte zusammen, so erscheint die französische Landschaft in Aufgabe und Organisation als der letzte Rest der Selb- ständigkeit der Selbstverwaltung, der noch diesen Namen führen kann. Préfet, Conseil de préfecture und Conseil général bilden ein Ganzes, in welchem nicht etwa wie in Deutschland die Organe der Selbst- verwaltung dem Organismus des Staats selbständig gegenüber stehen, sondern vielmehr nur eine Vertheilung der amtlichen Funktion ent- halten. Namentlich die Conseils généraux sind eigentlich nur gewählte amtliche Organe, soweit sie entscheidende Stimme haben, und gewählte Räthe der Regierung für Landschaftsangelegenheiten, soweit sie berathen und begutachten. Dennoch erscheinen sie als Formen der Selbstverwal- tungskörper, denn das Departement ist die gesetzliche Landschaft, und jene Funktionen beruhen auf Gesetzen und nicht auf dem Willen der Regierung. Dagegen haben sie weder vollziehende Gewalt, noch Ver- ordnungsgewalt, noch Steuergewalt, noch eine bürgerlich gerichtliche; nur für den Verwaltungsproceß sind die Conseils de préfecture selb- ständige Organe, aber doch nur erste Instanzen. Ebenso wenig sind dieselben Ausdrücke selbständiger socialer Bildungen. Sie lassen den Antheil des Volkes an der örtlichen Verwaltung nur als Consequenz eines Princips, und nicht als Ausübung eines Rechts zu, und daher sind sie sowohl wie die folgende Form des Gemeindewesens kurz gesagt das, was wir als die romanische Form der Selbstverwaltung gegenüber der germanischen bezeichnen. Diese nun hat ihren reinsten Ausdruck erst in Deutschland gefunden. 3) Deutschland. Die deutsche Landschaft, die ständischen Ver- fassungen und die Provinzialstände . Obwohl der Gang der Dinge und der Mangel an vergleichender Wissenschaft der Rechtsbildung die natürliche Auffassung des deutschen Landschaftswesens sehr verwirrt hat, so sind dennoch die Grundlagen desselben so einfach und durchgreifend, daß über ihre Richtigkeit und Bedeutung kein Zweifel sein kann. In der That ist Deutschland die Heimath des eigentlichen Landschaftswesens; hier hat es noch die beiden Charaktere, welche es auszeichnen; es ist zugleich ein administrativer und ein socialer Körper der Selbstverwaltung. Nur muß man dabei einen etwas ungewöhnlichen Weg der Auffassung einschlagen. Wir setzen die Geschichte der deutschen Landschaft bis zum Anfange dieses Jahrhunderts als bekannt voraus. Mit den neuen Staaten- bildungen in Deutschland empfängt sie ihre gegenwärtige Gestalt. Als diese neue Staatenbildung beginnt, und die alten Reichskörper in die neuen Bundeskörper aufgenommen werden, sehen wir zwei große Thatsachen lebendig an der Schwelle unseres Jahrhunderts vor uns stehen. Die erste dieser Thatsachen ist das alte historische Recht der Land- stände, unvernichtet, wenn auch verdeckt durch die landesherrliche Macht. Dieß Recht ist wesentlich die Anerkennung der verfassungsmäßigen Gesetzgebung und Verwaltung, nur nicht auf Grund des Staatsbürger- thums, sondern auf Grund der ständischen Landesrechte. Jedes Land hat seinen historisch verfassungsmäßig berechtigten Landtag, seine histo- rische Rechtsbildung und sein Gericht, und seine Landesverwaltung. Die zweite Thatsache ist der Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft mit ihrer staatlichen Gleichheit der Einzelnen, und die sich daran an- schließende Nothwendigkeit einer einheitlichen Staatsgewalt und ihrer rationellen Organisation in Ministerial- und Behördensystem. Es sind zwei Lebensalter der Weltgeschichte, die sich hier berühren, und zwei Principien des Staatsrechts, die sich gegenüber stehen. Das erste ist außerhalb Deutschlands vertreten von England, das zweite von Frank- reich. Beide aber finden in den Zuständen und Gedanken, welche Deutschland bewegen, gleich mächtige Vertretung. Der Weg, auf welchem die Vereinigung beider hergestellt wird, ist nun durch dasselbe Element gegeben, welches die zweite der obigen That- sachen ergänzt, die staatsbürgerliche Gesellschaft. Diese fordert vor allen Dingen Theilnahme an der Gesetzgebung und verfassungsmäßige Ver- waltung. Die neuen Staatenbildungen Deutschlands, die nicht auf einem großen Princip beruhen, wie Frankreich, sondern durch das Streben nach äußerer Macht entstanden sind, können sich deßhalb auch einem solchen Princip nicht in die Arme werfen, und rein staatsbürger- liche Verfassungen geben. Man sieht z. B. aus Malchus (innere Politik I. S. 135), wie unsicher selbst die Urtheile freisinniger und hochgebildeter Staatskundiger noch über eine solche Institution höchster örtlicher Selbstverwaltung sind. Er nennt sie „eine eigenthümliche Ein- richtung in einer kleinen Anzahl von Staaten“ und scheidet sie strenge von „Departementalräthen“ in Frankreich, den Centralcongregationen in Mailand und den deutschen Landesausschüssen, ohne zu sagen, worin der wesentliche Unterschied besteht. Die deutschen Verfassungen aber greifen dabei mit richtigem Takte zu dem Mittel, welches der ganzen Geschichte des deutschen Staatsrechts seinen Charakter seit fünfzig Jahren gegeben hat. Sie erhalten die alte Landschaft, und geben ihr das neue Recht der staatsbürgerlichen Verfassung. Sie behalten die alte Form, und genügen damit der ersten Thatsache, die ständisch zusammengestellten Landschaften; sie verleihen dem ständischen Körper die Rechte der staats- bürgerlichen Volksvertretung, und genügen damit dem zweiten Element. Und das Ergebniß dieser Auffassung ist die landständische Verfassung, ihr entscheidender Ausdruck der Art. 13 der deutschen Bundesakte: „In allen deutschen Staaten wird eine landständische Verfassung stattfinden“ — Diese aber ist nach der Schlußakte Art. 55 „eine innere Landes- angelegenheit, und es bleibt dem Fürsten überlassen, dieselbe mit Berücksichtigung der früheren gesetzlich bestandenen ständischen Rechte als der gegenwärtig bestehenden Verhältnisse zu ordnen.“ Es war schon vor fünfzig Jahren allen Denkenden klar, daß dieser eigenthümliche Versuch, die Landschaften zur Volksvertretung zu machen, nur ein Uebergangsstadium bilden könne. Denn diese Landschaften hatten einen Antheil an der Gesetzgebung, ohne eine Volksvertretung zu sein, und einen Antheil an der Verwaltung, ohne die Verantwortlichkeit durchführen zu können. Diese wunderliche und höchst verschieden ge- staltete Ordnung nannte man nun mit einem Gesammtnamen die land- ständischen oder ständischen Verfassungen . Sie selbst aber waren in den einzelnen Staaten höchst ungleichartig. Man kann sie nicht darstellen, ohne Verfassung und Verwaltung zu verschmelzen, wie ja in der That Gesetz und Verordnung damals verschmolzen waren. Auch gibt es hier keine Einheit. Man muß Gruppen bilden, die sich sehr wesentlich unterscheiden. Die beiden großen Staaten, Oesterreich und Preußen, blieben vor der Hand auf dem Standpunkte des vorigen Jahrhunderts, indem sie weder eine staatsbürgerliche, noch eine ständische Verfassung gaben. Sie ließen aber dabei beide das Princip der Landschaften bestehen; Namen und Ehrenrechte waren noch die alten, aber eine Theilnahme an Gesetzgebung und Verwaltung ward nicht verliehen. Preußen ge- langte jedoch durch das Gesetz vom 3. Juli 1823 zur Herstellung der Provinzialstände . Die Provinzialstände sind dadurch eine feste Kategorie im Staatsrecht geworden. Sie sind die Form, in welcher die Landschaft als Selbstverwaltungskörper in den staatlichen Organismus eingereiht worden . Und hier sieht man wieder die Zweitheilung des deutschen Wesens. Ihre Funktion ist die französische des Conseil général, nur ausgedehnt über „ alle Gesetze, welche die Provinz angehen.“ Ihre Organisation ist dagegen die deutsche, auf Grundlage der ständischen Unterschiede. Wie es den Conseils généraux ausdrücklich verboten ist, mit einander zu verkehren (Ges. vom 10. Juli 1833, Art. 14), oder sich über Dinge zu äußern, welche nicht in ihrer strengen Competenz liegen (ebendas. Art. 16. 17), so auch den „Provin- zialständen“ Preußens. ( Rönne I. §. 6. 7.) Dagegen haben sie nicht die Steuervertheilung, wohl aber das Recht, daß „ihren Beschlüssen die Communalangelegenheiten der Provinz unter königlicher Genehmigung überlassen werden.“ Es war offenbar: diese Organisation war der Versuch, die Landschaft als reine Organe der Selbstverwaltung hin- zustellen, und damit sich für das Bedürfniß nach einer Verfassung, einer Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung, abzufinden. Auf diesem Standpunkt bleibt Preußen stehen; aber auch für die Selbstverwaltung genügen jene Provinzialstände in keiner Weise, denn der Gegenstand derselben ist wesentlich nur das ständische Eigenthum; das Element der Berathung für die Verordnungsgewalt herrscht vor; es ist eine ent- schieden unvollkommene. Oesterreich gab auch das nicht. Es blieb ganz bei dem alten System. An diese beiden großen Staaten schließt sich nun die zweite große Gruppe, namentlich die nördlichen Bundesstaaten, welche einfach gar keine Verfassung gaben, und auch den Resten der alten Landschaften keine selbständige Stellung geben wollten, nicht einmal für die Selbst- verwaltung, geschweige denn für die Gesetzgebung. Hier bestand daher der alte Zustand fort; nur der Staat war besser organisirt; von einem Rechte des Volkes war keine Rede; in den meisten derselben ward sogar nicht einmal das System der Gemeinden reformirt. Eine durchgreifende Aenderung war hier mit der Zeit unvermeidlich. Die dritte Gruppe endlich bestand aus denjenigen Staaten, welche wirkliche Verfassungen gebildet hatten, Bayern, Württemberg, Baden, Nassau, Sachsen-Weimar. In diesen Verfassungen war das alte land- schaftliche Recht anerkannt und in der Form der staatsbürgerlichen Ge- sellschaft ausgeführt; allein die Grundlage bildete der ständische Orga- nismus, wenn gleich der staatsbürgerlichen Wahl daneben ihr Recht zugestanden war. Hier war daher die Landschaft zur Verfassung ge- worden. Das war der Zustand bis 1830. Die Bewegung dieses Jahres änderte ihn wesentlich. Die meisten deutschen Staaten der zweiten Gruppe bekamen jetzt Verfassungen. Aber diese Verfassungen schieden sich sofort nach den beiden andern Gruppen. Einige Staaten bildeten ihre Verfassungen auf Grundlagen des Staatsbürgerthums nach dem Muster der dritten Gruppe. Einige dagegen gelangten nur dahin, die alten Stände mit den früheren streng provinziell geschiedenen Rechten, aber wesentlicher Modifikation ihrer Organisation zu bilden. Oesterreich und Preußen verweigerten jede Fortbildung. So gab es jetzt bis 1848 Staaten mit Verfassungen, und Staaten mit Landschaften und Land- tagen. Damit war die Verwirrung auch der theoretischen Begriffe unausbleiblich, in denen trotz der Beibehaltung des Namens der Land- tage jede klare Vorstellung von denselben zu Crunde ging. Es war natürlich, daß man die ständischen Landtagsrechte als Verfassungsrecht auffaßte, und bei der tiefen Verschiedenheit zwischen beiden den wahren Begriff des letzteren verlor, während es keine Vergleichung des so Ver- schiedenen geben konnte, und die Lehre vom „constitutionellen Staats- recht“ außerhalb der Wirklichkeit stand. Das war um so mehr der Fall, als bei der Kleinheit der meisten deutschen Staaten die Volks- vertretung doch im Grunde nur als eine Landschaftsvertretung erschien, und für einen landschaftlichen Körper neben ihm gar kein Platz da war. Die „Landschaft“ ging daher als Begriff verloren; es entstand statt ihrer der der „Provinzialstände“ nach preußischem Muster, während sie faktisch in einer ganzen Reihe von Verfassungen vorhanden war; zugleich hielt man noch immer wunderlicher Weise den Ausdruck der „landständischen Verfassung“ als Gesammtbegriff für alle wirklichen Verfassungen auf Grundlage des Staatsbürgerthums fest, während man gleichzeitig über die Worte „constitutionelle“ oder „parlamentarische“ Verfassung viel herumstritt, ohne zu einem Resultat zu gelangen, da man hartnäckig dabei beharrte, die staatsbürgerliche Volksvertretung fortwährend „die Stände“ zu nennen (vergl. z. B. Zachariä, deutsches Staats- und Bundesrecht II. §. 158) und im Namen des Rechts auf eine „landständische Verfassung“ eine wirklich staatsbürgerliche forderte. Diese Verhältnisse klärten sich nun wenigstens nach einer Seite hin mit dem Jahre 1848. Die Umgestaltungen dieses und der folgenden Jahre haben bei allen sonstigen Verschiedenheiten in der Geschichte der Ver- fassungen Einen gemeinschaftlichen Charakter. Sie haben aus den früheren ständischen Verfassungen nunmehr staatsbürgerliche Verfassungen gemacht, indem sie das Princip der Wahl aus den Staatsbürgern, der Verantwortlichkeit für die Ministerien, und die Unterscheidung zwischen Gesetz und Verordnung ziemlich durchgreifend zur Geltung brachten. Und damit war nun auch die Zeit gekommen, wo die Frage nach der Gestalt der Landschaften ihre definitive Gestalt gewinnen mußte. Hier ist nun allerdings zu unterscheiden. Die kleinen Staaten können gar keine Landschaften neben ihrer verfassungsmäßigen Vertretung haben, da sie selbst ihrem Umfange und ihrer Funktion nach eben nur Landschaften sind. Eben deßhalb hat sich bei ihnen in ihren Verfassungen das landschaftliche Element in der Bildung nicht bloß der ersten, sondern meistens auch der zweiten Kam- mer, wo dieselben neben einander bestehen, sonst in der Bildung der Volksvertretung selbst erhalten. Das erscheint theils darin, daß stän- dische Elemente dauernd Sitz und Stimme in der Volksvertretung haben, theils darin, daß in der letzteren als Wahlkörper historische Gemeinden zum Grunde gelegt werden (wie namentlich hannöverisches Landes- verfassungsgesetz §. 91), theils darin, daß ein eigener Landtags- ausschuß errichtet ist, wie in Oldenburg (Staatsgrundgesetz Art. 185). In andern ist dagegen auch dieß ständische Element verschwunden, wie in Coburg, Waldeck u. a., so daß diese Länder staatsbürgerliche Grund- lagen für ihre Landesverfassungen besitzen. Auf die freien Städte findet natürlich der obige Begriff überhaupt keine Anwendung. Die mittleren Staaten haben unter Vorgang der südlichen Staaten überhaupt staatsbürgerliche Verfassungen. Die letzteren haben das landschaftliche Element gleich anfangs beseitigt, indem sie es in die erste Kammer aufnahmen, meistens auf Grundlage der alten standes- herrlichen Rechte. Darin besteht denn auch der Unterschied zwischen ihnen und dem Vorbilde, aus welchem diese „Constitutionen“ herstam- men, der französischen Verfassung. Dennoch blieb das Bedürfniß, der Vertretung des Volkes auch an der Verwaltung einen Antheil zu geben. Da nun diese Staaten für die Bildung eigener Landschaften zu klein waren, so mußten sie eine innere Eintheilung von Vertretung hervor- rufen, welche zuweilen unter dem Namen von Landschaften (Hannover) oder Kreisen (Bayern) im Grunde nur Complexe von Gemeinden waren, bei denen aber theils nach dem französischen, theils nach preußischem Muster keine wahre Landschaft, sondern nur eine Vertretung an der Seite der höchsten örtlichen Behörde stattfindet. Wir nehmen diese Formationen daher unbedenklich unter das folgende Gebiet auf. Wenn daneben Oldenburg (Staatsgrundgesetz Art. 199) noch eigene Provin- ziallandtage fortführt, so hat das vorzugsweise seinen Grund in geo- graphischen Verhältnissen. In Preußen sehen wir dagegen den Kampf ganz deutlich, den die Landschaft mit der Idee und dem Rechte der staatsbürgerlichen Ver- fassung kämpft; hier ist nächst Oesterreich das Wesen der Landschaft am deutlichsten ausgeprägt. Aus dem Versprechen einer Nationalreprä- sentation (Ed. v. 27. Okt. 1810) waren nur bis 1823 die Provinzial- landstände hervorgegangen. Aus ihnen ging dann der „Vereinigte Land- tag“ vom 3. December 1847 hervor. Der tiefere Grund, weßhalb er dem Volke nicht entsprach, bestand eben in dem Wesen der Landschaft. Sie ist ein socialer Körper, und erst in zweiter Reihe ein politischer. Die gegebene Gesellschaftsordnung aber forderte eine staatsbürgerliche Verfassung. Diese nun ward 1850 gegeben. Und jetzt entstand die Frage, ob es darnach noch eine Landschaft, das ist einen auf ständischer socialer Selbständigkeit gebauten Selbstverwaltungskörper geben könne oder nicht. Die Verfassung war sich dieser Frage sehr wohl bewußt. Sie entschied sie zwar, und hob die alte Landschaft auf (Verfassungsurkunde Art. 105 und Gesetz vom 11. März 1850), allein das preußische Ver- fassungsleben war nicht kräftig genug, seinen eigenen Gedanken durch- zuführen. Die Einführung der neuen Provinzial- und Bezirksordnung vom 11. März 1850 ward durch königl. Erlaß vom 19. Juni 1852 sistirt, und durch Gesetz vom 24. Mai 1853 der Art. 105 aufgehoben, und die früheren Gesetze über die Kreis- und Provinzialverfassungen wieder in Kraft gesetzt. Demgemäß beruht, wie Rönne I. §. 109 sehr treffend sagt, „die Verfassung des preußischen Staates gegenwärtig, was die allgemeine Vertretung der ganzen Nation anbelangt, auf dem Repräsentativsystem, was dagegen die Vertretung der den ganzen Staat bildenden Provinzen und Kreise anbelangt, auf rein stän- discher Grundlage.“ Der wesentliche Unterschied dieser gegenwärtigen Zustände Preußens von Oesterreich besteht nun darin, daß diese Provinzen und Kreise meist keine großen historisch selbständigen Körper, sondern wesentlich admini- strative Gebiete sind. Die Folge davon ist, daß das ständische Element einen unmittelbaren Einfluß in die Verwaltung hat, der ihm in unserer Zeit nicht zukommt. Die innere Berechtigung zu dieser preußischen Form der Landschaft ist nicht die große, unbezweifelte historische Thatsache der Selbständigkeit dieser Körper, sondern das abstrakte ständische Princip. Und darum läßt sich mit Bestimmtheit vorher sagen, daß diese Form der Landschaft verschwinden, und einer örtlichen Vertretung Platz ma- chen wird. Nur Oesterreich hat daher noch wahre Landschaften. Seine Kron- länder sind wirkliche Länder, und die Besonderheit der Landesverfassungen, die eine gewiß glückliche Mischung von ständischen und staatsbürgerlichen Elementen enthalten, neben einem auf rein staatsbürgerlicher Basis errichteten Abgeordnetenhause, entsprach daher den gegebenen Verhält- nissen. Es ist Sache der Verfassungslehre, dieß genauer darzustellen. Aber es ist in unsern Augen von der allerhöchsten Bedeutung, daß dieß Princip auf diese Weise von Oesterreich gewahrt ist. Denn wenn je eine deutsche Einheit werden soll, so kann sie nur auf einer ähnlichen Grundlage entstehen, auf welcher wie in der Schweiz und Nordamerika, jeder Staat seine Verfassung als Landesverfassung innerhalb einer gesammten Vertretung der ganzen Nation aufrecht hält. Man erkennt aus dem Obigen, daß während England und Frank- reich mit ihrer „Landschaft“ jedes in seiner Weise abgeschlossen haben, Deutschland erst dann damit fertig sein wird, wenn es neben seiner nicht abgeschlossenen socialen Frage über die kaum noch begonnene staat- liche zu einem Resultate gedeihen wird. B. Das Gemeindewesen . 1) Der Begriff der örtlichen Selbstverwaltung. Ihr System. Die Ortsgemeinde. Die Verwaltungsgemeinde. Der Kreis . Die zweite große Grundform der Selbstverwaltung ist diejenige, welche wir im Allgemeinen als das Gemeindewesen bezeichnen. So einfach und bestimmt dieser Begriff auch manchen erscheinen mag, und so unzweifelhaft derselbe auch in manchen Gesetzgebungen für einzelne Staaten in Umfang und Recht festgestellt ist, so gewiß ist es andererseits, daß derselbe immer der unbestimmteste und unklarste in der ganzen Staatswissenschaft ist, sowie man sich auf einen etwas höheren Standpunkt stellt, und ihm damit die Fähigkeit geben will, nicht bloß die Formen des Gemeindewesens von Deutschland, sondern auch die der übrigen Völker und Reiche, und nicht bloß die unserer Gegenwart, sondern auch die der vergangenen Zeiten zu umfassen. Die Bestimmung des Gemeindewesens in diesem höhern Sinne ist daher in der ganzen Staatswissenschaft auch noch gar nicht versucht worden , und zwar ebenso wenig in der Rechtsgeschichte, als in der Rechtsphilo- sophie, oder der höhern Publicistik. Eben daher wird sich auch die ernste Thatsache erklären, daß die Gesetzgebungen zunächst Deutschlands, die im Allgemeinen mit den Verfassungen, mit Strafrecht, bürgerlichen und Proceßrecht, ja mit Handels- und Wechselrecht fertig geworden sind, noch immer kein vollständiges Gesetz über Gemeindewesen besitzen, und daß die Darstellungen des positiven Verwaltungs- und Verfassungsrechts Ausdruck und Inhalt des Gemeinderechts mit einer Freiheit gebrauchen, die an Willkür gränzt. Wenn das einerseits überhaupt an dem Mangel einer wissenschaftlichen Bestimmung der Selbstverwaltung liegt, so liegt es andererseits eben so sehr in dem Wesen der Gemeinde selbst, und deßhalb dürfen wir für das Folgende zugleich auf Nachsicht und Auf- merksamkeit rechnen. Eben darum ist vielleicht nirgends der Begriff wichtiger als gerade hier. Denn aus ihm muß sich nicht bloß der feste Inhalt desselben, sondern auch Grund und Sinn der Unbestimmtheit erklären, welche wesentlich mit dem Begriffe und dem Inhalt der Gemeinde verbunden ist. Die Gemeinde entsteht nun da, wo die Gesammtheit der Staats- aufgaben in örtlicher Begränzung durch einen Organismus der Selbst- verwaltung vollzogen werden. Der allgemeine Begriff für die Gemeinde ist daher der der ört- lichen Selbstverwaltung ; von ihm aus muß das Wesen und Recht der Gemeinde erklärt werden. Diese örtliche Selbstverwaltung hat nun in allen ihren Formen zu ihrer Grundlage den Werth und die Macht, welche die Ortsverhältnisse über das Leben des Individuums besitzen. Diese Ortsverhältnisse ver- wachsen mit der Existenz der Einzelnen; sie bedingen sein Leben und seine Thätigkeit auf allen Punkten; sie fordern daher auch in den Maß- regeln der Verwaltung ihre naturgemäße Geltung. Oft auch schließen sich an sie große und wichtige Rechte des Einzelnen, welche theils Ge- genstand, theils Faktoren der Verwaltung werden. Das Ortsleben ist daher eine Macht, und zwar eine solche, welche niemand besser zu würdigen versteht, als der Einzelne, der ihm angehört. Und insofern nun die dem Orte Angehörigen an der Verwaltung der Ortsverhältnisse Theil nehmen, reden wir von der örtlichen Selbstverwaltung. Diese örtliche Selbstverwaltung ist nun, wie ihre materielle Grund- lage, dem Staate gegenüber selbständig. Die Anerkennung dieser Selb- ständigkeit von Seiten des Staats macht sie zuerst zu einer juristischen Persönlichkeit. Indem sie eine juristische Persönlichkeit ist, hat sie ein Recht; dieß Recht ist ein öffentliches, weil es für die öffentliche Thätig- keit der Verwaltung da ist. Der Inhalt dieses Rechts aber, gegeben durch das Wesen jeder allgemeinen Persönlichkeit, ist ein doppelter. Einerseits ist es das Recht, nach welchem diese Persönlichkeit ihren Willen bestimmt, also im weitern Sinn das Recht der Verfassung; andererseits das Recht, nach welchem sie denselben ausführt, also das Recht der Verwaltung. Das öffentliche Recht jedes Körpers der ört- lichen Selbstverwaltung ist daher sein Verfassungs - und sein Ver- waltungsrecht . Mit Verfassung und Verwaltung aber steht dieser Körper noch immer da als Glied der großen Staatspersönlichkeit. Er hat einen Theil des Lebens der letzteren zu erfüllen, und die Bestimmung dieses ihm angehörigen Theiles ist von hoher Wichtigkeit. Denn am Ende besteht die ganze Persönlichkeit des Staats aus lauter solchen Körpern der Selbstverwaltung; seine Kraft, seine Freiheit, ja die materielle Vollziehung seines Willens liegt stets in diesen Körpern; der Staat muß daher das Verhältniß seiner einheitlichen Gewalt gegenüber dem selbständigen Leben dieser Körper feststellen. Diese Feststellung erscheint als ein Recht, und zwar als ein Gebiet des öffentlichen Rechts. Setzt man nun das Recht für Verfassung und Verwaltung jenes Körpers als ein inneres öffentliches Recht, so kann man dieß letztere Recht, das Recht gegenüber dem Staate, als das äußere öffentliche Recht jener Körper bezeichnen. Dieß äußere Recht nun enthält offenbar wesentlich nur Ein Gebiet, und die Bestimmung dieses Gebietes beruht auf Einem Grundsatz, dessen klares Verständniß für das Ganze entscheidend wird. Schon der Begriff jener Körper an und für sich zeigt, daß dieselben mit der Verfassung des Staats gar nichts zu thun haben, sondern nur Organe der vollziehenden Gewalt , also nur Verwaltungskörper sind. Sie können daher niemals Antheil an dem Rechte der Gesetzgebung besitzen; sie können nur, wie jedes Organ der Verwaltung, ein gewisses Maß der Verordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt haben. Wenn daher von der Verfassung dieser Körper die Rede ist, so kann sich Stein , die Verwaltungslehre. I. 28 dieselbe immer nur auf die Formen beziehen, in welchen dieser Körper jene drei Gewalten der vollziehenden Gewalt ausübt. Allerdings kann man im uneigentlichen Sinn von einer „Verfassung“ dieser Körper reden, insofern jene Formen für die Ausübung der drei Gewalten durch die gesetzgebende Gewalt bestimmt sind, und dieses so bestimmte Recht als das verfassungsmäßige Recht der örtlichen Selbstverwaltung be- zeichnen. Allein es leuchtet ein, daß dieß Recht dennoch nur ein ver- fassungsmäßiges Verwaltungsrecht ist, kein eigentliches Verfassungsrecht. Im Grunde ist es dabei gleichgültig, ob man dasselbe in diesem Sinne als Theil der Verfassung aufstellt, oder nicht; denn es ist eben eine gesetzliche Ordnung, und hat damit Recht und Bedeutung eines jeden Gesetzes. Diese Fragen haben überhaupt, wie sich unten ergeben wird, nur einen historischen Werth; freilich ist diese historische Wichtigkeit keine geringe, und schon das zunächst Folgende wird die Gründe dieser Be- deutung im Allgemeinen bezeichnen. Zunächst aber muß der Inhalt jenes innern, wie des äußeren Rechts der örtlichen Selbstverwaltung etwas genauer bestimmt werden. Die Natur derselben fordert nämlich, daß sie alle Gebiete des Gesammtlebens in ihrer örtlichen Gestalt umfasse. Diese Gebiete sind daher dieselben, die der Staat enthält. Es folgt, daß der Begriff der örtlichen Selbstverwaltung demgemäß in die drei Hauptformen der Verwaltung überhaupt, die Wirthschaft, das Gericht und die innere Verwaltung mit all ihren Zweigen zerfalle. Oder, jeder örtliche Selbst- verwaltungskörper hat eine eigene Finanzwirthschaft, eine Rechtspflege, und die vier Hauptarten der innern Verwaltung, Polizei, Unterrichts- wesen, Volkswirthschaftspflege und gesellschaftliche Aufgaben. Je nach der Größe des örtlichen Körpers werden diese Verwaltungsgebiete durch abgesonderte Organe, oder durch ein für mehrere oder alle gemeinsames Organ vertreten sein; immer aber fordern sie wieder einen selbständigen Organismus, der in seinem Wesen dem Staatsorganismus analog ist, und daher oft den Namen, immer aber den Charakter von Behörden annimmt. Es ergibt sich demgemäß, daß der örtliche Selbstverwaltungs- körper principiell ein Staat im Kleinen ist; er besitzt alle Elemente des Staats, und das ist es, was ihn von dem behördlichen Körper unterscheidet, denn jede Behörde hat zwar auch eine örtliche, aber grund- sätzlich immer nur Eine Verwaltungsaufgabe; die Selbstverwaltung hat dagegen grundsätzlich alle, wenn auch oft nur im Keime angedeutet. — Ebenso ist die letztere, erzeugt durch die gegebenen dauernden Verhält- nisse ihres Gebietes, selbst eine dauernde; und mit beiden Punkten unterscheidet sie sich vom Verein, der mit der Behörde die Beschränkung auf einen bestimmten öffentlichen Zweck gemein hat, aber nicht dauernd ist, während er wie die Selbstverwaltung die freie Theilnahme an der öffentlichen Thätigkeit besitzt, aber nicht örtlich beschränkt, sondern nur sachlich auf seinen speziellen Zweck angewiesen ist. Die örtliche Selbstverwaltung ist daher ein specifisches Element im Organismus des Staats; sie muß als ein organisch gefordertes betrachtet werden, und erscheint daher immer mit ihrer Funktion im Staatsleben. Es gibt weder einen Staat, noch eine Zeit, die ganz ohne die örtliche Selbst- verwaltung wäre. Auf diese Weise ist die örtliche Selbstverwaltung ein organischer Begriff des Staatsrechts. Er ist zugleich die allgemeine Kategorie, welche den Begriff der Gemeinde enthält. Aber er ist weiter als dieser, und der größte Theil der Unbestimmtheit über das Wesen der Gemeinde rührt daher, daß man jene örtliche Selbstverwaltung ohne weiteres als identisch mit der Gemeinde auffaßte, und daher für die höheren Orga- nismen, die demselben Begriffe angehören, die richtige Stellung verlor. Offenbar sind nämlich in jener örtlichen Selbstverwaltung drei sehr verschiedene Momente enthalten. Zuerst muß sie als örtliche ein bestimmtes Gebiet haben. Da die Gränze und die Bildung dieses Gebietes auf den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens, oder auch auf historischen Thatsachen beruhen, so kann dasselbe nicht bloß groß und klein sein, sondern es kann auch aus verschiedenen selbständigen Theilen bestehen, welche dann wieder als ein Ganzes für gewisse allgemeine Zwecke zusammentreten. Das örtliche Gebiet nennen wir nun den Körper der Selbstverwaltung. Der Körper der Selbstverwaltung beruht daher auf den örtlich klein- sten Körpern, und bildet als Einheit der letzteren ein System derselben. Dann müssen diese Körper als Organe des Staatslebens einen Organismus besitzen, sowohl für ihren Willen als für ihre Thätigkeit. Das ist, sie müssen eine Verfassung und eine Verwaltung haben. Und da nun dieselben ein System von Körpern bilden, so ergibt sich, daß denselben auch ein System von Organisationen entsprechen wird, in welchen der kleinste Körper etwas anders organisirt sein wird, als die Gemeinschaft derselben. Endlich stehen diese Körper in organischem Zusammenhang mit dem Staate, dessen Verwaltungsorganismus sie angehören. Dieser Zusammenhang kann nicht bloß ein verschiedener sein zu verschiedenen Zeiten, sondern er muß es stets sein für die kleineren und größeren Körper. Dann natürlich werden die Interessen der Gesammtheit der erstern den Interessen des Staats um so näher stehen, je größer diese Gesammtheit ist; sie verlieren damit in demselben Grade den Charakter des örtlichen, und müssen mithin in engerer Verbindung mit der eigent- lichen Staatsverwaltung stehen. Nennt man nun mit dem gewöhnlichen Ausdruck den örtlichen Selbstverwaltungskörper an sich die Gemeinde , so zeigt es sich, daß man niemals von der Gemeinde und dem Gemeindewesen im All- gemeinen reden sollte. Denn in der That ist dieses Gemeindewesen stets ein System von Gemeinden im weitesten Sinne des Wortes, und in diesem System hat jedes Glied desselben nicht bloß seine eigene Gränzen, sondern auch seine eigenen Aufgaben und seine, denselben entsprechende Verfassung und Verwaltung. So zeigen sich hier die Elemente einer reichen Vielgestaltigkeit. Um dieselbe nun auf ihre festen Grundlagen zurückzuführen, wollen wir sie gleich mit den anerkannten Bezeichnungen feststellen. Die örtliche Selbstverwaltung, welche nur auf der örtlichen Gemeinschaft des Lebens beruht, aber eben deßhalb auch alle Staats- aufgaben in ihrer kleinsten Gestalt umfaßt, nennen wir die Orts- gemeinde , oder die eigentliche Gemeinde. Die örtliche Selbstverwaltung dagegen, welche auf bestimmten Staatsaufgaben beruht, welche innerhalb bestimmter örtlicher Gränzen zu vollziehen sind, nennen wir am besten die Verwaltungsgemeinde . Sie kann wieder entweder ganz einzelne Aufgaben haben, und empfängt dann den Namen nach diesen Aufgaben; so die Steuergemeinde, die Kirchengemeinde, die Schulgemeinde, die Armengemeinde u. s. w. Wir werden diese Kategorie am besten die eigentliche Verwaltungsgemeinde nennen. Sie kann aber auch schon für gemeinschaftliche Angelegenheiten der Ortsgemeinden bestimmt sein, und namentlich das Verhältniß zwischen den Ortsgemeinden und den speziellen Verwaltungsgemeinden zu vermitteln haben, und dann nennen wir sie die Kreisgemeinde oder den Kreis. Innerhalb dieser Grundformen der örtlichen Selbstverwaltung nun kann eine Reihe der verschiedensten Zusammenstellungen stattfinden, welche der wirklichen Gestalt desselben ihre so reiche Mannigfaltig- keit geben. Es kann nämlich wieder die Ortsgemeinde so groß sein, daß sie mit der (speziellen) Verwaltungsgemeinde zusammenfällt, und daher mit ihr eine und dieselbe Verfassung und Verwaltung hat. Wo dagegen dieß nicht der Fall ist, da wird die Ortsgemeinde natürlich die Auf- gaben der Verwaltungsgemeinden nicht enthalten, und daher auch an Wichtigkeit bedeutend verlieren. Es kann aber auch die Ortsgemeinde so groß sein, daß sie sich wieder in bestimmte Verwaltungsgemeinden auflöst, so daß sie selbst den Charakter einer Kreisgemeinde oder eines Kreises annimmt, dennoch aber Gemeinde bleibt, und mithin Kreis- angelegenheiten mit einer Gemeindeverfassung verwaltet. Es kann ferner sein, daß ein Theil der Verwaltungsaufgaben (Kirche, Schule, Wege- wesen ꝛc.) durch selbständige Verwaltungsgemeinden, ein anderer Theil durch die Ortsgemeinden verwaltet wird. Es kann endlich sein, daß diese Verwaltungsaufgaben durch den Kreis und seine Gemeinde zum Theil verwaltet werden, zum Theil durch die Verwaltungsgemeinde, zum Theil durch die Ortsgemeinde. In jedem Falle aber muß eine bestimmte Vertheilung dieser Aufgaben an diese drei Grundformen der örtlichen Selbstverwaltung stattfinden, welche wieder für die Ver- fassung derselben entscheidend wird. Und indem somit diese Verschieden- heit der Gemeinden doch wieder ein Ganzes bildet, sprechen wir von einem System der örtlichen Selbstverwaltung , als von einem System des Gemeindewesens im weiteren Sinne. Dieß System der örtlichen Selbstverwaltung ist nun in jedem Staate der Welt schon seinen Formen nach verschieden . Und zwar darum, weil die örtlichen Lebensverhältnisse derselben, die der Bildung jenes Systems zum Grunde liegen, selbst wieder verschieden sind. Es ist ein eigenes Studium, diese Gestalt auch nur in ihren Grundzügen darzustellen. Reichhaltiger und individueller wird aber dieselbe, indem man die zwei Elemente hinzufügt, welche einerseits für die äußere, andererseits für die innere Ordnung dieses Systems entscheidend wirken, und aus welchen eigentlich erst der Begriff des Gemeindewesens hervorgeht. 2) Der amtliche Organismus und die gesellschaftliche Ordnung in der örtlichen Selbstverwaltung . Das System der örtlichen Selbstverwaltung, in der obigen Weise begründet, umfaßt nun, wie man sieht, den ganzen Staat. Indem es für jeden Theil desselben gilt, gilt es eben zugleich für das Ganze. Es ist derjenige Organismus, der das Staatsbürgerthum auf jedem Punkte der wirklichen Thätigkeit der Regierung mit erscheinen, mit ein- greifen läßt. Eben darum aber erscheint dasselbe auch bestimmt von den beiden großen Faktoren des Gesammtlebens, einerseits der persön- lichen Ordnung des Staats, andererseits der gesellschaftlichen Ordnung der Staatsbürger. Der erste Faktor entscheidet über die systematische Ordnung, der zweite über die innere Verfassung der Selbstverwaltung. Und das ist es, wodurch die letztere jenen Charakter der Individualität erhält, der es in den Staaten Europas so sehr auszeichnet. a ) Verhältniß zur Staatsverwaltung. Zuerst nämlich steht dieses System auf allen Punkten neben dem ersten großen organischen System des Staats, dem Organismus der Regierung oder dem Amtsorganismus. Beide umfassen dasselbe Gebiet, beide haben dieselben Aufgaben; beide fordern mit Recht im Namen des Staats Antheil an allem, was für und durch den Staat geschehen soll. Dennoch beruhen beide auf zwei verschiedenen Principien, ver- treten zwei verschiedene Grunderscheinungen, und selbst verschieden ge- artet, funktioniren beide in wesentlich verschiedener Weise. Der Staats- organismus im engeren Sinne ist die Vertretung der einheitlichen per- sönlichen Idee im Staatsleben; er hat die Identität der Interessen desselben zu verwirklichen, und den einheitlichen Willen des persönlichen Staats durch die Verschiedenheiten seines Lebens durchzuführen. Der Organismus der Selbstverwaltung ist dagegen das Organ der besondern Lebensverhältnisse und ihrer Interessen. Beide Organismen können nicht getrennt sein, so wenig wie das Allgemeine und das Besondere; beide werden aber nie ganz identisch werden. Sie werden daher stets in inniger Verbindung, und dennoch stets von verschiedenem Stand- punkt aus wirken. Es ist fast unvermeidlich, daß dabei sich nicht ein Gegensatz beider entwickle, der um so schärfer wird, je persönlicher die Beziehungen werden. Es ist eben so sehr in der Natur der Sache gelegen, daß der Staatsorganismus zuletzt stets als der herrschende Theil auftritt, als sich aus der durch ihn vollzogenen Unterwerfung der Sonderinteressen unter die allgemeinen eine gewisse Abneigung von Seiten der Selbstverwaltung gegen die Staatsverwaltung bildet, die, so oft sie im Einzelnen berechtigt sein mag, im Ganzen immer in dem Grade mehr unberechtigt ist, je kräftiger überhaupt das Verfassungs- leben entwickelt ist. In jedem Falle aber leuchtet ein, daß somit jenes System der Selbstverwaltung zunächst ohne seine äußeren, formellen Beziehungen zum amtlichen Organismus der Behörden nicht gedacht werden kann. Sie greifen nicht bloß in ihren Thätigkeiten, sondern auch in ihren Organen so tief in einander hinein, daß man, wie wir denn auch bei dem Behördensystem bereits bemerkten, den örtlichen Verwaltungsorganismus stets zugleich als einen behördlichen und als einen Selbstverwaltungsorganismus betrachten muß. Gerade in dieser Beziehung nun, in der Ordnung des Organis- mus, der sich für die Verwaltung durch das Ineinandergreifen von staatlicher und Selbstverwaltung ergibt, sind die Staaten Europas wesentlich verschieden. Wir wollen versuchen, diese Verschiedenheiten auf bestimmte Kategorien zurückzuführen. Die eigentliche Staatsverwaltung kann nämlich die örtliche Ver- waltung ganz dem Systeme der Selbstverwaltungskörper überlassen, und in diesem Falle nur mit ihren Organen dafür sorgen, daß die letzteren den gesetzlichen Staatswillen auch wirklich vollziehen, indem sie sie auf gerichtlichem Wege dazu zwingt, ohne selbständig einzugreifen. Hier gibt es daher eigentlich nur ein Behördensystem für das Gericht, und dieß Gericht muß sich mit seiner Competenz demgemäß streng an die örtliche Competenz des Systems der Selbstverwaltung und ihrer Körper anschließen, während die örtliche Verwaltung ganz in den Hän- den des Gemeindesystems liegt. Das ist das englisch-nordamerikanische System. Die Staatsverwaltung kann aber zweitens die örtliche Verwaltung sich vorbehalten, und der Selbstverwaltung ihren Antheil nur in der Form von Rath und Beschluß in den örtlichen Angelegenheiten belassen, während jede wirkliche Vollziehung bei ihr bleibt. In diesem Falle wird der ganze Organismus der Selbstverwaltung sich an den Behör- denorganismus anschließen, und das Haupt der Selbstverwaltungs- körper selbst nichts als ein behördliches Organ sein. Die Competenz des Gerichts wird dadurch gleichgültig gegen die Körper der Selbstver- waltung, und steht selbständig da. Das ist das französisch-belgische System. Endlich kann die Staatsverwaltung die Selbstverwaltungskörper für gewisse Aufgaben als wirkliche Amtskörper anerkennen, für gewisse Funktionen sie ganz ausschließen, für gewisse andere dagegen sie in der Form von Vertretungen bei den Behörden zulassen. Hier ist im Ein- zelnen natürlich eine große Mannigfaltigkeit in der Vertheilung jener Rechte und Aufgaben möglich. Den Ausdruck derselben bilden zwei Dinge. Erstlich die förmliche Anerkennung der Selbstverwaltungs- körper als behördliches Organ mit Amtsgewalt für bestimmte ad- ministrative Aufgaben, zweitens der Antheil, den die Staatsgewalt an der Ernennung des Hauptes dieses Selbstverwaltungskörpers nimmt. Will man dafür die bezeichnenden Ausdrücke, so kann man sie in fol- gender Weise feststellen, und es wäre sehr viel gewonnen , wenn man sich über dieselben einmal für allemal einigte. Wir würden den Theil, den ein Körper der Selbstverwaltung als Behörde und mit amtlichem Rechte im Namen der Regierung übernimmt, wo sie also als wirkliche Behörde funktionirt, den amtlichen Wirkungskreis desselben (in Oesterreich der „übertragene Wirkungskreis“) nennen; den- jenigen Theil dagegen, den sie vermöge des Rechts auf Selbstverwal- tung ausübt, als den freien Wirkungskreis (in Oesterreich der „natürliche Wirkungskreis“) bezeichnen. Das Wesen des amtlichen Wirkungskreises beruht dann auf zwei Momenten. Erstlich darauf, daß die Organe, welche ihn vollziehen, die gewählten Organe der Selbstverwaltung sind; zweitens darauf, daß diese Organe für diesen Wirkungskreis nicht ihrem Selbstverwaltungskörper, sondern der höchsten Behörde verantwortlich sind. Das erste Moment vertritt das freie Element, das zweite das amtliche. England hat in seinen Selbstver- waltungskörpern gar keinen amtlichen, sondern nur einen freien Wir- kungskreis; Frankreich hat in demselben keinen freien, sondern nur einen amtlichen Wirkungskreis, nur die deutsche Selbstverwaltung hat beide zu vereinigen verstanden. Dem entspricht das Verhältniß zum Haupte der Selbstverwaltungskörper. Die Regierung kann ohne allen Einfluß auf die Wahl desselben sein, wie in England; sie kann dasselbe über- haupt nicht wählen lassen, sondern es selbst ernennen , wie in Frank- reich; und sie kann dasselbe zwar wählen lassen, aber sich überhaupt, oder doch für gewisse Selbstverwaltungskörper die Bestätigung vor- behalten, wie in Deutschland. Daß beide Grundformen des Verhält- nisses zur Staatsgewalt stets mit einander correspondiren werden, ist klar; und eben darauf beruht es, daß wir gerade im Systeme der Selbstverwaltung den Ausdruck der Individualität des inneren Staats- lebens in so hohem Maße ausgedrückt finden. b ) Verhältniß zu den gesellschaftlichen Grundlagen. So muß das System der Selbstverwaltung zunächst mit dem Organismus der Regierung in gegenseitig bedingter Verbindung gedacht werden. Aber andererseits ist jeder dieser Körper der Selbstverwaltung ein selbständiges Ganze mit eigenem Willen und eigener That; er ist das, was wir eine juristische Persönlichkeit nennen. Als solche bedarf er einer eigenen Verfassung und Verwaltung. Verfassung und Ver- waltung aber sind mehr als bloße Ordnung der Organe. Sie sind stets der Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens und seiner Grundver- hältnisse. Es ist daher nicht möglich, sich die Verfassung und Verwal- tung jener Körper zu denken, ohne auf die socialen Ordnungen des Volkslebens zurückzukommen. Es ist nicht möglich, sich dieselbe als eine gleichartige zu denken in der Epoche der Geschlechterordnung, der stän- dischen Ordnung und der staatsbürgerlichen Ordnung, und sie ist auch weit entfernt, dieselbe gewesen zu sein. Aber wie die gesellschaftlichen Neubildungen nicht ohne Kampf der Grundsätze und Interessen im Ganzen vor sich gehen, so gehen sie auch in den einzelnen Theilen des Ganzen nicht ruhig vorüber. Während daher das System der Selbst- verwaltung in dem Verhältniß zum Staat und seiner Organisation seine äußere Geschichte hat, hat es im Verhältniß zur socialen Bewe- gung das, was wir seine innere Geschichte nennen. Und diese ist nicht bloß eine stoffreiche, sondern auch eine lehrreiche. Wenn wir überhaupt von der Individualität der Staaten reden, so ruht dieselbe gewiß wesentlich in ihrer socialen Individualität. Die aber, die am meisten herrschend und fühlbar, wo sich die Individuen berühren, herrscht vor allem in der Ordnung der Verfassung und Verwaltung des Systems der Selbstverwaltungskörper. Und wie wir daher für das Verhältniß der letzteren zum Staate gewisse allgemeine Kategorien für die Redu- cirung der verschiedenen Zustände auf gleichartige Grundlagen versucht haben, so läßt sich dasselbe auch für den Einfluß anstreben, den die sociale Ordnung auf das Verfassungs- und Verwaltungsleben der Selbst- verwaltung ausüben. Diese Kategorien aber, zunächst als historische Thatsachen erscheinend, werden zu wissenschaftlichen Begriffen, indem wir ihren innern causalen Zusammenhang mit dem Wesen jener gesell- schaftlichen Ordnungen feststellen. Wir dürfen dabei die drei Grundformen der gesellschaftlichen Ord- nung, die Geschlechterordnung, die ständische und die staatsbürgerliche Ordnung als bekannt voraussetzen. In der ersten ist der Grundbesitz das herrschende Element, in der zweiten der Beruf, in der dritten die selbstthätige Persönlichkeit. In der ersten wirkt daher das unbewegliche, in der zweiten das geistige, in der dritten das gewerbliche Capital. Die Uebergänge und Verbindungen dürfen wir nicht genauer hervorheben. Die Verfassung und Verwaltung der Selbstverwaltung beruht demgemäß in der Geschlechterordnung stets auf den Grundbesitzern. Ihre Einheit, als örtliches Ganze, nennen wir die Dorfschaft . Ihr Mitglied ist der freie Bauer auf freier Hufe. Ihre Verfassung ist die gleiche Berechtigung aller freien Bauern, die sich das Haupt selbst wählen, denn niemand hat ein Vorrecht vor dem andern. Ihre Ver- waltung beruht darauf, daß sie sich die Aufgaben, die sie vollziehen will, entweder selbst setzt, oder sie doch selbst vollzieht. Allein die Mittel für diese Verwaltung müssen, wie jeder Beschluß der Dorfschaft, durch die Grundbesitzer aufgebracht werden. Daraus folgt zwar einer- seits das Recht der Selbstbesteuerung, andererseits aber auch das Princip, nach welchem der Nichtbesitzer von der Verfassung ausgeschlossen ist. Die Dorfschaft ist nur die Gemeinde der bäuerlichen Grundbesitzer, die Dorfgemeinde . Aus dieser Dorfgemeinde wird sich nun die Verwaltungsgemeinde der Geschlechterordnung dadurch entwickeln, daß durch das Fortschreiten des Verkehrs sich Aufgaben bilden, für welche die Dorfgemeinde zu klein ist. Es liegt in der Natur der Sache, daß die erste dieser Aufgaben der Cultus ist. So entsteht die Kirchengemeinde . Die Kirchengemeinde aber ist schon wesentlich von der Dorfgemeinde ver- schieden. In ihr ist bereits das ständische Element des geistlichen Berufes in das Dorf aufgenommen. Es fordert mit vollem Recht Theil- nahme an der Verwaltung, so weit die kirchliche Aufgabe reicht. So entsteht für diese Gemeinde eine Verfassung, die bereits zwei Elemente hat, das Element des reinen Grundbesitzes, und das der Vertretung der Kirche. Es ist der Uebergang von der Geschlechterordnung zur Ständeordnung im Gemeindewesen, und mit ihm der Beginn des Systems des Gemeindewesens; denn die Kirchengemeinde wird meistens eine Anzahl Dorfgemeinden umfassen, und dadurch Interessen, For- derungen und Principien in das Gemeindeleben hineinbringen, welche das letztere nicht versteht. Daraus bildet sich dann naturgemäß eine neue Thatsache. An die Kirchengemeinde schließen sich alsbald die Ver- waltungsaufgaben, welche überhaupt auf geistiger Grundlage beruhen, namentlich das Schulwesen und das Armenwesen . Und so wird aus der Kirchengemeinde zugleich die Schul- und die Armengemeinde, beide in ihrer Verfassung mit dem Princip, daß der geistliche Beruf in ihnen vertreten sein muß, in ihrer Verwaltung dagegen mit dem Grundsatz, daß nur die wirklich Steuerzahlenden Mitglieder sind. Es ist die erste Bildung eines Systems der Gemeinden. Die zweite große Aufgabe ist dann die Rechtspflege . Natürlich genügt für sie die Dorfschaft nicht. Zwar ist sie für sich selbst ein Rechtskörper, und verwaltet ursprünglich ihr Recht für ihre Mitglieder selber. Allein für die Rechtsfragen zwischen den Gliedern verschiedener Dorfschaften untereinander muß sich ein neues, gemeinschaftliches Organ bilden. Dieß kann verschieden sein. Aber wie bei der Kirche das Element des Berufes in die größere Gemeinde eintritt, so auch bei der Rechtspflege. Hier wird das Richteramt zum Berufe, und dieser Beruf schließt sich naturgemäß an die Staatsgewalt, welche ihm die Kraft zur Ausübung seiner Pflichten gibt. So entstehen die Gerichtsgemein- den; die Verfassung derselben ist in der ganzen germanischen Welt gleichartig . Sie besteht aus zwei Elementen, gerade wie die Kirchen- gemeinde. Das eine ist die Vertretung des bäuerlichen Grundbesitzes, der Schöffe ; das zweite ist die Vertretung des berufsmäßigen Richter- amts, der königliche Beamtete . Es ist ein zweites System der Gemeinde, auch hier durch die Verbindung des ständischen Elements mit dem Geschlechterelement, entstanden. Die dritte große Aufgabe ist sehr unbestimmt. Sie umfaßt alle Gebiete der innern Verwaltung; es läßt sich nicht feststellen, was ihr alles angehören kann. Aber was ihr namentlich zuerst angehören muß , ist klar; das ist das Communikationswesen , das mehrere Dorf- schaften zugleich umfaßt. An dasselbe schließt sich daher eine Verfassung, welche wieder auf den Steuernden beruht, aber zu ihrem Haupte direkt oder indirekt den Fachkundigen hat, der entweder leitet, oder doch die Oberaufsicht führt, und eine Verwaltung, welche zuerst in Natural- leistungen, dann in Geldleistungen erscheint. Diese Verwaltung muß ein System sein, indem sie Pflichten und Leistungen nach bestimmten Grundsätzen zu vertheilen hat; nach ihrem Beispiel können andere Auf- gaben in gleicher Weise entstehen, und so erzeugt sich das, was wir im engeren Sinne die Verwaltungsgemeinde nennen, dasjenige System der Gemeinde, welches wesentlich die volkswirthschaftlichen Aufgaben durch Selbstverwaltung zu vollziehen hat. So wie nun diese Aufgaben sich entwickeln und ihre Selbstver- waltungen durch die Einheiten der Dorfgemeinden erzeugen, so muß die Staatsverwaltung hinzutreten, denn die Interessen, um die es sich hier handelt, gewinnen so sehr an Umfang und Bedeutung, daß sie Gesammt- interessen werden. Sie beginnt daher theils Verwaltungsgesetze zu geben, theils leitende Behörden aufzustellen. Selbstverwaltung und Staats- verwaltung berühren sich, und aus dem Zusammenwirken beider entsteht ein System, das wir eben die innere Verwaltung im Allgemeinen nennen. Dieses ganze System hat nun, wie man sieht, Eine Voraussetzung. Es ist die, daß die freie Bauernschaft ungebrochen fortbesteht. Es kann nur gedacht werden, wo die Beiträge für jene Verwaltungszwecke auf dem freien Willen der Einzelnen beruhen, und die Beschlüsse daher auch nur durch die freie Versammlung der Besitzenden gefaßt werden. Die Ortsgemeinde ist mit ihrer örtlichen Selbständigkeit dabei durchaus nicht ausgeschlossen; sie lebt in der Verwaltungsgemeinde fort; sie muß sogar fortleben, denn die letztere, nur für einen ganz bestimmten Zweck ent- standen, hat auch nur diese ganz bestimmten Aufgaben. Sie kümmert sich um die Sachen der Ortsgemeinde an sich nicht; dieselbe bleibt für alles, was nicht der einen Verwaltungsgemeinde angehört, ganz selb- ständig. Nur sind die Ortsgemeinden nicht verschieden . Es kann hier keinen Unterschied zwischen Stadt und Land geben, denn in Stadt und Land ist der Besitzer ein gleich freier Mann. Das ständische Element erscheint nicht in der Form des herrschenden Besitzers, sondern nur in der des Berufes. Und so steht dieß System da auf Grundlage des Princips, daß jedes seiner Theile einen selbständigen Selbstver- waltungskörper bildet . Es ist kein Zweifel, daß wir hier auf Grundlage der socialen Zustände nichts anderes, als das englisch-nordamerikanische System geschildert haben. Ein ganz anderer Zustand zeigt sich uns da, wo die altgermanische Dorfschaft mit ihren freien Bauerngeschlechtern sich nicht erhält, sondern an ihre Stelle der Begriff und die Macht der Herrschaft tritt. Die Herrschaft entsteht aus der Dorfschaft da, wo das freie Eigen des Bauern unfrei wird, und der Besitz, und mit dem Besitze die Rechte, und mit dem Rechte die Verpflichtungen auf den Herrn des Grundes und Bodens übergehen. Die Herrschaft aber ist dadurch, daß sie eben diese Rechte und Pflichten mit dem Grund und Boden empfängt, in der That selbst nichts anderes als eine Ortsgemeinde , und muß daher — und ohne das ist ihre ganze Stellung nicht zu verstehen, als der Körper der lehnsrechtlichen Selbstverwaltung betrach- tet werden . Nur ist diese Selbstverwaltung allerdings wesentlich anders gestaltet, als bei der Dorfschaft. Denn sie ist keine Selbstver- waltung, die auf der freien Selbstbestimmung des Verwalteten beruht, sondern sie ist nur eine Selbstverwaltung im Gegensatze zur Staats- verwaltung. Sie ist diejenige Gestalt der örtlichen Verwaltung, in welcher dieselbe auf dem Willen des einzigen Besitzers, und damit auf dem Rechte desselben beruht. Sie nimmt daher dem Staate gegen- über dasselbe Recht in Anspruch, das die Dorfschaft für sich fordert; aber dem Einzelnen gegenüber fordert sie weit mehr Recht, als die Ge- meinschaft der freien Bauern. Denn sie ist nicht bloß Grundherrin, sondern sie ist zugleich auf Grundlage ihres Besitzes das Organ der Gemeinschaft der Ortschaften. Sie ist daher zugleich Ortsgemeinde und Verwaltungsgemeinde, und die Rechte der Verwaltungsgemeinde in geistigen, juristischen und administrativen Aufgaben und dem entsprechend auch die Rechte der Selbstbesteuerung für alle diese Zwecke sind Rechte des herrschaftlichen Besitzers; der herrschaftliche Besitzer ist damit zugleich Inhaber der berufsmäßigen Funktion; er bildet einen Stand für sich, aber freilich keinen Stand auf der ethischen Basis seines Berufs, son- dern auf der juristischen seines Besitztitels. Sein Recht auf Selbstver- waltung erscheint daher in der That nur noch als das negative Recht der Selbstverwaltung der Gemeinde, als das Recht auf Abweisung jedes Antheils der Gemeindeglieder einerseits, und der Staatsverwal- tung andererseits an der herrschaftlichen Verwaltung. Es ist die unfreie Form der Selbstverwaltung. Gegen diese unfreie Form erhebt sich nun ein doppelter Kampf. Einerseits ist sie im Widerspruch mit dem Wesen und der Bestimmung des Staats, und das Königthum, das diesen Staat vertritt, nimmt sofort diesen Kampf auf, indem es das Amtswesen organisirt, und die herrschaftliche Verwaltung der behördlichen unterwirft. Dieser Kampf, anschließend an die Forderungen, welche sich allmählig in der Staats- verwaltung bilden, erzeugt das, was wir die Amtsgemeinde nennen, diejenige Form der örtlichen Verwaltung, in welcher an die Stelle des Grundherrn und seiner administrativen Rechte die Behörde tritt, an die Ortsgemeinden anschließend, und aus ihren Verwaltungsgemeinden zum Zwecke der Staatsverwaltung bildend, in denen dann freilich das Element der Selbstverwaltung oft neben jenen fast ganz verschwindet. Andererseits ist die Herrschaft im Gegensatz zur freien einzelnen Persön- lichkeit. Diese, sich anschließend an die freie Form des Besitzes, dem gewerblichen Besitz, trennt sich äußerlich von der Herrschaft und bildet selbständige Gemeinden neben der Herrschaft. Diese, auf dem gewerb- lichen Besitz beruhende Gemeinde ist die Stadt . So entsteht der Unter- schied zwischen Stadt und Land ; jene frei, aber nicht wie die Dorf- schaft auf dem Grundbesitz ausschließlich beruhend; diese unfrei, alle Formen der Herrschaft umfassend. Damit ist die örtliche Selbstver- waltung in zwei wesentlich verschiedene Systeme getheilt; über beiden, beide in aller Weise negirend und bekämpfend, steht die Staatsver- waltung; durch alle hindurch aber zieht sich die Bewegung, von der auch die Stadt nur eine bestimmte Erscheinung ist, die Bewegung nach der Verwirklichung der staatsbürgerlichen Gesellschaft und der Geltung der einzelnen freien Persönlichkeit. Und mit dieser letzteren muß nun, indem sie den Unterschied zwischen Stadt und Land principiell eben so bestimmt negirt als das Eingreifen der Staatsgewalt, eine neue Gestalt der örtlichen Selbstverwaltung ausgehen. Diese aber, begründet auf dem Begriff des Staatsbürgerthums und seiner Geltung in der Ge- meinde, nennen wir das eigentliche Gemeindewesen . Es ist kein Zweifel, daß wir hier die Elemente des gemeinschaft- lichen Zustandes auf dem Continent angedeutet haben, aus welchem sich die Ordnung der Selbstverwaltung und das System desselben in unserem Jahrhundert entwickelt haben. Nur sind hier die einzelnen Staaten wesentlich verschieden; denn das Staatsbürgerthum hat das Element der Herrschaft und der Dorfschaft, der Stadt und des Landes keineswegs gleichmäßig bewältigt. Es mag daher dieser Theil der Ge- schichte wohl einer besondern Betrachtung werth erscheinen. Er ist es, der uns auf die gegenwärtigen Zustände hinüberführt. 3) Die Elemente der socialen Geschichte der örtlichen Selbst- verwaltung . 1) Wenn auch die socialen Bewegungen Europas stets die ganzen Völker erfassen, so gilt dennoch auch für sie der Grundsatz, daß dieselben anfänglich wesentlich in örtlicher Gestalt auftraten. Erst in unserm Jahrhundert haben sich auch diese Erscheinungen centralisirt, und wenn auch nicht die Gewalt, so hat doch die Klarheit der Bewegungen dadurch unendlich gewonnen. Um so nothwendiger ist es, dieselbe in ihrer geschichtlichen Wiege, den Körpern der örtlichen Selbstverwaltung, genauer zu beachten. Auch unser eigenes Vaterland wird uns dadurch in ent- scheidenden Punkten erst recht verständlich. Jene große Bewegung, die wir den Uebergang von der ständischen zur staatsbürgerlichen Gesellschaft nennen, ist nun natürlich theils ihrem Umfange, theils ihrem nationalen Inhalt nach eine unendlich vielgestal- tige. Vor allem aber hat jede einzelne Gemeinde gerade in dieser Be- ziehung wieder ihre eigene an Ereignissen und Kämpfen reiche Geschichte. Die staatsbürgerliche Gesellschaft der europäischen Völker macht in den Marken der Gemeinden einen höchst wichtigen Theil ihrer Erfahrungen, Leiden und Gegensätze durch, und gelangt eben dadurch in einer schon geläuterten Gestalt in das gegenwärtige Jahrhundert. Das hohe Inter- esse, welches die Geschichte der bedeutenden einzelnen Gemeinden seit dem dreizehnten Jahrhundert bietet, beruht eben darauf, daß man in ihnen die großen europäischen Faktoren im Kampfe sieht, und daß ein Stück des eigenen Lebens in ihnen vollzogen wird. Diese Geschichte ist daher eine geradezu unerschöpfliche. Dennoch kann keine eingehende Darstellung der Selbstverwaltung ihrer entbehren, und zwar um so weniger, als der gegenwärtige Zustand des Gemeindewesens in Europa, selbst in seinen allgemeinsten Grundzügen, auf dem Gange dieser Entwicklung beruht. Es muß daher der Versuch gemacht werden, diejenigen entscheiden- den Momente aufzustellen, welche all jenem Reichthum von einzelnen Erscheinungen und Rechtsbildungen zum Grunde liegen und den natio- nalen Charakter des Gemeindewesens in den drei Kulturvölkern bestimmt haben. Auf diese Grundformen werden sich dann die Verhältnisse der übrigen Länder und Völker ohne große Schwierigkeit zurückführen lassen. 2) Zur Zeit der Völkerwanderung stehen sich in dem historisch bekann- ten Europa zwei große Gestaltungen der örtlichen Verwaltung gegenüber. Die eine ist die der römischen Welt, die wir als das Municipal- system bezeichnen können. Das Municipalsystem beruht darauf, daß die örtliche Verwaltung durch einen Amtsorganismus vollzogen wird, dessen Träger aber keine eigentlichen Staatsbeamteten sind, sondern entweder gewählte oder vom Staate zeitlich ernannte Personen, welche die örtliche Verwaltung führen, jedoch ohne alle Verantwortlichkeit gegenüber dem Verwaltungskörper, und ohne ein selbständiges Recht der Verwaltung. Der Verwaltungskörper selbst, das Municipium, ist ein Verwaltungsbezirk; die Verwaltung selbst liegt ganz in den Händen der obern Beamteten. Von einer verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit derselben ist keine Rede; Selbstverwaltung ist mithin eben so wenig vorhanden, als Gemeindewesen. Die zweite Gestalt ist die des germa- nischen Dorfes und der Dorfschaft mit ihrem an die Geschlechter vertheilten freien Grundbesitz. Wir haben den Charakter derselben bereits oben bezeichnet, und das was in ihm als Verwaltung gelten mag, aufgestellt. Der Rhein und die Donau scheiden diese beiden großen Grund- formen auf dem Continent bis zur Völkerwanderung. Die Vernichtung des römischen Reiches wirft sie durch einander. In die Municipien kommen germanische Elemente hinein, in die Dörfer sowohl der germa- nischen Länder als der neueroberten Länder wurden die romanischen Elemente aufgenommen. Das alte Wesen und Recht beider war damit gebrochen; das alte bestand nicht mehr, das neue war noch nicht erschienen; von einer Gemeinde konnte noch keine Rede sein. Die Gestalt und Ordnung, welche diese neue Bildung annahm, bestimmte sich zuerst natürlich nach der allgemeinen Stellung jener beiden großen Elemente. Die Germanen waren als Sieger die Herren; die Romanen hatten nur den Herrn gewechselt. Eine unmittelbare Verschmelzung fand nicht statt. Das Recht der römischen Herrschaft war auf die Sieger übergegangen; aber sie verstanden den römischen, auf der rein amtlichen Verwaltung ruhenden Staat nicht; sie hatten in der Heimath ein öffentliches Recht nur in seiner innigsten Verbindung mit dem Recht auf den Grundbesitz gekannt; sie konnten sich auch jetzt nur die Herrschaft als Eigenthum am Grund und Boden denken. Das übrige, die Selbstverwaltung der Grundbesitzer, verstand sich von selbst. Daraus ging die Gestalt des innern Lebens hervor, welche wir als das Mittel- alter bezeichnen. Ihr Princip ist das beinahe völlige Verschwinden der Staatsverwaltung, und das ausschließliche Recht des freien Grundbesitzes zur Selbstverwaltung auf eigenem Grund und Boden, und zwar nach dem Falle der Karolingischen Dynastie für alle Gebiete der Verwal- tung, Finanzen, Rechtspflege und Inneres, so weit davon die Rede sein konnte. Da nun aber namentlich in den eroberten Ländern dieser Grund und Boden an die einzelnen Krieger vertheilt war, so entstand ein Verhältniß, dessen Grundlage der Satz war, daß nur derjenige Grund und Boden ein vollkommen freier sei, der nicht von einem andern Einzelnen, sondern nur vom Landesherrn dem Besitzer verliehen war. Grundsätzlich schloß das Alle, die auf verliehenem Grund und Boden saßen, von der alten Theilnahme an der Verwaltung aus, die ja auf dem ursprünglich freien Besitz beruhte. Dieser Grundsatz verhielt sich zunächst ganz gleichgültig gegen die volle persönliche Freiheit der Besitzer; er konnte vollständig persönlich frei, und doch unfähig sein, an der Verwaltung Theil zu nehmen, weil sein Besitz unfrei war. Die Ge- sammtheit des freien Grundbesitzes, der auf diese Weise viele unfreie Besitzungen und unfreie aber auch freie Persönlichkeiten umfaßte, hieß daher nun Herrschaft ; und man kann das Recht auf Selbstverwaltung der eigenen Herrschaft, das somit aus dem Recht auf den eigenen Grund und Boden für den Herrn entstand, mit einem passenden Worte die Grundherrlichkeit nennen. Neben den Herrschaften, meist aber freilich nur in den Stammsitzen der Romanen, blieben nur noch die alten Dörfer bestehen, die auf dem Princip der Geschlechterordnung und des ursprünglich gemeinsamen Besitzes beruhten. Die allmählig eintretende Auftheilung dieses gemein- samen Besitzes erzeugt als Grundform der inneren Dorfschaften die freie Hufe; der gemeinsame Besitz erhält sich nur noch in der Gemeinde- weide und dem Gemeindewald. Dennoch behielt das neue Dorf im Wesentlichen seinen Charakter; nur geht die ursprüngliche Autorität der Geschlechterhäupter auf die Besitzer der Hufen über, und die kleinen Besitzer, die Köthner und Insassen (Insten) ordnen sich ohne Widerstand der Hufe unter. Die Nothwendigkeit, allmählig die gemeinsamen Angelegenheiten einer regelmäßigen Berathung und Thätigkeit zu unter- ziehen, entwickelte die Elemente der Selbstverwaltung in denselben, und es entstanden feste Organe dieser Selbstverwaltung, deren Spitze der Schultheiß, deren Umfang zunächst Gericht und Polizei war. In diesem Sinne ist das Dorf jetzt als Körper der Selbstverwaltung eine Dorf- schaft , wie wir sie oben bereits bezeichnet haben. Da nun das Königthum noch selbst so gut als gar keine Verwal- tung hat, so treten sich in allen öffentlichen Dingen diese beiden Grund- formen der Herrschaft und der Dorfschaft gegenüber. Beide sind Selbst- verwaltungskörper, da die Staatsverwaltung noch fehlt. Allein es leuchtet ein, daß die Grundherrlichkeit die Selbstverwaltung zu einem persönlichen Rechte der Grundherrn macht, das wiederum, indem es auf dem Eigenthumsrechte an Grund und Boden beruht, gleichfalls den Charakter seiner Rechtsquelle, des Privatrechts, annimmt. Die herr- schaftliche Selbstverwaltung schließt daher mit diesem Rechtstitel aller- dings das Eingreifen der langsam entstehenden landesherrlichen Ver- waltung aus, aber auf demselben Rechte sich gründend verweigert sie auch jedem Insassen auf dem ihr irgendwie angehörigen Grund und Boden ein Recht auf Theilnahme an der herrschaftlichen Verwaltung. In der That wäre eine solche Theilnahme nicht bloß eine Beschränkung des öffentlichen Rechts des Grundherrn, sondern zugleich ein Eingriff in das Eigenthumsrecht an Grund und Boden gewesen, da sich das eine ohne das andere gar nicht denken ließ. Die dorfschaftliche Selbstverwaltung schließt ihrerseits gleichfalls jeden Nichtbesitzer aus, und läßt nur die Hufenbesitzer zur Verwaltung zu; aber für diese existirt aller- dings das Recht gemeinsamen Beschlusses und gemeinsamer Wahl. Da- gegen besaß die Dorfschaft wieder keine Gränze ihres Rechts gegenüber der entstehenden landesherrlichen Verwaltung, da sie eigentlich gar keinen objektiv gültigen Rechtstitel hatte. Es hing nur von der letztern ab, wie weit sie greifen wollte und konnte. Faßt man das zusammen, so muß man sagen, daß die erste Form der Selbstverwaltung des Mittel- alters, die Herrschaft, zwar das Moment der Selbständigkeit besitzt, aber nicht das der Freiheit; die zweite Form, die Dorfschaft, hat zwar das Moment der Freiheit, aber nicht das der Selbständigkeit. Beide, wesent- lich verschieden, stehen daher mit einander in Widerspruch, und jene Momente mußten alsbald zum Kampfe gelangen. Dieser Kampf selbst aber war nichts anderes, als der Kampf des Restes der freien Geschlechter- ordnung, welche in den Dorfschaften herrschte, mit den Anfängen der Ständeordnung, welche die Grundherrlichkeit bildete. Der Begriff der Gemeinde im heutigen Sinn fehlt noch beiden. Jener Kampf beginnt nun historisch fast schon unter Karl dem Großen. Am Ende der Karolingischen Dynastie ist seine erste Epoche erledigt. In allen romanischen Staaten unterwirft die Herrschaft die Dorfschaft; das Princip der Grundherrlichkeit greift durch, und der letzte Rest freier Verwaltung verschwindet in der administrativen Sou- veränetät der Grundherren. Die Gründe dafür liegen wesentlich in dem Vorherrschen des an Unfreiheit gewöhnten romanischen kleinen Grund- besitzes; der zieht die germanische vereinzelte freie Hufe mit hinab, und mit dem zehnten Jahrhundert ist das ganze Land eine unendliche Vielheit von kleinen souveränen Herrschaften. In den germanischen Staaten wird ein ähnlicher Erfolg erzielt, aber theils später, theils auf anderem Wege. Es ist ein unendlich weitläuftiger, wichtiger und nur in einzelnen Theilen gehörig aufgeklärter Theil der inneren Geschichte des Continents, den wir hier berühren. Doch stehen die großen historischen Thatsachen ziemlich fest, und sie sind es, welche den Gang der Geschichte der Selbstverwaltung oder vielmehr des Ueberganges der dorfschaftlichen Selbstverwaltung an die Grundherrlichkeit und ihre Verwaltung erklären. Man kann sie alle auf zwei große Gruppen zurückführen. Die erste besteht in der einfachen Unterwerfung der einzelnen freien Bauern und Dorfschaften unter die Grundherrlichkeit. Sie ist in hun- dert verschiedenen Formen geschehen; aber es läßt sich trotz dem nicht verkennen, daß sie in den bei weitem meisten Fällen doch dieselbe Grundlage hat. Sie besteht nämlich nur selten darin, daß die Dorf- schaft oder Hufe direkt unfrei wird, sondern meistens beginnt sie damit, Stein , die Verwaltungslehre. I. 29 daß der Grundherr als ursprünglich kein rechtlich bevorzugter, sondern nur ein mächtigerer Nachbar der Hufe oder des ganzen Dorfes, gerade die Selbstverwaltung der Dorfschaft für sich gewinnt, und die Form, in welcher dieser Uebergang der Selbstverwaltungsrechte von dem freien Bauernstande an den herrschaftlichen Grundbesitzer stattfindet, ist das zu Lehen geben . Die Akte, durch welche die Bauern sich als Vasallen der Gutsherren erkennen, sind im Grunde ursprünglich nur Uebertra- gungen der Selbstverwaltungsrechte des Bauernstandes an die Herren, keine Eigenthumsübertragungen, und die Lehensabgaben in recognitio- nem dominii sind nur Symbole dieser Verwaltungsrechte der Herrschaft. Auch gewinnt der Lehensherr des Dorfes damit nicht die Verwaltung der Ortsgemeinde, sondern die der Verwaltungsgemeinde; oder, wie wir sagen würden, die Grundherrlichkeit wird eben die Verwaltungs- gemeinde . In der Grundherrschaft sind daher principiell zwei Systeme der Selbstverwaltung, die eigentlich grundherrliche, welche auf dem ursprünglichen Eigenthum an Grund und Boden beruht, und die bäuerliche, welche durch Lehenserkennung entsteht und daher auch anfänglich die Ortsgemeinde als Dorfschaft ruhig fortbestehen läßt, nur die eigentliche Verwaltungsgemeinde bildend. Der Lehensherr hat daher die großen Funktionen, aus welchen die letzteren entstehen, das Kirchen- und Schulwesen, die Rechtspflege und das Communicationswesen zu verwalten. Er ist Kirchenpatron, er ist Gerichtsherr, und ist Herr der Wege, wodurch das peagium, die Mauth, entsteht. Diese Entwicklung knüpft bekanntlich an den karolingischen Grafen an; die Aufgaben des Comes sind eben die der Verwaltungsgemeinden, und das Aufgeben zu Lehen ist daher in sehr vielen — vielleicht in allen — Fällen nichts anderes, als die feierliche Anerkennung eines Gutsherrn als erblichen Grafen und Haupt der Verwaltung. Die ursprüngliche Lehensherrschaft ist daher noch keineswegs unfrei; die Selbstverwaltung bleibt an sich bestehen; aber die Häupter derselben sind nicht mehr gewählte, sondern erbliche Inhaber der Gewalt der Verwaltung. Allein dieser Zustand konnte nicht dauernd bleiben. Der Lehens- herr hatte diese Gewalt für seine Hintersassen schon ursprünglich, für die freien Bauern durch Lehensübertragung als eine erbliche bekommen. Sie verschmolz daher mit seinem Grundbesitz selbst; sie ward sein Pri- vatrecht . Die Gränze dieser Gewalt aber, noch jetzt schwer zu defi- niren, war damals undefinirbar; mit ihr das Recht, die Lasten der Verwaltung zu vertheilen. So geht die Selbstbesteuerung der Dorfschaft auf den Gutsherrn über. Damit ist er nicht mehr das Haupt der Orts- und Verwaltungsgemeinde, er ist der Herr derselben. Dieses Princip gewinnt nun seine formelle Anerkennung mit dem Auftreten der Landschaften. Die Landschaften sind die Selbstverwaltungskörper der Länder; der Verlust der Rechte auf die Selbstverwaltung auch bei den freien Bauern macht ihn unfähig, an der „Landschaft“ Theil zu nehmen; er kann niemals Landstand werden; er ist überhaupt kein Stand mehr; er hat auch in der Auffassung des Abendlandes die Fähig- keit verloren, als gleichberechtigt dem Grundherrn zur Seite zu treten. Damit ist seine Freiheit untergegangen; der Begriff und das Recht der Selbstverwaltung ist vom Grundbesitz getrennt, und das freie Gemeindewesen in der Dorfschaft wie in der Grundherrlichkeit unmöglich geworden. Sollte beides zurückkehren, so mußte sich eine ganz neue Gestaltung der Dinge jener Ordnung der ständischen Herrschaft an die Seite stellen. Es mußten sich Gemeinschaften auf einer anderen Grundlage als der des Grundbesitzes bilden. Diese wirthschaftliche Grundlage war aber der gewerbliche Besitz . Die Gemeinschaft, welche durch den gewerb- lichen Besitz erzeugt wird, ist die Stadt . Und so geschah es, daß die Städte begannen, mit dem ihnen eigenthümlichen Element in das innere Leben Europas einzugreifen. 3) Der gewerbliche Besitz ist seinem Wesen nach die eigentlich indi- viduelle Form des Besitzes. In Capital und Arbeit schließt er sich unbedingt an das Individuum an; dasselbe erzeugt mit dem zweiten das erste; es begegnet hier keiner producirenden Naturkraft, der es sich beugen muß, von der es abhängig ist. Erst im gewerblichen Capital kann man sagen, daß die Persönlichkeit ist, was sie hat. Wo daher immer das gewerbliche Capital entsteht, entsteht mit ihm ein Leben, das auf der Selbstbestimmung der einzelnen Persönlichkeit beruht. Beide erzeugen sich unbedingt gegenseitig. Die Ordnung der menschlichen Ge- meinschaft aber, welche auf diesem Wesen des gewerblichen Capitals beruht, nennen wir die staatsbürgerliche Gesellschaft. Offenbar steht dieselbe in tiefem Gegensatze zur ständischen Gesell- schaft. Sie hat zu ihrer Grundlage nicht das historische Recht auf den Besitz, sondern die Arbeit der freien Persönlichkeit. Sie hat das Gebiet ihrer Interessen nicht in dem, was sie schon hat, sondern in dem, was sie erwerben will. Sie fordert daher wesentlich andere Bedingungen ihrer Entwicklung als der Grund und Boden und die ständische Herr- schaft. Sie kennt diese Bedingungen selbst, und muß sie sich selbst geben. Das aber heißt eben sich verwalten. Die staatsbürgerliche Gesellschaft hat daher zum nächsten Zweck ihrer Verwaltung die Bedingungen des gewerblichen Erwerbes. Sie kann und will diese Bedingungen nicht aus fremden Händen empfangen, nicht einmal von der Nation unmit- telbar, viel weniger von der Willkür eines Herrn. Noch weniger kann sie das Erworbene dem Herrn überlassen. Sie muß in Besitz und Ver- waltung frei sein. So wie daher der gewerbliche Besitz auftritt, entsteht eine tiefe Spaltung in der ganzen menschlichen Gesellschaft. Es geht eine Ahnung durch ganz Europa, daß eine neue Gestalt der Dinge beginnt. Die Grundherrlichkeit hält zunächst, der jungen gewerblichen Welt gegenüber, fest an ihrem Recht auf den Grund und Boden, auf dem das Gewerbe betrieben wird, an ihrem Rechte der herrschaftlichen Verwaltung über die Menschen, die es betreiben, an ihrem Rechte auf den Gewinn, den sie damit machen. Die gewerbliche Welt erkennt, daß es sich hier nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern um ihre ganze Existenz handelt; zu tief ist die Verschiedenheit des Princips. Sie muß sich daher sam- meln und ordnen, um dem Stoße zu begegnen, der von jener Seite kommt. Sie bildet sich zu Gemeinschaften; sie fängt an zu berathen; sie ordnet sich zu waffenfähigen Gilden und Zünften; sie gibt sich Häupter; sie lernt gehorchen im Namen ihrer Interessen; sie weigert sich dem Grundherrn Folge zu leisten; sie läugnet das Recht seiner Ver- waltung in Dingen, die er selbst nicht erzeugt hat; sie greift zu den Waffen gegen seine Bewaffneten; sie bietet auch Geld für das zweifel- hafte oder unzweifelhafte Recht, das er noch besitzen mag; sie fordert Freiheit mit dem Schwerte und mit Gold; der Kampf entbrennt; die Stadt, die Heimath des gewerblichen Capitals, steht auf gegen den Grundherrn, den Besitzer des unbeweglichen Capitals; sie siegt; sie erobert die Stadt; sie macht sie zu einer Burg ihrer Interessen nach Außen, zu einem Organismus der Verwaltung derselben im Innern; diese, beruhend auf dem Wesen des an sich freien gewerblichen Capitals, muß selbst frei sein — sie muß auf der gleichen Theilnahme Aller an der allgemeinen Gewalt bestehen; so wird die Stadt ein Verwaltungs- körper der jungen staatsbürgerlichen Gesellschaft, äußerlich in ihrer ört- lichen Gränze, dem Weichbilde, selbständig, innerlich frei; und so entsteht die Gemeinde neben der Herrschaft. Es ist eine weitläuftige Geschichte, zu erzählen, wie das alles im Einzelnen sich gestaltet und zugetragen hat; aber das Wesentliche daran ist gleichartig im ganzen Europa. Die Gemeinde und das Gemeinde- wesen haben ihre Heimath nur in den Städten. Die Dorfschaft, so weit es noch eine solche gibt, enthält die Gemeinde der Reste der Geschlechterordnung; die Herrschaft die Gemeinde der ständischen Ord- nung; aber beides sind keine wahren Gemeinden, denn beiden fehlt das Princip der staatsbürgerlichen Gemeinde, das Gemeindebürgerthum und die daran sich schließenden Rechte desselben. Die Städte sind es, welche mit der Selbstverwaltung die bürgerliche Freiheit gerettet haben. Sie waren daher auch berufen, in der neuen Ordnung der Dinge an der Spitze der Selbstverwaltung zu stehen. Man kann nun die Epoche des Entstehens des Städtewesens als den ersten Abschnitt in der Geschichte des europäischen Gemeindewesens. betrachten. Obwohl die Ablösung der Städte theils von der Herrschaft, theils von dem Landesherrn nur langsam, und oft niemals ganz voll- ständig vor sich geht, so hat sie dennoch allenthalben im Wesentlichen denselben Inhalt. Sie enthält das Recht der Wahl der städtischen Obrigkeit aus der Mitte der Bürger, das Recht der Vertretung der Bürgerschaft durch gewählte Männer, und das Recht der Selbstverwal- tung in allen drei Verwaltungsgebieten, Finanzen, Rechtspflege und Polizei. Das Maß dieses Rechts ist allerdings sehr verschieden; oft hat die Herrschaft, oft der Landesherr als Herrschaft noch gewisse finan- zielle oder gerichtliche Rechte, ja sogar polizeiliche Gewalt; oft hat die Stadt diese Rechte gleich anfangs als ihr Eigenthum erworben; oft kauft sie sie allmählig ab; oft bleibt ein Theil desselben bis ins neun- zehnte Jahrhundert; und daher die Verschiedenheit des Umfangs der Berechtigung der Städte. Allein in der Sache sind alle Stadtrechte gleichartig. Eben so ist eine nicht minder große Verschiedenheit in den städtischen Verfassungen, das ist in den Ordnungen, nach welchen die Organe der Selbstverwaltung von den Gemeindebürgern gewählt werden und in dem gegenseitigen Rechte dieser Organe; aber in dem Rechte auf die Wahl selbst sind alle Städte gleich. Und das ist es nun, wodurch die zweite Epoche begründet wird. Wir können diese Epoche des städtischen Gemeindewesens, die etwa mit dem vierzehnten Jahrhundert beginnt, die ständische Epoche desselben nennen. Ihre Grundlagen sind ebenfalls einfach und gleichartig. 4) Die Herrschaft und die Dorfschaft, die beiden Formen des Gemeinde- wesens auf dem Lande, haben das mit einander gemein, daß sie beide auf dem Grundbesitz beruhen; aber die Herrschaft ist nicht bloß der bei weitem mächtigere Grundbesitz, sondern sie hat auch ihre Verwaltungs- rechte als ihr Eigenthum erworben, und kann daher ihre Macht ganz nach ihren Interessen verwenden. Fast im ganzen mittleren Europa sind nun die Dorfschaften, wo sie die Eroberungsepoche überstanden haben, zerstreut und vereinzelt. Sie sind daher haltlos gegenüber der Herrschaft. Diese beginnt theils mit Gewalt, theils mit List die Dorf- schaften sich zu unterwerfen. Diese Unterwerfung der Dorfschaften ge- schieht, wo nicht rohe Gewalt durchgreift, in der Form der Auftragung zu Lehen, wie wir schon erwähnt; sie besteht darin, daß das Recht auf die Funktionen der Verwaltung von der Bauernschaft auf die Guts- herrschaft übergeht. Der Gutsherr gewinnt das Recht, die Rechtspflege in dem Dorfe zu handhaben, die Polizei zu verwalten, ja selbst die bäuerlichen Lasten aufzuerlegen. Der Regel nach bleibt die Form der bäuerlichen Selbstverwaltung, indem die Dorfschaft den Schultheiß wählt, und selbst Vertreter an seine Seite setzt; allein dieses Organ hat kein Recht zu einem selbständigen Willen, sondern wird zu einer bloß ausführenden Gewalt für den Gutsherrn, dessen Vertreter der Amtmann ist. Aber noch ist der Unterschied zwischen der Herrschaft und der Dorf- schaft ein großer. Die Hintersassen der Herrschaft sitzen auf dem guts- herrlichen Grunde, und haben daher gar keinen eigenen Besitz; weil sie keinen Besitz haben, sind sie auch grundsätzlich unfähig, an einer öffent- lichen Verwaltung Theil zu nehmen, und mit ihrem Besitz ganz in der Hand ihres Herrn; sie sind unfrei . Die Dorfschaft ist dagegen mit ihrem Besitze ursprünglich frei , und ihre Unterwerfung unter den Grund- herrn daher ein freiwilliges, die Rechte des letztern oft sehr eng beschränkt, das Recht der Bauernschaft ein großes. Die Herrschaft, indem sie auf diese Weise die Dorfschaft und ihre eigene Grundherrlichkeit zusammen umfaßt, besteht daher aus zwei wesentlich verschiedenen Elementen, die aber dennoch in dem Gutsherrn zusammengefaßt sind; es sind gleichsam zwei Verwaltungssysteme in Einer Person vereinigt. In dieser Ver- bindung des Entgegengesetzten konnte ein innerer Kampf nicht ausbleiben. Das Interesse der Grundherren drängte sie, die ursprünglich freie Bauern- schaft den Grundholden gleich zu stellen, und ihre Selbstverwaltung in die Willkür ihrer Amtmänner und Vögte aufzuheben. Die Bauernschaft, indolent und unfähig zum Widerstand, gibt langsam nach; ein Recht nach dem andern, eine Entscheidung nach der andern fällt dem Guts- herrn zu; dieser beginnt dann auch in das Abgabenwesen einzugreifen; er legt Steuern und Lasten aller Art auf, und die Unfreien gelten alsbald als Beispiel für die Freien. Noch aber lebt in den Bauern- schaften die Erinnerung an ihre alte Freiheit, an das Recht der Selbst- verwaltung; sie machen es geltend, sie klagen, sie wehren sich; aber in ihrer Vereinzelung unterliegen sie. Dennoch bleibt der unterdrückte Zorn lebendig; als endlich die Willkür zu groß wird, erhebt sich, fast in ganz Europa, der Bauernstand gegen die Herrschaft, und es entstehen die Bauernkriege. Diese Bauernkriege sind nichts anderes als der Waffen- kampf der Dorfschaften gegen die Herrschaften, des letzten Restes der Geschlechterordnung gegen die ständische Ordnung, die sich mit den herr- schenden Geschlechtern verbunden hat. Aber dieser Waffenkampf ist hoffnungslos, denn er erscheint nirgends gleichzeitig und auch nicht gleichartig. Die Erhebung hängt eben davon ab, ob die einzelnen Gutsherren gegen die Bauernschaften mehr oder weniger hart gewesen; bei den Bauernschaften geht das Bewußtsein der gemeinsamen Sache nicht weiter, als die Unterdrückung selbst; die Länder, in denen die Dorfschaften ihre Rechte erhalten konnten, blieben der Erhebung fern; die Grundholden endlich stehen zweifelhaft zur Seite, weil sie wissen, daß sie das Recht nie gehabt haben, für welches die Bauernschaften aufstehen; die herrschenden Geschlechter endlich halten als ständische Körperschaft zusammen, und haben das Uebergewicht der Waffenbildung und des Besitzes; und so geschieht es, daß in allen Ländern Europas, mit der einzigen Ausnahme der Schweiz, die Dorfschaft von der Herr- schaft gänzlich besiegt wird. Das war das Ende aller Bauernkriege, von der Jacquerie Frankreichs bis zum deutschen Bauernkrieg. Und mit diesem Ende war das Ende der Dorfschaft selbst gegeben. Der letzte Rest der Selbstverwaltung, die letzten selbständigen Rechte wurden genommen und in die herrschaftliche Verwaltung verschmolzen. Es gab keine Dorfschaft mehr, sondern nur noch Herrschaften, selbst wo jene noch blieben, wie in den Nord- und Ostseeländern, waren sie künftig ohne Bedeutung. Und damit standen sich jetzt die beiden großen Grund- formen der örtlichen Selbstverwaltung, die Herrschaft und die Stadt, einander ohne Zwischenglied gegenüber. Dieser Zustand ist die Grund- lage jener zweiten Epoche des städtischen Gemeindewesens und seiner Rechtsbildung. 5) So verschieden auch jene beiden Elemente, Stadt und Herrschaft waren, so war dennoch eine Gemeinschaft beider in öffentlichen Ange- legenheiten nothwendig. Das Organ dieser Gemeinschaft war der Land- tag. Das Auftreten der Städte in den Angelegenheiten des Landes hatte daher zur Bedingung, daß sie selbst als Stand erschienen. Das war eigentlich ein Widerspruch mit ihrem eigensten Wesen, das auf der freien staatsbürgerlichen Gesellschaft beruhte. Allein es war eine unabweisbare Bedingung ihrer Stellung im Staate. So entstand das, was die Zeit seit dem 14. Jahrhundert charakterisirt. Die Städte bilden den dritten Stand ; das gewerbliche Capital nimmt einen ständischen Charakter an. Die Folgen davon konnten nicht ausbleiben; sie beherrschten diese ganze Epoche, die wir eben deßhalb die Epoche des ständischen Städtewesens nennen möchten. Zuerst gibt die ständische oder landschaftliche Stellung der Städte ihnen und ihrer Selbstverwaltung die Selbständigkeit, welche die Herrschaft hat; jede Stadt wird zunächst für ihre Angelegenheiten, gegenüber der Staats- gewalt, eine unabhängige Körperschaft, und als solche von derselben anerkannt. Zweitens aber tritt das Princip der ständischen Ordnung nunmehr auch von außen her über die Mauern der Städte hinweg in das gewerbliche Leben selbst hinein, und verkehrt das innerste Wesen desselben. Die Hauptformen des Gewerbes werden aus wirthschaftlichen Arten der Unternehmungen selbst ständische Körperschaften. Die Zünfte und Innungen verlieren ihren Charakter. Sie waren früher die Grund- lagen der Ordnung des gewerblichen Betriebes, und wurden dadurch allerdings allmählig zu Grundlagen der Rechte, mit denen das Gewerbe an der städtischen Verwaltung Theil nahm. Jetzt tritt das Moment des wirthschaftlichen Interesses hinzu, und erzeugt die Ausschließlichkeit der Innungsgenossen, und die ständischen Vorrechte, Abtheilungen und Ordnungen für Meister, Gesellen und Bursche. Jedes Gewerbe bildet innerhalb der Stadt selbst wieder einen Stand; die innere lebendige Gegen- seitigkeit der verschiedenen Zweige des gewerblichen Lebens verschwindet; damit geht der Einfluß derselben auf die Verwaltung selbst allmählig verloren; die städtischen, verfassungsmäßigen Organe der Verwaltung scheiden sich von dem Gemeindebürgerthum ab, und betrachten ihrer- seits die Verwaltung als ihr besonderes Recht; sie finden Formen, durch welche sie dieselbe innerhalb eines abgeschlossenen Kreises sich selber er- halten; die Ausschließlichkeit greift in allen Organen durch, und es er- scheint jetzt auch im Gemeindewesen der eigenthümliche Proceß des gesell- schaftlichen Lebens, den wir die Rückbildung nennen möchten. Wie die ständische Ordnung, die doch auf dem geistigen Element des Berufes beruht, dieses Element damals selbst in der Kirche verliert, und sich zu einer Geschlechterordnung umgestaltet, indem die Geburt an die Stelle der Fähigkeit tritt, so fällt sogar das Gewerbewesen in diese Rückbildung, und macht den freien wirthschaftlichen Erwerb zu einem Geschlechterrecht, um so mehr die Verwaltung der Gemeinde, die Stellen der Magistrate und der Verordneten. Ja das Gemeindebürgerthum wird auf den Grundbesitz und die Abstammung basirt, statt auf die persönliche Erwerbsfähigkeit, und die Stadt als Ganzes, durch das Durchgreifen dieser Principien ihrer Entwicklungsfähigkeit beraubt und allenthalben stillstehend, schließt sich wieder gegen das Land ab, und bildet somit allmählig auch nach Innen, wie bisher nach Außen, eine ständische Corporation. Es war das keine glückliche Zeit. Das Einzige, was sich die Städte damals allerdings gewonnen haben, und was, wenn auch nicht in der Form, so doch in seinem Princip, günstig fort- gewirkt hat, war das historisch gewordene Recht auf ihre Selbstver- waltung; es blieb trotz aller Erstarrung des gewerblichen Lebens in den entstehenden ständischen und Geschlechterrechten desselben der Satz, daß das Landesfürstenthum diese Selbstverwaltung anerkennen müsse. An diesen Satz knüpft sich wenigstens in Deutschland die neue Ordnung des Gemeindewesens, und damit jene unklare oder vielmehr einseitige Gestalt der Auffassung von der Selbstverwaltung, die wir hier mit dem 19. Jahrhundert entstehen sehen. Dagegen aber geht mit der Freiheit des städtischen Lebens auch die letzte Hoffnung auf die bessere Gestaltung der ländlichen Verwaltung zu Grunde. Hier ist und bleibt die Herr- schaft die Grundform. Die letzten Reste der Selbstverwaltung aus der Epoche der Dorfschaften verschwinden, und man kann jetzt den Namen einer Gemeinde auf das Land gar nicht mehr anwenden. Es gibt nur noch städtische Gemeinden. Diese aber erheben sich namentlich in Deutsch- land durch die klägliche Einheitslosigkeit und das Untergehen des Kaiser- thums zu souveränen Reichsständen; die Städte selbst, namentlich nach dem Vorbilde des ewig unorganischen Lebens Italiens, werden selbst zu Herrschaften, und vernichten ihrerseits nicht minder wie die Grund- herren jede Spur der freien Selbstverwaltung ihrer Territorien. Da- her denn die Tradition, daß Stadt und Land in der Gemeindebildung so wesentlich verschieden seien, eine Tradition, die sich übrigens nur in Mitteleuropa erhalten hat. England kannte sie von jeher nicht, da hier der Gegensatz zwischen Dorfschaft und Herrschaft nie zur Geltung gelangte, und das Kirchspiel schon früh als Grundform der Gemeinde auftritt, Stadt und Land ununterschieden umfassend, während Frank- reich mit seiner Revolution den Unterschied gewaltsam in den des Ver- waltungsbezirkes aufhob. Obwohl nun dieß erst dem Folgenden ange- hört, so ist doch schon hier so viel klar, daß das Gemeindewesen in jedem Lande eine eigenthümliche Gestalt bekommt; so verschieden in Form und Princip, daß man wirklich Mühe hat, das Gleichartige fest- zustellen. Und dieß wird nun im 18. Jahrhundert durch das Auftreten der Staatsgewalt noch mehr gefördert. 6) Der Sieg des Königthums über die Landstände bezog sich aller- dings zunächst nur auf das eingreifen desselben in die Reichsangelegen- heiten, speziell auf diejenige Form dieses Eingreifens, welche durch die Bewilligung der Steuer hervorgebracht ward. Die landesherrliche Ge- walt nahm zuerst die Gesetzgebung an sich. Allein die raschere Ent- wicklung des Gesammtlebens erzeugte neue, für alle Stände gültige Verhältnisse und Interessen. Die Landschaften selbst waren, zum Theil auch darum, weil jeder Stand noch immer ausschließlich an seinen In- teressen festhielt, nicht fähig, jene neu entstehenden Interessen des Ganzen zu beurtheilen, noch weniger sie zu verwalten. Die Landesverwaltung als Ganzes fällt an den immer mächtiger werdenden Amtsorganismus. Dieser Amtsorganismus läugnet nun zwar nicht das Recht der städti- schen Gemeinden und Corporationen auf ihre Selbstverwaltung; allein in dem Gefühle, für das Ganze zu sorgen, hält er dieß Recht nicht für ein organisches, an sich nothwendiges, sondern für ein Vorrecht, ein Privilegium. Daraus entsteht der Satz, daß diese Privilegien bestätigt werden müssen; daraus der zweite, daß sie, wie jede Ausnahme von der Regel, streng zu interpretiren sind. So beginnt eine allmählige, theils faktische, theils principielle Beschränkung der Selbstverwaltung der Stadtgemeinden. Es entsteht der Grundsatz, daß die vollziehende Gewalt für die Landesgesetze nicht durch die Gemeindeorgane, sondern nur durch die amtlichen Organe ausgeübt werden könne; das Amts- wesen schiebt sich in das städtische Wesen hinein; die Organe der städti- schen Verwaltung nehmen selbst Namen und Charakter eines Amtes an, und die Summen aller Rechte, welche der bürgerlichen Freiheit übrig bleiben, erscheinen als städtische Freiheiten . Diese städtischen Frei- heiten bezeichnen daher das, auf ständischer Grundlage erworbene Maß der Selbständigkeit des Gemeinderechts gegenüber dem Amt. Und schon daraus ist es klar, daß dieses Gemeinderecht ein höchst verschiedenes ist. Namentlich in Deutschland geht es von der vollen Souveränetät der Reichsstädte bis zu den Rechten der kleinsten Marktflecken hinab; eine Gleichheit ist auf dem Continent im Einzelnen nirgends zu finden. Und dennoch ist die Selbstverwaltung in ihrer allgemeinsten Grundlage dieselbe, und die letztere ist mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts leicht zu bezeichnen. Das gesammte Gebiet der Selbstverwaltung hat jetzt drei Organe. Die Landschaft, die Stadtgemeinde und die Landgemeinde. Die erste ist — wenigstens ihrem Rechte nach — zugleich oder eigentlich vorzugs- weise die Volksvertretung der ständischen Welt, das Organ der freien Gesetzgebung, und hat mit der Verwaltung wenig zu thun. Die letzte ist eigentlich keine Gemeinde, sondern vielmehr eine Herrschaft, in welcher alle öffentlichen Rechte Eigenthum des Herrn, alle öffentlichen Aufgaben Pflichten desselben sind, und in welcher daher auch von einer Selbst- besteuerung keine Rede ist. Nur die Stadtgemeinde ist die Gemeinde, der eigentliche Selbstverwaltungskörper jener Zeit; aber auch er ist inner- lich zerrissen, äußerlich der Amtsgewalt in den meisten Fällen unter- worfen. In diesen Zustand kommt nun das, was wir das System der Selbstverwaltung genannt haben, nicht durch die Natur der letzteren, sondern durch die Regierung hinein. Indem sie nämlich alle Selbst- verwaltungskörper in sich aufnimmt, setzte sie ihre Organe als die Ver- tretung der, über jene Körper hinausgehenden Interessen; sie ver- waltet die gemeinsamen Gemeindeverhältnisse , und die Verwaltungsgemeinden verschwinden daher, indem an ihre Stelle fast ausnahmslos die Verwaltungsbezirke treten, in denen die amt- liche Verwaltung die Selbstverwaltung ausschließt. Die Selbstverwal- tung ist daher, nachdem die Landschaft zu einem bloßen Namen herab- gesunken ist, nur noch als Selbstverwaltung der Ortsgemeinden vorhanden. Und dieses ist fast in allen germanischen Ländern der Fall; während noch dazu diese Selbstverwaltung der Ortsgemeinden eine auf allen Punkten von den Verwaltungsbezirken begränzte und unter- drückte ist. Aus diesem Zustand erklärt es sich nun, daß man namentlich in Deutschland bis auf den heutigen Tag die Vorstellung von Ortsge- meinde und Selbstverwaltung identificirt , und dem Gedanken schwer zugänglich ist, daß die Verwaltungsbezirke und Kreise eben so gut Körper der Selbstverwaltung sind und sein sollen, als die Orts- gemeinde. Das ist auch ein wesentlicher Grund, weßhalb wir so viele Schwierigkeit fanden, Englands Verhältnisse richtig zu verstehen. Denn während vermöge des obigen Ganges der Dinge in Deutschland die Ortsgemeinde die Hauptsache im Systeme der Selbstverwaltung geworden ist, und die Verwaltungsgemeinde wie der Kreis uns vor- zugsweise als Amtsbezirke erscheinen, ist vielmehr in England gerade die Verwaltungsgemeinde die Hauptsache und das wahre Organ der Selbstverwaltung; die Ortsgemeinde dagegen ist ein ganz untergeordneter Punkt in dem System des englischen Selfgovernment. Das nun ist allerdings von entscheidender Bedeutung. Denn gerade dadurch fällt in England die örtliche Verwaltung, die stets vorzugsweise in der Verwaltungsgemeinde liegt, in die Selbstverwaltung, während sie in Deutschland überwiegend ins Amt fällt. Ohne diesen wesentlichen Unterschied kann man beide Systeme niemals richtig würdigen. Aber erst unser Jahrhundert hat nun die Selbstverwaltung auf dem Con- tinent wieder hergestellt. Wir wollen die Elemente ihrer heutigen Gestalt hier folgen lassen. 4) Princip, System und Recht der Selbstverwaltung und des Gemeindewesens im neunzehnten Jahrhundert . Indem wir zu dem Folgenden übergehen, müssen wir bemerken, daß der deutsche Continent mit seiner Bildung der Selbstverwaltung noch nicht fertig ist, während der französische den ihm eigenthümlichen Grundgedanken bereits seit einem halben Jahrhundert fast ohne irgend eine Veränderung festhält. In der That liegt das Leben der Selbst- verwaltung daher auch nur in Deutschland, und wie alles im Werden Begriffene ist es noch in vielen Punkten unklar. Es kann daher nur darauf ankommen, hier die leitenden Gedanken aufzustellen. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, wie bereits im 18. Jahrhundert sich die Idee der selbständigen Persönlichkeit Bahn bricht. Die Form des ganzen Staatslebens, namentlich aber die Formen der Selbstverwaltung genügen ihr nicht. Die Umwälzung des Staatsrechts, die mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaft eintritt, erscheint daher sofort auch im Gebiete der Selbstverwaltung. Eine neue Zeit beginnt für dieselbe. Ihr allgemeiner Charakter ist die Bestimmung der Ordnung und des Rechts der örtlichen Verwaltung durch die Kräfte und die Forderungen der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung. Das gilt für alle Staaten und Länder Europas. Allein diese neue Gesellschaftsordnung ist nun mit unserem Jahr- hundert, obwohl im Allgemeinen siegreich, dennoch keineswegs gleich- mäßig ausgebildet. Sie erscheint vielmehr als eine sehr verschiedene. Die Folge davon aber ist die wichtige Thatsache, daß auch Princip, System und Recht der Selbstverwaltung in jedem Lande Europas eine verschiedene Gestalt haben. Allerdings muß man hier zuerst die äußere Eintheilung und Gestalt der Selbstverwaltung von dem innern Orga- nismus derselben wohl unterscheiden. Die Besonderheit dieser Gestal- tung liegt nämlich äußerlich in denselben natürlichen Verhältnissen des Landes, welche wir bei dem Behördensystem bereits dargestellt haben. Es ist gar nicht möglich, daß Land- und Seestaaten, daß ebene und gebirgige Länder, daß Länder mit dichter und dünner Be- völkerung dieselbe Gestalt der Selbstverwaltung besitzen könnten, und „Land und Leute“ sind daher nicht etwa bloß interessante ethische, ge- sellschaftliche und hauswirthschaftliche Elemente, welche man mit dem Auge eines Touristen betrachten und dann mit ihrer geistreichen Beschreibung erschöpfen kann. Sie sind vielmehr höchst concrete Faktoren der Verwal- tung, und haben, auf das Tiefste eingreifend, dem innern praktischen Leben des Staats im Allgemeinen, namentlich aber der äußern Organi- sation der Selbstverwaltung ihre Gestalt gegeben. Man wird vielleicht ein Land und sein inneres Leben kennen, ohne diese organischen Verhältnisse zu würdigen, aber man wird sie ohne das nie verstehen. Doch dürfen wir uns auch für den Organismus der Selbstverwaltung auf dasjenige beziehen, was wir bei dem Behördensystem bereits über das Verhalten jener Elemente zur Configuration des Gemeindewesens gesagt haben. Während nun so die äußere Gestalt der Selbstverwaltung durch diese natürlichen Bedingungen bestimmt wird, liegt die Besonderheit der in- nern Organisation der Selbstverwaltung vielmehr in dem Verhältniß der staatsbürgerlichen zur ständischen Gesellschaft. Und hiefür muß die Wissenschaft die allgemein gültigen Gesetze aufstellen, während die Lehre vom geltenden öffentlichen Recht aus ihm die wirklich gegebene Ge- stalt finden und entwickeln muß. Wir haben daher hier die Aufgabe, auf dieser Grundlage die Elemente der Vergleichung zwischen den verschiedenen Formen der Selbstverwaltung aufzustellen. Wir werden in ihnen den eigent- lichen Inhalt des Charakters unseres Jahrhunderts in dieser Beziehung zu suchen, und an ihnen die gegebenen Zustände zu messen haben. Dieselben können wir bezeichnen als das Princip , das System und das Recht der Selbstverwaltung oder des Gemeindewesens in seinem höhern Sinn. Das Princip der Organisation und des Rechts dieses Gemeinde- wesens ist bedingt davon, ob die staatsbürgerliche Gesellschaft ganz oder zum Theil zur Herrschaft gediehen ist. Der Hauptausdruck dieser That- sache im Systeme der Selbstverwaltung besteht in dem Charakter der Ortsgemeinde, und namentlich in dem Unterschied zwischen Stadt und Land . Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist der Unter- schied zwischen dem gewerblichen und dem Grundbesitz im Allgemeinen, zwischen Gemeinde und Herrschaft im Besondern. Er ist überhaupt nur da möglich, wo die beiden großen Formen des Besitzes noch unver- mittelt neben einander stehen, und wo daher noch das alte System der herrschaftlichen Rechte fortbesteht. Er verschwindet dagegen, wo die ständischen Unterschiede nicht mehr als Unterschiede des öffentlichen Rechts auftreten. Die erste Bedingung ist dabei die, daß der kleine Grund- besitz nur überhaupt erst einmal frei sei; der große Proceß der Grund- entlastung ist hier von der höchsten Wichtigkeit geworden; ohne ihn ist überhaupt keine Landgemeindeordnung denkbar. Nur ist derselbe in sehr verschiedener Weise geschehen, und die Grundlage großer Verschie- denheiten geworden. Das System der Selbstverwaltung hat, während das Princip derselben in der Verschmelzung von Stadt und Land zur Gemeinde überhaupt seinen Ausdruck findet, seinen Schwerpunkt in der Organi- sirung desjenigen, was wir die Verwaltungsgemeinde genannt haben. Ihrem Wesen nach fordert die staatsbürgerliche Gesellschaft die Selbstverwaltung auch in der Verwaltungsgemeinde. Allein während sie in dem Unterschiede von Stadt und Land auf die socialen Unter- schiede der Stände und ihrer öffentlichen Rechte trifft, trifft sie in der Verwaltungsgemeinde auf die Gewalt und den Organismus des Be- hördensystems . Dasselbe verhält sich seiner Natur nach abweisend gegen die Selbstverwaltung, theils mit Recht, theils mit Unrecht. Es fordert für sich, während es im Grunde die Ortsgemeinde und ihre lokalen Rechte und Thätigkeiten mit einer gewissen Gleichgültigkeit be- trachtet, gerade die Aufgabe der Verwaltungsgemeinde als sein eigen- thümliches Gebiet, während andererseits das Princip der Selbverwal- tung gerade in denjenigen Gebieten, welche wir Verwaltungsgemeinden genannt haben, am bedeutsamsten sein würde. Und hier entsteht daher die zweite große Frage über das Wesen der Selbstverwaltung im Organismus des Staats, die Frage nach dem Verhältniß derselben zum Systeme des Amtswesens und nach ihrer Fähigkeit und Be- rechtigung, die amtliche Thätigkeit durch die des Staatsbürgerthums zu ersetzen. Auf diese Weise nun charakterisirt sich das System der Selbstverwaltung an dem Maße, in welchem dieselbe in den Verwal- tungsgemeinden zugelassen oder ausgeschlossen ist. Das dritte Element ist nun das Recht der Selbstverwaltung. Das erste Gebiet dieses Rechts ist unzweifelhaft das Verfassungs- recht dieser Selbstverwaltungskörper. Wir bezeichnen auch damit die- jenige Ordnung, nach welcher die einzelnen Mitglieder dieser Körper zur Theilnahme an der Selbstverwaltung berufen sind. Es liegt nahe, daß dieses Verfassungsrecht stets aus dem Princip der Selbstverwaltung hervorgehen wird, aber freilich muß es ein anderes für die Ortsgemeinde, für die Verwaltungsgemeinde und für den Kreis sein. Das Folgende wird zeigen, wie tief die Verschiedenheit auch auf diesem Gebiete zwischen den Ländern Europas begründet ist. Das zweite Gebiet jenes Rechts ist nun das Verwaltungsrecht . Dieß Recht hat nun keinen andern Ausdruck und kein anderes Maß, als das der Selbstbesteuerung . Die Steuer ist auch hier etwas anderes als die bloße Abgabe. Sie ist auch in der Selbstverwaltung das Mittel für einen Zweck. Sie drückt daher, indem mit dem Recht auf diese Selbstbesteuerung zugleich das Recht auf die durch die Stände bedingte wirkliche Verwaltung gegeben ist, überhaupt das Recht der Selbstverwaltung auf ihren Antheil an der Verwaltung des Staats oder das Verhältniß der ersteren zur zweiten aus. Das Recht der Selbstbesteuerung ist daher keinesweges nur ein Recht, für die Angehörigen eine Steuer auszuschreiben. Es ist vielmehr als eine Pflicht anzusehen, gewisse Gebiete des öffentlichen Lebens selbst zu ver- walten. Es ist daher kein Princip, sondern es ist vielmehr eine Con- sequenz. Es unterscheidet sich damit wesentlich von der Steuerbewilligung im Staate, denn es bewilligt nicht etwa Steuern für eine staatliche Verwaltung, sondern für das von den Steuerzahlenden selbst eingesetzte Organ der verwaltenden Thätigkeit. Es folgt daraus, daß es ein großer Unterschied ist zwischen der Selbstbesteuerung in der Ortsgemeinde und in der Verwaltungsgemeinde. Während nämlich jene ein ganz nahe liegendes und fast unabweisbares Recht der Selbstverwaltung ist, zeigt dieses im Gegentheil die höchste Entwicklung der letzteren an, und führt uns zu der Frage nach der wahren und letzten Gränze derselben gegen- über der Staatsverwaltung. Das sind nun die allgemeinen Grundlagen, auf welchen sich die Selbstverwaltung unseres Jahrhunderts bewegt. Es ist klar, daß hier höchst verschiedene Gestaltungen eintreten können; es ist gewiß, daß dieselben auch vorhanden sind. Wir wollen nun nach den obigen Kate- gorien versuchen, ein Bild der drei Grundformen der europäischen ört- lichen Selbstverwaltung in England, Frankreich und Deutschland zu entwerfen. 5) Die Grundformen der europäischen örtlichen Selbstverwaltung . Wir dürfen für die nachfolgende kurze Charakteristik wohl einige Bemerkungen vorausschicken, da dieselbe allerdings nicht an die ge- wöhnliche Auffassung anzuknüpfen hat. Zuerst erinnern wir, daß wir die Landschaften von der örtlichen Selbstverwaltung geschieden haben, weil sie uns, wenn auch in der Form vieles ähnliche mit der letzteren besitzend, doch in der Sache sich wesentlich von derselben trennen. Wir dürfen uns daher an das oben Gesagte hier anschließen. Wir dürfen ferner darauf hinweisen, daß der Name des Gemeinde- wesens nur deßhalb von uns beibehalten wird, weil man ihn in Deutschland gewöhnt ist. Aber es wird schon aus dem Bisherigen her- vorgegangen sein, daß nichts verkehrter ist, als die deutsche Auffassung der Gemeinde der Lehre von der Selbstverwaltung, auch der örtlichen, zu Grunde zu legen. Die deutsche Bezeichnung, wie der deutsche Begriff sind vorwiegend historischer Natur, und es ist daher ein Verständniß der Selbstverwaltung fast unmöglich, wenn man ihn als einen für Europa, oder auch für die Sache an sich gültigen erkennen wollte. Wir glauben endlich das Wesen der örtlichen Selbstverwaltung im Princip, System und innerem Recht in der Hauptsache zu erschöpfen, wenn wir die drei großen Grundformen derselben in England, Frank- reich und Deutschland hinzeichnen. Es ist ganz unmöglich, hier für das Einzelne zu genügen. Aber unsere Aufgabe soll es eben sein, die lei- tenden Principien der Vergleichung festzustellen. Wir müssen endlich einen letzten Punkt hervorheben. Auch an die Selbstverwaltung schließt sich die Frage nach der verfassungsmäßi- gen Verwaltung , nach den Organen und Grundsätzen, durch welche jene allerdings an sich selbständige Thätigkeit der Selbstverwaltungs- körper mit dem geltenden Recht in Harmonie gebracht wird. Diese Frage nun kann natürlich nicht mehr einseitig aus dem Wesen und Recht dieser Körper beantwortet werden. Ihre Beantwortung, die ver- fassungsmäßige Verwaltung der Selbstverwaltungskörper, ergibt sich aus dem Leben und Recht des gesammten Staats. Wir haben jenes Recht schon oben in Verantwortlichkeit, Klag- und Beschwerderecht, und Petitionsrecht dargelegt. Das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht der Selbstverwaltung hat sich daher einfach an jene Grundsätze anzuschließen. Es ist nichts anderes als dasselbe; aber es ist die Erfüllung jenes Be- griffes in diesem so wichtigen Gebiete. Auf dieser Grundlage soll nun die örtliche Selbstverwaltung jener drei Kulturvölker nach ihrem Princip, ihrem System, und ihrem innern Verfassungs- und Verwaltungsrecht charakterisirt werden. a ) Englands Communalwesen. Es ist wohl sehr schwer, nach dem Vorgange eines Mannes wie Gneist noch etwas über Englands örtliche Selbstverwaltung zu sagen. Selten ist ein Volk mit seinem innern Leben so klar und erschöpfend dargelegt, wie hier. Es bleibt uns daher wenig anderes übrig, als auf den reichen Stoff unsere vergleichenden Kategorien anzuwenden, und für alles Einzelne auf Gneists Werk selbst zu verweisen. Wir haben den Ausdruck „Communalwesen“ oben gebraucht, ob- gleich er vielleicht nicht ganz entspricht. Wir dürfen nur in Deutschland nie vergessen, daß wir selbst in einer ganz bestimmten Form der Selbst- verwaltung leben, und daß wir noch gar nicht gewöhnt sind, über die engen Gränzen unserer Heimath hinaus die staatlichen Dinge mit ob- jektivem Auge zu betrachten. Englands örtliche Selbstverwaltung aber, mag man sie nun so oder anders Selfgovernment, Gemeindewesen oder wie immer nennen, ist wesentlich verschieden sowohl von Frankreich, als von Deutschland, und das ist der Grund, weßhalb man es bisher so wenig gekannt hat. Die Dinge dort paßten nicht in die herkömmliche Auffassung der Deutschen. Und doch läßt sich jener Unterschied so leicht und bestimmt formuliren. Während nämlich das französische System der Selbstverwaltung auf dem Princip der Vertretung in den Conseils beruht, das deutsche dagegen auf der Selbständigkeit der Ortsgemeinde, beruht das englische darauf, daß dasjenige, was wir die Verwaltungs- gemeinde genannt haben, zum eigentlichen Mittelpunkt des Self- government geworden ist. Auf dieser Grundlage ist die örtliche Selbst- verwaltung Englands für uns um so leichter darzustellen, als wir das Recht in Anspruch nehmen können, und bei dem Reichthum des vor- liegenden Stoffes auch müssen, das, was Gneist gegeben hat, als be- kannt vorauszusetzen. Das Princip der englischen Selbstverwaltung beruht im Allgemeinen darauf, daß weder die dänische, noch die normannische Eroberung den Stamm der freien Bauern vernichten, oder auch nur in der Mehrzahl von den Grundherren abhängig machen konnte. Der freie mittlere Grundbesitz blieb daher das herrschende Element in den englischen so- cialen Zuständen. Die normännische Eroberung zweitens hatte einen ganz andern Charakter als die germanische Eroberung der römischen Welt. Sie vermochte nicht, das unterworfene Volk unfrei zu machen; sie zwang daher den erobernden Stamm, auch nach der Eroberung noch eine festgeschlossene Masse zu bilden, um dem einheimischen Volke nicht zu unterliegen. Eine Trennung der Baronien vom Königthum, ein Zurückfallen der Souveränetät der letzteren an die ersteren, eine Ver- schmelzung der freiherrlichen Grundbesitzer mit den Hoheitsrechten, wie wir sie auf dem Continent finden, kurz, der Begriff und das Recht der Herrschaft entsteht in England gar nicht. Es gibt keine staatliche Unfreiheit des Bauernstandes, wenn auch viel wirthschaftliche Unfreiheit im Einzelnen vorkommt. Die herrschende Klasse herrscht daher aller- dings über den Staat, aber sie hat die beherrschte nicht unfrei gemacht. Das ist es nun, was dem innern Leben Englands bis auf den heutigen Tag seinen Charakter, und der örtlichen Selbstverwaltung ihr Princip gegeben hat. Das ursprüngliche Recht der Geschlechterordnung, das Recht der freien Hufe in der Dorfschaft, erhält sich. Es fehlt daher in Eng- land jener so tief greifende Unterschied zwischen Stadt und Land, der die gesellschaftliche Geschichte des Continents beherrscht. In England braucht sich das entstehende Staatsbürgerthum vor der Gewalt der Grundherrlich- keit nicht in die Stadt zu flüchten. Es braucht nicht jenen ungeheuren Kampf des Städtewesens mit den Grundherren aufzunehmen, der das Mittelalter diesseits des Kanals beherrscht. Das „Städtewesen des Mittelalters,“ das man aus Mangel an Kenntniß der englischen und skandinavischen Geschichte als den Gesammtzustand Europas im Mittel- alter bezeichnet hat, existirt gar nicht, weder in England noch in Skan- dinavien. Wohl gab es, wie wir sehen werden, und gibt es noch Städte auch in diesen Ländern. Aber die Stadt ist keine sociale Kate- gorie des Volkslebens, und daher sind die continentalen Rechtsbegriffe und Thatsachen, welche wir als den „dritten Stand“ zusammenfassen, weder in England, noch in Skandinavien vorhanden. Ein „tiers état“ hat dort nie existirt, und konnte nicht existiren; denn seine Voraus- setzung ist der sociale Unterschied zwischen Herrschaft und Stadt, zwischen Grundbesitz und gewerblichem Besitz. Erst wenn wir in der deutschen Wissenschaft so weit sein werden, anzuerkennen, daß unsere gewöhnliche Auffassung nicht viel weiter reicht, als bis an die Gränzen des deut- schen Lebens, und daß wir als erste Voraussetzung alles Fortschrittes die principielle Verallgemeinerung unserer deutschen Begriffe für ganz Europa beseitigen müssen, werden wir jene Verhältnisse so einfach und verständlich finden, wie sie es in der That sind. England aber ist Stein , die Verwaltungslehre. I. 30 das Musterbild der Zustände, die gerade auf diesem Punkte von den unsern so wesentlich verschieden sind. Und das daraus folgende Princip der örtlichen Selbstverwaltung ergibt sich damit fast von selbst. Da nämlich die alte Grundlage der Geschlechterordnung, der freie Grund- besitz sich erhält, so wird er zur Grundlage aller Selbstverwal- tung . Das Princip derselben sowohl unter dem anglosächsischen als dem normännischen System ist der Satz, daß jeder freie Grundbesitz das Anrecht zur Theilnahme an der Selbstverwaltung gibt. Das ist die „visible profitable propriety;“ dieser Ausdruck ist die juristische Formulirung eines gesellschaftlichen Begriffes. Das englische Princip kann daher keinen Körper der Selbstverwaltung auf Grundlage eines Werthbesitzes oder eines Einkommens begründen; es vermag nicht, als Basis derselben die Steuerpflicht, den Steuercensus, anzunehmen; es will eben einen Grundbesitz, und jeder Grundbesitz, gleichviel, ob in Stadt oder Land, gibt an und für sich das Recht auf Selbstverwaltung. Allerdings muß sich dieser Grundsatz in den Städten etwas modificiren; aber er geht nie so weit, daß das bloße Einkommen den Besitz ersetzte, sondern auch in den Städten ist die Bedingung der Theilnahme an der Selbstverwaltung die Ansässigkeit; das bearing scot und paying lot ist der Ausdruck der durch wirkliche, materielle Ansässigkeit gegebenen Berechtigung und Verpflichtung in dem Selfgovernment. Daraus folgt dann das zweite herrschende Princip für die letzteren. Wie das Recht, so ist auch die Pflicht mit dieser Ansässigkeit verbunden. Alle Lasten der Selbstverwaltung beruhen nicht wie auf dem Continent auf jenem, der reinen staatsbürgerlichen Gesellschaft angehörigen Begriffe des Einkommens, sondern auf dem Grundbesitze . Die Steuern des Selfgovernment sind deßhalb stets direkte Steuern, auf der propriety umgelegt; sie sind aber, wie die alte Dorfschaft, zugleich ursprüngliche Steuern, das heißt, sie erscheinen nicht wie die französische Selbstbe- steuerung, nur als Anschluß an die direkte Staatssteuer, als centimes additionnels oder Zuschläge, sondern die Grundbesitzer stellen für diese Selbstverwaltungssteuer ihren eigenen, selbstbeschlossenen Steuerfuß auf; wie ihre Verwaltung, so ist auch ihr Steuersystem eine ganz selb- ständige Finanzwirthschaft neb n den Staatsfinanzen. Diese Grundsätze, auf derselben Grundlage in ganz England beruhend, sind daher auch gleichmäßig gültig für alle Theile Englands. Allerdings ist ein Unter- schied zwischen Stadt und Land, und sogar ein Unterschied zwischen dem Gemeindebürgerthum in Stadt und Land; allein diese Unterschiede enthalten nicht etwa ein verschiedenes Princip, sondern sie sind nur Verschiedenheiten in demselben Princip. Und daraus entsteht nun das- jenige, was wir das System des englischen Selfgovernment nennen. Bei diesem System muß man zuerst davon ausgehen, daß der deutsche, und noch mehr der französische Begriff der „ Gemeinde “ für England gar nicht existirt. Schon Gneist hat vollkommen richtig sich wohl gehütet, den Begriff der Gemeinde als allgemeine Kategorie für Englands Selbstverwaltung anzuwenden. In der That ist die Grund- lage der englischen Selbstverwaltung nicht eine Gemeinde im deutschen Sinne, welche in örtlicher Begrenzung alle Aufgaben des Staats durch ihre Organe vollzieht, und die wir daher Ortsgemeinden nennen. Auch England hat seine Ortsgemeinden, wie wir gleich sehen werden; aber während dieselben in Frankreich nur ein organisches Glied jener Selbstverwaltung, in Deutschland der fast ausschließliche Sitz derselben sind, sind sie in England ganz untergeordnete Erscheinungen. Die Grundlage des englischen Selfgovernment ist vielmehr statt der Orts- gemeinde dasjenige, was wir die Verwaltungsgemeinde nennen müssen, an welche sich dann der amtliche Körper des Kreises anschließt. Durch diese beiden Elemente wird das System der englischen örtlichen Selbstverwaltung gebildet. Wir dürfen daher hier den Begriff der Verwaltungsgemeinde ge- nauer bestimmen, da er die Grundlage der Individualität des englischen Selfgovernment ist. Unter Verwaltungsgemeinde verstehen wir eine örtlich begränzte Gemeinschaft, welche einen selbständigen Organismus für Verfassung und Verwaltung, aber nur eine , ganz bestimmte und von der Re- gierung anerkannte Verwaltungsaufgabe zu vollziehen hat. Die Verwaltungsgemeinde ist daher gegen die Ortsgemeinde ziemlich gleich- gültig. Sie kann größer, sie kann kleiner sein; sie kann bloß eine Stadt, sie kann auch mehrere, sie kann Stadt und Land umfassen. Immer aber muß sie für ihre spezielle Aufgabe ihren eigenen Organis- mus haben, und indem sie in jener Aufgabe eine Aufgabe des Staats erfüllt, muß sie auch der Staatsverwaltung in gewisser Weise unter- geordnet sein, damit die örtliche Vollziehung der ersteren nicht die Gleich- artigkeit der letzteren vernichte. Es kann daher so viele Verwaltungs- gemeinden geben, als es Aufgaben der Verwaltung gibt, und jede derselben kann verschiedene äußere Gränzen und innere Principien haben. Ob und in wie weit das letztere der Fall ist, wird allerdings von der Gleichartigkeit der gesellschaftlichen Zustände abhängen. Immer aber muß die Verwaltungsgemeinde ein Glied eines großen Verwaltungs- ganzen bilden; und dieß größere Ganze nennen wir den Kreis . In dem Kreise wird dann nothwendig die Staatsverwaltung das vor- wiegende Element sein; in ihm kommt die Einheit des Staatslebens zum Ausdruck, und er ist daher gar nicht denkbar, ohne daß er einen Amtskörper bilde, an dessen Spitze ein amtliches Organ steht, dessen Funktion dann im Wesen des Staats liegt. Nun kann das Verhältniß beider Elemente zu einander, des Kreises und der Verwal- tungsgemeinde, sehr verschieden sein. Immer aber wird der Organismus beider darauf beruhen, daß die Organe der Verwaltungsgemeinde ge- wählt , das Organ des Kreises dagegen eingesetzt ist. Wird das Haupt der Verwaltungsgemeinde eben so eingesetzt wie das des Kreises, so sinkt dieselbe zu einem bloß berathenden Körper herab, wie in Frankreich; wird dagegen das Haupt des Kreises gewählt, wie das der Verwaltungsgemeinde, so wird die letztere souverän, wie früher in Deutschland. Und das beruht darauf, daß dieses Haupt die ausführende Gewalt, und damit auch die Verantwortlichkeit für die wirkliche Voll- ziehung hat. Die Wahl des Kreishauptmanns macht jede Verantwort- lichkeit der Regierung gegen die Volksvertretung unmöglich, und löst damit zuletzt die Regierung selbst auf. Das sind, so scheint es, sehr einfache Sätze. Englands örtliche Selbstverwaltung ist nun durch und durch der Ausdruck dieses Systems von Verwaltungsgemeinde und Kreisordnung, und darin liegt seine Individualität gegenüber Frankreich und Deutsch- land. In diesen Punkten sind alle Vorzüge und Nachtheile der eng- lischen Verwaltung gegeben, aber auch die Schwierigkeit, es vom con- tinentalen Standpunkt aus richtig zu verstehen. Denn das System der Verwaltungsgemeinden hat alle örtliche Verwaltung und selbst die Besteuerung, durch welche sie geschieht, in die Hände der Gemeinde- angehörigen gelegt, und deßhalb nennen wir die englische Selbst- verwaltung eben das Selfgovernment . Auf demselben Grunde beruht es, daß dieß Selfgovernment nicht plötzlich entstanden ist, so wenig wie die Aufgaben der Verwaltung. Es hat sich langsam und stückweise mit diesen entwickelt; es ist in seiner Geschichte in der That die Geschichte der englischen Verwaltung selbst . Die erstere ist ohne die letztere überhaupt gar nicht darzustellen und zu verstehen; und der glänzendste Beweis dafür ist gewiß Gneists Werk, in welchem die Communalverfassung vollkommen richtig nicht als eine Verfassung für sich, sondern als eine Consequenz der entstehenden Bedürfnisse der Verwaltungsaufgaben erscheint. Wir aber können ihr nichts hinzufügen. Nur den Organismus, wie er sich gestaltet, wollen wir kurz bezeichnen. Das Entstehen der englischen Verwaltungsgemeinde beruht nämlich darauf, daß das englische Parlament zum Theil den Charakter einer landschaftlichen Ständeversammlung hat, und als solche nicht die histo- rischen Rechte der Einzelnen seinem Willen unterwirft, sondern nur das Gesetz für die Verwaltung gibt, und jetzt die bestehenden Ortschaften dafür gerichtlich verantwortlich macht, daß dieß Gesetz auch wirklich ausgeführt wird. Das Organ nun, welches diese örtliche Ausführung des Gesetzes vollzieht, ist die Verwaltungsgemeinde; das Organ, welches als Gericht die Vollziehung des Gesetzes sichert, ist der Friedensrichter. Auf diesen beiden Grundlagen beruht das englische Selfgovernment. Es ist wohl kaum zweifelhaft, daß dieses Selfgovernment sich in zwei großen Perioden oder Grundformen entwickelt, die man als die angelsächsische und die normannische bezeichnen kann, und deren Schei- dung wesentlich in dem Auftreten der Armenverwaltung liegen. Die alte angelsächsische Ordnung beruht auf dem Begriff und Recht der Dorf- schaft und der Landschaft, Tithings und County. Das Tithing ist im Grunde die bäuerliche Gemeinde, ganz im deutschen Sinne. Sie hat, wie diese, alle Aufgaben der örtlichen Verwaltung, so weit es damals eine solche gibt, und der Vereinigungspunkt derselben ist eben die County mit Sheriff und Coroner. An diese Grundlage aber schließt sich gleich anfangs eine zweite Art der Gemeinde an, die Kirchspielsgemeinde , deren Aufgabe die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten ist, und die in der Vestry ihre eigene Gemeindeversammlung, in den Church wardens ihre eigene Organe, und in der Church rate ihr eigenes Steuersystem hat. Es ist die erste Verwaltungsgemeinde in England; aber sie ist mit dem continentalen Kirchspiel sehr analog, nur darin von ihm wesentlich verschieden, daß sie ein selbständiges Gemeindebürger- thum in dem besitzenden Bauernstande hat, welcher ein Patronat einer Herrschaft nicht entstehen läßt. Aus dieser Kirchspielsgemeinde entsteht nun die Grundform der Verwaltungsgemeinde in England, die Armen- gemeinde . Dieselbe wird zu einem förmlich anerkannten Organe der Armenverwaltung unter Elisabeth; sie fängt an, alle Verwaltungsauf- gaben, so weit sie nicht der Landschaft gehören, dadurch sich unterzu- ordnen, daß die Armenlast mit jedem Jahre eine schwerere wird, und daher die Armengemeinde gezwungen ist, einerseits die Armensteuer, die poor rate, so genau und rationell als möglich einzurichten, anderer- seits sie auf das Zweckmäßigste zu verwalten. Es war daher ganz natürlich, daß man die Armensteuer allmählig als die Hauptsteuer für die gesammte Selbstbesteuerung anerkannte und die Steuern für die übrigen Selbstverwaltungskörper einfach an sie anschloß. Dadurch ge- wann die Selbstverwaltung ihre eigentliche Festigkeit und Ordnung; es war mit dem Steuerfuß der poor rate der Fuß aller örtlichen Steuern gegeben, und zuletzt ließen sich die übrigen Aufgaben auch leicht ordnen. Jedoch dauerte es nun längere Zeit bis diese Verwaltungsaufgaben der innern Verwaltung sich bildeten und begränzten, und es war natür- lich, daß einige dieser Verwaltungsaufgaben der County, andere dem Friedensrichter, und nur ein Theil derselben eigenen Verwaltungs- gemeinden zufiel. Allmählig aber entstand das Bedürfniß, hier eine feste Ordnung zu schaffen. So lange die Verwaltungsaufgaben noch ganz bestimmte Anstalten zu ihrem Objekt hatten, war die Sache ein- fach. Gefängnisse, Irrenhäuser, Straßen, Wege, Brücken, öffentliche Gebäude geben, selbst begränzt, auch leicht eine Gränze für die Ver- theilung ihrer Verwaltung. Als aber mit dem Ende des vorigen Jahr- hunderts die Erkenntniß kommt, daß die Bedingungen der Entwicklung in allgemeinen Verhältnissen, und die Aufgabe der Verwaltung daher in einer beständigen Thätigkeit liegt, genügt die alte Ordnung nicht mehr. Es muß, um uns so auszudrücken, das Verwalten und nicht die spezielle Verwaltung zur Pflicht gemacht werden. Um das zu kön- nen, muß ein neuer Organismus geschaffen werden. Dieß geschieht nun durch die Public Health Act und die Local Management Act. Beide haben wesentlich alle öffentlichen Gemeindezustände zum Gegen- stand der Selbstverwaltung gemacht, namentlich das Gesundheits- und Verkehrswesen; man konnte in diesem Sinne von Sanitäts- und Wege- oder Straßengemeinden reden. Dabei war es nun natürlich, daß sich die Organisation dieser Gemeinden zunächst an die Ortsgemeinde an- schloß. Allein die Organe derselben sind dennoch anders gestellt, wie im deutschen Gemeindewesen. Sie sind selbständige Verwaltungskörper für selbständige Aufgaben, und bilden daher kein Glied des Gemeinde- körpers, auch da nicht, wo sie mit ihm identisch sind. Ihr specifischer Name ist „Board“ oder „Commission“ und ihre administrative Selb- ständigkeit besteht darin, daß sie sich selbst ihre vollziehenden Organe als ihre Beamteten wählen und einsetzen, daher aber auch in ihren Funktionen unmittelbar unter dem Home Secretary, dem Minister des Innern, stehen. Grundlage aber der Selbstverwaltung bleibt dabei immer, daß die Verpflichtung zur verwaltenden Thätigkeit auf der Gemeinschaft der Grundbesitzer ruht, daß diese die Steuern, und fast ausschließlich nach der poor rate aufbringen, und daher den Board oder die Commissioners selbst wählen. Auf diese Weise bildet sich ein System der Verwaltungsgemeinden, welches wir in folgenden Grund- formen bezeichnen können. Die älteste Verwaltungsgemeinde ist die Kirchspielsgemeinde , die parish, deren Grundlage die Kirchspielsversammlung oder open vestry aus allen Steuerzahlenden für die Church rate, eingetheilt in sechs Classen, besteht, die sich eine Vertretung wählen und ihre voll- ziehenden Organe in den Church wardens, den Kirchenvorstehern, haben. Aus ihr hervorging die Armengemeinde , die in vielen Stellen mit dem Kirchspiel und zum Theil auch mit der Kirchspielsversammlung zusammenfällt, aber eine ganz selbständige Organisation hat. Aus diesen einzelnen Kirchspielsarmengemeinden sind dann die Kreisarmen- gemeinden , die Unions, mit ihren Organen, den Guardians und Overseers, entstanden; beide haben ihre eigene Verfassung und Ver- waltung, deren genauere Darstellung jedoch ohne das ganze Armenwesen nicht gegeben werden kann. Neben diesen bestehen nun die oben erwähnten Formationen, die man als die modernen Verwaltungsgemeinden bezeichnen kann, in den Boards und Commissions für alle inneren Angelegenheiten der Verwaltung, namentlich wie gesagt für Sanitäts- und Communi- cationswesen. Das ist das System der Verwaltungsgemeinden. Dieses System ist nun in eigenthümlicher Weise zusammengefaßt in dem Amte der Justice of the Peace, dem Haupte der Kreisgemeinde. Der ursprüngliche Gedanke des Friedensrichteramts ist kein anderer als Aufstellung eines Amtes für die Erhaltung des Friedens. Er ist daher ursprünglich einerseits das Organ der Sicherheitspolizei, anderer- seits aber ist er auch das Gericht über alle Unterlassungen im Gebiete der Aufgaben der Verwaltungsgemeinde. Er hat daher einen doppelten Charakter. Er geht einerseits aus den Elementen der Selbstverwaltung hervor, auf der andern Seite ist er ein Beamteter. Der Ausdruck und die Verbindung beider Elemente in der Person des Friedensrichters besteht nun darin, daß der Friedensrichter allerdings vom Könige er- nannt, aber aus der Classe der größeren Grundbesitzer, der gentry, genommen wird. Er ist mit seinem öffentlichen Recht ein Beamteter, und fungirt im Namen des Staats, aber mit seinem privaten Leben ist er ein Privatmann; er hat kein Gehalt und keinen Rang, und haftet als reiner Privatmann mit privater Verantwortlichkeit für alle seine Thätigkeiten und Unterlassungen. Er verwaltet daher nichts, als die Sicherheitspolizei, aber er richtet über alle Verwaltung der Organe der Verwaltungsgemeinden, indem er auf sie das geltende Recht an- wendet. Aber auch das thut er nicht als Einzelner, sondern bei Straf- justiz und Polizei tritt die Selbstverwaltung der Rechtspflege im Ge- schwornengericht auf. Gerade aber jenes, im Friedensrichterthum liegende Element der Selbstverwaltung hat demselben wieder eine Organisation gegeben, welche, wie alle Verwaltungsorganisation in England, nicht systematisch entstanden ist und daher auch nicht systematisch dargestellt werden kann, sondern sich an die Verhältnisse anschließt, und den Uebergang zur Landschaft bildet, welche in den Quarter Sessions auch als ein friedensrichterlicher Organismus erscheint. Diese Uebergänge vom einzelnen Friedensrichterthum zur County bestehen in den Petty und Special Sessions. Das sind Sitzungen von zwei oder mehreren Friedens- richtern innerhalb der County, für deren Competenz kein bestimmtes Princip angegeben werden kann. Die Special Sessions namentlich be- ziehen sich jedoch auf administrative Akte, nach Gneist ( II. §. 53) vor- waltend auf Ernennungen von amtlichem Personal. Sie enthalten Verwaltungsfunktionen, welche sich auf mehrere Verwaltungsgemein- den erstrecken, ohne daß man dabei die Aufgabe einer Landschaft zum Grunde legen könnte. So nun greifen in England die Verwaltungsgemeinde, der frie- densrichterliche Kreis als Bezirk, und die Landschaft in einander; und es wird jetzt wohl klar sein, daß für die Ortsgemeinde nicht viel Raum mehr da ist, weil alle Thätigkeiten der örtlichen Selbstver- waltung bereits in den obigen Organen erschöpft sind. Dennoch bestehen diese Ortsgemeinden fort, und die größte Schwierigkeit in der Dar- stellung des Organismus der Selbstverwaltung liegt eben deßhalb darin, für jene Ortsgemeinden noch ein eigenes Lebensgebiet aufzustellen. Und hier müssen wir für England nun einen Begriff herbeiziehen, und auf Grund desselben den Versuch machen, die so sehr schwierigen Verhält- nisse, um welche es sich gerade bei der englischen Ortsgemeinde handelt, auf möglichst einfache Form zurückzuführen. Es wird dabei von großem Nutzen sein, die continentalen Begriffe zur Vergleichung stets gegen- wärtig zu halten. Der erste Grundsatz für das englische Ortsgemeindewesen ist, daß es gar keine ländlichen Ortsgemeinden als Landgemeinden gibt, sondern nur Stadtgemeinden . Das nun beruht darauf, daß alle Funktionen der Gemeinde, wie bereits gesagt, in den Verwaltungs- gemeinden und der Kreisverwaltung aufgegangen sind. Als bloßer Selbstverwaltungskörper ist die Landgemeinde namentlich dadurch über- flüssig, daß Kirchen- und Armenangelegenheiten in der parish erledigt werden, während die Communicationsmittel und das Sanitätswesen wieder ihre Verwaltung haben. So weit daher eine Gemeinde nur durch den Titel der Selbstverwaltung motivirt erscheint, ist sie eben in England überhaupt nicht motivirt. Es kann daher gar keine Local- gemeinde geben; der Begriff und das Recht derselben fehlt in England gänzlich. Wenn es nun trotz dieser Sätze dennoch in England Stadt- gemeinden gibt, und zwar als die einzige Form der Ortsgemeinden, so sind wohl zwei Dinge klar. Erstlich wird diese Stadtgemeinde nur sehr untergeordnete Aufgaben haben, insofern sie eine andere Form der Selbstverwaltung bedeuten soll als die Verwaltungsgemeinde. Zwei- tens aber wird ihr Entstehungs- und Rechtstitel nicht mehr, wie bei der Selbstverwaltung der Verwaltungsgemeinde in England, auf dem organischen Wesen und Recht der Selbstverwaltung beruhen, denn aus diesem kann eben nur eine Verwaltungsgemeinde hervorgehen, sondern es muß ein specifisch anderer Rechtstitel vorhanden sein. Dieser wieder kann nur in dem historischen Rechte der städtischen Selbstverwaltungs- körper bestehen. Und dieß ist in der That der Fall. Die städtische Gemeinde in England ist nur ein historischer Körper der Selbstver- waltung; ihre geschichtliche Selbständigkeit beruht ganz einfach auf der Thatsache der Entstehung des städtischen Lebens, welches sogar in dem Rechte der boroughs auf die Wahl ins Unterhaus die Elemente eines dritten Standes zeigt. Allein dieser dritte Stand kommt nicht zur Entwicklung, weil das Princip des freien Staatsbürgerthums auf dem Lande eben so gut gilt, als in der Stadt. Dieß Princip, für ganz England geltend, hat zwar eine Reihe sehr ernsthafter Kämpfe zu be- stehen, aber es siegt endlich ganz allgemein. Aus ihm geht dann die Selbstverwaltung in den Verwaltungsgemeinden hervor, welche wir eben als das Wesen des englischen Selfgovernment bezeichnet haben. Ihm sind daher die Städte sowohl als das flache Land unterworfen. Demnach sind die ersteren historisch selbständige Körper der Selbstver- waltung. So entsteht dann die Frage, in welchem Verhältniß diese historische Selbstverwaltung der städtischen Körper zu dem organischen Princip und Recht der Verwaltungsgemeinden in England steht. Und die Bestimmung dieses Rechts bildet eben das, was wir die Verfassung der englischen Stadtgemeinde nennen. Diese Verfassung nun, deren Inhalt und Geschichte bei Gneist so vortrefflich dargestellt sind, beruht auf folgenden Punkten. Erstlich haben die Städte als Grundlage ihrer historischen Selb- ständigkeit ein eigenes Vermögen , und es versteht sich von selbst, daß sie für dieß ihr Vermögen und die Verwaltung desselben nothwendig einen eigenen Körper haben müssen. Auf Grundlage desselben bilden sie juristische Persönlichkeiten, oder wie diese in England genannt wer- den, Corporations, und die Anerkennung dieser ihrer Selbständigkeit und Selbstverwaltung ist der act of incorporation, das Stadtrecht in England, welches dann natürlich auch die Grundlagen der freien Verwaltung mit Wahl und Vertretung mit den Elementen von Burge- meister, Magistrat und Gemeinderath enthalten. Diese heißen Mayor, Aldermen und Common Council. Das Recht zur Theilnahme an Wahl und Wählbarkeit ist dabei natürlich in der Stadt principiell kein anderes als in Verwaltungsgemeinde und Kreis; nur der ansäßige Bürger, paying scot und bearing lot, besitzt beide. Es ist in diesem Punkte gar kein wesentlicher Unterschied zwischen der Stadtgemeinde Englands und der deutschen. Derselbe liegt vielmehr in dem zweiten Punkte. Zweitens nämlich muß nun die Frage entstehen, in welchem Verhältniß diese incorporated boroughs zu dem Systeme der Ver- waltungsgemeinde stehen. Und hier ist natürlich eine langdauernde, von vielen theils örtlichen, theils juristischen Momenten bestimmte Ver- schiedenheit dieser Stadtgemeinden vorhanden gewesen, bis nach viel- fachen Gesetzen und Kämpfen endlich die letzte Städteordnung von 1835 (An Act to provide for the regulation of Municipal in England and Wales, publ. 9. Sept. 1835) diesen Verhältnissen eine ziemlich bestimmte Gestalt gegeben hat. Wir können dieselbe auf zwei Hauptpunkte zu- rückführen. Zuerst haben alle Städte, welche unter diesen Akt fallen, ihr eigenes Vermögen zu verwalten; das ist die Grundlage des historischen Rechts, durch welche es eben noch Ortsgemeinden in England gibt. Zweitens haben dieselben nun einen Theil an der Funktion der Verwaltungsgemeinden, und hiefür gibt es ein doppeltes Verhältniß. Zunächst erscheinen sie als örtliche Vollziehungskörper für die Ver- waltungsgemeinde, gerade wie in Deutschland, indem sie für den ört- lichen Körper der Stadt theils das Sanitäts- und Verkehrswesen, Straßen, Beleuchtung, Reinigung, Häfen u. s. w., theils aber auch die örtliche Sicherheitspolizei und zwar meistens durch einen Polizei- ausschuß des Magistrats, der als Watch Committee funktionirt und die Gemeindewächter anstellt, verwalten. Dann aber erscheinen sie bei großen Städten als selbständige Verwaltungskreise , indem sie selbst als friedensrichterliche Kreise auftreten; das Friedensrichteramt erscheint bei ihnen aber als eine Commission of the peace, und gehört damit unter das städtische Be- amtenthum. Nach Gneist waren bis 1839 139 Städte solche Friedens- richterkreise. Jedoch sind diese städtischen Friedensgerichte nicht compe- tent für Strafjustiz; für diese bleibt nach wie vor die Landschaft mit den Quarter Sessions competent. Ebenso bilden sich in diesen Städten die andern Verwaltungsgemeinden als Local Boards und Commissions, namentlich für Sanitätsangelegenheiten; die Stadt ist für sie nur die örtliche Zuständigkeit, und selbst da, wo sie aus den städtischen Organen gebildet werden, machen sie keinen Theil der städtischen Verwaltung in unserem Sinne aus, sondern stehen unmittelbar unter dem Home Secre- tariat. Daneben aber haben dieselben für das bürgerliche Recht ein eigenes Stadtgericht, welches durch den Recorder , Stadtrichter, ver- waltet wird. Dieser Recorder aber, der die Civiljurisdiction des Friedensrichters für das Stadtgebiet besitzt, ist eben deßhalb gerade wie der erstere kein städtischer, sondern ein königlicher Beamteter, darf deßhalb auch weder Mitglied des Common Council sein noch die Stadt im Parlament vertreten; das Element der Selbstverwaltung erscheint aber wieder darin, daß er sein Gehalt nicht vom Staat, sondern von der Gemeinde bekommt. — Für alle diese Funktionen hat nun der Körper der Stadt das Recht, die bye laws , städtische Verordnungen mit Strafandrohung bis 30 Thaler oder einen Monat Gefängniß zu erlassen, und in der Commission of the peace gerade wie ein Friedens- richter durch ihren Polizeirichter entscheiden zu lassen; sie hat ihren städtischen Clerk of the peace, ihren städtischen Coroner und städtische Detentionshäuser, welche sie selbst verwalten. Die städtischen Watch Committees sind die städtische Ortspolizei, welche das Recht haben, In- struktionen für die Constablers mit bindender Kraft als „Regulations“ zu geben, die mithin als die polizeilichen bye laws (städtische Polizei- ordnungen) erscheinen. (Gneist I, S. 488. 528. 547.) Auf diese Weise bildet die Stadt allerdings eine Gemeinde im deutschen Sinne des Wortes. Allein im Grunde ist die städtische Gemeindeordnung Englands durch nur eine Modifikation der Ordnung der Verwaltungs- gemeinde ; diese bleibt mit ihren Grundlagen das herrschende Element in der englischen Selbstverwaltung; und das Gemeindewesen Englands zeigt daher seinen Charakter gegenüber dem deutschen wesentlich darin, daß er sich nicht an den Ort und seine Bedürfnisse, sondern an die Verwaltungsaufgabe und ihre Forderungen anschließt, daß es diese Aufgaben auch in der Städteverfassung unter bürgerlicher Haftbarkeit durchführt; daß es zu dem Ende sich selbst nach eigenem Steuerfuß besteuert, und das Recht auf seinen Antheil an der wirklichen Ver- waltung nicht wie auf dem Continent auf ein Gesetz zurückführt, welches ihm dieses Recht verfassungsmäßig verliehen, sondern vielmehr auf die Pflicht, nach bürgerlichen Grundsätzen zu haften , wenn die Verwal- tungsaufgaben nicht erfüllt sind. Es ist nicht schwer, den durchgreifen- den Unterschied sich zu vergegenwärtigen. Doch wird er erst unten bei der Darstellung der deutschen Verhältnisse recht anschaulich werden. Gewiß scheint jedoch schon hier der Satz, daß die natürliche Lösung des deutschen Streites über die Landgemeindeordnungen nicht in der Landgemeinde, sondern eben in der Herstellung von englischen Verwal- tungsgemeinden zu suchen ist, an welche sich dann die Stadtgemeinden leicht anschließen. Auf diesen Grundlagen nun beruht das System der örtlichen Selbstverwaltung Englands. Es ist in ihm das Geheimniß der Stärke, aber freilich auch das der Schwäche Englands enthalten, und beides läßt sich jetzt wohl ziemlich bestimmt formuliren. Englands Selbst- verwaltung ist durch und durch, und namentlich in der Wahl ihrer Organe von jedem Einfluß des Staats unabhängig und die ganze Controle ihrer Thätigkeit steht nur dem Gemeindekörper selbst zu. Es ist kein Zweifel, daß darin allerdings die Elemente der Herrschaft der Sonder- interessen über das Gesammtinteresse, der Ausbreitung der Indolenz, die gerade in örtlichen Lebensverhältnissen sich so leicht erzeugt, gegeben sind, ohne doch nur auf dem Continent in der sittlichen und amtlichen Funktion, in der Thätigkeit und Kraft der Staatsorgane ihr Gegen- gewicht zu finden. Aber hier ist auch der Punkt, wo sich das ganze Verwaltungsleben Englands von dem des Continents am bestimmtesten trennt. Englands Volk traut sich selber die Kraft zu , jene Ge- fahren der örtlichen Selbstverwaltung durch sich selbst, ohne die Hülfe des selbstthätigen Organes der Gesammtinteressen, der Staatsgewalt, zu überwinden; und es hat diese Kraft. Es ist in jedem Einzelnen weit genug in seiner bürgerlichen Bildung, um dieser Staatsgewalt und ihrer eigenthümlichen Funktion in seiner Selbstverwaltung entbehren zu können. Ohne das Volk Englands wäre die letztere ein Verderben für den Staat; aber darum ist sie in Organismus und Recht zuletzt auch nur durch die Natur dieses Volkes begreiflich, wie sie durch eben diese erst ihren Segen entfaltet. b) Frankreichs Municipalwesen. Obwohl der gegenwärtige Organismus der örtlichen Selbstverwal- tung in Frankreich, sein Recht und seine äußere Gestalt wie der ganze Staat durch die plötzlichen und durchgreifenden Bewegungen der Revo- lution empfangen hat, so muß man sich doch wohl hüten, zu glauben, daß auf irgend einem Punkte die neue Ordnung der Dinge ohne inneren und organischen Zusammenhang mit der früheren Entwicklung gestanden wären. In aller tiefen Verschiedenheit lebt doch der gemeinsame Kern der Indivi- dualität Frankreichs. Es kommt darauf an, sie auch hier wiederzufinden. Vor der Revolution war der Zustand des Gemeindewesens in Frankreich dem des deutschen Reichs sehr ähnlich. Auf der einen Seite war die alte Dorfschaft fast allenthalben in der Herrschaft untergegangen, und der Herr war Inhaber der gesammten örtlichen Verwaltung, die daher zwar gegenüber dem Staate als Selbstverwaltung erschien, aber gegenüber den Angehörigen der Herrschaft, den frühern Bauern und den alten Leibeigenen in der That eine örtliche Despotie in Abgaben, Rechtspflege und Polizei war. Auf der andern Seite hatte das gewerb- liche Leben die Stadtgemeinde gegründet, und durch dieselbe den dritten Stand. Hier gab es principiell eine Selbstverwaltung, aber in der Wirklichkeit war sie eben so wie in Deutschland bereits in die Hände der Zünfte, Innungen und anderer Vorrechte gefallen. Die Landschaft war im Parlament des einzelnen Landes vertreten. Dieser Gestaltung der Dinge stand nun, wie wir bereits oben gesehen, die mächtige könig- liche Verwaltung gegenüber als eine für sich abgeschlossene Welt, mit eigenen Principien, eigener Gesetzgebung und eigenem Gericht. Sie war schon damals das eigentliche Frankreich. Jetzt kam die Revolution. Sie brachte ihrerseits allerdings die staatsbürgerliche Gesellschaft zur Herrschaft; aber gerade die Gewalt, mit der sie das vollbrachte, zwang sie, die Verwaltung nicht etwa machtlos zu machen, sondern ihr noch mehr Macht zu geben als sie je gehabt. Allerdings unterwarf sie diese Verwaltung als Ganzes der Volksvertretung, fordernd, daß sie nichts sein solle, als der Ausdruck des Willens der letztern; aber im Einzelnen mußte sie diese Verwaltung um so freier gewähren lassen, je rücksichtsloser sie das Princip der administrativen Verantwortlichkeit gegen dieselbe durchführte. Bei der furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die neuen Ideen nicht bloß etwa die Staatsverfassung, sondern auch die Besitzverhältnisse angriffen und umgestalteten, so weit eben die letzten die Grundlagen der ständischen Unterschiede und Rechte bildeten, konnte man die Selbstverwaltung geradezu unmöglich auf die freie Zustimmung der Besitzenden begründen. Man hätte, wenn man den letztern eine Selbstbestimmung oder gar ein eigenes, unter eigener örtlicher Wahl stehendes Organ und diesem Organ eine gesetzlich begründete vollziehende Gewalt verliehen oder be- lassen hätte, die Gefahr laufen müssen, daß die Hälfte Frankreichs dem Willen der gesetzgebenden Versammlungen nicht gehorcht, und in dieser örtlichen Selbstverwaltung namentlich auf dem flachen Lande das stän- dische Element wieder zur vollen Geltung gebracht hätte. Die neue Ordnung der Dinge war daher nur um Einen Preis durchzusetzen; man mußte das alte Recht der königlichen Verwaltung in der revolu- tionären Staatsordnung grundsätzlich nicht bloß durchführen, sondern man mußte es zum Princip der Verwaltung machen. Man mußte die neuen Verwaltungen, um sie vor dem Einfluß der ständischen Unter- schiede sicher zu stellen, überhaupt der Bevölkerung so weit thunlich entziehen. Die Revolution herrschte im Gebiete des Geistes durch ihre Ideen; im Gebiete des wirklichen Lebens konnte sie nur durch die Macht der örtlichen Verwaltung durchgeführt werden. Und so geschah es, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft eben weil sie durch die Vernichtung des Rechts der ständischen Gesellschaft zur Herrschaft gelangte, diese Herr- schaft auch nur durch Aufgeben ihres eigenen Rechts an die staatlichen Verwaltungsorgane erhalten konnte; denn jede Herrschaft erhält sich nur durch die Mittel, welche sie selbst erzeugt haben. Auf diese Weise ist der tiefe, das ganze französische Staatsleben durchziehende Widerspruch entstanden, der es in so bestimmter Weise neben England und Deutschland charakterisirt. Es ist das Land, in welchem die staatsbürgerliche Gesellschaft herrscht, ohne eine ihr ent- sprechende Selbstverwaltung zu besitzen , ja in welchem die Negation der letzteren als eine Bedingung der Herrschaft der ersteren erscheint. Die französische Revolution hat den socialen Inhalt der ört- lichen Selbstverwaltung total geändert, aber die Beziehung derselben zur Regierung bestehen lassen. Wir dürfen hier auf das verweisen, was wir bereits oben als den Geist der französischen Selbstverwaltung bezeichnet haben, die Scheidung der Action, welche dem Beamtenthum gehört, von der Deliberation, welche den Inhalt der französischen Selbst- verwaltung bildet. Sie ist dadurch nicht das Rechtsleben einer orga- nischen Entwicklung, sondern der formelle Ausdruck eines abstrakten Princips geworden. Sie ist ein Mechanismus, statt ein Organismus zu sein. Sie ist unfähig, die Besonderheiten des wirklichen Lebens zur Einheit zu gestalten, ohne sie zu zerstören. Ihre örtliche Selbstverwal- tung besteht nicht aus Rechtskörpern, sondern aus Staatsanstalten. Eben deßhalb ist dieselbe zwar durchsichtig und klar genug, aber sie ist kein lebenvolles Ganze. Jede Selbständigkeit des Theiles ist der Einheit zum Opfer gebracht; jeder Theil ist ein mechanisches Glied, und die Darstellung dieser eigenthümlichen Verbindung vom freien Staats- bürgerthum und herrschender Staatsgewalt ist daher, so wie man leitende Prinzipien einmal erkannt hat, sehr leicht auf ihre allgemein gültigen Formeln auch in der örtlichen Selbstverwaltung zurückzuführen. Diese Principien sind nun folgende. Die völlige Herrschaft der staatsbürgerlichen Gleichheit macht den Gedanken eines historischen, dem Willen der Gesetzgebung gegenüber selbständigen Rechts, und damit einen auf diesem Recht gebauten Unterschied von Stadt und Land unmöglich. Aus derselben Quelle stammt der Grundsatz, daß Grund- besitz und gewerblicher Besitz durchaus gleichartig seien, und mithin die Theilbarkeit des erstern jeden Unterschied zwischen beiden, so fern der- selbe noch den Elementen der ständischen Welt Vorschub leisten konnte, vernichten müsse. Stadt und Land bedeuten daher weder historisch noch social verschiedene Verwaltungskörper; sie verschwinden beide in dem gemeinsamen Begriff eines Verwaltungsgebietes . Sind sie nun auf diese Weise wesentlich administrative Eintheilungen, so ist auch ihr System ein höchst einfaches. Dasselbe entsteht aus einer administrativen Auftheilung der Departements, in denen man schon selbst kaum die Spuren der Landschaft wiederfindet, in ein System von in einander geschachtelten Gebieten, welche die Grundbegriffe der örtlichen Verwaltung überhaupt, den Kreis und die Gemeinde nur in rein administrativen Formen wiedergeben. Der Kreis ist in Frankreich das Arrondissement; die Ortsgemeinde ist die Commune. Die Verwaltungs- gemeinde mit den Aufgaben der Administration durch selbstgewählte Körper zu vollziehen und so die örtliche Selbstverwaltung in die Hände der Bürger zu legen, ist durch die Geschichte Frankreichs für die innere Verwaltung unmöglich; sie existirt in kaum erkennbarer Form nur noch für das Steuerwesen als Conseil général und d’Arrondissement, wäh- rend der Canton mit seinem juge de paix nur eine Andeutung derselben für die Rechtspflege enthalten, weßhalb die Franzosen über Werth und Bedeutung des Cantons sich auch durchaus nicht recht klar sind, und der damit so ganz in den Hintergrund tritt, daß man seiner nur bei- läufig zu erwähnen pflegt. Diesem äußeren Systeme entspricht nun das innere, das Verhältniß dieser Selbstverwaltungskörper zur Staatsverwaltung. Dieß innere System hatte dem Obigen gemäß die Aufgabe, beide Elemente zu vereinigen, und in diesen Körpern einerseits die Verwaltung des Staats, andererseits die freie Berechtigung des Staatsbürgerthums zur Geltung zu bringen. Die französische Staatsbildung löste diese Aufgabe auf einem sehr einfachen Wege, den wir schon bezeichnet haben, und der das gesammte Verfassungsrecht jener Körper ausdrückt. Sie vertrat die Macht der Staatsverwaltung dadurch, daß dieß vollziehende Organ dieser Körper unter keiner Bedingung von der Staatsbürgerschaft ge- wählt werden kann, sondern von dem Haupte der vollziehenden Gewalt, dem Kaiser, eingesetzt werden muß. Zweitens vertrat sie dieselbe dadurch, daß diese so eingesetzten Spitzen der örtlichen Verwaltungskörper unter einander im dienstlich-hierarchischen Verhältniß stehen, der Maire unter dem Sous-Préfet, der Sous-Préfet unter dem Préfet, dieser unter dem Minister. Dadurch ist aber keineswegs ein bloß hierarchisches und for- melles Verhältniß gesetzt, wie das zum Theil in den deutschen Gemeinden der Fall ist. Dadurch nämlich, daß Maire und Sous-Préfet unter dem Préfet stehen und dadurch in Wahrheit Beamtete sind, sind sie auch jeder andern als der amtlichen Verantwortlichkeit entzogen . Sie sind nicht eigentliche Mitglieder der Gemeinde- und Kreisräthe, sondern sie sind das amtliche Haupt derselben. Sie sind daher nicht den Räthen verantwortlich dafür, daß sie ihre Beschlüsse überhaupt, oder daß sie sie richtig vollziehen, sondern ihre Verantwortlichkeit besteht nur gegenüber der höhern Behörde . Sie sind daher nicht etwa rechtlich verpflichtet, diese Beschlüsse wirklich auszuführen, sondern sie sind als Beamtete im Gegentheil verpflichtet, sie nicht auszuführen, wenn sie fürchten, daß dieselben mit ihren amtlichen Pflichten collidiren. Sie stehen deßhalb unter dem droit administratif und in letzter Instanz unter dem Conseil d’État, nicht aber unter dem droit communal. Zwischen der exekutiven Spitze und dem beschließenden und berathenden Körper der Selbstverwaltung liegt daher dieselbe Kluft, derselbe Unter- schied, dieselbe Entfremdung, wie zwischen Staat und Individuum über- haupt. Von einer Privatklage und bürgerlichen Verantwortlichkeit der- selben ist natürlich keine Rede; sie gehören einer staatlich ganz anderen Welt, als die Räthe, deren Häupter sie sind. Das ist das erste Ele- ment der örtlichen Selbstverwaltung in Frankreich. Das zweite Element derselben, das an sich freie Staatsbürgerthum, tritt nun dem entsprechend nur in der Weise auf, die wir schon oben bezeichnet haben. Es organisirt sich nur in Rathskörpern , den Conseils des französischen Systems. Die Funktionen dieses Systems von Conseils sind gleichfalls schon angegeben. Die Conseils haben das Recht zu beschließen ( décider ), zu berathen (délibérer) und zu begutachten (donner avis). Der Unterschied zwischen dem Arrondissement und der Commune besteht nur darin, daß die Objekte dieser Rechte etwas ver- schieden sind; und die Bestimmung dieser Objekte bildet dann eigentlich die Verfassung der örtlichen Selbstverwaltung. 1) Im Arrondissement zunächst steht der Sous-Préfet an der Spitze. „Il relève immédiatement du préfet, et ne peut se mettre en rapport avec l’autorité centrale que lorsqu’il y est provoqué exceptionnelle- ment par cette autorité.“ Er ist daher gar nichts als ein Beamteter. Aber er hat an seiner Seite den Conseil d’Arrondissement und das Verhältniß beider ist im Wesentlichen Folgendes. Zuerst steht der Sous-Préfet an der Spitze aller Maires als der Ortsbehörden. Mit ihnen hat er die ordentliche Verwaltung des Rekru- tirungswesens, die letzte Entscheidung in örtlichen direkten Steuersachen, sein Gutachten in indirekten Steuerfragen; er hat die Oberaufsicht über alle Communalkassen, über die Geldverwaltung der Maires, sein Gut- achten über alle, zur höhern Entscheidung vorbereiteten Communalfragen. Im Innern des Arrondissement ist er Oberpolizeirichter, im Wesent- lichen wie der Justice of the Peace in England. Er hat daher die amtliche Gewalt, wo er es für gut findet, ein arrêté zu erlassen, gegen welches aber keine Privatklage, sondern nur die Beschwerde an den Préfet erhoben werden kann. Endlich ist er Oberinspektor aller öffent- lichen Anstalten seines Arrondissement, des Wegewesens, der Irren- häuser, und Mitglied der nicht katholischen Kirchengemeinden, denen er beizuwohnen hat. Das Conseil d’Arrondissement, der Kreisrath, steht neben dem Sous-Préfet. Es ist der Form nach allerdings ein selbständiger Körper. Es soll nach dem Gesetz vom 28. Pluviose an VIII (17. Febr. 1800) aus elf Mitgliedern bestehen, deren wesentliche Aufgabe es war, die Steuerangelegenheiten des Kreises zu ordnen. Jenes Gesetz trug große Sorge, daß dieser Rath nicht etwa zu einem wirklichen Selbstverwal- tungskörper werden möge. Zuerst gab es der Regierung die Ernennung der elf Räthe, dann sollte der Rath nur einmal jährlich zusammen- treten, und seine Sitzung nur 15 Tage dauern. So weit er nicht mit den Steuern des Staats zu thun hatte, sollte er nur „exprimer son opinion sur l’état et les besoins de l’arrondissement, et l’adresser au Préfet.“ Eine eigene Kreissteuer durch centimes additionnels besaß jedoch das Arrondissement nicht, die fiel unter das Departement. Das ganze Institut schien daher in der That ziemlich überflüssig. Allerdings gaben die Gesetze vom 22. Juni 1833 und 10. Mai 1838 dem Arron- dissement das Recht, die Conseillers selbst zu wählen, aber ihre Funk- tionen wurden nicht erweitert, so daß man im Jahre 1848 sie lieber ganz aufhob und den alten Canton an ihre Stelle setzte. Allein im Grunde blieb das eine so rein formelle Aenderung, daß diese Bestim- mung nie zur Ausführung kam. Das Gesetz vom 7. Juli 1852 hat sie definitiv rehabilitirt, aber freilich ihren Charakter nicht geändert. Der Rath wird demnach aus den Cantons als Wahlkörper gewählt, jedesmal auf 6 Jahre. Seine Funktion ist eine doppelte. Er ent- scheidet , aber nur über die Repartition der direkten Steuern unter den Communen; dabei hat er selbst die Vorschriften des Conseil général zu befolgen. Er beräth über die Reclamationen, die aus dieser Repartition entstehen können. Er gibt sein Gutachten über gewisse Punkte des Wegewesens, Häfen, Brücken, Märkte ꝛc., und kann endlich an den Préfet durch seinen Präsidenten seine Ansichten über die Bedürfnisse des Kreises richten. — Das ist seine Stellung; er ist daher im Grunde nur Verwaltungsgemeinde für die direkten Staatssteuern, und zugleich für das ganze Steuerwesen ein Steuerrath, aber als solche ist er allerdings von großem praktischem Nutzen, da er vorzüglich die Uebel des stabilen Katasters ausgleicht. Eine eigentliche Selbstverwaltung findet natürlich nicht statt. 2) Der Canton war seiner ursprünglichen Idee nach wohl die eigent- liche Kreisgemeinde. Allein die Nothwendigkeit einer allgewaltigen Ver- waltung ließ ihn dem Amtsorganismus in Sous-Préfet und Maire gegen- über zu mächtig erscheinen, denn in der That war und ist der Canton das einzige Organ im ganzen Organismus Frankreichs, das keine Be- amteten an seiner Spitze hat. Seine Funktionen werden daher fast auf nichts reducirt; er ist nur noch eine Einheit von Gemeinden, die keinen andern Zweck hat, als die Wahlen für den Conseil général und den Stein , die Verwaltungslehre. I. 31 Conseil d’Arrondissement vorzunehmen. Nur einmal in der ganzen Geschichte Frankreichs sehen wir einen Versuch, durch Entwicklung des Canton der Selbstverwaltung einen selbständigen Körper zu geben; es ist das die Constitution von 1848, welche einen Conseil de Canton an die Stelle des im Grunde ganz amtlichen und höchst beschränkten Conseil d’Arrondissement setzen wollte, was aber niemals praktisch ward. Der Gedanke, ein von der Administration unabhängiges Organ aufstellen zu wollen, ist eben mit der ganzen französischen Entwicklung zu sehr im Widerspruch, als daß er Erfolg haben könnte. Die Idee der Ver- waltungsgemeinde in Frankreich erhielt sich nur noch in dem französischen Juge de paix, den bereits das Gesetz vom 24. August 1790 einsetzte, und dessen Competenz der Canton ist. Ursprünglich ward derselbe ge- wählt; aber schon Napoleon setzte die Ernennung an die Stelle der Wahl durch Senatusconsult vom 16. Thermidor an X, und seit 1814 hat die Regierung jede Beschränkung in dieser Ernennung beseitigt. Wir fügen über die Competenz der französischen Friedensrichter hier nichts hinzu, da wir als bekannt voraussetzen, daß derselbe kaum eine Aehnlichkeit mit dem englischen hat, und im Grunde nichts anderes ist, als ein ursprünglich der Wahl und damit der Selbstverwaltung, und dann der Ernennung und damit dem Amtsorganismus angehöriges schiedsrichterliches Organ, dessen Wesen und Werth rein in die Politik der Rechtspflege fällt. Jedenfalls ist er der entscheidende Beweis, daß in Frankreich keine Selbstverwaltung möglich ist. Wird sie dort je möglich werden? Die Organisation der Ortsgemeinde gibt darauf die entscheidende Antwort. 3) Die Commune und der Maire. Offenbar sind die bisherigen Formen der örtlichen Selbstverwaltung in Frankreich nicht der Art, daß sie dem Bedürfniß nach freier Theil- nahme der Völker an der Vollziehung, das der Theilnahme an der Bildung der Gesetze entsprochen hätte, genügen konnten. Das einzige Gebiet, in welchem die große Frage noch einmal aufgeworfen werden konnte, war das der Ortsgemeinde, der Commune. In der That hat daher auch die Verfassung der Commune in Frankreich ihre eigene Geschichte. Der Verfasser hat versucht sie in ihren Grundzügen darzustellen und sie mit der Entwicklung der Gesellschafts- ordnung in Verbindung zu bringen. (Die Municipalverfassung Frank- reichs. 1842. Französisch: De la Constitution de la Commune en France par L. Stein. Traduit de l’allemand par M. S. E. V. le Grand. 1859.) Diese Geschichte beginnt natürlich mit dem Entstehen der com- munalen Bewegung, welche der Verfasser bereits in seiner französischen Rechtsgeschichte (Theil 3) zum Theil dargelegt hat. Die Geschichte des französischen Gemeindewesens hat übrigens eine große und zum Theil ausgezeichnete Literatur, die ihren Gegenstand weit geistreicher und ein- heitlicher behandelt als die Deutschen den ihrigen. Es ist nicht unsere Sache, an diesem Orte darauf einzugehen. Hier möge es mit Hin- weisung auf diese Schrift verstattet sein, den Gang der Dinge so kurz als möglich zu charakterisiren, um den gegenwärtigen Zustand, wie ihn namentlich der Artikel: Organisation Communale im Dict. de l’administ. von Block sehr detaillirt aufführt, ohne sich weiter auf den historischen Bildungsproceß einzulassen, in seinem inneren Zusammenhange mit dem Obigen aufzufassen. Es war bei den Bewegungen der französischen Revolution auf den ersten Blick klar, daß gerade in der Verfassung der Ortsgemeinde der Gegensatz der Principien, welche Frankreich bewegten, am deutlichsten heraustreten mußte. Daher dann die leicht verständliche Erscheinung, daß jeder große Abschnitt in jener Bewegung auch sein eigenes Muni- cipalrecht erzeugte, während die übrigen Organe sich im Wesentlichen gleich blieben. Die erste Form war das Municipalrecht von 1789. Es ist die Gemeindeverfassung des noch jungfräulichen Gedankens der Freiheit, und daher die freieste Gemeindeordnung der ganzen französischen Geschichte. Noch hat das Volk Vertrauen zu seiner Freiheit und zur Kraft derselben, sich durch sich selbst erhalten zu können. Die Gemeinde wählt ihren gesammten Vorstand ; dieser besteht aus dem Maire, dem Bureau und dem Conseil (Bürgermeister, Magistrat und Gemeinde- rath). Allerdings behält sich die Staatsverwaltung die Polizei vor, jedoch, da der Maire sie ausübt, ist sie in der That faktisch eine Ge- meindepolizei. Die Auflösung der centralen Gewalt, die den ersten Bewegungen der Revolution folgte, hatte ihrerseits natürlich zur Folge, daß die ganze Verwaltung der Ortsgemeinde eine thatsächlich ganz unabhängige ward. Und hier war es nun, wo allerdings die Gefahr für die Herrschaft der revolutionären Principien eine große ward. Die Selbständigkeit der Commune bedrohte die Freiheit der Gesetzgebung. Das Weiterschreiten der Revolution erzeugte daher, was unter diesen Umständen nicht ausbleiben konnte. Die Schreckensregierung erschien auch in der Communalverfassung als Despotie der Freiheit. Statt der municipalen Organe der Verfassung traten die Commissaires der Re- gierung auf, und in den blutigen Stürmen von 1793 und 1794 ging das gesetzliche Maß unter der Gewaltherrschaft der Pariser Principien zu Grunde, bis endlich unter dem Direktorium die Mittelklasse unter dem Wahlspruch des Bedürfnisses nach „Ordnung“ wieder ihre Herrschaft gewinnt. Daraus nun geht das Gemeinderecht von 1795 hervor. Dieß Gemeinderecht ist im Grunde nur die Organisirung der Gemeinde- unfreiheit, die gesetzliche Unterwerfung unter die Ortsbehörde, die an die Stelle der ungesetzlichen tritt, welche bisher geherrscht hatte. Mehr wollte die kaum zur Besinnung kommende Bourgeoisie vor der Hand nicht. Die neue Gemeindeordnung stellt daher zwei Principien auf, von denen das erste beibehalten wird, während nur im zweiten noch eine weitere Entwicklung stattfindet. Zuerst ist der Maire , bisher der bürgerliche Vorstand der Gemeinde, von jetzt an ein von der Regierung ernannter Beamteter , und das ist er geblieben. Er ist der Inhaber und Träger des Elementes der Action, wie wir es früher schon bezeichnet haben. „Il est chargé seul de l’administration active, et par conséquent il nomme à tous les emplois communales, lorsqu’il n’y a pas une loi spéciale sur une autre mode de nomination; il révoque les titulaires.“ ( Laferrière Droit administr. L. II. T. II. Ch. III.) — Er hat daher keine Verantwortlichkeit gegenüber der Gemeinde, so wenig als irgend ein anderer Beamteter. Er fällt nicht unter das Gemeinderecht, sondern unter die justice administrative. Dann aber wird ihm ein Gemeinderath an die Seite gestellt, der die örtlichen Angelegenheiten zu verwalten hat. Aber dieser Körper, den man schon damals die Municipalité nennt, wird durch einen eigenen Commissaire du Gouvernement bewacht; das Gouvernement behält sich das Recht der Genehmigung und des Ver- botes jedes Akts der Municipalité vor; es sind schon hier die Grund- lagen der ganzen Municipalverfassung aufs Deutlichste sichtbar, die dann unter Napoleon ihre definitive Gestalt erhalten. Das napoleoni- sche Gemeindegesetz ist vom Februar 1800. Der Grundzug dieses Ge- setzes ist die, nunmehr ganz klar durchgeführte Scheidung der beiden Elemente, der staatlichen und der bürgerlichen. Der Maire ist jetzt eine Ortsbehörde im vollen Sinne des Wortes und das persönlich der Re- gierung verantwortliche Haupt der Verwaltung; neben ihm steht der Gemeinderath, der Conseil municipal, der von jetzt an die Form der Theilnahme des Bürgerthums an der Gemeindeverwaltung bildet. Das Charakteristische ist, daß damit definitiv in der französischen Municipalverfassung dasjenige verschwindet, was wir den Magistrat nennen . An seine Stelle treten die Adjoints du Maire. Das bedeutet, daß das Gemeindebürgerthum definitiv von der Theil- nahme an der vollziehenden Gewalt auch innerhalb der Commune aus- geschlossen ist; die Adjoints werden von der Regierung ernannt wie der Maire; es gibt von da an in Frankreich kein Gemeindeamt mehr, sondern nur noch Gemeinderäthe neben der staatlichen Orts- behörde; ja die letztere empfängt sogar eine amtliche Uniform; selbst in der äußeren Form ist die Scheidung entschieden, und von jetzt an hat nur noch der Gemeinderath eine Geschichte. Diese nun ist einfach, aber in ihr sehen wir auch für Frankreich den Satz bestätigt, daß die Ge- schichte der Gemeinde stets das Gegenbild der Verfassungsgeschichte des Staats bildet. Napoleon, vor allen Dingen jeder Selbständigkeit abhold, ließ der Gemeinde auch nicht einmal das Recht, jenen machtlosen Gemeinderath zu wählen. In den Städten über 5000 Einwohner ernannte sie der Kaiser, in den kleineren der Préfet. Allerdings ward darin eine leichte Modifikation im Jahre 1802 vorgenommen. Allein im Wesentlichen blieb die Sache dieselbe. Die Gemeinde war damit nichts als ein amt- licher Körper mit dem Conseil municipal als Vertretung; die Selbst- verwaltung war ganz aus Frankreich verschwunden . Die Restauration fühlte sich ihrerseits nicht berufen, dieß Verhältniß zu ändern. Sie behielt einfach die napoleonische Gemeindeverfassung bei; ja sie versuchte sogar, die ständischen Elemente in dieselbe der Form nach zurückzuführen. Freilich blieb das ohne Erfolg; aber ohne Erfolg blieben auch die Bestrebungen, wenigstens den Gemeinderath und seine Wahl der Bürgerschaft zurückzugeben. Am 9. März 1828 antwortete die Kammer auf die Thronrede vom 15. Februar: Pour asseoir sur la véritable base l’édifice de vos libertés, Votre coeur paternel, Sire, nous rendra ces institutions municipales, monuments de nos anciennes franchises qui rappelle à la mémoire de Vos peuples ce qu’ils doivent à Vos ancêtres.“ Es blieb umsonst. Da kam die Revolution des Jahres 1830. Es war die Revolution der mittleren Classe gegen die andrängende Herrschaft der ständischen Welt. Sie siegte; in ihrem Gefolge mußte der Gedanke aufs Neue lebendig werden, daß die Theilnahme des Bürgerthums am Staatsleben ohne eine Theilnahme an der Gemeindeverwaltung keine vollständige sei. Das Julikönigthum mußte nachgeben. Es mußte sich bequemen eine neue Gemeindeordnung zu erlassen. Aber wenn es das Haupt der bürgerlichen Mittelclasse war, so war es nicht weniger das Haupt der specifischen französischen Verwaltung. Es fand daher die Gränze der Freiheit, welche es der erstern in der Gemeinde gab, in den Forderungen, die es der zweiten zugestehen mußte. Und durch das Zusammenwirken beider entstand nun die Grundlage der heutigen Municipalverfassung Frankreichs, die aus den drei Punkten besteht, welche als Resultat der gesammten bisherigen Entwicklung betrachtet werden kann. Erstlich bleibt der Maire Be- amteter; zweitens gibt es auch jetzt noch keinen Magistrat, keine Gemeindebeamteten, sondern die Stelle derselben wird vertreten durch die amtlichen Adjoints; drittens aber wird der Conseil municipal von der Gemeinde gewählt. Das sind die Grundsätze, welche zuerst das Gesetz vom 21. März 1831, dann das Gesetz vom 18—22. Juli 1837 durchführen. Die Basis der Wahl ist hier wie im Staate der Census, das charakteristische Merkmal der Herrschaft der Bourgeoisie. Das erste Gesetz von 1831 kann man als die Grundlage der Gemeinde- verfassung, das zweite von 1837 als die Grundlage der Gemeinde- verwaltung bezeichnen. Diese Grundzüge sind bis auf den heutigen Tag geblieben. Mit ihm ist das Wesen der örtlichen Selbstverwaltung gegeben, und es ist nicht schwer, das Einzelne in diesem Rahmen anzu- ordnen. Wir wollen versuchen die beiden Hauptseiten des Gemeinde- lebens, das Verhältniß derselben zur Regierung und das Verhältniß zur wirklichen Verwaltung demgemäß kurz hervorzuheben. Was das erstere betrifft, so ist es ein doppeltes, das Verhältniß des Maire und das des Conseil municipal, welche zusammen das Corps municipal bilden. Der vom Kaiser bei größeren und vom Préfet bei kleineren Communen ernannte Maire ist zuerst das Haupt der Commune; il représente la communauté dans tous les actes qui la concernent, il gérit les biens, il gérante ses intérêts, il pourvoit à sa police locale — außerdem aber ist er Beamteter im Staatsorganismus: il est agent du Gouvernement, officier de l’état civil, officier de police judiciaire (Cod. d’Inst. civ. art. 9, 11—15, 50), juge de police (Cod. d’Inst. civ. art. 166—171) und juge administratif. Seine Entschei- dungen sind daher arrêtés; er , und nicht die Gemeinde besitzt das Recht, Polizeiverordnungen zu erlassen, das ihm das Gesetz vom 18. Juli 1837 verliehen hat. Gegen diese arrêtés gibt es nicht wie in England Klagen, sondern nur Beschwerden beim Préfet, in zweiter Instanz beim Minister, in gewissen Fällen sogar beim Conseil d’État. Der amtliche Charakter des Maire ist daher ein ganz unzweifelhafter, und durch ihn ist daher auch die ganze vollziehende Gewalt der Gemeinde, die Ver- ordnungs-, Organisations- und Polizeigewalt, in den Händen des Amts. Die Adjoints des Maire sind amtliche Magistratsräthe, deren spezielle Beziehungen durch das Gesetz vom 5. Mai 1855 genau festgestellt sind. Auf dieser Basis ist der Gemeinderath und seine Funktion leicht zu ver- stehen. Der Conseil municipal entscheidet über die Verwaltung des Eigenthums der Commune; er beräth einerseits das Gemeindebudget, namentlich auch die Zuschläge, welche endgültig erst vom Préfet ent- schieden werden, und zweitens namentlich die Communicationsangelegen- heiten innerhalb der Gemeindegränze; er begutachtet endlich die Verwaltung der öffentlichen Gemeindeanstalten, und zwar ihre wirth- schaftliche wie ihre eigentliche Verwaltung. In diesen Grundsätzen des Gesetzes von 1837 ist nichts geändert worden. Seine Sitzungen sind nicht öffentlich , und der Maire hat das Recht, jede Verhandlung, die nicht genau in seine Competenz fällt, für nichtig zu erklären. Das Gesetz vom 8. Mai 1855 hat hier sehr scharfe Controle ausgeübt. Nur Paris und Lyon sind etwas freier. Das ist das, was man in Frank- reich Gemeindeverfassung nennt, und weßhalb die französische Sprache das Wort Selbstverwaltung nicht einmal übersetzen kann. Und daraus ergibt sich dann auch das zweite Verhältniß. Damit nicht etwa außer- halb der Gemeinde eine Selbstverwaltung durch Verwaltungsgemeinden entstehe, sind alle örtlichen Verwaltungsgebiete nicht wie in England selbständig, sondern Theil der Gemeinde . Die Ortsgemeinde ist die Einheit der Aufgaben der Verwaltungsgemeinde. Dahin gehört namentlich die kirchliche Verwaltung mit den Kirchen und Kirchhöfen, die Schule , die freilich eigentlich nur unter dem Maire steht, die Com- municationsmittel , so weit sie innerhalb der Commune liegen. Das Armenwesen dagegen ist unter den Bureaux de bienfaisance wieder eine Staatsanstalt, deren leitende Organe vom Préfet ernannt werden, gerade wie die Krankenhäuser; die Ordnung derselben ist durch die Gesetze vom 31. Oktober 1821 und 8. Februar 1823 festgestellt. Die ganze Summe der Rechte der Selbstverwaltung ist somit auf ihrem eigensten Gebiete der eigenen Thätigkeit des Staatsbürgerthums genommen und von der ersteren ist auch der örtlichen Selbstverwaltung nichts übrig geblieben, das an sie erinnerte, als das Recht des Beschlusses über die Verwaltung des Privateigenthums der Gemeinde, welcher selbst noch wieder unter der unbeschränkten Genehmigung der amtlichen Stelle steht! c) Deutschlands Gemeindewesen. Vielleicht bei keinem Theile der ganzen Staatslehre entbehren wir in der deutschen Wissenschaft so sehr den freien, über die örtlichen Gränzen und die innern Besonderheiten des eigentlich deutschen Rechts hinausgehenden Blick, als in dem Gebiete, welches wir das deutsche Gemeindewesen nennen. Bei aller Sorgfalt, mit welcher auch einzelne Theile dieses Gebietes behandelt sind, und bei allem Eifer für eine freie Entwicklung desselben müssen wir daher gestehen, daß die Lehre vom Gemeinderecht in der deutschen Staatsrechtslehre der unvollkommenste und unklarste Theil der letzteren, ja fast ganz ohne freien innern Zu- sammenhang mit dem Leben des Volks aufgefaßt ist, weßhalb denn auch nirgends ein auch nur annähernd richtiges Bild desselben gegeben ist. Die ganze Gemeindelehre der deutschen Theorie ist in der That nichts als die Darstellung des städtischen Gemeinderechts, und zwar auch nur, so weit die verschiedenen Stadtrechte unter einander und mit dem Landgemeinderecht übereinstimmen. Die einzelnen örtlichen Ver- fassungs- und Verwaltungsordnungen der Gemeinden sind zwar trefflich genug dargestellt; allein eine Reihe von Gründen, die sich aus dem Folgenden ergeben werden, haben uns nicht zum Bewußtsein des deut- schen gegenwärtig gültigen Rechts der Selbstverwaltung gelangen lassen. Und dennoch ist dasselbe nicht bloß viel reicher wie das französische und selbst das englische, sondern in vieler Beziehung auch weiter fortge- schritten. Nirgends ist Deutschland individueller gestaltet als in seiner örtlichen Selbstverwaltung; aber nirgends ist es auch unfertiger . Und das erscheint am besten, indem man die Verhältnisse desselben zuerst auf die drei obigen Kategorien zurückführt, den Kreis, die Ver- waltungsgemeinde und die Ortsgemeinde, und dann das staatliche und das gesellschaftliche Element in seinem Einfluß auf die Verfassung und Verwaltung derselben bestimmt. Während darnach Englands örtliche Selbstverwaltung ihren Schwerpunkt in der Verwaltungsgemeinde und ihrer juristischen und administrativen Selbständigkeit hat, Frankreich dagegen die Verwaltungsgemeinde fast ganz beseitigt, und die örtliche Selbstverwaltung nur noch in der Beschlußfähigkeit der örtlichen Räthe erhält, liegt in Deutschland das Hauptgewicht der örtlichen Selbstver- waltung in der Ortsgemeinde. Während ferner in England das Ge- meindebürgerthum auf dem Grundbesitze ruht, in Frankreich auf der staatssteuerbaren Persönlichkeit, erscheinen dagegen in Deutschland noch streng geschieden die großen Gruppen und Rechte des ständischen und des staatsbürgerlichen Gemeindebürgerthums. Während daher England keinen wesentlichen Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinde an- erkennt, und Frankreich gar keinen, ist der Unterschied beider eins der großen Principien des deutschen Gemeindewesens, denn die Stadt er- scheint als die Gemeinde der staatsbürgerlichen Gesellschaft, das Land als die Gemeinde der Reste der Geschlechts- und ständischen Ordnung. Während daher England zwischen seiner örtlichen Selbstverwaltung und der Staatsverwaltung kein anderes Mittelglied hat, als das des bür- gerlichen und criminellen Gerichts, und Frankreich mit der untersten Stufe der Selbstverwaltung, der Gemeinden, auch alle Mittelstufen einfach in den mechanischen Amtsorganismus des Departements auf- nimmt, hat Deutschlands örtliche Selbstverwaltung höchst eigenthümliche Mittelorgane, die in den bei weitem meisten Fällen nur dazu bestimmt sind, dem von der Ortsgemeinde bewältigten, aber von ihm abgeschie- denen ständischen Elemente einen selbständigen Antheil an der Selbst- verwaltung zu geben. Eben diese strenge Verbindung mit dem örtlichen Recht und der örtlichen Gestalt der deutschen Selbstverwaltung, die meist auf geschichtlichen Gründen beruht, hat es schließlich bewirkt, daß in Deutschland, trotz seines Princips der Selbstverwaltung doch keine Entwicklung der Verwaltungsgemeinde stattgefunden hat; während die- selbe in England ganz selbständig dem Selfgovernment überlassen, in Frankreich aber als Funktion der amtlichen Organe mit dem Systeme der Conseils in zum Theil höchst zweckmäßiger Weise verbunden ist, erscheint sie in Deutschland fast ausschließlich als Aufgabe der staatlichen Verwaltung. So ist diese örtliche Selbstverwaltung Deutschlands eine höchst individuelle Gestaltung der letzteren. Die Elemente nun, welche sie dazu gemacht haben, sind historische. Aber diese Elemente sind wieder in den verschiedenen Ländern höchst verschieden gestaltet. Ein kräftiges einheitliches Leben hat es in Deutschland trotz aller Phrasen niemals gegeben. Jene Besonderheiten der einzelnen Länder haben sich daher vollkommen frei entwickeln können. Jeder Staat in Deutschland erscheint daher wieder mit seinem System der örtlichen Selbstverwal- tung. Jeder Staat hat wieder besondere Gesetze, oft auch besondere Principien, oft besondere Namen für das Gleiche, oft gleiche Namen für das Ungleiche. Dennoch ist die Grundlage eine gemeinschaftliche und gleichartige; alle diese Namen, Gestaltungen und Rechte sind zuletzt doch Kinder Einer Mutter, und das Gefühl, daß ein gemeinsames Ge- schick alle beherrscht und gemeinsame Thatsachen allen zum Grunde liegen, hat dieß Volk auch in seiner größten Zerfahrenheit und Unklar- heit niemals verlassen. Und so muß die Wissenschaft denn allerdings und mit vollem Rechte den Begriff einer deutschen örtlichen Selbst- verwaltung zum Grunde legen, und dabei versuchen, die mannichfachen Unterschiede auf gemeinsame Kategorien und Thatsachen zurückzuführen. Das ist das Ziel des folgenden Versuches. Zu dem Ende ist es nothwendig, die Elemente der örtlichen Selbst- verwaltung des vorigen Jahrhunderts, die in Deutschland noch viel mehr als in Frankreich die Grundlage des gegenwärtigen Rechts bilden, ins Auge zu fassen. Auch in Deutschland stand im vorigen Jahrhundert das System der ständischen Selbstverwaltung dem Systeme der staatlichen Verwal- tung gegenüber, wie wir es schon früher bezeichnet haben. Nur war ein großer Theil Deutschlands eben nichts anderes, als eine Menge zur Souveränetät gelangter Ortsgemeinden, theils adliche Herrschaften, theils geistliche Besitzungen, theils Städte. Jede dieser unmittelbaren Orts- gemeinden hat ihre eigene Verfassung; sie kommen vor der Hand für die Staatenbildung nicht in Betracht. Die größeren Territorien dagegen zeigen uns unter verschiedenen Namen im Grunde dieselben Kategorien. Der staat- liche Organismus erscheint in Landesregierung und Amtmannschaft, der Selbstverwaltungsorganismus in der Landschaft, der Stadtgemeinde und der Herrschaft. Ordnung und Recht der letzteren, obwohl vielfach von der amtlichen Verwaltung durchbrochen, sind dennoch historisch unzweifelhaft. Es ist das Bild der ausgeprägten ständischen Selbstverwaltung . In diesen Zustand tritt die staatsbürgerliche Gesellschaft des neun- zehnten Jahrhunderts zunächst als Princip hinein. Sie wird nicht zur alleinherrschenden Thatsache wie in Frankreich; sie ist nur eine, wenn auch gewaltige Forderung der lebendigen Zeit. Es ist nicht möglich, sie ganz abzuweisen, ohne die edelsten Elemente der Entwicklung zu vernichten; es ist nicht möglich, sie zur vollen Geltung gelangen zu lassen, ohne das Recht und den Besitz der ständischen Elemente wie in Frankreich gewaltthätig zu brechen. Dennoch ist ein Fortschritt noth- wendig. Er geschieht, indem eine Ordnung gefunden wird, welche in Verfassung und Verwaltung beide Elemente in eigenthümlicher Weise verschmilzt, und damit ein System der Selbstverwaltung erschafft, das auf den ersten Blick als Uebergangszustand erscheint. Die Grundzüge dieses Zustandes sind bei aller formellen Verschiedenheit sich wesentlich in allen deutschen Staaten gleich; doch ist zwischen Norden und Süden der Unterschied am deutlichsten bemerkbar. Nur müssen wir, um das ganze System klar zu machen, einige bereits früher berührte Punkte wiederholen. In der That nämlich ist in Deutschland zwar der Gedanke einer constitutionellen Verfassung auf Grundlage des Staatsbürgerthums weit genug fortgeschritten, aber es fehlt ihm der materielle Körper, das gewerbliche Kapital. Es wird für das innere Recht Deutschlands ent- scheidend, daß die Hauptform des Besitzes noch immer der Grundbesitz ist. Das Deutschland des Anfanges unseres Jahrhunderts ist bekanntlich gar nicht zu vergleichen mit dem gegenwärtigen. Handel und Industrie liegen darnieder, das Gewerbe ist unfrei; die persönliche Thätigkeit ist von engsten Schranken umgeben; alles was der Reichthum an materieller und geistiger Macht geben kann, ist daher in den Händen der Grund- herren. Eine Beseitigung ihrer Herrschaft, ja eine Zurückschiebung der- selben ist kaum denkbar. Das ist daher die thatsächliche Grundlage, auf welcher die neuen Verfassungen entstehen. Die gegebenen Verhält- nisse machen es fast unmöglich, etwas anderes zu thun, als die alten Landstände ins Leben zu rufen, und ihnen die Rechte der staats- bürgerlichen Volksvertretung zu übertragen . So beruhen dieselben in ihrer Zusammensetzung auf dem ständischen, in ihren Rechten auf dem staatsbürgerlichen Princip. Doch besteht dabei der Unterschied, daß im Norden das erste Element, im Süden das zweite vorwiegt. Allein im Süden wie im Norden entsteht nun die Frage nach dem Verhältniß des neuen Staatsbürgerthums zu der örtlichen Verwal- tung. In der landständischen Verfassung muß dieß Staatsbürgerthum dem ständischen Elemente um so mehr unterliegen, als das letztere fast allenthalben mit der Staatsverwaltung in engste Verbindung tritt. Es ist noch mächtig genug, sich und seine Interessen die letztern unterzu- ordnen, und es ist keine Hoffnung, ohne gewaltsame Bewegungen hier dem staatsbürgerlichen Princip seine Geltung zu verschaffen. Daraus entsteht dann nun die Richtung, welche für das ganze Leben der deut- schen Selbstverwaltung entscheidend geworden ist. Mit richtigem Takt erkannte dasselbe, daß die eigentliche Heimath der jungen staatsbürger- lichen Gesellschaft die Stadt sei. Der Gedanke, die Verwaltung für die erstere zu gewinnen, mußte daher consequent zu dem Streben führen, die Verfassung und Verwaltung der letzteren auf Grundlage des Staats- bürgerthums, ohne Zulassung der ständischen Unterschiede, ihrer Rechte und Forderungen zu errichten. Die Städte hatten ja ohnehin so gut wie die Landschaften das Recht ihrer eigenen historischen Verfassung; sie waren in Deutschland wie in Frankreich der dritte Stand, nur mit dem allerdings wesentlichen Unterschiede, daß in Frankreich der tiers état gleich beim Beginne der Revolution das Staatsbürgerthum bedeutet, während in Deutschland der dritte Stand nur als die Gesammtheit der Städte, und das Recht derselben als das Recht auf örtliche Selbstver- waltung auftritt. Aber dieß Recht hatten sie eben behalten; man konnte es ihnen um so weniger nehmen, als viele Städte ja jetzt erst Theile eines Staats wurden. Hier war es daher, wo die Ideen, die Forderungen und die Formen des Staatsbürgerthums zuerst Wurzel schlugen. Mit dem Anfange des Jahrhunderts tritt daher der Gedanke auf, daß die Städte die eigentlichen Gemeinden seien , weil sie in der That die einzigen staatsbürgerlichen Gemeinden sein konnten. Daran schloß sich eine Reihe von Erscheinungen, die ent- scheidend einwirkten. Das Gemeinderecht ward fast identisch mit dem städtischen Recht. Die Stadtgemeinden wurden die Heimath der staats- bürgerlichen Gesellschaft, wie sie die Heimath des gewerblichen Besitzes waren; da in der landständischen Verfassung die Gleichheit der Staats- bürger nicht zur Geltung kommen konnte, so warf sich die geistige und materielle Bewegung mit um so größerer Entschiedenheit auf die städ- tische Verfassung; das städtische Leben ward für Theorie und Praxis das Vorbild des künftigen Staatslebens, und die alte, durchaus ein- seitige Aristotelische Vorstellung, als sei die Gemeinde das Vorbild des Staats, gewann plötzlich die allgemeinste Anerkennung, obgleich das Vaterland der Selbstverwaltung, England, die Stadtgemeinde durchaus nicht als Basis der letzteren betrachtete. Man kannte aber England nicht, und bewegte sich auf dem engern deutschen Lebensgebiet. Daher denn kam es, daß, was nur in Deutschland möglich war, die Gemeinde- verfassung als ein organisches Glied der Staatsverfassung betrachtet, und in den meisten Verfassungsurkunden daher auch wirklich mit auf- genommen ward; die Gemeindeverfassung sollte eben das Vorbild des Sieges der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die noch herrschenden Reste der ständischen sein. Daher kam es endlich, daß die preußische Städteordnung von 1808 nicht bloß ganz Deutschland als etwas hoch- bedeutendes erschien, sondern auch wirklich hochbedeutend war. Sie war eben die erste verfassungsmäßige Anerkennung der Rechte und Ord- nungen der staatsbürgerlichen Gesellschaft im Norden Deutschlands; es war der erste Sieg, den sie, in Verbindung mit der ihr entsprechenden Gewerbefreiheit, im öffentlichen Rechte erfochten, gleichsam eine verfas- sungsmäßige Burg gegenüber den ständischen Ordnungen und der Amts- gewalt, welche im innigen Vereine nach innen das ganze übrige Staats- leben beherrschten. Um diese Verfassung erhob sich nun der Kampf beider Elemente; man fühlte, daß man bei ihr als einem Anfange nicht stehen bleiben könne; die Principien, die für sie galten, mußten entweder zu Grunde gehen, oder allgemein werden. Es ist das dreizehnte und vier- zehnte Jahrhundert des Städtewesens, nur in einer andern Form; und es ist verzeihlich, daß man darüber alle andern Gebiete und Formen der Selbstverwaltung vergaß, obwohl nichts verkehrter war, als die Stadtverfassung überhaupt mit der Gemeindeverfassung zu identificiren. Denn während in den Städten allerdings der staatsbürgerliche Begriff der Gemeinde zur Geltung gelangte, blieb das Land in seiner alten Verfassung. Die Geschichte der Landgemeinde ist neben der der Stadtgemeinde noch nicht geschrieben. Ihre Elemente sind in Deutsch- land zu eigenthümlich, als daß wir sie hier nicht besonders darlegen sollten. Wir haben früher die beiden historischen Begriffe von Dorfschaft und Herrschaft aufgestellt. Beide Begriffe bleiben von entscheidender Wichtigkeit, aber sie müssen gerade auf dem Lande mit dem dritten großen Faktor in Verbindung gebracht werden, dem Amtskörper . Schon im Beginne dieses Jahrhunderts gibt es keine reine Dorfschaft und keine reine Herrschaft mehr. Der amtliche Organismus des Staats hat sich über beide ausgebreitet. Er hat auf allen Punkten diejenigen Verwaltungsaufgaben, welche sich über eine Mehrheit von Dorf- oder Herrschaften ausdehnen, in seinen Bereich gezogen. Indem er die rein örtliche Competenz jener Körper anerkannte, hat er sie auf das Aeußerste beschränkt, und sich zum Organ jeder allgemeinen Verwaltungsange- legenheit gemacht. Während daher in England die freien Grundbesitzer die Verwaltungsgemeinden mit Selbstbesteuerung schufen, tritt in Deutsch- land das Amt an die Stelle der Verwaltungsgemeinde , und damit die Staatsbesteuerung an die Stelle der Selbst- besteuerung . Das ist von höchster Bedeutung geworden, und hat bis jetzt nicht günstig gewirkt. Denn dieß Recht des Amtskörpers nimmt gerade den kleineren Gemeinden, deren örtliche Thätigkeit eine höchst untergeordnete ist, im Grunde jede wirkliche Selbstverwaltung; die letztere sinkt, selbst wo eine Dorfschaft oder Herrschaft sie besitzt, fast zu einem leeren Wort herab, da keine bedeutende Angelegenheit inner- halb ihrer örtlichen Competenz ausgetragen werden kann, und daher dem Amte anheim fällt. Die erste, die Verwaltung des flachen Landes beherrschende Thatsache besteht deßhalb darin, daß die erstere durch den Amtskörper der Selbstverwaltung ohne Rücksicht auf die Gemeinde- ordnung von Dorfschaft und Herrschaft in allen irgend wichtigen Dingen entzogen ist, mögen jene eine freie oder unfreie sein. Und dennoch hatte dieß Verhältniß seinen sehr guten Grund. Denn die Verhältnisse der Dorfschaften und Herrschaften waren innerlich und äußerlich so verschieden, daß hier von einer Gemeindeordnung im Grunde gar nicht füglich die Rede sein konnte. Durch die neue deutsche Staatenbildung war nämlich in die Kategorien der Herrschaften ein zweites Element hineingebracht. Das waren die Standesherrschaften , die bis zum Untergang des deutschen Reiches souverän, jetzt Theile der neuen Staaten geworden waren. In diesen war nicht einmal eine völlige Unterordnung unter den Amtskörper recht möglich, viel weniger eine Gemeindever- fassung nach dem Muster der städtischen Ordnung, in welcher der früher souveräne Standesherr jetzt auf gleiche Stufe mit dem unfreien, noch zehentpflichtigen Intersassen gestellt worden wäre. Es erschienen somit jetzt neben dem städtischen Gemeindekörper noch drei wesentlich verschie- den geartete Körper auf dem flachen Lande. Der erste war die Dorf- schaft mit freien Bauern allerdings zu einer Gemeindebildung fähig, aber materiell zu klein und geistig zu beschränkt, um eine solche recht möglich zu machen. Der zweite war die Herrschaft , welche zwar ein Verwaltungskörper, nicht aber eine Gemeinde war, denn die Rechte der Verwaltung gehörten nicht den Insassen, sondern dem Herrn, der ja Grundeigenthümer des Ganzen war; die Insassen, in den meisten Fällen noch zu lehensrechtlichen Frohnden und Zehnten an den Herrn verpflichtet, waren keine Gemeindebürger, und konnten es auch nicht sein, so lange ihr Grundbesitz ihnen nicht frei angehörte. Der dritte war die Standesherrschaft , welche meistens einen größeren Com- plex umfaßte, und ihrerseits wieder aus Dorfschaften und Herrschaften zugleich bestand. Diese verschiedenen Formen, meist auch örtlich in ein- ander und durch einander geschoben, bedurften nun aber für ihre ge- meinsamen Angelegenheiten eines gemeinsamen Verwaltungskörpers; und dieser Verwaltungskörper war eben das Amt. Das deutsche Amt unterscheidet sich daher wesentlich von dem englischen und französischen; das erste, der Friedensrichter, ist wie gesagt, eine Sicherheitspolizei- behörde und ein Gericht, das zweite das Arrondissement, ein Körper für ihm gleichartige, aber untergeordnete Amtskörper, die Communes, das deutsche dagegen ein amtliches Verwaltungsgebiet mit lauter örtlich selbständigen, aber eng begränzten und wie gezeigt, durchaus verschieden gearteten Selbstverwaltungskörpern. Dasselbe bildet demnach das zweite System der örtlichen Selbstverwaltung, dasjenige, was man die länd- liche Selbstverwaltung nennen kann; es steht neben dem ersten, der Stadtgemeinde; jenes der Träger der Reste der Geschlechter- und Stände- ordnung, diese der Verwaltungsorganismus der staatsbürgerlichen Ge- sellschaft; dabei ist die Einheit der ersteren überhaupt nicht einmal mehr ein Selbstverwaltungskörper, sondern ein Amt. In diesem Zustande ist nun offenbar von einem Gemeindewesen nur in einem sehr unbestimmten Sinne die Rede; es wird nunmehr erklärlich, wie der Begriff der Ge- meinde sich fast allenthalben mit der Stadtgemeinde zu identificiren vermochte. Aber eben so klar ist es, daß diese Verhältnisse nicht dauern konnten. Die große staatsbürgerliche Bewegung, kaum in den Städten zu eigener Verfassungsform krystallisirt, mußte nothwendig jene Ordnun- gen des flachen Landes allmählig durchdringen, und wirkliche Gemeinde- bildungen daselbst erzeugen. Und so entsteht die Bewegung, welche wir als die Bildung der Landgemeinde und der Kreisgemeinde be- zeichnen, und in der wir die wahre, aber von der Theorie gegenüber der bereits im Wesentlichen fertigen Stadtgemeinde nur zu wenig be- achtete Geschichte der Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung und des systematischen Gemeindewesens zu suchen haben. Der Inhalt dieser Geschichte ist das Streben, die Grundsätze der Stadtgemeinde für die Landgemeinde zur Geltung und dadurch die staatsbürgerliche Gesellschaft auch im Gebiete des Grundbesitzes und der historischen Rechte der ständischen Ordnung zum Siege zu bringen. Dem treten die Interessen des ersteren und die Principien des letzteren entgegen. So entspinnt sich ein Kampf, der noch weit davon entfernt ist, ausgetragen zu sein, und in welchem daher der gegenwärtige Zustand der deutschen örtlichen Selbstverwaltung als eine bestimmte Entwicklungsepoche angesehen wer- den muß. Dieser Kampf hat in jedem Lande seine eigene Gestalt, die theils von der materiellen Macht der ständischen Elemente, theils auch von dem Geiste der Regierung bestimmt ist. Es ist sehr schwer, sie im Einzelnen wiederzugeben; es würde das eine sehr weitläufige Arbeit werden. Aber die Grundzüge des ganzen Ganges der Dinge sind eben so klar als gleichartig; man wird ihre Richtigkeit am besten erkennen, wenn man die Ordnung des Gemeindewesens der einzelnen Länder da- mit zusammenhält. Sie bestehen in Folgendem. Der erste Moment in dieser Entwicklung ist das Verhältniß der Verfassungen der neuen deutschen Staaten zu dem allgemeinen Be- griff der Gemeinde in den Rechten des Gemeindewesens. Allerdings hatte der deutsche Bund nach Form und Inhalt dem Bedürfniß nach einer staatsbürgerlichen Verfassung nur durch das Versprechen von „landständischen Verfassungen“ entsprochen. Allein die Natur der Sache machte sie da, wo sie existirten, bald zu eigentlichen Verfassungen; das staatsbürgerliche Element besiegte allenthalben das ständische, und die natürliche Folge war daher, daß diese Verfassungen allenthalben die Einführung des staatsbürgerlichen Gemeindewesens, und zwar als die natürliche Grundlage ihres eigenen Bestandes, vorschrieben. Mit Aus- nahme der preußischen Stadtordnung von 1808 sind daher die neuen Gemeindeordnungen alle erst mit den Verfassungen selbst be- gründet , und nur Ausführungen der Grundsätze der Verfassungs- urkunden über das Gemeinderecht. Die Gemeindeordnungen gruppiren sich daher wie die Verfassungsurkunden zuerst um das Jahr 1820. Unter allen ist das württembergische Gemeindewesen ausgezeichnet. Die Verfassungsurkunde sprach den theoretischen Satz zuerst aus, daß „die Gemeinde die Grundlage des Staats sei“ (§. 62); die Elemente des Rechts waren erstlich, daß die Gemeinde ihre Rechte durch selbst- gewählte Vertreter auf Grundlage der Gesetze zu verwalten, dann daß der Staat die Oberaufsicht habe (§. 65). Das Verwaltungsedikt vom 1. März 1822 bestimmte dann nach langem Kampfe, welches die Rechte der Regierung gegenüber der Gemeinde seien, namentlich die Punkte, in welchen die Genehmigung der Regierungsbehörden nothwendig sei.“ ( Mohl , Württemb. Verwaltungsrecht II, S. 131. ff.) Großh. Hessen , Verfassungsurkunde §. 45. Coburg , Verfassung von 1821, Th. IV. Bayern hat bekanntlich seine Gemeindeverfassung durch das Edikt vom 17. Mai 1818 geordnet, und in seiner Verfassung von 1818 darauf als ein fertiges hinweisen können, während Coburg a. a. O. nur das Versprechen einer Gemeindeordnung gab. Dann kommt das Jahr 1830, wo entweder selbständige Gemeindeverfassungen gegeben werden, da die alte Verfassung bestehen bleibt, wie in Baden , Gesetz 31. Dec. 1831, oder als die Gemeindeordnung in ihren Grundsätzen unmittelbar in der Verfassungsurkunde erschienen, wie in Kurhessen , Verfassung 1831, Abschnitt IV, oder gar vollständig wie in Sachsen-Altenburg , Abtheil. III, Braunschweig , Capitel III, Hannover , Capitel IV, Sachsen-Meiningen , §. 19. — oder wo endlich, wie im Königreich Sachsen und Bayern (1834) ganz selbständige Gemeindeordnungen erlassen werden — (nach diesen Angaben ist Zöpfl II, §. 422. 1. zu berichtigen) — theils um das Jahr 1848, wo wir mit den Verfassungen zugleich Gemeindeordnungen entstehen sehen, wie in Oesterreich, Preußen, Oldenburg, — oder wesentliche Aenderungen derselben erscheinen, über deren Bedeutung wir sogleich zu reden haben werden. Die Bedeutung dieser Thatsache liegt nun darin, daß die Gemeindeordnungen damit gleich anfangs als Ausdruck derselben Richtung auftreten, welche die Verfassung selbst erringt — das Vorwärtsschreiten der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Durch den Anschluß der Gemeindeordnungen an die Ver- fassungen entstehen daher in ganz Deutschland zwei ganz allgemeine Arten von Gemeinderechten, das historische und das verfassungsmäßige. Das erste hat seinen Sitz im Norden, das zweite im Süden; das Jahr 1830 ist der Zeitpunkt, wo der Sieg des letzteren über das erstere ent- schieden wird; fast nur Preußen und Oesterreich weigern ihren Ländern mit der Verfassung zugleich die neue Gemeindeordnung, bis mit 1848 auch diese Hauptstaaten beides zugleich geben. Und so ist das gesammte Gemeinderecht jetzt wenigstens dem Princip nach ein verfassungsmäßiges. Aber zunächst allerdings auch nur dem Princip nach. Denn wäh- rend das Gemeinderecht in den Städten sehr leicht durchgeführt werden konnte, tritt auf dem flachen Lande die herrschaftliche Abhängigkeit des Bauern in Zehent, Frohn und Obereigenthum mit seinen Dienstbar- keiten ihm entgegen. Das Gemeinderecht der neuen Zeit ist nicht denkbar ohne die persönliche Unabhängigkeit des einen Gemeindegliedes von dem andern. Die aber besteht hier nicht; der Gutsherr ist noch immer wirklicher Herr; sein Recht ist unbestritten; ihm gegenüber tritt das Princip der freien Gemeindebildung, und jetzt beginnt jene merkwürdige Bewegung, welche eigentlich als die entscheidende für das innere Leben Deutschlands angesehen werden muß. So lange jene persönliche, wenn auch nur noch in wirthschaftlicher Form bestehende Abhängigkeit des Bauern vom Herrn existirt, ist ein Gemeinderecht unmöglich. Ihre Be- seitigung ist die erste Bedingung des letzteren; selbst die Verfassung kann ohne die letztere nicht für die Gemeinde durchgeführt werden. Diese Beseitigung aber ist die Grundentlastung . Es ist unmöglich, die Grundentlastung ohne das Gemeinderecht erklären zu wollen — das einzige, was wir dem so fleißigen Werke Judeichs vorwerfen möchten — und es ist unmöglich, die Gemeindeverhältnisse und namentlich die Langsamkeit in der Entstehung der Landgemeindeordnungen ohne den Mangel der Grundentlastung zu verstehen, weßhalb die Darstellungen des deutschen Staatsrechts, wie Zachariä und Zöpfl, für diese innere Entwicklungsgeschichte desselben gänzlich unbrauchbar sind. So wie ein- mal der Grundsatz ausgesprochen war, daß die Gemeinde überhaupt auf Grund der Selbstverwaltung geordnet sein solle, mußte die Frage nach der Grundentlastung für die Landgemeinde unabweisbar in den Vordergrund treten. Denn die Grundentlastung ist es erst, welche das selbständige Gemeindebürgerthum der Landgemeinde geschaffen hat . Daher denn die ganz naturgemäße Erscheinung, daß die Grundentlastung mit der Verfassungsbildung gleichen Schritt hält, aber freilich in der Weise, wie es sich nunmehr von selbst versteht, daß sie erst zur wirklichen Ausführung gelangt, wo die Volksvertretung den Charakter der Ständeordnung verliert und eine staatsbürgerliche (repräsentative sagt man, als ob die Stände nicht eben so gut etwas repräsentirten) wird. Erst durch sie ist dann die oben bezeichnete Be- wegung — bis auf Einen Punkt — abgeschlossen, welche die Principien der Stadtgemeinde in den Landgemeinden zur Geltung bringen will. Die Unterschiede in der Grundentlastung werden dadurch zum Ausdruck der Anerkennung des staatsbürgerlichen Princips für die länd- lichen Verhältnisse in dem Grundbesitz . Dadurch gewinnt die Darstellung des letztern Gestalt; und es liegt, nahe die Lehre von den Reallasten als die weitere Erfüllung desselben Verhältnisses zu erkennen. Offenbar hätte Friedlieb in seiner „Rechtstheorie der Real- lasten,“ die Judeich in seiner Grundentlastung mit großem Unrecht nicht benützt hat, durch die Verbindung derselben mit der Geschichte der Landgemeinde viel mehr gewonnen als durch die juristische Untersuchung der Geßler’schen Theorie und der Frage nach Dinglichkeit oder Nicht- dinglichkeit, obwohl übrigens die schöne Arbeit jedenfalls als ein wesent- licher Fortschritt in der freieren, historischen Auffassung anzusehen ist; denn es ist kein Zweifel, daß Landgemeinde, Grundentlastung und Real- last künftig ihre wahre Erklärung nur durch die Entwicklungsgeschichte des Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft innerhalb des Grund- besitzes finden werden. Zunächst aber ergibt sich, daß die Geschichte der Grundentlastung dieselben Hauptepochen hat, wie die der Verfassun- gen und Landgemeindeordnungen. Wir müssen die Darstellung derselben in die innere Verwaltungslehre verweisen, und bemerken nur hier, daß die meisten Staaten die Grundentlastung im Princip nach 1820 und 1830 anerkennen, aber erst nach 1848 wirklich ausführen — eine den obigen Folgen vollkommen entsprechende Thatsache. Das was sie her- vorruft, ist aber das selbständige Gemeindebürgerthum der Land- gemeinde; und damit scheint jetzt durch die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Land- und Stadtgemeinde das Gemeindewesen Deutschlands in juristischer und socialer Beziehung ein gleichartiges geworden zu sein. Dennoch war das nicht der Fall. Die Freiheit der Verwaltung, welche die Stadtgemeinden genossen, einerseits, und die gesellschaftliche Gleichstellung aller Gemeindekörper andererseits, hatten die alte Aristo- telische Idee, daß der Staat eine Einheit von Gemeinden sei, zu einem Stein , die Verwaltungslehre. I. 32 staatsrechtlichen Princip erhoben. Aus diesem Princip ging dann der Satz hervor, daß jeder Staatsangehörige „Mitglied irgend einer Ge- meinde sein müsse,“ wobei man sich aber, ohne es genau zu definiren, die Ortsgemeinde dachte. Natürlich bedeutete dieser Satz ferner, daß diese Mitglieder auch wesentlich gleich in Rechten und Pflichten sein müßten, und daß sie bei der Vertheilung der Gemeindelasten sich die Majorität ihrer Mitbürger zu unterwerfen haben. Das war in der Stadtgemeinde eben so einfach als natürlich. Allein in einer großen Zahl der Landgemeinden war die Sache anders. Hier war ein so großes materielles Mißverhältniß zwischen den kleinen, eben erst von der Ab- hängigkeit befreiten, und zum größten Theil noch unter der Grundent- lastung stehenden Bauern und dem frühern Gutsherrn, dessen Grund- besitz in vielen Fällen der Gesammtheit aller bäuerlichen Grundstücke gleichkam, daß eine Gleichheit der Rechte und Pflichten bei der so über- wiegenden Ungleichheit des Besitzes ein Unding erschien, um so mehr, als die Majorität der kleinen, nur zu geringen Leistungen verpflichteten Besitzer den großen Besitzer leicht mit unverhältnißmäßigen Lasten drücken konnte. Es mußte daher die Frage entstehen, ob wirklich das Princip der bürgerlichen Gleichheit — das Grundprincip der Gemeinde- ordnung, anwendbar sei. Diese Frage formulirte sich alsbald in der Frage nach dem Eintritt der Großgrundbesitzer in die Land- gemeinde , welcher die letzteren die Forderung entgegensetzten, für ihre Besitzungen lieber eine eigene Gemeinde neben der bäuerlichen bilden zu wollen. So natürlich diese Forderung von der einen Seite war, so tief war der Widerspruch derselben mit dem Grundsatz der staatsbürger- lichen Gleichheit auf der andern Seite. Mit ihr schien die eben so mühe- voll errungene Gemeindefreiheit wieder auf den alten Standpunkt zu- rückgeführt, und eine Scheidung, wenn auch nicht mehr einer herrschenden und beherrschten, so doch einer höheren und niederen Klasse auf dem Lande verfassungsmäßig festgestellt, während derselbe in den Städten definitiv überwunden war. Dazu kam endlich das dritte der bereits erwähnten Elemente. Die Standesherrschaften waren zu groß, um ihrer Selbständigkeit als Verwaltungskörper ohne weiteres auch nach Einführung der Grundentlastung beraubt werden zu können. Das waren Verhältnisse, die man weder in Frankreich noch in England fand, und die eine einfache Verwirklichung der Idee des Landgemeindewesens mit lauter gleichen Gemeinden so gut als unthunlich machten. Nament- lich war das Verhältniß der Standesherrschaften ein unklares. Die Ein- verleibung derselben in die neuen Staatenbildungen war allerdings undenkbar ohne eine Aufhebung ihrer Souveränetät; allein die Ver- waltungsrechte über ihre Angehörigen bildeten dennoch ein Rechtsgebiet, dessen Selbständigkeit nicht bezweifelt, und die demselben um so weniger ohne weiteres genommen werden konnte, als sie meistens mit bedeu- tenden Einnahmen für dieselben verbunden waren. Das Princip der französischen Revolution brach hier allerdings Bahn, indem die Rhein- bundsakte Art. 27 den Grundsatz aufstellte, daß ihre Rechte als Privat- rechte angesehen werden sollten; das deutsche Rechtsbewußtsein jedoch erzeugte daneben den Satz, daß ihre künftigen Verhältnisse durch eigene Gesetze zu regeln seien. Dieß nun geschah, meistens aber vor der Entwicklung der Landgemeindeordnungen und der Grundentlastungen. So entstand hier eine neue, eigenthümliche Gruppe von Rechtsverhält- nissen, welche sich den Landgemeindeordnungen um so weniger einfach unterwerfen konnten, als dieselben als jura quaesita der Standesherren erschienen, die der neuen Gesetzgebung gegenüber als begründete Privat- rechte dastanden. Unter diesen Gegensätzen war es klar, daß bei aller Einfachheit des Princips des Gemeindewesens und seiner vollen Geltung in den Städten die wirkliche Gestalt desselben auf dem Lande keines- wegs eine gleichartige werden konnte. Um jene Widersprüche, die ja im Grunde Gegensätze der ständischen und der staatsbürgerlichen Gesell- schaft waren, zu heben, mußte ein neuer Weg eingeschlagen werden. Zunächst wird es sich nun aus dem Obigen erklären, wie es ge- kommen, daß trotz der Anerkennung des Princips der Gemeindeselbst- verwaltung und der verhältnißmäßig rasch entstehenden Stadtgemeinde- ordnungen die Landgemeindeordnungen so langsam entstanden sind. Es ist ferner die zweite, wichtige Thatsache damit erklärt, daß die ländliche Selbstverwaltung in jedem Staate verschieden ist, denn die Ordnung und Einführung derselben hing theils wie schon gesagt von dem Stande der Grundentlastung, theils von der Vertheilung und Größe des ehe- maligen herrschaftlichen oder Großgrundbesitzers, theils von dem Vorhan- densein und den während der Neubildung der Bundesstaaten anerkann- ten Rechten der Standesherren ab, theils endlich waren viele deutsche Staaten selber im Grunde nur souverän gebliebene Standesherrschaften. Eine unmittelbare Vergleichung mit Frankreich und England war nicht möglich; ein deutsches Landgemeindewesen war vor der Hand nicht denkbar. Dennoch lag der natürliche Ausweg nahe, um aus diesen Gegen- sätzen herauszukommen, und die Natur der Dinge hat denselben weit mehr angebahnt als das theoretische Verständniß. Da Deutschlands ländliche Selbstverwaltung noch immer in seiner schließlichen Bildung begriffen ist, so scheint es uns von doppelter Wichtigkeit, denselben zu bezeichnen. Offenbar lag der erste und bedeutendste Widerspruch in dieser Entwicklung in der Deutschland eigenthümlichen Vorstellung, welche die Selbstverwaltung mit der Ortsgemeinde identificirt . Wir haben gesehen, daß weder England noch Frankreich ihre Selbstverwal- tung auf die Ortsgemeinde begränzen. In Deutschland war das da- durch entstanden, daß bei der großen Macht und der rechtlichen Selb- ständigkeit der Grundherren die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung überhaupt nur in den Städten zu rechter Geltung gelangt war, wäh- rend andererseits die über das Weichbild der Städte hinausgehenden Angelegenheiten gerade wegen der so tief greifenden socialen Unterschiede zwischen Stadt und Land von keinem für beide gemeinschaftlichen Organe der Selbstverwaltung verwaltet werden konnten. Dadurch war es gekommen, daß dasjenige, was wir als den Inhalt der Verwaltungs- gemeinden in England bezeichnen, in ganz Deutschland durch die Amts- körper vollzogen ward, die in der früher angegebenen Weise sich eben dadurch eines jeden Theiles der Gemeindeverwaltung bemächtigten, der mehr als das Weichbild der Ortsgemeinde umfaßte. Auch das Auftreten der Stadtgemeinden und die mit ihnen entstehende Selbstverwaltung der Städte, die sich — wenigstens allmählig und in gewissen Haupt- punkten (s. unten) — von der Amtsverwaltung unabhängig machten, änderte daran nichts wesentliches für das flache Land, da namentlich bei kleinern Städten alle wichtigeren Verwaltungsaufgaben stets Städte und Land zugleich umfaßten. Das „Gemeinderecht“ erschien daher zu- nächst als die Unabhängigkeit vom Amt und der amtlichen Verwaltung; es war vorzugsweise die negative Seite der Selbstverwaltung, und konnte sich damit genügen lassen, so lange die weitere Entwicklung der letzteren nicht den Begriff der Verwaltungsgemeinde erzeugte. So wie aber mit der allmählig entstehenden Unabhängigkeit des kleinen Grund- besitzes das Bedürfniß nach allgemeiner Theilnahme an der Verwaltung entsteht, tritt die Nothwendigkeit ein, eine Form zu finden, in welcher jene verschiedenartigen Gemeindegestaltungen, da man ihre innere Ver- fassung nicht ändern konnte, in einen gemeinsamen größeren Körper der Selbstverwaltung zusammentreten. Und hier wäre nun das eng- lische System der eigentlichen Verwaltungsgemeinden dasjenige gewesen, welches dem deutschen Wesen ohne allen Zweifel am besten entsprochen hätte. Allein dem stand ein anderes entgegen. Die Verwaltungs- gemeinde ist nicht ausführbar, ohne daß sich dieselbe wie in England auch selbst für ihren Verwaltungszweck besteuert. Die amtliche Ver- waltung, welche bis dahin jede allgemeine Staatsaufgabe vollzogen, hatte eben deßhalb auch die ganze Besteuerung für solche Zwecke schon lange zu Staatssteuern gemacht. Man hätte daher mit den admini- strativen Aufgaben auch die darauf bezüglichen Steuern dem Staate wieder entnehmen müssen. Das erschien unthunlich. Eine eigentliche Verwaltungsgemeinde als organisch selbständiges Glied der Selbstver- waltung kam daher nirgends zu Stande, denn auch die Aemter oppo- nirten sich, zum Theil sogar mit der offen ausgesprochenen Behauptung, daß die Gemeinden „nicht fähig seien,“ wichtigere Verwaltungsaufgaben zu leiten. Es war damit gewiß, daß innerhalb der Ortsgemeinde, namentlich der ländlichen, die Lösung der Frage nicht zu finden war. Man mußte über sie hinausgehen. So blieb nur Eins übrig, um die örtliche Selbstverwaltung auch auf dem Lande möglich zu machen. Das war die Uebertragung der alten Landschaften ihrer Bildungen und ihrer Rechte auf eine Gemeinschaft der Gemeinden, oder die Bildung von ständischen Kreisgemeinden . Diese ständischen Kreisgemeinden hatten naturgemäß zu ihrem Substrat nicht die einzelnen Staatsbürger in den einzelnen Gemeinden, wie in England, und auch nicht bloß die Gemeinden als solche, wie das Arrondissement und der Canton, sondern die Gemeinden und die Reste der ständischen Verwaltungskörper, die ständischen Herrschaften; und eben darum erscheinen sie auch nicht als Gemeinden im staatsbürgerlichen Sinne des Wortes, sondern als Kreisstände , oder was im Wesen dasselbe, und nur der Form nach verschieden ist, als Provinzialstände . Auf diese Weise bildete sich das zweite große Element in der deutschen örtlichen Selbstverwaltung, den Uebergang von der ständischen zur staatsbürgerlichen Gesellschaft im Gemeindewesen vertretend; aber auch damit ist das Bild nicht einmal in seinen Grundzügen fertig. Denn bei aller Beschränkung der ört- lichen Selbstverwaltung auf den Begriff und die Gränzen der Orts- gemeinde gab es dennoch eine Form, in welcher wir, ganz wie in England, die reine Verwaltungsgemeinde auftreten sehen. Das ist die Kirchengemeinde. Sie umfaßt eine, meist historisch bestimmte Anzahl von Ortsgemeinden; sie hat ihre eigene Verfassung und Verwaltung, aber auch diese ist mannigfach eine ständische durch das herrschaftliche Kirchenpatronat, und andererseits entwickelt sich aus ihr nicht wie in England eine Reihe von Verwaltungsgemeinden, sondern sie bleibt ganz auf die Kirche beschränkt, hauptsächlich weil die beiden großen Aufgaben, die sich an das Kirchenwesen und seine Verwaltung in natürlicher Weise anschließen, das Armenwesen und das Schulwesen, wieder zur Sache der Ortsgemeinden werden, wozu dann wieder die noch ganz ständischen, zum Theil höchst engherzigen Begriffe der Zunft- rechte und der Heimathsrechte mit der großen Beschränkung der Frei- zügigkeit mitwirken. Viel hat natürlich zu dieser vom übrigen Gemeinde- wesen zum Theil scharf geschiedenen Stellung der Kirchengemeinde auch die Verschiedenheit der Confession beigetragen, welche eine Verschmelzung der bürgerlichen (oder „politischen“) Gemeinden geradezu unmöglich machte, so sehr, daß auch in Frankreich und Oesterreich die Kirchengemeinden der evangelischen Bekenntnisse durchaus selbständige Verwaltungskörper sind, an welche sich dann oft die Schulgemeinden anschlossen, was stets von örtlichen Verhältnissen bedingt ist. Faßt man nun aber das Obige zusammen, so sieht man hier ein vielgestaltiges Bild zunächst innerhalb des Begriffes der ländlichen Selbstverwaltung entstehen. Und zu dieser Vielgestaltigkeit kommt nun zum Schlusse noch Eins hinzu, was wiederum auf der Unfähigkeit der Verhältnisse, englische Verwal- tungsgemeinden zu erzeugen, beruht. Allerdings war nämlich für das städtische Leben das allgemeine Princip des Gemeinderechts zur Geltung gekommen. Allein es gibt gerade in Deutschland eine Menge sehr kleiner Städte und Ortschaften, die in engbegränztem Weichbild dennoch eine zum Theil sogar geschicht- lich berühmte Selbständigkeit haben, aber bei weitem nicht groß genug waren, um für Verwaltungsaufgaben zu genügen, die irgend eine aus- gedehntere Bedeutung haben. Da mit den Landgemeinden hier keine Gemeinschaft aus den oben erwähnten Gründen zu erzielen war, so konnten auch diese Verwaltungsaufgaben diesen städtischen Gemeinden nicht füglich überlassen werden, und die Amtskörper mußten trotz der Gemeindeverfassung und des Rechts der Selbstverwaltung die eigentliche Verwaltung weiter leiten. Dieß Verhältniß gestaltete sich nun, zum Theil nach dem französischen Vorgange der Classificirung der Städte für die Steuervertheilung, zu jener Deutschland ganz eigenthümlichen Er- scheinung, nach welcher das Maß der städtischen Selbstverwal- tung von der Größe der Gemeinde abhängig gemacht, oder Klassen der städtischen Gemeinderechte gebildet werden — nach dem all- gemeinen Grundsatze, daß der Antheil an der Verwaltung mit dem Umfange der Städte steigt und fällt , natürlich in der Weise, daß das Amt im umgekehrten Verhältniß eine um so größere Gewalt hat, je kleiner die Ortsgemeinde ist. Es ist falsch, dieß den Regie- rungen zum Vorwurf zu machen; es ging vielmehr einfach aus dem Mangel an Verwaltungsgemeinden hervor, durch welche England jenem sonst allerdings kaum zu vermeidenden Mißverhältniß entgangen ist, und wird auch nicht anders werden, bis diese Organisationen ins Leben treten. Als Minimum der Rechte der Gemeinde gilt dabei die Ver- waltung des eigenen Vermögens und die Ortspolizei; mit dem Umfange wächst das Gebiet der Verwaltungsaufgaben, bis dieselben in den großen Hauptstädten allerdings zur völligen Selbstverwaltung sich er- heben. Der größte Uebelstand aber ist dabei, daß auch die Mittel- organe der örtlichen Selbstverwaltung, die Kreis- und Landtage, es nur zu einem, dem französischen Systeme entsprechenden berathenden Antheil an der Selbstverwaltung bringen, und nicht wie die englischen Gemeinden zum wirklichen Selbstverwalten, während das Amt dadurch noch immer das wahre Haupt der örtlichen Verwaltung ist. Es kommt dazu, daß in vielen Theilen Deutschlands namentlich die kleinen Ge- meinden und unter ihnen vorzugsweise die Landgemeinden wirklich in der allgemeinen Bildung und in dem Verständniß administrativer Auf- gaben zu weit zurück waren, um ihnen unbedenklich allgemeinere In- teressen in die Hände geben zu können. Trotz aller Bewegung im Ge- meindewesen ist daher die örtliche Selbstverwaltung in Deutschland noch eine höchst unfertige. Es drängt sich bei Betrachtung derselben die Ueberzeugung auf, daß überhaupt die Selbstverwaltung und vor allem die örtliche, eine von denjenigen Organisationen ist, welche sich durch Gesetze zwar hindern und ordnen, aber nicht plötzlich erzeugen lassen. Sie hat ihre, tief im Volksleben liegenden Voraussetzungen, ohne welche sie ein leeres Wort bleibt. Es will uns scheinen, als müßten zwei Dinge erst ein Menschenalter hindurch ihre segensreichen Folgen entwickelt haben, ehe wir in Deutschland zu einer rechten, durchgear- beiteten und vollständigen Selbstverwaltung reif sein werden. Das sind die Befreiungen des Grundbesitzes von den ständischen Lasten in der Grundentlastung , und die Befreiung des gewerblichen Lebens von den ständischen Vorrechten in der Gewerbefreiheit . Erst durch sie wird die örtliche Selbstverwaltung eine volle Wahrheit werden. Und von diesem Standpunkt aus sagen wir, daß der gegenwärtige Zustand derselben, oder das deutsche Gemeindewesen in der That nur als eine Uebergangsbildung betrachtet werden kann. Zum Schlusse wollen wir nunmehr die Hauptkategorien desselben in den Staaten Deutschlands nach den bisher aufgestellten Gesichts- punkten aufstellen, indem wir bemerken, daß eine weitere Durchführung aus den obigen Gründen in der That nur für diese einzelnen Staaten geschehen kann, und geschehen sollte . Denn hier ist fast noch alles zu thun, da Sammlungen wie Weiske’s Gemeindegesetze weder voll- ständig sind, noch auch die Beziehungen der Ortsgemeinde zur Kreis- und Provinzialverwaltung aufzunehmen verstanden haben, und die territorialen Staatsrechte von Mohl, Moy, Pötzl und selbst Rönne natürlich dem inneren Zusammenhang des deutschen Lebens nur sehr wenig Raum geben können. Wir können auch nur die Hauptstaaten anführen; sie werden übrigens in den Grundformen ihres Selbstver- waltungsorganismus leicht auf die obigen Elemente zurückgeführt werden können, und das erscheint uns als die Hauptsache. Das Beste muß stets dem speziellen Studium überlassen bleiben. Preußen . Das System der örtlichen Selbstverwaltung in Preußen ist, wie es scheint, mitten in seiner Entwicklung gebrochen, und die Einführung der Prin- cipien der Stadtgemeindeordnung auf die Landgemeinde einerseits, und die Kreis- und Provinzialgemeinde andererseits durch Art. 105 der Verfassung von 1850, und die Gemeindeordnung vom 11. März 1850, vermöge des königlichen Erlasses vom 19. Juni 1852, der die Einführung derselben sistirte, wieder auf die Geltung der ständischen Elemente zurückgeworfen. Das preußische System der örtlichen Selbstverwaltung zeigt uns daher gegenwärtig den früheren Zustand, der ein großes historisches Interesse hat, und zugleich das Bild Deutschlands mit seiner ganzen Zerfahrenheit darbietet. Jede Kategorie der örtlichen Selbst- verwaltung hat darnach ihre eigene Gruppe von Gesetzen, und das preußische Gemeindewesen ist in der That jetzt wesentlich nur in dem Streben vorhanden, aus allen diesen verschiedenen Arten zu einer einheitlichen Gemeindeordnung zu gelangen. Das System, wie es gegenwärtig gilt, ist folgendes: A. Die Ortsgemeinde . Die Ortsgemeinden zerfallen in Stadt- gemeinden, Landgemeinden und Herrschaften , bei denen wieder die Gutsherrschaften von den Standesherrschaften zu unterscheiden sind, indem die Landgemeinde in der That nur eine Dorfgemeinde ist, von der die Herrschaft nicht bloß getrennt, sondern auch mit wesentlich verschiedenen Rechten begabt erscheint, indem der Gutsherr der Inhaber der niederen, der Standes- herr noch immer der Inhaber der höheren administrativen Rechte ist; namentlich hat er das ständische Patronatrecht über Kirchen, Schulen und milde Stiftungen, was schon an und für sich sowohl die englische Verwaltungsgemeinde, als die französische Amtsgemeinde unmöglich macht. Die Stadtgemeinden haben nicht weniger als vier verschiedene Gemeindeordnungen (Gemeindeordnung vom 30. Mai 1853 für die sechs östlichen Provinzen, vom 31. Mai 1853 für die Städte von Vorpommern und Rügen, vom 19. März 1856 für Westphalen, vom 15. Mai 1856 für die Rheinprovinz). Die Landgemeinden haben drei „Verfassungen“ (vom 14. April 1856 für die östlichen Provinzen, vom 19. März 1856 für Westphalen, und vom 15. März 1856 für die Rheinprovinz). Für die Verwaltungsrechte der Standesherrschaften gilt noch immer die Instruktion vom 30. Mai 1820. Eine wahre unerschöpfliche Quelle für das Studium der socialen Bewegung und ihrer Erscheinungen in Verfassung und Verwaltung im Norden Deutschlands, welche durch die folgenden Punkte noch reichhaltiger gemacht wird! Die Verhältnisse der Grundentlastung und der Herstellung eines freien Bauernstandes, soweit Preußen überhaupt zu demselben durch Befreiung des Grundeigenthums hat gelangen können, vortrefflich bei Rönne II, 370. Man sieht auch hier deutlich, wie der Begriff und das Recht der Landgemeinde ohne die Verhältnisse der Gutsherrschaft und der bäuerlichen Lasten niemals ganz klar gemacht werden kann. B. Die mittleren Organe der örtlichen Selbstverwaltung . Diese mittleren Organe sind doppelt, sie bestehen aus den sogenannten Com- munal-Landständen , und den Kreisständen . Die ersteren sind nur in einem Theile des Reichs eingeführt; ihre Aufgabe war, diejenigen Verhältnisse zu berathen, welche nur auf die Communalverhältnisse Bezug haben. Da aber dasselbe auch von den Kreis- und Provinzialständen geschieht, so erscheinen sie in der That als ganz überflüssig. Ihre Grundlage ist jedoch bezeichnend für das System der örtlichen Selbstverwaltung, denn sie bilden die erste Form, in welcher neben der staatsbürgerlichen Stadtgemeinde die ständischen Elemente, und zwar in rein ständischer Form wieder auftraten, da sie gebildet werden nach den drei Ständen: Gutsbesitzer, Städte und Bauernstand. „Gegenstände des speziellen Interesses eines Standes können durch die Mitglieder dieses Standes ohne die Zuziehung der übrigen Stände verhandelt werden.“ (§. 15 der Verordnung von 1825.) Das eigentliche Mittelorgan wird jedoch durch die Kreisstände gebildet. Sie sind bestimmt, die Gemeinsamkeit der Orts- gemeinde zu vertreten. Sie erscheinen eben dadurch, indem sie auf diese Weise die ständische Gemeinde neben der staatsbürgerlichen in sich aufnehmen, selbst als eine ständische Körperschaft. Im Wesentlichen sind sie daher ganz gleich- artig organisirt; sie bestehen aus den Vertretern der Herrschaften (Ritterguts- besitzer und Großgrundbesitzer), der Städte und der Landgemeinden. Ihre Be- fugnisse sind übrigens mehr dem französischen, als dem deutschen Wesen ent- nommen, während ihre Zusammensetzung sich umgekehrt verhält. Sie haben nämlich selbst nichts zu verwalten , als ihr eigenes Bermögen; im Uebrigen haben sie Beschluß zu fassen, wo es sich um gewisse — nicht genau bestimmte Ausgaben handelt, und Gutachten in allen allgemeinen Communalangelegen- heiten zu geben. Nur in einem wesentlichen Punkte sehen wir das Princip der deutschen Selbstverwaltung durchgreifen; das ist die Berechtigung, den Kandidaten des Landraths Stellen vorzuschlagen, die übrigens nur in einigen Provinzen dem ganzen Kreisstand, in anderen ausschließlich dem Rittergutsbesitzer zusteht — ein mißlungener Versuch, eine gentry herzustellen, welche ohne Verwal- tungsgemeinde nicht gedacht werden kann. Diese aber wird gerade durch die Kreisstände offenbar fast unmöglich. Der Wirkungskreis der letzteren ist ohnehin dem amtlichen Landrath gegenüber wesentlich nur consultativ; ganz ähnlich steht das letzte Organ der örtlichen Selbstverwaltung da. C. Die Provinzialstände müssen auch in Preußen nicht etwa mit Rönne und Anderen als Glieder der „Volksvertretung“ betrachtet werden, was sie eben nicht sind. Sie sind vielmehr nichts anderes, als das höchste Organ der örtlichen Selbstverwaltung, und zwar sind sie, nach den Gegenständen, mit denen sie zu thun haben, im Grunde ständisch geordnete Verwaltungs- gemeinden , jedoch mit dem französischen Rechte der administrativen Be- rathung neben der Regierung über allgemeine Angelegenheiten der Provinz. Die Provinzialstände zeigen uns die ständische Ordnung in ihrer vollen Ge- stalt; charakteristisch ist, daß der Stand des Adels in ihnen ohne Rücksicht auf die Größe des Besitzes stets die größte Zahl von Stimmen stellt. In Schlesien, Sachsen, Westphalen und Rheinprovinz stehen sogar die Standesherren als vierter Stand wieder neben den andern Ständen. Die Verwaltungsbefugnisse beziehen sich auf ganz bestimmte, einzelne Angelegenheiten; namentlich die Armenverwaltung, Irren- und Taubstummenanstalten, zum Theil auf Wegewesen (Posen und Preußen), jedoch nur, soweit ein eigener „Fond“ dazu vorhanden ist, Feuerversicherung und einige andere örtliche Verhältnisse. (Gesetz vom 5. Juni 1821, Art. III. ) Dieß sind die Grundzüge des preußischen Systems der örtlichen Selbst- verwaltung, für die wir im Allgemeinen auf Rönnes vortreffliches Werk ver- weisen. Es ist wichtig, weil es in der That der Ausdruck der gesammten Auf- fassung der letzteren in Deutschland bietet, und zeigt uns auf allen Punkten zwei Hauptthatsachen, welche eben die letztere überall charakterisiren. Die erste ist, daß das System der selbständigen Ortsgemeinden das System der mittleren und oberen Organe der örtlichen Selbstverwaltung bedingt ; das zweite ist, daß in diesem System durch das Wegfallen der Ver- waltungsgemeinden die eigentliche Selbstverwaltung in dem Kreise der Orts- gemeinden liegt, und eben dadurch weder jetzt von großer Bedeutung ist, noch auch es jemals werden kann , selbst dann nicht, wenn die ständische Orts- gemeinde einmal gänzlich beseitigt sein sollte — was übrigens bei dem höchst beschränkten Standpunkt, den die preußische Grundentlastung einnimmt, so lange nicht möglich sein wird, bis das freie österreichische Princip in Preußen zur Anwendung kommt. Möge man in Preußen nie vergessen, daß die wahre Basis der örtlichen Selbstverwaltung nicht in der einfachen Negation der ständischen Rechte, sondern wesentlich in der Herstellung eines vollkommen freien, bäuer- lichen Grundbesitzes liegt! Wir wollen jetzt zur Vergleichung einige andere Systeme der örtlichen Selbstverwaltung hinzufügen. Bayern . Bayern ist das erste Land, welches die ständischen und staats- bürgerlichen Elemente seiner Bevölkerung theils in socialer, theils aber in administrativer Beziehung gesetzlich regelte. Daraus ging dann das erste System seiner örtlichen Selbstverwaltung hervor, welches auf den verschiedenen Edikten von 1818 beruhte. In ihm war der Unterschied zwischen den ständischen und staatsbürgerlichen Körpern der Selbstverwaltung noch sehr scharf bestimmt. Erst mit dem Jahre 1848 trat der mächtige Proceß der Grundentlastung nach- drücklich in Thätigkeit, und damit zugleich eine Bewegung, welche mit einer fast vollständigen Auflösung der herrschaftlichen Landgemeinde mit den gutsherr- lichen Rechten begonnen hat, und mit der Beseitigung auch der standesherrlichen Verwaltungsrechte seiner Zeit enden wird. Das nun hat für das zweite , gegenwärtig geltende System entscheidend gewirkt, indem dasselbe nunmehr ein eigenes Mittelorgan der örtlichen Selbstverwaltung in den Distriktsgemeinden erzeugt, und damit die gegenwärtige Epoche zu einer festen Gestalt gebracht hat. Dieß System ist folgendes. A. Ortsgemeinden . Die Ortsgemeinden zeigen auch hier die beiden Gruppen, die staatsbürgerliche in den Stadt - und Landg emeinden, und die ständische in den Guts - und Standesh errschaften. Die ersteren sind hier jedoch wieder in drei Klassen getheilt, die sich durch ein verschiedenes Maß der Selbstverwaltung unterscheiden; die ganze Abtheilung der Land- gemeinden ist ihrerseits im Grunde nichts anderes, als die vierte Klasse der Stadtgemeinden, mit noch geringerem Recht. Die ständischen Gemeinden haben ihre Selbständigkeit wesentlich in Ortspolizei und Gerichtsbarkeit. In der Pfalz gilt das französische Municipalsystem. Es ist auf den ersten Blick klar, daß wir in diesem System nur einen Uebergangszustand vor uns haben, der im Grunde schon durch die Verfassung des Mittelorgans angebahnt erscheint. Siehe Pötzl , Verfassungsrecht. Von den Ortsgemeinden §. 94 ff. Von den gutsherrlichen Rechten §. 61 ff. Die Ortsgemeinden erscheinen selbst als Gutsherren §. 97. B. Mittelorgan . Die Distriktsgemeinde . Die Distriktsgemeinde ist die Einheit dieser Ortsgemeinden, dem preußischen Communal- und Kreistage entsprechend. Höchst bezeichnend ist es, daß die „unmittelbaren Städte“ — der Rest der ständischen Stadtgemeinde — in diesen Distriktsgemeinden nicht mit vertreten sind, sondern nur in den Kreisgemeinden erscheinen. Sie bestand schon vor 1848, aber nicht als Corporation; das Gesetz vom 28. Mai 1852 hat sie zu dauernden Körperschaften gemacht. Ihre Composition zeigt auf ständischer Grundlage doch schon die Geltung staatsbürgerlicher Anschauung; sie hat die drei in Preußen offen anerkannten Stände vermieden, aber dennoch wird sie gebildet aus den Gemeinden, den höchstbesteuerten Grundbesitzern, und aus einer dritten Kategorie, in welcher wir die Kategorie der Standesherr- schaften verdeckt sehen. Das Recht dieser Distriktsgemeinde ist ein sehr eng beschränktes; sie hat nur ihr Vermögen selbst zu verwalten, und sonst nur Gutachten zu geben. Sie ist daher durchaus nicht geeignet, die Selbstverwal- tung der Ortsgemeinden zu entwickeln; doch sehen wir in dem Distriktsaus- schusse, der ständig wirkt, ein wesentliches Element des Fortschrittes, obwohl merkwürdigerweise von einer Theilnahme an den Gemeindeangelegenheiten keine Rede ist. ( Pötzl , Verfassung §. 113.) C. Das Hauptorgan der örtlichen Selbstverwaltung ist die sogenannte Kreisgemeinde , die nichts anderes ist, als eine — noch unklare — For- mation der Provinziallandtage. Sie bildet aus den Distriktsgemeinden, den unmittelbaren Städten, den höchstbesteuerten Grundbesitzern, drei Vertretern der Pfarrer und einem Abgeordneten der Universität durch Wahl den Landrath , der neben der Verwaltung des Vermögens des Kreises ein eigenthümlich rich- terliches Organ für die Gemeindestreitigkeiten bildet. Daneben ist er berathen- des Organ für Kreisangelegenheiten. — Man sieht auch in diesem bayerischen System keine rechte Selbstverwaltung; das Amt ist und bleibt das Hauptorgan der wirklichen Verwaltung für alle, mehrere Gemeinden umfassenden Aufgaben. ( Pötzl , Verfassungsrecht §. 123 ff.) Württemberg . Württemberg ist zu klein, um für die örtliche Selbst- verwaltung alle drei Organe enthalten zu können. Es hat daher zwischen Ortsgemeinde und Volksvertretung nur ein Zwischenorgan. Die Orts- gemeinde bestand nach dem Edikt von 1822 aus den beiden Gruppen der staatsbürgerlichen Gemeinden, Stadt- und Landgemeinden, von denen die ersteren wieder in drei Klassen getheilt sind, während der Unterschied zwischen diesen Klassen sowohl, wie zwischen Stadt und Land ein sehr geringer, nur auf die Competenz bezüglicher ist — und den ständischen Gemeinden, den Standes- herrschaften, die aber durch das Gesetz vom 6. Juli 1849, welches alle Güter in die Gemeinden einverleibte und die Patrimonialjurisdiktion aufhob, fast ver- schwunden sind. Das Mittelorgan ist die sogenannte Amtskörperschaft , welche eben die ursprüngliche Einheit der beiden Arten der Gemeinden war (die „Verbindung von Stadt und Amt“), und theils berathende, theils beschlie- ßende Stimme in den gewöhnlichen gemeinsamen Ortsangelegenheiten hat. Hannover . Die örtliche Selbstverwaltung Hannovers hat dagegen in weit höherem Maße das Princip der ständischen Ordnung als Grundlage, ob- gleich sie darin im Grunde weder mehr noch weniger wirkliche Verwaltungs- rechte hat. Auch hier ist der Charakter des Uebergangsstadiums klar. Nach dem Gesetze vom 28. April 1859 soll jedes Grundstück Theil einer Gemeinde sein, wenn es nicht davon als größeres Gut ausgenommen ist. Wir sehen daher die staatsbürgerlichen Gemeinden in Stadt- und Landgemeinde (Gesetz vom 24. Juni 1858 und 28. April 1859) und die herrschaftliche Gemeinde noch neben einander. Das ist das System der Ortsgemeinde . Die mittleren Organe sind die Amtsversammlungen , ganz den württembergischen Amtskörper- schaften analog, aus den Vertretern der Gemeinden und Herrschaften gebildet, und mit berathender Stimme für gemeinsame Angelegenheiten. Das höchste Organ sind die Provinziallandschaften , die ihrerseits, wie die preußischen, nach den Landschaften verschieden sind, im Wesentlichen aber übereinstimmend aus Abgeordneten der drei Stände: Gutsherren, Bürgerstand und Bauernstand, gebildet werden. Man erkennt in diesen Formationen deutlich die beiden großen socialen Ordnungen, wie sie ihre eigenen Wahlordnungen enthalten, und während sie in den Ortsgemeinden die staatsbürgerliche Grundlage durchführen, in den mittleren und höchsten Organen das ständische Princip vertreten, während der Landtag beide Ordnungen verschmilzt. Königreich Sachsen . Die Ortsgemeinde im Königreich Sachsen ist, wie fast allenthalben, staatsbürgerlich und ständisch; die Stadt- und Land- gemeinde zeigt wieder eine Reihe von Klassen mit hier nicht unwesentlich ver- schiedenen, meist historisch begründeten Rechten, während die Gutsherrschaft daneben die örtliche Verwaltung der Polizei und der öffentlichen Angelegenheiten hat. (Allgemeine Städteordnung vom 2. Februar 1832. Landgemeindeordnung vom 7. November 1838.) Die Gemeinden haben wieder das Recht, Lokal- statuten zu machen. Zwar wird hervorgehoben, daß die Aufgabe des Gesetzes die Befreiung der Gemeinden sei, aber die Unterordnung unter das Amt ist sehr strenge, wie schon das Recht der Bestätigung der Wahlen zeigt. ( Mil- hauser Sächsisches Staatsrecht S. 252.) Die Provinzialstände sind im Grunde die obigen Amtskörperschaften, das mittlere Organ der Selbstverwal- tung; sie haben das Besondere, daß sie rein ständischer Natur sind, und nur die Herrschaften und die Städte zulassen. ( Milhauser §. 96 ff.) Baden. Ortsgemeinden : Stadt- und Landgemeinde, und Standes- herrschaften; mittleres Organ, die Kreisversammlungen , seit 1849 ein- geführt. Kurhessen . Durch das Gesetz vom 1. Dec. 1853 ist das staatsbürger- liche Princip für die Ortsgemeinde fast ganz durchgeführt; mittleres Organ ist der Bezirksrath , der jedoch wieder theils aus Standesherren und Ritter- gutsbesitzern, theils aus den Höchstbesteuerten, theils aus den Stadtgemeinden, theils aus den Landgemeinden hervorgeht. Auch die Verschmelzung der Ord- nungen und Beginn des Ueberganges. — Dem Kurfürstenthum fast ganz gleich ist das Großherzogthum Hessen in seiner Gemeindeverfassung und Bezirks- räthen seit 1852 und 1853. — Aehnlich, jedoch auf freierer Basis, Gemeinde- und Bezirksausschuß in Sachsen-Weimar , Gemeindeordnung von 1854; Nassau , Gesetz vom 24. Juli 1854, wo die Gutsherrschaften schon ganz ver- schwinden; Braunschweig Ortsgemeinde und Amtsrath (Gemeindeverfassung vom 19. März 1850). Eigenthümlich ist das Verhältniß in Oldenburg geordnet, wo nach der Gemeindeordnung vom 1. Juli 1855 die Städte erster und zweiter Klasse dadurch verschieden sind, daß die ersten unmittelbar unter der Regierung, die letzteren mit den Landgemeinden unter den Aemtern stehen, während sich wieder die Theile der Gemeinden als Ortsgemeinden constituiren, und die Landgemeinden in Bauernschaften zusammentreten. Die Provinzial- räthe in Lübeck und Birkenfeld sind örtliche Volksvertretungen. Das bisher Angeführte soll natürlich nichts erschöpfen. Aber wenn es einerseits zeigt, daß der Inhalt der Selbstverwaltung auch bei den freiesten Gemeindeverfassungen fast nirgends über die Gemeindegränze hinausgeht, und dieselbe daher noch sehr weit unter dem englischen Selfgovernment steht, wäh- rend das Beamtenthum doch immer das eigentlich verwaltende Organ bleibt, so ist es andererseits auch gewiß, daß wir im Großen und Ganzen den Charakter einer Uebergangsepoche vor uns haben, aus der wir nur durch die völlige Frei- heit der Bauernbesitzungen und durch die Einführung des englischen Princips der Verwaltungsgemeinden, dieses Kerns der wahren Selbstverwaltung, der allein nicht im Widerspruch mit den ständischen Elementen steht, überwinden werden. C. Corporationen und Stiftungen . 1) Allgemeiner Charakter beider . Wir müssen als letzte Form der Organisation der Selbstverwaltung die Corporationen und Stiftungen aufführen, die ein, wenn auch nicht sehr großes, so doch in vieler Beziehung sehr wichtiges Gebiet betreffen. Corporationen und Stiftungen entstehen da, wo für einen einzelnen ganz bestimmten öffentlichen Zweck ein bestimmtes Vermögen ausgesetzt und ausschließlich durch eigen dafür bestimmte Organe nach bestimmten Regeln verwaltet wird. Die Corporationen und Stiftungen bilden den Uebergang von der eigentlichen Selbstverwaltung im Gemeindewesen zum Vereinswesen, indem in ihnen wie bei dem Verein der Zweck, der durch die Mittel erreicht werden soll, durch den freien Willen der Einzelnen gesetzt wird, während die Ordnung der Verwendung der Mittel gleichfalls durch diesen Willen bestimmt ist. Allein sie gehören dennoch der Selbstver- waltung an, da die Auflösung der einmal bestehenden Körper eben so wenig wie die einmal angeordnete Verwaltung von dem Willen der an dieser Verwaltung Betheiligten abhängt. Und das haben sie mit der Selbstverwaltung überhaupt gemein. Sie sind daher, einmal be- stehend, dauernde Organe der öffentlichen Verwaltung, und müssen mit ihrem eigenthümlichen Organismus so wie mit ihrem Rechte stets in derselben erscheinen. Corporationen und Stiftungen haben viel Gemeinsames, aber auch viel Verschiedenes. Wegen ihrer Beschränkung auf ganz einzelne Zwecke und wegen ihrer zum Theil ganz zufälligen inneren Ordnung beachtet man sie wenig. Dennoch sind sie ein immanentes Moment der freien Verwaltung, und für den ganzen Gang der letztern wichtig genug, um sie hier in denjenigen Punkten aufzuführen, in denen sie als ein orga- nisches Element des Gesammtlebens, und deßhalb zu allen Zeiten und bei allen Völkern erscheinen. Nur muß man dabei eben so strenge wieder beide in ihrem Wesen wie in ihrer Geschichte unterscheiden. Alle Corporationen und Stiftungen im weitesten Sinne des Wortes haben das mit einander gemein, daß sie eine, über der Willkür der Einzelnen stehende, objektiv bestimmte Organisation ihrer Verwaltung haben, die man in analoger Weise wie bei der Selbstverwaltung der Gemeinde ihre Verfassung nennen kann. Eben so haben beide eine gleichfalls objektiv bestimmte Ordnung der Thätigkeit ihrer so bestimmten Organe, die man wohl entsprechend als ihre Verwaltung bezeichnen darf. Beide sind endlich nur denkbar, indem die ihnen zu Gebote stehenden Mittel für einen öffentlichen Zweck verwendet werden; das ist, indem ihre Verwendung eine im Wesen und im Gebiete der inneren Staatsverwaltung liegende Aufgabe erfüllt. Dadurch erstlich, und zwei- tens dadurch, daß sie mit ihrer Verfassung und Verwaltung einen ganz selbständigen, außerhalb des Staatswillens stehenden, aber dennoch der Staatsfunktion angehörenden Organismus bilden, gehören sie dem öffentlichen Rechte des Staats selber. Sie können nur bestehen, indem der Staat sie als solche förmlich anerkennt . Der Grund und die Nothwendigkeit dieser Anerkennung schließt daher den Satz in sich, daß sie mit ihrer Verfassung und Verwaltung mit dem Staatsleben und seiner Entwicklung, und zwar mit den großen Principien der Verfassung und Verwaltung des Staats nicht im Widerspruch stehen dürfen. Da nun aber die innere Organisation solcher Corporationen und Stiftungen stets in einer bestimmten Zeit, also in einer bestimmt gegebenen Ent- wicklungsstufe des Gesammtlebens entsteht und daher dieser ihrer Zeit entsprechend gebildet, aber mit dieser so bestimmten Ordnung auch als für alle Zeiten bleibend anerkannt wird, so leuchtet es ein, daß, wenn auch Jahrhunderte darüber weggehen, dennoch zu irgend einer Epoche und in irgend einer Form der Fall eintreten kann und wird , in welchem das formell anerkannte Recht solcher Körperschaften mit den Principien und Thätigkeiten der Staatsordnung in Widerspruch geräth. Dieser Widerspruch tritt dann um so schärfer hervor, wenn die Aner- kennung der einmal gegebenen Ordnung derselben von Seite des Staats auch formell eine unbegränzte, also dem Wortlaute nach für alle Zeiten gültige ist. In der That ist in diesem Falle nicht bloß ein Gegensatz zwischen dem Rechte und der Ordnung dieser Körperschaften und dem Staate, sondern für den Staat selber vorhanden, da das von ihm ge- setzte Recht mit dem von ihm geforderten Rechte in Widerspruch steht. Und es ist offenbar, daß diese Verhältnisse, wie sie auf dem innersten Wesen beider, der Körperschaften wie des Staats beruhen, auch nur durch die Betrachtung der höhern Natur beider gelöst werden können. Diese Lösung liegt nun aber in nichts anderem, als in dem schon oben angedeuteten Unterschiede zwischen Corporationen und Stiftungen. 2) Corporationen und ihre Verwaltung . Die Corporationen gehören der ständischen Gesellschaftsordnung; aber sie müssen als eine ganz bestimmte Erscheinung derselben betrachtet werden, die bei aller Zufälligkeit und Verschiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa dieselbe letzte Grundlage darbietet. Eine Cor- poration entsteht immer auf der Basis eines gemeinsamen Berufes , der durch die äußeren Lebensverhältnisse so lange gefährdet oder einer größeren Entwicklung unfähig erscheint, als die Berufsgenossen vereinzelt sich zu ihrem Berufe bilden, oder ihn vereinzelt ausüben wollen. Die Corporation ist daher zunächst ein Verein der Berufsgenossen; aber wie der Beruf selbst, seinem Wesen nach, ein dauerndes und organisches Moment des Gesammtlebens ist, das nicht von der Willkür Einzelner abhängt, so ergibt es sich bei dem Verein selbst sogleich, daß derselbe ein dauernder, auf bestimmten, dem Wesen des bestimmten Berufes entsprechenden und mithin für den Einzelnen unantastbaren Ordnungen beruhen muß. Diese Ordnungen entwickeln sich naturgemäß langsam aus der Funktion des Berufes selbst; aber einmal entwickelt verschmelzen sie mit dem Berufe so innig, daß man sie schwer oder gar nicht mehr von ihm trennen kann. So wie nun diese Ordnungen feststehen, so bildet sich dem entsprechend auch ein Organismus innerhalb der Berufs- genossen, welcher eben so fest und dauernd wie jene Regeln selbst die Vollziehung des Berufes bewacht und ordnet. Naturgemäß schließt sich die so entstehende Berufsgenossenschaft dann von der übrigen Gemein- schaft immer zunächst in Beziehung auf ihren Beruf und seine Voll- ziehung ab, da sie den Grundsatz festhalten muß, daß sie, die ihr ganzes Leben und ihre ganze Kraft dazu hergibt den Beruf zu vollziehen, auch am besten, ja ausschließlich fähig sei, die Aufgaben des eigenen Berufes zu beurtheilen. Die Berufsgenossenschaft erhebt sich dadurch zur aus- schließlichen Herrschaft über die Erfüllung ihres Berufes in der mensch- lichen Gemeinschaft; und wo immer eine Herrschaft entsteht, da muß sie sich einen ihr eigenthümlichen Besitz schaffen, der die wirthschaft- lichen Bedingungen ihrer Thätigkeit darbietet. Mit diesem Besitze, der nun in der ständischen Epoche natürlich nur ein Grundbesitz ist, entsteht für die Berufsgenossenschaft eine neue Stellung. Der Grundbesitz ist die Basis der Theilnahme am öffentlichen Recht des Staats, an der Vertretung in den Ständen. Die Berufsgenossenschaft wird daher ein Glied der Stände oder des Landtages , und dieser Eintritt in den Landtag enthält die staatliche Anerkennung derselben und ihrer ganzen inneren Ordnung; mit derselben wird aus dem Verein der Berufs- genossen das, was wir eine Corporation nennen. So tritt die Corporation auf als ein anerkanntes Glied der ständischen Verfassung, und nimmt damit das Recht der ständischen Selbständigkeit nicht bloß für ihren Besitz, sondern auch für ihre innere Ordnung in Anspruch. Durch die Corporation wird die ganze Berufserfüllung eine ständische, und die Abschließung derselben vom Einfluß des Staats zu einem Prinzip des öffentlichen Rechts. Das nun ist der Punkt, auf welchem bei höherer Entwicklung des Staatslebens der Widerstreit mit dem Staate nicht ausbleiben kann. Der Inhalt der Berufsthätigkeit gehört seinem Wesen nach unzweifelhaft dem Gesammtleben des Volkes; der Staat aber ist die persönliche Einheit dieses Gesammtlebens. Je höher die Entwicklung des Staats steht, um so mehr muß daher auch derselbe den Werth einer tüchtigen Berufserfüllung anerkennen und die Verantwortlichkeit für denselben übernehmen. Seinem Streben, dies zu thun, steht aber das Recht der selbständigen Corporation mit der meist streng geordneten und ausdrücklich anerkannten Selbstverwaltung ihrer Interessen und ihrer Berufspflichten entgegen. In diesem Gegensatze erscheint nun in den meisten Fällen ein Ausweg, den eben derselbe Fortschritt des Gesammtlebens bietet, der jenen Gegensatz selber erzeugt. Die Corpo- rationen als ganz selbständige Körperschaften sind auf sich selbst und mithin auch auf ihren eigenen Besitz angewiesen. Derselbe genügt all- mählig den wachsenden Anforderungen an den Beruf nicht. Es muß daher der Staat aus seinen Mitteln Beiträge leisten. Für diese Bei- träge fordert er dann die Theilnahme an der bisher strenge von ihm abgeschiedenen Verwaltung der Corporation, und zwar in dem Maaße mehr, je mehr er selbst beitragen muß. Diese Theilnahme aber wird naturgemäß allmählig eine Umgestaltung der Corporation selbst. Sie wird, indem der Staat den Haupttheil der Mittel hergibt, auch ihrem Hauptinhalte nach aus einer Corporation eine Staatsanstalt . Das letztere ist zunächst die materielle Folge des erstern; vom höheren Stand- punkt aber ist es vielmehr ein organischer Entwicklungsproceß. Denn in der That kann nur im Staate die Verwaltung der höchsten allge- meinen Interessen des Gesammtlebens liegen, und die Abscheidung vom Staate ist durch die Individualisirung der erstern eine Gefährdung des letztern. Auf diesem Punkte nun fragt es sich, ob und in wie weit noch von einer Selbstverwaltung der Corporation die Rede sein kann. Und diese Frage kann nicht einfach beantwortet werden. Man muß vielmehr hier zuerst die Arten der Corporation, und dann das Wesen der Stiftungen und ihr Verhältniß zur Corporation unterscheiden. Der oben bezeichnete allgemeine Gang der Dinge erklärt es näm- lich, daß der Ausdruck und die Principien des corporativen Rechts auf verschiedene Dinge in der ständischen Welt Anwendung finden, die zum Theil nur sehr uneigentlich den Namen einer Corporation führen. Zuerst gehören dahin diejenigen Formationen der ständischen Welt, welche wir als die ritterschaftlichen oder Adelscorporationen be- zeichnen müssen, und die im Grunde nur Vereine zu gewissen stän- dischen Zwecken, oft mit, oft ohne eigenen Grundbesitz sind, als solche aber in der ständischen Verfassung einen bestimmten Platz haben. Bei diesen ist natürlich von einer Berufsgenossenschaft nicht die Rede, und man muß sie daher auch nur als Corporationen im uneigentlichen Sinne betrachten. Sie haben aus demselben Grunde mit der Verwaltung des Staats nichts zu thun, sondern auf Grundlage ihres Grundbesitzes und zuweilen auch der noch erhaltenen Anerkennung ihrer landständischen Rechte erscheinen sie in der Verfassung mit dem Rechte zur Wahl der Volksvertreter, zuweilen mit Virilstimmen, da wo das ständische Element der Verfassung noch erhalten ist. Von einer Selbstverwaltung ist bei ihnen daher auch nur dann die Rede, wenn sie zufällig ein bestimmtes eigenes Vermögen haben; das aber nimmt eben dadurch, indem es für ganz bestimmte Zwecke verwendet wird, den Charakter einer Stiftung an, und fällt damit unter die Grundsätze, welche für die Verwaltung derselben gelten. So verschwindet diese erste Form der Corporationen mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Ein ähnliches Schicksal hat die zweite Form, die wir als die städtische Form der Corporationen, die gewerblichen Corporationen, bezeichnen müssen. Die Gründe, weßhalb, und die Ordnung, in welcher sich diese Gewerbe zu selbständigen Corporationen ausgebildet haben, sind bekannt und gehören der Geschichte des städtischen Lebens. Meistens aber haben dieselben zwei Hauptzwecke zugleich gehabt, und ihr Schicksal ist je nach diesen Zwecken ein verschiedenes. Der erste war der, das Gewerbe selbst Stein , die Verwaltungslehre. I. 33 zu ordnen; daraus wurden sie zu derjenigen Form, in welcher das Gewerbe in die städtische Verfassung hineintrat. In letzter Beziehung verschwinden sie natürlich mit dem neuen Gemeinderecht; in ersterer Beziehung erhalten sie sich bis zum Eintreten der Gewerbefreiheit; in beiden aber verschwinden sie mit dem Eintreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Ihr zweiter Zweck war dagegen schon ursprünglich ein anderer, in der Begränzung und Ausführung vielfach modificirter, im Princip dagegen beständig gleichartiger. Es war der einer gegenseitigen Unterstützung der Gewerbsgenossen. Dieser Zweck erzeugte einen eigenen Besitz, bald ein Haus, bald ein Grundstück, meist eine „Lade“, immer aber irgend ein Objekt einer wirthschaftlichen Selbstverwaltung. Natür- lich blieb dieses Element auch noch in der Epoche der staatsbürgerlichen Gesellschaft; aber durch das allein waren jene Corporationen nicht mehr, was sie gewesen; sie verschwanden als solche und wurden, gerade wie die Adelscorporationen, zu Stiftungen. Die dritte Form dagegen bildet die eigentliche Corporation, die wir als die Berufscorporation bezeichnen. Eine eigentliche Corporation nennen wir sie, weil das Objekt ihrer Selbstverwaltung den Organismus und die Thätigkeit einer Berufs- erfüllung, mithin ein wirklich allgemeines und auch in der staatsbürger- lichen Gesellschaft dauerndes Element betrifft. Ihr Inhalt ist eben deßhalb ein doppelter: erstlich allerdings ihr Besitz und dessen Verwal- tung, dann aber die Erfüllung des Berufes durch die Berufsmitglieder. Und hier ist es nun, wo man auch in unserer Zeit noch von eigent- lichen Corporationen und ihrer Selbstverwaltung reden kann, und wo daher Staat und Selbstverwaltung sich berühren, sich durchdringen, oft aber zum Gegensatze kommen. Um hier die Gränze zu ziehen, muß man unterscheiden, und zwar zwischen dem Besitz und dem Berufe. Der Corporationsbesitz nämlich hat fast immer eine zweifache Wid- mung. Erstlich ist er für die berufsmäßigen Aufgaben der Corporation bestimmt; zweitens erscheint er als besondere, mit dem Berufe zusam- menhängende Stiftung. Wo das letzte der Fall ist, da treten natürlich die Rechte und Verhältnisse der Stiftungen ein. Wo dagegen das erste der Fall ist, da geschieht, was wir oben bezeichnet haben. Es liegt im unbezweifelten Wesen des Staats, die Ordnung, in welcher ein Beruf überhaupt erfüllt werden soll, zu bestimmen. Es kann kein Recht geben, das ihm dieses Recht absolut entzöge. Nicht einmal das eigene Gesetz des Staats nimmt es ihm, noch weniger die Anerkennung des Rechts der Selbstverwaltung einer Corporation. Denn diese Anerkennung ist nicht das Zusprechen eines Privatrechts, wie bei der Stiftung, sondern die Bestimmung über die Vollziehung einer Funktion, welche im Begriffe der Gemeinschaft der Menschen liegt. In jener Anerkennung steht nicht eine einzelne Persönlichkeit einer andern einzelnen, sondern der allge- meinen Persönlichkeit entgegen, und es wird daher von der Corporation niemals ein Privatrecht auf die bestimmte Ordnung in der Vollziehung und Selbstverwaltung ihres Berufes gewonnen. Das Wesen des Staats fordert daher, daß der Staat auch die Verwendung des Besitzes der Corporation für ihre Berufserfüllung zu allen Zeiten nach seinem Willen bestimme; selbst in dem Falle, wo die corporativen Mittel ohne Staats- hülfe für den Beruf ausreichen, um so entschiedener, wo der Staat diese Mittel ergänzen muß. Es kann daher kein Zweifel sein, daß die Funktion der Corporationen in Bezug auf die Selbstverwaltung des Berufes im Grunde die Uebertragung einer staatlichen Zuständig- keit auf die Organe der Corporation enthalten, daß dieß, wenn auch nicht klar empfunden und noch weniger gesagt, schon als bei der Grün- dung der Corporation gedacht angenommen werden muß, und daß daher das Gesetz des Staates trotz der gesetzlichen Anerkennung der corpora- tiven Selbstverwaltung die letztere in jedem Augenblick eben so gut ändern kann, wie jedes andere Gesetz über die staatliche Organisation. An dieses Rechtsprincip der corporativen Selbstverwaltung schließt sich allerdings das zweite, politische Princip, daß es naturgemäß ist, diese Verwaltung, wenn auch im Namen des Staats, doch immer durch die Organe der Corporation vollziehen zu lassen, welche Wesen und Aufgabe des Berufes natürlich am besten kennen. Und man muß daher im Ganzen das organische Verhältniß der corporativen Selbstverwaltung nunmehr dahin bestimmen, daß es nur noch Corporationen des Berufes gibt, und daß in der Selbstverwaltung derselben der Staat naturgemäß die gesetzgebende , die Corporation die vollziehende Gewalt im weitesten Sinne des Wortes, also die organisatorische , die Verordnungs - und die Polizeig ewalt für alle die Vollziehung des Gesetzes über die Berufserfüllung betreffenden Verhältnisse habe. Im Großen und Ganzen ist dieser aus der Natur der Sache sich ergebende Grundsatz nun auch der, den wohl so ziemlich alle Gesetz- gebungen und Verwaltungen faktisch und rechtlich anerkannt haben und durchführen. Nur ist es sehr schwer ein rechtbegründetes Urtheil dar- über zu haben, weil überhaupt das Wesen der Corporationen noch keiner wissenschaftlichen Untersuchung unterworfen ist, und eben daher das Material mit Ausnahme eines Gebietes, der Universitäten, fast gänzlich fehlt. Dennoch dürfte die Stellung derselben kaum wesentlich von dieser organischen Stellung dieses Gebietes der Selbstverwaltung abweichen. Ein ganz anderes Verhältniß dagegen tritt bei den Stiftungen ein, in welchen das Moment der Verwaltung dem Einzelwillen gegenüber fast ganz verschwindet und der erstern nur noch ein Recht der Ober- aufsicht bleibt. Man muß zu dem Ende das Wesen der Stiftungen so scharf als möglich, namentlich den Corporationen gegenüber, bestimmen, da man im gewöhnlichen Leben oft beide ganz verwechselt, und die Theorie hier gänzlich schweigt. Es ist eine gewisse Schwierigkeit, die im Laufe der historischen Entwick- lung liegt, über den Begriff der Corporationen einig und klar zu sein; der Ausdruck hat im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwei wesentlich verschiedene Be- deutungen. Zuerst versteht man unter Corporation eine sogenannte juristische Persönlichkeit überhaupt; dann erst denkt man sich den eigentlichen Verwaltungs- zweck hinzu. Dadurch kommt man leicht dazu, jede juristische Persönlichkeit eine Corporation zu nennen, indem man das Recht einer solchen juristischen Persönlichkeit eben als das Recht eine Corporation zu sein bezeichnet. Man begreift daher im Allgemeinen auch alle Körper der örtlichen Selbstverwaltung, namentlich der Gemeinden, unter dem Begriff der Corporation, und indem man das thut, ist offenbar der specifische Begriff derselben verflüchtigt. Daher kommt dann die an sich merkwürdige Erscheinung, daß wir in der allgemeinen deutschen Staatsrechtslehre, wie bei Zachariä, Zöpfl, Klüber u. s. w. gar nichts über Corporationen finden, und selbst in den territorialen Staatsrechten erscheinen sie bei einigen gar nicht, wie bei Milhauser (Sachsen), Weiß (Hessen), Schweizer (Sachsen-Weimar), Pfister (Baden), während Rönne sie ganz mit den Vereinen, insofern dieselben juristische Persönlichkeiten sind, verwechselt ( I. 100), woran freilich die Verfassung von 1850 Schuld ist, die unter „Corporationsrechten“ geradezu nur die Rechte der juristischen Persönlichkeit versteht (Art. 31); dennoch ist der Unterschied klar genug. Eine Corporation ist allerdings eine juristische Persönlichkeit, aber eine solche, die ein eigenes Ver- mögen für einen bestimmten Verwaltungszweck besitzt, ohne daß dieß Vermögen ein gemeinschaftliches Eigenthum ihrer Mitglieder wäre. Das erste unterscheidet sie sehr klar von der juristischen Persönlichkeit der Gemeinde, das zweite von der der Vereine. Aber gerade diese ihre Natur hat sie, mit dem Uebergange der Verwaltung an die Staatsgewalt, fast ganz aufgelöst, so daß sie nur noch in wenigen Erscheinungen dastehen, nachdem auch die gewerblichen Corporationen der Zünfte und Innungen vor der Gewerbefreiheit verschwunden sind. Die Corporationen haben sich dadurch auf ihr eigenthümliches Gebiet zurückgezogen; sie erscheinen nur noch als Corporationen des geistigen Berufes, der Kirche und der Wissenschaft. Sie müssen daher jetzt als die Selbstverwaltungsge- meinden des geistigen Lebens betrachtet werden. In diesem Sinne hat es eine Bedeutung, sie nicht zu reinen Staatsanstalten werden zu lassen, na- mentlich in Deutschland und Frankreich, wo die Selbstverwaltung noch so un- vollkommen entwickelt ist. Das nun, was diese Corporationen davor bisher geschützt hat, ist das ständische Princip. In Frankreich lebt das ständische Element nur noch in der Selbständigkeit der Kirche und der Begriff der „Cor- poration“ ist daher durch wissenschaftliche Selbstverwaltungskörper gar nicht vertreten, wohl aber durch die Confréries und Congrégations réligieuses, welche die einzigen Corporationen in Frankreich bilden. In England ist die Corporation der Sache nach in Kirche und Universität enthalten, und in einigen formalen Resten der alten Zünfte, die aber keinen administrativen Inhalt mehr haben, sondern nur noch als gesellige Vereine höheren Ranges fungiren. Der Ausdruck „to-incorporate“ und „corporation“ bedeutet aber in England nicht das, was wir unter Corporation verstehen, sondern nichts anderes, als die gesetzliche Anerkennung der juristischen Persönlichkeit, und findet daher nur auf die Gemeinden und auf das Vereinswesen Anwendung (Gneist I, §. 124). In Deutschland ist man wie gesagt auch in den Gesetzen nicht klar, geschweige denn in der Theorie; denn es kommt wohl vor, daß wie in der kurhessischen Ver- fassung (Abs. V ) die Ueberschrift „von ritterschaftlichen Körperschaften“ lautet, ohne daß von Körperschaften überhaupt die Rede wäre. In Preußen sind nach der allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 die Reste der alten Innungen noch als „Corporation“ förmlich anerkannt, und auch mit den entsprechenden Rechten in Betreff des Betriebes (Oberaufsicht über gewisse Ge- werbeverhältnisse u. s. w.) ausgerüstet ( Rönne II, §. 409 ff.). Daneben stehen die kirchlichen Corporationen. In Bayern sind nur die Universitäten, die öffentlichen Religionsgesellschaften und die Gemeinden als Corporationen anerkannt ( Pötzl , Verfassungsrecht §. 86). — Wenn einmal das organische Wesen und die Besonderheit der Corporationen anerkannt sein wird, wird man auch im Stande sein, mehr darüber zu sagen; bis jetzt fehlt selbst das Material, mit Ausnahme der Universitäten und ihrer Rechte. 3) Die Stiftungen und ihre Verwaltung . Eine Stiftung entsteht, wenn ein Vermögen bestimmt wird, das für die Verwirklichung eines an sich allgemeinen Zweckes in einer ein- zelnen Person oder in ganz begränzten Verhältnissen dauernd verwendet werden soll. Jede Stiftung hat daher beide Momente, das allgemeine der Verwaltungsaufgabe, und das individuelle des Stifters und seines persönlichen Willens in sich. Durch das erste gehört sie der Staats- verwaltung, durch das zweite dem Leben der persönlichen Willkür; sie ist stets die Erfüllung des Staatszweckes nach der willkürlichen Meinung des Einzelnen. Das Recht der Stiftungen bestimmt sich mithin nach beiden Elementen zugleich. Dasselbe fordert zuerst die Anerkennung des Staats, welche die Erklärung enthält, daß Zweck und Verwendung des gestifteten Vermögens mit dem Staatszwecke nicht im Widerspruche stehen. Das Vermögen der Stiftung verliert dadurch den Charakter des Privateigenthums, und wird ein Theil des öffentlichen Gutes. Es folgt, daß, wenn der Staat die Stiftung nicht anerkennt, das Ver- mögen wieder Privateigenthum wird, und dem Erbrecht anheimfällt, oder herrenloses Gut wird. Es folgt ferner, daß der Staat das Recht hat, die Stiftung selbst aufzuheben, wenn sie mit den Zwecken seiner Verwaltung in offenen Widerspruch tritt. Allein so lange sie besteht, ist die Verwendung derselben in der Form gegeben, in welcher der Stiftende sie gewollt hat; an dieser kann der Staat nichts ändern, und man wird sie darum, da ihr Zweck stets im Gebiete der Staats- verwaltung selber liegt, eine Staatsverwaltung nennen. Es folgt dar- aus, daß im Falle die von der Stiftung geforderten Organe ihrer Ver- waltung nicht mehr gefunden werden können, der Staat nicht das Recht gewinnt, darum die Stiftung aufzuheben, sondern er muß sie vielmehr als eine hereditas jacens betrachten, und sie unter eine Vermögens- verwaltung stellen, welche in ihrer Thätigkeit genau den Vorschriften der Stiftung gemäß zu verfahren hat. Die Oberaufsicht, welche die Staatsverwaltung über die Verwaltung der Stiftungen hat, ist eben darum nie etwas anderes, als eine Form der Obervormundschaft , und die stiftungsmäßigen Organe der Verwaltung sind daher ganz nach dem Rechte der Vormünder zu behandeln. In zweifelhaften Fällen, in denen es sich bei der Verwendung der Stiftung um die Gränze der Berechtigung der Organe dieser Stiftungsverwaltung handelt, muß daher auch das Vormundschaftsrecht entscheidend sein, und die Befugniß der Organe der Verwaltung nach diesem Rechte ausgedehnt, die Ent- scheidung darüber aber der obersten vormundschaftlichen Behörde über- geben werden. Dieser letzte Satz erleidet nur da eine Aenderung, wo die Stif- tungen nicht von eigends eingesetzten Organen, sondern von einer Cor- poration verwaltet werden. In diesem Falle erscheinen die Stiftungen als dem Berufe angehörig, welche die Corporation selbst verwaltet, und die Aenderung in der Organisation des Berufes, welche von der Gesetzgebung bestimmt wird, muß daher auch als eine in der Stiftung selbst enthaltene und für sie zulässige angesehen werden. Die höchste leitende Gewalt ist in diesem Falle auch nicht mehr die obervormund- schaftliche Behörde, sondern das Ministerium der Berufe , das Ministerium des Cultus und Unterrichts, selbst in dem Falle, wo, wie bei den Hospitälern, die Ausübung der Stiftung eine sociale Bedeu- tung hat, und daher mit dem Ministerium der socialen Fragen, dem Innern, in Verbindung steht. — Es versteht sich dabei, daß die Stif- tungsurkunde in jedem Falle maßgebend sein muß; es wäre wohl eine der Wissenschaft der Verwaltung würdige Aufgabe, auf Grundlage dieser Urkunden einmal den historisch entstandenen und gegebenen Orga- nismus wie die Vertheilung der Stiftungen in irgend einem Lande mit voller Vollständigkeit und wissenschaftlicher Beherrschung darzustellen. Das so gewonnene Bild würde nicht bloß großen historischen Werth haben, sondern es würde uns auch zeigen, nach welchen Richtungen und in welchen Formen das Individuum in den verschiedenen Epochen die Aufgaben der Verwaltung auffaßt, und namentlich die nächsten Bedürfnisse derselben versteht, um so mehr, als wir derartige Arbeiten gänzlich entbehren. Wir glauben, daß trotz der großen Verschiedenheit der Stiftungen in Be- ziehung auf ihre innere und äußere Ordnung, doch gewisse gleichmäßige Grund- sätze bei ihnen durchgreifen werden. Nur fehlt uns dafür so gut als alles Material; denn bei einem solchen Gegenstande ist wenig Stoff so gut als gar keiner. Wir müssen deßhalb hier zuerst die Hoffnung und den Wunsch aus- sprechen, die uns bei dem Vereinswesen in noch viel höherem Maße lebendig werden, daß die große, theils administrative, theils nationalökonomische Wichtig- keit der Sache beim deutschen Bunde eine Institution hervorrufen möge, welche die genaue Statistik dieses ganzen Gebiets zu pflegen hätte, wie sie England für einen Theil seiner Vereine bereits besitzt. Wir sind überzeugt, daß man derselben auf die Dauer nicht wird entbehren können; möchten diese wenigen Worte dazu beitragen, auch die Staatsrechtslehrer Deutschlands für einen Wunsch zu gewinnen, den alle Nationalökonomen und Statistiker ohnehin mit uns theilen werden. In den bisherigen allgemeinen Bearbeitungen sowohl des öffentlichen Rechts als der Verwaltungslehre hat sich nur Mayer ( Grund- sätze des Verwaltungsrechts , 1862, §. 78) mit den „Stiftungssachen“ etwas genauer beschäftigt, allerdings mit zu vorwiegender Berücksichtigung geist- licher Stiftungen. Für Baden gilt Spohn , Grundzüge der rechtlichen Stel- lung und administrativen Behandlung der Stiftungen in Baden (Magazin für Rechtspflege IV, 110.) Das Recht der bayerischen Stiftungen ist sehr klar und gut bei Pötzl (Bayerisches Verfassungsrecht §. 88 u. §. 118); die Ver- waltung derselben von Mayerhofer , Theoretisch-praktisches Handbuch zur Verwaltung des Stiftungs- und Communalvermögens in Bayern, 2. Aufl. 1843. Ueber die Oberaufsicht über die Verwaltung der Stiftungen in Bayern siehe Pötzl (Bayerisches Verwaltungsrecht S. 42). Rönne hat merk- würdigerweise gar nichts. — Ueber Württembergs Stiftungswesen Ro- bert Mohl (Württembergisches Staatsrecht II, §. 204), der jedoch die Stif- tungen nur als zum Armenwesen gehörig auffaßt, was jedenfalls zu eng ist. — Für Familienstipendien in Bayern Verordnung vom 30. Oktober 1807 und 1812. Den Grundgedanken für alles deutsche Stiftungswesen spricht wohl der Reichsdeputationshauptschluß 1803, §. 65 aus: „Fromme und milde Stiftungen sind zu conserviren wie jedes Privateigenthum, doch so, daß sie der landesherrlichen Aufsicht und Leitung untergeben bleiben.“ — Vgl. Zöpfl I, §. 104. Jedenfalls wird das Stiftungswesen zwar dem Princip nach stets dem Organismus der Selbstverwaltung angehören müssen, während die einzelnen Stiftungen allerdings unter die einzelnen Zweige der inneren Verwaltung, und zwar entweder unter das Bildungs- oder unter das Hülfs- und Armenwesen fallen, was für die Statistik derselben maßgebend sein wird. Ueber das Stiftungswesen und sein Recht in England , namentlich über die Oberaufsicht des Staats und das Recht der Corporationen, sich selbst bye laws zu geben, siehe Gneist II, §. 125 u. unten. Viertes Gebiet. Das Vereinswesen . I. Die Begriffe von Berein und Verbindung. Der vierte große Organismus, durch welchen das Gesammtleben die Aufgaben vollzieht, welche im Begriffe der Verwaltung liegen, ist das Vereinswesen . Das Vereinswesen ist gegenüber den beiden andern Organismen, der staatlichen Verwaltung und der Selbstverwaltung, bei weitem der jüngste Theil. Es ist in seinem wahren Inhalt in der That erst in unserem Jahrhundert entstanden, und niemand vermag noch die Gränze desselben zu bestimmen. Um so wichtiger ist es, gerade in der Unbe- stimmtheit, die über dasselbe herrscht, und gegenüber der großen Macht, welche es schon jetzt entfaltet und die voraussichtlich noch viel größer zu werden bestimmt ist, das eigentliche Wesen desselben und die abso- luten Principien seiner Organisation festzustellen. Dieß nun wird aller- dings zu gleicher Zeit schwieriger und leichter dadurch, daß gerade das Vereinswesen, und namentlich als Theil der Verwaltungslehre, aller Vorarbeiten entbehrt, und die Wissenschaft hier daher ein ganz neues Gebiet zu erobern hat. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, zuerst den Begriff des Vereins- wesens, und damit seinen wesentlichen Unterschied von der staatlichen wie von der Selbstverwaltung festzustellen. Dann lassen sich die Elemente der Geschichte desselben anreihen, um von ihnen aus den gegenwärtigen Standpunkt desselben zu bestimmen, und daran wird sich dann Princip und System des Vereinswesens und Vereinsrechts leicht anschließen. I. Wir nennen allerdings im gewöhnlichen Leben jede Verbindung Mehrerer, in welcher sie für einen gemeinschaftlich bestimmten Zweck gewisse Mittel und Thätigkeiten hingeben, einen Verein. In diesem Sinn gehört der Verein jedoch nicht in die Verwaltungslehre. Ein Verein im Sinne der Verwaltung entsteht erst dann, wenn der Zweck, für welchen sich die Einzelnen verbinden, ein staatlicher Zweck ist , wenn die Leistungen der einzelnen Theilnehmer nach freier Vereinbarung dauernd geordnet, und die Theilnahme der letzteren an der Gesammt- thätigkeit eine principiell anerkannte und freie ist. Der Verein ist damit durch seinen Zweck ein Theil des Verwaltungsorganismus, durch die Rechte der Mitglieder die freieste Form des letzteren; gebildet durch den selbstbestimmten Willen Aller, wird er durch diesen Willen Aller ge- leitet; er beruht daher auf dem Grundsatz der staatlichen Entwicklung, des Fortschrittes aller Einzelnen durch die gemeinschaftliche Kraft, und das bestimmt sein Verhältniß zur Idee des Staats im Allgemeinen, und zur Verwaltung desselben im Besonderen. Er wirkt durch den Grundsatz der gleichen Berechtigung aller Mitglieder innerhalb des Vereins, und das bestimmt sein Verhältniß zur gesellschaftlichen Ord- nung. Der Verein, seinem Begriffe nach, kann sich daher zwar nur Zwecke des Staats, aber er kann dafür diese Zwecke in allen Formen, auf jedem Punkte, in jeder Ausdehnung setzen; er muß zweitens seine innere Ordnung auf Grundlage der gleichen Berechtigung der Mitglieder aufstellen, aber auf dieser Grundlage kann er sie dafür gestalten, wie er will. Es sind daher unendlich viele Vereine in unbestimmbarer Zahl von Ordnungen denkbar; aber dennoch haben alle in den obigen Prin- cipien ihre gemeinsamen Grundlagen. Und nun nennen wir die Ge- sammtheit aller Vereinsbildungen, aller ihrer Thätigkeiten, ihrer Ver- hältnisse zur Staatsverwaltung und ihrer inneren Ordnungen das Vereinswesen . Das Vereinswesen unterscheidet sich daher als selb- ständiges Gebiet der Verwaltung von der staatlichen Verwaltung und ihrem Organismus dadurch, daß es nicht durch die Idee des persön- lichen Staats gegeben ist und daß es daher in Organismus, Funktion und Verantwortlichkeit auch nicht vom Verfassungs- oder Verwaltungs- organismus des Staats abhängt. Seine Organe haben damit ferner nicht den Charakter der Beamteten, und die Dauer des einzelnen Ver- eins hängt nicht wie beim Staate von dem Zwecke ab, sondern liegt trotz des Zweckes und seiner dauernden Forderung in der freien Be- stimmung seiner eigenen Mitglieder. Der Verein kann daher weder im Ganzen noch im Einzelnen die staatliche Verwaltung ersetzen oder über- flüssig machen; der staatliche Organismus, indem er sich an die dauern- den Zwecke des Staats anschließt, muß auch in der höchsten Entwick- lung des Vereinswesens im Wesentlichen derselbe bleiben. Das Ver- einswesen erscheint daher gerade wegen seines eigenen Hauptmomentes, der vollen Freiheit aller in ihm Verbundenen, nie als ein Stellver- treter des Staats, sondern schon dem formalen Organismus nach nur als eine Erfüllung der staatlichen Ordnung. Es bringt in dasselbe nichts, das nicht schon im formalen Begriffe des Staats läge, aber es bringt in diesen formalen Inhalt die freie Bethätigung des individuellen Lebens, die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit der individuellen An- schauungen und Bestrebungen, die Vervielfältigung der staatlichen Ver- waltungskraft durch die Vereinigung vieler Einzelner für einen be- stimmten Zweck hinein. Das Vereinswesen wird damit zu der wahren und lebendigen Vermittlung zwischen dem mechanischen Organismus des Staats und der freien Gestaltung der staatsbürgerlichen Thätigkeit; indem es mit dem ersten Zwecke die selbstgewählte Form vereinigt, hebt es den Gegensatz auf zwischen dem außerhalb des Einzelnen dastehenden Staat und dem freien Individuum; indem es das letztere sich selbst seine Aufgabe für die Gemeinschaft wählen und vollziehen läßt, ver- schmelzt es auch innerhalb der Verwaltung die Idee der selbstherrlichen Persönlichkeit des Staats mit der des freien Staatsbürgerthums, und so bildet es, wenn auch nicht ein nothwendiges und organisches Glied des persönlichen Staats, so doch ein nothwendiges und organisches Glied des Gesammtlebens der Persönlichkeiten, in welchem der Staat selbst wieder nur ein Moment, das Moment der persönlichen Einheit dieser Gesammtheit ist. Das Vereinsleben ist daher dasjenige Gebiet, in welchem die höchste Idee der thätigen Gemeinschaft, und mithin speciell in Beziehung auf die Verwaltung die höchste Idee der Verwal- tung ihren Ausgangspunkt findet, indem es die beiden Pole, den per- sönlichen Staat und die einzelne freie Persönlichkeit organisch vereinigt; durch dasselbe erst verschwindet auch der theoretische Gegensatz, der in beiden für sich bestehenden Begriffen liegt; es ist das Gebiet der prak- tischen Anwendung der Vertragstheorie auf das Staatsleben, die weder durch den reinen Begriff des vertragsmäßigen Staats mit Rousseau, noch durch den reinen Begriff des absolut selbstbedingten Ich mit Fichte zur Erscheinung kommen und der natürlichen Auffassung von Staat und Einzelnen genügen will; und so ist das Vereinswesen gerade da- durch nicht so sehr die letzte und höchste Form, sondern der letzte Schluß- stein in der Entwicklung des thätigen Staatsbegriffs. So lange man dasselbe nicht verstanden hat, wird demnach sowohl der Staat als die individuelle Freiheit nicht harmonisch verstanden werden können, und der Mangel dieses Begriffes ist der Hauptgrund, weßhalb die Rechts- philosophie mit ihrer theoretischen Staatslehre immer, am meisten aber in unserer Zeit, außerhalb des wirklichen Lebens gestanden hat. Man kann von jetzt an überhaupt keinen Staatsbegriff mehr entwickeln ohne den Begriff der Verwaltung, den Begriff der Verwaltung aber nicht mehr ohne den Begriff des Vereinswesens. II. Während aber so das Vereinswesen die Idee des Staats und seiner Thätigkeit mit Freiheit erfüllt, ist andererseits die Idee des Staats eine eben so absolute Bedingung für die Idee des Vereinswesens. Denn das Vereinswesen trägt in sich gleichfalls, dem einseitigen Be- griffe des Staats analog, einen Widerspruch oder Mangel in sich. Während der reine Staatsbegriff nur sich als selbstbedingte Persönlich- keit zum Inhalt hat, hat der Vereinsbegriff wesentlich neben dem, dem Wesen des Staats angehörigen, also innerhalb der Verwaltung liegen- den Zwecke die volle Freiheit der individuellen Selbstbestimmung für diesen Zweck zum Inhalt. Der Zweck ist daher ein bestimmter und dauernder; er muß nach dem Begriffe des Staats und seiner Ver- waltung erfüllt werden; das Mittel, die Verbindung der Einzelnen zum Verein, ist dagegen frei; sie kann den Zweck einseitig, sie kann ihn nur für kurze Zeit, sie kann ihn gar nicht erfüllen. Der Verein genügt dem Staatszwecke allein nicht; das Vereinswesen genügt der Gesammtheit der Staatsaufgaben oder der Verwaltung nicht. Es ist ein gänzliches Mißkennen des Wesens der Verwaltung wie des Staats, zu glauben, daß für die Aufgaben des letzteren daher jemals das Ver- einswesen die Stelle und Aufgabe des Staats und seines amtlichen Organismus ersetzen, und daß sich daher mit dem Fortschritte der Freiheit die staatliche Verwaltung jemals in die Verwaltung durch das Vereinswesen auflösen könne. Im Gegentheil ist es das Wesen der staatlichen Verwaltung, dem Vereinswesen die beiden Elemente zu geben, die nie im Begriffe des Vereins, sondern höchstens in der individuellen und mithin zufälligen Tüchtigkeit der Vereinsmitglieder liegen, das dauernde Festhalten an der Aufgabe, und die Unterordnung der persön- lichen oder besonderen Vereinsinteressen unter das Bedürfniß und die allgemeinen Bedingungen des Gesammtlebens. Damit erfüllt wieder der Staat das Vereinswesen mit den ihm eigenthümlichen, von ihm untrennbaren, und doch dem Gesammtleben unentbehrlichen Elementen; und eben in diesem Sinne verstehen wir es, wenn wir in dem Ver- einswesen wohl die harmonische Erfüllung aber nicht den Ersatz der persönlichen Staatsidee erkennen. Dieß gegenseitige Verhältniß aber ist um so wichtiger, als auf ihm die großen Grundsätze beruhen, welche das Vereinsrecht bilden, zu dem wir sogleich gelangen. Eben so bestimmt wie von der staatlichen Verwaltung scheidet sich das Vereinswesen von der Selbstverwaltung. Nicht darum, weil es eine freiere Form ist, denn der Begriff der freien Verwaltung enthält nicht wie wir gezeigt haben, einen selbständigen, von der staatlichen Verwaltung getrennten Organismus, sondern bezeichnet nur die orga- nische Betheiligung der freien Staatsbürger an den Thätigkeiten der Verwaltung in allen drei Grundformen. Sondern der Unterschied zwischen Selbstverwaltung und Vereinswesen liegt theils in dem Orga- nismus selbst, theils in dem Umfange seiner Aufgabe. Die Selbst- verwaltung hat, wie die staatliche Verwaltung, eine dauernde, an sich eine beständige und regelmäßige Thätigkeit erfordernde Aufgabe; sie kann daher eben so wenig wie die staatliche Thätigkeit sich von dem freien Willen der Einzelnen abhängig machen, und da sie die örtliche Verwirklichung der Bedingungen des Gesammtlebens enthält, hat sie die weitere Aufgabe, jede Herrschaft eines besonderen Interesses über das Ganze auch in ihrem Gebiete fern zu halten. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Selbstverwaltung vom Vereinswesen principiell genau so, wie die staatliche, wenn auch das Folgende viele objektive Berührungen zwischen Selbstverwaltung und Verein begründet, die zwischen Staat und Verein seltener zur Erscheinung gelangen. Eben so bestimmt, aber vielleicht klarer, ist der Unterschied in Beziehung auf die Aufgaben beider Organismen selbst. Während nämlich die Selbst- verwaltung alle Staatsaufgaben umfaßt, so weit sie nur eine örtliche Vollziehung bedingen, und die Selbstverwaltungskörper daher dem amt- lichen Organismus in ihrer örtlichen Gränze entsprechen, hat ein Verein immer nur Eine , ganz bestimmte, zwar von ihm selbst gesetzte, aber auch durch ihn nicht willkürlich zu erweiternde Aufgabe. Diese Aufgabe eines Vereins wird nun zwar in vielen Fällen eine örtliche Gränze haben; aber diese örtliche Begränzung des Vereinszweckes liegt nicht , wie bei der Selbstverwaltung, im Wesen des Vereins, sondern nur in seinem eigenen Willen; dem Wesen des Vereins nach ist jeder Vereins- zweck ein örtlich unbegränzter , so daß, wenn er nicht selbst seine örtliche Gränze sich ausdrücklich gesetzt hat, dieselbe als für ihn nicht vorhanden angesehen werden muß. Und diese beiden Momente sind ihrerseits wieder ganz wesentlich für die organische Stellung des Ver- einswesens. Denn aus dem ersten Punkt folgt dadurch, daß er sich auf bestimmte örtliche Verhältnisse beziehen kann, seine einzelne Be- deutung; aus dem zweiten Punkte seine allgemeine Macht. Er kann die gesammelte Kraft aller Einzelnen auf ein ganz bestimmt gegebenes örtliches Verhältniß hinlenken, und dadurch einen Einfluß auf die Selbstverwaltung gewinnen, der größer ist als die Kraft, welche die Organe der Selbstverwaltung ihm entgegenzusetzen haben. Er kann daher für seine Vereinszwecke die Herrschaft in der Selbstverwaltung gewinnen, das heißt, einen bestimmten einzelnen Zweck zur Hauptauf- gabe der Selbstverwaltung machen. Es ist möglich, daß das im ein- zelnen Falle sehr nützlich ist; es ist aber dem Princip nach eine Störung des organischen Lebens der Verwaltung, und hier ist der Punkt, wo die Staatsgewalt die Selbstverwaltung vor der einseitigen Beherrschung durch das Vereinswesen zu schützen, und damit die Harmonie zwischen den großen Organen der Verwaltung aufrecht zu halten hat. Faßt man nun diese verschiedenen Verhältnisse zusammen, so ergibt sich wieder eine Reihe von organischen Beziehungen, einerseits der Staatsgewalt zum Vereinswesen als solchen, andererseits der Mitglieder zum Verein als Ganzen; und die Gesammtheit dieser Beziehungen zu einer festen rechtlichen Ordnung erhoben, und auf jene tieferen Unterschiede des Wesens von der staatlichen und Selbstverwaltung basirt, bildet das Vereinsrecht . III. Neben dem Vereinswesen steht nun eine zweite Erscheinung, welche bei ganz gleichen Formen einen wesentlich andern Charakter hat, und daher auch einem ganz andern Recht unterliegt. Das ist das Verbin- dungswesen . Die Verbindung ist diejenige Art des Vereins, deren Zweck eine Umgestaltung nicht mehr der Verwaltung, sondern der Ver- fassung des Staats ist. Ihre Aufgabe ist es, durch die ihr zu Gebote stehenden Mittel eine von ihr selbst gesetzte Aenderung in der ver- fassungsmäßigen Ordnung des Staats hervorzurufen. Die Verbindung tritt dadurch in einen principiellen Gegensatz mit den Grundprincipien des Verfassungsrechts. Ihre Tendenz ist es, durch die Thätigkeit des- jenigen Theiles der Gesammtheit, welcher ihr angehört als Mitglieder, das Recht und die Ordnung der Gemeinschaft zu bestimmen; sie will daher, gleichviel in welcher Intention, eine Herrschaft eines Theiles über Alle, eine Unterwerfung des Staatswillens unter den Willen der Einzelnen, welche der Verbindung angehören. Das ist ein absoluter Widerspruch im Princip selbst, eine direkte Negation des Staats, der die persönliche Einheit Aller ist. Jede Verbindung ist daher an und für sich im Widerspruche mit der Staatsidee, und tritt dadurch in Widerspruch mit sich selbst; denn sie erlaubt nicht, daß neben ihr eine andere Verbindung eine andere Auffassung der Staatsverfassung mit denselben Mitteln wie sie verfolge, und ihr wird daher für Andere dasselbe zum Unrecht, was sie für sich als Recht anerkennt. Dieser, schon im Begriffe der Verbindung liegende unlösbare Widerspruch er- scheint nun stets in den Mitteln, vermöge deren sie ihre Zwecke zu erreichen trachtet. Denn sie will die Aenderung der Staatsordnung mit Gewalt in irgend einer Form erzielen; sie macht daher die äußere Gewalt zum bildenden Element der Verfassung, und tritt damit nicht bloß selbst als äußerer Feind des Staats auf, sondern negirt auch das innere organische Princip aller persönlichen Entwicklung, in welcher die gegebenen Ordnungen stets die Erzeugnisse geistig wirkender Elemente sind und sein sollen. Die Verbindung kennt ihrerseits dieß wider- sprechende Verhältniß zwischen sich und dem Staate recht wohl; sie weiß, daß sie geradezu ein innerer und zugleich ein äußerer Feind des bestehenden Staats ist, und daß ihre wirkliche Thätigkeit nichts ist, als ein organisirtes Verbrechen. Denn gewiß ist es das erste Princip aller Verbindungen, sich dem Staate und seiner Gewalt zu entziehen; jede Verbindung ist grundsätzlich eine geheime Verbindung . Ihr zweites Princip ist ein zweiter Widerspruch mit dem Wesen des Vereins und der freien Staatsentwicklung, ja mit sich selber; es ist der Grundsatz des unbedingten Gehorsams der Glieder gegen die Leiter des Ganzen. Der unbedingte Gehorsam gehört qualitativ dem Verbindungswesen an; ohne ihn kann die Verbindung nicht be- stehen, weil nur er die Vernichtung des, durch den Eintritt in die Ver- bindung selbst verletzten Rechtsgefühls des Einzelnen als Grundlage des Bestehens der Verbindung enthält, und zugleich die Hoffnung auf den Erfolg statt in die ewig aber ruhig wirkende Kraft der Dinge, vielmehr in die willkürlich und gewaltsam wirkende Anstrengung ein- zelner Individuen verlegt. Mit den obigen beiden Grundsätzen ist dann ein dritter verbunden, der Grundsatz, daß die Gleichheit des Rechtes der Mitglieder , die das Wesen des Vereins bildet, in den Verbin- dungen aufgehoben ist, und an ihre Stelle eine strenge Unterordnung desselben unter einander tritt. Durch diesen Grundsatz erfüllt sich der Widerspruch der Verbindung auch in der socialen Sphäre; die freie Persönlichkeit verschwindet, und an ihre Stelle tritt ein Werkzeug für einen über ihr stehenden unbedingten Willen. Alle diese Momente zu- sammen machen aus der Verbindung an sich einen absoluten Feind der staatlichen Rechtsordnung, und zwar ganz abgesehen davon, ob der spezielle Zweck der Verbindung nicht schon für sich betrachtet ein Ver- brechen enthält, was in der Regel in der Weise der Fall ist, daß die Vollziehung eines auf die Staatsordnung bezüglichen Verbrechens, Mord, Aufruhr, Hochverrath, als Mittel für den letzten Zweck der Verbindung in diesem Zweck selbst direkt, oder durch die Verpflichtung zum unbegränzten Gehorsam indirekt aufgenommen ist. Das recht- liche Verhältniß der Verbindung im Gegensatz zum Vereinswesen ergibt sich daher einfach dahin, daß während das letztere als eine organische Erfüllung der freien Verwaltung dasteht, das Verbindungswesen als ein organisirter Feind dieser Freiheit schon an und für sich, fast aus- nahmslos aber auch durch den verbrecherischen nächsten oder entfernteren Zweck Gegenstand der polizeilichen Thätigkeit der Sicherheitspolizei wird. Eine Verbindung kann daher nur unbedingt verboten werden , und die Theilnahme an Verbindungen nur unbedingt strafbar sein. Das Kriterium aber für den Unterschied zwischen Vereinen und Ver- bindungen liegt in den obigen drei Punkten. Jede Vereinigung, die sich und ihre Thätigkeit geheim hält, die einen unbedingten Gehorsam fordert und die eine Unter- oder Oberordnung ihrer Mitglieder durch- führt, ist ganz abgesehen von ihrem Zwecke, eine Verbindung; und diese Verbindung wird durch ihre Zwecke zum Verbrechen. Das Recht der Verbindungen ist daher Verbot, sicherheitspolizeiliche Verfolgung und Bestrafung. Es kann damit im Vereinswesen von den Verbindungen nicht mehr die Rede sein, sie gehören einem ganz andern Gebiete der Staatslehre. Es ist sehr charakteristisch für unsere ganze staatswissenschaftliche Philosophie, daß sie nirgends auch nur zu dem Versuche gelangt ist, das Vereinswesen in den organischen Begriff des Staats aufzunehmen, obwohl sie so viel von dem Begriffe der „Gemeinde“ und dem der „Gesellschaft“ redet. Der Grund liegt eben darin, daß zum wissenschaftlichen Begriffe des Vereins der Begriff und das Wesen der einzelnen Persönlichkeit gegenüber der Mehrheit gehört, wäh- rend man mit dem Begriff der Gemeinschaft hier nicht weiter gelangt, und daß andererseits der Begriff der „Staatsverwaltung“ ein vollkommen klarer sein muß, da an ihm erst der Verein seinen objektiven Inhalt und sein System empfängt. Das Vereinswesen ist unter allen Theilen des Staatsrechts ohne allen Zweifel derjenige, der uns am deutlichsten beweist, daß die bisherige persönlichkeitslose Anschauung des Staatsbegriffes nicht genügt. Der französische Begriff der Association hat auf dem Gebiete der Staatswissenschaften nicht durchschlagen können, weil man keinen rechten Begriff der Verwaltung hatte, der aus ihm das Vereinswesen gemacht hätte. So blieb er in der socialen Sphäre stecken (s. z. B. J. H. Fichte , Ethik II, §. 97), wozu die noch enge und unent- wickelte Auffassung des Verfassers , der die französischen Anschauungen über das Associationswesen zuerst in Deutschland in seinem Socialismus und Commu- nismus, und später in seiner Geschichte der socialen Bewegung bekannt machte, viel beigetragen hat. Ich gestehe, daß auch mir erst durch den Begriff der Verwaltung der Begriff des Vereins aus dem der Association klar geworden. Es wird auch Andern so geschehen. II. Historische Entwicklung des Vereinswesens und des Vereinsrechts. Hält man den oben aufgestellten Begriff des Vereinswesens fest, so ergeben sich die Grundlagen für die Geschichte der Vereine in ihrer äußern und inneren Gestaltung, eine Geschichte, von der wir nur in sehr einzelnen Punkten die Bruchstücke besitzen, die aber nirgends zu einem lebendigen Ganzen verarbeitet ist. Und dennoch bildet das Ver- einswesen in seinen verschiedenen Formen einen hochwichtigen Theil des Gesammtlebens, namentlich in der germanischen Welt. Denn die orien- talische Welt macht durch die absolute Herrschaft des Staats den Verein der freien Staatsbürger unmöglich, die alte Welt macht ihn durch die Selbstherrschaft des Staatsbürgerthums und ihren Mangel an Verwal- tung überflüssig; erst in der germanischen Welt kann das Vereinswesen entstehen. Und das Folgende soll die Elemente der Entwicklung desselben als Grundlage des Verständnisses unserer Gegenwart und wenigstens unserer nächsten Zukunft darbieten. Alles Vereinswesen nämlich beruht, da es die Gemeinschaft Gleich- berechtigter für einen gemeinsamen Zweck organisirt, selbst auf dem Princip der bürgerlichen Gleichheit. Wo immer daher ein Vereinswesen entsteht, wird es stets nur in den Elementen dieser bürgerlichen Gleich- heit, und damit in den Elementen der staatsbürgerlichen Gesellschafts- ordnung seine Entwicklung finden. Das Bedürfniß der Vereinigung liegt nämlich allerdings im Wesen der Persönlichkeit überhaupt; die Vereine beginnen daher schon mit der Geschlechterordnung; allein da die staatsbürgerliche Gesellschaft unbedingt mit der Entwicklung der freien individuellen Persönlichkeit und des gewerblichen Besitzes im Gegensatz zum Grundbesitze überhaupt verbunden ist, so erzeugt erst das Entstehen des gewerblichen Besitzes das Vereinswesen als allgemeine Form des Gesammtlebens, schreitet Hand in Hand mit demselben vorwärts, und findet seine Vollendung erst in der Herrschaft der staatsbürgerlichen Ge- sellschaftsordnung, das ist, in unserem Jahrhundert. Die Entwicklung des Vereinswesens in unserem Jahrhundert ist daher kein zufälliges, sondern ein organisches Verhältniß; es ist zugleich mit seiner materiellen Basis, diesem gewerblichen Besitze, in unwiderstehlicher Entwicklung begriffen, und verbreitet sich damit auch über den Grundbesitz in dem Maße, in welchem die rationelle Landwirthschaft den Grund und Boden als ein gewerbliches Capital behandeln lernt, während es andererseits die ständischen Elemente durch den Werth ergreift, den der gewerbliche Verdienst auch für diese hat. Allein andererseits nimmt das Vereins- wesen eben dadurch auch die gesellschaftlichen Elemente der Zeit in sich auf, in der es entsteht. Die Menschen, die den Verein bilden, die Zwecke, für die er gebildet wird, sind nicht bloß freie Persönlichkeiten und Zwecke, sondern sie gehören auch ihrer gesellschaftlichen Epoche an. Mit den gesellschaftlichen Unterschieden kommen daher auch die ge- sellschaftlichen Gegensätze und Interessen in das Vereinsleben selbst hinein; dasselbe wird je nach der Zeit, in der und für welche es da ist, reicher, tiefer, aber auch einseitiger; es entwickelt sich durch das Zu- sammenwirken des abstrakten reinen Wesens des Vereins und der gesell- schaftlichen Faktoren jenes Etwas, das wir den Charakter des Vereins- wesens einer bestimmten Epoche nennen, und das uns seinen Inhalt nur zeigt, indem wir es auf die socialen Zustände und Gegensätze zu- rückführen. Das ist nicht schwer, indem wir die großen Grundformen der gesellschaftlichen Welt vor Augen haben; es ist aber der einzige Weg des wahren Verständnisses dieser wichtigen Erscheinungen, und läßt uns zugleich einen sehr ernsten Blick in die Zukunft thun, dessen Trag- weite schwerlich schon jetzt jemand verkennen wird. Denn es zeigt sich allenthalben, daß die Vereine stets allmählig die Gegensätze in der ge- sellschaftlichen Welt zum organischen Ausdruck gebracht haben und auch künftig bringen werden; darin liegt die einzige, aber auch die wahre Gefahr des Vereinswesens; und wo diese Gegensätze wie in der staats- bürgerlichen Gesellschaft namentlich in dem Maße des Besitzes und in der Hoffnung wurzeln, durch die Staatsgewalt diese wirthschaftliche Classenordnung und damit auch die gesellschaftliche ändern zu können, da wird mancher ernste Gedanke über dasjenige wach werden müssen, was aus dem kaum noch im ersten Aufblühen begriffenen Vereins- wesen unserer Gegenwart sich noch entwickeln kann und wird . Denn die einzelnen Menschen leisten auch da, wo sie ihre ganze Kraft ge- brauchen, nur ein Verschwindendes, und werden nie den Gang der Dinge, das Leben der großen Organismen der Welt ändern; aber eben dieß Leben hat seine Gesetze, die wir verstehen können, und nach diesen Gesetzen hat es nie geruht und wird es nie ruhen. Wer vermag in der dunklen Ferne die Gestaltungen der Welt zu erkennen, die sich dem Blicke der Wissenschaft, ja des Glaubens entziehen? Betrachten wir indeß zunächst den bisherigen Gang der Geschichte, so ergeben sich folgende Grundzüge. Die erste Form der Vereine tritt auf in der ersten Form der Ge- sellschaft, der Geschlechterordnung. Hier ist sie zuerst bloße Waffen- bruderschaft, die sich selbst Ordnungen gibt, Zwecke vorschreibt, Thaten vollbringt; die griechischen Hetärien sind die erste Spur derselben; in der römischen Welt sind sie ohne Zweifel bei den Plebejern vorhanden gewesen, wenn auch mehr zu politischen Zwecken, als Verbindungen gegen die Patrizier und die Geschlechterherrschaft; die alten Germanen zeigen uns historische Spuren genug, zum Theil in den Gefolgen der Kö- nige; in der nordischen Welt treten sie, der geschichtlichen Zeit näher gerückt, sogar ganz deutlich hervor in manchen sehr concreten Gestaltungen, wie den Jomsvikingern, dem Gefolge Canuts des Großen mit seinem Vither- lagsrecht, den Gefolgen, die als Heere in das Reich Karls des Großen, oder als Auswanderer nach Island zogen. Aus dieser Waffenbruder- schaft wird dann erst in der zweiten Epoche die Gilde . Die Gilde ist eine Waffenbruderschaft, die aber schon ein ganz neues Element in sich aufgenommen hat. Man kann die Gilde nicht verstehen aus den bloß historischen Dokumenten. Ihre Grundlage ist vielmehr bereits der ge- werbliche Besitz , der in den jungen Städten, gegenüber den Ge- schlechtern, die als Grundherren die Städte umgeben, sich zu Waffen- bruderschaften, zu Schutz und Trotz ordnet; sie ist die städtische, ja genauer die gewerbliche Waffenbruderschaft. Eben darum aber nimmt sie sofort das gewerbliche Moment in sich auf, und bildet sich allmählig zu einem gewerblichen Verein, der Bestimmungen über die Ordnung des Gewerbsbetriebes, über die innere Ordnung der gewerblichen Unter- nehmungen, Meisterschaft, Gesellen und Lehrlinge enthält, und daneben das natürliche Element der wirthschaftlichen Hülfe für die Gildegenossen in der wirthschaftlichen Noth ausbildet, wenn auch nur zuerst für Leichengelage und die Meisterschaft, doch allmählig übergehend zu einer Organisation der Hülfe für die Gesellen und Burschen auf der Wanderung Stein , die Verwaltungslehre. I. 34 und in der Krankheit. Daraus entspringen dann große, ganze Län- der umfassende, aber im Grunde ziemlich inhaltslose Gestaltungen des Vereinslebens, namentlich für die Gesellen der einzelnen Gewerbe, unter denen die Maurer sich am längsten und bedeutsamsten erhalten haben. Dennoch sind es diese Vereine, welche das örtliche Band der Gemeinde durchbrechen, und schon damals sich als ganz selbständig neben das Gemeindewesen hinstellen; schon im Beginne der gewerblichen Welt scheiden sich so die Selbstverwaltung und das Vereinswesen. Das Princip der Waffenbruderschaft indessen erzeugt, selbständig fortwirkend, ähnliche Gestaltungen auch unter den Grundbesitzern, an einigen Orten wie in Dithmarschen sogar die Stellung der eigentlichen Gemeinde ganz überragend, und die Grundlage der Verfassung bildend, in andern Ge- genden, wie in Westphalen, sich zu einer geheimen Verbindung für die Strafrechtsverwaltung organisirend, und in die Vehmgerichte sogar die großen Grundherren aufnehmend; in ihrer letzten formlosen, aber den- noch ethischen Gestalt sich zur „Ritterschaft“ erweiternd, die dann wieder, indem sie aus dem Unbestimmten der Ritterlichkeit heraus sich entweder die Poesie in den Minnesängern zum speziellen Vereinszweck nimmt, oder in den Ritterorden die Kirche und ihren Kampf, in jenen sich in die Entwicklung der Kunst überhaupt auflöst, in diesen aber durch den erworbenen oder eroberten Grundbesitz in die ständische Ordnung und damit in die Verfassung übergeht. Trotz dem verliert sich das Element der Waffenbruderschaft als solches nicht; es erhält sich namentlich in den studentischen Verbindungen, den „Nationen“ und „Bursen“; es überdauert sogar das vorige Jahrhundert und erscheint in unserer Zeit wieder in den Turnvereinen, mit den ihnen verwandten Schützen- und Gesangvereinen, die, eine edlere, jugendkräftige Gestaltung des alten Lebens, immerhin reich an guten Erfolgen im Kleinen und Einzelnen, reicher aber an großen Anregungen für die Gesammtentwicklung des geistigen, physischen und staatlichen Fortschrittes erscheinen. So hat sich jenes erste Element hier erhalten und gestaltet. Die eigentliche Gilde dagegen, einmal dem wirthschaftlichen Leben und seinem materiellen Interesse zugewendet, sinkt allmählig in dasselbe hinab. Die einzelnen Gewerbe, mit der Entwicklung der Städte zu stark werden, um nur noch Glieder der alten Gilde zu sein, welche sie alle ohne Unterschied umfaßte, scheiden sich aus und werden selb- ständig. Sie sind und bleiben zwar anfangs noch Vereine, aber diese Vereine sind schon so mächtig, daß sie in der städtischen Welt selbständig etwas bedeuten. Sie werden daher jetzt, das alte Princip beibehaltend, zu Waffenbruderschaften der Gewerbsgenossen, aber als solche wollen sie von einer Herrschaft der Gemeinde über ihre Gewerbsverhältnisse nichts mehr wissen; sie machen sich zu dauernden Organen ihrer Ge- werbsangelegenheiten, und zwingen jeden Gewerbsgenossen, nicht bloß beizutreten, sondern auch sich den Beschlüssen der Gesammtheit des Ge- werbes zu unterwerfen. So verlieren sie das, was aus ihnen eigent- lich einen Verein machte; sie sind jetzt vielmehr eine Corporation mit dauernder Organisation, anerkannten Rechten und geordneter Thätig- keit; sie werden zu den Organen der Gewerbeverwaltung , und so entstehen die Zünfte und Innungen. Das nun sind schon keine Vereine mehr, sondern Körperschaften der Selbstverwaltung Das Vereinswesen schließt ab, das Princip der Ausschließlichkeit greift Platz, die freie Be- wegung des Individuums geht verloren, und der Rest der eigentlichen Gilde ist verschwunden, um dann wieder in einer neuen, aber groß- artigeren Form aufzuerstehen. Die Zeit nämlich, in welcher aus der gewerblichen Gilde die Cor- poration der Zünfte und Innungen wird, ist dieselbe, in welcher das Princip der ständischen Gesellschaftsordnung zum vollen Siege gelangt, indem es auch die Städte, und in den Städten selbst die geistige und die gewerbliche Arbeit in die ständische Form der Körperschaft hinein zwängt. Die ersten Anfänge der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung, die in dem jungen ursprünglichen Stadtbürgerthum und seinem Gewerbe gegeben waren, scheinen jetzt verloren. Die alten Elemente der Bildung der neuen Welt scheinen erschöpft; es muß ein neues auftreten, und das wird zugleich der Beginn einer neuen Epoche für das Vereinswesen werden. Dieses neue Element ist nun das große Capital und seine Wir- kung. Mit der Entdeckung Amerikas gewinnt der Handel, ganz abge- sehen von seinen Objekten, seinem inneren Organismus nach eine andere Gestalt. Da die Schiffe auf der transatlantischen Fahrt jetzt Jahre lang wegbleiben und große Risikos laufen, so muß das Capital, welches einen solchen Handel betreibt, in dem Grade wachsen, in welchem es die transatlantische Handelsbewegung in sich aufnimmt. Solchem Unter- nehmen ist bald auch der Reichste nicht mehr gewachsen. Es bleibt nur Eins übrig, das ist die Verbindung von großen Capitalien. Allein zugleich tritt ein zweites hinzu. Die Regierungen sehen eben in jenem Handel aus einer Reihe von Gründen, deren Kenntniß wir hier vor- aussetzen dürfen, eine wesentliche Quelle des Reichthums und der Macht ihrer Staaten. Sie begrüßen daher die Bildung solcher Gemeinschaften; sie thun mehr, sie geben ihnen direkte Unterstützungen, und da sie kein Geld besitzen, so geben sie ihnen wenigstens, was sie haben, eine Reihe öffentlicher Vorrechte. Damit wird aus jenen Societäten etwas anderes als eine bloß wirthschaftliche Unternehmung. Sie werden vielmehr öffentliche Institute, die halb auf dem Princip des freien Vereins, halb auf dem der Verwaltung beruhen. Das sind die großen Handels- Compagnien , die im 17. und 18. Jahrhundert entstehen, und so viele und große Dinge durchgeführt haben. Sie sind die herrschende Gestalt des Vereinswesens in dieser Zeit. An sie schließt sich eine zweite, die mit ihnen auf das Engste zusammenhängt. Das sind die neu entstehenden großen Geld- und Creditinstitute, die Banken , die zugleich zu Finanzorganen werden. Handelscompagnien und Banken zeigen uns das Vereinswesen auf einem Gebiet, wo es bisher fremd gewesen. Beide sind unfähig, sich an eine bestimmte Stadt, an einen bestimmten Ort anzuschließen. Sie sind die erste Gestalt volkswirth- schaftlicher Vereine, in ihrem Umfange wie in ihrem Zwecke sich über die Interessen ganzer Reiche verbreitend. Sie müssen daher auch eine Form erzeugen, in welcher sie jedes Capital in sich aufnehmen können; sie dürfen nicht, wie die Zunft und Innung, sich auf einzelne Personen beschränken; sie bedürfen wo möglich des gesammten volkswirthschaft- lichen Capitals, und die Form, in der sie dasselbe in ihr Vereinswesen herbei ziehen, ist die Actie . Mit der Actie tritt ein ganz neues Ele- ment in das Vereinsleben. Durch sie wird einerseits der Verein frei , das heißt, er fordert gar keine Art von Bedingungen mehr für die Mitglieder, als die Zahlung des Kaufpreises der Actie, und damit tritt das Vereinswesen durch sie zum erstenmale definitiv über die Gränze der ständischen Unterschiede hinaus, nur noch den gewerblichen Besitz, das Werthcapital, als maßgebend anerkennend. Es ist der erste gewaltige Sieg des Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft über das Ständethum, der erste und zugleich großartige Beweis, was das ge- werbliche Capital durch seine Vereinigung vermag, und zwar nicht bloß in der wirthschaftlichen, sondern auch in der gewerblichen Welt. Aber dieß ganze Vereinswesen bewegt sich noch immer innerhalb des Gebietes der großen Capitalien und Handelsunternehmungen, der Verein selbst hat nicht die freie Selbstbestimmung, die das Wesen des Vereins aus- macht; seine Vereinsform ruht auf den ihm bewilligten Vorrechten; sein Gebiet erstreckt sich nicht über das ganze Volksleben; es ist der erste, aber noch ganz vereinzelte Versuch; erst das folgende Jahrhundert konnte das, was hier begonnen war, zur vollen Entwicklung bringen. Unterdessen erzeugt die sich immer kräftiger entwickelnde staatsbür- gerliche Gesellschaft neue Principien über öffentliches Recht und Ver- fassungen, die aber mit der bestehenden öffentlichen Ordnung im direkten Gegensatze stehen. Dieser Gegensatz verbittert sich; der Kampf naht; und das Vorgefühl dieses Kampfes bringt die Gesinnungsgenossen immer näher an einander. Naturgemäß werden die letzteren als Feinde der Verfassung angesehen und verfolgt; um ihrerseits diesen Verfolgungen gegenüber Kraft zu gewinnen, vereinigen sie sich zu geheimen Gesell- schaften, und so entsteht hier zum erstenmale eine neue Gestalt des Vereinswesens, die geheime Verbindung . Auch diese erhalten sich, und erhalten zugleich ihren ursprünglichen Charakter, indem sie den- selben im folgenden Jahrhundert noch erweitern. Die geheime Ver- bindung wird die Form, in welcher die Gegensätze in Beziehung auf die Verfassung und auf die Gesellschaftsordnung sich consolidiren. Sie verkehren das Wesen des Vereins in sein Gegentheil; anstatt durch die Vereinigung der Kräfte eine Förderung der Entwicklung zu wollen, wollen sie einen Umsturz derselben; anstatt durch vereinigte Kraft die Elemente und die Ausbildung der freien Lebensverhältnisse zu fördern, wollen sie mit roher Gewalt ihren Ideen den Sieg verschaffen. In dem Be- wußtsein, durch dieß Princip mit dem Wesen der ganzen Staats- und Gesellschaftsordnung in Widerstreit zu stehen, müssen sie sich selbst und ihre Thätigkeit verbergen; sie werden geheime Vereine, und als solche fallen sie gleich anfangs unter die Thätigkeit der Sicherheitspolizei. Sie haben von da die Bedeutung einer Gefahr, aber nicht die eines för- dernden Elements; sie dienen dazu, die Widersprüche, die sich in der staatlichen und gesellschaftlichen Welt zeigen, kennen zu lernen, aber nicht sie zu bewältigen. Und damit treten sie aus dem ganzen Gebiete des Vereinswesens hinaus, während sich das letztere in großartiger Weise mit dem neunzehnten Jahrhundert zu entfalten beginnt. Das neunzehnte Jahrhundert ist die Epoche der staatsbürgerlichen Gesellschaft, welche eben zunächst die wissenschaftliche Entwicklung in dem Gebiete des gewerblichen Kapitals, und dann die nicht minder wichtige geistige Bildung jedes einzelnen Staatsbürgers als die Grund- lage des Gesammtlebens und als ihren eigenen eigentlichen Zweck setzt. Die Staatsgewalt ihrerseits erkennt, daß in diesen Elementen der Keim und das Ziel ihrer eigenen Kraft liege. Sie begrüßt daher jede Be- wegung, welche hier fördernd eingreift, auf allen Punkten, und reicht ihr gerne ihre Hand. Die Gesellschaft selbst aber kommt, nachdem der äußere Friede hergestellt, bald zu der Erkenntniß, daß gerade hier die wichtigste Bedingung des Fortschrittes in der freien und offenen Ver- einigung der Kräfte der Einzelnen beruhe. Dieß Bewußtsein durch- dringt, wie jede große ihrer Zeit entsprechende Wahrheit, das ganze Volk, und jede Richtung desselben nimmt dasselbe in sich auf, während andererseits die organische Aufgabe der Staatsverwaltung auch für sich dasselbe als ihr letztes Ziel anerkennt. Damit nun ist der Satz gegeben, der dem neuen Vereinswesen das gesammte Gebiet des innern Staats- lebens öffnet. Indem die Staaten die Grundlagen ihrer Macht und ihres Fortschrittes nicht mehr bloß in ihrer autokratischen Herrschaft und auch nicht in der Festigkeit der ständischen Unterschiede finden, sondern in der Entwicklung jedes einzelnen Staatsbürgers, nehmen sie jede Kraft, welche diese fördert, gerne auf, und bereiten ihr selbst den Weg. Darum ist, wie wir schon gesagt haben, die Epoche der staatsbürger- lichen Gesellschaft die Epoche des Vereinswesens, und der Charakter dieses Verhältnisses läßt sich nunmehr auch ziemlich leicht und klar bestimmen. Dieser nun liegt wohl in folgenden Punkten. Zuerst verbreitet sich das Vereinswesen mit der ihm eigenthüm- lichen Gestaltung der vereinigten Kräfte über alle Gebiete der Ver- waltung . Es gibt gar keinen Theil derselben, in welchem das Ver- einswesen nicht auf eine oder die andere Weise erschiene; denn in der That ist ja das Wesen der staatsbürgerlichen Gesellschaft, daß sie vom Staate seinem Begriffe nach die Verwirklichung derselben Aufgaben fordert, die sie selbst ihren gesellschaftlichen Interessen nach wünschen muß. Wie nun diese Aufgaben der Staatsverwaltung ihre Verschieden- heiten zu einem organischen Systeme gestalten, so ergibt auch die, mit jenen gleichen Schritt haltende Mannichfaltigkeit der Vereine ein inner- lich durchsichtiges System, nur mit dem Unterschiede, daß jenes durch die Organe und Thätigkeiten der Verwaltung erfüllt sein muß , während dieses durch die Vereine und ihre Bewegung nur erfüllt sein kann . In diesem Sinne kann man dann zwar von einem Organismus des Vereinswesens reden; nur ist dieser Organismus hier nicht ein persön- licher, sondern ein objektiver; das ist, die Ausfüllung und Verwirklichung der einzelnen Theile des Systems beruhen nicht auf einem gegebenen Willen wie der Organismus der amtlichen Verwaltung und sogar der Selbstverwaltung, sondern auf dem freien Beschlusse des Einzelnen, und sind daher nicht objektiv gewiß, sondern nur wünschenswerth. Aber auch so bilden die Vereine, selbst in unvollkommener Entwicklung, einen wesentlichen Theil des gesammten Verwaltungsorganismus, und stellen sich in würdiger Weise neben den Organismus der Selbstverwaltung. Denn wie das Gemeindewesen örtlich das ganze Land umfaßt, so um- faßt das Vereinswesen sachlich die ganze Verwaltung; die Vereine treten aus der Entfremdung von der Verwaltungsgewalt, in der sie sich noch im Anfange dieses Jahrhunderts befinden, mehr und mehr heraus, und verschmelzen mit derselben, anfangs mit einer gewissen Scheu und Un- beholfenheit, in der das Gefühl einer traditionellen Feindschaft noch eine Zeit lang sich erhält, bis endlich die Identität der Interessen sich Bahn bricht und beide gemeinsam vorgehen. Und da ergibt sich dann dasjenige, was wohl am meisten gerade den gegenwärtigen Standpunkt des Vereinswesens in dieser Beziehung charakterisirt. In diesem gegen- seitigen Verhältniß nämlich erkennt die Staatsgewalt, die ihrer Natur nach dennoch höher steht als die Einzelnen, noch eher und besser den Werth des Vereinswesens, als das Vereinswesen die Nothwendigkeit der Staatsgewalt. Und daraus geht dann das zweite charakteristische Element des Vereinswesens hervor. Die staatsbürgerliche Gesellschaft ist, wie wir gezeigt, ihrem Wesen nach die Grundlage der eigentlichen Verfassung. Aber in dieß ver- fassungsmäßige Leben wird noch eine Zeit lang die Tradition des alten Gegensatzes zwischen Staat und Freiheit erhalten. Die Freiheit hat die Staatsgewalt im achtzehnten Jahrhundert fürchten gelernt, und kann dieß im neunzehnten noch nicht vergessen. Es schließt sich daran die Vorstellung, daß die möglichste Entwicklung der Freiheit in der möglichsten Entfernung von der Staatsgewalt bestehe; daß die Bethei- ligung der Staatsgewalt stets einen Keim der Unselbständigkeit in das- jenige hineintrage, womit sie zu thun habe, und daß es daher die Aufgabe jeder Selbstthätigkeit des Bürgerthums sei, die staatliche Gewalt so viel als möglich von sich ferne zu halten. Diese Vorstellung erscheint auch im Vereinswesen. Der Staat kann die mächtige Gestaltung der letzteren nicht als etwas außerhalb seines Wirkungskreises bestehendes zulassen; gerade die Gemeinsamkeit in dem letzten Ziele, verstanden oder nicht verstanden, gibt dem Staate Anlaß und Recht, sich in seiner Weise an dem Vereinswesen zu betheiligen. Die noch immer sehr ab- strakte Idee der Freiheit des eigentlich noch sehr jungen Staatsbürger- thums geht dagegen von der Vorstellung aus, daß das Vereinswesen die eigentlich freie und damit höchste Form der Verwaltung sei. Sie stellt zum Theil die Forderung ganz offen auf, daß das letzte Ziel der Entwicklung des Vereinswesens eben in der Herrschaft der Vereine der Staatsbürger zunächst über die Staatsgewalt selber sei. Dem ent- gegen tritt der Staat mit der in seinem Wesen liegenden Forderung, alle Elemente des Gesammtlebens sich unterzuordnen, namentlich aber seine Verfassung nicht durch die Verbindung Einzelner ändern zu lassen. So entsteht ein Gegensatz zwischen Staatsgewalt und Vereinswesen, der im Grunde ein Ausdruck des Gegensatzes zwischen der neuen, noch nicht zur Herrschaft gelangten staatsbürgerlichen Gesellschaft und der Staats- gewalt ist. In diesem Gegensatze verlieren die Vereine ihren natürlichen Boden. Sie beginnen statt der Verwaltung die Verfassung zu ihrem Ziel zu setzen, und statt der öffentlichen Aufgaben die Ordnung der Organe, welche sie leiten, die Volksvertretungen und ihr Recht durch ihre Macht ändern zu wollen. Das ist die Zeit der politischen Vereine . Der Widerspruch, der in ihnen liegt, erzeugt damit eine ziemlich allgemeine Abneigung der Regierungen gegen das Vereinswesen überhaupt; die Vereine werden als etwas an und für sich Bedenkliches angesehen, und der Name „Verein“ identificirt sich mit dem politischen Vereinswesen überhaupt. Doch geht dabei die wahre Idee der Vereine nicht zu Grunde. Während das politische Leben sie bekämpft, erzeugt das volkswirthschaftliche Princip der Association sie aufs neue auf einem andern Gebiete wieder, und der Unterschied beider erscheint auch in dem Namen, indem man diese Richtung die Bildung der Gesellschaften nennt. Während daher das Vereinswesen im obigen Sinne ernstlichst bekämpft wird, entwickelt sich das Gesellschaftswesen zu einer steigenden Blüthe; die Volkswirthschaft wird der Boden dieser neuen mächtigen Ge- staltung der Vereine, und das um so entschiedener, als hier die wahre Aufgabe der letzteren, das Gebiet der Verwaltung, wiedergefunden wird. Ja, während die Regierungen dem Vereinswesen im obigen Sinne auf allen Punkten engste Gränzen ziehen, helfen und fördern sie das Gesell- schaftswesen, so viel sie vermögen. Das ist der Charakter der Jahre, welche mit der Julirevolution beginnen. Es ist seit dieser Zeit unmöglich, die Verwaltung der Länder darzustellen, ohne diesem Theile des Vereins- wesens sich mit allem Ernste zuzuwenden. Allein gerade aus der raschen Entwicklung dieser volkswirthschaftlichen Welt entsteht nun ein zweites Element. Die Gegensätze der staatsbürgerlichen Gesellschaft beruhen allerdings nicht mehr, wie die der ständischen, auf Vorrechten und Un- freiheiten; wohl aber erzeugt der gewerbliche Besitz das, was wir den socialen Gegensatz der Klassen genannt haben. Dieses rein socialen Gegensatzes bemächtigt sich nun auch das Vereinswesen, und zwar im guten, wie im üblen Sinne. Es entstehen mit ihm zwei zum Theil ganz neue Richtungen des Vereinswesens, die unsere Gegenwart als solche charakterisiren. Die eine Richtung ist die edlere; sie will den niedern Klassen durch die vereinte Kraft der höhern helfen , und die freie Klassenbewegung herstellen; es ist das weite und so unendlich wichtige Gebiet der Hülfsvereine aller Art, welche hier erscheinen. Die zweite Richtung ist dagegen die, welche die gesonderten und oft entgegengesetzten Interessen von Kapital und Arbeit zum Ausdruck bringt, und zur Organisirung dieser beiden, noch immer nicht ganz vermittelten Elemente in ihrem gegenseitigen Kampfe wird. Die Hauptform dieser Richtung bilden die Arbeitervereine . Mit beiden tritt das, bis dahin fast allein herrschende Element des Gesellschaftswesens aus dem engen Kreise der Erwerbsvereine hinaus, und man kann wieder von einem wahren Vereinswesen reden. Aber damit wird auch die Regierung wieder gezwungen, demselben auch außerhalb der politischen Vereine ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es entsteht eine neue Gruppe von Bestrebungen und Ordnungen, von Gesetzen und Verboten; und während der Staat gegenüber den politischen Vereinen strafend, gegenüber den Gesellschaften fördernd und ordnend auftritt, tritt er gegenüber den Klassenvereinen verbietend und vorbeugend auf. So bildet sich durch das Zusammenwirken aller dieser Elemente einerseits ein wirkliches Vereinswesen , andererseits eine Vereinsgesetzgebung ; nur noch die Wissenschaft ist in Beziehung auf beides im Rückstande, denn noch sind die Begriffe und Rechte keinesweges geklärt, und der höhere Be- griff, der Begriff der freien Verwaltung fehlt, während das Vereins- recht in lauter einzelne Vereinsrechte zerspalten erscheint. Dennoch dürfen wir schon jetzt von demselben als einem Ganzen reden, und es ist die Aufgabe des Folgenden, dafür die Grundlagen zu entwerfen. Das sind nun die allgemeinen Elemente der Geschichte des Ver- einswesens; an sie schließen sich die Grundlagen der Geschichte des Vereinsrechts an. Es würde von hohem Werthe für das Verständniß der inneren Geschichte Europas sein, wenn die Theorie und namentlich die Rechtsgeschichte auf dieselben etwas mehr Rücksicht nehmen wollte. Die Elemente derselben scheiden sich darnach leicht in drei große Epochen. Die erste Epoche ist das Vereinsrecht der ständischen Gesellschafts- ordnung. Dieß Vereinsrecht zerfällt wieder in zwei große Gruppen. Die erste bezieht sich auf rein ständische Vereine, ritterschaftliche oder Städtevereine, welche durch die lehensherrliche Stellung ihrer Mitglieder den Charakter von öffentlichen Bündnissen und Verträgen annehmen, obgleich sie in der That nur Vereine sind. Die zweite Gruppe dagegen ist durch die Elemente der staatsbürgerlichen Gesellschaft in dieser Epoche gebildet, und zerfällt in zwei Theile und Formen. Die erste Form ist diejenige, welche innerhalb des eigentlichen Gewerbebetriebs vorkommt, und in den Formen von Statuten der Innungen und Zünfte auf- tritt. Die zweite Form dagegen bedeutet vielmehr die ersten Gesell- schaften, die großen und kleinen Handelscompagnien, und erscheint in der Form der Privilegien . Die zweite Epoche beginnt mit der Mitte des vorigen Jahrhun- derts. Sie fängt an mit der Vereinsbildung, welche sich dem bestehenden öffentlichen Recht entgegenstellt und darum eine geheime ist, mit den Verbindungen . Gegen diese entsteht sofort der Kampf der bestehenden Staatsgewalt in den strengen Verboten und Bestrafungen; eine ganze Verbindungsgesetzgebung entwickelt sich, deren tiefer Grund aber aller- dings in der Gesammtheit der öffentlichen Zustände liegt. So wie dagegen die Verfassungen entstehen, treten jene Bestrebungen in ihren wichtigsten Erscheinungen an die Oeffentlichkeit als öffentliche Ver- eine und Versammlungen; und an diese schließt sich das zweite Gebiet des Vereinsrechts. Neben beiden erzeugt das gewerbliche Leben die Association in allen Formen, welche wieder das Gesellschaftsrecht hervorrufen. Die dritte Epoche ist diejenige, welche die socialen Klassenvereine hervorruft. Hier berührt das Vereinswesen das Verwaltungsrecht in innigerer Weise, und die Nothwendigkeit, ein allgemeines Vereinsrecht zu schaffen, wird klar, ohne doch zum Durchbruche zu gelangen. Mitten in dieser Epoche stehen wir, an den einzelnen großen Theilen jenes Gebietes arbeitend. Diese drei Grundformen haben nun, wie das Verwaltungsrecht überhaupt, wieder ihre spezielle Gestalt in England, Frankreich und Deutschland. In England hat die Freiheit der Selbstverwaltung weder das polizeiliche Element des Verbotes und der Bestrafung der Verbindungen, noch der Unterdrückung der politischen Vereine zugelassen. Daher aber hat auch das ganze Gebiet der volkswirthschaftlichen Vereine als solches vom Staate keine Hülfe zu gewärtigen, sondern es ist jeder Verein auf sich selbst angewiesen, und weder das Bedürfniß, noch das Element eines allgemeinen Vereinsrechts entstanden. Das englische Vereinsrecht ist nichts als die Summe des Einzelrechts aller einzelnen Vereine , mit sehr wenigen Ausnahmen. In Frankreich hat sich dagegen das Vereinsrecht in zwei große Gruppen getheilt. Die Selbständigkeit der Staatsverwaltung, welche, wie wir gesehen, das ganze französische Leben durchzieht, hat ein selb- ständiges Eingreifen des Vereinslebens in die Verwaltung eben so wenig zugelassen, als sie demselben ein eigenes Verwaltungsrecht gegeben hat. Daher hat das französische Vereinsrecht nur auf zwei Punkten seine Ausbildung gefunden; hier aber ist es daher auch desto weiter gelangt. Der erste Punkt ist das polizeiliche Verbots- und Ueberwachungs- recht aller politischen Vereine; der zweite ist das bürgerliche Recht der Erwerbsgesellschaften . In beiden ist es zum Muster für Deutschland geworden. In Deutschland endlich hat sich die langsame Entwicklung des öffentlichen Rechts zunächst an die Vereinspolizei Frankreichs angeschlossen; allein die neueren Zustände haben dennoch hier allmählig die Grundsätze der freieren Bewegung zugelassen. Zweitens hat Deutsch- land auch das französische bürgerliche Recht der Erwerbsgesellschaften in seinem Handelsgesetzbuche recipirt, ohne es eigentlich recht zu Ende zu bringen. Denn es läßt sich nicht verkennen, daß der deutsche Stand- punkt hier ein höherer ist, als der streng civilrechtliche Frankreichs. Im deutschen Vereinsrecht, sogar schon im deutschen Handelsgesetzbuch sind die organischen Elemente der Vereinsverwaltung im Wesentlichen, wenn auch noch einseitig auf Erwerbsgesellschaften berechnet, festgestellt. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo wir daran gehen werden, eine Vereinsgesetzgebung in derselben Weise zu machen, wie wir eine Gemeindegesetzgebung haben . Nur werden wir zu dem Ende die noch immer nicht beseitigte Vorstellung aufgeben müssen, als handle es sich bei Vereinen um politische Körper und politische Rechte. Das Vereinswesen ist ein Organismus in der Verwaltung, wie die Gemeinde und das Amt . Das ist der wahre und einzige Standpunkt, von welchem aus dasselbe allein richtig verstanden und organisirt werden kann, und zu dem Ende wird es nothwendig, den Elementen des Vereinsrechts ein System des Vereinswesens vorauszusenden, einen Rahmen, in welchen jeder Staat den Zustand und die Mängel seines Vereinswesens hinein- fügen kann. Zur Geschichte des Vereinsrechts . England . Bei der Beurtheilung des englischen Vereinsrechts im Allge- meinen muß man davon ausgehen, daß England für das ganze Gebiet der politischen Vereine und geheimen Verbindungen überhaupt kein Recht und Gesetz hat. Es ist selbstverständlich, daß allen Engländern das unbeschränkte Recht zu Versammlungen, Petitionen und Vereinen zusteht, da die Selbstver- waltung Englands das Princip der freien Thätigkeit des Einzelnen ist. Der Staat kümmert sich um diese Thätigkeit des Einzelnen so lange nicht, bis die- selbe nicht ein bestehendes Recht durch äußere Handlungen wirklich verletzt. Das Wollen fällt nicht unter das Recht des englischen Staats, und die Thätigkeit erst dann, wenn sie mit dem geltenden Recht in Collision geräth. Das Recht der Vereine wird daher in England einzig durch die Statuten jedes einzelnen Vereins gebildet, und zwar durch den Akt der Genehmigung desselben, den wir unten besonders herausheben. Allerdings war diese Genehmigung eine freie, und hat erst in neuester Zeit ihre definitive Gestalt empfangen. Allein diese Genehmigungen erscheinen doch als Anerkennung der juristischen Persönlichkeit, als „incorporation,“ und es ist kein Zweifel, daß damit das Recht der Corporations als Grundlage des Rechts der Vereine betrachtet werden muß, so weit sie eben incorporirt sind. Diese allgemeinen Rechte aber sind erstlich das persönliche Erwerbs- und Erbrecht, zweitens die Wahl der eigenen Mitglieder und Beamteten, drittens das Recht der bye-laws, als der Vollziehungsverordnungen innerhalb des Vereins. Dagegen hat die Regierung eben so gewiß auch das allgemeine Recht der „Visitation“ oder Oberaufsicht über die Vereine wie über die Corporationen und Stiftungen. Es ist daher principiell sehr wenig Verschiedenheit zwischen dem continentalen und dem englischen Vereinsrecht. Die folgende Darstellung wird zeigen, daß sich die festen Kategorien desselben auf England sehr wohl anwenden lassen. Ueber einzelne Arten von Vereinen, wie namentlich über die Friendly societies und die Law societies bestehen sogar besondere Gesetze. Gneist II, §. 49 und 125, und das letzte Gesetz über die Friendly societies 23. 24 Vict. 58 (6. Aug. 1860). — Ueber die Geschichte der Clubbs , deren Namen und Einrichtung aus England stammt (ursprünglich Lesekabinete, deren Mitglieder aus der niederen Klasse kommen), aus denen dann discutirende Gesellschaften werden (voriges Jahrhundert), die öffentlichen Meetings, die zuerst 1769 auf- traten, und im Jahr 1795 zuerst strenge verboten werden, wenn sie nicht fünf Tage vorher dem Friedensrichter angezeigt sind, der sie aber ohne weiteres auf- lösen kann (36 G. III, 8. 1) bis 1799 alle Versammlungen direkt untersagt werden (39 G. III, 79), siehe Buckle, History of Civilisation I, 422. Frankreich . Während England arm ist an Gesetzgebung, ist Frankreich dagegen sehr reich. Diese französische Gesetzgebung ist aber um so wichtiger, als sie mit ihrer Klarheit, aber freilich auch mit ihrer Einseitigkeit die deutsche Gesetzgebung fast durchgreifend beherrscht hat. Den französischen Standpunkt überhaupt drückt gewiß Laferri è re ( Droit adm. I, sect. III. ) am besten aus. Er faßt das ganze Vereinsrecht auf als eine polizeiliche Anstalt „pour comprimer les troubles politiques et les sédi- tions intérieures.“ Die Constitution von 1791 gab im P. I. die von ihr aus über ganz Deutschland sich verbreitende Formel des Versammlungsrechts , die man so oft mit dem Vereinsrecht verwechselt hat. Die Bürger haben: la liberté de s’assembler paisiblement et sans armes en satisfaisant aux lois de police. Das Dekret vom 29. September 1791 verbot schon die geheimen Verbindungen und die „affiliations.“ Daraus und aus mehreren spätern Verordnungen ist nun das gegenwärtige System des französischen Vereinsrechts entstanden, dessen Grundzüge die folgenden sind. Der allgemeine juristische Begriff des Vereins ist in Frankreich ausgedrückt in dem Wort Association. Diese Associations haben nun drei Hauptformen, und jede dieser Formen hat wieder ihr eigens Recht. Die erste Form ist diejenige, welche man mit dem allgemeinen Ausdruck der Coalition bezeichnet. Jede Coalition ist schon an und für sich etwas Verbotenes; sie entspricht unserer „Verbindung.“ Das Princip des Verbindungs- rechts ist theils ein strafrechtliches, theils ein polizeirechtliches. Strafrechtlich ist jede Verbindung, deren Zweck ein Verbrechen ist; sie heißt Complott; vor- züglich wird der Ausdruck allerdings auf Hochverrath bezogen. Grundlage des Rechts derselben ist der Code pénal, Art. 89. — Polizeirechtlich dagegen ist, ganz abgesehen von dem Zweck, dieß Grundsatz, daß jede geheime Ver- bindung verboten ist. Ist das Geheimhalten Grundsatz der Verbindung, so ist sie an und für sich als Vergehen zu betrachten ( Code pénal, Art. 291—294). Ist eine solche Verbindung aber stärker als zwanzig Personen, so bedarf sie der ausdrücklichen Genehmigung, und ist strafbar, wenn sie ohne eine solche irgend eine Handlung vornimmt. Die geheimen Verbindungen der Republikaner benützten diese Bestimmung, um sich in lauter kleine Abtheilungen von weniger als zwanzig Personen zu theilen, und so das Gesetz zu umgehen. In Folge dessen erschien das seiner Zeit vielbesprochene Gesetz von 11. April 1834, nach welchem die Anwendbarkeit des Code pénal auch auf diejenigen Verbindungen ausgedehnt würde, welche aus Sectionen mit weniger als 20 Personen bestanden. Diese Grundsätze sind in allem Wesentlichen bestätigt durch die beiden Dekrete vom 28. Juli 1848 und vom 25. März 1852. Grundsatz ist, daß erstens die Führer solcher Verbindungen mit der doppelten Strafe belegt, und zweitens, daß diese Strafe (100—200 Franken Buße, 6 Monat bis 2 Jahre Gefängniß und Verlust der bürgerlichen Rechte auf 1—5 Jahre) ganz unabhängig von der Bestrafung des Zweckes der Verbindung gegeben wird. — Offenbar ist mit diesem Theile des Vereinsrechts auch die Klassenverbindung getroffen; denn die Coalitions des ouvriers bedürfen keines besonderen Verbotes mehr, indem sie der Ge- nehmigung bedürfen und ohne dieselbe strafbar sind. Dennoch sind dieselben wieder in letzterer Zeit so mächtig geworden, daß in diesem Jahre ein neuer Gesetzentwurf über die coalitions eingebracht ist, der am 19. Februar in den corps législatif geleitet ward. Die Berichte sowohl von Cernadet als von Ollivier sind höchst belehrend, und zugleich mit vergleichenden Bemerkungen über die Geschichte der englischen Gesetzgebung versehen; Deutschlands Gesetzgebung hat man eben so wenig als Deutschlands Industrie der Mühe werth gehalten. Da die ganze Coalitionsgesetzgebung überhaupt der höhern Sicherheitspolizei gehört, so glauben wir hier nicht weiter auf sie eingehen zu müssen und verweisen auf den entsprechenden Theil des folgenden Werkes. Die zweite Form der Associations ist nur die der eigentlichen Erwerbs- gesellschaften, welche, wie die Coalitions unter den Code pénal, so ihrerseits unter den Code de commerce fallen. Wir setzen als bekannt voraus, daß man dieselben als sociétés bezeichnet. Der Code de commerce bezeichnet den französischen Standpunkt sehr genau in Art. 18: „Le contrat de société se règle par le droit civil, par les lois particulières an commerce, et par les conventions des particuliers.“ Derselbe übersieht dabei ebenso wie das deutsche Handelsgesetzbuch, daß der zweite entscheidende Faktor, das Verwaltungsrecht, hier weggelassen ist. Die Grundvorstellung, obwohl keine richtige, ist dadurch die, daß das Recht der Erwerbsgesellschaften ein Theil des bürgerlichen Rechts sei. Wir dürfen schon hier hinzufügen, daß die drei Arten société en nom collectif, société en commandite und société anonyme wesentlich aus den Zwecken dieser sociétés hervorgehen, und nicht eben, wie Einige meinen möchten, im Begriff des Vereins liegen. Es ist für unsere Jurisprudenz wesentlich, sich von dieser Vorstellung los zu machen, und sich gegenwärtig zu halten, daß mit den Arten des Code de commerce nicht etwa das Vereinswesen auch nur annähernd erschöpft ist. Wir werden unten oft genug Gelegenheit haben, dar- auf zurückzukommen. Ueber die neuere Gesetzgebung vgl. Auerbach, Gesell- schaftswesen Buch IV, 1. 2. Die dritte Form ist nun die, welche wir im Allgemeinen am besten als Hülfsvereine bezeichnen können. Diese sind in Frankreich das eigentliche Gebiet der Verwaltungsvereine, und die eine Art derselben ist daher auch ganz zu Staatsanstalten geworden. Das sind die sociétés de secours mutuels, an welche sich die Caisses d’épargne und Caisses de retraite als Staatsinstitute anschließen. Diese Vereine haben dann eine eigene, speziell für ihre Zwecke berechnete Gesetzgebung, während die Eisenbahngesellschaften, Creditgesellschaften u. s. w. auf den allgemeinen Grundsätzen des Code de commerce beruhen. Es versteht sich dabei von selbst, daß innerhalb dieses Rahmens wieder die Statuten jedes Vereins ein eigenes Recht desselben bilden. Deutschland . Die Geschichte des Vereinsrechts in Deutschland ist noch zu schreiben. Wir sehen in derselben allerdings die obigen Grundzüge, aber theils in unklarer Form, theils sehr verschieden in den verschiedenen Ländern. Wir wollen daher versuchen, den Charakter dieser Rechtsbildung im Allgemeinen zu bezeichnen. Dieselbe zerfällt in zwei große Gruppen, von denen wieder jede ihre be- sondere Verhältnisse hat. Die erste Gruppe ist das allgemeine deutsche Vereinsrecht ; und dieß Vereinsrecht umfaßt die beiden ersten, unter Frankreich angegebenen Arten, aber in eigenthümlicher Weise; das politische Vereinsrecht und das gewerbliche. Das politische Vereinsrecht in Deutschland beginnt bereits mit einem sehr lebhaften und ernsten Kampf gegen die geheimen Verbindungen aller Art, nicht bloß politische, sondern auch religiöse und sociale. Es ist darüber eine ganze Literatur entstanden, welche von Klüber (Literatur §. 1079) auf- geführt ist. Die Gesetzgebungen und die Theorien waren sich über die Noth- wendigkeit des Verbotes schon im vorigen Jahrhundert einig. Preußisches Landrecht II, 13. 13, und 20. §. 184, Oesterreichisches Strafgesetz II, 37—51, Kant , Rechtsphilosophie 186. In Klüber (Oeff. Recht §. 360 n. g. ) eine Sammlung aller hierauf bezüglichen Gesetze. Man sieht übrigens aus der ganzen Behandlungsweise, daß der Begriff des Vereinswesens damals in den politischen Vereinen erschöpft war; nur Oesterreich machte, bei allem Haß gegen die letzteren, eine rühmliche Ausnahme, indem es die wirthschaftlichen Vereine principiell als wünschenswerth erklärte. (Hofkanzleidekret 3. Jan. 1817.) Siehe überhaupt über die Geschichte der Oesterreichischen Vereinsgesetzgebung M. v. Stubenrauch , Statistische Darstellung des Vereinswesens im Kaiserthum Oesterreich 1857 (Einl. S. 1—7). Jene Grundsätze gelten schon in den ein- zelnen Bundesstaaten, bis sich nach der Julirevolution das geheime Verbindungs- wesen und die Bildung politischer Vereine über ganz Deutschland zu erstrecken begannen. Das rief den Bundesbeschluß vom 5. Juli 1832 hervor, der alle politischen Vereine, die Bildung und die Abzeichen derselben unbedingt für strafbar erklärte ( Zöpfl II, §. 402). Auf diesem Standpunkt ist das deutsche Bundesrecht geblieben. Die Grundrechte des deutschen Volkes sahen auch noch in dem Vereinsrecht im Wesentlichen nichts anderes als ein politisches Recht, und bestimmten daher in Art. 8 als allgemeine Principien des Vereins- rechts, das Recht sich ohne Erlaubniß zu versammeln , jedoch mit dem Rechte der Regierung, sie eventuell zu verbieten, und das Recht Vereine zu bilden, „das durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden darf.“ Die Bedeutung dieser Grundsätze bestand darin, daß sie wenigstens in viele deutsche Territorial- rechte übergingen. Preußische Verfassung 1850, Oldenburg 1852, Schwarzburg-Sondershausen Gesetz v. 2. Aug. 1852, Coburg-Gotha 1852, Reuß 1852 und andere; der Bundesbeschluß vom 13. Juli 1854 in Betreff des Vereinswesens ist in vielen Staaten gar nicht verkündet worden. Jedenfalls war für das Vereinswesen damit nicht viel gewonnen, da sich unterdessen die Erwerbsgesellschaften immer gewaltiger ausbildeten und Dimen- sionen annahmen, welche weit über die Gränzen der einzelnen Staaten hinaus- gingen. Hier ward daher allmählig eine deutsche Rechtsbildung nothwendig, und sie erschien auch, wenn gleich spät und wesentlich unvollkommen. Es ist von großer Bedeutung, sich die Unfertigkeit dessen, was in dieser Beziehung geschehen ist, wohl gegenwärtig zu halten. Jene Verschmelzung der volkswirthschaftlichen Zustände Deutschlands, theils auch durch den Zollverein verwirklicht, forderte nun eine eigene Verkehrsgesetz- gebung, und endlich kam als erster und wichtigster Theil derselben das deutsche Handelsgesetzbuch zu Stande. Es ist bekannt, wie eng sich dasselbe an Frank- reichs Code de Commerce anschloß. Mit ihm theilte es die Aufgabe, das Vereinsrecht der Erwerbsgesellschaften zu ordnen, und so entstanden die bekannten Abschnitte von den offenen, den Commanditgesellschaften, den Commanditgesell- schaften auf Aktien und den offenen Gesellschaften, über die wir unten noch einige Worte sagen müssen. Das war recht gut; aber ein eben so wichtiger Theil hatte dennoch keine gesetzliche Ordnung gefunden. Das waren diejenigen Vereine, welche ihre Wirksamkeit über ganz Deutschland ausbreiten, ohne einer deutschen Gesetzgebung unterworfen zu sein, namentlich die Banken, die Kredit- vereine, die Versicherungsgesellschaften und endlich die gegenseitigen Gesell- schaften. Das allgemeine deutsche Vereinsrecht muß daher als ein wesentlich unfer- tiges betrachtet werden. Es ist wieder so geworden, daß in den wichtigsten Theilen die Territorialgesetzgebung zur Hauptsache geworden ist. Dieses nun bildet damit die zweite Gruppe. Diese zweite Gruppe des deutschen Vereinsrechts ist eben deßhalb sehr verschieden geartet. Im Allgemeinen ist es der unfertigste Theil des ganzen deutschen öffentlichen Rechts. Nur einige Staaten haben wirkliche Vereins- gesetze; aber in der That sind dieselben fast ausschließlich auf die politisch-poli- zeiliche Seite der Sache berechnet; ein Vereinsrecht im Sinne der folgenden Darstellung läßt sich auf dieselben nicht begründen. Ebenso ist die bisherige Theorie nicht auf die Frage in dieser Richtung eingegangen. Man vgl. Preuß . Verordnung vom 11. März 1850; Rönne I, §. 100; Bayerisches Gesetz vom 26. Februar 1850; Pötzl , Verfassungsrecht §. 29, und Verwaltungsrecht §. 103; Württemberg: Mohl §. 44, Polizeiwissenschaft I, 14 ff. Mayer in seinem Verwaltungsrecht hat geradezu das ganze Vereinswesen bei Seite liegen lassen. Das umfassendste Werk: Auerbach , das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirthschaftlicher Hinsicht (1861), hat sich strenge an das Handelsgesetzbuch gehalten, und ist damit zu einem, allerdings scharf eingehenden, Commentar desselben geworden, ohne zu dem weitern Begriff des Vereinsw esens zu ge- langen, und daher die Fragen zu erwägen, die im Folgenden aufgestellt worden sind. Eine Anzeige von diesem Werk als Studien über Vereinswesen, un- vollendet und wesentlich nur zur Anregung bestimmt, von dem Verfasser in Haimerl’s Oesterreichischer Vierteljahrsschrift 1862. III. System des Vereinswesens. So wie man nun auf Grundlage der historischen Entwicklung davon ausgeht, daß die Vereine mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesell- schaft nicht mehr bloß vereinzelte Erscheinungen sind, oder mit der herr- schenden Staatsordnung in Gegensatz stehen, sondern vielmehr vermöge des Wesens der Gesellschaftsordnung als ein naturgemäß entstehender, und die ganze Staatsverwaltung durchdringender, nothwendiger Organis- mus der freien Verwaltung erscheinen müssen, so kann auch die Lehre vom Vereinswesen nicht mehr bei der Beobachtung einzelner Vereine stehen bleiben. Sie muß sich vielmehr jetzt selbst über den statistisch gegebenen Zustand des Vereinswesens erheben; sie muß dasselbe in seine organische Verbindung mit der Verwaltung bringen und daher statt der einfachen Thatsachen ein festes Princip für dieselben feststellen. Allerdings entsteht jeder einzelne Verein zunächst aus seinem eigenen, einzelnen Zweck. Allein dieser Zweck ist stets zu gleicher Zeit ein Zweck der Verwaltung. Allerdings hat jeder Verein seinem Wesen nach das Recht, sich seine innere Ordnung selbst zu geben. Allein diese innere Ordnung wird ihrerseits stets durch den Zweck bedingt. Dem Principe nach muß daher das Vereinswesen, als ein Organismus für die Zwecke der Verwaltung, von dem Systeme der Verwaltung aus wissenschaftlich dargestellt werden, wie die einzelnen Vereine wieder von den Forde- rungen der Verwaltung bedingt und beherrscht erscheinen. Man muß demgemäß die in einem bestimmten Lande zu einer bestimmten Zeit statistisch gegebenen Vereine wohl unterscheiden von demjenigen, was wir als das System des Vereinswesens im obigen Sinne bezeich- nen. Das System des Vereinswesens muß davon ausgehen, daß, da in der staatsbürgerlichen Gesellschaft der Verein als eine an sich noth- wendige, organische Form der Verwaltung erscheint, das Nichtvorhanden- sein von Vereinen für die Verwaltungszwecke als ein zufälliger Mangel betrachtet werden muß, den die höhere Entwicklung der freien Verwaltung über kurz oder lang ausgleichen wird. Es muß gesetzt werden, daß dieß System mithin nicht in der Summe und der Richtung der Vereine, sondern vielmehr in dem Wesen des höchsten Zieles derselben, der Ver- waltung selbst zu finden ist. Und es muß daher das System der Vereine an sich in dem Systeme der Verwaltungsaufgaben gesucht werden. In der That läßt sich auch nur auf diesem Wege zu einem, alle Formen und Aufgaben des Vereinswesens zu allen Zeiten umfassenden Systeme des letzteren gelangen, immer freilich unter der Voraussetzung, daß dasselbe in der staatsbürgerlichen Gesellschaft, als in seiner eigent- lichen Heimath, gedacht wird. In diesem Sinne theilen sich nun die Verwaltungsaufgaben in drei große Gebiete. Dieselben beziehen sich auf das Leben und die körper- liche und geistige Entwicklung der Persönlichkeit , auf das volks- wirthschaftliche Leben und auf die gesellschaftlichen Zustände. Und diese Grundverhältnisse, welche die ganze Verwaltung organisch umfassen und erschöpfen, erscheinen daher auch als die Grundlagen des Systems der Vereine. Wir müssen die Gesammtheit aller Vereine dar- nach in drei große Gruppen theilen, die wir hier nach ihrem höchsten Zwecke als die Bildungsvereine , die Erwerbsvereine und die Hülfsvereine bezeichnen wollen. Diese sehr einfache Grundlage empfängt nun ihre Mannigfaltigkeit durch zwei Momente. Zuerst ist jeder jener allgemeinen Zwecke wieder eine Gesammtheit von einzelnen Zwecken, die eine bestimmte Gestalt annehmen; dann aber stehen eben jene drei großen Kategorien nicht eben streng geschieden neben einander, sondern sie greifen so tief in einander, daß der eine Zweck wieder bald als Mittel für den andern erscheint, bald mit ihm fast untrennbar verschmilzt, so daß ein und derselbe Verein oft zweien, ja zuweilen allen drei Kategorien angehört, und daher nicht strenge nach seinem letzten Erfolge, sondern nach seinem nächsten Zwecke in das System aufgenommen werden muß. Man wird daher, um hier überhaupt noch eine feste Ordnung durchführen zu können, die genauere Bestimmung dieses nächsten und eigentlichen Vereinszweckes hinzufügen müssen. Denn in der That hat jede Bildung einen wirth- schaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg, jeder wirthschaftliche einen gesell- schaftlichen und geistigen, und so weiter. Dieser an sich nothwendige Erfolg liegt daher auch in dem Zwecke des Vereins. Aber dies ist immer mit dem wesentlichen Unterschiede der Fall, daß dieser entfernte Erfolg nur durch die Thätigkeit des Vereins vorbereitet, und seine Ver- wirklichung dem Einzelnen selbst überlassen wird. Daher muß man sagen, daß die Natur des Vereins nur nach demjenigen bestimmt werden kann, was er selbst unmittelbar leistet; und nach diesem Gesichtspunkte ordnen sich nun die Vereine in folgendes einfache System. I. Die erste große Klasse der Vereine ist die der Bildungsver- eine . Die Arten dieser Bildungsvereine bestimmen sich nach den Ge- bieten des Unterrichts- und Bildungswesens überhaupt. 1) Die erste Art bezieht sich auf den Unterricht und umfaßt alle auf das Volks- schulwesen bezüglichen Vereine. Diese erscheinen wieder in den zwei Hauptgruppen, den Schulvereinen aller Art, die natürlich mit ihrer Ausdehnung und Bedeutung im umgekehrten Verhältniß zu dem Schul- wesen des Staats stehen, indem sie um so wichtiger werden, je weniger entwickelt dasselbe ist, während sie fast verschwinden, wo dieses eine Stein , die Verwaltungslehre. I. 35 hohe Ausbildung hat (England — der Continent) — und den Lehrer- vereinen . Die Lehrervereine haben wiederum einen specifischen Cha- rakter. Sie entstehen da, wo das Lehrerwesen sich im Namen der Selbständigkeit seiner Aufgabe als eine selbständige Gemeinschaft zu fühlen, und seine Berufsthätigkeit einerseits, seine wirthschaftliche Stellung anderer- seits als eine gemeinschaftliche Angelegenheit zu erkennen und zu ver- treten beginnt. Die Lehrervereine gehören daher zu jener Bewegung, in deren Anfang wir stehen, und deren Ende wir noch nicht absehen, welche das ständische Element in das Vereinswesen hineinbringen, indem sie in der Vereinigung nicht bloß ein Mittel für das bessere Verständniß und die Erfüllung ihres Berufes, sondern zugleich diejenige Form suchen, durch welche dieser Beruf als solcher eine gesellschaftliche Macht gewin- nen und ausüben will. Wir werden in unseren Gruppen der Vereine diese, allerdings im Wesen des Berufes liegende Tendenz beobachten. Sie ist der Weg, auf welchem das berufliche Princip in der staats- bürgerlichen Gesellschaft seine Geltung zu finden bestimmt ist — ein neuer und großer Beweis dafür, daß keine einzelne Ordnung der Gesell- schaft sich allein genügt, sondern daß die Vollendung der Gesellschaft in der summarischen Verschmelzung aller drei Formen gegeben ist. Aber hier wie immer ist die Verwaltungslehre ohne die Wissenschaft der Ge- sellschaft nicht zu verstehen. 2) Die zweite Art der Bildungsvereine bezieht sich auf die Fach- bildung , sowohl die gelehrte als die technische. Die Fachbildung ist aber ihrem Inhalt wie ihrer Form nach durch ihre eigene Natur eine so bestimmt gegebene, daß das Vereinswesen hier wesentlich den Charakter einer Anstalt annimmt, die nach bestimmten, der Willkür eines Ver- eines entzogenen Regeln funktioniren muß und daher stets dem Staate und seiner Verwaltung sich unterordnet. Das Vereinswesen kann hier nur dazu dienen, die Mittel für die Fachbildung herzugeben und an der Verwaltung selbst Theil zu nehmen; es kann niemals über seinen Zweck selbständig entscheiden. Nur bei denjenigen Vereinen, welche die durch die Fachbildung gewonnene Entwicklung fördern wollen (Kunst- verein), oder bei denen, in welchen die Ausübung und selbst die Gewin- nung der Fachbildung als ein Mittel sicherer Geselligkeit erscheint (Gesang-, Musikvereine), ist noch ein eigentliches, sich selbst bestimmendes Vereinswesen denkbar. 3) Die dritte Art der Bildungsvereine bezieht sich auf die allge- meine Bildung . Der Umfang und Zweck und damit der Name derselben ist natürlich ganz unbestimmt. Dennoch scheiden sich leicht zwei Gruppen. Die erste Gruppe hat es mit der eigentlich geistigen Ausbildung, die zweite mit dem religiösen Leben zu thun. Eben wegen der großen Macht, die das geistige Leben überhaupt ausübt, haben alle dahin zielenden Vereine eine hohe Wichtigkeit und gerathen unter allen am leichtesten in offenen oder geheimen Gegensatz mit den Forderungen des Staats. Während sie daher im Uebrigen dem Vereinswesen über- haupt angehören, ist bei ihnen sehr leicht eine Neigung vorhanden, ihren Zweck und ihre Mittel geheim zu halten, indem das Geheimniß als der letzte Schutz für alles erscheint, was mit dem höheren Zwecke in Wider- spruch steht. Darum gehören gerade diese Vereine zu denjenigen, bei denen das Princip der Oeffentlichkeit auf das Bestimmteste aufrecht gehalten werden muß. Gefahr und Segen liegen nirgends so nahe neben einander als in dieser Art. II. Einen wesentlich verschiedenen Charakter hat die zweite große Klasse der Vereine, die volkswirthschaftlichen Vereine . Diese Klasse wird aus allen denjenigen Vereinen gebildet, welche durch die Verbindung der in ihnen enthaltenen Kräfte eine Vermehrung des Volks- wohlstandes zum Zweck haben. Dieser Zweck kann wieder theils mittel- bar, theils unmittelbar erreicht werden, und darnach zerfällt diese ganze Klasse in zwei große Theile. Der erste Theil umfaßt alle diejenigen Vereine, welche die Herstellung der, in der einzelnen gewerblichen Per- sönlichkeit liegenden Bedingungen des gewerblichen Erwerbes zum Zwecke haben; der zweite Theil besteht aus denjenigen, deren Zweck in einem wirklichen Erwerbe ihrer Mitglieder vermöge des Vereins bestehen. Beide Gruppen sind sehr wesentlich verschieden. A. Die erste Gruppe dieser Klasse nennen wir am besten die ge- werblichen Bildungsvereine . Alle persönlichen Bedingungen des individuellen Erwerbes bestehen am letzten Orte immer in einer geistigen Bildung. Diese aber kann wieder doppelter Natur sein, und darnach erscheinen diese gewerblichen Bildungsvereine wieder in zwei Haupt- richtungen. 1) Die erste Unterart derselben ist diejenige, welche die allgemeine technische Vorbildung zum Inhalt haben, insofern dieselbe jeder gewerb- lichen Thätigkeit zum Grunde liegt; auf diesem Gebiete berühren sich dem letzten Zwecke nach die Fachbildungs- und sogar die Unterrichts- vereine mit den gewerblichen Bildungsvereinen, und die Gränze liegt hier nicht im Zwecke, sondern vielmehr in der Bestimmung der Indivi- duen, für welche der Verein thätig ist, und durch deren Lebensverhält- nisse besondere Regeln für die Thätigkeit des Vereins nothwendig werden. Die Erkenntniß der Nothwendigkeit dieser Zwecke bewirkt dann, daß die Staatsverwaltung die Erreichung derselben nicht auf die Dauer von dem zufälligen Entstehen oder Plane eines Vereins abhängig machen kann; sie ist vielmehr bestrebt, alsbald eine dauernde und festgeordnete Anstalt daraus zu machen, und die Verpflichtung für die gewerb- lichen Berufsgenossen auszusprechen, für einen solchen Zweck dauernde Mittel, Thätigkeiten und Organe aufzustellen, und zwar theils indem sie die Gemeinde dazu verpflichtet und damit solche Anstalten zu Ge- meindeanstalten macht, theils indem sie die Berufsgenossen nöthigt, sich dauernd für diese Aufgaben zu organisiren. So verlieren dieselben allmählig den Charakter von Vereinen; das Vereinswesen, sofern es hier noch fortbesteht, empfängt dagegen seinen eigenthümlichen Platz dadurch wieder, daß es die auf diese Weise entstandene öffentliche Anstalt in ihrer Weise in einzelnen Punkten fördert und weiter bringt; und erst wenn das geschehen ist, daß jene Zwecke zu festorganisirten öffent- lichen Anstalten geworden sind, die durch Vereinsbestrebungen ihre volle Entwicklung im Allgemeinen empfangen haben, ist die richtige Grund- lage gefunden, in der das Dauernde, die Sache selbst, durch den blei- benden Organismus, den Staat, gegeben, und die freie wechselnde Entwicklung durch den freien Verein gesetzt ist. So gestaltet sich auf diesem Punkte die Verbindung zwischen Staatsverwaltung und Vereins- wesen, die den Charakter unserer Zeit bildet. Die Hauptformen dieser Organisation sind die Gewerbeschulen aller Art, Sonntagsschulen, Zeichenschulen, Musterschulen für einzelne Gewerbe, und ähnliche Insti- tutionen, die von einzelnen Unternehmungen und Fabriken ausgehend, hier zum Theil den Charakter des Hülfswesens annehmen; sie bilden zusammengenommen eine Reihe der wichtigsten Erscheinungen unserer Gegenwart, bei denen zunächst der Mangel einer ausreichenden Statistik am meisten zu beklagen ist. 2) Die zweite Unterart dagegen bleibt innerhalb des Gebiets des eigentlichen Vereinswesens, indem hier der Verein nicht für die Ent- wicklung dritter, sondern für die der Mitglieder selbst gebildet wird. Das hat seinerseits zur Voraussetzung, daß an demselben nur selbstän- dige Personen Theil nehmen, die sich zur Aufgabe setzen, sich selber durch eigene Mittel und Anstrengungen die Bedingungen weiterer Bil- dung wesentlich innerhalb des Kreises ihrer gewerblichen Thätigkeit zu schaffen. Diese Vereine werden aber stets nach zwei Richtungen hin von ihrem eigentlichen Zwecke abgezogen, so daß meistens die geistige Aufgabe alsbald als eine ganz untergeordnete dasteht. Zuerst haben sie eine große, in der Natur der Sache liegende Neigung, in die Ver- einsform der bloßen Geselligkeit zu fallen, so daß der Zweck solcher Vereine wesentlich eine gesellige Unterhaltung wird, und selbst diejenigen Thätigkeiten, welche speziell auf Bildung abzielen, Charakter und Inhalt einer veredelten Unterhaltung annehmen. Sehr selten geht dieß den umgekehrten Weg, und zwar naturgemäß wesentlich nur da, wo die höhere Bildung des gewerblichen Berufes sowohl von Seiten des Staats als von Seiten der Selbstverwaltung ganz sich selbst überlassen ist. Ein Hauptbeispiel dafür sind die Mechanics Institutions in England. Auf dem Continente, wo für das Lernen auch der Erwachsenen in den höheren Unterrichtsanstalten so viel geschieht, waltet dagegen der Cha- rakter der Unterhaltung vor, und das Vereinswesen hat für die letztern die große Bedeutung, sie selber zu veredeln und Sitte und Maaß in sie hinein zu bringen. Ganz anders gestalten sich die Dinge, wo das zweite Moment in diese Vereine hineintritt. Das zweite Moment ist auch hier das gesellschaftliche Bewußtsein, daß die gewerbliche Arbeit ein Beruf sei, und als Beruf ein gewisses, wenn auch sehr verschieden formulirtes, gemeinsames Interesse für alle Berufsgenossen habe. Dieses Bewußtsein bringt dann zwei wesent- lich verschiedene Arten von Vereinen und von Vereinsthätigkeiten hervor, von denen die erste auf dem Elemente des Kapitals und seiner Interessen, die zweite auf dem Elemente der Arbeit beruht. 3) Aus dem gewerblichen Kapitale zunächst gehen alle diejenigen Vereine hervor, welche einerseits die höhere Bildung der gewerblichen Unternehmer als solche durch einen Verein bezwecken, und die wir nicht besser als mit dem allgemeinen Namen der Gewerbevereine bezeich- nen können, weil sie eben von der Erkenntniß getragen sind, daß alle Arten der Gewerbe von den Ergebnissen der höheren technischen Bildung einen Vortheil haben. Naturgemäß aber sind diese Vereine zugleich der Boden, auf welchem die allgemein im Wesen des gewerblichen Kapitals liegenden Interessen zur Besprechung und zum Verständniß gelangen. Ihre Aufgabe als Vereine geht dabei allerdings nicht weiter, als die Hervorrufung oder Klärung von subjektiven Ueberzeugungen der einzelnen Mitglieder; sie wirken aber durch die Gleichartigkeit ihrer Mittel stets ausgleichend und gemeinsam, und ergeben dadurch stets gemeinsame Erfolge, wenn auch dieselben wesentlich vom Umfange der Vereine und zum großen Theil von einzelnen Persönlichkeiten abhängig sind. Wie nun der Begriff der gewerblichen Unternehmung sich all- mählig in bestimmte Gebiete mit eigenen Voraussetzungen auflöst, so gestaltet sich auch hier ein förmliches, je nach den gegebenen Verhält- nissen höchst verschieden ausgebildetes System von solchen Vereinen, die auf Grundlage gemeinsamer, aber speziell gewerblicher Bildung alle einzelnen Hauptarten der Produktion umfassen; Vereine der Urpro- ducenten (Bergwerke), Vereine der Landwirthe, Vereine der Forstwirthe, Vereine der einzelnen Zweige der Industriellen, in den verschiedensten Gruppirungen. Die Kenntniß und Beobachtung derselben und ihrer Thätigkeit wird mehr und mehr ein unentbehrliches Element des Verständnisses unserer Gegenwart, um so mehr als sie selbst zum Theil großartige Organisationen entwickeln und dadurch eine bedeutsame Macht gewinnen. Die Zeit wird kommen, wo keine Staatslehre ohne eine Darstellung auch dieser Vereine gedacht werden kann. — Dagegen bleibt ihnen immer das Moment der Zufälligkeit, da sie am Ende sich jeden Augenblick auflösen und nun unbedingt über ihre Thätigkeit verfügen können, und andererseits sind sie naturgemäß nur der Ausdruck beson- derer Interessen und Richtungen. Dennoch ist ihre Substanz, das ge- werbliche und industrielle Leben, namentlich in der staatsbürgerlichen Gesellschaft ein unbedingtes Element des Staatslebens, und mithin eine unbedingte, dauernde und daher nach festen Grundsätzen zu voll- ziehende Aufgabe der Staatsverwaltung. So wie daher der Staat erkannt hat, daß er diese Aufgabe als eine organische betrachten muß, so muß er zugleich fordern, daß dauernde und festgeordnete Organe für dieselbe seiner vollziehenden Thätigkeit zur Seite stehen. Daraus dann geht jener Organismus hervor, den wir oben bei den Behörden als das System der berathenden Organe aufgestellt haben, und das wir speziell für die gewerblichen Unternehmungen als den Uebergang vom Vereinswesen zur öffentlichen Organisation der verfassungsmäßigen Ver- waltung bildend, als die Handels- und Gewerbekammern be- zeichnen. In den Handels- und Gewerbekammern aller Art ist somit der Punkt gegeben, auf welchem die Vereine und das Wesen und Recht derselben wieder den Charakter und die Stellung von staatlichen Organen annehmen; die Gewerbevereine aller Art werden dadurch auf das ihnen eigenthümliche Gebiet zurückgeworfen, und stellen sich als Vereinswesen neben die gewerblichen Vertretungen, die in jenem gegeben sind. Aber auch dieß Verhältniß ist in den verschiedenen Ländern wieder sehr ver- schieden, und bietet ein reiches und für die wichtigsten Fragen höchst lehrreiches Bild dar, das wohl einer genaueren Darstellung werth wäre. 4) Nicht minder bedeutsam, wenn auch nach einer ganz anderen Richtung, ist nun die zweite Unterart, diejenige Gruppe von Vereinen, welche auf dem Elemente der Arbeit und ihrer besonderen Stellung in der Industrie beruht. Wir können diese Vereine am besten mit einem Worte als Arbeitervereine bezeichnen. Das Wesen der Arbeitervereine besteht darin, die persönliche Arbeit und zwar in der gewerblichen Welt als ein selbständiges Element mit eigenthümlichen Grundlagen und damit auch eigenthümlichen gesellschaft- lichen Forderungen zur Geltung zu bringen. Die Arbeitervereine sind es, welche den tiefen gesellschaftlichen Gegensatz der staatsbürgerlichen Gesellschaft zum äußeren Ausdruck bringen. Man kann ihre Bedeutung ohne das Wesen dieses Gegensatzes nicht verstehen. Allerdings nämlich beruht die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung auf dem Princip der Gleichheit der Persönlichkeit. Allein diese Gleichheit erscheint in der wirklichen Welt als das gleiche Recht auf den wirthschaftlichen Erwerb. Der wirthschaftliche Erwerb beruht seinerseits auf ganz bestimmten Be- dingungen, die das bloße Princip des persönlichen Lebens nicht ändert. Die herrschende unter diesen Bedingungen ist die Größe des Kapitals. Der Unterschied in der Größe des Kapitals erzeugt daher unabweisbar einen Unterschied unter den Persönlichkeiten. Der Weg, auf welchem dieser Unterschied entsteht, gehört der selbständigen Gesellschaftslehre; wir haben denselben, und mit ihm den gegenseitigen Einfluß von Gut und geistiger Entwicklung, von der scharfen Begränzung des ersteren und der unendlichen Bewegung der letzteren als bekannt vorauszusetzen. Ist der Unterschied in der wirklichen staatsbürgerlichen Gesellschaft aber einmal gesetzt, so ist auch der Widerspruch mit dem abstrakten Principe derselben unläugbar; die Gleichheit ist keine wirkliche mehr; an ihrer Stelle erscheinen zwei Klassen, die Klasse der Kapitalisten und die Klasse der Arbeiter. Beide stehen aber nicht etwa einfach neben einander wie ein ruhender Unterschied. Im Gegentheil bringt es die Natur der ge- werblichen Thätigkeit mit sich, daß die Arbeit und mit ihr die Klasse der Arbeiter von dem Kapital und mit ihm von den Besitzern desselben abhängig sei. Diese Abhängigkeit nun ist es, welche von den ersteren bekämpft wird. Der Kampf gegen dieselbe ist wie jeder entstehende gesellschaftliche Kampf im Anfange ein roher und ganz unverständiger; es herrscht die Vorstellung, als ob die Arbeit in dem Kapital einen unbedingten Feind habe, und als könne man den Widerspruch der Sache selbst durch die Vernichtung der Erscheinung dieses Widerspruches, durch die einfache Vernichtung des Kapitals selbst aufheben. Diese Vorstellung gewinnt Leben in den ersten Arbeitervereinen, die wir kennen, den communistischen Arbeitervereinen der französischen Revolution. Es wird jetzt einleuchten, weßhalb diese Vereine das Kapital als solches auf- heben, und mit ihm seine unwiderstehliche Macht, Unterschiede zu erzeugen, definitiv beseitigen wollen. Die Gütergemeinschaft ist in der That nun die Negation des Kapitals als Grundlage der Ungleichheit in der prin- cipiell gleichen staatsbürgerlichen Gesellschaft. Die Geschichte dieser Erscheinungen haben wir anderswo dargelegt. Obwohl dieselben nur vorübergehen, so erhält sich dennoch das Bewußtsein der Sache. Mit dem vollständigen Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft in den drei- ßiger Jahren unseres Jahrhunderts tritt dasselbe wieder ins Leben, aber erst mit dem Ende des fünften Jahrzehnts gewinnt es Gestalt theils in England, theils in Frankreich, theils in Deutschland. Man kann sagen, daß mit dieser Zeit die erste Epoche überwunden ist; die Arbeitervereine wollen nicht mehr den einfachen Communismus, sondern sie wollen vielmehr irgend ein in sehr verschiedener Weise formulirtes Verhältniß, in welchem ihre Arbeit ihnen zu einem Kapitale helfen soll. Es ist auch die Reihe von Vorstellungen, durch welche sie dieß Ziel zu erreichen trachten, von uns genau dargelegt. Ganz offenbar liegt nun all diesen Erscheinungen, von denen wir in diesem Augenblick ein schwaches und an Theorie und Mißverstand gleich sehr kränkelndes Nach- bild erleben, ein gemeinsamer Gedanke zum Grunde. Bei ihnen ist nämlich weder die Bildung noch das Kapital eigentlicher Zweck, sondern nur ein Mittel , und zwar das Mittel für die Gleichstellung der kapitallosen Arbeit mit dem Kapitale. Solche Bestrebungen, welche in sich einen unlösbaren Widerspruch tragen, da sie die absolute Gleichheit des als absolut verschieden Erkannten fordern, bedürfen irgendwo eines ethischen Haltpunktes, um nicht geradezu in sich selbst zusammen zu fallen. Und diesen ethischen Haltpunkt suchen nun diese Arbeitervereine darin, daß sie, da sie weder die Nothwendigkeit des Kapitals noch die Unvermeidlichkeit seiner verschiedenen Vertheilung und damit auch nicht die materiell unabweisbare Ungleichheit in der principiellen Gleichheit der staatsbürgerlichen Gesellschaft erkennen können, in der immer klarer werdenden Richtung, aus der Arbeite rklasse einen Arbeiterstand zu bilden. Ihr — zum Theil ihnen selbst unbewußtes — Streben geht dahin, die Arbeiter als eine selbständige Gemeinschaft hinzustellen, welche eine große organische, ihr eigenthümliche Funktion zu verrichten haben. Das Bewußtsein von der Nothwendigkeit und der Bedeutung dieser Funktion erscheint ihnen als ein Beruf der Arbeiter; und die Gemein- schaft der Arbeiter wird dadurch zu einem Stande in der Gesellschaft. Die Folge dieser Auffassung ist freilich zunächst die, daß die Arbeiter sich eine Reihe von Standesinteressen formuliren, und daß sie mit ver- einter Kraft diese Standesinteressen zu verwirklichen trachten. Es ist von großem Interesse, diese Erscheinungen von diesem Standpunkt aus zu verfolgen. Denn in der That geht die Spitze aller dieser Interessen und Bestrebungen nicht dahin, für die Arbeiter als Arbeiter zu sorgen, und die Arbeit zum wirklichen Stande zu erheben, sondern vielmehr dahin, irgend eine Form zu finden, in welcher den Arbeitern das erfor- derliche Kapital gegeben werden könne, damit sie aus dem Stande der Arbeiter heraustreten , und in die Klasse der Unternehmer gelangen. Die Hervorhebung der ethischen Seite der Arbeit, ihres Berufes, dient nur dazu, um jene Ansprüche ethisch zu legalisiren; die Arbeitervereine haben nicht die Hebung der Arbeit an sich zum Zweck, sondern nur die Sammlung der Kräfte der Arbeiter, um jenes Ziel zu erreichen, und da es nicht möglich ist, das Kapital des Unternehmers durch die freie Zustimmung desselben von ihm zu erobern, so wendet sich naturgemäß jene gesellschaftliche Richtung auf die Staatsgewalt, und strebt eine Verfassung zu erzeugen, welche die Klasse der Arbeiter und damit ihre eigenthümlichen Interessen durch den Staat zur wirthschaftlichen Herr- schaft bringen könne. Dieß nun kann offenbar nur auf einem Wege geschehen; es muß der Organismus der gesetzgebenden Gewalt auf das allgemeine, von dem Besitze ganz unabhängige Stimmrecht zurückgeführt werden. Die Consequenzen für die Interessen der Arbeiter liegen nahe; es ist nicht unsere Aufgabe hier, dieselben weiter zu verfolgen. Allein der Charakter der Arbeitervereine ist damit, wie es scheint, klar. Wenn sie auch viele rein wirthschaftliche Nebenaufgaben haben, und selbst allerlei Theorie hinzufügen, so bilden sie dennoch das Gebiet, wo das Vereinswesen für gewerbliche Bildung in das gesellschaft- liche hinüber geht. Und für uns muß es genügen, sie in diesem Sinne zu betrachten. Die einzelnen Erscheinungen in dieser Richtung fordern dann allerdings eine besondere Beachtung und Darstellung. Wir mußten uns darauf beschränken, diesen ganzen Zweig des Vereinswesens zunächst nur einmal mit dem System desselben in organische Verbindung zu bringen. Diese Vereine nun, oder, um die beiden Formen dieser ersten Gruppe der volkswirthschaftlichen Vereine mit Einem Worte zu bezeich- nen, die gewerblichen Bildungsvereine des Kapitals und die der Arbeit, bilden auf diese Weise ein großes und mächtiges System von Vereinen, die allerdings wesentlich verschiedene Richtungen und Aufgaben zeigen, aber dennoch ein wichtiges Element trotz ihrer inneren Gegensätze ge- meinsam haben. Sie sind es nämlich, welche die gewerbliche Thätigkeit zu einer geistig geltenden Macht für das ganze Staatsleben erheben, und die staatsbürgerliche Gesellschaft eigentlich erst geistig organisirt haben. Sie haben Kapital und Arbeit mit der Wissenschaft verschmol- zen, und große geistige Kräfte aus der letzteren sich und ihren Zwecken dienstbar gemacht. Sie haben der Ueberzeugung den Weg gebahnt, daß Gewerbe und Verkehr etwas anderes und höheres sind, als bloße Mittel des Erwerbes. Indem sie den innigen Zusammenhang des Erwerbes mit den höchsten physiologischen und philosophischen Gesetzen des Daseins anbahnten, und die Naturlehre, die Chemie, die Mathe- matik, die Geschichte und in der Gestalt der Gesellschaftswissenschaft auch die Ethik in ihren Kreis zogen, haben sie für die erwerbende Thätigkeit durch eigenes geistiges Streben und durch Verschmelzung mit der geistigen Arbeit der Theorie gethan, was in der ständischen Ord- nung die unmittelbare Theilnahme am Staatsleben für den Grund- besitz gethan hat; sie haben die erwerbende Arbeit in allen Formen geadelt. Sie sind daher nicht bloß eine bestimmte Reihe von Erschei- nungen in der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung; sie sind vielmehr die höchste Gestalt ihrer Bethätigung, und ihnen gebührt das Verdienst, das ethische Element des Berufes für die gewerbliche Welt nicht bloß im Allgemeinen gerettet, sondern es vielmehr zu einem organischen, selbstwirkenden Element derselben gemacht zu haben. Sie stehen daher nicht auf der allgemeinen Stufe der Vereine für das geistige Leben, deren Ziel die Persönlichkeit als solche ist, sondern sie gehören specifisch der staatsbürgerlichen Gesellschaft an. Und das ist es, was sie in ihrem Wesen, und dadurch auch in ihrem Rechte von der folgenden, ihrem Umfang und ihrer praktischen Bedeutung sie weit überragenden, ihrem ethischen Moment nach aber allerdings ihnen untergeordneten Gruppe unterscheidet. B. Diese zweite Gruppe der volkswirthschaftlichen Vereine besteht nun aus den Erwerbsvereinen , die man wohl im engeren Sinne des Wortes als Gesellschaften , und deren wirthschaftliche und recht- liche Verhältnisse man als Gesellschaftswesen bezeichnet hat. Es ist hier durchaus nothwendig, zuerst die bürgerlich rechtlichen Gesell- schaften von den öffentlich rechtlichen zu unterscheiden; erst dann wird man das Verhältniß zur Verwaltungslehre richtig würdigen. Man muß zu dem Ende den allgemeinen Begriff der Gesellschaft in juri- stischem Sinne voraufstellen, und dann die bürgerliche und die öffentliche in ihm bestimmen. Denn der Begriff und das Recht des Vereins kommt nur den letzteren zu, wie wir unten genauer darlegen werden. 1) Der juristische Begriff der Gesellschaft entsteht da, wo einzelne Persönlichkeiten zum Zwecke eines gemeinsamen Unternehmens aus ihren Werth-, Güter- oder persönlichen Kapitalien vertragsmäßig Ein gemeinsames Kapital bilden, um den Unternehmungsgewinn nach Maßgabe ihres hergegebenen Kapitals zu theilen. Jede Gesellschaft erscheint daher juristisch nach Außen, dritten Persönlichkeiten gegen- über, als Eine wirthschaftliche Persönlichkeit, und erzeugt dadurch an und für sich zwei Rechtsverhältnisse. Das erste Rechtsverhältniß ist das dieser wirthschaftlichen Einheit (Persönlichkeit) im Verhältniß zu Dritten; das zweite ist das Rechtsverhältniß der Mitglieder oder Gesell- schafter zur Gesellschaft als Einheit. Man kann das erste kurz das äußere , das zweite das innere Recht der Gesellschaft im juristischen Sinne nennen. 2) Dieser vertragsmäßig formulirte Zweck, einen gemeinschaftlichen, und durch die Vereinigung vergrößerten Unternehmungsgewinn zu er- zielen, kann nun natürlich in allen Fällen auftreten, in denen über- haupt eine Verwerthung wirthschaftlicher Thätigkeit denkbar ist. Die Gesammtheit dieser Fälle aber scheidet sich in zwei große, an sich sehr bestimmte Gruppen. Die erste Gruppe entsteht da, wo die wirthschaft- liche Produktion einfach durch das volkswirthschaftliche Bedürf- niß und das aus ihm hervorgehende Gesetz der Produktivität erzeugt und bedingt erscheint. Jede denkbare Produktion kann somit Gegenstand einer vertragsmäßigen Gesellschaft werden; ja die letzteren werden sich sogar in dem Grade entwickeln, in welchem die Produktivität dem Größengesetz der Kapitalien mehr unterliegt. — Die zweite Gruppe entsteht dagegen da, wo die Aufgaben der Verwaltung eine wirthschaftliche Produktion irgend einer Art nothwendig machen. Die Thätigkeiten der Verwaltung sind ihrerseits nicht auf einen Unterneh- mungsgewinn berechnet; das was sie zu produciren haben, ist nicht ein reiner Ueberschuß des verwendeten Kapitals, sondern ihre wahre Produktion ist die Herstellung der Bedingungen der Produktivität für die einzelnen Wirthschaften. Dennoch kann auch eine wirthschaft- liche Leistung der Verwaltung sehr gut und sehr oft ohne irgendwie ihrem eigentlichen Zwecke, der allgemeinen volkswirthschaftlichen Pro- duktivität zu schaden, einen solchen privatwirthschaftlichen Unterneh- mungsgewinn erzeugen. Daher dann kann eine solche wirthschaftliche Leistung der Verwaltung zugleich ein Gegenstand der Privatproduktion werden, und das wird in vielen Fällen bei weitem richtiger sein, als wenn die Verwaltung selbst ihre Produktion besorgt, da die Einzel- produktion der Regel nach billiger ist als die durch den Staat, aus Gründen, die wir hier voraussetzen dürfen. Indem nun auf diese Weise wirthschaftliche Produktionen, welche die Verwaltung für die Vollziehung ihrer Aufgaben fordert, und die daher wie diese Aufgaben selbst dauernder Natur sind, durch eine vertragsmäßige Gesellschaft erzeugt werden, empfängt die letztere einen anderen Charakter. Ihrem Wesen nach kann die letztere nur für einen Unternehmungsgewinn, und damit für das wirthschaftliche Interesse ihrer Mitglieder arbeiten. Die Verwaltung aber stellt dieß Einzelinteresse unbedingt unter das Ge- sammtinteresse. Die Vollziehung einer Verwaltungsaufgabe durch eine solche Gesellschaft erzeugt daher stets einen Gegensatz des öffentlichen und des Einzelinteresses, der durch möglichst bestimmte Begränzung der Rechte der Gesellschaft und durch eine niemals ganz ruhende Thätigkeit der Verwaltung in Beziehung auf die Leistungen der letzteren aus- geglichen werden kann. Dadurch entsteht für die juristische Gesellschaft in dieser Verbindung mit der Verwaltung ein drittes bisher nicht vor- handenes Rechtsverhältniß; das ist das Verhältniß zur Verwaltung , ihren Verordnungen und Organen, das die ganze Leistung dieser zweiten Art der Vertragsgesellschaft durchzieht, und das sowohl in dem äußeren wie in dem inneren Recht derselben zur Geltung kommt. Und nun können wir die erste Art der Gesellschaften im allgemeinen Sinn, deren Vereinigung aus der reinen volkswirthschaftlichen Produktivität hervorgeht und durch reine volkswirthschaftliche Produktion den gemeinsamen Ge- winn erzielen will, die bürgerliche, oder zweckmäßiger die Handels- gesellschaften nennen; die zweite Art dagegen um ihres sie beherr- schenden Zweckes willen die öffentlichen Gesellschaften , welche zugleich das Wesen und das Recht der Vereine enthalten. Auf diese Weise unterscheiden wir für die Verwaltungslehre im allgemeinen oder juristischen Begriffe der Gesellschaft jene zwei Grund- formen derselben, deren Wesen zuletzt die Grundlage ihres Rechtssystemes werden wird. Dieß aber ist wesentlich verschieden für beide Gruppen. 3) Die Handelsgesellschaften, die römische societas, sind nämlich in ihrem Zwecke absolut frei , wie und insoweit überhaupt die einzelne Persönlichkeit mit ihrem Zwecke frei ist. Wenn daher hier eine syste- matische Eintheilung gefordert wird, die immerhin ein volkswirthschaft- liches Interesse hat, so kann sie nur dadurch gegeben werden, daß man die Eintheilung der einzelnen Arten der Unternehmungen zum Grunde legt. Es wird demnach Societäten geben für Urproduktion, für Land- und Forstwirthschaft, für Gewerbe, für Handel, für Industriezweige, und am Ende für den freien oder geistigen Erwerb. Die Gränze zwi- schen diesen Privatgesellschaften und den gewerblichen Bildungsvereinen, die natürlich genau in dieselben einzelnen Arten zerfallen, besteht einfach darin, daß die ersteren nur zum Zwecke des Gewinnes ihrer socii errichtet und thätig sind, und daher nur eine andere Form des Einzel- interesses enthalten. Wie sich das Recht derselben gestaltet, wird unten bezeichnet werden. 4) Die öffentlichen Gesellschaften dagegen, die wir allein unter die eigentlichen Vereine zählen können, stehen auf einem ganz anderen Standpunkt. Da sie nur Leistungen der Verwaltung zu voll- ziehen haben, wenn auch rein zum Zwecke des Privatgewinnes ihrer Theilnehmer, so können sie nicht wie die Privatgesellschaften durch den bloßen Willen ihrer Mitglieder entstehen, sondern sie müssen durch die bestimmten Bedürfnisse der Verwaltung hervorgerufen werden. Sie haben daher in sich kein Moment, durch welches sie sich zum System entwickeln könnten, sondern sie erscheinen nur im Systeme der Ver- waltung und ihrer Aufgaben. Und auch hier erfüllen sie dieses System keineswegs ganz. Sondern sie können nur da auftreten, wo die Verwaltung eine dauernde Aufgabe durch eine dauernde wirthschaft- liche Unternehmung vollziehen will. Aber selbst in diesem Falle ist das Auftreten einer öffentlichen Gesellschaft nur dann möglich, wenn die Verwaltung aus Gründen die in den gegebenen Verhältnissen liegen, die Herstellung einer solchen Leistung besser durch Privatthätigkeit als durch Staatsthätigkeit zu erreichen glaubt. Immer aber muß die Ver- waltung der Gesellschaft die Bedingungen, Formen und Gränzen ihrer Leistungen und ihrer Forderungen im Geiste der Gesammtentwicklung vorschreiben, und vor allem diese Leistungen selbst so bestimmen, daß sie den Charakter der Staatsaufgabe, das Element des Dauernden, in sich aufnehmen. Diese Leistung wird aber dadurch etwas anderes als eine einfache wirthschaftliche Produktion; sie wird eine öffentliche Anstalt , und die Verwaltung dieser Anstalt, auch wenn sie in den Händen der öffentlichen Gesellschaft bleibt, hat damit Inhalt und Natur einer öffentlichen Verwaltung , die Organe der Gesellschaft werden öffentliche Verwaltungsorgane, ihr Recht wird zu einem Theile des Verwaltungsrechts, und die Stellung ihrer Mitglieder besteht grund- sätzlich nur noch darin, vermöge der Vollziehung einer solchen Ver- waltungsaufgabe, für welche sie das wirthschaftliche Kapital hergegeben haben, einen wirthschaftlichen Unternehmungsgewinn zu erzielen. Dieß sind die Grundlagen des Verhältnisses, aus welchem dann die einzelnen Punkte durch das Gesellschaftsrecht als ein, wie man sieht, sehr wesentlicher Theil des Vereinsrechts bestimmt werden. Man kann nun im Allgemeinen sagen, daß die öffentlichen Gesellschaften in diesem Sinne nur in zwei Hauptarten bestehen, indem die Verwaltungen nur auf zwei Gebieten ihre Aufgaben durch wirthschaftliche Leistungen von Privatunternehmungen dauernd vollziehen lassen. Die erste Form bezieht sich auf die Verkehrsanstalten , namentlich Eisenbahnen und Dampfschifffahrt; die zweite Form bezieht sich auf den Werthumlauf , namentlich die Creditanstalten im weitesten Sinne. Obwohl früher auch andere Gebiete, wie die Post, der Handel, die Finanzmonopole, in gleicher Weise Gegenstand der Unternehmungen solcher öffentlichen Ge- sellschaften waren, so hat die Verwaltung diese Aufgaben doch allmählig an sich gezogen, und es ist kein Zweifel, daß die Zeit gar nicht so fern ist, wo auch die bestehenden öffentlichen Gesellschaften aufgehoben, und an ihre Stelle eigentliche Verwaltungsorgane treten werden. Denn im Grunde ist der tiefe Widerspruch des gleich sehr berechtigten Einzel- und des Gesammtinteresses hier niemals ganz zu lösen, und die Ver- waltungen warten nur der Zeit, wo sie die wirthschaftlichen Berech- tigungen der Gesellschaften abzulösen, und die Staatsverwaltungen ganz an ihre Stelle setzen können. III. An diese Gruppe anschließend gelangen wir zu der dritten Hauptklasse der Vereine, den gesellschaftlichen Vereinen , die, obwohl sie in ihrem wichtigsten Theile zugleich als Gesellschaften im obigen Sinne erscheinen, dennoch auf eigenthümlichen Grundlagen beruhen. Wir müssen unter den gesellschaftlichen Vereinen zunächst zwei große Richtungen unterscheiden. Die erste können wir als die geselli- gen Vereine bezeichnen, die zweite erst enthält die eigentlich ge- sellschaftlichen Vereine. A. Die geselligen Vereine sind diejenigen, welche auf Grund- lage gleichartiger gesellschaftlicher Stellung und Bildung eine gesellige Unterhaltung suchen. Im weiteren Sinne erschienen eine Menge von Vereinen, namentlich auch die Bildungsvereine, zugleich als gesellige Vereine, indem sie in ihren Zusammenkünften die Bildung mit der Geselligkeit, das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Es ist gerade hier auch oft zweifelhaft, welche von beiden Aufgaben als die ursprüngliche, und welche als die vorwiegende angesehen werden kann. Daneben dann bestehen andere, die aber nur die reine Geselligkeit zum Zweck haben. Zu jenen gehören bekanntlich die Lesevereine, Gesang- vereine, Turnvereine, Schützenvereine u. s. w. Diese haben die ver- schiedensten Namen, und kommen in dem verschiedensten Umfang vor. Es ist übrigens immerhin bezeichnend, daß die größeren geselligen Ver- eine fast nirgends mehr auf der ausschließlichen Basis der Unterhaltung beruhen, ja sich fast gar nicht mehr auf derselben bilden. Beinahe immer erscheint die Bildung als der Hauptzweck, und zwar um so vor- wiegender, je größer diese Vereine sind, während die reine Geselligkeit, indem sie in unserer Zeit mehr und mehr einen individuellen tieferen Inhalt gewinnt, nur noch ganz kleine Kreise zu vereinigen versteht. Es ist das ohne Zweifel ein Fortschritt. Aber indem das gesellige Moment in die Bildungsvereine hineintritt, hat es zugleich das gesell- schaftliche Element in demselben zur Geltung gebracht. Die Geselligkeit ist nicht denkbar, ohne eine im Wesentlichen gleichartige gesellschaft- liche Stellung . Sowohl die rein geselligen als die geselligen Bil- dungsvereine bezeichnen daher die Hauptformen der gesellschaftlichen Unterschiede, und nähren und entwickeln dieselben; an sie schließen sich diejenigen gesellschaftlichen Gegensätze an, welche das individuelle Leben berühren; sie haben es selten oder nie mit den großen gesellschaftlichen Fragen zu thun, indem sie sich grundsätzlich der Aufnahme jedes, nicht der gemeinsamen gesellschaftlichen Stellung angehörenden Elementes enthalten, wohl aber tragen sie die kleinern gesellschaftlichen Unterschiede aus, indem sie eben in ihrem Kreise den Werth dieser Unterschiede theils auf ihr richtiges Maß zurückführen, theils ganz verschwinden lassen. Sie sind es daher, welche die Berufs- und Standesdifferenzen in dem allgemeinen Begriff der persönlichen Bildung aufgehen lassen, und welche zugleich die Heimath der geselligen Sitte werden, indem sie die Beobachtung der gebildeten Sitte als eine geistige Be- dingung der Zulassung des Einzelnen fordern. Ihre Wirkung ist daher trotz ihrer äußeren Unscheinbarkeit eine große; sie ist zwar vorwiegend eine negative, indem sie die Unsitte ausschließt; aber sie zeigt auch gerade hier, daß jede gesellschaftliche Ordnung selbst in diesen scheinbar ganz zufälligen Formationen die Trägerin eines höhern ethischen Mo- mentes ist. Und man soll daher auch dieses Gebiet, obgleich es das von der Verwaltung entfernteste ist, keinesweges als ein unbedeutendes betrachten. Allerdings ist die zweite große Richtung, die der eigentlich gesell- schaftlichen Vereine, von einem ganz anderen, und wenigstens äußerlich weit mächtigeren Einfluß. B. Wir verstehen unter den gesellschaftlichen Vereinen (im engeren Sinne) diejenigen, welche aus den organischen Gegensätzen der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung hervorgehen, und sich die Lösung derselben als ihre Aufgabe gestellt haben. Diese Gegensätze nun beruhen, wie die Lehre von der Gesellschaft und ihren Klassen zeigt, auf den Verhältnissen des Besitzes. Die große, die ganze staatsbürgerliche Gesellschaft durchziehende Scheidung ist die zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden. In dieser Scheidung liegt der eigentliche Widerspruch dieser, auf dem abstrakten Principe der Gleichheit beruhenden Gesellschaftsordnung. Mit diesem Widerspruche entstehen die Gefahren, welche derselben eigenthümlich sind. Diese Ge- fahren sind Gefahren der Gesammtheit, aber sie berühren auch den Einzelnen aufs Tiefste. Sie fordern daher, daß einerseits der Staat sich mit seiner Gewalt derselben annehme und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu einem Gegenstande der Verwaltung mache; andererseits veranlassen sie die Einzelnen, aus freiem Beschlusse das Ihrige zu thun. So entstehen die gesellschaftlichen Vereine, deren gemeinsamer Zweck es ist, durch die Thätigkeit der höheren besitzenden Klasse auf wirthschaft- lichem Gebiete die nichtbesitzende Klasse in ihrer gesellschaftlichen Stellung zu fördern, und damit den Gegensatz zwischen diesen Klassen aus- zugleichen. Eben nun wegen des innigen, schon im Begriff der Verfassungs- bildung durch die Gesellschaftsordnung gegebenen Zusammenhanges zwischen dem Staat und jenem gesellschaftlichen Gegensatz leuchtet es ein, daß die Staatsverwaltung dem in Entstehen und Umfang doch immer zufälligen Vereinswesen jene Aufgabe nicht allein überlassen kann. Unter allen Arten der Vereine haben daher gerade die gesell- schaftlichen Vereine am meisten den Charakter von Verwaltungsanstalten; und dieß zeigt sich deutlich, so wie man auf die einzelnen Gruppen derselben eingeht. Die gesellschaftlichen Vereine zerfallen nämlich durch die Natur der wirthschaftlichen Zustände, auf welche sie wirken, in zwei große Gruppen, die wir am kürzesten als Armenvereine und Hülfsvereine be- zeichnen. Nur muß man auch hier festhalten, daß diese Unterscheidung in den einzelnen Unterarten des wirklichen Lebens nicht als eine strenge durchgeführt werden, sondern vielmehr nur den Gesichtspunkt abgeben kann, nach welchem man sie betrachten muß. 1) Die erste Gruppe der Armenvereine besteht aus der Ge- sammtheit derjenigen Vereine, welche die Einzelnen in der Verarmung durch freiwillige, vermöge des Vereins geordnete und vertheilte Unter- stützungen vor persönlicher Noth bewahren. Das Verhältniß dieser Armenvereine ist darum kein einfaches, weil jene sittliche Verpflichtung des Besitzes von jeher als eine absolute erschienen ist. Man bezeichnet die Gesammtheit der Ordnungen, Anstalten und Thätigkeiten, mit welchen der Besitz der Armuth hilft, als das Armenwesen . Das Armenwesen erscheint zuerst als Aufgabe der Kirche; dann wird es Sache der Corporationen und Stiftungen; namentlich in der ständischen Ordnung mit dem Entstehen der staatsbürgerlichen Ordnung wird es zuerst Sache der Gemeinden und bleibt damit eine Aufgabe der Selbst- verwaltung; als allgemeine Erscheinung der staatsbürgerlichen Gesell- schaftsordnung wird es dann Gegenstand der Staatsgesetzgebung und Verwaltung, und fügt sich durch alle diese Dinge so innig in die ganze Verwaltung hinein, daß es als organische Aufgabe der Verwaltung erscheinend, dem eigentlichen Vereinswesen immer nur einen kleinen Raum übrig läßt. In der That haben daher die Armenvereine im Allgemeinen keine große Bedeutung; sie erscheinen als solche fast nur auf einem Punkte, wo sie aber um so größere Dienste leisten, als sie, dort auftretend, keine dauernde Verpflichtung mit sich bringen. Das ist in den Fällen, wo aus irgend einer Ursache eine plötzliche und örtliche Noth entsteht, und die Verarmung als Folge bestimmter Ereignisse, mithin als eine vorübergehende angesehen werden muß. Solche Fälle fordern eine außerordentliche, und zwar eine allgemeine Anstrengung des Besitzes; und es ist die Aufgabe des Vereins, theils diese Anstrengung desselben hervorzurufen, theils sie zu ordnen, theils sie richtig zu verwenden. Dabei können solche Vereine in ganz ver- schiedener Weise jene Beiträge für ihren bestimmten Zweck gewinnen. Sie können sie sammeln; sie können sie von dem Staate erbitten; sie können sie auch durch wirkliche Leistungen erwerben — Lotterien, Auf- führungen, Publikationen u. s. w., ohne daß dadurch der Charakter der Vereine geändert würde. Im Allgemeinen aber kann man sagen, daß die dauernden Armenvereine stets den Charakter der Selbstverwaltung und zwar theils der kirchlichen, theils der Gemeindeverwaltung, eben durch ihre Dauer empfangen. Es ist das Festhalten an diesem Satze um so wichtiger, als nur auf diesem Wege eine organische Scheidung zwischen ihnen und den Hülfsvereinen möglich ist. Diese erscheint aber von größter Wichtigkeit, weil sie mit dem ganzen Wesen der staats- bürgerlichen Gesellschaft aufs Innigste zusammenhängt. Während nämlich das Armenwesen den Zustand zur Voraussetzung hat, in welchem der Einzelne durch eigene Kraft sich eben nicht helfen kann, tritt das Hülfswesen überall da ein, wo bei vorhandener Kraft zur Selbsthülfe nur die wirthschaftlichen Bedingungen derselben — im weitesten Sinne — fehlen. Das Wesen der staatsbürgerlichen Gesellschaft fordert, daß jeder Einzelne seine gleiche gesellschaftliche Geltung durch sich selbst gewinne. Die gesellschaftliche Hülfe für die niedere Klasse kann daher grundsätzlich nicht darin bestehen, daß dem Einzelnen ge- geben werde, was er nicht besitzt, sondern daß es ihm möglich gemacht werde, zu erwerben , was ihm helfen kann. Und die Gesammtheit aller Vereine, welche dieß zu ihrer Aufgabe machen, nennen wir die Hülfsvereine . 2) Die Hülfsvereine bilden damit einen eben so großen als wich- tigen Faktor im gesellschaftlichen sowohl, als im staatlichen Organismus. Sie können zwar den großen Gegensatz, der in der staatsbürgerlichen Gesellschaft liegt, nicht unmittelbar lösen, wohl aber können sie seine Lösung organisch vorbereiten. Denn die Gesellschaftslehre zeigt uns, daß jene Lösung darin liegt, daß die höhere Klasse der Gesellschaft freiwillig ihre Kräfte und Mittel verwende, um der niederen, nicht be- sitzenden Klasse die Bedingungen zur Hebung im Einzelnen zu ver- schaffen. Das Vereinswesen der Hülfsvereine erscheint uns als der feste Organismus dieser Aufgabe. Mit ihm hat diese sociale Gestaltung den naturgemäßen Weg eingeschlagen, durch welche sie ihre innere Har- monie herstellen kann; und in diesem Sinne kann man schon jetzt sagen, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft ihre zweite Epoche begonnen hat, den positiven Theil ihrer Geltung, die sociale Richtung und Aufgabe. Natürlich ist nun auf dieser Grundlage das Gebiet der Hülfsver- eine ein sehr großes, und es ist darum nothwendig, ein System für dasselbe aufzustellen. Dieß System schließt sich eigentlich an die Grund- verhältnisse des menschlichen Lebens an; denn die Hülfe begleitet in der Gestalt der Vereine die Einzelnen von der Wiege bis zum Grabe. Man kann nun wohl als Hauptformen dieser Vereine folgende aufstellen. a ) Die erste Gruppe derselben ist diejenige, in welcher der Verein Stein , die Verwaltungslehre. I. 36 die Familie vertritt. Das Streben nach Erwerb entzieht die Eltern den Kindern, und nimmt daher den letzteren die allererste Bedingung einer persönlichen Entwicklung, die leibliche und geistige Pflege der ersten Kindheit. Hier tritt das Vereinswesen auf und zwar in doppelter Weise. Zuerst übernimmt das Vereinswesen die Sorge für die ganz elternlose Kindheit in den Waisenvereinen , die übrigens sich im Grunde nur an die öffentlichen Waisenversorgungsanstalten anschließen können, aber auf diese Weise sehr nützlich wirken. Dann entstehen zweitens die Kinderhülfsvereine, die Krippenvereine , welche für die erste Kindheit, und die Warteschulenvereine , welche für die Zeit der ersten Erziehung sorgen. Bei den letzten Vereinen ist es noch mehr die Zeit und die persönliche Thätigkeit, welche die höheren Klassen her- geben, als die Geldmittel; denn in der That kann nur jenes die Fa- milie ersetzen. Jenseits der Gränze der Kindheit tritt eine andere Kategorie von Vereinen sorgend für die Kinder der niederen Klasse auf; das sind alle Vereine für Bildung des Volkes, und zwar insofern dieselben den Zweck haben, die Mittel darzubieten, um diese Bildung auch denen zugänglich zu machen, welche zu unbemittelt sind, um den Preis der Bildung zu zahlen. Hier verschmelzen daher Bildungsvereine und Hülfsvereine zu einem Ganzen, eine Verschmelzung, die sich in dem folgenden Gebiete in anderer Weise wiederholt. Dieß Gebiet ist das der Krankenvereine . Die Krankenvereine haben eine zweifache Grundform. Entweder sie sind Vereine der höheren Klasse für die Pflege und Unterstützung der niederen Klasse in Krankheiten, die ja die Erwerbsfähigkeit vernichten oder hemmen, und dann gehören sie den Armenvereinen bis zu einem gewissen Grade; oder sie bestehen aus einem Vereine der Mitglieder der nichtbesitzenden oder doch erwerbenden Klasse selbst, die sich durch gemeinschaftliche Beiträge den Unterhalt während einer Krankheit sichern wollen, und dann sind sie den Spar- vereinen verwandt. Dennoch ist es kein Zweifel, daß in beiden Fällen der eigentlich sociale Charakter überwiegt. Ein ganz ähnliches gilt von der Klasse von Vereinen, die wir als die Unterhaltsvereine be- zeichnen können. Auch diese theilen sich in zwei Gruppen. Theils er- scheinen sie als Unterstützungsvereine der besitzenden Klassen, welche die Unterhaltsmittel den Nichtbesitzenden hingeben, Suppe, Feuerung, zum Theil auch Wohnungen (cités ouvrières), bald ganz umsonst, bald zu geringem Preise; theils erscheinen sie als gegenseitige Vereine innerhalb der nichtbesitzenden Klasse selbst, als die sogenannten Consumvereine , bei denen der Verein eine Unternehmung ist, welche den Handelsgewinn in der Verminderung des Preises an seine Mitglieder verkauft, wobei aber auch wieder die direkte Unterstützung der Besitzenden fast immer nothwendig wird. Bei der letzteren Klasse dieser Art von Vereinen, den sogenannten Todtenkassen, tritt schon das Element der Sparvereine und der Kapitalsbildung so deutlich in den Vordergrund, daß wir sie ohne weiteres den letzteren zuzählen; denn sie haben es bei dem Sterben mit nichts anderem zu thun, als mit der Deckung der Kosten, welche der Tod verursacht. b ) So ist schon diese erste Gruppe der Hülfsvereine ein System für sich. Einfacher, aber darum nicht weniger wichtig und einflußreich, ist die zweite Gruppe, das Vereinswesen für die Kapitalsbildung . Man kann diese Gruppe in drei Hauptrichtungen theilen, die durch die verschiedene Form, in welcher ein Kapital der Nichtbesitzenden ge- bildet werden kann, begründet sind. 1) Die erste Form wird gebildet durch die Sparvereine . Die Aufgabe derselben ist zuerst die, das Sparen im Kleinen zu ermöglichen, dann die höhere, durch die Verzinsung kleiner Ersparungen das Sparen hervorzurufen. Das erste geschieht durch die Sammlungsvereine , Kreuzervereine, Pfennigvereine ꝛc., welche eben nur den kleinsten Be- trag vor dem nutzlosen Verzehrtwerden bewahren sollen; das zweite durch die Sparkassen . Die Sparvereine sind als freie Vereine ent- standen, und zwar theils auf Anregung, theils durch direkte Unter- stützung der besitzenden Klasse. Nachdem ihre Fähigkeit, durch ihre eigenen Mittel zu bestehen, bewiesen ist, haben sie allmählig den Cha- rakter von Vereinen verloren, und sind zu öffentlichen Anstalten ge- worden, die sich mit der Zeit mit der örtlichen Selbstverwaltung ver- schmelzen werden. Es ist nicht nöthig, die hohe Bedeutung derselben hier zu erörtern; sie sind in kurzer Zeit ein dauernder Organismus der gesellschaftlichen Verwaltung geworden, und man kann sich einen Zu- stand schon jetzt gar nicht mehr denken, in welchem sie fehlen sollten. Fast eben so bedeutsam ist die zweite Form. 2) Diese Form bezeichnen wir kurz als die Kapitalsversiche- rungen . Das Wesen der Kapitalsversicherungen besteht darin, daß die Kapitalbildung bei ihnen nicht wie bei den Sparvereinen eine Sache der Sammlung, sondern eine selbständige, eigenthümliche Art der Un- ternehmung ist; denn sie beruht auf einer wahrscheinlichen Berechnung des Ergebnisses einer regelmäßigen Einzahlung für den Versicherten, bei welcher derselbe ebenso gut etwas verlieren als gewinnen kann, deren letztes Resultat aber dennoch immer die Bildung irgend eines Kapitals für den Versicherten ist. Jede einzelne Kapitalsversicherung ist daher eine Unternehmung; aber die Versicherung selbst kann auch wieder eine Unternehmung sein, und zwar sowohl ein Verein aller Versicherten zur Gegenseitigkeit, dessen Princip es dann ist, die Sicherheit der aus der Versicherung entstandenen Ansprüche jedes Einzelnen in der Haftung aller Uebrigen zu suchen, als ein Kapitalsunternehmen, bei welchem ein bestimmtes gesellschaftliches Kapital diese Haftung über- nimmt. Im letzteren Falle wird der Hülfsverein zugleich eine Erwerbs- gesellschaft, und steht damit unter den Regeln, welche für diese gelten. Es ist nutzlos, zu streiten, wohin man ihn alsdann rechnen soll; ohne allen Zweifel ist sein Hauptzweck stets das sociale Element der Kapitals- bildung, und seinem eigentlichen Wesen nach muß er daher den Hülfs- vereinen zugezählt werden. 3) Ganz dasselbe gilt von der dritten Form, die wir als die Ge- fahrversicherungen bezeichnen. Nur gehören diese letzteren, wie zum Theil schon die Kapitalsversicherungen, keineswegs immer der nicht besitzenden Klasse an; sie haben vielmehr ihre sociale Aufgabe in jeder Klasse der Gesellschaft, und während jene das Kapital als die Grund- lage der socialen Stellung des Einzelnen bilden , sollen diese dieß Kapital erhalten . Die Gefahrversicherungen unterscheiden sich daher von den Kapitalversicherungen darin, daß sie ihr Gebiet da suchen, wo ein Kapital schon vorhanden ist; sie sind daher die Form der Hülfs- vereine wesentlich für die besitzende Klasse, und zwar in dem weitesten Sinne des Wortes, daß sie sich in der nichtbesitzenden Klasse zugleich an die wenig Besitzenden anschließen. Ihr Werth und ihre Wirkung in nationalökonomischer Hinsicht darf als anerkannt vorausgesetzt werden; in socialer Hinsicht haben sie zur Aufgabe das Zurückfallen des Ein- zelnen in eine niedere sociale Stellung durch den zufälligen Verlust seines Kapitals zu hindern. Sie selbst aber können wieder gegenseitige oder Kapitalsunternehmungen sein; die allgemeine Nothwendigkeit des Schutzes des Kapitals gegen zufälligen Verlust macht sie aber zu so nothwendigen Instituten, daß unter allen Hülfsvereinen am meisten den Charakter von Anstalten der Staatsverwaltung annehmen, und zum Theil sogar direkt als solche auftreten. Sie bilden daher nach dieser Seite die Gränze des Vereinswesens, wie die folgenden nach einer andern Seite. c ) Die dritte große Gruppe der Hülfsvereine können wir mit einem Worte als die socialen Kreditvereine bezeichnen. Das Wesen derselben, und ihr Unterschied von den früher erwähnten, die im Gegen- satze zu denselben Kapitals-Kreditvereine heißen können, besteht darin, daß diese die Grundlage ihres Kredits in irgend einem bei dem Kredit- nehmer vorhandenen Kapitale setzen, während die socialen Kreditvereine die Aufgaben haben, den Kredit zu geben, wo nur ein persönliches Kapital vorhanden ist. Ihre Stellung im socialen Organismus be- steht mithin darin, dem Elemente der persönlichen, aber kapitallosen Tüchtigkeit das zweite Element, das Kapital, darzubieten, und die freie Entwicklung desselben damit von der Herrschaft des fremden Kapitals und seiner besonderen Interessen unabhängig zu machen. Die Wichtig- keit dieser großen Funktion steigt in dem Grade, in welchem das Kapital selbst zu einer herrschenden Bedingung für das wirthschaftliche Unter- nehmen, die Ausdehnung und der Erfolg des letzteren aber zu einer Bedingung für die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen wird. In dem Gebiete dieser Aufgabe liegt daher die eigentliche Lösung des Ge- gensatzes der Klassen in der industriellen Gesellschaft, die wir die staats- bürgerliche nennen, weil sie die Idee der Gleichheit als Grundlage hat. Denn nirgends wird jener Gegensatz so tief gefühlt, als da, wo die persönlichen, oft mit schwerer Arbeit gewonnenen Elemente der gesell- schaftlichen Geltung vorhanden sind, und nur das Kapital denselben noch fehlt, ohne daß die höchste individuelle Tüchtigkeit dasselbe er- reichen könnte. Es ist aber ganz unmöglich, dieß Kapital entweder vom Staate, oder von Einzelnen zu fordern; es kann absolut kein Kapital, seiner eigensten Natur nach, hergegeben werden, wenn es nicht einen Verdienst macht, der stets im umgekehrten Verhältniß zu seiner Sicherheit steht. Die socialen Kreditvereine sind daher nothwendig Unternehmungen , und zwar solche, die bei einem zunächst rein wirthschaftlichen Zweck einen socialen Gedanken erfüllen. In dem letz- teren Momente nun liegt es, daß sie fast nur auf Gegenseitigkeit be- ruhen können und sollen, und zwar theils aus wirthschaftlichen Gründen darum, weil der Gewinn gerade bei diesem socialen Kredit naturgemäß immer der größte ist, und da dieser Gewinn den Kreditgebern zufällt, die Kreditnehmer selbst zugleich Kreditgeber sein müssen, wenn sie eben den Vortheil des Kredits mit dem des Darlehens verbinden, und so mit ihrem kleinen Kredit ein größeres Kapital zu erwerben streben, — theils auch vom höheren gesellschaftlichen Standpunkte, weil die Gegenseitig- keit allein die Unabhängigkeit des Kreditnehmers vom Kreditgeber, der Arbeit vom Kapitale begründet. Mit Recht sehen wir daher in diesem Vereine die höchste Erscheinung der socialen Vereine, diejenige, in welcher die Selbsthülfe die wirthschaftliche Unabhängigkeit durch freie Vereinigung der Kräfte überwindet; eine Erscheinung, welche dazu be- stimmt ist, die großartigsten Resultate auf einem reichen, und im Grunde noch wenig bekannten Gebiete zu gewinnen! — Dieß nun sind die Grundlagen des Systems des Vereinswesens, die Haupt- kategorien seiner Arten und Gestaltungen. Es dürften wohl so ziemlich alle denkbaren Vereine in die obige Klassifikation fallen, und jeder einzelne Verein seine naturgemäße Stellung in derselben finden. Von hoher Wichtigkeit wäre es, wenn sich nunmehr die Statistik des Vereinswesens ernsthaft bemächtigen wollte. Denn wenn wir oben behauptet haben, daß dasselbe einen mächtigen und höchst großartigen Organismus bildet, der das ganze Staatsleben durch- zieht, und seinerseits die Verwaltung mit seiner Thätigkeit und seiner Kraft theils schon wirklich erfüllt, theils zu erfüllen bestimmt ist, so wird schon das obige System den entscheidenden Beweis dafür liefern. Was aber die Statistik des Vereinswesens als eines Ganzen betrifft, so ist uns kein anderes Werk dar- über bekannt, als die statistische Darstellung des Vereinswesens im Kai- serthum Oesterreich von Dr. M. v. Stubenrauch (1857), das zugleich die Geschichte der Vereinsgesetzgebung in Oesterreich enthält. Wir hoffen, daß dieß höchst reichhaltige Werk bald Nachfolger finden möge. IV. Das Vereinsrecht. Wir betreten mit dem Vereinsrecht das letzte Gebiet des Rechts der vollziehenden Gewalt, und das letzte der freien Verwaltung. In- dem wir seinen Inhalt darzulegen beginnen, können wir uns nicht ver- hehlen, daß wir hier mit noch größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie bei dem Begriffe und dem Systeme der Selbstverwaltung im All- gemeinen, des Gemeindewesens oder der örtlichen Selbstverwaltung im Besonderen. Es wird nämlich auch hier unvermeidlich sein, der Lehre vom Vereinsrecht eine eingehende Begriffsbestimmung dessen, was wir im Sinne des öffentlichen Rechts einen Verein nennen, voraus zu senden. Das Vereinsrecht selbst enthält, wie alles Recht, nur die Anerkennung der persönlichen Selbständigkeit des Vereins im Ganzen und in allen seinen einzelnen Lebensverhältnissen. Es ist daher undenkbar ohne eine scharfe Scheidung dessen, was wir einen Verein nennen, von den ähnlichen Formen des Gesammtlebens; oder vielmehr das Vereinsrecht ist auch hier eben nur diese rechtliche Anerkennung jenes selbständig sich von den verwandten Gestaltungen scheidenden Begriffs des Vereins. Diese Unterscheidung ist daher an und für sich die Grundlage und zu- gleich die Erklärung alles dessen, was wir Vereinsrecht nennen. Die Wahrheit dieses Vereinsrechtes wird, bei dem großen Mangel an jeder durchgreifenden Gesetzgebung und bei der Verwirrung der Gränzen in dem bestehenden Recht, eben vor allem auf dem richtigen Verständniß jenes Wesens des Vereins beruhen, und in seiner Harmonie mit dem- selben seine wahre Geltung finden. Und wenn wir deßhalb sagen müssen, daß wir weder eine ausreichende Gesetzgebung noch eine genügende Theorie vom Vereinsrecht besitzen, so beruht das zuvörderst auf dem Mangel eines scharfen und genügenden Begriffs vom Wesen des Vereins. Es wird sich auch hier wieder das eigentliche Wesen des Rechts und seiner Wissenschaft bewähren, daß beide uns — fast unerbittlich — zwingen, die Sache genau zu kennen und zu bestimmen, ehe wir über ihr Recht reden. Und so ist allerdings die folgende Entwicklung des Begriffs vom Verein für uns so maßgebend für die ganze Lehre vom Vereinsrecht, daß wir glauben müssen, die Richtigkeit eben dieses Be- griffes sei durchaus entscheidend für alles, was wir als den rechtlichen Inhalt des Vereinswesens weiter hinzuzufügen haben. Eben darum wird man wohl zugeben, daß wir bei dieser Lehre vom Vereinsrecht die Begründung des Begriffes etwas umfassender auf- stellen. Wir verstatten uns, in diesem Sinne eine allgemeine Ein- leitung dem Systeme des Vereinsrechts vorauszusenden. Die Auf- gabe des ersteren soll es eben sein, aus dem specifischen Begriffe des Vereins die allgemeinen Principien des Vereinsrechts zu entwickeln, während der letztere das innere Leben des Vereins und die Rechtsver- hältnisse seiner Organe, so wie sein Verhältniß zum Staate im Ein- zelnen aus dem übrigen Theile darzulegen hat. Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht . 1) Begriff des Vereins. Unterschied von Gesellschaft und Verein . Es bedarf keines Beweises, daß das, was wir Verein nennen, zunächst eine bestimmte Form eines allgemeinen Begriffes ist. Dieser Begriff ist der der Vereinigung im allgemeinsten Sinn des Wortes. Es bedarf hier ferner keiner Nachweisung, daß die Vereinigung der Persönlichkeiten zu gemeinsamem Wollen und Thun durch das Wesen des persönlichen Lebens überhaupt gegeben ist. Allein diese Vereinigung ist unter höchst verschiedenen Formen möglich; und eine dieser Formen ist der Verein. Es kommt mithin darauf an, in der Entwicklung dieser Vereinigung diejenige Form zu bezeichnen, welche wir den Verein nennen. Indem ferner jede Berührung von Persönlichkeiten Recht erzeugt, so folgt, daß auch jede Vereinigung Rechte enthält, und selbst dieses Recht der Vereinigung im weitesten Sinn wird stets ein gewisses Maß des Aufgebens der einzelnen Selbständigkeit der vereinten Persönlichkeiten an die von ihnen gesetzte Gemeinschaft enthalten. Hat nun die letztere verschiedene Gestalten, so wird jede derselben sich dieß Maß als aus ihrer Natur folgend selber setzen; und so wird es so viele Grundformen des Rechts der Vereinigung geben, als es Grundformen der letztern selbst gibt. So schließt sich der Begriff des Vereinsrechts an den Be- griff des Vereins selber an, und wird durch ihn bedingt und gesetzt, und das erstere fordert daher den letztern als seine unbedingte Voraus- setzung. Die Formen der Gemeinschaft des Einzelnen, welche wir als Ver- einigung bezeichnen, unterscheiden sich nun wesentlich von denjenigen, welche wir als Einheiten aufstellen. Das Wesen der Vereinigung nämlich beruht darauf, daß es im freien Willen der Einzelnen beruht, ob sie Theil daran nehmen wollen oder nicht, während das Wesen der persönlichen Einheiten den Einzelnen auch gegen seinen eigenen Willen als Glied einer solchen Einheit setzt. Diese persönlichen Einheiten sind die Familie, die Körper der Selbstverwaltung und des Staats. Sie sind, wie alle Persönlichkeit, durch sich selbst. Jede andere im staat- lichen Leben erscheinende Gemeinschaft ist dagegen eine Vereinigung, in- dem sie auf dem freien Willen der Einzelnen beruht. Nur ist diese Ge- meinschaft eine sehr verschiedene. Die erste und einfachste Vereinigung Mehrerer zu einem gemein- samen Wollen und Thun ist der Vertrag im Sinne des bürgerlichen Rechts. Das Wesen des Vertrages besteht darin, einen bestimmten wirthschaftlichen Proceß zum Inhalt des gemeinsamen Willens zu machen. Das Objekt des Vertrages ist stets ein Verkehrsakt; der Inhalt des Ver- trages ist die Bestimmung der gegenseitigen wirthschaftlichen Leistungen. Der Vertrag, an sein Objekt gebunden, liegt daher wie das letztere im Gebiete der Einzelwirthschaft, und hat mit dem Verkehrsakt, auf welchen er sich bezieht, sein Ende. Er ruht damit ganz in dem Willen der Contrahenten, und hat keine Beziehung auf Leben und Recht Dritter, als diejenige, welche der Dritte selbständig zugesteht. Von einer Selb- ständigkeit des Vertrags außerhalb des Willens der Contrahenten ist keine Rede; Aufhebung, Aenderung, Erneuerung, Bedingung, liegen vielmehr ganz in ihrem Willen. Der Vertrag erscheint daher allerdings als eine Vereinigung, aber als die untergeordnetste, unselbständigste Form derselben, die an einen einzelnen Akt gebunden, mit ihm und seinem Objekt sofort sich auflöst. Sein Recht ist das Vertragsrecht . Die zweite höhere Form der Vereinigung ist diejenige, bei welcher das Objekt des gemeinsamen Willens ein dauerndes ist. Die dauernde Natur dieses Objekts ruft eine neue Reihe neuer Verhältnisse ins Leben. Das erste dieser Verhältnisse ist, daß mit der Dauer des Vertragsobjekts auch eine dauernde Leistung der Contrahenten gesetzt sein muß. Diese dauernde Leistung kann wieder eine bestimmte, auf ein bestimmtes Maß von Leistungen oder Werthen zurückgeführte, oder sie kann eine unbe- stimmte, das ist rein von den Bedingungen des gemeinsamen Zweckes abhängige sein; es kann auch sein, daß einige Contrahenten eine be- stimmte, einige eine unbestimmte Leistung übernehmen. Die unbestimmte Leistung umfaßt dann stets das ganze wirthschaftliche Leben des Con- trahenten. Das zweite Verhältniß, das aus der Natur der Dauer des Zweckes entspringt, gibt aber der Vereinigung als solcher einen andern Charakter. Vermöge jener Dauer erscheint nämlich der Werth der Leistung des einen Contrahenten von der wirklichen Leistung des andern Contrahenten abhängig, und die Aufrechthaltung der einmal eingegangenen Vereinigung von Seiten jedes Einzelnen wird dadurch, als natürliche und wirthschaftliche Voraussetzung der Vereinigung selber, zur Bedingung, und damit zum rechtlich angenommenen Inhalt der Vereinigung. In ihr ist daher der Wille des einzelnen Contrahenten nicht mehr freier Herr über seinen Antheil an der Vereinigung selbst. Nur die Vereinigung aller Willen kann in Beziehung auf die Leistungen und Verhältnisse der Vereinigung maßgebend werden. Es ist damit schon etwas erzeugt, was zwar nicht über dem Willen aller Einzelnen, wohl aber über dem Willen des Einzelnen steht; eine Form des persön- lichen Lebens, welche ein, wenn auch nur durch den Zweck begränztes, aber innerhalb dieses Zweckes dennoch selbständiges Dasein hat, welche vermöge dieses selbständigen Daseins Wille und Thätigkeit besitzt, und welche vermöge dieses selbständigen Wollens und Thuns den Einzel- willen als ihren Inhalt betrachtet, das ist, Rechte und Pflichten für den Einzelnen ohne sein persönliches Zuthun, wenn auch nur in Be- ziehung auf das belastende Objekt der Vereinigung, erwerben und ver- lieren kann. Hier ist daher eine andere höhere Gestalt der Gemeinschaft; und diese Vereinigung mit einem dauernden Zwecke und den daraus entspringenden Rechten und Pflichten des einzelnen Mitgliedes nennen wir eine Gesellschaft . Es ergibt sich daraus, daß man, während man einen Vertrag nur über das schließen kann, was bereits im Vermögen des Einzelnen im weitesten Sinn ist, eine Gesellschaft auch über alle anderen Dinge eingehen kann. In der Gesellschaft erscheint allerdings wieder der Ver- trag als derjenige Akt, welcher das Maß und die Art der Leistungen und Rechte des Einzelnen bestimmt; aber die Gesellschaft ist kein Ver- trag , sondern schon eine, wenn auch eng begränzte, selbständige Ge- meinschaft. Darum schließt man zwar einen Vertrag, aber man errichtet eine Gesellschaft. Sie handelt innerhalb ihres Zweckes als persönliche Einheit; sie wird als solche anerkannt, und diese Anerkennung heißt in der wirthschaftlichen Welt die Firma. Aber ihr Begriff und Recht geht weit über das wirthschaftliche Leben hinaus; es gibt gar keinen Zweck des Lebens, für welchen man nicht eine Gesellschaft schließen könnte, und eben deßhalb ist auch der Begriff der Gesellschaft in diesem Sinne der allgemeine, dem sich der Begriff des Bereins als eine bestimmte Art von Gesellschaften unterordnet. Daher kommt denn die Verwirrung in dem Namen beider; im gewöhnlichen Leben werden beide Ausdrücke ununterschieden gebraucht; man nennt unbedenklich Vereine Gesellschaften und umgekehrt, und an sich ist das nicht falsch. Allein man sollte um der Klarheit willen diese willkürlichen Bezeichnungen aufgeben. Der folgende Begriff des Vereins wird zeigen, daß wir mit Recht das Ge- biet der Gesellschaften auf diejenigen Vereinigungen beziehen, welche einen wirthschaftlichen Zweck haben. Im Grunde entspricht dieser Begriff auch dem Sprachgebrauch; namentlich scheint uns das Handels- gesetzbuch ganz diese Auffassung zur Geltung gebracht zu haben, indem es, von Gesellschaften redend, immer nur an wirthschaftliche Gesellschaften denkt. Wir werden daher den Ausdruck festhalten, um so mehr als auch die politischen Gesetze, so weit sie existiren, vorzugsweise bei „Ver- einen“ schon staatliche Zwecke hinzudenken, wie sich unten zeigen wird. Trotz dieser Beschränkung des Begriffes von Gesellschaften auf die wirthschaftlichen Vereinigungen, erscheinen dennoch höchst wesentliche Modifikationen in demselben, die wieder, aus der Natur des Objekts hervorgehend, das Verhältniß der Mitglieder bestimmen. Zuerst kann die Gesellschaft bloß in einer Vereinigung des Ver- mögens Einzelner mit der Unternehmung Dritter bestehen, so daß sie eine Vereinigung eines Kapitals mit einer Unternehmung ist; das ist die stille Gesellschaft. Dann kann sie in der Vereinigung der gesammten Wirthschaft für ein selbständiges Unternehmen bestehen; das ist die offene Gesellschaft. Dann kann sie in der Verschmelzung beider Arten bestehen, indem für ein drittes, selbständiges Unternehmen einige Mitglieder mit ihrem ganzen Vermögen, einige nur mit einem bestimmten Antheil ein- treten, und das ist die Commanditgesellschaft. Die Commanditgesell- schaft unterscheidet sich von der stillen Gesellschaft dadurch, daß sie nur dann als Gesellschaft denkbar ist, wenn der Zweck der Gesellschaft nicht ein bereits bestehender, sondern ein durch die Theilnehmer neu und selbständig gesetzter ist. Die Commandite kann allerdings ein bereits bestehendes Unternehmen übernehmen, aber sie wird als Gesellschaft dessen Eigenthümerin, während bei der stillen Gesellschaft der frühere Herr des Unternehmers Eigenthümer bleibt, und das Wesen einer solchen Gesellschaft nur in der Abhängigkeit der Verzinsung des eingelegten Kapitals von dem Gewinne des Geschäfts besteht. Das deutsche Han- delsgesetzbuch ist in seiner Auffassung der Commandite vollkommen un- klar, so wie in seiner Auffassung des Wesens der stillen Gesellschaft. Es hat den Kern der Sache nicht zu erfassen gewußt, indem es das, worauf es ankommt, das Eigenthum am Unternehmen, nicht selb- ständig aufgefaßt hat. Mit Recht hat man daher auch der stillen Ge- sellschaft des Handelsgesetzbuches die Lebensfähigkeit abgesprochen, in der Weise, in der sie aufgestellt ist; denn es wird jedem unmöglich bleiben, eine scharfe Gränze zwischen der Commandite und der stillen Gesellschaft zu ziehen, wie sie dort eingeführt sind. Dennoch gibt es kein Recht ohne eine solche scharfe Gränze, und diese besteht einzig und allein darin, daß die Commandite nur dann als Form der Gesellschaft ver- ständlich ist, wenn durch den Commanditenvertrag das Geschäft der Commandite zum Eigenthum der Gesellschafter erklärt wird . Und erst dadurch wird das Folgende klar. Eine solche Commandite kann nun die Antheile, welche der Einzelne für das Kapital des neuen Unternehmens hergibt, entweder in der Form einer einfachen Summe, oder in der Form einer Aktieneinzahlung leisten, und daher seinen Antheil als bloße Buchforderung auf Grundlage des Gesellschaftsvertrages, oder in der Form von Aktien darstellen. Es ist das für den Begriff einer selbständigen gemeinschaftlichen Unterneh- mung auf Antheile ganz gleichgültig, und rein eine Frage der Zweck- mäßigkeit. Von diesem Standpunkt aus muß das Recht der Comman- ditgesellschaft auf Aktien, das das Handelsgesetzbuch eingeführt hat, als ein in jeder Beziehung verkehrtes betrachtet werden. Denn dadurch ver- schwindet das Einzige, was die Aktien im volkswirthschaftlichen Leben als zulässig erscheinen läßt, indem sie ihnen einen annähernd festen Maßstab des Werthes gibt, die Beziehung auf ein festes, ihr eigenthüm- liches Kapital. Dieser größte Fehler im deutschen Handelsgesetzbuch ist wiederum nur erklärlich durch die Unklarheit über den wesentlichen Unterschied zwischen stiller und Commanditgesellschaft, und wir halten es für unmöglich, daß eine Regierung solche Commanditgesellschaften auf Aktien jemals genehmigen wird, ohne sie zu förmlichen Aktiengesell- schaften zu machen. Doch können wir hier nicht darauf weiter eingehen. So viel leuchtet aber jedenfalls ein, daß die Aktie für den Begriff einer selbständigen Gesellschaft unwesentlich ist; die Rechte derselben beruhen eben auf dieser wirthschaftlichen Selbständigkeit, und die letztere bedingt nun die folgenden Grundsätze, die für jede solche Gesellschaft Gültigkeit haben. Indem nämlich in dieser eigentlichen Handelsgesellschaft, wie wir dieselbe nennen, gleichviel ob sie durch das Hergeben des ganzen Vermögens einiger und einzelner Summen anderer, oder bloß durch das letztere entsteht, das Geschäft sich selbständig von den Unterneh- mungen der Betheiligten trennt , und als selbständiges Gesammt- geschäft dasteht, muß dieß selbständige Geschäft auch eine selbständige Leitung haben. In dieser Leitung muß jeder Theilnehmer einen gewissen Antheil an der Thätigkeit des Ganzen besitzen, die letztere aber von einem selbständigen Organe vollzogen werden. So entsteht mit der eigentlichen Handelsgesellschaft zuerst ein selbständiger Organis- mus , der von den Theilnehmern getrennt, eben der Organismus der Gesellschaft als solcher ist. Dieser Organismus, in seinen einzelnen Thätigkeiten bereits von den übrigen Mitgliedern geschieden, muß dennoch den Willen derselben im Allgemeinen befolgen. Dieser Wille muß daher wieder selbständig zur Erscheinung gelangen. Auf diese Weise sehen wir hier gleichsam vor uns die ersten Elemente der allgemeinen Persönlichkeit entstehen. Es sind zwei Willen da; der Wille der Gesammtheit, und der Wille des vollziehenden Organs, des Vorstandes. Jetzt müssen beide unter Aufrechthaltung ihrer Selbständigkeit in Harmonie gebracht werden. Damit entwickelt sich ein neues Leben, ein neues Recht und neue Rechtsbegriffe. Jeder dieser Willen hat seine Rechtssphäre; das Verhältniß beider zu einander muß daher in dem, die Gesellschaft bildenden Vertrag bestimmt sein; dieser Vertrag muß einerseits das Recht der Vollziehung enthalten, selbständig im Namen der Gesellschaft zu handeln; andererseits das Recht der Mitglieder, auf jenen Willen wieder Einfluß zu nehmen. Es muß ferner ein Recht da sein, nach welchem das vollziehende Organ aus der Gesellschaft gebildet wird, und eine Funktion, durch welche die wirkliche Thätigkeit des ersteren zur Kenntniß des letzteren gebracht wird. Alles das muß in dem Gesellschaftsvertrage enthalten sein; und indem durch diesen Vertrag somit ein Unternehmen und ein Wille außerhalb des Einzelnen aufgestellt wird, kann auch der Einzelne diesen Vertrag nicht mehr einseitig ändern. Der Vertrag ist jetzt das selb- ständige Recht der selbständigen Gemeinschaft gegenüber ihren Mit- gliedern, und ändert mit diesem Wesen auch seinen Namen. Aus dem bloßen Gesellschaftsvertrage werden Statuten . Es ist die erste, noch unfertige Form der allgemeinen Persönlichkeit , die sich in der eigentlichen Handelsgesellschaft constituirt hat. Auf diese Weise entwickelt sich aus dem an sich ganz unbestimmten Begriff der Vereinigung bereits eine feste Gestalt; man sieht deutlich, wie sich die Formationen des Gesammtlebens bilden. Schon ist ein selbständiges Wesen, über dem Einzelnen stehend, mit eigenem Organis- mus begabt, erzeugt; schon ist ein Wille da, der zugleich Einzelwille und allgemeiner Wille ist; aber dennoch liegt der Kern der Sache, das Objekt des Willens, noch im Einzelleben. Auf diesem Punkte ist es, wo sich der Verein von der Gesellschaft scheidet. Die dritte, und wohl auch höhere Form der Vereinigung entsteht nämlich da, wo der Zweck, den sich dieselbe setzt, nicht mehr inner- halb der Lebenssphäre ihrer einzelnen Mitglieder sich vollzieht, sondern wo derselbe eine der großen, das Gesammtleben der Menschheit umfassende Aufgaben des Staatslebens enthält. Eine jede Gesellschaft, welche sich als ihren Zweck eine Staatsaufgabe setzt, nennen wir einen Verein . Die Einfachheit dieses Begriffes wird nun zwar dadurch gestört, daß die Erfüllung einer solchen Staatsaufgabe wieder recht wohl zur Quelle eines wirthschaftlichen Ertrages werden, und der Verein daher zu seinem nächsten Zweck eben einen solchen Ertrag vermöge der Er- füllung eines staatlichen Zweckes haben kann, wie z. B. bei Eisenbahnen. In solchen Fällen ist der Verein zugleich eine Gesellschaft. In diesem doppelten Inhalte tritt dann allerdings ein Gegensatz zwischen beiden Zwecken des Vereins, dem staatlichen und dem privaten ein; jedoch ist das Vereinswesen stets der entscheidende Moment, dem sich das eigent- liche Gesellschaftswesen unterwerfen muß, da der Staatszweck dem Einzelzweck vorgeht. Diese Punkte werden ihrerseits von Bedeutung für das Recht dieser Arten von Vereine, namentlich in Beziehung auf ihre Verwaltung. Im Ganzen jedoch haben alle Vereine mit gleichem Wesen das gleiche Recht; und dieß Recht liegt in ihrer Aufgabe. Da nämlich der Zweck des Staats, den der Verein zu verwirk- lichen trachtet, seiner Natur nach ein dauernder und ein an sich selb- ständiger, außerhalb des Willens der Vereinsglieder bestehender ist, so folgt, daß jeder Verein so gut wie die Handelsgesellschaft einen eigenen Organismus der Verfassung und Verwaltung haben muß. Jeder Verein fordert daher dieselben Rechtsverhältnisse, welche wir so eben bei der eigentlichen Gesellschaft bezeichnet haben. Allein das ist für den Verein nicht genügend. Der Zweck des Vereins ist zugleich ein Zweck des Staats. Das Leben und die Thätigkeit des Vereins sind daher mit dem Staate in enger Verbindung. Der Organismus des Vereins ist ein Theil des Organismus der Vollziehung im weitesten Sinne des Wortes, die Thätigkeit desselben ein Theil der Verwaltung. Der Staat muß daher in Art und Umfang seiner Theilnahme an dem Vereinsleben ein ganz anderes Maß anlegen, als bei der Gesellschaft. Während für diese das Einzelinteresse maßgebend wird, wird für jene das Gesammt- interesse entscheidend. Während es der Gesellschaft genügt, wenn sie nicht gegen die bestehenden Gesetze verstößt, muß für den Verein ge- fordert werden, daß er mit den Principien der Regierung harmonire. Während die letztere sich daher um die Gesellschaften nicht anders kümmert, als wenn sie durch dieselben verletzt wird, muß sie bei dem Verein da- für sorgen, daß er im Geiste der allgemeinen Grundsätze der Verwal- tung thätig sei. Daher berühren sich Regierung und Vereinswesen in vielfacher Weise, während Gesellschaften und Regierung sich fern stehen. Die völlige Ungebundenheit der letzteren ist für das Vereinswesen nicht möglich. Eben daher aber auch die Vorstellung, als ob gerade das Vereinswesen und nicht das Gesellschaftswesen das Gebiet der freien Bewegung des Staatsbürgerthums sei, was für die Verwaltung auch ganz richtig ist. Und daher wieder die Erscheinung, die diesen Sätzen entspricht, daß die Gesetzgebung über Gesellschaftswesen im Gebiete des Privatrechts, die über Vereinswesen im Gebiete des öffentlichen Rechts liegt. Allerdings trägt dazu das Auftreten der sogenannten „politischen“ Vereine viel bei. Wir finden nirgends einen Versuch, die politischen Vereine gegenüber den nichtpolitischen zu definiren, so wichtig auch die Sache in einigen Gesetzgebungen erscheint. Denn wenn z. B. das öster- reichische Vereinsgesetz vom 26. November 1852 sagt: „die Bildung von Vereinen, welche sich Zwecke vorsetzen, die in den Bereich der Gesetz- gebung oder der öffentlichen Verwaltung fallen, ist untersagt,“ so ist damit keine Definition gegeben; denn jeder Verein hat es mit solchen Zwecken zu thun. Es gibt nur eine durchgreifende Unterscheidung. Politische Vereine können nur die sein, welche die Aenderung der be- stehenden Verfassung oder des Organismus der vollziehenden Gewalt durch ihre Thätigkeit herbeiführen wollen. Nichtpolitische Vereine haben die Erfüllung einer Verwaltungs aufgabe im engern Sinne zum In- halt, und können wieder reine Vereine sein, wie z. B. Armenvereine, oder zugleich Gesellschaften. Hält man dieß fest, so ist es klar, daß dadurch auch wieder ein verschiedenes Verhältniß des Vereins zur Regierung bedingt wird. Wir werden dasselbe später charakterisiren. Hier ist zu- nächst gewiß, daß, obwohl Verein und Gesellschaft in der Form ganz gleichartig sind, dennoch eben durch die verschiedene Beziehung zum Staate auch das Vereinsrecht ein verschiedenes vom Gesellschaftsrecht sein wird. Und wir können daher schon hier sagen, daß wir unserer- seits, indem wir vom Vereinswesen reden, das ganze Gesellschaftsrecht der Lehre vom Handelsrecht überweisen. Somit haben wir für den Verein eine feste Gränzbestimmung ge- funden, welche wir dem Vereinsrecht zum Grunde legen. Es bleibt uns aber ein zweites Gebiet, ohne welches, obgleich es nicht unbedingt dem Vereinswesen gehört, dasselbe dennoch stets unvollendet bleiben würde. Das ist die Lehre von der juristischen Persönlichkeit. Es kann uns hier allerdings nicht einfallen, eine irgendwie eingehende Kritik der bestehenden Gesetzgebung oder der Literatur über das Gesellschafts- wesen zu geben. Wir wollen daher auch nur zwei Punkte anführen, die das Verhältniß unserer Auffassung vielleicht klar machen werden. Wir müssen daran festhalten, daß man die Namen der eigentlichen Handelsgesellschaft oder Comman- dite nur auf diejenigen gewerblichen Vereinigungen anwenden darf, welche ein, nicht mehr wie bei der stillen oder offenen Gesellschaft neuen oder alten Styls einem Einzelnen, sondern eben der Vereinigung selbst gehöriges Unter- nehmen zur Grundlage haben; eine Vorstellungsweise, welche dem Handels- gesetzbuch fehlt, und der Grund seiner zum Theil ganz unpraktischen Bestim- mungen ist. Leider hat auch Auerbach , der sonst sehr genau und sehr ge- wandt die Sache von allen Seiten betrachtet, diesen Unterschied nicht erkannt, wenn er ihn auch sehr lebhaft gefühlt hat, da er trotz des Handelsgesetzbuches sofort in die französische Terminologie zurückgeht. — Zweitens darf man nicht vergessen, daß das Handelsgesetzbuch einen Begriff des Vereins allerdings weder hat, noch haben wollte, sondern nur von den Gesellschaften redet, wodurch es sich streng auf den französischen Standpunkt stellt, daß es aber dennoch in seinen praktischen Ausführungen in das Gebiet des Vereinswesens hineingeht, indem es nicht bloß nach dem Vorgange des Code de commerce (Art. 37) für jede Aktiengesellschaft die Genehmigung fordert, sondern auch allgemeine Vor- schriften für die Verfassung und Verwaltung der Aktienvereine, namentlich aber für die Organisation derselben aufstellt, was wieder ganz geeignet war, das Vereinswesen mit dem Gesellschaftswesen in verwirrende Verschmelzung zu bringen, da trotzdem das Handelsgesetzbuch das ganze Gebiet sowohl der Gegen- seitigkeits- als Beitragsvereine wieder wegläßt (s. unten), und in die Verwal- tungsvorschriften für die Aktienvereine tiefer hineingreift, als sein ganz bürgerlich rechtlicher Standpunkt es verstattete. So groß daher der Vortheil ist, den wir für das Gesellschaftsrecht in mancher Beziehung durch dieß Gesetz gewonnen haben, so ungewiß ist derselbe für andere Seiten der Sache, und am meisten für das rechte Verständniß des Vereinswesens. Genügen kann und soll das- selbe jedenfalls weder im Princip, noch in der Ausführung für das letztere. Das ist für das Folgende nicht zu übersehen. 2) Die juristische Persönlichkeit . Indem wir hier von der juristischen Persönlichkeit reden, geben wir von vornherein die Absicht auf, in eine Kritik der so abweichenden An- sichten der Theorie einzugehen. Wir gestehen, daß es sich für uns vor allen Dingen um den Standpunkt handelt, den man bei dieser Begriffs- bestimmung einnimmt und daß wir die bisherigen Bestrebungen, zu einer Uebereinstimmung in der letztern zu kommen, gerade darum für so ergebnißlos halten, weil man sich nicht über den Ausgangspunkt der Frage gemeine Rechenschaft abgelegt. Uns scheint, daß man sich bisher Mühe gegeben hat, die Definition der juristischen Persönlichkeiten aus den Thatsachen zu bilden, welche man als juristische Persönlichkeiten ansah; in diesem falschen Zirkel war kein fester Begriff möglich, und nie wird ein solcher möglich werden. Wir gehen im Gegentheil davon aus, daß man für jenen vielbestrittenen Begriff doch zuerst einen allge- meineren als Grundlage haben, die juristische Persönlichkeit als eine be- sondere Bestimmung derselben aus ihr entwickeln, und damit zum Objekt des Streites und der Verständigung mithin nicht mehr die fertige De- finition, sondern das Verfahren machen muß, zu welches man zu ihm gelangte. In der That kann man auf jedem andern Wege zwar zu sehr viel Streit, aber nur zu wenig festen Resultaten gelangen. Die bisherige Theorie der juristischen Persönlichkeit beweist das zur Genüge. Wir gehen deßhalb in der Hoffnung an diese Aufgabe, vorerst nur ein- mal für die richtige Methode Eingang zu gewinnen. Die Diskussion über Definitionen ist von jeher Sache der Casuistik, die organische Ent- wicklung derselben aber Sache der Wissenschaft gewesen. Wir werden zu dem Ende den Begriff, die Formen, und die An- erkennung der juristischen Persönlichkeit scheiden. a) Begriff der juristischen Persönlichkeit. Die juristische Persönlichkeit ist die letzte und höchste Gestalt der Vereinigung, die mit dem Vertrage beginnt, dann zur stillen und offenen Gesellschaft wird, dann zur eigentlichen Handelsgesellschaft und ihrem selbständigen Unternehmen mit selbständiger Verwaltung und Verfassung wird, und endlich im Verein der Form der Gesellschaft einen dauernden Staatszweck gibt. In diesem Verein liegt bei genauerer Betrachtung noch etwas Unfertiges. Er selbst ist und bleibt eine freie Gemeinschaft, aus welcher der Einzelne stets ausscheiden kann, und dessen Vermögen daher auch den wechselnden Verhältnissen seiner Theilnehmer unterworfen ist. Der Zweck des Vereins ist dagegen ein Staatszweck, und daher seinem Wesen nach ein stets gleicher und dauernder. Die beste Ver- fassung und Verwaltung des Vereins kann diesen Widerspruch desselben nicht lösen; der Staatszweck ist und bleibt im Verein stets, wenn auch nicht von der Thätigkeit, so doch von der Theilnahme der Mitglieder abhängig . Der Staat kann allerdings diesen Widerspruch dadurch vermeiden, daß er den betreffenden Staatszweck durch seine eigenen Organe vollziehen läßt. Allein damit verliert er wieder die Vortheile, welche die Betheiligung der freien Einzelnen und ihres Vermögens an der Ver- wirklichung des Staatszweckes mit sich bringt. Es muß daher ein neues Princip entstehen, welches dem Verein die Dauer des Staats- zweckes verleiht , ohne ihm die Freiheit der Selbstverwaltung zu nehmen. Dieß Princip geht dahin, dem Verein ein Dasein zu geben, welches dem des Staates, dessen Zwecke er erfüllt, gleichartig ist; das ist, ihn als eine Persönlichkeit anzuerkennen , und ihn damit zu einem dauernden Theile seines eigenen Lebens zu machen. Um die Be- deutung dieses letzten Punktes festzustellen, muß nun allerdings hier eine Bemerkung vorausgehen. Da nämlich die Erhebung des Vereins zur juristischen Persönlich- keit auf der Natur seiner Aufgabe, eines dauernden Staatszweckes, be- ruht, so ergibt sich zuerst, daß weder jeder Verein eine juristische Per- sönlichkeit zu sein braucht, noch auch daß die juristischen Persönlichkeiten nur als Vereine bestehen. Im Gegentheil ist der Begriff der juristischen Persönlichkeit durch den dauernden Staatszweck überhaupt bedingt, und entsteht immer, wo ein solcher dauernder Zweck durch eigene, nicht vom Staate selbst gegebene Organe und Mittel erreicht wird. Jede Ge- meinschaft, welche für eine dauernde Staatsaufgabe selbständige Mittel durch selbständige Organe verwendet, ist fähig , zu einer juristischen Per- sönlichkeit durch die Anerkennung des Staats zu werden. Man muß daher nicht Verein und juristische Persönlichkeit identificiren, sondern vielmehr von einem, in verschiedenen Formen erscheinenden System der juristischen Persönlichkeiten sprechen, in denen das Vereinswesen erst seinen Platz zu finden hat. b) Die Form der juristischen Persönlichkeit. Die wirthschaftliche, die verwaltungsrechtliche und die staatliche Persönlichkeit. Die Verschiedenheit der Formen der juristischen Persönlichkeit ent- steht dadurch, daß die Aufgabe des Staats, um derentwillen die Ver- einigung Mehrerer die Natur und das Recht der selbständigen Persön- lichkeit vom Staate empfängt, selbst eine wesentlich verschiedene ist. Diese Aufgabe liegt nämlich theils im Gebiete des Einzellebens, theils im Gebiete der Verwaltung, theils im Gebiete der Verfassung. Und so entstehen drei Grundformen der juristischen Persönlichkeit, welche auf alle wirklichen juristischen Persönlichkeiten Anwendung finden. Nur muß man dabei festhalten, daß es im Gebiete der juristischen Persönlichkeiten wie in allen andern Lebensgebieten höhere und niedere Formen gibt. Es wäre nur wunderbar, wenn dieser Unterschied, allenthalben durchgreifend, nicht auch hier gelten sollte. Die unterste Form der juristischen Persönlichkeit entsteht da, wo eine wirthschaftliche Einheit durch irgend ein Ereigniß ihr persönliches Haupt verloren hat, und die Persönlichkeit jener Einheit nun durch eine, vom Staate eingesetzte Vertretung für die rein wirthschaftlichen Verhält- nisse jener Einheit hergestellt wird. Das geschieht bei der hereditas jacens, der cura bonorum absentis, furiosi, und der Massencuratel. Diese juristische Persönlichkeit ist eine privatrechtliche ; das Recht des Vertreters besteht hier nicht in einem Rechte gegenüber den Mitgliedern, sondern gegenüber einzelnen Dritten. Dennoch bildet dieß Verhältniß der Form nach eine juristische Persönlichkeit, weil Entstehung, Ordnung und Aufhören derselben nicht von den Betheiligten, sondern nur vom Staate gesetzt werden können, dem Inhalt nach, weil der persönliche Wille des Vertreters als identisch mit denen der wirthschaftlichen Einheit gesetzt ist. Das Entstehen derselben erscheint als eine Bedingung für die Funktion des Gerichts , sie ist daher die juristische Persönlichkeit der Rechtspflege . Stein , die Verwaltungslehre. I. 37 Ein ganz anderes Verhältniß tritt da ein, wo sich eine Gemein- schaft bildet, welche entweder durch die Art und Weise, wie sie ihre Mittel aufbringt, oder bloß durch den Zweck, den sie sich setzt, oder durch beides zugleich in die Aufgaben und Thätigkeiten der innern Verwaltung hineingreift. Sowie dieß geschieht, wird aus einer solchen Gemeinschaft offenbar ein — weiteres oder entfernteres — Glied der Verwaltung selbst. Als solches kann sie nicht mehr bloß auf dem Willen ihrer Mitglieder beruhen, da die Theilnahme an der wirklichen Verwaltung von dieser selbst mitbestimmt werden muß. Die Gemein- schaft ist alsdann, und zwar zunächst gleichviel ob der Zweck der Er- werb der Mitglieder ist, der durch eine öffentliche Funktion erzielt werden soll, oder ob die Mitglieder gar nichts erwerben, oder gar noch durch Beiträge von dem Ihrigen hergeben, ein Organ der Verwaltung, ein selbständiger Wille innerhalb derselben, ein einheitlicher Körper, dessen Leben ein Theil des Staatslebens ist. Daher muß sie als juristische Persönlichkeit die Selbständigkeit ihres, nicht erst im Willen der Mitglieder, sondern im Begriffe des Staats selbst liegenden Zweckes zur Geltung bringen. Sie empfängt daher die juristische Persönlichkeit; aber sie hat keine staatsbürgerlichen Rechte , wie der einzelne Staatsbürger, sondern sie hat nur die Rechte der vollziehenden Gewalt innerhalb ihrer Lebenssphäre. Sie ist daher eine administrative juristische Persönlichkeit, die juristische Persönlichkeit der Verwaltung . Natürlich ergibt sich daraus zugleich das Princip, welches das Recht dieser Form der juristischen Persönlichkeit erzeugt und bedingt. Der Antheil, den der Staat an derselben nimmt, wird stets zunächst davon abhängen, ob der Zweck derselben eine Aufgabe der Verwaltung ent- hält (Eisenbahnen, Banken ꝛc.) oder ob und wie weit nur die Mittel in das Gebiet der Verwaltungsthätigkeit fallen (Beiträge, Aktien). Je mehr das erste der Fall ist, um so größer wird natürlich der Inhalt der Rechte dieser juristischen Persönlichkeit, und um so leb- hafter die Betheiligung der Staatsverwaltung; wo das letzte der Fall ist, wird dagegen nur die Sicherung öffentlicher Interessen die Aufgabe der letzteren sein. Das nun gehört in die Lehre vom innern Verwal- tungsrecht. Aber alle hier einschlagenden Modifikationen ändern doch nicht das Wesen dieser zweiten Grundform der administrativen juristischen Persönlichkeit. Die dritte Grundform ist die, welche dann entsteht, wenn der juri- stischen Persönlichkeit das Recht des Staatsbürgerthums, das ist, ein organisch bestimmter Antheil an der Bildung des Staatswillens gegeben wird; oder, wenn einer solchen Persönlichkeit das Recht der Wahl oder der Wählbarkeit für die Vertretungsformen des Volkes gegeben ist. Das ist früher nur den Körperschaften der Selbstverwaltung verliehen gewesen; wir behaupten, daß die Zeit kommt, wo es auch zum Theil in den höheren Formen des administrativen Vereinswesens als ein wesent- licher Bestandtheil ihres Rechts anerkannt werden wird. Man könnte diese Grundform die politisch- oder staatlich-juristische Persön- lichkeit nennen. Vergleicht man diese drei Formen, so ist es klar, daß das Maß und der Inhalt der Rechte, welche sie besitzen, ein sehr verschiedener ist. Man kann im Allgemeinen sagen, daß die privatrechtliche Persönlichkeit gar kein öffentliches Recht enthält, die administrative nur ein bestimmtes Maß der drei Regierungsgewalten und zwar nur in Beziehung auf ihren speziellen Zweck, also eine gewisse verordnende, organisirende und polizeiliche Gewalt, die politische dagegen ein bestimmtes Recht für Theilnahme an allen öffentlichen Angelegenheiten. Wenden wir nun diese Unterscheidungen auf die Begriffe von Ge- sellschaften und Vereine an, so ergibt sich zuerst, daß die Gesellschaften niemals juristische Persönlichkeiten sind, wenn sie nicht vermöge ihres Vereinszweckes (Creditanstalten ꝛc.) oder wegen ihrer Mittel (Aktien) in das Gebiet der Vereine gehören, und daher selbst nur noch als Form der Vereine auftreten. Was dagegen die Vereine betrifft, so sind dieselben nothwendig administrative juristische Persönlichkeiten, und können, wie gesagt, auch politische sein. Damit treten sie alsdann den Körpern der Selbstver- waltung, namentlich den Corporationen so nahe, daß man sie vielfach, wie theils die Gesetzgebungen selbst, theils auch die Theorie, geradezu mit den Corporationen verschmolzen hat, da allerdings auch die letzteren keinesweges immer politische, sondern oft nur administrative Persönlich- keiten sind. Dennoch ist diese Verschmelzung nicht richtig. Ein Selbst- verwaltungskörper, sei es eine Gemeinde, eine Corporation oder eine Stiftung, ist eine Persönlichkeit, welche ganz gleichgültig ist gegen das Vorhandensein von Personen, welche ihre Mitglieder sind; sie würden fortbestehen, auch wenn gar keine Personen ihnen angehörten; bei einem Verein ist das nicht denkbar. Bei einer Corporation ist ferner die Grundlage ihres Entstehens ein Beruf, bei einer Stiftung ein selb- ständiges Vermögen, bei einem Verein dagegen der freie Wille der Mit- glieder. Daher ist die Grundlage der Thätigkeit des Vereins stets die Generalversammlung des letzteren, während bei Corporationen und Stif- tungen das Hauptorgan stets in der Leitung liegt. Während daher ein Verein, der zur juristischen Persönlichkeit erhoben ist, diese persön- liche Form des Lebens und ihren Inhalt mit diesen Körpern der Selbst- verwaltung gemein hat, ist derselbe in seiner Verfassung wesentlich von ihnen verschieden. Daß ein Verein, der nicht zur juristischen Persön- lichkeit erhoben ist, natürlich überhaupt nicht das Wesen einer Corpo- ration theilt, ist wohl ohnehin klar. Es handelt sich bei der Verglei- chung daher nur um Vereine, welche juristische Persönlichkeiten geworden sind. Von diesen nun kann man sagen, daß sie Corporationen mit einer Vereinsverfassung sind, welchen die freie Mitglied- schaft zum Grunde liegt, sowohl in Beziehung auf den Eintritt und den Austritt als auf die Wahl der Organe, was wiederum natürlich nicht ohne Einfluß auf die Verwaltung bleibt. Dadurch nun wird es nothwendig, einen Blick auf den letzten Punkt, den Inhalt des Begriffs der juristischen Persönlichkeit zu werfen. c) Inhalt der juristischen Persönlichkeit. Unter dem Inhalt der juristischen Persönlichkeit verstehen wir die Rechte , welche die Anerkennung einer Vereinigung als solcher derselben verleiht, und welche, soll anders der Begriff der juristischen Persönlich- keit nicht doch wieder ein leeres Wort sein, nicht ohnehin durch das bloße Wesen der Vereinigung selbst entstehen können. Zugleich werden diese Punkte natürlich nicht bloß für die Vereine, sondern für jede juristische Persönlichkeit gelten, und auf das Vereinswesen nur ihre spe- zielle Anwendung finden. Uns scheinen diese Rechte in folgenden vier Punkten zu bestehen, bei denen wir den Unterschied zwischen ihnen und dem bürgerlich recht- lichen Verhältniß herausheben. Während nämlich erstens die privatrechtliche Einheit durch den übereinstimmenden Willen der Mitglieder, also durch Vertrag, ent- stehen kann, kann die juristische Persönlichkeit nur durch die ihr ent- sprechende höchste Form der juristischen Persönlichkeit, den Staat, erzeugt werden. Der Staat erzeugt zwar nicht die Einheit der Vereinten, wohl aber gibt er ihr durch seinen Willen die persönliche Natur, die indivi- duelle Selbständigkeit, und damit die beiden folgenden, aus ihr sich ergebenden Rechte. Während daher zweitens der privatrechtliche Verein nicht an den Vereinsvertrag gebunden ist, sondern denselben in jedem Augenblicke ändern kann, und zwar sowohl in Beziehung auf die Verfassung und Organisirung, als in Beziehung auf die Verwaltung, ist die Einheit der juristischen Persönlichkeit nicht dem einfachen Beschlusse ihrer Mitglieder, selbst nicht dem einstimmigen, geschweige dem der Majorität unterworfen. Die Mitglieder können weder durch ihren Beschluß den einmal eingegangenen Vereinsvertrag ändern , noch auch Verfassung, Organisation und Verwaltung durch ihren Willen anders bestimmen, als der Vereinsvertrag es einmal gesetzt hat. Und zwar darum nicht, weil das innere Recht der juristischen Persönlichkeit nichts anderes ist, als eben die Wirklichkeit des abstrakten Begriffes der hier erzeugten Persönlichkeit. Die von dem Willen der Glieder unabhängige innere Ordnung ist daher eben die Erscheinung, das äußere Dasein der Per- sönlichkeit der Einheit gegenüber den Mitgliedern, welche die Theile bilden. Es folgt daraus, daß eine solche Aenderung des innern Wesens dieser selbständigen Persönlichkeit, oder ihres innern Rechts , nur unter Zu- stimmung desjenigen persönlichen Willens geschehen kann, der überhaupt die juristische Persönlichkeit erzeugt hat, des Staats. Das Recht des Staats ist seinerseits wieder die Consequenz von dem organischen Zu- sammenhang des Grundes der Vereinigung oder des Zweckes mit dem Leben des Staats, und bildet daher auch die Grundsätze, welche für die Genehmigung selbst gelten werden. Während drittens jede Privatgemeinschaft in jedem Augenblick sich durch den Willen ihrer Mitglieder auflösen kann, erhält die juri- stische Persönlichkeit ihr Leben unabhängig von dem individuellen Willen der Mitglieder und kann daher nur unter Zustimmung des Staats auf- gelöst werden. Auch dafür liegen die Gründe in dem Obigen. Daß in den meisten Statuten die Auflösung den Vereinsmitgliedern selbst überlassen bleibt, ändert diesen dritten obersten Rechtsgrundsatz der juri- stischen Persönlichkeit durchaus nicht, und zwar darum nicht, weil ein solches Recht bei der Mehrheit der letzteren überhaupt nicht stattfindet, wie bei den Gemeinden und Stiftungen; eben darum erscheint bei Vereinen mit juristischer Persönlichkeit dieß Recht eben durch die Sta- tuten gegeben, und der Verein als juristische Persönlichkeit würde dem- nach dieß Recht ohne eine solche Genehmigung in den Statuten nicht besitzen, während es bei andern Vereinen ohne Zweifel, auch ohne in den Statuten enthalten zu sein, ihm zusteht. Daher denn auch der ganz rationelle Grundsatz, daß in allen solchen Statuten die Bedin- gungen der Auflösung enthalten sein müssen; das bedeutet zugleich, daß die Gemeinschaft der Mitglieder auch einstimmig die Formen nicht ändern darf, unter denen sich die Einheit auflöst. Endlich enthält die juristische Persönlichkeit die Anerkennung des Rechts auf Annahme von Erbschaften, Geschenken, Vermächtnissen. Obgleich es auf den ersten Blick scheint, daß dieß Recht auch in dem Wesen eines Vereins, ja schon in dem einer Gesellschaft liege, so ist das doch nicht der Fall. Eine Gesellschaft und ein Verein sind nämlich trotz ihrer an sich persönlichen Organisation doch nur Mittel für be- stimmte Zwecke; sie haben im Grunde außerhalb dieser Zwecke kein Dasein; sie wären nicht ohne den Zweck entstanden, und müssen daher consequent mit dem Zwecke, ja schon mit seiner Erreichung zu Grunde gehen. Sie sind daher nur da, indem sie thätig sind. Das höhere Wesen der Persönlichkeit dagegen enthält ein Dasein, welches unab- hängig von der Thätigkeit, durch sich selbst ist, und daher auch weder bloß ein Mittel für etwas anderes sein noch mit der Thätigkeit auf- hören kann. Dieß abstrakte Wesen der Persönlichkeit zeigt sich nun rechtlich in dem Satze, daß während eine Vereinigung nur besitzen kann um zu gebrauchen , weil sie nur haben soll um zu benützen, und alles zu ihrem Zweck benützen muß, eine juristische Persönlichkeit besitzen kann um zu besitzen, an sich ganz unabhängig von ihrem Zwecke. Sie kann daher auch ohne ihr eigenes Zuthun und ohne ihre Thätig- keit erwerben ; und da der reine Besitz im obigen Sinne niemals nachgewiesen werden kann, indem auch die Persönlichkeit faktisch nur besitzt um zu gebrauchen, so erscheint jenes persönliche Element in dem Satze, daß die juristische Persönlichkeit das Recht hat, Güter zu er- werben ohne eine Vereinsthätigkeit auszuüben; und das geschieht in der testamenti factio. Das Testament hat zur Grundlage den Uebergang des Vermögens von einer Persönlichkeit zur andern; die Verwendung des übergegangenen Vermögens ist Sache der Lebendigen. Es ist daher Testament und Vermächtniß ohne eine selbständige Persönlichkeit ein Widerspruch schon darum, weil bei einer bloßen Erbschaft dieselbe ohne Eigenthümer wäre. Etwas anderes ist nun wohl das Recht Immobilien zu erwerben, das in der Regel erst durch die Verleihung der juristischen Persönlich- keit an einen Verein gewonnen wird. Dieser Grundsatz beruht auf den Principien der ständischen Gesellschaftsordnung, nach welchen der Grundbesitz an und für sich staatliche Rechte gab, und die Zulassung zum Erwerb von Grundbesitz daher den Eintritt in die Verfassung ent- hielt. So lange das der Fall war, war es natürlich, daß dieser Er- werb von Immobilien nur unter Genehmigung des Staats vorkommen konnte. Diese Vorstellung ist auch auf unsere Zeit übergegangen; nur hat sie ihren früheren Boden verloren, und muß jetzt als eine Frage der Zweckmäßigkeit angesehen werden. Und hier ist allerdings die Sache fraglich, da viele Gesellschaften jetzt auch für rein gewerbliche Zwecke Grundbesitz gebrauchen, ohne daß diese Zwecke gerade dauernd oder wichtig genug wären, um die Verleihung der juristischen Persönlichkeit zu motiviren. Offenbar bedeutet jener Punkt in unserer Zeit etwas anderes. Er deutet auf die Frage hin, ob und unter welchen Bedin- gungen die juristischen Persönlichkeiten, also auch die Vereine staatliche Rechte bekommen, namentlich Wahlfähigkeit und Wählbarkeit, wenn diese Rechte an einen Grundbesitz oder einen Steuercensus geknüpft werden, und der Verein solchen Besitz hat oder solche Steuern zahlt. Wir machen nur darauf aufmerksam, daß dieser Punkt im Vereinsrecht so wenig als in den Wahlrechten bisher erledigt ist, und doch nament- lich da fraglich erscheinen muß, wo Selbstverwaltungskörper, die ja doch auch zunächst nur administrative Persönlichkeiten sind, durch ihre Ord- nungen mit jenen Rechten zu staatlichen Persönlichkeiten erhoben werden. Allerdings wird man sagen, daß ihnen diese politische Qualität mehr zukommt, weil sie kein Einzelinteresse vertreten; allein wenn das von den Gemeinden wahr ist, so ist es doch nicht wahr von Corporationen oder gar von Stiftungen. Hier ist eine Lücke, die mit der Entwicklung des Vereinswesens immer fühlbarer werden wird, und deren Erfüllung tief in das Verfassungsleben der Zukunft hineingreift. Es scheint uns außerhalb unserer Aufgabe zu liegen, uns hier weiter auf den Begriff der juristischen Persönlichkeit und die Kritik der betreffenden Auffassungen einzulassen. Wir werden ohnehin unten bei der Genehmigung der Vereine genauer darauf zurückkommen. Im Uebrigen verweisen wir auf die geschmackvolle und gründliche Darstellung der Frage und zum Theil der Literatur bei Auerbach (Gesellschaftswesen Kap. VII. ). Der Unterschied zwischen administrativer und politischer Persönlichkeit entging ihm, wie jedem, der sich an einen Standpunkt des Privatrechts, statt an den des öffentlichen Rechts anschließt. Wir werden denselben jedoch nicht entbehren können. 3) Begriff des Vereinsrechts und Inhalt desselben . Aus der obigen Entwicklung des Begriffs vom Verein ergibt sich nun der Begriff des Vereinsrechts dahin, daß dasselbe die Gesammtheit aller Rechte enthält, welche durch die Verhältnisse des Vereins gebildet werden. Diese letzteren aber scheiden sich in zwei große Gruppen, und das Vereinsrecht hat daher zwei große Abtheilungen. Die erste Gruppe wird gebildet durch die Gesammtheit der Ver- hältnisse, welche zwischen dem Verein als Einheit und seinen Mitgliedern stattfinden. Wir nennen dieß Recht des Vereins das innere Ver- einsrecht . Die zweite Gruppe wird gebildet durch die Gesammtheit der Ver- hältnisse zwischen dem Verein als selbständiger Einheit und dem Staate. Auf ihnen beruht dasjenige, was wir kurz das öffentliche Vereins- recht nennen. Die Aufgabe des innern Vereinsrechts ist es, das Verhalten zwischen der Einheit und den Mitgliedern, die Grundsätze nach welchen sich die Einheit derselben bildet und nach welchen sie thätig ist, zu ordnen. Das innere Vereinsrecht ist daher im Wesentlichen dem Rechte der Gesellschaften gleich, und weicht von demselben nur so weit ab, als der öffentliche Zweck des Vereins es fordert. Die Aufgabe des öffentlichen Vereinsrechts dagegen entsteht aus dem Wesen des Vereins, vermöge dessen derselbe nicht mehr eine Form der Gesellschaft, sondern ein Organ der Verwaltung und mithin des Staates ist. Dieß ist daher das Gebiet, in welchem das Vereinsrecht sich in Princip und Inhalt vom Gesellschaftsrecht scheidet. Im Princip dadurch, daß dasselbe nicht mehr einfach der Majorität seiner Mitglieder unterliegt, sondern nur unter Zustimmung des Staats geändert werden kann; im Inhalt dadurch, daß die wirkliche Thätigkeit des Vereins durch die Forderungen der Verwaltung bestimmt wird, zum Theil nur unter ihrer direkten Mitwirkung geschehen kann, zum Theil sogar das Recht der amtlichen Verwaltung annimmt. In diesem Sinne müssen wir das Vereinsrecht als ein vom Gesellschaftsrecht geschiedenes selb- ständiges Rechtsgebiet betrachten, das dann allerdings auch das Gesell- schaftsrecht da in sich aufnimmt, wo die Gesellschaft zugleich ein Verein ist. Der Inhalt des Vereinsrechts zerfällt nun in zwei Theile, und zwar nach demselben Princip, wie das Recht der Selbstverwaltungs- körper. Dasselbe besteht zuerst in dem Verfassungsrecht als der Gesammtheit von Bestimmungen, nach welchen die organische Einheit der Mitglieder gebildet wird; dann aus dem Verwaltungsrecht , welches wieder die Organisation der Vereine und ihre wirkliche Verwaltung enthält. Dieser Inhalt ist sowohl für das innere als für das öffentliche Vereinsrecht gegeben, und bietet die Grundverhältnisse, auf welche alle Verschiedenheiten der Vereinsrechte zurückgeführt werden müssen. Denn so einfach diese Grundbegriffe des Vereinsrechts sind, so verschieden sind die wirklichen Rechte der Vereine. Und zwar sind sie es in doppelter Beziehung. Zuerst stehen die Vereine unter demselben Gesetze, wie alle leben- digen Wesen. Auch sie zeigen in innerer Ausbildung und äußerem Umfang die verschiedensten Grade der Entwicklung. Wie die Gesell- schaften von der, kaum noch als Gesellschaft erkennbaren Form der stillen Gesellschaft zu den größten Handelscompagnien hinaufsteigen, so beginnen auch die Vereine bei den untersten Formen des Lebens, und gehen von da bis zu den gewaltigsten, ganze Länder und Völker um- fassenden Erscheinungen, wie die großen Banken, Eisenbahnvereine und andere. Es ist daher natürlich unmöglich, daß alle Formen und Organe des Vereinswesens und Vereinsrechts bei allen gleichmäßig ausgebildet sein sollten. Im Gegentheil sind in den untersten Stufen dieser Ent- wicklung ganze Theile des Vereinsorganismus und seines Rechts gar nicht ausgebildet, oft nur leise angedeutet. Allein angedeutet, dem Keime nach vorhanden sind sie immer, und es ist daher immer, wenn auch nur in leichten Zügen, der Punkt bezeichnet, wo das öffentliche Recht des Vereinswesens seine Anwendung auf dieselben findet. So kann es keinen Verein geben, ohne einen Vorstand, eine Generalver- sammlung und eine Art der Einnahme nebst der Verwaltung derselben. In den untern Formen der Gesellschaft ist das nicht der Fall, und das ist der äußerlich entscheidende Unterschied zwischen beiden; denn die obigen Kategorien können auf die offene und stille Gesellschaft überhaupt nicht angewendet werden, während sie in einem Verein niemals fehlen dürfen. Darin zeigt sich vor allem die Macht, welche die höhere Natur des Vereinszweckes über das Recht des Vereins gegenüber der reinen Ge- sellschaft und ihrer Zwecke ausübt; und dem entspricht es, daß auch das öffentliche Recht der Oberaufsicht, das bei reinen Gesellschaften nicht angewendet werden kann, bei den Vereinen nicht fehlen darf, selbst wenn sie noch so unbedeutend sein mögen. Diesen Sätzen entspricht nun die folgende Regel für die innere Ausbildung des Vereins, welche man der Beurtheilung derselben zum Grunde legen kann. Die innere Ausbildung eines Vereins erscheint nämlich nicht darin, daß eine wesent- liche Funktion in demselben fehlt, sondern darin, daß die einzelnen Funktionen des Vereins in dem Grade mehr einzelnen, geschiedenen Organen zugetheilt werden, in welchem der Verein selbst höher steht. Und je mehr dieß der Fall ist, desto klarer wird auch das Recht dieser einzelnen Funktionen. Diese Punkte sind bei der Beurtheilung der Ver- einsrechte stets zum Grunde zu legen. Zweitens aber zeigt uns das wirkliche Vereinsrecht eine Unterschei- dung, ohne welche es geradezu unthunlich wäre, von demselben als einem Theile des Rechts der vollziehenden Gewalt zu sprechen. Das ist der Unterschied zwischen dem allgemeinen und dem besondern Vereinsrecht . Das allgemeine Vereinsrecht ist dasjenige, was aus dem allen Vereinen gemeinsamen Wesen des Vereins als solchem hervor- geht, denjenigen Grundsätzen des innern und öffentlichen Vereinsrechts, welches damit für alle Vereine gelten. Das besondere Vereinsrecht ent- hält dagegen diejenigen Bestimmungen des öffentlichen Vereinsrechts, welche durch das Verhältniß des Vereins zweckes zu der Staatsverwaltung geboten erscheinen. Das besondere Vereinsrecht ist daher ein ganz ver- schiedenes für jede Art der Vereine, oft auch ein verschiedenes für die einzelnen Vereine derselben Art, wie z. B. für Eisenbahngesellschaften, Banken, Creditvereine u. a. Während somit das allgemeine Vereins- recht aus dem Wesen des Vereins an sich entsteht, entsteht das besondere Vereinsrecht aus dem Wesen des Verwaltungszweiges , mit dem der einzelne Verein zu thun hat, und bestimmt sich nach den Grund- sätzen, die für diesen angenommen werden. Daher kann man allerdings das allgemeine Vereinsrecht recht wohl als Theil der Lehre von der vollziehenden Gewalt aufstellen, aber das besondere Vereinsrecht kann seinen natürlichen Platz erst bei der Lehre von der eigentlichen Verwal- tung finden, als ein Organ für die Zwecke derselben und bestimmt durch diese Zwecke. Und so wird die Lehre von den besondern Vereinsrechten den Uebergang von der vollziehenden Gewalt zu der eigentlichen Ver- waltungslehre bilden. Auf diesen Grundlagen wollen wir versuchen, das System des Ver- einsrecht als letzten Theil unserer Darstellung der vollziehenden Gewalt und ihres Organismus nun hier anzuschließen. Die obigen, im Begriffe des Vereins und seinem Unterschiede vom Begriffe der Gesellschaft liegenden Kategorien haben ihren Ausdruck ohne Zuthun der Theorie in dem natürlichen Entwicklungsgange des positiven Vereinsrechts gefunden. Das Recht der Gesellschaften bildet einen natürlichen Theil des Handelsrechts , und fällt mit dem letzteren dem großen Gebiete des bürger- lichen Rechts im weitesten Sinne zu. Das Gesellschaftsrecht wird vom Ver- einsrecht insoweit unbedingt in sich aufgenommen, als eben eine Gesellschaft zum Vereine wird. Das innere Vereinsrecht hat sich fast ohne alles Zuthun der Gesetzgebung durch das Vereinsleben selber gebildet und zeigt sich in der wesentlichen, spontan entstandenen Uebereinstimmung der einzelnen Vereinsrechte in den Statuten. Das öffentliche Vereinsrecht dagegen bildet einen Gegenstand eigener Gesetzgebung, die nur dadurch unklar erscheint, daß diese Gesetzgebung, fast ohne alle Beziehung auf das innere Vereinsrecht und rein mit dem Ver- hältniß desselben zum öffentlichen Vereinsrecht beschäftigt, gewöhnlich ganz allgemein das „Vereinsrecht“ und „Vereinsgesetz“ genannt wird. Die selbstän- dige Entwicklung dieser drei Richtungen ist bereits, jede in ihrem Felde, so weit gediehen, daß man mit Recht die Frage aufwerfen kann, ob es zweckmäßig sei, noch allgemeine Gesetze über das Vereinswesen als Ganzes zu geben. Wir glauben das kaum. Unserer Meinung ist hier der Punkt, wo die Wissen- schaft ihre Aufgabe zu suchen hat. Sie ist es, welche die zerstreuten Gebiete sammeln, und das Einzelne durch das Ganze erläutern und fördern soll. Und hier ist allerdings noch Vieles zu thun, während im Einzelnen nur wenige Theile ohne ihr entsprechendes Recht dastehen dürften. System des Vereinsrechts . Begriff und Inhalt desselben. Das Wesen des allgemeinen Vereinsrechts läßt sich daher jetzt einfach dahin bestimmen, daß es die Gesammtheit von Rechtssätzen ist, welche vermöge des Wesens des Staats und des Staatsbürgerthums als gültig für jede Erhebung einer vertragsmäßigen Vereinigung zum Vereine gegeben sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie im Vereinsvertrage ausdrücklich beschlossen wurden oder nicht. Allgemein nennen wir, wie gesagt, diesen ersten Theil des Vereins- rechts, weil er eben wieder ohne Rücksicht auf den speziellen Zweck des einzelnen Vereins bloß durch das Vereintsein als solches für einen öffent- lichen Zweck, also für alle Vereine ohne Unterschied entsteht; das allge- meine Vereinsrecht ist zugleich das allgemein gültige Recht der Vereine. Dieß allgemeine Vereinsrecht zerfällt nun in zwei Gebiete. Der Verein als eine vertragsmäßig gebildete, persönliche Einheit wird näm- lich zuerst zu einer selbständigen Einheit gegenüber den gleichfalls selb- ständigen Mitgliedern, die ihn bilden; zweitens erscheint er als Einheit innerhalb der Einheit der höchsten allgemeinen Persönlichkeit, des Staates. Wie nun das Recht sich immer bildet und ordnet aus der Berührung der Persönlichkeiten, so zerfällt das allgemeine Vereinsrecht zuerst in das Gebiet der Rechtsverhältnisse zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern — und dieß Gebiet werden wir das innere Vereinsrecht nennen — und in das Gebiet der Rechtsverhältnisse zwischen dem Verein und dem Staate, und dieß Gebiet nennen wir das Gebiet des öffentlichen Vereinsrechts . Jeder Verein hat daher ein inneres und ein öffentliches Vereins- recht. Das Princip beider Rechtsgebiete ist ein wesentlich verschiedenes. Das innere Vereinsrecht hat die Ordnung und Freiheit im Vereine selbst zu vertreten; das öffentliche Vereinsrecht soll dagegen die Harmonie zwischen dem Vereine als Glied der Staatsverwaltung im allgemeinsten Sinn mit den Gesammtinteressen des Staats herstellen. Das innere Vereinsrecht ist daher die Anwendung der Grundsätze des Staats- bürgerthums in seiner organischen Freiheit auf das Vereins- leben, das öffentliche Vereinsrecht dagegen ist nichts anderes als das Mittel, die Principien und Forderungen der verfassungsmäßigen Staatsverwaltung auch für das Vereinswesen als einen Theil der letzteren möglich zu machen. Obwohl verschieden in Inhalt und Zweck, gehören dennoch beide innerlich zusammen; erst in ihrer Har- monie, in der keines das andere stört, ist die Vollendung des Vereins- rechts denkbar. Beide aber, das innere wie das öffentliche Vereinsrecht, bilden wieder ein ganzes Rechtssystem, dessen einzelne Punkte sich als Ergebnisse aus dem Wesen der Sache ergeben. Erster Theil . Das innere Vereinsrecht. System desselben. Das innere Vereinsrecht beruht nun zunächst allerdings auf dem an sich vollkommen freien Vertrage der Mitglieder, und scheint daher mit Form und Inhalt ganz von dem subjektiven und zufälligen Willen derselben abzuhangen. Aber schon hier zeigt es sich, daß jede Gemein- schaft Grundverhältnisse und damit Rechtssätze für ihr eigenes Leben hat, welche der Wille ihrer Mitglieder darum nicht willkürlich ändern kann, weil sie durch das immanente Wesen der persönlichen Einheit selbständig gefordert werden. Jeder Verein ist nämlich vor allen Dingen eine persönliche Einheit. Als solche hat er einen Willen, er hat einen Organismus, der den Willen vollzieht, und er hat eine wirkliche Thätigkeit. Jeder Vereins- vertrag muß daher die Formen bestimmen, in welchen dieser Gesammt- wille sich bildet, und das nennen wir die Verfassung des Vereins; er muß Organe haben, welche die persönliche Einheit der Verbundenen vertreten und den Willen zur Ausführung bringen, und das nennen wir seinen Organismus ; und er muß endlich eine bestimmte Thätig- keit setzen, welche der verfassungsmäßige Wille durch den Organismus vollzieht, und das nennen wir die Verwaltung des Vereins. Verfassung, Organismus und Verwaltung des Vereins bilden dem- nach zusammengenommen die innere Vereinsordnung . Diese innere Vereinsordnung wird nun zum innern Vereins- recht , indem die Aufrechthaltung dieser Ordnung von jedem Mitgliede gefordert, eventuell durch Klage und Beschwerde jedes Mitgliedes auf jedem Punkte zur vollen Geltung kommen kann. Denn das ist ja der Unterschied zwischen Verein und Verbindung, daß in dem ersteren das einzelne Mitglied selbständig an dem Leben und Wollen des Vereins mitwirkt, während in der Verbindung der Einzelne nur das gehorchende Glied der vereint eingesetzten Organe der Einheit ist. Das allgemeinste Princip des innern Vereinsrechts besteht demnach darin, daß durch den Vertrag, der den Verein und die innere Vereins- ordnung bildet, dem einzelnen Mitgliede niemals diese freie Theilnahme an den Funktionen dieser Ordnung genommen werden darf. Und die einzelnen Sätze dieses inneren Vereinsrechts enthalten daher nichts an- deres, als die organischen Bestimmungen über die Art und Weise, wie diese Theilnahme der Mitglieder mit den nothwendigen Bedingungen und Elementen der Ordnung in harmonische Verbindung gebracht wer- den können. Das innere Vereinsrecht besteht daher aus dem allgemeinen Ver- fassungsrecht, dem Organisationsrecht und dem Verwaltungsrecht des Vereinswesens. Jeder dieser Theile entwickelt sich wieder zu einem selbständigen Ganzen; nur gilt hier, was wir bereits oben gesagt haben, daß nämlich nur die großen Vereine alle die Momente selbständig ent- wickeln und in eigenen Organen vertreten, die im Folgenden erscheinen, während bei den kleineren dieselben zusammenfallen. Dagegen gilt jedoch der Grundsatz, daß in jedem Verein, groß oder klein, jene drei Haupt- momente vorhanden und deutlich geschieden sein müssen und geschieden sind. Und in dieser Gemeinschaft besteht eben das allgemeine Recht des Vereinswesens. 1) Das allgemeine Verfassungsrecht des Vereinswesens. Mitgliedschaft und Generalversammlung . Das allgemeine Verfassungsrecht des Vereinswesens enthält die Principien und Bestimmungen, nach welchen der Verein als persönliche Einheit seinen Willen bestimmt. Dieß kann nur, nach dem Wesen der- selben, durch Betheiligung seiner Mitglieder geschehen; der Beschluß des Vereins ist nothwendig ein Beschluß der Gemeinschaft seiner Mitglieder. Das Verfassungsrecht des Vereinswesens enthält daher in allen Vereinen das Recht der Mitgliedschaft , und das Recht der Gemeinschaft der Mitglieder, welche wir die Generalversammlung nennen. a) Die Mitgliedschaft. Das Recht der Mitgliedschaft enthält wieder das Recht des Ein- tritts , das Recht der Mitglieder im engeren Sinn, oder das Recht auf Theilnahme an dem Willen der Gemeinschaft, und das Recht des Austrittes . Es gibt keine allgemeine Form für das Recht des Eintritts in die Vereine. Wie der Verein in seinem Entstehen selbst auf dem freien Beschluß der Vereinten beruht, so muß auch Art und Weise, wie er neue Mitglieder aufnimmt, ganz auf diesem Beschlusse beruhen. Nur das ist allgemein festzuhalten, daß der Akt des Eintritts in der Weise geschehen muß, daß er vermöge seiner Form die Uebernahme der Ver- pflichtungen der Mitgliedschaft von Seiten der Mitglieder constatirt. Daher kommt es, daß dieser Akt ein verschiedener ist, je nachdem es sich um einen Beitrags-, einen Gegenseitigkeits- oder einen Erwerbsverein handelt; er kann von dem strengsten Scrutinium aller Mitglieder über das aufzunehmende Mitglied bis zu einem rein wirthschaftlichen Akt, von dem kein einziges Mitglied und selbst der Verein als Ganzes nichts weiß — wie beim Kauf von Aktien — gehen. Dagegen ist das Recht der erworbenen Mitgliedschaft ein grund- sätzlich für das ganze Vereinswesen gleiches . Es besteht in einem Antheile an dem Gesammtwillen des Vereins, das ist an seinem Organe, der Generalversammlung. Das Wesen des Vereins fordert, daß es keinen Verein gebe, in welchem das Mitglied nicht das Recht hätte, an der Generalversammlung und zwar mit beschließender Stimme Theil zu nehmen. Dennoch bringt auch die Grundlage aller Verschiedenheit in der persönlichen Welt, das Maß des Besitzes, eine Verschiedenheit in dem Maße des Rechts hervor. In denjenigen Vereinen nämlich, welche auf der Verschiedenheit der wirthschaftlichen Leistungen der Mitglieder beruhen, kann eine gewisse Größe der Verpflichtung und Leistung als Voraussetzung der vollen Mitgliedschaft betrachtet werden. Das wider- spricht dem Wesen des Vereins nicht; nur muß diese Größe nicht so groß bemessen sein, daß nicht jedes Mitglied sie leicht erreichen könnte. Dagegen sollte auch der geringste Antheil wenigstens einen berathenden Antheil an der Generalversammlung sichern. Die faktische Herrschaft, welche das größere Vermögen ohnehin über das kleinere ausübt, sollte nie so weit gehen, daß sie die Theilnahme der letzteren ganz ausschließt. Praktisch ist die Frage bekanntlich bei den Aktiengesellschaften. Es ist kein Zweifel, daß hier eine Gleichheit der Stimmberechtigung bei un- gleicher Leistung und Haftung einen Widerspruch enthält, der zur Herr- schaft der kleineren Haftungen über die größeren führen, und damit die größere Kapitalskraft von dem Eintritt in einen Verein abhalten würde, in welchem sie grundsätzlich als die beherrschte aufträte. Daher hat die Aktiengesellschaft zum Begriffe einer Mitgliedschaft geführt, welche beide Elemente vereinigt, indem sie das Stimmrecht — oder das Recht der Mitgliedschaft — in einem gewissen Verhältniß zum Aktienbesitze wachsen läßt. Die Frage ist nutzlos, ob dieß auch bei andern Formen des Vereins richtig wäre; und zwar darum, weil bei ihnen das feste Maß der Verschiedenheit der Betheiligung fehlt, das bei der Aktie vorhanden ist und das als die Voraussetzung eines festen, von jeder Willkür freien Maßes im Unterschiede der Stimmberechtigung gesetzt werden muß. So hat sich im Vereinswesen die Harmonie zwischen dem Princip der Gleich- heit und der Ungleichheit festgestellt. — Die letzte und gleichfalls als allgemein gültig zu betrachtende Consequenz des obigen Begriffes ist nun die, daß die völlige Gleichheit da wieder eintritt, wo die Verschiedenheit des Besitzes verschwindet, nämlich da, wo das Recht auf der persön- lichen Leistung beruht. Allenthalben, wo persönliche Leistungen dem Verein zum Grunde liegen, muß die Gleichheit des Stimmrechts gelten; und selbst in den Erwerbsgesellschaften beginnt die Gleichheit wieder da, wo die persönliche Leistung wieder zur Hauptsache wird, und erscheint in dem gleichen Recht aller Mitglieder auf Wählbarkeit zu den Stel- lungen im Vereinsorganismus. Von diesen Principien kann sich kein Vereinsrecht entfernen. Der dritte Punkt im Rechte der Mitgliedschaft besteht endlich in der Freiheit des Austrittes . Das Recht auf den unbeschränkten Austritt kann durch den Vereinsvertrag nie aufgehoben werden. Es versteht sich, daß die erworbenen privatrechtlichen Rechte und Ver- bindlichkeiten dabei nicht geändert werden. Die Form des Austrittes ist wie die des Eintrittes von der Art des Vereins abhängig; für sie gibt es keine allgemeine Regel. b) Die Generalversammlung. Das ist somit das erste Gebiet des allgemeinen Verfassungsrechts der Vereine. Das zweite besteht in dem Recht der Generalversammlung . Das Recht der Generalversammlung zerfällt in zwei Theile: das Recht auf eine Generalversammlung, und das Recht der General- versammlung. Die Generalversammlung ist als die Form, in welcher das einzelne Mitglied an der Selbstbestimmung des Vereins Theil nimmt, ein noth- wendiges Element des Vereins. Es kann gar keinen Verein ohne Generalversammlung geben. Eben darum muß auch der Zeitpunkt der- selben objektiv bestimmt sein. Die Natur der Dinge bringt es mit sich, daß sie mindestens jährlich einmal abgehalten werden muß. Das sind ganz allgemein gültige Principien, welche auf dem Wesen der freien Persönlichkeit des Mitgliedes beruhen. Allein aus den praktischen Lebensverhältnissen des letzteren im Ver- hältniß zum Verein, der nur Einen, und noch dazu entweder ganz oder principiell öffentlichen, also außerhalb des Einzellebens liegenden Zweck hat, geht nun die zweite Thatsache hervor, daß das Mitglied sich nur wenig um den Verein zu kümmern im Stande ist. Der Antheil der Generalversammlung an der Thätigkeit des Vereins kann daher stets nur ein höchst beschränkter sein. Es ist ein Widerspruch, viele Aufgaben für die Generalversammlung festzustellen. Dagegen ist es nicht minder mit dem Wesen des Vereins im Widerspruch, irgend etwas dem Be- schlusse der Generalversammlung entziehen zu wollen. Aus dem Zu- sammenwirken beider Momente hat sich das Rechtsgebiet der General- versammlung allmählig principiell, und auch bei den einzelnen Vereinen ziemlich bestimmt schon jetzt herausgebildet. Dasselbe erscheint in drei Punkten, und diese Punkte bilden das, was wir die organische Funk- tion der Generalversammlung in dem Vereinswesen nennen können, das ist, ohne welche eine Generalversammlung nicht sein kann. Die erste Funktion ist die Wahl der Organe , welche die Generalversamm- lung vertreten; die zweite Funktion beruht auf dem Rechte, jede Frage, über die sie beschließen will, zum Gegenstande der Berathung und Be- schlußfassung zu machen, oder das Recht der Mitglieder, jeden Antrag in die Generalversammlung zu bringen ; die dritte besteht in dem Rechte, über gewisse Punkte nur durch die Generalversammlung beschließen zu dürfen. Diese letztern Punkte, obwohl wieder verschieden in den einzelnen Vereinen, lassen sich dennoch in drei Gebiete zusammen- fassen, welche grundsätzlich als Recht des Beschlusses der Generalver- sammlung anerkannt werden müssen. Das erste ist die Aenderung des Vereinsvertrages — der Statuten; das zweite ist die Auflösung des Vereins; das dritte enthält solche Beschlüsse oder Maßregeln, welche einen wesentlichen und dauernden Einfluß auf die Bedingungen der Thätigkeit des Vereins haben. Bestimmt der Vereinsvertrag an sich nichts über das Recht der Generalversammlung, so muß als Recht gelten, daß alle oben angeführten Punkte auch ohne Statuten der General- versammlung gehören; nur der letzte Punkt ist dann der Vereinsver- tretung übertragen, und seinem Ermessen überlassen, was er der General- versammlung vorlegen will, was nicht. Es ergibt sich daraus endlich, daß das Recht der Auflösung des Vereins als Ganzes ein wesentliches Moment der Verfassung jedes Vereins bildet. Kein Verein hat an sich die absolute Dauer in sich; er ist eben nur eine vertragsmäßige Einheit. Er kann daher aufgelöst werden durch freien Beschluß seiner Mitglieder, oder durch das Weg- fallen seiner Bedingungen. Im letztern Falle gehört die Auflösung des Vereins zum öffentlichen Rechte desselben, von welchem unten die Rede ist. Dieß gilt allerdings nur soweit, als der Verein nicht zur juristischen Persönlichkeit erhoben ist. Ist das der Fall, so muß der Regierung das Recht eingeräumt werden, zu der Auflösung ihre Zustimmung zu geben, eventuell die Bedingungen vorzuschreiben, unter denen dieselbe geschehen kann. Denn was der Verein selbst einseitig nicht hat schaffen können, das kann er auch nicht einseitig aufheben. Dieß nun sind die Grundsätze des allgemeinen Verfassungsrechts des Vereinswesens. Ihr Verhältniß zum positiven Vereinsrecht, nament- lich zu dem einzelnen Vereinsvertrag — den Statuten — beruht darauf, daß sie die Quelle der Interpretation des letzteren sind; daß sie aber eine Gränze ihres Rechts auf dem Punkte finden, wo der besondere Zweck des Vereins wieder als Modifikation der einzelnen Bestimmungen auf- tritt. Wesentlich dasselbe gilt von dem Folgenden. Die obigen, an sich einfachen Grundsätze über die Grundlagen der Ver- fassung der Vereine haben ihre weitere, zum Theil sogar sehr detaillirte Ent- wicklung empfangen durch zwei Momente. Das erste ist die öffentlich-rechtliche Vereinsgesetzgebung, welche im Interesse der Verwaltung eine Reihe von einzelnen Vorschriften aufgestellt hat, die übrigens natürlich nicht in das innere, sondern eben in das öffentliche Ver- einsrecht hineingehören, und die daher unten zu bezeichnen sind. Das zweite Moment aber besteht hier, wie für die folgenden Theile, in der Anwendung dieser Grundsätze des allgemeinen Vereinsrechts auf die Aktien- vereine . Hier ist es zuerst, wo wir der Aktie als Element des Vereins- wesens begegnen, und daher ihren großen Einfluß auf das Recht desselben charakterisiren müssen, der zum Theil so weit geht, daß man, wie Jolly und zum Theil sogar Auerbach, über den Aktienvereinen alle anderen Vereine ver- gißt. Die Aktie nämlich hat in den Verein das Element des bürgerlichen Rechts hineingebracht, indem sie den organischen Anspruch des Einzelnen auf Theilnahme an dem Verein zu einem Privatanspruch, das öffentliche Interesse desselben an den letzteren zu einem wirthschaftlichen Einzelinteresse allenthalben da gemacht hat, wo sie aufgetreten ist. Sie hat daher die Anwendung aller Grundsätze, welche für die Gesellschaften mit voller Berechtigung gültig sein müssen, auch auf die Vereine übertragen. Durch sie ist die Theilnahme an dem öffentlichen Zwecke des Vereins zu einer Theilnahme an einem gemein- schaftlichen Geschäfte geworden; und allerdings, so weit sie auftritt, mit gutem Rechte. Der Unterschied des Aktionärs vom Vereinsmitgliede erscheint dabei wesentlich in drei Punkten, welche für Mitgliedschaft und Generalversamm- lung entscheidend werden. Zuerst in dem nur bei Aktien möglichen Grundsatz, daß das Recht der vollen Mitgliedschaft von einer gewissen Anzahl von Aktien abhängt; zweitens in der nur bei Aktien denkbaren Stellvertretung; drit- tens in der Frage, wie groß die Majorität für gewisse Beschlüsse sein müsse. Alle diese Fragen und sogar die Verschiedenheit der Bestimmungen über die- selben, wie sie in den einzelnen Statuten vorkommen, lassen sich deßhalb nicht auf das Vereinsrecht im Allgemeinen, sondern nur auf Aktiengesellschaften an- wenden, welche durch ihren Zweck zugleich Vereine sind. Für alle andern Vereine gelten sie nicht, und bilden daher auch kein allgemeines Vereinsrecht. Daher denn auch das natürliche Verhältniß, daß die Vereinsgesetze der einzelnen Staaten hierauf keine Rücksicht nehmen, wenn sie nicht, wie das preußische Gesetz vom 9. Nov. 1843, speziell für Aktiengesellschaften gegeben und als Vorläufer des Handelsgesetzbuches zu betrachten sind. Das österreichische Vereinsgesetz von 1852 bezieht sogar die Bestimmungen des §. 12. g. aus- drücklich nur auf Aktienvereine. Ueber das englische Recht vergl. Güter- bock , die englischen Aktiengesetze von 1856 und 1857. Das deutsche Recht ist namentlich von Auerbach (Gesellschaftswesen §. 92) sehr gut und gründlich dargestellt, jedoch ausschließlich nur für die Verfassung von Aktiengesellschaften auf Grundlage des Handelsgesetzbuches. Freilich müssen wir hinzufügen, daß Statuten reiner Vereine sehr wenig darüber enthalten, und auch wenig Ver- anlassung haben, über die obigen allgemeinen Grundsätze hinauszugehen. 2) Die allgemeinen Elemente des Vereinsorganismus . a) Die Vertretungsorgane. Der Vorstand. Der Verwaltungsrath. Der Revisions- ausschuß. Wie in der Verfassung, so hat auch in seinem Organismus das Vereinswesen gewisse auf der Natur des Vereins selbst ruhende Punkte, Stein , die Verwaltungslehre. I. 38 welche demselben in allen Formen zum Grunde liegen, und auf welche die besondern Verhältnisse jedes Vereins wieder zurückgeführt werden müssen. Sie scheiden sich wenigstens dem Princip nach in zwei Arten; wo sie nicht auch äußerlich als solche geschieden sind, sind sie nicht eigent- lich verschieden, sondern ihre Funktionen sind nur den vorhandenen Or- ganen übertragen. Diese beiden Arten sind die Vertretungsorgane und die Vollziehungsorgane . Die Vertretungsorgane sind der Vorstand , der Verwaltungs- rath und der Revisionsausschuß . Der Name dieser einzelnen Organe ist verschieden; in der Sache selbst sind sie gleich. I. Die Nothwendigkeit eines Vorstandes für jeden Verein ist nichts anderes als der Ausdruck der Thatsache, daß jeder Verein eine individuelle Persönlichkeit ist. Dieß Moment der individuellen Persön- lichkeit ist es, welches der Vorstand vertritt. Wie im Staate, hat der Vorstand auch im Verein keine andern Rechte und Pflichten als die- jenigen, welche aus jener Funktion entstehen. Dieser Grundsatz, nach welchem er den Vorsitz führt, und die Generalversammlung und den Verwaltungsrath leitet, drückt eben dasselbe aus. Daß dieß Verhältniß sich bei kleinen Vereinen dadurch ändert, daß der Präsident zugleich die Direktion hat, namentlich bei Hülfs- und sonstigen Unterstützungsver- einen, ändert den Charakter der Vorstandschaft nicht. Der Vorstand ist als solcher für nichts verantwortlich; wird er es, so wird er es nur als Direktor. Seine wirkliche Verantwortlichkeit ist stets nur die eines jeden andern Verwaltungsrathes. II. Ein dem Vereinswesen ganz eigenthümliches Organ, und da- mit auch ganz eigenthümliche Rechtsverhältnisse treten mit dem Ver- waltungsrath (Aufsichtsrath, in Frankreich und England auch Direk- tion genannt) ein. Man muß auch bei dem Verwaltungsrath davon ausgehen, daß er in seinem Wesen und seinem Rechte nur durch das Wesen des Ver- eins verstanden und bestimmt werden kann. Es ist das aber unendlich belehrend, weil es das Gegenbild von wichtigen öffentlich rechtlichen Verhältnissen darbietet. Es ist jedem Verein unmöglich durch seine Generalversammlung sowohl alle für seine Rechte und Thätigkeiten nothwendigen Beschlüsse zu fassen, als auch die Thätigkeit seiner vollziehenden Organe zu con- troliren. Dasjenige, was wir oben als das nothwendige Recht der Generalversammlung bezeichnet haben, erfüllt keineswegs die ganze Auf- gabe des Vereinslebens. Der Verein bedarf daher eines Organs, welches in allen der Generalversammlung nicht vorbehaltenen Fällen die letztere als ihr Mandatar vertritt, und welches andererseits die Ausführung des Vereinsvertrages (der Statuten) oder der einzelnen Beschlüsse des Vereins leitet und überwacht. Je größer und örtlich zerstreuter der Verein ist (Aktiengesellschaften) um so größer wird das Bedürfniß sein, diesem Organe die Vertretung der Generalversammlung in den Beschlußfassungen zu übertragen, oder je enger wird das Minimum der Rechte beschränkt sein, welche die letztere sich statutenmäßig vorbehält. Je regelmäßiger die Thätigkeit ist, welche der Vereinszweck beansprucht, und je unmittelbarer dieselbe mit dem öffentlichen Leben zusammenhängt, um so ausgedehnter muß die Be- fugniß dieses Organes werden, die Controle über die ausführenden Organe des Vereins zu handhaben. In dem Maße und der Form dieser Funktionen ist daher allerdings ein wesentlicher Unterschied; in dem Wesen derselben nicht. Das Organ steht dadurch gleichsam zwischen Generalversammlung und ausführendem Organ oder Direktion; es hat immer und nothwendig einen Theil der gesetzgebenden Gewalt der ersteren, immer und nothwendig die ganze vollziehende Gewalt gegenüber der letzteren; und dieß Organ mit diesen principiell ganz gleichen, dem Um- fange nach dagegen so sehr verschiedenen Rechten nennen wir den Ver- waltungsrath . Allerdings haben nun namentlich die wichtigern Vereine in ihrem Vereinsvertrag versucht, den Inhalt des Rechts dieses Verwaltungsrathes genauer zu bestimmen. Allein theils ist keine Uebereinstimmung darin, theils mangelt bei kleineren Vereinen sehr oft jede Bestimmung. Es ist daher kein Zweifel, daß wir fester und allgemein gültiger Principien bedürfen, um das Recht des Verwaltungsrathes so genau als möglich zu bestimmen. Die Entwicklung des Vereinslebens wird und muß auch hier mit der Zeit eine selbständige Vereinsjurisprudenz erzeugen, zu welcher das Folgende einen Grund zu legen versuchen mag. Offenbar muß die Gesammtheit der Rechtsverhältnisse des Verwal- tungsrathes dem Obigen gemäß von zwei Gesichtspunkten betrachtet werden. Der erste ist die Berechtigung desselben, welche durch Maß und Gränze seiner Funktionen entsteht; der zweite ist die Haftung , welche durch das Ueberschreiten der ersteren, der Berechtigung, für ihn gilt. Beide können in ihrer allgemeinen Geltung auf nichts anderes zurückgeführt werden, als auf die Natur der organischen Funktion des Verwaltungsrathes selbst. Der erste Grundsatz nun, der sich aus dieser letzteren ergibt, be- steht darin, daß in allen den Punkten, in welchen der Vereinsvertrag den Beschluß der Generalversammlung nicht vorbehalten hat, oder in welchen er nicht selbst Bestimmungen enthält, oder in welchen endlich nicht ein einzelner Beschluß der Generalversammlung vorliegt, der Verwaltungsrath das Recht der Generalversammlung zur Be- schlußfassung besitzt . Es ist nicht nothwendig, daß ihm dieß Recht eigens übertragen sei; es liegt dasselbe in seiner Stellung überhaupt. Es folgt daraus, daß in allen diesen Fällen der Verwaltungsrath auch keine andere Haftung hat, als diejenige, welche die Generalver- sammlung selbst übernehmen würde. Es folgt aber aus demselben Grunde, daß er vermöge eines solchen Beschlusses innerhalb der obigen Gränze den Verein unmittelbar verpflichtet, wie es ein gültiger Beschluß der Generalversammlung selbst thun würde. Es folgt weiter, daß in diesen Fällen eben deßhalb auch keine rechtliche Verantwortlichkeit des Ver- waltungsrathes gegenüber der Generalversammlung stattfindet. Die letztere hat nicht einmal das Recht, den Beschluß des Verwaltungs- rathes einfach aufzuheben, sondern derselbe gilt für sie als wäre er ihr eigener Beschluß, und muß daher durch einen andern eigenen Be- schluß wieder beseitigt werden. Ferner ist gewiß, daß selbst bei wirklich eintretendem Schaden keine Haftung des Verwaltungsrathes gegenüber dem Verein eintreten kann. Der Verwaltungsrath ist hier der Verein selber; das ist sein Recht. Dieß Recht erscheint dagegen andererseits als die Pflicht des Ver- waltungsrathes, in allen diesen Fällen auch wirklich einen Beschluß zu fassen. Er haftet allerdings nicht dafür, daß der Beschluß ein zweck- mäßiger sei; wohl aber haftet er für den Schaden, der dem Verein dadurch entsteht, daß zur gehörigen Zeit überhaupt kein Beschluß ge- faßt wurde. Die Garantie dafür, daß der wirklich gefaßte Beschluß mit den Interessen des Vereins harmonire, liegt darin, daß die Mit- glieder des Verwaltungsrathes selbst Mitglieder des Vereins sind. Eine weitere Gewähr hat der Verein objektiv hier nicht; dafür wird der Ver- waltungsrath von der Generalversammlung gewählt, und die freie Wahl ist eben aus den obigen Gründen ein absolut wesentliches Element der Ordnung des Vereinswesens. Dagegen muß der Verwaltungsrath wieder das Recht haben, den von ihm zu fassenden Beschluß erst der General- versammlung vorzulegen, wenn er zweifelhaft ist, entweder über sein Recht ihn zu fassen, oder über das richtige Ziel desselben. Seine Ver- pflichtung und Haftung bleibt dabei jedoch dahin bestehen, daß bis zur Beschlußfassung durch die Generalversammlung nichts unterbleibe, was durch die Verhältnisse des Vereins als unmittelbar nothwendig geboten erscheint. Er wird daher durch die Verweisung einer Beschluß- fassung an die Generalversammlung nicht seiner Haftung erledigt, so weit sie durch das Unterbleiben seiner Beschlußfassung bedingt war; denn das Recht erzeugt die Pflicht und diese die Haftung. Dieß nun ist das erste, an sich ziemlich einfache Gebiet des Rechts des Verwaltungsrathes. Schwieriger ist das zweite; doch sind am Ende auch hier die letzten Principien sehr klar und durchgreifend. Da nämlich die Gränze für jenes Recht des Verwaltungsrathes, die Beschlußfassung an der Stelle der Generalversammlung auszuüben, niemals für alle Fälle ganz genau bestimmt werden kann, so kann die Frage entstehen, was Rechtens ist, wenn diese Gränze zweifelhaft erscheint. Diese Frage kann aber entweder von der Generalversamm- lung selbst, oder von der Direktion, oder von Dritten erhoben werden. Offenbar kann nun nicht die Generalversammlung, geschweige denn ein Dritter oder die Direktion einseitig darüber entscheiden, ob der Ver- waltungsrath in einem gegebenen Falle zu dem streitigen Beschlusse be- rechtigt war oder nicht. Das Recht der Generalversammlung geht nur dahin, für die Zukunft den Vereinsvertrag in denjenigen Ausdrücken zu ändern, in welchen der Zweifel selbst entstehen konnte. Eben so wenig kann die Regierung ihre Auffassung der betreffenden Ausdrücke als maßgebend aufstellen; denn ihre Genehmigung, welche den Vereinsver- trag zu Statuten macht, hat eben nicht eine Erklärung des ersteren, sondern nur die Anerkennung des Vereins als solchen zum Inhalt. Wenn daher ein Streit entsteht, so kann nur das Gericht zwischen Generalversammlung und Verwaltungsrath entscheiden, ob dem letztern das Recht zu dem fraglichen Akte zugestanden oder nicht. Das aber muß um so bestimmter festgehalten werden, als die daraus entstehende Haftung des Verwaltungsrathes nicht eine unbedingte für alle Folgen seiner Thätigkeit sein kann, selbst da, wo seine Beschlüsse auf Grund- lage der Statuten als incompetent anerkannt wurden. Denn auch hier kann der Verwaltungsrath, der bona fide gehandelt, nur für dasjenige in Haftung gezogen werden, was er durch grobe Fahrlässigkeit ver- schuldet. Die Natur des Vereinswesens, namentlich die Schwierigkeit, die Generalversammlung oft zu berufen, fordert es, daß der Verwal- tungsrath im Interesse des Vereinszweckes unklare Bestimmungen oder zweifelhafte Fälle der Competenz zwischen ihm und der Generalversamm- lung so lange zu Gunsten seiner eigenen Berechtigung — freilich auch seiner eigenen Verpflichtung auslege, als ein entschiedenes Auftreten desselben an und für sich nützlich erscheint. Eine strenge Haftung würde in solchen Fällen viel größere Nachtheile durch grundsätzliche Lähmung der Thätigkeit des Verwaltungsrathes zur Folge haben, als eine minder strenge. Diese Grundsätze gelten nun auch für das Verhältniß des Vereins zu Dritten; auch für sie kann nur das Gericht entscheiden, das letztere muß aber auch für sie anerkennen, daß der etwaige Schaden, den sie durch die Ueberschreitung der Competenz von Seiten des Verwaltungs- rathes erleiden und der z. B. einen Vertrag ungültig macht, weil nach gerichtlichem Ausspruch derselbe von der Generalversammlung hätte ratificirt oder dem Verwaltungsrath hätte aufgetragen werden sollen, nur in dem Falle dem Verwaltungsrath zur Last zu legen ist, wo eine lata culpa in der Ueberschreitung seiner Vollmacht vorliegt. Die culpa levis genügt nicht, dem Verwaltungsrathe die Haftung zuzuschreiben. Was endlich die ausführenden Organe des Vereins betrifft, so ist es kein Zweifel, daß dieselben dem Beschlusse des Verwaltungsraths zu gehorchen haben, selbst da, wo es ihm scheint, als habe derselbe seine Competenz überschritten. In Beziehung auf ihre Vollziehung des be- treffenden Beschlusses des Verwaltungsrathes übernimmt in diesen Fällen der Verwaltungsrath die Haftung sowohl gegenüber der Generalver- sammlung als gegenüber Dritten. Wesentlich anders ist dagegen das Verhältniß, wo den ausführenden Organen nicht mehr das Competenz- verhältniß des Verwaltungsrathes gegenüber der Generalversammlung, sondern gegenüber dem Vereinsvertrage selbst, den Statuten, durch einen Beschluß des ersteren überschritten scheint. Hier kann die unbe- dingte Pflicht des Gehorsams nicht mehr eintreten, schon darum nicht, weil die Statuten neben dem Vereinsvertrage auch das öffentliche Recht des Vereins enthalten. Im Gegentheil sind die Angestellten des Vereins ihrerseits verpflichtet, nichts zu thun, was im direkten Widerspruch mit den Statuten steht, und haften der Generalversammlung und Dritten für den Schaden, der aus einer solchen Folgsamkeit entsteht. Die Rechtsverhältnisse, die sich daraus ergeben, sind in ihrer Grundlage folgende. Die ausführenden Organe (Direktion und Angestellte) haben in allen den Fällen, wo ein Beschluß des Verwaltungsrathes im Wider- spruch mit den Statuten, oder auch mit den allgemeinen Gesetzen des Staats (man denke nur an Bank- und Eisenbahngesellschaften oder an gewisse Bildungsvereine) steht, dem Verwaltungsrathe ihre Nichtfolg- samkeit zu erklären und zu motiviren. Beharrt der Verwaltungsrath auf seinem Beschlusse, und die Direktion auf dem ihrigen, so muß der Verwaltungsrath von seinem Rechte Gebrauch machen, die Angestellten zu entlassen oder zu suspendiren. Er darf darüber nicht zweifelhaft bleiben; denn thut er es nicht, indem er der Opposition der Direktion nachgibt, und hätte diese in ihrer Meinung über die Befehle des Ver- waltungsrathes Unrecht, so haftet der Verwaltungsrath wieder für die Folgen der Nichtbefolgung eines Befehls, den die Direktion irrthümlich für rechtsunzulässig angesehen, da ihm in Entlassung und Suspension das Mittel gegeben war, seinen Befehl durchzusetzen. Der Verwal- tungsrath hat alsdann durch neue Organe seinen Beschluß wirklich durchzuführen. Die entlassenen oder suspendirten Organe dagegen haben das Recht, Entlassung oder Suspendirung in diesem Falle als unrecht- mäßig anzugreifen. Sie können das durch Berufung auf die General- versammlung; allein sie sind an den Beschluß derselben nicht gebunden. Ihr Recht ist es, sich an das Gericht zu wenden, und den ihnen durch Entlassung oder Suspension widerrechtlich vom Verwaltungsrath zuge- fügten Schaden durch Klage gegen den Verwaltungsrath anzubringen. Es ist kein Zweifel, daß in diesem Falle der letztere haftet. Wohl aber wird man unterscheiden müssen. Ist die Direktion ungehorsam in Berufung auf staatliche Gesetze, welche mit dem Beschlusse des Verwal- tungsrathes in Widerspruch stehen, so haftet der letztere auch für leichtes Verschulden, denn er ist vor allen Dingen verpflichtet, diese Gesetze zu kennen und strenge zu befolgen. Berufen sich dagegen die ausführenden Organe in ihrer Weigerung des Gehorsams bloß auf Statuten oder Generalversammlungsbeschlüsse, so haftet der Verwaltungsrath nur für schweres Verschulden, denn es ist seine Verpflichtung, seinerseits bei dem- selben eine Auslegung eintreten zu lassen, welche im Interesse des Vereins liegt. — Der dritte Fall ist endlich der, wo die Direktion sich in ihrer Weigerung auf den Ausspruch des Vertreters der Regierung beruft. Es ist kein Zweifel, daß derselbe die Vollziehung jedes Be- schlusses überhaupt sistiren kann. Thut er es in Folge einer solchen Berufung der Direktion, so folgt, daß die letztere ihre Verantwortlich- keit verliert, und diese auf die Staatsverwaltung übergeht. Thut er es nicht, so ist seine Meinung zwar ein Grund für oder gegen die Aufrechthaltung des Beschlusses des Verwaltungsrathes, nicht aber eine Entscheidung darüber. Die Frage, ob er verpflichtet ist, einen Ausspruch zu thun, muß in allen den Fällen unbedingt bejaht werden, in denen der Beschluß nach der Auffassung der Direktion mit dem staatlichen Gesetz im Widerspruch steht; er ist ohne allen Zweifel das Organ der Verwaltung über den Inhalt ihres Willens. Aber auch in den Fällen muß diese Verpflichtung als vorhanden anerkannt werden, in denen es sich bloß um einen Widerspruch zwischen dem Beschlusse des Verwaltungsrathes und den Statuten oder einem Beschlusse der Generalversammlung handelt. Denn das gesammte Vereinsleben ist ein organischer Theil der Verwaltung im weiteren Sinne des Wortes, der Zweck des Vereins ist an und für sich nach dem Begriffe des Vereins ein öffentlicher, und der angeregte Widerspruch ist daher stets eine Angelegenheit der Verwaltung, in welcher sie wenigstens für sich einen klaren, demgemäß auch auszusprechenden Standpunkt einzunehmen hat. Nur daß, wie gesagt, eine entscheidende Stimme des Vertreters der Regierung nur als Sistirung des Beschlusses auftritt. Geschieht das, so kann auch weder eine Entlassung noch Suspension der Angestellten eintreten. Dagegen bleibt es wieder dem Verwaltungsrathe unbe- nommen, in solchem Falle die Regierung für ihren Befehl in An- spruch zu nehmen, wenn sie glaubt, derselbe stehe im Widerspruch mit den Statuten oder Gesetzen. Hier entscheidet dann das Gericht, ganz wie in den Fällen des Rechtsstreites wegen Amtshandlungen. Alle diese Fälle und Fragen nun beruhen auf dem Verhältniß, in welchem der Verwaltungsrath das Recht der Generalversammlung ver- tritt. Ein zweites Gebiet tritt da ein, wo er nur die vollziehende Gewalt für eine Bestimmung der Statuten oder einen bestimmten Be- schluß der Generalversammlung ist. Die oben erwähnten Punkte ent- halten daher das Recht der gesetzgebenden Gewalt des Verwaltungs- rathes; das folgende ist das Recht seiner verordnenden Gewalt. Es wird sich dabei sogleich ergeben, daß dieß Recht mit dem Rechte seiner gesetzgebenden Gewalt in den wichtigsten, jedoch keineswegs in allen Fällen identisch ist. Als vollziehende Gewalt hat der Verwaltungsrath für den Verein die drei Gewalten des ersteren, die Verordnungs-, die Organisations- und die Polizeigewalt des Vereins für die Vereinsthätigkeiten . Und eben darin besteht die Selbstverwaltung des Vereinswesens, daß diese Gewalten durch das eigene Organ des Vereins ausgeübt werden. Es muß dabei festgehalten werden, daß es für die Sache selbst vollkommen gleichgültig ist, ob diese Gewalten formell in dem einzelnen Vereinsvertrag entwickelt sind oder nicht. Dem Wesen des Vereins nach sind sie wenigstens im Keime in allen Vereinen enthalten. Ebenso ist es unwichtig, ob, wie bei ganz kleinen Vereinen, die Rechte und Pflichten des Verwaltungsrathes dem Vorstande übertragen sind. Im ersten Falle ist nur der Umfang der Anwendungen verschieden, im zweiten nur das Organ; die Sache selbst bleibt dieselbe. Das allgemeine Princip des Rechts der vollziehenden Gewalt des Verwaltungsrathes besteht nun ohne Zweifel darin, daß er durch seine Beschlüsse jene drei Gewalten innerhalb des Gebietes der Vereins- thätigkeiten soweit ausübt, als die ersteren nicht mit den Statuten, den Beschlüssen der Generalversammlung und den staatlichen Gesetzen in Widerspruch treten. Der Beschluß des Verwaltungsrathes hat end- gültig über alle Mittel und Wege zu entscheiden, welche durch die Vollziehung der Aufgaben des Vereins bedingt sind. Namentlich hat derselbe das Recht der Anstellung, Entlassung und Suspension aller Angestellten des Vereins. Sind die Rechte der letzteren durch einen Vertrag bestimmt, so haftet der Verwaltungsrath für die Erfüllung dieses Vertrages, aber nur als Mandatar des Vereins; nicht persönlich. Die persönliche Haftung kann nur dann eintreten, wenn die Entlassung oder Suspension wegen Nichtausführung widerrechtlicher Beschlüsse des Verwaltungsrathes von demselben verfügt wird. Neben diesem Rechte hat der Verwaltungsrath das der Disciplin über die Angestellten. Das Disciplinarrecht desselben erscheint als eine Bedingung der richtigen Vollziehung der Vereinsthätigkeiten, und muß daher dem Verwaltungsrathe zustehen, ganz gleichgültig dagegen, ob es ausdrücklich verliehen ward oder nicht. Es folgt daraus, daß die Ent- scheidungen über Disciplinarvergehen der Angestellten bis zur Suspension, ja bis zur Entlassung führen können, selbst wenn diese Fälle im An- stellungsvertrage nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Das Recht der An- gestellten ist dabei unbezweifelt, auch in diesem Falle eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken; nur wird das Klagfundament des An- stellungsvertrages im Falle eines Vergehens gegen die Ordnung der Ge- sellschaft nicht berücksichtigt werden können, sondern nur die Frage, ob die Disciplinarvergehen wirklich der Art waren, die Entlassung zu motiviren. Diesen Rechten des Verwaltungsrathes gegenüber steht die Pflicht desselben, für die ordnungsmäßige Thätigkeit der Angestellten dem Vereine selbst zu haften. Es ist aber von großer Wichtigkeit, diese Haftungspflicht, soll sie nicht entweder eine inhaltslose, oder eine uner- füllbare werden, auf ein möglichst einfaches Princip zurückzuführen. Offenbar sind die Verwaltungsräthe keine Angestellten des Vereins. Indem sie ihre Stellung einnehmen, wird daher für sie nicht voraus- gesetzt, weder daß sie eigentliche Fachkunde haben, noch auch daß sie ihre ganze Kraft auf ihre Thätigkeit im Vereine verwenden können. Ihre Haftung für die Thätigkeit der Angestellten des Vereins muß daher auf ein bestimmtes Maß zurückgeführt werden, und dieses Maß liegt in den obigen Sätzen. Zuerst können die Verwaltungsräthe niemals für alle diejenigen Thätigkeiten im Verein hasten , welche eine besondere Fachkenntniß oder Geschicklichkeit voraussetzen. Die Gränze ihrer Hastung kann hier nur in demjenigen liegen, was ein gebildeter und aufmerksamer Mann überhaupt durch Theilnahme an einer solchen Verwaltung zu erkennen und zu beurtheilen im Stande ist. Das Richtige und Vor- theilhafte, was hier geschieht, wird im Gebiete der Fachthätigkeit nie dem Verwaltungsrathe zu Gute kommen, aber die Fehler der Aus- führung berühren ihn auch erst dann, wenn sie in ihren Consequenzen für die Vereinsthätigkeit auch dem dritten aufmerksamen Beobachter zur Erscheinung gelangen. Und auch hier kann nur höchst selten eine per- sönliche Haftung eintreten, weil die Gränze dieser Verpflichtung, also die Gränze einer speziellen und der allgemeinen Bildung fast unnach- weisbar ist, und weil andererseits gerade hier ein Irrthum keine per- sönliche Verantwortlichkeit zu erzeugen im Stande ist. Es gibt daher kein anderes Mittel, die letztere zur Geltung zu bringen, als die ganz allgemeinen Erklärungen der Generalversammlung über das Vertrauen zur Thätigkeit des Verwaltungsrathes. Das Maß liegt in der Sache selbst. Fordert die Generalversammlung zu viel von ihrem Verwaltungs- rathe, so läuft sie Gefahr, entweder gar keine Wahl mehr durchzusetzen, da Niemand solche Stellungen mehr annehmen wird, oder Verwaltungs- räthe einzusetzen, welche in die fachmännische Thätigkeit so weit ein- greifen, daß die Verantwortlichkeit der Direktion dadurch unmöglich wird. Fordert die Generalversammlung zu wenig, so hat sie selbst die Folgen zu tragen. Die rechtliche Hastung kann daher hier nie bei der Sache, sondern nur bei der Form der vollziehenden Thätigkeit beginnen. Dann aber kann selbst das obige Maß der Verantwortlichkeit nur aufgefaßt werden im Verhältniß zu der Zeit , welche der Verwaltungs- rath den allgemeinen Angelegenheiten des Vereins widmet, und der, welche sie fordern. Diese Zeit, welche der Verwaltungsrath für den Verein hergibt, wird ihrerseits wieder bedingt erscheinen durch den Werth, welche seine Thätigkeit für ihn hat. Es kann als individuelle Aus- nahme gelten, daß ein Verwaltungsrath bloß der Sache wegen seine Thätigkeit ausübt; in jedem Falle liegt ein auf die Dauer unhalt- barer Widerspruch darin, die Thätigkeit desselben bei Erwerbsgesell- schaften zum Nutzen der Vereinsmitglieder zu fordern, ohne ihm einen Ersatz dafür zu bieten. Dieser kann je nach der Natur des Vereins sehr verschieden sein; naturgemäß und als Grundlage des Verhältnisses der Thätigkeit und damit der Verantwortlichkeit des Verwaltungsrathes muß der Grundsatz gelten, daß die Thätigkeit und die Verantwortlichkeit mit der Höhe des Ersatzes steigen müssen , welchen der Verein für die erstere gibt, während mit dem letzteren beide bis zur leeren Förmlichkeit verschwinden werden. Denn es ist ein Unding, Leistungen auf die Dauer für wirthschaftliche Vortheile Dritter zu fordern und, wo man selbst nichts dafür leisten, sondern nur den Nutzen der Leistungen Anderer genießen will, mehr als eine leere Form und ein entschiedenes Abweisen jeder wie immer gearteten Verantwortlichkeit, selbst der ganz allgemeinen moralischen, zu erwarten. Dieß nun sind die allgemeinen Grundsätze für das Recht des Ver- waltungsrathes. In jedem Verein werden dieselben allerdings mehr oder weniger eingreifende Modifikationen erleiden; im Wesentlichen aber können sie so wenig geändert werden, wie die Natur des Vereins selbst. Man muß daher diese allgemeinen Grundsätze als die Grundlage der Interpretation der gegebenen einzelnen Statuten anerkennen, die allerdings da, wo im einzelnen Falle ein Streit entsteht, maßgebend werden. III. Der Revisionsausschuß hat die Funktion, die ziffermäßigen Angaben der Rechnungsablage zu prüfen. Er vertritt dasselbe im Ver- einswesen, was die Controlsbehörden im Staat. Seine Befugniß ist in Beziehung auf die Untersuchung unbeschränkt, und eben so sein Recht, in Gemäßheit der von ihm gefundenen Ergebnisse Ausstellungen und Anträge zu machen. Die Generalversammlung hat unzweifelhaft das Recht, auch dann einen Revisionsausschuß einzusetzen, wenn der- selbe statutenmäßig nicht festgestellt ist. Eben so läßt es sich nicht be- streiten, daß die Generalversammlung auch für einzelne Theile der Vereinsthätigkeit besondere Revisionsausschüsse bestellen kann. Ueber das Recht der Untersuchung geht das Recht des Revisionsausschusses nicht hinaus; er kann weder befehlen noch verbieten, sondern nur seine Anträge stellen. In den meisten Fällen ist der gewöhnliche Revisions- ausschuß nichts als eine Formalität, die sich regelmäßig nur auf die ziffermäßige Richtigkeit der Rechnungsablage bezieht. Man muß über- haupt seine Wirksamkeit nicht in demjenigen suchen, was er thut, sondern was er vertritt und was er verhindert. Er vertritt das Recht der Generalversammlung, sich durch ein eigenes Organ eine thatsächliche Gewißheit über die Behauptungen des Verwaltungsrathes zu verschaffen; er verhindert, daß große Formfehler durch lange Zeitdauer hindurch unverbesserlich werden. Deßhalb hat er seinerseits gar keine rechtliche Haftung, anders als wenn er wissentlich falsche Angaben macht; er haftet nicht einmal für culpa lata. Ein wesentlich anderes Verhältniß tritt ein, wenn eine eigene Revision für bestimmte Zwecke angeordnet wird. Hier wird ein förmliches Mandat ertheilt, nicht mehr eine or- ganische Funktion, und hier werden daher auch die Grundsätze des Mandats zur Geltung kommen müssen. Wir sind auf die Natur und die rechtliche Stellung des Verwaltungsrathes etwas genauer eingegangen, weil das Recht desselben unseres Wissens noch gar nicht Gegenstand spezieller Untersuchung gewesen ist, und dennoch mit der Größe und Wichtigkeit des Vereinswesens täglich an Bedeutung wächst. Das preußische Gesetz vom 9. Nov . 1843 spricht nur von einem „Vorstand;“ das Handelsgesetzbuch ist bekanntlich auch nicht viel klarer; doch braucht schon das preußische Gesetz §. 20 den Ausdruck: „Die Vorsteher sind — für ihre Person einem Dritten nur verpflichtet, wenn sie den Bestimmungen des Gesetzes zuwider handeln.“ Sind das Präsidenten, Verwaltungsräthe, oder Direk- toren, oder alle gleichmäßig? Es ist gewiß, daß dem Gesetzgeber diese Unter- schiede noch nicht klar waren. Im Allgemeinen ist auch wohl hier kein Zweifel, daß der Verwaltungsrath seine Entwicklung und seine Selbständigkeit erst den Aktiengesellschaften verdankt. Der Verwaltungsrath ist ursprünglich wohl nur als oberaufsehendes Organ gedacht worden, indem man alle eigentlichen Be- schlüsse und Geschäfte der Direktion übergab. Allmählig aber zeigte es sich, daß diese Geschäfte, namentlich in ihrer rechtlichen Seite, oft sehr eingehender Erwägung bedurften, welche man den auf technische Thätigkeiten berechneten Direktionen nicht zumuthen konnte. Dazu kam dann die mit der Ausbreitung der Geschäfte steigende Nothwendigkeit einer ausgebreiteten Sachkunde, und das Streben der Direktionen, wenigstens einen Theil der großen Verantwortlichkeit bei großen Unternehmungen von sich abzuwälzen; endlich sogar der natürliche Wunsch der Regierungen, nicht bloß auf fachmännische Direktoren angewiesen zu sein, sowie der eben so berechtigte der Aktionäre, auf die wirkliche Verwal- tung der Geschäfte einen Einfluß durch Männer ihres Vertrauens, namentlich durch höchst betheiligte Aktionäre auszuüben. Aus allen diesen Elementen ist die Stellung des Verwaltungsrathes zusammengesetzt, und eben deßhalb bei großer formeller Gleichheit dennoch in Wirklichkeit bei den einzelnen Vereinen höchst verschieden. Es hat sich daraus der ziemlich feststehende Grundsatz ge- bildet, die Stellung und Thätigkeit des Verwaltungsrathes sich gleichsam durch sich selber bilden zu lassen; und das geschieht in der That. Die Gesetzgebungen sind in diesen Beziehungen sehr unbedeutend. Das Handelsgesetzbuch ist sich über die Natur des Verwaltungsrathes offenbar eben so wenig klar geworden, als über den Unterschied zwischen Verein und Gesellschaft überhaupt. Es hat die gonze Frage durchaus aus dem Gesichtspunkte des geschäftlichen Nutzens aufgefaßt, und daher bekanntlich in Art. 225 und 226 die Einsetzung des- selben als ganz fakultativ, und zwar eigentlich als einen dauernden Revisions- ausschuß aufgefaßt, während es in §. 209. 7. sich eben so unbestimmt über den „Vorstand“ ausspricht; der §. 231 zeigt, daß der Verwaltungsrath im Grunde auch wieder mit dem Vorstand identisch genommen, und wieder neben den Auf- sichtsrath gestellt ist. Die Verhandlungen über die Sache zeigen, daß man nicht recht wußte, ob man sich auf die Sache einlassen solle oder nicht (Nürn- berger Protokoll S. 390 f.). Diese Unsicherheit beruht eben darauf, daß man nicht sah, wie die eigentliche Handelsgesellschaft eben durch die Aktie aus einer Gesellschaft ein Verein geworden ist. Ein Verein aber muß den Verwaltungs- rath nicht mehr als einen „schwerfälligen Apparat,“ sondern als ein nothwen- diges Organ auffassen. In diesem Sinn fordert auch das österreichische Vereinsgesetz von 1852, Art. 13, geradezu einen eigenen Ausschuß neben der Direktion. Es ist kein Zweifel, daß die Rechtslehre, welche sich an das Handelsgesetzbuch anschließen wird, die privatrechtlichen Verhältnisse des Verwaltungsrathes noch viel weiter entwickeln wird, als dieß bisher geschehen ist; aber erst die Bildung einer Theorie des Vereinswesens und einer Verwal- tungslehre wird die eigentliche Natur des Verwaltungsrathes zur rechten Gel- tung bringen. Auerbach hat demselben bereits eine freilich strenge, an das Handelsgesetzbuch anschließende Betrachtung gewidmet, ohne jedoch die von uns angeregten Punkte in’s Auge zu fassen (Gesellschaftswesen §. 93). Stuben- rauch (Handbuch des Handelsrechts §. 126. 127) nimmt ihn fast ganz als Revisionsausschuß. Die territorialen Verwaltungslehrer sprechen noch gar nicht davon, indem sie überhaupt nur das öffentliche Recht des Vereinswesens in’s Auge fassen. Selbst Rönne und Pötzl gelangen nicht weiter. Trotzdem ist die Natur der Sache schon mächtig genug gewesen, eine fast durchgreifende Uebereinstimmung in den Grundsätzen der Vereinsstatuten und der wirklichen Rechte der Verwaltungsräthe hervorzurufen, und wir glauben eben die Grund- lagen derselben angegeben zu haben. b) Die Vollziehungsorgane. Die Direktion. Die Bediensteten. Die Vollziehungsorgane unterscheiden sich principiell von dem Ver- tretungsorgane dadurch, daß sie niemals das Recht und die Aufgabe haben, den Willen des Vereins resp. der Generalversammlung durch ihre Beschlüsse zu ersetzen, sondern nur den bereits bestimmten Willen derselben wirklich auszuführen. In den kleinen Vereinen der untersten Ordnungen fallen sie mit dem Präsidenten oder Vorstand vielfach zu- sammen, bald ganz, bald zum Theil. In dem größern Verein scheiden sie sich jedoch in einem selbständigen Organismus von ihm ab. Es ist diese Selbständigkeit aber nicht etwas Zufälliges. Man muß im Gegen- theil als Grundsatz für das Vereinswesen festhalten, daß die Zweck- mäßigkeit eines eignen Vollziehungsorganismus durch den Umfang eines Vereins bedingt wird, daß aber die Nothwendigkeit desselben ohne Rücksicht auf diesen Umfang eintritt, sobald die Verwirklichung des Vereinszweckes sachkundige Bildung voraussetzt. Man wird nun wohl das Richtige treffen, wenn man sagt, daß alle diejenigen Organe der Vollziehung in einem Verein, für deren Thätig- keit keine fachkundige Bildung nothwendig ist, die Bediensteten der Vereine sind, während diejenigen, welche eine fachkundige Bildung haben müssen, die Direktion bilden. — Es kann daher ein Verein mit vielen Dienern ohne Direktion, und mit einer Direktion und nur sehr wenig Dienern gedacht werden. Immer aber müssen die Diener der Direktion untergeordnet werden. Insofern eine Direktion und Bedienstete dauernd dem Verein gehören, kann man wieder von den Angestellten des Vereins im Gegensatz zu den bloßen Vereinsdienern reden, welche für vorüber- gehende Thätigkeiten aufgenommen werden. Die letzteren stehen in einem reinen Lohnverhältnisse. Die ersteren dagegen bilden einen Körper, der eine gewisse Gemeinsamkeit hat, die doch näher zu betrachten ist. Offenbar nämlich tritt hier wieder der Unterschied zwischen Gesell- schaft und Verein in den Vordergrund. Eine Gesellschaft ist kein Theil des Staatslebens, denn ihr Zweck liegt ganz im Einzelleben. Die Per- sonen, deren sie bedarf, sind daher mit ihren Funktionen in gar keinem Verhältniß zum öffentlichen Leben. Sie sind keine Angestellten . Sie sind einfach in einem Lohnverhältniß zur Gesellschaft und fallen alle unter die rein bürgerlichen Grundsätze des Privatrechts; sowie aber die Gesellschaft sich zum Verein erhebt, sei es unmittelbar durch ihren Zweck, sei es durch ihre Kapitalsbildung vermöge der Aktie, so tritt ein zweites Verhältniß ein. Jene Diener der gesellschaftlichen Vereine treten in eine bestimmte Beziehung zum Staat in seiner Verwaltung, und jetzt erst, bei dem Vereinswesen im Gegensatz zum Gesellschafts- wesen, kann man von Angestellten und ihrem Rechte reden. Die Angestellten des Vereinswesens haben nämlich alle bis zu einem gewissen Grade öffentliche Zwecke zu vollziehen, da jeder Vereinszweck ein öffentlicher ist. Ja es kann in manchen Fällen die amtliche Polizei und selbst ein Theil der Verordnungsgewalt auf sie übertragen werden, wie bei Eisenbahnen, Bergwerken u. s. w. Dennoch sind sie niemals Beamtete. Und zwar darum nicht, weil die Uebernahme eines Dienstes kein Lebensberuf, sondern ein wirthschaftlicher Erwerb ist. Der Zweck des Vereins kann an und für sich das geistige Leben keiner Persönlichkeit ausfüllen, weil alles was mit ihm zusammenhängt und geistiges Interesse erweckt, eben außerhalb des eigentlichen Vereinszwecks liegt, während der Staatszweck, dessen Organ auch der unterste Beamtete ist, durch seine Unendlichkeit den Dienst zum Berufe macht. Daher hat der Vereinsdienst niemals den Charakter der öffentlichen Ehre , wie das Amt; und es würde das Wesen der Vereine ändern, wenn dieß anders und dem Vereinsangestellten ein öffentlicher Rang gegeben würde. Das ganze Verhältniß ist daher nicht das ethische des Beamtenthums , sondern das wirthschaftliche des Mandats . Und dieser Gesichts- punkt wirkt entscheidend für das ganze Rechtsverhältniß der Angestellten im Vereinswesen. Geht man davon aus, so charakterisirt sich auch der Unterschied der Direktion und der Angestellten in den Rechtsverhältnissen, welche zwischen ihnen und dem Vereine entstehen. a) Die Direktion. Die Mitglieder der Direktion bekommen ihre Anstellung so gut wie die Bediensteten durch einen Vertrag; allein es ist weder nöthig noch möglich, in dem Dienstvertrage die Aufgaben der Direktion genau zu bestimmen. Jeder solcher Vertrag enthält im Gegentheil die Voraus- setzung, daß der Direktor, als Fachmann, selbst die fachmäßig noth- wendigen Aufgaben kennen muß. Die Annahme einer Stellung als Direktor macht denselben daher an und für sich dafür verantwortlich, daß er sich selbst im Geiste des Vereinszwecks und seiner fachmännischen Bedürfnisse seine speziellen Aufgaben bestimmen werde; deßhalb haftet der Direktor dafür persönlich, daß er dieß thue, sowie für den Schaden, den der Verein durch die Nachläßigkeit desselben leidet. Eben so haftet der Direktor persönlich für jeden Schaden, der im Dienst durch Mangel an Thätigkeit von seiner Seite geschieht. Dieser Haftung entsprechen zwei Pflichten. Zuerst muß er den ganzen Zustand des Vereins genau kennen; ihn kann niemals die Unkenntniß gegebener Verhältnisse seiner Verantwortlichkeit entheben, wenn es überhaupt möglich war, die betreffende Kenntniß bei gehörigem Aufwande aller Mittel sich zu ver- schaffen. Schon das Unterlassen von Befehlen und Maßregeln, welche eine solche Kenntniß hervorbringen, macht ihn persönlich für jeden da- durch entstandenen Schaden verantwortlich, nicht bloß wenn sie durch die Vorsicht eines homo diligens, sondern auch dann, wenn sie durch fachmännische Kenntniß bedingt war. — Zweitens muß der Direktor die bestehenden Gesetze und Vorschriften des Staats gleich- falls genau kennen. Er ist persönlich in Verantwortlichkeit und Haftung dafür, daß die Thätigkeit des Vereins ihnen gemäß geschehe, und ihn entschuldigt die Unkenntniß niemals. — Es folgt drittens aus seiner ganzen Stellung, daß er den Verwaltungsrath beständig in Kenntniß von dem ganzen Gange des Geschäfts erhalte. Wenn der Verwaltungs- rath einen Beschluß faßt, der durch Unkenntniß der Verhältnisse von seiner Seite, oder gar durch eine mangelhafte — um so mehr natürlich durch eine falsche Darstellung der Sachlage vom Direktor hervorgerufen ward, so hat der Verwaltungsrath keine Verantwortung, sondern die ganze Haftung fällt dem Direktor zu, so weit nicht bei gewöhnlicher Vor- sicht eines gebildeten Mannes ein Mißtrauen gegen die Aussprüche des Direktors von Seiten des Verwaltungsrathes hatte entstehen müssen. Eine sehr wichtige Frage ist endlich die, ob der Direktor für die schädlichen Folgen seiner eigenen Unkenntniß haftet, das ist, ob er dafür verantwortlich ist, daß er wirklich alle für seine Funktion noth- wendigen Fachkenntnisse habe, so daß jeder Schade, welcher dem Verein aus Mangel an Fachkenntnissen entspringt, den Direktor zum Ersatze verpflichtet. Man muß diese Frage in folgender Weise beantworten. Da die natürliche Stellung der Direktion die vollste Fachkenntniß voraussetzt, und da der Verwaltungsrath, der den Direktor anstellt, weder verpflichtet sein kann noch verpflichtet ist, diese Fachkenntniß zu haben oder auch nur beurtheilen zu können, so ist die Annahme der Stellung von Seite des Direktors der Erklärung gleich zu achten, daß er wirklich jene Fach- kenntnisse in einem für den Verein ausreichenden Maße besitze, und damit ist die persönliche Haftung des Direktors für jeden Nachtheil gegeben, der aus diesem Mangel entspringt. Allein das zweite Element der tüchtigen Geschäftsführung kann ein Direktor weder versprechen noch auch für den Verein und seine speziellen Verhältnisse überhaupt besitzen, sondern er muß sich dieselben erst erwerben. Das ist die Erfahrung. Es folgt daraus der Rechtssatz, daß die Haftung des Direktors da aufhört, wo die Bedingung der Vermeidung eines Nachtheiles nicht mehr in dem vollen Besitze der Fachkenntnisse, sondern der Erfahrung lag. Der Beweis, daß das letztere der Fall ist, befreit den Direktor von der Verbindlichkeit zum Schadensersatze. Diesen ernsten, selten gehörig gewürdigten rechtlichen Verpflich- tungen des Direktors gegenüber stehen nun die entsprechenden Rechte desselben. Der Umfang dieser Rechte ist gegeben durch den Umfang der materiellen Bedingungen zur Ausübung seiner fachmäßigen Thätigkeit. Sie scheiden sich in die Rechte der Direktion an sich, in die Rechte der Direktion im Verhältniß zum Verwaltungsrath und in die Rechte desselben über die Bediensteten des Vereins. Die Rechte der Direktion an sich entstehen da, wo im Laufe der Vereinsthätigkeit plötzliche Ereignisse eintreten, bei denen eingreifende Maßregeln, die sonst dem Verwaltungsrathe zum Beschlusse vorzulegen waren, noth- wendig werden. Hier muß das Recht der Direktion anerkannt werden, aus eigner Gewalt alle diejenigen Maßregeln und Thätigkeiten anzu- ordnen, welche nach fachmännischen Grundsätzen erforderlich erscheinen, um eine Gefahr zu beseitigen . Für alle diese Maßregeln hat der Direktor nur dann Verantwortlichkeit, wenn er sie unterläßt. Der Bericht an den Verwaltungsrath ist dabei selbstverstanden. Anders ist der Fall, wenn es sich um einen unter plötzlichen Umständen zu er- zielenden Gewinn handelt, und zwar durch Maßregeln, welche regel- mäßig der Verwaltungsrath zu beschließen hat. Hier trifft den Di- rektor keine Haftung, wenn er sie unterläßt; nimmt er sie vor, so muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob die Haftung eintreten kann, wobei natürlich die bona fides stets für das Wegfallen der Haf- tung bei einer sonst erfahrungsmäßig richtigen Maßnahme entscheiden wird. — Alle solche Maßregeln sind aber natürlich dem Verwaltungs- rathe zum Beschlusse demnächst vorzulegen. Das Recht der Direktion gegenüber dem Verwaltungsrathe besteht zunächst in der unbedingt nothwendigen Theilnahme an den Sitzungen desselben, und zwar mit berathender Stimme. Das bedarf keiner Erörterung aus der Natur der Sache. Das zweite Recht ist das auf Stellung bestimmter Anträge, und zwar nöthigenfalls mit der Erklärung, daß die Direktion die Haftung dem Verwaltungsrath zu- schiebt, wenn er die Anträge nicht genehmigt. Dieselbe Berechtigung hat die Direktion bei jedem Beschluß des Verwaltungsrathes über fachmännische Fragen, die von dem letzteren ausgehen; eben so bei Beschlüssen, welche die öffentlich rechtlichen Verhältnisse betreffen. Hier nun entsteht die Frage nach der Verpflichtung der Direktion, einem Beschlusse des Verwaltungsrathes zu gehorchen, der nach ihrer An- sicht den fachmännischen Grundsätzen oder dem öffentlichen Recht wiederspricht. Wir haben dieser Rechtsverhältnisse schon bei dem Verwaltungsrathe erwähnt. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß die Direktion im ersten Fall trotz ihrer entgegenstehenden Ueber- zeugung dem Beschlusse des Verwaltungsrathes zu gehorchen, jedoch unter Darlegung aller Gegengründe sich vor jeder Haftung sicher zu stellen hat. Im zweiten Falle dagegen hat die Direktion die Pflicht , den Gehorsam zu verweigern, und ist dem Gerichte selbst dann für den Gehorsam gegen das Gesetz verantwortlich, wenn der Verwaltungsrath seinerseits erklärt hätte, die Verantwortung für sich übernehmen zu wollen. An diese beiden Fälle schließt sich der dritte, wo nämlich der Beschluß des Verwaltungsrathes gegen die Statuten oder gegen einen Beschluß der Generalversammlung zu gehen scheint. In diesem Falle hat die Direktion, wenn es ihre zur Gewißheit ge- wordene Ueberzeugung ist, daß der Beschluß im Widerspruch mit Statut oder Generalversammlung steht, allerdings den Gehorsam zu verweigern, aber auf die Gefahr hin, daß eine gerichtliche Entscheidung ihre Auf- fassung als irrthümlich anerkennt, und sie daher selbst die Folgen tragen muß. Diese Folgen sind nun, wenn der Verwaltungsrath seinerseits nicht nachgibt, die Suspension oder Entlassung aus dem Dienste. Gegen beides kann dann die Direktion entweder bei der Generalversammlung oder bei dem Gerichte klaghaft werden. Der Ungehorsam im ersten Falle werde die Aufhebung des Dienstverhältnisses rechtfertigen; im zweiten Falle wäre umgekehrt diese Auffassung ungerechtfertigt; im dritten muß von Fall zu Fall entschieden werden. Endlich kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Verwaltungsrath die Disciplinargewalt über den Direktor ausübt, welche bis zur Auf- hebung des Dienstverhältnisses geht, wenn die fachmännische und die organische, leitende Thätigkeit des Direktors unter seiner Lebensweise leidet. Auch hier kann der Direktor gerichtlich auf Schadensersatz klagen; alsdann treten die gewöhnlichen Formen des bürgerlichen Pro- cesses ein. Eine weitere Frage ist es, ob der Verwaltungsrath unbe- dingt das Recht zur Suspension des Direktors habe. Diese Frage ist im Allgemeinen zu bejahen; zweifelhaft kann dieß nur in dem Falle sein, wo die Suspension wegen Gehorsamsverweigerung eintrat, weil das öffentliche Recht mit dem Beschlusse des Verwaltungsraths im Widerspruch stand. Da die Aufhebung des Anstellungsvertrages unter dieser Bedingung gar nicht hätte stipulirt werden können, so kann sie Stein , die Verwaltungslehre. I. 39 auch nicht die Folge einer solchen Bedingung sein. Dennoch hat daher der Verwaltungsrath auch hier das Recht der Suspension, und zwar darum, weil die Frage, ob die Forderung des Verwaltungsrathes mit den bestehenden Gesetzen in Widerspruch steht oder nicht, eben noch nicht entschieden ist; denn der letztere behauptet das Gegentheil, und spricht sich später das Gericht für denselben aus, so wird dadurch die ursprüngliche Gehorsamsweigerung zu einem formellen Ungehorsam, der die gänzliche Entlassung bedingt. Dieß sind die Grundzüge des Rechts der Direktion gegenüber dem Verwaltungsrath. Einfacher ist das dritte Rechtsgebiet, das Recht gegenüber den Bediensteten des Vereins. Hier muß als erster Grundsatz gelten, daß die Verantwortlichkeit und Haftung des Direktors das Recht desselben erzeugt, daß kein Bediensteter, der eine fachmännische Bildung braucht und also zum eigentlichen Direktionskörper gehört, ohne Zustimmung der Direktion, kein anderer Bediensteter ohne Wissen derselben angestellt werden darf, aus naheliegenden Gründen. Der zweite Grundsatz ist, daß die Direktion unbedingte Vollmacht zur Suspension jedes Angestellten, aber niemals ein Recht zur Ent- lassung desselben ohne den Verwaltungsrath habe. Die Diener da- gegen muß die Direktion aufnehmen und entlassen können, wie sie für nöthig findet. Ueber die Scheidung zwischen Dienern und Angestellten muß in zweifelhaften Fällen die Natur des Vereinszweckes entscheiden. b) Die Bediensteten. Die Grundlage des Rechtsverhältnisses der Bediensteten ist stets eine doppelte. Zuerst der Anstellungsvertrag; dann die Natur der Sache. Die letztere wird stets über den Inhalt der Rechte und Verpflichtungen, der erstere über das Maß derselben entscheiden müssen. Die Natur der Sache bringt das Recht der Direktion mit sich, die Thätigkeit der Bediensteten je nach ihrem Bedürfniß zu verwenden, und die letzteren haben sich unbedingt verwenden zu lassen, wenn ihr Be- stallungsvertrag nicht besondere Bestimmungen enthält. Jedoch kann jeder Bedienstete eine irgendwie fachmännische Thätigkeit fordern; die nicht fachmännische braucht er nur freiwillig anzunehmen. Die Ord- nung seiner Thätigkeit bestimmt die Direktion. Die Verweigerung des Gehorsams ist die unmittelbare Aufhebung des Vertrages; doch haftet unzweifelhaft der Bestellte für den Schaden, den sein Ungehorsam her- vorruft. Im Uebrigen ist das bürgerliche Recht des Dienstverhältnisses für das Verhältniß der Angestellten maßgebend. Dennoch ist eine Gemeinsamkeit unter diesen Angestellten vorhanden, welche über das Privatrecht hinausgeht. Nur äußert sich diese Gemein- samkeit wieder auf eigenthümliche Weise, indem der Verein für seine Angestellten wieder Vereine erzeugt , die wesentlich in der Form von Hülfsvereinen (Pensionsvereine, Krankenvereine u. s. w.) auftreten. Der Verein hat das Recht , den Beitritt zu diesen Vereinen zu einer der Bedingungen der Anstellung zu machen. Es ist Sache des einzelnen Vereins darüber zu entscheiden in wie weit dieß zweckmäßig ist. Meistens leiden diese Vereine an der, durch die geringe Zahl ihrer Mitglieder bedingten Unsicherheit der Beitragsquote; dagegen haben sie die gute Wirkung, daß sie den Werth der Theilnahme an dem Dienst des Ver- eins, und damit den Eifer in diesen Diensten erhöhen; namentlich die Pensionsvereine. Die Frage, ob der Verein diese Pensionsvereine direkt unterstützen soll, hängt dann von der Natur des betreffenden Vereins ab. Auch der obige Theil des Vereinsrechts ist so gut als gar nicht bearbeitet. Das Handelsgesetzbuch hat den Unterschied zwischen Vorstand und Direktion nicht aufgenommen, was nur dadurch erklärt werden kann, daß es auch hier wieder den Unterschied zwischen der einfachen Gesellschaft und dem Vereine nicht festhält. Die Vorstellung, daß die eigentliche Direktion nur in einem „technisch gebildeten Beamteten“ der Gesellschaft bestehe (Nürnberger Protokoll S. 1057), ist durchaus einseitig. Schon bei einigermaßen bedeutenderen Gesellschaften und Vereinen scheiden sich Verwaltungsrath und vollziehende Gewalt auf das Bestimmteste, und die letztere in den Händen der Direktion umfaßt das ganze Leben des Vereins. Es ist daher nicht richtig, wenn auch Auerbach und Stubenrauch bloß bei der commerciellen Geschäftsführung der Direktion stehen bleiben, und sie mit dem Handelsgesetzbuch als ganz gleichbedeutend mit dem Vorstand nehmen. Was für kleine Gesellschaften passen mag, wird ver- kehrt, ja unmöglich für größere. Aber auch das österreichische Vereins- gesetz Art. 13 läßt es ganz unbestimmt, was es sich unter der Direktion denkt. 3) Das allgemeine Verwaltungsrecht des Vereinswesens. Die Beitragsvereine. Die Gegenseitigkeitsvereine. Die Erwerbs- vereine . Indem wir den Organismus des Vereinswesens und sein Recht selbständig behandelt haben, obwohl es als Recht der vollziehenden Ge- walt des Vereins eigentlich dem Verwaltungsrecht desselben angehört, bleibt uns für das eigentliche Verwaltungsrecht nur ein Gebiet übrig, das kaum mehr als Formen enthält, in welche erst die spätere Dar- stellung einen Inhalt hinein bringt. Die Verwaltung des Vereins ist auch hier die wirkliche, aus dem Zweck des Vereins hervorgehende und durch seine Organe vollzogene Thätigkeit des Vereins. Da es nun das Wesen des Vereins ist, daß jeder Verein seinen eigenen individuellen Zweck hat, so gibt es auch keine für alle Zwecke gleichartige Verwaltung und mithin kein allgemeines Verwaltungs -, sondern nur ein allgemeines Vollziehungsrecht des Vereinswesens, das eben in dem Organismus und seinem Recht oben dargestellt ist. Nur auf einem Punkte gewinnt die Verwaltung aller der in Zweck und Umfang so unendlich verschiedenen Vereine eine gewisse innere und äußere Gleichartigkeit und diese muß hier bezeichnet werden, weil auf ihr das öffentliche Verwaltungsrecht des Vereinswesens in seinem wich- tigsten Theile beruht. Allen Vereinen ist es nämlich gemein, daß sie für ihre, wie immer gearteten Zwecke, der Mittel bedürfen. Dieser einfache Satz erzeugt die erste rechtliche Grundlage aller Vereinsverwaltung, daß der Eintritt in den Verein die privatrechtliche Verbindlichkeit der Eingetretenen setzt, die Mittel für den Vereinszweck auch geben zu wollen, sei es durch Leistungen, sei es durch Zahlungen. Die erste Funktion jedes wie immer organisirten Vereins ist es daher, diese Mittel von den Mitgliedern zu schaffen; und es ist kein Zweifel, daß den Verwaltungsorganen damit das Recht gegeben ist, die Leistungen und Zahlungen der Mitglieder auf Grundlage ihres Beitritts gerichtlich zu erzwingen. Die Consequenz jedoch, welche sich daraus ergibt, gibt ihrerseits diesem allgemeinsten Verwaltungsrecht erst Gestalt und Inhalt. Keine Verpflichtung ist nämlich eine rechtlich gültige, wenn sie nicht eine bestimmte ist. Jeder Verein ist daher ein rechtlich ungültiger, wenn nicht jene Verpflichtung der Mitglieder schon in dem Vereinsvertrag als eine bestimmt formulirte erscheint. Der Eintritt in einen Verein, der dieses nicht festgestellt hätte, würde als ein juristisch zu gar nichts verbindender anerkannt werden. Es folgt daher, daß die erste Thätig- keit und damit das erste Recht der Verwaltung, das auf Beschaffung der Mittel gerichtete, sich selbst nach den Grundformen gestalten muß, in welchen die Verpflichtungen der Einzelnen zur Vereinsleistung er- scheinen. Diese Grundformen sind ihrerseits wieder wesentlich verschieden nach der wirthschaftlichen Seite des Zweckes, den sich der Verein stellt. Wo nämlich der Verein seinen Zweck durch Hingabe der von ihm gesammelten Mittel erzielen will, wie namentlich bei den Hülfsvereinen ꝛc., da erscheint die Leistung des Mitgliedes als ein Beitrag , und wir können alle solche Vereine ohne Unterscheidung ihrer Zwecke Beitrags- vereine nennen. Wo dagegen der Verein seinen Zweck durch gegenseitige Verpflichtung zu Hülfe- oder sonstigen Leistungen erreichen will, da nennen wir diese Leistung des Mitgliedes an den Verein eine Prämie , und die Vereine selbst, die auf Prämien gebaut sind, Gegenseitigkeitsvereine . Wo dagegen endlich ein Verein seinen Zweck durch Bildung eines großen Gesammtkapitals und durch die Vortheile verwirklichen will, welche das Größengesetz der Kapitalien den Theilnehmern an dem Ver- ein vermöge der Größe seines Vereinskapitals bringt, da besteht auch die Leistung des Mitgliedes in der Hingabe eines Kapitals, als eines Antheils am Vereinskapital, und der Verein ist ein Kapitals- oder Antheilsverein, den wir um seines letzten Zweckes am liebsten eine Erwerbsgesellschaft nennen. Diese kann wieder eine offene, eine Commandite oder eine Aktiengesellschaft sein, je nach Form und Größe des Antheils der Mitglieder an dem Vereinskapital. Andere Arten gibt es nicht . Die angeführten Arten aber be- zeichnen die drei Grundformen der wirthschaftlichen Einnahmen der Ver- eine, und allerdings hat jede dieser Grundformen, noch ganz abgesehen von der durch den speziellen Zweck gesetzten Verwendung oder Ausgabe des Vereins, ihre eigenthümlichen Bestimmungen. Bei den Beitragsvereinen muß nämlich als Recht gelten, daß die Verweigerung der Leistung des Beitrages an und für sich als Aus- tritt aus dem Verein angesehen wird. Ein einmal geleisteter Beitrag kann auch dann nicht zurückgefordert werden, wenn das Mitglied gleich nach der Zahlung austritt, und pro rata der Zeit, in der es ausge- treten ist, seinen Beitrag zurückfordern will, denn der Beitrag ist für eine Wirthschaftsperiode des Vereins, und nicht für die Interessen des Mitgliedes bestimmt. Die Formen der Mahnung und Abrechnung kann der Verein selbst bestimmen; doch tritt schon hier das öffentliche Ver- waltungsrecht maßgebend ein. Anders ist es bei den Gegenseitigkeitsvereinen . Bei diesen ist der Eintritt in den Verein, ganz abgesehen von den persönlichen Motiven und dem nächsten Zweck des Vereins, ein ganz bestimmtes wirthschaftliches Geschäft . Der Eintritt des Einzelnen enthält die Verpflichtung zu einer Leistung gegen die auf gewisse Fälle berechnete Verpflichtung einer Gegenleistung aller Mitglieder des Vereins für jedes Mitglied. Und hier tritt zuerst eigentlich eine Verwaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse des Vereins auf, während bei den Bei- tragsvereinen die Organe des Vereins nur Verwendungen und Verrech- nungen haben. Diese Verwaltung des Vereins besteht nun darin, zu- erst das genaue Maß der Verpflichtungen des Einzelnen an die Ge- sammtheit und das genaue Maß der Rechte, welche derselbe dafür an die Gesammtheit erwirbt, festzustellen; dann die Erfüllung dieser gegen- seitigen Verpflichtungen von beiden Seiten zu sichern, und endlich den etwaigen Ueberschuß oder den Ausfall an die Mitglieder zu ver- theilen. Die erste dieser Aufgaben wird immer auf einer Wahrscheinlich- keitsrechnung beruhen, deren Anstellung und Begründung die erste Pflicht der Verwaltung ist. Die zweite ist die Eintreibung und Auszahlung der gegenseitigen Verpflichtungen; die dritte endlich muß als Erhöhung oder Verminderung der Leistung des einzelnen Mitgliedes zur Erschei- nung gelangen. Es ergibt sich daraus das Princip der Verwaltung der Gegenseitigkeitsvereine, welches dem Zwecke derselben entspricht. Die Verwaltung derselben soll so eingerichtet sein, daß sie die möglichst großen Leistungen des Vereins an seine Mitglieder gegen die möglichst geringen Leistungen der Mitglieder an den Verein erzielen soll. Damit aber hier die individuellen Auffassungen in der Verwaltung selbst nicht das richtige Maß gefährden, muß das durch Wissenschaft und Erfahrung festgestellte Maß beider Verpflichtungen zum Recht für beide Theile, das Mitglied und den Verein gemacht, und dem ersteren gegen seine auf diesem Wege objektiv bestimmten Leistungen ein rechtlicher Anspruch auf eine gleichfalls objektiv bestimmte Gegenleistung von Seiten des ganzen Vereins gegeben werden. Die Vereinsverwaltung hat demgemäß die Aufgabe, durch richtige Bemessung der ersteren Leistung für alle Mitglieder den Verein zur Leistung gegen das einzelne Mitglied fähig zu machen. Es kann hier daher nicht mehr einen Eintritt als Mitglied im Allgemeinen geben, sondern jeder Eintritt erscheint als ein ganz be- stimmt formulirter Vertrag zwischen Mitglied und Verein, und die ausführende Verwaltung hat zu ihrer wesentlichen Aufgabe, eben diese Verträge einerseits zu schließen, andererseits zur Vollziehung zu bringen. Es liegt daher in der Natur dieser Gegenseitigkeitsvereine, gleichviel ob sie eine rein wirthschaftliche oder zugleich eine sociale Tendenz haben, daß sich hier bereits die vollziehenden von den vertretenden Organen sondern, und eine Direktion neben dem Verwaltungsrath entsteht. Die Aufgabe der ersteren wird es dann, eben auf Grund ihrer kaufmän- nischen Erfahrung und Kenntnisse jene Verträge zu schließen. Die Basis der Thätigkeit der Direktion wird hier mithin die Berechnung der Prämien, die Aufgabe der Bediensteten die Erhebung derselben und die Auszahlungen in den vertragsmäßigen Fällen sein. Hier nun greift bereits das öffentliche Recht der Vereinsarten in viel bestimmterer Weise ein, wie bei den Beitragsvereinen, wie wir oben sehen werden. Die dritte Grundform, die Erwerbsgesellschaften in ihren drei Formen, scheint nun principiell ganz den Bestimmungen des Ver- einsvertrages über die Verpflichtungen der Mitglieder gegen den Verein und umgekehrt des Vereins gegen die Mitglieder unterworfen zu sein. Dennoch ist gerade das Gegentheil der Fall. Die ganze Verwaltung der Leistungen der Einzelnen an den Verein und der Rechte des Vereins gegen seine Mitglieder ist sowohl bei den offenen Gesellschaften, als bei den Commanditen, als endlich namentlich bei den Aktienvereinen Gegen- stand öffentlicher Gesetzgebung geworden, und daher der Bestimmung des Vereinsvertrages fast ganz entzogen. Die innere Verwaltung ist daher hier fast auf jedem Punkte eine öffentliche, und der Unterschied zwischen diesen Vereinen und den öffentlichen unter der Staatsverwal- tung stehenden Anstalten besteht fast nur noch in der Freiheit des Ein- tritts der Mitglieder, im Rechte der Wahl des Verwaltungsorganismus und der freien Diskussion über die wirkliche Verwaltung, nicht aber in dem Rechte der Gesellschaften, sich nach eigenem Ermessen selbst Gesetze zu geben. In der That ist in diesen Gesetzen nur noch das Entstehen und die Auflösung, und auch nicht einmal die letztere mehr, ganz in den Willen der Mitglieder gestellt; auf allen andern Punkten haben sie nur noch die wirkliche Ausführung unter den vom Staate ihnen gesetzten rechtlichen Bedingungen. Wir werden den ganz richtigen Grund dieses Verhältnisses unten darlegen. Es zeigt sich aber, daß innerhalb dieser Gruppe von Vereinen die einzelnen Abtheilungen wieder ihre eigenen Grundsätze der Verwaltung haben, die sich später zu einem vollständigen Körper von Gesetzen und Rechtsbestimmungen entwickeln. Und so erscheint schon hier auch das Vereinsverwaltungsrecht als ein in seinem allgemeinen Theile weitläuftig und doch organisch ent- wickeltes Ganze; es ist klar, daß es keine Verwaltungswissenschaft künftig geben kann, ohne dasselbe in sich aufgenommen und verarbeitet zu haben. Wir glauben hier die Bemerkung nicht unterlassen zu dürfen, daß wir in diesem allgemeinen Vereinsrecht namentlich das Aktienrecht nicht behandeln wer- den, weil es kein Theil der vollziehenden Organe, sondern ein Gebiet des eigent- lichen Verwaltungsrechts ist, und zwar desjenigen, das es mit der Werthordnung zu thun hat. Die bisherige Darstellung des Aktienrechts hat sich übrigens gerade mit dem öffentlichen Aktienrecht nur wenig beschäftigt, und nur die privatrecht- liche Seite hervorgehoben, weßhalb in jenem Punkte noch fast alles zu thun ist. Das Handelsgesetzbuch hat ganz consequent alle Beitragsvereine weggelassen; unbegreiflich bleibt es, weßhalb es sich auf die Gegenseitigkeitsvereine nicht ein- gelassen hat, die ja doch auch als Gesellschaften fungiren. Auerbach hat ihnen in seinem Gesellschaftswesen einen, wenn auch nur sehr kurzen Abschnitt ge- widmet (Band III. Seite 3). Warum hat er bei seiner Darstellung der Aktien und ihres Rechts auf die Literatur der Inhaberpapiere, namentlich auf Ungers Schrift, gar keine Rücksicht genommen? Zweiter Theil . Das öffentliche Vereinsrecht. Begriff. Während das innere Vereinsrecht dasjenige Recht ist, welches für den Verein durch das Wesen desselben als geltend angesehen werden muß, entsteht wie gesagt das Gebiet des öffentlichen Vereinsrechts da- durch, daß der Verein zugleich ein organischer Theil des Staats, und damit des Gesammtlebens des Volkes ist. Insofern dieß der Fall ist, muß der Wille der den Vereinsvertrag Schließenden durch diese orga- nische Natur des Staats bedingt und beschränkt erscheinen; innerhalb dieser Verhältnisse kann er nicht mehr als das Recht des Vereins be- stimmend gelten, sondern ordnet sich den Forderungen des Staats unter. Und die Gesammtheit der Bestimmungen welche dadurch für den Verein und sein Recht entstehen, nennen wir das öffentliche Vereinsrecht . Auch hier nun müssen wir von einem allgemeinen öffentlichen Vereinsrecht gegenüber dem besondern reden. Das erstere ist dasjenige, welches ohne Rücksicht auf den bestimmten Zweck der einzelnen Vereins- arten oder gar der einzelnen Vereine bloß dadurch entsteht, daß ein Zweck des Staats durch eine selbständige Vereinigung von Persönlich- keiten und nicht mehr durch Organe des Staats erfüllt wird. Das besondere öffentliche Vereinsrecht dagegen enthält diejenigen Bestim- mungen, welche wieder durch die Natur der bestimmten Vereinszwecke für den Verein gesetzt werden. Und da nun die organische Lehre von den Staatsaufgaben und ihrer Erfüllung die innere Verwaltung und das innere Verwaltungsrecht bildet, so wird das besondere öffentliche Vereinsrecht erst in der innern Verwaltungslehre erscheinen können. Dieß allgemeine öffentliche Vereinsrecht, die Verhältnisse des Ver- eins zum Staate umfassend, muß daher in denselben Grundformen erscheinen, wie das Leben des Vereins überhaupt. Denn es ist ja das Recht dieses Lebens ein Verhältniß zum Staate. Demgemäß wird das allgemeine öffentliche Vereinsrecht zerfallen in das öffentliche Verfassungs- recht, das öffentliche Organisationsrecht und das öffentliche Verwaltungs- recht. Alle diese Rechtsbestimmungen werden gemeinsam zu ihrer Grund- lage die rechtliche Feststellung der Bedingungen haben, unter welchen der Staat und der Verein sich berühren und harmonisch bewegen, während das innere Recht nur die Bedingungen setzte, unter welchen der Verein überhaupt bestehen kann. Alle jene einzelnen Bestimmungen und Sätze des öffentlichen Ver- einsrechts beruhen nun, trotz ihrer Vielseitigkeit, dennoch auf einem gemeinsamen Princip. Wir nennen dasselbe kurz das Princip der recht- lichen Freiheit des Vereinswesens . Dieß Princip ist der Grund- satz, daß die Staatsgewalt im Vereinswesen nicht etwa eine feindliche oder auch nur ihr indifferente Gewalt, sondern vielmehr einen orga- nischen Theil ihres eigenen Lebens sehen soll, ohne dessen volle und lebendige Entwicklung das Ganze nicht zur Vollendung gelangen kann. Die Staatsverwaltung soll daher nicht bloß im Allgemeinen die Blüthe des Vereinswesens fördern, sondern sie soll zugleich nach den einzelnen Seiten des öffentlichen Rechts so wenig als möglich auf den Verein Einfluß nehmen; das erste und allgemeinste Princip des öffentlichen Vereinsrechts muß das sein, nur negativ gegen alle diejenigen Mo- mente im Verein aufzutreten, welche entweder das öffentliche Wohl oder das Recht des Einzelnen gefährden. Dadurch entsteht dann der Charakter des öffentlichen Vereinsrechts überhaupt. Es ist ein ganz bestimmter und verschiedener für die Verfassung und für die Verwaltung des Vereins. Im Verfassungsrecht sichert der Staat die Freiheit des Mitgliedes gegen den Verein als Ganzes, und den Staat gegen den Zweck des Vereins; im Verwaltungsrecht sichert er die Mitglieder einerseits und die Gemeinschaft anderseits gegen die wirkliche Thätigkeit des Vereins. Aus der Anwendung dieser Principien auf das innere Vereinsrecht und sein System hat sich dasjenige gebildet, was wir nunmehr das System des öffentlichen Vereinsrechts nennen können. 1) Das öffentliche Verfassungsrecht der Vereine . a) Begriff der Genehmigung des Vereins. Es ist sehr leicht das Wesen und den Begriff des öffentlichen Ver- fassungsrechts des Vereins zu bestimmen. Es ist dagegen durchaus nicht so einfach, diesen Begriff in seiner richtigen Anwendung festzustellen. Und wir werden hier wieder in die Lage kommen, das Rechtssystem auf eine Reihe von Unterscheidungen im Wesen der Vereinigungen zurückzuführen, welche man nicht gemacht hat, und demnach nicht wird entbehren können, will man anders zu einem endgültigen Resultate gelangen. Der Begriff des öffentlichen Verfassungsrechts der Vereine kann nicht anders bestimmt werden, als indem man die Vorstellung einmal für allemal aufgibt, als sei jede Rechtsbestimmung über das Vereins- wesen vorzugsweise unfreier Natur, und als stehe es daher im Belieben einer Regierung, solche Bestimmungen überhaupt zu treffen oder nicht. Das Studium des öffentlichen Rechts hört sofort auf, seinen Ernst zu verlieren, wenn man die Freiheit des letzteren und das Ziel des Vereinsrechts in einem Zustand finden will, in welchem die Regierung ohne allen Einfluß auf das letztere ist. Das kann kein Verständiger denken. Dennoch hat auch jene Auffassung ihren Grund. Man muß Anlaß und Inhalt des Wirkens vor Augen haben, um über den Gegen- stand entscheiden zu können. Der Verein ist nämlich diejenige Vereinigung, welche die Er- füllung irgend eines öffentlichen Zweckes zum Gegenstande ihrer Thätig- keit hat. Der Verein ist daher ein allerdings höchst freier, aber er ist stets eine Form und ein Glied der Selbstverwaltung. Er gehört damit dem Organismus des Staatslebens. Es ist damit aber zugleich der Satz gegeben, daß der letztere, indem er den Verein als einen Theil seiner selbst betrachtet, eben in seiner eigenen Natur die Bedingungen haben , und demgemäß auch setzen muß, unter welchen dieß der Fall ist, das ist, unter denen der Verein sich als seinen Theil erklärt. Es ist nicht denkbar, daß dieser Theil dem Ganzen, dem Staate, in seiner Organi- sation die Bedingungen einseitig vorschreiben dürfe, mit denen der letztere diesen Theil aufzunehmen hat; das scheint unzweifelhaft. Es muß dem Staate das Recht zustehen, darüber zu entscheiden, ob er den Verein in sich als ein mitarbeitendes Organ für seine Zwecke gebrauchen kann oder nicht. Hat die Vereinigung keine solche Staatszwecke, so ist sie eben kein Verein, hat sie sie aber, so muß sie sich in Zweck und Thätigkeit in Harmonie mit der Regierung setzen, und darüber kann nur die letztere faktisch entscheiden, weil sie das Staatsleben kennt, und sie muß rechtlich darüber entscheiden können, weil sie sonst für die wirk- liche Verwaltung keine Verantwortlichkeit übernehmen kann. Das alles ist wohl sehr klar. Andererseits ist der Verein die freieste Form der Betheiligung der einzelnen Staatskörper an der Verwaltung. Das ist sein Wesen. Wenn nun der Staat wieder über diese Form entscheiden soll, so ver- liert sie gerade das, was ihre eigenste Natur ausmacht, die Selbst- bestimmung über ihre Organisation. Andererseits ist nicht jede Vereini- gung ein Verein. Gesetzt, man gäbe dem Staate das Recht, über die Bildung eines Vereins zu entscheiden, kann er vernünftiger Weise damit auch das Recht haben, über die Bildung jeder Vereinigung, namentlich über die jeder Gesellschaft zu bestimmen? Hat er das letztere Recht nicht, wer soll die Gränze zwischen demselben und dem ersteren bestimmen? Und soll der Staat sie bestimmen, ist es da möglich, daß er nicht am Ende doch bei jeder Vereinigung unter jenem Titel seine Zustimmung fordert? Ist aber das wieder der Fall, muß man da nicht sagen, daß es besser wäre, ihm das Recht der Zustimmung auch für die Bil- dung von wirklichen Vereinen zu nehmen, damit der unvermeidliche Mißbrauch dieses Rechts nicht die Bildung der freien Selbstverwaltung der Staatsbürger gefährde? Dieß nun sind die beiden Gegensätze, von welchen seit Jahrzehnten die Frage über das Vereinsrecht ausgeht, und um welche es sich be- wegt. Hält man sie in der obigen Form ganz einfach neben einander, so sieht man, daß eigentlich gar keine Vereinigung derselben möglich ist, sondern jeder Punkt in der einen Auffassung in direktem Widerspruch mit der anderen steht. Und in der That ist dieser unvermittelte Gegen- satz so ziemlich der Zustand der allgemeinen Auffassung des Vereins- wesens. Man verliert das richtige Urtheil so weit, daß man entweder grundsätzlich den Standpunkt festhält, daß gar keine innerlich geregelte Vereinigung mehr ohne Erlaubniß der Behörde stattfinden kann, indem jeder Verein, der „Gesellschaftsregeln“ hat, der „Bewilligung“ bedarf, wie im österreichischen Vereinsgesetz von 1852, oder daß man in den entgegengesetzten Fehler verfällt, und den Grundsatz aufstellt: „Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden“ ( Reichsverfas- sung von 1849; ebenso Oldenburg . Verfassung 1852 §. 51 und andere; Zöpfl II. §. 294), was natürlich vollständig unausführbar ist; man denke nur an Aktienvereine. Es nützt auch nicht viel, wenn man hinzusetzt: „die den Strafgesetzen nicht zuwider laufen“ ( Preußische Verfassung 1850, §. 90), oder „der Sittlichkeit“ (wie Coburg 1852, §. 49), wie der Begriff der Aktie zeigt. Noch weniger, wenn man die Sache ganz umgeht, wie das Handelsgesetzbuch auf seiner Grundlage gethan. Hier liegt offenbar eine nicht gelöste Frage. Dieselbe hat nun zu vielem und natürlich sehr lebhaftem Streit über die sogenannte Staatsgenehmigung der Vereine Anlaß gegeben. Wir lassen uns auf diesen Streit darum nicht ein, weil wir ihn in der Weise, wie er geführt wird, für einen durchaus ergebnißlosen halten müssen. Und den Grund dieser Behauptung wird man sogleich sehen. Wir müssen nämlich unsererseits von der Ueberzeugung ausgehen, daß man, ehe man sich über Werth oder Unwerth der Genehmigung äußert, vor allen Dingen über den Inhalt des Begriffs des öffentlichen Verfassungsrechts des Vereinswesens einig sein muß. Um das zu können, muß man aber allerdings davon ausgehen, daß der Verein selbst nur ein Stadium oder eine ganz bestimmte Form innerhalb des allgemeinen Begriffs der Vereinigung ist, und man wird zugeben, daß alle Un- klarheit daher kommt, weil man beständig alle diese Formen als gleichbedeutend ansieht, während sie, selbst wesentlich verschieden, auch ein ganz wesentlich verschiedenes Recht für sich erzeugen ; das Vereinsrecht ist daher selbst nur ein ganz bestimmter Theil dieses Rechts, und jede Verwechslung des einen mit dem andern kann nur zur Ergebnißlosigkeit führen. Wir werden nun dadurch gezwungen, das ganze System des Ver- einigungsrechts aufzuführen, um das Vereinsrecht klar zu machen. Die Formen der Vereinigung sind: die Vereinigung überhaupt, der Vertrag, die Gesellschaft, der Verein, die juristische Persönlichkeit. Die Vereinigung an sich hat gar kein Recht; sie ist absolut frei. Der Vertrag steht unter dem (bürgerlichen) Privatrecht. Die Gesellschaft steht unter dem bürgerlichen Verwaltungsrecht (Handels- recht). Der Verein steht unter dem Recht der vollziehenden Gewalt, als Organ derselben. Die juristische Persönlichkeit steht unter dem Recht der Gesetzgebung, als höchstem Willen des persönlichen Daseins. Daraus folgt, daß die Vereinigung Einzelner an sich vorhanden ist durch die bloße Thatsache der Uebereinstimmung des Willens der Einzelnen; der Vertrag gilt durch den (processualen) Beweis ; die Ge- sellschaft durch die, vom Handelsrecht vorgeschriebene Form ihrer Bil- dung; der Verein durch Genehmigung ; die juristische Persönlichkeit durch gesetzliche Anerkennung . Es leuchtet ein, daß dieß durchaus verschiedene Verhältnisse sind, und zwar speziell in Beziehung auf den Antheil, den das Recht, und namentlich das Recht der Regierung daran hat. Mit dem Vertrag als Form der Vereinigung hat sie gar nichts zu thun; bei der Gesell- schaft hat sie nur zu sorgen, daß sie die verwaltungsrechtlichen Formen ihrer Bildung beobachte; bei dem Vereine muß sie selbstthätig die Ge- nehmigung geben und kann sie daher auch verweigern; die Bildung der juristischen Persönlichkeit muß sie dem Gesetz überlassen. Denkt man sich nun einen Zustand, in welchem alle diese Unter- scheidungen wegfallen, und man mit dem Ausdruck „Verein“ sowohl Gesellschaft als Verein und juristische Persönlichkeit bezeichnet, und dann fragt, ob „Genehmigung“ immer gut, nothwendig, oder ein Zeichen freier Verwaltung sei, — was muß die Folge sein? Ohne Zweifel eine allgemeine Verwirrung der Begriffe und eine absolut endlose Diskussion über diese Genehmigung, ihren Werth oder Unwerth — eben weil sie selbst wieder drei ganz verschiedene Akte für drei ganz verschiedene Dinge bezeichnet. Wir glauben nun sagen zu müssen, daß sich sowohl die Gesetz- gebung als die Literatur mehr oder weniger in dieser Verwirrung be- finden. Wir stellen deßhalb jetzt als Grundlage des Vereinsrechts den einfachen Satz auf: das öffentliche Recht des Vereins hat natürlich mit der Vereinigung im Allgemeinen und mit dem Vertrage, aber auch mit der Gesellschaft gar nichts zu thun, und eben so wenig mit der juristischen Persönlichkeit, sondern enthält die Bestimmungen, unter welchen die Genehmigung der Vereine von Seiten der Regierung ge- geben wird . Diese Bestimmungen bilden das Recht der Genehmigung, und der Inhalt dieses Rechts, sowie sein Unterschied von dem Rechte der Gesellschaften und der juristischen Persönlichkeit, wird demgemäß von dem Begriffe und Wesen diese Genehmigung bedingt werden. Wir wollen versuchen, dieß darzulegen. b) Das Recht der Genehmigung. England, Frankreich, Deutschland. Das Recht der Genehmigung geht nur aus dem Wesen desselben her- vor, welches seinerseits auf dem Wesen des Vereins beruht. Die Genehmi- gung ist nämlich die Anerkennung einer Vereinigung als eines Organes der freien Selbstverwaltung für einen bestimmten Zweck der Verwaltung. Daß sie damit nothwendig ist für für den letzteren, ist klar; ein Verein ohne eine Genehmigung ist aber so wenig denkbar, als etwa eine Ge- meinde ohne Anerkennung. Sie enthält nämlich die dreifache Erklä- rung, daß erstlich der Zweck des Vereins in Harmonie steht mit den Aufgaben des Staats, daß zweitens die innere Ordnung des Vereins nicht in Widerspruch steht mit dem Rechte der Staatsbürger, und drittens daß die im Vereinsvertrage liegenden Thätigkeiten nicht in Widerspruch stehen mit den Forderungen der Verwaltung. Es ergibt sich aus diesem Inhalt der Genehmigung die Erledigung der Hauptfrage, welche bei dem Vereinswesen stets aufgeworfen wird, der Frage nach dem Verhältniß derselben zur bürgerlichen Freiheit, und der Meinung, als stehe dieß Recht der Genehmigung mit der letzteren in Widerspruch. Jede Genehmigung, mag sie in was immer für einer Form auf- treten (s. unten), ist rein negativ ; das ist, sie ist nicht die Erlaubniß, neue Vereine bilden zu dürfen, sondern die Erklärung, daß das innere Recht des Vereins mit dem öffentlichen Recht nicht in Widerspruch stehe. Die Staatsbürger empfangen daher nicht etwa erst durch die Regierung das Recht, Vereine zu bilden, was allerdings eine ent- schiedene Begränzung des staatsbürgerlichen Rechts wäre, sondern sie haben nur für den Verein, den sie bilden, jene Erklärung zu erwarten, um denselben ins Leben treten zu lassen. Diese Genehmigung ist ferner wie gesagt weder für Vereinigungen, noch Verträge, noch für die Bildung von Gesellschaften nothwendig, sondern tritt erst ein, wo ein öffentlicher Zweck der Vereinigung eintritt. Das Recht auf Bildungen von Gesell- schaften unterliegt daher der Erlaubniß und Genehmigung überhaupt nicht; hier ist die völligste Freiheit ohnehin gegeben. Nur wenn man den Fehler begeht, die Gesellschaften als Vereine zu bezeichnen, wird das Recht der Gesellschaftsbildung unfrei; und eben deßhalb ist der obige Unterschied von so großer Wichtigkeit. Nur dann, wenn eine Ge- sellschaft auf Aktien gegründet wird, entsteht auch für sie der Begriff und das Recht der Genehmigung. Aber es ist der Unterschied zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Verein auch hier durchgreifend. Bei einer Aktiengesellschaft muß man nämlich davon ausgehen, daß der Zweck der Gesellschaft überhaupt keiner Genehmigung unterliegt, sondern nur das Mittel , sie zu Stande zu bringen, oder die Ausgabe von Aktien. Diese Unterscheidung ist praktisch von großer Wichtigkeit; denn die Negierung kann eine solche Gesellschaft in dem Falle nicht mehr hindern , wo sie etwa ihre Aktien aufgeben, und an deren Stelle Antheilsurkunden ausgeben, oder sich als französische Commandite constituiren wollte; denn über den Zweck hat sie kein Genehmigungs- recht. Dieß ist auch das französische Recht, das durch das Handels- gesetzbuch im Grunde, wenn auch nicht in der Form anerkannt ist. Die Anerkennung der Qualität der juristischen Persönlichkeit liegt über- haupt nicht im Begriff der Genehmigung, sondern des Gesetzes. Es ist daher ein Widerspruch zwischen der Freiheit der Vereinigung und dem Rechte der Vereinsbildung nicht vorhanden, so wie man beide auf ihr richtiges Maß zurückführt. Das Recht der Genehmigung aber ist demnach dasjenige Rechtsverhältniß, nach welchem vermöge der- selben die Absicht, den bestimmten Verein zu bilden, als nach dem be- stehenden öffentlichen Recht zulässig erklärt, und damit Bildung und Thätigkeit des Vereins von da an nur von dem Willen seiner Mit- glieder abhängig gemacht wird. Da nun aber diese Thätigkeit des Vereins abhängig ist eben von dem objektiv formulirten Vereinsvertrag oder den Statuten, so ist es klar, daß jene Genehmigung die Statuten zu ihrem Inhalt hat, und daher nothwendig eben als Erklärung über die Statuten , also das Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Vereins erscheinen muß. Diese Nothwendigkeit nun ist es, welche die Formen der Ge- nehmigung erzeugt; denn in der That enthalten ja die Statuten für den Staat die Bedingungen, unter welchen die Thätigkeit des Vereins als Theil der Verwaltung angesehen werden kann. Jene Formen aber sind zweifach. Der Staat kann nämlich gesetzlich diejenigen Punkte bezeichnen, welche er als absolut nothwendige Bedingungen für das richtige Ver- hältniß der Vereine zur Verwaltung, und mithin als allgemeine Be- dingung für die Genehmigung der Vereine anerkennt. Er kann aber zweitens das nicht thun, sondern sich bei jedem einzelnen Verein vor- behalten darüber zu entscheiden, ob die Bedingungen in seinen Statuten vorhanden sind oder nicht. Er kann endlich drittens diese Bedingungen für gewisse Arten von Vereine vorschreiben, für andere nicht, in welchem Falle er sich für alle übrigen Vereine die Genehmigung frei vorbehält. Es ist natürlich, daß in diesen Punkten eigentlich das Verhältniß zwischen Regierung und Vereinswesen entschieden wird. Und hier erscheinen nun jene drei Verhältnisse in den drei großen Ländern als Grundlage ihres Vereinsrechts. In England gab es ursprünglich kein solches Gesetz über die allgemein nothwendigen Bedingungen der Bildung eines Vereins, sondern jedes Statut ward ein selbständiger Gegenstand der gesetzgebenden Ge- walt. Dadurch entstand nun wieder eine Verwirrung, indem das Parla- ment bei Bewilligung der Statuten theils als verordnende, theils als gesetzgebende Gewalt handelte, und die Genehmigung der Statuten daher zugleich den Charakter der Anerkennung als „Corporation“, das ist als juristische Persönlichkeit, und der bloßen administrativen Genehmi- gung hat, wodurch der Unterschied zwischen Verein und juristischer Per- sönlichkeit verschwand, und die Genehmigung nur die gesetzliche und ad- ministrative Anerkennung derjenigen Rechte ward, welche in den Statuten selbst enthalten sind. Dieß war ein sehr einfacher Grundsatz. Allein die Erfahrung hat bald gelehrt, daß derselbe nicht ausreicht. Und wieder ist es die Aktie, durch welche in das einfache englische Rechtsprincip die Entwicklung hineingekommen ist. Die Mannichfaltigkeit und die Größe der auf Aktien gebauten Gesellschaften und Vereine haben es nämlich nothwendig gemacht, durch eine gewisse Gleichartigkeit des innern Rechts der Verfassung und Verwaltung dieser Vereinigungen dem Aktienwesen eine feste Basis zu geben. Die englische Vereinsgesetzgebung ist, bei dem außerordentlichen Aufschwung, den gerade in England das Aktien- wesen genommen, daher schon seit mehreren Jahren in einer beständigen Bewegung, in der man das entschiedene Bestreben hervortreten sieht, das Vereinswesen, so weit es volkswirthschaftliche Interessen betrifft, der staatlichen Aufsicht wo möglich im vollsten Umfange zu unterwerfen. Die englische Vereinsgesetzgebung ist deßhalb vorzugsweise eine Gesetz- gebung über Gesellschaften ; das politische und administrative Element hat mit derselben gar nichts zu thun, sondern es handelt sich beinahe ausschließlich um die Sicherung des Publikums gegenüber den Erwerbsgesellschaften im Allgemeinen und den Aktiengesellschaften im Besondern, weßhalb man nicht ohne Grund sagen kann, daß es eigent- lich gar keine Vereinsgesetzgebung in England gibt, obgleich formell die Gesetzgebung gar keinen Unterschied macht. Den ersten Anlauf zu einer solchen allgemeinen Gesetzgebung nahm das Gesetz vom 5. September 1844; nach ihr folgten die Joint Stock Companies Acts von 1856—57. S. Güterbogk , die englische Aktiengesetzgebung von 1856 und 57, vorzüglich aber C. Schwebemayer , das Aktien-, Gesellschafts-, Bank- und Versicherungswesen in England. Berlin 1857. S. 78 die Ueber- setzung der Akte von 1844; über die Bankgesellschaften ist die Arbeit vortrefflich; die Bank Charter Act vom 19. Juli 1844 ib. S. 93. Die Joint Stock Companies Acts vom 14. Juli 1856 im Auszuge S. 20 ff. In neuester Zeit ist die ganze Gesetzgebung wieder in der Akte vom 7. August 1862 (25. 26. Vict. c. 89) in einer ausführlichen Codification zusammengefaßt. Diese Akte unterscheidet sich von den Bestimmungen des deutschen Handelsgesetzbuches wesentlich dadurch, daß sie die Gründung aller Gesellschaften von mehr als 20 Personen „zum Betriebe irgend eines Geschäfts“ von der Registrirung abhängig macht und sehr strenge Polizeimaßregeln einführt. Die ganze Akte be- steht aus 9 Theilen. Der dritte handelt „von der Geschäftsführung und Verwaltung der Gesellschaften und Vereine.“ Die Akte schreibt vor, daß jede sich bildende Gesellschaft eine Eingabe (Memorandum) über Zweck, Mittel und Mitglieder machen muß ( I. 10), ihre Statuten müssen gedruckt werden und werden amtlich aufbewahrt ( I. 16. 17), jede Gesellschaft muß ein Mitgliederregister haben, welches in ihrem Bureau aufliegt, und kann (gegen 1 Shill.) auch von jedem Nichtmit- gliede täglich eingesehen werden ( I. 32). Das ganze Gesetz ist offenbar nicht gegen das Vereins- und Gesellschaftswesen, sondern gegen den Aktienschwindel aufgestellt, und dabei viel strenger, als irgend ein deutsches, selbst als das preußische, geschweige denn das sehr nach- sichtige, ja geradezu unvollkommene Handelsgesetzbuch. Auerbach (Gesetzwesen §. 74) hat die Sache gerade in dieser Beziehung sehr leicht genommen. In Frankreich gibt es gleichfalls kein allgemeines Gesetz wie in Deutschland. Das Genehmigungsrecht zerfällt hier zunächst in zwei große Theile. Der erste Theil bezieht sich auf die Aktiengesellschaften, und ist als das Recht der Société anonyme im Code de commerce enthalten; der zweite Theil umfaßt dagegen die eigentlichen Vereine. Für diese nun muß man, dem ganzen Geiste der französischen Gesetz- gebung entsprechend, zwei Arten der Genehmigung unterscheiden, die erste dieser Arten können wir die polizeiliche nennen, die zweite ist die administrative . Die polizeiliche Genehmigung ist nicht etwa aus dem administrativen Gesichtspunkte hervorgegangen, sondern sieht in jedem Verein eine Macht, welche als eine politische auftritt und auf- treten kann. Daraus ist der allgemeine Grundsatz hervorgegangen, daß jede Vereinigung überhaupt von zwanzig Personen, die regelmäßig zu irgend einem Zweck zusammenkommen, „dont le but sera de se réunir tous les jours ou certains jours marqués pour s’occuper d’objets religieux, politiques ou autres, “ nur unter denjenigen Be- dingungen bestehen soll, welche die Regierung passend findet — „ne pourra se former qu’avec l’agrément de gouvernement et sous les conditions qu’il plaira à l’autorité publique d’imposer à la société.“ Code pénal, Art. 291. Damit ist allerdings nicht bloß das Princip der Genehmigung, sondern auch die volle Freiheit der Verwaltung, die Bedingungen des Vereins in Verfassung und Verwaltung festzustellen, gegeben; hier ist daher, ganz im Geiste des französischen droit admini- stratif, die staatsbürgerliche Freiheit dem Rechte der Regierung geopfert, und zwar nicht bloß für Vereine, sondern auch für jede Gesellschaft und Vereinigung. Frankreich hat damit die Genehmigung von den Vereinen auf die Vereinigungen ausgedehnt, und sie zum Princip des öffentlichen Rechts derselben gemacht. Innerhalb dieses allgemeinen Princips haben nur gewisse Gruppen der Vereine wieder ihr eigenen Gesetzgebungen über die Bedingungen, unter denen jene Autorisation gewährt werden kann; namentlich die Congrégations, die Sociétés des secours mutuels, die Banken und andere, welche dann unter das be- sondere Vereinsrecht fallen. Auch hier ist daher das Recht der Geneh- migung ein selbständiges. Zwischen England und Frankreich steht nun die Vereinsrechtsbil- dung Deutschlands im Allgemeinen, und speziell das Genehmigungs- recht. Obwohl hier zuerst wieder die Verschiedenheit auch dieses Rechts in den einzelnen Staaten uns entgegentritt, so daß es eines eigenen Studiums bedarf, um es auch nur kennen zu lernen, so sehen wir dennoch eine gewisse Gleichartigkeit in Auffassung und Durchführung hervortreten, stark genug bezeichnet, um den charakteristischen Unterschied von England sowohl wie von Frankreich hervorheben zu können. Man kann nämlich sagen, daß wir nur in Deutschland ein eigenes Genehmigungsrecht der Vereine besitzen, in dem Sinne, daß die Be- dingungen in Verfassung und Verwaltung der Vereine, welche als Vor- aussetzungen der Genehmigung gefordert werden, und andererseits die Formen, in welchen um die Genehmigung eingeschritten werden muß, gesetzlich bestimmt sind. Es ist dadurch ein förmliches System des Ge- nehmigungsrechts möglich geworden, das, wenn auch höchst unvollständig, doch die Keime weiterer Entwicklung in sich trägt, und es ist nur zu wünschen, daß die Wissenschaft sich der Sache in etwas eingehenderer Weise annehme, als dieß bisher geschehen ist. Die allgemeine Grundlage ist, daß nur in der deutschen Gesetz- gebung zunächst zwischen dem Gesellschafts- und dem Vereinswesen unter- Stein , die Verwaltungslehre. I. 40 schieden wird. Die Quelle des Rechts der ersteren ist jetzt das deutsche Handelsgesetzbuch, die Quelle des letzteren sind die Vereinsgesetze im engern Sinne, die aber freilich in vielen Staaten noch fehlen. Neben diesen beiden Hauptgruppen steht nun die dritte, die besondern Gesellschafts- und Vereinsrechte, die wie in Frankreich theils eigene Gesellschaftsgesetze haben, wie die Eisenbahnen, theils auf eigenen, den Charakter von Ge- setzen annehmenden Statuten beruhen, wie die Banken, theils aber sich nur auf Aktiengesellschaften als solche beziehen. In einigen Staaten sind diese Gesetze geschieden, wie in Preußen (Gesetz für Eisenbahn- unternehmungen vom 3. November 1838, für Aktiengesell- schaften vom 9. November 1843). Namentlich das Gesetz über Aktien- gesellschaften ist mit der oben citirten englischen Gesetzgebung gar nicht zu vergleichen; die Bestimmungen desselben sind höchst einfach; von einem Eingehen auf die Natur der Aktien, auf die Elemente der Organisation (statt dessen sagt Art. 19 einfach, daß „die Geschäfte der Gesellschaft von einem nach Vorschrift des Statuts bestellten Vorstand verwaltet werden müssen“) und den übrigen Punkten ist gar keine Rede; man sieht, daß diese ganze Gesetzgebung nur ein erster Anfang ist. Der Unterschied von Gesellschaft und Verein existirt hier nicht; natürlich ist die landesherrliche Genehmigung, jedoch eben nur für Aktiengesellschaften, vorbehalten. In andern Staaten sind eigene Vereinsgesetze, wie in Bayern, Baden u. a., in einigen sind die verschiedenen Elemente zu- sammengefaßt in Ein Gesetz, wie in Oesterreich (Vereinsgesetz von 1852). Nach diesen Grundlagen hat auch die Genehmigung ihr besonderes Recht, und man kann hier ein allgemeines Genehmigungsrecht neben dem besondern , das sich namentlich auf Eisenbahnen und Aktien bezieht, aufstellen. Das allgemeine Genehmigungsrecht hat nur zwei Hauptformen, die aber im Grunde nur in Einem Punkte differiren. Dieser Punkt besteht in der Beantwortung der Frage, ob für einen Verein eine formelle Genehmigung nothwendig ist, um als Verein auftreten zu können, oder ob die Genehmigung angenommen wird, wenn sie nicht verweigert wird, also ob die Anzeige genügt, und der Regierung überlassen bleibt, ein Verbot auszusprechen, wenn sie es für begründet hält. Man kann demnach das Anzeigerecht von dem eigentlichen Genehmigungs- recht unterscheiden. Demgemäß kann man im deutschen Vereinsrecht zwei Arten von Vereinen unterscheiden, die in dieser Weise weder in England noch in Frankreich vorkommen, die freieren Vereine , bei denen die Anzeige genügt, und die Regierung sich im Weitern selbst um den Gang des Vereins zu kümmern hat, und die genehmigten Vereine , bei welchen der Verein als Voraussetzung seiner Existenz gewisse Bedingungen in seinem Vertrage, den Statuten, erfüllen muß, ehe er ins Leben treten darf. Diese Verhältnisse und Rechte beider Arten variiren jedoch bedeutend in den einzelnen Staaten. Das Anzeigerecht enthält nur die Verpflichtung zur Anzeige des gebildeten Vereins, und zwar von Gründung, Vorstand und Satzungen; meistens binnen drei Tagen. Etwas unverständlich ist dabei die Frage, ob ein Verein Satzungen oder Statuten haben solle, oder nicht. Es scheint ein unlösbarer Widerspruch, einen Verein ohne alle Statuten zu denken, wie Pötzl (bayerische Verfassung §. 29. n. 12) anzunehmen scheint. Mit Recht sagt Rönne (preußisches Staatsrecht I. §. 100. n. 7. Seite 396), daß jeder Verein nach dem preußischen Recht ver- pflichtet sei, Statuten zu haben. Wenn der letztere hinzusetzt: für Vereine „welche eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten be- zwecken,“ so ist das selbstverständlich, denn sonst ist es eben nur eine Gesellschaft oder eine Vereinigung. Die Pflicht des Vereins, auch die Vornahme einzelner Akte, nament- lich die Sitzungen des Verwaltungsrathes und der Generalversammlung anzuzeigen, gehört in den zweiten Theil. Die Folge der bloßen Anzeige ist nun keine andere als die, der Staatsverwaltung die Möglichkeit zu geben, das Ihrige zu thun. So wie sie geschehen, tritt die regelmäßige Thätigkeit des Vereins ein, und es bleibt der ersteren überlassen, gegen die letztere einzuschreiten, wenn sie mit dem Gesetze oder dem Verwaltungsrecht in Widerspruch tritt. Nur muß dabei ein Grundsatz festgehalten werden. Jeder Verein muß im Stande sein, zu jeder Zeit in einer oder anderer Weise alle seine Mitglieder nachweisen zu können , da die Verfolgung des Rechts gegen den Verein dieß zur Voraussetzung hat. Hat der Verein selbst kein Mittel dazu, so muß er sich gefallen lassen, daß ihm die Staats- verwaltung dasselbe vorschreibt; und dabei kann die letztere, aber nach dem in ihrem polizeilichen Recht liegenden Ermessen, sich mit der per- sönlich dokumentirten Erklärung der ihr bekannten Mitglieder, für die übrigen und ihre etwaigen Verpflichtungen haften zu wollen, begnügen lassen; sie kann es aber auch nicht, und in diesem Falle hat sie das Recht, die Thätigkeit des Vereins bis zu dem gelieferten Nachweis zu suspendiren. Das ist offenbar auch der Sinn der Bemerkungen bei Rönne I. §. 100. An dieses an sich vollkommen freie Princip der Anzeige schließt sich aber sogleich als Corollar das System der Genehmigung an. Und zwar bedeutet diese eigentliche Genehmigung den Grundsatz, daß die Gültigkeit der Statuten und damit die Existenz des Vereins selbst bei gewissen Gruppen von Vereinen davon abhängig gemacht wird, daß dieselben diejenigen Grundsätze enthalten, welche die Regierung als orga- nische Bedingungen der Vereinsthätigkeit anerkennt. Der Grund dieser, die volle Freiheit der Vereinsbildung allerdings beschränkenden Grund- sätze liegt in dem oben bereits bezeichneten Wesen der Vereine, mit dem sie tief und oft fast unwiderstehlich — man denke nur an Banken und Eisenbahnen — in das Leben des Staats und der Einzelnen hinein- greifen. Die einzelnen Gesetzgebungen haben deßhalb Versuche gemacht, dieß System der Genehmigungen neben dem der bloßen Anzeige möglichst bestimmt zu formuliren. Hier nun ist das System des geltenden Rechts ein verschiedenes. In Preußen steht allerdings der Grundsatz für Aktiengesellschaften fest, im Uebrigen aber ist es bis jetzt zu keinem Ver- einsgesetze gekommen, wie der Art. 30 der Verfassungsurkunde es in Aussicht gestellt hat. ( Rönne a. a. O.) In Bayern ist im Vereins- gesetze von 1850 der Grundsatz aufgenommen, daß die Gesellschaften mit Aktien und Verkehrsvereine denjenigen Bestimmungen der Genehmi- gung unterworfen sein sollen, welche künftige Gesetze darüber aufstellen werden. ( Pötzl , Verfassung a. a. O.) In Oesterreich dagegen ist das Anzeigerecht ganz in das Genehmigungsrecht aufgegangen, und jeder Verein nur unter Genehmigung zugelassen, während die Bedingungen dieser Genehmigung als Inhalt der Statuten speziell aufgeführt werden. (Vereinsgesetz vom 26. November 1852.) Dieses Princip kann nur als Uebergangsstadium betrachtet werden, wie das ganze Gesetz, das in §. 3 die Bildung von Vereinen „welche sich Zwecke vorsetzen, die in den Be- reich der Gesetzgebung oder der öffentlichen Verwaltung fallen,“ unter- sagt, wobei offenbar politische Vereine gedacht sind. Eben so ist die Bezeichnung, daß für alle Vereine, „die nach einer Gesellschaftsregel in der Art eingegangen werden, daß der Eintritt in den Verein ohne Beschränkung auf die ursprünglichen Theilnehmer Jedermann gestattet ist,“ die Genehmigung nothwendig wird, eben so unklar, als die Be- stimmung des §. 2, wornach besondere Vereine für öffentliche Zwecke „insbesondere“ eine Bewilligung brauchen. ( Stubenrauch , öster- reichische Verwaltungsgesetzkunde 3. Auflage, §. 188.) Im Uebrigen zeichnet sich das österreichische Vereinsgesetz durch genaue Angabe der Formen aus, unter denen die Genehmigung eingeholt werden muß, namentlich durch genaue Bezeichnung dessen, was als Inhalt der Statuten ange- geben sein muß, um diese Bewilligung zu erhalten (§. 9). Den Unter- schied zwischen politischen und nicht politischen Vereinen braucht damit die österreichische Gesetzgebung so wenig, wie die französische. Die badische Gesetzgebung steht dagegen auf dem Standpunkt der bayerischen, indem sie zugleich den Bundesbeschluß vom 13. Juli 1854 über Arbeiterver- eine mit socialen und politischen Tendenzen als Verbindungen erklärt und verbietet (Verordnung vom 20. Januar 1855), wogegen das Ver- einsgesetz vom 14. Februar 1851 die übrigen nicht verbotenen Vereine selbst jeder Genehmigung entzieht, und sie nur zur Anzeige verpflichtet, binnen drei Tagen, wenn sie Vorsteher und Satzungen haben. Jedoch hat Art. 25 davon, ebenso wie in Bayern, die Klasse der zu geneh- migenden Vereine wieder ausgenommen, so daß auch hier der Unter- schied zwischen den freien und genehmigten Vereinen, wie ihn die Natur der Sache fordert, wieder erscheint. Ganz ähnlich ist es in Württem- berg ( Mohl , Verfassungsrecht 374). Es ist kein Zweifel, daß auch Oesterreich zu diesem Systeme übergehen wird. Wenn Auerbach (Gesetz- wesen §. 73. 74.) sich so entschieden gegen das Princip der Genehmigung erklärt, nach dem Vorgange mehrerer, wie Jolly und Treitschke , so glauben wir, daß dieser Auffassung wohl nur der Mangel an Unter- scheidung zwischen genehmigten und freien Vereinen zum Grunde liegt, da er von der Genehmigung als allgemeinem Princip spricht; vielleicht auch die Vorstellung, daß die Genehmigung irgend eine Art von Zu- stimmung oder Billigung enthalte, während sie in der That nur die Erklärung sein soll, daß die Vereinsstatuten formell dem Staate und dem Publikum die gehörige Sicherheit bieten; gewiß aber die Unklarheit über Begriff und Inhalt der juristischen Persönlichkeit, von der wir gleich reden werden. (Siehe namentlich S. 298.) Es wäre, bei der innigen Be- rührung, in welcher das staatliche und volkswirthschaftliche Leben Deutsch- lands steht, gewiß sehr nahe liegend, nicht bloß deutsche Vereinsverbote, sondern auch einmal eine deutsche Vereinsgesetzgebung zu besitzen! c) Die juristische Persönlichkeit als Moment des Vereinswesens. Blickt man nunmehr zurück auf den Begriff des Vereins und das Wesen der Genehmigung, so muß man allerdings fragen, ob ein solcher genehmigter Verein nicht zugleich eine juristische Persönlichkeit sei, und ob also die Genehmigung ihm nicht den Charakter und das Recht der letzteren gebe. Eigentlich muß man sagen, daß sich die Theorie über diese Frage nicht ausgesprochen hat, indem sie zwar viele Untersuchungen über die erstere, aber sehr wenige über die letztere bietet. Eben so sind die Gesetze im höchsten Grade unklar und verschieden, die Sache selbst erscheint aber wohl zweifelhaft; denn wenn die Genehmigung keine Er- laubniß sondern nur eine Anerkennung der Harmonie der betreffenden Bestimmungen der Statuten und des Verwaltungsrechts ist, so wird sie auch kein eigenes Recht verleihen, und mithin keine juristische Per- sönlichkeit creiren können, während andererseits das Wesen des Vereins ohne allen Zweifel ein selbständig organisirtes Leben der Gemeinschaft der Vereinsglieder schafft, dem man die Natur, die Funktion und das Recht der Persönlichkeit schwerlich absprechen kann. Es ist daher erklär- lich, daß man darüber nicht klar ist. Offenbar nun beruht dieß darauf, daß man den Begriff der juri- stischen Persönlichkeit als einen innerlich gleichartigen betrachtet, und daher, indem man den genehmigten Verein als juristische Persönlichkeit hinstellt, in den Zweifel gerathen muß, ob er mit der Genehmigung alle Rechte, welche allen Arten der juristischen Persönlichkeit zukommen, erwirbt, und mithin den größten Selbstverwaltungskörpern, ja dem Staate gleichartig wird. Daß das letztere nicht füglich denkbar ist, leuchtet ein. Es bleibt daher nur ein und zwar im Wesen der juristi- schen Persönlichkeit selbst liegender Ausweg. Wir müssen der Ansicht sein, daß die formelle Genehmigung eines Vereins denselben zu einer administrativen, nicht aber zu einer staatlichen juristischen Per- sönlichkeit mache, während die Erhebung zur staatlichen Persönlichkeit mit dem Rechte der Theilnahme an Volksvertretung und Verwaltung nur durch ein förmliches Gesetz erfolgen kann. Es folgt daraus, daß die Genehmigung dem Verein alle Rechte der juristischen Persönlichkeit, namentlich das Recht zum Erwerb von Immobilien und die testamenti factio gibt. Es ist nicht füglich thun- lich, das letztere zu bezweifeln. Nur kann man in diesem Rechte eben kein staatliches, sondern nur ein bürgerliches Recht sehen. Erkennt man diesen Unterschied, so löst sich die Frage sehr leicht; ohne denselben aber ist es nicht möglich, zu einem Abschluß zu gelangen. Und der Mangel dieser Unterscheidung liegt auch der höchst unfertigen Bestimmung der betreffenden Gesetzgebungen zum Grunde. In England bezeichnet die Incorporation nämlich genau die Er- hebung zur administrativen Persönlichkeit, namentlich durch das Recht der durch einen (administrativen) Parlamentsbeschluß genehmigten Ver- eine, sich selbst bye laws zu geben, und zwar mit gerichtlicher Geltung, welche die Beschlüsse der freien Vereine nicht besitzen. (Siehe Gneist a. a. O.) In Frankreich hat die Macht der Verwaltung einerseits und die völlige Vernichtung des ständischen Princips die ständische Corpora- tion mit staatlichem Rechte überhaupt verschwinden lassen; damit ist der Begriff der juristischen Persönlichkeit auf den der wirthschaftlichen redu- cirt und dadurch ganz verschwunden. Er erhält sich nur noch im Ge- biete der Kirche, und findet daher auch im Gebiete des Vereinswesens keine Anwendung; alle Vereine sind sich gleich; das Recht der admini- strativen Persönlichkeit existirt hier daher nicht als Begriff, sondern nur noch in den einzelnen administrativen Rechten, welche mit der Auto- risation verliehen werden. In Deutschland dagegen hat sich der Begriff der staatlichen juristischen Persönlichkeit aus der ständischen Epoche in den Selbstverwaltungskörpern erhalten, zum Theil traditionell ohne festen juristischen Begriff, zum Theil in gesetzlicher Anerkennung als Corpora- tionen, wie im preußischen Landrecht II. §. 25. (Siehe Rönne I. §. 100. n. 1. Seite 401), zum Theil, wie in Bayern, nur auf kirch- liche Körper, Stiftungen und Universitäten beschränkt. ( Pötzl , Verfas- sungsrecht, Buch III. ) Hier hatte daher allerdings die Frage eine Be- deutung, ob die Genehmigung den Vereinen das Recht der Corporationen, und damit das volle Recht der juristischen Persönlichkeit gebe oder nicht. In Preußen ist darüber ein eigenes Gesetz in Aussicht gestellt, aber bisher nicht erschienen; in Oesterreich, Baiern, Württemberg hat man die Frage gar nicht berührt, sondern wie in Frankreich die Rechte der Genehmigung nicht auf jenen Begriff, sondern auf die einzelnen Be- stimmungen der Statuten begründet; wenn in Baden nach Dietz (die Gewerbe im Großherzogthum Baden, S. 267) „die einfache Bestätigung schon die Verleihung der Körperschaft in sich schließt,“ so kann damit eben nur die administrative Persönlichkeit gemeint sein. Es geht schon aus diesen kurzen Andeutungen hervor, daß ein Vereinsrecht nicht füglich gegeben werden und unsern Vorstellungen genügen kann, ohne zugleich den Begriff und das Recht der juristischen Persönlichkeit zu definiren; es wird in diesem Falle nicht mehr genügen, mit dem Handelsgesetzbuch diese Bestimmungen der territorialen Gesetzgebung auf die Dauer zn überlassen. Neben Auerbach a. a. O. vergleiche über diese und die früheren Fragen einen nicht ganz zum Abschluß gediehenen Aufsatz von Schäffle , deutsche Vierteljahrschrift 1856. Heft 4. 2) Das öffentliche Verwaltungsrecht des Bereinswesens . Begriff und Princip. Das öffentliche Verwaltungsrecht des Vereins, nicht minder be- deutsam wie das öffentliche Verfassungsrecht desselben, entsteht, indem die Thätigkeit des Vereins als einer selbständig handelnden Persönlichkeit gegenüber der Persönlichkeit des Staats und den Rechten und Pflichten seiner Verwaltung gedacht wird. Dasselbe enthält demgemäß die Ge- sammtheit derjenigen Grundsätze und Bestimmungen, nach welchen jene Thätigkeit des Vereins durch die Thätigkeit und Rechte der Staats- verwaltung bestimmt wird. Der Umfang und sogar das Dasein dieses Rechts erscheint nun gleich anfangs im Widerspruche mit dem Wesen des Vereins, in ganz ähnlicher Weise wie das öffentliche Verfassungsrecht desselben. Der Ver- ein ist das Organ der freien Selbstverwaltung; die Unterwerfung unter die Staatsverwaltung scheint ihm dieß Element der Freiheit zu nehmen; die Natur des Vereins scheint daher jedem öffentlichen Verwaltungsrecht desselben zu widersprechen, und die Zukunft des Vereinswesens in der gänzlichen Beseitigung desselben wie in der der Genehmigung zu liegen; und so haben sich auch manche die Entwicklung des Vereinswesens der Zukunft gedacht, als höchsten und freiesten Abschluß der Selbstverwaltung. Um so wichtiger ist es, hier das Princip dieses Verwaltungs- rechts in möglichst bestimmter Weise zu formuliren. Denn die einzelnen Thätigkeiten desselben lassen sich theils gar nicht, theils nicht scharf be- stimmt aufführen. Sollen sie ihren Zweck erreichen ohne dem Wesen des Vereins zu widersprechen, so müssen sie von einem einfachen Princip beherrscht sein. Dieß aber kann nur dann gefunden werden, wenn man auch hier statt der allgemeinen Ausdrücke wieder bestimmte Begriffe zum Grunde legt. Das erste , was hier zu thun ist, ist gerade in diesem Gebiet die strenge Scheidung von Gesellschaft und Verein. Die Gesellschaft ist eine Vereinigung für einen Privatzweck und Privatinteressen. Es ist durch- aus keine Sache des Staats, sich um die Angelegenheiten des Einzelnen direkt zu kümmern, gleichviel ob sie als Individuen oder als Gemein- schaft verfolgt werden, ob sie günstig oder nicht günstig auf den Ein- zelnen wirken. So weit es sich daher nur um Privatthätigkeiten für Privatzwecke handelt, gibt es gar kein öffentliches Verwaltungs- recht der Vereinigungen. Keine Art der Gesellschaften steht an sich unter irgend einem andern administrativen Recht, als jeder Einzelne. Es ist durchaus kein Grund denkbar, weßhalb für eine Gesellschaft andere Grundsätze in irgend einer Weise gelten sollten, als für den Ein- zelnen, wenn er denselben Zweck mit seinen eigenen Mitteln verfolgt. Daß eine große Menge von Thätigkeiten des Einzelnen der Polizei unterliegen, ist gewiß; die Verwaltungslehre hat das nachzuweisen. Die Gesellschaften unterstehen genau denselben Rechten, aber keinen andern. Es hat daher die Verwaltung weder das Recht, eine Ober- aufsicht auszuüben, noch auch ein Verbot einzulegen. Die Gesellschaften sind frei wie das Individuum. Nur in Einem Falle gibt es hiefür eine Ausnahme. Das ist, wenn der Staat einer Gesellschaft Unter- stützungen verleiht. Aber in diesem Falle ist das Recht des Staats seinerseits nicht durch das Wesen der Gesellschaft, sondern durch die Natur seiner Unterstützung zur Theilnahme an der gesellschaftlichen Verwal- tung bedingt. Wenn man daher unter dem Verein zugleich die Gesellschaft ver- steht, wie das bisher immer geschieht, so ist überhaupt kein Princip für das öffentliche Verwaltungsrecht desselben möglich. Denn während die Gesellschaft von aller Theilnahme der öffent- lichen Verwaltung frei sein muß, ist dieß bei dem Verein nicht möglich und auch nicht weise. Der Verein hat einen öffentlichen Zweck; er ist daher mit seinem Recht und Leben selbst ein Theil, ein Organ der Ver- waltung; seine Aufgabe, seine Thätigkeit sind der der Verwaltung analog, ja sie sind oft geradezu ihre Stellvertreter. Die Harmonie zwischen Ver- ein und Verwaltung ist daher ein Element der innern Harmonie der Verwaltung selbst. Eine völlige Scheidung zwischen Verein und Ver- waltung ist daher undenkbar; mit dem Wesen und Begriff des Vereins ist ein öffentliches Verwaltungsrecht unmittelbar gegeben. Nur muß auch hier wieder zwischen den verschiedenen Verhältnissen unterschieden werden, um zu einem einfachen System und Princip des Verwaltungsrechts zu gelangen. Da wo das Mittel, die wirthschaftlichen Bedingungen der Gesell- schaften oder der Vereine aufzubringen, in den Aktien gegeben ist, wird, ganz abgesehen von dem Zweck, die Aktie als solche Gegenstand der administrativen Thätigkeit der Verwaltung, und es entsteht das öffent- liche Aktienrecht , welches wohl von dem bürgerlichen Aktienrecht zu unterscheiden ist, und weder auf den Begriffen von Gesellschaft oder Verein, sondern auf dem Wesen der Aktie in ihrem Verhältniß zur wirthschaftlichen Werthordnung beruht. Man wird daher das öffent- liche Aktienrecht überhaupt nicht als einen Theil des Vereinsrechts, sondern als einen Theil des Verwaltungsrechts zu betrachten haben, und es daher auch unter der Kategorie der Verwaltung der Werth- ordnung darstellen müssen. Da ferner, wo der Staat einem Vereine um seines Zwecks willen eine Hülfe gewährt, wie bei den Garantieen der Eisenbahnen, hat auch im Verein der Staat einen unmittelbaren Antheil an der Verwaltung desselben. Aber auch dieser Antheil ist kein Verwaltungsrecht des Vereinswesens, obgleich derselbe unendlich viel tiefer greift, als das letztere jemals gehen kann. Hier erscheint in der That der Staat nicht als Staat, sondern als Gesellschafter. Er hat spezielle, ganz fiskalische Interessen zu vertreten und vertritt sie. Er kann befehlen und ver- bieten, aber er kann es nie wie ein Gebender dem Empfangenden, nicht wie ein Höherer dem Niederen. In dem Augenblicke, wo der Verein der Unterstützung nicht mehr bedarf, hört auch jener Antheil an der Verwaltung des Vereins auf. Und darum ist er Ausdruck nicht eines staatsrechtlichen, sondern eines privatrechtlichen Verhältnisses. Das öffentliche Verwaltungsrecht des Vereinswesens hat es dagegen nur mit dem Vereinszwecke in seiner Vollziehung zu thun. Und das Princip desselben ist für dieß sein eigentliches Gebiet ein sehr einfaches. Indem nämlich der Verein ein Körper der freien Verwaltung eines Staatszweckes ist, so hat die Regierung dem Verein nie zu be- fehlen, was er als Verein thun soll, sondern er hat nur die Interessen der Staatsverwaltung einerseits und des Publikums andererseits gegen diese Thätigkeit da zu schützen , wo sie entweder die Gesetze verletzt, oder wo der Einzelne sich selbst gegen dieselben nicht zu schützen vermag. Die Regierung hat nicht einmal zu befehlen, daß der Verein seinen Zweck erfülle — ob und wie weit er das will, ist Sache des Vereins selbst — sondern sie hat nur die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wenn er seinen Zweck erfüllt, dieß in gesetzlicher und die Gesammtinteressen nicht verletzender Weise geschehe. Nur wenn der Verein gegen besondere Rechte besondere Verpflichtungen übernimmt, kann der Staat ihn zur Innehaltung dieser Verpflichtungen anhalten. Aber das Recht zum Zwange hat er selbst in diesem Falle nur dann, wenn eine öffentliche Gefahr aus der Nichtbeachtung hervorgehen würde. Sonst bleibt ihm kein anderer als ein privatrechtlicher Anspruch gegen den Verein. Das Princip des öffentlichen Verwaltungsrechts ist und bleibt ein negatives. Aber als negatives ist es ein entscheidender Moment im Vereinsrecht, und dieß Recht des Staats enthält daher auch das Recht auf alle Bedingungen und Thätigkeiten, durch welche derselbe jene Aufgabe gegenüber dem Vereinswesen erfüllen kann. Diese Bedingungen — die Bestandtheile des öffentlichen Verwal- tungsrechts — sind folgende: Zuerst muß der Staat Organe besitzen, durch welche er seine Rechte ausübt. Zweitens muß er die Thätigkeit des Vereins kennen , und damit auch über die Vereine ein Oberaufsichtsrecht haben. Drittens muß er das Recht haben, die Vereinsthätigkeit zu suspen- diren, zu schließen oder ganz zu verbieten. Auch diese Rechte erscheinen nun in den einzelnen Vereinsarten, und selbst in dem einzelnen Vereine, in oft sehr verschiedener Gestalt; aber sie sind immer dieselben. Und im Grunde hat auch die strengste Bureaukratie wohl nie mehr als diese Rechte über das Vereinswesen beansprucht, wenn auch die Gränzen oft sehr weit vorgeschoben wurden. a) Die Organe. Die Organe, durch welche die Verwaltung ihr öffentliches Recht in Beziehung auf die Thätigkeit der Vereine ausübt, sind doppelter Natur. Sie stehen entweder im Organismus des Vereins selbst da, als die Vereinscommissäre; oder sie erscheinen nur als die gewöhnlichen amtlichen Organe der Verwaltung, die wieder die höhere oder die niedere, örtliche und temporäre Oberaufsicht ausüben. Funktion und Verhältniß beider sind wesentlich verschieden. 1) Das Vereinscommissariat. Das Vereinscommissariat ist dasjenige Organ, durch welches die Staatsverwaltung an der Thätigkeit der Organe der Vereinsvertretung unmittelbar Theil nimmt, also an der Thätigkeit des Verwaltungs- rathes. Der Vereinscommissär hat daher grundsätzlich keine andere Funktion, als die Harmonie des vom Staate anerkannten Zweckes und der vom Vereine selbst gesetzten Ordnung seiner Thätigkeit zu sichern. Und daraus gehen auch die einzelnen Funktionen desselben hervor. Es ergibt sich zuerst daraus, daß die Staatsverwaltung das Recht hat, bei genehmigten Vereinen dem Verwaltungsrathe, wenn sie es für nöthig hält, einen Abgeordneten beizugeben, ohne Rücksicht darauf, ob dieses Recht im Vereinsvertrage oder den Statuten ausgesprochen ist oder nicht. Es folgt aber zweitens, daß das Recht des Commissärs zwar nicht auf eine Theilnahme an der Abstimmung geht; jedoch muß ihm dagegen das Recht zustehen, in ordnungsmäßiger Weise die Vereins- organe darauf aufmerksam zu machen, daß sie gegen das Gesetz handeln; ebenso wenig ist ihm das Recht abzusprechen, darauf hinzu- weisen, wenn sie gegen die Statuten etwas unternehmen. Das letztere setzt aber eben die Genehmigung voraus; bei freien Vereinen kann der Commissär nur dann jenes Recht beanspruchen, wenn etwas Ungesetzliches vor sich geht. Das Recht auf die Sistirung der Be- schlüsse oder der wirklichen Vereinsthätigkeit hat der Commissär im All- gemeinen nur dann, wenn er ausdrücklich dazu beauftragt ist. Ist er das nicht, so ist es Sache des Vereins, selbst zu entscheiden, ob er sich unmittelbar dem Ausspruche des Commissärs unterwerfen, oder die Folgen seines Vorgehens gegen die Erklärung des letztern auf sich nehmen will. Es muß aber angenommen werden, daß die amtliche persönliche Erklärung des Commissärs, er habe zur Sistirung von Be- schluß oder Thätigkeit die Vollmacht, ohne weitern Beweis für gültig anerkannt werden muß; in diesem Falle hat der Commissär die Ver- antwortlichkeit für seine Behauptung persönlich zu tragen; der Verein aber muß sich demselben fügen, natürlich unbeschadet weiterer Schritte. Wesentlich anders gestaltet sich das Verhältniß, wenn die Theil- nahme der Staatsverwaltung an der Thätigkeit der Vereinsorgane aus- drücklich in den Statuten festgestellt ist. In diesem Falle muß ange- nommen werden, daß zu jeder Versammlung der Organe der Vereins- vertretung der Vereinscommissär förmlich eingeladen werden muß, selbst wenn die Statuten dieß nicht ausdrücklich bestimmen, da ohne dieses die ganze Theilnahme illusorisch werden könnte. Es ist ferner anzunehmer, daß in diesem Falle der Commissär das Recht der Theilnahme an der Debatte hat, natürlich ohne Recht zur Abstimmung. Endlich ist es anzunehmen, daß allenthalben, wo es sich um privatrechtliche Verpflich- tungen handelt, welche vermöge der Statuten oder der Concession dem Staate durch die Vereinsvertretung erwachsen, das Stillschweigen des Vertreters der Staatsverwaltung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Zustimmung der letzteren gilt, und der Beschluß damit auch für sie gültig und rechtsverbindlich wird, während dem Vertreter der Staats- gewalt aus demselben Grunde das Recht der Sistirung des Beschlusses unbedingt zusteht, auch wenn er weder gegen Gesetz noch gegen Statuten verstößt. Das Festhalten dieses Standpunktes ist von großer Wichtig- keit für die Rechtsverhältnisse des Vereinslebens. 2) Die administrativen Organe. Während das Vereinscommissariat es demnach nur mit der Ver- tretung der Vereine zu thun hat, untersteht die wirkliche Thätigkeit der- selben im Allgemeinen den Behörden im Wesentlichen in derselben Weise, wie die öffentliche Thätigkeit jedes Einzelnen. Es liegt in dem oben aufgestellten Begriff des Vereinsverwaltungsrechts, daß es sich dabei nur um polizeiliche Organe handeln kann, soweit nicht spezielle Verpflichtungen von Seiten der Gesellschaften vorliegen. Der Regel nach wird daher auch die örtliche Polizeibehörde für jeden einzelnen Akt die zuständige sein. Dieser Behörde stehen dann alle Rechte zu, welche im öffentlichen Verwaltungsrecht des Vereins liegen, und die wir gleich näher angeben werden. Der Gehorsam des Vereins unterliegt denselben Grundsätzen, wie der der Einzelnen. Fraglich kann dabei nur Ein Punkt werden, der nämlich, wo von Seiten der Behörden Forderungen gemacht oder Befehle erlassen werden, deren Befolgung bei technischen Betrieben von Seiten der technischen Direktion aus fachmännischen Gründen beanstandet werden. In diesem Falle muß unterschieden werden. Wenn die technische Direktion in der behördlichen Anordnung eine un- mittelbare Gefahr erkennt, so kann sie nicht schuldig erachtet werden, diese Anordnung wirklich auszuführen. Doch müssen die vollziehenden Organe des Vereins ihre Weigerung des Gehorsams mit fachmännischen Gründen belegen und für die Richtigkeit derselben haften. Die Unmög- lichkeit, die Absichten der Staatsverwaltung in einem solchen Falle zu vollziehen, hat alsdann die rechtliche Bedeutung eines natürlichen Hinder- nisses. Offenbar ist dagegen ein bloßer Befehl der Vertretungsorgane des Vereins, und selbst ein Beschluß der Generalversammlung, nicht ausreichend, um die Weigerung des Gehorsams gegenüber der Behörde zu begründen. Ebenso wenig kann es dafür genügen, wenn eine An- ordnung der oberaufsehenden Behörden bloß den wirthschaftlichen Erwerb des Vereins ins Stocken bringen würde, wie wenn einem Agenten einer Versicherungsgesellschaft seine Agentur suspendirt, oder der Direktion der Befehl ertheilt würde, nicht mehr nach ihren Tarifsätzen zu ver- sichern. Hier muß ohne Zweifel Gehorsam gefordert werden; dagegen haftet die oberaufsehende Behörde für den daraus erwachsenden Schaden. b) Das Oberaufsichtsrecht. Indem wir von dem Oberaufsichtsrecht bei den Vereinen reden, ist es nothwendig, dasselbe genauer zu bezeichnen. Denn es ist, obwohl mit dem Oberaufsichtsrechte über die Selbstverwaltungskörper eng ver- wandt, dennoch keineswegs mit demselben identisch. Der Unterschied aber liegt in dem Wesen der Vereine selbst. Während nämlich das Oberaufsichtsrecht bei den Selbstverwaltungs- körpern das Recht der Regierung bedeutet, einerseits den ersteren als ihren Organen etwas unmittelbar befehlen zu dürfen, während anderer- seits gewisse Beschlüsse derselben ohne die Zustimmung der Regierung nicht als vollständig gültig angesehen werden, ist beides bei dem Ver- hältniß zwischen Verein und Regierung nicht der Fall. Die Vereine sind eben darum die freieste Form der Selbstverwaltung, womit die Re- gierung als oberes Organ mit ihrer Thätigkeit und ihrem Willen gar nichts zu thun hat. Das Recht der Oberaufsicht ist daher gegenüber dem Verein kein anderes, als das allgemeine im Begriff der Sicher- heitspolizei liegende Recht der Regierung, einerseits von den Ver- hältnissen des persönlichen Lebens Kenntniß zu nehmen, andererseits negativ einzugreifen, wo dasselbe der Gesammtheit gefährlich werden könnte. Nur ist dieß Recht bei den Vereinen sehr viel weiter ausge- bildet. Da die Vereine wie die Gesellschaften eine viel größere Macht für ihre Zwecke entwickeln als die Einzelnen, sowohl dem Staat als dem Publikum gegenüber, so muß auch jene Oberaufsicht hier eine weitergehende sein. Und indem dieselbe auf diese Weise mit der Selb- ständigkeit der Vereine in Gegensatz tritt, entsteht das Recht der Ober- aufsicht (s. oben S. 240 ff.). Dieß Rech enthält demnach zwei Theile. Zuerst das Recht auf Kenntnißnahme von der Thätigkeit und den Zuständen des Vereins, und zweitens das Recht, jene Thätigkeit nöthigenfalls polizeilich zu verbieten. In diesem Rechte stehen wieder Gesellschaften und Vereine in allem Wesentlichen gleich, indem sie eben gemeinsam jenen Charakter der größern Gewalt haben, welche der Vereinigung innewohnt. Das Oberaufsichtsrecht ist aber dennoch kein einfaches, sondern erscheint in mehreren Momenten; und diese müssen für sich dargelegt werden, weil es natürlich ist, daß in den Gränzen dieses Rechts des Staats anderer- seits die Freiheit und Selbständigkeit des Vereinswesens gegeben ist. Das Recht der Kenntnißnahme oder der Ueberwachung erscheint nämlich in zwei Formen; der eigentlich polizeilichen Ueberwachung , und dem Princip der Oeffentlichkeit . Das Recht des polizeilichen Verbots zeigt uns die Modifikationen der Suspendirung , der Schließung und der Aufhebung des Vereins. Der Begriff der Oberaufsicht, wie er gewöhnlich aufgefaßt wird, zeigt sich namentlich im Vereinswesen als ein ganz unklarer. Man kann sich bei der- selben im Allgemeinen gar nichts Concretes vorstellen, obgleich man das Ge- fühl hat, daß allerdings etwas sehr Bestimmtes damit gemeint ist. Das französische Recht hat diesen Begriff des deutschen überhaupt nicht, da es die Selbständigkeit der Selbstverwaltung und der Vereine nicht kennt, und die surveillance ist rein äußerlich polizeilicher Natur. Auch in England findet man ihn nicht, weil hier nicht die Regierung, sondern nur das Gericht, und der Beamtete nur in Folge eines Rechtsspruches einschreiten kann. Die sur- vey ist die technische Polizei, die natürlich auch bei Vereinen eintritt, wo sie technische Anstalten haben, wie bei dem Einzelnen. Der Verein als Ganzes unterliegt der Oberaufsicht an sich nicht. Abgesehen von den Erwerbs- gesellschaften, auf welche sich die oben angeführte Gesetzgebung, sowie das neueste Gesetz von 1862 bezieht, und die um des wirthschaftlichen Interesses willen genau überwacht werden — alle Joint Stock Compagnies stehen unter einem eigenen registrar, der ihre Statistik führt — ist in Beziehung auf Vereine nur bei bestimmten Arten, namentlich bei den friendly societies, eine eigene gesetzliche Behörde ( Commission ) zu dem Zwecke eingesetzt, und diese übt allerdings eine ziemlich vollständige Oberaufsicht aus. Jedoch erscheint dieß wieder als ein Theil des besonderen Vereinsrechts, und gehört damit in die Verwaltungslehre. Nur das deutsche Vereinsrecht hat die Vereine als solche gesetzlich der Oberaufsicht unterworfen. 1) Die Ueberwachung der Vereine. Die Ueberwachung der Vereine ist im Allgemeinen diejenige Thä- tigkeit der Behörden, durch welche sie die Thätigkeit der Vereine zur Kenntniß nimmt, um die Gewißheit zu haben, daß von denselben nichts dem Gesammtinteresse Schädliches ausgeht. Man muß bei dieser Ueberwachung drei Formen derselben scheiden. Sie ist eine allgemein polizeiliche , eine statistische und eine technische . Ihr entspricht die Pflicht der Vereine, dasjenige zu thun und zu leisten, wodurch jene Kenntnißnahme möglich wird, während die rechtliche Gränze derselben in dem Satze gegeben ist, daß der Staat nicht mehr fordern darf, als was das allgemeine Interesse als zu wissen nothwendig er- scheinen läßt. Die polizeiliche Kenntnißnahme und Ueberwachung bezieht sich wesentlich auf die einzelnen Akte des Vereinslebens. Die Polizei hat nicht bloß das Recht, die Statuten und Beschlüsse des Vereins sich mit- theilen zu lassen, sowie die Zahl, und da wo der Verein auf persön- lichen Leistungen beruht, auch die Namen der Mitglieder von der Ver- einsleitung, sondern auch jede Auskunft über den Zweck des Vereins zu fordern. Aus demselben Grunde muß der Polizei das Recht zu- stehen, die Versammlungen und Sitzungen des Vereins durch Abgeord- nete zu beschicken. Es versteht sich, daß diese Abgeordneten nicht wie das Vereinskommissariat, an der Debatte Theil nehmen, sondern höchstens bei ungesetzlichen Vorgängen ein Verbot einlegen können. Die Verpflichtungen, die Generalversammlungen anzuzeigen, fällt schon unter die Pflicht, jede Versammlung als solche anzugeben. Die statistische Ueberwachung der Vereine beruht auf dem Werth, den statistische Angaben aller einzelnen Thatsachen für die gesammte Beurtheilung öffentlicher Zustände im Ganzen, und damit für die ver- ordnende Thätigkeit der Regierung, eventuell für die Gesetzgebung selbst haben. Dieser Werth ist nun allerdings sehr verschieden nach den ver- schiedenen Arten der Vereine; daher ist auch der Umfang der Verpflichtung, statistische Angaben mitzutheilen, durchaus keine gleiche. Auch hier kann man im Allgemeinen zwischen dem wirthschaftlichen und dem öffentlich rechtlichen Moment scheiden. Das Recht, statistische Angaben zu fordern, kann an sich allerdings nicht auf das erstere angewendet werden, da die Einnahmen und Ausgaben private Angelegenheiten der Vereinsmit- glieder sind, und nur der Zweck dem Staate angehört. Allein da, wo diese Einnahmen und Ausgaben den Aufgaben der gesellschaftlichen Ver- waltung angehören, also namentlich dem Armen- und Hülfswesen, oder der Werthordnung, also dem Creditwesen, wird das Verhältniß beider zu einer Bedingung der guten Verwaltung, und die Vereine haben hier dieselbe Pflicht, wie die Gesellschaften, der Staatsverwaltung auf Ver- langen ihre wirthschaftlichen Verhältnisse mittheilen zu müssen. Daraus ergibt sich allerdings, daß die darauf bezüglichen Anordnungen zwar aus der Verordnungsgewalt hervorgehen können, daß es aber weit ratio- neller ist, für die betreffenden Gruppen eigene Vereinsgesetze zu erlassen, welche dann bei der Bildung der Vereine und bei der Genehmigung ihrer Statuten maßgebend werden. Soweit dieß der Fall ist, gehört das Einzelne unter das eigentliche Verwaltungsrecht, wie die betreffenden Vereinsgesetze über Sparkassen, Versicherungsgesellschaften, Banken u. s. w. Die technische Oberaufsicht der Vereine hat natürlich nur da einen Sinn, wo die Aufgabe des Vereins durch technische Betriebsmittel erreicht werden muß. Im Allgemeinen stehen die Vereine in dieser Be- ziehung gerade so wie die Gesellschaften unter den allgemeinen Vor- schriften der technischen Sicherheitspolizei, und ein eigenes Vereinsrecht ist dabei nicht nothwendig, weil die Verhältnisse der Haftung ganz die- selben bei Vereinen und Gesellschaften wie bei Privaten sind. Nur bei gewissen großen, namentlich auf die Communikation bezüglichen Unter- nehmungen finden besondere Vorschriften statt, die aber mehr der Größe und Wichtigkeit des Betriebes, als dem Wesen des Vereins angehören. Diese drei Punkte bilden nun den Inhalt der staatlichen Ueber- wachung. Reben ihr steht das zweite Princip, das eigentlich erst die Erfüllung des Obigen abgibt. 2) Das Princip der Oeffentlichkeit. Die Sicherung der einzelnen Staatsbürger gegen die Thätigkeit des Vereins soll nun zwar dem Einzelnen als solchem überlassen bleiben; allein die Staatsverwaltung muß ihm die erste, für ihn als Individuum unerreichbare Bedingung dafür geben, und das ist die Möglichkeit, das Wirken des Vereins kennen zu lernen. Daraus entsteht das zweite große Princip alles öffentlichen Verwaltungsrechts des Vereinswesens, dem alle Vereine unterstehen, das Princip der Oeffentlichkeit . Die Oeffentlichkeit des Vereinswesens bedeutet nicht die Verpflich- tung des Vereins, der Staatsverwaltung über seine Thätigkeit und seinen Zustand Rechenschaft abzulegen, sondern vielmehr die Pflicht, diese Rechenschaft so einzurichten, daß auch die Nichtmitglieder des Vereins sich über den Verein diejenigen Kenntnisse verschaffen können, welche dieselben in dem Falle brauchen, wo sie mit dem Vereine in Berührung treten. Als diese Punkte müssen angeführt werden: die Angabe des Sitzes der Verwaltung, der Name mindestens des höchsten vollziehenden Organs, und die Geldgebahrung. Eine genauere Bestim- mung der anzugebenden Punkte ist nicht thunlich, wenn sie für alle Arten der Vereine gelten soll. Dagegen ist es wichtig, einen Zeitraum zu bestimmen, innerhalb dessen eine solche Veröffentlichung stattfinden soll. Das Natürliche ist, daß dabei als allgemeine Regel angenommen werde, daß der Bericht des Vorstandes an die Generalversammlung einige Zeit vor derselben publicirt werde. Es wird kaum immer möglich sein, die vollständige Veröffentlichung eines solchen Berichtes von allen Vereinen zu fordern; jedenfalls aber muß die Einsicht in die Rechnungs- bücher öffentlich möglich gemacht werden. Die Staatsverwaltung hat demnach das Recht, jeden Verein zu diesem Minimum von Oeffentlichkeit zu zwingen. Unterläßt der Verein dieselbe, so muß angenommen werden, daß die Staatsverwaltung ihrer- seits das Recht hat, diese Veröffentlichung auf Kosten des Vereins vor- zunehmen. Weigert sich der Verein die Materialien dazu zu bieten, so kann ohne Zweifel die zeitweilige Schließung des Vereins und die amt- liche Untersuchung der Vereinsakten vorgenommen werden, und es bleibt dann der Staatsverwaltung überlassen, die weiteren Schritte nach Er- messen einzuleiten. Es ist wohl schon hieraus klar, daß die Frage, wie viel außer jenen allgemeinen Punkten noch von Seiten eines Vereins veröffentlicht werden soll, nur nach der Art und dem Umfang des einzelnen Vereins bestimmt werden kann. In der Feststellung dieser Punkte müssen aber zwei Faktoren zusammen wirken, die Forderungen der Staatsverwaltung im öffentlichen Interesse, und das eigene Interesse des Vereins. Es kann natürlich von höchster Wichtigkeit gerade für das letztere sein, daß diese Veröffentlichungen so ausführlich als möglich gemacht werden. Eben daraus ergibt sich ein Rechtssatz, der der Pflicht auf Oeffentlichkeit entspricht. Wo nämlich die Geschäftsgebahrung eines Vereins im Einzelnen dargelegt wird, da muß eine wissentlich falsche Darstellung als ein Vergehen betrachtet werden, dessen Inhalt ein Versuch zum Betrug ist; nur grobe Fahrläßigkeit in der Dar- stellung ist als eine Gefährdung der allgemeinen Interessen eine schwere Uebertretung. Die Verantwortlichkeit dafür fällt natürlich, so weit sie auf fachmännischer Kunde der Verhältnisse beruht, dem Vollziehungs- organe des Vereins, so weit sie auf die übrigen Verhältnisse Bezug hat, den Vertretungsorganen zu. Es ist kein Zweifel, daß das Recht der Anklage sowohl der Staatsverwaltung als den einzelnen Mitgliedern des Vereins zusteht; es kann aber eben so gewiß auch die Anklage durch Dritte in der Weise bewirkt werden, daß sie die betreffenden Anzeigen zum Zwecke weiterer Verfolgung der Staatsanwaltschaft, beziehungs- weise der competenten Behörde übergeben. Der Verein als solcher kann jedoch dafür keine Verantwortlichkeit oder Haftung übernehmen. Das positive Vereinsrecht hat das Princip der Oeffentlichkeit eigentlich nir- gends ausgesprochen; es ist dasselbe durch die Natur der Sache weit mehr, als durch besondere Vorschriften zur Geltung gelangt, und auch hier ist es wieder die Aktie und das mit ihr verbundene allgemeine Interesse des Publikums, welches ohne Zuthun der Regierungen jenes so heilsame Princip zur Geltung gebracht hat. Die statistische Ueberwachung ist leider noch immer keine Regel geworden, und das macht das Urtheil über das Vereinswesen so sehr schwierig. Nur in einzelnen Staaten sind einzelne Gruppen von Vereinen zu statistischer Mittheilung gesetzlich verpflichtet, wie die friendly societies in England ( c. 63, Stein , die Verwaltungslehre. I. 41 Vict. 18. 19). Es wäre sehr zu wünschen, daß in dieser Beziehung eine systema- tische Ausbildung der Gesetzgebung stattfände; es sollte keine Vereinsgesetzgebung gemacht werden, ohne darüber genaue und zweckmäßige Vorschriften zu geben. Während über die polizeiliche Ueberwachung sehr ausführliche Gesetze und In- struktionen vorhanden sind, fehlen dieselben gänzlich über die statistische. Auch jene ist wieder sehr verschieden. In Preußen und Oesterreich ist dieselbe strenge. ( Rönne , preußisches Staatsrecht §. 100; Stubenrauch , österreichische Ver- waltungsgesetzkunde a. a. O.) In Baden und Bayern dagegen sehr frei, ebenso in Württemberg. ( Dietz a. a. O.; Pötzl , Verwaltungsrecht §. 103; Mohl , württembergisches Staatsrecht §. 76.) Der Grund des ersteren Standpunkts liegt offenbar nicht in der Auffassung des Vereinswesens an sich, sondern viel- mehr in den Bedenken gegen das Versammlungsrecht der politischen Vereine. 3) Suspendirung, Schließung und Verbot des Vereins. Das Recht der Suspendirung, Schließung und des Verbots der Vereine folgt aus dem Rechte der Oberaufsicht, die ohne jenes Recht nur eine Formalität wäre. Hier wird der Unterschied zwischen Verein und Gesellschaften wieder entscheidend, indem der öffentliche Zweck der ersteren der Regierung Rechte verleiht, welche der Privatzweck der letztern als unmotivirt erscheinen läßt. Die Suspension der Constituirung muß auf geschehene Anzeige eintreten, wenn der Vereinsvertrag wesentliche Punkte der Verfassung, Organisation oder Verwaltung des Vereins außer Acht läßt. Die Er- klärung der Staatsverwaltung wird in diesem Falle dahin lauten, daß der Vereinsvertrag in diesen genau anzugebenden Punkten zu vervoll- ständig n sei, und daß darüber eine zweite Anzeige gewärtigt werde. Die Constituirung hat auf diese Erklärung nicht zu warten; es ist Sache der Staatsverwaltung, sie so bald als nöthig zu erlassen; geschieht sie aber, so ist allerdings von dem Augenblicke der Uebergabe an den Verein derselbe suspendirt. Es ist wieder Sache des Vereins, sich selbst zu überlegen, ob er mit der Constituirung nicht lieber warten, oder eine solche Erklärung sich von der Behörde einholen will, ehe er sich constituirt. Thut er das letztere, so ist allerdings die Verwaltung ver- pflichtet, eine Zulassungserklärung zu geben; die Bedeutung derselben aber bezieht sich dann allerdings nur noch auf den Vereinsvertrag und auf die strenge aus demselben erfolgenden Thätigkeiten. Die Weige- rung der Verwaltung, eine solche Erklärung zu geben, enthält nicht eine Suspension der Constituirung, die nur durch eine ausdrücklich dahin lautende Erklärung geschehen kann. Der Verein kann — stets unter Voraussetzung, daß er keiner Genehmigung bedarf — auf die Gefahr der persönlichen und solidarischen Haftung seiner einzelnen Mitglieder hin sich constituiren und thätig werden. Ein zweites selbständiges Verhältniß ist das der Schließung des Vereins. Die Schließung des Vereins hat zur Voraussetzung, daß keine Suspension desselben wegen mangelnder Organisation und kein Verbot wegen des Vereinszweckes eingetreten ist. Sie kann nur stattfinden, wo der Verein bereits constituirt und in Thätigkeit ist, und bezieht sich nur auf die Fortsetzung derselben. Sie entsteht da, wo bei ausreichender Organisation und bei formell ganz zuläßigem Zwecke der Verein und seine verfassungsmäßige Organisation zur Erreichung von Zwecken ge- braucht wird, welche außerhalb des Vereins liegen. Sie kann sogar unzweifelhaft schon da eintreten, wo eine dringende Gefahr eintritt, daß ein solcher Mißbrauch geschehen könne. Die Schließung des Vereins läßt daher den Verein bestehen. Sie hebt weder den Vereinsvertrag, noch die in Gemäßheit desselben einge- setzten Organe, noch die Rechtsverbindlichkeiten, noch die Haftungen auf. Sie kann daher grundsätzlich auch immer nur eine zeitweilige sein. Mit der Aufhebung der Schließung des Vereins treten daher auch alle Organe desselben wieder in Thätigkeit. Es ist kein Zweifel, daß die Polizeigewalt das Recht auf Schließung eines jeden Vereins hat; jedoch stehen dagegen alle Rechtsmittel zu Gebote, welche gegen die Polizei- gewalt oben dargelegt sind. Die Schließung des Vereins kann endlich eine partielle sein, und sich nur auf eine bestimmte Versammlung der Mitglieder erstrecken, oder aber eine allgemeine, die sich auch auf die gesammte Thätigkeit des Organismus der Verfassung bezieht. In jedem Falle kann dabei die Führung der rein wirthschaftlichen Angelegenheiten des Vereins fort- gehen, jedoch nur so weit, als es sich darum handelt, bereits bestehende Verpflichtungen zu erfüllen. Neue Verpflichtungen, auch rein wirth- schaftlicher Natur, können in diesem Falle nur unter Gestattung der polizeilichen Gewalt eingegangen werden. Die Rechtsfrage, ob der Austritt von Mitgliedern während der Schließung des Vereins zuläßig ist, muß unter der Voraussetzung bejaht werden, daß dieser Austritt die Verfolgung derselben wegen etwa ein- gegangener Verbindlichkeiten, resp. Bestrafungen möglich läßt. Selbst die Vorstände des Vereins können erklären, daß sie ihre Thätigkeiten niederlegen; jedoch müssen sie für die Folgen der in ihrer statuten- mäßigen Verwaltungsdauer vorgekommenen Thätigkeiten haften. Jeden- falls sind sie verpflichtet, während der Schließung diejenigen Vereins- handlungen vorzunehmen, wozu sie von der Behörde aufgefordert werden. Wollen sie es nicht, so müssen sie zulassen, daß die Behörde wie bei einer hereditas jacens einen Curator bestellt. Wenn die Schließung aufgehoben ist, treten ohne besonderen Beschluß alle Organe sofort wieder in ihre statutenmäßige Thätigkeit und Verpflichtungen ein. Das letzte Verhältniß ist nur das des Verbotes eines Vereins, dem die polizeiliche Auflösung entspricht. Das Verbot eines Vereins kann nur ausgesprochen werden, weil der Zweck eines Vereins dem Staatszwecke widerspricht. Es kann ebendeßhalb gegen dieses Verbot keine Berufung an ein Gericht statt- finden, da kein Gericht über den Staatszweck, sondern nur über die Gesetze des Staats zu entscheiden hat. Nur in Einem Falle kann ein Verbot auch wegen der Organisirung des Vereins gedacht werden; dann nämlich, wenn der Verein sich statutenmäßig zum organischen Gliede eines außerhalb des eigenen Staates stehenden Vereins macht. Der Grund eines solchen Verbots beruht unter allen Umständen darauf, daß die Gewähr für die Innehaltung aller Verpflichtungen des Vereins sowohl gegenüber dem Staate als dem Einzelnen darin besteht, daß der Verein als juristische Persönlichkeit mit seinem Willen und Thun dem Urtheilspruche und der Vollziehung des einheimischen Gerichts unterliegen muß, während der einheimische Verein als Glied eines aus- wärtigen nicht mehr als selbstbestimmte Persönlichkeit, sondern nur als Organ des dem Staate fremden und ihm nicht haftenden Willens er- scheint. Schwierig kann diese Frage nur da werden, wo ein einheimischer Verein, statt ein untergeordnetes Glied eines größeren auswärtigen Vereins zu sein, unter formeller Aufrechthaltung seiner Selbständigkeit in Verbindung mit einem fremden steht, die zum Theil so weit gehen kann, daß es zweifelhaft wird, ob er noch ein selbständiger Verein ist oder nicht. Hiefür läßt sich, da das Vereinswesen so unendlich viele Formen und Zwecke hat, nichts für alle Fälle bestimmtes sagen, da sogar die Aufstellung eines eigenen Vereinsorganismus die formelle Selbständigkeit mit einer unzweifelhaften materiellen Unterordnung ver- binden kann. Man muß daher zu dem Schlusse kommen, daß die Staatsverwaltung in allen diesen Fällen das Recht hat, eine genaue Darlegung des Sachverhältnisses unter solidarischer Haftung der Vor- standsmitglieder für die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Angaben zu fordern, und dann von Fall zu Fall zu entscheiden. Diese Ent- scheidung kann auf Auflösung des Vereins lauten, und zwar dann, wenn der Vereinszweck ohne jene Verbindung mit dem fremden Vereine nicht verwirklicht werden kann; und zwar darum, weil in diesem Falle sich diese Verbindung sicher von selbst wieder herstellen wird. Sie kann aber auch auf Abbrechen der Verbindung lauten, welche dann nach der Natur des Vereins zu erzielen ist. Es ergibt sich daraus, daß das Verbot eines Vereines vor der Constituirung, die Auflösung desselben nach der letzteren eintreten kann. Jenes entspricht der Suspendirung, dieses der Schließung. Die Auf- lösung des Vereins hat daher auch keineswegs die Aufhebung der be- reits eingegangen Verbindlichkeiten, und zwar weder der Vereinsorgane gegen den Verein, noch des Vereins gegen Dritte zur Folge; im Gegen- theil müssen dieselben erst alle auf dem bürgerlichen Rechtswege wie bei einer Concursmasse abgewickelt werden. Zu dem Ende kann ein Curator bestellt werden, wenn man nicht die wirthschaftlichen Ange- stellten des Vereins dazu benutzen kann und will, wobei dann alle Grundsätze der Curatel eintreten. Während diese Grundsätze für den Verein gelten, läßt sich eine Anwendung derselben auf Gesellschaften nicht denken, selbst da nicht, wo dieselben auf Aktien gegründet sind. Hier hat der Staat vielmehr im Interesse des Publikums andere Pflichten. Er muß bei Aktiengesell- schaften, welche durch ihre Verwaltung Gefahr erzeugen, daß das Interesse des Publikums ernstlich beeinträchtigt werde, entweder schon in den Statuten die Bestimmungen festsetzen, unter denen die Auflösung der Gesellschaft geschehen muß, und die sich namentlich an ein gewisses Maß des Verlustes des Unternehmungskapitals anschließen, oder er muß diese wirthschaftliche Auflösung selbst in die Hand nehmen, und als obervormundschaftliche Behörde dieselbe leiten. Hier ist das Gebiet, in welchem wieder das Handelsrecht als das Verwaltungsrecht des Ge- sellschaftswesens eintritt, und wo die Lehre des Handelsrechts beginnt. Die Vereinsgesetze haben fast durchgehend nicht das Verhältniß des Ver- bots der Vereine im Ganzen im Auge, sondern vielmehr nur die Schließungen der einzelnen Versammlungen derselben, was mit dem Gesichtspunkt der polizei- lichen Ueberwachung der politischen Vereine eng zusammenhängt (s. oben). Die meisten Vereinsgesetzgebungen verbieten ausdrücklich jede Verbindung der Ver- eine unter einander , was natürlich wieder nur auf politische Vereine bezogen werden kann, da es bei nicht politischen keinen Grund hat, und zum Theil gar nicht ausführbar ist, für die meisten Gesellschaften aber ein direkter Wider- spruch mit ihrer Aufgabe wäre. In England existiren solche Verbote natürlich nicht; hier sind dagegen die Bestimmungen über die Auflösung der Gesell- schaften genau normirt, indem die Winding-up-Acts in den Gesellschafts- gesetzen aufgenommen sind (s. Gneist II, §. 125). In Frankreich ist das Verbot der Affiliation schon in der Constitution von 1791 und in dem all- gemeinen Gesetze vom 10. April 1834 enthalten. Uebrigens ist, so viel wir sehen, nur in Frankreich das Recht des Verbots mit Rücksicht auf den Unter- schied zwischen Gesellschaft und Verein klar durchgeführt. Schon das Dekret vom 16. August 1790 gab der police municipale das Recht der surveillance, aber nur auf politische Vereine. Nach der jurisprudence administrative hat die Polizei daher auch jetzt nur das Recht dieser surveillance und eventuell des Verbots bei réunions publiques, allein nicht bei réunions des action- naires und bei associations de bienfaisance; diese Grundsätze sind neuerdings bestätigt durch Dekret vom 25. März 1852, welches die geheimen Verbindungen direkt verbietet. Die französische Jurisprudenz ist ausführlich dargelegt bei Laferri è re ( Droit admin. P. I. S. III. p. 439 sq. ). Es wäre sehr wün- schenswerth, daß die deutsche Gesetzgebung und Theorie dieselben Gesichtspunkte zur Geltung brächte. In Oesterreich hat das Vereinsgesetz von 1852 die Verbindungen der Vereine strenge verboten. Ueber Preußen s. Rönne a. a. O.; über Bayern Pötzl das. Was das Handelsgesetzbuch in seinen Be- stimmungen über die Auflösung von Gesellschaften betrifft, so dürfen wir hier verweisen auf Auerbach (Gesellschaftswesen Bd. III. Kap. XIV. ), und Stuben- rauch (Handbuch des Handelsrechts S. 318. zu §. 131 und 132 des Handels- gesetzbuches). Das preußische Gesetz vom 9. April 1843 bezieht sich nur auf die Auflösung von Aktiengesellschaften, §. 282. Das besondere Vereinsrecht . Während nun das bisher dargestellte Allgemeine Vereinsrecht auf dem, allen Arten des Vereins gemeinsamen Wesen des Vereins und des Staats beruht, entsteht das, was wir das besondere Vereins- recht nennen, durch die besondern Verhältnisse jedes einzelnen Vereins, und enthält daher die Formulirung und Bestimmung derjenigen Modifika- tionen des allgemeinen Vereinsrechts, welche entweder durch den Zweck oder den Umfang oder sonstige äußere Verhältnisse des einzelnen Vereins geboten erscheinen. Das besondere Vereinsrecht wird daher stets in den Statuten, oder dem Vereinsvertrage des einzelnen Vereins gegeben sein, und es kann daher keine wissenschaftliche Darstellung desselben geben. Das Verhältniß des bisher dargelegten allgemeinen Vereinsrechts zu dem be- sonderen besteht nun darin, daß das erstere als die Quelle der Inter- pretation des letzteren gelten muß, wo die Bestimmungen von Vertrag oder Statut nicht ausreichen. Die selbständige Aufstellung der Kategorie eines besonderen Ver- einsrechts hat daher nur nach einer ganz bestimmten Seite hin einen Sinn, und dieser ist folgender. Die Darstellung des Systems der Vereine hat gezeigt, daß die Vereine sich nach den Aufgaben der inneren Staatsverwaltung scheiden. Denkt man sich nun, daß eine und dieselbe Aufgabe der letzteren durch eine Mehrheit von einzelnen Vereinen erfüllt werden soll, so wird die spezielle Natur dieser Staatsaufgabe wieder als gemeinsamer Zweck aller dahin gehörigen Vereine erscheinen. Und es ist klar, daß daher auch die Gleichartigkeit dieses Zweckes für alle solche Vereine eine gewisse, durch denselben bedingte Gleichartigkeit des Verfassungs- und Verwaltungsrecht dieser Vereine erzeugen muß. Eben so haben wir im Gebiete der inneren Verwaltung des Ver- einswesens drei Grundformen aufgestellt, in welchen die Vereine sich die Mittel ihrer Thätigkeit erschaffen, die Beitrags-, die Gegenseitigkeits- und die auf Antheilen beruhenden Erwerbsvereine bezeichnet, womit gleichfalls eine solche Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse der Vereine ohne Rücksicht auf ihre speziellen Zwecke gegeben ist. Wir würden deßhalb das besondere Vereinsrecht dasjenige Ver- einsrecht nennen können, welches für die einzelnen Arten oder Gruppen der Vereine dasjenige dem einzelnen dahin gehörigen Vereine demnach gemeinsame Recht bestimmt, welches entweder durch die Natur des be- stimmten Staatszwecks gefordert wird (z. B. Eisenbahnen, Dampfschiff- fahrtsgesellschaften), oder welches aus der Natur der wirthschaftlichen Mittel derselben hervorgeht (z. B. Aktienrecht). Da nun aber dem Obigen gemäß dieß Recht aus dem Wesen des Staatszweckes hervorgeht, so bildet die Entwicklung dieses letztern offen- bar die Grundlage für Inhalt und Verständniß des ersteren. Es kann daher auch nicht anders als im Anschlusse und gleichsam als Con- sequenz desselben in geeigneter Weise dargestellt werden, oder, es bildet dieß besondere Vereinsrecht nicht mehr einen Theil der vollziehenden Gewalt, sondern einen Theil der Verwaltungslehre, und wird daher bei den betreffenden Abtheilungen derselben erst in seinem rechten Um- fang und Inhalt untersucht werden können. Man würde es nur dann ohne Nachtheil aus dieser Verbindung herausreißen und es gleichsam als zweiten Theil der Vereinslehre darstellen können, wenn wir bereits eine ausreichende, organische Verwaltungslehre besäßen. Bis dahin müssen wir daher für das allerdings hochwichtige und weitgreifende Ge- biet auf die letztere verweisen; und in diesem Sinne können wir sagen, daß das besondere Vereinsrecht den Uebergang von der Lehre von der vollziehenden Gewalt im Staate zur Lehre von der innern Verwaltung bildet.