Physiognomische Fragmente, zur Befoͤrderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, von Johann Caspar Lavater. Zweyter Versuch . Mit vielen Kupfertafeln. Leipzig und Winterthur , 1776 . Bey Weidmanns Erben und Reich , und Heinrich Steiner und Compagnie . An Louisen Prinzessinn von Hessen-Darmstadt regierende Herzoginn von Weimar. Vortreffliche Fuͤrstinn, D en zweyten Theil dieser, unter mancherley Drang bearbeiteten Frag- mente, lege ich mit dem Wunsche und mit der beruhigenden Hoffnung Ew. Durchl. zu Fuͤßen: daß Sie Wahrheit, Nutzen und Vergnuͤgen daraus schoͤpfen, Sich aufs neue Jhrer Menschheit, und des Vaters der Mensch- heit, und des Urbildes der Menschheit freuen werden. — Mehr sag’ ich nicht, denn ich weis, daß Jhr Herz, zu der wahresten Empfindung rein gestimmt, das beste Gefuͤhl schon entweiht achtet, wenn es in Worte uͤbergeht. Zuͤrich, den 24. Jaͤnner 1776. Johann Caspar Lavater, Pfarrer am Waisenhause. Jnnhalt Jnnhalt des zweyten Versuchs. Einleitung. Besorgnisse und Hoffnungen des Verfassers. Seite 1 I. Fragment. Allgemeinheit des physiognomi- schen Gefuͤhles. 8 1. Tafel. 1 Tafel. 9 Umrißkoͤpfe nach Poußin. 11 2. Tafel. 2 — 16 Portraͤte im Profil, schattirt. 13 II. Fragment. Seltenheit des physiognomi- schen Beobachtungsgeistes. 16 3. Tafel. 1 — 4 Umrisse von Kleist. 18 4. Tafel. 2 — 4 Umrisse eines Christuskopfes. 21 Zugabe. Charakter des Herrn von Kleist, von Herrn Hirzel. 24 III. Fragment. Trefflichkeit aller Menschen- gestalten. 27 Zugabe. Einige Bemerkungen uͤber Neugebohr- ne, Sterbende, Todte. 33 IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menschenkenntniß und Menschenliebe. 36 V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Physiognomik uͤberhaupt. 41 VI. Fragment. Beantwortung einiger beson- dern Einwendungen. 48 VII. Fragment. Ueber Verstellung, Falsch- heit, Aufrichtigkeit. 55 VIII. Fragment. 5. Tafel. Sokrates nach Rubens, schattirt. 64 6. — Zugabe. Ueber zwey Mundstuͤcke. 71 7. — 2 Zugabe. 9 Profilumrisse von Sokrates. 75 IX. Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey. S. 78 X. Fragment. Einige Stufen von Urtheilen uͤber Portraͤte. 86 XI. Fragment. Ueber Schattenrisse. 90 XII. Fragment. Fortsetzung. Was man aus bloßen Schattenrissen sehen koͤnne? 94 8. Tafel. Fortsetzung. I. Tafel. 6 maͤnnliche bloße Umrisse. 100 9. — —— II. — 4 schwarze maͤnnliche Schattenrisse in Ovalen. 103 10. — —— III. — 4 schwarze maͤnnliche Schattenrisse mit Linien. 104 11. — —— IV. — 4 maͤnnliche etwas kleiner. 105 12. — —— V. — 3 maͤnnliche Kahlkoͤpfe. 107 13. — —— VI. — 4 maͤnnliche in Ovalen. 108 14. — —— VII. — 2 maͤnnliche, 2 weibliche Schattenrisse von demselben Kopfe. 111 15. — —— VIII. — 4 weibliche Silhouetten in Ovalen. 115 16. — —— IX. — 6 weibliche bloße Umrisse. 117 17. — —— X. — 3 weibliche ganz schwarze Silhouetten. 119 18. — —— XI. — 4 weibliche Schattenkoͤ- pfe in Ovalen, dieselbe Person zweymal. 121 19. — —— XII. — 9 weibliche Umrisse. 123 XII. Fragment. 20. Tafel. Fortsetzung. XIII. Tafel. 4 maͤnnliche Umrisse in Ovalen, mit Linien. T. 125 21. Tafel. Jnnhalt des zweyten Versuchs. 21. Tafel. Fortsetzung. XIV. Tafel. 6 Umrisse von Silhouetten mit Linien. F .. t .. S. 127 22. — —— XV. — 4 maͤnnliche Kahlkoͤpfe von hinten. 132 II. Abschnitt. XIII. Fragment. 23. Tafel. Thierschaͤdel. Umrisse von verschiede- nen Thierschaͤdeln. 139 XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. 143 I. Von der Bildung der Knochen, be- sonders der Schaͤdel. 143 II. Winke fuͤr den Physiognomisten. 147 III. Einwendung und Beantwortung. 148 IV. Weitere Beantwortung. 149 24. Tafel. V. Derselbe Schaͤdel zweymal auf einem Blatte. I. Tafel. 152 25. — VI. Vier Schaͤdel. II. Tafel. A. 155 VII. Unterschied der Schaͤdel in Anse- hung der Geschlechter. 157 26. — VIII. Drey Schaͤd e l, eines Hollaͤnders, Calmucken, und Mohren. III. Ta- fel B. 159 IX. Noch einige Anmerkungen uͤber den Bau und die Gestaltung der Schaͤdel. 161 X. Von Kinderschaͤdeln. 163 27. — XI. Fortsetzung. 4 Kinderschaͤdel. C. IV. Tafel. 166 28. — XIII. Von einer andern Art, die Schaͤdel zu beobachten. Ein aufm Ruͤcken liegender Schaͤdel. E. V. Tafel. 167 29. — XIV. Stirnen. VI. Tafel. 169 30. — XV. Ein umgekehrter Schaͤdel. F. VII. Tafel. 169 XVI. Poetischer Beschluß. 170 XV. Fragment. Affen. 174 31. Tafel. I. Tafel. 32 Affenkoͤpfe. 175 32. Tafel. II. Tafel. 2 Affenschaͤdel. S. 178 XVI. Fragment. Schwache, thoͤrichte Men- schen. 181 33. Tafel. I. Tafel. 4 Umrisse von maͤnnlichen Tho- ren. 181 34. — II. — 4 weibliche Profilumrisse von Thoͤrinnen. 182 35. — III. — 3 maͤnnliche. 1 weiblicher. 183 36. — IV. — 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe. 184 37. — V. — 6 weibliche schattirte Koͤpfe nach Chodowiecki. 185 38. — VI. — 16 idealische Profilkoͤpfe nach Chodowiecki. Umrisse. 187 Beschluß. 189 XVII. Fragment. Thierische Stumpfheit; Hornkraft. 192 39. Tafel. Eine Tafel, Widder, Ziegen, Schaafe. 192 XVIII. Fragment. Zerstoͤrte menschliche Na- tur. 194 40. Tafel. Ruͤdgerodt. 194 XIX. Fragment. 41. Tafel. Philipp der III. 197 XX. Fragment. 42. Tafel. Matthias, Kaiser. 198 XXI. Fragment. 43. Tafel. Ochsen, Hirsche, Haasen. 199 XXII. Fragment. Eine Reihe von Fuͤrsten und Helden. 200 44. Tafel. I. Philipp der gute. Umriß. 200 45. — II. Wilhelm der III. 200 46. — III. Rudolph der I. 201 47. — IV. Albert der I. Umriß. 201 48. — V. Friedrich der III. 201 49. — VI. Friedrich der IV. 202 50. Tafel. Jnnhalt des zweyten Versuchs. 50. Tafel. VII. Wilhelm, Graf zu Nassau. S. 202 51. — VIII. Ernst, Graf zu Mannsfeld. 202 52. — IX. Uladislaus der VI. 203 53. — X. Maximilian. 203 XXIII. Fragment. 54. Tafel. Voͤgel. I. 17 Voͤgelkoͤpfe. 205 55. — II. Goldadler. 207 XXIV. Fragment. Feldherren. Admiraͤle. 208 56. Tafel. I. Bourbon und Ruyter. Umriß. 208 57. — II. Marlbourough. 208 XXV. Fragment. 58. Tafel. Kameele. Dro- medare. 210 XXVI. Fragment. Treue, feste Charaktere von Leuten gemeiner Extraction. 211 59. Tafel. I. Ein zuͤrcherscher Landmann, Z. B. schat- tirt. 211 60. — II. Zween zuͤrcher Bauren, A. B. schattirt. 212 61. — III. Ehrlichkeit, Droituͤre, Halbumriß, halbschattirt. Bonhomie. Hoze. 215 62. — IV. Kleinjogg, von Chodowiecki, schat- tirt. 216 XXVII. Fragment. 63. Tafel. Hunde. 218 XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. 220 64. 65. Tafel. I. II. Coͤlla, schattirt im Profile. 220 66. — III. Lips, mit beyden Augen, schattirt. 222 67. — IV. Pfenninger, Profil, schattirt. 225 XXIX. Fragment. Noch einige andere Kuͤnst- ler. 227 68. Tafel. I. P. B. d. M. ein schattirtes Profil. 227 69. — II. Janus Lutma. Umriß. 229 70. — III. Paul duͤ Pont, ein schattirter Kopf nach Vandyk. 230 71. Tafel. IV. 2 Portraͤte von Vandyk, schattirt. S. 232 XXX. Fragment. Sanfte, edle, treue, zaͤrtli- che Charaktere vom gemeinsten Menschenver- stande an bis zum Genie. 233 72. Tafel. I. H. St. zwey schattirte Profile. 233 73. — II. H. ein schattirtes Profil. 234 74. — III. 4 Umrisse im Profil. 236 75. — IV. St. ein schattirtes Profil. 239 76. — V. H ... Z. ein schattirtes Profil. 241 77. — VI. P ... t. ein schattirtes Profil. 242 78. — VII. I. L. P. dasselbe Gesicht mit beyden Augen, schattirt. 242 79. — VIII. C... s de St... g. Umrisse. 244 80. — IX. C... s de St... g. schattirt und Schattenrisse. 244 XXXI. Fragment. 81. Tafel. Baͤren, Faul- thier, Wildschwein. 252 XXXII. Fragment. Helden der Vorzeit. 254 82. Tafel. I. Scipio, Umriß. 254 83. — II. Titus, schattirt. 255 84. — III. Tiberius, schattirt. 256 85. — IV. Brutus, schattirt. 256 86. — V. Brutus, Umriß. 256 87. — VI. Caͤsar, Umriß. 259 88. — VII. Caͤsar, schattirt. 259 XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. 260 89. Tafel. I. Loͤwen, Tieger, Katzen, Leoparden. 261 90. — II. Loͤwen und Loͤwinn mit Jungen. 262 91. — III. Loͤwen. 262 XXXIV. Fragment. Gelehrte, Denker, vom Sammlergeiste bis zum wuͤrksamsten, kraftvollsten Genie. 264 b 92. Tafel. Jnnhalt des zweyten Versuchs. 92. Tafel. I. Meyer, ein schattirtes Profil. S. 264 93. — II. 3 maͤnnliche Silhouetten. 265 94. — III. Nach Holbein, ein Umriß. 265 95. — IV. und V. Erasmus, Umrisse. 267 96. — VI. Breitinger, I. I. B. ein schattirtes Profil. 269 97. — VII. Zwinglius, Umriß. 271 98. — VIII. Cartesius, schattirt von vornen. 273 99. — IX. 4 Koͤpfe von Neuton, schattirt. 276 100. — X. 2 Koͤpfe von Neuton, Umriß. 278 XXXV. Fragment. 101. Tafel. Elephanten, Rinozeros, Hippopotamus. 280 XXXVI. Fragment. Religioͤse, Schwaͤrmer, Theosophen, Seher. S. 281 102. Tafel. I. Ein schattirtes Profil mit weißen Haaren. 181 103. — II. M. Theosophus, zwey Profile, schat- tirt und Umriß. 283 104. — III. Plato, Umriß. 284 105. — IV. H .... nn. ein schattirtes Portraͤt von vornen. 285 106. — V. Johannes, ein Umriß nach Vandyk. 287 Beschluß. 289 Einleitung. Einleitung. M it Zittern und Beben, mit Hoffnung und Wonne fang’ ich den zweyten Theil dieser phy- siognomischen Fragmente an. Warum mit Zittern und Beben? ... Um der großen Erwartungen, der großen Leser wil- len, mit denen ich mich umringt sehe? — Jch kann nicht sagen, daß mich das ganz gleichguͤltig lasse; daß ich nicht oft in einander fahre, wenn ich mich so dem erlauchten und erleuchteten Pu- blikum vorgefuͤhrt erblicke; — daß ich nicht oft meine entsetzliche Kleinheit und Duͤrftigkeit, das ungeheure Mißverhaͤltniß meiner Kraͤfte zu der unermeßlichen Arbeit so tief fuͤhle, daß mir kalter Schweiß uͤber den Leib zu rinnen scheint; allein, das ist’s doch nicht eigentlich, was mich am mei- sten zittern macht. — Phys. Fragm. II Versuch. A Aber Einleitung. Aber zittern und beben muß’ ich deßwegen vornehmlich, weil ich die wenigsten meiner Leser in den wahren Gesichtspunkt setzen — oder darauf fest halten kann. Nicht den Lesern, mir will’ ich die Schuld davon beymessen. Jch kann nicht wuͤrken, was ich wuͤrken will; und das sollt’ ich koͤnnen. Wer gut schreibt, wird gut gelesen. Der Verfas- ser soll die Leser bilden. — Mit welchem Maße jeder mißt, mit demselben wird ihm zu- ruͤck gemessen. — Beyfall und Lob ist leicht zu ermessen; aber Wuͤrkung? und gerade die Wuͤr- kung, die man will? — — Allein! — Wer kann schreiben, wie er denkt? wie er fuͤhlt? — O wie schwer hat’s der Autor, der schaut und empfindet, und andre schaun und empfinden machen will? — und wer schwe- rer, als der Autor der Menschheit? — Und wann soll der schreiben, um nicht als Schriftsteller, um als Mensch, um nicht fuͤrs Publikum, sondern fuͤr Menschen zu schreiben? — Um die innersten Sayten der Menschheit zu treffen? Um durchs Menschengeschlecht, durch Jahrhunderte hinab, durch alle Stuͤrme von Mit- schriftstellern, alle Fluthen von Modegeschmacke sicher fortzuwuͤrken, auf alles, alles was Mensch heißt? Auf jede noch offne bloße Seite der Menschheit? Wie? wann? — — Jn einem Zeitalter, wo alles Schriftsteller, Leser, Gelehrsamkeit, Kunst, und ach so wenig Natur, so wenig reine Menschheit, so wenig reines Jnteresse fuͤr Wahr- heit, so wenig Durst nach Freyheit ist, wo alles sich im Kunstkleide, im Putz gefaͤllt, und niemand merkt, daß auch das schoͤnste, geschmackvollste Kleid — Denkmal des Verfalls und Joch ist, un- ter dem der Sohn der Natur — schmachtet, und in den besten Stunden seines Lebens blutige Thraͤnen weinen moͤchte... Wie also schreiben und wann? Jn den stillsten, ruhigsten, seligsten Augenblicken dieses — nur aufkeimenden Muͤhevollen Lebens in dieser Daͤmmerung? Jn jenen Augenblicken, die sich nicht herrufen, nicht erzwingen, mit nichts erkaufen lassen, die gegeben werden vom Vater des Lichtes, nicht aus der Erde herauf, herab vom Himmel kommen? Jn Augenblicken, deren der Thor lacht, und der weltweise Buchstaͤbler spottet — deren Werth niemand kennt, als wer sie genießt; in Augenblicken der still sich aufhellenden Morgenroͤthe; des daͤmmernden Abends, wenn vollendet ist das Gute, das zu vollenden man sich des Morgens vorzeichnete; wir uns so ausruhend hinstrecken, ein geistreicher, mitfuͤh- Einleitung. mitfuͤhlender, mitfortstrebender Freund, eine zartfuͤhlende, edle schwesterliche Freundinn ohne An- maßung, Messung oder Hervordringung ihrer selbst — an der Seite — Jn solchen Augenblicken, oder in denen seltnern der schlaflosen Mitternacht, wo wir erwachend an der sanften edeln Gattinn Seite, die daͤmmernde Lampe, oder herrlicher, das zaubernde Mondlicht das schlafende Antlitz an- leuchten, — wir Knaben und Toͤchterchen, Fleisch von unserm Fleisch, und Gebein von unsern Gebeinen, Bett an Bette — mit uͤberm Haupt geworfnen entbloͤßtem Arme rosenroͤthlich und suͤß- traͤumend, da liegen sehen, und das sanfte Concert des hoͤrbaren sorglosen Athemholens, unsere Brust mit Ahndungen umhauchet; ach — in den seltnen seligen Augenblicken, wo Abschiedneh- mend nach durchwachter, durchschwatzter, durchweinter Nacht — ein Geliebter, oder Bruder, und Freund — im Lichte des Mondes stehn ... ihr Schatten auf dem Boden der Gasse vorm voruͤber- fliegenden Woͤlkchen verschwindet, wieder hervor koͤmmt — — wir Hand in Hand stehn, uns an- sehn, niedersehn, schweigen, gen Himmel sehn — „Jtzt noch da — in meiner Hand noch, und „Morgen — fern schon, und Jahre nicht mehr! vielleicht nicht mehr hienieden“ — — Diese Ge- danken mit den tiefern zusammen fließen: „Wir sind — ... wie wurden wir? wie kommen wir „zusammen — wir sind ... werden seyn, zusammen seyn?“ — Jeder Herzschlag gleichsam zehen- tausendfach an den Graͤnzen der herrlich gezeichneten Bildung vielbedeutend wiederholt, der Blick von der Woͤlbung des Hauptes durch alle Gewebe, Labyrinthe, Knochen, Adern, Fibern, Ner- ven bis zu den Fersen niederwallt, in allen den Einen allbeseelenden Geist sieht .... der uns kennt, uns liebt, fuͤhlt, umfaßt; den wir kennen, lieben, umfassen; der sich in dem unsrigen, wie wir uns in dem seinigen, erspiegelt — ach, Gedank’ auf Gedanke stuͤrzt — und sich immer verzoͤgert der letzte, letzte Haͤndedruck, der letzte Kuß auf die Stirn, die Backen, den Mund — ach in diesen menschlichsten Augenblicken, deren jeder uns mehr Gedanken, Wuͤnsche, Freuden, Ahndungen, Hoffnungen — zufuͤhrt, als oft ganze Tage und Wochen — in diesen Augenblicken, wo der Mensch seine Menschheit fuͤhlt; seinen Namen — wie sein Gewand vergißt — — sich der Menschheit ab- sichtlos freut; — Jn solchen Augenblicken — sollte man Menschen zeichnen und uͤber den Menschen schreiben; allein, wer mag’s dann? — und nachher, wer kann’s? Wem ekelt’s nicht, den Nachklang sei- ner reinsten, edelsten Wahrheitsgefuͤhle, — in Linien von Dinte oder Bley zu formen? — Oder A 2 wer’s Einleitung. wer’s versucht, und was davon hinstottert — wer kann’s dann ertragen, dieses mißverstanden, mißgefuͤhlt, und vielleicht, diese Perlen von Schweinen zertreten zu sehen? Unertraͤglich wird mir das bißgen Menschenkenntniß oder Physiognomik, das mir zu Theile ward, wenn ich diese seligen Gefuͤhle der Menschheit zertreten, und allein die Faͤden oder Seile, woran sie hangen — statt ihrer — beurtheilt, getadelt — oder bewundert sehe; wenn ich, was Mittel seyn sollte, Zweck werden sehe; wenn ich mich als positife Veranlassung — nur zu kleinli- chen, entziefernden Menschenrichtereyen — denken muß; — wo ich Gottes Wahrheit im Besten, Schoͤnsten, was auf Erden ist, im Menschen; im Besten, Schoͤnsten, was des Menschen ist, im Menschengesichte, wo nicht darstellen, doch ahnden lassen wollte; wo ich die Huld und belebende Milde des Vaters aller; wo ich seine einfach und tausendfach wuͤrkende Weisheit andeu- ten; wo ich die Menschen Weisheit im Schweigen und Wuͤrken — lehren; wo ich die reinste, edelste Menschenfreude wecken, ausbreiten wollte. Das ist’s, Bruder, was ich nicht tadelsweise sage, was ich bloß als Last, die schwer druͤckt, dir entdecke! Glaub’s mir, naher oder ferner Leser, wie nun immer deine Gestalt seyn, deine Seele sich im Gesichte zeigen, — wie nun immer mein Buch vor dir liegen mag — aufm glatten Mar- mortische unterm verguͤldeten Leuchter, oder auf rohem Pulte, oder aufm Kniee, oder bloß ange- staunt im Zirkel — neu- und wundergieriger Gesellschafter; glaub’s mir, Leser, wer du seyst: nicht das Gelaͤrm unpruͤfender Verurtheilungen; nicht vor oder nacheilende Verlaͤumdungen — Zeit und Thaten, nicht Worte sollen mich rechtfertigen — — nicht das edle Freudenthraͤnen werthe Seufzen schwacher Frommen; „was soll uns Physiognomik? was hat Er mit Jhr?“ — nicht dieß haͤlt mich auf, meinen Pfad fortzuklimmen — Jch weiß, daß ich wichtige Wahrheit suche, oft finde, und was ich finde, redlich gebe. Was also Spott oder Seufzen mich abhalten lassen, zu geben, was ich empfangen habe? Aber das macht mir bange, macht manche einsame Stunde mein Herz gluͤhend, daß das Große, das ich bezwecke, bezwecken soll: Gefuͤhl der Menschenwuͤrde; Freude an der Menschheit; — Anschaubarkeit Gottes im Menschen — Oeffnung eines neuen uner- schoͤpflichen Quells der Menschenfreude, daß dieß von den wenigsten meiner Leser erreicht, oder nur geahndet wird; — daß ich also in den Augen der meisten nur Zeitkuͤrzer — bin — — Aber Einleitung. Aber nur das zu seyn, Leser, dazu bin ich zu stolz, und allein fuͤr den Zweck ist mein Werk zu kostbar. — Nicht bloß amuͤsiren moͤcht’ ich Euch, Leser! — Jch moͤcht’ euch die Menschheit heilig und ehrwuͤrdig machen; moͤcht’ Euch im Kleinsten, im Groͤßten, im Theil, im Ganzen der Mensch- heit — Gottes Weisheit, Gottes Guͤte, Wahrheit Gottes aufschließen, fuͤhlbar machen, wie alles, das Geringste am Menschen, am Liebling Gottes, Ausdruck, Wahrheit, Offenbarung ist — Aufschluß gegenwaͤrtiger und kuͤnftiger Kraͤfte .... Steine moͤcht’ ich hinlegen, oder hinwerfen, in den Bach, der oft reissender Strom wird, hier einen kleinen, einen großen dort, auf den Euer Fuß allenfalls treten, von da er fortschreiten kann von Ufer zu Ufer — Etwa die Hand reichen kann ich, oder den Stab; nicht mit dem Stabe den Strom spalten, daß wir trocken und Heerweise durchkommen — ins Land, das von Milch und Honig fließt. Menschen! Jch moͤchte mit Euch den Menschen kennen, und fuͤhlen lernen; — fuͤhlen lernen, welch Gluͤck und Ehre es ist, Mensch zu seyn. Und dann, welche Hoffnung und Wonne, wenn es mir bisweilen hoͤchst wahrscheinlich wird — daß ich wenigstens bey einigen — wo nicht sogleich in der ersten Gaͤhrung, doch nach und nach, vielleicht bey vielen, meinen Zweck zum Theil erreichen werde? Daß mir’s doch gelingen koͤnnte, dieß heilige Gefuͤhl der Menschenwuͤrde allgemeiner zu machen? Welche Erhebung meines Muths dann, welchen Zusammenfluß aller meiner Kraͤfte, welche Freudigkeit empfind’ ich, wenn ich mich in den Augenblicken, da ich mich hinsetze, uͤber meine Arbeit nachzudenken, oder, die Fe- der in der Hand, eine Tafel vor mir habe, deren Bedeutung ich in Worte fassen moͤchte, wenn ich alsdann mich den Gedanken uͤberlassen darf: „Es ist doch fuͤr manchen Leser mehr als bloß Zeitkuͤrzung! Zeitkuͤrzung mag’s fuͤr hun- „derte seyn, (es ist immer gut, wenn diesen hunderten die Zeit kurz wird; wer weiß, was die Lan- „geweile fuͤr schlimme Folgen fuͤr sie haben wuͤrde? ..) wenn’s fuͤr zehen Stoff zum Nachdenken, „zum Empfinden, und Handeln wird? Wenn unter zehen Einer sich seines Daseyns und seiner „Menschheit innig erfreut; Einer von zehen neu empfindet — — wie wahrhaft in allen seinen „Werken der ist, aus dem, und durch den alle Dinge sind? Neu empfindet, daß auch das A 3 Geringste Einleitung. „Geringste im Zusammenhange des Ganzen — wichtig, auch das Geringste — Gottes Wort, „d. i. Offenbarung goͤttlicher Weisheit und Kraft ist —“ Welche Hoffnung und Wonne, wenn ich mich dem Gedanken uͤberlassen darf — „Hier sitzt ein forschender Juͤngling, (ein edeldenkender Reicher anvertraut’ ihm mein „Buch) in seinem einsamen Cabinete — und blaͤttert nicht nur fluͤchtig, liest mit stillem Nachden- „ken, findet Wahrheit, freut sich der gefundnen Wahrheit — findet schwache, unreife, unentwi- „ckelte — falsche Gedanken, und uͤbt seine denkenden Kraͤfte — zu ergaͤnzen, zu entwickeln, zu be- „richtigen — zu verbessern — Ein bruͤderlicher Freund koͤmmt, setzt sich neben ihn hin; steht mit „ihm still; fliegt mit ihm fort — — haͤlt ihn zuruͤck, spornt ihn an; — lehrt ihn, lernt von ihm — „ Menschen anschauen, Menschen kennen, Menschen lieben, Menschen nuͤtzen ...“ „Dort eine Gattinn, die ihren Gatten, ein Gatte, der seine Gattinn hoͤher schaͤtzen, inni- „ger lieben lernt, weil eins an dem andern durch bessere Kenntniß der Gesichtszuͤge gleichsam neue „Schaͤtze wuͤrklicher oder noch verborgner Trefflichkeiten entdeckt. —“ „Dort — ein Lehrer der Jugend, ein weisdenkender Vater, der auf seine Schuͤler, seine „Kinder, den Bau und die Gestalt ihrer Koͤrper, die Graͤnzlinien ihres Gesichtes, ihre Mienen „und Gebehrden, ihren Gang und ihre Handschrift aufmerksamer zu werden beginnt, und jedem „mit mehr Weisheit und Wahl das zumißt, weß er faͤhig ist; das von ihm fordert und erwartet, „was er zu geben vermoͤgend ist.“ „Dort ein Freundesuchender Juͤngling — Ein Mann, der sich eine Gattinn nach seinem „Herzen und nach seinen Beduͤrfnissen wuͤnscht — Ein Vater, der seinen Kindern einen Lehrer — „Ein Mann von Geschaͤfften, der sich einen Haushofmeister, einen Gehuͤlfen; ein Minister, der „sich einen weisen, klugen, treuen Geheimschreiber — Ein Fuͤrst vielleicht, der sich einen unbe- „stechlichen, redlichen, erfahrnen, uneigennuͤtzigen Minister wuͤnscht — oder die guten, welche er „hat, richtiger schaͤtzen, die schlimmen, tiefer kennen lernt —“ — „Und allemal — so oft solche Wuͤrkungen entstehen — neue innige Freude an der „Menschheit, und der so wahren Form der Menschheit! —“ Wenn solche Dinge mir vorschweben — und alles ist gewiß nicht leerer Traum einer sich selbst schmeichelnden Einbildung! So lebt Muth und Freude wieder in mir auf! Die Unruhe legt sich Einleitung. sich — der Kummer verschwindet .... Jch hoffe wieder; ich ergreife die Feder, und schreibe meine Gedanken, Empfindungen, Erfahrungen, Beobachtungen, Vermuthungen hin, und fuͤhle Drang zu schreiben und so zu schreiben, daß Nutzen und Freude quill’ in jeden Verstand, jedes Herz des Wahrheitsuchenden Lesers, — des Wahrheitsuchenden! der unbestochen vom Lob und Tadel ir- gend einer freundschaftlichen oder feindlichen Menge — mit eignen Augen zu sehen, und mit eignem Herzen Wahrheit und Guͤte zu fuͤhlen im Stand ist ... Jhr seyd’s, seltene, redliche, weise Leser, fuͤr die ich schreibe. Euch bitt’ ich um Geduld und Nachsicht; — noch mehr aber um Zu- rechtweisung, wo ich irre, und am meisten um Benutzung des Wahren und Guten, was ich sage. den 12. Nov. 1775. Erstes I. Fragment. Von der Allgemeinheit Erstes Fragment. Von der Allgemeinheit des physiognomischen Gefuͤhles. W ir haben besonders im VII. Fragmente des ersten Bandes bereits verschiedenes von der All- gemeinheit des physiognomischen Gefuͤhles geredet; hin und wieder uns auch mehrmals darauf be- rufen; und noch sehr oft werden wir Gelegenheit haben, darauf zuruͤckzukehren. Durch dieß physiognomische Gefuͤhl verstehen wir — „die durch gewisse Physiognomien „veranlaßte Empfindung und Vermuthung von der Gemuͤthsbeschaffenheit, die damit verbunden „ist; von dem Jnnern des Menschen, den wir vor uns haben. —“ Dieß Gefuͤhl ist sehr allgemein, das ist — es ist kein Mensch, (und vielleicht kein Thier) dem nicht so gut physiognomisches Gefuͤhl gegeben sey, als ihm Augen gegeben sind, zu sehen. Ein jeder hat ungleiche Empfindungen, bey ungleichen Menschengestalten. Jede Menschengestalt macht einen andern Eindruck auf jeden, erregt andere Empfindungen in ihm, als jede andere. So verschieden nun auch immer die Eindruͤcke seyn moͤgen, die derselbe Gegenstand auf verschiedene Zuschauer macht; so widersprechend die Urtheile von einer und ebenderselben Gestalt; so giebt es dennoch gewisse Extreme, gewisse Gestalten, Physiognomien, Mienen, Lineamente — von denen alle Menschen, die nicht augenscheinlich toll sind, dasselbe Urtheil faͤllen, welche sie we- nigstens uͤberhaupt in Eine Classe setzen werden. So wie alle Menschen, so verschieden sie sonst uͤber die Aehnlichkeit desselben Portraͤts denken und urtheilen moͤgen, dennoch von gewissen Por- traͤten einmuͤthig sagen werden „zum Sprechen aͤhnlich“ — oder „durchaus unaͤhnlich! —“ Man darf von hundert Beweisen fuͤr die Allgemeinheit dieses physiognomischen Gefuͤhles nur einige nennen, um die Sache außer Zweifel zu setzen. Die schon angefuͤhrte allgemeine schnelle Beurtheilung aller Menschen nach ihrem Aeußer- lichen will ich nicht wiederholen. — Nur so viel will ich noch sagen: Man gebe nur ein Paar Tage Acht auf alles, was man etwa von Menschen hoͤrt, oder liest. Man wird allenthalben, selber von Gegnern der Physiognomik, physiognomische Urtheile von Menschen hoͤren und lesen. — „Man „sieht’s ihm an den Augen an“ — „Man darf den Mann nur ansehen“ — „Er hat ein ehrlich „Gesicht des physiognomischen Gefuͤhles. „Gesicht“ — „Bey dem ist einem wohl zu Muthe“ — „Der hat ein schlimmes Paar Augen“ — „Er sieht kraͤnklich aus“ — „Die Ehrlichkeit spricht ihm aus den Augen“ — „Jch gaͤb ihm was „bloß auf sein Gesicht“ — „Wenn der mich betruͤgt, so betruͤgt mich alles in der Welt“ — „Der Mann hat ein offnes Gesicht“ — „Jch traue diesem Laͤcheln nicht“ — „Er darf ja niemanden „in die Augen sehen“ — — Selber die antiphysiognomischen Urtheile — bestaͤtigen, als Ausnah- men, die Allgemeinheit des physiognomischen Gefuͤhles — „Seine Physiognomie ist wider „ihn“ — „Das haͤtt’ ich dem Manne nicht angesehn; nicht zugetraut“ — „Er ist besser, ist „schlimmer, als sein Gesicht u. s. w. Man beobachte vom hoͤchsten Weltmann an bis auf den gemeinsten Menschen aus dem niedrigsten Poͤbel — und hoͤre ihre Urtheile uͤber die Menschen, mit denen sie umgehen, und man wird erstaunen, wie viel bloß physiognomisches mit unterlaͤuft. Jch habe diese Bemerkung seit einiger Zeit so oft zu machen Gelegenheit gehabt, bey Leuten, die nicht wissen, daß ich eine Schrift uͤber diese Sache verfertige — bey Leuten, die in ihrem Leben das Wort Phy- siognomie nie gehoͤrt hatten, daß ich’s auf die Probe will ankommen lassen, wo man will, ob nicht alle Menschen, ohn’ es zu wissen, mehr oder weniger dem physiognomischen Gefuͤhle folgen? Noch ein anderer eben so auffallender, obgleich nicht genug bemerkter, Beweis fuͤr die Allgemeinheit dieses physiognomischen Gefuͤhles, das ist, dieser dunkeln Empfindung des Unter- schiedes des innern Charakters nach dem Unterschiede des Aeussern — ist die Menge physiogno- mischer Woͤrter in allen Sprachen und bey allen Nationen; die Menge moralischer Benen- nungen, die im Grunde bloß physiognomisch sind. Dieser Beweis verdiente eine ganz beson- dere Ausfuͤhrung; fuͤr die Sprachkenntniß und Bestimmung des Sinnes der Woͤrter, wie wich- tig — und wie neu und interessant! — Hieher gehoͤrten auch die physiognomischen Spruͤchwoͤrter. Jch bin aber dieses auszufuͤhren nicht gelehrt genug, und nachzusuchen, hab’ ich nicht Muße ge- nug, um dieß durch viele Beyspiele, Beyspiele aller Sprachen, ins Licht zu setzen. Hieher gehoͤrt vielleicht auch die Menge physiognomischer Zuͤge, Charaktere, Beschrei- bungen, die man in den groͤßten Dichtern so haͤufig findet — und die sich allen Lesern von Ge- schmack, Empfindung, Menschenkenntniß und Menschentheilnehmung so sehr empfehlen — Man Phys. Fragm. II Versuch. B bemerke I. Fragment. Von der Allgemeinheit bemerke z. E. nur die haͤufigen physiognomischen Stellen in der Messiade — wie wahre, allgemein verstaͤndliche, allgemein treffende Poesie! wie sicher des Beyfalls aller Menschen, die Menschen sind! — Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Woͤrter — Nur einige Beyspiele anzufuͤhren. Aufrichtig — welch ein wichtig moralisches Wort — zugleich, wie physiognomisch — der aufgerichtet, gerade steht; der die Augen nicht niederschlagen, der gerade vor sich hinsehen darf! — Tuͤckisch, der sich mit dem Angesichte tuckt, oder buͤckt, das ist, gegen die Erde kehrt. Aufgeblasen — hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffaͤrtig, hochfahrend, hitzig, kalt, plump, unbestaͤndig — (vielleicht auch leichtsinnig?) schielender Charakter — mas- siv, grob, u. s. w. Allein dieß allgemeine physiognomische Gefuͤhl bezieht sich nicht nur auf ganze gegenwaͤr- tige Menschen. Es bezieht sich auf Gemaͤhlde, Zeichnungen, Schattenrisse, einzelne Linien — Es ist kaum ein Mensch, dem nicht hundert, fuͤnfhundert, tausend Linien vorzuzeichnen waͤren, deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von selbst errathen, oder doch gewiß, auf die erste Er- klaͤrung, die man ihm davon gaͤbe, anerkennen wuͤrde. Jch koͤnnte, wenn ich die Tafeln nicht kuͤnftig zu andern besondern Zwecken zu brau- chen gesonnen waͤre, (wiewohl dieser Zweck, die Allgemeinheit des physiognomischen Gefuͤhles zu rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) — hier haͤufige Beweise anfuͤhren. Jch begnuͤge mich aber bloß mit zwo Tafeln. Erste des physiognomischen Gefuͤhles. Erste Tafel. Neun Koͤpfe nach Poußin. J ch nehme nicht eine besonders ausgesuchte Tafel von ganz außerordentlichen Charaktern; — man haͤtte viel ausgezeichnetere waͤhlen koͤnnen — viel bestimmtere; aber es ist besser, es an einer solchen zu zeigen, wo die Bedeutungen nicht einmal einfach, nicht bestimmt, die Zeichnung selbst mittelmaͤßig, und nichts weniger, als rein charakteristisch ist. Jch getraue mir beynahe zu behaupten, daß jeder gesunde Mensch — ich sage nicht: von selbst den Charakter dieser neun (nach Poußin, sehr mittelmaͤßig copirten) Koͤpfe werde bestimmen, oder daß verschiedene dasselbe Urtheil daruͤber faͤllen werden; aber das getrau’ ich mir zu behaupten, daß die meisten, wo nicht alle — unfehlbar darinn einstimmen werden, wenn man ihnen ein richtiges Urtheil daruͤber vorlegen wird. — Wenigstens hab’ ich das Vergnuͤ- gen sehr oft gehabt, zu hoͤren, „daß man zwar ohne Anweisung, ohne vorgesprochenes Urtheil „in manchen Physiognomien des ersten Bandes das nicht gesehen haben wuͤrde, was man so- „gleich darinn sah, sobald das Urtheil ausgesprochen ward. —“ Also laßt uns, lieber Leser, hier den ersten Versuch machen, wie weit wir neben einan- der fortlaufen koͤnnen. Starres, staunendes Mitleid eines nicht kraftlosen, nicht schlechten Menschen — hin- geheftetes schreckenvolles Theilnehmen ohne Moͤglichkeit zu helfen abzusehen — — — Wer sieht’s nicht im 1? Jm 2. nicht, Ohnmacht — einer zarten, offnen, nicht unedlen, anmaßungslosen fraͤuli- chen Seele? die vom betaͤubenden Schmerz getroffen hinsinkt, der kraft- und fuͤhllos noch in dem Munde nachzuckt? Jm 3. — hinstaunendes Wohlwollen, Huͤlfsbegier? Mehr Schrecken und weniger That- kraft, als im ersten? Jm 4. — wer nicht unaffectirten, Erbarmen flehenden Schmerz? mit Sehnsucht und Hoffnung? Jm 5. — kalte, rathlose, schreckenvolle, dumme — Angst? B 2 Jm I. Fragment. Von der Allgemeinheit Jm 6. Theilnehmung, Unwillen uͤber der Stirne, laͤssige Hingebenheit im Munde — eines nicht schwachen, nicht rathlosen Menschen, der wenig Zuversicht zu sich selbst hat, und dessen Thaͤtigkeit auf einem gewissen Punkte von Kraftmangel erschlafft? Jm 7. unerhabne Andacht, demuͤthige, leidende, anmaßungslose Guͤte? Jm 8. unentschlossene Entschlossenheit. Sie will sich raͤchen allenfalls, aber weiß noch nicht wie? das Auge mehr schauend, als treffend. Jm Munde mehr That, als Ueberlegung. Jm 9. — angestrengte Aufmerksamkeit, ohne Verstand und Geschmack. Jn der Ober- lippe — und uͤberhaupt im Munde ist sichtbarer Mangel an bestimmter Ueberlegung, und wenig Adel. Jm Ganzen wie wenig Reines und Feines? — Zweyte des physiognomischen Gefuͤhles. Zweyte Tafel. Sechzehn Profilkoͤpfe in Ovalen. L aßt uns noch mit den 16. Koͤpfen auf dieser Platte einen Versuch machen. Karikaturen? Wie ihr wollt — sucht die Originale nirgends in der Welt. — Wir haben nur Karikaturen vor uns. Die meisten Originale dazu sind ohne Zweifel viel besser! Wir beurtheilen, was wir vor uns haben — die vierte, fuͤnfte Copie — nicht das Original. — Unsere Absicht ist, dem Leser und Forscher so mannichfaltige Koͤpfe, wie moͤglich, vorzulegen, und sein physiognomisches Gefuͤhl zu uͤben. — Jeder mag sich pruͤfen, ob sein Gefuͤhl mit dem Urtheil, das man ihm vorlegen wird, uͤbereinstimme? 1. — Ein sehr kraͤnkelnder, schwindsuͤchtiger, cholerischmelancholischer, einfaͤltiger Schu- ster. — (Jm Vorbeygehn zu sagen: Fast keine Art Leute sind so schlecht gebildet, als die Schuster; und fast keine Art Leute, im Durchschnitte genommen, so mißgestaltet, wie diese — Auch ist nicht weniger anmerkungswerth, daß unter 80 Schusterkindern in Zuͤrich nicht mehr als 6 oder 7 Knaben sind. — Moͤchte eine weise menschenfreundliche Akademie — dieß in gemeinnuͤtzige Beher- zigung nehmen! —) Hier sieht man aufs deutlichste, die durch mehr als eine Generation zusam- mengezogene Wuͤrkungskraft, voͤllig ermangelnd an Leben und Quellgeist. Zuckende Schwaͤche und hypochondrischer Starrsinn. Die Anlage dieses Menschen ist gut und man hat eine Ahndung, daß in einem andern Geschlecht Nase und Mund lebendiger vorgeruͤckt waͤren, und er zu einem edlen kraͤftigen Menschen haͤtte gezeugt werden koͤnnen; denn es ist evident verkruͤppelte, zusammenge- schrumpfte, kraftlose, und doch duͤrr widerhaltende Menschenkraft. Man bemerke an diesem Pro- file das einwaͤrtsgehende \> — Groͤßtentheils Charakter der Schwaͤche. 2. — Jst aufgegangen wie Semmel in Milch. Er hat die moͤglichen Graͤnzen seines Da- seyns alle ausgefuͤllt. Jn seinem aͤußern Umriß ist nichts verzogenes, wie in dem ganzen Charak- ter nichts verschobenes zu seyn scheint. Nur gemeine phlegmatische Beschraͤnktheit und Schwaͤche. 3. — Eitle, kurzsinnige Behaglichkeit ohne Moralitaͤt, Ausbildung, oder Guͤte. Leeres Zutrauen zu sich selbst, stumpfeitle und immer um mangelnde Theilnehmung fragende Gefaͤl- ligkeit. B 3 4. Ein I. Fragment. Von der Allgemeinheit 4. — Ein aͤusserst verschobener Mensch, und wie mich duͤnkt, in der Natur mit diesen Zuͤgen unmoͤglich. Die kurzsinnige Verschobenheit in den Augenbraunen, die leere Feinheit des Auges, die ziemliche Gradheit der Nase, die Untheilnehmung des Mundes, die fatale Selbstig- keit des ganzen Untertheils, machen ein unerklaͤrliches fatales Ganze. 5. — Ausgetrocknete kraͤnkelnde hypochondrische Verzerrung. Grillenvolle Ruhe, gruͤ- belnder Verstand. Jm Kleinen arbeitsam. 6. — Gut aber schwach, nicht unverstaͤndig, der sich gern zur Theilnehmung stimmen moͤchte. 7. — Ein verstaͤndiges, grades, ehrliches Gesicht; besonders der aͤussere Umriß vom Kopf der Nase bis unters Kinn — zeigt Verstand. Die zuckende Auf- und Anspannung thut ihm Schaden. 8. — Ein in Schwachheit versunkener Kopf von guter Anlage. Einer gewissen Art von Beobachtung und Theilnehmung noch immer faͤhiges Gesicht. 9. — Gefaͤllig, verstaͤndig, fest, nachdenkend. 10. — Empfindlich, aber redlich, dienstfertig, reicher Einbildungskraft, gedraͤngtes Sin- nes; in den Augen und der Stirn Mangel an Zurechtlegung der Verhaͤltnisse. 11. — Zarter, hypochondrischer, furchtsamer, aͤngstlicher, verstaͤndiger, denkender Cha- rakter; weniger Einbildungskraft als 10 und mehr Verstand als die meisten vorherigen, etwa 5 und 7 ausgenommen. 12. — Ein offener, empfaͤnglicher, ergiebiger Charakter, wie viel froͤlicher als der vorher- gehende, obgleich nicht ohne melancholische Tinktur. Jn der Stirn Verstand und Festigkeit. Viel sinnliche Wuͤrksamkeit. Die Nase und der Untertheil des Gesichts schwaͤcher. 13. — Trefflich, vorzuͤglich verstaͤndig, lebhafte Einbildungskraft mit Melancholie tingirt. Leichtigkeit, Feinheit in der obern Haͤlfte; waͤre nur in der untern nicht anmaßliche Eitelkeit. 14. — Ganz trefflich. Reine, wohlgeordnete Erinnerung. Tiefdenkend! Bemerkt den Bogen des Scheitels und das Stirneck — die Augenbraune — Scharfer, liebevoller, feiner Blick, Richtigkeit, Guͤte, Festigkeit. Anlage zur tiefen Hypochondrie. 15. Treff- des physiognomischen Gefuͤhles. 15. — Treffliche Anlage zu Verstand und Festigkeit, nur zu gepackt und untenher zu sehr gerundet, doch noch voll Hoffnung der Ausbildung. Gefaͤllig, gut. Aber 16. — Wer erkennt nicht die eherne Stirn, den eisernen Nacken, festen Blick, unerbittlichen Sinn. Treffliche Festigkeit. Nach dem Farnesischen Herkules, nur die Nase um etwas zu weit hervor; dieß vermindert das Gefuͤhl von Kraft, das im Ganzen ruht. Nachstehendes Portrait eines componirenden Tonkuͤnstlers. Der Umriß von der Stirn an bis unter die Nase zeigt Verstand und vielfassende, reiche Einbildungskraft — ohne feste, stehende, gewurzelte Staͤrke oder Haͤrte. Jn dem Auge ist sehr viel Empfaͤnglichkeit mannichfaltiger Eindruͤcke, und Leichtigkeit alles zu coloriren. Jn dem Mund ist Guͤte und Gefaͤlligkeit. Zweytes II. Fragment. Seltenheit Zweytes Fragment. Seltenheit des physiognomischen Beobachtungsgeistes. S o allgemein das dunkle, unbestimmte, physiognomische Gefuͤhl ist; so selten ist der phy- siognomische Beobachtungsgeist. So viele Menschen physiognomisch fuͤhlen; — so wenige denken physiognomisch. Keine leichtere Sache scheint zu seyn, als Beobachten — und keine ist seltener. Beob- achten, heißt bey den Mannichfaltigkeiten einer Sache verweilen; eine Sache erst theilweise betrachten, und dann sie ganz mit andern neben ihr existirenden oder moͤglichen Sachen verglei- chen; sich das, was sie auszeichnet, bestimmt, zu derjenigen Sache macht, die sie ist — klar und deutlich vorzeichnen und einpraͤgen; — sich das individuelle einer Sache im Ganzen und stuͤckweise vergegenwaͤrtigen, so daß man diese Merkmale dergestalt inne hat, daß man dieselbe mit nichts in der Welt, und wenn’s ihr auch noch so aͤhnlich waͤre, verwechseln kann. Nun darf man nur z. E. die Urtheile einer Menge Menschen uͤber ein und eben das- selbe Portraͤt anhoͤren, so wird man sich sogleich von dem allgemeinen Mangel des genauen Beobachtungsgeistes uͤberzeugen koͤnnen. Nichts aber hat mich so sehr, und wider alle meine Erwartung, von dieser aͤussersten Seltenheit des wahren Beobachtungsgeistes, selbst an Maͤn- nern von Genie, selbst an wuͤrklich beruͤhmten und ruhmwuͤrdigen Beobachtern, selbst an weit groͤßern Physiognomisten, als ich in meinem Leben je zu werden mir schmeicheln kann — Nichts, sag’ ich, hat mich von der Seltenheit des aͤchten Beobachtungsgeistes selbst an großen Maͤnnern so sehr uͤberzeugt — wie die Vermischung ganz verschiedener Portraͤte und Schatten- risse! Man hat die treffendsten vollkommensten Aehnlichkeiten zwischen namenlosen Portraͤten und Schattenbildern im I. Theil und zwischen lebenden Personen gefunden; man hat die Ur- theile, die daruͤber gefaͤllt wurden — fuͤr hoͤchst ungegruͤndet, wenigstens aͤusserst unvollstaͤndig erklaͤrt — und das war ganz natuͤrlich; denn ich recensirte Schattenrisse von Zuͤrchern und Schweizern — und man suchte die Urbilder dazu in Berlin und Hannover. Die Mißbeobach- tung ist sehr leicht, und eben dasselbe ist mir vermuthlich schon mehrmals wiederfahren. Allein — alles des physiognomischen Beobachtungsgeistes. alles dieß beweist nur, wie selten der aͤchte, scharfe Beobachtungsgeist ist; wie oft er selbst die verlaͤßt, die sich geflissentlich mit Beobachtungen abgeben. Mir schauert oft die Haut, wenn ich an die schiefen Vergleichungen gedenke — die man von Portraͤten und Schattenrissen — mit lebenden Personen macht; — wie man jede Karikatur fuͤr wahres Portraͤt, oder vielleicht bisweilen gar fuͤr ein Jdeal halten kann? — Die vollkommenste Analogie seh’ ich in diesen Urtheilen mit den Urtheilen gemeiner Menschen uͤber den Charakter anderer. Jede Verlaͤumdung, die nur noch etwas wahres enthaͤlt — wird ach! so leicht fuͤr reine ganze Wahrheit hinein verschlungen, so wie viele tausend elende Portraͤte, die kaum eine entfernte Aehnlichkeit haben, fuͤr kenntlich ausgerufen werden. Unzaͤhlige elende physiognomische Urtheile entstehen daher; und unzaͤhlige sehr gegruͤndet scheinende, und dennoch aͤußerst ungegruͤndete Einwendungen gegen die Physiognomik. Man nennt aͤhnlich, was nicht aͤhnlich ist — weil man sich nicht gewoͤhnt hat, fest und scharf zu beobachten. Selber Portraͤtmahler — (doch ich werd’ in einem besondern Fragmente uͤber die Por- traͤtmahlerey mir die Freyheit nehmen, uͤber den Mangel des Beobachtungsgeistes unter ihnen — nicht mein Herz zu leeren; — sondern nur ein Paar erweckende Worte fallen zu lassen) — Selber Portraͤtmahler sind von solchen Uebereilungen nicht frey. Was ich sage, sag’ ich nicht, um zu tadeln, oder zu beleidigen, sondern um zu warnen und zu belehren. — Zu warnen vor schnellen schiefen Beurtheilungen und Vergleichungen, bis man sicher ist, daß man zwey unaͤhnliche Gesichter nicht mehr fuͤr aͤhnlich, und zwey aͤhnliche nicht fuͤr dieselben halten kann. Jch werde daher in diesem Werke alle Gelegenheiten ergreifen, meine Leser auf die klein- sten, kaum bemerkbaren Unterschiede gewisser Gesichter und Gesichtszuͤge, die sich beym ersten fluͤchtigen Anblick aͤhnlich scheinen, aufmerksam zu machen. Jch hab’ in dieser Absicht von zween Koͤpfen, von jedem viermal einen bloßen Umriß ziehen lassen, um dem nachdenkenden Leser etwas vorzulegen, woran er seinen physiognomischen Beobachtungsgeist uͤben kann. Phys. Fragm. II Versuch. C Vier II. Fragment. Seltenheit Vier sich sehr aͤhnliche Umrisse von Kleist. Dritte Tafel. Kleist. D ie erste Platte enthaͤlt 4. Umrisse von einem ziemlich aͤhnlichen Portraͤt des beruͤhmten Hel- den von Kleist; die zweyte — von einem, durch viele Copien schlechtgewordenen, Jdeal eines jungen Christus Kopfes. Da die Verschiedenheit der Kleistischen Koͤpfe noch etwas merkbarer und leichter zu finden ist — als die Verschiedenheit der andern vier, so wollen wir bey der Kleistischen Tafel den Anfang machen, und die Verschiedenheiten aufsuchen — beylaͤufig zugleich was von dem Ausdrucke dieses Gesichtes uͤberhaupt, und dem Effecte dieser kleinen Verschiedenheiten ein Wort sagen. Der Leser mag dabey das Maaß seines Beobachtungsgeistes pruͤfen — und — — o daß ich hoffen duͤrfte, dadurch vermehren — Ein wichtiger, weitreichender — viel in sich fassen- der Gewinn! .... Jeder sieht, auf den ersten Blick, daß dieses vier Umrisse von demselben Kopfe sind; und von einem gewiß nicht gemeinen Kopfe. Die Aehnlichkeit aller viere ist auffallend. Alle viere zeigen sogleich einen edeln, beherzten, entschloßnen — maͤnnlichen Mann. Obgleich die Stel- lung des Kopfes, ob aus Schuld des Mahlers oder des Copisten? etwas gezwungenes hat, und der schattenlose Umriß allemal an sich von der weichern Natur eine harte Uebersetzung ist — so ist dennoch im Ganzen des Gesichtes so viel Feuer, Freyheit, Kraft, — daß der Charakter desselben schwerlich zu verkennen ist. Die Proportion aller Gesichtstheile, die hohe englische Stirn, (ich rede von dem Bilde, das wir vor uns haben) die offnen, unaufgesperrten, bestimmt gezeichneten, treffenden, stark gebog- nen Augen, die maͤnnlich edle Nase, die gewiß, im Profil anzusehen, voll Ausdruck von Feinheit und Geschmack gewesen seyn muß — Selbst der — in keinem bloßen Umrisse nachahmbare, gewiß in allen vier Zeichnungen sehr verhoͤlzerte Mund — Kinn und Hals, wo nicht mit gerechnet, doch nicht ausgeschlossen, — alles dieß gewinnt uns fuͤr den Mann, den tapfern, geraden, ent- schloßnen Mann ohne Falsch und Tuͤcke; den Mann, der sprechen und handeln darf, wo gespro- chen und gehandelt werden soll; den menschenfreundlich thaͤtigen, uneigennuͤtzigen — edeln! Man rechne des physiognomischen Beobachtungsgeistes. rechne nur immer die gezwungene Stellung, die vermuthlich Manier des Mahlers war, ab, und die es vielleicht dadurch noch mehr scheint, daß der Kopf so abgeschnitten, ohne Schulter und Brust da steht. Aber nun laßt uns das Unaͤhnliche dieser vier so sehr sich aͤhnlich scheinenden Umrisse mit einander aufsuchen, und dabey die Regeln, nach welchen der aͤchte Beobachtungsgeist verfaͤhrt — anwenden. Das heißt — vom Einzelnen anfangen — Theil fuͤr Theil, Linie fuͤr Linie so beobach- ten, so vergleichen, als wenn sonst nichts, als das, beobachtet, nichts als das verglichen werden muͤßte — sodann, nach der Zergliederung — wieder zusammensetzen und Ganzes mit Ganzem vergleichen. Wir wollen bey der Stirn anfangen; der aͤussere Umriß derselben, wo er sich von der Muͤtze scheidet, auf der linken Seite bis zur aͤussersten Spitze der Augenwimper ist in 2. — gewoͤlb- ter, und um ein Haar edler als in 1. An dem linken Schlaf ist der Umriß in 4 etwas hervorstechender, als in den drey uͤbrigen. Der Bogen des rechten Auges in 1. ist der staͤrkste, keckste, bestimmteste. Um die Wahl kaum, doch wuͤrklich etwas weniger gebogen, etwas weniger entschlossen ist dieser Bogen in 4. und 3. — am schwaͤchsten in 2. 2. scheint mir den kraͤftigsten Augstern zu haben. Der linke Augstern in 4. der aufge- sperrteste. Der Bogen des linken Auges in 1. scheint mir edler, weniger gebrochen, als in 3. und 4. — und besonders in 2. Die rechte Augbraune in 4. die kuͤrzeste; in 2. die laͤngste, schoͤnste, und gebogenste. Die Linie zwischen dem rechten Auge und Ohre, welche vom Auge bis in die Mitte des Unterkinns fortgeht, ist wegen der Vertiefung, unweit von der Tiefe des Ohres, angenehmer, als in den uͤbrigen dreyen, besonders in 3. Das Ohr 2. ist das breiteste. Die Vertiefung ist nicht bemerkt, in 1. und 2. bestimmter, als in 3. Der Mund in 1. ist der sprechendste, der suͤßeste, 2. der haͤrteste. Die Nase 2. scheint mir um etwas steifer, als 1. 3. und 4. — uͤber dem Naslaͤppchen etwas breiter und geschwollner, als in 1. und 2. C 2 Die II. Fragment. Seltenheit Die Nasloͤcher sind in allen vieren zu klein; ein gewoͤhnlicher Fehler beynah’ aller Portraͤt- mahler, die gemeiniglich auf diese sehr bedeutende Figur so wenig Aufmerksamkeit und Fleiß, als auf die Ohren zu verwenden pflegen. An unternehmenden, warmen, kraftvollen Maͤnnern werdet ihr sehr selten, um nicht zu sagen nie, solche kleine, runde Nasloͤcher antreffen, wie besonders in 2. 2. hat das schoͤnste, rundeste, bestimmteste Kinn. Der Hals 4. ist etwas duͤnner, als 3, dieser um ein Haar duͤnner, als 4. und 1. — Und nun — Ganzes mit Ganzem verglichen; — ich stehe an, einem den Vorzug zu geben. So viel von diesen Umrissen, uͤber die noch verschiedenes zu sagen waͤre; aber ich fuͤrchte den Leser zu ermuͤden. Wir wollen die noch uͤbrige Aufmerksamkeit auf die folgende Tafel versparen, und in- zwischen hier 2. Silhouetten hersetzen, die man fuͤr ebendieselbe angesehen hat. Die des physiognomischen Beobachtungsgeistes. Die erstere befindet sich im I. Theil, zwischen der 190. und 191. Seite. Es wird dar- uͤber gesagt: „Ein sehr gerechter Mann, wackerer Hausvater, verstaͤndig ohne Aufklaͤrung, Cul- „tur und Geschmack — zur Hypochondrie geneigt.“ — Diese Silhouette nun ward fuͤr die zweyte Silhouette, die wir vor uns haben, gehalten; und wie verschieden ist das Original der zweyten vom Originale der ersten, obgleich sie in der Hypochondrie sich aͤhnlich seyn moͤgen. Der zweyte — wie viel fester, und kriegerischer, wenn ich so sagen darf! „Ein sehr offner Kopf, schreibt mir ein Freund, der ihn genau kennt — „ein Mann, der unendlich viel weiß, zumal „aus der Historie, und der franzoͤsischen Litteratur eben so kundig, als der belesenste Franzose; „auch ein Mann von uͤberaus vielem Witze, und aͤusserst unterhaltend, wenn er bey guter Laune „ist — Er vergißt von allem, was er liest, kein Wort!“ — Wenn ich nichts von diesem Manne gewußt haͤtte — so haͤtt’ ich die vorgelegte Silhouette — so beurtheilt: „Viel Ver- „stand — (die sonst mir bekannten Zeichen des guten Gedaͤchtnisses — sind’ ich nicht; also muͤs- „sen noch andre seyn? welche? — Lehret sie mich, Freunde der Menschheit! helft sie mir su- „chen!) Viel Verstand (haͤtt’ ich gesagt) erstaunliche — bis zum Eigensinn forttreibende Festig- „keit! hochfliegender Muth! mit viel Graͤmeley vermischt“ .... Den attischen Witz haͤtt’ ich in dem Profile nicht gesehen — vermuthlich aber in Aug und Lippe der Natur — Doch da- von ist hier eigentlich die Rede nicht. Lieber wollen wir diese beyden Gesichter vergleichen. Die Stirne 1. ist sanfter, aber nicht so scharf wie 2. — und nicht so scharfsinnig! Das Ecki- ge — des Untertheils des Gesichts in 2. zeigt mehr Hitze, Thaͤtigkeit, als das Flaͤchere dieses Theils in 1. auch der 2. Kopf im Ganzen zeigt mehr festes, determinirtes, rasches Wesen. Vier aͤhnliche Umrisse von demselben Kopfe eines jungen Christus. Vierte Tafel. J. C. a a. F reylich ein sehr un- oder antiidealischer Christus, der unten noch zweymal schattirt, und zum Theil besser vorkommen wird. Das erste Original ist ein Kopf in Lebensgroͤße, herrlich ge- mahlt, und sentirt, (er befindet sich in den Haͤnden Herrn Burkhards, eines trefflichen Zer- gliederers und Freundes — des großen unnachahmlichen Urbildes) was wir vor uns haben, C 3 mag II. Fragment. Seltenheit mag wohl die fuͤnfte Copie der Copie seyn — also, — doch das thut itzt eigentlich nichts zur Sache — uͤberhaupt ist’s klar, daß Schwaͤche und Bloͤdigkeit und ein absichtloses Staunen den Charakter dieses Kopfes in allen vier Umrissen ausmachen. Man weiß nun schon, in welcher Absicht ich denselben Kof viermal auf Eine Tafel zeich- nen lassen. Jch bat den Zeichner, denselben mit aller moͤglichen Genauigkeit, nach demselben Durchriß auf Oelpapier, zu radiren. „Es sollte gewiß kein Unterschied zu bemerken seyn“ — Er that sein moͤglichstes — und in der That, die Unterschiede sind schwer zu finden — und dennoch — — man uͤbe seinen Beobachtungsgeist, und man wird ihn dran pruͤfen koͤnnen; und wenn meine Hauptabsicht dabey nicht verfehlt wird — Behutsamkeit, Behutsamkeit lernen im Urtheilen uͤber Menschen und Menschengesichter. — Die Stirn im zweyten ist die schlechteste. Der Einbug nah’ am rechten Augenliede der schwaͤchste. Die Geradheit des Umrisses von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom Aug’ entfernt sind, wodurch dem Blick eine nicht vortheilhafte Spannung gegeben wird) die Ge- radheit des Umrisses von der Augenbraune an bis unter das rechte Auge, giebt allen diesen Gesich- tern eine widrige Mattheit. Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im ersten. Die Augen im ersten und vierten sind etwas kecker, als im zweyten und dritten. Die Nase des zweyten ist besonders untenher die beste. Die Oberlippe im dritten und vierten ist etwas weniger platt, ist markirter, als im er- sten und besonders im zweyten. Die Unterlippe am dritten ist die schiefste von allen. Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, ist besser, als die uͤbrigen, besonders die im ersten. — Diese Versuche moͤgen zeigen, wie oft da Unaͤhnlichkeiten sind, wo man ohne scharfe Be- obachtung die genaueste Aehnlichkeit zu sehen vermeynt. Bey dieser Gelegenheit kann ich die zwar sehr allgemeine, aber nichts desto weniger aͤusserst wichtige Anmerkung nicht zuruͤckbehalten: „Daß junger Kinder Aufmerksamkeit wohl durch des physiognomischen Beobachtungsgeistes. „durch nichts so sehr geuͤbt, ihr Beobachtungsgeist wohl durch nichts leichter und sicherer geschaͤrft „werden kann, als durch Vorlegung erst merklich unaͤhnlicher, dann immer aͤhnlicherer Zeichnun- „gen, deren Unterschiede sie sorgfaͤltig aufzusuchen und genau anzugeben haͤtten“ — Auge sowohl als Sprache wuͤrden dadurch viel gewinnen. Alle Menschen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfaͤhigkeit; so gewiß alle Augen haben. Aber die meisten beobachten nicht, weil sie nicht geuͤbt worden sind; sie sehen a b c d auf einmal, b, wenn sie a, und c, wenn sie b ansehen sollen; sie eilen immer vor; greifen immer vor; die meisten Menschen; besonders die meisten Mahler. Sie vereinfachen die Beobachtung nicht; sie heften ihren Blick nicht auf Eins — sie fliehen alles Bestimmte, weil ihnen von jeher eine unaustilgbare Furcht vor Haͤrte eingepredigt worden ist; daher das unsichere: Jch weiß nicht was? daher unzaͤhlige blendende Modemanieren — in Zeichnung, Grabstichel, Colorit — und worinn nicht? O du weiches, zartes, verblasenes, seidenes Jahrhundert; — wer will dei- nem Blicke Festigkeit, deinem Tritte Muth, deiner Hand Keckheit, deinen Werken — Zuversicht und Bestimmtheit geben — das heißt — wer giebt dir eigne Augen zu sehen? — Beobachtungs- geist? Zugabe. II. Fragment. Zugabe. Zugabe. Charakter des Herrn von Kleist, von Herrn Hirzel. E wald Christian von Kleist war einer der groͤßten Kenner und Bewunderer von allem, was schoͤn, gut und groß ist. Ein wuͤrdiger Gegenstand ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen. Von der Staͤrke seiner Empfindungen bey dem Anblicke der schoͤnen Natur zeugen die Gemaͤhlde in sei- nen unsterblichen Gedichten. Sein Gefuͤhl fuͤr die sittlichen Schoͤnheiten war nicht weniger lebhaft. Dieses machte es jedem Manne von Verdiensten leicht, seine Freundschaft zu erhalten. Denn er entdeckte sehr schnell jedes Verdienst, und die Richtigkeit seines Auges versicherte den Freund der ewi- gen Dauer seiner einmal gehegten Freundschaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei- nen Soldaten, in dem Kuͤnstler, auch dem, dessen Kunst das Vorurtheil erniedrigt, das Ver- dienst so leicht, als in dem Helden, dem Weltweisen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von aͤusserer Niedrigkeit konnt’ ihm das wahre Verdienst verbergen, so wie kein Glanz ihn verblen- dete, das Unregelmaͤßige und Haͤßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, — in den Akademien vom ersten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm zeigt sich allenthalben ein unpartheyischer Menschenkenner und Freund der Menschheit. Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwaͤrmerey frey, und seine Einbildungskraft stand unter dem reinen Verstand in der gehoͤrigen Unterordnung. Er war mehr ein gefuͤhlvoller Weltweiser, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poesie diente ihm auch von seiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten seines Berufs, und zur Ermunterung in truͤben Stunden. Seine Neigung gieng vorzuͤglich auf die Weltweisheit und die Wissenschaften, welche einem Staatsmann die Faͤhigkeiten ertheilen, einen Staat bluͤhend und gluͤcklich zu machen. Diesen Kleists Charakter von Hirzeln. Diesen widmete er seine Jugendjahre ganz. Allein sein Schicksal entzog ihm die Gelegenheit, seine weit ausgebreiteten Kenntnisse anzuwenden. Es zwang ihn, gegen seine Neigung, sich dem Kriegsdienste zu widmen. Nun fiel alle seine Aufmerksamkeit auf die Pflichten seines Berufs. Der kleinste Theil der Taktik zog die aͤngstliche Aufmerksamkeit so gut auf sich, als der große Plan des Feldherrn; denn er sah dessen Wichtigkeit in dem Zusammenhange des Ganzen. Der Vorwurf des geringsten Fehlers in dem Dienste wuͤrde ihm eine unertraͤgliche Buͤrde ge- wesen seyn. Hieraus floß auch eine fast ins uͤbertriebne fallende Sorgfalt fuͤr die Ehre — des Edelmannes und des Soldaten. Kein aͤchter Eidsgenoß ist auf seine Freyheit so eifersuͤch- tig, als er auf Ehre war, denn in dieser sah er die Triebfeder aller großen Handlungen in sei- nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweisen, kein Gluͤck, keinen Ruhm, kei- ne Befoͤrderung etwas anderm, als reinem Verdienste zu verdanken. Die Verachtung der Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der bescheidenste, hoͤflich- ste, sanftmuͤthigste, menschenliebendste Mann in dem Umgange. Gluͤcklich der Mensch, der ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht aͤngstlicher fuͤr sein Gluͤck sorgen, als Kleist es that, denn darinnen fand er sein groͤßtes Vergnuͤgen, Freunde gluͤcklich zu machen, und dieses war nie staͤrker, als wenn seine Bemuͤhungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war ein Grab fuͤr jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn nicht zu fuͤrchten; wenn ihr Verdienst es forderte, oder ein unverschuldetes Ungluͤck sie druͤck- te — so fanden sie an Kleisten eben so viel Waͤrme und Dienstbegierde, als der zaͤrtlichste Freund. Seine Menschenliebe ruhete auf festen Grundsaͤtzen. Sie machte ihn nie unge- recht, so empfindsam seine Seele war. So war Kleist — und ich glaube dieses in den Zuͤ- gen zu sehen, welche Fuͤeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleist bey uns lebte. Tief- sinn, Festigkeit der Seele, hoher Muth und Menschenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht und Zaͤrtlichkeit in seinen Zuͤgen, und empfinde dabey die unaussprechliche Wonne, einen der groͤßten Menschen zum Freunde gehabt zu haben. — Phys. Fragm. II Versuch. D So II. Fragment. Zugabe. Kleists Charakter von Hirzeln. So weit Herr Hirzel. Jch bitte nicht um Entschuldigung, dieß vortreffliche Ge- maͤhlde noch beygeruͤckt zu haben. Man vergleich es oft mit der Zeichnung — das physiogno- mische Gefuͤhl wird gewiß nichts dabey verlieren. Drittes Drittes Fragment. Fuͤr Leser — mit Menschenherzen — das ist: fuͤr alle? Trefflichkeit aller Menschengestalten. Oder, Jn wiefern sich kein Mensch seiner Physiognomie zu schaͤmen habe? Oder, Warnung vor intolerantem Jdealisiren. F ast kein besonderes Fragment, das ich uͤber Physiognomik schreibe, duldet Ausfuͤhrlichkeit; weil bey der Menge von Tafeln, bey der Mannichfaltigkeit von Gesichtern, die ich in dieß Werk zusammen zu draͤngen suche, unaufhoͤrlicher Anlaß ist, alles zu sagen, was man sagen will, und was gesagt werden soll. Aus Besorgniß aber, daß ich das eine und andere, das mir sehr wichtig scheint, dennoch vergessen, oder daß es sich zu sehr verstecken und verlieren moͤchte — moͤcht’ ich oft gleichsam nur die Aufschrift eines Fragments, das gemacht werden sollte — her- setzen, bloß um die Aufmerksamkeit des Lesers ein wenig zu reizen — und um den Gedanken vorm Untergange zu retten. Was ich z. E. in der Aufschrift des gegenwaͤrtigen Fragmentes sage — ist gewissermas- sen wiederum Jnnhalt und Seele des ganzen Buches. — Was ich also itzt in einem besondern Abschnitte daruͤber sagen kann, ist so viel als nichts; und dennoch, wie viel kann’s, der Wuͤrkung nach, seyn fuͤr den nachdenkenden! den Menschen! Jedes Geschoͤpf ist unentbehrlich in Gottes unermeßlicher Welt; aber nicht jedes weiß, daß es unentbehrlich ist. Auf dem Erdboden freuet sich nur der Mensch seiner Unentbehrlichkeit. — Kein Glied am menschlichen Koͤrper kann durch irgend ein ander Glied — ersetzt werden. So viel vortrefflicher das Auge ist, als der Nagel an der kleinsten Zehe — der Nagel an der kleinsten Zehe ist dennoch an sich zur Vollkommenheit des ganzen Koͤrpers unentbehrlich, und kann durch das, obgleich viel herrlichere und vollkommenere, Auge, nicht ersetzt werden. D 2 Kein III. Fragment. Kein Mensch kann einen andern Menschen entbehrlich machen; kein Mensch durch einen andern ersetzt werden. — Dieser Glaube an die Unentbehrlichkeit und Unersetzbarkeit aller Menschen außer uns — an unsre eigne metaphysische Unentbehrlichkeit und Unersetzbarkeit — ist wieder eine von den uner- kannten, herrlichen Fruͤchten der Physiognomik. — Eine Frucht, voll von Samenkoͤrnern zu herrlichen Cedern — der Toleranz und Men- schenliebe — Moͤchten sie, Nachkommenschaft, dir aufwachsen! Folgende Jahrhunderte, moͤchtet Jhr Euch unter ihren Schatten lagern! Der schlechteste, verzogenste, verdorbenste Mensch — ist doch noch Mensch, und unent- behrlich in Gottes Welt — und einer dunklern oder deutlichern Erkenntniß seiner Jndividualitaͤt und unersetzbaren Unentbehrlichkeit faͤhig. Die schlechteste, lebende Mißgeburt so gar ist doch noch edler — als das beste, schoͤnste, vollkommenste Thier — — O Mensch — sieh auf das, was da ist — nicht auf das, was mangelt. — Menschheit in allen Verzerrungen ist immer noch bewundernswuͤrdige Menschheit. Siebenmal — moͤcht’ ich dir dieß in Einer Viertelstunde wiederholen! Du bist besser, schoͤner, edler, als so viele deiner Nebenmenschen? — — wohlan! freue dich deß, und bete nicht dich, sondern den an, der aus einem Thone ein Gefaͤß der Eh- re, und ein Gefaͤß der Unehre schuf! — Jhn, der ohne deinen Rath, ohne deine Bitte und ohne dein Verdienst dich das werden ließ, was du bist! Jhn! .... Denn was hast du, o Mensch, das du nicht empfangen hast; so du’s aber empfangen hast, was ruͤhmest du dich, als ob du es nicht empfangen haͤt- test? — darf auch das Auge zu der Hand sagen: Jch bedarf deiner nicht? — — wer den Armen verachtet, der schmaͤhet den Schoͤpfer desselben — Gott hat das ganze Ge- schlecht der Menschen aus Einem Blute gemacht. — Wer fuͤhlt alle diese Gotteswahrheiten tiefer, inniger, als der — — aͤchte Physiogno- mist! .... der, ach nicht bloß Litterator, Leser, Recensirer, Schriftfabrikant, der ...... Mensch ist. — Freylich! Trefflichkeit aller Menschengestalten. Freylich! auch der menschlichste Physiognomist, der so gern das Gute, das Schoͤne, das Edle der Natur aufsucht, sich so gern am Jdeale weidet, seinen Geschmack an der bessern, heiligern, vollkommenern Menschheit taͤglich uͤbt, naͤhrt, verfeinert — freylich auch der ist oft in Gefahr, wenigstens in Versuchung — sich wegzuwenden von dem gemeinen, alltaͤglichen, schlechten Men- schen, — von den Mißgestalten voll — — Leerheit, — den Larven, aus lauter Grimassen zu- sammen gesetzt — dem Poͤbel der Menschen; — in Gefahr und Versuchung — zu vergessen, daß auch diese Mißgestalten, diese Larven, dieser Poͤbel — Menschen sind; — daß Er, bey aller seiner eingebildeten oder auch wuͤrklichen Vortrefflichkeit, bey allem Adel seiner Gesinnungen, aller Reinheit seiner Absichten — und wer kann sich dieser immer ruͤhmen? — aller Festigkeit und Gesundheit seiner Vernunft — aller Zartheit seiner Empfindung, aller Kraft seiner Natur — daß er, und wenn er auch an die hohen Jdeale alter griechischer Kunst zu graͤnzen scheint — daß er dennoch sehr vermuthlich durch eigne moralische Schuld in den Augen hoͤherer Wesen, in den Augen seiner Menschenbruͤder, der vollendeten Gerechten, so gut eine Karikatur ist — als die laͤcherlichste oder schaͤdlichste moralische oder physische Mißgeburt des Erdbodens es in sei- nen Augen ist. — Ja freylich vergessen wir das oft! — also ist Erinnerung noͤthig, noͤthig dem Schreiber und Leser dieses Werks — „Vergiß nicht, daß auch die schlechtesten Menschen Menschen sind; — „auch in dem verwerflichsten, wie viel positif Gutes ist noch! — auch der schlechteste Mensch — „wie ist er doch so gewiß und so gut Einzig in seiner Art, als du? unentbehrlich, wie du? uner- „setzbar, wie du? — Er hat von oben bis unten, er hat weder auswendig noch innwendig das „Geringste, genau so wie’s du hast! Er ist im Ganzen, ist in allen seinen unzaͤhligen Theilen so „individuell, wie du — ..... Er, weniger? und ein Buchstabe der Schoͤpfung fehlte, so gut, wie „wenn du nicht waͤrest! Er, weniger? — er nicht so, wie er ist? — und mit ihm, oder vielmehr „ohn’ ihn unzaͤhlige Dinge und Menschen anders, als sie sind! Er das — Resultat aus millio- „nen Dingen — und millionen Dinge das Resultat von Jhm! von seiner so bestimmten Exi- „stenz! seiner so beschaffenen Natur!“ — D 3 „Schau’ III. Fragment. „Schau’ ihn an, untersuch’ ihn — als wenn er allein waͤr’! Auch dann wirst du Kraͤfte „und Trefflichkeiten an ihm bemerken, die ohne Vergleichung mit andern, an sich schon alle Auf- „merksamkeit und Bewunderung verdienen.“ — „Und dann, vergleich’ ihn wieder mit andern! — seine Aehnlichkeit, seine Unaͤhnlichkeit „mit so vielen seiner vernuͤnftigen Nebengeschoͤpfe; wie wird dich dieß in Erstaunen setzen? wie „wirst du die Einzelheit, die Unentbehrlichkeit seines Daseyns zu schaͤtzen anfangen? wie wirst du „die Harmonie aller ihn zu Einem Ganzen machenden Theile — wie seine Beziehung, die Bezie- „hung seiner millionenfachen Jndividualitaͤt auf so manche andere — bewundern? — Bewundern „und anbeten, die so einfach und so millionenfach sich abwechselnde Aeusserung der unerforschbaren „Allkraft, die sich in der Menschheit besonders so — herrlich offenbaret.“ „Kein Mensch hoͤrt auf, Mensch zu seyn, und wenn er noch so tief unter die Wuͤrde der „Menschheit herabzusinken scheint — So lang’ er kein Thier wird — ist er immer noch der Ver- „besserung und der Vervollkommnung faͤhig. Auch die schlechteste Physiognomie ist noch eine Men- „schenphysiognomie. Menschheit bleibt immer Ehre und Zierde des Menschen.“ „So wenig ein Thier ein Mensch werden kann, obgleich es in manchen Geschicklichkeiten „dem Menschen gleich kommt, oder ihn allenfalls uͤbertrifft; — so wenig wird ein Mensch ein „Thier; obgleich sich mancher Mensch Dinge erlaubt, die wir nicht einmal an unvernuͤnftigen „Thieren ohne Abscheu ansehen koͤnnten.“ Aber selbst die Faͤhigkeit, sich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig- stens, zu erniedrigen — selbst diese ist Ehre und Vorrecht der Menschheit; — denn eben dieselbe Faͤ- higkeit, die Faͤhigkeit alles mit Verstand, Willkuͤhr und Wahl nachzuahmen — eben diese Faͤhig- keit hat doch nur der Mensch — und durchaus kein Thier. Die Thierphysiognomien sind keiner merklichen Verschlimmerung — aber auch keiner merklichen Verbesserung und Verschoͤnerung faͤhig. Die schlechteste Menschenphysiognomie kann noch schlechter werden, kann aber immer auch wieder, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, verbessert und veredelt werden. Unbeschreiblich ist die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menschen. Dadurch Trefflichkeit aller Menschengestalten. Dadurch hat auch die schlechteste Physiognomie gegruͤndeten Anspruch auf die Aufmerk- samkeit, Achtung und Hoffnung aller guten Menschen. Also noch einmal: Jn jeder Menschenphysiognomie, so verdorben sie seyn mag, ist noch Menschheit — das ist, Ebenbild der Gottheit! — Jch habe die verruchtesten Menschen gesehen — gesehen in den verruchtesten Augenblicken ihres Lebens — und — all’ ihre Bosheit und Gotteslaͤsterung und Draͤngen der Unschuld konnte nicht vertilgen das Licht Gottes in ihrem Angesichte, das ist — den Geist der Menschheit, die un- ausloͤschbaren Zuͤge innerer ewiger Perfektibilitaͤt — den Suͤnder haͤtte man zermalmen — den Menschen noch umarmen moͤgen. O Physiognomik! welche Buͤrgschaft bist du mir — fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Menschen! — Jch armer Unmensch, wollt’ ich sagen — denn wie oft bin ich das in schauerhaf- ten Augenblicken hoͤlzerner Seelenlosigkeit! — Jch armer Unmensch kann, wenn ein Stral der Physiognomik mich anleuchtet, den ich in einen zerschmetternden Blitz wider alle Unmenschheit im Menschen verwandeln moͤchte — ich kann in demselben Augenblicke kaum aufhoͤren, in die Mensch- heit, die noch durchscheint, verliebt zu seyn — Ewiger, Einziger Vater aller Liebe und Mensch- lichkeit — wie muß dir beym Anblicke der schlimmsten Menschen zu Muthe seyn — was mußt du noch in ihnen entdecken. — Jst wohl Einer — ohn’ allen Zug deines Ebenbildes — Jesus Christus — — Also — Forscher der Natur! forsche, was da ist! — also Mensch — sey Mensch in allen deinen Untersuchungen! vergleiche nicht sogleich — vergleiche nicht bloß mit willkuͤhrlichen Jdea- len. Wo Kraft ist — ist etwas bewundernswuͤrdiges, etwas unerforschliches; — und Kraft, — menschliche, oder, wenn du lieber willst, goͤttliche Kraft, ist in allen Menschen. Wo Menschheit ist, da ist Familiensache. Du bist Mensch, und was Mensch neben dir ist, ist — Zweig Eines Stammes, Glied Eines Leibes; — ist, was du bist — noch mehr achtungswerth, als wenn’s gerade das, gerade so gut, so edel waͤre, wie du — weil es dann ja nicht mehr das einzelne, das unentbehrliche, das unersetzbare Jndividuum waͤre, das es itzt ist. — — O Mensch, freue dich deß, was sich seines Daseyns freut, und dulde, was Gott duldet — Jtzt III. Fragment. Jtzt — Bruder, in die Stille, und laß einige Augenblicke der Menschenfreude Raum, daß du so gewiß unentbehrlich bist, als gewiß dein Gesicht, und alles an dir und in dir, von den Gesichtern aller Menschen, und allem was an ihnen und in ihnen ist, verschieden ist — und freue dich der Unentbehrlichkeit aller deiner Nebenmenschen, die so gewiß ist, so gewiß diese im Ganzen und in allen ihren Theilen, von dem Ganzen und von allen Theilen aller andern verschieden, ob- gleich dem Ganzen und den Theilen aller andern aͤhnlich sind. Freue dich deß — Und dann, wenn Ein Blick gen Himmel dem Vater so vieler Kinder Anbetung zugeblickt oder zugethraͤnt hat — dann magst du auch noch die folgende Zugabe — mit einem Herzen lesen, ohne welches sie dir unverstaͤndlich — oder schaͤdlich seyn wuͤrde. Zugabe. Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte. Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte. J ch beobachtete einige Kinder, etwa eine Stunde nach ihrer, nicht harten, Geburt. Jch bemerkte eine frappante, freylich verjuͤngte, Aehnlichkeit ihres Profiles mit dem ihres Vaters — Diese Aehn- lichkeit verlor sich in wenigen Tagen beynahe gaͤnzlich. Der Einfluß der offnen Luft und der Nah- rung — vermuthlich auch der Lage — veraͤnderten die bestimmte Zeichnung so sehr, daß man einen ganz andern Menschen vor sich zu sehen glaubte — Jch sah diese Kinder, das eine etwa 6. Wochen, das andere etwa 4. Jahre nach der Geburt, todt — und etwa 12. Stunden nach ihrem Sterben — bemerkte ich vollkommen wieder das halbe Profil, das ich etwa eine Stunde nach ihrer Geburt an ihnen bemerkt hatte; nur mit dem Unterschiede, daß das Profil des todten Kindes, wie natuͤrlich, etwas fester und gespannter war, als des lebenden; etwas von dieser Aehnlichkeit aber verlor sich am dritten Tage wieder merklich. Jch sah Maͤnner von 50. und 70. Jahren, die in ihrem Leben nicht die mindeste Aehnlich- keit mit ihren Soͤhnen zu haben schienen — deren Gesichter beynahe aus einer ganz verschiedenen Classe zu seyn schienen — todt, am zweyten Tage nach ihrem Sterben — war das Profil des einen, dem Profil seines aͤltesten, und das Profil des andern, dem Profil seines dritten Sohnes — gerade so frappant aͤhnlich, wie das Profil der oben angefuͤhrten todten Kinder ihrem lebenden Profile, eine Stunde nach der Geburt, war. — Freylich staͤrker, und nach dem Mahlerausdruck haͤrter — aber auch hier verlor sich am dritten Tage etwas von der Aehnlichkeit. Phys. Fragm. II Versuch. E So III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen So viele Todte ich gesehen, hab’ ich dabey die einfoͤrmige Beobachtung gemacht, daß sie et- wa 16, 18, 24 Stunden nach ihrem Tode (je nachdem sie eine Krankheit gehabt hatten) eine schoͤnere Zeichnung hatten, als sie in ihrem Leben niemals gehabt hatten — viel bestimmter, proportionir- ter, harmonischer, homogenischer, edler, viel edler, erhabner ..... Duͤrfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menschen eine Grundphysiognomie seyn? durch die Ebbe und Fluth der Zufaͤlle und Leidenschaften verschwemmt? vertruͤbt? — die sich nach und nach durch die Ruhe des Todes wieder herrstellte, wie truͤbgewordenes Wasser, wenn’s unzerruͤttet stehen kann, helle wird? Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen Charakter in ihrem Leben gehabt hatten, hab’ ich einige Stunden vor ihrem Tode, bey eini- gen bloß einige Augenblicke vorher — (die eine war im Delirio —) eine unaussprechliche Ver- edlung ihrer Physiognomie wahrgenommen! Man sah einen neuen Menschen vor sich! Colorit und Zeichnung und Grazie — alles neu — alles morgenroͤthlicht! himmlisch! .. unbeschreib- lich edel — erhaben! der Unaufmerksamste mußte sehen, der Unempfindlichste empfinden. Ebenbild Gottes — sah ich unter den Truͤmmern der Verwesung hervorglaͤnzen, mußte mich wenden, schweigen, und anbeten — Ja! du bist noch — bist noch — Herrlichkeit Got- tes — auch in den schwaͤchsten, fehlervollsten Menschen — wenn das duͤrre Holz noch so bluͤ- hen kann, wie wird’s das gruͤne? Nachstehende Vignette ist von einem Thoren, der in seiner Jugend ein sehr verstaͤndi- ger, sehr trefflicher, herzguter Mensch war — durch harte Begegnung seines wilden Vaters aber wegen seiner vermuthlichen Verliebtheit — so mißhandelt wurde, daß er den Verstand verlor uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte. verlor — wenn einmal der Mund, wo vornehmlich der Sitz der Tollheit zu seyn scheint — sich im Tode schließen wird, — ich wollte wetten, der vorige Ausdruck des Verstandes wird groͤßtentheils wieder zum Vorschein kommen. Dieser vorige Verstand ist itzt noch sichtbar ge- nug, besonders in der Stirn, und im Umrisse, nicht im Blicke des Auges. E 2 Viertes IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß Viertes Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menschenkenntniß und Menschenliebe. J ch will, lieber Leser, durch dieß Werk Menschenkenntniß und Menschenliebe zugleich befoͤr- dern. Diese gedoppelte Absicht, kann sie zugleich statt haben? — Menschenkenntniß, hebt sie die Menschenliebe nicht auf? schwaͤcht sie wenigstens dieselbe nicht? — verlieren doch die meisten Menschen durch die genauere Kenntniß, die man von ihnen erlangt? und, wenn sie verlieren, wie kann die Menschenliebe gewinnen? — die Liebenswuͤrdigkeit, muß diese nicht abnehmen, wenn das geschaͤrfte Auge immer mehr Unvollkommenheiten erblickt; desto schneller, desto mehr, desto heller erblickt, je mehr es sich uͤbt, Vollkommenheiten zu entdecken? Was du hier sagst, mein Freund, ist — — Wahrheit! — aber nur einseitige Wahr- heit. Einseitige Wahrheit aber — welche ergiebige Quelle von Jrrthum und Mißverstand! Es ist allerdings wahr, daß die meisten Menschen durch genaue Kenntniß, die man von ihnen erlangt, verlieren — aber nicht weniger wahr ist’s, daß die meisten Menschen dadurch, daß man sie genauer kennet, oft gerade so viel, oft noch mehr von der andern Seite gewinnen, als sie von der einen verloren hatten. Jch rede nicht von denen, die beynahe nur gewinnen koͤnnen, je genauer sie gekannt werden, wofern es solche Menschen geben sollte, die durchs Gekanntseyn, ich sage nicht: viel, son- dern bloß gewinnen wuͤrden. Jch rede von denen, die viel verlieren, wenn Menschenkenntniß genauer und gemei- ner wird. Wer ist so weise, daß er nicht zuweilen ein Thor sey? wo ist der Tugendhafte, der nie la- sterhaft handle? Nie, wenigstens unreine, uneinfaͤltige Absichten habe? Also will ich annehmen, daß, mit aͤusserst seltener Ausnahme, — alle Menschen durchs Gekanntseyn verlieren Aber beweisen will ich, durch die maͤchtigste Jnduktion, wenn man will — „daß auch alle „durchs Gekanntseyn hinwiederum gewinnen.“ Mithin der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Mithin — „daß Menschenkenntniß der Menschenliebe im Ganzen nichts schade,“ — „ob „aber nuͤtzet?“ — Ja — „daß sie ihr nuͤtzet!“ — Menschenkenntniß lehrt uns nicht nur, was der Mensch nicht ist, — und nicht seyn kann; sondern auch: warum er’s nicht ist, und nicht seyn kann? sondern auch: was er ist und seyn kann? Befremdung — diese so reiche Quelle von Jntoleranz, nimmt in ebendemselben Grade ab, wie die aͤchte Menschenkenntniß zunimmt. Wenn du weißt, warum ein Mensch so denkt, so handelt — das heißt, wenn du dich in seine Lage, wie viel mehr? wenn du dich in den Bau seines Koͤrpers, seine Bildung, seine Sin- ne, sein Temperament, seine Empfindsamkeit, hinein denken kannst; wie wird dir alles begreiflich? erklaͤrbar? natuͤrlich? — und hoͤrt denn nicht gerade da die Jntoleranz, die sich bloß auf die Men- schen, als Objekt, bezieht, auf — wo lichthelle Erkenntniß seiner individuellen Natur anfaͤngt? wird da nicht viel eher Mitleiden an die Stelle der Verdammung, und bruͤderliche Nachsicht an die Stelle des Hasses treten? — Jch will damit Fehlern nicht das Wort reden, viel weniger Laster, als solche, in den Schutz nehmen; aber es ist allgemein angenommene richtige Billigkeit — daß man z. E. einem hitzigen Menschen eher vergeben koͤnne, wenn er sich durch harte Beleidigungen zum Zorne reizen laͤßt, als einem kaͤltern. Allein nicht nur von dieser Seite — (ich beruͤhre hier die Sache nur) gewinnt der Fehler- hafte durch physiognomische Menschenkenntniß anderer. Er gewinnt noch von einer andern. Die Physiognomik entdeckt in ihm wuͤrkliche und moͤgliche Vollkommenheiten, die ohne sie immer verborgen bleiben koͤnnten. Je mehr der Mensch beobachtet wird, desto mehr Kraft, positi- fes Gutes wird an ihm beobachtet. Wie der Mahler, mit geuͤbtem Auge tausend kleine Nuͤan- cen und Farbenspielungen wahrnimmt, die hundert andern Augen unbemerkt bleiben, so der Phy- siognomist eine Menge wuͤrklicher oder moͤglicher Trefflichkeiten, die tausend Augen gemeiner Men- schenverachter, Menschenverlaͤumder — oder liebreicher Menschenbeurtheiler unbemerkbar sind. Jch rede aus Erfahrung. Das Gute, das ich als Physiognomist an meinem Nebenmen- schen bemerke, haͤlt mich mehr als schadlos fuͤr die Menge Boͤses, das ich ebenfalls bemerken und E 3 unter- IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß unterdruͤcken muß. Je mehr ich Menschen beobachte, desto deutlicher bemerk’ ich in allen Gleich- gewicht der Kraͤfte; bemerk’ ich, daß die Quelle alles Schlimmen in ihnen — gut ist, — das heißt, daß eben das, was sie schlimm macht, Kraft, Wuͤrksamkeit, Reizbarkeit, Elasticitaͤt — immer an sich etwas Gutes, Positifes, Reales ist — dessen Abwesenheit freylich unendlich viel Schlimmes unmoͤglich gemacht haͤtte — aber zugleich auch unendlich viel Gutes — dessen Da- seyn zwar viel Schlimmes wuͤrklich gemacht hat — aber zugleich auch die Moͤglichkeit zu noch un- gleich vielmehr Gutem in sich schließt. Bey dem geringsten Fehltritt eines Menschen entsteht sogleich ein uͤbertaͤubendes, verdam- mendes Geschrey — das den ganzen Charakter des Menschen verdunkelt, zu Boden schreyt, ver- nichtet — Der Physiognomist sieht den Mann an — den alle Welt verdammt — und — lobt das Laster? — Nein! — Entschuldigt den Lasterhaften? — auch nicht; — was dann? Sagt Euch ins Ohr, oder laut: „Behandelt den Mann so, und Jhr werdet erstaunen, was noch aus ihm, „dem Manne, werden kann und — wird! Er ist nicht so schlimm, als er scheint. Sein Gesicht ist „besser, als seine Thaten! zwar auch seine Thaten sind lesbar in seinem Gesichte — aber noch mehr „als die, deutlicher noch, die große Kraft, die Empfindsamkeit, die Lenksamkeit des nie recht ge- „lenkten Herzens — dieselbe Kraft, die dieß Laster hervorgebracht — Gebt ihr nur eine andere „Richtung; gebt ihr andere Gegenstaͤnde, und sie wird Wundertugenden verrichten.“ — Kurz, der Physiognomist wird — begnadigen, wo der liebreichste Menschennichtkenner — verdam- men muß. Ferner — seit ich physiognomisire, hab’ ich viele so vortreffliche Menschen naͤher kennen gelernt — so viel Anlaß gehabt, mein Herz mit Freud’ an Menschen zu naͤhren — zu erweitern, daß ich mich dadurch gleichsam mit dem uͤbrigen Menschengeschlechte versoͤhnte. Ja, ich darf sa- gen, daß ich Einen meiner erklaͤrtesten Gegner, trotz alles dessen, was er heimlich und oͤffentlich wider mich gethan hat — bloß seiner Physiognomie und Gestalt wegen, lieben muß, so sicher, daß er mein kuͤnftiger Freund seyn wird, als es gewiß ist, daß ichs itzo schon bin. Bloß Mangel an physiognomischem Auge oder Gefuͤhl ist’s, daß er mich mißkennt — so wie’s bloß physiognomisches Gefuͤhl auf meiner Seite ist, daß ich Jhn, und wenn er noch mehr wider mich wuͤten, und wenn er auch sagen sollte — „Jch suchte mich ihm dadurch einzuschmeicheln“ — liebe, obgleich ich seine Thaten der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Thaten gegen mich — verabscheue. Was ich hier als wahre Erfahrung getreulich sage — wird jeder Physiognomist, der Mensch ist — unfehlbar erfahren. Noch mehr. Wie die Barmherzigkeit durch Anblick physischen Elendes erweckt, genaͤhrt, und entflammt wird — so das edelste und weiseste Mitleiden mit der Menschheit durch feines Wahrnehmen und Empfinden des Verfalls der Menschheit — und wem ist das eigner, als dem aͤchten Physiognomisten? das edelste Mitleiden — sag’ ich, denn es bezieht sich unmittelbar auf den bestimmten, gegenwaͤrtigen Menschen, auf sein geheimes aber tiefes Elend — das nicht ausser ihm, das in ihm ist — das weiseste Mitleiden! — Denn, weil es den Schaden als innerlich er- kennt und anschaut, denkt’s nicht auf Palliatife, sondern innere tief wuͤrkende Mittel, auf Ver- besserung der Wurzel! auf Mittel, die nicht zuruͤckprallen! auf Mittel, wozu man empfaͤngliche Seiten wahrnimmt! Jch beschließe dieß Fragment eines Fragments mit einer Stelle aus einem beruͤhmten Schriftsteller, die hieher zu gehoͤren scheint, und als Einwendung oder Bestaͤtigung angefuͤhrt zu werden verdient. „Jn der That, heißt’s, Momus war nicht klug mit seinem Fenster vors mensch- „liche Herz. Die besten Menschen wuͤrden gerade am schlimmsten dabey gefahren seyn.“ — „Das heißt — die schlimmen Menschen denken ohnehin Arges in ihrem Herzen von allen „andern, denn keiner von ihnen haͤlt andere Leute fuͤr besser, als sich selbst; und da keine Kraͤhe „der andern die Augen aushackt, so wagen die Boͤsen nichts dabey, wenn sie einander uͤber der „That ertappen; denn sie haben ein augenscheinliches Jnteresse saͤuberlich mit einander zu verfah- „ren. Die besten Menschen hingegen denken, so lang es nur immer moͤglich ist, von jeder- „mann Gutes, und hierinn besteht ein so großer Theil ihrer Gluͤckseligkeit, daß sie nothwendig „sehr ungluͤcklich werden muͤßten, wenn ein Fenster vor der Brust der Leute sie auf einmal aus „dem angenehmen Jrrthum in die traurige Gewißheit versetzte, von so vielen falschen und boͤsen „Geschoͤpfen umgeben zu seyn. Es ist also klar, daß die besten am meisten dabey verloren haͤt- „ten, wenn Momus mit seinem vorbesagten Vorschlag, den Menschen ein Fenster vor die Brust „zu setzen, durchgedrungen waͤre.“ Deutscher Merkur 1775. Freylich IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menschenkenntniß ꝛc. Freylich, Jhr guten Seelen, Jhr werdet oft blutige Thraͤnen weinen, daß die Men- schen so viel schlimmer sind, als Jhr glaubet — aber sicherlich tausendmal auch Freudenthraͤnen weinen, daß Jhr die Menschen besser findet, als die allherrschende, allvergiftende Verlaͤumdungs- und Verurtheilungssucht — sie verkuͤndigte. Fuͤnftes Fuͤnftes Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Physiognomik uͤberhaupt. J ch stund an, ob ich schon in dem zweyten Bande dieser Fragmente von den Einwendungen gegen die Physiognomik ein Wort sagen sollte? Einsichtsvolle Freunde mißriethen mir’s. Al- lein, alles abgewogen, fand ich’s billig, den Wahrheitsuchenden Leser einigermaßen aus der Ver- legenheit zu setzen, in die er durch die taͤgliche Anhoͤrung einiger Einwendungen getrieben wird. Ohne Zahl sind die Einwendungen, die man gegen die Wahrheit und Zuverlaͤssigkeit der menschlichen Gesichtszuͤge machen kann. Ein großer Theil derselben scheint mir leicht, ein großer Theil schwer, und noch zur Zeit unmoͤglich zu beantworten. Eh’ ich einige besondere anfuͤhre — will ich zuerst einige allgemeine Anmerkungen zum Grunde legen, deren genaue Pruͤfung und Erwaͤgung — unzaͤhlige Schwierigkeiten aus dem Wege raͤumen wuͤrde. Gegen die allergewissesten Sachen lassen sich unbeantwortliche Einwendungen machen. Unbeantwortliche Einwendungen an sich heben also die Gewißheit und Zuverlaͤssigkeit einer Sache nicht auf, wofern diese sonst klar am Tage liegt. Es ist keine einzige unmathematische Wissenschaft, die nicht ihre bloße schutzlose Seite habe ... warum nicht die erst noch aus der Wiege sich empor hebende Physiognomik? Was kann gewisser seyn, als daß die Lichtstralen sich tausend und millionenfach durch- schneiden, um aus unzaͤhligen Beyspielen Eines anzufuͤhren — und wer kann die Einwendungen beantworten, die gegen die Moͤglichkeit der Sache gemacht werden koͤnnten? — Mich duͤnkt, bey allen Untersuchungen koͤmmt’s erst darauf an: „was fuͤr eine Sache, die „behauptet wird, gesagt werden kann?“ — Ein unumstoͤßlicher Beweis fuͤr das Daseyn und die Gewißheit einer Sache wiegt zehentausend Einwendungen auf. Ein positifer Zeuge, der von Seite seiner Einsicht und Redlichkeit alle moͤgliche Zuverlaͤssigkeit hat, Ein solcher gilt mehr, als unzaͤhlige bloß negative. Alle Einwendungen gegen eine gewisse Wahrheit sind eigentlich bloß negative Zeugen: „das haben wir noch nicht wahrgenommen, das noch nicht Phys. Fragm. II Versuch. F erfahren. V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen „erfahren.“ — Wenn zehentausende das sagen, was beweist’s gegen einen einzigen Verstaͤndigen und Redlichen, der sagen kann: „aber ich hab’s wahrgenommen, und ihr koͤnnt’s auch wahrneh- „men, wenn ihr wollt.“ — Gegen das in die Augen leuchtende Daseyn einer Sache laͤßt sich keine gegruͤndete Einwen- dung machen. Etwas positifes, ein Factum kann durch nichts aufgehoben werden. Es laͤßt sich kein positifes Factum dagegen anfuͤhren ... und alle Einwendungen dagegen sind nur negativ... Wenn ich z. E. einen auferstandenen Todten gesehen, mit ihm geredet, mit ihm gegessen und getrunken, ihn mehrmals betastet haͤtte, kurz, von seiner Erscheinung vollkommen so sinnlich uͤberzeugt waͤre, wie von dem Daseyn meines noch lebenden Freundes, dem ich dieß Blatt vor- lese — wie nichts waͤren mir dann alle Einwendungen von der Unzuverlaͤssigkeit der Sinne? von der Unmoͤglichkeit, daß ein Todter auferstehe? von unzaͤhligen falschen Erzaͤhlungen, die man von aͤhnlichen Erscheinungen gemacht habe? von der allgemeinen Nichterfahrung ganzer Jahrhunderte, ganzer Menschengeschlechter in Absicht auf eine solche Erscheinung? u. s. f. — Alles dieß wuͤrde mich zwar billig sehr behutsam machen in der Untersuchung der Wuͤrklichkeit der Thatsache — aber wenn ich einmal hievon, vollkommen so, wie von der Existenz meines lebenden Freundes, uͤberzeugt waͤre — wuͤrde ich mich durch alle diese Einwendungen, so unbeantwortlich sie auch scheinen moͤchten, (im Grunde koͤnnten sie’s doch nur scheinen, und nicht seyn —) nicht irre machen lassen. Man wende dieses auf die Physiognomik an. Positife Beweise fuͤr die wahrhafte und erkennbare Bedeutung menschlicher Gesichter und Gesichtszuͤge, wider deren Klarheit und Zuver- laͤssigkeit nichts eingewendet werden kann, machen unzaͤhlige Einwendungen, die vielleicht nicht beantwortet werden koͤnnen, voͤllig unbedeutend. Man suche also erst sich mit dem Positifen, das die Physiognomik liefert, bekannt zu machen. — Man halte sich erst allein an dem gewiß Wahren fest, und man wird sich bald im Stande befinden, sehr viele Einwendungen zu beantworten, oder als keiner Beantwortung wuͤr- dig auf die Seite zu schaffen. Nach dem Maaße, wie der Mensch das Positife bemerkt und fest haͤlt, — nach demsel- ben laͤßt sich, wie mich deucht, seine Kraft und Staͤndigkeit messen. Der mittelmaͤßige, der seichte gegen die Physiognomik uͤberhaupt. seichte Kopf pflegt immer das Positife zu uͤbersehen, und mit dem unabtreiblichsten Eigensinn an dem Negatifen zu kleben. Siehe zuerst, was du bist, und was du hast, und kannst, und weißt, ehe du un- tersuchest, was du nicht bist, nicht weißt, nicht hast, und nicht kannst. Das ist die Re- gel, die jeder, der weise, tugendhaft, gluͤcklich werden will, sich nicht nur vorschreiben, die man, wenn ich so sagen darf, in seine eigene Seele verwandeln sollte. Der wahre Weise sieht im- mer zuerst auf das was da ist; der Afterweise, der Pedant, immer zuerst auf das was mangelt. Der wahre Philosoph sieht auf die positifen Beweise fuͤr eine Sache, zu- erst, sag’ ich, (ich ersuche sehr, diese meine Behauptung sich nicht unrichtig vorzustellen) zuerst, sag’ ich — und der schlechte Kopf zuerst auf negative Gegenbeweise. Das war z. E. von jeher die Methode der Unglaͤubigen — der Bestreiter des Christenthums. Wenn das Christen- thum falsch waͤre — waͤre doch diese Methode, seine Falschheit zu zeigen, unbillig und unlogisch. Als unbillig und unlogisch sollte diese Methode dargethan und verworfen werden, ehe man sich mit ihnen in besondere Felder von Beantwortung einließe. Es wuͤrde sich also, um wieder auf die Physiognomik zuruͤckzukommen, bloß fragen: „Giebt „es so entscheidend positife Gruͤnde fuͤr die Physiognomik, daß wir auf die scheinbarsten Ein- „wendungen nicht achten duͤrfen?“ — Jch bin davon so sehr, wie von meinem eigenen Daseyn uͤberzeugt; und am Ende dieses Werkes soll’s jeder unpartheyischer Leser seyn, der nur so viel Einsicht und Redlichkeit besitzt, uns nicht abzulaͤugnen: „daß uns die Augen zum Sehen gegeben sind, obgleich es tausend Augen „in der Welt giebt, die nicht sehen.“ — Es ist wahrscheinlich, daß es Gelehrte giebt, die mich hieruͤber chikaniren koͤnnten. Man koͤnnte mir z. E. aus Reaumuͤr die Papillons femelles und die großen Ameisenfliegen an- fuͤhren, — um mir zu beweisen, wie sehr man sich in der Angabe der Endursachen physischer Dinge irren koͤnne — Man koͤnnte sagen: „Fluͤgel scheinen offenbar zum Fliegen gegeben zu „seyn, und dennoch fliegen diese Jnsekten niemals, also — sind die Fluͤgel nicht schlechterdings „zum Fliegen — und so, weil einige beaugte Wesen nicht sehen, die Augen nicht schlechter- F 2 dings V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen „dings zum Sehen gegeben, u. s. f.“ — Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd’ ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menschen- verstand. Jch sehe zehen oder zwanzig Menschen, die alle Augen haben, und sehen, wenn sie bey Tage die Augen aufschließen, und nicht mehr sehen, wenn sie die Augen zuschließen. Wo- fern diese zehen oder zwanzig nicht ausgesucht, sondern zufaͤlliger Weise aus dem unzaͤhligen Haufen der Menschen herausgegriffen sind, so ist die hoͤchstmoͤgliche Wahrscheinlichkeit da, daß alle aͤhnlich gebildete Menschen, die jetzo leben, gelebt haben, und leben werden, mit aͤhnlichen Gliedern, als die sind, die wir Augen nennen, sehen werden. Wenigstens ist diese Methode zu schließen, die Methode aller Jahrhunderte und aller Menschengeschlechter. — Wofern diese Art zu schließen richtig ist, so muß sie auch in Ansehung der Physiogno- mik richtig seyn; wofern es da sich auch so verhaͤlt — Jst sie’s aber nicht in der Physiognomik, so ist sie’s auch uͤberall nicht. Mithin steh’ ich in den Gedanken, „daß dem Vertheidiger der Physiognomik eigent- „lich nichts obliege, als darzuthun: daß bey zehen, zwanzig, oder dreyßig aus dem „Haufen herausgegriffnen Menschen, nach aller Menschen Gestaͤndniß so gewiß „physiognomischer Ausdruck, oder erweisliches Verhaͤltniß innerer Kraft und Sin- „nes und aͤusserer Gestalt und Zeichnung sey, als gewiß es ist, daß zwanzig aus „dem Haufen herausgegriffne Menschen mit ihren Augen sehen. “ — Hat er dieß dargethan, so hat er die Allgemeinheit der physiognomischen Wahrheit so gut erwiesen, als die Allgemeinheit des Gesichtes vermittelst der Augen, wenn erwiesen ist, daß zwanzig oder dreyßig Menschen vermittelst ihrer Augen sehen. Von diesen wenigen mach’ ich den Schluß auf zehen tausend Millionen, die ich gesehen oder nicht gesehen habe. — Allein, wird man sagen: „wenn sich dieß auch von gewissen Zuͤgen erweisen ließe — „folgt denn daraus — von allen?“ — Jch meyn’ es, Freund der Wahrheit! weise mich zu- recht, wenn ich irre. Wenn ich bemerke, daß der Mensch mit den Augen sieht, und mit den Ohren hoͤrt, und gewiß weiß, daß ihm die Augen zum Sehen gegeben sind, und die Ohren zum Hoͤren; — wenn gegen die Physiognomik uͤberhaupt. wenn ich nicht mehr zweifeln kann — daß Augen und Ohren ihre genaue angebliche Bestimmung haben; so mach’ ich, duͤnkt mich, keinen unrichtigen Schluß, wenn ich denke, daß auch die uͤbrigen Sinnen und Glieder an demselben menschlichen Koͤrper, der ein so zusammengegoßnes Ganzes und Eins ist — ihre besondere Bestimmung und Verrichtung haben, obgleich ich vielleicht noch nicht dazu gekommen seyn koͤnnte, diese Bestimmung so mancher einzelnen Sinne, Glieder, und Eingeweide zu kennen. So, Mitforscher der Wahrheit, meyn’ ich, verhaͤlt es sich mit der Bedeutung der Ge- sichtszuͤge des Menschen und der Zeichnung seines Koͤrpers und aller seiner Glieder. Wenn erwiesen werden kann, daß zwey, drey Zuͤge gewiß von bestimmter Bedeutung sind, so bestimmter Bedeutung, als das Auge Ausdruck des Gesichts ist — schließ ich nicht genau nach der eben angefuͤhrten, allgemein fuͤr richtig erkannten Schlußart: „daß auch diejenigen Zuͤge „bedeutend seyn, deren Bedeutung ich allenfalls noch nicht weiß? “ Nun glaub ich’s jedem Menschen von dem gemeinsten Menschenverstand erweisen zu koͤn- nen: „daß in jedem Menschen ohne Ausnahme wenigstens Etwas, wenigstens in gewissen Um- „staͤnden, sey’s nun dieß oder jenes, und zwar mehr als Eins — von bestimmter Bedeutung sey, „so gut ich’s dem Einfaͤltigsten begreiflich machen kann, daß wenigstens einige Glieder am menschli- „chen Koͤrper ihre angebliche gewisse Bestimmung haben.“ — Zwanzig, dreyßig aus dem Haufen herausgegriffene Menschen werden, wenn sie lachen und wenn sie weinen, mithin in dem Ausdrucke, den Aeusserungen, ihrer Freude und ihrer Trau- rigkeit etwas mit einander gemein haben — Gewisse Zuͤge an ihnen werden sich aͤhnlicher werden, als diese Zuͤge sich sonst sind, wenn sie nicht in einer aͤhnlichen Gemuͤthslage sich befinden. Nun duͤnkt mich, wenn man zugesteht, daß große Freude und große Traurigkeit ihren all- gemein erkennbaren Ausdruck haben; daß der Ausdruck von beyden so verschieden sey, als Freud und Traurigkeit verschieden sind; sollte man denn nicht auch gestehen muͤssen, daß der Zustand der Ruhe — das Mittel zwischen Freude und Traurigkeit auch seinen besondern Ausdruck haben muͤsse — oder, mit andern Worten: „daß die Muskeln um Augen und Lippen herum sichtbar in „einer andern Lage sich befinden muͤssen?“ — F 3 Giebt V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen Giebt man dieß zu von dem Zustande der Freude, der Traurigkeit, der Ruhe; — warum nicht von den uͤbrigen Zustaͤnden, des Stolzes, der Demuth, der Geduld, der Großmuth? u. s. f. Nach Gesetzen fliegt der Stein in die Hoͤhe, wenn ich ihn mit Gewalt hinaufwerfe — nach denselben Gesetzen faͤllt er wieder auf die Erde — sollt’ er nicht nach ebendenselben Gesetzen liegen bleiben, wenn ihn niemand bewegt? — — Nach Gesetzen druͤckt sich die Freude so — Traurigkeit so — die Ruhe so aus — warum Zorn, Sanftmuth, Stolz, Demuth u. s. f. nicht auch nach Gesetzen, nach denselben Gesetzen? Entweder alles in der Natur hat seinen Urheber oder nichts; alles steht unter Gesetzen, oder nichts; alles ist Ursach oder Wuͤrkung, oder nichts — Sollte dieß nicht eins der ersten Axiom der Philosophie seyn? — und wenn dieß es nun seyn muß; — wie ist die Physiognomik schon zum voraus gegen alle Einwendungen, selbst gegen die, worauf man noch nichts zu antworten weiß, gerettet — sobald zugegeben wird: „daß gewisse Zuͤge bey allen Men- „schen charakteristisch sind, — so charakteristisch als die Augen fuͤr das Gesicht?“ — „Aber, wie verschieden, wird man sagen, sind die Ausdruͤcke der Freude, der Traurig- „keit? des Denkens? des Nichtdenkens u. s. f. wie da auf Regeln kommen koͤnnen?“ — Diese Einwendung ist im ersten Bande zum Theil schon beantwortet — doch, weil wir hier den Ein- wendungen ein besonderes Fragment widmen, so sey auch dieß noch als Antwort beygefuͤgt ...... Wie verschieden unter sich sind die Augen aller Menschen — aller sehenden Geschoͤpfe — das Auge des Adlers und des Maulwurfs, des Elephanten und der Muͤcke? — und dennoch vermuthen und glauben wir von allen, die nicht Merkmale der Erstorbenheit oder der Krankheit an sich tragen, daß sie sehen. — Wie die Verschiedenheit der Augen, so der Ohren, so der Fuͤße! von denen allen wir dennoch glauben, daß sie zum Hoͤren und zum Gehen gegeben seyn? Verhindert uns nun diese Verschiedenheit nicht, Augen, Ohren und Fuͤße fuͤr Aus- druͤcke, fuͤr Organen der Sehenskraft, Gehoͤrkraft, Gehenskraft anzusehen — warum urthei- len wir nicht so von allen Zuͤgen und Lineamenten des menschlichen Koͤrpers? — Die Aus- druͤcke aͤhnlicher Gemuͤthsverfassungen koͤnnen nicht verschiedener seyn, als die Augen, die Oh- ren, gegen die Physiognomik uͤberhaupt. ren, die Fuͤße aller sehenden, hoͤrenden und gehenden Wesen — dennoch laͤßt sich das, was sie gemein haben, so gut erkennen und bestimmen, als sich das bestimmen und bemerken laͤßt, was die so sehr verschiedenen Augen, Ohren und Fuͤße aller sehenden, hoͤrenden und gehenden Wesen gemeines haben. Dieß wohl erwogen — wie viele Einwendungen wuͤrden zu beant- worten seyn, oder zuruͤckbleiben? Sechstes VI. Fragment. Beantwortung Sechstes Fragment. Beantwortung einiger vermischten besondern Einwendungen gegen die Physiognomik. I. Einwendung. „ M an siehet, sagt man, Leute, die bestaͤndig von fruͤhen Jahren an, ohne Krankheit, ohne „Schwelgerey, ein wahres hippokratisches Todtengesicht bis ins hoͤchste Alter, und doch immer „die staͤrkste und unverruͤckteste Gesundheit hatten.“ — Beantwortung. Diese Faͤlle sind selten. Es sind immer tausend Menschen, deren Gesichtsfarbe und Um- riß ihrer Gesundheit entspricht, gegen Einen, bey dem diese sich zu widersprechen scheinen. — Jch vermuthe indeß, diese seltenen Faͤlle ruͤhren gemeiniglich von Eindruͤcken auf die Mutter waͤh- rend der Schwangerschaft her. „Unter andern hier einschlagenden Raͤthseln, schreibt mir ein Freund, — „will ich Jhnen nur eine Gattung vorlegen: die Erbkrankheiten. — Rachitische, „venerische Affecte, die die Kinder erst in einem gewissen Alter als ihr Erbtheil bemerken, die „ Arthritis, das Podagra, sind allzu bekannt. Aber Borelli erzaͤhlt einen Vorfall von zween „Juͤnglingen, die, ohne eine aͤusserliche Verletzung, in ebendemselben Jahre, naͤmlich im funfzehn- „ten, da ihr Vater durch einen besondern Zufall lahm geworden, gleichen Fehler bekommen.“ — So kann’s, wie viel leichter? — mit dem hippokratischen Gesichte seyn? wie kann ein Schrecken der schwangern Mutter diese Blaͤsse so viel erklaͤrbarer verursachen, als so ein Fall — Gott weiß, nach welchem uns unerforschbaren Gesetze der Einbildungskraft? oder Sympathie? oder Jnfluenz? verursacht worden? — — Solche Faͤlle koͤnnen als Ausnahmen, deren zufaͤllige Ursachen jedoch so schwer nicht zu ergruͤnden sind, angesehen werden. Man kann, deucht mir, daher so wenig gegen die Physiognomik schließen, als daraus, daß es Zwerge und Riesen und disproportionirte Mißgeburten giebt, sich wider die Regeln von dem Ver- haͤltnisse und Ebenmaße des menschlichen Koͤrpers schließen laͤßt. II. Ein- einiger vermischten besondern Einwendungen gegen die Physiognomik. II. Einwendung. Derselbe Freund schreibt mir: „Jch kenne einen der staͤrksten Menschen, der, die Haͤnde „ausgenommen, genau so aussieht, wie einer der schwaͤchsten, und so von jedem, der es nicht weiß, „taxirt wird.“ — Beantwortung. Jch moͤchte diesen Mann sehen. Jch zweifle sehr, ob seine Staͤrke bloß in den Haͤnden ausgedruͤckt sey? Gesetzt aber auch, es waͤre; so waͤr’ es hiemit doch in den Haͤnden? und wenn auch kein Ausdruck der Staͤrke auffallend waͤre — so koͤnnte dieß eine Ausnahme, ein Beyspiel ohne Beyspiel seyn? Wie gesagt aber: ich zweifle an der Behauptung. Jch habe noch keinen Star- ken gesehen, dem’s nicht leicht hier und dort anzusehen gewesen waͤre. III. Einwendung. „Man sieht Helden und Waghalsgesichter, die immer die Ersten auf der Flucht gewe- „sen sind.“ Beantwortung. Je weniger man ist — desto mehr will man scheinen. Wie sehen diese Waghalsgesichter aus? — wie der Farnesische Herkules? — Jch zweifle. Man zeichne sie, man fuͤhre sie vor! — der Physiognomist wird vielleicht auf den zweyten, wo nicht auf den ersten, Blick sagen — Quanta Species! — Auch kann Krankheit, Zufall, Hy- pochondrie den Muthigsten muthlos machen. Aber auch dieß Gemische wird dem Physiogno- misten fuͤhlbar seyn. IV. Einwendung. „Man sieht aͤusserst stolz scheinende Menschen, die in ihren Handlungen niemals das „allergeringste Merkmal von Stolz verrathen.“ — Antwort. Man kann stolz seyn — und Demuth affectiren. Phys. Fragm. II Versuch. G Erzie- VI. Fragment. Beantwortung Erziehung und Umgang kann die Miene des Stolzes geben, wenn das Herz demuͤ- thig ist. Aber dieß demuͤthige Herz wird durch die Miene des Stolzes durchscheinen, wie Son- nenstral durch duͤnne Wolken. V. Einwendung. „Man sieht Mechaniker, die bey unglaublicher Geschicklichkeit, die allerfeinsten Arbei- „ten zu verfertigen, und sie zur groͤßesten Vollkommenheit zu bringen, wahre Baͤren- und Holz- „hackerhaͤnde und Koͤrper hatten; feine Frauenzimmerhaͤnde, die zu allen subtilen mechanischen „Verrichtungen ganz unfaͤhig waren.“ — Antwort. Man stelle, wenn ich bitten darf, diese groben und feinen Koͤrper neben einander, und vergleiche sie! — Die meisten Naturgeschichtsschreiber geben dem Elephanten ein plumpes und dummes Ansehen — und befremden sich in Ruͤcksicht auf diese anscheinende Dummheit, oder vielmehr diesen angedichteten Schein von Dummheit — uͤber seine mannichfaltigen feinen Geschicklichkeiten. Man stell’ aber den Elephanten neben das zaͤrtere Laͤmmlein — welches zeigt, ohne Proben, bloß durch den Bau und die Gelenksamkeit seines Koͤrpers mehr — Geschicklichkeit? Es koͤmmt nicht so fast auf die Masse, als auf die Natur, die Beweglichkeit, innere Empfindsamkeit, die Nerven, den Bau, die Gelenksamkeit des Koͤrpers an. Ferner: Zartheit ist nicht Kraft. Kraft ist nicht Feinheit. Apelles zeichnet mit einer Kohle besser, als mancher Miniaturmahler mit dem feinsten Pinsel. Der Mechaniker kann grobe Werkzeuge und eine feine Seele haben. Die feine Seele arbeitet durch den plumpen Finger besser, als die stumpfe Seele durch den feinen. — Wenn’s der Kuͤnstler, von dem Jhr sprecht, nirgends in seinem Gesichte, seinem Aeusser- lichen zeigt, was er ist, so habt Jhr gewonnen! aber eh’ Jhr hieruͤber entscheidet, muͤßt Jhr die mannichfaltigen Kennzeichen des mechanischen Genies wissen. Habt Jhr die Helle, Schaͤrfe, oder Tiefe seiner Augen, habt Jhr die Schnelligkeit und treffende Bestimmtheit und Festigkeit seines Blickes, habt Jhr seine scharfen Augenknochen, habt Jhr den Bogen, den Vorbug seiner Stirne, die Gelenksamkeit seiner zarten oder massiven Glieder — habt Jhr das alles bemerkt, beobach- tet, einiger vermischten besondern Einwendungen gegen die Physiognomik. tet, gewuͤrdigt? Es ist bald gesagt: „Man sieht’s ihm nicht an.“ — Es wird drauf ankommen, wer dieser Mann sey. VI. Einwendung. „Man sieht aͤusserst scharfsinnige Leute mit einem nichtsbedeutenden Gesichte.“ — Antwort. Das Factum muß bestimmter erwiesen werden. Jch wenigstens habe, nach vielen hundert Fehlschluͤssen, zuletzt allemal gefunden, daß ich nur nicht recht beobachtet habe. — Jch setzte anfangs z. E. die Charaktere von Einer Eigenschaft zu sehr an Eine Stelle, suchte sie anfangs nur da, und fand sie nicht; wußte sonst ganz zuver- laͤssig, daß z. E. ausserordentliche Kraft da war, und konnte den Sitz ihres Charakters lange nicht finden. Warum? Jch sucht’ ihn nur an Einem Orte. Dieß geschah mir besonders bey solchen Menschen, die sich nur in Einem besondern Fache auszeichneten; — uͤbrigens aber die gemein- sten Koͤpfe zu seyn schienen; Menschen, deren ganze Seelenkraft auf Ein gewisses Feld, einen besondern Gegenstand zielte; oder bey solchen, die eine sehr unbestimmte Kraft hatten. Jch druͤcke mich unrecht aus, eine Kraft, die sich nie an Etwas recht versucht und ausgearbeitet hatte. Jch habe vor vielen Jahren einen großen Mathematiker, das Erstaunen von Europa, gesehen, der im ersten Anblicke, und lange nachher, die gemeinste Physiognomie von der Welt zu haben schien. Jch zeichnete ein gutes getroffenes Bild von ihm nach, und ward also besser zu beobachten genoͤthigt. Jch fand einen besondern Zug, der seinem Blicke eine eigne Be- stimmung gab, — eine Bestimmung, die ich erst einige Jahre nachher an einem andern Him- mel weit von diesem verschiedenen — aber ebenfalls trefflichen Kopf’ entdeckte, der sonst auch eine, alle meine Physiognomik irre machende, flache Gesichtsbildung hatte. Seither hab’ ich diesen Blick bey keinem Menschen, wenn er sonst auch noch so einfaͤltig schien, angetroffen, der nicht irgend was ganz ausserordentliches hatte. Dieß kann zeigen, wie sehr das Urtheil: „der Mann sieht einfaͤltig aus, und hat doch „große Geisteskraft“ — wahr und nicht wahr seyn kann. Man schreibt mir von D’Alembert, zur Bestreitung der Physiognomik, daß er die ge- meinste Miene von der Welt habe. Jch kann nichts sagen, bis ich D’Alembert gesehen. So G 2 viel VI. Fragment. Beantwortung viel aber ist gewiß, daß das Profil von ihm, von Cochin, welches doch weit unter dem Ori- ginal seyn soll, anderer schwerer anzugebender Merkmale nicht zu gedenken, eine Stirn und zum Theil eine Nase hat, die ich noch an keinem mittelmaͤßigen, geschweige schlechten, Kopfe gese- hen habe. VII. Einwendung. „Aber aͤusserst Dumme mit feuervollem Gesichte giebt’s doch?“ — Antwort. Wer sieht dergleichen nicht taͤglich? Meine ganze Antwort, die ich tausendmal geben werde, und mit dem probehaͤltigsten Rechte geben kann, ist diese: „ die Anlagen der Natur „koͤnnen trefflich seyn: die Gewohnheiten verdorben. “ — Es ist Kraft da; aber schlecht angewandte Kraft. Feuer, der Wollust geopfert, kann der Erforschung und Ausbreitung der Wahrheit nicht mehr geopfert werden — oder Feuer, ohne Licht? oder Feuer, das zu kei- ner Absicht brennt? ꝛc. So viel kann ich auf meine Ehre versichern, daß mir unter allen mir bekannten sehr verstaͤndigen und Genievollen Menschen (und ich kann sagen, daß ich das Gluͤck habe, viele der besten Koͤpfe, wenigstens in Deutschland und in der Schweiz, persoͤnlich zu kennen) daß mir, sag’ ich, unter diesen allen keiner bekannt ist, nicht Einer, der nicht gerade nach dem Maße seiner Geistes- oder Empfindungs- oder Schoͤpfungskraft sich auch durch seine Gesichtszuͤge, und vornehm- lich durch den Bau seines Kopfes auszeichnete. Kein Geschoͤpf, das beobachten kann, darf sich schaͤmen, beobachtet zu werden. Was Gott geschaffen hat, darf sich nicht schaͤmen, geschaffen zu seyn — und so gebildet zu seyn, wie es ist — also, hoff’ ich, werdens die Maͤnner, oder die maͤnnlichen Seelen, die dieß Buch lesen — (und nur fuͤr solche, nicht fuͤr Kinder, schreib’ ich) nicht unbescheiden finden, wenn ich, zur Bestaͤtigung dessen, was ich so eben gesagt habe, aus dem Haufen einige noch lebende nenne, an denen sich alle Augenblicke der Beweis sehen laͤßt. — Und dieß sey ein neuer Wink zur Bestaͤtigung der Allgemeinheit des physiognomischen Gefuͤhles, weil ich wohl gewiß seyn kann, daß niemand, der das Gluͤck hat, diese Maͤnner zu kennen — mir widersprechen werde. Man einiger vermischten besondern Einwendungen gegen die Physiognomik. Man erlaube mir also — Namen anzufuͤhren. Vater Bodmer, erlaube mir, bey dir anzufangen. Wer sieht in Bodmern nicht den naiven, vernunftvollen, attischen Selbstdenker? Dich- ter? Juͤnglings Freund? — Jn Breitingern — (doch von dem ein besonderes Fragment) nicht den festen, durch- dringenden, ordnenden, unuͤberwindlichen, klugen Geschaͤfftsmann? Jn Geßnern nicht den schwebenden Schauer und den geschmackvollen Verschoͤnerer der Natur? den Mann, der lauter Aug’ und Geschmack ist? — Jn Sulzern nicht den gesunden, lichtvollen Denker, gewiß seiner Sache? fest, ohne Haͤrte? nachgebend, ohne Schwaͤche? Jn Mendelssohn — nicht den Mann, „in keinem Sinne zum Athleten geboren?“ — den lichthellen Verstand voll unbeflecklicher Politur? Jn Zimmermann das seltenste Gemisch der edelsten Feinheit und der zermalmendsten Staͤrke? — „die tiefste Kenntniß der menschlichen Natur unter das Laubgewand des philosophi- „schen Satyrs verborgen? — so viel warmes Herz mit so viel Weisheitsheiterkeit — so viel „Laune als Ernst, und Ernst als Laune?“ — Jn Spalding — den bescheidenen, und dennoch in sich festen, sanften, eleganten, empfind- samen Denker? Jn Hallern den wolfischen Geist, und den kernhaften Geschmack? Jn Roußeau — den aͤusserst reizbaren, nervenreichen Redner? Jn Basedow — den unverdroßnen, redlichen, thaͤtigen, tiefen Durchforscher? die Leib- wache der Vernunft? Jn Lambert — den allverschlingenden, allumfassenden, in sich grabenden, lichtstralspal- tenden Ordner und — Darsteller, aus Licht in Licht — oder, aus Nacht in Licht? Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne — Jn Herzogen Carl von Wuͤrtemberg den Mann voll unerschoͤpflicher Schoͤpfungs- und Zerstoͤrungskraft? — Jn Friedrich, dem Koͤnige von Preußen — nicht den Wuͤrker und Vollender deß, was er will? — G 3 Jch VI. Fragment. Beantwortung einiger vermischten besondern Einwend. ꝛc. Jch behaupte noch mehr: Unter allen mir bekannten guten Portraͤten von großen Maͤn- nern — und wie viel sind mir durch die Haͤnde gegangen? — ist mir keines erinnerlich, das ohne sichtbare Merkmale dieser Groͤße gewesen waͤre. Jch fuͤhre aus dem unzaͤhligen Haufen abermals nur folgende Namen an; — Carl der XII, Ludwig XIV, Tuͤrenne, Suͤlly, Polignack, Montesquieu, Voltaͤre, Diderot, — Neuton, Clarke, Maupertuis, Pope, Locke, Swift, Leßing, u. s. w. Jch glaube, dieser Charakter von Groͤße zeichne sich so gar in jedem genau entworfnen Schattenrisse aus; und ich koͤnnte eine Menge anfuͤhren, von denen jedes geuͤbte Auge kaum ein einziges verkennen wuͤrde. Jn der nachstehenden Vignette, welcher halbe Menschenkenner wird den feinen, deutlichen Denker, den sanften, stillen Forscher der Wahrheit uͤbersehen? Siebentes Siebentes Fragment. Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. E ine der gemeinsten und maͤchtigsten Einwendungen gegen die Zuverlaͤssigkeit der Physiogno- mik, ist die allgemeine aufs hoͤchste getriebene Verstellungskunst der Menschen. Wir werden sehr viel gewonnen haben, wenn wir diese Einwendung gruͤndlich werden beantworten koͤnnen. „Die Menschen, sagt man, geben sich alle erdenkliche Muͤhe, weiser, besser, redlicher „zu scheinen, als sie sind. Sie studieren die Miene, den Ton, die Gebehrden der heitersten „Redlichkeit. Es gelingt ihnen in ihrer Kunst. Sie koͤnnen taͤuschen und betruͤgen; sie koͤn- „nen jeden Zweifel, jeden Verdacht in Absicht auf ihre Redlichkeit zerstreuen und entfernen. „Die verstaͤndigsten, die scharfsichtigsten Menschenkenner, und solche sogar, die sich mit Beob- „achtung der Physiognomien abgeben, sind oft durch ihr angenommenes Wesen betrogen wor- „den, und werden taͤglich dadurch betrogen; — wie kann also die Physiognomik jemals eine „zuverlaͤssige Wissenschaft werden?“ Dieß ist die Einwendung, die ich in ihrer ganzen Staͤrke vorzutragen glaube. Jch will antworten. Vor allen Dingen will ich vollkommen zugeben — „Man kann es in der Verstellungs- „kunst erstaunlich weit bringen — und erstaunlich koͤnnen sich deswegen auch scharfsichtige Men- „schen in der Beurtheilung des Menschen irren.“ Allein, ungeachtet ich dieses von ganzem Herzen zugebe, halt’ ich dennoch die Einwen- dung, in Absicht auf die Zuverlaͤssigkeit der Physiognomik, bey weitem fuͤr so wichtig nicht, als man gemeiniglich glaubt und andre glauben machen will, und dieses vornehmlich um zweyer Gruͤnde willen. Fuͤrs erste — „weil es unzaͤhlige Dinge in dem Aeussern des Menschen giebt, wobey nicht „die mindeste Verstellung Statt hat, und gerade solche Dinge, welche sehr zuverlaͤssige Merk- „male seines innern Charakters sind.“ Zweytens, VII. Fragment. Zweytens, „weil die Verstellung selbst ihre sichere — und, wo nicht mit Zeichen und „Worten bestimmbare, doch empfindbare Merkmale hat.“ Jch sage fuͤrs erste: „Es giebt unzaͤhlige Dinge in dem Aeussern des Menschen, wo- „bey nicht die mindeste Verstellung Statt hat, und gerade solche Dinge, welche sehr zuverlaͤs- „sige Merkmale seines innern Charakters sind.“ Welcher Mensch wird es durch alle Kuͤnste der feinsten Verstellung dahin bringen, daß z. E. sein Knochensystem sich nach Belieben veraͤndere? welcher machen koͤnnen, daß er scheint, eine stark gewoͤlbte Stirn zu haben, wenn sie platt ist? — Eine eckigte, gebrochne, wenn sie gewoͤlbt und rund ist? Welcher wird die Farbe und Lage seiner Augenbraunen veraͤndern koͤnnen? scheinen koͤn- nen, starke, dachfoͤrmige Augenbraunen zu haben, wenn er duͤnne, oder uͤberall keine hat? Wer wird sich eine feine Nase anbilden koͤnnen, wenn er eine aufgedruͤckte, stumpfe hat? Wer wird sich große Lippen machen koͤnnen, wenn er kleine, und kleine, wenn er große hat? Wer sich ein spitziges Kinn aus einem runden, ein rundes aus einem spitzigen drehen koͤnnen? Wer wird die Farbe seiner Augen veraͤndern, oder, wie es ihm vortheilhaft scheint, hel- ler oder dunkler machen koͤnnen? welche Verstellungskunst kann ein blaues Auge in ein braunes, ein gruͤnliches in ein schwarzes, ein plattes in ein gewoͤlbtes verwandeln? Eben dieses gilt von den Ohren, von ihrer Gestalt, ihrer Lage, ihrer Entfernung von der Nase, ihrer Hoͤhe oder Tiefe; — gilt von dem ganzen Schaͤdel, einem großen Theile des Umrisses — von der Farbe, der Haut, den Muskeln, dem Pulsschlag; — alles Dinge, die, wie wir an seinem Orte zeigen werden, oder doch leicht zeigen koͤnnten, und wie jeder auch nur mit- telmaͤßige Beobachter taͤglich wahrnimmt, entscheidende Merkmale von dem Temperamente, und dem Charakter eines Menschen sind. Wo kann hiebey und noch in sehr vielen andern Aeusserlichkeiten des menschlichen Koͤr- pers die mindeste Verstellung statt haben? Ein cholerischer Mensch gebe sich alle ersinnliche Muͤhe, phlegmatisch, und der melan- cholische, sanguinisch zu scheinen — Er wird weder sein Gebluͤt, noch seine Farbe, noch seine Nerven und Muskeln, noch die Zeichen und Merkmale davon auf der Stelle veraͤndern koͤnnen. Ein Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. Ein zornmuͤthiger Mensch nehme einen noch so sanften Ton, noch so ruhige Gebehrden an; — seine Augen werden dennoch dieselbe Farbe und Woͤlbung, sein Haar dieselbe Natur und Kraͤusung, seine Zaͤhne — dieselbe Lage behalten. Gebehrde sich ein Kopf noch so sehr, um weise zu scheinen — er wird das Profil seines Ge- sichtes — (die Lippen ausgenommen, und auch diese nur wenig) nicht veraͤndern und dem Profil eines weisen und großen Mannes aͤhnlich machen koͤnnen. Er kann die Haut seiner Stirne falten oder entfalten, aber das Beinere seiner Stirne bleibt eben dasselbe. Eben so wenig wird der wahrhaft weise Mann, das wahre Genie, jemals alle entscheidende Merkmale seines durchdringen- den Verstandes verlieren oder verheelen koͤnnen; so wenig der Thor alle Merkmale der Thorheit zu verdecken faͤhig seyn wird; koͤnnt’ er’s; — so waͤre er gerade durch diese Geschicklichkeit nicht mehr der vorige Thor. Allein, man wird sagen, dessen allen ungeachtet seyn dennoch an jedem Menschen Aeus- serlichkeiten genug, die in einem hohen Grade der Verstellung faͤhig seyn; wir wollen es zugeben; aber zugeben koͤnnen wir nicht, daß diese Verstellung ausser allen Graͤnzen der Erkennbarkeit sey — Nein, ich glaube zweytens: „Daß keine Art der Verstellung sey, die nicht ihre sicheren, wo nicht mit Zeichen und „Worten bestimmbaren, dennoch empfindbaren Merkmale habe.“ — Nicht an dem Objekt, sondern an dem Subjekt fehlt es, daß diese Merkmale fuͤr unbe- stimmbar gehalten werden. Jch gebe zu, daß es ein feines und geuͤbtes Aug’ erfordere, diese Merkmale wahrzuneh- men, und ein sehr feines physiognomisches Genie, dieselben zu bestimmen; und gebe auch gern zu, daß sie sich nicht allemal mit Worten oder Linien und Zeichen ausdruͤcken lassen. Aber an sich sind sie bestimmbar: Bemuͤhung, Anstrengung, Zerstreutheit und Zerstreuungssucht — sollten die an sich keine bestimmbare, wenigstens empfindbare Merkmale haben? „Un homme dissimulé veut-il masquer ses sentimens? Il se passe dans son Inte- „rieur un combat entre le vray, qu’il veut cacher, \& le faux, qu’il voudroit présenter. „Ce combat jette la confusion dans le mouvement des ressorts. Le cœur, dont la „fonction est, d’exciter les esprits, les pousse, où ils doivent naturellement aller. La Phys. Fragm. II Versuch. H volontè VII. Fragment. „ volonté s’y oppose, elle les bride, les tient prisonniers, elle s’efforce d’en détourner le „cours \& les effets, pour donner le change. Mais il s’en échappe beaucoup, \& les „fuyards vont porter des nouvelles certaines de ce, qui se passe dans le secret du con- „seil. Ainsi plus on veut cacher le vrai, plus le trouble augmente, \& mieux on se de- „couvre.“ Mémoires de l’Acad. de Berl. Tom. XXV. p. 444. So denke ich mit Dom Pernetty. Jndem ich dieses schreibe, ereignet sich eben ein hieher gehoͤriges trauriges Beyspiel; ich weiß nicht, ob wider, oder fuͤr mich? Zwo Personen, von ungefaͤhr 24. Jahren, sind mehr als einmal vor mir erschienen, und be- zeugen zugleich mit der moͤglichsten Dreistigkeit zwo sich vollkommen widersprechende Sachen — Arvieux Reisen, 3. Theil, 14. Kapitel. „Die arabischen Richter sind so genau in ihrer Sa- „che, daß der Leute Ansehen, ihre Gebehrden, der Ton „der Stimme, die Bewegung der Augen, die Farbe des „Gesichts, mit einem Worte, alles Aeusserliche, in Be- „trachtung gezogen, und untersucht wird, und ihnen „dienen muß, die Wahrheit, welche die, so den Rechts- „handel fuͤhren, oft aus Eigennutz verbergen, heraus- „zubringen.“ Eine: „Du bist Vater meines Kindes“ — die andere: „Jch habe dich nie beruͤhret.“ — Bey- de muͤssen wissen, daß eine von diesen Aussagen wahr, die andere falsch ist; eine von beyden Per- sonen muß wissentlich Wahrheit, die andere wissentlich Luͤgen reden. Also stehen die boshaf- teste Verlaͤumdung und die leidendste Unschuld vor mir? — „Also muß sich eine von beyden „erstaunlich verstellen koͤnnen? — Also kann die boshafteste Luͤge die Miene der leidendsten Un- „schuld annehmen?“ — Ja, sie kann’s! und es ist schrecklich, daß sie’s kann; oder vielmehr: Nicht, daß sie’s kann — denn das ist Vorrecht der freyen Menschennatur, deren Vollkommen- heit und Ehre nicht allein ihre graͤnzenlose Perfektibilitaͤt, sondern auch ihre graͤnzenlose Cor- ruptibilitaͤt ist — denn erst diese letztere giebt der wuͤrklichen freywilligen moralischen Verbesse- rung und Vervollkommnung des Menschen ihren groͤßten Werth — Also — es ist erschreck- lich; nicht, daß die boshafte Luͤge die Miene der leidendsten Unschuld annehmen kann, sondern daß sie diese Miene annimmt. Also Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. „Also aber kann sie’s — und — was sagt denn die Physiognomik?“ — Das sagt sie: — „Jch sehe zween Menschen vor mir, davon der eine sich keine Anstrengung geben darf, „anders zu scheinen, als er ist, der andere sich die groͤßte Anstrengung geben, und diese Anstrengung „aufs sorgfaͤltigste verbergen muß; der Schuldige hat vielleicht noch mehr Dreistigkeit, als die „Unschuld — aber sicherlich hat die Stimme der Unschuld mehr Energie, Beredungskraft, Glaub- „wuͤrdigkeit! sicherlich hat der Blick der Unschuld mehr Licht, als der boshaften Luͤge! Jch „sah ihn, diesen Blick, mit Wehmuth und Zorn uͤber Schuld und Unschuld, den unbeschreiblichen „Blick — der so treffend sagte: — Und du darfst’s laͤugnen? — — Jch sah den gleichsam „mit einem Nebel verschleyerten sich aufraffenden Blick; hoͤrte die zwar rohdreiste, anmaßungs- „reiche, aber dennoch, wie der Blick, matte, dumpfere — weniger nackte Stimme, die antwor- „tete: Ja, das darf ich! — Jn der Stellung, in der Gebehrdung der Haͤnde besonders — „im Schritte, da sie hin und her gefuͤhret wurden; im Momente, da ich das treffendste uͤber die „Feyerlichkeit des Eides sagte, welcher von ihnen gefordert werden wuͤrde, in diesem Momente — „das Belecken der Lippen, der gesunkne Blick, die Mattheit der Stellung auf der Einen Sei- „te — der offne, erstaunte, feste, eindringende, warme, ruhevolle und stillrufende Blick auf „der andern — Herr Jesus! und — du willst schwoͤren? “ — O Leser! glaub’ es mir; — ich sah, hoͤrte, fuͤhlte die Unschuld und die Schuld; — die Bosheit mit dem unterdruͤckten verfluchten — Jch weiß nicht was — „Vor ihrem kleinsten Lachen huͤtet euch, „Jhr Freunde, schon von weitem! „Und koͤnnt ihr fliehen, fliehet gleich! „Es schadet guten Leuten. — „Es blendet oft der hellsten Augen Licht; „Macht den gesunden Schmerzen; „Jn alles, alles, was sie spricht, „Fließt Gift aus ihrem Herzen. Michaelis. H 2 Es VII. Fragment. Es ist wahr, was der Verfasser der Bittschrift fuͤr die Wittwe Gamm sagt: Memoire pour la veuve Gamme , à Lyon 1773. p. 40. „ Cette Chaleur, si l’on pouvoit ainsi parler, est le pouls de l’innocence; l’in- „nocence a des accents inimitables, \& malheur au juge, qui ne scait point les enten- „dre! Quoy des Sourcis, sagt ein anderer Franzos, ich glaube Montagne, Quoy des Sour- „cis? quoy des Epaules? Il n’est mouvement, qui ne parle, \& un Langage intelligible, „sans discipline, \& un Langage public. “ Jch kann diesen wichtigen Punkt noch nicht verlassen, ohne noch ein Paar Anmerkun- gen beyzufuͤgen. Eine allgemeine Anmerkung: Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit ist das simpelste — und dennoch unerklaͤrbarste Ding von der Welt! — Ein Wort vom allerweitesten und allereingeschraͤnktesten Sinn — Wer ganz ehrlich ist, moͤcht’ ich einen Gott, und wer ganz unehrlich ist, einen Teufel nennen. Aber der Mensch ist weder ein Gott noch ein Teufel, sondern ein Mensch. Es ist kein Mensch ganz ehrlich, und keiner ganz unehrlich. Sprechen wir also von Verstellung und Aufrichtigkeit, so muͤssen wir die allerfein- sten Begriffe hievon beynahe ganz auf die Seite setzen. Wir muͤssen den aufrichtig nennen, der sich keiner falschen, eigennuͤtzigen Absicht, die er zu verbergen suchen will, bewußt ist; den falsch, der sich wissentlich bestrebt, besser zu scheinen, als er ist. Dieß voraus geschickt, hab’ ich uͤber Verstellung und Aufrichtigkeit in Absicht auf die Physiognomie noch folgendes zu sagen: Jst ein Mensch durch Verstellung anderer betrogen worden, so bin ichs. Haͤtt’ ein Mensch Ursache, die Verstellungskunst der Menschen zum Einwurf gegen alle Zuverlaͤssigkeit der Physiognomik zu machen, so haͤtt’ ichs. Und dennoch behaupte ich diese Zuverlaͤssigkeit um so viel dreister, jemehr ich mich durch angenommene Mienen der Redlichkeit habe taͤuschen las- sen. Denn einmal ist’s doch ganz natuͤrlich, daß auch der schwaͤchste Verstand zuletzt durch Schaden aufmerksam, durch Aufmerksamkeit klug werden muß. Jch ward in eine Art von Noth- Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. Nothwendigkeit gesetzt, alle meine Kraͤfte aufzubieten, bestimmtere Zeichen der Redlichkeit und Falschheit aufzusuchen — oder mit andern Worten, das dunkle Gefuͤhl, das beym ersten An- blick einer Person in mir rege ward, und dem ich aus gutem Herzen und gesunder Vernunft so wenig Glauben beymessen wollte, dieß wahre, ungelernte, Grundgefuͤhl fester zu halten, und, wo moͤglich, einigermaßen zu analisiren. Jmmer zu meinem Schaden hab’ ich diesen er- sten Eindruck wieder aus meinem Herzen zu verwischen gesucht. Der Betruͤger ist nie weniger vermoͤgend, sich zu verstellen, als im ersten Augenblicke, da wir ihn sehen, wenn er sich noch gleichsam ganz allein gelassen, eh’ er in eine gewisse Akti- vitaͤt und Waͤrme gesetzt ist. — Nichts ist schwerer, behaupte ich, und nichts dennoch leichter, als Heucheley zu entdecken. Nichts schwerer, so lange der Heuchler denkt, daß er beobach- tet werde. Nichts leichter, sobald er vergißt, daß er beobachtet wird. Die Ehrlichkeit hin- gegen ist viel leichter zu bemerken und zu empfinden, weil sie immer in einem natuͤrlichen Zu- stande, und ausser allem Bestreben ist, sich anzustrengen, sich aufzustutzen. Doch muß das ja wohl bemerkt werden, daß Furchtsamkeit und Schuͤchternheit dem redlichsten Gesichte oft den Anstrich der Unaufrichtigkeit geben koͤnnen. Bloße Schuͤchternheit kann’s oft seyn, es muß nicht allemal Falschheit seyn, wenn dich der, so dir etwas erzaͤhlt, dir etwas vertraut, nicht ansehen darf. Ueberhaupt macht dieß Niederschauen dessen, der mit uns redet, zwar immer einen fatalen Eindruck. Wir koͤnnen uns dabey des geheimen Argwohns der Unaufrichtigkeit kaum erwehren. Es ist immer Schwachheit, Bloͤdigkeit, Unvollkommen- heit; — Bloͤdigkeit, die sehr leicht in Falschheit uͤbergehen kann. Denn wer ist mehr der Falschheit ausgesetzt, als der Furchtsame? wie leicht bequemt sich der nach jedem, mit dem er umgeht? wie stark, wie nah’ ist immer die Versuchung zum ais, ajo, und negas, nego? Pe- trus Falschheit und Untreue, was war sie anders, als Furchtsamkeit? Die wenigsten Menschen sind groß genug, das ist, haben Kraft und Selbstgefuͤhl genug, Entwuͤrfe zu machen und ins Werk zu setzen, um andere zu betruͤgen, und sie unter dem Schein der Treue und Freundschaft ins Garn zu locken. — Aber unzaͤhlige Menschen, nicht harte, rohe Seelen; edle, treffliche, ge- fuͤhlvolle, zaͤrtliche, fein organisirte Menschen — und gerade diese am meisten, schweben be- staͤndig in der Gefahr, unredlich zu seyn; sie befinden sich immer an der Schwelle, oder viel- H 3 mehr VII. Fragment. mehr am Abgrunde der Unredlichkeit — und darum koͤnnen sie leicht in die Gewohnheit hin- einkommen, den Menschen, mit denen sie reden, nicht ins Gesichte sehen zu duͤrfen. Sie treten so oft in eine Schmeicheley ein, wobey sie ihr Herz Luͤgen straft; so leicht lassen sie sich in einen Spott uͤber einen Redlichen, vielleicht gar uͤber einen Freund, hinreissen — Spott uͤber einen Freund? — Nein, wer dessen faͤhig ist, ist nicht mehr eine edle, treffliche, gefuͤhlvolle, zaͤrtliche Seele! Spott und Freundschaft — koͤnnen sich so wenig vertragen, als Christus und Belial! aber — zum Spott uͤber etwas sonst Ehrwuͤrdiges, Heiliges, Goͤttliches — dazu kann auch eine redliche, schwache, bloͤde Seele — ach! wie leicht hingerissen werden! wie leicht — aus Kraftlosigkeit zum Widerstand oder Widerspruch — mir und dir versprechen, was nur Einem von uns gehalten werden kann, beyden bejahen, was bey dem einen bejahet — beym andern verneint werden sollte! — O Furchtsamkeit und Bloͤdigkeit! du hast mehr Falsche und Heuchler gemacht, als Eigennutz und Bosheit! Doch ich lenke wieder ein — Furchtsamkeit und Unaufrichtigkeit, Weichlichkeit und Falschheit sind sich in ihrem Ausdrucke oft ziemlich aͤhnlich. Wer in der Falschheit sich bejahret hat; wessen Furchtsamkeit mit Stolze gepaart, planvolle Kunst geworden ist, dem wird’s nimmermehr moͤglich seyn, herzoͤffnendes Gefuͤhl der Aufrichtigkeit um sich her zu ver- breiten. Er wird betruͤgen koͤnnen. Aber wie? — Man wird sagen: „Es ist unmoͤglich so „zu reden, sich so zu aͤussern — und es unredlich zu meynen.“ Aber man wird nicht sagen: „Mein Herz hat das Herz gefuͤhlt!“ — nicht sagen: „ha! wie wohl war mir bey dem Manne, „wie leicht ward mir ums Herz! wie viel mehr las ich noch Treue — und Gutherzigkeit in „seinen Mienen, als alle seine Worte mir versicherten!“ — so wird man nicht sprechen, und wenn man so spricht, man wird’s nicht aus Ueberlegung, nicht mit innigem sichern Gefuͤhl zwei- felloser Wahrheit sprechen. Blick der Augen und Laͤcheln des Mundes — du wirst’s verra- then! wenn man dich auch nicht bemerken, das Aug’ vor dir verschließen, das Herz gegen dich verhaͤrten, dich vergessen, dich ignoriren will. — Du wirst zuletzt, wenigstens wenn du betrogen bist, durch alle Raͤsonnements durchbre- chen, Erstes tiefes, obgleich weggeworfenes, obgleich uͤberworfenes Gefuͤhl der Unredlichkeit! Aber Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. Aber wo ist sie denn, ach wo? wo die lautere, reine, sich ohne Anstrengung oͤffnende — ohne Ruͤckhalt sich mittheilende — uneigensuͤchtige, bruͤderliche Redlichkeit? wo der ganz offne, unaufgesperrte, sich unaufdringende, sich nie zuruͤckwendende, nie sich verengernde Blick kindlicher Einfalt und Treuherzigkeit? — Was hat der gefunden, der einen solchen Blick gefunden hat! — Verkaufe was du hast, und kaufe den Acker mit diesem Schatze! — Achtes VIII. Fragment. Sokrates Achtes Fragment. Sokrates nach einem alten Marmor von Rubens. E s ist fast Schande, in einem physiognomischen Werke nicht von Sokrates zu reden, — und Schande, von ihm zu reden — so viel ist schon uͤber seine Physiognomie geredet worden. Man hat die bekannte Anekdote von Zopyrus Urtheil uͤber ihn, „daß er dumm, viehisch, „wolluͤstig und der Trunkenheit ergeben sey,“ — und des Sokrates Antwort an seine, den Ge- sichtsdeuter auszischenden, Schuͤler: „daß er von Natur zu allen diesen Lastern geneigt waͤre, allein „durch Uebung und Anstrengung diese Neigungen zu unterdruͤcken gesucht haͤtte;“ — — man hat, sag’ ich, diese Anekdote fuͤr und wider die Wahrheit der Physiognomie tausendmal ange- fuͤhrt. — Laßt uns also auch Ein Wort daruͤber sagen. — Sokrates Bildnisse alle, so viel ich deren gesehen, haben sehr viele Aehnlichkeit unter sich, und man kann daher in Ansehung ihrer im Ganzen genommenen Aehnlichkeit mit dem Urbilde ziemlich sicher seyn; zumal wenn man das dazu nimmt, was Alcibiades, dem man gewiß richtige Beurtheilung und Gefuͤhl der Menschengestalt zutrauen darf, uͤber sein Gesicht sagt: (Jch versteh’ es naͤmlich nur von der Form des Gesichtes, uͤberhaupt betrachtet) — „daß er einem Silenus aͤhnlich sey“ — „und schwerlich, sagt Winkelmann an einem Orte, kann die menschliche Natur tiefer erniedriget „werden, als in der Gestalt eines Silenus “ — und doch war Sokrates aus allem, was wir von ihm wissen, der unvergleichlichste, der weiseste, der edelste Mensch. Jst dieß nicht ein unzerstoͤrbares Argument gegen die Zuverlaͤssigkeit der Physiognomie? — da sich gegen keines von beyden, weder gegen die Haͤßlichkeit seiner Gestalt, noch gegen die Vor- trefflichkeit seines Charakters was Wichtiges einwenden laͤßt? Es ist dieß in der That so scheinbar, als je etwas in der Welt gewesen seyn mag; und den- noch getraue ich mir verschiedenes auf die Einwendung zu antworten, ohne auf den sonderbaren, um nach einem alten Marmor von Rubens. um nicht zu sagen, laͤcherlichen Gedanken zu verfallen — welchen Alcibiades, Socratem assero persimilem Silenis istis, qui sedentes inter alias imagines, a sculptoribus figuran- tur, ita ut fistulas tibiasve teneant, qui si bifariam dividantur, reperiuntur, intus habere imaginem Deorum. Platonis opera Marsil. Ficino interpr. p. 296. um seiner Aehn- lichkeit mit einem Silen ein Compliment zu machen, anfuͤhrt — Fuͤrs Erste koͤnnt’ ich sagen: Die Mißgestalt Sokrates, deren beynahe alle gedenken, die etwas von ihm sagen, ist so was Auffallendes, Frappantes, daß sie allen gleichsam als ein Widerspruch, als eine Anoma- lie der Natur vorkam; daß sie als eine Ausnahme von der allgemeinen Regel angesehen wer- den koͤnnte, die gegen die Wahrheit der Physiognomie so wenig beweisen wuͤrde, als eine Mißge- burt mit zwoͤlf Fingern gegen die Wahrheit: „daß die Menschen fuͤnf Finger an jeglicher Hand „haben.“ Wir koͤnnten also fuͤr einmal seltene Ausnahmen zugeben; — — Mißgriffe der Natur; — Druckfehler, wenn ich so sagen darf, die die allgemeine Les- barkeit und Erklaͤrbarkeit der menschlichen Gesichtszuͤge so wenig aufhuͤben, als zehen, zwanzig, dreyßig Druckfehler ein Buch unlesbar und unerklaͤrbar machen. Wir haben oben schon ein Wort davon gesagt: — Sollten nicht geheime Ursachen solcher Mißgestalten, die jedoch die innere Kraft der Seele nicht zerstoͤren, nur anders wenden, viel- leicht gar schaͤrfen, in den Zufaͤllen waͤhrend der Schwangerschaft der Mutter zu finden seyn? Ferner bitt’ ich zu beherzigen, was ich schon so oft gesagt, umsonst gesagt habe, und nicht genug sagen kann: „daß Anlage und Anwendung von Entwickelung, Uebung, Bil- dung, oder wie wir’s heißen wollen, wohl unterschieden werden muß.“ Jch habe schon bezeugt, daß die meisten Einwendungen, die ich gegen die Physiogno- mik gelesen oder gehoͤrt habe, sich durch diese simple Unterscheidung heben und beantworten lassen. Ein Mensch mit den besten Anlagen kann schlimm; der mit den schlimmsten Anlagen gut werden. Das was man schlimme Anlage nennt, kann dem Wesentlichen nach, zumal es in den festern Theilen des Koͤrpers seinen vornehmsten Sitz zu haben scheint — beynahe gleich Phys. Fragm. II Versuch. J stark VIII. Fragment. Sokrates stark hervorscheinen, wenn auch Uebung, Weisheit, Tugend und — gluͤckliche Umstaͤnde diesen sogenannten schlimmen Anlagen die bestmoͤglichste Richtung gegeben haͤtten. Das Groͤbere, das Festere der Bildung, welches uͤberhaupt um so viel schneller in die Sinne faͤllt, sich der Jmagination um so viel tiefer einpraͤgt, so viel leichter nachgeahmt wird — dieß kann so wenig, so unmerkbar veraͤndert worden seyn; die Veraͤnderungen, welche Uebung und Anstrengung bewuͤrkt haben moͤgen — koͤnnen so fein, so leicht uͤbersehbar, von dem staͤrkern Ein- druck, den die Grundlage des Gesichts auf uns macht, so leicht verdraͤngt werden — daß daher manche sehr scheinbare, aber dennoch nur scheinbare, Einwendungen — gegen die Physiognomik entstehen koͤnnen. Doch noch ein Wort, ehe wir weiter gehen, von den sogenannten guten und schlim- men Anlagen. Schlimme Anlagen hat eigentlich kein Mensch; moralisch gute, genau zu reden, auch keiner. Keiner kommt lasterhaft, und keiner tugendhaft auf die Welt. Alle Menschen sind anfangs Kinder, und alle neugeborne Kinder sind, — nicht Boͤsewichter, und nicht Tugend- helden — sind unschuldig. Wenige Menschen werden sehr tugendhaft; wenige werden sehr la- sterhaft; alle aber suͤndigen, so wie alle sterben. Suͤnde und Tod kann keiner auswei- chen. Jn diesem Sinne ist die Erbsuͤnde der philosophisch wahreste und erweislichste Satz. Aber, philosophisch zu reden, das heißt, deutlich und der Erfahrung gemaͤß, es ist anfangs im Menschen nur physische Reizbarkeit und Kraft; nur Trieb zu wuͤrken, sich auszubreiten, zu leben, seine Existenz zu erweitern, u. s. w. Jst diese Reizbarkeit und Kraft so beschaffen, daß sie sehr oft, daß sie gemeiniglich moralisch uͤbel, das ist, zur Zerstoͤrung mehrerer physischer Kraͤfte, oder zum Schaden der Gesellschaft ange- wandt wird; — so beschaffen, daß sie beynahe anders nicht, als schlimm angewandt werden kann, so heißt sie moralisch schlimme Anlage. Und umgekehrt, moralisch gute, wenn sie zehnmal, hundertmal gegen Eins, gut angewendet zu werden pflegt. Nun ist’s, der allgemeinen Erfahrung nach, unwidersprechlich, daß, wo viele Kraft und Reizbarkeit ist, zugleich viele Leidenschaften entstehen muͤssen, die groͤßtentheils zu moralisch schlimmen Gesinnungen und Thaten fuͤhren. „Der Mißbrauch der Gewalt (und jeder Kraft, deren nach einem alten Marmor von Rubens. „deren man sich bewußt ist) klebt an der Gewalt, wie die Wuͤrkung an der Ursache“ — (sagt der Erzantiphysiognomist Helvetius, uͤber den noch ein eignes Fragment geliefert werden sollte.) Corneille hat schon gesagt: Qui peut tout ce qu’il veut, veut plus que ce qu’il doit. Wer thun kann, was er will, will oft mehr, als er soll. Also sieht man, in welchem Sinne man sagen kann: „Ein Mensch hat schlimme An- „lagen“ — Das kann eben so viel gesagt seyn, als: „Er hat die besten Anlagen.“ Sokrates hatte, nach dem Bilde zu urtheilen, das wir vor uns haben, sicherlich die groͤßten Anlagen, ein großer Mann zu werden. Zopyrus irrte, und Sokrates irrte, wenn jener diesen fuͤr dumm ansah; dieser seine Anlage schwach glaubte. Seyn kann’s, daß Traͤg- heit und Fette des Fleisches Nebel um den hellen Verstand herum duͤnstete, den die erhabene Stirn dem Zopyrus haͤtte verkuͤndigen sollen! kann seyn, daß Sokrates den Geist nicht fuͤhlte, der in ihm war; daß Zufaͤlligkeiten, die er, weil sie ihn von Jugend auf umgaben, fuͤr Anlage, fuͤr Natur hielt, die Helle und Kraft seines Geistes daͤmpften, daß er den Ausdruck dieses Stirn- gewoͤlbes nicht kannte! Doch war’s dieser Geist in ihm; der Einwohner dieser Stirn war’s, der die Nebel der Lehre von der Erziehung, der physischen und moralischen, zertheilen wollt’ und konnte. Das hohe geraͤumige Gewoͤlbe dieser Stirn; die Schaͤrfe der Augenknochen; die An- strengung der Muskeln zwischen den Augenbraunen; der breite Ruͤcken der Nase; das tiefe Auge; dieß Aufsteigen des Augsterns unter dem Augendeckel — wie ist dieß alles sprechend, zusammen- stimmend fuͤr große natuͤrliche Anlagen des Verstandes — und fuͤr wuͤrklich entwickelte Kraͤfte — Und was ist das, was wir vielleicht in der zwanzigsten Copie vor uns haben, gegen das Original! „Aber dieß Gesichte hat doch auch gar nichts von jener edeln Einfalt, jener kalten, anmas- „sungslosen, planlosen, sich jedermann empfehlenden Offenheit? Es ist doch so offenbar, daß aus „den Augen etwas falsches, und zugleich viehisch wolluͤstiges herausblickt — und im Munde?“ — Bedeckt einmal mit der Hand die obere Haͤlfte des Gesichtes — setzet die Schiefheit, die durch den offenbar zu breiten Schatten auf der rechten Seite des Mundes verursacht wird, auf Rechnung des Zeichners oder Stechers — Jhr werdet schon geneigter seyn, Euch mit diesem Munde zu versoͤhnen. Jhr werdet wenigstens sicherlich etwas mehr als Gemeines darinn finden. J 2 Jn VIII. Fragment. Sokrates Jn dem Obertheile des Kinns ist kraftvoller Verstand. Jm Untertheile — furchtbare Kraft. Der untersetzte, dicke, kurze Nacken — ist nach dem allgemeinen bey allen Nationen gleichen Urtheil — Ausdruck des unbeweglichen Sinnes — Hartnaͤckigkeit — — — Das sonderbare Gesicht hat Sokrates wenigstens in eben dem Grade, in welchem sein Charakter uͤberhaupt sonderbar und ausgezeichnet war — Dieß allein schon — sollte uns vorlaͤu- fig auf die Vermuthung bringen — „es waͤre noch Moͤglichkeit uͤbrig, uns seinethalben mit der „Physiognomik zu versoͤhnen?“ — — Nun aber — wir haben noch mehr gesehen! haben gese- hen — daß dieß Gesicht, so schlecht, so offenbar verzeichnet und vergroͤbert es ist, dennoch voll der sprechendsten Zuͤge fuͤr einen großen Mann ist; — daß darinn dasjenige, was den schlimmsten Eindruck macht, mehr dem Zeichner und dem Grabstichel zuzuschreiben ist, als dem Original. — Aber ganz laͤßt sich dadurch doch die Schwierigkeit noch nicht heben? — Aber ließe sie sich nicht heben, wenn wir die lebende Natur vor uns saͤhen? Wuͤrden diese Augen, itzt in diesem Standpunkte gezeichnet, itzt fest gestellt, nicht ganz anders reden, wenn sie sich bewegten, wenn sie uns gerade dann in die Seele blickten, wenn der Edle uns Ehr- furcht gegen die Gottheit — Hoffnung der Unsterblichkeit — oder Einfalt und Bescheidenheit lehrte? Dieser itzt so fatale Mund — in einem solchen Augenblick? — O ihr Menschenbeobachter — und Menschenfreunde, fuͤhlt Jhr nicht, daß er eine unendlich andere Gestalt annehmen muͤßte? O die Mahler, die Bildhauer, die Zeichner — die alles karrikaturiren — wie viel mehr, was schon in der Natur Karrikatur scheint — die so fertig sind, gerade die fatalsten Momente, die Momente der schlaͤfrigen Unthaͤtigkeit, in welche der, der ihnen sitzen oder stehen muß, so leicht versinkt, und beynahe versinken muß, die diese Momente so begierig aufhaschen, und weil sie am leichtesten nachzuzeichnen sind, so gern — verewigen! Noch einmal! Macht das boshafteste Pasquill auf einen Menschen — tausende werden ihn immer kenntlich, und vielleicht kenntlicher finden, als im wohl getroffenen Portraͤte. Man darf nur das feinere Lebende weglassen — nur das, was wenig schief ist, mehr schief, was grob und fleischig ist, noch groͤber und fleischiger machen — O, an tausenden wird’s nicht fehlen, die damit zufrieden sind, die’s bewundern! Die nach einem alten Marmor von Rubens. Die gluͤcklichen Momente wahrer Existenz hingegen — wo die Seele in aller ihrer indivi- duellen Kraft ins Gesichte tritt, wie die aufgehende Sonne; die das ganze Gesicht mit Himmel tingiren, wenn ich so sagen darf — wer sucht diese auf? wartet diese ab? — zeichnet diese nach? — O, noch einmal! Es sind keine Verlaͤumder auf der Welt, wie die Portraͤtmahler. Jhr schwaͤcht die Natur, wo sie stark, und vergroͤbert sie, wo sie zart ist! — Verzeihet mir! noch oft muß ich uͤber Euch klagen — noch oft rufen: O wenn ich keinen andern Beruf haͤtte, als Euern, nichts zu studieren, als die aͤusserste Oberflaͤche eines Menschengesichts in einem Einzigen Stand- punkte — wollt’ ich mich schaͤmen, immer mich so von Regeln und Manier, von Mode und Zeit- geschmack leiten — oder an der Nase herumfuͤhren zu lassen — immer so weit hinter der Wahrheit zuruͤckbleiben! schaͤmen, die herrliche Natur so ..... zu verlaͤumden! Sokrates auf der einen Seite gesteht: „Fleiß, Nachdenken, Uebung, habe seinen Cha- „rakter verbessert — verfeinert;“ und dieß kann sich, muß sich in den feinsten beweglichsten Thei- len seines Gesichts zehnmal staͤrker, als in den festen ausgedruͤckt haben. — Und auf der andern Seite — gesteht uns eine so gar schlechte und fehlervolle Copie, daß Sokrates sich selber in Ansehung seiner Anlage zum Theil geirret habe. — Und hiezu koͤmmt noch, daß immer ein großer Theil Verdorbenheit noch uͤbrig geblieben seyn kann. — Dieß alles nun zusammen gerechnet, wird die Physiognomik durch Sokrates Gesicht ge- winnen oder verlieren? Doch was soll uns der entfernte — nicht mehr lebende Sokrates? Ein Augenblick sei- nes lebendigen Daseyns vor uns, wie viel koͤnnte der entscheiden? Gebt uns dafuͤr irgend einen lebenden Pendant — und laßt sehen, wer gewinne, „der „Vertheidiger oder der Bestreiter der Physiognomik?“ Fuͤhrt uns den weisesten und besten Menschen vor, den weisesten und besten mit der duͤmm- sten und boshaftesten Physiognomie, wie Jhr meynet; den wollen wir commentiren; und wenn Jhr nur dann nicht gestehen muͤßt ... entweder: „der Mann ist nicht so gut und so weise, als wir „ihn waͤhnten“ — oder: „Es sind die sichtbarsten Zuͤge vorzuͤglicher Weisheit und Guͤte da — „die wir anfangs nicht bemerkten“ — so will ich verloren haben. J 3 Und VIII. Fragment. Sokrates nach einem alten Marmor von Rubens. Und min noch ein Wort uͤber nachstehende Vignette — die, wie mich deucht, fuͤr uns sehr sprechend ist. Wer sieht nicht, daß es derselbe Kopf ist, den wir so eben groͤßer vor uns hatten? dieselbe hohe, vielfassende Stirn; — aber das Auge, wie viel weniger wolluͤstig! der Mund, wie ungleich sanfter, edler! wie herrlich, einfaͤltig, huldreich! — O Sokrates, wenn du nur so ausgesehen hast, und dieß Gesicht, wie unbeschreiblich muß auch dieß, als hundertste Copie hinter dem Origi- nale zuruͤck seyn — so ist kein staͤrkerer Beweis fuͤr die Wahrheit der Physiognomie, als du! — — Aber dann, heiliger Sokrates, bitte fuͤr deine — Nachbilder, deinen Aristophanen — so aͤhn- lich, wie ein Ey dem andern! Zugabe. Zugabe. Ueber zwey Mundstuͤcke. M M. J n der Mittellinie des Mundes ruht und wuͤrkt die ganze Seele des Menschen. Es ist keine Kraft, keine verborgne oder wuͤrksame Leidenschaft, keine Anlage, und beson- ders kein gegenwaͤrtiger Zustand des Menschen, der nicht in der Linie, die aus dem Verhaͤltnisse und der Lage der Ober- und Unterlippe entsteht, sichtbar werde, oder sichtbar werden koͤnne. Der geringstscheinende Unterschied in diesem Zuge kann oft den groͤßten Unterschied des Charakters und der Gemuͤthslage anzeigen ..... Doch hievon itzt nicht ausfuͤhrlich; beynah’ alle Blaͤtter dieses Werkes geben Gelegenheit davon zu reden. — Nur so viel bey Gelegenheit des Sokratischen so fatalen Mundes im vorigen Stuͤcke. Und bey Gelegenheit dessen — von ein Paar andern Mundstuͤcken von sehr sprechender Bedeutung. Nichts weniger als fein gezeichnet oder radiert sind diese beyden Mundstuͤcke — sie haben aber dennoch bey der auffallenden Rauhigkeit der Nadel Charakter genug. — Mit welchem wuͤrdet Jhr lieber sprechen? Ganz unfehlbar mit dem obern? der gewiß wird Euch mehr Liebe einfloͤßen, mehr anzie- hen, als der untere ... Welcher gerader, ruhiger, heiterer Sinn in dem obern! welches weisen, klugen, stillen Beobachters ist er! welches theilnehmenden, standhaften Freundes! Jn der Natur — ohne diese Haͤrte, die ihm die rohere Nadel und die schwarze Farbe giebt — in der Natur, wo jede Linie feiner, gebrochener, nuͤancirter ist, als die Kunst sie gemei- niglich erreicht — in der Natur — welch ein Mund wuͤrd’ es seyn voll Weisheit und unge- lernter inniger Guͤte! Die horizontale Lage des Ganzen; die Groͤße, Hoͤhe, der Schluß, das Verhaͤltniß der Lippen gegen einander, — die Zeichnung am meisten — wie zusammenstimmend — Denkt VIII. Fragment. Sokrates. Zugabe. Denkt nun einmal an die Titelvignette dieses zweyten Bandes — liebe Leser, — ver- steht Jhr sie wohl nun, wenn ich sage: Jn diesem Munde nichts schieflockers — nichts steifhar- tes — (ich rede nicht vom Styl der Zeichnung) — sondern freye Geradheit — Laßt uns hier einen Augenblick stille stehen. Wie die ganze Natur, wie Gottes Fuͤr- sehung — sollte jedes Menschenwerk, jede Schrift seyn — ohne hartgerade Linien, voll Ordnung und Kraft! Ordnung — o mißverstandnes Wort — Ordnung Gottes ist nicht gereihte Zusammenstel- lung; nicht kuͤnstliche Garten-nicht Alleenordnung — — so die Ordnung des Schuͤlers der Na- tur, durch Effekte spuͤrbar! — wie ist da alles, obgleich zerstreut — obgleich hingeworfen schei- nend — Effekt machend! auf den Zweck treffend! uͤberraschend! — O Urbild aller Ordnung und Vollkommenheit — herrliche Natur! — koͤnnt’ ich dich in jedem meiner Werke nachahmen! dich genug uͤbersehen! innig sentiren! — und von dir begeistert, dich — ewiges Urbild aller sanften, treffenden Wuͤrksamkeit — nachahmen — und wie du mit herrlichen Aussichten uͤberraschest, du, goͤttliche Fuͤrsehung, das Kleinste zur Veranlassung und Entwickelung des Groͤßten wuͤrksam seyn laͤßt, — o moͤchte diesen Gang mein Werk gehen! den Gang der ganzen Natur — und der persoͤnlichen Offenbarungen Gottes, so wie er in unsern heili- gen Schriften aufgedeckt liegt. — — „Wozu diese Ausschweifung?“ ... Um mir Weg zu bahnen zu der nicht ganz unwichtigen Bemerkung: Es giebt drey Hauptklassen von Menschen und Menschenwerken und — Menschenworten! doch itzt nur von Men- schen und Menschengestalten — Zwar, wie die Gestalt, so die Worte; wie die Worte, so die Tha- ten — dem Haupttone, dem Charakter nach! — Die erste Classe — Lockerheit, Laͤssigkeit, absichtloses Hin- und Herwanken! — Die zweyte — Steifheit, Gespanntheit, Anstrengung, Kunstkraft. Die dritte, oder wie ich lieber sagen wollte, die mittelste, vortrefflichste, einzig achtungs- und liebenswuͤrdige — Freyheit und Richtigkeit. — Die erste und die zweyte — gleich unertraͤgliche Extreme — Die erste ohne Widerstehenskraft — die andere ohne Nachgeblichkeit. Wider- Ueber zwey Mundstuͤcke. Widerstehenskraft fordert Achtung und Ehrfurcht. Mangel derselben — Verachtung; Ueberfluß derselben — Furcht und Abschen. Unstaͤndige Nachgeblichkeit, Kraftlosigkeit — erwirbt weder Liebe noch Achtung. Aber Liebe und Achtung, diese erlangt nur eine gleiche Temperatur von Empfaͤnglichkeit und Wuͤrksamkeit, von Leidsamkeit und Widerstand. Jch kann die Verschiedenheit dieser drey Hauptklassen menschlicher Charakter fuͤrs erste durch kein einfaͤltigeres Symbol ausdruͤcken, als durch drey Faͤden, einen lockern, einen gespannten, und einen durch ein Bleygewicht geraden, aber freyen und ungezwungnen. Wie mit den Linien, so mit den Menschen. Wie mit den Menschen, so mit jedem einzel- nen Theile des Menschen. Das Allzulockere — und das Gespannte gefaͤllt weder an der Linie, noch an der ganzen Menschengestalt, noch am einzelnen Gliede — Das was allenthalben an allen gefaͤllt, (ich rede nicht von Schoͤnheit — ich rede von dem, was gefaͤllt, ohne daß man eben deswegen sage: Es ist schoͤn ) — das was allenthalben an allen gefaͤllt, ist Richtigkeit und Freyheit, nicht das Symbol — die gerade Schnur mit dem Bleygewichte gefaͤllt, ob wohl auch diese mehr als un- bestimmte Lockerheit, und das scharf Gespannte. Miß, o Leser, die Menschen nach diesem Maaße, und ich weiß — der Richtige und Freye wird allenthalben, das Richtige und Freye in allen Theilen, Gliedern, Zuͤgen, Nuͤancen, Aeusserungen der Menschheit, wird dir besser gefallen, als unbestimmte Lockerheit und kuͤnstliche Anstrengung. — Und du selbst, o daß du’s verstuͤndest, fuͤhltest — denn so gewiß du’s noch rein verstehst, und tief fuͤhlest, so gewiß kannst du noch von den beyden Enden, dem Lockeren und dem Steifen, ins gluͤckliche Mittel der richtigen Freyheit zuruͤcktreten — zuruͤckstreben, zuruͤck — hinab oder hinauf klimmen. Phys. Fragm. II Versuch. K Nun VIII. Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mundstuͤcke. Nun wieder eingelenkt. Von dieser richtigen Freyheit ist das obere der beyden Mund- stuͤcke, die wir vor uns haben, ein Beyspiel. Das untere ist halb gespannt, halb laͤssig. Wenn Gespanntheit und Laͤssigkeit in einander fließen, wie in der Bleyschnur — wie im obern Munde, — dann vortrefflich; wenn sie zusammengestuͤckt sind, unertraͤglich. Ein Mund, der an einem Ende sich steif zudruͤckt, an dem andern sich laͤssig oͤffnen will — wird immer unertraͤglicher Ausdruck von irgend einer unertraͤglichen Gemuͤthsart. — Jch glaube, das obere Mundstuͤck — ist nach einer Gipsbuͤste von Plato — das untere von einem seelenlosen Kerl, der zuschaut, wie Paulus gegeiselt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll spottender Verachtung? Und nun noch Ein Wort vom Barthaare — Koͤnnt ihr euch erwehren, in der Verschieden- heit des Bartes eine sehr große Verschiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken? gefaͤllt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrause Barthaar nicht mehr, wie das un- tere? zeigt’s nicht mehr Ruhe — Leidenschaftlosigkeit? Geschmack? Jch schließe diese Zugabe mit einem Worte Winkelmanns, Herkul. Entdeckungen 35. 36. das ich itzt ohne Pruͤ- fung und Anmerkung hinsetze: „Von dem schoͤnen Barte des vermeynten Plato koͤnnte gelten, was der aͤltere Skaliger „uͤberhaupt von dem Barte sagt: daß derselbe das schoͤnste und goͤttlichste Theil des Men- schen sey. “ ..... Zweyte Zweyte Zugabe. Sokrates, neun Profilkoͤpfe, Umrisse. A lle diese neun Koͤpfe nach Copien von alten Gemmen gezeichnet, sind, wie es scheint, ziemlich aͤhnliche Portraͤte von Sokrates, und sind ein Beweis, wie zuverlaͤssig und unzuverlaͤssig alle Copien von sonderbaren Gesichtern sind. Wie zuverlaͤssig? — denn in allen neunen ist so viele Aehnlichkeit, daß es auffallend ist: — Es sind Portraͤte von Einem und demselben Menschen. Bey allen derselbe Kahlkopf; bey allen derselbe Haarwuchs; bey allen die runde Nase, der Einbug bey der Nasewurzel; bey allen das dicke, kurze, eingesteckte Wesen. Wie unzuverlaͤssig? ... Kaum wird man 9. Portraͤte von demselben Gesichte finden, die sich so aͤhnlich sind, wie diese 9. Profile, — und dennoch — wird das geuͤbte Auge merkliche Verschiedenheiten des Ausdrucks in denselben entdecken. Es ist fuͤr den forschenden Leser gewiß nicht unangenehm, diese kleinen Unterschiede der Zeichnung und des Ausdrucks mit mir zu bemerken. Die Uebung in dergleichen Bemerkungen ist das sicherste Mittel, sich ein scharfes physiognomisches Auge zu erwerben — und fuͤr den Kuͤnstler? der mag’s erfahren, wie er sich durch dergleichen Uebungen vervollkommnen kann! — und wie schon bemerkt worden, lernen wir dadurch, wie die kleinsten Veraͤnderungen der Zeichnung sogleich den Ausdruck veraͤndern, mithin, wie wahr in ihren kleinsten Wendungen die Natur, und wie thoͤricht und unuͤberlegt das unaufhoͤrlich wiederhallende Geschrey ist — „Jm Ganzen, im Ganzen freylich „gelte Physiognomie! im Großen zeige sie was; aber nicht im Kleinen!“ — Beynahe alle Tafeln dieser Fragmente erweisen das Gegentheil, und werden’s, je mehr das Auge des Lesers wird ge- schaͤrft werden, immer kraͤftiger, unwidersprechlicher erweisen. Eine neue Probe davon seyn also diese neun Umrisse. — K 2 1.) Die VIII. Fragment. Zweyte Zugabe. 1.) Die Stirn des ersten wird wohl die flaͤchste, die perpendikularste seyn — das Aug' (zwar alle sind schlecht gezeichnet) ist das schlechteste; die Nase die spitzigste, das Nasloch am un- bestimmtesten; der Mund am offensten. Nun mag jeder urtheilen, ob dieß Gesicht nicht unter allen neunen das duͤmmste sey? Es ist indeß noch nicht das entscheidendste Gesicht eines Dummkopfes. Stirn und Woͤlbung des Oberhauptes — dieß allein schon spricht genug fuͤrs Gegentheil. Die Nase ist freylich, so wie sie da ist, so schlecht und gemein, als sie seyn kann. Jn dem Munde selbst aber ist noch etwas von launichter Schalkheit, die nicht ohne alles attische Salz zu seyn scheint. 2.) Denkendre Stirn; tieferer Einschnitt bey der Naswurzel; das Hinterhaupt weit her- vordringender uͤber den Nacken — bestimmter gezeichnete Nase, mehr geschloßner Mund — alles vortheilhafter! 3.) Etwas schiefere Stirn; schalkhafterer Mund. 4.) Unterscheidet sich vornehmlich durch die weniger stumpfe, schaͤrfer beschnittene Unter- lippe und das emporschende Auge. Nicht so leer, wie 1, nicht so denkend, wie 2, nicht so schalk- haft, wie 3. 5.) Jst oben aufm Schaͤdel weniger breit, hoͤher gewoͤlbt, als alle vorige, besonders der vierte; die Unterlippe ist etwas stumpfer, als 4; das Auge wolluͤstiger; der Eindruck des Gan- zen — „Hinheftung der Seele auf Einen dastehenden reizenden Gegenstand.“ 6.) Aufhorchend, und sich auf Antwort ruͤstend. 7.) Wir trauen diesem am wenigsten. Er ist nicht der verstaͤndigste, aber der listigste. Er freut sich einer — vielleicht physiognomischen? Beobachtung, die er eben macht. 8.) Uneingebognere Stirn. Mehr Verstand darinn, als in der vorhergehenden. Der Kopf uͤberhaupt etwas laͤnglichter, als die uͤbrigen, und scheint sich dadurch ein wenig zu veredeln. 9.) Die Stirn scheint mir noch verstaͤndiger, als die vorhergehende; nur verliert sie et- was untenher bey der Nase. Das Auge scheint mir das gescheuteste von allen. Der Mund am ruhigsten und ehrlichsten. Die Ohren sind nicht sicher, rein und vollkommen genug, gezeichnet, daß sich viel Be- stimmtes und Zuverlaͤssiges daruͤber sagen ließe. Hier Sokrates, neun Profilkoͤpfe, Umrisse. Hier noch ein Sokrates .... Untertheil der Stirn und die Nase — zeigen gedraͤngten, festen, unbestechbaren Verstand. Das Aug’ ist nicht dumm, aber unbestimmt und schwach. Die Oberlippe nicht unverstaͤndig. Der offne Mund — will sagen, und sagt — nichts. Auch das Kinn — Ohr — und Hinterhaupt — nicht unsokratisch! K 3 Neuntes IX. Fragment. Neuntes Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey. D ie natuͤrlichste, menschlichste, edelste, nuͤtzlichste Kunst, — und die schwerste, so leicht sie scheint, so leicht sie seyn sollte, die Portraͤtmahlerey. Liebe — hat sie erfunden, diese himmlische Kunst. Ohne Liebe wer kann sie? und der Liebenden; — wer? Da ein großer Theil dieses Werkes, und der Wissenschaft, welche den Jnnhalt desselben ausmacht, auf dieser Kunst beruhet; so ist’s natuͤrlich, daß wir, wie wir schon verheißen oder — gedrohet? haben, auch ein Woͤrtchen davon sagen. Ein Woͤrtchen; denn was ließe sich nicht bloß uͤber diese Kunst fuͤr ein ganz neues, wichti- ges, großes Werk schreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menschheit und der Kunst, daß es noch geschrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, so geschickt er in seiner Kunst seyn moͤchte; ich denke, daß es von einem verstaͤndigen, geschmackvollen, physiognomischen Freunde, einem taͤglich beobachtenden Vertrauten eines großen Portraͤtmahlers, geschrieben werden sollte..... Wenigstens unter allen mir bekannten Portraͤtmahlern scheint keiner zu seyn, der diese weitlaͤuftige Materie zu umfassen, zu erschoͤpfen, und ins helleste Licht zu setzen im Stande waͤre .... Sulzer waͤre vielleicht der einzige Mann, der dieses zu thun im Stande gewesen waͤre — Philosoph, Kunst- kenner, und Schwiegervater eines der groͤßten Portraͤtmahlers unserer Zeit, des Herrn Anton Graf von Winterthur, churfuͤrstlich saͤchsischen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieser licht- und geschmackvolle Weise, der Mensch genug ist, die Wichtigkeit der Portraͤtmahlerey als Jnteresse der Menschheit zu empfinden — hat in seinem Woͤrterbuche unter dem Titel Portraͤt uͤber diesen Punkt so viel Treffliches gesagt; aber wie wenig laͤßt sich in einem Woͤrterbuche von dieser Be- schraͤnktheit eine Materie von diesem Umfange erschoͤpfen! Wer sich die Muͤhe nehmen mag, uͤber diese Kunst nachzudenken, wird finden, daß sie alle erkennenden und wuͤrkenden Kraͤfte der menschlichen Natur zu beschaͤfftigen — groß genug ist; daß sie nie ausgelernt werden, nie sich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann. Jch Ueber die Portraͤtmahlerey. Jch will es versuchen, einige der vermeidlichen und unvermeidlichen Schwierigkeiten, wo- mit diese Kunst zu kaͤmpfen hat, darzulegen. Beyde zu kennen, scheint mir fuͤr den Kuͤnstler und den Menschenbeobachter allerdings der Muͤhe werth. Portraͤtmahlerey — was ist sie? Darstellung eines besondern wuͤrklichen Menschen, oder eines Theils des menschlichen Koͤrpers — Mittheilung, Aufbewahrung seines Bildes; die Kunst, alles, was man von einer einseitigen Gestalt des Menschen sagen, und eigentlich nie mit Worten sagen kann, in einem Momente zu sagen. Wenn es wahr ist, was Goethe irgendwo sagt — und mich duͤnkt, Wahrers laͤßt sich nichts sagen — „daß des Menschen Gegenwart, daß sein Gesicht, seine Physiognomie, der beste „Text zu allem ist, was immer uͤber ihn gesagt und commentirt werden kann“ — wie wichtig wird die Portraͤtmahlerey! Jch habe bereits im ersten Bande dieser Fragmente aus dem eben erwaͤhnten vortreffli- chen Werke des Herrn Sulzers, unter den Zeugnissen fuͤr die Physiognomik, eine Stelle ange- fuͤhrt, die in dem Artikel Portraͤt allen uͤbrigen Anmerkungen beynahe zum Grunde liegt. Jch will sie hier nicht wiederholen. Aber das wird meinen Lesern nicht unangenehm und unnuͤtzlich seyn, wenn ich einige der wichtigsten Stellen aus diesem so sehr hieher gehoͤrigen Artikel hier ein- ruͤcke, und mit Anmerkungen begleite. „Da kein einziger Gegenstand unserer Kenntniß, sagt Sulzer, wichtiger fuͤr uns seyn „kann, als denkende und fuͤhlende Seele; so kann man auch daran nicht zweifeln, daß der Mensch, „nach seiner Gestalt betrachtet, weun wir auch das Wunderbare darinn bey Seite setzen, der wich- „tigste aller sichtbaren Gegenstaͤnde sey.“ — Wenn der Portraͤtmahler dieß erkennte, fuͤhlte, davon durchdrungen waͤre; durchdrungen waͤre von Ehrfurcht gegen das beste Werk des besten Meisters — dran daͤchte, nicht mit Gewalt sich anstrengen muͤßte, daran zu denken, wenn’s ihm so natuͤrlich waͤr’, als Gefuͤhl und Liebe sei- nes Lebens — welch eine wichtige, heilige Arbeit waͤr’ ihm das Portraͤtmahlen! — heilig wenig- stens, wie der Text heiliger Schriften dem Uebersetzer seyn sollte, sollt’ ihm ein lebendes Menschen- gesicht seyn! wie sorgsam er, nicht zu verfaͤlschen das Werk Gottes, wie ihrer so viele das Wort Gottes! Welche IX. Fragment. Welche Verachtung trifft billig den schlechten Uebersetzer eines vortrefflichen Werkes! ... welche Verachtung gebuͤhrte dem waͤssernden, geistverschwemmenden Uebersetzer der goͤttlichen Schriften, die, wenn sie auch nicht goͤttlich waͤren, als alte allgemein verehrte Urkunden der Menschheit und der Religion der Menschheit — nicht verunstaltet und durch die Uebersetzung ver- faͤlscht zu werden verdienen — und nun — man erlaube mir die, wie man bald sehen wird, hieher gehoͤrige, Betrachtung — Nun ist’s doch gewiß, die goͤttlichsten Schriften sind doch in gewissem Sinne Werke der Menschen! sie, die Menschen, dachten; sie sahen; sie hoͤrten — sie fuͤhlten; sie schrieben — die Kraͤfte dazu waren nun einmal ihre Kraͤfte; wie sie nun immer dazu gekommen seyn moͤgen ... Gottes Werk und Kraft in ihnen — wie das Leben, das ihr Leben war, ob wohl Gottes! Und nun — wie viel groͤßer ist jeder Wuͤrker, als seine unmittelbare absichtliche Wuͤr- kung? wie viel ehrwuͤrdiger, heiliger ein lebendiger Mensch, als alles, was der Mensch wuͤrken und hervorbringen kann? wie viel erhabner Sokrates, als alles, was Xenophon von ihm er- zaͤhlt? und als alles, was Sokrates geredet und allenfalls geschrieben hat? als alles, was er in seinem ganzen Leben auf Erden haͤtte reden, schreiben und wuͤrken koͤnnen? — wie unendlich mehr Christus, als das Neue Testament? — So auch uͤberhaupt, wie jeder Mensch, auch der schlech- teste mehr, als alles, was der beste, weiseste, goͤttlichste, inspirirteste geschrieben hat? Wie heilig und ehrwuͤrdig also sollte dem Mahler das gemeinste Menschenangesicht seyn! — „Woher mag es doch kommen, faͤhrt Sulzer fort, daß man an einigen Orten einen „schlechten Portraͤtmahler im Spaße einen Seelenmahler nennt; da der wahre Kuͤnstler dieser „Gattung ein eigentlicher guter Seelenmahler ist.“ Vermuthlich daher, weil man damit sagen will: er kann das Gesicht so wenig mahlen als die Seele! oder, er kann nichts weiter als einen punktirten Schatten, wie man etwa die Seele zu mahlen pflegt, mahlen. Dem sey wie ihm wolle; — wer nicht die Seele im Gesichte sieht, kann sie nicht mahlen — und wer diese nicht mahlen kann, ist kein Portraͤtmahler. „Jedes vollkommne Portraͤt ist ein wichtiges Gemaͤhlde, weil es uns eine menschliche „Seele von eignem persoͤnlichem Charakter zu erkennen giebt; wir sehen in demselben ein Wesen, „in welchem Verstand, Neigungen, Gesinnungen, Leidenschaften, gute und schlimme Eigenschaf- „ten des Geistes und des Herzens auf eine ihm eigne und besondre Art gemischt sind. Dieses sehen wir Ueber die Portraͤtmahlerey. „wir sogar im Portraͤt meistentheils besser, als in der Natur selbst; weil hier nichts bestaͤndig, son- „dern schnell voruͤbergehend und abwechselnd ist. Zu geschweigen, daß wir selten in der Natur die „Gesichter in dem vortheilhaften Lichte sehen, in welches der geschickte Mahler sie gestellt hat.“ Wenn wir jedes Moment des Menschen in der Natur festhalten koͤnnten, oder wenn’s in der Natur stehende Momente gaͤbe, so waͤre unstreitig unsere Beobachtung leichter an der Natur, als im Portraͤt; da aber das unmoͤglich ist, da noch uͤberdieß kaum eine Person sich so beobachten laͤßt, daß man es beobachten heißen koͤnnte, so ist’s mir einleuchtend wahr, daß sich aus einem recht guten Portraͤt mehr Kenntniß des Menschen schoͤpfen laͤßt, als aus der Natur, in so fern sie sich nur im Momente sehen laͤßt. „Hieraus laͤßt sich also leicht die Wuͤrde und der Rang, der dem Portraͤt unter den Wer- „ken der Mahler gebuͤhret, bestimmen. Es steht unmittelbar neben der Historie. Diese selbst be- „koͤmmt einen Theil ihres Werthes von dem Portraͤt; denn der Ausdruck, der wichtigste Theil des „historischen Gemaͤhldes, wird um so viel natuͤrlicher und kraͤftiger, je mehr wuͤrklicher aus der „Natur genommener Physiognomie in den Gesichtern ist. Eine Sammlung sehr guter Portraͤte „ist fuͤr den Historienmahler eine wichtige Sache zum Studium des Ausdrucks“ ...... Wo sind die Historienmahler, die wuͤrkliche Menschen, illusionsweise versteht sichs, dar- stellen koͤnnen! wie sieht mans allen an, daß sie Kopien kopieren — kopieren freylich oft von ihrer Jmagination, die aber nur von Modebildern ihrer oder der Vorzeit — genaͤhrt oder gefuͤttert ist. — — Dieß voraus geschickt, laßt uns nun besonders von einigen vermeidlichen Hindernissen, mit denen die Portraͤtmahlerey zu kaͤmpfen hat, etwas sagen. Jch weiß, daß die Freymuͤthigkeit, mit der ich meine Gedanken sagen werde, beleidigen wird. Zu beleidigen aber ist nicht meine Ab- sicht. Jch moͤchte belehren, und der Kunst, das ist, der Nachahmung der Werke Gottes, auf- helfen. Jch moͤchte zur Verbesserung beytragen; und wie ist das moͤglich, ohne kecke Aufdeckung des Fehlbaren und Mangelhaften? So viel ich Portraͤtmahler gesehen, so viele Werke von Portraͤtmahlern, so oft bemerkt’ ich Mangel an philosophischer, das ist, richtiger, deutlicher, und zugleich allgemeiner Kenntniß — des Menschen. Phys. Fragm. II Versuch. L Der IX. Fragment. Der Jnsektenmahler, der keine genaue Jnsektenkenntniß hat, nicht den Bau, das Allge- meine, das Besondere, das Eigenthuͤmliche jedes Jnsektes kennt, wird, wenn er sonst uͤberhaupt auch noch so ein guter Copist ist — unfehlbar schlecht Jnsekten mahlen. Der Portraͤtmahler koͤnne noch so genau copieren — (eine Sache, die jedoch weit seltener ist, als selber große Kenner der Zeichnung denken moͤgen —) er wird schlechte Portraͤte mahlen; wenn er nicht die genaueste Kennt- niß hat von dem Bau, der Proportion, dem Zusammenhange, der Gegeneinanderwuͤrkung der groͤbern und feinern Theile des menschlichen Koͤrpers, in so fern sie auf die Oberflaͤche einen merk- baren Einfluß haben; wenn er nicht den Bau jedes einzelnen Gliedes und Gesichtstheiles aufs ge- naueste ergruͤndet hat; etwas, das ich noch schlechterdings an keinem einzigen mir bekannt geworde- nen Portraͤtmahler gefunden habe. Jch selbst, so sehr ich’s seyn sollte, bin nichts weniger als ein genauer Kenner aller feinern, specifiken Zuͤge jedes Sinnes, jedes Gliedes, jedes Gesichttheiles — und dennoch bemerk’ ich taͤglich, daß diese feinere, diese schlechterdings unentbehrliche Kenntniß uͤberall noch unbearbeitet, unbekannt, und selbst einsichtsvollen Mahlern kaum beyzubringen ist. Wer sich die Muͤhe nehmen mag, einen Hausen der verschiedensten, unausgesuchtesten Menschen stuͤckweise zu betrachten, der wird finden, daß z. E. jedes Ohr, jeder Mund, bey aller Verschiedenheit — dennoch seine kleinen Beugungen, Eckgen, Charaktere hat, die allen gemein sind — die staͤrker oder schwaͤcher, schaͤrfer oder stumpfer durchaus bey allen Menschen, die nicht Mißgeburten, wenigstens an diesen Theilen sind, angetroffen werden. Was hilft nun alle Kenntniß der groͤßern Proportionen des menschlichen Koͤrpers und menschlichen Gesichtes — (die abermals noch bey weitem nicht tief genug studiert sind, und gewiß noch scharfer Revision beduͤrften; ein kuͤnftiger physiognomischer Mahler wird diesen Ausspruch rechtfertigen, und unterdessen mag dieß meinethalben bloß abgesprochen heißen —) Was hilft, sag’ ich, alle Kenntniß der groͤßern Proportionen, wenn die Kenntniß der feinern Zuͤge, die eben so wahr, so allgemein, so bestimmt, und nicht weniger bedeutend sind, als die groͤßern — wenn diese fehlt? und diese fehlt so sehr, daß ich’s auf die Probe ankommen lassen wollte, ob mancher der geschicktesten Mahler, der tausend Portraͤte gemahlt hat, nur eine ertraͤglich bestimmte allgemeine Theorie von dem Munde z. E., nicht von dem innern Bau des Mundes, nein, nur von dem mah- lerischen Ueber die Portraͤtmahlerey. lerischen Munde hat, das ist, von dem Munde, wie der Mahler ohne anatomische Kenntniß ihn sehen koͤnnte, sehen sollte? Es ist unglaublich, aber es ist wahr. Es verhaͤlt sich hiemit, wie mit allen menschlichen Wissenschaften und Kuͤnsten — von der Theologie bis zur Schuhmacherkunst — Man spricht im- mer nach, arbeitet immer nach, und faͤngt nie von vornen an, ohn’ alle alle Voraussetzung, frisch auf zu untersuchen — daher die allgemeine unendliche Stuͤmperey und Bodenlosigkeit, auf der wir herum tanzen! Man durchgehe dreyßig, vierzig Baͤnde der trefflichsten Portraͤte von den groͤßten Mei- stern, und untersuche — (ich hab’ untersucht, und darf also kuͤhn sprechen) wie gesagt, nur z. E. den Mund. Worinn diese allgemeinen Zuͤge des Mundes bestehen, wird an seinem Orte gezeigt werden. Studiere vorher an neugebornen Kindern, Knaben, Juͤnglingen, Maͤnnern, Grei- sen, Jungfrauen, Frauen, Matronen — das Allgemeine des Mundes, und wenn man’s ge- funden hat, so vergleiche man — und man wird sehen, daß den meisten, daß beynah allen Mah- lern die Theorie des Allgemeinen des Mundes fehlet, und daß es sehr selten geschieht, wenn’s geschieht, bloß zufaͤlligerweise zu geschehen scheint, daß ein Meister dieß Allgemeine richtig gefaßt hat? Und wie unbeschreiblich viel beruhet auf dem? Was ist alles Besondere, alles Charakteristi- sche anders, als Nuͤancen des Allgemeinen? ... Und wie’s in Ansehung des Mundes ist, so in Ansehung der Augen, der Augenbraunen, der Nase und jedes Gliedes oder Gesichtstheils.... Ge- rade so ein Verhaͤltniß, wie die Gesichtsglieder z. E. gegen einander haben, gerade wie dieß Ver- haͤltniß bey allen, noch so verschiedenen, Gesichtern allgemein ist, gerade so ein Verhaͤltniß ist in den einzelnen kleinern Zuͤgen eines jeglichen Gesichtsgliedes; — unendlich verschieden ist die Verschie- bung der ganzen Gesichtsglieder gegen einander bey derselben allgemeinen Proportion; und so unendlich verschieden auch die Nuͤancirung der kleinern Zuͤge in jedem Gesichtsgliede — bey dersel- ben allgemeinen Aehnlichkeit. Ohne genaue Kenntniß des Verhaͤltnisses der ganzen Gesichtsglieder, wie z. E. der Augen, des Mundes, gegen einander, wird’s immer bloßer Zufall, und hoͤchstseltener Zufall seyn, daß dieß Verhaͤltniß in den Werken des Mahlers zum Vorschein komme. L 2 Ohne IX. Fragment. Ohne genaue Kenntniß der besondern constituirenden Theile und Zuͤge eines jeden Gesichts- gliedes, wird’s immer ein bloßer Zufall, und hoͤchst seltener Zufall seyn, daß eines davon richtig gezeichnet sey. Diese einzige Bemerkung kann den nachdenkenden Kuͤnstler aufmerksam genug machen, die Natur aus dem Grunde zu studieren, und ihm zeigen, daß er, wenn er was werden soll, zwar die Werke großer Meister mit Achtung und Ehrfurcht ansehen — aber sich durch keine Be- scheidenheit — (die einzige Tugend, welche die allherrschende Mittelmaͤßigkeit uns unaufhoͤrlich predigt, und die freylich an sich sehr noͤthig und liebenswuͤrdig, dennoch aber nicht so wohl fuͤr sich bestehende Tugend, als bloß Kleid und Zierde der Tugend und der wuͤrklich vorhandenen Kraft ist) sich durch keine Bescheidenheit abhalten lassen soll — mit seinen eignen Augen zu sehen, und die Natur im Ganzen und im Theile so zu beobachten, als wenn vor ihm noch niemand beob- achtet haͤtte; so zu beobachten, als wenn nach ihm niemand mehr nachlesen sollte. Ohne dieß, junger Kuͤnstler, — wirst du auf- und untergehen, wie ein Meteor! und deiner Werke Ruhm wird sich nur auf die Unwissenheit deiner Zeitgenossen gruͤnden. Die meisten besten Portraͤtmahler, wenn’s herrlich geht, begnuͤgen sich, wie die meisten Beurtheiler der Physiognomien, — hoͤchstens nur damit, den Charakter der Leidenschaften in den beweglichen und muskuloͤsen Theilen des Gesichtes auszudruͤcken. Sie verstehen Euch gar nicht, sie laͤcheln uͤber Euch hin, wenn Jhr ihnen von der von aller Bewegung fleischiger Theile unabhaͤngigen Grundlage des menschlichen Gesichtes, als vom Fundamente jeder Zeichnung und jedes Gemaͤhldes, redet. Jhr moͤcht reden, so viel ihr wollt, sie mahlen fort mit einer Unerbittlich- keit und Beschraͤnktheit, wodurch die eisenfesteste Geduld zu Boden getreten werden moͤchte. Und bis bessere Anstalten zur Vervollkommnung der Portraͤtmahlerey vorhanden sind, — bis etwa eine physiognomische Gesellschaft oder Akademie — (wovon wir vielleicht noch in einem besondern Fragmente reden werden) physiognomische Portraͤtmahler bildet — werden wir im Ge- biete der Physiognomik hoͤchstens nur kriechen, wo wir sonst so leicht fliegen koͤnnten. Eins von den groͤßten Hindernissen, womit die Physiognomik zu kaͤmpfen hat, ist die wuͤrk- lich unglaubliche Unvollkommenheit dieser Kunst. Es Ueber die Portraͤtmahlerey. Es fehlt beynah allemal am Aug’, oder an der Hand des Mahlers — oder am Objekt, das nachgemahlt, oder nachgezeichnet werden soll; oder an allen dreyen zusammen — Man sieht nicht, was da ist; man kann nicht zeichnen, was man sieht; der Gegenstand ruͤckt sich unaufhoͤr- lich aus seiner Lage, die so einfach seyn sollte; und wenn er auch nicht weicht, und wenn’s dem Mahler weder am allbeobachtenden Auge, noch an einer allnachahmenden Hand fehlt, so ist die letzte unuͤberwindliche Schwierigkeit noch diese, daß jede Stellung des Menschen, jede Lage, die Moment ist, unnatuͤrlich und unwahr wird, wenn sie in demselben Momente fortdauren soll. Was ich gesagt habe, ist nichts gegen das, was hieruͤber gesagt werden koͤnnte — dieß Feld ist, so viel ich weiß, noch sehr unbearbeitet. Selbst Sulzer, — wie wenig hat er druͤber ge- sagt? — wie wenig konnte er in einem Woͤrterbuche davon sagen? da kaum ein Quartband hin- reichen wuͤrde, diese Materie von allen Seiten zu betrachten, alle beruͤhmte Portraͤtmahler zu pruͤfen und zu beurtheilen, und alle Regeln und Cautelen anzugeben, die bey der unendlichen Verschiedenheit, und der kaum glaublichen Einfoͤrmigkeit der menschlichen Gesichter — dem jungen Kuͤnstler gegeben werden sollten. Jch werd’ es versuchen, in der Folge, theils hin und wieder bey verschiedenen Gelegen- heiten, theils in besondern Fragmenten, einige Beytraͤge zu diesem wichtigen Werke zu liefern. Eines davon sey das naͤchstfolgende. L 3 Zehntes X. Fragment. Einige Stufen Zehntes Fragment. Einige Stufen von Urtheilen uͤber Portraͤte. 1. W as sagt Jhr zu diesem Portraͤt? Wer soll’s seyn? Jhr kennt das Original. Das Original ich kennen? ... So muß das Portraͤt durchaus nicht gleichen. — Jch kann nicht drauf kommen. Der und der! Nun — so haͤtt’ ich das nimmermehr errathen. Nicht die allermindeste Aehnlichkeit. So anticharakteristisch, wie moͤglich. 2. Und was sagen Sie zu diesem? Jch kann’s nicht erkennen. Es ist der Herr von A ... Der? das haͤtt’ ich nicht vermuthet; doch, nachdem Sie mirs sagen, find’ ich etwas aͤhnliches, und kann doch einigermaßen begreifen, daß es diesen vorstellen soll. Allein, daß ich viele Aehnlichkeit drinn finde, koͤnnt’ ich nicht sagen. 3. Und wie finden Sie dieß? Jch sehe wohl, wen’s vorstellen sollte; aber es ist viel Fremdes, mehr Fremdes, als Wahres drinn. 4. Und, wie dieses? Unfehlbar ist’s der, — aber alles Karrikatur! alle Zuͤge verhaͤrtet, vergroͤbert, verzogen. 5. Hier ....? alles verschoͤnert! idealisirt! erhoͤhet! das Gute trefflich, das Schwache un- merkbar gemacht; sonst kenntlich. Lessings Definition vom Portraͤt: „das Jdeal eines gewissen Menschen!“ — 6. Alles von Urtheilen uͤber Portraͤte. 6. Alles Einzelne gut! sehr kenntlich — aber die Form des Ganzen, die Proportion ist nicht wahr. 7. Die Form, die Proportion gut; das Einzelne alles zu unbestimmt, bloß im Ganzen ge- nommen. 8. Und zu diesem? .... Trefflich kenntlich, redend! Zeichnung gut, Proportion gut — aber zu aͤngstlich, zu hart, zu flach. — Schlechte, kraftlose Mahlerey; nicht rund, nicht lebend! 9. Das auch schlechte Mahlerey? ... Nein, trefflich gemahlt, trefflich kennbar! aber im Blick, im Munde etwas fremdes, starres. 10. Und was hat dieses fuͤr Fehler? So viel Gutes, daß man nicht viel von Fehlern sagen sollte; Stirn, Augen, Nase, Mund, Kinn — zum Erstaunen rund, gut gemahlt, in trefflichem Lichte; doch ist die Stellung gezwun- gen, die Miene bey aller Kennbarkeit kalt, trocken, seelenlos. 11. Und dieß? ... Erstaunlich kennbar, aber nicht in der gewoͤhnlichsten, natuͤrlichsten Laune. Die ganze Miene ist, wie mit einem Nebel uͤberzogen. 12. Aber an diesem nun werden Sie doch nichts auszusetzen finden? Nichts, als dieß: der Mahler zeichnete eine Succession, eine Fluxion der Miene, und hielt nicht Eine einfache fest. Die Simultaneitaͤt des Gesichtes fehlt, die Harmonie. Widersprechende Zustaͤnde und Bewegungen sind in großen Partheyen — in einzelnen Zuͤgen. Es ist nicht Ein und dasselbe Moment. 13. Aeußerst kenntlich, aber zu stark und zu viel Feuer! 14. Aeußerst X. Fragment. Einige Stufen 14. Aeußerst kenntlich, nur der Kopf etwas zu groß! 15. Und dieser Kopf zu klein. 16. Und dieser? — — auf eine gewisse Entfernung unverbesserlich, von nahem anzusehen, rauh. 17. Jn der Naͤhe alle moͤgliche Genauigkeit und studierte Wahrheit — Jn einiger Entfernung thut das Ganze keine Wuͤrkung — wenigstens verliert sie. 18. Zu laͤchelnd suͤß, zu gespannt — sonst zum Reden aͤhnlich. 19. Zu locker, zu fad, zu gestuͤmpft. 20. Zu ernsthaft, zu still. 21. Bey aller Kenntlichkeit ohn’ alle bestimmte Action und Gemuͤthscharakter. 22. Dieser — unverbesserlich aͤhnlich, herrlich gemahlt — Nur sieht man noch Mahlers Manier drinn, sieht noch, daß es gemahlt ist. 23. Und in diesem? ... Nicht nur Mahlers Manier, sondern auch noch des Mahlers Gestalt! Es waͤr’ aͤhnlich, aber er hat’s mit seiner eignen oft gemahlten Gestalt und Mienen gleichsam tingirt. 24. Das heiß ich nun gemahlt! das nicht nur kenntlich, aͤhnlich, wahr, lebendig! vollkom- men Natur! nicht Gemaͤhlde mehr .... Grundzeichnung, Form, Proportion, Lage, Stellung, Farbe, Schatten, und Licht, Freyheit, Leichtigkeit, Natur! Natur! Natur in der charakteristischen Lage! von Urtheilen uͤber Portraͤte. Lage! Natur im Ganzen, Natur in der Farbe, in einzelnen Zuͤgen, — im schoͤnsten Lichte! in der gewaͤhltesten individuellsten Gemuͤthslage — Natur und Wahrheit in der Naͤhe, in der Ent- fernung — von jeder Seite — kenntlich fuͤr alle Menschen; zu allen Zeiten; fuͤr Kenner und Nichtkenner! fuͤr den besten Kenner am kenntlichsten! keine Spur von Gemahltseyn! ein Gesicht im Spiegel! ein Mensch, mit dem man sprechen will, und der mit uns spricht; der uns mehr an- schaut, als wir ihn anschauen koͤnnen. Wir eilen auf ihn zu, wir umarmen ihn, wir sind be- zaubert .... Einige Stufen der Urtheile; einige, mein Freund — pruͤfe deine Arbeiten darnach, jun- ger Menschenmahler! und strebe nach der letzten Hoͤhe, und das wenigste, was du erreichen wirst, wird Reichthum und Ruhm der Welt und Nachwelt seyn. — Mit Thraͤnen danken wird dir, segnen wird dich Vater, Mann und Freund! und Ehre machen wird dein Werk dem großen Mei- ster, dessen Geschoͤpfe auch nur in der Oberflaͤche, auch nur in Einem Punkte ihres Seyns nach- zuahmen, das erhabenste Meisterstuͤck der Menschheit ist. Phys. Fragm. II Versuch. M Eilftes XI. Fragment. Eilftes Fragment. Ueber Schattenrisse. D as Schattenbild von einem Menschen, oder einem menschlichen Gesichte, ist das schwaͤchste, das leereste, aber zugleich, wenn das Licht in gehoͤriger Entfernung gestanden; wenn das Gesicht auf eine reine Flaͤche gefallen — mit dieser Flaͤche parallel genug gewesen — das wahreste und getreueste Bild, das man von einem Menschen geben kann; das schwaͤchste; denn es ist nichts Positifes; es ist nur was Negatifes, — nur die Graͤnzlinie des halben Gesichtes; — das getreueste, weil es ein unmittelbarer Abdruck der Natur ist, wie keiner, auch der geschickteste Zeichner, einen nach der Natur von freyer Hand zu machen im Stande ist. Was kann weniger Bild eines ganz lebendigen Menschen seyn, als ein Schattenriß? und wie viel sagt er! wenig Gold; aber das reinste! Jn einem Schattenrisse ist nur Eine Linie; keine Bewegung, kein Licht, keine Farbe, keine Hoͤhe und Tiefe; kein Aug’, kein Ohr — kein Nasloch, keine Wange, — nur ein sehr kleiner Theil von der Lippe — und dennoch, wie entscheidend bedeutsam ist Er! der Leser soll bald ur- theilen — hat schon im I. Theile haͤufigen Anlaß gehabt, sich davon zu uͤberzeugen, und sein Ur- theil zu uͤben. Schatten von Koͤrpern waren vermuthlich die ersten Veranlasser und Lehrer der Zeich- nungs- und Mahlerkunst. Sie druͤcken, wie gesagt, wenig, aber dieß wenige sehr wahr aus. Keine Kunst reicht an die Wahrheit eines sehr gut gemachten Schattenrisses. Man versuch’ es, und lege den zartesten Schattenriß mit der aͤussersten Genauigkeit erst nach der Natur, und mit eben dieser Genauigkeit hernach auf ein feines durchsichtiges Oelpapier ins Kleine gezeichnet, auf eine gleich große Profilzeichnung von dem besten, geschicktesten Zeich- ner, die auch noch so aͤhnlich scheinen mag. Man wird leicht Unterschiede und Abweichungen be- merken. Jch Ueber Schattenrisse. Jch habe die Versuche unzaͤhligemale gemacht, und allemal gefunden, daß die groͤßte Kunst — die Natur nicht erreicht; nicht erreicht die Freyheit und Bestimmtheit der Natur — daß sie immer lockerer oder gespannter ist, als die Natur. Die Natur ist scharf und frey. Wer ihre Schaͤrfe mehr beobachtet, als ihre Frey- heit, wird hart — wer ihre Freyheit mehr studiert, als ihre Schaͤrfe, wird locker und un- bestimmt. Der sey mein Mann, der beyde, ihre Schaͤrfe und ihre Freyheit, gleich studiert, gleich gewissenhaft und unpartheyisch nachahmt. Jn dieser Absicht, Kuͤnstler — Nachbilder der Menschheit, — uͤbe dich erst im genauen Schattenrißziehen — dann im Nachzeichnen derselben von freyer Hand — dann vergleiche und verbessere sie! — Ohne dieß wirst du das große Arkanum — Bestimmtheit und Freyheit zu vereinigen, schwerlich finden koͤnnen. Aus bloßen Schattenrissen hab’ ich mehr physiognomische Kenntnisse gesammelt, als aus allen uͤbrigen Portraͤten; durch sie mein physiognomisches Gefuͤhl mehr geschaͤrft, als selber durch’s Anschauen der immer sich wandelnden Natur. — Der Schattenriß faßt die zerstreute Aufmerksamkeit zusammen; concentriert sie bloß auf Umriß und Graͤnze, und macht daher die Beobachtung einfacher, leichter, bestimmter; — die Beobachtung und hiemit auch die Vergleichung. Die Physiognomik hat keinen zuverlaͤssigern, unwiderlegbarern Beweis ihrer objektifen Wahrhaftigkeit, als die Schattenrisse. Wenn ein Schattenriß, nach dem allgemeinen Gefuͤhl und Urtheil aller Menschen, fuͤr oder wider einen Charakter entscheiden kann — was wird das volle lebendige Antlitz, was die ganze physiognomische und pantomimische Menschheit entscheiden? — wenn Ein Schatten Stim- me der Wahrheit, Wort Gottes ist, wie wird’s das beseelte, von Gottes Licht erfuͤllte, lebende Urbild seyn! M 2 „Was XI. Fragment. „Was sollte man aus einem bloßen Schattenrisse sehen koͤnnen?“ — hab’ ich schon hun- dert Menschen fragen gehoͤrt — aber keinem Einzigen von diesen hunderten Schattenbilder vorge- legt, die sie nicht wenigstens zum Theil beurtheilten — oft sehr richtig — oft richtiger, als ich! Um die erstaunenswuͤrdige Bedeutsamkeit eines bloßen Schattenrisses recht anschaubar und gewiß zu machen, darf man entweder nur die entgegengesetztesten Charaktere von Menschen im Schattenbild gegen einander halten — oder noch besser — hoͤchst ungleiche willkuͤhrliche Ge- sichter aus schwarzem Papier schneiden, oder sonst zeichnen — oder, wenn man im Beobachten einige Uebung erlangt hat, nur z. E. ein schwarzes Stuͤck Papier doppelt zusammen legen, und aus diesem doppelten Papiere ein Gesicht ausschneiden; denn dasselbe auflegen und nachher die Eine Seite mit der Scheere nur sehr wenig, dann immer mehr aͤndern, und bey jeder Aende- rung aufs neue sein Aug’, oder vielmehr sein Gefuͤhl fragen; oder endlich, nur von demselben Gesichte mehrere Schattenrisse nehmen lassen, und diese vergleichen — Man wird erstaunen, wie kleine Abweichungen den Eindruck veraͤndern — Man erinnere sich an den Apoll im I. Theile — Beyspiele ohne Zahl werden uns noch aufstoßen. Jm naͤchsten Fragmente wollen wir unsere Leser durch eine Menge bloßer Silhouetten durchfuͤhren und sehen — was gesehen werden kann? Vorher noch nur Ein Wort von der besten Art Silhouetten zu ziehen. Die gewoͤhnliche ist mit vielen Unbequemlichkeiten begleitet. Die Person kann schwerlich stille genug sitzen — der Zeichner ist genoͤthigt, seinen Platz zu veraͤndern — er muß der Person so nahe aufs Gesicht kommen, daß eine Stoͤrung auf irgend einer Seite beynah’ unausweichlich ist — und uͤberhaupt ist der Zeichner in der unbequemsten Stellung — und die Zuruͤstung ist weder allenthalben moͤglich — noch simpel genug. Jch befinde mich daher weit besser bey einer geflissentlich zu diesem Zwecke verfertigten Ses- selrahme; wo der Schatten auf ein Postpapier, oder besser, ein zartgeoͤltes und wohl getrockne- tes Papier faͤllt; wo man den Kopf und den Ruͤcken fest anlehnen kann; der Schatten faͤllt aufs Oelpapier, dieß liegt hinter dem reinen flachen Glase, mit einer gevierten Rahme festgedruͤckt, die vermittelst einiger kleinen Schiebergen los und festgemacht werden kann. Der Zeichner sitzt hinter dem Glase auf einem an dem Sessel, der allenfalls zusammengelegt werden kann, festgemachten, dem Ueber Schattenrisse. dem Theile, auf welchem der zu zeichnende sitzt, das Gegengewicht haltenden Sitze; haͤlt sich mit der Linken an der Rahme, und zeichnet mit der Rechten mit einem scharfen Bleystift. Man kann das Glas, das in einer besondern Rahme festgemacht ist, hoͤher und tiefer stellen, nach der Hoͤhe der Person. Mitten uͤber das Glas ist ein schmales Stuͤck Holz befestigt, in dessen Mitte ein kleines rundes Kuͤssen an einem kurzen, etwa 1½ Zoll langen, Stiehl steckt, woran sich der anlehnt, der sich zeichnen laͤßt. Nachstehende Vignette kann die Jdee vielleicht deutlicher machen, obgleich manches dran auszusetzen ist. — Durchs Sonnen-Vergroͤßerungsglas laͤßt sich der Umriß noch ungleich schaͤrfer, reiner, trefflicher zeichnen — der Unterschied eines an der Sonne gezeichneten Schattenbildes gegen eines am Lichte gezeichneten verhaͤlt sich beynahe gegen einander, wie das am Lichte — gegen das von freyer Hand gezeichnete. M 3 Zwoͤlftes XII. Fragment. Zwoͤlftes Fragment. Wie viel man aus den Schattenrissen sehen kann? N icht alles — oft sehr viel, oft aber auch nur sehr wenig, kann aus einem genauen Schatten- risse von dem Charakter eines Menschen gesehen werden. Jch bin gesonnen, eine Menge Schattenrisse hier vorzulegen, um dadurch, unter andern, begreiflich zu machen, was sich aus verschiedenen bloßen Umrissen menschlicher Gesichter mit Si- cherheit und Wahrscheinlichkeit schließen lasse? Wer alles aus dem bloßen Schattenrisse sehen will, ist so thoͤricht, wie der, der aus dem Wasser eines Menschen alle seine Kraͤfte und Schwachheiten, wuͤrkliche und moͤgliche Beschwerden errathen will; und wer nichts aus einem Schattenrisse zu sehen fuͤr moͤglich haͤlt, ist dem Arzte aͤhnlich, der schlechterdings kein Wasser ansehen will. Aber! so ist nun einmal der Gang aller menschlichen Meynungen — „Alles Ja! — oder „alles — Nein!“ — „Von einem Aeussersten zum andern“ — „Entweder alles — oder nichts“ — Weder alles, noch nichts — laͤßt sich aus einer bloßen Silhouette sehen — naͤmlich von uns — naͤmlich in unserer Beschraͤnktheit. Was ein hoͤheres Wesen hiezu denken koͤnnte? Ob’s nicht vom Umriß auf den Jnnhalt, die Figur, Elasticitaͤt, Feuer, Kraft, Beweglichkeit, Le- ben der Nase, des Mundes, der Augen — von diesen auf den ganzen Charakter, die wuͤrklichen, die moͤglichen Leidenschaften schließen, sicher schließen, im Schattenbild den ganzen Menschen se- hen koͤnne? das will ich nicht entscheiden. Aber unmoͤglich scheint es mir gar nicht. Nicht nur nicht unmoͤglich! hoͤchst wahrscheinlich! etwas davon ist — so gar den gemeinsten Menschen moͤg- lich. Beweise werden wir bald anfuͤhren. Wahr ist’s, uͤber viele Silhouetten, bisweilen selbst von ausserordentlichen Menschen, weiß man, weiß wenigstens ich, so viel als nichts zu sagen. — Aber alle diese ausserordentlichen Men- schen, denen man’s nicht wohl in der Silhouette ansieht, daß sie sich auszeichnen — sehen dennoch Bloß Wie viel man aus den Schattenrissen sehen kann. Bloß in der Silhouette betrachtet, weder dumm aus, wenn sie vorzuͤglich weise — noch boshaft aus, wenn sie vorzuͤglich gut sind; hoͤchstens bemerkt man nicht, was sie sind. Das Ausserordentliche ihres Charakters ist gewiß eben so wenig auffallend, als ihre Silhouette. Es kann da seyn, wenigen vertrauten Freunden bekannt, aber sich nicht hervordrin- gen. — Oder — Der Mann kann durch tausend gluͤckliche aͤussere Umstaͤnde mit sehr mittelmaͤßigen Talen- ten — so zu handeln, zu schreiben, zu reden, zu leiden geuͤbt worden seyn — daß er ausseror- dentlich scheinen muß, und es in sich, in seiner eignen Person, nicht ist. Ein Fall, der sich oft ereignet, der die Menschenkenntniß irre macht, und der Physiognomik oft sehr unguͤnstig ist, oder vielmehr, es zu seyn scheint. Beyspiele koͤnnt’ ich die Menge anfuͤhren, aber — Beyspiele belei- digen. Und beleidigen will ich nicht in einem Werke — zur Befoͤrderung der Menschenliebe! Ferner — Jst’s auch leicht moͤglich, daß diejenigen Zuͤge, welche auch in der Silhouette das Ausserordentliche des Menschen bezeichnen koͤnnten, so fein sind, so angraͤnzend z. E. ans Ue- berspannte, Thoͤrichte, daß sie sehr leicht entweder nicht zart und bestimmt genug, oder zu hart be- zeichnet werden. Es giebt Gesichter, die, wenn ihr Schattenriß nur um ein Haar breit schaͤrfer, oder um ein Haar breit platter, stumpfer ist, alles verlieren, was sie Auszeichnendes haben, oder denen sol- ches den fremdesten, falschesten Charakter geben kann. Die zartesten, feinsten, engelreinsten Seelen — verlieren durch die geringste Nachlaͤssigkeit in der Zeichnung gemeiniglich in der Silhouette das, was sie in jedem Urtheile, das uͤber sie gefaͤllt wird, verlieren. — „Die anmaßungslose Einfalt“ — „das Freyrichtige“ — Sie werden locker oder gespannt. Endlich ist’s auch moͤglich, daß Blattern, oder andere Zufaͤlle den feinen Umriß sol- chergestalt vergroͤbern, verziehen, schief lenken, aufschwellen, oder zusammenschrumpfen, daß der wahre Charakter des Gesichts aus der bloßen Silhouette, entweder gar nicht, oder nur aͤusserst schwer und nicht genau, zu bestimmen ist. Aber dann ist’s unwidersprechlich, und Beyspiele werden’s jedem Freunde der Wahrheit beweisen, daß unzaͤhlige Gesichter sich durch den bloßen Schattenriß solchergestalt charakterisiren, daß man von seiner Existenz kaum gewisser werden kann, als von der Bedeutung dieser Silhouetten. Jch XII. Fragment. Jch getraute mir, und ich werd’ es vielleicht noch thun, zwey idealische Schattenrisse gegen einander zu setzen, — wovon der Eine allgemeinen Abscheu, und der andere allgemeinen Glauben und Liebe sogleich erwerben wuͤrde. Noch duͤrft’ es eben kein Christus und Belial seyn — — doch ich verspare das mehrere auf den letzten Theil. So viel von diesem. Nun die Frage: „Welche Charaktere zeichnen sich in dem Schatten am meisten aus? — Was zeigt die „Silhouette am deutlichsten? bestimmtesten?“ — Hier Fragment einer Antwort. Am bezeichnetesten sind die Silhouetten von zornmuͤthigen und sehr sanften; von aͤusserst eigensinnigen und sehr weichen; von tiefforschenden oder nur sanft auf die Oberflaͤche tretenden Charaktern. Stolz und Demuth — druͤcken sich in der Silhouette viel eher aus, als Eitelkeit. Natuͤrliche Guͤte, natuͤrliche innere Kraft, Weichlichkeit, Sinnlichkeit im hohen Gra- de — vorzuͤglich aber kindliche Unschuld, druͤcken sich in der Silhouette sehr gut aus. Großer Verstand — eher als große Dummheit. Tiefer Verstand viel eher, als heller. Schoͤpferische Kraft eher, als der groͤßte Reichthum der Jdeen. Besonders im Umrisse der Stirn und des Augknochens. Und nun noch ein Paar Anmerkungen uͤber Silhouetten, und die Weise, sie zu beobach- ten. Zuerst eine kleine Classisikation von Linien, welche die menschlichen Gesichter zu bestim- men und zu begraͤnzen pflegen. Perpendikulare — lockere perpendikulare, hart gespannte! So vorwaͤrts sin- kende; so zuruͤckstrebende! gerade — weiche Linien — gebogne, gespannte, wellenfoͤr- mige Sektionen von Zirkeln — von Parabolen, Hyperbolen; konkave, konvexe, ge- brochne, eckigte — gepreßte, gedehnte, zusammengesetzte, homogene, heteroge- ne — kontrastirende! — Diese alle, wie rein koͤnnen diese durch den Schatten ausgedruͤckt werden, und wie mannichfaltig, bestimmt und sicher ist ihre Bedeutung! Man kann an jeder Silhouette 9. horizontale Hauptabschnitte bemerken. 1.) Den Wie viel man aus bloßen Schattenrissen sehen kann. 1.) Den Bogen des Scheitels bis zum Ansatz des Haars. 2.) Den Umriß der Stirne bis zur Augenbraune. 3.) Den Raum von der Augenbraune bis zur Nasenwurzel, dem Ansatz der Nase. 4.) Die Nase bis zur Oberlippe. 5.) Die Oberlippe. 6.) Die eigentli- chen Lippen. 7.) Das Oberkinn. 8.) Das Unterkinn. 9.) Den Hals. Sodann noch das Hinterhaupt, und den Nacken. Jeder einzelne Theil dieser Abschnitte ist an sich ein Buchstabe, oft eine Sylbe, oft ein Wort, oft eine ganze Rede — der Wahrheit redenden Natur. Wenn alle diese Abschnitte harmoniren, so ist der Charakter so offenbar, daß Bauer und Kind ihn aus der bloßen Silhouette kennen kann. Je mehr sie kontrastiren, desto schwerer die Entzieferung des Charakters. Jedes Profil, das nur aus einer Art von Linien besteht, z. E. nur aus konkaven, oder konvexen, nur aus geraden oder gespannten, ist Karrikatur oder Mißgeburt. Proportionirte Mischung und sanfte Jneinanderfließung — verschiedener Linien bildet die feinsten und besten Gesichter. Bey dem Ganzen der Silhouette hat man auf die Laͤnglichkeit oder Breite des Gesichtes zu merken. Wohl proportionirte reine Profile sind so breit als hoch. Eine Horizontallinie, gezogen von der Spitze der Nase an bis ans Ende des kahlen Kopfes, wenn der Kopf nicht vorwaͤrts und nicht zuruͤcksinkt, ist gemeiniglich gerade so lang, als die Perpendikularlinie von dem hoͤchsten Punkte des Scheitels an bis wo Kinn und Hals sich scheiden. Merkliche Abweichungen von dieser Regel scheinen immer sehr gluͤckliche oder sehr ungluͤck- liche Anomalien zu seyn. Diese Messung und Vergleichung der Hoͤhe und Breite eines Kahlkopfes, geschieht am leich- testen durch die Silhouette. Jst der Kopf laͤnger als breit, so ist’s, wenn die Umrisse hart und eckigt sind, Zeichen ausserordentlichen Hartsinns; — Zeichen ausserordentlichen Schlaffsinns, wenn der Umriß locker und zugleich gedehnt ist. Jst der Kopf, nach der bemeldeten Art zu messen, breiter als lang, so ist’s, bey hartem, steifem, eckigt gespanntem Umrisse — die furchtbarste Unerbittlichkeit, die selten ohne verruchte Bos- Phys. Fragm. II Versuch. N heit XII. Fragment. heit ist — Sind aber bey groͤßerer Breite, die Umrisse schlaff und weich — so ist Sinnlichkeit, Weichlichkeit, Traͤgheit, Wollust, in hohem Grade sichtbar. Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, die hieruͤber noch gesagt werden koͤnnten, (die aber noch nicht vorbereitet genug sind, und hin und wieder, besonders bey vorkommenden Beyspie- len, ihre Stellen finden werden, und vornehmlich, wenn Gott Leben, Lust und Kraft erhaͤlt, dem letzten Theile dieses Werkes vorbehalten sind) nur noch Eine zu sagen: — Ueberhaupt druͤckt die Silhouette vielmehr die Anlage, als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus. Der zweyte und dritte Abschnitt zeigt am oͤftersten und sichersten den Verstand — und die Leidens- oder Wuͤr- kungskraft des Menschen. — Die Nase — den Geschmack, die Empfindsamkeit, das Gefuͤhl — die Lippen, am vorzuͤglichsten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß. Das Kinn den Grad und die Art der Sinnlichkeit; der Hals samt dem Nacken und der Stellung — entscheidet die Lockerheit, Gespanntheit oder freye Geradheit des Charakters; der Scheitel — nicht so wohl die Kraft, als den Reichthum des Verstandes — Das Hinterhaupt, die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elasticitaͤt des Charakters. Abermal, wie wenig und wie viel gesagt! — wie wenig fuͤr den bloß Kurzweil und Unter- haltung suchenden Leser — wie viel fuͤr den Forscher, der selbst pruͤfen will, und kann, berichtigen, naͤher bestimmen, weiter gehen will und kann. Nun ist’s Zeit — durch eine Reihe von allerley Beyspielen das eine und andere vom Ge- sagten begreiflicher, anschaubarer, gewisser zu machen — und noch manches nachzuholen. Es war unmoͤglich, und bey der unabsehbaren Menge dessen, was wir sonst noch zu sagen haben, waͤr’s Mißverhaͤltniß zum Ganzen — eine vollstaͤndige Sammlung — noch weniger moͤg- lich, eine Classifikation und unwillkuͤhrliche Ordnung von Schattenrissen vorzulegen. Jch liefere, was ich liefern kann. Ein kuͤnftiger physiognomischer Schriftsteller liefert vielleicht einmal einige Baͤnde bloßer Silhouetten. Der’s liefern wird, liefert viel, und wenn er ohne Partheylichkeit reihet, hat er mehr geleistet, als ich, im Gedraͤnge meiner Umstaͤnde, und bey der Geringheit meiner Kraͤfte immer werde leisten koͤnnen. Die folgenden Tafeln, so sehr ich aussuchen wollte, und die Wahl zu uͤberlegen glaubte — zusammen genommen — in jedem Sinn — kleinliches Fragment. Nachste- Wie viel man aus bloßen Schattenrissen sehen kann. Nachstehende Vignette — das nicht ganz genaue Schattenbild eines der groͤßten Maͤnner unserer Zeit — von dem wir noch mehr reden werden. Bemerkt in demselben die 9. oben bemeldten horizontalen Abschnitte eines Schattenrisses im Profil. Die Stirn ist von vielfassender Kraft. Be- merkt die Hoͤhe derselben von 2. bis 3. die Basis derselben von 3. bis zur Spitze des Augknochens; die Figur derselben — eine halbe Parabel. — Genauere, reinere, schaͤrfere Schattenrisse, mit genauen Abtheilungen, werden uns noch Tiefen goͤttlicher Ordnung, Weisheit und Wahrheit in jedem Menschengesichte, jedem Umrisse, je- dem Abschnitte eines Umrisses aufdecken. Jch freue mich innigst der aufheiternden Zukunft, und wuͤnsche der Nachkommenschaft Gluͤck, wenn ein mathematisches Genie — diese Bahn betreten und seine Kraft an den Curven der Menschheit versuchen wird. N 2 Erste XII. Fragment. Was man aus dem bloßen Erste Tafel. Sechs leere Umrisse von maͤnnlichen Silhouetten. V ielleicht ist diese Manier in den Schattenrissen, obgleich fuͤr den ersten Anblick nicht so auf- fallend, fuͤr die Physiognomik die reinste und bestimmteste. Der Umriß wird durch zwo Seiten bestimmt. Auch koͤnnen allenfalls die Abtheilungen des Gesichtes deutlicher darinn angezeigt werden. Jch mache den Anfang mit sehr aͤhnlichen und unaͤhnlichen Profilen — Gesichtern, Cha- raktern. 1. Zeichnet sich durch den Vorbug und den tiefen Einschnitt unten an der Stirne un- ter zehentausenden aus. Diese Stirn? — Jhr werdet sie selten an einem natuͤrlichen Dumm- kopfe finden. An vielen wuͤrklich seichten Koͤpfen vielleicht? — Aber dann gewiß von Jugend auf sehr vernachlaͤssigten! — Kaum sie finden an einem erhaben sentimentalen Charakter? Man vergleiche nun aber den untern Theil des Profils mit dem obern. Jch vermuthe — Widerspruch zwischen Anlage und Cultur. Jhr werdet Euch allenfalls nicht verwundern, wenn man Euch sagt: dieser Mann scheint mehr Verstand als Geschmack zu haben. Jch denke, das wuͤrd’ Euch bald aus dem Anblicke der bloßen Silhouette einleuchten. Viele treffliche Seiten seines Charakters zei- gen sich nicht aus der Silhouette. 2. Koͤnnte allenfalls Bruder von 1. seyn, der Aehnlichkeit halber, aber ist es nicht. Jch kenn’ ihn nicht, aber ich trau ihm, ob mehr Verstand? weiß ich nicht; mehr heitere Ein- bildungskraft, mehr Cultur und Geschmack zu. Nicht viel mehr! 3. Die Stirn, wie kontrastirend mit 3! — den untern Theil der Silhouette zuge- deckt — Jhr werdet sie allenfalls fuͤr die Stirne eines Eigensinnigen halten. Diese Conkavi- taͤt ist aͤusserst selten. Jch kann uͤber ihre Bedeutung noch keinen bestimmten und zuverlaͤssigen Ausspruch thun. — Wir wollen noch warten. Alle Schattenrisse sehen oder nicht sehen koͤnne. Alle sehr seltenen Stirnen, nur so viel wag’ ich zu sagen, verrathen uͤberhaupt einen sehr seltenen Charakter. Aber noch ein Kontrast in diesem Profile ist merkwuͤrdig. Bis zum Augknochen scheint Haͤrte der Hauptausdruck zu seyn — Diese scheint in der Nase in bloße Kraft uͤberzugehen — und im untern Theile des Gesichtes sich in weibliche Schwachheit auszudehnen. Diese Gedehntheit des untern Theils dieses Profils, die zwar Guͤte und zum Theil edle jungfraͤuliche Schaam zeigt, schwaͤcht die Haͤrte der Stirne. 4. Die Stirn in dieser ungespannten Geradheit, dieser zuruͤckgehenden Schiefheit, die Unbemerkbarkeit des Augkochens, die Groͤße und Unbeschnittenheit der Nase zeigt mehr klugen, als philosophischen Verstand; allenfalls mehr Witz, als Jmagination. Mehr Jmagination, als poe- tisches Gefuͤhl. Jm Untertheile des Gesichtes meyn’ ich Klugheit, Bedaͤchtlichkeit, Verschlossen- heit zu erblicken. 5. Lichtheller, denkender, entwickelnder, fortdringender, unuͤberwindlicher Verstand, der die Wahrheit, den Jrrthum und das Gemisch von beyden schnell und tief fuͤhlt und sondert; was er erkennt, fest haͤlt. Ein Mann, sehr gegenwaͤrtig, wo er spricht und wuͤrkt. Voll Redlichkeit, Entschlossenheit, Staͤndigkeit, Kraft — viel Witz, wenig Jmagination, noch weniger poetisches Gefuͤhl. Enthusiasmus des Verstandes und kluger Geschaͤfftigkeit — nicht poetisch romanischer. — Das sind einige Hauptzuͤge des Mannes, dessen Silhouette wir vor uns haben. — Was sieht man denn in der Silhouette? — — Der natuͤrliche Physiognomist entdeckt im Ganzen bloß Verstand und Entschlossenheit — und der kuͤnstliche? der beobachtende Forscher? — Jn der kurzen nicht merkbar zuruͤckliegenden Stirne die Wenigkeit der Jmagination. Jn der Nase schnelle Unterscheidungskraft des Hellen und Dunkeln in Begriffen — Jn dem Munde trockne kunstlose Verstandesfestigkeit — Jm Kinn? Weisheit und Treue. 6. Jch kenn’ ihn nicht — Mir scheint er mit dem voruͤberstehenden darinn zu kontrastiren, daß er mehr ruhigen Witz und weniger Entschlossenheit zu haben scheint. Bis unter die Nase ist’s ein ausserordentlich vortheilhaftes Profil. Der untere Theil scheint mir mehr Ausdruck von lang- samer Bedaͤchtlichkeit, netter, reinlicher Sonderungsgeduld und richtig reihender Ordnungs- liebe. N 3 Nachste- XII. Fragment. Was man aus dem bloßen Nachstehende Silhouette ist — eines unerreichbaren, immer fortdringenden, unter sich grabenden, hochaufliegenden, uͤberschauenden, umfassenden, festen, allgewaltigen Genies voll Schoͤ- pfungs- und Zerstoͤrungskraft. Wie seine Werke, Eine Pyramide, an welcher Maͤuse nagen und Jnsekten den Kopf zerstoßen. Diesen Uebergang von Stirn zu Nase hab’ ich noch an keinem gemeinen Menschen gesehen. Es werden noch mehrere aͤhnliche in diesem Werke vorkommen. Alles ausserordentliche Genies. Zweyte Schattenrisse sehen oder nicht sehen koͤnne. Zweyte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten in Ovalen. D as erste Gesicht — eines guten, sanften, gefaͤlligen, denkenden Mannes von Geschmacke, Kenntniß, Geschaͤfftigkeit — und vieler Cultur. Das zweyte, eines jungen fruchtbaren Genies, das mit unbegreiflicher Leichtigkeit und unhastiger Schnelligkeit arbeitet. Das dritte, ein guter, litterarischer, mir von Person und Charakter unbekannter, Mann. Das vierte, ein gelehrter, vernunftreicher, rechtschaffener, fester, thaͤtiger Mann. Alle vier — Maͤnner von Geschmacke — all’ in ungleichem Grade zwar, aber sicherlich ver- staͤndig, ohne eigentlich tiefe spekulatife Genies zu seyn. Jn keinem bemerk’ ich sonderliche tief eindringende Schaͤrfe. Alle vier scheinen mir erstaun- lich viel Gutmuͤthigkeit zu haben. Der erste — hat das Vorzuͤgliche des Ausdrucks seiner Geistesfaͤhigkeit in dem Umrisse der Stirn — Geschmack und edle guͤtige Feinheit um den Mund. Der zweyte die lebhafteste Einbildungskraft und die witzreichste Laune. Ob dieß in der sehr langen auf dem obern Theile des Ruͤckens sanft gebognen Nase und dem Hervorstehen des Auges (das Gesicht ist gerade vor sich hin gestellt, und nicht gewendet) sich auszeichne, darf ich noch nicht schlechterdings entscheiden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen. Das Gedaͤchtniß dieses in jeder Absicht sanft produktifen Charakters ist ausserordentlich. Jch finde den Ausdruck davon allenfalls in dem Umrisse und dem Felde des Oberhaupts. Man bedecke den Untertheil des Gesichtes bis zum Auge mit einem Lineal, und merke sich den aͤusserst seltenen Halbzirkel, wenn das Haar hinten abgerechnet wird. Der dritte verspricht im Profile mehr Guͤte und Einbildungskraft, als forschenden Scharfsinn, mehr heitere Einsicht, als tiefe. Dem Profile nach scheint der vierte am meisten kalten, unbewoͤlkten, sichern Verstand zu haben. Der Mund, sagt man, sey verzeichnet. Dritte XII. Fragment. Was man aus dem bloßen Dritte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten mit punktirten Linien. A lle vier von sehr verstaͤndigen Maͤnnern. Der mittelmaͤßige Menschenkenner wird’s leicht und schnell bemerken. So verschieden sie sind, kommen dennoch alle darinn uͤberein, daß die Stirn gegen das Untertheil des Gesichtes betrachtet, zuruͤckgehend und schraͤg ist. Sie koͤnnten zuruͤckgesetzt und perpendikular seyn; dann wollt’ ich sie zuruͤckstehend heißen. 1. Jch halte den ersten fuͤr vernuͤnftig; aber nicht fuͤr den kluͤgsten und spekulatifsten. Er ist ein trefflicher Geschaͤfftsmann. Jn dem Zuruͤckgehen der Stirn vermuth’ ich Ausdruck von Witze. 2. Der zweyte ist reindenkend, spekulatif, empfindsam, mancherley Dinge anzuordnen und einzurichten geschickt, zum Jrrthum und zum Laster unverfuͤhrbar. Die Stirn von oben bis wo die Linie die Nase durchschneidet — ist Buchstabe festen, reinen Verstandes. 3. Der dritte verbindet mit viel raͤsonnirendem Verstande, der sich aber auf wenige Lieb- lingsideen beschraͤnkt hat — viel ... — Heftigkeit und Hartnaͤckigkeit, welche ich zum Theil in dem kurzen Zwischenraume zwischen der Schaͤrfe des Augknochens und der Naswurzel zu finden glaube. — Stirn und Nase bis auf den Punkt, wo sie durchschnitten wird, Ausdruck gedraͤngter, un- entwickelter Verstandeskraft. 4. Der vierte ist ein sehr kluger, verstaͤndiger, aktiver, wackerer Landmann. Das Aeusserste der Nase, was uͤber die Linie herausgeht, am ersten und vierten besonders, schwaͤcht viel von Ein- druck der Stirne. Moͤglichst kontrastirend sind die Uebergaͤnge von der Nase zur Lippe in allen vieren; beson- ders in 1. und 3. Vielleicht ist dieß der Winkel des Leichtsinns und der Klugheit. Doch ich ent- scheide noch nicht. Wahrheitliebender Leser! du wirst mir mitforschen helfen. Am vortheilhaftesten scheint mir diese Stelle in 4. zu seyn, wo auch im Kinn viel Ausdruck maͤnnlichen, thatreichen Ver- standes zu sitzen scheint. Der Nacken in 3. ist sicherer Ausdruck von Hartsinn. Der Mund in 4. ist innwendig nicht bestimmt genug gezeichnet. Und hier wird beynah’ in allen Schattenrissen am meisten gefehlt. Gerad’ in dem Punkte, wo die ganze Seele sich quintessentirt! Vierte Schattenrisse sehen oder nicht sehen koͤnne. Vierte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten. 1. J ch weiß nichts von dem Manne, sein Name so gar ist mir entfallen. Aber ich vermuthe viel Geschmack, Adel, und gesunden Verstand. Um den Mund herum viel edle Feinheit. Die Nase selbst scheint gemein; aber nicht gemein ist der Uebergang von der Nase zur Lippe. Hat der Mann, wie’s moͤglich ist, forschenden Tiefsinn; so ist derselbe im Uebergange von der Stirne zur Nase vielleicht durch des Zeichners Schuld nicht merklich genug ausgedruͤckt. 2. Ein Gesicht voll gemeinen, guten, gesunden Menschenverstandes. Die untere Haͤlfte dieses Profils ist offenbar schwaͤcher, und weniger geistig, als die untere Haͤlfte in 1. 3. Hat viel Charakter, weniger Adel als 1, und mehr Denkenskraft als 2. — Et- was Zaghaftes und Unentscheidendes wird Jedermann in dieser Silhouette finden. Der Uebergang von der Nase zum Munde ist nicht gemein. 4. Jhr werdet Euch nicht verwundern, wenn man Euch von diesem Profile sagen wird: Ein sehr kluger, vielwissender, erfahrner Geschaͤfftsmann. Viel Ausdruck von Verstand und Fertigkeit in Geschaͤfften, meyn’ ich in der Unterlippe und im Kinn zu bemerken. Phys. Fragm. II Versuch. O Nachste- XII. Fragment. Was man aus dem bloßen Nachstehende Silhouette — ist von einem aͤusserst sanften, bisweilen sehr heftigen Men- schen. Der ganze Umriß ist voll Sanftheit. Das Feuer ist in den Augen. Der Mann hat er- staunliche Lernbegier — Lernensfaͤhigkeit und — Vernunft. Jch wuͤrde das aus dem ganzen Umrisse wo nicht vermuthen, doch glaubwuͤrdig finden, wenn man mir’s sagte. Die Nase ist nicht gemein; der Mund verzeichnet. Das Kinn zeigt — Lenksamkeit. Fuͤnfte Schattenrisse sehen oder nicht sehen koͤnne. Fuͤnfte Tafel. Drey maͤnnliche Silhouetten. A. B. C. H ier haben wir drey Kahlkoͤpfe! was etwa das wenige Haar auftragen mag, abgerechnet, und man wird mit dem Zirkel finden, daß die Hoͤhe des Kopfes der Breite gleich ist. — O die Natur, wie analogisch ist sie sich bey aller ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit! Jch kenne keinen von allen dreyen, deren Schattenrisse wir vor uns haben. Aber ich glaube A ist sehr wahrscheinlich ein Mann von Geschmack und klugem Verstand; aber er hat nicht die Stirn eines metaphysisch spekulatifen Kopfes. Vom Augknochen an bis auf die Mitte des Kinns ist am meisten Ausdruck. B .... Jch irre mich sehr, oder er ist ein trefflicher, freyer, wackerer Selbstdenker. Welch ein Unterschied zwischen einem bloß verstaͤndigen Manne, und einem forschenden Denker! die rundere Form des Kopfes, die Stirn, besonders die Nase, die Lippen bis mitten ans Kinn — alles zusammenstimmend zu demselben Ausdrucke. Das Unterkinn mag etwas vom Ganzen subtrahiren. C. Ein braver, ehrlicher, betreibsamer Geschaͤfftsmann. Nachstehende Silhouette eines sanften, stillen, wenig redenden, vielhoͤrenden, aͤusserst guten, empfindsamen, redlichen, furchtsamen und Wahrheit suchenden, Wahrheit ahndenden Menschen. Sanftmuth, Guͤte und furchtsame Bescheidenheit ist in der Stirne besonders. Der feine Verstand in der Nase. Empfindsamkeit im Hinterhaupte. O 2 Sechste XII. Fragment. Was man aus dem bloßen Sechste Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten in Ovalen. 1. W ir haben dieses Profil schon am Ende des zweyten Fragmentes kahl gesehen. Hier ist’s mehr gewendet. Wir sehen aber auch hier den stillen, bedaͤchtlichen Forscher; den edeln, feinen Denker! dieß zeigt vornehmlich die Stirn, und der untere Theil des Gesichtes von der Unterlippe an. Die Nase allein scheint Witz, und die Oberlippe koͤrperliche Schuͤchternheit anzuzeigen. 2. Mag um die Lippen herum um ein Haar verzeichnet seyn. Die Stirne hat viel Den- kenskraft — der Eindruck des Ganzen ist eines gefuͤhlvollen, feinen, verschloßnen Forschers, voll Tiefsinn und Klugheit. 3. Die Stirn des dritten ist beynahe die Stirn des Genies. Aber hier koͤmmt’s auf ein Haar mehr oder minder an. Das Ganze macht den Eindruck von einem aͤusserst originellen, gera- den, offnen, kraftvollen Menschen. Von der Unterlippe bis zur Mitte des Kinns hat dieß Profil einige Aehnlichkeit mit dem ersten; nur mehr Schaͤrfe und Bestimmtes. — Diesen Abschnitt des Oberkinns, wie er daneben ausgezeichnet ist, hab’ ich schon sehr oft an aͤusserst verstaͤndigen, kraftvollen Menschen wahrgenommen; und noch nie an einem natuͤrlichen Dumm- kopfe, wohl an einigen Schwachen, zu beobachten Gelegenheit gehabt. Jch halte also diesen Zug fuͤr ein positifes Zeichen von Denkenskraft, (dessen Ursachen zu erforschen lange noch nicht Zeit ist.) Nun vermuth’ ich, dieser Zug werde sich auch an schwachen, mittelmaͤßigen Menschen sehen lassen. — Aber ich sag’ es voraus: an solchen Gesichtern werdet ihr sicherlich — Zuͤge finden, die diesem widersprechen; von denen Euch Euer eigen Gefuͤhl sagen wird: „hier ist Schattenrisse sehen oder nicht sehen koͤnne. „ist Schwaͤche!“ — Dadurch aber wuͤrde die positife Zuverlaͤssigkeit der Bedeutung dieses Zugs an sich so wenig bestritten werden koͤnnen, als die Guͤltigkeit einer realen, guten Aktiv- schuld dadurch aufgehoben wird, daß ich eine eben so große, oder groͤßere Passivschuld habe. Die guten und schlechten Zuͤge verhalten sich gegen einander in gewissem Sinne, wie Aktiv- und Passivschulden. Beyde koͤnnen an sich hoͤchst guͤltig seyn, — obgleich die ersten durch die letztern verschlungen und aufgehoben werden. 4. Die Silhouette eines der trefflichsten Maͤnner Deutschlands, dessen Gelehrsamkeit unermeßlich, dessen Verstand durchaus lichthelle, dessen Jmagination unerschoͤpflich reich, dessen Geschmack unbeflecklich rein, dessen Herz unbeschreiblich edel — dessen Charakter aͤusserst sanft ist .... unfehlbar ist der Mund verschnitten, und das schadet dem entscheidenden Eindrucke des Ganzen sehr. Jch vermuthe, daß es von der Stellung des Lichts beym Schattenziehen herruͤhre, daß der untere Theil des Gesichtes etwas zu gedehnt scheint, wodurch der Ausdruck einer zu leicht beweglichen Schwaͤche bewuͤrkt wird. Die Nase, verglichen mit den andern Silhouetten, zeigt meines Beduͤnkens vorzuͤglichen Reichthum der Einbildungskraft. Der Umriß der Stirne zeigt weniger Staͤrke, als Reichthum; zeigt mehr Feinheit und Deut- lichkeit des Denkens, mehr Empfaͤnglichkeit, als vordringende Schoͤpfungskraft. Die Hoͤhe des Schaͤdels scheint, wie ich zu vermuthen Ursache habe, reiches Gedaͤchtniß, der Hin- tertheil des Kopfes — zarte Empfindsamkeit auszudruͤcken. Auch hier wieder unsre Proportion der Hoͤhe und Breite des Gesichtes! So verschie- den diese Gesichter sind, scheinen sie mir dennoch in etwas uͤbereinzukommen. Sie sind im Ganzen genommen perpendikularer, als die auf der vorhergehenden Tafel; das heißt, die Stirnen O 3 stehen XII. Fragment. Was sich aus bloßen stehen und gehen weniger zuruͤck. Ob dieß ununternehmendere, weniger kuͤhne Maͤnner zeigt, wag’ ich nur zu vermuthen, noch nicht zu entscheiden. Nachstehende Vignette — eines sehr ehrlichen, rechtschaffenen Mannes. Warum sie hier steht? bey diesen Silhouetten? Der Leser mag die Ursache davon suchen. Siebente Schattenrissen sehen lasse. Siebente Tafel. Zwo maͤnnliche, zwo weibliche Silhouetten. Z wo maͤnnliche und zwo weibliche Silhouetten, die ich zum Theil des redenden Ausdruckes, zum Theil des Kontrastes wegen, auf Eine Platte setzen ließ — und die leuchtender Beweis sind, wie viel man aus bloßen Schattenrissen sehen koͤnne? — Zwey ausserordentliche Charaktere; beyde, schon in der bloßen Silhouette, von der auffallendsten, treffendsten Bedeutung. Die zwey obern sind von einem großen musikalischen Genie, das maͤchtige Kraft und große Kunstfertigkeit mit feiner, inniger Zaͤrtlichkeit verbindet... Ein Juͤngling, der sich mir unter einem Haufen von tausenden sogleich auszeichnete, und gewiß noch in der Musik werden kann, — was Goethe im Drama. Der Stirn Umriß in 2. — Buchstabe, Charakter, innerer, vordringender, sanfter Kraft! Die Oberlippe in 1. Buchstabe innigen Gefuͤhldurstes. Raͤsonnirende, entziefernde, ordnende, spaltende Denkkraft ist nicht im Urbilde, und noch weniger im Schatten. — Desto mehr unbestechliches, zartes, schnelles Wahrheits- und Menschengefuͤhl. Aber was soll ich zu den untern Silhouetten sagen? — und all’ Jhr lieben Antiphy- siognomisten! was wollt Jhr dazu sagen? — Ein verstandreicheres Gesicht — — einen un- widersprechlich sprechendern Schattenriß hab’ ich kaum gesehen. „Tiefe Ueberlegung, Ernst, „Bedacht, und eine durch Kummer abgehaͤrmte Seele ist, was jeder Mensch beym ersten An- „blick dieser Dame sieht. — Aeusserst eindringend, und alles Große und Kleine durch und durch „blickend ist ihr Verstand; ihre Jmagination nimmt, wenn sie die Feder in der Hand hat, „die hoͤchsten Fluͤge des Genies. Sie ist eine sehr große franzoͤsische Dichterinn. Jm Umgange „geht jedoch ihre Jmagination einen ganz verschiedenen Gang; denn, wenn sie bey guter Laune „ist, so ist alles, was sie sagt — Naivete’, und der allerfeinste Witz. Der Styl ihrer Con- versation XII. Fragment. Was sich aus bloßen „versation ist insgemein der hoͤchste Styl der Vernunft, und der Simplicitaͤt, wenn sie ihren „Witz gebraucht. — Die strengste Tugend, die aufrichtigste Liebe Gottes; Demuth und Be- „scheidenheit im allerhoͤchsten Grade; daher auch im Aeussern etwas sehr Zuruͤckhaltendes — „gehoͤren zu den wesentlichsten Zuͤgen ihres Charakters. Sie ist mehrentheils traurig. Jhre Klug- „heit ist unaussprechlich groß und verehrenswuͤrdig. Edelmuth, Großmuth, Dienstfertigkeit, „Dankbarkeit wuͤrken bey ihr mit jedem Athemzug, und ohne daß sie es einen merken laͤßt. Sie „spricht lateinisch, wie ich deutsch, und versteht griechisch, wie ich franzoͤsisch. Aus der alten und „neuen Welt weiß sie das Wissenswuͤrdigste. — Die vernuͤnftigsten Leute schaͤtzen sie uͤberaus „hoch — aber sehr wenige Menschen kennen ganz ihre stille Groͤße.“ — Dieß ist das innere Bild, das einer der besten Menschenkenner mir von dieser Person ent- wirft, und wie viel sieht man davon in der bloßen Silhouette! — Jch habe kaum eine bedeuten- dere, entscheidendere Silhouette gesehen. Alles spricht von einem Ende zum andern; und alles spricht gerade das, was das schriftliche Zeugniß spricht. Freylich nicht dieß alles druͤckt sich in der bloßen Silhouette von selbst aus — aber auch nichts in der Silhouette widerspricht diesem Urtheil. Das Urtheil und die Silhouette sind an sich, und sind mit einander verglichen, gleich harmonisch. Jm Ganzen und theilweise betrachtet, zeichnet sich das Schattenbild, dem jedoch, obwohl ich das Urbild nicht kenne, sicherlich noch viel von der Reinheit und Schaͤrfe desselben fehlt — unter tausenden wieder gerade so aus, wie das Urbild. Der Bogen der Stirn — das Eck des Augknochens — besonders die tiefe Hoͤhlung von der Spitze dieses Knochens den Ruͤcken der Nase hinab; selber die niedersinkende Augen- wimper in beyden, zu ungleicher Zeit gezeichneten, Silhouetten; die Nase selbst, besonders in 3 — wie zeugt alles mit! welche Zartheit, welche feine, tiefdenkende, fromme Erforschungsbe- gierd’ und Kraft! — Nichts von der maͤnnlichen Stirne der obern Silhouette; — die zwar kaum Eine Frau in der Welt haben wird? — Welch ein Kontrast! Maͤnner von dem fein- sten Scharfsinn und Forschenstriebe koͤnnten wohl die untere Stirne haben; (ich sage nicht, muͤssen sie haben) aber eine Stirn, wie die obere, scheinen nur Maͤnner haben zu koͤnnen — und Schattenrissen sehen lasse. und Maͤnner von innerer Kraft und Fruchtbarkeit — das heißt: Jch habe noch keinen einzigen auch noch so produktifen Frauenkopf mit einer solchen Stirne gesehen; und wo ich diese an Maͤnnern sah, da war immer innige, tiefe, arbeitende, zeugende Kraft. Die Stirn der Frau hingegen — hab’ ich auch schon an ausserordentlich scharfsinnigen Maͤnnern bemerkt .... Man zeige mir den Dummkopf, den mittelmaͤßigen Kopf, die unempfindliche, unedle, harte, rohe Seele, gerade mit einer solchen Stirne. Es sey denn, daß auffallende widersprechende Zei- chen unwidersprechlich zugleich mit daseyn — und ich will alle Physiognomik Preis geben. Wenn diese Aeusserung, die ich mit guter Ueberlegung thue, nicht Aufmerksamkeit auf die Wahrheitssprache der Natur weckt — so liegt’s nicht an mir. Der Umriß des Mundes? — Seht hier einen Beweis von dem, was ich oben sagte: Man darf die feinsten bedeutungsvollsten Zuͤge von delikaten Charaktern im Graͤnzumrisse oft nur um ein Haar verfehlen, so werden sie gemein — dieß ist besonders von dem Umrisse der Lippen wahr. Nur ein Paar weggeschliffne, abgestumpfte Eckgen, Winkelgen im Munde — nur eine vollkommne Rundung — wie vergroͤbern diese oft das feinste himmlische Gesichte! Eine Stirn mit dieser scharfen Ecke — kann unmoͤglich im Schattenprofile so runde ungebrochne Lippen ha- ben. Die kleinste Brechung in diesem Umrisse ist von vortheilhafter Bedeutung. — Aber auch so, wie die Lippe itzt — auch so ist sie Ausdruck von der edelsten innigsten Stille, und Ruhe des Charakters. Eines Charakters, uͤber den man eigentlich nichts sagen kann, das nicht eine Art von Entheiligung sey. Nachstehende Vignette — von einer der reinsten, unschuldigsten, innigsten, verschlossen- sten, empfaͤnglichsten Seelen! voll Leidenskraft — und Schmerzensempfaͤnglichkeit. Der Um- riß der Nase mit dem Uebergange zur Oberlippe, obwohl sie hier nicht in dem gluͤcklichsten Au- genblicke gezeichnet ist, graͤnzt ans erhabne Jdeal. Jch setze dieß Bild hier hin, weil die selige Mutter dieser englischen Tochter, so viel ich mich noch erinnern kann, den scharfen Augknochen ausgenommen, im Ganzen betrachtet viel Aehnlichkeit mit dem weiblichen Umrisse hatte, den wir so eben betrachtet haben — und ebenfalls eine der demuͤthigsten, edelsten, leidensfaͤhigsten, ge- duldigsten, reinsten, verschlossensten, stillerhabensten Seelen war. Das Antike in dem Umrisse der Tochter scheint von dem Vater herzuruͤhren, der, wenn er nicht pockennarbig waͤre, von Phys. Fragm. II Versuch. P vornen XII. Fragment. Was sich aus bloßen vornen betrachtet, einen wahrhaft antiken aͤusserst kraftvollen Knochenbau hat. Die Materie der Knochen, wenn ich so sagen darf, scheint von der zarten aber innigst starken Mutter, die Form, freylich unaussprechlich verjungfraͤulicht, von dem Vater zu seyn. Doch werden wir von bey- den noch mehr zu sagen Gelegenheit haben. Achte Schattenrissen sehen lasse. Achte Tafel. Vier weibliche Silhouetten. W ir haben eben einen der hoͤchsten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herabsteigen zu gemeinern. Diese 4. weiblichen Silhouetten sind 4. Stufen Eines Charakters. Die erste — Charakter unuͤberlegender gutmuͤthiger Kindheit. Die zweyte — derselbe Charakter, nur staͤrker — fraͤulicher, ohn’ einen Zusatz von Maͤnnlichkeit, und schwaͤcher, als 1. in demselben Alter seyn wird. Die dritte — herzliche Guͤte — mit viel empfaͤnglichem Verstande, mehr Jmagina- tion, und ergiebiger Beredsamkeit. Die vierte — die denkendste, geschickteste, festeste. Vier Grade von Lenksamkeit. — Wer sieht nicht, daß 4. mehr Widerstehenskraft hat, als 3. — 3 mehr als 2. — 2 mehr als 1. — 1 itzo naͤmlich. Nie aber wird 1 — die Wi- derstehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter dasselbe waͤre. 1. — Nimmt ohn’ Jnteresse an, giebt ohn’ Jnteresse aus. Lebt ohne Praͤtension — wird viele Geschicklichkeiten erlangen, lernt leicht, versteht richtig, aber wird sehr lange eine Tink- tur von Kindheit behalten. 2. — Ein nicht so ganz praͤtensionsloses, gutes, gemein verstaͤndiges Gesicht. — Ein reiner weiblicher alltaͤglicher Charakter ohn’ alle Schnellkraft. P 2 3. und 4. XII. Fragment. Was sich aus bloßen 3. und 4. sind darinn charakterisch verschieden: daß in 3. die Augen beym reinen Pro- fil hervorstehen — in 4. sehr tief liegen. Jenes zeigt mehr Ergiebigkeit — dieß mehr Fest- haltung. Jenes Auge sieht heiterer, dieß tiefer. Nachstehende Vignette, nur den Mund etwas verzeichnet, sonst voll Weisheit, Adel, Ge- fuͤhl und Kraft — ohn’ alles Gemeinweibliche — und Hartmaͤnnliche. Neunte Schattenrissen sehen lasse. Neunte Tafel. Sechs weibliche Silhouetten. E ine merkwuͤrdige Gesellschaft ... Jch kenne keines von allen Urbildern, aber bloß aus dem Schattenrisse muß ich sie alle, obgleich nicht in demselben Grade, achten und lieben. Jn 1. scheint Klugheit, maͤnnlicher Verstand, gesetzteres Wesen mir auffallend zu seyn. Die Stirn an einem Frauengesichte ist nicht gemein. Sie hat viel Maͤnnliches. Der Uebergang von der Nase zum Munde ist vortheilhaft. 2. Kein unverstaͤndiges, aber ein weiblicheres Gesicht. Man vergleiche Stirn und Stirn. Je reinbogigter die Stirn; desto weiblicher. Der Uebergang von der Nase zum Munde scheint weniger Klugheit, aber desto mehr Heiterkeit nnd Leichtigkeit anzuzeigen. 3. Mehr Maͤnnlichkeit, feste Denkenskraft, als in allen sechsen. Die Nase sicherlich — voll feinsten Verstandesausdruckes. Der untere Theil des Gesichtes verweiblichet und schwaͤcht um etwas die an sich allzumaͤnnliche Stirn. 4. Man vergleiche 4 mit 3. das heißt: man vergleiche vorzuͤgliche Einbildungskraft mit vor- zuͤglichem Verstande, besonders in der obern Haͤlfte des Profils. Der Uebergang von der Nase zum Munde ist um etwas verschnitten. Ueberhaupt hat dieser Umriß im Kupfer viel vom Geist und Salz des Originalrisses, der vor mir liegt, durch kaum merkbare Abweichungen verloren. 5. Sicherlich keine gemeine Frau! Maͤnnlichkeit in der Stirne, doch nicht feste; Leiden- schaft im Auge — aͤusserste Feinheit in der Nase — duͤrft’ ich dem Umrisse sicher trauen, so wuͤrd’ ich im untern Theile dieses Profils etwas Leichtsinn und Stolz vermuthen. Die Unterlippe duͤrfte um ein Haar breit mehr zuruͤckstehn, dieser Eindruck wuͤrde vielleicht verschwinden. 6. Wenn dieß Gesicht, das ebenfalls auf dem Kupfer, aller Sorgfalt ungeachtet, etwas verloren hat, uͤbrigens von solchem Charakter ist, daß es nie alles verlieren, und in der schlechtesten Copie, wenigstens was den Obertheil des Gesichtes betrifft, nie ganz mißkennt werden kann — wenn dieß Gesicht nicht Verstand, Witz und Feinheit der Geisteskraͤfte und uͤberhaupt einen ganz ausserordentlichen Charakter ausdruͤckt, so haͤtt’ ich keine physiognomische Zeile schreiben sollen. Man bemerke besonders die hohe, zuruͤckgehende, heitere Stirn, den Uebergang vom Augknochen P 3 zur XII. Fragment. Was sich aus bloßen zur Nase, den wir oben schon einmal charakterisirt haben — und dann die Nase — deren Laͤnge Einbildungskraft, deren Umriß Verstand in ausserordentlichem Grade zeigt. Festigkeit ohne Steifsinn, Guͤte ohne Schwachheit — scheint mir auch aus dem Ganzen des Umrisses entgegen zu leuchten. Nachstehendes Profil — aus dem Herzen des Nords — mehr Weiblichkeit als 6! be- merkt abermals den zwar weniger scharfen und tiefen Uebergang von der Stirne zur Nase. Auf den Lippen unaussprechliche Guͤte. Zehnte Schattenrissen sehen lasse. Zehnte Tafel. Drey weibliche Silhouetten Wr. 1. D ieser Kopf scheint beym ersten Anblicke viel zu versprechen; scheint uͤberhaupt betrachtet, wo nicht etwas von Apoll, doch gewiß etwas Antikes zu haben. — Jch kenne sie nicht; aber die Anla- gen dieser Person koͤnnen nicht gemein seyn. Die Stirn hat viel Maͤnnlichkeit; die Nase, wenn sie untenher (vermuthlich durch des Zeichners Schuld) theils nicht so schwankend umrissen, theils nicht zu horizontal waͤre — der Uebergang von der Nase zum Munde — die Oberlippe — und zum Theil und im Ganzen genommen das Unterkinn — alles zeigt wenigstens Anlage zur Groͤße? ... Aber nun — diese Person soll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere, kluge Hausmutter seyn? Befehlerisch, im Urtheilen schnell, schwatzhaft; — wie sich’s gebuͤhrt? Es kann seyn; das Profil laͤugnet die Moͤglichkeit dessen nicht — bestaͤtiget nur, daß Anlage treff- lich, die Wuͤrksamkeit gemein, daß Anlage im Profil sichtbarer seyn koͤnne, als das Erworbene. Allein dieß Profil hat dennoch einerseits positife Spuren, daß die Anlage selbst nicht von derjenigen Kraft sey, die sich uͤber alle Beschraͤnkungen gewoͤhnlicher Erziehung wegschwinge; — anderseits positife Spuren von Vernachlaͤssigung. Die ersten, in der ganzen Form des Profils, welches, die Nase weggeschnitten, im Ganzen betrachtet beynahe perpendikular ist; das heißt, die Stirn ist nicht zuruͤckgehend, der untere Theil des Gesichtes nicht hervorstechend; die andern — in dem fleischigen Unterkinn vornehmlich. 2. Die Silhouette ist zu ernsthaft, und nicht fein genug — zeigt aber doch viel von dem Charakter der Person. „Kraͤnkelnd, hypochondrisch, — um die Lippen herum — tiefsinnig! scharfsin- „nig“ — zeigt’s der Uebergang von der Stirn zur Nase, der tiefes Aug’ vermuthen laͤßt; zeigt’s zum Theil die Nase, vornehmlich der Uebergang von der Nase zum Munde bis zur Mitte des Kinns — „witzig, spottend“ — wird nicht bestimmt von der Silhouette ausgesprochen, aber nicht wider- „sprochen. Hat viel Geschicke, Geschmack, Urtheilskraft.“ — Eben so! „ein starkes Gedaͤchtniß!“ — vermuthlich in der hohen Stirn! „langsam zuͤrnend und lange“ — vornehmlich in der Ungebo- genheit der Stirne — „Freunden treu“ — eben da! ... 3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expression. „Jn der Natur eine „sehr empfindsame, zaͤrtlich guͤtige, fein geistreiche Person — Jedes leidende und seufzende Geschoͤpfe, wie XII. Fragment. Was sich aus bloßen „wie moͤchte sie’s troͤsten, erquicken, neubeleben! Sie kann uͤber die Fehler und Schwachheiten der „Menschen spotten, mit denen sie sich dennoch zu Tode weinen moͤchte, wenn ihnen ein Uebel begeg- „net. Sie scheint das eitelste Ding zu seyn, und ist doch nichts weniger, — Halbkenner wuͤrden „nicht wissen, ob sie ihrem Kopfe oder Herzen den Vorzug geben sollten? — Jch gebe ihrem Herzen „unendlich den Vorzug. Unter tausenden findet man nicht Eine so; von 2. unter anderthalb Du- „tzend; von 1 — hundert“ — Weibliche Guͤte druͤckt der Bogen der Stirne, und das Gemisch von Spott uͤber Fehler und Mitleiden uͤber den ungluͤcklichen fehlenden druͤcken die Lippen bis zum Unterkinn trefflich aus. Die Vignette — auch im mattesten Umrisse, welche himmlische Guͤte! welche Unschuld, Reinheit! wie tief unterm Original — und dennoch wie edel! wie sprechend besonders fuͤr Adel und Reinheit des Charakters — die Nase! Eilfte Schattenrissen sehen lasse. Eilfte Tafel. Vier weibliche Silhouetten von zwo Personen. Z ween ganz ausserordentliche Charaktere — die ganz zu entwickeln, Bogen erfordern wuͤrde. Also nur das Auffallendste der Silhouetten. Die obere zeichnet sich durch Verstand, Muth, Kraft aus — und Stolz ohn’ alle Ei- telkeit — empfindsam aber verschlossen. Jmmer sieben stille Thaten statt Eines Wortes. Die Stirn ist, besonders in dieser Verbindung mit der Nase, schlechterdings entscheidend fuͤr maͤchtigen, schnell umfassenden Verstand. — Die aͤussere Linie von oben an der Stirne bis unter die Nase ist — Buchstabe des Verstandes, wie o Buchstabe der Verwunderung oder des Erstaunens ist. Der Unterschied zwischen beyden Silhouetten ist gering; doch ist im Umrisse der Lippen vornehmlich ein kleiner merkbarer bedeutender Unterschied. b scheint etwas ruhiger, natuͤrlicher, gutherziger. Aus einer ganz andern Classe vortrefflicher Seelen ist die zweyte. Sie ist zwar etwas gewendet, und nicht ganz reines Profil. Ein Gesicht, dem alle Menschen gut werden muͤssen. So voll inniger Selbststaͤndig- keit und Kindlichkeit — (Jch rede von der Silhouette, denn ich habe die Person nie gesehen.) Die Stirn ist vielfassender, zaͤrter, voller von raͤsonnirender, spekulatifer, metaphysischer Denkenskraft als die obere. b ist um die Wahl besser als a. Das so scharf hervorstehende Eckgen uͤber dem Aug’ ist Zeichen der reinsten Zartheit, und der feinsten Forschenskraft. Man erinnere sich an das, was wir uͤber die siebente Tafel gesagt haben. Die Oberlippe in b ist besser, als die in a , und die Unterlippe in a besser, als in b. Die Nase ist viel demuͤthiger als im obern. Das obere Gesicht ist durchaus Gesicht einer Maͤnnin. Das untere eines jungfraͤulichen Engels. Wir behalten uns vor, an einem andern Orte mehr davon zu sagen. Phys. Fragm. II Versuch. Q Nachste- XII. Fragment. Was sich aus bloßen Nachstehende Vignette, ach, wie schwacher Nachriß zweyer herrlicher Seelen! aber auch im schwachen Nachrisse — in beyden wie viel ungemeines, feines, edles, großes! H em- pfaͤngt mehr — L giebt mehr. Beyde aber (ich rede von Geist und Herz) haben Kraft zu geben und zu empfangen. Zwoͤlfte Schattenrissen sehen lasse. Zwoͤlfte Tafel. Neun weibliche Silhouetten. M an bemerke in allen diesen 9. Umrissen von sehr ungleichem Werthe und ungleicher Genauig- keit — und hoͤchst ungleicher Weiblichkeit, wenn ich so sagen darf — dennoch das gemein Weib- liche — das Weiche, Ruͤndliche, Ungespannte, Unharte, Uneckige. Die weiblichsten sind 1. und 5. — die maͤnnlichsten 7. 8. 9. 1. — Die hoͤchste, empfindlichste Guͤte, voll der redlichsten, jungfraͤulichsten, demuͤthig- sten — Empfindsamkeit. 2. — Vergleicht nur Stirn mit Stirn und Mund mit Mund, (es sind zwo Schwestern) wie viel staͤrker — durch vieles Leiden stark, ist die zweyte! 3. — Maͤnnliche Jungfraͤulichkeit, voll der tiefsten, innigsten, originellsten, simpelsten — Jnnigkeit. 4. — Wir kennen die schon. Sie ist nur um der Sammlung willen wieder da. Die Nase ist hier vortrefflich ausgedruͤckt, und voll Ausdruck des reinsten Verstandes und Geschmacks. 5. — Erstaunliche Biegsamkeit, unbeschreibliche Empfaͤnglichkeit sinnlicher Eindruͤcke; die Lippen zeigen viel Feinheit. 6. — Kennen wir auch schon. Diese Stirn, verglichen mit allen 8 uͤbrigen, wie ausgezeich- net, besonders an einem weiblichen Kopfe, fuͤr den tiefsten schauenden Verstand! 7. 8. 9. Mutter und Tochter. Die Stirn von 7. so kurz sie ist, ist nicht gemein. 8. Schlecht gezeichnet. Wie schlecht, wie verdorben, zeigt die folgende Zeichnung von demselben Profile; der zaghafte, unbestimmte Umriß der Stirn — verglichen mit 9 — wie kraft- und bedeutungslos! Man vergleiche Nase und Nase, Kinn und Kinn — und urtheile! 9. Voll ernsten, tiefen Sinnes. Vom Augknochen an bis unten an die Nasspitze maͤnn- licher, reifer Verstand. So viel sieht man; — wie viel sieht man nicht! die sprechendsten aller dieser Silhouetten, als Silhouetten betrachtet, sind 1, 2, 4, 6. besonders. Q 2 Die XII. Fragment. Was sich aus bloßen Die nachstehende Vignette — eine der hochschwebendesten, idealischten Seelen — — Sich selbst durchschauend — und verdammend. Voll Liebe und Grimm gegen sich selbst — die Sil- houette zeigt in der Gegend ums Auge, und in der Stellung dieß Hochschweben, diesen Durst nach Jdealen. Jm Schnitte des Mundes maͤnnliche Festigkeit und Verstandesschaͤrfe. Dreyzehnte Schattenrissen sehen lasse. Dreyzehnte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten, bloße Umrisse in Ovalen. T. D aß zwischen jedem Paar dieser Silhouetten auffallender Kontrast ist, wird bald bemerkt werden. 1.) Reine Erkenntnißkraft ohne hohen Scharf- und Tiefsinn. Viel feine Beurtheilung, Geschmack, gefaͤllige Sprache. Demuth mit allen verwandten Eigenschaften. Leser! suche dir sie zu entwickeln, spuͤre sie im Einzelnen auf. 2.) Richtiger, scharfer Verstand, Zutrauen zu sich selbst, ohne genug Kraft, Liebe und Guͤte, daher leicht in leere Eitelkeit ausartend. Man vergleiche den obern und untern Theil des Kopfes, wie viel jener verspricht, wie wenig dieser haͤlt; wie alles, was oben vordringt, Theil zu nehmen und zu wuͤrken scheint, schon in der Nase zu Gleichguͤltigkeit uͤbergeht, und unten in kalte Selbstigkeit absinkt. Uebrigens gluͤckliche Beweglichkeit. 3.) Hat eine allgemeine Gedehntheit der Zuͤge; nichts schiefes, aber auch nichts kraͤftiges. Eine reine, gute, in sich selbst wohnende Seele. 4.) Festigkeit und kraͤftige Gewißheit sein selbst bis zum Trutz ohne Eitelkeit. Die Ver- haͤltnisse der Dinge zu sich fuͤhlt er richtig; daher unbeweglich in Meynungen. Antheil, Liebe, Guͤte, nicht im Allgemeinen, aber auch desto treuer, wohin er sich bestimmt hat. Die Nase des ersten ist sicherlich demuͤthiger, als des vierten; aber nicht so verstaͤndig. Bemerkenswerth ist der vierfache Unterschied des Uebergangs von der Stirn zur Nase. Der schwaͤchste fuͤr Verstand ist offenbar 3. Der staͤrkste fuͤr Einbildungskraft 1. Der staͤrkste fuͤr Verstand 2. Fuͤr Witz 4. Durch die angezeichneten Linien, die aber nicht genau genug sind, sollte die Form des Umrisses zum Theil bestimmt werden. — Die Zeit wird’s zeigen, daß der Punkt der Beruͤhrung solcher Linien — viel von dem Grade der Denkkraft, und besonders der Beschaffenheit und dem Maaße der innern Triebkraft der Menschen — bestimmen wird. Q 3 Nachste- XII. Fragment. Was sich aus bloßen Nachstehende Vignette eines sehr lebhaften, fruͤhzeitigen Kindes; welcher Eindruck aber durch den beym Stillesitzen zuruͤcksinkenden Mund, der in der Copie noch mehr gewichen ist, hier fast gaͤnzlich verloren geht; doch sind immer im Ganzen noch Spuren genug von Adel und Feinheit uͤberblieben. Vierzehnte Schattenrissen sehen lasse. Vierzehnte Tafel. Sechs Umrisse mit verschiedenen punktirten Linien. W ir haben hier abermals sehr verschiedene kontrastirende Charaktere gegen einander uͤber gesetzt. Um diese Verschiedenheit einleuchtend zu machen, und bestimmter vor Augen zu legen, haben wir gewisse Linien beygefuͤgt, wodurch die Unterschiede der aͤussersten Graͤnzlinien sichtba- rer werden. Dadurch sollte dem pruͤfenden Leser die Beobachtung erleichtert, und vorlaͤufig die Moͤg- lichkeit genauerer, vielleicht mathematischer, Bestimmung der Gesichtsform — denkbar gemacht werden. Von wie verschiedenen Seiten laͤßt sich ein bloßes einfaches Schattenprofil beurtheilen? — Hier sind nur einige bemerkt, und wie viel schon zeigt uns das wenige Bemerkte? — Wir sehen fuͤrs erste die ungleiche Hoͤhe unserer 9. horizontalen Abschnitte, selbst bey gleich hohen Gesichtern. Wir sehen zweytens die ungleiche Breite der Perpendikularflaͤche vom Punkte des Stirnhaars an bis an die Spitze der Nase. Man vergleiche besonders a und b und c. Wir sehen drittens die ungleiche Beugung der ganzen Form des Gesichtes. Man ver- gleiche besonders a und e. Wir sehen viertens die ungleiche Form einzelner Abschnitte, und die verschiedenen Win- kel, die jeder bildet. Jch habe bemerkt, daß der hoͤchste Grad von Weiblichkeit aus lauter Bogenlinien bestehet, und daß das Kinn zuruͤckgeht, (wie in e am meisten, auch in b.) — Wohl bemerkt, nicht in edem zuruͤckgehenden Kinn ist Weiblichkeit; maͤnnlicher Trutz steckt sehr oft drinnen. Jch rede von solchen zuruͤckgehenden Kinnen, wo der obere Theil des Gesichts aus lauter flachrunden, eck- losen Umrissen besteht. Wo XII. Fragment. Was sich aus bloßen Wo maͤnnliche feste Klugheit, stehende Denkkraft ist, ist das Kinn vordringend, wie zum Theil in d. Jch druͤcke mich mißverstaͤndlich aus — Vordringendes Kinn ist immer Zeichen von Kraft, Maͤnnlichkeit, Staͤndigkeit. Wo die ecklose, ununterbrochene, ungeschweifte Woͤlbung der Stirn ist, wie in c, da wer- det ihr kaum eine vorgebogene Habichtsnase, ihr werdet den Umriß der Nase hohl finden, und wo dieser hohl, und die Stirn beym Augknochen so zirkelbogigt ecklos ist — da wird das Kinn zu- ruͤckstehen. Jch habe noch kaum angefangen diese Verhaͤltnisse bestimmen zu lernen; aber ich ahnde mit einer Sicherheit, die an die hoͤchste moralische Gewißheit graͤnzt: daß ein mathematischer Phy- siognomist des folgenden Jahrhunderts aus gegebenen richtigen Sektionen eines Prosils den ganzen Umriß desselben so wird bestimmen lernen, wie sich aus den Ordinaten einer Parabel die Abscissen, und durch diese die parabolischen Sektionen bestimmen lassen. O die Natur ist so homogen, so mathematisch in allen ihren Wuͤrkungen und Bildungen! Sie flickt nie ungleichartige zusammen, und so wie der gleichartige Fortgang einer Sektion, von einem Zirkel, einer Parabel u. s. f. nur Einer — so ist der Fortgang einer Sektion vom mensch- lichen Gesicht im Stande der Ruhe, sehr vermuthlich auch nur Einer ... Jch weiß, indem ich dieß sage, daß ich eine Menge tiefdenkender Leser, die ich verehre und hochschaͤtze, und denen ich uͤbrigens tausendmal mehr Einsichten, als mir, aufrichtig zutraue, vor den Kopf stoße; aber ich bitte nur um Eins: „Ehe sie sich erzuͤrnen, ein paar Jahre wie ich, Be- „obachtungen zu machen.“ Wann wir auch darinn nicht uͤbereinkommen sollten, daß sich diese Verhaͤltnisse mathe- matisch bestimmen ließen, (welches freylich in der Ausfuͤhrung unendlich schwerer seyn duͤrfte, wenn auch zugegeben wuͤrde, daß es an sich nicht unmoͤglich waͤre) so hoff’ ich dennoch ganz gewiß, daß wir darinn uͤbereinkommen werden, daß „gewisse genau angegebene Abschnitte von Profilen (mithin Schattenrissen sehen lasse. $„(mithin sodann auch von allen Lagen und Graͤnzlinien des Gesichtes, aus welchem Ge- „sichtspunkte dasselbe immer betrachtet werden mag; nur daß das eine Profil die am leich- „testen zu findende, oder am leichtesten bestimmbare Linie ist) daß, sag’ ich, gewisse ge- „nau angegebene Abschnitte von Profilen, gewisse andere Graͤnzlinien des uͤbrigen Profils „unmoͤglich machen und schlechterdings ausschließen; daß also, wenigstens zu gewissen „gegebenen wuͤrklichen Abschnitten, nur gewisse, obgleich allenfalls mehrere, dennoch nur „ analogische Fortsetzungen moͤglich sind.“ Freunde der Wahrheit! Mitforscher der Natur! Mitverehrer γεωμετρουντος Θεου! — — Helft mir, — statt zu voreilig zu entscheiden — mit untersuchen. Diktirt der Natur nichts; laßt sie nur sprechen, und hoͤrt sie! Und nun noch ein paar Worte von dem Charakter dieser 6. Gesichter. a.) Der Schattenriß eines reinen Juͤnglings von offener, gluͤcklich temperirter Natur, geraden Verstandes, ohne Scharfsinn; Unverfuͤhrbarkeit. Fest gegen allen Druck, aber unun- ternehmend. Gelassene, kraͤftige Sinnlichkeit. b.) Ein Bruder des vorigen, mit einiger Familienaͤhnlichkeit in dem Munde, doch mit weit mehr Trutz und Verschlossenheit. Die Stirn bis zum Uebergange zur Nase ist fest bis zum Eigen- sinn, laͤßt Faͤhigkeiten, besonders sinnliche Talente hoffen, ob sie gleich nicht eigentlich bestimmt ist. Die Nase mit dem Munde und Unterkinn bezeichnen auf das treffendste untheilnehmendes, festes Daseyn, Verschlossenheit und inneres Wuͤrken. c.) Hoͤchste Weiblichkeit, Eigensinn und Eitelkeit, ohne Zuͤge von Bosheit und Nie- drigkeit. Man sieht, ungeachtet der stumpfen Stellung beym Schattenziehen, daß es ihr an Reiz und Annehmlichkeit nicht fehlen moͤchte. Jch glaube bemerkt zu haben, daß die Stutz- Phys. Fragm. II Versuch. R nasen XII. Fragment. Was sich aus bloßen nasen leichten sinnlichen Eindruck, Sorglosigkeit, und durch verschiedene Grade mit andern Ne- benbestimmungen auch Stumpfheit und Dummheit bezeichnen. d.) Eine ganz gluͤckliche, reine Gestalt, voll Kraft und Guͤte. e.) Nicht unverstaͤndig, von einer festen Nachgebigkeit und reinen Guͤte des Cha- rakters. f.) Gerader, sinnlicher, unvordringlicher Verstand, Bedaͤchtlichkeit, Ordnung und Treue. Zum Beschlusse noch eine in meinen Augen herrliche Silhouette von einer fuͤrstlichen Seele — die freylich ebenfalls an Zartheit und Feinheit verloren; — aber wieder eins von denen Gesichtern ist, das nie alles verlieren kann — Jch kenne das Original nicht. Ein Freund, der sie kennt, macht folgenden Charakter von Jhr — der an sich verdient bekannt zu werden. — „Großer umfassender weiblicher Verstand, die richtigste Beurtheilungskraft; unaus- „sprechlich edel, gutherzig, großmuͤthig, fromm ohn’ alle Schwaͤrmerey; empfindsam wie ein „Engel, aber ohn’ alle Taͤndeley; uͤberaus cultivirt, erleuchtet, voll aͤchter Wissenschaft. Ue- „beraus zaͤrtlich gegen ihren Mann, gegen ihre Kinder, gegen Arme und Nothleidende .... „Jm Ganzen das Ansehen von einer Koͤniginn.“ — Jch traue es jedem wenig geuͤbten Auge zu — nicht, alles dieß sogleich aus diesem Umrisse zu finden, aber dennoch nichts darinn wahrzunehmen, das diesem Bilde zu widerspre- chen scheinen koͤnnte. Das Maͤnnliche, Feste, Edle des Charakters ist auffallend; wackere Guͤte, Gutherzig- keit einer Heldinn ist auffallend. Die Stirn ist voll Offenheit und Muth. Auf der Spitze der Nase ruhet erstaunender Ausdruck von edler, feiner Geisteskraft. Der Mund mit dem Handrisse verglichen, den ich vor mir habe, besonders die Unterlippe, hat durch eine unbe- stimmbar Schattenrissen sehen lasse. stimmbar kleine Abweichung viel von dem Ausdrucke maͤnnlicher Vernunft verloren. Jm Uebergange von der Nase zum Mund ist sehr viel Guͤte — aber das Original, das vor mir liegt, hat noch einen Zusatz von Klugheit, der in der Copie merklich geschwaͤcht ist .... R 2 Funf- XII. Fragment. Was sich aus bloßen Funfzehnte Tafel. Vier Kahlkoͤpfe von hinten im Schattenrisse. J e mehr wir die Beobachtungen des menschlichen Koͤrpers vermannichfaltigen, von je meh- rern Seiten wir seine Umrisse und Graͤnzlinien betrachten, desto mehr Charakter des Geistes, der in ihm wohnet, desto mehr angebliche und bestimmbare Zeichen seiner Kraft und seiner Wuͤrk- samkeit werden wir finden. Jch bin der Meynung: Ein Mensch von allen Seiten auch nur im Schattenrisse betrach- tet — vom Haupte bis zu den Fuͤßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart- profil — wuͤrde zu den neuesten, wichtigsten Entdeckungen uͤber die Allbedeutsamkeit des mensch- lichen Koͤrpers Gelegenheit geben. Man weiß, wie wenig ich leisten kann. Jndeß hab’ ich doch, obgleich ich weiß, daß man druͤber lachen wird; denn woruͤber lacht unser pruͤfendes Jahrhundert nicht? ... in dieser Ab- sicht einen neuen Versuch gewagt, den Kopf des Menschen von hinten und von oben herab Proben von diesen wird die Folge vorlegen. zu betrachten, und meine Versuche waren nicht vergebens. Also! lache der Lacher — wenn sein Lachen vertoͤnt hat, steht die Wahrheit noch gleich fest da. So wenig als das Verdienst dem Neide, oder der Koͤrper dem Schatten entfliehen kann — so wenig eine sinnlich gemachte Beobachtung des Menschen von einer neuen Seite dem Gelaͤchter markloser — seidener Struͤmpfe? ... Der simpelste Weg, den ich gehen konnte, war der: Koͤpfe zu zeichnen, deren Cha- rakter mir ohne Ruͤcksicht auf ihre Bildung und Physiognomie bekannt war. Koͤpfe Schattenrissen sehen lasse. Koͤpfe von merklicher Verschiedenheit des Charakters. Jch waͤhlte also vier Kahlkoͤpfe von sehr ungleichen Faͤhigkeiten — und wie merkwuͤr- dig war ihre Aehnlichkeit und ihre Verschiedenheit! Den ersten kenn’ ich als einen lebhaften, schnellen, sanften, heftigen, aͤusserst reizbaren, elastischen, empfindsamen, thaͤtigen Charakter. Ein laͤnglichter schlanker Juͤngling voll Bon- homie, treffender Wuͤrksamkeit — und der kuͤhnsten Einbildungskraft. Er ist kein Kahlkopf. Man band ihm die flachgekaͤmmten Haare hinten zusammen, daher der obere Theil des Umrisses nicht vollkommen rein ist. Der zweyte ist nicht so schlank, so gedehnt — weniger schnellthaͤtig, obgleich aͤusserst fleißig! — nicht so heiter, so leichtsinnig; aber ruhiger, wie der erste, und fester, einfacher, tie- fer. Voll Verstand und Empfindsamkeit. Die unverfuͤhrbarste Vernunft — unerschoͤpflich an Witz — aber schwachen Gedaͤchtnisses! Der dritte — ein Mann von pruͤfendem — aber nicht tiefforschendem Verstande. Sein Geist ist Licht, nicht Blitz — Abendlicht, nicht Mittaglicht. Er hat Geschmack, das beste Gedaͤchtniß; wenige schoͤpferische, aber sehr heitere Einbildungskraft. Der vierte ist ein foͤrmlicher Dummkopf, dem alles zu fehlen scheint, was die drey vori- gen haben. Jch kenn’ ihn nicht persoͤnlich; aber ein in allen Absichten sehr zuverlaͤssiger Mann versichert mich dessen; und ich kann’s glauben. Man vergleiche nun 4. mit allen dreyen, und die drey ersten mit dem vierten. 1. — Der schnellste, — und hat den laͤngsten und schlanksten Hals. Weniger schnell ist 2. und hat einen etwas kuͤrzern dickern Hals. 3. weniger schnell als 2, und wiederum einen kuͤr- zern Hals. 4. ist beynahe Fleisch ohne Geist — und scheint gar keinen Hals zu haben. Auch ist das Zusammengedruͤckte, Eyfoͤrmige, Zugespitzte des Kopfes in 4. auffallend und merkwuͤrdig. R 3 Jch XII. Fragment. Was sich aus bloßen Schattenrissen sehen lasse. Jch habe bemerkt, daß Kahlkoͤpfe, die, von hinten anzusehen, obenher zirkelbogigt sind, die besten; plattenfoͤrmige, sehr mittelmaͤßig, oft schwach; und zugespitzte, Thoren sind. Nachstehender Kopf ist von einem sehr fein verstaͤndigen, aͤusserst heitern, aktifen, trefflichen Manne. Zweyter Zweyter Abschnitt. Eingang. D er Geschlechtsunterschied des Menschen von den Thieren bezeichnet sich schon lebhaft im Kno- chenbau. Wie unser Haupt auf Ruͤckenmark und Lebenskraft aufsitzt! Wie die ganze Gestalt als Grundpfeiler des Gewoͤlbes dasteht, in dem sich der Himmel bespiegeln soll! Wie unser Schaͤdel sich woͤlbet, gleich dem Himmel uͤber uns, damit das reine Bild der ewigen Sphaͤren drinnen kreisen koͤnne! Wie dieser Behaͤlter des Gehirns den groͤßten Theil unsers Kopfes aus- macht! Wie uͤber den Kiefern alle Empfindungen auf- und absteigen und sich auf den Lippen ver- sammeln! Wie das Auge das beredteste von allen Organen, wo nicht Worte, doch bald der freundli- chen Liebehingebenheit, bald der grimmigen Anstrengung der Wangen, und aller Abschattun- gen dazwischen bedarf, um auszudruͤcken, ach nur um zu stammeln, was die innersten Tiefen der Menschheit durchdringt! Und wie nun der Thierbau gerade das Gegentheil davon ist. Der Kopf an den Ruͤck- grad nur angehaͤngt! das Gehirn, Ende des Ruͤckenmarks, hat nicht mehr Umfang, als zu Auswuͤrkung der Lebensgeister, und zu Leitung eines ganz gegenwaͤrtig sinnlichen Geschoͤpfes noͤthig ist. Denn ob wir ihnen gleich Erinnerung und uͤberlegte Entscheidung nicht absprechen koͤnnen, so liegt jene doch eher, ich moͤchte sagen, in primis viis der Sinne, und diese ent- springt aus dem Drange des Augenblicks, und dem Uebergewichte eines oder des andern Ge- genstandes. Schnautze und Rachen sind die vorzuͤglichsten Theile eines Kopfs, der meist zum Spuͤ- ren, Kauen und Schlingen da ist. Die Muskeln sind flach und fest gespannt, mit einer gro- ben rauhen Haut uͤberzogen, alles reineren Ausdruckes unfaͤhig. Phys. Fragm. II Versuch. S Hier Eingang. Hier nichts weiter davon, denn ich bedenke, daß ich nur von Schaͤdeln zu reden habe. An ihrem Unterschiede, der den bestimmten Charakter der Thiere bezeichnet, kann man am staͤrksten sehen, wie die Knochen die Grundfesten der Bildung sind und die Eigenschaften eines Geschoͤpfes umfassen. Die beweglichen Theile formen sich nach ihnen, eigentlicher zu sa- gen mit ihnen, und treiben ihr Spiel nur in so weit es die festen vergoͤnnen. Diese Anmerkung, die hier unlaͤugbar ist, wird bey der Anwendung auf die Verschieden- heit der Menschenschaͤdel großen Widerspruch zu leiden haben. Dreyzehn- Dreyzehntes Fragment. Thierschaͤdel. Aristoteles von der Physiognomik. D enn es ist nie ein Thier gewesen, das die Gestalt des einen und die Art des andern ge- habt haͤtte; aber immer seinen eignen Leib und seinen eignen Sinn. So nothwendig bestimmt jeder Koͤrper seine Natur. Wie denn auch ein Kenner die Thiere nach ihrer Gestalt beur- theilt, der Reuter die Pferde, der Jaͤger die Hunde. Wenn das wahr ist, wie’s denn ewig wahr bleibt; so giebt’s eine Physiognomik. I. Die Zahmheit der Last- und weidenden Thiere bezeichnet sich durch die langen ebenen, seicht gegen einander laufenden, einwaͤrts gebogenen Linien. Man sehe 1.) das Pferd, 3.) den Esel, 5.) den Hirschen, 6.) das Schwein, 7.) das Cameel. Geruhige Wuͤrde, harmloser Genuß ist der ganze Zweck der Gestalt dieser Haͤupter. Die eingebogne Linie vom Augknochen zur Nase bey 1. und 3. bezeichnet Duldung. An 6. die ab- — leise einwaͤrts gehende, schnell wieder gerad werdende — Starrsinn. An allen bemerke man den schweren und uͤbermaͤßig breiten Hinterkiefer, und empfinde, wie die Begierde des Kauens und Wiederkauens da ihren Sitz hat. 4. Der Ochs — Duldung, Widerstand, schwere Beweglichkeit, stumpfer Fraß. 15. Der Widder. Stieres Widerhalten, und stumpfer Stoßtrieb. S 2 II. Die XIII. Fragment. Thierschaͤdel. II. Die Gestalt der gierigen Thiere ohne Grausamkeit, das Ratzengeschlecht, das ich das Diebsgeschlecht nennen moͤchte, ist wieder sehr bedeutend. Hier sind nur zwey davon. 16. Der Biber. 19. Die groͤßte Feldmaus. Die leicht aufgebogenen, flachgewoͤlb- ten Linien, die wenigen Flaͤchen, das Spitze, Feine — bezeichnet Leichtigkeit der Bemerkung des sinnlichen Gegenstandes, schnelles Ergreifen, Begierde und Furchtsamkeit, daher List. Der oft schwache Unterkiefer, die vordern, spitzig gebognen Zaͤhne haben ihre Bestimmung zum Na- gen und Kosten; sie sind faͤhig, das angepackte Leblose sich kraͤftig schmecken zu lassen; aber nichts Widerstehendes, Lebendiges, gewaltig zu fassen und zu verderben. III. An dieses Geschlecht graͤnzt unter den Raubthieren einigermaßen 12.) der Fuchs. Er ist schwach gegen seine folgende Verwandte. Die so flache Abweichung vom Schaͤdel bis zur Nase, der mit dieser Linie fast parallellaufende Unterkiefer gaͤben der Gestalt was Unkraͤftiges, wenigstens Gleichguͤltiges, wenn nicht der etwas vor aufwaͤrts geschweifte Oberkiefer, und die spitzen, abgerißnen Zaͤhne eine geringe Grausamkeit sehen ließen. An diesem und den folgenden Koͤpfen haben die Hirschschaͤdel, ob sie gleich in den Mo- difikationen von einander abgehen, doch das gemein, daß sie groͤßer, staͤrker, abgesonderter sind, als bey den vorigen Geschlechtern; daß sie einen vorzuͤglichen Theil des Kopfes ausmachen, Festigkeit und Staͤrke bezeichnen. 13.) Der Hund hat schon mehr Festes; zwar was Gemeines, Unbedeutendes — (ich spreche unrichtig; alles, auch das Alltaͤglichste, auch das Mittelmaͤßigste, ist so bedeutend, als das Ausgezeichneteste — aber die Bedeutung ist nicht so auffallend. — — Unbedeutendes also, das heißt — nicht sehr Frappantes —) Das Abgehen des Schaͤdels vom Augenkno- chen zeigt, moͤcht’ ich — sagen, Bestimmtheit der Sinneskraft. Der Rachen ist mehr zu ei- ner ruhigen, als grausamen oder gierigen Gefraͤßigkeit gemacht, ob er gleich etwas von beyden hat. XIII. Fragment. Thierschaͤdel. hat. Mich duͤnkt, daß ich, besonders im Augenknochen, und in dessen Verhaͤltniß zur Nase — eine gewisse Treue und Geradheit entdecke. Die geringe Verschiedenheit des 14.) Wolfes ist schon sehr merkwuͤrdig. Der Einbug oben im Scheitel; die Rundung uͤber dem Augknochen; die von da aus zur Schnauze wieder gerad abgehenden Linien deuten schon auf heftigere Bewegungen. Hiezu koͤmmt bey 10.) Dem Baͤren noch mehr Breite und mehr Festigkeit und Widerhalt; bey 8.) Dem Tiger besondere Schnelligkeit in der Spitze des Hinter- und Breite des Vor- dertheils. Man sehe den Gegensatz an den Last- und Weydethieren. Hinten zur Kraft des Nackens der aufliegende Hebel; flachrund der Schaͤdel, Wohnsitz leichter Vorstellung und gie- riger Grausamkeit. Die Schnauze breit und voll Kraft; der Rachen gewoͤlbter Vorhof der Hoͤllen, erfassend, klammernd, zermalmend, verschlingend. Waͤre 9.) der Loͤwe besser gezeichnet; aber schon im Buͤffon, woraus diese kopiert sind, steht just dieser herrliche Schaͤdel am unbestimmtesten gebildet. — Wie merkwuͤrdig auch schon so, der laͤnglichstumpfe Hinterkopf! Die Woͤlbung, wie edel; der Abgang der anstoßenden Linien, wie sanft! — des Schnauzbeins Niedersteigen, wie schnell, wie kraͤftig! Der Vorderkopf, wie gepackt! stark! ruhig und gewaltig! werth der specialsten Vergleichung mit dem Tiger! Wie wenig, wie viel sind beyde verschieden! Nur Ein Wort von 17.) der Katze. Aufmerksame Genaͤschigkeit. Unter allen — wie zeichnet sich 2.) der Elephant aus! am meisten Schaͤdel, am meisten Hinterhaupt, und am meisten Stirn — wie wahrer natuͤrlicher Ausdruck von Gedaͤchtniß, Ver- stand, Klugheit, Kraft, und — Delikatesse. — 11.) Die Fischotter — ein ungestalter Kopf — zum Fraße deutlich bestimmt. S 3 16.) Der XIII. Fragment. Thierschaͤdel. 16.) Der Biber — hat ausser der Struktur des Schaͤdels im Profile in seinem Jn- stinkte nichts diebisches. Der Biber hat mehr uͤberlegenden Verstand, als List. Von allen Schaͤdeln hat keiner einen so sanften, ungebogenen, so uneckigen, so horizontalen Umriß bis zur Nase, wie der Biber. 20.) Das Stachelschwein — hat etwas Biberaͤhnliches im Obertheile des Umrisses, ist aber sehr verschieden in Ansehung der Zaͤhne, besonders im obern Kiefer. 18.) Die Hyaͤne .. ist durch das Hinterhaupt von allen sehr merklich verschieden. Dieser Kopf zeigt bey Menschen, wenn er hart und massiv ist, und wenn er nicht die ganze Woͤlbung des Kopfes ausmacht — Hartsinn und Herzenskraft. — Jm Ganzen scheint dieß Profil eine eisenmaͤßige Hartnaͤckigkeit auszudruͤcken. Vierzehn- Vierzehntes Fragment. Menschenschaͤdel. I. Von der Bildung der Knochen, besonders der Schaͤdel. U eber den bloßen Schaͤdel des Menschen — wie viel kann der Zergliederer sagen? wie viel mehr der Physiognomist? wie viel mehr der Zergliederer, der Physiognomist ist? Jch darf kaum aufsehen, wenn ich denke, was ich nicht weiß, und wissen sollte, um wuͤr- dig uͤber einen Theil des menschlichen Koͤrpers, des Menschen, zu schreiben — der uͤber alle Erkennt- niß, allen Glauben, alle Vermuthung wichtig ist. — Man kann es schon bemerkt haben, daß ich das Knochensystem fuͤr die Grundzeichnung des Menschen — den Schaͤdel fuͤr das Fundament des Knochensystems, und alles Fleisch beynahe nur fuͤr das Colorit dieser Zeichnung halte — daß ich auf die Beschaffenheit, die Form und Woͤl- bung des Schaͤdels, so viel mir bewußt ist, mehr achte, als meine Vorgaͤnger alle; daß ich diesen weit festern, weniger veraͤnderlichen — leichter bestimmbaren Theil des menschlichen Koͤrpers fuͤr die Grundlage der Physiognomik angesehen wissen moͤchte. Man wird mir also erlauben, mich weitlaͤuftiger uͤber diesen Theil des menschlichen Koͤr- pers zu erklaͤren. — Freylich weiß ich kaum, was ich zuerst, was zuletzt, was gar nicht sagen soll. — Das Beste, denk’ ich, wird wohl seyn, wenn wir erst ein paar Worte von der Erzeugung und Bildung der Knochen voran schicken. — Der menschliche Foetus scheint anfangs durch und durch aus einem, dem Anscheine nach, beynahe gleichartigen, weichen, zusammengeronnenen Wesen zu bestehen. Die Knochen selbst er- zeugen sich bey ihrer ersten Erscheinung unter der Gestalt einer Gallerte, die nach und nach dich- ter, hernach knorpelartig, und zuletzt zum festen Knochen wird. Wenn XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Wenn diese Gallerte, die anfangs so durchsichtig, so zart ist, anwaͤchst, dichter und un- durchsichtiger wird — erscheint in derselben ein kleiner Punkt, haͤrter, dunkel, vom Knorpel ver- schieden, beinartig, aber noch nicht voͤllig hart. Dieser Punkt ist gleichsam der Kern des zukuͤnf- tigen Knochens; der Mittelpunkt, aus dem sich die Verbeinerung allmaͤhlig umher verbreitet. Man muß sich aber die zum Knorpel gewordene Knochengallerte schon nicht mehr als eine unfoͤrmliche Masse ohne Bildung und Anlage zur kuͤnftigen Gestalt vorstellen. Schon in der zartesten Frucht zeigen sich uͤberall die Spuren davon schon im Knorpel ausgedruͤckt, obgleich noch sehr unvollkommen. Auch in Absicht jener knoͤchernen Kerne kommen Verschiedenheiten vor, die die Gestalt des kuͤnftigen ausgewachsenen Knochens zu bestimmen scheinen. Jn dem einfachen und nicht gar großen Knochen entstund nur Einer, in den großen, dicken und winklichten waren mehrere solche Kerne, an verschiedenen Stellen des urspruͤnglichen Knorpels. Doch ist zu bemerken, daß als- dann die Knochen im Anfang aus eben so viel zusammenpassenden Stuͤcken bestehen. An den Knochen des Schaͤdels zeigt sich der runde Kern zuerst in der Mitte eines jeden Stuͤckes, und die Verbeinerung breitet sich von da stralenfoͤrmig nach allen Seiten durch Fasern aus, die immer laͤnger, dicker und fester, und durch ein netzartiges Gewebe unter einander ver- bunden werden. So entstehen dann auch, indem endlich diese Schaͤdelstuͤcke da und dort zusam- menstoßen, jene artigen gezackten Naͤthe der Hirnschale. Man sehe nach Albini Icones ossium foetus humani, und Bidloo Anatomia corporis humani. Bisher sprachen wir von der ersten Epoche der Beinzeugung. Die zweyte faͤllt unge- faͤhr in den vierten oder fuͤnften Monat. Jn dieser werden die Knochen zugleich mit den uͤbri- gen Theilen, indem die Verbeinerung nach und nach den ganzen Knorpel einnimmt, vollkommener gebildet, und deutlicher, je nach der mindern oder mehrern Lebhaftigkeit der Frucht — je nach der urspruͤnglich verschiedenen innersten Schnell- oder Triebkraft des werdenden Geschoͤpfes. Sie werden aber auch, wie vom ersten Anfang an, so hernach fast durch alle Stufen des Alters hindurch, neben der ihnen eigenen Ausbildung, immer dichter und haͤrter. Wie? XIV. Fragment. Bildung der Knochen, besonders der Schaͤdel. Wie? — daruͤber sind die Zergliederer ungleicher Meynung — und zu unserm Zwecke moͤ- gen sie’s. Ein Physiognomist der Zukunft mag sich hier Wege bahnen. Jch ziehe mich zuruͤck, und bleibe auf der Heerstraße des gewissen, dessen, was sich beobachten laͤßt. Nur so viel ist gewiß, daß die Wuͤrksamkeit der Muskeln, der Gefaͤße und anderer wei- chen Theile, welche die Knochen uͤberall umgeben, zur Bildung und zur stufenweisen Verhaͤrtung derselben ungemein vieles beytragen. Was noch Knorpelichtes am jungen Knochen uͤbrig war, wird bis zum sechsten und sie- benten Monat, so wie der knoͤcherne Theil vollkommener wird, kleiner, fester und weißer — Ei- nige Knochen erlangen in unglaublich viel kuͤrzerer Zeit eine gewisse Festigkeit, als andere — gerade zum Beyspiel die Knochen des Schaͤdels und die Gehoͤrbeinlein. Auch sind nicht nur ganze Knochen, sondern Theile eines einzelnen an Haͤrte unter sich verschieden. Ueberhaupt sind und bleiben sie alle da, wo der Kern der Verbeinerung anfieng, und in der Naͤhe davon am haͤrtesten, und umgekehrt. Auch geht die Verhaͤrtung langsamer und unmerklicher fort, je fester die Kno- chen werden, oder je aͤlter der Mensch wird. Was noch bey Erwachsenen Knorpel war, wird zuletzt auch Knochen; getrennte Stuͤcke wachsen in Eins zusammen. Der ganze Knochen wird sproͤde. Die Zergliederer unterscheiden die Gestalt in die natuͤrliche, wesentliche, die in den- selben Knochen ungefaͤhr immer eben dieselbe, und zufaͤllige, die vielerley Abaͤnderungen in verschiedenen Subjekten unterworfen ist. Die erste ist so in der Natur des Vaters, der Mutter, des Saamens, und aller zur Zeu- gung zusammentreffenden Umstaͤnde gegruͤndet — wie’s in diesem allem gegruͤndet ist, daß aus Menschen Menschen werden, und aus Thieren Thiere. Die Zergliederer sehen nur auf das allgemein Bestimmbare eines einzelnen Knochens; wenigstens gruͤndet sich jene Uebereinstimmung ihrer wesentlichen Gestalt in verschiedenen Subjek- ten nur darauf, und will also nicht viel mehr sagen, als die Uebereinstimmung der Menschengesich- ter, in so fern sie alle zwey Augen, eine Nase, einen Mund u. s. f. so und so unter sich geord- net, haben. Phys. Fragm. II Versuch. T Gewiß XIV. Fragment. Bildung der Knochen, besonders der Schaͤdel. Gewiß ist eben diese natuͤrliche Bildung so verschieden, als es nachher die Menschengesich- ter sind. Diese Verschiedenheit — ist Werk der Natur! Urbestimmung des Herrschers und Schoͤ- pfers aller Dinge. — Der Physiognomist unterscheidet Urgestalt und Ausbildung. Unerklaͤrbare, einzig wahre reine Praͤdestination. Jeder Knochen hat seine Urge- stalt — seine individuelle Gestaltsamkeit — er kann sich veraͤndern; veraͤndert sich immer, aber ver- aͤndert sich nicht zur vollkommenen Aehnlichkeit eines Knochens, der eine ganz andere Urgestalt hat. Die zufaͤlligen Veraͤnderungen der Knochen, so groß dieselben seyn, und so sehr sie von der Urgestalt abweichen — richten sich dennoch immer nach der Beschaffenheit dieser individuellen Urgestalt. Auch die gewaltsamste Pressung wird nie die Urgestalt so veraͤndern, daß sie, wenig- stens verglichen mit einem ganz andern Knochensystem, welches dieselbe gewaltsame Pressung erlitten haͤtte — nicht sehr leicht von andern zu unterscheiden waͤre. So wenig ein Mohr weiß, und ein Pardel fleckenlos werden kann, so groß auch immer die zufaͤlligen Veraͤnderungen, durch welche sie gehen muͤssen, seyn moͤgen — so wenig verwandelt sich die Urgestalt eines Knochens in die Urgestalt eines andern Knochens von demselben Namen. Ueberall dringen Gefaͤße in die Knochen, die ihnen ihre Nahrung und das Knochenmark zufuͤhren. Je juͤnger die Knochen — desto mehr dergleichen Gefaͤße, und desto schwammichter und biegsamer die Knochen — und umgekehrt. Die Zeit, wenn diese oder jene Veraͤnderungen mit den Knochen vorgehen, laͤßt sich nicht leicht genau bestimmen. Diese ist nach der Natur des Menschen und den zufaͤlligen Ursachen ver- schieden. — Das Alter der Leibesfrucht laͤßt sich noch ziemlich aus den Knochen angeben — allein, je aͤlter der Koͤrper, desto schwerer diese Zeitbestimmung. Große, lange und vielfoͤrmige Knochen bestehen, um ihre Verbeinerung zu beschleunigen, und das Wachsthum zu erleichtern, anfangs aus mehrern Stuͤcken, wovon man die kleinern Ansaͤtze heißt. Der Knochen ist unvollkommen, so lange diese noch nicht mit dem Hauptstuͤcke verwach- XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. verwachsen sind. Von ihrem Daseyn bey Kindern ruͤhrt die moͤgliche Verunstaltung derselben durch die englische Krankheit, durch Gicht u. s. w. her. Dissertatio osteologica de modo, quo ossa se vicinis accommodant partibus — sub Praesidio Hi- ron. Dav. Gaubii, a Ioanne Benjamin de Fischer. Lugduni Batavorum, 1743. II. Winke fuͤr den Physiognomisten. Der kuͤnstliche oder wissenschaftliche Physiognomist sollte seinen ganzen Beobachtungs- geist auf diese Verunstaltung besonders in der Form des Kopfes richten. Er sollte die erste Gestalt der Kinder, und die mannichfaltige, verhaͤltnißmaͤßige Abweichung derselben genau be- merken, vergleichen, und bestimmen lernen. Er sollte es dahin bringen, beym Anblicke des Kopf- baues eines neugebohrnen Kindes, eines halbjaͤhrigen, jaͤhrigen, zweyjaͤhrigen Kindes, sagen zu koͤnnen — so wird sich in dem und dem Falle dieses Knochensystem formen und zeichnen; — sollte beym Anblicke des Schaͤdels eines lebendigen Menschen von zehen, zwoͤlf, vier und zwanzig Jahren sagen koͤnnen — vor acht, zehen, zwanzig Jahren hatte dieser Schaͤdel eine solche Form, in acht, ze- hen, zwanzig Jahren wird er, die gewaltsamsten Zufaͤlle ausgenommen, eine solche oder solche Form haben. Er sollte sich in dem Knaben den Juͤngling, im Juͤnglinge den Mann, und umgekehrt, im Manne den Juͤngling, im Juͤnglinge den Knaben, im Knaben den Saͤugling — und zuletzt den Embryon in seiner individuellen Form denken koͤnnen. — Sollte — und wird’s — und dann erst stehest du auf eigenen festen Fuͤßen, Physiogno- mik — dann erst stehest du tief in die Natur hinabgewurzelt, wie ein Baum, auf dem die Voͤ- gel des Himmels nisten, und unter dessen Schatten weise und gute Menschen ruhen, oder — anbeten — Jtzt bist du noch ein kleines Senfkorn — auf die Hand gelegt — betrachtet — oder weggeworfen! — Laßt uns — Verehrer der Weisheit, die alle Dinge formet und zusammenordnet — noch etwas bey den Menschenschaͤdeln verweilen. T 2 Jn XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Jn den bloßen Schaͤdeln der Menschen ist gerade eine solche Verschiedenheit, wie in der ganzen aͤussern Gestalt des lebendigen Menschen. Wenn diese unendliche Verschiedenheit der aͤussern ganzen Menschengestalt ein unumstoͤßli- cher Grundpfeiler der Physiognomik ist, so ist’s, deucht mir, diese eben so unendliche Verschie- denheit der Schaͤdel, an sich betrachtet, nicht minder. Die Folge wird’s zum Theil zeigen; zei- gen, daß man dabey vornehmlich anfangen muß, wenn die Physiognomik mehr als Spielwerk, wenn sie brauchbare, gemeinnuͤtzige Menschenwissenschaft werden soll — Zeigen, daß aus dem bloßen Bau, der Form, dem Umrisse und der Beschaffenheit der Knochen — freylich von Menschen nicht gar alles, aber sehr viel, und vielleicht mehr, als aus allem andern, gesehen werden kann. III. Einwendung und Beantwortung. Was soll ich also zu der Einwendung sagen, worauf sich ein witziger Gegner der Phy- siognomik so viel zu gute thut? — „Jn den Catacomben bey Rom sind, sagt er, eine Menge Skellete gefunden worden, „welche man fuͤr Reliquien von Heiligen gehalten, und also auch verehret hat. Hernach haben „verschiedene Gelehrte gezweifelt, daß die Catacomben Grabstaͤdte der ersten Christen und Maͤrty- „rer waͤren, und haben gar vermuthet, daß daselbst Uebelthaͤter und Spitzbuben koͤnnten begraben „gewesen seyn. Die Andacht der Glaͤubigen ist dadurch sehr irre gemacht worden. Wenn aber „die Physiognomik eine so sichere Wissenschaft waͤre, so haͤtte man nur duͤrfen Lavatern kommen „lassen, der ohne sonderliche Muͤhe, durch bloßes Anschauen und Betasten, die Knochen der Hei- „ligen von den Knochen der Spitzbuben gesondert, und die aͤchten Reliquien wieder in ihr voriges „Ansehen gesetzt haben wuͤrde. — Der Einfall, antwortet Herr Nikolai, der ihn citirt, ist drollig „genug. Nachdem man aber sich daruͤber satt gelacht hat, so betrachte man einmal ernsthaft, was „der Erfolg gewesen seyn wuͤrde, wenn der Fall existirt haͤtte. Unsers Erachtens wuͤrde der Phy- „siognomist an einer Menge Todtenknochen, besonders an den Koͤpfen, die Unwissenden voͤllig „gleichfoͤrmig scheinen, merkliche Verschiedenheiten haben bemerken lassen, die, wenn er die Koͤpfe Einer XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. „Einer Art zusammen geordnet, und also an der Folge die Gradation und an den Extremen „den Kontrast einleuchtend haͤtte zeigen koͤnnen, aufmerksame Zuschauer nicht abgeneigt gemacht „haben wuͤrden, seinen Muthmaßungen uͤber die Beschaffenheit und Wuͤrksamkeit des Gehirns, das „diese Koͤpfe ehemals erfuͤllte, einigen Beyfall zu geben. Uebrigens, wenn man bedenkt, wie ge- „wiß es ist, daß viele Spitzbuben einen ausserordentlichen Verstand, und eine ausserordentliche „Wuͤrksamkeit gehabt haben, und wie ungewiß man hieruͤber bey vielen Heiligen ist, die schon roth „im Kalender stehen, so wird man die Frage so verwickelt finden, daß man den armen Physiogno- „misten entschuldigen muß, wenn er die Beantwortung derselben verbittet, und sie auf einen „ unfehlbaren Richter zuruͤckschiebt.“ — Allgem. deutsche Bibl. XXIII. B. II. St. S. 339. 340. IV. Weitere Beantwortung. So weit Herr Nikolai. Seine Antwort ist gut; aber sie ist nicht hinlaͤnglich. — Laßt uns versuchen, die Sache ausfuͤhrlicher zu entwickeln, als es in einer Recension moͤglich ist. „Den Heiligen vom Spitzbuben schlechtweg am bloßen Schaͤdel zu unterscheiden“ — Wer hat jemals diese Praͤtension gemacht? „Die Ehrlichkeit bey allen Buͤcher-Menschen-Meynungs-Beurtheilungen, duͤnkt mich, „beruhet vor allen Dingen darauf — jeden nach seiner Praͤtension zu beurtheilen, und keinem „Praͤtensionen zuzuschreiben, die er nicht hat.“ Jch weiß von keinem Physiognomisten, der diese Anmaßung gehabt hat; — aber gewiß weiß ich, daß ich sie nie gehabt habe. Dessen ungeachtet behaupte ich, als die erweisbarste Wahrheit: „daß aus der bloßen „Form — Proportion — und Haͤrte oder Weichheit des Schaͤdels — die Staͤrke oder „Schwaͤche des Charakters uͤberhaupt mit der groͤßten Zuverlaͤssigkeit erkennbar ist.“ — Nun aber, wie schon mehrmals gesagt — ist Staͤrke und Schwaͤche an sich weder Tugend noch Laster, weder Heiligkeit noch Spitzbuͤberey — T 3 Dieselbe XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Dieselbe Kraft kann wie derselbe Reichthum zum Nutzen oder Schaden der mensch- lichen Gesellschaft angewandt werden. Mit demselben Reichthume kann einer ein Heiliger, oder ein Teufel werden. Wie mit dem Reichthum, oder willkuͤhrlicher und positifer Kraft — so mit natuͤrlicher, angeborner Kraft. Wie von hundert Reichen neun und neunzig keine Heilige wer- den, so kaum Einer unter hundert Menschen von entschiedener Urkraft. Wo also an einem Schaͤdel große Urkraft und Stoßkraft bemerkt wird, da kann man — freylich nicht sagen: „das ist ein Spitzbube!“ — aber man kann sagen — „hier war Ueberfluß „von Stoßkraft, ohne einschraͤnkende coexistirende Besaͤnftigungen; — es ist also die hoͤchste Wahr- „scheinlichkeit — der hatte Eroberungsgeist — war entweder ein General und Eroberer, ein Caͤ- „sar, oder — ein Spitzbube, ein Cartouche — unter solchen und solchen Umstaͤnden hat er ver- „muthlich so gehandelt — er wuͤrde unter andern Umstaͤnden so, allemal aber heftig, stuͤrmisch, im- „mer als Herrscher, Eroberer gehandelt haben. — So laͤßt sich von gewissen bloßen Schaͤdeln sagen: „der ganze Bau, die Form, das Zarte, „das Pergamentaͤhnliche — zeigt klar — Schwaͤche — zeigt bloß Empfaͤnglichkeit ohne „Stoßkraft, Schoͤpfungskraft — — — Jn solchen Umstaͤnden also haͤtten diese Menschen schwach „gehandelt. Sie haͤtten natuͤrlicherweise dieser oder jener Versuchung nicht widerstanden, sie haͤt- „ten nicht Muth genug gehabt, dieses oder jenes zu unternehmen. Jn der großen Welt waͤren sie „Dirnen — auf einem kleinen Edelhofe verliebt, in einem Kloster schwaͤrmerische Heilige ge- „worden.“ — O dieselbe Kraft, dieselbe Empfindlichkeit, dieselbe Empfaͤnglichkeit — wie ungleich kann sie wuͤrken? wie ungleich empfinden? wie ungleich empfangen? Und eben hieraus laͤßt sich die Moͤglichkeit — von Praͤdestination und Freyheit, in Einem und demselben Subjekte zum Theil begreifen. Man fuͤhre den gemeinsten Menschen zu einem Beinhaus, und mache ihn einigermaßen auf die Verschiedenheit der Schaͤdel aufmerksam ... Jn kurzer Zeit wird er’s entweder selber finden, oder doch begreifen, wenn man es ihm sagt: „hier ist Schwaͤche — dort Staͤrke! — hier „Eigensinn — dort Wankelmuth!“ — Caͤsars XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Caͤsars bloßer Schaͤdel — Michelanges bloßer Schaͤdel — (wir werden noch von bey- den besonders sprechen) — welcher Mensch wird bloͤde genug seyn, nicht zu sehen, daß vordrin- gende Staͤrke, Felsensinn — ihr eigenthuͤmlicher Charakter ist? und daß sich von beyden mehr Ein- wuͤrkung, daurende Wuͤrkung in der Welt erwarten ließ, als zum Exempel von einem so kahlen, flachrunden Kopfe, wie der nachstehende ist? Der Schaͤdel von Carln dem zwoͤlften — wie charakteristisch an sich! und wie charakte- ristisch verschieden von dem seines Biographen Voltaͤre? Man vergleiche Judas Jschariots Schaͤdel mit dem Christus von Holbein im ersten Bande und frage — alles Fleisch weggerechnet — welches XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. welches ist unter diesen beyden der boshafte Verraͤther — oder der unschuldig Verrathene? — wer- det Jhr lang anstehen? Jch zweifle. Freylich unter zween bestimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verschiedenheit so auffal- lend ist — und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei- ligen taxirt wird — ist die Entscheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, soll darum noch nicht sagen: „er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterscheiden.“ Jch verspar’ es auf den letzten Theil dieses Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen — und dann urtheilen zu lassen; itzt nur einige wenige — Und zum Beschlusse dieses Kapitels — wer weiß nicht die Anekdote aus der per- sischen Geschichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ- del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perser habe unterscheiden koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben dasselbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte sagen hoͤren. Es beweist dieses wenigstens, man gebe zu: „daß man noch an bloßen Schaͤdeln „Unterschied der Lebensart und Staͤrke — Unterschied der Nationen sehen koͤnne.“ — V. Erste Tafel. Derselbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte. Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefsinn besaß — Kein Trotzkopf! kein Weichling! — aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geschwaͤtzig! — beynah’ alles dieses druͤckt sich mit ungleicher Bestimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus. Die Lage des obern ist die natuͤrliche horizontale, ohn’ alle Unterstuͤtzung. Man denke sich die Gestalt in bestimmte Winkel, und uͤbe sich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird sicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen. Die XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma- gination als Forschsinn — der ziemlich tiefe Winkel bey der Nasenwurzel Verstand — die Nasenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Nase; machen in ihrer Rich- tung mit der Stirn uͤberhaupt einen sehr stumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel. Auch die Erhebung der Nasentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an. Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, ist stark genug; besonders merklich der hintere Winkel desselben und der aufsteigende Theil der zween Fortsaͤtze. Ohne die Anmaßung, den Ausdruck von diesem allen zu bestimmen — glaub’ ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Festig- keit darinne wahrzunehmen. Dieser zeigt sich auch besonders in dem unten kleiner gezeichneten Profile, welches nach der geraden Lage des menschlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich- net ist. — Vordringende, harte, eiserne Festigkeit ist’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al- les ist mittelmaͤßig. Physiologische Kraft mehr, als Energie der innern Geisteskraft. Nicht herkulische! gesunde Kraft — dieß zeigen besonders die Vollstaͤndigkeit, die Festigkeit und Lage der Zaͤhne! die Lage — die Vorgewoͤlbtheit derselben — gewiß nicht herkulische Kraft! aber wi- tzige Geschwaͤtzigkeit? — wenigstens auf mich macht sie diesen Eindruck. Die Kleinheit des Kinns (das freylich sich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur am meisten mit Fleisch bekleidet ist, am meisten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig vordringende, ganz maͤnnliche Kraft. Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifsinn viel weiter, als von weiblicher Weichlichkeit entfernt. Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin- gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verstand des obern. Phys. Fragm. II Versuch. U Bemerkt XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Bemerkt den Elephantenschaͤdel — Stirnen von diesem Umrisse nicht zwar scharfe, tiefe Denker — aber heller, vielfassender, gedaͤchtnißreicher, offner, witziger Koͤpfe. Nachstehender Kopf eines vortrefflichen Mannes hat etwas, das sich dieser Linie naͤhert; aber wie viel gedraͤngter, fester, gebogner — und um so viel mehr Ausdruck tief- sehender, XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. sehender, uͤberlegender Urtheilskraft! Von den uͤbrigen Trefflichkeiten ist hier nicht der Ort zu reden. VI. Zweyte Tafel A. Vier Schaͤdel. Nicht genug kann’s gesagt werden, wie sehr es zur Befoͤrderung der physiognomischen Kenntnisse gereichen wuͤrde, Menschenschaͤdel mehr zu studieren. U 2 Ein XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Ein kuͤnftiger beobachtender Zergliederer — wird einige Quartanten liefern — und die Nachwelt in Erstaunen setzen! Ohne zu untersuchen, ob die Bemerkung eines großen und kaltbluͤtigen Zergliederers ihre Richtigkeit habe: „daß unter zwanzig, dreyßig Enthaupteten, mithin Uebelthaͤtern, beynahe alle so „ganz besondere Charakter — gehabt, die er an vielen hundert andern Zergliederten nie wahrgenom- „men“ — — Jch zeige meinen Mann an, wenn man an der Richtigkeit meiner Aussage zweifeln will; — ohne dieß zu untersuchen — denn wie tief griffe die Untersuchung! — denn die Uebel- thaͤter, von wie ungleicher Art sind sie! — ohne dieß hier zu untersuchen, wollen wir hier einige ziemlich genau nach der Natur gezeichnete Schaͤdel beobachten. 1.) Jst von einem unbekannten Menschen — diese Perpendikularitaͤt des Profils im Ganzen genommen — (verglichen wenigstens mit 2.) ist mir sicherer Ausdruck von Duͤrftigkeit an Witz und zarter Empfindung — und wahrscheinlicher Ausdruck von Steifsinn. Der unebne Umriß des Obertheils der Hirnschale — bestaͤtigt mir’s und zeigt mir ziem- lich zuverlaͤssig Starrsinn. Das Nasenbein ist Ausdruck festen Verstandes. So auch das vorstehende Kinn. Wenn ich der Zeichnung vollkommen trauen duͤrfte, wollt’ ich fast fragen, ob nicht an diesem Kopfe, der hoͤchst vermuthlich auch von einem Hingerichteten ist, Besonderheiten zu merken waͤren, welche die obige kaum glaubliche Anmerkung bestaͤtigten? 2.) Wie ausserordentlich verschieden von 1. — Anlage zu einer langen gebogenen Nase — wie starke Schleimhoͤhlen der zuruͤckstehenden Stirn! welche Laͤnge und Grobheit des Untertheils des Gesichtes! wie viel weniger Feines, Gedraͤngtes, Verschlossenes! wie viel mehr rohes, gro- bes, laffiges, kaltes, nnempfindliches Wesen! 3.) Schaͤdel von einem hingerichteten alten Manne, der sich durch nichts so sehr, als durch die Protuberanzen am Obertheile des Jochbeins, wo es an den untern Theil des Stirnbeins stoͤßt, beym Kreise des Auges — und durch das eckigte Kinn auszeichnet. Die Stirn ist gemein. — 4.) Der Schaͤdel eines hingerichteten alten Mannes hat eine ausserordentliche dicke Hirn- schale. Der Umriß der Stirn ist vortrefflich. Die Augen muͤssen sehr tief gelegen haben. Die Stirnen XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Stirnen dieses Umrisses haben gemeiniglich tiefe Augen. Tiefe Augen bey solchen Stirnen sind immer vorzuͤglich gescheuter, tiefblickender Leute. Haben was festes, treffendes, und daher meistens den Namen schlaue, arge Augen — Nicht, daß sie’s immer seyen, oder seyn muͤssen — nein! aber — dieselbe große Scharfsichtigkeit kann, wie große Kraft, oder großer Reichthum, mißbraucht werden — wird groͤßtentheils mißbraucht. Der gerade Fortgang der Nasenbeine zeigt Festigkeit, Entschlossenheit, schnelle That. Noch zeichnet sich der Unterkiefer durch Niedrigkeit, wie die beyden obern, besonders der zweyte, durch Hoͤhe aus. Dieser Schaͤdel ist feiner, als alle drey uͤbrigen. Gesetzt, Rohigkeit waͤr’ ein Grund des Verbrechens bey den uͤbrigen; so duͤrfte es bey diesem Weichlichkeit, Muͤßiggang mit feiner Erfindsamkeit des Verstandes verbunden — gewesen seyn. — Die unreine Quelle, woraus Uebelthaten sprudeln, ist so verschieden — ist selbst bey man- chem ehrlichen Manne auch da! Dank’s der Fuͤrsehung, bete an und sey nicht stolz, wenn du stehest. Keiner muß ein Boͤsewicht durch seine Anlage werden; — aber alle koͤnnen’s! Noch Ein Wort zur Abwendung laͤcherlichen Mißverstandes: die Uebelthat kann nicht stehenden Fußes sich dem Schaͤdel einpraͤgen — so wenig so und so ein Schaͤdel gerade diese oder jene Uebelthat begehen muß. VII. Vom Unterschiede der Schaͤdel in Ansehung des Geschlechtes, und besonders der Nationen. Von dem Unterschiede der Knochen in Ansehung des Geschlechts und der Verschieden- heit der Nationen — hat oben angefuͤhrter Herr von Fischer mir trefflich vorgearbeitet. Jch liefere hier groͤßtentheils Auszug aus seiner Abhandlung. Die Betrachtung und Vergleichung der aͤussern und innern Beschaffenheit des Koͤrpers bey dem maͤnnlichen und weiblichen Geschlechte lehret uns, daß jenes zur Arbeitsamkeit und Staͤrke, U 3 dieses XIV. Fragment. Unterschied der Schaͤdel dieses zur Schoͤnheit und Fortpflanzung bestimmt sey. Offenbar zeigen sich die Merkmale der Mannhaftigkeit und Staͤrke von jenem besonders auch in den Knochen, und in so fern sich das Staͤrkere, Ausgezeichnetere leichter beschreiben laͤßt, als das weniger Ausgezeichnete, Schwaͤchere, sind auch die maͤnnlichen Skelete und Schaͤdel leichter zu bezeichnen. Das maͤnnliche Knochengebaͤude uͤberhaupt, der Schaͤdel besonders, ist offenbar staͤrker gebaut, als das weibliche; der maͤnnliche Leib nimmt aufwaͤrts von der Huͤfte bis zur Schulter an Breite und Dicke zu. Daher die breiten Schultern, und das vierschroͤtige Ansehen des Star- ken, da hingegen das weibliche Skelet von jener Stelle an allgemach duͤnner und schmaͤchtiger und nach oben, wie zugerundet, erscheint. Selbst einzelne Knochen sind beym weiblichen Geschlechte viel zarter, glatter, ebener, mehr zugerundet, haben weniger scharfe Raͤnder, Graͤthen, und hervorstehende Ecken. Zum Unterschiede der Schaͤdel in Ansehung des Geschlechtes gehoͤrt noch die Anmerkung des Santorinus: „die Hoͤhle des Mundes, des Gaumens, wie uͤberhaupt der Theile, welche „den Ton bilden, sind beym weiblichen Geschlechte kleinlicher — damit stimmt das schmalere und „rundere Kinn, folglich der untere Theil der Mundhoͤhle, uͤberein.“ Bloß die einzige Beobachtung von der Runde und Eckigtheit der Schaͤdel kann als ein großes, festes Fundament der Physiognomik uͤberhaupt, und als eine Quelle unzaͤhliger besonderer Beurtheilungen benutzt werden. Das ganze Werk ist voll von Beyspielen und Beweisen davon. Es ist kein Mensch dem andern, weder im aͤussern noch innern Bau seiner Theile, sie moͤ- gen groß oder klein seyn — vollkommen gleich — auch nicht in seinem Knochengebaͤude. Dieser Unterschied hat nicht nur zwischen verschiedenen Nationen, sondern selbst unter den naͤchsten Bluts- verwandten Statt. Aber er ist bey diesen und unter derselben Nation nicht so groß, als unter Nationen, die sehr entfernt von einander, und auf eine ganz verschiedene Weise leben. Je mehr, und je vertrauter die Menschen mit einander umgehen, desto naͤher kommen sie sich, wie in der Sprache, der Lebensart, den Sitten, so in der Bildung der Theile ihres Koͤrpers, in so fern diese aͤussern zufaͤlligen Ursachen unterworfen ist. So gleichen sich gewissermaßen uͤber- haupt Nationen, die durch Kaufmannschaft und Gewerbe mit einander verbunden sind, indem sie durch die Macht des Clima, der Nachahmung und der Gewohnheit, die so sehr auf die Beschaf- fenheit in Ansehung des Geschlechtes, und besonders der Nationen. fenheit des Koͤrpers und der Seele — das ist, der sichtbaren und unsichtbaren Kraͤfte des Men- schen, wuͤrkt, zu einander gebildet werden, ungeachtet der Nationalcharakter von jeglicher derselbe bleibt, der freylich groͤßtentheils eher bemerkt, als beschrieben werden kann. Feinere Unterschiede derselben Knochen beyseite gesetzt, wird es genug seyn, einige Bey- spiele sehr von einander entfernter Nationen anzufuͤhren. Zwar zeigen sich dergleichen in Absicht auf die Staͤrke, die Festigkeit, die Bauart, das Verhaͤltniß der Theile, in allen Theilen der Skelete verschiedener Voͤlker, am allermeisten aber doch in der Gestaltung des Gesichtes, das uͤberall den Aus- druck der besondern Art und Natur der Seele an sich hat. VIII. Dritte Tafel. B. Drey Schaͤdel, eines Hollaͤnders, Calmucken, Mohren. Man betrachte die Gestalt der drey verschiedenen Todtenschaͤdel, die hier vorgelegt werden. Der erste ist eines Hollaͤnders, der zweyte eines Calmucken, der dritte eines Ae- thiopiers. Das Gesicht des ersten ist uͤberhaupt runder nach allen Richtungen; die Hirnschalenkno- chen sind breiter, uͤberall gleichfoͤrmiger umgebogen, gewoͤlbt; auf beyden Seiten weniger platt gedruͤckt, dem Ansehen nach glatter, voller, und zarter, als der andern beyden. Der Calmucken schaͤdel hat ein groͤberes, rauheres Ansehen; ist oben etwas platter, auf den Seiten weit hervorstehend, zugleich fest, und wie zusammengepreßt; das Gesicht breit und flach. (Man vergleiche es mit den vorherstehenden Schaͤdeln) Die Hervorragungen uͤber der eingebognen Nase — geben der Stirn ein wildes und unfeines Wesen. Der Schaͤdel des Aethiopiers geht steil und stark in die Hoͤhe, wird ploͤtzlich schmal; uͤber den Augen zugeschaͤrft, unter denselben stark hervorragend; von hinten hoch kugelfoͤrmig. Das Stirnbein des Hollaͤnders neiget sich sanft zu seinem rundlichen Gesichte herab; ist uͤber den Augen, in der Gegend der Schleimhoͤhlen, wo die Augenbraunen liegen, ein wenig erhaben, welche Erhoͤhung zum Theil sich uͤber die Augenhoͤhlen hinzieht und verliert. Ueber der XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. der Nase etwas hervorstehend gewoͤlbt, biegt es sich sanft und gerundet zu dem Fortsatze des Oberkiefers und der Nasenbeine, mit denen es fest zusammengefuͤgt ist — herab. Die Sei- tenbeine des Schaͤdels ziehen sich rund und gleich gewoͤlbt hinterwaͤrts auf die Seiten, helfen die Gestalt einer Kugel bilden, und stehen nicht weit vor den Schlaͤfen heraus. Die Jochbeine, die die Seitengegend unter den Augen ausmachen, sind nicht sehr flach, und neigen sich abwaͤrts gegen den Oberkiefer. Dieser ragt wenig hervor, hat unten einen beynahe halbmondfoͤrmigen Rand, worinnen die Zaͤhne fast senkrecht stehen, und biegt sich seitwaͤrts gegen die Fortsaͤtze des Kinnbeines herum. Das Stirnbein unterscheidet des Calmucken Schaͤdel besonders von des Europaͤers seinem. Wie platt 2. in der Mitte! gegen die Schlaͤfe stark einwaͤrts gebogen; die Stirne flach, aber laͤngst den Augenhoͤhlen sehr auswaͤrts erhoben und hoͤckricht. Ein Zeichen der innlie- genden großen Schleimhoͤhlen. Jst sonst uͤber der Augenhoͤhle nicht sehr hervorstehend, und zieht sich mit seinem rundlichen, sehr dicken Rande gegen den aͤussern Augenwinkel herab. Zwischen den Augenbraunen sehr aufgeschwollen, steigt es tief zwischen die Augen herunter, und macht da einen merklichen breiten Hoͤcker, mit welchem die schmalen, ziemlich scharfen und gleichsam nieder- gedruͤckten Nasenbeine und die Fortsaͤtze des Oberkiefers unter einem ziemlichen Winkel verbun- den werden. Der Oberkiefer hat einen weitlaͤuftigen Rand, steht auf beyden Seiten weit her- aus; unter der Nasenoͤffnung und den Augen steil heruntergehend, ohne innliegende weite Schleimhoͤhlen. Die Stelle fuͤr die Zaͤhne geraͤumig, aber vornen in der Gegend der Schneide- und Hundszaͤhne ausserordentlich platt, so daß die Zaͤhne schief vorwaͤrts ragen. Je flacher und niedriger des Calmucken 2.) Stirn war, desto hoͤher und schaͤrfer ist des Aethiopiers 3.) seine, besonders an dem Orte, wo sonst die Nath war, und oben. Gegen ihre Hoͤhe ist sie ziemlich schmal, ragt zwischen den Augenbraunen nicht sonderlich hervor, sondern kruͤmmt sich sogleich gegen die Nasenbeine herab. Die Backen sind nicht breit, sondern wie zusammengezogen, und wegen der niedern Lage der Jochbeine wenig auswaͤrts erhoͤhet. Von hinten bemerkt man, daß der Grund der Hirnschale sehr tief liegt. Auch XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Auch ist die besondere Enge der Augenhoͤhlen an diesem Schaͤdel — merkwuͤrdig — und zeichnet ihn vor dem Schaͤdel des Calmucken und Europaͤers ungemein aus. Seltsam, daß unser Verfasser des Unterkiefers nicht gedenket. Der ist z. E. beym Calmucken durch die ungeheure Staͤrke, das flache viereckigte Kinn, die starken Winkel u. s. f. ausgezeichnet. Haben nicht die Augenhoͤhlen besonders beym Mohren eine schiefere Lage, als beym Europaͤer? Noch bemerke und vergleiche man besonders den Umriß des Hinterhauptes bey allen dreyen .. wie viel herausgewoͤlbter, kugelfoͤrmiger der Europaͤer, als der Mohr? Freylich — auf diese Copien von Copien laͤßt sich nicht ganz sicher fußen — Des Cal- mucken Schaͤdel ist, mit dem Originale verglichen, wornach unsere Tafel copiert ist, zu schmal, nicht platt, nicht stark genug. Auch das Eigne uͤber und unter der Nase ist nicht bestimmt genug ausgedruͤckt. Der Europaͤer ist nicht rund genug. Der Mohrenkopf nicht schmal genug. Der eigne Charakter des Unterkiefers bey allen nicht genug in Acht genommen. Jnzwischen hoff’ ich doch bey aller Unvollkommenheit des Abrisses dadurch wenigstens einige Veranlassung zu ei- gentlichern genauern Beobachtungen der Schaͤdel gegeben zu haben. IX. Noch einige Anmerkungen uͤber den Bau und die Gestaltung der Schaͤdel. Die Hirnschale, so hart sie ist, ist anfangs und lange so weich, so bildsam, daß Furchen, Rinnen, Unebenheiten innwendig an der Hirnschale, von dem bestaͤndigen Drucke des Blutes, der Adern, selbst des Gehirns gegen dieselbe entstehen. Die Aushoͤhlung der Hirnschale richtet sich, wie man deutlich bemerken kann, nach der darinn enthaltenen Masse des großen und kleinen Gehirns, und dessen Zunahme durch alle Stufen des Alters hindurch, so daß die aͤussere Gestalt dieses Eingeweides an der innern Flaͤche der Hirnschale vollkommen ausgedruͤckt erscheint; und wer zweifelt, daß eben so wohl auch der Umriß ihrer aͤussern Flaͤche dadurch bestimmt wird? Phys. Fragm. II Versuch. X Die XIV. Fragment. Bau und Gestaltung der Schaͤdel. Die zitzenfoͤrmigen Fortsaͤtze der Schlafbeine, die hinter dem Gehoͤrgange liegen, sind in der zarten Kindheit noch nicht vorhanden, werden bey zunehmendem Alter groͤßer und dicker; sind bey Weibspersonen kleiner, zugerundet, und glatt, desgleichen bey Leuten, die eine sitzende Lebensart fuͤhren; bey Bauern hingegen, bey Lasttraͤgern und andern, die sich immer mit har- ten und schweren Arbeiten abgeben, sehr groß, rauh und schief vor- und unterwaͤrts gerichtet, nach der Richtung der Muskeln, die daran befestigt sind. Eben so werden von der verschiedenen Wuͤrksamkeit der Muskeln, und anderer nahe gelegener Theile allerhand Zeichnungen und Eindruͤcke in den Knochen gemacht. Besonders zei- gen sich im Gesichte des Schaͤdels deutliche Spuren voriger Lebensart. Widernatuͤrliche Geschwulsten in der Naͤhe der Knochen veraͤndern durch ihren anhal- tenden Druck derselben Gestalt. Eine Pulsadergeschwulst in der Brust bey einem erwachse- nen Menschen hat sogar das Brustbein durchbohret, und um die große Oeffnung her Gruben und Hoͤhlen gebildet, die der Gestalt der Geschwulst entsprachen. Das Praͤparat davon soll im Petersburgischen anatomischen Kabinete aufbehalten seyn. Vom Ausserordentlichen laͤßt sich hier auf das, was alle Tage geschieht, und nothwendig geschehen muß, schließen. Gutta cavat lapidem. Die Beobachtung ist fuͤr die Physiognomik wichtig. Wir werden sie mehrmals zu be- nutzen suchen. Der Herr von Fischer ist der Meynung, daß man wenigstens einfachere, oder den sehr starken Charakter aus bloßen Schaͤdeln erkennen koͤnne, — naͤher bestimmt er die Anlage, die Maße des Charakters aus der ganzen Form, Haͤrte, Proportion — die zufaͤllige naͤhere Ausbil- dung und Bestimmung desselben — aus den verschiedenen Eindruͤcken, die die Gesichtsmuskeln darinn zuruͤck gelassen haben. — Daher die große Verschiedenheit dieser Knochen, wie die Ver- schiedenheit der Sprachen, der Mundarten. — Das Resultat von diesem allem ist: das Knochensystem ist immer Fundament der Phy- siognomik, man mag dasselbe bloß als bestimmend in Ansehung der weichern Theile, oder bloß als bestimmt durch die weichern Theile, oder als bestimmend und bestimmt zugleich anse- hen. XIV. Fragment. Von Kinderschaͤdeln. hen. Praͤgend oder gepraͤgt — immer — fester, bestimmter, dauerhafter, merkbarer; praͤgend und gepraͤgt — immer Charakter des Festern, Dauerhaftern im Menschen. X. Von Kinderschaͤdeln. Man wird einen auf das Papier ohne alle andere Verbindung hingezeichneten Kinder- kopf oder Kinderschaͤdel sogleich erkennen, und schwerlich jemals mit dem Kopfe eines Erwach- senen verwechseln. Nur muͤssen dann die Mahler nicht so unbegreiflich fluͤchtig uͤber das Eigen- thuͤmliche desselben hinhuͤpfen, und das Besondere so sehr verallgemeinen — der ewige Fehler der Mahler und so vieler anmaßlicher Physiognomisten. — Es giebt also gewisse bestaͤndige, bey aller individuellen Mannichfaltigkeit bestaͤndige Kenn- zeichen eines Kinderkopfes — diese scheinen mehr in der Zusammensetzung, und in der Form des Ganzen, als der einzelnen Theile zu liegen. Es ist bekannt, daß der Kopf im Verhaͤltnisse mit dem uͤbrigen Koͤrper desto groͤßer ist, je naͤher der Mensch seinem Ursprunge ist; so, duͤnkt mich, ist auch derjenige Theil des Schaͤdels, der das Gehirn beherbergt, groͤßer, als der uͤbrige Theil, der das Gesicht und die Kiefer bildet, wenn ich die Schaͤdel eines Embryo, eines Kindes, und eines Erwachsenen mit einander ver- gleiche. Daher, glaub’ ich, kommt es, daß die Stirn, besonders der Obertheil derselben, bey Kin- dern meistens so stark hervorsticht. Die Knochen des Ober- und Unterkiefers, mit den darinn steckenden Zaͤhnen, werden spaͤter entwickelt, und gelangen langsamer zu ihrer voͤlligen Ausbil- dung. Der untere Theil des Kopfes uͤberhaupt nimmt bis zum Ziel des Wachsthums in seinem Umfange verhaͤltnißmaͤßig staͤrker zu, als der obere. Verschiedene Fortsaͤtze, wie die zitzenfoͤrmi- gen, ( processus mamillares) die hinter und unter den Ohren liegen, u. s. f. bilden sich erst nach der Geburt. Die verschiedenen in diesen Knochen verborgenen Schleimhoͤhlen groͤßtentheils auch. Die vielfoͤrmige Gestalt dieser Knochen, mit ihren verschiedenen Ecken, Raͤndern, Ansaͤtzen u. s. f. die vielen daran befestigten und bestaͤndig wuͤrksamen Muskeln machen eine staͤrkere Zunahme und Veraͤnderung derselben moͤglicher und leichter, als es bey dem zugerundeten beinernen Gehaͤuse des Gehirns seyn kann, wenn es einmal durch die Naͤthe ganz zugeschlossen ist. X 2 Diese XIV. Fragment. Von Kinderschaͤdeln. Diese vorausgesetzte ungleiche Zunahme der beyden Haupttheile des Schaͤdels (denn von einzelnen Theilen und Knochen kann ich itzt nichts bestimmtes sagen) muß nothwendig einen großen Unterschied im Ganzen hervorbringen, ohne der dickern Raͤnder, Graͤthen, schaͤrfern Ecken, ein- zelner Hoͤcker und dergleichen, die groͤßtentheils von der Wuͤrkung der Muskeln herkommen koͤn- nen, dabey zu gedenken. Dem zufolge wuͤrde das Gesicht unter der Stirne zum Theil mehr vorwaͤrts geschoben, und da zugleich die Seitentheile, naͤmlich die Schlafbeine, die auch spaͤter ganz ausgebildet werden, sich immer mehr von einander entfernen, so verliert der Schaͤdel nach und nach von der birnen- foͤrmigen Gestalt, die er mir bey der zarten Frucht zu haben scheint. Die Veraͤnderung des Un- terkiefers ist hiebey besonders merkwuͤrdig. Jch will die Worte eines Anatomikers, Kerkrings anfuͤhren: „Der Unterkiefer faͤngt schon im zweyten Monat an, knoͤchern zu werden. Seine „Gestalt aber ist noch so sonderbar, daß ich nicht weiß, womit ich dieselbe vergleichen soll. Er „besteht naͤmlich aus zwey beinernen Stuͤcken, die sich unter der Nase in eine scharfe Spitze verei- „nigen, welche so weit uͤber den Oberkiefer hervorragt, daß sie nichts weniger als die kuͤnftige Ge- „stalt eines menschlichen Kinns verspricht. Jndem aber der Kopf zunimmt, und sich die Schlaf- „beine, mit welchen der eine Fortsatz des Unterkiefers eingelenkt ist, immer mehr und mehr von „einander entfernen, so verschwindet nach und nach diese spitzige Hervorragung, bis sie endlich dem „Oberkiefer fast gleich eben wird u. s. w.“ Ferner: Es zeigen sich sowohl am Ober-als Unterkiefer im siebenten, achten und neun- ten Monat gewisse Erhoͤhungen viel deutlicher, als bey Erwachsenen, dieses sind die Zellen und Behaͤltnisse der Zaͤhne, die anfaͤnglich, bey der noch duͤnnern Schale des Knochens, staͤrker her- vorragen, und nachgehends, wenn das Bein im uͤbrigen staͤrker und dicker wird, von aussen we- niger sichtbar werden. — Es ist zu bemerken, S. Boehmeri Institut. osteolog. de dent. daß bey Kindern zwo Reihen von Zahnzellen in jedem Kiefer vorhanden sind, die vordern und hintern. Jn den vordern stecken die sogenann- ten Milchzaͤhne, die bis zum vierzehnten Jahre wieder ausfallen, und von denen in der zweyten Reihe ersetzt werden, da dann die vordern Zellen ganz verschwinden — Dieser Umstand macht wieder XIV. Fragment. Von Kinderschaͤdeln. wieder eine große Veraͤnderung der beyden Kiefer in Absicht ihrer aͤussern Flaͤche nothwendig — Der untere Kiefer besteht bey Kindern noch aus zwey Stuͤcken, die in der Mitte des Kinns vereiniget werden, es haben also auch deswegen gewisse Veraͤnderungen desselben noch eher statt. Und weil ich nun einmal vom Kiefer rede, was fuͤr eine Veraͤnderung geht mit demselben noch im hohen Alter vor? wenn die Zaͤhne nach und nach ausgefallen sind? — Die Zahnhoͤhlen fallen zusammen, und verschwinden vollkommen. Der Rand wird breiter, haͤrter, der Knochen ver- liert aber vieles von seinem Voluͤme. Der Unterkiefer zahnloser Leute hat oft eine ganz beson- dere Form, wird kleiner, schmaler und oben einwaͤrts zugerundet. Lemery wirft bey Anlaß dessen die Frage auf: Ob nicht alle Knochen, nachdem sie naͤmlich das hoͤchste Maaß ihrer Groͤße erreicht haben, mit dem Alter wieder von ihrem Voluͤme verlieren? — Sie bekommen weniger Nahrung, sie werden immer compackter, die Fasern und Blaͤttchen werden immer dichter auf ein- ander gepreßt, alle Zwischenraͤume werden kleiner ꝛc. Sehr viel aͤusserlich bemerkbaren Unterschied muͤssen besonders die auf beyden Seiten et- was herausstehenden, mit langen Wurzeln versehenen Hundszaͤhne, besonders die obern, die sonst auch die Augenzaͤhne heißen, verursachen, wenn sie entstehen, oder wenn sie ausfallen, oder je nachdem sie sonst staͤrker oder schwaͤcher sind; was diese zur Beschaffenheit der Seitentheile des Mundes, der Lippen ꝛc. beytragen, ist leicht zu sehen. Jch eile zu einem andern Unterschied. Die Sinus frontales, die Schleimhoͤhlen der Stirne bilden sich erst nach der Geburt. Es mangelt also der Kinderstirn natuͤrlicherweise die Erhoͤhung uͤber der Nase, und bey dem Anfange der Augenbraunen; die Stirn verliert sich ohne merklichen Bug in die Nasenwurzel. Diesen Umstand findet man auch bey Erwachsenen mehr oder weniger, bey welchen entwe- der jene Hoͤhlen mangeln, oder sehr klein sind; denn es hat, was diese Hoͤhlen anbelangt, sehr viel Verschiedenheit bey verschiedenen Subjekten statt. (Siehe Winslow. ) Die Nase veraͤndert sich waͤhrend des Wachsthums ungemein, ich kann aber nicht be- stimmen, wie und was die Knochen zu dieser Veraͤnderung beytragen, der Knorpel macht ausser dem den groͤßern Theil derselben aus. Zu allem diesem gehoͤrt genaue Vergleichung vieler Schaͤdel und Koͤpfe von Kindern und Erwachsenen; noch besser, wenn man viele dergleichen mit eben dem- X 3 selben XIV. Fragment. Von Kinderschaͤdeln. selben Kopfe in verschiedenen Altern anstellen koͤnnte — Dieses wird vermittelst der Schattenum- risse moͤglich. Dem Menschenbeobachter muͤssen solche Reihen von Koͤpfen, durch alle Alter durch- gefuͤhrt, gewiß sehr merkwuͤrdig seyn. XI. Fortsetzung. Vier Kinderschaͤdel. Vierte Tafel. C. Was ich von Kinderschaͤdeln uͤberhaupt habe anmerken koͤnnen, laͤßt sich zum Theil auch an den vorliegenden 4. Abbildungen wahrnehmen. 1. und 2. sind von einem Kinde von vierthalb Jahren. Der obere Theil des Schaͤdels ist sehr lang, von vornen nach hinten, eine ellyptische Figur — oben ziemlich flach, die Stirn stark vorwaͤrts geneigt; noch mehr bey dem untern, eines Embryons von vier Monaten, wo die Stirn mit der Nase einen rechten scharfen Winkel macht. Die Pfeilnath erstreckt sich noch bis zur Na- senwurzel herab. Das Stirnbein besteht also noch aus zwey Stuͤcken. Es scheint aus der Erhoͤ- hung uͤber der Nase in 1. und 2, daß sich die Schleimhoͤhlen bereits zu bilden angefangen ha- ben; an den untern Schaͤdeln ist noch kein Merkmal davon vorhanden; auch sind noch keine Naͤthe da; die Zwischenraͤume der unvollkommenen Knochen sind noch hier und dort mit Membranen aus- gefuͤllt. Ja nachdem die beyden Stuͤcke des Stirnbeins mit einander verwachsen, entsteht in der Gegend der Nath eine Art Rinne, oder auch eine Graͤthe. Ein Freund versichert mir, eine solche bey einem jaͤhrigen, ungemein starken und muntern Kinde gesehen zu haben, die sehr scharf war, wo die beyden Stuͤcken wie in Einem Winkel vereint waren. Vieles mag dabey von aͤusser- lichen Ursachen abhaͤngen, z. B. von Umstaͤnden bey der Geburt, von der Behandlung der Kinder nach derselben. — Man weiß, daß es Nationen giebt, die ihren Kindern den Kopf spitzig, an- dere, die ihn platt druͤcken, bis auf einen gewissen Grad mag es angehen, mit welchem Erfolge, weiß ich nicht zu sagen. Uebrigens sollen jenes die Chineser, und dieses die Kanadenser thun. Unten entsteht die Scheidewand zwischen den Schleimhoͤhlen und oft an derselben Stelle bald eine kleine Vertiefung, bald eine Erhoͤhung. Die Augenhoͤhlen sind sehr weit, und ihr Rand, beson- XIV. Fragment. Von Kinderschaͤdeln. besonders gegen und uͤber der Nase, noch nicht ausgebildet. Die Nasenbeine sind bey ihrer Vereinigung ungemein scharf; der Kiefer unvollkommen. Noch fehlen die Backenzaͤhne. Die Zahnzellen sind stark hervorragend; besonders merklich sind die bey der ersten Figur noch im Un- terkiefer verborgenen Zaͤhne der einen Seite. An den Joch- und Schlafbeinen, und ihren Fort- saͤtzen, auch am Unterkiefer ist wenig Festigkeit und Staͤrke. Die zitzenfoͤrmigen Fortsaͤtze feh- len. Das Kinn ist sehr spitzig und stark zuruͤckstehend. Bey der Vereinigung der zwey Haupt- stuͤcke des Unterkiefers entsteht sonst bey einigen untenher das Gruͤbchen im Kinne, welches, wenn ich nicht irre, oͤfters dem weiblichen Geschlechte mangelt; weil dasselbe groͤßtentheils ein runderes Kinn hat. Sonderbar scheint mir in der zweyten obern Figur der bogenfoͤrmige Umriß von der Na- senhoͤhle bis zur Kinnspitze. — Jch vermuthe, dieser Kopf, wenn er ausgewachsen waͤre, haͤtte ein verstaͤndiges, geschwaͤtziges Weibchen gegeben. Von den zwo untern Abbildungen, die von 5. und 4. monatlichen Kindern sind, weiß ich, ausser der merklichen Unvollkommenheit aller Knochen, besonders der Schlafbeine und der beyden Kiefer, weiter nichts mehr zu sagen. Wie schwach ist da noch der Unterkiefer? Die Natur eilt in ihrer Ausbildung nach Maaßgabe der Beduͤrfnisse; das ist alles, was ich daraus sehe. XIII. Von einigen andern Arten, die Schaͤdel zu beobachten. Fuͤnfte Tafel. E. Ein Stuͤck von einem Schaͤdel aufm Ruͤcken liegend. Zur Erweiterung und naͤherer Bestimmung physiognomischer Kenntnisse bemerke man die menschlichen Schaͤdel in allerley Lagen, und besonders auch in derjenigen, die wir auf der Ta- fel E dem Leser vorlegen. — — Man bemerke zuvoͤrderst — Die XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Die Form, Groͤße, das Verhaͤltniß des Ganzen — die naͤhere oder weitere Approxima- tion zum Oval — das Verhaͤltniß der Hoͤhe und Breite uͤberhaupt — Der Schaͤdel, den wir vor uns haben, gehoͤrt, in dieser Lage, zu den laͤnglichten; und von vornher zu betrachten, ver- muthlich zu den kurzen. Der Raum von aa bis ccc, oder der Kronnath ist groß; desto ge- ringer der Raum von ccc bis eee. Man bemerke zweytens den Bogen baab, der von so aͤusserster und so leicht bestimm- barer Bedeutung ist. — Jn unserm Schaͤdel ist dieser Bogen besonders bey aa sehr gemein, wenigstens in der Zeichnung. Reiner gewoͤlbt, oder bestimmter gebogen — wie viel mehr wuͤrd’ er Charakter ha- ben — die folgende Tafel wird’s zeigen. Man bemerke drittens die 3. Suturen, ihre Beugung uͤberhaupt, nnd die kleinere Figuration besonders. Jch will noch nichts daruͤber sagen, weil ich noch nicht genug beob- achtet habe; aber ich weiß, daß Beobachtungen hieruͤber zu physiognomischen Entdeckungen fuͤh- ren werden. Der Schaͤdel, den wir vor uns haben, hat in der Gegend des ersten C eine seltene Be- sonderheit. — Man sage nicht, „daß ich hieraus das mindeste wahrsagen wolle“ — durchaus nicht. Jch will nur die Aufmerksamkeit des Beobachters drauf lenken; nur immer dran erin- nern — „Schaut die Natur an! vergleicht! sammelt Beobachtungen! reihet sie! pruͤft Geistes „und Koͤrpers Charakter zugleich — Jhr werdet immer was finden; vielleicht nicht das, was „ihr suchtet; vielleicht gerade das Gegentheil — aber finden werdet ihr immer — Wichtigkei- „ten! neue Verhaͤltnisse; neue Gepraͤge der Weisheit, Ordnung, Guͤte — allenthalben in jedem „Punkte der Menschheit — Fußstapfen der Erde tragenden und Himmel woͤlbenden Gottheit.“ Man bemerke viertens die Beugung ober Kruͤmmung der Graͤnzlinie b. f. g. f. b. — Besonders endlich die Hoͤhlung, Plattheit oder Woͤlbung bey g .... oder dem Hin- terhauptbeine. Naͤhere oder bestimmtere Beobachtungen hieruͤber seyn dem letzten Theile vorbe- halten. XV. Stir- XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. XIV. Stirnen. Sechste Tafel. Jtzt noch ein Wort von den 3. Umrissen von Stirnen, von obenherab anzusehen. Entscheidender, deucht mir, kann die Natur nicht sprechen, durch den bloßen Schaͤdel, durch einen bloßen Theil oder Abschnitt von Schaͤdel sprechen, als hier geschieht. Wer hier nicht wenigstens Winke zu neuen Entdeckungen merkt — der — was? ... kann ein ganz lieber, guter, brauchbarer Mensch und Menschenfreund seyn; aber Physiogno- mist? — Muß denn alles Physiognomist seyn? Der erste Umriß von einem gemeinen Menschen — der zweyte von einem sehr verstaͤndi- gen — der dritte nach einem Kopfstuͤck in Gips von Locke? XV. Siebente Tafel. F. Zum Beschlusse noch ein umgekehrter aufm Ruͤcken liegender, von unten auf anzusehen- der Schaͤdel — oder die Basis vom Schaͤdel — ohne den Unterkiefer. Man bemerke a) Den Bogen, den die Zahnreihe a, a, a, bildet — und schließe von der Zugespitztheit und Plattheit auf Schwaͤche oder Kraft. b) Man bemerke zweytens die Form, die Schaͤrfe oder Stumpfheit des Oberkiefers bbbb. c) Drittens die Form und Groͤße des Lochs ccc, und besonders d) Viertens die Staͤrke der Knochen d, d. (ossis occipitis capitula) e) Fuͤnftens die zitzenfoͤrmigen Fortsaͤtze ee. f) Sechstens vornehmlich die Rauhigkeiten im ganzen Hinterhauptbein ffffff. Phys. Fragm. II Versuch. Y g) End- XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. g) Endlich noch den untern Umriß, seine Rundung und Reinheit. Jch habe noch nicht genug beobachtet, um viel oder weniger daruͤber zu sagen. Jch will nur damit Zergliederern Winke geben. XVI. Beschluß. G efuͤhl der Menschheit, erster, letzter Zweck Von jeder Zeil’ und jedem Bild und Wort’, Die ich dem Aug’ und Ohre gebe; — Gefuͤhl der Menschheit! — Unding dem Thoren! Dem Weisen Daseyn! Leben! Seligkeit! Gefuͤhl der Menschheit! wie regst du dich! Willst sprechen! und verstummst und wirst Anbetung! Sprachloses — tiefes Gottumfassen! ... O du in mir — wo nehm’ ich Namen her fuͤr dich? Was Namen? brauchst du zum Daseyn — Namen? Mein Selbst — wie wird, wie wird’s dir — Unerforschtes du — in diesem Schaͤdel? Wenn uͤber Schaͤdelbau und Ur- und Nachgestalt Du staunst! zum Forschen Pfade suchst — Nicht findest; dennoch .. uͤberfliegest Die Stirne, die dich schließt und schraͤnkt und fesselt! ... Sie missest — wiegst und ihre Kraͤfte zaͤhlst ... O du XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. O du — mein Jch! wie ist dir dann? wie mir ... Denn ich, denn ich bin’s ja — Den diese Festung schließt und schraͤnkt und fesselt! Denn ich, denn ich bins ja — der herrscht in diesem Lustreich! Denn ich, denn ich bin’s ja, der angefesselt Doch uͤberfliegt die Graͤnzen dieser Festung ... Wie ist mir beym Gedank an deinen Wunderbau, O Schaͤdel! Graͤnze der regen Kraft in mir! O Stirne, die ich fuͤhle warm und schlagend! — Wie? Wie wardst du was du bist? Aus welchem Urstof bist du geformt? Wer, da er dich rund umwoͤlbte, sprach: „Hieher und weiter nicht! hier lege sich — „Der Stolz der Wellen des Bilder-Oceans, „Der in dir braußt .. hier breche der Stral des Lichts „Der langsam oder schnell — der Daͤmmerung des Geistes „Entgleitet — hier! Er brech’ und wende sich zuruͤck!“ — Wer maß dir deine Hoͤh’ und Breit’ Und woͤlbte nach Erd und Himmel dich? Wer ließ die Bleyschnur an deinen Enden schweben? Wer freute sich zuerst — wer deines Ebenmaaßes? Wer deiner unerkannten Harmonie Mit Himmel, Erd’ und Meer und Fluß? — Wer der mit Sirius, Orion? Der mit dem Sandkorn? wer? ... Sieh ... aufzuschluͤrfen das Naß vom Buchstab, Den ich schreib — Er eilt der Fels — das Sandkorn, Er eilt und waͤlzt sich — neben tausenden, Y 2 Dahin XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Dahin geschleudert von der Hand Die Zeichen nacherschuf dem Nacht- und Lichtgedanken, Den an der Vorderwand von dir, o Schaͤdel, Den uͤbern Augenbogen ausgebahr die Seele! Sieh — dieses Sandkorns Harmonie Mit deiner Woͤlbung — wer, wer maß sie? Zuerst? Erfand sie? wer? wer freute sich Der Wunder-Harmonie des Stirngewoͤlbes Mit allen Sichtbarkeiten! allen Unsichtbarkeiten der Unermeßlichkeit? Wer? Jch nicht! Jch nicht! O ... verstummen O staunen kann ich nur — nur stammeln, fuͤhlen nur, Kaum stammeln: „Jch nicht!“ — wer? O wer dann? O — Namen hat Er nicht ... Anbetung nur! Anbetung nur der allumfassenden Allmessenden Gestaltkraft des Urgeists! Anbetung Jhr — Durch den zu seyn, zu wissen, daß man’s ist! O Seligkeit, die niemand kennet, — dessen Stirn Nicht duͤrstet Morgenstral, nicht Mondlicht saugt Wie muͤde Hirschen Erquickung aus dem Quelle ... O — Stirngewoͤlb — — du Feste Gottes! Gebaut zum Preise seiner Herrlichkeit! Du Fels, auf dem sie ewig ruhn Die großen Ahndungen der Menschen Wuͤrde! Du Fels, auf den sich gruͤnden Himmelhohe Bewoͤlkte Hoffnungen — die Wahrheit einst Genuß und Wesen sind — wenn weggetroͤpfelt ist. Der XIV. Fragment. Menschenschaͤdel. Der letzte Tropfen der zerschmolznen Sonne! Du Fels in allen Wogen der Zweifeley so fest, Wie in den Wogen der Luft, die dich umschweben — O du — du naher, herrlicher, du offner Verhuͤllter Gottes Tempel! ... Allerheiligstes! Der Menschheit Allerheiligstes, du Menschenschaͤdel ... Und einst — o einst .. vielleicht eh’ ich erreicht das Ziel, Eh’ ich vollendet das Buch der Menschheit . . (Des Thoren Hohngezisch, des Kindes Spielzeug, Des Weisen vertraute schwesterliche Freundinn) Vielleicht eh’ ich mit bebender und schwacher Hand Gezeichnet vom Alphabet der Offenbarung Der Menschen Herrlichkeit — nur wenig Silben — Bist du — entseelte Schaale .. Schaͤdel! .. Urbild Dem Zeichner oder Menschenforscher, oder Bist Lehrtext dem Zergliederer, Der mit dir spielt, um den die Schuͤler horchen, Ohn’ Ehrfurcht vor der unnennbaren Gottheit — Und ohne Lustgefuͤhl an ihrer Menschheit. Y 3 Funfzehn- XV. Fragment. Affen. Funfzehntes Fragment. Die Affen. M an weiß, daß der Affe unter allen Thieren der Menschengestalt am naͤchsten koͤmmt — und dennoch — wie ungeheuer ist der Abstand! — ungeheuer! Freue dich dessen, Mensch, und suche keine Groͤße in angenommener thierischer Kleinheit; keine Demuth in Erniedrigung deiner Natur! Der Schaͤdel der Affen, wie wir bald auf einem besondern Blatte sehen werden, ist dem Menschenschaͤdel am aͤhnlichsten; so wie ihre sinnliche Vorstellungsart der menschlichen. Der Menschen aͤhnlichste des Affengeschlechtes ist der Ourang-Outang und der Pitheke, die andern Arten der Affen weichen von der Gestalt des menschlichen Koͤrpers schon mehr ab. — Der Ourang-Outang — ahmt alle Menschenhandlungen nach — und verrichtet keine einzige Menschenhandlung. Die, welche den Meuschen gern zum Thier erniedrigen — karrikaturiren den Menschen zum Ourang-Outang herab, und idealisiren den Ourang-Outang zum Menschen hinauf. Aber genaue Beobachtung und Vergleichung von beyden — auch nur der Schaͤdel — obgleich diese mit dem menschlichen am meisten Aehnlichkeit haben — wird die große Verschie- denheit von beyden darthun, und die ewige Unerreichbarkeit der menschlichen Natur von der Af- fen Natur mehr, als bloß wahrscheinlich machen. Man sagt vom Menschen im bloßen Stande der Natur — — doch wo ist der? — da, wo die natuͤrliche Religion ohne Offenbarung — und, daß er nirgends ist, — beweist das nicht die Allgemeinheit der Menschenwuͤrde? — So gut das Nichtdaseyn der natuͤrlichen Re- ligion — das Beduͤrfniß goͤttlicher Belehrungen fuͤhlbar macht. — Man sagt vom Menschen im bloßen Stande der Natur: „Jhm ist der Kopf mit strup- „pichten Haaren, oder mit krauser Wolle; mit langen Haaren das Gesicht — seine Stirne „ebenfalls mit uͤberworfnen Haaren von obenher bedeckt — werde kurz, alles majestaͤtischen „Ansehens beraubt — die Augen werden bedeckt — sie werden tiefer liegend, und mehr rund, „wie bey den Thieren — erscheinen; die Lippen seyen dick und weit hervorstehend; die Nase platt; XV. Fragment. Affenkoͤpfe. „platt; sein Blick dumm, oder auch wild; die Ohren, die Glieder, der Leib, rauh — die harte „Haut einem schwarzen, oder doch braunen Leder gleich — die Naͤgel seyen lang, dick und krumm; „unter den Fuͤßen hornharte Haut — u. s. w. — — — Also, wie schwer anzugeben der Un- „terschied zwischen beyden!“ — So schwer nicht — Jch selbst kann nicht vergleichen. Aber wer vergleichen kann, ver- gleiche — zuletzt nur Schaͤdel mit Schaͤdel. — Wo ist am Affen die Stirn des Menschen — wenn das Haar zuruͤckgekaͤmmt ist? — Am Affen kann’s nicht zuruͤckgekaͤmmt werden. — Wo die Hoͤhe und Breite, wo die Woͤlbung der Menschenstirn, als beym Menschen? — Wo die besonders gezeichnete Augbraune — in deren Bewegung Le Bruͤn den Aus- druck aller Leidenschaften findet, und in denen allein noch so viel mehr zu finden ist, als Le Bruͤn drinn fand? — Wo die frey in die Luft hervorstehende Nase? wo ein aͤhnlicher Uebergang zum Munde? Wo Menschenlippe an Zeichnung? Beweglichkeit? Farbe? Wo Backen? wo hervorgehendes Kinn? wo Menschenhals? wo — Menschheit? Das neugebohrne Kind der wildesten Nation ist Mensch, hat alle Spuren der Mensch- heit — Man vergleich’ es mit einem frisch geworfenen Ourang-Outang — Man wird im Er- sten gewiß eher Moͤglichkeit zum Engel, als im zweyten Moͤglichkeit zum Menschen sinden. Erste Tafel. Zwey und dreyßig Affenkoͤpfe. Der menschlichste unter allen Affenkoͤpfen unsrer Tafel ist 6 — Eben ein Ourang-Ou- tang, oder Jocko, der kleine Waldmensch! und dieser aͤhnlichste, wie unaͤhnlich! — Das Thierische und Untermenschliche ist vornehmlich zu suchen — a) Jn der Kuͤrze der Stirn, die bey weitem nicht die schoͤne Proportion der menschlichen Stirn zum Gesichte hat. b) Jn dem Mangel oder der Unsichtbarkeit des Weißen am Augapfel. c) Jn XV. Fragment. Affenkoͤpfe. c) Jn der Naͤhe der Augen, wenigstens der Augenhoͤhlen im Schaͤdel. d) Jn der oben schmalen, unten breitgedruͤckten, nicht hervorspringenden Nase. e) Jn der widrigen Hoͤhe der Ohren, die am Menschenkopfe beynahe immer mit Aug- braun und Nase parallel laufen. f) Jn dem Uebergange von der Nase zum Munde, der beynahe so lang ist, als das Kinn, da er beym Menschen gemeiniglich nur die Haͤlfte der Kinnlaͤnge hat. g) Jn der einfachen bogenfoͤrmigen Gestalt der Lippen. h) Jn der dreyeckigten Form des ganzen Kopfs. Des Haares — des Halses nicht zu gedenken. — Man sagt von diesem Thiere: Es sey in seinen Gebaͤrden traurig; sein Gang sey gravitaͤ- tisch, seine Bewegungen, wie abgemessen; sein Naturell ziemlich sanftmuͤthig und von anderer Af- fen ihrem sehr verschieden; er sey nicht so ungeduldig, wie der Maggot (25. 27.) — nicht so boͤs- artig, wie der Pavian, 21. noch so ausschweifend, wie die langgeschwaͤnzten Affen. Eine menschlichere Lippe hat unter allen, die wir hier sehen, keiner. Jm hoͤchsten Grade thierisch sind alle, etwa zwey oder drey ausgenommen. Der menschlichste nach dem so unmenschlichen Ourang-Outang ist 7. und 8, Der Gibbon — wie auch sein Schaͤdel 9. zeigt. Dieser Affe soll ebenfalls von gelaßner Art, sanftmuͤthig in seinem Betragen — seine Bewegungen nicht so hastig und ungestuͤm seyn; soll alles, was man ihm zu essen giebt, sachte annehmen, und sich vor Kaͤlte und Feuchtigkeit sehr scheuen. — Allein seine ganze Gestalt ist so unmenschlich, wie moͤglich; seine disproportionirten ent- setzlichen Arme — reichen an den Boden, wenn er aufrecht steht. Man sehe Buffon Hist. nat. Tom. XIV. p. 5. und 108. Wie in 6. die Entfernung der Nase von dem Munde das Thierische bezeichnet; so in 7. besonders in 8. die Naͤhe der Nase und des Mundes. Unter die sanftern gehoͤrt auch 21. der Maimon, dessen Augenwinkel am meisten Mensch- liches zu haben scheinen. Er soll sehr umgaͤnglich und liebkosend seyn. Der XV. Fragment. Affenkoͤpfe. Der Mackak, 29. soll auch sanfter Art und ziemlich gelehrig seyn; uͤbrigens von so ab- scheulichen Gebaͤrden, daß man ihn nicht ohne Ekel und Entsetzen ansehen kann; auch von zaͤhem Eigensinne. Der Mandrill, 14. und 16. ekelhaft haͤßlich — wo ist hier noch Menschheit? — Sein kurzer, voller, graͤßlicher Haarwuchs — die Laͤnge seiner platten Nase, oder vielmehr seine zwey Nasenloͤcher, woraus bestaͤndig Rotz fließt, den er mit der Zunge auffaͤngt — sein blaues Gesicht, das von beyden Seiten her der Laͤnge nach voll tiefer Runzeln ist — der Mangel an Kinn — — wie tief erniedrigt ihn das alles unter den niedrigsten Menschen! — Sonst soll er nicht von der schlimmsten Art seyn. Der Mone, 24. ganz stirnlos, untenher tiegerhaft, durchaus unmenschlich in der Form — soll auf eine ausschweifende Art lebhaft, munter, nicht grimmig wild, und sehr ge- lehrig seyn. Der Maggot, 25, 27. — 25. Blick des hungrigen Geitzes, kleinsuͤchtiger Naͤsche- rey — 27. Anschlag auf Beute. Der Patas, 20. und 23. Diese Art thut unbeschreiblichen Schaden in den Feldern von Senegal — ist von unglaublicher Behendigkeit. Die Chinesermuͤtze, 30. — werden auch nur halb zahm; man muß sie bestaͤndig in Ket- ten halten. Sie stecken beym Krebsen ihre Schwaͤnze zwischen die Scheeren der Krebse und ziehen sie so bequem ans Land, und wenn der Krebs sie kneipt, ziehen sie den Schwaz schnell zuruͤck. Die Maͤuler der meisten Affen haben folgenden Charakter. Phys. Fragm. II Versuch. Z Unter XV. Fragment. Affenkoͤpfe. Unter allen diesen Charaktern hat nur 1. und 2. etwas menschliches. Alle uͤbrige sind vollkommen thierisch, besonders 2. und 5. Noch eine Anmerkung von Wichtigkeit — Menschen, von denen man sagt, daß sie ins Affengeschlecht sehen — obwohl immer weni- ger Aehnlichkeit wuͤrde gefunden werden, (besonders in der Stirn; indem gerade die Menschen, denen man diese Aehnlichkeit zuschreibt, groͤßtentheils die offensten, freysten Stirnen haben — groͤßtentheils in diesem Haupttheile von den Affen am meisten verschieden sind,) je genauer man sie beobachtete und verglieche — Diese Menschen sind gemeiniglich sehr brauchbar, thaͤtig, geschickt, mancherley Dinge anzuordnen und einzurichten, listig — und beynahe von der unentbehrlichsten Art. Zweyte Tafel. Affenschaͤdel. Die eigentliche Form des gemeinsten Affenschaͤdels siehet man in der voruͤberstehenden Tafel. Es ist wahr, kein Thierschaͤdel, nicht Einer hat so viel Menschliches, wie dieser. — Aber die wesentlichen Verschiedenheiten sind dennoch auffallend, und sie sind, meines Er- achtens, fuͤr die Physiognomik wichtig. Eine der ersten auffallendsten Verschiedenheiten ist der wenige Zwischenraum zwischen beyden Augenhoͤhlen. Eine XV. Fragment. Affenkoͤpfe. Eine zweyte, die Flaͤche der liegenden Stirn, wie sie besonders im Profile sichtbar wird — dieß ist nun eigentliche Thierheit. Eine dritte — die Form des Nasenlochs — Am Menschenschaͤdel ist sie wie ein um- gekehrtes Herz; am Affenschaͤdel ist die Spitze des Herzens unten — der breitere Theil oben. Auch ist viertens der Uebergang von der Stirne zur Nase dadurch verschieden, daß die Wurzel der Nase beym Menschenschaͤdel viel hoͤher steht, als bey der Nase des Affen. Fuͤnftens ist der Menschenkiefer nach Proportion viel breiter, zahnreicher, als des Af- fen; der einerseits sehr zugespitzt, anderseits, im Profil anzusehen, sehr spitzig vorgebogen ist. Sechstens, des Menschen Kinn steht vielmehr vorwaͤrts — Das Kinn des Affen geht so tief zuruͤck, daß man kaum was davon sehen kann, wenn man einen Menschenschaͤdel und Affenschaͤdel, beyde liegend auf der untern Kinnlade, neben einander, an einem Tische sitzend betrachtet, — so wie ich sie gerad itzt vor mir habe. Man koͤnnte, glaub’ ich, fast als physiognomischen Lehrsatz annehmen — Je mehr Kinn, destomehr Mensch; versteht sich nicht Fleischkinn, sondern Knochenkinn. Daher beynahe kein Thier von vornher betrachtet, Kinn hat .. Daher — zuruͤckgehendes Kinn und zuruͤckgehende Stirnen groͤßtentheils verhaͤltnißmaͤßig sind. Noch ein siebenter, besonders im Profile sichtbarer Unterschied — ist in der Form und Groͤße des Hinterhaupts — wie viel laͤnglichter und kuͤrzer, als des Menschen! der Winkel, der aus dem Untertheile des Unterkiefers und der Basis des Hinterhaupts entsteht, ist beynahe ein rechter; — wie viel anders bey dem Menschen, wo die untere Kinnlade mit dem Knopfe bey- nahe horizontal liegt — der Knopf fehlt ganz am Affenschaͤdel. „Il est donc animal, \& malgré sa ressemblance à l’homme, bien loin d’étre „le second dans nôtre espèce, il n’est pas le premier dans l’ordre des animaux, puis „qu’il n’est pas le plus intelligent.“ — Buͤffon. Und warum nicht? Weil er so wenig Stirn und Hirn hat — weil er in Hauptstuͤcken dem Menschen wesentlich unaͤhnlich ist. Z 2 Jch XV. Fragment. Affenkoͤpfe. Jch schließe. O Mensch, du bist kein Affe — und der Affe ist kein Mensch. Ernie- drige dich nicht zum Affen, — freue dich, Mensch zu seyn, und sey, was du bist, und nicht, was andere sind, nicht sind, seyn wollen. — Sechzehn- Sechzehntes Fragment. Schwache, thoͤrichte Menschen. L aͤssige Verzogenheit, thierische Stumpfheit, zuckendes Behagen, schiefes Laͤcheln, Unstaͤndig- keit, Unbestimmtheit, Stierigkeit, Lockerheit — die gewoͤhnlichsten, allgemeinsten, auffallendsten Zeichen der angebohrnen und natuͤrlichen Dummheit. Laͤssige Verzogenheit, Lockerheit, Unstaͤndigkeit — nicht nur Zeichen, Sache .. Und was ist am Menschen bloß Zeichen, und nicht Sache? O wir schlauen Taschenspieler mit Worten — wie verfuͤhren wir uns! — was ist am Men- schen Sache, das nicht Zeichen? Zeichen, das nicht Sache sey? welches Glied? welches Gliedes Glied? welcher Muskel? welcher Zug? welche Miene? Doch, ich scheine vielleicht auszugleiten? Sey’s! — der Gedank’ ist wesentlich, und mehr als Grundpfeiler der Physiognomik! Neue Bestaͤtigung davon die vorliegenden ziemlich aͤhnlichen Profilumrisse von mehr und minder thoͤrichten Menschen. Erste Tafel. Vier Umrisse von maͤnnlichen Thoren. Diese vier sind alle Thoren, aber Thoren von dem verschiedensten Charakter. Die Thorheit hat ihre Classen, Gattungen, Arten, wie die Weisheit. Jhre Charakter sind so verschieden, als sie selber. Die zween obern, von wie ganz anderer Art, als die zween untern! Der Einen Thorheit zeigt sich in der Vielfaltigkeit; (im eigentlichsten, buchstaͤblichsten Sinne des Wortes) der andern in faltenloser Flachheit; der einen in Verzogenheit, die sich anspannen will; der andern in ru- higer Trieblosigkeit. Die obern sind einem aufgeruͤhrten Moraste, die untern einem stillstehenden, seichten, mit Schleim uͤberzogenen Teiche aͤhnlich. 4. scheint (das große Ohr ausgenommen) am wenigsten von Natur Thor zu seyn. 1. und 3. am meisten. 2. scheint ein entsetzlich heftiger, hartnaͤckiger Kopf zu seyn. Welch ein Hals im Verhaͤlt- nisse mit dem obern Theile des Schaͤdels! — Man erinnere sich des Kahlkopfs, Silhouette 4. auf der sechzehnten Tafel des zwoͤlften Fragments. Z 3 Zweyte XVI. Fragment. Zweyte Tafel. Vier weibliche Profilumrisse. 1) N atuͤrliche Plumpheit! Stirn gemein; Nase an sich nicht so gar gemein, aber gemein in der Verbindung mit der langen, steifen, und dennoch kraftlosen Stirn. Umriß des Auges nicht so schlimm; aber der Blick stierig, und wider die Falten um die Augen! unaussprechlich aber herrscht massive Dummheit in der untern Haͤlfte des Gesichtes von dem Ende der Nase an bis zum verdeck- ten Ohre herauf — vorzuͤglich in der Unterlippe — — „Aber man sieht sehr gescheute Menschen „mit dieser Unterlippe?“ — wohl mit einer stark vorstehenden; aber mit so einer? Jch zweifle, und wenn? — das Gesicht wird sonst positife Trefflichkeiten haben, von denen eine solche Unter- lippe vierzig Procent abzieht. — 2) Wie viel feiner — inniger, als 1? wie viel Zartes, Edles noch im Munde — der durchscheinende Eindruck von Schwaͤche scheint das Resultat von den Falten unterm Auge, den un- ten am Backen, der Entfernung des Eckchens des Mundes von dem etwas emporgezognen Nasen- laͤppchen, und dann die Laͤnge des Kinns zu seyn. 3) Schreckliche, natuͤrliche Dummheit — nicht eben bloß da, wo du sie vielleicht zuerst su- chen wirst, in dem hohlen Umrisse der Nase. Jch habe die herrlichsten, feinsten, verstaͤndigsten, edel- sten Seelen von stark hohlen, ich will nicht sagen so stark hohlen Umrissen in dieser Gegend gese- hen. Aber diese Hoͤhle, nebst der Kuͤrze und Stumpfheit der Nase, nebst der hohen oben vorra- genden, oben herausgehenden Stirn; dann wieder die Entfernung des Mundes von der Nase, sammt dem offnen Munde — und dem Halse — alles zusammen macht den fatalsten Effekt unbe- lehrlichster Schwaͤche. 4) Wieder die vorhaͤngende Stirn in dieser Flaͤche; das bloͤde Auge, und der kindisch thierische Mund, der so ganz ausserordentlich uͤber das zuruͤckgehende Kinn hervorhaͤngt — wer bedarf hier Erinnerung? Dritte Schwache, thoͤrichte Menschen. Dritte Tafel. Vier Thorenkoͤpfe, drey maͤnnliche, ein weiblicher. 1) N icht der Umriß der Stirn, nicht die Nase — aber wiederum der offne große Mund — die ecklose Unterlippe so nah’ uͤberm laͤnglichtrunden Kinn hervorragend — und die gefaltete Lockerheit — zeigt entsetzliche Dummheit. Das ist mein Urtheil. Ein aͤusserst scharfsichtiger Freund urtheilt folgendergestalt: „Die Gestalt dieses wahnwitzigen Menschen ist wie ein Baumblatt, das der Mehlthau auch „nur auf einem einzigen Punkte traf; von dem Orte aus verzieht sich die Form; nach dem „Orte hin verziehen sich die Linien, und so zucken hier nach dem verschobnen Gehirne all’ die „uͤbrigen Zuͤge. „Gehinderte Wuͤrkung also ist sichtlich an diesem Profile. „Ein beschaͤfftigter Mensch; zwar kleinlich und aͤngstlich beschaͤfftigt, hypochondrisch aus- „getrocknet, durch Wollust entschnellkraftet; kurzsichtig von Natur und schwach — Um die „Schlaͤfe ist der Sitz seiner Thorheit, wo die ohne das aͤrmlich wuͤrkenden Geister verrauch- „ten.“ — 2) Jst bloß Grimasse. Ein Theil der Stirn und die Nase koͤnnten eines witzreichen, klugen, festen Mannes seyn. Bemerkt wieder die vielfaͤltige Lockerheit — und den offnen Mund. 3) Jn der untern Haͤlfte des Gesichtes — welche Gedehntheit! Flaͤche, Unangespannt- heit! — und dann abermals wieder offner Mund; besonders die Unterlippe mit dem flachen Kinne! Stirn und Auge haben nichts albernes, nichts dummes. Man decke Nase und Mund — ob nicht Aug’ und Augbraunen, und die Ecke der Stirn was Großes erwarten lassen? 4) Das gepreßte Auge, der offne Mund und das lockere Kinn im Verhaͤltnisse zum Hals sind Zeichen oder Spuren der Lockerheit — und wiederum die herabgehende Entfernung des Mundes von dem sich heraufziehenden Nasenlaͤppchen — Das Uebrige find’ ich gut. Vierte XVI. Fragment. Vierte Tafel. Vier thoͤrichte Frauenkoͤpfe. A lles ebenfalls gebohrne Thoͤrinnen. Die uͤber die Nase entweder perpendikular vorstehende, oder obenher gewoͤlbte vorhaͤngende Stirn, wie in 1. und 4. — das Vielfaltige besonders um die Au- gen in 1. das Gedehnte in 2. und 3. das Verbißne im Munde, wie in 3, 4, besonders in 1. der lockere offne Mund, wie in 2. das vorstehende, fleischige Untermaul, wie in 4; das lockere, flei- schige Kinn in allen vieren. Der kropfige Hals, wie vermuthlich in allen, besonders 2. und 3. — Ueber die Stirne 3. eine besondere Anmerkung. Nur ein wenig perpendikularer und angezogener; und es sind oft die Verstaͤndigsten. Dieß hat mich einigemale, wo ich den Unterschied nicht bemerkte, zu den auffallendsten Fehlurtheilen irre gefuͤhrt. Fuͤnfte Schwache, thoͤrichte Menschen. Fuͤnfte Tafel. Sechs weibliche schattirte Koͤpfe. 1. E ine an sich nicht dumme, alte, starke, engbruͤstige Person. Hier ist ihr Blick stierig und verworren. 2. Ein gichtisches, unverheyrathetes Weibsbild von 67. Jahren — meines Ermessens, besonders aus Unterkinn und Nase zu urtheilen, von nicht gemeinen Verstandesanlagen — Hier Blick und Miene alternder Kindlichkeit. 3. Stille, verschloßne, unzugaͤngliche, unheilbare Melancholie. Diese zeigt sich beson- ders in den Falten uͤber den Augknochen, den inegalen Augenbraunen, dem staunenden Blicke, den kleinen Nasenloͤchern, und dem geschloßnen trocknen Munde. 4. Scheint mir eine gebohrne, gutmuͤthige, geschwaͤtzige, Naͤrrinn froͤhlicher Art zu seyn. Man vergleiche Mund mit Mund in 4. und 3. Die Froͤhlichkeit draͤngt die Mitte der Mit- tellinie des Mundes ab- und die beyden Enden des Mundes aufwaͤrts — die Traurigkeit zieht die Mitte des Mundes hinauf — und druͤckt die beyden Enden hinab. 5. Eine vom Schlaͤge geruͤhrte alte Frau, die viel gelitten und erduldet zu haben scheint. Das rechte Aug' ausgenommen, scheint sie von dem gemeinsten Verstande zu seyn. Phys. Fragm. II Versuch. A a 6. Eine XVI. Fragment. 6. Eine Naͤrrinn, eine Jungfer von ungefaͤhr 45. Jahren; vom Schlage geruͤhrt, ganz kindisch; stets in Bewegung; macht die abscheulichsten Grimassen; ist aber nicht boͤse. Dieser Kopf ist, aus Stirn und Kinn zu urtheilen, von Natur dumm. Die Vignette ist ein ziemlich aͤhnliches Bild von einer aͤusserst verstaͤndigen blindge- bohrnen Person. Sechste Schwache, thoͤrichte Menschen. Sechste Tafel. Sechzehn idealische Profilkoͤpfe nach Chodowiecki. J n allen 16, obgleich in sehr ungleichem Grade, Tinktur der Schwachheit. 1. Jm allergeringsten Grade; der Sitz vornehmlich in Stirn und Lippe. 2. Schon weniger angezogen und schwaͤcher, besonders Aug' und Nase. 3. Zugleich unedler und kleinlicher, vornehmlich im Munde. 4. Edler, unschuldiger, kindischer, besonders im Auge, Nase, Stirn. 5. Um die Wahl vernuͤnftiger, aber dennoch ohne Kraft und Selbststaͤndigkeit. 6. Stierig, strebt sich anzustrengen, und ist keine Kraft da. Großes Auge — kleinliche Nase, fader Mund. 7. Fuͤrchterliche Schwaͤche vermoͤge der Entferntheit des matten, großen, nicht tiefen Auges vom aͤussern Umrisse der Nase. Kleinlichkeit im untern Theile des Gesichtes. Poͤbelhafte adelstolze Veraͤchtlichkeit. 8. Mehr schwach, bloͤde, furchtsam, als dumm. 9. Diese Naͤhe der Augbraune bey biesem Aug' ist unmoͤglich; durch den Umriß des Kinnes weniger schwach, als die meisten vorhergehenden. 10. Das Aug' positif schwach — positif schwach der Uebergang der Stirn zur Nase — und nichts Positifes, das Ersatz waͤre. 11. Jm untern Theile merklich verstaͤndig; verstaͤndiger als 9. und 1. Sonst kontrasti- rende Gemeinheit. 12. Vom Auge zum Munde herab sehr schwach; sonst waͤre der aͤussere Umriß der Nase bis zum Kinn herab, bey geringer Zuruͤckziehung der Oberlippe — nicht gemein. 13. Was in Nase, Mund, Kinn gut ist, vertilgt das schwache Aug', und der hintere Theil des Mundes. 14. Nicht unverstaͤndige Nase. Sonst durch Perpendikularitaͤt und Kleinlichkeit des Kin- nes und Mattigkeit des Auges schwach. A a 2 15. Viel- XVI. Fragment. 15. Vielleicht noch schwaͤcher. Aber besser um den Mund, und viel Bonhomie und Ehr- lichkeit. 16. Hohe Stirn und kleinliche Nase und kindisches Kinn. Jn allen Umrissen beynahe kein scharfes Eck; in allen Mangel der Festigkeit und Betrieb- samkeit. Alles Maͤnner ohne Mannheit. Leichtbewegliche, leitsame Schwaͤche; Kraftlosigkeit zu schaden — — Beschluß. Schwache, thoͤrichte Menschen. Beschluß. A llmaͤchtiger Gott! wie sind doch deiner Menschen so viel, und ihre Gestalten so mannichfal- tig ... Du hast sie alle weislich und wunderbar gebildet, und jeglicher ist ein Schauplatz deiner Huld und Guͤte! Auch der schlechteste, verzogenste, elendeste — ist ein Jnbegriff deiner Huld und Guͤte! .. Zwar zaͤhlbar unter unzaͤhligen gesunden, geraden, rechtgeschaffenen, vernuͤnfti- gen Menschen sind die elenden, die Kruͤppel, die thoͤrichten, schwachen Menschen — zwar un- ter zehen tausenden ist kein Riese und kein Zwerg — unter tausenden kaum Ein gebohrner Thor; A a 3 unter XVI. Fragment. unter dreyhunderten kaum Ein Kruͤppel. Aber auch dieser Kruͤppel, dieser Thor, dieser Zwerg, dieser Riese — sie alle noch Zeugen der mannichfaltigen Huld und Weisheit dessen, der alles schafft zu seines Namens Preise ... Sie alle leben — und freuen sich des Lebens ... und wehren sich gegen den, der’s ihnen rauben will. — Sie alle sind wenigstens noch, auch nur als Ausnahmen von der Regel betrachtet, wuͤrdige, nuͤtzliche Produkte. — Opfer fuͤr dich und mich Gesunden, Vernuͤnftigen — da, daß Gottes Kraft einst an ihnen offenbar wuͤrde — Joh. IX. 3. da, daß wir anbeten den, der uns — ohn’ un- ser Wollen oder Laufen — besser bildete, zu erkennen Jhn und die Kraft seiner allwuͤrksamen Gottheit. Also — gesunder, gerader, verstaͤndiger, edler Mensch, schaue sie an deine schwaͤchern Mit- geschoͤpfe, aber verachte sie nicht! Du bist Mensch, und sie sind’s nicht minder, und in den Augen hoͤherer Wesen bist du, was diese in den deinigen sind — Aller Augen erleuchtet der Herr .. Sie athmen unsere Luft, und waͤrmen sich am Stral unserer Sonne. O ihr Gegenstaͤnde menschlicher Verachtung und des stolzen unbruͤderlichen Spottes — wie kann ich Eure gluͤcklichern Bruͤder mit Euch ungluͤcklichern versoͤhnen? — wer sie verachtet, laßt michs, Leser, noch einmal Euch zurufen, der schmaͤht ihren Schoͤpfer. Und du — der dem Lahmen, der 40. Jahre nie gewandelt hatte, Leben und Schnellkraft gab — dem Tauben Gehoͤr, dem Stummen Sprache, und allen Weisen Weisheit! O du, der alles neu machen und jedes nach Gerechtigkeit richten wird, wenn die Himmel wie eine Rolle sich zusammen rollen, und die Erde mit allen ihren Produkten zerschmelzen wird! O du — mit wel- chen Schwache, thoͤrichte Menschen. chen Thraͤnenstroͤmen unnennbarer Wonne werd’ ich dich anbeten, wenn du einst auch diese Geschoͤpfe von den Druͤckungen und Lasten befreyen, und ihre Koͤrper nach deinem Bilde, nach dem Bilde des Erstgebohrnen, umwandeln wirst! Siebenzehn- XVII. Fragment. Siebenzehntes Fragment. Thierische Stumpfheit und Hornkraft. Widder, Ziegen, Schaafe. W ir entfernen uns bisweilen von Menschen, — und untermischen Thiergestalten; — nicht eben in der Absicht, um Aehnlichkeit mit Menschen herauszuzwingen, wie der allbekannte, in alle Sprachen uͤbersetzte Compilator Porta in seinen physiognomischen Schriften; obgleich wir weit davon entfernt sind, ihm Neuheit, Scharfsinn und Witz abzusprechen — und in Anse- hung der Gelehrsamkeit ihm nicht an die Fersen reichen. — Vornehmlich moͤcht’ ich nur auf die Allgemeinheit der Physiognomie, auf die Stu- fenfolgen der Physiognomien, auf die Erhabenheit der Menschennatur uͤber die Thierna- tur — und allenfalls erst zuletzt auf Aehnlichkeit von Thier- und Menschenzuͤgen auf- merksam machen. Thierische Stumpfheit und Hornkraft — wie sichtbar in den Thieren, die wir vor uns haben! Rauhigkeit, Behaartheit der Stirn; die Entferntheit der Augen — ihre Schiefheit; ihr Zusinken von der Last bloß grobfuͤhlender Sinnlichkeit! Zerdruͤcktheit der Nase. Lippen- Thierische Stumpfheit und Hornkraft. Lippenlosigkeit, Sinnlosigkeit. Form des Mundes, Umriß der Augen — Buchstabe der hoͤchsten einfachsten Sinnlichkeit, Stoß- und Brunstkraft in den zwey obern Widdern. Phys. Fragm. II Versuch. B b Achtzehn- XVIII. Fragment. Achtzehntes Fragment. Zerstoͤrte menschliche Natur. Ruͤdgerodt. H err Leibarzt Zimmermann sandte mir die voruͤberstehende Silhouette von einem Menschen, dessen Moͤglichkeit ich mir nie gedacht haͤtte, und erwartete mit Ungeduld mein Urtheil. Das war: „das groͤßte, schoͤpferischte Urgenie; dabey drollig und boshaft witzreich.“ — Und seine Berichtigung: „die Physiognomie eines Unmenschen; eines eingefleischten „Teufels.“ Diesen aͤussersten Grad der Teufeley hatt’ ich anfangs, ich gesteh’ es, an dem bloßen Schat- tenprofile nicht bemerkt, eh’ ich den Umriß 2. sah — Sobald ich den sah, bebt’ ich zuruͤck, und wer bebt nicht mit mir vor einer Gestalt zuruͤck, die nur fuͤr den entsetzlichsten Unmenschen schlimm genug ist? Den entsetzlichsten Unmenschen! Ja! Sey’s der einzige in seiner Art! Ein lebendiger Sa- tan! Ein unaufhoͤrlicher Moͤrder! Stiller in sich grabender Bosheit voll! Ein Hurer ohne Maaße; ein Dieb ohn’ alle Nothdurft; ein Maͤdgenmoͤrder; Frauenmoͤrder; Muttermoͤrder; ein Geitz- hals, wie kein Moralist sich einen dachte, kein Schauspieler vorstellte, kein Poet dichtete, — der in den letzten Lebenstagen nur Wasser und keinen Wein trank — aus Geitz — ... Er weidete sich am Schatten der Nacht; schuf sich durchs Verschließen seiner Fensterladen den Mittag in Mit- ternacht um; verriegelte sein Haus; sein Haus, ein Abgrund von Diebstal und Mord, Mord- gewehr, Diebswerkzeugen — Lichtscheu, Menschenscheu, allein in sich selbst vermauert, grub er in die Erde, in tiefe Kellermauren, in Dielen und Felder seine erstohlenen und erworbenen Schaͤtze; beschaute und zaͤhlte sie in einsamen Mitternaͤchten, wo ihn der Schlaf floh, das Gewissen die letz- ten Warnungen vergeblich noch versuchte. Mit dem Blute der Unschuld bespritzt, tanzte er lachend am Hochzeittage der Frau, die er nachher am Grabe, das sie sich selbst, auf sein Geheiß, in seiner Gegenwart unwissend bereitete, todtschlug. Er blieb gelassen bey den schrecklichsten Erwartungen, und laͤchelte uͤber die Bosheiten, um deren willen er sein verruchtes Leben auf dem Rade endi- gen mußte. Alles Zerstoͤrte menschliche Natur. Ruͤdgerodt. Alles dieses ist auf dem Bilde zum Theil, war im lebenden Gesichte ganz zu lesen. Sein Auge nichts ansehend, an nichts theilnehmend, zitterte hin und her, starrte ins Schattenreich seiner Diebstaͤhle, spuckte unter den Gestalten der Erschlagenen. Sein Rachen glich einem offnen Grabe, und seine entsetzlichen Zaͤhne waren Pforten der Hoͤlle. Es ist keiner meiner Leser, der in dem schwachen Umrisse nicht mehr oder weniger Greuel entdecke; keiner, der im Blicke, im Munde, im Ganzen einen edeln, offnen, uneigennuͤtzigen Menschenfreund vermuthe; sich dem Menschen naͤhern, sich ihm mittheilen, sich an ihn anschlies- sen moͤchte; keiner, der sagen wird: „Ein liebenswuͤrdiger Mann.“ Daß es kein liebenswuͤrdiger Mann sey, dieß zeigt der untere Theil der Silhouette. Aber warum sah ich anfangs nur lachenden, drollichten Witz, nur das in seiner Art einzige Urgenie drinn? warum verdraͤngte der Eindruck von Selbststaͤndigkeit und Originalitaͤt des Kopfes beynahe alle andere, mir itzt nicht weniger auffallenden Zuͤge von kalter, trockner, abscheulicher Bosheit? — Der Umriß der Stirn und besonders der Nase verfuͤhrte mich. Guͤte, Bonhomie, — daran kam mir kein Gedanke — aber dennoch, ich gesteh’ es, vermuthet’ ich anfangs in der Nase etwas Edles und Großes — und es ist nicht Eigensinn und Rechthaberey, wenn ich itzt noch behaupte: diese Stirn und Nase uͤberzeugen mich aufs Neue von der großen troͤstenden Wahrheit: „ Es ist kein Mensch so verrucht, kein Menschenangesicht so abscheulich, in dem „nicht noch stehende Zuͤge, unaustilgbare Spuren, wenigstens mitgebohrner Trefflich- „keit uͤbrig bleiben. “ Hier in dem verruchtesten Menschen sind sie noch auffallend, in dem obern Theile des Pro- fils vom Angesichte. Dieser Verstand, diese Staͤrke des Geistes, diese in sich selber stehende, aus sich selbst still herausarbeitende planvolle Thaͤtigkeit, die sich darinn so sehr auszeichnet — Jst sie nicht im Grunde dieselbe Kraft in der Tiefe einer Moͤrdergrube — und im Cabinette des Koͤ- nigs? — Aber noch einige andere Anmerkungen. a) Die Stirn hat mehr Kraft, als Guͤte. Der obere Theil des Stirnbeins vom Haar- wuchs an bis auf die Hoͤhe des Schaͤdels hab' ich selten in dieser Schiefheit ohne Verstandes- B b 2 kraft XVIII. Fragment. Zerstoͤrte menschliche Natur. Ruͤdgerodt. kraft — und etwas rohes, hartes, determinirtes — mithin leicht an Bosheit graͤnzendes Wesen gesehen; wohl verstanden, wenn keine besaͤnftigenden Zuͤge zugleich mit vorhanden waren. b) Der obere Theil des Profils ist immer weniger oder doch langsamer Veraͤnderungen bey Verschlimmerung oder Verbesserung des Charakters ausgesetzt, als der untere. c) Man muß sich huͤten, zu viel, oder alles aus bloßen Silhouetten errathen zu wollen. d) Der Umriß des Hinterhaupts zeigt Stoßkraft und Gefuͤhllosigkeit. e) Die Linie 3. waͤre noch boshafter mit weniger Verstand. f) Die Linie 4. starrsinniger mit weniger Erfindungskraft. g) Die Linie 5. verschlagner und eigensinniger — mehr Eigensinn, zu leiden, als zu wuͤrken. h) Die Linie 6. dummer Starrsinn. i) Die Linie 7. dummer, schwacher Starrsinn. k) Die Linie 8. schwaͤchster Eigensinn, oder Eigensinn, hoͤchst dummer Schwaͤche ... l) Zuletzt bitt' ich noch den furchtbaren Umriß von der Unterlippe bis zum Ohre zu bemer- ken. — Und dann — o ihr Aeltern, Lehrer, Erzieher, Menschenfreunde — dann — Euch nicht zu entsetzen, wenn ihr an Kindern, Knaben, Juͤnglingen — Anlagen zu solcher Bildung wahr- nehmet — Jhr koͤnnet die herrlichsten, thaͤtigsten, edelsten Menschen aus ihnen bilden. Weisheit von oben wird’s Euch lehren; Euch lehren, daß Gott den Menschen schlecht und recht macht; und daß er’s ist, der Mensch, der sich durch List und Kunst verderbt! Neunzehn- Neunzehntes Fragment. Philipp III. Umriß. K urzer, untheilnehmender Großsinnn, lieblose Herrschersaugen, selbstische Tiefe, ungluͤckliches Mittel zwischen Staͤrke und Schwaͤche, Unbiegsamkeit, Gewaltthaͤtigkeit, Mißtrauen, und was draus folgt. Entwickle dieß, forschender Leser. Nachstehender Umriß eines feinen, bedaͤchtlichen, festen, — ohne Schnellkraft. Fuͤr tiefe Bedaͤchtlichkeit und Festigkeit sind die Augen entscheidend. B b 3 Zwanzig- Zwanzigstes Fragment. Kaiser Matthias. E in wunderbar gemischter Charakter. Die Perpendikularheit der Stirn mit den aufgezognen Augenbraunen, deutet Eigensinn, und Mangel an uͤberschauender Denkkraft, viel Schwaͤche in dem weiten Raume zwischen Aug’ und Augbraune. Dagegen das Auge gerad, treu, die Nase stark und gut, die Oberlippe was menschlich treuvolles, die Unterlippe unbedeutend, ge- mein und schwach. Ein Ein und zwanzigstes Fragment. Ochsen, Hirsche, Haasen ꝛc. W ieder Thierkoͤpfe zwischen hinein, um physiognomischen Sinn zu staͤrken, zu erweitern. Sie gehoͤren wenigstens mit zur unendlichen Jnduktion fuͤr die große Wahrheit: die ganze Natur ist lauter Wahrheit; Offenbarung. Wenn ich also oft uͤber solche Tafeln kein Wort zu sagen wuͤßte, oder sagte — genug: sie bringen diese gewisseste, wichtigste, geglaubteste und bezweifelste? Wahrheit wieder vors Aug’ und — vor die Seele, die sehen kann und will. Wie auffallend ist die Verschiedenheit dieser Thierkoͤpfe und ihrer Charakter. — Jm Ochsen — Dummheit und defensifer Trutz. — Jm Hirschen — Leichtigkeit, Horchsamkeit, stille, sanftmuͤthige Unschuld. Jm Steinbock — nicht innere, nur gleichsam mit den Hoͤrnern angenommene Kraft. Jm Haasen — haasige Gefraͤßigkeit, und ununternehmende Schuͤchternheit. Jm Biber — hier nur in seinem Auge was von seiner Klugheit und Kunstfertigkeit. — Zwey XXII. Fragment. Zwey und zwanzigstes Fragment. Eine Reihe Fuͤrsten und Helden. M an sollte, sagt, glaub’ ich, irgendwo Spon, (der sonst uͤber die roͤmischkaiserlichen Phy- siognomien den alten italiaͤnischen Physiognomisten ziemlich seichte nachradottirt —) „um in „der Physiognomik sicher zu gehen, vor allen Dingen die bekanntesten, oͤffentlichsten, groͤßten „Personen genau betrachten. Wie sehr diese immer ihre Charakter zu verstellen und zu verber- „gen suchen — so sind sie dennoch von so mannichfaltigen Seiten, so scharfen Augen beobachtet, „muͤssen so oͤffentlich handeln, sich oft so sehr vertrauen — daß ihr Grundcharakter nie ganz „verborgen bleiben, oder mißkannt werden kann. Laßt uns also einen Curs durch einige solche Physiognomien machen. Erste Tafel. Philipp der gute, Herzog von Burgund. K raͤftiger Thatverstand in der Stirne — die viel gedacht hat, ohne Anstrengung. Augen — voll zarter beweglicher Guͤte, mehr staunend, als denkend. Augenbraunen — so wie sie da sind, gemein und unbedeutend. Die Nase — ohn’ alle Groͤße und Kleinheit. Der Mund, vornehmlich durch die abwaͤrts in die Mitte der Unterlippe eingreifende Mittellinie, und den Umriß der Oberlippe, gut, ohne Delikatesse — und wolluͤstig, wie das Auge. Die vielen Falten in diesem Gesichte scheinen Vielfachheit der Ueberlegung und Erfah- rung anzuzeigen. Zweyte Tafel. Wilhelm III. Koͤnig in England und Schottland. E igne Staͤndigkeit zum Rath und zur That in der im hohen Grade aufgehenden Stirne. Jm Fuͤrsten und Helden. Jm Blicke und in der Nase Staatsklugheit. Feste Treue, Huld und Guͤte im Munde. Das Ganze macht den Eindruck von Ruhe voll leiser innerer Bedaͤchtlichkeit ohne Kleinheit. — Dritte Tafel. Rudolph I. Kaiser. E in Gesicht, das sogleich Theilnehmung erweckt, das aber im bloßen unschattirten Umrisse von seinem sanftern Adel viel verloren hat. Die Stirn ist voll Entwuͤrfe. Augenbraunen und Raum zwischen den Augen voll kraͤftig wuͤrkender Gedanken. Die Augen sind mehr des hell- als tiefsehenden, und voll sinnli- cher Reizbarkeit. Die Nase ist nicht ganz gemein; nicht sonderlich edel; nicht erhaben. Der Mund, im schattirten Originale, nach Soutmann und Van Sompel, viel ruhiger, edler und fester — Hier hat er in der Mitte, und in der allzu hart abgeschnittenen Unterlippe etwas schwach wolluͤstiges. Die Stellung des Kopfes ist des staunenden Entwurfmachers — Ent- wurf, der sich aus Thaten, nicht Worten, formt. Vierte Tafel. Albert I. S tirn und Nase, besonders im Originale — wahrhaft kaiserlich, stolz und eigensinnig, abermal das Nasenloch ausgenommen, das beynah’ in allen Sompelischen und Snyderhofischen Stichen kleinlich, hart, und abgeschnitten ist. Der Mund, besonders die Unterlippe, und das Kinn haben was aͤusserst rohes, gewaltthaͤtiges, grausames. Davon ist auch das stark verzeich- nete Aug’ nicht frey. Fuͤnfte Tafel. Friedrich III. der Schoͤne. V on der Schoͤnheit hat dieser Umriß viel verloren — und nach dem Originale von Snyder- hof ist der Kopf auch nur bis auf den Untertheil des Gesichtes schoͤn — denn den wird gewiß, etwa die Oberlippe im Originale ausgenommen, niemand schoͤn finden. Aber schoͤn, edel, fest ist Phys. Fragm. II Versuch. C c die XXII. Fragment. die Stirn — schoͤn und maͤnnlich, besonders im Originale, die Augenbraunen; voll Adel und Sinn und Kraft der Raum zwischen den Augen, den Ruͤcken der Nase hinab. Die Augen im Originale herrlich, aber dort wie in unserer Copie gedankenlos, thatenlos, hinstaunend. Das Nasenloch im Originale und der Copie unertraͤglich. Die Unterlippe zu plump und fade. Das kurze Kinn und der untere Umriß des Backens sehr gemein. Sechste Tafel. Kaiser Friedrich der IV. K lugheit und Mannheit in Stirn und Nase; Guͤte und Friedensliebe im Munde; Unterlippe und Kinn roh, gemein, und (ohne das Unterkinn betrachtet) schwaͤchlich. Jm Auge, besonders in der scharfen Hoͤhle, in die sich das obere Auglied verschiebt, oder endigt — Groͤße und Ver- standeskraft, die aber durch den vermuthlich viel zu harten Umriß des untern Augenliedes sehr ge- schwaͤcht wird. Siebente Tafel. Wilhelm, Graf zu Nassau. E in Mannsgesicht nach meinem Herzen, besonders im Originale. Die Stirn, Stirn des gesun- den, reifen, wackern Menschenverstandes. Das linke Auge etwas verzeichnet; das rechte — Buchstabe festen, cultivirten, maͤnnlichen Sinnes. So die Nase, besonders oben beym Auge. Jn der Mittellinie des Mundes Mannheit, ohn’ allen Zusatz von Weiblichkeit, und stolzem Manns- trutz, aber nicht ohne Kraft, zu trutzen und zu verachten. Achte Tafel. Ernst, Graf zu Mannsfeld. W ieder ein Mann von Rath und That. Umriß der Stirn bis zum Auge — Uebergang von der linken Augbraune zur Nase, Buchstabe von unternehmender Klugheit. — Verstand, der an Genie graͤnzt, im Blicke der Augen, besonders des rechten. Jm Munde Entschlossenheit, Muth, Stolz — Stolz im Gefuͤhl innerer Kraft ist der Ausdruck des Ganzen. Neunte Fuͤrsten und Helden. Neunte Tafel. Uladislaus VI. Koͤnig in Polen und Schweden. D er aͤussere Graͤnzumriß des Gesichts hat was entsetzlich gemeines, rohes, poͤbelhaftes; nicht denkender, forschender Sinn, aber auch nicht Stumpfsinn ist im Auge, so wie’s erscheint. Viel Sinnlichkeit, wenig Cultur, planlose Festigkeit, oder Schwerheit vielmehr — ist der Aus- druck des Ganzen. Zehnte Tafel. Maximilian I. Kaiser. D ie Gestalt dieses Fuͤrsten ist ein neuer Pfeiler unserer Lehre. So viel man von der Stirne, besonders im Originale sehen kann, den aͤussern eckigten und wellenfoͤrmigen Graͤnzumriß bis zum Unterkinn mitgerechnet; das hell- und festschauende Auge, mit dem tiefen Einschnitt am obern Auglied, die etwas zu harte Unterlippe am Auge ausgenom- men, die herrliche, fuͤr Muth, Thaͤtigkeit, Weisheit, Selbstgefuͤhl, wenn ich so sagen darf, spe- cifike Nase, besonders der aͤusserst feine Mund, der im Profile sichtbarere Einschnitt in die Mitte des Kinns; der vorstehende, ebenfalls eingeschnittne Kinnball — alles dieß zusammen, welch ein seltener, rufender Ausdruck von natuͤrlicher Heldenhaftigkeit. — Welche wahrhafte kaiserliche Groͤße! Reinheit des Verstandes! Adel! Guͤte! Buͤrger- lichkeit! Empfaͤnglichkeit! Beweglichkeit! leicht zu erzuͤrnen! bald zu besaͤnftigen! Eben dieser Gemsenjaͤger, dieser leichte Felsschwinger war’s, der alle Wissenschaften und Kuͤnste wuͤrklich liebte, der alle vorzuͤgliche Maͤnner seiner Zeit kannte und nutzte; der am liebsten mit Privat- leuten umgieng, und sich drum so gern bey den Augspurgern aufhielt, die ihm zu Ehren man- che oͤffentliche buͤrgerliche Lustbarkeiten anstellten, Jagden, Fechterspiele, Taͤnze auf freyer Straße, wo er oft mit machte; besonders die sogenannten Geschlechtertaͤnze. C c 2 Als XXII. Fragment. Fuͤrsten und Helden. Als er das letztemal von Augspurg abreiste, (1518, kurz vor seinem Tode) hielt er bey der Rennsaͤule im Lechfelde still, sah mit Bewegung nach der Stadt zuruͤck, und sagte, daß es alle, die ihn begleiteten, hoͤren konnten: Nun behuͤt’ dich Gott, du liebes Augspurg! und alle fromme Buͤrger drinne! Wohl haben wir manchen guten Muth in dir gehabt; nun wer- den wir dich nimmer sehn! — Auch ist nie ein Fuͤrst mehr geliebt worden, als die Augspur- ger ihn liebten. Hier die Vignette, um des Kontrasts willen. Drey Drey und zwanzigstes Fragment. Voͤgelkoͤpfe. A uch an den Voͤgeln laͤßt sich die wahrheitliebende Natur nicht unbezeugt. Auch diese Ge- schoͤpfe haben, sowohl in Vergleichung mit andern Thieren, als in der Vergleichung unter sich selber — ihren entscheidenden Charakter. Durchaus sind die gefluͤgelten Thiere leichter gebaut, als die vierfuͤßigen; durchaus sind die Haͤlse beweglicher, die Koͤpfe kleiner, der Mund spitzer, die Bekleidung des Leibes reicher und luftiger. Um die bekannteste Sache wenigstens anschaubarer zu machen, um wenigstens in der Folge unsrer Beobachtungen bisweilen darauf verweisen zu koͤnnen, seyn hier auch ein Paar Tafeln, wie mich deucht, trefflich gezeichneter Voͤgelkoͤpfe eingeruͤckt. — Die Verschiedenheit ihres Charakters ist bekannt. Es fragt sich: — sind ihre Phy- siognomien eben so verschieden, als ihre Charaktere? Der hellen wolkenlosen Sonne kuͤhn entgegen hebt sich der majestaͤtische Adler, schaut weit umher in unermeßliche Gegenden, und entdeckt in der Tiefe seinen lebendigen Raub — auf der Erde, oder auf einem Baum, oder in der Luft schwebend — stuͤrzt sich herab, ergreift ihn mit gewaltiger Klaue, und traͤgt ihn auf einsame Felsen, oder in Thaͤler mit stolzer Kraft, ihn noch vollends zu zerreissen und zu verschlingen! Wer kann ihn anschauen, ohne diese Staͤrke, diese siegreiche Schnellkraft, diesen stolzen Grimm, diesen furchtbaren Raͤuber — in seiner aͤussern Gestalt zu erblicken! wie funkelt sein Aug’! — Jst’s nicht wie der Blick des Blitzes! wer vertraut sich so stolz der blendenden Son- nenflamme! Betrachte alle Augen bis zu des Maulwurfs herab — wo findest du diese durch- dringende blitzende Festigkeit des schnell sich waͤlzenden Blickes! wo dieß Verhaͤltniß der Augen zum Lichte — wo? — O wie wahr, wie laut spricht die Natur zu dem, der Ohren hat. Aber nicht nur die Glut des blitzenden Adlerauges spricht innere Wahrheit, auch der obere Umriß, auch die uͤbergewaͤlzte Stirnhaut — zeigt seinen Zorn, und seinen Muth. C c 3 Die XXIII. Fragment. Voͤgel. Die Vorgebogenheit, die Kuͤrze, die Schiefe, die Gewoͤlbtheit, die Festigkeit seines obern Schnabels — sind dieß nicht alles redende Zeichen des Muths und der Staͤrke? Man sehe 1. 2. 4. 6. Jm Geyer (3) wer sieht nicht im laͤngern Hals und Schnabel und seinem gedehnteren Wesen — weniger Urkraft, und Adel? Jm Kopfe der Nachteule (5) und (6) nicht den unedlern, knikerschern, scheuern Raub- vogel? Jm englischen Hahne (7) nicht Hochtraben des Stolzes? Blick der Eifersucht? — Jm Straußcasuar (9 und 10) wie unbeschreiblich viel Physiognomie! welche Rohig- keit! Boͤseweiberwuth! ohne Geschmack und Empsindung! Nachaͤffung von Kraft, ohne Kraft, Geschwaͤtzigkeit, Empfindlichkeit im Papagay (11. und 19.) Sanfte demuͤthige Scheue in der Taube. (13) Jm Schwane (14) mehr Adel als in der Gans, weniger Kraft als im Adler, weniger Zartheit als in der Taube, mehr Biegsamkeit als im Strauß? Jn dem kleinen nicht tiefliegenden Auge, im flach und einfach gewoͤlbten Schaͤ- del, im Mißverhaͤltniß des Kopfes zum ungeheuren Schnabel des brasilischen Poly- phems, oder des großschnablichten Pfeffervogels — (15) wer sieht darinn nicht Mangel an muthiger Kraft? Es ist als ob der sich seines langen Schnabels schaͤmte, und mit seinem Blicke zu verstehen gebe — „Jch kann und will nicht schaden, so schadenfroh mein Schnabel scheinen mag.“ Jn der wilden Ente (16) nicht wilderes Wesen als im Schwan? ohne die Wurzelkraft des Adlers. Jn dem kleinen Auge, kleinen Kopfe, langen Schnabel des Kropf-Pelikans, oder der Beutelgans — (17) wo etwas von Rachblick der wilden Ente? von der Bonhomie der Taube? Zweyte XXIII. Fragment. Voͤgel. Zweyte Tafel. Goldadler. N ach Natur und durch Alter schwaͤchere Urkraft — feuriger Blick, aber nicht rachdrohend, nicht tief; alles kraftloser, scheuer, weibischer, als 1. 2. 6. der vorhergehenden Tafel — beson- ders die Hoͤhlung uͤber dem verdeckten Nasenloche, wie der innere Umriß des obern und untern Schnabels. Vier XXIV. Fragment. Vier und zwanzigstes Fragment. Feldherren und Admiraͤle. I. Bourbon und Ruyter. 1. B ourbon, vollstaͤndigster Ausdruck von verstandreicher, unerbittlicher Entschlossenheit. Jn den (im Ganzen betrachtet) horizontolen Augenbraunen, aus denen sich so viele Falten in ver- schiedenen Richtungen heraufziehen, ist die beredteste, festeste Hartnaͤckigkeit. Die Augen koͤnn- ten — und sollten vielleicht, aus den Augenbraunen zu schließen, feuriger, kraͤftiger, weniger ge- bogen seyn. Die Nase ist durch ihre Groͤße, Keckheit, Bestimmtheit, so deutlicher Buchstabe von Verstandeskraft, Thatkraft, unternehmender Kuͤhnheit, als die Unterlippe, bey dieser Offenheit des Mundes, Buchstabe von roher Unempfindlichkeit ist. 2. Ruyter — kleiner, poͤbelhafterer, roherer Stolz. Mehr schnelle, grobe That, als Plan und Ueberlegung. Drohende Entschlossenheit, die sich nicht bedenkt. Zwischen den Augenbrau- nen Hauptsitz des Charakters. Welch ein Unterschied in beyden zwischen Nase und Nase! Ze- henmal entscheidender, adelhafter, planvoller, des Obern. Sonst hat das untere Gesicht mehr Ehrlichkeit, als das obere; — zwar rohe, trotzige, wartlose im linken Auge, besonders im Munde und in den Augen, obgleich dadurch, daß der Stern etwas mehr unter das Auglied verschoben ist, als beym rechten, der Eindruck von Ehrlichkeit etwas geschwaͤcht wird. Zweyte Tafel. Marlbourough. E ines der schoͤnsten, edelsten, treusten, entschlossensten Gesichter, besonders im Originale. Wie viel edler und erhabner, als Bourbon und Ruyter! — wie nationalidealisch! besonders Stirn, Augenbraunen, und Aug’ — ganz englisch! O die trefflichen Augenbraunen unter der herrlich ge- woͤlbten, faltenlosen Stirne! Jm Blicke Beobachtung, Rathschlag, Entschluß, That. Den fla- chen aͤussern Umriß bey der linken Augenbraune bis unters Kinn find’ ich bey vielen trefflichen eng- lischen Feldherren und Admiraͤle. Bourbon und Ruyter. lischen Koͤpfen — Obs National- oder Mahlermanier, oder beydes zusammen ist — weiß ich nicht. Der Mund? Das Edle, Charakteristische scheint ganz hinweggezeichnet zu seyn. Phys. Fragm. II Versuch. D d Fuͤnf Fuͤnf und zwanzigstes Fragment. Das Kameel und der Dromedar. G emisch von Pferd und Schaaf und Esel, ohne den Adel des erstern; auch scheinen sie etwas vom Affen zu haben, wenigstens in der Nase. Gemacht, nicht, daß man ihnen Zaum und Gebiß ins Maul lege — denn die Roßkraft fehlt; und die Bestimmung zum Zaume liegt zwischen den Augen und der Nase. (1, 2, 3, 6, 7, 8.) Keine Spur von Muth und Kuͤhnheit um diese Gegend, als hoͤchstens in 5. Nichts von der drohenden Schnaubkraft des Ochsen, des Pferdes in den affi- schen Nasenloͤchern — Keine Raub- und Zehrkraft weder im schlaffen Ober- noch Untermaul, man sehe besonders 4. und 5. — Nichts als lasttragende Geduld in den Augen. Hoͤchstens in 3. etwas List. Sechs Sechs und zwanzigstes Fragment. Treue, feste Charakter von Leuten gemeiner Extraktion. V on der niedrigsten Stufe der Geisteskraft treuer, redlicher Charakter bis zur hoͤchsten fuͤhr’ ich hier einige vor. I. Ein Zuͤrcherscher Landmann. ZB. Erst ein Wort von der Zeichnung. Coͤlla, mit dem Pinsel; Lips — mit der Nadel; Pfenninger mit dem Bleystifte, dem Pinsel und der Nadel — was koͤnnen die, wenn sie Fleiß aufwenden, im Portraͤte liefern? — wenigstens in der gemeinen Natur. — Und die gemeine Natur — O wie moͤcht’ ich diese immer hervorziehen! diese beleuch- ten! dich Menschenfreund, dich, entzuͤckter Schweber in idealischen Regionen — sanft an der Hand zuruͤckfuͤhren in das Reich der gemeinsten, alltaͤglichsten Menschennatur; nicht, dich da allein zu heften; nicht — dich dahin zu verbannen, und dir jeden Ausflug in hoͤhere unirdischere Gegenden zu verbieten — o nein, Bruder! die Thuͤre und Aussicht dahin soll dir immer offen stehen; — Salz des menschenfreundlichen Lebens sollen sie dir seyn, die hoͤhern, reinern Jdeale — aber nicht Speise! So wie’s des erhabensten Jdeals — Speise war, im Namen des Vaters aller auf — die gemeinsten Menschen zu wuͤrken. Ein gemeiners, ich sage nicht: ein schlechteres — ein gemeiners Gesicht — kann wohl kaum seyn, als das Z. B. — Ein Mann — wie mich daͤucht, ohn’ alle Praͤtension; der zufrieden, sorglos dem Mahler seinen Kopf hergiebt, sitzt, wie er ihn sitzen heißt; und in die weite Welt hin- ausstaunt; nicht dumm, nicht Belehrung unfaͤhig; nicht leicht verfuͤhrbar; so — wie er da er- scheint, gerade, treu und redlich; ein Gesicht, das, so gemein es in gewisser Absicht ist, wie jedes Menschengesicht, auch das gemeinste, immer mehr gewinnt, je mehr man’s anschaut. — Wenn Augen, Nasen und Mund, wie’s seyn sollte, aber in zehentausend Portraͤten nicht ist, im Effekte so stark aus dem Gesichte sich auszeichneten, wie in der Natur, man wuͤrde sehen, wie dieß Gesicht D d 2 an XXVI. Fragment. Treue, feste Charakter an Faͤhigkeit des Verstandes, und Treue des Herzens gewinnen wuͤrde. Die Unbestimmtheit des linken obern Auglieds — z. E. wie viel Kraft benimmt diese dem Auge! — Die Unbestimmt- heiten so mancher Schatten, die von der bloß nachahmenden Zaghaftigkeit des Kupferstechers her- ruͤhren, wie zerstreuen diese! wie ermuͤden sie — bey aller sonst noch vorhandenen Natuͤrlichkeit! — und dennoch — aller dieser unlaͤugbaren Fehler ungeachtet — welche frappante Wahrheit im Gan- zen! wie bestimmt die Situation! wie einfach! wie harmonisch! — II. Zweyte Tafel A. B. Wieder ein Paar Gesichter, die Aufmerksamkeit verdienen. A — ein Zuͤrcher Bauer nach Coͤlla. Jch bitte, weniger die auffallende Rohigkeit des Grundes — oder, wenn man will, des Styles uͤberhaupt, und mehr die so seltene Bestimmtheit, Geradheit, Wahrheit des Ganzen zu betrachten. Jch gesteh’ aufrichtig, daß ich, als Physiognomist — und hiemit auch als Beurtheiler der Zeichnung — denn nach welchen Regeln soll diese Beurtheilung geschehen, als nach den Regeln der Physiognomik, das ist, der Wahrheit, der Uebereinstimmung des Bildes mit der charakteristischen Wahrheit des Originals? — Jch gesteh’ aufrichtig, daß ich diesen rohern Styl voll Kraft und ent- gegen springender Wahrheit — aller feinen kraftlosen Verblasenheit des kuͤnstlichsten Grabstichels weit weit vorziehe. Man soll, denk’ ich, den Mann, nicht den Styl sehen; so wie in der Predigt die Kraft der Wahrheit empfinden, und nicht Bluͤmchen der Modeberedsamkeit sammeln. Jch ge- steh’ aufrichtig, daß ich, wenn ich so sagen darf, den Florstyl Florstyl der Kupfersiecher heiß ich die zarte, feine Gravuͤre, wo jeder einzelne Zug zwar mit bewunderns- wuͤrdiger Kunst gefuͤhrt und mit allen andern in eine angenehme Harmonie gebracht ist, wobey aber das Ganze ohne Kraft und weittreffende Wuͤrkung ist — so, wie wenn das Bild mit einem duͤnnen, durchsichtigen Flor uͤberzogen waͤre. Metallstyl — heiß ich diejenige Kupferstechermanier, die das Fleisch in Metall zu verwandeln scheint, die die Figuren haͤrtet und polirt, und ihnen das Ansehen giebt, als wenn sie von Metall waͤren, oder doch gezeichnet nach metallenen Figuren. und den Metallstyl einiger der beruͤhmtesten Kupferstecher zwar sehr bewundere, und der Kunst desselben alle Gerechtigkeit wie- derfahren lasse — aber nimmermehr als den Styl der Wahrheit ausehen, empfehlen, oder anprei- sen von Leuten gemeiner Extraktion. sen kann. Jm Gegentheil — da die Wahrheit in allen Dingen den Vortritt haben muß, so wie die Gerechtigkeit im Handeln; da die Wahrheit durch nichts in der Welt ersetzt werden kann; da je- der gerechte Mann dem Parademacher der feinsten Sentimens, jeder Wahrheit gebende Philo- soph — dem feinsten Geschmaͤckler weit vorzuziehen ist; — so behaupt’ ich, daß der heutige raffi- nirende Pinsel der Mahler, und wenn sie auch dießfalls die gerechte Bewunderung einer ganzen Welt waͤren — mir viel weniger gefaͤllt, als der rohe Styl der unaufgespannten Wahrheit in den Mahlereyen eines Coͤlla, und in den nunmehrigen Arbeiten eines jungen Lips. Jch will damit weder die Kunst der erstern erniedrigen; noch das Rohe und Fehlerhafte der letztern vertheidigen. Aber auf alle Weise, bey allen Anlaͤssen, mit aller Staͤrke moͤcht’ ich’s auf der Kanzel — und im physiognomischen Blatte uͤber Schweizer-Bauern sagen, hoͤr’s denn, wer’s hoͤren kann und will — und lache, wer lachen mag und will — „Gerechtigkeit geht der Liebe — Wahrheit der Kunst — „Natur der Zierde vor.“ — Schmuckloser, einfacher, leerer an Zierde und Kunstmanier kann wohl kein Gesicht seyn, als das Gesicht A, das wir itzt vor uns haben; aber wie fest, wie keck, wie wahr, wie bestimmt! Wer verkennt die Natur, wer sieht nicht, daß er kein Jdeal, daß er nackte Wahrheit vor sich hat, so gut sie sich durch schwarze Linien auf Kupfer ausdruͤcken laͤßt — nein, nicht so gut, als sie sich ausdruͤcken laͤßt — aber doch — gut ausgedruͤckt. Wie ist besonders der Charakter des Gesichtes uͤberhaupt mit dem Charakter des Styls uͤbereinstimmend und parallel! welche Bestimmtheit des Charakters! welche Bestimmtheit des Styls! welche Festigkeit im Auge und Munde! im Blicke! in der Nase — (nur wieder das Nasenloch zu klein und unbestimmt) im ganzen Ton des Gesichtes! — Bemerkt den festen Bogen, den die Graͤnze des obern hineinverschobnen Auglieds bestimmt; bemerkt die Bestimmtheit des Augenwinkelgens — bemerkt besonders die unverbissene ruhige Beschlossenheit des Mundes — das laͤngliche unfleischige, gerade Kinn — bemerkt das nicht ganz glatte, nicht sich schwerlockende, wild krausende Haar — die Stellung des Kopfes, weder vorwaͤrts sich senkend, noch zuruͤckstrebend; die Kuͤrze des Halses — alles, wie Eins! wie wahrer Ausdruck fester, uͤber- legender Arbeitsamkeit, die weiß, was sie machen will, und das und anders nichts macht — — Aber laßt uns nun eine — oder zehen Stufen hoͤher steigen, und auch noch ein Wort von dem Kopfe B. sagen. D d 3 Welch XXVI. Fragment. Treue, feste Charakter Welch ein sichtbarer Unterschied von den beyden vorhergehenden! — Wer sieht da nicht bald in der festen vordringenden Stirne, in der kecken, vollen Augbraune, in der Tiefe und Festigkeit des Auges, den selbststehenden Mann — so fest, und fester als der vorige, obgleich weniger hart und beschnitten, obgleich mehr beugsam und leicht tretender? Sieht nicht den durchdringenden, ordnen- den und urtheilenden Beobachter; in den kleinen Gebrochenheiten des aͤussersten Umrisses von der Nasenwurzel an bis zur Unterlippe den feinen, cultivirbaren und cultivirten Denker? Jn der Mit- tellinie des Mundes und in den Muskeln um Auge, Nase, Mund, welche Empfindsamkeit der Natur, nicht der Kunst! Jm Ganzen, welche Staͤrke! Jm Haarwuchs, im Lockenfalle, welche Zu- verlaͤssigkeit und Kraft! Doch von diesem Manne werden wir vielleicht bey einer bessern Zeichnung an einem andern Orte mehr reden — Er sey hier nur Beyspiel fester, treuer Ergebenheit mit Kraft und That. Nachstehende Vignette — sehr geschwaͤchtes Bild der reinsten, festesten Treue und Erge- benheit. Dritte von Leuten gemeiner Extraktion. Dritte Tafel. Ehrlichkeit, Droituͤre, Bonhomie. Die beyden obern, Mann und Frau, Beyspiele ehrlicher, treuer Arbeitsamkeit, redlicher Dienstfertigkeit, ohn’ alle Feinheit, Kunst und Plan. Der Sitz davon ist vornehmlich im Aug’ und Munde. Jn der Offenheit, Heiterkeit und den Nebenfalten des Auges; — in der Mittellinie und in den etwas aufwaͤrts gehenden Eckgen des Mundes. Weder Mann noch Frau — die wie Bruder und Schwester sich aͤhnlich sehen, sind dumm. Wenigstens ist im ganzen aͤussern Graͤnzumrisse nichts dummes, nicht einmal fades. Hoͤch- stens etwas im Kinn der Frau. Der Blick des Mannes hat etwas schwaches, das aber ganz als Staunen dienstbegieriger Treuherzigkeit ausgelegt werden kann. Man muß diesen Gesichtern gut seyn. Je mehr ich sie ansehe, desto woͤhler (man erlaube mir dieses Schweizerwort, das so wahr und einfaͤltig ist) desto woͤhler wird mir. Ha! wie moͤchte man diesem wackern, freyen, reinlichen, ungezierten, treuherzigen, gluͤcklichen Ehepaar in die Hand schlagen. Viel feiner, aber nicht weniger heiter, treu, redlich, zuverlaͤssig, ergeben ist das untere schat- tirte Profil von einem trefflichen Landmann unsers Cantons. Der aͤussere Umriß, obgleich er viel verloren haben muß, ist eines wuͤrklich großen Mannes. Der innere Theil der Nase ist auf eine mit dem aͤussern kontrastirende Weise verkleinert. Jm Aug’ ist heiterer, edler, hinzielender, aber freyer Sinn, berathschlagende Guͤte. Die Wangen zu schlecht gezeichnet, um ein Urtheil daruͤber faͤllen zu duͤrfen. Jn dem Munde, und um den Mund herum natuͤrliche Heiterkeit und wohlwollende Gut- herzigkeit ohn’ alle schlaffe Weichlichkeit. Auch gefaͤllt mir der eckigte sichtbare Kiefer, wie er durch den Schatten in die Augen faͤllt; er hilft den Eindruck des Verstandes mit bestaͤtigen, obgleich er der maͤnnlichen Festigkeit nicht ganz guͤnstig ist. Heitere, froͤhliche, wohlgebaute, kraͤftige, selbstaͤndige Menschen ohne Schlaffheit und Haͤrte in ihrer Zeichnung — verbreiten immer Zutrauen zu ihrer Ehrlichkeit. Vierte XXVI. Fragment. Treue, feste Charakter Vierte Tafel. Kleinjogg. Hier noch einmal Kleinjogg, den wir schon aus dem ersten Theile kennen, idealisirt von Pfenningers Bleystift und Chodowiecki’s Nadel. — Wieder Er — und nichts minder als Er — Stirn, Auge, Nase haben noch die meiste Aehnlichkeit. Aber der Mund? — Zwar eines Weisen, Edeln, wie uͤberhaupt das ganze Gesicht — aber nicht die baͤurische Laͤssigkeit, nicht die einfaͤltige Naivetaͤt, nicht die unbedaͤchtige Treuherzigkeit des Originals. Treue und Festigkeit — wie ganz Kleinjoggs Charakter — und auch aus diesem Gesichte, wie herrlich hervorleuchtend! Nun — von dem, durch Mahlermanier idealisirten, und dennoch das Original nicht erreichenden Bilde — zur massifsten hoͤlzernsten Karrikatur — die dennoch immer noch einige Aehnlichkeit hat; wenigstens immer noch in der Stirn, in den Augen, im Raume zwischen den Augenbraunen, der auch den gan- zen Ruͤcken der Nase bestimmt, in der Nase, im Munde — Festigkeit und trockne Ergebenheit zeigt. Und von Leuten gemeiner Extraktion. Und endlich hier noch ein ebenfalls unvollkommer, dennoch aͤhnlicher, und auch in dieser Absicht charakteristischer Schattenriß. Phys. Fragm. II. Versuch. E e Sieben XXVII. Fragment. Hunde. Sieben und zwanzigstes Fragment. Hunde. R icht, daß ich mir erlauben wollte, was sich Porta erlaubte, Menschen- und Thiergesichter neben einander zu setzen und zu vergleichen — Nein; groͤßtentheils sind diese Vergleichungen er- zwungen und das Werk einer uͤberspannten Einbildungskraft. — Ohne dem witzigen, scharfsin- nigen, und mehr als beydes gelehrten Vater so vieler Physiognomisten zu nahe zu treten — kann man dennoch mit Grunde sagen, daß seine Einbildungskraft oft uͤber den Kreis der Wahrheit hinaus fliegt. Wenigstens scheinen mir so manche seiner aufgestellten seyn sollenden Aehnlichkeiten aͤusserst gesucht und erdichtet — z. E. die zwischen einer Nachteule und dem Kaiser Vitellius; zwischen Domitian und einem Fische, Tiberius und einer Jacobsmuschel, Plato und ei- nem Hundskopfe. — Jn allen diesen Hundskoͤpfen find’ ich nichts platonisches — finde uͤberall keine beson- dere Aehnlichkeit mit diesem oder jenem Menschen drinn, lege sie auch gar nicht in dieser Ab- sicht vor, sondern vielmehr, um auf die Unaͤhnlichkeit der Thiere und Menschen, und wie schon gesagt, die Allgemeinheit der Physiognomik aufmerksam zu machen. Der Hund scheint noch am meisten Stirn, gewoͤlbte Menschenstirn zu haben. Wenige Thiere haben so viel Stirn uͤbern Augen, wie der Hund — aber so viel er an der Stirne zu gewinnen scheint, so viel verliert er wieder durch die aͤusserst thierische Nase, die alle Physiognomie der Spuͤrerey hat, — (auch der spuͤrende Mensch hebt seine Nasenloͤcher in die Hoͤhe,) — verliert durch die Entfernung des Mauls von der Nase — verliert durch die Niedrigkeit oder Nichtigkeit des Kinns. — Ganz Physiognomie des Spuͤrens ist der unterste; — des horchenden, schauenden, sich zum Kampfe ruͤstenden der vorletzte; des behaglich ruhenden der vor ihm zur Rechten; — der dritte — weniger drohend, als der fuͤnfte, und furchtbarer, als der vierte. Der zweyte und erste haben in der großen Entfernung des Mundes von der Nase am meisten Hundisches. Ob die nieder- geschlagnen XXVII. Fragment. Hunde. geschlagnen Ohren an den Hunden Charakter sclavischer Unterthaͤnigkeit sey, wie der Herr von Buͤffon, der uͤber die Thierphysiognomien ungleich vernuͤnftiger spricht, als uͤber Menschen- physiognomien, darf ich nicht entscheiden. E e 2 Acht XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Acht und zwanzigstes Fragment. Drey Kuͤnstler. Coͤlla, Lips, Pfenninger. W ir behalten uns zwar vor, den Kuͤnstlern noch ein besonderes Fragment zu wiedmen — doch, weil wir eben von diesen dreyen gesprochen haben, so werden sie uns wohl erlauben, unterdessen auch ein Wort uͤber ihre Gesichter, oder vielmehr ihre Portraͤte zu sagen. Erste Tafel. Coͤlla. Johannes Coͤlla — ein Landmann von Staͤfa am Zuͤrchersee, der sich selbst beynah’ allein (freylich brachte er dem beruͤhmten Herrn Fuͤeßli seine gemachten Arbeiten zur Kritik, und das war gewiß auch nicht umsonst —) zum originellsten Nachahmer der ruhenden Natur ge- bildet — das heißt, zum Mahler der Natur, ohne erlernte Manier eines Meisters in seine Gemaͤhlde zu bringen. — Er zeichnete und mahlte anfangs beynah’ immer Nachtstuͤcke, weil sein Haus auch bey Tage — zu Tagstuͤcken zu dunkel ist. Dieß einzige verbreitet uͤber alle seine Gemaͤhlde eine gewisse Daͤmmerung, ich moͤchte fast sagen — Naͤchtlichkeit — die zugleich auch seinen Hauptcharakter ausmacht. — Der freudenloseste Mensch, den ich in meinem Leben gesehen. Lauter an den Schlummer graͤnzende Ruhe — bloß schauendes Auge — ohn’ alles Feuer, alle Schoͤpfungskraft — aber dann dafuͤr ganz unverdorbenes Auge — ganz reine Empfaͤnglichkeit al- ler aͤussern Eindruͤcke; auch der kleinsten — Ein Genie des Details! Genie? Nein — langsa- mes, successives Aufsuchen und Wahrnehmen ist Fertigkeit, aber nicht Genie. — Die Tafel A hat viel Fremdes und Unwahres — besonders was Luftigleichtsinniges, das gar nicht sein ist. Die Tafel B ist ungleich wahrer, ruhig melancholischer, obgleich auch diese noch hinter dem Phlegma der Natur steht. Jn beyden seht ihr, doch mehr in B — das Schauen der Nachahmung; in keinem den Blick der Schoͤpfung. Jn keinem Vordringen der Ruhmsucht. — Viel bescheidener A als B. Jn A die Spitze der Nase etwas feiner, als in B. Die Stirn oben etwas gewoͤlbter in A, in B platter. Jn XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Jn A das Aug’ gespannter, weniger treffend, als in B. Ferner in A zu entfernt von dem Nasenlaͤppchen, — daher in diesem Gesichte eine Gedehntheit, die mit dem Geiste stiller, in sich verschlingender Aufmerksamkeit, der den Charakter des Originals ausmacht, nicht wohl bestehen kann. Jn A ist auch der religioͤse Charakter des Mannes nicht so gut ausgedruͤckt, als in B , wo, wenn nicht sichtbar genug, doch auf die leichteste Anzeige, nicht befremdend ist — die — Bruͤ- der maͤhrische Jmaginations-Empfindsamkeit. Treu und Fleiß ist in beyden. Froͤmmigkeit aber mehr in B. Der Kopf A ist spitzer und schmaͤler, als B; — und das macht B Zutrauens wuͤrdiger, empfindsamer — froͤmmer? Jch fuͤg’ ihm bey einen Umriß eines beruͤhmten Miniaturmahlers von Grisone in Sklavo- nien — der mehr angestrengter, als bloß still empfaͤnglicher Aufmerksamkeit faͤhig ist. — E e 3 Zweyte XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Zweyte Tafel. Lips. H einrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landscherers Sohn — hat sich beynah’ ohne allen Unterricht zu einer Fertigkeit, besonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in sei- nem siebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit Coͤlla’s Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; — ein Kuͤnstler, der taͤglich und augenscheinlich waͤchst — und, ich stehe dafuͤr, immer wachsen, und, was immer Nei- der und Verlaͤumder sagen moͤgen — einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeste Kupferstecher der Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieses Wort auffassen, und sich aufs neue bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnsekt zu zerknicken; — mag er! Er wird den Juͤngling nicht zerknicken, aber ihn reizen seine Kraͤfte aufzurufen, und zu leisten was moͤglich ist. Seine Werke werden reden — und wenn er einmal durch Reisen und Umgang mit Kuͤnstlern ganz reif geworden ist, so wird er in seiner vollen Kraft da stehen, und seine Arbeiten werden die Cabinetter der Fuͤrsten zieren. Dann wird sichs zeigen, wer Jnsekt ist, der Neid — oder Lips. Gerade die anfaͤngliche Haͤrte seiner Feder und seiner Nadel, gerade die war mir Pfand seiner Groͤße. Gerade der freut’ ich mich — um seines runden, sanften Gesichtes willen. Anfaͤng- liche Haͤrte ist immer die natuͤrlichste Manier kraftvoller Genies; wohl verstanden — Haͤrte, als Haͤrte, ist nicht Zeichen des Genies. Aber wo sie nichts anders ist, als uͤbertriebene Bestimmtheit; wo sie Folge genauer und scharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes ist; wo das Ver- haͤltniß dieser Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig ist — — O ihr Lehrer und Bil- der junger Kuͤnstler, verderbt mir diese harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher Natur — Jch weiß, daß die Natur nicht hart ist. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol- le — so wenig, als Schlaffheit — aber das sag’ ich — tausend gegen eins ist zu setzen: der Kuͤnstlerjuͤngling, dessen sonst richtige, genau darstellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte hat, wird Mann — Raphael oder Duͤrer seyn. Der hingegen, dessen Hauptfehler Unbestimmt- heit, Verblasenheit, schwammichte, lockere Manier ist, wird schwerlich als Mann mehr seyn, als Juͤngling. O — die Kraft ist immer eher zu schwaͤchen, als zu staͤrken. Es ist immer leichter abzuschleifen, als zuzuflicken. — O daß ihr sie fuͤhltet, die lichte Wahrheit — Lehrer, Kuͤnstler, Kunst- XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Kunstrichter, Erzieher! — Jhr jammert immer uͤber Kraft, die anfangs Haͤrte gebiehrt; und scheinet nicht zu bedenken, daß diese sich von selbst abrunden muß. Jhr preiset immer nur sanfte, gelenksame Weichheit, und scheinet nicht zu bedenken, daß diese nie feste Mannskraft wird, daß diese endlich in geistlose Manier ausarten muß. Mir war’s (wie gesagt) angenehmes Schauspiel, aus einem so zarten, feinen, jungfraͤulichen Gesichte — diese festen Zuͤge quillen zu sehen. Diese Jungfraͤulichkeit des Gesichtes war mir fuͤr die Sanftheit und Leichtigkeit des Styls noch mehr Buͤrge — als die harte Keckheit der ersten Versuche fuͤr die Festigkeit und Bestimmtheit der Zeichnung. Beydes zusammen geschmolzen — und wir haben den besten Kuͤnstler, den wir uns wuͤnschen koͤnnen. Das Gesicht, das wir vor uns haben, kann fuͤr sehr aͤhnlich gelten, und ich meyne: Es ist ein Gesicht voll Physiognomie — Jch meyne, der Juͤngling kann beobachten, und — beob- achtet. Jch meyne, das Aug’ ist Aug. Es ergreift ohne Anstrengung sein Objekt, sieht’s nach allen seinen Theilen, und sieht’s im Ganzen. Jch meyne, dieß Gesicht hat Kraft und Sanft- heit — und wahrlich so viel Bonhomie und unschuldige Guͤte, ohne Lockerheit — daß man’s nur ansehen darf, um es unmenschlich zu finden, ein so aufkeimendes Genie zu zertreten — zu zertreten? was? dieß Gesicht sollte sich bey aller seiner Sanftheit zertreten lassen? dieß Auge sollte sich seinen hellen Blick, seine innere Schauenskraft wegneiden lassen? dieser spitzige Au- genwinkel, diese anfangs von mir nicht bemerkte Quelle der Bestimmtheit — sich abstuͤmpfen lassen? — O Physiognomik! du Mutter der Menschenfreude und Gerechtigkeit und Liebe, wie wirst du mir bey diesem Bilde aufs neue wichtig und heilig! Aber in diesem Gesichte ist nicht nur Nachahmungskunst, ist originelle Schoͤpfungs- kraft; — und — dieß ist meine zweyte — freylich nicht bloß physiognomische Weißagung — „ Lips wird in wenigen Jahren ein zweyter Chodowiecki. “ Nicht forschender, grabender — nicht verliebter, aber schauender Charakter! schauend mit Verstand und Liebe. Jn XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Jn der Mittellinie des Mundes besonders liegt der Ausdruck davon, so wie im Auge. Das Ohr ist fatal hart gezeichnet. So radirt Lips kein Ohr mehr, wenn’s gleich die Zeichnung so giebt. Die Stirn ausgenommen, die bey Lipsen mehr Jmagination, in Humphry mehr Ver- stand hat, ist nachstehendes Bild Lipsen im Profile wenigstens so aͤhnlich, wie Bruder und Bruder sich aͤhnlich seyn koͤnnen. Nur ist Humphry feiner. Dritte XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Dritte Tafel. Pfenninger . V iel mehr Verstand, als der vorige, — mehr denkend und ausser sich tretend. Das Bild hat wesentliche Veraͤnderungen erlitten. Der ganze Ton des Originals scheint vollkommen verfehlt. Geschmack, Witz, und unelastische Freude an allem Sinnlichschoͤnen — sind Hauptzuͤge des Originals, das immer lachen moͤchte, auf Gelegenheit zum Lachen lauret, und — — mit schaͤrferem Auge, als des eifersuͤchtigsten Argwohns — aufs Sinnlichschoͤne, und Laͤcherliche ausgeht. Wie wenig hievon hat unser Bild! den Mann von Geschmack zeigt der Umriß klar ge- nug — aber das verspannte Auge? Nachdenken! Staunen! Verfolgen Einer Jdee! Aber nicht Ruhe, die das Gefuͤhl des Schoͤnen begleitet. Die Augbraune ist des Denkenden und Forschenden! — Jm Munde — ist mehr Verstand als Witz. Umgekehrt im Originale. Furchtsamkeit und Unzufriedenheit scheinen Aug’ und Mund zu umschweben, — die runzellose Stirn ist dieser Situation entgegen; aber der Natur gemaͤß. Die Nase — (obwohl zu weit herausstehend) und ihr Verhaͤltniß zum Munde — hab’ ich selten anderswo als bey Maͤnnern von Geschmacke gesehen. Der Mann ist ein Kuͤnstler von dem besten Geschmacke — ohn’ alle Erfindungskraft — ohn’ alle schoͤpferische Ader — aber dann auch nicht bloß Nachahmer — nein! — Verfeinerer, Verschoͤnerer! — nicht der freyen und sichern — nicht der harten und steifen — der lockern, ed- lern Zeichner Einer — der uns bald ein besseres Bild von sich liefern soll — das uns mehr von sei- ner Kunst und seiner Seele zeigen wird. — Jm Portraͤte wird er noch Wunder thun, wenn er sich erst wird erbitten lassen, ein Paar Monate nichts als Umrisse, als Linien zu zeichnen. Es kommen in den folgenden Theilen noch Stuͤcke von ihm vor, deren sich ein Schmid und Morin nicht zu schaͤmen haͤtte. Phys. Fragm. II Versuch. F f Einige XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnstler. Einige der besten Stuͤcke dieses Werkes sind von ihm. — Wie viel edler ist seine Silhouette, als sein Bild! wie viel heiterer, zufriedener die Lippen! die Nase, wie viel weniger vorragend! — Neun Neun und zwanzigstes Fragment. Noch einige andere Kuͤnstler. Erste Tafel. P. B. d. M. E ines der sprechendsten Gesichter, eines der entschiedensten Kunstgenies, und ein Mann von dem reinsten Geschmacke. Ein feingebauter Juͤngling, dessen Wuͤrksamkeit sich durch unnachahmliche Feinheit, Reinheit, Zierlichkeit auszeichnet. Der fleißigste, niedlichste Zeichner und Grundrißmacher, Miniaturmahler, den man sich idealisiren kann. — Aber nur Aug’, und, so viel mir bewußt, ohne Feuer, ohne schoͤpferische Kraft. Jn der Musik unnachahmlich. Schoͤpfer mit der Violin. Man kann sich kaum ein kenntlicheres Portraͤt gedenken, als dieß von Pfenninger ge- zeichnete und radirte. — Bestaͤtigt dieß nicht meine auf dem vorhergehenden Blatte ausge- druͤckte Hoffnung? Man bemerke an diesem Bilde zuvoͤrderst uͤberhaupt die Form des Ganzen — dann besonders die zuruͤckgehende Stirn — dann das vorgehende Untertheil des Gesichtes — die Voͤlle der Gliedmaßen — die Bestimmtheit, Reinheit, Feingewoͤlbtheit der Stirn; — die La- ge und sanfte Staͤrke der Augenbraunen; — das, obgleich kurzsichtige, dennoch tief beobach- tende Auge; — die große und dennoch nichts weniger als plumpe Nase, mit diesem bemerkba- ren Ruͤcken, den feinen, geschmackvollen Uebergang von der Nase zur Lippe, den geistvollen Umriß der Oberlippe, und ihr Verhaͤltniß zur Unterlippe — den scharfen Einschnitt am pro- portionirten wieder hervorspringenden feinen Kinne. F f 2 Alles XXIX. Fragment. Alles an diesem Gesichte, vornehmlich aber der untere Theil desselben ist voll der kraͤf- tigsten Expression von Verstand, Feinheit, Geschmack, und Reinheit aller Kunstverrich- tungen. Hier die alles dieses bestaͤtigende Silhouette. Zweyte Noch einige andere Kuͤnstler. Zweyte Tafel. Janus Luteca, Goldschmid. M uth, Feuerkraft — ist der Hauptcharakter dieses Kopfes — die Stirn hat in ihrer Geradheit und Hoͤhe — viel Eigensinn und Reichthum. Der runde Umriß des obern Augenlieds zeigt et- was bloͤdes, weichliches — die Nase ist eines fruchtbaren, beynahe erhabnen Genies — der Mund, voll geraden, festen Sinnes, druͤckt Bewußtseyn seiner Kunst, und allenfalls Verach- tung des Nebenbuhlers aus. Jm Originale ist nichts von diesem Veraͤchtlichen; vielmehr die edelste, maͤnnlichste Guͤte. Jn dem nachstehenden Umrisse, wer verkennt einen der groͤßten, geschmackvollsten Kunst- kenner! welche Mannsstirn! welch treffendes Auge! welche knorpliche bestimmt gezeichnete Nase — welche freye Bestimmtheit im Munde! welche Proportion und Festigkeit im Ganzen! F f 3 Dritte XXIX. Fragment. Dritte Tafel. Paul Duͤ Pont — nach Vandyk. V andykisirt — ein Schuͤler von Vandyk, ein vortrefflicher Kupferstecher. Was man heißt: „Ein schoͤner, herrlicher Mann!“ — Fuͤr mein Auge hat jedoch der aͤussere Graͤnzum- riß des Gesichtes etwas sehr Fleischiges und Fades. Jm ganzen Gesichte nichts von Van- dyks eckigtem Geiste und Kraftwesen. Die Stirn ist offen, frey, und heiter; aber ohn’ alle Denkensanstrengung — und Anstrengbarkeit — Augen mit Vandyks Blicke tingirt; jedoch ist im Bogen des Auges uͤber dem Augstern gerade wieder etwas von der Kraftlosigkeit des aͤussern Umrisses. Die Augenbraunen, besonders die rechte, zeigt was; aber die Entfernung der Augenbraunen und die Form der Nase harmonirt vollkommen mit mehr besagtem Umrisse. Jm Munde, sey er nun wahr oder verschoͤnert, ist am meisten Adel und Kunstgeschmack, ob- gleich auch diesem, besonders an den Enden, vermuthlich durch die Schuld des Kupferstechers, noch viele kleine Bestimmungen und Nuͤancen fehlen ... Der Mann sieht, und hat Geschmack und Kraft nachzuahmen, aber nicht mit Van- dyks Schoͤpfergeiste. Nachstehende Vignette ..... Ein harter Umriß nach einem Vandykischen Kupfer; Fall der Locken — vollkommen Vandykisch, nicht ganz die Stellung des Kopfes, die sonst immer Noch einige andere Kuͤnstler. immer etwas schief und schmachtend oder kuͤhnstrebend ist — Jn den Augenbraunen dieses Um- risses ist am meisten Physiognomie. Vierte XXIX. Fragment. Noch einige andere Kuͤnstler. Vierte Tafel. Zwey Portraͤte von Vandyk. H ier also der erhabene Naturverschoͤnerer selbst in zweyen nicht uͤbelgerathenen Bildern ... Adel, Wuͤrde, Selbststaͤndigkeit, ... verliebte Beobachtung, stille Verschlingung des fest- gefaßten Gegenstandes, Kraftfuͤlle, Fruchtbarkeit, Entschlossenheit — Selbstgefuͤhl mit Stolz und Liebe gemischt — scheinen mir in beyden Gesichtern auffallend zu seyn. Nicht des scharfen, tiefen, aber des hellen, bestimmten, reichen Denkers oder Schnellsehers ist die unscharfe wohlgewoͤlbte Stirn. Die Augenbraunen sind in beyden Koͤpfen borstig, schlecht, und mit dem herrlichen, frey- schwebenden — halbidealischen Haare kontrastirend. Die Augen, freylich etwas hart, besonders im obern. Jm untern wahrer, voll Jnnig- keit, Durchdringung, Wuͤrkung ... Seiner Portraͤte Augen haben beynah’ alle was von diesem treffend schmachtenden; dieser fruchtbaren Empfaͤnglichkeit. Die Nase — mir entscheidend fuͤr die innere, unerlernte, eigne Groͤße, die Groͤße — em- pfindsamer, feiner Schnell- und Schoͤpfungskraft. Die obere ist noch eckigter, kraͤftiger, kecker. Muth, Stolz und Adel in dem Munde, so viel sich davon sehen laͤßt. Jm Kinne gerade derselbe Ausdruck. Der aͤussere Umriß von der Stirn an, wo sie nicht mehr vom Haare bedeckt wird, bis an den Hals ist ebenfalls voll Feinheit und Geist — so wie die Stellung und alles. Dreyßig- Dreyßigstes Fragment. Sanfte, edle, gute, treue, zaͤrtliche Charakter. L aßt uns nun eine Reihe von edeln, zaͤrtlichen Charaktern vom gemeinsten gesunden Men- schenverstande an, bis zum hoͤchsten Genie hinauf vorlegen — hernach wieder — große, unterneh- mende Helden, Krieger und Zerstoͤrer — sodann Gelehrte vom Sammelgeiste an bis zum hoͤchsten philosophischen und theosophischen Genie. Wer sehen will, wird wenigstens bey wiederholten Betrachtungen und Vergleichungen viel sehen. Erste Tafel. Zwey Profile in Ovalen. H. St. Zwey Portraͤte von demselben — guten, ehrlichen, sanften, bescheidnen Manne, die bey- de aͤhnlich, und beyde sehr unaͤhnlich sind. Die Stellung und das Ganze des erstern ist viel wahrer, freyer, denkender, als des zweyten. Das zweyte in einzelnen Zuͤgen getroffner, als das erste. Beyde aber zeigen einen leichten, weichen, guten, eindruckfaͤhigen Mann an. Die Stirn des erstern scheint mehr Nachdenken und Geschmack anzuzeigen. Die Nase des erstern ist wahrer, und druͤckt sicherlich mehr Verstand aus, als die des zweyten. Das Auge des zweyten, obwohl etwas gespannt und hart, ist wahrer als des ersten. Die Oberlippe des zweyten ist guͤtiger, die Unterlippe, aussenher wenigstens, verstaͤndiger, als des ersten. Gerader, gedehnter, steifer, ist das zweyte, als das erste. Phys. Fragm. II Versuch. G g Zweyte XXX. Fragment. Zweyte Tafel. Ein Profilportraͤt H. U nter die sanften, geschmeidigen, guten Charakter gehoͤrt auch dieses — abermal weit hinter dem Originale zuruͤckstehende Profil. Es ist das nicht sehr kenntliche Portraͤt eines liebenswuͤrdigen Mannes von Einsicht und Geschmack. — Die Fehler der Zeichnung sind — allzuweite Entfernung des Auges von dem Nasen- laͤppchen; die weiße Flaͤche vom Auge bis zum Munde; — Haͤrte des Mundes, besonders im Winkel und in der Unterlippe; — der zu bogigte Umriß der Kinnlade. Durch dieß alles ist dem Gesichte viel Geist und Herz geraubt. Daß es aber auch so, wie’s da ist, eines guten Menschen Gesicht ist, scheint mir ge- wiß zu seyn. Durch die Gedehntheit des Untertheils des Gesichtes hat der Ausdruck weniger an Guͤte, als an Geist verloren. Das Ohr ist gut gemacht, und hat viel Ausdruck von Sanftheit. Auch ist Herr H. ein Kenner und Freund der Tonkunst. Jn der Stirne, vermeyn’ ich — Witz, ohne Bosheit; in der Nase was Edles, so wie im ganzen Gesichte viel Guͤte und Dienstgeflissenheit zu bemerken. Jm ganzen Umrisse, im ganzen Gesichte keine gerade, keine harte Linie — nicht so weich, wie der vorige — etwas zaͤher, aber nicht haͤrter. Nun Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter. Nun noch ein Wort von der Manier. — Man sieht freylich in diesem Stuͤcke noch die Haͤrte anfangender Uebung; aber — Backen, Ohr und Hals und ein Theil der Nase zeigen, was sich von dieser Manier versprechen ließe, wenn sie mehr studiert, und durch Uebung vervoll- kommnet wuͤrde. Welch ein gluͤckliches Mittel zwischen dem Unbestimmten und Rußigen der schwarzen Kunst — und der Haͤrte auch der schoͤnsten Schrafur des Grabstichels. G g 2 Dritte XXX. Fragment. Dritte Tafel. Vier maͤnnliche Profilumrisse. W ir kennen diese 4 Profile schon aus dem ersten Theile. Sie gehoͤren aber wiederum hieher in die Reihe der sanften, treuen, edeln, zaͤrtlichen Charakter. Man wird in keinem von allen ge- waltsam gebrochne, oder hartgespannte Umrisse und Zuͤge, in keinem was Felsernes wahrnehmen. Jn keinem Uebergewicht treibender, vordringender, fruchtbarer, drohender Schnellkraft. Jn al- ler Augen, aller Mund ist Sanftheit. Am trockensten ist das letzte Prosil. IV. Aber von nachstehendem Bilde, was sollen wir sagen? Erst, Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter. Erst, die ganze Gestalt des Juͤnglings! wie waͤr’ uͤber die so viel zu sagen! wie viel mehr als uͤbers Gesicht! Es ist wohl kein Menschenauge, das sie nicht proportionirt, edel und rein finden wird. — Diese unbeschreibliche Proportion, diese gleichmaͤßige Mischung von Weib- lichkeit und fester Maͤnnlichkeit! dieß Leichte und Gesetzte! diese Unschuld ohne Schwachheit! diese Unverfuͤhrbarkeit ohne Strenge, diese mitgebohrne Sicherheit in sich selbst, diese freye, na- tuͤrliche, innere Selbststaͤndigkeit, so hab’ ich sie noch in keinem Menschen gesehen! — Und der innere Charakter, wie rein entsprechend der aͤussern Gestalt! Welche Harmonie, welche Ruhe, welche Freyheit der Seele! welcher Muth ohne Trutz! welche Demuth ohne Aengstlichkeit! welche Freyheit ohne blendenden Glanz! welche jedem Geschlechte, allen Zungen und Menschen sich empfehlende, ohne alles Gesuch sich einschmeichelnde Liebenswuͤrdigkeit! — Diese reine Flachheit, ich sage nicht Plattheit, der runzellosen, hohen, offnen, heitern, gedaͤchtnißreichen Stirn, die keines schiefen, dunkeln Gedanken, keines verworrenen Blickes faͤ- hig ist; diese jungfraͤuliche Nase, dieses Auge ohne alle Praͤtension, durch Krankheit bloͤde, (sey’s Warnung dem Physiognomisten, den Menschen nicht zu schnell, und nicht allein aus dem Au- ge zu beurtheilen!) diese sanftlaͤchelnden, bestimmt gezeichneten Lippen, dieß wenig zuruͤckgehende, zarte, einfache Kinn, diese einfache Woͤlbung der Backen, diese Plattheit oben auf dem Schaͤ- del, diese vom Haare bedeckte Gewoͤlbtheit des Hinterhaupts, diese hervorstechende scharfe Fuͤhl- barkeit des ... Knochen — diese sich uͤbers Ganze verbreitende, alles zusammen fassende Einfachheit — alles dieses, wie zusammenstimmend, die jungfraͤuliche Empfaͤnglichkeit des un- schoͤpferischen Charakters zu bezeichnen! — zu bezeichnen die von Falschheit, Tuͤcke, Schlauig- keit, Kleinheit, Anmaßung, Ehrgeiz — so entfernte reine, zartfuͤhlende Engelsseele; das durch keinen Adel, keinen Reichthum, und keinen Mißbrauch des Reichthums verunedelte, durch das feinste Liebesgefuͤhl nicht zwar durchgluͤhte, aber immer gleich warme Treue; die durch keine Vorurtheile beschraͤnkte, keine Leidenschaften, keine Beyspiele, keine Welt voll Reizungen — verfuͤhrbare, durch keine Reihe von Hofmeistern steifgemodelte Seele, die immer, wie die Gestalt des Koͤrpers, in ihrer Aufrechtheit dasteht mit dem leichten, geschmackvollen Kleide, wie die hohe G g 3 Tanne! XXX. Fragment. Tanne! mit Epheu umwunden, ein lauter Zeuge, daß unter den Menschen noch Menschheit wandle. Wir geben dem sanften, edlen Juͤnglinge eine sanfte, edle, unschuldige, reine Seele zur Nachbarinn. Vierte Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter. Vierte Tafel. Ein schattirtes Profil St. D ieß Gesicht, man haͤlts fuͤr sehr kenntlich, aber der Zeichner und der Kupferstecher, jeder hat’s mit seiner Jndividualitaͤt — der eine mit seiner Zaghaftigkeit, der andere mit seiner Haͤrte solcher- gestalt tingirt, daß ich’s weit unter der edeln, biegsamen Natur und ihrer Festigkeit finde. — Dieß Gesicht ist offenbar das Bild eines aͤusserst sanften, sehr bescheidenen, lernensbegieri- gen, edeln, wohlthaͤtigen Menschenfreundes, eines sehr gewissenhaften Arztes, eines helldenkenden Gelehrten, und eines Mannes von dem trefflichsten Eharakter, und der besten Lebensart. Dieß Sanfte, Edle, Gute — des Charakters zeigt sich aus der (in der Natur noch mehr zuruͤckgebognen) Stirne, die ohn’ alle Haͤrte und eckigte Geradheit ist; Aus der Hoͤhe und dem Bogen der Augenbraune, die zwar (wie beynahe alle von demsel- ben Zeichner) merklich zu weit vom Auge absteht; Besonders aus dem Munde, der — wie beynahe jeder gezeichnete Mund, ein Gemeinplatz von Unbestimmtheit und ohn’ alle Theorie von dem Bau, oder, wenn man lieber will, von dem mah- lerischen Effekte eines jeden gutbeleuchteten Mundes — gezeichnet ist. — — Und dessen ungeach- tet — wer sieht nicht die bescheidenste Kinderguͤte in der ganzen Parthie von Oberlippe und Mund! das Niedersinken und Ruhen der merklich vorstehenden Oberlippe auf der untern — die aufwaͤrts gegen das Ohr strebende Schlangenlinie des aͤussern Umrisses der Unterlippe — das sichtbare Licht, welches diese Unterlippe von dem mittlern Schatten des obern Theils des Kinns scheidet — alles dieses ist Concert der Guͤte — aber nicht einer leichtsinnigen, noch weniger, einer dummen Guͤte. — Eben diese edle, weise Guͤte ist besonders auch im Auge — besonders dem obern Augenliede, dem Zuruͤckstehen des bestimmt sichtbaren Augensterns, und vornehmlich in der reinen, herrlichen Li- nie, welche den untern Umriß des obern Augenlieds bestimmt, die, wie ich schon mehrmals gesagt, gemeiniglich so sehr vernachlaͤssigt wird, und die so sehr bedeutend ist, ausgedruͤckt. Die Stirn ist zu kahl, zu unbestimmt schattirt. Die Schattirung von den Augenbraunen an bis zum Kinne herab ist sehr wahr, und har- monirt trefflich mit dem Charakter weiser Guͤte und Unschuld. Mit XXX. Fragment. Mit diesem auch das Haar der Natur, (das auch hier so hart und wie Drat ist —) die hintere Woͤlbung des Hauptes und — die Stellung des Kopfes. Schade, daß der Umriß des Profils durch kleine, kaum bemerkbare Ausgleitungen des Grabstichels vom Grunde her, von seiner Reinheit und edeln Bestimmtheit viel verloren. Ein Fehler, der sehr gemein, sehr leicht begangen, und sehr wichtig ist. Jch uͤbertreibe gewiß nicht, wenn ich sage, daß Eines Haars Breite in einem Kopfe von Lebensgroͤße — wie vielmehr in einer kleinen Copie — von Wichtigkeit und Bedeutung ist. Sonst ist die Schrafur an diesem Kopfe, an sich betrachtet, meisterlich und beynahe Muster. Nachstehende Vignette — Ein wuͤrdiger Sohn des wuͤrdigen Vaters; dessen Stirn Ge- daͤchtnißreichthum, dessen Auge Verstand, dessen Lippen Guͤte versprechen. Fuͤnfte Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter. Fuͤnfte Tafel. H ... Z. T reue Gewissenhaftigkeit; edle Guͤte, Redlichkeit mit Feinheit; Thaͤtigkeit mit Kraft; Staͤrke mit Zaͤrtlichkeit, reiche und helle jedoch unschoͤpferische Einbildungskraft mit schauendem und wuͤr- kendem Verstande, machen den Hauptcharakter des Originals aus. Das Bild hat zum Theil viel Maͤnnliches verloren und Jungfraͤuliches gewonnen. Jn der Stirne ist nichts eckigtes, scharfes — — der Uebergang von der Stirne zur Nase ist nicht wahr. Er ist viel bestimmter und kraftreicher im Originale. Jm Auge ist treffender Verstand; Entschluß und That, und Zuverlaͤssigkeit. Die zu hohe, zu stark gebogne Augenbraune ist unwahr und wider den Charakter des Auges. Jn der Nase ist Feinheit und produktife Kraft. Der Mund ist hier zu fade, zu suͤßlaͤchelnd gezeichnet; aber dennoch ist edle, weise Guͤte noch hell durchscheinend. Auch im Kinn ist noch viel, ob’s gleich in der Natur reiner gezeichnet, und der untere Theil nach Verhaͤltniß nicht so fleischig ist. Nachstehendes mir von Person und Charakter unbekanntes Gesicht — gehoͤrt gewiß auch in die Klasse der edelsten, sanftesten, zaͤrtlichsten, unvergleichbarsten, und liebenswuͤrdigsten Seelen. Phys. Fragm. II Versuch. H h Sechste XXX. Fragment. Sechste Tafel. P. ... t. Guͤte mit gehaltner Kraft. J edes Gesicht, das dem Mahler herhaͤlt, wird matt und steif. Daher — fast kein wahres Por- traͤt in der Welt; — wenigstens kaum Eins auf dem Kupfer. Keine Gesichter aber verlieren da- durch gemeiniglich in der Zeichnung mehr, als die, die aus unscharfen Umrissen bestehen. Nur ein wenig minder Aktivitaͤt, nur ein wenig mehr Schlaffheit, — und der Mahler, der die harten Ge- sichter gemeiniglich haͤrter, die ohne das etwas schlaffen oder stumpfen noch um etwas schlaffer oder stumpfer zu machen pflegt — wird Euch, auch wenn er ein sehr kenntliches Portraͤt liefert, ein seelenloses liefern. Ein Beyspiel das Gesicht, das wir vor uns haben. Beynah’ alles etwas mehr abgerundet, als in der Natur, und alles dadurch matter und kraftloser. — Aber auch in dieser Kraftlosigkeit immer noch ein ausgezeichnetes Gesicht, von einem der treusten, maͤnnlichsten, festesten, und zugleich zaͤrtlichsten, edelsten Charakter. Die ganz ungewoͤhnlich zuruͤckgehende Stirn mit dieser Hoͤhlung des Nasenumrisses — wir kennen den Charakter dieses Zuges schon — wir finden ihn bey keinem gemeinen Menschen. Der Blick ist staunend; das Auge, besonders nach dem Umrisse des obern und untern Au- genlieds betrachtet, ist nicht des spekulatifen Genies, aber des sinnlich richtigen, gesunden, schnellen Beobachters. Die Nase ist am meisten verfehlt, und der Umriß von der Nasenspitze bis zur Oberlippe ist zu sehr eingekerbt, da sonst der uͤbrige Umriß zu rund ist, welches dem geuͤbtern physiognomischen Auge unertraͤglich ist. — Das ganze Gesicht macht den Eindruck eines festen, entschlossenen, klugen Mannes, der auf sich selber stehen kann — Dieß druͤckt sich zum Theil auch in dem Einschnitte uͤber dem Kinn- ball aus, der in der Natur noch tiefer und schaͤrfer zu seyn scheint. Noch bemerken wir das sonderbare, herabgehende, anklebende Ohrlaͤppchen — woruͤber ich freylich noch nichts zuverlaͤssiges zu sagen weiß. Siebente Tafel. I. L. P. D asselbe Gesicht mit beyden Augen. Viel bestimmter, genauer und fester gezeichnet; aber in einer Stunde, wo der Treue, Zaͤrtlichliebende sich von liebenden Geliebten losreissen mußte; wo er mit gehaltner Staͤrke seine Gedanken im Zaume, und seine Thraͤnen zuruͤckzuhalten, sich anstrengen, sich versteinern Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. versteinern mußte. Daher hat unser Bild, wie sich jemand vortrefflich ausdruͤckte, „eine zu ruhige, „zu harte Aussenseite. Das Leben, das aus dem tiefen Quelle zwar nicht sprudelt, aber doch leben- „dig aufquillt, ist nicht ausgedruͤckt; wohl etwas von der eisernen Macht, die die Lebendigkeit der „Empfindung zuruͤckhaͤlt, damit der Ausdruck davon nicht bey jedem Anlasse sich losreisse. Er sieht „wohl starr zuweilen; aber selten so stillbetrachtend, sondern theilnehmend. Er sieht mit offenem „Auge gerade; aber dann ist das Gefuͤhl von dem, was er sieht, hoͤret, und denkt, gedrungener in „ihm, und seine Seele arbeitet leise — indeß daß alle seine Zuͤge sprechen. Auch fehlt hier ganz die „heitere, frohe, jedem mit guter Laune begegnende Freundlichkeit, die beym ersten Anblicke jeder- „mann gewinnt, jeden im Erfolge festhaͤlt.“ Ja ein Gesicht — ohn’ alle Schaͤrfe in den Umrissen, aber innwendig voll eiserner Knochen und Muskeln. So hab’ ich noch nie die tiefste, reinste, edelste Zaͤrtlichkeit mit der hoͤchsten Manns- kraft, Geistesstaͤrke, Heldenmuth zusammengeschmolzen gesehen. Dieselbe Composition des Charakters, nur mit einem Zusatze von Leichtigkeit, Verstand, stil- lem Stolz und Eigensinne — vermuth’ ich in nachstehender Silhouette, die freylich, besonders um den Mund, nicht genau ist. H h 2 Achte XXX. Fragment. Achte und neunte Tafel. C ... s. de St. ... g. D ie Juͤnglinge, deren Bilder und Silhouetten wir hier vor uns haben, sind die ersten Men- schen, die mir zur physiognomischen Beschreibung saßen und standen, wie, wer sich mahlen laͤßt, dem Mahler sitzt. Jch kannte sie sonst, die edeln — und ich machte den ersten Versuch, nach der Natur und mit aller sonstigen Kenntniß ihren Charakter zu beobachten und zu beschreiben. — Hier ist die Beschreibung des ganzen Menschen — Erstlich von 1. und 3. Siehe den bluͤhenden Juͤngling von 25. Jahren! das leichtschwebende, schwimmende, elastische Geschoͤpfe! Es liegt nicht; es steht nicht; es stemmt sich nicht; es fliegt nicht; es schwebt oder schwimmt. Zu lebendig, um zu ruhen; zu locker, um fest zu stehen; zu schwer und zu weich, um zu fliegen. Ein schwebendes also, das die Erde nicht beruͤhrt! Jn seinem ganzen Umrisse keine voͤl- lig schlaffe Linie, aber auch keine gerade, keine gespannte, keine fest gewoͤlbte, hart gebogene; — kein eckigter Einschnitt; kein felßigtes Vorgebuͤrge der Stirn; keine Haͤrte; keine Steifigkeit; keine zuͤrnende Rohigkeit; keine drohende Obermacht; kein eiserner Muth — elastisch reizbarer wohl, aber kein eiserner; kein fester, forschender Tiefsinn; keine langsame Ueberlegung, oder kluge Bedaͤchtlichkeit; nirgends der Raisonneur mit der festgehaltnen Wagschaale in der einen, dem Schwerte in der andern Hand, und doch auch nicht die mindeste Steifheit im Blicke und Urtheile! und doch die voͤlligste Geradheit des Verstandes, oder vielmehr der unbefleckteste Wahrheitssinn! Jmmer der innige Empfinder, nie der tiefe Ausdenker; nie der Erfinder, nie der pruͤfende Entwickler der so schnellerblickten, schnellerkannten, schnellgeliebten, schnellergriff- nen Wahrheit .... Ewiger Schweber! Seher! Jdealisirer! Verschoͤnerer! — Gestalter al- ler seiner Jdeen! Jmmer halbtrunkener Dichter, der sieht, was er sehen will; — nicht der truͤbsinnig schmachtende — nicht der hartzermalmende; — aber der hohe, edle, gewaltige! der mit gemaͤßigtem „Sonnendurst“ in den Regionen der Luft hin und herwallt, uͤber sich strebt, und wieder Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. wieder — nicht zur Erde sinkt! zur Erde sich stuͤrzt, in des „Felsenstromes“ Fluthen sich taucht, und sich wiegt „im Donner der hallenden Felsen umher“ — Sein Blick nicht Flam- menblick des Adlers! seine Stirn und Nase nicht Muth des Loͤwen! seine Brust — nicht Fe- stigkeit des Streit wiehernden Pferdes! Jm Ganzen aber viel von der schwebenden Gelenksam- keit des Elephanten ..... Die Aufgezogenheit seiner vorragenden Oberlippe gegen die unbeschnittene, uneckige, vorhaͤngende Nase zeigt, bey dieser Beschlossenheit des Mundes, viel Geschmack und feine Empfindsamkeit; der untere Theil des Gesichtes viel Sinnlichkeit, Traͤgheit, Achtlosigkeit. Der ganze Umriß des Halbgesichtes Offenheit, Redlichkeit, Menschlichkeit, aber zugleich leichte Verfuͤhrbarkeit und einen hohen Grad von gutherziger Unbedachtsamkeit, die niemanden als ihm selber schadet. Die Mittellinie des Mundes ist in seiner Ruhe eines geraden, plan- losen, weichgeschaffenen, guten; in seiner Bewegung eines zaͤrtlichen, feinfuͤhlenden, aͤusserst reizbaren, guͤtigen, edlen Menschen. Jm Bogen der Augenlieder und im Glanze der Au- gen sitzt nicht Homer, aber der tiefste, innigste, schnelleste Empfinder, Ergreifer Homers; nicht der epische, aber der Odendichter; Genie, das quillt, umschafft, veredelt, bildet, schwebt, alles in Heldengestalt zaubert, alles vergoͤttlicht — Die halbsichtbaren Augenlieder, von einem sol- chen Bogen, sind immer mehr feinfuͤhlender Dichter, als nach Plan schaffender, als langsam ar- beitender Kuͤnstler; mehr der verliebten, als der strengen. — Das ganze Angesicht des Juͤnglings ist viel einnehmender und anziehender, als das um etwas zu lockere, zu gedehnte Halbgesicht; das Vordergesicht zeugt bey der geringsten Bewegung von empfindsamer, sorgfaͤlti- ger, erfindender, ungelernter, innerer Guͤte, und sanft zitternder, Unrecht verabscheuender Freyheit — duͤrstender Lebendigkeit. Es kann nicht den geringsten Eindruck von den vielen Verbergen, die es auf einmal, die es unaufhoͤrlich empfaͤngt. — Jeder Gegenstand, der ein nahes Verhaͤltniß zu ihm hat, treibt das Gebluͤt in die Wangen und Nase; die jungfraͤulich- ste Schamhaftigkeit in dem Punkte der Ehre, verbreitet sich mit der Schnelle des Blitzes uͤber die zart bewegliche Haut. — H h 3 Die XXX. Fragment. Die Gesichtsfarbe, sie ist nicht die blasse des alles erschaffenden und alles verzehrenden Genius; nicht die wildgluͤhende des verachtenden Zertreters; nicht die milchweiße des bloͤden, nicht die gelbe des harten und zaͤhen; nicht die braͤunliche des langsam fleißigen Arbeiters; aber die weißroͤthlichte, violette, so sprechend und so unter einander wallend, so gluͤcklich gemischt, wie die Staͤrke und Schwaͤche des ganzen Charakters. — Die Seele des Ganzen und eines jeden besondern Zuges ist Freyheit, ist elastische Betriebsamkeit, die leicht fortstoͤßt, und leicht zuruͤck- gestoßen wird. Großmuth und aufrichtige Heiterkeit leuchten aus dem ganzen Vordergesichte und der Stellung des Kopfes. Unverderblichkeit der Empfindung, Feinheit des Geschmacks, Reinheit des Geistes, Guͤte und Adel der Seele, betriebsame Kraft, Gefuͤhl von Kraft und Schwaͤche, scheinen so allzudurchdringend im ganzen Gesichte durch, daß das sonst muthige Selbstgefuͤhl sich dadurch in edle Bescheidenheit aufloͤßt, und der natuͤrliche Stolz und die Juͤng- lingseitelkeit sich ohne Zwang und Kunst in diesem herrlich spielenden All liebenswuͤrdig ver- daͤmmert. — Das weißliche Haar, die Laͤnge und Unbehaglichkeit der Gestalt, die sanfte Leich- tigkeit des Auftritts, das Hin- und Herschweben des Ganges, die Flaͤche der Brust, die weiße faltenlose Stirn, und noch verschiedene andere Ausdruͤcke verbreiten uͤber den ganzen Menschen eine gewisse Weiblichkeit, wodurch die innere Schnellkraft gemaͤßigt, und dem Herzen jede vor- saͤtzliche Beleidigung und Niedertraͤchtigkeit ewig unmoͤglich gemacht, zugleich aber auch offenbar wird, daß der muth- und feuervolle Poet, mit allem seinem unaffektirten Durste nach Freyheit und Befreyung, nicht bestimmt ist, fuͤr sich allein ein fester, Plan durchsetzender, ausharrender Geschaͤfftsmann, oder in der blutigen Schlacht unsterblich zu werden. Und nun erst am Ende merk’ ich, daß ich von dem Auffallendsten noch nichts gesagt; nichts von der edlen, von aller Affektation reinen Simplicitaͤt! Nichts von der Kindheit des Herzens! Nichts von dem gaͤnzli- chen Nichtgefuͤhle seines aͤusserlichen Adels! Nichts von der unaussprechlichen Bonhomie, mit welcher er Warnung und Tadel, sogar Vorwuͤrfe und Unrecht, annimmt und duldet. — Doch, wer will ein Ende finden, von einem guten Menschen, in dem so viel reine Mensch- heit ist, alles zu sagen, was an ihm wahrgenommen oder empfunden wird! Wir Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. Wir wollen ihm hier des Vaters Homers Schattenriß zur Schlußvignette geben — Die Nase hat viel Aehnlichkeit — Jn der Stirn ist mehr Plan und der Sitz epischer Dich- tungskraft. — II. 2. 4. XXX. Fragment. II. 2. 4. Der Bruder des vorigen. Was ich von dem juͤngern Bruder gesagt — wie viel davon kann auch von diesem gesagt werden! Das vornehmste, das ich anmerken kann, ist dieß: Diese Figur und dieser Charakter sind mehr gepackt und weniger gedehnt, als die vorige. Dort alles laͤnger und flaͤcher; hier alles kuͤrzer, breiter, gewoͤlbter, gebogener; dort alles lockerer, hier beschnittener. So die Stirn; so die Nase; so die Brust; zusammengedraͤngter, lebendiger, weniger verbreitete, mehr zielende Kraft und Lebendigkeit! Sonst dieselbe Liebenswuͤrdigkeit und Bonhomie! Nicht die auffallende Of- fenheit; mehr Verschlagenheit, aber im Grunde, oder vielmehr in der That, eben dieselbe Ehr- lichkeit. Derselbe unbezwingbare Abscheu gegen Unrecht und Bosheit; dieselbe Unversoͤhnlichkeit mit allem, was Raͤnk’ und Tuͤcke heist; dieselbe Unerbittlichkeit gegen Tyranney und Despotis- me; dasselbe reine, unbestechliche Gefuͤhl fuͤr alles Edle, Gute, Große; dasselbe Beduͤrfniß der Freundschaft und Freyheit; dieselbe Empfindsamkeit und edle Ruhmbegierde; dieselbe Allgemein- heit des Herzens fuͤr alle gute, weise, einfaͤltige, kraftvolle, beruͤhmte oder unberuͤhmte, gekannte oder mißkannte Menschen; — und — dieselbe leichtsinnige Unbedachtsamkeit. Nein! nicht ge- rade dieselbe. Das Gesicht ist beschnittener, angezogener, fester; hat mehr innere, sich leicht ent- wickelnde Geschicklichkeit zu Geschaͤfften und praktischen Berathschlagungen; mehr durchsetzenden Muth, der sich besonders in den stark vordringenden, stumpf abgerundeten Knochen der Augen zeigt. Nicht das aufquillende, reiche, reine, hohe Dichtergefuͤhl; nicht die schnelle Leichtigkeit der produktifen Kraft des andern. Aber dennoch, wiewohl in tiefern Regionen, lebendig, richtig, in- nig. Nicht das luftige, in morgenroͤthlichem Himmel dahin schwebende, Gestalten bildende Licht- genie — Mehr innere Kraft, vielleicht, weniger Ausdruck! mehr gewaltig und furchtbar — weniger praͤchtig und rund; obgleich seinem Pinsel weder Faͤrbung noch Zauber fehlt. — Mehr Witz und rasende Laune; drolligter Satyr; Stirn, Nase, Blick — alles so herab, so vorhaͤn- gend; recht entscheidend fuͤr originellen, allbelebenden Witz, der nicht von aussenher einsammelt, sondern von innen heraus wirft. Ueberhaupt ist alles an diesem Charakter vordringender, eckiger, Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. eckiger, angreifender, stuͤrmender! — Nirgends Plattheit, nirgends Erschlaffung, ausgenom- men im zusinkenden Auge, wo Wollust, wie in Stirn und Nase — hervorspringt. Sonst selbst in dieser Stirne, dieser Gedraͤngtheit von allem — diesem Blicke sogar — untruͤgbarer Aus- druck von ungelernter Groͤße; Staͤrke; Drang der Menschheit; Staͤndigkeit; Einfachheit; Be- stimmtheit! — Noch einige besondere Anmerkungen uͤber die Portraͤte und Sil- houetten der beyden Tafeln. D ie unschattirte Tafel ist weniger wahr als die schattirte ... 1 ist trockener, mißbehaglicher, als das schattirte Profil. Doch ist die Augenbraune wahrer, und der mehr zuruͤckstehende Augenstern denkender, vernuͤnftiger im bloßen Umrisse, als im schattir- ten. Der Mund im letztern hat mehr gefuͤhlvolle dichterische Bonhomie, als im bloßen Umrisse. Und wo liegt dieß? Jn dem Ueberhaͤngenden der Oberlippe — und dem Zuruͤckstehen der Unter- lippe; — in dem wahreren Verhaͤltnisse der Hoͤhe beyder Lippen. — Jm unschattirten ist die Unter- lippe groͤßer; im schattirten kleiner als die Oberlippe; und dann fehlt hinten am Munde das Leben und Guͤte verkuͤndende Eckgen oder Kraftpunkt, oder scharfe Druck, oder wie mans nennen mag. Besonders ist auch noch der Unterschied des Kinns zu bemerken. Jm unschattirten ist der Kinn- ball etwas laͤnglichter, weniger rund, und der Uebergang zum Unterkinne schaͤrfer und groͤber. Und wie verhaͤlt sich nun der Schattenriß 3. auf der ersten Tafel, von demselben Gesichte zu 1. und 1. auf beyden, und zum Schattenriß 3. auf der andern Tafel? Der Umriß 3. auf der ersten unschattirten Tafel hat viel mehr Sanftheit und Bonhomie, als der Umriß 1. auf derselben Tafel; und nicht ganz die poetische Kraft des Graͤnzumrisses am schattirten Profile auf der zweyten Tafel. Phys. Fragm. II Versuch. J i Am XXX. Fragment. Am wahresten und deinsten aber ist die Silhouette 3. auf der zweyten Tafel. Voll der edelsten genievollsten Bonhomie. Nun zu 2. und 4. auf beyden Tafeln — alle 4. Bilder voll entscheidender Expressio- nen, so voll Physiognomie, wie’s immer ein Menschengesicht seyn kann. — Aber keines so — edel, so groß, und so vollkommen wahr, als der vollstaͤndige Schattenriß 4. auf der zweyten Tafel. Dieser haͤlt uns wuͤrklich fuͤr alle das Fatale schadlos, das die uͤbrigen drey mehr und minder haben. Wieder ein Beweis von der Heiligkeit, wenn ich so sagen darf, genauer Schattenrisse! 2. auf der ersten Tafel hat nicht die vordringende Stirn von 2. und 4. der zweyten; und der Untertheil des Gesichtes, besonders das Kinn, hat viel minder Feinheit, als in allen uͤbrigen. So ist besonders auch der Mund und der Uebergang von der Nase zur Oberlippe in 2. der ersten Tafel nicht so fein und edel, als in 2. und 4. der zweyten Tafel. 4. auf der ersten Tafel ist zu gedehnt; mithin ganz gegen den compakten Charakter des Originals, aber selbst in dieser unwahren Gedehntheit ist noch Ausdruck genug von Groͤße und Originalitaͤt. Wieder aber bitt’ ich 4. auf der zweyten Tafel zu betrachten. Wer hier nichts sieht, wird nimmermehr was in einem Menschengesichte sehen. Ein antiker Kopf, besonders in der un- tern Haͤlfte. Welch ein treffliches Verhaͤltniß besonders von der Spitze der Nase zum Kinn? Jn der Stirne wie viel Kraft — und denn in der Nase, im Munde, wie viel Feinheit des Gefuͤhls, das sich so leicht in Thraͤnen aufloͤßt. Zum Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. Zum Beschlusse dieses Fragments ein sehr kenntliches, zugleich aber gerade im schlechte- sten Augenblicke ergriffenes Bild eines Mannes — der vielleicht unter zehntausenden Einer ist, der helle Vernunft, treffenden Witz, unvergleichbare Guͤte, Empfindsamkeit und Treue, feste Kraft, stille Ruhe und die bestimmteste — fortgesetzte Thaͤtigkeit — vereinigt. J i 2 Ein XXXI. Fragment. Ein und dreyßigstes Fragment. Baͤren, Faulthier, Wildschwein. B aͤren, Ausdruck von Wildheit und Grimm. Voll Drohung und Zerreißkraft. Menschen- scheu; Freunde alter wilder Natur. Unau, Ai, Faulthier; das traͤgste, unbehuͤlflichste, elendeste Geschoͤpfe — von der mangelhaftesten Bildung. Welche entsetzliche Kraftlosigkeit, Traͤge im Umrisse des Kopfes, des Leibes, der Fuͤße? — Kein Auftritt unter den Fuͤßen, kein Daumen, keine Zehen, deren jeder fuͤr sich beweglich waͤre, sondern nur zwo oder drey uͤbermaͤßig lange niederwaͤrts gebogene Krallen, die sich nicht anders als zugleich bewegen koͤnnen. — Jhre Langsamkeit, Dummheit, Achtlosigkeit fuͤr sich selbst ist unbeschreiblich. Sie haben keine Waffen, weder zum Angreifen, noch zur Vertheidigung; kein Mittel zur Sicherheit, nicht einmal sich in die Erde einzugraben — keinen Ausweg zur Rettung durch die Flucht. Sie kleben auf einem Flecke — brauchen viele Zeit, um bis an den Fuß eines Baums zu kriechen, und noch mehr, bis zu seinen Zweigen zu kommen. Ha- ben sie endlich mit unsaͤglicher Muͤhe die Krone des Baums erreicht, so bleiben sie da sitzen, und be- helfen sich viele Wochen mit der trockensten Nahrung der Blaͤtter: und bleiben, wenn sie auch nichts mehr finden, weil sie nicht wissen, wie sie wieder herunter kommen wollen. Zuletzt stuͤr- zen sie sich herab, schwer wie ein Klotz, ohn’ alle Federkraft — liegen da, ein Raub aller Thie- re. — Kann nun die Physiognomie zum Ausdrucke von diesem allen wahrer, stumpfer, traͤger, unbehuͤlflicher — seyn? Wer Baͤren, Faulthier, Wildschwein. Wer sieht nun aber nicht den wildern Charakter im wilden Schweine? den Mangel an allem Adel? das Gefraͤßige? Plumpe? die Stumpfheit des Gefuͤhles? die Grobheit des Ge- schmacks? Und im Dachse, wer sieht nicht das Unedle, Mißtrauische, Boshafte, Wildge- fraͤßige? J i 3 Zwey XXXII. Fragment. Zwey und dreyßigstes Fragment. Helden der Vorzeit. W ir haben eine Reihe von edlen, sanften Charaktern durchgegangen, und ich hoffe wenigstens einiges Gefuͤhl des Allgemeinen dieser Charaktere veranlaßt zu haben — die besondern einfachen Linien und Buchstaben dieser edlen, sanften Treue und Zaͤrtlichkeit — seyen dem letzten Bande vorbehalten. Laßt uns nun zu den kraftvollsten, unternehmendsten Helden und Eroberern der Vorzeit fortgehen. Alles in der Welt triegt mich; ich habe keine Augen mehr, lebe nicht, existire nicht, wenn nicht hier wiederum Wahrheit des Ausdrucks, Physiognomie auffallend ist. Erste Tafel. Scipio. Hohe, gewaltige, immer gegenwaͤrtige Heldenkraft, Widerstand, Adel, und Guͤte. Der Knochenbau des Kopfs und die Bildung des Ganzen hoͤchst gewaltig und fest. Daß aber die Mus- keln etwas schlaffes und schwammichtes haben, ist wahrscheinlich Fehler der Zeichnung: dadurch schwebt eine Schattirung von moralischer Schwaͤche, Beschraͤnktheit und Langsamkeit uͤber der Ge- stalt. Unbeweglich in seinen Verhaͤltnissen ist der Mann, stets den Augenblick ergreifend, immer Thaten und Handlungen und Schicksale vergleichend, und mit sich verbindend. Kein Zug von untheilnehmendem, allgemeinem Forschen. Befestiger seiner Stadt und selbst Bollwerk. Man vergleiche nachstehende kraft- und gefuͤhllose, aufgedunsene, schlaffe Karikatur, mit jener erhabenen Mannheit. Zweyte Helden der Vorzeit. Zweyte Tafel. Titus. W ieder ein ganzer trefflicher Mann, was auch durch die ableitenden Nachbildungen verloren worden seyn mag. Gewißheit seiner selbst, Bestaͤndigkeit, reine Erkenntniß dessen, was ihn um- giebt. Die Stirn und Augenknochen auf dem Bilde hier theils unbestimmt, theils verzogen, doch noch immer Festigkeit, Scharfsinn, Hochsinn. Jn dem fast ganz vernachlaͤssigten Auge noch immer Feinheit. Hoͤchst edel und trefflich die Nase. Der Mund von bestimmter Weisheit und Guͤte traͤufelnd, Behaglichkeit der Wangen, und Saͤulenkraft des Nackens. Wie viel weni- ger von allem diesem in der Vignette, und doch noch Kraft und Adel genug. Und nun nur ei- nen vergleichenden Blick von der Lippe des Titus auf der großen Platte zur Lippe des Nero hier unten. Dritte XXXII. Fragment. Dritte Tafel. Tiberius. E in edler Mann! Mehr unbehaglich und ungluͤcklich, als grimmig und boͤse. Und ist das nicht die Grundlage zu vielen Tyrannen? Ein boͤser Geist vom Herrn ist uͤber ihm, sein Herz ist gedraͤngt, schwarze Bilder schwe- ben vor seiner Stirne, er zieht sie widerstrebend zusammen, will mit dem unmuthigen Herrscher- blicke die Geisterschaaren vertreiben, es gelingt ihm nicht. Unmuthiges Nachdenken quaͤlt ihn. Vergebens, daß uͤber seinen Augen reiner Verstand wohnen, in lichten Verhaͤltnissen sich weiden koͤnnte! Sein Blut, schwarz wie sein Haar, faͤrbt ihm alle Vorstellungen naͤchtlich. Halb grim- mig hebt sich die Nase; leiser, aͤngstlicher Trutz ist im gehobenen Munde; scheu und doch fest ist das ganze Wesen. Man bringe in Gedanken alle Zuͤge zur Ruhe, gieße in seine Adern wenige Zuͤge besaͤnftigender, belebender, schaffender Fruͤhlingsluft, verduͤnne sein Blut, und spuͤle die Zerstoͤrungsbegier, die von ihm selbst beginnt, ihm aus den Sinnen; so habt ihr ihn zum gros- sen, edeln, guten Manne wiedergebohren. Das scheint mir dieses Bild zu sagen. Wer entscheidet, wie viel Aehnlichkeit mit Ti- beren es habe? Eine tiefe Verborgenheit, die den Hauptzug seines Charakters ausmachte, ist auch hier ausgedruͤckt. Allein das getreueste Bild wuͤrde kaum den so veraͤnderlichen und seltsam gemischten Menschen, wie uns Sveton und Tacitus ihn geben, in seiner Fuͤlle darstellen koͤnnen. Vierte und fuͤnfte Tafel. Brutus. Wer das Original dieser Platte von Westermann nach Rubens haben kann, lege es zu dieser Betrachtung, und vergleiche es dann physiognomisch mit beyden hier angefuͤgten! W elche Kraft ergreift dich mit diesem Anblicke! Schau die unerschuͤtterliche Gestalt! Die- sen ausgebildeten Mann, und diesen zusammen geknoteten Drang. Sieh das ewige Bleiben und Ruhen auf sich selbst. Welche Gewalt und welche Lieblichkeit! Nur der maͤchtigste und rein- ste Geist hat diese Bildung ausgewuͤrkt. Eherner Helden der Vorzeit. Eherner Sinn ist hinter der steilen Stirne befestigt, er packt sich zusammen, und arbeitet vorwaͤrts in ihren Hoͤckern, jeder, wie die Buckeln auf Fingals Schild von heischendem Schlacht- und Thatengeiste schwanger. Nur Erinnerung von Verhaͤltnissen großer Thaten ruht in den Au- genknochen, wo sie durch die Naturgestalt der Woͤlbungen zu anhaltendem maͤchtig wuͤrksamen An- theil zusammen gestrengt wird. Doch ist fuͤr Liebe und Freundschaft in der Fuͤlle der Schlaͤfe ein gefaͤlliger Sitz uͤberblieben — Und die Augen! dahin blickend. Als des Edlen, der vergebens die Welt ausser sich sucht, deren Bild in ihm wohnt, zuͤrnend und theilnehmend. Wie scharf und klug das obere Augenlied; wie voll, wie sanft das untere! Welche gelinde kraftvolle Erhaben- heit der Nase! Wie bestimmt die Kuppe, ohne fein zu seyn, und die Groͤße des Nasenloches und des Nasenlaͤppchens, wie lindert sie das Angespannte des Uebrigen! Und eben in diesen untern Theilen des Gesichts wohnt eine Ahndung, daß dieser Mann auch Sammlung gelassener Eindruͤcke faͤhig sey. Jn der Ableitung des Muskels zum Munde herab schwebt Geduld, in dem Munde ruht Schweigen, natuͤrliche liebliche Selbstgelassenheit, die feinste Art des Trutzes. Wie ruhig das Kinn ist, und wie kraͤftig ohne Gierigkeit und Gewaltsamkeit sich so das Ganze schließt! Betrachte nun den aͤussern Umriß! Wie gedraͤngt marckig! und wiederholt die Ehern- heit der Stirne, die Wuͤrksamkeit des Augenknochens, den gefaͤllig festen Raum an der Seite des Auges, die Staͤrke der Wangen, die Fuͤlle des Mundes, und des Kinns anschließende Kraft. Jch habe geendigt, und schaue wieder, und fange wieder von vornen an! Mann verschlossener That! langsam reifender, aus tausend Eindruͤcken zusammen auf Einen Punkt gewuͤrkter, auf Einen Punkt gedraͤngter That! Jn dieser Stirne ist nichts Ge- daͤchtniß, nichts Urtheil, es ist ewig gegenwaͤrtiges, ewig wuͤrkendes, nie ruhendes Leben, Drang und Weben! Welche Fuͤlle in den Woͤlbungen aller Theile! wie angespannt das Ganze! Dieses Auge faßt den Baum bey der Wurzel. Ueber allen Ausdruck ist die reine Selbstigkeit dieses Mannes. Beym ersten Anblicke scheint was verderbendes dir entgegen zu streben. Aber die treuherzige Verschlossenheit der Lip- pen, die Wangen, das Auge selbst! — Groß ist der Mensch, in einer Welt von Großen. Er hat nicht die hinlaͤssige Verachtung des Tyrannen, er hat die Anstrengung dessen, der Widerstand Phys. Fragm. II Versuch. K k findet, XXXII. Fragment. sindet, dessen, der sich im Widerstande bildet; der nicht dem Schicksale, sondern großen Menschen widerstrebt; der unter großen Menschen geworden ist. Nur ein Jahrhundert von Trefflichen konnte den trefflichsten durch Stufen hervorbringen. Er kann keinen Herrn haben, kann nicht Herr seyn. Er hat nie seine Lust an Knechten gehabt. Unter Gesellen mußt’ er leben, unter Gleichen und Freyen. Jn einer Welt voll Freyheit edler Geschoͤpfe wuͤrd’ er in seiner Fuͤlle seyn. Und daß das nun nicht so ist, schlaͤgt im Her- zen, draͤngt zur Stirne, schließt den Mund, bohrt im Blicke! Schaut hier den gordischen Kno- ten, den der Herr der Welt nicht loͤsen konnte. Sechste Helden der Vorzeit. Sechste und siebente Tafel. Caͤsar. J ch bin nicht in der Stimmung von Caͤsarn zu reden; und wer kennt nicht Caͤsarn ohne mein Stammeln? Nur also die beyden Kupfer. Das schattirte! Welche verzerrte Reste des ersten unter den Menschen! Schatten von Hoheit, Festigkeit, Leichtigkeit, Unvergleichbarkeit sind uͤbrig geblieben. Aber die gekraͤuselte, unbestimmte, und fatal zuruͤckgehende Stirne! das verzogene, abgeschlappte untere Augenlied! der schwankende abziehende Mund! — Vom Halse sag’ ich nichts — Jm Ganzen eine eherne, uͤbertyrannische Selbstigkeit. Der Umriß! wie wahrhaft groß, rein und gut! Maͤchtig und gewaltig ohne Trutz. Un- beweglich und unwiderstehlich. Weise, thaͤtig, erhaben uͤber alles, sich fuͤhlend Sohn des Gluͤcks, bedaͤchtig, schnell — Jnnbegriff aller menschlichen Groͤße. K k 2 Drey XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. Drey und dreyßigstes Fragment. Wilde Thiere. Erste Tafel. Loͤwen, Tieger, Katzen, Leoparden. D rey Hauptcharakter in dieser Tafel, Verschlagenheit, Falschheit und Grimm. Die Loͤwinn 3. bezeichnet offenbaren Grimm und heiße Raubgier. Von Hunger zur aͤußersten Wuth gebracht; Glut im Auge, das den gewissen Raub zuversichtlich zum voraus schon ergreift. Blutduͤrstiger Rachen — das Ganze voll Selbstgefuͤhl, und Bewußtheit eigner Kraft. Vor solchem Fuͤrstenblicke behuͤt uns lieber Herre Gott! Bey den zween Tiegern 1. und 2. eben so wenig Zutrauen; — hoͤllische Verschlagenheit, und Falschheit. Grimm und Blutdurst tiefer verhuͤllt, als bey der Loͤwinn. Verstecktere, faͤl- schere, funkelnde Augen — Blutdurst auch in der Schnautze. Kann man sich das schadenfrohe Laͤcheln des Satans, wenn ein Heiliger faͤllt — teuflischer denken, als in dem ersten Tiegerkopfe? Jn dem zweyten Tiegerkopfe ist der Grimm verschlagner, tiefer im Blicke — volle Falschheit. Ein tiegerscher Heuchler. Die zweyte Reihe — Katzenkoͤpfe. Katzen, Tieger im kleinen; gemildert durch haͤusli- che Erziehung. Wenig besser in ihrem Charakter, nur schwaͤcher. Gegen Voͤgel und Maͤuse eben so unbarmherzig, wie Tieger gegen Schaafe. Jhre Wollust, langsam zu martern und zu toͤd- ten. Hierinn uͤbertreffen sie noch den Tieger. Der zweyte Kopf — von einer angorschen Katze, nach Buͤffon. Boͤses, muͤrrisches, argwoͤhnisches Staatsgesicht. Der XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. Der dritte — nach einem Vogel laurend. Unverwandtes Auge auf den erwuͤnschten Gegenstand; Hoffnung, ihn zu erhaschen; ihr waͤssert das Maul nach dem nahen Raube. Unten zween Leoparden — schleichendschlauer Grimm in schlanken Gliedern. Der sitzende ein wahres Bild eines Dey aus Algier auf dem Teppiche seines Thrones, und sein Mi- nister an der Seite. K k 3 Zweyte XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. Zweyte Tafel. Loͤwen. 1) R uhige Stille eines alten Loͤwen, der lange Zeit seiner Freyheit beraubt gewesen. 2) Nicht zu nahe dieser muͤtterlichen Liebe — sie ist grausam. Jhren Tod achtet diese Bestie nicht, aber das Leben ihrer Brut, und wehe sieben geruͤsteten Reutern, die sie anfallen wollen! Diese hier hat Wind von Nachstellung. Jhr Auge drohet Tod, und ihre Zaͤhne zerreis- sende Wuth. Jhre Stellung — Bereitschaft — aufzufahren und zu zerreissen. — Wie diese klei- nen schon den Charakter der Mutter mit der Muttermilch eingesogen! Grausamkeit, Wildheit, Frechheit, wie sie sich straͤuben in Zuversicht auf ihre Mutter! — Furchtbare Familie! Bemerket uͤbrigens die Profilumrisse dieser Thiere — wie leicht ließen sie sich vermenschli- chen, ohne den Hauptcharakter, der ihnen aufgedruͤckt ist, zu verlieren. Welche gelenksame Staͤrke ist im gaͤhnenden Loͤwen sichtbar! Dritte Tafel. E in alter abgelebter Loͤwe, gewohnt, seine gehemmte Freyheit zu ertragen. Sein Profil ist phy- siognomisch merkwuͤrdig; besonders der Graͤnzumriß von Stirn und Nase, und wie sich diese Graͤnzlinie fast in einen rechten Winkel zuruͤckbeugt von der Nase bis zum Unterkiefer. Noch deut- licher sieht man’s an dem schoͤnen Profile des großen halbliegenden Loͤwen auf derselben Tafel. Ein Mensch mit diesem Stirn- und Nasenprofile, vom linken Ohre des Loͤwen an gerechnet, wuͤrde sicherlich kein gemeiner Mensch seyn, obgleich ich in dieser Geradheit noch kein Menschenprofil gese- hen; — die Nase des Loͤwen ist freylich bey weitem nicht so hervorspringend, wie die des Men- schen, aber doch hervorspringender, als bey allen andern vierfuͤßigen Thieren. Sichtbarer Aus- druck thierkoͤniglicher Staͤrke und stolzer Anmaßung ist — theils dieser Bogen der Nase, theils ihre XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. ihre an dem nebenliegenden Kopfe sichtbare Breite und Paralelisme. Auch vornehmlich die bey- nahe rechten Winkel, welche die Umrisse der Augenlieder mit den Seiten der Nase formiren. Noch bemerke man in dieser und den vorhergehenden Tafeln die Linie des Grimmes und der Wildheit an den Thieren im Munde. — Vier XXXIV. Fragment. Vier und dreyßigstes Fragment. Gelehrte, Denker, vom Sammlergeiste an bis zum hoͤchsten Genie. Erste Tafel. Meyer. H ier das hoͤchste Jdeal von Ordnungsliebe; von Treue, Fleiß, Bedaͤchtlichkeit; von Bestimmt- heit, Geschicklichkeit, Anstelligkeit. Eine ganz tabellarische Seele, die alles ordnet, sondert, unter- scheidet, in Faͤcher theilt — numerirt. Ein Beyspiel unermuͤdeter treuer Wachsamkeit und unha- stiger Sorgfalt. Nicht das Groͤßte, nicht das Kleinste, das dem Manne durch die Haͤnde geht — bleibt ungereihet, unerlesen, verworren. Welch eine gluͤckliche Zusammensetzung von Kaͤlte und Activitaͤt! von Ruhe und Bewegung! — Einer der gluͤcklichsten, besten, brauchbarsten Menschen auf Gottes Erdboden! Jn seiner Gemeine — in seinem Garten — und in jedem Briefe — auf der Kanzel, und — in dem lichtlosen Kaͤmmerlein schmachtender und sterbender Armuth derselbe treue, ganz da existirende, sich ganz auf die vorschwebende Gegenwart begraͤnzende — sanft und festthaͤti- ge Gesetzliche, Vollgerechte. — Das Bild, obgleich nicht vollkommen aͤhnlich, ist dennoch in den Zuͤgen, die den eben be- meldten Charakter bezeichnen, aͤusserst wahr — Die Feuerlosigkeit, wenn ich so sagen darf — wie ist sie allenthalben in uneckigen Bogenlinien, die Thaͤtigkeit in denselben Bogenlinien ohne Laͤssig- keit mit etwas Spannung ausgedruͤckt. Die Stirn — wie rein von allem Leichtsinne, wie voll sinnlichen rangordnenden Verstan- des — ohne tiefe Abstraktions- und neubildende Kraft — Das Auge — wie schauend, ordnend, treu aufnehmend alles dessen, was da steht. Die Ruhe, Klugheit, Bedaͤchtlichkeit, wie entscheidend in dem uneckigen, flachbeschnitte- nen und beschlossenen Munde! Die Nase — wie wahrer Ausdruck ununternehmender, aber treu und fest ausfuͤhrender Bedaͤchtlichkeit. Die Linie besonders, die von der Nase zur Oberlippe fuͤhrt — welche Sprache des gutmuͤ- thigen, kindlichen, geduldigen Wesens — der Auseinanderlesungsgabe, der Beschaͤfftigung mit dem kleinsten Detail. — Das Kinn und die Backen — wie voll Phlegma und Flaͤche! Zweyte Gelehrte, Denker. Zweyte Tafel. Drey maͤnnliche Silhouetten. D er Charakter dieser drey Gesichter ist vermuthlich in mancher Absicht sehr verschieden; aber dar- inn kommen sie dennoch trefflich mit einander uͤberein, daß es drey verstaͤndige, sehr ordentliche, ge- naue, puͤnktliche Maͤnner sind. Zween davon kenn’ ich persoͤnlich. Sie sind Muster von Bedaͤcht- lichkeit, Ordnungsliebe, Geschaͤfftsgeschicklichkeit. Der erste ist an dem Munde um ein Haar verschnitten. (Jch traue dem Schattenrisse uͤberhaupt nicht die schaͤrfste Genauigkeit zu.) Kein spekulatifer Geist; aber ein Mann von sehr gesundem, natuͤrlichem Verstande, voll Demuth und Dienstgeflissenheit — und in einem Sinne ehrlich, wie’s wenige Menschen von hochgepriesener Ehrlichkeit sind. Der zweyte mir von Person unbekannt, aber nicht unbekannt der Welt. Ein Mann von Cultur und Geschmack. Die Stirn, die Nase, das Kinn, zeigt mehr forschenden Verstand, als 1, und ich bin uͤberzeugt, wenn die Stirn ohne die Parucke fortgezeichnet worden waͤre; sie wuͤrde in dieser Absicht noch viel sprechender seyn. Aber aufmerksame Bedaͤchtlichkeit; Treue und Fleiß und Reinlichkeit in allen Geschaͤfften, das scheinen beyde mit einander gemein zu haben — und wer sieht, bey aller Unaͤhnlichkeit, nicht das Aehnliche dieser beyden Profile uͤberhaupt? Der dritte ist der vollkommenste Pendant zu Herrn Meyer auf der vorhergehenden Platte; derselbe unermuͤdliche Fleiß, dieselbe ausgebreitete Genauigkeit im Detail; derselbe Geist des Sammelns, Ordnens, Nennens, Beschreibens, Auseinanderlesens — dieselbe Gabe alles zu ent- wickeln, zu zerlegen, — zu reihen. Eine lebendige Naturgeschichte. Alle drey, — mit dem vorhergehenden, Genies, oder lieber, Geister des Details, wenn ich so sagen darf. Von dem zweyten jedoch getrau’ ich mich nicht, es so zuversichtlich zu entscheiden, wie von den uͤbrigen. — Dritte Tafel. nach Holbein. J ch weiß nicht, wen dieser Kopf vorstellt. Aber ich ergoͤtze mich an der Natuͤrlichkeit dieser so einfachen Zeichnung. — Natuͤrlichkeit, o dieß Geheimniß der Kunst, das von beruͤhmten Manieristen so sehr ver- achtet wird; das sie durch einfache Linien so selten auszudruͤcken wissen. Phys. Fragm. II Versuch. Ll Der XXXIV. Fragment. Der Unbekannte, den wir vor uns haben, scheint ein alter ehrlicher Eidsgenoß zu seyn, der eben in einem bestimmten Augenblicke des Denkens gezeichnet war. Wieder etwas, das unter hundert Portraͤten vielleicht nicht Eins hat. Festhaltung eines Augenblicks einer bestimmten Si- tuation. Unser Kopf schaut etwas mit Ueberlegung, Ruh und Theilnehmung — Er beobachtet ohn’ alle Anstrengung, ohn’ alle Affektation von Beobachtung — Nicht zusammengezogen, nicht aufge- dehnt ist die Stirn — Sein Blick ist nicht dummes Hingaffen, nicht Blick der Begeisterung; fe- ster, nicht starrer Blick des ehrlichen, vernuͤnftigen Mannes. Die Nase kann fuͤr gemein und unbedeutend hingehen. Jn dem Munde viel Sanftheit und Vernunft. Viel mehr Freyheit und weniger Ord- nungsgeist, als der vorhergehende. Der aͤussere Graͤnzumriß ist Charakter des Denkenden. Nachstehende Vignette — eines denkenden, feinen, religioͤsen Mannes. Vierte Gelehrte, Denker. Vierte und Fuͤnfte Tafel. Erasmus. W ir haben hier fuͤnf Koͤpfe von Erasmus, Die erste Tafel ist die mit den drey Koͤpfen; die mit zween die zweyte. davon vermuthlich alle, gewiß vier, Copien nach Holbein, seinem Freunde, sind. Das Gesicht des Erasmus ist, meines Beduͤnkens, eins der sprechendsten, der entschei- dendsten Gesichter, die ich kenne. So verschieden diese Gesichter sind, haben sie dennoch alle mit einander gemein. a) Die furchtsame, zaghafte, bedaͤchtliche Stellung. b) Das Launigte im Munde. c) Das Feine im Blicke. Aber dann sonst wie verschieden! 1) Auf der ersten Tafel — alles, wie viel flacher — und also fader! — wie viel stumpfer, unbestimmter — der Mund insonderheit, wie viel leerer, als aller uͤbrigen! Das Nasenloch, wie athemlos ... 2) Auf der ersten Tafel, schon wie viel feiner, bey aller Grobheit der Umrisse. — Man vergleiche nur Nase und Nase. — 3) Noch feiner, kleineckigter. Aber nun die zween uͤbrigen auf der zweyten Tafel, mit der zartesten Nadel, mit dem aͤusser- sten Fleiße gezeichnet; wie voll des kraͤftigsten Ausdruckes! So viel Verschiedenheit in beyden, in beyden dennoch derselbe Ausdruck von Mannich- faltigkeit der Gedanken, Furchtsamkeit, Naivete, Laune. Nirgends kein Zug vordringender, zerstoͤrender Kuͤhnheit. Jm Auge die ruhige Heiterkeit des feinen in sich verschlingenden Beobachters. Dieß halb geschlossene Auge, von dieser Tiefe, diesem Schnitte; sicherlich allemal das Auge feiner und kluger Planmacher. Die Nase, ich kann sie durch keinen Ausdruck besser bezeichnen, als durch Beschnittenheit, ist, allen meinen, niemals widersprochenen, Beobachtungen zufolge, sicherlich des Feindenkenden und Zartfuͤhlenden. Man suche den Kopf mit einer solchen Nase, der natuͤrlicherweise sich nicht Ll 2 unter XXXIV. Fragment. unter tausenden und zehntausenden auszeichnet — Es sey denn, daß Gewaltthaͤtigkeit, und die cras- seste Erziehung, die mehr als Gewaltthaͤtigkeit ist, alles unerbittlich zerdruͤckt und erstickt habe. Der zartgeschlossene Mund; das breite, und dennoch nicht platte, nicht flache, nicht fleischi- ge Kinn; das Vielfaͤltige im ganzen Gesichte, stimmt trefflich mit dem uͤbrigen uͤberein, und ist Ausdruck von Nachdenken und fanfter Thaͤtigkeit. Das erste auf der zweyten Tafel ist nicht so ruhig, so heiter, wie das zweyte; obgleich der Mund im ersten, an sich und allein betrachtet, mehr Guͤte, als im zweyten zu haben scheint. Der Mund in 1. ist denkender, uͤberlegender, kluͤger, beschnittener, als in 2. Diese Falten der Stirn sind sonst gemeiniglich nicht sehr vortheilhaft. Sie sind beynah im- mer ein Zeichen irgend einer Schwaͤche, einer Nachlaͤssigkeit, Lockerheit, Schlappheit. Wir ler- nen aber doch aus unserm Bilde, daß sie sich auch an großen Leuten finden lassen. Nachstehende Vignette, nach einem Holbeinischen Holzschnitte, ist — wie offenbarer Aus- druck calculirenden Nachdenkens! Stellung und — Hand — wem zeigen sie nicht das Feine, Be- daͤchtliche, Klugfurchtsame! Sechste Gelehrte, Denker. Sechste Tafel. I. I. B. W ir steigen von Kraft zu Kraft — Weder alle Trefflichkeiten, noch alle Pockennarben eines Gesichtes oder eines Charakters, will ich, kann ich kommentiren. Das eine wuͤrde Schmeicheley, das andere Bosheit scheinen muͤs- sen — und zu unserm Zwecke ist’s wuͤrklich auch nicht ganz nothwendig; genug, wenn wir gewisse entscheidende Zuͤge des Gemuͤthes in entscheidenden Gesichtszuͤgen erblicken. — Dieß zum voraus, damit nicht wieder jemand nach dem richte, was nicht da ist, nicht da seyn soll. Also nur sehr wenig, was unsers Zweckes ist. Die helleste Denkenskraft, die planmachendste Klugheit, unbezwingliche Festigkeit, uner- muͤdete Betriebsamkeit, puͤnktliche Ordnungsliebe, — eine unglaublich treue fortgesetzte Dienstfer- tigkeit gegen Liebgewonnene sind einige entschiedene Zuͤge aus dem großen Charakter, den wir vor uns haben; Zuͤge, die alle augenscheinlich auf diesem Gesichte ausgedruͤckt sind. Den festen, selbststaͤndigen Mann, und wie der Verfasser des Sendschreibens von ei- nem zuͤrcherschen Geistlichen richtig sagt — „den feinen durchdringenden Geist, womit er alle „andere uͤbersieht, durch die bestgewaͤhlten Mittel bedaͤchtig zu seinem Zwecke schreitet, und bey- „nah’ unuͤbersteiglichen Hindernissen auf den Kopf tritt.“ — Wer sieht ihn nicht im ganzen kraft- vollen Gesichte, das wir vor uns haben, und noch weit mehr im Originale? Denn dieses unser Bild ist, nach dem wohlhergebrachten Gebrauche unserer bloͤden ge- schmackreichen Kuͤnstler, denen immer nur fuͤr Haͤrte, wie Sie sagen; und wie ich sage, fuͤr Kraft und Bestimmtheit bange ist, uͤberhaupt gar sehr kraftlos gegen das von Kraft und Drang uͤber- fließende Original. Die Stirn und die Gegend um die Schlaͤfe hat erstaunlich verloren. Der gewaltige, fel- sigte Augenknochen, dieser Sitz von Muth, Kraft und Verstand ist von dem hoͤflichen Zeichner — versuͤßt, verschwemmt, weggewischt worden. Daher in diesem Gesichte so viele physiognomische Widerspruͤche — die in der Natur nicht sind; wie z. E. der hohle, uneckigte Umriß des Kinns von der Spitze der Unterlippe an — mit der ganzen Oberlippe bis zur Nase. Ll 3 Dieser XXXIV. Fragment. Dieser spitzige Winkel, dieser Buchstabe von herrschender Klugheit (bey keinen wider- sprechenden Zuͤgen) — Wie kontrastirend, wie zusammen unmoͤglich mit dem untern Theile des Gesichtes! ... O ihr Zeichner, o ihr Mahler — wie lange werd’ ich Euch noch umsonst zuschreyen — „Glaubet nicht die Natur zu ehren, wenn ihr sie stuͤmpfet, abschleifet, oder wie ihr saget: ihr „ihre Haͤrte benehmet. Die Natur ist nicht hart; sie ist frey, aber sie ist bestimmt. Jhre Be- „stimmtheit abschleifen, heißt, ihre Kraft abschleifen.“ Jhr meynet dem Gesichte Ehre zu erweisen, wenn Jhr’s rundet, und ihr raubt ihm da- durch seine Urkraft. So in dem Gesichte, das wir vor uns haben, das jedermann kenntlich nennt, das aͤusserst kenntlich ist — und dennoch von seinem Grundcharakter, innere Festigkeit, so viel verloren hat. Doch nicht alles verloren — und nicht alles verlieren konnte. Der groͤßte Verlaͤumder kann in gewissen Charaktern gewisse Kraͤfte nicht weg verlaͤum- den — der zaghafteste Mahler gewissen Gesichtern nicht allen Ausdruck rauben. Abermal so bey unserm Bilde. Muth, und mehr ordnenden, setzenden, reihenden, scheidenden, als schaffenden Sinn — Mehr Verstand, als Dichtungskraft; mehr Geschmack und kritischen Scharfsinn, als zaͤrt- lich schmachtende Empfindsamkeit — Dieß alles glaub’ ich im treffenden, schauenden, klein scheinenden, aber nicht kleinlichen Auge, und in der schiefen, festen, uͤber den Augen nicht sehr vordringenden Stirne zu erblicken. Kraft, Geschaͤfftsthaͤtigkeit, Thatweisheit in der feuervollen, praͤgnanten, unschlaffen und unbeschnittenen Nase. Leutseligkeit, hoͤfliche Dienstgefaͤlligkeit im Munde. Cholerisches Temperament in allem, besonders im Untertheile des Gesichtes und dem vol- len, gedraͤngten, krausen Haarwuchse. Alles zeigt, daß sein Symbol nicht Wort und erschlichenes Ordensband, daß es Wahr- heit, Kraft, That war: — Sapere Gelehrte, Denker. Sapere aude! Incipe! So lange Zuͤrich steht, wird Zuͤrich sagen — „das war ein Mann von That!“ und so lang ich lebe, werd’ ich sagen: „Jch hab’ ihm so viel zu danken — daß mich keine Mißverstaͤnd- „nisse kaltsinnig gegen ihn machen sollen.“ Siebente Tafel. Zwinglius. D ie Festigkeit steigt. Freylich nimmt die Feinheit hier ab. Ernst, Nachdenken und maͤnnliche Entschlossenheit, Vielwissen ohne Ausdehnung, sich zu- sammenziehende Thatkraft, Bewußtseyn seiner Erkenntniß ohne Spiegelung und Selbstgefaͤlligkeit, scheinen mir in diesem Gesichte auffallend zu seyn. Bis zum Steifsinn gehender Muth in der, im Ganzen genommen, perpendikularen Stirne. Ernst und Nachdenken in diesen Falten, besonders im Uebergange von der Nase zur Stirne. Nasenloch und Spitze der Nase gemein, wenigstens in der Zeichnung! wie verschieden von Erasmus feindeutiger Beschnittenheit. Der Umriß der Oberlippe gewiß keiner gemeinen Seele. Desto gemeiner die rohe, und nur hinten sich verfeinernde Unterlippe. Jm Kinne maͤßige Festigkeit. Schauender, durchdringender Verstand im schraͤgen Aug- apfel. Guͤte in den Falten ums Auge, die der laͤchelnde Witz bildet. Die Geradheit des Ganzen ist auffallend. Wir XXXIV. Fragment. Wir wollen ihm den Denker Basedow, den Mann voll Anstrengung, einsamer Aus- daurung, That — Wuͤrksamkeit — Verbesserungseifer — zum Gesellschafter geben — die Stirn ist gerade so verschieden, wie Basedow und Zwinglius. — Achte Gelehrte, Denker. Achte Tafel. Cartesius. E s gab eine Zeit, wo Aristoteles aller Lehrer Orakel, — und eine Zeit, wo er jedes Schul- knaben Gespoͤtt war; eine Zeit, wo Cartesius uͤber alles Herr war, und eine Zeit, wo jeder seichte Witzling ihn wie ein Jnsekt zertrat. Wer zu hoch erhoͤhet wird, wird zu tief erniedriget .... Gegen dieses doppelte Uebel eifert die Physiognomik. Sie zeigt den Mann, und im Manne seine Kraft und sein Verdienst — oder was er kann, und was er will. Sie allein ist’s eigent- lich, die den Menschen gegen alle unwahre und unbillige Urtheile, die man uͤber ihn faͤllen kann, schuͤtzt, und nicht nur zeigt, was er ist, sondern auch, was er seyn kann. Sehet einmal den Menschen an, uͤber den ihr Jahr und Tage Gutes und Boͤses die Men- ge gehoͤrt habt. So viel wahre, verdrehte, verfaͤlschte Anekdoten — die ihn zu einem Halbgott oder Halbteufel logen — Seht einmal mit dem Auge des feinfuͤhlenden und geuͤbten Physiogno- misten — o wie ganz anders werdet ihr den finden, aber zugleich auch den Grund finden, warum man ihn zum Halbgott erhob, und zum Halbteufel erniedrigte. Was ich hier sage, ist nicht Deklamation eines in die Wissenschaft Verliebten, ist Wahr- heit, die wenigstens das folgende Jahrhundert einmuͤthig anerkennen wird — eine unendlich weit- greifende Wahrheit. — Wenn Neuton kein Wort geschrieben haͤtte, Neuton von seinem Jahrhunderte ganz miß- kennt worden waͤre — sein bloßes Bild wuͤrd’ ihn dem Menschenkenner immer als einen der groͤß- ten Menschen zeigen. Ein wahres Bild ist die einzige Schutzwehr des großen Mannes gegen alle An- fechtungen des Neides — und der gerechteste Verwahrer gegen uͤbertriebenes Lob ... Mir ist unser Cartesius ein neuer Beweis dieser Behauptung. Ein Gesicht von dieser Art kann beynahe nicht anders als kenntlich seyn. Unter zehntausen- den ist kaum ein so sonderbares, so ausgezeichnetes Gesicht ... Und was spricht dieß sonderbare Gesicht? Fuͤrs Erste — die hoͤchste Originalitaͤt. Es zeigt den Mann, der — nicht muͤßig Luͤcke fuͤllen soll, den Mann, der Epoche macht. Den Mann, bey Anlaß dessen der vortreffliche Thomas so unvergleichlich sagt: — „Je ne m’arrête point sur son Education. Des qu’il Phys. Fragm. II Versuch. M m s’agit XXXIV. Fragment. „s’agit des ames extraordinaires, il n’en faut point parler. Il n’y en a point d’autre „pour l’homme de génie, que celle, qu’il se donne à lui même, \& elle consiste pres- „que toujours à détruire la prémiere.“ — Schau dieß lebendige, vielheitreiche, drangvolle Gesicht an — Jst’s Werk, Anlage der Geburt, erzogen zu werden, oder — zu erziehen? Gesetze einer Welt voll Vorurtheile anzuneh- men? oder ihr Gesetze vorzuschreiben? „Descartes par celle, qu’il reçut, jugea son siecle. „Déja il voit au delà. Déja il imagine \& préssent un nouvel ordre de Choses. Tel de „ Madrit ou de Genes Colomb préssentoit — l’ Amérique. “ Treffliches Wort Pressentiment — Vorempfindung, Anhndung — das Eigenthuͤm- liche des Genies. Es ruhet nicht, ahndet immer mehr Licht, Freyheit, Schoͤpfung, Gott- heit — wird immer weiter, immer hoͤher gezogen — — draͤngt sich, fliegt oder klimmt, jauchzet, oder schmachtet fort, fort, bis es nicht mehr hoͤrt das nachrufende Geschrey der Vor- und Mitwelt, bis es erreicht hat unbewohntes Land — neue Welt, und dann! — So unser Cartesius! Sein Gesicht kuͤndigt ihn an, den Schoͤpfer neuer Welten. „La nature (man erlaube mir, was kann ich bessers? durch dieses Fragment immer den groͤßten Redner unserer Zeit — als Herold meines Helden voranzuschicken.) „La nature, qui „travailloit sur cette ame \& la disposoit insensiblement aux grandes choses, y avoit „mis d’abord une forte passion pour la verité. Ce fut là peut-étre son premier res- „sort.“ — Wahrheitsdrang! ... Kennst du diese Wurzel der wuͤrksamen Menschheit? Leser. Empfindsamkeit und Wuͤrkungskraft — sind ihre Bestandtheile — und davon, wie uͤberfließend ist unser Bild! „Elle y ajoute ce désir, d’étre utile aux hommes, qui s’étend à tous les sié- „cles \& à toutes les nations; — désir, qu’on ne s’etoit point encore avisé de ca- „lomnier. Elle lui donne ensuite pour tout le temps de sa jeunesse une activité in- „quiète, ces tourmens de génie, ce vuide d’une ame immense, que rien ne remplit en- „core, \& qui se fatigue à chercher autour d’elle ce qui doit la fixer.“ Jm Gelehrte, Denker. Jm tiefen durchschauenden, ergreifenden, verwandelnden Blick — in der Kraft der Au- genbraunen — im Umrisse des Augknochens — im eckigten Graͤnzumrisse des Gesichtes — in der breiten knorpeligen Nase, in den unbeschreiblich sanften, feuerreichen, geistvollen Lippen — — Wer? wer sieht nicht diese Fuͤlle von Feuer, elastischer Thaͤtigkeit, gemeinnuͤtziger Guͤte — Genie voller Empfindsamkeit — Peindrang des Genies? „Insatiable, de voir \& de connoitre par-tout, où il passe, Descartes interroge la „verité. Il la demande à tous les lieux, qu’il parcourt. Il la poursuit de païs en païs. „Il avoit l’art de s’approprier tant d’idées acquises dans ses voyages, par des medita- „tions, qui dans Descartes s’étoient tournés en habitude. Elles le suivoient par tout; dans „les voyages, dans les camps, dans les occupations les plus tumultueuses. Il avoit „toujours un azile prêt, ou son ame se retiroit au besoin. Cétoit là, qu’il appelloit ses „idées. Elles accouroient en foule. La meditation les faisoit naitre. L’esprit géomé- „trique venoit les enchainer ..... Cétoit la, que son ame se reposoit de l’inquiétude, „qui la tourmentoit partout ailleurs. Mais dégouté bientot de speculations abstraites, le „desir de se rapprocher des hommes, le rentrainoit à l’étude de la nature. Il se livroit à „toutes les sciences.“ Man verzeihe mir die Weitlaͤuftigkeit dieser Stelle. Sie verdient hier Raum — und sie ist zu unserm Zwecke wichtig. Selten findet sich dieses so auffallende Gemisch des geometrischen und des menschenfreundlich thaͤtigen Geistes. Cartesius — ist einer der abgezogensten, aber zugleich der thaͤtigsten Denker. So sehnsuͤchtig nach Stille; so unvermoͤgend, die Ruhe der Einsamkeit lange zu genießen — so hochfliegend in Wirbeln von Welten — so sich verlierend, hingebend in die gemeinnuͤtzigsten Geschaͤffte. Wie selten diese Seelen — und wie offen dieses Gemische von Charakter in dem Gesichte des Cartesius! Es ist schwer, alles Einzelne heraus zu heben; aber nicht schwer, es im Ganzen zu bemerken. Jm Auge ist z. E. erstaunliche Leidenschaft und Unruhe; die hoͤchste Thaͤtigkeit in dieser Form der Nase. Die Entfernung der Augenbraunen von den Au- gen — zeigt mehr fliegendes, als ruhig fortdringendes Genie. Der Mann kann nicht ruhig, nicht unthaͤtig, nicht einsam seyn. So viel Jmagination bey so viel Verstand und so viel Kraft so sel- M m 2 ten XXXIV. Fragment. ten — wie ein solches Gesicht — voll Maͤnnlichkeit, und dennoch uͤberfließend von schmachtender, treffender Verliebtheit, ohne einen Funken kindlicher Jungfraͤulichkeit. „L’indépendance, après la verité, étoit la plus grande passion de Descartes ... Mich duͤnkt, dieß steh ihm mit den deutlichsten Zuͤgen im Gesichte geschrieben. „Il falloit, qu’un „homme comme lui, ne fut qu’à la nature \& au genre humain. Noch hab’ ich nichts von seiner Stirne gesagt. Sie ist ausserordentlich, wie der Mann. Sehr zuruͤckgehend, oben sich gegen den Schaͤdel zuspitzend, Zeichen von gedraͤngter Kraft — bey diesem Bogen, wie er sich im Profile zeigen muͤßte — und bey dieser scharfen, nicht uͤberhaͤngenden Ecke des Augknochens. — Weide dich, Leser, an diesem trefflichen Bilde und freue dich, daß Gott dem Menschen mehr ins Gesichte gegraben hat von seiner innern Kraft, als keine Feder beschrei- ben kann. Neunte und zehnte Tafel. Jsaac Neuton. Vier schattirte Koͤpfe. W ie sehr die verschiedenen Vorstellungsarten der Mahler, und ihre verschiedenen Faͤhigkeiten ein und ebendenselben Mann umbilden und verschieben — davon haben wir schon manches Beyspiel angefuͤhrt. Ein neues sey Neuton. Wir haben hier vier Copien von Copien — die alle einen großen ausserordentlichen Mann — aber denselben Mann in sehr ungleichem Lichte zeigen. 1. Das erste wird wohl das beste seyn? Voll innerer Kraft die Augen, den Gegenstand zu fassen; ihn zu ergreifen, nicht bloß zu beleuchten; nicht ihn ins Gedaͤchtniß aufzuhaͤufen; sondern ihn zu verschlingen, und in das große All, das im Haupte ist, immanieren zu lassen. — Augen voll Schoͤpfungskraft — und Augenbraunen voll der lichtvollsten, solidesten Fruchtbarkeit. Die Gelehrte, Denker. Die Stirn ist zu unbestimmt schattirt; doch ist sie vielfassend und Gedanken schaffend. Mehr hohes, gewaltiges Denken, als abstraktes scheint sie auszudruͤcken. Maͤchtiger Drang, Drang der Zuversicht und der Gewißheit schwebt drauf. Markige Nase — lieblich zufrieden, nicht selbstgefaͤllige Lippe; festes, redliches Kinn. Die rechte, nicht haͤngende, nicht angestrengte Wange — wie viel besser, weniger gra- vitaͤtisch, als im zweyten? — wie, obgleich verschliffen und unbestimmt — wie viel zutraulicher, als der uͤbrigen! Auffallend ist die Reinheit, die Ruhe des Ganzen, bey der sichtbaren innern Anstrengung — Anstrengung mit Glauben an sich selbst. 2. Das Grobe, Buͤrgerliche liegt im Verschobenen des Kreuzes, der dadurch zu breiten Ba- cke, der Haͤngwange. Nichts als Kraft ist von Neuton uͤbrig geblieben. Ein Republikaner ist’s, der, ohne zu befehlen, herrscht, immer widerstehen muß, viele Geschaͤffte geordnet, eingerichtet, gebaut hat. Wie fest ergreift er sinnlichen Eindruck, — macht pruͤfenden Entwurf, nicht ohne Zutrauen zu sich und seiner uͤbermannenden Kraft. An der Nase das Aufgezogene gehaͤssige — und das Fleischige unbedeutende zusammen, machen einen fatalen Effekt. 3. Ein Gelehrter mit dem Blicke der Kenntniß ... die — ach! — wie unbestimmte Stirn ist offener und reicher, als die obigen; behaͤlt mehr, aber nicht so fest, nicht so tief — zum tiefen Forschen ist sie uͤberm Auge nicht gedraͤngt genug — zum Gedaͤchtniß oben nicht gewoͤlbt genug. Die Augenbraunen sind naͤher am Auge, und bey weitem nicht so kraͤftig, als die obern. Die Naͤhe kontrastirt mit der Offenheit der Stirn. Eine reine, aber schwache Nase. — M m 3 Liebliche, XXXIV. Fragment. Liebliche, mehr ausser sich, als in sich selbst gefaͤllige Lippe. Stirn und rechte Wange haben was Unertraͤgliches. — Jn der Stellung des Kopfes was Unnatuͤrliches — Mahlermanier — Wie uͤberhaupt das ganze Gesicht was Verschwebtes, Gelecktes, Entkraͤftetes hat. 4. Antikisirt! unwahr, aber groß! Ein Mann von Wissen und That. Die Stirn, wie gedraͤngt in Erinnerung von Wuͤrkungen! Ahndung kuͤnftiger Seelen- noth in gegenwaͤrtiger Kraft! Wie verschieden von 3! So verschieden in der Expression, wie Marmor und Fleisch in der Haͤrte. Die Augenbraunen — des Schoͤpfers neuer Systeme! Das Auge, bloß Aussprache innerer Festigkeit, ohne Falsch, ohne Verlangen. Die Nase im Ganzen — lauter Kraft, Entschlossenheit, Klugheit; doch um die Spitze und Fluͤgel etwas wenig — Ungehoͤriges. Die Lippe Widerhalt — innerer Kraft. 1. und 2. — derselbe Hauptcharakter oben — unten sehr verschieden. — 3. und 4. sind zwey Extreme, das eine von Verwaͤsserung — das andere von Verstaͤr- kung. Alle 4 — ich muß es wiederholen — Copien von Copien — aber alle vier — Maͤnner, die ihre Existenz in die Nachwelt wurzeln lassen. Zweyte Tafel. 1. ist der Umriß vom Originale, wornach 1. auf der vorhergehenden Tafel copirt ist. Viel mehr Kraft und viel weniger Bonhomie. — Ein Gelehrte, Denker. Ein edler, gerader, tiefer, starker Mann, — etwas zu trutzig, welches vielleicht von der Schiefheit des Umrisses, und von der zu starken Bezeichnung der Schatten herruͤhrt. Die Augen — Augen des großen Mannes! Fast wollt’ ich diese zur Regel setzen duͤr- fen. — Das Haar — obwohl vielleicht ein wenig idealisirt, dennoch im Ganzen herrlich! zart, voll, wuchsreich, ohne Verwirrung und schwerlaͤstige Gedraͤngtheit — nicht glatt und nicht hartkraus — wahrer Ausdruck der hoͤchsten Lichthelle des Verstandes ohne Poesie und — Schwaͤche. Das zweyte, Umriß vom zweyten der vorhergehenden Tafel, fester, zusammengezogener, gedraͤngter. — Die Augenbraunen — bestimmter, denkender, schreckender. Die Augen — weit weit unter 1. Die Nase, der Mund, das Ganze steifer. — Fuͤnf Fuͤnf und dreyßigstes Fragment. Elephanten, Rinozeros, Hippopotamus u. s. w. E lephant 1. und 2. im Auge feine Klugheit — mit empfindlichen Muskeln umkraͤnzt. Jm ganzen Koͤrper, besonders im Ruͤssel, am besondersten vornen am Finger des Ruͤssels, aͤusserste Gelenksamkeit. Seine erhabene gewoͤlbte Stirn zeuget von dem Vorzuge seines Verstandes vor allen andern vierfuͤßigen Thieren — besonders von seinem starken Gedaͤchtnisse. Das Gewaltsame seines Charakters druͤckt sich in der Menge und Groͤße, das Feine in der Rundung und Gewoͤlbtheit seiner Knochen, das Weichliche in der Masse des Fleisches — das Kluglistige in der weichen Gelenksamkeit seiner Natur aus. Das Nashorn 3. und 4. grob, plump, unempfindlich, weniger reizbar, — unedles Aussehen, ein stumpfes Thier; von der Stirne zum Nashorn unedler, erniedrigender Einbug. Schwache Schweinsaugen. Lappichter Mund. Vermoͤge seines Gewichtes im Zorne nicht grau- sam, mehr dumm — hornstoͤßig — unflaͤtig. Wie geduldig dagegen das Cameel 5. und 6. wie gemacht, Lasten zu tragen! 7. Hippopotamus, Nilpferd, Behemoth — Sein Rachen die Hoͤlle — Seine Zaͤhne — Hacken — Ein Gespennst! — 8. Buͤffelochse. Eigensinn und Dummheit mit Staͤrke verbunden — und fauler Geil- heit im Blicke und Munde. Sechs Sechs und dreyßigstes Fragment. Religioͤse, Schwaͤrmer, Theosophen, Seher. W ir eilen zum Beschlusse — fast in die Jdealwelt hinein. Erste Tafel. Ein namenloses Profil mit weißen Haaren. Ein, wie mich deucht, sich sehr auszeichnendes Gesicht — Nicht ohne Anmaßung. — Jch glaube nicht, daß es einen Menschenkenner befremden werde, wenn man ihm sagt: Jn dem Manne ist Trieb und Drang zu wuͤrken, sich mitzutheilen — Er ist ein Religiose! das heißt — in ihm ist religioͤse Betriebsamkeit! unternehmend und hartnaͤckig; wuͤrkend aufs Einzelne mehr, als aufs Ganze! Er ist zart und stark gebaut! Jn der hohen Stirne, die nicht sehr perpen- dikular und gespannt ist — ist Raum fuͤr Bilder ohne Zahl und Maaß! — Um Aug und Nase schwebt Geist des Denkens, und Empfindsamkeit. Jm Munde Liebe, Festigkeit — .... Jm Hinterhaupte und aufm zarten Haar — Empfaͤnglichkeit von jedem zarten Eindrucke. Der Kopf im Ganzen ... hat viel Aehnliches mit einem der tiefsten, redlichsten, beschei- densten Mystiker, den ich zwar nur im Bilde gesehen — und auch dieser hier, den wir vor uns haben, ist ein theosophischer Mystiker. Jch werde mir die laͤnglichte Gestalt dieser so mannichfal- tig gefalteten Koͤpfe, mit diesem kleinaͤugigen Blicke, diesen leichten Haaren, wohl bemerken, um meine Vermuthung zu pruͤfen, „ob diese nicht vorzuͤgliche Anlage zur Schwaͤrmerey haben „moͤchten?“ Nachstehender Umriß ist eigentlich bloß der Skelet, mithin vollkommen seelenloses Bild — eines unbeschreiblich edeln, einfaͤltig treuen, tiefblickenden, aͤusserst bescheidenen, und himmlisch re- ligioͤsen Zuͤrcher Landmanns — Aber weg ist alle Liebe, Jnnigkeit, Salbung, die das Original so trefflich auszeichnet — und die Herrlichkeit der allerfreuenden Liebe verwandelt in verachtenden, Phys. Fragm. II Versuch. N n gehaͤssigen, XXXVI. Fragment. gehaͤssigen, drohenden Grimm, dessen das Original nie faͤhig zu seyn scheint. Wehe der graͤm- lichen Religion, die auf diesem Gesichte ausgedruͤckt ist! Sieh hier Mahler, welch ein Verlaͤum- der du bist — des Religiosen und der Religion, wenn du wegbannst die Freude des Ange- sichts voll einer Gott umfassenden Seele. — Zweyte Religioͤse, Schwaͤrmer, Theosophen, Seher. Zweyte Tafel. M. Theosophus. J ch habe schon bemerkt, daß viele mystische, theosophische Koͤpfe laͤnglicht, und daß sie flach und lang behaart sind. Hier ein neues Beyspiel. Nicht jeder laͤnglichte Kopf mit zarten langen Haaren ist von diesem Charakter. — Der Mann, den wir vor uns haben, ist ein sehr verstaͤndiger, ganz von sich selbst gelehr- ter, forschender, origineller, erfindsamer Kopf, der beynahe zu allen wichtigen Entdeckungen der groͤßten Scheidekuͤnstler durch eignes Nachdenken, Nachforschen, Versuchen gelangt ist — Ein tie- fer Verehrer von Jakob Boͤhm, und nicht ein dummer Nachsprecher — ein Mann, der mit Ver- nunft selbst sprechen und widersprechen kann — kalt, trocken, einfaͤltig, gerade, jedoch nicht ohne Kunst und Praͤtension. Dieß zeigt sich besonders in dem etwas angestrengten, treffenden Blicke — besonders wie er in dem obern Umrisse erscheint. Dieser Blick ist vollkommen harmonisch mit der Trockenheit und Verschlossenheit, die den Charakter des ganzen Gesichts ausmacht. Man wird vielleicht bemerken wollen, daß dieß Gesicht eins von denen sey, die einigermas- sen ins Affengeschlecht sehen. Es ist nicht ganz zu laͤugnen — zumal das breite anliegende Ohr auch noch die Aehnlichkeit vermehren hilft. Aber die oben gemachten drey Anmerkungen koͤnnen dann wiederholt werden. Einmal uͤberhaupt, daß bey aller etwaniger Aehnlichkeit die Unaͤhnlichkeit weit groͤßer ist. Zweytens, daß gerade die Gesichter, an denen man einige Aehnlichkeit mit den Affen be- merken will, hohe Stirnen haben, sich mithin darinn in dem wesentlichsten Theile vom Affenge- schlechte unterscheiden. Drittens, daß diese Menschen von den thaͤtigsten, erfindsamsten, brauchbarsten und ge- scheutesten sind. Sie haben die Behendigkeit, Listigkeit, Anstelligkeit Ein Schweizerwort: die Geschicklichkeit, mancher- ley Dinge gut einzurichten und anzuordnen, und sich in alles leicht zu finden. Wer diese Geschicklichkeit hat, heißt ein anstelliger Mensch. — der Affen. Aber die Affen, denen ihre Stirn und ihr Hirn fehlt, haben nicht ihre Vernunft. Noch ein Wort von der Manier des untern Bildes. Mich duͤnkt, so kuͤnstlich und unna- tuͤrlich sie an sich ist, sie ist natuͤrlicher, sanfter, und in einiger Entfernung wahrer, als die dop- pelte Schrafur. N n 2 Dritte XXXVI. Fragment. Dritte Tafel. Plato. J n diesem, obgleich harten, obgleich sehr vergroͤberten, obgleich — wie tief unter allem, was wir von Plato’s Gesicht ahnden — dennoch, wie viel unzerstoͤrbare Rudera eines platonischen Geistes! dennoch weidet sich mein Auge an dem Bogen seiner Stirn — an dem uͤberhaͤngenden, unscharfen Stirnegg! an dem gedankenvollen Zwischenraume zwischen den etwas tiefen denkenden Augen — und besonders auch an dem sichtbaren, obgleich harten Umrisse seines Mundes, und an der Mannheit und trutzlosen Festigkeit des Ganzen. Freylich ist dieß Gesicht mehr des denkenden als fuͤhlenden Sehers — freylich hat man Platone, deren Stirn und Nase zehnmal edler, himm- lischer, idealischer sind — Wir wollen uns Muͤhe geben, auch noch von solchen getreue Copien zu liefern — Bey allem dem auffallend Rohen, das dieß Gesicht noch haben mag — scheint es mir dennoch eines Propheten nicht unwuͤrdig — — Man erlanbe uns, den hoͤchsten Kontrast, Aus- wuchs der Menschheit, hier zur Vignette zu setzen. Vierte Religioͤse, Schwaͤrmer, Theosophen, Seher. Vierte Tafel. H .... nn. S iehe den hochstaunenden Satrapen. Die Welt ist seinem Blicke Wunder und Zeichen voll Sinnes, voll Gottheit! .... Ruͤcke den Kopfbund, der itzt das Netz eines frisirten Kopfes zu seyn scheinet, zum Krankentuche der schmerzvollen, gedankenschwangern Stirn hinunter. Lege so- dann auf die mittlere, itzt so helle, platte, gespannte, Flaͤche zwischen den Augenbraunen, die dem Urbilde, auch in Zeiten großer Muͤhe, nur selten ist, eine dunkle, elastische Wolke, einen Knoten voll Kampfes, und du hast, duͤnkt mich, eine kleine Schattengestalt seines Wesens. Jm Auge ist gediegner Lichtstral. Was es sieht, sieht’s durch, ohne muͤhsame Medita- tion und Jdeenreihung — Jst es dir nicht beym Blicke und Buge des Augenbrauns, als ob es seit- waͤrts oder von untenher schaue, und sich seinen eigenen Anblick gebe? Jst’s nicht, als kreuzten sich seine Stralen? oder der Brennpunkt liege tief hin? — Kann ein Blick mehr tiefer Seherblick seyn? Prophetenblick zur Zermalmung mit dem Blitze des Witzes! — Siehe, wie das abstehende fast be- wegliche Ohr horchet? Die Wange, wie einfach, ruhig, gedraͤngt, geschlossen! Nichts spitzes, nichts hervorfuͤhlendes ist in der Nase. Nichts von dem feinen, muͤßigen Scharfsinn, der in Subtilitaͤt und fremdem Geschaͤffte wuͤhlet; — was sie aber anweht, — nahe, stark weht sie’s an; siehest du nicht in ihr den gehaltenen, regen Athem, zu dem sie gebildet ist? — und im Munde? ... wie kann ich aussprechen die Vielbedeutsamkeit dieses Mundes, der spricht, und innehaͤlt im Sprechen — spraͤche Areopagiten Urtheil — Weisheit, Licht und Dunkel — diese Mittellinie des Mundes! Noch hab’ ich keinen Menschen gesehen mit diesem schweigenden und sprechenden, weisen und sanften, treffenden, spottenden und — edeln Munde! Mir ist, ihm schweben die Worte auf der Lippe: „den einen Theil verbrennet er mit Feuer; mit dem andern bratet er das Fleisch, daß er gebrate- „nes esse und satt werde. Er waͤrmet sich, daß er spricht: ha! ha! Jch bin wohl erwaͤrmt; ich „habe das Feuer gesehen. Den uͤbrigen Theil desselben machet er zu einem Gotte — und spricht: „Erloͤse mich, denn du bist mein Gott!“ — Diesen Prophetenblick! dieses durchschauende, Ehrfurcht erregende Staunen! voll wuͤrk- samer, treffender, gebaͤhrender Urkraft! dieses stille, kraͤftige Geben weniger, gewogener Gold- N n 3 worte XXXVI. Fragment. worte — diese Verlegenheit — keine Scheidemuͤnze fuͤr den Empfaͤnger und Warter an der Hand zu haben — Hieroglyphensaͤule! Ein lebendiges: Quos ego — sed motos praestat componere fluctus. — Der Umriß hier — ein ganz anderer Mund — ohn’ all das feingeistige prophetische Salz — und das Untertheil des Gesichtes zu kurz und nicht so harmonisch mit dem Charakter des uͤbrigen. Fuͤnfte Religioͤse, Schwaͤrmer, Theosophen, Seher. Fuͤnfte Tafel. Johannes nach Vandyk. Ein Umriß. A uch in der bloß ertraͤglichen Copie — wie viel Geist, Jnnigkeit, Salbung? Salbung? was ist das? — O wie gut und lieblich ist’s, wenn Bruͤder eintraͤchtig bey einander wohnen — wie der koͤst- liche Balsam, ausgegossen aufs Haupt, herabfließt in den Bart, ja in den Bart Aarons, herab- fließt bis zum Saume seiner Kleider — — Verstehen wir nun, was Salbung ist — Ein Gesicht voll Salbung? Ein Gesicht gut und lieblich — aber noch mehr, als dieß — Ein Gesicht, das Geist, Kraft, Leben, Erquickung ausduftet, das anzieht, wie der lieblichsten Salbe alldurchdringender Wohlgeruch! Man kann die Lieblichkeit des Gesichtes sehen, empfinden die sanfte Macht der An- ziehung — aber wer kann sie beschreiben? Wer beschreiben den Wohlgeruch des Salboͤls ausgegos- sen aufs Haupt, sanft herabtriefend bis zum Saume des Kleides Aarons? Es ist dem kalten, geist- und kraftleeren Gesichte, von dem sich alles sagen, der kleinste Zug beschreiben und bestimmen laͤßt, entgegen. — So das Gesicht, das wir vor uns haben, wenigstens zum Theil. — Zuerst — das Ganze — welche ruhige, einfache, denkende Stellung! — wie wuͤrdig eines Mitgenossen an der Truͤbsal und an dem Reiche Christus — der eben den Giftbecher trin- ken soll — wie kunstlos! wie wahr, und wie erhaben! keine Befremdung! kein Zuruͤckbeben! kein seufzendes Fragen — „und bessers hab’ ich nicht verdienet?“ — Das Staunen der tieffuͤhlenden Einfalt — voll großer Gedanken — wer bemerkt’s nicht? — Jch lobe das Auge nicht ganz. Die Falten uͤberm obern Augenliede — die Entfernung der sehr gemein und ohne Gefuͤhl oder Studium gezeichneten Augenbraunen — kann ich nicht billigen, geschweige loben. Dennoch hat der Blick ein unbeschreiblich schickliches Staunen — „wenn sie etwas toͤdtliches trinken werden, wird es sie „nicht schaͤdigen.“ — „Jhr werdet den Kelch trinken, den ich trinke — und mit der Taufe, womit „ich getauft werden soll, getauft werden.“ — „So ich will, daß er bleibe, bis daß ich komme?“ — „Doch sagte Jesus nicht: Er stirbt nicht, sondern, so ich will, daß er bleibe, bis daß ich komme; — „was geht’s dich an? — — Mir scheint’s — diese Gedanken, diese Worte des Meisters, die so viel mehr in sich fassen, als sie beym ersten Anhoͤren in sich zu fassen scheinen — beschaͤfftigen die ganze edle, ruhige Seele des erhabenen — warum bloß Mannes, und nicht Greises? — Die XXXVI. Fragment. Die Stirn ist vortrefflich — bemerke sie dir, edler, edle Menschen suchender Juͤngling — den Bogen von der aufstehenden Haarlocke an, bis zur rechten Augenbraune — aber bemerke sie scharf, daß du nicht zu rasch aͤhnlich nennest, was unaͤhnlich ist. — Und die Nase — nicht idealische Erhabenheit, aber sicherlich voll Menschensinnes und edler Festigkeit. — Die Entfernung des Nasenlaͤppchens vom Auge; die Naͤhe des Mundes an der Na- se — idealisch — und Ausdruck der Erhabenheit! Und im Munde, welche ruhige, reine, absichtlose Treuherzigkeit! Verstand und Zuverlaͤssigkeit im Kinne — der Hals zu dick. Das Haar, die trefflichen Locken, die, welche von dem Scheitel sich an dem linken Schlafe herabwirft, ausgenommen — nicht uͤberlegt genug, doch auch nicht schlecht. Aber die Haͤnde — o Vandyk — deine Haͤnde, wie voll tiefen Menschengefuͤhles sind sie! — Zartheit, Bestimmtheit, Kraft — und die laͤnglichte Gestalt derselben, wie passen sie zu einem „langgebildeten Manne von menschenfreundlichem Ansehen.“ Beschluß. Beschluß. E rreicht, erreicht also den zweyten Ruhpunkt! Der Hoͤhen Ein’ erstiegen wieder — an deiner Hand Du stiller Fuͤhrer — Trager — Bester! Der Welten lenkt und mich! Zuruͤck seh’ ich — von wo ich ausgieng — Jm Thale fern ist meine Huͤtte .... die Aus- sicht Sie oͤffnet, weidet sich — wie schoͤn! Zwar ist die Hoͤhe, wo mein Fuß itzt ausruht, Noch tiefe Tiefe! doch weht mich Hier Gottes Kuͤhlung an aus hoͤhrer Hoͤhe; Und stillanbetend froh fuͤhl’ ich die Kuͤhlung! O du — der itzt mich sanft, itzt schneller fuͤhrt, Zuruͤckhaͤlt hier — dort spornt, dort traͤgt, Und itzt am stillen Abend mir Vorgeschmack der vollen, Der vollen noch fernen Vollendungsfreude goͤnnt. Am Abend, dessen Morgen so heiß mir kam; Bet ich mit Kinderfreude dich — Vater an! O du — du treuer — aller Lebenden! Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit! O du der Menschheit erster Vater! Anbetung dir fuͤr jede Zeile, jedes Wort Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabst! Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn Von meiner Brust das drohende Gewitter, Und gieb, gieb frohe freye Anbetung mir — o du Gedankenschoͤpfer! Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark, Oft gluͤhte Stirn und Wang und Brust, Nach heißer heißgedraͤngter ohne Kuͤhlung Bebt’ oft mein muͤdes Haupt und sank Auf meine Hand. Dann — dann ein Blick auf den zuruͤckgeklimm- ten Pfad! Ein Blick auf deine Menschenschaar; Und all die Freud’ am Daseyn, an der Mensch- heit, Die einst entquillen wuͤrde meinem Schweiße, Wenn uͤber mein Gebein der Fuß des Enkels wandelt; Dann der Gedank’: Auch ich ein Mensch! Auch ich — ein Kind des Vaters aller! Auch ich — o daß mit mir die Bruͤder all Neu durchempfaͤnden das Gluͤck der Mensch- heit! Dieß all in Einem Blick auf dich — gefaßt; Wie hob mich dieß! Wie quoll mein Blick zuruͤck belebt aus deinem! Wie quoll Erfrischung hin in meine Baͤnge! Wie Licht in meine Nacht! O du — wie wardst du Vater mir Phys. Fragm. II Versuch. O o Von XXXVI. Fragment. Von neuem! Vater — o wie fuͤhl ich mich Erhaben uͤber alles, was sichtbar ist, was itzt Die Erde zeigt, und alles was sie verschließt! Nenn’ ich dich Vater — dich — unerforschter! Dich Erster! Einzigster! dich Kraft der Kraͤfte! Dich unerreichbar Ferner — innnigst Naher! Und naͤher nie dem Menschen, sichtbarer nie, Als in dem Menschenangesicht, das Kraft Verkuͤndigt und weise Guͤte. — — O du — im Kleinen groß, unendlich Jn jedem Punkt — und Einer doch Jn allen Himmeln, allen Ergießungen Der Schoͤpfungskraͤfte Einer, du — in allem, Was Leben nennt der Lebenden zu todte Sprache, Was Leben nicht mehr nennt der Menschen Kurzsinn; O du — wie hoch hinauf hast du schon itzt Wie uͤber alle Sichtbarkeiten hoch erhoͤht Den Menschen, deinen Liebling! Gehuͤllt Jn Staubgestalt! wie Herrschertrieb Und Kraft, und Herrscherlust und Reich, zu walten Jhm gegeben — und Ruhe nicht auf Erde — Und Himmelsdurst ihm in die Brust gehaucht! Und auf die Stirn’ ihm dein Bild gepraͤgt! Und in sein Aug ihm eingegossen einen Tropfen Gott! deiner Menschenfreundlichkeit! Und auf die Lippen Aushauch aller deiner Kraͤfte! O du — der Menschheit Gott! der alles Nach seinem Willen schuf, doch nur den Men- schen Nach seinem Bilde — dem Ersten, Einzigen, Den Christus Jesus nennt der Menschen Stammeln — O du in allem Gott! Jm Menschen Vater! Verhuͤllt in jedem Punkt, enthuͤllt in jedem. O du — deß’ ist des Adlers Fluͤgelschlag! Deß’ ist sein Aug voll Mittagssonne! Der bildete des Straußes Eisenmund! Der Muth dem Loͤwen gab! Und Bleynatur, und Stumpfsinn dem unbeholf- nen Ai, Des Behemothes Hoͤlle-Rachen hoͤhltest du! Und gabst der Taube sanfte keusche Liebe! O du, du Stirnenwoͤlber Des Thoren und des Weisen, wie Himmel du Hoch uͤber Erd und Meere woͤlbtest! Des zarten Embryons Gestalter! Und der auf Caͤsars Felsenstirn die Stufen eintrat! Und sponn aus Neutons hochgewoͤlbter Mark- stirn Sein langes Seidenhaar — der faltete Des Beschluß. Des Grimmes zaͤhe Haut und bog die Augen- braun Dem weicheren Empfinder; anzog sie Dem Helden und dem Denker Und spannte sie dem Seher! Der Wolken sendet auf des Moͤrders; Und auf Johannes faltenlose Stirne Der Morgenroͤthe Goldstral! — O du — der sich in jeder Menschenseele, Jn jedem Menschenangesichte spiegelt, Wie in dem Tropfen des reinen Thaus, Jm truͤben des Morasts, die Sonne! O dir! o koͤnnt’ ich dir die Menschen — naͤher fuͤhren! O deine Lieblinge, du Liebender, dir naͤher! Dir deine Deinigsten auf diesem Ball; Gefuͤhl von dir! von dir in jeder Seele wecken! Unsterbliches Gefuͤhl! Erkuͤnsteln nicht! erzwingen, erschleichen nicht; Heraus aus allen Seelen rufen, was in der Tiefe Noch schlummert — durch Deutung stiller — Verborgner Herrlichkeit des Menschenangesichts! Anbetung dir! o koͤnnt’ ich wecken sie Aus aller Herzen! aller Herzen ach! Verwandeln in Gott-Empfindung! O laß vom hingesunknen Angesicht, Vom Aug des Wurms, dem du Gefuͤhl Der Gotteswuͤrde gabst, zu der hinauf Jhn deine Liebe fuͤhrt — laß dich die Thraͤne, Die Thraͤne nicht, laß dich erflehn Der Seele frohe Kinderzuversicht, Die mehr dir ist, als alle Wortgebete, Die mehr als heiße bange Thraͤnen ist Um — Seegen! Licht dem Leser! Kraft Und Weisheit, und Gefuͤhl entquille Dem matten Stammeln! quill aus jedem Bild! Entquille Warnung! Staͤrkung! Wahrheit! Gefuͤhl der Menschheit — Freude, Leben, Liebe! Nicht Richterey! nicht Stoff zu Schulgezaͤnken! Dann Vater noch — vergieb die Fehler! Wie viel sind ihr! vergieb Des Schwachsinns Streben! Jch bitte nicht! Jch glaube! — Bitte, glaube Noch inniger! Entdecke die Fehler mir! Am innigsten: gieb Weisheit mir Und Kraft und Demuth mir! Und Kindereinfalt, sie zu verguͤten alle! Und du, o Christus, aus deinem Gottesantlitz Gieb Winke mir und Blicke goͤttlicher Beleh- rung, Ach, Blicke voll Huld und Kraft — und leite Durch sie mich durch die steilen Felsenpfad’ Hinauf zum hochbewoͤlkten Ziele Der moͤglichsten Vollendung! H. den 8. Febr. 1776. O o 2 Register. Register. A. A dler Seite 205 . 207 Admiraͤle und Feldherren 208 Aethiopier, ein Schaͤdel von einem 159 Affe, sein Abstand von dem Menschen 174 Affenkoͤpfe 175 — das Thierische und Untermenschliche derselben ibid. — Schaͤdel 178 Ai, oder Faulthier 252 Albert I. Physiognomie 201 D'Alembert 51 Alles oder nichts 46 Allgemeinheit des physiogmomischen Gefuͤhls 8 — — der physiognomischen Schluͤsse 45 Anlagen, gute und schlimme 66 — und Entwicklung wohl zu unterscheiden 65 Anstelligkeit, was? 283 Arbeitsamkeit, feste, uͤberlegende, Ausdruck derselben 213 Aristoteles 139 Aufmerksamkeit; Mittel, sie bey Kindern zu uͤben 22 Aufrichtig, ein physiognomisches Wort 10 Aufrichtigkeit und Falschheit 55 Augen, Ausdruck derselben 67 . 76 . 117 . 202 . 214 . 215 . 232 . 237 . 239 . 240 . 241 . 242 . 245 . 257 . 264 . 267 . 270 . 271 . 275 . 276 . 278 . 279 . 281 . 284 . 285 . — tiefe 157 — schlaue, arge ibid. — hervorstehende und tiefliegende 116 Augenbraunen 201 . 208 . 214 . 225 . 275 . 276 . 278 . 279 Augenknochen 255 . 257 . 269 . 275 Augenlied, der runde Umriß des obern ꝛc. 229 . 239 . 245 . 257 Aussehen, einfaͤltiges, ist betruͤglich 51 B. Backen, Ausdruck derselben 264 . 277 Baͤr 141 . 252 Barthaar 74 Basedow 53 . 272 Bedaͤchtlichkeit, Ausdruck derselben 101 . 197 . 201 . 265 Behemoth 280 Beobachten, was es heiße? 16 — wie selten 16 — wie Kinder darinn zu uͤben 22 Bescheidenheit, bloß Kleid und Zierde der Tugend 84 Betriebsamkeit 269 Beutelgans 206 Beweis, ein einziger, wie viel wichtiger als noch so viele Einwendungen 41 Biber 142 . 199 Biegsamkeit S. 123 Blasse Gesichtsfarbe, bey Gesunden, woher? 48 Blick, vorzuͤglich bedeutender 208 . 257 . 266 . 267 . 275 . 285 . 287 Bodmer 53 Bonhomie 215 Bourbon, Carl von 208 Breitinger 53 . 269 Brutus 256 Buͤffelochse 280 Buͤffon 179 . 219 C. Caͤsar 151 . 259 Calmucke, ein Schaͤdel von einem 159 Carl, Herzog von Wuͤrtemberg 53 Cartesius, physiognomischer Charakter 273 Charakter, ausserordentliche, sind nicht immer auffal- lend 95 — welche zeichnen sich im Schattenrisse am meisten aus? 96 — treue, feste, von Leuten gemeiner Extraktion 211 — sanfte, edle, gute, treue, zaͤrtliche 233 f . — kraftvoller Helden und Eroberer 254. f . — von Gelehrten und Denkern 264. f . Charakterisirung, physiognomische, des Herrn von Kleist. 18 f . 24 f . — der Herren Bodmer, Breitinger, Geßner, Sulzer, Mendelssohn, Zimmermann, Spalding, Haller, Rousseau, Basedow, Lambert 53 — Philipp des III. K. von Spanien 197 — Kaiser Matthias 198 — Philipp des guten, Herzog von Burgund 200 — Wilhelm III. K. von England 200 — Rudolph I. Kaiser 201 — Albert I. 201 — Friedrich III. der schoͤne 201 — Friedrich IV. Kaiser 202 — Wilhelm, Graf zu Nassau 202 — Ernst, Graf zu Mannsfeld 202 — Uladislaus VI. K. in Polen 203 — Maximilian I. Kaiser 203 — Carl von Bourbon 208 — Ruyter 208 — Marlbourough 208 — C. S de St. ... g. 244 f . — Scipio 254 — Titus 255 — Tiberius 256 — Brutus 256 — Caͤsar 259 Charakte- Register. Charakterisirung Meyers S. 264 — Erasmus 267 f . — I. I. B. 269 — Zwinglius 271 — Cartesius 273 — Neuton 276 f . — Plato 284 — H .. nn 285 — Johannes 287 Chinesermuͤtze, eine Art von Affen 177 Chodowiecki, 16 idealische Koͤpfe nach ihm 187 Christus, Umrisse eines idealischen Christuskopfes 21 f . — ein Christuskopf 63 Clovio, Junius, ein Miniaturmahler 221 Coͤlla 211 . 212 . 220 f . D. Dachs 253 Demuth, ihr Ausdruck 125 . 265 Denkenskraft, positives Zeichen derselben 108 — Ausdruck derselben 269 . 281 Despot, Bild desselben 261 Detail, Geist des Details 265 Droituͤre 215 Dromedar 210 Dumme mit feuervollem Gesichte, wie? 52 Dummheit, natuͤrliche, Ausdruck, Zeichen derselben 76 . 181 . 182 . 183 E. Ehrlichkeit 60 . 215 . 265 Einbildungskraft, Zeichen derselben 103 Einfalt, edle, geht im Schattenrisse meistens verloren 95 Einwendungen gegen die Physiognomik 41 f . Elephant 141 . 280 — sein Schaͤdel 154 Empfaͤnglichkeit 123 . 150 . 281 Empfindsamkeit, Ausdruck derselben 107 . 109 . 119 . 123 . 214 . 281 Ente, wilde 206 Entschlossenheit, Ausdruck derselben 208 Erasmus, 5 Koͤpfe von ihm 267 f . Ergebenheit, Ausdruck der festen, treuen Ergebenheit 214 . 216 Erhabenheit, Ausdruck derselben 288 Ernst, Graf zu Mansfeld 202 F. Falschheit, ihr Charakter 260 Falschheit und Aufrichtigkeit 55 f . Falten im Gesichte, was sie zuweilen anzeigen 200 . 268 . 271 Faulthier 252 Feldherren und Admiraͤle 208 Feldmaus 140 Festigkeit 15 . 21 . 117 . 124 . 125 . 129 . 153 . 197 . 216 . 229 . 257 . 269 . 270 . 281 . 284 . 288 Feuerkraft, Ausdruck derselben S. 229 Feuerlosigkeit, Ausdruck derselben 264 Fischotter 141 Flachheit, faltenlose, Ausdruck der Thorheit 181 Florstyl der Kuͤnstler, was? 212 Forschenskraft 121 Freyheit, Ausdruck derselben 266 Friedrich, Koͤnig von Preußen 53 — III. der schoͤne 201 — IV. Kaiser 202 Froͤhlichkeit, Zeichen derselben 185 Fuchs 140 Furchtsamkeit hat oft die Miene der Falschheit 61 — verleitet oft dazu ibid. — Ausdruck derselben 267 Fuͤrsten, eine Reihe von Fuͤrsten- und Heldenphysiogno- mien 200 f . Fuͤrstenblicke 260 G. Gans 206 Gedaͤchtniß, Zeichen desselben 21 . 103 . 109 . 119 . 280 Gedehntheit des Umrisses eines Gesichts 101 Gefuͤhldurst, Buchstabe desselben 111 Genie, mechanisches, Kennzeichen desselben 50 — was es nicht ist 220 — Zuͤge desselben 102 . 275 — das Eigenthuͤmliche desselben 274 Geschicklichkeit grober, plumper Koͤrper 50 Geschlechtsunterschied in Absicht auf die Knochen 157 Geschmack, Ausdruck desselben 225 Geschwaͤtzigkeit, witzige, 153 Gesicht, ein vorzuͤglich verstandreiches 111 — das Eckige des Gesichts 21 Gesichter, Beyspiele von solchen, die dem Charakter der Menschen widersprechen sollen 49 f . — Classifikation der Linien, welche sie bestimmen und begraͤnzen 96 — welche die feinsten und besten 97 — selbst das abscheulichste Menschengesicht hat noch Zuͤge angebohrner Trefflichkeiten 193 Gesichtsfarbe, Bedeutung derselben 246 Geßner 53 Geyer 206 Gibbon, eine Art von Affen 176 Goldadler 207 Graf, Anton, 78 Grimm, sein Charakter 260 Groͤße, menschliche, Ausdruck derselben 259 Guͤte, mit gehaltener Kraft 242 — Ausdruck derselben 103 . 107 . 115 . 117 . 119 . 123 . 245 . 249 H. Haar, Ausdruck desselben 279 Haarwuchs 270 O o 3 Haͤrte Register. Haͤrte der Zeichner, Kupferstecher, Anmerkungen daruͤ- ber 222 . 270 Hagedorn, von 229 Hahn, englischer 206 Haller, von 53 Hals, was er anzeiget 98 . 133 . 181 Hand, Ausdruck derselben 268 . 288 Hartnaͤckigkeit, Ausdruck derselben 68 . 104 . 208 Hartsinn, Zeichen desselben 97 . 104 Hasen 199 Heftigkeit, Ausdruck derselben 104 Heiterkeit und Leichtigkeit, Ausdruck derselben 117 Helden, eine Reihe von Fuͤrsten- und Heldenphysiogno- mien 200 f . Helden der Vorzeit 245 f . Heldenhaftigkeit, natuͤrliche, Ausdruck derselben 203 Herkules, ein Kopf nach dem Farnesischen 15 Heucheley ist schwer und leicht zu entdecken 61 Hingerichtete, ob an ihren Schaͤdeln ꝛc. Besonderheiten zu bemerken 156 Hinterhaupt, was es anzeiget 98 . 107 . 153 . 196 Hippopotamus 280 Hirnschale 161 Hirsch 139 . 140 . 199 Hirzels Charakter des Herrn von Kleist 24 Hochschweben, Ausdruck desselben 124 Holbein, Koͤpfe nach Holbein 265 . 267 Hollaͤnder, ein Schaͤdel von einem 159 Homer 247 Hornkraft, thierische 192 Humphry, O. Miniaturmahler 224 Hunde 140 . 218 Hyaͤne 142 J. Jdealisiren, Warnung vor dem intoleranten 27 f . Jmaginationsempfindsamkeit, die Bruͤder maͤhrische 221 Jnnigkeit, Ausdruck derselben 123 Jocko, eine Art von Affen. 175 K. Kahlkoͤpfe 132 . 134 Kameel 208 Karikatur, ist vielleicht der vollkommenste Mensch in den Augen hoͤherer Wesen 29 — welche Profile? 97 Katze 141 . 260 Kiefer, Veraͤnderungen, die mit demselben vorgehen 164 f . Kinder, neugebohrne, sind unschuldig 66 Kinderschaͤdel 163 Kinn, was es anzeiget 68 . 98 . 101 . 104 . 105 . 106 . 108 . 119 . 201 . 232 . 257 . 264 . 271 . 288 — zuruͤckgehendes 127 — vordringendes 128 Kinn, je mehr Kinn, desto mehr Mensch 179 Kleinjogg, nach Chodowiecki 216 Kleist, 4 Umrisse von ihm 18 — sein Charakter 24 f . Klugheit, unternehmende, Buchstabe derselben 202 . 269 — herrschende 270 Knochen, die Grundfesten der menschlichen und thieri- schen Bildung 138 — Bildung derselben, besonders der Schaͤdel 143 f . — ihre Urgestalt und Ausbildung 146 — der Todten, was sich daraus schließen lasse 148 f . — sind mancherley Eindruͤcken und Veraͤnderungen unterworfen 162 Knochensystem ist das Fundament der Physiognomik 162 Kopf, welche Theile desselben fruͤher oder spaͤter ausge- bildet werden 163 Koͤpfe, 9 nach Poußin 11 — 16 Prosilkoͤpfe in Ovalen 13 — Umrisse eines Christuskopfes 21 — 4 Kahlkoͤpfe von hinten 132 — 32 Affenkoͤpfe 175 — 4 Thorenkoͤpfe 183 — 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe 184 — 6 weibliche schattirte Koͤpfe 185 — 16 idealische nach Chodowiecki 187 — von Ochsen, Hirschen, Hasen 199 — von Voͤgeln 205 f . — von treuen, guten Landleuten 211 . 212 — von Hunden 218 — von Kameelen und Dromedaren 210 — von Kuͤnstlern 220-232 — von sanften, edlen, zaͤrtlichen Charaktern 232 — von wilden Thieren 260 — von Gelehrten und Denkern 264 f . — mystische, theosophische 283 — laͤnglichte 281 . 283 Kraft, natuͤrliche, ist weder Tugend noch Laster 149 150 — gesunde, Zeichen derselben 153 — ist nicht Haͤrte 222 — ihr Ausdruck 18 . 68 . 98 . 101 . 108 . 111 . 248 . 256 . 270 . 276 . 285 Kuͤhnheit, Ausdruck derselben 208 Kuͤnstler, soll die Natur studieren 84 — drey 220 f . — noch andere 227 f . L. Lambert 53 Landmann, ein zuͤrcherscher, ZB. 211 — ein anderer 212 Laune, Ausdruck derselben 267 Leichtsinn, Register. Leichtsinn und Klugheit 104 Lenksamkeit 106 . 115 Leoparden 260 Linien, Classifikation der Bestimmungslinien der mensch- lichen Gesichter 96 Lippen, was sie ausdruͤcken 98 . 105 . 108 . 111 . 113 . 117 . 119 . 208 . 233 . 239 . 240 . 245 . 249 . 271 . 275 . 277 . 278 Lips, J. H. 211 . 222 f . Locke 169 Lockerheit, Laͤssigkeit, bezeichnet eine Hauptklasse von Menschen 72 Loͤwen 141 . 260 . 262 Lutma, Janus, ein Goldschmied 229 M. Mackak 177 Maggot, eine Art von Affen 176 . 177 Mahler, wie sehr ihre Manieren und Faͤhigkeiten eben denselben Menschen umbilden 276 Maimon, eine Art von Affen 176 Malbourough 208 Mandrill 177 Mann, Ausdruck des selbststehenden Mannes 214 Mannheit, erhabene, Ausdruck derselben 18 . 254 . 284 Matthias, der Kaiser 198 Maximilian I. Kaiser 203 Mechanisches Genie, Kennzeichen desselben 50 Melancholie, Zeichen derselben 185 Mendelssohn 53 Mensch, jeder ist unentbehrlich und unersetzbar 27 f . — auch in dem schlechtesten ist viel Gutes 29 . 30 — selbst seine Verderblichkeit ist Vorrecht 30 — jeder verliert und jeder gewinnt durchs Gekannt- seyn 36 — selbst das, was ihn schlimm machet, ist etwas Gutes 38 — seine Kraft und Staͤndigkeit, wodurch sie sich zeiget 42 — ist mehr als alle seine Werke 80 — wie ihn sein Knochenbau von den Thieren un- terscheidet 137 — im bloßen Stande der Natur, wie sehr von dem Affen unterschieden 174 — alles an ihm ist Sache und Zeichen zugleich 181 — selbst in dem verruchtesten sind noch Zuͤge ange- bohrner Trefflichkeiten 195 Menschen, die ins Affengeschlecht sehen 178 . 283 — von schwachen, thoͤrichten Menschen 181 f . — selbst die schwaͤchsten, gebrechlichsten zeugen von der goͤttlichen Weisheit und Huld 190 Menschengestalt, Trefflichkeit derselben 27 f . — werden nach drey Hauptklassen charakterisirt 72 f . Menschheit, wo die ist, da ist Familiensache 31 Menschenkenntniß und Menschenliebe, ihre Vereinigung und Verhaͤltniß gegen einander 36 f . Menschenkenntniß machet tolerant 37 Menschenschaͤdel 143 f . Menschliche Natur, zerstoͤrte 194 Metallstyl der Kuͤnstler, was? 212 Michelange 151 Mone, eine Art von Affen 177 Mund, vornehmster Sitz der Tollheit 35 — Bedeutsamkeit der Mittellinie desselben 71 . 245 . 285 — Ausdruck desselben 74 . 76 . 101 . 103 . 105 . 113 . 200 . 201 . 215 . 224 . 229 . 230 . 232 . 239 . 241 . 249 . 255 . 256 . 257 . 264 . 266 . 267 . 268 . 270 . 271 . 281 . 285 Mundstuͤcke, zwey 71 Muth, Ausdruck desselben 271 N. Nachteule 206 Nacken 68 . 104 Naͤrrinn, froͤhlicher Art 185 Naivete, Ausdruck derselben 267 Nase, Ausdruck derselben 98 . 101 . 104 . 107 . 109 . 117 . 118 . 120 . 121 . 123 . 125 . 130 . 182 . 203 . 208 . 225 . 229 . 232 . 233 . 234 . 241 . 244 . 255 . 256 . 257 . 264 . 267 . 270 . 275 . 277 . 278 . 288 Nase, Uebergang von derselben zur Lippe 104 . 227 — Stutznasen, was sie bezeichnen 129 — veraͤndert sich waͤhrend des Wachsthums 165 — des Loͤwen 262 Nasenbein, Ausdruck festen Verstandes 156 — der gerade Fortgang desselben 157 Nasloͤcher, kleine, runde 20 — große 257 Nashorn 280 Natur, ist homogen, mathematisch in allen ihren Wuͤr- kungen 128 — ist lauter Wahrheit, Offenbarung 199 — gemeine, ein wichtiger Gegenstand des Beobach- ters und des Menschenfreundes 211 Natuͤrlichkeit 265 Nero 255 Neugebohrne, Beobachtung uͤber ihre abwechselnde Aehn- lichkeit mit dem Profile ihrer Vaͤter 33 Neuton, 4 Koͤpfe von ihm 276 — physiognomischer Charakter ibid. Nilpferd 280 O. Ochs 139 . 199 Offenbarung, ist alles am Menschen 5 Ohren, niedergeschlagne, des Hundes, was? 219 — Ausdruck derselben 181 . 234 . 285 Ordnung, Gottes und der Natur, was? 72 Ordnungsliebe, 101. Jdeal und Ausdruck derselben 264 . 265 . 266 . 269 Origi- Register. Originalitaͤt, Ausdruck derselben S. 273 Ourang-Outang 174 P. Papagay 206 Patas, Affen 177 Pavian 176 Pelikan 206 Pernetty, Dom. 58 Pfeffervogel 206 Pfenninger, Kuͤnstler 211 . 225 f . Philipp III. Charakter 197 — der gute, Herzog von Burgund 200 Physiognomie, in wie fern sich kein Mensch der seinigen zu schaͤmen habe 27 f . — Veredlung derselben bey Sterbenden und Tod- ten 34 — Grundphysiognomie, ob und was? 34 Physiognomien von Fuͤrsten und Helden 200 f . Physiognomik, ihr rechter Gesichtspunkt 2 — ihr hoͤchster Endzweck 4 . 5 — ihr Mißbrauch 4 — Vorstellung ihres moͤglichen Nutzens 6 — ist Buͤrge fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Menschen 31 — befoͤrdert die Toleranz 37. naͤhret das Herz mit Freude an Menschen 38 — wuͤrkt edles, weises Mitleiden 39 — uͤber die Einwendungen gegen die Physiognomik 41 — sie hat positive Gruͤnde fuͤr sich 43 — Beantwortung einiger besondern Einwendungen 48 f . — ob Sokrates Physiognomie ihre Zuverlaͤssigkeit aufhebe 64 f . — der Schaͤdel ist die Grundlage derselben 143 — das Knochensystem ihr Fundament 162 — schuͤtzt den Menschen gegen alle unwahre, un- billige Urtheile 273 Physiognomisches Gefuͤhl, Allgemeinheit desselben 8 f . Physiognomische Woͤrter, wie viel in den Sprachen 9 . 10 Physiognomischer Beobachtungsgeist, Seltenheit dessel- ben 16 f . Physiognomist, Winke fuͤr denselben 147 f . Pitheke, eine Affenart 174 Plato 74 Polyphem, brasilischer 206 duͤ Pont, Paul, ein Kupferstecher 230 Portraͤte, einige Stufen von Urtheilen daͤruͤber 86 f . — wie wenig wahre 242 — wahre, ihr Werth 273 — den meisten fehlet Festhaltung eines Augenblicks 266 Portraͤtmahler, sind oft Verlaͤumder 69 . 282 Portraͤtmahler, warum man die schlechten Seeleumah- ler nennt S. 80 Portraͤtmahlerey 78 f . — was sie ist 79 — ihre Wichtigkeit 79 — ihre Wuͤrde und ihr Rang 81 — vermeidliche Hindernisse derselben ibid. — unuͤberwindliche Schwierigkeiten derselben 85 Porta 192 . 218 Poußin, 9 Koͤpfe nach ihm 11 f . Praͤdestination, einzig wahre 146 — und Freyheit, woraus zum Theil begreiflich 150 Pressentiment 274 Profile, welche wohl proportionirt 97 Prophetenblick 285 Q. Quesnoy, Franciscus 231 R. Redlichkeit und Unredlichkeit, Anmerkungen daruͤber 61 . 62 . 63 Reizbarkeit und Kraft, der Grund aller guten und schlim- men Anlagen im Menschen 66 Richtigkeit und Freyheit, gefaͤllt allen und allenthalben 73 — — der Charakter der vortrefflichsten Classe von Menschen 73 Rousseau 53 Rinozeros 280 Rubens Sokrates 64 Rudolph I. Kaiser 201 Ruͤdgerodt, ein Boͤsewicht 194 Ruyter 208 S. Salbung, was? 287 Sammeln, Geist des Sammlens, Ordnens ꝛc. 264 . 265 Schaafe 192 Schaͤdel von Thieren 139 f . — von Menschen 143 f . — was sich aus der bloßen Form, Haͤrte ꝛc. dessel- ben schließen laͤßt 149 — bezeichnen den Unterschied der Nationen 152 — von Elephanten 154 — von ihrem Unterschiede in Ansehung des Ge- schlechts und der Nationen 157 f . — eines Hollaͤnders, Calmucken und Mohren 159 — von Kindern 163 — Arten, sie zu beobachten 167 — von Affen 178 Schattenrisse, Betrachtung daruͤber 90 f . — große Bedeutsamkeit derselben 92 — beste Art sie zu machen ibid. — wie viel man daraus sehen kann 94 f . — neun Hauptabschnitte derselben 96 f . Schauen der Nachahmung, Ausdruck desselben 220 Scheitel Register. Scheitel, was er anzeiget S. 98 Schlaͤfe, Ausdruck derselben 257 Schlafbeine, wie verschieden die Fortsaͤtze derselben 162 Schlaffsinn, Zeichen desselben 97 Schleimhoͤhlen, ihre Verschiedenheit 165 Schoͤpfungskraft, Ausdruck derselben 223 . 232 . 276 Schriften, die goͤttlichsten, sind in gewissem Verstande Werke der Menschen 80 Schriftsteller, physiognomischer, wann er schreiben sollte 2 . 3 — frohe Aussichten desselben 5 Schuster, ihre Bildung ꝛc. 13 Schwaͤche, Charakter derselben 101 . 182 . 13 . 150 — Ausdruck ihrer verschiedenen Grade 187 Schwaͤrmer, religioͤse, 281 Schwaͤrmerey, welche Gestalten des Kopfes vielleicht Anlage dazu verrathen? 281 Schwan 206 Scipio 254 Seher 281 Seherblick 285 Selbstdenker 107 Selbstigkeit 257 . 259 Selbststaͤndigkeit, Ausdruck derselben 237 . 256 . 257 . 269 Silhouette, druͤckt mehr die Anlage als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus 98 Silhouetten, 2. die man fuͤr dieselben angesehen 20 f . — 6 maͤnnliche 100 f . — 4 maͤnnliche in Ovalen 103 — 4 maͤnnliche 104 — 4 maͤnnliche 105 — 3 maͤnnliche 107 . 108 . 111 . 125 . 127 . 265 — weibliche 111 . 115 . 117 . 119 . 121 . 123 . 127 Sinnlichkeit, Zeichen derselben 98 . 193 . 245 Snyderhof 201 Sokrates, von Rubens 64 — von seiner Physiognomie 64 f . — neun Profilkoͤpfe von Sokrates 75 Sompel, van 201 Soutmann 201 Spalding 53 Spon 200 Spuͤrerey, Ausdruck derselben 218 Staatsgesicht 260 Staatsklugheit, Ausdruck derselben 201 Stachelschwein 142 Staͤndigkeit des Menschen, Maaßstab derselben 42 Staͤrke oder Schwaͤche des Charakters, Zeichen davon 149 Starrsinn, Ausdruck desselben 156 . 196 Steifheit, Gespanntheit, bezeichnet eine Hauptklasse von Menschen 72 Steifsinn, wahrscheinlicher Ausdruck desselben 156 Steinbock 199 Stellung, was sie anzeiget 98 . 232 . 267 . 287 Stirn, Ausdruck derselben 99 . 100 . 102 . 104 . 107 . 108 . 109 . 112 . 113 . 117 . 119 . 123 . 129 . 130 . 153 . 182 . 195 . 202 . 227 . 229 . 232 . 233 . 234 . 237 . 239 . 240 . 247 . 255 . 257 . 264 . 276 . 277 . 278 . 280 . 281 . 284 . 285 . 288 Stirnen, seltene, was sie anzeigen 100 . 101 — zuruͤckgehende 242 . 104 — die weniger zuruͤckstehen 110 . 179 — Umrisse von Stirnen 169 — Perpendikularheit der Stirne 198 — der Hund hat am meisten Menschenstirn 218 — Uebergang von derselben zur Nase 125 Stolz im Gefuͤhl innerer Kraft, Ausdruck desselben 202 — roher 208 Stoßkraft 150 Straußcasuar 206 Stuͤmperey in allen Wissenschaften und Kuͤnsten, wo- her? 83 Stumpfheit, thierische 192 Stutznasen, was sie bezeichnen 129 Sulzer 53 . 78 T. Taube 206 Thaͤtigkeit 264 . 275 Theosophen 281 Thierbau, wie verschieden von dem Knochenbaue des Menschen 137 Thiere, wilde 260 Thierschaͤdel 139 f . — Charakter desselben nach der Verschiedenheit der Natur und Bestimmung der Thiere 139 f . Thomas, Lobrede auf Cartesius 273 f . Thoren, 4 Umrisse von maͤnnlichen 181 — 4 Umrisse von weiblichen 182 — 4 Koͤpfe von Thoren 183 — 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe 184 Thorheit, verschiedener physiognomischer Charakter der- selben 181 . 184 Tiberius 256 Tieger 141 . 260 Todte, ihre Physiognomien veredlen sich 34 — Kinder sehen ihren Vaͤtern wieder aͤhnlicher als vorher 34 Tollheit, ihr vornehmster Sitz im Munde 35 Tonkuͤnstler, Bild eines Tonkuͤnstlers 15 Traurigkeit, Zeichen derselben 185 Treuherzigkeit, Ausdruck derselben 288 Trieblosigkeit, ruhige, Ausdruck der Thorheit 181 Trockenheit, Ausdruck derselben 283 Tuͤckisch, ein physiognomisches Wort 10 Tyrannen, Grundlage von vielen 256 U. V. Vandyk 230 . 287 . 288 — zwey Portraͤte von ihm 232 Verborgenheit, Ausdruck derselben 256 Phys. Fragm. II Versuch. P p Vernach- Register. Vernachlaͤssigung guter Anlagen, Spuren davon S. 119 Verschlagenheit, ihr Charakter 260 Verschlossenheit, ihr Ausdruck 283 Verstand, mannichfaltiger, Ausdruck desselben 35 . 68 . 98 . 100 . 101 . 103 . 104 . 107 . 121 . 123 . 124 . 153 . 156 . 186 . 208 . 228 . 365 . 267 Verstellung 55 f . — hat bey unzaͤhligen Dingen in dem Aeussern des Menschen nicht statt 56 — hat stets ihre sichern Merkmale 57 Verzogenheit, Ausdruck der Thorheit 181 Vielfaltigkeit, Ausdruck der Thorheit 181 Vielfaͤltige im Gesichte 268 Uladislaus VI. K. in Polen ꝛc. 203 Umriß, aͤusserer, Ausdruck desselben 98 . 106 . 156 . 215 . 232 . 245 . 257 . 266 . 275 Unau, oder Faulthier 252 Unempfindlichkeit, rohe, Ausdruck derselben 208 Unentbehrlichkeit, Unersetzbarkeit jedes Geschoͤpfes, jedes Menschen 27 . 28 Unerbittlichkeit, Zeichen derselben 97 Unglaͤubige, das Fehlerhafte ihrer Methode in Bestrei- tung des Christenthums 43 Unmensch, Physiognomie eines Unmenschen 194 Unschuld und Schuld, ihr Ausdruck 59 Voͤgelkoͤpfe 205 f . Urtheilskraft, uͤberlegende, Ausdruck derselben S. 155 W. Wahnwitz 183 Wahrheit, geht uͤber alles 213 Wahrheitsdrang 274 Wange, s. Backen 285 Weiblich, Ausdruck des Gemeinweiblichen 123 . 127 Weiblichkeit, hoͤchste 129 Weichlichkeit und Falschheit, scheinbare Aehnlichkeit der- selben 62 . 63 Widder 139 . 192 Widerstehenskraft 73 Wilhelm III. Koͤnig in England 200 — Graf zu Nassau 202 Wildschwein 252 Witz, Zeichen desselben 103 . 104 . 108 Woͤrter, physiognomische 9 . 10 Wolf 141 Z. Zaghaftigkeit, Ausdruck derselben 105 Ziegen 192 Zimmermann 53 . 194 Zopyrus 64 . 67 Zwinglius, seine Physiognomie 270 Fortsetzung Fortsetzung des Verzeichnisses dererjenigen, welche auf dieses Werk unterzeichnet haben. Fuͤrstliche Personen. J hro Koͤnigliche Hoheit die Erbprinzeßin von Hessen-Cassel, gebohrne Prinzeßin von Daͤn- nemark in Hanau. Jhro Durchlaucht die Fuͤrstin von Anhalt-Pleß, zu Pleß in Schlesien. Jhro Durchlaucht der Prinz von Bevern, Gouver- neur der Stadt Coppenhagen. Fuͤrst von Carolat in Schlesien. Seine Durchlaucht der Prinz Georg, Bruder des Landgrafen von Darmstadt, in Darmstadt. Jhro Durchlaucht die Herzogin von Mecklenburg- Schwerin. Jhro Durchlaucht die Prinzeßin von Mecklenburg, gebohrne Prinzeßin von Gotha. Jhro Durchlaucht der regierende Fuͤrst von Nassau- Saarbruͤcken-Usingen. Andere Subscribenten. Herr Johann Heinrich Aman z. Thiergarten in Schafhausen. Die akademische Bibliothek in Mietau. Die oͤffentliche Bibliothek in Schafhausen. Herr Bode in Hamburg. Herr Boͤkmann, Professor und Kirchen-Rath in Carlsruhe. Herr Baron von Borch, Oberster des Regiments von Sachsen-Gotha und General-Adjutant des Prinzen von Oranien, in Zwoll. Herr Assessor Born in Dresden. Der Freyherr von Brabek, Churfuͤrstl. Maynzi- scher geheimde Rath. Herr Cammerherr von Brandt. Freyherr von Buͤlow, Koͤnigl. und Churfuͤrstl. Re- gierungsrath bey der Regierung der Herzogthuͤ- mer Bremen und Verden. Herr Landrath von Buͤlow in Gluͤckstadt. Herr Peter de Joh. Balthasar Burkard, des großen Raths in Basel. Herr Baron von dem Bussche in Halberstadt. Das Kloster zur lieben Frauen in Magdeburg. Herr Conr. Colsmann, Negociant in Coppenhagen. Herr Senator Doͤrner in Hamburg. Mr. Pierre Elmsly à Londres. (Auf sechs franzoͤsische Exemplare.) Herr Philipp Jacob Engel, Sonntag-Abend-Pre- diger zu St. Wilhelm in Strasburg. Herr Ober-Prediger Fockke zu Ballenstaͤdt, im Fuͤrstenthum Anhalt-Bernburg. Herr Hauptmann Freudenberger in Bern. Herr Canonicus Gleim in Halberstadt. Herr Obrist-Lieutenant von Goͤtzen in Potsdam. Herr von Halder in Augsburg. Frau Landvoigtin Haller von Wildenstein in Bern, im Namen einer Gesellschaft von Freundinnen. Frau Ober-Commissarin von Hattorf in Voͤlkers- hausen. Herr Baron Heinrich Curtius von Haugwitz. Herr Land Amman Hedlinger in Schweiz. Die Heizische Lesebibliothek in Zuͤrich. Herr Prof. Henrici fuͤr das Altonaische Gymnasium. Der Hessen-Casselsche Herr geheimde Rath zu Frankfurt. P p 2 Herr Herr Hofmeister in Zuͤrich. Herr to der Horst, Kaufmann in Braunschweig. Herr Johann Michael Hudtwalcker in Hamburg. Herr Hof-Cammerrath Jacobi in Duͤsseldorf. Herr Christoph Karg in Nuͤrnberg. Herr Johann Friedrich Koͤhler, Kaufmann in An- halt-Coͤthen. Der Freyherr von Kruse, Praͤsident von Jhro Hoch- fuͤrstl. Durchlaucht zu Nassau-Saarbruͤcken- Usingen. Herr Polycarp August Leisching, Churfuͤrstl. Saͤch- sischer Legationsrath. Die Lesegesellschaft in Winterthur. Herr von Lestwitz auf Groß-Tschira. Monsieur l' Abbé Louis à Strasburg. Frau von Luͤtzeu in Schwerin. (Auf 2. Exemplare.) Herr Johann Conrad von Mandach, Obherr in Schafhausen. Herr von Mechel in Basel. (Auf drey deutsche und ein franzoͤsisch Exemplar.) Jhro Excellenz die Frau geheimde Raͤthin von Muͤnchhausen in Hannover. Herr Assistent Jean Henri Perini in Scams. Herr Heinrich Pfenniger in Zuͤrich. Son Excellence Mr. Louis Pfiffer, Seigneur de Vy- her, Chev. de St. Louis \& Lieutenant general des armées du Roi de France, à Lucerne. (Auf ein franzoͤsisch Exemplar.) Mr. le Major Pfister à Schaffhouse. (Auf ein fran- zoͤsisch Exemplar.) Der Daͤnische Cammerherr Herr Carl Adolph von Pleßen auf Wittmoldt. Herr Baron von Poͤlnitz von Montricher, Koͤnigl. Preußischer Cammerherr in Lausanne. Herr von Reden, Churhannoͤverischer Kammerrath und Berghauptman zu Clausthal. Herr Graf Heinrich von Reuß der 35ste. Herr von Rochow zu Reckan, Domherr in Halber- stadt. Herr Johann Dietrich Rodde. Herr Joh. van der Roest, S.S.Theol. Stud. in Utrecht. Herr Ulyßes von Salis von Marschlins. Herr Baron Gustav Schlabrendorf, Domherr zu Magdeburg. Herr Gabriel Scheiber v. Kronstern auf Nehmten. Herr Johann Schuback in Hamburg. Herr Director Schultheß z. Rechberg in Zuͤrich. Herr von Oberg von Schwichelt in Hannover. Herr Sidenburg, Gelehrter zu Luͤbeck. Herr Sinapius, Kaufmann in Breslau. Mr. Henri Soulger à Londres. (Auf ein franzoͤsisch Exemplar.) Mr. le Marquis de Spontin de Namur. (Auf ein fran- zoͤsisch Exemplar.) Frau Steiger von Wabern, geb. Stuͤrler in Bern, im Namen einer Gesellschaft von Freundinnen. Herr D. Stockarn von Neuhorn in Schafhausen. Herr Christian Graf zu Stollberg. Herr H. Swavink, Predicant te Oudewater in Utrecht. Frau Hauptmaͤnnin Tauenstein in Zuͤrich. Herr Hofgerichts-Advocat Tetsch in Mietau. Se. Excellenz der Koͤnigl. Daͤnische geheimde Con- ferenzrath Freyherr von Thienen in Hollstein. Madame la Barone de Tschoudi née Wirtz de Ru- denz, à Naples. (Auf zwey franzoͤsische Exemplare.) Mr. de Turkheim à Strasbourg. Ein Ungenannter in Nordheim im Hannoͤverischen. Herr C. B. Voet Med. Doct. \& Inspecteur overs Lands collective Middelen in Utrecht. Se. Excellenz der Herr Baron von Wallmoden, Churhannoͤverischer General und Gesandter in Wien. Herr Cammerherr Baron von Wallmoden in Han- nover. Mr. le Comte de Wassenoer, Seigneur de Twickel \&c. Herr Hofrath Wieland in Weimar. Herr Wippermann, Kaufmann in Quedlinburg. Herr Joh. Ludw. Zinn, Kaufmann zu Coppenhagen.