Muͤnchhausen . Eine Geschichte in Arabesken von Karl Immermann . Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem Cogitat, ut speciosa dehine miracula promat, Antiphatem, Seyllamque et cum Cyclope Charybdim. Horatius . Zweiter Theil . Duͤsseldorf, Verlag von J. E. Schaub . 1839 . Inhalt des ersten und zweiten Theils . Erster Theil . Erstes Buch . Muͤnchhausen’s Debuͤt . Eilftes Capitel . Seite Worin der Freiherr seinen Abscheu vor dem Laster des Lügens nicht allein ausspricht, sondern auch bethätigt 3 Zwölftes Capitel . Der Freiherr bringt zwar die angefangene Ge- schichte nicht zu Ende, handelt aber von andern außerordentlichen Dingen 16 Dreizehntes Capitel . Der Freiherr beginnt eine historische Novelle von sechs verbundenen Kurhessischen Zöpfen zu er- zählen, wird aber von dem Ausbruche der Ver- zweiflung bei dem Schulmeister Agesilaus unter- brochen und verspricht geordnetere Mittheilungen 26 Vierzehntes Capitel . Die angefangene historische Novelle kommt glück- lich, wenn auch auf unerwartete Weise zu Ende 41 Seite Fünfzehntes Capitel . Zwei Zuhörer sind in ihren Erwartungen so ge- täuscht, wie die Leser, der dritte Zuhörer fühlt sich dagegen höchst befriedigt. Der Freiherr theilt einige dürftige Familiennachrichten mit 67 Eine Correspondenz des Herausgebers mit seinem Buchbinder 86 Erstes Capitel . Von dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr und seinen Bewohnern 98 Zweites Capitel . 118 Drittes Capitel . Weitere Nachrichten von dem alten Baron und seinen Angehörigen 124 Viertes Capitel . Die blonde Lisbeth 129 Fünftes Capitel . Der alte Baron wird Mitglied eines Journal- Lesecirkels 137 Sechstes Capitel . Wie der Dorfschulmeister Agesel durch eine deut- sche Sprachlehre um seinen Verstand gebracht wurde und sich seitdem Agesilaus nannte 145 Seite Siebentes Capitel . Der Freiherr von Münchhausen wird auf den Boden dieser Geschichten geschleudert 161 Achtes Capitel . Handelt von dem Bedienten Karl Buttervogel, und von der freundlichen und ehrenvollen Auf- nahme, welche der Freiherr von Münchhausen im Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr fand 182 Neuntes Capitel . Verständnisse und Mißverständnisse, Sehnsucht, Orden, Gesinnungen und Ehrenstellen; Görres und Strauß; die Pücelle d’Orleans, Zeichen, Wunder und neue Geheimnisse 190 Zehntes Capitel . Das kürzeste Capitel dieses Buches nebst einer Anmerkung des Herausgebers 221 Sechszehntes Capitel . Warum der Freiherr von Münchhausen grün an- lief, wenn er sich schämte oder in Zorn gerieth 216 Siebenzehntes Capitel . Die drei Schloßbewohner ertheilen dem Freiherrn von Münchhausen vernünftigen Rath; er aber bleibt auch für den Bedienten Karl Buttervogel theilweise ein Räthsel 239 Zweites Buch . Der wilde Jaͤger . Erstes Capitel . Seite Der Hofschulze 253 Zweites Capitel . Rath und Antheil 267 Drittes Capitel . Der Oberhof 289 Viertes Capitel . Worin der Jäger einem Menschen, Namens Schrimbs oder Peppel seinen Begleiter nachsen- sendet und selbst auf den Oberhof kommt 299 Fünftes Capitel . Der Jäger verdingt sich zum Wildschützen, und des Abends erzählen Knechte und Mägde die Ergeb- nisse ihres Nachdenkens über die moralischen Sprüche 311 Sechstes Capitel . Der Jäger schreibt an seinen Freund Ernst im Schwarzwalde 323 Seite Siebentes Capitel . Worin der Jäger dem Hofschulzen eine alte Ge- schichte von seinen Eltern erzählt 348 Achtes Capitel . Worin der Hofschulze eine dreifache Moral aus der Geschichte des Jägers zieht 366 Neuntes Capitel . Der Jäger erneuert eine alte Bekanntschaft 375 Zehntes Capitel . Von dem Volke und von den höheren Ständen 395 Eilftes Capitel . Die fremde Blume und das schöne Mädchen. Die gelehrte Gesellschaft 409 Zwölftes Capitel . Brief und Antwort 432 Dreizehntes Capitel . Der Jäger schießt und trifft 441 Zweiter Theil . Drittes Buch . Acta Schnickschnackschnurriana . Seite Erstes Capitel . Gegenseitige Offenheiten 3 Zweites Capitel . Der Autor giebt einige nothwendige Erklärungen 13 Drittes Capitel . Blätter aus Emerentia’s Tagebuche 19 Viertes Capitel . Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten 37 Fünftes Capitel . Der Autor fährt fort einige nothwendige Erklä- rungen zu geben 45 Sechstes Capitel . Die Ereignisse eines Abends und einer Nacht 59 Siebentes Capitel . Warum der Schulmeister sägte und warum der alte Baron rumorte 82 Achtes Capitel . Rechtsfälle und Auseinandersetzungen 91 Seite Neuntes Capitel . Der Freiherr von Münchhausen beginnt einen Heroismus im Erzählen zu entfalten 104 Ich . Fragment einer Bildungsgeschichte 111 Zehntes Capitel . Die Gesellschaft des Schlosses beginnt sich in ihre Elemente aufzulösen 218 Viertes Buch . Poltergeister in und um Weinsberg. I. Das Juliusspital und die beiden alten Weiber 235 II. Erste Ankündigungen einer höheren Welt 241 III. Der magische Schneider 249 IV. Der Gergesener. Die innere Sprache. Das Examen rigorosum 254 V. Himmel und Hölle zögern anfangs zu Weins- berg in Conflict zu gerathen 265 VI. Die engbrüstige Nätherin 273 VII. Grobschmidt oder Magister? — Eine Frage an Euch, Ihr himmlischen Mächte 279 VIII. Der Geist eines Grobschmidts mit den Er- innerungen eines Magisters 295 IX. Thatsache: Die Erlösung eines Dämons hängt von tausend Zufälligkeiten ab 303 Seite X. Thatsache: In Gegenwart der Polizei er- scheint weder Engel noch Dämon 316 XI. Bekenntnisse einer Sterbenden 324 XII. Das Testament des Magisters Schnotterbaum 330 Anmerkung 1. Die mir bis jetzt bekannt ge- wordenen Leser dieses Werkes theilen sich in solche, welche den Münchhausen, und in solche, welche den Hofschulzen mögen. Für die Anhänger des Letzteren, welche im zweiten Theile leer ausgehen, die tröstliche Nachricht, daß wir im dritten wieder auf den Oberhof gelangen und fast immer darauf bleiben. Anmerkung 2. Wo im Buche von Görres die Rede ist, muß gelesen werden: Herr v. Görres. Druckfehler des ersten Theils . Seite 15 Zeile 4 lies: langem statt: langen. ‒ 24 ‒ 10 fällt das - hinter: plattirten weg. ‒ 36 ‒ 8 lies: Mama statt: Manna. ‒ 83 ‒ 15 ‒ dann st. denn. ‒ 141 letzte Zeile fällt das Wort: Boan Upas weg. ‒ 158 Zeile 7 lies: Eurotas st. Eurotos. ‒ 174 ‒ 9 ‒ mehreren st. mehrere. ‒ 179 ‒ 4 ‒ καϑαίρω st. καϑείρω. ‒ 198 ‒ 13 ‒ dem st. den. ‒ 206 ‒ 23 ‒ Steudel st. Stäudel ‒ 247 ‒ 1 ‒ vorgaukelt st. vergaukelt. ‒ 324 ‒ 1 ‒ an der st. an die. ‒ 340 ‒ 5 ‒ Norden st. Norden. ‒ 344 ‒ 4 ‒ im st. des. ‒ 381 ‒ 5 setze nach ließ : ein, ‒ 383 ‒ 2 lies: runder st. runde. ‒ 392 ‒ 13 setze nach: davon ein? ‒ 395 ‒ 8 lies: der st. edr. ‒ 402 ‒ 19 ‒ eine st. einer. Druckfehler des zweiten Theils . Seite 14 Zeile 15 lies: niederen statt niedere. ‒ 31 ‒ 21 ‒ bequemen schriftlichen st. bequeme schriftliche. ‒ 37 ‒ 17 ‒ gemalte st. bemalte. ‒ 88 ‒ 23 ‒ müßiger st. müßige. ‒ 110 ‒ 4 setze nach: gewissen ein, ‒ 183 ‒ 9 lies: diesen st. diesem. ‒ 209 ‒ 24 ‒ lieben st. liebe. ‒ 262 ‒ 13 ‒ unserer st. unsere. ‒ 321 ‒ 10 ‒ in st. in . Drittes Buch . Acta Schnickschnackschnurriana. Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 1 Erstes Capitel . Gegenseitige Offenheiten . Diese Ziegen am Helikon — Oeta wollt Ihr sagen — Nein, Helikon will ich sagen, ich habe mich früher versprochen. — Diese Ziegen am Helikon, unter welche ich als Knäblein gerieth, hatten ehe- dem einen Bund zur Verfeinerung ihrer Wolle ge- stiftet; äußerte Münchhausen. Es freut mich, rief der alte Baron, daß wir jetzt unter das Vieh kommen! Auf diesen Punct in Euren Historien war ich immer noch einiger- maßen gespannt, denn das Andere, was Ihr seither vortrugt, wollte mir nicht mehr recht unterhaltend scheinen — nehmt mir’s nicht übel, Mann, aber Offenheit muß unter Freunden seyn. Versteht sich am Rande, sprach Münchhausen feierlich. Die Ziegen also … Guter Meister, kannst Du mir zusichern, daß in der Geschichte nichts vorkommt, was mein Zart- 1* gefühl beleidiget? fiel das Fräulein ein. Sie nannte Münchhausen seit einer erhebenden Scene, die sich zwischen ihnen vor einigen Tagen zuge- tragen hatte, Du. Nicht das Geringste, Diotima-Emerentia, ant- wortete der Freiherr. Zu jener Viehart gehören zwar der Ordnung der Natur gemäß Böcke, auch kommen diese in meiner Geschichte vor, ich werde aber delicat seyn und sie die Gatten der Ziegen nennen. Ferner tritt ein Mistkäfer auf, der soll das Roß des Trygäos heißen; eine Schmeißfliege flicht sich ein — du wirst mich fassen, wenn ich von der blauen Schwärmerin spreche. Ich werde dich ganz fassen, mein Meister, antwortete das Fräulein mit einem ihrer unbe- schreiblichen Blicke. — Ja, sagte Münchhausen, darin bist du, du, und deinen Schwestern gleich. Wenn nur der Bock der Gatte der Ziegen heißt, so können sie Alles anhören. Hört, Kinder, rief der alte Baron halb scher- zend, halb ärgerlich, dieses du und du, und du du klingt ein wenig, als wenn der Kuhhirt dutet. Ich dächte, Ihr bliebet bei’m Sie, es ist ein feinerer, spitzerer Laut. Ich liebe dich, Renzel, und ich schätze Euch, Münchhausen, deßhalb will ich für Euch Beide klug seyn. Eine Mariage wäre nichts mehr in Euren Jahren. Mariage! rief das Fräulein und erröthete. O wie verstehen Sie, mein Vater, mich einmal wieder recht gründlich miß! Sie ging aus dem Zimmer. Mariage! rief der Freiherr und ergrünte. Nein, mein würdiger Altvater, befürchten Sie keine Ma- riage. Ich könnte Ihre unschätzbare Tochter tausend Jahre lang du nennen und dächte nicht an Ma- riage. Zur Mariage gehört Amour; ich spüre keinerlei Amour für meine Diotima-Emerentia. Es ist der Ort und ist die Stunde, Ihnen eine wichtige Entdeckung zu machen. Ich fühle eine Achtung für jenes reine weibliche Wesen, die in das Unermeßliche geht, sie läßt sich nur mit der Begeisterung Kühne’s für Theodor Mundt verglei- chen. Wenn Emerentia nieset, so ist das für mich ein Gedicht; aber meine Empfindungen stehen zu derselben Zeit abgesondert, gleichsam geronnen, für sich, sie haben keinen Verkehr mit der Achtung, sie führen ihren eigenen Haushalt; kurz, denn Offen- heit muß ja, wie Sie selbst herzlich und bieder aussprachen, unter Freunden seyn — Ihre göttliche Tochter ist mir trotz aller Werthschätzung, die ich für sie empfinde, durchaus zuwider. Eigentlich sollte ich das übel nehmen, ich als Vater, sagte der alte Baron. Aber mir liegt hauptsächlich nur daran, daß zwischen Euch keine Mariage zu Stande kommt, und deßhalb ist es mir lieb, daß Ihr Renzel’n nicht leiden könnt. Nennt sie denn also in Gottes Namen du. Unter uns, heißt das, nicht vor dem Schulmeister. Anfangs wärt Ihr mir als Schwiegersohn wie eine er- wünschte Stütze meines Alters vorgekommen, aber seit Ihr so manches Naturspiel an Euch entfaltet, hat sich die Sache geändert. Zwar erschrecke ich vor nichts mehr an Euch. Wenn Ihr nach Euren geheimen Experimenten oft verteufelt mineralisch riecht, wie Nenndorf, Pouhon und Aachen durch- einander, pflege ich zu sprechen: Thut nichts, große Männer haben ihre Eigenheiten, und nehme eine stärkere Prise Doppelmops. Ich halte Euch wirklich für einen großen Mann, aber — zum drittenmale sei es gesagt: Unter Freunden muß Offenheit seyn — obschon ich Eure Qualitäten wahrhaft anerkenne — Ihr seid nach gerade für mich ein Kerl geworden, vor dem ich eine stille Aversion verspüre. Münchhausen’s Wangen nahmen die Farbe des Smaragds an, die doppelfarbigen Augen zwinker- ten zum Theil, zum Theil leuchteten sie von Thrä- nen. Er griff in hoher Bewegung nach der Hand seines Wirthes, führte sie an sein Herz und rief: Wie danke ich Ihnen für dieses rückhaltslose Ge- ständniß! Ist das nicht eine andere und männ- lichere Gesinnung, frei heraus zu sagen, was Einer auf dem Herzen hat, als jene altbackene Empfind- samkeit und höfliche Scheu, die Schlangen im Busen nährt und auf die Lippen Nachtigallen schickt? Kann denn nicht der deutsche Mann zum deut- schen Manne sagen: Du bist ein Schafskopf — und dennoch mit ihm in Ruhe und Frieden leben? rief der alte Baron eifrig. Kann ich Sie denn nicht für einen alten Ein- faltspinsel halten, und nichtsdestoweniger Sie herz- lich lieben? schrie Münchhausen. Bruder! schluchzte der alte Baron und fiel seinem Gaste um den Hals, Gott soll mich ver- dammen, wenn deine Gesellschaft mir nicht von Herzen abschmeckend zu werden anfängt. Ich meinte, du würdest mir die Journale ersetzen, aber du kommst mir nach und nach alberner vor als irgend ein Journal. Glaubst du denn, Bruder, versetzte der Frei- herr und gab seinem Wirthe einen Kuß, daß ich eine Stunde länger bei dir und bei deiner schrumpf- lichten Tochter vergähnen würde, wenn ich nur irgendwo anders Obdach und etwas zu beißen und zu brechen hätte? Die bewegten beiden Männer lagen einander lange sprachlos in den Armen. Zuerst erhielt der Wirth nothdürftig seine Fassung wieder und stam- melte: Mein Bruder also? Dein Bruder! flüsterte der Gast — Und in des Worts verwegenster Bedeutung! Der Schulmeister trat ein. Die neuen Freunde wischten ihre Augen, der Schulmeister aber sagte: Das gnädige Fräulein läßt anfragen, ob, wenn sie wiederkomme, keine Anspielungen, die ihr unan- genehm wären, weiter vorfallen würden? Ihr Vater sandte den Boten mit der beruhigendsten Erklärung hinaus, welcher die Nachricht hinzuge- fügt wurde, daß nichts als die größte gegenseitige Offenheit im Zimmer herrsche. Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den Wangen, erschien, ging ihr Münchhausen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und sagte ernst: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia! Keine Mariage, mein Meister, erwiederte das Fräulein in würdiger Haltung. So standen die beiden jungen Leute ohne Liebes- und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi- schen sie, legte seine Rechte, wie segnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: Nie in diesem Leben eine Mariage! Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Personen, welche auf dem Wege der Offenheit einander so nahe gerückt waren, mochte einen Bissen in den Mund nehmen. Der Schulmeister, welcher nichts von dem ganzen Her- gange begriff, aß Alles auf. Von den tiefsinnigen Bemerkungen, welche Münch- hausen an diesem Abende mittheilte, hat die Ge- schichte folgende bewahrt. Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr- heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin kommen, daß Keiner dem Andern eine Ohrfeige übel nehmen darf, wofern Letztere nur aus einer theuren Ueberzeugung entsprang. Kein Briefge- heimniß, kein Hausgeheimniß! Alle diese obsoleten Begriffe müssen fallen! Alles muß öffentlich seyn! Die Spalten der Zeitungen dürfen sich selbst den Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin Niemand schicken zu können Kaiser Karl der Fünfte bedauerte, nicht verschließen. Was für ein Ort ist dieser, mein Meister? fragte das Fräulein. Er heißet auf Ebräisch Gehenna, versetzte der Freiherr. Ah so, sagte das Fräulein und that, als ob sie Münchhausen verstehe. Dieser fuhr fort: Alles muß öffentlich seyn für das neue priesterliche Geschlecht der Wahrheit! Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter Hüllen von Knochen, Häuten und Fleisch gesetzt, und deßhalb meinte die Menschheit lange Zeit, sie dürfe Manches, was Herz und Hirn ihr beschäf- tige, unter Hüllen verwahren, aber sie hat im Irrthum gestanden, es ist ein Versehen bei der Schöpfung vorgefallen. Brust und Kopf sollten eigentlich mit Glasschiebern erschaffen werden, was nur damals im Drange der Geschäfte übersehen worden ist. Ich weiß dieses von Nostradamus, den ich kürzlich sprach, und der es von Gott un- mittelbar hat. Wer ist Nostradamus? fragte der alte Baron. Ein emeritirter Professor der Naturgeschichte zu Leyden, antwortete der Freiherr, nahm ein Licht und empfahl sich. Nach Münchhausen’s Abgange sagte das Fräulein zu ihrem Vater: Damit nie wieder eine Anspielung der Art, wodurch ich heute aus dem Zimmer ge- scheucht ward, verlaute, bin ich im Begriff, Ihnen, mein Vater, sobald der Herr Schulmeister sich ent- fernt haben wird, eine große Eröffnung zu thun. Der Schulmeister ging und murmelte: Ich werde heute meinen Entschluß fassen. Der alte Baron, welcher eigenen Gedanken nachhing, hörte auf seine Tochter nicht hin, sondern verließ mit den Worten: Es ist eine Scheidewand gefallen und ich werde mir nun Licht schaffen; das Zimmer. Emerentia hatte sich — wie sie sagte, aus weib- licher Schamhaftigkeit, und um den Blick des Vaters zu meiden — mit dem Antlitze der Wand zugekehrt, als sie sich anschickte, die große Eröffnung zu thun. Sie bemerkte daher den Abgang ihres Vaters nicht und sprach eine geraume Zeit die tiefsten Herzens- angelegenheiten der tauben Wand gegenüber aus, bis sie, hingerissen von ihrem Feuer, sich plötzlich umwendete und sah, daß es ihr an einem Hörer fehle und, wie sie nun vermuthen mußte, immer gefehlt habe. Da blieb ihr das Wort zwischen den Lippen haften und der Rest ihrer Eröffnung im Herzen stocken; stumm und verdrießlich suchte sie ihr Lager auf. Zweites Capitel . Der Autor giebt einige nothwendige Erklärungen . Die Geheimnisse des Schlosses, welches ich auch wohl fernerhin Schnickschnackschnurr nennen muß, weil ich ihm, wie Vielem, was in dieser Geschichte vorkommt, leider nicht den rechten Namen geben darf — die Geheimnisse des besagten Schlosses, sage ich, nicht über die Gebühr undurchdringlich zu machen, muß hier theilweise berichtet werden, was die drei handelnden Personen mit ihren Reden ge- meint hatten. Münchhausen war nicht sobald auf der Stamm- burg derer von Schnuck-Puckelig Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost warm geworden, als seine Anwesenheit in dem Gemüthe des Barons, seiner Tochter und des Schulmeisters große und verschiedenartige Bewegungen hervorbrachte, wie denn ein bedeutender Mensch niemals in einen Kreis tritt, ohne daß von ihm in den Verhältnissen des Kreises Umwandelungen ausgehen. Der Kreis unseres Schlosses hatte sich bis zu Münchhausen’s Ankunft von seinen leidenschaftslosen Einbildungen still ernährt, es fehlte aber viel, daß dieser idylli- sche Zustand seitdem noch fortdauerte, vielmehr wurden die drei Akademiker von Schnickschnackschnurr in entzücktem Herzklopfen, brennender Neugier und ernster Selbstbetrachtung umgetrieben. Emerentien war das entzückte Herzklopfen zu- gefallen. Sie hatte Rucciopuccio’n, den Birmanen aus Siena, der eigentlich der Prätendent von Hechel- kram war, durch alle niedere Hüllen hindurch, welche Laune oder tiefberechnete Absicht ihn anzu- legen getrieben, erkannt. Das Herz der Frauen ist in solchen Dingen ein sicherer Wegweiser; Da- majanti sah dem Wagenlenker des Königs Ritu- parna sofort an, daß in ihm ihr Gatte Nala die Peitsche schwinge, Theodolinde von Baiern merkte gar bald, als sie dem angeblichen Freiwerber den Becher kredenzte, daß er ihr bestimmter Bräutigam Autharit, König von Lombardien sei, und es währte nicht lange, so wußte Emerentia, woran sie mit — dem Bedienten Karl Buttervogel war. Erschreckt nicht, meine Theuren! Die Sache hatte sich ganz natürlich zugetragen, nämlich folgendermaßen. Anfangs war die Gestalt des so sehnlich zurückerwar- teten Geliebten wie ein Traumbild vor ihr auf und nieder gewallt, nach und nach hatte das Traumbild bestimmte Züge angenommen, endlich wich jeder Zwei- fel und machte der gewissesten Gewißheit Raum. Denkt an Emerentien’s Bewegung, als die bei- den Fremdlinge die Burg ihrer Väter betraten, als aus dem Munde des Dieners die verhängnißvollen Worte: Blumenhut und Lauferschurz, erklangen, als der Diener selbst mit dem improvisirten Blumen- hute und Lauferschurze vor ihr stand! War ihrem Geiste nicht seit so vielen Jahren der Laufer als Vorläufer des Fürsten von Hechelkram erschienen? Da stand nun ein Laufer vor ihr, das bunte Ta- schentuch als Schurz um die Hüfte gewunden, den Strauß von Feldblumen am Hute, kein gewöhn- licher gemachter Laufer, nein, ein unwillkührlich zusammengefügter, ein Schicksalslaufer! Es durchzuckte ihr Herz. Wenn sie in diesem Augenblicke den Wink der himmlischen Mächte nicht begriffen hätte, so würde sie sich selbst haben ver- achten müssen. Aber vorsichtig, Emerentia, flüsterte sie dem pochenden Herzen zu, vorsichtig, daß die letzte Täuschung nicht die schlimmste werde! Sie richtete jene tiefsinnig prüfenden Fragen an Münchhausen, welche er so wenig verstand, als die unglücklichen Leser des ersten Theils dieser Ge- schichten sie werden verstanden haben. Münchhausen aber gab ihr darauf die befriedigendsten Antworten. Jetzt war sie versichert, daß ihr durch Blumenhut und Schurz die Erscheinung des Fürsten von Hechel- kram angekündiget worden sei. Aber wo, wo weilest du? fragte ihre sehnsüchtige Seele. Münchhausen begann zu erzählen, ein Tag nach dem andern verstrich, Rucciopuccio blieb unsichtbar. Ihr Gemüth litt unter der unruhigen Erwartung. Endlich faßte sie sich ein Herz (was wagt nicht ein liebendes Weib?) und schüchtern sagte sie zu dem Diener Karl Buttervogel eines Tages, gerade als sie ihn den Rock Münchhausen’s ausklopfend fand: Karl, sein Sie wahr gegen mich! Wo weilt der Größere, in dessen Dienste Sie eigentlich stehen? Karl Buttervogel ließ den Klopfstock sinken, riß die Augen auf, spuckte, wie gemeine Leute bei Verlegenheiten zu thun pflegen, aus, und sagte: Mich soll der Teufel holen, wenn mein Herr größer ist, als ich, und ich kenne keinen Größeren, und mit meinem Dienen hat es zum längsten gewährt. Wie? fragte das Fräulein in höchster Spannung. Denn diese Condition gefällt mir nicht, und ich werde mich bald auf meine eigene Hand setzen, fuhr Karl Buttervogel fort. Was? rief das Fräulein, von einem überwäl- tigenden Gedanken erschreckt. Sie wankte und war einer Ohnmacht nahe. Münchhausen, dem der Die- ner mit dem Rocke zu lange machte, kam in Hemd- ärmeln die Treppe heruntergestolpert und fing die Freundin auf. Schlingel, was trödelst du wieder? Lauf jetzt und hole Essig für das gnädige Fräulein! rief er Karl’n zu. Dieser versetzte trotzig: Ich bin kein Schlingel, denn Sie geben mir keinen Lohn, aber Essig thue ich holen aus Barmherzig- keit. — Münchhausen, flüsterte Emerentia in den Armen des Freiherrn, Sie sehen mich in meinem Schmerz und zeigen mir ein menschlich Herz. Schmerz nenne ich diese Stimmung, denn auch das Ueber- maaß der Freude kann wehe thun. Ich bin in einer unaussprechlichen Verfassung und beschwöre Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 2 Sie, mir zu sagen: Sind Sie und Ihr Karl die Vorläufer Jemandes, oder sind Sie … Münchhau- sen fuhr seltsam zusammen, zitterte mit den Nasen- flügeln, sah sich scheu um, ließ Emerentien nicht ausreden, sondern stotterte hastig: Was Vorläufer? Lassen Sie sich doch nichts in den Kopf setzen, meine Diotima. Gott verdamme mich, wenn uns Jemand nachgelaufen kommt. Wir sind da, ich und mein Taugenichts von Bedienten, und man muß uns nehmen, wie wir sind, und nicht wähnen, daß noch ein Anderer uns folge und hier auf dem Schlosse ankommen könne. Also ist es klar und entschieden, mein Glück! rief das Fräulein. Der Bediente Karl Buttervogel kam mit Essig. Emerentia spreche sich und ihr Glück jetzt selbst aus. Drittes Capitel . Blätter aus Emerentia’s Tagebuche . „Was Vorläufer! Es kommt uns Niemand nachgelaufen“ — und: „Ich kenne keinen Größeren, diese Condition gefällt mir nicht, ich setze mich auf meine eigene Hand.“ — So hat denn also des Schick- sals Zeichen Recht. Blumenhut und Lauferschurz deuten nicht in die ungewisse Ferne, nein, in der nächsten Nähe hält sich, den meine Seele ewig lie- ben wird, mein Fürst, mein Freund, der Birmane von Nizza! Nach langen Prüfungsjahren schlägt die Stunde der Wiedervereinigung, die Augen meines Freundes suchen mich unter den Töchtern von Zion, und Sulamith schläft nicht, die Taube. Niemanden sendet er voraus, „gleich kommt er selbst, er ist im Schlosse, denn es läuft ihm ja Niemand nach“ — er ist da, denn „er kennt ja keinen Größeren.“ — Glückliche Emerentia!“ 2* Aber welcher von Beiden ist’s? — Ist’s der Freiherr, oder bist du es, Karl? Hier prüfe, hier sei bedachtsam, hier zeige deinen ganzen Scharfsinn, Herz! — Ach, das Herz ist stumm. Münchhausen und Karl sind mir beide gleichgültig. Das ist nun herrlich für die ferneren Beschlüsse des Geschicks, da ich dem Fürsten nur Freundin im reinsten Sinne des Worts seyn will, aber übel für den Augenblick. Denn ich erkenne den Plan des Prätendenten von Hechelkram. Unter der Verkleidung will er seine Emerentia erforschen, und wie herrlich würde sie ihre Aufgabe lösen, wenn sie plötzlich vor den Wahren träte und spräche: Fürst, sie sind erkannt; Liebe sieht mit Adlersblicken, Treue hält, was sie gefaßt, theuren Hauptes leisestes Nicken kündet den ersehnten Gast! Daß mir Beide so gleichgültig sind! — Eigen- artige Qual, seltsame Verwirrung, festgeschürzter Knoten! Ich glaube, der Freiherr ist’s. Wir standen heute am Entenpfuhl, friedlich fischte das Gefieder nach dem grünen Flott zu unsern Füßen, ein er- quickender Landregen fiel sanft vom grauen Him- mel, der Freiherr erzählte mir eine seiner sinnigen Geschichten, wie er vorlängst durch ein Senfpflaster, auf das Haupt gelegt, und dessen Ziehkraft sich ein ausgefallenes Bein wieder eingerenkt habe — mein Busen wurde so weit, mir wurde so wohl und so weh, so — so — Dumme Störung! Da werde ich gerufen, um Speck auszugeben. Wo die Lisbeth nur bleibt, die Landstreicherin, das unnütze Geschöpf? Kommt sie wieder, soll sie es entgelten. Nein! Nein! Nein! Das Geheimniß ward offenbar, Karl ist Rucciopuccio! Da sitze ich in der tiefen Stille der Mitternacht auf meiner ein- samen Kammer und vertraue Euch stummen Blättern die wundersame Post. Ja, wundersam muß ich wohl diese Fügung nennen, welche zum zweitenmale den Nußknacker entscheidend in mein Leben blicken läßt. Ich stand heute in der Frühe schon mit einer Fülle von Ahnungen von meinem Lager auf. Die Strümpfe sahen mich so bedeutend an, in den Pantoffeln war ein stilles Wesen und Weben, die lange Schnuppe des Nachtlichts, welches herabge- brannt war, wies tiefsinnige Figuren. Ist es mir doch einmal bestimmt, daß nichts gewöhnlich um mich seyn kann, bin ich doch in allen meinen Tagen das Spielwerk dunkler, hoher Mächte gewesen! Mein Haupt war wirr und wüst! Ich stieß das Fenster auf, die glühende Wange im Morgen- winde zu kühlen. Von Nizza hatte ich in der Nacht geträumt, vom Meer, von den Alpen. Die beiden Juden hatte ich auf dem höchsten Gipfel gesehen, die mich nach der schrecklichen Katastrophe den El- tern brachten. Sie standen in einer Glorie von Sonnenstrahlen, hatten Schmerz in den Zügen, und ich hörte den Einen zum Andern sagen: Daß man uns gemacht hat zu guten Staatsbürgern, das ist die Trauer von unsren Leuten in der Gegen- wart, woraus sie malen Bilder und schreiben Verse. Die alte Zeit, die alte Zeit war besser, Jakob, wo wir ’rum liefen, wie unsre Väter in der Wüste Sin, die da lieget zwischen Elim und Sinai. Ein bedeutender Traum, ein prophetischer Traum! Was weiß ich von der Wüste Sin, die da lieget zwischen Elim und Sinai? Im Traume lernte ich diese ebräischen Namen; die höhere Hand wollte mir einen Wink geben: Siehe, ich bin da und werde wirken ein Wunder in deiner Nähe. Ich sah zum Fenster hinaus. Karl trat unten in den Hof. Himmeltausend Sacrament! rief er, kriege ich heute wieder nichts zu fressen? — Entsetzliche Ausdrücke für das Ta- gebuch eines zarten Mädchens! aber ich muß ja Alles treu mit den kleinsten Zügen berichten. Der Laut jener Worte brachte mir alte Erin- nerungen zugetragen. Wie aus weiter Ferne drang es, gleich der Stimme, die mir einst lieb war, in das Ohr! Diese sonderbare Aehnlichkeit der Töne, das Fluchen — der Fürst pflegte auch bisweilen zu fluchen, doch bediente er sich mehr der soge- nannten schweren Angst — mein Traum von Nizza, die trauernden Juden, die Wüste Sin, die Zeichen am Nachtlicht, das Pantoffelwesen, die bedeutenden Strümpfe — — — Karl setzte sich auf einen Stein im Hofe, sagte: Ich muß ’mal in den Taschen suchen — suchte in der linken Jackentasche, rief: Na, wenigstens noch ein Paar alter, überjähriger Nüsse gegen das Verhun- gern — griff in die andere Tasche, zog daraus hervor — — — Ich hielt mein Herz mit bebender Hand, ging in die Speisekammer und schnitt für Karl’n ein Butterbrod — — — Ich kann nicht weiter schreiben — die Erinne- rung überwältigt mich — meine Pulse fliegen — — Ich bin ruhiger. Gestern schwamm der Segen, der mir geworden, ein buntverwirrender Farben- schimmer vor meinen Augen, heute hat er sich zum entzückenden Landschaftsbilde auseinandergesetzt, in welchem jeder Baum spricht: Mein Schatten gehört dir, und die gemalte Quelle flüstert: Schwester, ruhe an meinem Borde! Ich trat mit dem Butterbrode leise hinter Karl Buttervogel. Zum letztenmale stehe der Name in den Blättern! Er hatte mich nicht kommen hören und knackte ruhig mit dem Instrumente, welches er aus der rechten Jackentasche gezogen hatte, seine Nüsse auf. Ich sah ihm über die Schulter. Aber ach! da wankten meine Kniee, ich ließ das Butterbrod fal- len, Karl ließ den Nußknacker fallen, ich hob den Nußknacker auf und Karl hob das Butterbrod auf! Ich drückte den Nußknacker an meine Lippen. Er war es, er war es! — Der alte, treue Knacker, die erste, auf Rucciopuccio hindeutende Liebe! O ihn, ihn hatte ich gleich erkannt. Und hätte ich ihn denn auch verkennen können? des Menschen Antlitz und Gestalt wandelt sich leider mit den Jah- ren, ein Nußknacker bleibt, was er war. Ach, bitter-schmerzlich war dennoch dieses Wie- dersehen! Das theure Heiligthum meiner Jugend sah mich an, wie eine Ruine. Von dem Roth der Uniform war der brennende Glanz gewichen, die Farbe der Unterkleider ließ sich kaum noch erkennen, erloschen waren die schönen, grellblauen Augen, der Mund hatte durch das beständige Knacken seine beste Kraft verloren, einen Hut trug er kaum noch, nur den Schnurrbart hatte die Mißgunst der Zeiten verschont; er hing schwarz und voll wie in jenen goldenen Tagen über den alt und müde gewordenen Lippen. Ein Strom von Thränen befreite die Brust. Dann faßte ich mich und dachte an mich und mein Geschick. Karl hatte das Butterbrod verzehrt und sah mich groß an. Gelt, rief er (ich muß ja seine eigenen Worte brauchen) das ist ein närrischer Kerl? — Ich habe den Schurken einmal vor vielen Jahren in einem italiänischen Badenest auf’m Keh- richt hinter’m Hause gefunden. Ich steckte ihn zu mir und brauche ihn seitdem fortwährend, und der Racker (ich erliege fast der Qual solche Worte zu schreiben) ist immer noch ganz. Dazumal diente ich bei vierzehn Berliner Edelleuten, die das Bad brauchten und sich zusammen einen Bedienten hielten. Fürst, sagte ich ernst und gehalten, ver- stellen Sie sich nicht länger. Weder Ihre Bedien- tenjacke noch die scheußlichen Ausdrücke, zu denen Sie Ihre edeln Lippen zwingen, um unerkannt zu bleiben, täuschen mich ferner. — „Was Vorläufer! Es kommt uns Niemand nachgelaufen,“ und: „Ich kenne keinen Größeren,“ die bedeutenden Strümpfe, das Pantoffelwesen, die Zeichen an der Schnuppe des Nachtlichts, mein Traum von Nizza, die trau- ernden Juden, die Wüste Sin, die da lieget zwi- schen Elim und Sinai, das waren schon Symbole, welche nicht trügen konnten. Nun die Melodie Ihrer Stimme, Ihr Fluch, jetzt gar der geliebte Nußknacker in Ihrer Hand, und endlich, daß Sie von dem Kehricht wissen und von der finstern That meiner verklärten Mutter, welche Nußknacker’n in jenes Elend verstieß — — alles Das — — mein Gott, läugnen Sie doch nicht weiter, häufen Sie nicht unnütze Qual auf ein armes Mädchen, die immer Ihrer werth geblieben ist! Sein Sie gut und liebevoll, lassen Sie die Maske fallen und sprechen Sie: Emerentia, ja, ich bin es. Was soll ich denn seyn? rief er. Ich bin kein es . Ich bin, was ich bin — Donnerwetter! Seine rauhe Festigkeit machte mich doch einen Augenblick wieder zweifelhaft. Wenn Sie es nicht sind, sagte ich entschlossen, so ist es Ihr Herr, denn Einer von Ihnen Beiden muß es seyn. Ich wollte gehn. Karl hielt mich aber am Kleide zurück. Mein Mittel hatte gewirkt. Ich sehe wohl, sagte er, daß es Ihnen ein Ernst ist, wenn ich es bin. Also wollte ich Sie nur fragen, was daraus wird, wenn ich es bin? Wenn Sie es sind, versetzte ich, so bin ich Ihre Freundin im reinsten Sinne des Worts. Mein ganzes bisheriges Leben war eine Vorbereitung auf diesen großen Moment. Gnädigster Herr! In den Blüthentagen der Jugend opferten wir der Leiden- schaft auf dem Altare unserer Herzen! Für dieses Opfer ist uns der Weihrauch ausgegangen. Aber der Altar blieb stehen; lassen Sie uns auf dem- selben der Freundschaft ein Opfer entzünden, für wel- ches ich ewig, Ihnen gegenüber Vorrath besitzen werde. Karl kratzte sich im Kopfe (der Ungeheure! so that er) und sagte: Ich denke nur immer noch, Sie haben mich bloß zum Besten. Indessen aber will ich’s versuchen, und wer mich anführt, den soll der Teufel holen. Das heißt also, Sie sind meine Freundin, heißt nämlich, wenn Sie meine Freundin sind, so müssen Sie auch dafür sorgen, daß ich mehr zu essen und zu trinken kriege. Wenn Sie auf diese Manier meine Freundin sind, so will ich’s seyn. Dann sehen Sie nur gleich heute zu, daß ich einmal ein rechtschaffen Stück Fleisch kriege. Er spielte fürchterlich mit mir. Daß er seinen wilden Humor selbst in diesem großen Momente nicht ablegte! O Männer, Männer, wie geht Ihr mit uns um! — Eine Lustigkeit der Verzweiflung ergriff mich, und in den Bahnen seiner ausschwei- fenden Laune ihm folgend, rief ich: Sie sollen heute zwei Pfund Rindfleisch haben! Das erschütterte ihn. Er sah mein Leiden, welches durch den Scherz schauerte. Thränen traten in sein Auge, er sagte: Sie sind doch sehr gut, und ich bin’s denn also. Er ging, übermannt von edler, menschlicher Rührung. In seinen Thränen fand ihn mein Gefühl, wie mein Verstand ihn schon früher erkannt hatte. Sei- ner Rolle blieb er sonst treu. Mittags meldete er sich um die zwei Pfund Rindfleisch. Ich gab sie ihm und bereitete für uns einen Pfannkuchen, den Vater täuschend mit der Nachricht, die Katze habe das Fleisch gefressen. Er hat es rein auf- gegessen; seine Verstellung muß ihm doch schwer gefallen seyn. Wo die alberne Lisbeth nur bleiben mag, der Aschenbrödel? Mit dieser Welt im Busen muß ich nun jetzt am Feuerheerde stehen! Auch war der Pfannkuchen versalzen und ungenießbar. Heute ist es zu einer vollständigen Erklärung zwischen uns gekommen. Ich erinnerte ihn an unsere Spaziergänge bei Nizza, an die Wechselver- fertigung, an die sechste Elephantencompagnie und an die Cabale des Kaisers aller Birmanen. Ich erinnerte ihn an Hechelkram und an seine Rechte darauf. Ich nannte ihm den süßen Namen jener Zeit: Rucciopuccio. Ich fragte ihn, ob er wohl an alles Das noch denke? Er sagte zu Allem ja. Auch in dieser vertrauten hingebungsvollen Stunde blieb er Bedienter in Wort, Gebärde, Hal- tung. Ich bat ihn herzlich, er möge doch mir ge- genüber diese häßliche Hülle aufgeben und der Fürst seyn. Er versetzte, es gehe nicht an, ich möchte ihn um Gotteswillen zufrieden lassen. — Ich will nicht weiter in ihn dringen, er fürchtet ver- muthlich, daß, wenn er sich vor mir demasquirt, er sich auch sonst vergessen könne, denn welche un- endliche Mühe muß den Hohen dieses angelegte niedere Wesen kosten! Sein Incognito hat vermuthlich einen Doppel- zweck. Mich wollte er unerkannt prüfen, und dann will er auch im Verborgenen abwarten, welchen Erfolg seine Verwendungen an einige Mächtige des Hofes um Hechelkram haben werden. Ich sagte ihm diese meine Vermuthungen in das Antlitz, und er antwortete: Es sei Alles so, wie ich meine. Wie es ihm nur möglich gewesen ist, mich zu finden, da ich in Nizza Marcebille von Schnurren- burg-Mixpickel hieß? Darüber werde ich ihn doch nächstens befragen. Die Entwickelung unserer Angelegenheit muß in Geduld abgewartet werden. Erfolgt seine An- erkennung als Fürst, so wird sich auch für mich das Stift finden. Ich erfülle mein Schicksal und bin ruhig. Eins geht mir aber im Kopfe umher. Er hat keine Gemahlin. Das wird meiner Stellung eine ihrer Blüthen abstreifen. Ich wollte ja der seg- nende Schutzgeist seines Hauses seyn, die Gatten mit einander versöhnen. Das fällt nun weg. So hält uns das Leben doch nie ganz Wort. Daß er so gar nicht Rucciopuccio’n ähnlich sieht! — Vergebens mühe ich mich ab, einen Zug der Vorzeit in seinem Gesichte zu erspähen. Aber freilich ist es denn auch einige Jahre her, daß wir auseinander kamen — — Die dumme Lisbeth hat mir vor ihrem Abzuge mein Schreibzeug verkramt, ich muß mich mit Federn behelfen, die alle bequeme schriftliche Ergießun- gen unmöglich machen. Sie ist ein abscheuliches Geschöpf — — und dann hat er viel auszustehen gehabt. Er bekam selbst hin und wieder von seinen Herrn Schläge. Natürlich! Die indischen Fürsten sind Barbaren. Auch Münchhausen ist mir nun entziffert. Die- ser hohe Geist, dieser neue Prophet der Natur und Geschichte wird der Kammerherr des Fürsten seyn, oder sein Adjutant, oder sein Hofstaatssecretair, oder eine andre dieser reinen, idealen Gestalten. Auch ihm wird seine Rolle schwer, ich sehe es wohl. Sein schmerzliches Zucken, wenn er den Gebieter zum Scheine anfahren muß! Neulich that er so, als ob er den Stock gegen ihn brauche, und der Fürst that, als schreie er. Münchhausen’s Geschichten werden mir jetzt klar. Der Vater nimmt sie wörtlich und glaubt daran zum Theil. Ich ahnete gleich eine geheime Bedeu- tung — und habe mich nicht getäuscht. Die sma- ragdgrüne Bergebene Apapurin … u. s. w. ist unsere Jugend, goldgelbe Kälber der Empfindung grasen auf ihr, die Gedanken der Jungfrau sind phirsichroth und alle Aeußerungen ihres Wesens herb und keusch, wie Schlippermilch. Nachher spaltet sich die Welt ihres Inneren, diese Spal- tungen und Unterspaltungen werden durch die sechs Gebrüder Piepmeyer angedeutet, einander zum Ver- wechseln ähnlich, wie unsere Spaltungen, dann kommt die Prosa des Lebens unter dem Bilde des Wachtfriseurs Hirsewenzel und flicht den großen Knoten widerstrebender Verhältnisse, den Ratten- könig gemischter Empfindungen. Manches Einzelne bleibt mir freilich in jener Symbolik noch dunkel. Welcher Moment des weib- lichen Lebens wird z. B. durch die Folgen der einzigen Lüge Münchhausen’s dargestellt? Ein köstlicher Genuß ist es, zu sehen, wie das Hohe, das Göttliche unter der Knechtsgestalt, in welcher es hin und wieder erscheinen muß, siegreich für den Kundigen hervorblitzt. Wiewohl mein er- lauchter Freund den Bedienten zum Erschrecken natürlich spielt, so läßt sich Fürstenblut dennoch nicht verläugnen, und davon wurde mir heute die Erfahrung. Der Prätendent von Hechelkram putzte die Stie- feln seines sogenannten Herrn. Ich habe nun wohl Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 3 sonst bemerkt, wenn ich die Diener dieses Geschäft verrichten sah, daß sie es in unedler gebückter Stel- lung, mit widerlich kurzen, schnellen, heftigen Be- wegungen ausführten — ein unerfreulicher Anblick! Ganz anders, was ich heute sah. Karl saß. Er hielt sich vornehm nachlässig zu- rückgebeugt, er sah kaum den Stiefel an, langsam fuhr seine Hand mit der Bürste über diesen, der so tief unter seiner Würde war, hin und her — und berührte das gemeine Leder obenhin, nur zum Schein. Freilich wurde der Stiefel nicht ganz blank, und Münchhausen schalt Karl’n, sich verstellend, Faulpelz. — Das ist eine der schwersten Prüfun- gen, welche mir dieses Verhältniß auflegt, daß ich, um es in seiner ganzen Wahrheit zu zeichnen, so viele gemeine Fluch- und Schimpfwörter, Euch, o Ihr meine reinen Blätter, aufdrängen muß! Der Fürst hat einen unglaublichen Appetit. Heute verzehrte er wieder eine ganze Bratwurst, und sie gehörte zu den größeren im Kreise ihrer Schwestern! Das indische Klima wird so an ihm gezehrt haben. Wenn sie ihm nur bekommt! Vor meinen Ohren summt ein altes Lied: Einst liebtest du den Nußknacker, Nach dem Nußknacker liebtest du mich … So weit kann ich’s, aber die folgenden Verse wollen mir nicht beifallen, wie oft ich’s auch für mich hin singe. Dabei uns zu erkennen war in der fürchterlichen Stunde, wo uns die Juden schie- den, das heilige Gelöbniß. Ich habe den Fürsten daran erinnert, aber auch er kann die folgenden Verse nicht finden. Mir ist es unmöglich geworden, dem wilden Humor, der in dem Namen: Karl Buttervogel flattert, mich ferner zu fügen. — Bin ich denn nicht ein Weib, d. h. ein Wesen ohne allen Sinn für Ironie; tiefem, schlichtem Ernste einzig hin- gegeben? Um mich nicht aus dem Bilderkreise, den der Fürst gewählt, zu entfernen, nenne ich ihn vor den Andern Karlos den Schmetterling. Der Vater lachte, als er diese Bezeichnung zum ersten male von mir hörte. Er versteht mich nie. Münch- hausen begriff mich wieder ganz, begriff mich, ohne daß ein Wort der Erklärung zwischen uns gewech- selt wurde. 3* Er sagte: Wenn der Esel (o Gott, wie leide ich!) nur dadurch nicht stolz wird! Ja freilich wird, wenn so nach und nach über ihm das Licht verklärender Beziehungen und Bezeichnungen auf- geht, der angestammte Stolz sich herrlich zeigen. O Münchhausen, Münchhausen, großer Herzens- kündiger!“ Viertes Capitel . Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten . Auch Karl Buttervogel führte ein Tagebuch. Da er sich viel in der Welt umhergetrieben und bei hundert Herrschaften gedient hatte, so war es ihm zur Gewohnheit geworden, kleine kurze Notizen in seine Brieftasche einzutragen, die sich denn dort vermischt mit Anzeichnungen seiner Auslagen fan- den. Die Brieftasche hatte Decken von ehemals rothem Schafsleder. Denn ihre Farbe war durch die rauhe Faust der Zeit allgemach ausgetilgt wor- den; sie sahen jetzt fast aschgräulich aus. Vier Blätter gelben, oftbenutzten Pergamentes, auf wel- chem der Bleistift kaum noch eine Spur nach sich lassen wollte, waren eingeheftet; die Seitentasche enthielt eine bemalte Blume, mit einem Reime darunter, einen kleinen immerwährenden Kalender und einen Kamm. Dieses ehrwürdige Alterthum schloß folgende Her- zensergießungen Karlos des Schmetterlings in sich: Erstes Blatt . Den sechszehnten Juni: Ausgerissen von Stuttgart. Hab’ mein Putzzeug im Wirthshaus stehen lassen. Von der Rieke keinen Abschied nicht genommen. Ging zu rasch. Den zwei und zwanzigsten Juni: Angekommen auf’m Schloß durch Pferdsturz. Sehr viel Hunger und Durst gelitten. Flöh’, Wanzen und sonstiges Ungemach. Gefallt mir hier gar nicht. Vor Wachs _ _ 3 Stüber Vor blauen Zwirn _ _ 1 Stüber Vor Sachen aus der Apotheke _ _ 18 Stüber Vor einen Brief _ _ 12 Stüber Vor waschen zu lassen _ _ 8 Stüber Vor meinen Herrn vor eine ge- meinnützliche Collecte _ _ 3 Heller was mir Alles mein Herr noch zahlen muß. Seit Lichtmeß keinen Lohn nicht gekriegt. Thut drei Gulden sechs Kreuzer per Monat, zusammen zwölf Gulden vier und zwanzig Kreuzer. Den sechs und zwanzigsten Juni: Seit drei Tagen nichts zu fressen gehabt. An mein’ Rieken continuirlich immerwährend gedacht. Ist kaum noch auszustehen. Sichtlich mager geworden. O Rieke, dein Getreuer Aus Schwaben oder Baiern, Dem ist es nicht gegonnen, Wenn Abends sinkt die Sonnen, Daß er an deiner Brust Dich kußt nach Herzenslust. Vorstehenden Spruch gemacht gestern Nacht als den acht und zwanzigsten Juni, da ich nicht schla- fen konnt’ von wegen Hunger und Flöh’. Zweites Blatt . Den fünften Juli: Lange nichts eingeschrieben in die Brieftafel. War zu beschäftigt die Zeit her. Außerordentlich mich verbessert in meiner ganzen Lag’ und Condition. Fräulein verliebt in mich. Durchaus nicht gewißt und erfahren, wie sich’s zugetragen. Gefragt und getribelirt und endlich auf den Kopf mir zugeschworen, ich sei’s. Nicht ausweichen gekonnt und endlich zugesichert, ich wollt’s seyn, wenn und wofern ich meine ge- hörige Verköstigung erlange. Meinen alten Nußkracher mir fortgenommen und dazu geweint. Glaub’, sie ist verrückt. Sogleich am nämlichen Tag zwei Pfund Rind- fleisch gegessen. Sehr schönes Gefühl danach gehabt. Zum erstenmal wieder in Ruh’ an mei’ Rieken gedacht. Den siebenten Juli: Ueber Alles und Jedes befragt, als zum Exempel von Fürst und Hechel- kram und seligen Spaziergängen in Nitze und von Rutscheputsche. Kein Wort verstanden, indessen aber mir Alles gefallen gelassen und immerdar Ja gesagt. Den achten Juli: Große Gewissensbisse gehabt um mei’ Rieken. Bratwurst gessen, wornach sich die Beängstigung gemindert. Nicht dafür gekonnt, daß ich in dies Malheur verfallen. Drittes Blatt . Den neunten Juli: Schönes Gefühl empfun- den durch die neue Lieb. Sehr geschmeichelt gefühlt von der Lieb vornehmer Person. Gar nicht mehr den Bedienten gefühlt in der neuen Lieb. Stiefeln in diesem Gefühl geputzt. Angeschnauzt von mei- nem Herrn und abgeschwartet Soll wohl heißen: Geschlagen . in der Still’, weil Stiefeln nicht blank gewest. Alles verschmerzt im Gefühl der Lieb. Abends zwölf harte Eier gessen. Aeußerst selig zu Bette gangen. Vor Flecke aus dem Tuch zu bringen nimmt man Toback, kocht ihn ab und schmiert’s Tuch mit ein. Dann gebürstet und am Sonnenschein ge- trocknet, ist Alles ’raus. Viertes Blatt . Den zwölften Juli: Heut meinen Entschluß gefaßt nach langem Kampf. Mich risalfirt, Rieken ewig zu lieben und das Fräulein zu heirathen, wofern mir mei fernere gute Verköstigung zugesagt wird. Alle Andenken verbrannt von Rieken, um nicht wieder Kampf zu leiden. Dennoch äußerst viel Furcht gehabt vor dem alten Baron, von wegen zum Hausnausschmeißen’s, wenn’s ’raus kommt. Vier Stüber vom Fräulein geschenkt gekriegt, um mir ein’ Erholung zu machen. Angespielt heute von ferne auf fernerweite gute Verköstigung, wofern geheirathet werden soll. Miß- verstanden geworden. Mich entschlossen, nächstes- mal mich deutlicher zu machen. Den vierzehnten Juli: Künftigem Schwieger- vater’n heute vor Plaisir die Stiefeln ausgezogen. Ihn dabei bedeutsam angeblickt, um die Entdeckung vorzuspielen. Auch nicht verstanden geworden. Nach gerade bänglicht. Gar keine Lust mehr zum Dienen bei Münch- hausen. Gar zu viel gewißt von seinen Geheim- nissen und seit jeher keinen rechten Respect nicht vor einem chemisch-präparirten Menschen gehabt. Durch die neue Lieb’ vollends ganz stolz geworden. Mich erniedrigt gefühlt durch die einförmigen Rock- ausklopfereien und sonstigen Amtsverrichtungen. Will Fürst von Hechelkram werden, wann’s nicht anders ist und das Fräulein darauf besteht. Soll mir sagen, wo’s Fürstenthum liegt, damit ich drum einkommen kann. Am selbigen Tag, Nachts: Mein Herr von Münchhausen heute abermals seine Schmierereien vorgenommen und mir dadurch ganz widerwärtig geworden. Mir vorgenommen, bei erster Gelegen- heit grob zu werden, um auf eine feine Manier aus dieser Sclaverei zu kommen. Gefallt mir jetzt recht wohl hier. Uebrigens doch eigne Lag’, und weiß der Schinder, was draus werden soll. In ein so wunderbares Verhältniß war Fräulein Emerentia mit ihren Gedanken, Träumen und Empfindungen gerathen. Man kann sich daher vorstellen, wie es ihr Bewußtseyn verletzen mußte, als der Vater die Besorgniß vor einer Mariage zwischen ihr und Münchhausen äußerte. Uebrigens wußte sie kaum noch, ob sie auf der Erde wandelte. Sie dachte und sah nur den Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freund- schaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine Haushalt litt freilich sehr unter dieser glücklichen Entwirrung schwieriger Verhältnisse. Auf die Suppe mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da sie niemals zu genießen stand, oder der Schulmeister hatte mit seiner schwarzen auszuhelfen. Alles Fleisch aber stahl regelmäßig die Katze, weil der masquirte Fürst unersättlich war. Der alte Baron wünschte sich hundertmal des Tages über verdrieß- lich seine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die vermeintliche Räuberin der Speisen sah, schlug er nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der Schmetterling die Schlange war, die er am Busen nährte. Nannte nun gar seine Tochter diesen Na- men (und sie nannte seit der großen Entdeckung Buttervogel’n nie anders) so wollte er, nachdem er einigemale über den blühenden Tropus gelacht hatte, schier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß sein armes Kind sich mit starken Schritten einer unglückseligen Verwandlung nahe. Fuͤnftes Capitel . Der Autor fährt fort nothwendige Erklärungen zu geben . Aber der alte Mann hatte noch andern Ver- druß. Es ist eine bewährte Erfahrung, daß der Mensch Leckerbissen, wie Caviar und Gansleber- pasteten schleunig müde wird und nur die einfachste Speise, das Brod, immer essen mag. So geht es auch mit den Nerven des geistigen Gaumens. Sie stumpfen sich rasch gegen den wollüstigsten Kitzel ab; Erschütterung und Staunen werden ihnen bald trivial. Wer Mährchen hörte, sehnt sich doch wieder bei Gelegenheit nach der trockensten Zeitung; woraus abzunehmen, daß Alle, welche mit Wundern auf die Menschen wirken wollen, mit Wundern sparsam seyn müssen. Wie groß war dem alten Schloßherrn sein Gast im Anfang vorgekommen, wie hatte seine Seele sich in dessen Erzählungen so ganz befriedigt gefühlt, und wie bald erlosch dieser Genuß! Es liefen nicht vierzehn Tage in’s Land, so fühlte sich der Baron von Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost unmustern, wie damals, als er seiner Erwartungen müde zu den Journalen griff, und damals, als er der Journale müde, sich nach einem gleichgestimmten Freunde sehnte, und damals, als er des gleichgestimmten Freundes, nämlich des Schulmeisters müde, heftig nach, er wußte selbst nicht wem? verlangte. Zuerst glaubte er, es liege ihm im Unterleibe und nahm ein Brechmittel ein. Das Mittel wirkte, sein Zustand blieb aber derselbe. Allgemach erkannte er die wahre Ursache — Münchhausen war ihm langweilig geworden, wie seine Erwartungen, die Journale, der Schulmeister. Seine Geschichten klangen ihm jetzt lange nicht seltsam genug, die ausschweifendsten Abentheuer kamen ihm schaal vor. Er pflegte nunmehr, wenn Münchhausen einen Bericht vollendet hatte, zu ver- setzen: Ist noch gar nichts, Liebster, Bester, mir ist einmal ganz etwas Anderes widerfahren. Wor- auf er seinerseits sich bemühte, Ueberbietendes vor- zutragen, freilich selten über den ersten Anlauf hinausgelangte. Der Freiherr hatte nach der Novelle von seinen sechs Geliebten viel und mancherlei hören lassen, was leider durch das Sieb der Geschichte gefallen ist. Einiges ist indessen aufbehalten geblieben. Münchhausen erzählte von dem Fürstenthume Sprenkel, worin er einstmals, da man nach Stän- den verlangend gewesen, Stände aus Blätterteig verfertiget habe. Diese Repräsentanten von Blät- terteig hätten allen verfassungsmäßigen Nutzen ge- bracht, bis der Nachfolger gekommen wäre und sie aufgegessen hätte, weil er Willens sei, neue von Spritzkuchenteig backen zu lassen. Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts, Blätterteig könne ein Jeder essen. Er habe ein- mal gesehen — — — Münchhausen erzählte von dem Kaiserthume Kleinchina, rechts von Großchina im stillen Welt- meere über Formosa hinaus belegen, worin der Patriotismus im Frieden so stark geworden sei, daß alle Jahre am Geburtstage des großen Gold- fisches (so heiße nach orientalischer Sprechsitte der Kaiser von Kleinchina) die Mandarinen der ersten drei Rangelassen in den Thronfarben anliefen, näm- lich braun und blau. Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts; die Färbung der Haut möge wohl von einem Aus- schlage, von einer Art Nesselsucht herrühren; der- gleichen pflege sich rasch wieder zu verlieren. Er habe einmal gesehen — — — Münchhausen erzählte vom tiefsinnigen polnischen Starosten, der ein tiefsinniges Buch über die Kunst der Gegenwart geschrieben, und selber aus Kunst- enthusiasmus in Tiefsinn verfallen sei, worin er sich für einen Pinsel gehalten habe und zwar für den Pinsel seines Lieblingsmalers. Die Geschichte war wirklich anmuthig und lieblich anzuhören, denn sie lehrte weiter, daß der tiefsinnige Pole oder polnische Tiefsinn als Pinsel gerade so sich be- nommen und ausgedrückt habe, wie früherhin, so daß zwischen dem ehemaligen Starosten und nach- maligen Pinsel durchaus kein Unterschied bemerk- bar gewesen sei. Er folge, sagte Münchhausen, in diesen Angaben nur dem Kammerdiener des Po- lacken, dem grimmen Hagen aus Nibelungenland, welcher für eine Zulage von sechs polnischen Gul- den zum Jahresliedlohn das tiefsinnige Buch seines Brodherrn den Deutschen zugänglich gemacht habe. Der alte Baron versetzte: Es sei gar nichts, daß ein Mensch sich für einen Pinsel halte, da so viele Pinsel überzeugt seien, Menschen zu bedeuten. Er habe einmal gesehen — — — Münchhausen sagte, wenn ihm diese Geschichte keine Verwunderung abzwinge, so werde ihn doch ein Beweis seines eigenen Genies in Erstaunen setzen. Er habe nämlich bei dem jetzigen Auf- schwunge künstlerischer Begabung auch in sich das plastische Element gefühlt und sei deßhalb Discipel einer berühmten Academie geworden. Die Methode und Influenz habe sich zum Erstaunen an ihm be- währt, denn er sei in der ersten Woche schon Le- nardo da Vinci, in der zweiten Michel Angelo, in der dritten Rafael gewesen — öffentlichen gedruckten Nachrichten zu Folge. In der vierten sei aus ihm eine Complication von Vinci — Angelo — Rafael ge- worden. Späterhin habe er sich auf das Nieder- ländische geworfen und nach vier und zwanzig Stunden der kleine Rembrandt geheißen. Mich ennuyirte aber die Malerei, fuhr Münch- hausen fort, beschloß Bildhauer zu werden und Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 4 zwar für’s Erste Phidias. Natürlich auch durch höhere Richtung, Vorsatz und Erleuchtung von Oben. Ich schlief eines Abends mit diesem Gedanken in einem Butterkeller ein. Wie ich hinein gekommen, gehört nicht zur Sache; genug, ich schlief im But- terkeller. In der Nacht hatte ich Träume von Gotter- und Heldengeschichten, merkte wohl, daß ich mit den Fäusten umherhandthierte, wußte aber doch nicht, was ich eigentlich machte, weil ich immer halb im Schlaf blieb. Am andern Morgen kam der Butterhändler in den Keller, mit der Lampe, leuchtete umher und schrie: Herr Jemine, was ist aus der Butter geworden! — Ich wachte nun auf, sah mich um und erstaunt’ ein wenig, denn siehe da, ich hatte im Schlaf, bloß mit der Hand die Gruppe der Centauren und Lapithen gebildet aus Butter, im ersten, strengen, erhabenen Styl. Die Topfe waren alle leer, so hatte ich in der Butter gewirthschaftet. Mein Butterhändler wollt’ anfangs keifen, nachher beruhigte er sich, weil er merkte, daß mit dem Werke ein gut Stück Geld zu ver- dienen sei. Wir trugen die Buttergruppe vorsichtig die Treppe hinauf und setzten sie in die Sonne, um ihr die rechte Beleuchtung zu geben. Das war aber nicht wohl bedacht, denn in der Sonne schmol- zen die Figuren, erst die Lapithen und dann die Centauren. War das nicht wundersam? Was? Daß Sie Centauren und Lapithen aus Butter machten, oder daß dieses Gebilde, als Sie ihm die rechte Beleuchtung gaben, schmolz? fragte der alte Baron. — Letzteres, erwiederte Münchhausen. Um ein solches Kunstwerk hätte der Himmel schon einmal den Gang der Naturgesetze unterbrechen können. Daß die Butter in der Sonne zerging, daß kein Wunder geschah, finde ich wundersam. Der alte Baron versetzte: Das ist vollends nichts, denn es lautet zu subtil. So wollte keine Erzählung vor dem Sinne des Schloßherrn mehr Stich halten. Münchhausen’s Genie hatte sich in der Meinung seines Wirthes rascher abgebraucht, als ein Ministerium des Juli- throns verwittert. Kann er mir denn nicht ächte Merkwürdigkeiten erzählen? rief der alte Mann oft bitterböse, wenn ihn sein Gast verlassen hatte, so etwas — so etwas — — was sich gar nicht erzählen läßt? Nur zwei Abentheuer waren es, auf welche die Wißbegierde des alten Barons sich noch einiger- 4* maßen gespannt hielt: Münchhausen’s Fata unter dem Vieh, insbesondere unter einer Ziegenheerde am Helikon, und dann, wie er unlängst in Schwa- ben Poltergeister und Dämonen kennen gelernt. Auf beide hatte der Freiherr zu öfterem im Vor- aus hingewiesen, immer aber war die Erzählung durch zufällige Ereignisse verschoben worden, wie denn noch jüngst das erste Capitel dieses Buches nicht halten konnte, was seine ersten Worte ver- sprachen. In seiner gelangweilten Stimmung warf der alte Baron ein Auge forschender Verdrießlichkeit, oder verdrießlichen Forschens auf die Person des Freiherrn, und da wurde ihm nun so Manches Gegenstand der Verwunderung. Die ergrünenden Wangen und die doppelfarbigen Augen mußten frei- lich durch die Erläuterungen Münchhausen’s für vorläufig bei Seite gestellt gelten, dagegen hatten sich an dem außerordentlichen Manne neue geheim- nißvolle Phänomene in Menge aufgethan. Schon daß der Freiherr stäts traurig und dunkel sprach, wenn er im Allgemeinen der Umstände bei seiner Erzeugung gedachte, war ein seltsames Ding, hiezu kam aber noch das ungewöhnliche Verhältniß zwischen Herrn und Diener, welches sich bald im Schlosse bemerklich machte. Es ist eine weitverbreitete Klage der Zeit, daß ihre Fortschritte auch den Uebermuth der Dienstboten gesteigert haben. Unter den vielen schlechten Bedienten aber, welche die Gegenwart gebiert, war Karl Buttervogel (denn für uns behält er diesen Namen) sicherlich einer der schlechtesten. Wenn ihm sein Herr etwas befahl, so that er es auf das erste Geheiß gar nicht, auf das zweite auch noch nicht, und auf das dritte that er es zwar, aber so, als thue er es um Gotteswillen. Den Rock klopfte er dem Gebieter aus, wenn er Lust hatte, und alles Uebrige, was zu seinem Dienste gehörte, verrichtete er, insofern er dazu Belieben trug. Fuhr ihn aber sein Herr an, oder drohte er, ihn zu schlagen, so warf der Bursche mit so spitzigen, frechen und sonderbaren Reden um sich, daß auch der Argloseste darüber erstaunen mußte. Einstmals sagte der alte Baron, als er Zeuge eines derartigen Auftritts geworden war, bei wel- chem Karl Buttervogel ausgerufen hatte, Münch- hausen solle sich hüten, er wisse ja wohl, daß — — zum Freiherrn: An Eurer Stelle, Freund, jagte ich den Unverschämten fort. — Ich darf nicht, versetzte Münchhausen, schmerzlich gen Himmel blickend, weil — — Daß? — — Weil? — — Was für ein Daß? Was für ein Weil? murmelte der alte Baron. An einem andern Tage hatte Münchhausen im Zorn wirklich den Rücken des Widerspänstigen be- strichen. Karl Buttervogel lief fort, schimpfte wie ein Rohrsperling und wiederholte unaufhörlich: Mich prügeln? So ein Munkel? Munkel? fragte der alte Baron. Was ist ein Munkel? — Es lag am Tage, dieser Bediente wußte etwas von seinem Herrn, was nicht für Jedermanns Ohr taugte. Die Geheimnisse Münchhausen’s fanden ihren Gipfel in seinen heimlichen Experimenten. Er schickte nämlich wöchentlich Karl’n in die Apotheke der nächsten Stadt, darauf nahm er ihm die Spe- cies ab, verschloß sich in seiner Stube, verhing die Fenster, und dort hinter Schloß und Riegel und nesseltuchnen Vorhängen that er Dinge, welche nur das Auge Gottes sah. Es verbreitete sich, wenn er so experimentirte, durch das Schlüsselloch ein feiner mineralischer Dunst im Hause; daß Münchhausen selbst hernach wie eine starke Schwefelquelle duf- tete, haben wir schon aus dem Munde des alten Barons gehört. Einst hatten die Bewohner des Schlosses während eines solchen geheimen Experi- ments einen großen Schrecken. Es geschah nämlich in der Stube ein starker Knall, Münchhausen stieß heftig die Thüre auf, Dampf quoll heraus, Dampf erfüllte die Stube, im Dampfe aber stand Münch- hausen bleich und entsetzt. Allerhand Flaschen- und sonstiges Geräthe, mit seltsam schillernden Feuchtigkeiten erfüllt, stand auf dem Tische umher. Münchhausen räumte es eilig und verstört hinweg, als er nach einigen Augenblicken sich wieder zu sammeln wußte. Dieser Auftritt vollendete die Spannung des alten Barons. Alles Interesse, welches er früher an den Erzählungen seines Gastes gehabt hatte, übertrug sich nun auf dessen Person. Und so ge- wann der Held durch die Grobheit seines Bedien- ten, durch mineralischen Geruch, durch Dampf und Knall den Antheil, welchen er auf dem einen Felde eingebüßt hatte, auf dem andern sich zurück. Ein langweiliger Erzähler, aber eine merkwürdige histo- rische Person, vielleicht das einzige Exemplar seiner Gattung! sagte der alte Schloßherr. Leider blieb seine brennende Neugier ohne Be- friedigung, denn Niemand konnte ihm ein Licht über den Mann anzünden, der unter den Menschen kaum seines Gleichen zu haben schien. Münch- hausen wich mit siegreicher Gewandtheit allen Ver- suchen, ihn bis über einen gewissen Punct hin zu erforschen, aus. Den Bedienten aber über den Herrn zu verhören — diesen Gedanken hatte er, als er flüchtig in ihm einstmals emporgestiegen war, weit von sich hinweggewiesen. Trotz aller seiner Narrheiten war der Baron von Schnuck ein Mann von altdeutscher Sitte und Höflichkeit. Noch nie- mals hatte er vergessen, was er seinem Gaste schuldig war. So, zwischen Verlangen und Un- möglichkeit, den Schleier zu heben, umgetrieben, wurde sein Herz bis zum Rande voll von Unruhe und Verdrießlichkeit. Der Schulmeister endlich war in den Zustand ernster Selbstbetrachtung hineingerathen. Er be- gann sich noch mehr, als früher, von den Zusam- menkünften der Schloßbewohner fern zu halten, und saß Tagelang einsam auf dem Gebirge Taygetus, wie ein indischer Büßer seine Nasenspitze betrach- tend. Kam er dann doch wieder einmal zu den Uebri- gen, so zog er sich immer bald wieder zurück, denn Niemand achtete seiner, Münchhausen nicht, weil er den Abkömmling des Königs Agesilaus nicht be- durfte, das Fräulein nicht, weil sie, wie wir wissen, allem Irdischen überhaupt bereits entrückt war, der alte Baron nicht, weil er über den Munkel nachsann. Was Münchhausen betrifft, so erhielt sich dieser wunderbare Charakter zwar äußerlich die Fassung, in welcher er so stark war; durch seinen Busen aber stürmten auch manche Sorgen. Daß er den alten Schloßherrn mit seinen Erzählungen langweile, hatte er schon seit geraumer Zeit bemerkt, daß sich ein gefährliches Grübeln an seine Person zu heften beginne, mußte er nun gewahr werden. Dieses war ihm unangenehm. Ihm lag daran, noch eine Zeitlang als ruhiger, wenn auch höchst geistreicher und vielerfahrener Privatmann das Ob- dach und die Speise des Schlosses zu genießen. — Er nahm sich daher vor, einen wahren Heroismus im Erzählen zu entfalten und den Baron dadurch wo möglich abzulenken, solchergestalt aber dem Schick- sal die freie und männliche Stirn zu weisen, welche von keinem Schlage bisher zu zerschmettern gewe- sen war. Während auf diese Weise die Bewohner des Schlosses sich entscheidenden Begebenheiten näherten und ihre Charaktere zu reifen begannen, war Karl Buttervogel der einzige Glückliche. Er aß Rind- fleisch, Bratwurst und Eier, so viel ihm das Fräu- lein von diesen Nahrungsmitteln zustecken konnte, bediente seinen Herrn mit der Ueberzeugung, daß es nur von ihm abhange, denselben zu stürzen, und empfand alle Zauber einer geheimen, hohen Liebe. Sechstes Capitel . Die Ereignisse eines Abends und einer Nacht . An jenem Abende, an welchem Münchhausen und der Schloßherr gegenseitig offen geworden wa- ren, ließ sich Karl Buttervogel fünfmal rufen, bevor er zu seinem Herrn kam, der sich entkleiden wollte. Als er endlich erschien, holte der Herr mit den Worten: Du Gauch! Du Bestie! nach ihm aus, der Diener aber ergriff einen Stuhl, hielt ihn zu seiner Vertheidigung vor sich hin und schrie, als ob er am Spieß stäke. Auf dieses Geschrei eilte der alte Baron im Nachtkleide die Treppe hinauf, Emerentia aber, tief in ihre Welt versunken, hörte davon nichts, sondern fuhr in ihren Eröffnungen gegen die Wand fort, in welchen sie noch begriffen war. Der alte Baron, das Nachtlicht in der Hand, fragte: Was giebt es denn hier schon wieder? Münchhausen versetzte: Mit diesem Racker ist nichts mehr anzufangen, jeden Tag wird er fauler, ich weiß nicht, was dem Ungeheuer im Kopfe steckt! Liebe steckt dem Ungeheuer im Kopfe! schrie der Mensch erbost; Liebe von einer ganz vorneh- men Person, und es giebt Schwiegerväter, die noch von nichts wissen und sich sehr verwundern werden, wofern fernerweite gute Verköstigung aus- gemacht wird. Ist der Kerl verrückt? sagte der alte Baron. Und am Dienst habe ich keinen Geschmack mehr, und am allerwenigsten mag ich so einem Munkel noch ferner dienen, der mich noch überdem prügeln will! rief Karl Buttervogel. Und ich begehr’ meinen Lohn, zwölf Gulden, vier und zwanzig Kreu- zer seit vier Monaten, und was ich ausgelegt habe, thut auch zwei und vierzig Stüber, drei Hel- ler, und das begehre ich und fordre ich, und dann gehe ich gleich fort, denn ich kriege doch außerdem mein gutes Essen und Trinken durch meine Con- nexionen, und wenn mir noch ein Wort zu nahe gesagt wird, so gebe ich Alles an bei meinem Schwiegervater von der unnatürlichen Erzeugung und den chemischen Schmierereien — Münchhausen setzte sich erschöpft auf sein Bett. Er zitterte, wie gewöhnlich, mit den Nasenflügeln, seine Miene war äußerst leidend. Schreckliches Verhängniß, welches mich in die Hand eines Buben giebt! stöhnte er. O warum schwieg ich nicht auch gegen dich, Unmensch, wie ich gegen Jeden sonst geschwiegen habe? Ich öffnete dir mein Herz, ich bedurfte einer Seele, die ich in die Apotheke schicken konnte, und du wirst hingehen und mich verrathen. Alterire dich nicht, Bruder, sagte der Schloß- herr. Dieses Individuum bleibt ewig ein Bedien- ter; über solches Pack müssen sich Männer unserer Extraction nicht ärgern. Freilich, was die un- natürliche Erzeugung und das Chemische angeht, da wäre ich äußerst verlangend — Münchhausen’s Gebärde wurde groß. Verlange nicht danach, sagte er erhaben. Ich kenne dich, du bist schwach, Baron Schnuck, du kannst Offenheit ertragen, du kannst ertragen, daß der deutsche Mann zum deutschen Manne sagt: Schafskopf! aber das würdest du nicht ertragen. Du hängst an Ideen, die du mit der Ammenmilch eingesogen hast, du willst den Menschen menschlich gezeugt. Die Entdeckung, welcher dein unseliger Fürwitz zusteuert, würde dich deinen Freund kosten! Er warf mit leidenschaftlicher Heftigkeit seine Klei- dungsstücke ab und sah im Hemde zum Fenster hinaus, den Anwesenden den Rücken kehrend. Karl Buttervogel rief, ohne sich stören zu lassen, in dieses Concert: Und es ist schändlich von so einem Herrn, wenn so ein Herr immer lügen thut. Das Lügen ist für uns geringe Leute, wir können oft nicht darüber hin, und der liebe Gott vergiebt es uns, weil wir sonst unser Brod nicht haben, und wenn ich erst meinen gnädigen Schwiegervater besitze und auf meine fernerweite gehörige Bekösti- gung rechnen darf, so will ich’s auch lassen, und von so einem Herrn, wie von meinem Herrn von Münchhausen ist es sehr unrecht, und allen Leuten lügt er etwas vor, und aller Orten hat er gelogen, und sie sind so dumm und glauben ihm auch immer, obgleich kein wahres Wort aus seinem Munde geht. Es ist gut, Karl, bringe das Andere draußen an, sagte Münchhausen, sich umwendend. Der Ton seiner Stimme war sanft aber fest geworden. Er band einen roth und gelbseidnen Tuch mützenartig um den Kopf, so, daß die Zipfel an seinen Ohren herunterfielen. Gute Nacht, Bruder Schnuck, du hast Recht, man muß sich über dergleichen Leute nicht ärgern. Ich werde mich ohne Diener zu be- helfen wissen. Du kannst gehen, Karl, ich brauche dich nicht weiter, deine zwölf Gulden vier und zwanzig Kreuzer sollst du morgen ausgezahlt erhal- ten. Geh, Karl, folge deinen höheren Sternen, du kannst nun gut und gern deinen Antheil an der Luftverdichtungsactiencompagnie, den ich dir zuge- dacht hatte, entbehren. Karl Buttervogel machte ein langes Gesicht, ließ den Stuhl, den er bis jetzt noch immer vor sich hin gehalten hatte, sinken, und sagte, so klein- laut, als er vorher trotzig gesprochen hatte: Wie, mein Herr von Münchhausen? Luftverdichtungsactiencompagnie? fragte der alte Baron. Ja, antwortete Münchhausen und streifte den Strumpf vom linken Beine, in Paris haben sie ein Mittel gefunden, die neueren Chemiker, Luft kör- perlich zu machen, sie in fester Gestalt darzustellen. Körperlich? In fester Gestalt? In einer Masse zwischen Schnee und Eis, ungefähr wie steifer Brei. Als ich von der Sache hörte, ließ ich mich näher in sie ein und über- zeugte mich sehr bald, daß die also körperlich und fest gemachte Luft, vermöge Präcipitirens, Calci- nirens, Oxydirens und gewisser anderer Mittel, die vor der Hand mein Geheimniß bleiben, in eine solche Dichtigkeit, Härte und Schwere zu treiben sei, daß sie sich vom Steine nicht unterscheide. Vom Steine nicht unterscheide? Nein. Warum erstaunst du, Schnuck? Was Brei ist, kann doch auch Stein werden. Willst du die Probe? Karl, erzeige mir die Freundschaft, denn befehlen darf ich dir nichts mehr, und bringe aus der Reisetasche mir die grüne Capsel Nummer vierzehn. Karl Buttervogel, dessen ganzes Benehmen sich, seitdem von der Luftverdichtungsactiencompagnie die Rede war, in die fügsamste Demuth verwan- delt hatte, lief beflissentlich nach der Reisetasche und holte die grüne Capsel Nummer vierzehn, aus welcher Münchhausen einen faustgroßen Stein nahm. Er zeigte dem alten Baron den Stein und fragte ihn, was er wohl glaube zu sehen? Der alte Baron versetzte, indem er den Stein gegen das Nachtlicht hielt und ihn blinzelnd be- schaute: Meines Erachtens ist das ein Feldquarz. Festgemachte, präcipitirte, calcinirte, oxydirte und durch gewisse andere geheime Mittel versteinerte Luft ist es, sagte Münchhausen gähnend und that den Stein wieder an seinen Ort. Er streifte den Strumpf auch vom rechten Beine und fuhr fort: Du siehst nun mit deinen Augen; haue mit Stahl dagegen, so giebt der Luftstein Feuer, solche Fe- stigkeit hat derselbe. Das ist ja eine ganz ungeheure, unermeßliche, unberechenbare Erfindung! rief der alte Baron. Ziemlich wichtig ist sie allerdings, sagte Münch- hausen kalt. Gebaut wird allenthalben jetzo zu Friedenszeiten, Häuser, Brücken, Straßen, Pal- läste, Narrenhäuser, Monumente. Das Material ist nur in manchen Gegenden zu theuer. Das will ich denn für solche steinarme Landstriche liefern, nämlich versteinerte Luft. Luft ist überall zu haben. Die Bereitungskosten sind so gar groß eben nicht, es kommt hauptsächlich bei dem ganzen Processe auf die Beschaffenheit der Luft selbst an, und der rechten Steinluft glaube ich hier auf der Spur zu seyn. Deßhalb rieche ich und schnüffle ich so viel im Winde umher. Hier wollte ich die Fabrik anlegen; die Mutterfabrik, von der dann gelegenen Immermann’s Münchhausen 2. Th. 5 Orts die Tochterfabriken ausgehen sollen, quantum satis. Das Unternehmen wird auf Actien ge- gründet, die Bestätigung des Statuts habe ich in der Tasche. Es muß, wenn das Geschäft einiger- maßen schwunghaft getrieben wird, schon nach einem Jahre, schlecht gerechnet, eine Dividende von Ein- hundert sechs und dreißig drei Achtel Procent ge- ben. Dieses ist denn die Luftverdichtungsactien- compagnie, nach welcher du fragtest. Zwei Direc- toren werden angestellt mit offenem Credit, zwölf besoldete Verwaltungsräthe; die Zahl der Secretaire und der übrigen Unterbeamten ist vorläufig auf einige und vierzig bestimmt. Karl’n da, meinen ehemaligen Diener, wollte ich zum technischen Mit- director machen — nun, das geht denn nun jetzt nicht mehr an, und ich muß mich nach einem An- dern umsehen. Hier stieß Karl Buttervogel einen solchen Seuf- zer aus, daß die Stube widerhallte. Der alte Baron aber blies die Backen auf, warf seine Nachtmütze gegen die Decke und that einen Schritt, den man einen Satz nennen konnte, so daß seine Kerze wild aufflackerte. Hast du noch Actien? fragte er Münchhausen, der sich gleichgültig zu Bette legte. Alle untergebracht, versetzte dieser, die Decke über sich ziehend, stehen schon höher als Pari. Ich will dir aber doch deine Gastfreundschaft ver- gelten, Schnuck. Dein Schloß ist etwas baufällig; sobald meine Fabrik und die Actiencompagnie in’s Leben getreten ist, baue ich dir ein neues aus meinem Material. Der alte Schloßherr setzte heftig sein Licht weg, schoß auf Den im Bette zu, nahm ihn mit beiden Händen bei’m Kopfe und rief: So werde ich ja künftighin gleichsam in einem Luftschlosse wohnen, du Mordkerl! Meinetwegen kannst du es so nennen, alter Junge, antwortete Münchhausen. Reiße mir nur die Ohren nicht ab. Siehst du, das ist ja eben das Große in der Gegenwart, daß so Vieles, was lange nur als uraltes Mährchen, Bild oder Gleich- niß galt, aufgebracht durch die Kinderphantasie der Anfangszeiten, nunmehr durch die Forschungeu der Wissenschaft sich als historische Realität ausweiset. Und so kommt denn auch das verjährte Sprich- wort von Luftschlössern durch meine Actiencompagnie zur Würde wahrer Existenz. Luftbauten werden nicht mehr phraseologisch gemeint seyn, sondern die 5* Menschen werden wirklich ihr Geld hineinstecken. Aber geh zu Bette, Schatz, ich bin müde und will schlafen. Münchhausen wendete sich um und schlief ein. Der alte Baron murmelte: Das gewinnt denn freilich jetzt eine andere Gestalt, wir kommen in’s Practische. Er muß — Er muß — — der Alte ging in so tiefen Gedanken fort, daß er selbst sein Nachtlicht mitzunehmen vergaß. Von dem Scheine dieser Kerze düster beleuchtet, blieb Karl Buttervogel neben dem Bette stehen. Sein Gesicht war von Bestürzung ganz aufgelau- fen, bisweilen schlich eine dicke Thräne die Nase entlang, regungslos stand er da, wie eine Bild- säule, und ließ die Thränen, ohne sie abzuwischen, still fließen. Der Urheber der Betrübniß schnarchte dazu. Nachdem der traurige Diener über eine Stunde also gestanden, gab er sich daran, die Klei- dungsstücke des Freiherrn, welche am Boden und auf den Stühlen zerstreut umherlagen, sacht zu er- heben. Er legte sie sorgfältig geordnet an die ihnen bestimmte Stelle, nahte sich auf den Zehen dem Bette, zupfte den Freiherrn am Hemde und flüsterte: Gnädiger Herr! Münchhausen fuhr auf, rieb sich die Augen und sagte: Warum weckst du mich, Impertinenter? Ich wollte Sie nicht wecken, erwiederte Karl Buttervogel schüchtern, sondern nur fragen, wann Sie morgen früh befehlen, geweckt zu werden? So! rief Münchhausen. Willst wieder bei mir im Dienst bleiben, du Vieh? Nein, mein Sohn, halte fest an deinem Entschlusse, geh, geh von dem Lügner, sei nicht so dumm, ihm zu glauben, ihm, dem kein wahres Wort aus dem Munde kommt, mit einem Worte; pack dich, du Schuft! Karl Buttervogel sank am Bette auf seine Kniee, ergriff die Hand des Freiherrn, küßte sie, heulte und schluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, selbst einen aus Luft, und rief: Gnädiger Herr, ich weiß ja, daß ich ein Schuft gewesen bin. Aber ich will es in meinem ganzen Leben nicht mehr thun. Ach, vergeben Sie mir doch nur dieses eine Mal, damit ich technischer Mitdirector bleibe, ich habe schon so sehr auf diesen Posten und auf dieses gute Brod gerechnet, und wäre ein geschlagener Mann, wenn mir’s entginge, denn mit dem Herrn Schwiegervater kann es noch im weiten Felde stehen, und wer weiß auch, ob mir die fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird, wofür ich’s allein thue, und ich will nimmer wieder von der unnatürlichen Erzeugung plappern und vom Munkel und von den chemischen Schmie- rereien, weil ich sehe, daß es Sie kränkt, und von Lohn, und was ich ausgelegt, soll gar keine Rede mehr seyn, nein, Alles gratis, Aus- und Anziehen und Wasserholen und sonst, und ich wollte doch so gern Ihr Bedienter bleiben. Dein scheußlicher Eigennutz läßt dich so eifrig diese Bitte aussprechen, sagte Münchhausen ernst. Die technische Mitdirectorschaft ist es allein, welche dir im Sinne liegt. Aber tröste dich, mein Freund, du wirst nichts verscherzen, wenn du von mir gehst. Wie sollte ein Lügner jemals Wahrheit sagen? Auch die Luftverdichtungsactiencompagnie habe ich nur vorgespiegelt. O nein, nein, nein! rief Karl Buttervogel laut und begeistert. Ich lass’ mich nicht irre machen. Nein, wenn der gnädige Herr auch sonst jezuwei- len aus Liebhaberei ’n bissel flunkern, damit hat es seine volle Richtigkeit. Ach, ich sehe wohl, der gnädige Herr prüfen mich nur noch und spaßen schon; und ich bleibe bei Ihnen. Nun denn, sagte Münchhausen, für diesesmal will ich dir verzeihen; es ist aber das letztemal. Ob du indessen technischer Mitdirector wirst, hängt lediglich von deiner ferneren Aufführung ab. Und nun hole mir den Stock da her, du Spitzbube, denn der neue Contract, welchen wir Beide abschließen, will seine Bekräftigung und Draufgabe haben. Karl Buttervogel brachte den Stock, welcher in der Nähe des Bettes stand, getragen, sein Herr zog ihm damit einige sogenannte Jagdhiebe über den Buckel; der Diener ächzte zwar unter der Last dieser Streiche, schüttelte sich aber nachher und sagte getröstet: Es wird Einem doch gleich wieder so wohl, wenn man wieder seine feste Anstel- lung hat. Nach seinem Abgange blieb der Freiherr im Bette emporgerichtet sitzen und sprach: Erstaunlich, was für eine Gewalt ich über meine Umgebungen ausübe! Er warf sich auf sein Kissen nieder, wandte sich um und schlief abermals ein. In- dessen sollte ihm noch keine dauernde Nachtruhe gegönnt seyn. Denn nachdem er etwa eine halbe Stunde geschlummert haben mochte, erwachte er wieder von einem Geräusche am Fenster. Im ersten Augenblicke meinte er, daß Diebe sich zum Ein- steigen rüsteten; halb schlaftrunken fuhr er aus den Federn und an das Fenster, sah aber, nun durch den kühlen Nachtwind völlig geweckt, unten im Hofe eine dunkle Gestalt, mit einer überlangen Stange in der Hand. Wer ist da? Und was soll das? rief Münchhausen die Gestalt an. Dieser erwiederte: Ich bin es, der Schul- meister, auch Agesilaus geheißen, und diese aus mehreren Bohnenstiefeln zusammengefügte große Stange klopfte an Ihr Fenster, um Ihre Auf- merksamkeit mir zuzuwenden, Herr von Münchhau- sen, da mein leises und bescheidenes Rufen Ihres werthen Namens nicht verfangen wollte. Noch Licht in Ihrem Zimmer sehend, hielt ich es nicht für unhöflich, eine Zwiesprach mit Ihnen zu begehren, welche ich denn hiemit begehrt haben will. Mich verlangt sehnlichst nach einer Unterredung über einen mir hochwichtigen Gegenstand. Wollen Sie mir wohl leise, auf daß die Hausbewohner nicht er- wachen, die Thüre öffnen und den Zutritt in Ihr Gemach verstatten? Zum Teufel, Herr, das werde ich bleiben las- sen! rief Münchhausen ärgerlich. Wer erlaubt Ihnen, die Leute aus dem Schlafe zu stören? Was Sie mir zu sagen haben, können Sie mir von da unten sagen. Auch dieses, versetzte ruhig Der unten mit der Stange. Die Unterredung aber muß vor sich ge- hen, damit ich heute noch meinen Entschluß fassen kann. Kürze, die körnige Kürze der Sparter sei mein Muster, denn es zieht hier etwas stark an der Ecke. — Herr von Münchhausen, der Mensch, welcher überhaupt diesen Namen verdient, hat Ge- danken. Diese Gedanken haben einen Inhalt und dieser Inhalt kann wahr oder falsch seyn. Falsch ist er, wenn er der Wirklichkeit wider-wahr, wenn er ihr entspricht. Was nun die Wirklichkeit sei, ist zwar schwer zu sagen, indessen, bis dieses große Geheimniß entdeckt wird, müssen wir mit dem, was andere Menschen über unsere Gedanken denken, uns behelfen. Deßhalb ist es so überaus wichtig, Letzteres zu erfahren, weil wir dadurch zwar noch nicht die Wirklichkeit selbst, aber doch gleichsam eine Anweisung auf sie in die Hände bekommen. Eine solche Anweisung wünschte ich gegenwärtig von Ihnen zu empfangen, Herr von Münch- hausen. Herr, kommen Sie zur Sache! Nennen Sie diese Umschweife Kürze? rief Münchhausen zornig, denn es fror ihn am Fenster. Zur Sache denn! Ich begehre Ihre Gedanken über meine Gedanken. Ich denke mir noch immer, daß ich meine Abkunft von den Lacedämoniern und insonderheit von jenem ihrem großen Könige her- leiten darf. Was aber denken Sie über diese meine Gedanken? Münchhausen riß die Geduld. Ich denke, daß Sie ein Narr sind! rief er und wollte das Fenster zuschlagen. Einen Augenblick erbitte ich mir noch Gehör. Ihre Aeußerung macht mir klar, daß Sie meine mir bis jetzt theuerste Ueberzeugung für unrichtig halten. Wären Sie wohl so gefällig, mir den Beweis der Unrichtigkeit zu führen, mir auseinan- derzusetzen, warum die Agesels nicht von jenem griechischen Volke abstammen können? Nein. Sein Sie, was Sie wollen, Athener oder Sparter, mir gilt es gleich! — Münchhausen schlug das Fenster zu, murrte: Das ist ja heute eine verhenkerte Nacht! sprang wieder in sein Bette, wandte sich zum drittenmale um und schlief zum drittenmale ein. Jetzt aber ließ ihn der Geist, welcher heute spuken ging, kaum eine Viertelstunde rasten. Er war kaum wieder eingeschlummert, als er sich derb am Arme gerüttelt fühlte. Auffahrend mit den Worten: Sackerlot, was giebt es nun schon wie- der? sah er zu seinem großen Erstaunen bei dem Schimmer der Nachtkerze den alten Baron aber- mals vor dem Bette stehen, noch gekleidet, wie früher, nämlich an den Füßen gelbe Pantoffeln und den Leib in einen rothen kattunenen Schlafrock mit grünen Weinblättern eingehüllt. — Bruder Münch- hausen, sagte der Schloßherr und setzte sich auf den Stuhl vor dem Bette, nimm es nicht übel, daß ich dich störe, aber ich kann kein Auge schließen. Du hast mir mit deiner Luftentreprise eine Unruhe in das Blut geworfen, daß ich in meiner Kammer nicht zu bleiben vermag. Sieh mir einmal recht steif in’s Gesicht, und sage mir dann, Cavalier gegen Cavalier: Hast du mir nichts vorgelogen? Schnuck … Ich bitte dich, habe mir nichts vorgelogen! Ich glaube dir gern; es wäre schrecklich, wenn du gelogen hättest, denn meine ganze Seele ist schon bei dem Unternehmen, die Freude meines Alters wäre dahin, wenn nichts aus der Sache würde. Und an und für sich ist sie auch nicht unglaublich, da so viele andere staunenswerthe Erfindungen neuerdings gemacht worden sind, als zum Beispiel: Licht aus Unrath zu ziehen, und Essig aus Holz, Citronensäure aus Kartoffeln und Zucker aus Urin. Warum sollen sie also nicht Steine aus Luft machen können? Fällt sie uns doch oft schwer genug auf die Brust! Dein Wort wird mir daher genügen, dein Manneswort: Hast du mir nichts vorgelogen? Der im Hemde mit dem Zipfeltuche um das Haupt sah seinen Wirth starr an und sagte feier- lich: So wahr du geborener Geheimerrath im höchsten Gericht wirst, so wahr tritt die Luftverdichtungs- actiencompagnie in’s Leben. Wohl, versetzte Der im rothen kattunenen Schlafrock mit den grünen Weinblättern, nun bin ich beruhigt. Der Freiherr bat seinen Wirth um Gottes- willen, ihn denn auch ruhen zu lassen, der Alte aber war außer aller Fassung und blieb unter er- hitzten Reden auf dem Stuhle sitzen. Du mußt mir einen Gefallen thun, Münchhausen, rief er. Abweisen lasse ich mich nicht von deiner Compagnie, denn die Zeiten sind schmal und Einhundert sechs und dreißig drei Achtel Procent nach dem ersten Jahre stehen nicht zu verachten. Wenn mir Lis- beth die Zinsen bringt, kriege ich eine runde Summe, eine Actie zu bezahlen — ich will und will und will eine haben. Verfluchter Actienschwindel! rief der Freiherr. Ich habe dir ja gesagt, daß keine mehr zu kaufen ist. Geh doch um aller Heiligen willen zu Bette! Und zu Bette gehe ich nicht! kreischte der auf- geregte Alte. Versagst du mir die Luftactie, so laß’ ich dich morgen zum Hause ’naus werfen! Das ist ja eine schöne Erfahrung, die ich an dir mache! sagte Münchhausen und lehnte sich matt zurück. Seit wir einander Du nennen, kommen nichts als Grobheiten zwischen uns zum Vorschein. Es bleibt also doch wahr, daß manche Freund- schaften durchaus nur auf: Sie eingerichtet sind und diesen Terminus ohne Gefährde nicht verlassen dürfen. Der alte Baron, der von seiner Aufregung zurückgekommen war, bat seinen Gast um Ver- zeihung, und es sei nicht so übel gemeint gewesen, sagte er. Dann ersuchte er ihn, ihm wenigstens eine besoldete Anstellung bei der Compagnie zu geben, damit er doch einigen Vortheil von der Unternehmung ziehe. — Ja, was soll ich aus dir machen? fragte Münchhausen. Das Directorium ist besetzt, der Verwaltungsrath vollzählig, Secre- tariats- und Botengeschäfte passen nicht für dich; das einzige Syndicat, das Richteramt für die Strei- tigkeiten unter den Luftactionairen, ist noch offen — willst du das haben? Ei! rief der alte Baron, dieses würde mich ganz trefflich kleiden. Es wäre eine Zwischenbe- schäftigung, eine gute Vorübung auf die Zeit, da die alten Verhältnisse wieder hergestellt werden, und ich meinen geborenen Geheimerrathsposten im höchsten Gericht antrete. Ja, das nehme ich mit Freuden an. Topp! rief Münchhausen. Du sollst Richter unter den Luftverdichtern werden und einen Gehalt von sechsmalhunderttausend Pfund Luftsteinen jährlich beziehen. Denn wir haben, wie man in China mit Reis, als dem gangbarsten Producte der Lan- descultur bezahlt, die Verfügung getroffen, nur in unserem Producte, nämlich in versteinerter Luft alle Besoldungen zu entrichten. Sehr vernünftig, versetzte der alte Baron. So spart Ihr baar Geld. Ich bin damit zufrieden. Nur bitte ich mir probemäßige Luftsteine aus und verwahre mich gegen allen Müll und Abfall. Münchhausen mußte hierauf dem neuen Syn- dicus noch ein Langes und Breites von der Be- reitung der Luft erzählen, wobei er sich freilich die eigentlichen Fabrikgeheimnisse vorbehielt. Damit aber war sein Zuhörer noch nicht zu- frieden, sondern er forschte auch gründlich nach der Verfassung der Compagnie, nach den stimmfähigen und stimmlosen Mitgliedern, nach dem Gesellschafts- capital, nach der Geschäftsführung, nach den Uni- versal-, General-, Particular- und Specialver- sammlungen, damit er, wie er sagte, bei Zeiten Alles erfahre, was zu seinem Amte ihm zu wissen Noth thue. Münchhausen gab ihm über jeden dieser Puncte, obgleich er lieber geschlafen hätte, nothgedrungen die bündigste Auskunft, so daß er sich ganz heiser sprechen mußte. Endlich ging der Alte. Die Nacht war über diesen Vorfällen und Ge- sprächen verstrichen. Phöbus mit dem goldenen Haar sah in das Fenster. Erschöpft legte sich Münchhausen abermals zurück, um wenigstens noch eine Stunde Morgenruhe zu genießen. Es ist doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel Ideen anregt, sagte er vor dem Einschlafen. Aber bald erhob sich unter seinem Fenster das Getöse einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton, welcher vom erschrecklichsten Schrillen in einem unausgebildeten Sopran zum schauderhaftesten Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig sich senkend, bekanntlich auch den Taubsten erwecken kann. Münchhausen sagte anfangs zu sich selbst: Es ist nur Täuschung, und stopfte sich tief in die Kissen hinein: dann sagte er: Es ist zwar keine Täuschung, aber ich will diesen sinnlichen Eindruck durch Abstraction überwinden. — Er begann daher von dem Schrillen und Schnurren seine Gedanken mit Macht seitwärts zu führen, und würde viel- leicht bei der großen geistigen Kraft, die ihm bei- wohnte, des Sinneneindrucks Meister geworden seyn, wenn sich nicht plötzlich mit dem Sägege- räusche ein heftiges Rumoren über seinem Haupte verbündet hätte. Es ließ sich nämlich ein Gepol- ter über seiner Stube vernehmen, als ob der ganze Söller umgekehrt würde. Zwischen Sägegeräusch und Söllergepolter eingeklemmt, konnte er es nicht länger aushalten. Er rief: So ist es und bleibt es demnach unmöglich, heute zu einem leidlichen Schlafe zu gelangen! und sprang mit beiden Füßen aus dem ruhelosen Bette. Er schellte und ließ sich von seinem technischen Mitdirector, der zugleich Prätendent von Hechelkram und Karlos der Schmet- terling war, ankleiden. Von der durchwachten Nacht sah er sehr gelb- grünlich aus, und die Augen standen ihm wüst im Kopfe. Das Sägen aber rührte vom Schulmeister und das Rumoren vom alten Baron her. Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 6 Siebentes Capitel . Warum der Schulmeister sägte und warum der alte Baron rumorte . Der Schulmeister war, nachdem der Freiherr das Fenster zugeworfen hatte, mit einem Seufzer und dem Ausrufe: Nicht einmal eine Widerlegung! in seine Wohnung auf dem Taygetus gegangen. Dort blieb er, kopfschüttelnd und sinnend, die kleine Blendlaterne vor sich auf den Tisch gestellt, einige Stunden lang sitzen. Er blickte unverwandt in das Licht der Laterne und hatte seine beiden Arme auf die Kniee gestemmt. Nachdem er so längere Zeit gesessen, erhob er sich, strich mit der Hand langsam über sein Kinn und sagte: Ja, es ist so, ich bin darüber nun im Klaren und habe meinen Entschluß gefaßt. — Er ging in die Ecke, worin sein Lager aufgeschüttet war, und sprach, es mit unter- geschlagenen Armen betrachtend: Dieses ist Stroh, und zwar krummes, keinesweges aber Schilf. — Er nahm die Laterne, begab sich mit ihr hinaus, leuch- tete auf dem Platze vor dem Gartenhäuschen umher und sprach: Ein gewöhnlicher Schneckenberg, und was da unten murmelt, ist ein Wässerlein ohne Namen. — Er holte den Becher oder Kothon, das heißt, den alten irdenen Topf aus dem Garten- häuschen und zerschmetterte ihn mit den Worten: Du sollst mich nicht mehr verführen! durch einen heftigen Wurf. Dann sank er auf sein Strohlager zu einem festen und erquicklichen Schlummer nieder. Nach wenigen Stunden, als das Frühlicht ange- glommen war, (denn er brauchte wenig Schlaf) erhob er sich wieder, rückte ein altes Schreibzeug zurecht, fand glücklicherweise einen Bogen Papier und schrieb an den Schulrath Thomasius. Mit diesem Briefe in der Hand trat er hinaus in das Morgenroth. Er freute sich der aufsteigen- den Sonne und rief: Es ist denn doch ein anderes Ding, die liebe Gottessonne, als der längst begra- bene Heidengötze Helios. — Guten Morgen, Agesel! rief eine Stimme von unten ihm zu. O glückliche Vorbedeutung! sagte der Schulmeister, ich werde 6* wieder bei meinem Taufnamen genannt, ja, den Agesilaus hätten wir wohl hinter uns. Hinab- blickend sah er den Kreisboten, welcher, seinen braunen Stecken in der Hand und die schwarz- lederne Scripturentasche über den Rücken gehängt, längst des Gartens durch die Dornen seinen Dienst- weg schritt. Halt! rief der Schulmeister und warf den Brief hinunter, nehmt das an den Herrn Schul- rath mit, Rittersporn, aus Gefälligkeit. Er ging nach dem Schlosse, wo er das Fräu- lein, welche auch wenig geschlafen hatte, schon munter fand. Könnte ich nicht eine nützliche Be- schäftigung erhalten? fragte er sie. O ja, war die Antwort, es ist Holz zu sägen und klein zu machen. — Fröhlich ging der Schulmeister nach dem Holzstall, stellte den Sägebock unter dem Fenster des Freiherrn auf und begann nun jene geräuschvolle Arbeit, von welcher im vorigen Capitel die Rede gewesen ist, emsig und unverdrossen, sich schon freuend auf das Hacken, wenn das Sägen vorbei seyn möchte. Letzteres wäre sonach erklärt, mit dem Rumoren aber hatte es folgende Bewandniß. In den alten Baron war durch die industriellen Entwürfe der Nacht ein unausloschliches Feuer gedrungen. Vor seinen Augen erhoben sich Brücken, Kunststraßen, Palläste, ja ganze Städte aus versteinerter Luft. Er hatte sich zwar, nachdem er Münchhausen ver- lassen, abermals niedergelegt, konnte jedoch jetzt eben so wenig schlafen, als vorher, sondern wälzte sich, die Luftbauten vor den brennenden Augen, schlaflos von einer Seite zur andern. Nicht lange währte es, so wurde er bei seiner Lebhaftigkeit des unangenehmen Bettes müde, sprang auf und ging, einen närrischen aber festen Plan im Busen, auf den Söller. Es war ihm nämlich eingefallen, daß die Strei- tigkeiten unter den Luftactionairen häklicht und spitzig ausfallen könnten, und daß es daher, um das Syndicat mit Auszeichnung zu verwalten, räthlich seyn dürfte, im Voraus den Scharfsinn auf gerechte Urtheilsfällungen einzuüben. Er be- schloß daher, sich eine vorläufige Gerichtsstube ein- zurichten, und zwar fern von störendem Geräusche, oben auf dem Söller in der sogenannten Polter- kammer, in welcher Lisbeth die Notizen über die Zins- rückstände gefunden hatte. Münchhausen sollte, das war sein Entwurf, ihm erdichtete Rechtsfälle, wie sie die jungen Studenten im Practico nach den Pandec- ten ausklauben, vorlegen, und er wollte sie dann nach der ratio nunquam scripta des Luftrechtes entscheiden. Er schloß die Polterkammer im ersten Dämmer auf. An der schrägen Dachwandung, wo gebrochene Lichter sich zwischen den Ritzen der Ziegeln und Schindeln hindurch stahlen, stand ein ehemaliger L’hombretisch mit eingelegten Holzfiguren auf drei Beinen, den ernannte er zur Gerichtstafel. Er mußte, um zu ihm zu gelangen, einige Reihen leerer Champagnerflaschen, drei alte zerbrochene japanische Vasen, ein messingnes Papageienbauer und ein ver- bogenes Jagdhorn wegräumen; Zeugen und Denk- mäler einstiger glücklicher Tage. Hierauf ließ sich der Tisch bequem in die Mitte der Polterkammer bringen und mit Hülfe eines Gueridons von ver- gilbtem Alabaster, der sich dort auch irgendwo fand, auf einen sicheren vierten Fuß stellen. In einer andern Ecke stand ein orangeplüschener Großvater- stuhl, den schob er als Richterstuhl hinter die Ge- richtstafel. Nun fehlten nur noch die Acten, die Bücher und das Richtercostüm, um dem Ganzen das gehörige ehrwürdige Ansehen zu geben. Acten und Bücher fanden sich leicht, denn es lagen da ganze Bündel alter Papiere und Haufen schweins- lederner Bände auf dem Boden umher. Er nahm verschiedene Convolute unbeantwortet gebliebener Mahnbriefe auf und bedeckte damit die Gerichts- tafel. An deren Rändern rings herum stellte er den Abb é de la Plüche, Schelmufsky’s Reisen, das curieuse Welttheater und die asiatische Banise sammt dem Leben der weltberüchtigten Frau Neuberin als richterliche Hand- und Hülfsbibliothek auf. Das Costume ließ sich schwerer entdecken, doch war er auch in dieser Beziehung zuletzt glücklich. Denn als er von der der Dachwand entgegengesetzten einen Bettschirm mit Schäfern aus Geßners Idyl- len hinweggethan hatte, sah er eine Reihe alter Kleidungsstücke an den Nägeln hangen. Unter diesen erblickte er einen schwarzen Domino, von dem er sich erinnerte, ihn auf der Vermählungs- redoute des letzten Fürsten von Hechelkram getragen zu haben, eine Sammettoque, in der seine Gemahlin einst einen englischen Herzog bezaubert hatte, und eine abgelegte Spitzenfraise, deren Geschichte ihm entfallen war. Er nahm diese drei Stücke, welche ihm Richtermantel, Barett und Kragen bedeuten mußten, und hing sie an einem Pflocke der Gerichts- tafel gegenüber auf. Nachdem der Schloßherr, also rumorend, die Gerichtsstube eingerichtet hatte, setzte er sich in den orangeplüschenen Großvaterstuhl, legte die Hände auf die Gerichtstafel und freute sich über sein zu Stande gebrachtes Werk. Das hat mir gefehlt! rief er. Eine feste practische Beschäftigung mangelte mir! Darum fühlte ich ungeachtet aller Studien bisher eine so peinigende Leere. Denn wie gefüllte Blumen zwar die schöneren zu seyn scheinen, eigentlich aber krän- keln und früher absterben, als die einfachen, so ist ein unbeschäftigter Mensch, wenn er seinen Geist auch noch so herrlich schmückt, im besten Falle doch nur einer gefüllten Blume gleich. Die Kräfte seiner Seele vergeuden sich in eitler Blätterfülle und abgesehen davon, daß nach ihm keine Frucht bleibt, so erstickt er auch selbst bald an dem Ueber- maaße mißgewandter Säfte. Dagegen leitet ein thätiger Beruf die Geister, welche das Leben näh- ren, in die rechten Röhren und Canäle, von denen sie dann in gesunden und gottgefälligen Bildungen als schlanke Stengel, frische Blätter, duftige Blüthen ausgehen. Alle müßige Menschen, und seien sie die bestgearteten, haben oder bekommen eine Neigung, Andern wehe zu thun, nur um doch mit etwas ihre Tage auszufüllen, während der Fleiß, der durch Geschick oder durch Vorsatz auferlegte, auch geringere Seelen zu veredeln pflegt. Nicht mit Unrecht kann man sagen, daß er wie ein Magnet durch fortgesetztes Tragen unglaublicher Lasten mächtig wird, während die Trägheit ein Stahl in der Scheide ist, den zuletzt doch der Rost zernagt. Auch ist ferner zu sagen, daß die emsigen Bienen, obzwar ihnen die Natur einen scharfen Giftstachel gegeben hat, nur gereizt stechen, und den Nicht- beleidiger unbeleidigt durch ihren Schwarm hin- durchgehen lassen, wogegen die nicht sammelnden Wespen Jeden, auch den Ruhigsten muthwillig an- zufallen pflegen. Weßhalb der Fleiß ein Freund seiner selbst und Anderer genannt werden darf, die Faulheit aber als Feindin an sich und Jedermann handelt. Und darum ist es mir so lieb, daß meine letzten Tage nunmehr aus dem müßigen Schwär- men, welches mich ganz aushöhlte und vernichtigte, in eine rühmliche Thätigkeit sich retten, bei welcher ich mit gutem Gewissen und starkem Bewußtseyn geduldig die Rückkehr der alten Verhältnisse und meinen Eintritt in das höchste Gericht erwarten kann. Auch daß der Wohlstand sich wieder hebt, ist keinesweges gering zu schätzen. Sechsmalhun- derrtausend Luftsteine sind ein schönes Einkommen, denn wenn ich das Tausend Steine auch nur auf zehn Thaler anschlage, so giebt das eine jährliche Revenue von sechstausend Thalern. Von diesen will ich viertausend verzehren, und den Rest zurück- legen, halb für meine Tochter und halb für mein Pflegekind Lisbeth zu einer Aussteuer. Achtes Capitel . Rechtsfälle und Auseinandersetzungen . Als der Syndicus und Luftverdichter diese Rede vollendet hatte, hörte er Jemand auf den Söller kommen, rief ihn an und sah, daß es Karl But- tervogel war, der, wie er seinen Namen rufen hörte, ein Stück Wurst, welches ihm zum Früh- stück dienen sollte, schnell in die Jackentasche steckte. Der begünstigte Diener pflegte nämlich auf dem Söller seine heimlichen Mahlzeiten zu halten, weil ihm das Fräulein dieses ausdrücklich vorgeschrieben hatte, so lange sein verlarvter Zustand dauern würde. Sieh, sieh, mein Freund! rief der alte Baron, der für Eßwaaren ein scharfes Auge bekommen hatte, seitdem er sich so überaus mager behelfen mußte, was hat Er da? Schmecken Ihm so früh schon die fetten Bissen? Ja, versetzte Buttervogel, ich hab’ die Wurst der Katz’ abgejagt, die damit aus der Küche sprang. — Nun, dann sei Ihm dieselbe gegönnt, antwortete der alte Baron, es ist mir lieb, daß das Ungeheuer auch einmal merkt, wie es thut, wenn Einem der Brocken vor dem Munde weggeschnappt wird. Karl’n war es gar nicht recht, daß der Söller seine Einsamkeit verlieren sollte. Er stand, kratzte sich im Kopfe, seufzte und sagte endlich: Werden der gnädige Herr von nun an hier öfters sitzen? Auf die bejahende Antwort des Alten seufzte der bisher wohlverköstigte Prätendent noch lauter, so daß der Schloßherr neugierig wurde die Ursache dieses Grams zu erfahren, jedoch aus dem Bedien- ten nur eine Rede von stiller Beschäftigung, gegen- seitiger Störung, gutem Brode, vornehmer Liebe und Heirathserbieten, wenn fernerweite Verkösti- gung zugesagt werde, bringen konnte — ein Ge- mengsel, in welchem er sich nicht zurechtzufinden wußte. — Was will Er eigentlich und warum sieht Er mich immer so sonderbar an? fragte er Karl’n, der keinen Blick von ihm verwandte. Gnädiger Herr, sagte der Schmetterling mit der Wurst in der Tasche, es geht nun und nimmer mit zwei Verrichtungen an einem Orte! Wo ein Webstuhl steht, kann keine Hobelbank stehen. Wo- fern Sie hier sitzen bleiben, ist’s aus mit all meiner Freude auf Schnick-Schnack-Schnurr, und Schwiegerväter haben sonst auf Schwiegersöhne einige Rücksicht genommen und ihnen nicht ihr Brod verdorben, besonders wenn Schwiegersöhne mit dem gehörigen Respect sich betragen, und ich kann sagen, daß noch kein unrechter Gedanke gegen Sie in dieses mein Herz gekommen ist, und neulich ver- standen Sie mich nicht, als ich Ihnen die Stiefeln auszog und Sie bedeutsam anblickte, und heute wird’s auch wohl noch dunkel bleiben zwischen uns, das thut aber nichts, wenn das Herz nur was taugt, und Gott sieht nicht den Rock an, sondern den Mann, und ich wollte Sie so gern schon ein- mal vorläufig kindlich verehren, und deßhalb bitte ich, reichen Sie mir Ihre Hand zum Kusse und dann thun Sie mir den Gefallen, vom Söller zu gehen! Von allem Seinem Gewäsche verstehe ich bloß, daß Er mich gern von hier fort haben will, von welchem Verlangen ich nun aber wieder den Grund nicht einsehe, sagte der Baron. Hier hat Er indessen meine Hand. Er scheint mir dennoch ein guter Kerl zu seyn, und spricht vermuthlich so dummes Zeug, weil Er auch nicht geschlafen hat, denn die Nacht war unruhig. Der Alte reichte dem Bedienten die Hand zum Kuß, dieser ergriff sie seufzend und drückte mit den halblauten Wor- ten: Was hilft mir die Hand, wenn ich den Söller nicht behalte? einen Kuß darauf, worüber der Schloßherr gerührt wurde und einige Thränen vergoß. Er befahl hierauf seinem Verehrer, den Herrn zu ihm zu rufen, da er nothwendig mit diesem sprechen müsse, und er solle auch wieder mitkommen. Karl Buttervogel ging die Söller- treppe hinab und murrte: Das weiß ich schon, auf all mein Glück legt der Teufel seinen Schwanz; wo soll ich nun in Zukunft meine stillen Mahlzeiten halten? Er suchte seinen Herrn in der Stube, im Hofe; endlich fand er ihn im Garten in der Taxuslaube hinter dem Genius des Schweigens. Dort hatte Münchhausen, um dem unermüdlichen Sägen des Schulmeisters zu entrinnen, seinen Kaffee getrunken, und war dann auf der Moosbank etwas eingenickt. Abermals erweckt, machte er ein erbarmenswürdiges Gesicht und hatte nicht einmal mehr die Kraft, den Diener auszuschelten. Denn er konnte keine Nacht- wachen vertragen; der Schlaf war sein einziges Bedürfniß, außer diesem hatte er fast keins. Als er die Bestellung gehört, rief er: Ist denn der Alte ganz des Teufels? und machte sich mit dem verdrießlichen Bedienten verdrießlich auf den Weg zu seinem Wirthe. Unterweges gingen sie an dem Sägebocke des Schulmeisters vorbei, an welchem dieser im Schweiße seines Antlitzes handthierte. Er warf dem Freiherrn einen gerührten Blick zu, hielt einen Augenblick mit seiner Arbeit inne und sagte: Obgleich Sie mich nicht lieben, Herr von Münchhausen, so haben Sie mir doch die größte Wohlthat heut zu Nacht erwiesen. Ich verdanke Ihnen mein Leben! — Daß ich nicht wüßte, ant- wortete Münchhausen betroffen. Im Hausflur schnitt das Fräulein Bohnen. Sie ließ das Messer ruhn und sagte zu Münchhausen: Verstehst du mich in diesem Augenblicke, Meister? — Nein! fuhr Münchhausen unwillkührlich heraus. — Wie!? rief Emerentia überlaut und ließ vor Schreck die Boh- nenschüssel auf den Boden fallen, daß das Geschirr zerbrach. Auf dem Absatze der Söllertreppe lehnte sich der Freiherr erschöpft an seinen Bedienten und sagte: Karl, ich fürchte eine Katastrophe. Der Eine verdankt mir sein Leben, dem ich über Nacht gesagt habe, er sei ein Narr; die Andere hat es nun weg, daß ich sie nicht immer verstehe, und in den Dritten ist der Teufel der Industrie gefahren. Die Fäden beginnen mir aus der Hand zu schlüpfen. Sie sind etwas herunter, mein Herr von Münchhausen, erwiederte Karl Buttervogel, Sie haben sich lange nicht chemisch geschmiert, ich muß bald in die Apotheke gehen. Uebrigens ist mir Alles gleich, wenn ich nur technischer Mitdirector werde. Niedergesetzt, Münchhausen, mir gegenüber, und gleich einige Rechtsfälle aus der Luftmaterie mir vorgelegt, und Er, Buttervogel, kann als Actuarius das Protocoll führen! rief der alte Baron den Eintretenden entgegen. Der Freiherr sah mit Verwunderung die Anstalten in der Polterkammer und nunmehrigen Gerichtsstube. Er wollte sich ein Ansehen geben und sagte ernsthaft zu seinem Wir- the, derartiges Stürmen liebe er nicht, Fabrikan- lagen seien mit der größten Besonnenheit zu gründen, Hast und Leidenschaft stürze dabei in dasjenige Verderben, welches Deficit heiße. Karl Butter- vogel aber, der endlich gern seines Stückes Wurst froh geworden wäre, wandte bescheidentlich ein, er verstehe nicht so flüssig zu schreiben, um dem von ihm erforderten Dienste gewachsen zu seyn. Der alte Baron ließ sich aber nicht abweisen. Was! rief er in seinem Fieber; erlahmst du Grün- specht eher als ich Graukopf? Schäme dich! Allons! Munter geblieben, die Augen aufgehalten! Und was Ihn betrifft, Buttervogel, so thue Er bloß so, als schreibe Er, wenn Er mit der Feder nicht rasch fertig werden kann. Er sitzt nur der Voll- ständigkeit wegen mit da. Münchhausen mußte sich fügen und an der an- dern Seite der Gerichtstafel dem alten Baron gegenüber auf einem hölzernen Schemel Platz neh- men. Der Bediente setzte sich mit einer Feder in der Hand zur schmalen Seite der Tafel. Münch- hausen schüttelte den Rest seiner Geisteskräfte zusammen und legte dem alten Baron folgende Rechtsfälle vor: „Die Luftverdichtungsactiencompagnie kommt wegen widriger Umstände nicht zu Stande. Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 7 Frage: Was geschieht mit den gezahlten Ein- schüssen?“ Urtheil des alten Barons . In Betracht; daß widrige Umstände widrige Umstände sind, wofür Niemand kann: In Betracht; daß vor allen Dingen gehabte Mühe und Anstrengung zu belohnen ist, damit Nie- mand den Muth verliere, abermalen gemeinnützige Plane zu entwerfen: behalten Directoren, Verwaltungsräthe und Syndicus die Einschüsse und theilen sich darin ratirlich. Syndicus mit doppelter Portion. V. R. W. Vortrefflich! rief Münchhausen, du dringst zum Erstaunen schnell in die Geheimnisse der Praxis ein. Es bleibt eine ewige Wahrheit, Amt giebt Verstand. Mit diesem Bescheide bin ich als technischer Mitdi- rector ebenfalls zufrieden, sagte Karl Buttervogel. Nun ein zweiter etwas verwickelterer Fall, sprach Münchhausen. Her damit! rief der alte Baron. Mir wird keine Nuß zu hart seyn. „Trebaz soll Mäven ein Haus bauen. Auf Steine lautet der Pact. Trebaz baut ein re- gelrechtes Haus aus Steinen, im Bruche ge- hauen. Mäv weigert Bezahlung, weil er Luft- steine gemeint. Frage: Wer hat Recht?“ Urtheil des alten Barons . Mäv. Der Ausdruck: Steine ist zweifelhaft. In dubiis res ad minimum redigenda est. Mini- mum ist Luft. Darum soll in Zukunft bei Baucon- tracten allezeit die Vermuthung pro interpretatione aeriori, für die luftigere Auslegung streiten, und wer das bisher bräuchlich gewesene sogenannte solide Material genommen, den Schaden haben. Trebaz unterliegt, bekommt kein Geld und zahlt Kosten. V. R. W. Deine Weisheit setzt mich in Erstaunen, Bru- der Schnuck, sagte Münchhausen. Jetzt aber nimm dich zusammen, denn der dritte Fall spielt einiger- maßen in das Gesellschafts- und Strafrecht. „Zwei Luftactionaire bekommen mit einan- der Streit und der Eine schilt den Andern: Windbeutel. Frage: Ist darin eine Injurie enthalten?“ 7* Urtheil des alten Barons . Da Wind Luft ist, nur Luft in Bewegung; Da Luft, mithin auch Wind, recht eigentlich den Stoff darstellt, welcher zum Metier der Ac- tiencompagnie gehört; Da Niemand durch etwas, was zu seinem Metier gehört, beschimpft werden kann, der Ausdruck: Beutel aber ganz unverfänglich ist; ergehet Sentenz, daß die Actionaire einander Windbeutel nennen dürfen, ohne dafür Ge- nugthuung begehren zu können. V. R. W. Das finde ich ungerecht, sagte Karl Butter- vogel, und wer mich als technischen Mitdirector so nennt, dem gebe ich eine Ohrfeige. Der Actuarius macht sich zu laut, sagte der alte Baron. Gehe Er hinaus, Buttervogel, ich habe überdieß an seinen Herrn eine Frage zu rich- ten, bei welcher ich Seine Anwesenheit nicht wün- sche. Karl entfernte sich eiligst. Der Schloßherr holte aus einem Winkel drei alte bestäubte Familienbildnisse hervor, nämlich einen Mann im Harnisch mit Tressenhut und Com- mandostab, einen im schwarzen Mantel und weißen Halskragen und einen im lichtblauen Hofkleide; stellte sie vor Münchhausen auf und sagte: Diese sind meine Ahnen: Athelstan, Florestan und Nere- stan von Schnuck-Puckelig. Athelstan war Gene- ralfeldmarschall, Florestan Kanzler, Nerestan Ober- ceremonienmeister. Kann ich es nun vor ihnen verantworten, daß ich, als Edelmann von alter Familie mich thätig bei einer Unternehmung be- zeige, welche denn doch am Lichte besehen, keinen andern Zweck hat als Handel und Wandel und Geldprofit, und an welcher allerhand Leute geringer Herkunft Theil nehmen werden, ja, der sogar ein Bedienter als technischer Mitdirector vorstehen soll? Leiden die Standesbegriffe nicht dabei, welche sonst erheischten, daß der Adel keine Handelschaft und kein Gewerbe treibe? Sieh, der Zweifel ist mir in währender Verhandlung aufgestoßen. Münchhausen versetzte, daß in gedachter Bezie- hung der Adel mit der Zeit fortgeschritten sei, es marchandire heut zu Tage Jedermann, Graf, Frei- herr und Fürst, wie die geringste Krämerseele, unbeschadet der Standesbegriffe. Der Stand sei wie der geweihte Charakter der Priesterschaft ein unauslöschlicher, ein Graf dürfe an der Börse wu- chern und den Juden das Brod vor dem Munde wegnehmen und bleibe nichts desto weniger ein so unversehrter christlicher Graf, wie Einer, und wenn etwa noch ein Kreuzzug nach Jerusalem zu Stande kommen sollte, werde ihn keiner der Seinigen von der Entreprise zurückweisen. — Indessen, setzte er hinzu, wenn du darin zu delicat bist, so folge die- sem schönen Gefühle, denn wir haben freilich bei unserem Luftverdichtungsgeschäfte mit unterschied- lichem Pack zu thun, und zarter ist immer zarter. Nein, rief der alte Baron, was Andere sich erlauben, das ist mir unverboten! Ich habe in solchen Dingen gar kein Privat- sondern nur ein Standesgewissen. So wäre denn Alles in Ord- nung; nun wollen wir aber auch auf nichts denken und sinnen, als wie wir dem Geschäfte den schwung- haftesten Betrieb geben. — Er nahm die drei Familienbildnisse und trug sie wieder in ihren Win- kel. Diesen Augenblick, als der alte Actienschwär- mer den Rücken wendete, benutzte Münchhausen und entwischte. Er eilte die Treppe hinunter in sein Zimmer, stülpte hastig den Strohhelm auf das überwachte, glühende Haupt, lief über den Flur zur Thüre, über den Hof zwischen den beiden Wappenlöwen, dem stehenden und dem liegenden hindurch in das Freie, und suchte irgend eine ein- same Bauerhütte, oder auch nur einen abgelegenen Platz in Wald oder Feld, um endlich Ruhe zu finden fern von dem Schlosse, in welchem er un- vorsichtigerweise die industrielle Begeisterung ent- zündet hatte. Neuntes Capitel . Der Freiherr von Münchhausen beginnt einen Heroismus im Erzählen zu entfalten . Einige Zeit wartete der Schloßherr auf die Rückkunft seines Freundes, da diese aber nicht erfolgte, so begab er sich in sein Zimmer, legte die Nachtkleidung ab und seine gewöhnlichen Ta- geskleider an, welche in einem kurzen polnischen Schnürrocke von grünem Sommerzeuge, in stroh- farbenen kurzen Hosen und schwarzen Kamaschen bestanden. Er setzte dazu seine gelb und schwarz gefleckte Seehundsmütze auf, und ging, ein spani- sches Rohr mit porzellanenem Knopf in der Hand, da ihn die Unruhe daheim nicht leiden wollte, in das Freie, um allerhand Fabrikanlagen vorläufig an Ort und Stelle zu überdenken. Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an- ders, als früherhin, wo er über ihre steinernen Bestandtheile noch nicht aufgeklärt gewesen war. Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und Schnüffeln ausprüfte, kam ihm so kalkicht und gyp- sern vor; er wußte nicht, wo er früher seine Nase gehabt hatte, solches nicht zu merken. Ein Bauer, der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron bei dem einen Wappenlöwen stehen sah, die Nase spürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn höflich und sagte: Es stinkt verflucht. — Merkt Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig. — Wer sollte das nicht merken? rief der Bauer; sie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank zieht im Winde weit umher. Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom- pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung dieses armseligen Bauern und ging quer durch die Dornen über Gras und Anger nach einem freien Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik besonders tauglich zu seyn schien, weil dort weit und breit umher die frischeste Luft wehte. Er maß den Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei- ten ab, notirte die Raummaaße in seiner Brieftasche, erwog, wo das Laboratorium stehen sollte, wo das Magazin für die Luftsteine und wo das Comptoir. Hierauf brachte er eine flüchtige Handzeichnung mit Bleistift zu Papiere, die ihm sehr wohl aus- zusehen däuchte, und worin das Magazin die Form einer Null hatte. Er war recht zufrieden mit diesen Vorarbeiten und ärgerte sich nur darüber, daß ihn Münchhausen bei denselben im Stiche ließ. Indem er zufällig nach der Abdachung des Platzes, welche von einigen wilden Kastanien und Zwerg- eichen bestanden war, hinuntersah, bemerkte er, daß ein Mensch von seiner Raststätte unter einem der Bäume aufsprang und dann fortlief. Dieser Flücht- ling kam ihm, obgleich er ihn nur von hinten sah, wie Münchhausen vor. Er rief ihm nach; der Läufer hörte aber nicht, sondern rannte querfeldein. Wirklich war es Münchhausen, dem auch dort das erzürnte Geschick noch keinen Frieden gönnen wollte. Ich verspreche aber den Lesern, ihn nun ruhig irgendwo anders ausschlafen und ihn vor Abend nicht wieder erscheinen zu lassen. Der alte Baron hatte noch viel an jenem Tage zu thun und lief im Freien hin und her. Am meisten machte ihm die Ermittelung eines Weges zu schaffen, auf dem die Luftsteine zur nächsten großen Handelsstraße geschafft werden könnten, denn das Land war ringsumher überaus uneben und höckricht. Nachdem er die Pfade, die der großen Straße zuliefen, gründlich an mehreren Stellen untersucht hatte, entschied er sich kurzweg für Anlegung einer Eisenbahn mit etwa zwölf Tun- nels und fünfzehn gewölbten Brücken. Denn, sagte er, wer gewinnen will, muß sich vor den ersten Auslagen nicht scheuen. Er überschlug, daß der Personentransport die Kosten mit einbringen helfen werde, denn natürlich kommen, sagte er, Jahraus Jahrein viele tausend Reisende, um diese so sehr merkwürdige Fabrik zu besuchen, die Sehens- würdigkeiten meines Schlosses gar nicht einmal in Anschlag gebracht. Nichts war ihm verdrießlicher, als daß die Fabrik nicht bereits stand. Erst gegen Abend kam er in die Burg seiner Väter zurück, ermüdet, schweiß- triefend, aber im Herzen fröhlich. Den ganzen Tag über hatte er an Speise und Trank nicht gedacht, und nun mußte er mit einem ziemlich oberflächlich behandelten Rührei nebst einem ver- sottenen halben Grashechte fürlieb nehmen. — Wer mich zwischen diesen kahlen Wänden, an dem schlech- ten kiefernen Tische, dem ausgekochten Fischlein und der brenzlichten Eierspeise gegenüber sitzen sähe, müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun- gerleider halten, schmunzelte er. Wo ist da, menschlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend einiges Glückes ersichtlich? Und doch steht das Glück nahe, ganz nahe, denn sechsmalhunderttau- send Luftsteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen gehabt. Wahrlich, es ist ein eigenes Ding um das Geschick des Menschen. Der Mensch kann durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in seinem Zimmer die Pistole laden, sich zu erschießen, wäh- rend unten an der Thüre schon der Postbote klopft, ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen Erbschaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu bringen. In gegenwärtiger Zeit ist nun der erfin- dende Geist des Menschen, der in einem Augenblicke Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann, der reiche Vetter aus Surinam; unterdessen freilich schmeckt dieser Grashecht sehr zähe und fast wie Leder. Etwas später kehrte Münchhausen heim, aus- geschlafen, neugestärkt, mit hellen, grellen Augen. Er fühlte in sich Kraft und Muth, dem Alten die Spitze zu bieten, und war entschlossen, ihn heute Abend nicht zu Worte kommen zu lassen, sondern ihn, so zu sagen, danieder zu erzählen. Es freute ihn, als er hörte, das Fräulein sei unpaß und werde deßhalb nicht von der Gesellschaft seyn; so durfte er sich auch vor ihren Fragen und Bemer- kungen sicher halten. Weil aber ein Vorleser den Faden ununterbrochener in seiner Hand zu behalten vermag, als ein Erzähler, stopfte er auf seinem Zimmer sich einige geschriebene Hefte voll der un- gereimtesten Erzählungen in die Brusttasche seines Rocks, und trat so gerüstet zu seinem Wirthe ein, der eben von Karl Buttervogel den halben Gras- hecht abräumen ließ, von dem er nur ein Weniges hatte genießen können. Aha, rief der Alte Münchhausen entgegen, kommt der Ausreißer endlich? Ich habe mit Ihm noch ein Hühnchen zu pflücken. Läßt da Seinen Vertrauten und Compagnon in der Sonnenhitze allein die Arbeit thun! Wenn Ruhe zn dergleichen Unternehmungen gehört, so können sie doch auch ohne Betriebsamkeit nimmer gerathen. Vergönne mir, dich daran zu erinnern. Und nun setze dich her, sieh hier den Grundriß, den ich entworfen, und laß uns darüber in eine umständliche Berathung treten, damit der Bau begonnen werden kann. Längst hatte Münchhausen ein Heft aus sei- nem Busen gerissen es entfaltet, und auf seinen Augenblick gewartet. Jetzt, als der alte Baron eine Pause machte, um Athem zu schöpfen, setzte er rund und rasch ein und las mit unhemmbarer Schnelligkeit, wie folgt. Ich . Fragment einer Bildungsgeschichte . Mein sogenannter Vater, welcher den häusli- lichen Unfrieden, von dem ich die unschuldige Ur- sache war, nicht länger ertragen konnte, sagte zu meiner angeblichen Mutter: Desdemona, es muß geschieden seyn. Ich habe es geduldet, daß du mir täglich einige und dreißigmal sagtest, du seiest meine Gattin nicht aus Liebe zu mir, sondern aus Achtung für meinen seligen Vater, den Lügner, geworden; geduldet sechszehn Jahre und neun Monate lang, aber daß du diesen armen Wurm, den ich mir habe sauer genug werden lassen, beständig knuffst, wo du ihn siehst, verletzt mein Gefühl allzusehr. Lebe wohl, Desdemona, wir wollen einander nicht fluchen, wir wollen an einander schreiben, aber mit einander leben können wir nicht länger. Er lockte mich mit einem Zuckerplatz zu sich, steckte mich, da ich noch nicht gehen und stehen konnte, obgleich ich übrigens bereits klüger war als mancher Dreißiger, in seine linke Rocktasche und stürzte ab, während die verlassene Gattin sich im Gefühle weiblicher Würde an das Fortepiano setzte und: Nach so viel Leiden u. s. w. sang. Mein Vater stürzte die Dorfstraße hindurch, er stürzte auf die Straße nach Braunschweig. Ich bat ihn langsamer zu gehen, die heftige Bewegung mache mir Schmerzen, und wirklich zerschlug ich mir beinahe die Nase an seinem Beine, gegen wel- ches die linke Rocktasche flog. Er aber hörte nicht auf mich, sondern stürzte immer heftiger fort, unter Thränen rufend: Du solltest ein Opfer jenes bösen Weibes werden, du sauer zubereiteter Wurm? Dem sei nicht also. Du bist das Product meiner tiefsten Studien, mein liebstes Kleinod, mein theuerster Schatz! — Ich litt unaussprechlich bei den Ausbrüchen dieser heftigen Zärtlichkeit und bei den durch sie hervorge- brachten stürmischen Bewegungen der Rocktasche. Da- mals schöpfte ich die erste Erfahrung von dem Satze, daß die Menschen, wenn ihre Liebe recht heiß ist, dem Gegenstande derselben hundsübel machen können. Zum Glück kam ein Postillion halben Weges mit einer leeren Extrachaise von Braunschweig retour gefahren; den bestach mein sogenannter Va- ter, der Schwager verrieth für einen Species seine heiligsten Pflichten, nahm uns auf, kehrte um und setzte uns vor Braunschweig ab. Dort miethete mein Vater einen Hauderer, der uns über Scheppenstedt, Magdeburg, die Wallachei hindurch nach Thessalonich fuhr. In Scheppenstedt sollte gerade damals eine allgemeine deutsche Academie errichtet werden, in Magdeburg war Landestrauer, weil die Klöße in dem Jahre nicht gerathen wollten, in der Wallachei werden lauter Wallachen gezogen, bei Thessalonich kommt man schon in das Türkische. Wenn ich nur nicht immer in der Rocktasche hätte sitzen müssen! Ich hatte den brennendsten Drang nach Selbstständigkeit, nach unumschränkter Beobachtung, und mußte da immer zwischen Schin- ken und Semmel und Sauerbraten verächtlich zu- bringen, denn mein Vater pflegte auch sein Frühstück in die linke Rocktasche zu senken, und ich durfte nur so eben aus der Schlitze gucken. Ich sagte zu meinem Vater in jedem Nachtquartiere: Papa, die Tasche steht mir nicht mehr an, lassen Sie mich Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 8 neben Ihnen sitzen. Er aber gab mir dann jeder- zeit einen väterlichen Kuß und schlug mir meine Bitte ab, weil ich ihm, wie er sagte, außer der Tasche verloren gehen könne. Mein jugendlicher Frohsinn schwand in der Tasche, ich fühlte, daß ich mich selbst mündig sprechen müsse, und wartete auf die erste günstige Gelegenheit, diesen Entschluß auszuführen. In Thessalonich machten wir Halt und bezahl- ten unsern Hauderer. Der Hauderer erhielt gute Rückfracht, nämlich einen gefühlvollen, liberalen Russen mit seinen vier frisch angekauften circassischen Sclavinnen. Bei Thessalonich geht wie gesagt, schon das Türkische an. Mein Vater wollte dort ein Mittel gegen die Emancipation der Frauen ausfindig machen, und ich sollte Cadett bei den Janitscharen werden, sobald ich gehen und stehen könne. Wir hatten Empfehlungsbriefe nach der Türkei von Hannover mitgenommen. Indessen wendete das Schicksal Alles gar anders. Mein Vater (ich mag nicht immer das Beiwort: Sogenannt, hinzufügen, versteht sich also in Zukunft von selbst) ging viel spazieren, hauptsächlich um meinetwillen, um, so sagte er, mir früh Empfindung für die schöne Natur beizubringen, überlegte nur nicht, daß ich in der linken Rocktasche von der schönen Natur wenig zu sehen bekam und ihm daher in meiner Finsterniß auf das Wort glauben mußte, wenn er stillstehend, oder zwischen seinen Beinen durchguckend, in welcher Positur die Land- schaft immer am reizendsten aussieht, von der gött- lichen Aussicht, von der blauen duftigen Ferne und dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut schwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigstens in einen seiner Stiefeln stecken, wie die Samojeden ihre Kinder bei sich führen — er trug weite Schlapp- stiefeln mit seidenen Troddeln vorn — jedoch ver- gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner- träglich und ich weinte oft die linke Rocktasche ganz naß. Eines Tages saß mein Vater mit dem Rücken gegen einen Oelbaum gelehnt, sah die Sonne untergehen und war außer sich über ihren purpurnen Widerschein im Meerbusen von Thessalonich. Sonst pflegte er bei allem Enthusiasmus die Hände in der Tasche zu halten, so daß kein Entrinnen ge- 8* denkbar war. Diesesmal übermannte ihn aber seine Begeisterung, er schlug unter Interjectionen die Hände über dem Kopfe zusammen, und ich benutzte den Augenblick, um aus der Tasche zu schlüpfen. Da sah ich um mich, da athmete ich, da ward mir wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging, stolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte, während mein Vater seine Rede an Sonne und Meer fortsetzte. Ich war eben in der Furcht vor Schlägen auf dem Rückwege nach der Tasche — denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller Liebe sehr oft in der empfindlichsten Art — als das Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann, welche sich so lange fortsetzen und mir die eigen- thümlichsten Erfahrungen geben sollten. Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro- ßen, dunkeln Etwas überschattet, höre einen Lärmen, wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein rauhes Gefieder und zwei scharfe Krallen an meinem Leibe, sehe mich pfeilschnell erfaßt, in die Lüfte geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Entsetzen erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du bist in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer, deinem Vater so sauer gewordener Wurm! Warum, Unglücklicher, verließest du die Tasche? — Die Lage des Kindes war schaudervoll! Ueber mir der goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders, welches dem Geier seine Beute mißgönnt, tief, schwindlicht tief unten Land und Meer wechselnd als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier fliegt und fliegt; er ist ein Geier, der auf Reisen geht und sich seinen Mundproviant hat mitnehmen wollen. Das Ungeheuer schreit beständig: Pfy! Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver- zweiflung: O, wenn du Pfy! schreien kannst, so rufe doch zuerst über dich Pfy! aus, abscheulicher Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr als unredliche Handlungsweise! Nach der Natur- geschichte fällst du zuweilen ausnahmsweise Hirten- knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Hast du nicht selbst Kinder, Barbar? Jammert dich der Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen den Oelbaum gelehnt sitzt, vermuthlich noch immer die Sonne sinken sieht, und an den Sohn in der Tasche glaubt? Ich war, man sieht es hieraus, über meine Jahre gereift. Der Geier kehrte sich aber an meine Reden nicht, sondern flog und flog. Ein Blitz, ein Knall, ein Fall! Aus unermeß- licher Höhe stürze ich hinab; mir vergeht Hören und Sehen. Als ich von meiner Betäubung er- wache, liege ich weich gebettet, und ohne daß mich eines meiner Glieder schmerzt. Ich sehe mich auf dieser Lagerstätte um; sie ist ein Carbonaro-Mantel von blauem Tuch, ausgespannt zwischen zwei Ta- marisken. Ein langer, bleicher Mann steht neben den Bäumen, die abgeschossene Percussionsflinte in der Hand, der fürchterliche Geier liegt einige Schritte davon blutig am Boden, schlägt mit den Flügeln und zuckt und schnappt in letzten Zügen. Etwas weiterhin graset, abgezäumt, ein Reitpferd. I killed the vulture, sagte der großmüthige Britte nachdenklich, hob mich vom Carbonaroman- tel herunter, hielt mir seine Hand zum Kusse hin und fuhr gleichgültig fort: Yon shall stand in- debted for it all your life, Sir. Adieu. Er zäumte sein Pferd auf, schlug den Carbo- naro malerisch um die Schultern, bestieg den Klep- per und ritt fort. Um Gotteswillen, Mylord, habt Ihr mich darum gerettet, um mich in dieser Einöde dem Hunger, dem Durst, den wilden Thie- ren Preis zu geben? rief ich. Bei der Gnade des Himmels! nehmt mich auf der Kruppe Eures Pferdes mit. You would deprive me of my comfort, versetzte der großmüthige Engländer kalt und ritt wirklich fort, so daß ich ihn bald aus dem Gesichte verloren hatte. — Elender, sagte ich dumpf, ist dieses die Großmuth Albion’s? Du dachtest an dein Jagd- vergnügen und nicht an das gebildete Kind gebil- deter Eltern, an den sauer zubereiteten Wurm seines Vaters, als du schossest. Geh, falscher, heuchlerischer Britte, wir sind quitt! Bewaffne dich mit dem ganzen Stolze deines Englands, ich, ein deutscher Knabe, verwerfe dich! Durch diesen Monolog fühlte sich meine Seele erhoben und gekräftigt. Ich empfand zugleich, was ich meiner Ehre gegen den verruchten Geier schul- dig war, der noch immer schnappte und jappte, trat daher zu ihm und sagte: Ein anderesmal sehen Sie besser zu, wen Sie vor sich haben, Federvieh! Die Naturgeschichte erlaubt Ihnen, ausnahmsweise auf Hirtenknaben zu stoßen, nicht aber auf gebildete Kinder gebildeter Eltern. — Der Geier drehte seinen borstigen Schnabel matt nach mir um und verschied sodann, wie es mir vorkam, mit einiger Reue in den Augen. Ich betrachtete mir die Gegend. Nichts als Felsen und Klippen, eine über der andern, und in der Ferne noch höhere Kuppen! Flechten, Moose und Haiden bedeckten den Stein, Alpenröslein zeigten die rothen Kronen, wilder Lorbeer, Tama- risken, Johannisbrodstauden standen in leichten, dünnen, malerischen Gruppen umher. Ich war auf einer bedeutenden Höhe, denn die Luft zog scharf und kühl, allem Vermuthen nach auf einem der berühmten griechischen Berge, denn der Geier war mit mir südwestlich geflogen, aber auf welchem? Ich befand mich in der peinigendsten Ungewißheit über diesen Punct, weil ich einsah, daß es vor allen Dingen nöthig sei, mich örtlich zurecht zu finden, um den richtigen Weg nach Thessalonich und der linken Rocktasche einzuschlagen, die mir bei den schweren Erfahrungen, welche ich in so kurzer Zeit über Geier und Engländer gemacht hatte, schon jetzt wie ein verlorenes Paradies vorkam. Aber wie diese Kenntniß erlangen? Die Ge- gend schien so einsam, daß kein Thier, geschweige denn ein Mensch sich erblicken ließ. Ich wollte anfangs das Geschick befragen und an meinen Ja- ckenknöpfen abzählen, ob ich auf dem Oeta, Par- naß, Olymp, Pindus oder Helikon stehe? veewarf aber dieses Auskunftsmittel als zu kindisch und meiner nicht würdig. Das Dunkel nahte sich, die Kuppen der Berge wurden violett, Hunger und Durst begannen mich zu peinigen, und ich stand noch immer allein da droben, ich und der todte Geier die einzigen leben- den Wesen in jener Einöde! Mich fror in meiner leichten türkischen Janitscharencadettenuniform, die mir mein Vater schon hatte machen lassen! Sie bestand in weißen Pumphöschen, in einem auf europäische Art zugeschnittenen rothen Collet mit gelben Litzen und in dem Turban, der damals noch nicht abgeschafft war. Ein kleiner blecherner Säbel klirrte an meiner Seite und einen Schnurr- bart trug ich auch, vorläufig einen mit Kohle ge- zeichneten. Um wenigstens meinen Durst zu löschen — denn gegen den Hunger gab es da freilich nichts, als Stengel, Blätter und Alpenrosen — kroch ich zu einer Quelle, welche zwischen grünlichen Klippen hervorsprudelte und an diesem ihrem Ursprunge von einigen der schönsten Lorbeern überstanden war. Ich ahnete, daß es mit diesem Wasser eine eigene Bewandniß haben müsse, denn Gewalt und Klar- heit wohnten in ihm so nahe bei einander, daß es kein gewöhnlicher Spring seyn konnte. Zischend und schäumend drang der Strahl unter dem moo- sigen bekräuterten Steine an das Licht, als koche er, und einen Schritt weiter floß schon das klarste beryllgrünste Naß ohne Unruhe, Schaumblasen, Wirbel in seinem Rinnsaale. Ich bückte mich zur Quelle und netzte meine Lippen, aber wie wurde mir da! In meinen Ein- geweiden that es ein Grimmen, in meinem Blute ein Wallen, in meinen Gliedern ein Glühen, in meinem Herzen ein Klopfen, in meinem Haupte ein Schwärmen! Die wundersamsten Phantastereien begannen mir vor den Sinnen umherzugehen. Meine rothe Janitscharencadettenuniform kam mir vor wie das rothe Meer, meine weißen Pumphöschen leuchteten mir wie der Schnee der Alpen und mein kleiner blecherner Säbel gemahnte mich wie das Schwert des Alexander. Ich öffnete die Lippen, und sie sprachen unwillkührlich: Gesperret lange Zeit in eine Tasche, Selbstständigwerdenwollend ausgekrochen, Nahm in die Krallen dich der Gei’r, der rasche, Dem Albion’s Großmuth drauf den Hals gebrochen, Und als dir nun gesunken die Courage, Fühlst du in Grimmen, Glühen, Wallen, Pochen Dein Herz gelöset fluthen gleich der Thräne Des Stocks im Lenz, am Born der Hippokrene! Ja, ich hatte unversehens aus der Hippokrene getrunken und war sonach am Helikon! Mein Lippen öffneten sich abermals und scandirten un- willkührlich: Sauerbereiteter Wurm des gütigsten Vaters, Für die Cadettenanstalt des größesten Sultans Mit dem Säbel aus Blech bewaffneter Knabe, Streife das rothe Collet und die weißen battistnen Höschen vom Leibe dir ab und glänze in reiner Classischer Nacktheit! Wirklich warf ich Säbel, Collet, Turban, Pumphöschen, kurz Alles und Jedes ab, wälzte und kugelte mich wie toll umher, unwillkührlich, von dem Musenwasser getrieben. Schon hatten sich wieder neue Bilder in meine Seele und Weisen auf meine Lippen gedrängt; ich sang: Feinsliebchen, wenn du suchest mich, Trala! Du findest mich ganz sicherlich Sasa! Wie bei der Lamp’ ich sitz’ und mach’ Ein Liedchen für den Almanach! Feinsliebchen, weißt du, was das ist? Trala! Ein Büchlein voll von Jesuchrist Sasa! Und Blümelein und O! und Ach! Das ist der Musenalmanach! Ich hatte rasch den Entschluß gefaßt, einen Musenalmanach zu schreiben, ganz allein ich selbst; um mir mein Brod zu verdienen, denn — rief ich — Warum denn Andre brauchen und deren Instrumente? Ein rechter Virtuose spielt jedes Instrumente. Er bläs’t mit seinem Munde, dem Finger fünfe dienen, Das Lippenhauchgenährte, das Flöteninstrumente, Und streichet mit dem Bogen, geknüpft am Ellenbogen, Das Saitenstegbewehrte, das Geigeninstrumente, Derweil an seinen Schenkeln sich hellen Schalles stößet Das Kindern klingklangwerthe, das Beckeninstrumente, Und Klöpfel an den Knieen mit muth’ger Rührung rühren Das Kesselbauchbeschwerte, das Paukeninstrumente, Von seinem Haupte aber die Glöcklein schwingend bimmelt Das Roßschweif’ nie entbehrte, das Halbmondinstru- mente. So mit Gebläs’ und Streichen, mit Stoßen, Rühren, Bimmeln Sah ich, als sein der Meister fünf da der Instrumente, ’Nen Einz’gen jüngst noch spielen am Markt das mannichfalte Flöt-Geige-Becken-Pauken- und Halbmondinstru- mente. Damit war meine Begeisterung noch nicht er- schöpft. Formen und Verse, Weisen und Reime, Laiche, Stollen, Stanzen, Assonanzen, Dissonanzen, Decimen, Canzonen, Terzinen, Handwerksburschen- lieder, Sprichwörtlich, Africanisches, Madecassisches, an Personen, Gelegenheit, Denk- und Sendeblätter, Runenstäbe, Gepanzertes und Geharnischtes, Blät- ter und Blüthen, Schutt — alles Dieses und noch unendlich viel mehr entquoll meinen unermüdlich vom Wasser bewegten Lippen, so daß ich glaube; ich armes nacktes Kind habe da droben auf dem Helikon an jenem Abende in wenigstens sechs Dut- zenden der verschiedensten Arten und Weisen meine Kindlichkeit lyrisch ausgesprochen. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht todt geschrieen haben würde und ein lyrisches Opfer geworden wäre, hätte nicht das Schicksal, welches mich schon aus den Fängen des Geiers rettete, nunmehr mich auch von den Folgen jenes hippokrenischen Sauerbrunnens befreit. Auf einmal nämlich, als ich eben ansetzte, meine Empfindungen im Geiste eines enthaupteten Hottentotten auszuströmen, fühlte ich mich von allen Seiten angerannt, übergerannt, beschnoppert, be- leckt, befühlt, bestoßen, betrampelt. Zu Boden ge- worfen, sah ich nichts über mir und um mich als gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Gesichter. Eine Heerde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein znm Orte gekommen und übte an mir diese etwas stürmische Bewillkommung aus. Mein anfängli- cher Schreck dauerte indessen nur wenige Augen- blicke; ich erkannte sehr bald, daß ich gutmüthigen Wesen in die Pfoten gefallen war, die nur durch ihre Individualität bestimmt wurden, so unbequem ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers zu äußern. Das waren keine blutdürstige Läm- mergeier, es waren sanfte, milde Ziegen mit den besten Herzen. Sie riefen alle im Chore: Ach, der arme Kleine! der Verlassene! Da liegen seine Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt haben, wovon sie sich abgeschält haben, nun sieht er wie geschunden aus. Laßt uns seine Wunden lecken! der Jammervolle! Ich mußte im Stillen über diese unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine Janitscharencadettenuniform für einen abgestreiften Balg und meine heile, weiße Haut für geschunden ansahen, beschloß indessen Achtung vor dieser Volks- meinung zu haben und nicht übereilt mir durch Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen zu schaden. Indessen war ich doch bald genöthigt, Einspruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in ihrer wohlthätigen Absicht so eifrig an mir umher, daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte. Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen Ziege, welche mir die älteste und verständigste zu seyn schien, mit meinen kindlichen Händen, drückte es an mein Herz und sagte: Ehrwürdige Mutter, ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver- trauen Sie der Natur, und überlassen Sie ihr die Nachheilung meiner Ihrer Ansicht zu Folge wunden und geschundenen Haut! — Wirklich ließen die gut- müthigen Ziegen, sobald sie meinen Wunsch ver- nommen hatten, von ihrer Leckkur ab. Die Zicklein, welche bisher diese Scene der Barmherzigkeit mit possirlichen Mienen und Ge- bärden umstanden hatten, drängten sich jetzt, entsetzt seitwärts blickend, den Müttern so innig an, wie die jüngste der Niobiden dem Schooße, der sie doch nicht vor den schrecklichen Pfeilen zu bergen im Stande war. Sie schrieen meckernd: Der Geier! der böse Geier! und zitterten und bebten, als ob jener todte Bösewicht sie noch fressen könnte. An- fangs schauerten auch die Mütter bei seinem An- blicke zusammen, indessen faßten sie sich bald und beruhigten die Zicklein mit verständigem Meckern. O, rief eine der Ziegen, wie vielen Dank sind wir diesem armen kleinen Findlinge schuldig! Ohne ihn würden wir wahrscheinlich den Verlust eines von Euch, Ihr theuren Kinder, zu beweinen haben! Der Lämmergeier sah aber ihn und nahm ihn an Eurer Statt in die Lüfte! — Hier erwachte mein ganzer Stolz, und auf die Gefahr hin, es mit diesem Ziegenvolke auf der Schwelle unserer neuen Bekanntschaft zu verderben, sprach ich: Meine Damen, Sie sind im Irrthum. Daß jener Räuber mich für einen Hirtenknaben hielt, den er nach der Naturgeschichte ausnahmsweise zuweilen anfallen darf, war schon unverzeihlich von ihm, daß er mich aber gar für ein Ziegenlamm hätte halten sollen, dazu traue ich ihm denn doch zu viel Verstand zu. — Das Wundfieber phantasirt aus ihm, riefen alle Ziegen, er weiß nicht, was er spricht. — Meine Schwestern, hob die älteste der Ziegen an; uns dieses kleinen verlassenen Wesens anzunehmen er- fordert unsere Ziegenpflicht; um so mehr, da es ein Opfer für eines unserer Kinder geworden ist. Bringen wir denn es vor Allem unter Obdach, und späterhin wollen wir überlegen, was von uns für ihn geschehen kann! Die Heerde setzte sich in Bewegung, die Müt- ter voran, die Zicklein folgend. Die Mütter stießen mich mit ihren Köpfen vorwärts; ich weinte und schrie, daß ich erst meine Janitscharencadettenuni- form wieder anziehen wolle, denn die classische Nacktheit beginne mir frostig zu werden, davon aber wollten die Ziegen nichts wissen, sondern hielten es für eine neue Fieberphantasie, daß ich in jene kranken Hüllen kriechen wolle. Ich mußte mich daher fügen, klammerte mich zwischen zweien der Gesetztesten mit den Händen an deren Zottelpelzen an, und konnte so nothdürftig mit der Heerde mich fortbewegen. An Abgründen vorbei, auf rauhen Pfaden, über welche meine thierische Gesellschaft sicher ging, ge- langten wir zu einer großen Felsenhöhle, dem von der Natur gebildeten Stalle dieser wilden Ziegen. Räumlich und wohnlich war die Höhle, ein warmer Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 9 Hauch schlug aus der tiefen Wölbung meinem frierenden Körper wohlthuend entgegen, der Boden und die Seitenwände waren mit weichem Moose ausgepolstert, das ertastete ich, als wir hineingin- gen. Der süße, aromatische Duft des Thymians, welcher auf jenem Gebirge überall blüht, drang in die Höhle, kurz, dieser Aufenthaltsort konnte nicht tröstlicher gedacht werden, wenn man einmal von der linken Rocktasche seines Vaters verbannt seyn sollte. Die Ziegen streckten sich auf dem weichen Moose nieder und begannen ihr Wiederkäuungsgeschäft, die Zicklein legten sich ihnen an die Euter, und sogen, aber was wurde aus mir, dem Fremdlinge ohne Familienverbindungen in diesem Kreise? Traurig saß ich in einer Ecke auf meinem Moosklumpen, hungerte und durstete. Endlich ersuchte ich be- scheiden auch um einige Milchnahrung, wenn die Kinder des Hauses gesättigt seyn möchten. Glaubst du denn, rief die älteste der Ziegen, welche die Andern Sisi nannten, daß wir dich nicht längst auch zu unsern Nahrungsquellen herbeigelassen ha- ben würden, wenn wir nicht wüßten, daß dein Wundfieber jede Ueberladung des Magens tödtlich machen kann? — Ich bat sie bei den Häuptern ihrer hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich verschmachte sonst, worauf sich unter der Heerde eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zuläs- sigkeit oder Nichtzulässigkeit des Säugens in meinem Zustande ergab, welche in den Beschluß auslief, daß mir ein Weniges an Milch wohl verstattet werden möge. Froh über diese Entscheidung kroch ich zur barmherzigen Sisi und sog die ersehnte, heilsame Nahrung in mich. Als ich aber im besten Saugen war, wurde ich schon wieder abgestoßen, weil ein Mehreres, wie die um mich besorgten Zie- gen ängstlich ausriesen, mir sicherlich schaden würde. Ich war daher nur halbsatt geworden, indessen doch vor dem Hungertode nunmehr geschützt. Ueber meine Nachtruhe entstand darauf eine zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden drohte, denn die Ziegen waren gegen mich so liebevoll gesinnt, daß Jede mich in ihren Pfoten erwärmen und Keine mich der Andern gönnen wollte. Ich mußte voraussehen bei diesem Liebesfeuer die ganze Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher: Wohlthätige und rechtschaffene Ziegen, theilt Euch in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei Jeder von Euch eine halbe Stunde liegen! — Dieser Vorschlag 9* fand Beifall, zuerst nahm mich die alte Sisi in ihre Pfoten, dann die Riri, dann die Quiqui, dann die Nini, dann die Mimi, dann die Lili, dann die Pipi, dann die Fifi, dann die Bibi, dann die Didi, dann die Wiwi, dann die Kiki, endlich und zuletzt Morgens gegen vier Uhr die Zizi, die jüngste dieser meckernden Grazien. Denn diese Namen, alle in i endigend, führten die zwölf Ziegen, aus denen die Heerde bestand. Ich hatte sie durch ihre Gespräche zufällig erkundet. Was meine Nacht be- traf, so war sie freilich unruhig, denn ich hatte fast nichts zu thun, als mich niederzulegen und wieder aufzustehen, indessen erfror ich doch nicht. Wundert Ihr Euch, daß ich das Gemecker der Ziegen so bald verstehen lernte? Ihr hättet Euch eher darüber verwundern sollen, daß ich den Engländer verstehen konnte. Betrachtungen über mein sonderbares Schicksal raubten mir den wenigen Schlaf, den mir der Wechsel meiner zwölf Wohlthäterinnen allenfalls noch hätte verstatten mögen. So bist du denn, dachte ich, indem du deine Selbstständigkeit er- ringen wolltest, in die Klauen eines Usurpators und darauf nach kurzem lyrischem Taumel unter das Vieh gerathen, von welchem du nicht einmal für voll angesehen wirst. „Erlaube mir,“ rief hier der alte Baron, da Münchhausen einen Augenblick inne hielt, „diese hirnlosen Geschichten zu unterbrechen und mit dir von unserer Fabrik“ — Sogleich, versetzte Münchhausen, meine Erzäh- lung geht zu Ende. In den nächsten Tagen besuchte ich mit den helikonischen Ziegen und ihren Zicklein die Weide. Ich muß ihnen das Zeugniß ertheilen, daß sich die Ziegenmütter gegen mich immer gütig und liebevoll betrugen, und daß auch ihre Kinder nicht allzuarg mit mir umgingen, obschon diese freilich, muthwillig, wie die Jugend einmal ist, allerhand neckende Possen trieben, welche auf mich Bezug hatten, z. B. sich gegen mich bäumten, mir über den Kopf wegsprangen, nach mir stießen, und was dergleichen Schalksthorheiten mehr waren, die ich als gebildetes Kind gebildeter Eltern nur verachten konnte. Du bist unter Ziegen, sagte ich zu mir selbst, wenn der Grimm in mir überwallen wollte, vergiß das nie, kleiner Münchhausen, du sauer zu- bereiteter Wurm deines Vaters. Ich fühlte, daß ich mich dem Zustande, in den mich nun einmal die Fänge des Geiers und die Kugel des groß- müthigen Engländers geworfen hatten, anbequemen müsse, versuchte also zuvörderst auf allen Vieren zu laufen, da ich ohnehin auf meinen beiden kleinen menschlichen Füßen noch nicht recht fortkommen konnte, und bestrebte mich außerdem, auf jene bäumenden, springenden, stoßenden Scherze einzu- gehen, freilich nicht ahnend, wohin dieses Anbe- quemungssystem führen sollte. Wenn die gütigen und liebevollen Ziegenmütter sich nur nicht von vorgefaßten Ideen so sehr hätten leiten lassen! Aber es war meinen Bitten unmög- lich, sie zu bewegen, daß sie mir meine Janitscha- rencadettenuniform zukommen ließen; sie blieben steif und fest dabei, daß dieses Collet, diese Hosen, dieser Turban Ueberbleibsel krankhafter Häutungen seien. Nackt war ich also, und nackt blieb ich, so daß mich in den ersten Tagen meines ziegenhaften Lebens entsetzlich fror, bis die Haut eine Gegen- wirkung zu entwickeln begann, welche den erkälten- den Einfluß der Luft allgemach aufhob. Auch von der Milch bekam ich immer nur halbe Portionen aus Sorge um mein angebliches Wundfieber. Oft knurrten meine Eingeweide vor Hunger. Bei allem dem war ich der Liebling der ganzen Heerde und sämmtliche zwölf Ziegen auf i nannten mich nur ihren herzigen Jungen. Ich hatte meine Verwun- derung darüber, so viel Menschliches unter dem Volke zu finden, welches doch, wie ich aus allen Reden und Aeußerungen, die ich hörte, abnahm, in einer völligen Einsamkeit und Absonderung von der übrigen Welt auf diesen helikonischen Höhen erwachsen war, und gegen die Menschen, von denen es nur durch Hörensagen wußte, eine so tiefe Verachtung hegte, wie die tugendhaften Houyhnhnms des Dechanten Jonathan Swift gegen die sünd- lichen Yahoos. Das Leben einer Ziege, insonderheit einer wil- den, hat sonst viel Schönes. Der erste Frühstrahl drang golden, wie ihn die Ebene nicht kennt, in unsere Höhle und beleuchtete ihre moosigen Klüfte, vor denen nach dem Tage zu leichte Geflechte wil- den Weines und bunter Winden hingen. Rothe Lichter und farbige Schatten umspielten die Heerde, die umher an den Steinen und Mooswülsten noch lag und schlummerte, bald aber sich erhob und die Glieder dehnend in den Morgenwind hinausschritt, der die Waldreben und Winden säuselnd bewegte. Wie herrlich glänzte dann der hohe Gebirgsrücken mit seinen tausend Zacken und Klippen vor uns, wie nagte geschäftig der scharfe Zahn an den wür- zigen Kräutern, die ihn bedeckten, wie leckmäulerig wurde, wenn diese Kost genossen war, emporstrebend die aromatische Rinde der Stauden und Bäume abgeschält, wie labte nach solcher Speise die süße Kühle der göttlichen Quelle! Die Lüfte wehten erquicklich und labend über diese Gipfel hin. Sie waren mit keinem Dunste der Ebene befrachtet und erzählten die Sagen der alten schönen Götterwelt. Tief drunten in weiter Ferne lagen die Städte der Menschen mit dem gemeinen Wuste ihres Wesens; zu diesen seligen Höhen drang der Schrei des Be- dürfnisses nicht und nicht der Seufzer der Sorge. Bisweilen erklang aus dem Gestein, umsproßt von wilden Rosen und Feigen, der melodische Schall der Steindrossel oder tönte aus den Haiden und Thymusbüschen der goldene Laut der Cicade. Alles klang hier voller, reiner, unschuldiger in der Nähe des Bornes, den der Huf des heiligen Rosses aufriß, denn Alles hatte aus ihm getrunken; selbst die Gräser, Blumen, Büsche, Bäume, welche das schäumende und doch so ruhige Naß benetzte, oder auch nur mit seinem feinem Dufte erreichte, stan- den stolzer und vornehmer da, als die Gewächse der Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und Kronen rührte, beschrieben die Stengel und Zweige schöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften. So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt und selbst im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen etwa einmal Eines gegen das Andere sich vergaß, adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi- gramme um; dieses war, was die Nähe bot, die Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli- chen Häupter des Pindus, Parnassus und Kithäron. Mittags rasteten wir gewöhnlich auf einer son- nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen zu einem kurzen, aber traulichen Besuche. Sie be- wohnten eine andere Felsengrotte an der entgegen- gesetzten Seite des Berges und führten eine abge- sonderte Wirthschaft, denn zwischen beiden Geschlech- tern bestanden hier die edelsten und keuschesten Verhältnisse. Dann begannen die gymnischen Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern Zustande gemeiner zahmer Ziegen die herabwürdigende Bezeichnung von Bockssprüngen zukommen kann. Hier war in diesen Spielen feurige Kraft und die Blume der komischen Grazie zu schauen. Rings im Kreise gelagert freuten sich die sanften Mütter und die ernsten, ehrwürdigen, bebarteten Väter der herrlichen überquellenden Lust und dachten ihrer einstigen Zeit. Meldete sich nun wieder der Gläu- biger unter dem Zwerchfell, der nie die Schuld ein- zufordern vergißt, d. h. wollten die Ziegen und ihre Gatten noch etwas fressen, so schied man mit herzlichem Gruße und dem frohen, getrosten Worte: Auf Wiedersehen! Beide Geschlechter gingen zu ihren Weideplätzen, und nun wurde noch ein leich- tes Vesperfutter abgerupft. Wenn aber die däm- mernde Eos mit Rosenfingern herabsank, und der Abendthau den classischen Boden zu netzen be- gann, schritten wir lieblich meckernd heimwärts, erreichten vor der völligen Finsterniß die bergende Höhle und streckten uns saugend oder wiederkäuend in ihrer behaglichen Wärme auf dem sammetnen Moose aus. Bald goß ein leichter, träumeloser Schlummer seinen Balsam auf uns nieder, machte unserem Saugen und Wiederkäuen ein Ende. Ich sage: Wir, ich sage: Uns, ich sage: Unserem. Mit mir war nämlich eine wunderbare Veränderung vorgegangen. Ich lernte von Tage zu Tage flinker auf allen Vieren laufen, ich nahm an den gymni- schen Spielen der Jugend, bei welchen ich mich anfangs höchst ungeschickt betragen hatte, allgemach immer dreister Theil und rannte eines Tages er- hobenen Leibes, Kopf gegen Kopf mit einem Böcklein, welches mich zu diesem Stoßkampfe herausgefordert hatte, so tapfer zusammen, daß das Böcklein stürzte, ich aber stehen blieb, worüber alle Ziegen und ihre Gatten ein herzlich meckerndes Gelächter aufschlu- gen. Ich hatte, da mir die Milchnahrung nicht genügte, mich an das Nagen von Gräsern und Knabbern von Baumrinde gegeben, zuerst den hef- tigsten Widerwillen gegen diese Speise verspürt, allmählig aber ihn schwinden sehen und gefunden, oder zu finden gewähnt, daß Gras wie grüner Kohl und Rinde wie Krautsallat schmecke — alles Das war in mir vorgegangen, aber ich hatte dessen nicht geachtet, weil ich nicht über mich nachdachte. Ein unvorhergesehener Vorfall entzündete endlich in mir die Fackel der Selbsterkenntniß und lehrte mich meinen umgestalteten Zustand verstehen. Eines Abends liege ich in der Höhle neben der Ziege Quiqui. Die Zicklein sind von den Eutern abgegangen und schlafen schon, die Mütter käuen wieder und unterhalten sich von Freiheit und Noth- wendigkeit. Ich schlafe noch nicht. Es geht mir etwas im Kopfe umher, was ich nicht zu nennen weiß, es ist ein formloses Etwas, was sich nach und nach durch die Kehle in die unteren Regionen hinabsenkt und dort ein losgebundenes Leben für sich anfängt. Meine Kinnbacken beginnen sich kreuz und quer übereinander zu schieben, und ein sonder- bares Nach-Schroten ohne Gegenstand auszuführen; bald ergreift die angrenzenden und dann die unteren Theile die Mitleidenschaft, mir wird sehr übel, Dinge, die ich für immer abgethan glaubte, steigen in mir auf, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, ich befürchte, einen gefährlichen Magenkrampf zu haben, ich ächze, ich stöhne. Theilnehmend rutscht die Quiqui herzu und fragt, was mir fehle? So gut ich unter dem unaufhaltsamen Schieben und Schro- ten der Kinnbacken es vermag, schildere ich ihr den Zustand; und wer beschreibt meinen Schreck, als die sanfte Quiqui, Thränen vergießend und mich zärtlich an sich drückend, ausruft: Heil dir und Segen, herziger Junge! Du bist nun ganz der Unsere, du käust wieder! — Ihr Götter! rufe ich (denn auf dem Helikon spricht man nur mytholo- gisch) was ist aus mir geworden? Ich habe aber nicht Zeit, diese Ausrufungen fortzusetzen, denn alle eilf andern Ziegen, welche den Freudenschrei der Quiqui vernommen haben, drängen sich um mich, und sind wie außer sich, die Lili leckt mich, die Pipi neckt mich, die Riri schmiegt sich an, die Fifi riecht mich an, die Titi will mich küssen, die Wiwi hätte vor Liebe mich fast gebissen, Bibi, Didi, Kiki scherzen, Mimi, Nini herzen; von dem Jubel erwachen die Zicklein und Böcklein, hören halb schlaftrunken, was vorfiel, und nun erbrauset erst der rechte ba- chische Taumel. Das springt, bockt, bäumt, stößt, rennt um mich her, das schüttelt sich, rüttelt sich, tänzelt, schwänzelt, hänselt, daß keine Phantasie, und wäre sie die kühnste und leichtfertigste, diese tolle Scene, be- leuchtet von einem zweifelhaften Mondschein, sich vor- zustellen vermöchte. Nur die ehrwürdige Sisi behielt einigermaßen ihre Fassung, legte, als sie durch das Gewirre zu mir dringen konnte, ihre mütterliche Pfote segnend auf mein Haupt und sprach: Mögen dich Pan und alle Faunen beschützen, du junger Geretteter! Endlich legt sich der Sturm und Alles lagert sich wieder zum Schlummer. Ich aber liege, halb todt von allen den Pfoten, Schnauzen, Köpfen, Bäuchen, die mir Liebe hatten erzeigen wollen. Der Schreck war freilich das Meiste gewesen, denn keines der gutmüthigen Thiere hatte mir wehe gethan, sie hatten sich vor jeglicher Rohheit zu hüten gewußt. Nur das Schieben und Schroten der Kinnbacken wollte nicht wieder geläufig in Gang kommen, dieser ganze Hergang war durch die Heftigkeit der Neigungen, die ich erdulden müssen, gehemmt wor- den, ich empfand einige Störungen im Verdauungs- geschäfte. Aber wie wenig bedeuteten diese Unbequemlich- keiten gegen den Seelenschmerz und die geistige Unruhe, die ich in jener Nacht durchzudulden hatte! Ist es möglich, daß du unter Ziegen auf- gehört haben solltest, ein Mensch zu seyn? sprach ich zu mir selber. — Warum hast du dich gehen lassen, warum deine angeborene Würde nicht im Auge behalten, nicht treu und fest im Auge behal- ten die schreckliche Gefahr herabziehenden Umgangs und erschlaffender Gewohnheit? Noch zitterte in mir ein schwacher Strahl der Hoffnung, daß Alles nur Täuschung seyn möge. Ungeduldig wachte ich dem Tage entgegen, der mir Gewißheit bringen mußte, wenn auch vielleicht eine schreckliche. Bei dem ersten Schimmer der Morgenröthe schlüpfte ich, während die Heerde noch ruhte, aus der Höhle, rief: Bedenke, daß du Mensch bist! und wollte auf- recht einherschreiten, aber, o Ihr Himmlischen, es ging damit nicht; ich war genöthigt, auf allen Vieren zu laufen, auf allen Vieren zur Quelle Hippokrene, welche mir die Wahrheit zeigen sollte. Ueber ihren klaren und göttlichen Spiegel ge- beugt, sah ich nunmehr, daß alle schwarzen Ahnun- gen Recht hatten, daß das Entsetzliche geschehen war. Ich sah aus ihrer Fluth einen mit zottigem Vließ bedeckten Leib mir abschreckend entgegenstarren, dünn und knöchern gewordene Gliedmaaßen, die, als ob sie Schaam empfänden, sich in Fell hüllten, ich sah spitz und steifgewordene Ohren und ach! jene von meinem Umgange mit der Heerde mir so bekannte Physiognomie, in welcher der Mund sich zum breiten Maule verzogen, die Nase die lächerliche Streckung nach vorn angenommen hatte, die Augen aber, erschreckt von diesen Verwandlungen, nach den Seitenbeinen des Schädels auseinander gewichen waren; mit einem Worte, denn wozu so viele? Im Spiegel der Poesie sah ich mich als jungen, wenigstens werdenden Bock. Dahin also ist es gekommen! rief ich, und suchte zu verzweifeln. Bist du’ darum deinem Vater so sauer geworden, darum aus seiner Tasche gekrochen, um als Gehörnter und Beschweifter zu enden? — Denn die Musenquelle hatte mir außer Allem, was ich beschrieben, auch an Stirn und Rückgrat Keime gewiesen, welche mit den Jahren, wenn das Wetter günstig war, zu Horn und Schweif erblühen konnten. Ich war sehr angegriffen und bedurfte der Stär- kung, oder that es die Nüchternheit des Morgens? genug, ich mußte fressen, und schälte einen der Lorbeerbäume über der Hippokrene ab. Die bitter- lich-herbe Rinde bekam mir wohl. Ich suchte jetzt abermals zu verzweifeln, oder, da dieses nicht ge- lingen wollte, mindestens mein Loos zu bejammern. Auch das glückte nur zum Theil. Wie verstehe ich das? fragte ich mich. Du hast deine Menschheit zum größeren Theile eingebüßt und kannst keine Verzweiflung, ja nicht einmal einen recht tüchtigen Jammer zu Wege bringen? Da machte ich eine Entdeckung in meinem In- neren, die noch schlimmer war, als die äußeren Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich scharf prüfte, daß ich den Verlust meiner Humanität eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach vorn gestreckten Nase, den seitwärts abgewichenen Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück- grat wohl zufrieden sei. Meine Seele war, das empfand ich, auch bereits in der Verbockung be- griffen. — O Menschen! Menschen! Menschen! nehmt an dieser Thatsache ein warnendes Beispiel. Wahr- lich, das Thier kommt rasch genug in Euch zum Vorschein, wenn Ihr nicht unablässig auf Euch achtet. Ich graste und hing Betrachtungen dieser tief- sinnigen Art nach, als die Ankunft der Heerde mich in denselben störte. Die guten Ziegen waren schon besorgt um mich gewesen und zeigten, als sie mich bei der Hippokrene denkend und grasend fanden, die unverstellteste Freude, so daß nicht viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf- Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 10 tritte gefehlt haben würde, wenn ich nicht Rüh- rung und Erschütterung über mein neues Glück vorgeschützt und sie ersucht hätte, meine durch das Wiederkäuen etwas angegriffene Gesundheit zu schonen. Ja, er bedarf der Ruhe, riefen die edeln Ziegen und entfernten ihre Pfoten und Mäuler von mir. Der Platz an der Hippokrene wurde für heute zur Weidestelle ersehen, und ich hörte sie lange, während sie fraßen, in erhöhter Stimmung und in einem sogenannten schönen Style mein Glück preisen, daß ich endlich vernünftig und einer der Ihrigen geworden sei. So geht denn also durch das ganze Reich der Wesen derjenige Zug, von welchem ich glaubte, daß er nur meinen ehemaligen Cameraden, den Menschen, angehöre! dachte ich bei diesen Gesprä- chen. — Erst wenn sie Jemand zu sich herunterge- zogen und ihn in seiner besten Eigenart vernichtet haben, glauben sie, daß er vernünftig geworden sei, und einer der Ihrigen zu heißen verdiene. So zerklopft der Wegewärter an der Chaussee die großen Steine und pflastert dann mit den kleinen Bröckelchen die gemeine Heerstraße des täglichen Verkehrs zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen, mit- unter auch zu Esel. „Erlaube mir,“ rief der alte Baron hier aber- mals dazwischen, „diese hirnlosen Geschichten nun- mehr zu unterbrechen, und laß uns von unserer Fabrik“ — Sogleich, versetzte Münchhausen. Meine Er- zählung dauert kaum noch eine Viertelstunde. Ich war nun gleichsam Hahn im Korbe bei den guten und edlen Ziegen am Helikon. Sie liebten mich fast mehr, als ihre eigenen Kinder; natür- lich, ich war ja das Kind ihrer Wahl und hatte für sie außerdem das besondere Interesse, daß noch einige Reste der Menschheit in mir staken, welche ihre fernere Erziehung ebenfalls auszutilgen berufen schien und hoffen durfte. Sie bildeten nnd besser- ten unaufhörlich an mir, d. h. sie leckten und putz- ten mich beständig, um den vollkommenen Bock aus mir herauszulecken und zu putzen, und jedes Fünk- chen widerstrebender Menschheit mir abzulecken. Ich mußte mir das gefallen lassen, obgleich ich es gern gesehen hätte, ein Stückchen Mensch zu blei- 10* ben, der möglichen Fälle halber, in welchen ein zweites Metier von großem Nutzen seyn kann. Auch meine Sprache war ihnen noch nicht academisch genug; sie meinten, es sei nicht das reine tosca- nische Meckern. Ich muß hier einschalten, daß ich mich deßhalb so rasch mit meinen Wohlthäterinnen hatte verständigen können, weil meine erste Kind- heit mir theilweise unter deutschen Kanzelrednern hingegangen war, und ich daher nur bekannte Töne hörte, als ich zu den Ziegen kam, nur bekannte Töne im Gespräch mit ihnen zu wiederholen brauchte. Indessen, wie gesagt, mein Meckern sollte doch noch nicht ganz rein seyn, es mochte wohl noch in etwa den Kanzelredner verrathen. Die gelehrte Ziege Pipi gab sich daher an das Werk und unterwies mich im Meckern nach den Regeln der Grammatik. Ich lernte rasch und fand, daß das Ziegen-Idiom einen großen Reichthum an eigenthümlichen Wen- dungen für unklare Vorstellungen habe, weßhalb es manchen Zeiten zu empfehlen seyn dürfte, um darin die Geschäfte des öffentlichen Lebens abzuhandeln. Tage kamen und Tage gingen, daraus wurden Wochen und aus den Wochen stellten sich Monate zusammen, ohne daß unser idyllisches Leben auf dem Helikon irgend eine bedeutende Störung er- litten hätte, außer daß wir Zicklein mitunter von den Müttern zu sehr allein gelassen wurden und in einer dieser Verlassenheiten zwei junge Böcke einbüßten, welche, den Ersten ein Steinadler, den Andern ein Goldadler auffraß. Unser Gefühl wurde von diesen Verlusten schmerzlich berührt, obschon die Ziegen Fifi und Riri durch glückliche Entbindungen für den Ersatz sorgten. Jenes nicht selten vorkommende Alleinseyn und die Einbuße der beiden Bocklein machte die Reste der Mensch- heit in mir nachdenken. Ich fragte, wenn wir so uns selbst überlassen umherirrten, kein gutes Futter finden konnten, oder uns durch unüberlegte Sprünge die Füße verstauchten, oder auch wohl vom richti- gen Pfade gänzlich abgekommen waren, wo denn die Mütter seien? und erhielt zur Antwort, daß sie ihre Sitzungen hielten. Fragte ich nun weiter, aus was Grund und zu was Ende diese Sitzungen stattfänden? so erwiederten mir meine Altersgenossen, es seien die Sitzungen des Wohlthätigkeitsvereins. Freilich blieb ich durch solche Antworten so klug als vorher; ich schärfte indessen das Auge der Be- obachtung und kam auch binnen Kurzem der Sache auf den Grund. Leider entdeckten da meine For- schungen gewisse Schattenseiten an dem sonst so liebenswürdigen und vollkommenen Zustande der helikonischen Ziegenheerde. Die wohlthätigen und rechtschaffenen Mütter hatten nämlich einen Verein „zur Linderung des Elendes leidender Naturwesen“ gestiftet. Dieser Verein war aus den Trümmern eines früheren, untergegangenen entstanden, welcher auf die Ver- feinerung ihrer Pelze abgezielt hatte. Ein reisen- der Waldesel war nämlich einstmals über den He- likon gekommen, hatte aus der Hippokrene gesoffen und darauf von dem wundervollen Gespinnste der Tübetziege phantasirt, aus welchem in Kaschmir die herrlichen und kostbaren Shals gewebt werden. Der phantasirende Esel hatte weder Tübetziegen noch Kaschmirshals selbst gesehen, sondern im Walde einen armenischen Kaufmann davon reden hören, der zwar mit den Shals bekannt war, die Ziegen aber auch nie in Augenschein genommen hatte, sondern nur von seinem verstorbenen Bruder gehört haben wollte, es gebe dergleichen. Die Phantasie des Esels entzündete aber die Phantasie der Müt- ter und befruchtete ihren Geist mit dem Ideale einer Tübetischen Hochgebirgsziege. Dieses ferne hohe Bild brachte in ihnen den Trieb der Nach- eiferung hervor, ihre Pelze dünkten ihnen seit dem Tage roh und gemein, sie verbanden sich, durch ein Leben im höheren Sinne des Worts ihre Wolle zu verfeinern und es wo möglich bis zu Kaschmir- wolle zu bringen, denn der Pelz ist einer Ziege das, was schönen Seelen ihr Gemüth ist. Das Leben im höheren Sinne des Worts konnte aber nur dadurch in das Werk gerichtet werden, daß sie alle Gemeinschaft mit ihren Gatten abbrachen und die Milch bei sich behielten. Diese Schritte bedrohten nun die ganze Heerde mit dem Untergange, und als die Seufzer der Gatten und das Wimmern der Zicklein ihnen die Gefahr ein- leuchtend gemacht hatten, so mußten sich die hoch- herzigen Ziegen entschließen, dem schönen Unter- nehmen zu entsagen; schmerzlich ergriffen, denn wie es ihnen vorkam, war während der wenigen Tage, wa Gatten und Kinder darbten, ihr Pelz schon merklich feiner geworden. Aus diesem Wolleverbesserungsvereine war der Verein zur Linderung des Elendes leidender Na- turwesen hervorgegangen, weil das höhere Selbst der helikonischen Ziegen Befriedigung wollte und für die Einbuße Ersatz heischte. Der neue Verein bekümmerte sich um jedes Unglück und half allen Insecten, Vögeln und kleinen Säugethieren, die in Noth staken. Er hielt wöchentlich seine regel- mäßigen Sitzungen; ich habe mehreren derselben beigewohnt, da man mich als Böcklein von guten Anlagen für würdig hielt, so edle und gemein- nützige Thathandlungen kennen zu lernen. Die Ziegen pflegten an einer beschatteten Stelle des Berges im Kreise umherzuliegen und wiederzu- käuen; die verständige tugendhafte Sisi aber, welche auf einem erhöhten Steine in der Mitte des Krei- ses ruhte, führte in diesen Conferenzen das Prä- sidium. Während des Wiederkäuens wurden denn nun Nothfälle der verschiedensten Art in barmher- zige Erwägung gezogen, als z. B. wie einer Hum- mel zu helfen sei, welche die Ziege Riri hatte in das Wasser fallen sehen? ob man nicht einer er- lahmten und erstummten Grille eine Art Hackbrett- lein aus Blättchen und Dörnchen zurichten lassen könne, um ihr die Ausübung ihrer Kunst für die Zukunft wenigstens einigermaßen möglich zu machen? oder in welcher Art einer in ihrem Loche darbenden Maus Futter für sich und ihre Jungen geschafft werden möge, von der die Ziegen wußten, daß sie ohne Verschulden in solche Nahrungslosigkeit gerathen war, und was dergleichen wohlthätige Maaßnahmen mehr waren, welche den helikonischen Ziegen und ihrem Vereine einen fast göttlichen Namen bei allem nothleidenden Geschmeiße zu Wege gebracht hatten. Ich sage: Bei dem Geschmeiße, denn was die edleren Geschöpfe betrifft, so wollten diese von dem Ver- eine und seinen Thaten nichts wissen. Die Stein- drossel hörte auf zu singen, wenn die Ziegen in der Nähe ihres Busches rathzuschlagen begannen, eine weiße Hinde, welche zuweilen Besucheshalber auf den Berg kam, wies, als die Ziegen ihr den Antrag machten, in den Wohlthätigkeitsverein zu treten, statt aller Antwort nur den stolzen Rücken, und die Lorbeerbäume, unter welchen die Sitzungen vor sich gingen, habe ich oft die Kronen hochmüthig schütteln sehen, wenn die Reden der Ziegen im tönendsten Schwunge und ergiebigsten Flusse waren. Ja, einer jener geweihten Bäume mußte die Nähe der barmherzigen Ziegen selbst körperlich nicht ver- tragen können. Er bekam ein krankes Ansehen und ging endlich ganz aus. Auch erreichten die Mütter nicht in allen Fäl- len ihre tugendhaften Zwecke. Es war streng ver- boten, daß von irgend einer Ziege privatim, ohne Aufsehen, aus dem Stegreife, wie sie sie fand, Noth gelindert werden durfte; nein, alle Wohl- thätigkeit sollte seit der Stiftung des Vereins im Geschäftswege verwaltet werden, und die Einzel- ziege war streng angewiesen, dem leidenden Wesen, welches sie traf, vorüberzugehen und über den Fund nur dem Vereine zu berichten. Auf diese Weise wollten die helikonischen Mütter die gemeine, instinctartige Milde ausrotten und an deren Statt die höhere, selbstbewußte, die administrirende Milde pflanzen. Da es nun aber immer mit einiger Weit- läuftigkeit verknüpft war, eine Sitzung zu Stande zu bringen, die Sitzungen selbst jedoch das Weit- läuftigste bei der ganzen Sache wurden, indem die Ziegen meckernd und wieder-meckernd gleichsam außer ihrem Futter auch die Barmherzigkeit wie- derkäuten, so kam oft alle Hülfe zu spät. Die Hummel, welcher ein auf der Stelle zugeworfenes Blatt das Leben gerettet hätte, war während der Reden über die Pflicht, sie zu retten, untergegan- gen, und die Maus, der die vorübergehende Einzel- ziege ein Paar Körner hätte zuscharren können, bis es zum Gesammtwirken für sie kam, Hungers gestorben. Mitunter war etwas unternommen worden, was gegen die Natur anging. So konnte fast keine der lahmen Grillen mit den Kunsthackbrettchen fer- tig werden. Am schlimmsten waren, wie ich schon angedeutet habe, die langen und weitläuftigen Sit- zungen des helikonischen Ziegenvereins für uns Zicklein und Böcklein. Wenn wir während dersel- ben ohne Weg und Steg und oft ohne Futter umherliefen, wenn Gefahren und Raubthiere uns außer Acht Gelassenen drohten, da konnten wir armen Schluckerchen nicht selten unsere bitteren Thränen darüber vergießen, daß die Mütter an ertrinkende Hummeln, lahme Grillen und hungernde Mäuse dachten und uns vergaßen. Indessen waren solche Thränen und jene Mißglückungen im Ganzen unwichtig. Die Helikonierinnen lernten sich durch den Verein in ihrer Vortrefflichkeit immer mehr fühlen und an ihrer eigenen Tugend begeistern, und darauf kam es doch hauptsächlich vor Allem an. Ich habe lange nicht gewußt, auf was Art diese Stimmung, welche die eigene Familie um Geschmeiß hin und wieder vernachlässigen lehrte, und eine schlichte und unscheinbare Barmherzigkeit zu einem glänzenden Geschäfte aufzublasen antrieb, bei den Helikonierinnen entstanden war. Endlich konnte ich mir das Räthsel erklären. Die heliko- nische Heerde soff nämlich, wie wir wissen, aus der Hippokrene. Diese Quelle wirkt nun bei Allen, welche sie trinken, die gewaltigsten Dinge, jedoch nur bei den durch das Schicksal dazu Vor- bestimmten jenen reizenden Wahnsinn, den wir kennen, bei Vielen dagegen versetzt sich das Wasser und schafft entweder die abscheulichsten Würfel- reime, wie bei mir der Fall war, so oft ich trank, oder einen so zu sagen erhitzten und geschwollenen Zustand im Handeln und Empfinden, den man die blühende Prosa des Lebens nennen könnte. Die helikonischen Ziegen gehörten nicht in die Reihe der zum reizenden Wahnsinn Vorbestimmten. Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö- thigen Tugenden und überflüssigen Wohlthätigkeiten. Ihr Zustand war blühende Prosa. Dieser Zustand rührte von versetzter Hippokrene her. Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr unter Menschen kam, und ihre geschmacklosen Herr- lichkeiten, ihre Aufspannungen für und um das Erbärmliche kennen lernte, still für mich ausrufen: Versetzte Hippokrene! — Wo diese mit der blühen- den Prosa in ihrem Gefolge auftritt, da stirbt das melodische Getön der Steindrossel, da weiset die stolze weiße Hinde vornehm den Rücken, da schüttelt der Lorbeer zornig die Krone, oder geht aus. Auch die Gatten der Ziegen soffen für ge- wöhnlich aus der Hippokrene und wollten hinter den Gattinnen nicht zurückbleiben. Sie gehörten ebenfalls nicht in die Reihe der zum reizenden Wahnsinn Vorbestimmten, was mir gewiß Jeder, der einmal einen solchen Gatten gesehen hat, auf mein Wort glaubt. Da nun die Gattinnen ihnen schon das Elend des Geschmeißes weggenommen hatten, so waren sie auf dessen Laster beschränkt und stifteten unter sich einen Verein „zur Rettung sittlich verwahrloseter Naturwesen.“ Der Zweck desselben war, durch moralische Einwirkung, durch tugendhafte Anrede und herzliche Aufmunterung zum Guten alle die Thierlein, welche ihrer Natur nach stechen, beißen, kratzen, stehlen, oder sich von schmutzigen Dingen nähren, zu einem unschädlicheren und reineren Leben anzuführen. Nach der Absicht der Stifter sollte, wenn der Verein wirklich durch- griffe, die Mücke ihrem Stachel und der Floh seinem Blutdurst entsagen lernen, die Elster auf den Diebstahl verzichten, Würmer und Maden aber von Unrath und Aas sich entwöhnen. Da ich mich allein bei den Ziegen aufhielt, so kann ich nicht sagen, wie weit der Besserungsverein mit seiner Thätigkeit gediehen war, als ich auf den Helikon kam. Ich weiß nur, daß allerhand Geziefer auch auf diesem heiligen Berge stach, biß, kratzte, stahl und Unaussprechbares fraß, weiß aber nicht, ob es gebessertes oder ungebessertes war. Einer einzigen Versittlichungsgeschichte Augen- und Ohrenzeuge bin ich geworden, von ihr will ich be- richten, muß ich sogar berichten, da sich eine Ka- tastrophe mit ihr verband, welche zu weiteren Schicksalen Münchhausen’s des Kindes, damals Böckchens, führte. Die vereinigten Böcke … oder vielmehr die sittlichen Gatten der wohlthätigen Ziegen waren an dem Tage, der meiner Auffindung folgte, an den Ort gekommen, wo der großmüthige Engländer sein Pferd hatte grasen lassen und der todte Lämmer- geier lag. Wo das Pferd gestanden, fanden sie einen Käfer mit schwarz-glänzenden Flügeldecken, einen der Art, welche bei Aristophanes die Knechte des Trygäos dem Herrn für den Ritt zu Zeus auffüttern, und die Deutschen Mistkäfer nennen. An dem Halse des Geiers aber bemerkten sie die stahlblaue Fliege, Schmeißfliege geheißen. — Ich will, Bruder Schnuck, ungeachtet deine göttliche Tochter nicht zugegen ist, dennoch den Käfer aus Rücksicht auf deine Delicatesse nur das Roß des Trygäos und die Fliege die blaue Schwärmerin nennen, sagte Münchhausen, vom Manuscripte auf- sehend. „Erlaube“ — rief der alte Baron fast wüthend. Erlaube mir , sagte Münchhausen, dir die Ge- schichte von dem Käfer und der Fliege vorzutragen. — Dreht sich Einem nicht das reine Herz im Leibe um, rief einer der Gatten, zwei Mitwesen in solcher Niedertracht zu sehen? O Brüder, laßt uns hier helfend einschreiten, laßt uns diesen Ge- fallenen die rettende Klaue reichen, entwöhnen wir den Käfer von seinen üblen Neigungen, die Fliege von der Leidenschaft, selbst die ungeborene Zukunft ihres Stammes einem verdorbenen Elemente ein- zupflanzen, machen wir Käfer und Fliege zu an- ständigen Leuten, die in der guten Gesellschaft fortkommen können! Allgemeiner Beifall folgte dieser Rede. Ein- stimmig beschloß man, das Roß des Trygäos und die blaue Schwärmerin sollten sittlich und anstän- dig werden, sie möchten wollen oder nicht. Vor- sichtig scharrte der Redner, der Ziegengatte Solon (sie hatten sich lauter Namen von weisen und erhabenen Männern des Alterthums beigelegt;) den Käfer von seinem Mahle mit der Klaue hin- weg und trieb ihn in eine Felsritze, die sofort durch einen vorgewälzten Kiesel zum Besserungs- gemache erschaffen wurde. Diese Unternehmung hatte wenig Schwierigkeiten gehabt, denn ehe ein Käfer zum Fliegen gelangt, dauert es einige Zeit mit Bauchdehnen und Halsrecken. Schlauer mußte man mit der Fliege zu Werke gehen, der wohl- beschwingten Schwärmerin. Indessen gelang es dem jungen Plato, einem Ziegengatten von der unerreichbarsten Hoheit der Gedanken, die zu Bes- sernde zu beschleichen, sie mit seinen Lippen zu er- schnappen und zwischen denselben nach dem Astloche eines Feigenbaumes zu tragen, worin sie durch einen vorgestopften Pflock verspündet wurde. Man theilte das freudige Ereigniß bei der nächsten Zu- sammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver- fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben- digsten Antheil zu nehmen. Auf diese Weise erhielt ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck- lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des großmüthigen Engländers gestanden, rein scharren, die erwachsene Heerde stürzte aber den Leichnam des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um von den beiden eingesperrten Zöglingen der Sitt- lichkeit alle Anreizungen zum Laster zu entfernen. In den folgenden Tagen begannen nun Solon und Plato, unterstützt jezuweilen von den übrigen Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah- nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär- merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt seine Schnauze an ein federspulenkleines Löchlein, welches der Kiesel unbedeckt ließ; Plato stellte sich an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt sich mit den Vorderfüßen am Stamme fest und legte das Honigmaul gegen das Astloch, um sich ver- ständlich zu machen. In dieser Stellung oder Lage Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 11 hielten die beiden Bocke ihre Besserungsreden, wenn sie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes, der Andere das junge Laubgesproß, welches an der Felsritze gerade in der wucherndsten und saftigsten Fülle wuchs. Ist es denn nicht besser, sich an reiner und reinlicher Nahrung zu sättigen? sprach Solon zum Käfer, wenn er von dem Genusse des Laubes aus- ruhte. — Fühlst du denn nicht, du armer Gesunkener, daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus der Vater in die Furchen der brütenden Mutter aussäte, die Speise aus der Hand der Götter, nicht aber sie aus der Pforte, die da stäts nur ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck- liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift und Gefilde heilsam in das Reich der blonden De- meter emporschickt, zu verachten, und erst dann danach zu streben, wenn es, in den Hades gestoßen, dem gestaltenlosen Schattengebiete der traurigen Persephoneia angehört! Liebst du des Hafers gol- denes Korn, warum frissest du nicht Hafer? Ge- lüstet dich nach dem Sproß des Grases, weßhalb beißest du nicht in Gras? Was reizt, was verführt dich, das Alles erst umgestimmt, entmischt, abgenützt zu mögen? Höre dieses freudige Knirschen und Rauschen vor deinem Kerker, vernimm, wie ich in dem saftigen, fetten Portulak, in der wilden bittern Kresse, in dem erfrischenden Sauerklee schmause. Könntest du denn nicht, wenn du frei wärest, neben mir brüderlich sitzen und dieser von der Oreas uns verliehenen Blätter dich erfreuen, als einige Schritte weiter zurück, ein Helot und Barbar, zu harren, ob dir ein von der Harpye besudeltes Mahl werde? Oder sagst du: Ich bin Käfer, du bist ein Ziegengatte? Nun so blicke auf deines Gleichen, sieh, wie der kleine rothe zirpende Schelm das süßduftende Blatt der Lilie nagt, wie der Runde mit kupferbraunen Flügeln und grünem Schilde im Schooße der Rose schwelgt! Denen folge, denen schließe dich an, bei ihnen ist deine Stelle! Friß Lilien, wenn du nicht Hafer, friß Rosen, wenn du nicht Portulak, Kresse und Sauer- klee fressen willst! Nach diesen Reden fühlte sich der edle Solon immer mit neuem Appetite versehen und war zu erhöhter Thätigkeit an den Bergkräutern aufgelegt. Plato, wenn er vom Feigenfraß rastete, hielt Er- mahnungen ungefähr des nämlichen Inhalts an 11* seine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf das Eindringlichste, verdorbenes Fleisch zu lassen, in Zukunft Feigen zu fressen und auf Feigen ihre Eier zu legen. Er suchte besonders auf das Mut- tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr vorzustellen, welch ein begabteres Geschlecht ihre Brut werden würde, wenn sie statt in Dust und Dunst, da droben auf sonnebeschienenem, lüftege- gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte nach seinen Reden immer wieder Feigen, so lange dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er die Zweige ab, so daß der Baum ein ziemlich ver- wüstetes Ansehen zu bekommen anfing. Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär- merin lebten bei diesen Ermahnungen in ihren Besserungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren Beide schlichte, rohe Naturwesen ohne alle Theorie, practischen Trieben ergeben. Anfangs ras’ten sie wie wahnwitzig brummend und schnurrend in den Kerkern umher, da ihnen dieses aber nichts half, so wurden sie still und hörten den Reden ihrer Verbesserer zu. Von denen verstanden sie nun aber nicht das Mindeste, als, daß der Käfer Lilien und Rosen fressen, die Fliege sich zu Feigen wenden solle — Zumuthungen, die Roß und Schwärmerin außer sich setzten, weil sie ihnen das Beleidigendste dünkten, was ihnen nur gesagt werden konnte. Seelenverkäufer! Seelenverkäufer! brummte der Kä- fer. — Warum soll denn Unsereins nicht fressen, was Unsereinem schmeckt? — Ich such’, such’, such’ Ge- ruch! summte die Fliege. Am meisten ärgerte es die beiden Candidaten der Sittlichkeit, daß sie ihre Besserer draußen behaglich in Laub und Feigen knarpen hörten, und daß denen die tugendhaften ermahnenden Reden gleichsam nur dienten, sich der Verdauung halber nach dem Essen eine Bewegung zu machen. Indessen nahmen die Dinge für Beide eine sehr ernste Gestalt an, denn sie bekamen na- türlich nicht das Allergeringste zu essen und fielen daher während ihrer Bearbeitung zu einem reine- ren Leben jämmerlich ab. Das Trygäosroß wurde so matt, daß es kaum noch auf den Füßen stehen konnte; die blaue Schwärmerin ließ kraftlos die Flügel hängen. In dieser traurigen Verfassung überkam sie der den Thieren eingepflanzte schlaue Trieb der Selbst- erhaltung. Sie setzten sich vor zu heucheln, und gaben klägliche und melancholische Tone von sich. Höre! rief Solon dem Plato zu (denn Felsritze und Feigenbaum waren einander nahe;) das Laster schlägt in sich, die ersten Kennzeichen der Reue sind zu spüren. — Meine arme Gefallene ächzt auch schon über ihr Unheil, versetzte Plato. Nach eini- ger Zeit prüften die beiden ehrwürdigen Ziegen- gatten den Sinn der Bekehrten, indem Plato ein Stückchen Feige, welches noch am Baume gehangen hatte, vorsichtig in das Astloch schob, Solon aber ein Lilien- und Rosenblättchen unter den Kiesel in die Felsritze zu bringen wußte. Roß und Schwärmerin erbebten vor Grimm bei dieser Darlegung abscheulicher Anträge, wie sie ihnen vorkommen mußten. Die Schwärmerin wich entsetzt vor dem Feigenstücklein in die letzte Ecke des Astloches zurück, das Roß stieß die Blätter, deren Geruch ihm den Athem raubte und die Luft seines Wohnortes ihm zu verpesten schien, mit den kurzen, kräftigen Beinen von sich ab. — Nieder- trächtiger Gestank! brummte es. — Sollte man’s glauben, daß es Narren giebt, die an dem gräulichen Zeuge Behagen finden? Ich ersticke! O meine Am- brosia! — Feigen! Feigen! Feigen! Kinderpapp! Kinderpapp! tosete die Schwärmerinn. Aber ihre Lage war zum Aeußersten gediehen. Die Besserer draußen, das begriffen die Opfer der Sittlichkeit drinnen, konnten es bei guter Nahrung mit ansehen, wenn sich das Geschäft auch noch so sehr in die Länge zog. Hunger thut weh, Ver- stellung that Noth, die draußen zu täuschen. Der Käfer überwand sich und fraß unter Verwünschun- gen und Zuckungen etwas Lilien und Rosen, wel- ches er aber alsobald wieder von sich gab, so übel bekam ihm der höhere und reinere Lebensgenuß! Die Fliege bezwang ihr schauderndes Gemüth und verrichtete über der Feige einigermaßen und gleich- sam zur Probe das, was von ihr im Namen der Tugend gefordert wurde. Plato und Solon hat- ten gelauscht und an dem Geräusche, welches drinnen entstanden, abgenommen, daß etwas Ent- scheidendes vorgefallen seyn müsse. Oeffnend jetzt die beiden Verließe, sahen sie Lilien und Rosen angenagt, das Feigenstücklein beschmeißt, Roß und Schwärmerin aber halbohnmächtig auf dem Rücken liegen. Solon und Plato umarmten einander mit den Vorderbeinen und riefen: Triumph! die Tugend hat gesiegt! Das Laster ist aus dem Busen dieser sittlich Verwahrloseten gewichen, sie werden nie wieder in ihre schimpflichen Angewöhnungen zurück- fallen! Der Jubel drang zu den übrigen Ziegengatten, welche ungeachtet ihrer Ehrwürdigkeit den frohen Fall mit einem herrlichen Reigentanze in den kühn- sten Sprüngen feierten. Auch die Mütter und uns Zicklein und Böcklein zog das Getöse herbei. Die Mütter wurden mit wenigen freudigmeckernden Worten von dem Gelingen der Versittlichung in Kenntniß gesetzt, sahen Roß und Schwärmerin die Füße von sich strecken und vergossen Thränen der Rührung. Wie die Frauen denn immer mit blitz- schneller Ahnung das Höchste, Richtigste treffen, so ging auch in den helikonischen Ziegen damals die Blüthe des versittlichenden Wirkens auf. — Laßt uns aus diesen beiden der Tugend gewonnenen Wesen ein Paar machen! riefen die Ziegen be- geistert. Verheirathen wir sie mit einander, und als Aussteuer geben wir ihnen so viele Lilien, Rosen und Feigen, als sie am Helikon finden können! Ein unglaublicher Sturm des Entzückens folgte diesem Vorschlage. Zwar wollte der ehrwürdige Moschus den Zweifel erheben, ob selbiges Ehebünd- niß wohl fruchtbar ausfallen möchte, und der kritische Bion erst die Neigungen von Braut und Bräuti- gam prüfen; aber die erwähnten Bedenken fanden keinen Anklang, vielmehr rief der Chorus der Uebrigen einhällig: Wo die Tugend zusammenführt, kommt es auf Neigung und Fruchtbarkeit nicht an! Man wollte sogleich zu diesen Hymenäen im Namen der Sittlichkeit schreiten. Plato und Solon nahmen das Trygäosroß und die blaue Schwär- merin auf ihren Rücken. Sie schritten voran, die ehrwürdigen Gatten folgten ihnen Paarweise, denen folgten die rechtschaffenen und wohlthätigen Mütter, hinter den Müttern sprangen wir Zicklein und Böcklein, und so setzte sich der Zug nach dem Platze an der Hippokrene in Bewegung, wo die Hochzeit gefeiert werden sollte. Dort angekommen, nahm die alte verständige Sisi das Roß zwischen ihre Lippen, die gute Quiqui aber that desgleichen mit der Schwärme- rin. Sie trugen demnächst das Brautpaar zu einem hohen Steine, stellten die beiden jungen Leute, welche von der freien Luft erfrischt, wieder stehen konnten und überhaupt mit jedem Augen- blicke munterer zu werden schienen, auf den Stein neben einander, und darauf schlossen wir Alle, Jung und Alt einen weiten Kreis um das Paar. Das in der Eile entworfene Programm der Festlich- keiten ordnete diese Reihenfolge derselben an: Strophe; Reden von Solon und Plato; Gegen- strophe; Ceremonie, Schlußgesang, gymnisches Spiel, Reigentanz, Festmahl. Eine der kleinen lahmen Grillen, die einzige, welche mit dem Kunsthackebrettlein aus Blättchen und Dörnchen hatte fertig werden können, war zur Festsängerin ernannt worden. Als daher der Kreis sich gebildet hatte, schritt oder hüpfelte vielmehr diese Dichterin des Wohlthätigkeitsvereins zur hei- ligen Quelle, netzte darin ihre Freßzangen ein We- niges, verdrehte darauf die goldgelben Aeugelein im Kopfe, erreichte mit einem lahmen Sprunge das Gezweig einer Tamariske, nach vergeblichen Bemü- hungen, auf einen der Lorbeerbäume, den niedrig- sten unter Allen, zu gelangen, stimmte das Hacke- brettlein, putzte die Freßzangen an demselben ab, und sang nun, das Kunstinstrumentlein schlagend, begeistert folgende: Strophe . Der Käfer ist ein Schweinichen, Brumm! Brumm! Die Fliege hat sechs Beinichen, Summ! Summ! Die Fliege hat den Käfer lieb, Der Käfer ist ein Herzensdieb; Summ! Summ! Brumm! Brumm! Brumm! Brumm! Herrliche Poesie! Nahrung für Gemüth und Gefühl! meckerten die Ziegen. — Reines Gefühl, mit keinem Gedanken belastet! Echt lyrisch! mur- melten die Böcke. — Solon und Plato traten in den Kreis vor das Brautpaar und redeten nach einander. Sie hielten ihm in eindringlichen Wor- ten die Schändlichkeit seines früheren Lebenswan- dels vor, dann führten sie aus, daß die Göttin der Tugend eine gute alte Mama sei, immer zum Verzeihen bereit, dann kamen sie auf Lilien und Rosen, Feigen, Felsritzen und Astlöcher. Im ersten Theile machten sie das Brautpaar herunter, im zweiten erhoben sie es, in der Nutzanwendung wußten sie selbst nicht mehr, was sie wollten — ihre Sermone hätten gleich als Muster von Ca- sualreden abgedruckt werden können. Ich glaubte zu bemerken, daß das Brautpaar auf die Reden nicht achte, sondern nur Leib und Flügel einzuüben scheine, theilte diese Beobachtung meinen Nachbarn mit, die jedoch, ganz in die Würde des Festes versenkt, meiner Worte nicht achteten. Nach den Reden sang die Grille folgende Gegenstrophe : Und ist er denn ein Schweinichen, Brumm! Brumm! Und hat sie denn sechs Beinichen, Summ! Summ! So reicht einander jetzt die Füß’ Und sei der Ehestand Euch süß; Brumm! Brumm! Summ! Summ! Summ! Summ! Indem es aber nun zur Ceremonie kommen sollte, und die Ziegen Sisi und Quiqui das Paar ersuchten einander die Füße zu geben, nahm die Feierlichkeit eine plötzliche unerwartete und unglück- liche Wendung. Denn zur Rechten wurde in der Entfernung der Hufschlag eines Pferdes hörbar, und zur Linken kroch unten durch einen Bergspalt ein Fuchs, oder ein Wolf oder ein anderes Raub- thier. Ich weiß nicht, was dem Pferde begegnen mochte, das aber sah ich, weil ich auf der äußer- sten Linie des Kreises stand, daß das Raubthier ein Stück Fleisch im Rachen trug. Alsobald drang in die beiden jungen Leute auf dem Steine eine convulsivische Bewegung, ihren scharfen Sinnen brachten die Lüfte von weitem verführerische Bot- schaft zu, Roß und Schwärmerin sammelten ihre letz- ten von der Sittlichkeit verschont gebliebenen Kräfte, spreiteten die Flügel aus, und mit dem Gebrumm: Mist! Mist! Mist! und mit dem Gesumm: Luder! Luder! Luder! flog der Bräutigam rechts, die Braut links davon, ungerührt von Besserungsversu- chen, Reden, Rührumgen, Strophen und Gegen- strophen das alte Lasterleben von vorn zu beginnen. Die entsetzte Ueberraschung der Freier, als Odysseus plötzlich aus Bettlerlumpen mit sieghafter Hoheit hervorleuchtete und die tödtenden Pfeile vor sich hingoß, kann nicht größer gewesen seyn, als der Schreck der Mütter und ihrer Gatten bei diesem Anblicke, welcher ebenfalls so zu sagen die Hoheit der Natur aus Lumpen hervorscheinen machte. Anfangs standen sie da, stumm, starr, regungslos, gleichsam ein großes Viehstück aus Stein, dann aber ergriff sie der haltungsloseste Taumel, und sie rannten nach allen Richtungen ebenfalls auseinander, entweder, weil sie die sitt- lich Verwahrloseten wieder einfangen wollten, oder auch nur überschattet von dem Dämon, welcher sich ungeheurer Augenblicke zu bemächtigen pflegt. Die Zicklein und Böcklein folgten, so daß die den Gipfel hinan und hinunter rennenden, springenden, stolpernden, stürzenden Thiere demselben ein Ansehen gaben, wodurch er mehr der Kuppe eines thessalischen Zauberberges, als der heiteren musischen Höhe glich. Was mich betrifft, so war ich an der Quelle zurückgeblieben. Warum sollte ich hinter Käfer und Fliege herlaufen? Mein eigenes Schicksal machte mir bange. Ich fürchtete die Rückkehr der Heerde. Die Mütter hatten mir nämlich schon vor eini- gen Tagen angekündigt, daß, um auch die letzten Reste der verhaßten Menschlichkeit in mir auszu- tilgen, ich nächstens aus der weiblichen Erziehung entlassen und den Händen der Gatten übergeben werden solle. Dagegen sträubten sich nun aber jene Reste mit aller Macht und vielleicht eben so heftig, wie die Neigungen des Trygäosrosses gegen Lilien und Rosen. Denn mir blieb ein physischer Abscheu gegen die Gatten beiwohnen, so sehr ich ihre ehrwürdigen Eigenschaften achtete. Aber letz- tere hatten gewisse natürliche Begabungen an ihnen nicht zu tilgen vermocht, und ich empfand das innigste Grauen vor dem Augenblicke, der mich ihrer Atmosphäre so nahe bringen sollte. Indessen standen ganz andere Dinge in den Sternen geschrieben. Der Hufschlag des Pferdes näherte sich, und es kam ein ältlicher, dicker Mann, dem ein Dün- ner folgte, nach der Stelle zu geritten, wo ich stand. Der Mann trug einen gelben Hut, einen gelben Rock, eine gelbe Hose und eine gelbe Weste, sah sehr blaß und aufgedunsen und äußerst verdrießlich aus. Schon sein Ansehen und der völlig gleich- gültige Blick, mit dem er die Gegend überschaute, würde mich gelehrt haben, von welchem Volke die- ser Fremdling sei, wenn ich ihn auch nicht so- bald hätte reden hören. Der Diener half sei- nem Herrn vom Pferde, führte ihn zu dem Steine, auf welchem das Brautpaar gestanden hatte, ließ ihn niedersitzen, gab ihm ein spanisches Rohr in die Hand, schob dessen Knopf unter sein Kinn, und richtete auf diefe Weise gleichsam die Statue eines gefühllosen Naturbeschauers zu. Der Herr ließ nämlich Alles phlegmatisch mit sich vor- nehmen und antwortete nur spärlich auf die Reden des Dieners, welcher ziemlich gesprächig war. Aus ihrer Unterhaltung erfuhr ich, daß der gelbe Dicke ein reicher, vom Geschäfte zurückgezo- gener Rentenierer war, welcher unweit Amsterdam und eine Stunde von Harlem auf seinem Land- hause gelebt hatte. Da sich die Anfälle des Podagra’s bei ihm mehrten und gewisse Vorboten der Wassersucht erschienen, so war ihm von seinem Arzte eine Reise in die südlichen Länder verordnet worden. Dazu wollte sich denn auch Myn Heer van Streef verstehen und erklärte seine Bereit- willigkeit, bis in den Reichswald bei Cleve zu reisen. Der Arzt erklärte aber dagegen, er sei mißverstanden worden und nannte ihm die unge- heure Meilenzahl, welche er wenigstens abzureisen habe. Der Holländer war hierüber anfangs, so weit sein Naturell dies zuließ, in einige Verzweif- lung gerathen, jedoch endlich, weil der Arzt eben- falls ein ruhiger hartnäckiger Altniederländer war, und seinem Patienten mit größter Fassung Todes- tag, ja Todesstunde vorausgesagt hatte, wenn er nicht Folge leiste, genöthigt gewesen, sich zu fügen, und an die Reise zu denken, die er in südöstlicher Richtung vornehmen mußte, da er südlich auf der Karte die verordnete Meilenzahl nicht vor sich sah. Um dies zu verstehen, muß gesagt werden, was ich aus den Gesprächen heraushörte, daß nämlich Myn Heer van Streef durchaus nur seine Mei- len in gerader Richtung, ohne durch Umwege und Absprünge ihre Zahl zu erfüllen, verreisen wollte. Denn da ihm die Reise äußerst zuwider war, so haßte er Alles, was ihr den Schein einer Wande- rung zum Vergnügen hätte geben können. Er zog deßhalb auf seiner Karte von Europa nach dem Lineal mit Bleistift einen Strich von Amsterdam nach Südosten, maß daran die Meilen, fand, daß ihre Zahl sich genau auf dem Gipfel des Helikon vollende, und war so, immer streng dem Striche nachreisend, und weder rechts noch links abwei- chend, allgemach auf den geheiligten Berg gekommen. Hier tröstete ihn nun der Diener, nachdem er ihm Vorstehendes in einzelnen Bemerkungen erin- nerlich gemacht hatte, um ihn durch den Gedanken an die Nothwendigkeit der Reise und ihre strenge Consequenz aufzurichten, mit dem Ausrufe: Myn Heer, wir sind am Ziel, und morgen geht es nach unserem schönen Welgelegen zurück. Gottlob, sagte der Holländer, der sich bei dem Gedanken an sein Landhaus ein wenig erheitert fühlte, und ich will, wenn wir nach Hause gekom- men sind, ein Lusthaus anbauen und das soll hei- Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 12 ßen: Vreugde en Rust. Und aus der Ruhe will ich nicht wieder gehen, möchte auch meine Wasser- sucht so überhand nehmen, daß alle Deiche von Seeland bedroht wären. Ich kenne gar nichts Wahnschaffneres, als diese griechischen Gegenden, in denen ein beschwerlicher Berg nach dem andern kommt, wo man keine Aussicht auf Canäle und Wiesen hat, und der Himmel die unnatürliche blaue Farbe nicht los wird. Es kann nicht überall Altniederland seyn, ver- setzte der Diener und stopfte sich eine kleine thö- nerne Pfeife; es muß auch solche nichtsnutzige Striche Landes geben. Wenn ich da mein Landhaus Welgelegen be- trachte, fuhr Myn Heer van Streef fort, der jetzt etwas gesprächiger wurde, obgleich sein Gesicht so verdrießlich blieb, wie früher, was für eine andere Gegend ist das! Neben an liegt Myn Heer de Jonghe’s Schoone Zicht und auf der andern Seite Myn Heer van Toll’s Vrouw Elizabeth, und mit- ten inne liegt Welgelegen. Ich will nun gar nicht reden von meinen innerlichen Schönheiten und bequemen Dingen, von der Menagerie, von mei- nem mit bunten Steinen gepflasterten Hofe, vom Muschelhäuschen, von der Voliere, von den Gold- fasanen und den Mistbeeten voll Hyacinthen, die hier elend wild wachsen — aber Sebulon, denke nur an die schöne Aussicht auf den Canal, über den alle Tage die sechs braun angestrichenen Treckschuiten von den Jägerchen gezogen werden und auf die unabseh- liche Wiese dahinter, in der dann doch auch nicht eine einzige Erhabenheit, so groß wie ein Maulwurfshü- gel ist, und den Hintergrund von zwölf Windmühlen im Gange! Und dann sieht man das nicht alle Tage, nein, einen um den andern Tag nebelt oder regnet es, so daß die Entbehrung das Glück, um sich blicken zu können, erhöht, und der Himmel bleibt immer, auch wenn es helles Wetter ist, bescheiden, mäßig und grau. Wie wird dir denn Sebulon, wenn du an alles das denkst? Abscheulich wird mir zu Muthe, rief Sebulon und warf zornig seine Pfeife an den Boden, daß sie zerbrach. Hole der böse Feind diese verdamm- ten griechischen Wüsten! Ereifre dich nicht, Sebulon, sagte der Herr schläfrig, mit verdrossenem Mundhängen. Ein Hol- länder ereifert sich nicht, oder er prügelt wenig- stens Jemanden dabei, auf daß der Eifer einen 12* Nutzen habe. Mache mir jetzt Thee, das Wasser dort scheint noch so ziemlich klar zu seyn, wie es in diesem vermaledeiten Lande seyn kann, denn freilich, Wasser von Utrecht ist es nicht. Ich will unterdessen in der Elektra unseres großen Vondel lesen. Er nahm ein Buch aus der Tasche, schlug es auf, und las halblaut mit sonderbarem Pathos die Anfangsverse der Vondelschen Elektra: O zoon van Atreus zoon, die’t opperste gezagh, In’t Grieksche Leeger had, toen hy voor Troje lagh, Nu zietge zelf het gée, daer staegh uw hart nacr haeckte. Dit’s Argos, d’oude Stad, daer uw gemoed om blaeckte. Dit’s’t woud van Jö zelf, dat dolgeprickelt dier. Het wolfsveld van Apol, den wolvenschrick, is hier, En dees vermaerde Kerck, die Argos Juno wydde, Rijst ginder hemelhoogh, aen uwe rechte zijde … Ja, ja, unterbrach sich Myn Heer van Streef, das ist denn freilich etwas Griechischer, als diese helikonische Knüppeldammwirthschaft. Er summte sacht in seinem Vondel weiter. Sebulon hatte unterdessen die Reisetheema- schine, welche sein Herr überall mit hinnahm, aus dem Mantelsacke hervorgeholt, Feuer angezündet, Wasser aus der Hippokrene geschöpft, es gekocht und grünen Thee aufgeschüttet. Als das unent- behrliche Getränk bereitet war, reichte er seinem Herrn eine Tasse. Myn Heer van Streef führte sie so langsam und mürrisch zum Munde, wie er in allen seinen Bewegungen bisher gewesen war. Er kostete und kostete, die schlaffen Lippen zogen sich ein wenig zusammen, dann schluckte er bedächtig den Inhalt der Tasse hinunter, und sagte: Sebulon noch eine. — Sebulon sah seinen Herrn bedenklich an und schüttelte den Kopf. Die zweite Tasse trank Myn Heer van Streef, ohne zu kosten, aus. Seine Augen bekamen während des Trinkens eine Art von Glanz und er sagte: Sebulon noch eine. — Sebulon reichte ihm zitternd und eine große Un- ruhe in seinen Zügen die dritte Tasse. Diese stürzte Myn Heer van Streef beinahe hastig hin- unter und darauf sah er fast gen Himmel. Ach, Myn Heer! rief der Diener besorgt, was ist Euch wiederfahren? Sonst braucht Ihr ja auf drei Tassen Thee drei Viertelstunden, und hier geht es wie mit Extrapost in den Magen. Der alte Holländer sah sehr nachdenklich aus und sagte endlich nach langem Schweigen: Sebulon, dieser Thee hier schmeckt mir besser als der auf meinem Landhause Welgelegen eine Stunde von Amsterdam. Da raufte der treue Diener sein Haar, weinte und schrie: O wehe mir, wehe! Myn Heer van Streef ist auf diesem nichtswürdigen Berge toll geworden; sein Thee schmeckt ihm dahau- ßen besser als daheim; er lobt die Fremde auf Kosten von Altniederland, er ist abgefallen von Oranjeboven und Altniederland. Sebulon erhitze dich nicht, sagte der Herr gleichmüthig und freundlich. Ich habe meinen Ver- stand nicht verloren. Weißt du, was Schwärmerei bedeutet? Es ist der Zustand, worin sich der Hanswurst von Franzosen, und der Bull von Eng- länder oft befindet, und der deutsche Muff fast immer, Altniederland aber niemals. Die Sache sollte aber zur Probe auch einmal an uns kom- men, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Ich liefere die Probe. Ich schwärme, Sebulon, das ist das Ganze. In dem Thee muß etwas seyn; ich bin von dem Thee ein Schwärmer geworden, denn ich muß es noch einmal sagen; er schmeckt wahrhaftig besser, als der auf meinem Landgute Welgelegen. Es wird aber schon wieder vergehen. Nur mit Mühe gelang es dem schwärmerischen Holländer, seinen Diener zu beruhigen. Am mei- sten wirkte dazu die Versicherung, daß aller Wahr- scheinlichkeit nach dieser exaltirte Zustand eine ret- tende Crise seines Uebels sei, daß die Wassersucht durch die Schwärmerei eine Stopfung erhalten habe. Der alte Schwärmer stand auf und schickte sich zum Rückwege an, Sebulon packte das Thee- geräth zusammen. Myn Heer van Streef sah sich um und sagte: Ich möchte wohl ein Angedenken an diesem ziemlich erträglichen Platz und an die schöne Stunde, in welcher mir der Thee so wohl schmeckte, mitnehmen, ein Erinnerungszeichen an die hiesige Schwärmerei. — Was sollen wir mitneh- men? versetzte Sebulon noch immer ziemlich klein- laut, wir können doch nicht die Boompges (er meinte die Lorbeeren) oder die großen Klinker (er meinte die Klippen) einpacken. — In diesem Au- genblicke sah er mich, der ich hinter einem Felsen den schwärmerischen Auftritt belauscht hatte, zog mich hervor und rief: Was für eine Creatur ist das? Der schwärmerische Holländer besah mich, und sagte dann langsam: Wirf dem Vieh einen Strick um den Hals, Sebulon. Das will ich mitnehmen als Angedenken an diese schöne Stunde. Es scheint zu einer unbekannten Thierart zu ge- hören; Myn Heer de Jonghe, der in Batavia ge- wesen ist, soll mir sagen, ob sie auch auf Java vorkommt. Was sollte ich machen? Ein Entrinnen war nicht möglich, auch muß ich bekennen, daß die Reste der Menschheit in mir einige Freude darüber empfanden, wieder unter ihres Gleichen zu kom- men; obgleich eine geheime düstere Ahnung mir zuflüsterte, daß die Schwärmerei des Holländers mir drückend werden könne. — Ich ließ mir das Fang- seil geduldig um den Hals schlingen und verließ mit meinem neuen Herrn, der sacht voranritt, und Sebulon, der mich am Stricke hinter sich her führte, den Berg, auf welchem mir so Vieles be- gegnet war. Vor unserem Abmarsche hatte Sebu- lon die Kantinen, die zu beiden Seiten des Pfer- des hingen, mit Wasser der Hippokrene füllen müs- sen zu einem nochmaligen Thee auf dem Landhause Welgelegen. Am Fuße des Berges war Myn Heer van Streef schon wieder eben so verdrießlich, wie vor- her, und diese Stimmung blieb ihm auch während der ganzen Reise. Wir setzten dieselbe, nachdem wir in ebnere Gegenden gekommen waren, zu Wa- gen fort, d. h. Herr und Diener saßen im Wagen, und ich lief neben her — Ihr mögt mir es glauben oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber wahr muß wahr bleiben — ich habe die Paar hundert Meilen zu Fuß zurückgelegt, ausgenommen eine kurze Strecke des adriatischen Meers, die wir auf einer scla- vonischen Schebecke durchschnitten. Ja, neben hollän- dischen Schwärmern läßt sich schon zu Fuß fortkommen! Bald genug aber sehnte ich mich auf den He- likon zurück. Denn die Herrschaft von Altnie- derland ist die härteste, die es giebt. Ich wurde behandelt wie eine Colonie, für mein Futter mußte ich selbst sorgen, auf der sclavonischen Schebecke bekam ich, Gott verdamme mich, nichts zu genießen als den Duft von Hyacinthenzwie- beln, die Myn Heer van Streef gekauft hatte, und welche neben meinem Verschlage lagen. Dazu die Einseitigkeit einer Reise nach dem Bleistift- strich! Denn nach diesem machte mein Herr auch seine Rückfahrt. Die meisten Merkwürdig- keiten der Oerter lernt man oft nur zur Hälfte kennen. So z. B. habe ich in Frankfurt das Incompetenzgebäude nicht zu sehen bekommen, weil unser Strich durch die Judengasse ging. Nun, diese Unannehmlichkeiten hatten zuletzt auch ein Ende. Wir trafen in Amsterdam und eine Stunde später auf dem Landhause Welge- legen ein. Bei dem Anblicke des Canals, der ebenen Wiese, der zwölf Windmühlen, endlich bei dem Anblicke seines stillen Hauses mit den herab- gelassenen Fenstervorhängen, mit dem buntgepfla- sterten Hofe, mit der Voliere aus vergoldetem Drath und mit dem grünen, eingezäunten Flecke, auf welchem Gold- und Silberfasanen nebst an- derem Gethier spazieren gingen, vergoß Myn Heer van Streef zwei runde Thränen und sagte zu Sebulon: O Welgelegen! weiter aber nichts. Sebulon schluchzte, beugte sich vor dem Thore zur Erde, gleichsam um sie zu küssen und ver- setzte: Welgelegen ist Welgelegen, Myn Heer van Streef. In der Pforte standen sechs nordhollän- dische Mägde mit goldenen Blechen in den Haa- ren, alle weiß und rund und sauber gekleidet, daß sie glänzten. Sie machten einen Knicks, küßten ihrem Herrn die Hand und sagten: Viel Glück und Heil zur Rückkunft, Myn Heer. Ihren Kreis trennte ein kleiner Mann, rothen Antlitzes, aber ganz weiß und ehrwürdig eingepudert, schüttelte dem Heimkehrenden die Hand und sprach: Ich habe davon erfahren, daß Ihr heute kommen wür- det, da wollte ich gleich zusehen, ob die Kur an- geschlagen habe. — Doctor, ich schwärmte auf dem Helikon, danach wurde mir besser, und ich bin völlig hergestellt, versetzte der Patient. Der Doctor hatte ihn inzwischen prüfend beschaut und erwiederte kaltblütig: Nein, Myn Heer van Streef, ihr seid noch eben so krank, als da Ihr abreis’tet, Ihr müßt deßhalb von Neuem auf Reisen gehen, sonst sterbt Ihr dann und dann. Er nannte den Todestag. Hier aber sah und hörte ich, wenn ich früher holländische Schwärmerei kennen gelernt hatte, was holländische Wuth heißen wolle. Denn das Gesicht von Myn Heer van Streef wurde grau- braun, die Stirnadern schwollen an, daß sie Baum- wurzeln glichen, und er goß über den Doctor eine solche Fluth von Scheltreden aus, daß ich über den Reichthum der Landessprache in derartigen Wendungen erstaunen mußte. Der Doctor seiner- seits fühlte auch in sich eine niederländische Begei- sterung erwachen und schimpfte den Patienten aus, Sebulon schimpfte auf den Doctor, die erste Nord- holländerin schimpfte auf Sebulon, daß er sich in den Streit der Herren mische, die Zweite auf die Erste, daß sie auf Sebulon schimpfe, die Dritte auf die Zweite, daß sie auf die Erste schimpfe, die Vierte auf die Dritte, daß sie auf die Zweite schimpfe, die Fünfte auf Sebulon, die Erste, Zweite Dritte und Vierte insgesammt, die Sechste schimpfte auf Niemand insbesondere, sondern im Allgemeinen. Es erinnerte mich dieses verwickelte Schimpfge- mälde durchaus an den gegenwärtigen Zustand der deutschen Tagesliteratur. Auf so laute und stürmische Weise ging der Empfang des schwärmerischen Holländers in der Hofespforte seines stillen Landhauses vor sich. Die Goldfasanen, die Silberfasanen und einige india- nische Raben der Voliere schrieen in das allgemeine Geschrei auch hinein, und Gott weiß, ob nicht noch Thätlichkeiten das Fest gekrönt haben würden, wenn nicht plötzlich in der Entfernung das reitende Jä- gerchen, und hinter ihm am Seile vom Pferde ge- zogen, das braune Nationalfahrzeug sichtbar gewor- den wäre. Bei diesem Anblicke ebneten sich die zornigen Wellen, Aller Antlitz begann friedlich und freundlich zu leuchten, und wie aus einem Munde riefen Doctor, Patient, Sebulon und sechs Nord- holländerinnen: Die fünfte Schuite! — Kommt aber heute zwei Minuten zu spät, setzte Myn Heer van Streef hinzu, indem er auf seine Uhr sah. — Er ging freundlich in sein Landhaus; der Doctor bestieg besänftiget die Schuite nach Amsterdam. So schlichtete der Anblick der fünften Schuite von Harlem diese niederländischen Wirren. Ich war, als gehöre ich zur Familie, meinem Herrn bis auf den Hausflur gefolgt, aber eine Magd trieb mich ziemlich unsanft von den Stiegen und fing sogleich an, heftig nachzuscheuern, wo ich ge- standen hatte, obgleich ich mir selbst das Zeugniß geben muß, daß ich mich sehr anständig auf dem Flure von Welgelegen benommen habe. Sebu- lon sperrte mich auf einem der grünen Plätze zu den Gold- und Silberfasanen ein, d. h. ich kam nicht zu diesem Gefieder unmittelbar, sondern er- hielt einen eigenen kleinen Abschlag, wie denn auch jeder Goldfasan und jeder Silberfasan seinen be- sonders abgesteckten und eingefriedigten Platz hatte, vermuthlich, weil Myn Heer van Streef selbst bei den Thieren holländische Neigungen voraussetzte. Ich fand ziemlich gute Weide, wenn auch nicht so aromatische Kräuter, wie am Helikon, fraß mich endlich einmal in Muße wieder satt und verschlief den meisten Theil der folgenden Tage aus über- großer Ermüdung von dem langen Reisewege. Erst etwa eine Woche später bekam ich sonach die Fähigkeit wieder, aufzumerken, über meine Umge- bung und mich nachzudenken. Als dieser Zeitpunkt eingetreten war, habe ich die Lebensweise eines holländischen Rentenierers, der sich vom Geschäft zurückgezogen hat, gründlich kennen lernen. Denn mein Weide- und Wohnplatz lag hart unter den Fenstern des Lusthäuschens, welches durch den Hof von dem Haupthause ge- trennt, dem Herrn des Landhauses zu seinem täg- lichen Vergnügungsorte diente, es mochte Son- nenschein oder Nebel, Sturm oder Regen seyn. Sebulon hatte mir einen Felsen von Klinkern etwa vier Fuß hoch aufgebaut, welcher Klein-He- likon genannt wurde. Auf diesen kletterte ich häu- fig und konnte von ihm aus Alles sehen, was in dem Lusthäuschen vorging, das Meiste auch hören, was darin gesprochen wurde, da die Fenster, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht war, nach der Menagerieseite zu, offen zu stehen pflegten. Nach der Canalseite aber waren sie stäts geschlossen und auch verhängt bis auf eine kleine, zur Beobachtung der Treckschuiten nothwendige Oeffnung. Des Morgens um acht Uhr kam Myn Heer van Streef regelmäßig in sein Lusthaus gegangen. Er trug dann seinen Frühanzug von zeisiggrünem Camelot und eine rothe Mappe unter dem Arme. Mit der Pfeife und dem Theegeräthe folgte ihm die erste Magd, denn zu Hause ließ er sich nur von den Frauenzimmern bedienen, Sebulon war nur auf der Reise zum Diener erhöht worden, in dem Landhause Welgelegen hatte er seine Stel- lung als Haus- oder Gartenknecht wieder ein- genommen. Myn Heer van Streef trank nun seinen Thee, nicht rasch, wie auf dem Helikon, sondern wirklich, wie Sebulon gesagt hatte, die Tasse in einer Viertelstunde, wozu er langsam den Rauch aus der angezündeten Pfeife blies und in geregelten Zeitabschnitten wechselsweise mit star- rem Blicke nach dem Canal und nach uns, seiner Menagerie, aussah. Sonst nahm er während die- ser Zeit nichts vor, denn er war der Meinung, daß jedes Geschäft für sich betrieben werden müsse. Nach dem Frühstücksgeschäfte schickte er sich zu dem Zweiten an, nämlich den Text seiner Kans- billets, die er in der rothen Mappe verwahrte, Stück vor Stück, obgleich derartige Schriftwerke bekanntlich gleich lauten, nachzulesen. An den Zins- tagen gesellte sich dazu die Arbeit, die Coupons abzuschneiden. Diese Mühen pflegten die zwölfte Tagesstunde heranzubringen. Dann erschien ein Diener aus dem Landhause Schoone Zicht und Einer aus der Vrouw Elizabeth, brachte einen höflichen Gruß von Myn Heer de Jonghe und Myn Heer van Toll und die Anfrage ihrer Herrn: Wie Myn Heer van Streef geschlafen habe und sich befinde? Myn Heer van Streef antwortete nach langer Ueberlegung jeden Tag dasselbe; daß die Nacht ziemlich ruhig gewesen sei, und das Befinden, Gott sei Dank, sich leidlich verhalte. Wenn diese Boten abgefertigt waren, wurde Sebulon geklingelt und nach der Schoonen Zicht und der Vrouw Elizabeth entsendet mit höflichem Gruße von Myn Heer van Streef an Myn Heer de Jonghe und Myn Heer van Toll und seinerseitiger Anfrage, wie diese beiden Herren geschlafen hätten und sich befänden? Nach vorgedachten Anstrengungen wurde zur Herstellung der erschöpften Lebenskraft wieder Thee getrunken, geraucht und die Meldung des zurück- kehrenden Sebulon entgegen genommen. Darauf ging Myn Heer van Streef in das Haupthaus, kam angekleidet zurück in den Hof, stellte sich vor die Voliere und demnächst vor jeden Abschlag der Menagerie, sah die Einwohnerschaft der Voliere und dann Jedes von uns eine geraume Zeit lang be- dächtig an, schüttelte auf jeder dieser Stationen das Haupt und sagte, so oft er schüttelte: Un- vernünftige Thiere! — Dieses that er jeden Tag, auch wenn es regnete, Sebulon hielt ihm dann nur während dieser geringschätzigen Betrachtungen den Regenschirm über. Waren die Allocutionen an die Voliere und Menagerie geendiget, so ging er wieder in das Haupthaus und speiste, es mochte dann etwa vier Uhr Nachmittags seyn, zu Mittag; hielt darauf seine Mittagsruhe und kehrte, abermals eine Mappe unter dem Arme, jetzt aber eine grüne, sechs Uhr Abends in das Lusthaus zurück. Er trank nun- mehr seinen dritten Thee, rauchte, wie sich von selbst versteht, abermals dazu und las dann Am- sterdamer Stadtobligationen, die er in der grünen Mappe verwahrte. Darüber pflegte es dunkel zu Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 13 werden; Myn Heer van Streef klappte gähnend die Mappe zu, sah noch einmal nach dem Canal, verließ hierauf das Lusthaus und zog sich in das Haupthaus zurück. Sobald es völlig dunkel war, schloß Sebulon die Pforte; die Lichter, welche in den Fenstern des Hauses eine kurze Zeit lang leuchteten, erloschen allgemach — ein Zeichen, daß Herr und Dienerschaft in ihren Betten von den Anstrengungen des Tages ausruhten. Das tiefste Schweigen und die lautloseste Stille senkten sich auf Welgelegen herab. Ich habe unter den Beschäftigungen des Tages anzumerken vergessen, daß Myn Heer van Streef auch den Ankunftsaugenblick jeder der sechs Schuiten, welche täglich von Harlem nach Amsterdam vor- überfuhren, auf einer schwarzen Tafel, welche im Lusthäuschen hing, zu notiren pflegte, und aus den Unterschieden wöchentlich eine mittlere Zeit heraus- rechnete. Ich hörte ihn zuweilen sagen, es sei sein großter Kummer, daß diese Mittelzeiten nie stim- men wollten, auch wenn er sie auf Monate, ja selbst Jahre schlüge, und daß daher die rechte mittlere Ankunftszeit einer Treckschuite noch immer ein unlosbares Räthsel wäre. So ging ein Tag wie der Andere hin. O Herr! seufzte ich bei diesem niederländischen Leben in Freude und Rast oft (denn ich bediente mich bei meinen Ausrufungen nun nicht mehr der Mythologie) was für eine Langeweile! Steht denn mein Herr nur eine Stufe über dem Faulthier und nicht tief unter dem Elephanten, dem stolz- empfindlichen Rosse, dem rührigen Hunde, obschon er Kans Billets und Amsterdamer Stadtobligatio- nen liest? Und doch dünkt er sich was Rechtes, glaubt eine unsterbliche Seele zu besitzen, und doch behandelt der schwärmerische Barbar uns Thiere mit Verachtung! — Es war natürlich, daß sich auf solchem Wege kein Verhältniß der Zuneigung zwi- schen mir und ihm entfalten konnte; dieser Hollän- der war nicht geeignet, Liebe zu erwecken. Ich drehte ihm daher auch immer den Rücken zu, wenn er vor meinen Verschlag trat. Um der Last der schrecklichen Langeweile von Welgelegen mich zu entziehen, suchte ich mit meinen Nachbarn in der Menagerie Umgang anzuknüpfen. Ich hatte recht leidliche Leute zu Nachbarn, links einen Goldfasan und rechts einen Silberfasan, hinter mir ein Paar Schildkröten in einem großen Sandkasten und einen 13* jungen Biber, dessen Schwanz in Wasser hing. Es wäre mir interessant gewesen, mit Vögeln, Amphi- bien und amphibienartigen Geschöpfen auch einmal meine Ideen auszutauschen, aber dazu wollte sich hier keine Gelegenheit finden. Diese Particuliers waren von dem geistigen Drucke, der über Welge- legen lastete, so gebeugt, daß alle meine Versuche, ihnen näher zu treten, mein herzliches Meckern und so mancher treugemeinte Bockssprung keinen Anklang fanden. Die Fasanen lagen meistens, den Kopf unter die Flügel gesteckt, dumpf hinbrütend da, die Schildkröten zogen sich, sobald sie sich an ihrem Kohle satt geknabbert hatten, unter ihr Schild zu- rück, der Biber hatte für nichts Sinn als für das kalte Wasser um seinen Schweif. Meine Pein zu schärfen diente die berufene holländische Reinlichkeit. Es wurde nämlich auf uns Thiere eine besondere Kehrmagd gehalten, welche bei ihrem Mitgesinde Dreck-Griete hieß, weil ihr anbefohlen war, die äußerste Sauberkeit unserer Wohnstätten in Obacht zu nehmen. Sie brachte den Tag über in einer Art von Portier- häuschen am Eingange des Haupthauses zu und lugte beständig auf die Menagerie hinaus. Ließ nun ein Fasan eine Feder fallen, oder fiel sonst etwas vor, was nicht zu vermeiden stand — lieber Gott, man bleibt denn doch Thier! — alsobald schoß diese ihrem Berufe fanatisch ergebene Reini- gungsperson, bewaffnet mit einem langen Borstbesen hervor, riß den betreffenden Verschlag auf und säuberte vermöge des Besens die Stelle. Meine Collegen waren zu sehr Vieh, um sich hieraus etwas zu machen, aber in mir hatte der Mensch Theil an dergleichen Vorkommenheiten, in mir schämte sich der Mensch vor einer solchen Ueberwachung seiner eigensten und innersten Angelegenheiten. Ich war oft in der größten Verlegenheit zwischen Müssen und nicht Mögen, zwischen natürlichen Wünschen und der Furcht vor der auflauernden und schon zum conventionellen Borstbesen greifenden Dreck- Griete! Die Langeweile — die Isolirung — die ewig drohende Kehrmagd — meine Lage wurde von Tage zu Tage fürchterlicher! Münchhausen war damals unglücklich, ganz unglücklich! Das Schicksal hatte mich zu hart angefaßt, ich war ein Opfer kalter Schwärmerei geworden; das ist das Schrecklichste, was es zwischen Himmel und Erde giebt. Eine tragische Verzweiflung bemächtigte sich meiner. Ich sann auf Selbstmord. Ich wollte die Natur zwingen; wie Andere sich der Speise ent- halten, wollte ich dem Borstbesen der Reinigungs- person sein Opfer unterschlagen — lange — für immer! — — Denn ich fühlte, daß, mit Heldenmuth den Entschluß durchgeführt, der Organismus untergehen müsse. Diese Weise, zu enden, dünkte mich die erhabenste, reinste, sie kam mir neu und unnach- ahmlich vor. Ich hielt mich still für mich. Zwei Tage lang rastete das Thürschloß meines Verschlages. Die Reinigungsperson umschlich mich unheimlich spähend. Ich dachte: Schleich du; ich sterbe! Am dritten Tage ließ Myn Heer van Streef die Späherin rufen und fragte sie, was mir fehle? ich stehe ja so verdrossen und ohrhängerig da? Griete berichtete dem Herrn, was sie wußte. — So muß man abwarten, ob es sich bis morgen mit ihm bessert, sprach mein fühlloser Gebieter, und wenn das nicht geschieht, so gebt ihm — — Er verordnete das schnelle und unwiderstehliche Mittel, gegen welches in solchen Fällen selbst der Heldenmuth eines Cato sich fruchtlos stemmen würde. Nein, es ist zu viel! meckerte ich ingrimmig und traurig zugleich; indem ich am Felsen Klein- Helikon niedersank und meine heiße Stirn wider diese Klinker stieß. Nicht leben können, und nicht sterben dürfen! — Ich sah schon im Geiste den Augenblick, der meinen Entschluß gewaltsam brechen würde, und das furchtbare Instrument in Grieten’s Hand, ich sah mich schon wieder schamroth, ent- würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen, denen meine freie Seele sich entronnen wähnte. Ach, der nämliche Tag sollte mich noch etwas ganz Anderes sehen lassen! Wie schwach steht es um die sogenannten großen Vorsätze! Bittere und demüthigende Erfahrung, die ich an mir selber machte! Myn Heer van Streef empfing an diesem Tage einen Besuch von seinen Nachbarn de Jonghe und van Toll. Die Besitzer der drei Landhäuser Wel- gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg- ten einander nur einmal im Jahre gegenseitig zu besuchen. Die Tage waren ein für allemal festge- stellt, und sonst sahen einander die drei Holländer nicht, obgleich die Landhäuser kaum fünfhundert Schritte von einander entfernt waren. Wenn sie zusammenkamen, so zeigte der Wirth seinen Gästen den Zuwachs vom letzten Jahre in dem, woran seine Seele hing. Myn Heer van Toll hielt auf ein reiches Porcellancabinet, Myn Heer de Jonghe auf eine Sammlung von Naturalien und Myn Heer van Streef auf seine Menagerie am meisten. Nachdem die drei Freunde im Lusthäuschen Thee getrunken hatten, führte mein Gebieter seinen Besuch zu unsern Verschlägen und fragte de Jonghe’n, der, wie wir wissen, in Ostindien gewesen war, ob er eine Thiersorte, wie die meinige, auf Java kennen gelernt habe. Schon bei dem ersten flüch- tigen Ueberblicke, den mir der Naturaliensammler widmete, fingen seine Augen an zu glänzen, und seine farblosen Wangen wurden von einer leichten Röthe überflogen. Ich mußte mich erheben, Myn Heer de Jonghe betrachtete mich von allen Seiten, hob meine Pfoten, die noch nicht ganz vergessen hatten, Men- schenarme zu bedeuten, auf, untersuchte mein Vließ, guckte mir in den Rachen, befühlte meinen Schädel. Myn Heer van Streef sah dieser Analyse mit dem ruhigen Stolze eines glücklichen Besitzers zu. Nach vielfältigem Anschauen und Tasten war Myn Heer de Jonghe zu dem Bekenntnisse gedrungen: Nein, diese Thiersorte kommt nicht auf Java vor. Ich glaubte Anfangs, es sei der kleine gefleckte Hirsch, Moose-deer, welchen man auf Ceylon fin- det, aber der Bau des Schädels widerspricht dieser Annahme. Der Schädel hat etwas vom Affen, der ganze übrige Leib gehört in das Ziegengeschlecht. Es hilft keine Menschenmacht dawider, wir müssen eine neue Species ernennen. Dieses Geschöpf, woran Ihr, Myn Heer van Streef, eine gar große Seltenheit besitzt, muß der Bockaffe, capra simiae proxima, heißen. Ich fand ihn, versetzte Myn Heer van Streef, auf einem griechischen Platze, in einer unvergeß- lichen Stunde. Sebulon, sage zur Gertruid, daß wir heute von dem Wasser, welches du in den Kantinen mitbrachtest, den dritten Thee trinken wollen, wofern es sich frisch gehalten hat. Ich möchte sehen, wie es auf Myn Heer van Toll und Myn Heer de Jonghe wirkt. Er ging mit dem Ersteren zu seinen Hyacinthen, welche die zweite Stelle in seinem Herzen einnah- men. Myn Heer de Jonghe bat um die Erlaub- niß, bei dem Bockaffen zurückbleiben zu dürfen. Als er sich mir gegenüber allein sah, sagte er: Daß Myn Heer van Streef dich, du einziges Exemplar, mir abläßt, ist nicht zu denken, die Dienerschaft wird nicht zu bestechen seyn, folglich muß ich dich stehlen lassen. Nach diesen unzweideutigen Worten kehrte mein Gebieter mit seinem zweiten Freunde von den Hyacinthen zurück. — Wie ich Euch sagte, Myn Heer van Streef, sprach Myn Heer van Toll, es hält sich auf Vrouw Elizabeth seit einigen Tagen ein fremder Maler und Chemicus auf, der eine besondere Mischung der Farben entdeckt hat, wo- durch auch auf dem Porcellan das vollkommene Helldunkel von Rembrandt sich erzielen läßt. Ich wollte durch ihn eine große Vase in dieser Manier malen lassen, und alle Anstalten des Glühens und Einbrennens sind auch schon gemacht, nur war ich über den Gegenstand noch verlegen, weil ich einen ganz neuen für die neue Manier zu haben wünschte. Gar gerne möchte ich nun den sogenannten Bock- affen in Helldunkel auf meiner Vase sehen, weil den gewiß noch Niemand hat, und ich bitte Euch daher, daß Ihr mir die nachbarliche Gefälligkeit erzeigen wollet, meinem Chemicus diese Nacht den Zugang zur Menagerie zu verstatten. Er soll an dem Thiere bei Laternenlicht seine Studien machen und in dieser Beleuchtung eine Farbenskizze von ihm entwerfen. Nein, Myn Heer van Toll, das geht nicht an, versetzte der Hausherr. Die nächtliche Ruhe von Welgelegen darf unter keiner Bedingung gestört werden. Ihr könnet bei Tage dieses fremde Thier durch Euren Chemicus in Helldunkel abzeichnen lassen. — Gertruid ging mit dem Theegeräthe nach dem Lusthäuschen. — Kommt hinein, fuhr Myn Heer van Streef fort, ich will Euch, meine Freunde und Nachbarn eine neue Sorte Thee zu kosten geben. Wieder also sollst du gestohlen werden! dachte ich für mich. Bist du denn so kostbar? — In- zwischen war es im Lusthäuschen sehr lustig gewor- den, freilich nur auf niederländische Weise. Offenbar hatte das Wasser der Hippokrene durch die Reise seine Kraft nicht verloren. Die drei Freunde waren nach der ersten Tasse vom Theetische auf- gestanden und gingen, phantastisch erregt, ohne sich um einander zu bekümmern, im Stübchen auf und nieder. De Jonghe versuchte, während er ging, einen Pas aus der Menuet a la Reine zu bewerk- stelligen, van Toll sang in einem sonderbaren Falsett das Nationallied, van Streef zog den Vorhang des Canalfensters auf, öffnete Letzteres selbst und vergaß, die eben vorbeifahrende sechste Schuite am schwarzen Brette zu notiren. Statt eines drei holländische Schwärmer! Wunderbares Wasser! Selbst eine Stunde von Amsterdam wirktest du Zeichen, obschon zu Thee verkocht! — Bald sollte die Schwärmerei wieder mich in ihre Kreise reißen, mich, den schicksalbe- zeichneten Helden der abentheuerlichsten Bildungs- geschichte, welche jemals die Erde sah. Van Toll trat an das Menageriefenster des Lusthäuschens und flüsterte hinunter: Nach Mitternacht schicke ich den Chemicus mit einem Nachschlüssel her, dich abzureißen. Du sollst, und du sollst mir auf die Vase in Rembrandtschem Helldunkel. — Er trat zurück, de Jonghe näherte sich hierauf dem Fenster und rief, mit einem sehnsüchtigen Blicke auf mich, halblaut hinaus: Stehlen laß’ ich dich noch vor Mitternacht und dann auf der Stelle ausstopfen! Ausstopfen!? — — Nein, nein, das geht in das Ungeheure! Du sublime au ridicule — — Meine Sinne schwanden. Als ich wieder zu mir selbst kam, stand Myn Heer van Streef allein vor meinem Verschlage und Sebulon neben ihm. — Sebulon, sagte mein Gebieter, der Besuch ist nun fort, und da kann also etwas geschehen, was sich vor Fremden nicht ziemt. Ich bin durch das Theetrinken wieder in die helikonische Stimmung gekommen. Ich möchte der ganzen Welt helfen und rasch! Sage der Griete, sie könne auf der Stelle mit dem fremden Thiere hier verrichten, was nach meinem früheren Befehle erst morgen vorgenommen werden sollte. Wird wohl nicht mehr nöthig thun, versetzte Sebulon trocken. Es scheint wieder munter zu seyn, seht nur, Myn Heer, welche lustige Sprünge es macht. Ach nein, es war nicht mehr nöthig! — Die gräßliche Perspective, ausgestopft zu werden, hatte mit einem Schlage alle selbstmörderischen Gedanken in mir vernichtet, mich dem Leben in jeder Be- ziehung wiedergegeben und die gewaltigste Lebens- lust in mir angefacht. Ich sprang wie unsinnig im Verschlage umher, das nannte jener holländische Hausknecht Lustigkeit, ich stieß entsetzliche Töne aus, mich verständlich zu machen, meinem Gebieter den Verlust seines Theuersten anzukündigen, darüber lachten die Blinden! Sie gingen, es wurde dunkel, Sebulon schloß die Pforte. Unglücklicher, lege auf die Mauer, über welche Myn Heer de Jonghe seine Mordknechte steigen lassen wird, Selbstschüsse und Fußangeln! Durch die Pforte kommt höchstens der unschuldige Chemicus, Euren armen kleinen Bockaffen im Hell- dunkel seiner harmlosen Laterne abzureißen! schluchzte ich. Wie wird er sich betrüben, der Getäuschte, wenn er statt seines Studienobjectes nur die leere Stätte findet! Jammer über dich Welgelegen, wenn du morgen erwachest, und dein Kleinod dir gestoh- len siehst! Traure, traure, Vrouw Elizabeth, deine Vase bleibt unbemalt! Warum kann der Chemicus nicht vor Mitter- nacht kommen, und die Bande de Jonghe’s nach Mitternacht? So würde der Chemicus noch bei Laternenlicht zeichnen, wenn die Bande anlangte, sie verscheuchen, und diese Nacht wäre wenigstens gewonnen. Zufall, Zufall, du betrunkener Würfel- spieler! Tolles Räthsel des Daseyns, grimmiger Wust chaotischer Verwirrung! O mein Vater, mein Vater, wo weilest du? Eile herbei, deinen dir so sauer gewordenen Wurm vor dem Letzten, Schreck- lichsten zu erretten! Du bist wißbegierig und reisest viel, mein guter Vater, vielleicht besuchst du einmal auch das Cabinet von Myn Heer de Jonghe, und welch ein Augenblick wird es dann seyn, wenn du deinen unglücklichen Sohn vielleicht zwischen einer Fischotter und einem sibirischen Eichhorn siehst! — Zwar ich vergesse, wer ich bin, ich rede irre — du wirst mich nicht erkennen! Ausgestopft zu werden! — Gedanke, der das Hirn sieden macht, und alle Sehnen krachen! Nichts als Balg zu seyn und Werg! Aus gläsernen Augen dumm und starr zu schauen, und ewig den Drath in Rücken und Beinen zu fühlen, als einzigen hal- tenden Grundsatz! Neben sich nur Bälge zu haben, und diese ganze trockene Unsterblichkeit lediglich auf Kampher und Spiekoel gegründet! In solchen jämmerlichen Betrachtungen ging mir ein Theil jener merkwürdigsten Nacht meines Lebens hin. Ich fühlte zugleich, daß die äußerste Beängstigung in meinem Körper Folgen hervor- brachte, denn ich konnte, da ich im Verlauf meines Kummers als Mensch mir vor die Stirn schlagen wollte, wunderbar genug, dieß mit meinen Vorder- beinen bewerkstelligen, ich konnte an mein Fell fassen, und die Haare fielen ab, so wie ich sie nur berührte, endlich schien in meinem Antlitze ein förmliches Umziehen und Quartierverändern von Maul, Nase und Augen vor sich zu gehen, so rück- ten und knackten dort die Knochen. Aber auf alles Dieses hatte ich weiter nicht Acht, ganz ver- loren in die Furcht vor dem Ausstopfen. Gegen Mitternacht Geräusch draußen vor der Mauer, Klimmen, Herabwerfen einer Strickleiter! Ein Kerl steigt an ihr nieder, tappt zwischen Biber und Schildkröte vorsichtig hindurch — — Ich sitze (denn ich vermochte auch schon wieder zu sitzen;) stumm da, und raufe mir vollends alles Fell ab; seine rauhe Tatze ergreift mich — hui und davon mit mir über die Mauer! Ich hange schlotternd und an allen Gliedern gebrochen in seinen Armen. — Was, zum Teufel, habe ich denn da gefaßt? Das ist ja kein — murrt er, während er einige Schritte längst des Canals nach dem Landhause Schoone Zicht zu macht. Ehe er zu Ende gesprochen, stürzt ihm ein Mann entgegen, ruft mit einer von der Tugend selbst gebildeten Stimme heftig: Steh du Dieb, ich sah dich über die Mauer steigen! und haut auf ihn mit einem Degen ein. Der Dieb — Sünde giebt keinen Muth — läßt mich fallen und läuft davon. Ich falle in den Canal, jener unbe- zahlbare Retter springt, immer den Degen in der Faust, mir nach, holt mich heraus, ruft: Wie, ein nacktes Kind? und trägt mich, dem von diesen jähen Abwechselungen das Haupt schwindelt, zu einer Laterne hin, die etwa hundert Schritte von der Stelle am Canale brannte. Bei dem Schim- mer dieser Blendlaterne sehe ich meinem Retter in das Antlitz, und — wer faßt’s, wer glaubt’s, wer sagt’s, was ich empfinde? — Es ist — — mein Vater, mein sogenannter Vater! Was die Furcht und der Jammer nicht ge- konnt, die Freude vollbringt es. Ich finde die Sprache wieder, und, zwar noch immer etwas meckernd, aber doch verständlich, ist: Vater! Vater! Dein Kind! mein erstes Wort. Mit heißen Thrä- nen stürze ich an seine Brust, er erkennt mich, wie ich ihn erkannt, und — doch schweige, Lippe! falle, Vorhang über diese unbeschreibliche Scene! Stumm vor Rührung steckt er mich ohne Wei- teres wieder in seine linke Rocktasche. Darin finde ich ihn ganz. Alle liebe Erinnerungen gehen mir Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 14 in jener Tasche auf; es ist noch ein Rest Frühstück darin; ich versuche, es zu essen. Es gelingt; ich kann wieder Brod und Wurst essen! Ich bin ein Mensch wieder, das gebildete Kind gebildeter El- tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt mich in das Lusthaus Vrouw Elizabeth. Er ist’s ja, er ist der gute Chemicus, der sich dort auf- gehalten, der mit dem Nachschlüssel zu mir kommen, mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge- trieben, (sein Vaterherz war’s, das so stürmisch ge- klopft hatte!) vor Mitternacht sich aufmachte, einen Degen zu sich steckte, weil das Abentheuer immer einige Gefahr hatte, und so am Canal Zeuge des Diebstahls wurde. Wie ich diese ersten Erklärungen der wunder- baren Geschichte empfangen, ich weiß es nicht mehr zu sagen. Mein Vater stammelte nach der Tasche hinunter, worin ich saß, ich stammelte hinauf, wir begriffen uns durch Naturlaute. — Aber warum machtest du nicht Lärmen, mein Vater, als du den Dieb über die Mauer steigen sahst? fragte ich in einem ruhigen Augenblicke. — O Sohn, versetzte er, um einen Menschen zu retten, haben sich wohl schon größere Unwahrscheinlichkeiten begeben müssen, als daß man einen Dieb erst einsteigen und dann wieder herauskommen läßt. — Du konntest nur ge- rettet werden, wenn diese Unwahrscheinlichkeit vor- fiel, denn machte ich früher Lärmen, so erwachte das Landhaus Welgelegen, die Pforte wurde besetzt, du bliebst mir unsichtbar und in den Händen von Myn Heer van Streef. — Diese Antwort stellte mich vollkommen zufrieden. Wir waren unter solchen und ähnlichen Gesprächen vor Brouw Elizabeth angekommen; mein Vater zog die Klingel und weckte dadurch den Portier, der ihm sein Zimmer aufthat. In der Hellig- keit, welche durch Wachskerzen und Alabasterlampen hervorgebracht wurde, umarmten wir uns nun erst bei voller Muße. Vater, wie sehe ich aus? war meine erste Frage. Abscheulich, mein Sohn, versetzte er. Deine Züge sind in einer wunderbaren Unordnung, es ist, als wären Nase, Mund und Augen bei dir berauscht gewesen und erwachten nun in Winkeln, wohin sie nicht gehören. Die Ohren müssen wir vor allen Dingen stutzen, sie haben sich etwas zu üppig gen Himmel erhoben, an den Extremitäten sind dir 14* überflüssige Haarbüschel gewachsen, auch deine Spra- che schmettert sonderbar; warst du etwa bei einem Trompeter in der Lehre? Du kommst mir vor wie eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar- derobe, die einzelnen Bestandtheile deiner Totalität sind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie. Alles nichts, mein Vater, sagte ich, nachdem ich vor den Spiegel getreten war, und mich wieder so ziemlich menschlich gesehen hatte. — Er brannte, meine Geschichte zu vernehmen. Ich gab sie ihm in großen Umrissen. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh mich an, versetzte ich, und sage dann noch einmal, daß dies Träume gewesen seien. Das letzte Wun- der, so schloß ich meinen Bericht, war das größte. Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität in sich, und soll man ausgestopft werden, so nimmt sich bei diesem Gedanken jenes Fünkchen zusammen und man restaurirt sich von innen heraus. In den Tiefen von Angst, Grauen, Verzweiflung habe ich mich so zu sagen als Menschen zum zweitenmale geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe abgestreift. Streife jetzt nur auch eine anständige Hülle über! rief mein Vater, ging zu einer Commode und holte daraus die weißen Pumphöschen, das rothe Collet, den kleinen blechernen Säbel und den Turban hervor. Großer Gott! die Janitscha- rencadettenuniform war auch da! Wo fandest du sie? fragte ich ihn. Im griechischen Gebirge, wel- ches ich nach dir verzweiflungsvoll, wie Ceres Proserpinen suchte, durchrannte, antwortete er. Ich fand die Stücke auf einem Felsenabhange und glaubte, daß dich ein Raubthier gefressen habe. — Aber mein Vater, sagte ich, indem ich die Hosen anzog, an den Kleidungsstücken war ja kein Blut, woher also dieser Glaube? — Konnte dich das Raubthier nicht rein herausgefressen haben? erwie- derte er, etwas verstimmt über meine kritischen Zweifel. — Er mußte mir nun auch seine Geschichte erzählen. Sie war einfach. Aus Schmerz über meinen Verlust hatte er, nachdem er jede Hoffnung aufgegeben, mich wiederzufinden, sich noch eifriger den chemischen und physikalischen Studien ergeben, wie früherhin, und unter anderem auch jenes Far- benbereitungsgeheimniß entdeckt, welches ihn dem Holländer van Toll so werth machte. In der Heimath litt ihn der Kummer nicht, er reiste durch die Lande Europa’s als düsterer, zerrissener Por- cellanmaler. Unterweges traf er mehrere Collegen. Durch die allerseltsamste Fügung brachte uns das Schicksal wieder zusammen. Er ging bei Nacht aus, einen Bock zu zeichnen und traf seinen Sohn. Wir machten uns noch vor Tagesanbruch von Vrouw Elizabeth fort, denn mein Vater fühlte wohl, daß, da er dem Eigenthümer das fremde Thier nicht auf die Vase liefern könne, seine Rolle im Landhause ausgespielt sei. Wir benutzten die erste Schuite nach Amsterdam, und dort die erste Gelegenheit nach Bodenwerder. Als wir im Wagen saßen, ich wie in den ersten Zeiten in der Tasche, fiel mir der Gedanke an Frau von Münchhausen, die Gemahlin meines Vaters, schwer auf das Herz. Ich theilte ihm die Besorgniß mit und setzte hinzu: Wird es uns nicht gehen, wie Myn Heer van Streef, der in der Pforte seines Landhauses zum zweitenmale auf Reisen geschickt werden sollte? Nein, mein Sohn, erwiederte er, die vortreffliche Frau ist bereits vor sechs Monden gestorben, von mir begraben und hinlänglich beweint worden. — Ich zollte ihrem Andenken ebenfalls einige nachträgliche Zähren. Auf Bodenwerder widmete sich mein Vater nun ganz dem Werke meiner Ausbildung. Denn ob- gleich ich, wie aus dem Verlaufe dieser Ge- schichte erhellt, schon als kleines Kind wie ein Buch sprach, so fehlte es doch meinem Wissen an Zusammenhang, der jetzt erzielt werden mußte. Einen Augenblick dachten wir daran — denn ich gab zu meinem Bildungswerke auch jederzeit meine Stimme — mich nach Lorinser’s Ideen ohne Grie- chisch und Lateinisch bloß durch Haus- und Wirth- schaftskenntnisse zum Manne zu machen, allein es entstand die Besorgniß, daß ich bei dieser Methode leicht wieder in meinen früheren Zustand versinken könnte, und es dann vielleicht nicht einmal bis zum Bock, sondern nur bis zum Schöps brächte. Wir ließen also Lorinser Lorinser seyn und mein Unter- richt wurde in der Art geregelt, welche ich in einer meiner früheren Erzählungen zu schildern ver- sucht habe. Noch oft unterredeten wir uns über die Ein- zelheiten meiner außerordentlichen Geschichte. — Sage mir nur, mein Sohn, sprach mein Vater eines Tages, welche historische Lehre ziehst du aus allen diesen unglaublichen Vorfällen? — Vater, versetzte Münchhausen das Kind, die Geschichte ist erhaben über alle Lehren. Willst du aber aus der meinigen durchaus einen Satz ziehen, so ist es die einfache Wahrheit, welche jeder Student fühlt — daß die Söhne auf die Taschen ihrer Väter angewiesen sind. Hier machte der alte Baron noch einen letzten Versuch, den Strom Münchhausen’s zu hemmen, denn seine Kräfte waren schon halb gebrochen. Der Freiherr hatte aber auch jetzt Rath und Stärke, ihm zu begegnen, denn ehe der Schloßherr seinen Spruch vorbringen konnte, war bereits das zweite Manuscript entfaltet und die Geschichte „von den Poltergeistern in und um Weinsberg“ angefangen. Als der Freiherr auch diese zu Ende gelesen hatte, schlief der alte Baron, erschöpft von den Anstrengungen der letzten vier und zwanzig Stunden und den ausgezeichnet albernen Erzählungen seines Gastes einen festen und gesunden Schlummer. Der Freiherr stellte sich triumphirend neben den Sessel des Schlafenden und rief mit gedämpfter Stimme: Habe ich dich endlich unter mir, du alter Nacht- schwärmer und Ruhestorer? Uebrigens ist meine Lage auf diesem Schlosse bedenklich geworden, fuhr er ernsthaft fort. — Theo- retisch darf man den Leuten so viele Dinge, welche der Pöbel Lügen nennt, vorsagen, als man will, aber wehe dem, der ihnen etwas in den Kopf setzt, woran sich ihr Eigennutz heften kann! Sie glauben’s, sie glauben’s, und die Schüler treiben den Meister in die Enge. Ich fürchte, daß ich einen Fehler begangen habe, als ich die Luftverdichtungsactien- compagnie hier zur Sprache brachte, und der würde schlimmer seyn, als ein Verbrechen. Zehntes Capitel . Die Gesellschaft des Schlosses beginnt sich in ihre Elemente aufzulösen . Während des ganzen Tages, an welchem der alte Baron ruhelos umhergetrieben, und das Fräu- lein unpaß geworden war, hatte der Schulmeister Holz gesägt und darauf gespalten. Am folgenden Morgen empfing er durch den Kreisboten, welcher ihn in aller Frühe auf seinem Strohlager weckte, eine Antwort von dem Schulrathe Thomasius, die ihn sehr froh machte. Er warf sogleich seinen braunen Mantelkragen um, säuberte das Gemach des Gartenhäuschens von allen Spuren der Be- wohnung, stellte den schlechten Tisch und den höl- zernen Schemel, welche Stücke die einzigen Meubles dieses Gelasses waren, in Ordnung, den Tisch näm- lich an die Wand und den Schemel mit dem Sitze unter den Tisch, und schrieb darauf mit Bleistift nicht ohne Mühe und Nachdenken folgende Zeilen an die Wand: Allhier habe ich, Christoph Agesel, weiland Schulmeister auf und zu Hackelpfiffelsberg neun Monate lang in schwerer Krankheit zugebracht, welche mir durch eine unverständliche Sprachlehre angethan worden war. Nachdem der grundgütige Gott mir meine Gesundheit wieder verliehen, scheide ich von diesem Orte, an welchem ich manche schöne Stunde verlebte, mit Dank für die Ver- gangenheit und mit Hoffnungen für die Zukunft. Wie reizend ist doch die Empfindung Ganz wieder bei Verstand zu seyn, Er bleibt die herrlichste Erfindung, Schützt uns vor leeren Träumerein; Man wird damit auf Erden fast Bereits zu einem Himmelsgast. Nach dieser Schäferstunde seiner Muse schritt der Schulmeister hinaus in den Garten, wo über allen Verwilderungen und Trümmern der wolken- lose blaue Himmel leuchtete, warf einen dankenden und abschiednehmenden Blick den ausgewachsenen Taxusfiguren, dem Genius des Schweigens, dem Flötenbläser ohne Flöte und dem Delphin ohne Wasserstrahl zu, und ging dann in das Schloß, um dem Herrn desselben seine veränderten Entschlüsse kund zu thun. Dem alten Baron schmerzte noch von den phan- tastischen Erzählungen Münchhausen’s das Haupt. Um von diesen wesenlosen Dingen seine Vorstellun- gen zu befreien, war er, ohne vorher den gewohnten Frühgang durch den Garten zu machen, sogleich nach dem Verlassen des Bettes zur Gerichtsstube hinauf- gestiegen. Dort sich an die Tafel setzend, gelang es ihm auch, seine Gedanken zu sammeln. Er stützte den Arm auf die Tafel, legte das Haupt in die Hand und sagte: Ich merke recht wohl, wo dieses hinaus will. Es reut ihn, sein Luftverdichtungsgeheimniß in einem unvorsichtigen Augenblicke dahingegeben zu haben, darum sucht er mir durch die unsinnigsten Faxen zu entschlüpfen. Nein, mein kluger Freund, das soll dir nicht ge- lingen. Zum Glück kennen wir deine schwache Seite, und gegen diese habe ich bereits meinen Operationsplan entworfen. Unter Freunden soll Offenheit herrschen, nach diesem Grundsatze werde ich verfahren und hinter deine Heimlichkeiten zu kommen suchen, du unaufhaltsamer Schnurrenerzähler! Unbegreiflich, woher der Mensch alles das Zeug nimmt! Er muß ein sonderbares Leben geführt haben; mitunter ist es mir, als habe ich ihn schon irgendwo gesehen, ich weiß nur nicht, wo? Der Schulmeister betrat den Söller, bot seinem bisherigen Beschützer einen ehrerbietigen guten Mor- gen und ersuchte ihn dann ohne weitere Vorrede um einen seiner alten, abgelegten Röcke. Auf die ver- wunderte Frage des alten Barons, wie er gerade jetzt auf dieses Verlangen falle, da er sich so lange mit dem braunen Mantelkragen beholfen habe, erwiederte der Andere, daß letztere Bekleidung ihm als Menschen in seiner Zurückgezogenheit wohl er- laubt gewesen sei, sich aber nicht mehr ziemen wolle, wenn er, wie jetzt der Fall, in das öffent- liche Leben wieder einzutreten gedenke. In diesem werde nur der Rock anerkannt. Ich habe, fuhr er fort, indem er einen Brief hervorzog, gestern an meinen verehrten Vorgesetzten, den Herrn Schul- rath Thomasius unter unumwundener Darlegung meiner früheren und jetzigen Gemüthsverfassung geschrieben und ihn ersucht, mir einen Lehrposten von Neuem anzuvertrauen, da ich mich vollkommen fähig fühle, denselben zu bekleiden, nur nicht auf einem Dorfe, wo jene furchtbare Sprachlehre ein- geführt sei, sondern etwa weit hinten im Ge- birge, wohin diese Geißel Gottes noch nicht Zugang gefunden habe. Darauf antwortet mir nun der würdige Mann mit dem rückgehenden Boten, daß ich, wenn er bei einer persönlichen Zusammenkunft sich von der Wahrheit meiner Behauptungen über- zeuge, sogleich nach Hackelpfiffelsberg heimkehren könne, indem mein Nachfahr im Amte mit vorbe- rührter Sprachlehre auszukommen gleichfalls unver- mögend, vor Kurzem habe abgesetzt werden müssen, weil er aus Kummer und Unruhe, zwar nicht wie ich in Einbildungen, jedoch in Trunk und unduld- bare Ausschweifungen versunken sei. Unvonnöthen sei es aber, mich vor der Sprachlehre selbst noch zu fürchten, da sie neuerdings bei einer abermaligen Umgestaltung des Schulplanes auch schon wieder abgeschafft worden sei. So bin ich denn also hier, mein gütiger Gönner und Schirmherr, Ihnen für alle mir erwiesene Großmuth den empfundensten Dank zu sagen, Sie um die von mir erwähnte letzte Gabe anzusprechen, und mich Ihnen hierauf, jedoch hoffentlich nicht für ewig, gehorsamst zu empfehlen. Der alte Baron war vom Kopf bis zu den Füßen Erstaunen und sagte: Seid Ihr denn, Herr Agesilaus — Völlig bei mir, allerdings, fiel der geheilte Schulmeister ein. — Ich bitte Sie aber inständigst, mich fortan Agesel zu nennen, denn ein Agesel war ich, ein Agesel bin ich, und ein Agesel werde ich seyn, und gewesen seyn, dahier und in jener Ewigkeit. Nein, das ist aber nicht auszuhalten! rief der alte Baron und schlug zornig auf die Gerichtstafel. Gestern lügt mir Münchhausen vor, er sei ein Bock gewesen und aus Verzweiflung wieder Mensch ge- worden, und heute wird in Wahrheit und vor meinen sichtlichen Augen ein Verrückter vernünftig. So darf man denn auf Niemand sich verlassen und könnte über solche Streiche selbst närrisch werden, hätte man nicht so viele Geschäfte im Kopf. Es schmerzt mich, daß ich meinem Gönner Kummer bereite, sagte der Schulmeister sanft. Das in Ihren Augen unangenehme Ereigniß ist auf ganz natürlichem Wege herbeigeführt worden, und alle hoch- schätzbaren Bewohner dieses Schlosses haben daran ihren Theil. — Wie? Natürlich? — Es ist unrecht von Euch, Schulmeister, wiederhole ich. Konntet Ihr nicht bleiben, was Ihr wart? Warum wollt Ihr nun fortlaufen? Wir lebten hier so einträchtiglich zu- sammen, man hatte sich an einander gewöhnt, Eines lehnte sich an das Andere; nun kommt ein Riß in den schönen Kreis. Wenn etwas meine Freude über mich und mein hergestelltes Selbst zu trüben vermag, so ist es das Gefühl, Sie verlassen zu müssen, antwortete der Schulmeister. — Gnädiger Herr, ich kann nicht dafür, daß ich meinen Verstand wieder bekommen habe. Mangel an Anerkennung ist daran Schuld. Ich bin nie unter Ihnen anerkannt worden. Gleich zu Anfang, als ich die Ehre hatte, bei Ihnen zu seyn, fand ich für meine Idee von spartanischer Abstammung und Lebensweise weder bei Ihnen noch bei dem gnädigen Fräulein Anklang oder Widerspruch, sondern man ließ mich und meinen Wurm gehen, als völlig unschädlich und keiner Beachtung würdig. Diese Kälte steigerte sich aber zur verletzendsten Gleichgültigkeit, als der Freiherr von Münchhausen, welchen Gott Ihnen gesegnen möge, Gast des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr wurde. Während er der Empfindsamkeit des Fräuleins schmeichelte, Ihren Geheimenrathsbegriff abwechselnd hochstellte oder reizte, und während Sie Beide fortfuhren, von Ihren ungewöhnlichen Gedanken gegenseitig aufmerkende Kunde zu nehmen, bekümmerten weder Sie noch der Freiherr sich um die Vorstellungen eines armen Dorfschulmeisters — Ihr werdet ausfallend, Schulmeister! rief der alte Baron. Nach Eurer Folgerung wäre ich also selbst — Mein Gönner verstehe mich, unterbrach ihn der Andere. Die Sprache führt in ihrem Eigensinne derartige verfängliche Wendungen herbei, welche der Sprechende keinesweges beabsichtigte. Ich fol- gere nicht; meine einzige Absicht ist, mich Ihnen aufzuschließen. — Weder durch eingehendes Lob gehoben, noch durch Widerspruch gekräftigt, ent- behrte sonach die Pflanze meines Wahnwitzes (um bildlich zu reden) des befruchtenden Regens sowohl, als des Sturmes, der ihre Wurzeln im Boden befestiget hätte. Sie mußte also nach und nach in solcher Dürre vertrocknen, welken und absterben. Dieß schlich lange in mir umher; Sie würden, wenn Sie mich näher zu beobachten nicht unter Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 15 Ihrer Würde gehalten hätten, gesehen haben, daß ich schon seit geraumer Zeit still und nachdenklich einherging. Ich fühlte die spartanische Idee in mir von Tage zu Tage bleicher und farbloser werden. Durch eine unumwundene Erklärung des Freiherrn von Münchhausen in vorgestriger Nacht wurde ihr völliges Verscheiden hervorgebracht, und seitdem bin ich der Dorfschulmeister Agesel von niederer deutscher Herkunft. Anerkennung, mein Gönner, braucht Jedermann. Der größte Held und der höchste Dichter bleiben ohne sie — und zeigte sie sich auch nur durch wüthende Feindseligkeit — gewiß nicht Held und Dichter. Es ist thöricht, wenn kalte Menschen einen in dieser Beziehung Darbenden auf sein eigenes Bewußtseyn verweisen, weil gerade die besten und tüchtigsten Seelen immerdar an sich zweifeln, und von Andern eine so große Meinung haben, daß sie in deren Schätzung ihr Gericht finden. Alle Eigenschaften können durch todte Gleichgültigkeit der Umgebungen zu Grunde gerichtet werden. Anerkennung, Herr Baron, braucht auch der Narr, wenn er Narr bleiben soll. Er will entweder gebunden und in die Zwangsjacke gesteckt, oder in seiner eigenthümlichen närrischen Vorstellungsart angesprochen seyn. Läßt man ihn aber laufen, so wird er bald vernünftig, er mag wollen oder nicht. Schulmeister, rief der alte Baron, Ihr sprecht da große Dinge aus. Demnach wäre alle Unver- nunft — … sehr bald zu heilen, ja vielleicht schon ganz in der Welt ausgegangen, wenn nicht darauf ge- achtet würde, sagte der Schulmeister. — Ein Satz, der nicht nur im Privatleben ernstlich erwogen, sondern auch Fürsten und Gewalthabern zum Nach- denken anempfohlen zu werden verdient. — Der Lärmen und das Geschrei um widersinnige Vorstel- lungen und Handlungen rührt auch meistentheils nicht aus einem Widerwillen gegen sie, sondern daher, daß jeder Mensch in sich den Narren fühlt, und ihn liebt und zu erhalten wünscht. Er macht daher über den Narren seines Nächsten so großes Aufheben, oder richtiger zu reden; Er widmet ihm Anerkennung, weil er bei sich denkt: Was du willst, daß dir die Leute thun sollen, das thue ihnen zuerst. Der alte Baron verwunderte sich jetzt wie schon früher einmal über die Weisheit des Schulmeisters, die ihm geblieben war, obgleich er wieder den Sinn 15* eines gewöhnlichen Menschen angelegt hatte. Als er etwas der Art aussprach, meinte der Schul- meister, dieser Tiefsinn, der ihm allerdings nicht recht eigne, möge ihm wohl noch als Nachübel seines Zustandes anhaften, indessen hoffe er auch davon bald befreit und gewöhnlicher Mensch in der vollsten Bedeutung des Wortes zu werden. Da der Schloßherr sah, daß es seinem Gaste voller Ernst war, zu scheiden, so erlaubte er ihm, von mehreren abgelegten Röcken, welche an den Pflöcken in der Gerichtsstube umherhingen, sich einen auszuwählen. Der Schulmeister war lange unschlüssig, ob er einen leberfarbenen Frack oder eine veilchenblaue Pekesche mit Sammetvorstößen nehmen sollte, entschied sich aber endlich doch für die Pekesche, weil sie den Regen besser abhielt, als der Frack. Als er sie eben vom Pflocke nahm, trat Karl Buttervogel mit einer ängstlichen Miene in die Gerichtsstube. Gnädiger Herr, sagte er, wie ich jetzt unten durch die Stube linker Hand, worin Sie Ihre Familenurkunden aufbewahren, ging, sah ich, daß die Wand gegenüber der Giebelwand einen großen Spalt und Riß bekommen hat, woraus ich abnehme, daß die Giebelwand noch weiter ausge- wichen ist, als früher, und wahrscheinlich anfängt, das Dach mitzunehmen. Ganz wohl, versetzte der alte Baron. Ich wollte nur, ein Theil des Hauses stürzte ein, ohne daß eine merkliche Gefahr für uns Andere daraus ent- stände, denn dann wäre dein Herr gezwungen, Ernst zu machen, und vorläufig für die hiesigen nothwendigsten Reparaturen zu sorgen. Ja, aber bis daß die Sache zu Stande kommt, möchte ich wohl ausziehen, sprach der Bediente. Und ich wollte den gnädigen Herrn gebeten haben, mir das Logis auf dem Schneckenberge zu geben, da der Herr Schulmeister es nun geleert hat, und es wäre doch Schade, wenn die angenehme Som- merwohnung nicht benutzt würde, und mein bisheri- ges Loch liegt dicht neben der Wand mit dem Sprunge, und außerdem liebe ich die freie Luft und eine Aussicht in’s Grüne, und mag gerne mitunter vor mich seyn, und auch das gnädige Fräulein kann mich dort ungestörter sprechen, und wenn man seine Wurst nicht mehr in Ruhe essen darf, so ist alles häusliche Vergnügen zum Henker, und hier oben haben nun der gnädige Herr Ihr Gerichtsregiment und — Schweige, schweige! rief der alte Baron. Bei dir wachsen wirklich; wie ich in einer englischen Comödie las, die Gründe gemein wie die Brom- beeren; die Hälfte von dem, was du sagtest, genügt. Du bist ein Poltron, und denkst nur, wie Ihr geringen Leute Alle zu thun pflegt, an dein theures Leben. Schlafe ich nicht auch in der Nähe jener geborstenen Wand? Aber ziehe nur auf den Schnecken- berg, es ist mir selbst lieb, wenn Jemand dort wohnen bleibt, der doch wenigstens halb und halb zu uns gehört. Du sollst mir ein Trost für den Schulmeister seyn. Dieser bereitete sich zum Abgehen. Der alte Schloßherr reichte ihm nicht ohne Rührung die Hand, welche der Schulmeister mit dankbaren Thränen küßte. Gott lohne Ihnen alles Gute, was Sie mir erzeigt haben! rief er. Er segne Ihre Tage und schenke Gedeihen Allem, was Sie vornehmen! Schulmeister, sagte der Alte und legte ihm feierlich die Hand auf die Schulter; wenn ich mir es reiflich überlege, so geht Ihr im rechten Augen- blicke. Große Umgestaltungen der Lebensverhält- nisse sind immer zerstörerisch für den bisherigen Umgang. Das Schloß wird der Schauplatz wichtiger Unternehmungen werden, in denen Ihr keine Stelle fändet und Angesichts derer Ihr Euch unbehaglich fühlen würdet. Unter uns — behaltet es aber bei Euch: An dem Geheimerathsposten liegt mir so viel nicht mehr. Wißt Ihr, was Luft ist? — Wenn Euer Schulhaus baufällig werden sollte, so eröffnet mir die Sache vertrauensvoll, es soll Rath geschafft werden für Material zum selbstkostenden Preise. Unglaublich ist, was wir hier vorhaben, und den- noch ist es wahr, denn ein Cavalier hat es dem Andern zugesichert, und aus Unrath machen sie jetzt Licht und aus dem, was man sonst weggoß, Zucker. — Noch Eins; Euer Weg führt Euch nahe am Oberhofe vorbei, erkundigt Euch doch dort, ob sie etwas von der Lisbeth wissen, sie wollte bei dem Hofschulzen vorsprechen. Mich verlangt von Herzen nach dem Kinde, besonders jetzt, wo ich ihr die Freude machen kann, ihr eine gesicherte Zukunft zu versprechen. Viertes Buch . Poltergeister in und um Weinsberg . I. Das Juliusspital und die beiden alten Weiber . In Würzburg angekommen, war mein erster Gang nach dem Juliusspitale. Das prächtige Ge- bäude, die Reinlichkeit und Stille der großen Höfe, Gänge und Säle, das zufriedene Aussehen der Alten und Reconvalescenten, welche im freundlichen Garten ihren Sonnenschein genossen — alles das machte einen wohlthuenden Eindruck auf mich. Ich ließ mich in die Kellerei führen, pries die werkthätige Menschen- liebe Julius Echter’s von Messelbaum und leerte auf sein Andenken eine Flasche Leisten, eigenes Wachsthum des Spitals. Ich wurde gesprächig, der Kellermeister, welcher mir trinken helfen mußte, wurde es auch, ein Wort gab das Andere, und im Laufe dieser Gespräche sagte ich zu ihm: Es ist hier bei Ihnen so anmuthig, daß man wünschen könnte, zu Ihren Alten und Siechen zu gehören. Ja, es läßt sich schon im Juliusspital leben, versetzte der Kellermeister behaglich und strich seinen Bauch. — Wir haben die schönsten Lagen und davon erhält Jeder, der zu seiner Gesundheit schweren, feurigen Weines bedarf ohnentgeltlich, die Flasche mag fünf oder sechs Gulden kosten. Auch für ge- wöhnlich bekommt Mann und Weib sein Maaß Land- wein täglich und Brod, Fleisch und Zugemüse, so viel bewältiget werden mag. Die Leute werden daher auch, sobald sie die Pfründnerschaft hier er- langt haben, gesund, still und fröhlich, wenn sie vorher noch so kränklich und verdrossen gewesen sind. Zank und Hader fällt kaum unter uns vor, und daß gar Einer aus dem Juliusspital sich wieder in die Welt gesehnt hätte, ist unerhört geblieben, bis auf einen Fall, von dem aber auch noch immer gesprochen wird, obgleich seitdem manches Jahr verstrichen ist. Ich erkundigte mich näher nach diesem unerhör- ten Falle und erfuhr „a simple story,“ daß vor längerer Zeit ein Paar alter Weiber, die immer zusammengehockt und ein Zischeln und Plaudern mit einander gehabt hätten, aus dem Spitale fort- gelaufen und nicht wieder entdeckt worden wären. Man habe weder im Main noch weiterhin in der Tauber oder im Kocher damals Leichname aufge- funden, die alten Weiber seien auch nicht in ihrer Heimath gesehen und alle Nachforschungen vergeblich gewesen, so daß es ihnen Allen gedäucht, die Erde müsse sie verschluckt haben. Ich fragte, ob an diesen beiden alten Weibern irgend etwas merkwürdig gewesen sei? worauf mir der Kellermeister ver- neinend antwortete und hinzufügte, es seien eben nur zwei gewöhnliche alte Weiber gewesen. Nichtsdestoweniger war das Ereigniß in diesem Kreise von solcher Schwere und Bedeutung, daß sich ein Gehülfe und ein Aufseher, welche während unserer Unterredung die Kellerei betraten, sobald sie den Gegenstand, worüber wir sprachen, vernah- men, auch in ihrer Weise darüber äußerten. Ich hörte also noch zweimal die Geschichte von den zwei weggelaufenen alten Weibern mit verschiedenen Nebenumständen, die der Gehülfe und der Aufseher wußten. So erzählte der Aufseher, das Zischeln und Plaudern der Mutter Ursel und Mutter Beth’ habe sich um lauter Rockenstubengeschichten gedreht, in denen sie unerschöpflich gewesen seien. In der Zerstreuung schlug ich ein Buch auf, welches auf dem Tische lag und fand die berühmte Seherin von Prevorst. Mein Erstaunen war nicht gering. Denn dasselbe Werk hatte ich schon in zwei andern Gelassen des Spitals liegen sehen. Ei, sagte ich zum Gehülfen, beschäftigen Sie sich hier auch mit diesen Dingen? Das wäre mir lieb; da könnten wir heute Abend, wenn Ihre Geschäfte vorbei sind, und Sie mir die Ehre erzeigen woll- ten, im Wirthshause mein Gast zu seyn, ein Stündchen in Handwerksgesprächen verplaudern. Ich bin halber Doctor; da es aber (weiß der Himmel, wie es zuging?) mit meinen Recepten nicht recht klecken wollte, verfiel ich auf die ge- heimen, heiligen und mystischen Behandlungen, um es wo möglich bis zur Production einer in die unsere hereinragenden höheren Welt zu bringen. Ein Paar Lichtschimmer, hie und da ein Stückchen sphärischer Musik, oder ein unmotivirter Knall ge- lang mir auch glücklich unterweilen, der kleinen Lappalien von Brieflesen mit dem Nabel und Gucken durch dicke Bretter natürlich zu geschweigen. Aber die recht großen Sachen, die eigentlich zusammen- hangenden Darstellungen aus dem Mittelreiche habe ich noch nicht zu Stande bringen können, und deß- halb wollte ich denn jetzt vor die rechte Schmiede gehen, nämlich nach Weinsberg, um die Sache aus dem Grunde zu erlernen. Wie würde es mich freuen, wenn ich schon unterweges in Würzburg einen Mann gefunden hätte, von dem ich Licht und Belehrung in dieser schwierigen Materie mir erhoffen dürfte! Sie irren sich in mir, mein Herr, versetzte der Gehülfe. Ich beschäftige mich nicht mit Geister- und Sehersachen. Wenn man den ganzen Tag acute und chronische Uebel unter Händen hat; greifliche Leiden, wie Gicht, Hektik und Kachektik, so will sich keine Zeit für die höhere Welt und das Mittelreich finden, auch muß ich gestehen, daß Erstere noch nie in unsere Krankenstationen herein- geragt hat, und daß wir mit Chinin, Isländischem Moos, Merkur, und was dieser Potenzenreihe anhängig ist, ausreichen. Die mehreren Exemplare des Prevorstischen Werkes, über welche Sie viel- leicht bei Ihrem Gange durch unsere Anstalt sich verwundert haben, rühren von einer auffallenden Zusendung her. Es wurde nämlich unbegehrt auf einmal wohl ein Dutzend ohne Begleitungsschreiben in das Juliusspital geschickt, und wir haben durch- aus nicht ermitteln können, wer uns dieses sonderbare Geschenk (denn niemals hat Jemand dafür Be- zahlung verlangt) gemacht hat. Ein Unbekannter hatte das Packet dem Thürwärter in die Hand geschoben und war dann verschwunden. Ohne mir etwas dabei zu denken, fuhr mir die alberne Frage zwischen die Lippen: Waren die beiden Ihnen so theuren alten Weiber damals noch im Spital, als dieses Werk Ihnen von anonymer Hand zuging? Der Kellermeister, der Gehülfe und der Auf- seher sannen nach und versetzten dann einhällig: Nein, es war weit später; die alten Weiber waren schon mehrere Jahre zuvor entsprungen. II. Erste Ankündigungen einer höheren Welt . Am andern Tage fuhr ich über Mergentheim, Künzelsau, Oehringen nach Heilbronn. Es war bereits etwas dunkel, als ich ankam. Wie weit ist Weinsberg von hier? fragte ich einen Fuhrmann, der auf der Straße seine Karre trieb. Zwei Stun- den, war die Antwort. Oho, dachte ich, da wäre es wundersam, wenn mir nicht hier schon etwas begegnen sollte. Die letzten schwächsten Wir- kungen des Weinsberger Pandämoniums müssen mindestens bis hieher sich erstrecken. Also paß auf, Münchhausen. — Münchhausen war damals kein gebildetes Kind gebildeter Eltern mehr, er war Jüngling, schwärmerischer Jüngling voll Ahnung und Sehnsucht nach dem Jenseits. Ich paßte auf und — erlebte etwas. Neben der Kilianskirche fließt in einer Vertiefung der Brunnen, von welchem Heilbronn den Namen er- Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 16 halten hat, weil durch sein Wasser einst ein alter Schwabenherzog geheilt worden seyn soll. Ich stieg zwischen der steinernen Umfassung die Stufen hin- unter, und setzte mich den Röhren, aus welchen die Quelle sprudelt, gegenüber auf einen Stein. Bald fühlte ich in den unteren Theilen meines Körpers eine Kälte und auch oben wehte es mich kühl an. Nun, da haben wir es! sagte ich zu mir. Seid Ihr schon da, Ihr anhauchenden Geister? Ich blieb noch eine Weile sitzen und merkte, daß Kälte und Wehen immer stärker wurde. Sie machten zuletzt einen förmlichen Wind. Als ich den Stein be- fühlte, auf dem ich gesessen, fand ich ihn feucht, woraus zu entnehmen ist, daß die abgeschiedenen Seelen sich auch durch Nässe ankündigen. — Ich ging in’s Wirthshaus, wo schon die Lichter angezündet waren. Unterweges hatte das Wehen und Blasen und das Nasse noch stäts zugenommen, und ein in der Thüre seines Ladens stehender, in den Schran- ken des Cerebralsystems befangener heilbronner Speditionshändler sagte: ’S ist a wüst Wetter. — Du armer Blinder Im Wirthshause aß ich Feldhuhn und Kraut- sallat. Die Feldhühner tragen sie dort allerliebst auf mit dem unberupften Kopfe und um den Hals ein papiernes Krägelchen. Den Oberkellner, der mir ein sinniger Mensch zu seyn schien, forschte ich nach Weinsberg aus, und erfuhr zu meiner Freude, daß es jetzt recht lebhaft dort sei, und das Zwi- schenreich sich im vollen Gange befinde. Haben Sie nicht hier im Gasthofe ein Zimmer, worin etwas erscheint? fragte ich ihn im Vertrauen. Der Oberkellner versetzte, er habe seinem Herrn schon längst gerathen, sich für die immer stärker werdende Nachfrage von Liebhabern unter den Reisenden ein Geisterzimmer einzurichten, allein der wolle sich nicht darauf einlassen, weil er die Sache für eine vorübergehende Mode halte und sage, sein Haus könne durch eine Stube mit Zwischen- reich in Verruf kommen. Ich halte mir aber für meine eigene Rechnung ein Gemach, worin es bei Nacht wenigstens etwas poltert oder schnurrt, und wenn Sie einen Gulden auf die Rechnung zulegen, steht es Ihnen zu Dienst; flüsterte er mir zu. Mit Freuden schlug ich ein, mußte ihm aber das Geheimniß über die Sache versprechen, denn, sagte er, wenn sie auskommt, so bin ich um meinen Posten, oder muß von der Geisterstube Abgaben 16* entrichten, welche sie nicht einbringt. Sonst trieb ich einen kleinen Handel mit Seifenkugeln, Zahn- bürsten, wohlriechenden Wassern und Patentrasir- messern, wie das in Wirthshäusern so gebräuchlich ist, aber die Steuern waren zu schwer, und deßhalb ließ ich das Geschäft eingehen und etablirte als stillen Nebenverdienst die Stube mit Geistergepolter. Wir gingen vorsichtig zum Hinterhause hinaus und durch einen finstern Gang, worin allerhand Geräthschaften und Weintonnen standen, nach einem kleinen Seitengebäude, welches vermuthlich das Waschgelaß in sich faßte, denn es roch nach Seife aus dessen offenstehenden Fenstern. Darin schloß mir der Oberkellner eine Kammer auf, in der eine herrlich verdorbene Luft brütete. Er wollte diese Atmosphäre entschuldigen, ich aber unterbrach ihn und fragte, ob er sich nicht besser auf das Metier verstehe? Gerade ein solcher müffiger Dunst und Schwaden sei der rechte Geisterbrodem. Es war ganz darin, wie es da sein muß, wo das Kernbeißer-Eschenmichel’sche Wunderwesen sein Quartier aufschlagen soll; die Wände sahen wie verwitterte Dämonen aus, und von der Decke hat- ten die Poltergeister den Kalk abgetrampelt. Ich ließ den Oberkellner gehen, hing meine Kleidungs- stücke an den Nagel, merkte, daß nach der guten Abendmahlzeit, die ich eingenommen hatte, die heilige Thätigkeit meiner Unterleibsnerven beginne, war sonach reif zum höheren Schauen, blies deß- halb die Kerze aus und rannte im Dunkel auch gleich gegen einen recht groben Geist an, der sich wie eine Tischecke anfühlte. Darnach legte ich mich zu Bette, und es blieb eine Zeitlang still. Nur war mir’s sonderbar, daß mein Kopf immer tiefer sank und meine Füße immer höher zu liegen kamen. Aha, dachte ich, Ihr zieht die Federn weg, wohin sie gehören, und stopft sie dorten hin, wo sie nicht am Platze sind, Ihr unruhiges, sündhaftes Gesindel! Ich konnte über diese Thätigkeit der Dämonen nicht lange nachdenken, denn mit einemmale verbreitete sich durch eine Ritze in der Thüre ein Lichtschimmer im Gemache, es war, als ob Jemand draußen gehe, die Stiege neben meiner Kammer emporwandle, und sich über mir zur Ruhe begebe. Ich rief mit lauter Stimme: Wenn das da draußen kein weins- berger Geist, sondern ein Hausknecht ist, so ant- worte es! Es antwortete aber Niemand, und bald darauf hörte ich den Geist fürchterlich schnarchen. Nun trat wieder ein Schweigen von wohl einer Stunde ein, während welcher Zeit ich die Augen und Ohren offen hielt, wie ein Hase. Da auf einmal hörte ich ein bröckelndes Geräusch an der Wand, wo ich meine Kleider aufgehängt hatte, und ein Fallen. Zugleich spürte ich das Aufsteigen von Staub. Jetzt seid still, Dämonen! rief ich, ich habe nun genug neue Erfahrungen eingesammelt. Ihr könnt Euch wie Regentropfen ankündigen, Ihr zieht Einem die Federn unter’m Kopfe weg, Ihr trampt wie ein Hausknecht und rührt Staub auf — ich bitte mir nun Ruhe aus, Kerls, denn ich will schlafen. Wirklich schlief ich, nachdem die Geister auf diese Anrede muckmausestill geworden waren, ein. Allein noch vor Tagwerden erwachte ich wieder von unendlichen Beklemmungen, welche der dämo- nische Brodem in der Kammer und dann auch meine unnatürliche Lage mit dem Kopfe unten, mit den Füßen oben, mir verursachte. Das Blut war mir so zu Kopfe gestiegen, daß ich zu ersticken meinte, ich hielt mich aber ganz still und dachte: Stickst du, so stickst du als Opfer für die Ausbreitung höherer Erkenntniß. — Endlich wurde es denn doch Tag, ohne daß ich erstickt wäre, und da sah ich ein noch viel größeres Wunder, als dasjenige gewesen wäre, wenn die Geister mir die Federn unter’m Kopfe weggezogen hätten. Ganz umge- kehrt hatten sie mich; vermuthlich während des Schlafes. Ich lag mit dem Kopfe drunten am Fußende, und die Beine ruhten droben auf dem Kopfkissen; ein in den Schranken des Cerebral- systems Befangener würde gesagt haben, daß ich am Abend zuvor mich verkehrt niedergelegt habe. Ich stand auf und sah, daß das fallende Geräusch von meinen Kleidungsstücken entstanden war, welche die Geister mit dem Nagel von der Wand herabgeworfen hatten. Dessen Ausziehen konnte ihnen freilich keine große Mühe verursacht haben von wegen der bröcklichten Umstände, worin sich, wie schon angeführt worden ist, die Wand befand. Ich trank meinen Caffee, dann zum zweiten Frühstück eine Flasche Affenthaler, fühlte meine Glaubenskraft hierauf in der gehörigen Verfassung, gab dem Oberkellner seinen Gulden, erklärte mich mit seiner Bedienung vollkommen zufrieden, versprach die Kammer neben dem Waschgelasse allen Höhe- rerwelthereinragungsmännern meiner Bekanntschaft bestens zuempfehlen, und rollte dann den blauen Bergen zu, zwischen denen Weinsberg liegt. III. Der magische Schneider . Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege, von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen sah, bemerkte ich, daß ein spindeldürrer Mensch vor meinem Wagen auf der Landstraße hin und her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be- trunken gelten konnte, denn er taumelte in der That außerordentlich und fiel nach einigen Ver- suchen, Grund und Boden dennoch fest unter den Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine Lage da unten zwischen Wegerich, Nesseln und Vo- gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menschen, denn ganz symmetrisch war er gefallen, mit dem Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra- ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und links auf die Ränder des Grabens gestreckt, so daß der Meridian gerade durch sein Centrum ging. Dieses außerordentliche Schauspiel regte meine be- besondere Theilnahme an, ich stieg vom Wagen, hob mit Hülfe meines Fuhrmannes den Sinnlosen hinauf, und dachte, in Weinsberg werde sich wohl ein Ort finden, wo er ausschlafen könne. Endlich waren wir angelangt, und Doctor Kernbeißer, dem ich schon empfohlen worden war, empfing mich recht freundlich. — ’S ist gut, sagte er, daß Sie kommen. Für zwei Mann wird der Sache zu viel, wir brauchen junge Kräfte, um die Geisterwelt gehörig bestreiten zu können. ’S ist heute einmal wieder ein tolles Getreibe hier und das Zwischenreich ganz des Henkers. Das ist ein Gerutsche, Gebrumme, Gepoltre, Gedusele, Gedu- dele, Geschreite, Gewinsele und ein Gerumore durch einander, daß man nicht weiß, wo man zuerst anfassen soll. Ich helf’ herzlich gern meinen Ne- benmenschen in der unsichtbaren Welt, aber es kann Einem auch zu viel werden. Der Eine will erlöst seyn, der Andere hat ’n Schatz vergraben, der ein Geheimbuch über die Seite gebracht, dazwischen fallen die Sonnenkreise ab, wie reife Maulbeeren, dem soll man was vorbeten, dem auf’m Clavier was vorspielen, wir wissen Beide nicht, ich und mein Freund Eschenmichel, wo uns der Kopf steht. Ich bat ihn, sich zu beruhigen, was an mir sei, werde geschehen, ihnen Aushülfe zu geben. — Wir gingen in das Haus, welches mit seinem freundlichen Garten an die Stadtmauer stieß. Drinnen rief uns Eschenmichel, der eben eine Som- nambüle bestrich und vor Eifer mich gar nicht be- grüßte, an: Kommt der Dürr? — Nein, versetzte Kernbeißer, vor der Hand bring’ ich nur den Münch- hausen. — Wer ist der Dürr? fragte ich. — Der magische Schneider, versetzte Kernbeißer, den wir uns zum Succurs verschrieben haben. Ein Satan von Kerl! (O Gott, verzeihe mir meine Sünde und dieses Fluchwort!) Er hat mehr Gewalt über die Dämonen, als wir Beide zusammengenommen, er schnauzt sie an, daß es nur so eine Art hat und bringt sie zur Raison. Er sollte uns beistehen und hatte auch sagen lassen, daß er heute kommen wolle. Gott hat ihm den Sinn wunderbarlich aufgeschlossen und mit herrlichen Kräften gerüstet; er steht im Centro der Dinge und sieht von da die Radien ausstrahlen in die Peripherie, wo sie die Schaale und die Kruste und die Figur der sogenannten äußeren Welt bilden, über welcher dann die himmlischen Wolken wie suchende und liebende Mütter schweben. Diese streben mildregnend bis zum Centro einzudringen, daß Himmel und Creatur eins werde in ewiger Lösung und Bindung, und — Schwätz nit so viel, Kernbeißer! rief hier Eschenmichel dazwischen; ich kann vor deinem Getös’ die Strunz hier nicht vernehmen, welche so eben beginnt mit der inneren Sprach’ mir das Geheim- niß des jüngsten Tages auseinanderzusetzen. Ich muß doch dem Münchhausen den Dürr be- schreiben! rief Kernbeißer zugleich zornig und er- mattet. — Immer störst du mich im Aufschwung. Nun ist meine Anschauung zerbrochen, meine Kraft dahin, und ich bin für den Rest des Tages nur noch ein Lump. — Haben Sie den Dürr nicht unterweges erschaut? Ich wollte eben verneinend antworten, als der Fuhrmann eintrat und fragte, was denn mit dem todten Menschen auf dem Wagen werden solle. Ich bat Kernbeißer’n um einen Aufbewahrungsort für meinen Schützling. Er sagte ihn gern zu, ging mit hinaus, um den Menschen vom Wagen heben zu lassen, schlug aber wie außer sich die Hände über dem Kopfe zusammen, als er ihn, der wirk- lich wie todt auf dem Grunde des Fahrzeuges lag, ansichtig wurde, und rief: Das ist ja der Dürr! das ist ja der Dürr! das ist ja der magische Schnei- der! O Himmel, muß ich dich wieder in diesem Zustande sehen, Dürr? — Schauen Sie, sagte er zu mir, dieses ist die einzige Schwäche des außer- ordentlichen Menschen; er besäuft sich einen um den andern Tag, woran aber freilich sein reizbares Nervensystem Schuld ist. In dieser Verfassung kann er nun von allen seinen schönen magischen Gaben keinen Gebrauch machen, und so geht die Hälfte seines Lebens für die höhere Welt verloren. O Dürr! Dürr! Dürr! — Aber, was kann’s helfen? Nehmt ihn säuberlich herunter und legt ihn auf Stroh, daß er ausschlafe. Der magische Schneider, den ich so unwissend aus dem Straßengraben in das Hauptquartier des Geisterreiches befördert hatte, wurde in einen Stall gethan, ich aber zog nunmehr bei den Thaumatur- gen ein. Bald nachher setzten wir uns ohne vor- gängiges Wunder zu Tisch. IV. Der Gergesener — die innere Sprache — das Examen rigorosum . An dieser ersten Mittagstafel nahm außer den Hausgenossen ein Mensch mit wilden Blicken Theil, von dem ich schon gehört hatte, daß er seines Zei- chens ein Besessener sei und hin und wieder grunze. Dieses war natürlich, denn es saß in ihm der Teufel Einer, welche einstmals in die Gergesener Säue gefahren waren. Auf dem kurzen Wege, welchen er in einer solchen Behausung bis zum Teiche machte, wohinein sich die Heerde damals stürzte, hatte er das schweinische Leben so lieb ge- wonnen, daß er noch immer von Zeit zu Zeit jene Töne hören ließ. Ueberdieß verlangte er mitunter nach Schweinefutter, insbesondere nach Gerstenschrot. Wir geben’s ihm aber nicht, er muß Hausmanns- kost essen, wobei er oft jämmerlich brüllt und zuckt, sagte Kernbeißer. — Ich habe von ihm die wunder- barsten Aufschlüsse erhalten, sprach Eschenmichel im Seherton. Die Zeit ist aber für solche Mitthei- lungen noch nicht reif. Wie steht’s heut, Pochhammer? fragte er den Besessenen. — Bis jetzt noch so ziemlich, Herr Doctor, versetzte dieser sehr höflich und in der Sprache eines gewöhnlichen Menschen, aber es wird leider nicht lange dauern, er kullert schon etwas unter’m Zwerchfell, es ist ihm wieder eine Ratz’ durch den Kopf gelaufen, o weh — da steigt er auf — da sitzt er in der Kehle schon — da — da — oih! oih! oih! — So fing er an zu grunzen, und dazwischen schrie er unaufhörlich mit rauher Stimme: Kleien! Schrot! Kleien! Schrot! Eschen- michel betete, Kernbeißer sagte tolle Knittelreime auf den Gergesener her, und die übrigen Tischge- nossen aßen ruhig fort, denn dergleichen gehörte hier zu den alltäglichen Dingen, aus welchen Nie- mand mehr ein Aufhebens machte. Während dem trat der Knecht, den ich im Hofe gesehen hatte, ein, und sagte: Der Dürr ist erwacht und begehrt zu trinken. — Ei, was hat der Schliffel ein Gefäll, rief Kernbeißer. Er soll sich hereinscheeren und hier erst seine Arbeit verrichten, und dann wollen wir weiter sehen. — Ja, schicke den Magischen zu uns, sage ihm, der Gergesener grunze heute ausnehmend; fügte Eschenmichel hinzu. — O Ihr himmlischen Kräfte, welche Finsterniß muß doch da drunten in der Hölle seyn! Gott bewahre uns Alle vor dem Abgrunde, darin Asta- roth heult, und Beelzebul einen feurigen Reif schlägt! Der magische Schneider trat ein, noch unsicheren Ganges, mit rothen Augen, die Zunge zwischen den trockenen Lippen hin und her bewegend. Kernbeißer und Eschenmichel gaben ihm zum Willkomm die Hand und forderten ihn auf, den Gergesener zu beschworen. Den wollen wir bald zahm kriegen, sagte der Schneider, und trank ein großes Glas Neuen aus. Er krämpelte die Rockärmel auf, reckte seine spindeldürren Glieder, vor den Besessenen tretend, aus, hielt ihm die geballte Faust vor den grunzenden Mund und rief: Bist gleich ruhig! Ich, der Dürr, befehl’s dir, kraft meiner magischen Gewalt. Was für Sitten sind das, du Schwein- teufel? Kannst du nicht sprechen, wie die Andern, oder hast auf dem Weg nach dem Wasser deinen teuflischen Dialect vergessen? Ich an deiner Stelle würde mich doch schämen, den Schweinen nachzuah- men. Bist gleich ruhig, ich befehl’s dir! Hast du keine Dankbarkeit nicht, daß dir einstmals vergönnt ward, dein Logis nach deinem Gefallen zu wählen? Kreuch ’nunter auf der Stell’, oder ich haue den Pochhammer so lang’, bis daß du’s fühlen sollst. Auf diese Anrede und besonders auf die letzte Drohung wurde der Gergesener Teufel stiller, das Grunzen ging in ein Gequiek, wie das eines Fer- kels über, und verlor sich hierauf nebst dem Geschrei um Kleien und Schrot allmählig ganz. Pochham- mer wischte sich den Schweiß von der Stirne, gab dem magischen Schneider die Hand und sagte: Ich danke Ihnen gehorsamst, Herr Dürr, er sitzt nun ganz verzagt unten und schluchzt, wie ein Kind. — So sind sie All’, sprach der Magische, hoch- müthig und obenaus, aber wenn man sie brav kuranzt, fallen sie zusammen, wie eine aufgestochene Fischblas’. Gebt mir zu trinken. Pochhammer verlangte nachträglich vom Braten, der während der dämonischen Scene ihm vorüber- gegangen war, und aß wacker. — Bekommt nun davon der Gergesener etwas ab? fragte ich. — Behüte, versetzte Eschenmichel, die Teufel nehmen Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 17 keine irdische Speise zu sich, ich zweifle selbst, daß dieses Geschrei um Kleien und Schrot anders als symbolisch gemeint ist, wenigstens würde, wenn Pochhammer dergleichen hinunterwürgte, nur der Geist, so zu sagen, des Schweinfutters an den Dämon in ihm gelangen. Inzwischen hatte Kernbeißer dem magischen Schneider zärtliche Vorwürfe gemacht. O Dürr, sagte er, was für ein wüster Kerl bist du außer- ordentlicher Mensch! In welche Tiefe warst du wieder heute verfallen! — Ich weiß nicht, ob es ein Graben, oder eine Lehmgrube war, worein ich verfallen gewesen, rief der Magische. — Ein Gra- ben, verehrtester Meister, sagte ich. Ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen, und daß ich so glücklich gewesen bin, Ihnen gleich eine kleine Gefälligkeit haben erweisen zu dürfen. Ihr Narren denkt immer, Unser Einer könne halt stäts nüchtern und leer seyn, und dabei doch die großen Ding’ verrichten, sprach der magische Schneider. Das geht so nicht. Die Teufelsban- nungen und Beschwörereien ziehen Einem gräulich den Nervengeist ab, und wenn man nicht nachgießt, würde man bald fertig seyn. Ich hatt’ im Dorf über’m Wald heut eine Dienstmagd zu besprechen, in der ein mordbrennerischer Schwed’ aus dem dreißigjährigen Krieg’ sitzt; der Gauch wollt’ durch- aus wissen, ob in dem von ihm angezündeten Hause, was er mir selbst nicht nennen konnte, seine lederne Feldflasch’ mit verbrannt sei, die er seitdem ver- misse; eher könne er nicht zur Ruhe kommen. Das Geschäft hatte mich stark angegriffen, denn der Schwed’ ließ sich erst gar nicht bedeuten. Hernach mußte ich mich stärken, und von der Stärk’ gerieth ich darauf in einige Schwachheit. Nach Tische besah ich mit Kernbeißer das ganze Etablissement. In den Stuben umher saßen und schliefen sechs bis sieben Hellseherinnen, ich wurde mit ihnen in Rapport gesetzt und erhielt die wich- tigsten Aufklärungen über die geheimsten Dinge, als zum Beispiel, wann ich die erste Uhr geschenkt bekommen habe, welchen Namen mein großer Hund führe, den ich zu Hause gelassen, wie viel ich dem Wirth in Ulm schuldig verblieben sei? — Bei einigen rutschte, klöpfelte, täppelte, klatschte, polterte es in den Stuben, dazu war ein Regen an den Fenstervorhängen und hin und wieder ein bischen Lichtschimmer, auch das Geräusch, wie wenn man 17* Papier oder Kalk an die Erde wirft. Im Ganzen waren damals drei Geister und zwei Geistinnen auf den Beinen, doch ich irre mich; ein Kind ge- hörte auch noch dazu, welches einmal im Leben sein Butterbrod hatte fallen lassen, und sich dar- über in jener Ewigkeit nicht zufrieden geben konnte. Der eine Geist trug einen schwarzen Rock, der Andere eine Art von Schanzlooper, der Dritte hatte Stiefeln an; von dem kam das Poltern. Wie die Geistinnen gingen, ist mir entfallen, das Kind aber hatte das Zeichen im Gesicht, ungeachtet wel- ches Werther vor Zeiten Lottens jüngsten Pflege- befohlenen küßte. So natürlich geht es im Zwi- schenreiche zu. Wer hienieden Stiefeln trug, zieht jenseits keine Schuhe an, und so weiter. Thaten uns übrigens Alle nichts, die Geister, nur die Hellseherinnen litten von ihnen, denn die sollten ihnen helfen. Das ging bis zu dem Kinde hinab, welches sein hienieden fallen gelassenes Butterbrod jämmerlich schreiend verlangte. Als wir in den Hof kamen, hörte ich den Knecht zur Magd sagen: Schnuckli buckli koramsi quitsch, dendrosto perialta bump, firdeisinu mimfei- stragon und hauk lauk schnapropap? — Die Magd versetzte: Fressaunidum schlinglausibeest, pimple, timple, simple, feriauke, meriaukemau. Ich hatte Ziegen und Engländer verstanden, aber diese Mundart war mir dunkel. Auf Befragen erfuhr ich, daß es die innere Sprache der Seherin von Prevorst sei, die Ursprache der Menschheit, die sie in ihren Verzückungen gefunden. Wir bedienen uns ihrer seitdem, wenn wir innig werden über Angelegenheiten, die uns besonders zu Herzen ge- hen. — Und was sagte der Knecht zur Magd? — Er fragte sie: hast mir Knödel aufgehoben? und sie versetzte: Ja. Ich sollte mein Gutachten über diese Sprache abgeben, und erklärte, sie komme mir in manchen Wurzeln verwandt mit derjenigen vor, worin Asmus seine Audienz bei dem Kaiser von Ja- pan gehabt habe. Uebrigens scheine sie mir ein wenig weitschweifig zu seyn. — Ja, sie könnt’ halt kürzer seyn, erwiederte Kernbeißer. Dafür ist aber die innere Schrift, oder die Urschrift der Menschheit, welche die Seherin auch gefunden hat, desto präciser. Kennen sie dieselbe? — Ich kenne sie, sie ist ja mit abgedruckt, versetzte ich. Ich schreibe gegenwärtig an einem Aufsatze, worin ich sie gegen den Einwurf der Spötter, daß sie aus- sehe, als hätten die Hühner auf dem Papiere gekratzt, vertheidige, und die feinen, jedoch kennt- lichen Unterschiede zwischen dem Sanskrit von Prevorst und den Hühnercharakteren an den Tag bringe. Kernbeißer umarmte mich und sagte: An Ihnen haben wir einen wahren Freund und Bruder ge- wonnen. Eschenmichel aber, der uns nachgeschlichen war, zog ihn bei Seite, und ich hörte ihn die halb- lauten Worte zu Jenem sprechen: Du bist immer zu rasch, wir wollen ihn erst prüfen, bevor wir ihn in unsere Gemeinschaft aufnehmen. — Kern- beißer schüttelte den Kopf über Eschenmichel’s Zwei- felsucht, doch mußte er sich fügen, und die beiden Doctoren nahmen mich nun nach dem Garten mit. Dort setzten wir uns in die Laube, und das Examen rigorosum nahm seinen Anfang. Vor dieser Prüfung hatte ich einige Scheu ge- tragen, denn ich traute mir die rechten Kenntnisse in der Geisterlehre noch nicht zu. Indessen lief sie glimpflich genug ab. Zwar auf Eschenmichel’s Fragen, wie hoch der Himmel und wie tief die Hölle sei, wie viele Himmel und wie viele Quar- tiere in der Hölle es gebe, welches die verschiede- nen Klassen der Dämonen seien, und wie eine jede aussehe, konnte ich nur nothdürftige Antworten geben, weil ich alle die Dinge erst hier lernen wollte. Desto besser bestand ich bei Kernbeißer. Denn dieser fragte mich, woher jegliches Böse, die schlechten Leidenschaften, der Hochmuth, die falschen Begriffe und die oberflächlichen Kenntnisse unter den Menschen rührten? Darauf antwortete ich herzhaft: Aus dem Kopfe. — Weitere Frage: Wodurch dringen wir in das Seyn und Wesen der Dinge ein, erfahren, was im Himmel und auf Erden vorgeht, und heiligen uns zu Gefäßen Got- tes? Antwort: Durch den Unterleib. Die Examinatoren erklärten hierauf, es seien zwar in meinen Kenntnissen noch Lücken bemerklich geworden, aber den Glauben habe ich, und der sei die Hauptsache. Ich wurde sonach auf das Gangliensystem in Eid und Pflicht genommen und dann zum Mitgliede des weinsberger Geisterbundes ernannt. Eschenmichel sagte, man habe eine wich- tige Unternehmung vor, wovon ich den nächsten Tag mehr hören solle. In der Freude meines Herzens erzählte ich, da das Geisterwesen etwas still geworden zu seyn schien, von allerhand profanen Dingen, die mir während der Reise begegnet waren, kam dann auch auf Würzburg, das Juliusspital und die beiden entlaufenen alten Weiber. Davon aber wollten meine Meister nichts wissen, sie unter- brachen mich heftig und riefen, über Würzburg solle ich nun und immerdar schweigen, der Ort sei ihnen unangenehm und rege ihnen widrige Er- innerungen auf. V. Himmel und Hölle zögern anfangs zu Weinsberg in Conflict zu gerathen . In den nächsten Tagen lernte ich nun die Sin- nesart der beiden Doctoren genauer kennen. Kern- beißer war ein gemüthlicher alter Knabe, der sich hin und wieder selbst über die Dämonen lustig machte, Einem fleißig vom Alten und Neuen ein- schenkte und dabei komische Schnurren erzählte, wie sich das Geisterpack mitunter so hundstoll betrage. Darüber konnte er lachen, daß ihm der Athem verging. Er gefiel mir sehr wohl — in der höheren Welt muß Alles vorräthig seyn, auch ein Schwänk- lein und Späßlein. Eschenmichel dagegen hielt sich mehr zurück und hatte etwas Lauerndes in seinem Wesen, er sah nicht gerade aus, sondern seitwärts, oder schielte von unten empor. Er war immer in Ekstase, ich habe ihn den Bissen nicht in das Salz tauchen sehen, ohne daß ihm die Augen verzückt im Kopfe umherrollten. Wäre er kein Prophet gewesen, man hätte ihn leicht für einen Schelm halten kön- nen, da er aber ein Prophet war, so konnte er, wie sich von selbst versteht, kein Schelm seyn. Bald theilte er mir den Plan mit, auf welchen er früher hingewiesen hatte, und dieser bestand in nichts Geringerem, als darin, einen Poltergeist zu bekehren. Das ist noch größer, rief ich, als ein Trygäosroß und eine blaue Schwärmerin versittlichen zu wollen! Es hat jede Kenntniß und Beschäftigung ihre Stufen, versetzte er. Für den Anfang war das bloße Geistersehen, und daß man erfuhr, wie es im Zwischenreiche zugeht, hinreichend. Nach diesem trat der Magische mit seinen gewaltigen Kräften in unser Werk ein, der hat nun schon Macht über den Spuk, beschwört ihn und bringt ihn zur Ruhe, aber dabei darf die Sache auch nicht stehen bleiben. Wir müssen, wie gesagt, eine der Creaturen, die um uns her schwärmen, wie die Mücken um’s Licht, fromm machen; auf diese Weise setzen wir Fuß in Bügel, und können darauf in diesem dritten Stadio der Thaumaturgie weiter kommen. Nämlich, rief ich, hingerissen von dem Gedanken aus, wenn wir die Poltergeister in den Himmel gebracht haben, so machen wir uns sacht an die läßlichsten Verdammten, zu denen vom Zwischen- reiche aus doch wohl auch eine Hinterthüre sich entdecken lassen wird, beginnen bei denen unsere Missionsgeschäfte, und so immer weiter und weiter hinunter, hinunter! Wir werden es nicht erleben, sprach Eschen- michel mit verdrehten Augen, aber unseren Nach- kommen ist es vorbehalten, selbst den Teufel zum Christen zu machen. Kernbeißer lachte, daß er sich nicht zufrieden geben konnte und rief: ’S ist Schad’, daß du dann nicht mehr auf Erden weilest, Bruder Eschenmichel, denn wenn der Teufel erst von Gottes Gnaden seyn wird, so würdest du gewiß Leibarzt von des Teufes Gnade werden. — Er hatte überhaupt Mancherlei gegen diesen Fortschritt der Thauma- turgie einzuwenden, meinte, es möchte nicht gut seyn, so tief die Hände in das Geisterreich zu stecken, man wisse nicht, was man aufwühle, Pol- tergeister seien Poltergeister — bis ihn Eschen- michel anfuhr und gewaltig bedräute. So bist du immer, erwiederte Kernbeißer schmol- lend, wenn es nach dir ginge, würde Jedermann, der sich einen Einwurf gegen dich erlaubte, gehängt oder gerädert! — Du irrst dich gänzlich in mir, sprach Eschenmichel, ich bin die Sanftmuth selbst. — Ja, im Geist der Inquisition, flüsterte Kern- beißer. Indessen fügte er sich, wie immer, wenn sein College den Kopf aufsetzte. Er war überhaupt so sanft, gutmüthig und inconsequent, als der Andere den Eifer, die Härte und Folgerichtigkeit besaß, welche zum Seher- und Feuergeiste gehören. Es wurde also nun von uns Dreien der Plan des Bekehrungsgeschäftes festgestellt. Die erste Sorge mußte seyn, das Object herbeizuschaffen, nämlich den zu bekehrenden Geist. Leider war unter dem Vorrathe des Etablissements nichts Taugliches. Mit dem Gergesener, als einem eigentlichen dick- häutigen Teufel zu beginnen, erschien mißlich, die Sache konnte durch den ersten Versuch, wenn er nicht gelang, zu sehr bloß gestellt werden. Die An- deren aber, die drei Geister, zwei Geistinnen und das Kind ließen sich auch schwerlich verwenden, denn erstens standen sie nur auf einem höflichen Besuchsfuße mit den Hellseherinnen, hatten sich bei ihnen nicht eigentlich einquartirt, und zweitens war nichts schlimm-Dämonenhaftes in ihnen; sie hatten nur Dinge von dem Belang der schwedischen Feldflasche oder der Butterbemme im Kopfe. Wir dachten hin und her, wie wir Rath schaf- fen und eines handfesten, vom Höllenfeuer min- destens aus einiger Entfernung angesengten Ben- gels habhaft werden sollten. Unendlich bedauerten Eschenmichel und ich, daß wir des magischen Schneiders und seiner Hülfe in solcher Noth entbehren mußten. Aber dieser große Mensch lag fast immer im Stalle auf Stroh wegen des einzigen Fehlers, womit die Natur ihn belastet hatte. Was Kernbeißer angeht, so hatte er sein Vergnügen an ihm, tröstete uns auch, wenn wir klagten und sagte: Laßt’s gut seyn. Der Dürr gehört, wie der Tell, nicht in den Rath, er ist der Mann der That. Haben wir den Heiden von Dämon erst, so wird Keiner kräftig seyn im Werke, gleich der nimmersatten Gurgel. Ich dachte im Stillen: Diese schwäbischen Kinds- köpfe sind gut zum Erfinden, aber dann die Sache gehörig einzurichten, ihr eine Regel, Ordnung und Form zu geben, dazu bedarf es eines norddeutschen Verstandes. Ist’s genug, daß in und um Weins- berg die Geister wild wachsen wie Wegerich? Hätte man sie nicht in Cultur legen können? Das Ter- rain in Schläge vertheilen? Nach den Regeln von der Spargelzucht sie in Beeten ziehen, daß wenn man Einen braucht, man ihn stäche? — Gott segne mir doch meine heimathlichen Gefilde an der Elbe, Oder und Weser! Diese Süddeutschen werden nie klug werden. Du mußt hier die Ehre Norddeutschlands ret- ten und das Ding zum Ende führen, dachte ich. Klebte und pappte mir also aus den prevorstischen Blättern, der Seherin von Großglattbach und an- deren Sachen dieses Schlages eine Art von Geister- falle zusammen, in Form einer gewöhnlichen Mause- falle und ging damit an alle entlegene Orte der Gegend, auf Kirchhöfe, hinter alte Mauern, in verfallene Keller, ja selbst in heimliche Gemächer, stellte meine Falle auf und murmelte dazu fol- genden Spruch in der inneren oder Ursprache: Rummel debummel defimmel depippel dehussel debussel de- kimmeldelümmelde — schwips! was sich auf deutsch nicht genau wiedergeben läßt, aber in der Umschrei- bung ungefähr so viel bedeutet, wie: Ist’s gefällig? Ich saß Stundenlang bei der Falle, es wollte sich aber nichts fangen. Weil alle Bestrebungen der Vorsteher auf die- sen einen Punct gerichtet waren, so begann das Etablissement zu verfallen. Das Grunzen des Gergeseners wurde seltener, mehrere der Hell- seherinnen schlichen sich im Stillen weg, da sie keine regelmäßige Behandlung mehr fanden, mit ihnen verloren sich die drei Geister, die zwei Geistinnen und die Hälfte vom Kinde, denn im Zwischenreiche kann auch ein halber Geist für sich bestehen. Das Geräusch, Poltern und Schlurfen verklang, und nur die dem Hause treugebliebene andere Hälfte des Kindsgeistes wimmerte noch ein wenig; es ließ sich aber der Tag vorhersehen, wo auch dieser Laut ersterben und das weinsberger Etablissement ohne allen Geist seyn würde. Während dieser Verlegenheit hörte ich eines Tages aus Kernbeißer’s Munde sonderbare Worte. Ich saß, versteckt von einem Hollunderbaume hinter einem Vorsprunge der Stadtmauer lauernd bei meiner Geisterfalle. Kernbeißer kam in den Gar- ten, sah mich nicht, ging heftig auf und nieder und rief endlich: Ich sag’s und hab’ es stäts ge- sagt, sie stürzt uns in’s Verderben. Sie stellt die Ding’ allzusehr auf die Spitz’. Hier wurde er meiner ansichtig, erschrak heftig und fragte mich, ob ich seine Worte verstanden habe. Als ich ver- neinte, schöpfte er Athem und erklärte sie für die Reminiscenz aus einem Schwanke. VI . Die engbrüstige Nätherin . Wenn ich, die Geisterfalle in der Tasche, durch die Straße nach dem Thore zu wanderte, war mir vor einem kleinen Häuschen hinter Rebstöcken eine Frauensperson aufgefallen, welche regelmäßig, sofern das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen neben der Thüre saß und im Freien nähte. Sie sah sehr blaß aus, und hielt sich zusammengekrümmt, auch wenn sie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre Augen strahlten von einer eigenen Bläue, und in ihrem ganzen Wesen bleichte etwas, was an die Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenschein bestimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten. Ich hatte mich mit ihr in das Gespräch gelassen und von ihr erfahren, daß sie eine arme Nätherin sei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe, und schon seit längerer Zeit von fortwährender Engbrüstigkeit geplagt werde, weßhalb sie denn Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 18 auch, so oft es nur angehe, ihr Tagwerk im Freien verrichte, weil die Stubenluft sie bedrücke. In den Antworten dieser Person zitterte hin und wieder eine Aengstlichkeit, zu welcher kein äußerer Grund vorhanden war. Als ich einst in sie drang, mir zu sagen, warum sie so häufig ohne Veranlassung seufze und in gewöhnliche Worte einen schmerzlichen Ton lege, wollte sie anfangs mit der Sprache nicht heraus, entdeckte mir aber endlich, daß sie, seitdem in dem Kernbeißer’schen Hause das Wesen so mächtig geworden sei, gar keine Ruhe mehr habe. Durch alle die Dinge, welche sie von Freunden und Gevattern über die dortigen Ereignisse vernommen, sei sie in die größte Furcht gesetzt worden, daß sie, wie sie sich aus- druckte, auch einmal so werden könne, was sie nach ihrer Sinnesart für das schrecklichste Unglück halten müsse. Der Gedanke daran lasse ihr Tag und Nacht keinen Frieden, und sie bete unablässig, daß der Herr sie damit verschonen wolle. — Haben Sie denn irgend schon Anwandlungen in sich gespürt? fragte ich sie. — Ach nein, versetzte sie, es ist bei mir bis auf meine kränklichen Umstände Alles wohl in Ord- nung, ich weiß, wohin der Hohlsaum gehört und wohin die Doppelnath. Aber es wird so viel von den Sachen gesprochen, und sie sollen hier überall in der Luft umherschweben, und wie leicht ist es da möglich, daß sich auch einmal Etwas auf eine arme Nätherin setzt, besonders wenn sie viel sich draußen aufhalten muß. Es kann Einen anfliegen, man weiß selbst nicht wie, besonders wenn man einen Vater gehabt hat, der nicht viel auf Gottes Wort hielt. Ich thue daher auch, wenn ich irgend Muße habe, in der Bibel lesen, um mich zu be- wahren. Hätte ich nur Geld und an einem andern Orte Arbeit zu gewärtigen, da reist’ ich nach Reut- lingen zu meiner Baas’ und zöge ganz weg aus der hiesigen Gegend. Um die Zeit, da die Engbrüstige mir dieses Vertrauen schenkte, kam ich eines Tages zum ma- gischen Schneider in seinen Stall. Er war gerade nüchtern und saß auf dem Stroh emporgerichtet. Meister, sagte ich zu ihm, wäre es Euch wirklich so gar unmöglich, einmal mehrere Tage hindurch in der leeren Verfassung zu bleiben? — Das heißt ohne Strich? fragte er. — Ihr trefft meine Mei- nung, versetzte ich. — Wenn es um das Himmel- reich ginge, wollte ich versuchen, mich zu zwingen, 18* vorausgesetzt, daß ich dann geraume Zeit lang gänzlich zufrieden gelassen würde, sagte er. Ich stellte ihm die Noth vor, worin wir uns befänden, und daß er allein uns helfen könne. Sein Ehrgeiz war erregt. Er stand auf, konnte sich so ziemlich auf den Füßen halten, reckte mit heftiger Gebärde die Faust aus und rief: Das müßt’ ja mit dem Henker zugehen, wenn ich nicht so einen Cujon auftriebe! Ich will’s Zechen ver- schwören, bis wir Einen haben und wissen, wo die Bekehrung anzugreifen steht. Für das Him- melreich kann ich Alles, nur beding’ ich mir aus, so viel unterweilen zu kriegen, als nöthig thut, die Kräft’ zusammenzuhalten und in die Säft’ keine Stockung zu bringen. Gebt mir ein Nößel Alten, Herr von Münchhausen. Ich lief in das Haus, sagte Kernbeißer’n und Eschenmichel’n, daß uns ein Stern der Hoffnung zu leuchten beginne, man solle mich nun aber ganz allein mit dem Magischen schaffen lassen. Dann brachte ich Letzterem das begehrte Nößel, welches er auf einen Zug leerte. Nach diesem war er seiner Kräfte mächtig worden. Folge mir nun Keiner! rief er; vor der Hand werde ich Weinsperg absuchen, und sehen, ob sich hier noch ein unbekannter Dämon verkrochen hat. — Kernbeißer und Eschenmichel traten in den Stall. — Gebt mir Zechgeld mit, rief der ma- gische Schneider. Kernbeißer gab ihm einen Gulden und sprach: O Dürr, du außerordentlicher Mensch, besauf dich aber nicht, und verabsaume darüber das große Werk, da es denn einmal nach meines Freundes Willen zu Stand kommen soll! Was denkt Ihr von mir? schrie der Magische ergrimmt. Ich schwör’, um das Himmelreich an mich zu hal- ten. Ihr seht mich entweder gar nicht, oder mit einem Dämon wiederkommen. Er wollte gehen. Eschenmichel schickte sich an, ihm einen Segen voll Salbung zu ertheilen. Laßt’s Geschwätz weg! rief der magische Schneider. Hier braucht’s Fäust’, und keiner Redensarten. Nach seiner Entfernung blieben wir Drei im Stalle zu innigem Gebete vereiniget für den glück- lichen Erfolg dieser Sendung. Ich betete in der Ursprache, Eschenmichel mischte in sein Gebet einige Verwünschungen der Gegner, Kernbeißer sagte zum Schluß des seinigen: ’S ist ’ne verwünschte G’schicht’, daß die ganze Hoffnung der höheren Welt gegen- wärtig auf einem Schneider beruht! — Dein Humor, dein unheiliger Humor wird uns zu Grund richten, fuhr ihn Eschenmichel an. — Was uns zu Grund richten wird, lehrt die Folge, versetzte Kernbeißer. Ich sag’s und bleib’ dabei, man muß nichts übertreiben. Das Zwischenreich war in ge- höriger Ordnung und Verwaltung, nun soll es über die Gebühr angestrengt werden; wir wollen sehen, was dabei herauskommt und wer zuletzt das Bad bezahlt. Schweig! rief Eschenmichel. Ich schweig’ schon, versetzte Kernbeißer. VII . Grobschmidt oder Magister? — Eine Frage an Euch, Ihr himmlischen Mächte . Drei Tage vergingen, ohne daß wir vom Ma- gischen etwas Anderes hörten, als was uns Leute zubrachten, die hin und wieder von Ungefähr in das Etablissement kamen. Sie erzählten uns, daß er in alle Löcher und Spelunken krieche, nach kur- zem Verweilen aber daraus wieder hervorkomme und zuweilen murre: Es sitzt nichts d’rin. Am vierten Tage war er aus Weinsberg ver- schwunden und zu Folge der Aussage eines Ehinger Spitzenkrämers, der durch die Stadt hausiren ging, nach dem Gebirg wandernd gesehen worden. Wir mußten nun dem Himmel das Weitere anheimstel- len, und ich schlenderte häufig durch die Gassen des Städtleins, da ich bei erloschenem Geister- wesen sonst dort nichts zu beginnen wußte. Auf einem dieser Gänge fiel es mir auf, daß die engbrüstige Nätherin nicht mehr vor ihrem Hause saß. Ist die Jungfer Schnotterbaum krank? fragte ich einen Nachbar. O nein, versetzte der Mann, aber sie muß Betrübniß haben, denn wir hören sie den ganzen Tag über in ihrer Stube seufzen und mit sich selbst reden. — Ei, sagte ich, da will ich zu ihr gehen und sie trösten. — ’S geht nicht, erwiederte der Nachbar, sie hält sich einge- schlossen und hat sogar das Schlüsselloch verstopft. In diesem Augenblicke fuhr die Nätherin von innen an ihr Fenster, sah nach uns mit unheim- lichen Augen und schoß dann wieder in die hin- terste Ecke ihres Zimmers. — Der Person fehlt etwas, sagte ich, man muß doch suchen, ihr zu helfen. — Ich ging in’s Haus. — Jungfer Schnotter- baum, thun Sie auf, sagte ich, nachdem ich vergebens an der Thüre geklinkt hatte. Nein! rief sie, er kommt sonst mit und setzt sich auf mich. — Wer denn? fragte ich. — Mein Vater, der Magister, versetzte sie. Jetzt kann er nicht hereindringen, denn Fenster und Thüren sind verschlossen, und im Schlüsselloche stickt ein Pfropfen. Aber sobald ich nur ein Weniges öffne, kreucht er ein. — Haben Sie ihn denn gesehen? fragte ich. — Nein, rief sie, aber der Dürr hat ihn gesehen. Der garstige Balg that, so oft er dieser Tage hier vorbeikam, nach mir ein gräulich Blicken, daß es mir durch die Seele fuhr, und gestern brüllt’ er mich an: Dir steht’s nah’! Wahr dich! — Das, und meine Angst zuvor — es ist gewiß, er geht um und wird sich auf mich setzen, und dann können die Geheimnisse an den Tag kommen, die mich Zeit- lebens unglücklich machen werden! O du arme Anna Katharina Schnotterbaum, womit hast du das verschuldet? Da alle meine Versuche, Einlaß zu bekommen, umsonst waren, wandte ich mich zu dem Nachbarn zurück, und bat ihn um Aufklärung über diese dunklen Reden. Er versetzte, er wisse nicht, was der Schnei- der mit der Nätherin vorgenommen habe, übrigens könne der magische Kerl, wie er ihn nannte, den Menschen anschauen, daß ihm Hören und Sehen vergehe. Es ist ein Unglück, fuhr dieser Mann fort, daß der Polterkram sich hier etablirt hat. Man ist gar nicht mehr sicher, daß man nicht auch einen Geist in der Familie besitzt, der bei Gele- genheit Sachen ausschwätzt, die nicht vor’s Publicum gehören. Ist man einmal begraben, so muß die Sach’ für hienieden vorbei seyn, wenn aber darnach alte Geschichten herfürgeplappert werden, so giebt’s nichts als Prozeß’ und Unruh’ und Verfeindungen. Als zum Beispiel, ich bin Specereihändler, habe in meinem Geschäft den erlaubten kaufmännischen Vortheil genommen. Nun fahren mir aber da drüben Scrupel in den Sinn, weil man jenseits nichts zu thun hat, fange an, zu rumoren im Gewölb und im Laden, werfe die Kästen durch einander, stoße die Läden am Magazin auf, daß das Salz vom Ein- regnen feucht wird, errege meinen Erben Beschwer und Gewissenszweifel — was kommt dabei heraus? Ich wünschte wahrhaftig, daß die Regierung ein Einsehen thäte, und daß durch Höchste Entschließung das gesammte Zwischenreich Landes verwiesen würde. Mir waren diese aus der einseitigen Thätigkeit des Cerebralsystems entspringenden Plaudereien sehr langweilig, ich drang daher in den Nachbar, mehr von der Schnotterbaum, ihrem Vater und ihren Geheimnissen mir zu sagen, auf welche sie auch schon bei früheren Gesprächen mit mir ange- spielt hatte. — Ihr Vater, sagte er, war ein Magi- ster, der noch seine fuchsrothe Perücke trug, sie ist, daß ich es Ihnen nur entdecke, ein Jungfern- kind; der Alte hatte sich mit der Aufwärterin ein- gelassen, da er Präceptor im Stift war. Ein verwetterter, leichtfertiger Camerad, der seine Schraubereien über Alles hatte und selbst Gottes- wort nicht verschonte, weßhalb ihn die Leute für einen Atheisten hielten und ihn mieden. Er wurde auch seiner Präceptorschaft entsetzt wegen des Aerger- nisses mit der Aufwärterin und wegen der gottlosen Reden. Nach dem strich er viel umher, hatte die Nas’ hier und anderer Orten in jedem Kohl und suchte sich von seinen Schreibereien kümmerlich zu ernähren. An der Anna Katharina hat er aber doch rechtschaffen gehandelt, er nahm sie auf seine alten Tage zu sich, daß sie ihm wasche und koche. Da sie aber von Jugend auf sehr fromm gewesen, so mögen ihr die lästerlichen Reden, die der Alt’ auch noch in seinen letzten Jahren nicht lassen konnte, eine große Trübsal erschaffen haben, und dazu kommt, daß er einige Zeit vor seinem Ende in eine große Unruhe verfallen ist, wie diese sich immer bei den bösen Christen zu begeben pflegt, wenn der Tod anfängt, die Sens’ zu schleifen. Er ist ohne Nacht- mahl verstorben. Das Alles hat sich die Anna Katharina, seine Tochter, zu Gemüth geführt, und meinte sie gleich nach seinem Abscheiden, er könne nicht selig geworden seyn. Ueberdieß hat er sie mit einem Geheimniß belastet, und das ist’s, wor- auf die Schnotterbaum zielt. Was es ist, weiß Niemand aus ihr herauszuholen, sie sagt nur, es sei der Art, daß kein Mensch sich dessen versehe, und ganz Schwabenland erstaunen werde, wenn es an den Tag komme. Ihr Vater habe den einen Theil seiner Entdeckung auf einer seiner Streife- reien, den andern aber hier zu Weinsperg im Kernbeißer’schen Etablissement gemacht. Das Ge- heimniß sei auch von ihm niedergeschrieben worden in einer versiegelten Schrift, die er sein Testament genannt, und die hinterlegt worden, wo? will sie oder kann sie nicht sagen. Gegen uns war sie überhaupt in der letzteren Zeit schweigsam gewor- den, vermuthlich weil sie die vielen Fragen äng- stigten. Hier wurden unsere Unterredungen von einem dritten Manne unterbrochen, der vom Thore herkam und uns eifrig zurief: Wißt’s was Neues? Wißt’s was Neues? Ja, wann die Ehinger nicht wären, Ihr erführt Euer Lebtage hier nichts Neues. Der Dürr ist droben in der Teufelsschmied’ und häm- mert, als sollten heut’ noch zwölf Paar Hufeisen fertig werden. Und dazwischen fährt er grimmig auf den Geist ein, den er auf dem Ambosse hat. — Was ist das, und was bedeutet die Teufels- schmiede? fragte ich. — Eine alte verfallene Schmie- dewerkstatt, versetzte der Nachbar, die schon seit hun- dert Jahren wüst lag, weil Niemand drin arbeiten mochte. Sie sagen, diese Werkstatt habe einem Grobschmidt zugehört, der in Unthaten hingefahren sei. Der Letzte, welcher sich an die Gespräche nicht kehren wollte und das Gemäuer bezog, soll einen solchen Schrecken darin bekommen haben, daß er selbst sein Schmiedewerkzeug in Stich und darin ließ. Nun, dem Himmel sei Dank, rief ich, jetzt wird der Magische wohl Rath geschafft haben! Wollt Ihr mich, meine Freunde, hinauf in die Teufels- schmiede begleiten? — Der Ehinger schützte Ver- hinderung in Spitzengeschäften vor, der Nachbar aber erklärte sich zum Mitgehen bereit. So machten wir uns auf die Wanderung. Unterweges schlossen sich, als sie hörten, wovon die Rede war, noch sechs bis sieben Straßenjungen uns an. Wir stiegen bergauf, kamen, nachdem die Reb- hügel in unserem Rücken lagen, in eine wilde, einsame Gegend, wo sich nach einem beschwerlichen Klimmen über Fels und Steingeröll ein Trupp ärmlicher Hütten zeigte, der ein Dorf hieß. Etwas abseitig wies mir mein Begleiter einen Kamp von Schwarztannen und sagte, darunter liege die Teu- felsschmiede. Unter den Bäumen war es sehr finster, ein dunkler Tümpel stehenden Wassers, der in der Mitte des Platzes zwischen hochaufgewehten Haufen gelber Tannennadeln stockte, spiegelte Nichts zurück, hinter demselben sah ich die vier Brand- mauern eines Gebäudes ragen, aus welchen der Hals des Schlotes wie ein Zeigefinger emporwies; denn das Dach war eingestürzt. In diesen Trüm- mern hörten wir heftige Schläge auf den Amboß. Wir traten hinein und sahen den Magischen in voller Arbeit. Er hatte den Rock abgeworfen, die Hemdärmel zurückgestreift und schlug mit einem rostigen Hammer unaufhörlich auf den Amboß. Sein Gesicht war von Ruß, der sich hier herum noch Stellenweise an den Wänden erhalten hatte, geschwärzt, aus dieser Finsterniß brannten seine rothen Augen, die weit aufgerissen, ihm wild im Kopfe rollten, die dürren Glieder flogen während des Hämmerns wie die Theile des Kinderspiel- zeuges, welches Hampelmann genannt wird. Unsere Begleiter, die Jungen, lachten, als sie ihn sahen, der Nachbar nannte den Anblick scheußlich, ich fand ihn erhaben. Zwischen dem Hämmern rief er jezuweilen: Bist endlich mürb, du Mordgeist? — Anfangs sah er uns, in seine Arbeit vertieft, gar nicht, als er uns aber erblickte, ließ er den Hammer sinken und sagte: Nun hast’u genug, nun bist’u zahm! Wie sehr im Irrthum waret Ihr, Herr von Münch- hausen, mir von meiner gewohnten Lebensweise abzurathen! In jener elendigen Nüchternheit konn- ten meine abgeschwächten Kräfte durchaus keinen Geist entdecken, sobald ich mich aber, wie gestern Abend geschah, einmal wieder tapfer anfüllte, war auch meine Begabung in ihrem vollen Flor wieder beisammen. Ich weiß nicht, wie ich in diese wüste Gegend, und zwischen diese Trümmer gerathen bin, außer, daß es mir wahrscheinlich ist, durch über- natürliche Führung hinein befördert zu seyn. Heute in der Frühe nun, sobald ich die Augen aufschlug, stand er vor mir dort an der Esse, russig, das Schurzfell vorgebunden, wollte grob seyn, fragte, was ich in seiner Schmiede thät’, ich sollte mich ’naus scheeren — Wer? fragten wir Alle. Wer? Wer sonst, als der Grobschmidt, der hier umgehen thut? — Aber ich nahm ihn wacker zu- sammen, sagt’, ob er nicht wiß’, daß ich der Dürr sei? schmiß ihn auf seinen eigenen Amboß, und arbeitet’ ihm mit dem Hammer so lange auf die luftigen Knochen los, bis er klein beigab, zu win- seln begann, mir seine verborgene Missethat be- kannte und auch schon einige Lust, erlöset zu werden, spüren läßt. Nur sei hier der rechte Ort nicht, den Heilsweg zu betreten, es sei hier oben zu einsam, er müsse mehr unter Menschen, sagte er. Wo ist er? fragten die Straßenjungen. Ich will ihn Euch zeigen, rief der Magische, packte den größten Jungen bei den Haaren, stieß ihn mit der Nase auf den Amboß und rief: Siehst ihn nun? Ja, ja, schrie der Knabe, dem das Blut aus der Nase drang, ich sehe ihn. Die andern Jungen versicherten zitternd, sie sähen ihn ebenfalls, ich hatte ihn von Anfang an gesehen, sobald der Magische ihn nur genannt hatte, ob der Nachbar ihn gesehen, weiß ich nicht. — Mit der Nas’ muß man diese ahitophelschen, antichristischen Zeiten auf die Geister stoßen, sonst sind sie blind bei sehenden Augen! rief der Magische. Er horchte nach dem Ambosse hin, rief dann: Willst wandern und dir Quartier suchen? Wohl, voran! Sa sa, nur voran! Immer voran! Darin muß man Euch freie Hand lassen. — Er schritt, die Glieder ekstatisch reckend und schüttelnd, zur Trümmerschmiede hinaus, mit starren Blicken dem Grobschmidt folgend, der durch die Lüfte voranflog. Es war so dunkel geworden, daß man keine Hand vor Augen sehen konnte, dennoch erblickte ich ihn ganz deutlich, als ich mit der Stirn gegen einen Baum fuhr, denn da sprühten die hellen Schmiede- funken mir vor dem Gesicht umher. Es ging immer bergunter nach Weinsberg zu, die Jungen waren vorangesprungen, die Ersten der Glaubigen. Wegen der Finsterniß waren zum Glück nicht viele Leute mehr auf den Straßen, sonst hätte es gewiß einen Auflauf gegeben. Unweit des Hauses der Nätherin rief der magische Schneider überlaut: Aha! Schlupfst da hinein? sprang in das Haus, sprengte mit einem heftigen Fußtritte Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 19 die Thüre und war schon in Zeichen und Wundern mitten inne, als ich etwas später die Stube be- trat. Der Nachbar hatte sich voll Furcht und Zittern entfernt. Die Schnotterbaum lag an der Erde, verdrehte ihren Körper, ächzte und stöhnte. Der Magische kniete über ihr, hielt ihr die Faust geballt vor den Mund und polterte: Hab’ ich’s Euch nicht ange- sagt? Ist er nicht eben in Euch hineingefahren? — Ach wohl, winselte die Nätherin, es mußte ja so kommen! Als Ihr die Thüre sprengtet, fuhr er mir wie ein kuhler Wind in den offenen Mund. Thut mir die Gnade, und befreiet mich von ihm, er stößt mir fast das Herz ab. Das werde ich wohl bleiben lassen, versetzte der Magische, es ist mir sauer genug geworden, den Hund für die beiden Herren zu erwischen, nun soll er sich erst in Euch zum Glauben bekehren. Das thue ich mein Tage nicht, rief der Dämon aus der Schnotterbaum, ich bin ein gottloser Ma- gister, und ein solcher will ich leben und sterben! Diese Antwort setzte mich in das größte Er- staunen. Meister, sagte ich zum Schneider, ist uns denn etwa der Grobschmidt unterweges abhänden gekommen? Diese Jungfer Schnotterbaum scheint anstatt seiner ihren verstorbenen Herrn Vater zur Einquartierung empfangen zu haben. Nichts als Winkelzüg’! rief der Magische. Sol- che Höllenbrut wechselt in einem Augenblicke sechs- zigmal die Farb’, um nur ein Schnippchen zu schlagen. Ein Grobschmidt und kein Magister sitzet und wohnet in der Schnotterbaum, und zwar’n der Grobschmidt oben aus der Teufelsschmiede, der seinen Knecht mit dem Hammer erschlagen und dann in den grundlosen Tümpel gestürzt hat, allwo seine Knochen noch tief unter Schlamm und Moder liegen. Weinend und schluchzend sagte die Nätherin: O Gott, muß ich einen so furchtbarlichen Geist in mir beherbergen? Ich glaubte zum wenigsten, mit meinem seligen Herrn Vater davon zu kommen. — Ja, Jungfer, sprach der Schneider und half ihr vom Boden auf, dawider hilft nun nichts. Wem ein Dämon beschieden ist, der bekommt ihn. Uebri- gens werdet Ihr wohl einsehen, daß fortan Eure Stelle nur in dem Etablissement der Herren Doctoren Kernbeißer und Eschenmichel seyn kann. Traurig und erschöpft antwortete die Schnot- terbaum: Dem ist so. Die Schickungen müssen 19* nun ihren Gang gehen. — Sie packte ein Bündel- chen Wäsche zusammen und gab ihrem Hänfling Futter auf acht Tage. Dann legte sie ihre Näh- sachen in saubergefaltete Packete, reichte diese einem Jungen und hieß ihm, sie den Leuten zurückzubrin- gen, mit der Bestellung, sie könne nicht mehr ar- beiten, denn sie habe einen Dämon im Leibe. Während dieser kleinen Beschäftigungen kamen Kernbeißer und Eschenmichel, denen schon etwas angesagt worden war. Dürr, welcher, als die bei- den Doctoren eintraten, mitten in der Stube stand, sagte groß und ruhig, wie Falstaff, als er den Percy bringt: Da habt Ihr den Dämon! Wir führten die Schnotterbaum im Triumph nach dem Etablissement und gaben ihr ein kleines Familienfest aus dem Stegereif. Dürr ging oder taumelte vielmehr bald nach seinem Stalle, worin er ein für allemal seine Wohnung aufgeschlagen hatte, der außerordentliche Mensch. Kernbeißer ließ zur Ehre der Magie den Stall mit bunten Lampen erleuchten. Sehr glücklich sanken wir Alle auf unser Lager. Wir glaubten über alle Berge zu seyn. Eschen- michel stand nur in Zweifel, ob er den Dämon katholisch oder evangelisch machen solle. Die Schnotterbaum lag die Nacht durch in wüthenden Krämpfen, was uns weiter nichts anging, denn wir hatten es nicht mit ihr, sondern mit ihrem Miethsmanne. Die folgenden Tage und Wochen waren freilich stürmisch, und wir sahen, daß wir noch nicht ein- mal die Vorhügel des Berges, geschweige den Berg erstiegen hatten. Der magische Schneider blieb dabei, daß der Grobschmidt aus der Teufels- schmiede in die Schnotterbaum gefahren sei, und kämpfte wie ein Held für diese Wahrheit, die er, so oft er nüchtern war, dem Dämon unter fürch- terlichen Bedräuungen in das Antlitz sagte, oder vielmehr in den Mund der Besessenen hinein. Da- gegen versicherte der Dämon, er sei kein Grob- schmidt, sondern ein Magister, habe keinen Knecht mit dem Hammer erschlagen, sondern nur über dies und das frei gedacht. Es war wohl das erstemal, daß das Zwi- schenreich so mit sich selbst in Conflict gerieth. Denn Einer von Beiden konnte doch nur Recht haben, der Seher Dürr, oder der Dämon. Die Schnotterbaum verhielt sich dabei leidend. Sie pflegte zu sagen: Ich bin dermaßen herunter, daß mir’s gleich ist, wen ich in mir trage, den Grob- schmidt oder den Magister, meinen Vater. Ist’s der Letztere, dann haben sich die Herren eine Ruthe gebunden, als sie mich in’s Haus nahmen, denn der Magister wird eine Bosheit auslaufen lassen, von welcher ihnen nichts träumet. VIII . Der Geist eines Grobschmidts mit den Er- innerungen eines Magisters . Endlich nach unablässiger Bedräuung, vielem und oftmaligem Anschreien, Beschwören in dem Idiome der inneren oder Ursprache, schrecklichem Gebärden und Einwirken durch Augenrollen brachte es der magische Schneider dahin, daß der Dämon in sich schlug und anfing der Wahrheit, wenn auch noch nicht Gotte die Ehre zu geben. Eschenmichel hatte dazu durch fleißige Vorhal- tungen in seiner logisch-scharfen Manier wacker mit- geholfen. So zum Beispiel sagte er eines Tages zum Dämon: Wenn wir sehen, daß du ein Grob- schmidt bist, so kannst du doch kein Magister seyn, begreifst du das nicht, Verworfener? — Dämon wurde dazumal ganz still und schämte sich vermuth- lich seiner Dummheit. Am vierzehnten September Abends sieben Uhr erfolgte die erste offene Beichte. Das Leibliche der Jungfer Schnotterbaum lag damals, von den unaufhörlichen Krämpfen und Anspannungen be- stürmt, fast im Zustande der Auflösung. Der Dämon aber sprach aus ihr, zwar mit schwacher jedoch mit vernehmlicher Stimme, ja, er wolle es nur gestehen, er sei der Grobschmidt Bumpfinger aus der Teufelsschmiede und nicht der Magister Schnotterbaum, von Hall bürtig. Gestand hier- auf auch Alles ein, was wir bereits von ihm wußten. Die folgenden Tage wurden nun verwendet, den Dämon in seiner wahren Gestalt recht fest werden zu lassen. Denn, sagte Dürr, schlägt er wieder in den Magister zurück, so geht die Arbeit von vorn an. Er mußte deßhalb wohl zwanzigmal seine Grobschmidtsgeschichte vom ermordeten Knecht wie- derholen, dergestalt, daß die Schnotterbaum von diesen Anstrengungen ungeduldig wurde und einst- mals ausrief: Liebe Herren, laßt es nun gut seyn, er hat es ja schon so oft dargelegt, und im Uebrigen wird er doch nicht mehr sagen, als ihm mein Vater eingiebt. Diese Rede klang dunkel, wir sollten aber bald die Aufklärung empfangen. Denn nächster Tages wurde auf Eschenmichels Antreiben ein scharfes Verhör mit dem Dämon erhoben, dessen Zweck dahin ging, allerhand nähere Auskünfte über hölli- sche Dinge und über Eigenthümlichkeiten des Zwi- schenreichs zu erlangen. Ich will die Hauptfragen und die darauf gegebenen Antworten hieher ver- zeichnen. Wie bist du in das Zwischenreich gelangt? Wie man vom Fleck kommt. Guckt’ erst ein wenig in die Höll’, konnten mich aber da nicht brauchen, weil ich nicht an sie glaubt’, die Höll’ überhaupt dummes Zeug ist. Dummes Zeug? Ja, dummes Zeug. Wie sieht die Höll’ aus? Sie sieht gar nicht aus. Gar nicht aus? Nein, gar nicht aus. Hier machte das Verhör eine Pause. Wir sahen einander voll Erstaunen an. Kernbeißer rief: All mein Lebtage macht Ihr diesen Dämon nicht zu einem regelmäßigen und aufrichtigen Grob- schmidt! Kein Grobschmidt wird sagen, die Hölle sei dummes Zeug und sehe gar nicht aus. Für solche Zweifel handthiert er selbst zu viel im Feuer. — Nur still, sagte Eschenmichel, man muß nicht verzagen. — Das Verhör nahm folgendermaßen seinen Fortgang. Hast’u was vom Teufel erfahren? O ja, die ganze Wahrheit. Wie sieht der Teufel aus? Er hat auch kein Aussehen nit. Wie denn so? Er ist auch nix. Er ist auch dummes Zeug. (mit fürchterlicher Gebärde.) Bist’u denn kein Grobschmidt nit? (zitternd.) Ach wohl bin ich der, aber von Höll’ und Teufel denk’ ich just wie der Magister Schnotter- baum. ’S ist klar! ’S ist klar! rief Kernbeißer, der Grobschmidt kann sich von den Erinnerungen, Ge- danken und Zweifeln des Magisters noch nicht los- reißen! — Dürr fluchte und wetterte, daß man die Nücken des Zwischenreiches nie auslerne. — Das ist ja eben das Erhabene und Göttliche, sprach Eschenmichel mit Salbung, daß in diesem Gebiete sich immer tiefere Tiefen austiefen, und unter dem Abgrunde der Abgrund gründet. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind zu gleicher Zeit zwei Geister in die Schnotterbaum gefahren, der Grob- schmidt und der Magister; diese haben sich nun in ihr unauflöslich mit einander verwickelt und ver- schlungen und verknotiget, so daß man nicht mehr weiß, wo der Schmidt anfängt und der Magister aufhört. Demnach tritt denn der großen und merk- würdigen Erfahrung, die wir an dem halben Kinds- geiste haben, diejenige nicht kleinere und un- merkwürdigere Thatsache symmetrisch entgegen, welche wir hier erleben, nämlich, daß im Zwischen- reiche auch eine völlige Confusion der Geister mög- lich ist. Nach dieser tiefsinnigen Bemerkung bat ich um die Erlaubniß, allein mit der Schnotterbaum reden zu dürfen, welche mir auch gegeben wurde, da Niemand Lust bezeigte, das Verhör jetzt fortzu- setzen, und der Dämon daher, seines Zwanges ent- ledigt, aus dem Halse wieder in die Magengegend hinabsank, wie unsere Kranke sagte. Als die An- dern das Zimmer verlassen hatten, befragte ich sie, ob sie mir nicht den wunderbaren Vorgang erklären könne. Ach, versetzte sie weinend, ich lebe in großer Qual. Ich werde von Tag zu Tag schwä- cher, und sehne mich inbrünstig nach meiner Näh- stub’, und nach meinem sonnigen Platz unter den Rebstöcken, da meine ich, würde mir gleich wieder wohl werden bei Hohlsaum und Doppelnath. Nun weiß ich freilich wohl, denn die Herren und der Dürr sagen es mir ja täglich, daß dieses schwache und sündliche Gedanken sind. Wer einmal ein Gefäß der Wunder ist, muß aushalten, und so will ich denn auch, ich armer, elendiger Mensch. Ich denk’ den ganzen Tag über an die Gott- losigkeiten (der Himmel verzeihe mir, daß ich so sprechen muß!) meines seligen Herren Vaters, und da ich ein sehr gutes Gedächtniß von jeher gehabt, und daher nichts vergessen habe, was mir von demselben zu Ohren gekommen ist an lästerlich- leichtfertigen Sachen über Bibel und Christenthum, so drängt sich das Alles nun jetzt zu Hauf in mir empor, und die Sachen werden laut in mir, die ich so sehr verabscheue. Und da der Grobschmidt, den ich bei mir führen soll, von nichts weiter in mir hört, als von diesen Magistersünden, so mag es wohl daher kommen, daß in den schrecklichen Abendstunden, wo der Dürr und die beiden Herren ihr schweres Werk mit mir beginnen, wo ich zwi- schen Beten, Singen, Ausfragen, Faustdrohen, An- schnarchen und Anbrällen nicht weiß, wo mir der Kopf steht, wo es mir grün und gelb vor den Augen wird, meine Sinne sich verwirren und ich wie im hitzigen Fieber rede — Wie? Jungfer Schnotterbaum? Ach, ich bitte Sie, mir das unbedachte Wort nicht übel zu nehmen und es ja nicht den andern Herren zu verrathen. Nein, ich wollte vielmehr sagen, wo, während ich im hitzigen Fieber liege, das Ding in mir zu reden anfängt, daß dann, sage ich, der Grobschmidt auch nur Magistersachen zu sagen weiß, und der Affe des Magisters ist. Eine andere Erklärung kann ich Ihnen nicht geben. — Was war damit erklärt? Die Auslegung er- schien doch gar zu dürftig. Und so blieb dieses große Räthsel der Geisterwelt ungelost. Wurde sogar mit jedem Tage dunkler. Be- fragten wir nämlich den Grobschmidtsdämon, ob er sich der Vorfälle aus seinem Erdenleben wohl noch erinnere, so antwortete er: O ja, er wisse die Stunde noch ganz genau, da er im Stift zum erstenmale lateinische Stunde gegeben. Erkundigte man sich, was ihm in gegenwärtiger Zurückgezogen- heit am leidesten thue? versetzte er, daß er seinen Juvenal nicht bei sich habe. IX . Thatsache: Die Erlösung eines Dämons hängt von tausend Zufälligkeiten ab . Obiger Satz ist aus Eschenmichel’s Diario ab- geschrieben, der gleich mir seit dem ersten Tage dieser magischen Behandlung genau Buch führte. Wir hatten uns in die Schriftverfassung getheilt. Ich brachte die historischen Thatumstände zu Papier, und er zog aus denselben die übernatürlichen Fol- gerungen. Nun merket das neue Wunder! Ohne daß wir vor dem Schreiben uns besprachen, paßte jederzeit seine Folgerung auf mein Factisches wie ein Handschuh auf den Andern. Daraus ist zu schließen, daß Diejenigen, welche von der höheren Welt berichten, unter dem Flügelschlage der Inspi- ration schreiben, erhaben über alle Kritik. Eschenmichel sagte am dreißigsten October: Laßt uns, da mit diesem halbschlächtigen Geiste sonst nichts zu beginnen ist, jetzunder an seine Bekehrung gehen. Kernbeißer entgegnete: Wolltest du, Bruder, mich nicht lieber die Schnotterbaum curiren lassen? die Person verfällt sichtlich. — Nein, rief Eschenmichel, auf den Dämon kommt es an, nicht auf die Schnotterbaum! Am folgenden Tage, den ersten November spuckte der magische Schneider in seine Hände, wie er zu thun pflegte, wenn er Schwieriges vorhatte, und nachdem er durch kräftige Formeln den Dämon von der Magengegend in den Hals hinaufgebracht, redete er ihm in’s Gewissen, sagte ihm, er solle sich schämen, ob ihm nicht das lausige, lumpichte Zwischenreich zum Verdruß sei? schilderte ihm die himmlischen Freuden, malte diese mit Pastoral- klugheit etwas doppelfarbig, so daß sie den Grob- schmidt wie den Magister anziehen konnten, sagte unter Anderem, da droben bleibe das Eisen immer warm, was geschmiedet werden solle, und für jede lateinische Stunde gebe es drei Kreuzer mehr, als auf Erden, sprach endlich geradezu davon, daß hier nicht gefackelt werden dürfe, sondern der Dämon sich erlösen lassen müsse. Auf diese Bußpredigt war Dämon anfangs sehr grob. Sagte, wir sollten uns Alle packen, wir besäßen nicht so viel Verstand im ganzen Leibe, wie er im kleinen Finger. Was uns sein Heil angehe? Er sei mit dem Quartier in der Schnot- terbaum zufrieden. Glaubt Ihr auch in den Him- mel zu kommen? fragte er. — Ja, riefen wir einhällig. — Nun, dann ist das schon ein hin- reichender Grund für mich, haußen zu bleiben, versetzte er. Denn solche Tröpfe, wie Ihr seid, würden mir die ewige Seeligkeit verleiden. Be- kümmert Euch um Eure Siebensachen, laßt mich ungeschoren, ich will platterdings nicht erlöst seyn. Er fügte noch allerhand Spöttereien hinzu, die ich nicht nachschreiben mag. Aber sie waren wirklich, cerebraliter genommen, das Gescheidteste, was hier seit Monaten sich laut gemacht hatte. Eschen- michel, Kernbeißer und ich konnten dagegen nichts aufbringen, hüllten uns folglich schweigend in unser höheres Bewußtseyn. Aber der Schneider war der Mann nicht, sich von einem tückischen Geiste ein- schüchtern zu lassen. Zeigte sich der Dämon grob, so wurde der Schneider gröber, auf ein Schimpf- wort hatte dieser zehn stärkere, und mit Gründen, die der Dämon hinterlistigerweise brauchen wollte, ließ er sich gar nicht ein; er sagte nur, wenn solche Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 20 Sophismen sich in die Unterredung einschleichen wollten mit donnerndem Ton: Halt’s Maul! Nachdem Schneider und Dämon einander wohl eine Stunde lang wie die Rohrsperlinge ausge- schimpft hatten, wurde der Dämon wirklich klein- laut und brummte: Der Vernünftigste giebt nach. Mit solchem verwetterten Bügeleisen ist ja gar nicht auszukommen. Gut, ich will mich erlösen lassen, aber wie soll ich’s anfangen? Ich hab’ ja keine Händ’ und Füß’, etwas Gutes zu schaffen. — Du dummer Dämon! rief der Magische, was braucht’s da Händ’ und Füß’? Du wirst erlöst, damit gut. — Nur nicht immer so ungeschliffen! erwiederte der Dämon. Ihr könnt doch mit Geistern manier- lich umgehen, besonders wenn man in einer Frauens- person sitzt. Siehst’u deinen guten Engel neben dir stehen? fuhr ihn der Schneider an, da ein Lichtstrahl durch das dunkle Zimmer schoß. Nachher hörten wir, der Knecht sei zur nämlichen Zeit unten mit der Stalllaterne über den Hof gegangen. Wie wun- derbar, daß der himmlische Bote gerade diesen na- türlichen Vorfall wählte, seine Erscheinung ein- dringlicher zu machen! — Ich seh’ Alles, was Ihr seht; Ihr habt mich schon fast eben so ver- stutzt und verdutzt gemacht, wie die Schnotter- baum, antwortete der Dämon auf die Frage des Schneiders. Letzterer fragte den Dämon, wie der Engel aussehe? und erhielt zum Bescheide: So, wie ein Engel sich trägt; ein Habit, weiß, von Nessel, blaue Flügel mit Gold verbrämt. — Dämon gab diese und mehrere dergleichen Nachrichten mit mur- render, unwilliger Stimme; offenbar belästigte ihn der himmlische Geschäftsträger. Im Verlaufe der deßfalls gepflogenen Unterredungen sagte er ein- mal: ’S ist doch grausam, daß ich nun noch gar einen Engel auf den Pelz krieg’, da ich nimmer an Engel geglaubt habe! — Hier aber brachte ihm Kernbeißer, der sich sonst in der ganzen Sache als handelnde Person zweiten Ranges darstellte, einen Kernschuß bei. Er warf ihm nämlich rasch ein, daß Dämon seiner Denkungsart zu Folge ja auch nicht an ein Leben nach dem Tode geglaubt haben könne, und nun stecke er doch selbst mit Haut und Haar mitten drin. — Dieser Grund traf den Dämon, machte ihn zahm, und von jetzt an ließ er den Engel über sich ergehen. 20* Letzterer wurde nun beauftragt, sich gehörigen Orts zu erkundigen, wann die Erlösung des Grob- schmidt-Magisters zu gewärtigen stehe? Er ver- sprach, gleich dieserhalb abzureisen, und, da die Wege noch so ziemlich seien, nach dreien Tagen Abends sieben Uhr wieder einzutreffen mit hoffent- lich günstiger Resolution. Die drei Tage gingen in stiller Erwartung hin. Der Engel bildete, das begriff Jeder, eine neue Katastrophe in diesem Wunderdrama. Eschenmichel schlug Alles nach, was er in der Kabbala, bei den Gnostikern und bei Emanuel von Swedenborg über Engel finden konnte, Kernbeißer sah mit thrä- nenden Blicken in die Wolken und dichtete schöne Lieder, in deren Einem er den seelenvollen Aus- druck eines Kalbsauges pries. Die Schnotterbaum, welche kaum noch vom Lager aufzustehen vermochte, zupfte still an der Bettdecke, schaute seltsam vor sich hin, und ich hörte sie zuweilen wie unwillkühr- lich sagen: Was der Dämon verschwieg, der Engel bringt’s an Tag. Wer aber am dritten Tage Abends sieben Uhr ausblieb, war der Engel. Dämon kam, wie ge- wöhnlich, folgsam aus der Magengegend herauf- gestiegen, wußte auf Befragen nicht das Mindeste über den Ausgebliebenen zu vermelden, hielt sich etwas kurz und fast spöttisch in seinen Antworten und äußerte, da sehe man, daß auf solche Leute kein Verlaß sei. — Der Magische ergoß hierauf einen Regen von Fluch-, Beschwörungs- und Schimpfworten über den Nichterscheinenden, in der Meinung, ihn dadurch herbeizuzwingen. Es war aber Alles vergebens. Bis nach Mitternacht wurde jegliche thaumaturgische Kunst fruchtlos angewendet; der nichtsnutzige Dämon lachte und schrie unauf- hörlich: Ich bleib’ unerlöst! Ich bleib’ unerlöst! Juchheirassasa! Juchheirassasa! — Endlich wurde die Schnotterbaum von diesen Dingen schwach und drohte, für todt liegen zu bleiben. Da fing Kern- beißer des Magischen aufgehobenen Arm, welcher schon wieder eine Himmelszwangsgebärde ausführen wollte und rief: Du bist zu heftig, du außer- ordentlicher Mensch; deine Gaben und Kräfte sind für die verworfenen Geister eingerichtet, aber diese süßen, seligen, rosigen Flügelknaben wollen mit Zartheit behandelt seyn. Deßhalb ist mein Vor- schlag: Du behältst den Dämon, und überläßest mir und meinem Bruder Eschenmichel, der mich mit seinen Kenntnissen unterstützen wird, den Engel. Diese Geschäftseintheilung fand den Beifall des Magischen und wurde auch sogleich ausgeführt. Kernbeißer setzte sich vor die Besessene hin und sang mit sanfter Stimme: Du lichtes, leichtes Wesen, Wo säuseln deine Schwingen? Wir dürsten, zu genesen An deines Fluges Ringen. Bist du denn nicht ein Träumen Aus unsern ersten Tagen? Wie lange willst du säumen, Von ihnen uns zu sagen? Von unsern Kinderreden, Und kindlichem Gelüste? Du führtest uns durch Eden, Führ’ uns auch durch die Wüste! Darin nur eine Quelle Den Schmachtenden erquicket: Die fromme, heil’ge Welle, Die unter Wimpern blicket! Die Kranke schluchzte, und der Engel war so- gleich da. Er entschuldigte sein spätes Erscheinen und sagte, sein allzugroßer Eifer trage die Schuld. Er sei nämlich, wie eine in unaufhaltsamem Fluge begriffene Kugel über das Ziel, den himmlischen Raum, hinausgeschossen immer weiter und weiter in das sogenannte große Nichts, habe freilich, sobald er des Irrthums inne geworden sei, Kehrt gemacht, indessen doch durch seinen übermäßigen Schuß Zeit und Weg verloren. Was die Erlösung betreffe, so werde diese am dreizehnten December Schlag acht Uhr erfolgen. — Engel empfahl sich darauf. Dämon lachte und sagte: Wenn ich am dreizehnten December erlöset werde, so will ich Hans heißen. Ich habe noch etwas auf dem Herzen und ehe das nicht herunter ist, kein Gedanke an Erlösung. Was hast du auf dem Herzen? fragte Kern- beißer. Herr, fraget nicht danach, antwortete der Dämon, es ist ein verfängliches Ding, Keinem nütz, Zweien zu großem Schaden! Eschenmichel wurde verlegen und bat Kernbeißer’n, von weite- rem Eindringen abzustehen, man müsse auch gegen Dämonen discret seyn. Nein, sagte Kernbeißer, wenn er etwas auf dem Herzen hat, da wird nicht eher Ruhe, als bis es herunter ist. Ach, der Dämon hatte wohl Recht gehabt! Am dreizehnten December Abends acht Uhr keine Erlösung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm auf einmal wieder ein blasphemischer Gedanke ein, und alsobald rutschte er auch wieder hinunter, so daß ein Jeder von uns das Geräusch hörte. Es war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel. Der magische Schneider rief: Sein guter Engel muß es doch aber wissen, muß auch den blasphe- mischen Gedanken vorhersehen, wie darf er denn die Leut’ so anführen? Der Engel, durch Kern- beißer’s sanften Gesang berufen, kam, bat um Ver- gebung, er müsse sich im Datum geirrt haben, es sei droben gar zu viel zu thun, und setzte nun den Termin der Erlösung auf den fünften Januar, dann, als auch dieser fruchtlos verstrich, auf den dritten Februar, und so, bei immer wiederkehren- den Fehlschlagungen der Erlösung nach einander auf sechs verschiedene Tage in den Monaten März, April, Mai. Der Dämon blieb fest in der Schnotterbaum sitzen, die nun schon Anfälle von Bewußtlosigkeiten hatte. Ja, was ist das? sagte Eschenmichel, wir müssen denn doch den Engel darüber ernsthaft zur Rede stellen. — Wie kannst’u uns so oft täuschen? fragte Kernbeißer sanft und freundlich den Engel. — Dieser erwiederte mit holder, süßer Stimme aus der Schnotterbaum auf Englisch, d. h. in der Engelssprache nichts weiter als: Pöpöbelö. Es war das erstemal, daß er sich dieses Idioms bediente; vorher hatte er immer deutsch mit uns gesprochen. Kernbeißer und Eschenmichel mühten sich vergebens um den Sinn jenes Wortes ab. Da überkam mich plötzlich die Inspiration und ich verdeutschte ihnen „Pöpöbelö“ folgendermaßen: Meine Herren, ich kann fürwahr nicht dafür, daß so viel Irrthum in dieser Geschichte vorgeht. Die Erlösung eines Dämons hängt von tausend Zu- fälligkeiten ab, die sich nicht berechnen lassen. Seit Sie das Zwischenreich so sehr in Erregung gebracht haben, und aller Orten und Enden die höhere Welt in die niedere hereinragt, kann man sich auf nichts mehr verlassen, und alle Naturgesetze sind durchlöchert. Die ganze Atmosphäre ist voll von Wirkungen in die Ferne und Blicken in die Weite, Luft und Licht wissen nicht mehr, wo aus oder ein? die Schwere hat sich auf den Fuß der Leich- tigkeit gesetzt und die Materie ist unter die Husa- ren gegangen. Centripetal- und Centrifugalkraft spielen mit einander Kämmerchen vermiethen, die Farben klingen und die Töne leuchten, der Ner- vengeist aber fließt wie eine große Brühe überall umher. In einer so durcheinander geworfenen Na- tur hält kein Element mehr Stich. Der Dämon besitzt also gar kein sicheres Transportmittel mehr zu seiner Beförderung, dazu rappelt es, rutscht es, quietscht es ihm beständig vor seinen Augen von andern Poltergeistern, so geräth er denn in Aerger, wird in seinem Aerger wieder gottlos, und die Vorsehung selbst kann an ihm ihr Exempel nicht lösen. Nach dieser meiner Rede in gutem Deutsch blieben die beiden Thaumaturgen lange stumm, ernsten Betrachtungen hingegeben. Engel hatte sich gleich nach dem „Pöpöbelö“ entfernt. Endlich sagte Eschenmichel: So könnte es also dahin kom- men, daß die Magie sich selbst aufhöbe. — Thun wir nicht besser, innezuhalten und die Sache bei dem Bisherigen bewenden zu lassen? Nein vorwärts! rief der Schneider. Vorwärts! wiederholte Kernbeißer, der mit Eschenmichel die Rolle getauscht zu haben schien und seit dem Ein- greifen des Engels eben so kühn und leidenschaftlich sich bezeigte, als er früher bedenklich gewesen war. Vorwärts! sprach zu unserer Aller Erstaunen auch der Dämon aus der Schnotterbaum mit dum- pfer Stimme. Ich werd’ der Sach’ ein End’ machen und mich selbst erlösen. Nächstkünftigen Mittwoch soll’s geschehen. X. Thatsache: In Gegenwart der Polizei er- scheint weder Dämon noch Engel . Ein Zwischenfall, der sich an einem der fol- genden Tage ereignete, wandte auf einen Augenblick unsre gespannten Erwartungen von dem nächstkünf- tigen Mittwoch ab. Mit dem wachsenden Flor der Schnotterbaum’schen Wunder hatte sich nämlich das Etablissement nach und nach wieder zu bevöl- kern angefangen. Zuerst war der Gergesener auf’s Neue grunzend geworden, dann kehrten mit den Hellseherinnen die drei Geister und zwei Geistinnen zurück, nur die zweite Hälfte des Kindsgeistes mußte sich verirrt haben, denn sie blieb aus. Unser Lager war demnach wieder vollständig assortirt und wir thaten uns nicht wenig auf unsern Reichthum zu Gute. Aber nicht bloß bei uns herrschten die besten dämonischen Umstände, auch über das ganze Städt- chen hatte sich der Segen ergossen. Es gab in ganz Weinsberg fast kein Haus mehr, worin es nicht spükte; ein Poltergeist begann, so zu sagen, zur Einrichtung einer ordentlichen Wirthschaft zu gehören. Darüber kamen nun freilich manche Ge- schäfte in Stockung, denn zur Dämmerungsstunde wollte Niemand mehr gern allein wohin gehen, weil trotz des Gewöhnlichen, welches die Sache erhielt, die Furcht noch immer den Sinn der Menschen befing. Außerordentliche Dinge erzählte man sich; so sollte zum Beispiel in der Teufels- schmiede den glaubwürdigsten Nachrichten zu Folge der Hammer, womit der Schneider den Dämon zuerst auf dem Ambosse bearbeitet hatte, noch im- mer im Hämmern begriffen seyn ohne Arm, der ihn regierte, recht wie der Hegel’sche Gott in der Geschichte. Wie nun das Heilige stäts, bevor es selbst zu weltlicher Macht gelangt, dem Arme der weltlichen Obrigkeit verfällt, so geschah es auch hier. Die Behörden nannten in ihrer rohen Weise das Her- einragen der höheren Welt in die Gassen von Weinsberg einen lästerlichen Unfug, und ihre Hand begann drückend über dem Wirken und Weben der zarten Sphäre zu lasten. Bei zehn Gulden Strafe wurde verboten, einen Geist zu sehen, geringere Leute, die sich dessen unterfingen, sollten mit bür- gerlichem Arrest gebüßt werden. Hart lag der Druck über Ginnistan; der Hammer hämmerte nur noch bei Nacht, wo Niemand ihn hörte. Auch dem Etablissement war ein Besuch der Polizei angekündigt worden und nicht lange dauerte es, so erschien der Beamte. Der Schneider hatte uns Allen aber Muth eingesprochen, wir erwarteten daher gefaßt jenen Boten der Gewalt. Auch war dessen Persönlichkeit ganz geeignet unsere Zuversicht zu steigern. Wir sahen in ihm einen noch nicht bejahrten Mann von gefälligem Aeußeren erscheinen, der sein Kommen so zu sagen entschuldigte und um Verzeihung bat, daß er den Befehl der Oberen ausführen müsse. Glauben Sie mir, meine Her- ren, daß ich den Kreis Ihrer verehrungswürdigen Bestrebungen aus eigenem Antriebe nie stören würde, sagte der höfliche Beamte. Die Polizei darf keine Feindin der Wunder seyn, sie muß selbst jezuweilen Wunder thun, muß Dinge sehen, die Niemand sonst sieht, zum Beispiel Verschwörungen gegen Thron und Altar und was dergleichen mehr ist. Also nur ein weniges Uebernatürliches, meine Herren, während ich anwesend bin, und ich will zufrieden seyn und weit mehr glauben. Die Schnotterbaum lag entkräftet auf dem Bette, warf dem Beamten aus ihren matten Augen einen sonderbar lächelnden Blick zu und sagte: Ich kenne Sie recht wohl. — Und ich Sie auch, Jung- fer Schnotterbaum, versetzte der Beamte. Ich habe mich hin und wieder mit Ihrem seligen Herrn Vater sehr angenehm unterhalten, obgleich seine Grundsätze nicht in allewege die meinigen sein durften. Wenn ich nicht irre, so beruht auch noch in unserem Archive — Hier unterbrach ihn der Magische, welcher die Zeit kaum erwarten konnte, eine Probe seiner Ga- ben abzulegen, rief: Jetzt wollen wir einmal dem Herrn den Glauben in die Hand geben! That das, was ich von ihm schon mehreremale berichtet habe, sich mit Kraft zu salben, und begann das thaumaturgische Werk. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen, sagte mit ihrer natürlichen, nicht mit der dämonischen Stimme hin und wieder: Was für Seitenstiche, die ich verspür’, sie sind mein Letz- tes; weiter aber nichts. Der Dämon kam nicht. Der Schneider, auf dem der Beamte sein Auge still und höflich ruhen ließ, griff sich noch stärker an, warf die gräßlichsten Blicke, deren er mächtig werden konnte, umher, und gebärdete sich wie ein schaumbedeckter Schamane. Aber die Schnotter- baum blieb ruhig liegen und kein Dämon erschien. Plötzlich schnappte der Magische in einer ungeheu- ren Formel, die er unvollendet ließ, kurz ab, rief, den Beamten zornig anblickend: Wenn ich immer beguckt werde, dann weichen die beiden Geister der Stärk’, welche mir helfen! und rannte aus der Stube. Der Beamte sprach jetzt noch höflicher als zu- vor: O meine Herren, ich sehe wohl, daß Sie mich für meine Zudringlichkeit bestrafen wollen. Dürfte ich nichtsdestoweniger Sie Herr Doctor Eschenmichel wohl ersuchen, mir gefälligst den Dä- mon vorzustellen, der hier so oft seine Aufwartung gemacht hat? — Eschenmichel zog die Achseln in die Höhe, ging gleichwohl zur Schnotterbaum und sprach mit dem Dämon auf Kabbalistisch und Swedenborgisch. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und der Dämon kam nicht. Eschen- michel folgte darauf dem Schneider, indem er sagte, daß Geschäfte ihn abriefen. Ich bin untröstlich, sagte der Beamte, daß ich diese Störungen in Ihren Geschäftsbetrieb bringe. Wäre es nicht zu vermessen, so würde ich mich gleichwohl ermüssiget sehen, auch Sie Herr Doctor Kernbeißer zu bitten — Doch nicht, daß ich den Dämon herbeischaffe? rief Kernbeißer, der durch alle Verlegenheit hin- durch ein Lächeln hatte blicken lassen. Sein Humor verließ ihn auch in dieser drangvollen Lage nicht. Er fuhr fort: Der muß nunmehr in contumaciam zum Tode verurtheilt werden. Aber, sprach er weinend (denn die Uebergänge von Lachen zu Thrä- nen waren bei ihm unglaublich rasch;) das liebe Englein wird kommen, der zarte Bub’, er thut mir schon den Gefallen, er läßt seinen alten Kern- beißer nicht im Stich. Er setzte sich zum Bette, nahm die Hand der Kranken in die seinige und sang mit sanfter Stimme: Ich weiß, daß du vorhanden Im ew’gen Lichte webest, Weiß auch, daß du zu Banden Des Ird’schen niederschwebest! Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 21 Ich müßte ganz zerbrechen, Zerbräche mir mein Schauen! So hart könnt Ihr nicht rächen Ein gläubiges Vertrauen. Es blieb aber Alles still in der Schnotterbaum. Nach einer Pause sagte sie, nämlich die irdische Person Schnotterbaum: Gebt Euch keine Mühe, lieber Herr, auch er kommt heute nicht. Kernbeißer stand auf und sah sehr verwirrt aus. Vielleicht ein anderesmal, Herr Doctor, wird es besser gelingen, sagte der Beamte in der mil- desten, tröstendsten Art. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Aber Ihr Herr College wird nach Ihnen verlangen. — Kernbeißer ging. Sollten Sie vielleicht ein Mittel besitzen, Herr von Münchhausen? fragte mich jener humane Offi- ciant. — Nein, mein Herr, erwiederte ich, ich bin hier nur Lehrling und Handlanger. — Nun dann … Es war deutlich, er wollte mit der Schnotter- baum allein seyn. Ich fügte mich seinem Winke. Der Beamte blieb über eine Stunde bei der Kranken. Ich kam, weil ich nicht annehmen konnte, daß er noch bei ihr sei, und weil ich mich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, unversehens zu der Unterredung, von welcher ich noch die letzten Worte hörte. Die Schnotterbaum fragte den Be- amten: Ist es auch keine Sünde? und er erwie- derte: Nein, gewiß nicht; Sie thun vielmehr ein gutes Werk damit. Herr von Münchhausen (mit diesen Worten wandte er sich an mich) Sie sind hier Zeuge einer merkwürdigen Thatsache auf dem Gebiete der höhe- ren Welt geworden. — Ja wohl, versetzte ich, es ist die Thatsache: „ In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel .“ Ich werde nicht ermangeln, dem Herrn Doctor Eschenmichel sie bemerkbar zu machen. Wirklich schrieb Eschenmichel, als ich davon zu ihm redete, sie in seinem Diario nieder. Er hatte schon wieder Muth gefaßt. 21* XI. Bekenntnisse einer Sterbenden . Kernbeißer war zerbrochen und vernichtet. Dürr schlief. Ich war stark im Glauben und hoffte auf den nächstkünftigen Mittwoch. Aber die Entscheidung sollte noch rascher her- anrücken. Gegen zehn Uhr Abends ließ uns die Schnotterbaum rufen. Wir fanden sie völlig ent- kräftet und kaum noch fähig zu reden. Die Magd wurde herbeigeholt, unterstützte sie mit ihren Ar- men, und so halb emporgerichtet, gab sie uns, oft unterbrochen von ihrer Schwäche, Folgendes zu vernehmen: Ihr Herren, es geht mit mir zu Ende. Die Geistersachen haben mich zu sehr mitgenommen. Vielleicht hätt’ einige irdische Arznei meinen schwachen und gebrechlichen Leib länger hingehalten; indessen sei es fern’ von mir, an den Pforten der Ewigkeit Jemand anzuklagen. Ich werd’ den nächstkünftigen Mittwoch schwer- lich erleben. Ob der Grobschmidt oder der Ma- gister, mein seliger Herr Vater in mir gesessen, ich weiß es nit, nehm’ auch keinen Antheil mehr daran. Ich muß ohne sie oder einen von Beiden vor Gott. Der Magister hat mir etwas anver- traut, worüber er auf einer seiner Wanderungen Licht erhalten, und welches der Art ist, daß kein Mensch sich dergleichen denken kann. Es hat mich überaus sehr gequält, ist aber nicht über meine Lippen gekommen. Ich hielt’s auch meistentheils für eine Schnurr’, darin der Magister von jeher stark war. Weiß auch noch nit, ob etwas Wahres daran ist. Nun aber höret und vernehmet, Ihr Herrn. Der Magister hat mir auch erzählt, daß er diese verborgene Sache zu Papier gebracht, und das verschlossene Papier sein Testament benamset habe. Bisher wußte ich nun dessen Aufbewahrungsort nicht. Vor Kurzem jedoch ist mir offenbart wor- den, daß es im hiesigen Polizeiarchive und zwar in dem Gefach S unter verschiedenen nicht mehr brauch- baren und staubigen Papieren hinterlegt worden sei, und dorten allerdings noch beruhe. Nun aber Ihr Herren thut mit meiner Ent- deckung und in Betreff des bisher unbekannt ge- bliebenen Testamentes, was Euch gut dünkt. Mich laßt mit mir allein und schickt mir, wenn ich bitten darf, geistlichen Beistand. Die Magd mußte sie zurücklegen, und ihre Brust begann zu röcheln. Wir verließen das Zim- mer und sandten nach dem Geistlichen. Keiner von uns legte sich nieder. Gegen Mitternacht kam die Magd und sagte, daß sie verschieden sei. Kurz vor ihrem Ende habe sie geäußert: Es steht kein Engel bei mir, aber ich bin dennoch getrost. Das Unheil ist ohne meinen Willen über mich gekom- men; es wird mir vergeben werden. Also wieder Eine, die in die Stricke des Cere- bralsystems zurückfiel! rief Eschenmichel. Dieser Umstand, meine Herren, bleibt vor der Hand unter uns. Alle unsere Gedanken wendeten sich mit Macht gegen das Testament des Magisters Schnotter- baum. Nach kurzer Verfinsterung durch den dunkeln Körper der Polizei schien die Sonne der höheren Welt nur um so sieghafter leuchten zu sollen. Denn Eschenmichel schrieb auf der Stelle an den Beamten, theilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um die Erlaubniß für die Etablissementsgenossen, an dem bezeichneten Orte nach dem Testamente suchen zu dürfen. An dem Rande des Grabes, so schloß der Brief, in dem Augenblicke, wo der scheinbare Tag weicht und die heiligen Finsternisse ihre Lichter anzünden, trat die Welt der Geister wieder in ihre unzerstörlichen, urewigen Rechte ein. Aus ihr erscholl die Stimme, welche einen Moment lang zum Schweigen gebracht worden war, um den Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat sie Wahr- heit gesprochen, so müssen alle Staubwirbel, welche die Geschäftigkeit des modernen Unglaubens auf- wühlt, sich zerstreuen und verschwinden. Eigentlich ist’s nicht ganz richtig, sagte Kern- beißer, als er den Brief überlesen hatte. Denn der Magister hatte ihr bei Lebzeiten vom Testament gesagt, so weit ich die gute Schnotterbaum ver- standen habe. — Schweig! rief Eschenmichel, und siegelte den Brief. Zwischen der Leiche im Hause und dem ver- hängnißschwangern Polizeiarchiv eingeklemmt ver- brachten wir den Rest der Nacht in einer wild- unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten Dieses sagen, und unsere Lippen sprachen Jenes. Wir wollten jubelnde und triumphirende Reden über den Sieg der Thaumaturgie halten, und ehe wir uns dessen versahen, schlugen sie in Klagelieder um. Wir wollten lachen und mußten heiße, schmerzhafte Thränen von den Wangen wischen. Ein Geist, vielleicht mächtiger, als alle bisherigen Poltergeister in und um Weinsberg ging durch das Etablissement. Frühmorgens sandte Eschenmichel seinen Brief an den Beamten. Sehr bald kam eine Antwort von diesem, worin er auf die allerverbindlichste Weise seine Freude über die hergestellte Thätigkeit der Wunder ausdruckte und meldete, daß er, um allen Unterschleif zu vermeiden, sofort das Polizei- archiv habe unter Siegel legen lassen. Er be- stimmte die Stunde der Nachsuchung und schloß damit, daß er, um dem ganzen Einhergange die größtmögliche Offenkundigkeit und feierlichste Würde zu geben, mehrere Honoratioren des Städtchens und einige Fremde von Auszeichnung dazu einladen lassen werde. Eschenmichel mühte seinen Geist in Vermuthun- gen ab, was das mystische Testament enthalten werde. Vielleicht die Entdeckung, wo er die Klei- der des erschlagenen Knechts gelassen, sagte er unter Anderem. — Du vergissest, erwiederte Kern- beißer, daß es ja nicht der Grobschmidt, sondern der Magister geschrieben hat. — Mir ist hoch zu Muth! rief Eschenmichel. — Mir angst, sagte Kernbeißer. Dürr schlief noch immer. Ich packte im Stillen meinen Koffer. Warum? weiß ich nicht. Mir war, als müsse ich packen. Gewiß auch noch ein dämonischer Einfluß zu guter Letzt. XII. Das Testament des Magisters Schnotter- baum . Als die Stunde gekommen war, gingen wir nach dem Rathhause. Vor demselben hatte sich eine große Menge Volks versammelt, welches sich ehrerbietigst verneigte und uns Platz machte, als wir uns näherten. Auf dem Vorsaale erwartete uns der Beamte, welcher zur Feier des Tages sich in seine Staatsuniform geworfen hatte, mit meh- reren Honoratioren, unter denen ich den Specerei- händler bemerkte. Von ausgezeichneten Fremden sah ich freilich Niemand als den Ehinger Spitzen- krämer. Es mochten wohl an fünfzig Menschen aller Art oben versammelt seyn, in deren Gesichtern Neugier, Befremden, Spannung sich auf die man- nichfaltigste Weise kund gaben. So weit wie heute hatte sich die Thaumaturgie noch nicht in die Kreise des profanen Lebens gewagt; schon das mußte alle Erwartungen entfesseln, dazu aber kam noch der Tod der Jungfer Schnotterbaum. Dieser setzte selbst die Leidenschaften in Bewegung. Der Beamte empfing die beiden Geschäftsträger der höheren Welt mit einer Artigkeit, die fast an Demuth grenzte, und sagte zu einem seiner Die- nenden leise: Achten Sie auf Dürr. — Irgend eine Auszeichnung, wahrscheinlich das Ehrenbürgerrecht der Stadt, wird wohl die Folge der Sache seyn, dachte ich. Vielleicht bekommst du auch etwas ab. Ueber dem Schlüsselloche der Archivstube lagen Papierstreifen mit Siegeln, diese wurden für un- verletzt erkannt und sodann hinweggenommen. Der Beamte ließ die Stube öffnen; wir nahmen den staubigen Schränken und Repositorien gegenüber Platz. Für Kernbeißer und Eschenmichel waren auf einer Erhöhung in der Mitte des Gemachs zwei eilig herbeigeschaffte Ehrensessel hingestellt worden. So saßen sie denn, allen Blicken sichtbar, über uns Andere erhöht, da. Indem ich mich zufällig während dieser vorbe- reitenden Handlungen umwandte, sah ich Jemand in unserem Rücken durch die offene Thüre herein und hinter eine spanische Wand schlüpfen, welche zunächst der Thüre stand. Da ich etwas neugierig bin, benutzte ich einen Augenblick, in welchem ich mich für unbeachtet halten durfte, um mich auch hinter der spanischen Wand umzusehen. Zu meinem allergrößten Erstaunen aber fand ich hinter der- selben einen Bekannten, den ich auf der Stelle mir erinnerlich zu machen wußte, nämlich — den Ge- hülfen aus dem Würzburger Juliusspital, mit dem ich mich über die Seherin von Prevorst und die beiden entlaufenen alten Weiber unterhalten hatte. Ich wollte meiner Verwunderung durch einen Aus- ruf Luft machen, der Gehülfe hielt mir aber den Mund zu und sagte: Erregen Sie kein Aufsehen, die vorseiende heilige Handlung darf nicht gestört werden, ein Zufall führt mich auf dieser meiner Reise durch Weinsperg, und es war wohl natür- lich, daß ich ein Zeuge des merkwürdigen Ereig- nisses zu werden wünschte, von welchem ich, sobald ich im Wirthshause abgetreten war, zu hören be- kam. Was den Umstand betrifft, daß ich hier hinter der spanischen Wand zuzusehen, oder vielmehr zuzuhören wünsche, so ist dieses Letztere eine Lieb- haberei von mir, die sonder Zweifel zu den völlig unschuldigen gehört. Ich weiß nicht, welcher abermalige geheime Einfluß mich trieb, nach dieser Entdeckung thür- wärts zu schleichen, um in das Freie zu entgleiten. Der Mensch ist dunkeln, unerklärlichen Anstößen so häufig unterworfen. Aber zwei Thürsteher wiesen mich zurück und sagten: Niemand darf das Gemach verlassen, bis die Handlung vorbei ist. — Ei! Ei! dachte ich, werden die Geistersachen nun mit solcher polizeilichen Strenge behandelt? Der Beamte hatte inzwischen der Versammlung ihren Anlaß in einer bündigen Rede auseinander- gesetzt, und forderte eben, als ich zu dem erhöhten Sitze der beiden Doctoren der Geisterwelt zurück- kehrte, diese auf, das Fach zu bezeichnen, worin das Testament des seligen Magisters Schnotter- baum nach dessen Angabe liegen solle. Eschenmichel gab mit herzhafter Stimme das Fach an. Nun merket wohl auf, meine Mitbürger, sprach der Beamte. Liegt das Testament des verstorbenen Magisters, so wie behauptet wird, in dem Fache S unter verschiedenen nicht mehr brauchbaren und staubigen Papieren, so habt Ihr ein Wunder, mit Händen zu greifen. Denn selbst seine Tochter, die tugendsame, durch die beiden Herren so zweck- mäßig behandelte und nun in der Ewigkeit ver- sirende Jungfer Anna Katharina Schnotterbaum wußte von dem Aufbewahrungsorte nichts, weil ihr seliger Vater ihr denselben keinesweges entdeckt hatte. Er war vielmehr nur zweien Menschen auf Erden bekannt, dem Testator und mir, dem der alte Schäker einstmals in einer Weinlaune das versiegelte Papier eingehändiget hatte, ohne gleich- wohl dessen Inhalt mir zu offenbaren. Es sind also nur zwei Fälle möglich. Entweder muß ich mit den beiden Herren unter der Decke gespielt, und ihnen den Ort verrathen haben, oder er ist durch den Geist des Magisters aus jener Welt heraus kund gethan. Der dritte Fall läßt sich nicht gedenken — Wenn ich reden dürfte — sagte ich, von Neuem durch geheimen Anstoß hingerissen. Nein, Herr von Münchhausen, sprach der Beamte mit Ansehen, Sie dürfen hier nicht reden. Sie sind ein Ausländer und haben bei uns keine Stimme. Er warf einen so bezeichnenden Blick auf sein Dienstpersonal, daß der innere Impuls, weiter zu sprechen, plötzlich in mir verschwand. Wissen Sie einen dritten Fall, meine Herrn? fragte er Kernbeißer und Eschenmtchel. Ich bin über- zeugt, daß es Ihnen nur um Wahrheit zu thun ist. Nein, versetzte Eschenmichel muthig. Nein, erwiederte Kernbeißer schüchtern. Wißt Ihr einen dritten Fall, versammelte Schwaben? rief der Beamte in das Publicum hinein. — Nein! war die einstimmige Antwort der Menge. — Glaubt Ihr, daß ich den beiden Herrn Doctoren die Sache gesteckt habe, daß die Polizei ein falsches Wunder hier verfertigen hilft? — Abermaliges stürmisches Nein. So wäre also der Thatbestand mit völliger Gewißheit hergestellt, und nur der Geist des Ma- gisters kann den beiden erleuchteten Männern die Notiz haben zufließen lassen, sagte der Beamte. Wir werden aber unter solchen Umständen, und da noch im Jenseits, in dem Lande, wo alle Täuschung schwindet, von dem Testamente Rede gewesen ist, seinem Inhalte die allerernsteste Beachtung zu wid- men haben. Gewiß erlebt die Thaumaturgie heute einen hohen Triumph. Wie beklage ich, daß ich für ihre würdigsten Priester die Ehrensessel bei dieser erhabenen Feier nur auf dasjenige Gerüst stellen lassen konnte, von welchem herab wir leider mitunter auf dem Markte andere Personen dem Volke zeigen müssen. Der Herr Doctor Eschen- michel brachte uns aber die Dämonophanie zu rasch über das Haupt, und so mußten wir in der Hast zu jener allerdings standeswidrigen Vorrichtung greifen, weil keine andere im Augenblick zu er- mitteln war. Er gab einem Schreiber den Befehl, im Fache S nachzusuchen. Aller Herzen pochten vor Unruhe. Der Schreiber ging, suchte, warf erst einige ge- bräunte Hefte aus dem Fache, daß eine Wolke Staubes aufstieg, zog dann ein vergilbtes Couvert hervor, und las mit vernehmlicher Stimme dessen Aufschrift ab, welche also lautete: „Hierin ist enthalten der letzte Wille Jodoci Zebedäi Schnotterbaum’s, lebzeitig Magisters der freien Künste, aus Hall in Schwaben bürtig. Dem ernannten Executor, dem Zufall, wird die Publication übertragen.“ Ein allgemeines: Ah! der befriedigten Erwar- tung wurde hörbar. Eschenmichel saß wie ein Triumphator auf seiner Bühne, Kernbeißer wurde immer bleicher, je deutlicher sich der Sieg auf die Seite des Wunders neigte. Ein großer schwarzer Rabe kam in diesem Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den Tisch, an welchem der Beamte saß. Er setzte sich zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Einge- weihter nach den Thaumaturgen. Sieh! Sieh! mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willst du hier? sagte der Beamte und streichelte den Rücken des zahmen Thieres, welches seinem Herrn über- allhin folgte. Die Siegel des Testaments wurden gleichfalls als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach sie auf Befehl und hob, deutlich, daß Niemandem ein Laut entging, folgendermaßen zu lesen an: Zwischenbetrachtung des Erzählers . — O Menschenschicksal! Menschenschicksal! An welchen jähen Abgründen taumelst du wie ein Nachtwandler hin! Durch das goldene Thor von Byzanz träumst du, zu schreiten, dem Pfauenthrone des Moguls in Delhi wähnst du, dich zu nähern, da tönt der weckende Ruf, und du liegst zerschmet- tert unten, herabgestürzt von der Firste des Dachs, Immermann’s Münchhausen. 2. Th. 22 über welche du bewußtlos klettertest! Wie hatte Kernbeißer’s Blässe Recht, wie hatte der schwarze Rabe Recht, wie hatte ich Recht, als ich von der Möglichkeit eines dritten Falls reden wollte! Das Testament des Magisters Schnotterbaum enthielt folgende Bestimmungen und Aufschlüsse. „Da der Tod eine gewisse, Zeit und Stunde desselben aber eine ungewisse Sache ist, so habe ich mich entschlossen, bei allbereits merklicher Abnahme meiner Kräfte, jedoch völlig gesundem Verstande meinen letzten Willen aufzurichten. Ich habe im- mer zu den Leuten gehört, welche auf Erden ihren Willen nicht haben sollten, aber meinen letzten will ich haben und durchsetzen. Blutarm bin ich in die Welt gekommen, blut- arm bin ich auf derselben gewallt und blutarm werde ich sie aller Wahrscheinlichkeit nach verlassen. Aber ein Testament darf auch der Aermste machen, und daran kann ihn kein Tyrann verhindern. Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden, wenn ich daran erinnere, daß des Menschen Sohn, welcher nicht hatte, da er sein Haupt hinlegen sollte, ein Testament errichtete, aus welchem die Geschlechter zweier Jahrtausende Erbgenahmen worden sind. Diesen Menschensohn, genannt Jesus der Christ, habe ich Zeitlebens lieb gehabt, aber ganz in der Stille; nicht wie Regan und Goneril ihren Vater liebten, sondern gleichsam à la Cordelia, oder da ich generis masculini bin, à la Cordelius. Ich wurde deßhalb für einen bösen Christen und Atheisten gehalten, welches ich mir wohl gefallen lassen konnte, da ich die Liebe der Regan’s, Goneril’s, der Edmunde und Cornwall’s an ihren Früchten erkannte. Ich besitze an zeitlichen Gütern drei Stücke, nämlich meinen sterblichen Leichnam, eine natürliche Tochter und einen alten von mir durchaus zerlesenen Juvenal, Göttinger Ausgabe von Vandenhoeck vom Jahre 1742. Ueber meinen Leichnam eröffne ich die Succession der Ascendenten, vermache ihn näm- lich der Mutter Erde, und mag er zusehen, wie er darin zu seiner Auferstehung kommen will; vor der Hand wünsche ich, zu schlummern. Meine natürliche Tochter vermache ich ihrer Nätherei, wel- che ich sie habe mit allen Feinheiten dieser Kunst erlernen lassen. Um meinen Juvenal sollen die Hauptstädte der Welt würfeln, und welche die niedrigsten Augen wirft, ihn haben und behalten als immerwährendes Fideicommiß. 22* An ewigen und unzeitlichen Gütern besitze ich eine große Wahrheit und deren Bestätigung durch ein eminentes Exempel, welches wieder mit einem unglaublichen Geheimnisse zusammenhängt. Diesen Zusammenhang von Wahrheit, Exempel und Ge- heimniß verlasse und vermache ich allen Leuten von gesunder Vernunft. Da die genaue Bezeich- nung des Erben zu den Hauptstücken eines gültigen Testaments gehört, so merke ich hier an, daß unter den titulo honorifico Bedachten nicht gemeint sind: 1. die sogenannten großen Köpfe 2. die edeln Charaktere 3. die bedeutenden Menschen 4. die gefühlvollen Seelen 5. diejenigen, welche man a. die Hochverdienten, oder b. die Allverehrten und Allgeliebten nennt; sondern meine Erben sollen seyn die Leute von gesunder Vernunft, eine leider neuerdings nur zu sehr herabgekommene und unscheinbar gewordene Secte. Denn die Vernunft, welche ich meine, bietet ihren Anhängern nur Armuth und Nichtachtung, sie selber geht auch nicht in Sammet und Seide, sondern in einem schlichten weißen Gewande. Puf- fen, Bänder und Schmelz fehlen ihrem Anzuge ganz, auf den Wangen brennt ihr nicht die bei den Meisten beliebte hektische Röthe, sondern die reine Farbe der Gesundheit steht auf denselben, die für den verwöhnten Geschmack zu derb und frisch ist; kurz, sie hat nichts, was reizen und verführen kann. Die große Wahrheit, welche ich besitze, ist; daß es keine Tollheit, keinen noch so verrückten Spar- ren und keine Einfaltspinselei giebt, welche jemals wirklich stürbe unter den Menschen. Vielmehr ist das Abthun der allergräulichsten Irrthümer immer nur eine Scheintödtung und sie leben zu gehöriger Zeit stäts wieder auf, nicht etwa mit gewechselter Garderobe, o nein! in solche Unkosten setzt sich ihr König und Oberfeldherr nicht, sondern, wie sie waren, erstehen sie wieder und in der alten, elen- digen, bettelhaften Gestalt. Wenn ein Reich durch die Dummen und Memmen gestürzt und durch die Klugen und Tapfern gerettet worden, so beginnt einige Tage nach der Rettungsstunde ganz sicherlich die Herrschaft der Dummen und Memmen wieder. Wenn es Millionenmale vorkam, daß die Sclaven ihre Herren beraubten und ermordeten und nur die Treue des Freien fromm-schützend die Hand über Gut und Haupt des Gebieters hielt, so stellt sich die alte Liebhaberei für Sclaven jederzeit wieder ein, und wenn der menschliche Geist endlich auf den Punct gediehen zu seyn schien, die Geisterwelt im Geist zu erfassen, so ragt unversehens das ver- jährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen-, Wunder- und Gespensterwesen, der müffigste mystische Trödel in die nur scheinbar befreit gewesene Welt herein. Empfanget in der Erläuterung dieser letzten Worte, meine theuren Erben, die Bestätigung durch das eminente Exempel. Wir haben die Reforma- tion gehabt und demnächst eine große Philosophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin ge- kommen zu seyn, Fetische, Amulete, Poltergeister und andern Polterkram für abgeschafft erachten zu dürfen. Endlich meinten wir, dahin wenigstens gekommen zu seyn, das Empyräum sowohl als den Hades nur in der adäquaten Sphäre des aufgeschlossenen menschlichen Bewußtseyns wirkend zu erblicken und in dessen äußerem Leibe, in der Geschichte. Aber mit nichten. Im neunzehnten Jahrhundert rühret sich plötzlich wieder das erstunkene, erlogene, sichtbar-unsichtbare Gelichter; die gespenstischen Weinschrötter, Kellerasseln und Grabwürmer krie- chen aus ihren Löchern, der heilige Name Gottes und des Menschensohns wird in diesen ekelhaften Stank und Dampf hineingerufen, die Mysten und Epopten, den Narren oder den Schalk im Busen, verdrehen die Augen und entblöden sich nicht, Worte des ewigen Lebens ihren Faseleien an die zerrüttete Stirn zu setzen. Der Bauch der Vetteln soll plötzlich mehr wissen, als das Haupt und das Herz der Weisen, und alles dieses Zeug, dieser Wasch und Klatsch, wofür man ebensowohl Prätorii Wünschelruthe, Erasmi Francisci höllischen Proteus und „den vielförmigen Hinzelmann“ als Gewährs- leute anführen könnte, wird von einem nicht un- zahlreichen Pöbel aller Stände geglaubt und sanft- selig weiter verbreitet. Ei, werdet Ihr, meine Erben, sagen, was für ein schlechtes Legat hinterlässest du uns? So stehen ja die Hexenprocesse vor der Thüre. Geduld, Ihr Theuren! Es ist allerdings sehr möglich, daß unsere Enkel abermals Hexenprocesse erleben, indessen ganz nahe stehen sie doch noch nicht bevor, und zwar von wegen des unglaublichen Geheimnisses, welches mit dem eminenten Exempel verbunden ist. Ihr wißt, liebe Erbgenahmen, daß die Herren Doctoren Eschenmichel und Kernbeißer, welche hauptsächlich den Geistertrödel in schwunghaften Betrieb gebracht haben, von der Welt für gelehrte und würdige Männer gehalten werden, und für Männer hal- tet auch Ihr sie wahrscheinlich. Wenn es nun aber an den Tag kommt, was mir bekannt ist, daß dem nicht so sei, so kann es kaum fehlen, daß die dämonischen Geschäfte in einigen Verruf gerathen, die Sache, bildlich zu reden, eine Posse wird, und unsere Nachkommen vielleicht doch in den nächsten dreißig Jahren noch vor der Rückkehr der Hexenprocesse bewahrt bleiben. Meine theuren Erben, die Herren Doctoren Kernbeißer und Eschenmichel sind nicht männlichen Geschlechts. Auf einer meiner Streifereien, die ich unter- nahm, um mir mein Bettelbrod zu verschaffen, kam ich durch eine Stadt, worin sich ein weltberühmtes Spital für Alte und Sieche befindet. Es ist eine geraume Reihe von Jahren her. Ich ließ mir die Anstalt zeigen und durchwanderte die langen Rei- hen der alten Männer und Frauen, welche ihre letzten Tage da zubrachten. Wie es nun wohl zufällig kommen kann, daß sich unserem Geiste die Gestalt eines Baumes, Felsens, Hauses untilgbar einprägt, so wollte es der Zufall, (denn es sei ferne von mir, diese Geschichte irgend romantisch aufzuschmücken;) daß mir zwei alte Frauen, welche von den Andern sich gesondert hielten und sehr eifrig mit einander verkehrten, besonders auffielen. Es war weiter gar nichts Merkwürdiges an den beiden Alten. Gewöhnliche alte Weiber, wie es deren Tausende giebt, aber ihre Statur und Phy- siognomie machte dennoch einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, so daß mir gleich damals klar wurde, ich würde sie wiedererkennen, wo und wann ich sie jemals sähe. Nach einigen Jahren und mehreren Schicksalen gelangte ich in dieses unser Städtlein, entschlossen, hier nunmehr für Lebenszeit zu rasten. Ich hörte sogleich von der Anlage und von dem Fortgange des Kernbeißer’schen Etablissements und erbat mir na- türlich unverweilt Zutritt zu dieser größten Se- henswürdigkeit des Ortes. Allein wie wurde mir, geliebte Erben, als mir der Herr der Anlage mit seinem Freunde entgegentrat! Ich meinte, der Boden schwanke unter meinen Füßen und das Haus tanze mir vor den Augen, denn man mag auf Alles gefaßt seyn, wenn man zu frommen Wunderthätern geht (sie haben uns an Vieles ge- wöhnt;) allein darauf ist man nicht gefaßt, in zwei Männern der höheren Welt zwei alte Weiber wiederzuerkennen. Ja, meine Erben, es ist ausgesprochen, das große Wort des Räthsels. Wenn die Natur nicht das nur von Comödienschreibern erfundene Spiel der Menächmen nachahmt, wenn sie, die unerschöpf- lich erfindende Göttin jedem Eremplare , welches sie aus der Form wirft, einen Zug besonderer Ausstattung mitgiebt, so habe ich mich nicht irren können, lebe vielmehr und will sterben in der Ueberzeugung: Die Herren Doctoren Kern- beißer und Eschenmichel sind zwei alte Weiber, die ich vor längerer Zeit im Juliusspitale zu Würz- burg gesehen habe. Wie und wann sie aus demselben entkommen, auf welche Weise ihnen der Gedanke an das unter ihren Händen erblühte Etablissement geworden, das habe ich nicht erfahren können. Nur so viel läßt sich einsehen, daß sie, wenn sie ihre Rocken- stubengeschichten für Wahrheiten verkaufen wollten, genöthigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren Discant zum Baß zu verstellen, und überhaupt das zu scheinen, was sie nie waren. Das Geheimniß wäre sonach gegenwärtig hier deponirt, und damit hätte das ganze Legat seine vollständige Stiftung erhalten. Die frommen und süßen Seelen werden es ein lästerliches nennen; in meinem Sinne jedoch ist es recht eigentlich eins zu frommen Zwecken. Den Zufall aber ernenne ich zum Testaments- vollstrecker, und soll es von ihm abhangen, ob und wann dieser letzte Wille eröffnet und die Erbfolge nach demselben angetreten wird. Ich halte sehr viel vom Zufall, seit ich gesehen, welche erbärm- liche Fratze die Menschen aus der Vorsehung ma- chen. Es bestimmt mich auch noch ein anderer Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber keine Gnade ist bei den Propheten. Bei meinem Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie ich meiner Nachwelt die Wissenschaft nicht unter- schlagen darf, so will ich doch auch die Kunde nicht beschleunigen. Der Zufall verwalte Alles und gebe das Zeichen, wann es an der Zeit ist. Denn die Propheten werden auch meinen todten Staub nicht ungerührt lassen, wenn sie erfahren, daß ich ihr Geschlecht entdeckt habe. Von Einem derselben weiß ich es wenigstens gewiß. Die größten Verfolgungen, geliebte Erben, sind von jeher über Diejenigen ergangen, welche im Lehrstuhl, auf der Kanzel, im Staatsrath und im Heerbefehl die alten Weiber ausfindig machten! Ich bete dich an, Vernunft, Tochter Gottes, Schirmherrin der Männer, Athem der Seele! Ich bete dich an im Geist und in der Wahrheit. Du erschütterst mir Herz und Nieren; führe mich, bleibe bei mir bis an das Ende meiner Tage! — Ein schlichtes, farbloses Gebet, ein Gebet in Knechts- gestalt! Ich will damit auszukommen suchen. Vorstehendes ist mein letzter Wille ohne Ort und Datum, denn ich wünschte, daß er aller Orten und zu jeder Zeit gälte. Jodocus Zebedäus Schnotterbaum. A. A. L. L. M. Requiescat anima mea in pace!“ Nachschrift . (Mehrere Jahre später.) Ich erlebte das Ende der Scene nicht. Als bei den bezüglichen Worten des Testaments zuerst ein athemloses Schweigen des Todes im Archive eintrat, dann aber Jubel, Hohn, Schreck, Unwille, Entsetzen, Spott, Schimpf, kurz jeglicher Affect sich in Blick, Miene, Schrei Luft machte, und die Doctoren, wie von einem Kernschusse vernichtet, in die Sessel zurücksanken, benutzte ich diesen Mo- ment und entwischte. Mit drei Sprüngen war ich im Etablissement, empfahl dem Knechte mein ge- packtes Köfferchen zur Nachsendung, die er auch redlich bewerkstelligt hat, und lief spornstreichs zum Thore hinaus, denn die Sache, das fühlte ich wohl, war hier aus, rein aus. — Auf der Straße rannte ich an dem Magischen vorbei, den eine finstere Macht fortbewegte. Der gemeine Mann nennt sie den Schub. Er wußte aber noch von seinen Sinnen nichts und hat daher nachmals mit Recht behaupten können, er sei aufgehoben und von dannen geführt worden in der Entzückung. Später erfuhr ich den weiteren Verlauf der Dinge. Freilich gingen mir darüber zwei ganz verschiedene Berichte zu. Der Eine lautete fol- gendermaßen: Sobald nämlich der Magister Schnot- terbaum von Jenseits zu Ende gesprochen, sei der Gehülfe hinter der spanischen Wand hervorgetreten und dem Testamente mit den Worten: Ei Mutter Ursel und Beth’, sieht man Euch so unerwartet hier wieder? ein gewichtiger Bestätiger geworden. Der Beamte habe hierauf mit seiner immerfort noch steigenden teuflischen Sanftmuth und Höflich- keit zu den Propheten gesagt, er für seine Person halte das Schnotterbaum’sche Testament für einen sarkastischen Scherz des alten bösen Magisters und glaube, daß der fremde Herr Doctor, getäuscht von einer flüchtigen Aehnlichkeit sich irre, indessen gebiete ihm freilich in der Sache allein seine Pflicht, da er zu gemessene Befehle habe, das Ereigniß in jeder Richtung festzustellen. Es liege auf der Hand, daß selbst in Betreff der Wunder viel darauf an- komme, ob sie ein Mann, oder ob sie ein altes Weib erzähle, und da zufälliger Weise gerade ein Sachverständiger anwesend sei, so müsse er — zwar mit blutendem Herzen und die beiden Herren inniglich verehrend — sie dennoch ersuchen, sich mit dem fremden Doctor behufs weiterer Veranlassung gefälligst hinter die spanische Wand zu begeben. Der Beamte habe alles wüthenden Widerstan- des ungeachtet seinen Willen durchzusetzen gewußt und nach einer Viertelstunde sei von dem Gehülfen aus Würzburg auf dessen Ehre und Gewissen das Gutachten abgestattet worden, daß der Magister Schnotterbaum mit keiner Lüge belastet das Zeit- liche gesegnet habe. Nach dem zweiten Berichte war Alles mit der Publication des Testaments vorbei. Die aufge- regten Affecte gingen in ein schallendes Geläch- ter über; der Gehülfe trat lachend hervor und konnte vor Lachen kein bestimmtes Wort über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Helden dieses Tages aussprechen. Das Gelächter war so ansteckend, daß der alte drollige Kernbeißer endlich selbst mit einstimmte und rief: ’S ist der ausbün- digste Schwank, der zu erdenken gewesen, beweis’t aber nichts gegen das Zwischenreich. — Diese allgemeine Heiterkeit des Ausgangs soll um so anmuthiger gewesen seyn, als, wie versichert wird, der Beamte auch in diesen Momenten seinen wahren oder angelegten unzerstörlichen Ernst beibehalten hat. Von Untersuchung hinter der spanischen Wand keine Rede. Indessen verfehlte das Testament des Magisters nicht, seine Wirkung nachhaltig zu äußern. Denn wohin ich seitdem kam, überall hatte sich die Volks- meinung gebildet, daß der alte Schnotterbaum das Geschlecht der Coryphäen des Geisterglaubens wirk- lich entdeckt habe. Dadurch aber hatte in der That, wie sich deutlich spüren ließ, die höhere Welt, nämlich die Kernbeißer-Eschenmichel’sche, einen Stoß erlitten. Die Erben des Magisters aber traten die Erbschaft nach seinem Testamente ohne Vorbehalt an.