Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen. Eine physiologische Untersuchung mit einer physiologischen Urkunde des Aristoteles uͤber den Traum, den Philosophen und Aerzten gewidmet von Dr. Johannes Muͤller , außerordentlichem Professor der Medicin an der Universität in Bonn, practischem Arzt und Wundarzt daselbst, Mitglied der Kaiserl. Leopoldin. Carolin. Academie der Naturforscher. Coblenz , bei Jacob Hölscher . 1826 . Zwei Behandlungsarten sind zur Finsterniß und Verspätung die traurigsten Werkzeuge; entweder man nähert und verknüpft himmelweit verschiedene Dinge in düsterer Phantasie und witziger Mystik, oder man vereinzelt das Zusammengehörende durch zer- splitternden Unverstand, bemüht sich nahe verwandte Erscheinun- gen zu sondern, jeder ein Gesetz zu unterlegen, woraus sie zu er- klären seyn soll. Goethe . Vorwort . D ie gegenwaͤrtige Untersuchung ist als eine Fortsetzung der fruͤheren physiologischen Arbeiten des Verfassers uͤber den Gesichtssinn (zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes des Menschen und der Thiere. Leipz. 1826.) zu betrachten. Sie behandelt den Gesichtssinn in seinen hoͤheren geselligen Verhaͤltnissen zu den Or- ganen, deren Lebensform wir psychisch, geistig nennen. Dem Verfasser ist die Seele nur eine besondere Form des Lebens unter den mannigfachen Lebensformen, welche Gegenstand der physiologischen Untersuchung sind; er hegt daher die Ueberzeugung, daß die physio- logische Untersuchung in ihren letzten Resultaten selbst psychologisch seyn muͤsse. Die Lehre von dem Leben der Seele als einer besondern Lebensform des Orga- nismus ist daher nur ein Theil von der Physiologie im weitern Sinne des Wortes. Dieser Theil heißt im Gegensatz der Physiologie im engern Sinne Psycho- logie. Allein, was wir gewoͤhnlich Psychologie nennen, verhaͤlt sich zu der kuͤnftigen Lehre von dem Leben der Seele wie die gewoͤhnliche Physiologie der Verrichtungen oder Functionen zur wahren physiologischen Wissenschaft. Sollte der Verfasser in kurzem sich daruͤber erklaͤ- ren, was ihm eine wissenschaftliche physiologische Be- handlung der Psychologie sey, so wuͤrde er, wenn- gleich gegen den Verdacht des Spinozismus sich wohl verwahrend, doch keinen Anstand nehmen die drei letzten Buͤcher der Ethik des Spinoza, welche von den Leidenschaften handeln und deren psychologischer In- halt von den uͤbrigen Lehren dieses Mannes als unab- haͤngig angesehen werden kann, nahmhaft zu machen. Denn wenn diese Lehren auch nicht die rechten uͤber das Leben in den Leidenschaften waͤren, wenn sie auch nicht die wahre Erklaͤrung des Lebens in dieser Form waͤren, so erleidet es doch keinen Zweifel, daß sie wenigstens wirklich Erklaͤrung des Lebens der Methode und dem Inhalt nach sind; was man von den meisten psychologischen Untersuchungen nicht sagen kann. Der Verfasser hat es nun hier zwar nicht eigentlich mit Unter- suchung der Lebensformen, die wir geistig nennen, zu thun; aber die Lebensform der Sinnlichkeit, deren Unter- suchung ihm Aufgabe war, steht von allen physiolo- gischen Functionen in so unmittelbarer wechselwirken- der Beziehung zum geistigen Leben, daß die physio- logische Untersuchung, wenn sie anders ihre Aufgabe erfuͤllt, hier nicht ohne psychologische Resultate seyn kann. Schon in den fruͤheren physiologischen Arbeiten uͤber den Gesichtssinn glaubt der Verfasser zu manchen psychologischen Resultaten gefuͤhrt zu haben. Noch deutlicher tritt diese Beziehung in der gegenwaͤrti- gen Schrift hervor, deren Aufgabe es gerade ist, den Gesichtssinn in seinem Wechselwirken mit dem Geistesleben zu untersuchen. Moͤge diese Arbeit nur etwas dazu beitragen, die psychologische Forschung von dem sterilen Boden der sogenannten empirischen Psy- chologie und anderseits von allzugemaͤchlicher und abspre- chender Speculation auf das Leben, auf das Frucht- bare zuruͤckzufuͤhren. Da die in dieser Schrift erlaͤuterten Phaenomene durch Wechselwirkung des geistigen und des sinnlichen Lebens und insbesondere durch Wirkung des Gedan- kens auf den Sinn entstehen, so zerfaͤllt die Unter- suchung nothwendig in drei Theile. Der erste enthaͤlt, von der Physiologie der Sinne ausgehend, die Theo- rie der phantastischen Sinneserscheinung im Allgemei- nen und ist in seinem Fortgang durchaus nur in dem engern Sinne physiologisch . Der zweite Theil hat in der Lebensgeschichte der phantastischen Gesichtserscheinungen den Umfang dieser Phaenomene zu ermitteln. Hier war es zunaͤchst Hauptzweck, das Genetische in der Entwickelung und Ausbildung des Phaenomens von seiner ersten, vielleicht jedem Men- schen zugaͤnglichen Form aus darzustellen. Die Einthei- lung der verschiedenen Zustaͤnde ergiebt sich dann nicht durch die Staͤrke und den Grad der Erscheinung, son- dern durch die geselligen Verhaͤltnisse zu anderen Gei- steskraͤften. Darum begruͤndet das Hellsehen unter Umstaͤnden, wo es als ein bloßer Reichthum des Sinnes und der Phantasie von dem Hellsehenden betrachtet und die Objectivitaͤt der Erscheinung nicht anerkannt wird, eine eigenthuͤmliche Stufe, moͤgen die Phantasiebilder selbst aus den verschiedensten inneren Gruͤnden, im Fieber, in nervoͤsen Krankheiten oder bei vollkommener Gesundheit gesehen werden. Da der Inhalt dieses zweiten Theiles nothwendig zum Theil historisch ist, so ist der Fortschritt im Unterschiede des ersten rein physiologischen Theiles hier im gewoͤhnlichen Sinn anthropologisch . Der letzte Theil unter- sucht die Phantasmen, inwiefern sie durch das Gei- stige bestimmt sind. Die Lebensform des Sinnes war Gegenstand der physiologischen Untersuchung. Die Lebensform dieses in den Phantasmen wirken- den Geistigen ist psychologisch . Aber auch hier bleibt die Untersuchung im weitern Sinne des Wor- tes in den Grenzen der Physiologie. Die beigefuͤgte Aristotelische Urkunde uͤber den Traum, in naͤherer Beziehung zu unserem Gegenstande, schien in manchem Betracht wichtig, um allgemeiner be- kannt zu werden. Wenn sie neben manchen dem Zeit- alter zufallenden Irrthuͤmern nur Andeutungen ent- haͤlt, so ist die Untersuchung doch im eigentlichen Sinn physiologisch und enthaͤlt allerdings die im wesentlichen richtige Erklaͤrung. Zur Uebersetzung sind die Scho- lien von Michael Ephesius und die Paraphrase von Themistius , so wie die in der Ausgabe von Becker ( Aristotelis de somno et vigilia, de in- somniis et divinatione per somnum. ad codd. et edd. vett. fid. rec. G. Becker. Lips. 1823) auf- genommenen Emendationen benutzt worden. Bonn im September, 1826. Inhalt . I. Die Theorie der phantastischen Gesichtserschei- nungen. Seite I. Einleitung 3 II. Die Energieen der Sehsinnsubstanz 5 III. Die Extremität der Sehsinnsubstanz als Auge 10 IV. Die äußere Sinnlichkeit der Sehsinnsubstanz 12 V. Die inneren organischen Reize der Sehsinnsubstanz, die innere Sinnlichkeit 14 VI. Die phantastischen Gesichtserscheinungen 20 VII. Der Ort der phantastischen Erscheinung 30 II. Die Lebensgeschichte der phantastischen Gesichts- erscheinungen. I. Das plastische Einbilden im dunkeln oder lichten Sehfeld ohne selbstständiges Leuchten des Phantasma 43 II. Das plastische Einbilden im dunkeln oder lichten Sehfeld aus unvollkommenen Sinneseindrücken pro- ductiv 44 III. Das plastische Einbilden aus subjectiven inneren Sin- neseindrücken productiv 47 IV. Das Einbilden im dunkeln Sehfeld mit Leuchten der Phantasmen. Das Hellsehen des Halbwachens 48 V. Das Einbilden im Sehfelde mit Leuchten der Phan- tasmen im Traume. Das Hellsehen des Traumes 49 Seite VI. Das Einbilden leuchtender Phantasmen in das Seh- feld im magnetischen Hellsehen 53 VII. Das Einbilden leuchtender Phantasmen im dunkeln oder hellen Sehfelde in der Ekstase und leidenschaft- lichen Zuständen überhaupt mit Anerkennung der Objectivität der Selbsterscheinung. Das ekstatische Hellsehen 60 1) die religiöse Vision — 2) die mantische und magische Vision 63 3) das Teufelsehen, der Umgang mit dem sicht- baren Teufel 66 4) das populäre Geister- und Gespenstersehen 68 VIII. Leuchtende Phantasmen im dunkeln und hellen Seh- felde durch Einwirkung äußerer Mittel. Das narko- tische Hellsehen 70 IX. Leuchtende Phantasmen in den protopathischen und sympathischen Affectionen des Gehirns und des gesam- ten Nervensystems 72 X. Die Phantasiebilder der Irren 74 XI. Die Phantasiebilder am hellen Tage durch Eigenleben der Phantasie ohne Anerkennung ihrer Objectivität 75 XII. Das willkührliche Einbilden leuchtender Phantasmen, die gegen Willkühr sich entwickelnd verwandeln 80 XIII. Aussicht auf die Phantasmen der anderen Sinne 84 XIV. Nutzanwendung 87 III. Das Eigenleben der Phantasie. I. Das Lebensgesetz für die Metamorphose der Phanta- siebilder 93 II. Das productive Einbilden im dunkeln und lichten Sehfelde 99 III. Das nach Ideen thätige Einbilden des Künstlers und Naturforschers 101 IV. Aristoteles uͤber den Traum. Eine physiologische Urkunde 107 I. Die Theorie der phantastischen Gesichtserscheinungen . 1 I. Einleitung. II. Die Energieen der Sehsinnsubstanz. III. Die Extremität der Sehsinnsubstanz als Auge. IV. Die äußere Sinnlichkeit der Sehsinnsubstanz. V. Die innere Sinnlichkeit der Sehsinnsubstanz. VI. Die phantastischen Gesichtserscheinungen. VII. Der Ort der phantastischen Erscheinung. Ueber die phantastischen Gesichts- erscheinungen . I. Einleitung . 1. W enn jemand den Fortgang der physiologischen Lehren in der Geschichte verfolgt, wird sich ihm die Erkenntniß oft wiederhohlen, daß die theoretischen Irrthuͤmer in dieser Wissenschaft meist nur darauf beruhen, daß man die Erklaͤrungsgruͤnde aus andern Gebieten der Naturwissen- schaft uͤbertragend auf den Organismus anwandte. Es giebt fast keine große Entdeckung eines allgemein wirkenden Wesens in der Natur, die nicht sofort das Princip fuͤr das Leben der organischen Welt fuͤr eine Zeitlang gegeben haͤtte. Und gleichwohl laͤßt sich schon auf bloßem Erfahrungswege die Wirksamkeit der organischen Wesen von jeder andern auf eine so scharfe Weise trennen, daß wer jemals diesen Un- terschied klar gefaßt, fuͤr immer behuͤtet seyn wird, Erklaͤ- rungen aus der Physik und Chemie, welche auf das Leben der Organismen angewandt werden, fuͤr Erkenntniß dieses Lebens selbst zu halten. 2. Wenn zwei Wesen, gleich oder verschieden, auf einan- der wirkend gedacht werden, so laͤßt sich eine dreifache Art dieser Wirksamkeit logisch einsehen. Jedermann weiß, daß es in der Natur Veraͤnderungen giebt, in welchen das Veraͤndernde seine eigene Qualitaͤt oder seinen eigenen Zu- stand auf das Veraͤnderte uͤbertraͤgt. Das Bewegte, auf ein Ruhendes stossend, macht seinen eigenen Zustand in dem Ruhenden geltend. Wir koͤnnen diese erste Wirksam- keit schlechthin die mechanische nennen, ohne hier wei- ter untersuchen zu wollen, wie eng oder weit die Grenzen dieser Wirksamkeit seyn moͤgen und ohne auf diese Benen- nung einen besondern Werth zu legen. 3. Es giebt ferner Veraͤnderungen, in welchen das Eine nicht dem Andern seine Qualitaͤt oder seinen Zustand mit- theilt, sondern mit dem Andern und seiner Qualitaͤt zu ei- nem neutralen Producte sich vereinigt, welches die Qua- litaͤt des Einen und des Andern verschweigt, nur als ein drittes Eigenwirksames sich praͤsentirt. Die chemisch wirkenden Koͤrper wirken auf einander nur in dieser Weise. Wir koͤn- nen diese Wirksamkeit schlechthin die chemische nennen. 4. Es ist schwieriger, die Wesenheit einer dritten Wirk- samkeit festzuhalten, weil wir selbst es sind, die sie beur- kunden. Es giebt Veraͤnderungen in der Natur, in wel- chen das Ursachliche weder seine eigene Wirksamkeit auf das Veraͤnderte uͤbertraͤgt, wie in den mechanischen Veraͤnde- rungen, noch mit der Wirksamkeit des Veraͤnderten zu ei- nem verschieden Thaͤtigen vereinigt, wie in den chemi- schen Veraͤnderungen, sondern wo das Ursachliche in dem, auf was es wirkt, immer nur eine Qualitaͤt des letztern zur Erscheinung bringt, die dem Wesen nach unabhaͤngig ist von der Art der Ursache. 5. Die Dinge, welche sich so gegen ihre Ursachen als gegen bloße Reize verhalten, sind die organischen Wesen, und alle Wirkungen, in welchen das Ursachliche nur in sofern Ursache ist, als es Reiz ist, kann man organi- sche nennen, wie denn der Begriff des Reizes von einer Ursache auch nur fuͤr diese Wirksamkeit festzuhalten ist Es ist gleichviel, wodurch der Muskel gereizt wird, durch Galvanismus, durch chemische Agentien, durch mechanische Irritation, durch innere organische Reize, die ihm sympa- thisch mitgetheilt werden aus ganz verschiedenen Organen, auf Alles, was ihn reizt, was ihn afficirt, reagirt er sich bewegend, die Bewegung ist also die Affection und die Energie des Muskels zugleich. Es ist gleichviel, wo- durch man das Auge reize, mag es gestoßen, gezerrt, ge- druͤckt, galvanisirt werden, oder die ihm sympathisch mit- getheilten Reize aus andern Organen empfinden, auf alle diese verschiedenen Ursachen, als gegen gleichguͤltige und nur schlechthin reizende empfindet der Lichtnerve seine Affection als Lichtempfindung, sich selbst in der Ruhe dunkel anschau- end. Die Art des Reizes ist also in Beziehung auf die Licht- empfindung uͤberhaupt ein durchaus Gleichguͤltiges, sie kann nur die Lichtempfindung veraͤndern . Einen andern Zustand als Lichtempfindung und Farbenempfindung in der Affection, oder Dunkel in der Ruhe giebt es fuͤr die Sehsinnsubstanz nicht. 6. So ist es durchgaͤngig mit allen organischen Reactio- nen. Das chemisch Wirksame verbrennt die Haut. Nur in dem Verbrannten, Todten hat sich das chemisch Wirk- same mit dem thierischen Stoff chemisch verbunden, an der Grenze des Lebenden reagirt das Organische gegen das che- mische Agens durch organische Wirksamkeit, durch Entzuͤn- dung. Mit allen Erklaͤrungen der Wirkungsart der Nerven durch electrische Stroͤmung ist daher in der That gar nichts gewonnen, vielmehr werden hierbei die wesentlichen Ener- gieen der Organe uͤbersehen. Der Sinnesnerve auf jedwe- den Reiz, was immer einer Art, reagirend, hat die ihm immanente Energie; Druck, Friction, Galvanismus und innere organische Reizung, alle diese Dinge bewirken in dem Lichtnerven, was sein ist, Lichtempfindung, in dem Hoͤrnerven, was dessen ist, Tonempfindung, Gefuͤhl in dem Gefuͤhlsnerven. Anderseits bewirkt Alles, was auf ein Absonderungsorgan wirken kann, Veraͤnderung der Abson- derung, was auf den Muskel wirken kann, Bewegung. Der Galvanismus ist hier um nichts vornehmer als alles An- dere, was nur, gleichviel welcher Art, afficiren, reizen kann. II. Die Energieen der Sehsinnsubstanz . 7. Wir wollen diese Wahrheit hier nur festhalten, in wiefern sie von dem Lichtnerven gillt. Dunkelkeit ist seine Ruhe, Licht und Farbe seine Affection. Auch die Dunkel- keit ist etwas Positives, und wird nur da empfunden, wo ein Lichtnerve ist. Das Auge sieht Licht und Farben auf den mechanischen Stoß, auf den galvanischen Einfluß, es empfindet die ihm aus andern Organen mitgetheilten Rei- zungen leuchtend, es sieht Blitze, wenn das Gehirn ge- druͤckt wird, wenn das Gehirn mit Blut uͤberfuͤllt wird, wie bei den Erhenkten, es sieht Nebel in Affectionen der Unterleibsorgane, die ihm sympathisch mitgetheilt werden; alle krankhaften Zustaͤnde der Sehsinnsubstanz aͤußern sich durch subjective Licht- und Farbenerscheinungen. 8. Dem Aeußern kann daher nur der Antheil an der spe- eifischen Empfindung gestattet werden, daß es nach seiner Verschiedenheit und verschiedenen Einwirkung verschiedene Zustaͤnde der Erregung in der Sehsinnsubstanz setze, welche verschiedene Zustaͤnde aber nur als subjective dunklere und hellere Farben oder als Lichtes erscheinen. Von verschie- denen Reizen wird der eine mehr die Empfindung des Gel- ben, die des Blauen der andere mehr sollicitiren, und zwar nur dadurch, weil sie verschiedene Zustaͤnde der Er- regung setzen. Eines und dasselbe, wie die mechanische Ir- ritation durch Druck, bewirkt daher auch bald mehr die eine oder andere Farbenerscheinung, bald mehr die Lichterschei- nung selbst, alles nach dem Maße seiner Einwirkung. Außer der Empfindung des Dunkeln, der Farben und des Lichtes giebt es aber nimmer andere Zustaͤnde und Lebensaͤu- ßerungen der Sehsinnsubstanz des Auges. 9. Es kann uns daher gar nicht einmal einfallen zu unter- suchen, ob die Netzhaut oder der Sehnerve auch Tast- gefuͤhl habe. Das heißt uns gerade so viel als fragen, ob der Tonnerve, der in allen seinen Zustaͤnden toͤnend sich empfindet, auch noch zugleich lichtempfindend sey. Wenn daher ein franzoͤsischer Physiologe sich selbst zum groͤßten Erstaunen durch das Experiment erwiesen hat, daß der Lichtnerve nur eine sogenannte specifische Empfindlichkeit fuͤr das aͤußere Licht, aber kein Tastgefuͤhl fuͤr mechanische Irritation hat, d. h. keinen Widerstand, nicht Schmerz, nicht Waͤrme empfindet, so wuͤnschen wir dieser Physiologie nur den Fortschritt, daß ihr einsichtlich werde, wie der Lichtnerve das Aeußere zwar nicht als Widerstand empfin- de, aber gegen jedes Aeußere und auch gegen das Messer als gegen einen Reitz leuchiend reagirt. Wenn aber der Sehnerve gegen jedes Aeußere, gleichviel welches, leuchtet, so bleibt dem Gedanken kein vernuͤnftiger Grund uͤbrig, war- um er auch noch Schmerz und Lust empfinden soll. Dem physiologischen Gedanken erscheint daher jene ganze Unter- suchung uͤber den Mangel des Schmerzgefuͤhls im Sehner- ven als eine Mystification des Untersuchenden. 10. Freilich sind diese Grundsaͤtze, die sich auf die bewaͤhrteste Erfahrung gruͤnden, verschieden von den sogenannten opti- schen Lehren und von der gewoͤhnlichen Ansicht. Diese Lehren beruhen aber, mit Ausnahme der rein optisch mathe- mathischen Bestimmungen uͤber die Bewegung des Elemen- tarischen durch die Medien des Auges, auf den offenbarsten physiologischen Widerspruͤchen. Wie sollte, wenn es ein aͤußeres selbst Leuchtendes gaͤbe, dieses objective Licht bis zum Subjectiven gelangend auch subjectiv leuchtend em- pfunden werden? Dieß ist in Ewigkeit nicht einzusehen. Mag aber das aͤußere Licht leuchtend seyn, wenn die Sehsinnsubstanz in der Affection nicht selbst leuchtend ist, das Aeußere wird das Markgebilde beruͤhren, dieses wird durch jenes in Affection seyn, aber daß dasjenige, welches uͤberhaupt nur seine Affection, nie ein Aeußeres selbst empfinden kann, hiedurch Licht sehen soll, hat es durchaus keinen Grund, Man koͤnnte ebensogut und mit demselben Unrecht sagen, daß es toͤne, daß es erwaͤrmt sey, daß es schmecke. 11. Platon fuͤhlte diesen Widerspruch, er nahm ein Selbstleuchten des Auges an, dessen Licht dem aͤußern auch leuchtenden Licht entgegen komme. Wozu aber das? Wenn das Auge jede Affection von welcher Art immer leuchtend empfindet, wozu bedarf es eines aͤußern schon fertigen Lich- tes, einer fertigen aͤußeren Empfindung? Das aͤußere so- genannte Licht kann also wirken auf was immer eine Art, wenn es nur reizen kann, werden diese Reize dem Auge leuchtend seyn, und die Natur dieser Reize, die Natur des Aeußern ist dem Auge ein voͤllig Gleichguͤltiges. Seine Lebensaͤusserungen sind nur an die Bewegungen des Aeuße- ren als an die Bewegungen der reizenden Lebensbedingung gebunden. Das Licht ist also Sinnesenergie und das aͤu- ßere Elementarische koͤnnte dann nur selbst leuchten, wenn es wie die Sehsinnsubstanz die subjective Affection als Selbstleuchten empfaͤnde. 12. In der neuern Zeit hat die Platonische Ansicht nach den Fortschritten in der chemischen Erkenntniß einige Veraͤnderungen erlitten. Man hat das Platonische Augenlicht, von dem Platon selbst sagt, daß es ein mildes nicht brennendes und nicht verzehrendes Licht sey, in einen leuchtenden Phosphor des Auges verwandelt, wodurch die Sa- che nicht besser geworden ist. Nie entwickelt das Auge aͤußeres Licht, sein Licht ist nur subjectiv, und die Berufungen auf das Leuchten der Thieraugen sind ganz unstatthaft. Schon Gruithuisen hat (in den Beitraͤgen zur Physiognosie und Cautognosie. 1812 S. 199) bewiesen, daß das Licht der Katzenaugen immer ein reflectirtes ist, was in unserm Auge erst wie alles Spiegellicht zum Leuchten kommt. Daß dem so sey, habe ich mich auf das Bestimmteste uͤberzeugt. Auch die todten Katzenaugen leuchten, wenn sie Licht re- flectiren, und ebenso lebhaft als waͤhrend dem Leben, aber nur unter der Bedingung, daß ein anderes elementarisches Licht, aus den Augen als durch Spiegel reflectirt, auf un- sern Sehsinn verpflanzt als subjectives Licht erscheint. III. Die Extremitaͤt der Sehsinnsubstanz als Auge . 13. Daß die Empfindung des Lichtes als Energie sich bloß auf die Netzhaut als die Extremitaͤt der Sehsinnsub- stanz beschraͤnke, ist nicht anzunehmen, wenn es einmal ge- wiß ist, daß von dieser Extremitaͤt kein aͤußeres fertiges Leuchten empfunden wird. Selbst ein geringer Druck, auf das bloßgelegte Gehirn und sofort auf die inneren Fort- setzungen der Sehsinnsubstanz wirkend, bedingt in dieser subjective Lichterscheinungen; und selbst wenn die Sehsinn- substanz als Netzhaut fuͤr die aͤußeren Reize gelaͤhmt ist, in der Blindheit bohrt sich der Geblendete noch Licht aus dem Sehnerven; wie denn bei vollkommener Blindheit noch subjective innere Lichterscheinungen in den inneren nicht gelaͤhmten Theilen der Sehsinnsubstanz statt finden koͤnnen, wovon spaͤter hoͤchst merkwuͤrdige Beispiele aufge- fuͤhrt werden sollen. Die Netzhaut ist also nur die aͤußere Extremitaͤt der Sehsinnsubstanz fuͤr das aͤußere Sinnes- leben. Die Sehsinnsubstanz entspringt mit lichtempfinden- den Theilen im Gehirne selbst, setzt sich durch die Sehner- ven fort und endigt als Netzhaut, welche allein durch das Elementarische afficirt werden kann, waͤhrend die inneren Theile von allen organischen Reizen afficirt werden koͤnnen. 14. In der einfachsten Form des Auges ist daher die Netz- haut auch nur eine continuirliche membranoͤse Fortsetzung eines membranoͤsen Sehnerven und dieser des membranoͤsen lobus opticus im Gehirne. Bei den Fischen, so lange kein Chiasma der Sehnerven statt findet, entfalten sich die lobi op- tici als vollkommene Membranen in die Sehnerven. Diese be- stehen aus einer Membran, die so weit die Sehsinnsubstanz Sehnerve ist, gefaltet zusammenliegt, am Auge selbst aber sich wieder entfaltet und continuirlich membranoͤs Netzhaut wird, so daß selbst die Raͤnder der Membran des Sehnerven in die Netzhaut sich fortsetzen, so daß selbst die Netzhaut gespalten ist. 15. Hier lernen wie denn die Metamorphose des Auges aus den inneren Theilen der Sehsinnsubstanz. Alle Thei- le des Sehnerven wiederhohlen sich in den Theilen des Au- ges. Die fibroͤse Haut des Sehnerven erscheint im Auge als fibroͤse Haut des Auges, Sclerotica. Die pia mater der Membran des Sehnerven, die in alle Falten desselben eingeht und also beiden Seiten der gefalteten Membran des Sehner- ven zukommt, erscheint an dem enfalteten Sehnerven in der Netzhaut auch auf beiden Seiten aͤußerlich und innerlich, in- nerlich als inneres gefaͤßreiches Blatt der Netzhaut, dessen Fortsetzung als Pecten bei den Voͤgeln Pigment absondert, aͤußerlich als Chorioidea. α und γ, die pia mater der Sehnervenmembran β, er- scheinen im Auge a als inneres Gefaͤß-Blatt des entfalte- ten Sehnerven oder der Netzhaut b , und c als aͤußeres Ge- faͤßblatt der Netzhaut oder Chorioidea. δ fibroͤses Neurilem der Sehnerven-Membran im Auge d als sibroͤse Sclero- tica. 16. Die peripherischen Theile des Auges sind daher bei seiner einfachsten Form unter den Fischen nur eine Metamorphose identischer Theile des Sehnerven, die da, wo die Extremi- taͤt der Sehsinnsubstanz den aͤußeren Reizen zugaͤnglich seyn soll, in ihre Mitte, kelchartig sich entfaltend, die durchsichti- gen Theile des Auges, welche der Sehnerve nicht hat, auf- nehmen. IV. Die aͤußere Sinnlichkeit der Sehsinn- substanz . 17. So wie nun die Sehsinnsubstanz raͤumlich ist, und, ruhig oder afficirt, in ihrer Raͤumlichkeit sich entweder als dunkles oder erhelltes Sehfeld empfindet, so bedarf es auch bloß einer partiellen Affection dieser raͤumlichen Lichtsinn- substanz, daß ein flaͤchenhaftes lichtes oder farbiges Bild in dem Sehfeld erscheine. Druͤcken wir mit einem Staͤbchen die hintere Flaͤche des Auges, so wird auch nur ein bestimm- ter Theil der Netzhaut, der druͤckenden Flaͤche des aͤuße- ren Koͤrpers entsprechend, in Affection gesetzt, und das Auge sieht sich auch nur leuchtend in dieser bestimmten Raͤum- lichkeit. Druͤckt das mit Blut uͤberfuͤllte Adergeflecht der Netzhaut diese fuͤr jeden Reiz empfindliche Membran, so er- scheinen die afficirten Stellen als Adergeflecht leuchtend. Ich habe in einem fruͤheren Werke (zur vergleichenden Phy- siologie des Gesichtssinnes des Menschen und der Thiere 1826) aus solchen subjectiven Gesichtsphaͤnomenen bewiesen, daß wir in allen Gesichtserscheinungen, auch in den objectiven, immer nur die Netzhaut im Zustande ihrer Affection als so- genanntes Sehfeld sehen. 18. Das Maß alles Maßes, aller scheinbaren Groͤßen der Dinge ist die sich gleich bleibende wahre Groͤße des Auges und seiner Netzhaut in der unmittelbaren Anschauung ihrer selbst. Die scheinbaren Groͤßen der Gegenstaͤnde erscheinen auf der wahren subjectiven Groͤße der Netzhaut als Affec- tionen besonderer Theile dieses Markgebildes, und die Sum- me der scheinbaren Groͤßen aller Gegenstaͤnde, welche in einem und demselben Gesichtsfelde vorhanden sind, ist sich in jeder Gesichtsvorstellung gleich bei allem Wechsel der Objecte, sie ist identisch mit der wahren Groͤße des Auges, der Netzhaut selbst; denn die subjectiv erscheinende Netzhaut und die Summe der zugleich gebotenen Bilder als Affectio- nen besonderer Theile ihrer selbst sind ein und dasselbe, naͤmlich des subjective Sehfeld. 19. So wie die Netzhaut, durch mechanische Affection in aliquoten Theilen ihrer selbst in Thaͤtigkeit versetzt, Bilder sieht, welche die Begrenzung dieser aliquoten Theile ihrer selbst haben, so wirkt auch das sogenannte aͤußere Licht, nach Gesetzen der Refraction mit aliquoten Theilen der Netzhaut in Beruͤhrung gebracht, Bilder, welche die Begren- zung dieser aliquoten Theile ihrer selbst haben. Das aͤu- ßere Licht oder das Elementarische ist auch nur in so fern leuchtend, als es das Auge in Affection setzt. Was das aͤußere sogenannte Licht selbst ist, wissen wir nicht, wir ken- nen es bloß aus den Energieen organischer Koͤrper, denen es eigenthuͤmlich ist, gegen alles Aeußere als gegen Reize nur in ihren eigenthuͤmlichen Qualitaͤten zu reagiren. 20. Wir wissen also nur, daß dasjenige, was den Seh- sinn afficirend diesen in subjectiv leuchtende Affection setzt, auf andere Sinne wirkend ein Anderes diesen immanentes hervorruft, den Gefuͤhlssinn erwaͤrmt, Anderes in an- dern organischen Koͤrpern bedingt, das Wachsthum der Pflanzen sollicitirt, nur in den chemisch wirkenden Koͤrpern, als mit diesen verbundenes, nach dem Gesetz der chemischen Wirksamkeit erscheinend. Daß wir glauben, das aͤußere Ele- mentarische leuchte in der That selbst, ruͤhrt daher, weil wir die Natur dieses Elementarischen nicht so kennen, wie die Koͤr- perlichkeit des Holzes, das auf das Auge mechanisch wirkend auch Licht und selbst nach Maßgabe der Begrenzung Bilder hervorbringt. Von dem Holze, wenn es das Auge reizend Lichtempfindung als Energie des letztern aufruft, wissen wir, daß es Holz ist, wir sagen von ihm nicht aus, daß es leuchte. Das elementarische sogenannte Licht wirkt aber eben so gut wie das Holz auf den Gefuͤhlsinn, es wird von diesem in einer Energie seiner selbst, warm empfunden. So also verwechseln wir unsre eigenen Energieen, das Licht unseres Auges mit dem was Licht hervorruft. V. Die inneren organischen Reize der Seh- sinnsubstanz, die innere Sinnlichkeit . 21. Wenn die Sehsinnsubstanz in jeder Affection sich leuchtend empfindet, wenn es gar nicht auf die Natur des Reizes ankommt, sondern nur auf das Allgemeine, daß er reizen kann, um die durch den Reiz gesetzte Affec- tion als Licht oder Farbe zu sehen, so muͤssen auch alle inneren organischen Reize, von verschiedenen Organen aus- gehend, auf die Sehsinnsubstanz durch Sympathie ver- pflanzt, Lichterscheinungen in dieser hervorbringen. Je- der Zustand jedes Organes ist dem Sinnesorgan, auf dieses verpflanzt, ein Aeußerliches, was es nur in seiner eigenen Energie empfinden kann. Die Sehsinnsubstanz geraͤth durch Sympathie mit erethischen oder atonischen an- dern Organen in sympathischen Cerethismus oder Ato- nie. Atonie und Erethismus aͤußern sich in ihr nur dun- kel und licht. 22. Hysterische, hypochondrische Personen sehen Nebel, Spinn- gewebe, Gitterwerk und die durch Purkinje naͤher bekannt gewordenen subjectiven Druckbilder, wenn ihre Verdauung oder eine andere Function gestoͤrt ist. Im hoͤchsten Grade haben diese sympathischen Erregungen der Sehsinnsubstanz zur Lichtem- pfindung in den krankhaften Zustaͤnden des Gehirns statt. Der Druck auf das bloßgelegte Gehirn ist dem Organ als sympathische Affection genug zur Lichtempfindung. Die mechanische Reizung eines Theiles des Gehirns empfin- det das Organ leuchtend. Die Photopsie in so manchen Krankheiten des Gehirns beruht nur auf Reizung der Seh- sinnsubstanz durch innere organische Reize. 23. Zur Zeit als ich mich sehr viel mit der Wiederhohlung und Erweiterung der Versuche uͤber die von Purkinje naͤ- her beschriebenen subjectiven Gesichtserscheinungen beschaͤff- tigte, sah ich, wenn ich bei geschlossenen Augen lange Zeit das dunkle Sehfeld beobachtet hatte, oft ein schwaches Licht von einem Punkte aus rhythmisch sich uͤber das Sehfeld verbreiten und wieder verschwinden. Diese Lichterscheinung war mit dem Ausathmen synchronisch und konnte keinen andern Grund haben, als daß der waͤhrend dem Ausathmen statt- findende Blutandrang nach dem Gehirne und die dadurch bedingte Erhebung und Bewegung des letztern in der Seh- sinnsubstanz leuchtend objectiv wurde. 24. Wir koͤnnen es demnach als eine Grundwahrheit fuͤr unsere Untersuchung betrachten: wenn irgend ein Organ des Gehirns, sei es seiner ihm selbst zukommenden Energie nach, sensitiv, oder bewegend, oder dem Bildungsproceß oder je andern thierischen Functionen vorstehend, seinen Er- regungszustand innerhalb seiner Function auf die Sehsinn- substanz durch Sympathie verpflanzt, so entstehen in dieser nach Maßgabe der sympathischen Erregung Licht- und Farbenerscheinungen, weil die Sehsinnsubstanz in den Zustaͤn- den ihrer Erregung, sei sie sympathisch oder unmittelbar affi- cirt, sich nur durch Licht, Farbe und Dunkel aͤußern kann. 25. Die Theorie, welche wir nun von den phantastischen Gesichtserscheinungen mitzutheilen haben, ist nur ein Con- sequenz aus dem Vorhergehenden. Wenn die Zustaͤnde der- jenigen Organe, welche dem Vorstellen und Einbilden vor- stehen, auf die Sehsinnsubstanz durch Sympathie verpflanzt werden koͤnnten, so koͤnnten diese Affecte eines in seiner Af- fection vorstellenden oder einbildenden Organes in der Seh- sinnsubstanz uͤberhaupt nur Affecte ihrer Art, naͤmlich Licht- erscheinungen hervorrufen. Wenn also das Organ, wel- ches in seiner Affection phantasirt, durch die excessive Macht seiner Thaͤtigkeit auf die Sehsinnsubstanz wirkt, so kann dieß nur unter Lichterscheinungen geschehen. Das Phanta- stische setzt in dem Organ der Licht- und Farbenempfindung wie jeder Reiz nur Licht und Farbe. 26. Umgekehrt wenn das afficirte Auge seinen Affect den Organen des Phantastischen und des Vorstellenden oder andern Organen des Gehirns, deren Lebensform wir gei- stig nennen, mittheilt, so kann die Wirkung auf das Phan- tastische, Vorstellende, Denkende nur seyn Steigerung und Belebung des Phantastischen, Vorstellenden, Denkenden. Und hier sind wir denn auf dem theoretisch empirischen Wege methodisch zu den Erscheinungen gelangt, deren Aufklaͤrung Gegenstand der gegenwaͤrtigen Untersuchung ist. 27. 1. Im Dunkeln ist man nie besonders geist- reich . Auch der Geist theilt das Gefuͤhl des Mangels. Das hat gewiß Jeder schon an sich erprobt, und doch ist diese Thatsache noch nicht zu allgemeiner Kenntniß gekom- men und gewuͤrdigt worden, wie sie es verdiente. Ja wir sind gezwungen, den lichten Tag zu suchen, wenn wir in leb- hafter Bewegung des Gemuͤthes oder leidenschaftlicher Be- wegung der Gedanken uͤber Etwas ins Klare kommen wol- len. Sich seinen Phantasieen hinzugeben schließt der Schwaͤrmer die Augen, die tiefste Meditation liebt aber den lichten Tag, wenn sie auch in das Tageslicht hinstarrend die Objecte gar nicht wahrnimmt. 28. Das Elementarische, was wir Licht nennen, wenn es das Licht als Energie des Auges reizend aufruft, wirkt in dem seine eigene Ruhe dunkel sehenden Auge den lichten Tag. Der Lichtnerve im Zustand der Affection wirkt als ein maͤchtiger Reiz auf die Organe des Gehirnes, deren Lebensformen wir geistig nennen. Das aͤußere Licht, welches nicht existirt, erhellt hier nicht unsere Vorstellun- gen, sondern das Vorstellende ist lebhaft erregt durch 2 die Erregung des Lichtnerven. Dann auch wirkt die Ord- nung und Gesetzmaͤßigkeit oder das Logische in den Gesichts- objecten, worin das Logistische (Organ) sein Beduͤrfniß erfuͤllt hat, ordnend und beschraͤnkend fuͤr die Thaͤtigkeit des Logistikon und Phantastikon, welche im Dunkeln sich selbst uͤberlassen behaglich schwaͤrmend von einem zum an- dern uͤberspringen. 29. 2. In dem in seiner Ruhe sich dunkel anschauenden Sehorgan, auf welches alle aͤußere Sollicitation zur Licht- erscheinung durch das Elementarische aufhoͤrt, wirken nun auch die inneren organischen Reize um so maͤchtiger sym- pathische Erregungen. Jede Stoͤrung des Blutumlaufs er- scheint in dieser ruhenden aber durch ihre Ruhe hoͤchst reiz- baren Sehsinnsubstanz als Lichterscheinung. Die Strahlen, die wallenden Nebel, die Lichtflecken, die Feuerkugeln, diese sich metamorphosirenden Farbenfelder, wovon unsere dunkles Sehfeld bei geschlossenen Augen nie ganz frei ist, sind nichts anders als die Reflexe von Zustaͤnden anderer Organe auf ein Organ, das in jedem Zustand sich entweder licht, dun- kel oder farbig empfindet. 30. Diese beweglichen Meteore des dunkeln Sehfeldes sind alle ploͤtzlich verschwunden, wenn wir die Augen oͤffnen, weil die aͤußeren Reize viel maͤchtiger sind. Aber in dem lange geschlossenen ausruhenden Auge, das durch nichts mehr als das Innere erregt wird, steigern sich diese inneren Me- teore oft zu einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Die Phanta- sie, sich selbst uͤberlassen, knuͤpft diese wallenden, ihre Gestalt wechselnden Erscheinungen im dunkeln Sehfelde an das, was sie sich durch aͤußere Noͤthigung schon einmal hat ein- bilden muͤssen, und es erscheinen der Phantasie diese an- fangs formlosen Lichtphaenomene bald in bestimmtem For- men, welche ihre Gestalten mannigfach wechseln und sich nicht fesseln lassen. Hier geschieht dann bei geschlossenen Au- gen von Seiten der Phantasie mit den Lichtmeteoren des dunkeln Sehfeldes, was am Tageslicht haͤufig genug ge- schieht, wenn uns ein undeutlich Gesehenes durch die Phantasie in taͤuschender Lebendigkeit zu einer bestimmten Form ergaͤnzt wird. 31. 3. Nicht der Lichtnerve allein im Zustande des Affec- tes wirkt als Reiz auf die Organe der Vorstellung und Ein- bildung. Auch das Phantastische und Vorstellende im Zu- stand des Affectes wirkt auf den Lichtnerven, wenn dieser ruhig von aͤußeren Endruͤcken, in seiner Dunkelheit nur die Erregungen anderer Organe in Licht und Farben wieder- stahlt. 32. In der Regel begrenzt das Phantastische seine Objecte nur in dem Sehfelde. Die von der Phantasie erzeugten For- men werden nur im Sehfelde begrenzt vorgestellt, wo uͤber- haupt alle Formen uns erscheinen, im Sehfelde der Sehsinn- substanz. Diese in der Regel nur im Sehfelde gedachten und vorgestellten Producte der Phantasie koͤnnen aber durch die Sympathie des Phantasticon und des Lichtnerven bei einem exaltirten Zustande des erstern und einem ruhenden Zu- stande des letztern in der Dunkelheit des Sehfeldes innerhalb ihrer vorgestellten Begrenzung leuchtend werden. 33. Die Phantasie, in ihrem Eigenleben sich selbst uͤberlassen, erzeugt aus fruͤhern Eindruͤcken Formen, welche sobald sie vorgestellt werden, im lichten oder dunkeln Sehfeld vorgestellt werden muͤssen. Diese Formen sind in der Regel nicht sinnlich, es sind nur vorgestellte, gedachte Grenzen im dunkeln oder lichten Sehfelde. Aber wirkt das exaltirte Phantastikon auf die ruhende dunkle Sehsinnsubstanz, erregt das erregte Phantastikon die letztere, so werden die sonst nur schlechthin eingebildeten Dinge innerhalb ihrer im Seh- feld gedachten Grenzen auch leuchtend und farbig. Hier ist nun der Ort, die Phaenomene, deren Entstehung ich wissenschaftlich begruͤndet habe, genau und treu zuerst nach vieljaͤhriger Selbstbeobachtung zu beschreiben, um so- fort die in diesem Gebiete haͤufig durch Auslegung entstell- ten Erfahrungen Anderer anzuknuͤpfen. VI. Die phantastischen Gesichtserschei- nungen . 34. Es ist selten, daß ich nicht vor dem Einschlafen bei geschlossenen Augen in der Dunkelheit des Sehfeldes man- nichfache leuchtende Bilder sehe. Von fruͤher Jugend auf erinnere ich mich dieser Erscheinungen, ich wußte sie immer wohl von den eigentlichen Traumbildern zu unterscheiden; denn ich konnte oft lange Zeit noch vor dem Einschlafen uͤber sie reflectiren. Vielfache Selbstbeobachtung hat mich denn auch in den Stand gesetzt, ihre Erscheinung zu be- foͤrdern, sie festzuhalten. Schlaflose Naͤchte wurden mir kuͤr- zer, wenn ich gleichsam wachend wandeln konnte unter den eigenen Geschoͤpfen meines Auges. Wenn ich diese leuchtenden Bilder beobachten will, sehe ich bei geschlossenen vollkom- men ausruhenden Augen in die Dunkelheit des Sehfeldes; mit einem Gefuͤhl der Abspannung und groͤßten Ruhe in den Au- genmuskeln versenke ich mich ganz in die sinnliche Ruhe des Auges oder in die Dunkelheit des Sehfeldes. Allen Ge- danken, allem Urtheil wehre ich ab, ich will bei einer voll- kommenen Ruhe des Auges wie des ganzen Organismus in Hinsicht der aͤußeren Eindruͤcke nur beobachten, was in der Dunkelheit des Auges als Reflex von inneren or- ganischen Zustaͤnden in anderen Theilen erscheinen wird. 35. Wenn nun im Anfang immer noch das dunkle Sehfeld an einzelnen Lichtflecken, Nebeln, wandelnden und wech- selnden Farben reich ist, so erscheinen statt dieser bald be- grenzte Bilder von mannifachen Gegenstaͤnden, anfangs in einem matten Schimmer, bald deutlicher. Daß sie wirk- lich leuchtend, und manchmal auch farbig sind, daran ist kein Zweifel. Sie bewegen sich, verwandeln sich, entste- hen manchmal ganz zu den Seiten des Sehfeldes mit einer Lebendigkeit und Deutlichkeit des Bildes, wie wir sonst nie so deutlich etwas zur Seite des Sehfeldes sehen. Mit der leisesten Bewegung der Augen sind sie gewoͤhnlich verschwun- den, auch die Reflexion verscheucht sie auf der Stelle. Cs sind selten bekannte Gestalten, gewoͤhnlich sonderbare Fi- guren, Menschen, Thiere, die ich nie gesehen, erleuchte- te Raͤume, in denen ich ich noch nicht gewesen. Es ist nicht der geringste Zusammenhaug dieser Erscheinungen mit dem, was ich am Tage erlebt, zu erkennen. Ich verfolge diese Erscheinungen oft halbe Stunden lang, bis sie endlich in die Traumbilder des Schlafes uͤbergehen. 36. Nicht in der Nacht allein, zu jeder Zeit des Tages bin ich dieser Erscheinungen faͤhig. Gar manche Stunde der Ruhe, vom Schlafe weit entfernt, hab ich mit geschlos- senen Augen zu ihrer Beobachtung zugebracht. Ich brauch mich oft nur hinzusetzen, die Augen zu schliessen, von Allem zu abstrahiren, so erscheinen unwillkuͤhrlich diese seit fruͤher Jugend mir freundlich gewohnten Bilder. Ist nur der Ort recht dunkel, bin ich nur geistig ganz ruhig, ohne leiden- schaftliche Stimmung, hab ich nur eben nicht gegessen oder geistiges Getraͤnk genommen, so darf ich, wenn gleich an Schlaf gar nicht zu denken ist, der Erscheinung gewiß seyn. 37. Haͤufig erscheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde, haͤufig auch erhellt sich vor dem Erscheinen der einzelnen Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu ei- ner Art von innerem mattem Tageslicht. Gleich darauf erscheinen dann auch die Bilder. Eben so merkwuͤrdig als das Erscheinen der leuchtenden Bilder war mir, seit ich diesen Phaenomenen beobachtend folge, das allmaͤhlige Hellerwerden des Sehfeldes. Denn am Tage bei ge- schlossenen Augen nach und nach den lichten Tag von in- nen eintreten sehen, und in dem Tag des Auges leuchten- de Gestalten als Producte des Eigenlebens des Sinnes wandeln sehen, und alles dieß im wachenden Zustande, fern von allem Aberglauben, von aller Schwaͤrmerei, bei nuͤchterner Reflexion, ist dem Beobachter etwas hoͤchst Wun- derbares. 38. Wie freute ich mich nun, als ich in den Wahlver- wandtschaften wiederfand, wie einer der sinnlich kraͤf- tigsten Menschen aus reicher Selbstbeobachtung die Lebens- wahrheit auch dem kunstreichen Gebilde mitzugeben weiß. Es heißt naͤmlich dort von Ottilie : »Wenn sie sich Abends zur Ruhe gelegt und im suͤßen Gefuͤhl zwischen Schlaf und Wachen lebte, schien es ihr, als wenn sie in einen ganz hellen, doch mild erleuchteten Raum hinein blickte. In diesem sah sie Eduard ganz deutlich und zwar nicht geklei- det, wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen An- zug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkom- men natuͤrlich war und nichts Phantastisches hatte, stehend, gehend, liegend, reitend. Die Gestalt, bis aufs Kleinste ausgemalt, bewegte sich willig vor ihr, ohne daß sie das Mindeste dazu that, ohne daß sie wollte oder die Einbil- dungskraft erregte. Manchmal sah sie ihn umgeben, beson- ders von etwas Beweglichem, das dunkler war, als der helle Grund; aber sie unterschied kaum Schattenbilder, die ihr zuweilen als Menschen, als Pferde, als Baͤume, als Gebirge vorkommen konnten. Gewoͤhnlich schlief sie uͤber der Erscheinung ein.« 39. Ich kann es auf das Bestimmteste unterscheiden, in welchem Moment des Phantasma leuchtend wird. Ich sitze lange da mit geschlossenen Augen; Alles, was ich mir ein- bilden will, ist bloße Vorstellung, vorgestellte Begrenzung im dunkeln Sehfeld, es leuchtet nicht, es bewegt sich nicht organisch im Sehfelde, auf einmal tritt der Moment der Sympathie zwischen dem Phantastischen und dem Lichtnerven ein, urploͤtzlich stehen Gestalten leuchtend da, ohne alle Anregung durch die Vorstellung. Die Erschei- nung ist urploͤtzlich, sie ist nie zuerst eingebildet, vorgestellt und dann leuchtend. Ich sehe nicht, was ich sehen moͤchte; ich kann mir nur gefallen lassen, was ich ohne alle Anre- gung leuchtend sehen muß. 40. Der kurzsichtige Einwurf, daß diese Erscheinnngen wie im Traume nur leuchtend vorgestellt oder, wie man sagt, einge- bildet werden, faͤllt hier natuͤrlich von selbst weg. Ich kann stundenlang mir einbilden und vorstellen, wenn die Dispo- sition zur leuchtenden Erscheinung nicht da ist, nie wird dieses zuerst Vorgestellte den Schein der Lebendigkeit erhalten. Und urploͤtzlich erscheint ein Lichtes, nicht zuerst Vorgestelltes gegen meinen Willen, ohne alle erkennbare Association. Aber diese Erscheinung, die ich selbst im wachenden Zustand leuch- tend zu sehen faͤhig bin, leuchtet so gewiß, als der Blitz leuchtet, den ich als subjectives Gesichtsphaenomen durch Druck dem Auge entlocke. 41. Am leichtesten treten diese Phaenomene ein, wenn ich ganz wohl bin, wenn keine besondere Erreguug in irgend einem Theil des Organismus geistig oder physisch obwaltet, und besonders, wenn ich gefastet habe. Durch Fasten kann ich diese Phaenomene zu einer wunderbaren Lebendigkeit bringen. Nie habe ich sie bemerkt, wenn ich Wein vorher getrunken hatte. 42. Daß jeder Mensch wenigstens Spuren dieser Erschei- nungen habe, davon bin ich gewiß. In der That sind unsere Traumbilder, die uns ja gewoͤhnlich auch im hellen Sehraum erscheinen, nichts anders als die Fortsetzung dieser Erscheinungen vor dem Einschlafen, und so wie diese in die Traumbilder uͤbergehen, so bleiben sie auch oft nach dem Erwachen eine kurze Zeit im Sehfelde haften, worauf sie allmaͤhlig in Licht- und Nebelflecken erloͤschen, verscheucht durch die staͤrkere Anregung der Sehsinnsubstanz von Aussen. Wer am Tage nicht zu diesen Erscheinungen disponirt ist, wird wenigstens vor dem Einschlafen darauf aufmerk- sam seyn koͤnnen, wenn er es nicht schon gewesen. Wem sie vor dem Einschlafen nicht erscheinen, dem ist dasselbe Phaenomen doch im Traume gewiß. 43. Daß diese Erscheinungen aber bei unzaͤhligen Menschen mit einer blendenden Lebhaftigkeit und manchmal selbst am hellen Tage bei offenen Augen vorkommen, beweißt die Ge- schichte ihrer verkehrten Auslegungen als Visionen, Spec- tra, magische Erscheinungen, magnetisches Hellsehen. Dem Arzte sind sie laͤngst bekannt als sogenannte Hallucinatio- nen in Fiebern, in Krankheiten des Gehirns, in der Hy- sterie, Hypochondrie, Catalepsie, bei Irren, in der Ekstase und verwandten Zustaͤnden. 44. Es koͤmmt hier aber vor Allem auf eine vorurtheils- freie durchaus nuͤchterne Selbstbeobachtung im ganz gesun- den Zustande an, diese war der Zweck der eben mitgetheil- ten Darstellung. Moͤgen wir nun auch derjenigen erinnern, denen diese Erscheinungen in gleichem Grade zugaͤnglich oder lebendiger noch gewohnt, und die gleichwohl, das ein- fache Phaenomen weder durch Schwaͤrmerei noch Aberglau- ben entstellend, es als einen Reichthum ihres sinnlichen We- sens betrachteten. 45. Cardanus erzaͤhlt im 18. Buch de subtilitate von sich selbst: Id fuit ab anno quarto ad septimum usque: ab ho- ra enim diei secunda ad quartam semper, aut si modo tardius aut surgerem aut expergiscerer, imagines videbam ab imo lecti, quasi e parvulis annulis areisque con- stantes, arborum, belluarum, hominum, oppidorum, instructarum acierum, bellicorum ac musicorum instru- mentorum, aliorumque huius generis adscendentes, vicis- simque descendentes, aliis atque aliis succedentibus. Cumque his maxime puerulus existens oblecta- rer, obque id intentus inspicerem, Clara mater et Margaretha amita diligenter aliquando interrogarunt, num aliquid viderem? At ego, quamquam parvulus non ignorabam, hoc esse portentum quoddam, obque id constanter negabam, timens, ne, si revelassem, spcc- trum me destitueret, aut mali mihi quicquam continge- ret ob arcanum reseratum. Cardanus glaubt den innern Grund dieser Phae- nomene zu kennen und beruft sich dabei auf eine Stelle Averrhoes , welche allerdings auf den wahren Grund derselben hindeutet. 46. Dem Zeugniß des wunderlich merkwuͤrdigen Carda- nus stellen wir billig ein anderes des nuͤchternsten vor al- lem Wunderbaren scheuen Tiefdenkers Spinoza endigen: Quum quodam mane, lucescente iam coelo, ex somnio gravissimo evigilarem, imagines, quae mihi in somnio oc- currerant, tam vivide ob oculos versabantur, ac si res fuis- sent verae, et praesertim cuiusdam nigri et scabiosi Brasiliani, quem nunquam antea videram. Haec imago partem maximam disparebat, quando oculos in librum vel aliud quid defigebam; quum primum vero oculos a tali obiecto rursus avertebam, sine attentione in aliquid ocu- los defigendo, mihi eadem eiusdem Aethiopis imago eadem vividitate et per vices apparebat, donec paulatim circa caput dispareret. B. d. S. Opera posthuma. Epistola XXX. Viro doctissimo ac prudentissimo Petro Balling B. d. S. 47. Auch aus neuerer Zeit werde einer treffenden vorur- theilsfreien Darstellung dieser Phaenomene des Schlafwa- chens erwaͤhnt, die ein Ungenannter in Moritz und Pockels Magazin der Erfahrungsseelenkunde 5. B. 2. S. 88. gegeben. Nicolai’s Phantasmen am hellen Tage, die in einem krankhaften Zustande Monate lang anhiel- ten, sind allgemein bekannt geworden. Bei Nicolai traten im Zustande der Gesundheit die leuchtenden Phan- tasiebilder nur zwischen Schlaf und Wachen ein. Ber- linische Monatsschrift v. Biester , 1799. S. 350. Daß die Traumbilder Lebensaͤusserungen der Sinnesorgane sind, hat Gruithuisen in seiner an trefflichen Selbst- beobachtungen reichen Schrift: Beitraͤge zur Physiognosie und Eautognosie Muͤnchen 1812. S. 236. aus eigenen und fremden Erfahrungen zu zeigen gesucht. Eine sehr treffende mit meiner fruͤher gegebenen Darstellung im wesentlichen ganz uͤbereinstimmende Selbstbeobachtung uͤber die Phantasiebilder vor dem Einschlafen hat Nasse in der Zeitschrift fuͤr Anthro- pologie 1825. 3. S. 166. gegeben. Daß Purkinje auch an diesen subjectiven Gesichtserscheinungen reich seyn muͤs- se, erschließen wir aus seiner Abhandlung uͤber das Nach- bild als Inhalt des Gedaͤchtnisses. Beitraͤge zur Kennt- niß des subjectiven Sehens. S. 166. 48. Hoͤchst erfreulich ist es, daß eben diese Schrift Goe- the veranlaßt hat, aus der eigenen lebendigen Erfahrung seiner Phantasie mitzutheilen, was ihm zu jenen merkwuͤr- digen einer kunstreichen Schoͤpfung verwebten Stellen uͤber die Phantasiebilder in den Wahlverwandschaften, worauf wir mehrfach zuruͤckkommen werden, vielleicht Anregung gewesen. »Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in die Mitte des Sehor- ganes eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Au- genblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich aus- einander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl gruͤnen Blaͤttern; es waren keine natuͤrliche Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmaͤßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmoͤglich, die hervorsprossende Schoͤpfung zu fixiren, hingegen dauerte sie so lange als mir beliebte, ermattete nicht und verstaͤrkte sich nicht. Dasselbe konnte ich hervor- bringen, wenn ich mir den Zierrath einer buntgemalten Scheibe dachte, welcher dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort veraͤnderte, voͤllig wie die in unsern Tagen erst erfundenen Kaleidoscope.« Goethe zur Morphologie und Naturwissenschaft. 49. Diese Freiheit des innern Sinnenlebens mag uns denn auch als die hoͤchste Stufe erscheinen, von welcher bis zu der einfachsten Form des Phaenomenes, die ich zuerst aus eigner Erfahrung beschrieben, eine große Mannigfal- tigkeit gegeben ist, deren Einsicht uns sicher seyn muß, wenn wir einmal die Grundphaenomene befestigt haben. Die Bei- spiele einer willkuͤhrlichen Einbildung in den Sinn sind gewiß hoͤchst selten, aber auch die hoͤchsten reinsten Bluͤthen der Sinnlichkeit und des sinnlichen Lebens, hoch erhaben uͤber jene befangenen Visionen, in welchen die Superstition als religioͤse Schwaͤrmerei oder Aberglaube die Geschoͤpfe des Eigenlebens unserer Sinne entweder verehrt und anbetet oder fuͤrchtet. 50. Damit jenes letzte Beispiel der hoͤchsten Freiheit im sinnlichen Leben nicht vereinzelt stehe, sei abermals jenes schon einmal berufenen merkwuͤrdigen Mannes erwaͤhnt. Cardanus erzaͤhlte von sich selbst, daß er vor seinen Au- gen habe sehen koͤnnen, was ihm in den Sinn gekommen, was er nur gewollt. Wie denn auch im Alterthum hier und dort ein Beispiel einer solchen vorurtheilsfreien innern Sinn- lichkeit erscheint. Eines solchen Mannes gedenkt irgendwo in den parvis naturalibus Aristoteles , und von dem Maler Theon von Samos erzaͤhlt Quintilianus : Con- cipiendis visionibus, quas pbantasias vocant, Theon Sa- mius praestantissimus. Quintil. XII. 10. 6. VI. 2. 29. 51. Wie groß nun auch der Umfang dieser Erscheinun- gen in der Geschichte des Lebens seyn mag, so sind in dem bisherigen Bericht doch nur solche Zeugnisse erwaͤhnt wor- den, in welchen eine verkehrte durch Mystification entstandene Auslegung vermißt wird. Wir wollten nur die Stimme solcher Zeugen hoͤren, welche die Geschichten ihres Sinnes ohne Leidenschaft, ohne Vorurtheil als Lebensaͤußerungen betrachteten. Diese waren weder magnetische Hellseher, noch entzuͤckte Asceten, noch Daͤmonische. Erst nachdem wir das Phaenomen nach allen Seiten begrenzt haben, moͤgen wir die Zustaͤnde untersuchen, in welchen seine Erscheinung beguͤnstigt wird. 52. Es kann nun schon jetzt nicht mehr zweifelhaft seyn, daß jene Phantasmen wohl nicht durch Wirkung der Einbildungs- kraft aus den im Sehorgan haftenden Lichtflecken, Nebeln und Farben ergaͤnzt werden, in der Art wie wir am hellen Tage durch Wirkung der Einbildungskraft das Unvollkom- mene zum Vollkommenen ergaͤnzen. Ich habe zwar oft be- merkt, wie mir bei geschlossenen Augen aus den im Sehfelde haftenden Lichtflecken und Nebeln besondere Gestalten wurden. Unter diesen Umstaͤnden war aber der Lichtflecken, in dem die Einbildung bald eine Wolke, bald ein Thier sah, zuletzt doch haftend. Er verschwand nicht bei allem Wechsel des Eingebildeten, er blieb, und ich konnte bei seiner Ausdauer uͤber die Unwahrheit des Eingebildeten reflectiren. 53. Die Phantasmen entstehen vielmehr am haͤufigsten urploͤtzlich, nicht aus Lichtflecken, sie selbst in scharfer Begren- zung der Gestalt sind die Lichtflecken. In dem ganz dun- keln Sehraume, in den ich voll Erwartung der kommenden Erscheinung hineinstarre, stehen ploͤtzlich Gebaͤude, Pflan- zen da. Diese Bilder verschwinden ebenso schnell mit dem Eintritt der Reflexion, die leichteste Bewegung der Augen hebt sie auf. So fluͤchtig wie die phantastischen Vorstellungen entstehen, verschwinden sie. Wenn daher auch aus Licht- flecken Phantasmen entstehen, so verhalten sich die leuch- tenden Meteore zu den aus ihnen entstehenden Phantas- men doch nur, wie ein Phantasma zum andern, das sich aus ihm hervorbildet. VII. Der Ort der phantastischen Er- scheinung . 54. In der Regel traͤumen die Blinden nicht von sichtbaren Gegenstaͤnden. Man koͤnnte aus dieser Erfahrung, auf deren Wichtigkeit Darwin und in neuerer Zeit Gruit- huisen aufmerksam gemacht, schließen, die Sehsinnsubstanz des Auges selbst, oder diejenige Extremitaͤt der Sehsinnsub- stanz, welche zur Affection durch das Aeussere bestimmt ist, sei auch das Organ, welchem die leuchtenden inneren Wach- und Traumbilder eingebildet werden. Dem ist aber nicht so. Die Erfahrung, daß der Blinde nicht mehr von sicht- baren Dingen traͤume, daß also, wenn die Extremitaͤt seiner Sehsinnsubstanz im Auge oder die Netzhant gelaͤhmt ist, uͤber- haupt auch die Sehsinnsubstanz gelaͤhmt sey, und alle Cinbil- dung in dieselbe von innen aufhoͤre, ist keineswegs so allge- mein, als es Darwin und Gruithuisen angeben. Hoͤ- ren wir daruͤber Zeune : 55. »Was die Traumbilder der Blinden betrifft, so glau- ben sie im Schlafe bald zu sehen, bald sind sie sich ihrer Blindheit bewußt. Ich sagte Traumbilder, weil ja auch Wachbilder nicht bloß bei Blinden, sondern auch bei Se- henden statt finden, jenes Verlorenseyn im Schauen, unab- haͤngig vom Aeussern, jenes Zerstreutseyn in Bezug auf die Aussenwelt, aber Gesammeltseyn in Hinsicht auf die In- nenwelt. Bei zweien meiner Zoͤglinge, jetzt Mitlehrern der Anstalt, Engel nnd Grothe sind diese gaukelnden Wach- bilder abhaͤngig vom Wetter. Bei heiterer Luft haben sie angenehme Erscheinungen, bei truͤbem Wetter aber verwor- rene Gestalten. Diese Wandelbilder sind ihre Wetterver- kuͤndiger.« Belisar. S. 25. 56. Ebenso wichtig ist der Bericht des blinden Prof. Bacz- ko in Koͤnigsberg uͤber sich selbst. »Er war 22 Jahr alt, als er erblindete, hatte sich viel mit Malen, Modelliren und andern Kunstarbeiten beschaͤftigt, und seine Phantasie war sehr lebhaft, so daß er selbst dadurch die Abweichung bei sich erklaͤrt, daß er sichtbare Bilder zuruͤckbehalten hat, im Traume sieht. Baczko erzaͤhlt auch, daß der bekannte blinde Floͤtenspieler Dulon , der in den ersten Tagen sei- nes Lebens erblindete und daher beinahe einem Blindgebor- nen gleich zu achten war, ihm erzaͤhlt habe, daß er zuweilen in seinem Traͤumen graͤßliche verzerrte Gestalten, allein immer nur dieselben sehe.« Aus einem handschriftlichen Aufsatze von Prof. Baczko uͤber die Traͤume der Blinden in Rudolphi’s Physiologie 2. B. S. 283, dessen vollstaͤn- dige Bekanntmachung gewiß allgemeiner Wunsch seyn muß. 57. In der Berliner Monatsschrift von Biester . 1800 Oktob. S. 253. wird von einem Arzte folgender Fall auf- gefuͤhrt: »In Merkendorf bei Anspach lebte noch vor wenig Jah- ren eine alte stockblinde Hebamme, die mir klagte, daß nichts sie mehr quaͤle, als oͤftere Erscheinungen, nicht von Geistern, sondern von Thieren und Menschen, die sie leib- haftig mit grellen Farben vor sich saͤhe, als ob sie nicht blind waͤre.« 58. Wir sehen aus diesen hoͤchst wichtigen Thatsachen, daß nach vollkommener Laͤhmung der Netzhaut oder des aͤußersten fuͤr aͤußere Eindruͤckte bestimmenten Theiles der Sehsinnsub- stanz, bei der Unmoͤglichkeit, daß das aͤußere Elementarische auf diese ihre Extremitaͤt wirken kann, noch andere innere Theile der Sehsinnsubstanz aus inneren Reizen in Affection seyn koͤnnen; wir wissen, daß der Blinde am Tage im Wachen leuchtende Bilder sieht, was uns im Traume nur oder bei geschlossenen Augen zuruͤckgezogen von der aͤußern Gesichtswelt geschieht, ja daß ein dem Blindgebornen gleich zu achtender doch Traum-Gestalten sieht. 59. In der That, waͤre bei einem Menschen die ganze Seh- sinnsubstanz und nicht wie gewoͤhnlich in der Blindheit bloß die Netzhaut gelaͤhmt, so koͤnnte er nicht mehr die sinnliche Anschauung der Ruhe der Sehsinnsubstanz oder des Dunkeln haben. In der Dunkelheit des ruhigen Sehfeldes begrenzt die Einbildung noch ihre Gestalten. In der Dunkelheit des inneren Sehraums Gestalten sehen, und wenn sie auch bloß Begrenzungen der Dunkelheit waͤren, kann dem Blindge- bornen nicht genommen seyn, und ist ihm in der That, wie wir eben gesehen, nicht genommen. Welche Fragen koͤnnte man aber an einen Blindgebornen stellen, der, blindgeboren wegen Undurchsichtigkeit der Medien des Auges, das Ge- sicht, durch Operation erlangte? uͤber den Unterschied sei- ner Traͤume waͤhrend und nach seiner Blindheit? u. a. Das waͤre wahrhaftig besser, als jene kurzsichtigen Fragen vom Verkehrt- oder Geradesehen, durch die wir nichts als unsere Vorurtheile zu bestaͤtigen wuͤnschen! 60. Hoͤchst wichtig sind denn auch die wenigen Beobachtun- gen, welche von Blinden vorhanden sind, die im Zustand des Irrseyns subjective Gesichtserscheinungen hatten. Die Erfahrungen, welche ich meine, sind von Esquirol . Esquirol behandelte einen Geschaͤfismann, der nach einem sehr thaͤtigen Leben im 41. Jahre des Lebens vom schwarzen Staar befallen wurde. Einige Jahre darauf wur- de er Maniacus, er war sehr aufgeregt, sprach laut mit Personen, die er zu hoͤren, zu sehen glaubte, er sah die sonderbarsten Dinge, oft versetzten ihn seine Gesichte in das lebhafteste Entzuͤcken. 61. In der Salpetriere war im Jahr 1816 eine Juͤdinn von 38 Jahren; sie war blind und tobsuͤchtig, sie sah die fremd- artigsten Dinge, Personen aus ihrer Bekanntschaft; sie starb ploͤtzlich. Esquirol fand die Sehnerven atrophisch vom Chiasma bis zum Eintritt derselben ins Auge. Dictionaire des Scienccs medicales. Hallucinations . 62. Diese Beobachtungen sind Goldkoͤrner. Im Wahnsinn findet noch eine Erregung der innersten Theile der Sehsinn- substanz statt, deren Extremitaͤt fuͤr die Einwirkung ihres aͤußern Reizes gelaͤhmt ist. Die Fortsetzungen der Sehner- ven von Chiasma bis zu ihren Ursprungsstellen im Gehirn 3 sind der Lichtempfindung durch innere organische Reize noch faͤhig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, bestimmt das Elementarische als lichten Tag zu sehen, zerstoͤrt ist. 63. Wir koͤnnen kuͤhn behaupten: So lange die Empfin- dung des Dunkeln nicht aufgehoben ist, so lange der Blinde noch dunkel sieht, sind auch innere Lichtempfindungen Hallucinationen moͤglich. Von einem Blinden, der nicht noch dunkel gesehen haͤtte, habe ich noch nicht gehoͤrt. Und doch ist das Dunkele etwas Positives und wird nur da empfunden, wo die Sehsinnsubstanz ist; denn von dem Hinter uns ist uns unmoͤglich, die Empfindung des Dunkeln zu haben. Moͤge doch nun ein Unterrichteter auch uͤber das Licht- sehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenanstalt manche Gelegenheit gegeben seyn muß. 64. Wenn die Traumbilder und die Gesichtserscheinungen in den Delirien dieselben Phaenomene sind, die ich vorher aus dem wachenden Zustande beschrieben, so haben diese ins- gesammt nur in den innersten Theilen der Sehsinnsubstanz statt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut selbst. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection der Netzhaut durch aͤußere unmittelbare Reizung ihrer selbst in ihr haftet, so kann es mit der Bewegung der Augen selbst auch bewegt werden im Verhaͤltniß zu den aͤußern Objecten. Wenn es auch seine Localitaͤt zum ganzen Sehfelde bei allen Bewegungen der Augen nie veraͤndert, so kann es doch mit dem Sehfelde selbst durch Bewegung der Augen sein Verhaͤltniß zum aͤußern Raum oder zu unserer eignen Raͤumlichkeit aͤndern. Es wird nach oben, nach den Seiten erhoben durch die Bewegung der Augen nach oben, nach den Seiten. 65. War das Blendungsbild einfach, d. h. entstand es durch Affection identischer Theile der beiden Netzhaͤute, so wird es auch bei allen Bewegungen der Augen einfach bleiben muͤssen, weil das Verhaͤltniß der Indentitaͤt in den Netzhaͤuten oder subjectiven Sehfeldern durch alle relative Bewegung der Augen nie veraͤndert werden kann. Bei aller Bewegung der beiden Augen kann sich nur ein einfaches Sehfeld mit seinem einfachen Blendungsbild, aufwaͤrts, abwaͤrts, seit- waͤrts bewegen. Aber das Blendungsbild kann nur in dem Theile des Sehsinnsubstanz seinen Sitz haben, welcher bewegt werden kann, welcher seine relative Lage zu dem Aeußern veraͤndern kann. 66. Es ist zum Theil anders mit den phantastischen Bildern. Ihr Vorkommen mit der Zerstoͤrung des Auges beweißt schon, daß sie in den tiefern unbeweglichen Theilen der Sehsinn- substanz ihren Sitz haben. Auch habe ich bei geschlossenen Augen nie bewirken koͤnnen, daß sie sich mit den Augen wie die Blendungsbilder bewegten. Sind phantastische Bil- der im Sehfelde bei geoͤffneten Augen, so werden sie frei- lich mit den objectiven Bildern in ein und dasselbe Sehfeld fal- len, und hier muͤssen allerdings die phantastischen Bilder in der Sehachse oder Mitte des subjectiven Sehfeldes mit den Bildern der aͤußeren Gegenstaͤnde zusammenfallen, welche wechselnd durch Bewegung der Augen in die Mitte des Sehfeldes kommen. 67. In der That diejenigen, welche phantastische Bil- der im wachenden Zustande mit geoͤffneten Augen gese- hen, bezeugen, daß man von ihnen die Augen nicht abwen- den koͤnne, d. h. daß sie, wenn sie etwa in der Mitte des Sehfeldes sind, mit allen Gegenstaͤnden zusammenfallen, welche bei abwendender Bewegung der Augen in die Seh- achse fallen. Beobachtungen dieser Art hat Gruithui- sen an dem angefuͤhrten Orte S. 238, 259 aus eigener und fremder Erfahrung gesammelt. 68. Im Traume koͤnnen wir auch nie die Augen von un- sern Gesichten abwenden, weil sie in der unbeweglichen Sehsinnsubstanz selbst sind. Das ist eine Erfahrung, die sich in allen Sinneserscheinungen des Traumes aus dem- selbe Grunde wiederhohlt. Wir koͤnnen nie einem Gefuͤhl, womit die Vorstellung einer aͤußern Ursache verknuͤpft ist, ent- fliehen, unsere Kraͤfte verlassen uns eher als dieses Traum- object unserer Sinne. 69. Sind die lichten Traumbilder beim Erwachen noch vor- handen, so behalten sie zwar ihre bestaͤndige Oertlichkeit in dem Sehfelde, bedecken aber mit der Bewegung der Au- gen immer andere Theile der aͤußern sichtbaren Welt. »Mir traͤumte ich zeige einer Dame die schoͤn violettblaue Farbe des Flußspathes auf gluͤhenden Kohlen. Dieß Experiment ge- lang im Traum scheinbar so gut, daß mir davon die Au- gen wie im Sonnenlichte geblendet wurden. Daruͤber er- weckte ich mich, und ich hatte im Auge einen gelben Fleck. Dieser Fleck wurde endlich violettschwarz, dann oͤffnete ich die Augen, da ward er gegen das Fenster gehalten, dunk- ler als die anderen Stellen des Auges und bewegte sich genau wie andere Taͤuschungen im Wachen mit den Augen uͤber die Gegenstaͤnde hin.« Gruithuisen , a. a. S. S. 256. 70. Diese Selbstbeobachtung scheint sogar wahrscheinlich zu machen, daß auch die phantastischen Bilder wie die Blen- dungsbilder durch neue Eindruͤcke Veraͤnderung und Um- kehrung des Hellen, Dunkeln und des Farbigen erfah- ren. 71. Gruithuisen , welcher den Sitz der Traumbilder, auf die Darwinsche Beobachtung von dem Mangel der Traumbilder bei den Blinden gestuͤtzt, in die Netzhaut setzt, be- hauptet, daß auch die Traumbilder nach dem Erwachen sich noch bei geschlossenen sich bewegenden Augen mit bewegen. Dem muß ich durchaus widersprechen. Ich habe vor dem Ein- schlafen die phantastischen Bilder nie durch Bewegung der geschlossenen Augen bewegen koͤnnen. Wenn sie sich bei geoͤffneten Augen mit der Bewegung der letzteren uͤber die aͤußern Dinge zu bewegen scheinen, so beruht dieser Schein nur in dem durch die Bewegung der Augen bedingten wech- selnden Zusammenfallen anderer Objecte mit gewissen Theilen des Sehfeldes. In der That, wenn, wie fruͤher aus Er- fahrungen der Blinden gegen Gruithuisen bewiesen worden ist, die phanstatischen Bilder in den innersten Thei- len der Sehsinnsubstanz ihren Sitz haben, wuͤrde Bewe- gung der phantastischen Bilder mit der Bewegung der Au- gen ein offener unaufloͤslicher Widerspruch seyn. 72. Die Blendungsbilder in der beweglichen Extremitaͤt der Sehsinnsubstanz und die phantastischen Bilder in den unbeweglichen inneren Theilen derselben kommen daher dar- in uͤberein, daß sie ein bestaͤndiges Verhaͤltniß zur Raͤum- lichkeit des Sehfeldes gegen alle wechselnden Eindruͤcke auf dasselbe behaupten; sie unterscheiden sich aber dadurch we- sentlich. Die Blendungsbilder in der beweglichen Extre- mitaͤt der Sehsinnsubstanz aͤndern mit der Bewegung der Augen ihr relatives Ortsverhaͤltniß zu unserer eigenen Koͤrper- lichkeit; die phantastischen Bilder behaupten bei aller Bewe- gung der geschlossenen Augen eine bestaͤndige Stelle im Ver- haͤltniß zu unserer eigenen Raͤumlichkeit, wenn sie sich nicht aus innern Gruͤnden ihrer Erscheinung bewegen. 73. Aus allem geht zugleich hervor, daß die inneren Theile der Sehsinnsubstanz den aͤußeren der Netzhaut in Hinsicht der Raͤumlichkeit des subjectiven Sehfeldes entsprechen, daß gewisse Theile der innern Sehsinnsubstanz identische Fortse- tzungen sind gewisser Theile der Netzhaut, und daß Afectio- nen der einen und anderen in Hinsicht des Ortes im subjecti- ven Sehfeld als identisch zusammenfallen, ebenso wie sich in beiden Augen identische Theile entsprechen, deren gleich- zeitige Affection eins ist in Hinsicht des subjectiven Ortes des Gesehenen. 74. Wenn daher a b die Retina als aͤußere Extremitaͤt der Sehsinnsubstanz zur Aufnahme der aͤußeren Eindruͤcke und zugleich der durch diese erregten Blendungsbilder, c d die inneren Theile der Sehsinnsubstanz im Gehirn, in welchen die Phantasiebilder aus Erscheinung kommen, so fallen die Eindruͤcke auf x der Netzhaut oder den Mittelpunct der- selben mit den Eindruͤcken auf y der inneren Theile zusam- men in Hinsicht des Ortes im subjectiven Sehfelde. Wie immer sich nun a, b, oder die aͤußere Extremitaͤt der Seh- sinnsubstanz mit den Bewegungen des Auges bewegen mag, alles was x, den Mittelpunct der Netzhaut, wechseld afficirt, also m, n, o bei andern Stellungen des Auges, faͤllt jedes- mal mit y der inneren unbeweglichen Theile sammen. Das Phantasiebild in y kann nie durch Bewegung des Auges a b mit bewegt werden, wohl aber koͤnnen die in x der Netzhaut fixirten Blendungsbilder, ihre Stelle im Sehfeld behauptend, mit dem Auge a b ihr Ortsverhaͤltniß zur Raͤumlichkeit des ganzen Organismus veraͤndern. Dieß ist das Verhaͤltniß der Blendungsbilder und ob- jectiven Bilder zu den Phantasiebildern. II. Die Lebensgeschichte der phanta- stischen Gesichtserscheinungen . I. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld ohne selbst- ständiges Leuchten. II. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld aus unvoll- kommen äußeren Sinneseindrücken. III. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld aus inneren Sinneseindrücken. IV. Das Hellsehen des Halbwachens. V. Das Hellsehen des Traumes. VI. Das magnetische Hellsehen. VII. Das ekstatische Hellsehen. VIII. Das narcotische Hellsehen. IX. Das fieberhafte und nervöse Hellsehen. X. Die Phantasiebilder der Irren. XI. Die Phantasiebilder am hellen Tage ohne Anerkennung ihrer Objecticität. XII. Die willkührlichen Phantasmen. XIII. Aussicht auf die Phantasmen der anderen Sinne. XIV. Nutzanwendung. 75. N achdem wir die Entstehung der Phantasiebilder als Lebensaͤußerungen des Sinnes wissenschaftlich begruͤndet ha- ben, liegt es uns nun ob, in der Lebensgeschichte dieser Er- scheinungen ihren Umfang zu ermitteln, alle die mannig- faltigen Zustaͤnde kennen zu lernen, in denen ein und das- selbe Phaenomene von seiner einfachsten bis zu der hoͤch- sten Stufe der willkuͤhrlichen Sollicitation sich wahr macht. I. Das plastische Einbilden im dunkeln oder lichten Sehfeld ohne selbststaͤndiges Leuchten des Phantasma . 76. Die Phantasie, sei sie in der Sinnsubstanz selbst oder außer ihr thaͤtig, ist nicht ohne Wirkung auf den Sinn. Die Phan- tasie, Sichtbares nur vorstellend, stellt in dem lichten oder dun- keln Sehfeld der Sehsinnsubstanz das Sichtbare vor. Das Dunkle vor den Augen, wie der lichte Tag vor den Augen ist immer nur das subjective Sehfeld der Sehsinnsubstanz, in ihrer Ruhe dort, hier in ihrer Affection. Alles, was in Formen phantasirt oder vorgestellt wird, dessen vorgestellte Begrenzung ist doch immer nur als Begrenzung gedacht im subjectiven dunkeln oder lichten Sehfeld der Sehsinnsub- stanz. 77. Die Phantasie plastisch wirkend ist daher, auch ohne leuchtendes Hervortreten ihrer Bilder, doch schon, in wie fern sie Formen begrenzt, in der alleinigen Formentafel, dem dunkeln oder lichten Sehfeld thaͤtig. Hoͤchst bedeutungsvoll heißt es daher in den Wahlver- wandschaften Cap. 3. in Ottiliens Tagebuche: »Man mag sich denken, wie man will, man denkt sich immer sehend. Es koͤnnte wohl seyn, daß das innere Licht einmal aus uns heraustraͤte, so daß wir keines andern beduͤrften.« II. Das plastische Einbilden im dunkeln oder lichten Sehfeld aus unvollkom- menen Sinneseindruͤcken productiv . 78. Selbst im durchaus dunkeln Raume, d. h. bei absoluter Ruhe der Sehsinnsubstanz sehen wir die vorgestellten For- men mit einer schreckenden Lebendigkeit, ohne daß sie doch durch irgend eine Erhellung von dem uͤbrigen Dunkel sich auszeichnen. Wenn sich das Dunkel schon in sich selbst durch das Einbilden der Phantasie in die Sehsinnsubstanz zu Formen gestaltet, so darf es uns nicht wundern, wenn auch am lichten Tag bei einiger Lebhaftigkeit der Phantasie die unvollkommenste Begrenzung im subjectiven Sehfeld durch Imagination zu vollkommenen Gestalten ausgebildet wird. Es giebt Menschen von lebhafter Phantasie, denen nur we- nige Puncte oder Striche in der Daͤmmerung genuͤgen, daß ihre geschaͤftige plastische Phantasie diese Elemente zu vollkom- menen sichtbaren Gestalten ergaͤnzend verbindet. Kinder sehen in den heterogensten Umrissen leicht Gesichter, Menschen u. a. 79. Mich hat diese Plasticitaͤt der Phantasie im lichten und dunkeln Sehfelde in den Jahren der Kindheit oft geneckt. Ei- nes erinnere ich mich am lebhaftesten. Durch die Fenster des Wohnzimmers im elterlichen Hause sah ich auf ein Haus der Straße von etwas altem Ansehen, an dem der Kalk an manchen Stellen sehr verschwaͤrzt, an andern aber in vielgestaltigen Lappen abgefallen war, um hier eine aͤltere auch wohl aͤlteste Farbenbekleidung durchsehen zu lassen. Wenn ich nun nicht uͤber die Schwelle durfte und gar man- che Stunde des Tages am Fenster mit allerlei beschaͤftigt war, und durch das Fensten sehend immer nur die russige verfallene Wand des Nachbarhauses betrachtete, gelang es mir in den Umrissen des abgefallenen und stehen gebliebenen Kalkes gar manche Gesichter zu erkennen, die durch die oft wiederholte Betrachtung sogar einen ganz sprechenden Aus- druck erhielten. Das Nachbarhaus mit seinen Waͤnden war in vielen Stunden das einzig Specificirte in meinem lichtem Sehfeld, das in seinem Einerlei immer wiederkehrte, kein Wunder, wenn die Formen schaffende Phantasie eine Art von Leben zuletzt in diese eintoͤnige Landschaft brachte. 80. Wenn ich nun die Andern auch aufmerksame machen wollte, wie man doch gezwungen sey, an dem verfallenen Kalk allerlei Gesichter zu sehen, wollte freilich Niemand mir Recht geben, aber ich sah es doch ganz deutlich. Diese we- nigstens der Phantasie verweigerte Anerkennung konnte mich denn anch noch trotzig machen, mein Gesichtersehen wurde mir etwas Geheimnißvolles, wiewohl ich freilich hierbei nur die Einbildung im Sinne hatte. In spaͤteren Jahren wollte das nicht mehr gelingen, und wiewohl ich meine Figuren noch ganz deutlich im Sinne hatte, so konnte ich sie doch nicht mehr in den Umrissen wiederfinden, aus denen sie mir entstanden waren. 81. Im Dunkeln ist dieß wunderbare plastische Eigenleben der Phantasie im Sehfelde am maͤchtigsten, denn die objec- tiven Sinneseindruͤcke mit ihrer Beharrlichkeit, Gesetzmaͤ- ßigkeit vernichten den Widerspruch des spielenden Phanta- sielebens, das aber sogleich hervortritt, seine Formen im dunkeln Formenschemen der Sehsinnsubstanz zu begrenzen und zu verwandeln. Baͤume, Felsen, necken uns mit ihren gigantischen Gesichtern, die sich aus rohen Formen zu schrek- kender oder wenigstens wunderbarer Lebendigkeit ergaͤnzen. Und die Klippen, die sich bücken, und die langen Felsennasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen. Und die Wurzeln, wie die Schlangen, winden sich aus Fels und Sande, strecken wunderliche Bande, uns zu schrecken, uns zu fangen; aus belebten derben Masern strecken sie Polypenfasern nach dem Wandrer. 82. Hieher gehoͤrt auch eine Abstraction der sinnlichen Vor- stellung im Sehfelde, die wohl Jedem gelaͤufig seyn moͤchte. Betrachten wir sehr zusammengesetzte Figuren, die aus einer Menge einzelner regelmaͤßiger Figuren, welche selbst schon fuͤr sich ein Ganzes ausmachen, construirt sind, architecto- nische Rosen, viel verschlungene Verzierungen, so koͤnnen wir bald den einen, bald den andern Theil dieser Figuren als ein Ganzes, einem hoͤheren Ganzen Einverleibtes im Sinne festhal- ten. Wir erblicken in einer und derselben zusammengesetzten re- gelmaͤßigen Figur bald den Stern, bald das Sechseck, bald die Rose durch alle anderen Formen durchstrebend. Alle diese einzelnen Figuren nehmen, zu einem architectonischen Ganzen vereinigt, denselben Raum ein, aber wir halten das einzel- ne Element desselben einbildend lebhaft im Sinne fest, wo- bei uns das Uebrige zum gleichguͤltigen Grunde wird. 83. Indem wir nun bald das Eine bald das Andere im Sehfelde lebhafter einbilden, scheint uns das Object selbst sich zu veraͤndern, es ist, als ob ein Blatt uͤber dem andern weggezogen wuͤrde, oder so wie die Kaleidoscope sich ver- aͤndern. Darauf gruͤndet sich zugleich der wunderbare Reiz, den solche auf einer gewissen Gesetzmaͤßigkeit beruhende vielgliederige architectonische Figuren auf den Sinn aus- uͤben. Sie haben etwas Bewegliches, Veraͤnderliches, Le- bendiges, oder vielmehr der Sinn traͤgt sein eigenes Be- wegtseyn, sein eigenes Leben aus dem Sehfelde auf sie uͤber. III. Das plastische Einbilden aus subjecti- ven inneren Sinneseindruͤcken productiv . 84. Es ist fuͤr den Sinn gleich, ob seine Affection von innen oder außen erregt werde, das Auge sieht in beiden Faͤllen Licht und Farben. Wenn uns daher auf der zweiten Stufe aus aͤußeren Eindruͤcken Phantasmen im Sehfelde sich ergaͤnzen, so wird ein Gleiches statt haben muͤssen, wenn die Eindruͤcke auf die Sehsinnsubstanz innerliche, so- genannte subjective Gesichtserscheinungen sind. Bei geschlos- senen Augen ist das Sehfeld nie rein von solchen Reflexen innerer organischer Reizungen anderer Organe in die Seh- sinnsubstauz, die hier als Lichtflecken, Nebel, Blitze, Strah- len, Sterne, Farben erscheinen. Auch diese Erscheinungen metamorphosirt die im Sehfelde plastisch wirkende Phanta- sie, und zwar um so mehr, als diese rein subjectiven Ge- sichtserscheinungen viel veraͤnderlicher, fluͤchtiger sind als die gesetzmaͤßigen aus aͤußerer Anregung entstandenen. Diese Metamorphose ist daher am lebhaftesten bei geschlos- senen Augen vor dem Einschlafen. VI. Das Einbilden im dunkeln Sehfeld mit Leuchten der Phantasmen . Das Hellsehen des Halbwachens . 85. Wie diese Stufe von der vorhergehenden in Hinsicht des Genetischen durchaus verschieden sey, habe ich fruͤher gezeigt. Es ist hier nicht eine subjective Gesichtserscheinung als Lichtflecken, Nebel, welche zu besonderen Formen ergaͤnzt wird. Das Phantasma in bestimmter Form entsteht ur- ploͤtzlich leuchtend im dunkeln Sehfeld ohne Absicht, ohne Willen, ohne scheinbare aͤußere Anregung. Das Gene- tische ist dieses. In der ersten Stufe schon wirkt die Phan- tasie im dunkeln und lichten Sehfeld Phantasmen durch gedachte, vorgestellte Begrenzung; Diese Phantasmen sind aber noch nicht selbstleuchtend, sie unterscheiden sich durch nichts von der dunkeln Tafel des Sehfeldes als durch die vorgestellte Grenze des Umrisses im Dunkeln. Auf der ge- genwaͤrtigen Stufe geschieht ganz dasselbe, nur erregt die im Dunkel des Sehfeldes begrenzende plastische Phantasie bei groͤßerer Reizung das der Sehsinnsubstanz Immanente, Licht und Farbe; die im dunkeln Sehfeld begrenzten Formen sind leuchtend, farbig. 86. Die Phaenomene selbst sind diejenigen, welche ich aus eigener Selbstbeobachtung fruͤher beschrieben. Uebrigens sind die Phantasiebilder auf dieser Stufe nach meiner Erfahrung, die mit der Selbstbeobachtung Anderer uͤbereinstimmt, ganz unabhaͤngig von dem, womit man sich im Tage durch beschaͤf tigt hat. V. Das Einbilden im Sehfelde mit Leuch- ten der Phantasmen im Traume . Das Hellsehen des Traumes. 87. Die Traumbilder sind nichts Anderes als die leuchten- den Phantasmen, welche vor dem Einschlafen bei geschlos- senen Augen in der Sehsinnsubstanz erscheinen. In der Regel bestehen sie mit Anerkennung ihrer Objectivitaͤt, oft auch mit dem Bewußtseyn, daß nur Traumbilder gesehen werden. Im letztern Falle sind die Traumbilder gar nicht von den Phantasiebildern vor dem Einschlafen verschieden. In 4 den Selbstbeobachtungen uͤber die Phantasiebilder vor dem Einschlafen habe ich mich haͤufig uͤber dem Anfange des wirkli- chen Traumes uͤberrascht. Der wirkliche Traum, mit Einschlaͤ- fern der Reflexion und Anerkennung der Objectivitaͤt der Phan- siebilder, tritt am leichtesten und unmittelbarsten dann ein, wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die inne- re subjective Erhellung des Sehfeldes getreten ist. Du hast lange Zeit die einzelnen hellen Phantasiebilder im dun- keln Sehfeld beobachtet, nach und nach wird aber das gan- ze Sehfeld wie von einem Tageslichte innerlich erhellt, deine Phantasiebilder scheinen am Tageslichte selbst zu wan- deln. In die Anschauung dieses innern Tageslichtes und dessen, was darin vorgeht, versenkt, und befangen hast du allen Grund deiner wirklichen Lage zu vergessen, die dir ja keine Sinneseindruͤcke ihrer Wirklichkeit aufdringt. Ruhig in deinem Bette liegend, weißt du von diesem nichts mehr, sondern nur von dem innern Tageslichte, du bist hundert Meilen weit entruͤckt, jenachdem das innere Tageslicht an- dere Phantasiebilder, andere Gegenden bescheint. Wohin du dich traͤumest, dein Bett ist die unbewußte Trauminsel, von der du blickest ins Tageslicht entlegener Raͤume. Da nun die Phantasiebilder wirklich leuchtend sind, so traͤumen wir auch fast gar nicht, daß wir im Dunkeln sind. 88. Daher ist das Auge, bei dem Erwachen geoͤffnet, manch- mal noch voll von phantastischen Bildern, die sofort durch die Macht der aͤußern Eindruͤcke nach und nach in Lichtflecken erloͤschen. Diese Phantasiebilder des Traumes koͤnnen sich auch mit objectiven Sinneseindruͤcken verbinden. Die aͤußeren Eindruͤcke verwebt der Traͤumende in seine Traumerscheinung. In der Mittagszeit schlafend traͤumte mir, als wenn meine Traumobjecte ploͤtzlich von einem wun- derbaren Lichte erhellt wuͤrden. Dieß war auch der Grund, daß ich erwachte. Nun sah ich, daß mich, fruͤher im Schat- ten gelegen, waͤhrend des Schlafes eben das helle Sonnen- licht erreicht hatte. 89. Gruithuisen hat das Verdienst die wirkliche Sin- neserscheinung der Traumbilder zuerst bewiesen zu haben. Nur ist es nicht richtig, wenn er annimmt, daß diese Sin- neserscheinung in dem Auge selbst statt findet; auch ist es un- richtig, wenn er annimmt, daß man in der Geschichte keine einziges Moment finde, woraus man schliessen koͤnnte, es habe einer gewußt, die Sinnesorgane seien im Traume eben- so sehr in Affection, als wenn sie die getraͤumten Gegen- staͤnde in Wirklichkeit percipirten. 90. Demokritos muß schon so etwas vorgeschwebt haben in seiner Lehre von den Idolen, wenn er annimmt, es be- stehe der Traum aus der Beobachtung vorbeifliessender Ab- bildungen. Denn aus der Auffassung der von den Dingen ausstroͤmenden Bilder Εἴδωλα besteht ihm das objective Sehen. Welcherlei nun seine Auslegung der Sinnesthaͤtigkeit des Gesichtssinnes sei, dessen Thaͤtigkeit im Traume ist ihm die- selbe wie ihm Wachen. 91. Das laͤßt sich auch von der Lehre des Herakleitos sa- gen. Die Sinnesthaͤtigkeit entsteht ihm durch das Antheilhaben an dem περιέχον des Himmelsaͤthers. Der Unterschied des Schlafens und Wachens ist, daß im Wachen die goͤtt- liche ἀναϑυμίαοις aus dem πεϱιέχον nicht nur durch das Athmen allein sondern auch durch das Ge- sicht und den Geruch eingezogen wird, dagegen im Schlafe die Communication mit dem πεϱιέχον nur mehr auf die bloß allgemeinste Form des Athemhohlens beschraͤnkt ist. Dieses ist nun das freilich sehr verunreinigte und getruͤbte Licht, das der Mensch sich selbst des Nachts anzuͤndet und in welchem er traͤumend die Din- ge sieht; denn nur des Todten Licht ist ganz ausgeloͤscht . Auch hier liegt also wenigstens die Ueberzeu- gung zu Grunde, daß auch im Traume die Sinnesorgane selbst thaͤtig sind. 92. Platon laͤßt offenbar im Traume die Sinnesor- gane thaͤtig seyn. Ein Organ des Feuers, das nicht brennt, sondern ein mildes Licht giebt, hatten die Goͤtter bei der Bildung der Augen zur Absicht. Wenn das Tageslicht um den Ausfluß des Gesichtes ist, und Gleiches zu Gleichem ausstroͤmend sich vereint, so entwirft sich in der Richtung der Augen ein Koͤrper, wo immer das aus dem Auge stroͤmende Licht mit dem aͤußern zusammentrifft. Wenn aber das verwandte Feuer des Tages in die Nacht vergeht, so ist auch das innere Licht verhalten. — Wenn die Augen geschlossen sind, ist auch das innere Feuer zuruͤckgehalten, und so be- saͤnftigen und ebnen sich auch alle inneren Be- wegungen. — Sind aber noch einige hervor- stechende Bewegungen zuruͤckgeblieben, so wer- den, welcherlei Bewegungen und an welchen Puncten sie zuruͤckgelassen werden, eben solche und so vielerlei Bilder der Phantha- sie erscheinen . 93. Daß dem Aristoteles die Sinnesorgane im Trau- me thaͤtig waren, beweist die beigefuͤgte Urkunde uͤber den Traum. Auch Cardanus , indem er von seinen Phan- tasiebildern spricht, ahndet ihre Entstehung und beruft sich auf das richtige Verstaͤndniß Averrhoes . Cum spi- ritus imaginationi serviens formas imaginando conceperit soni aut qualitatis cuiusdam, quae odore aut tactu dignos- catur, aut mortui vel daemonis, illaque transferatur ad sensum, qui actioni ei correspondet, in odoribus quidem ad instrumentum olfactus proprium, in auditu ad aures, in spectris ad oculos, necessario olfaciet, aut audiet, aut videbit, nullo assistente obiecto. Averrhoë in Collectaneis. VI. Das Einbilden leuchtender Phantas- men in das Sehfeld im magnetischen Schlafwachen . Das magnetische Hellsehen . 94. Wer uns in der bisherigen Auseinandersetzung und Entwicklung eines und desselben Phaenomenes in verschie- denen Zustaͤnden gefolgt ist, dem wird es nicht einfallen zu glauben, daß in dem magnetischen Zustande, den man das Hellsehen nennt, mit den Fingerspitzen oder mit der Herzgrube gesehen werde. Es ist in der That nichts laͤcherlicher als diese gelaͤufigen Behauptungen, wofuͤr man auch nicht eine zuverlaͤssige Thatsache angefuͤhrt hat, wofuͤr nicht ein- mal der Beweis aufrichtig gesucht worden ist, die nur durch eine immer fortgesetzte und immer kraͤftigere Wiederhohlung gleichsam ex usucaptione gangbar geworden. sind. Setzt es nicht die groͤßte Unbekanntschaft mit den op- tischen Gesetzen des Sehens voraus, wenn man behauptet, ein aͤußeres Leuchtendes koͤnne durch eine thierische Flaͤche gesehen werden, ohne ein Organ, durch welches das von dem Gegen- stand ausgehende, verschiedene Lichte, das sonst die empfindende Flaͤche in allen Theilen zugleich beleuchtet, auch auf dieser em- pfindenden Flaͤche wie im leuchtenden Objecte gesondert wer- de. Die Herzgrube kann sehend doch nur das von dem Gegen- stand ausgehende Licht sehen. Dieses Licht beleuchtet die Herz- grube allgemein. Alle Theile des Objectes beleuchten mit ver- schiedenem Licht denselben Theil der Flaͤche, und dennoch soll diese Flaͤche das specificirte Licht, wie im Gegenstand ge- sondert empfinden! 95. Ohne hier entscheiden zu wollen, wie weit die Wahrheit des sogenannten thierischen Magnetismus gehe, sehen wir auf unserm Standpuncte ein, daß in einem dem natuͤrlichen Somnambulismus aͤhnlichen Zustande, der un- serm gewoͤhnlichen hoͤchst seligen Schlafwachen fast ganz aͤhnlich, ja wahrscheinlich mit ihm identisch ist, leuchtende Phantasiebilder entstehen. 96. Wenn es also kuͤnstliche Mittel giebt, in den Zustand zu versetzen, in den wir jeden Abend vor dem Einschlafen verfallen, so werden auch die inneren phantastischen Erre- gungen der Sehsinnsubstanz statt finden muͤssen wie dort. Der magnetisch hellsehende gleicht durchaus dem Schlaf- wachenden oder Halbwachenden, er traͤumt zum Theil schon wie dieser einzelne Traͤume seiner einzelnen Geistesvermoͤ- gen, du kannst dich mit ihm unterhalten uͤber seine Phan- tasieen, wie du dich mit mir noch unterhalten koͤnntest, wenn meine Phantasiebilder bei geschlossenen Augen lange vor dem Einschlafen da sind. 97. Der Zustand des taͤglichen Schlafwachens hat daher auch nicht weniger Wunderbares, Seliges, Mystisches, als was man von dem magnetischen Schlafwachen erzaͤhlt. Man erinnere sich in der folgenden sehr treffenden Darstel- lung des taͤglichen Schlafwachens seiner eigenen dunkeln Erfahrungen. »In dieser Zwischenzeit zwischen Schlaf und Wachen be- merken wir gemeiniglich jene bizarren, bald laͤcherlichen und unanstaͤndigen, bald auch fuͤrchterlichen Bilder, welche unsere Seele durchkreuzen, und deren Ursprung noch ein Raͤthsel in der Psychologie zu seyn scheint. Bisweilen er- innern wir uns alsdann auf einmal, ohne eine Ideenasso- ciation in uns wahrzunehmen, aus der man sich das Erinnern erklaͤren koͤnnte, Dinge, die wir laͤngst vergessen hatten; es fallen uns Scenen aus unserer Jugend ein, die wir mit einer erstaunlichen Puͤnctlichkeit gleichsam vor unsern Augen voruͤbergehen sehen; oder wir erblicken einen hell leuchtenden, Gegenstand, eine abscheuliche, menschliche Ge- stalt, eine Leiche, einen Abgrund, ein reizendes Frauen- zimmer, einen laͤcherlichen Contrast zwischen zwei Gegen- staͤnden; oder wir hoͤren einen deutlichen Glockenschall, ein Wort wird uns ins Ohr gerufen u. s. w. Besonders merkwuͤrdig sind in diesem Mittelzustande der menschlichen Seele manche Empfindungen unseres Herzens und Gewis- sens. Mit einer innern lebhaften Wehmuth erinnern wir uns dann oft eines Fehlers unserer Jugend, welcher, waͤh- rend daß wir wachten, keine solche unangenehme Empfin- dung in uns zu erregen pflegte; wir erroͤthen in der stil- len Einsamkeit der Nacht bei gewissen Gedanken vor uns selber, wenn wir gleich den ganzen Tag von diesem Ge- uͤhl verschont wurden. Ein andermal uͤberrascht uns eine huͤpfende Freude, ohne das wir wissen, woruͤber wir uns freuen, eine Bangigkeit ohne daß wir wissen, woruͤber wir bange sind. Wieder ein andermal verlieren wir uns mit unsern finstern Gedanken in einem endlosen Himmelsraum, in unend- lichen Zahlen und Kreisen.« ꝛc. Moritz und Pockels Ma- gazin zur Erfahrungsseelenkunde. 5. B. S. 92. 98. Das ist der taͤglich eintretende natuͤrliche Zustand, in welchem einzelne Organe in ihrem Eigenleben schon traͤumen, waͤhrend andere noch wachen, in welchem wir der Reflexion uͤber diesen Zustand faͤhig sind, in wel- chem du dich uͤber deine eigenen Traͤume und Gesichte noch mit einem Andern unterhalten kannst. Was bleibt von den Wundern und der Beseligung des magnetischen Hellsehens uͤbrig, wenn wir die endlosen Betruͤgereien der Magnetischen, die endlosen Mystificationen der Magnetiseurs abrechnen, die dadurch entstehen, daß beide nichts wissend von dem, was sie wollen, nach einem Wunderbaren schwaͤr- mend, ihre gegenseitigen Traͤume, dort halb wach, hier wa- chend einander traͤumend auslegen. 99. Alles Hellsehen im Magnetismus reducirt sich auf das freiwillige Hellwerden des dunkeln Sehfeldes und auf die Phantasiebilder im Schlafwachen, die selbst bei vollkom- menem Wachen bei geschlossenen Augen eintreten koͤnnen. Der Gegenstand des Phantasiebildes kann hier Alles seyn, womit sich die Phantasie reproductiv und productiv be- schaͤfftigt. Es ist entweder ein reproducirtes Wirkliches oder producirtes Unwirkliches. Die Beschreibungen der Hellsehen- denen, wie sie ihren eignen Koͤrper sehen, ihre Organe, sind beides reproducirte, und producirte Phantasmen, hoͤchst laͤcherlich und nur der Auslegung des Unwissenden und Glaͤubigen verstaͤndlich. 100. Jeder Halbwache, der bei geschlossenen Augen in se- ligem Gefuͤhl des in ein Eigenleben der einzeln Organe zerfallenen Gesammtlebens Phantasiebilder hat, und der noch nicht so tief schlaͤft, daß du dich noch abgebrochen mit ihm unterhalten kannst, ist einer magnetischen Som- nambule gleich oder aͤhnlich zu achten. Auf unserm physio- logischen Standpuncte geben wir also bloß zu, daß es Mittel gebe, nervoͤse Personen, die entweder ohnehin schon zum natuͤrlichen Samnambulismus oder Halbwachen, zum Somnambulismus spontaneus, oder zu verwandten nervoͤ- sen Zustaͤnden geneigt sind, die in einem hysterischen oder hypochondrischen Anfall ohnehin schon leuchtende Phanta- siebilder sehen, auch kuͤnstlich in das, wozu sie geneigt sind, in ein natuͤrliches Halbwachen mit unvollkommenen Traͤumen zu versetzen sind. Das Hoͤchste, was wir zuzuge- ben berechtigt sind, ist, daß in einem solchen Zustande im Sehfelde gesehen werde, worauf die Intention gerich- tet ist. 101. Der Schreiber dieses hat nie magnetisirt, er hat den Discussionen daruͤber ruhig zugehoͤrt. Eine aͤußere kuͤnst- liche Noͤthigung zu Phaenomenen, die wir ohne hin schon kennen und die alle Tage bei Andern schwaͤcher, bei Andern staͤrker, bei ihm selbst stark genug eintreten, schien ihm unbe- zweifelbar. Diese aͤußere kuͤnstliche Noͤthigung zu einem bekannten einfachen durch Luͤgen und aͤrztlichen Aberglauben entstellten Phaenomen ist der sogenannte thierische Magne- tismus; um die Art dieser Noͤthigung hat der Schreiber sich hier nicht zubekuͤmmern. Die Divination und alles andere Wunderbare im magnetischen Hellsehen scheint ihm aber nicht mehr Glauben zu verdienen als die Divination aus dem Traume. 102. Im Traume sind wir dem Einzelleben der Phantasie- hingegeben. Die Phantasie entwickelt, verwandelt ihre Gestalten und bringt sie nach ihren Gesetzen lebend in Verhaͤltnisse und Situationen, die oft den natuͤrlichen Verhaͤltnißen ihrer Objecte entgegen, widersprechend sind, sie bringt wohlbekannte Objecte in Verhaͤltnisse, die im wachen- den Zustand undenkbar, d. h. nicht im bisherigen Begriff des Objectes liegen, und woran wir vielleicht nie zu denken wagen. Unter vielerlei Zufaͤlligem koͤmmt auch ein Zufaͤlliges vor, das einem kuͤnftigen Wirklichen entspricht. ἐὰν πολλἀ βάλης, ἄλλοτ̕ ἀλλοῖον βαλεῖς. Wirfst du Vieles, so wirfst du Anderes anders. Menschen, die wir, nachdem, wie wir sie kennen, fuͤr manches ganz unfaͤhig halten muͤssen, sehen wir durch eine nach ihren Gesetzen und oft nicht nach der Gesetzmaͤßigkeit der Objecte wirkende Combination der Phan- tasie im Traum auch dieses fruͤher Undenkbare thun. Und nach dem Traum kann die Moͤglichkeit dieser Handlung von dem Menschen, dem wir sie fruͤher nie zugetraut, uns ganz wahrscheinlich vorkommen. 103. Denn die Phantasie den Menschen als Traumobject in ganz unerhoͤrte Situationen setzend, laͤßt ihn darin handeln und sich helfen auf eine Art, wie nur er nach dem Begriff sei- ner ganzen Organisation darin sich helfen kann. Wenn wir uns in einem Menschen geirrt haben, so sagen wir: es muͤße ihm fruͤher die Gelegenheit, so zu erscheinen, wie er nun wirklich erscheint, gefehlt haben. Diese Gelegenheit geben wir dem Menschen im Traum durch das Unerhoͤrte, Unge- woͤhnliche in den Combinationen des Traums, die sich im Leben selbst erst spaͤt darbieten kann. Wir versuchen die Menschen im Traum und lernen sie kennen, wie sie sind. 104. Es ist daher nichts Wunderbares, wenn wir im Traume Winke zur Beurtheilung von Menschen erhalten, wenn wir durch einen Traum Jemand von einer wichtigen Seite kennen gelernt zu haben scheinen. Dem Schreiber dieses ist dieß oft wiederfahren, wenn ihm gleich in seinem Leben noch nichts eigentlich Wunderbares begegnet ist, d. h. et- was, von dem man sagen koͤnnte, es sei wunderbarer als die ganze Natur oder wunderbarer als die willkuͤhrliche Bewegung der Glieder, als das Vermoͤgen, den Arm, wie man will, zu strecken und zu beugen. 105. So sehen wir auch denn im Mittelalter auf den Grund eines mißverstandenen einfachen Phaenomens, der Vision in der magischen Ekstase die Menschen nach dem groͤßern Wunderbaren ringen, Jahrhunderte durch ihre vergebene Arbeit nicht aufgeben und sich und die Natur immer tiefer mißverstehen. Ein Gleiches hat sich in der neuern Zeit ganz auf dieselbe Art mit dem Magnetismus wiederhohlen wollen. Die mißverstandene Vision in der Ek- stase war der Grund unzaͤhliger Verirrungen. Die Thatsa- che der magnetischen Einwirkung wird, wie im Mittelalter die Vision in der magischen Ekstase, durch die geistigen Suͤn- den nach dem Wunderbaren ringender Enthusiasten zu einem unendlichen Irrsall der Luͤge, der Traͤumerei, worin uͤberall das gemeinsame Streben der Unwissenheit, Schwaͤrmerei und der Geistesverschwendung ein Absurdes, die Natur in ihren Achsen und Angeln Aufhebendes, der Nothwendigkeit der Wissenschaft Spottendes geltend zu machen. VII. Das Einbilden leuchtender Phantas- men im dunkeln oder hellen Sehfelde in der Ekstase und in leidenschaftlichen Zustaͤnden uͤberhaupt mit Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbsterscheinung . Das ekstatische Hellsehen . 106. Die Phantasmen der Griechen waren die einer jugend- lichen kraͤftigen gesunden Phantasie, Traͤume und kuͤnstle- rische Phantasiebilder. Schon hier wurde diesen Selbster- scheinungen haͤufig Objectivitaͤt beigelegt, besonders, wenn das Phantasma religioͤser Art war. Doch sind Spuren ekstatischer Phantasmen selten. Bei den Indiern und in der ganzen christlichen Welt sind die ekstatischen und leidenschaftlichen Phantasmen desto haͤufiger. Die Phantasie sieht in der Ekstase ihre Objecte leuchtend. Diese Stufe bildet eine neue Grenze. Wir fin- den das ekstatische und leidenschaftliche Hellsehen in der Geschichte von vierfachem Inhalt. 107. 1) als religioͤse Visionen, Erscheinungen von Heiligen, Goͤttern. Diese Phantasmen waren unzaͤhlig in den Kloͤ- stern, bei einer schwaͤrmenden religioͤsen Betrachtung, wo- bei alles Phantasieleben, sonst in dichtend kuͤnstlerischem Wirken, verkannte Dienerinn wird. Alle Uebungen des ascetischen Lebens, welche das Streben und Thaͤtigseyn nach Aussen beschraͤnken, besonders das Fasten waren Reizmittel dieser Selbstvisionen, wie denn das Fasten auch die Phantasiebilder vor dem Einschlafen in hohem Grunde beguͤnstigt. In der phantasiereichen Zeit des Mit- telalters muß die religioͤse Vision unendlich haͤufig gewe- sen seyn. Und selbst die lebenskraͤftigsten, sinnlich gesundesten Menschen, die wir noch als kolossale Formen bewundern, waren diesen Selbsterscheinungen in ihren Sinnesorganen oft ausgesetzt. Benvenuto Cellini , in den Kerkern der Engelsburg schmachtend, geraͤth unter religioͤsen Andachts- uͤbungen in Verzuͤckung und hat religioͤse Visionen. Ihn troͤsten heilige Gestalten, wie auch im Traume uns das eigene Phantasiebild hilft und raͤth und zu rathen auf- giebt. 108. Diese Erscheinungen waren so haͤufig, daß die Merk- male objectiver goͤttlicher Erscheinungen von den truͤgeri- schen und gar daͤmonischen von den Theologen angegeben werden mußten, die man denn darin setzte, daß die bei den daͤmonischen Erscheinungen stattfindenden Bewegungen denen gleichen sollen, welche im Wahnsinn, in der Raserei, in der Epilepsie als Convulsionen, Verzerrungen statt fin- den. Die naͤheren Bestimmungen hat der Cardinal Lam- bertini , nachmaliger Pabst Benedict XIV. im 49. Cap. des 3. B. de servorum Dei beatificatione angegeben. 109. Aehnlicher Art waren die religioͤsen Phantasmen unter den neuplatonischen Heiden. Das letzte Ziel alles philo- sophischen Strebens war ihnen das unmittelbare Anschauen der Gottheit, die sich dem innern Seelenauge als durchaus rei- nes Licht offenbaret. Reinigung der Seele von allem Irr- dischem war die Bedingung zur Anschauung dieses uͤberschweng- lichen Lichtes. Plotinos hatte solche ekstatische Visionen, und Jamblichos heißt wegen seiner haͤufigen Ekstasen der Wun- derthaͤtige und Goͤttliche. Eben dieser Jamblichos hat in seinem Werke de Mysteriis die goͤttlichen von den daͤmonischen Visionen zu unterscheiden sich viele Muͤhe gegeben. Sein Lehrer Porphyrios aber, der nach eigenem Bericht auch einmal in der unmittelbaren Anschauung Gottes gewesen ist, weiß nicht, wie er es mit den Visionen hat, und fraͤgt in den verfaͤnglichen Fragen an den aͤgyptischen Prister Anebo : ob nicht die daͤmonischen Erscheinungen etwa nur Affectio- nen der Seele seien: ὡς ἡ ψυχὴ ταῦτα λεγεί τε καὶ φαντάζεται, καὶ ἐστὶ ταύτης πάϑη ἐκ μικϱῶν αἰϑυγμάτων ἑγειρόμενα, ώς νομίζουσι τινες, ob nicht das ganze We- sen der Theurgie nur eine religioͤse Phantasie sey, die aus nichts das Groͤßte sich einbildet ἀποϱῶ δὲ, εἰ πϱὸς δόξας ἀνϑρωπίνας ἐν τῇ ϑείᾳ μαντικῇ καὶ ϑεουργίᾳ βλέπειν δεῖ, καὶ εἰ μὴ ἡ ψυχὴ ἐκ τ ῦ τυχόντος ἀναπλάττει μεγάλα. 110. Bei den Indiern muͤssen die religioͤsen Visionen noch haͤufiger gewesen seyn. Es ist bekannt, daß die Indier im Besitz mancher aͤußerer Mittel und Gebraͤuche waren und noch sind, sie Mittel zu erwecken und zu befoͤrdern. 111. Die Physiologie betrachtet alle Erscheinungen in der Form der Vision, die nur dem Visionaͤr allein sichtbar sind, als subjective Aeußerungen des innern Sinnes. Denn die objective Vision, oder die Vision, welche einen objectiven Grund hat, faͤllt mit dem gewoͤhnlichen Sehen zusammen, und eine Erscheinung dieser Art muß jedem, nicht bloß dem Visionaͤr sichtbar seyn. Wenn daher eine objective Vision etwas Wunderbares hat, so liegt das nicht in der Vision selbst, sondern in dem, was die Vision erregen kann, dadurch daß es das Sehorgan afficirt. Dieses in dem Object liegende Wunderbare geht die Physiologie gar nichts an. Aber die subjective Vision, die nur dem Visionaͤr Objectivitaͤt hat, unsichtbar jedem Andern, gehoͤrt nur vor die Tribune der Physiologie. Sie darf behaupten, daß, wenn ein hoͤheres und niederes Wesen uns in dieser Art subjectiv erscheinen soll, es zuerst von uns ge- dacht, vorgestellt und dem Sinne eingebildet werden muß. Die Erscheinung hoͤherer oder niederer Art kann sich hier nicht durch aͤußeres unmittelbares Einwirken, sondern durch die innere Offenbarung unserer Organe kund geben. Und so offenbart sich das Goͤttliche Andern auf andere Weise, in der ganzen Schoͤpfung gnadenreich, es offenbart sich dem mit reicher, erhabener Phantasie Begabten durch die Phan- tasie, dem Frommen durch das Gemuͤth, dem Weisen durch die Weisheit, dem Starken durch die Groͤße seiner Werke, wie denn auch das Goͤttliche in allen diesen Weisen von Andern anders verehrt wird. 112. 2) Die zweite Form, in welcher die ekstatische Vision erscheint, physiologisch mit der ersten identisch, nur durch das Object verschieden, ist das Geisterse- hen in der magischen und mantischen Ekstase. Da nun die heidnische hellsehende Theurgie der Neuplatoniker und A. mit dem religioͤsen Hellsehen der Christen zusammenfaͤllt, im christlichen Zeitalter aber als ein von dem religioͤsen Hellsehen verschiedenes mantisches und magisches Geistersehen, als eine gleichsam ketzerische und abgoͤtterische Vision neben der wahren religioͤsen Vision sich erhalten hat, so sind beide nur in dem Wahn der Menschen verschieden. 113. Alles Zauberwesen reducirt sich auf eine mystificiren- de Verherrlichung der Imagination mit Unterdruͤckung al- ler anderen Geistesvermoͤgen. Alles zielt auf die magische Ekstase hin, worin naͤmlich wie in jeder Ekstase das aͤu- ßere Sinnesleben aufhoͤrt, das innere plastisch beginnt. Es woͤlkt sich uͤber mir, — der Mond verbirgt sein Licht — die Lampe schwindet! Es dampft: es zucken rothe Strahlen mir um das Haupt. Es weht ein Schauer vom Gewoͤlb herab und faßt mich an! Ich fuͤhle, du schwebst um mich, erflehter Geist, enthuͤlle dich! Mit diesen subjectiven Gesichtserscheinungen allgemei- ner Art, wie sie unter vielen andern Umstaͤnden eintreten, schließt das aͤußere Sinnesleben, worauf der Sinn der Phantasie unterthan wird. 114. Es ist hoͤchst merkwuͤrdig und bedeutsam, daß die ma- gischen Gesichtserscheinungen eben nur gewoͤhnlich entwe- der auch unter anderen Bedingungen auftretende subjective Gesichtserscheinungen, wie wallende Nebel, Strahlenfiguren Flammen u. s. w. oder doch allgemeine auch sonst auftreten- de Phantasiebilder waren. In des Petri de Abano Elementa magica sind die nach der Citation eintretenden subjectiven Gesichtserscheinungen folgendermaßen beschrieben: Quibus rite peractis apparebunt infinitae visiones et phantasmata, pulsantia organa et omnis generis instru- menta musica. Post haec videbis infinitos sagittarios cum infinita multitudine bestiarum horribilium. Hepta- meron, seu Elementa magica Petri de Abano philosophi. Das sind ja die gewoͤhnlichen Phantasiebilder der Daͤmme- rung und des Halbwachens. Oft mag es nur zu diesen allgemeinen Gesichtserscheinungen, die man als unreine Geister mit dem Pentaculum abzutreiben hatte, gekommen seyn. 115. Mag nun das, was der Magiker will und sucht, der besondere Geist, den schon lange immitten seiner Opera- tionen die Phantasie im dunkeln Sehfeld begrenzt hat, wirklich auch als leuchtend erscheinen, oder mag es, was gewiß die Regel ist, bei den Phantasmen des Halbwachens blei- ben, die Vision als magische ist das letzte, und hier hoͤrt auch alle Magie auf. Weiter als bis zur leuchtenden Er- scheinung dessen, was die Einbildungskraft schon laͤngst im Dunkeln gesucht und begrenzt hat, hat es die Magie wahrscheinlich nie gebracht. Um die Wahrheit der Magie zu erweisen, kam alles darauf, wirklich Geister erscheinen zu machen. Ohne die Vision war der Glaube nicht zu erhal- ten. Wenn man es nun natuͤrlich nie weiter als bis zur Vision und einen an diese sich anschließenden Traum bringen konnte, so lag der Fehler, wie man meinte, an der unvollkommenen Vorbereitung, an der Unreinheit, an den Ce- remonien, am Unterlaß des Fastens u. a. Aber die Wahrheit der Magie und die Moͤglichkeit eines kuͤnftigen gluͤcklichern Versuchs schien durch die Vision erwiesen. Oft kam es auch nur auf diese Vision an, wie in der bloßen Citation und in dem Sehen der Verstorbenen, second sight bei den Nordischen Voͤlkern, auf den Hebriden, in Lappland. 116. In Hinsicht der geistigen Vorbereitung unterscheidet sich die religioͤse Vision von der magischen, daß bei der erstern in der hoͤchsten Ekstase des religioͤsen Schwaͤrmens und Hingebens die Vision unwillkuͤhrlich eintritt, in der letztern aber der Geist oder Daͤmon niederer Art erzwun- gen wird durch einen absurden die eigene Selbsterleuchtung als Vision bedingenden Willen, der in Drohung und Fluch ausbrechen kann und dabei also wesentlich bannend ist 5 d. h. sich selbst zur inneren Sinnesanschauung des Gewoll- ten noͤthigend. Ich fuͤhle ganz mein Herz dir hingegeben, du mußt, du mußt, und kostet es mein Leben. 117. Die Reizmittel zur magischen Exstase und Vision sind zum Theil die der phantastischen Gesichtserscheinungen uͤber- haupt, naͤmlich Fasten, zum Theil in Bezug auf die My- stification der phantasie Religionsuͤbungen aller Art, Cere- monien. Der Nordische Geisterseher versetzt sich in den second sight durch abentheuerliche Ceremonien und laͤr- mende Musik. Im Allgemeinen gehoͤrt hieher Alles, was maͤchtig auf die Sinne und auf die Phantasie zugleich wirkt. Ein junger Maler H., der zu den phantastischen Ge- sichserscheinungen sehr geneigt ist, der sie aber recht zu deu- ten weiß, hat diese nicht leichter und lebhafter, als wenn er eine phantasiereiche Musik hoͤrt. 118. 3) Das Teufelsehen, der Umgang mit dem sichtbaren Teufel . Nur durch das Object des religioͤsen Aberglaubens von den vorhergehenden Formen verschieden. Ein Weib niedern Standes, in finstern sinnlich religioͤsen Vorstellungen erwachsen, zu einer Zeit lebend, wo der imaginaͤre Umgang mit dem Versucher, dem Teufel mit dem Tode bestraft wird, hat den festen Glauben an den teuflischen Ursprung ihrer Versuchungen, sie haͤlt den wirklichen buhlerischen Umgang mit dem Teu- fel fuͤr moͤglich und wirklich, da er ja alle Tage bestraft wurde. Ihren sinnlichen Versuchungen und ihrer Furcht vor dem Versucher, vor dem sinnlichen Teufel kann sie nicht entgehen. In den phantasiereichen Zustaͤnden des Halbwachens und Traums unterliegt sie der sinnlichen Erscheinung dessen was ihre Sinne wuͤnschen und was die religioͤse Vorstellung fuͤrchtet. Das Phantasiebild hat fuͤr sie Objectivitaͤt, sie kann die Anklage des Teufelumganges nicht von sich ab- lehnen. 119. In einem mir bekannt gewordenen hieher gehoͤrigen hoͤchst interessanten Fall spielt der Traum eine Hauptrolle. Die Angeklagte, ein Maͤdchen von 14 Jahren, also des Alters, worin die Krise der Pupertaͤtsentwickelung ohne- hin so reich an phantastischen Vorstellungen ist, durch eine verdaͤchtige Person, wie sich beilaͤufig aus der Procedur er- schließen laͤßt, zum Umgang mit einem verkappten Teufel verfuͤhrt, setzt diesen bald sinnlichen, bald schreckhaften Umgang in ihren sehr lebhaften Traͤumen fort. Die, wel- che fruͤher mit ihr zusammengeschlafen, tritt als Zeuginn auf uͤber die Traͤume der Angeklagten, in welchen je- der wirkliche unvollkommene Sinneseindruck immer zu ei- nem teuflischen Traumbilde ergaͤnzt wurde. Z. B. der Druck des zu fest angelegten Muͤtzenbandes auf den Hals wird ergaͤnzt zu einer Traumhandlung, in welcher der dro- hende Teufel die Angeklagte ersticken will. Und daß das Muͤt- zenband in der That zu fest angelegt ist, davon uͤberzeugt sich die der Auffahrenden helfende Bettgenossinn. Aus sol- chen Traumgeschichten bestehen zum großen Theil die Ver- brechen dieser Ungluͤcklichen. 120. Was sich in den Hexenprocessen durchgaͤngig wiederhohlt sind Entwickelungskrankheiten der Jugend oder des Alters bei Weibern, die uͤber die klimakterischen Jahre hinaus sind, halb irre Zustaͤnde, Nervenkrankheiten, die so oft Gegen- stand einer aberglaͤubigen dem Zeitalter angemessenen Ausle- gung waren, und endlich wirkliche Buhlerei und zwar, wie es scheint, oft mit verkappten Personen oder mit bekannten Personen, in deren Gestalt gerade jetzt einmal der Teufel erscheint. 53. 4) Das populaͤre Geister- und Gespenster- sehen , das Selbstsehen des Doppelgaͤngers u. s. w. Auch hier ist der Zustand, in welchem die phantastische Erscheinung auftritt, entweder der der Leidenschaft, wie der Furcht, oder der wirklichen Ekstase. 122. Allen diesen Erscheinungen ist es gemein, daß das aͤu- ßere Sinnesleben auf irgend eine Art durch aͤußere Ein- wirkung oder innere leidenschaftliche Zustaͤnde beschraͤnkt wird. Das innere Sinnesleben beginnt dann von selbst und es erscheinen die Objecte der Gedanken und Vorstellun- gen als religioͤse, magische, daͤmonische Gesichte, immer aber nach der Begriffsweise des Sehers verschieden anthropo- morphisirt, anders dem Indischen, dem Heidnischen, dem Christlichen Schwaͤrmer, Andern andere Daͤmonen. 123. Eigenthuͤmlich diesen krankhaften oder leidenschaftlichen Zustaͤnden ist es, daß die Objectivitaͤt der Erscheinungen zuverlaͤssig anerkannt wird. Ita enim cum hominibus com- paratum est, ut quidquid puro intellectu concipiunt, solo intellectu et ratione, quidquid contra ex animi af- fectibus opinantur, iisdem etiam defendant. In dem Glauben eines sichtbaren Umganges mit dem Teufel besteigt der Angeklagte den Scheiterhaufen, ein Opfer seiner eige- nen Phantasie. Je nachdem die Vision die Gestalt eines guten oder boͤsen Geistes annahm, wurde der Daͤmonische als heilig verehrt oder als Zauberer verbrannt. 124. Was bei dem Unbefangenen das Eigenleben der Sinn- lichkeit, das Spiel einer dichtenden Phantasie, was allen Menschen im Traume nicht mehr wunderbar erscheint, wird in der Geschichte verflucht und verehrt nach der Natur sei- ner Objecte. Das Gespenst und die Daͤmonen aller Zeiten, die goͤttliche Vision des Asceten, die Geistererscheinung des Magikers, das Traumobject und das Phantasiebild des Fie- bernden und Irren sind eine und dieselbe Erscheinung. Nur der Gegenstand ist verschieden nach der Richtung einer excen- trischen Phantasie, eine goͤttliche Vision dem religioͤsen Schwaͤrmer, dem furchtsamen ein furchtbares Phantasma, dem aberglaͤublisch buhlerischen Weib der Teufelsspuck, dem traͤu- menden Egmont die Erscheinung der Freiheit, dem Kuͤnst- ler ein himmliches Idol, nachdem er laͤngst gerungen. Der Zeitgeist leiht diesem plastischen Einbilden andere Objecte. Im Mittelalter traͤumt man auch am hellen Tage. In der neuern Zeit hat Niemand mehr Visionen; die Wunder der Religion sind zu den Wundern des Magnetismus gewor- den. An die Stelle des Geistersehens ist das magnetische Hellsehen getreten. 125. In allen diesen Erscheinungen sehen wir die Gebilde unserer eigenen Sinne draußen, nicht anders, wie wenn wir das Adergewebe der Netzhaut im subjectiven Versuch draußen zu sehen glauben. So koͤmmt es dahin, daß wir an unsern Selbsterscheinungen uns begeistern, daß wir sie anbeten, daß ein Geistesvermoͤgen vor den Producten des Andern sich entsetzet. VIII. Leuchtende Phantasmen im dunkeln und hellen Sehfelde durch Einwir- kung aͤußerer Mittel . Das narkotische Hellsehen. 126. Es ist bekannt, daß die Wirkungen, welche das oxy- dirte Stickgas auf den menschlichen Organismus ausuͤbt, die der vollkommensten Ekstase sind. Hier stellen sich dann wie uͤberhaupt in der Ekstase die leuchtenden Phantasiebil- der ein. Humphry Davy erzaͤhlt (in den chemisch-physio- logischen Untersuchungen uͤber das oxydirte Stickgas. Lem- go 1814) außer den Erscheinungen, welche die seligste Ver- zuͤckung beurkunden, von sich selbst: »Waͤhrend der Zeit, wo ich das Gas haͤufig athmete, schlief ich weit weniger als sonst, und vor dem Einschlafen war meine Einbildungs- kraft lange mit mancherlei Gesichtsvorstellungen beschaͤftigt« S. 169. »In dem Verhaͤltniß, wie die angenehme Empfin- dung zunahm, hoͤrte alle Verbindung zwischen meinen Vor- stellungen und den aͤußern Dingen auf; Zuͤge von lebhaf- ten Gesichtsbildern giengen schnell vor meinem innern Sinn voruͤber und hiengen dergestalt mit Worten zusam- men, daß dadurch in mir ganz neue Vorstellungen erregt wurden. S. 193.« 127. Unzer sah in den Versuchen mit dem oxydirten Stick gas vor den Augen allerlei Lichtgestalten, feurige Puncte, Froͤsche und andere Phantasmen. Ebend. 333. Bei einem Andern waren unter zunehmender Schwaͤche der aͤußern Sinneswahrnehmung die Phantasmen dunkel. Ebenso haͤufig sind in den durch das oxydirte Stickgas bewirkten wolluͤstigen Ekstasen die Phantasien des Gehoͤrsinnes. In Vauquelins Versuch was das Sausen vor den Ohren so stark wie von einer Trommel. S. 313. 128. Die Asphyxie, welche durch andere Gasarten, wie durch den Einfluß einer durch brennende Kohlen und gaͤh- rende Weine veraͤnderten Luft bewirkt, gleicht auch einem Rauschzustande. Ob auch hier der innere Sinn phantas- menreich sich selbst erscheint, ist nicht bekannt. Beispiele von phantastischen Visionen, die durch das Einathmen der in der Tiefe der Brunnen angehaͤuften betaͤubenden Gas- arten und der Ausduͤnstung in Bergwerken erregt wurden, hat Richerz in L. A. Muratori uͤber die Einbildungs- kraft II. Th. Leipz. 1785. S. 123. aufgefuͤhrt. 129. Von einigen narkotischen Substanzen, welche in ihren ersten Wirkungen, das aͤußere Sinnesleben beschraͤnkend und doch zugleich das Geistesleben aufregend, die Er- scheinungen einer vollkommenen Elstase hervorrufen koͤn- nen, ist es bekannt, daß sie zugleich wunderbar das innere Sinnesleben der Phantasie zu ihren Gaukeleien erre- gen. Dahin gehoͤrt vorzuͤglich das Opium, wahrscheinlich auch die Belladonna. Von dem Wein kann ich bestimmt aussagen, daß wenigstens bei mir selbst geringer Genuß das Hellsehen vor dem Einschlafen beschraͤnkt. 130. Hier ist nun der Ort, an die constatirte Thatsache auch das hieher gehoͤrige Geschichtliche anzureihen. Die Traumbilder, welche Timarchos nach Plutarchs Er- zaͤhlung in der Hoͤhle des Trophonios in einem asphycti- schen Zustande sahe, gehoͤren hieher. Auch der Pythischen durch Duͤnste erregten Mantik, und der den mantischen Visionen vorausgehenden Raͤucherungen, Fumigationes, nach Petrus de Abano von Sandalum, Aloe, Piper, Mastix, Crocus, Costus, Sulphur) und man- ches Andern waͤre ausfuͤhrlicher zu erwaͤhnen, wenn wir bei dieser Auffuͤhrung und Verbindung des Geschichtlichen und Entstellten mit der constatirten physiologischen Thatsache nicht bloß die Absicht haͤtten, den Blick uͤber das Allgemeine der Erscheinungen zu erweitern. 131. Vorzuͤglich bemerkenswerth, um die nahe Verwandt- schaft dieser und der vorhergehenden Stufe, besonders der magnetischen in der Gewalt der Einbildungskraft zu zeigen, scheint es uns, daß als in den Versuchen uͤber die Wirkun- gen des oxydirten Stickgases statt des letztern zufaͤllig at- mosphaͤrische Luft geathmet wurde, alle ekstatischen Symp- tome wie im gewoͤhnlichen Fall eintraten. IX. Leuchtende Phantasmen in den pro- topathischen und sympathischen Affec- tionen des Gehirns und des gesamm- ten Nervensystems . 132. Die Phantasiebilder in den krankhaften Zustaͤnden sind bekannt genug; von diesen ist dann nichts weiter zu sagen, als daß wir ihre Stelle in der Lebensgeschichte der Erscheinung bezeichnen. Das Phantasticon kann nicht in Affection seyn ohne zu phantasiren, und die Erregungen des Phantasticon koͤn- nen bei der Beschraͤnkung des aͤußern Sinnenlebens nicht seyn ohne Einbilden der Phantasmen in das subjective dunkle oder lichte Sehfeld der Sehsinnsubstanz. Wir duͤrfen uns daher nicht wundern, vielmehr es als eine Bestaͤtigung des Wahren ansehen, wenn Phantasiebilder in allen protopa- thischen und sympathischen Affectionen des Gehirns auf- treten. 130. Das Phantasticon in dem Erethismus, in der Ent- zuͤndung des Gehirns kann nicht anders als in seinen Affectionen phantasiren. Die in den Fiebern auf die Cen- tralorgane verpflanzten Reizungen koͤnnen in dem Phantas- ticon nur erregen, was des Phantasticon ist, sein Eigen- leben, dessen Aeußerungen freie selbstthaͤtige Hallucinationen sind. Das Phantasticon kann an einem allgemeinen Ere- thismus des Nervensystems in der Hypochondrie und Hy- sterie und anderen allgemeinen Affectionen des Nervensystems, welche naͤchste, Ursache sie immer haben, wie in der Epilepsie und Catalepsie nicht Antheil haben ohne Phantasieen, die bei der Beschraͤnkung und Obnubilation der peripherischen Theile des Nervensystems, leuchtend in den innern Theilen der Sehsinnsubstanz hervortreten. 134. Je thaͤtiger dieses innere productive Leben, um so mangelhafter ist, wie in allen verwandten Zustaͤnden, das aͤußere Auffassen. Aus mangelhaften unvollkommenen aͤu- ßeren Eindruͤcken werden die wunderbarsten Gestalten erzeugt und verwandelt. Aus einem Ofen wird ein Priester, aus dem Geraͤthe des Zimmers eine Volksversammlung, ein bewegter Markt, ein theatralischer Aufzug. Das Genetische in diesem Fortschritt ist ganz so, wie es bei den einfachen Formen der II. und III. Stufe entwickelt worden. XI. Die Phantasiebilder der Irren . 135. Hallucinationen sind eine allgemeine Erscheinung bei den Irren. Nach Esquirol haben unter 100 Irren 80 Hallucinationen. Am gewoͤhnlichsten sind sie in der Manie, Monomanie, Melancholie. Sie sind hier nur ein besonde- rer Ausdruck einer allgemeinern Krankheit der Centralor- gane des Nervensystems, in der Lebensform des Phan- tasticon. 136. Hallueinationen allein, auch mit entschiedener Anerken- nung ihrer Objectivitaͤt, begruͤnden selbst noch kein Irrn- seyn. Sie koͤnnen mit einer excentrischen Geistesrichtung verbunden seyn, wie in den ekstatischen Visionen. Die noch gesunde Pyche schwelgt in einzelnen Vermoͤgen mit Unterdruͤckung der anderen, der einzige Irrthum liegt in der Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbsterscheinung. Aber das excentrische Eigenleben der Phantasie mit Phan- tasmen, deren Objectivitaͤt anerkannt wird, kann der erste Schritt zum Irrseyn werden, wie in den bekannten Visio- nen des Torquato Tasso und anderer phantasiereicher Menschen, die ein Opfer des Eigenlebens einzelner Organe geworden. 137. Die meisten Irren haben vor dem Eintritt des voll- kommenen Irrseyns Phantasmen; diese werden zuerst fuͤr Gesichtstaͤuschungen, dann fuͤr objectiv gehalten. Wenn sie einmal die Deutlichkeit der objectiven Gesichtserscheinungen erhalten haben, ist kein Grund mehr, warum sie nicht mit ihnen verwechselt werden sollen. Oft gelingt es, die Irren von der Unwahrheit ihrer Gesichte zu uͤberzeugen; das dauert nicht lange, so gehen die phantastischen und objectiven Er- regungen der Sehsinnsubstanz durcheinander. XI. Die Phantasiebilder am hellen Tage durch Eigenleben der Phantasie ohne Anerkennung ihrer Objectivitaͤt . 138. Wenn das Eigenleben der Phantasie eine solche Macht auf die inneren Urspruͤnge der Sehsinnsubstanz hat, daß die Phantasmen nicht bloß im lichten und dunkeln Sehfeld als vorgestellte begrenzt, sondern wirklich in der Energie der Sehsinnsubstanz darin leuchtend werden, so ge- hoͤrt schon ein sehr kraͤftiger Verstand dazu, daß die Gesund- heit des Geistes sich erhalte, und daß die Objectivitaͤt des Angeschauten nicht anerkannt werde. 139. Diese Station ist aber wohl festzuhalten und zu be- grenzen, sie entsteht bei einer vollkommenen Gesundheit aller Geistesvermoͤgen und einem vollkommenen harmonischen Wirken aller durch Eigenleben des innern Sinnes, was aber bei der Gesundheit und Kraͤftigkeit der anderen Gei- stesvermoͤgen nur als solches Eigenleben anerkannt wird. Sie hat aber vor sich als Abgrund das Unterwerfen des Verstandes unter die Phantasie, das Irrseyn. In Hin- sicht des Genetischen ist die Hallucination am hellen Tage nur durch die Entschiedenheit und Energie des Phaeno- mens von dem phantastischen Hellsehen vor dem Einschla- fen, woruͤber wir auch noch als uͤber Gebilde des innern Sinnes reflectiren, verschieden. Es ist aus dem Vorhergehenden klar, daß das Phae- nomen unter diesen geselligen Verhaͤltnissen, von dem Ver- stande trotz seiner Lebendigkeit beherrscht, nur sehr selten ist und auch nicht leicht in seiner Reinheit in der Sphaͤre der Gesundheit sich erhalten kann. 140. Hieher gehoͤrt das bekannte Beispiel, welches Bonnet erzaͤhlt. Analytische Versuche uͤber die Seelenkraͤfte. Bremen 1780. 2 T. S. 59. Bonnet kannte einen angesehenen Mann, der eine vollkommene Gesundheit, Aufrichtigkeit, Beurtheilungskraft und Gedaͤchtniß besaß, der mitten im wachenden Zustande ohne den geringsten aͤußerlichen Ein- druck, von Zeit zu Zeit Figuren von Maͤnnern und Frauen von Voͤgeln, Waͤgen, Gebaͤuden u. dergl. vor sich sah. Er sah diese Figuren Bewegungen machen, er sah sie sich naͤhern, entfernen, verschwinden, groͤßer und kleiner werden, erscheinen und wieder erscheinen. Gebaͤude erhoben sich vor seinen Augen, und er erblickte alle Theile, die zu ihrer aͤu- ßerlichen Anlage gehoͤren. Bisweilen veraͤnderten sich dem Scheine nach auf einmal die Tapeten in seinen Zimmern, und es war nicht anders, als ob sie mit Schildereien uͤber- zogen wuͤrden, welche verschiedene Landschaften vorstellten. Ein andermal erschienen statt der Tapeten und Mobilien nichts als bloße Mauern, welche ihm bloß einen Haufen roher Materialien darstellten, wieder ein andermal waren es Geruͤste. Alle diese Gegenstaͤnde erschienen ihm in der genauesten Vollkommenheit, sie machten auf ihn einen eben so lebhaften Eindruck, als wenn die Objecte selbst ge- genwaͤrtig waͤren. Indessen waren es immer bloße Ge- maͤlde, die Personen redeten nicht und er hoͤrte keinen Schall dabei. Das Merkwuͤrdigste dabei ist, daß dieser Mann nicht wie die Visionaͤre seine Erscheinung fuͤr Reali- taͤten ansah. Er wußte vielmehr alle diese Erscheinungen sehr richtig zu beurtheilen und immer seine ersten Urtheile zu ver- bessern. Diese Gesichte waren fuͤr ihn nichts mehr, als was sie in der That sind, sie gaben fuͤr seine Vernunft eine Art von Belustigung ab. Er wußte in der ersten Minute noch nicht zu sagen, was in der folgenden ihm vorkommen wuͤrde. 141. Besonders merkwuͤrdig wegen der genauen Darstellung der Metamorphosen sind die Hallucinationen, welche Ni- colai von sich selbst beschrieben, wenn auch hier schon ein Erethismus des Nervensystems zu Grunde lag. » Nicolai war in den letztverflossenen Monaten durch verschiedene unangenehme Vorfaͤlle gekraͤnkt worden, und hatte eine gewohnte Aderlaß und das Ansetzen der Blutigel uͤber- gangen. Am 24. Febr. 1791, als eben eine Reihe unangeneh- mer Dinge sein ganzes moralisches Gefuͤhl empoͤrt und ihn in eine heftige Gemuͤthsbewegung versetzt hatten, stand ploͤtzlich die Gestalt eines Verstorbenen vor ihm. Noch den- selben Tag erschienen verschiedene andere wandelnde Phan- tome. In den folgenden Tagen sah er die Gestalt des Ver- storbenen nicht mehr; hingegen kamen viele andere bekann- te und unbekannte, aber meistens unbekannte Personen zum Vorschein. Die bekannten waren meistentheils lebende aber entfernte Personen. Die Phantasmen erschienen unwill- kuͤhrlich, und Nicolai war durch die groͤßte Anstrengung nicht im Stande, nach Willkuͤhr diese oder jene Personen hervorzubringen. Sie erschienen bei Tage und bei Nacht, wenn er allein und in Gesellschaft war, in fremden Haͤu- sern nicht so haͤufig, auf der offenen Straße selten. Zu- weilen verschwanden sie durch das Verschliessen der Augen und waren in der nehmlichen Gestalt wieder da, wenn er sie wieder oͤffnete (?!). Zuweilen verschwanden sie auch nicht bei geschlossenen Augen. Meistens waren es mensch- lische Gestalten beiderlei Geschlechtes, die zuweilen Ge- schaͤfte mit einander zu haben schienen, meistens aber ohne Verkehr wie auf einem Markt durch einander giengen. Ein- mal sah er auch eine Person zu Pferde, desgleichen Hunde und Voͤgel. Die Phantasmen erschienen in Lebensgroͤße mit den verschiedenen Carnazionen der unbedeckten Theile und in Kleidung von allerhand Farben, nur die Farben blaͤsser als an wirklichen Objecten. Mit der Zeit kamen die Erscheinungen haͤufiger und oͤfterer, nach vier Wochen fiengen sie auch an zu reden, sie sprachen unter sich, doch meistens redeten sie den Kranken an.« 142. »Am 20. April, Vormittags um 11 Uhr wurden Blut- igel an den After gelegt, das Zimmer wimmelte von mensch- lichen Gestalten aller Art, die sich unter einander draͤng- ten. Dieß dauerte ununterbrochen fort, bis ohngefaͤhr um halb fuͤnf Uhr, um die Zeit der anfangenden Verdauung. Da bemerkte er, daß die Gestalten anfiengen sich langsa- mer zu bewegen. Kurz darauf begannen ihre Farben nach und nach blaͤsser zu werden, sie nahmen mit jeder Viertel- stunde immer mehr ab, ohne daß die bestimmte Figur der Gestalten waͤre veraͤndert worden. Etwa um halb sieben Uhr waren alle Gestalten ganz weiß und bewegten sich nur sehr wenig; doch waren die Umrisse noch sehr bestimmt; nach und nach wurden sie merklich unbestimmter, ohne daß ihre Anzahl abgenommen haͤtte, wie sonst oft der Fall gewesen war. Die Gestalten giengen nicht weg, sie verschwanden auch nicht, welches sonst sehr oft geschehen war. Jetzt zer- flossen sie gleichsam in die Luft. Von einigen Figuren waren eine Zeitlang einzelne Stuͤcke zu sehen, die nach und nach auch vergiengen. Ungefaͤhr um 8 Uhr war nichts mehr von den Gestalten zu sehen und sie erscheinen nachher nie wie- der.« Aus der Berliner Monatsschrift May 1799 in Reils Fieberlehre IV. B. S. 285. Nicolai fuͤgt seinem Bericht einige andere Faͤlle bei. » Justus Moͤser glaubte oͤfter Blumen zu sehen; ein anderer mir wohlbekannter Mann sieht ebenso zuweilen mathematische Figuren, als Zirkellinien, Vierecke u. a. in verschiedenen Farben.« Berl. Monatsschrift. 1799. S. 346. Vergl. S. 348. 1800. S. 247. Reil. a. a. O. 143. Aus der Selbsterfahrung eines durchaus vorurtheils- freien Mannes, dessen Name fuͤr die Wichtigkeit dieser Er- fahrung buͤrgen koͤnnte, theile ich folgenden Fall mit. Prof. * kam nach einer sehr lebhaften Unterhaltung uͤber wissenschaftliche Gegenstaͤnde nuͤchtern und sehr hungrig nach Hause. Der Weg fuͤhrte vom Lande uͤber ein baum- reiche Wiese nach der Stadt. Ploͤtzlich sieht er in einiger Ent- fernung sich selbst in 12—15 Exemplaren, auf der Wiese um- herwandeln. Die Figuren waren aus verschiedenem Alter des Beobachters und trugen die sonst fast vergessenen Klei- der verschiedener Zeiten in mancherlei Farben. Die Ge- stalten einer und derselben Person giengen gleichguͤltig durcheinander auf der Wiese. Es bedurfte nur der An- strengung des Gesichtssinnes, der Aufmerksamkeit und der Erinnerung, daß die Selbsterscheinung eine Hallucation sei, um die ganze Gruppe sogleich zu verscheuchen. Licht- flecke blieben nicht uͤbrig. Das ist mehr als ein Doppel- gaͤnger und doch kein selbstbetrogener Wundermann. 144. Hieher moͤgen denn auch diejenigen Faͤlle von Halluci- nationen in fieberkraften Krankheiten gehoͤren, wo kein ei- gentliches Delirium statt findet, und die allein auftretenden Phantasiebilder von dem freien unbefangenen Verstand auch als solche ausgelegt werden. Nicolai litt im Jahr 1778 an einem Wechselfieber, in welchem schon vor dem Frost kolorirte Bilder in halber Lebensgroͤße, wie in einen Rah- men gefaßt, erschienen. Es waren Landschaften mit Baͤu- men, Felsen u. s. w. vermischt. Hielt er die Augen ge- schlossen, so aͤnderte sich nach einer Minute immer etwas in der Vorstellung, einige Figuren verschwanden nnd an- dere erschienen. Oeffnete er die Augen so war Alles weg, schloß er sie wieder, so war eine ganz andere Landschaft da. Wurden die Augen in jeder Secunde geoͤffnet und ge- schlossen, so erschien jedesmal ein anderes Bild voll mannig- faltiger Gegenstaͤnde, welche mit denen, die vorher erschie- nen waren, gar nichts gemein hatten. 142. Hier schließt sich nun zunaͤchst diejenige Stufe an, wo das Phantasiebild als objective Erscheinung erkannt wird. Ich kenne einen jungen Kuͤnstler G., dem diese Erscheinungen leicht bei jeder geistigen Aufregung und auch beim Malen auftreten. Aber er konnte ihnen fruͤher die Kraft des Verstan- nicht entgegen setzen, er hielt sie fuͤr objective Erscheinun- gen von Geistern, die ihn beschraͤnken wollen, und gegen die er Staffelei und Messer in seiner Noth erhoben hat. XII. Das willkuͤhrliche Einbilden leuch- tender Phantasmen, die gegen Will- kuͤhr sich entwickelnd verwandeln . 146. Die Uebergaͤnge zu dieser hoͤchsten Stufe des Eigenle- bens der Phantasie liegen in der ekstatischen Vision. Es ist hier oft und besonders in der magischen Vision ein entschie- dener Wille vorhanden, etwas Bestimmtes zu sehen. Aber das Eigenleben, worin das Gesuchte endlich leuchtend er- scheint, ist hier durch den ekstatischen Zustand des Nervensy- stems bedingt und es wird diesen Erscheinungen faͤlschlich Ob- jectivitaͤt zugeschrieben. Dasjenige plastischen Eigenleben der Phantasie, welches im harmonischen Verhaͤltniß mit den uͤbrigen Geisteskraͤften steht, so daß das Gewollte ohne ekstatische Exaltation leuchtend in die Sehsinnsubstanz eingebildet wird, und wobei ein kraͤftiger dem Leben der Phantasie gewachsener Verstand die Erscheinung nur als eine Bluͤthe dieser letztern erkennt, uͤber dem Irrseyn, uͤber dem Aberglauben, uͤber der Schwaͤrmerei hoch erhaben, ein schaf- fender, lebendiger, uͤber seine Producte denkender Geist, diese hoͤchste freieste Erscheinung des Phaenomens ist hoͤchst selten. 147. So leicht bei mir die Phantasiebilder unwillkuͤhrlich eintreten, so habe ich doch bei der groͤßten Anstrengung fast nie willkuͤhrlich ein bestimmtes Phantasma von bestimm- ter Beleuchtung und Faͤrbung erzeugen koͤnnen. Ich habe halbe Tage in dieser Willensuͤbung im Dunkeln zugebracht. Die Phantasiebilder waren immer ein dem Willen trotzendes Phantastisches, was ich nicht hervorzurufen, nicht festzu 6 halten vermochte. So leicht ich subjective Farben sehe, nie vermochte ich mit Willen ein Roth, ein Blau ins Seh- feld zu bannen und zu fixiren. 148. Ein einzigesmal, als ich einen ganzen Abend, still und ruhig mit geschlossen Augen daliegend, unaufhoͤrlich ver- geblich versucht hatte, ein lebhaft Roth im Sehfelde zu se- hen, und deshalb, um die plastische Phantasie zu unterstuͤtzen, Gegenstaͤnde von lebhaft rother Faͤrbung, Vorhaͤnge, Maͤntel, bunte Fenster, rothes Feuer u. s. w. auf das lebhafteste vor- zustellen mich bemuͤht hatte, sah ich ein einzigmal einen Fal- tenwurf von einem lebhaft rothen Tuche. Aber auch dieses hatte ich nicht erst in diesen bestimmten Umrissen vorgestellt. Waͤhrend diesem quaͤlenden Bemuͤhen erschien das specifi- cirte Produkt der plastischen Phantasie urploͤtzlich und war auch bald verschwunden. 149. Ganz vereinzelt stehen daher die merkwuͤrdigen Faͤlle einer leichten willkuͤhrlichen Einbildung leuchtender Phan- tasmen in das Sehfeld. Das erste bietet jener oft erwaͤhn- te wundersame Mann, dem auch die unwillkuͤhrlichen Phan- tasiebilder so zugaͤnglich waren, Cardanus . Er erzaͤhlt von sich selbst, daß er sich habe leuchtend einbilden koͤnnen, was er gewollt. Cardan. de varietate rer. lib. VIII. p. 160. seq. de Subtilitate. XVIII. p. 519. seq. Hieher gehoͤrt auch ein von Gruithuisen Anthrop. §. 449. mit- getheilter Fall eines Mannes, der in der Jugend seinen Vater sich leuchtend vorstellen konnte, was ihm spaͤter minder gut gelang. Auch dem im §. 117 erwaͤhnten Kuͤnst- ler H. gelingt es oft, das, was er mit Willen im dun- keln Sehfelde sich einbildet, lenchtend und farbig zu sehen. Diese willkuͤhrlichen Phantasmen entwickeln und verwan- deln sich aber sofort ohne alle Willensbestimmung. 150. Hoͤchst wichtig ist aber, was Goethe aus seiner rei- chen innern Sinnesanschaung von sich selbst mitgetheilt hat. Der eigenhaͤndige Bericht Goethe’s ist schon im §. 48 mitgetheilt worden. Goethe sah in fruͤhern Jahren die im dunkeln Sehraum eingebildeten Blumen, Zierrathen leuchtend und farbig, aber die eingebildeten Phantasmen behaupteten nicht einen Augenblick ihre Gestalt, sie legten sich aus einander, entwickelten sich von der Mitte gegen die Peripherie, und entfalteten aus ihren Innern wieder neue Blumen aus ihrem Innern. Nie gelang es, die hervorquel- lende Schoͤpfung zu fixiren, hingegen dauerte sie, so lange es beliebte, ermattete nicht und verstaͤrkte sich nicht. 151. Goethe eroͤffnet selbst an dieser Stelle die hoͤhere Betrachtung. »Man sieht deutlicher ein, was es hei- ßen wolle, daß Dichter und alle eigentlichen Kuͤnst- len geboren seyn muͤssen. Es muß naͤmlich ihre innere productive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zuruͤckgebliebenen Idole freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervor- thun, sie muͤssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen, zusammenziehen, um aus fluͤchtigen Schemen wahrhaft gegenstaͤndliche Bilder zu werden.« »Wie besonders die Alten mit diesen Idolen begabt gewesen seyn muͤßen, laͤßt sich aus Demokrits Lehre von den Idolen schliessen. Er kann nur aus der eignen lebendigen Erfahrung seiner Phantasie darauf gekommen seyn. »Je groͤßer das Talent, je entschiedener bildet sich gleich anfangs das zu producirende Bild. Man sehe Zeich- nungen von Raphael und Michel Angelo , wo auf der Stelle ein strenger Umriß das, was dargestellt wer- den soll, vom Grunde losloͤst und koͤrperlich einfaßt. Da- gegen werden spaͤtere, obgleich treffliche Kuͤnstler auf einer Art von Tasten ertappt, es ist oͤfter, als wenn sie erst durch leichte aber gleichguͤltige Zuͤge aufs Papier ein Ele- ment erschaffen wollen, woraus nachher Kopf und Haar, Gestalt und Gewand und was sonst noch wie aus dem Ei das Huͤhnchen sich bilden solle.« Goethe zur Morpho- logie II. B. 2. H. 1824. S. 114. Hier moͤgen wir uns denn jenes alten Kuͤnstlers erinnern, von dem es heißt: Concipiendis visionibus, quas phantasias vocant, Theon Samius praestantissimus. Quintil. XII. 10. 6. XIII. Aussicht auf die Phantasmen der anderen Sinne . 152. Wenn die phantastischen Gesichtserscheinungen die haͤu- figsten sind, so fehlen die Phantasmen doch auch nicht in den anderen Sinnen und sie kommen hier unter denselben Bedingungen vor; auch gilt es von den Gehoͤrphantasmen, daß sie ohne Affection des aͤußern Sinnesorganes selbst be- stehen koͤnnen und nur durch Affection der innersten Ur- spruͤnge der Hoͤrsinnsubstanz entstehen. Denn Esquirol hat Faͤlle beobachtet, wo bei Tauben noch phantastische Gehoͤrempfindungen vorkamen. 153. Von den Gehoͤrphantasmen des Traumes muͤßte uns ein Musiker erzaͤhlen. Die phantastischen Tonempfindun- gen im Delirium, im Irrseyn sind bekannt; aber wie die Gesichtserscheinungen treten sie auch unter Umstaͤnden auf, wo ihre Objectivitaͤt nicht anerkannt wird. Solche Faͤlle sind in der Berliner Monatsschrift 1799. S. 347. 1800. S. 245. und 352. mitgetheilt. Von einem harthoͤrigen Greise, der an haemorrhoidalischen Bewegungen litt, wird erzaͤhlt, wie er bei Tage nnd Nacht, im Bette uud am Schreibtische von Zeit zu Zeit bald eine Menge von Glocken laͤuten, bald die Feuertrommel nah und fern, bald das Brausen eines stuͤrzenden Wassers, bald ganze Choͤre von Saͤngern, die gar vollstaͤndig besetzt waren, hoͤrte. 154. Merkwuͤrdig wegen der phantastischen Nachempfindung der objectiven Gehoͤreindruͤcke sind Mendelsohn’s Phan- tasmen. Moses Mendelsohn hatte sich im J. 1772 durch zu starke Anstrengungen des Geistes eine Krankheit zugezogen, welche voll sonderbarer psychologischer Er- scheinungen war. Ueber zwei Jahr lang durfte er gar nichts thun, gar nichts lesen, uͤber gar nichts nachdenken, keine laute Toͤne hoͤren. Wenn jemand im geringsten leb- haft mit ihm redete, oder er selbst nur wenig lebhaft war, so fiel er Abends in eine hoͤchst beschwerliche Art von Ca- talepsie, worin er Alles sah und hoͤrte, was um ihn vor- gieng, ohne ein Glied bewegen zu koͤnnen. Hatte er dann am Tage lebhafte Reden gehoͤrt, so rief ihm waͤhrend des Anfalls eine Stentorstimme die einzelnen, mit einem ho- hen Accente ausgesprochenen oder sonst laut geredeten Worte und Silben wieder einzeln zu, so daß ihm auf eine sehr unangenehme Art die Ohren davon gellten. Rousseau’s Leiden in den letzten Jahren seines Lebens scheinen auch hieher zu gehoͤren. Mehrere Beispiele phantastischer Ge- hoͤrempfindungen hat C. G. T. Cortum (Beitraͤge zur prac- tischen Arzneiwissenschaft. Goͤtt. 1796. S. 272—280) ge- sammelt. Auch aus dem Alterthum sind einige solcher Beispiele uͤberkommen. Aristot. de Mirabilibus. Horat. epist. II. 2. 128. Aelian. V. H. 4. 25. 155. Die Gehoͤrphantasmen sind bald isolirt, bald mit phan- tastischen Gesichtserscheinungen verbunden. So sah Nico- lai z. B. zuerst nur Gesichtsphantasmen am hellen Tage, spaͤter erst fiengen diese zu reden an, redeten ihn selbst an. In unsern Traͤumen sind meist beide verbunden. 156. Phantastische Gefuͤhlsempfindungen sind im Traume haͤufig genug, sonst aber selten. Aber von jenem haemor- rhoidalischen Greise wird erzaͤhlt, daß es sich zuletzt auch um und bei ihm zu regen anfieng und es ihm zuweilen vorkam, als faßte ihn Jemand bei der Schulter u. d. gl. Bei den Irren sind sie sehr haͤufig. 157. Geruchsphantasmen kommen dagegen auch haͤufig au- ßer dem Traume vor, besonders bei nervoͤsen Subjecten. Hysterische Subjecte riechen oft die sonderbarsten Dinge. Auch in der magischen und anderen Ekstasen kommen Ge- ruchsphantasmen vor, wie sich denn die Daemonen nicht selten durch besondere Geruͤche ankuͤndigten und Abschied nahmen. 158. Am seltensten sind wohl die Geschmacksphantasmen, doch ist es bekannt, daß die Vorstellung eines fragranten Geschmackes haͤufig die Gegenwart der Sinnesenergie als besondern wirklichen Geschmackes hervorzaubert. XIV. Nutzanwendung . 159. So sind wir nun an der letzten Grenze und hoͤchsten freiesten geistigsten Bluͤthe der Erscheinung angelangt, wo- mit wir auch diese ihre Lebensgeschichte schließen. Von dem Urphaenomen bis zu dieser hoͤchsten productiven ver- nuͤnftigen Steigerung sehen wir das sinnliche Wesen nach Maßgabe seiner geselligen Verhaͤltnisse zu anderen Vermoͤgen jene bald krankhaften bald excentrischen Zustaͤnde erzeugen, die unter allen Voͤlkern, in allen Religionen unabweisbar geworden. Alle diese Verirrungen sind doch im Grunde nur Verirrungen des Verstandes, des Urtheils in der Auslegung der Aeußerungen des Organes, welches sein Mitgeschaffe- nes, wie sein Selbstgeschaffenes leibhaftig sieht; und so stehen denn die Verrirrungen finsterer, aber reichbegabter Zeiten, die Suͤnden und Krankheiten des Urtheils in dem phantasiereichen, durch seine Phantasie geopferten Einzelnen als ein großes weltgeschichtliches Ereigniß mit seinen vie- ren im Wesen immer wiederkehrenden Formen da, Zeugniß gebend wie von dem Irren des Menschengeistes, so zugleich auch in der Krankheit von der Herrlichkeit und Gewalt der innern Sinnlichkeit. 160. Nur wo die Phantasie und die Herrschaft des Verstandes gleich gesteigert sind, bleibt es in harmonischer Lebensbe- wegung beider. Wundern wir uns aber nicht, wenn der ein- fache phantasiereiche Mensch den Verschwendungen dieses seines Reichthums unterliegt, wenn er der Selbsterscheinung aͤußere Objectivitaͤt giebt. Er steht hierin doch fast auf gleicher Stufe mit dem erwachsenen gesunden Menschen nach der vol- lendeten Erziehung der Sinne. Auch wir verwechseln ja die Energieen unseres Sinnes in der ihm zukommenden Lebens- form des Lichtes, die Affection der Netzhaut, das subjective Sehfeld, mit den aͤußeren Dingen, die nur veranlassende Ursachen zur Verwirklichung innern Lebens sind. 161. Der Schmerz und die Lust, auch Energieen eines Sin- nes, liegen unserer Subjectivitaͤt viel naͤher, von ihnen faͤllt es uns nicht ein, zu sagen, daß sie an den Dingen haften, die sie erregen, wir lassen sie uns selbst nicht nehmen. Alle anderen Sinnesenergieen, den Inhalt unseres eigenen Le- bens theilen wir der Außenwelt zu. Wir wissen so wenig von einem lichten und dunkeln subjectiven Sehfeld, daß das Urtheil, die Affectionen des Gefuͤhls und des Gesichtssinnes combinirend, uns sogar verfuͤhrt, das subjective Sehfeld, in welchem die aͤußeren koͤrperlichen Dinge flaͤchenhaft erschei- nen, fuͤr die lichte nahe und ferne Koͤrperlichkeit der Dinge selbst zu halten. 162. Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge- sichtsinn fuͤr das Aeußere erschlossen worden, steht ein Erwachsener allein noch in der vom Urtheil unbefangenen Jugend des Sinnes. Er erschrickt vor den Bildern, die ihm so gut wie das Bild seines eignen Koͤrpers auf seiner Haut zu liegen scheinen. Aber es koͤmmt bald dahin, daß auch er wie wir gezwungen ist, die eigenen durch ein Aeußeres erregten Sinnesaffectionen fuͤr die gegenuͤberstehende aͤu- ßere Natur selbst zu halten. 163. In allem dem sind wir nicht rein sinnlich; denn in keiner Sinnestaͤuschung irrt die Sinnlichkeit. Der Sinn ist immer wahr und nothwendig wirkend, nur der Verstand irrt. Es ist ebenso im Moralischen. Unsere Organe wollen in Affection seyn. Sind sie es nicht fuͤr das gedachte Gute, bist du sinnlicher Mensch, der du dich freuen sollst und freuest der schoͤnen Gabe der Sinnlichkeit, nicht sinnlich fuͤr das gedachte Gute, so bist du es dennoch, du mußt es seyn fuͤr das Boͤse. Auch in dem letztern ist nicht die Sinnlichkeit der Suͤndenbock, die genießt in der Schuld, wie in der Unschuld mit gleicher Unbefangenheit der Empfindung. Die Schuld tritt ein, wo unsere Organe afficirt werden, ohne daß der freie Wille fuͤr das Gute vorhanden ist, wo nicht genoßen werden kann ohne das Schweigen, ohne das Ver- geben der sittlichen Freiheit. III. Das Eigenleben der Phantasie . I. Das Lebensgesetz für die Metamorphose der Phantasiebilder. II. Das productive Einbilden. III. Das nach Ideen thätige Einbilden des Künstlers und Na- turforschers. I. Das Lebensgesetz fuͤr die Metamor- phose der Phantasiebilder . 164. Da die Sinnesthaͤtigkeit nie ganz ohne Phantasie ist, wie wir denn in jeder Sinnesanschauung bald dieses bald jenes von dem Objecte lebhafter dem Sinneeinbilden, aus einer Menge gleichzeitiger harmonischer Toͤne, bald diese bald jene Succession vorzugsweise verfolgen, und da ander- seits die Phantasie nie ganz ohne Wirkung auf den Sinn zu sey n scheint, indem auch die phantastische Vorstellung als Begrenznng und Umriß in dem dunkeln oder lichten Seh- feld der Sehsinnsubstanz vorgestellt wird, so koͤnnte Einer behaupten, es seien eben nur die inneren Urspruͤnge der Sinnessubstanzen selbst, welche phantasiren, die Phantasie sei nur in diesen thaͤtig und habe kein anderes Organon, die Extremitaͤt der Sehsinnsubstanz im Auge sei zwar nur der leuchtenden Reaction gegen aͤußere Eindruͤcke faͤhig, aber der innere Ursprung der Sehsinnsubstanz sei selbst thaͤtig, und sein Leben sei Formen phantasirend, die bei lebhafterer Thaͤtigkeit in demselben Organe leuchtend werden. 165. Wenn aber die Lebensform des Gesichtssinnes, Licht und Farbe zu sehen, des Tonsinnes, Ton zu hoͤren u. s. w., die Phantasie aber bei sich und ihrem Wesen bleibt, auch wenn ihre Gebilde bloß vorstellte Begrenzung ohne eigenthuͤmliches Licht und Farbe sind, da uͤberdieß die Phantasmen verschiedener Sinne, wenn sie verbunden gleichzeitig vorkommen, in den verschiedenen Sinnen nicht verschiedene Rollen spielen, sondern harmonisch zusammen- wirken, wie im Traume, so kann jene Vorstellung nicht richtig seyn, und wir erschließen, daß die Phantasie als ein Einfaches von dem Mehrfachen, durch besondere En- ergieen, Licht, Ton, Waͤrme u. s. w. Unterschiedenen der ein- zelnen Sinne Verschiedenes sey. Denn die Lebensform der Phantasie ist dichtende Vorstellung, nicht Empfindung des Sinnlichen, und wie verschiedenartig die Lebensformen und Energieen der einzelnen Sinne sind, die Phantasie bleibt, auch alles dieß Verschiedene vorstellend, bei ihrer Lebensform: die dichtende Vorstellung . 166. Wenn es daher leuchtende Phantasmen giebt, so sind dieß Wirkungen des Einen, welches vorstellt, auf das Andere, welches leuchtet in seinen Affectionen durch ein Anderes, Wirkungen des Phantasticon auf den Sinn, wodurch das in der Lebensform des Phantasticon Vorgestellte Phanta- stische in der Lebensform dieses oder jenes Sinnes, bald leuchtend, bald toͤnend wird. Die Welt der Vorstellun- gen, welche auf die Sinnessubstanz wirken kann, verhaͤlt sich daher zu dieser als Mittel der Reizung so gut und eben so wie die aͤußere Welt der Objecte. Beide sind weder leuchtend, noch toͤnend, noch warm, aber ihre Wirkungen auf die Sinne sind es nach der Art der Sinne. 167. In den Erscheinungen, die wir bisher in ih- rem ganzen Umfange dargestellt haben, gehoͤrt daher das Bilden, Bewegen, Verwandeln der Formen nicht dem Sinn sondern dem Vorstellenden an. Da dieses lebendige Formenschaffen und Verwandeln in der Form der Vor- stellung die physiologische Lebensform der Phantasie ist, die bloß darum psychisch heißt, weil sie eben nur vor- stellend ist, so koͤmmt es uns nun zuletzt zu, dieß leben- dige Verwandeln des Inhaltes selbst fuͤr sich der Unter- suchung zu unterwerfen. 168. Was soll man nun nach allem dem dazu sagen, was die empirische Psychologie bisher uͤber das Lebendige der Ein- bildungskraft vorgebracht? Hat sie nur einigermaßen den Inhalt eines so maͤchtigen Vermoͤgens wahrgenommen, hat sie nicht gerade zu das Leben der Phantasie, ihren nach eigenen Gesetzen lebendigen Fortschritt verlaͤugnen muͤssen, um ihre klaͤglichen Associationsgesetze durchfuͤhren zu koͤnnen, Regeln, die darum schon keine Gesetze sind, weil ihrer viele uͤber dieselbe Sache, und weil sie, in sich selbst widersprechend Willkuͤhr und Zufaͤlligkeit an die Stelle des lebendigen Fortschrittes setzen? Wenn die Phantasie das Aehnliche und zugleich das Entgegengesetzte associirt, wo ist denn das Lebensgesetz der Phantasie, durch welches begreif- lich waͤre, wie sie beides thun kann, ohne anders als in ihrem Leben thaͤtig zu seyn? In den sogenannten Asso- ciationsgesetzen liegt das Gesetzmaͤßige bloß in dem Inhalt der Vorstellungen, in den Objecten der Association, nicht aber in dem associirenden, in der Phantasie selbst, und die empirische Psychologie wiederhohlt hier, was sie immer gethan hat, sie stellt Beziehungen zwischen den Producten auf und laͤßt das Leben des producirenden Geistes gehen. 169. Wenn man diese Eroͤrterungen uͤber die Associations- gesetze liest, so sollte man glauben, das Leben der Phan- tasie waͤre nicht ein lebendiges Schaffen, sondern nur selbst die nach gewissen Gesetzen der Wahlverwandschaft sich an- ziehenden und abstoßenden Vorstellungen, gleichsam als waͤre eine gewisse Attractivkraft zwischen den fertigen Vor- stellungen das allein Lebendige. Die Phantasie ist dieser Psychologie ein Unendliches von Vorstellungen, die unter einander in Beziehung stehen, und wovon immer nur eine voruͤbergehend ins Bewußtseyn faͤllt. Die Beziehung zwi- schen dem Inhalt des Lebens wird hier das Lebendige selbst genannt. Dieses Fertige der Vorstellungen ist der empirischen Psychologie in der Lehre von der Phantasie ein durchaus Nothwendiges, und deswegen ist es ihr auch nie gelungen, der productiven schaffenden Einbildungskraft beizukommen, als durch die Erklaͤrung, daß sie ebenwieder aus der Ver- bindung der fertigen Vorstellungen lebendig sey. Die Phan- tasie ist auf diese Art in ihrem Fortschritt in immerwaͤh- renden Spruͤngen von fertigen Vorstellungen begriffen. 170. Wie man nun von einem Concreten zu einem andern aͤhnlichen Concreten, welches also in anderer Hinsicht ein Verschiedenes ist, so schlechthin uͤbergehen koͤnne, ist ganz unbegreifbar. Der Verstand begreift nur ein Bewegen im Gleichen, oder ein Erweitern, Beschraͤnken, Entwickeln des Gleichen. Gerade in der Association des Concreten liegt hier das uͤbersehene Lebendige, welches ein Bewegen in dem Gleichem ist. 171. Die Phantasie, in ihrer lebendigen Wirksamkeit ewig ihre Objecte in schneller Flucht und wie in einem Strome wechselnd, ist in diesem Wechsel nur nach einem einfachen Lebensgesetze thaͤtig. Sinnliches Vorstellen ist ihre Energie, das sinnlich Vorgestellte immer zu veraͤndern, zu beschraͤnken, zu erwei- tern ist das Lebendige in ihrer Energie. Man kann ein aͤußeres sinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger Veraͤnderung bald dieses bald jenes erweiternd, beschraͤnkend sich lebhafter einzubilden, wir koͤnnen eine zusammengesetzte architectonische Figur nicht beschauen, ohne eine immer- waͤhrende Abstraction der sinnlichen Vorstellung, welche bald diesen bald jenen durch den ganzen durchstrebenden Elementartheil im Sinne festhaͤlt. Hier ist uns nur die der Phantasie nothwendige Veraͤnderung ihres Objectes erkennbar, ihr lebendiger Fortschritt im Erweitern, Be- schraͤnken des sinnlich Aufgefaßten. 170. Ist der Phantasie in einem aͤußern sinnlichen Object die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, so kann sie dieses ihr Nothwendige nicht anders aͤußern, als daß sie in einer immerwaͤhrenden abstrahiren Einbildung einzelner Theile der Gesammtanschauung begriffen ist. Die Sinnes- thaͤtigkeit, die sinnliche Auffassung ist nie ohne das Formen beschraͤnkende, erweiternde Leben der Phantasie. 171. Auch ohne die Beschraͤnkung auf ein aͤußeres sinnliches Object ist die Phantasie auf gleiche Weise und noch freier thaͤtig; denn ihr Leben bleibt hier sich selbst gleich. Sei das sinnliche Object ein bloß Vorgestelltes, so wirkt die Phantasie, in sofern sie lebt, beschraͤnkend, erweiternd in dem Begriff des sinnlich Vorgestellten, gerade so wie sie im aͤußern sinnlichen Objecte thaͤtig ist. Sie kann das sinnlich Vor- gestellte nicht in dieser seiner allgemeinen Beschraͤnkung festhalten, sie faßt ein Einzelnes in dem sinnlich Vor- gestellten auf, und da das Ganze uͤberhaupt nicht sinn- lich gegenwaͤrtig war und sich nicht immer fort von außen aufnoͤthigt, so hat die Phantasie keinen Grund, bei dem Ganzen stehen zu bleiben. 7 172. Das Einzelne, fruͤher in dem Ganzen enthalten, ist ihr nun wieder ein sinnlich Vorgestelltes, sie bleibt auch bei diesem nicht stehen, erweitert vielleicht im naͤchsten Augen- blick dieses Concrete zu einem Allgemeinen durch die Vor- stellung des in dem Concreten als Praͤdicat vorhandenen Allgemeinen. Von diesem Allgemeinen geht sie wieder be- schraͤnkend, erweiternd zu den dem Allgemeinen einwoh- nenden anderen Concreten. Und wenn das neue Concre- tum schon einmal sinnlich vorgestellt worden, so erinnert sie sich dessen, und dann sagt man, das geschieht durch reproductive Einbildungskraft . 173. Hier ist kein Springen und Huͤpfen von Associirtem zu Associirtem, sondern ein immerwaͤhrend Erweitern und Beschraͤnken des Sinnlichvorgestellten, in dessen continuir- lichen Fortgang die erinnerten Vorstellungen fallen. Die Association besteht also hierin nur in der Subsumtion des Einzelnen nnter ein Allgemeines und in dem Bilden des Allgemeinen zu einem Concreten. Mit Unrecht sagt man hier, dem ersten Einzelnen wird das zweite Concrete asso- ciirt. Das zwischen beiden liegende Aehnliche oder das All- gemeine ist ein nothwendiger Act des Fortschrittes. 174. Wir haben demnach die einzelnen Associationsgesetze gar nicht noͤthig, denn die Verbindung des Aehnlichen , die Verbindung des Entgegengesetzten und des zu- gleich in Raum und Zeit Vorgestellten , was sich, wie es hier ausgesprochen ist, widerspricht, geschieht als ein Einfaches und nicht Widersprechendes in dem Erwei- tern und Beschraͤnken des Vorgestellten, in der Subsum- tion des Cinzelnen unter das Allgemeine, und der Ver- wirklichung des Allgemeinen in dem Einzelnen. Mit Recht sagen wir daher, die Associationsgesetze sind nur Beziehun- gen zwischen dem Vorgestellten und sind dem Eigenleben der Phantasie, die auch zwischen dem Associirten lebend ist, gleichguͤltig. Dieses Eigenleben der Phantasie ist schon in jeder Sinnesaction vorhanden, erweiternd, abstrahirend, in dem gegebenen Aeußeren sinnliche Formen schaffend, wie in der Lebensgeschichte gezeigt worden ist. Dieses Eigen- leben ist auch das allein Wesentliche in den Associationen. II. Das productive Einbilden im dunkeln und lichten Sehfelde . 175. Das productive Einbilden ist hieraus von selbst einsichtlich. Das aus dem Allgemeinen gebildete Concrete, in wel- chem das Allgemeine verwirklicht ist, kann ein solches seyn, welches schon einmal Gegenstand einer von außen beding- ten Sinnesvorstellung war, dann ist die Einbildungskraft reproductiv, oder das aus dem Allgemeinen gebildete Concrete ist ein neues, durch Beschraͤnkung des Allgemei- nen gewordenes, und dann ist die Phantasie productiv dichtend. 176. Es ist in der That zu verwundern, wie man so viele Discussionen daruͤber hat halten koͤnnen, ob die productive Phantasie auch neue einfache Vorstellungen bilde, die nicht ein Zusammengesetztes aus ehemaligen Theilvorstellungen waͤren. Die Phantasie, im dunkeln Sehfeld Grenzen vorstel- lend, kann in diesem durch die bloße Vorstellung einer Be- grenzung im dunkeln Sehfeld Formen ersinnen, die wir nie gesehen, nie objectiv sehen werden. Da auch alle aͤußeren sicht- baren Formen nur als Begrenzung in diesem dunkeln Seh- feld erscheinen, alle moͤgliche Begrenzung aber im dunkeln Sehfeld gedacht werden kann, so sind auch alle moͤglichen Formen der Phantasie erreichbar, ehe sie ihre Elemente in der aͤußern sinnlichen Welt gefunden hat, wie wir dann auch von jenem im ersten Jahre des Lebens erblindeten Floͤ- tenspieler lesen, daß er graͤßliche und verzerrte Gestalten in seinen Traͤumen sah. 177. Es koͤmmt hier vor allen Dingen darauf an, das Ei- genleben der Phantasie unvermischt, ungetruͤbt durch andere Geistesfunctionen festzuhalten, und so erscheint denn die Phantasie ohne anderweitigen Antrieb in dem Zustand des Halbwachens, wo nur sie allein thaͤtig ist, als ein im Sehfeld Gestaltendes, seine Gestalten immer Veraͤnderndes, zusammenziehend, erweitend, das Ganze auf Theile redu- cirend, den Theil zu einem neuen Ganzen entwickelnd, das Ganze wieder beschraͤnkend u. s. f., in Allem dem ein rastlo- ser Proteus, zuerst nur Grenzen ziehend im dunkeln Seh- feld, dann sein Geschaffenes leuchtend in den Energieen des- sen, dem die Gestalt eingebildet ist, hervorhebend. Hier, wo wir die Phantasie allein thaͤtig, ihrem eigenen Formen- spiele hingegeben, nackt und bloß und wie im Neglig é belau- schen, ist sie nach keinem andern Gesetz thaͤtig als nach dem fruͤher aufgestellten allgemeinen der Metamorphose. 178. Dann wird zu erwaͤhnen seyn, wie die Energieen an- derer Organe auf das Eigenleben der Phantasie Einfluß haben. Alle Reizungen aus andern Organen werden zwar, auf das Phantasticon wirkend, dieses nur sollicitiren koͤnnen zu phantasiren, aber das plastische Leben wird in dem Zu- sammenwirken mit anderen Vermoͤgen schon bestimmt in Hinsicht seiner Producte. Die Phantasiebilder sind heiter in der Abspannung oder bei einer harmonischen Wirkung, stuͤr- misch, unruhig in aufgeregten Zustaͤnden, wie den Aerzten wohl bekannt ist. Die aus den Geschlechtsorganen kom- menden sympathischen Reizungen bestimmen das Phantasti- con zu luͤsternen Gebilden, eine verschraͤnkte Lage im Schlafe wird Grund zu einer sichtbaren Traumhandlung, in welcher das Verschraͤnktseyn nur ein Theilbegriff ist. Das Gefuͤhl des Einschlafens eines Gliedes wird zu einer vollkomme- nen Traumhandlung ergaͤnzt. Das perennirende Gefuͤhl ist hier ein bestaͤndiges Centrum fuͤr die Metamorphosen der Phantasiebilder. 179. Ebenso in den leidenschaftlichen Zustaͤnden. Auch hier wird die Modalitaͤt der phantastischen Bildung durch den Modus der Leidenschaft bestimmt. Das Phantasiebild ist furchtbar in der Furcht, heiter bei einem freudevollen Selbst- gefuͤhl, laͤstig, druͤckend, schwerfaͤllig, bei der Beschraͤnkung unseres Strebens in den deprimirenden Affecten, das Er- sehnte dem Sehnsuͤchtigen, dem Entzuͤckten seine Befriedi- gung. III. Das nach Ideen thaͤtige Einbilden des Kuͤnstlers und Naturforschers . 180. Die Phantasie erscheint in ihrer hoͤchsten Vollendung, wenn sie ihre Formen nach denselben Gesetzen verwandelt, als die Natur selbst in der Metamorphose der Formen ver- faͤhrt, in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen ein Wesentliches in anderen Beziehungen darstellend, als kuͤnst- lerische Phantasie, als anschauender Sinn des Naturfor- schers. 181. Der speculative Geist erkennt das Gesetz des Bildens und Verwandels der Formen; die Phantasie, durch die Idee bestimmt, ist nach denselben Gesetzen wie die Natur thaͤtig, ihre Lebensgesetz ist das der Metamorphose selbst. Es ist die Phantasie, welche das Lebensgesetz der Pflan- zenmetamorphose, in der Natur verwirklicht, zum zweiten- mal in der Natur leibhaft sieht. Die Phantasie sieht in ihrem plastischen Leben das einfache Verhaͤltniß des Stiels zum Blatte zu allen successiv entwickelten Theilen der Pflanze sich verwandeln, sie sieht in der lebendigen Pflanze ein durch Keimen und Wachsthum entwickeltes Vielfaches, an welchem ein identischer Theil aus identischen Theilen entspringt, die wesentlich gleichen Theile durch Succession verschieden ausgebildet werden, so daß ein mannigfaltiges scheinbar verbundenes Ganze identischer Glieder vor un- sern Augen steht. 182. Die Raupe erscheint uns als ein gegliederter Wurm, der aus Theilen und Ringen besteht, die sich fast uͤberall gleich sind. Die Metamorphose bildet hier das Gleiche zu scheinbar Differentem von innen ans, wenn bei der Pflanze die gleichen Theile, zu scheinbar differenten ausgebildet, nach- einander und auseinander hervorsprossen. Die gleichen Theile des Insectes schnuͤren sich ein, erweitern, entwickeln sich hier und dort, und zuletzt steht ein gesondertes Ge- schoͤpf vor uns, in dem nur die durch die erkannte Idee der lebendigen Verwandlung angeregte und selbst auch nach dieser Idee plastisch wirkende Phantasie den Fortschritt des Identicischen zu erkennen vermag. 183. Sehen wir von diesem Standspunct auf die hoͤheren Thiere, so erblicken wir die Metamorphose in einer noch hoͤhern Bedeutung, wir sehen bei den Thieren, welche keine Verwandlung erleiden, uͤber der Zeit der Entwicke- lung alle Theile vorhanden und sich waͤhrend dem ganzen Leben wenig veraͤndern. Die Pflanze hat keine Organe, nur verschieden entwickelte gleiche Theile. Das Thier ist in allen seinen Organen entschieden, es wird mit dieser Entschiedenheit seiner Bildung geboren. Aber diese Organe, allen Thieren wesentlich zukommend, sind bei allen Thieren von verschiedener Bildung nach dem individuellen Stand- punct der einzelnen. Die Metamorphose der Organe ge- schieht bei den hoͤhern Thieren nicht mehr an dem Indivi- duum, sondern wird in einer unendlichen Menge von Thie- ren verwirklicht, wovon jedes Thier ein Glied in der Metamorphose des Organes einnimmt. 184. Die Phantasie bringt, nach denselben Gesetzen wie die Natur wirkend, das Gleiche in anderen geselligen Verhaͤlt- nissen ausbildend, entwickelnd diese lebendige Metamorphose der Organismen zur sinnlichen Anschauung. In der ver- gleichenden sinnlichen Anschauung dieses Formenwandels ist der Geist gezwungen zu erkennen, daß die Natur nicht nicht nach einem uͤppigen Spiele die Formen der lebenden Wesen abaͤndert, sondern daß mit der Aenderung irgend eines Organes in der Thierwelt zugleich nach unwandel- barem Gesetz der Verwandtschaft und gegenseitigen Bedin- gung alle anderen Organe sich abaͤndern muͤssen, und daß also, wie nur ein Organ in seinen Beziehungen zur aͤuße- ren Welt sich aͤndert, auch immer zugleich ein in allen Formen verschiedenes Thier entstehen muß. 185. In Allem dem geht die Phantasie nicht uͤber das ei- nige Gesetz ihres Eigenlebens, ihre Gebilde zu beschraͤn- ken, zu erweitern hinaus, aber sie ist nicht mehr willkuͤhr- lich und spielend, sondern von der Idee bestimmt, sie ver- aͤndert auch hier dieselbe Form beschraͤnkend, erweiternd, aber nur in der Sphaͤre des von der Idee beigebrachten Begriffs der Form, aus dem sie hier nicht heraustreten kann. 186. Wer davon sich einen deutlichen Begriff machen will, lese Goethe ’s meisterhafte Schilderung des Nagethiers und seiner geselligen Beziehungen zu andern Thieren in der Morphologie. Nichts Aehnliches ist aufzuweisen, was dieser aus dem Mittelpunct der Organisation entworfenen Pro- jection gleich kaͤme. Irre ich nicht, so liegt in dieser An- deutung die Ahndung eines fernen Ideals der Naturgeschich- te. So siehst du den Wirbel auch zum Schaͤdel sich ausbil- den, das Blatt zum Blumenblatte werden, das Athem- organ als Lunge, als Kieme unter den mannigfaltigsten Formen eine nach außen oder nach innen sich im kleinsten Raum vermehrende Flaͤche dasselbe bleiben. Eingenom- men von dieser Idee wagt Peter Camper auf der schwarzen Tafel den Hund in ein Pferd, dieses in eine Kuh, das Saͤugethier in einen Vogel zu verwandeln. Wenn deine Phantasie nach den Begriffen der Formen thaͤtig ist, so faͤllt es dir nicht ein, Fluͤgel dem Pferde anzudichten, die Menschengestalt mit dem Rumpf des vierfuͤßigen Thiers zu verbinden; das ist der kuͤnstlerischen Phantasie, die mit einem sich Alles aͤndern sieht, ein Widerspruch. Bei dem Muskelbau des Pferdes, des Menschen kann kein Fluͤgel hin- zugedacht werden, ohne daß alle Formen sich nach dem Einen aͤuderen. Das Gefluͤgelte kann nur ein Vogel seyn, der Vogel ist eine solche durchgaͤngige Veraͤnderung der Form in der Sphaͤre des Begriffs nach dem Einen. Dergleichen Vorstel- lungen einer spielenden Phantasie sind dem vergleichenden Betrachter der Naturformen ein Widriges, mit dem Leben seiner Phantasie nicht mehr Vertraͤgliches. 187. Ist aber das Bildungsgesetz eines Theiles erkannt, weißt du, wie der Schaͤdel, nach nothwendigen Gesetzen sich entwickelnd, sich nur zur Menschenform steigern kann, so kannst du, in denselben Gesetzen dich bewegend, die Schaͤdel- form uͤber das Natuͤrliche ausbilden und veredlen, bleibt deine Phantasie nur in der Sphaͤre des Begriffes. Nach denselben Gesetzen veredelt, wie der Menschenschaͤdel sich aus den Thierformen veredelt, ist der Kopf der Antike als bloße Form selbst schoͤner als das Natuͤrliche. Die Griechen haben schwerlich diese Richtschnur der Bildung durch Messungen, wie Peter Camper , oder auf einem wissenschaftlichen Wege gefunden. Aber ihr Handeln gruͤndete sich auf eine unbewußte tiefe Anschauung der Na- tur und ihrer im Begriff beweglichen Bildung, sie verfuh- ren darin keineswegs willkuͤhrlich und auf gutes Gluͤck, wenn es ihnen gelang, wirklich eine noch schoͤnere und ideale Menschenform bildend zu erreichen. 34. Hier zeigt sich denn, wo das Phantasieleben des Kuͤnst- lers und des vergleichenden Naturforschers in gemeinsamem Gebiet sich beruͤhren, und auch auseinander gehen. In bei- den bewegt sich das plastische Phantasieleben nur innerhalb der Sphaͤre des Begriffs. Der Naturforscher spricht das Gesetz der Formenbildung und Verwandlung aus, er sieht es nur in dem Wirklichen und Natuͤrlichen ver- wirklicht. Die Phantasie des Kuͤnstlers ist auch nur in diesem Gesetze thaͤtig, aber sie verlaͤßt seine Verwirkli- chung im Wirklichen und Natuͤrlichen, und erhebt sich, in denselben Gesetzen sich bewegend und fortschreitend, ohne den Begriff zu verlassen, uͤber das Wirkliche zur idealen Form, die Selbstzweck und nicht mehr ein Ausdruck innerer Functionen und als solcher immerhin durch diese beschraͤnkt ist. Wundern wir uns darum nicht, wenn einer und derselbe das Groͤßte in beiden Richtun- gen erreicht hat. Nur durch eine nach der erkannten Idee des lebendigen Wechsels wirkende plastische Imagination endeckte Goethe die Metamorphose der Pflanzen, eben darauf beruhen seine Fortschritte in der vergleichenden Anatomie und seine hoͤchst geistige ja kuͤnstlerische Auffas- sung dieser Wissenschaft. 189. Am Schlusse dieser Untersuchung, wo die Einleitung in die hoͤhere vergleichende Naturwissenschaft und nament- lich in die vergleichende Anatomie wie aus dem Mittel- punct der Sache beginnen koͤnnte, moͤgen wir denn noch erwaͤgen, wie ohne phantasiereiche nach hoͤheren physiolo- gischen Ideen wirkende lebendige Anschauung die verglei- chende Anatomie gar nicht ihrem Begriffe nach fortschrei- ten koͤnne, wie sie an ihre Organe durchaus andere in ganz verschiedenen Menschen befriedigte Anspruͤche als die menschliche Anatomie mache, und wie ein der Bearbeitung der menschlichen Anatomie aͤhnlicher Anbau ihr durchaus nicht fruchten vielmehr nur als eine Verirrung vom Be- griffe betrachtet werden muͤsse. Aristoteles uͤber den Traum. Eine physiologische Urkunde . I. Kapitel . Hierauf ist nun der Traum zu untersuchen, zuvoͤr- derst, in welchem Theile der Seele er erscheine, und ob er eine Affection des denkenden Wesens (νοητικὸν) oder des Sinneswesens (αἰσϑητικὸν) sey. Denn durch diese allein wissen wir von dem, was in uns vorgeht. Wenn nun die Function des Sehsinnes ist zu sehen, des Tonsinnes zu hoͤren, und des Sinnes im Allgemeinen zu empfinden, wenn ferner das Gemeinsame der Sinnesempfindungen sind die Gestalt, die Bewegung, die Groͤße und anderes der- gleichen, das Eigenthuͤmliche der einzelnen Sinne aber die Farbe, der To n und der Geschmack, und wenn man end- lich einmal mit geschlossenen Augen und schlafend nicht se- hen kann u. s. w., so koͤnnen wir auch offenbar im Schlafe durch die aͤußeren Sinne nicht sinnlich afficirt seyn. Nicht also nehmen wir den Traum vermoͤge der aͤußern Sinnes- empfindung (αἴσϑησις) wahr; aber ebenso wenig durch die Vorstellung (δοξα). Denn wir sagen von dem uns Begegnen- den nicht schlechthin nur, daß es ein Mensch, ein Pferd, sondern auch, daß es weiß, daß es schoͤn sey, welcherlei die Vorstellung ohne Sinneswahrnehmung niemals weder wahr noch falsch aussagen moͤchte. In der That thut die Seele so im Traum, weil wir eben zu sehen glauben, daß der Begeg- nende ein Mensch und daß er weiß sey. Zudem werden wir uns ausser dem Traumbilde auch eines Andern bewußt, wie auch im wachenden Zustande, wenn wir etwas sinnlich wahrnehmen. Denn was wir empfin- den, daruͤber denken wir auch oft nach. So werden wir auch im Schlafe außer den Traumbildern zuweilen auch noch anderer Dinge bewußt. Das wird offenbar, wenn man beim Aufstehen auf die Traͤume achtet und sich ihrer zu erinnern sucht. In der That haben manche solche Traͤu- me erfahren, wie die, welche nach den Vorschriften der Mnemonik das Vorgekommene topisch zu ordnen glaub- ten. Denn oft geschah diesen, daß sie außer dem Traum auch noch ein anderes Phantasiebild vor den Augen hatten. Daraus folgt, daß nicht jedes Gesichtsbild im Schlafe getraͤumt ist, und daß, was wir uns sonst noch bewußt werden, wir vorstellend bewußt werden. Auch ist offenbar aus allem dem, daß wodurch wir in den Krankheiten wachend uns irren, das- selbe auch im Schlafe die Leidenschaft ausmache. In der That uns, die wir wachen und zusehen, scheint doch die Sonne einen Fuß groß zu seyn. Uebrigens mag die Einbildungskraft (φανταστικὸν) und das Sinneswesen (αἰσϑητικὸν) eines oder dasselbe der Seele seyn, auf keinen Fall ist jene ganz ohne Sehen und Empfinden. Denn falsch hoͤren und falsch sehen ist dessen Sache, der wirklich etwas hoͤrt und sieht, nicht aber das, was er glaubt. Im Schlafe soll aber nach der Voraussetzung (das Aeußere) weder gehoͤrt, noch ge- sehen, noch irgend etwas (Aeußeres) gefuͤhlt werden. Also daß wir nichts (Bestimmtes Aeußeres) sehen, waͤre wahr und doch waͤre unwahr, daß der Sinn (αἴσϑησις) auf kei- ne Weise afficirt sey; und soll vielmehr das Gesicht und die anderen Sinne afficirt seyn koͤnnen? Deun jeder von diesen wirkt so gut wie Wachen, wenn auch nicht in der Art wie im Wachen auf Empfindung. Manchmal sogar sagt die Vorstellung, daß falsch das Gesehene, wie im Wachen, manchmal aber wird sie befangen und folgt dem Phantasma. Dieß ist nun offenbar, daß das, was wir Traͤumen nennen, weder Sache der Vorstellung noch des Gedankens ist, nicht einmal ganz des Sinnes, denn sonst waͤre es hoͤren und sehen schlechthin. Wie es sich zu diesem verhaͤlt, ist nun zu untersuchen. Setzen wir also, was auch offenbar ist, daß der Traum wie der Schlaf eine Affection des Sinneswesens (αἰσϑητικὸν) sey. Denn keinem Thier koͤmmt eines zu, dem einem das Schlafen, dem andern das Traͤumen, sondern beides dem- selben. Da nun von der Einbildungskraft in den Buͤchern uͤber die Seele Rede war, und das Sinneswesen (αἰσϑητικὸν) mit dem Organ der Phantasie (φανταστικὸν) in der Zahl eins ist, wenn auch im Wesen verschieden, wenn ferner die Einbildung eine durch die Sinnesenergie entstandene Be- wegung, der Traum aber ein Phantasiebild zu seyn scheint (denn das Phantasiebild des Schlafes nennen wir Traum, entstehe es einfach oder mittelbar), so ist offenbar, daß das Traͤumen Sache des Sinneswesens (αἰσϑητικὸν) ist, und insofern als auch das Organ der Einbildung (φανταστικὸν) an dem Sinneswesen (αἰσϑητικὸν) gemein hat. II. Kapitel . Was aber der Traum ist, und wie er entsteht, wer- den wir am besten aus dem, was im Traume geschieht, ermitteln. Das Empfindbare erregt uns nach jedem Sin- nesorgan die Empfindung, und die daraus entstehende Leidenschaft ist nicht allein in den Sinnesorganen, so lange die Empfindung thaͤtig ist, sondern auch, wenn sie aufhoͤrt. Hier scheint es naͤmlich wie mit der Bewegung zu gesche- hen. Denn es kann etwas bewegt seyn, wenn es nicht mehr in Beruͤhrung ist mit den Bewegenden. Das Be- wegende bewegt naͤmlich einen Theil der Luft, und dieser bewegt einen andern, und so bewegen sich bis zur Ruhe Luft und Wasser. So muß man sich dieß auch in der Ver- aͤnderung denken. Denn das Erwaͤrmte erwaͤrmt das Naͤchste und das geht so durch, so lange ein Anfang ist. So muß es auch mit dem Organ des Sinnes seyn, weil die Empfindung als Energie eine Veraͤnderung ist. Des- halb ist die Leidenschaft nicht allein in den thaͤtigen sondern auch in den ruhenden Sinnen, sowohl in der Tiefe als auf der Oberflaͤche. Das ist offenbar, wenn wir etwas anhal- tend empfinden, wenn wir naͤmlich den Sinn abwenden von Einem zum Andern, wie von der Sonne zum Dunkeln, so begleitet ihn die Leidenschaft. Denn nichts sehen wir dann wegen der in den Augen dauernden Erregung durch das Licht. Ebenso, wenn wir eine Farbe weiß oder gruͤn lange betrachtet haben, so erscheint alles in diesen Farben, wohin wir den Blick wenden. Wenn wir aber in die Sonne oder in ein anderes Blendendes gesehen, und dann die Augén schließen, so erscheint uns das Bild in der Richtung wir zuerst gesehen (in der Sehachse), und zwar zuerst in der- selben Farbe, dann wirft es sich ins Gelbe, darauf ins Pur- purrothe, bis es zum Schwarzen koͤmmt und verschwindet. Auch denen, die von dem Bewegten, wie von den Fluͤssen besonders den sehr schnell fließenden den Blick wenden, scheint das Stehende bewegt zu werden. So wird man schwer- hoͤrig von starkem Schall und riecht schlecht nach scharfen Geruͤchen, und so mit Aehnlichem. Dieß geschieht offenbar auf die angegebene Weise. Wie schnell aber die Sinnes- organe auch die kleinen Unterschiede wahrnehmen, zeigt sich an den Spiegeln, was ein Aufmerksamer untersuchen und erwaͤgen mag. Daher ist auch offenbar, daß, wie das Sehen ein Leiden, so auch ein Thaͤtigseyn ist. Denn wenn die Weiber zur Zeit der Katamenien in den Spiegel sehen, ist die Oberflaͤche des noch so reinen Spiegels wie mit einem blutigen Nebel bedeckt. Ist es ein neuer Spiegel, so ist es nicht leicht, den Flecken abzuwischen, leicht, wenn er alt ist. Die Ursache ist, wie gesagt, daß das Gesicht von der Luft nicht allein etwas erleidet, sondern auch thaͤtig ist und die Luft wie das Glaͤnzende erregt. Denn das Ge- sicht hat es mit dem Glaͤnzenden und Farbetragenden. Zur Zeit der Katamenien wurden daher die Augen wie irgend jeder andere Theil aus guten Gruͤnden affi- cirt, indem sie von Natur gefaͤßreich sind. Der zur Zeit der Katamenien durch die Erregung und Entzuͤn- dung des Blutes in den Augen entstehende Unterschied ist uns zwar nicht erkennbar, er ist aber da (denn Sa- me und Katamenien haben einerlei Natur). Von ihnen wird die Luft bewegt und wirkt auf die mit ihm zusam- menhaͤngende Luft des Spiegels und theilt ihr die eigene Leidenschaft mit, und die giebt dem Spiegel den Anschein, wie dann die reinsten Kleider am schnellsten beschmutzt wer- den; denn das Reine zeigt aufs genaueste, was es aufge- nommen, und am meisten die kleinsten Bewegungen. So nimmt das Erz durch das Glattseyn jede Beruͤhrung am meisten wahr. Man muß nun wissen, daß die Beruͤhrung des Erzes eine Reibung ist und gleichsam ein Abwischen, und die ist, auch noch so gering, wegen der Reinheit erkennbar. Daß die Flecken nicht leicht aus den neuen Spiegeln aus- gehen, liegt auch an der Reinheit und Glaͤtte; jene ver- breiten sich naͤmlich in die Tiefe und ins Ganze, in die Tiefe wegen der Reinheit, ins Ganze wegen der Glaͤtte. In den alten Spiegeln bleiben die Flecken nicht, weil sie nicht so eindringen, sondern mehr oberflaͤchlich sind. Daß dem- nach von kleinen Unterschieden die Bewegung entsteht und schnell empfunden wird, und daß das Sinnesorgan der Farben nicht allein leidet sondern auch gegenthaͤtig ist, ist hieraus offenbar. Das Gesagte versinnlicht auch was mit den Weinen und Salben geschieht. Denn das den Salben beigefuͤgte Oel saugt schnell die Geruͤche der naͤchsten Dinge auf: und das thut auch der Wein, er saugt nicht allein die Geruͤche der ihm beigefuͤgten und zugemischten Dinge, sondern auch von dem, was in der Naͤhe des Behaͤltnisses gelegen oder gewachsen ist, ein. Zu der urspruͤnglichen Untersuchung werde nun das eine vorausgesetzt, was aus dem Gesagten offenbar ist, daß wenn das aͤussere Empfindbare (αἰσϑητὸν) abgeht, das Empfundene (αἴσϑημα) verbleibe. Ferner, daß wir in den Leidenschaften leicht in den Empfindungen irren, Andere in anderen, wie der Furchtsame in der Furcht, der Liebhaber in der Liebe, so daß durch eine geringe Aehnlichkeit der eine Feinde, der andere den Geliebten zu sehen glaubt. Und das tritt ein bei so kleinerer Aehnlichkeit, je leidenschaftlicher einer ist. So irrt man im Eifer und in allen Begierden leicht, um so mehr einer in den Leidenschaften ist. Deshalb erscheinen auch den Fiebernden zuweilen Thiere auf den Waͤnden, we- gen einer geringen Aehnlichkeit der mit einander verbun- denen Lineamente. Und dieß faͤllt manchmal so mit den Krankheiten zusammen, daß, wenn sie nicht sehr fiebern, sie den Irrthum erkennen, wenn sie aber aͤrger erkranken, sie sogar nach den Phantasiebildern bewegt werden. Die Ursache davon ist die, daß das Herrschende, und das, worin auch die Phantasmen sich bilden, nicht mit derselben Kraft unterscheiden. Davon ist ein Beispiel, daß, wenn die Sonne einen Fuß groß erscheint, oft irgend ein Anderes der Phan- tasie entgegen ist. So scheint auch bei uͤber einander ge- schlagenen Fingern ein Einfaches doppelt, aber gleichwohl sagen wir nicht, daß es doppelt sey; denn hoͤher als das Getast steht das Gesicht. Wenn das Getast allein waͤre, wuͤrden wir wohl das Eine fuͤr doppelt halten. Die Ur- sache des Irrthums ist die, daß nicht nur, wenn das Em- pfindbare (ασϑητὸν) sich bewegt, sondern auch wenn die Sinnesenergie (αἴσϑησις) erregt wird, jegliches bewegt erscheint; wenn diese nur so erregt wird, wie von dem Empfindbaren. So scheint den Schiffenden das Ufer be- wegt, wenn das Gesicht von einem Andern bewegt wird. III. Kapitel . Aus diesem erhellt, daß nicht allein im Wachen die Be- wegungen, die von den aͤußeren und außer dem Koͤrper ge- legenen Objecten (αἰσϑηματα) entstehen, sondern auch wenn der Zustand, den wir Schlaf nennen, eintritt, und mehr, noch empfunden werden. Denn am Tage erloͤschen sie, wenn die Sinnesenergieen (αἰσϑήσεις) und der Verstand (διανοια) zugleich thaͤtig sind, und sie verschwinden wie ein kleines Feuer vor einem groͤßern und maͤßiger Schmerz und Lust vor groͤßeren. In der Ruhe taugt auch das Kleine auf. Nachts, bei der Unthaͤtigkeit und dem Unvermoͤgen der einzelnen Sinne (αἱ κατὰ μόρια αἰςϑή- σεις), da die Waͤrme von den aͤußeren den inneren Theilen zustroͤmt, werden die Bewegungen nach dem Ursprunge der Sinne verpflanzt, und wenn die Stoͤrung beschwichtigt ist, offenbar. Man muß sich nicht anders jede solche Be- wegung denken als wie die kleinen Wirbel, die in den Fluͤs- sen verlaufen, oft auf gleiche Weise durch den Drang des Wassers in anderen Formen sich aufloͤsen. Deshalb hat man nach der Mahlzeit und so lang man ganz jung ist keine Traͤume. Denn viel Bewegung koͤmmt von der Waͤrme der Nahrung. Wie nun im Fluͤßigen, wenn es bewegt ist, dann kein Bild erscheint, dann zwar erscheint, aber ganz verzogen und ein anderes scheint als es ist, bei der Ruhe aber klar und rein, so auch verschwinden im 8 Schlafe die Phantasmen und die verbliebenen Bewegungen bald vor der groͤßern genannten Bewegung, bald aber auch erscheinen verzerrte Gesichte und unangenehme Traͤu- me, wie bei den Melancholischen, den Fiebernden und Trun- kenen. Alle diese Leidenschaften, weil sie geistig sind, be- wirken viel Bewegung und Stoͤrung. Sobald aber das Blut in den Gefaͤßen beruhigt wird und sich vertheilt, er- haͤlt sich die von jeder Sinnesenergie (αἴσϑησις) entstan- dene Bewegung des Wahrgenommenen (αἴσϑημα) und macht angenehme Traͤume und laͤßt etwas erscheinen, sichtbar was von dem Gesicht verpflanzt wird, hoͤrbar, was von dem Gehoͤr und aͤhnliches von den anderen Sinnesorganen. Denn dadurch, daß die Bewegung bis zum Ursprung der Empfindung gelangt, muß gesehen, gehoͤrt, empfun- den werden. Eben wie das Gesicht manchmal erregt scheint, wenn es nicht ist, und wie eines als zwei erscheint dadurch, daß das Getaste zwei ankuͤndigt. Denn allemal vernimmt der Ursprung der Empfindung, was von jeder Sinnesenergie beigebracht wird, wenn nicht eine andere maͤchtigere Wirkung entgegen ist. In jedem Fall erscheint es, aber nicht Alles, was erscheint, wird vernommen, vielmehr nur dann, wenn das Unterscheidende nicht angehalten wird und nicht seine eigene Bewegung verfolgt. Wie wir nun sagen, daß andere durch andere Leidenschaft leicht hinter- gangen werden, so ist es der Schlafende durch den Schlaf und durch die Bewegung der Sinnesorgane und Anderes, was durch die Sinnesenergieen (αἴσϑησις) vorgeht, so daß ihm das wenig Aehnliche die Sache selbst scheint. Denn da im Schla- fe das meiste Blut dem Ursprung (des Sinneswesens) zu- geht, so gehen auch die Bewegungen, welche in dem Blute enthalten sind, dorthin, andere der Moͤglichkeit (potentia) andere der Wirklichkeit (actu) . So zwar, daß von ihnen die eine zuerst sich geltend macht und darauf eine andere. Diese folgen denn so auf einander, wie die wiederbelebten Froͤsche, die in dem Wasser, wenn es aufgethauet ist, aufsteigen. Wie diese sind sie der Moͤglichkeit nach schon da. Wenn das Hinderniß besiegt ist, treten sie auch wirklich auf. Und indem sie in dem wenigen Blute, welches in den Sinnesorganen uͤbrig, sich aufloͤsen, tragen sie den Schein der erregenden Reize, wie das in den Wolken, was bald den Menschen bald den Kentauren gleicht, schnell sich verwandelnd. Jedwedes von diesem ist, wie gesagt, ein Ueberbleibsel der Wirkung des Wahrgenommenen (αἴσϑημα). Wenn auch das Object in Wahrheit fehlt, sagt man doch richtig, es sey ein der Person (Κοριςκος) Aehnliches, wenn auch nicht die Person (Κοριςκος) selbst. Wenn aber jenes Herrschende und Unterscheidende (τὸ κύριον καὶ τὸ ἐπικρῖνον) empfindet, nennt es das Empfundene nicht ein Bild, sondern versteht darunter jene wirkliche Person (Κοριςκος). Eben dieses, welches seine Empfindung so auslegt, wird also, wenn es nicht von dem Blute in seiner Thaͤtigkeit ganz verhalten wird, von den in den Sin- nesorganen uͤbrigen Bewegungen erregt. Und das Aehnli- che scheint ihm die Sache selbst. Und so groß ist die Ge- walt des Schlafes, daß er das verborgen laͤßt. Wie wenn einem, der das Auge mit dem Finger druͤckt und den Finger nicht bemerkt, eins doppelt erscheinet und dafuͤr gehalten wird, wenn er aber auf die Ursache acht hat, erscheint es zwar, wird aber nicht fuͤr doppelt gehalten, ebenso wird im Schlafe, wenn einer weiß, daß er schlaͤft und die Affection, worin die Empfindung im Schlafe besteht, kennt, diesem wohl etwas erscheinen, es sagt aber etwas in ihm, daß jenes den Schein der Person (Κοριςκος) hat, nicht aber die Person selbst ist. Denn oft sagt ein Schlafender zu sich selbst, daß die Erscheinung ein Traum ist. Wenn er aber nicht weiß, daß er schlaͤft, wird nichts seiner Phan- tasie widersprechen. Daß wir aber Wahres sagen, und daß die phantasti- schen Bewegungen in den Sinnesorganen sind, ist offen- bar, wenn einer nur versuchen will, sich zu erinnern, was wir erleiden, wenn wir eben aus dem Schlafe aufwachen. Denn oft wird er beim Erwachen die ihm im Schlafe er- schienenen Bilder als Bewegungen in den Sinnesorganen ertappen. Manchen der Juͤngeren erscheinen selbst bei offenen Augen im Finstern vielerlei bewegliche Bilder, so daß sie sich oft aus Furcht verhuͤllen. Aus Allem dem muß man schliessen, daß der Traum irgend eine Sinneserscheinung im Schlafe sey; denn die eben erwaͤhnten Bilder sind keine Traͤume mehr, so wenig als was sonst bei erschlossenen Sinnen erscheint. Auch ist nicht Alles im Schlafe ein Phantasiebild. Zuerst naͤmlich geschieht es Manchen, daß sie den Schall, das Licht, einen Geschmack und eine Be- ruͤhrung fuͤhlen, freilich nur schwach und wie aus der Ferne. Die naͤmlich im Schlafe das Licht der Lampe schwach zu sehen glauben, erkennen bald erwachend, daß es das Licht der Lampe selbst war. Auch die der Haͤhne und Hunde Geschrei leise hoͤrten, erkennen es deutlich wieder beim Erwachen. Einige sogar antworten, wenn sie gefragt werden. Denn es kann geschehen, daß Wachseyn und Schlafen, eines und das andere unvollkommen vorhanden ist. Und das kann man Alles nicht Traum nennen, auch das nicht, wenn außer den Phantasiebildern im Schlafe wahre Gedanken vorkommen. Vielmehr das Phantasma, welches durch die von dem Wahrgenommenen (Objecte αἴσϑημα) aus- gegangene Erregung entsteht, ist dann ein Traum, wenn es dem Schlafenden als solchem vorkommt. Manchen ist es ergangen, daß sie in ihrem Leben kein Traumbild gese- hen. Selten zwar ist so etwas, aber es koͤmmt gleichwohl vor. Bei einigen ist dieß ganz und gar so, Andern koͤmmt der Traum mit zunehmendem Alter, die fruͤher kein Traum- bild gesehen. Die Ursache des Nichttraͤumens muß man aͤhnlich derjenigen halten, warum man nach dem Essen schlafend und in der Kindheit nicht traͤumt. Denn deren Na- tur so bestellt ist, daß zu den oberen Theilen viel Verdun- dunstung statt findet, die ruͤckkehrend vielerlei Bewegung erre- gen kann, diesen erscheint wohl natuͤrlich kein Traum- bild. Es hat nichts wider sich, daß diesen mit zunehmen- dem Alter der Traum komme. Denn bei einer Umwandlung durch Alter oder irgend eine Leidenschaft muß eine Umkehrung dieser Dinge statt finden. Gedruckt bei C. F. Thormann in Bonn.