Der romantische Oedipus. Ein Lustspiel in fuͤnf Akten von August Grafen von Platen . Stuttgart und Tuͤbingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1829 . Der romantische Oedipus . Lustspiel in fuͤnf Akten . Personen des Lustspiels . Nimmermann , Romantiker. Das Publicum , als Reisender. Der Verstand , exilirt. Chor der Haidschnucken . Personen des Zwischenspiels . Lajus , Koͤnig von Theben. Jokaste , seine Gemahlin. Oedipus , beider Sohn. Polybus , Koͤnig von Corinth. Zelinde , seine Gemahlin. Diagoras , ihr Liebhaber. Tiresias , Zeichendeuter. Kind , Kindeskind , Hofpoeten der Jokaste. Melchior , Bedienter des Lajus. Balthasar , Bedienter des Polybus. Die Pythia . Die Sphinx . Zwei Hebammen . Das Stuͤck spielt auf der Luͤneburger Haide, Zeit der Handlung das Jahr 1827. Erster Akt . Das Publicum als Reisender, Chor der Haidschnucken . Das ist die schoͤne Luͤneburger Ebene, Wohin des Rufs Trompete mich von fern gelockt: Hier, sagt man, wandle Tag und Nacht, romantische Blasbaͤlge tretend, ein beruͤhmter Verseschmied; Doch weit und breit erblick’ ich nichts Poetisches, Blos dort im Vorgrund eine Schaar von Bestien. Wer bist du, Fremdling? Aeußere dich bescheidener! Wie? Sprechen koͤnnt ihr? Leben wir zur Zeit Aesops? Ich wollte mich beruhigen, wenn ihr Pferde waͤrt, Denn Pferde, duͤnkt mich, sprechen beim Homer sogar. Aesop! Homer! Enthalte dich vom Griechischen! Blind war Homer, es war Aesop ein Buckliger: Wir dienen keinem Kruͤppel! Nun, wem dient denn ihr? Dem Nimmermann. Dem Nimmermann? So ist es wahr, Daß hier der schwulsteinpoͤcklerische Musensohn, Der deutsche Shakespear athmet? Unter Schafen hier? Das wundert mich! Warum? Wer haͤtte das gedacht? Warum? Er ist Besitzer einer Schaͤferei: Trieb nicht auch Paris, welchem doch Olympier Schiedsrichteramt verliehen, trieb Adonis nicht Haidschnucken? Was auch sollte sonst der Treffliche Vornehmen, hier in dieser Abgeschiedenheit? Wenn ich’s gerade sagen soll, Scharfrichterei: Ich las entzuͤckt sein Trauerspiel Cardenio, Die groͤßte, mehr als ekelhafte, Metzelung, Die je der fette Frosch Bombast in dunstigen Irrlichtersumpf poetischen Wahnsinns laichete. Denn so charakterisiren’s uns die Kritiker; Doch eben was mißfallen hat den Kritikern, Entzuͤckte mich. Ich flog hieher, dem Dichter selbst Die Hand zu schuͤtteln. Aber sprich, wo find’ ich ihn? Er uͤberlegt ein Trauerspiel. Schon wieder eins? O zehn fuͤr eins! Leicht fertig sind Romantiker, Die’s laufen lassen, wie es laͤuft. Wo sitzt er denn? Dort! Siehst du nicht die spanische Wand? Dort dichtet er? Das eben nicht. Abthut er ein Privatgeschaͤft: Er las gerade den Oedipus des Sophokles, Doch war derselbe keineswegs ihm homogen, Und geht sogleich nun wieder als Purganz von ihm. Ein eigner Fall! Der Hochbegabte schleuderte Das fade Buch in’s allerduͤrrste Haidekraut: Das also, rief er, waͤre solch ein Meisterstuͤck, Der tragische Kanon eures Aristoteles? Pedanten ihr! Nun will ich einen Oedipus, Ich selbst erfinden, zeigen euch, wie jener Mensch Es haͤtte machen sollen, ein historisches Vorzeitsfamilienmordgemaͤlde buͤhnenhaft Dem Publicum vorbeizufuͤhren. Jenes Stuͤck Ist blos als Bruchstuͤck anzusehn! Wo waͤre denn Die Breite, die dem Trauerspiel nothwendig ist? Der Nebenbeipersonen reiches Uebermaß? Aufwaͤrter, Maͤgde, Narren, kleine Kinderchen, Kanzleiverwandte, Taugenichtse, Kraͤmervolk, Stallknechte, Hasenfuͤße, Kriminalbedienstete, Bordellgenossen, und so weiter? Ja, wo waͤre denn Decorationsveraͤnderung und sonstige Freischuͤtzcaskadenfeuerwerkmaschinerie? Wo ist was Komisches eingestreut? Die noͤthigen Anachronismen fehlen, geographische, Selbst andre Schnitzer find’ ich nicht. Der schuͤlerhaft Holprichte Versbau mangelt, und der Floskelschwall, Den stets als schoͤne Sprache ruͤhmt das Publicum. Das Publicum? Haidschnucken! Nannte wirklich er Das Publicum? So that er, ja. Nun mache mich Die Freude nicht wahnwitzig! Ei, was hast du denn? Ich bin ja selbst das sogenannte Publicum! Du selbst? Unmoͤglich! Sieh von hinten mich und sieh Von vorne mich! Ich bin es selbst. So jugendlich, So voͤllig bartlos, eingezwaͤngt in den neusten Frack, Mit steifem Halstuch angethan, so dacht’ ich mir Dich nicht. Ich bin das Publicum. Die Haͤnde sind Noch brennend roth mir, weil ich beim Houwaldischen Leuchtthurme neulich beide fast mir wundgeklatscht, Und forderst du noch mehr Beweis, so trag’ ich hier In meinem Busentaͤschchen Claurens Mimili! Auf, auf, o Genossen! den Zweifel erstickt, Und eroͤffnet den Tanz! Der erwartete Freund, Der ersehnte, betrat dieß leere Gefild: Nun feire der Dank in Ergießungen ihn Nie muͤden Gesangs! Freiwillig zerfaͤllt In gemessene Sylben der Willkomm. Auf, auf, o Genossen! Umtanzt ihn rings, Und die Hymne beginnt, die gewaltige, die Wie ein Bote des Gluͤcks, wie ein Aar, der keck Von dem Idagebuͤrg Ganymeden geraubt, Die Gestirne vorbei, sich siegstolz wiegt Auf silberner Schwinge des Wohlklangs! Auf, auf, o Genossen! Und rufet empor Den Romantiker, der in melodischen Traum Sein Dasein lullt! Es erschien, o Poet, Der erwartete Gast, nach welchem du laͤngst Schwerathmend erhubst, voll suͤßer Begier, Sehnsuͤchtig unsterbliche Seufzer! Die Vorigen, Nimmermann . (vorstellend). Der Dichterheros Nimmermann — Das Publicum — Geraume Zeit schon wuͤnscht’ ich, Werthgeschaͤtztester — Schon lange brannte mein Gemuͤth, Verehrliches — Von Angesicht zu Angesicht Sie anzusehn — Auf Ihren Altar legend meine Dichtungen — Um nicht von Gall zu lernen oder Lavater — Weihrauch zu ziehn in meiner Nase Riechorgan. Was ein Genie fuͤr eine Gattung Nase hat. Da trifft das Sprichwort wieder ein, daß immer sich Begegnen schoͤne Geister, weil zu gleicher Zeit An einer Nasenspitze Beide landeten, Ihr Schiff regierend uͤber’s Meer der Redekunst. Entschuldigung erbitt’ ich mir, da eben ich Auf meinem Beichtstuhl, wie ich ihn aus Schicklichkeit Benenne, saß. O Zartgefuͤhl! Den Dichtern auch Begegnet jezuweilen etwas Menschliches. Sie haben ja die spanische Wand! Ich bitte sehr — Wir wollen gleich zur Sache kommen! Zwar ich bin Kein Muͤllner, keiner, der im ersten Augenblick, Sobald ein Fremder uͤber seine Schwelle tritt, Von seinen eignen Werken an zu sprechen faͤngt; Doch Ihnen muß ich frank und frei herausgestehn, Ich dichte jetzt ein ungemeines Meisterstuͤck. Wie immer; doch gewaͤhren Sie das Naͤhere! Ausforschen muß ich Ihren wahren Glauben erst: Was sagen Sie zum Oedipus des Sophokles? Ich las in meiner Jugend auf den Schulen ihn, Er schien mir nicht gelungen. Eine Pfuscherei, Wie’s keine giebt! Hoͤchst tragisch ist der Gegenstand: Blutschande, Graͤuel jeder Art, ein Vatermord, Die Sphinx, die Pest, ein Uebermaß von Irrungen, Verwickelungen ohne Zahl! Wie wenig hat Der Dichter diesen fuͤrchterlichen Stoff benutzt! Geradezu hinausgeruͤckt das Graͤßliche, Verhuͤllt in schoͤne Reden jede Schaͤndlichkeit, Des Stuͤcks Effekt vernichtet, aus dem Personal Sogar die Sphinx gestrichen, die auf’s Publicum Den tiefsten Eindruck machen muͤßte. Ja, gewiß! Denn voͤllig grundlos sagen uns die Kritiker, Die tragische Kunst vertruͤge nichts Daͤmonisches, Und blos der Leidenschaften reine Menschlichkeit. Und wissen Sie, was jenes nuͤchternen Trauerspiels Hauptfehler? Nein! Sie kennen doch das Raͤthselchen, Das jene Sphinx gab? Allerdings. Sie sprach: Was ist Das Ding, das fruͤh des Morgens auf vier Fuͤßen geht, Auf zwei des Mittags und des Abends drei gebraucht. Es ist der Mensch. Nun zeigte zwar den Oedipus Als Mann der Dichter, wie er auf zwei Fuͤßen geht, Ja, da er blind ihn werden laͤßt, so leiht er ihm Auch wohl den Stab als dritten Fuß. Wo aber geht Im ganzen Stuͤck auf allen Vieren Oedipus? O feiner Scharfsinn! So zerstoͤrte Sophokles Des eignen Helden sogenannte Menschlichkeit! Denn weil er nie auf Vieren geht, so ist er mir Kein wahrer Mensch entweder, oder Oedipus Errieth das Raͤthsel keineswegs und haͤtte dann Von jener Sphinx den Tod verdient. O Theuerster! Sie braͤchten einen Dromedar durch’s Nadeloͤhr, Geschweige denn ein bloß Kameel. — (Welch tiefer Geist!) — Weltweise, heran! Und gelagert im Kreis Lernt nun Tiefsinn! Und ein Hinrichs hier, Und ein Hinrichs dort, ehrfuͤrchtig und still, Mag schmiegen das Haupt An die duftigen Zeh’n des Dichters! Ein Mensch des Platon ist er, dieser Oedipus Mit seinen beiden Fuͤßen, ein gerupfter Hahn! Ein Eroberer zieht der Poet einher: Ihm diene die Welt und der Menschheit Herz Wie ein Ball in der Hand, den uͤbungsreich Bald faͤngt, bald wirft Des erhabenen Spielers Anmuth! So haben Sie den Oedipus als Kind gezeigt? Noch mehr als dieß. Das Trauerspiel beginnt mit zwei Hebammen vor dem Wochenbett der Koͤnigin Jokaste. Herrlich! Musterhaft! Die Geburt ja ist Des Lebens erste Scene. Wahr und fein bemerkt! Ach, duͤrft’ ich doch anhoͤren jenes koͤstliche Produkt des Geistes, oder wird’s durch Druck bekannt? Sie sollen gleich es spielen sehn, und werden auch Dem Verstand begegnen, welcher als Zuschauer mich Bewundern will; denn kuͤrzlich ward in die Haide her Verbannt der allen Deutschen Ueberlaͤstige: Mir gilt er keinen Pfifferling; doch duldet ihn Als Exilirten einerseits und uͤberdieß Als jener tausend Einen meine Muse noch, Die ihr den Handkuß leisten, wie zu hoffen steht; Drum haben Sie Geduld mit ihm! Einstweilen, Freund, Ziehn hinter diese spanische Wand zuruͤck wir uns: Ich muß die Puppen ordnen, deren Augenschein Sie nehmen koͤnnen. Besondre Muͤhe macht dabei Mir stets der Anzug. Ueber das alte Hofcostuͤm Von Theben walten Zweifel ob. Wie breit der Latz Am kurzen Gallahosenpaar des Oedipus Gewesen ist, bleibt unentschieden; dieserhalb Wies auch Berlin das Stuͤck zuruͤck, wiewohl der Staat Von Theben nie ein freier Staat, und Oedipus Ein legitimer Volkstyrann gewesen ist. Dort haͤlt man viel auf alles Augenfaͤllige, Mit Recht. So mußte neulich aus Berlin sogar Bis Aranjuez ein Maler sich mit Extrapost Begeben, blos um nachzusehn im Garten dort, Wo die von Schiller’s buhlerischer Eboli Gepfluͤckte Hyacinthe steht. Er fand sie nicht, Und wissen Sie, weswegen? Weil gepfluͤckt sie war. O suͤßer Witz! Sie bringen jede Sphinx zu Fall: Kein Raͤthsel giebt’s fuͤr solche Geister! Kommen Sie! (Beide ab.) (an den Rand der Buͤhne vortretend). Wem Kraft des Gemuͤths, wem Tiefsinn fehlt, und die Kunst, die Jegliches ordnet, Der wird niemals dem versammelten Volk vorfuͤhren die wahre Tragoͤdie: Zu erweisen, wodurch sie entsteht, liegt nicht in des Lustspiel- dichters Ermessen, Ihm ist es genug, wenn er lehrt, was ihr wie Sirenen- gesaͤnge zu fliehn habt, Und wovon heut’ euch sein schaffender Sinn darstellt ein lebendiges Beispiel. Zwar lebt er entfernt; doch lebt er vielleicht in dem Land, das Oder und Elbe, Das Weser und Rhein und der Donaustrom durchziehn, nicht ganz ein Vergess’ner, Seitdem er zuerst, zu Gefechten bereit, wie ein Leu voll trotziger Weltscheu Vortretend (Es liebt der energische Muth des bewußten Gefuͤhls die Metapher) Durch wirklichen Witz urkraͤftig erlegt den proceßanspinnen- den Witzbold, Der kleinlichen Geists und der Zanksucht voll, wie ein Spitz an der Kette, gebelfert, Und zuerst mißbraucht den erhabenen Styl, und die tragi- schen Formen entwuͤrdigt, Der ohne Natur und Charaktergehalt manch uͤberherodisches Machwerk Aneinandergeflickt und zusammengeklext rabulistische Galgen- intriguen: Nicht wichtig er selbst und des Streits unwerth, da von selbst sich Nichtiges aufloͤs’t, Nur wichtig indem euch einst er gefiel und bestach kurzsich- tiges Urtheil; Drum ließ das Gedicht ihn schmelzen wie Frost an den uͤp- pigen Strahlen des Fruͤhlings. Wohl weiß der Poet, daß Fromme zumal ihn vielfachst haben gescholten, Ihn eitel gehoͤhnt und versichert sodann, er gefalle sich sel- ber unendlich. So l ch Urtheil zeigt stumpfsinnige blos, blos eigene Seelen- gemeinheit: Wer selbst sich gefaͤllt, bleibt stehn wo er steht; doch wer in bestaͤndigem Fortschritt Zu bewaͤltigen sucht und zu steigern die Kunst, nicht scheint’s, daß selbst er gefaͤllt sich. Die, welche verzeihn, was Jener gethan, sie erwaͤgen der Zeiten Bedingniß, Und Und den Zustand auch, wie er Deutschland fand, und die jetzige herrschende Dichtkunst, Wo ein Clauren sogar Reichthum sich erschreibt, als waͤr’s ein gewaltiger Byron! Ihr Fromme zumal, in der Schrift so gelehrt, seht lieber ein sichtliches Vorbild In dem Goͤttlichen selbst, der nie es verschwieg, was ihm in der Seele so tief lag! Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Bist du der Koͤnig der Juden? Nicht laͤugnete Der es bescheiden hinweg, er erwiederte ruhig: Du sagst es. Euch sagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver- wegen behauptet, Mehr gelte vor Gott ein gefuͤhlter Gesang, als irgend ein frommer Gemeinplatz! Goͤnnt einst das Geschick ihm hoͤheren Flug, ihm ernstere Fuͤlle der Bildkraft, Dann moͤge dem Volk der Erfolg darthun, wer schoͤnere sittliche Reinheit, Wer mehr Andacht den Gemuͤthern entlockt, ihr oder die weltliche Dichtkunst, Wenn je sie den Schritt in Kothurne verhuͤllt, und die Stirn wie ein Priester belorbeert. Wohl aͤußert vielleicht ein bedaͤchtiger Mann, ja selbst ein geduldiger Freund wohl, Weßhalb der Poet auf Fehlende stets hinweis’t in der tra- gischen Dichtkunst, Und doch nie selbst den Kothurn festschnallt an die Knoͤchel und ernsteren Tanz tritt? Zwar koͤnnt’ er darauf antworten, es sei die Comoͤdie seines Bereichs nur, v. Platen, der romant. Oedipus. 2 Weil Scherz ihn blos und der Huldgoͤttin leichtsinnige Laune dahinreißt, Weil selten ein Haupt zwei Kraͤnze vertraͤgt, (noch weniger drei, wie der Pabst hat!) Doch sagt er dafuͤr, aufrichtigen Sinns, weit lieber den wirklichen Grund euch: In dem Lande des Teut singt mancher Gesell fruͤhreife Tragoͤdien ab schon, Wenn muͤßig der Stahl in dem Schacht noch ruht, der einst soll scheeren den Flaum ihm; Doch unser Poet, seit Jahren erwaͤgt sein Geist die gefaͤhr- liche Laufbahn: Was Andern ein Spiel blos duͤnkt, was leicht, wie den Schaum, von der Flaͤche sie schoͤpfen; — Er findet es schwer, ihm liegt es so tief, ja, tief, wie die Perle des Tauchers! Noch stets mißtraut er der eigenen Kraft. Sechs Lustra begehrten die Griechen Von dem Juͤngling, der zu dem Wettkampf sich, zu dem tragischen Kampfe sich anbot: Kaum hat sie erreicht der Poet, drum goͤnnt Langathmende Muße dem Wanderer, der An des suͤdlichen Meers Felsufer (da schon Das Gespann des Apoll in die Waag’ eintrat) Sturmwinde belauscht, Anapaͤste betont, Und Erfindungen denkt, Zu belustigen Crethi und Plethi. Zweiter Akt . Pallast in Theben . Jokaste und die Hebammen . Hat man Alles vorbereitet fuͤr die nahe Niederkunft? Alles, Koͤnigin, was immer Pflicht gebietet und Vernunft: Auf dem Tische hier die Zangen, auch das Horoskop dabei, Um’s dem Kind sogleich zu stellen, und im Pfaͤnnchen hier der Brei. Siebenhundert weiße Haͤubchen dort im Korb, in gleicher Zahl Stehn in deiner Garderobe Steckenpferde nach der Wahl. Pferdchen auch mit Pfeifen hinten, die ich mir zugleich erbat? Diese nicht, auf unsres Koͤnigs eignes Schlafgemachsmandat, Weil er ungestoͤrt zu sein wuͤnscht, wann er schnarcht und wann er schnauft; Abgesehen, daß die meisten schon nach Dresden sind verkauft, Wo den Calderon man auspfiff, und den Clauren auserkor. Hinter jedem Spiegelrahmen guckt ein Birkenreis hervor. Auch Erziehungsschriften, hoff’ ich, hat man reichlich ange- schafft? 2* In der ersten Eile wurden tausend Stuͤck herbeigerafft, Nebst Philosophien fuͤr Kinder, unter andern die von Fries, Der den deutschen Waisenhaͤusern diesen großen Dienst erwies. Wehe mir! Hinweg aus meinen Haaren, schaudervolles Thier! Was befiel die Koͤnigin? Was ist geschehen? Siehst du hier Nicht die Fledermaus, die eifrig zwischen meinen Locken pfuscht, Da sie durch das offne Fenster abendlich hereingehuscht? Schnell heraus mit ihr! Vergebens! Sie verwirrt sich im Genick. Boͤses Omen! Und gerad’ in diesem schwangern Augenblick! Sendet nach Berlin, nach Doktor Raupels aͤrztlichem Beschluß, Wie man’s etwa bei so trag'schen Fehlgeburten machen muß? Jener, heißt’s, ist im Begriffe nach Sibirien zu gehn. Will die Fledermaus am Ende blos vielleicht Gevatter stehn? Wehe mir, es naht die Stunde, meiner Last zu werden quitt, Wie’s der Dichter nennt, der neulich uͤber unsre Bretter schritt! Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei, Und so faͤllt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei; Aber ruft den Koͤnig jetzo! Wohl! Ich eile schnell hinaus. Wendet ab dieß Omen, Goͤtter! Wendet ab die Fledermaus! Pallast in Corinth . Zelinde, Diagoras . Dreißig Jahre sind vergangen und ich hab’ umsonst gefleht, Taͤglich, ob der Wind aus Westen, ob der Wind aus Osten weht, Lag ich hier zu deinen Fuͤßen, bat, beschwor dich, seufzte tief, Ach, und gestern schrieb ich meinen millionten Liebesbrief! Beide sind wir alt geworden, fuͤnfzig ich und sechszig du: Wann denn endlich wirfst du mir den ersten Blick der Liebe zu? Nie, Diagoras! Doch besser duͤnkt mich ein platon’scher Sinn, Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin. Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl Ist ein Wuͤthrich, und du nahmst ihn nicht einmal aus freier Wahl. Was er uͤber mich verhaͤnget, bin zu dulden ich bereit; Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderlosigkeit. Haͤttest du Gehoͤr mir fruͤher eingeraͤumt, vielleicht — O still! Unterdruͤcke den Gedanken, den die Lippe bilden will! Jetzt sogar, o laß mich sprechen, da wir ohne Zeugen sind! Nur auf legitime Weise wuͤnsch’ ich mir ein kleines Kind. Laͤnger diese Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft. O bedenke, dreißig Jahre warst du fromm und tugendhaft! Willst du nun den Preis verlieren, den du dir mit Muͤh’ errangst, Bitter wirst du’s dann bereuen in der letzten Todesangst. Meinem Tode bin ich naͤher, als du glaubst, o hartes Weib! Fuͤr gewissenhaste Seelen ist der Tod ein Zeitvertreib. Doch der Selbstmord, sprich, Zelinde! daͤucht er dich moralisch gut? Denn ich will in’s Wasser springen, um zu loͤschen meine Glut. Gottes Langmuth goͤnnt dem armen Suͤnder oft zur Reue Zeit: Moͤg’ er senden einen Haifisch, der dich schnappt und wieder speit! Nach der Apotheke lauf’ ich, und vergebe mich mit Gift. Arzene i ’n zu kaufen, Lieber, braucht’s des Arztes Unterschrift. Einen Holzstoß bau’ ich, wie der Phoͤnix sein entflammtes Nest. Und wie Dejanira schick’ ich dir ein Kleid; doch von Asbest. Nun, so wird das Schwert mir halten irgend ein geduld’ger Christ. Leichter ist, es vorzuhalten, als hineinzurennen ist. Sey es, doch mich auszuhungern, fehlt Entschluß und Muth mir nicht. Morgen lad’ ich dich zur Tafel; denn es giebt dein Leibgericht. Phlegma scheint mir deine Tugend! Hitze scheint mir dein Vergehn! Wann denn endlich darf ich hoffen? „Wann die Todten auferstehn!“ Nun, so laß mich sterben! Lebe wohl und deinem Gatten treu! Eher als dein Herz entzuͤndet sich ein Schober nasses Heu! Dorten will ich sterben, wo ich dich zum erstenmal gesehn, Wo die gruͤnen Baͤume rauschen, wo die leisen Luͤfte wehn, Auf Cithaͤrons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn Birschend einst im Wald du schweiftest, aufgeschuͤrzte Jaͤgerin! Fruͤhling war’s, die Myrten bluͤhten, voll und rauschend ging der Bach, Rings erklang der Schafe Bloͤken und der Nachtigallen Ach. Unter einer Pinie lagst du, deinen Koͤcher unter’m Kopf, Dir zur Seite, sammt den Hunden, ein erschoss’ner Wiedehopf; Schlummernd hielt ich dich fuͤr eine Goͤttin, und ich wagte nicht Dich zu wecken; aber lange sah ich dir in’s Angesicht: Eine Muͤcke fing ich endlich, und ich setzte dieses Thier Auf die Nasenspitze keck dir, auf die rothe Stelle hier. Du erwachtest, zuͤrnend aber; stammelnd rief ich: O verzeih! Greifend an die Stirn nach einem schon gehofften Hirschgeweih; Doch du laͤcheltest und sagtest: Nicht Diana bin ich, nein! Aber keuscher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein. Willst du mich platonisch lieben, magst du folgen deinem Drang: Fluͤchtig ist gemeine Liebe, fluͤchtig wie der Wolke Gang: Diese schwebt ihr ganzes Leben, rosig heute, morgen grau, Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thraͤnenthau. Also sprachst du, jede Sylbe merkt’ ich mir und jeden Blick, Und an jenes Baumes Aeste knuͤpf’ ich heute noch den Strick. Wie du willst! Grausame! Deine letzten Worte waͤren das? Ja. So lebe wohl, Zelinde! Lebe wohl, Diagoras! ( Diagoras ab.) Dieser dauert mich, doch ihn zu retten fiele mir zu schwer: Eh’ ich meine Tugend lasse, lass’ ich sterben sechs wie er! Pallast in Theben . Jokaste, Lajus, die Hebammen, Oedipus in der Wiege. O mein Gemahl, verlange nicht das neugeborne Kind zu sehn! Warum denn nicht, o Koͤnigin? Warum denn nicht? Was ist geschehn? Vernimm! Allein es schaudert mir! Hebammen, sprecht und sagt es aus! O Majestaͤt! Die Koͤnigin — Erschrack vor einer Fledermaus, Die frevelhaft verwirrend sich in ihres Haupts Frisur gesetzt. Sie that doch nichts Unrechtes dort? Das eben nicht; doch eben jetzt, Als unser Prinz geboren ward, da zeigte sich auf seiner Brust Die Fledermaus als Muttermal, sonst ist gesund er und robust. Das ist noch nicht so schauderhaft! Regieren kann er immerhin, Wofern er nur zwo Faͤuste hat, das Zepter festzuhalten drin; Denn jetzo will’s gehalten sein! Auf einem Spieltisch neulich blieb Das meine liegen aus Versehn, indem ich just Gesetze schrieb: Die bloͤde Stubenmagd erscheint, sie haͤlt’s fuͤr einen bloßen Pflock, Setzt einen Kopf von Holz darauf, und braucht’s als ihren Haubenstock. Die Vorigen, Tiresias . O fuͤrchterliche Neuigkeit! Was giebt’s? O schreckenvolles Wort, Wie sprech’ ich dich? So rede doch! Ich stellte kaum dem Prinzen dort Das Horoskop, so fand ich — Was? Er wird — Er wird? Es ist zu viel! Doch nicht im Whist verlieren einst? O waͤr’ es blos ein Kartenspiel! Doch keinen Kern verschlucken, wenn er Kirschen ißt? O Kinderei’n! Den Vater wird er toͤdten einst, und uͤberdieß die Mutter frei’n. Hebammen, helft der Koͤnigin! Und solch ein Weh, wie wird’s erspart? Ihu aus dem Wege raͤume schnell! Nur keine schlechte Todesart! In einem Moͤrser allenfalls zerstoßen ihn? Im Moͤrser? Nein! Die Koͤchin stieße Krebse drin ein andermal. Das ist gemein! In ein Kanoͤnchen laden ihn? Das Schießen greift die Nerven an. Vorwerfen einem wilden Thier? So sei’s, und werde schnell gethan! Denn sicher sind wir beide nicht, so lang’ er lebt. He! Melchior! Die Vorigen, Melchior . Gestrenger Herr! Den Prinzen nimm, und wirf ihn wilden Thieren vor! Zu scherzen liebt die Majestaͤt! O keineswegs! Das wilde Thier, Wo faͤnd’ ich das? Denn heut zu Tag sind alle zahm und voll Manier. Zum Berg Cithaͤron trage du das Kind; in jenen Waͤldern ward Noch neulich mancher Leu gesehn und mancher bunte Leopard. Doch wenn ein solcher fertig mit dem Prinzen ist, so frißt er mich. Hat nichts zu sagen! Melchior! Er fuͤrchtet vor dem Tode sich? Das eben nicht. Schnell! Fort mit ihm! Doch wickl’ Er ihn sorgfaͤltig ein, Der Knabe kriegt den Schnupfen sonst. Ganz wohl! — Du armes Wuͤrmelein! (Ab mit Oedipus .) Mich dauert nur der Geldbetrag an Kinderzeug und an Papier: Im Volk versteigern koͤnnte man die paͤdagog’schen Schriften hier. Die Buͤcher nicht! Mein Unterthan soll pfluͤgen, zahlen, und zugleich In Devotion vor mir vergehn, dadurch allein besteht ein Reich! (Ab.) Berg Cithaͤron . (allein). Dieß ist die Stelle, wo mit bitterm Schafte Der Gott der Liebe mir die Brust zertheilet, Wo ich gesehn die schoͤne Tugendhafte, Die mich so schnell verletzt und nie geheilet; Denn solche Wunden trotzen jedem Tafte! Mit ihrer Saͤge hat die Zeit gefeilet In meine Stirn indessen manche Linie, Ja, fast verknorpelt deinen Stamm, o Pinie! Hier moͤgen gluͤckliche Verliebte schweifen, Den Schmerz genießen und die Freude klagen; Hier mag ein Hirt der Hirtin Lieder pfeifen, Und einen Kuß nach jedem Liede wagen; Hier mag ein Faun nach einer Nymphe greifen, Wo Buͤsche laubenhaft zusammenschlagen: Mich moͤgen Schaͤfer hier im Moos begraben, Und uͤber mich die sanfte Heerde traben. Doch eh’ den Hals ich mit dem Seil umzwirne, Will hier ich noch einmal des Schlafs genießen, Er lehre mich und meine muͤde Stirne, Wie leicht es ist, die Augen zuzuschließen: Die Welt vergeht im menschlichen Gehirne, Der Elemente Bildungen zerfließen, Die Seele sieht, wie Sonn’ und Mond erbleichen, Und hoͤrt den Tod, wie auf den Zehen schleichen. (Er schlaͤft ein.) Diagoras, Melchior mit Oedipus . Du armes Kind! Auf diesem gruͤnen Platze Bluͤht weiches Moos, hier will ich hin dich legen; Nie moͤge hier die wilde Tigerkatze Auffahrend schnauben ihrem Fang entgegen, Nie hier der Loͤwe strecken seine Tatze, Und nie die Natter sich im Kreis bewegen: Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze, Mag saͤugen dich und reichen dir die Zitze! Festbinden will ich dich an diesen Zweigen, Und wenn du sollst dein bittres Loos bezwingen, So werden Nymphen hier dem Bach entsteigen, Dir im Krystallglas einen Trunk zu bringen, Und Oreaden ihren wilden Reigen Bei Mondenschein in deiner Naͤhe schlingen, Dich rufen hoͤren, finden dich und laben Mit suͤßen Fruͤchten oder Honigwaben! Was aber such’ ich lange nach Daͤmonen, Die ohne Mitleid in des Meeres Gruͤnden, Auf unersteiglichen Gebuͤrgen thronen, In Stroͤmen baden, welche nie sich muͤnden? Hier schlaͤft ein Mensch: Was keine Goͤtter schonen, Er schont’s vielleicht zu Ehren seiner Suͤnden; Ihm uͤberlass’ ich fliehend dich, o Kleiner, Er finde, rette dich, und pflege deiner! (Er entfernt sich, Oedipus faͤngt an zu schreien.) Was fuͤr ein Ton? Was sehen meine Blicke? Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget, Bestaͤndig schreit und zappelnd schwebt am Stricke, Ja, wie es scheint, nach einer Brust verlanget? Habt ewig Dank, ihr himmlischen Geschicke! Ihr Arme, schließt euch, daß ihr’s fest umfanget! O welch Geschenk, o welch ein Angebinde Fuͤr deine kinderlose Brust, Zelinde! (Ab mit Oedipus .) Pallast in Corinth . (allein). Heute braucht mein Gatte lange, bis er sich zu Tisch begiebt: Dreißig Jahre sind es, seit er jeden Tag mich minder liebt; Taͤglich kommt zu Tisch er spaͤter: Als wir Hochzeit kaum gemacht, Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht! Zelinde, Diagoras . Wie? Du kommst zuruͤck, nachdem ich dich bejammert als erhenkt? Ist das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geschenkt? Zelinde . Deine Drohung, dieses wußt’ ich, war gesprochen in den Wind. Und ein zweites Leben bring’ ich dir zuruͤck, ein kleines Kind. Wie? Ein Kind? Was seh’ ich! Sage, wie du’s uͤberkommen hast? Auf dem Berg Cithaͤron, an der Pinie hing die suͤße Last. Welches Wunder! Ist des Kindes Name dir vielleicht bekannt? Da ich fand es in der Oede, hab’ ich’s Oedipus genannt. Schenkst du mir’s, so leg’ ich’s meinem Gatten als mein eignes vor. Gern, doch zeige mir von nun an einen leidlichern Humor! Wie? So hast du mir den Saͤugling blos aus Eigennutz gebracht? Zuͤrnst du, wenn ich stets an dich nur, immer nur an dich gedacht? v. Platen, der romant. Oedipus. 3 Dein Gemuͤth durchschall’ ich endlich, welches, dieß erkenn’ ich klar, Nie das Rauchgefaͤß der wahren, uͤberird’schen Liebe war, Das von reiner Hand geschwungen nach des reinen Himmels Dom, Dampft vom Wohlgeruch der Seele, wie von Myrrhen und Amom! Gern in solche Hoͤhen haͤtt’ ich meine Phantasie geschraubt, Die sich wider meinen Willen andre Phantasien erlaubt: Statt des Himmels Dom erblick’ ich deines Bettes Himmel blos, Und am Vorhang zieh’ ich, knuͤpfe seine goldnen Schnuͤre los. Hoͤr’ ich recht? O welche Sitten! Welch ein Abscheu! Welche Pest! Deine Kuͤhnheit toͤdtet meiner kuͤhlen Liebe schwachen Rest! Dieses Kind, das du so eben in die Haͤnde mir gespielt, Hast du sicherlich mit einer Concubine selbst erzielt: Waͤhrend ich platonisch klagte, bist du heimlich mir entschluͤpft, Hast Gardinen aufgezogen, goldne Quasten aufgeknuͤpft; Mich begabst du mit dem Bankert, den du in die Welt gesetzt, Machst mich glauben, auf den Pinien wuͤchsen kleine Kinder jetzt? Doch das Kind behalten will ich, und damit es nicht verrucht Wie der Vater werde, will ich’s auferziehn in strenger Zucht; Aber du entweiche, fliehe dieß Gemach in raschem Lauf, Eine lange Probe leg’ ich, o Diogaras, dir auf! Dreißig Jahre sollst du, meine Blicke meidend, irre gehn, Kehren dann nach dreißig Jahren, eine Probe dann bestehn, Da bisher du nichts als Taͤuschung, nichts als Hochverrath ersannst, Ob du mich platonisch lieben, und aus Liebe sterben kannst. Ueberzeugen dich, ich koͤnne sterben, will ich alsobald, Fliehen nach der Loͤwenhoͤhle, fliehen zum Hyaͤnenwald, Oder fliehn an’s Meeresufer, wo ein lecker Nachen winkt, Ihn besteigend, will ich schiffen, bis er berstend untersinkt! (Ab.) Drohe nur! Nach dreißig Jahren seh’ ich dich gesund und frisch Hier am Hofe wieder; doch da kommt ja mein Gemahl zu Tisch. Polybus, Zelinde . O mein Gemahl! Gedenke nicht der Nahrung, Und freue jetzt dich einer suͤßern Gabe, Die ich nach mancher ehlichen Erfahrung, Wie eine Sara, dir zu bieten habe: In dieser Windeln stiller Aufbewahrung Schlaͤft, was du lange dir ersehnt, ein Knabe: Sieh dieses Kind, ich hab’ es dir geboren, Und ihm den Namen Oedipus erkoren. Warum verbargst du diesen großen Segen, Anstatt die Schwangerschaft mir mitzutheilen? 3* Ich that’s, o Freund, des Ueberraschens wegen. Nie pflegt’ ich ja dein Lager mehr zu theilen. Auch dieser Vorwurf macht mich nicht verlegen. Besuchte dich Diagoras zuweilen? Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben Hab’ ich verbannt ihn auf ein Menschenleben. Du weißt, ich mache selten viele Worte, Doch durch Exempel lernt man oft das Meiste: Es war einmal an einem sichern Orte Ein junger Kaufmann, welcher sich verreis’te, Und als er wiederum an seine Pforte Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiste, Kommt seine Frau entgegen ihm und bringet Ein jaͤhrig Kind ihm, welches ihn umschlinget. Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken, Da ich so lang gewesen in der Weite? Das Weib erwiedert ohne nur zu stocken: Ich lag am Fenster, als es eben schneite, Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken, Wodurch ich augenblicks gewann an Breite, Bis dieses Kind zuletzt zur Welt ich brachte, Und meines lieben Ehgemahls gedachte. Dieß Illes glaubt der Mann, so scheint es, gerne; Doch als das Knaͤbchen lesen kann und schreiben, Da nimmt er’s mit sich in die weite Ferne, Auf daß es zeitig sich herumzutreiben, Und auch die Kaufmannschaft zugleich erlerne, Wiewohl die Gattin ihn ersucht zu bleiben; Doch ging und endlich kam zuruͤck der Gatte, Der keinen Sohn an seiner Seite hatte. Wo ist das Kind hin, fragt das Weib erschrocken, Das ich so sehr dich flehte, wohl zu wahren? Der Mann erwiedert ohne nur zu stocken: Es ist mir ganz was Eignes widerfahren Mit diesem wunderbaren Sohn der Flocken; Denn als wir uͤber einen Berg gefahren, Den just der Sonnenstrahl beschien, der warme, Schmolz mir das Kind in meinem Vaterarme! Du spottest mein, statt eine Frau zu preisen, Die weit erhaben uͤber jedem Lobe! Kannst du die Unschuld nicht sogleich beweisen, So mord’ ich dich in deiner Garderobe! Kehrt einst Diagoras von seinen Reisen, Dann will ich geben dir die hoͤchste Probe! So lange magst du zittern vor der Strafe! In meine Tugend huͤll’ ich mich und schlafe! (Ab.) Diagoras! Ich werd’ es nicht vergessen, Und wenn Zelinde schlafen will, ich wache, Und sollten fliehn auch dreißig Ostermessen, Bevor du wiederkehrst zu meinem Dache! Anlegen aber will ich selbst indessen Den Schacht, aus dem ich meine suͤße Rache, Den Gran Arsenik denke noch zu foͤrdern, Der einst mich beigesellen soll den Moͤrdern! Dritter Akt . Pallast in Theben . Lajus, Jokaste . Ja, nach Delphi will ich reisen, theures Weib, mit Melchior, Und ich lege dann der Pythia meinen Traum von heute vor: Krank in einem Schiffe saß ich, durch den Schwung der Welle krank, Die sich bald erhob zu Bergen, bald in tiefe Thaͤler sank. Endlich wollt’ ich mich erbrechen, und ich oͤffne schon den Mund, Sieh, da flattert eine große Fledermaus mir aus dem Schlund, Diese setzt sich auf die Brust mir, frißt mir Leber weg und Milz, Nur austatt des Herzens fand sie nichts als einen rothen Pilz. Blos Erinnerungen sind es von dem Schicksal jener Nacht, Als ich unsern Sohn vor zwanzig Jahren einst zur Welt gebracht: Wollten wir an Traͤume glauben, welch ein Ende naͤhme das? Mir den Tod von Sohnes Haͤnden kuͤndete Tiresias. Jenen hat ein Leu Cithaͤrons zwanzig Jahre lang verdant. Ach, und wuͤßtest du, was in der Unterwelt ich dann geschaut, Als ich todt hinabgestiegen! Schon in Charons Nachen stand Fast ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland, Das gebracht die letzten Opfer, seinem Koͤnige zulieb, Der’s zum Dank dann strich mit Ruthen, ja mit Skorpionen hieb! Mehr gekroͤnte Gimpel sah ich, als es Grillen giebt im Gras, Einen Vatermoͤrder endlich, welcher fromm im Kempis las; Aber nur mit Einem Auge, denn das andre schielte dreist Nach verbuhlten Frau’n, es blieb ihm keins fuͤr seines Vaters Geist, Der mit offnen Augen hinter seinem Sessel schnarchend schlief; Aber ich erwachte schaudernd, waͤhrend ich um Huͤlfe rief. Laß die Nachtgespenster, freue dich des Tags! Ich eile fort, Hole mir von Delphi’s Dreifuß irgend ein Orakelwort. (Ab.) Kann ich doch indeß mit meinen beiden Saͤngern mich erfreu’n, Ein’ge Lesefruͤchte sammeln, einige Gedichte streu’n! Ach, da las ich just im Houwald eine Stelle, welche nie Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantasie; Denn in einem Trauerspiele tritt (die Feinde heißt das Stuͤck) Eine Fuͤrstin auf um Mitternacht und wuͤnscht den Tag zuruͤck, Und sie sagt, dieß auszudruͤcken, wie’s nur ein Genie vermag: Daß ich waͤre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag! Welch ein kuͤhnes Bild, wie wuͤrdig eines Wesens auf dem Thron! Welch ein zarter Wunsch von dieser koͤniglichen Weibsperson! Jene waͤre gern des Tages Mutter, fragte mich genau Was ich gerne waͤre, Houwald, wuͤrd’ ich sagen: Deine Frau! (Ab.) \> Pallast in Corinth . (allein). Wie oft entstieg bereits der Badewanne Des Meers Apoll und tauchte neu sich nieder, Und immer lebt Diagoras im Banne, Wiewohl ich wuͤnschte fast, er kehrte wieder, Damit ich zeigte meinem boͤsen Manne, Welch einen Busen mir bedeckt das Mieder, Getreu und fleckenlos nach achtzig Lenzen, Und immer voll moralischer Sentenzen! Ein keckes Wagstuͤck komme mir zu Statten, Und offenbare meiner Tugend Zauber, Da jener Buhler, der sie stellt in Schatten, Mich taͤglich sproͤder fand und taͤglich tauber: Bald siehst du jeglichen Verdacht ermatten, O Polybus, und siehst mich rein und sauber, Wie wenig auch fuͤr deine Frau du gluͤhest, Und blos um’s Bergbauwesen dich bemuͤhest! Zelinde. Oedipus . Dich um was zu fragen, Mutter, kam ich; doch es faͤllt mir schwer. Immer laufst du doch mit deinen Freunden in der Stadt umher! Bei Bankett und Tanz und Ballspiel, Stiergefecht, Turnier und Streit Bist du Tag und Nacht beschaͤftigt, und verlierst die schoͤne Zeit. Um die Zeit, o liebe Mutter, ist es ein besondres Gut, Der verliert sie nie, der immer, was gebeut die Stunde, thut: Blos die lange Weile nenn’ ich Zeitverlust, und diese kaum, Denn sie lehrt, wie lang das Leben, das uns duͤnkt ein kurzer Traum. Was begehrst du? Bei dem Ringspiel gab es Widerspruch und Zank, Und es schalt mich Einer Bastard, der vor mir zu Boden sank: Dieses Wort hat augenblicklich meinen ganzen Muth gebeugt, Und ich bitte, mir zu sagen, ob ich ehlich bin erzeugt? Welche Frage! Welche Sitten! Faͤllt man mit der Thuͤr in’s Haus? Bin ich, oder bin ich nicht es? Fragt man denn so rund heraus? Wie ein Pfeil nach seinem Ziele fliegt des braven Mannes Wort. Wenn du so verfaͤhrst, so scheuchst du naͤchstens alle Menschen fort. (Ab.) Will es Diese nicht entdecken, frag’ ich bei’m Orakel an, Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh- gethan. (Ab.) Platz vor dem Tempel in Delphi . (allein.) Dem Gotte klag’ ich, der mich haͤlt gebunden An diesen Dreifuß, meine Leiden alle, Und zeig’ ihm alle meine Seelenwunden: Zwar ist sie herrlich, diese Tempelhalle, Die Saͤulen schlank, das Thor in Erz gegossen, Und auf dem Dache selbst ergluͤhn Metalle; Doch hab’ ich Gluͤck und Freude hier genossen? Hat je gedankt mir ein beredter Frager, Dem ich der Zukunft Himmel aufgeschlossen? Da grau vor Alter ich und bleich und hager, Wie koͤnnt’ ich kosten je das Blut der Rebe? Wie koͤnnt’ ich ruhn auf einem weichen Lager? Die Rosen bilden uͤberall Gewebe, Und Liebe schlaͤft an jedes Baches Borden, Ich aber kenne nur den Gott und bebe! Da silberweiß mir jedes Haar geworden, Was frommt’s, wenn mein Orakelspruch erklinget Unwiderstehlich wie ein Sturm im Norben? Mit keiner Blumenkette mehr umschlinget Die Erde mich, und mancher Thor verlachte Mich als Betruͤg’rin, welche Maͤhrchen singet: O schnoͤder Poͤbel, den ich ganz verachte, Der gern mir moͤchte jedes Wort verpoͤnen, Als ob er koͤnnte denken, was ich dachte! Er laͤßt ein bloßes Rabenlied ertoͤnen; Doch wenn ich oͤffne meine blassen Lippen, So ist’s, als oͤffne sich der Quell des Schoͤnen! Den Schiffer warn’ ich vor des Lebens Klippen, Doch laͤßt er sich vom Wellentanz ergoͤtzen, Bis er zu Grunde geht an Felsenrippen. Was sing’ ich Wahrheit diesem Volk von Kloͤtzen, Das kaum ertragen kann ein Bischen Luͤge, Denn selbst die Goͤtter sind ihm nichts als Goͤtzen! Ich winde Kraͤnze blos um Aschenkruͤge. (Ab in den Tempel.) Oedipus , spaͤterhin Lajus und Melchior . Heil’ge Staͤtte, wo zu schwachem, sterblich eingeschraͤnktem Sinn Unerschaffne Wesen reden durch den Mund der Priesterin! Dich begruͤß’ ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbuͤsche Nacht, Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht! Lehre mich mein eignes Wesen kennen, lehre mich verstehn, Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn! (Ab in den Tempel.) Lajus. Melchior . Ueberall zu wenig Ehrfurcht zeigt man mir und Devotion. Welchem Steiße laͤßt sich ansehn, daß er saß auf einem Thron? Wenn die Leute wissen koͤnnten, daß du, Herr, der Koͤnig bist, Wuͤrden mehr Respekt sie zeigen, als bisher geschehen ist. (zuruͤckkehrend). Kurz und dunkel war das Wort der Pythia, das ich kaum verstand: Meide stets, so sprach sie, meide, meide stets dein Vaterland! Nun, so will ich nach Boͤotien, wenn man mich Corinths beraubt: Nach Corinth zu gehn, nicht Jedem, sagt das Spruͤchwort, ist’s erlaubt. Aus dem Wege mir. Warum denn? Aus dem Wege, Vagabund! Oder mit dem Zepter schlag’ ich dir die Nasenspitze wund. Was verlangst du? Mehr Respekt, Mensch! Mehr Respekt vor deinem Bart Allenfalls, doch keineswegs Respekt vor deiner Lebensart! Aus dem Wege, Wurm! Ich schlage dir die Kniee sonst entzwei! Ich zerbreche dir den Schaͤdel, wie ein hartgesottnes Ei! (Er erschlaͤgt ihn und entflieht.) Wehe, weh mir! Wie nach Theben bring’ ich nun ein solches Wort? Ahnung also war es, was ich gestern Abend hoͤrte dort? Denn Jokastens Harfe krachte, maͤchtig erst und dann gelind; Doch ich dachte blos, es waͤre neben ihr der Dichter Kind! (Ab mit dem Leichnam.) Pallast in Theben . Jokaste mit ihren Hofdichtern, Kind und Kindeskind . Was giebt’s im literaͤr’schen Fach fuͤr Neuigkeiten, Freunde, jetzt? Ein Epigramm auf unsern Kind. Auf unsern Kind? In Schrecken setzt Mich solch ein Wort! Wer wagt zu schmaͤhn den besten Saͤnger dieser Flur? Auch sagt das Sinngedichtchen nichts, als daß ich klein sei von Statur, Und fordert mich zum Wachsen auf! Das nenn’ ich einen leichten Witz! Auch schreibt das Ganze noch sich her von unserm Dresdner Musensitz, Und einem Anekdoͤtchen, das man vorgesucht aus altem Kram. Als naͤmlich einst Napoleon auf seiner Flucht durch Dresden kam Von Moskwa, ließ er bitten mich, damit er foͤrdre seinen Zug, Die Siebenmeilenstiefel ihm zu borgen, die das Daͤumchen trug. Das ist fuͤr Sie nur ehrenvoll, und jener Spoͤtter war zu dreist. Und wenn ich kurz bin von Statur, so bin ich doch ein langer Geist! Das ist gewiß, und Jeder fuͤhlt’s, der Ihre Poesien vernimmt. Sie sind ein wasserreicher Strom, den Keiner bis an’s Ende schwimmt! Verachten wir die Spoͤtterei’n, und bilden, wie wir taͤglich thun, Den akadem’schen Minnehof, und stellen eine Frage nun, Von euch eroͤrtert und glossirt. Das Thema geb’ uns deine Gunst, Wir schmuͤcken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck der Kunst. So stell’ ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter mehr, Ob mehr ein unverliebter gilt bei’m literaͤrischen Verkehr? Mich duͤnkt, daß ein verliebter mehr vermag. Ein unverliebter, mich. Ein Thema, das man oft glossirt, ich geb’ es euch geflissentlich: Suͤße Liebe denkt in Toͤnen, Denn Gedanken stehn zu ferne, Nur in Toͤnen mag sie gerne Alles, was sie will, verschoͤnen . Soll das Herz sich ganz ergießen, Stroͤmen lassen alle Triebe, Muß es voll sein und genießen; Aber was, so moͤcht’ ich schließen, Macht das Herz so voll wie Liebe? Tausend Harmonien entkeimen Unserm Busen im Geheimen Durch die Gegenwart des Schoͤnen: Liebe spricht von selbst in Reimen, Suͤße Liebe denkt in Toͤnen . Kindes- Liebe nimmt den Sinn gefangen, Schafft Verdruß und wirkt Verblendung: Wer im Busen hegt Verlangen, Trachtet nur nach schoͤnen Wangen, Aber nicht nach Kunstvollendung. Wem das Herz, von Liebeszwickeln Eingepreßt, Begierden prickeln, Dem erlischt des Geists Laterne; Seufzer wird er blos entwickeln, Denn Gedanken stehn zu ferne ! Nein! Die Liebe wird gerade Jeden Gegenstand verklaͤren, Wird den Pfad der Huld und Gnade Wandeln, und auf diesem Pfade Goͤttlichen Gesang gebaͤren! Kriechen mag sie nicht am Boden, Nicht in steifen Perioden Mag sie fliegen an die Sterne, Nur in Liedern, nur in Oden, Nur in Toͤnen mag sie gerne ! Sei’s der Liebe zugegeben, Daß sie hoch den Liebsten feiert; Doch an ihm nur wird sie kleben, Wird vergessen Welt und Leben, Waͤhrend sie von Liebe leiert: v. Platen, der romant, Oedipus. 4 Nein! Die freie Seele rette Sich von jeder Sinnenkette, Himmlisch wird sie dann ertoͤnen, Wird mit Engeln um die Wette Alles, was sie will, verschoͤnen ! Die Vorigen, Teresias . O Koͤnigin! Welch Misgeschick brach uͤber unsre Stadt herein! Wie bin ich froh, zu finden dich im Kreise deiner Saͤngerlein! Sie moͤgen retten uns! Was giebt’s? Mit Waffen bin ich nicht vertraut. Nicht Waffen gilt’s, nur einen Vers, der gut und richtig ist gebaut. Es hat erzuͤrnt Apollo sich von uns Thebanern abgekehrt, Weil wir den Goͤtzen Kotzebue statt seiner hier im Land verehrt; Drum hat er uns die Sphinx geschickt, so nennt sie sich, und ist ein Weib Mit großen Fluͤgeln an der Brust, und einem langen Drachenleib. Sie sagt, sie waͤre Mauthnerin, und sitzt auf einem Fels am Weg, Wo Jedermann voruͤber muß, weil nahe dran ein schmaler Steg; Und keck behauptet diese Sphinx, es haͤtte sie gesandt Apoll, Ein fehlerloses Distichon zu heischen hier als Straßenzoll. Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den stuͤrzt sie gleich hinab die Kluft, Und diese ward dem groͤßten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft; Doch wird ein wahres Distichon ihr dargebracht, so will sogleich Sie selbst sich stuͤrzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieses Reich. Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich schicke hier die beiden Kind. Jedoch bedenke, Koͤnigin, daß auch die Saͤnger Menschen sind, Und Irren menschlich ist! So hat ein Recensent mich juͤngst geputzt, Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt. Dergleichen kommt ja taͤglich vor, seit man in Theben Verse leimt, So las ich einen Dichter juͤngst, der Loͤwe gar auf Schlaͤfe reimt! Und freu ’n auf Wein ! Wir sind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn, 4* Und sinnend auf ein Distichon den Kampf mit dieser Sphinx bestehn! (Beide ab.) Die Vorigen, Melchior . O Koͤnigin! Wie kuͤnd’ ich dir die Schreckenspost? Welch neu Geschick? Erschlagen ward dein Ehgemahl von einem jungen Galgenstrick! Wenn schon von hier und dort zugleich die Welle schlaͤgt in’s lecke Both, Dann zeigt sich Geistesgegenwart am hoͤchsten bei der hoͤchsten Noth! Zwar bin ich nur ein schwaches Weib; doch fuͤhl’ ich mich gefaßt im Schmerz, Und weiß zu sorgen fuͤr das Volk, zu sorgen fuͤr das eigne Herz! Durch einen Herold lasse man trompeten durch das ganze Land: Derjen’ge, der die Sphinx erlegt, erhaͤlt Jokastens Kron’ und Hand! So wird vom Zolle frei die Stadt, und da gestorben ihr Tyrann, Verschaff’ ich einen neuen ihr, und mir verschaff’ ich einen Mann; Und wenn mich auch, wie fruͤher ich geschwaͤrmt, der Ehe suͤßes Joch Mit meinem Honwald nicht vereint, bekomm’ ich einen Dichter doch! (Ab.) Felsiger Weg mit einem Zollhaͤuschen . (allein). Ein traurig Loos bestimmten mir die Moͤren: Ich muß verbannt, auf diesem oͤden Berge, So lang ich lebe, schlechte Verse hoͤren, Und dieß Geschlecht bestrafen dann als Scherge; Und zeigt sich Einer, der mit Musenchoͤren Vertrauter ist, als diese Dichterzwerge, So muß ich selbst in Charons Nachen steigen, Anstatt dem suͤßen Klang das Ohr zu neigen. Man nennt mich herb und allzuhart und sproͤde, Doch geht’s mit mir wie mit den andern Dingen: Wer leicht und frech mit mir verfaͤhrt und schnoͤde, Dem wird der Sieg zu keiner Zeit gelingen! Mich quaͤlen taͤglich Saͤnger und Tragoͤde, Doch Keiner konnte mich bis jetzt bezwingen: Unuͤberwindlich ward ich schon gescholten Von Einem, welcher mir so viel gegolten! Ihr Millionen oder Milliarden, Die ihr g aippt aus Hippokrene’s Lache, Versorg jaͤhrlich mit so viel Bastarden Die Findelhaͤuser aller Almanache: Ich bin die Sphinx, die Zoͤllnerin der Barden, Indem ich zinsbar eure Verse mache; Zwar Verse duͤnken euch bequeme Zoͤlle, Doch sind sie schlecht, so schick’ ich euch zur Hoͤlle! (Eine Menge Dichter, worunter auch Kind und Kindeskind , gehn voruͤber. Jeder haͤlt eine Schreibtafel in der Hand, worauf ein Distichon geschrieben steht. Die Sphinx liest die Disticha, und wirft die Verfasser nach allen Seiten in den Abgrund. Zuletzt erscheint Oedipus .) Bist du das Ungethuͤm, von dem sie sagen, Du littest keine Verse, welche hinken, Und ließest Alle, die dergleichen wagen, Den bittern Tod in diesem Schlunde trinken, Und stuͤndest ab, das arme Land zu plagen, Wenn unter allen diesen lauten Finken Nur Eine Nachtigall zu finden waͤre, Die ohne Fehl ein Distichon gebaͤre? Daß Jeder das, was er betreibt, verstehe, Wag’ ich zu fodern und aus guten Gruͤnden: Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe, Und doch erzeugt er eine Menge Suͤnden; Denn allzuleicht nur wird in wilder Ehe Sich eine schlechte That mit ihm verbuͤnden: Wer durch sich selbst kann keinen Kranz erreichen, Der muß denselben raͤnkevoll erschleichen. Du scheinst die Fodrung nicht zu hoch zu stellen; Doch wundert kaum es mich, erhabnes Wesen, Daß unter allen jenen Junggesellen Fuͤr keinen Deut Geschicklichkeit gewesen: Tragoͤdien hab’ ich oft von hundert Ellen, Doch nie ein richtig Distichon gelesen. Hier siehst du eins auf dieses Blatt geschrieben, So nimm es hin und lies es nach Belieben! (in Transparent erscheinend). Moͤge die Welt durchschweifen der herrliche Dulder Odysseus, Kehrt er zuruͤck, weh’ euch, wehe dem Freiergeschlecht! (Nachdem es die Sphinx gelesen, stuͤrzt sie sich in’s Orchester hinunter und Oedipus verlaͤßt den Schauplatz.) (an die Zuschauer). So sprang ich denn zu euch herab, und kam so ziemlich gut davon; Doch wag’ ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Distichon! Auch bitt’ ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an Costuͤm Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidnisch Ungethuͤm. Ich weiß, daß hier verboten ist, ein bischen derb zu sein und frei, Denn uͤberall, wo Menschen sind, versteckt ihr eure Polizei! Ihr moͤchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der Kuh, Und zwingt den Fuß des Herkules in euren schmalen Kinder- schuh: So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede Kraft Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermoͤgen Rechen schaft! Gewaͤhren ließ man, was Natur aus diesem Mann gemacht und dem, Und ehrte jeden großen Trieb in diesem großen Weltsystem: Im Aeschylus den hohen Trotz, den Duldersinn im Sokrates, Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Aristophanes; Da nahm der Taͤnzer seinen Kranz, der Fechter seiner Faͤuste Preis, Dem Schoͤnen ward ein schoͤner Freund, dem Weisen ward ein Schuͤlerkreis: Da wuchsen aͤchte Maͤnner auf, und Frauen groß, wie Sappho war, Holdselig wie Aspasia, wie Diotima wunderbar! Drum koͤnnte lernen mancherlei, so scheint’s, von ihnen mancher Christ, Die Tugend unter andern auch, die nicht der Guͤter letztes ist! Doch weil ihr besser seid, so ruft die Besten unter euch empor: Wohlan! Es zeige sich Lykurg! Epaminondas trete vor! Ihr schweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott so reich begabt, Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz’gen Heiden habt! Euch Schande bringen koͤnnte blos, ja selbst dem Staate blos Ruin Ein einziger Timole an einem Orte wie Berlin! Denn wißt, ich hege fuͤr Berlin im Herzen einen kleinen Groll: Viel edle Maͤnner walten dort; doch ist der große Haufe toll, Dort, wo bewundert ward Fouqué und wer in dessen Stapfen trat, Wo man den Raupel jetzt verehrt und sein Tragoͤdienfabrikat (Deswegen, heißt es, soll er auch, wie ein Genie die Backen blaͤhn; Doch will er Philomele sein, so muß er floͤten, statt zu kraͤhn: Es ist der Ruhm an manchem Ort ein gar zu leicht erworbner Schatz, Wo Alles nach den Sphaͤren lauscht, wenn auf dem Schlote singt ein Spatz!) O stuͤnde doch im Lande Teuts ein Solon auf, und sagte dreist: Nie schreibe mehr ein Trauerspiel, wer ganz versimpelt ist an Geist! Und da’s so viel Calvine giebt, durch ihre Strenge wohl- bekannt, So werde woͤchentlich ein Stoß Tragoͤdien oͤffentlich ver- brannt: Die Flamme schlage hoch empor, und maͤchtig lodernd schwaͤngre sie Tholucks gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie, Verwandle vor dem truͤben Blick des ganz ascetischen Cumpans Die ew’gen Froͤste von Berlin in einen Fruͤhling Kanaans! Doch merk’ ich, daß umsonst ich nur, der Poetasterei zu Trutz, Die Rechtsgelehrten angeregt, die Geistlichen gefleht um Schutz: Euch Aerzte ruf’ ich endlich auf, da sonst mir keine Huͤlfe bleibt, Euch Aerzte, die ihr manchem Mann manch nuͤtzliches Recept verschreibt, Verbietet doch Romantikern Papier und Federkiel und Stift, Und ordinirt, wenn nichts verschlaͤgt, ein kleines Graͤnchen Rattengift! Sonst wird noch eure Poesie so frei, so burschikos und flott, Bis endlich ganz Europa ruft: Ihr Deutschen seid ein Kinderspott! Vierter Akt . Pallast in Corinth . Diagoras, Zelinde . Ja, nach dreißig langen Jahren kehr’ ich wieder, schoͤnes Weib! Und die ganze Welt besah’ ich, was ein huͤbscher Zeitvertreib: Sah das Herz Europa’s, wie sie’s nennen; leider ist’s von Speck; Dein massives Herz, Zelinde, liegt allein am rechten Fleck. O du bist umsonst gewandert, da du tief in deiner Brust Wiederbringst dieselben Laster und dieselbe boͤse Lust! Haͤttest wirklich im Sarmatenlande du so suͤß und lind Grasen sehn die frommen Schaͤflein, die mitunter Katzen sind, Hoͤren koͤnnen, wie die Kruͤdner als Velleda dort geschrien, O es waͤre deine Seele voll erhabner Psalmodien! In Campanien, wo man auf den platten Daͤchern drischt das Korn, Wenn Vertumnus ausgeschuͤttet seines Ueberflusses Horn, In Campanien vor die Augen trat mir ein Berliner Christ, Und ich sah, daß dieser Leute Gott ein bloßer Apis ist; Auch die Kruͤdner, wo sie jemals lehrte, wo sie wirkte je, Nicht Velleda war sie, scheint es; aber wohl Pasiphae! Hast du denn auf deinen Reisen nichts als Heuchlervolk erblickt, Keinen, welcher gegen Himmel wirkliche Gebete schickt? Einen wahren Frommen sah ich, den das Erzgebuͤrg gebar, Der, was Jene toͤlpisch aͤffen, wirklich in der Seele war; Doch wie Mancher, der so linkisch itzt den Himmel klimmt hinan, Thut es, weil gerad’ er eines frommen Koͤnigs Unterthan: Waͤre noch, wie sonst, ein Freigeist Fluͤgelmann, wie schnell belehrt Wuͤrden Jene Gott verlaͤugnen durch ein steifes Rechtsumkehrt! Laß uns von uns selber sprechen! Liebst du wirklich mich getreu? Kannst du fragen? Deine Worte, sind es keine leere Spreu? Pruͤfe mich! Die groͤßte Probe scheint mir, dir zu Liebe, klein. Nun so schenke mir dein Herz! Seit sechzig Jahren ist es dein! Nein, so mein’ ich’s nicht! Dergleichen Phrasen sind fuͤr ein Sonett! Nein, ich will das koͤrperliche Herz, ein Herz mit wahrem Fett: Da du stets materiell warst, werd’ auch ich materiell: Ein platonisch Herz genuͤgt mir keineswegs! — Entscheide schnell! Immer schlug mein Herz fuͤr dich nur! Aber sinnlich und verrucht, Und dadurch mit Recht erregend meines Mannes Eifersucht; Glaube mir, auf keine Weise thu’ ich seinem Zorn genug, Wenn ich nicht das Herz ihm schenke, das fuͤr mich in Liebe schlug. Dieser Antrag kommt mir etwas unerwartet, ja sogar Grob und unmanierlich wag’ ich ihn zu nennen. Sonderbar! Also Redensarten waren’s, wenn du sagtest mir und schriebst, Daß du mehr mich als das Leben, mehr als deine Seele liebst? Luͤge waren deine Seufzer, deine Schwuͤre waren Scherz? Und das Herz, das jetzt du weigerst, war es nur ein falsches Herz? O der Maͤnner! O des Meineids, den sie jeden Tag begehn, e, die nicht die kleinste Pruͤfung, auch die kleinste nicht, bestehn! Welche Freude dir zu machen waͤhnt’ ich! Jahre sann ich nach, Zu befrei’n von jeder Qual dich, und mich selbst von jeder Schmach: Endlich fand ich dieses Mittel, fand es und du schlaͤgst es aus! Steigst du selbst mit mir hinunter, tret’ ich gern in Pluto’s Haus. Sterben ich? Noch lang zu leben denk’ ich, meinem Gatten treu. Alte Hekuba! Was hoͤr’ ich? Haͤltst du dich vielleicht fuͤr neu? Welch ein Zorn ergriffe jetzt mich, gaͤb’ es meine Tugend zu! Schoͤne Tugend! Wie? Du zweifelst? Alter Rabe! Kakadu! Nun, ich hoffe, nicht vergebens schiltst du meine Tugend alt! (im Abgehn) Was er mir im Guten weigert, das ertrotz’ ich mit Gewalt! (Ab.) Welch ein Vorschlag! Auszuschneiden mir das Herz in seiner Kraft! Und dergleichen Leute gelten heut zu Tag fuͤr tugendhaft! Aus dem Staube mach’ ich schnell mich! Nein, dem Himmel sey’s geklagt, Daß dem weiblichen Geschlechte die Vernunft er hat versagt! Polybus, Diagoras . Ei, Diagoras, willkommen! Sieh zu Fuͤßen deinen Knecht; Doch vergoͤnne, daß ich gehe! Nein, du kommst mir eben recht! Gern um Rath dich fragen moͤcht’ ich, werther Freund! Ich weiß, du bist Weit gereis’t und kannst mir viel entdecken was mir nuͤtzlich ist: Mit dem Bergbau mich beschaͤftigt hab’ ich in der letzten Zeit, Und du bist gewiß hieruͤber zu belehren mich bereit. Zwar in Sachsen und in Polen untersucht ich manchen Schacht, Und es eilte meine Schwermuth gern hinab in’s Reich der Nacht, Wo sich keine Moͤve schaukelt auf dem unterird’schen Teich, Wo Natur so nah zu uns tritt, und so todtenstill zugleich; Aber jetzt vergoͤnne — Nicht doch! Was du sagst, gefaͤllt mir sehr: Komm, Diagoras, in mein Gemach, denn gerne hoͤrt’ ich mehr! Ueber Berg- und Huͤttenkunde hab’ ich oft und viel gedacht, Gold und Silber, Erz und Schwefel manichfach zu Tag gebracht, Und besonders viel Arsenik, wie du sehn wirst. Komm herein! Wir besprechen dann noch Manches uͤber einem Glase Wein. Deine Huld ist allzuhuldvoll. Koͤnnt’ ich nicht ein andres Mal — Nein, du leerst auf deines Koͤnigs Wohl sogleich den Goldpokal! (Beide ab.) Festlicher Saal in Theben . Oedipus auf dem Thron, um ihn die Großen des Reichs; unter ihnen Tiresias . Im zehnten Jahr gebiet’ ich diesen Reichen, Seitdem befreit ich euch von jenem Gaste, Den durch ein Distichon ich zwang zu weichen, Und mich vermaͤhlt der Koͤnigin Jokaste: Nun hoͤr’ ich, daß ein Jammer ohne Gleichen, Trotz meiner Hut, auf diesem Lande laste, Und daß gequaͤlt von Hungersnoth und Seuchen Im schweren Joche die Thebaner keuchen. D’rum Drum hab’ ich hier zusammen euch geladen, Um Rath zu schlagen, Maͤnnervolk und Greise! Ob Einer wisse, wie der große Schaden In’s Land gekommen und auf welche Weise? Ein guter Rath ist wie der goldne Faden Der Ariadne fuͤr die Lebensreise, Und wir Monarchen um so mehr beduͤrfen Des guten Raths bei Planen und Entwuͤrfen. So will denn ich zuerst zu sagen eilen, Was mir im Geist gelungen auszuspuͤren: Durch welche Mittel jene Pest zu heilen Mit allen ihren Beulen und Geschwuͤren, Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund’ ertheilen, Wie sie hereinbrach und durch welche Thuͤren, Und fuͤr die Meinung muß ich mich entscheiden, Daß jene Sphinx die Quelle dieser Leiden. Laͤngst war sie selbst den Fels hinabgesprungen, Dank deinem Distichon und deinem Witze! Eh’ noch die Nachricht durch die Welt gedrungen, Daß solch ein Wesen hier in Theben sitze, Und jeder Saͤnger, welcher je gesungen, Gerieth in solche Wuth und solche Hitze, Hieherzukommen und den Vers zu schmieden, Daß aus der Welt gewichen schien der Frieden! So lang’ ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben, Ein Gaul, ein Kuͤtschchen oder nur ein Nachen, So lang’s noch einiges Papier zum Schreiben, v. Platen, der romant. Oedipus. 5 Noch etwas Tinte gab zum Versemachen, So wollte Keiner mehr zu Hause bleiben: Die Greise kamen selbst, die alterschwachen, Es rissen sich die Saͤuglinge vom Busen Der Muͤtter ab und saugten an den Musen. Das Juͤdchen Raupel erst begann zu singen, Das itzt als Raupach traͤgt so hoch die Nase: Es suchte sich zur Trunkenheit zu zwingen Durch Schillers zehnmal abgebruͤhte Phrase, Und als der Rausch ihm wollte nicht gelingen, Da rief es aus: Ich taumle schon! Ich rase! Der Edle rief’s und eilt’ in seine Kammer, Und schmiert’ ein Trauerspiel im Katzenjammer. Sein Freund nur wollte nicht sich herverfuͤgen, Ihm war die matte Seele wie vernichtet, Und seine Leier, nach so stolzen Fluͤgen, Im Hof als Brennholz zierlich aufgeschichtet: Familienschwaͤchen sucht er jetzt zu ruͤgen, Und spielt den Teufel, den er sonst gedichtet, Indeß er selbst zufrieden ruht und eisern, Zwar nicht auf Lorbeern, aber Birkenreisern. Houwald hingegen kam herangefahren, Ein alter Mensch, doch aͤhnlich einem jungen, Ein Abcschuͤtz von gereiften Jahren, Der oft im Schweiß des Angesichts gesungen; Und hoͤchst bescheiden forschend nach dem Wahren, Fragt er den Leser: Ist es mir gelungen? Die Gans, von welcher ich entlehnt die Kiele, Spaziert sie auch durch meine Trauerspiele? Nach diesen sah ich ganze Zuͤge wallen, Wie koͤnnt’ ich nennen dir so viele Meister? Und aus der Tasche guckte leider Allen Ein schwerer Band von Poesien, ein feister: Man hoͤrte nichts als lauter Verse knallen, Und Alle rochen nach Papier und Kleister, Und Alle wollten uns die Zeit verkuͤrzen, Und suchten nebenbei die Sphinx zu stuͤrzen. Allein der Hauch, den diese Saͤnger hauchten, Verpestete die Straßen und die Plaͤtze, Auch kam dazu, daß viele Musen schmauchten, Und andre litten vollends an der Kraͤtze, Wofuͤr sie leider eine Salbe brauchten, Die als mephitisch ich vor vielen schaͤtze: Und so in Kurzem roch es allenthalben Nach schlechten Versen, nach Taback und Salben. Im Norden kann man solchen Duft ertragen, Und aus dem Norden kamen jene Musen; Bei uns jedoch fing Alles an zu klagen, Und schalt sie Kamtschadalen und Tungusen; Doch schon begann die schnoͤde Pest zu nagen An mancher Brust, an manchem schoͤnen Busen: Es aͤchzten Maͤnner sich zu todt und Weiber, Doch unermuͤdlich blieben jene Schreiber! Und solche Musen fahren fort zu klexen, Und wollen hier vielleicht noch Ru hm gewinnen? Ihr habt noch nicht sie mir verbrannt als Hexen, Noch nicht gestaͤupt als Beutelschneiderinnen? 5* Glaubt ihr, ich koͤnne, gleich den Versifexen, Verdrehungen um alles Gute spinnen, Und Mittelmaͤß’ges bis zum Himmel heben? Glaubt ihr, ich sey der Boͤttiger von Theben? Wir glauben’s nicht; doch lange sind zerstoben Die boͤsen Reime, die die Pest verbreitet: Uns kam Apoll, der uͤber goldne Globen Im lichten Himmel auf- und niederschreitet, Zu Huͤlfe selbst, er kam herab von oben, Und zuͤrnte streng, durch unser Flehn geleitet, Der Reimerzunft und ihren tollen Haͤndeln; Denn Viele wagten selbst mit Gott zu taͤndeln! Und schnell verwandelnd jene Dichterschaaren, Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege, Macht’ er zum Affen Den mit langen Haaren, Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege, Die Meisten wurden Papagai’n und Staaren; Houwaldchen ward in eine matte Fliege, Und Raupel, der mit Trauerstuͤcken handelt, In einen Wiedhopf alsobald verwandelt. Doch ist der Krankheitsstoff im Volk geblieben, Und immer neu beginnt der Tod zu wuͤthen: Er sichelt frech mit ihren vollsten Trieben Die Jugend ab, mit ihren schoͤnsten Bluͤthen! Und taͤglich hoͤren Herzen auf zu lieben, Die gestern noch von einem Feuer gluͤhten, Das eine Welt umher entzuͤnden koͤnnte, Wofern es ihnen das Geschick vergoͤnnte. Welch Mittel fruchten soll und welche Suͤhne, Nur einer Goͤtterlippe kann’s entschallen; Drum alsogleich verlaß die Rednerbuͤhne, Und flehend eile nach den Tempelhallen, Wo jener Gott, der maͤchtige, der kuͤhne, Der schoͤne, der melodische vor Allen, Wo jener fromme Lautenschlaͤger weilet, Der Drachen toͤdtet und Gebrechen heilet! Und durch ein Lied auf seinem weichen Psalter, Das unsre Duͤrre, wie ein Strom, umflute, Verkuͤnde gnaͤdig uns der Welterhalter Das Opfer, das fuͤr diese Zeiten blute: Wir leben nicht in jenem goldnen Alter, Wo auf dem Siegerwagen schlaͤft das Gute, Um welchen Lorbeern oder Myrten sprossen; Denn diese Zeiten sind aus Erz gegossen! (Er steigt mit raschen Schritten vom Thron herab; Tiresias verlaͤßt den Saal, indem er dem Balthasar begegnet.) Schlimme Botschaft dir zu bringen, komm’ ich, Koͤnig, aus Corinth. Fuͤhren wieder mich die Goͤtter durch ein neues Labyrinth, Schwieriger vielleicht als jenes, das bei Nuͤrnberg ward gepflanzt, Wo der Pegnitz Blumenorden unter gruͤnen Buchen tanzt? Polybus ist todt, gestorben ist Zelinde, seine Frau. Dieses Doppeljammers Anlaß, schnell erzaͤhl’ ihn und genau! Es kam zuruͤck nach zehentausend Tagen Diagoras zum Hofpallast des Fuͤrsten; Doch dieser schien, voll eifersuͤcht’ger Plagen, Seit Jahren schon nach Jenes Blut zu duͤrsten, Um seiner Koͤnigsehre Mantelkragen Von jenen Fasern allen reinzubuͤrsten, Die aus Zelindens Bett, so waͤhnt betrogen Der Fuͤrst Corinths, ihm waren angeflogen. In seine Zimmer laͤßt er Jenen winken, Zu fragen ihn nach seinen Abenteuern: Er sucht mit Freundlichkeit den Haß zu schminken, Durch Hoͤflichkeit der innern Wuth zu steuern, Reicht ihm Confekt und gieht ihm Wein zu trinken, Und pflegt bei jedem Schluck ihn anzufeuern; Allein im Weine war ein Gift verborgen, Das Jenen toͤdten soll am andern Morgen. Es hat verlassen kaum den Tisch der Rache Diagoras, so schrecklich hintergangen, Als auf der Treppe bei dem Schlafgemache Zelindens ihn Zelindens Frauen fangen: Gebunden wird an Hand und Fuß der Schwache, Auf’s Lager hingestreckt mit bleichen Wangen, Und aus dem Busen ihm das Herz geschnitten: O wie verderbt sind heut zu Tag die Sitten! Versprochen hatte dem Gemahl Zelinde, Wie sehr sie schuldlos waͤre, zu beweisen, Wann ihren Freund Diagoras die Winde Zuruͤckgefuͤhrt von seinen weiten Reisen; Drum will sie schenken ihm als Angebinde Das Herz des Liebsten, und er soll es speisen; Er soll die Probe, die sie denkt zu liefern, Hoͤchsteigen kau’n mit seinen beiden Kiefern! Sie ließ das Herz auf eine Weise kochen, Wodurch das Zaͤhste selbst sich laͤßt verdauen: Der Koͤnig aß es ohne Herzenspochen, Und ohne Vorgefuͤhl und ohne Grauen; Da rief Zelinde: Was sie dir versprochen, Es hat’s gethan die keuscheste der Frauen! Gegeben hab’ ich dir die hoͤchste Probe, Nun liebe mich und meinen Muth belobe! Was war Lukretia gegen mich, die rasche, Die doch dem Gatten blos zum Schmerz gestorben? Was Artemisia, welche mit der Asche Des Ehgemahls sich ihren Wein verdorben? Doch ist’s vergebens, daß ich Namen hasche, Da gleichen Ruhm sich Keine hat erworben: Des Liebsten hat noch Keine sich entledigt, Wie sehr die Nachwelt ihre Namen predigt! Auf daß du koͤnnest mein Verdienst ermessen, Und meine ganze Tugend ganz erfassest, So wisse denn, und woll’ es nie vergessen, So wahr du jetzt aus Neubegier erblassest: Das kleine Ding, das eben du gegessen, Es war das Herz des Mannes, den du hassest, Das Herz des liebenden Diagoras war’s! Was, fragte wuͤthend sie der Koͤnig, was war’s? Schon springt er auf mit rasender Geberde, Und reißt das Vorlegmesser aus der Scheide: So sei’n verflucht der Himmel und die Erde, Denn keinen Anspruch hab’ ich mehr an beide! Der Himmel werde schwarz wie Pech, es werde Die Erde weiß und farbenlos wie Kreide! Das Herz, vernimm, das ich gespeis’t so eben, Es war mit Gift, es war mit Gift vergeben! Er spricht’s, indem er seine Messerspitze Der treuen Gattin durch den Busen rennet, Die sterbend sinkt von ihrem goldnen Sitze; Ihm selbst bereits im Eingeweide brennet, Des Giftes Wirkung, ungewohnte Hitze. Von dir jedoch, mein Oedipus, bekennet Zelinde noch in ihren letzten Stunden, Man haͤtte dich als Findelkind gefunden. Das ist ein Vorfall, wahrlich, ohne Gleichen! Im Erdenschooße liegt er nun begraben. So wurden schon bestattet jene Leichen? Sie sind ein Raub der Motten und der Schaben. Du geh’ und laß dir Trank und Speise reichen! Ich denke nicht, mich lange hier zu laben! Du willst zuruͤck schon nach Corinth dich wenden? Wo meine Herrschaft modert, will ich enden. (Ab.) So ist die Herkunft mir in tiefe Schleier Auf’s neu verhuͤllt, ich bin beraubt der Lieben, Und dieses Volk, dem einst ich als Befreier Erschienen bin, ich seh’ es aufgerieben: Warum erfreu’n wir uns am Klang der Leier, Am Spiel des Gluͤcks, an tausend suͤßen Trieben, Wenn stets im Hintergrund die Furie lauert, Und unser Leben zwo Sekunden dauert? Die Vorigen. Jokaste . Gemahl! Von etwas Tragischem Bericht erstatten muß ich dir. O wehe mir! Wie bin ich satt vom Hoͤren schon! O wehe mir! In wenig Worten blos besteht’s: Es hat Tiresias gefragt Den Gott, woher dieß Uebel stammt, und dieser dann ihm ausgesagt, So lange wuͤthe hier die Pest, bis daß du strafst die Moͤrder- hand, Die unsern Koͤnig einst erschlug, den Lajus, der geherrscht im Land. Und wer erschlug ihn? Keiner kennt den Moͤrder; doch der Seher mag Hinuntersteigen in die Gruft, da schon gesunken ist der Tag, Und meines vor’gen Mannes Geist citiren, und der Schatten soll Verkuͤnden, der’s am besten weiß, wer ihn erschlug so schaudervoll, Daß noch nach zehen Jahren uns Verderben bringt die schnoͤde That; Denn Lajus war ein braver Mann, und gar ein strenger Potentat! So sei’s! Ihr Alle folget mir hinab zum Kirchhof, um so- gleich Wahrheit zu holen uns und Licht, und waͤr’ es aus dem Todtenreich! (Ab mit den Uebrigen.) Mir ist so bang und schauerlich, als kaͤm’ ich just aus einem Stuͤck Von Muͤllner oder sonst wovon, wo man betraͤchtlich weint, zuruͤck; Denn eben hatt’ ich ein Gespraͤch mit unserm Knechte Melchior, Zu forschen nach des Lajus Tod; doch bracht’ er nichts Ge- scheutes vor: Verlegen schien er und verbluͤfft, und dann gestand er noch zuletzt, Daß unsern kleinen Sohn er einst den Thieren gar nicht vorgesetzt, Daß jenes Kind noch lebt vielleicht, was mich erschreckt hat und bestuͤrzt, Da stets das Schicksal tuͤckisch ist, sobald es seine Knoten schuͤrzt. (Ab.) Kirchhof mit Cypressen und Denkmaͤlern . Tiresias , den Zug fuͤhrend, Oedipus mit dem ganzen Gefolge. Kommt heran, wir sind zur Stelle, diesen Huͤgel steigt herauf; Aber tretet leise leise, wecket nicht die Todten auf! Maͤnner, kommt mit euren Fackeln, bildet einen Kreis umher! Leise mit den Fackeln, leise; denn erwachen soll nur Er! Welch ein Vorgefuͤhl befaͤllt mich! Mir im Herzen starrt wie Eis Jeder Tropfe Blutes! Wandelt leise! Bildet einen Kreis! Wecket nicht die Todten! Wehe! Duͤster mit Gewoͤlk’ umhing Sich der ganze Himmel. Leise! Bildet einen großen Ring! Steig’ empor, o Geist des Lajus! Wenn dem Tode was entschluͤpft, Wenn’s ein Band giebt, das die Schatten an des Tags Ge- bilde knuͤpft, Wenn die Seele nicht vergebens nach dem Wahrheitsfunken forscht, Wenn ein Theilchen deines Wesens, nur ein Theilchen un- vermorscht: Bei den Wolken, uͤber de ne n ewig jauchzt der Goͤtter Chor, Bei der Erde, voll von Moder, steige, steige, steig’ empor! (Die Gewoͤlke senken sich, die Fackeln verloͤschen, der Geist des Lajus erscheint.) Wehe! Welch Gespenst! Ich kenn’ es! Mir vor Allen winkt es zu! Mir, ich kenn’ es! Leise, Leise! Wer erschlug dich, Alter! Du! (Er verschwindet, die Fackeln entzuͤnden sich.) Wehe mir, wie fruͤh vollendet seh’ ich meiner Tage Lauf! Ich erschlug ihn. Leise! Weh mir! Wecke nicht die Todten auf! Die Vorigen. Jokaste . O Jokaste! Was geschehn ist, wurde klar, und was zu thun: Deinen Gatten, ich erschlug ihn, uͤbe selbst die Rache nun! Nimm ein Schwert, und aus der Scheide zieh’s mit eigner Hand heraus! Meine nackte Brust, du siehst sie! Wehe mir! Die Fledermaus! Welch ein neues Uebel? Wahrgesprochen hat des Sehers Mund: Daß ich dich, ich dich geboren, thut das Muttermal mir kund! Unser Sohn, du bist es, den wir, als er kaum den Tag gesehn, Ausgesetzt als Fraß den Thieren; doch es sollte nicht geschehn! Man verschonte dich, dem Schicksal ließ man, uns zu strafen, Raum; Doch ich eile fort und schleunig haͤng’ ich mich an einen Baum. (Sie erhenkt sich im Hintergrunde.) Jammer uͤber Jammer! Houwald! Horch! Sie rief mit letzter Kraft Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenschaft Fuͤr den Saͤnger, die sie lebend stets in ihrer Brust verbarg. Maͤnner Thebens, loͤscht die Fackeln, bringt herbei mir einen Sarg! Gluͤcklich die hier unten schlummern, rings umher verscharrt im Sand: Wenn die Erde droͤhnt und zittert, halten sie dem Stoße Stand; Doch auf ihrer Oberflaͤche bebt der Mensch auf seinem Sitz, Ueber’m Haupt ihm bruͤllt der Donner, ihm um’s Auge zuckt der Blitz! Oedipus! Dein Jammerschicksal nicht verschließ’ es tief in’s Herz, Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz! (Bei den letzten Worten des Tiresias wird der Sarg gebracht und in die Mitte der Scene gestellt.) Ich schaudre wechselnd vor mir selbst und staune, Als ob wir Alle bloße Traͤume waͤren: Da doch der Mensch nur ein Geschoͤpf der Laune, So sollten Weiber lieber nicht gebaͤren! Wo ist des Ruhms allmaͤchtige Posaune, Die meinen Namen mitgetheilt den Sphaͤren? Wo sind die Harfen, welche siebentoͤnig Mich einst gepriesen als den groͤßten Koͤnig? Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken Und stuͤrzen sah; doch ich bestand die Proben, Und das, was Vielen ward zu Dornenranken, Hab’ ich zum Rosendiadem verwoben; Und waͤhrend tausend Nachen u sanken, Ward ich vom leichten Element gehoben, Durchschwamm die Fluthen mit behender Schnelle, Und mich umtanzte voll Musik die Welle! Ich ging ein Juͤngling, ungekannt von Allen Wohin, so waͤhnt’ ich, mich die Pythia schickte, Und ließ die Her scherworte kaum erschallen, Als jedes Haupt sich beugte mir und nickte; Doch war ich schon dem Untergang verfallen, Eh’ ich den Glanz der Sonne noch erblickte, Und was ein Gott mir statt des Seins gegeben, Ein Zweifel war es zwischen Tod und Leben. Nun aber weiß ich, wem ich angehoͤre, Als Kind zum Raube schon bestimmt den Thieren: Es sagen mir’s die stummen Trauerfloͤre, Die diesen Sarg zu meinen Fuͤßen zieren, Es rufen mir’s der Sterne goldne Choͤre, Und was ich muß, das will ich auch verlieren, Will ohne Schuld, doch solcher Thaten Thaͤter, Lebendig steigen in die Gruft der Vaͤter! (Er legt sich in deu Sarg; waͤhrend der Deckel geschlossen wird, faͤllt der Vorhang.) Fuͤnfter Akt . Das Publicum, Chor der Haidschnucken . Was haͤltst du, Freund, von diesem neuen Trauerspiel? O zum Entsetzen meisterhaft! Zum Fressen schoͤn! Wie antisophokleisch er’s behandelt hat! Anachronismen eingestreut zu tausenden! So ganz unendlich tragisch! Alle sterben fast. Bis auf die zwei Hebammen. Diese hat gewiß Die boͤse Pest mit weggerafft. Wie aber kam Die Sphinx bis in’s Orchester? Dieses that sie, scheint’s, Auf eigne Faust? v. Platen, der romant. Oedipus. 6 Ja, leider war die treffliche Schauspielerin, der Rolle wegen, aufgebracht! Sie stellte sonst Liebhaberinnen, zaͤrtliche Koketten dar, und sollte nun ein heidnisches Geschwaͤnztes Ungeheuer spielen; dieserhalb Sprach aus dem Stegreif jene grobe Rede sie. Doch ihr Costuͤm war ausgesucht! Welch himmlischer Theaterschneider! Allerdings! Doch ist er auch Weit besser, Freund, als bloße Dichter, honorirt, Und Wem da viel gegeben ist, von Diesem wird Auch viel gefordert. Aber sieh! Wer naht sich uns? Ein Exilirter aus Berlin, er heißt Verstand. Ihn hab’ ich nennen hoͤren, aber nie gesehu . Die Vorigen, der Verstand . Du hast das hohe Meisterwerk mit abgehorcht: Nun gieb ein Urtheil! Alles schier so lappenhast Geflickt, und eins an’s Andre nur so hingenaͤht, Daß ich den Buͤhnenschneider fuͤr den wirklichen Verfasser halte. Sagt’ ich nicht dasselbe just? Wie herrlich war der Koͤnigin Jokaste Schlepp! Kind’s Frack allein war schmutzig. Weil der Frack es war, Den ein Pygmaͤencorporal getragen einst, Von eines Kranichs Blut bespruͤtzt! Die blutige Tragoͤdiendichtung aber ist von Nimmermann. Ich will es glauben, ausgenommen Einzelnes, In keinem Fall die Verse; doch der Plan gewiß. Auch hat vielleicht ein lustiger Vogel hier und dort Was Witziges eingeflochten, unterhaltender Das lahme Spiel zu machen. Also kennst du nicht Die Mode, daß man Tragisches jetzt und Komisches Naturgemaͤß zusammenschachtelt insgemein, Weil ja das Menschenleben selbst buntschaͤckig ist? D a s Leben freilich; aber sicher nicht die Kunst. Oh! Kritisiren, lieber Herr, ist federleicht, Doch Bessermachen schwierig. Ja, ich wuͤnschte selbst, Daß Einer kaͤme, welcher ganz auf praktischem Weg euren Stuͤmpern zeigte, daß sie Stuͤmper sind; 6* Denn nie geglaubt noch haben sie’s den Kritikern. Auch wird Kritik noch stuͤmperhafter ausgeuͤbt, Und meist von Dichterlingen selbst. Verruͤcktes wird Gemuͤthlich tief, Gedankenloses klar genannt, Und Plattes hoͤchst natuͤrlich; aber dieses Lob Ist nicht das Schlimmste! Denn es wird Vorzuͤgliches Zugleich herabgewuͤrdiget durch den leichten Kniff, Zu sagen: Dieses fehlt dem Werk, und freilich muß Gar Vieles jedem Werke fehlen, freilich ganz Unmoͤglich ist es, Calderon und Aeschylus, Moliere und Aristophanes zugleich zu sein! Es spricht der Mann gescheuter, als ich’s dachte mir, Und freigesinnt fast macht er mich: Ich glaubte sonst, Daß Alles, was ein Recensent abdrucken laͤßt, Buchstaͤblich wahr sei. Schweige nun! Es naͤhert sich Der Stolz des Weltalls. Nimmermann? Er ist es selbst! Die Vorigen. Nimmermann . Auf, auf, o Genossen! Den Saͤnger begruͤßt! Er bezwingt die Natur, fuͤgt Steine dem Bau, Lehrt Baͤren den Tanz! Im Erschaffenen rings Kommt nichts Ihm gleich; es besiegt sein Lied Der Cicade Gezirp und den Unkengesang Und des Kuckucks reiche Gedanken! Auf, auf, o Genossen! Er kommt! O bedenkt, Da ein Schoͤpfer er selbst, was bieten wir ihm? Ach! Wuͤrde sofort des Gehegs Sumpfteich Ein befruchtender Strom, und ein Lorbeerwald Dieß Haidegewaͤchs, und die Wolken umher Babylonische hangende Gaͤrten! Auf, auf, o Genossen! Er wandelt heran Lichtschoͤn wie Apoll, der Koͤcher und Pfeil Im Gebuͤsch ablegt, und die Leier bezieht Mit Saiten! Es spuͤhlt der kastalische Quell An die Knoͤchel des Gotts, und es schleicht Sehnsucht In die liebliche Seele der Musen! Mit Dank empfang’ ich wohlverdienten Lobtribut. Dich selber uͤbertrafst du nun, das herrliche, Superlativische Trauerspiel Cardenio, Und manches andere Kraftprodukt, durch neidische Kritiken blos verspottet. Diese nannten es Hochschule fuͤr die Wissenschaft der Gaͤhnerei, Des Mittelmaͤßigen Mittelmeer, und aͤhnliche Verbrauchte Bilder. Und du selbst? Was denkst du denn? Anmaßend waͤr’ ich, wollt’ ich noch urtheilen, wo Deutschland entzuͤckt gerichtet! Zwar veracht’ ich dich; Doch zuͤrnt dem armen Knaben nicht der hoͤchste Gott, Der ihm das Rauchfaß knieend bei der Messe schwingt; Ich lasse mir dein Lob gefallen: Raͤuchere! Wer kann erschoͤpfen dein Verdienst? Ich bin zugleich Poet und Kriminaljurist und Recensent, Von drei Talenten eine Trippelallianz! Wie ist der Staat zu beneiden, dem du dergestalt Nach allen Seiten dienst! Es ist der preußische. Gluͤckseliges Oestreich! Bin ich nicht ein großer Mensch? Berlin vergoͤttert meine Kunst, und meiner Kunst Kritiken stehn im Hegelischen Wochenblatt, Als Pfand von seinem Werthe. Dort erklaͤrt’ ich auch, Weshalb der getaufte Heine, mein Mitstrebender, Kein Byron blos mir, aber ein Petrarca scheint. (Du ganz completter Gimpel!) Mir ein Pindarus. Ihn nennen haͤ tte ich duͤrfen auch den Pindarus Vom kleinen Stamme Benjamin; er nannte mich Des jetzigen Zeitabschnittes ersten Tragiker! O Lessing! Lessing! Drehe dich im Grab herum! Nie hoͤrt’ ich diesen Namen noch. O Winckelmann! Was fuͤr Pedanten rufst du an? Wer sind sie denn? Mein großer Klopstock! Welch ein Kleeblatt nennst du da? Ein schoͤnes Kleeblatt; aber laͤngst dahingewelkt! Fast ahn’ ich, welcher Dichterschule, Nuͤchterner, Du Huldigung darbringest! Deiner Lieblinge Modernster ist gewißlich jener Duͤrftige, Von welchem laͤngst behauptet meine Xenien, Daß er die Verse, die er schreibt, vomire blos? Gedankenarmuth, denn ich hab’ ihn arm genannt, Verbirgt er hinter Kuͤnstlichkeit! Der Vogel, der Sein Nest erbaut im zugeschornen Buchenlaub, Bedient sich dessen als Natur. Wer’s nicht vermag, Der also, glaubst du, koͤnne keine Nester bau’n? Ich zweifle d’ran. Weitschweifigen Halbtalenten sind Praͤcise Formen, Aberwitz, Nothwendigkeit Ist dein geheimes Weihgeschenk, o Genius! Ich glaube gar, du ziehst mir jenen graͤflichen Und herrschbegierigen Dichter vor, Aristokrat? Noch hab’ ich niemals Anarchie beguͤnstiget, Und anzugreifen einen weit Gewaltiger’n, Ist eine That, die sicherlich Verderben bringt. Sich breit zu machen, wagen Exilirte noch? Die Pietisten haben dir Berlin verpoͤnt Mit Fug und Recht! Wer kuͤmmert um Verstand sich noch? Hat unser Hoffmann, jener große Callotist, Dich nicht magnetisch eingelullt, mit Fug und Recht? Die Schuͤler Hegels bieten dir spitzfindiglich Die Spitze dar: Wer kuͤmmert um Verstand sich noch? Mich lies, Fouqué studiere dann, und saͤmmtliche Franz Horn- Zigeunerzeunedeutsch- Berlinerei: Wir haben keinen Theil an dir im Preußischen! Aus meinen Augen weiche nur, werth bist du nicht Mich anzuschau’n! Wer kuͤmmert um Verstand sich noch! Was faͤllt dir ein? Bezaͤhme deinen Uebermuth! Nicht kennst du mich, so scheint es. Muß ich zeigen dir, Aufknoͤpfend meinen Ueberrock, den Ordensstern, Wie die Fuͤrsten thun in Kotzebue’s Komoͤdien? Zwar als Verbannter schleich’ ich jetzt allein umher; Doch vom Exil abruft mich einst das deutsche Volk: Schon jetzt erklingt im Ohre mir sein Reueton, Schon zerrt es mich am Saume meines Kleids zuruͤck! Dir aber, welchen schonend ich behandelte, Dir schwillt der Kamm gewaltig, bitter h oͤ hnst du mich, Und haͤltst fuͤr deines Gleichen mich, Betrogener! Fuͤr jener Leutchen Einen, welche sonst vielleicht Um deinen Schreibtisch draͤngten sich, beklatschten dich, Von dir mit Schwulst sich stopfen ließen, Gaͤnsen gleich. Unseliger, der du heute nun erfahren mußt, Welch einen Schatz beherzter Ueberlegenheit, Biegsamer Kraft im Vorgefuͤhl des Bewaͤltigens, Welch eine Suada dichterischer Redekunst In meines Wesens Wesenheit Natur gelegt! Denn jeden Hauch, der zwischen meine Zaͤhne sich Zur Lippe draͤngt, begleiten auch Zermalmungen! Was thust du? Wehe! Hoͤhne nicht das Kraftgenie! Du blickst herab veraͤchtlich auf Gescheutere, Als Pfuscher pfuschend, spielst du noch den Kritikus; Doch schelten darf nicht Jeder, das bedenke du! Denn selbst die Schicksalsnymphen will ich lieber sehn, Als dich, den Eimer fuͤllend am Poetenborn: Du bist die Rachel, welche nur die Schafe traͤnkt! Und waͤre Muͤllners Musengott ein Satyr auch, Mit dir verglichen ist er ein Hyperion, So wahr der Sohn der Maja mir die Laute gab, Ja, selbst die Pfeife, die den Argus eingewiegt! Du bist allein ein ganzer Tollhaushelikon, Der neun und neunzig Musen hat zu Naͤrrinen; Der langen Weile nie versiechender Quell entspringt, Wo nur den Boden stampfen mag dein Pegasus; Wie Holperpfloͤcke pflanzest deine Verse du, Auf daß du selbst im Rausche d’ruͤber stolperest, Wofern der Kraͤtzer, den ich biete, trunken macht: Komm, thu’ Bescheid mir, Bruder! Ich kredenze dir’s! Wie schaͤumt in meinem Becher dir der herbe Spott! Weh! Schone deine Gurgel, Unersaͤttlicher! Und kraft der Vollmacht, welche mir die Kunst verlieh, Und kraft des Scherzes, welchen ich bemeistere, Der unter meinen Haͤnden fast erhaben klingt, Als waͤr’s der Andacht hoher Ernst, und kraft der Kraft Zerstoͤr’ ich dich, und gebe dich dem Nichts anheim! Zwar waͤre, dich vernichten, eine kleine That; Allein gesalbt zum Stellvertreter hab’ ich dich Der ganzen tollen Dichterlingsgenossenschaft, Die auf dem Hackbrett Fiebertraͤume phantasirt, Und unsere deutsche Heldensprache ganz entweiht; Ja, gleichwie Nero wuͤnscht’ ich euch nur Ein Gehirn, Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es, Um aller Welt zu zeigen eine taube Nuß, Mit ungenießbar’m Floskelmoder angefuͤllt. Verstumme, schneide lieber dir die Zunge weg, Die laͤngst zum Aergernisse dient Vernuͤnftigen! An deiner Rechten haue dir den Daumen ab, Mitsammt dem Fingerpaare, das die Feder fuͤhrt: An Geist ein Kruͤppel, werde bald es koͤrperlich! Flieh, Nimmermann, die moͤrderischen Trimeter! Wohin du fliehn willst, nimmermehr entrinnst du doch, Und gleich Armeen umzingeln dich Verwuͤnschungen! Sachwalter giebt es keine fuͤr den Versifer, Und aus dem Schooße schuͤtteln dich die Wenigen, Die noch geneigt dir waren, wie gemeinen Staub! In meinen Waffen spiegle dich, erkenne dich, Erschrick vor deiner Haͤßlichkeit und stirb sodann! Ich bin im Jambenschleudern ein Archilochus, Ein Zeus in meinem Sylbenfall, ein Dounerer: Indem sie treffen, blenden meine Keile dich, Von mir getoͤdtet, gaffst du noch Bewunderung! (Ab.) Nimmermann. Publicum. Chor . O Grobian! O Grobian! O Grobian! Doch schien mir ziemlich wahr zu sein, was Jener sprach. Auch ich empfinde manichfach mich umgestimmt; Nur sprach er, duͤnkt mich, viel zu viel, und uͤberdieß War dieser Mensch handfester noch, handgreiflicher, Als ein Tyrolerjaͤger aus dem Zillerthal. Tyrol? Wie wird mir! Jucken mich Tragoͤdien? Gieb acht, er bruͤtet wieder was Dramatisches! Der Himmel hangt voll Geigen, voll abscheulicher, Fuͤnffuͤßiger Jamben uns! O seht! Wie ruͤttelt ihn Begeisterung! Wie scheint er außer sich zu sein! Weswegen kratzt er aber auf dem Schaͤdel sich? In seinen Lorbeern nistet jenes kluge Thier, Das wohl versteht zu schaͤtzen einen Mann von Kopf. O mein Andreas Hofer, der erschossen wird! Erschossen? Nicht doch! Schone diesen Ehrenmann! Nicht lass’ ich selbst erschießen ihn, ein Engel thut’s: Schon warf in eine Felsenschlucht das Mordgewehr, Vom Kriege matt, der Bauerngeneral Tyrols; Ein Engel hohlt es aber aus der Schlucht zuruͤck, Und legt’s dem Helden wiederum zur Seite hin, Um ihn zu Grund zu richten. Vom Historischen Abweichen darf ich nimmermehr! Der Engel soll Zum Teufel gehn mit seiner Scheindienstfertigkeit! Es ist ein Engel, den man auch weglassen kann, Wie mir es vorschwebt darzuthun im Vorbericht. Doch duͤnkt es mich entsetzlich, ohne Geld und Paß, Verfolgt von Gassenjungen, durch die Welt zu ziehn, Als weggelassener Engel eines Trauerspiels! Ich folge treu den respektiven Zeitungen Damaliger Zeit, mich haltend an’s Historische, Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz, Mit Leda’s Ei die Pusterthaler Ilias. Doch werden dann behaupten unsre Kritiker, Daß die Erfindungsgabe ganz und gar gebricht, Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichst; Denn oͤfters hoͤrt’ ich sagen uͤber ein Trauerspiel, Es waͤre mit Begebenheiten vollgepropft, Doch ganz erfindungslos. Dann aber weißt du nicht, Was als Erfindung ruͤhmen uns Romantiker: Histoͤrchen, Abentheuer, plattes Volksgewaͤsch, Statt folgerechten Gegenstands Entwickelung. Was seh’ ich? Oder besser noch, was riech’ ich da? Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeschen sind Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing! Was riecht er denn? Jetzt scheint er ganz verzuͤckt zu sein. Treuloses Weib! Verraͤthst du deinen Ehemann, Dem wandelbar’n Franzosenoffizier zulieb? Untreu verlaͤßt auch dieser dich; doch kehrt er ein In deine Huͤtte wiederum, du aber brennst Ihm uͤber’m Kopf das Haus zusammen, waͤhrend er Das Schreiben traͤgt in seiner Ficke Heiligthum! Jetzt scheint er mir verruͤckt zu sein! O schaͤndliche Depeschenmordbrandehebruchstyrolerinn! Wabnsinn umflammt den Zirkel seines Dichteraugs! Weh! Offen gesteht’s des Gesangs Wehmuth: Der beruͤhmte Poet ist uͤbergeschnappt! Nun klage das All, nun werfe Natur Nachtfloͤre des Tods Auf jede Geburt des Fruͤhlings! Faßbinder, bindet wieder mir ein Tintensaß, Meins ist vor Schmerz zersprungen! Meine Thraͤne fließt! Schon plaͤtschert herab sein Zaͤhrenerguß, Und dem Haidegefild droht Suͤndfluthschmach! Wo entdeck’ ich des Heils noachidischen Kahn? Wo verheißt Trost uns Ein poetischer Regenbogen? Dieß sing’ ich dir, mein Heine, Samen Abrahams! Er stirbt, und wimmernd fleht er schon Freund Hein herbei! Du irrst, er ruft Freund Hein ja nicht, den herrlichen Petrark des Lauberhuͤttenfests beschoͤrt er blos. Du bist der ersten Dichter einer, sagst du selbst! Wahr ist’s, in einem Liedelein behauptet er’s; Doch keiner glaubt’s, wie’s immer bei Propheten geht. Welch einen Anlauf nimmst du, Synagogenstolz! Gewiß, es ist dein Busenfreund des sterblichen Geschlechts der Menschen Allerunverschaͤmtester. Sein Freund, ich bin’s; doch moͤcht’ ich nicht sein Liebchen seyn; Denn seine Kuͤsse sondern ab Knoblauchsgeruch. Drum fuͤhrt er sein Riechflaͤschchen auch bestaͤndig mit. Mein Heine! Sind wir beide nicht ein Paar Genie’s? Wer wagt zu stoͤren, Suͤßer, uns den suͤßen Tra m? Mir ist’s, als hoͤrt’ ich schlagen eine Pendeluhr, Die einen sehr gefaͤhrlichlauten Wecker hat. Waͤr’s moͤglich? Drohte meinem Stern Verfinsterung? Dem deinen nebst noch vielen, wenn ihr Sterne waͤrt; Doch Blendlaternen schließen blos Talgstuͤmpfchen ein. Ihr seid die Jungfrau’n, deren Lampen ausgeloͤscht: Was ist zu thun? Schon naht sich euch der Braͤutigam, Klangvollen Takt in seiner Schritte jeglichem, Und braͤutlich ruht am Busen ihm die Poesie! Auch ihr verhoͤhnt mich? Lieber, komm! Ich fuͤhre jetzt, Um Muße dir zu schaffen, dich an jenen Ort, Den Britten Bedlam heißen, Deutsche Narrenhaus. Er sagt es englisch, weil er dich Shakespear genannt. Auch ihr verhoͤhnt mich? Wessenthalb, Verblendete? Wir waren’s, lieber Nimmermann! Der heilende Verstand benahm die Schuppen uns als Augenarzt. Ihr wolltet Shakespear’n laͤnger nicht anbeten mehr? Wir lieben Shakespear; aber waͤrst Shakespear du selbst, Der nichts du bist, als seiner Affen grinzendster, Du kaͤmst zu spaͤt der Forderung des Augenblicks: Es hat die Welt verschleudert ihren Knabenschuh! O wehe, weh mir! Meine letzte Stuͤtze wankt. Einfache Wahrheit blos gefaͤllt, kein Stelzenschritt, Kein Harlekinsrock uͤber einem Katafalk! Nimmer- Weh, wehe meinen siebenfach geseiherten, Phantastischplatten Quintessenztragoͤdien! O Kraft der Wahrheit! Also selbst gestehst du es? Wem deklamir’ ich kuͤnftig euch? Weh, wehe mir! In jener Anstalt fehlt es nicht an Hoͤrenden: Wahnwitzige bilden ebenfalls ein Publicum, Ein sehr gemischtes, uͤberaus vollzaͤhliges. So treff’ ich auch jenseitige Maͤcenaten an? Tollhaͤusler zwar; doch immerhin Bewunderer. Triumph! Ich gehe, fuͤhre mich! Triumph! Triumph! (Vom Publicum abgefuͤhrt.) (An den Rand der Buͤhne vortretend.) Wenn streng der Poet, voll feurigen Spotts, der empor sich schraubenden Ohnmacht Schwerfaͤlligen Wahn, der platt, wie er ist, den begeisterten Schwaͤrmer sogar noch Will spielen, wie einst in die Saiten Apolls des Silens Maulesel hineingriff: Wenn streng der Poet ihn strafte, verdient er den Dank und die Liebe der Mitwelt. Da die Feinde zumal und die Hefe des Volks und die Stimmangeber in Deutschland v. Platen, der romant. Oedipus. 7 Ihn tief in den Staub ziehn moͤchten, damit er verliere sich unter der Mehrzahl, So geziemt es gewiß der befreundeten Schaar, um so mehr ihn rettend zu fluͤchten, Auf prangendem Schild ihn tragend empor, den Beherrscher des Worts in der Dichtkunst! Seit aͤltester Zeit hat hier es getoͤnt, und so oft im erneuen- den Umschwung, In verjuͤngter Gestalt aufstrebte die Welt, klang auch ein germanisches Lied nach. Zwar lange verhallt ist jener Gesang, den einst des Arminius Heerschaar Anstimmend gejauchzt in des Siegs Festschritt, auf roͤmischen Graͤbern getanzt ihn; Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch, Ein gewaltiges Lied von der maͤchtigen Frau, die erst als zarteste Jungfrau Dasteht, und verschaͤmt, voll schuͤchterner Huld, dem erhabenen Helden die Hand reicht, Bis dann sie zuletzt, durch’s Leben gestaͤhlt, durch gluͤhende Rache gehaͤrtet, Graunvoll auftritt, in den Haͤnden ein Schwert und das Haupt des enthaupteten Bruders. Auch lispelt um euch der melodische Hauch aus spaͤteren Tagen des Ruhms noch, Als maͤchtigen Gangs zu des Heilands Gruft die gepanzerten Friedriche wallten; An den Hoͤfen erscholl der Gesang damals aus fuͤrstlichem Mund, und der Kaiser, Dem als Mitgift die Gestade Homers darbrachte die Tochter des Normanns, Sang lieblichen Ton! Kaum aber erlosch sein Stamm in dem herrlichen Knaben, Der, unter dem Beil hinsterbend, erlag capetingischer teuf- lischer Unthat, Schwieg auch der Gesang, und die goͤttliche Kunst fiel unter die Meister des Handwerks. Spaͤt wieder erhub sie die heilige Kraft, als neue befruch- tende Regung Weit uͤber die Welt, aus Deutschlands Gan’n, der begeisterte saͤchsische Moͤnch trug; Doch strebte sie nun langsamer empor, weil blutiger Kriege Verderbniß Das entvoͤlkerte Reich, Jahrhunderte lang, preisgab der unendlichen Rohheit; Weil Wechsel des Lauts erst hemmte das Lied, da der bibel- entfaltende Luther Durch maͤnnlichern Ton auf immer rertrieb die melodische rheinische Mundart. Doch sollte das Wort um so reicher erbluͤhn, und es lehrte zugleich es Melanchthon Den gediegenen Klang, den einst anschlug die begluͤcktere Muse von Hellas, Und so reifte heran die germanische Kunst, um entgegen zu gehn der Vollendung! Lang schlich sie dahin, lang schleppte sie noch nachahmende Fessel und seufzte, Bis Klopstock naht und die Welt fortreißt in erhabener Odenbefluͤglung, Und das Maß herstellt, und die Sprache beseelt und befreit von der gallischen Knechtschaft, Zwar starr noch und herb und zuweilen versteint, auch nicht Jedwedem genießbar; Doch ihm folgt bald das Gefaͤllige nach und das Schoͤne mit Goethischer Sanftheit. Manch großes Talent trat spaͤter hervor, und entfaltete himmlischen Reichthum; Doch Keiner erschien, in der Kunst Fortschritt, dem unsterb- lichen Paare vergleichbar: Keusch lehnt Klopstock an dem Lilienstab und um Goethe’s erleuchtete Stirne Gluͤhn Rosen im Kranz! Kuͤhn waͤre der Wunsch, zu ersingen verwandte Belohnung! Anspruͤchen entsagt gern unser Poet, Anspruͤchen an euch! An die Zukunft Nicht voͤllig, und stets wird loͤblicher That auch loͤblicher Lohn in der Zukunft! Er beneidete nie die gefeierte Schaar um ein rauschendes Zeichen des Beifalls, Wenn lallenden Tons sie zu stammeln begann die gestotterte Phrase der Unkunst; Denn er hoͤrte sie wohl und erkannte sie wohl, und verbiß die gerechte Verachtung: Nie wird er sie nun mehr hoͤren vielleicht, und er wandelt im Garten Europa’s, Der ihn schadlos fuͤr manchen Verlust, fuͤr manches verkannte Gedicht haͤlt: In dem Pinienhain, an den Buchten des Meers, Wo die Well’ abfließt voll triefenden Schaums, Geht gern er allein, und wofern kein Ohr Ihm mehr zuhorcht jenseits des Gebuͤrgs, Dann spornt zum Gesang zwar kein Beifall Der Befreundeten ihn, Doch Fuͤlle des eigenen Wohllauts. Nachschrift an den Romantiker . ⏓ — ⏑ — ⏑ ⏑ —, ⏓ — ⏑ ⏑ — ⏑ — Vorwuͤrfe hab’ ich gehoͤrt, noch eh’ ich zu Stand gebracht Das Werk, mit welchem ich dich, mein suͤßer Gesell, bedacht; Es sprachen Freunde zu mir: „Wir sind an Poeten reich, Was waͤhlst du Helden dir aus, die schwach und verruͤckt zu- gleich? Wer Nachtigallengesang zu toͤnen versteht, wie du, Zieht sich das Rachegekreisch des Kraͤhengeschlechtes zu? Nie hat Apollo gezielt auf Hasen und andern Troß, Die stolze Niobe nur demuͤthigte sein Geschoß.“ Ich muß vor solchem Verdacht vertheidigen jenes Lied: Mein Held, was bist du mir denn, mein hinkender Jamben- schmied? Ein Ueberbleibsel der Zeit, die hoffentlich nun vorbei, Jahrzehntelangen Gequicks romantischer, letzter Schrei! Zwar macht dich keiner so leicht, sammt deinen Gefaͤhrten, stumm; Doch denken lerne die Welt, und scheide Gerad’ und Krumm! Irrthuͤmern bin ich gefolgt und habe, da falscher Schein Betruͤgt, die Hefe geschoͤpft, zu zeigen, wie schlecht der Wein, Dem Volk zu zeigen, wohin, in welches Gewoͤlk von Dunst Unreifer Schwindel gefuͤhrt, und kindische, lahme Kunst: Erst war man blos paradox, bald folgte der tollste Quark, Wahrheit ergrimmte zuletzt, und siehe, sie war so stark! Gewiß, mir haͤtte den Ton der Leier die Scham gedaͤmpft, Wenn dein Geklimper ich blos, langweiliger Mensch bekaͤmpft! Volksthuͤmlich nennen sie dich; drum hoͤrtest du wohl, wie’s scheint, Daß auf die Saͤcke man schlaͤgt, indeß man den Esel meint? Ich muß, damit sich dabei beruhige dein Geschmack, Gestehn dir, daß du allein im obigen Fall der Sack.